NED N 2 DREIER, av I j A e ih NE NEN ’ » ’ ER EN „re £) KORAN Br a N 4 " " NR AN > \ ; N RAR NW ‚ { UN, ! Nur, N HL ‘, A vr e ı \ CR v t 5 y ‘ ’ D a Erich r’ \ x Ads n . KNCNERON \ | Ar ’ er f \ i j vu! IM D 5 Yı v . PR bi ‘, vr ı Kr er BEER ER LU pe v # e " ’ r BY ee: \ BEER Ka ER R B . vi x ’ ohrr £ r \ . i \ / . \ ‘ j a ß ; y e ur PER era | f Ki N ri y i F 3 ae ; PET f : r 4 Rah ) AN \ DIRT RER RES HHTES s : Ey Fo B ee ErFER ' f LIEF Euer 5 “ ’ 4 ng or. " t ! \ nu F . Pe . ; PIE, . ! PAR BER ° ER . HR N uf Dan f ; Dr f Sp j BE, v“ : ge DERRR ’ \ FEIE G ne LIE } he er *; “ Vibrarp of tbe Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, Dounded bp private subscription, In 1861. TITTEN Deposited by ALEX. AGASSIZ. a 7385 | Ahays 92H an yıohn N Tann er ü hr Ro ur uw b: j v Ü “ u ’ Pe a: i Ö ß f ı® i A) | f 5 i Bo, 5 j a) . Mn , ia { . x = ’ Ö " i \ B 5 , : v B B B ß n B u ‘ ß 2 & , f Bi D ß er . en Paar Bu Ir Da \ ji . Y 4 D Ten . PR ı * D ö L ß ö Er { B ß M n 5 . wi = RI AKOHEIEN FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGE ' ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN Dz. WILH. HIS uno Da. SENDE: BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITAT LEIPZIG, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN JAHRGANG 1881, PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1881. ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dz. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1881. “ MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND 10 TAFELN- LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1881. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt. Franz Bort, Thesen und Hypothesen zur Licht- und Farbenempfindung I. Rosentuan, Neue Studien über Athembewegungen. Zweiter Artikel. Ueber die Wirkung der elektrischen Reizung des N. vagus sale J. v. Krızs und Henry SewAur, Ueber die Summirung unterm @imalkr Reize in Muskeln und Nerven E { ©. LANGENDORFF, Studien über die Inder vakton der Mkhembeegungen, Dineite Mittheilung. Ueber ungleichmässige Thätigkeit beider Zwerchfellshälften. Unter Mitwirkung von R. NırscHumann und H. Wırzack. (Hierzu Tafel 1.) K. Häuisten, Zuf Kenntniss der mechanischen Reizung der Nerven. (Hierzu Tafel II.) & MEADE SmitH, Die Bemperatur des, Bereigten Sausethiermnckele J. GauLe, Das Flimmerepithel der Aricia foetida. (Hierzu Tafel III.) DÖNHorF, Ueber die mittlere Lebensdauer der Thiere Benno Bacınsky, Ueber die Folgen von Drucksteigerung in der Paukenhöhle und die Function der Bogengänge \ L. v. Lesser, Einige Bemerkungen zu dem Anfaatze des Eon. Erler Eos, SEYLER über die Veränderungen des Blutes bei Verbrennungen der Haut O. LANGENDORFF, Studien über die Innervation der Athembewegungen. Dritte Mittheilung. Ueber periodische Athmung bei Fröschen. Theilweise nach Versuchen von Dr. G. Sızgert. (Hierzu Tafel IV.) Bl FerD. Kıuc, Beiträge zur Physiologie des Herzens . GAETANO SALVIOLI, Die gerinnbaren Eiweissstoffe im Blütserum and in der Lymphe des Hundes . : Fıno, Das Verhalten des Peptons und Trrptons gegen Bint, ind pe J. GauLE, Die Beziehungen der Cytozoen (Würmchen) zu den Zellkernen. (Hierzu Tafel V.) B. Lonpon, Das Blasonopithel han on den Hallaneszastandan Gar Blase O. LANGENDORFF, Studien über die Innervation der Athembewegungen. Vierte Mittheilung. Periodische Athmung nach Muscarin- und Digitalinvergiftung . M. v. Frey und J. v. Krıes, Ueber die Mischung von Spectralfarben . : Carıstıan Lov£n, Ueber den Muskelton bei elektrischer Reizung sowie über einige in Zusammenhang damit stehende elektrisch-akustische Erscheinungen M. v. Frey, Die Emulsion des Fettes im Chylus L. WooLprıpeeE, Zur Chemie der Blutkörperchen JOHANNES GAD, Beobachtungen über die Wirkungen einer Wändhose WırHeLm PanHorr, Ueber die physiologischen Wirkungen des Mechlenehlora® _ Rıcnarp Burz, Vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen der physiologi- schen Functionen der Peripherie der Netzhaut . See vI INHALT. Seite S. v. Bascn, Die Deutung der plethysmographischen Curve. (Hierzu Tafel VI.) . 446 LupwiG SCHWEINBURG, Die Bedeutung der Zwerchfellseontraction für die respira- torischen Blutdruckschwankungen. (Hierzu Tafel VII—-IX.) . 475 B. v. Anker, Die Aufsaugung im Magen des Hundes . 504 Osarta, Die Zerlegung neutraler Fette im lebendigen Magen . N Alan) O. LANGENDORFF, Studien über die Innervation der anlıssreaninsan. Fünfte Mittheilung. Ueber Reizung des verlängerten Markes. Unter re von F. GÜRTLER. (Hierzu Tafel X.) : 519 JOHANNES GAD, Ueber die Abhängigkeit der near vom AN ervus vagus 538 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1880—1881: G. Saromon, Ueber die Bildung von Xanthinkörpern in keimenden Pflanzen 166 c. FRIEDLÄNDER, Ueber Herzhypertrophie. 168 WERNICKE, Ueber eine grössere Anzahl von Gesichtsfeldsaufnahmen a heil F. Busch, Vortrag zur Vertheidigung der Osteoblastentheorie gegen einige neuere Angriffe . 172 A. Luca, Ueber optischen Sehrndel bei Dinckerhekuns im Ohr 193 C. WERNICKE, Ueber einen Fall von Schreiberkrampf 197 J. SAnper, Ueber die Löslichkeit des Syntonins . . . 198 H. Kronkcker, Ueber die Wirkung des Aethers auf das Frosdihe 354 A. Bacınsky, Ueber den Einfluss der Entziehung des Kalks in der Nahrung und der Fütterung mit Milchsäure auf den wachsenden Organismus. . 357% F. Busch, Das Knochengewebe der Batrachier nach den Untersuchungen von N. KasTscHEnko 358 ° G. Sanomon, Zur Physiologie de Kanthinkerpen } 361 ) H. Munk, Zur Physiologie der Grosshirnrinde. IR 455 InmanueL Munk, Ueber die Oxydation des Phenols beim Pferde, ein Bela: zur Kenntniss der Oxydation bei den Herbivoren a) H. Kronecker und S. MELTZER, Ueber den Sohlachact und die Rolle der | Cardia bei demselben 465 Gnauck, Ueber die Unterschiede der en des Eee und ls Name 466 J. Sanper, Ueber die Bestimmung der eireulirenden Blutmenge im lebenden Thiere 471 Marrıus, Ueber die Ernährung des Froschherzens . 474 HERMANN Munk, Ueber Erregung und Hemmung 553 C. WERNICKE, Ueber einen Fall von secundärer Degeneration 559 F. Busca, Ueber die von WALLAcE mit dem Namen Mimicry bezeichnete Dimehsamne 560 Benno Bagınsky, Ueber Untersuchungen des Kleinhirns . 560 C. FRIEDLÄNDER, Ueber Typhusbaeillen . 566 JOHANNES GAD, Ueber die genuine Natur efeoforischer Athemhenutiins 566 H. Kronecker, Ueber die Fähigkeit der Milch, Muskeln leistungsfähig zu en 569 K. Brandt, Ueber das Zusammenleben von Thieren und Algen 570 H. L. ScHörer, Ueber ein neues Refraetions-Ophthalmoskop 574 Sprachliche Bemerkung. Vom Herausgeber 577 Berichtigung zu Prof. Loven’s Aufsatz über den Murkelton u.8. w. Kalbe 8. 363) . 578 Thesen und Hypothesen zur Lieht- und Farben- empfindung. Von Prof. Franz Boll. Aus dem Laboratorium für vergleichende Anatomie und Physiologie zu Rom. Dreizehnte Mittheilung.! Vorbemerkung des Herausgebers. — Ich glaubte den Fach- genossen diesen hinterlassenen Aufsatz eines so ausgezeichneten Forschers, obgleich unvollendet und offenbar nicht durchgearbeitet, nicht vorenthalten zu dürfen, da der Verstorbene selber im letzten Jahre seines Lebens grosses Gewicht auf die darin enthaltene Auffassung legte. Hr. Professor Helm - holtz, der die Güte hatte das mir von Boll’s Wittwe übergebene Manu- script zu prufen, schreibt mir Folgendes : „Im August 1878 bat mich Boll ihn in Davos aufzusuchen, um sich mit mir über physiologisch-optische Fragen zu besprechen. Es war damals eine Exacerbation seiner Krankheit eingetreten, die ihn ängstigte und es ihm wohl wünschenswerth machte einem Anderen seine bis dahin ı Atti della R. Accademia dei Lincei. Anno CCLXXX. 1877—178. Serie terza. Transunti. Vol. II. p. 184. Tesi ed ipotesi sulla sensazione della luce e dei colori. — Hier steht nur wörtlich Folgendes: „Im Verfolg seiner Studien über die Anatomie und Physiologie der Retina ist der Verfasser zu einer neuen Hypothese über das Sehen ge- langt, welche, während sie zum Theil mit der bekannten‘ Young-Helmholtz’schen Theorie zusammenfällt, in anderen Stücken davon ganz unabhängig ist. Diese neue Theorie beruht zum Theil auf neuen vom Verfasser beobachteten Thatsachen, zum Theil entspringt sie theoretischen Betrachtungen. Diese letzteren haben nur hypothe- tischen Werth. während der Verfasser glaubt, dass er über die Physiologie des Sehens schon in Gestalt bestimmter Thesen einige Sätze aussprechen kann, welche nichts als unmittelbare Folgen der neuen anatomischen und physiologischen Thatsachen sind.“ Archiv f. A, u. Ph, 1881. Physiol. Abthlg. 1 2 FrAnZz BoLL: gewonnenen Ergebnisse mitzutheilen. Was er mir damals als Thatsachen vorgetragen hat, ist im Wesentlichen theils in dem Aufsatze von Hrn. Angelucei,! theils in dem vorliegenden Manuscript enthalten. Das Ziel, was ihm vorschwebte, war die Hoffnung, die drei von ihm unterschiedenen lichtempfindlichen Schichten der Netzhaut als die Träger der drei elementaren Farbenempfindungen nachweisen zu können. Die erste Frage, die er mir vorlegte, war die, ob ich drei verschiedene Systeme von Nervenendigungen mit der verhältnissmässig geringen Anzahl von Primitiv- fasern im Stamme des Sehnerven vereinbar hielte. Die hieran sich knüpfenden Zweifel lassen sich indessen durch die Annahme beseitigen, dass die peri- pherischen Empfindungsfasern jedes Systems ein anastomosirendes Netz bilden, aus dem nur eine verhältnissmässig geringe Zahl von centripetal leitenden Fasern entspringen. Nimmt man an, dass die Erregung jedes peripheri- schen Punktes sich in dem Netz verbreitet, und von den nächst gelegenen centripetalen Fasern stark, von den entfernteren schwächer zu den Nerven- centren geleitet werde, so würde die Localisation auf Intensitätsabstufungen der Empfindungen benachbarter sensibler Fasern zurückzuführen sein, und dabei könnten für das zwischen den Mündungsstellen von nur drei Fasern liegende Dreiek der empfindenden Fläche viele Hunderte von unterscheid- baren Abstufungen der Gesammtempfindungen hergestellt werden, die den Ortsveränderungen des gereizten Punktes entsprächen. Eine solche Hypo- these hatte ich mir längst für den Tastsinn gebildet, um das lückenlose Ineinandergreifen der Empfindungskreise und die feinere Ausbildung der Localisation durch Uebung zu erklären. Sie schien Boll’s Zweifel beruhigt zu haben, denn er kam auf diesen Punkt nicht wieder zurück. Desto mehr beschäftigte ihn die Frage, wie die Empfindungen der drei Grundfarben an die drei empfindlichen Schichten der Netzhaut zu ver- theilen seien. Nach dem Axiom, dass nur absorbirtes Licht wirken könne, wären die mit Sehroth versehenen Aussencylinder der Stäbchen, die ausser- dem nach Boll’s Beobachtungen durch das grüne Licht am schnellsten entfärbt werden, als die erünempfindenden Elemente in Anspruch zu nehmen. Die Bewegungen der Pigmentkörner werden ‘durch Weiss und Blau schein- bar gleich stark affieirt (Angelucei, 1. ec. p. 1040). Boll war deshalb geneigt den pigmenthaltigen Zellen die Empfindung des Violett beizulegen. Dann blieben die Zapfen für das Roth, womit ihre spärliche Vertheilung in den rothblinden peripherischen Theilen der menschlichen Netzhaut aller- dings wohl zusammenstimmen würde Auf meinen Einwand, dass dann dem Netzhautcentrum die Empfindung des Grün mangeln würde, erwie- ' Histologische Untersuchungen über das retinale Pigmentepithel der Wirbelthiere. Dies Archiv. 1878. 8.353; — Ricerche istologiehe del epitelio retinico dei vertebrati, Atti dei Lincei. Serie terza. Memorie fisiche. Vol. II. 1878. p. 1031. THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 3 derte er, dass er die Frage noch nicht für spruchreif halte, ob nicht auch im gelben Fleck zwei Reihen von Elementen, die den Stäbehen und Zapfen entsprächen, zu unterscheiden sein, selbst wenn dieselben gleichen Durch- messer hätten. Es wird dies also ein Punkt sem, auf den bei weiteren histologischen Untersuchungen zu achten wäre. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass die Dispersion des Lichts in den brechenden Medien die Brennpunkte der blauen Strahlen nach vorn, die der rothen nach hinten lege, dass bei fast allen übrigen photochemi- schen Wirkungen die violetten Strahlen den übrigen überlegen wären, und daher den geringsten Grad von Absorption verlangten, wo sie wirken sollten, die rothen den stärksten; dass für erstere also ein kaum absorbirendes Substrat, wie die Zapfen, ausreichen würde, für die letzteren eher ein stark absorbirendes zu suchen wäre, wie es die Pigmentzellen darstellten. Ausser- dem liesse das Sehroth am besten die rothen Strahlen durch, und hinter der rothgefärbten Schicht wären am ehesten noch rothempfindende Ele- mente zu suchen. Indessen musste ich zugeben, dass eben wegen der grossen photochemischen Wirksamkeit des Violett auch eine kleine Menge violetter Strahlen, die das Sehroth durchdrinst, oder direct die Fortsätze der pigmentirten Zellen zwischen den Aussengliedern der Stäbchen trifft, wirksam sein könnte. So blieb dieser Theil des Problems freilich ohne bestimmte Antwort. Da sich daran aber bestimmte Fragen für die weitere Beobachtung knüpfen, will ich ihn nicht unerwähnt lassen.“ 1. Physiologische Bestimmung der Sehelemente und ihrer Eigenschaften, Aus der Gesammtheit dessen, was wir über Auge und Sehen wissen, lässt sich, glaube ich, für das Zustandekommen der Gesichtsempfindungen als elementarste Vorstellung zunächst der einfache Satz ableiten, dass die lichtempfindliche Fläche unserer Retina ausschliesslich zusammengesetzt ist aus einer sehr grossen Anzahl gesonderter, individueller und selbstän- diger Punkte, von denen jeder einzelne an seine Nachbarn bis zur unmittel- baren Berührung genähert ist. Es entspricht dieser Vorstellung vollkommen der bekannte bildliche Ausdruck von der „lichtempfindlichen Mosaik“ der Retina. Diese gesonderten, individuellen und selbständig empfindenden Punkte, welche ich an einer anderen Stelle! als „die physiologischen Einheiten, 1 Dies Archw. 1877. 8.5. 18 pi Franz BoLnt: welche das Licht und die Farben percipiren“, definirte, nenne ich jetzt „Sehelemente“, überzeugt, damit die für sie zutreffendste Bezeichnung gefunden zu haben.! Weitere Ueberlegungen über die physiologische Beschaffenheit dieser Wesen ergaben, dass jedem einzelnen Sehelemene zwei bestimmte Eigen- schaften zugeschrieben werden müssen; nämlich erstens: Die Fähigkeit, eine vollständige Licht- und Farbenempfindung zu vermitteln, d. h. jede einzelne der für unser Auge existirenden Licht- und Farbenverschiedenheiten in ihrer charakteristischen Besonderheit zur Empfimdung zu bringen. Und zweitens: Ein bestimmtes „Localzeichen“, d. h. ein besonderes Em- pfindungsmoment, durch welches wir die Erregung jedes einzelnen Seh- elements als diesem allein eigenthümlich zu empfinden und von der Er- regung aller anderen Sehelemente zu unterscheiden im Stande sind.? Die erste dieser beiden jedem einzelnen Sehelemente zugeschriebenen Eigenschaften, die vollständige Licht- und Farbenempfindung ist unzweifel- haft für sämmtliche Sehelemente identisch; d. h. das Sehelement A und das Sehelement B empfinden jeden bestimmten Farbenton von gegebener Helligkeit nicht in verschiedener, sondern offenbar in identischer Weise. Wir gelangen also zu der Vorstellung, dass die einzelnen Sehelemente in Bezug auf ihre Lieht- und Farbenempfindung unter sich vollkommen gleich- artig sind und dass der zwischen den einzelnen Sehelementen bestehende physiologische Unterschied allein durch die Verschiedenheit ihrer „Local- zeichen“ bedingt wird. ! Mit Rücksicht auf das Bild von der lichtempfindlichen Mosaik hätte es nahe gelegen, für die Sehelemente eine an diesen Begriff sich anlehnende Bezeichnung ein- zuführen. Dies ging jedoch aus dem Grunde nicht an, weil die deutsche und mit ihr die meisten europäischen Sprachen nur „Felder“ einer Mosaik, eines Schachbretts u. s. w. kennen, und der damit zu bildende Name „Sehfeld“ in der physiologischen Optik be- reits fest vergeben ist. Auf die Bildung einer entsprechenden griechischen Bezeich- nung zurückzugreifen, erschien deshalb unthunlich, weil keines der beiden aus dem Griechischen für das Mosaikelement überlieferten Ausdrücke: wjpos und yorÖöoos, eine phonetisch richtige Wortverbindung zulässt. Die Bezeichnung ‚Elements photesthe- Ziques“ (Milne Edwards) scheint mir weniger gut als die meinige, einmal, weil sie länger ist und zweitens weil die „Lichtempfindung“, der sie allein Rechnung trägt, weniger aussagt, als der Begriff „Sehen“, in welchem die den Sehelementen unzweifel- haft zukommende Nebenempfindung implieite mit enthalten ist. ® „Was die durch den Gesichtssinn erhaltenen Zeichen betrifft, so sind sie ver- „schieden nach Intensität und Qualität, das heisst nach Helligkeit und Farbe, und „ausserdem muss noch eine Verschiedenheit derselben bestehen, welche abhängig ist von „der Stelle der gereizten Netzhaut, ein sogenanntes Localzeichen“. Helmholtz, Physiologische Optik. 8. 797. THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LiCHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 5 Zu diesem Satze sind verschiedene theils einschränkende, theils erläu- ternde Bemerkungen nothwendig. Zunächst ist hier vorläufig von der bekannten Thatsache Act zu nehmen, dass durchaus nicht „alle“ Sehelemente eine „vollständige“ Licht- und Farbenempfindung besitzen, sondern dass eine solche eigentlich nur den Sehelementen des Augenhintersrundes zukommt, während die Licht- und Farbenempfindung der Netzhautperipherie notorisch in mehrfacher Beziehung unvollständig ist. Von dieser physiologischen Unvollkommenheit der an ‘ der Peripherie der Retina gelegenen Sehelemente soll weiter unten noch ausführlich die Rede sein: einstweilen empfiehlt es sich jedoch, über diese Ausnahme mit einer blossen Zeservatio mentalis hinwegzugehen und allein das hervorzuheben, was in der eigentlich zum Sehen dienenden Zone der Retina thatsächliches Verhältniss und absolute physiologische Regel ist. Ferner dürfte es nicht überflüssig sein, darauf aufmerksam zu machen, dass diese Behauptung von der Gleichartigkeit der Sehelemente, welche so ziemlich die wichtigste Voraussetzung der modernen physiologischen Optik darstellt, wenn auch wohl kaum von irgend Jemand bezweifelt, doch noch eigentlich niemals strenge bewiesen worden ist. Es ist dies um so auf- fallender, als die für eine wirklich exacte Beweisführung nothwendigen ex- perimentellen Bedingungen verhältnissmässig sehr leicht herzustellen sind. Man braucht nämlich nichts weiter als eine Reihenfolge verschiedenfarbiger leuchtender Punkte auf dieselbe Stelle der Netzhaut hinter einander mit so grosser Geschwindigkeit einwirken zu lassen, dass das Auge in den Reiz- intervallen zu einer Bewegung nicht Zeit findet. Wenn dann die einzelnen leuchtenden Punkte auf jeder Stelle des Augenhintergrundes ein jeder in seiner besonderen Farbe und Helligkeit gleichartig empfunden werden, ist der experimentelle Beweis geliefert, dass alle Sehelemente eine vollständige Licht- und Farbenempfindung und zwar in durchaus identischer Weise besitzen. Nicht weil ich etwa noch an der Wahrheit dieses Grundsatzes zweifelte, sondern wesentlich zu anderen Zwecken, habe ich einen meiner Schüler, Dr. Mazini, die Construction eines besonderen Apparates vorgeschlagen, der unter anderen Fragen der physiologischen Optik auch diese mit ganz be- sonderer Leichtiskeit definitiv erledigt haben würde. Dieser Apparat, den ich die transparente Farbenscheibe nennen will, ist nichts anderes als eine sogenannte Maxwell’sche Scheibe, in welcher die verschiedenfarbigen Flächen durch von hinten erleuchtete monochromatische Gläser hergestellt werden. Diese rotirende Scheibe, welche in einem absolut dunkeln Raum zu functioniren bestimmt ist, zeigt nicht bloss alle die bekannten Erschei- nungen der physiologischen Farbenmischung in ganz ausserordentlicher Ele- ganz und Schönheit, sondern sie gestattet ausserdem auch noch mit grosser 6 Franz Bor: Leichtigkeit zahlreiche neue Wahrnehmungen. Je nachdem man die Be- leuchtung der Gläser regulirt, kann man entweder das ganze Rund der Scheibe gleichmässig erleuchten, oder nur einen einzigen Sector, während der Rest vollkommen dunkel bleibt. Bringt man bei dieser letzten Ein- richtung vor den allein beleuchteten Sector noch einen dunkeln Schirm mit einer sehr feinen Oeffnung, so ist die Versuchsanordnung hergestellt, um die einzelnen Sehelemente auf den Umfang ihrer Licht- und Farbenempfind- lichkeit zu prüfen. Dem Auge wird in einem vollkommen dunkeln Raume, der jede Veranlassung zu einer Augenbewegung ausschliesst, immer nur ein einziger leuchtender Punkt zur Fixation dargeboten, welcher nach einander in verschiedenen Farben aufleuchtet, — mit grösserer oder geringerer Schnel- ligkeit, je nachdem die Scheibe schneller oder langsamer gedreht wird und die verschiedenfarbigen transparenten Gläser sich schneller oder langsamer vor der Oeffnung des Diaphragma’s vorbei bewegen. Ganz dieselbe Versuchs- anordnung kann, wie Jedermann leicht einsieht, auch dazu dienen, um die Ermüdung der einzelnen Sehelemente durch sehr oft wiederholte identische Reizungen mit einer bestimmten Farbe und die in Folge dieser Ermüdung auftretende Modification ihrer Erregbarkeit für jene bestimmte und für andere Farben zu studiren. Leider ist es uns bisher noch nicht möglich gewesen, mit unserem Apparate irgend welche systematische Versuchsreihen anzustellen, da gerade, als er eben fertig geworden war, unser Laboratorium behufs baulicher Veränderungen geschlossen und unsere Arbeiten sämmt- lich unterbrochen werden mussten. Ich muss daher den experimentellen Beweis für die Behauptung, dass jedem einzelnen Sehelemente eine voll- ständige Licht- und Farbenempfindung zukomme, einstweilen noch schuldig bleiben. Dafür mögen hier einige andere in freier Natur anzustellende Beobach- tungen und Vergleiche erwähnt werden, welche für die Erhärtung unserer Behauptung nahezu dieselben Dienste leisten, wie der oben angedeutete Laboratoriumsbeweis. Man suche sich an einem klaren Abend irgend einen recht schönen farbigen Fixstern, z. B. den rothen Arktur oder den blauen Stern Vega aus der Leier, und lasse ihn langsam und beobachtend in den verschiedensten Richtungen über das Gesichtsfeld passiren: so wird man finden, dass der rothe oder blaue Punkt auf seinem Wege von Sehelement zu Sehelement niemals Intensität oder Farbe ändert, sondern auf alle ein- zelnen Sehelemente einen durchaus gleichartigen Eindruck hervorbringt. Noch sehr viel besser als farbige Sterne eignen sich zu diesem Versuche von der Sonne beschienene feinste Thauperlen, deren Farben unter gün- stigen Umständen oft von einer ganz ausserordentlichen Lebhaftigkeit sind. Ein einziger Grashalm, den man auf einem Morgenspaziergange pflückte, bietet oft eine vollständige Auswahl der glänzendsten Speetralfarben: man THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 7 kann mit aller Musse nach einander die verschiedenfarbigsten Punkte über die Retina wandern lassen und sich für jede einzelne Farbe von der That- sache überzeugen, dass jedes einzelne Sehelement, dass sie auf ihrem Wege berührt, in durchaus gleichartiger Weise auf sie reagirt. Während des ganzen Verlaufes dieser Bewegung bleibt der Farbeneindruck für die Em- pfindung völlig identisch, während von Sehelement zu Sehelement sich das Localzeichen beständig ändert. Dasjenige Empfindungsmoment, welches die neuere Sinnesphysiologie Localzeichen genannt hat, wird einer weiteren physiologischen Analyse ver- muthlich für immer unzugänglich und stets als ein gegebenes und nicht weiter definirbares Element unserer Empfindung bestehen bleiben. Dagegen erscheint es durchaus nicht als eine aussichtslose Aufgabe, die physiolo- gischen Bedingungen festzustellen, an welche die Empfindung eines beson- deren Localzeichens geknüpft ist. In dieser Beziehung weisen sehr viele Thatsachen aus der Physiologie und mikroskopischen Anatomie der sensiblen Nerven darauf hin, dass überall, wo eine besonders localisirte Empfindung zu Stande kommt, eine ganz bestimmte physiologische Bedinsung erfüllt werden muss: die zu dieser besonderen Empfindung führende Erregung muss nämlich eine längere Strecke in einer besonderen Nervenprimitiv- faser isolirt verlaufen. Wird dieser Satz, ohne den die meisten Thatsachen in der Einriehtung unseres Nervensystems kaum verständlich sein würden, als richtig angenommen, so ergiebt sich aus ihm ganz unmittelbar eine für die Physiologie der Netzhaut ganz ausserordentlich wichtige Folgerung: die absolute Anzahl der in einer Retina enthaltenen Sehelemente (welche identisch ist mit der Anzahl der verschiedenen Localzeichen) ist gegeben durch die Summe der im Stamme des zu ihr gehörigen N. opticus ent- haltenen Nervenprimitivfasern. Thesen: I. Die lichtempfindende Fläche der Retina ist ausschliesslich zusammen- gesetzt aus „Sehelementen“, d. h. aus gesonderten, individuellen und selbständig empfindenden Punkten. I. Jedes einzelne Sehelement besitzt zwei bestimmte physiologische Eigen- schaften: erstens, die Fähigkeit zu einer vollständigen Licht- und Farbenempfindung, und zweitens, ein bestimmtes „Localzeichen“. III. Alle Sehelemente sind unter sich gleichartig durch ihre Licht- und Farbenempfindung und ungleichartig allen durch ihre Localzeichen. IV. Die Anzahl der Sehelemente einer Netzhaut ist gleich der Anzahl der Nervenfasern in dem zu ihr gehörigen Sehnerven. fe) FrAnz BoLL: il. Anatomische Bestimmung der Sehelemente und ihrer Eigenschaften. Dass den Sehelementen, deren physiologische Eigenschaften in dem ersten Abschnitte dieser Untersuchung festgestellt wurden, ebenso wie eine physiologische, so auch eine anatomische Existenz und Individualität zuge- schrieben werden muss, nehme ich an als ein Axiom, welches eines weiteren Beweises nicht bedarf. Für mich ist es feststehende Thatsache und Aus- _ sangspunkt der nun folgenden Untersuchung, dass auch anatomisch die lichtempfindliche Fläche unserer Retina ausschliesslich aus Sehelementen zusammengesetzt ist, d. h. aus morphologischen Individuen (oder, wenn man will, aus Elementarorganismen), welche identisch sind mit den physiolo- gischen Sehelementen, und deren anatomische Eigenschaften daher den ihnen zukommenden physiologischen Leistungen entsprechen müssen. Dass endlich diese morphologischen Sehelemente nur in der musivischen ! Schicht der Retina, nicht aber in anderen Retinaschichten zu suchen sind, be- trachte ich — auch trotz des erst jüngst noch wiederholten Widerspruchs von Seiten Hannover’s — gleichfalls als definitiv festgestellt. Die nun folgende Untersuchung über die Frage: welche morphologi- schen Elemente der musivischen Schicht den physiologischen Sehelementen ° entsprechen, halte ich für gut in zwei gesonderte Abschnitte einzutheilen, von denen der erste rein negativ (d. h. kritischer) Natur ist, während in dem zweiten eine neue positive Lösung der Frage über die morpholosische Natur der Sehelemente mitgetheilt werden soll. Erst wenn ich auseinander- gesetzt habe, welche anatomischen Elemente der musivischen Schicht alle nicht mit den Sehelementen identificirt werden dürfen, wird die Fest- stellung der Identität der wahren anatomischen Sehelemente mit den phy- siologischen mit der grössten Leichtigkeit von Statten gehen. A. Erster Abschnitt, in welchem nachgewiesen wird, welche morphologischen Elemente der musivischen Schicht nicht mit den Sehelementen identificirt werden dürfen. In diesem Abschnitt werde ich hinter einander die regelrechten Be- weise erbringen für die Wahrheit dreier negativer Behauptungen, nämlich: ! Unter diesem von Henle entlehnten Namen verstehe ich nicht, wie dieser, allein die Stäbchen- und Zapfenschicht der Autoren, sondern die ganze letzte Schicht der Retina, welche nach aussen von der Membrana limitans externa gelegen ist, also die Stäbehen- und Zapfenschicht der Autoren (musivische Schicht Henle’s) plus der Pigmentepithelmembran der Netzhaut. THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 9 Erstens, dass die Sehelemente nicht identisch sein können mit den Stäb- chen und Zapfen zusammengenommen; zweitens, dass die Sehelemente nicht identisch sein können mit‘ den Stäbchen allein; und drittens, dass die Sehelemente nicht identisch sein können mit den Zapfen allein. Erster Satz: Die Sehelemente können nicht identisch sein mit den Stäb- chen und den Zapfen zusammengenommen. Beweise. 1) Den wichtigsten Einwand will ich hier vorausstellen, nicht bloss, weil er an und für sich allein schon vollkommen ausreicht, der hier zu widerlesenden Vorstellung jede Existenzberechtigung zu entziehen, sondern . auch deshalb, weil seine Erörterung ganz direct in das eigentliche Herz der Frage über die Natur der Sehelemente hineinführt. Wie können, frage ich, die physiologisch identischen Sehelemente, anstatt unter einer morpho- logisch identischen Form, unter zwei in bestimmter Weise verschiedenen morphologischen Formen erscheinen? Wie kann eine physiologisch gleich- artige Mosaik anatomisch reprodueirt werden durch eine Mosaik, die nicht gleichartig ist, sondern in welcher zwei verschiedene anatomische Form- elemente mit einander abwechseln? Will man nicht direct Alles in Frage stellen, was wir über den Zusammenhang von Anatomie und Physiologie, ‚von Form und Function zu wissen glauben, so darf man nimmermehr an- nehmen, dass zur Ausübung der durchaus gleichartigen Sehfunetion zwei morphologisch verschiedene Arten von Sehelementen, die Stäbchen und die Zapfen, bestellt sind. 2) Ihrer Form nach sind weder die Stäbchen, noch die Zapfen ge- eignet, als Sehelemente die empfindliche Mosaik der hetina zusammenzu- setzen. Die @uerschnitte beider Arten sind bekanntlich rund. Die em- pfindliche Mosaik würde daher in der unzweckmässigsten Weise! aus tan- sirenden Kreisen zusammengesetzt sein, zwischen denen überall freie Zwi- schenräume übrig bleiben müssen: d. h. es würden zwischen den morpho- logischen Sehelementen anatomische Lücken ? existiren, während es feststeht, ! Diese thatsächlich existirenden anatomischen Lücken sind beim Menschen und den Säugethieren keineswegs so unbeträchtlich, dass sie physiologisch vernachläs- sigt werden könnten. „Zwischen den Elementen der Stäbehenschicht findet sich, bei „Menschen und Säugethieren besonders deutlich, eine structurlose, glashelle Zwischen- „substanz.“ (H. Müller’s Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie und Physiologie des Auges. I. S. 85). „Ihre (d.h. der menschlichen Stäbchen) Chorioideal- „enden stossen nicht dicht zusammen. Es bleiben vielmehr recht ansehnliche Zwischen- „räume zwischen ihnen übrig...“ (Max Schultze im Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. II. S. 226.) * Es mag bei dieser ersten Gelegenheit ein für alle Male bemerkt werden, dass, wo ich Zweckmässigkeits- (sog. teleologische) Betrachtungen in meine Argumentation 10 Franz BoLt: dass die physiologischen Sehelemente sich stets und überall unter einander berühren und keinerlei Lücken zwischen sich frei lassen. 3) Die Summe der in jeder Retina enthaltenen Stäbchen und Zapfen ist unzweifelhaft viel zu zahlreich, als dass jeder einzelne Zapfen und jedes einzelne Stäbchen mit einem physiologischen Sehelemente identifieirt werden könnte. Die einzelnen Stäbchen und die einzelnen Zapfenaussenglieder sind beim Menschen und bei den Säugethieren oft nur sehr wenig dicker als die Primitivfasern im Stamme des N. opticus. Aber auch wenn z. B. die ganz exorbitante Annahme gemacht wird, der Querschnitt jeder ein- zelnen Nervenprimitivfaser sei zehnmal so klein, wie der Querschnitt eines Stäbehens oder eines Zapfenaussengliedes, — was wäre dann das Resultat? Die musivische Schicht könnte dann immer nur einen Flächenraum ein- nehmen, der nicht grösser wäre, als zehn neben einander flächenhaft proji- cirte Querschnitte des Sehnerven. Damit aber kommt man bei der Re- tina noch nicht weit: bei den meisten Wirbelthieren ist die Flächenaus- dehnung der Retina (und mit ihr der musivischen Schicht) mindestens 50 mal oder auch 100 mal grösser als der Sehnervenquerschnitt. 4) Noch ein anderes teleologisches Moment: Wozu die enorme Feinheit der Stäbchen und Zapfen bei allen Säugethieren, auch bei solchen, die sehr schlecht oder gar nicht sehen, wie das Kaninchen oder die Fledermaus? Wozu ist die Retina auch dieser Säugethiere mit ebenso feinen percipirenden Organen ausgestattet, wie der gelbe Fleck der menschlichen Retina? Wozu ferner auch die Ausstattung der physiologisch so viel unvollkommener functionirenden peripheren Netzhautpartien mit Sehelementen von gleicher Feinheit, wie im Netzhautcentrum ? Zweiter Satz: Die Sehelemente können nicht identisch sein mit den Stäb- chen allein. Beweise: 1) Auch hier will ich wieder meinen stärksten Einwand voranstellen, welcher lautet: Wenn die Stäbchen die morphologischen Sehelemente sind, — was sind dann die Zapfen und wozu dienen sie? Man kann doch über sie nicht so geradezu zur Tagesordnung hinwesgehen und ignoriren, dass sie in der Retina des Menschen und der Säugethiere ganz genau in ebenso charakteristischer Weise angeordnet sind, wie die Stäbchen, und gleichfalls eine Mosaik bilden, die, für sich betrachtet, gerade genau so gut darauf An- spruch machen kann, mit der lichtempfindlichen Mosaik der physiologischen Sehelemente identificirt zu werden, wie die Stäbchenmosaik. Jeder, welcher einführe, diese allein in derjenigen Bedeutung zu verstehen sind, die ihnen nach den Arbeiten von Charles Darwin unzweifelhaft zugestanden werden muss. THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 11 für die morphologische Identität der einzelnen Stäbchen mit den physiolo- gischen Sehelementen eintritt, muss gleichzeitig, oder vielmehr vorher schon, irgendwie über die Zapfen disponirt und gezeigt haben, dass sie in keiner Weise mit den Sehelementen identifieirt werden dürfen. Ein ähnlicher Nachweis dürfte ihm aber sehr schwer fallen; namentlich aus dem nun- mehr als zweiter Beweis gegen den zweiten Satz anzuführenden Grunde. 2) Es giebt innerhalb des Wirbelthiertypus Netzhäute, welche der Stäbchen vollkommen entbehren, und wo in der musivischen Schicht nur Zapfen und Pigmentepithelien vorhanden sind. (Bei diesem Argument wird die morphologische und physiologische Identität der beiden als Stäbchen und Zapfen bezeichneten verschiedenen Arten morphologischer Elemente vom Menschen nicht bloss durch die Classe der Säugethiere, wo Niemand sie bestreitet, sondern auch durch den ganzen Typus der Wirbelthiere als Thatsache vorausgesetzt. Diese Thatsache, welche zur Zeit von Einigen noch bezweifelt wird, soll weiter unten noch ausführlich bewiesen werden.) 3) Die Unzweckmässigkeit der runden Stäbchenquerschnitte ist oben bereits erörtert worden: siehe den zweiten Beweis für den ersten Satz. 4) Ebenso behält der dritte Beweis für den ersten Satz auch für die Stäbchen allein seine Gültigkeit, da die Anzahl der Zapfen in der Retina des Menschen und der Säugethiere, welche bei der dort angestellten Rech- nung in Abzug gebracht werden muss, verhältnissmässig viel zu gering ist, um das Resultat wesentlich abändern zu können. Es bleibt daher auch für die Stäbchen allein der Satz bestehen, dass ihre Anzahl innerhalb einer einzelnen Retina viel zu gross ist, als dass jedes einzelne Stäbchen mit einem physiologischen Sehelement identifieirt werden könnte. 5) Noch ein anderes teleologisches Moment, die Unzweckmässigkeit sehr feiner Stäbchen ist oben bereits gewürdigt worden: siehe den vierten Beweis für den ersten Satz. Dritter Satz: Die Sehelemente können nicht identisch sein mit den Zapfen allein. : Beweise: 1) Mein stärkster Beweis ist nichts anderes, als eine einfache Um- kehrung des ersten Beweises für den zweiten Satz und lautet: Wenn die Zapfen die morphologischen Sehelemente sind, — was sind dann die Stäb- chen, und wozu dienen sie? u. s. w., wie oben, 2) Es giebt innerhalb des Wirbelthiertypus Netzhäute, welche der Zapfen vollkommen entbehren und wo in der musivischen Schicht nur Pigmentepithelien vorhanden sind. 8) Ueber die Unzweckmässigkeit der runden Zapfenquerschnitte siehe den zweiten Beweis für den ersten Satz. 1 FrAnz BoLL: 4) Ebenso vergleiche man über die unzweckmässige Feinheit der Zapfen- aussenglieder das oben Gesagte (Vierter Beweis für den ersten Satz). 5) Ueberall, mit Ausnahme des Netzhautcentrums, finden sich beim Menschen und bei den Säugethieren die Zapfen durch mitunter sehr breite Zwischenräume getrennt, welche von den Stäbchen eingenommen werden. Unmittelbarer Contact der einzelnen Sehelemente mit ihren Nachbarn ist aber physiologische Voraussetzung. Es können daher die Zapfen nicht die morphologischen Sehelemente sein. Thesen: V. Die Sehelemente können nicht identisch sein mit den Stäbchen und Zapfen zusammengenommen. VI. Die Sehelemente können nicht identisch sein mit den Stanchen allein. VI. Die Sehelemente können nicht identisch sein mit den Zapfen allein. B. Zweiter Abschnitt, in welchem nachgewiesen wird, welche morphologischen Elemente der musivischen Schicht allein mit den Sehelementen identificirt werden können. Die Auseinandersetzungen des vorhergehenden Abschnittes dürften wohl jeden meiner Leser von der absoluten Unmöglichkeit überzeugt haben, die Frage nach der Natur der Sehelemente innerhalb des Kreises der herge- brachten Vorstellungen über die physiologische Bedeutung der Stäbchen und Zapfen zu entscheiden. Mir persönlich ward diese Unmöglichkeit eigent- lich schon in dem ersten Augenblicke klar, als ich mich mit der Anatomie der Retina und dem Studium der physiologischen Optik eingehender zu be- schäftigen anfing. Mein ursprüngliches und einfachstes Raisonnement war dieses: die Sehelemente müssen, ebenso wie physiologisch auch morpholo- gisch gleichartig sein: sie können folelich nicht durch zwei verschieden- artige Formelemente (Stäbchen und Zapfen), sondern müssen durch eine einzige Art von Formelementen vertreten sein. Diese einzige Art von Form- elementen kann aber weder mit den Stäbchen, noch mit den Zapfen iden- tisch sein, weil sowohl die erste wie die zweite dieser beiden Annahmen, eine jede isolirt verfolgt, zu völlig absurden und unmöglichen Consequenzen führt. Mit dieser einfachen Ueberlesung war die Frage der Stäbchen und Zapfen (in negativem Sinne) ein für alle Male für mich erledigt: die Wi- dersprüche, welche innerhalb der hergebrachten Vorstellungsweise über die physiologische Bedeutung der Stäbchen und Zapfen bei jedem Schritte mir THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 13 entgegentraten, erschienen mir „gross as a mountain, open, palpable“, wie Falstaf’s Lügen; es stand alsbald unerschütterlich für mich fest, dass nur ein entschiedener Bruch mit der Lehre der Schule hier helfen könne und dass erst dann, wenn dieser erfolgt, die Möglichkeit zu einer wissenschaft- lichen Lösung der Frage über die morphologische Natur der Sehelemente gegeben sei. Alle weiteren Betrachtungen, welche ich später über die Stäbchen und Zapfen noch anzustellen Gelegenheit fand, konnten mich in dieser Anschauungsweise nur noch bestärken; ja sie wurden von mir fast durchweg zu weiteren Argumenten gegen die herrschende Lehre verarbeitet: so z. B. das Missverhältniss der Anzahl der Stäbchen zu der Summe der Optieusfasern und die beiden teleologischen Argumente von dem unzweck- mässigen runden Querschnitt und der in der Mehrzahl der Fälle völlig unnützen Feinheit der Stäbchen und Zapfen. Jedermann, der einmal eine ähnliche oppositionelle Gedankenreihe selb- ständig verfolgt hat, wird leicht begreifen, wie mich die weitere Vertiefung in diese Anschauungen nach und nach mit einer gewissen schnöden Miss- achtung der Stäbchen und Zapfen erfüllen musste, welche, wie ich jetzt nach erlangter besserer Einsicht gern bekenne, übertrieben und nicht ge- rechtfertigt war. Es hat aber Jahre gegeben, in denen ich fest an der Ueberzeugung hing, dass man bei der morphologischen Bestimmung der Sehelemente gänzlich absehen könne von den Stäbchen und Zapfen, denen kein Antheil an dem Empfindungsvorgange beizumessen sei, sondern denen man noch genug Ehre anthue, wenn man sie als accessorische katoptrische Apparate der eigentlichen Sehelemente betrachte. Als diese eigentlichen morphologischen Sehelemente aber galten mir damals ausschliesslich ganz andere Organe, nämlich die sechseckigen Zellen des retinalen Pigment- epithels. Ich vermochte die Blindheit derjenigen Forscher nicht zu begreifen, welche auch nach der glänzenden Entdeckung Kölliker’s (1862), welche diese Zellen von der Chorioides abtrennte und entwickelungsgeschichtlich und morphologisch der Retina zuwies, noch weiter in dem alten Irrthum und „auf dürrer Haide“ verharren mochten, von einem bösen Geist zwi- schen Stäbchen und Zapfen im Kreis herumgeführt, während die „schöne grüne Weide“ so dicht dabei lag. War einmal das Pigmentepithel als Be- standtheil der Retina anerkannt, so brauchte man doch nur unbefangen zu überlegen, um sofort zu erkennen, dass die naturwissenschaftliche Wahr- scheinlichkeit, als Sehelemente zu gelten, für die Pigmentepithelien eine ungleich viel grössere sei, als für die Stäbchen und Zapfen. Denn alle die besonderen Vorzüge, welche bisher den Stäbchen und Zapfen ihre physio- logische Geltung verschafft hatten (die regelmässige musivische Anord- nung u. s. w.) kommen auch den Pigmentepithelien zu und alle die phy- 14 FrAnz Born: siologischen Beweise, die man bisher für die Stäbchen und Zapfen geltend gemacht (der blinde Fleck, die Purkinje’sche Aderfisur) finden genau so vollständig wie auf diese auch auf die Pigmentepithelien Anwendung. Da- gegen kann kein einziger der vielen und wichtigen Einwände, die gegen die Stäbchen und Zapfen in’s Feld geführt wurden, auch gegen die Pig- mentepithelien geltend gemacht werden. Während die Stäbchen und Zapfen eine ungleichartige Mosaik bildeu, sind die Elemente der Pigmentschicht unter sich durchaus gleichartig, wie die physiologische Voraussetzung es verlangt. Die regelmässige sechseckige Form der Pigmentepithelien erscheint für die Zusammensetzung der retinalen Mosaik ebenso zweckmässig beab- sichtigt, wie der runde Querschnitt der Stäbchen und der Zapfen dazu un- brauchbar gewesen wäre. Ebensowenig kann den Pigmentepithelien die vom Zweckmässigkeitsstandpunkte aus oft unnöthige und überflüssige Fein- heit des Calibers vorgeworfen werden, die oben an den Stäbchen und Zapfen gerügt wurde. Wie im weiteren Verlaufe dieser Arbeit gezeigt werden soll, findet vielmehr bei den Pigmentepithelien eine höchst merkwürdige An- passung der Form an die Funetion- in der Weise statt, dass an den physiologisch bevorzugten Stellen der Retina (d. h. im Netzhautcentrum) die einzelnen Constituentien der Epithelmosaik nur von sehr geringer Dimen- sion sind, während gegen den Aequator und die Peripherie der Netzhaut der Durchmesser der einzelnen Zellen ganz ausserordentlich zunimmt. Diese ansehnlichen Dimensionen, welche die einzelnen Pigmentepithelien in dem weitaus grössten Abschnitt der Netzhautschale besitzen, gestatten endlich auch noch den letzten hier zu erhebenden Einwand in befriedisender Weise zu erledigen: die Frage nämlich, ob es möglich sei, die Summe der zur Bekleidung der Netzhautfläche nothwendigen einzelnen Pigmentepithelien durch die Anzahl der im Stamme des Sehnerven enthaltenen Primitivfasern zu decken, kann nach meiner Schätzung ebenso unbedingt mit Ja beant- wortet werden, wie sie für die Stäbchen und die Zapfen und die Stäbchen allein im negativen Sinne entschieden werden musste. Der Vergleich der physiologischen Ansprüche der Stäbchen und Zapfen mit denen der Pigmentepithelien fällt also durchweg zu Gunsten der letz- teren aus. Jeder Unbefangene muss eingestehen, dass alle die physiolo- gischen Vortheile, welche man bisher allein für die Stäbchen und die Zapfen anzuführen gewusst hat, ganz ebenso auch den Pigmentepithelien zuerkannt werden müssen, während andererseits kein einziger von all den Gründen, welche die physiologische Kritik gegen die Stäbchen und Zapfen geltend zu machen versteht, auch gleichzeitig gegen die Pigmentepithelien verwendbar ist. Aber nicht genug allein an diesen negativen Vorzügen: es lassen sich ganz speciell zu Gunsten der Pigmentepithelien auch positive Beweise geltend machen, namentlich zwei besondere, ganz ausserordentlich THESEN UnD HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 15 starke, geradezu handgreifliche Argumente, hergenommen von wohlbekannten und so sprechenden anatomischen und physiologischen Thatsachen, dass es mir schier unverständlich bleibt, wie bisher noch Niemand sie zu der so ausserordentlich naheliegenden Schlussfolgerung verwenden mochte, die ich jetzt eben zu construiren in Begriff bin. Der erste dieser Beweise ist der vergleichenden Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte entnommen und stüzt sich auf die allbekannte That- sache, dass das lichtempfindliche Organ, wo und wie es auch entstehen mag, auf der untersten Stufe der einzelnen Typen (phylogenetisch) und im Embryo der höher stehenden Thierformen stets als Pigmentfleck anhebt und nicht etwa als eine Ansammlung von Stäbchen und Zapfen. Speeiell für den Typus der Wirbelthiere haben die neuesten Untersuchungen diese Priorität des Pigmentepithels vor den übrigen Elementen der musivischen Schicht ausser Zweifel gestellt, und das sowohl phylogenetisch wie embryo- logisch. Nach diesem Allem ist es als eine feststehende Thatsache zu be- trachten, dass das Sehorgan innerhalb des Wierbelthiertypus ein Stadium durchgemacht hat, in welchem die pereipirende musivische Schicht allein aus der Pigmentepithelmembran bestand und wo die Empfindung der Licht- eindrücke einzig und allein durch ihre Elemente vermittelt wurde. Das, was überall im Sehorgan als das Ursprüngliche erscheint, ist aber zugleich auch das Wesentliche und das eigentlich Charakteristische: das Pigment! Ja, ich kann hinzufügen auch das physiologisch Richtigste, wenigstens das physiologisch Verständlichste: denn dass diese schwarzen Körner das Licht absorbiren müssen, das begreift ein jeder, der auch nur einmal von dem berühmten Franklin’schen Experiment mit dem von der Sonne beschie- nenen weissen und schwarzen Tuche gehört hat, und nur da, wo Absorption stattfindet, ist auch die Möglichkeit zu einer physiologischen Action gegeben: denn Lux non agit nisi absorpta.! Nicht minder schlagend als dieser erste ist auch der zweite Beweis: er stützt sich auf eine physiologische Wahrnehmung, welche die sechseckige Form der morphologischen Sehelemente so zu sagen unmittelbar zur An- ! Es war mir sehr interessant, durch briefliche Mittheilung des Hrn. Prof. W. v. Bezold zu erfahren, dass der verstorbene W. Riemann niemals zugeben wollte, dass die Lichtempfindung innerhalb der (wie man damals glaubte) im Tieben völlig durchsichtigen und daher nicht absorptionsfähigen Retina stattfinden könne. Riemann behauptete vielmehr, dass der Ort, wo die Umsetzung der Lichtstrahlen in Empfindung stattfinde, nur in der Chorioides gesucht werden könne, weil nur dort die Bedingungen zur Absorption des Lichtes gegeben seien und ohne eine solche keine physiologische Action stattfinden könne. So kommt jetzt eine längst verschollene Ansicht der Optiker des 17. Jahrhunderts wieder zu Ehren, freilieh mit dem Unterschiede, dass wir jetzt das Lieht absorbirende und empfindende dunkle Pigment, welches sie mit der Chorioides zusammenwarfen, der Retina zurechnen. 16 Franz BoLt: schauung bringt. Für diejenigen meiner Leser, denen die betrefiende That- sache nicht geläufig sein sollte, reprodueire ich die auf sie bezügliche Er- örterung und auch die höchst charakteristische Abbildung aus Helmholtz’ Physiologischer Optik." Dort heisst es: „Als Object für die Feststellung der kleinsten zu unterscheidenden Distanzen hat Tob. Mayer und nach ihm E. H. Weber weisse parallele Linien benutzt, welche durch gleich breite schwarze getrennt waren; Volk- mann benutzte Spinnwebfäden auf hellem Grunde, ich selbst fand der Be- leuchtung wegen passender, ein Gitter von schwarzen Drähten zu benutzen, dessen Zwischenräume gleich dem Durchmesser der Drähte waren und wel- ches vor den hellen Himmel gestellt wurde. Ausserdem hat Tob. Mayer auch weisse Vierecke benutzt, theils durch ein schwarzes Gitter getrennt, theils schachbrettartig geordnet.“ „Man muss bei der Anstellung dieser Versuche darauf achten, dass das Auge vollständig accommodirt werden könne, und wenn man gröbere Objecte benutzt, und sich daher weiter entfernen muss, ein passendes Concav- ee, glas vor das Auge nehmen. Die Be- 4 ee leuchtung muss stark sein, ohne doch u dl blendend zu werden. Bei diesen Ver- cos. suchen bemerkte ich eine auffallende Formveränderung der geraden hellen und dunkeln Linien. Die Breite jedes hellen und jedes dunkeln Streifen des von mir gebrauchten Gitters betrug "?/,,: 0-4167””. In dem Abstande von 1:1 bis 1-2” fing die Erscheinung an sichtbar zu werden. Dass Gitter bekam etwa das Ansehen, wie in Fig. 102 A, die weissen Streifen er- schienen zum Theil wellenförmig gekrümmt, zum Theil perlschnurförmie mit abwechselnd dickeren und dünneren Stellen. Es seien in Fig. 102 P die kleineren Sechsecke Querschnitte der Zapfen des gelben Flecks, a, 5 und ce drei optische Bilder von den gesehenen Streifen; diese sind oberhalb dd in ihrer wirklichen Form dargestellt, unterhalb dd aber sind alle Sechs- ecke, deren grössere Hälfte schwarz war, ganz schwarz gemacht, deren grössere Hälfte weiss war, ganz weiss, weil in der Empfindung immer nur die mittlere Helligkeit jedes Elementes wahrgenommen werden kann. Man sieht, dass dadurch in der unteren Hälfte von Fig. 102 B ähnliche Muster entstehen, wie in A. Purkinje? hat Aehnliches gesehen und auch Berg- (Fig. 102 aus der Physiologischen Optik.) I Bild Beobachlungen und Versuche. Bd. I. 3. 122, THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LicHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 17 mann! hat beobachtet, dass zuweilen, ehe die Streifen des Gitters ganz verschwinden, dasselbe schachbrettartig erscheint, zuweilen Streifen in querer Richtung gegen die wirklich vorhandenen gesehen werden, was sich alles durch ähnliche Verhältnisse, wie die hier berührten, erklären lässt.“ Alle diese bisher in dem vorliegenden Abschnitte mitgetheilten Er- wägungen sind von mir schon im Jahre 1871 angestellt worden. Sie führten mich damals zu der Aufstellung einer sehr radicalen Theorie, nämlich zu der einfachen Identifieirung der Pigmentepithelien mit den Sehelementen, wobei ich die übrigen Elemente der musivischen Schicht (Stäbchen und Zapfen) gänzlich von der Betheiligung an dem Sehacte ausschloss und an- nahm, dass jede Licht- und Farbenempfindung einzig und allein durch Er- reeungszustände der Pigmentepithelien vermittelt werde. Diese Anschauung, welcher ich mehrere Jahre lang mit unveränderter Treue angehangen habe, theile ich jetzt nicht mehr: ich habe sie während der letzten zwei Jahre aufgeben müssen oder sie doch so wesentlich modificirt, dass sie in der definitiven Gestalt, in welcher ich sie jetzt zu veröffentlichen mich ent- schlossen habe, als eine völlig neue Theorie gelten mag, in der es mir hoffentlich gelungen ist, nicht bloss den Pigmentepithelien eine einseitige, sondern sämmtlichen Elementen der musivischen Schicht — Pigmentzellen, Stäbchen und Zapfen — eine allseitige Gerechtiekeit angedeihen zu lassen und die widerstreitenden Ansprüche aller dieser einzelnen Elemente, die mir bis vor Kurzem selber noch fast unversöhnlich schienen, in eine „höhere Ein- heit‘ aufzulösen. Wie Jedermann begreifen wird, hatte an dieser jüngsten Reform meiner allzu exelusiven Ansichten über die morphologische Natur der Sehelemente meine Entdeckung des Sehroths einen hervorragenden Antheil: hier lag zum ersten Male eine durch das speeifische physiologische Reagens bestimmte materielle Veränderung in einem Sinnesorgane vor, welche nicht mit dem entsprechenden Empfindungsvorgange in directe Beziehung zu bringen eine Sünde gewesen wäre, deren Verantwortung zu tragen ich nicht das Herz hatte; und Jeder wird begreifen, dass ich mich nach dieser Entdeckung nicht mehr dabei beruhigen mochte, noch wie früher die Stäbchen von der Betheiligung an dem Sehacte auszuschliessen und diesen allein den Piement- epithelien zu vindieiren. Aber fast noch stärker als der Einfluss dieser Entdeckung haben auf die Läuterung meiner ursprünglichen Ansichten über die morphologische Constitution der Sehelemente die vier anatomischen That- ı Zeitschrift für rationelle Mediein. (3.) Bd. II. S. 88. Archiv f.A.u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. DD 18 Franz BoLL: sachen eingewirkt, welche ich bei dem innerhalb der letzten beiden Jahre fortgesetzten Studium der Retina (oder genauer gesagt, der musivischen Schicht) zu ermitteln das Glück hatte. Es ist mir gelungen, die wahre Bedeutung der die musivische Schicht der Wirbelthiere zusammensetzenden morphologischen Elemente dadurch festzustellen, dass ich das besondere Structurprineip auffand, nach welchem diese Elemente in der musivischen Schicht angeordnet sind. Dieses höchst merkwürdige Structurprineip finde ich bereits — wenn auch in unvollständiger Form — angedeutet bei dem unstreitie grössten lebenden Kenner der Anatomie der Netzhaut, W. Müller; ausser ihm dürfte schwerlich irgend Jemand von den besonderen Beziehungen, welche auf diesem Structurprineip beruhen, auch nur eine Ahnung gehabt haben. Und doch liegen die Dinge so, dass ohne die Kenntniss dieses Prineips und der aus ihm abzuleitenden Beziehungen Bau und Zusammen- setzung der musivischen Schicht einfach unverständlich bleiben und die Frage nach der morphologischen Natur der Sehelemente geradezu unlösbar ist; während mit dieser Erkenntniss die Antwort auf die letzte Frage sich so zu sagen von selbst ergiebt und damit gleichzeitig alle die tausend schein- bar unerklärlichen Absonderlichkeiten, welche die Mikroskopiker in dem Bau der musivischen Schicht angemerkt haben, mit einem Male auf das Einfachste begreiflich werden. : Für dieses nun zu erörternde Structurprineip der musivischen Schicht nehme ich ganz entschieden eine allgemeine Gültigkeit innerhalb des ge- sammten ° Wirbelthiertypus in Anspruch; d. h. ich behaupte, ausgehend von der menschlichen Retina, dass die drei in ihr vertretenen Formelemente, die Pigmentepithelien, die Stäbchen und die Zapfen, in gleicher morpholo- gischer und auch in gleicher physiologischer Qualität durch den ganzen Wirbelthiertypus hindurchgehen. Ich behaupte mithin, dass wo in der Retina irgend eines Wirbelthieres „Pigmentepithelien“, „Stäbchen“ und „Zapfen“ vorkommen, diese sowohl ihren wesentlichen morphologischen Attributen wie ihrer physiologischen Function nach identisch sind mit den sleichbenannten Elementen der menschlichen Retina. Ich behaupte ferner, dass bei keinem einzigen Wirbelthiere innerhalb der musivischen Schicht ein neues und selbständiges Formelement hinzukommt (oder an Stelle eines fehlenden sich einstellt), das nicht mit einem der drei genannten Elemente morphologisch und physiologisch identifieirt werden könnte, mit welcher Trias ich den Kreis der in der musivischen Schicht der Wirbelthiere über- haupt vorkommenden Formen absolut für geschlossen halte. Ich behaupte endlich, dass diese drei verschiedenen Formelemente, welche allein in der musivischen Schicht der Wirbelthiere vorkommen, innerhalb dieser stets nach einem ganz bestimmten Structurprincip angeordnet sind und dass dieses eigenthümliche Structurprineip innerhalb sämmtlicher Wirbelthierclassen THESEN UND HyPoTHEsEN ZUR LicHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 19 genau dasselbe und durchweg mit dem der menschlichen Retina iden- tisch ist. Ich weiss, dass schon die erste der eben aufgestellten Behauptungen, dass nämlich die drei in der musivischen Schicht des Menschen vertretenen Formelemente in gleicher morphologischer und auch in gleicher physio- logischer Qualität durch den ganzen Wirbelthiertypus hindurchgehen, keines- wegs auf die allgemeine und unbedingte Zustimmung der Anatomen rechnen darf: hat sich doch erst ganz neuerdings noch die grösste Autorität auf diesem Gebiete gegen die Berechtigung einer derartigen Vorstellung aus- gesprochen." Gegenüber einer so gewichtigen Opposition ist eine ausführ- liche Darlegung meiner Gründe und ein genaues Eingehen auf die ana- tomischen Kennzeichen und die physiologischen Eigenschaften der drei hier in Betracht kommenden Formelemente unerlässlich. Ich werde -also der Reihe nach besprechen die anatomischen und physiologischen Eigenthüm- lichkeiten erstens der Pigmentepithelien, zweitens der Stäbchen und drittens der Zapfen. 1. Die Pigmentepithelien. Ueber die Pigmentepithelien der Retina kann ich mich verhältniss- mässig kurz fassen, und das aus zwei Gründen: eimmal weil die für die Stäbchen und Zapfen so brennende Frage mit Rücksicht auf sie nicht existirt und noch Niemand ihre morphologische und physiologische Identität inner- halb des ganzen Wirbelthiertypus bezweifelt hat; und zweitens weil für sie in der Literatur bereits eine zuverlässige Arbeit vorliegt, wie sie über die Stäbchen und über die Zapfen bisher leider noch völlig fehlt. Die vor Kurzem veröffentlichte Monographie meines Schülers Angelueci,? wenn sie auch in Folge ungünstiger äusserer Umstände in manchen Theilen unfertig abgeschlossen werden musste, und daher sowohl in dem Detail der anatomischen Beobachtung wie der physiologischen Versuche nicht wenige empfindliche Lücken und Mängel aufzuweisen hat, darf doch im Wesent- lichen als eine kritische und vollständige Darstellung der bisher bekannten charakteristischen anatomischen und physiologischen Eigenthümlichkeiten der " „An ihrer Anpassungsfähigkeit muss der Versuch scheitern, die Sehzellen sämmt- licher Wirbelthiere in das aus den Beobachtungen an Säugethieren abgeleitete Schema einzuzwängen“. W. Müller, Ueber die Stammesentwickelung des Sehorganes der Wirbelthiere. 1875. S. 55. °® Histiologische Unsersuchungen über das retinale Pigmentepithel der Wirbel- thiere. Dies Archiv. 1878. 8, 353. OR 20 Franz Bors: Pismentepithelien betrachtet werden. Für unseren vorliegenden Zweck mag es daher genügen, wenn ich die Resultate dieser Arbeit hier nur in ganz cursorischer Form wiedergebe und wegen ihrer Begründung den Leser auf die eben eitirte Originalabhandlung verweise. A. Morphologische Eigenthümlichkeiten der Pigmentepithelien. a) Ihre Anordnung in dem Cuticularsystem der Lamima reticularis retinae Boll. b) Ihr überwiegend regelmässiger sechseckiger Querschnitt. c) Ihre Eintheilung in Protoplasmakuppe und Pigmentbasis. d) Ihr eigenthümlicher, dem einer Ganglienzelle sehr ähnlicher Kern. e) Ihre durch Form und Farbe sehr ausgezeichneten Pigmentkörnchen.- — Diese fehlen zum Theil bei den Fischen und Säugethieren, welche ein Tapetum besitzen und durchweg bei den Albinos. f) Besondere in der Protoplasmakuppe abgelagerte Materialien (Oeltropfen, aleuronoide Körner). — Diese Materialien scheinen in den Pigmentepithelien nur dort vorzukommen, wo gleichzeitig in der musivischen Schicht Stäbchen vorhanden sind. B. Physiologische Eigenschaften der Pigmentepithelien. a) Das Wandern der Pigmentkörner. — Gerade in Bezug auf diesen so höchst merkwürdigen physiologischen Vorgang enthalten die Unter- suchungen von Angelucei ihre bedauerlichste Lücke. Es hat von uns mit Sicherheit festgestellt werden könnnen, dass dieses Wandern stattfindet bei den Amphibien, den Säugethieren und den Vögeln: alle die Augen, in denen wir diesen Vorgang nachweisen konnten, waren ausnahmslos solche, in denen Stäbchen vorkommen und Sehroth verzehrt wird.» Dagegen haben unsere Versuche, auch in stäbchenlosen Netzhäuten (wie bei der Eidechse und in der stäbchenlosen Zone der Taubenretina) die Existenz dieses Vor- ganges nachzuweisen, bisher keinen Erfolg gehabt. Freilich konnten wir nur sehr wenige Versuche dieser Art anstellen und waren wir gezwungen die Untersuchung schon zu emem Zeitpunkte abzubrechen, wo uns die Re- sultate wohl relativ, aber durchaus noch nicht in negativem Sinne beweis- kräftig erscheinen konnten. Der augenblickliche Zustand ist daher so un- erquicklich, wie er nur gedacht werden kann. Es besteht nämlich das Dilemma, ob man sich die Pigmentwanderung als eine selbständige Action der Pigmentzelle zu denken hat, welche unabhängig von allen Neben- umständen allein aus der Natur der Pigmentzelle selber hervorgeht und als deren eigenste physiologische Reaction gegen den Lichtreiz aufzufassen ist; THESEN und HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 21 — oder ob man sich die Pigmentwanderung vorzustellen hat als einen viel- mehr secundären physiologischen Act, der nicht eo ipso durch den Licht- reiz in jeder selbständigen Pigmentzelle angerest und zur Ausführung ge- bracht wird, sondern dessen Zustandekommen noch an eine weitere physio- logische Bedingung, nämlich an die gleichzeitige Anwesenheit von Stäbchen und die Verzehrung ihres Sehroths geknüpft ist. In dem letzteren Falle würde die Pigmentwanderung nicht so sehr als eine spontane Lichtreaction der Pigmentzellen, sondern als ein wahrscheinlich mit der Verzehrung oder der Wiederherstellung des Sehrothes in den Stäbchen im Zusammenhange stehender Vorgang ! anzusehen sein, und diese Vorstellung müsste adopürt werden, wenn es wirklich in unzweideutiger Weise gelänge festzustellen, dass die Pigmentwanderung allein den stäbchenhaltigen Netzhäuten zu- kommt, den stäbchenfreien aber absolut fehlt. Umgekehrt wäre die erste Vorstellung, welche die Pigmentwanderung als eine von anderen Organen unabhängige Originalfunction der Pigmentepithelien betrachtet, unbedingt dann zu acceptiren, sobald der Beweis geliefert wäre, dass dieser Vorgang ebenso wie in den stäbchenhaltigen auch in den stäbchenfreien Netzhäuten sich vollzieht. Die ganze Frage dreht sich also, wie man sieht, allem um das Vorkommen oder Nichtvorkommen der Pigmentwanderung in einer stäbchenlosen Netzhaut, z. B. im Auge der Eidechse. Da dieser prineipiell so wichtige Thatbestand bei einiger Genauigkeit und Ausdauer in der Untersuchung ohne jede Schwierigkeit festgestellt werden kann, so erleben wir hoffentlich bald mit seiner unzweideutigen Bestimmung auch die defini- tive Entscheidung des eben aufgestellten, einstweilen noch sehr unbequemen Dilemma’s. b) Wenn ich nach dem eben Gesagten es also noch nicht ohne Wei- teres wagen will, die Pigmentwanderung als eine rein physiologische Reaction der Pismentepithelien gegen das Licht zu deuten und sie somit als die materielle Basis des in diesen Elementen stattfindenden lichtempfindenden Vorganges in Anspruch zu nehmen; so plagen mich dagegen um so weniger Scrupel und Zweifel bei einer anderen Function der Pigmentzellen, von der bisher nur erst ganz vorläufig (S. 15) die Rede war. Die leuchtenden Wärmestrahlen, sofern sie nicht von den durchsichtigen Medien des Auges absorbirt werden (was bekanntlich nur in geringem Maasse der Fall ist) und sofern sie auch die vor den Pigmenepithelien gelegenen Elemente der ! Die in der Arbeit von Angeluceci (a. a. ©. 8. 367) mitgetheilte Thatsache, dass die beiden durch die Lichteinwirkung bedingten physiologischen Vorgänge: die Zer- störung des Sehroths und die Pigmentirung der Stäbchenschicht und ebenso der Rück- zug des Pigments und die Regeneration des Sehroths zeitlich ganz genau zusammen- fallen, scheint gleichfalls zu Gunsten eines besonders intimen Zusammenhanges beider Processe zu sprechen. 22 Franz BoLL: musivischen Schicht (die Zapfen und Stäbchen) unangefochten passiren, treffen alle zuletzt auf die Pigmentbasen des retinalen Epithels auf und indem sie von den dort angehäuften Pigmentkörnern absorbirt werden, müssen sie in der Substanz dieser Zellen eine ganz bestimmte Veränderung, nämlich eine Erwärmung, hervorbringen. Objectiv nachzuweisen ist dieser Vorgang allerdings bisher noch nicht; andererseits wird kein Physiker und kein Physiologe leugnen, dass dieser Vorgang sich wirklich in der gedachten vollziehen muss. Ich glaube mich daher bis auf Weiteres vollkommen be- rechtigt, die reelle Existenz dieser physiologischen Veränderungen anzunehmen, und indem ich dies thue, proclamire ich sie ebenso, wie seiner Zeit die physiologischen Veränderungen des Sehroths ! als „einen Theil des Sehactes,“ wobei ich annehme, dass, wie die letzteren für die Stäbchen, so die ersteren für die Pigmentepithelien, die materielle Basis der Licht- und Farben- Empfindung darstellen. Schon oben ist von mir darauf hingewiesen worden (S. 15), wie so zu sagen die ganze vergleichende Anatomie dieser physiologischen Hypothese das Wort redet: in der That ist aus dem ganzen Gebiete dieser Wissen- schaft wohl kaum ein einziger vergleichend anatomischer Zusammenhang zwischen Function und Form nachzuweisen, der ursprünglicher, unmittel- barer, naturwüchsiger erschiene als dieser in keinem Wesen der thierischen Schöpfung sich verleugnende Zusammenhang zwischen Sehfunction und Pigment. Von um so grösserem Interesse muss es sein, die Natur der Ausnahmen kennen zu lernen, die einem derartigen Grundgesetze der Schöpfung entzogen bleiben. Diese Ausnahmen sind, was beachtet zu werden verdient, stets entweder nur individueller oder functioneller, aber niemals typischer Art: d. h. ein pigmentloses Auge als Typus ist für keine Thierspecies geschaffen worden. Dagegen finden sich innerhalb der einzelnen Species die als Albinos bekannten individuellen Ausnahmen; und ferner kommt bei zahlreichen Arten der beiden Classen der Säugethiere und der Fische der functionelle Ausnahmefall vor, dass innerhalb derselben Retina ein Bezirk nicht pigmentirter retinaler Epithelien ausgebildet wird, während der Rest die gewöhnliche und normale Pigmentirung unverändert beibehält. Dies ist bekanntlich der Fall bei denjenigen Thieren, welche in ihrem Auge ein sogenanntes Tapetum besitzen. Es ist vielleicht keine unberechtigte Hoffnung, wenn ich aus dem physiologischen Studium dieser so höchst merkwürdigen Ausnahmefälle für die Lehre von dem Zustandekommen unserer Gesichtsempfindungen die grössten und wichtigsten Resultate erwarte. Ein genaues Studium des albi- ! Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Monatsberichte der Berliner Aka- demie. 12. November 1876. THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LiCHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 23 notischen Sehens, der Vergleich der Licht- und Farbenempfindungen eines albinotischen mit denen eines Individuums von normaler Licht- und Farben- empfindung, muss meines Erachtens mit Nothwendigkeit zu neuen Gesichts- punkten führen, aus denen es dann möglich sein wird, die licht- und farben- empfindliche Function des retinalen Pigments genauer als es bisher möglich war zu bestimmen, Wie oft und sehnlich habe ich gewünscht, beim Studium der so mächtig angeschwollenen Literatur über die Farbenblindheit, dass nur der zehnte, ja auch ein noch kleinerer Bruchtheil der auf dieses Feld so verschwenderisch verwandten Mühe und Sorgfalt dem physiologischen Studium der Gesichtsempfindungen albinotischer Individuen gewidmet worden wäre. Ja die Hälfte der ganzen Literatur über die Farbenblindheit hätte ich schliesslich mit Freuden geopfert, hätte mir Jemand dafür auch nur einen einzigen ophthalmologisch gründlich durchgearbeiteten Fall von Albi- notimus zur Disposition gestellt. Einen solchen habe ich aber in der ganzen mir zugäneHchen ophthalmologischen Literatur bisher vergebens gesucht. Hoffentlich wird eine so empfindliche Lücke nicht mehr lange in unserer Wissenschaft bestehen bleiben! c) Einer dritten, unzweifelhaften physiologischen Function der Pigment- epithelien, nämlich der Betheiligung des in ihnen aufgespeicherten Materials bei der Regeneration des Sehrothes, brauchen wir hier nicht weiter ausführ- lich zu gedenken, da dieser Vorgang mit dem uns hier allein beschäftigenden Thema der Licht- und Farbenempfindung jedenfalls in keiner direeten Be- ziehung steht. 2. Die Stäbchen. Der Satz, den ich jetzt erweisen will, dass nämlich ganz ebenso wie die Pigmentepithelen auch die Stäbchen in vollkommen identischer morpho- logischer und physiologischer Quantität durch den ganzen Wirbelthiertypus hindurchgehen, wäre vor wenigen Jahren noch durchaus nicht so ganz leicht zu demonstriren gewesen. Wenn jetzt diese Aufgabe mir als eine verhält- nissmässig leichte erscheint, so verdanke ich dies zum grossen Theile aller- dings der Entdeckung des Sehrothes und den daran sich knüpfenden eigenen Untersuchungen. Ebenso sehr aber als diese sind für die definitive Fest- stellung meiner Ideen über den Bau der Stäbchen die mir zum Theil völlig neuen Aufschlüsse maassgebend gewesen, die ich in der meisterhaften Mo- nographie W. Müller’s niedergelest gefunden habe. Ich bekenne sehr gerne, dass ich aus diesem Buche über die wahre anatomische Beschaffen- heit der Stäbchen sehr viel Neues gelernt habe, allerdings vielleicht nicht immer gerade genau das, was der Meister eigentlich lehren wollte; ja, ich 24 Franz BoLL: werde in einigen Fällen sogar in die Lage kommen, ihm gegenüber, der an der typischen Identität der Stäbchen noch zweifelt, entscheidende That- sachen anzuführen, deren Kenntniss ich ihm allein verdanke. A. Morphologische Eigenschaften der Stäbchen. Die Stäbchen zerfallen nach der Lehre der Schule bekanntlich in ein Innenglied und ein Aussenglied. Aber diese Eintheilung ist nicht genügend, uns ein Mittel an die Hand zu geben, sie von den Zapfen principiell zu unterscheiden, welche, wie bekannt, gleichfalls ganz constant eine gleiche Zusammensetzung aus Innenglied und Aussenglied zeigen. Ebensowenig lässt sich ein prineipieller Unterschied auf die Anwesenheit einer besonderen Differenzirung gründen, welche in der Substanz des Innengliedes in der an das Aussenglied angrenzenden Strecke sich ausgebildet findet, und welche bisher von den verschiedenen Autoren mit verschiedenen mehr oder minder passenden Namen (Opticus-Ellipsoid W. Krause, linsenförmiger Körper W. Müller) belegt wurde. Nach W. Müller kommt dieses Gebilde ganz constant bei allen Thieren und in allen „Sehzellen“, d.h. in Stäbchen so- wohl wie in Zapfen genau an der bezeichneten Stelle vor, und ist mithin ein unterscheidendes Merkmal zwischen Stäbchen und Zapfen aus seiner Existenz nicht herzuleiten: vielmehr constituirt seine gleichzeitige und ausnahmslose Anwesenheit in den beiden Organen und noch dazu genau an derselben Stelle offenbar nur noch eine weitere bedeutsame Aehnlichkeit zwischen beiden Gebilden. Es wird nicht unnütz sein, die Worte mitzutheilen, mit denen W. Müller dieses eigenthümlichen und bisher viel zu wenig beachteten Organes ge- denkt: „Beträchtlicher sind die Modificationen, welche das Innenglied in den einzelnen Wirbelthierclassen darbietet. Constant ist das Vorhandensein eines modificirten Abschnittes seines Protoplasma’s in der an das Aussen- slied angrenzenden Strecke; die Modification giebt sich schon am frisch untersuchten Innenglied durch eine Verschiedenheit in Farbe- und Licht- brechungsvermögen, noch deutlicher nach der Imprägnation mit Carmin- pikrat durch die Verschiedenheit der Färbung zu erkennen. Ich habe diesen modifieirten Abschnitt bei keinem der untersuchten Wirbelthiere, auch nicht bei Schlangen und Sauriern, bei welchen letzteren derselbe noch besondere Eigenthümlichkeiten zeigt, vermisst. — Die Constanz des Vorkommens und der Lagerung, sowie der Umstand, dass weitere Differenzirungen im Proto- plasma des Innengliedes stets in unmittelbarer Nachbarschaft dieses Theiles sich finden, lässt mich vermuthen, dass gerade in ihm der gegen die Ein- wirkung der Lichtwellen empfindliche Theil der Sehspalte gesucht werden muss. Ich werde daher diesen modifieirten Abschnitt des Protoplasma’s des THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 25 Innengliedes als den empfindlichen Abschnitt (Ellipsoid W. Krause) be- zeichnen.“ Unabhängig von W. Müller hatte auch ich mich schon lange mit diesem eigenthümlichen Organe beschäftigt und war zu demselben Resultat selangt wie er, dass es nämlich ein eonstantes Structurelement der Stäbchen sowohl wie der Zapfen darstelle: wenigstens hatte ich es in den Stäbchen und Zapfen aller Thiere, die ich darauf untersuchte, demonstriren können, Unter diesen Umständen glaubte ich formell sogar noch einen Schritt weiter gehen zu können, als W. Müller, indem mir nunmehr die alte Einthei- lung der Stäbchen und Zapfen in Innenglied und Aussenglied hinfällig ge- worden und dafür die Einführung eimer neuen, dem anatomischen That- bestande genauer entsprechenden Terminologie nothwendig erschien. Ich unterscheide seitdem an den Stäbchen sowohl wie an den Zapfen die drei Abschnitte: Innenglied, Linse und Aussenglied. Den neuen Terminus „Linse“ habe ich deshalb gewählt, weil mich die bisherigen Bezeichnungen für dieses Organ. gleichmässig wenig befriedigten. Opticus-Ellipsoid (W. Krause) ist ungenügend aus zwei Gründen, einmal weil durchaus nicht alle „Linsen“ ellipsoidisch sind und zweitens weil eine intimere Beziehung des N. opticus gerade zu den „Linsen“ keineswegs nachgewiesen ist. Der von W. Müller gewählte Terminus „emplindlicher Abschnitt“ beruht allein auf einer „Ver- muthung“, die höchst wahrscheinlich ganz und gar falsch ist. Der „linsen- förmige Körper“ M. Schultze’s enthält endlich eine Tautologie: ein linsen- förmiger Körper, noch dazu wenn man ihm ein charakteristisches starkes Lichtbrechungsvermögen zuschreibt, ist eben eine Linse. Wo dieser ein- fache Ausdruck zu Verwechselungen mit der Krystalllinse des Auges führen könnte, kann man ja sehr bequem die Composita Stäbchenlinse oder Zapfen- linse gebrauchen. Dieser Ueberblick über die Morphologie der Stäbchen und Zapfen hat uns also zunächst das Resultat ergeben, dass diesen beiden Bildungen genau das gleiche anatomische Structurprineip zu Grunde liegt, und dass die einen wie die anderen aus derselben Trias morphologischer Elemente zusammen- gesetzt sind, die ich als Innenglied, Linse und Aussenglied bezeichne. Aus ihrem prineipiellen Bau ist also kein unterscheidendes Merkmal zwischen beiden herzuleiten: die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede müssen also in besonderen Eigenthümlichkeiten ihrer einzelnen Theile gesucht werden. Wir müssen also uns fragen, ob in dem Bau der Innenglieder, der Linsen oder der Aussenglieder der Stäbchen und der Zapfen charakteristische Unter- schiede gegeben sind, welche dazu dienen können, die eine Kategorie prin- cipiell von der anderen zu unterscheiden. Derartige, für die eine oder die andere der beiden Kategorien charak- teristische Structureigenthümlichkeiten ist bisher weder an den Innen- 26 Franz Bor: gliedern noch an den Linsen nachzuweisen gelungen, und ist es mir auch nicht wahrscheinlich, dass sie dort jemals aufgefunden werden sollten. Die Innenglieder der Stäbchen wie der Zapfen bestehen aus demselben fein- körnigen Protoplasma und bieten der mikroskopischen Beobachtung fast nie- mals irgendwelche charakteristische Eigenthümlichkeiten; umgekehrt ist _ die Structur der Linsen schon innerhalb der beiden einzelnen Kategorien eine in so weiten Grenzen veränderliche, dass die Aufgabe, an ihnen ein für die Stäbchen oder für die Zapfen ausschliesslich charakteristisches Merk- mal aufzufinden, als hoffnungslos erscheinen muss. Dagegen ist ein solcher wirklicher Unterschied in den Aussengliedern positiv vorhanden. Die Aussen- glieder der Stäbchen besitzen zwei ihnen allein znkommende sehr charakte- ristische Eigenthümlichkeiten, welche den Aussengliedern der Zapfen fehlen: die sog. Plättchenstructur und das Sehroth. Es hat sehr lange gedauert, ehe ich mich dazu entschliessen konnte, diese Erkenntniss in ganz bestimmter Form auszusprechen. Zur Zeit, als ich meine erste ausführliche Arbeit über das Sehroth niederschrieb (im Frühling vorigen Jahres) war ich mir über diesen Punkt noch keineswegs ganz klar und vermied es daher ihn zu berühren, und Alles in Allem mag es mich wohl ein Jahr ununterbrochener Arbeit gekostet haben, ehe ich zu völliger und unzweifelhafter Klarheit in dieser Frage durchgedrungen war. Nachdem dieser Erfole endlich und glücklich erzielt war, musste ich freilich meine eigene Thorheit einsehen und bekennen, meine Mühe und Arbeit nicht so sehr gegen natürliche in der Frage selbst gelegene Schwierigkeiten als gegen ein rein künstliches Vorurtheil vergeudet zu haben. Dieses künstliche Vorurtheil, welches hier den Lauf meiner Unter- suchung hemmte, war die Anschauung, dass auch den Aussengliedern der - Zapfen ganz genau dieselbe Plättchenstructur zukomme, wie den Aussen- gliedern der Stäbchen. In diesem Resultate gipfelt nämlich Max Schultze’s letzte Arbeit über diesen Gegenstand und ich fand, zur Zeit als ich das Sehroth entdeckte, nicht die geringste Ursache, seine kategorische Behauptung in Zweifel zu ziehen, die am Schlusse der eben erwähnten Abhandlung sich folgendermaassen ausgesprochen findet: „Was die Zapfen betrifft, so habe ich festgestellt, dass ihre Aussenglieder ebenfalls die Plättehenstructur in ex- quisiter Ausbildung besitzen und sich durch dieselbe scharf von den Innen- gliedern, den sogenannten Zapfenkörpern absetzen.“ Wenn nun, wie meine Untersuchungen mich verhältnissmässig bald hatten erkennen lassen, das Sehroth in seinem Vorkommen ausschliesslich ? gebunden sein sollte an diese ! Teber Stäbchen und Zapfen der Retina. M. Schultze’s Archw für milro- skopische Anatomie. Bd. III. 8. 240. ? Bei solchen Säugethieren, deren Augen eine typische Rückbildung erlitten haben, THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LicHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 27 plättehenstructurirte Substanz, so durfte es freilich auch den mit dieser Structur versehenen Zapfenaussengliedern nicht fehlen, — und einmal ein- gefangen in diesen Circulus vitiosus habe ich Monate lang ebenso hart- näckig wie vergeblich auch in den Zapfenaussengliedern die Anwesenheit des Sehrothes nachzuweisen gesucht. Die ausnahmslos negativen Resultate meiner Bestrebungen vermochten sehr lange meine vorgefasste Ansicht nicht zu erschüttern: ich hatte für sie alle möglichen Erklärungen und Entschnl- digungen (meine eigene Ungeschicklichkeit, eine leichtere Zerstörbarkeit des Sehroths in den Zapfen u. dgl.) in Bereitschaft und verschloss Auge und Sinn hartnäckig vor dem wahren Thatbestande, dass meine negativen Be- funde reell durch das Fehlen des Sehroths in den Zapfenaussengliedern be- dingt waren. Auf den richtigen Weg gelangte ich erst sehr spät und zwar oelegentlich rein histologischer Untersuchungen über den Bau der Stäbchen und Zapfen, die mich zu meinem grössten Erstaunen belehrten, dass die von Max Schultze mit solcher Zuversicht ausgesprochene Behauptung von der Plättchenstructur der Aussenglieder der Wahrheit nicht entsprechend sei. Ich will auf das sehr verwickelte Detail der über diesen Punkt von mir angestellten sehr ausgedehnten Specialuntersuehung hier weiter nicht eingehen, sondern nur die Resultate angeben, die sich im nsaullehen unter folgende drei Punkte zusammenfassen lassen. 1) Die Substanz der Stäbchenaussenglieder ist bei allen Wirbelthieren durch eine grosse Anzahl verschiedener Reagentien in sehr exquisiter Weise in Plättchen aufzulösen. 2) Die Substanz der Zapfenaussenglieder ist bei sehr vielen Wirbel- thieren unter keiner Bedingung und durch kein einziges Reagens in Plätt- chen aufzulösen. 3) Bei einzelnen Wirbelthieren gelingt es durch besondere Behandlungs- methoden auch die Substanz der Zapfenaussenglieder in Plättchen zu zer- fällen. Ds kann diese Plättehenstructur mit der der Stäbchenaussenglieder jedoch nicht identifieirt werden, einmal weil sie stets viel ungleichmässiger und durchweg gröber angelegt ist als die der Stäbchen, und zweitens weil sie niemals durch diejenigen Reagentien hervorgebracht wird, welche die Plättchenstructur der Stäbchen zur Anschauung bringen, sondern auschliess- lich durch andere Zusatzflüssigkeiten, die ihrerseits unvermögend sind, die Stähchenaussenglieder in Plättchen zu zerfällen, Aus allem Diesem geht hervor, dass die Behauptung Max Schultze’s von einer den Aussengliedern der Stäbchen und denen der Zapfen gleich- mässig zukommenden Plättchenstructur in keiner Weise aufrecht erhalten (Fledermaus, Maulwurf) scheint in den Stäbchenaussengliedern allen nur noch die Plättchenstruetur, aber nicht mehr das Sehroth vorzukommen, 28 Franz Bour: werden kann. Damit wird aber auch jeder Grund hinfällig, auch den Zapfen- gliedern das Sehroth zuzuschreiben, und die durchweg negativ ausgefallenen Resultate der objectiven Untersuchung treten nunmehr unverkürzt in ihre Rechte. Für die Stäbchen aber ist nunmehr das erste wirklich charakte- ristische Kennzeichen im Gegensatze zu den Zapfen und eine wirklich exacte anatomische Definition gewonnen, dass nämlich als unzweifelhafte Stäbchen alle diejenigen Elemente der musivischen Schicht der Wirbelthiere angesehen werden, deren Aussenglieder Plättchenstructur und Sehroth besitzen. Mit diesem Resultate glaubte ich jede Möglichkeit eines weiteren Fort- schrittes auf diesem Gebiete erschöpft und ich war der Ansicht, man werde sich für immer zur Unterscheidung der Stäbchen von den Zapfen allein dieses einzigen Kennzeichens bedienen müssen. In dieser Beziehung habe ich mich geirrt: aus den Untersuchungen W. Müller’s ergeben sich ausser- dem noch zwei neue Kriterien, welche gleichfalls mit ganz ausserordentlicher Präcision die Differentialdiagnose zwischen Stäbchen und Zapfen durchzuführen ermöglichen. Das erste dieser Kennzeichen ist von der Anordnung der Stäbchen zu den Zapfen hergenommen. Während man bisher stets angenommen hat, die Stäbchen und die Zapfen seien in derselben anatomischen Horizontal- ebene gelegen, geht aus den Untersuchungen W. Müller’s hervor, dass dieses keineswegs der Fall ist, sondern dass die beiden verschiedenen Arten der anatomischen Elemente durchweg in zwei verschiedenen hori- zontalen Ebenen disponirt sind. Umd zwar findet sich als ganz constant das Verhältniss, dass die Stäbchen der Pigmentschicht, die Zapfen der Membrana limitans externa näher liegen. Nach dieser Anschauung giebt es also keine einfache „Stäbchen- und Zapfenschicht“ mehr im Sinne der alten Autoren, welche sich in dieser Schicht die Zapfen zwischen den Stäb- chen einfach in demselben Niveau eingeschaltet dachten, sondern es giebt dafür „eine Stäbchenschicht“ und „eine Zapfenschicht“; die alte gemeinsame Bezeichung der Stäbchen- und Zapfenschicht wird unter diesen Umständen wohl am Besten ganz fallen gelassen, da sie mit der neugewonnenen Er- kenntniss von der Besonderheit der beiden Schichten in Widerspruch steht und dafür der ungenauen Vorstellungsweise der früheren Anatomen über die Beziehung der Stäbchen zu den Zapfen einen allzu directen Ausdruck giebt. Wegen des Details dieser hochinteressanten Entdeckung, welche ich bei allen meinen späteren Studien über den Bau der musivischen Schicht durchweg bestätigt gefunden habe, verweise ich auf den Text und noch mehr auf die Abbildungen des W. Müller’schen Werkes. An den Durch- schnitten durch die Retina von Petromyzon (Taf. XIII, Fig. 7), Salamandra (Taf. XIV, Fig. 1), Rana (Taf. XIV, Fig. 2), Columba (Taf. XIV, Fig. 3) und Lamprete (Taf. XII, Fig. 5) kann man sich überall auf das Nach- THESEN UND HyPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 29 drücklichste von der Thatsache überzeugen, dass die Zapfenaussenglieder nur bis an die Basen der Stäbchenaussenglieder reichen, niemals aber höher, sodass bei allen Thieren und in der ganzen Ausdehnung ihrer Netzhaut niemals Stäbchenaussenglieder und Zapfenaussenglieder in ein und derselben Horizontalebene betroffen werden können. Jede der beiden Schichten, die Stäbehenschicht und die Zapfenschicht, besitzt für ihre Aussenglieder ein ihr eigenthümliches Niveau, welches — und dieses ist für unseren vorlie- senden Zweck der Differentialdiagnose zwischen Stäbchen und Zapfen das Wichtigste — für die Stäbchen stets an die Pigmentzellen, für die Zapfen stets an die Membrana limitans externa näher heranrückt. Es giebt dieser Umstand ein sicheres Kriterium, die Stäbchen von den Zapfen auch dann noch (z. B. in einer erhärteteten Retina) unzweifelhaft zu unterscheiden, wenn an den ersteren weder Sehroth noch Plättchenstructur mehr zu sehen sind. Diejenigen Elemente, deren Aussenglieder direet an die Pigmentzellen stossen, sind unzweifelhaft die Stäbchen; die auf sie in zweiter Reihe fol- genden Elemente sind ebenso unzweifelhaft die Zapfen. Nach den Untersuchungen W. Müller’s kommt diese Vertheilung der Stäbehen- und Zapfenaussenglieder in ein oberes und in ein unteres Niveau (zwei hintereinandergelegene lichtempfindliche Schirme nennt sie W. Müller) ganz einfach dadurch zu Stande, dass die Zapfen ausnahmslos sehr viel kürzer sind als die Stäbchen; und zwar bestätigt sich dabei durchweg das Verhältniss, dass der ganze Zapfen, d.h. Zapfeninnenglied, Zapfenlinse und Zapfenaussenglied zusammengenommen, nur gerade so lang ist, wie der innere aus Stäbcheninnenglied und Stäbchenlinse zusammengesetzte Stäbchen- abschnitt. Dieses Verhältniss der Dimensionen der beiden Elemente zu zu einander erweist sieh als derartig constant, dass W. Müller keinen An- stand genommen hat, anstatt der von ihm perhorreseirten Bezeichnungen der Stäbchen und Zapfen die Namen der langen Sehzellen und der kurzen Sehzellen einzuführen. Diese Aenderung der bisher üblichen Terminologie (namentlich mit der Einführung eines so präjudieirenden Ausdruckes wie das Wort: Sehspalte) kann ich, der ich mir die Vertheidigung der Stäb- chen und Zapfen als besonderer Kategorien zur Aufgabe gestellt habe, natür- lieh nieht annehmen. Ich nehme aber von der Allgemeingültigkeit der von W. Müller entdeckten Thatsache Act, dass die Stäbchen stets erheblich länger sind als die Zapfen und verwerthe sie zu einem neuen und letzten Kriterium zur Unterscheidung der ersten von der letzten. Nach allem dem bisher Erörterten kann ein Zweifel an der specifischen Natur der Stäbchen wohl nicht mehr bestehen und werden die drei an ihnen stets zusammenfallenden Qualitäten: erstens, dass ihre Aussenglieder stets Plättchenstructur und Sehroth besitzen; zweitens, dass diese Aussen- glieder in einer besonderen Schicht angeordnet sind, welche unmittelbar 30 Franz BoLL: auf die der Pigmentzellen folgt; und drittens, dass diese Aussenglieder stets länger sind als die der Zapfen, unter allen Umständen die Feststellung ihres specifischen Charakters ermöglichen. B. Physiologische Eigenschaften der Stäbchen. Meiner Behauptung, dass der Sitz der auf den Sehact bezüglichen physiologischen Thätigkeit der Stäbchen in den Aussengliedern zu suchen sei, dürfte nach der Entdeckung des Sehroths so leicht nicht Jemand widersprechen. Ich könnte daher die unmittelbar vor dieser entscheidenden Entdeckung angestellten physiologischen Betrachtungen W. Müller’s über den Sehact hier getrost übergehen und würde dies auch thun, wenn die Erörterung des physiologischen Prineips, aus dem diese Betrachtungen her- voreingen, nicht schon an und für sich interessant wäre. Ausserdem wird mir diese kritische Erörterung noch die andere Gelegenheit bieten, einige interessante Details über die Anatomie und Physiologie der musivischen Schicht auseinander zu setzen, die an einer anderen Stelle kaum einen so passenden Platz gefunden haben würden. „Versucht man“, so beginnt W. Müller seine physiologischen Aus- einandersetzungen, „auf Grund des im Vorstehenden besprochenen Befundes eine Vorstellung von der Bedeutung der einzelnen Abschnitte der Sehspalte für den Sehact zu gewinnen, so muss meiner Ansicht nach als oberster Satz festgehalten werden, dass die specifischen Leistungen einer Zelle an deren Protoplasma gebunden sind.“ Zu diesem „obersten Satze“ W. Müller’s muss ich nothgedrungen einige kritische Bemerkungen machen, umsomehr als die darin ausgesprochene absolute Glorifieirung des Protoplasma’s den Glaubensartikel einer grossen histiologischen Schule darstellt und als solcher zu vieler Unklarheit und zu zahlreichen schiefen Auffassungen und Missverständnissen Veranlassung gegeben hat. Auch ich habe, wie Max Schultze in seinen Vorlesungen über mikroskopische Anatomie von seinen Zuhörern es verlangte, „Respect vor dem Protoplasma“; aber ich betrachte es als einen constitutionellen Souverain, welcher herrscht, aber nicht regirt und nicht als eine executive Autorität, die ihr Handeln in jeden einzelnen und besonderen Vorgang ein- mischt. In diesem Sinne halte ich den obersten Satz W. Müller’s, dass die speceifischen Leistungen einer Zelle an deren Protoplasma gebunden sind, geradezu für unrichtig und seine Umkehrung, dass die allgemeinen Leistungen einer Zelle an deren Protoplasma gebunden sind, jedenfalls für sehr viel richtiger. Wenigstens hat das Studium der intimeren physiologischen Vorgänge stets noch gelehrt, dass (bei den höheren Organismen) die speci- fischen physiologischen Leistungen (wie Öontractilität, Secretion, Sauerstofl- THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LIiCHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 31 aufnahme, Lichtempfindung u. a.) nicht im Allgemeinen an das Protoplasma, sondern an ebenso specifische anatomische Elementartheile gebunden sind, welche, wenn ursprünglich auch nur aus dem Protoplasma hervorgegangen, in ihrer definitiven Form und physiologischen Leistung von diesem jeden- falls erundsätzlich verschieden sind. W. Müller dagegen fährt unmittel- bar nach dem oben angeführten Citate folgendermaassen fort: „Dieser Satz macht eine wesentliche Betheiligung der Aussenglieder an den Leistungen der Sehspalte von vornherein unwahrscheimlich.“ Nach der inzwischen er- folgten Entdeckung des Sehroths erscheint dieser Ausspruch jetzt als bittere Ironie und verkehrt sich in eine Kritik der Protoplasmatheorie, wie sie epi- grammatischer nicht leicht geschrieben werden konnte. „In dem Protoplasma der ‚Sehzellen,‘“ heisst es bei W. Müller weiter, „ist das Vorhandensein von zwei Abschnitten a priori sehr wahrscheinlich‘ eines, welcher Lichtwellen in Erregung umzusetzen und eines zweiten, welcher die Erregung fortzupflanzen vermag.“ Für die erste Function nimmt W. Müller das modifieirte Protoplasma des von ihm sogenannten em- pfindlichen Abschnitts des Innengliedes in Anspruch, desselben, den ich unter der Bezeichnung Linse von dem Innengliede abtrenne und als eine besondere Abtheilung der Stäbchen und der Zapfen unterscheide. Der Fort- pflanzung der Erregung dient dagegen das nicht weiter modifieirte Proto- plasma, welches abwärts von dem „empfindlichen Abschnitte“ den Rest des Innengliedes bildet. Es scheint hieraus hervorzugehen, dass W. Müller selber es mit seinem „obersten Satze“ in der Praxis nicht allzustreng nimmt: denn wie liesse sich sonst seine physiologische Bevorzugung des „modifieirten“ vor dem nicht modifieirten Protoplasma rechtfertigen oder auch nur er- klären? Wenn einmal das Protoplasma als solches zu allem gut sein soll, auch zum Sehen, warum betraut man damit denn nicht lieber die nicht modifieirte Substanz? Doch dies nur beiläufig. Thatsächlich bleibt festzustellen, ob die „Linsen“ wirklich die „empfindlichen Abschnitte“ der Stäbchen und der Zapfen dar- stellen oder nicht. Hier muss ich meine Verlegenheit bekennen: ich weiss nicht, wie ich diese Hypothese W. Müller’s hier discutiren soll, da in seiner Abhandlung irgendwelche Gründe für sie absolut nicht angeführt werden. Mir selbst ist bei meinen Studien über die Anatomie und Physio- logie der Linsen niemals auch nur eine einzige Thatsache aufgestossen, die diese physiologische Vermuthung auch nur im Geringsten wahrscheinlich gemacht hätte. Dagegen habe ich schon vor Jahren und sogar experimentell den Nachweis führen können, dass diesen Gebilden ganz bestimmt die diop- trische Function zugeschrieben werden muss, alle die Lichtstrahlen, welche ‚überhaupt auf ein Stäbchen oder auf einen Zapfen auffallen, in das Aussen- glied des Stäbchens oder des Zapfens in ganz bestimmter Weise optisch zu 92 Franz Bout: concentriren.! Heute ist meine Ansicht über die Function der Linsen noch genau dieselbe wie damals. Ich betrachte ihre Anwesenheit zwischen Innen- slied und Aussenglied an einer Stelle, wo ihre dioptrische Function nur dem letzten allein zu Gute kommen kann, als einen entscheidenden Beweis da- für, dass in der Frage nach dem Orte, wo die Lichtempfindung zu Stande kommt, die Innenglieder überhaupt gar nicht und allein nur die Aussen- glieder in Betracht gezogen werden dürfen. Ob den Linsen selbst ausser der von mir an ihnen nachgewiesenen dioptrischen Function noch eine zweite sensitive Function zukommt, wie W. Müller vermuthet, halte ich vor der Hand für ganz ausserordentlich unwahrscheinlich. In diesem Unglauben bestärkt mich ausser zahlreichen anderen Er- wägungen noch ein ganz besonderer anatomischer Grund, ein anatomisches Verhältniss, auf welches ich bei Betrachtung der Abbildungen W. Müller’s aufmerksam wurde, das ihm selber aber entgangen zu sein scheint: das Hintereinander der Stäbchen und Zapfen, welches W. Müller entdeckt hat und auf das er mit Recht so grosses Gewicht legt, ist nur mit Rücksicht auf die Aussenglieder allein anatomische Thatsache. Allein die Aussenglieder der Stäbchen liegen wirklich in einem besonderen Niveau hinter denen des Zapfen und sie beginnen erst dann, wenn die Aussenglieder der Zapfen aufgehört haben, und nur wenn er die Aussenglieder seiner Betrachtung zu Grunde lest, hat W. Müller Recht, wie er thut, von zwei hintereinander gelegenen lichtempfindlichen Schirmen zu sprechen. Diese Betrachtungs- weise aber ist auf die Linsen, W. Müller’s empfindliche Abschnitte, durch- aus nicht mehr in allen Fällen anzuwenden, sondern sie wird mehrfach hinfällig dadurch, dass die Linsen der Zapfen mit denen der Stäbchen in ein und dasselbe Niveau zu liegen kommen, was mit den Aussengliedern dieser beiden Elemente niemals der Fall ist. Ich will nicht behaupten, dass diese von der dioptrischen Funetion und der Lage der Linsen hergenommenen Erwägungen an und für sich schon ausreichend seien, um allein die Aussenglieder als den ausschliesslichen Ort der Lichtempfindung hinzustellen. Ein wirklich vollständiger Beweis für die Richtigkeit dieses Satzes ist doch erst durch die Entdeckung des Seh- rothes und durch die objective Demonstration herbeigeführt worden, dass dieses und die an es sich knüpfende physiologische Veränderung sich stets ausschliesslich auf die Aussenglieder beschränkt. Aber auch nach und neben einer derartig entscheidenden Entdeckung behalten unsere Untersuchungen über die Linsen doch einen ihnen eigenthümlichen Werth. Sie hören frei- lich auf als Beweise a priori zu gelten und werden dafür zu Corollarien, 4 * Beiträge zur physiologischen Optik. I. Das Sehen mit zusammmengesetzten Augen und der Leeuwenhoek’sche Versuch. Dies Archiv. 1871. 8.1. THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LicHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 33 welche den nunmehr feststehenden Satz a posteriori stützen durch den Nach- weis interessanter Beziehungen im Bau der musivischen Schicht, die einzig und allein zu verstehen und zu erklären sind, wenn man annimmt, dass die Sehempfindung nur in den Aussengliedern und nirgendwo anders sonst stattfindet. 3. Die Zapfen. A. Morphologische Eigenschaften der Zapfen. Von der Anatomie der Zapfen wissen wir nur ganz ausserordentlich wenig, unstreitig ganz unverhältnissmässig viel weniger als von den Stäb- chen. Wir wissen, dass sie ebenso wie die letzteren aus drei morphologischen Abtheilungen zusammengesetzt sind, die mit den drei Abtheilungen der Stäbchen durchaus übereinstimmen und daher passender Weise auch ebenso benannt werden, nämlich Innenglied, Linse und Aussenglied. Von den Zapfeninnengliedern machen wir uns im Ganzen dieselbe noch ziemlich un- bestimmte Vorstellung wie von den Inneneliedern der Stäbchen, dass sie aus Protoplasma bestehen und weiter keine Structureigenthümlichkeiten zeigen. Die Linsen der Zapfen scheinen im Allgemeinen complicirter ge- baut als die der Stäbchen: oft finden sich an ihrer Stelle oder in sie ein- gelagert die bekannten farbigen oder auch farblosen Oeltropfen. Von den Aussengliedern der Zapfen wissen wir leider gar nichts: d.h. wir kennen an ihnen bisher kein einziges charakteristisches Merkmal weder ihrer Form noch ihrer Farbe, noch ihrer optischen Structur, noch ihrer chemischen Zusammensetzung. Alles, was sich von der Substanz, welche diese Aussen- glieder bildet, aussagen lässt, redueirt sich einstweilen so ziemlich auf die beiden negativen Thatsachen, dass ihr das Sehroth ebenso wie die Plättchen- structur abgehen. Bestimmte positive Kennzeichen aber, welche die Sub- stanz der Zapfenaussenglieder als solche und ohne Rücksicht auf den Ver- oleich mit den Stäbehenaussengliedern charakterisirten, sind dagegen noch nicht bekannt. Unter diesen Umständen würde es um die Identifieirung der Zapfen innerhalb des Wirbelthiertypus schlimm ausgesehen haben und ein oder ein anderer Zweifel wäre auch mir in dieser Beziehung gewiss noch verblieben, hätten hier nicht die Entdeckungen W. Müller’s aus der Verlegenheit geholfen. Fügst man zu dem oben angeführten Unterschied noch die beiden von W. Müller entdeckten positiven Kennzeichen: die ge- ringere Länge der Zapfen und ihre Lagerung nicht zwischen sondern vor den Stäbchen, so hat man damit ein Ensemble bestimmter Kennzeichen, welches, wie ich erfahren habe, überall durch den ganzen Wirbelthiertypus vollkommen ausreicht, die Zapfen nicht bloss von den Stäbchen zu unter- Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 3 34 ’ Franz BoLL: scheiden, sondern auch in ihrer specifischen Eigenthümlichkeit zu identi- ficiren, welche dem oben Gesagten durch die folgenden drei Merkmale be- stimmt würde: erstens durch ihre Anordnung in einer besonderen Schicht vor den Stäbchen; zweitens durch ihre (mit den Stäbchen verglichen) ge- ringere Länge und drittens durch das Fehlen des Sehroths und der Plätt- chenstructur in ihren Aussengliedern. B. Physiologische Eigenschaften der Zapfen. Entsprechend unserer mangelhaften Kenntniss der Anatomie der Zapfen wissen wir über die physiologische Function dieser Wesen gleichfalls ganz ausserordentlich wenig, ja so gut wie gar nichts. Dass auch bei ihnen Innen- glied und Linse für die Umsetzung der Lichtstrahlen im Empfindung nicht in Betracht kommen, sondern dass der Sitz dieser Wirkung ausschliesslich in den Aussengliedern zu suchen ist, kann aus der Analogie der Stäbchen freilich in hohem Grade wahrscheinlich gemacht werden. Auch liegt nach der Entdeckung des Sehroths die Vorstellung auf der Hand, dass ebenso wie in der plättchenstructurirten Substanz der Stäbchenaussenglieder so auch in den Aussengliedern der Zapfen durch die Lichtstrahlen ein photochemischer Pro- cess angereet wird. Objectiv aber ist die Existenz einer physiologischen Ver- änderung der die Zapfenaussenglieder bildenden Substanz bisher noch nicht demonstrirt worden, trotz allen darauf verwandten Anstrengungen. Trotz- dem ist und bleibt die Existenz eines solchen Vorganges auch in den Zapfenaussengliedern a priori ganz ausserordentlich wahrscheinlich. Ich glaube in dem Vorstehenden ausreichend festgestellt zu haben, welche anatomische und physiologische Merkmale den drei die musivische Schicht der Wirbelthiere zusammensetzenden Gebilden, Pigmentepithelien, Stäbchen und Zapfen, zugeschrieben werden müssen und ich habe ferner gezeigt, wie diese Merkmale unter allen Umständen genügen, die drei hier in Frage kommenden Kategorien nicht allein von einander zu unterscheiden, sondern auch eine jede in ihrer bestimmten Eigenthümlichkeit zu definiren. Ich kenne in der musivischen Schicht der Wirbelthiere nur diese drei durch ganz bestimmte Merkmale charakterisirten Kategorien morphologischer Ele- mente und diese Vorstellung muss ich als absolut gültig betonen, gegen- über allen vermittelnden Anschauungen, die z. B. in der Retina einzelner Thiere „Uebergänge“ zwischen Stäbchen und Zapfen annehmen, oder die da meinen, es könnten in der musivischen Schicht Elemente vorkommen, die weder recht eigentlich Stäbchen, noch recht eigentlich Zapfen, sondern THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 35 etwas Neues von beiden Verschiedenes seien. Ich würde mit der ab- soluten Vertheidigung meiner Trias Unrecht haben, wenn es z. B. bei irgend einem Thier gelänge, besondere Elemente ohne Sehroth und Plättchenstructur zwischen Pigmentzellen und Stäbehen nachzuweisen, oder umgekehrt Elemente mit Sehroth und Plättehenstructur, die wie Zapfen an der Membrana limitans externa gelegen und von den Pigmentzellen noch durch eine Reihe anderer Elemente getrennt wären. Nach meiner Kennt- niss der musivischen Schicht wage ich aber zu behaupten, dass niemals auch nur eine einzige derartige Demonstration gelingen wird, sondern dass ausser den reinen Stäbchen und ausser den reinen Zapfen, welche als ebenso uralte wie unwandelbare vergleichend anatomische Kategorien niemals auch nur eine einzige ihrer wesentlichen Eigenschaften verleugnen, überhaupt in der Retina der Wirbelthiere keine neuen Formen weiter vorkommen, weder solche, die als Misch- oder Uebergangsformen zwischen Stäbchen und Zapfen angesehen werden könnten, noch gar solche, die einen absolut neuen und originalen Typus repräsentirten. Dass Stäbchen und Zapfen jemals ihre Stellung zu einander ändern sollten, betrachte ich ebenso als ausgeschlossen, wie eine Vertauschung der vorderen und hinteren Wurzeln bei einem Wirbel- thiere und ein neues „viertes“ Structurelement in der musivischen Schicht würde mir nicht minder monströs vorkommen als ein Fisch mit Tracheen. Wenn nach diesem die Trias: Pigmentzellen, Stäbchen ‘und Zapfen un- zweifelhaft den Kreis der die musivische Schicht zusammensetzenden Ele- mente absolut abschliesst und auf jeden Fall das Maximum der hier vor- kommenden und überhaupt zu erwartenden verschiedenen Formen darstellt, ist diese Dreizahl jedoch keineswegs das stets und szricze nothwendige Maxi- mum, welches innerhalb der Retina aller Wirbelthiere ohne Ausnahme vor- handen sein muss. Die Dreizahl ist allerdings die ganz überwiegende Regel: sie findet: sich bei allen Säugethieren, bei allen Amphibien und bei allen Knochenfischen, sowie bei den meisten Vögeln und auch sehr zahlreichen Reptilien. Dagegen kommt auch der Fall vor, dass nur zwei verschiedene Arten Elemente in die Zusammensetzung der musivischen Schicht eingehen. In diesem Falle fehlen entweder die Stäbchen oder die Zapfen, niemals aber die Pigmentzellen, welche bei allen Wirbelthieren ohne Ausnahme vorhanden sind. Die Stäbchen und mit ihnen das Sehroth sind ausgefallen bei einzelnen Reptilien (Lacerta, Testudo) und bei diesen stossen die Spitzen der Zapfenaussenglieder unmittelbar an die Basen der Pigmentzellen an, was sie sonst niemals zu thun pflegen. Dasselbe ist auch der Fall in der Netzhaut der Taube, jedoch nur an einzelnen bestimmten Stellen. Um- gekehrt sind die Stäbchen vorhanden und fehlen die Zapfen bei einzelnen Knorpelfischen, z. B. Torpedo. In beiden Fällen ist also die musivische Schieht unvollständig; in dem letzteren ist sie an ihrer inneren Fläche BE 36 Franz Bor: (durch den Weefall der Zapfenschicht) verkürzt, in dem ersteren in ihrer Mitte (durch den Ausfall der Stäbchenschicht). Von diesen besonderen Fällen wird später noch ausführlich die Rede sein. Hier will ich einstweilen nur bemerken, dass ich diese Ausnahmen, in denen (nach der Terminologie W. Müller’s) der eine der beiden lichtempfindlichen Schirme gänzlich wegfällt und welche daher anatomisch unstreitig Unvollkommenheiten ent- sprechen, auch physiologisch nicht anders als solche auffassen kann. So viel von den Pigmentepithelien, Stäbchen und Zapfen im Einzelnen. Es bleibt uns noch die ganz besondere Art und Weise zu erörtern, wie diese Classen anatomischer Gebilde die musivische Schicht zusammensetzen. Dass die Schicht der Pigmentepithelien hinter der Stäbchen- und Zapfen- schicht gelegen sei, wussten schon die alten Anatomen. Seitdem wir durch W. Müller gelernt haben, dass diese letztere Schicht keine anatomische Einheit darstellt, sondern in eine Stäbchen- und in eine Zapfenschicht zer- fällt, zählen wir in der musivischen Schicht nicht mehr zwei verschiedene Lagen (die Pigmentschicht und die Stäbchen- und Zapfenschicht) sondern drei Lagen (nach der Terminologie W. Müller’s drei lichtempfindliche Schirme), welche drei regelmässig von aussen nach innen auf einander fol- gende Unterabtheilungen der musivischen Schicht darstellen, nämlich erstens die Pigmentschicht, zweitens die Stäbchenschicht und drittens die Pig- mentschicht. Die Anatomie jeder einzelnen dieser drei Schichten erfordert eine be- sondere Darstellung, die in Folgendem in schematischer Weise gegeben werden soll, wie sie sich ganz typisch für alle Wirbelthiere darstellt. Von besonderen Fällen und Abweichungen soll dabei natürlich ganz abge- sehen werden. I. Die Pigmentschicht. A. Studium in der Flächenansicht. Fertiet man von der Piementschicht eines Wirbelthieres ein Präparat aus derjenigen centralen Region der Netzhaut an, welcher der Stelle des deutlichsten Sehens entsprieht, so erscheint dieses in der Flächenansicht zusammengesetzt aus ebenso kleinen wie regelmässigen sechseckigen Feldern (Fig. 1). Fertigt man dasselbe Präparat aus einem mehr peripheren Abschnitte der Netzhaut an und vergleicht es mit dem vorigen, so bemerkt man so- fort folgende sehr in die Augen fallende Unterschiede. Erstens die sechs- eckigen Felder sind an der Peripherie sehr viel grösser als im Centrum der tetina (Fig. 2). Zweitens, die Sechsecke sind meist nicht mehr genau gleich- THESEN UND HYPOTHESEN ZUR LICHT- UND FARBENEMPFINDUNG. 937 Fig. 1. Eig. 3. 38 Franz BoLL: THESEN U. HYPOTHESEN zZ. LICHT- U. FARBENEMPFINDUNG. seitig, sondern ein Paar gegenüberstehender Seiten pflegt meist etwas länger zu sein, als die anderen beiden Seitenpaare. Drittens, die Regelmässigkeit der ganzen Mosaik erleidet öfters mehr oder minder ausgesprochene Be- einträchtigungen, indem in einzelnen Fällen die sechseckigen Felder ihre regelmässige Begrenzung verlieren, ja ihnen sich nicht selten andere Po- lygone von grösserer oder geringerer Seitenzahl substituiren, ein Fall, der im Retinacentrum niemals vorkommt. Verschafft man sich nach diesen beiden vorläufigen Beobachtungen einen zusammenhängenden Ueberblick über die ganze Pigmentschicht, so lässt sich nachweisen, dass die Structur des Retinacentrums ganz allmäh- lich in die der retinalen Peripherie übergeht durch successive Vergrösserung der sechseckigen Zellen, welche dabei eben so allmählich wie sie grösser werden, auch ihre vollkommene Regelmässigkeit einbüssen, so wie es in Fig. 3 schematisch dargestellt ist...... (Schluss des vorhandenen Manuscripts.) Neue Studien über Athembewegungen. Von I. Rosenthal. Zweiter Artikel. Ueber die Wirkung der elektrischen Reizung des N, vagus. Im ersten Artikel! habe ich über das Verhalten der Gesammtathemmus- culatur bei der Vagusreizung berichtet, wie man sie durch Registrirung der intrathoracalen Druckschwankungen mittels der Oesophaguscanüle erkennen kann. Nur gelegentlich wurde dabei auch des Zwerchfells gedacht, um festzustellen, dass für die überwiegende Mehrzahl der Fälle, wenn nicht abnorme Störungen im Athmungsapparate Platz greifen, eine vollkommene Uebereinstimmung zwischen den Zwerchfellsbewegungen und den intratho- racalen Druckschwankungen besteht, der Art, dass der Druck im Thorax- raum bei Zwerehfellscontradtion sinkt und bei Zwerchfellserschlaffung zu- nimmt, und dass auch die Stärke der Zwerchfellscontraction hauptsächlich den Grad der Druckverminderung im Thorax bedingt. Bei der Wichtigkeit des Zwerchfells als Hauptathemmuskel wird es aber nothwendig, seine Bewegungen und sein Verhalten bei der Vagusreizung noch besonders erneuter Prüfung zu unterwerfen, um gegenüber dem Ge- wirre verschiedener Angaben endgültig festzustellen, ob die Vagusreizung das Zwerchfell zu vermehrter oder verminderter Thätigkeit bringt, oder, wie ich behaupte, stets nur eine Veränderung seiner Thätigkeit bewirkt, die zwar zu einem mehr oder weniger schwachen Tetanus, niemals aber zu einer dauernden Erschlaffung des Zwerchfells führen kann. ! Dies Archiv. 1880. Suppl.-Bd. S. 34. 40 I. RosEnTHAL: In meinen früheren Untersuchungen habe ich zum Studium »der Zwerch- fellsbewegungen theils die Beobachtung mit blossem Auge nach Eröffnung der Bauchhöhle angewandt (seltener und nur in besonderen Fällen anwendbar ist die Betrachtung von oben nach Eröffnung der Brusthöhle), theils die Registrirung der Bewegungen mittels des von mir zu diesem Zweck con- struirten Phrenographen. Von diesen beiden Methoden ist die erstere wegen des mit ihr verbundenen bedeutenden Eingriffs nicht eben angenehm, doch gewährt sie bei einiger Uebung und genügender Aufmerksamkeit sichere Ergebnisse. Immerhin wird es zuweilen schwer sein, zu entscheiden, ob in einem bestimmten Falle das Zwerchfell ganz erschlafft ist oder in einem geringen Contractionszustand stillesteht, wenngleich das Auge hier immer noch ein sichereres Urtheil gewährt, als der fühlende, durch eine kleine Wunde eingeführte Finger, auf dessen Zeugniss hin einst Hr. Ottomar Rosenbach die Arbeiten vieler bedächtiger Forscher umstossen wollte, um dann kurz nachher ein verschämtes Pater peccavi zu stammeln.' Nicht viel sicherer ist die durch die Bauchdecken in das Zwerchfell eingestossene Punctionsnadel. Aber da alle diese Beobachtungsarten den verschiedensten Forschern immer und immer wieder wechselnde Ergebnisse geliefert haben, indem der Eine Zwerchfellscontraction gesehen haben will, wo der Andere Erschlaffung beobachtete, und umgekehrt, so wird doch schliesslich nichts übrig bleiben, als sich nach einem sichereren Verfahren umzusehen, und dazu weiss ich kein besseres Mittel anzugeben, als die Bewegungen des Zwerchfells aufschreiben zu lassen. Wie man das macht, wird im Allge- meinen gleichgiltig sein, wenn nur die Registrirung des Zwerchfellsstandes wirklich zuverlässig erfolgt. Ich kann nun auch heute noch, nach vielen Versuchen mit allen möglichen Apparaten, nichts Besseres finden, als den von mir schon 1862 beschriebenen Zwerchfellshebel. Derselbe lest sich mit seiner nach der Form der Zwerchfellskuppel bez. der Leberconvexität be- rechneten Krümmung fest und sicher zwischen diese beiden Organe, ohne sie zu zerren oder in ihren Bewegungen zu behindern, so dass er allen Be- wegungen des Zwerchfells einfach folgt. Der complicirte Mechanismus, mittels dessen ich damals diese Bewegungen aufschreiben liess, ist freilich unnöthig. Mein jetzt gebrauchter Zwerchfellshebel oder Phrenograph ist viel einfacher gebaut. Der gekrümmte Hebel Ah’, Fig. 1, ist um eine horizontale Axe drehbar, Diese hat ihr Axenlager in einem flachen Ringe, welcher durch einen, am Kaninchenbrett seitlich angeschraubten Halter festgeklemmt, in dem Niveau der Bauchdecken des Versuchsthiers steht. Derselbe Halter trägt an einem "O0. Rosenbach, Studien über den N. vagus. Berlin 1878; — und: Notiz über den Einfluss der Vagusreizung auf die Athmung. Pflüger’s Archiv. Bd. XVL S. 502. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 41 zweiten horizontalen Arm eine Marey’sche Luftkapsel, Z, welche durch eine Schraube s vorgeschoben werden kann. Man bewegt dieselbe, parallel mit sich selbst, soweit nach vorn, dass das äussere Hebelende A’ an dem Knopf der auf der Gummiplatte der Kapsel festgeleimten Holz- platte anliegt. Verbindet man jetzt die Luftkapsel durch einen Gummischlauch mit einer Schreib- kapsel,, so werden die Bewegungen des Zwerch- fellshebels auf den Schreibhebel der letzteren übertragen und können nun auf bekannte Weise | auf einer bewegten Fläche aufgeschrieben werden.! | Die Form der auf diese Weise gezeichneten | Zwerchfellscurven stimmt durchaus mit den von mir früher gewonnenen überein. Ich theile als > il (mm iR. "ll a) J |) AST 7 eff ne an Mi Sa S, Ks. 1 Bei meiner Anwesenheit in Berlin im April v. J. sah ich im dortigen physio- logischen Institut einen geraden Zwerchfellshebel, dessen Bewegungen mittels eines 42 I. ROSENTHAL: Beispiele zwei Abschnitte so gezeichneter Curven mit, von denen die erstere der normalen Athmung angehört, die zweite nach Durchschneidung beider Vagi am Halse aufgezeichnet wurde. (Fig. 2 und 3.) Wie man in Fig. 2 sieht, geschieht die Zwerchfellscontraction ziemlich plötzlich, die aufsteigende Linie ist steil und fast gerade; auf sie folgt dann sofort die Erschlaffung des Zwerchfells, welche jedoch in zwei Tempi vor sich geht, indem sich an eine ziemlich steil abfallende Linie eine leichte Krümmung anschliesst. Auf diese folgt dann endlich eine wagrechte Fig. 2. Zwerchfellseurve, nach Durchschneidung eines Vagus aufgenommen. Geringste Empfindlichkeit des Hebels. 10.23: Zwerehfellseurve nach Durchschneidung beider Vagi. Linie, eine Zwerchfellspause. Ich muss jedoch bemerken, dass die vom Zwerchfell gezeichneten Curven nicht immer die hier dargestellte Form haben. Namentlich, wenn die Zwerchfellscontractionen etwas energischer sind, als in dem hier dargestellten Falle, beginnt zwar der aufsteigende Ast der Curve als gerade Linie, geht aber in seinem oberen Theil in eine leichte Krümmung über; in diesen Fällen pflegt dann auch der gekrümmte Endtheil des absteigenden Astes verhältnissmässig viel grösser zu sein. End- lich ist die Zwerchfellspause bei der normalen Athmung des Kaninchens (und an diesem sind meine bisherigen Versuche ausschliesslich angestellt worden) nicht immer deutlich. Sie ist dagegen sehr ausgesprochen nach Durchschneidung beider Vagi, wie man an Fig. 3 sieht, welche übrigens von einem anderen Thiere herrührt. Deshalb sind auch die Höhenverhält- Fadens auf einen Schreibhebel übertragen wurden. Das Letztere ist weniger bequem als die von mir benutzte Luftübertragung; die Form des Hebels aber halte ich für wesentlich und gebe meinem Hebel mit Zwerchfellskrümmung entschieden den Vorzug. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 43 nisse der beiden Curven nicht unter einander vergleichbar. Die Höhe des aufsteigenden Curvenastes (die Tiefe der inspiratorischen Zwerchfellseon- traction) ist stets sehr vergrössert, die Krümmung seines oberen Abschnitts stets sehr deutlich ausgeprägt. ! Die Einrichtung der Marey’schen Schreibtrommel gestattet bekannt- lich, die Empfindlichkeit zu variiren. Ich habe in der Regel die geringste Empfindlichkeit gewählt, da die Ausschläge des schreibenden Hebelendes auch dabei gross genug ausfallen, um alle wünschenswerthen Einzelnheiten an den Curven zu sehen. Die Schreibhebel an diesen Trommeln verfertige ich mir auf folgende Weise. Ein glatter und kräftiger Weizenstrohhalm wird an den Knoten durchschnitten, mit dem einen Ende in eine warme Leimlösung getaucht und «durch Saugen am anderen Ende mit derselben gefüllt. Man lässt die Leimlösung wieder abtropfen, presst dann eine Anzahl solcher, in ihrem Inneren mit Leim bestrichener Halme zwischen zwei Brettern kräftig zu- sammen und lässt sie in der Presse trocknen. Man erhält so lange, schmale Streifen, welche bei sehr geringem Gewicht eine grosse Steifigkeit besitzen. An dem freien Ende, welches zum Schreiben bestimmt ist, be- festigt man mit etwas Leim ein kürzeres, etwas gekrümmtes, einfaches Stück von einem Strohhalm und an diesem die Spitze eines Schnurrhaars von einem Kaninchen, so dass es um etwa 0-5”” den Strohhalm überragt. Eine solche Spitze ist steif genug, um sich nicht zu verbiegen und zeichnet bei passender Einstellung auf glattem berussten Papier sehr schöne Curven. Wie im ersten Artikel ausgeführt wurde, kommt es bei der Unter-- suchung der Wirkungen der Vagusreizung darauf an, passende Stromstärken zu der elektrischen Reizung zu benutzen. Indem eine grosse Zahl von Forschern gleich von vornherein viel zu starke Ströme anwandte, ist ihnen ein Theil der Wirkungen ganz entgangen. Ich habe mich in allen meinen Versuchen eines und desselben Inductoriums bedient, und zwar des kleineren der beiden in den physiologischen Laboratorien üblichen, von du Bois- Reymond angegebenen Modelle. Die primäre Rolle hat 120 Windungen in 2 Lagen, die secundäre Rolle hat 5055 Windungen eines feinen Kupfer- drahts und einen Widerstand von 360 Siemens’schen Einheiten. Die Lichtung der primären Rolle war mit dünnen Eisendrähten angefüllt, zum Betrieb diente eine No&’sche Sternsäule. Die erste Wirkung der Vagus- reizung tritt bei dieser Anordnung in der Regel bei einem Rollenabstand von 300”” ein und bleibt bis zum Rollenabstand 150” immer in glei- chem Sinne. Bei grösserer Annäherung der Rollen können Aenderungen in der Wirkung erfolgen, wovon später die Rede sein wird. Auf die Erscheinungen, welche nach Durchschneidung beider Vagi auftreten, .komme ich in einem folgenden Artikel noch zurück, 44 I. ROSENTHAL: Der gewöhnliche Verlauf eines Versuches ist folgender. Das Thier (ausnahmslos Kaninchen) wird in der Kückenlage auf dem Özermak’schen Halter befestigt, die Haut des Halses in der Mittellinie gespalten, ein Vagus, oder in der hegel gleich beide, isolirt, aber so, dass der Nerv selbst gar nicht berührt wird. In die Vena jugularis externa der einen Seite wird eine Canüle eingebunden, um entweder sofort oder erst im Verlauf des Versuchs Morphium, Chloral, oder was sonst erforderlich sein sollte, einzu- spritzen. (Wenn nicht narkotisirt und auch nicht der Einfluss einer Ver- giftung untersucht werden soll, dann unterbleibt die Einlegung einer Ca- nüle.) Jetzt wird durch einen kleinen Schnitt von etwa 1°” Länge in der Linea alba dicht am Processus xiphoides und zum Theil noch auf ihm die Bauchhöhle eröffnet, der weiche biegsame Processus etwas nach oben zu- rückgeschlagen und unter ihm der Zwerchfellshebel eingeführt, so dass er zwischen Zwerchfell und Leber liegt, endlich die Marey’sche Kapsel an den Hebel angelest und so eingestellt, dass auch bei der tiefsten Stellung des Hebels (entsprechend der völligen Erschlaffung des Zwerchfells) eine vollkommene Berührung zwischen beiden stattfindet. Ehe ich an die Durchtrennung des reizenden Nerven gehe (eine elektri- sche Reizung des nicht durchschnittenen Nerven nehme ich aus triftigen Gründen in der Regel nicht vor), lasse ich gewöhnlich einige Zwerchfells- bewegungen aufschreiben. Wird nun der eine Nerv durchschnitten oder eine schon vorher locker um denselben geleste Fadenschlinge zugeschnürt, so hat man Gelegenheit, die Wirkungen der dadurch gesetzten mechani- schen Reizung zu beobachten. Ich will nun gleich hier bemerken, dass ich länger anhaltende Wirkungen von solchen mechanischen Reizen niemals gesehen habe, auf keinen Fall solche, welche sich mit den Erfolgen der elektrischen Reize irgend vergleichen liessen. Ich muss deshalb Denjenigen widersprechen, welche der mechanischen Reizung bei der Erklärung der Folgen doppelseitiger Vagusdurchschneidung eine wichtige Rolle zuschreiben, verspare mir jedoch die weitere Verfolgung dieser Streitfrage auf einen fol- senden Artikel. Der durchschnittene und an einem Faden befestigte Nerv wird nun sanft emporgehoben, auf die Drahtelektroden gelegt, welche in einem passenden Halter fest aufgestellt sind, und die Reizung durch Oefinen des als Nebenschliessung eingeschalteten du Bois-Reymond’schen Schlüs- sels bewirkt. Die Fig. 4 (s. umstehend) zeigt die Wirkung einer schwachen Reizung des centralen Vagusstumpfes, bei unversehrtem Vagus der anderen Seite. Wie man sieht, werden die Bewegungen des Zwerchfells häufiger und dabei zugleich flacher. Diese Abnahme der Stärke betrifft vorzugsweise den Grad der Contraction, das Zwerchfell gelangt bei jeder einzelnen inspiratorischen Zusammenziehung nicht zu dem Grade der Muskelverkürzung, welche vor . NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 45 der Reizung bestand. Aber zum Theil ist die Verflachung auch bedingt durch eine unvollkommenere Ausdehnung der Zwerchfellsfasern in den Pausen seiner Thätiekeit. Nehmen wir an, was zwar durch- aus nicht sicher, aber, wie wir später sehen werden, ziemlich wahrscheinlich ist, dass die tiefsten Punkte der Curve vor der Reizung einer vollkommenen Un- thätigkeit der Zwerchfellsmuskeln entsprechen , also einer vollkommenen Gleichgewichtslage zwischen den elastischen Kräften des Zwerchfells und der Lunge, dann müssten wir sagen, dass unter der Einwirkung der hier vorliegenden Vagusreizung das Zwerchfell in eine stetige, aber in ihrer Stärke schwankende Thätige- keit versetzt worden sei. Wir können aber auch an- nehmen, dass während der Reizung die Thätiekeit des Zwerchfells eben so wie vorher discontinuirlich gewesen sei, dass es sich wirklich nur um einzelne getrennte Zusammenziehungen gehandelt habe, dass aber wegen der zu schnellen Aufeinanderfolge der- selben die Rlasticität der Lunge und der Druck der Baucheingeweide nicht Zeit genug hatten, das Zwerch- fell in den Intervallen der einzelnen Contractionen hoch genug hinaufzudrücken. Eine Entscheidung zwi- schen diesen beiden Auffassungen wird sich aus der Form der Curve allein nicht ableiten lassen. Ich bin jedoch geneigt, der ersteren Auffassung einen Vorzug einzuräumen, besonders in Folge der Vergleichung solcher Curven, wie der hier vorliegenden, mit anderen, wo bei nur wenig stärkerer Reizung der Uebergang in ganz stetige Contraction des Zwerchfells hervortritt. Gehen wir zu einer etwas stärkeren Reizung über, so kommt es zu einem vollkommenen Stillstand des Zwerchfells und zwar im Zustande dauernder Contraction oder in Inspirationsstellung, wie es Fig. 5 (von demselben Thiere wie Fig. 4) auf folgender Seite zeigt. Ein solcher Stillstand findet, wie ich schon oft her- vorgehoben habe, stets mit einem schwächeren Con- tractionszustand des Zwerchfells statt, als der in jeder einzelnen Inspirationsbewegung vor der Reizung er- reichten. Man sieht aber in der Regel, dass die Stärke der Zwerchfellscon- traetion während der Dauer des Stillstands zunimmt, wenigstens in der ersten Zeit des Stillstands. Denn wenn man die Reizung gar zu lange andauern Fig. 4. »- Beim Zeichen + beginnt, beim Zeichen N endet die Reizung. Rollenabstand 270mm, Wirkung schwacher Vagusreizun 46 I. ROSENTHAL: lässt, dann kann die Contraction, offenbar im Folge der Ermüdung, wieder abnehmen, was bei Beobachtungen ohne feinere Hülfsmittel leicht zu Täu- schungen über die Art des Stillstands führen kann und trotz meiner Mahnungen geführt hat. Das vorliegende Beispiel zeigt dieses allmähliche Anwachsen der Con- traction in einem so ausgesprochenen Grade, wie es frei- lich nicht immer zu beobachten ist. Man sieht an ihm, wie die beim Einfallen der Reizung schon eingeleitete Zwerchfellscontraction unvollendet bleibt, um der mässi- gen dauernden Contraction Platz zu machen. Im Sinne meiner Theorie der Vaguswirkung bedeutet diese schwä- chere Zusammenziehung des Zwerchfells bekanntlich, dass die Vagusreizung an sich die Summe der vom Athem- centrum ausgehenden Leistungen nicht vermehrt. Indem aber während des Zwerchfellsstillstands die Lüftung der Lunge ausfällt, muss offenbar der Sauerstoffgehalt des Blutes abnehmen, in Folge dessen die Wirkung des Athemcentrums wachsen und so- eine Verstärkung der Zwerchfellscontraction zu Stande kommen. In welchem Grade dies erfolgt, wird von vielen Umständen abhängen, vor allen Dingen aber von der Lebhaftigkeit der Sauer- stoffzehrung im Gesammtkörper, und so wird es nicht auffallend sein können, dass diese Erscheinung zwar immer vorhanden, aber nicht immer in gleichem Grade ausgeprägt ist. Durchaus in gleicher Weise gestalten sich die Dinge, wenn man den einen Vagus reizt, nachdem beide durch- schnitten sind, oder auch, wenn man beide Nerven zu- gleich reizt. Die Figuren 6 und 7 (s. umstehend) geben Beispiele für zwei Reizstärken, welche im Wesentlichen nur wiederholen, was die Figuren 4 und 5 gezeigt haben. Die Abweichungen in den Formen der Curven erklären sich von selbst. Selbstverständlich ist bei der geringen Athemfrequenz einer Vermehrung derselben ein grösserer Spielraum gegeben als bei der Durchschneidung nur des einen Vagus. Es wäre aber falsch, daraus zu schliessen, dass man nun viel stärkerer Reizungen be- dürfe, um tetanischen Stillstand des Zwerchfells zu er- zielen, als bei Unversehrtheit des einen Vagus. Es ist ganz sicher, dass in diesem Falle die normalen, in der Lunge entstehenden, physiologischen Reize noch auf der Bahn des unversehrten Vagus in der gewöhnlichen "(wu 003 puegsqeusjfoy) SIZIO UOYAIS[yTW sourd SunyarA 'sozioy SOp apuyy N ‘uulsog X [ "Zunzioy Top apuyq N ‘uusog + 'puıs uogprugosypınp praq purıqgem ‘snde‘ uU SOPp (uu00z PUrIsgqeusfoy) Funzıoy uoyıeIspoggtm aoum Sunyır My >, 010 (wu08z Purgsqeua]]oy) 3) -Sunzroyy ıop opug / Toq “undog F og pums usgyIumosgomp opIoq pusıyeM 'suse‘ OUT sap SunzIog AOysemys Sun. ‘9 "SL NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 48 I. ROSENTHAL: Weise zur Medulla oblongata fortgeleitet werden. Zeuge dessen ist die ge- ringfügige Aenderung, welche der Athmungstypus nach Durchschneidung nur eines Vagus erfährt. Wo überhaupt solche Aenderungen auftreten, sind sie noch dazu theilweise durch nebensächliche Ur- sachen bedingt, wie z. B. durch die Verengerung der Glottis in Folge der Lähmung des einen Stimmbands. Nichtsdestoweniger genügen ungefähr dieselben Reiz- stärken, um vollkommenen Zwerchfellstetanus zu erzielen. Hierzu tragen offenbar verschiedene Umstände bei. Erst- lich sind solche Vergleichungen, da die Erregbarkeit ver- schiedener Nerven und desselben Nerven in zwei auf einander folgenden Versuchen ja stets ungleich sein wird, schwer anzustellen. Zweitens aber wirkt die elektrische Reizung des Nerven, welche wir in diesem Artikel allein untersuchen, überhaupt viel kräftiger als die normalen Vagusreize, die wir in den Lungen anzunehmen haben. Schon ihre continuirliche Wirkung unterscheidet sie von den letzteren, die wir ja als intermittirende voraussetzen müssen. Ich habe zwar auch die Wirkung intermitti- render elektrischer Reize untersucht und ein Beispiel ihrer Wirksamkeit im vorigen Artikel gegeben. Aber die con- tinuirliche elektrische Reizung, von welcher hier die Rede ist, muss doch ganz anders wirken. Wenn der eine Va- gus ihr ausgesetzt wird, so muss gegen sie der Umstand, ob daneben der andere Vagus noch die normalen Lungen- reize zur Medulla oblongata leitet oder nicht, verhält- nissmässig in den Hintergrund treten. Zwerchfellsstill- stand können ja solche intermittirende Reize selbstver- ständlich nicht hervorrufen." Wenn wir also einen con- tinuirlichen elektrischen Reiz gefunden haben, der aus- reicht, das Zwerchfell in dauernde Contraetion zu ver- setzen, so muss er dies thun, gleichgiltig, ob dabei der andere Vagus unversehrt oder durchschnitten ist. Ich komme nun zu der Frage, wie wirken starke elektrische Reizungen des Vagus? Die Antwort darauf ist: Ihre Wirkungen sind unklar. Es kommt meist zu keinem Stillstand des Zwerchfells, sondern seine Bewe- gungen sind unregelmässig, starke Contractionen wechseln "SUNZIAISNICA AONIRIS SUNyILM ‘8 "ad ‘Sunziy op opur / uursog + (wwuoOT puegsqeusfoy) ! Es ist hier natürlich nur von langsam, etwa in dem Rhythmus der Athem- bewegungen, auf einander folgenden einzelnen Reizungen die Rede. NEUE STUDIEN ÜBER ÄTHEMBEWEGUNGEN. 49 mit schwachen; dazwischen kommen kurze Stillstände, meist im Zustande der Contraetion, selten in dem der Erschlaffung. Als Beispiel solcher Wir- kung diene Fig. 8 (S. 47), welche das Gesagte besser veranschaulicht, als viele Worte es könnten. Es ist offenbar, dass hier die normale Wirkung der Vagusreizung, wie wir sie bisher kennen gelernt haben, noch vorhanden ist, aber verdeckt und gestört durch einen anderen Einfluss. In dem Versuch, von welchem Fig. 8 stammt (es war dasselbe Thier von welchem auch Fig. 5 herrührt), war bei einer Reizstärke vom Rollenabstand 150”” die normale Wirkung noch vollkommen deutlich und bei unserer Fig. 8 ist sie im Beginn der Reizung auch noch, freilich nur ganz vorübergehend, sichtbar. Die Fasern des Vagus, deren Wirkung diese Zwerchfellscontraction veranlasst, müssen also doch auch hierbei noch wirksam sein. Sie verlieren ihre Wirksamkeit auch nicht durch die starke Reizung; denn wenn man nach mehrmaliger Anwendung derselben wieder zu schwächeren Reizungen zurückkehrt, sieht man die normale Wirkung wieder auftreten. Was also verdeckt bei den starken Reizen die Wirkung derselben? Als ich im Jahre 1860 die Hemmungswirkung des N. laryngeus superior entdeckte, kam ich auf den Gedanken, die Unregelmässigkeiten der Vagus- wirkung könnten davon herrühren, dass bei der Anwendung starker Reize auf den Vagusstamm unterhalb jenes Astes ein Uebergang des Reizes auf denselben theils durch Stromschleifen, theils durch unipolare Erregung statt- finden könne. Ich suchte mich in meinen Versuchen vor solchen Compli- cationen sicher zu stellen, und dazu gehörte vor allen Dingen die Ver- meidung allzustarker Inductionsströme bei der Prüfung der Wirkungen. Unter diesen Umständen sah ich stets als Folge der Vagusreizung (unter- halb des Laryngeus superior) Stillstand des Zwerchfells im zusammengezo- genen Zustande. Und dieses thatsächliche Ergebniss meiner Beobachtungen kann ich auch heute auf Grund immer und immer wieder erneuter Ver- suche lediglich wiederholen, und die bis hierher mitgetheilten neueren Be- obachtungen bestätigen diese meine Behauptung von Neuem. Seitdem hat jedoch Burkart! darauf hingewiesen, dass auch im Laryngeus inferior Fasern enthalten sind, deren Reizung Stillstand des Zwerchfells und zwar im Zustand der Erschlaffung bewirkt. Ich konnte diese Angaben, wenn- gleich mit einigen Einschränkungen, bestätigen.” Da nun die Fasern des N. laryngeus inferior im Halsstamm des Vagus enthalten sein müssen, da ferner auch Hering und Breuer durch ihre Versuche über die sogenannte Selbststeuerung der Athembewegungen zu der Annahme „exspiratorisch‘“ ! Burkart, Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. I. 8. 107. ® Rosenthal, Bemerkungen über die Thätigkeit der automatischen Nerven- centra. Erlangen 1875. Archiv f. A. u. Ph, 1881. Physiol, Abthlg. z 4 50 I. RosENnTHAL: wirkender Nervenfasern innerhalb des Vagus gelangt sind,! so liegt es nahe, diese letzteren für die Erklärung der Abweichungen, welche zuweilen (und insbesondere bei Anwendung starker elektrischer Reizungen) vorkommen, in Anspruch zu nehmen. Doch haben Burkart u. A. diesen „exspiratorischen‘“ Fasern einen grösseren Wirkungskreis zugeschrieben, als ich ihnen in dieser eben erfolgten kurzen Uebersicht zu Theil werden lasse. Es ist deshalb eine genauere Erörterung der Frage nicht zu umgehen. Zuvor jedoch will ich, der grösseren Klarheit wegen, eine Zusammenstellung der über diesen Punkt handelnden literarischen Erscheinungen, so weit sie zu meiner Kenntniss gelangt sind, einschalten. Durch mechanische Reizung des Vagus beim Menschen sah Ozermak? Stillstand der Athmung in Inspiration oder Tiefer- und Längerwerden der Einathmung. Pflüger dagegen erhielt, wie sein Schüler Burkart? angiebt, bei Reizung des Vagus bei Kaninchen wechselnde Erfolge, unter Umständen, welche eine Mitreizung des N. laryngeus superior ausschlossen. Auf seine Veranlassung untersuchte nun Burkart den Laryngeus inferior und fand bei Reizung desselben stets Verlangsamung der Athembewegungen, bei stärkerer Reizung Stillstand in Exspirationsstellung. Bei Reizung des Vagus selbst fand er in der Regel Beschleunigung der Athmung und bei stärkerer Rei- zung Stillstand in der Inspirationsstellung. Wenn aber der Nerv durch vielfache Reizung gelitten hat, dann trat sehr häufig auch die entgegen- gesetzte Wirkung ein. Deshalb schliesst Burkart, dass im Vagusstamm auch unterhalb des Laryngeus superior schon centripetalleitende Fasern enthalten seien, deren Reizung die Athmung verlangsamt oder ganz aufhebt, dass insbesondere der Recurrens solche Fasern enthält, und dass diese Fasern innerhalb des Vagusstammes eine grössere Resistenz gegen Schädlichkeiten haben als die beschleunigenden Fasern. Diese Anschauung wurde noch erweitert durch die Versuche von Hering und Breuer,* durch welche sie veranlasst wurden, schon in den Lungenästen des Vagus zweierlei Fasergattungen anzunehmen. Sie kamen zu dieser Annahme weniger durch Beobachtung über elektrische Reizung ! Hering und Breuer, Wiener akademische Sitzungsberichte. 1868. ? Czermak', Jenaische Zeitschrift für Mediein. Bd. II. S. 384. — Dass diese Versuche nicht ganz gefahrlos sind, wenigstens wenn beide Vagi gleichzeitig gedrückt werden, geht aus einer Mittheilung v. Thanhoffer’s (Centralblatt für die mediei- nischen Wissenschaften. 1875. 8. 403) hervor. 3 Burkart, Pflüger’s Archw u.s.w. Bd. IL S. 107. * Hering und Breuer, Anzeiger der Wiener Akademie. 1867. 8. 106; — Hering, Wiener akademische Sitzungsberichte. Mathem.-naturw. Classe. 2. Abth. Bd.LVlI. S. 672. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 51 des Vagus, als vielmehr durch Betrachtungen über die verschiedenen Typen der Dyspnoe, welche sich ganz anders äussert, je nachdem das Athem- hinderniss die Ausdehnung der Lunge selbst beeinträchtigt, oder bei nor- maler Ausdehnung die Menge des aufgenommenen Sauerstoffes.. Ich hatte schon früher die Meinung aufgestellt, dass die Vagusverzweigungen in der Lunge mechanisch durch die Zerrungen bei den Athembewegungen erregt werden und dass darauf die Regulirung der Athmung beruhe.! Während ich aber auf Grund meiner Versuche nur Fasern annahm, deren Erregung die Inspirationsbewegung erleichtert, nimmt Hering zwei Arten von Fasern an. Die einen werden durch Aufblasen der Lunge erregt; sie hemmen die Inspiration, kürzen eine vorhandene ab und fördern die Exspiration. Die an- deren dagegen werden durch das Zusammensinken der Lungen erregt; sie hemmen die Exspiration und fördern die Inspiration. So regulire sich die Athmung selbst, so lange die Vagi intact sind (was Hering als „Selbst- steuerung“ bezeichnet). Werden aber beide Vagi durchschnitten, so höre diese Regulirung auf. Nachgewiesen werden diese Einflüsse durch Versuche mit Aufblasung oder Zusammensinkenlassen der Lunge, theils von der Trachea aus, theils von der Pleurahöhle aus durch eine luftdicht in die Brustwand eingesetzte Canüle. Was zur Aufblasung benutzt wird, atmo- sphärische Luft oder ein indifferentes Gas, ist gleichgiltig. Also handelt es sich nicht um chemische, sondern um mechanische Einwirkungen auf die Vagi. Im apnoischen Zustand ist das Aufblasen oder Verkleinern der Lunge gerade so unwirksam, wie die elektrische Reizung der Vagi dann ohne Er- folg bleibt. Paul Bert? ist in Bezug auf die Reizung der centralen Enden des Vagus, des Laryngeus superior und des Ramus nasalis N. infraorbitalis zu der Ueberzeugung gekommen, dass schwache Reizung dieser Nerven die Athmung beschleunigt, stärkere sie verlangsamt, ganz starke sie aufhebt. Der Stillstand kann in Inspirations- oder Exspirationsstellung auftreten; ersteres ist leichter zu erhalten als letzteres. Der Stillstand erfolgt bei ge- nüsender Stärke des Reizes in der Phase, welche beim Beginn der Reizung besteht. (Warum dann Exspirationsstillstand schwerer zu erzielen sein soll, ist nicht recht einzusehen.) Sehr heftige Vagusreizung kann plötzlichen Tod zur Folge haben. Arloing und Tripier? finden, dass der rechte Vagus mehr auf das Herz, der linke mehr auf die Respiration wirke als umgekehrt. Reizung ! Vgl. meine Bemerkungen hierüber in diesem Archiv. 1864. 8. 456. * Bert, Comptes rendus. t. LXIX. No. 8. — Vergl. auch dessen Zecons sur la physiologie comparede de la respiration. Paris 1870. ® Arloing et Tripier, Contribution & la physiologie des nerfs vagues. Archives de Physiologie normale et pathologique. t. IV. p. 411. 588. 732; — t. V. p. 157. 4* 592 I. ROSENTHAL: des Vagus rufe jedoch niemals Beschleunigung der Athmung hervor, son- dern stets nur Stillstand in Exspirationsstellung. Zuweilen sehe man wäh- rend der Reizung Bewegungen, aber stets überwiege die Exspiration; er- folge zuweilen eine heftige Inspiration, so sei sie doch stets unmittelbar von einer eben so tiefen Exspiration gefolgt. Auch Reizung des peripherischen Vagusendes verändere den Typus der Respiration. Wie weit dies letztere durch die Aenderung der Circulation bedingt gewesen sein mag, will ich hier nicht weiter untersuchen. Es sei noch bemerkt, dass ein Theil der Versuche am undurchschnittenen Nerven gemacht wurde. Lockenberg! konnte (unter Fick’s Leitung) die Angaben von Hering und Breuer bestätigen. Er fügt hinzu, dass bestehende Apnoe durch Auf- . blasen der Lunge verlängert, durch Aussaugen in den meisten Fällen sofort abgeschnitten, in anderen wenigstens stark verkürzt wird. Wird die Lunge im aufgeblasenen Zustande abgeschlossen, ohne dass Apnoe besteht, so ist die Athemfrequenz bedeutend geringer, als wenn der Abschluss bei ausge- saugter Lunge stattfindet. Ueberlässt man ein apnoisch gemachtes Thier sich selbst, so ist die erste wieder auftretende Athembewegung stets eine Inspiration. Aus diesem Verhalten schliesst er, dass die Ausdehnung der Lungen den (im Anschluss an meine Hypothese angenommenen) Widerstand für das Zustandekommen der Inspiration vermehre; umgekehrt wirke die Verkleinerung der Lunge. Knoll? liess flüchtige Substanzen (Chloroform, Aether, Benzol, Senföl, verdünntes und concentrirtes Ammoniak) durch eine Trachealcanüle athmen, während die Athembewegungen mittels eines von Hering angegebenen Apparates registrirt wurden. Waren die Vagi nicht durchschnitten, so be- wirkten die erstgenannten Stoffe Verflachung und Beschleunigung der Ath- mung, concentrirtes Ammoniak dagegen rief abwechselnd Verlangsamung mit Vertiefung und exspiratorischen Stillstand, oder Beschleunigung mit Verflachung und inspiratorischen Stillstand hervor. Da alle diese Wir- kungen fehlen, wenn die Vagi durchschnitten sind (von den erst sehr viel später auftretenden toxischen Wirkungen kann hier abgesehen werden), so schliesst Verfasser, dass diese Substanzen erregend auf die Lungenfasern des Vagus wirken und zwar die erstgenannten nur auf die inspiratorischen, das concentrirte Ammoniak aber auf die inspiratorischen und exspiratorischen Fasern, aus deren Gegeneinanderwirken der Wechsel der Erscheinungen folee. Aus den Erscheinungen, welche beim concentrirten Ammoniak auf- ” Lockenberg, Ein Beitrag zur Lehre von den Athembewegungen. Verhandl. der Würzburger physik.-med. Gesellsch. Bd. IV. 8. 239. " Knoll, Ueber Reflexe auf die Athmung bei Zufuhr einiger flüchtiger Substanzen zu den unterhalb des Kehlkopfs gelegenen Luftwegen. Wiener akad. Sitzungsber. Math.-naturw. Classe. 3. Abthl. Bd. LXVIII. 8. 245. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 53 treten, würde also auf die Existenz zweier Arten von Lungenfasern zu schliessen sein, von denen die exspiratorischen nur durch starke Reizung erregt werden, wie sie ja auch bei elektrischer Reizung des Vagusstammes sich als die schwerer erregbaren erweisen. Guttmann! wiederholte die Versuche von Hering und Breuer an chloralisirten Kaninchen. Wurde das Thier apnoisch gemacht und die Lunge dadurch aufgeblasen erhalten, dass man den luftzuführenden Schlauch auf der Höhe der Einblasung zuklemmte, so war die erste Bewegung am Ende der Apnoe jedesmal eine Inspiration, nicht, wie Hering und Breuer wollen, eine Exspiration. Wurde die Lunge am nicht apnoisch gemachten Thier aufgeblasen, so trat eine Athempause von 15—30 Secunden Dauer ein, dann folgte eine Inspiration. Schon das Zudrücken eines an der Trachealcanüle befindlichen Schlauches auf der Höhe der Inspiration bei einem normal athmenden Thier genügt, eine solche Athempause zu bewirken. Nach Durchschneidung beider Vaei fällt diese Respirationspause fort. Im Jahre 1877 veröffentlichte Rosenbach ? seine Beobachtungen über elektrische und mechanische Vagusreizung, wonach dieselbe stets exspirato- risch wirken sollte. Da er seine Angaben, wie schon erwähnt, später selbst zurückgenommen hat, brauchen wir nicht näher auf dieselben einzugehen. Seine theoretischen Speculationen über die Art, wie die Vaguswirkung zu Stande kommen soll, haben für die vorliegende Frage gleichfalls kein Interesse. Jolyet? fand bei Hunden neben dem linken Vagus ein kleines Ner- venstämmchen, dessen centrale Reizung heftige Hustenstösse und Athmungs- stillstand hervorruft. Ob dieses Stämmchen, wenn seine Existenz sich be- stätigt, zuweilen mit dem Vagus mitgereizt worden ist und so den Erfolg beeinflusst hat, muss ich dahingestellt sein lassen, ebenso ob es vielleicht bei den oben erwähnten Versuchen von Arloing und Tripier mit im Spiel gewesen ist. Kohts und Tiegel*! sahen nach mechanischer Reizuug, wie Durch- schneidung, Umschnürung mit einem Faden, abgesehen von den Verände- rungen, welche die Trennung als solche hervorruft, auch vorübergehende, auf Reizung zu beziehende Folgen auftreten und zwar Verlangsamung der Athmung mit Vertiefung der Athemzüge. Aehnliche Wirkungen auf die Herz- fasern des Vagus wurden gleichfalls beobachtet, gehören aber nicht hierher. ! Guttmann, Zur Lehre von den Athembewegungen. Dies Archiv. 1875. 8.500. ®? Rosenbach, Centralblatt für d. med. Wissensch. 1877. S. 97. Vergl. auch das frühere Citat auf S. 40. > Jolyet, Gazette medicale de Paris. 1877. No. 3. * Kohts und Tiegel, Einfluss der Vagusdurchschneidung auf Herzschlag und Athmung. Pflüger’s Archiw. Bd. XIII. S. 84. 54 l. ROSENTHAL: Danach müsste man also jene Verlangsamung und Vertiefung der Athmung als Folge der mechanischer Reizung ansehen. Unter den Folgen der mechanischen Vagusreizung beim Menschen giebt Wasylewski! Beschleunigung der Respiration an. In meiner Schrift: Bemerkungen über die Thhätigkeit der automatischen Nervencentra, Erlangen 1875, hatte ich, wie schon angegeben, das von Burkart behauptete Vorkommen von Fasern im N. laryngeus inf., deren Reizung ähnlich, wenngleich schwächer auf die Athmung wirkt wie die des N. laryngeus sup., mit einiger Einschränkung zugegeben. In einer neuen Arbeit, deren ersten Theil ich hier übergehe, kommt nun Burkart? auf die Wirkungen der Vagusreizung zurück. Er will nicht zugeben, dass die Erschlaffung des Zwerchfells nur ein Ausnahmsfall sei, sondern behauptet, dass man sie bei Innehaltung der passenden Bedingungen ausnahmslos (das Wort ist im Original S. 467 gesperrt gedruckt) erzielen könne; doch erklärt er sich ausser Stande, diese Bedingungen „streng wissenschaftlich zu sichten“. Wenn man einem Kaninchen soviel Morphium (oder Chloral- hydrat) beigebracht hat, dass eine tiefe Narkose besteht, dann gelingt es nach Burkart niemals durch Vagusreizung exspiratorischen Zwerchfells- stillstand zu erzielen, sondern immer nur inspiratorischen. Hat man aber ungenügend narkotisirt, und ist der gereizte Nerv ganz frisch und unver- sehrt, dann bekommt man zwar bei schwächerer Reizung Vermehrung der Athemfrequenz mit Verflachung und bei stärkerer Reizung auch Stillstand in Inspirationsstellung, — aber: „hat der Nerv durch fortgesetzte Einwir- kung der elektrischen Ströme gelitten, ist er nicht mehr vollkommen intact, oder walten andere mir unbekannte Verhältnisse ob, die vielleicht eine Be- sründung in der zufälligen Lagerung der verschiedenen Nervenfasern im Vagusstamme und in der verschiedenen Erregbarkeit derselben finden mögen, so tritt die Wirkung der exspiratorischen Fasern entschieden hervor, wenn auch nur bei schwächerer Reizung; stärkere Reize bedingen hier noch in- spiratorische Erscheinungen, bis dass die inspiratorischen Fasern ihre Er- regbarkeit vollkommen verloren haben.“ Ich habe diesen Satz aus dem Originale wörtlich hierher gesetzt, weil ein Auszug den Sinn vielleicht nicht ganz klar wiedergegeben hätte. Viel- leicht wird Burkart nicht ganz einverstanden sein, wenn ich seine An- gaben dahin zusammenfasse: er sah bei Vagusreizung meistens Inspirations- stellung, zuweilen Exspirationsstellung des Zwerchfells. Letztere trat leichter auf bei nicht frischen (schon durch Reizungen ermüdeten Nerven), niemals bei sehr tief narkotisirten Thieren. Die im Vagus (unterhalb des Laryng. 1 Prager Vierteljahrsschrift. CXXXVIU. 8. 69. 2 Burkart, Pflüger’s Archiv. Bd. XVI. 8. 427. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 55 sup.) enthaltenen „exspiratorischen‘“ Fasern, sind gegen ermüdende Einflüsse widerstandsfähiger als die „inspiratorischen“. Burkart bestätigt sodann meine Angabe, dass die „exspiratorisch“ wirkenden Fasern des Laryngeus inferior (nach Abtragung des Grosshirns) und in tiefer Narkose nicht mehr wirken, während die Wirkung des Laryngeus superior durch jene Eingriffe nicht verändert wird. Schliesslich spricht er sich gegen die theoretischen Speculationen Rosenbach’s aus, nach welchen der Vagus als vasomotorischer Nerv der Medulla oblongata indirect die Art und Weise der Athembewegungen beeinflusse, nimmt vielmehr eine unmittelbare Einwirkung sowohl der ‚„inspiratorischen“ als der „exspirato- rischen“ Fasern auf die Ganglienapparate des Athemcentrums an. Langendorff! sah bei Vagusreizuug gleichfalls wechselnden Erfolge. Im Wesentlichen stimmt er mit Burkart darin überein, dass man am frischen Nerven leichter Inspirationsstillstand erzielen kann, dass aber die „inspiratorischen“ Fasern durch starke Reize oder sonstige Insulte leichter ermüden und dass dann der exspiratorische Stillstand leicht hervortritt. Mechanische, thermische oder chemische Reizung (mit Glycerin) gab ihm immer exspiratorische Wirkung. Langendorff erklärt übrigens beide Wirkungen nicht für specifische des Vagus und seiner Verzweigungen, sondern schreibt dieselben allen sensiblen Nerven zu. Den von Arloing und Tripier behaupteten Unterschied des rechten und linken Vagus leugnet er; die Art der Lagerung des Nerven auf den Elektroden bei der elektrischen Reizung war für den Erfolge ganz gleichgiltig. Wagner,? welcher unter Stricker’s Leitung arbeitete, sah bei Hun- den und Kaninchen, welche mit Chloralhydrat tief, bis zum Aufhören aller Reflexe narkotisirt waren, durch Vagusreizung Erschlaffung des Zwerchfells eintreten, bei schwacher Narkotisirung dagegen trat Stillstand in Inspira- tionsstellung ein. Bei Wiederholung der Versuche von Hering und Breuer und Guttmann sah er bei Kaninchen (wie letzterer) nach Lungenaufblasung Athempause und darauf folgende Inspiration, bei Hunden häufig (wie erstere angeben) nach der Pause eine allmählich zunehmende Contraction der Bauch- muskeln. Er will dies auf den Umstand zurückführen, dass bei Hunden überhaupt die Bauchmuskeln einen stärkeren Antheil an den normalen Athembewegungen nehmen. Tief narkotisirte Thiere fangen, wenn man ihre Lungen aufbläst, nicht wieder zu athmen an. Die Athempause geht un- mittelbar in den Tod. über. Wagner stellt sich die Wirkung der „inspiratorischen‘“ Fasern als einen ! Langendorff in: v. Wittich, Mittheilungen aus dem Königsberger physio- logischen Laboratorium. 1878. S. 33. - 2 Wagner, Wiener akad. Sitzungsberichte. Math.-naturw. Classe. 3. Abthlg. BASERRRX IS. 177. 56 I. ROSENTHAL: einfachen Reflexvorgang vor. In tiefer Narkose sind die Ganglien des Athem- centrums geschwächt, die Reflexe daher nicht mehr möglich, dagegen können nun die „exspiratorischen“ Fasern leichter wirken. Der letzte Autor endlich, den wir wir hier zu erwähnen haben, Fre- derieq,! stimmt im Wesentlichen mit Wagner überein. Bei gar nicht oder nur schwach narkotisirten Thieren erhielt er wechselnde Erfolge, meist inspiratorischen Stillstand. Bei starker Chloralvergiftung aber (2 bis 38” Chloral in das Peritonaeum eines Kaninchen injieirt!) sah er kurz vor dem Tode auf jede Vagusreizung Stillstand in Exspiration. Zuletzt trat der Tod ein, indem ein solcher auf Vagusreizung eintretender Athmungs- stillstand dauernd anhielt.? Ueberbliecken wir diese lange Reihe von Arbeiten aus den letzten Jahren (deren Vollständigkeit ich nicht verbürge), so ergiebt sich, dass an dem Vorkommen, ja an dem überaus zahlreicheren Vorkommen einer Zwerchfells- contraction eigentlich sehr wenige zweifeln. Selbst diejenigen, welche am meisten gegen mich polemisiren, geben mir doch in dem Hauptpunkte, was die von mir berichteten Thatsachen anlangt, Recht. Nur darüber wird noch gestritten, ob und unter welchen Umständen auch Zwerchfellserschlaffung eintritt. Eine genaue Feststellung dieser Umstände findet man nirgends. Nur die beiden letzten Forscher, Wagner und Fredericgq, glauben in der tiefen Chloralnarkose ein sicheres Mittel zur Herbeiführung der exspirato- rischen Wirkung gefunden zu haben; aber gerade bei dieser sah Burkart sie niemals. Ausserdem ist nur die von mehreren angegebene grössere Erschöpf- barkeit der „inspiratorischen“ Fasern das einzige, woran man sich halten kann. Es giebt also im Vagus Fasern, deren Reizung die Athem- frequenz vermehrt (unter gleichzeitiger Verflachung) oder bei geeigneter Reizstärke eine dauernde Contraction des Zwerch- fells herbeiführt. Dieser Satz steht heute wieder eben so fest, als er vor zwanzig Jahren feststand, als ich ihn zuerst vertheidigte. Es ist frei- lich kein erfreulicher Anblick, zu sehen, dass solche einfache Dinge immer wieder bestritten werden und immer wieder von Neuem vertheidigt werden müssen. Noch weniger erfreulich aber ist es, dass über die zweite Frage noch keine Klarheit geschaffen ist. Wenn es neben jenen, unzweifelhaft im Vagus vorhandenen Fasern noch andere giebt, welche den entgegen- gesetzten Erfolg haben, wie kann man ihre Wirkung darthun und woran liegt es, dass mir meine wiederholten Versuche, auch einmal eine Zwerch- fellserschlaffung auf Vagusreizung folgen zu sehen, so wenig Erfolg gegeben ! Leon Frederieg, Sur la theorie de l’innervation respiratoire. Bulletins de V’ Academie royale de Belgique. (2) XLVII. No. 4. 1870. ” Der übrige Inhalt der Abhandlung des Hrn. Frederieq so wie einige andere Arbeiten über unseren Gegenstand werden an einer anderen Stelle ihre Würdigung finden. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN, haben? Sind meine Kaninchen denn anders be- schaffen gewesen, als die aller derer, die glücklicher waren als ich? Ich beginne die weiteren Auseinandersetzungen mit der Mittheilung von Versuchen, welche ich über den Einfluss des Chloralhydrats gemacht habe. Dass man die Wirkungen des Vagus, wie ich sie beschrie- ben habe, ebensowohl an nicht narkotisirten Thieren sehen kann, als an solchen, die mit Morphium oder Chloralhydrat narkotisirt sind, oder denen das Gross- hirn exstirpirt ist, habe ich zwar schon früher mit- getheilt. Ich habe jedoch gerade das Chloralhydrat etwas genauer auf sein Verhalten geprüft. Um die Wirkung sicher abstufen zu können, habe ich das Mittel nicht subeutan, sondern stets in die Vena jugularis externa centralwärts injieirt. In der Regel benutzte ich eine Lösung von 1:10 von einem sehr reinen und guten Chloral, welches ich aus der chemischen Fabrik von Kahlbaum bezogen habe. Gelegentliche Anwendung eines anderen Präparates aus unbekannter Bezugsquelle hat mir gezeigt, dass dasselbe unzuverlässig ist und unangenehme Neben- wirkungen hat. Von jenem guten Präparat genüst 0.18%” nicht immer, um bei einem mittleren Ka- ninchen eine gute, sichere Narkose hervozurufen. Die dazu nöthige Dose liegt zuweilen etwas höher, etwa bei 1-25°°%. Nach einer solchen Injection liest das Thier stundenlang vollkommen ruhig, reagirt nicht auf die gewöhnlichen schmerzhaften - Eindrücke bei der Präparation, Nervendurchschnei- dung u. s. w., die Athmung geht vollständig normal vor sich. Das ist natürlich die Hauptsache, denn wenn ich über die Athmung experimentiren will, muss ich mich doch zuerst überzeugen, ob die Nebenumstände einen Einfluss auf die Athmung haben. Lasse ich nun die Zwerchfellsbewegungen mittels des Phrenographen aufschreiben und injieire die angegebene Dose Chloral, dann erfolgt meistens eine geringe Beschleunigung der Athmung, auch wohl ein kurzdauernder Stillstand in Contractions- stellung, aber in sehr kurzer Zeit ist alles vorüber 2 S > a 5, I S Fig. 9. Wirkungen einer Injection von 0-1 Chloralhydrat in die V. jugularis. T = | 58 I. ROSENTHAL: und die Athemcurven sehen wieder genau so aus wie vor der Injection, wie dies z. B. Fig. 9 zeigt. Und sie bleiben nun so und werden nicht durch Unruhe des Thieres gestört, wie dies zuweilen am nicht narkotisirten Thiere vorkommt. Das ist natürlich sehr vortheilhaft, und ich habe deshalb einen grossen Theil meiner Versuche an so narkotisirten Thieren angestellt. Aber ich brauche mich bei Besprechung derselben nicht aufzuhalten, denn sie unterscheiden sich in nichts von den Versuchen an nicht nar- kotisirten Thieren. Alles, was ich oben über die Erscheinungen bei der Vagusreizung gesagt habe, passt auch, Wort für Wort, auf die chlora- lisirten 'Thiere. Die Wirkung der Vagusreizung beginnt bei meinen Appa- raten in der Regel bei einem Rollenabstand von etwa 300”"; bei diesem oder einem etwas geringeren erhält man Vermehrung der Athemfrequenz, wie sie in Fig. 4 dargestellt ist, bei Verstärkung des Reizes tritt Stillstand des Zwerchfells im Contractionszustande ein. Bei starken Reizen aber (Rollenabstand 100”” etwa) sieht man häufig auch noch Stillstand in Con- traction, häufig aber auch jene undeutlichen unruhigen Bewegungen, wie sie Fig. 8 darstellt. Giebt man grössere Dosen Chloralhydrat, so bleibt das Verhalten der Athembewegungen nicht mehr unverändert. Schon Dosen von 0.28% be- wirken eine erhebliche Verlangsamung der Athmung und zwar durch Ver- längerung der Athempause Wenn man aber 0.38” oder darüber einge- spritzt hat,! so sieht man eine mächtige Veränderung. Die einzelnen Zwerch- fellscontractionen sind sehr tief und erfolgen selten, durch lange Athempausen von einander getrennt, wie man es bei Fig. 10 sieht. In diesem Falle war nur ein Vagus durchschnitten (der rechte), die Form der Zwerchfellscon- traction erinnert aber an die, welche sonst nach Durchschneidung beider Vagi vorkommen, nur dass der aufsteigende Ast noch gleichmässiger ge- krümmt ist, der absteigende Ast, aber steiler abfällt und plötzlicher in die Athempause übergeht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit einer toxischen Wirkung zu thun haben, welche die normale Wir- kung der „inspiratorischen“ Fasern des Vagus auf das Athemcentrum auf- gehoben hat. In der That hat nun, wenn diese Wirkung des Chloral- hydrats eingetreten ist, die Durchschneidung der beiden Vagi gar keine Veränderung der Athmung mehr zur Folge. Die im normalen Leben un- ablässig von den Lungen durch die Bahn der Vagi zum Athemcentrum ziehenden Erregungsimpulse, welche die normale Frequenz und Tiefe der Athembewegungen bedingen, bestehen nicht mehr; es ist daher gleichgiltig, ob die Nerven selbst noch unversehrt sind oder durchschnitten. Wir werden wohl nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, dass diese 1 0.5grm tödten ein Kaninchen mittlerer Grösse meist sehr schnell. NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 59 toxische Wirkung des Chloralhydrats in grösseren Dosen nicht auf einer Veränderung der Nervenfasern beruhe, sondern auf einer Veränderung des centralen Apparates, auf welchen jene Fasern in der Medulla oblongata einzuwirken haben. Warum sollten gerade diese Fasern gelähmt werden, während andere ihre Leitungsfähigkeit und Reizbarkeit vollkommen normal behalten? Aber jener centrale Apparat kann nicht das eigentliche Athem- centrum sein, denn die Athembewegungen gehen, abgesehen von dem Aus- fall der regulirenden Wirkung der Vagi, gut und fast unverändert von statten. Höchstens kann man jene geringfügige Veränderung, welche in der Form der Zwerchfellscurve (im Vergleich mit der nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung ohne Chloralversiftung) zu sehen ist, als einen Be- weis dafür betrachten, dass ausser der hier in Rede stehenden Wirkung des Chlorals auch noch eine andere, auf das Athemcentrum ausgeübte vor- handen sei.! Wir haben also jetzt ein einfaches und zuverlässiges Mittel, die Wir- kung der „inspiratorischen“ Vagusfasern vollkommen auszuschalten. Was beobachtet man nun bei elektrischer Reizung des Vagus in diesem Falle? Meine Antwort lautet ganz einfach: man sieht gar nichts. Man kann den Nerven mit starken oder schwachen Strömen reizen, von einem Rollenabstand von 300"® bis zu dem von 100”® und noch weniger, die Reizung bleibt vollständig wirkungslos. Die Aussicht, auf diesem Wege die Wirkung der „exspiratorischen“ Fasern des Vagusstammes zur Anschauung zu bringen, hat sich als trügerisch erwiesen. Sind sie auch durch das Chloral gelähmt? Wir wenden uns an den Laryngeus superior und finden, dass seine bekannte Wirkung auf die Athembewegungen ganz unverändert zur Er- scheinung kommt. Die unsichere und viel weniger scharf ausgesprochene Wirkung der im N. laryngeus inferior verlaufenden Fasern, deren Reizung ebenfalls Zwerchfellsstillstand herbeiführen kann, ist dagegen, wie ich schon früher bei der Morphiumnarkose fand, vollkommen verschwunden; ihre Rei- zung innerhalb des Vagusstamms kann daher auch nichts mehr leisten. Was können wir nun aus diesen Thatsachen, im Verein mit den früher gefundenen, schliessen ? 1) Es giebt in dem N. vagus (wahrscheinlich aus der Lunge stammende) Fasern, deren Reizung auf das Athmungscentrum in der Art einwirkt, dass die Athembewegungen häufiger und schwächer werden, oder dass (bei stärkerer Reizung) die nor- malen Athembewegungen in einen mässigen inspiratorischen Stillstand übergehen. Ich nenne sie „regulatorische Fasern“. ! Ich gehe hier auf eine genauere Untersuchung der Chloralwirkung nicht weiter ein, weil dieselbe demnächst in einer besonderen Abhandlung dargestellt werden soll, "ww0OL purgsgeuspfoy ‘SungıofusgqgeN ur Zunzm.ismae‘ "uodorgesqe / T0q “PISISAOU SunyojusgeN dIp pum + 107 ‘OL III I. ROSENTHAL: 2) Es giebt im N. laryngeus superior Fasern, deren Reizung die Athembewe- sungen seltener und tiefer macht oder (bei stärkerer Reizung) ganz aufhebt. Ich betrachte sie als Hemmungsnerven des Athemecentrums und als Analoga der Hem- munesnerven des Herzens. 3) Es giebt im N. laryngeus infe- rior Fasern, deren Reizung gleichfalls exspiratorischen Stillstand zur Folge haben kann. Da sie aber nur bei stär- kerer Reizung und bei narkotisirten Thieren und nach Exstirpation des Gross- hirns gar nicht wirken, so können sie nicht gleichwerthig sein den eben unter Nr. 2 aufgeführten Hemmungsnerven, sondern sind vielleicht nur einfach sen- sible Nerven, deren Erregung, wie die anderer sensibler Nerven, nur mittelbar auf die Athembewegungen einwirkt. 4) Grössere Dosen Chloralhydrat (0.38% etwa in die V. jugularis injieirt) heben dieWirkung der regulirenden Fasern voll- ständig auf, lassen aber die Wirkung der Hemmungsfasern fortbestehen. Damit könnte ich nun diesen ersten Ab- schnitt meiner „neuen Studien“ schliessen. Ich will jedoch noch einen Versuch anführen, der freilich nichts neues lehrt, aber doch in mancher Beziehung interessant ist. Hat man durch In- jection von Chloral die Wirkung der Vagusreizung vollständig aufgehoben, so erhält man selbst bei starker Reizung (bei einem Rollenabstand von 100” etwa), wie ich schon sagte, gar nichts. Wenn man nun während der Reizung das untere, peripherische Ende des Nerven auf die Weich- theile des Halses legt, so steht plötzlich das Zwerch- fell in vollkommener Erschlaffung still, um sofort NEUE STUDIEN ÜBER ATHEMBEWEGUNGEN. 61 seine regelmässigen Bewegungen wieder aufzunehmen, sobald man das Nervenende aufhebt, ohne den Nerven auf den Elektroden zu verrücken. Fig. 10 zeigt einen solchen Fall von, wie ich es nenne, falscher Ner- venreizung durch Nebenschliessung (s. die folgende Mittheilung). Bei dem Zeichen + wurde die Nebenleitung durch den Hals des Thieres geschlossen, bei dem Zeichen / wieder aufgehoben. Man kann den Ver- such beliebig oft wiederholen. Die Ermüdung der fortwährend gereizten Vagusfasern schadet nichts, da sie ja physiologisch vollkommen unwirk- sam sind und nur die Rolle eines Leiters spielen. Denn die Erklärung für diese Erscheinung ist offenbar folgende: Legt man das peripherische Ende des Nerven auf den Hals, so bietet sich den Strömen eine ver- zweigte Leitung dar, und sie theilen sich. Ein Theil geht durch das Nervenstück zwischen den Elektroden — dieser ist wirkungslos, weil das Thier stark chloralisirt ist. Der andere Theil geht durch das centrale und periphere Nervenstück und durch den Körper des Thiers. Im letzteren breiten sie sich nach den Gesetzen der Stromvertheilung in unregelmässig gestalteten Leitern aus. Nur da, wo sie ein- und austreten, können sie eine genügende Dichte erlangen, um zu wirken. Aber gerade da trefien sie auf die Fasern des Laryngeus superior, und da dieser durch das Chloral seine Wirkung nicht verloren hat, so reagirt er und das Zwerchfell erschlafft. Ebensowenig kann es aber zweifelhaft sein, dass auch durch unipolare Ableitung eine solche Miterregung des Laryngeus superior stattfinden kann, wenn das periphere Ende des Vagus auch nicht auf den Weichtheilen des Thiers aufliegt. Man braucht nur dazu hinreichend starke Inductionsströme. Es scheint freilich heutzutage förmlich lächerlich gefunden zu werden, wenn man die Vermuthung ausspricht, der oder jener Erfolg könnte durch uni- polare Wirkung bedingt gewesen sein. Manche Autoren erklären auch feier- lich, sie hätten diese Fehlerquelle sorgsam vermieden. Und doch bin ich davon durch das Studium ihrer Arbeiten nicht immer überzeugt worden, wenigstens habe ich den Beweis dafür nicht immer gefunden. Wenn man Induetionsströme anwendet, welche die von mir benutzte obere Grenze (LOO"" Rollenabstand bei dem beschriebenen Apparat und der nicht sehr starken Thermosäule) stark übersteigen, dann ist man eben dieser leidigen Neben- wirkung nicht mehr Herr. In den folgenden Artikeln gedenke ich meine Erfahrungen über mecha- nische und chemische Vagusreizung und über die Folgen der Vagusdurch- schneidung mitzutheilen. Ueber unipolare Nervenreizung und falsche Nerven- reizung durch Nebenleitung. Von I, Rosenthal. Die Versuche, über welche ich im Folgenden berichten werde, wurden schon vor vielen Jahren in Berlin angestellt, zum Theil unter Beihülfe meines werthen Freundes Paalzow in dem damals unter seiner Lei- tung stehenden physikalischen Cabinet der k. Artillerie- und Ingenieur- schule. Ihre Veröffentlichung unterblieb damals aus zufälligen äusserlichen Gründen. Zu einer kurzen Erwähnung derselben auf der Münchener Naturforscherversammlung wurde ich durch eine Mittheilung des verstor- benen C. Sachs veranlasst. Sie kamen mir wieder in’s Gedächtniss, als ich Beobachtungen über die unipolaren Wirkungen am Vagus anstellte. Da sie immerhin von einigem Interesse sein dürften, so will ich jetzt kurz über sie berichten. Ich beginne mit Thatsachen, welche im Wesentlichen schon von Hrn. E. du Bois-Reymond bei seiner ersten Beschreibung der unipolaren Zuckungen in den „Untersuchungen über thierische Elektrieität“ ! erwähnt wurden. Verbindet man den einen Pol der secundären Rolle eines Inductoriums mit dem Nerven eines Nervmuskelpräparates, welches isolirt auf einem Glasträger liegt, so erhält man in der Regel keine unipolare Wirkung, so lange der andere Pol der secundären Rolle isolirt ist. Leitet man jedoch diesen zur Erde ab, so zuckt der Muskel bei nur einigermaassen starker Induetionswirkung (Induetorium von der gewöhnlichen Art mit übereinander- geschobenen Rollen, ein Grove als Erreger). Verbindet man dagegen den Muskel mit der Inductionsrolle, so erhält man bei der angegebenen An- ordnung niemals Zuckungen. Diese treten aber sofort auf, sobald man den Nerven ableitend berührt oder auch nur mit einem isolirten Conductor ı A. a. O. Bd. I. S. 423-438. I. ROSENTHAL: ÜBER UNIPOLARE NERVENREIZUNG U. S. w. 63 in Verbindung bringt. Als solcher diente eine der gewöhnlichen, in den physikalischen Cabinetten gebräuchlichen Metallkugeln auf Glasfuss. Den gleichen Dienst leistet aber auch ein mit Guttapercha überzogener Kupferdraht von einigen Metern Länge, dessen eines Ende am Nerven an- liest, während das andere isolirt ist. Aehnliches sah Hr. du Bois-Reymond in seinen Versuchen über Seitenentladung am Zitterwels.! Der Vorgang, um den es sich hier handelt, ist offenbar folgender. An den Polen der secundären Rolle des Inductoriums, / und 7, tritt in dem Augenblicke, wo der Strom in der primären Rolle unterbrochen wird, freie Spannungselektricität auf, z. B. in 7 positive, in 7’ negative. Enden die Pole einfach in der Luft, von einander isolirt, so werden diese Elektrieitäten sich wieder rückwärts durch die Rolle selbst ausgleichen. Steht der eine Pol, sagen wir ?, in leitender Verbindung mit der Erde, so entweicht die freie positive Elektrieität sofort zur Erde, ihr folgt dann unmittelbar eine Strömung der negativen Elektrieität von P’ durch die Rolle hindurch nach P und von da auch zur Erde. Denken wir uns nun an P’ einen Draht oder sonstigen Leiter MM angelegt, der aber sonst isolirt ist. Wir haben dadurch einfach den Draht der Rolle etwas verlängert und sein Ende in einige Entfernung von der Rolle verlegt. Durch den angelegten Draht strömt jetzt bei der Oeffnung des primären Stroms negative Elektrieität in der Richtung von dem Pol nach dem freien Ende (von N nach M) und unmittelbar darauf in umgekehrter Rieckhtung (von M nach N). Um diese, immerhin sehr schwachen Strömungen nachzuweisen, nehmen wir statt eines Drahtes als anzulegenden Leiter den empfindlichen Nerven. Wir brauchen aber auch den Muskel dazu, der ja seinerseits wieder den durch den Strom im Nerven erzeugten Erregungszustand anzeigt. Liegt nun der Nerv am Pol 7’ an, so sehen wir in der That Zuckung erfolgen. Liegt aber der Muskel am Pol an, so bewegt sich die Elektrieität nur bis M; hier erlangt sie wegen der verhältnissmässig grossen Oberfläche von M, auf welcher sie sich ausbreiten kann, eine so geringe Spannung, dass keine merkliche Elektrieitätsmenge mehr auf den Nerven übergehen kann, um ihn zu erregen. Dies wird aber sofort anders, sobald wir den Nerven in leitende Verbindung mit einem isolirten Conductor von einiger- maassen grosser Oberfläche bringen. Jetzt strömt die freie Elektrieität bis zu diesem Leiter, also durch den Nerven; sie kann ihn deshalb erregen. Aus unserer Auseinandersetzung folgt, dass man den gleichen Effect auch mit alleiniger Verwendung statischer Elektricität muss erreichen können. Dies geschah in der That auf folgende Weise. Das Nervmuskelpräparat " Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Bd. II. S. 660. Anm. 64 I. RosENTHAL: liegt isolirt auf einer Glasplatte, Nerv und Muskel in derselben Richtung, d. h. so, dass der Nerv die Fortsetzung der Muskelaxe bildet. Nähert man nun plötzlich einen mit freier Elektrieität geladenen Conductor, den man an seinem isolirenden Glasfuss hält, dem Nervenende, so kann man, wenn der Nerv recht empfindlich ist, eine kleine Zuckung erhalten. Nähert man den Conductor dem Muskelende, so erhält man niemals eine Zuckung. Diese erscheint aber sofort, sobald man das freie Nervenende ableitend berührt oder auch nur mit einem isolirten Conduetor von einigermaassen grosser Oberfläche in leitende Verbindung gesetzt hat. Kehren wir zum Inductorium zurück und betrachten jetzt den Fall sogenannter unvollkommener Schliessung des Inductionskreises.. Die Enden der secundären Spirale werden mit zwei Platindrähten verbunden, welche parallel neben einander in einem Abstand von etwa 1°” horizontal und isolirt befestigt sind. Der Muskel des Nervmuskelpräparates liegt isolirt neben den Drähten. Sein Nerv wird mit einem Faden etwas unterhalb seiner Mitte unterbunden, das centrale Ende über die Drähte gelegt, so dass es über dem oberen derselben frei herunterhängt. Nun lässt man den Unterbrecher des Induetoriums spielen. Wenn die Induetionsströme nicht sehr stark sind, erhält man bei dieser Anordnung keine Zuckungen des Muskels. Sie treten aber sofort auf, sobald man den Muskel ableitend berührt oder mit einem isolirten Leiter von erosser Oberfläche in Verbin- dung setzt. Hat man letztere Anordnung hergestellt und leitet dann den Platindraht, welcher dem Muskel näher ist, zur Erde ab, so hören die Zuckungen auf. »>ie kehren wieder, sobald man die Leitung zur Erde unterbricht. Berührt man das freie, centrale Ende des Nerven, so werden die Zuckungen stärker. Die Erklärung dieser Erscheinungen ist leicht. Ich brauche mich bei denselben nicht weiter aufzuhalten, sondern kann hinsichtlich derselben auf die Auseinandersetzungen in meiner „Zlektricitätslehre für Mediciner, 2. Aufl. S. 106 ff verweisen, welche Auseinandersetzungen auf Grund der obigen, jetzt erst mitgetheilten, aber mir damals schon längst bekannten Thatsachen ab- gefasst sind. Von diesen unipolaren Nervenreizungen sind nun aber die, wenn ich so sagen darf, falschen Nervenreizungen durch Nebenleitung wohl zu unterscheiden. Man denke sich eine Anordnung des Nervmuskelpräparates, wie sie oben beschrieben wurde. Der Muskel ist isolirt, der Nerv unter- bunden und oberhalb des Unterbandes über die Elektroden gelegt, die Stärke der Induetionsströme ist so gewählt, dass keine Spur von unipolarer Reizung vorhanden ist. Jetzt verbinde man den Muskel durch irgend einen guten Leiter von geringem Widerstand mit einem Punkt des Nerven oberhalb der Elektroden. Wir haben nun den Fall einer Stromverzweigung. Ein Theil ÜBER UNIPOLARE NERVENREIZUNG TU. 8. W. 65 der Inductionsströme geht von der unteren Elektrode durch den Nerven zum Muskel, von diesem durch den angelegten Leiter zum oberen Ende des Nerven und durch diesen zur anderen Elektrode zurück. Es ist klar, dass wir nun eine Wirkung auf den Muskel erzielen, sobald der hier geschil- derte Zweigstrom hinreichend stark ist. So einfach diese Verhältnisse sind, so bin ich doch überzeugt, dass manche irriee Angabe über die Erfolge gewisser Nervenreizungen durch ihre Nichtbeachtung entstanden sind. Einen solchen Fall habe ich in meinem Artikel über Vagusreizung behandelt (s. o. S. 61). Ein bei sorgfältiger Iso- lirung vollkommen unwirksamer Nerv zeigte Wirkungen, sobald sein freies Ende auf den Weichtheilen des Versuchsthieres auflag, wo diese also die Rolle des guten Leiters spielten, welcher die Nebenleitung herstellte. Dieser Fall muss offenbar immer eintreten, wo Reizungen am undurchschnittenen Nerven vorgenommen werden, oder wo man sich der so bequemen Ludwig’- schen Hartkautschukelektroden bedient und den Nerven mit diesen wieder in die Weichtheile versenkt. So lange der zu prüfende Nerv gut erregbar ist und nur schwache Ströme zur Anwendung kommen, können die be- obachteten Wirkungen wirklich von der Reizung des zwischen den Elek- troden befindlichen Nerventheils herrühren. Sobald aber starke Ströme in’s“ Spiel kommen, ist allen möglichen Täuschungen Thor und Thür geöffnet. Denn die einmal. in die Weichtheile eingetretenen Ströme breiten sich in diesen natürlich nach allen Richtungen aus, und welche Nervenfasern sie dort mit hinreichender Stromdichte treffen, um sie erregen zu können, das lässt sich mit Sicherheit nicht bestimmen. Nur so viel lässt sich sagen, dass es die zunächstliegenden Nervenfasern sein müssen, welche am leich- testen auf diese Weise erregt werden können. Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 5 Ueber die Summirung untermaximaler Reize in Muskeln und Nerven. Von J. v. Kries und Henry Sewall. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. Die grundlegende Arbeit von Helmholtz! hatte die Gesetze der Summirung von Reizen in dem Nervenmuskelpräparate in bekannter Weise festgestellt. Der eine Theil der dort gegebenen Regel, welcher die Summi- rung der Wirkungen maximaler Reize betrifft, wurde von Helmholtz nur - als Annäherung aufgestellt und Genaueres über diese Art von Summirung ist in neuerer Zeit von dem Einen von uns,? sowie von Kronecker und Hall? ermittelt worden. Der andere Theil des Helmholtz’schen Ge- setzes sagt aus, dass untermaximale Reize sich in jedem Intervall summiren. Eine genauere quantitative Ermittelung dieses Verhaltens liegt bis jetzt, so viel uns bekannt, nicht vor, ebenso wenig ist die allgemeine Giltigkeit dieses Satzes angezweifelt worden. Gleichwohl ist diese Ermittelung von nicht ge- ringer Bedeutung für eine jetzt vielfach ventilirte Frage, nämlich die nach der Beschaffenheit der Tetani bei sehr hohen Reizfrequenzen, eine Frage, welche von ihrer vollständigen Lösung noch weit entfernt zu sein scheint. Dass nämlich das Nervenmuskelpräparat durch die höchsten erreichbaren Frequenzen in stetigen Tetanus versetzt werden kann, wenn die Ströme nur stark genug sind, das kann als sicher nachgewiesen betrachtet werden. Es seht dies aus den Untersuchungen von Helmholtz, Grünhagen, Kro- necker und Stirling u. A. zur Genüge hervor. Dabei bleiben aber nach ! Monatsberichte der Berliner Akademie. 1854. ® H. Sewall, On the effect of two succeeding stimuli ete. Journal of physio- logy. vol. I. ® Kroneeker und Hall, Die willkürliche Muskelaction. Dies Archiv. 1879. Suppl.-Bd. J. v. KRIES und HENRY SEWALL: SUMMIRUNG UNTERMAXIMALER U.S.w. 67 wie vor die Erscheinungen, welche bei mässigen und geringen Stärken der sehr frequenten Reize auftreten (Bernstein’s Anfangszuckung) unerklärt, und ein genaueres Studium der Anfangszuckungen und untermaximalen Tetani höchst wünschenswerth.,. Der Vorgang der elektrischen Reizung ist hier im Allgemeinen eine periodische Elektrieitätsbewegung, setzt sich also zusammen aus äusserst kleinen Zeittheilchen, in welchen abwechselnd der Strom eine und die entgegengesetzte Richtung hat.! Wenn man die Reizwirkung eines derartigen Vorganges verstehen will, so wird es offenbar zunächst erforderlich sein, die Wirkung einer solchen einzelnen Periode kennen zu lernen. Es schien also wichtig zu wissen, wie Muskel und Nerv unter dem Einflusse von sehr schnell auf einander folgenden und entgegengesetzt gerichteten Stromstössen sich ver- halten. Von vornherein scheinen hier zwei wesentlich verschiedene Möglich- keiten vorzuliegen. Erstlich könnten sich die Reizwirkungen der beiden An- stösse einfach summiren, wie man bisher angenommen hat. Es erschien aber auch zweitens möglich, dass in dem reizbaren Präparate, wenn wir uns so aus- drücken dürfen, eine Trägheit besteht, vermöge welcher es ähnlich wie die Galvanometernadel auf zwei sehr schnell sich folgende entgegengesetzte Stromstösse nicht oder in geringem Maasse reagirte. Durch diese Erwägungen wurden wir veranlasst, die Summirung untermaximaler Reize namentlich mit Rücksicht darauf zu untersuchen, ob die beiden Stromstösse in der- selben oder in entgegengesetzter Richtung durch das Präparat geschickt wurden. Da es nöthig war, das Intervall der beiden Stromstösse sehr klein zu machen, ohne jeden einzelnen zu verändern, so wählten wir Oeft- nungsinductionsschläge, welche, wenn man keine Eisenkerne in den Rollen hat, in sehr kurzer Zeit verlaufen. Auch hier war dem Versuch eine Grenze gesetzt, durch die Zeit, welche der einzelne Inductionsschlag dauert; bei einer Verkleinerung des Intervalls unter diese Grenze muss man wenigstens die gegenseitige Beeinflussung der Strömungsvorgänge selbst in Betracht ziehen. Auf Grund bekannter Thatsachen (namentlich der Brücke’schen Mit- theilungen) war es wahrscheinlich, dass das gesuchte Verhalten am curari- sirten Muskel leichter aufzufinden und zu untersuchen sein würde, als am unvergifteten Muskel und am Nerven selbst. Der grösste Theil der im Folgenden mitzutheilenden Resultate bezieht sich daher auch auf jenen. ! Dies ist der Fall bei dem Helmholtz’schen, Bernstein’schen und Kronecker’- schen Verfahren. Bei dem von Grünhagen, v. Wittich und Engelmann dagegen finden Stromstösse nur in einer Richtung statt. Ob man diesen Modus in der gewöhn- lichen Weise in einen Mittelwerth und einen periodischen Theil zerlegen und die dauernde Reizwirkung nur vom letzteren abhängig annehmen darf, lässt sich wohl noch nicht mit Sicherheit sagen. 5* 68 J. v. KRIES unp HFENRY SEWALL: Methode der Versuche. Allen Versuchen war gemeinsam, dass die zwei schnell aufeinander folgenden Reize durch die beiden am du Bois’schen Federmyographion an- gebrachten Contacte geliefert wurden. Dieselben wurden durch die vorüber- fahrende Platte unterbrochen, und zwar, da der eine von beiden verschoben werden kann, in beliebig zu variirendem Zeitintervall. Der verschiebliche Contact war mit Scala und Nonius versehen, so dass seine Stellung auf 0.1”” genau abgelesen werden konnte, welcher Werth je nach der ge- wählten Geschwindigkeit der Platte Y/ sooo "5000 Secunde entsprach. Da es sich im Allgemeinen darum handelte, durch dasselbe Elektrodenpaar die beiden Inductionsschläge zu schicken, so war jeder der beiden Contacte mit einer primären Spirale verbunden, welche beide auf demselben Schlitten an- gebracht, eine und dieselbe zwischen ihnen befindliche secundäre Spirale indueirten. In dieser wurden also schnell nach einander zwei Oeffnungs- Inductionsschläge erzeugt. Wir zogen diese Anordnung der Anfangs be- nutzten vor, bei welcher zwei secundäre Rollen, jede in gewöhnlicher Weise von ihrer primären Rolle aus inducirt, in demselben Kreis mit dem zu reizenden Muskel verbunden waren. Die Versuche wurden in der Zeit von October bis März ausgeführt; wir benutzten die Muskeln von Rana esculenta und zwar in allen Fällen Semimembranosus und gracilis, welche mit einem Stückchen der Tibia und des Beckenknochens herauspräparirt wurden. Die Muskeln waren stets mit 3/,°/, Kochsalzlösung ausgespült; die Curarisirung geschah am lebenden Thiere durch subcutane Injection, bei der Kochsalzausspülung wurde dann der Lösung noch ein wenig Curare zugesetzt, sodass wir der vollständigen Vergiftung sicher waren. Die ganze Haut des Oberschenkels wurde am Knie befestigt gelassen und nach vollendeter Präparation über den Muskeln zurückgestreift. Sie bildet so eine natürliche feuchte Kammer, welche die Anwendung einer anderen entbehrlich machte. Bei dem ersten Theil der Versuche liessen wir in gewöhnlicher Weise die Verkürzung der Muskeln aufschreiben; es war dann der Tibialstumpf in der Klemme befestigt, die Beckenenden der Muskeln durch ein Häkchen und einen kurzen Faden mit dem Schreibeapparat verbunden. Das Häkchen war aus Platin und diente zugleich als Elektrode, die andere war ein um den Tibialstumpf mehrmals seschlungener dünner Platindraht. Unpolarisirbare Elektroden benutzten wir einige Zeit lang, kehrten aber zu dem bequemeren Platin zurück, nach- dem wir uns davon überzeugt hatten, dass die Resultate dadurch nicht verändert wurden. Der Schreibeapparat war der von dem einen von uns SUMMIRUNG UNTERMAXIMALER REIZE IM MUSKEL UND NERVEN. 69 soeben beschriebene,! in welchem nach dem Fick’schen Verfahren das Ge- wicht an der Axe zieht. Es wurde hier selbstverständlich stets die Be- lastungsmethode benützt, da es sich ja um die Messung unter Umständen sehr kleiner Verkürzungen handelt. Die Zuckungen ‘wurden mittels einer sehr feinen Glasfeder auf die schwach berusste Platte in vierfacher Ver- grösserung aufgeschrieben. Vergleicht man nun, vom kleinsten Intervalle anfangend und zu allmählich grösseren übergehend, die Summationswirkung der Reize, so findet man Verhältnisse, welche in mehrfacher Beziehung be- deutungsvoll sind. Man übersieht von vorn herein, dass eine Anzahl ver- schiedener Fälle hier möglich ist, je nach der Stärke der einzelnen Reize. Wir bezeichnen im Folgenden einen Reiz als unwirksam, wenn er für sich allein gar keine Zuckung giebt; als untermaximal oder maximal in der bekannten Bedeutung. Wir wollen ferner der Kürze wegen stets mit SG eine Summirung von zwei gleichgerichteten, mit SE eine Summirung von zwei entgegengesetzt gerichteten Schlägen bezeichnen. Der einfachste Fall, mit welchem wir anfangen wollen, ist der, dass beide Reize untermaximal sind (am zweckmässigsten die Contractionshöhe !/;—'/, der maximalen) und beide annähernd gleich. Will man unter diesen Umständen SZ und SG mit einander vergleichen, so muss man dar- auf Rücksicht nehmen, dass die Wirkung eines Reizes. auch auf den curari- sirten Muskel im Allgemeinen von seiner Richtung nicht unabhängig ist. Man mus daher mit der Umkehrung desjenigen Stromes, welcher den zweiten Reiz giebt, auch gleichzeitig eine Verschiebung der einen primären Rolle vornehmen, um die Wirkung des zweiten Reizes für sich allein in beiden Fällen gleich zu haben. Der ganze Versuchsgang ist dann folgender: 1) Erster Reiz allein. 2) Zweiter Reiz allein (in gleicher Richtung). 3) Erster und zweiter zusammen, SG. Umkehrung des den zweiten Reiz liefernden Stromes und Verschie- bung der Rollen. 4) Erster Reiz allein. 5) Zweiter Reiz allein (in entgegengesetzter Richtung). 6) Erster und zweiter, SE. Sodann Veränderung des Reizintervalls und Wiederholung derselben Serie. Es gelingt hierbei nicht leicht, für eine längere Versuchsreihe die Wirkung der zweiten Reize ganz constant zu erhalten; daher bleibt der Vergleich der beiden Summationen mit einer leichten Ungenauigkeit be- haftet, welche indessen in Anbetracht der sonstigen in Betracht kommenden Grössenmaasse nicht von Bedeutung ist. en v. Kries, Untersuchungen zur Mechanik des quergestreiften Muskels. Dies Archiv. 1880. S. 345. 70 J. v. KRIES UND HENRY SEWALL: In Fig. 1 sind als Beispiel die Resultate eines derartigen Versuchs graphisch dargestellt. Es bezieht sich dieselbe auf den seiner ganzen Länge nach vom Inductionsschlag durchsetzten curarisirten Muskel. Die Abscissen stellen die Intervalle der beiden Reize dar und zwar entsprechen 5”"” einer Zeit von !/,,, Decunde, sodass die ganze dargestellte Strecke von O0 bis !/,, Secunde geht. Die Curve I stellt die Wirkung des ersten Reizes allein, II die des zweiten allein dar, die gestrichelte Curve Eig: 1. SG, die punktirte SE. Die Curven I und I sollten hier eigentlich der Abseisse parallel sein; sie sind es nicht genau, aus dem eben angeführten Grunde, dass während eines länger dauernden Versuchs die Reizwirkungen nicht absolut constant bleiben. Die Summation der gleichgerichteten Reize zeigt sich von dem Intervall in der Weise abhängig, dass man zunächst bei kleinstem Intervall sehr starke Summirungen, und mit zunehmendem Intervall immer geringere Summirungen erhält. Die Höhe der summirten Zuckung hat einen Minimal- werth bei einem Intervall, welches zwischen 0-006 und 0:008 Secunden liegt. Von da ab beginnt dieselbe wieder zu wachsen und wird nun in ganz ähnlicher Weise wieder grösser, wie es von Maximalzuckungen bekannt ist. Der weitere Verlauf ist in der Curve nicht mehr dargestellt, weil er aus diesem Grunde kein besonderes Interesse gewährt. Dass die Summirung bei kleinsten Intervallen besonders bedeutend ist, erscheint nicht ganz unerklärlich, wenn man an die Thatsache der „Reizschwelle“ denkt. Der einzelne Reiz ist ganz unwirksam, so lange er unter dem „Schwellenwerth‘“ bleibt und wird in dem Maasse wirksam, als er über diesen hinausgeht; der zweite Reiz wird wieder denselben oder einen ähnlichen Abzug erleiden, wenn er einige Zeit später kommt; jedenfalls aber dann nicht, wenn er mit dem ersten genau gleichzeitig gegeben wird und demnach die beiden Stromstösse als solche sich einfach zu einander addiren. Wäre z. B. der zweite Reiz ein unwirksamer, so würde er bei einem gewissen Intervall schon, so wie für sich allein, ganz unwirksam bleiben, könnte aber sehr wirksam sein, wenn er mit dem ersten gleichzeitig diesen verstärkte Nun kann man sich wohl denken, dass diese Ueberschreitung der Schwelle nicht mo- mentan wieder schwindet, dass also der Vortheil, welcher dem zweiten Reiz SUMMIRUNG UNTERMAXIMALER REIZE IM MUSKEL UND NERVEN. TI durch die Vorarbeit des ersten erwächst, eine gewisse, wenn auch kurze Zeit noch besteht. Dies in der That scheint uns der zutreffende Ausdruck für die Höhe der in den kleinsten Intervallen stattfindenden Summirung 5@. Merkwürdiger erscheint die tiefe Einsenkung des darauf folgenden Minimums. In dem mitgetheilten Beispiel war der zweite Reiz immer etwas stärker als der erste. Man sieht nun, dass in einem gewissen Intervall die Höhe der Summirung zwar noch grösser ist als der Effect des ersten Reizes, aber kleiner als der des zweiten Reizes allein. Es wird also offenbar die Wir- kung des zweiten Reizes hier durch das Vorausschicken des ersten beein- trächtist. Wenn der erste und zweite Reiz gleich stark sind, so geht das Minimum der summirten Contraction auf den Werth der einzelnen herab, sinkt aber nicht (wenigstens nur ausnahmsweise und dann äusserst wenig) unter dies Niveau. Ist der erste Reiz stärker, so sinkt die Summi- rungszuckung nicht unter das Niveau desselben herab, bleibt also stets höher als die Wirkung des zweiten Reizes allein. Es verdient vielleicht bemerkt zu werden, dass eine geringere Höhe beim Doppelreiz als bei einem der einzelnen sich (gleiche Richtung vorausgesetzt) nur dann zur Beobachtung bringen lässt, wenn beide Reize für sich wirk- sam sind, nicht dagegen, wenn einer von beiden unwirksam ist. Die Länge der Periode, während welcher die Summationscurve mit steigendem Intervall sinkt, ist bei verschiedenen Muskeln ziemlich constant. Die Zeit, von welcher an das Ansteigen der Curve von Neuem beginnt, ist dagegen von der Intensität der einzelnen Reize sehr abhängig, so dass sich verschiedene Versuche in dieser Beziehung nicht wohl vergleichen lassen. Der aufsteigende Theil der Summationscurve stimmt, wie schon erwähnt, mit der bei maximalen Reizen zu beobachtenden in der Hauptsache überein. Auch hier zeigt sich die Wirkung des Doppelreizes im Anfang grösser als man sie berechnen würde, wenn man die in Folge des ersten Reizes bis bis zum Einsetzen des zweiten erreichte Contractionshöhe als Abseisse für die sonst nicht veränderte zweite Zuckung betrachtet. Die Verschiedenheit in der Art, wie der Doppelreiz wirksam wird, je nachdem er bei kleinem Intervall in den absteigenden oder bei grösserem in den aufsteigenden Theil unserer S G-Curve fällt, ist nach dem Gesagten deutlich genug. Es empfiehlt sich vielleicht, diesen Unterschied auch in der Bezeichnung zu machen und könnte man zutreffend im dem ersteren Fall von einer Summirung der Reize, im zweiten Fall dagegen von einer Summirung der Gontractionen sprechen. 72 J. v. KRIES UND HEnRY SEWALL: Summirung entgegengesetzt gerichteter Reize. Es kann als selbstverständlich gelten, dass bei einem Intervall Null die beiden entgegen- gesetzt gerichteten elektromotorischen Kräfte sich ganz oder theilweise auf. heben und nur eine Wirkung der Differenz zum Vorschein kommt. Dem- entsprechend ist SZ = 0 beim Intervall Null. Aber bemerkenswerther Weise findet diese Aufhebung, also eine Subtraction an Stelle der Summation der Reize, noch Statt, wenn das Intervall von Null verschieden ist. Sucht man das Intervall, welches nothwendig ist, damit beim Doppel- reiz Zuckungen überhaupt entstehen, so findet man dasselbe natürlich von der Intensität der Reize wesentlich abhängig; je stärker diese sind, um so mehr kann man im Allgemeinen das Intervall verringern, ehe man SE verschwinden sieht. Macht man den ersten Reiz mässig stark und den zweiten schwach, so kann man in relativ grossen Intervallen noch eine „Sub- traction“ des Reizes beobachten. So findet man in der am Schlusse mit- getheilten Tabelle eine Verminderung (SE beider Reize, wieder im ersten Falle bei SG, im letzteren unter SE. In der ersten Abtheilung ist der erste, in der zweiten der zweite heiz un- wirksam. Es erscheint von Wichtigkeit, dass dieses Verhalten auf die sehr kurze — Zeit, während welcher der Reiz entsteht, beschränkt ist. Man könnte er- warten, dass man in ähnlicher Weise auch auf die durch den Muskel sich fortpflanzende Erregungswelle einwirken könne. Es hat keine besondere Schwierigkeit, dies zu prüfen. Man hat nur den Muskel an einem Ende zu reizen, die Verdickung etwa seiner Mitte zu beobachten und zu sehen, ob diese durch einen zweiten Reiz vermindert oder verstärkt werden kann, welcher, für sich unwirksam, die Mitte des Muskels gleichzeitig mit der eintreffenden Erregungswelle anodisch oder kathodisch trifft. Für unsere Vorstellungen von der Art, wie sich im Muskel die Erregung fortpflanzt, wäre diese Möglichkeit von grosser Bedeutung. Es scheint aber in der That eine derartige Interferenz nicht stattzufinden; wenigstens hat es uns nicht gelingen wollen, in dieser Weise eine Erregungswelle durch unwirk- same Reize zu modifieiren. 76 J. v. KRIES unnp HENRY SEWALL: Für den curarisirten Muskel existirt also die gesuchte Grenze in der That und ist mit unseren gegenwärtigen Hilfsmitteln nachzuweisen. Die Ausdehnung der entsprechenden Untersuchung auf die Nerven stösst auf Schwierigkeiten, welche wir noch nicht überwinden konnten. Man erhält zwar ohne Schwierigkeit durch Doppelreizung ganz ähnliche Resultate, wie beim Muskel; aber die dazu erforderlichen Intervalle sind so klein, dass man die Oeffnungsinductionsschläge nicht mehr mit Sicherheit als abgelaufen betrachten kann. Ueberdies wird die Sache noch dadurch complieirt, dass bekanntlich bei einem so grossen Widerstande, wie dem eines Nervenstückes, die Schläge sich in Form von Oscillationen entladen, wodurch eine theoretische Deutung der Resultate unmöglich wird. Es würde für die Untersuchung des Nerven in dieser Hinsicht nothwendig sein, Stromstösse von noch geringerer Dauer in Anwendung zu ziehen, welche nicht oscillatorischer Natur sind. Eine Anzahl von Versuchen über submaximale Reizung zweier Stellen desselben Nerven (gleichzeitig oder in sehr kleinen Intervallen) ergab uns, wie hier noch beiläufig bemerkt werden mag, das Resultat, dass hier Interferenzen ganz zweifellos auftreten. Man erhält zuweilen Zuckung durch Summirung zweier für sich unwirksamer, zuweilen Verminderungen durch Subtraction zweier wirksamer Reize; alle diese Effecte hängen sowohl von der Richtung der Stromstösse, als auch von der Wahl der gereizten Nervenstellen ab. Wir bestätigen hiermit die wenig beachteten Angaben Valentin’s, halten es aber für überflüssig, in das Detail dieser Versuche einzugehen, da sie zu der Ermittelung einer einfachen Gesetzmässigkeit noch nicht geführt haben. Die durch äussere Umstände herbeigeführte Nothwendigkeit, unsere Versuche abzuschliessen, hat die Erreichung dieses Ziels einstweilen verhindert. Tabelle betreffend die Summirung zweier Reize von denen der eine „unwirksam“ ist bei gleicher (G) und entgegengesetzter Richtung. Die Zahlen geben (vier- fach vergrössert) Verkürzungen des Muskels in Millimetern. Zuckungen | Zuckungen durch den Zuckungen durch Intervall. durch den | zweiten Reiz. beide Reize. | ersten Reiz. | G | E Ss@ SE Duo 250 | 4-8 | 14.2 2) 0 | 0 | 4.8 | 0 3) 0-.00016 | 0 4.1 | 0 4) 0.00016 0 4.0 | au. 3) 0-00059 0 6) BR SUMMIRUNG UNTERMAXIMALER REIZE IM MUSKEL UND NERVEN. 77 Zuckungen Zuekungen durch den Zuckungen durch Intervall. durch den zweiten Reiz. beide Reize. | ersten Reiz. G E | SG SE 0200058 |. 0 | a | 0 ) 0.00117 O5 4 1-4 ) 0-.00117 0 3.4 7710 ) 0-00155 0 3.3 1137-5 10) 0-00155 0 3 20 11) 0.002 ) 3.6: | 2.4 12) 0.00205 0 3.4 4-1 13) 0.0024 0 3.8 4 14) 0.0024 0 3.7 3 15) 0.003 0 sus] 3.4 16) 0.0028 0 3.5 17) 0.0035 0 3.7 BA 18) 0.0039 0 3.5 3.3 ) 0.0036 6.8 0 6.9 ) 0.0031 5.5 0 5-9 ) 0-0029 5.2 0 5-5 22) 0.003 6-5 Dr 6.2 23) 0.0024 2. 0 5.9 24) 0.0031 a 120 5 25) 0.0016 46 20 1% 2508 26) 0.0016 Be OR 6 ) 0.0008 6.1. ı OR 4] ) 0.00085 Ad) 8 ) 0.0002 4-6 0 12.8 ) 0.0002 6-7 0 1-3 ) 0.0002 4-0 0 0 Studien über die Innervation der Athembewegungen. Mitgetheilt von Dr. ©. Langendorfi. Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg. Zweite Mittheilung. Ueber ungleichzeitige Thätigkeit beider Zwerchfellshälften. Unter Mitwirkung von R. Nitschmann und H. Witzack. (Hierzu Tafel I.) In einer kurzen Mittheilung ! vom December 1879 gab ich an, dass unter gewissen experimentell herbeizuführenden Bedingungen die Synchronie der beiderseitigen Athembewegungen gestört sein kann. Ich fand zwar, in Uebereinstimmung mit Longet und anderen Beobachtern, dass nach me- dianer Durchtrennung der M. oblongata die Athembewegungen beider Zwerch- fellshälften synehronisch fortdauern; ich sah aber das Bild sich ändern, wenn ein N. vagus oder beide Vagi durchtrennt wurden. Frequenz und Tiefe der Contraetionen beider Zwerehfellshälften wurden ungleich; bei einseitiger Vagotomie war die Athmung auf der verletzten Seite deutlich langsamer, wie auf der anderen. Die Curve der trachealen Druckschwankungen verlor ihr normales Aussehen und nahm eine complieirte, eine etwa an die König’- schen Vocalflammenbilder erinnernde Form an, die auf die Combination zweier verschiedener Wellensysteme zurückgeführt werden musste. Ich fand ferner bei solchen Thieren einseitige centripetale Vagusreizung nur von ein- seitiger Wirkung auf die Zwerchfellsbewegung; eben so ergab mir einseitige " Centralblatt für die mediein. Wissenschaften. 1879. Nr. 51. O. LANGENDORFF: STUDIEN ÜB. D. INNERVATION D. ATHEMBEWEGUNGEN. 79 Trigeminusreizung nur Stillstand auf der gereizten Seite. Ich habe seither in mehrfachen Versuchen diese Beobachtungen wiederholen können; nur insofern muss ich mir eine Correctur der damaligen Angaben erlauben, als ich später gefunden habe, dass auch ohne vorangehende Vagotomie einsei- tige Trigeminusreizung bei Thieren mit durchtrennter M. oblongata zu einsei- tigem Athmungsstillstand führt. In Folgendem beabsichtige ich, diese Angaben ein wenig weiter aus- zuführen, durch Mittheilungen von Versuchsprotocollen zu belegen, und eine befriedigende Deutung derselben zu versuchen. Sämmtliche Versuche sind au Kaninchen, zumeist jugendlichen Alters, angestellt. Durch Chloralhydrat wurde eine zur ruhigen Ausführung des Markschnittes genügende Narkose herbeigeführt. Nach Freilegung der Rautengrube! wurde die M. oblongata mit einer breiten sehr scharfen Staar- nadel aus freier Hand median gespalten. Nach Beendigung eines jeden Versuches wurde das verlängerte Mark in Alkohol oder Müller’sche Flüssig- keit gebracht, um später am gehärteten Präparate die Schnittwunde unter- suchen zu können. Gemessen wurde dann: die Länge des Schnittes auf der dorsalen und die auf der ventralen Fläche der M. oblongata, ferner die Entfernung der Schnittgrenzen von der Spitze der Rautengrube einerseits und dem distalen Rande des Corpus trapezoides andererseits. Diese Untersuchung zeigte, dass der Schnitt, um zum Ziele zu führen, bis auf die Basalfläche, oder wenigstens bis nahe an dieselbe, vordringen muss. Die geringste Ausdehnung, die ihm gegeben werden musste, betrug 2”®, In dem hier in’s Auge gefassten Falle begann er genau in der Spitze des Calamus seriptorius, und endete 2”” cerebralwärts davon. Für gewöhn- lich fiel der Schnitt länger aus, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite hin. Nach der Markdurchschneidung wurde oftmals die Bauchhöhle zur Beobachtung des Zwerchfells geöffnet, ferner eine Trachealcanüle eingelegt um die trachealen Druckschwankungen mit Hülfe der bekannten Marey- Bert’schen Vorrichtungen (Athmungsflasche, Schreibhebel) zu registriren. Die Zwerchfellsbewegungen beider Seiten konnten graphisch dargestellt werden durch je einen Marey’schen Zambour inscripteur, dessen Luftraum mit emem kleinen lufthaltigen zwischen Zwerchfell und Leber eingebrachten Gummiballon communicirte. Anspruch auf myographische Genauigkeit er- heben die so gewonnenen Curven nicht; genug, wenn sie Frequenz- und Phasenunterschiede der beiderseitigen Zwerchfellscontraetionen darzustellen geeignet waren. 1 S. dies Archiv. 1880. S. 520. s0 (). LANGENDORFEF: Statt weitläuliger Beschreibungen mögen hier einige aus meinen Auf- zeichnungen ausgewählte Versuchsprotocolle Platz finden. Versuch I. Kleines Kaninchen, tief chloralisirt. Tracheotomie. Aus- gedehnte mediane Spaltung des freigelegten verlängerten Markes. Die Ath- mung wird unmerklich, nach kurzdauernder künstlicher Respiration kommt sie wieder in Gang. Der rechte Vagus wird unterbunden. Sofort wird die Athmung rechts langsamer und tiefer; auf der anderen Seite bleibt sie wie vorher. (Inspection des Thorax; Freilegung des scharfen Leberrandes. Die Leber wird bald nach rechts und unten, bald nach links und und unten verschoben.) Reizung des rechten N. vagus (centraler Stumpf) mit unterbrochenen Strömen (1 Daniell, 20°” Spiralabstand). Die Athmung steht auf der ge- reizten Seite still, während sie auf der linken persistirt. Versuch I. Kleines Kaninchen, schwach chloralisirt. Tracheotomie. Spaltung der Medulla oblongata in der Medianlinie von der proximalen Grenze der Ala einerea bis zu dem tiefsten erreichbaren Punkte des me- dullaren Theile. Das Thier hört auf zu athmen. Nach etwa 10 Minuten langer künstlicher Respiration beginnt die Athmung wieder, erst schwach, dann allmählich kräftiger. Die Athmung ist beiderseits synchronisch. Der rechte Vagus wird durchschnitten. Die Athmung wird rechts langsamer und tiefer wie links. Auf vier Athmungen der einen kommt etwa eine Athmung der anderen Seite. (Inspection von Thorax und Ab- domen.) Centripetale elektrische Reizung des rechten Vagus: Athmung steht rechts, persistirt, und zwar beschleunigt, links. Linker Vagus durchschnitten. Athmung auch links langsamer. Die Asynchronie bleibt bestehen. Oft erschlafft das Zwerchfell auf der einen Seite, während es sich auf der anderen contrahirt. Vagusreizung mehrfach, stets nur mit einseitigem Erfolge, wiederholt. Reizung der Schleimhaut des rechten Nasenloches mit elektrischen Strömen bewirkt geringfügige Ver- langsamung auf der rechten Seite. Darauf wird Chloroform in’s rechte Nasenloch gepinselt: die Athmung steht rechts, persistirt links. Anmerkung. Von beiläufigem Interesse erscheint hier die Beobach- tung, dass bei Stillstand der einen Zwerchfellshälfte die andere frequenter, wie vorher, athmete. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Art von Compensation; in anderen Fällen habe ich nie etwas Aehnliches bemerkt. Der in diesem und dem vorangehenden Versuche der Markdurchschnei- dung folgende Athmunesstillstand ist offenbar auf Reizung athmungshem- mender Vorrichtungen zu beziehen. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 81 Versuch III. Mittelgrosses, mässig chloralisirtes Kaninchen. Doppel- seitige Vagusdurchschneidung. Medianschnitt durch die Medulla oblongata. Athmungen beider Zwerchfellshälften werden asynchron. Aufzeichnung der- selben s. Taf. I, Fig. 1. Chloroformreizung eines Nasenloches, sowie einseitige Vagusreizung haben nur einseitigen Athmungsstillstand zur Folge. (Von n—n’ auf Fig. 1 wird der linke Vagus elektrisch gereizt.) Versuch IV. Kleines Kaninchen, mässig chloralisrt. Um 11 Uhr Vormittags mediane Durchtheilung der M. oblongata. Durchschneidung des rechten Vagus. Die Athmung wird sofort ungleichmässig, rechts langsamer wie links. (Beobachtung und Palpation des Thorax.) Nachmittags 6 Uhr: Die Athmung ist eben so ungleichmässig wie am Vormittag. Das Thier wird tracheotomirt; die Luftröhre mit dem Re- gistrirapparat verbunden. Die Curven sind complicirt. (Siehe Taf. I, Fig. 2.) Freilegung des Zwerchfells überzeugt auf das Vollständigste von der Ungleichzeitiekeit der Athmungen beider Seiten. Auf eine Athmung rechts kommen etwa zwei Respirationen links. Anmerkung. Von Wichtigkeit ist in diesem Versuche, dass die Asynchronie noch sieben Stunden nach der Operation vorhanden ist. Ich komme später noch auf diese Beobachtung zu sprechen. Versuch V. Von diesem Versuche seien nur zwei Curven mitge- theilt, von denen die eine (Taf. I, Fig. 3) den Einfluss einseitiger mecha- nischer Vagusreizung auf die Gestalt der Trachealcurve erläutern soll. Auf eine Contraetion der rechten Zwerchfellshälfte kommen fast genau zwei Ath- mungen der linken. Die zeitliche Differenz der beiderseitigen Contractionen ist nicht gross genug, um an der Trachealeurve bemerkbar zu werden, Fig. 4 erläutert das Verhältniss der beiderseitigen Zwerchfellsbewegungen und die daraus resultirende Trachealeurve. Versuch VI. Nach medianer Spaltung der M. oblongata bewirkt einseitige Reizung der Nase durch Chloroform einseitigen Athmungsstillstand. (Vagi undurchsehnitten.) Versuch VI. Operation wie gewöhnlich. Durchschneidung des rechten Vagus. Die Athmung wird sofort stark ungleichmässig auf beiden Seiten. Vgl. Trachealeurve auf Taf. I, Fig. 5. Reizung der linken Nasenhälfte mit Chloroform: nur die linksseitige Athmung steht still. Auch der linke Vagus wird durchschnitten. Die Ath- mung ist beiderseits sehr vertieft. Der Rhythmus beider Seiten ist nur Archiv f. A. u, Ph, 1881. Physiol. Abthlg. 6 82 OÖ. LANGENDORFF: unbedeutend verschieden;. oft fallen die Athmungen beiderseits gänzlich oder nahezu zusammen. Die Taf. I, Fig. 6 mitgetheilte Trachealcurve giebt die kleinen Phasendifferenzen gar nicht oder nur unvollkommen wieder. (Directe Inspection des freigelegten Zwerchfells!) Reizung des linken Brachialis bewirkt exspiratorischen Stillstand auf beiden Seiten. Anmerkung. Zunächst liefert hier der doppelseitige Erfolg der Bra- chialisreizung den Beweis, dass selbst bei erhaltener M. oblongata dieser Reflex nicht in ihr, sondern im Spinalmark zu Stande kommt. Anderenfalls näm- lich hätte die Wirkung gerade so wie die der Vagus- und Trigeminus- reizung nur eine einseitige sein körinen. Der Versuch constatirt ausserdem die Thatsache, dass die nach ein- seitiger Vagusdurchschneidung sehr verschiedenen Athmungen beider Seiten nach Durchschneidung auch noch des anderen Vagus sich wieder sehr ähn- lich werden können — eine Thatsache, die später erklärt werden soll. Dasselbe Verhalten wie Figg. 5, 6 erläutern die einem anderen Ver- suche entnommene Curven Fige. 7, 8 (s. die Erklärung der Tafel S. 89). Eines weiteren Commentars bedürfen die mitgetheilten Versuche und Zeichnungen nicht. Nur in Betreff der Trachealcurven sei noch Einiges bemerkt. Ihre Entstehungsart ist wohl ohne weitere Erörterung klar. Frag- lich könnte scheinen, ob sie von den durch die asynchronische Zwerchfells- bewegung bedingten Druckschwankungen im Thorax ein vollkommen rich- tiges Bild geben. In der Trachea und in der Vorlegeflasche mögen kleinere Schwankungen ausgeglichen werden, bevor sie die Membran des Schreib- hebels in Bewegung setzen können. Im Grossen und Ganzen glaube ich aber, dass das durch die Curven gelieferte Bild ein treues ist. Ich habe unter Benutzung der Athmungsflasche und des Marey’schen Hebels künst- lich erzeugte rhythmische Luftdruckschwankungen verschiedener Frequenz mit einander combinirt, und die so gewonnenen Öurven nicht nur manchen meiner Trachealcurven sehr ähnlich, sondern auch mit theoretisch con- struirten übereinstimmend gefunden. Manche der Trachealzeichnungen zeigen eine ganz auffallende Aehnlichkeit mit Combinationscurven von Klängen, die man mit Hülfe des Scott-König’schen Phonautographen oder zweier Lissajou’schen Stimmgabeln! aufgezeichnet hat. Andere erinnern sehr an die merkwürdigen Herzstosscurven, die von Leyden u. A. für den ! Vgl. R. König, Catalogue des Appareils d’Acoustique. 1865. p. 40. Fig. 11. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 83 Ausdruck einer ungleichzeitigen Contraction beider Herzventrikel gehalten werden, oder an die, welche Schreiber bei eigenthümlichen For- men des Pulsus alternans aufgezeichnet hat. ! Die asynchronische Athmung konnte so lange in ziemlich einfacher Weise erklärt werden, als man denken konnte, durch einen Medianschnitt in der M. oblongata die Verbindung zwischen den beiden „Athmungscentren“ vernichtet zu hahen, wie das auch Longet, Volkmann, Schiff annahmen. Ich selbst habe in meiner Mittheilung im Centralblatt versucht, in diesem Sinne meinen Fund zu deuten. Jetzt, wo wir wissen, dass die eigentlichen Centren der Athmunge im Rückenmark liegen, das verlängerte Mark nur den Sitz regulatorischer Organe darstellt,” hält diese Erklärung nicht mehr Stich. Durch den Schnitt im verlängerten Mark kann nur eine Verbindung zwischen den regulatorischen Gentren beider Seiten durchtrennt sein. Diese Voraussetzung wird den Stützpunkt für eine anderweitige Erklärung meiner Versuche abgeben müssen. Zuvörderst ist zu bemerken, dass sie der anatomischen Begründung nicht entbehrt. Ich habe in die sogenannten „Respirationsbündel“ des ver- längerten Markes die Leitung der vom Bulbus ausgehenden Regulations- impulse zum Rückenmark verlest.” Von diesen Bündeln ist nachgewiesen, dass sie in partiellen Faseraustausch treten. Gierke? nämlich hat gefunden, dass von jedem von ihnen ein Faserband zur Raphe geht, sich mit gleichen Fasern der anderen Seite kreuzt und dem gegenüberliegenden Längsbündel sich anschliessend, die Verbindung der beiderseitigen Leitungen übernimmt. Wenn ich nun auch nicht den directen histologischen Nachweis geführt habe, dass bei meiner Schnittführung diese Kreuzungsfasern wirklich ge- troffen worden sind, so darf dies dennoch nicht bezweifelt werden. Die Schnitte fallen nämlich gerade in diejenigen Regionen, in welchen den Gierke’schen Nachweisen zufolge der Durchtritt jener Fasern durch die Raphe erfolet. Man vergleiche dessen Fig. I und Fig. II, und erinnere sich, dass meine Schnitte stets in das Gebiet der Alae cinereae fielen und in minimo sich bis 2" über die Spitze der Rautengrube erstreckten. Umstehendes Schema ergänzt mit Berücksichtigung dieser Verhält- nisse das in meiner früheren Mittheilung (Fig. 17) entworfene. ! Siehe dessen Abhandlung im Archiv für experimentelle Pathologie u. s. W. Bd. VI. S. 23 des Separatabdruckes. ®2 Dies Archiv. 1880. 8. 518. 3 Dies Archiv. 1880. 8. 545. = Gierke, Pflüger”’s Archiv u.s. w. Bd. VI. S. 392. 84 O0. LANGENDORFF: Sei A der Kern des N. trigeminus, B der des N. vagus, de das Ner- venbündel, das die regulatorischen Impulse beider Nervenkerne zu C, dem Centrum des N. phreniens (c) hinführt. Die Bündel d der linken und « der rechten Seite mögen sich in der Art des Chiasma opticum kreuzen, also so, dass mediale Fasern von d auf die rechte, und solche von d’ uuf die linke Seite hinüberziehen. Sowohl Bündel e als Bündel e’ enthält dann Fasern aus d und d’ und führt diese dem gleichseitigen Phrenicuskerne zu. Dieses Schema genügt, um alle von mir besprochenen Erscheinungen der Synchronie und Asynchronie der Zwerchfellscontractionen zu erklären. Zunächst ist klar, dass jeder auf einen N. vagus oder N. trigeminus aus- geübte Reiz für gewöhnlich seinen hemmenden oder anregenden Einfluss gleichmässig auf beide spinalen „Athmungscentren“ vertheilen muss. Das ändert sich, sowie durch einen die Kreuzungsstelle der beiden Bündel treffenden Schnitt jeder regulato- rische Zusammenhang beider Cen- tren aufgehoben wird. Zwar wer- den auch jetzt noch C und C’ synchronisch arbeiten, weil die toni- schen Regulationsimpulse aller _ Wahrscheinlichkeit nach rechts ge- rade so gross sein werden wie links. Gesetzt aber es werde jetzt ein N. vagus (z. B. 5) elektrisch gereizt, so wird von dieser Reizung nur die gleiche Körperseite, d.h. das Centrum C betroffen werden, ©” aber durchaus unbetheiligt bleiben. Die Athmung wird also links still- stehen, rechts fortdauern. (Veregl. Versuch I, I u. II mit Taf. I, Fig. 1.) Eben so muss auf einseitige Trige- minusreizung Exspirationsstillstand nur auf der gereizten Seite folgen. (Ver- such IL, II, VI, VIL) Wird ein Vagus durchtrennt, so sind zwei Mög- lichkeiten ? vorhanden: ! Zu entscheiden, ob es sich bei diesen Versuchen um die eine oder die andere handle, lag für mich keine Veranlassung vor. Mit Hülfe der von Gad angegebenen Thermoden (dies Archiv, 1880, S. 12) ist jetzt eine solche Entscheidung verhältniss- mässig leicht herbeizuführen. Bemerkenswerth ist, dass in Versuch IV die Erschei- nungen 7 Stunden lang andauerten, was vielleicht zu Gunsten der Annahme wahrer Ausfallserscheinungen sprechen könnte. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. s5 1) der Schnitt wirkt nur trennend, oder 2) der Schnitt wirkt zugleich reizend, in welchem Falle das Reizungs- moment das Uebergewicht erhalten wird. Bei der gewöhnlichen Schnittführung trifft, wenigstens für die nächste Zeit, wahrscheinlich der zweite Fall zu. Die Folge davon wird dieselbe sein, wie die einer mechanischen Vagusreizung. (Vgl. Versuch V, Taf. I, Fig. 3.) Die Athmung wird also auf der gereizten Seite, d.h. auf der Seite der Durchschneidung verlangsamt werden. (Das war, wie aus meinen Versuchs- protocollen hervorgeht, stets der Fall). Wirkt die Durchschneidung nur trennend, so würden nur auf der verletzten Seite die Ausfallserscheinungen bemerkbar sein. Bei Durchschneidung beider Vaei wird nur in seltenen Fällen der auf einen Vagus geübte mechanische Insult gerade eben so gross sein, wie der des anderen Nerven. Beide Athmungscentren werden also Hemmungs- impulse, doch von verschiedener Intensität, erhalten. Das eine Centrum wird in Folge dessen schneller arbeiten, wie das andere. Erst nach einiger Zeit gleicht sich in manchen Fällen der Reiz nahezu aus; man sieht dann trotz medianer Theilung des Markes und trotz durchschnittener Vagi die Synchronie gänzlich oder wenigstens annähernd sich wiederherstellen. (Vgl. Versuch VII und Fig. 6.) Wenn das entworfene Schema der Wirklichkeit entspricht, so muss einseitige Durchtrennung des Respirationsbündels unterhalb der Kreuzungsstelle beider die Regulationsreflexe beiderseits bestehen lassen; d.h. nach halbseitiger Durchschneidung der M. oblongata muss Reizung beider Vagi und beider Trigemini die auf der einen Seite noch übrige gebliebenen Athembewegungen inspiratorisch oder exspiratorisch beeinflussen. Um zu prüfen, ob dies der Fall ist, stellte ich folgende Versuche an. Versuch VII. Grosses Kaninchen. Sehr tiefe Chloralhydratnarkose. M. oblongata wie sonst freigelest, und die linke Hälfte derselben dicht unter der Spitze des Calamus scriptorius schnell durehschnitten.. Die Ath- mung steht links sofort, persistirt rechts. Tracheotomie. Luftröhre mit der Athmungsflasche und dem Marey’schen Schreibapparat verbunden. Beide Vagi präparirt und unterbunden; zuerst der rechte, dann der linke. Bei der Unterbindung des linken steht die Athmung kurze Zeit still. Die Nerven werden in Hartgsummi-Platinelektroden gebettet, und durch eine die abwechselnde Reizung beider erlaubende elektroden- wechselnde Wippe mit dem Inductionsapparate verbunden. Reizung bei 15°“ Spiralabstand (1 Daniell): Die Athmung steht sowohl bei Reizung des rechten als bei Reizung deslinken Vagus exspiratorisch still. Dasselbe bei 12°” Spiralabstand. 86 OÖ. LANGENDORFF: Der Versuch wird mehrfach mit dem gleichen Erfolge wiederholt. In Taf. I, Fig. 10 stellt Curve a Reizung des linken, 5 die des rechten N. vagus bei 12°® Rollenabstand dar. Versuch IX. Ein in derselben Weise angestellter Versuch zeigt das- selbe Verhalten. Die rechte Markhälfte ist durchschnitten. Wiederholt werden Athmungsreflexe sowohl vom rechten als vom linken Vagus aus er- halten. (Starke elektrische Reizung, 1 Daniell, 7°” Spiralabstand.) Jedes- mal ist der Effect rechts schwächer, wie links. Ströme, die links exspiratorischen Stillstand machen, bewirken am rechten Vagus nur Be- schleunigung der Athmung. Erst bei übereinander geschobenen Spiralen tritt auch bei rechtsseitiger Reizung exspiratorischer Stillstand ein. Chloroform in’s linke Nasenloch gepinselt, macht langdauernden Ath- mungsstillstand; rechts wird nur Verlangsamung der Respirationen erzielt. Dagegen bewirkt elektrische Reizung beider Nasenhälften lange inspi- ratorische Stillstände. Die Section ergab in beiden Fällen die vollkommene Durchschneidung der einen Markhälfte. | Diese Versuche bestätigen somit unsere Voraussetzung vollständig. Wem die Stärke der elektrischen Reizung in Versuch IX Bedenken erregt, der wird wohl durch die mechanische und schwache elektrische Reizung in Versuch VIII überzeugt werden. Von Interesse dürfte sein, dass in dem II. Versuche die rechtsseitige Reizung fast constant von schwächerem Er- folge begleitet war, wie die linksseitige. Es dürfte dieses Verhalten viel- leicht darauf hindeuten, dass die sich kreuzenden Antheile beider Regula- tionsbündel kleiner sein mögen, wie die ungekreuzt verlaufenden. Etwas Aehnliches schreibt man bekanntlich den Sehnervenfasern mancher Thiere zu. Vielleicht aber handelt es sich nur um eine Schädigung des einen Regulationscentrums durch den Schnitt. Doppelseitige Durchschneidung des Respirationsbündels, d. h. Abtrennung der M. oblongata vom Rückenmarke, setzt des letz- teren Athmungscentren natürlich ausser Verbindung mit allen Regulations- apparaten. Dass hieraus ein Aufhören der Athmungssynchronie nicht folgt, haben meine früheren Versuche bereits gezeigt." Die „Spinalathmung“, falls sie in Gang kommt, ist doppelseitig synchronisch. Es genügt hier, wie ich das ausführlich entwickelt habe, der gleiche Blutreiz, um Centren von glei- cher Ordnung, d. h. gleicher Erregbarkeit zur einheitlichen Thätigkeit zu veranlassen. Die centripetalen Spinalnerven, die ebenfalls die Athmung beeinflussen können, wirken ohne Vermittelung des verlängerten Markes auf die moto- ! Dies Archiw. 1880. 8. 518. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 87 rischen Athmungseentren ein. Man muss sich hier eine Anordnung denken, vermöge deren z. B. einseitige Brachialisreizung die beiderseitigen Athmungscentren in Bewegung setzen kann. (S. Versuch VII) Da unser Schema voraussetzt, dass die letzteren in einer directen (intermotorischen) Verbindung nicht stehen, so muss man annehmen, dass die Endigungen des N. brachialis jeder Seite mit beiden Phrenicuscentren (etwa durch intersensible Bahnen) verbunden sind. Bei den bekannten anatomischen Vorstellungen über die Endigung der sensiblen Rückenmarkswurzeln stösst diese Annahme auf keine Schwierigkeit. Zum Schlusse eine kurze teleologische Betrachtung. Ueber (die Bedeutung des regulatorischen Apparates für die Athmung will ich hier nicht sprechen. Genug, er besteht, und Störung der seine beiden Theile vereinigenden Ver- bindung versetzt die Einheit der Athembewegungen in einen sehr labilen Zustand. Der Vortheil einer solehen Verbindung liegt darin, dass sie verhindert, dass einseitige, das Vagus- oder Trigeminusgebiet treffende Reize die Athmung asynehronisch machen. Solcher Reize giebt es aber im gewöhnlichen Leben, besonders in pathologischen Fällen, sehr viele. Reizung der Nasenschleimhaut bewirkt Niesen. Soll diese Reizung, die oft nur einseitig wirken wird, nur die halbe Athmungs- musculatur in Thätiekeit setzen? Dasselbe gilt für einseitige heizung der Kehlkopfschleimhaut durch einen fremden Körper. Wenn ferner eine Lunge durch Krankheit zerstört ist, so ist vermuthlich damit eines der wesent- lichsten den Vagustonus der gleichen Seite unterhaltenden Momente fort- gefallen. Soll bei einem solchen Kranken die eine Zwerchfellshälfte dauernd in langsameren Rhythmus arbeiten, wie die andere? Chronische Reizungen der Lungenäste eines N. vagus brachten die Athmung ebenfalls auf die Dauer aus dem Gleichgewicht, wenn nicht die genannte centrale Verbin- dung einen Ausgleich vermittelte. Sehen wir somit die letztere die Syn- chronie der Athembewegungen überwachen, so werden wir fragen: Worin besteht denn der Nutzen dieser Synchronie? Die Antwort lautet: Die synchronische Athmung ist der zweckmässigste Athmungs- modus, d. h. derjenige, bei welchem bei gleicher Arbeit die Lunge am ergiebigsten gelüftet wird. Man construire unter der nämlichen Abseisse zwei in Bezug auf Fre- quenz und Amplitude gleiche Curvensysteme, und combinire dieselben mit einander. Es ist klar, dass die Maxima der Combinationscurve am grössten sein werden, wenn die Anfangspunkte beider Curven zusammenfallen. Ver- schiebt man die Curven gegen einander, so nähern sich die Maxima immer 85 OÖ. LANGENDORFF: mehr und mehr der Abesisse. Fällt der Anfang der einen Curve zeitlich genau mit dem Maximum der anderen zusammen, so ist die resultirende Curve eine zur Abseisse parallele Linie. Ueberträgt man das auf die Ath- mung, so erhellt, dass das Maximum der Lungenlüftung dann erreicht wird, wenn beide Zwerchfellshälften sich genau gleichzeitig contrahiren, dass dagegen mit der Verschiebung der beiden Contraetionscurven gegen einander der thoraxerweiternde Effect immer gerixger werden muss. Fällt das Con- tractionsmaximum der einen Hälfte mit dem Contractionsminimum der anderen zusammen, so resultirt ein Zustand, wie er etwa eintreten müsste, wenn bei Lähmung der einen Zwerchfellshälfte die andere tetanisch contra- hirt wäre — eine Form der Athmung, die für die Lungenventilation ohne jeden Nutzen sein müsste. Königsberg, den 16. November 1880. ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 89 Erklärung der Tafel, “ Die Curvenzeichnungen sind mit Hülfe der im Text beschriebenen Vorrichtungen gewonnen. Nie sind sämmtlich, mit Ausnahme der drei besonders bezeichneten, von rechts nach links zu lesen. Fig. 1. (S. Versuch II.) Curven beider Zwerchfellshälften. Von r bis r’ wird der centrale Rumpf des linken N. vagus mit 1 Daniell bei 20cm Spiralabstand gereizt. Exspiratorischer Stillstand links. Fig. 2. (S. Versuch IV.) Trachealeurven. 7 Stunden nach der Operation ge- zeichnet. Fig. 3. (S. Versuch V.) Trachea und beide Zwerchfellshälften. Der rechte N. vagus wird auf Elektroden gelegt, und dadurch mechanisch gereizt. Die Athmung ist dadurch wesentlich verlangsamt, die Trachealeurven entsprechend verändert. Fig. 4. (Derselbe Versuch.) Trachea und beide Zwerchfellshälften ohne Reizung. Fig. 5. (S. Versuch VI) Trachealeurve nach Durchschneidung des rechten N. vagus. Fig. 6. (Derselbe Versuch.) Trachealeurve nach Durchschneidung beider Vagi. Fig. 7 und 8 gehören einem im Texte nicht weiter mitgetheilten Versuche an. Fig. 7 giebt die Trachealeurven nach rechtsseitiger Vagotomie; bei Fig. 8 sind beide Vagi durchschnitten. Fig. 9. (S. Versuch VIII.) Linke Hälfte der Medulla oblongata vom Rücken- mark abgeschnitten. Trachealcurve. Bei a von < bis > Reizung des linken, bei b von < bis > Reizung des rechten N. vagus (centripetal) mit 1 Daniell bei 12cm Spiralabstand. Exspiratorische Stillstände in beiden Curven. Zur Kenntniss der mechanischen Reizung der Nerven. Von K. Hällsten in Helsingfors. (Hierzu Tafel II.) Bei Untersuchung der Erscheinungen, welche äussere Reize im lebenden Organısmus hervorrufen, wäre es von Nutzen, wenn man neben den allge- mein als Reize benutzten elektrischen Strömen auch noch andere Reize anwenden könnte. Hierdurch würden zunächst die mit der elektrischen Reizung verbundenen elektrotonischen Erscheinungen vermieden, sowie auch die störenden Einflüsse etwaiger Neben- oder Polarisationsströme; vor Alllem aber wäre es von Interesse, zu erfahren, ob die mit elektrischer Reizung gewonnenen Ergebnisse allgemeine Gültigkeit haben, so dass sie sich bei jeder Art von Reizung wiederfinden, oder ob es im Gegentheil Unterschiede der Art giebt, dass die durch verschiedene Reize hervorgerufenen Erregungs- zustände irgend wie von einander abweichen. An Untersuchungen in dieser Hinsicht hat es gewiss nicht gefehlt; aber diese haben es mit nicht geringen Schwierigkeiten zu thun gehabt, hauptsächlich deshalb, weil man die Stärke anderer Reize nicht mit gleicher Leichtigkeit wie die der elektrischen Ströme messen und modifieiren kann, — um nicht von den Schwierigkeiten zu sprechen, die da entgegentreten, wo man die Zeit, deren andere Reize für Wirkung bedürfen, und die Ver- änderungen, welche diese Reize in Betreff ihrer Stärke während der Zeit der Reizung erleiden, näher untersuchen will. Von Zeit zu Zeit hat man jedoch auf’s Neue versucht, mechanischem Reize eine ausgedehntere Anwendung in der allgemeinen Nervenphysiologie zu geben, und neuerdings ist ein derartiger Versuch von Hrn. Tigerstedt hierselbst gemacht worden. Der Apparat, den Hr. Tigerstedt zu diesem Zwecke angewendet, ist im Wesentlichen derselbe, den Hr. Wundt vor K. HÄLLsTen: ZuR KENNTNISS D. MECHANISCHEN REIZUNG D. NERVEN. 91 einigen Jahren benutzte;' er besteht nämlich aus einem elektromagne- tischen Fallapparate, welcher es gestattet, Gewichte aus verschiedenen Höhen auf den Nerven fallen zu lassen. Es ist nicht meine Absicht, hier auf eine genauere Kritik der Abhandlung, in welcher Hr. Tigerstedt seine hierher gehörenden Untersuchungen dargelegt hat,? einzugehen; vielmehr soll die theoretische Seite der Abhandlung hier vollkommen übergangen, und nur in Beziehung auf den gebrauchten Fallapparat und einige der wichtigsten Untersuchungen mögen ein paar Anmerkungen gemacht werden. Der Fallapparat gewährt nicht hinreichende Sicherheit, damit die ange- wendeten mechanischen Reize auch nur in nacheinander folgenden gleich- artigen Versuchen auf dieselbe Art wirken, weil die Gewichte nach dem Falle gegen den Nerven mit der Hand gehoben werden; und bei einigen, gerade den wichtigsten Untersuchungen, hat Hr. Tigerstedt die Verän- derungen der Erregbarkeit des Nerven in Folge des Absterbens ganz über- sehen. — Ich habe daher nach einer geeigneteren Methode zur mechani- schen Reizung der Nerven gesucht. Nach Versuchen in verschiedener Richtung habe ich geglaubt, dass die momentanen Bewegungen oder einzelnen Schwingungen, in welche der Hebel in einer Marey’schen Trommel (Zambour a levier) versetzt werden kann, dem Zwecke entsprechen können, wenn nämlich Anordnungen ge- troffen werden, welche die Stösse, mit welchen der Hebel wirkt, zu messen oder mit einander zu vergleichen erlauben. Zu diesem Zwecke wurde ein Tambour & levier mit einer anderen ähnlichen Trommel, die ohne Hebel war, durch einen Gummischlauch verbunden; ein Druck auf letztere Trom- mel setzt natürlich den Hebel der ersteren in Bewegung; der Druck wurde mittels eines fallenden Gewichtes erzeugt, und die Fallhöhe des Gewichtes kann in diesem Fall als ein relatives Maass für den Stoss dienen, mit wel- chem der Hebel auf den Nerven wirkt. Die nähere Anordnung deutet Taf. II, Fig. 1 an; hier bezeichnen 7 und 7, die beiden Trommeln und 7 den Gummischlauch, welcher sie mit einander verbindet; die Trommel 7',, welche den Hebel trägt, kann mit dem Trommelfell in horizontaler Rich- tung auf einem Stativ S2 gehoben oder gesenkt werden; die andere Trom- mel 7, wiederum, auf welche das fallende Gewicht wirkt, ist mit dem Trommelfell in verticaler Richtung aufgestellt und ferner mittels eines ver- tical gestellten Brettes Dr, an einer Wand befestigt; als fallendes Gewicht endlich wurde eine runde Kugel X benutzt, welche an einem 47.5°” langen Faden über der Trommel 7 aufgehängt war, so dass sie von der Seite gegen die Mitte des Trommelfelles 7" heruntergelassen werden konnte; nach ı W. Wundt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentra. Erlangen 1871. S. 196—197. ®2 R. Tigerstedt, Siudien über mechanische Nervenreizung. Helsingfors 1880. 92 K. HirListen: dem Falle wurde die Kugel mit der Hand aufgefangen. Um die Fallhöhe der Kugel zu messen, war eine Scala Sk (in Centimetern) neben das Brett Br, gestellt, und zugleich waren die Theile der Scala am Kreisbogen C, welchem entlang die Kugel sich am gespannten Faden bewegte, angegeben. Die Kugel war von Elfenbein und hatte einen Durchmesser von 25""; ein Paar kleinere Kugeln, auch von Elfenbein, welche für den Zweck ange- schafft wurden, fanden kaum Anwendung. — Es mag bemerkt werden, dass die Elfenbeinkugel, sowie das Gestell, auf welchem sie hängt, sammt der Scala eigentlich einem Apparate angehören, den Hr. Wundt in seinem Werke Menschen- und Thierseele zur Untersuchung von Weber-Fechner’s psychophysischem Gesetze bei Schallempfindungen angiebt; für den gegen- wärtigen Zweck waren nur einige kleinere Veränderungen nothwendig. — Bei “den ersten Versuchen mit diesem Apparate wurden die Bewegungen des Hebelarmes mittels der Fallhöhe der Kugel regulirt; es erwies sich jedoch bald als bequemer, diese Bewegung mittels des Gelenkes, welches sich an einigen Marey’schen Trommeln, wie diese von Hrn. Ch. Verdin in Paris verfertigt werden, befindet, zu reguliren und dagegen die Fallhöhe der Kugel beständig zu lassen; um dabei der Kugel immer dieselbe Fall- höhe zu geben, wurde am Kreisbogen C eine Stütze befestigt, gegen welche die Kugel gedrückt wurde. — Beim Gebrauch des Apparates wurde der Nerv auf eine ebene Unterlage von 3"” Breite, welche in -horizontaler Richtung auf dem Myographion-Tische M befestigt war, gelegt. Dieser Apparat wurde eigentlich nur dazu bestimmt, zu prüfen, wie sich die Erregbarkeit in motorischen Nerven an verschiedenen Stellen bei mechanischer Reizung verhält; und schon die oben beschriebene Anordnung war genügend, um die bekannte Pflüger’sche Erscheinung hervortreten zu lassen. Zur sicheren Anwendung des Apparates bei solchen Unter- suchungen wurde es jetzt nothwendig, Anordnungen zu treffen, um die Trommel 7, mit dem beweglichen Hebelarme nebst dem Nervenpräparate in eine feuchte Kammer einzuschliessen. Zu diesem Zwecke wurde an der einen Seite des Tisches an Pflüger’s Myographion eine rectangu- läre Oeffnung von ungefähr 8°” Länge und 1!/,°® Breite angebracht; diese Oeffnung wieder wurde von der unteren Fläche der Tischscheibe mit einem Brette Dr, bedeckt, welches so befestigt war, dass es in der Richtung der Oeffnung verschoben werden konnte. An diesem Brette schliesslich wurde das Stativ St mit dem Marey’schen Tambour @ levier befestigt, und eben so ein Glasrohr, welches durch zwei Gummischläuche Sl! und $/ die Verbindung zwischen den beiden Trommeln 7, und 7, herstellte. Nunmehr konnte die Trommel 7, mit dem Hebel und dem Nervenapparate in eine feuchte Kammer eingeschlossen werden; und die mit der Unterlage, auf welcher der Nerv lag, parallele Verschiebung ge- J 3 Zur KENNTNISS DER MECHANISCHEN REIZUNG DER NERVEN. 94 stattete, die Lage des Hebels zu dem Nervenpräparate so zu verändern, dass, welche Stellung auch das Brett Dr, erhielt, der Hebel dieselbe Lage zu dem gereizten Theile des Nerven einnahm. — Hier mag hinzugefügt wer- den, dass in dem so zusammengesetzten Apparate der Hebel eine Länge von 174””, und an dem freien Ende, welches gegen den Nerven schlug, eine Dieke von 0-3 bis 0-4”"” hatte, und dass die Mitte der Unterlage, auf welcher der Nerv lag, sich in einer Entfernung von 171”" von der Achse befand, um welche sich der Hebel bewegte. Um zu untersuchen, wie sich der Hebel unter diesen Verhältnissen bewegt, wurden einige Versuche mit einem rotirenden Cylinder, auf wel- chem der Hebel seine Bewegung aufzuzeichnen hatte, gemacht. Es erwies sich dabei, dass der Hebel — wie man auch a priori findet — nicht un- mittelbar nach einer Schwingung in die Gleichgewichtslage zurückgeht, sondern zuvor einige — innerhalb der Grenzen, welche unser Apparat zu- liess, drei bis vier — Nachschwingungen mit allmählich abnehmenden Am- plituden ausführt. Dies geschieht, wenn der Hebel, ohne gegen eine Unter- lage zu stossen, in Bewegung versetzt wird, wie Taf. II, Fig. 2 zeigt, wobei die Fallhöhe der Kugel 2°” war und der Hebel in der Ruhe mit dem Horizont (oder der Ebene durch die Drehungsachse des Hebels und die Unterlage, auf welcher der Nerv lag) einen Winkel machte dessen Tangente 10/,, war. Aber auch, wenn der Hebel gegen den Nerven mit dessen Unterlage stösst, wird er unter gleichen Verhältnissen in ähnliche Nach- schwingungen versetzt, wie dies Taf. II, Fig. 3 zeigt; die Curve in Fig. 3 wurde nämlich erhalten, als die Mitte der Unterlage, auf welcher der Nerv lag, sich 10”® entfernt von dem vertical darüber befindlichen Punkte am Hebel befand. — Diese Curve zeigt zugleich, dass, wenn dem Hebel die oben ge- nannte Lage gegeben wird, die Nachschwingungen ganz und gar verhin- dert werden auf den Nerven zu wirken; es war daher ungefähr diese Lage, welche der Hebel beim Gebrauch des Apparates erhielt. — Die Curve Fig. 3 lässt schliesslich einigermaassen darüber urtheilen, wie der Hebel auf den Nerven wirkt; der erste Zweig links, unterhalb der horizontalen Linie, welche die Gleichgewichtslage des Hebelarmes andeutet, zeigt nämlich, dass der Hebel zweimal auf den Nerven schlägt, und dass der spätere Stoss wäh- rend einer längeren Zeit dauert, aber nicht so tief nach unten wie der erstere geschieht. Noch mag bemerkt werden, dass dieselbe graphische Methode lehrt, wie die Bewegungen des Hebels sich nicht immer ganz gleich bleiben, obgleich diese Bewegungen unter möglichst gleichartigen Verhält- nissen hervorgebracht werden; dies kommt hauptsächlich und vielleicht ausschliesslich daher, dass die Kugel nicht jedes Mal die Mitte des Trom- melfelles trifft. Diese Abweichung hat sich jedoch als unwesentlich für den Gebrauch des Apparates zu dem beabsichtigten Zwecke erwiesen. 94 K. HÄLLSTEN: Mit dem so construirten Apparat war zunächst die Ausdauer des Nerven zu untersuchen; in dieser Beziehung mögen hier einige Versuche angeführt werden. Die Abkürzungen &, FH und R, welche hier und in dem Folgenden angewendet werden, bezeichnen: E die Entfernung von der ge- reizten Stelle zum Muskel in Millimetern; FT die Fallhöhe der Kugel in Centimetern; R die Muskelzuckung oder die Höhe der Linie an der be- russten Glasscheibe in Millimetern, von der Gleichgewichtslage des Schreib- apparates gerechnet; die letzte Grösse A? wurde mittels einer Glssiere ge- messen, die mit Nonius versehen war, so dass Zehntel Millimeter abge- lesen werden konnten. Die Buchstaben A, B schliesslich deuten die Ord- nung an, in welcher die verschiedenen Versuchsreihen geschahen. Reihe I. Die Entfernung der gereizten Stelle & von den Muskel war 40", die einzelnen Versuche folgten dieht aufeinander. 1 FH 4.35 h Lr EH AR 1 „ 4 „ 1 „ 4 ” i ”„ 4 2) 2 „ IT „ A 1 ” 4.3 „ b 2 „ h) 2) 1 „ 4 ” 2 ” 4.8 „ 1 „ 4 ” 1 „ 4 ’ 1 4 Die Versuche 3 wurden unmittelbar nach den Versuchen A angestellt. Reihe I. E=43"", die Zeit zwischen den einzelnen Versuchen war 15 Secunden. 2EH 2-5R OR TR Re 2) Dann BR AO Dal BER SD UN DR Rod, Don AA DER Be Da all Zwischen den Versuchen A und D war der Nerv 2 bis 3 Minuten in Ruhe. Reihe II mit stärkerem Reize (der Hebelarm war nämlich dem Ner- ven näher); die Zeit zwischen den einzelnen Versuchen war 15 Secunden; E nicht aufgezeichnet, aber ungefähr dieselbe wie in vorhergehenden Ver- suchen. FH 1 6 1 6 ie 6- 1 6 1 6 ZUR KENNTNISS DER MECHANISCHEN REIZUNG DER NERVEN. 95 Die Zeit der Ruhe für den Nerven zwischen den Versuchsreihen A und 5 war 2 Minuten. Diese Versuche dürften die Anwendbarkeit der Methode für mecha- nische Reizung der Nerven beweisen, besonders wenn die Reizungen dicht nach einander geschehen. Der Einfluss auf die Grösse der Muskelzuckung in Folge der Annähe- rung des Hebelarmes an den Nerven mag auch durch ein Beispiel er- läutert werden. Reihe IV. £=33; die Reizungen geschahen dieht nacheinander. ae save 2 „ 2.8 „ 3 ” 3.2 „ 4 „ 3.4 ” An ., 3:4 „ 5 ” 4 ” 6, 4-6 „ Der Hebel wurde in diesem Fall dem Nerven mittels des oben er- wähnten Gelenkes genähert; dasselbe kann jedoch auch dadurch erzielt werden, dass man die Trommel 7, dem Stative St entlang verschiebt; das Resultat ist auch in diesem Falle dasselbe, dass nämlich die Muskel- zuckung zunimmt. Die Ursache zu der stärkeren Erregung, welche der Stoss hervorbringt, je mehr der Hebel dem Nerven nahe gebracht wird, ist zunächst der grösseren Stärke, mit welcher der Hebel wirkt, und der grösseren Veränderung, welche der Druck auf den Nerven während der Erregungszeit erleidet, zuzuschreiben; ob hierbei zugleich die Zeitdauer des Stosses oder die Erregungszeit verändert wird, konnte durch die Unter- suchung mit dem rotirenden Cylinder nicht entschieden werden — viel- leicht nur in Folge zu geringer Umdrehungsgeschwindigkeit. Hinsichtlich der angewendeten Präparate mag nur bemerkt werden, dass der Nervenstamm im Zusammenhang mit dem Rückenmark gelassen wurde; nur in einzelnen Versuchen, die unten besonders erwähnt werden, wurden abgeschnittene Nerven benutzt. Die Fragen, die ich mittels dieser Methode zunächst untersucht habe, sind der Einfluss eines angelegten Querschnittes auf die Erreg- barkeit, so wie auch das Verhältniss der Erreebarkeit an verschie- denen Stellen desselben Nerven. 96 K. HÄLLSTER: 1. Die Veränderungen der Erregbarkeit in Folge eines Querschnittes. Um zu untersuchen, ob die Veränderung, welche die Erregbarkeit er- leidet, wenn der Nerv abgeschnitten wird, mittels mechanischer Reizung nach der angegebenen Methode nachgewiesen werden kann, wurden eine Menge Versuche vorgenommen; die Ergebnisse mögen durch folgende Ver- suche erläutert werden. Reihe I. Der Nerv wurde zunächst in einer Entfernung vom 31”” vom Muskel mit einem minimalen, oder richtiger, einem schwach unter- maximalen Reize gereizt; auf diese Weise erhielt man 2 FH IR 2 ” 1 ” unmittelbar danach wurde der Nerv am Rückgrat, in einer Entfernung von 26”” von der gereizten Stelle abgeschnitten; hierauf gemachte Rei- zungsversuche mit Reizen von derselben Grösse gaben 22 HH 4 R 2u6), 4.8,,; abermals wurden 15”" vom Nerven in einer Entfernung von 11”” von der gereizten Stelle abgeschnitten, und bei erneuter Reizung ergab sich 2 PH. DR 2 6-.2,; schliesslich wurden 10%” vom Nerven in einer Entfernung von 1 bis 2” von der gereizten Stelle abgeschnitten; danach ergab sich 2ER el 2 In Hierbei geschah das Abschneiden so schnell als möglich und die Reizungen wurden unmittelbar nachher ausgeführt; die Zwischenzeit zwischen den beiden aufeinander folgenden Reizungsversuchen war 15 Secunden. Reihe H. Ein Präparat, welches soeben vorher während beinahe 20 Minuten dazu angewendet worden war, die elektrotonischen Erregbar- keitsveränderungen mit mechanischem Reize zu untersuchen, wurde auf dieselbe Art wie in dem vorhergehenden Versuch in einer Entfernung von 27”® vom Muskel gereizt und gab 2 FH 2.4 R 2 ” 2.4 „9 danach wurde der Nerv am Rückgrat in einer Entfernung: von 28”” von der gereizten Stelle abgeschnitten; dabei wurden erhalten ZUR KENNTNISS DER MECHANISCHEN REIZUNG DER NERVEN. 97 DET ORAHR, Vom Nerven wurden nochmals 20”® in einer Entfernung von S"M von dsr gereizten Stelle abgeschnitten, danach ergab sich 2, FHr. ACH; schliesslich wurden noch 5”" vom Nerven abgeschnitten in einer Entfer- nung von 3”” von der gereizten Stelle; dabei erhielt man SIEHE E.OR. In diesem Versuche wurden alle Operationen dicht nach einander aus- geführt. Reihe III. Der Nerv war am Rückerat abgeschnitten und wurde in einer Entfernung von 35”” vom Muskel gereizt; hierbei erhielt man 17H minmR | „ 3 2) ia Id; danach wurden 11”” vom Nerven abgeschnitten und bei erneuter Reizung erhielt man I Ja wrnach gelinder Tetanus eintrat; nachdem dieser aufgehört, erhielt man IR 6: Der Versuch wurde auf folgende Art fortgesetzt: EEE ls ” 1 ” und nachdem 10”” vom Nervenstamm dicht an der gereizten Stelle abge- schnitten worden waren Del Rat Id Ua „ 8.7, Reihe IV. Der Nerv war am Rückerate abgeschnitten und wurde in einer Entfernung von 27”” vom Muskel gereizt; so erhielt man ZIEH 2-5. R 2, 2.3 45 hierauf wurde der Nerv in einer Entfernung von 8" yon der gereizten Stelle abgeschnitten, wodurch 20”” vom Nerven entfernt wurden; bei er- neuter Reizung erhielt man del Bon ih 2 „ 3.5 > schliesslich wurden noch 5”" vom Nerven in einer Entfernung von 3” von der gereizten Stelle abgeschnitten, hierauf erfolgten ZIEH AR; auf die Zuckung folgte Tetanus, weshalb das Experiment unterbrochen wurde. Archiv f. A. u. Ph, 1881. z. Physiol. Abthlg. m 95 K. HäLıstex: Reihe V. Das Präparat war soeben vorher zu einem anderen Zwecke angewendet worden; der Nerv wurde in einer Entfernung von 24"" vom Muskel gereizt und gab 2 FH Minim. R 2 danach wurde der Nerv in einer Entfernung von 4”" von der gereizten Stelle abgeschnitten, wodurch 22”” vom Nervenstamm nebst dem Rücken- mark entfernt wurden; unmittelbar darauf gemachte Versuche gaben 2 EH 31 R 2 ” 3 ” Diese Versuche dürften hinreichend beweisen, dass die Veränderung der Erregbarkeit in Folge eines Querschnittes auch durch mechanische Reizung nachgewiesen werden kann; die Reihen I und II sowie auch IV zeigen zugleich, dass die Vergrösserung der Erregbarkeit um so grösser ist, je näher der gereizten Stelle der Querschnitt gemacht wird. Es mae hin- zugefügt werden, dass bei alten Präparaten die Vermehrung der Erreebar- keit bisweilen ausbleiben kann, wie dies auch der erste Versuch in der Reihe II andeutet. RG 2. Die Erregbarkeit an verschiedenen Stellen des Nerven. Die Curve der Erregbarkeit. Der Schwellenwerth des Reizes. Zur Untersuchung der Erregbarkeit an verschiedenen Stellen des Nerven wurde das Brett Dr, (Taf. I, Fig. 1) und mit demselben die Trommel 7), mit ihrem Hebel verschoben; der Apparat war, wie oben gesagt, so ein- gerichtet, dass, wo auch das Brett Dr, gestellt wurde, der Hebel dieselbe Lage zu der Stelle des Nerven, die gereizt wurde, einnahm. Anfangs wurde die Erregbarkeit an zwei verschiedenen Stellen, die eine in der Nähe des Rückgrätes, die andere näher dem Muskel, unter- sucht. In der folgenden Beschreibung der Experimente deuten die hori- zontalen Linien die Reihenfolge, in welcher die Versuche ausgeführt wur- den, an. In zB loan 1 Ydal 4R Ee kb: han 0, gr zn 'a ” 0 er Sn: ]h; ) 4 ’ Zur: = —_ - 1 FH Zur KENNTNISS DER MECHANISCHEN REIZUNG DER NERVEN. 99 Er— ol Pr—ul2mr IE Ale — — ie, d.l, IR Tan — —— 1 FH (ER Be a ” 0 ko; Ds ER 2 > an a 3-4, Ben IR 2 ’ 3-4 ,„ 2 029, Se = 2 Tl, ii = = x a 3-4, nn de Dr 3-4 2 6:5, TEE Fi 2 5 6:7, En; 207 ET RUE 2 ” Ar, Reihe II. Die Zeit zwischen den verschiedenen Versuchen war 30 Secunden. 30 »— nn — —— 1 FH OTTER, Gr SE 2 5 0 Fur me In 13, Ess TER 3, 1:2, a FH 6:35R — we Ion 6:4, ne: as a = ee x 2 tn Be ax m 3 2 5% FE Sr Reihe Ill. Die Versuche wurden dicht nach einander gemacht; £, bezeichnet die in der Nähe des Rückenmarkes gereizte Stelle und Z, die Stelle in der Nähe des Muskels (ungefähr 10 bis 12"). E, E, EN O 2 le ” 0 „ ee an 1 2 4 3) >; —— 2 4:5, = Tr — = RE OR NT TE 1 „ 1 ’ _ n 2 on 7, 3 == => -1 100 K. Häuıstex: Reihe IV. Ein Reiz von grösserer Stärke wurde angewandt; die Ver- suche wurden dicht nacheinander ausgeführt. E = Don E= Sem 127287: IR = ne ls ” 8 „ a SIE: — = Na, 9 5 Bst Dar les; 4:8, DI => hen 34, Dr 10, 5 = a 15 „ Bert Pas ee, U9,,; _ — == 7 a 2) 39, Br FE an 35, Mehr Versuche, glauben wir, brauchen nicht angeführt zu werden, um die Schlussfolgerung zu begründen, dass die bekannte Pflüger’sche Er- scheinung auch bei mechanischer Reizung eintritt und zwar eben so deut- lieh und unzweideutig, wie bei elektrischer Reizung; die Erregbarkeit zeigt sich in jedem Falle, sowohl bei elektrischer wie bei mechanischer - Reizung, verschieden an verschiedenen Stellen des Nervenpräparates, und zwar grösser in der Nähe des Rückenmarkes als in der Nähe des Muskels. Ich habe ferner untersucht, ob man auch mit mechanischer Reizung den Verlauf der Curve der Erregbarkeit bestimmen kann. Heidenhain verfuhr bei seinen hierhergehörenden Untersuchungen — mit dem elektri- schem Strom als Reiz — in der Art, dass er für die verschiedenen Stellen des Nerven, in einer Entfernung von 5—10”" von einander, den gering- sten Werth bestimmte, dessen der Reiz, um eben noch reizen zu können, bedarf; diese Methode ist hier nicht anwendbar, weil der mechanische Reiz nicht so leicht wie ein elektrischer Strom gemessen oder seiner Stärke nach abgestuft werden kann. Ich habe deshalb den Nerven an verschie- denen, je 5"" von einander befindlichen Stellen mit einem und demselben Reize gereizt; nach der Grösse der Muskelzuckungen kann man natürlich auch bei diesem Verfahren den Verlauf der Erregbarkeitscurve beurtheilen. Schon die ersten hierher gehörenden Versuche zeigten, dass ein Theil der Curve sehr schwer mittels mechanischen Reizes zu bestimmen ist, der Theil nämlich, der dem Muskel am nächsten liest; bei mechanischer Rei- zung dieses Theils des Nerven entsteht nämlich leicht Tetanus, welcher — wie es sich aus den Abschneideversuchen erwies — von der gereizten Stelle ausgeht und wohl von dem geringen Widerstand herrührt, den der hier ı R. Heidenhain, Studien des physiologischen Instituts zu Breslau. Leipzig 1861. 8. 44. /UR KENNTNISS DER MECHANISCHEN REIZUNG DER NERVEN. 101 dünne Nerv dem Stoss leiste. In den folgenden Versuchen enthält die zweite Spalte das zuerst erhaltene Ergebniss; die dritte einen unmittelbar darauf gemachten Controlversuch. Reihe V. Die einzelnen Versuche folgten dicht auf einander, die Versuche je einer horizontalen Reihe erforden 3 Minuten. 50 E 32 AR 41 R 45 „ N 3 40 „ 48T, 2 DIE 3 4.9, 302, 3, 3a 2D 228 2, ed, 20, VER On, 15 „ minim. Zuck. minim. Zuck. 10%, , B ” ” 2? In diesem Präparate ging der Nervenstamm aus dem Plexus sacralis hervor bei Z= 43"" und der Zweig zum Oberschenkel bei #= 31" Entfernung vom Muskel; die Stelle der grössten Erregbarkeit war also einige Millimeter unterhalb des Plexus, und die Stelle der geringsten Er- regbarkeit ungefähr 10” unterhalb des Zweiges zum Oberschenkel. Reihe VI wurde auf dieselbe Weise wie die vorhergehende aber mit etwas stärkerem Reize ausgeführt; jede der Versuchsreihen erforderte 3 Minuten. 60 E 69 R 9 R DD, 5, Sue, 44 „ 50 „ 6:3 „ 3:2 „ 45 „ 8 2) 8 „ 40 „ 8.8) „ 8:3 „ 35 5°5 , DEN 25 30 „ 2:8 „ 1120, 20, 0 100) 20. 10% ie 92,, 10-4 6-7 ” Hier ging der Nervenstamm aus dem Plexus hervor bei #= 47"%, - und der Zweig zum Oberschenkel bei #= 30"m Entfernung vom Muskel; die grösste Erregbarkeit im oberen Theil des Nerven liegt einige Milli- meter unterhalb des Plexus, die geringste Erregbarkeit dagegen ungefähr 5.m unterhalb der Stelle, wo der Zweig zum Oberschenkel abgeht. Mehr Versuche brauchen wohl nicht angeführt zu werden, obgleich noch besondere Versuche angestellt wurden, um die Lage der beiden aus- 102 K. Hirıstex: gezeichneten Punkte ausfindig zu machen. Die Controlversuche zeigen, dass die Erregbarkeitscurve sich während der Versuche allerdings verän- dert hatte, aber dass der allgemeine Verlauf derselben; bis auf ein paar Ausnahmen, doch derselbe geblieben war. Die Erregbarkeit im oberen Theil der Nerven zeigt sich am grössten etwas unterhalb der Stelle, wo der Nervenstamm vom Plexus ausgeht, d. h. etwas oberhalb des oberen Drittels der Nervenlänge, vom Muskel aus gerechnet, und nimmt von hier aus nach beiden Seiten ab; die Erregbarkeit ist wiederum am geringsten etwas unterhalb der Stelle, wo der Zweig zum Oberschenkel abgeht, oder ungefähr am unteren Drittel der Nervenlänge; von hieraus nimmt dieselbe nach beiden Seiten zu. Diese, und auch besonders darauf gerichtete Ver- suche lassen ferner erkennen, dass die Erregbarkeit nicht stetig von ihren maximalen Werthe absinkt. Ein Vergleich mit den Ergebnissen, die Heidenhain mit elektrischen Strömen als Reize gefunden, zeigt eine be- friedigende Uebereinstimmung; eine Abweichung. ist eigentlich nur die Bie- gung der Curve am Plexus. : In Uebereinstimmung hiermit muss auch die verschiedene Erregbar- keit an zwei verschiedenen Stellen am Deutlichsten hervortreten, wenn die Reizungen an den beiden Stellen geschehen, wo die Erregbarkeit ihren maximalen und minimalen Werth erreicht. Weitere Versuche zu diesem Zwecke schienen indess kaum nothwendig; dagegen hielt ich es für an- gemessen, die Erregbarkeit an diesen Stellen unter etwas veränderten Ver- hältnissen zu untersuchen, nämlich so, dass die näher zum Muskel befind- liche Stelle sich auch näher zum Hebel in dessen Gleichgewichtslage befand. Bei dieser Anordnung ist, wie oben hervorgehoben wurde, die Er- regung an der letzteren Stelle grösser, im Fall nämlich die Erregbarkeit an den beiden untersuchten Stellen dieselbe wäre; aber auch in diesem Falle tritt die verschiedene Erregbarkeit hervor, wie folgende Versuche zeigen. Reihe VII. Die Entfernung in verticaler Richtung von der Unter- lage, auf welcher der Nerv lag, bis zum Hebel war für die näher zum Muskel befindliche Stelle Imm oeringer als für die entferntere Stelle. E=-5hlen IE ag 2 JRIER DD — — — — 27 RI anınım. Zucke — Du, 0.4 R 2 ” 2.3 ” a Tau Reihe VIII. Die Entfernung von der Unterlage bis zum Hebel war für die näher zum Muskel befindliche Stelle 1-5"” oeringer als für die entferntere Stelle. ZUR KENNTNISS DER MECHANISCHEN REIZUNG DER NERVEN. 103 E = 49 um E= 14m DEU. 32 R —_ in — = 2 FH 0-7 R NErz FE 2 „ 1.5 „ 2, 33, ARE Se Ferner ergab sich bei im Uebhrigen gleicher Anordnung nach einer kleinen Senkung des Hebels: DURTAEN 4 R — —_ 2 4 En Bet 2 FH 228 Du 28, Reihe IX. Die Entfernung von der Unterlage bis zum Hebel war für die näher zum Muskel befindliche Stelle 3=® geringer als für die ent- ferntere Stelle. AD un alu DEN 2A I = = = 2 FH OR 2er n a, minim. Zuck. 2 P2) 2.4 „ Iu% Ss welches Alles mit dem oben gefundenen Ergebniss übereinstimmt. In dem Vorhergehenden ist die Erregbarkeit untersucht worden da- durch, dass derselbe Reiz auf verschiedene Stellen des Nerven wirke; die Erreebarkeit wird jedoch am Genauesten mittels des Schwellenwerthes des Reizes bestimmt, oder richtiger, mittels des reciproken Werthes dieser Grösse. Ich habe daher im Zusammenhang mit vorhergehenden Unter- suchungen einige Beobachtungen hinsichtlich des minimalen Reizes gemacht. Es hat hier zunächst gegolten, darüber zu entscheiden, ob der Schwellen- werth an ein und derselben Stelle des Nerven einen constanten Werth bei ungleicher Belastung erhält; im engegengesetzten Falle kann nämlich nicht von einem bestimmten Schwellenwerthe gesprochen werden. Durch Unter- suchungen von Hermann und später von Kronecker und Tiegel wissen wir, dass dies der Fall ist bei Reizung mit dem elektrischen Strome; um zu untersuchen, ob dies auch bei mechanischer Reizung der Fall ist, wurde zunächst ein möglichst minimaler Werth für den mechanischen Reiz ge- sucht, wobei der Muskel nur mit dem Schreibapparat nebst dazu gehörender Gewichtsschale in Pflüger’s Myoegraphion belastet war; danach wurde untersucht, ob derselbe Reiz auch bei grösserer Belastung Zuckung hervor- rief. Das Ergebniss wird durch folgende Versuchstabelle erläutert, in welcher B die auf der Wagschale hinzugefüsten Gewichte in Grammen bezeichnet und die Fallhöhe der Kugel 2°” war. 104 K. HÄLLSTEN: Zur KENNTNISS DER MECHAN. REIZUNG DER NERVEN. Reihe X. Reihe XI. B R B R 0 minim. Zuckung. 0 minim. Zuckung. 20 20 30 30 0 Ä 40 50 100 70 50 0 30 20 70 f ” ” - In beiden Fällen hatte & bei A=0 einen Werth von ungefähr 1””; bei vermehrter Belastung nahm Zt ab und war am gerinesten bei = 100; bei verminderter Belastung wurde wiederum 7A vermehrt. Reihe XI. Reihe XII. BD R B R 0 0 0 1-4 0 2.2 0 1-4 100 0.4 200 minim. Zuckung. 150 minim. Zuckunge. 200 „ 150 5 e 200 150 0 150 100 0 150 0 2-4 100 0-3 100 0.3 50 1-5 Im Reihe XII-war #2 = 38"“, in Reihe XII zZ= 35"r; auch in diesen Versuchen nahm A mit der Belastung ab und war bei der grössten Belastung B = 150 bis 200 8” äusserst klein. Diese Versuche zeigen, dass auch bei mechanischer Reizung ein Reiz, der sich der Schwelle nahe befindet, innerhalb sehr weiter Grenzen der Belastung Muskelzuckung hervor bringen kann; hieraus geht ferner hervor, dass die minimalen Muskelzuckungen, die so erzeugt werden, mit der Be- lastung abnehmen. Was die Bestimmung der absoluten Grösse des Schwellwerthes be- trifft, so hat es allerdings keine Schwierigkeit nach der hier angewendeten Methode für mechanische Reizung die Grenzen zu finden, zwischen welchen derselbe liegt; solche Bestimmungen sind jedoch illusorisch, so lange die Grenzen, an welchen der Schwellenwerth zu berechnen ist, sich nicht in Zahlen ausdrücken lassen. Die Temperatur des gereizten Säugethiermuskels. Von Dr. Meade Smith. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. Hätte sich die vormals ausgesprochene Annahme bestätigt, dass Art und Grösse des chemischen Umsatzes, welcher während der Zeiteinheit inner- halb einer thätigen Muskelmasse geschieht, nur bedingt werde von dem Umfang der Zusammenziehung bez. von der ihr gleichwerthigen Spannung der Faser, so würde auch die bei der Contraction entstandene Wärme ein und für allemal durch das Verhältniss bestimmt gewesen sein, in welcher sie mit der veränderlichen Muskelform wächst. Beobachtungen, welche am ausgeschnittenen Froschschenkel nach einer von Helmholtz geschaffenen, von R. Heidenhain und Ad. Fick verfeinerten Methode angestellt wurden, zeigten jedoch, dass die Dinge nicht so einfach liegen, denn es erwärmte sich derselbe Muskel bei gleicher Arbeitsleistung ganz verschieden, je nach der Spannung und dem Ermüdunesgrade, unter welchem er sie vollführte. Für das Ziel, welches der thermischen Untersuchung des Muskels gesteckt ist, wird damit ausgesprochen, dass neben den Spannungs- und Formände- rungen des Muskels auch noch alle anderen Bedingungen zu beachten seien, unter denen sich der lebendige Muskel bewegt; namentlich kann es nicht mehr für erlaubt gelten, die Regeln auf den Säugethiermuskel zu über- tragen, welche man am Froschmuskel aufgefunden hat. Der soeben er- hobene Zweifel findet in den wenigen Angaben, die über den Temperatur- zuwachs im tetanisirten Säugethiermuskel vorliegen, eine starke Stütze. Während sich den vorliegenden Angaben gemäss günstigsten Falls die Tem- peratur des ausgeschnittenen Froschmuskels durch einen Tetanus nur um 0-1°C. emportreiben lässt, haben Leyden! und Fick-Billroth? am ı Virchow’s Archiv. Bd. XXVI. S. 538. °® Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 1863. 8. 427. 106 MEADE SMITH: Säugethier ein Ansteigen derselben um mehrere Grade beobachtet, als sie grosse Abtheilungen der Skeletmuskeln des Hundes in Tetanus ersetzten. Der Aussicht weiter nachzugehen, welche durch diese wichtigen Versuche eröffnet worden war, schien mir der Mühe werth, und so habe ich der Aufforderung des Hrn. Prof. C. Ludwig folgend die Versuche am Säugethier- muskel wieder aufgenommen. Dem Befunde meiner Vorgänger gemäss, welche sich mir bei dem ersten Versuche sogleich bestätigten, konnte ich mich zur Messung der Temperatur des Thermometers bedienen. Die Instrumente, welche ich anwendete, waren von Hın. Götze in Leipzig verfertiet. Ihr Gefäss hatte einen Durchmesser von höchstens zum. yon diesem ging ein äusserst feiner Quecksilberfaden aus, dessen Scala in Zehntel-Grade getheilt war. Der Abstand zwischen je zwei Theil- strichen war ‚hinreichend gross, um noch mit Sicherheit Hundertel eines Grades schätzen zu können. Alle Thermometer waren sorgfältig nach be- kannten Regeln über den ganzen Verlauf ihrer Scala hin mit einander verglichen. Da alle Instrumente in sehr ähnlichen Dimensionen gebaut und sie sämmtlich von sehr dünnem Glase geblasen waren, so fand die Ausgleichung der Temperatur zwischen ihnen und ihrer Umgebung sehr rasch und auch annähernd in gleichen Zeiten statt. Mit diesen Instrumenten wurden Messungen am lebenden und überlebenden Muskel angestellt; an beiden Orten unter mancherlei verschiedenen Bedingungen. Ich werde zuerst von den Beobachtungen am lebenden Thiere sprechen und die Maass- regeln aufzählen, welche allen oder dem grössten Theile der Beobachtungen gemeinsam waren. Vor dem Beginn der Versuche wurden die Hunde je nach Bedürf- niss mit Chloralhydrat, Opiumtinetur oder Curare betäubt. — Von allen zur Verfügung stehenden Muskelgruppen schienen mir die Strecker des Unterschenkels die geeignetesten; ihre Nerven lassen sich ohne Schwierig- keit auffinden und mit den bekannten Elektroden aus Hartgummi versehen, ihre Venen sind mächtig genug, um ein Thermometer aufzunehmen, ohne dass der Blutstrom beeinträchtigt wird. Die Verkürzung, welche die tetani- sirten Muskeln erfahren haben, lässt sich aus dem Umfange der Be- wegungen schätzen, welche sie dem Unterschenkel mittheilen, zudem kann an dem letzteren ein Gewicht befestigt und die Höhe, um welche dasselbe gehoben wird, auf dem rotirenden Papierstreifen aufgezeichnet werden. Die Thermometer wurden an verschiedenen Orten angebracht. Aus- nahmslos ward eins derselben von der linken A. carotis aus bis in die Aorta geschoben; die Bestimmung der Muskeltemperatur geschah dagegen auf verschiedene Weise. Sollte die Temperatur des Muskelvenenblutes ge- messen werden, so wurden Vorbereitungen denen ähnlich getroffen, welche DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 107 Gaskell! bei seinen Beobachtungen über die Stromgeschwindigkeit des Muskelblutes benutzt hat, so dass es genügt, auf seine Beschreibungen und Abbildungen zu verweisen. Waren die nothwendigen Unterbindungen be- endet, so wurde die Schenkelvene etwa einen Centimeter unterhalb der Stelle, an welcher sie die oberen Zuflüsse aus den Streckmuskeln aufnimmt, geöffnet, das Thermometer in ihre Lichtung eingeführt und dort vorgeschoben bis das Quecksilbergefäss in das aus den Streckmuskeln kommende Blut tauchte. Auf diese Weise war man sicher, dass weitaus der grösste Theil des Blutes, welches das Thermometer umspülte, aus den zur Reizung be- stimmten Muskeln hervorkam; ich sage der grösste Theil, weil es auch der peinlichsten Sorgfalt nicht gelingt, Strömungen, die aus der Haut und den Fascien kommen, auszuschliessen. Andere Male aber wurden die Thermo- meter direct in die Muskeln eingeschoben, des Vergleiches wegen kamen sie entweder zwischen die Bäuche des M. rectus und M. vastus internus oder zwischen den Oberschenkelknochen und das darüberliegende Muskel- fleich, oder endlich auch unmittelbar unter die Haut über den M. vastus zu liegen. Da die Thiere nach Beendigung des Versuches getödtet wurden, so konnte die Lage der Thermometer jedesmal controlirt werden. Die Ablesung der Thermometerstände geschah nach Bedürfniss von je viertel, halber oder von ganzer Minute mit einer Lupe Zur Ausführung einer so häufigen Notirung bedurfte es mindestens zweier Beobachter. Hr. Dr. M. von Frey hat mir den dankenswerthen Dienst geleistet, als zweiter bei der anstrengenden viele tausende von Ablesungen umfassenden Versuchsreihe unermüdlich zur Seite zu stehen. Waren mit der Einsetzung der Thermometer die blutigen Operationen beendet, so wurden die kleinen Wunden sorgfältig vernäht und der Schen- kel in Schaaf- oder Baumwolle eingehüllt und nun erst um den Unterschenkel der Riemen gelegt, an welchem das anzuhängende Gewicht befestigt werden konnte. Da das Thier und somit auch sein Schenkel auf einer horizontalen Tischplatte lag, so konnte der Uebergang des Gliedes aus der gebeugten in die gestreckte Stellung, wie sie der Tetanus unserer Muskelgruppe verlangte, auch nur in der Horizontalebene ausgeführt werden. Zur Vermeidung störender Hemmungen wurde unter den Unterschenkel eine grosse Spiegel- platte geschoben, auf deren glatter Fläche die Bewegungen ohne alle Rei- bung vor sich gingen. Ueber die vorspringenden Condylen des Oberschenkels war eine Schraubenklemme gelegt, deren unterer Arm auf die Tischplatte angeschraubt war. Die freien Enden der Klemme trugen zwei Platten, welche auf den gegeneinander gerichteten Seiten derart ausgehöhlt waren, dass in ihre mit Leder gefütterten Vertiefungen die Condylen hineinpassten. 1 Arbeiten des physiologischen Instituts zu Leipzig. 1876. 108 MEADE SMITH: War die Schraube der Klemme angezogen, so lag der Oberschenkel zwischen den Armen der Zange unverrückt auf dem Tische befestigt ohne die Be- wegungen des Unterschenkels im Kniegelenk zu hemmen. Der Riemen, an dem das vom Unterschenkel zu hebende Gewicht befestigt war, wurde etwas unterhalb des Ligamentum patellae angeschnallt und dort, wenn ein Abgleiten desselben zu befürchten stand, noch mit einer Naht befestigt. Von dem Riemen aus erstreckte sich eine hanfene Schnur, welche über zwei in Spitzen gehende Rollen lief. Die Achse der ersteren dieser beiden war auf der Tischplatte befestigt in gleicher Höhe mit dem Unterschenkel, die andere an einem eisernen Träger senkrecht über der ersten, in einer Stellung, die es der über sie geschlungenen Schnur gestattete unmittelbar vor dem Papierstreifen herabzufallen. Darum konnte eine Schreibfeder, welche an der Schnur befestigt war, die Aenderungen ihres Standes auf dem Papiere anschreiben; das freie Ende der Schnur trug einen Haken zur Aufnahme beliebig grosser Gewichte. Neben diesen jedesmal getroffenen Vorbereitungen waren je nach den ver- schiedenen Aufgaben des Versuchs noch besondere nothwendig; von ihnen soll am geeigneten Orte die Rede sein. Aus der Art, wie sie gewonnen werden, geht hervor, dass die ge- messenen Temperaturen das Ergebniss zweier entgegengesetzter Wirkungen sein müssen; mit der Verkürzung des Muskels geht ein erwärmender chemischer Process einher und andererseits kühlt die davon nicht betroffene feste Umgebung das Thermometer ab. In dem ersteren oder auch in dem letzteren Sinne vermag der Blutstrom zu wirken, weil seine Temperatur höher oder niedriger als die des Muskels stehen kann und weil sich die Geschwindigkeit desselben von der Ruhe zum Tetanus hin wesentlich ändert. Wäre beispielsweise des Arterienblut höher als der ruhende Muskel temperirt und stiege nun während der Reizung des Nerven die Muskelwärme an, so würde letzteres einer eingeleiteten chemischen Umsetzung, mit gleicher Wahrscheinlichkeit aber auch einem vermehrten Zufluss des Blutes zuzu- schreiben sein, der, wie wir aus den Versuchen von Sadler! und Gaskell wissen, im Tetanus einzutreten pflegt. Unzweideutig gestaltete sich erst das Ergebniss, wenn sich die Temperatur des Muskels über die des Arterien- blutes hinausbewegt hatte, dann muss auf eine Neubildung von Wärme geschlossen werden, deren Betrag freilich auch dann noch unbekannt bleibt. Und umgekehrt wäre anfänglich das Blut kühler als der Muskel gewesen, so würde, wenn während des Tetanus ein Ansteigen der Temperatur aus- bliebe, dann keineswegs die Entstehung von Wärme verneint sein. Die Schwierigkeiten, welche hieraus für die Deutung des Antheils enstehen, der ! Arbeiten des physiologischen Instituts zu Leipzig. 1869 und 1876. DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 109 dem Umsatz im Muskel an der Wärmebildung zukommt, sind um so grösser, als der Zuwachs, den die Geschwindigkeit des Blutstromes in Folge der Nervenreizung empfängt, nach den Angaben der genannten Beobachter sehr wechselvoll ausfällt. Durch Absperrung des Blutstromes lässt sich die aus seiner Anwesen- heit abzuleitende Zweideutigkeit allerdings beseitigen. Aber damit war dem Versuche am lebenden Säugethiermuskel das weite Gebiet geraubt, welches er gegenüher dem am überlebenden Froschpräparat besitzt. Hierauf komme ich später zurück. 1. Von den verschiedenen Beobachtungsreihen, deren Ausführung be- absichtiet wurde, nahm ich zuerst die Messung der Temperaturänderungen in Angriff, welche das Venenblut erfährt, wenn der Muskel aus dem ruhenden in den contrahirten Zustand übertritt. Mir schien, um die abkühlende Wirkung desselben schätzen zu können, die Kenntniss des Wärmegrades wichtig, den es auzunehmen vermag. Die Thiere, an welchen diese Be- obachtungen vorgenommen wurden, waren zum Theil unvergiftet, zum Theil mit Opiumtinctur oder mit Chloralhydrat betäubt. Zur Würdigung der mitzutheilenden Thatsachen darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass das Blut, in dessen Strom das Thermometer ein- gesenkt ist, nicht allein aus den Capillaren des Muskels stammt. Wie schon früher bemerkt, münden in den Gefässstamm, welcher das Thermo- meter beherbergt, auch nach sorgfältiger Unterbindung immer noch Zweige, die ihren Zufluss aus bindegewehigen Theilen beziehen; sie werden in der Regel Blut herbeibringen, welches kühler als das der Arterie ist. — Darum misst das Thermometer die Temperatur einer Mischung zweier verschiedener Blutarten, einer kühleren, die aus der Haut und den Fascien und einer wärmeren, die aus dem Muskel herkommt. In diesem Gemenge ist das Muskelblut mit einem ungleichen Antheil vertreten je nach der Phase, in welcher sich der Tetanus befindet. Denn es hat Gaskell gezeigt, dass mit dem Beginn des Tetanus der Inhalt der intramusculären Venen gegen die Schenkelader geschleudert wird, dass dann einige Secunden hindurch der Strom zu stocken scheint, darauf aber bei noch weiterer Fortdauer des Tetanus beträchtlich an Geschwindigkeit gewinnt und endlich, wenn der Muskel durch Beendigung der Reizung wieder zur Ruhe kommt, immer noch mit erhöhter Geschwindigkeit weiterfliesst, danach aber allmählich zu seiner früheren meist geringen Stärke zurückkehrt, welche ihm vor Beginn des Tetanus eigen war. Hieraus folgt nun allerdings, dass das Volumen des venösen Muskelblutes über das des anderen alsbald ein bedeutendes Uebergewicht erhält, aber es hat dieses den Muskel rascher durchsetzende Blut auch weniger Zeit gefunden, um seine Temperatur mit der des Muskels auszugleichen. Das Uebergewicht, welches der Mischung durch die grössere 110 MEADE SMITH: Menge des Blutes ertheilt wird, erfährt ‘also eine Beeinträchtigung durch den geringeren Wärmezuwachs, welchen die Volumeinheit desselben aufzu- nehmen vermag. - Manche Eigenthümlichkeit der Wärmeänderung des tetanisirten Muskels wird hierdurch verdeckt, aber manche findet trotzdem in dem Venenblute ihren Ausdruck. Bei keinem der Versuche, in welchen nur die Temperatur des Venenblutes gemessen wurde, war an das Glied ein Gewicht gehängt worden, womit natürlich auch die Möglichkeit wegfiel, den Umfang der hervorgebrachten Bewegung aufzeichnen zu lassen. Alle Reizungen, von deren Erfolg die Rede sein wird, erstreckten sich auf die Dauer von einigen Minuten. Die durch den Tetanus veranlasste Temperaturänderung verläuft der Art, dass in den ersten 10 bis 15 Secunden, die auf den Beginn einer kräftigen Reizung des N. cruralis folgen, der Thermometer seinen bisherigen Stand bewahrt oder um weniges unter diesen herabsinkt; letzteres wahr- scheinlich nur darum, weil das Muskelblut im Beginne des Tetanus schwächer als bis dahin zuströmt oder ganz ausbleibt. Nach Verfluss der genannten Secunden beeinnt nun das Ansteigen des Quecksilbers und es setzt sich dasselbe so rasch fort, dass in den ersten beiden Minuten des dauernden Tetanus die grösste Höhe, welche die Venentemperatur gewinnen kann, entweder ganz oder mindestens nahezu erreicht ist. Bei einer Dauer des Tetanus, die über zwei Minuten hinausgeht, fällt nun entweder die Tem- peratur wieder ab, oder sie steigt auch jetzt noch, aber äusserst langsam weiter. Als ein Beispiel für dieses Verhalten mögen die Ablesungen der Stände des Thermometers während zweier Tetani dienen, die nach einander an demselben Muskel in einer Zwischenzeit von 7 Minuten erzeugt wurden. Der erste derselben hielt 6, der zweite 5 Minuten lang an. Die hingeschrie- benen Temperaturen verzeichnen den Stand, welchen das Thermometer am Beginn des Tetanus und dann fortlaufend am Ende je einer Minute darbot. Zeit in Minuten 0 1 2 3 4 5 6 Tetanus- I. 37.60. 37:80 -37:80 37.85. 37:35. Ss 30.90.20 Tetanus II. 37-65 38.00 38-01 38.15 38.12 38.09°C. Sinken die Fasern des Muskels nach Beendigung der Reizung in die Ruhe zurück, so geht hiermit nicht jedesmal die Blutwärme herab; öfter steigt sie noch weiter empor und dieses kann sich bemerkenswerther Weise auch dann noch ereignen, wenn das aus dem Muskel hinwegströmende Blut höher temperirt ist als das zu ihm hinfliessende. So oft dieses vorkommt hat sich entweder noch im erschlafften Muskel mehr als gewöhnlich Wärme gebildet oder, was nicht minder wahrscheinlich ist, das Blut war durch den ruhenden Muskel langsamer als durch den tetanisirten geflossen und hatte darum seine Temperatur näher an die der DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 111 noch erwärmten Fasern heranzubringen vermocht. Von dem erlangten Maximum, mag dieses am Ende des Tetanus oder auch eine Minute später erreicht sein, sinkt die Temperatur des Venenblutes mit verschiedener Ge- schwindigkeit ab. Meist bedarf es einer grösseren Anzahl von Minuten, ehe die Temperatur des Venenblutes wieder zu dem vor der Reizung behaupteten Stande zurück- kommt. Tritt dieses ein wenn das arterielle Blut höher als das venöse temperirt ist, so knüpft sich an die Erscheinung kein besonderes Interesse; wenn dagegen während der ganzen Zeit die Wärme des venösen Blutes sich über der arteriellen hält, so giebt das langsame Absinken den Nach- weis, dass dem Muskel nach dem Ende des Tetanus noch ein grosser Vor- rath an Wärme verblieben sei. Zur Darstellung dieses Verhaltens wähle ich aus vielen anderen ein Beispiel. An dem Muskel, welchem es ent- nommen, wurden drei Tetani in Zwischenzeiten von 2, 7 und 4 Minuten ausgeführt. Um den Abfall der Venentemperatur zu veranschaulichen, ge- nüst es, den Wärmegrad anzumerken, welchen das Venenblut je am Ende des Tetanus und je am Ende der zwischen zweien gelegenen Pause an- genommen. Temperatur zu Ende Temperatur zu Ende des Tetanus. der Pause. Arterien. Venen. Arterien. Venen. Tetanus I 37:45 37.60 Pause v. 2 Min. 37-50 37.60 Sell 37:50 37:90 RER 31.99: 003.000 2 EHI 37:60 38.09 A un 31.00: 32:80 Kaum wird zu bemerken nöthig sein, dass auch die Fälle, in welchen das Venenblut kühler als das arterielle gefunden wurde, sich auf die- jenigen zurückführen lassen, von denen soeben ein Beispiel vorgelegt wurde; da das Thermometer in einen Strom gesenkt ist, welcher nicht bloss aus dem Muskel hervorquillt, so wird sich, trotzdem, dass das Blut aus dem letzteren noch längere Zeit wärmer ankommt, seine Temperatur doch rasch absenken, vorausgesetzt, dass das Volum des wärmeren gegen das aus kälteren Orten stammende zurücktritt. Aus der Temperaturzunahme des Venenblutes, welche während der Dauer eines Tetanus eintritt, kann der gewählten Methode entsprechend nur dann mit Sicherheit auf eine Neubildung von Wärme geschlossen werden, wenn das in den Muskel einfliessende Blut kühler ist, als das aus ihm zurückkehrende. Bei der Dauer eines Tetanus von 1 bis 2 Minuten und länger bildet dieses Vorkommen die Regel. Das Uebergewicht, welches die Temperatur des venösen über die des arteriellen Blutes erlangen kann, wechselt von einer Beobachtung zur anderen. Der grösste Werth, welchen es in meinem Versuchen annahm, belief sich auf 0:6°C. Beträge von ähnlicher, wenn auch etwas geringerer 112 MEADE SMITH: Grösse sind keineswegs seltene Ereignisse. Keinmal aber wurde der Ueber- schuss der venösen über die arterielle Temperatur grösser gefunden; der Wärmezuwachs, welchen das venöse Blut in Folge eines Tetanus annimmt, kann also über ein Maximum nicht hinaus gehen. Auf die Grösse dieses Unterschiedes übt keinen Einfluss die absolute Temperatur, auf welcher sich das Venen- oder Arterienblut vor Beginn des Tetanus befindet. Eine Gelegenheit, hierüber Erfahrungen zu sammeln, bietet sich, wenn man auf einen ersten einen zweiten Tetanus folgen lässt, bevor noch die Temperaturerhöhung geschwunden, welche der erste hervor- gerufen. Als ein Beispiel mögen die folgenden Angaben dienen; sie sind einem Muskel entnommen, dessen Nerv viermal nacheinander verschieden lange gereizt wurde. Zustand des Muskels. Temp. d. Arterie. Temp. d. Vene. i eRabend ar 310. 37.40°C. * | Nach einem Tetanus von 2 an res r 37.60 „, 9 KRuhendy ee alle 37.60 „ “ | Nach einem Tetanus von 16 Minuten‘ 30.50, 30290, 5 sRuhend. 0... . an 30 “| Nach einem Tetanus von a 5 Minen 81:55 „ 88-15 „ 1 (ARuhend . 0: 23060, 37.80 „ “ | Nach einem Tetanus von 1. 5 Minsten 37-60 „, 38.18 „ Es steigt in dieser Beobachtung die Temperatur des Venenblutes der Art an, dass sie vor dem Beginn des dritten Tetanus höher lag, als am Ende des ersten u. s. w.; trotzdem treibt die folgende Reizung die Wärme des Venenblutes empor. Ueber die Ursache, weshalb der vierte Tetanus von nur 1-5 Minute Dauer im venösen Blut die Temperatur um etwas mehr steigerte, als der zweite von 6 Minuten Dauer, bleibt man im Un- klaren, weil die Stärke des Reizes nicht aufgezeichnet wurde. Während im oben gegebenen Beispiele wesentlich nur die Temperatur der Vene emporgegangen war, hat die Erhöhung in dem Folgenden zugleich die Arterie betroffen. Zustand des Muskels. Temp. d. Arterie. Temp. d. Vene. (Runen . 39-4600. 39-4000, | Nach einem Tetanus von 3 Minuten 39.58, 39.2, SelleRukende.n. en rat)e@ke 39-58 „ “ | Nach einem Tetanus von 6 Minuien Beseinteet,, 40-28 „ [ERuhende ar ee . 40°38 „, 40-12 „ IN Nach einem Tetanus von 3 Minuten .. » 40-48, 40-52, Dis TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 10153 Zustand des Muskels. Temp. d. Arterie. Temp. d. Vene. Mirubend 0.2. i . 40-49 „ 40:40 „ | Nach einem eng von 1 Mint 1 40-90), 40:70 „ Errunenden 2. 10.59; 40-55 „ \ Nach einem Tetanus von 1: 5 Minuten 40-68 „, 40:80 „, In diesen und zahlreichen ähnlichen Beobachtungen geht das Steigen der Venentemperatur von dem jeweilig angenommenen Grade aus weiter, ein Umstand, welcher im gleichen Maasse für die Befähigung des Muskels Wärme zu bilden, wie für die des Blutes abkühlend einzutreten, von Be- deutung ist. Nach den Beobachtungen Gaskell’s hat es den Anschein, als ob in gleichen Zeiten die Durchspülung des Muskels mit Blut vollkommener aus- fällt, wenn statt einer fortdauernden eine Reizung des Nerven ausgeführt wurde, welche von kurzen Ruhepausen unterbrochen war. Ist diese Voraus- setzung begründet, so müsste bei der rhythmisch wiederkehrenden Reizung das Blut kühler aus dem Muskel hervortreten, weil dasselbe des rascheren Stromes wegen kürzere Zeit dort verweilte, als bei fortdauernder Erregung. Doch auch das Gegentheil könnte eintreffen, weil nach Ad. Fick innerhalb des ausgeschnittenen Froschmuskels durch eine Reihe von Zuckungen mehr ‘Wärme entsteht, als durch einen entsprechend langen Tetanus. Um hier- über Aufschluss zu gewinnen, habe ich verschiedene Male den N. cruralis in Zwischenzeiten von je 5 oder 15 Secunden gereizt und in Ruhe gelassen und das hierbei beobachtete Ergebniss mit den Folgen einer ununterbrochenen Tetanisirung verglichen. Zwei solcher Versuche an zwei verschiedenen Thieren, die mit mehrfachen anderen gleichlautend sind, lasse ich folgen. Die Gradzahlen geben den Stand der Temperatur an, welchen das Thermo- meter vor Beginn der Reizung und am Ende der darüberstehenden Minute vom Anfang der Nerveneregung an gerechnet angenommen hatte. Art der Reizung. Temperatur am Ende je einer Minute. 0. 1 2. >. 4, D. a. je 5 Secunden 36:40 36.65 36-75 36:80 36:80 36-90°C. I | b. anhaltend. . 36:55 86-55 36:61 36-71 36-78 36-80 „, c. anhaltend. . 86°55 36-60 36-80°C. a. jeldSecunden 38-41 38:60 38-70 38-78 38-78°0. II | De) “ 38.62 38-72 38.83 38:95 39.00 39.03°C. c. anhaltend : 38.32 38.50 38.68 38.76 38.84 38.88 „ Die Erfolge der beiden Reizungsarten weichen zu wenig von einander ab, als dass man aus den Temperaturangaben eine überzeugende Folgerung Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthle. S 114 MEADE SMITH: ableiten könnte. Will man aus den Zahlen etwas herauslesen, so wird man in ihnen noch am ehesten eine Bestätigung der Versuche von Ad. Fick finden. Denn es ist in der That beim Ruhe- und Reizwechsel von 5 zu 5 Secunden das Venenblut etwas wärmer, als bei dem anhaltenden Tetanus geworden, was um so mehr zu betonen wäre, als bei der rhythmischen Reizung der tetanisirte Zustand des Muskels nur halb so lange, als bei der fortdauernden anhielt. Aber durch eine andere Betrachtung kann man auch zur entgegengesetzten Folgerung gelangen. Bei einigen dieser Ver- suche wurde der Stand des Thermometers so oft als möglich aufgezeichnet; er zeigte entsprechend den Zeiträumen der Ruhe und der Reizung rasche und deutliche Schwankungen, in denen sich jedoch das Hinstreben nach einem immer höheren Wärmegrad ausdrückte Hierüber giebt die Mit- theilung einer Reihe von Ablesungen Aufschluss, welche bei dem soeben mitgetheilten Tetanus Ia gesammelt wurden. Die Reizung kehrte nach je 5 Secunden Pause für je 5 Secunden zurück; die Zahlen stellen die oberen und unteren Wendepunkte der auf und absteigenden Quecksilbersäule dar. ob es gelungen, sie sämmtlich zu fixiren muss ich bei der Raschheit des Wechsels dahingestellt sein lassen. Es schwankte die Temperatur des Venenblutes inder 1. Minute 36-40 36-35 36-40 36-35 36-50 36-57 36-50°C. vn u 36-65 36-60 36-76 36-65 36-70 36-65 36-75 „, nd 36-65 36-75 36-70 36-80 36.7500. „4 „36.80 36.75 36.70 36.80 36.72 36.800. nd» 836.75 36.85 36.80 36-88 36-80 36-85 36.80 36.90°0. während ‘der 5 Minuten ginge die Temperatur der Arterien von 36-30 auf 36:26° C. herab. Dürfte man voraussetzen, dass das Blutvolum, welches während des intermittirenden Tetanus den Muskel durchsetzte, nicht wesentlich grösser ° als während des constanten gewesen sei, so würde die Menge der Wärme, welche das Blut im Verlaufe des ersteren dem Muskel entzogen hatte, jedenfalls geringer zu veranschlagen sein, als die, welche während des un- unterbrochenen Tetanus ausgeführt wurde. Aus der gleichzeitigen Berücksichtigung der von mir gemessenen Tem- peraturen und den von Gaskell bestimmten Blutvolumen, welche aus den tetanischen Streckern des Unterschenkels abfliessen, geht ferner hervor, dass die Wärmemenge, welche in der Minute durch den Blutstrom abgeführt wird, keineswegs unbeträchtlich genannt werden kann. Bei Thieren von ähnlicher Grösse wie die meinen sammelte Gaskell während 1 Minute aus der von mir ebenfalls benutzten Vene 50 bis 150 «m Blut. Wären dieselben, wie häufig beobachtet, um 0-5°C. über die Tem- DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 115 peratur des Arterienblutes binaus erwärmt worden, so hätten sie in der Minute 25 bis 75 Wärmeeinheiten dem Muskel entführt. Nun entweicht aber durch die Vene, in welcher das Thermometer stand, keineswegs das gesammte dem Muskel zugeführte Blut, und ausserdem verbleibt der Masse der Fasern nach der Beendigung ihres Tetanus eine den Normalgrad über- steigende Temperatur; der Gesammtbetrag der entstandenen Wärme muss also noch bedeutend über den eben angesetzten hinausgehen. 2. Die Temperatur zwischen den Fasern des Muskels, durch dessen Gefässe Blut strömt. So oft die Wärme des Muskeltleisches selbst gemessen werden sollte, war ein Thermometer tief in die Spalte geschoben, die den M. rectus vom M. vastus internus trennt. Weit entfernt von der ohnehin mit Wolle oder Watte bedeckten Haut im Inneren einer Muskelmasse, die wegen der vor- ausgegangenen Durchschneidung des N. ceruralis reichlicher als gewöhnlich vom Blute benetzt wird, hätte man eine Temperatur nicht höher und nicht niedriger als die der Arterie erwarten können. Der wirkliche Befund ent- spricht jedoch der Voraussetzung nicht; häufig sinkt die Temperatur des genannten Ortes während der Ruhe des Muskels um 05°C. unter die der A. aorta nachdem sie einige Minuten zuvor während der Dauer eines Tetanus um ebensoviel und mehr über die des Arterienblutes gestiegen war. — Auf Veranlassung dieser Erscheinung wurde gleichzeitig ein zweites Thermometer durch einen möglichst kleinen Schlitz zwischen die Haut und den M. rectus eingeführt. Alsbald ergab sich, dass der Stand dieses zweiten Instrumentes stets hinter dem zurückblieb, welches im Inneren des Muskels eingebettet lag und zwar um so mehr, je höher die Muskelwärme emporgekommen war. Darum lässt sich der Verdacht nicht abweisen, dass der Muskel fort- während einen Theil der Wärme nach aussen hin abgiebt, welche ihm das arterielle Blut zugebracht hat; diese Annahme hat mindestens gegenwärtig vor der anderen den Vorzug, welche das Herabgehen der Muskeltemperatur auf einen Verbrauch an Wärme, veranlasst durch einen synthetischen Stofl- umsatz schieben wollte — Neben der eben betrachteten Erscheinung findet sich zuweilen auch die umgekehrte; das Thermometer zeigt im Inneren des ruhenden Muskels eine höhere Temperatur als in der Arterie an. Fehlt somit dem Blutstrom das Vermögen, den Gewinn und Verlust des Muskels an Wärme auszugleichen, so lässt sich erwarten, dass dieser auch an seinen verschiedenen Orten ungleich temperirt sei und was von dem Ausgangs- punkte gilt, von dem aus die Wärme beim Beginn des Tetanus ansteigt, das wird auch auf das Maximum derselben anwendbar sein, welches von den einzelnen Fasern zu erreichen ist. Denn es würde bei dem unabhängigen Leben der letzteren nur als einer unter unendlich vielen möglichen Fällen zu gelten haben, wenn alle Theile des Muskels mit dem gleichen Vermögen 8s* 116 MEADE SMITH: zur Wärmebildung begabt wären. Um mich auch von der Richtigkeit dieser Annahme zu überzeugen, habe ich mehrmals zwei Thermometer in den Muskel eingesenkt, einen an den gewöhnlichen Ort und einen zweiten an die Grenze zwischen dem Muskel und dem Oberschenkelknochen, und da- hei eine bestätigende Antwort erhalten. Während der Ruhe und der an- haltenden Zusammenziehung des Muskels zeigt jede der beiden Quecksilber- säulen eine verschiedene Wärme an, die um einen und mehr Zehnttheile eines Grades von einander abweichen. Doch erfolgt in beiden die Aende- rung gleichzeitig und gleichsinnig, so dass aus den Angaben eines Thermo- meters zwar nicht auf die absolute Temperatur des Gesammtmuskels, wohl aber auf die Aenderung derselben geschlossen werden kann. a. Das Verhalten der Temperatur bei veränderlicher Spannung des tetanischen Muskels. Dass die Temperatur des ausgeschnittenen, gleich stark gereizten Mus- kels mit der Spannung wächst, unter welcher er sich zusammenzieht, hat R. Heidenhain und nach ihm Ad. Fick beobachtet. Um über das gleiche Verhalten am lebenden Säugethiermuskel Aufschluss zu gewinnen, erzeugte ich entweder eine Reihenfolge von gleichdauernden Tetanis unter Anwendung von maximalen Reizen und belastete den Schenkel mit verschie- denen Gewichten, oder es wurde während des Verlaufes eines viele Minuten hindurch dauernden Tetanus mit der Grösse des angehängten Gewichtes gewechselt; bei der zweiten Art zu beobachten konnten auch untermaximale Reize benutzt werden. Da der Erfolg bei zahlreichen Beobachtungen jedes- mal in gleichmässiger Weise hervortrat, so genügen zur Darlegung desselben einige wenige Beispiele. Die Tetani sind nach ihrer zeitlichen Folge ge- ordnet; zwischen je zweien lag eine Pause von mindestens 5 Minuten. Die Zeitangaben, welche über den Wärmegraden stehen, sind vom Beginn des Tetanus gerechnet. Temperatur des Muskels Temperatur der Arterie Angehängtes Gewicht. am Ende der am Ende der 0. 1. 2. Minute, 0. 1e 2. Minute. 16587 38:08 39:00 39.45 38:33 38-33 38.38 363 „, 38-38 839.05 39-30 38-38 38.38 838.43 Ilo2, 38.42 39.10 39.30 38-38 38.42 38-45 163 „ 38-42 539.08 39.50 38-45 38-47 38.48 los 38:48 39.05 39.45 38:45 38.45 38.48 613 „, 38-93 39-26 39-65 38:50 38-50 38-50 Das folgende Beispiel ist aus einem sehr anhaltenden Tetanus genommen. Die Zeit ist vom Beginn der unterbrochen fortdauernden Reizung gezählt. DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 117 1. Abschnitt. Untermaximaler Reiz. Zeit seit Beginn Temperatur Temperatur Temperatur des Tetanus. des Muskels. der Vene. der Arterie. Gewicht. 0 Min. 31.85 31-79 37.90 DR, 38:43 38:03 37290 lan 6 38.98 88.01 SEI = eis a 38.32 37.97 a) 9 8, 838.27 37:95 37.90} 113 9.5, 38.24 37-95 BO IV 38.24 nz al) 113. I, 38.23 37-92 37.90 J | 1 38.21 97.92 37.901 113 0; 38.20 37.90 37-85) x 2. Abschnitt. Reiz verstärkt am Ende der 14. Minute. Zeit seit Beginn Temperatur Temperatur Temperatur des Tetanus. des Muskels. der Vene. der Arterie. Gewicht. 19. Min. 38:74 38289 37°90\ 119m O0; 38:73 38-40 37-90) 2er :s,, 3802 38-41 31:95 1113 DON; 38-71 38-42 37.95 | ER 26. 38:70 38-40 38:00 118 la 38-67 38-40 38.00, DS, 38:67 38:40 38:05) 1313 Ds, 38:65 38:40 38-05) ” Bu 5 38:65 33:40 38205, 3-.:18 5 Das Ergebniss der vorgelegten Zahlen besteht darin, dass das erreichte Maximum der Temperatur und nieht minder die Geschwindiekeit, mit welcher dasselbe erstiegen wird, sich beim lebendigen Säugethiermuskel un- abhängig von der Spannung erweist, unter welcher er sich zusammenzog. Um den Widerspruch zu beseitigen, welcher zwischen dem letzteren und dem Froschmuskel hervortritt, könnte man betonen, dass am lebendigen Säugethiermuskel der Blutstrom während der stärkeren Spannung mächtiger geworden sei und dem entsprechend einen grösseren Antheil der gebildeten ‘Wärme entführt habe, was sich bei dem vom Frosch genommenen Objecte nicht ereignen kann. Hiergegen sprechen jedoch andere Erfahrungen, in welchen entgegen den eben mitgetheilten der Muskel auch während des Tetanus kühler als das arterielle Blut blieb. Dahin gehört folgendes Beispiel. 118 MEADE SMITH: Temperatur des Muskels Temperatur der Arterie Angehängtes Gewicht am Ende Er am Ende der 0. 1 . Minute. 0. 1. 2. Minute. 15 39°83 86:08 er 12 36:28 36-28 36-28 613 „ 36:04 36°18 36'930 36:28 36:28 36-28 Klo, 36:10 36-32 36-30 3627 36221030 Hier steigt die Temperatur des Muskels nur annähernd gleich hoch empor unabhängig davon ob er das grössere oder das kleinere Gewicht hob; wäre aber bei der särkeren Spannung der Blutstrom rascher gewesen, so hätte sich während ihrer Anwesenheit der Muskel rascher und mehr er- wärmen müssen, als es in der That geschehen. Auf welchem Grunde die zwischen dem Frosch- und Säugethiermuskel aufgedeckte Verschiedenheit ruht, muss vorerst dahingestellt bleiben. b. Die Beziehungen zwischen der Umformung und der Ebene änderung des gereizten Muskels, nach Zeit und Stärke. Da die Grösse des Anstosses, welche der erregte Nerv dem Muskel er- theilt, vorerst unermessbar bleibt, so sieht man sich auf den Vergleich der beiden Wirkungen des Reizes „der Verkürzung der Faser bei unveränderter Last und des erreichten Wärmegrades“, beschränkt, Aber auch diese er- mässigte Forderung kann nur unvollkommen erfüllt werden, weil dass Ver- hältniss zwischen den beiden Grössen mit der Ermüdung wechselt, für deren Stufen uns jedes genauere Maass fehlt und weil es nicht in unserer Hand liest, alle Versuche stets bei derselben Temperatur zu beginnen und sie bei vollkommener Gleichheit der abkühlenden Ursachen durchzuführen. Wenn man die Eigenschaften der Orte, innerhalb deren die Wärme entsteht, und die Trägheit der Thermometer berücksichtigt, so wird man nicht erwarten, dass die Aenderungen der Form und der Temperatur, auch wenn sie gleichzeitig erschienen, zu gleicher Zeit sichtbar werden könnten; es muss vielmehr das Steigen und Fallen der Quecksilbersäule stets hinter den entsprechenden Schwankungen des Tetanus der Art nachfolgen, wie es in der Regel beobachtet wird. Sonach fehlt der thatsächliche Nachweis für die von vornherein wahrscheinliche Annahme, dass die beiden Folgen des Nervenreizes durch ihr zeitliches Erscheinen streng und innig mit ein- ander verknüpft seien. Da es für die Feststellung des Verhältnisses zwischen den Grössen der Temperatur und Formveränderung vor Allem darauf ankommen musste, deutliche Aeusserungen des wärmebildenden Processes der Messung zu unter- werfen, so habe ich mich vorzugsweise von dieser Rücksicht bei der Wahl der Reize leiten lassen; mit anderen Worten kurzdauernde und ganz schwache Tetani wurden nur probeweise erzeugt; zur genaueren Beobachtung, von deren Ergebniss ich hier berichte, dienten Reizungen, die viele Minuten DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 119 hindurch mit allmählich wachsender Stärke verharrten; begonnen wurden dieselben mit einer noch weit unter der maximalen Stärke gelegenen Er- regung; war während der Dauer der ersten Reizstärke ein merkliches Ab- sinken des Hubes eingetreten, so wurden die Rollen des Schlitteninductoriums so weit aneinandergeschoben, bis ein mässiges Wachsthum des Hubes sicht- bar geworden, auf diesem Stande verblieb die Reizstärke abermals bis zum deutlichen Herabgang des Hubes u. s. f. bis endlich der maximale Reiz erreicht war. Einige nach diesem Plane durchgeführte Versuche lege ich vor. Die Ergebnisse der Versuche sind durch Zahlen und durch Figuren dargestellt. In die letzteren wurden die Temperaturen des Muskels, der Vene, der Arterie und gleichzeitig die Höhen eingetragen, auf welche die angehängten Gewichte emporstiegen. Zur Grundlage der Temperaturcurven dienten Ablesungen des Thermometers von Minute zu Minute; der Hub war auf den fortrollenden Papierstreifen aufgezeichnet worden (bei Fig. 1). Die Zahlentafel giebt zur Erleichterung der Uebersicht nur einen Auszug aus den Daten der Beobachtung. Zeit in Minuten Ä Temperatur vom Beginn des PANNE, Tetanus. Hub in Millimetern. d.Muskels. d. Vene. d. Arterie. Bemerkungen. 0 0 ar Ben a 1 steigt von 27 auf 34 38:53 38-21 38-30 2 bis 8 fällt auf 27 39:63 38-51 38-25 ld ne 28 39:57 38.63 38-25 9A 0 38-67 38-30 38-35 Unterbrechung der Reizung. 25 steiet von 22 auf24 38-94 38-51 38-35 Rollenabstand 105mm, a sinkt auf 19 39-78 38-62 38-35 38 es 38.60. 38:30 39 steigt von 14 auf 18 39-87 .38-70 38-30 Folenabstand „42 sinkt auf 16 40-10 38-76 ver ann & auf58mm dann „50 el 39.78 38-83 38-35 | auf omm, 50.5 steiet auf 17 s@acı) alscca areas Se laradangiel : 5 eingeschoben. al sinkt „ 16 a) ann ask, ve oe 15 39:55 38.61, 58.35 anne] „4 sinkt „ 11-5 40-11 38-80 38-45 „85 Ve 40-16 38-87 38-50 MEADE SMITH 120 Fi 30 Br 40 4 50 6 60 & 10 15 20 25 30 FR 40 Min, I In 20 39,00 30 ea : 602 Vene eo ’— — a a _ io SE | 2 8jas. 38,co Rollen:\Abstand 118 5 = tar IN 4 Rn) 9 Stäbe übe go & L zu tt Hub " Hub | 20 [= et 120 | —S a = Ol, N \ | \ NEZEIENN N N N ! 0 NS N 35 N N N RÄÄ \ N N N \ \ N NN U NÜÜ ea u en) 0) ER 40Min DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 121 Den Stärken der Reize entsprechend, zerfällt der Versuch in vier Ab- theilungen. Von diesen umfasst die erste, bei dem grössten Rollenabstand ausgeführte 33 Minuten; im Verlaufe dieser Zeit war während der Dauer von 5 Minuten die Reizung ausgesetzt worden, sodass die Geschwindigkeit zu erkennen war mit welcher die Abkühlung des ruhenden Muskels erfolgte. In den folgenden drei Abtheilungen hielt die Reizung unterbrochen an. Mit Ausnahme des vierten bietet jeder Abschnitt einen Zeitraum der wach- senden und einen solchen der abnehmenden Temperatur. Um den Wärmegrad, welcher in dem thätigen Muskel selbst entstanden war, unabhängig von demjenigen darzustellen, auf den er durch das ein- strömende arterielle Blut gebracht werden konnte, wird es nöthie sein, durch Subtraction der Arterien- von der Muskeltemperatur die Ueberschüsse hinzuschreiben, welche die letztere über die erstere besass. Hieraus ereiebt sich die folgende Zahlenreihe, zu deren Vervollständigung noch der Hub des Muskels dient, sodass die Beziehungen zwischen dem Verhalten der Temperatur und der Contraction abzulesen sind. Vergleichung des Ueberschusses der Muskel- über die arte- rielle Bluttemperatur mit den Aenderungsen des Hubes. I. Zerfällt in zwei Abschnitte, welche durch eine Unterbrechung der Reizung von 5 Minuten getrennt sind. Rollenabstand 108 mm, a. Zeit der aufsteigenden Temperatur — 8 Minuten. | Von —0°43°C. auf + 1'38°C.; Hub von 34 auf 27 um, | b. Zeit der absteigenden Temperatur = 11 Minuten. auf -+ 1'32°C.; Hub auf 25%, Ruhe = 5Min. der Temperaturunterschied sinkt auf + 0:32°C. herab. f a. Zeit d. aufst. Temp. = 7 Min. auf + 1:42°C. Hub von 24 auf 19 un, Ber abs „oT, 0,2120... auf. 6 DH. Rollenabstand SS ®®, a. Zeit d. aufst. Temp. = 4 Min. auf + 1-75°C. Hub von 18 auf 16 ®®. De abs, lea ante: III. Rollenabstand 0. a. Zeit d. aufst. Temp. = 0.5 Min. auf + 1:52°C. Hub auf 17mm, Dan a nalstn. 0 LOS, 0, el, 6, IV. Stabbündel in der Höhlung der primären Rolle. Aufsteigende Temperatur — 24 Minuten auf + 1-66°C. Hub auf See, 2 Von welchem Gesichtspunkte man bei der Vergleichung der Temperatur und der Umformung des Muskels ausgehen mag, jedesmal wird man zu 122 MEADE SMITH: der Ueberzeugung gelangen, dass die beiden Erscheinungen in keiner strengen Abhängigkeit von einander stehen. Denn es lag die Eigenwärme des Mus- kels bei der grösseren Formänderung, die er erlitt, um weniger über der arteriellen Blutwärme, als bei geringeren Verkürzungen und ebenso verhielt es sich mit dem Zuwachs, welchen die Temperatur für je 1"” Verkürzung erfuhr, als die Reizungen verstärkt wurden. Was nun für den Zuwachs an Temperatur, das gilt, wie mir scheint, auch für die Menge der entstandenen Wärme. Um das Missverhältniss, welches zwischen dem Wärmegrad und der Gestaltänderung der Fasern sichtbar wurde, wegzuschaffen, hätte man unterstellen können, dass die Ab- kühlung ausgleichend eingetreten sei, indem der stärker zusammengezogene Muskel auch mehr Wärme verloren habe. Wie willkürlich jedoch eine solche Unterstellung wäre, leuchtet aus dem Vergleich der nachstehenden Zahlen ein, die den !veränderlichen Unterschied der Temperaturen des Muskels und der Blutarten darlegen. Das Vorzeichen vor derselben giebt an, um wie viel Grad der jedesmal zuerst in der Ueberschrift genannte Ort höher (+) oder niedriger (—) als der zweite gefunden wurde. Unterschiede der Temperatur zwischen Muskel und Arterie Muskel und Vene. Vene und Arterie. I. 18. v.—0-57 auf +1.38 v.—0.08auf +1-12 v. -0-3H auf 202.260: 1b. +1:.32 +0.94 +0.38 „ Ruhe +0.32 +0.87 —0.05 „ 1.22: +1.42 +1-16 +0:.27 „ 2h. +1.40 +1-13 +0:50 „ Ila. +1-75 41.24 +0-41 „ b. 41.43 +0:95 +0.48 „, IlHa. +1-52 +1.04 +0.48 „, b. 41.14 0.84 +0:30 „ IV. +1.66 +1:.29 +0.37 „ Noch übersichtlicher, als die Zahlen, belehren uns die entsprechenden Curven der Fig. 1 darüber, dass die Muskel- und Venentemperatur sich stets in dem gleichen Sinne bewegten, woraus weiter folgt, dass auch das Uebergewicht der Venen- über die Arterienwärme der höheren Temperirung des Muskels entsprechend zunimmt. Dieses spricht dafür, dass das Blut, welches denMuskel durchsetzte, zu allen Zeiten gleich rasch floss; und darum wird die Annahme im hohen Grade unwahrscheinlich, welche das An- steigen der Muskelwärme in den späteren Zeiten des Versuchs auf eine Min- derung der abkühlenden Ursachen schieben will. Hält man sich an den thatsächlichen Befund und sucht man für den- selben einen einfachen Ausdruck, so wird man ihn darin finden müssen, DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 123 dass die Temperatur und, wie eben wahrscheinlich wurde, auch die Bildung der Wärme mit dem Reize wachse, unabhängig davon, ob ein gleiches auch mit der Verkürzung der Faser der Fall sei. Allerdings steht damit die oft vertretene Ansicht nicht ohne weiteres im Einklang, nach welcher die Umformung der Faser und die Entstehung von Wärme nur ver- schiedene Aeusserungen desselben durch den Nervenreiz geweckten Stoff- umsatzes seien, und dass die letztere den erstgenannten Vorgang als noth- wendig voraussetze. Indem man der bisher behaupteten Untrennbarkeit der Wärmebildung und Faserkürzung widerspricht, ist man selbstverständ- lieh noch nicht genöthigt, das Bestehen zweier von einander vollkommen unabhängigen Processe annehmen zu müssen, die von verschiedenen Nerven aus eingeleitet würden. Der Tetanus eines anderenThieres (s. Fig. 2) lieferte die folgenden Resultate. Zeit in Min. Temperatur vom Beginn m — des Tetanus. Hub in Millimetern. d.Muskels. d.Vene. d.Arterie. Bemerkungen. 0 0 37.83 37.75 STD, Rollenabstand 95 mm, steigt auf 42 38.20 38.06 37.95 an bis 3 mn 799,48 ,38.03.737290 „ 14 sinkt von 42 auf 26 38-20 37.89 837.85 „8 steigt „ 45 38-44 38.20 37.85 Rollenabstand 75mm, le) sl 38.74 38.99 37.90 ll sinkt „ 38 ° 38.64 38.40 a ie 32 steiet „ As 38. 38.49 a „A „ „ 49.5 39.38 38-76 38.20 is sinkt, „ 36.5 39:19 38-61 38.25 „ 49 39 392.15. 382580 38095 „ 50 „42 89.11 38.60 38.25 Rollenabstand 5ömm. „, al „42-5 39.05 38-62 38-25 ° 2 SEAN 39:08 38-66 3838-25 Rollenabstand 0. . „4T 39-16 38-67 38-25 „59 „46 39-00 38-61 38-30 760 „48-5 38-95 38-57 38-30 Drahtbündel. „63 sinkt „45 ° 38.80 B8.a7 Basel 9) „46-5 39.06 38.50 88.25| Denn. ver- 6 a 38r10 38.38) 38.25 bis 103 „ 42 38:45 38:26 38:20 a 124 = © | LINDEN ag VRR Wi VIIREINZIDE: ER: LE DL S Y 7 7 Y ST WERITETYHET?, HU, DU, DRUHHR HLAIZ 3 WIRBT EU) PEBYC, MEADE SMITH: abe qu anf no) | co "0 siounımp) p\luobunduranpg a EN WW HL RR, HN: | EÜDIDND 1, ol: 0% | &y DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 125 Nach dem Ende des Tetanus bleibt eine Contraetur von 24%” zurück bei einem Gewichte von 1138”; es müssen noch weitere 200°” angehängt werden, um den Muskel auf Null zu dehnen. Während in dem zuerst beschriebenen Tetanus in Folge der verstärkten Reizung eine Erhöhung nur der Temperatur auftrat, ohne dass gleichzeitig der Umfang der Verkürzung gewachsen wäre, ereienete sich in dem gegen- wärtig zu betrachtenden das umgekehrte. Wie weit es geschah, ist aus der Zusammenstellung ersichtlich, in welcher der Ueberschuss der Muskel- über die arterielle Bluttemperatur mit der Höhe des Hubes verglichen wird. Vergleichung der Ueberschüsse der Muskel- über die arterielle Bluttemperatur mit den Aenderungen des Hubes. I. Rollenabstand 95 “m, Il. IV. aß vH. BIT. a. Zeit der aufsteigenden Temperatur = 3 Minuten von — 0:07 auf + 0°58°C. Hub auf 42 "”, b. „ „ absteigenden Temperatur = 11 Minuten auf + 0°35°C. Hub sinkt von 42 auf 26 um, Rollenabstand 75 "m, a. Zeit der aufst. Temp. = 5Min. auf + 0°84°C. Hub auf5lm, been „= abst: near 50 ersnktaukasm: Die Unterbrechungen des primären Stromes, welche bisher nicht häufig genug waren, um eine vollständige Verschmelzung der Einzel- zuckungen zu bewirken, folgen nun durch Einstellung der schwin- genden Feder so rasch, dass der Tetanus vollständig wird. a. Zeit der aufst. Temp. = 11 Min. auf + 1:18°C. Hub auf 49-5", b. ” ” abst. 2 Mare 7 „ 0, 5 0:90 22) ” 39 „ Rollenabstand 55 "m. Die Temperatur sinkt in 2 Minuten auf + 0°80°C. Hub auf 42-5 um, . Rollenabstand O mn, a. Zeit der aufst. Temp. = 3 Min. auf + 0°91°C. Hub auf 47m, b. ” „ abst. ” =5 ” 2 LO, ” m Dr Drahtbündel eingelegt. | Die Temperatur sinkt im Verlauf von 4 Minuten auf + 0°45°C. Hub auf 48°5 und sinkt auf 45wn, Drahtbündel vermehrt. a. Zeit der aufst. Temp. = 6 Min. auf + 0:81°C. Hub auf 46-5”, De abstse 134.,00:,2212.0608 500,00, 42 5, Reizung unterbrochen. Die Temperatur- sinkt in 9 Minuten auf +0.02, die Contractur von 24 auf 6", 126 MEADE SMITR: In zweien von den acht Abschnitten, welche durch den Wechsel der Reizstärke abgegrenzt werden, in IV und VI steigt das Gewicht empor ohne dass dadurch der im Sinken beeriffene Gang der Temperatur aufgehalten oder gar zur Umkehr veranlasst würde. — Bei einer noch weiteren Ver- stärkung der reizenden Inductionsströme, welche zu Anfang der VI. Periode bewirkt wurde, geht dagegen gleichzeitig mit dem Hube auch die Tempe- ratur wieder aufwärts. Hätte sich die letztere Erscheinung nicht ereignet, so würde der Versuch unbedingt in die Reihe der von Heidenhain am Froschmuskel aufgefundenen zu ordnen sein, in welchen sich die Fähigkeit zur Wärmebildung früher als die zur Verkürzung erschöpfte. Da dieses nicht geschehen, so würde man unter Anwendung der gebräuchlichen Aus- drucksweise im vorliegendem Falle sagen können, es sei die Reizbarkeit der wärmebildenden Massen unter die der formändernden herabgesunken, die Leistungsfähigkeit derselben aber bewahrt geblieben. Auf den Zustand des Muskels, welchen man mit dem Namen der Contractur belegt hat, wirft der VII. Abschnitt des Versuches ein Licht. Nach der Beendigung der 103 Minuten hindurch andauernden Reizung kehrte der mit 113 sr» belastete Muskel nicht wieder in seine Ruhelage zurück; er konnte hierzu erst durch eine Belastung von 300 s”% veranlasst werden, und auch nur so lange, als er durch dieses Gewicht gespannt wurde, denn er verkürzte sich nach Entfernung desselben augenblicklich wiederum auf die unmittelbar nach Ende der Reizung behauptete Länge und nahm erst in dem Verlaufe von 9 Minuten ganz allmählich die frühere Ruhelage an. Obwohl dem äusseren Anscheine nach die Contractur voll- ständig einem Tetanus glich, so unterschied sie sich von demselben doch dadurch, dass noch während ihres Bestehens die Temperatur äusserst rasch abfie. Am Ende der achten Minute nach dem Aufhören der Reizung stand der Wärmegrad des Muskels nur um 0:05°C. über dem des arteriellen Blutes. In einem anderen Versuch (s. Fig. 3) blieb die Messung auf die Höhe des Hubes und auf die der Temperaturen in dem Muskel und der Arterie be- schränkt. Der N. cruralis wurde dreimal verschieden lange gereizt: 36,2 und 14 Minuten. Der Muskel war durchweg mit 113% belastet. (Vgl. Fig. 3.) Zur Erläuterung des ersten und längeren Tetanus mögen noch die folgenden Zahlen dienen: Zeit in Minuten von Beginn des Hub Temperatur Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Arterie. Bemerkungen. 0 0 37.94°C. 38.10°C. 1 bis 3 von 38 auf 35, auf 38-59 3815 _ Rollenabstand 145 mm. 23 51 auf 40 40.30 88°65 5 115, 127 Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. WEPUNAASAN unbgog uon Disppg Am panp PA N N N N N un Yy Und 0% On. AMPPPANIO) \ NIT Kg za 01 SENSE FÜRSAE ROT 97 128 MEADE SMITH: Zeit in Minuten von Beginn des Hub Temperatur Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Arterie. bis 31 40 40.00 38°57 Rollenabstand 115wm, 39 40 3a 38:37 ? 85% 3d 41 auf 36 39.77 98:55 5 BON, 36 38-32 39.63 38.56 Yn Zwei Stabbündel. Nach dem Ende der Reizung verblieb eine Contractur von 20mm Höhe; um den Muskel auf seine natürliche Länge zurückzubringen musste er mit 300 "® belastet werden. Während der Dauer der Reizung zeichnet sich dieser Muskel durch den regelmässigen Verlauf seiner tetanischen wie durch den seiner Temperatur- curve aus. Die Stärke der Reizung war von Anfang an nahezu maximal, und die Ermüdung machte sich im Verlaufe derselben nur im mässigem (Grade geltend, so dass der Hub, kurze Zeit ausgenommen, sich auf 40 mm hielt. Die Eigentemperatur des Muskels stieg von — 0-16°C., die am Be- sinn der Reizung vorhanden war auf + 1°75°C., welche unter stetigem Anwachsen am Ende der 31. Minute erreicht war; beachtenswerth ist dieses dauernde Wachsthum deshalb, weil während desselben die Stärke der Rei- zung keine Veränderung erfahren hatte. Vom Schluss der 31. Minute an senkte sich die Eigentemperatur ähnlich wie sie gewachsen auch wieder ab und gelangte am Ende des Tetanus auf + 1°07°C.; auch in ihrem abstei- genden Schenkel zeigte die Temperaturcurve eine grosse Unabhängigkeit von den während ihres Verlaufes eingetretenen Veränderungen der Reiz- stärke, welche sich, wenn auch sehr mässig, in dem Hube geltend machten. Von den beiden späteren Tetani fällt, wie aus der Fig. 3 ersichtlich, der erstere noch in die Zeit der Contractur. Ueber den dritten geben die folgenden Zahlen einige Nachweisungen. Während seiner Dauer blieb die Stärke des Reizes unverändert. Zeit in Minuten vom Hub Temperatur Beginn des Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Arterie. 0 0 38.1200) 38.64°C. 1 43 auf 40 39.09 38.64 B) alt 39.39 38.67 14 ee! 99-11 38.68 Die Ermüdung drückt sich in diesem Tetanus im Hub und in der Temperaturänderung aus, aber doch in dem ersten viel mächtiger als in der Wärmebildung. An die ausführliche Schilderung der beiden mitgetheilten Tetani schliesse Dis TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 129 ich noch die kürzere eines anderen an wegen der ihm anhaftenden Eigen- thümlichkeiten. Fortlaufende Zeit in Minuten vom Beginn der Hub Temperatur Reizung gerechnet. in Millimetern. d. Muskels. d. Arterie. Bemerkungen. 1 | 0 0 36.9526... 3723220. | von 16 auf 5 36-95 37.82 | 2 al „24 37.20 31.82 Reiz verstärkt. 1.- B) 24 „12 97.90 917.82 | 4 ET 37.43 31.84 ım.! 5) 21 „14 37.58 91.84 Heiz verstärkt. ee j4 2,0232.2030505 37.78 | 7 re N) 37-70 31.78 Reiz verstärkt. ® 00 37.0 37.80 I 10 RE 37.79 37.80 12 ) 37-81 37.85 16 a 3) 37.90 37.78 7 20,222 38.08 37.78 Reiz verstärkt. 20 9 U0) 38.25 31.82 % 22 „14 33.39 37.82 24 .10,2.38.10 37.83 Der Versuch war nach demselben Plane wie die vorigen durchgeführt. Da jedoch der Hub, welcher durch die aufeinanderfolgenden stärkeren Reize emporgegangen war, sich jedesmal rasch wieder senkte, so besitzen die ein- zelnen Perioden eine geringere Dauer. Im Gegensatz zur Fähigkeit sich zu verkürzen, kam dem Muskel eine beträchtliche Leistungsfähigkeit für die Wärmebildung zu, denn es stieg seine Temperatur im Verlaufe von 20 Mi- nuten um 1°45°C., sodass er schliesslich um 0-57°C. wärmer als das arterielle Blut geworden, während er vor Beginn der Reizung um 0.87°C. kühler als dasselbe gewesen. Unter diesen Umständen muss es auffallen, dass die Temperatur in der ersten Minute des Tetanus nicht emporstieg. R. Heidenhain hat uns mit der Thatsache bekannt gemacht, dass die Wärmeentwickelung im Froschmuskel mit dem steigenden Reize weit rascher als der Umfang der Verkürzung wächst; sollte sich auf dem vor- liegenden Fall dieses Gesetz anwenden lassen? Mit Berücksichtigung mehr- facher anderer Beobachtungen, welche sich unter meinen Aufzeichnungen finden, neige ich allerdings einer Annahme zu, welche mit der von Heiden- hain ausgesprochenen eine Analogie besitzt, denn es scheint mir, als ob ein Reiz, dessen Stärke schon genügt, um eine merkliche Verkürzung zu bewirken, noch nicht vermögend sei, die Temperatur in einem für das Ther- Archiv f. A, u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 9 : 130 MEADE SMITH: mometer merklichen Grade zu steigern. Nach dieser Richtung hin sind je- doch, wie schon gesagt, meine Erfahrungen nicht ausgedehnt wie durch- geführt genug, um den Satz zu begründen, dass die Reizschwelle für die Bildung der Wärme über der gelegen sei, die für die Umwandlung der Ge- stalt nöthig ist. c. Ueber das Verhältniss der maximalen Eigentemperatur des frischen und ermüdeten Muskels. Unter Eigentemperatur wird hier wie schon vorher der Unterschied der Wärmegrade des Muskels und des Arterienblutes verstanden. So oft die Eigen- temperatur einen positiven Werth besitzt, was der Festsetzung nach der Fall war, wenn die Arterie kühler als der Muskel gefunden wurde, muss sich inner- halb des letzteren Wärme gebildet haben; und da erfahrungssemäss mit der Temperatur der Fasern auch die des Venenblutes steigt, welches jene um- spült hat, so dürfte. es nicht mehr allzugewagt sein aus den Angaben des Thermometers auch auf eine mehr oder weniger grosse Lebendigkeit des Wärme erzeugenden Stoffumsatzes zu schliessen. Aus den Ablesungen des Instruments, welche von einer zur anderen Minute erfolgen, wird sich aller- dings keine Curve über die Zeit der Reizung construiren lassen, die auch nur mässigen Forderungen der Genauigkeit entspräche, wohl aber lassen sich einzelne Punkte derselben feststellen. Von solchen eignet sich für die Vergleichung vorzugsweise der maximale Werth der Eigenwärme, als der Grenzpunkt, den die Lebendigkeit des die Wärme erzeugenden Stoffumsatzes erreichen kann. Aber auch abgesehen von allen weitergehenden Schlüssen bleibt die Bestimmung der maximalen Eigenwärme bei verschiedenen Werthen der mechanischen Leistungsfähigkeit belangreich für die Charakteristik der Ermüdungsstufen des Muskels. Von vornherein hätte man erwarten können, dass das Verhältniss zwischen den Maxima der Eigenwärme eines auf ver- schiedenen Ermüdungsstufen befindlichen Muskels in einer bestimmten Weise geregelt sei, da dieses doch auch nach R. Heidenhain beim Frosch- muskel der Fall ist. Diese Voraussicht hat sich jedoch nicht bestätigt, wie die folgenden ausgewählten Beispiele zeigen. : 1. Beispiel. Der Nerv des Thieres, von welchem die folgenden Zahlen- reihen abgelesen sind, war im Verlaufe von 30 Minuten dreimal je eine Minute lang gereizt worden. Darauf wurde 11°5 Minuten hindurch tetanisirt. Hierbei zeigte sich Folgendes: Zeit in Minuten vom Temperatur Temperatur Beginn des Tetanus. des Muskels. der Arterie. Bemerkungen, 0 38:13 35:20 Rollenabstand 140", a) 39.55 38:23 125 39:02 3827 Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 131 In 3 Stunden 17 Minuten, die auf diesen Tetanus folgten, war der Nerv noch acht Mal, im ganzen 39 Minuten hindurch, gereizt worden; dann begann der folgende Tetanus. Zeit in Minuten vom Temperatur Temperatur Beginn des Tetanus. des Muskels. der Arterie. Bemerkungen. 0 38-99 38:47 Rollenabstand 130 "m, 7 40:25 38°57 15 40:25 38:68 Die Fähigkeit des Muskels, den Reiz mit einer Temperaturerhöhung zu beantworten, hatte hier während der Dauer eines Versuches zugenommen, welcher hohe Anforderungen an die Wärmeabgabe des Muskels stellte. Denn in der ersten der mitgetheilten Reizungen erhob sich allerdings im Verlaufe von 3°5 Minuten die Eigenwärme des Muskels auf + 132° C., aber noch während der fortdauernden Reizung ging die Muskeltemperatur rasch zurück, so dass sie am Ende der 11°5 Minute auf + 0°75°C. stand. In dem späteren Tetanus überstieg die Eigenwärme nicht allein die vormals vor- handene, denn sie betrug jetzt + 1'68°C., es verharrte dieselbe auch auf dem hohen Stand unverändert 8 Minuten hindurch, d. h. so lange, als der Nerv dem Reize ausgesetzt blieb. 2. Beispiel. Auf S. 119 ist eines Versuches gedacht worden, in welchem ein Tetanus von 85 Minuten Dauer durchgeführt wurde. Nach seinem Ende wurde dem Nerven eine Ruhe von 26 Minuten gewährt und dann ein Tetanus von 18 Minuten Dauer eingeleitet. Es ergaben sich: Zeit in Minuten vom Hub Temperatur Temperatur Temperatur Beginn des Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Vene. der Arterie. 0 Os 3823.02 332.100. 2 335332C. bis 1 von 37 auf 19 38-65 „ 38-40 „ 38-35 „ ls ll5 539.50, 38:00. ,, 28-35, 8 el 39.30, 38:67, 38245, Während der vorliegenden Reizung des Muskels wurde allerdings nicht mehr das früher erlangte Uebergewicht von + 1°75°C. über das Arterienblut erreicht; diesmal betrug das Maximum der Eigenwärme nur + 0°95°C. Dagegen hält sich dieser Stand noch fort und fort aufrecht, während der Hub einem stetigen und raschen Sinken begriffen war. Nach einem solchen Verhalten bietet sich zum wenigsten für die Annahme keine Veranlassung dass dem Muskel die Fähigkeit, Wärme zu bilden, früher geschwächt werde, als die, sich zu verkürzen. In der nun folgenden Beobachtung findet sich das Gegentheil von dem, was in den ersten beiden ausgesprochen war. In ihr liess das Ver- 9* 132 MEADE SMITH: mögen des Muskels sich zu erwärmen bedeutend und namentlich im höheren Grade nach, als das, sich zusammenzuziehen. 3. Beispiel. — Der frische Muskel wurde in einen Tetanus von nur 1 Minute Dauer versetzt; es ergab sich: Zeit in Minuten vom Hub Temperatur Beginn des Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Arterie. 0 0 37.26°C. ST-IT°C. 1 79 bis 76 37.19 31.57 Nach Verfluss von 36 Minuten, während welcher eine Reizung von 1 Minute mit ähnlichem Erfolg wie die eben mitgetheilte ausgeführt war, geschah eine dritte von 2 Minuten Dauer. Sie ergab: Zeit in Minuten vom Hub Temperatur Beginn des Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Arterie. 0 0 36-95°%C. 37.44. 2 von 74 auf 67 31.34 37.44 Nach Verfluss von 44 Minuten, während welcher noch zweimal, im ganzen 3 Minuten hindurch tetanisirt wurde, brachte man einen Tetanus von 25 Minuten Dauer hervor. Es ergaben sich: Zeit in Minuten vom Hub - Temperatur Beginn des Tetanus. in Millimetern. des Muskels. der Arterie. 0 0 37:09°C, 37.72°C. . 28 von 68 auf 37 37.84 37.98 Bei diesem Muskel ging in der ersten so kurz dauernden Reizung die Temperatur desselben schon über die arterielle hinaus, was ihm später selbst nach einer andauernden Reizung nicht mehr gelang. Der Umfang der Verkürzung war dagegen an den späteren Tetanis nur mässig geringer als in den früheren. Aus den drei typischen Beispielen leuchtet ein, wie verschiedenartig sich das Wachsthum der Temperatur des Muskels vor und nach grösseren Anstrengungen ‚gestalten kann, und abermals tritt es deutlich hervor, dass zwischen den beiden Folgen des Nervenreizes der Erwärmung und der Verkürzung des Muskels nur sehr lockere Beziehungen bestehen. Aus der Grösse der Ermüdung für die erstere kann keinesfalls bindend auf die der letzteren geschlossen werden. Um die Leistungsfähiekeit des Muskels um- fassend zu kennzeichnen, wird man die Wärme- und die Arbeitsmüdigkeit gesondert zu ermitteln haben. Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 133 d. Die Nachwirkung des Reizes auf die Eigentemperatur. Kehrt der Muskel nach Beendigung der Reizung in seine ruhende Gestalt zurück, so folet der rückläufigen Formänderung nicht jedesmal die über der arte- riellen stehende Temperatur. Zuweilen dauert das Ansteigen der Wärme auch noch nach dem Verschwinden des Tetanus fort, manchmal sogar noch Minuten hindurch, oder es hält sich, wenn auch dieses nicht geschieht, die Temperatur noch längere Zeit auf ihrer maximalen Höhe. Ereignet sich dieses an einem Muskel mit positiver Eigentemperatur, so kann es nicht zweifelhaft bleiben, dass die Wärmebildung auch noch im erschlafften Muskel fortgedauert habe. Eine derartige Nachwirkung im Bereiche des wärme- bildenden Umsatzes könnte vielleicht mit dem als Contractur bezeichneten Verkürzungsrest verglichen werden. Das beschriebene Verhalten ist durch das folgende Beispiel erläutert. Während einer Minute wurde der Muskel, an dem ein Gewicht von 333 8’® hing, tetanisirt: der Hub betrug anfangs 27 ””® und sank allmählich auf 21% herab, währenddess nahm die Temperatur den durch die Zahlen dargestellten Gang an: Zeit in Minuten vom Temperatur Temperatur Beginn des Tetanus. des Muskels. der Arterie. Bemerkungen. 0 36.86 36:83 1 37.03 36-80 Tetanus. 2 37.10 36-81 5) 37.12 36-81 4 37 ll 36.81 g Muskelruhe. h) 37.10 36-81 7 37.04 36.85 Setzt sich nach Beendigung der Reizung das Steigen der Temperatur an solchen Muskeln fort, deren Wärme selbst im Tetanus diejenige des arteriellen Blutes nicht erreichte, so bleibt es zweifelhaft, ob dasselbe von einer Fortdauer des Umsatzes oder von der Zufuhr an Wärme von Seiten des höher temperirten Blutes abhängt. Obschon das nachträgliche Steigen der Temperatur nicht allzuselten zur Beobachtung kommt, so bildet es doch nicht die Regel; gewöhnlich fällt sie, insofern dieses nicht schon vorher geschehen, nach dem Verschwinden des Tetanus sogleich ab. Aber dieses geschieht, selbst wenn der Muskel beträchtlich wärmer als das Blut ge- gewesen, häufig sehr langsam, so dass fünf bis fünfzehn Minuten verstreichen, bevor der Muskel auf die Temperatur des Blutes oder auf die vor Beginn der Reizung vorhandene herabgeht. Hält sich bei diesem Rückgang die Muskeltemperatur mehrere Minuten hindurch auf der Höhe, die sie während des Tetanus erstiegen hatte, so lässt sich die Vermuthung kaum 134 MFADE SMITH: abweisen, dass auch hier die Neubildung der Wärme über die Periode der Reizung hinaus forgedauert habe. 3. Der Antheil des strömenden Blutes an der Temperaturerhöhung im Tetanus. Die eben ausgesprochene Aufgabe suchte ich durch vergleichende Messung der Temperatur zu lösen, welche der tetanisirte Muskel annahm, dessen Blutstrom in passendem Wechsel entweder unangetastet geblieben oder in mannigfachem Grade bis zum vollen Stillstand herabgemindert war. Durch das letztere Verfahren wurden die deutlichsten Aufschlüsse erlangt. a. Vergleichung der Temperatur des tetanischen Muskels im strom- freien und durchströmten Zustande. Will man dafür (Gewissheit haben, dass die Strecker des Unter- schenkels gänzlich aus dem Blutstrom ausgeschaltet sind, so müssen, wie die Erfolge der Injection von leichtflüssigen Massen an der Leiche, und wie es die Ergebnisse nach Eröffnung der Streckervenen am lebenden Thiere lehren, unterbunden gewesen sein: 1) die Aorta abdominalis unterhalb der Nierenarterien; zweimal die Art. cruralis, 2) zunächst gleich unterhalb des Poupartischen Bandes, 3) unmittelbar vor ihrem Durchtritt durch die Ad- ductoren, 4) ferner der starke Ast der A. cruralis zu den Streckern des Unterschenkels, 5) und 6) zwei kleine oberflächliche Zweige der A. cruralis, die sie in ihrem Verlaufe auf der vorderen Fläche des Oberschenkels abgiebt und endlich 7) ein Zweig, der aus der untersten Lendenarterie entspringt und über das Darmbein hinaus gegen die Streckmuskeln hinzieht. Der Strom kehrt in unveränderter Stärke wieder nach Eröffnung der Aorta und der A. cruralis unterhalb des Ligamentum Pouparti und des starken Astes der letzteren Arterie zu den Streckern des Unterschenkels.. Demgemäss konnten die unter 3., 5., 6. und 7. aufgeführten Arterien während der ganzen Dauer des Versuchs verschlossen bleiben. Um die Unterbindungen an der Aorta, an dem oberen Theile der A. cruralis und dem zu den Streckmuskeln ver- laufenden Aste nach Belieben lösen und schliessen zu können, dienten zu denselben starke schnurartige Seidenfäden, die über je einen Ligaturstab aus Hartgummi geschlungen und durch einen eingeschobenen schmalen Keil momentan gelockert und festgezogen wurden. Vor dem Beginn auch dieser Versuche waren die Thiere mit Chloralhydrat beruhigt. Ihrer zeitlichen Folge nach wechselten die Tetani des stromfreien Muskels mit denen des durchströmten ab, einige Male wurde der Versuch in dem ersteren, anderemale in dem zweiten Zustand begonnen. Nach einer Sperrung der Arterienlichtung bleibt in den Gefässen noch sauerstoffhaltiges Blut zurück, das erst nach längerem Verweilen in sauerstofffreies übergeführt wird; um diese Umwandlung sich vollziehen zu lassen, wurde öfter erst eine Anzahl von Minuten nach der Verschliessung des zuführenden Stromes DIE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 135 mit der Reizung begonnen, so dass dem Sauerstoff des Blutes ein nur ver- schwindender Antheil an dem chemischen Umsatz beizumessen war. — An dem Ende eines jeden Versuches, wenn keine weiteren Ablesungen der Temperatur mehr stattfinden sollten, wurde die Ligatur zugezogen und die Vene geöffnet um die Ueberzeugung von dem vollkommenen Stillstande des Blutstromes im Muskel zu gewinnen. In allen bis dahin beschriebenen Arten der Beobachtung konnten die unter verschiedenen Umständen eingetretenen Temperaturänderungen mit einander vergleichbar gemacht werden, indem jedesmal der ausserhalb der Arterien vorhandene Wärmegrad auf den in ihnen vorhandenen bezogen werden durfte Ein ähnlicher Nullpunkt, von welchem die Abmessung der Eigenwärme des Muskels zu beginnen hat, bietet sich im stromfreien Muskel nicht mehr dar, denn ihm fehlt das temperirende Blut. Darum steht für die Bestimmung der erwärmenden Wirkung des Tetanus im stromfreien Muskel nur der Zuwachs zur Verfügung, den die Temperatur der contrahirten Fasern über die der ruhenden gewinnt. Vergliche man nun an einem Muskel, der in der Ruhe kühler als die A. aorta ist, die Zuwüchse an Wärme bei offenem und gesperrtem Strom, so würde bis zu dem Punkte, wo Blut und Muskel gleich warm sind, der durchströmte im Vortheil sein, jenseits dieser Grenze aber der stromfreie. Denn ihm wird die grosse Menge an Wärme nicht entzogen, welche, wie wir gesehen, aus dem durchströmten Muskel mit dem Venenblut fortschwimmt. In Folge hiervon müsste auch der im Tetanus erwärmte Muskel während der darauf folgenden Ruhe weit langsamer abkühlen. Um ersichtlich zu machen, wie weit dieses geschehe, müssen deshalb unter den Zahlen, welche als maassgebende den Aufzeich- nungen entnommen werden, auch noch einige aufgeführt werden, welche den Stand der Temperatur nach dem Ende des Tetanus angeben. Aus den Beobachtungen, die nach dem entwickelten Plane angestellt sind, erhellt, dass die Temperatur des stromfreien Muskels während eines Tetanus, dessen Dauer nicht über eine oder höchstens über zwei Minuten hinausgeht, eben so hoch wachsen kann, als die des durchströmten; dieses zeigen die beiden foleenden Beispiele. : 1. Beispiel. 1. Tetanus. Dauer 1 Min. Blutstrom im Gange. Gewicht 313°”. Hub im Tetanus 79 bis 76mm, Temperatur vor Temperatur während Temperatur nach dem Beginn des Tetanus. des Tetanus. Ende des Tetanus. 1 Minute. 1 Minute. 1. Minute. 2. Minuten. Muskeln... 30220°€. BU SE: 80.298207 30.9026; merle . . . 93080 91-57 91-57 317.57 Eigenwärme. . — 0-31 + 0.21 +0-.01 Temperaturzuwachs des Muskels von der Ruhe zum Tetanus + 0-52°C. 136 MEADE SMITH: 2. Tetanus. 4!/, Minuten vor Beginn der Reizung war der Blutstrom gesperrt. Dauer des Tetanus 1 Minute. Gewicht 313°”. Hub 78 bisıTo=n- 4"33Min. 40 5 50 33 5 3Min. & 70 60 | 50 A 30 37,20€ bi Reizung! vo. 1” Dauer Roller Abstd.128”” 80“ Hub 70 v0 N ör—ı \ 40 \ N N = \ 130 Eh; = Fin, Fig. 4. Temperatur vor Temperatur während Temperatur nach dem Beginn des Tetanus. des Tetanus. Ende des Tetanus. 1 Minute. 2 Minuten. Muskel . 2.2 37.2520. 37.73°%C. 31.65.02 32293620 Temperaturzuwachs des Muskels von der Ruhe zum Tetanus + 0.48°C. In Fig. 4 sind die Erfolge der ersten und zweiten Reizung eingetragen. Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 137 3. Tetanus. Der Strom 15 Minuten vor Beginn der Reizung wieder geöffnet. Dauer des Tetanus 2 Minuten. Gewicht 3138”. Hub 74 auf 67", Temperatur vor Temperatur während Temperatur nach dem Beginn des Tetanus. des Tetanus. Ende des Tetanus. 1 Minute. 2 Minuten. 1 Minute. Muskel: . . 36:992C. 37.24%0. 37.34°C. 37.24°C. Anrlenler . .... 94.44 37.44 37.44 Eigenwärme. . —0-49 — 0.20 —0-.10 — 0.20 Temperaturzuwachs des Muskels + 0.39 °C. 4. Tetanus. 2 Minuten vor Beginn der Reizung ist der Blutstrom ge- sperrt. Dauer des Tetanus 2 Minuten. Gewicht 313°”, Hub von 75 aut Ham. Temperatur vor Temperatur während Temperatur nach dem Beginn des Tetanus. des Tetanus. Ende des Tetanus. 1 Minute. 2 Minuten. Muskel n....:..2827-.11°C. 3122800, .31.:306. 37.20°C. Temperaturzuwachs des Muskels von der Ruhe zum Tetanus +0-19°C. 2. Beispiel. 1. Tetanus. Strombahn offen. Dauer 2 Minuten. Gewicht 500°”. Hub von 72 auf 47mm, MRollenabstand 325m, Temperatur während, nach Ende des Tetanus, vor Beginn, 1 Minute. 2 Minuten. 1 Minute. 2 Minuten, Muskel . . 2 .38230°C. 88-50°C. 38-61°C. 38.5300. 38.44°C. Arterie . . .. 38-29 88-27 88:23 Eigentemperatur +0-01 +0.34 Wärmezuwachs.. +0-31 2. Tetanus. Strombahn gesperrt 2 Minuten vor Beginn der Reizung. Dauer des Tetanus 2 Minuten. Gewicht 500°”. Hub von 60 bis 9um, MRollenabstand 310 "m, Temperatur während, nach Ende des Tetanus. vor Beginn, 1 Minute. 2 Minuten. 1 Minute. 2 Minuten, Muskel... . :38-.19°C. 38-.58'C. 38.68°C. 38.67°0. 38-67°C. Temperaturzuwachs im Muskel von der Ruhe zum Tetanus + 0-49. 138 MEADE SMITH: 3. Tetanus. Strombahn offen seit 20 Minuten. Dauer des Tetanus 2 Mi- nuten. Gewicht 500°". Hub von 45 auf 27mm, Rollenabstand 290 "m, Temperatur während, nach Ende des Tetauus. vor Beginn, 1 Minute. 2 Minuten. 1 Minute. 2 Minuten. Muskel... 02 25821400. 33-30°C. 38.42 °C. 38:38°C. 38-38 °C. Arterie 0 0 3X IX 31-97 37.97 Eigentemperatur + 0-17 + 0.45 Temperaturzuwachs im Muskel + 0.28. 4. Tetanus. Strombahn gesperrt seit 3 Minuten. Dauer des Tetanus 2 Minuten. Gewicht 500°”. Hub von 32 auf 9=m, KRollenabstand 274 dann 250", Temperatur während, nach Ende des Tetanus. vor Beginn, 1 Minute. 2 Minuten. 1 Minute. Muskel». .... 880906; 38-11°C. 38.09°C. 38:.09°%C. Temperaturzuwachs im Muskel 0.02°C. 5. Tetanus. Strombahn offen seit 9 Minuten. Dauer des Tetanus 2 Mi- nuten. (sewicht 5008”, Hub von 25 auf 0”®, Rollenabstand 250. Temperatur während, nach Ende des Tetanus. vor Beginn, 1 Minute. 2 Minuten. 1 Minute. Muskele 77 7207°370:8026: 37..900023729620: 37.96°C. Arterie N 3 91.88: 31.83 Eigentemperatur . + 0-05 + 0.13 Temperaturzuwachs im Muskel 0-10'C. Zu den mitgetheilten Beispielen verdient bemerkt zu werden, dass sie darum ausgewählt wurden, weil sie die grössten Zuwüchse der Temperatur aufweisen, welche die gereizten stromfreien Muskeln erreichten, dem Grund- satz gemäss, dass bei Reizungsversuchen die mit positiven Erfolgen begabten vor allen anderen den Vorzug verdienen. Zerstreuen nun auch die vorgelegten Beobachtungen jeden Zweifel daran, dass der vom arteriellen Blut befreite Muskel während des Tetanus eine nicht unbedeutende Menge von Wärme bilden kann, so bleibt es doch andererseits kaum fraglich, dass selbst in den günstigsten Fällen der strom- freie Muskel weniger derselben entwickelt, als der durchströmte Denn wäre die unter den beiden Bedingungen in Freiheit gesetzte Wärme gleich gross gewesen, so müsste die Temperatur des stromlosen Muskels offenbar um ein Merkliches höher gestiegen sein, als die des durchströmten, da ihm das Blut keine Wärme entziehen konnte. Das Uehergewicht, welches dem durchströmten Muskel mit Rücksicht auf die Wärmebildung hiernach schon mit hoher Wahrscheinlichkeit zu- Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 139 kommt, prägt sich nun aber erst mit voller Entschiedenheit aus, wenn dem Tetanus eine über zwei Minuten hinaussehende Dauer ertheilt wird. Ge- schieht dieses bei unveränderter Stärke des Reizes auf den Nerven, so wächst nach den in dem vorhergehenden Abschnitte mitgetheilten Erfahrungen die Temperatur des durchströmten Muskels auch noch in den dritten, vierten und späteren Minuten und sie nimmt von da an sehr allmählich ab. Ganz anders verhält sich der Verlauf der Temperatur wenn der Nervenreiz auf den stromfreien Muskel gewirkt hat; schon am Ende der zweiten Minute verkehrt sich das Steigen in ein Sinken, welches meist mit einer solchen Steilheit geschieht, dass bereits gegen Ende der vierten oder am Anfang der fünften Minute der grösste Theil des Zuwachses eingebüsst wurde, den die Temperatur in den ersten beiden Minuten gewonnen hat. Zur Erläuterung mögen die folgenden Curven Fig. 5 und die zu ihnen gehörigen Zahlen dienen. Unter den zu diesem Beispiel gehörenden Zahlen finden sich noch An- saben über einen nicht in die Figur 5 aufgenommenen Tetanus, der des ver- änderlichen Rollenabstandes wegen mit den später ausgeführten nicht ver- gleichbar war. 1. Tetanus. Die Verschliessung der Strombahn beginnt 1-5 Minuten vor der Reizung. Dauer des Tetanus 4 Minuten. Gewicht 213®'%. Hub von 90 auf 28wm, Rollenabstand von 155 auf 130" verringert. Temperatur vor Beginn. Temperatur während des Tetanus. 1-0 Minute. 1-5 Minuten. 4 Minuten. Muskel. . .» . 89.142C. 36-00°C. 35-90°C. 35.77°C. Temperaturzuwachs in der 1. Minute 0.24 bis zu Ende der 4. Minute herab auf 0.03°C. 2. Tetanus. Strombahn seit 10 Minuten offen. Dauer des Tetanus 15-5 Minuten. Gewicht 2138”. Hub von 98 auf 64mm, Rollenabstand 130 mm, Temperatur vor Beginn. Temperatur während des Tetanus. ” 1 Minute. 6 Minuten. 15-5 Minuten. Muskel. > .....86.41°C. 36.85°C. 37.07°C. 36.73°C. mwerlen nn . . . 36-52 36.52 36-57 36-61 Eigentemperatur . — 0-11 +0.33 +0:50 +0-.12 Der Temperaturzuwachs des Muskels steigt auf +0-66 und fällt wieder Base! 0.32: 3. Tetanus. Die Verschliessung der Strombahn beginnt 1 Minute vor der Reizung. Dauer des Tetanus 6 Minuten. Gewicht 213°”, Rollen- abstand 130”. Hub von 105 auf 28mm, Temperatur vor Beginn. Temperatur während des Tetanus. 1 Minute. 1-5 Minute. 6 Minuten. Muskel@ .. .. ..... 36-41°C. 36-70°%C. 36:64 °C. 36-40°C, 140 10 | 70 U »0|- 5b, 5o| 3 ‚Ärlerie | 32 5 MEADE SMITH: zur ‚Skolten-Absta130 | f dirchströ el 30 Rn ini 8 60 30 40. 50 — ") Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 141 Der Temperaturzuwachs des Muskels steigt während der 1. Minute auf +0.29 und sinkt bis zur 6. Minute auf 0°C. 4. Tetanus. Strombahn seit 10 Minuten offen. Dauer des Tetanus 14-5 Minuten. Gewicht 2138°%, Hub von 102 auf 59 wm, Rollenabstand 130mm, Temperatur vor Beginn. Temperatur während des Tetanus. 1 Minute. 4 Minuten. 14-5 Minuten. Muskel . . ... 36-.54°C. 36-.81°0. 37.20°C. 36-80°%C. Arberlen u. 680-6 36-60 36.64 6-71 Eigentemperatur . — 0-07 10.21 + 0.56 + 0.09 Der Temperaturzuwachs des Muskels steigt bis zur 4. Minute auf + 0-66 und fällt bis zur 14-5. Minute auf + 0-26°C. An irgend einem Bestandtheil des irritablen Apparates, sei es am Nervenende oder in der Muskelfaser selbst, erschöpft sich also die Befähigung Wärme zu bilden, wenn der Tetanus ohne den Hinzutritt des Blutes länger als nur wenige Minuten hindurch anhält. Ueber die einflussreiche Bedeutung des stets erneuten Blutes auf den wärmebildenden Stoffumsatz weisst die Ausdauer mit unanfechtbarer Entschiedenheit hin, mit welcher derselbe im durchströmten im Gegensatz zum stromlosen Muskel anhält. Durch die grosse und dauerhafte Leistungsfähigkeit, welche der durch- strömte Muskel bewiesen hatte, wurde die Hoffnung rege, den Einfluss des Blutes auf Wärmebildung noch auf einem anderen Wege darzulegen. Man konnte erwarten, dass die emporgestiegene Temperatur sich erniedrigen und darauf wieder erhöhen werde, wenn man im Verlauf eines viele Minuten umspannenden Tetanus den Blutstrom für einige Zeit absperrte, während er diesseits und jenseits der Stauungsperiode offen gelassen wurde. An das Gelingen eines derartigen Versuchs knüpfte sich die Aussicht, einen Auf- schluss über die Geschwindiekeit zu erlangen, mit welcher das zurück- kehrende Blut die Einbusse an dem Umfang des wärmebildenden Processes wieder aufzuheben vermöge. Von den mehrfachen Versuchen, in denen nach dem mitgetheilten Schema vorgegangen wurde, lege ich als Beispiel die folgende Beobachtung vor, welche durch einen Auszug aus den notirten Zahlen dargestellt ist. Der Tetanus setzte sich aus drei Abtheilungen zu- sammen, seine Gesammtdauer betrug 15 Minuten, während der ersten fünf Minuten war die Blutbahn offen, von der fünften bis zur zehnten Minute war sie gesperrt, von der zehnten bis zur fünfzehnten wiederum offen. Der Rollenabstand blieb stets der gleiche. I. Abtheilung. DBlutbahn offen. Dauer 5 Minuten. Gewicht 2138, Hub von 97 bis 46mm, 0 5 Minuten. Muskeltemperatur . . . 35-70°C. 36-37°C. Arterientemperatur. . . 36-38 36-37 142 MEADE SMITH: II. Abtheilung. Blutbahn gesperrt. Dauer 5 Minuten. Gewicht 213 8", Hub 46 bis 13””, schliesslich vielleicht nur Contractur. 6 Minuten. 10 Minuten. Muskeltemperatur . . . 36.76°C. 36-00°C. II. Abtheilung. Blutbahn offen. Dauer 5 Minuten. Gewicht 213”, Hub steigt auf 21m, 11. Minute. 14. Minute. 15. Min. und nach Ende der Reizung. Muskeltemperatur . 35-92°C. 36-.05°%C. 36.10°C. 36-17°%C. Arterientemperatur. 36.36 36.32 36.32 36.32 Dem erwarteten Erfolge wird insofern entsprochen, als mit dem ein- getretenen Verschluss der Arterie die Temperatur steil herabsinkt; nach der Wiederkehr des Stromes setzt sich eine Minute hindurch das Abfallen der Temperatur fort und sie wendet sich dann erst langsamer und darauf rascher wieder aufwärts. Da jedoch der Muskel die Temperatur des Arterien- blutes nicht erreichte, so bleibt es ungewiss, ob nicht durch den wärmeren Strom das Ansteigen des Thermometers bedingt wurde. Eine Bestätigung für die Annahme, dass der warme Blutstrom die Temperatur des Muskels gesteigert habe, lässt sich daraus entnehmen, dass das Thermometer zwei Minuten nach dem Aufhören der Reizung höher als zu Ende des Te- tanus stand. Einige andere auf gleiche Weise durchgeführte Beobachtungen stimmen mit der vorgelegten überein; auch sie bestätigen die Herabminderung, welche die anfänglich gehobene Temperatur durch die Verödung des Blut- stromes erfährt, aber sie liefern keinen unzweideutigen Beweis dafür, dass sich mit der Wiederkehr des Blutes die Wärmebildung auf die mepzunss liche Stufe hebt. Erinnert man sich der mitgetheilten und nicht gerade selten beobach- teten Erscheinung, dass der ein bis zwei Minuten hindurch andauernde Tetanus auch im stromlosen Muskel von einer nicht unbedeutenden Tem- peraturerhöhung begleitet sem kann, so fällt das plötzliche Sinken des Ther- mometers auf, wenn, wie wir eben sahen, der Verschluss der Arterien wäh- rend eines bestehenden Tetanus bewerkstelligt wird. Aus dieser Thatsache könnte man abnehmen, dass der Vorrath wärmebildenden Stoffes, aus wel- chem ein bis dahin ruhender und durchströmter Muskel seine Temperatur- zunahme auch im stromlosen Zustande bestritten, während der Dauer des Tetanus aufgezehrt worden wäre. Um über diese Frage in’s Klare zu kommen, wurde am durchströmten Muskel ein Tetanus eingeleitet und dann während ununterhrochener Fortdauer desselben gleichzeitig die Arterien- lichtung verschlossen und der Nervenreiz verstärkt. Wäre der Muskel seines Wärme erzeugenden Vorraths beraubt gewesen, so hätte der stärker ge- DiE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 143 wordene Reiz kein Steigen des Thermometers bewirken dürfen, da der vom Blute zu liefernde Ersatz fehlte. Der Versuch zeigte jedoch das Gegentheil; es wuchs auch jetzt die Temperatur mit der Verstärkung des Reizes, aber nur auf kurze Zeit. Ich verweise zur Erläuterung des Gesagten auf die folgende Zahlenreihe. Die Dauer der Reizung betrug 13 Minuten, in den zuerst verflossenen 7-25 Minuten war die Blutbahn offen, in den folgenden 5°75 Minuten war sie gesperrt. Das belastende Gewicht betrug durchweg 213 sm, I. Abtheilung. Strombahn offen. Rollenabstand von 110 bis 90"m, . Der Hub während der 1. bis 4. Minute 26 bis I5wm, von da bis zur 7.25. Minute von 16 bis 10mm, 1I. Abtheilung. Strombahn gesperrt. Hollenabstand 85 bis 80", Hub von 15 auf 6m, ]; IH. Temperatur während, | des Tetanus. vor, 7-25. Minute. | 9. Minute. 10. Minute. 13. Minute. Muskel 7. 34-0462 37:35 °C. | 37.400, 37.430: - 31.3520; Neem. 84.15 81:21 In ähnlicher Weise wie die Wärmebildung wird auch die mechanische Leistungsfähigkeit durch die Unterbrechung des Blutstromes beeinflusst. Eine Minute hindurch kann der stromfreie Muskel ebenso kräftig sich zu- sammenziehen wie der durchströmte, vorausgesetzt, dass auf beide ein Reiz von gleicher Stärke wirkt. Während einer längeren Dauer der Reizung verliert aber der stromlose Muskel einen sehr grossen, der durchströmte “ nur einen geringen Theil seiner Hubfähigkeit. Kehrt während eines an- dauernden Tetanus der Blutstrom nach einer zeitweiligen Unterbrechung zurück, so verkürzt sich der vorher länger gewordene Muskel wieder be- trächtlicher. Bestände zwischen thermischer und mechanischer Leistungs- fähigkeit ein engeres Band, so würde man auch zur selben Zeit an einer Erholung der Wärmebildung, veranlasst durch die Wiederkehr des Blutes, nicht zweifeln können. Ob man zu diesem Schluss berechtigt ist, wage ich nicht zu entscheiden. b. Ueber die Wirkung des Curara’s auf die Muskeltemperatur. Beim Säugethier erstrecken sich die Folgen der Curaravergiftung weiter als beim Frosche, denn es lassen sich vom gereizten Nerven aus weder die Muskelfasern verkürzen, noch der Blutstrom um dieselben beschleunigen. Dadurch wird Gelegenheit zur Prüfung der Frage geboten, ob der Nerven- reiz noch Wärme erzeuge, wenn er für die Umformung des Muskels voll- kommen unwirksam geworden, und weil der Muskel durch den unmittel- baren Reiz tetanisirt werden kann, ohne dass sich der Blutstrom beschleunigt, 144 MEADE SMITH: so lässt sich noch ein weiterer Aufschluss über die Beziehung hoffen, die zwischen der Aenderung der Temperatur und der des Blutstromes besteht. An Vorbereitungen zum Versuche nach Anwendung des Curara’s kamen ausser den allgemeinen noch zwei neue hinzu. Es wurden zwei Streifen aus Platinblech unter die Haut geschoben, einer dem oberen, der andere dem unteren Ende der Unterschenkelstrecker gegenüber; die zur Haut ge- kehrte Fläche dieser Elektroden war mit Guttaperchapapier überzogen. Es wurde ausser dem wie gewöhnlich behandelten N. cruralis auch noch ein Hautzweig des N. ileolumbalis durchschnitten, um der Temperaturerniedrigung des arteriellen Blutes vorzubeugen, welche nach R. Heidenhain jeder schmerzhaften Erregung folgt. Der Hub der erzeugten Tetani ward nicht aufgezeichnet; Thermometer lagen in der Aorta, in der V. cruralis und in der Spalte zwischen M. vastus internus und M. rectus. Dem des unvergifteten oder mit Chloralhydrat eingeschläferten gegen- über zeigt der Muskel des curarisirten Thieres auffällige Abweichungen. Eine erste derselben drückt sich in dem fast stetigen Steigen des Thermo- meters aus, das zwischen die Fasern eingebettet ist. An sechs Thieren, welche Curara erhalten hatten, wurde eine Zunahme der Temperatur nicht bloss während der Reizung beobachtet, auch in den Pausen, die zwischen zweien gelegen waren, sah man das Thermometer entweder allmählich weiter steigen oder mindestens die einmal erklommene Höhe behaupten. In diesem Gang ward es sogar mehrmals nicht gestört, wenn die Art. cruralis unterhalb des Lig. Pouparti zugeklemmt und dadurch der Blutstrom in den Muskelgefässen wenn auch nicht ganz aufgehoben, so doch jedenfalls be- deutend geschwächt worden war. Zu einer absteigenden Bewegung der Temperatur gab dagegen jedesmal die Einspritzung einer neuen Gabe Cu- rara’s Veranlassung, wenn eine solche wegen der Wiederkehr selbständiger Bewegungen nöthig wurde. Ueberhaupt aber zeigte sich die Temperatur des Muskels von derjenigen des Arterienblutes sehr unabhängig. Bei zweien meiner Versuchsthiere blieb die Temperatur des Muskels während der ganzen Dauer der Beobachtung — 127 und 120° — um 0.05 bis zu 0.2°C. höher als die des arteriellen Blutes, dessen Wärmegrad auch in diesen Fällen während der Versuchsdauer in einer stetigen Zunahme begriffen war. In einem anderen Versuche bei dessen Beginn der Muskel um 0.85% C. kühler als das Arterienblut gefunden wurde, erreichte trotzdem, dass die Temperatur des letzteren fast unverändert blieb und die des ersteren fort- während stieg, das zwischen den Fasern eingebettete Thermometer noch nicht den Stand des in die A. carotis eingeschobenen: auch nach einer Beobach- tungsdauer von 36 Minuten war der Muskel noch um 0-2° C. niedriger als das Aortenblut temperirt. In einem anderen Falle endlich, in welchem Die TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS. 145 der Wärmegrad des Arterienblutes starken Schwankungen unterlag, hielt die Temperatur des Muskels ihren aufsteigenden Gang fest, unabhängig davon, ob das Blut unter dieselbe herabgegangen oder darüber hinausgestiegen war. Zur Veranschaulichung des geschilderten Verhaltens mag es gestattet sein, eine Beobachtung auszugsweise mitzutheilen. In derselben lagen zwei Platinelektroden unmittelbar unter der Haut auf der Fascia des M. rectus, mittels welchen während der Versuchsdauer drei Mal tetanisirende Reize zugeleitet wurden. Die Temperatur wurde hier wie immer mindestens jede Minute abgelesen. Von den vielen hierbei gewonnenen Zahlen genügen zum Erkennen des Temperaturverlaufes die, welche am Beginn und Ende als Tetanus aufgezeichnet wurden, weil damit zugleich die in den Zwischen- zeiten stattgehabten Aenderungen im Thermometerstand kenntlich sind. Die fortlaufende Zeit zählt vom Beginn des ersten Tetanus. Fortlaufende Zeit Temperatur in Minuten. des Muskels. der Arterie. Bemerkungen. 0 37.57°C. 37.89°C. Ruhe. bis 10 37.94 37.90 Tetanus 10 Minuten. a) 38-01 37.94 Ruhe. „40 38.24 38-04 Tetanus 10 Minuten. ol 38.27 38-17 Ruhe. ll 38.26 38.26 Ruhe. Art. cruralis gesperrt. ) 38-53 38.94 Tetanus 9 Minuten. „280 38.65 38.48 Ruhe. Eine andere, für den Curaramuskel eisenthümliche Erscheinung ergiebt sich aus dem Verhältniss der Muskel- zur Venentemperatur. So oft ohne die Anwendung des genannten Giftes die in die Vene und in den Muskel eingesenkten Thermometer gleichzeitig beobachtet wurden, sah man, dass während des Tetanus beide auf einen höheren Stand gelangten, aber es stieg die Temperatur der Vene niemals so hoch, wie die des Muskels. Nach der Anwendung von Curara kam es dagegen wiederholt vor, dass die Tem- peratur der Vene, welche vor dem Beginn des Tetanus niedriger als die des Muskels gestanden, während desselben über die des letzteren empor- wuchs und sich dann nach Beendigung des Tetanus wieder unter die des Muskels herabsenkte. Die einfachste Deutung dieses Paradoxons dürfte darin liegen, dass der Ort, an dem das Thermometer den Muskel berührte, einen viel weniger kräftigen Reiz empfangen, als viele andere, infolge dessen das Blut, welches die stärker gereizten Fasern umspülte, sich höher als die Umgebung des Muskelthermometers erwärmen konnte. Wenn der Curaramuskel durch einen unmittelbar an ihm angebrachten Archiv f.A. u. Ph. 1881. Physiol. Abth, 10 146 MEADE SMITH: Reiz in Tetanus geräth, so äusserte sich die Wirkung desselben auf das Thermometer der Art, dass die Quecksilbersäule ihr bisheriges allmähliches Emporsteigen in ein rascheres verwandelte, und in diesem beschleunigten Gange nicht nur so lange als die Reizung, sondern auch noch einige Mi- nuten über deren Dauer anhielt. Eine oder mehrere Minuten nach dem Ende des Reizes ermässigte sich nun wieder die Wachsthumsgeschwindigkeit der Temperatur auf den vor dem Tetanus vorhandenen Grad. Obwohl diese Schilderung auch für Tetani von 20 Minuten Dauer Geltung besitzt, so erreichte doch niemals der gesammte Zuwachs, den die Reizung der Tem- peratur des Muskels ertheilte, einen ähnlichen Werth, wie er ohne die Gegen- wart des Curara’s selbst nach viel kürzer anhaltenden Zusammenziehungen beobachtet wurde; günstigsten Falls erhob sich während des beschleunigten Aufsteigens die Temperatur um 0-.5°C. über die vor derselben vorhandene, in der Regel betrug sie dagegen weniger. — Mit dem Thermometer, das in der Muskelspalte lag, hob sich auch gleichzeitig das in die Vene ein- gesenkte, so dass sich beide während der Dauer des Tetanus nach derselben Richtung hin bewegten, mit dem Ende des Reizes verschwand jedoch die Uebereinstimmung, alsdann sank die Wärme der Vene, während die des Muskels noch zunahm. Unter Vermeidung weitergehender Hypothesen, kann man die Abweichungen des Curaramuskels aus den veränderten Eigen- schaften des Blutstromes ableiten. Empfängt derselbe während der Reizung eine nur beschränkte und vorübergehende Beschleunigung und ist ihm in den Pausen eine geringere Stärke angehörig, so kann er auch nur einen kleinen Antheil der entstandenen Wärme ausführen, und es kann die an einigen Orten vorzugsweise erhöhte Temperatur sich allmählich bis zum Thermometer hin verbreiten. — Ob aber damit das richtige getroffen ist, ob nicht vielleicht durch das Curara die stoffliche Bewegung des Muskels ‚geändert wird, muss dahin gestellt bleiben. An vier Curarathieren wurde auch der N. cruralis tetanisirt ohne dass sich in der Stellung des Beines das geringste geändert hatte. Der Ver- dacht, als ob ein Tetanus vorhanden, konnte darum nicht entstehen. Den- noch übte in drei verschiedenen Muskeln die Reizung einen Einfluss auf einen oder beide Thermometer aus, die in der Vene und dem Muskel stecken. Da die Wirkung schwach und zuweilen zweideutig war, so be- dürfen die Beobachtungen einer ausführlichen Darstellung. I. Der Nerv wurde zu verschiedenen Zeiten zweimal gereizt. Die 1. und 5. Minute vor der ersten Reizung ergaben: Venentemperatur. Muskeltemperatur. Arterientemperatur. von 37-95 auf 38-00 °C. von 37-79 auf 37-81°C von 38.23 auf 38-29°C. Div TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKELS 147 Während der 5 Minuten dauernden Reizung: Minuten. Venentemperatur. Muskeltemperatur. Arterientemperatur. O bis 1 von38.00auf 38.03 von 37.81 auf 37.90 von 38-29 auf 38-31 110202 38:09 38.04 verharrt auf 37.90 sinkt auf 33-30 2,0 38:04 38.03 von 37-90 auf 37-70 von 38.30 auf 38.34 In den nach beendeter Reizung folgenden 5 Minuten: die Venentemperatur, die Muskeltemperatur, die Arterientemperatur. von 38-05 auf 38-04 von 37.70 auf 37.80 von 38:33 auf 38-30 Einige Minuten später war eine erneute Einspritzung von Curara nöthig; nachher ergaben im weiteren Verlauf von 13 Minuten: die Venentemperatur, die Muskeltemperatur, die Arterientemperatur. von 37-98 auf 37-87 von 37.80 auf 37.59 38-21, 38:12, 35-20 Während einer Reizung von 5 Minuten Dauer: die Venentemperatur, die Muskeltemperatur, die Arterientemperatur. von 37.87 auf 37.90 von 37:39 auf 37.27 von 38-20 auf 38-25 und in den folgenden 8 Minuten der Nervenruhe: die Venentemperatur, die Muskeltemperatur, die Arterientemperatur. von 87.91 auf 37-95 37.22, 37.20, 37-67 38-25 Von der Reizung wurde also vorzugsweise die Temperatur des Muskels betroffen und zwar im umgekehrten Sinne, wie wir ihn bisher vom erregten Nerven aus eintreten sahen. Da durch das Curara die verengenden Ge- fässnerven nicht gelähmt wurden, so könnte man das vorliegende Verhalten als Folge einer Blutleere ansehen, die den Muskel wegen des Verschlusses seiner kleinen Arterien betroffen hat. II. Der Nerv wird 5 Minuten hindurch gereizt. Vor der Reizung verlief die Temperaturänderung während 12 Minuten: in der Vene, in dem Muskel, in der Arterie. von 37.90 auf 37-97°C. von 37.97 auf 38-01°C. von38-21 auf 38-16°%C. Während der Reizung: in der Vene, in dem Muskel. in der Arterie. v. 37.97 auf38.03 und dann 38-00 v.38-.01auf38-.03 v.38.16 auf38-12 In den 5 Minuten, welche auf das Ende der Reizung folgten: in der Vene, in dem Muskel, in der Arterie. von 33°00 auf 37-97 von 38:03 auf 38:09 von 38:12 auf 38-10 und in den weiteren 5 Minuten: in der Vene, in dem Muskel, in der Arterie. von 37:97 auf 37:98 von 38-09 auf 38-10 38:10 10* 148 MEADE SMITH: In Folge dieser Reizung hat sich die Temperatur des Muskels und der Vene geändert und zwar gesteigert. Da die Wärmegrade des Muskels und der Vene jedoch nicht über die des Arterienblutes hinausgehen, so liegt kein Beweis für die Annahme vor, dass innerhalb des Muskels selbst die Ursache für den Zuwachs zu suchen sei. III. Der Nerv wurde zu verschiedenen Zeiten zwei Mal gereizt. Vor der Reizung verlief die Temperaturänderung in 34 Minuten: in der Vene, in dem Muskel, in der Arterie. von 39-30 auf 40.05°C. von 39-74 auf 40:33°C. von 39-61 auf 40-14°C. Während Reizung von 5 Minuten Dauer: in der Vene, in dem Muskel, in der Arterie. von 40:05 auf 40:07 von 40:33 auf 40-41 von 40:14 auf 40:19 In den 14 Minuten, die auf das Ende der Reizung folgten: in der Vene, in dem Muskel], in der Arterie. von 40:07 auf 40:38 von 40°41 auf 40-67 von 40:19 auf 40-49 Während der zweiten Reizung mit 5 Minuten Dauer: in der Vene, in dem Muskel, in der Arterie. von 40:38 auf 4042 von 40:67 auf 4075 von 40:49 auf 40-50 Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden war der Muskel während der ganzen Dauer des Versuches wärmer als das arterielle Blut und es stieg während der Nervenreizung seine Temperatur empor; daraus würde man auf eine durch den Nervenreiz veranlasste Bildung von Muskelwärme zu schliessen geneigt sein, wenn nur die Grösse des Zuwachses in der Zeit- einheit während der Reizung diejenige während der Nervenruhe überträfe, was jedoch nicht geschehen ist. Somit erbringt auch diese Beobachtung keine Stütze für die Annahme, dass der gereizte Nerv befähigt sei die Tem- peratur des Muskels zu erhöhen, ohne gleichzeitig eine Formänderung ein- geleitet zu haben. Immerhin bleibt sie merkwürdig, da sie uns kaum daran zweifeln lässt, dass auch der ruhende Curaramuskel einem wärmebilden- den Stoffumsatz in merklicher Weise zu verfallen vermöge, der hier vielleicht nur darum stärker in die Augen springt, weil wegen des schwächeren Blutstromes die Abkühlung mit der Erwärmung keinen gleichen Schritt zu halten vermag. c. Ueber die abkühlende Wirkung des Blutstromes nach seiner Ab- schwächung durch starke Aderlässe und durch die Zerschneidung des Hals- markes. Da der gereizte Muskel zu einer dauernden Entwickelung von Wärme des Blutes bedarf, dessen Strom jedoch auch abkühlend wirkt, so darf man erwarten, dass das Maximum der Temperatur, welches eine anhaltendere Reizung dem Muskel zu geben vermag, an eine bestimmte Stärke des Blut- stromes gebunden ist. Vorausgesetzt der Verlust an wärmebildenden Stoffen ist schon gedeckt durch eine noch weit von ihrer Grenze entfernte Ge- Dıs TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKEIS. 149 schwindiekeit des Stromes, so würde man im Gegensatz zur gänzlichen Unterdrückung in der Schwächung desselben das Mittel finden, um die Temperatur des Muskels möglichst hoch zu treiben und sie zugleich längere Zeit hindurch auf dem höheren Stande zu erhalten. Durch die Beobach- tungen Gaskell’s ist dargethan, dass sehr mächtige Aderlässe nothwendig sind, um die durch Reizung des Muskelnerven eingeleitete Beschleunigung des Stromes auf ein geringes Maass herabzudrücken, darum war es geboten, den Versuchsthieren jedesmal so lange Blut zu entziehen, bis der in der A. carotis gemessene arterielle Druck beträchtlich und dauernd herunter gegangen war. Bevor und nachdem dieses geschehen war wurde ein Tetanus eingeleitet und die Temperatur in der Vene beobachtet. Dieser Ort schien mir, als ich die Versuche anstellte, der passendere zu sein, weil er einen Mittelwerth aus den an verschiedenen Stellen des Muskels ungleich hohen Temperaturen zu geben versprach und weil das Blut wegen seines trägen Flusses sich den Wärmegrad des Muskels vollständiger als sonst aneignen konnte. Vielleicht wäre es zweckmässiger gewesen, auch noch ein Ther- mometer in den Muskel selbst einzubetten. Ihrem Ergebnisse nach haben alle Versuche den gehegten Erwartungen so wenig entsprochen, dass eine ausführlichere Darstellung derselben unter- bleiben kann. Für den Misserfolg scheinen mir wesentlich zwei Gründe verantwortlich zu sein. Es erhöhte sich nach dem Aderlass, welcher das Thier dem Verblutungstode nahebrachte, die Temperatur in der Arterie be- trächtlich und es nahm zugleich. die Befähigung des Muskels, dauernde Reize mit einem Tetanus zu beantworten in bedeutendem Grade ab. So wurden dann die in der Temperaturänderung sichtbaren Erfolge der Rei- zungen vor und nach dem Aderlass nicht mehr vergleichbar. Mit Sicher- heit liess sich nur feststellen, dass sich auch nach sehr mächtigen Blut- entziehungen die Temperatur innerhalb der Muskelvene in Folge der Nerven- reizung noch in ähnlicher Weise erhöhte wie vordem. Ob sich aber die höhere Temperatur im Muskel des blutarmen Thieres länger als vor der Anstellung des Aderlasses erhält, blieb wegen des gleichzeitigen Steigens der Arterienwärme unentschieden. Dem angestrebten Ziele kommt man vielleicht mittels der Durchschnei- dung des Halsmuskels näher. Leider war es mir nicht möglich mehr als einen Versuch nach dieser Richtung anzustellen, und dieser gehörte gerade nicht zu den gelungenen, da das Thier schon 30 Minuten nach der am. zweiten Halswirbel ausgeführten Durchschneidung des Markes erlag und die Leistungsfähigkeit des Nerven von einer nur 3 Minuten dauernden Reizung vollkommen erschöpft war. Indess während dieser Reizung er- hob sich die Temperatur des Venenblutes von 38.40 auf 38-75°C. und es setzte sich nach dem Schluss der Reizung das Ansteigen noch fort, sodass 150 MrADFR Smme: dieselbe 2!/, Minuten später auf 38.90 °C. gelangte. Weiteren Beobachtungen setzte wie gesagt der Tod ein Ziel. 4. Künstlicher Blutstrom durch den Muskel. Manche Hoffnung, die sich an die Messungen der Temperatur des ausgeschnittenen Froschmuskels knüpfte, wird mit der Einsicht im den Um- fang der Wärmebildung schwinden, welchen der Muskel aufzeigt, so lange er von Blut durchströmt ist. Aber darum, weil wir nun von der grösseren Wärmeleistung des lebendigen Muskels unterrichtet wurden, sind wir der wahren Aufgabe noch nicht näher getreten, denn es bleibt nach wie vor die Art und Grösse des Umsatzes unbekannt, aus der die Wärme hervor- geht. Der nächste Schritt hierzu würde gethan sein wenn es gelänge die Wärmemenge zu messen, die während der Reizung des Muskels entsteht. Eine Aussicht zur Erreichung dieses nächsten Zieles gewährt die Reizung einer ausgeschnittenen Muskelmasse, welche sich mit Hülfe einer flüssigen Mischung lebendig erhält, die durch ihre Gefässe strömt. Gelingt die voll- kommene Durchbildung dieses Verfahrens, so würden alle Forderungen, welche die Calorimetrie erhebt, erfüllbar sein. Daran, dass eine so schwierige Aufgabe sich rasch erledigen lasse, war nicht zu denken, und doch erschien es mir gewissermaassen als Pflicht, den Beweis zu liefern, dass der eben ausgesprochene Vorschlag eine Zukunft besitze. Zu diesem Zwecke erachtete ich den Nachweis für genügend, dass ein vom Blut durchströmtes Muskel- präparat, das vom eben getödteten Thiere entnommen war, bei seiner Reizung sich bis zu einem durch das Thermometer sicher erkennbaren Grade er- wärme. Die Muskelmassen, deren ich mich bediente, waren vom Hund und Kaninchen gewonnen; in beiden Fällen bestanden sie aus der gesammten Museulatur, die den Raum zwischen den Becken und dem Knie ausfüllt; mit anderen Worten, es wurde das eben getödtete Thier in der Höhe des zweiten oder dritten Lendenwirbels durchschnitten, nach Entfernung der Baucheingeweide eine Röhre in die A. aorta kurz vor deren Theilung ein- sesetzt, eine Drahtschlinge um jeden der beiden Unterschenkel unmittel- bar unterhalb der Kniescheibe und eine dritte um die Muskeln an der Wirbelsäule gelegt und diese mittels einer starken Zange fest zugeschnürt. War hierauf auch noch ein Glasröhrchen in die untere Hohlvene ge- gesetzt, so konnte der künstliche Blutstrom seinen Anfang nehmen. Damit der letztere auf das gewünschte Gebiet beschränkt blieb und Seinen Aus- weg nur aus der Hohlvene nahm, musste jetzt noch eine grössere Zahl von Unterbindungen stattfinden und zugleich der geöffnete Rückenmarkscanal durch einen eingetriebenen Kork verstopft werden. Die Unterbindungen kosten Zeit und Sorgfalt, aber sie lassen sich durch jeden mit der Anatomie der betreffenden Theile Vertrauten so weit treiben, dass alle vom Becken um- DıE TEMPERATUR DES GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKEILS. 151 schlossenen Eingeweide und die Bauchwand selbst vollkommen blutleer bleiben und dass das in die Aorta einfliessende Blut stundenlang, wenig Tröpfehen abgerechnet, nur aus der Hohlvene zurückkommt. Sonach blieb das Stromgebiet wohl auf den Oberschenkel beschränkt und es konnte nur noch ein Zweifel über den Antheil bestehen, welcher von dem zufliessenden Blut zu den Muskel und welcher in der Haut und Knochen strömte. Un- bekannt ist es mir geblieben, wie viel zu dem Knochen hingeht, sicher aber ist es, dass die Haut nur äusserst wenig Blut empfängt. Die Angaben, welche hierüber Genersich! gemacht hat, als er zu ganz anderen Zwecken sich eines ähnlichen Präparates bediente, kann ich vollkommen bestätigen. Die Gefässe der Muskeln bleiben bei Temperaturen, die selbst weit unter 30° C. liegen, durchgängig, während sich die Gefässe der Haut schon bei dem genannten und auch noch etwas höheren Wärme- graden vollständig schliessen. — Zur Durchführung eines Versuches waren “grosse Mengen Ernährungsflüssigkeiten nothwendig; mit Hundeblut hätte man nicht ausgereicht, darum bediente ich mich frischen Kalbsblutes, das mit gleichen Theilen einer 0.5°/, Kochsalzlösung verdünnt wurde, eine Mischung, die leicht in grosser Menge zu beschaffen ist und gute, wenn auch nicht allen Anforderungen entsprechende Dienste leistet. Für die gleichmässige Temperatur der einströmenden Flüssigkeit konnte durch einen Regulator gesorgt werden, und um die Wärmeverluste durch Strahlung zu vermeiden, wurde das Präparat in eine starke Lage von Wolle eingewickelt und ausserdem noch mit Guttaperchapapier umgeben. Die erste Frage, welche sich nach vollständiger Herstellung der eben geschilderten Vorbedinsungen erhob, erforderte einen Nachweis über die Geschwindiskeit, mit welcher sich die Temperaturen des Muskels und der strömenden Flüssigkeit ausgleichen insofern sie ungleich gewesen oder ge- worden waren. Eine, wenn auch nicht ‘durchweg befriedigende Antwort hierauf war zu erwarten aus den Angaben dreier Thermometer, von denen je einer in den zu- und in den abfliessenden Blutstrom und einen in die Muskelmasse selbst eingesenkt war. Die Ergebnisse zweier nach diesem Plane ausgeführten Versuche mögen hier Platz finden. 1. Tetanus. Dauer 1 Minute. Gewicht 1138%, Rollenabstand SO "®, Blut- strom im Gange. Zeit von Reginn des Hub Temperatur Tetanus in Minuten. in Millimetern. desMuskels. derVene. der Arterie. Bemerkungen. 0 es) 30-45°C. 30-80 °C. 30-50°C. bis 1 von20bis15 30.53 30.96 30.50 Reizung. 2 0 80.52 831.07 30.50 Ruhe. * Arbeiten aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. 1870, 152 MeıADpe SmITH: Die TEMPERATUR D. GEREIZTEN SÄUGETHIERMUSKEILS. 2. Tetanus. Dauer 2 Minuten. Gewicht 2138”, KRollenabstand von 70 auf 50”=®, Blutbahn gesperrt. Zeit von Beginn des Hub Temperatnr Tetanus in Minuten. in Millimetern. desMuskels. der Vene. der Arterie. Bemerkungen. 0 0 30-.50°%0. — — bis 2 von20auf 11 30.62 — _ Reizung. Ruhe. Blut- [2 [3 0 ) [2 0 3 0 30.61 80-9300. 29-9600. Aınroeen, 3, Tetanus. Dauer 2 Minuten. Gewicht 2138”. Rollenabstand von 50 bis O®m,. Blutstrom gesperrt. Zeit von Beginn des Hub Tee Tetanus in Minuten. in Millimetern. desMuskels. derVene. der Arterie. Bemerkungen. 0 0 30.56°0. — _ bis 2 von 12bis10 30.60 — — Reizung. 3 0 - 80:62 30.75°C. 30-18°C. Ruhe. 4. Tetanus. Dauer 2 Minuten. Gewicht 213®®, Rollenabstand von 40 bis Owm, Blutbahn offen. Zeit von Beginn des Hub Temperatur Tetanusin Minuten. in Millimetern. desMuskels. der Vene. der Arterie. Bemerkungen. 0 0 30-.37°C. 30-53°C. 29.81°C. bis 2 von 16 bis 0 30-53 830.43 29.77 Reizung. 3 0 80.46 80.40 29.70 Ruhe. Kaninchen. Directe Reizung der Muskeln. Blutstrom unterbrochen. Zeit vom Beginn des Temperatur Tetanus in Minuten. des Muskels. der Vene. der Arterie. 0 27.80°C. 26.40°C. 26-80°C. 1 27.98 — — ; 8 97.93 % ® Reizung. Obwohl die Vorbereitung dieser Versuche, wie aus der veränderlichen Temperatur des Arterienblutes zu ersehen, noch eine recht unvollkommene genannt werden muss, so eröffnen sie doch eine günstige Aussicht, denn im vierten Tetanus des Hundemuskels, welcher 30 Minuten nach Beginn der Temperaturmessungen und also sicher mehr als eine Stunde nach dem Tode ausgeführt war, hob sich die Temperatur des Muskels während einer Reizungsdauer von 2 Minuten um 0-16°C., trotzdem, dass das ein- strömende Blut um 0°76°C. kühler als der Muskel gefunden wurde. Nieht minder betrachtenswerth ist der Versuch am künstlich durch- strömten Kaninchenschenkel. Bis unmittelbar vor dem Beginn des Tetanus hatte der Blutstrom angedauert und erst mit dem Beginn der Reizung war er unterbrochen worden. Hier hob sich die Temperatur des schon sehr abgekühlten Muskels während der ersten Reizungsminute um 0°18°C. und sank dann in den beiden folgenden langsam um 0°05°C, Das Flimmerepithel der Aricia foetida. Von J. Gaule, Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. (Hierzu Tafel III.) Die Frage nach den die Cilien bewegenden Kräften schien ihrer Lö- sung näher zu kommen, als man in dem Protoplasma der Flimmerzellen eine besondere Structur entdeckte. Durch die Mittheilungen von Valentin! und Bühlmann,? von Friedreich,? Eberth,* A. Stuart,? Marchi, Claparede,” Simroth,® Eimer,’ Nussbaum,!° Engelmann '! w.A sind wir mit einer Reihe von Flimmerepithelien bekannt geworden, denen es gemeinschaftlich ist, dass ihr Protoplasma sich in Fäden gliedert, welche nach Lage und Richtung wie eine Fortsetzung der Cilien im Inneren der Zelle erscheinen. Dass es sich um wirkliche Verbindung dieser Fäden, denen Engelmann den Namen Wimperwurzeln ertheilt hat, mit den Cilien . handelt, wurde dadurch bewiesen, dass man Faden und Cilie im Zusammen- hang isoliren kann, was Nussbaum und Engelmann gelang. Auf Grund ‘ Valentin, Flimmerbewegung. Handwörterbuch der Physiologie. Bd. I. S. 500. ° Bühlmann, Kenntniss der kranken Schleimhaut der Respirationswege u. S. W. Bern 1843. S. 42. ® Friedreich, Archiv für pathol. Anatomie. Bd, XV. 8. 555. * Eberth, Ebenda. Bd. XXXV. 8. 477. ° A. Stuart, Ueber die Flimmerbewegung. Inaug.-Dissert. Dorpat 1867. Cit. in Henle und Meissner’s Jahresber. 1867. 8, 33. ° P. Marchi, Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. II. S. 469. ” E. Claparede, Recherches sur la Structure des Annelides sedentaires. Genf 1873. p. 27—29. .Taf. XIV. ° Simroth, Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XII. 8. 51. ° Eimer, ZEbenda, Bd. XIV. 8. 115. 1° Nussbaum, Hbenda. Bd. XIV. S. 390. : 'ı Th. W. Engelmann, Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XXIII. 8. 505. 154 J. GAULE: dieser Befunde fand die Anschauung, dass die Wimpern durch Contractionen ihrer Wurzeln bewegt würden, leicht Eingang, denn es war ja an sich plausibel, solchen protoplasmatischen Fäden Contractilität zuzuschreiben. Stuart und Nussbaum berichteten überdies, dass sie Bewegungen der Zelle selbst gesehen hätten, der erstere legte besonderes Gewicht auf Ver- schiebungen der Kerne, die durch die Contraction der Wimperwurzeln her- beigeführt wurden. Neuerdings hat jedoch Engelmann sich entschieden segen diese Anschauung ausgesprochen. Er macht darauf aufmerksam, dass eine Gliederung des Protoplasma’s in Fäden nicht bloss bei Flimmerepi- thelien, sondern auch bei absondernden Epithelien beobachtet werde. Zweitens findet er, dass auch mit den besten Hülfsmitteln bei vielen Flimmerepithelien eine solche Structur nicht wahrzunehmen sei. Die Wimperwurzeln seien also nicht nothwendig für die Cilien, weil es Cilien odne Wurzeln giebt, und ihre Bedeutung könne auch nicht in der Bewegung der Cilien liegen, weil sie auch anderswo vorkämen. Die Bewegungen, welche Stuart und Nuss- baum gesehen, führt er’ weiter aus, seien nicht active sondern passive ge- wesen, entstanden dadurch, dass die Cilien unter den Verhältnissen, unter denen sie beobachtet wurden, einen Stützpunkt ausserhalb der Zelle ge- funden und daher die Zelle bewegt hätten. Kurz Engelmann findet, dass die seitherigen Beobachtungen keinen Beweis für die Contractionen der Wimperwurzeln liefern. Es hält es für wahrscheinlicher, dass die letzteren nur zur Ernährung der Reproduction der Cilien dienten. Mit dieser An- sicht Engelmann’s vertragen sich am wenigsten die Beobachtungen, welche Clapar&de! an dem Flimmerorgan der Aricia foetida gemacht hat. Dieselben sind, wie es scheint, der Aufmerksamkeit Engelmann’s ent- sangen. Die Aricia besitzt, wenn wir Clapar&de Glauben schenken, auf beiden Seiten ihrer Kiemen je eine Reihe gewaltiger durch ihre Länge und Dicke imponirender Cilien. Von der Basis einer jeden Cilie, die durch eine geriefte Platte gebildet wird, erstreckt sich in’s Innere der Kiemen hinein eine Anzahl Fäden von trübem, körnigem Aussehen. Vergebens suchte Claparede nach den Zellen, welchen diese Fäden angehören sollten, er konnte sie nicht entdecken, umsomehr nicht, als die Zellen des Hypo- derms der Aricia wahre Pigmäen gegen diese Cilien und diese Fäden waren. Ferner machte er darauf aufmerksam, dass die körnigen Fäden in ver- schiedener Richtung zu der Cilie fixirt sind, und zwar so, dass die einen bei ihrer Contraction die Cilie niederziehen, die anderen sie wieder aufrichten müssten. Da das Clapar&de’sche Werk nicht Jedermann zugänglich sein dürfte, so gebe ich in Fig. 1 eine Reproduction der Glaparede’schen Abbildung (Taf. XIV, Fig. 5 seines Werkes). «& würden nach ihr die Beuger, ! Claparede, a.a. O.S. 27, Das FLIMMEREPITHEL DER ARICIA FOETIDA. 155 P die Strecker der Cilie sein. Man sieht, dass diese Beobachtung wesentlich von allen übrigen abweicht. Nicht als eine Fortsetzung des Protoplasma- fadens einer Zelle erscheint nach ihr die Cilie, sondern als ein selbständiges Gebilde, ausgestattet mit Bewegungsorganen, die wir wohl nicht anders, denn als kleine Müskelchen auffassen könnten. Claparede ist sich des Unterschieds seiner Darstellung von der der übrigen Autoren wohl bewusst und hält sie für einen grossen Fortsehritt. Ich bin durch Dr. Eisig auf dieselbe aufmerksam gemacht worden, als ich während eines Aufenthaltes in der zoologischen Station zu Neapel mich nach Material zu Studien über das Flimmerepithel umsah. Aricien stellte mir die Station in genügender Menge zur Verfügung und so beschloss ich, das interessante Object etwas näher zu studiren. Die Beobachtung im lebenden Zustande zeigte leicht die gewaltigen Cilien, wie sie Clapare&de beschreibt, zu beiden Seiten der Kiemen aufgestellt. Bei der geringsten Störung, welche sie traf, stellten sie ihr Spiel ein, bogen sich hakenförmig um, und bildeten dann eine über die andere sich legend ein förmliches Schutzdach.! Hatte ich die Beobach- tung längere Zeit fortgesetzt, so dass das Spiel der Cilien ermattete und unregelmässig wurde, so beobachtete ich etwas, was Claparede’s Auf- merksamkeit entgangen war. Die Cilien selbst wurden unregelmässig und von ungleicher Dicke, und bei Anwendung stärkerer Vergrösserung zeigte sich, dass feine Fäden sich von einer Cilie loslösten und mit der nächsten schwangen. Daraus entstand der Verdacht, dass das, was seither als ein- zelne Cilie imponirt hatte, gar nicht eine solche sein möchte, sondern ein Büschel von Cilien, welche man wegen ihrer engen Zusammenlagerung im Leben und während der Bewegung nicht einzeln erkennen könne. Ich erinnerte mich dabei an die Beobachtungen von Chun,? welcher gezeigt hatte, dass die Schwimmplättchen der Ctenophoren bei der Maceration in einzelne Cilien zerfallen. Eine Verbindung der eigentlichen Cilien zu einem derberen Ganzen erscheint bei der Länge dieser Gebilde ja ausserordentlich zweckmässig, weil dadurch ihrer Schwankheit begegnet wird, und sie ist ohne allen Nachtheil, da die Schwingungen ja doch synchron erfolgen. Dieses Princip mag wohl öfters verwirklicht sein, als uns bis jetzt bekannt geworden ist. Die Anwendung von Reagentien bestätigte nun diese Vermuthung vollständig. Wurden die Aricien durch Einlegen in OÖsmiumsäure, concentrirte Sublimat- lösung, Merkel’sche Lösung, Pikrinschwefelsäure, oder Müller’sche Flüssig- keit getödtet, dann zeigte sich, dass die einzelnen Cilien Fäden von ausser- ‘ Eine solche hakenförmige Umbiegung hat auch Nussbaum von den Flim- mern in den Harnkanälchen der Plagiostomen beschrieben. Dort bildet die Enge des Kanals die Ursache, hier ist aber die Umbiegung eine freiwillge. ” Flora und Fauna des Golfes von Neapel. Herausgegeben von der zoolog. Station. Bd. I. Die Ctenophoren von Chun. Taf. XVI, Fig. 24, 8. 112, 156 J. GAULE: ordentlicher Länge aber der gewöhnlichen Feinheit sind. Zwischen den- selben befindet sich ein Stoff, welcher durch die Reasentien bald mehr körmig, bald mehr glasig gefällt wird und der offenbar dazu dient, die Cilien zu jenen dicken Büscheln zu verkleben, die man im Leben für die einzelnen Cilien hält. Die Anfertigung feiner Schnitte, die ich in den Rich- tungen der drei Coordinatenebenen durch die Kieme legte, orientirte dann vollständig über die Verhältnisse der Cilien, die sich als einem echten Flimmerepithel angehörig erwiesen. Ich will dasselbe kurz beschreiben; am besten wird man sich an den Abbildungen, die ich von dem Querschnitt, dem Längsschnitt und dem Flächenschnitt gebe, unterrichten." Betrachten wir zunächst den Querschnitt. An zwei gegenüberliegenden Punkten des- selben sehen wir ein Organ in das Hypoderm eingebettet, welches auf den ! Sämmtliche oben erwähnte Erhärtungsflüssigkeiten geben, wenn man nach dem üblichen Verfahren dieselben nach mehr oder minder langer Einwirkung durch Alkohol ersetzt, später in Zofo färbt, entwässert, aufhellt und mit Paraffin durchdringt, gute Schnittpräparate. Sublimat ist in der Schönheit der Färbung, welche die damit con- servirten Präparate annehmen, allen anderen überlegen. Zum Färben bediente ich mich der Grenacher’schen Carmine, des Hämatoxylins und des wässrigen Anilin- blau’s. Auf die besonderen Vortheile der letzteren komme ich weiter unten zu sprechen. In einem Punkte bin ich von dem gewöhnlichen Verfahren abgewichen und habe damit so viel Mühe erspart, dass ich glaube, auch Anderen durch die Mittheilung des kleinen Kunstgriffs zu nützen. Da nämlich bei der Auflösung des Paraffins auf dem Object- träger, in der Regel trotz aller Vorsicht, die Querschnitte der Kiemen sich los- lösten und dann nur nach langem Suchen mit der Lupe wiedergefunden und geordnet werden konnten, wobei überdies die meisten zu Grunde gingen, so verfiel ich auf ein Verfahren, welches diese Auflösung vermeidet. Man befeuchtet seinen Objeetträger mit Alkohol, ordnet die Schnitte mit den mit Alkohol angefeuchteten Pinsel, lässt den Alkohol verdunsten, erwärmt gelinde, damit die Schnitte an den Objeetträger an- schmelzen, bedeckt mit dem Deckgläschen und lässt von der Seite her einen Canada- balsaım zutreten, der zu gleichen Theilen mit Xylol verdünnt ist. Die Schnitte werden, vorausgesetzt, dass sie nieht dicker als !/, mm sind, sofort hell, auch die zartesten Theile bleiben in ihrer Lage, und man hat gar keine Mühe. Das Xylol verdunstet rasch, man muss in ‘den ersten Tagen öfters nachfüllen, der Balsam wird eben so rasch fest wie Chloroformbalsam. Sind die Schnitte dicker als ein !/, mm, so ist zu viel Paraffin in denselben, als dass es der Balsam gelöst erhalten könne. Dann ver- tragen die Schnitte auch etwas mehr. Man verfährt im Anfang genau so, wie oben angegeben, bis man die Schnitte angeschmolzen hat, dann lässt man einige Tropfen reines Xylol über dieselben wegfliessen, wodurch das Paraffin rasch weggenommen wird. Die Schnitte kleben aber so fest, dass man das Präparat neigen kann, um das Xylol abfliessen zu lassen, ohne dass sie sich verrücken. Dieses Festkleben wird durch die combinirte Wirkung der Alkoholbefeuchtung oder Anschmelzens erzielt. Eines allein thut es nicht. Hat man den überwiegenden Theil des Paraffins durch Abspülen mit Xylol entfernt, so bettet man mit Xylolbalsam wie oben ein. Seit ich dieses Ver- fahren eingeführt, bringe ich die Serien auch der dünnsten Schnitte ohne alle Mühe und ohne Verlust unter das Deckglas. Das FLIMMEREPITHEL DER ARICIA FOETIDA. 157 ersten Blick an die bekannten Schmeckbecher der Zunge erinnert. Eine Anzahl von Zellen, welche bedeutend grösser als die übrigen Hypoderm- zellen sind, liegen in Form eines Kreisausschnittes angeordnet, so dass die breite Basis dem Inneren der Kieme zugewendet ist, die Spitze in der Peri- pherie liegt. Diese Spitze ist jedoch abgestumpft und von ihr erheben sich die Cilien. Die Vergleichung mit dem Längsschnitt zeigt, dass dieser Kreisausschnitt nicht ein Stück eines Kegelmantels wie bei den Schmeck- bechern darstellt, dass wir es also nicht mit einer Reihe von kegelförmigen Organen zu thun haben, sondern mit einer Leiste, deren Form ich am ein- fachsten wohl als Dachform bezeichne. Die Kerne der Flimmerleiste liegen in der breiten Basis derselben, und man erblickt dieselben auf dem Quer- schnitt, wie auf dem Längsschnitt in einer Reihe nebeneinander geordnet. Sie tingiren sich schon mit den gewöhnlichen Kernfärbemitteln. Die Zell- grenzen treten auf dem Längsschnitt in der Region der Kerne deutlich hervor und verschwinden nach oben, während auf dem Querschnitt in der tieferen Region die Abtheilung der Flimmerleiste in einzelnen Zellen nur durch die regelmässige Stellung der Kerne angezeigt wird und umgekehrt erst in den peripherischen Regionen die Zellgrenze deutlich wird. Auf dem Querschnitt spitzt sich nämlich die Zelle nach oben mehr und mehr zu, auf dem Längschnitt bleibt sie oben gleich. Combinirt man das Längs- und Querschnittsbild, so sieht man, dass die einzelne Zelle die Gestalt des sanzen Organs wiederholt, d.h dass sie die Gestalt eines spitzen Daches hat. Auf der First dieses Daches erheben sich ganz kurze Stäbchen, welche die feine Cuticula, die sich über die Flimmerleiste wegzieht, durchbohren und den Cilien zum Ursprung dienen. Oft sieht man diese Stäbchen fein und es erhebt sich von ihnen nur eine einzige Cilie, oft sieht man sie derber und sie tragen ein Büschel von Cilien. Auch diese Stäbchen, die wohl den Fussstücken Engelmann’s zu vergleichen sind, scheinen mehr oder minder mit einander zu verkleben. Immer aber sind die Fussstücke dicker als die Cilien. Das sieht man am deutlichsten, wenn man eine Kieme in Schnitte zerlegt, die senkrecht zur Richtung der Cilien geführt sind. Ich nenne dieselben Flächenschnittee Dann erscheint das Flimmer- organ in Gestalt eines Streifens, der in dem höchstgelegten Schnitt gebildet wird durch feinste Punkte, die Querschnitte der Cilien. Geht man tiefer, so zeigt sich eine viel derbere Punktirung, die Querschnitte der Fussstücke und noch tiefer erscheinen die Spitzen der Zellen. Legt man den Schnitt etwas schief, so erhält man alle diese Schichten nebeneinander in einen Schnitt, wie auf der Abbildung dargestellt. Ein Detail mn dem Bau der Zellen, von dem ich seither noch nicht gesprochen habe, wird besonders deutlich, wenn man mit Anilinblau färbt. Dann bläuen sich Fäden, die von dem Fussstück der Cilie in’s Innere der Zelle eindringen, ja es zeigt 158 J. GAULE: sich, dass der ganze periphere Theil der Zelle von solchen Fäden erfüllt wird. Auf dem Längsschnitt verlaufen diese Fäden parallel, auf dem Quer- schnitt divergiren sie in dem Maasse, als die Zelle breiter wird. Einige von ihnen scheinen in der Region des Kerns sich zu verlieren, andere aber ziehen an demselben vorüber und man sieht sie bis auf den Grund der Zelle zu der Schicht von Muskelfasern vordringen, welche das Flimmer- organ von dem Binnenraum der Kieme trennt. Einige Male sah ich das untere Ende eines solchen Fadens umgebogen, als sei es abgerissen, nach- dem es vorher gespannt war. Betrachtet man die Fäden mit starken Ver- grösserungen, so erkennt man einen sehr regelmässigen Bau derselben. Sie sind abwechselnd aus mit Anilin stärker gefärbten und schwächer gefärbten Körnchen zusammengesetzt. Die einander entsprechenden Körnchen scheinen regelmässig und gleich gross zu sein, denn namentlich am Längsschnitt, wo die Fäden parallel neben einanderliegen, entsteht das Bild einer Quer- streifung, die durch die ganzen Fäden durchgeht. Das obere Ende dieser Fäden geht in das Fussstück der Cilie über, und zwar entweder unmittel- bar, oder indem eine Anzahl der Fäden zu einem der dickeren Fussstücke confluiren. Man ist keinen Augenblick in Zweifel, dass jeder Cilie ein solcher Faden entspricht. Die Fäden sind also identisch mit denen, welche von anderen Beobachtern, die ich Eingangs dieses Artikels bereits eitirt habe, an den verschiedensten Flimmerepithelien wahrgenommen wurden. Es sind nach der Nomenclatur Engelmann’s die Wimperwurzeln. Eine Zu- sammensetzung der Fäden aus einer rechten und linken Hälfte von ver- schiedener Lichtbrechung (contractilen und elastischen Fäden nebeneinander?) wie es Nussbaum! für die Flimmerepithelien der Plagiostomen angiebt, habe ich nicht wahrnehmen können. Das Bild von der riesigen Cilie mit ihren eigenen Beugern und Streckern, welches Claparede entwirft, ist also vor einer Untersuchung mit den heutigen Hülfsmitteln der Technik zerronnen, und dafür sind die Zellen des Flimmerorgans der Aricia in die Reihe der typisch gebauten Flimmer- epithelien eingereiht. Vergleichen wir die Abbildungen Clapartde’s mit den meinigen, so können wir leicht sehen, was er eigentlich meint. Das Büschel Cilien, welches von einem Querschnitt der Leiste entspringt, bildet er als einzige Cilien ab, die Zellen, welche den Querschnitt zusammen- setzen, sind seine Beuge- und Streckfäden. Die wirklichen Wimperwurzeln hat er ebensowenig gesehen, wie die wirklichen Wimpern. Vergleichen wir unsere Flimmerepithelien mit anderen, die sich in der Literatur beschrieben finden, so zeigen sich für manche Eigenthümlichkeiten auch anderwärts Paradigmata. Die hakenförmige Krümmung der Cilien 1 Nussbaum, a. a. O. 8. 393. Das FLIMMEREPITHEL DER ÄARICIA FOETIDA. 159 kommt bei Plagiostomen vor, die nach oben zugespitzte Form der Zellen erinnert an die Najadenkieme, die Fortsetzung der Wimperwurzeln bis zum Grunde der Zellen und die Umbiegung des Endes hat Stuart ebenso für die Zellen von Eolidinenlarven beschrieben. Ich halte es nicht unwichtig, dass unsere bis zum Ansatz der Cilien sich zuspitzenden Flimmerzellen in ihrer Form einen Uebergang zu den Geisselzellen bilden. In Bezug auf die Frage nach der Bedeutung der Wimperwurzeln für das Zustandekomme der Cilienbewegung, bleiben wir der Engelmann’schen Kritik gegenüber auf dem alten Fleck. Denn auch der Umstand, dass unsere Wimperwurzeln eine Querstreifung zeigen, beweist ja noch nicht, dass sie sich contrahiren, und einen positiven Beweis für solche Contractionen durch Beobachtungen am lebenden Thier zu führen, ist mir nie gelungen. Es dürfte auch, an diesem Object wenigstens, fast unmöglich sein, solche Contractionen in einwurfsfreier Weise zu constatiren. Aber wenn ich einen sowohl in der ganzen Anordnung wie in dem feinsten Bau so sorgfältig ausgeführten Apparat in Verbindung mit den Cilien sehe, wie es bei Aricia der Fall ist, wird es mir schwer zu glauben, dass er nicht der Function der Cilien dienen solle. Die Ernährung pflegt sonst doch mehr dem un- geformten Protoplasma überlassen zu bleiben. Leipzig, den 7. Februar 1881. 160 J. GAULE: Das FLIMMEREPITHEL DER ÄRICIA FOETIDA. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Claparedes Bild der Cilie. a Die Cilie in Form eines Hakens, 5b die geriefte Platte, e die Fäden, welche sich an diese ansetzen. — « Beuger, 9 Strecker. Fig. 2. Querschnitt durch eine Kieme von Aricia. a Cilien, b Fussstücke, e Kerne der Wimperzellen, Wimperwurzeln, % Hy- podermzellen, g Blutgefässe, m Querschnitte von Muskelfasern. Fig. 3. Längsschnitt durch eine Kieme von Aricia. a Cilien, b Fussstücke, w Wimperwurzeln, ce Kerne, m Muskelfasern, s andere Seite der Kieme angedeutet. Fig. 4. Flächenschnitt durch eine Kieme der Aricia. a, Querschnitte der Cilien, a, Fussstücke, a, Spitzen der Zellen, % Hypoderm. Sämmtliche Zeichnungen sind mit der Camera lucida entworfen. Vergrösserung 450 fach. Ueber die mittlere Lebensdauer der Thiere. Von Dr. Dönhoff in Orsoy. Man kann, wie ich glaube, den Satz aufstellen, dass die Zahl der in einer Gegend einheimischen Thiere ungefähr dieselbe bleibt, wenn der Mensch nicht eingreift. Durch das Ausroden der Wälder können die Wald- vögel sich verringern, durch Trockenlegung von Sümpfen können die Frösche abnehmen, von Menschen verfolgte Thiere können ganz aussterben, Ver- mehrung des Körnerbaues kann eine Vermehrung der Lerchen und Sper- linge zur Folge haben. Da aber, wo der Mensch nicht eingreift, bleibt die Zahl der Individuen einer Art in einer Gegend ziemlich constant. Es giebt in hiesiger Gegend anscheinend dieselbe Menge von Schwalben, Mücken, Regenwürmern, wie vor dreissig Jahren. Auch da, wo der Mensch den Thieren nachstellt, kann doch die Anzahl eine constante bleiben; so hat die Anzahl der Hasen, Feldhühner, Sperlinge, Amseln sich nicht verringert, weil ihnen jetzt nicht mehr als früher nachgestellt wird. Ein verstärktes Nachstellen hat noch nicht nothwendig eine Verminderung zur Folge; wenn die Menschen in einer Gegend sich vermehren, so wird vielen Thieren mehr nachgestellt, es wird aber zugleich den Feinden dieser Thiere mehr nachgestellt. Es giebt fruchtbare wie unfruchtbare Jahre für Thiere; Raupen, Erd- spinnen, Feldmäuse vermehren sich in trockenen Sommern und milden Wintern oft in’s Ungeheure; sie vermindern sich wieder bei entgegen- gesetzter Witterung. Schnecken vermehren sich in nassen, und vermindern sich in trockenen Sommern, so dass die Zahl dieser Thiere einem Pendel gleicht, welches bald mit grösserem, bald mit geringerem Ausschlag um seine Gleichgewichtslage sich bewegt. Es giebt in diesem Jahr nicht mehr Feldmäuse, als es schon einmal in einem früheren Jahre gegeben hat. Die Anzahl der Schnecken, welche von 1600 bis 1700 in einer Gegend gelebt Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 11 162 DÖNHOFF: haben, wird annähernd dieselbe sein, welche von 1700 bis 1300 gelebt hat, vorausgesetzt, dass die Culturart des Bodens dieselbe geblieben ist, und dass aus anderen Gegenden keine Thiere eingeführt sind, die Feinde der . Schnecken sind. Im Urwald wird die Zahl der Individuen einer Art, die dort lebt, wohl annähernd beständig bleiben. Die Individuen haben sich vermehrt, bis Mangel an Nahrung, wachsende Zahl der Feinde, die vielleicht aus anderen Gegenden zuströmten, Krankheiten, welche bei wachsender Anzahl der Individuen sich leichter verbreiten konnten, der Vermehrung eine Grenze setzten. Bei der Länge der Zeit, welche vergangen ist, seitdem unsere Arten bestehen, ist die Vermehrungsgrenze wohl schon lange erreicht. In den historischen Zeiten ist, wie mir scheint, überhaupt in der Anzahl der Individuen keine andere Aenderung eingetreten als eine solche, welche durch den Menschen verursacht wurde Zu Moses’ Zeiten war die Wanderheu- schrecke zuweilen eine Landplage, wie sie es in denselben Gegenden noch jetzt mitunter ist. Deutschland hatte im Mittelalter seine Mäusejahre, wie es sie jetzt hat. Was vom Thierreich gilt, gilt auch vom Pflanzenreich. Die Lüneburger Haide hat sich seit Menschengedenken nicht geändert. Unsere Wiesen waren vor fünfzig Jahren so dicht mit Gräsern besetzt wie jetzt; in nassen Jahren kommen die Arten, welche Feuchtigkeit lieben, mehr zum Vor- schein, die anderen Arten bleiben im Wachsthum zurück; in trockenen Jahren ist es umgekehrt, aber die Individuenzahl der einzelnen Grasarten bleibt anscheinend dieselbe. In früheren Erdepochen wird auch wohl ein stationärer Zustand in dem Thier- und Pflanzenreich stattgefunden haben wie jetzt, es müssten denn neue Arten in der Bildung begriffen gewesen sein. Man sollte ver- muthen, dass in der ersten Belebungszeit der Erde die Arten einen grossen Reichthum an Individuen gehabt haben müssen, denn die ersten Arten waren Pflanzenfresser, die noch keine Feinde hatten. In der Steinkohlen- periode werden die Bäume wohl an der Grenze der Vermehrung ange- kommen sein, wie die Rhizopoden in der Periode der Kreide. Aus dem Gesetz von der Constanz der Individuenzahl einer Art für eine bestimmte Gegend folst ein zweites Gesetz, welches lautet: Im Durch- schnitt sterben in einem Jahr so viel Individuen einer Art, als junge Brut im Jahr entsteht. Kennt man nun die Menge Brut, welche ein Männchen und ein Weibchen einer Art in einem Jahr hervor- bringen, so kann man die durchschnittliche Lebensdauer der Art berechnen. Unsere Schwalben sind, so lange ich mich erinnere, annähernd in derselben Menge vorhanden. In den Ställen unserer Bauern nistet jedes Jahr ungefähr dieselbe Menge von Rauchschwalben; seit dreissig Jahren ÜBER DIE MITTLERE LEBENSDAUER DER THIERE. 163 sehe ich im Herbst auf dem Dach des Kirchthurms dieselbe Menge sich sammeln. Die Schwalbe ist dem Menschen ein lieber Vogel. Insbesondere wird der Rauchschwalbe nicht nachgestellt, weil sie die das Vieh im Stall belästigenden Fliegen wegfängt. Ihr Nest wird geschont, die Leute brechen sogar eine Glasscheibe am Stall aus, damit sie frei ein- und ausfliegen kann; sie nageln ein Brett unter das angefangene Nest, um dem Vogel das Bauen zu erleichtern. Ein Schwalbenpärchen zieht zweimal im Jahr vier bis fünf Junge. Die Brut geht nur selten dadurch zu Grunde, dass beide Alte umkommen. Im nächsten Frühjahr brüten von den zwei Alten und acht Jungen durchschnittlich nur zwei; denn wenn mehr brüteten, würde eine Vermehrung eintreten, die eben nicht eintritt. Von den zehn Schwalben sind in einem Jahr acht umgekommen. Nimmt man nun an, dass die Schwalben in gleichen Zwischenräumen sterben, die erste nach 1'!/, Monat, die zweite nach 3, die letzte nach 12 Monaten, so haben die Gestorbenen zusammen ein Alter von 54 Monaten erreicht. Die Uebrie- gebliebenen haben ein Alter von 24 Monaten, die Thiere zusammen ein solches von 78 Monaten erreicht. Diese Zahl auf die Gestorbenen vertheilt giebt ein Durchschnittsalter für die Schwalbe von 9°%/, Monaten. Nimmt man an, dass die meisten auf der Wanderung nach dem Süden und auf der Rückreise sterben, so ist das durchschnittliche Alter annähernd eben so gross. Der Storch ist ein Vogel, dessen Verfolgung in hiesiger Gegend als ein Frevel betrachtet werden würde. Er und sein Nest werden geschont, man baut ihm sogar Nester, um ihn anzuziehen, trotzdem vermehrt er sich nicht. Er zieht im Jahr vier bis fünf Junge. Sein Durchschnittsalter ist 13!/, Monate. Von Thieren, welche wir in der Gefangenschaft halten, kennen wir ungefähr die natürliche Lebensdauer, d. h. die Zeit, nach der das Leben in Folge von Alterschwäche erlischt. Der Kanarienvogel, der Dompfaft, der Distelfink, die Amsel, die Taube, das Huhn werden wenigstens zehn Jahre alt.. Nehmen wir an, die Schwalbe, der Storch würden eben so alt, so verhält sich die durchschnittliche Lebensdauer zur natürlichen bei der Schwalbe etwa wie 1:12, beim Storch wie 1:9. Die Löwin wirft nach Brehm ein bis sieben, gewöhnlich zwei bis drei Junge. Man könnte annehmen, dass die Löwin nicht jedes Jahr trächtig werde, die Brunst könnte vorübergehen, ohne dass ein Männchen sie träfe. Brehm bemerkt aber, dass die Löwin in der Brunstzeit öfter von zehn bis zwölf männlichen Löwen verfolgt werde; zudem wiederholt sich bei den Thieren, wenn die erste Brunst ohne Empfängniss vorüber gegangen ist, dieselbe durchschnittlich alle drei Wochen bis zur Empfängniss. Hiernach sollte man vermuthen, dass die Löwin wohl jedes Jahr trächtig werde. Da sie in der Jugend und im Alter nicht zeugungsfähig ist, so will ich an- In 164 DÖNHOFF: nehmen, dass sie in ihrer Lebenszeit jährlich ein Junges wirft. Die mittlere Lebensdauer wäre darnach etwa drei Jahre. Der Löwe wird sehr alt, und soll nach Brehm in Menagerien ein Alter von siebzig Jahren erreicht haben. Seine durchschnittliche Lebensdauer verhielte sich mithin zur natür- lichen wie 1:23. Nimmt man einem Stock von etwa 8000 deutschen Bienen die Kö- nigin, und giebt man ihm eine italienische Königin, so sieht man nach sechs Wochen keine deutsche Biene mehr, sondern nur italienische, die an der gelben Farbe kenntlich sind. Sämmtliche deutsche Bienen sind auf dem Ausflug verloren gegangen. Da in der ersten Zeit die meisten ver- loren gehen, weil mit jedem folgenden Tage weniger Bienen ausfliegen, da ferner junge ausfliegende Brut verloren geht, so ist das durchschnitt- liche Lebensalter der Biene im Sommer keine 3 Wochen. Während des Winters, wo die Bienen im Stock bleiben, sterben nur wenige. Die Königin, welche den Stock nur bei der einmaligen Befruchtung und beim Schwärmen verlässt, wird 4 Jahre alt. Nehme ich an, eine Arbeitsbiene könne eben so alt werden, so verhält sich die mittlere Lebensdauer im Sommer zur natürlichen wie 1:70. Die Königinnen werden, nachdem sie etwa 4 Tage alt geworden sind, bis auf eine oder zwei getödtet. Die Drohnen werden im Spätsommer alle getödtet. Der Mensch zeichnet sich vor den Thieren durch eine lange mittlere Lebensdauer aus, sie verhält sich zur natürlichen etwa wie 1:21/,. Während der 35 Jahre, wo er zeugungsfähig ist, zeugt er vielleicht sechs Kinder, also alle 6 Jahre eines. Die Länge seiner mittleren Lebensdauer verdankt er seiner Intelligenz, die ihn gegen Kälte, Hunger, Krankheiten, Feinde schützt. Die Thiere können gewöhnlich ihren Feinden wenig anhaben, der Mensch hat den grossen Vorzug, dass er seine Feinde von der Trichine bis zum Tiger unschädlich machen, ja sie vernichten kann. Da im Durch- schnitt jedes Jahr so viel Thiere sterben, als Junge im Jahre entstehen, so kann man bei den verschiedenen Arten die Grösse der Gefahr, von denen ihr Leben umgeben ist, vergleichen. Der Hering ist grösseren Ge- fahren ausgesetzt, als der im Schlamm sich versteckende Aal. Das Schwein wirft zweimal im Jahr, jedes Mal durchschnittlich acht Junge. Da es in Rudeln zusammenlebt, so wird im Urwald keine Brunst stattfinden, ohne dass es vom Eber besprungen wird. Ein einmaliges Bespringen macht mit seltenen Ausnahmen das Schwein trächtie. Da es im Urwald sich nicht vermehrt, so müssen von achtzehn Schweinen durchschnittlich sechzehn umkommen.! Es ist also grösseren Gefahren ausgesetzt als das Pferd oder ! Hierbei ist allerdings nicht in Anschlag gebracht, dass die Thiere im späteren Alter weniger Junge werfen, und dass auch trächtige Thiere umkommen. ÜBER DIE MITTLERE LEBENSDAUER DER THIERE. 165 das Rind, welche jährlich ein Junges werfen. Die Jungen des Pferdes und des Rindes sind schon bei der Geburt so gross, dass sie nur den grossen Raubthieren zum Opfer fallen können. Die kleinen Ferkel werden wohl eine Beute der grösseren und kleineren Raubthiere werden, das Wildschwein ist eine Lieblingsnahrung des Löwen. Im Allgemeinen ziehen die kleineren Thiere mehr Junge als die grossen, diese sind verhältnissmässig viel kleiner als die Jungen der grossen Thiere, da viele im einem Wurf fallen. Das Wiesel wie der Wolf, der Sperber wie der Adler können sie überwältigen. Dies mag die Ursache sein, dass sie so massenhaft zu Grunde gehen. Wenn man die mittlere Lebensdauer der Thiere mit ihrer natürlichen Lebensdauer vergleicht, so staunt man, wie in der Natur aufgeräumt wird. Im Pflanzenreich ist die Zerstörung auch gross. Da man aber nicht weiss, wie viele Samen von einer Pflanze zum Keimen kommen, so fehlt der Anhaltspunkt, um die mittlere Lebensdauer zu berechnen. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1880—81. Ill. Sitzung am 12. November 1880.' 1. Hr. G. SaLomon spricht: „Ueber die Bildung von Xanthinkörpern in keimenden Pflanzen“, Das Vorkommen von Xanthinkörpern im Pflanzenreich ist zuerst von P. Schützenberger? beobachtet worden. Derselbe fand in Bierhefe, die er einer 24stündigen Digestion in der Wärme unterworfen hatte, als Producte der Selbstgährung eine ganze Reihe krystalloider Körper, darunter Xanthin, Hypo- xanthin und Guanin. Fortgesetzt und vervollständigt wurden diese Beobachtungen durch Kossel,? der als wesentliche, seiner Ansicht nach sogar ausschliessliche Quelle der in der Hefe nachweisbaren Xanthinkörper das Nuclein erkannte. Es gelang ihm, aus letzterem Körper, den er durch Behandeln der Hefe mit ver- dünnter Natronlauge und Einträufeln des Filtrates in verdünnte Salzsäure isolirt hatte, durch anhaltendes Kochen bedeutende Mengen (bis zu 2°/,) Hypoxanthin abzuspalten. Zu ähnlichen Befunden gelangte auch Löw,* der jedoch, abwei- chend von Kossel, in dem Hypoxanthin nur eine Verunreinigung des Nucleins erblicken will. Es liegen nun aber Thatsachen vor, die von vornherein eine weite Verbrei- tung der Xanthinkörper auch in der höheren Pflanzenwelt vermuthen lassen. Bekanntlich besteht eine nahe Verwandtschaft zwischen den thierischen Fermen- tationsprocessen und den chemischen Vorgängen, die die pflanzliche Keimung be- gleiten. Von verschiedenen Autoren, wie Ritthausen, Gorup-Besanez, Schultze und Barbieri, ist der Nachweis geführt worden, dass in Keimpflanzen Leuein, Tyrosin, Glutaminsäure und Asparaginsäure entstehen. Alle diese Körper bilden sich auch aus thierischem Eiweiss unter der Einwirkung verschiedener ! Ausgegeben am 19. November 1880. ® Bulletins de la SocietE chimique de Paris. 1874. vol. XXI. ® Hoppe-Seyler, Zeitschrift Fin physiol. Chemie. Bd. XIII. S. 284 u. Bd. IV. Ss. 290. - + Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. XXI. 8. 62. [4 VERHANDLUNGEN U. S. w. — G. SALOMON. 167 Fermentstoffe. Allerdings sind die quantitativen Verhältnisse der Eiweissspaltung im Thierreich sehr abweichend von denen im Pflanzenreich; ein frappantes Beispiel bietet hierfür die Asparaginsäure, die in manchen Pflanzen massenhaft, dagegen bei der Eiweissverdauung nur sehr spärlich auftritt.! Immerhin ist eine qualitative Beziehung zwischen Keimung und thierischer Fermentation un- verkennbar, zumal nachdem neuerdings in den Pflanzen die Gegenwart pepsin- und trypsinähnlichen Fermente constatirt worden ist. Es lag mir daher nahe, die Xanthinkörper, die ich bei den fermentativen Zersetzungen des Blutfibrins hatte auftreten sehen,” auch in keimenden Pflanzen aufzusuchen. Ich bediente mich zu diesem Zwecke der Keimlinge von Lupinus luteus, die wegen ihres reichen Asparagingehaltes bereits vielfach zu chemischen Studien über den Keimungsprocess verwendet worden sind. In der That be- stätigte sich meine Voraussetzung vollkommen; in 100 ®°® getrockneter, noch die ungefärbten Cotyledonen tragender Keimpflänzchen fand ich (nach dem von E. Salkowski?® für thierisches Material beschriebenen Verfahren) segen 0.2°”” Xanthinkörper. Ich legte nun mit gütiger Unterstützung des Hrn. Prof. Kny, dem ich für sein überaus freundliches Entgegenkommen zu grossem Dank verpflichtet bin, grössere Lupineneulturen im hiesigen pflanzenphysiologischen Institute an und erhielt dadurch Gelegenheit, verschiedene Entwickelungsstufen der Pflanze in Bezug auf ihren Gehalt an Xanthinkörpern zu durchmustern. Es zeigte sich, dass die Xanthinkörper schon in der frühen Periode auftreten, wo die Wurzeln eben erst aus dem Samenkorn hervorzubrechen beginnen. Weiter- hin kann man, was sehr beachtenswerth ist, die Gegenwart von Xanthinsubstanzen noch wochenlang constatiren und zwar sowohl in den oberirdischen Theilen der Pflanze wie in ihren Wurzeln. Hiernach scheint es, als ob die Xanthinkörper auch Bestandtheile der erwachsenen Pflanze wären. Um mir über diesen Punkt noch anderweitigen Aufschluss zu verschaffen, habe ich zwei offieinelle Extracte, das Extr. Graminis und das Extr. Millefoli untersucht. Aus beiden habe ich denn auch mit ammoniakalischer Silberlösung reichliche, auf die An- wesenheit von Xanthinkörpern deutende Niederschläge erhalten; die Darstellung weiter zu führen ist mir wegen der rapide eintretenden Reductionen bisher nicht selungen. — Als nothwendige Ergänzung des eben Gesagten muss ich hinzu- fügen, dass ich bei zweimaliger Untersuchung von je 500°” ruhender Lu- pinensamen das eine Mal keine Spur von Xanthinkörpern gefunden habe, das andere Mal ganz geringe Mengen, die sich mit den bei der Keimung auftretenden nicht im Entfernten vergleichen lassen. Wenn es sich nur um die Darstellung von Xanthinkörpern, nicht um physio- logische Studien über dieselben handelt, kann man sich mit grossem Vortheil der technisch viel leichter zu behandelnden, ausserdem sehr billigen Malzkeime bedienen.“ Man erhält sie aus den Brauereien bereits völlig getrocknet, und ihre Dünne und Zartheit macht das Pulverisiren überflüssig. Die Ausbeute an Xanthinkörpern ist, wenn auch wohl etwas geringer als die aus dem Fleisch- ! Vgl. Radziejewski und Salkowski, Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Bd. VII. S. 1050. ? Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Bd. XI, S. 574 und Bd. XII, S. 95. ® Archiv f. pathol. Anatomie. Bd. L. S. 174. * Hr. Prof. C. Liebermann empfahl mir dieselben bereits im vorigen Winter als ein zu chemischen Untersuchungen sehr geeignetes Material. 168 VERHANDLUNGEN DER BERLINER extract, immerhin erheblich genug, um den Versuch einer Darstellung im Grossen zu rechtfertigen. Ich habe schliesslich noch über die Natur der Substanzen, die ich bisher summarisch als „Xanthinkörper“ bezeichnet habe, einige Worte hinzuzufügen. Zunächst bemerke ich, dass ich Harnsäure unter den Keimungsproducten niemals habe auffinden können. Dieser Umstand vervollständigt die Ana- logie zwischen den chemischen Processen der Keimung und der fermentativen Zersetzung des Fibrins, bei welcher letzteren ich ebensowenig jemals eine Spur von Harnsäure entdeckt habe. — Aus der nach Neubauer’s Vorschrift an- gefertigten heissen salpetersauren Lösung der Silberverbindungen erhält man beim langsamen Erkalten ein schön krystallisirtes Product, allem Anschein nach salpetersaures Hypoxanthinsilber; allerdings möchte ich vor der Hand die Ge- senwart von Guanin noch nicht unbedingt ausschliessen. Aus dem salpeter- sauren Filtrate gewinnt man durch Uebersättigen mit Ammoniak reichliche Niederschläge von Xanthinsilber. Mit der weiteren Verfolgung der hier nur kurz mitgetheilten Thatsachen bin ich gegenwärtig beschäftigt. Die Resultate meiner Untersuchungen beab- sichtige ich später ausführlich zu veröffentlichen. 2. Hr. C. FRIEDLÄNDER spricht: „Ueber Herzhypertrophie“. Bei der anatomischen Untersuchung einer grossen Zahl von Fällen von Nephritis scarlatinosa (welche bekanntlich etwa drei Wochen nach Beginn des Exanthems bei vielen Individuen zu Stande kommt und oft schon innerhalb einer Woche zum Tode führt), constatirte der Vortragende schon seit langer Zeit als regelmässigen, bei Kindern fast nie fehlenden Befund, eine erhebliche Hypertrophie, verbunden mit Dilatation des Herzens, in einigen Fällen beiderseits gleichmässig, in den meisten Fällen linkerseits stärker aus- gebildet als rechts. Die Dilatation ist stets ohne weiteres zu sehen und höchst auffallend; zur Constatirung der Hypertrophie wurden zahlreiche Wägungen der Herzen (nebst Bestimmungen des zugehörigen Körpergewichts) vorgenommen. Es ergab sich bei Vergleichung der Zahlen mit denen normaler Kinder für die Scarlatina- Nephritis eine Zunahme des Herzgewichts um die Hälfte und darüber; siehe nach- folgende Tabelle. Normales Herzgewicht, | Herzgewicht Alter. eigene | Mittelzahlen | bei Bestimmungen. | nach Beneke.! | Scarlatina-Nephritis. 2. Jahr 50, 45, 60 | 56—62 | (50) 110 Bu; 70, 54, 53, 67 | 66—12 | — Ar, 80, 65, 79 —_- | 100, 100 Diem 10608277 78—854 85, 136, 110 ! Beneke, Die anat. Grundlagen der Constitutionsanomalien. Marburg 1878. S. 20. Die Zahlen stellen das Herzvolumen dar und sind in Folge dessen nicht direet mit den Gewichtszahlen zu vergleichen; sie müssen mit den specifischen Gewicht des Herzens, im Mittel 1-055, multiplieirt werden. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. SALOMON. — Ü. FRIEDLÄNDER. 169 | Normales Herzgewicht. Herzgewicht Alter. | eigene | Mittelzahlen bei Bestimmungen. | nach Beneke. ‚ Scarlatina-Nephritis. 6. Jahr | 52, 92, 85, 65, 90 | 86— 94 | 155, (75) Sau h;: 105 | — | 124, 150, 160 In 5; _- | _- | 130 KO. — | — 150 RN | N | — | 210 DR, | 130, 132 | 120—140 — 20; | — | 215—290 | 310, 330 Die mitgetheilten Zahlen beziehen sich (mit Ausnahme der dem Beneke’schen Werke entnommenen Zahlen der dritten Columne) auf Kinder, die im Leichen- hause des städtischen Krankenhauses zur Autopsie kamen; dieselben lehren, dass die durchschnittliche Vermehrung des Herzgewichts bei der Nephritis scarlatinosa der Kinder etwa 40 Proc. beträgt, in manchen Fällen indessen weit darüber; nur in zwei Fällen fehlte die Herzhypertrophie (die eingeklammerten Zahlen). Auch bei den zwei zwanzigjährigen Individuen war eine (geringe) Herzhyper- trophie vorhanden; in zwei anderen Fällen von Scarlatina-Nephritis aus den dreis- siger und vierziger Jahren wurde sie vermisst. Die Vergrösserung des Herzvolumens war in fast allen Fällen sehr erheblich, die Ventrikel und Vorhöfe stark dilatirt, prall mit Blut gefüllt. Die Musculatur war, abgesehen von der Volumszunahme, meist unverändert; nur in wenigen Fällen partielle Verfettung der Muskelfasern; auch das Endocard, Peri- card, sowie die grossen und kleinen Gefässe intact. Dass die Hypertrophie des Herzens nicht etwa durch den Scarlatinaprocess als solchen bedingt ist, sondern vielmehr allein auf die Nephritis scarlatinosa (oder postscarlatinosa) bezogen werden muss, lehren diejenigen Fälle, in denen Kinder nach schwerer Scarlatina- erkrankung an der Diphtheritis und deren Folgen nach 3—5 Wochen zu Grunde gingen, ohne dass Nephritis hinzugetreten war; in diesen Fällen fehlte die Herz- hypertrophie regelmässig. Was die anatomischen Verhältnisse der Nephritis scarlatinosa betrifft, über welche sehr verschiedene Angaben cursiren, so wird Hr. Dr. Gustav Behrend, der auf Veranlassung des Vortragenden in dem Leichenhause des städtischen Krankenhauses mehr als 30 solcher Fälle genau untersucht hat, demnächst hierüber berichten; es soll hier nur erwähnt werden, dass die constante und wesentliche Alteration, welche zur Erklärung der wichtigsten klinischen Er- scheinungen vollständig ausreicht, in einer eigenthümlichen Veränderung der Glomeruli gegeben ist. Während nämlich die Veränderungen des Kapselepithels nur in einigen Fällen von erheblicher Bedeutung waren, fand sich regelmässig an den Schlingen des Glomerulus selbst eine erhebliche Volums- zunahme sowie eine Vermehrung der Kerne! und eine Verdickung und " Eine ähnliche Veränderung der Glomerulusschlingen ist im vorigen Jahre von Langhans (Virchow’s Archiv u. s. w., Bd. LXXVI, 8.97) für andere Formen der Nephritis beschrieben worden. Schon vor langer Zeit beschrieb Virchow eine ähn- liche Veränderung bei Nephritis chroniea. (Gesamm. Abhandlungen, 8. 485). Klebs 170 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Trübung der inder Norm sehr zarten, glashellen Capillarwände der Schlingen; hierdurch wird eine vollständige Verlegung des Lumens der Schlingen, und damit eine äusserst hochgradige Beschränkung des Kreislaufes in den Nieren bedingt. Daraus entsteht dann unmittelbar die Verringerung des Harnvolumens (bis zur Anurie), die Retention von Wasser und der übrigen Harn- bestandtheile, die Oedeme, weiterhin die Erscheinungen der Urämie. Zur Erklärung der Herzhypertrophie bei der Scharlachnephritis kann man demnach folgende drei Momente heranziehen: 1) Die Verlegung der Capillarbahnen in den Nieren. 2) Die Verringerung der Wasserausscheidung. 5) Die Retention von Harnstoff (und anderen Harnbestandtheilen). Die beiden erstgenannten Factoren wurden von Traube zur Erklärung der Herzhypertrophie nach Nierenerkrankung allein verwerthet; Senator hat neuer- dings auch auf das dritte Moment (die Retention von Harnstoff u. s. w.) wieder _ grösseren Werth gelegt. Der Vortragende ist der Ansicht, dass bei der Herz- hypertrophie nach Scharlachnephritis alle drei Factoren zur Geltung kommen werden, während bei anderen Formen der Nephritis, besonders bei der Schrumpf- niere, ausserdem noch verschiedene andere Ursachen, besonders die Veränderungen der Körperarterien, welche dem höheren Lebensalter eigenthümlich sind, zur Entstehung der Herzhypertrophie mit beitragen. Nachträglicher Zusatz. In Folge einer während der Discussion geschehenen Anfrage ist es viel- leicht nicht überflüssig, zu constatiren, dass bei den übrigen Formen der acuten Nephritis (welche übrigens fast nur bei Erwachsenen beobachtet werden) Herz- hypertrophie nur selten zu Stande kommt. Dies ist jedem pathologischen Ana- tomen bekannt, und um so auffallender ist sonach der Befund des regelmässigen Eintretens der Herzhypertrophie bei der Scarlatina-Nephritis. Derselbe scheint bis jetzt der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen zu sein. Die Seltenheit des Eintrittes der Herzhypertrophie bei den sonstigen Formen der acuten Nephritis wird auch durch die von Bamberger mitgetheilten Zahlen, welche sich fast nur auf Erwachsene beziehen, illustrirt. Derselbe fand unter 67 Fällen von acuter Nephritis 15 Mal Vergrösserung des Herzens, wovon 4 Fälle auf einfache Dilatation kommen, es bleiben also nur 11 Fälle eigentlicher Herzhypertrophie für 67 Fälle von acuter Nephritis. Bamberger macht überdies darauf aufmerksam, dass bei den von ihm benutzten Fällen sogenannter acuter Nephritis auch solche enthalten sind, bei denen die Krankheit schon monatelang bestanden haben kann, so dass man dieselben, wie hat das Verdienst, die Glomerulonephritis zuerst als solche erkannt und in ihrer Bedeutung gewürdigt zu haben; seine histologische Schilderung des Processes weicht indessen von der unsrigen nicht unwesentlich ab. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. FRIEDLÄNDER. — WERNICKE 171 Bamberger meint, vom klinischen Standpunkte nicht mehr als acute bezeich- nen würde. Da nun bei der chronischen Nephritis die Herzhypertrophie sehr viel häufiger, nahezu in der Hälfte sämmtlicher Fälle, gefunden wird, so zieht Bamberger folgenden Schluss aus seinen Zahlen: „Vergrösserungen des Herzens kommen in jeder Periode des Morbus Brightii vor, aber sowohl absolut als relativ steigend mit der Dauer der Krankheit.“ Wogegen unsere Befunde ergeben, dass schon nach kurzer Krankheitsdauer bei jugendlichen Individuen die Herzhypertrophie regelmässig zu Stande kommt. IV. Sitzung am 26. November 1880. Hr. WERNICKE demonstrirte der Gesellschaft im Anschluss an seine Mittheilung vom 29. October eine grössere Anzahl von Gesichtsfeldsauf- nahmen, die ihm Prof. Förster aus Breslau zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt hatte. In allen Fällen handelte es sich bei normalem oder für diese Frage irrelevantem Augenspiegelbefunde um stationäre hemiopische Defecte, die unter Cerebralerscheinungen entstanden waren. Sie liessen sich in folgende Grup- pen eintheilen: 1) Vollständige homonyme Hemiopie von dem gewöhnlichen Verhalten. 2) Vollständige homonyme Hemiopie begleitet von sei es einseitigen, sei es doppelseitigen Defecten der noch functionirenden Gesichtsfeldshälften. Im Falle der Doppelseitigkeit zeigten die Defecte stets erhebliche Asymmetrie an Form, Lage und Ausdehnung, stimmten aber darin überein, dass sie die verticale Tren- nungslinie der Gesichtsfeldhälften an correspondirenden Stellen berührten. 3) Kleinere und grössere Defeete homonymer Gesichtsfeldhälften von erheb- licher Asymmetrie aber dem schon geschilderten Verhalten zur verticalen Tren- nungslinie. Eine Symmetrie hemiopischer Defecte besteht also gewöhnlich nur bezüg- lich der verticalen Trennungslinie der Gesichtsfeldhälften, nicht aber hinsicht- lich ihrer anderweitigen Begrenzung. Dieses Verhalten steht mit den vom Vor- tragenden entwickelten Eigenschaften der menschlichen Sehsphären vollkommen im Einklang. ! Ausgegeben am 17. December 1880. 172 VERHANDLUNGEN DER BERLINER V. Sitzung am 10. December 1880.' Hr. F. Busch hielt folgenden Vortrag zur „Vertheidigung der Osteo- blastentheorie gegen einige neuere Angriffe“. In der letzten Zeit sind von zwei Seiten Einwände erhoben gegen die Art der Knochenbildung, wie ich sie unter dem Namen der Osteoblastentheorie? zu- sammengefasst habe, nämlich von Dr. A. Fleischer? aus Kiew, der auf dem pathologischen Institut der Universität Strassburg einige Knochenuntersuchungen ausgeführt hat, und von Dr. M. Kassowitz in Wien, der seine Untersuchungen über die normale Knochenbildung in einem besonderen Buche zusammengefasst hat. (Die normale Ossification, Wien bei Wilhelm Braumüller, 1881.) Die erste dieser Arbeiten streift die in Betracht kommende Frage nur ganz leicht, so dass ich nur mit wenigen Worten darauf zu antworten nöthig habe. Die zweite Arbeit ist dagegen ganz ausserordentlich sorgfältig und auf alle die zahlreichen Punkte der normalen Knochenbildung eingehend, so dass ich auf diese Arbeit in ausführlicher Weise zu erwidern habe. Zuvörderst bin ich mit Kassowitz vollkommen einverstanden über die Hauptfrage, welche jetzt die Lehre von der Knochenbildung beherrscht. Diese Frage lautet nicht mehr wie in früheren Zeiten bis in die vierziger Jahre dieses Jahrhunderts: Knochenbildung nur aus Knorpel oder auch aus Bindegewebe? sie lautet auch nicht mehr, wie noch vor kurzer Zeit: appositionelles oder inter- ! Zugleich mit dem Bericht über die vorige Sitzung ausgegeben. ® F. Busch, Die Osteoblastentheorie auf normalem und pathologischem Gebiete. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1878. Bd. X. S. 59-9. 3 Ueber Knochenbildung im Bindegewebe. Virchow’s Archiv u.s. w. 1880. Bd. LXXX. S. 489—494. Verf. untersuchte zwei isolirte Knochenkerne, den einen mitten aus der Sehne des M. iliopsoas, den anderen aus der Dura mater in der Nähe der Falx. Diese Knochenkerne waren aus geflechtartigem Knochengewebe gebildet und zeigten Ausfüllung der Lücken durch Abscheidung von Lamellen von Seiten eines regel- mässigen Zellbelags, der durchaus die Charaktere der Osteoblastenzellen darbot, also, wie Verf. selbst angiebt, im Wesentlichen der neoplastische Typus und nicht die ein- fache Metaplasie. Alsdann eitirt Verf. die beiden Fälle von isolirter Knochenbildung, die ich gleichfalls eitirt hatte, nämlich den Fall von Lenhossek (Knochenbildung im Septum corp. cavernos. penis) und Ebstein (Anochenkern im Kleinhirn), wobei ihm aber das Unglück passirt, die Autoren zu verwechseln, — Ich begrüsse beide Fälle als werthvolle Beiträge zur Structur und Bildungsart isolirter Knochenkerne nach neopla- stischem Typus. Für die Dura mater habe ich auf die verhältnissmässige Häufigkeit solcher isolirter Knochenkerne hingewiesen, die auch in keiner Weise auffallend ist, da diese Membran mit der Knochenbildung an der Innenfläche des Schädels in nächster Beziehung steht und desshalb leicht Osteoblastenzellen, die von den Schädelknochen herstammen, in sich aufnehmen kann. Wo die Osteoblastenzellen in der Sehne des M. iliopsoas herstammen, ist schwer zu sagen. Sie können sich in loco aus der niederen Form des fibrillären Bindegewebes gebildet haben, wofür sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit Anknüpfungspunkte ergeben dürften, sie können aber auch als verirrte Osteoblastenkeime aus dem Periost des Oberschenkels gedeutet werden, trotzdem sie 31/),em vom Oberschenkel entfernt waren. Durch das folgende Wachsthum kann dieser Zwischenraum, der zur Zeit der Abspaltung vielleicht nur ein minimaler war, entstan- den sein. Diese letztere Vermuthung, die sonst eine etwas fernliegende sein würde, wird dadurch erheblich näherliegend, dass die Sehnen beider Mm. iliopsoas gleiche Knochenbildungen einschlossen, ohne dass für die Entstehung derselben das geringste Zeichen localer Reizung vorlag. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. 173 stitielles Knochenwachsthum? sie lautet. vielmehr: Knochenbildung durch Meta- plasie oder durch Neoplasie? Das ist die Frage, welche die Lehre von der Knochenbildung jetzt beherrscht und über welche die Ansichten noch sehr weit auseinander gehen. Eine kurze Definition dieser eutgegenstehen Ansichten lässt sich dahin geben, dass die metaplastische Lehre annimmt, das Knochengewebe entstehe durch allmähliche Umwandlung von fibrillärem Bindegewehe oder von Knorpel in Knochen, während die neoplastische Lehre behauptet, dass die Gewebe der knorpligen oder bindegewebigen Knochenanlage bis auf geringe Reste ihrer Grundsubstanz zerstört werden, und dass das eigentliche Knochengewebe als ein neues Gewebe auf diese verkalkten Reste der früheren Grundsubstanz aufge- lagert werde. Die Frage, welche in der Lehre von der Knochenbildung nach diesen beiden divergirenden Ansichten gestellt werden muss, ist nun entschieden nicht die von Virchow so oft und noch neuerdings in dem Artikel: Krankheitswesen und Krankheitsursachen (Virchow’s Archiv, Bd. LXXIX, S. 194) formulirte Frage: ob man bestreiten wolle, dass jemals aus Knorpel und Bindegewebe ein mit den histologischen Charakteren des Knochens ausgestattetes Gewebe durch allmähliche Umwandlung hervorgehen könne, sondern diese Frage ist vielmehr folgende: Was ist das Knochengewebe, welches dem menschlichen Körper seine innere Stütze giebt, ist es das Product metaplastischer oder neoplastischer Gewebs- bildung? Man fragt also nicht nach der Möglichkeit seltener Ausnahmen, son- dern nach der die Ausbildung der menschlichen Skeletsubstanz beherrschenden Regel. Diese Frage wird nun von Kassowitz eben so beantwortet, wie ich sie bereits vorher beantwortet hatte, d. h. er sagt, dass das gesammte lamellöse Knochengewebe, welches, abgesehen von der Fötalzeit und den ersten Lebens- jahren des Kindes, das alleinige Constituens des menschlichen Skelets bildet, ausschliesslich durch Neoplasie entstanden sei und zwar gebildet durch eine Zelle, welcher er, gleichfalls in Uebereinstimmung mit meinen früheren Mitthei- lungen, den Namen der Osteoblastenzelle beilegt. Die weitere Frage, welche, ‘wie man glauben sollte, sich unmittelbar an diese Antwort anschliesst: Was ist die Osteoblastenzelle und wo kommt sie her? stellt sich Kassowitz überhaupt nicht, geschweige dass er es versuchte, eine Antwort auf dieselbe zu geben. Diese zustimmende Auffassung von Kassowitz in Bezug auf die Bildung des lamellösen Knochengewebes ist für mich von um so grösserem Werth, als Kassowitz sonst der Metaplasie in keiner Weise abgeneigt ist, vielmehr für dieselbe erhebliche Theile des fötalen und kindlichen Skelets, nämlich das ge- sammte sogenannte geflechtartige Knochengewebe, in Anspruch nimmt, sich also keineswegs als ein durch Voreingenommenheit für die neoplastische Lehre zu Ausschreitungen auf diesem Wege geneigter Forscher documentirt. Bevor ich jedoch des Näheren auf diese Bestrebungen von Kassowitz eingehe, der meta- plastischen Knochenbildung aus Bindegewebe und Knorpel in den Jugendzustän- den des Knochens ausgedehnte Bezirke zu vindieiren, muss ich mich zuerst bei einer noch weiter zurückgreifenden Frage aufhalten. Der von mir aufgestellten Osteoblastentheorie stellt Kassowitz seine Ge- fässtheorie gegenüber. Dieselbe lautet folgendermaassen: „So lange die Gefäss- bildung innerhalb des Knorpels im Fortschreiten begriffen ist, fehlt, abgesehen von der Verkalkung, die von der Vascularisation ganz unabhängig ist, eine jede Össificationserscheinung, vielmehr bewirkt diese Gefässbildung eine Um- wandlung des Knochens in Markgewebe rings um das neugebildete oder wachsende- 174 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Blutgefäss. So wie aber die Vascularisation stille steht, und nur dort, wo dieser Stillstand eintritt, beginnt die ossificatorische Umwandlung des Knorpels, und in dem Maasse, als die Gefässe sich involviren, auch die Ossification des weichen Inhalts des Markkanals oder Markraums“ (S. 191). Kassowitz macht sich selbst bereits einen sehr wichtigen Einwand gegen seine eigene Theorie. Er sagt: „Unsere Theorie erklärt zwar nicht, warum nach aufhörenden Entzündungen nicht immer Össificationen eintreten und warum nicht alle Tumoren endlich ossifieiren, obwohl sich darüber Vermuthungen aus- sprechen liessen, sie macht also keineswegs auf Vollkommenheit Anspruch, aber sie laborirt wenigstens nach keiner Seite hin an Widersprüchen und fusst, namentlich in ihrem physiologischen Theil auf SnmENeNen und thatsächlichen Beobachtungen.“ (S. 324.) Dasjenige, was ich nun gegen die Gefässtheorie der Knochenbildung von Kassowitz einzuwenden habe, ist der Hauptsache nach Folgendes: Das Blut ist der allgemeine Nahrungssaft des Körpers, überall, wo es in den Capillaren des grossen Kreislaufs strömt, ist es dasselbe (mit Ausnahme der nicht hierher- gehörigen Pfortadereirkulation) und in Folge dessen muss auch das Transsudat, welches die Capillarwand durchdringt, und welches direct von den Geweben zur Ernährung verwandt wird, überall dasselbe sein. Ein reichlicher von Blut durchströmtes Organ kann lebhaftere Processe der Gewebebildung darbieten, als ein langsamer durchströmtes, doch ist dies nicht immer nothwendig, denn das Kaninchenohr, im welchem das Blut in Folge von Sympathicus-Durchschneidung reichlicher eireulirt, wächst nach den Angaben von Ollier und Brown-Sequard nicht schneller, als das blutarme. Wenn wir nun trotz dieser allseitigen Gleich- heit des Ernährungsmaterials die ausserordentliche Verschiedenheit der Gewebe betrachten, so erklärt sich dieselbe eben nur dadurch, dass die verschiedenen Gewebezellen die Fähigkeit haben, aus dem gleichen Ernährungsmaterial ver- schiedene Stoffe in sich aufzunehmen und zur Gewebebildung zu verarbeiten. Die frühere Zeit kannte eben nur das Blut und die Nerven als die formgestal- tenden Prineipien im thierischen Körper und es entstanden aus diesen Anschau- ungen die Humoralpathologie und die Solidarpathologie. Virchow führte als drittes Princip in die Pathologie die selbständig arbeitende Gewebezelle ein, welche, angewiesen auf das Ernährungsmaterial, welches ihr das Blut zuführt und in gewisser Beziehung beeinflusst und controlirt durch das Nervensystem, sich dennoch einen nicht unbedeutenden Grad eigener Selbständigkeit bewahrt hat. Diese cellulare Auffassung hat in der Pathologie so wie in der Embryo- logie und Physiologie, wo sie durch R. Remak begründet wurde, die grössten Erfolge errungen und gerade diese Auffassung der selbständig arbeitenden Ge- webezelle verlässt Kassowitz, um die Causa movens einer bestimmten Ver- änderung der Gewebe wieder in die Bluteirculation zu verlegen. Ich habe mich im weiteren Verlaufe meiner Untersuchungen sehr weit von den Virchow’schen Anschauungen über die Knochenbildung entfernt. Wäh- rend Virchow durchaus auf dem Standpunkte der metaplastischen Knochen- bildung steht, wie er ihn in der Arbeit: Das normale Knochenwachsthum und die rhachitische Störung desselben (Virchow’s Archiv, 1853, Bd. V) zuerst ausführlich entwickelte, und der Neoplasie, wenn er sie überhaupt anerkennt, jedenfalls nur einen ausserordentlich geringen Raum zuzugestehen geneigt ist, bin ich auf dem Gebiet der neoplastischen Knochenbildung weiter vorgedrungen, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. 1765 als irgend Jemand vor mir auf diesem Wege gegangen ist. So abweichend auch in dieser Beziehung meine Anschauungen über Knochenbildungen von denen Virchow’s sind, so stehe ich doch vollkommen auf cellularem Boden, ja ich möchte sagen, dass ich die Selbständigkeit der arbeitenden Gewebezelle, das cellulare Princip, wie Virchow sich ausdrückt, in der Aufstellung der Osteobla- stentheorie weiter geführt habe, als Virchow selbst das in seinen Anschan- ungen über Knochenbildung gethan hat. Der Gefässtheorie von Kassowitz stehen aber noch ganz andere Schwierig- keiten entgegen, als der Autor selbst zugiebt und zwar in Bezug auf die ex- perimentelle Hervorrufung von Knochenkernen mitten in Weichtheilen. Kasso- witz selbst äussert sich darüber folgendermaassen: „Schliesslich dürften auch die Ossificationserscheinungen der bleibenden Knorpel, welche nach traumatischen Entzündungen, dann in der Umgebung tuberculöser Kehlkopfgeschwüre beob- achtet werden und die man auch künstlich durch Haarseile und dergleichen hervorrufen kann (Redfren, Williams) auf eine Gefässbildung im Knorpel und ihren endlichen Stillstand und Rückgang zurückzuführen sein.“ (8. 181.) Was das Citat von Redfren und Williams betrifft, so bin ich, da keine Angabe gemacht ist, wo es zu finden ist, nicht im der Lage gewesen, dasselbe im Original nachzusehen. Ich bin daher nicht im Stande, zu contro- liren, ob das von diesen Forschern experimentell hergestellte verkalkte Gewebe die histologischen Charaktere des Knochengewebes dargeboten hat. Auf alle Fälle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass beide Autoren bereits vor ziemlich langer Zeit ihre Untersuchungen angestellt haben (Redfren am Ende der vierziger Jahre dieses Jahrhunderts), und dass man es damals mit den histo- logischen Charakteren des Knochengewebes noch nicht so genau nahm wie jetzt. Ich kann dagegen einen neueren Autor citiren, welcher sich grosse Mühe ge- seben hat, durch locale Reize chemischer oder physikalischer Art Knochengewebe mitten in Weichtheilen herzustellen und zwar ohne Erfolg, nämlich Ollier. Es ist Ollier in keiner Weise geglückt, durch locale Reize Knochenkerne mitten in Weichtheilen hervorzurufen; einmal glaubte er bereits, er habe mitten im Kaninchenohr einen Knochenkern hervorgerufen, überzeugte sich aber bald, dass er es nur mit verkalktem Knorpelgewebe zu thun hatte. Dagegen war Ollier sehr wohl im Stande, auf eine andere Weise isolirte Knochenkerne zu erzeugen und zwar durch Transplantation vollkommen abgetrennter Perioststücke von den Diaphysen jugendlicher Knochen in das Unterhautbindegewebe entfernter Körper- stellen. Ollier hat damit Versuche geschaffen, welche von geringer praktischer, aber sehr grosser theoretischer Bedeutung sind. Auch Stücke anderer fibröser Membranen traten an der Transplantationsstelle in Gefässverbindung, blieben eime Zeitlang erhalten und schwanden durch allmähliche Atrophie, aber keines dieser Gewebe bildete Knochen. Nur das Periost allen und in sehr viel ge- ringerem Grade das Knochenmark zeigten diese Fähigkeit. Dieses wohlconsta- tirte Factum ist ein Punkt, mit welchem die Gefässtheorie von Kassowitz schwerlich vereinbar sein dürfte, denn das wird Kassowitz doch nicht an- nehmen, dass die Gefässverhältnisse des transplantirten Perioststücke andere ge- wesen seien, als die der anderen fibrösen Membranstücke; dagegen ist gerade dieses Factum der deutlichste Beweis dafür, dass dem Periost Zellen anhaften, welche mit der besonderen Fähigkeit der Knochenbildung ausgestattet sind. Ollier begnügte sich damals mit dem allgemeinen Namen der osteogenen Schieht (Couche osteogene) für diese an der Innenfläche des Periosts gelegene Zelllage. 176 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Ich glaube, dass mich die neueren Fortschritte auf dem Gebiete der Knochen- lehre berechtigen, dafür den Ausdruck einer Osteoblastenzellen-Lage zu setzen. Dieselben Erfahrungen bestätigt auch die operative Chirurgie. Das Desi- derium, Knochengewebe an einer Stelle zu schaffen, wo es zur Aufrechterhaltung der Form oder Function erforderlich ist, ist in der Chirurgie auf’s Sehnlichste erstrebt. Nach der Gefässtheorie von Kassowitz wäre dieses Ziel leicht zu erreichen. Man ruft an der betreffenden Stelle eine starke Hyperämie hervor, die dann bei ihrem Rückgang den gewünschten Knochen hinterlässt. Das ent- spricht aber in keiner Weise den factischen Verhältnissen. Die Hyperämie kann man schon schaffen, wenn sie sich aber zurückgebildet hat, dann bleibt das betreffende Gewebe so weich und haltlos wie vorher. Das hat man in der Chirurgie längst eingesehen und deshalb von solchen zwecklosen Unternehmungen vollständig Abstand genommen. Wo die Chirurgie Knochengewebe haben will, dorthin muss sie entweder Knochen transplantiren, wie bei der Pirogoff’schen osteoplastischen Unterschenkel-Amputation, oder eine mit osteogenen Eigenschaften ausgestattete Membran, d. h. allein und ausschliesslich Periost. Deshalb ist auch die ganze osteoplastische Chirurgie periostale Chirurgie. Was ist es denn nun, was dem Periost seine osteogene Eigenschaft giebt? seine Gefässverhält- nisse sicher nicht, sondern sein Gehalt an Osteoblastenzellen, welche im kind- “ lichen Alter zahlreicher vorhanden sind als in der späteren Lebenszeit, durch die Entzündung aber von Neuem wuchern, so dass entzündetes Periost auch in späteren Lebenszeiten reichliche Knochenbildung hervorrufen kann, wie die Er- fahrungen der secundären subperiostalen Resectionen beweisen. In der Osteo- blastenzelle liegt das ganze Geheimniss, welches die osteogenen Eigenschaften des Periosts bisher umgab. Wohl kann man bisweilen fibröses Gewebe durch entzündliche Reizung in Knochengewebe überführen, z. B. bei Pseudarthrosen, bei welchen zwei Knochen- enden durch straffes fibröses Gewebe verbunden werden. Hier ist es aber nicht das fibröse Gewebe selbst, welches diesen Uebergang vollzieht, sondern in den benachbarten Knochenenden werden entzündliche periostale Wucherungen hervor- serufen, welche auf dem Wege des Envahissement auf die fibröse Zwischenmasse übergreifen und dieselbe dadurch in Knochengewebe verwandeln. Macht man den- selben Versuch mitten in Weichtheilen, so entsteht nie Knochengewebe, und ist die ligamentöse Zwischenmasse, welche zwei Knochenenden verbindet, von etwas srösserer Ausdehnung, selbst nur wenige Centimeter lang, so reicht das En- vahissement von den beiden Knochenenden nicht mehr aus, um dieselbe in Knochen zu verwandeln, und nach Ablauf der entzündlichen Hyperämie ist das fibröse Gewebe eben so weich und schlaff wie vorher. Gerade diese Erfahrungen der experimentellen Pathologie und der opera- tiven Chirurgie, sowie auch Beobachtungen, die ich im Verlaufe meiner Unter- suchungen über Ostitis und Nekrose gemacht habe und auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, sind es gewesen, welche mich veranlasst haben, der Osteo- blastenzelle einen hohen Grad von Specificität zuzuschreiben, und die Einwände, welche ich bisher gegen diese Auffassung angetroffen habe, sind nicht im Stande gewesen, mich auch nur im Geringsten in dieser Auffassung zu erschüttern. Nun hält man mir meistens entgegen, und auch Kassowitz betont diesen Punkt, dass doch bisweilen mitten in Weichtheilen Knochenkerne entstehen, bei deren Bildung Osteoblastenzellen nicht betheiligt gewesen sein können. Hierauf 1 PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. BuscH. 1 erwidere ich zuerst mit der Frage: was ist Knochengewebe? Kassowitz be- antwortet diese Frage dahin, dass er sagt: „Knochen besteht aus leimgebenden Fibrillen mit verkalktem Kittgewebe“ (S. 38). Ich kann diese Definition nicht selten lassen, da auch jedes homogen verkalkte Bindegewebe in dieselbe einge- schlossen ist. Ich verlange vom Knochengewebe ausser den leimgebenden Fibrillen und der homogenen Verkalkung auch eine typische Anordnung in Form des lamellösen oder geflechtartigen Knochengewebes mit Einschluss sternförmiger Knochenkörperchen. Bei dieser Auffassung verschwinden viele isolirte Knochen- kerne wieder aus der Pathologie, so z. B. der einzige isolirte Knochenkern, welchen ich bisher zu untersuchen Gelegenheit hatte. Derselbe wurde mir sütigst von Hrn. Senator übergeben und war eine knochenharte Platte von fast Fünfmarkstück Grösse aus dem Centrum tendineum des Zwerchfells.! Aeusser- lich bot dieselbe alle Charaktere einer wirklichen Knochenplatte dar; bei der mikroskopischen Untersuchung der entkalkten Platte zeigte sich jedoch, dass dieselbe aus nichts bestand, als aus fibrillärem Bindegewebe und von Knochen- sewebe auch nicht die leiseste Andeutung enthielt. Ich kann unmöglich an- nehmen, dass ich es hier mit einem seltenen Ausnahmefall zu thun habe, das- selbe ist unzweifelhaft vielfach der Fall und damit schwindet ein erheblicher Theil dieser an sich bereits so seltenen isolirten Knochenkerne. Von dem übrig- bleibenden Rest lassen sich noch ganze Gruppen ausschalten, wie besonders die Knochenbildungen der Ovarialeysten, die eine genügende Erklärung durch die Osteoblastentheorie gestatten, und für den dann noch übrigbleibenden bereits sehr zusammengeschrumpften Rest muss ich den Umstand besonders hervor- heben, dass es bisher nicht geglückt ist, auf dem Wege des Experiments solche isolirte Knochenkerne durch locale Reizung herzustellen. Darin liest der Be- weis, dass es sich bei den isolirten Kernen wirklichen Knochengewebes in der Pathologie um Verhältnisse handelt, die uns in ihren Grundzügen noch in keiner Weise bekannt sind und dementsprechend können diese seltenen Vorkommnisse nicht dazu verwendet werden, um Rückschlüsse auf die physiologische Knochen- bildung zu machen. Noch eine Vorfrage ist hier zu erledigen, nämlich das Verhältniss der beiden Worte Substitution und Metaplasie; beide werden vielfach in gleichem Sinne ge- braucht und doch besteht zwischen ihnen eine sehr erhebliche Differenz der Be- deutung. Der Ausdruck, ein Gewebe habe sich dem anderen substituirt, bezieht sich nur auf das makroskopische Verhalten und bedeutet, dass die Stelle, welche früher von dem Gewebe a eingenommen war, jetzt von dem Gewebe 5 erfüllt ist. Eine jede solche Substitution kann nun aber auf zweierlei Art vor sich gehen, nämlich entweder dadurch, dass sich das Gewebe a langsam in das Ge- webe 5 umwandelt, oder andererseits dadurch, dass das Gewebe 5 das Gewebe a verdrängt oder zerstört und sich dann an die dadurch leer gewordene Stelle setzt. Den ersten Modus der Substitution bezeichnet man jetzt mit dem Worte: Verwandlung, Metaplasie, den zweiten Modus mit dem Worte: Verdrängung, Envahissement, Neoplasie. Beide Processe sind grundverschieden, und dennoch kann durch sie beide eine Substitution im eigentlichsten Sinne zu Stande kommen. Wenn also Jemand sagt: dem Knorpelgewebe der ersten Knochenanlage sub- stituirt sich später Knochengewebe, so sagt er damit nur das was Jeder sehen "Siehe Sitzungsberichte der physiolog. Gesellschaft zu Berlin vom 12. Juli 1878, in diesem Archiv, 1878. S. 345. Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 12 178 VERHANDLUNGEN DER BERLINER kann, dass nämlich an derselben Stelle, an welcher im früheren Stadium der Entwickelung Knorpelgewebe vorhanden war, sich später Knochengewebe findet. Auf welche Weise sich aber dieser Platzwechsel vollzogen hat, darüber liegt in dem obigen Ausspruche auch nicht das geringste Urtheil enthalten. Bis vor wenigen Jahren fand die Lehre, dass die Substitution des Knorpel- sewebes der ersten Knochenanlage durch Knochengewebe ein metaplastischer Vor- sang sei, kaum von irgend einer Seite Widerspruch und erst im Anfang dieses Jahrzehnts trat in fester und bestimmter Form die Lehre auf, dass diese Sub- stitution nicht durch Umwandlung, sondern durch Verdrängung des früheren Ge- webes durch das spätere sich vollziehe. Diese Verdrängungstheorie, das En- vahissement Robin’s, fand ihre hauptsächlichste Begründung durch die schnell auf einander folgenden Arbeiten von Stieda,! Strelzoff? und Steudener.’ Dieselben lehrten, dass sich die perichondrale Umhüllung der ersten knorpligen Knochenanlage in zwei Schichten trenne,, in eine innere rein zellige Schicht: die osteogene Schicht und eine äussere bindegewebige und gefässhaltige. Die osteogene Schicht bildet nun zuerst die periostale Grundlamelle, mit welcher sie die verkalkte Knorpelanlage umhüllt, alsdann durchbricht die osteogene Schicht dieses ihr eigenes Product an einer Stelle und dringt nun in die Knorpelanlage ein, die Knorpelzellen verdrängend oder vielmehr zerstörend und auch von der verkalkten Grundsubstanz nur ein zartes Balkenwerk zurücklassend. Aus der äusseren periostalen Schicht folgen bindegewebige gefässhaltige Zapfen auf dem- selben Wege, den die Zellen der osteogenen Schicht vorausgegangen waren, und nun erst lagern die Zellen der osteogenen Schicht neues Knochengewebe auf das aus den Ueberresten der verkalkten Knorpelgrundsubstanz bestehende Balken- gerüst auf. Die Perforationsstelle, durch welche die äusseren periostalen Ge- webe ihre Invasion in das Innere der Knorpelanlage vollführten, persistirt, wie Steudener zuerst erkannte, während der ganzen späteren Existenz des Knochens als Foramen nutritium. Nach eigenen Untersuchungen* über die Knochenbildung am embryonalen menschlichen Fuss habe ich mich dieser Auffassung vollkommen angeschlossen. Auch Kassowitz’ hat gegen das Thatsächliche dieses Vorganges nichts einzuwenden, differirt jedoch in der Deutung insofern, als er annimmt, es fände nicht eine Zerstörung der Knorpelzellen statt, sondern diese Zellen wucherten selbständig weiter und aus dieser Wucherung gehe ein erheblicher Theil des späteren Markgewebes hervor. Ob nun die eine oder die andere Deutung die richtige ist, lässt sich aus dem mikroskopischen Bilde schwer er- kennen, da man in demselben eben keinen unter den Augen des Beobachters ab- laufenden Process vor sich hat, sondern nur verschiedene Stadien, in welchen der Process durch den Tod des Thieres unterbrochen wurde. Ich möchte jedoch ! L. Stieda, Die Bildung des Knochengewebes. Leipzig 1872. * Ueber die Histogenese der Knochen. Untersuchungen aus dem pathologischen Institut zu Zürich. Herausgeg. von Eberth. 1873. Heft 1. S. 1—63. ® Steudener, Beiträge zu der Lehre von der Knochenentwickelung und dem Knochenwachsthum. Halle 1875. * Archiv f. mikroskopische Anatomie. Bd. XIV. S. 480—492. 5 Bei dieser Gelegenheit muss ich hervorheben, dass Kassowitz mich zweimal unrichtig eitirt, einmal S. 120, wo er sagt, ich hätte mich dahin geäussert, dass die erste Verkalkung der knorpligen Knochenanlage sich unter dem Einflusse eindringender Blutgefässe vollziehe, und zweitens S. 208, ich hätte angegeben, Gefässanlagen im Knochen entständen aus erweiterten und confluirenden Knochenkörperchen. Weder das eine noch das andere habe ich je gesagt. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. BuscnH. 179 darauf hinweisen, dass es einen anderen Process im Thierkörper giebt, welcher vielleicht durch Vergleichung zur Aufklärung dieses Processes beitragen kann. Es ist dies die viel discutirte Organisation des Thrombus. Dass sich an der Stelle, an welcher früher ein Bluteoagulum gelegen war, später oft narbiges Bindegewebe vorfindet, dass also hier eine Substitution des Blutcoagulums durch Bindegewebe zu Stande komme, lehrt der Augenschein und ist auch nie bestritten worden. Die Frage war nur die, ob sich diese Substitution auf metaplastischem Wege vollziehe, dadurch dass sich das Blutgerinnsel in Bindegewebe umwandelt, oder auf dem Wege des Envahissements durch Eindringen gefässhaltigen Ge- webes von aussen her in den Blutklumpen und Verdrängung bez. Verzehrung der Blutzellen durch diese Eindringlinge Es gilt diese Frage nicht nur für den Klumpen geronnenen Blutes in der Höhle eines Gefässes: den eigentlichen Thrombus, sondern auch für jeden anderen Ort, an welchem ausgetretenes Blut coagulirt, wie bei der Callusbildung, dem Sehnenschnitt, sowie jeder anderen Art von Wundheilung. Seit J. Hunter! wogte nun hier der Streit zwischen den Vertretern der Metaplasie und denen der Neoplasie (s. Envahissement) auf und ab, und erst in den letzten Jahren hat das Envahissement einen allem Anscheine nach definitiven Sieg davongetragen. Am meisten hierzu beigetragen haben die Arbeiten von P. Baumgarten? und Fr. Raab,’ durch welche in über- zeugender Weise nachgewiesen wurde, dass eine Umwandlung der eingeschlossenen Blutkörperchen in bindegewebige Zellen nicht stattfinde, weder der rothen Blut- körperchen, von denen man das allerdings schon lange nicht geglaubt hatte, noch der weissen, sondern dass die gewucherten Zellen der Endothellage des Gefässes in die eingeschlossene Blutmasse eindringen, gefolgt von Zapfen gefäss- haltigen Bindegewebes aus den tieferen Lagen der Gefässwand, dass beide die umschlossene Blutmasse verzehren und sich auf diese Weise an die dadurch leer gewordene Stelle setzen. Der letzte Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung wurde aber erst beseitigt durch die Arbeiten von Senftleben* und Tillmanns.’ Die Methode der Versuche dieser Autoren bestand darin, dass todte, in Alkohol erhärtete und sorgfältig desinfieirte Gewebsstücke in die Bauchhöhle von Thieren gebracht wurden. Es zeigte sich dann, dass diese Gewebsstücke, am günstigsten Lungenstücke wegen ihrer alveolären Structur, zuerst von einer Invasion lebender Zellen durchsetzt wurden, diesen Zellen folgten bald, hervorgegangen aus Wuche- rungen des angrenzenden Gewebes, gefässhaltige bindegewebige Zapfen, welche das todte Lungenstück durchwucherten und allmählich vollkommen zerstörten, sodass an der Stelle, an welcher früher todtes Lungengewebe vorhanden war, jetzt ein Klumpen lebenden gefässhaltigen Bindegewebes lag, also eine Sub- stitution in optima forma, aber freilich keine Substitution durch Metaplasie, son- dern in der unzweifelhaftesten Weise durch Envahissement. Zwischen Baum- " John Hunter’s Versuche über das Blut, die Entzündung und die Schuss- wunden. Deutsch von Hebenstreit. Leipzig 1797. . Die sogenannte Organisation des T’hrombus. Eine Experimentaluntersuchung. Leipzig 1877. ° Ueber die Entwickelung der Narbe im Blutgefäss nach der Unterbindung. Archiv f. klinische Chirurgie. Bd. XXI. Heft 1. * Ueber den Verschluss der Blutgefässe nach der Unterbindung. Virchow’s Archiw. Bd. LXXVI. S8. 421. ° Experimentelle und anatomische Untersuchungen bei Wunden der Leber und Niere. Virchow’s Archiw. Bd. LXXVII. S. 437. 12* 180 VERHANDLUNGEN DER BERLINER sarten,! der diese Versuche nachmachte, und Senftleben besteht nur in einem Punkte eine Differenz der Auffassung. Während nämlich Senftleben die Zellen der ersten Invasion für ausgewanderte weisse Blutkörperchen hält, erklärt sie Baumgarten für gewucherte Endothelzellen des peritonealen Belages. Diese Differenz der Auffassung, die in gewisser Beziehung von erheblicher Bedeutung ist, kommt hier nur wenig in Betracht. Ich persönlich halte die Auffassung von Baumgarten für besser begründet als diejenige von Senftleben. Diese Versuchsergebnisse sind für die Lehre von der Knochenbildung nach verschiedenen Richtungen hin von grosser Bedeutung, denn erstens zeigen sie uns einen Fall von Substitution durch das unzweifelhafteste Envahissement und zwar auf einem Gebiete, auf welchem dasselbe lange mit der Metaplasie zu streiten hatte; dann aber zeigen sie, dass die Fähigkeit lebender Zellen und sefässhaltiger bindegewebiger Zapfen andere Gewebe und sogar derbe fibröse, in Alkohol gehärtete Gewebe zu zerstören nicht blos eine theoretische Voraus- setzung ist, sondern in der unzweifelhaftesten Weise besteht. Nun wird man mir freilich einwenden, dass noch ein grosser Unterschied bestehe zwischen aus- setretenen coagulirten Blutmassen sowie erhärtetem todten Gewebe und der ver- kalkten Knorpelanlagen eines Knochens. Ich gebe das bereitwilligst zu, muss aber doch hervorheben, dass, wenn sich das Envahissement an jenen Stellen voll- zog mit dem Enderfolge der Vernichtung der früheren Gewebe, auch für die Knorpelanlage die Möglichkeit eines solchen Vorganges nicht mehr bestritten werden kann, was bisher vielfach geschah, ja dass dieser Process das Auffallende, was ihm bisher anhaftete, durchaus verliert. Ich betrachte also keineswegs in der Frage der ersten Knochenbildung das Envahissement durch diese Analogie mit der Organisation des Thrombus bereits für erwiesen, aber das glaube ich ohne Uebereilung sagen zu können, dass der unzweifelhafte Nachweis eines sehr ähnlichen Processes auf einem anderen Gebiete, wo derselbe auch lange der Metaplasie gegenüberstand, für die Auffassung der ersten Knochenbildung, bei welcher dieselbe Differenz der Anschauungen herrscht, von grosser Bedeutung ist. Die Entscheidung ist hier noch nicht gefallen, aber der Vorgang des En- vahissement’s .bei der Knochenbildung ist uns ein viel näher liegender und ver- ständlicherer geworden durch den Nachweis eines in seinen Grundzügen iden- tischen Processes auf einem anderen Gebiet. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, den Ausdruck der Substitution wegen seiner Unklarheit zu vermeiden. Glaubt man eine allmähliche Umwandlung eines Gewebes in ein anderes vor sich zu haben, so ist der exacte Ausdruck hierfür derjenige der Metaplasie, glaubt man dagegen, dass sich der Ortswechsel dadurch vollziehe, dass das eine Gewebe das andere verdrängt oder verzehrt und sich dann an die dadurch leer gewordene Stelle setzt, so muss man diesen Vorgang mit den Worten Verdrängung, Invasion, Envahissement bezeichnen oder analog dem obigen Worte gebildet als Neoplasie.e Dann lassen die Vertreter der ver- schiedenen Anschauungen wenigstens keinen Zweifel über das was sie meinen, während der Ausdruck Substitution stets unklar ist und zu Missverständnissen Veranlassung giebt. Kassowitz behauptet nun für das Knochengewebe in seiner ersten Bil- dung und seinen ‚Jugendzuständen eine ziemlich ausgedehnte metaplastische Ent- stehung sowohl aus Knorpelgewebe als aus fibrillärem Bindegewebe. Sehen wir ! Zur Lehre von der sogenannten Organisation der Thromben und zur Frage von der pathologischen Bindegewebsneubildung. Virchow’s Archiv. Bd. LXXVIM. 8.497. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. 151 uns zuerst die metaplastische Knochenbildung aus Knorpel näher an. Es sind hierbei zwei Arten von Knorpel zu unterscheiden, nämlich der gewöhnliche Knorpel und der periostale Knorpel. Letzteren Ausdruck werde ich erst später erklären. Was nun zuerst die metaplastische Knochenbildung aus gewöhnlichem Knorpel betrifft, so ist die Ausdehnung, in welcher Kassowitz diesen Process in An- spruch nimmt, eine sehr geringe. Sie beschränkt sich darauf, dass er behauptet, die Reste der verkalkten Knorpelgrundsubstanz, welche das erste provisorische Stützgerüst für den Aufbau des neuen jungen Knochengewebes bilden, gingen nachher selbst durch Metaplasie in Knochengewebe über. Die Gewebsstücke, um die es sich hier handelt, bilden ein so zartes Balkenwerk und haben in sich so geringe Masse, dass es in der That für den Process der Knochenbildung nur von geringer Bedeutung ist, ob diese Knorpelbälkchen durch Metaplasie in Knochen- sewebe übergehen, oder später durch Resorption wieder beseitigt werden. Ich trete daher in diesem Punkte Hrn. Kassowitz nicht entgegen und beschränke mich darauf hinzuweisen, dass dieser Process von zu geringer Ausdehnung ist, als dass er in der Lehre von der Knochenbildung besondere Berücksichtigung in Anspruch nehmen könnte. Ich hebe aber hervor, dass es sehr auffallend wäre, wenn ein Gewebe, welches nur aus Grundsubstanz besteht, ohne jeden Ein- schluss von Zellen, wie das bei Säugethieren für diese Knorpelbälkchen der Fall ist, in activer Weise metaplastische Processe vollzöge. Der zweite sehr viel wichtigere Punkt ist die metaplastische Entstehung von Knochengewebe aus dem periostalen Knorpel. Mit dem Namen des pe- riostalen Knorpels bezeichnet Kassowitz Knorpelmassen die aus Periostwuche- rungen hervorgegangen sind. Es ist eine seit lange bekannte 'Thatsache, dass das Periost unter pathologischen Verhältnissen durch Wucherung Knorpelgewebe bildet. Virchow hat das für Fraeturen und für veraltete Luxationen nach- gewiesen (Virchow’s Archiv Bd. V S. 457, Cellularpathologie und Geschwülste, Bd. II S. 16), Billroth gleichfalls für Fraeturen (Allgemeine Chirurgie) und ich habe in meinen Untersuchungen über Ostitis und Nekrose Knorpelinseln mitten in den entzündlichen periostalen Knochenauflagerungen gefunden (v. Langen- beck’s Archiv Bd. XX S. 250 und Bd. XXI S. 116). In letzterer Arbeit habe ich bereits hervorgehoben, dass sich diese Knorpelinseln nur in den periostalen Knochenmassen finden und nicht in denjenigen neugebildeten Knochenmassen, welche in der Markhöhle zur Entstehung kommen, was Kassowitz für die Callus-Bildung gleichfalls hervorhebt. In meiner Arbeit über die Osteoblasten- theorie habe ich ferner gesagt: „Wir wissen vom entzündeten Knochen, dass die Osteoblastenschicht des Periosts ausgewachsener Knochen, wenn sie durch starke Reize zu einer lebhaften Knochenbildung angeregt wird, Knorpelgewebe bilden kann“ ($S. 85). Da nun Druck und Reibung zwei Momente sind, welche am häufigsten die Veranlassung geben für lebhafte Periostwucherungen, so kann man daher auch sagen, wie ich das in übereinstimmender Weise mit Kassowitz ausgedrückt habe, dass überall, wo Druck oder Reibung auf das Periost ein- wirkt, aus der Wucherung desselben Knorpelgewebe hervorgehen könne. Man erschöpft jedoch durch diese Fassung nicht alle Fälle von Knorpelbildung im Periost, wie z. B. die Knorpelbildungen in den entzündlichen periostalen Auf- lagerungen im Verlauf der Ostitis zeigen, bei denen die lebhaften Periostwuche- rungen durch andere Ursachen als durch Druck oder Reibung bedingt sind. Kassowitz hat nun zuerst nachgewiesen, dass auch im Verlauf der nor- malen fötalen Entwickelung ähnliche Fälle periostaler Knorpelbildung vorkommen, \ 182 VERHANDLUNGEN DER BERLINER so besonders an der Tuberositas radii, wo sich die Bicepssehne um den Knochen herumschlägt und daher wohl im Stande ist, durch Druck oder Reibung reizend auf das umschlungene Knochenstück zu wirken, ferner an den Gelenken des Schlüsselbeins und am freien Rande der Spina scapulae, wo Strelzoff den Knorpel bereits gefunden hatte, aber nicht im Stande gewesen war denselben als Periostknorpel zu deuten. In der stärksten Ausbildung jedoch findet sich der periostale Knorpel bei demjenigen Process, welcher bei Weitem die schnellste und mächtigste Knochenbildung im ganzen Thierreich darstellt, nämlich bei der Bildung der Geweihe in der Klasse der Cervina. Was nun diese periostalen Knorpelmassen betrifft, so bin ich mit Kasso- witz vollkommen einverstanden darin, dass dieselben durch einfache Metaplasie in Knochengewebe übergehen, wie ich in meiner Arbeit über die Osteoblasten- theorie sagte: „Dieses (periostale) Knorpelgewebe geht dann erst wieder in Knochen- gewebe über, und dieser Uebergang dürfte allerdings durch einfache Metaplasie erfolgen“. (S. 85.) Ich fügte jedoch unmittelbar darauf hinzu: „Es ist dabei jedoch zu bedenken, dass dieses aus der gewucherten Osteoblastenschicht her- vorgegangene Knorpelgewebe in functioneller Beziehung nicht nothwendiger Weise mit dem gewöhnlichen Hyalinknorpel für identisch zu halten ist“, und darin eben liegt die Differenz meiner Anschauung mit derjenigen von Kassowitz. Für Kassowitz ist der periostale Knorpel eben gewöhnlicher Knorpel wie jeder andere, für mich ist dagegen der periostale Knorpel bereits ein Product der Osteoblastenzellen, welches dieselben unter dem Einfluss vermehrter Reizung durch eine Abirrung von ihrer Funetion gebildet haben. Die thatsächliche Be- sründung, welche mich zu dieser Auffassung veranlasst, ist folgende. Wieder sind es die Versuche von Ollier mit der Transplantation vollkommen abge- trennter Perioststücke, welche hier lichtbringend dazwischentreten, wo es sonst kaum möglich sein würde, den richtigen Weg zu finden. Diese vollkommen abgetrennten und an entfernte Körperstellen transplan- tirten Perioststücke bilden nämlich das ihnen zugehörige Knochengewebe mit Durchlaufung eines knorpligen Vorstadiums. Der ganze abgetrennte Periost- lappen verwandelt sich in kleinzelligen hyalinen Knorpel und dieser geht dann erst wieder durch Metaplasie in Knochen über. Ich sage nun: dieser periostale Knorpel ist bereits das Product der dem Periostlappen anhaftenden Osteoblasten- zellen, denn kein anderes Bindegewebe, von dem solche Stücke entnommen und an entfernte Theile transplantirt werden, zeigt diesen Uebergang in Knorpel- gewebe. Fascie, Sehne oder lockeres Bindegewebe, sie alle verwachsen durch gefässtragende Adhäsionen mit den Geweben an der neuen Transplantationsstelle, aber keins dieser anderen Gewebe, mit alleiniger Ausnahme des Periosts, ver- wandelt sich in Knorpel, und darin sehe ich den Beweis dafür, dass das Periost die Fähigkeit des Uebergangs in Knorpelgewebe Zellen verdankt, die es allein unter allen Geweben der Bindesubstanz besitzt und das sind eben die Osteo- blastenzellen. Will man nun aber dieses Zwischenstadium der periostalen Knochenbildung ersetzen, indem man Knorpelstückchen mit daran haftendem Perichondrium an entfernte Theile transplantirt, so verwachsen auch diese durch gefässhaltige Ad- häsionen mit den Geweben der neuen Stelle, aber sie bilden niemals Knochen, sondern schwinden durch allmähliche Atrophie. Hierin liegt, wie ich glaube, der Beweis für die oben ausgesprochene Anschauung, dass der periostale Knorpel PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. BuscH. 183 functionell von dem gewöhnlichen Knorpel erheblich differirt. Wären beide functionell identisch, so müssten sie beide bei der Transplantation isolirter Ge- websstücke Knochengewebe bilden. Da dem aber nicht so ist, da nur der pe- riostale Knorpel Knochengewebe bildet, der gewöhnliche Knorpel dagegen in keiner Weise dazu veranlasst werden kann, so liest darin der unumstössliche Beweis dafür, dass beide Gewebe, so ähnlich sie histologisch einander auch sind, doch eine tiefgreifende Differenz in ihrer Functionsfähigkeit darbieten. Was nun die Geweihbildung betrifft, so vollzieht sich dieselbe nach den Angaben derjenigen Forscher, welche diesen Process besonders eingehend ver- folgt haben, wie Koelliker, Lieberkühn und H. Müller,! folgendermaassen. Wenn das alte Geweih durch die Resorptionsgruben, die sich innerhalb der Rosenstockbildung ausbilden, soweit gelockert ist, dass es durch seine Schwere oder äussere Traumen abbricht, so vernarbt die Trennungsfläche durch die Ueber- wucherung der Haut und des angrenzenden Periosts des Stirnbeins über die- selbe. Nach dieser Stelle findet nun ein mächtiger Blutzufluss statt, der sich durch eine deutliche Erweiterung der zum Stirnbein führenden Arterien bemerkbar macht. Unter dem Einfluss dieser reichlichen Blutzufuhr findet nun in dem die Trennungsfläche bedeckenden Periost eine sehr energische Gewebsbildung statt, welche zur Ausbildung periostaler Knorpelmassen von erheblicher Dicke führt. So fand Lieberkühn bei einem wachsenden Hirschgeweih Knorpelmassen von der Dicke eines Zolles und darüber. Diese Knorpelmassen erheben sich über die Oberfläche des Stirnbeins und während sich die tieferen Lagen durch Metaplasie in Knochengewebe verwandeln, wuchern die oberflächlichen Lagen weiter fort. In der auf diese Weise gebildeten Knochensubstanz treten nun unter dem Ein- Huss nachrückender Blutgefässe Resorptionslücken auf, welche vollkommen analog sind den Havers’schen Räumen der eigentlichen Skeletknochen. Diese Re- sorptionslücken umkleiden sich mit einem aus dem Periost des Stirnbeins her- stammenden Osteoblastenbelag, und durch die Thätigkeit dieser Osteoblastenzellen füllen sich die Resorptionsräume mit regelmässigen Havers’schen Lamellen- systemen aus. So lange das Geweih wächst ist es von der periostalen Um- hüllung umgeben, die an den Wucherungsspitzen vielfach Lagen periostalen Knorpels enthält. Ist das Wachsthum des Geweihes vollendet, so löst sich diese periostale Umhüllungshaut in Fetzen los und wird von den Thieren als Bast an den Bäumen abgescheuert. Zu dieser Zeit ist die innere Knochenmasse des Geweihes noch vielfach von sehr grossen Gefässräumen durchsetzt, so dass sie ein poröses Gefüge darbietet. Nun verengen sich im weiteren Verlauf die in- neren Gefässräume des Geweihes durch Ablagerung concentrischer Lamellen immer mehr bis zur vollständigen Verödung der im Centrum derselben befindlichen Ge- fässe, ein Vorgang, der auch in den Skeletknochen des Menschen vorkommt, wo auf diese Weise diejenigen Havers’schen Lamellensysteme entstehen, die in sich ganz gegeschlossen sind und eines Gefässes in ihrem Inneren vollkommen entbehren. Auf diese Weise wird die innere Knochenmasse des Geweihes mit der Zeit immer compacter und blutärmer und so geht es fort, bis schliesslich am Ende des Jahres die ganze Geweihmasse vollkommen gefässlos geworden ist. Das Ge- ... Würzburger naturwissenschaftl. Zeitschrift. 1863. Bd. IV. 8. 29—55. — Ver- gleiche auch die sehr ausführlichen und sorgfältigen älteren Angaben von A. A. Ber- thold, Beiträge zur Anatomie, Zootomie und Physiologie. Göttingen 1831. Ueber das Wachsthum, den Abfall und die Wiedererzeugung der Hirschgeweihe. 8. 39—96. 184 VERHANDLUNGEN DER BERLINER weih bildet dann gewissermaassen einen Sequester und wird von den Stirnbeinen auf dieselbe Weise gelöst wie die Sequester sich von den Skeletknochen lösen, nämlich dadurch, dass sich an der Grenze des Todten und des Belebten die Ge- fässräume durch Resorption bedeutend erweitern und dadurch die Lagen der zwischenliesenden Knochengrundsubstanz so weit verdünnen, dass geringe Traumen genügen um die letzten Reste derselben zu zerbrechen, und alsdann beginnt von Neuem der ganze soeben geschilderte Process. In ganz hervorragendem Grade ist es Lieberkühn,! dem wir die Kenntniss von dieser Art der Abstossung der Geweihe verdanken. Lieberkühn hebt übrigens besonders hervor, dass er nicht im Stande gewesen sei, zu bemerken, dass an der 'Trennungsstelle irgend eine active Thätigkeit der Knochenkörperchen sich bemerkbar mache, sondern dass ausschliesslich von den Gefässräumen aus die Lösung der Knochensubstanz bewirkt werde. Dasselbe Verhalten habe ich für die Lösung der Sequester urgirt. Der Uebergang fibrillären Bindegewebes durch allmähliche Umwandlung in Knochen wird von Kassowitz für zwei Stellen behauptet, nämlich für die erste Bildung des periostalen Knochens und für die Sehneninsertionen am Knochen während der ganzen Wachsthumszeit des Skelets. Was den ersten Punkt be- trifft, so handelt es sich dabei um folgende Verhältnisse. Die ersten Anfänge periostaler Knochenbildung, sowie die Knochenbildung auf rein bindegewebiger Grundlage, wie dieselbe an den Schädeldeckknochen und der Clavicula statt hat, liefern ein Gewebe, welches in der Lehre von der Knochenbildung mit dem Namen des netzförmigen Knochengewebes belegt wird. Dasselbe besteht aus einer An- zahl netzförmig zusammenhängender Knochenbälkchen, welche Lücken von er- heblicher Grösse zwischen sich lassen, die mit einem weichen gefässhaltigen Ge- webe ausgefüllt sind. Diese Balken des netzförmigen Knochengewebes haben nie eine lamellöse, sondern ausschliesslich eine fasrige Structur und enthalten eine Anzahl unregelmässig vertheilter Knochenkörperchen eingeschlossen. Es ist dies dasselbe Gewebe, welches Gegenbaur für die Knochenbildung der Schädel- deckknochen mit dem Namen des Wurzelstocks bezeichnete. Die Lücken dieses netzförmigen Knochengewebes finden sich nun mit Osteoblastenzellen eingesäumt, und durch deren Thätigkeit erfolgt bereits in den ersten Fötalmonaten die Aus- füllung der Lücken durch lamellöses Knochengewebe Kassowitz behauptet nun, dass dieses Balkenwerk des netzförmigen Knochengewebes durch Metaplasie aus fibrillärem Bindegewebe entstehe, und ich setzte dieser Behauptung keinen Widerspruch entgegen. Ich hatte selbst in meiner Arbeit über die Osteoblasten- theorie angegeben, dass bei der Knochenbildung auf bindegewebiger Grundlage ein Netzwerk Sharpey’scher Fasern das erste Stützgerüst bildet, auf welchem die Osteoblastenzellen das lamellöse Knochengewebe ablagern, und sehe in der Darstellung von Kassowitz wohl eine Erweiterung dieser Angabe, jedoch keinen prineipiellen Widerspruch. Wenn Kassowitz alsdann angiebt, dass er die letzten Reste dieses gellechtartigen Knochengewebes noch an der Rippe eines dreijährigen Kindes aufgefunden habe, so bin ich aus Mangel an geeignetem Sueal bisher nicht im der Lage gewesen, diese Angabe zu prüfen. In dem zweiten Punkte der metaplastischen Bindegewebsossification an den Insertionsstellen der Sehnen während der ganzen Dauer des Knochenwachsthums 1 Ueber den Abfall der Geweihe und seine Aehnlichkeit mit dem cariösen Process. Dies Archiv. 1361. 8. 743 sowie 1862. 8. 70. N [0 6) OT PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. kann ich dagegen Kassowitz in keiner Weise beistimmen. Die periostale Knochenbildung ist an den Insertionsstellen der Sehnen keine andere als an den sehnenfreien Stellen des Periosts. Hier wie dort ist sie, abgesehen von der ersten Zeit der Bildung, Osteoblastenossification. Die Insertionsstellen der Sehnen haben nur insofern etwas Eigenthümliches, als die zahlreichen Sehnenfasern, welche das Periost senkrecht oder schräg durchsetzen und durch die feinen Oeffnungen der Oberfläche in den Knochen selbst hineintreten, miteingeschlossen werden in das durch Osteoblastenzellen gebildete Knochengewebe und innerhalb desselben als eine auffallend grosse Zahl Sharpey’scher Fasern fortexistiren. Das ist die einzige Eigenthümlichkeit, welche ich den Insertionsstellen der Sehnen zu- zugestehen vermag. Es zeigt sich das bei dem normalen Wachsthum, wo die- jenigen Stellen des Knochens, welche den Sehnen zur Insertion dienen, dieselbe lamellöse Beschaffenheit zeigen wie die anderen Stellen der Knochenoberfläche, ein Umstand, der doch, wie Kassowitz selbst zugiebt, stets für Osteoblasten- ossification spricht. Es zeigt sich das ferner bei den entzündlichen periostalen Auflagerungen, bei denen sich die Insertionsstellen der Sehnen in keiner Weise von den sehnenfreien Stellen der Knochenoberfläche unterscheiden. Alsdann behauptet Kassowitz noch für eine dritte- Stelle metaplastische Bindegewebsossification und zwar für die periostalen Auflagerungen von Knochen- sewebe bei der Callusbildung. Was den thatsächlichen Befund betrifft, so bin ich mit Kassowitz vollkommen einverstanden, und habe im Jahre 1877! von den Auflagerungen periostaler Knochenmassen bei der Ostitis genau dieselbe Be- schreibung gegeben, wie sie Kassowitz für die periostalen Auflagerungen bei der Callusbildung giebt. Es bildet sich nämlich in dem entzündeten Periost ein Netzwerk feiner Knochenbälkchen, welche eine grosse Anzahl von Lücken zwischen sich lassen. Diese Lücken sind alsdann mit einem Osteoblastenbelag ausgekleidet, welcher dieselben durch Ablagerung geschichteten Knochengewebes allmählich verengt. Kassowitz bestreitet in keimer Weise diese Thätigkeit der Osteoblastenzellen in Bezug auf die Verengerung der Lücken, behauptet jedoch, die Knochenbälkchen, welche die Grundlage dieses Gewebes bilden, entstünden nicht durch Osteoblastenthätigkeit, sondern durch metaplastische Bindegewebs- ossification. Ich kann dem nicht beistimmen. Die ganze knochenbildende Fähig- keit des Periosts, welche dasselbe anderen bindegewebigen Membranen gegenüber so auffallend unterscheidet, beruht, wie oben ausführlich motivirt wurde, auf seinem Gehalt an Osteoblastenzellen, die eben den anderen bindegewebigen Mem- branen fehlen, und desshalb müssen wir auch nicht nur die Ausfüllung der ‚Lücken mit geschichtetem Knochengewebe auf Osteoblastenthätigkeit beziehen, sondern auch die Bildung des netzförmigen Knochengewebes selbst, sonst müssten wir er- warten, in jeder bindegewebigen Membran, Fascie u. s. w. unter dem Einfluss der Entzündung geflechtartiges Knochengewebe entstehen zu sehen. Da dem nun aber nicht so ist, so sind wir gezwungen, auch die Bildung der ersten Knochenbälkchen in dem entzündeten Periost auf Osteoblastenzellen zurückzu- führen, wenngleich, wie ich gerne zugebe, durch das mikroskopische Bild diese Entstehungsweise nicht so deutlich zu erkennen ist, als bei der Ausfüllung der Maschen durch lamellöses Knochengewebe. Und nun komme ich zu der Frage, was ist die Osteoblastenzelle und wo " Die Knochenbildung und Resorption beim wachsenden und entzündeten Knochen- Langenbeck’s Archiv für klin. Chemie. Bd. XXI. 8. 118. 186 VERHANDLUNGEN DER BERLINER kommt sie her? Die Antwort auf diese Frage lässt sich nur geben auf dem Boden der Descendenztheorie. Die Ansicht, dass die Gesammtheit der Thiere eine in sich geschlossene Gruppe bildet, welche von den niedersten Organismen durch allmähliche Umwandlung mit fortschreitender Vervollkommnung in con- tinuirlicher Reihe emporsteigend sich bis zu den höchstentwickelten Organismen erhebt, ist weit davon entfernt, neu zu sein. Bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts fasste Charles Bonnet diesen Gedanken in die Worte zusammen: L’echelle des ötres ne forme qu’une seule ligne continue, doch basirte seine Be- sründung dieses Satzes nur auf äusserlichen, für die innere Organisation in keiner Weise maassgebenden Verhältnissen. Ganz im Anfange dieses Jahrhunderts trat dann Lamarck,! ausgerüstet mit allen anatomischen und zoologischen Kennt- nissen seiner Zeit, gleichfalls dafür ein, dass sich die höher organisirten Thiere durch allmähliche Entwickelung aus den tiefer stehenden herausgebildet hätten, doch gelang es damals seinem grossen Gegner Cuvier, der Ausbreitung dieser Lehre hindernd in den Weg zu treten. Seit jener Zeit ist jedoch dieser Gedanke nie mehr ganz aus der Wissenschaft geschwunden, sondern er hat stets mehr oder weniger bedeutende Vertreter gefunden. Da dieselben jedoch nicht im Stande waren anzugeben, welche Gründe die Fortentwickelung der niederen Organismen zu den höheren bedingten und herbeiführten, so blieben sie in der Minderheit und die Cuvier’sche Tradition von der Unveränderlichkeit der Species be- herrschte die Wissenschaft. Fast mit einem Schlage änderte sich diese Lage der Dinge als Darwin in seinem berühmten Buche: „On the origin of species by means of natural selection or the preservation of favoured races in the struggle tor life“ im Jahre 1859 diese inneren Kräfte in dem Struggle for life und der daraus resultirenden Natural selection nachwies und damit die Descendenzlehre causal begründete. Seitdem hat diese Lehre so bedeutende Fortschritte gemacht, dass jetzt wohl nur noch wenige Forscher sich derselben vollkommen zu ent- ziehen vermögen. — Die Reihe der continuirlichen Entwickelung ist nun freilich nicht in gerader Linie vor sich gegangen, sondern mit vielen Gabelungen und Abzweigungen, welche auch jetzt noch den Versuch, einen Stammbaum von der Wurzel bis zur Spitze zu entwerfen, als ein überaus gefährliches Wagniss er- scheinen lassen. Viel leichter jedoch ist es diesen Weg rückwärts zu verfolgen bis zu der gemeinsamen Wurzel alles thierischen Lebens und als dieselbe das formlose belebte Protoplasma, die Sarkode zu bezeichnen. Jeder Theil ist hier nach dem anderen gleichwerthig, die Functionen sind noch an keine besonderen Organe gebunden, und ebensowenig bietet die Körpermasse irgend welche An- deutung verschiedener Gewebe dar. Aus dieser gemeinsamen Stammform des thierischen Lebens findet nun die fortschreitende Vervollkommnung statt nach dem Gesetz der Theilung der Arbeit, wie es Milne Edwards genannt hat, oder der fortschreitenden Differenzirung, wie es Bronn bezeichnete. Die homo- gene Leibesmasse des Protoplasma sondert sich in verschiedene Theile, die einander nicht mehr gleichwerthig sind, sondern von denen die einen nur der Circulation, die anderen nur der Respiration, die dritten nur der Digestion, die vierten nur der Locomotion u. s. w. dienen. Je weiter diese Trennung sich ausbildet, um so entwickelter ist das Thier, um so höher steht es in der auf continuirlicher Entwickelung beruhenden Thierreihe. ! Philosophie zoologique. Paris 1809. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. BuschH. 187 Diese Auffassung steht, soweit sie die Organe betrifit, augenblicklich wohl bereits ohne Widerspruch da. Merkwürdigerweise hat sich dieselbe aber bisher kaum auf die ersten Grundlagen des Thierkörpers übertragen, nämlich auf die Gewebe, und doch liegt es auf der Hand, dass höher differenzirte Organe nur gebildet werden können durch höher differenzirte Gewebe. Das ursprüngliche Protoplasma konnte sich nie zu getrennten Organen gruppiren, die Vorbedingung dazu war eben, dass sich das Protoplasma zuerst in bestimmte, von einander verschiedene Gewebe differenzirte, erst dadurch wurde es fähig, differenzirte Organe zu bilden. Diese Differenzirung des ursprünglichen Protoplasma’s in bestimmt charakteri- sirte und von einander verschiedene Gewebe lässt nun bereits bei sehr tiefstehenden Organismen vier Gruppen unterscheiden, und diese sind: das Epithel, die Binde- substanz, das Nervengewebe und das Muskelgewebe. Es ist jedoch zweifelhaft, ob zu diesen vier Gruppen nicht noch als fünfte die Blutzellen hinzutreten, deren Unterbringung in einer der anderen Gruppen nach der bisherigen unvoll- kommenen Kenntniss über die Enstehung derselben kaum möglich sein dürfte. Es ist nun, wie mir scheint, keine gewagte Hypothese, anzunehmen, dass diese Gewebsgruppen in der aufsteigenden phylogenetischen Reihe getrennt bleiben, dass also eine Zelle, welche auf einer gewissen Höhe der Entwickelung die deutlichen Charaktere einer Muskelzelle angenommen hat, in der fortschreitenden Reihe nicht mehr in eine andere Gruppe übergeht, sondern innerhalb der Grenzen ihrer Gewebsgruppe beharrt. Es liegt diese Auffassung von der Trennung der Ge- websgruppen eigentlich bereits implieite in der Lehre von der Trennung und höheren Differenzirung der Organe enthalten. Wer z. B. die Entwickelung des Gehirns durch die Thierreihe verfolgt, der dürfte sich kaum der Auffassung ver- schliessen können, dass die grössere Hirnmasse der höheren Thierformen hervor- gegangen ist aus einer Vermehrung der den niederen 'Thierformen zugehörigen Ganglienzellen und nicht etwa dadurch, dass mit zunehmender Entwickelung von dem bindegewebigen Stützgerüst, der Neuroglia neue Ganglienzellen der Hirn- masse hinzugefügt sind. Wer überhaupt nicht auf dem Boden der Descendenz- lehre steht, für den hat allerdings, wie ich bereitwilligst zugebe, diese Hypothese nichts Zwingendes. Mit der Differenzirung der vier Gewebsgruppen ist jedoch nur die Grund- lage gegeben, auf welcher sich weiter fortschreitende Differenzirungen vollziehen. Ich übergehe hierbei die drei Gewebsgruppen des Epithels, des Muskelgewebes und des Nervengewebes, und beschränke mich in den weiteren Auseinander- setzungen nur auf die Bindesubstanz. Die niederste Form, unter welcher uns dieselbe in dem Thierreiche entgegentritt, ist das Schleimgewebe, gebildet aus einer Anzahl sternförmiger Zellen in homogener schleimiger Grundsubstanz, und das zellige oder blasige Bindegewebe, bei welchem bläschenförmige Zellen dicht aneinander liegen, ohne durch irgend welche Grundsubstanz getrennt zu sein. Als weitere Fortbildung erscheint dann das fibrilläre Bindegewebe mit spindel- oder sternförmigen Zellen in einer aus leimgebenden Fibrillen bestehenden Grund- substanz. Als nächste Stufe erscheint das Knorpelgewebe, bei welchem in einer chondringebenden, resistenten Grundsubstanz Zellen enthalten sind, die entweder Sternform haben wie im Schleimgewebe, oder runde und ovale Formen zeigen. Die Form des Knorpelgewebes mit sternförmig verästelten Zellen ist die höchste Form, in welcher sich die Bindesubstanz bei den Wirbellosen zeigt, und zwar sind es nur die höchstentwickelten Mollusken: die Cephalopoden, welche dieses 188 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Gewebe in ihrem Kopfskelet darbieten, doch kommt bei niederen Mollusken, z. B. im Mantel der Tunicaten, öfter ein Gewebe vor, welches, wie Leydig hervor- hebt, zwischen Schleimgewebe und Knorpelgewebe in der Mitte steht, und dadurch die nahe Verwandtschaft dieser beiden Gewebe documentirt, ein Verhalten, welches bekanntlich auch in der menschlichen Pathologie klar hervortritt. In den niedersten Formen der jetzt lebenden Wirbelthiere tritt nun zuerst das Knorpelgewebe viel mehr in den Vordergrund, ja ich glaube zu dem Aus- spruche berechtigt zu sein, dass Wirbelthiere erst entstehen konnten, als sich die Bindesubstanz zur Höhe des Knorpelgewebes erhoben hatte, denn eine der niederen Formen der Bindesubstanz war in keiner Weise befähigt, Wirbel zu bilden. Erst durch die Erhebung der Bindesubstanz zur Höhe des Knorpel- gewebes und die Fortbildung des Knorpelgewebes zum Knochengewebe entstanden die Gewebe, welche zur inneren Skeletbildung geeignet waren. In der niedersten Klasse der Wirbelthiere, bei den Fischen, findet sich nun das Knorpelgewebe viel ausgedehnter zum Aufbau des inneren Skelets verwandt, als in einer der höheren Klassen, jedoch treten bereits in dieser Klasse zwei Gewebe auf, welche als höhere Stufen der Ausbildung der Bindesubstanz be- trachtet werden müssen, nämlich das Knochengewebe und die Dentine Es ist jedoch charakteristisch, und wie ich glaube, von Bedeutung für die Richtigkeit dieser Auffassung von der phylogenetischen Entwickelung der Bindesubstanz, dass diese beiden neuen Gewebe zuerst in einer Form erscheinen, welche sie deutlich als die unvollkommene Vorstufe derselben in den höheren Wirbelthierklassen auftretenden Gewebe erkennen lässt. Wir verdanken Kölliker! sehr genaue Untersuchungen über das Knochengewebe der Fische, und dieselben haben er- geben, dass eine grosse Anzahl Genera der Knochenfische keine Knochenkörperchen in ihrer Skeletsubstanz enthalten (weder sternförmige noch spindelförmige), und dass sie daher kein wirkliches Knochengewebe besitzen. Es zeigte sich ferner, dass die meisten hochorganisirten Fische Knochenkörperchen hatten, und Kölliker betrachtet daher das knochenkörperchenfreie „osteoide‘“ Gewebe als eine niedrigere Vorstufe des eigentlichen, mit Knochenkörperchen ausgestatteten Knochengewebes. Er hebt ferner hervor, dass in den höheren Klassen der Wirbelthiere ein Mangel der Knochenkörperchen nicht mehr vorkommt, da selbst die niedersten derselben, die Perennibranchiaten, wirkliches Knochengewebe besitzen. In den niederen Ab- theilungen der Fische kommen zahlreiche Verschiedenheiten des Knochengewebes vor. Bei den Leptocephalidae sind die Knochen eine ganz structurlose homogene Masse, bei anderen haben sie ein eigenthümliches fibröses Ansehen und bestehen aus einem Gemisch von Knorpel und osteoidem Gewebe, wie Quekett zuerst zeigte bei den Genera Orthagoriscus und Lophius, zu welchen Kölliker einige Ballistini hinzufügt. Aber im der grossen Mehrzahl der Abzweigungen dieser Gruppe enthalten die Knochen eigenthümliche Röhren, welche den Dentinröhren mehr oder weniger ähnlich sind. Wenn diese Röhren gut entwickelt sind, dann erreichen die Knochen eine Structur, die in keiner Weise von Dentine unter- schieden werden kann, eine Thatsache, welche auch dem Scharfsinne von Quekett nicht entgangen ist, welcher ihr Vorkommen erwähnt in dem Genus Fistularia (Sphyraena. baracuda und Belone vulgaris). Kölliker fand dieselbe Structur auch bei anderen Genera dieser Gruppe, besonders unter den Plektognathen, ! On the different types of the mieroscopie structure of the skeleton of osseous fishes. Proceedings of the Royal Society. Febr. 24, 1859. p. 656—668. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. 159 Pharyngognathen, Sparidae und Squamipennes, aber in der grösseren Zahl ist diese röhrenförmige Structur nicht so gut entwickelt, und ist untermischt mit nahezu structurlosen Stellen. Kölliker dehnte seime Untersuchungen auch aus auf die Hartgebilde in der Haut der Fische, sowie die Strahlen der Flossen, und fand dieselben Ver- hältnisse, welche in dem Endoskeleton vertreten waren, auch in dem Exoskeleton vorfanden. Es zeigte sich das besonders in den Flossen, deren Strahlen bei allen den Abtheilungen Knochenkörperchen enthielten, bei welchen die inneren Knochen damit versehen waren, während in den anderen Fällen diese Strahlen sebildet waren von einer homogenen osteoiden Substanz, oder von einem röhren- förmigen Gewebe, welches in manchen Fällen die Structur wahrer Dentine an- nahm, wie bei vielen Plektognathen und gewissen Akanthopterygii. In Bezug auf die Haut der Fische spricht er sich dahin aus, dass kein Fisch, dessen Endoskeleton der Knochenkörperchen entbehrt, dieselben m den Hartgebilden seiner Haut enthält, dass aber auf der anderen Seite diejenigen Abtheilungen, welche wirkliches Knochengewebe in dem Endoskeleton enthalten, dasselbe in keiner Weise stets in der Haut darbieten. Kölliker fügt dann noch hinzu, dass auch noch eine dritte Gruppe von Fischen existirt, bei denen das Endoskeleton nur aus gewöhnlichem Knorpel zusammengesetzt ist, oder aus Knorpel mit Ablagerung von Erdsalzen, wie bei den Cyklostomen und Selachiern. Keine von diesen Fischen, nicht einmal die Plagiostomen und Chimaera, besitzen wirkliche Knochenzellen in ihren harten Theilen, denn diese werden gebildet, wie J. Müller schon vor vielen Jahren zeigte, durch verknöcherten Knorpel, d. i. Knorpelzellen in einem verknöcherten Grundgewebe. Selbst die harten Strahlen der Flossen und der Haut dieser Thiere sind nicht wirkliche Knochen, sondern Dentine, wie seit langer Zeit von Agassiz und Quekett gezeigt wurde (S. 667). Für Jeden, der sich der Descendenzlehre nicht vollkommen verschliesst, liegt in diesen Befunden, wie ich glaube, der Beweis, dass es sich in der Klasse der Fische um die Fortbildung der niederen Formen der Bindesubstanz, des fibrillären Bindegewebes und des Knorpels, in die höheren Stufen des Knochen- gewebes und der Dentine handelt. Die neuen Gewebe treten jedoch noch nicht scharf ausgeprägt und deutlich von einander gesondert auf, sie sind vielfach noch auf unvollkommenen Vorstufen stehen geblieben und mit einander vermischt. Die Dentine hat noch einen wesentlichen Antheil an der Skeletbildung, und ist noch in keiner Weise auf die Zähne beschränkt. Andererseits ist aber auch das Knochengewebe vielfach zur Zahnbildung verwandt. So entsteht ein Misch- sewebe, welches von R. Owen mit den Namen der Osteodentine bezeichnet wurde. Auch gefässhaltige Dentine (vasodentine) findet sich vielfach in den Zähnen der Fische. Ueber das Knochengewebe der Amphibien und Reptilien liegen, soweit meine Kenntniss der einschlägigen Literatur reicht, keine in grossem Maassstabe aus- geführten vergleichenden histologischen Untersuchungen vor, was um so be- dauerlicher ist, als sich in diesen Klassen die Trennung von Knochengewebe und Dentine vollzieht. Bei Klebs! findet sich die kurze Mittheilung, dass bei ! Beobachtungen und Versuche über Cretinismus. Archiv für experimentelle Pathologie. 1874. Bd. II. S. 434. 190 VERHANDLUNGEN DER BERLINER den Reptilien die gesammte Knochenbildung auf Knorpelmetaplasie beruhe, doch ist in keiner Weise hinzugefügt, auf welchen Beobachtungen diese Mittheilung begründet ist. Bei den Säugethieren ist Knochengewebe und Dentine vollkommen scharf getrennt, reines und typisch durchbildetes Knochengewebe mit regel- mässig vertheilten Knochenkörperchen und deutlicher Scheidung der Grundsubstanz in Lamellensysteme, bildet, abgesehen von den ersten Jugendzuständen, die ge- sammte Skeletsubstanz, und die ebenso typisch durchbildete gefässlose Dentine ist auf die Zähne beschränkt, deren hauptsächlichstes Constituens sie darstellt. Diese typische Durchbildung und gegenseitige scharfe Absonderung der beiden Gewebe, die in ihrem ersten Auftreten einander so ähnlich und mit ein- ander vermischt waren, kommt nun, wie ich glaube annehmen zu dürfen, dadurch zu Stande, dass die Zellen, welche diese Gewebe bilden, einen hohen Grad von Ausbildung und Selbständigkeit erlangt haben. Nach dem Prineip der Theilung der Arbeit und der dadurch bedingten Specifieirung hat sich aus den niederen Formen der Bindesubstanz eine Zelle herausgebildet, welche die ausschliessliche Fähigkeit der Knochenbildung erlangt hat, und diese Zelle ist es, welcher wir mit Recht den Namen der Osteoblastenzelle zuertheilen können. Auf demselben Wege ist eine andere Zelle entstanden, welche sich zur Fähigkeit der Dentine- bildung erhoben hat, und das ist die Odontoblastenzelle oder Dentinezelle. Beide heben sich desshalb nicht aus der Gruppe der Bindesubstanz heraus, sie gehören auch jetzt noch der Gewebsgruppe an, innerhalb deren sie sich hervorgebildet haben, sie sind eben nur die äussersten Spitzen, bis zu welchen sich die Binde- substanz an Ausbildung und dementsprechend an Specificirung erhoben hat. Die Dentinezelle ist jedoch auf diesem Wege weiter vorgeschritten, ihre Selbst- ständigkeit geht soweit, dass sie sowohl unter normalen wie unter pathologischen Verhältnissen beim Menschen kein anderes Gewebe bildet, als Dentine, sowie Dentine andererseits beim Menschen nie auf andere Weise entsteht als durch Odontoblastenbildung.! Die Osteoblastenzelle hat diesen höchsten Grad eigener Selbständigkeit nicht erreicht. In ihrer ungestörten Thätigkeit bildet sie allerdings ausschliesslich das ihr zugehörige Gewebe: die reine, exquisit lamellöse Knochensubstanz; wird sie jedoch durch äussere Einwirkungen wie Druck und Reibung, oder irgend welche andere Verhältnisse, welche ihre Proliferation wesentlich beschleunigen, zu er- höhter Thätigkeit gereizt, so fleetirt sie, geht auf ihr phylogenetisches Vorstadium zurück, und bildet das Gewebe, welches wir als periostalen Knorpel kennen ge- lernt haben. Dieses Gewebe, welches histologisch vollkommen die Charaktere des Hyalinknorpels darbietet, bewahrt aber doch noch eine viel nähere Beziehung zur Knochenbildung, als es gewöhnlicher Knorpel thut, und so sehen wir denn, dass dieser periostale Knorpel die metaplastische Umwandlung in Knochengewebe schnell und leicht vollzieht, zu welcher der gewöhnliche Knorpel der höheren Säugethiere und des Menschen schwer, wenn überhaupt fähig ist. Nachdem ich somit die Entstehung der Osteoblastenzelle auf dem Wege der Phylogenie verfolgt habe, handelt es sich nun um den Nachweis ihrer Ent- stehung auf dem Wege der Ontogenie des Menschen. Der Satz, dass die Onto- ! Siehe die betreffenden Angaben darüber in meinem Vertrag: Zur weiteren Be- sründung der Osteoblastentheorie in diesen Verhandlungen, 28. Februar 1879. Dies Archiv, 1879. 8. 191. — [Wie leicht erhellt, ist der Bericht über diese Sitzung mit dem falschen Datum des 14. Februars überschrieben. Red.] PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. 191 genie eine kurze Recapitulation der Phylogenie ist, reicht fast ebenso weit zurück, wie die Descendenzlehre selbst. So lange man sich die Descendenz in Form einer geraden Linie dachte, suchte man nachzuweisen, dass der menschliche Embryo durch die Stadien aller niederen Thiergruppen hindurchwandere, bis er sich zu seiner menschlichen Höhe erhebt. Diese Auffassung, welche sich noch inSerres’s Preeis d’anatomie transcendante appliquee ala physiologie, Paris 1842, vorfindet, gehörte durchaus der Kindheit der neuen Wissenschaft an und ist all- seitig verlassen. Dennoch aber bleiben Ontogenie und Phylogenie zwei parallele Reihen, indem sie beide die Entwicklung eines hochausgebildeten Organismus aus einer einfachen Zelle darstellen und ferner dadurch, dass sich in der Onto- senie eine Anzahl von Momenten wiederfinden, welche in der Phylogenie des betreffenden Stammes vorhergegangen waren. Ich erinnere in dieser Beziehung nur an den durch Huxley geführten Nachweis, dass viele Vögel im Verlauf ihrer ontogenetischen Entwicklung deutliche Schwanzbildungen erkennen lassen als Andeutung ihrer Abstammung von geschwänzten Vorfahren (Archaeopteryx). Auch in der Ontogenie des Menschen vollzieht sich die Ausbildung so, dass sich aus dem Material der indifferenten Bildungszellen die vier grossen Gewebs- gruppen: Epithel, Bindesubstanz, Muskelgewebe und Nervengewebe herausbilden. Auch hier spricht Alles dafür, dass diese Gewebsgruppen constant bleiben, d. h. dass eine Zelle, welche einmal die deutlichen Charaktere der einen Gruppe an- senommen hat, nicht mehr die Grenzen dieser Gruppe überschreitet; auch hier sehen wir ferner innerhalb der Gruppen und speciell in der uns hier besonders interessirenden Gruppe der Bindesubstanz unter dem Einfluss der Vererbung eine fortschreitende Differenzirung zu höheren Formen, welche zur Ausbildung der Osteoblastenzelle und der Odontoblastenzelle führt. Beide Zellarten gehen aus den tieferstehenden bindegewebigen Zellen durch Metaplasie hervor. Sind sie aber einmal entstanden, so bewahren sie ihre Selbständigkeit und pflanzen die ihnen innewohnenden Fähigkeiten auf ihre durch Theilung hervorgehende Nach- kommenschaft fort. Ob die Fötalzeit die einzige Zeit ist, in welcher die Heran- bildung einer tieferstehenden bindegewebigen Zelle zur Odontoblastenzelle und besonders zur Osteoblastenzelle geschieht, oder ob auch in der nachfötalen Zeit, z. B. bei den spät verknöchernden Knorpelanlagen (Patella, alle Hand- und fünf Fusswurzelknochen und die Sesambeine) sich die Ausbildung der Osteoblasten- zellen aus tieferstehenden bindegewebigen Zellen vollzieht, das mag, wie ich bereitwillig zugebe, Gegenstand der Discussion sein; als feststehende Thatsache betrachte ich es dagegen, dass sich die Ausbildung der Osteoblastenzellen aus den niederen Zellformen zum bei Weitem grössten Theile in der Fötalzeit voll- zieht. Ebenso bestreite ich nicht, dass unter pathologischen Verhältnissen auch bisweilen aus tieferstehenden Formen der Bindesubstanz eine Herausbildung von Osteoblastenzellen zu Stande kommen kann, die dann zur Entstehung wirklichen lamellösen Knochengewebes Veranlassung seben. Die grosse Seltenheit dieses Vorkommens, so wie der Umstand, dass wir dasselbe in keiner Weise durch das Experiment nachmachen können, beweist jedoch, dass es sich hier um ganz ex- ceptionelle uns in ihren Grundzügen noch unbekannte Processe handelt. Ganz besonders aber habe ich bereits früher hervorgehoben, dass die Osteoblastenzelle selbst flexionsfähig bleibt. Sir flectirt von ihrer Höhe der Durchbildung, wenn sie, wie bereits oben ausgeführt wurde, den periostalen Knorpel bildet, sie flectirt aber noch viel weiter unter dem Einfluss der malignen Tumorbildung. Die Bildung der malignen Tumoren ist ein Process, welcher die Gesetze 192 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der physiologischen Gewebsbildung auf’s Tiefste erschüttert. Wir wissen auch nicht entfernt, was diese Bildung bedingt und jeder Versuch maligne Tumoren experimentell an Thieren hervorzurufen, ist bisher vollkommen gescheitert. Viel- leicht verbreitet die Cohnheim’sche Hypothese der Tumorbildung aus restiren- den fötalen Gewebskeimen einiges Licht in dieser Dunkelheit, doch ist hier nicht der Ort, ausführlich auf diese Hypothese einzugehen. Ich brauche wohl kaum hervorzuheben, dass ich nur vom Carcinom und den verschiedenen Formen des Sarcoms spreche, da der Tuberkel längst von dem Gebiete der Tumoren ent- fernt und den Entzündungen zugesellt ist. So regellos aber auch diese Bil- dungen sind und so sehr sie von Allem abweichen, was uns die normale Ge- websbildung zeigt, so scheint doch auch noch für sie das Gesetz von der Tren- nung der vier grossen Gewebsgruppen zu gelten, ja dieses Gesetz ist eigen- thümlicherweise gerade unter diesen ungünstigsten aller Verhältnisse beim Car- cinom zuerst von Robert Remak! und später von Thiersch? für Epithel und Bindesubstanz aufgestellt. Auch auf diesem regellosesten aller Gebiete der Gewebsbildung scheint sich dieses Gesetz trotz der heftigen Angriffe, die dasselbe erfahren hat, zu bewähren, wenigstens ist das Gegentheil bisher in keiner Weise erwiesen. Besonders möchte ich hier noch darauf aufmerksam machen, dass die mikroskopische Erkenntniss einer Epithelzelle jetzt lange nicht mehr so ein- fach ist wie früher. Wo man früher abgeplattete polyedrische Zellen fand, da erklärte man dieselben ohne Bedenken für Epithelzellen. Das hat aber aufge- hört, seitdem man eine Menge Zellen unzweifelhaften bindegewebigen Charakters kennen gelernt hat, welche gleichfalls die abgeplattete polyedrische Form dar- bieten. Es sind dies vor allen Dingen die gesammten Endothelzellen, welche die Innenfläche des ganzen Gefässgebietes, der serösen Höhlen, der Gelenke und der Schleimbeutel auskleiden; es sind das ferner die sogenannten epithelioiden . Zellen, wie sie im Tuberkel und bei der Thrombusorganisation gefunden wurden, und es sind endlich drittens die Osteoblastenzellen selbst, deren epitheliale Form und Anordnung in den Knochenhöhlen, welche sie auskleiden, nichts zu wün- schen übrig lässt. Dementsprechend ist die mikroskopische Careinom-Diagnose sehr viel schwieriger geworden. Wenn man früher in einem Tumor, der sich durch seinen klinischen Verlauf als bösartig herausgestellt hatte, abgeplattete polyedrische Zellen fand, so erklärte man denselben für Careinom. Jetzt ist man zu diesem Ausspruch erst berechtigt, wenn Form und Anordnung dieser Zellen an ihrer epithelialen Natur keinen Zweifel lassen, und oft wird es nicht möglich sein, mit Sicherheit die Entscheidung zu treffen. Innerhalb der vier grossen Gewebsgruppen vermischen sich nun bei der malignen Tumorbildung fast alle Unterschiede. Jede Epithelzelle ist im Stande dieselbe functionslose hinfällige carcinomatöse Epithelzelle zu bilden. Leberzelle, Nierenzelle, Speichelzelle, sowie jede andere secernirende oder nicht secernirende Epithelzelle, sie alle geben die Fähigkeit der ihnen zugehörigen Function auf und bilden dasselbe epitheliale Gebilde, aus welchem sich das Careinom zusam- mensetzt. In gleicher Weise flectirt nun auch die Osteoblastenzelle, nicht für das Carcinom, dessen primäres Vorkommen im Knochen, wenn es überhaupt als er- wiesen zu betrachten sein sollte, jedenfalls eine extreme Seltenheit bildet, son- ! Beiträge zur Entwickelung der krebshaften Geschwülste. Deutsche Klinik. 1854. S. 170. ? Der Epithelialkrebs, namentlich der Haut. Leipzig 1865. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. Busch. — LUCAE. 193 dern für das Sarcom. Periostale und myelogene Sarcome sind der Hauptsache nach wohl unzweifelhaft Wucherungsproducte der Östeoblastenzellen, als welche sie sich auch durch das so häufig in ihnen enthaltene knöcherne Gerüst in deutlichster Weise documentiren. Dass. die Speecificität der Osteoblastenzelle dem mächtigen Anprall der malignen Tumorbildung gegenüber nicht Stand hält, hat wahrlich nichts Ueberraschendes, wenn man bedenkt, dass dieselben Ver- hältnisse sogar alle Differenzen, welche zwischen den verschiedenen Epithelien bestehen, auslöschen und sie alle zu demselben Proliferationsproduet herabzwängen. Die Specificität der Osteoblastenzelle ist daher, wie ich das schon in meinem früheren Vortrag in dieser Gesellschaft vom 28. Februar 1879 hervorgehoben habe, weder für normale noch für pathologische Verhältnisse eine absolute, die Osteoblastenzelle ist flexionsfähig während des ganzen Lebens des Individuums, welchem sie angehört, aber es gehören intensive Einwirkungen dazu, um sie von ihrem strieten Wege abzulenken und sie zur Bildung eines anderen Gewebes zu veranlassen als des ihr eigenthümlichst zugehörigen: der typischen, von regel- mässigen Lamellensystemen gebildeten, mit sternförmigen Knochenkörperchen in regelmässigen Abständen durchsetzten Knochensubstanz, und dieses Gewebe ent- steht auch nie auf andere Weise als durch die Bildung der Osteoblastenzellen! VII. Sitzung am 11. Februar 1881.' 1. Hr. Lucas spricht: „Ueber optischen Schwindel bei Druck- erhöhung im Ohr“. Der Vortragende berichtet über eigenthümliche Schwindelerscheinungen, welche er seit einer Reihe von Monaten wiederholt an einigen Ohrenkranken beobachtet hat. Es soll hier ausdrücklich abgesehen werden von jenen bekannten allge- meinen Schwindelerscheinungen, welche bei der verschiedenartigsten Reizung des Gehörorgans auftreten, und nur von eigenthümlichen, namentlich optischen Schwindelerscheinungen die Rede sein, welche der Vortragende bei Trommel- felldefecten und vollkommen freier Tuba Eust. durch plötzlich gesteigerten Luftdruck vom äusseren Gehörgang aus hervorgerufen hat. Es geschah dies bei Anwendung der sogenannten Gehörgangs-Luftdouche, welche der Vortragende vor längerer Zeit bei Ohreiterungen mit Perforation des Trommelfells zu diag- nostischen und therapeutischen Zwecken empfohlen, unter Benutzung eines kleinen Gummiballons, dessen olivenförmiges vorher mit Wasser benetztes Ohrstück luftdiceht in den äusseren Gehörgang eingesetzt wird.” Bei Compression des Ballons, mit welchem man, nach Messung an einem durch ein Seitenrohr mit dem Ohrstück verbundenem Quecksilber-Manometer, den Druck auf 0-8 Atmo- sphären steigern kann, hört man bei Trommelfelldefect und freier Tuba die Luft mit brodelndem Geräusch in den Schlund entweichen, wobei die durch die plötz- ! Ausgegeben am 18. Februar 1881. 2 ” Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XII. S. 204. Archiv f.A.u.Ph. 1881. Physiol. Abthig. 13 194 VERHANDLUNGEN 'DER BERLINER liche Druckschwankung gehobene Quecksilbersäule sofort wieder in die Gleich- gewichtslage zurückfällt. Der Vortragende betont, dass er bei fünfjähriger Anwendung dieses Ver- -fahrens in zahlreichen Fällen von Öhreiterung mit Perforation des Trommelfells und starker Schwellung der Paukenschleimhaut niemals die gleich zu schil- ‚dernden Schwindelerscheinungen beobachtet hat. Ebensowenig traten dieselben ‘auf bei ohrgesunden und ohrenkranken Personen, wenn das Trommelfell in seiner Continuität vollkommen erhalten war; wohl aber bei emigen Kranken, denen entweder wegen Erkrankung des schallleitenden Apparates das vorher intaete Trommelfell mit oder ohne gleichzeitige Entfernung des Hammers vom Vortra- genden künstlich geöffnet worden, oder wo nach abgelaufener Eiterung ein Trom- melfelldefect zurückgeblieben war. Unter vier Patienten, von denen je zwei diesen beiden Kategorien angehörig, die optischen Schwindelerschemungen am deutlichsten zeigten, wurde am läng- sten — über fünf Monate — eine sehr reizbare, musikalische Dame beobachtet, bei welcher die genannte Trommelfell-Operation auf beiden Seiten vollzogen war. Unter Hinweglassung des pathologischen und therapeutischen Details soll hier bloss von den betreffenden Operationen und den physiologischen Beobachtungen die Rede sein. Es war in diesem Falle zunächst das linke Trommelfell sammt Hammer entfernt worden. Als nach acht Monaten unter partieller Vernarbung des Trom- melfells ein noch heute bestehender erbsengrosser Defect desselben zurückgehlieben war, wurde mit Hilfe des oben beschriebenen Apparates eine Drucksteigerung im linken äusseren Gehörgang vorgenommen. Bereits bei einem Ueberdruck von 0.1 Atmosphäre empfand die Kranke Schwindel und sah ihrer Angabe nach die Gegenstände im Zimmer sich von links nach rechts drehen. Auf der rechten Seite jedoch, wo das Trommelfell bisher unverletzt geblieben, hatte selbst die Anwendung stärkeren Druckes von 0-2—0-5 einen durchaus nega- tiven Erfolg; nachdem jedoch auch hier ein Stück Trommelfell ausgeschnitten war, traten ebenfalls die genannten Schwindelerscheinungen ein, jedoch unter gleichzeitiger scheinbarer Bewegung der Gegenstände von rechts nach links. Nachdem rechts eine vollständige Vernarbung des Trommelfells eingetreten, rief die Druckerhöhung im Ohre wiederum keinerlei Erscheinungen hervor; mit grosser Präcision jedoch traten dieselben wieder auf, nachdem eine abermalige Operation das Trommelfell mit Hammer entfernt hatte. Als eine reactive eitrige Entzün- dung der rechten Trommelhöhle Ausspritzen mit warmer Borsäurelösung er- heischte, traten ganz dieselben Schwindelerscheinungen mit Scheinbewegung der Gegenstände von rechts nach links auf. Die in dem genannten Falle geschilderten Druckversuche wurden zu therapeu- tischen Zwecken über zwölf Mal wiederholt, wobei mit grosser Gesetzmässigkeit mit Eintritt des Schwindels jedesmal eine Scheindrehung der Gegenstände von der ge- reizten zu der nicht gereizten Seite eintrat. Bei weiterer Beobachtung stellte sich ferner noch Folgendes heraus: Es trat dabei eine Verschleierung, ein „Schwarzwerden“ beider Augen, besonders des Auges der gereizten Seite, eine Verdunkelung des Sehfeldes ein; in schwachem Grade war dies schon bei Druck von 0-1 Atmosphäre Ueberdruck der Fall. Schloss die Patientin hierbei die Augen, so hatte sie keinen Schwindel, sondern nur Druck im Kopfe. Bei 0-2 Ueberdruck war die Drehung der Bilder lebhafter und länger anhaltend; beim Schluss der Augen PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LUCAF. 195 fühlte die Kranke ein Wogen im Kopf „über der Stirne“ und sah kleine gol- dene Sterne flimmern und tanzen. War hierbei das rechte Ohr dem Druck- versuch unterworfen, und betrachtete sie ihr eigenes Bild in einem grossen Spiegel, so sah sie dasselbe ebenfalls sich nach links drehen und fiel selbst nach links. Wurde das linke Ohr einem Drucke von 0:3 bis 0-4 Atmosphäre unter- worfen, so fiel sie beim Anblick ihres sich nach rechts drehenden Spiegelbildes nach rückwärts und rechts; unter bedeutend stärkerem Hervortreten der optischen Schwindelerscheinungen und „Verschleierungen beider Augen“ zeigt Patientin ausserdem sofort auftretende frequentere und tiefere, häufig durch Seufzen unterblrochene Athmung; die beiden Ohren sind ihr „dick“ und taub unter starkem Sausen; der Kopf ist ihr schwer wie Blei; beim Schluss der Augen Tanzen von Flammen und Sternen. Die genannten heftigen Erscheinungen lassen nach einer halben Stunde nach, aber noch drei Tage besteht Schwindel- gefühl, Schläfrigkeit und zeitweise Uebelkeit. Zu bemerken ist, dass mit Aus- nahme der beiden Spiegelversuche die Kranke keine objective Drehbewegung zeigte. Ferner sei hervorgehoben, dass die genannten Erscheinungen nicht immer sofort, sondern häufig erst bei Nachlass des Druckes eintraten, und dass letzteres besonders bei- Anwendung schwächeren Druckes der Fall war. Was die objective Beobachtung der Augen betrifft, so konnte nur zwei Mal bei dieser einen Patientin eine genaue Untersuchung der Augen vorgenommen werden; es stellte sich hierbei heraus, dass der Bulbus der gereizten Seite abducirt wurde, und war diese Erscheinung ganz besonders deutlich, als das linke Ohr einem Ueberdruck von 0-4 Atmosphäre ausgesetzt wurde. Diese objective Beobachtung gab Veranlassung, die subjective Drehbewegung der Gegenstände auf gekreuzte Doppelbilder zurückzuführen, und.gab auch die Kranke auf Befragen an, dass sie die Gegenstände allerdings doppelt sehe, und dass es, wenn zZ. B. das rechte Ohr dem Versuche unterworfen war, ihr vorkäme, als ob sich die Gegenstände theilten und das zweite undeutlichere Bild derselben nach der linken Seite wanderte. Eine weitere genaue Beobachtung konnte von ihr nicht verlangt werden, da dieselbe stärkeren Schwindel hervorbrachte und ausserdem die Verdunkelung des Gesichtsfeldes die Beobachtung erschwerte. Die übrigen drei Fälle konnten nur kurze Zeit beobachtet werden. In dem zweiten, dem ersten ähnlichen Falle war aus dem linken Trommelfell ein grosses Stück entfernt worden. Bei Anwendung des Druckes entstand Schwindel durch Scheindrehung der Gegenstände von rechts nach links. Bei Wieder- holung des Versuches glaubte Patient sich selbst von rechts nach links zu drehen, sah dabei einen Schleier vor den Augen unter Verschleierung besonders des linken Auges; bei geschlossenen Augen unbestimmtes Schwindelgefühl ohne Empfindung von Drehung. — In den beiden letzten Fällen bestanden grosse Trommelfelldefecte nach abgelaufener Eiterung. In dem einen Fall drehten sich die Gegenstände bei Reizung des linken Ohres, wie in dem ersten Falle, an- geblich von links nach rechts. In dem anderen Falle wurde bei Reizung des linken Ohres eine subjective Drehbewegung der Kranken selbst in der Rich- tung von rechts nach links angegeben; ob auch eine scheinbare Bewegung der Objecte in dieser Richtung stattfand, war nicht sicher anzugeben, — Auch in diesen Fällen fand eine objectiv bemerkbare Drehbewegung der Kranken selbst nicht statt. Auf eine Abduetion der entsprechenden Bulbi konnte leider nicht 1 196 VERHANDLUNGEN DER BERLINER seachtet werden, doch ist zu vermuthen, dass eine solche den optischen Schwindel- erscheinungen unter Hervorrufung von gekreuzten Doppelbildern auch hier zu Grunde lag. In dem einen Falle, wo bei Reizung des linken Öhres die scheinbare Drehung der Gegenstände in der Richtung von rechts nach links erfolgte, handelte es sich sehr wahrscheinlich um eine Verwechselung der ge- trennten Bilder des rechten mit denen des linken Auges. Bei einer Analyse der beschriebenen Schwindelerscheinungen ist zunächst hervorzuheben, dass dieselben durch die subjective Bewegung der Objecthilder bedingt werden, da beim Schliessen der Augen in allen Fällen der Schwindel so- fort jedesmal nachliess. In dem ersten Falle sahen wir, dass auf Druckerhöhung im äusseren Ge- hörgang eine ganze Gruppe von Hirnnerven reagirt, und zwar einseitig auf der gereizten Seite: der Abducens (Abduction, gekreuzte Doppelbilder), beiderseitig: die Acustici (doppelseitige Taubheit mit Sausen im ganzen Kopf), die Optiei (subjective Lichterscheinungen beiderseits). Endlich muss auf die bei plötz- licher hoher Drucksteigerung im Ohre sofort eintretende tiefere und frequentere Athmung mit inspiratorischen Stillständen aufmerksam gemacht werden. Der Vor- tragende hatte wiederholt Gelegenheit, die von Christiani an Kaninchen aus- geführte Acusticus-Reizungen zu beobachten und findet, dass die m Rede stehenden mit den von Christiani bei Schallreiz beobachteten Aenderungen der Athmung übereinstimmen. Die schwierige Erklärung der obigen Erscheinungen muss zunächst an die vom Vortragenden am Eingang betonten Thatsachen anknüpfen, dass dieselben nur bei partiellem oder totalem Verlust des Trommelfells und freier Tuba Eust. be- obachtet wurden und daher nicht etwa von einer Reizung des äusseren Gehör- sanges oder des Trommelfells abhängig gemacht werden können. Zu ihrem Auf- treten ist vielmehr nothwendig, dass ein in’s Ohr dringender und die freiliegende Trommelhöhle treffender Luftstoss durch die Tuba erfolgt. Das Hauptinteresse richtet sich dabei auf die innere Wand der Trommelhöhle mit ihren beiden Labyrinthfenstern und führt zur Frage, ob dieselben, wenn von dem Luftstoss getroffen, die plötzliche Druckschwankung in der Trommelhöhle der Labyrinth- flüssigkeit mittheilen werden. Der Vortragende hat bereits im Jahre 1863! durch Versuche an der Leiche gezeigt, dass bei hinweggenommenem Trommelfell und freier Tuba Druckschwankungen im äusseren Gehörgang parallele Druck- schwankungen im Labyrinthe hervorrufen, indem in dem geöffneten oberen Bogen- sange bei positivem Druck im äusseren Gehörgange ein Steigen, bei negativem Druck ein Fallen der Labyrinthflüssigkeit beobachtet wurde. Bei unserer heutigen Kenntniss des innigen Zusammenhanges der Lymphräume des Ohres mit den subarachnoidalen Räumen des Gehirns ? wird man diese am geöffneten Labyrinthe beobachteten Schwankungen der Labyrinthflüssigkeit als Ausdruck eines Aus- gleiches zwischen dieser und der Cerebrospinalflüssigkeit betrachten und daher auch annehmen dürfen, dass eine Druckerhöhung in der Trommelhöhle eine ent- sprechende Druckveränderung der Cerebrospinalflüssigkeit hervorzurufen im Stande 1 Virehow’s Archw u.s.w. Bd. XXIX. S. 55 ft. ? Zuerst angebahnt namentlich durch die Untersuchungen Hasse’s und jüngst experimentell nachgewiesen durch die in voriger Sitzung vorgetragene Arbeit des Hrn. Baginski. [Diese Arbeit unter dem Titel: „Ueber die Folgen der Drucksteigerung in der Paukenhöhle und die Function der Bogengänge“ s. unten 8. 201 ff. Red.] PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LUCAE. — WERNICKE. 197 ist. Es ist freilich schwer erklärlich, wie eine solche, wohl namentlich durch den Aquaeductus cochleae zum Gehirn fortgesetzte Druckschwankung, die bei der seringen Beweglichkeit beider Fenstermembranen nur eine minimale sein kann, die oben beschriebenen Erscheinungen zur Folge haben soll, wenn man nicht die Erklärung darin sieht, dass durch die stossweise Wirkung des Druckes eine in der Labyrinthflüssigkeit zur Cerebrospinalflüssigkeit fortschreitende Welle her- vorgerufen wird, deren lebendige Kraft an der Basis cerebri vernichtet wird. Hiermit scheint erklärt, dass sämmtliche Nerven an der Basis cerebri mehr oder minder an der Erregung Theil nehmen, namentlich also der Acusticus der be- treffenden Seite, sodann der dem Gehörorgan an der Basis benachbarte Abducens, ferner der Tractus optieus, dann auch der Acusticus der anderen Seite, endlich auch das nicht fern gelegene von Christiani beschriebene Inspirationscentrum ! gereizt werden. Eine andere, die Mitwirkung des Labyrinthes ausschliessende Erklärung würde sein, dass vielleicht bei den betreffenden Kranken Lücken in dem Tegmen tympanı vorhanden waren, sozwar, dass Dura und Paukenschleimhaut sich an diesen Stellen direct berührten, und somit bei einer plötzlichen Luftdruck- schwankung in der Trommelhöhle eine entsprechende plötzliche Reizung der Dura hervorgerufen wurde. Endlich sei darauf hingewiesen, dass der gegen das Promontorium direct gerichtete Luftstoss den daselbst gelegenen Plexus tympanicus treffen muss, und dass vielleicht gerade das Vorüberstreichen der Luft auf die jenen Plexus zu- sammensetzenden Nerven (Trigeminus, Glossopharyngeus, Sympathicus) einen bei vorliegender Frage in Betracht zu ziehenden Reiz ausübt. 2. Hr. WERNIcKE berichtet über einen Fall von Schreiberkrampf, wel- cher sich in der gewöhnlichen Weise nach übermässiger Anstrengung entwickelt hatte, nur beim Schreiben und Zeichnen eintrat und in krampfartigen, unzweck- mässigen Bewegungen, die sich mit der Dauer des Versuches steigerten, bestand. Eine genaue Untersuchung der Musculatur des rechten Vorderarmes ergab das über- raschende Resultat einer isolirten Lähmung des Extensor hallucis longus, eines Muskels, der nach Duchenne’s maassgebenden Untersuchungen bei dem Mechanismus der Schreibbewegungen nicht betheiligt ist. Da aber die normale Stellung des Daumens, wie pathologische Erfahrungen lehren, wesentlich durch ihn bestimmt wird und diese Stellung die Voraussetzung ist, damit das übrige Muskelspiel in der normalen Weise ablaufen kann, so hält es der Vor- tragende trotz der Autorität Duchenne’s für gerechtfertigt, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Lähmung und dem Schreiberkrampfe anzunehmen. Er behandelt daher die Muskellähmung. 18. Diese Verhandlungen in diesem Archiv. 1880. 8. 295. 198 VERHANDLUNGEN DER BERLINER IX. Sitzung am 25. Februar 1881.' Hr. J. SAnpeER hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Löslich- keit des Syntonins“. „ Bei Gelegenheit von Versuchen, Lösungen von bekanntem Eiweissgehalte darzustellen, habe ich in der Abtheilung für specielle Physiologie des hiesigen physiologischen Institutes auf Vorschlag und mit Hülfe des Hrn. H. Kronecker die Löslichkeit des Syntonins näher untersucht und stiess dabei auf eigenthüm- liche Verändernngen, welche dessen Neutralisationsniederschlag in der ersten Zeit seines festen Zustandes erleidet. Diese Modificationen, unter verschiedenen Verhältnissen untersucht, boten so interessante Analogien mit den Aenderungen des Aggregatzustandes im lebenden thätigen Muskel, dass uns dies Verhalten einer speciellen Untersuchung werth erschien. W. Kühne hatte bereits darauf aufmerksam gemacht, dass der Nieder- schlag, welcher bei Neutralisation von Acidalbumimlösungen entsteht und welcher während des Entstehens durch einen geringen Ueberschuss von Alkali oder Säure wieder in Lösung gebracht wird, eine grosse Resistenz erlangt, wenn man ihn, ausgefällt, abgesetzt und ausgewaschen, in verdünnten Säuren oder Alkalien zu lösen versucht. Mörner hat in seinen „Studien über das Alkalialbuminat und das Syntonin“? ebenfalls angegeben, dass der Niederschlag schwer löslicher wird, wenn man ihn längere Zeit ausgefällt stehen lässt, oder wenn man ihn in der Wärme fällt, ferner dass der Grad der Alkalescenz oder Acidität, welcher zur Auflösung des Niederschlages erforderlich ist, „einerseits von der Zeit, in wel- cher der Eiweissstoff ausgefällt geblieben ist, beeinflusst wird und andererseits: eine Fällung, welche sich in einigen Minuten nicht löst, vielleicht sich im Laufe von einigen Stunden lösen kann“. Hiernach erschien es wesentlich, zu prüfen, in wie weit die Löslichkeit des Syntoninniederschlages verändert wird 1) mit der Con- centration der Lösung, 2) mit der Temperatur der Lösung, 3) mit der Zeit, während deren der Niederschlag in fester Form bestanden hat. In Bezug auf den ersten Punkt hat sich gezeigt, dass eine Concentration der Lösung, die etwa dem Eiweissgehalte des Blutserum gleichkommt, erforderlich ist, um die Aenderungen der Löslichkeit mit der Zeit und Temperatur deutlich werden zu lassen. Es diente zu diesen Untersuchungen immer die aus gewaschenem Blutfibrin (frisch oder in verdünntem Alkohol aufbewahrt) dargestellte Syntoninlösung. Dieselbe wurde gewonnen, indem in etwa 1 °/,, Salzsäure von 60°C. Temperatur so viel Fibrin zur Quellung gebracht wurde, dass alle Flüssigkeit in die schwammig- gelatinöse Masse aufgesogen war. Diese verflüssigt sich bei 60° im Verlaufe von 24 Stunden. Wenn man aber der Gallerte eine kleine Menge (etwa 0.52" auf 500) käuflichen Pepsinpulvers (von Witte in Rostock fabricirt) zusetzt, so gewinnt man im Verlaufe von 10 Minuten bei 60° bis 70°C. eine trübe, leichtflüssige Syntoninlösung, die mehr oder weniger durch Filtriren zu klären ist. Gewöhnlich wurde die pepsinhaltige Syntoninlösung vor dem Filtriren im Wasserhade gekocht, um die weitere Wirkung des Fermentes auf- zuheben; meist fanden sich aber in der Lösung schon deutlich nachweisbare ! Ausgegeben am 4. März 1881. ® Pflüger’s. Archiw u. s. w. Bd. XVII. (1878.) S. 468—547. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — J. SANDER. 199 Mengen von Pepton. Das Syntonin, welches beim Kochen seiner Lösung bekannt- lich nicht gerinnt, wird, wie es scheint, auch in seinen sonstigen Eigenschaften durch Siedhitze nicht wesentlich verändert. Das Syntonin fällten wir durch Zusatz von Natronlauge, welche in einer 4°/, Lösung angewendet wurde. Diejenige Menge von Natronlauge, welche nöthig war, um ein bestimmtes Quantum (wir wählten immer 10°”) der ver- dünnten Salzsäure zu neutralisiren, genügte nicht mehr für die salzsaure Syn- toninlösung und es schien auch im Laufe eines Tages die Acidität des Syntonin etwas zuzunehmen. Das Syntonin begann die Lösung zu trüben, wenn dieselbe noch schwach sauer reagirte; vollständig aber fällt der Niederschlag erst aus einer neutralen Lösung. Setzt man sogleich etwas Alkali im Ueberschusse zu, so bleibt das Syntonin gelöst. Wenn man den Ueberschuss so klein wählt, dass durch feine Reagentien gerade alkalische Reaction nachweisbar ist, so erhält man eine hyaline Lösung, welche im auffallenden Lichte bläulich schimmert, im durchfallenden gelb erscheint, aus der auch bei langem Stehen das Syntonin nicht fällt. Die beiden gemachten Angaben beziehen sich auf diejenigen Veränderungen, welche durch plötzlichen Zusatz der vorher bestimmten Quantität Natronlösung entstanden. Anders verhielt sich die Syntoninlösung bei allmählicher Neutrali- sation; besonders zeigte sich dies darin, dass der Neutralisationsniederschlag erst bei viel stärkerer Alkalescenz dem hyalinen Lösungszustande wich, als bei plötz- licher Ueberneutralisirung und dass er bei einem Grade der Alkalescenz ganz oder theilweise fest blieb, bei welchem er in siatw nascendi vollkommen in Lösung gebracht wurde. Diese Löslichkeit verändert sich mit der Zeit; jedoch scheint die Schnellig- keit dieser consolidirenden Processe ausser von der Temperatur und dem Ge- halte an Syntonin auch noch von der Beimengung anderer Körper (Pepton, Salze u. s. w.) abhängig zu sein, so dass es bisher noch nicht gelungen ist, Zahlenwerthe, die mit einer untersuchten Flüssigkeit erhalten worden, auf andere Versuchsreihen zu übertragen. Doch zeigte sich die Veränderung stets in glei- chem Sinne und die Schwankungen blieben innerhalb solcher Grenzen, dass einige numerische Angaben deutliche Anhaltspunkte für das Verständniss dieser Vor- gänge bieten können. In einem Falle wurde aus 10°” salzsaurer Syntoninlösung durch 0.375°°% der titrirten Natronlauge (auf einmal zugesetzt) das Syntonin in dicken Flocken gefällt; und 0-4°°® Natronlauge genügte, um 10°” der salzsauren Syntonin- lösung in klare alkalische Lösung überzuführen. Als nunmehr die zweite Ope- ration in zwei Acte zerlegt wurde, der Art, dass die 0.4°” Natronlauge ge- theilt zugesetzt wurden und zwar anfänglich 0.375°°® und 10 Secunden später die übrigen 0- 025°", so wurde anstatt der klaren Lösung eine hyaline Flüssig- keit gewonnen, wie sie bei plötzlichem Zusatze ungenügender Menge von Na- tronlauge entsteht. Wenn 1 Minute verfloss, bevor zum Neutralisationspräeipitate der minimale Ueberschuss von Alkali zugesetzt wurde, so blieb die Flüssigkeit, trotz wiederholten Umschüttelns, trübe und liess ein reichliches Sediment ent- stehen. Dieser Niederschlag löst sich auch nicht, wenn man ihn Tage lang in dieser schwach alkalischen Lösung stehen lässt; man bedarf zu seiner Lösung dann weit grösserer Mengen von Alkali (0:25°® auf 10°” der bereits über- neutralisirten syntoninhaltigen Flüssigkeit). In einem anderen Falle genügten schon 3 Secunden, um das Neutralisationspräcipitat schwer löslich zu machen, 200 VERHANDLUNGEN U. S. wW. — J. SANDER. Sehr viel schneller entsteht dieser Zustand, wenn die Fällung in heisser Flüssigkeit geschieht; sehr verzögert, vielleicht ganz aufgehoben, wird die Modi- fication durch Kälte So wurde in einem Falle das Neutralisationspräcipitat, welches in einer Lösung von etwa 60°C. gewonnen war, schon nach 10 Secunden durch den oben erwähnten minimalen Alkaliüberschuss nicht mehr gelöst, wäh- rend das aus eiskalter Flüssigkeit gewonnene Präcipitat noch nach 10 Minuten durch die minimale Natronmenge in vollkommene Lösung übergeführt werden konnte. Wenn auch manche Vorgänge bei den Löslichkeitsverhältnissen von Nie- derschlägen im Gebiete der anorganischen und der organischen Chemie Ana- logien mit den hier erwähnten bieten, so sind doch jene Verhältnisse in Bezug auf ihren zeitlichen Verlauf, soweit bisher bekannt, keineswegs so ver- gleichbar mit den Zuständen des Myosin im thätigen, bez. ermüdenden Muskel, wie die hier erwähnten Vorgänge. Die Veränderungen in der Ausdehnbarkeit des zuckenden Muskels haben die Muskelphysiologen längst auf Veränderungen im Aggregatzustande des Eiweisses im lebenden ermüdenden Muskel schliessen lassen. Damit hat jedoch die Annahme, die Contraction als einen Gerinnungs- vorgang aufzufassen, keineswegs an Grundlage gewonnen. ‚Ueber die Folgen von Drucksteigerung in der Pauken- höhle und die Function der Bogengänge.' Von Dr. Benno Baginsky in Berlin. In dem physiologischen Laboratorium der hiesigen Thierarzneischule wurde ein Hund beobachtet, der mehrere Monate Kopfverdrehung nach einer Seite und Schwindel zeigte. Die Obduction dieses Thieres ergab, dass die Paukenhöhle der betreffenden Seite mit einer wässrigen Flüssigkeit prall gefüllt war. Im Labyrinth und im Gehirn wurden gröbere makroskopisch nachweisbare Veränderungen nicht gefunden. Diese Beobachtung liess es wünschenswerth erscheinen, zu untersuchen, wie der gesteigerte Druck in der Paukenhöhle wirkt, und führte weiterhin zur Untersuchung über die Function der Bogengänge. Die Versuche, zu denen in der Regel Kaninchen und bei besonderen Zwecken Hunde benutzt wurden, führte ich in dem Laboratorium der Thier- arzneischule unter Leitung des Hrn. Prof. H. Munk aus. Zur Steigerung des Druckes in der Paukenhöhle machte ich in die- selbe Einspritzungen verschiedener Flüssigkeiten von wechselnder Temperatur. Nachdem der Ohrlappen des Kaninchens der Länge nach gespalten, und die dabei aufgetretene geringe Blutung gestillt war, wurde nach Perforation des Trommelfells die betreffende Flüssigkeit in die Paukenhöhle mittels einer kleinen Zinnspritze, deren konisch geformtes Ansatzstück in den knöchernen Gehörgang möglichst luftdicht eingesetzt war, eingespritzt. Bei der bestehenden Communication der Paukenhöhle mit dem Nasenrachenraum durch die Tuba Eustachi und der Möglichkeit des Abflusses der Flüssig- keiten durch dieselbe in die Trachea droht den Versuchsthieren bei der Einspritzung die Gefahr des sofortigen Todes durch Erstickung; es muss deshalb während der Einspritzung die Trachea zugedrückt oder die Tracheo- ! Vorgetragen in der Sitzung der Berliner physiologischen Gesellschaft am 28. Ja- nuar 1881. — Vergl. oben 8. 196. Anm. 2. 202 Benno BaGınsKY: tomie vorher ausgeführt werden; ersteres Verfahren empfiehlt sich besonders deshalb, weil durch den frühen Tod tracheotomirter Thiere die längere Be- obachtung derselben ausgeschlossen ist. Spritzt man Wasser von 9 bis 15°C. in die Paukenhöhle ein, so be- obachtet man entweder schon während oder wenige Augenblicke nach der Einspritzung eine deutliche Drehung beider Augen nach unten innen oder aussen und dieser folgt sogleich ein an beiden Augen symmetrischer Nystagmus. Die Zahl der in der Minute auftretenden Augenbewegungen schwankt und ist häufig so gross, dass eine genaue Bestimmung nicht mehr möglich ist, etwa 30 bis 150 und darüber. Der Nystagmus selbst stellt sich dar als eine Pendeln der Augen und ist stets verknüpft mit einem symmetrischen Zucken des oberen Augenlides. Veränderungen an den beiderseitigen Pupillen habe ich hierbei nicht sehen können. Zugleich mit dem Nystagmus be- obachtet man eine Drehung des Kopfes, die verschieden intensiv ist; während sie in einigen Fällen nur um die verticale Axe des Kopfes stattfindet, so dass das Hinterhaupt nach der Seite des operirten Öhres sich neigt, kann sie in anderen auch um die sagittale erfolgen, so dass bei der completen Drehung um beide Axen das dem operirten Ohr entsprechende Auge nach unten ge- richtet ist, während das andere nach oben sieht. Man überzeugt sich leicht, dass die Intensität des Nystagmus und der Kopfverdrehung abhängig ist von dem schwächeren oder stärkeren Drucke, unter dem das Wasser in die Paukenhöhle eingespritzt wird. Je geringer derselbe ist, desto gering- fügiger sind die Erscheinungen, je stärker desto heftiger. Diese Erschei- nungen dauern indess nur kurze Zeit; es verschwindet der Nystagmus, der Kopf kehrt in seine normale Stellung zurück, und nichts verräth die voran- gegangene Störung. Hat das Thier sich erholt, so treten bei einer erneuten Einspritzung die Erscheinungen in derselben Reihenfolge wieder auf, um nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden. Vom Öperationstische herunter- gelassen, zeigen die Thiere keine Veränderungen; sie laufen im Zimmer umher, putzen sich das Fell und schütteln nur mit dem Kopfe, augen- scheinlich um das in den Ohren befindliche Wasser zu entfernen. Bei der weiteren Beobachtung der Thiere stellt es sich heraus, dass diejenigen, denen die Einspritzung nur auf einer Seite und unter geringem Drucke gemacht worden war, den Eingriff überleben und vollkommen normal bleiben können. Tödtete ich sie später behufs anatomischer Untersuchung, so con- statirte ich in der Paukenhöhle des betreffenden Ohres eine eitrige oder hämorrhagische Entzündung, im Labyrinth und besonders der Schnecke häufig eine blutig seröse Flüssigkeit. Das Gehirn wurde normal gefunden. Anders verhielt es sich mit den Kaninchen, denen unter hohem Druck und besonders auf beiden Seiten Einspritzungen gemacht worden waren. Die meisten starben schon 2 bis 3 Tage nach der Operation unter verschiedenen DıE FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. S. w. 203 Symptomen. Zwei Kaninchen zeigten am zweiten Tage nach der Operation Pendelbewegungen des Kopfes; sie konnten ihn nicht ruhig halten. Wurden sie gejagt, so taumelten sie und fielen nach der operirten Seite; sich selbst überlassen, machten sie Drehbewegungen nach derselben Richtung. Am dritten Tage nach der Operation lagen sie auf der Erde, hielten den Kopf etwas nach der operirten Seiten geneigt, die hinteren Extremitäten waren vollständig gelähmt und ausgestreckt. Dabei war die Empfindlichkeit des Körpers so bedeutend, dass sie, wollte man sie vom Erdboden aufheben, laut aufschrieen. Unter diesen Symptomen erfolgte der Tod. Die Ob- duction ergab in allen diesen Fällen eine deutlich nachweisbare Erkrankung des Gehirns. Schon beim Oeffnen der Schädelkapsel fiel die pralle Spannung der Dura auf, die geröthet war; es bestand starkes Oedem des Gehirns- Die Gehirnsubstanz selbst war serös durchtränkt, stark injieirt, die Piagefässe erweitert und strotzend von Blut erfüllt. Die Entzündung des Gehirns erstreckte sich bei den obigen beiden Kaninchen nachweisbar über die Corpora pyramidalia bis zur Medulla spinalis hinab. Ich wiederholte nun die Einspritzungen mit Wasser von 37 bis 38° C. Wandte ich hierbei einen geringen Druck an, so blieben alle Erscheinungen aus; weder an den Augen, noch an der Kopfhaltung konnte man eine Ver- änderung nachweisen, der Nystagmus und die Kopfverdrehung traten nicht ein. Steigerte ich indess den Druck, indem ich mit grösserer Kraft und recht schnell die Spritze entleerte, so traten auch jetzt regelmässig die bereits beschriebenen Symptome an dem Versuchsthiere auf. Man beobach- tete deutlich eine Verdrehung der Augen mit nachfolgendem Nystagmus und die bereits angegebene Verdrehung des Kopfes nach der operirten Seite. Doch fiel es sogleich auf, dass beide Erscheinungen sowohl an Dauer wie an Intensität nicht die Stärke erreichten, wie bei den Einspritzungen von kaltem Wasser. Die Augenbewegungen, zwar deutlich ausgesprochen, er- reichten nicht die bei den ersteren Versuchen entsprechende Excursionsweite und in gleicher Weise war die Verdrehung des Kopfes in den meisten Versuchen eine weniger intensive. Auch hier gehen beide Erscheinungen wenige Momente nach der Einspritzung vorüber und werden durch den er- neuten Eingriff wieder hervorgebracht, um ebenso schnell wieder zu ver- schwinden. Bringt man die Thiere von Operationstisch auf den Erdboden herunter, so kann man an ihnen keine weitere Veränderung beobachten; sie laufen im Zimmer umher und unterscheiden sich in Nichts von nor- malen Kaninchen. Ueber das weitere Verhalten der Thiere lehrte die Be- obachtung, dass die meisten derselben ohne jede nachweisbare Erkrankung ver- schieden lange fortleben und fernerhin keine Erscheinungen erkennen lassen; so habe ich Monate lang mehrere Kaninchen beobachtet, die nach dem operativen Eingriff normal verblieben waren. Indess kann ich auch hier 204 BEnNno BacınsKy: Fälle verzeichnen, in denen der Tod schon kurze Zeit nach der Operation durch consecutive Gehirnerkrankungen eintrat. Die Erscheinungen, die diese Thiere während des Lebens zeigten, waren die nämlichen, wie bei den ersteren Versuchen; es zeigten sich Pendel- bewegungen des Kopfes, Taumeln des Körpers, Drehbewegungen und in einem Falle eine Lähmung der hinteren Extremitäten. Bei der Ob- duction constatirte ich die Erscheinungen ausgesprochener Gehirnreizung, Trübung und Röthung der Dura, Oedem des Gehirns, starke Injection der Piagefässe. Bei dem Kaninchen mit Lähmung der hinteren Extremitäten fand ich auf der Medulla oblongata etwas unterhalb der Crura cerebelli ad pontem eine der Pia aufliegende dünne Schicht einer gelblich rahmigen Flüssigkeit, die sich unter dem Mikroskop als Eiter erwies. Spritzte ich statt des warmen Wassers eine ?/,procentige Kochsalz- lösung von 38°C. in die Paukenhöhle ein, so erhielt ich die nämlichen Resultate. Auch hier genügte ein geringer Druck nicht, um Nystagmus und Kopfverdrehung zu erzeugen. Er musste erheblich gesteigert werden, wollte ich den gewünschten Effect erreichen. Die Erscheinungen traten aber alsdann regelmässig auf. Auch bei diesen Versuchen blieben die secundären Gehirnerkrankungen häufig aus; doch starben auch hiernach einige Zeit nach der Operation einzelne Thiere, bei denen die Obduetion eine starke Reizung und Entzündung des Gehirns, Oedem desselben, Trü- bungen der Pia und hochgradige Injection der Gefässe derselben ergab. Ich verwandte nun concentrirtere Kochsalzlösungen, 20 procentige bis zu (den concentrirtesten von niedriger und höherer Temperatur zu Ein- spritzungen in die Paukenhöhle. Die bei der Operation auftretenden Er- scheinungen blieben in ihrem Gesammtbilde dieselben, nur nahmen sie mit der erniedrigten Temperatur der Flüssigkeiten und mit der Concentration derselben an Dauer und Intensität wesentlich zu. Der Nystagmus trat mit ausserordentlicher Heftiekeit auf; die Zahl der Augenbewegungen in der Zeiteinheit war wesentlich grösser, die Excursion der Bulbi erheblicher. In gleicher Weise ist die Verdrehung des Kopfes bedeutender ausgesprochen. Sogleich nach der Einspritzung dreht ihn das Thier um die verticale und sagittale Axe nach der dem Öhre entsprechenden Seite. Die Erschei- nungen, die bei den früheren Versuchen alsbald verschwanden, überdauern nur den operativen Eingriff verschieden lange; der Nystagmus besteht längere Zeit fort, und es pendelt der Kopf nach der operirten Seite. Lässt man die Thiere vom Operationstische auf den Erdboden herunter, so zeigen sie meist die mannigfachsten Zwangsbewegungen; sie rollen sich um die Längsaxe stets nach der operirten Seite, machen vielfach Kreis- und Rückwärtsbewegungen. — Nach einiger Zeit beruhigen sie sich, der Nystagmus und das Kopfpendeln verschwinden, und die normale Kopfhaltung Die FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. S. w. 205 stellt sich wieder her; sie sitzen alsdann ruhig auf dem Boden, und eine besondere Störung ist an ihnen nicht zu erkennen. Hebt man sie an der Rückenhaut in die Höhe und lässt sie frei in der Luft schweben, so beginnen indess der Nystagmus und das Kopfpendeln von Neuem. Beide Erschei- nungen verlieren sich wieder, wenn die Thiere auf den Boden gesetzt ihren festen Halt wieder gewinnen. Auf diese Weise kann man beliebig häufig die bereits verschwundenen Symptome wieder erzeugen. In allen diesen Fällen trat der Tod schon nach wenigen Tagen ein; je concentrirter die eingespritzten Flüssigkeiten waren, desto schneller; einige Kaninchen starben schon an dem der Operation nachfolgenden Tage. Die Obduction ergab ausgesprochene Veränderungen des Gehirns und seiner Häute; es handelte sich in den meisten Fällen um recht schwere Entzündungen des- selben: das Gehirn war stark ödematös, die Gefässe stark injieirt, die Pia getrübt. An dem beschriebenen Symptomcomplex änderte sich, wie bereits ge- sagt, nur wenig, wenn bei gleicher Concentration die zu Einspritzungen verwendeten Flüssigkeiten etwas niederer temperirt waren; die Erscheinungen waren nur etwas heftiger. Wandte ich endlich zu Einspritzungen noch andere, chemisch sehr differente Flüssigkeiten, wie verdünntes Ammoniak, verdünnte Salzsäure, ganz reines Glycerin und dergleichen mehr an, so traten die Erscheinungen noch stärker auf. Der Nystagmus, der dem ope- rativen Eingriff folgt, war ausserordentlich heftig und blieb mehrere Stun- den, häufig bis zum Tode, der an demselben oder am nächsten Tage er- folgte, bestehen. Die Kopfverdrehung erreichte den höchsten Grad. Eine Rückkehr zur Norm fand in den meisten Fällen nicht statt; in dieser un- glücklichen Stellung blieb der Kopf bis zum Tode. In einigen Fällen traten Kreis- und Rollbewegungen um die Längsaxe auf. Die Thiere wälzten sich im Zimmer umher und beruhigten sich nicht früher, als bis sie an einem festen Gegenstand, an der Wand oder sonst wo einen Halt bekamen. Noch eine neue Erscheinung trat bei diesen Versuchen auf. Während bei den früheren Einspritzungen die Augenaxen in normaler Stellung verblieben und eine Abweichung derselben nicht eintrat, zeigte sich hier neben dem Nystagmus eine Verstellung beider Augenaxen, so dass das Auge der ope- rirten Seite nach unten innen, das der nicht operirten Seite nach oben aussen sieht. Diese Augenstellung verblieb bis zum Tode. Entsprechend der Schwere der intra vitam bestehenden Symptome er- gab auch die Obduction recht hochgradige Veränderungen des Gehirns; ich eonstatirte Oedem desselben, starke Gefässfüllung der Pia, und in den meisten Fällen beträchliche Hämorrhagien der Dura und Pia an der dem Ohre benachbarten Gehirnpartie; ferner grössere oder kleinere Blutungen, welche die Gehirnsubstanz selbst betrafen und von den seitlichen Partien der 206 BENNo BaAGınsKY: Medulla oblongata, vom Corpus restiforme zum Kleinhirn und zum Boden des vierten Ventrikels sich erstreckten. Fasse ich nun die Versuchsresultate zusammen, so ergiebt sich, 1) dass die verschiedensten Flüssigkeitenin die Paukenhöhle von Ka- ninchen gespritzt inallen Fällen einen ganz bestimmten Symp- tomcomplex erzeugen, dessen Einzelerscheinungen in ihrer zeitlichen Entstehung, Intensität und Fortdauer variiren, so dass, während bei einigen Flüssigkeiten schon ein geringer Druck bei der Einspritzung genügt, bei anderen ein beträcht- lich höherer zur Erzeugung der Symptome nothwendig ist. Indifferente Flüssigkeiten, wie Wasser und ?/, procentige Kochsalzlösung von 37 bis 38°C., bringen die Erscheinungen erst unter sehr hohem Druck, differente, zu denen auch kaltes Wasser zu rechnen ist, schon unter ge- ringem Druck hervor. 2) Wir haben ferner beobachtet, dass auf die Einspritzung der betreffenden Flüssigkeiten in sehr vielen Fällen Entzün- dung und Hämorrhagien des Gehirns folgten und dass diese Veränderungen des Gehirns um so sicherer und intensiver auf- traten, je chemisch differenter die Flüssigkeiten waren. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass bei den Versuchen von der eingespritzten Flüssigkeit etwas an’s Gehirn gelangt ist und daselbst die Veranlassung zu den nachweisbaren Ver- änderungen gegeben hat; sind die Flüssigkeiten chemisch ganz und gar indifferent, so können die consecutiven Veränderungen am Gehirn ausbleiben und der thierische Organismus den Ein- griff mit Leichtigkeit überwinden. So verstehen wir jetzt das häufige Fehlen der Gehirnläsion bei Ein- spritzungen von Wasser und ?/, procentiger Kochsalzlösung von 38°C. Es entsteht nun die Frage, auf welchem Wege die in die Paukenhöhle eingespritzten Flüssigkeiten zum Gehirn gelangen? Zu diesem Zwecke wieder- holte ich die Einspritzungsversuche mit löslichem Berliner Blau oder mit Ferrocyankalium, in der Erwartung, dass es durch die Färbung, bez. durch die bekannte Reaction mittels Liquor ferri gelingen würde, den Weg, den die Flüssigkeiten nehmen, bis an’s Gehirn zu verfolgen. Versuche am todten Kaninchen ergaben nun, dass der Austritt dieser Flüssigkeiten in die Schädelhöhle an der Fossa jugularis erfolgte; nur da und nirgend anders konnte in allen Fällen die Blaufärbung nachgewiesen werden. Die sorg- fältigste Untersuchung am Porus acusticus internus ergab in keinem Falle eine Reaction. In der Fossa jugularis mündet aber der Aquaeduetus cochleae aus, dessen innere Mündung im Boden der Scala tympani der ersten Schneckenwindung gelegen ist. Bei einer genaueren Untersuchung Die FoLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. S. w. 207 stellte es sich heraus, dass die Blaufärbung im ganzen Aquaeductus cochleae bis zur Scala tympani der ersten Schneckenwindung und in dieser selbst vorhanden war. Der Aquaeductus cochleae erschien wie injieirt. In den Bogengängen fand sich von der eingespritzten Flüssigkeit nichts vor. Der Aquaeductus cochleae, der bisher als venöser Gefässcanal einge- fasst wurde, stellt nach den Untersuchungen von Weber-Liel! und Hasse? einen freien von einer Fortsetzung der Dura mater ausgekleideten Canal dar, durch den das Labyrinth, bez. die Scala tympani der Schnecke mit dem Arachnoidalraum communicirt.” Nun kann der Eintritt der Flüssig- keiten in den Aquaeductus cochleae von der Paukenhöhle aus nur erfolgen durch Vermittelung des Labyrinths, vorausgesetzt, dass er auf anatomisch präformirten Wegen geschieht, und zwar geht der Weg entweder durch das vom Steigbügel und dessen ligamentösen Verbindungen geschlossene Foramen ovale, so dass die Gelenkverbindung gesprengt wird, oder durch das Foramen rotundum unter Zerreissung der Membran des Schnecken- fensters, oder endlich durch beide Oeffnungen zugleich. Ein Durchtritt von Flüssiekeit durch etwaige enge Knochencanälchen, in denen Grefässe und Nerven verlaufen, ist nicht anzunehmen, da die Widerstände in diesen Canälen ausserordentlich gross sind; auch haben sich bei meinen Versuchen keine Thatsachen eruiren lassen, die diese Annahme bestätigen. Dagegen hat sich herausgestellt, dass bei den Einspritzungen, schon unter mässigem Drucke, eine Zerreissung des runden Fensters stattfindet und dass die Flüssig- keiten durch dasselbe hindurch in den Aquaeductus cochleae gelangen. Bei Anwendung starken Druckes wird beim Kaninchen auch in einigen Fällen der Steigbügel aus seinem Gelenke gerissen; es finden sich alsdann auch Zerstörungen der Schnecke vor. Diese Verhältnisse sind am lebenden Ka- ninchen dieselben. Machte ich Einspritzungen von Ferrocyankaliumlösung in die Paukenhöhle, so konnte ich, nachdem sich sehr lebhafte Erschei- nungen von Nystagmus, Kopfverdrehung und Rollbewegungen gezeigt hatten, nach dem sogleich künstlich herbeigeführten Tode des Versuchsthieres mit- tels Liquor ferri die deutlichste Blaufärbung in der Schädelhöhle nur an der Fossa jugularis constatiren. Gleichzeitig überzeugte ich mich, dass auch hier das runde Fenster gesprengt war, und in den meisten Fällen 1 Monatschrift für Ohrenheilkunde, 1869, S. 8 und 1879, 8. 3; — und Vir- chow’s Archiv u. s. w. Bd. LXXVI. ” Die Lymphbahnen des inneren Ohres der Wirbelthiere. 1813. ® Meine Untersuchungen, die auf diesen Punkt gerichtet waren, stimmen, soweit es Kaninchen und Hunde betrifft, mit denen Weber-Liel’s vollständig überein und für das menschliche Ohr bringt Bezold im Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. XVI, 8. 11 und 12 eine Bestätigung. Was Weber-Liel den Arachnoidalraum nennt, be- zeichne ich als den subduralen Raum d. i. den Raum zwischen Dura und Pia, 2)8 Benno BAsınskY: konnte ich mit Sicherheit im Verlaufe des Aquaeductus cochleae bis zur Scala tympani der Schnecke die Anwesenheit des Ferrocyankaliums nach- weisen. Um jede Täuschung auszuschliessen, führte Hr. Dr. I. Munk, nachdem ich die Einspritzung gemacht hatte, unter Beobachtung aller Cautelen bei Eröffnung des Schädels, die Reaction aus. Was für das Ferro- cyankalium gilt, hat auch bei der Gleichheit der Erscheinungen seine Be- rechtigung für die übrigen Flüssigkeiten, für die somit der unzweifelhafte Beweis geliefert ist, dass sie, in die Paukenhöhle eingespritzt, auf dem Wege durch das runde Fenster in das Labyrinth und von da durch den Aquaeductus cochleae an’s Gehirn gelangen. Um den Druck, der zur Erzeugung des Nystagmus und der Kopf- verdrehung nothwendig ist, genauer zu bestimmen, stand ich von der An- wendung der Spritze ab, und modificirte die Versuche so, dass ich in die Paukenhöhle eine Glasröhre einführte, die beliebig mit Flüssigkeit angefüllt werden konnte. Die Höhe der Flüssigkeitssäule, die, auf der Paukenhöhle lastend, eben Nystagmus erzeugte, ergab nun das Maass für den Druck. Ob bei diesem Drucke auch eine Verdrehung des Kopfes nach der ent- sprechenden Ohrseite eintritt, ist nicht zu entscheiden, da bei dieser Ver- suchsanordnung der Kopf der Thiere festgehalten werden muss und somit eine abnorme Bewegung nicht möglich ist. Ich belastete zunächst die Paukenhöhle mit indifferenten Flüssigkeiten und zwar mit Wasser oder ?/, procentiger Kochsalzlösung von 38°C. Bei der allmählichen Höhenzunahme der belastenden Flüssigkeitssäule bis un- gefähr 2” traten hier noch keine Erscheinungen von Nystagmus auf. Bei diesem Drucke gelangen in den meisten Fällen die Flüssigkeiten durch die Tuba Eustachii in den Nasenrachenraum, und es droht den Thieren die Gefahr der Erstickung. Wurden dieselben Flüssigkeiten, aber niederer temperirt, zur Belastung der Paukenhöhle verwendet, so zeigte es sich, dass nun schon eine Flüssig- keitssäule von etwa 120°” ausreichte, um Nystagmus zu erzeugen. Der- selbe unterschied sich in Nichts von den Augenbewegungen, wie sie nach den Einspritzungen auftraten; er ist zunächst schwach; nimmt aber, wie man sich leicht überzeugt, mit der Höhenzunahme der die Paukenhöhle belastenden Flüssigkeitssäule an Intensität mehr und mehr zu; umgekehrt verschwindet er allmählich, wenn der Druck geringer wird und ein gewisses Minimum erreicht. Wurden endlich chemisch differente Flüssigkeiten, wie verdünnte Nalz- säure und Ferrocyankalum in die Paukenhöhle eingeführt, so zeigte es sich, dass jetzt eine wiederum noch geringere Druckhöhe zur Erzeugung des Nystagmus genügte. Die erforderliche Höhe betrug etwa 50°”, wenn auch die speeifischen Gewichte der angewandten Flüssigkeiten verschieden Die FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE DT. Ss. w. 209 waren. Eine sehr interessante Form nahmen die Versuche in folgender Weise an. Einem Kaninchen wurde in der in Rede stehenden Weise in die linke Paukenhöhle eine 10 procentige Salzsäure vom spec. Gewicht 1035, und in die rechte Paukenhöhle eine Ferrocyankaliumlösung von derselben Temperatur und vom spec. Gewicht 1080 eingeführt. Jedes Mal trat Nystagmus ein, sowie die Höhe der Flüssigkeiten etwa 50°” betrug. Die Unterschiede der erforderlichen Höhen lagen innerhalb der Fehlergrenzen von einigen Centimetern. Führte ich nun bei einem anderen Kaninchen in die eine Paukenhöhle Wasser von 9 bis 12°C., und in die andere Ferro- cyankalium von derselben Temperatur ein, so stellte es sich heraus, dass die erforderliche Wassersäule etwa 120°”, die Ferrocyankaliumlösung etwa 90°” betrug. Aus der Gesammtheit der Versuche geht mit Bestimmtheit hervor, dass zur Erzeugung des Nystagmus und der Schwindelerscheinungen ein gewisser Druck unter allen Umständen nothwendig ist, dass dieser Druck eine geringe Grösse nur zu haben braucht bei chemisch differenten Flüssig- keiten, aber um so grösser sein muss, je weniger different die angewandten Flüssigkeiten sind. Demnach sind für die Erzeugung der Schwindel- erscheinungen zwei Factoren Aothwendig, einmal ein gewisser Druck und zweitens ein Reiz, der gesetzt werden kann durch die chemische Beschaffenheit der Flüssigkeiten oder ihre nie- dere Temperatur oder durch den hohen Druck der warmen in- differenten Flüssigkeiten. Es handelt sich nunmehr darum, zu untersuchen, welche anatomischen Veränderungen gesetzt werden durch Anwendung desjenigen geringsten Druckes, unter welchem gerade Nystagmus entsteht. Auch hier diente das Ferrocyankalium dem Zwecke der Untersuchung. Ich belastete die beiden Paukenhöhlen desselben Kaninchens mit Ferrocyankalium, die rechte so, dass eben Nystagmus sichtbar wird, die linke mittels einer um wenige Centimeter niedrigeren Flüssigkeitssäule, so dass die Schwindelerscheinungen ausbleiben. Die Untersuchung des sofort getödteten Thieres ergab nun, dass rechts die Membran des runden Fensters zerrissen, und dass die Flüssigkeit durch dasselbe hindurch in den Aquaeductus cochleae gelangt war. Die Prüfung mittels Liquor ferri liess deutlich den Austritt des Ferro- eyankaliums in der Fossa jugularis und nur da erkennen; weiterhin fand sich die deutlichste Reaction innerhalb des Aquaeductus cochleae, der wie mit einer blauen Masse injieirt erschien. Links dagegen waren das runde und ovale Fenster mit ihren Membranen vollständig erhalten; weder im Aquaeduetus cochleae, noch an der Fossa jugularis war eine Blaufärbung zu constatiren. Während also rechts ein Durchbruch durch’s Labyrinth bis zum subduralen Raum unter gleichzeitigem Auftreten von Nystagmus Archiv f. A,u. Ph. 1881. Physiol. Abthle. 14 210 Benno BasmmsKY: erfolgt war, war links eine gleiche Läsion nicht zu constatiren. Diese Ver- suche habe ich öfters und stets mit demselben Resultate wiederholt. Was hier für’s Ferrocyankalium gilt, behält seine Gültigkeit bei der absoluten Gleichheit der Erscheinungen und der vollkommen gleichen An- ordnung der Versuche auch für die übrigen Flüssigkeiten. Es folet hier- aus, dass jedes Mal, wenn bei Belastung der Paukenhöhle mit- tels Flüssigkeiten Nystagmus auftritt, dieselben durch das runde Fenster in das Labyrinth, und durch den Aquaeductus cochleae in den subduralen Raum gelangt sind. Dass eine so zarte Membran, wie die des Schneckenfensters bei Kanin- chen unter der angewandten Belastung leicht einreisst, wird besonders ver- ständlich durch die Resultate, welche man bei Prüfung der Widerstands- fähigkeit des normalen und vollständig intacten Trommelfells von Kanin- chen gegen belastende Flüssigkeitssäulen erhält. Es zeigte sich hierbei, dass das Trommelfell mittelgrosser Kaninchen dem Drucke einer Wasser- säule von etwas über 1” Höhe nicht mehr Widerstand leisten konnte, sondern einriss.! Kann nun schon das viel resistentere Trommelfell diesem Drucke nicht mehr Widerstand leisten, so ist es leicht begreiflich, dass dies noch viel weniger beim Schneckenfenster der Fall ist. Ist schon durch die bisherigen Versuche der striete Nachweis geführt, das stets mit dem Auftreten des Nystagmus und der Kopfverdrehung die in die Paukenhöhle eingespritzte Flüssigkeit bis in die Fossa jugularis und den subduralen Raum gelangt ist, so erhalten wir noch weitere Beweise für diese Thatsache durch diejenigen Versuche, in denen der Druck in der Paukenhöhle durch Einpressen von Luft gesteigert wurde. Ich benutzte zu diesem Zwecke eimen kleinen Ohrkatheter, dem ich !/,°“ unterhalb seines Schnabels eine runde Metallplatte hatte anfügen lassen zur Aufnahme eines ı Modifieirte ich meine Versuche so, dass ich das Trommelfell selbst mit einer Lösung von Ferrocyankalium belastete, bis das Versuchsthier eben Nystagmus zeigte, so konnte ich schon während des Versuches, aus dem Abfliessen der Flüssigkeit durch die Nase, einen Einriss des Trommelfells constatiren; in allen diesen Versuchen fand sich bei der Obduction das Trommelfell, und in gleicher Weise, wie früher, das runde Fenster gesprengt; mittels Liquor ferri konnte ich den Austritt der Flüssigkeit an der Fossa jugularis nachweisen. Meine Versuche sind hier nicht übereinstimmend mit denen Hensen’s und Schmidekam’s (Arbeiten des Kieler physiologischen Instituts, 1868, S. 48 und 49). Hensen erzeugte an sich durch Belastung seiner Trommelfelle mit einer 117 em hohen Säule kalten Pumpenwassers intensives Schmerzgefühl, Schwindel, Uebelkeit, Obnmacht und Erbrechen. Diese Erscheinungen blieben aus, wenn statt des kalten Wassers warmes von 25°R. angewandt wnrde. Hensen erklärt diese Erschei- nungen als Reflexerscheinungen, ausgehend vom Ramus auricularis nervi vagi, wäh- rend bei meinen Versuchen der Zutritt der Flüssigkeiten zum Gehirn stets nachweisbar ist, wenn sich bei den Versuchsthieren ähnliche Erscheinungen zeigen. Dir FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U.S.w. 211 Gummiluftkissens, mittels dessen ein möglichst luftdichter Abschluss herbei- geführt werden konnte. Die Lufteompression geschah mittels eines Doppel- gebläses. Man thut gut, da ein Theil der in die Paukenhöhle eingeblasenen Luft durch die Tube entweicht, den Windkessel des Gebläses stark aufzu- blasen und durch Compression desselben mit der Hand die Drucksteigerung in der Paukenhöhle herbeizuführen. Treibt man beim Kaninchen unter schwachem Drucke Luft in die Paukenhöhle ein, so beobachtet man an dem Thiere gar keine Erschei- nungen, weder an den Augen noch am Kopf oder Rumpf. Anders ist es bei starkem Drucke. Man constatirt alsdann eine Verdrehung der Augen, symmetrisch auf beiden Seiten, nach unten innen oder aussen. Dieser Ver- drehung folgt sogleich ein kurzdauernder Nystagmus, der sehr rasch ver- schwindet, wenn der Druck nachlässt und jedes Mal wiederkehrt, so wie von Neuem die Luft comprimirt wird. Nach drei- bis fünfmaliger Wieder- holung dieses Versuches tritt auf dem der operirten Ohrseite entsprechenden Auge Exophthalmus auf; man sieht, wie mit jedem Luftstosse der Bulbus mehr und mehr aus der Orbita heraustritt; die Conjunctiva bulbi und palpebrarum füllt sich mit Luft und tritt emphysematisch hervor. Unter Dyspnoe und krampfartigen Zuckungen der Körpermusculatur tritt sogleich der Tod des Thieres ein. Erstickung ist ausgeschlossen, da die vorangeschickte Tracheotomie an dem Resultate nichts ändert. Will man reine Versuchsresultate erreichen, so muss man mit der Drucksteigerung recht langsam und vorsichtig verfahren. Bemerkenswerth ist die Kopfhaltung der operirten Thiere; nach dem jedesmaligen Lufteintreiben beugen sie den Kopf nach der zur Operation verwendeten Ohrseite. Veränderungen an den Pupillen habe ich nicht be- obachtet, dagegen erschien die Reflexerregbarkeit der Cornea des betreffen- den Auges vermindert. | Nur ein Kaninchen überlebte die Operation zwei Tage; am Tage nach derselben war das Thier in seinem Wesen total verändert; es lag auf der rechten Seite ausgestreckt und frass nicht. Das linke Auge entsprechend der operirten Öhrseite war empfindungslos; daselbst bestand eine eitrige Bindehautentzündung. Die Obduction ergab starke Hyperämie.der Meningen an der Basis und der Convexität des Gehirns; die Gefässe der Pia waren stark erweitert und strotzend von Blut erfüllt. An der Medulla oblongata dicht oberhalb der Corpora pyramidalia fanden sich Trübungen der Pia. Der Exophthalmns, der stets der operirten Seite entspricht, im Verein mit dem Emphysem der Conjunctiva beweist, dass vom Ohr aus Luft in das retrobulbäre Gewebe gelangt ist. Der Weg kann nur durch die Schädelhöhle gehen und ist hier der subdurale Raum, wovon man sich bei 14* 219 Benno BAGinsKY: der Obduction überzeugen kann. Wird nämlich bei derartig operirten Ka- ninchen mit Vorsicht der Schädel unter Schonung der Dura eröffnet, so kann man mit Leichtigkeit Luftblasen zwischen Dura und Pia auf. der operirten Seite nachweisen. Indirect bewies auch die Meningitis des obigen Kaninchens, dass Luft, in’s Ohr eingetrieben, Reiz und Entzündungserschei- nungen des Gehirns setzt. Um nun den Weg, auf dem hier der Lufteintritt in den subduralen Raum erfolgt, genauer kennen zu lernen, wiederholte ich die Luftdruck- versuche am todten Kaninchen. Wurde ein Stück der knöchernen Schädel- decke am Kleinhirn und der Medulla oblongata unter sorgfältiger Schonung der Dura entfernt, und nun Luft unter Druck in’s Ohr eingetrieben, so zeigte es sich, wie die Dura in der Gegend des Öerebellums und der Me- dulla oblongata durch eindringende Luft von der Gehirnoberfläche abge- hoben wurde und um so stärker, je stärker der Druck war und je mehr Luft eingetrieben wurde. Machte ich einen Einschnitt in die Dura und presste von Neuem Luft ein, so wurde bei jedesmaliger Compression das Kleinhirn und die Medulla oblongata pendelartig in die Höhe gehoben. Die Luft musste von einer unter oder seitlich von diesen Theilen gelegenen Stelle aus wirken. Wurde nun das Gehirn entfernt, die Schädelhöhle sorgfältig gereinigt und die Luft im Öhre von Neuem comprimirt, so zeigte es sich, dass an der Fossa jugularis ganz feine Luftblasen austraten. Goss ich in die Fossa jugularis einen Tropfen Wasser, so konnte man die Luft- blasen in dasselbe eintreten sehen. Die weitere Untersuchung innerhalb des Gehörorgans ergab, dass das runde und in einigen wenigen Fällen auch das ovale Fenster gesprengt war. Der bei diesen Versuchen in fast allen Fällen sofort eintretende Tod hat seine Ursache wahrscheinlich in einer Compression der Medulla oblongata durch die eingetretene Luft. Wir haben demnach auch hier dieselben Ergebnisse, wie bei den Ein- spritzungsversuchen; wir beobachten am Versuchsthiere dieselben Erschei- nungen hier, wie dort, und wir haben in ganz unzweifelhafter Form den Nachweis, dass, wenn Nystagmus und Kopfverdrehung vorhanden ist, die Luft in den subduralen Raum gelangt ist. Also auch diese letzten Ver- suche ergaben das schon früher constatirte Resultat, dass die in die Pauken- höhle von Kaninchen eingespritzten Flüssigkeiten durch das runde Fenster in die Scala tympani der ersten ‚Schneckenwindung und von da durch den Aquaeductus cochleae in den subduralen Raum gelangen. Was ist nun die Ursache des Nystagmus und der Schwindelerschei- nungen? Es lag nahe, dieselbe in einer Reizung der Dura mater zu suchen. Diese Möglichkeit musste zuerst in Erwägung gezogen werden, zumal von DıE FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE UV.S.w. 213 der Dura Reflexe ausgelöst werden können; so haben Hitzig und Fritsch nach elektrischer Reizung der Dura Zurückwerfen des Kopfes, Contractionen der Rückenmuskeln und in seltenen Fällen Bewegungen der Extremitäten beobachtet; in gleicher Weise hat Hr. Prof. Munk bei mechanischer und elektrischer Reizung der Dura Augenlidzucken bei Hunden gesehen. — Die Versuche, die ich selbst wiederholt habe, bestätigen diese Angaben, indess wollte es in keinem Falle gelingen, durch mechanische, chemische oder elektrische Reize von irgend einer Stelle der Dura Nystagmus oder Ver- drehung des Kopfes zu erzeugen. Es müssen deshalb die Erscheinungen auf eine Läsion des Gehirns selbst bezogen werden. Zur Erzeugung der in Frage stehenden Symptome waren, wie die Versuche ergeben haben, der Druck und ein gewisser Reiz nothwendig. Des Druckes bedurfte es, die Membran des runden Fensters zu sprengen, um den in die Paukenhöhle eingespritzten Flüssigkeiten den ‘Zutritt zum Labyrinth und zum Aquaeduetus cochleae zu eröffnen. Nun haben wir gesehen, dass bei der Einspritzung chemisch indifferenter Flüssig- keiten, wie Wasser oder ?/, procent. Kochsalzlösung von 38°C. der Druck recht erheblich gesteigert werden musste, um die Erscheinungen auftreten zu lassen. Dieser Druck musste bedeutender sein, als zur blossen Sprengung der Membran des runden Fensters nothwendig war. Dieser Ueberdruck wirkte somit als plötzlicher Reiz auf’s Gehirn und erzeugte die Erscheinungen. So verstehen wir auch, warum mit dem Augenblicke, in dem der Druck nachlässt, alle Erscheinungen verschwinden. Werden nun chemisch dif- ferentere Flüssigkeiten eingespritzt, so summiren sich die Reize, und dem- “ gemäss sind die Erscheinungen von längerer Dauer und grösserer Intensität. Welche Stelle des Gehirns wird nun bei unseren Versuchen getroffen ? Augenscheinlich ist es die Gehirnpartie, die am nächsten der Ausmün- dungsstelle des Aquaeductus cochleae an der Fossa jugularis gelegen ist. Die Stelle des Gehirns, die der Fossa jugularis aufliegt, lässt sich in folgen- der Weise bestimmen. Beim Kaninchen setzt sich der untere Kleinhirn- schenkel, ehe er Bestandtheil der Medulla oblongata wird, durch eine deut- liche quere Einkerbung von der M. oblongata ab. Oberhalb dieser Einkerbung ist die Oberfläche des Corpus restiforme mit grauer Substanz bedeckt, die dem Ursprunge der oberflächlichen Acusticuswurzeln angehört. Unterhalb dieser Einkerbung etwa 2 bis 3”” entfernt, liegt die Stelle, die uns inter- essirt und zwar etwa in der Mitte des freien Aussenrandes einer Oblongaten- hälfte, auf dem Querschnitte derjenigen Partie des Corpus restiforme ent- sprechend, welche der aufsteigenden Quintuswurzel am nächsten liegt. Durch frühere Untersuchungen ist aber bekannt, dass nach einseitiger directer mechanischer Reizung der Medulla oblongata die nämlichen Schwin- 214 BENNO BAGISsKY: delerscheinungen entstehen. Während bereits Magendie! durch Versuche den Nachweis geführt hat, dass durch Verletzung eines Corpus restiforme eine Schielstellung beider Augen stattfindet, so dass das Auge der ver- letzten Seite nach vorn unten, das der der anderen nach hinten oben ge- richtet ist, während Bernard? nach Verletzung des Bodens des vierten Ventrikels Schielen beobachtet hat, haben Schwahn? und Curschmannt gezeigt, dass einseitige oberflächliche Verletzungen des Corpus restiforme Nystagmus erzeugen, und dass nach Schnitten in das verlängerte Mark in der Nähe des Tuberculum acusticum und des Corpus restiforme das Auge der verletzten Seite nach vorn unten, das der anderen nach hinten oben gerichtet war. Es ist ferner erwiesen,’ dass nach einseitigen Verletzungen der Medulla oblongata Biegungen des Kopfes nach der verletzten oder ge- sunden Seite hin erfolgen, je nachdem der Schnitt am spinalen Anfang der Medulla oblongata, oder am vorderen Ende des Calamus, oder höher hinauf geführt ist. Mit diesen Stellungen verbinden sich häufig nach den Untersuchungen von Schiff und Brown-Söquard Kreis- und KRollbe- wegungen um die Längsaxe. Letztere treten besonders auf nach Verletzungen der Medulla oblongata in der Gegend des Tuherculum acusticum, und nach tiefen Läsionen des Corpus restiforme. Endlich hat Hitzig® den Nachweis geführt, dass die Hauptursache für den nach Eröffnung des Hinterhaupts bei Kaninchen auftretenden Nystagmus in der Temperaturdifferenz gelegen ist; hatte nämlich der Nystagmus auf- gehört, und wurden die Kleinhirnoberfläche und die benachbarten Theile von neuem mit Wasser von Zimmertemperatur oder Eiswasser abgekühlt, so traten die Zwangsbewegungen des Körpers, des Kopfes und der Augen wieder auf. Ich finde demnach hier eine vollständige Uebereinstimmung dieser Versuchsresultate mit den meinigen, und soweit mir die Ortsbestimmung von Schwahn? verständlich ist, stimmen die von ihm mit demselben Er- folge verletzten Theile auch mit der von mir gegebenen Ortsbestimmung ungefähr überein. Wir sehen also, dass der direete Angriff der in Frage stehenden Partie der Medulla oblongata genau dieselben Erscheinungen er- ! Magendie, Lecons sur les fonctions et les maladies du systeme nerveux I. _ Paris 1841. p. 296 und 299. ” Bernard, Lecons sur la physiologie et la pathologie du systeme nerveux. Paris 1858. t. I. p. 411. 426. ® Sehwahn, Ueber das Schielen nach Verletzung in der Umgebung des kleinen Gehirns. Beiträge zur Anatomie und Physiologie von Eckhard. Bd. VIII. Heft 3. * Curschmann, Beiträge zur Physiologie der Kleinhirnschenkel. Giessen 1868. ° Eckhard, Handbuch der Physiologie von Hermann. Bud. II?. S. 100. 101. ® Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. 1874. 8. 267. ER, 0% Dis FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U.S.w. 215 zeugt, wie ich sie bei meinen Versuchen vom Ohre aus erhalten habe, und ich habe somit den Beweis geliefert, dass die nach den Einspritzungen von Flüssigkeiten in die Paukenhöhle auftretenden Erschei- nungen ihre Ursache einzig und allein einer Läsion des Central- organs verdanken; wir kennen die Art des Eingriffes und den Ort der Läsion und haben so eine vollständig zureichende Er- klärung für die beobachteten Symptome. | Meine Untersuchung wäre hiermit abgeschlossen, wenn nicht noch die Behauptung vorliegen würde, dass gleiche oder ähnliche Erscheinungen, wie ich sie bei meinen Versuchen beobachtet habe, durch Läsion des Ohrlaby- rinths und speciell der halbeirkelföürmigen Canäle hervorgebracht werden können. Die Veranlassung zu dieser Annahme gaben die Untersuchungen von Flourens, welcher fand, dass nach Durchschneidung der Bogengänge bei Kaninchen und Tauben ähnliche Gleichgewichtsstörungen des Kopfes und Körpers auftreten, ohne dass nachweisbare Affectionen des Gehirns als Ur- sache für dieselben gefunden werden. Diese Untersuchungen führten Goltz und Andere weiterhin dazu, in den Bogengängen einen Gleichgewichtssinn (statischen Sinn) zu suchen. Auch die drei Fälle von Meniere’scher Krankheit bei Kaninchen, über die Exner! berichtet, schienen bei dem Mangel jeder nachweisbaren Gehirn- affeetion wenigstens in zwei Fällen — bei dem dritten wurde die Pia an der dem Ohre benachbarten Gehirnpartie geröthet gefunden — keine andere Deutung zuzulassen, als dass die beobachteten Erscheinungen durch Ver- ‚eiterung des Ohrlabyrinths entstanden sind. Meine ferneren Untersuchungen werden aber erweisen, dass solche Gleich- gewichtsstörungen, wie sie bei meinen früheren Experimenten beobachtet worden sind, und wie auch Exner sie bei seinen Kaninchen beschrieben hat, mit einer Läsion des Ohres in keinem ursächlichen Zusammenhange stehen. Reizung des Trommelfelles und der Paukenhöhle hat keine Störung der Coordination zur Folge, wie dies durch das Experiment leicht zu erweisen ist. Eingiessungen von chemisch differenten Flüssigkeiten in den äusseren Gehörgang und die Paukenhöhle von Kaninchen lassen, abgesehen von Schmerzempfindungen, keine Abnormität in der Haltung der Thiere zu Tage treten, so lange nicht die Flüssigkeiten durch Diffusion über den ersten Ort des Angriffes hinausgelangen. Geschieht dies jedoch, so kann man auch bei diesen Versuchen Nystagmus, Kopfverdrehung, Kreis- und Rollbe- wegungen beobachten, meist erst mehrere Stunden nach dem Eingriff. Die Obduction ergiebt in diesen Fällen starke Entzündungen des Gehirns, herbei- geführt durch die bis an dasselbe gelangten Flüssigkeiten. 1 Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1874. 8. 151 bis 161. 216 BENnNno BasınsKY: Dass hier die Diffusion mitwirkt, geht bestimmt hervor aus dem relativ späten Auftreten aller Symptome; es brauchen eben die Substanzen Zeit, um bis zum Gehirn zu gelangen und dort reizend zu wirken. Den Beweis hierfür ergeben Versuche an Kaninchen, denen ich kleine Stückchen Höllen- stein in die Paukenhöhle eingeführt habe. Nach 1 bis 2 Stunden erst traten Nystagmus, Verdrehung des Kopfes nach der operirten Seite, Taumeln und Kreisbewegungen auf. Diese Erscheinungen verblieben ausser dem Nystagmus, der schon nach zwei Tagen in den meisten Fällen verschwand, fast unver- ändert bis zum Tode, der nach 8 bis 11 Tagen erfolgte. Die Obduetion ergab in allen Fällen hochgradige Veränderungen des Gehirns, Entzündungen und Oedem desselben. Die Paukenhöhle und das ganze Labyrinth, Vorhof, Bogengänge und Schnecke waren mit Silbernitrat erfüllt, die Knochensub- stanz grau gefärbt und von Höllenstein durchdrungen. Es bleibt nun noch das Labyrinth übrig und ganz besonders sind es die Bogengänge, nach deren Läsion bei Säugethieren von Flourens ähn- liche, und von Cyon! gleiche Schwindelerscheinungen . beobachtet worden sind. Da bei der versteckten Lage der Bogengänge innerhalb des Felsen- beines und bei der Nähe des Gehirns die isolirte Verletzung der einzelnen Canäle ohne Mitläsion des Gehirns nicht gut möglich ist, so habe ich zur Erledigung der vorliegenden Frage einen anderen Weg betreten und den Versuch gemacht, von der Paukenhöhle aus das Labyrinth zu zerstören. Kaninchen eignen sich im Allgemeinen zu diesen Versuchen ausser- ordentlich schlecht, da der Zugang zur Paukenhöhle, wenn anders man nicht sehr grosse Verletzungen machen will, nur vom äusseren Gehörgang aus möglich ist, und die Zerstörung des Labyrinths auf gut Glück ausgeführt werden muss. Nachdem ich das Trommelfell perforirt hatte, bohrte ich mit einem Pfriemen das Labyrinth an. Es trat schon während der Operation Nystagmus auf, das Auge der operirten Seite stellte sich nach unten innen, das der nicht operirten nach oben aussen; der Kopf neigte sich sofort nach der operirten Seite. Am folgenden Tage bestanden der Nystagmus und die Schiefhaltung des Kopfes unverändert fort. Am dritten Tage hörten diese Augenbewegungen auf und kehrten bis zum Tode, der am siebenten Tage nach der Operation erfolgte, nicht wieder. Am fünften Tage constatirte ich Pendelbewegungen des Kopfes und Schiefhaltung desselben, ferner Taumeln des Körpers nach der operirten Seite. Die Obduction ergab, dass das Laby- rinth erbrochen und die Schnecke zerstört war. Ausserdem wurde eine Communication des Labyrinths mit der Schädelhöhle durch den erbrochenen + !Cyon, BRecherches ewperimentales sur les fonctions des canaux semieircu- laires etc. Paris 1878. p. 56 et suiv. Die FoLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. Ss. w. 217 Porus acustieus internus nachgewiesen; es war der Pfriemen direct bis in die Schädelhöhle gelangt. Demgemäss bestand auch eine diffuse Meningitis mit starkem Oedem des Gehirns. Da das Resultat bei einem zweiten Versuche das nämliche und auch hierbei das Gehirn mit betroffen war, so stand ich von bezüglichen weiteren Versuchen bei Kaninchen ab, und versuchte an Hunden, bei denen das Labyrinth leichter zu erreichen ist, weitere Erfahrungen zu sammeln. Bei Hunden gelingt es mit Leichtigkeit, die Bulla ossea frei zu legen. Es wird ein etwa 2” langer, dem Unterkieferrand paralleler Schnitt gemacht, ungefähr ?/,” medianwärts vom Unterkieferwinkel beginnend, die Fascien werden durch- schnitten und die Muskeln durch eingelegte Haken auseinandergehalten. In der Tiefe fühlt man die Bulla ossea, die, nachdem mit einem Raspatorium das Periost entfernt, mit einer guten Knochenscheere aufgebrochen wird. Die ganze Paukenhöhle liest nun frei vor Augen, und mittels eines Pfriemens kann man jedwede Zerstörung vornehmen. Bei einem weissschwarzen Pudel legte ich zunächst rechts und, nach- dem die erste Wunde geheilt war, auch links durch Entfernung des Pro- montorium die Schnecke frei mit möglichster Schonung derselben. Der Hund hatte sein Gehör verloren, zeigte aber sonst in keiner Weise irgend welche Störung, weder an den Augen noch in der Haltung des Kopfes und Körpers. Nach dreimonatlicher Beobachtung, während welcher Zeit sich an dem Thiere keine Abnormitäten herausstellten, wurde er getödtet. Die Untersuchung des Gehörorgans ergab, dass beide Schnecken degenerirt waren und an Stelle des Promontorium fand sich eine Depression des Knochens, eine Narbe vor. Die häutigen Säckchen waren in dem Narbengewebe nicht aufzufinden, dagegen zeigte sich im ganzen Labyrinth eine seröse blutige Flüssigkeit, die mikroskopisch aus rothen Blutkörperchen, Eiterzellen und einer grossen Menge Fettkörnchenzellen bestand. Am Acusticus war eine sichtbare Veränderung nicht nachweisbar. Ich wiederholte nun den Versuch an einem zweiten Hunde, jedoch mit der Modification, dass ich diesmal das ganze Labyrinth, Schnecke und Vor- hof mit dem Pfriemen zu zerstören suchte. Kaum hatte ich die Schnecke entfernt, so trat schon in der Narkose ein hochgradiger Nystagmus auf. Die Augenachsen verstellten sich, sodass das der operirten Seite entsprechende Auge nach unten innen, das der anderen Seite nach oben aussen stand. Es änderte sich das Bild gar nicht bei der weiteren Läsion des übrigen Labyrinths. Es floss aus dem durch die Operation aufge- brochenen Porus acusticus internus, wie man sich überzeugen konnte, Cerebro- spinalflüssigkeit ab. Aus der Narkose erwacht, fiel der Hund auf die operirte Seite unter Schiefhaltung des Kopfes nach derselben Richtung. Am folgen- den Tage bestanden der Nystagmus, die Augenstellung, Schiefhaltung des 218 BENNO BAGInsKY: Kopfes in gleicher Weise fort; der Hund taumelte und fiel zumeist auf die operirte Seite. Durch einen breitbeinigen Gang suchte er für die Dauer das Taumeln zu compensiren, was ihm bei langsamer Bewegung zum Theil wohl gelang; wurde er gejagt, so fiel er häufig hin. Der Nystagmus ver- schwand am dritten Tage nach der Operation; dagegen blieben die ab- norme Augenstellung, die Verdrehung des Kopfes und das Taumeln bis zum Tode, der nach 1!/, Monaten erfolgte, bestehen. Die Obduction ergab, dass die Paukenhöhle und das ganze Labyrinth in ein Narbengewebe verwandelt waren; an Stelle der Schnecke fand sich ein fibröses Gewebe, das den Porus acusticus internus fest gegen das Labyrinth abschloss. Von den häutigen labyrinthären Theilen war trotz der genauesten Untersuchung nichts aufzufinden. Zwischen dem Porus acustieus internus der operirten Seite und dem Labyrinth bestand eine offene Communication, welche jetzt durch das Narbengewebe geschlossen ist. Am Gehirn fanden sich beträchtliche Ver- änderungen vor, Oedem desselben, Hyperaemien der Dura und Pia, Trübungen derselben und meningeale Blutungen, sowohl an der Basis, wie an der Con- vexität. Auch Blutungen in der Gehirnsubstanz selbst waren vorhanden, und ganz besonders in der Grosshirnrinde an der Convexität und dem hin- teren Theile des Oceipitallappens an der dem Kleinhirn anliegenden Fläche. Solche Versuche habe ich zu wiederholten Malen mit gleichem Erfolge ausgeführt. Waren auch am Gehirn nicht immer nachweisbare Verletzungen vorhanden, so ergab die Untersuchung doch in allen Fällen, dass die Schädel- höhle eröffnet worden war, indem der Porus acustieus internus entweder partiell oder total erbrochen und durch ein fibröses Gewebe geschlossen war. Auf diese Weise wird eine Läsion und Zerrung des Gehirns gesetzt, und um so mehr, als ja bei der Fortnahme der Schnecke mit der Zerreissung des Acusticus direct am Gehirn gezerrt wird. Wir sehen demnach, dass die Zerstörungen des Labyrinths keine Er- scheinungen von Gleichgewichtsstörungen erzeugen, so lange nicht das Gehirn selbst in Mitleidenschaft gezogen ist, sei es, dass die Läsion eine anatomisch nachweisbare ist, oder nur in einer Zerrung der Medulla oblongata und ihr benachbarter Partien durch Abreissen des Nervus acusticus besteht. Diese Versuche widerlegen in vollkommener Weise die bisherige An- schauung, dass die Vorhofszweige des Acusticus mit den Bogengängen das periphere Organ des Gleichgewichtsinnes darstellen. Diese Deutung ist ent- standen unter der Voraussetzung, dass die Durchschneidung der Bogen- gänge ohne Läsion des Gehirns ausführbar sei. Die Bogengänge liegen aber im Felsenbein so versteckt und so nahe dem Gehirn, dass eine isolirte Verletzung derselben ohne eine solche des Gehirns absolut unmöglich ist. Nimmermehr würde im Labyrinth ein Organ des Gleichgewichtsinnes gesucht worden sein, hätte man die Möglichkeit der Mitläsion des Gehirns Dre FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. Ss. w. 219 -im Auge gehabt und nach der Verletzung geforscht, die bei jeder Bogen- gangsdurchschneidung diejenigen Partien des Gehirns treffen muss, durch deren Angriff, wie nach früheren Untersuchungen feststeht, dieselben Gleich- gewichtsstörungen erzeugt werden. Unter diesen Umständen bedarf es kaum noch eines Beweises, dass die Gleichgewichtsstörungen weder einer Reizung noch einer Lähmung der labyrinthären Acusticuszweige, wie bisher vielfach behauptet wurde, ihre Entstehung verdanken. Bei den Hunden, deren Promontorium ich weggebrochen hatte, waren wie wir gesehen haben, das ganze häutige Labyrinth, Utriculus, Sacculus‘ und Schnecke degenerirt. Hier bestand eine durch die Entzündung gesetzte Reizung des Acustieus, der dann eine Lähmung folgte, und doch hatte sich an den Thieren während mehrerer Monate keine Spur einer Üoordinations- störung gezeigt. Es fehlte also beiderseits das Sinnesorgan für das Gleich- gewicht, und dennoch war das Gleichgewicht in keiner Weise gestört, die Thiere waren zu jeder normalen Bewegung befähigt. Wären die Bogen- gänge mit den ihnen zugehörigen Nerven ein peripheres Gleichgewichtsorgan, die Retina das periphere Organ für den Gesichtssinn ist, so müsste nach Zeıstörung dieses Organs das Gleichgewicht ein für alle Mal aufgehoben sein, wie das Sehvermögen nach Zerstörung beider Retinae nimmer wieder- kehrt. Dies ist aber nicht der Fall. Ob die Zerstörung der Nerven- endigungen im Vorhof langsam oder schnell erfolgt, ist hier vollkommen belanglos, es kommt schlechterdings nur auf den Endeffeet und auf die voll- kommene Aufhebung der Function derselben an. Auch die Kaninchenversuche geben ein gleiches Resultat. Wurde Kaninchen Wasser von 9 bis 15°C. im ein Ohr gespritzt, so fanden sich häufig, wenn die Thiere den Eingriff überlebten, schwerere Veränderungen im Labyrinth. Die Paukenhöhle war häufig mit einem eiterigen, das Laby- rinth mit einem blutig serösen Exsudat angefüllt, die häutigen Gebilde im Zustande beträchtlicher Entzündung. Hier handelte es sich um eine Reizung der Vorhofszweige des Acusticus, doch waren Störungen der Coordination, abgesehen von den bei der Einspritzung primär entstandenen und sogleich wieder verschwundenen Symptomen, während der ganzen Lebenszeit nicht zu beobachten. Auch das schnelle Verschwinden der primären Erscheinungen bei Einspritzungen spricht mit Sicherheit dafür, dass die Vorhofszweige des Acusticus in keinem causalen Zusammenhange mit ihnen stehen. Wäre das der Fall, so müssten mit der längeren Einwirkung gewisser die Nerven alterirender Substanzen die Erscheinungen allmählich mehr und mehr zunehmen, und doch sehen wir bei Einspritzungen von etwas con- centrirteren, etwa 10- bis 15°/,igen Kochsalzlösungen, schon kurze Zeit nach der Einspritzung alle Symptome schwinden, Trotzdem also der Reiz auf 220 BENnNno BaAGınsKY: die Endausbreitungen des Acusticus noch fortdauert, verlieren sich die durch die Injection erzeugten Primärerscheinungen. Sie können demnach un- möglich durch eine Reizung der Nerven entstehen, dagegen sind sie wohl verständlich durch die Annahme einer Reizung des Gehirns. Die physiologischen Versuche beweisen somit unzweifelhaft, dass das Öhrlabyrinth und speciell die Vorhofszweige des Acusticus keinen Einfluss üben auf die Erhaltung oder Störung des Gleichgewichts; mit der Störung desselben war, wie wir gesehen haben, entweder eine Läsion des Gehirns direct nachweisbar, oder die Verletzung des Labyrinths war eine so tief- gehende, dass das Gehirn durch Quetschung oder Zerrung indirect in Mit- leidenschaft gezogen wurde. In allen Fällen handelte es sich also um Mit- läsionen dem Labyrinth benachbarter Gehirntheile. | Wenn es einer weiteren Stütze noch bedarf, das Labyrinth für die Schwindelerscheinungen als causales Organ auszuschliessen, so finden wir sie in der Pathologie in reichlichem Maasse. Ganz besonders beweisend sind diejenigen Fälle, in denen das ganze Gehörlabyrinth nekrotisch aus- gestossen wird, ohne dass jemals Gleichgewichtsstörungen oder Schwindel vorhanden waren. Hier ist der Acusticus gelähmt und nicht bloss die Zweige, die zur Schnecke gehen, sondern auch die des Vorhofs, und doch fehlen alle supponirten Störungen. Allerdings kommen derartige Fälle nicht sehr häufig vor, und die Erkrankungen beschränken sich relativ selten auf’s Labyrinth allein; indess sind die wenigen genau beobachteten Fälle von um so grösserem Werthe. Nicht minder wichtig für die Beurtheilung der vorliegenden Frage sind die Fälle von Vereiterungen des Labyrinths, in denen die längere Zeit bestehenden Schwindelerscheinungen nach Ausheilung des Eiterungsprocesses sich ganz und gar verlieren, oder auch während der noch bestehenden Er- krankung verschwinden, wenn nur den im ÖOhre gebildeten Secreten durch Ausspritzen oder Anbohrung des Warzenfortsatzes freier Abfluss gestattet ist. Wie anders sind diese Schwindelerscheinungen zu erklären, als durch die Annahme einer Gehirnreizung? Das Labyrinth ist hier entzündet, die Nerven, sowohl der Nervus cochleae als der Nervus vestibuli in Mitleiden- schaft gezogen, vielleicht in einem Zustande der Reizung oder Lähmung, und doch ‘verschwinden die Erscheinungen gänzlich. Sofern sie mit dem Labyrinth und dessen Nerven im ursächlichen Zusammenhange stünden, müssten sie unbedingt fortbestehen. Auch die Fälle von Meniere’scher Krankheit mit vorübergehenden Sehstörungen und Hemiopie! sind nicht anders, als durch eine Affection des Gehirns zu deuten. Wir finden demnach eine vollständige Uebereinstimmung der patho- logischen Erfahrungen mit den physiologischen Untersuchungen. ! Moos, Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde. Bd. VII. 1878. Dir FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE v.S.w. 221 Das Ohrlabyrinth hat mit den Gleichgewichtsstörungen direet nichts zu thun; sie entstehen im Experiment einzig und allein durch einen Angriff des Gehirns. Ist die Läsion desselben keine tiefere, so verschwinden sie schon nach kurzer Zeit; er- zeugt der Eingriff gröbere Verletzungen des Gehirns, so können die Störungen denselben beliebig lange, je nach dem Grade der Gehirnläsion, überdauern. Nachdem die Untersuchung bis hierher geführt worden war, erschien es nothwendig, sie auch auf die Tauben auszudehnen, zumal die oberfläch- liche Lage der Bogengänge bei diesen Thieren, nach der Meinung der Mehr- zahl der Forscher seit Flourens, eine isolirte Verletzung derselben ohne Mitläsion tiefer liegender Theile und speciell des Gehirns gestatten sollte. Unter dieser Voraussetzung wurden die nach Verletzung der Bogengänge auftretenden Erscheinungen auf die Bogencanäle selbst bezogen, welche somit die peripheren Organe eines besonderen Sinnes, des sogenannten sta- tischen Sinnes darstellen sollten. Die Eingriffe und Operationen an den Bogengängen wurden in ver- schiedener Weise ausgeführt. Während Goltz nach Freileeung der Canäle dieselben mit einem kleinen Meissel, unbekümmert um die sie begleitenden Blutgefässe, herausgrub, legten Andere den grössten Werth auf vorsichtige Durchschneidungen unter möglichster Vermeidung von Blutungen, sodass alle weiteren Complicationen ausgeschlossen werden. Will man ein richtiges Urtheil gewinnen, so muss diesem Postulat Genüge geschehen, und von diesem Standpunkte aus sind meine Untersuchungen unternommen. Ich führte abwechselnd die Durchschneidung der Bogengänge mit einem scharfen Messer und mit der Scheere aus. Während im ersteren Falle die Operation fast ganz ohne Blutung ausgeführt werden kann, erfolgen im letzteren stets grössere oder geringere Blutungen durch die unvermeidliche Mitverletzung der Gefässe. Die von sichtbaren Blutungen begleiteten Bogengangsope- rationen finden nun insoweit Berücksichtigung bei der vorliegenden Frage, als sie gewisse Complicationen unserem Verständnisse näher führen. Die Anwendung des Eisenchlorids zur Stillung von Blutungen bei der Operation, oder zur chemischen Reizung der häutigen Bogengänge, halte ich für fehler- haft, da durch die Porosität der Schädelknochen der Taube und die eigen- thümliche Formation des Aquaeductus vestibuli, deren ich gleich Erwähnug thun werde, das Reagens mit Leichtigkeit an’s Gehirn gelangen kann; das- selbe gilt für die thermischen und elektrischen Reize. Ich betone dies des- halb, weil einige Forscher aus den diesen Reizen nachfolgenden Störungen Schlüsse auf die Function der Bogengänge ziehen zu können glaubten. Auf die Anatomie der Bogengänge gehe ich nicht näher ein, da ich 222 Benno BacınssKY: den Untersuchüngen von Hasse! und Böttcher? nichts hinzufügen kann. Ich bezeichne mit Breschet die beiden verticalen Bogengänge als vordere und hintere? Da der vordere so dicht dem Kleinhirn anliegt, dass dessen Verletzung stets das Kleinhirn mittrifft, so habe ich von der Durchschneidung dieses Canals Abstand genommen und mich nur auf den horizontalen und hinteren verticalen beschränkt. Ein Punkt bedarf indess noch einer besonderen Betrachtung, da er für die richtige Beurtheilung der vorliegenden Fragen von ausserordentlicher Bedeutung ist. Sklarewsky* hat nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Vögeln ein zwischen den Bogengängen liegender und mit der Schädelhöhle communicirender Raum (Cavitas mesootica) vorhanden sei, der einen Fortsatz des Kleinhirns enthalte. Diese Höhle erstreekt sich zwischen die Bogengänge bis an die äusserste Convexität des hinteren ver- ticalen. Bei der Durchschneidung der Bogengänge würde nun dieser Fort- satz häufig mitverletzt und die Bogengangsverletzung auf diese Weise durch die des Gehirns complieirt, was bisher übersehen worden sei. Nun hat Böttcher? den Nachweis geführt, dass dieser Sklarewsky’sche Kleinhirnfortsatz nichts Anderes ist, als der Aquaeductus vestibuli, der nach den Untersuchungen von Hasse® nach seinem Austritt aus der Apertura aquaeductus vestibuli frei in den Raum zwischen Dura und Pia eintritt und sich an der Seite des Öerebellums, mit der Gehirnhülle in Verbindung tretend, trichterförmig erweitert in das Cavum epicerebrale eröffnet. Meine Unter- suchungen sind mit denen Böttcher’s vollkommen übereinstimmend und konnte ich ebensowenig, wie er, nervöse Elemente in der Cavitas mesootica nachweisen. Eine directe Verletzung des Gehirns im Sinne Sklarewsky’s ist dem- nach bei der Bogengangsdurchschneidung nicht möglich; indess kann bei energischen Eingriffen und speciell bei der Ausmeisselung der Bogengänge, wie dies bereits Böttcher mit Recht betont hat, durch Zerreissung der Gefässe eine nach innen gehende Blutung erfolgen und durch Zerrungen und Verletzungen des Aquaeductus vestibuli das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen werden. In wie weit selbst die vorsichtige und ohne jede weitere Läsion ausgeführte Bogengangsdurchschneidung das Gehirn treffen muss, wird sich aus den weiteren Mittheilungen ergeben. ! Hasse, Die Lymphbahnen des inneren Ohres der Wirbelthiere. Leipzig 1873. ® Böttcher, Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. IX. ° Böttcher bezeichnet sie als inneren und den mehr oberflächlich gelegenen als äusseren. Die von Spamer (Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XXI. S. 479) vorgeschla- gene Benennung „Längs- und Querverticalcanal‘“ erhöht nur etwaige Missverständnisse. * Mittheilungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften, Göttingen 1872. 5 Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. IX. 8. 9. IN a0. SEO: Dis FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. $. w. 223 Meine Versuche erstrecken sich auf 105 Tauben. Die nach der Bogengangsdurchschneidung auftretenden Gleichgewichts- störungen kann man übersichtlich eintheilen in die unmittelbar nach der Operation auftretenden, die ich der Kürze halber die primären Störungen nennen möchte, und in die einige Tage nach der Operation häufig sich ent- wickelnden, die ich als die secundären bezeichnen will. Ich möchte zunächst die letzteren Störungen der weiteren Betrachtung unterziehen. Sie stellen sich in folgender Weise dar. Einige Tage nach der Bogengangsdurch- schneidung und gewöhnlich zwischen dem 5. und 8. Tage stellt sich bei vielen Tauben, gleichgültig ob nur ein horizontaler oder ein hinterer ver- ticaler, ob beide horizontalen oder beide hinteren verticalen Bogengänge durch- schnitten worden sind, bei einseitiger Bogengangsdurchschneidung nach der betreffenden Seite und bei doppelseitiger Durchschneidung nach einer der beiden Seiten eine Verdrehung des Kopfes um 180° der Art ein, dass die Tauben den Hinterkopf auf den Erdboden legen und den Schnabel nach oben richten. Diese perverse Kopfstellung entwickelt sich ganz allmählich während der angegebenen Zeit und bleibt meist bis zum Tode bestehen. Wir haben hier dasselbe Bild vor uns, wie es Goltz von seinen Tauben entworfen hat. Interessant ist es, zu beobachten, wie derartige Tauben, sich selbst überlassen, abwechselnd den Kopf wieder in die normale oder von der Norm nicht sehr abweichende Stellung zurückbringen können, wie sie alsdann im Zimmer umhergehen, Erbsen aufnehmen, ihr Gefieder putzen, um ganz plötzlich häufig ohne jede bestimmte Ursache und ganz besonders, wenn sie gejagt werden, den Kopf wieder zu verdrehen. Das Flugvermögen ist bei diesen Thieren ganz aufgehoben, flatternd können sie sich nur ein wenige vom Boden erheben, beschreiben dabei Kreise in der Luft, sich meist nach der operirten Seite drehend. | Die anatomische Untersuchung derartiger Tauben einige Wochen nach der Operation ergiebt stets den nämlichen Befund. Ich constatirte eine eitrige Infiltration der Schädelknochen, sich meist erstreckend über das ganze Schädeldach. Die Knochen waren erweicht und die sonst lufthaltigen Zellen erfüllt von einem gelben festweichen körnigen Exsudat. An der Stelle, wo sonst die Bogengänge liegen, fand sich bei einseitiger Operation auf der operirten Seite und bei doppelseitiger Operation meist auf beiden Seiten eine Knochennarbe, und die Bogengänge selbst waren in dem erweichten Gewebe nur in erweichten Resten aufzufinden. Das ganze Labyrinth war total vereitert, und es war zu sehen, wie der entzündliche Process durch die erweichten und zum Theil vereiterten Knochen das Gehirn selbst in Mitleidenschaft gezogen hat. Es bestand eine Verdickung der Dura am Gross- und Klein- hirn, starke Vascularisation und Verwachsung derselben mit dem Knochen an verschiedenen Stellen. Die Pia war an einzelnen Stellen verdickt und 224 a Benno BacınsKY: getrübt. Besonders affieirt war der seitliche Kleinhirnfortsatz bei einseitigen Operationen auf der betreffenden Seite und bei doppelseitigen Operationen in erheblicherem Maasse auf der Seite, nach der die Kopfverdrehung er- folgt war. Versuchte man das Gehirn aus der Schädelkapsel zu entfernen, so blieb häufig eine kleine Partie des seitlichen Kleinhirnfortsatzes in der Cavitas mesootica (Sklarewsky) an der verdickten Dura und dem ent- ‘ zündlich veränderten Aquaeductus vestibuli haften. Es ist dies eine überaus wichtige Thatsache; denn während im normalen Zustande, wie angegeben, in der Cavitas mesootica nervöse Elemente nicht aufzufinden sind, bleibt häufig bei entzündlichen Processen die oberflächlichste Partie des seitlichen Kleinhirnfortsatzes bei Herausnahme des Gehirns aus der Schädelhöhle an der Dura und dem häutigen Aquaeductus vestibuli in der Cavitas mesootica zurück. Dieser zurückbleibende Rest des Kleinhirnfortsatzes ist, wie es scheint, den meisten Forschern entgangen, und doch finden sich hier recht erheb- liche pathologische Veränderungen. Die mikroskopische Untersuchung dieser Partien ergiebt eine Menge Fettkörnchenzellen, Producte der fettigen De- generation. Wie in allen diesen Fällen die Kopfverdrehung durch die von dem Orte der Verletzung aus auf das Gehirn sich ausbreitende Entzündung sich allmählich entwickelt, so kann sie durch tiefere Läsionen der Bogengänge und besonders, wenn die Durchschneidung mit stärkeren Blutungen sich complieirt, sogleich nach der Operation oder wenige Stunden nach derselben auftreten, gleichgültig, welche Bogengänge durchschnitten sind und ob die Operation ein- oder doppelseitig ausgeführt wird. Wurden die Bogengänge mit der Scheere unbekümmert um die Blutgefässe durchschnitten, so zeigte sich in einer grossen Reihe von Fällen sehr rasch nach der Operation die Kopfverdrehung, in einigen Fällen erst am folgenden Tage. Der Tod dieser Tauben erfolgte gewöhnlich 1 bis 2 Tage nach der Operation. Die Ob- duction ergab in fast allen diesen Fällen Blutungen unter der Dura an der Medulla oblongata am Eingange des vierten Ventrikels, grössere und kleinere Blutungen in der Gehirnsubstanz selbst und ganz besonders im Cerebellum, am seitlichen Kleinhirnfortsatz, am Corpus quadrigeminum, auch am Pons. Die Ursache für die Kopfverdrehung ist demnach stets eine Affection des Gehirns; entweder sind es Blutungen, die gewisse Partien des Gehirns sogleich nach der Bogengangsverletzung treffen, oder es sind consecutive Entzündungen, die von der Operationswunde ausgehend die Schädelknochen und das Gehirn in Mitleidenschaft ziehen. Es folgt daraus, dass die Kopfverdrehung mit der Durch- schneidung eines bestimmten Bogenganges nichts zu thun hat, Dız FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U. Ss. w. 295 Dass dies so ist, geht noch weiter hervor aus Versuchen, in denen durch andere Eingriffe, die eine Entzündung der Schädelknochen und indireet eine solche des Gehirns setzten, Kopfverdrehung eintrat, ohne dass die Bogen- gänge überhaupt mitverletzt wurden. So zerstörte ich einer Taube das linke Trommelfell. 7 Tage nach der Operation zeigten sich an dem Thiere keine abnormen Erscheinungen. Die Taube war munter, nahm Nahrung zu sich, hielt den Kopf aufrecht und konnte gut fliegen. Am 8. Tage trat Taumeln nach der linken Seite auf, Kopf und Rumpf geneigt haltend, ging sie ungeschickt durch’s Zimmer. Am 10. Tage nach der Operation verdrehte sie den Kopf derartig um 180° nach links, dass das Hinterhaupt auf dem Tische lag und der Schnabel nach oben gehalten wurde, der Tod erfolete 4 Tage darauf. Die Obduction ergab eine eitrige Infiltration der Schädel- knochen und des linken Ohrlabyrinths, das linke Felsenbein erschien leicht brüchig, wie macerirt. Die Untersuchung des Gehirns, die ausserordentlich erschwert war, ergab an der linken Seite des Kleinhirns eine Stelle, die erweicht erschien. Die Untersuchung des Aquaeductus vestibuli gelang nicht, da er im erweichten Knochengewebe nicht aufzufinden war. Ich überzeugte mich indess, dass der krankhafte Process das ganze Felsenbein durchdrungen hatte und bis an’s Gehirn gelangt war. Eine gleiche Be- obachtung konnte ich bei einer Taube machen, bei der ich nur einen knöchernen Bogengang ohne Verletzung des häutigen angeschnitten hatte. Die Kopfverdrehung trat nach 5 Tagen auf und auch hier zeigte sich bei der anatomischen Untersuchung eine Läsion des Gehirns; es fanden sich kleinere Hämorrhagien des Aquaeductus vestibuli und eine deutlich mikros- kopisch nachweisbare Verfettung (Fettkörnchenzellen) der oberflächlichen Partien des seitlichen Kleinhirnfortsatzes.. — Endlich folgt der Verletzung des Kleinhirns selbst in der Nähe des seitlichen Fortsatzes sogleich nach der Operation Verdrehung des Kopfes nach der operirten Seite. Das Ein- stechen einer Nadel in die seitliche Kleinhirnpartie genügt, um die stärksten Verdrehungen hervorzurufen. Die Taube legt sofort unter Verdrehung des Kopfes den Scheitel auf den Erdboden, und hält den Schnabel nach oben. Dazu gesellen sich Taumeln und Rollbewegungen. Die Kopfverdrehung, zuerst sehr heftig, kann sich in den folgenden Tagen, wenn nicht inzwischen der Tod durch Gehirnentzündung eintritt, etwas zurückbilden. Wir sehen also, dass die mannigfachsten Eingriffe die Kopfverdrehung zu Wege bringen können, und dass alsdann stets Veränderungen im Ge- hirn nachweisbar sind.! ı Wir haben jetzt eine Erklärung für die Kopfverdrehung des von Vulpian (Legons ete., Paris 1866) beschriebenen Hahns und der von H. Munk (Verhandlungen der Berliner physiolog. Ges., 16. Juli 1878, dies Archiv, 1878. 8.347) beobachteten Taube. Vulpian giebt an, dass der Hahn in einem Kampfe sich die Verletzung zugezogen habe, Archiv f. A, u. Ph. 1881. Physiol, Abthig. 15 226 BENnno BacınsKr: Wenn nun Goltz und andere Forscher aus der Kopfverdrehung den Schluss gezogen haben, dass die Bogengänge die peripheren Organe des statischen Sinnes, ein Sinnesorgan für das Gleichgewicht des Kopfes und mittelbar des ganzen Körpers sind, so beweisen meine sämmtlichen Ver- suche, die mit denen Böttcher’s übereinstimmen, dass die Kopfver- drehung mit der Läsion der Bogengänge in keinerlei directer Beziehung steht. Die wirksame Ursache für die Kopfverdrehung ist die Läsion des Gehirns. Es könnten nun noch die primär nach Durchschneidung der Bogen- gänge auftretenden Gleichgewichtsstörungen die Annahme eines statischen Sinnes in den Bogengängen zulassen, zumal, wie Flourens und Andere be- hauptet haben, zwischen der Richtung der Bogengänge und den Coordi- nationsstörungen ein bestimmtes Abhängiekeitsverhältniss bestehen sollte, so dass nach Durchschneidung beider horizontalen Bogengänge Kopfpendeln in horizontaler Richtung, nach der Läsion beider verticalen Kopfpendeln in verticaler Richtung auftritt; dem entsprechend sollten auch die Coordinations- störungen des Körpers von der Richtung des verletzten Bogenganges ab- hängen und nach Durchschneidung beider horizontalen Canäle um die verticale Axe, nach Durchschneidung beider verticalen Bogengänge um die Queraxe erfolgen. Betrachten wir nun die primär nach Durchschneidung der verschie- denen Canäle auftretenden Gleichgewichtsstörungen etwas genauer. und Munk erfuhr nachträglich von dem betreffenden Taubenzüchter, dass die junge Taube beim Ausfliegen aus dem Taubenschlage sich an einem Brette wiederholt am Hinter- kopf gestossen habe. Es handelte sich in beiden Fällen um eine durch mechanische Läsion herbeigeführte Entzündung der Schädelknochen, die zur Zerstörung der Bogen- gänge und zur Entzündung des Kleinhirns geführt hatte. Die nachträgliche Unter- suchung des Taubengehirns, die ich ausführen konnte, war resultatlos, da in Folge der ursprünglichen Untersuchung die in Frage stehende Gehirnpartie zerstört war. Hensen (Hermann, Handbuch der Physiologie, Bd. III, Th. U, S. 142) hatte bereits darauf aufmerksam gemacht, dass unbemerkt gebliebene Läsionen des Ge- hirns in diesen Fällen die Erscheinungen mit verursacht haben könnten, und beruft sich auf die Untersuchungen von Schiff (Lehrbuch der Physiologie, Lahr 1858/59, S. 399), dass bei Kaninchen und Fröschen nach Trennung des Acusticus ohne Zer- rung des Gehirns die Bewegungen ganz ungestört bleiben. Diese Untersuchungen wider- sprechen den Angaben von Brown-Sequard und Goltz, dass nach Durchschnei- dung der Hörnerven selbst bei Fröschen und Säugethieren Gleichgewichtsstörungen, Roll- und Drehbewegungen entstehen. — Bei der Lage des Acusticus ist meiner Ansicht nach die isolirte Durchschneidung desselben in der Schädelhöhle am lebenden Thiere ohne Mitläsion des Gehirns nicht möglich; andererseits wird bei tieferer Verletzung des Acusticus im Labyrinth, wie aus meinen früheren Versuchen an Hunden hervorgeht, stets die Gehirnsubstanz mitgezerrt. Findet nur eine oberflächliche Läsion der Acusticus- zweige statt, so treten, wie erwiesen, keine Gleichgewichtsstörungen auf. DiE FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U.S. w. 227 Nach Durchschneidung eines häutigen horizontalen Canals zeigt sich in allen Fällen eine Störung in der Haltung des Körpers. Die Tauben taumeln stets nach der operirten Seite und haben eine Neigung nach der- selben zu fallen, sowohl nach vorn, wie nach hinten. Besonders treten die Erscheinungen zu Tage, wenn die Thiere beunruhigt oder gejagt werden, dabei zeigen sie, wenn auch nicht in allen Fällen, Kreisbewegungen stets nach der der Operation entsprechenden Seite. Die Haltung des Kopfes ist, wenn man genau beobachtet, nicht immer normal. Man sieht, wie die operiiten Thiere, indem sie durch das Zimmer gehen, häufig ganz plötzliche, vor der Operation nicht beobachtete Be- wegungen mit dem Kopfe, krampfartig nach der Seite der Läsion entweder in horizontaler oder verticaler Richtung machen. Es ist dies allerdings keine constante Erschemung. Das Flugvermögen ist in vielen Fällen ge- stört, doch habe ich Tauben beobachtet, die noch leidlich fliegen konnten. Die meisten erheben sich nur flatternd vom Boden und beschreiben da- bei in der Luft kleinere oder grössere Kreise stets nach der operirten Seite. An dem Beine der operirten Seite konnte ich in den meisten Fällen eine Veränderung beobachten; dasselbe war etwas flectirt und abducirt, der Gang dem entsprechend etwas schwerfällig. In einem Falle, in dem der lange Schenkel des linken horizontalen Bogenganges durchschnitten war, trat sogleich nach der Operation Erbrechen auf. Nach Durchschneidung beider horizontalen Canäle sind die nachfolgenden Störungen weit erheblicher. Sofort nach der Durchschneidung beginnt ein starkes Pendeln des Kopfes, zumeist in horizontaler Richtung, ‘ das an Intensität noch zunimmt, wenn die Taube zu gehen versucht. Da- bei taumelt sie nach beiden Seiten, bald hat sie Neieung nach vorn, bald nach hinten zu fallen. Das Gleichgewicht ist nach allen Richtungen ge- stört. Häufig beschreibt sie Kreise im Sinne. des Uhrzeigers und um- gekehrt. Beide Beine erscheinen flectirt und abdueirt, das Gehen ist er- schwert, die Füsse werden schwerfällig aufgesetzt. Das Flugvermögen ist ganz aufgehoben; lässt man sie vom Tische herunter flattern, so stürzen sie auf den Kopf oder die Seite. Lässt sich nicht wegläugnen, dass in den weitaus meisten Fällen von doppelseitiger Durchschneidung beider horizontalen Canäle das Kopfpendeln in horizontaler Richtung von einer Seite zur anderen erfolgt, so ist dies doch nicht constant; ich habe hier mit Bestimmtheit bei einigen Tauben Pendel- oder vielmehr Schleuderbewegungen des Kopfes beobachtet nach den verschiedensten Richtungen, sowohl horizontal, als vertical, und objective Beobachter konnten mit mir keine bestimmte Richtung vorwalten sehen. In 5 Fällen trat kurze Zeit nach der Operation Erbrechen auf. Das- selbe ist meiner Ansicht nach die Folge des Schwindels; es tritt besonders 152 5938 Benno Bacmmsky: dann leicht auf, wenn die Tauben vorher reichlich Nahrung zu sich ge- nommen hatten, und um so häufiger, je heftiger die Pendelbewegungen des Kopfes sind. Böttcher bringt das Erbrechen in Beziehung zu dem Orte des Eingriffes; so ist es bei seinen Versuchen besonders aufgetreten bei Durchschneidung des hinteren Schenkels des horizontalen und des unteren Schenkels des hinteren verticalen oder beider zugleich. Nach der Bogen- sangsdurchschneidnng oberhalb bezüglich vor der Kreuzung hat Böttcher es nicht beobachtet. Meine Versuche bestätigen diese Annahme nicht, da ich es nach Durchschneidungen der verschiedenen Stellen der betreffenden Bogengänge beobachten konnte. Betrachten wir nun die Erscheinungen, die nach Durchschneidung eines verticalen Canals entstehen. Es lassen sich im Allgemeinen in der Intensität der Erscheinungen nach Durchschneidung eines horizon- talen oder verticalen Canals keine Unterschiede herausfinden. Was die Erscheinungen selbst betrifft, so zeigt sich bei allen Tauben nach einseitiger Durchschneidung des hinteren verticalen Bogenganges eine Störung in der Körperhaltung. Sie taumeln beim Gehen nach der operirten Seite und haben Neigung nach vorwärts oder rückwärts zu fallen. Die Erscheinungen nehmen zu, wenn man die Tauben jagt. Auch hier habe ich Kreis- und Drehbewegungen, wie nach Durchschneidung eines horizontalen Bogenganges beobachtet. Diese Drehungen erfolgten bei zwei Tauben auffallender Weise nach der nicht operirten Seite. Die Kopfhaltung ist auch hier nicht immer normal. Bei vielen Tauben beobachtet man ganz deutlich schon nach Durehschneidung eines verticalen Canals Bewegungen des Kopfes nach der operirten Seite, die schwachen Pendelbewegungen gleichen. Weder die ab- normen Bewegungen des Rumpfes noch die des Kopfes erfolgen um eine bestimmte, und zwar die von einzelnen Forschern angegebene Queraxe, wie über- haupt eine stete Gleichmässigkeit der Störungen sich nicht constatiren lässt. Das Flugvermögen ist auch gestört, wenn auch nicht in allen Fällen gleich- mässig; während noch einige Tauben leidlich gut fliegen konnten, vermochten andere sich nur schwer vom Boden zu erheben; dabei beschrieben sie Kreis- bogen in der Luft oder stürzten mit dem Hinterkopfe voranfliegend seitlich oder hinten über. Bei einer Taube, deren hinterer verticaler Bogengang oberhalb der Kreuzung durchschnitten war, trat sogleich nach der Operation Erbrechen auf. Die Durchschneidung der beiden hinteren verticalen Bogen- gänge ist in gleicher Weise, wie die beider horizontalen von hochgradigen Störungen gefolst. Dieselben äussern sich auch hier in lebhaften Pendel- bewegungen des Kopfes und Taumeln des Rumpfes. Im Allgemeinen er- folgt das Kopfpendeln in verticaler Richtung von oben nach unten, oder umgekehrt von unten nach oben. Doch ist eine absolute Regelmässigkeit Dis FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE UT. Ss. w. 229 in der bezeichneten Richtung nicht in allen Fällen zu constatiren. Be- sonders wichtig erscheint es mir, dass in einigen Fällen kein ausgesprochenes Pendeln des Kopfes vorhanden war.! Die Störungen am Körper sind der- art, dass die Tauben nach allen Seiten hin taumeln; bald besteht die Nei- gung nach der Seite, bald nach vorn oder hinten zu fallen. Das Flug- vermögen ist ganz aufgehoben; beide Beine sind flectirt und meist abdueirt; der Gang ist stampfend. Ueber das Gehörvermögen der operirten Tauben habe ich kein Urtheil gewinnen können, da die Prüfung des Gehörs bei diesen Thieren, wenn nicht unmöglich, so doch ausserordentlich schwer ist und keine sicheren Resultate giebt. Besondere Aufmerksamkeit habe ich den nystagmusartigen Augenbe- wegungen, die mit der Durchschneidung der Bogengänge in causalem Zu- sammenhange stehen sollten, zugewendet. Cyon hat bekanntlich die Be- hauptung aufgestellt, dass der Nystagmus durch eine Reizung der Bogen- canäle bei Durchschneidung derselben entsteht und dass die Richtung dieser Augenbewegungen stets der des gereizten Canales entspricht. Meine Unter- suchungen bestätigen die Angaben Cyon’s nicht. Zunächst schon sind seine Versuche nicht fehlerfrei, da die isolirte Reizung der einzelnen Bogen- gänge bei Kaninchen, an denen Cyon seine Beobachtungen gemacht hat, überhaupt nicht möglich ist; mit jeder Läsion des Felsenbeines, die darauf ausgeht, die Bogengänge frei zu legen, wird stets das Gehirn mitgetroffen. Was alsdann den Nystagmus bei Tauben anlangt, so ist die Beobachtung desselben im Allgemeinen bei diesen Thieren recht schwer. In einer grossen Reihe von Operationen konnte ich das Fehlen des Nystagmus mit Sicherheit constatiren in gleicher Weise wie Tomaszewicz? und Spamer.? In einigen Fällen dagegen habe ich Nystagmus beobachten können. Ein bestimmtes Abhängigkeitsverhältniss zwischen der Richtung der Augenbewegungen und der betreffenden Bogengänge bestand nicht; ausserdem fanden sich in diesen Fällen Blutungen im Gehirn und der Medulla oblongata vor, die den Ny- stagmus mit Leichtiekeit erklären. Fasse ich nun die Erscheinungen, die sich nach Durchschneidung der horizontalen und verticalen Bogengänge zeigen, zusammen, so zeigt sich, dass die Gleichgewichtsstörungen des Rumpfes der Richtung der verletzten Canäle in keiner Weise entsprechen; die Taumelbewegungen desselben er- folgten nach denselben Richtungen, gleichgültig, ob die horizontalen oder ı Das Fehlen der Kopfpendelung hat auch Böttcher nach Durchschneidung der beiden hinteren verticalen Bogengänge unterhalb der Kreuzung beobachtet. ? Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinths. Zürich 1877. 8. 14. ® Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XXI. S. 479—590, 230 BENnNno BasınsKy: verticalen Bogengänge durchschnitten waren. Bei ein- und doppelseitigen Durchschneidungen bestanden nur graduelle Unterschiede. Eine gewisse Abhängigkeit der Störungen von der Richtung der durch- schnittenen Canäle findet sich nur bei den Pendelbewegungen des Kopfes nach Durchschneidung zweier gleichnamigen Canäle; doch habe ich auch hier ganz zweifellose Ausnahmen constatiren können. Wenn nach den angeführten Thatsachen feststeht, dass die Gleichgewichts- störungen des Rumpfes für alle Canäle dieselben sind, und dass bei den Kopfpendelbewegungen bestimmte Gesetzmässig- keiten in allen Fällen sich nicht ergeben, so fällt auch hier die Stütze für die Annahme eines statischen Sinnes in den Bogengängen fort. Sie hätte überdies nur aufrecht erhalten werden können unter der Voraussetzung, dass mit der Bogengangsdurchschneidung als solcher, eine isolirte Verletzung der Canäle, ohne Rückwirkung aufs Gehirn überhaupt möglich ist. Dies ist nun in der That nicht der Fall. Da der von Sklarewsky beschriebene Kleinhirnfortsatz in der Cavitas mesootica nicht existirt, so ist eine directe Verletzung des Gehirns bei Bogen- gangsdurchschneidungen ausgeschlossen. Indirect ist indess, durch die ana- tomische Verbindung des Labyrinths mit dem subduralen Raum durch den Aquaeductus vestibuli, mit jeder Bogengangsoperation ein Eingriff gesetzt, der stets das Gehirn mittrifft. Der Aquaeductus vestibuli ist bei den Tauben ausserordentlich weit und stellt, wie bereits angegeben, nach den Unter- suchungen von Hasse eine Communication des Labyrinthes mit dem epi- cerebralen (subduralen) Raum her; es communicirt durch ihn der endolym- phatische Raum des Labyrinths direct mit dem subduralen Raum, und dem- nach auch die endolymphatische Flüssigkeit mit der cerebrospinalen, wie dies auch Schwalbe und F. E. Weber nachgewiesen haben. Gehirn und Labyrinth stehen somit unter denselben hydrostatischen Bedingungen; die Druckverhältnisse sind beiderseits dieselben, und jede Störung derselben in einem dieser Organe erzeugt rückwirkend eine solche in dem anderen. Dass in der That Gehirn und Labyrinth unter gleichem Drucke sich befinden, geht, abgesehen von dem anatomischen Nachweis der Communication beider Organe, auch aus der Thatsache hervor, dass man in einigen Fällen an den häutigen Bogengängen, nach Abtragung kleiner Partien der knöchernen, deutliche Pulsationen sieht, die der Zahl nach — etwa 40 in der Minute — mit den Respirationsbewegungen des Gehirns synchron sind. Cyon,! der ähnliche Pulsationen an der Perilymphe beobachtet hat, bringt sie in Verbindung mit den Pulsationen des Herzens. Die geringe Zahl derselben, die der Respirationsfreguenz in der Minute entspricht, beweist schon, dass 14.2.0. 8.43. Dis FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U.S. w. 231 diese Auffassung Cyon’s eine irrige ist; ausserdem betreffen sie nicht die Perilymphe direct, da nach Abfluss derselben, wie man sieh leicht über- zeugen kann, der häutige Bogengang, soweit er sichtbar ist, selbst pulsirt. Die Pulsationen der Perilymphe sind nur von den häutigen Bogengängen fortgeleitet. Ist demnach sowohl anatomisch, wie physiologisch eine so nahe und direete Beziehung zwischen den Bogengängen und dem subduralen Raum nachgewiesen, so wird klar, wie bei jeder Bogengangsdurchschneidung eine Veränderung innerhalb der Schädelhöhle und eine directe Einwirkung aufs Gehirn gesetzt wird. Bei jeder Bogengangsdurchschneidung wird die Schädel- höhle direet eröffnet und demgemäss erfahren die Druckverhältnisse des Gehirns zugleich mit denen des endolymphatischen Raumes eine beträcht- liche Aenderung. Durch den Abfluss der Endolymphe und der Cerebro- spinalflüssigkeit wird der Druck innerhalb der Schädelhöhle ganz plötzlich herabgesetzt. Durch die fortgesetzten Respirationsbewegungen des Gehirns reibt sich nun dasselbe an der Schädelbasis, und es dürften auf diese Weise auch die mechanischen Verhältnisse zu tieferen Läsionen Anlass geben. Es können in Folge dessen die Blutgefässe sich erweitern oder zerreissen, und so dürften sich ohne Zweifel die meningealen und encephalitischen Blutungen erklären, die ich bei der Obduction vielfach gefunden habe, ohne dass bei der Operation selbst beträchtlichere Blutungen vorhanden waren. Dass auch bei jeder Bogengangsoperation der Aquaeductus vestibuli und der Acusticus und durch sie das Gehirn gezerrt werden können, ist leicht verständlich; es ist dies stets der Fall, wenn die häutigen Bogen- gänge stückweise entfernt werden oder wenn die Durchschneidung nicht mit grosser Schonung vorgenommen wird. Man beobachtet dann häufig, wie bereits früher angegeben, nach Innen gehende Blutungen, die das ganze Labyrinth und den Aquaeductus vestibuli erfüllen und bis an das Gehirn heranreichen. Es ist hiermit bewiesen, dass die isolirte Verletzung der Bogen- gsänge ohne Rückwirkung auf’s Gehirn überhaupt nicht möglich ist; es können demnach auch die primären Erscheinungen, die die Tauben sogleich nach Bogengangsverletzungen zeigen, in keiner Weise als Beweismomente für den in den Bogengängen supponirten statischen Sinn gelten. So sehen wir also, dass weder die primären noch die secun- dären Erscheinungen die Bogengänge als periphere Organe des Gleichgewichtssinnes erscheinen lassen. Es erübrigt noch, nach einer Erklärung zu suchen für die primär nach Bogengangsverletzung bei Tauben auftretenden Gleichgewichtsstörungen. Die secundären Symptome hatten, wie erwiesen, ihre bestimmte und stets 232 Benno BaAGınskY: nachweisbare Ursache in Veränderungen des Gehirns; bei allen Tauben, die später Verdrehung des Kopfes zeigten, konnten Blutungen oder Ver- fettungen des Gehirns nachgewiesen werden und besonders an solchen Stellen, deren directe und isolirte Verletzung stets eine Kopfverdrehung des Versuchsthieres zu Wege bringt. Wie verhält es sich nun mit den primären Erscheinungen? Bei jeder Bogengangsdurchschneidung wird, wie die Untersuchung er- geben hat, stets unter Eröffnung der Schädelhöhle das Gehirn mitgetroffen, entweder durch Zerrung desselben vermittelst des Aquaeductus vestibuli oder durch Herabsetzung des Druckes im subduralen Raum, den Abfluss der Cerebrospinalflüssigkeit und die Veränderung der Bluteireulation. Die Rück- wirkung der Bogengangsdurchschneidung auf’s Gehirn ist eine plötzliche und äussert sich auch demgemäss plötzlich. Erfolet die Durchschneidung der Canäle auf einer Seite, so wird das Gehirn zunächst auf dieser in Mit- leidenschaft gezogen; wird sie auf beiden Seiten ausgeführt, so trifft der Reiz beide Theile des Gehirns, und augenscheinlich diejenigen Partien des Klein- hirns zuerst, die den Bogengängen am nächsten liegen. So nur erklären sich die primären Symptome, die bei genauer Beobachtung nach ein- und und doppelseitiger Durchschneidung nur graduell verschieden sind, wenigstens soweit es sich um die Gleichgewichtsstörungen am Körper der operirten Tauben handelt. Schwieriger zu erklären sind die Kopfpendelbewegungen nach Durch- schneidung zweier gleichnamigen Canäle; hier hatte sich, wie früher er- wähnt, ein gewisses Abhängiskeitsverhältniss zwischen der Richtung des Kopfpendelns und der durchschnittenen Canäle, wenn auch nicht in allen Fällen herausgestellt. Und in der That könnte man glauben, dass die Bogengänge bez. die Verletzung derselben einen directen Einfluss auf die Richtung der Kopfbewegungen hätten. Diese Annahme erweist sich indess als nicht stichhaltig. Bereits früher habe ich erwähnt, dass nach Durch- schneidung beider hinteren verticalen Bogengänge in einigen Fällen das Kopfpendeln ausblieb, was, handelte es sich um eine Regulirung der Kopf- bewegungen durch die Bogengänge, nicht der Fall sein durfte. Noch wichtiger ist die Beobachtung, die ich an zwei Tauben machen konnte, dass nämlich die Kopfverdrehung, die den primär vorhandenen , Pendelbewegungen einige Tage nach der Operation gefolgt war, im Ver- laufe einiger Monate allmählich verschwand und dass dafür von Neuem Kopfpendeln eintrat. Aus der perversen Stellung kehrte der Kopf allmählich in die normale zurück; bei noch gestörtem Körpergleichgewicht pendelte er nach allen Richtungen schleuderartig hin und her. Diese Erscheinung er- hielt sich längere Zeit und verschwand schliesslich ganz, so dass die Tauben bis auf das gestörte Flugvermögen, das sich nicht wieder herstellte, sich Die FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE UV. Ss. w. 233 nur sehr wenig von normalen unterschieden. Wir haben demnach hier Uebergänge der Kopfverdrehung in Pendelbewegung in ganz gleicher Weise, wie wir auf die Pendelbewegung Kopfverdrehung folgen sehen. Erinnern wir uns endlich noch der Beobachtung, dass in einer Reihe von Fällen schon primär als Folge der Bogengangsdurchschneidung sogleich nach der Operation die Kopfverdrehung ohne vorheriges Pendeln auftrat, so liegt wohl nichts näher, als die Annahme, dass die Pendelbewegungen des Kopfes und die Verdrehung desselben aus gleichen centralen Ursachen entstehen. Beide Erscheinungen bieten nur graduelle Unterschiede; han- delt es sich um mehr oberflächliche Läsionen des Gehirns, wie sie primär bei jeder Bogengangsdurchschneidung gesetzt werden, so erhalten wir bei dem Versuchsthiere nur Pendelbewegungen des Kopfes; sind die Störungen tiefergehend, gleichgiltig, ob sie primär schon bei der Operation entstehen oder später sich durch Fortleitung entzündlicher Processe erst entwickeln, so tritt die Verdrehung des Kopfes auf. Bildet sich der entzündliche Pro- cess im Gehirn theilweise zurück, so kann der Kopf die normale Stellung wieder annehmen, und trotz der Zerstörung der Bogengänge kann dann auch, wie ich es beobachtet habe, das Kopfpendeln sich verlieren. Das von Böttcher und mir in einigen Fällen beobachtete Fehlen der Pendelbewegungen des Kopfes nach ein- und doppelseitiger Durchschnei- dung verschiedener Canäle ist unter den von mir auseinander gesetzten Verhältnissen leicht verständlich; es braucht eben bei der Bogengangs- durchschneidung durch Zufall gerade diejenige Gehirnpartie, welche die Kopfbewegungen regulirt, von der Läsion nicht mitbetroffen zu sein. Der Weg, der bei den Tauben die Hauptverbindung zwischen Labyrinth und Gehirn darstellt, ist der Aquaeductus vestibuli; er ist bei diesen Thieren ausserordentlich weit und steht mit dem Gehirn in directer Verbindung; durch ihn communicirt der subdurale Raum mit dem Labyrinth und speciell mit dem endolymphatischen Apparat, der bei den Vögeln stark ausgebildet ist und über den perilymphatischen prävalirt. Der Aquaeductus vestibuli ist es, der hier den Wcg vermittelt für die Störungen, welche vom Labyrinth aus das Gehirn treffen; nur wenn die häutigen Bogengänge mit verletzt werden, sind die Gleichgewichtsstörungen besonders stark. Wenn Berthold! und Spamer? angeben, dass schon nach Verletzung eines knöchernen Bogen- gangs ohne Mitläsion des häutigen wenn auch sehr geringfügige Gleich- gewichtsstörungen an der Taube sich zeigen, was ich für einige Versuchsthiere bestätigen kann, so dürften sich diese Erscheinungen erklären lassen durch geringe Druckveränderungen innerhalb der Schädelhöhle nach Abfluss von Perilymphe und Cerebrospinalflüssigkeit aus dem Aquaeduetus cochleae. 1 Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. IX, 8, 81, ZN a0, 234 BENNo BAGInsKY: Fasse ich nunmehr die Kaninchen- und Taubenversuche unter einem (resichtspunkt zusammen, so finde ich eine fast vollständige Analogie. Bei den Kaninchen wurde in allen Versuchen sogleich bei der Einspritzung Nystagmus und Verdrehung des Kopfes beobachtet. Beide Erscheinungen bildeten sich gleich nach der Operation zurück — dies war stets der Fall bei schwachen Eingriffen — oder blieben bis zum Tode bestehen — bei starken Eingriffen. Die Ursache für die Kopfverdrehung und den Ny- stagmus war eine Reizung des Gehirns oder eine direct nachweisbare tiefere Läsion desselben. Bei den Tauben zeigten sich, wenn auch nicht in allen Fällen, Pendel- bewegungen des Kopfes, Verdrehung desselben und manchmal Nystagmus, die Kopfverdrehung entstand entweder schon bei der Operation oder bildete sich erst einige Tage nach derselben aus. Die Ursache für dieselbe waren meist Blutungen des Gehirns oder Entzündungen, die von der Operations- wunde aus das Gehirn ergriffen hatten. Die Analogie der Erscheinungen wäre eine vollkommene, wenn nicht die Kopf-Pendelbewegungen bei Tauben übrig blieben, die wir primär bei den Kaninchen nicht beobachtet haben. Für diese haben wir aber nach- gewiesen, dass sie in gleicher Weise aufzufassen sind, wie die Kopfver- drehung, und dass sie nur graduell von der letzteren verschieden sind. Aber ausserdem werden sie noch ganz speciell auf die Thierspecies zu be- ziehen sein. Die Bewegungen langhalsiger Thiere unterscheiden sich wesent- lich von denen kurzhalsiger, und dem entsprechend werden auch erstere auf etwaige Eingriffe mit anderen Bewegungen antworten, als letztere. Was die Art des Eingriffes bei den Kaninchen- und Taubenversuchen betrifft, so wurde bei ersteren der Druck in der Schädelhöhle durch Steige- rung desselben in der Paukenhöhle vergrössert, die Plötzlichkeit der Ope- ration setzte einen Reiz auf das Gehirn und zwar auf die von mir ange- gebene Stelle der Medulla oblongata. Wurde der Druck erheblicher gesteigert, wie bei den Lufteintreibungsversuchen, so trat sehr rasch ‚der Tod durch Compression der Medulla oblongata ein, Bei den Tauben wurde durch Verletzung der Bogengänge der Druck innerhalb der Schädelhöhle herabgesetzt; die Plötzlichkeit des Eingriffes wirkte als plötzlicher Reiz auf das Gehirn. Der Weg, der bei den Kaninchen die Störungen vermittelt, ist ein anderer, als bei den Tauben. Während bei den Säugethieren der perilym- phatische Apparat mit dem Aquaeduetus cochleae diese Vermittelung über- nimmt, ist es bei den Tauben der endolymphatische mit dem Aquaeduetus vestibuli. Hierin liegt der wesentliche Unterschied bei den Kaninchen, und Taubenversuchen. Mit richtiger Erkennung der vorgebrachten Thatsachen ist, wie ich Dis FOLGEN VON DRUCKSTEIGERUNG IN DER PAUKENHÖHLE U.S.w. 235 olaube, endlich der Zeitpunkt gekommen, die Lehre von dem statischen Sinne in den Bogengängen ein für alle Mal aufzugeben. Nichts berechtigt uns aus Veränderungen, die sich nach der Bogengangesläsion an Thieren zeigen, Schlüsse zu machen auf die Function der Bogengänge, nachdem ich den bestimmten Nachweis geführt habe, dass eine Verletzung der Bogen- gänge sowohl bei Säugethieren als bei Tauben jedesmal eine Verletzung des Gehirns involvirt. Auch die anatomische Ausbreitung der Acusticus ist keineswegs ge- eignet, die Lehre vom statischen Sinn zu begründen. Während bisher die Verzweigungen des Acusticus so beschrieben wurden, dass seine beiden Hauptzweige, Nervus vestibuli und cochleae, gleichsam gesondert in den Am- pullen der Bogengänge und der Schnecke sich verästeln, hat Retzius! neuerdings im Anschluss an die von Breschet bereits vor fünfzig Jahren ge- gebene Beschreibung nachgewiesen, dass der Ramus vestibularis nervi acustiel sich nur in drei Zweige theilt und zwar für den Utrieulus, die Ampulla sagittalis und die Ampulla horizontalis und dass der Ramus cochlearis sich in drei Zweige theilt, die zur Ampulla frontalis, dem Sacculus und der Coch- lea gehen. Retzius bemerkt hierbei, dass zwar in dieser Nervenvertheilung kein bestimmter Grund gegen diese Lehre, da ja Nervenfasern verschiedenen Ursprungs und verschiedener physiologischer Qualität streckenweise zusammen- verlaufen können, aber eine Stütze für diese Lehre gewiss nicht gegeben ist. Zum Schluss erfülle ich die angenehme Pflicht, Hrn. Professor Munk für die Anregung zu. vorliegender Arbeit und für die liebevolle Unterstützung bei derselben meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. ! Dies Archiv. Anatomische Abtheilung, 1880. S. 243. Einige Bemerkungen zu dem Aufsatze des Hrn. Professor Hoppe-Seyler über die Veränderungen des Blutes bei Verbrennungen der Haut. Von Dr. L. von Lesser, Privatdocent für Chirurgie in Leipzig. Vor einigen Tagen ist mir durch Vermittelung des Hrn. Dr. Sonnen- burg in Strassburg i. E. der Separatabdruck eines unter obigem Titel in der Zeitschrift für physiologische Chemie, Bd. V, Heft 1 veröffentlichten Aufsatzes von Hrn. Professor Hoppe-Seyler zugegangen. Der Zweck dieses Aufsatzes besteht in einem Angriffe auf zwei grössere von mir publicirte Experimentalarbeiten. Auf mehrere Angriffspuncte, die sich in dem von Hrn. Prof. Hoppe-Seyler inspirirten Artikel des Hrn. Sonnenburg fan- den, habe ich in meinem offenen Antwortschreiben! bereits erwider. Um jedoch den mit dem Gegenstand nicht näher Vertrauten zu zeigen, welche sachlichen Hülfsmittel Hr. Hoppe-Seyler für genügend hält, meine Ex- perimentalarbeiten „wissenschaftlich zu vernichten,‘“ mögen mir einige Be- merkungen über den Aufsatz des Hrn. Hoppe-Seyler gestattet sein. Um sich über die Grösse des Blutkörperchenzerfalles, bez. des Ueber- ganges von Hämoglobin in’s Blutplasma bei Verbrennungen zu unterrichten, liess sich Hr. Hoppe-Seyler Leichenblut von Sectionen zweier an aus- gedehnten Verbrennungen Gestorbener bringen. Das Blut im ersten Falle, wo der Tod angeblich durch Eintritt von Speiseresten in die Luftwege beim Erbrechen erfolgt sein soll, stammte „aus dem Herzen.“ Das Blut war 15 Stunden nach dem Tode bei der Section entnommen worden und soll überall ohne Gerinnsel gewesen sein. Der zweite Fall betraf eine sehr ausgedehnte Hautveränderung durch Anbrennung einer Mischung von Fett ! Virchow’s Archiv u. s. w. Bd, LXXXL S. 189. 1. v. Lesser: VERÄNDERUNGEN D. BLUTES B. VERBRENNUNGEN D. Haut. 237 und Terpentin. Tod sieben Stunden nach der Verbrennung. Bei der Section, deren Zeitpunkt nicht angegeben ist, werden „in beiden Herzhälften dickes Blut und speckhäutige Gerinnsel mit stark weissen Abscheidungen von farb- losen Blutkörperchen; röthliche Imbibition im Endocardium, keine „Ekchy- mosen am Herzen“ gefunden. In diesem Falle werden Blutproben aus dem linken Herzen und aus dem rechten Herzen entnommen und zur Sicherheit noch eine Portion Blut zur Untersuchung verwandt, welche „vier Stunden nach dem Tode aus einer Vene‘ entnommen war. An diesem Materiale hat nun Hr. Hoppe-Seyler seine Hämoglobin- hestimmungen angestellt. — Es muss noch erwähnt werden, dass zwar im zweiten Falle der Zeitpunkt der Section nicht angegeben ist, dass jedoch die blutige Imbibition des Endocards dafür spricht, dass bereits die ersten Zersetzungsprocesse in der Leiche eingetreten sein mussten, da bei sofortigen Sectionen nach dem Tode verbrannter Experimentalindividuen dieser Befund trotz Anwesenheit von freiem Hämoglobin im Serum nie beobachtet wird. Hr. Hoppe-Seyler muthet seinen Lesern doch etwas viel zu, wenn er von ihnen verlangt, dass sie die Untersuchungen an den oben beschrie- benen Leichenflüssigkeiten für tauglich dazu halten, Aufschlüsse über die Zusammensetzung des Blutes verbrannter Individuen zu liefern. Hr. Hoppe- Seyler würde vermuthlich Bedenken getragen haben, seine Resultate für brauchbar zu halten, wenn er zuvor gerade „jene 68 Seiten lange“ Ab- handlung über die Vertheilung der rothen Blutscheiben. im Blutstrome ! eines genaueren Studiums gewürdigt hätte, deren Verdienst er bloss in der Empfehlung einer Porzellanplatte findet. Er hätte sich überzeugen können, dass die Kenntniss der Resultate jener „physiologischen Uebungen,“ die er als grösstentheils längst bekannt und „vorläufig werthlos‘‘ bezeichnet, ihn selbst vor einem Missgriff in der Wahl des Beobachtungsmaterials bewahrt hätte, vor einem Missgriff, den sich, wie ich glaube, selbst ein Anfänger in der physiologischen Experimentalwissenschaft nicht mehr darf zu Schulden kommen lassen. Und welche sind nun die Ergebnisse der Untersuchungen des Hrn. Hoppe-Seyler, die er selbst als „völlig entscheidend“ bezeichnet? — Ueber den Punkt I: Die Bestimmung des Gehaltes der Blutkörperchen und des Plasma’s an Hämoglobin ist leicht und sicher auszuführen, brauchen wir keine Worte zu verlieren. Wir müssen Hrn. Hoppe-Seyler, einem so verdienst- vollen Forscher auf seinem Gebiete, für die Beseitigung der hier vorhanden gewesenen Schwierigkeiten nur dankbar sein. — Noch interessanter und speciell interessant für mich ist der Wortlaut der Behauptung II, dass das Blut der Verbrannten ausser gelöstem Hämoglobin keine erkennbaren anderen 1 Dies Archiv, 1878. S. 41—108. 238 L. v. LESSER: Zerfallstoffe enthielt. Leider erfahren wir nicht, wie Hr. Hoppe-Seyler zu diesem Resultate gelangt ist und vor Allem, welche Stoffe er im Auge gehabt habe. Es fehlt also bis auf Weiteres diesem zweiten so wichtigen Satze jede thatsächliche Begründung. — Nicht anders sieht es aus mit der Be- hauptung II: das Blut der Verbrannten nahm wie normales Blut Sauer- stoff leicht und reichlich auf. Zur Stütze dieser Behauptung stehen Hrn. Hoppe-Seyler drei originelle Befunde zu Gebote: 1° fand er mikroskopisch an den Blutkörperchen der entnommenen Blutproben keine „wesentlichen“ Veränderungen. 2° färbte sich beim Schütteln mit Luft eine Portion aus dem rechten Herzen des zweiten Falles „schön“ arteriell und gab 3° beim Evacuiren „reichlich“ Sauerstoff ab. Doch Hr. Hoppe-Seyler fühlt selbst das Mangelhafte seiner Ausführungen und verspricht quantitative Bestim- mungen. Uebrigens muss ich bemerken, dass die Arterialisirung sowohl des Leichenblutes, wie des Aderlassblutes verbrannter Individuen häufig von mir beobachtet und als selbstverständlich betrachtet wurde, ohne dass ich gewagt hätte, da die Möglichkeit quantitativer Bestimmungen für mich nicht vorlag, die dabei beobachteten und beim Vergleich mit normalem Blute oft auf- fälligen Färbungsunterschiede zur Stütze meiner Behauptungen zu verwerthen. Was endlich die Behauptung IV anlangt: die Menge der zerstörten Blutkörperchen kann selbst bei sehr bedeutender aber nicht langanhaltender Verbrennung, die sicher zum Tode führt, eine sehr geringe sein, so muss dieselbe, wie die Behauptung II, völlig werthlos erscheinen mit Rücksicht auf die Qualität des Beobachtungsmaterials. Aber auch die colorimetrischen Untersuchungen des Hrn. Hoppe-Seyler liefern eigenthümliche Ergebnisse. Im Falle I findet er 2.4 Procent des gesammten Hämoglobingehaltes vom Blute im Plasma, im Falle II 2-72, 4-003 und 5:028 pro mille des Blut- farbstoffes im Plasma. Die Incongruenz zwischen Fall I und Fall II erklärt Hr. Hoppe-Seyler dadurch, dass er an Fall I die Methode der Trennung des Hämoglobins in den Blutkörperchen und in dem Plasma habe lernen müssen. Der Hämoglobingehalt sei hier entschieden zu hoch ausgefallen. Wir wollen daher den Fall I lieber ganz ausser Rechnung setzen. In Fall II sollen nun die Unterschiede des Hämoglobingehaltes nicht auf einem Fehler in der Bestimmung beruhen. Hr. Hoppe-Seyler sagt kategorisch: „Ich habe mich überzeugt, dass der colorimetrische Fehler nicht so bedeutend ist.“ Ich muss, wenn auch scheinbar zu meinen Ungunsten im concret vorliegenden Falle, diese Angabe des Hrn. Hoppe-Seyler bestreiten und zwar auf Grund jener meiner „physiologischen Uebungen,“ deren Resultate längst bekannt und „vorläufig werthlos“ sein sollen. Vor Allem muss ich bestreiten, dass das von mir dort angewendete Verfahren eine Modification des Verfahrens von Hrn. Hoppe-Seyler sei. Mein Verfahren ist eine Vervollkommnung des ursprünglichen Welcker’schen Verfahrens, eine Ver- VERÄNDERUNGEN DES BLUTES BEI VERBRENNUNGEN DER HAUT. 239 vollkommnung darum, weil ich in dem methodischen Theil jener Abhand- lung es mir habe angelegen sein lassen, die Fehlerquellen und die Fehler- grenzen für die colorimetrische Hämoglobinbestimmung möglichst allseitig festzustellen. Ich habe dabei gezeigt, dass bei langdauernder Uebung und unter günstigsten äusseren Verhältnissen allerdings die Fehlergrenzen be- deutend eingeengt werden können, dass aber unter gewöhnlichen Verhält- nissen die Fehlergrösse auch bei der colorimetrischen Bestimmung den Werth von 3°/, erreichen kann, wie bei allen anderen Bestimmungen der Quantität des Blutfarbstoffes.. Nach meinen Erfahrungen liefert nun das Verfahren des Hrn. Hoppe-Seyler bei Anwendung von Gläsern mit 6 °”® Durchmesser viel weitere Fehlergrenzen, als die von mir festgehaltene Modification der Welcker’schen Hämoglobinbestimmungen und ist deshalb von mir, als eine Verschlechterung des Welcker’schen Verfahrens, fallen gelassen worden. Die Raisonnements des Hrn. Hoppe-Seyler über das Verhältniss von Serum zu den Blutkörperchen in den Blutproben sind mir nicht recht ver- ständlich. Im Herzen sollen, neben dem allerdings beklagenswerthen Serum- verlust, bei der Blutentnahme während der Section Farbstoffverluste, „durch Imbibition in die Gefässwandung, vielleicht auch durch Transsudation“ mög- lich gewesen sein; in der Vene soll umgekehrt der Serumgehalt „leicht etwas zu reich“ sich gezeigt haben. Jedenfalls beweisen diese Raisonnements, dass Hrn. Hoppe-Seyler selbst die Gewinnung und die Beschaffenheit seines Untersuchungsmaterials nachträglich etwas zweifelhaft geworden sind. Zu diesen Zweifeln ist aber Hr. Hoppe-Seyler im höchsten Grade berechtigt bei dem Harne, der ihm zur Untersuchung auf dessen Hämo- globingehalt zugekommen war. Der Harn wurde in Fall II ungefähr zwei Stunden nach der Verbrennung in einer Menge von 300° m aus der Blase des verunglückten Mädchens entnommen. Colorimetrisch wollte Hrn. Hoppe- Seyler eine Bestimmung des Hämoglobingehaltes in diesem Harne nicht gelingen. Die Bestimmung der Eiweissstoffe durch Coagulation mit etwas Essigsäure u. s. f. lässt Hrn. Hoppe-Seyler berechnen, dass in dem Harn höchstens 0-3” Hämoglobin enthalten gewesen sei, was einem Blutverlust von nur 2.148” Blut entsprechen würde. Gegen diese Deductionen lässt sich nichts einwenden. Dagegen hat sich Hrn. Hoppe-Seyler die Mühe nicht gelohnt zu fragen, ob denn dieser Harn wirklich die nach der Ver- brennung erzeugte Urinflüssiekeit oder nicht vielmehr den Harn darstelle, der zur Zeit der Verbrennung bereits in der Blase vorhanden oder wenigstens zum allergrössten Theil vorhanden gewesen war. Ich habe auf die nicht seltenen Befunde von hämoglobinfreiem oder nur schwach hämoglobinhaltigem Harn bei rasch tödtlichen Verbrennungen in meiner Abhandlung ausführlich hingewiesen. Und ich muss meine Aeusserungen, dass Hr. Hoppe-Seyler meine Arbeit hätte gründlicher studiren sollen, ehe er über dieselbe urtheilte, 340 L.v. LESSER: VERÄNDERUNGEN D. BLUTES B. VERBRENNUNGEN D. Haur. aufrecht erhalten, trotzdem Hr. Hoppe-Seyler meint, dass diese Aeusse- rungen „sich selbst hinreichend charakterisiren.“ Für meine obige Annahme, dass auch bei dem an Hrn. Hoppe-Seyler zur Untersuchung gelangten Harne es sich um eine zum grössten Theile vor der Verbrennung in der Blase befindliche Urinmenge handele, spricht der von Hrn. Hoppe-Seyler selbst citirte Befund, dass „seitdem die Blase leer geblieben, Urinabsonderung gar nicht erfolgt sei.“ Oder meint Hr. Hoppe-Seyler, dass die Anurie bei dem schwer komatösen Zustande der Patientin, bei einer Temperatur von 355° u.s. f. erst in dem Augenblicke eingetreten sei, als man die Blase per Catheter entleert habe! Doch was kümmert Hrn. Hoppe-Seyler der klinische oder der Sectionsbefund, sobald er nur seine Proben in den Decantirgefässen und in den Reagenzgläsern geborgen hatte. Selbst über die Nieren genügen Hrn. Hoppe-Seyler die ihm mitgetheilten Daten, dass in Fall I die Nieren: „blutreich, ohne Hä- morrhasien“, in Fall II: „die Nieren klein, normal, nur in Mark und Rinde blutreich“ gefunden wurden. An völlig unbrauchbarem Blutmaterial ausgeführte, vereinzelte Hämo- globinbestimmungen in den Blutkörperchen und in der abgeschiedenen Blut- flüssigkeit, apodiktische unbewiesene Angaben über das Fehlen von Zer- setzungsstoffen im Blute Verbrannter, beabsichtigte aber bisher unausgeführte quantitative Sauerstoffbestimmungen im Blute Verbrannter, sowie eine Ei- weissfällung im Harne, der aus der Blase einer Verbrannten ungefähr zwei Stunden nach dem Unglücksfalle abgelassen wurde, geben Hrn. Hoppe- Seyler die Veranlassung, über zwei von meinen experimentellen Arbeiten ein absolut abfälliges Urtheil zu veröffentlichen. Ich überlasse es dem Leser, die Handlungsweise des Hrn. Hoppe-Seyler selbst zu charakterisiren. Leipzig, 28. Januar 1881. Studien über die Innervation der Athembewegungen. Mitgetheilt von Dr. ©. Langendorfi. Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg. Dritte Mittheilung. Ueber periodische Athmung bei Fröschen. Theilweise nach Versuchen von Dr. G. Siebert. (Hierzu Tafel IV.) Mit vorliegender Mittheilung beabsichtige ich die Darstellung der von Hrn. Siebert im hiesigen Laboratorium auf meine Anregung angestellten und in dessen Dissertation! bereits veröffentlichten Versuche über die Folgen der Aortenabschnürung auf die Athmung beim Frosche. Wenn ich dies unternehme, obwohl vor ganz kurzer Zeit Sokolow und Luchsinger’ völlig unabhängig von der ihnen unbekannten Arbeit Siebert’s Versuche in derselben Richtung und mit demselben Ergebnisse angestellt und ver- öffentlicht haben, so thue ich es nicht, um Prioritätsansprüche geltend zu machen, sondern um durch die Darlegung unserer grossen Uebereinstim- mung die Richtigkeit unserer beiderseitigen Beobachtungen zu erweisen. ! Die Respiration des Frosches im Verhältniss zur Cireulation. Inaug.-Dissert. 28. Juni 1880. Königsberg i. Pr. ? Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XXI, 8. 183: Zur, Lehre von dem Cheyne- Stokes’schen Phänomen. 3 Hr. Prof. Luchsinger hat, wie er mir freundlichst mitgetheilt, bereits im Februar vorigen Jahres seine Versuche der Berner naturforschenden Gesellschaft in Kürze vorgetragen; Siebert’s Dissertation erschien im Juni. Archiv f.A.u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 16 242 OÖ. LANGENDORFF: Die Uebereinstimmung ist in allen wesentlichen Punkten so gross, dass ich mich darauf beschränken kann, im Allgemeinen auf sie hinzuweisen, und darauf verzichte, später im Einzelnen darauf zurückzukommen. Nach dem Erscheinen der Luchsinger’schen Arbeit habe ich die Versuche zur Vervollständigung mancher Angaben Siebert’s in Gemeinschaft mit den HH. Kah, Silberstein und Wagner fortgesetzt, Das gilt besonders von den Versuchen an Salzfröschen, die fast durchweg neu sind. Die Versuchsergebnisse Siebert’s lassen sich in folgenden Sätzen zu- sammenfassen : 1. Nach Abschneidung der Blutzufuhr zur Medulla oblongata zeigen Frösche einen periodischen Athmungsrhythmus. 2. Es ist gleichgültig, ob die Abschneidung durch Aortenunterbindung oder durch schnelle Verblutung herbeigeführt wird. 3. Ersatz des Blutes durch die physiologische Kochsalzlösung lässt die gewöhnliche Athmung bestehen. 4. Nach Unterbindung der Aorten verhalten sich Salzfrösche eben so wie normale Frösche. 5. Auf die periodische Athmung folet ein Stadium seltener einzelner Athemzüge; ihr geht voran ein meistentheils verlangsamter irregulärer Athmungsmodus. 6. 45 bis 95 Minuten nach der Unterbindung hört die Athmung voll- ständig auf. 7. Während zwischen den Perioden gelegenen Pausen löst jede mecha- nische Hautreizung eine Athmungsgruppe aus. Ss. Wird die Ligatur gelöst, so treten wieder Athmungen ein, und zwar im Alleemeinen um so früher, je kürzere Zeit die Ligatur gedauert hat. 9. Nur wenn die Ligutur länger als 5 Stunden gedauert hat, treten Athmungen nach der Lösung gar nicht mehr oder nur auf kurze Zeit ein. 10. Die nach Lösung einer längere Zeit bestehenden Unterbindung eintretenden Athmungen haben meistens zuerst den periodischen, später den normalen Rhythmus. — Diese Angaben sollen in Folgenden ergänzt und berichtigt werden. Was die Athmungsperioden betrifft, so haben Luchsinger und Sokolow, sowie Siebert aufihre grosse Aehnlichkeit mit den periodischen Herzeontraetionen in den Luciani’schen Versuchen und mit dem Cheyne- Stokes’schen Athmungsphänomen beim Menschen aufmerksam gemacht. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 243 Die Athmungen einer Gruppe erfolgen in der Regel in Form einer aufsteigenden Treppe. Mit der maximalen Athmung, die oftmals eine „gedoppelte “ ist, ähnlich den „verschmolzenen Pulsen“, von Merunowicz, hört meistens die Periode auf; in anderen, weit seltneren Fällen schliesst sich ihr eine absteigende Treppe an. Von der ersten der beiden Formen giebt Fig. 1 (a und db) ein Beispiel. Fig. 2 (nach Siebert) zeigt Perioden mit gedoppelten Endathmungen. Die Curven wurden zumeist dadurch gewonnen, dass die Bewegungen der Kehl- haut mit einem einfachen Hebel auf das Papier des Kymographions ver- zeichnet wurden. Der Hebel ist dem von Ranvier? zu Versuchen an Froschherzen benutzten nachgebildet. Sehr lästig sind bei solchen Aufzeichnungen die bekannten willkür- lichen Athmungsunterbrechungen der Frösche, denen man auch mit der von Luchsinger empfohlenen Abtragung des Grosshirns nach meinen Er- fahrungen nur selten erfolgreich begegnet. Treten, was ebenfalls dieser Autor richtig angiebt, mit den Athmunesperioden zugleich allgemeine, zu- weilen krampfähnliche Muskelbewegungen? auf, so wird auch dadurch die Curvenzeichnung oft erheblich gestört. In manchen Fällen sind die einzelnen Athmungen der Perioden von gleicher Höhe; in anderen treten starke Aufblähungen der Kehlhaut auf, die während der Pause andauern. Die Ruhe während der Pause ist zuweilen, besonders im Beginn der Perioden, keine absolute; es sind nämlich dann jene rhythmischen Bewe- sungen der Kehlhaut vorhanden, die neuerdings von Martin betont worden sind, und die sich dadurch von wahren Athembewegungen unterscheiden, ! Zur Zeitmarkirung bediene ich mich schon seit mehreren Jahren einer Modifi- cation des von Klemensiewicz (Sitzungsber. der Wiener Academie, III. Abth., 1876, Dee.-Heft) angegebenen Transmissionschronographen. Die Linse eines Metro- noms schlägt alle zwei Secunden gegen den Hebel eines Marey’schen Myographen- tambour, der mit der eine Glasfeder tragenden Zeichentrommel in Verbindung steht. Ich kann dieses einfache und äusserst bequeme Verfahren zum Zwecke einer minder feinen Zeitmarkirung sehr empfehlen. ” Lecons d’ Analomie generale. 1880. p. 42. Die Aequilibrirung des langen Hebel- armes wurde unterlassen. ® Diese periodisch auftretende Unruhe des sonst ruhig wie schlafend daliegenden oder sitzenden Frosches ist deshalb von Interesse, weil beim Cheyne-Stokes’schen Phänomen des Menschen in manchen Fällen das sonst geschwundene Bewusstsein bei jeder Athmungsperiode wiederkehrt (Hein). Aller Wahrscheinlichkeit nach liegen analoge Vorgänge beiden Erscheinungen zu Grunde. Auch Filehne hat bei Kranken, die das in Rede stehende Phänomen zeigten, während des Anschwellens der Athmung Zuckungen an den oberen und unteren Extremitäten beobachtet. 05: 244 O. LANGENDORFF: dass während ihrer Dauer weder Luft in die Lungen hinein, noch aus u Lungen herausgelangt. (S. Fig. 4.) Die Dauer der einzelnen Perioden, bez. die Zahl der in ihr enthaltenen Athembewegungen, ist meistens um so grösser, je kürzere Zeit seit der Unterbindung der Aorten verflossen ist. Das Umgekehrte gilt für die Dauer der Pausen. Doch ist diese Angabe für beide nur im Allgemeinen richtie; Ausnahmen von dieser Regel sind sehr häufig. Ich mache hier einige Angaben darüber, die ich den von Siebert mitgetheilten Versuchs- protocollen entnehme. Die fettgedruckten Zahlen entsprechen den Zahlen der Einzelathmungen jeder Periode, die beistehende Zahl in Klammern der Dauer der Periode, die nächstfolgende Zahl der Dauer der Pause (in Secunden). Tabelle 1. I. — 36 — 6 (26”) — 12 — 6 (16°) — 102 — 4 (12”) — 94.... I. — 26 — 9 (16%) — ? — 5 (82) — ? — 9 (18”) — 34 7 (127) — 24 — 11 (28”) —.66... II. — 174 — 3 (reflectorisch ausgelöst) — 216 — 3 (4”) — 204 — 2 (6”) — 108 — 6 (8°) — 12 — 2 (6”) — 24 — 2 (4).... iv. = 1182 270269) 2028.00 16 Fe V. — 13 — 18 (40”) — 19 — 15 (82”) — 24* ..... — 14 — 10 (20%) — 27 — 9 (16”) — 13 — 8 (13) — 30... \ * Wegen Unruhe des Frosches kurze Unterbrechung der Aufzeichnung. Luciani hat bei seinen Versuchen an dem mit Serum gespeisten Froschherzen drei Phasen unterschieden; das Stadium des Anfalls, das der Perioden und das der Krise. Auch bei unseren Versuchen lassen sich drei derartige Phasen unterscheiden. Auf die Unterbindung der Aorten folgt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine mehr oder weniger verlangsamte Athmung. Die einzelnen Athmungen sind durch Pausen von wechselnder Länge von einander ge- trennt. In manchen Fällen sind sie sehr kräftig, weit kräftiger wie die vorangegangenen Normalathmungen (s. Fig. 3). Entgegen dem eben Ge- sagten hat v. Anrep ! angegeben, der Aortenunterbindung folge beim Frosche zunächst Athmungsbeschleunigung. Eine solche wäre aus theoretischen Gründen sehr wahrscheinlich gewesen. Indessen sind wir niemals in der Lage gewesen, sie nachzuweisen, gleichgiltig ob der Frosch auf den Rücken ' Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1880. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 245 gebunden war, oder ob er frei umherhüpfen durfte. Die Athmung bleibt gewöhnlich weiterhin irregulär; in einigen Fällen schiebt sich ein kurzes Stadium anscheinend normaler Athmungen ein. Die Pausen werden länger, schliesslich tritt gewöhnlich ein längerer Athmungsstillstand ein, dem dann die Perioden folgen. Man sieht, dass hier ein Vergleich mit dem „Anfalls- stadium“ Luciani’s wohl erlaubt ist. Noch grösser ist die Aehnlichkeit der den Perioden folgenden Phase mit Lucianı’s „Krise.“ Bei diesem Autor heisst es: „Die Krisis stellt sich dar als ein aufgelöster Pulsverlauf. Statt des periodischen Rhythmus erscheinen wieder vereinzelte Pulse, welche jedoch immer viel seltener und schwächer als die normalen sind, und um so mehr, je näher das Herz der völligen Erschöpfung rückt.“ Dasselbe eilt von der Athmung nach Abschneidung der Blutzufuhr. An Stelle der zuletzt bereits kürzer und seltener gewordenen Gruppen treten einzelne von ein- ander durch lange Pausen getrennte Athmungen auf; die Pausen nehmen an Länge zu, schliesslich erlischt die Athmung vollständige. Luchsinger und Sokolow haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Erstickung um so rascher erfolgt, je höher die Temperatur ist. Es scheint mir in Anbetracht dessen nicht nutzlos, zu erwähnen, dass die Siebert’schen Versuche bei einer Zimmertemperatur von 16 bis 18° C. an- gestellt worden sind. In elf verschiedenen Versuchen erlosch dieAthmung 50, 70, 95, 45, 55, 50, 80, 73, 65, 48, 80 Minuten nach Anlegung der Klemme an den Aortenbulbus, im Mittel also nach 64°/,,', im Maximum nach 95, im Minimum nach 45 Minuten. In allen diesen Versuchen wurde die Klemme einige, oft längere Zeit nach Sistirung der Athmungen wieder gelöst. Folgende, der Siebert’schen Arbeit entlehnte Tabelle giebt Auskunft über die Zeit, nach welcher wieder Athmungen auftreten. ° Tabelle I. Erste Versuchsreihe. Erste Athmung nach Entfernung Bemerkungen. der Klemme. Versuchs- | Dauer der Nummer. | Compression. 7 Stunden. | Keine Athmung. 6 Stunden. | Keine Athmung. 5 Stunden. 90 Minuten. Die Athmung ist periodisch. Auf 6 bis S Ath- mungen folgt immer eine längere Pause. Dann werden die Pausen schr lang, die Athmungen vereinzelt. Schliesslich sistirt die Athmung wieder vollständig. 246 O. LANGENDORFF: Zweite Versuchsreihe. \ Erste Nöbunene | Versuchs- | 2 Be den nach Entfernung | | Bemerkungen. Nummer. | Compression. ger Klemme. ie 4 Stunden. | 105 Minuten. | Die Athmung ist selbst am folgenden Tage noch irregulär. > | 3 Stunden. 5 Minuten. 3. | 1 Stunde. | 3 Minuten. ] | | Nach 65 Minuten regelmässige Athmung. | | ' Nach 10 Minuten regelmässige Athmung. Dritte Versuchsreihe. Erste Athmung nach Entfernung Bemerkungen. der Klemme. Versuchs- | Dauer der Nummer. | Compression. ik 5 Stunden. 30 Minuten. | Nach 140 Minuten regelmässige Athmung; | doch bald wieder lange Pausen. 2 ı 4 Stunden. , 50 Minuten. Zuerst periodische Athmungen. Nach 90Mi- | | nuten regelmässige Athmung. 3 3 Stunden. 5 Minuten. Nach 90 Minuten regelmässige Athmung. 4 2 Stunden. 5 Minuten. Nach 20 Minuten regelmässige Athmung. Man ersieht aus dieser Tabelle, dass nach Lösung der Aortencom- pression die Athmung um so früher zurückkehrt, je kürzere Zeit die Unterbindung gedauert hat. Nach 6—7 stündiger Dauer scheint eine Restitution gänzlich unmöglich zu sein; nach 5 stündiger kommt es nicht mehr zu einer anhaltenden regulären Athmung. In der Mehrzahl der Fälle sind die nach lanedanernder Compression und Wiederlösung eintretenden Athmungen in periodisch wiederkeh- rende Gruppen geordnet. Da Siebert sein Augenmerk mehr auf die Erscheinungen der Erstickung, als auf die der Erholung richtete, so blieben von ihm die Einzelheiten dieser periodischen Athmung nach Wiederfreigebung des Blutstromes unbeachtet. Um so sorgfältiger sind sie von Luchsinger und Sokolow studirt worden. Auf Grund von Versuchen, die ich nach dem Erscheinen ihrer Arbeit anstellte, kann ich ihre Angaben darüber nur bestätigen. Auch hier fehlt nicht der Treppentypus. Umgekehrt, wie bei der Erstickung nimmt die Entfernung der Gruppen von eimander ab, die Zahl der Einzelathmungen jeder Gruppe zu, je mehr der Frosch sich erholt. Den Gruppen geht, meinen Aufzeichnungen zufolge, zuweilen eine einzelne oder doppelte Athmung kurz vorher, die dem Beobachter als Signal für die folgende Periode dienen kann. Je kürzere Zeit die Compression gedauert STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ÄTHEMBEWEGUNGEN. DAT hat, um so schneller macht die periodische Athmung dem normalen Rhythmus Platz; bei sehr kurzer Unterbindung können die Perioden vollständig fehlen. Fig. 4 möge das Verhalten der Athmung nach der Wiederfreigebung der Bluthahn illustriren. Von Interesse sind die während der Compressionszeit refleetorisch auszulösenden Athmungen. Reizt man nämlich während einer zwischen zwei Perioden gelegenen Pause die Haut des Frosches mechanisch oder elek- trisch, so folet nicht eine Athembewegung, sondern eine Gruppe.!' Ich habe bereits in meiner ersten Mittheilung auf diese Erscheinung Bezug genommen bei Besprechung eines ähnlichen Verhaltens der Athmungen decapitirter Säugethiere.” Reizt man dagegen in demjenigen späteren Stadium, in welchem nur noch Einzelathmungen die langen Pausen unterbrechen, so erfolgt auf den kurz dauernden (mechanischen) Reiz nur eine einzige Athmung. Die Pause muss eine gewisse Zeit gedauert haben, damit Reflexathmungen überhaupt eintreten können. Bald nach einer spontanen Gruppe scheint jede Reizung wirkungslos zu sein.’ Die Aortencompression geschah in der Weise, dass eine kleine stark federnde Serre fine plötzlich um den Aortenbulbus gelegt wurde. Man gelangt aber zu ganz identischen Ergebnissen, wenn man anstatt der blossen Abklemmung eine Durchschneidung der Aorten oder des Herzens, oder eine Abtragung der Herzspitze vornimmt, den Frosch also nahezu entblutet.* Auch hier tritt die periodische Athmung ein, auch hier ist das Krisenstadium vorhanden. Wir haben solche Thiere in der Regel nicht bis zum Aufhören der Athmung beobachtet; Siebert gibt von einem Frosche an, dass eine Stunde nach Abschneidung der Herzspitze Athmungen nicht mehr vorhanden gewesen seien. Es sind diese Beobach- tungen deshalb von Werth, weil anderwärts angegeben wird, dass Frösche mit ausgeschnittenen Herzen „länger leben“, wie solche, denen man das Herz comprimirt oder unterbindet.? Da in den Versuchen Kunde’s die Compression „percutan,“ d. h. mit Hilfe der Finger durch die unverletzte Brustwand hindurch, vorgenommen worden ist, so spielten hier offenbar mehrere das Leben des Thieres gefährdende Momente mit, die in unseren ! Vgl. Sokolow und Luchsinger a.a. 0. S. 292. ? Dies Archiv. 1880. 8. 521 und 522. ® Sokolow und Luchsinger a.a. 0. S. 296. * Diese Erfahrung scheint schon Burkart gemacht zu haben, Pflüger’s Ar- chiv u.s. w. Bd. XV. S. 449. ° Kunde, Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. Dies Archiv. 1857. S. 286. 248 OÖ. LANGENDORFE: Versuchen nicht in Betracht kommen konnten (Reflexhemmung durch den Druck, vielleicht Vagusreizung, Wärmestarre). Kunde giebt auch an, dass wenigstens im Sommer, schon nach 15 Minuten „Scheintod“ eingetreten sei. Ein so frühes Erlöschen des Lebens haben wir niemals gesehen. Einer eingehenden Nachuntersuchung haben wir Siebert’s Angaben über das Athmen der Salzfrösche unterzogen. Hierbei haben wir Er- gebnisse erzielt, die für das Verständniss der periodischen Athmung von Bedeutung sein dürften. Siebert fand, dass nach Ersatz des Blutes durch Kochsalzlösung die normale Athmung tagelang fortdauern kann. Luch- singer und Sokolow sahen während der Transfusion die Athmung perio- disch werden. Schon früher hatte Burkart angegeben, dass Salzfrösche die „schönsten Athembewegungen“ zeigen können, und Oertmann hatte an solchen sogar werthvolle Versuche über den Gaswechsel angestellt. Unsere neueren Versuche wurden derart angestellt, dass aus einer Mariotte’schen Flasche die 0-75 procentige NaCl-Lösung unter einem con- stanten Drucke von 36—36-5°® NaCl durch eine feine Canüle in das ge- öffnete Blutgefäss (Vena mediana abdominis oder Aorta sinistra) abfloss. Ein so hoher Injeetionsdruck, der für die Aorta ungefähr dem normalen Blutdruck entspricht, wurde auch für die venöse Injection beibehalten, weil ich mich schon früher mehrfach überzeugt hatte, dass es vortheilhafter ist, unter hohem Drucke und schnell (10—20 Minuten), als langsam und mit niedrigem Drucke zu injiciren. Dem im letzten Falle so häufigem Oedem seht man damit meistens aus dem Wege; die Ausspülung des Blutes ist eine sehr vollständige; und das Herz verträgt die vorübergehende starke Belastung sehr gut. Die Transfusion wurde fortgesetzt bis aus dem freien Ende des Blutgefässes eine farblose oder nur schwach gefärbte Flüssigkeit abfloss. Alsdann wurden die benutzten Gefässe durch Ligaturen geschlossen. Der Erfolge war im Ganzen der gleiche, ob man eine centrifugale Venen- injection oder eine centrifugale arterielle Injection gemacht hatte; nur vor- übergehend schienen die nervösen Centralorgane durch die Aortentransfusion stärker angegriffen zu werden, wie durch die venöse. Die Frösche blieben: stundenlang, bei guter Pflege mehrere Tage lang am Leben. Was die Athmung anlangt, so ergiebt die Beobachtung während der Injection inconstante Resultate, bald Fortdauer einer anscheinend regel- mässigen, aber verlangsamten, oft dyspnoischen Athmung, bald unregel- mässige Athmungspausen, bald periodische Respiration, bald absoluten Ath- mungsstillstand. Es ist nicht möglich, bei solchen Athmungsveränderungen zu sagen, ob sie auf die directe Wirkung der Salzeinspritzung und der STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 249 Blutentziehung, oder auf Willensäusserungen des Thieres, oder auf reflec- torische Athmungshemmung (z. B. durch gedrückte und gezerrte Bauch- eingeweide), oder auf zu kleinen oder zu hohen Injeetionsdruck u. a. m. bezogen werden müssen. Will man die Einwirkung der Speisung des Ath- mungscentrums mit NaCl-Lösung kennen lernen, so muss man die Athmung untersuchen, nachdem das Thier sich von dem geschehenen Eingriffe erholt hat. Das ist meistens schon nach einigen Minuten der Fall. Ich will die Bemerkung nicht unterdrücken, dass bei unseren Fröschen während der ganzen Beobachtungsdauer sorgfältig auf die Herzthätigkeit ge- achtet wurde, da ja in ihrer Schwächung schon Grund genug für Athmungs- veränderungen gegeben sein konnte. Wir haben aber niemals früher, als kurze Zeit vor dem Tode des Thieres und zumeist erst nach dem Aufhören der Athmung merkliche Veränderungen des Herzschlages wahrnehmen können. Zunächst haben unsere Beobachtungen gezeigt, dass nur in seltenen Fällen und auch dann nur während kurzer Zeit die Athmung der Salz- frösche einen ganz regelmässigen, dem normalen Verhalten entsprechenden Rhythmus zeigt. Der einfachen Beobachtung entgehen feinere Abweichungen sehr leicht; es ist deshalb durchaus nöthig, das graphische Verfahren dauernd zu benutzen oder wenigstens von Zeit zu Zeit zu Rathe zu ziehen. Nur so kann man erwarten, eine richtige Vorstellung von dem wahren Ver- halten der Respiration zu gewinnen. Bei der Beurtheilung der durch Selbst- registrirung der Athmungen erhaltenen Curven darf nicht übersehen werden, dass auch unter ganz normalen Bedingungen die Athmung eines Frosches grosse Unregelmässigkeiten zeigen kann, dass die Pausen zwischen den ein- zelnen Athmungen bald klein bald gross sein, dass auch die Tiefe der ein- zelnen Athemzüge varliren kann.! Ist bei einem äusseren Eingriffe die Athmung geändert, so muss die Aenderung eine gewissermaassen typische sein, um mit Recht auf den Eingriff bezogen werden zu können. Die Be- obachtung zeigt, dass bei den Salzfröschen in der That typische Ver- änderungen der Athmung vorliegen. Dieselben können sehr mannig- faltige sein, je nach der Zeit, die seit der Transfusion verflossen ist, und je nach der von dieser Zeit mehr oder weniger abhängigen Erregbarkeit des Athmunsscentrums. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch die grössere oder geringere Vollständigkeit der Entblutung von grossem Einfluss. Die Vergleichung dieser verschiedenen Respirationstypen ergiebt das wichtige Resultat, dass sie Uebergänge darstellen von der regel- mässigen rhythmischen Athmung zur periodischen. Solche Ueber- gänge sind für das Verständniss des Zusammenhanges beider gewiss nicht ‘ Natürlich sind auch hier nur wahre Athembewegungen berücksichtigt. 250 O0. LANGENDORFE: weniger wichtig, wie für den Zoologen oder Botaniker die Uebergangsformen zwischen zwei Thier- oder Pflanzenspecies. Betrachten wir die verschiedenen Athmungstypen näher. Wie schon oben bemerkt wurde, ist bei Salzfröschen der normale Athmungsrhythmus selten. Am nächsten steht ihm eine Form der Athmung, bei welcher eine Reihe von schwachen, gleichmässigen Athem- zügen von Zeit zu Zeit durch eine sehr tiefe steil ansteigende und steil ab- fallende einzelne Athmung unterbrochen wird. In einem unserer Ver- suche war das der Modus der Athmung bald nach Vollendung der Trans- fusion. Die frequenten aber schwachen Athmungen waren in Abständen von 43—53 und mehr Secunden von grossen einzelstehenden Athmungen unterbrochen. Weit häufiger als diese, ja, wie es scheint, fast immer wenigstens eine Zeit lang vorhanden, ist folgende Athmungsform: Die eine Strecke hindurch normale Athmung wird durch eine mehr oder weniger allmählich ansteigende und dann ebenso wieder abfallende Athmungsgruppe unterbrochen; auf diese folgt wieder normale Athmung, dann wieder eine Periode, wieder normale Athmung u. s. f., und das Alles ohne dass eine erheblichere Pause die Athmung an irgend einer Stelle unterbräche. Von diesem Typus der eingeschobenen Gruppen geben Fig. 5—7 Bei- spiele. In Fig. 5 ist die Zahl der Einzelathmungen einer Gruppe gering; dieser Modus schliesst sich deshalb directer an den vorherbeschriebenen an, wie der durch Fig. 6 skizzirte, wo die Gruppe grösser, der Treppencharakter ausgesprochener ist. Auch bei Fröschen, an denen keine Transfusion vor- genommen worden ist, kann dieser Athmungstypus vorkommen; wir haben ihn zuweilen beobachtet, als wir die einige Zeit hindurch comprimirte Aorta von der Klemme befreiten, und die Athmung wiederzukehren begann. Fig. 7 möge dafür als Beispiel dienen. Immerhin scheint ein solches Verhalten bei der Wiedererholung von der Anämie selten zu sein. Bereits mit Siebert zusammen habe ich diese Athmungsform bei einem Salzfrosche am zweiten Tage nach der Transfusion beobachtet.! Denkt man sich in den mitgetheilten Curven den absteigenden Theil der eingeschobenen Gruppen fortgefallen und an seine Stelle eine kleine, etwa 20” betragende Pause getreten, so erhält man einen Athmungstypus, der zu der wahren periodischen Athmung noch weiter hinüberleitet. Fig. 8 1 S. Siebert, a. a. O0. S. 22. Die Einschiebung einzelner tiefer Athmungen sah ich auch bei morphinisirten Kaninchen. Die eingeschobenen Gruppen erinnern sehr an die von Mosso (Ueber den Kreislauf des Blutes im menschl. Gehirn. 1881. S. 114, Fig. 37—39) mitgetheilten periodischen Schwankungen der Pulshöhe bei chloro- formirten und bei strychninisirten Hunden, sowie an die sogenannte arhythmische Herzaction bei Herzleidenden. Vgl. z. B. Riegel, Ueber die Bedeutung der Puls- untersuchung. Volkmann’s Samml. klin. Vorträge. Nr. 144— 145. 1878. Fig. 94 u. 95. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 251 möge diese bei Salzfröschen nieht eben seltene Respirationsform erläutern. Die Athmung erscheint eine Zeit lang regelmässig, die Einzelathmungen von gleicher Höhe. Nach einiger Zeit beginnen die Öurven höher zu werden; sie steigen treppenartig bis zu einer gewissen Maximalhöhe an; auf die höchste Athmung folgt die Pause, dann beginnt dasselbe Spiel von Neuem. Die eigentliche periodische Athmung unterscheidet sich von der eben geschilderten Form dadurch, dass innerhalb einer Gruppe Athmungen von gleicher Höhe dicht nebeneinander gar nicht oder nur selten vorkommen. Jede Gruppe besitzt also den Treppencharakter. Nach der Pause folgt eine kleine Athmung, ihr eine grössere, die nächstfolgenden sind immer wieder höher. Die Treppe sinkt entweder steil zur Pause ab, wie das in Fig. 9 der Fall ist, oder es schliesst sich der aufsteigenden eine absteigende Treppe an, wie in Fie. 10. Die Pausen sind bald grösser, bald kleiner; zuweilen schiebt sich in sie kurz vor dem Beginne oder hald nach dem Ende einer Gruppe eine scheinbar isolirt stehende Athmung ein, die aber durch ihre Höhe ihre Zugehörigkeit zu der folgenden oder zur vorangehenden Gruppe documentirt (s. Fig. 10). Diese Athmungsform ist also identisch mit derjenigen, die man bei Abklemmung der Aorten oder nach Lösung der Aortenklemme beobachtet; aber anstatt dass sie, wie in diesen Fällen, unter progressiver Verlängerung der Pausen zum Erlöschen der Athmung, oder unter zunehmender Pausen- verkürzung zur normalen Athmung führt, besteht sie bei Salzfröschen stunden- lang, ja wahrscheinlich tagelang, ohne dass sie sich wesentlich ändert. Die letzte Athmungsform, die ich noch zu erwähnen habe, will ich mit dem Namen der „aufgelösten Gruppen“ bezeichnen. Wie schon der Name andeuten soll, sind hier die zu einer Gruppe gehörigen Einzelathmungen auf einen längeren Zeitraum, und zwar in eigenthümlicher Weise vertheilt. Der Typus ist folgender: Am Ende emer langen, mehrere Minuten dauern- den Athmungspause erscheint eine einzelne kleine Athmung; in einiger Zeit erfolgt eine zweite ebensolche, die wiederum von einer dritten gefolgt sein kann. Die nächste Athmung ist bereits eine doppelte, d. h. es folgen sich zwei Respirationen verhältnissmässig schnell. Nach einer Pause erscheinen dann drei Athmungen schnell hintereinander. Solcher Gruppen mit drei Athmungen erscheinen oft mehrere. Nach einer weiteren Pause kommt eine vier Athmungen enthaltende Gruppe, dann eine mit fünf oder sechs oder mehr Athmungen. Inzwischen sind die Athmungen allmählich höher ge- worden, die Gruppen zeigen schon einen leicht aufsteigenden Charakter; die Pausen zwischen ihnen werden kürzer. Endlich erfolgt eine längere Gruppe mit deutlich aufsteigender Treppe; derselben schliesst sich alsbald eine zweite Gruppe an, welche die Treppe fortsetzt. Die Athmungsexcur- sionen gelangen in ihr zu ihrem Maximum. Ist dieses erreicht, so fällt 252 OÖ. LANGENDORFF: die Curve steil zur Abseisse ab: es folgt wieder eime viele Minuten lang andauernde Pause. Dann beginnt die Athmung in derselben Weise wie zuvor, erst in einzelnen Athmungen, dann in kleinen, später in grösseren und immer höher werdenden Gruppen u. s. £. Besser als durch Worte wird dieses merkwürdige Verhalten durch Fig. 11 erläutert werden. Die Zeichnung von Curve a beginnt 7’ 16” nach der letzten vorhergehenden Athmung. Curve 5 ist die directe Fortsetzung von a. Ich bin im Besitze von Curven, die das in Rede stehende Verhalten viel- leicht noch klarer hervortreten lassen, da sie sich aber über einen allzu- srossen kaum verbreiten, musste ich ihre Mittheilung unterlassen. Ausser der graphischen Darstellung haben wir bei diesen, wie bei den früheren Versuchen auch einfache Zählungen vorgenommen. Sollen sie ein getreues Bild des Vorganges geben, so muss streng genommen bei ihnen ausser den Pausen berücksichtigt werden die Zeit, welche jede Einzelathmung oder jede Gruppe braucht, sowie die Höhe der einzelnen Respirationen. In der hier mitzutheilenden Zählung geschah das nicht; indessen geben die Zahlen eine ganz gute Vorstellung von dem Athmungstypus, um den es sich handelt. Die Zählung wurde vorgenommen an einem Thiere, dem drei Tage zuvor die Transfusion gemacht worden war. Die Zahlen bedeuten die Pausen zwischen den Einzelathmungen (in Secunden). Die grossen Pausen sind durch fetten Druck ausgezeichnet: 5—-5 —4—6 —6 —6 - 11 — 20 — 18 — 4 — 5 — 32 — 12 — .12—7 19 —8—11l 7—5 —- 7-9 — 937 — WW — 9 — 10 — 14 — 8-5 —5 6 -— 7 —6 —8S— 7 111 — 43 — 61 — 38 — 7—35 —- 35 —5 -— 20 — 40 —6 — 27 —2 —- 2 —4—-4—5 — 2 1 5 7— 27 —4--4—4— 5 — 180 — 48 — 52 — 15 5 — 16 — 22 25 14 —9 5 —6 -—6 — 7 — W—- 11— 4—5 —6 -— 4-55 —-5 —4—6 —7—- 11-02 —6 — 4 — 5—7—-7—- 7—- W—- 7 —6 -—4—-5 —95 —-6b -— 71-5 -6 — 17-23 —5—8 6 —4—8—6 -—7—5 6 —3— 7 —6 — 5—5—6—8—6 -—86 —4—6 — #4 —5.... Ich habe kaum nöthig zu bemerken, dass aufgelöste Gruppen vor- kommen, die von dem mitgetheilten Schema wesentlich abweichen; auch kann die aufgelöste Periodik in die eigentlich periodische Athmungsform übergehen. In umstehender Figur habe ich die verschiedenen bei Salzfröschen, sowie bei Erstickung und bei Wiedererholung vorkommenden Athmungsrhythmen schematisch dargestellt. Die sieben hier verzeichneten Typen sind aus dem Vorangehenden ohne Weiteres verständlich. STUDIEN ÜBER DIE INNERYATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 253 In Vorstehendem habe ich die Thatsachen einfach berichtet, wie sie sich der Beobachtung dargeboten haben. Wenn ich hier noch einen kurzen Erklärungsversuch anschliesse, so thue ich das mit dem Vorbehalt, durch spätere Erfahrungen besser belehrt zu werden. Es handelt sich vornehmlich s Wahre Perioden mit auf- und absteigender Treppe. he 6: Dieselben, nur mit aufsteigender Treppe. 2: Derselbe in gewissen Abständen von einzelnen starken Athmungen unterbrochen. he 7: Aufgelöste Perioden. he 3: Eingeschobene Gruppen, he 1: Illustrirt den normalen regelmässigen Athmungsrhythmus. he 4: Lange Perioden. Diem Er re re Ge ee Re Re Re Re Re Re Re um eine Deutung der Gruppenbildung. Luchsinger hat versucht, dieselbe durch eine periodische Zu- und Abnahme der Erregbarkeit zu erklären; die Arbeit soll die Erregbarkeit bis zu einer gewissen Grenze steigern, die Ermüdung sie schwächen. Die Athmungspause ist ein Symptom der Er- 254 O0. LANGENDORFF: schöpfung, die treppenartigen ansteigenden Gruppen eine Folge der durch vorhergegangene heize progressiv gesteigerten Erregbarkeit. Was zunächst den letztgenannten Punkt anlangt, so erscheint mir nicht unbedenklich, die bei künstlicher Reizung sewisser Centralapparate gewonnenen Erfahrungen auf die spontane Thätiekeit derselben zu über- tragen. Es ist nicht dasselbe, wenn, wie in den von Luchsinger citirten Beispielen Kronecker’s und Stirling’s, rhythmische Inductions- schläge verabfolgt werden, und wenn, wie bei der spontanen Respiration, ein natürlicher und continuirlicher Reiz wirkt. Dass ein continuirlicher Reiz auch rhythmische Bewegungen erzeugen kann, ändert nichts an der Sache. Ein künstlicher Einzelreiz wird leicht eine Nachwirkung hinter- lassen können, einen Reizungsrest, der sich zu dem nächstfolgenden Einzel- reize addirt, oder auch nur die Empfänglichkeit für einen solchen erhöht. Eine Steigerung der Leistung oder wenigstens eine Zunahme der Erreg- barkeit im Verlaufe der Reizung wäre also auch so verständlich. Fraglich ist aber, ob Aehnliches auch für die natürliche „automatische“ Innervation gilt, bei welcher aller Wahrscheinlichkeit nach dem Reize eine ihm genau äquivalente Leistung entspricht, eine Reizaufspeicherung somit von einer Thätigkeitsäusserung bis zur nächstfolgenden nicht wahrschemlich ist. Ich meine also, dass bis zur Führung des Beweises, dass die von Stirling und Kronecker beobachteten Thatsachen nur durch die von Luch- singer angeführte Steigerung der Erregbarkeit durch die Thätigkeit er- klärt werden können, dass bis dahin die Anwendung dieser Erklärung auf die Athmungsperiodicität ihre Bedenken hat. Dass bei der Gruppenbildung die Erschöpfbarkeit des Athmungs- centrums wesentlich in Betracht kommt, muss ohne Weiteres anerkannt werden. Denke man sich bei einem normalen Thiere einen normalen Ath- mungsrhythmus, so werden zwar auch hier Ermüdungserscheinungen, oder besser stoffliche Ermüdungsveränderungen eintreten; sie vermögen aber nicht die Oberhand zu gewinnen, weil, nach dem treffenden Ausdrucke Luch- singer’s, die reparativen Momente sich mit den zerstörenden in’s Gleich- gewicht setzen. Fehlt zu einem derartigen sofortigen Ausgleich die Mög- lichkeit, so bedarf das Centralorgan einer längeren Ruhe, um sich von der erschöpfenden Thätigkeit zu erholen. Es wird eine gewisse Anzahl von Athmungen erfolgen können; sie ermüden aber das Centralorgan so stark, dass seine Thätigkeit pausiren muss. Die Pause diente zur Wiedererholung. Ist eine solche eingetreten, so setzt die Athmung wieder rhythmisch ein, um bald wieder zu erlahmen, sich wieder zu regeneriren u. s. f. So entsteht die periodische Athmung aus dem gewöhnlichen Rhythmus. Leichte Erschöpfbarkeit und gestörte Regeneration sind ihre Bedingungen. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 259 Die Rhythmik der Periodik unterzuordnen, wie Luchsinger will, dazu lieet ein Grund nicht vor. Wodurch ist aber der Treppencharakter der Athmungsgruppen be- dinst? Auch hier bedarf man zur Erklärung nicht des Principes der Reiz- barkeitszunahme durch die Arbeit. Es sei mir erlaubt, hier an einige That- sachen zu erinnern, die wahrscheinlich auch Anderen gelegentlich aufge- fallen sein werden. Hat man bei einem Kaninchen durch Vorhalten eines mit Chloroform benetzten Schwammes einen längere Athmungsstillstand herbeigeführt, so sieht man nach Ablauf desselben die Athmung erst ganz leise beginnen, dann allmählich, in treppenartigem Aufstieg, kräftiger werden, bis sie die normale Tiefe erreicht hat. Dasselbe be- obachtet man nach dem durch centripetale Vagusreizung herbeigeführten (exspiratorischen) Stillstande Hat man ferner ein ausgeschnittenes Frosch- herz durch elektrische Sinusreizung zum Stillstande gebracht, so stellt sich nach Beendigung desselben die Thätiekeit ebenfalls m Form einer Treppe wieder her, wie die graphische Aufzeichnung der Pulsationen zeigt. In beiden Fällen wird man nicht annehmen, dass die initialen Ath- mungen oder Pulse die Erresbarkeit successive gesteigert haben. Die Klein- heit der ersten Athmung oder des ersten Pulses nach der Pause rührt vielmehr von einem der Thätigkeit sich widersetzenden Reizungsreste her, der von der Application des Chloroforms auf den N. trigeminus oder von der des elektischen Stromes auf die Vagusfasern oder sonstige hem- menden Apparate des Sinus venosus noch zurückgeblieben ist. Da dieser Reiz proportional der Zeit schwindet, so werden die Athmungen bez. Pulse ebenfalls proportional der Zeit an Grösse zunehmen müssen, bis der ant- agonistische Impuls gänzlich geschwunden, die normale Contractionsgrösse erreicht ist. Ganz dasselbe wird bei der periodischen Athmung der Fall sein. Ant- agonistisch wirkt hier kein Hemmungssimpuls, sondern die Ermüdung. Ihr Schwinden steht ebenfalls im Verhältniss zur Zeit. Beim Beginn einer Gruppe ist der Ermüdungsrest noch verhältnissmässig gross; bei jeder fol- genden Athmune ist er geringer. Ein Minimum ist er im Beginn der Maximalathmung oder -athmungen der Gruppe. Dieselben erfordern aber eine derartige Anstrengung, dass entweder sofort wieder höchste Erschöpfung eintritt (steiler Abfall zur Pause), oder dass unter immer kleiner werdenden Athmungsexcursionen die Athmung allmählich, unter der Form einer ab- steigenden Treppe, erlischt. Letztere Erscheinung ist, wie bereits bemerkt, die bei weitem seltenere. Da durch die Athmungen einer jeden Gruppe Sauerstoff aufgenommen und Kohlensäure entfernt werden muss, so wird man auch dieser Reiztilgung einen möglichen Einfluss auf das Zustandekommen der Pause nicht absprechen dürfen. Dass diesem Momente aber eine her- 256 OÖ. LANGENDORFF: vorragende Bedeutung nicht zukommt, wird dadurch bewiesen, dass perio- dische Athmung bei totaler Entblutung und bei Aortenabklemmung eintritt, in Fällen also, wo von wirksamem Gasaustausch nicht die Rede sein kann. Die periodische Athmung ist also die Folge einer abnorm gesteigerten Erschöpfbarkeit des Athmungscentrums, diese letztere die Folge einer un- zureichenden Ernährung. Das Eintreten der gruppenweisen Athmung bei Abschneidung der Blutzufuhr, nach Wiederfreigebung des lange gehemmten Blutstromes, nach Kochsalztransfusion ist demnach verständlich. Ist die Ernährung des Centralorgans nicht bis unter einer gewissen Grenze gesunken, die Ermüdbarkeit eine der Norm sich nähernde, so werden grössere Athmungspausen nicht mehr auftreten. Die Erschöpfung wird sich nur documentiren in einem Geringerwerden der Athmungsexcursionen, in einer Athmungsform, die eine geringere Höhe besitzt, als wie der Reizungsgrösse entsprechen würde. Während dieser Athmung, und vielleicht sogar durch dieselbe vermag das Centralorgan sich in ähnlicher Weise zu erholen, wie während einer Athmungspause. Ist die Erholung eingetreten, so werden die Athmungen dem Reize wieder conform; sie steigen treppenartig bis zu einer gewissen Maximalhöhe hinan, um hier wieder an der Ermüdung des Centralorgans zu scheitern. So kommt diejenige Athmungsform zu Stande, die ich als „eingeschobene Gruppen“ bezeichnet habe. Zuweilen lässt hier die Ermüdbarkeit des Centrums nur eine einzige über das gewöhnliche Niveau sich erhebende Athmung zu; meistens aber zeigen die Gruppen deutlichen Treppencharakter. Diese Athmungsform kommt, wie aus dem Obigen zu ersehen, wenigstens bei Salzfröschen vor. Die Möglichkeit einer, wenn auch noch so geringen, Sauerstofferneuerung, scheint ihr Zustande- kommen zu begünstigen. Während in den „Pausen“, die freilich hier keine wahren Pausen sind, das Centralorgan ein Minimum von Arbeit leistet, erhält es durch diese Arbeit soviel Sauerstoff, um nicht völlig erlahmen zu müssen und sogar unter dem gleichzeitigen Einflusse des langsam wieder anwachsenden Reizes allmählich wieder zu einer höheren Leistung gelangen zu können. | Die Erklärung der zwischen den eingeschobenen Gruppen und der wahren periodischen Athmung liegenden Respirationsform, die ich als vierten Athmungstypus erwähnt habe, folgt aus dem Vorangehenden von selbst. Noch bedürfen die bei Salzfröschen ebenfalls vorkommenden „aufge- lösten Perioden“ eines Wortes der Erklärung. Hier ist die Ermüdbarkeit beträchtlich gestiegen: die einzelnen Perioden erfolgen in weit distanten Intervallen. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 257 Nach langer Athmungspause durchbrieht eine einzelne kleine Athmung die Stille. Nach einiger Zeit folgt ihr eine zweite, dieser eine dritte. Der letzteren kann eine ebensolche dicht hinterher folgen. Nach dieser kleinen Periode bedarf das Centrum wieder einer gewissen Ruhe. Inzwischen steigert sich der Reiz mehr und mehr, es kommt zu einem erneuten Athmungs- anlauf, diesmal von drei bis vier Einzelathmungen, der aber ebensowenig wie die vorigen den Reiz zu verringern vermag. Nach kurzer Pause ent- steht wieder eine Periode; mit der Zahl der Athmungen wächst, langsam zunehmend, ihre Höhe. Die nächste Gruppe zeigt deutlich den Charakter der aufsteigenden Treppe. Hat sich von ihr das Centrum wieder ein wenig erholt, so erfolgt als letzter Ansatz eine Gruppe, in der die Athmungszahl sowie die Athmungshöhe, dem maximal gewordenen Reize entsprechend, zum Maximum gelangt. Durch sie wird zwar der Reiz vermindert, gleich- zeitig aber das Centrum derartig erschöpft, dass es einer langen, minuten- langen Pause bedarf, um sich wieder zu erholen. Dann beginnt dasselbe Spiel wieder von Neuem. Bei noch weiterer Zunahme der Erschöpfbarkeit benöthigt das Centrum nach jeder einzelnen Athmung einer langen Ruhe. An Stelle periodischer Athmung ist wieder der gewöhnliche Rhythmus getreten, freilich ein Rhyth- mus mit sehr verlängerten Intervallen zwischen den einzelnen Respirationen, die auch auf die Dauer nicht im Stande sind, dem Athmungsbedürfniss der Gewebe zu genügen. Zum Schlusse sei noch einer an das Vorhergehende sich anschliessenden Versuchsreihe Erwähnung gethan. Schon Siebert hatte gefunden, dass Salzfrösche sich nach Aortenunterbindung ähnlich verhalten, wie normale Frösche. Wir konnten das in mehrfachen Versuchen bestätigen. Mag die Athmung des Salzfrosches sein wie sie wolle, unterbindet man oder com- primirt man den Bulbus aortae, so treten Perioden auf, die immer kürzer, deren Pausen immer länger werden. Sehr bald machen sie einzelnen weit distanteren Athmungen, und nach kurzer Frist schon dem völligen Stillstand Platz. Hat die Compression nicht sehr lange gedauert, so stellt sich nach Lösung derselben die Athmung wieder ebenso her, wie sie vor der Com- pression war. In einem Falle war die Athmung des transfundirten Frosches entsprechend dem Typus 3 (eingeschobene Perioden). Als der Bulbus aortae abgeklemmt worden war, traten bald wahre Perioden auf; da die Pausen lang wurden, löste man die Klemme. Die Perioden rückten näher und näher aneinander, wurden länger, und machten schliesslich wieder der Athmung „mit eingeschobenen Perioden“ Platz. Nach einiger Zeit wurde die Klemme wiederum angelegt — mit demselben Erfolge, wie das erste Archiv f.A, u, Ph. 1881. Physiol. Abth. 17 258 0. LANGENDORFF: Mal; auch hier kehrte die Athmung nach Lösung der Klemme wieder zur anfänglichen Norm zurück. Dieser Versuch lehrt, dass das durch Mangel an Ernährungsflüssigkeit gelähmte Athmungscentrum nicht des Blutes bedarf, um wieder erregbar zu werden, sondern dass zu diesem Zwecke eine Kochsalzlösung genügt, die durch Hämoglobin höchstens gelblich gefärbt ist. Solche Versuche regen dazu an, in ähnlicher Weise, wie das von den Schülern Ludwig’s am Froschherzen geschehen ist, die Einwirkung ver- schiedener, dem Blute mehr oder weniger ähnlichen Flüssigkeiten auf das Centrum der Athembewegungen zu untersuchen. Möglich, dass sich hieraus directe Nachweise über die Ernährungsbedingungen dieses Centrums er- geben; möglich sogar, dass auch auf die Thätigekeitsursachen desselben ein Streiflicht fällt. Königsberg, den 5. Januar 1881. ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 259 Erklärung der Tafel, Zur Aufzeichnung der Athmungscurven sowie der Zeitmarken wurden die im Texte angegebenen Methoden benutzt. Die Zeitsignale markiren je 2 Secunden. Alle Curven sind von rechts nach links zu nehmen. Fig. 1a und Fig. 1b. Athmungsgruppen nach Abklemmung der Bulbus aortae, Fig. 2. (Nach Dr. Siebert). Zwei ähnliche Gruppen mit gedoppelten End- athmungen. Fig. 3. Stadium des „Anfalls“. Bei x werden die Aorten abgeklemmt. Fig. 4. Periodische Athmung in der Zeit der Wiedererholung. Die Curven- zeichnung beginnt 8 Minuten 56 Secunden nach Lösung der Aortenklemme. In den Pausen persistiren die Kehlhautbewegungen. Fig. 5 und Fig. 6. Athmungscurven zweier „Salzfrösche“. Typus der einge- schobenen Gruppen. Fig. 7. Eingeschobene Gruppen im Stadium der Wiedererholung nach Aortencom- pression (bluthaltiger Frosch). Fig. 8. Modification der „eingeschobenen Perioden“ durch die kleinen jeder Athmungsgruppe folgenden Pausen. (Typus 4.) Salzfrosch. Fig. 9. Periodische Athmung eines Salzfrosches. Gruppen mit aufsteigender Treppe. Fig. 10. Periodische Athmung eines Salzfrosches, bei dem 12 Minuten 17 Se- cunden vorher eine kurzdauernde Aortencompression aufgehoben worden war. Gruppen mit auf- und absteigender Treppe. Fig. 11. Reihe 5 ist die directe Fortsetzung von a. Salzfrosch. Typus der „auf- gelösten Gruppen“. Die Curvenzeichnung beginnt 7 Minuten 16 Secunden nach der letzten vorangehenden Athmung. (S. Text). liei Beiträge zur Physiologie des Herzens. Von Ferd. Klug. Aus dem physiologischen Institut zu Klausenburg. I. Ueber die Dauer der Phasen eines Herzschlages. Die bekannten Versuche von Volkmann,! Donders,? Marey und Chauveau,? Landois,* Francois-Frank° u. A., machen es erwünscht die Dauer der einzelnen Phasen des Herzschlages unmittelbar an dem Herzen zu beobachten und zwar nach einer Methode, bei der die Bluteireulation nicht, wie bei den Versuchen von Marey und Chauveau, gestört wird. Zu diesem Zwecke bediente ich mich eines ähnlichen Verfahrens wie Ludwig und Hoffa® und später Baxt,’ als sie die Erfolge der Vagus-, beziehlich Accelerans-Reizung untersuchten. Ein Stativ hält zwei von einander in beliebiger Entfernung emstellbare Hebel. Das freie Ende dieser Hebel versah ich mit einem Zeichenstift, welcher die Bewegungen derselben auf das berusste Papier des Marey’schen Myographions aufschrieb. Um die Herzbewegungen auf die beiden Hebel zu übertragen, geht von jedem Hebel zu dem Herzen je ein Aluminium- stäbchen, dessen unteres Ende in eine Platte von 2”” Durchmesser endet. 1 Zeitschrift für rationelle Mediein. 1845. Bd. III. S. 321. * Henle-Meissner, Berichte über den Fortschritt der Anatomie und Physio- logie im Jahre 1865. 8. 456. ® Marey, Physiologie medicale de la eirculation du sang: 1863. S. 70; — und La Methode graphique. 1878. S. 357. * Lehrbuch der Physiologie des Menschen. S. 94. > Travauxz du Laboratoire de M. Marey. 1877. S. 311. ® Zeitschrift für rationelle Mediein. 1850. Bd. IX. 8. 107. ” Dies Archiw. 1818. S. 123. FeErD. KLuG: BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES HERZENS. 261 Diese Platte ruht auf der betreffenden Stelle des Herzens. Damit die Aluminiumstäbchen während der Herzbewegungen von dem Herzen nicht ab- gleiten, wurde ein jedes Stäbchen durch ein kurzes Röhrchen geleitet, in wel- chem dieselben frei auf- und abgleiten, nicht aber zur Seite geschoben werden konnten. Schliesslich gestattete je eine Schraube die Hebel zu heben und zu senken, wodurch eine genaue Einstellung derselben möglich wurde. In dieser Weise konnte der Apparat für Säugethiere gut benutzt werden; für die Vorhöfe des Froschherzens waren aber die Hebel zu schwer, ich benützte daher bei Froschversuchen leichtere Hebel aus Stroh. Die Zeit registrirte eine Stimmgabel von 100 Schwingungen in der Secunde. Bei den Versuchen mit Fröschen stellte ich den einen Hebel auf den Ventrikel nahe der Herzspitze, den anderen auf den rechten Vorhof des frei- gelegten Herzens. Die Beobachtungen machte ich sowohl bei ungestörter Herzaction, wie auch während der Vagus erregt war. In dem letzten Falle benützte ich aber so schwache Inductionsströme, dass die Ventrikelcontraetion unter dem Einflusse derselben wohl seltener, nicht aber sistirt wurde. Das Resultat einiger auf diese Weise gemachter Froschversuche zeigt die folgende Tabelle: 5 - a a b & ß 5 = E 3 E & Die Zeitdauer | Die Zeitdauer Salsa ne der der a:b ve = Se = & | Systole |Diastole | Systole | Diastole ae | S@ Ss = der Vorhöfe der Herzkammern = = Fe in Secunden. in Secunden. 1 68 0-88 | 0.24 | 0-64 | 0-62 | 2-25 | 1:2-66 | 1:0.40 33.2181.820. 0.0527. 3555 | 129750253.) 1:25.74, 120-419 23 | Do — — 1:56 3-55 — E22 23 41 1:46 | 0-51 | 1-15 | 1-04 | 0-42 | 1:3-39 | 1:0.40 \ Da (no — — 176 | 454 — 1:2-29 3 31 1-93 | 0-46 | 1:47 | 1:00 | 0-69 | 1:3-19 | 1:0.69 Ba. — — 1-37 | 1-07 — 1:0.78 Wie man aus diesen Versuchsresultaten ersieht, verhält sich bei nor- maler Herzaction die Dauer der Systole der Vorhöfe zur Diastole wie 1:2.66, bez. wie 1:3°39 oder 1: 3.19; demnach etwa wie 1:8. 1 Der Vagus wurde schwach gereizt. ® Der Vagus wurde stärker gereizt. 3 Vagus gereizt. * Schwache Vagusreizung. 262 FERD. Kıuc: Dieses Verhältniss erleidet eine Aenderung sobald der Vagus gereizt wird. Ist die Reizung schwach genug, so dass sich die Vorhöfe noch con- trahiren (s. Versuch I, Reihe 2), dann nimmt die Systole kaum etwas mehr Zeit in Anspruch als vor der Reizung, während die Zeitdauer der Diastole bedeutend wächst; in diesem Falle verhält sich die Systole zur Diasote wie 1:5°74. Während derselben Vagusreizung wächst die Dauer der Systole und Diastole der Herzkammer in gleichem Maasse, so dass ihr gegenseitiges Verhältniss eigentlich keine Aenderung erleidet (1: 0-41). Der hemmende Einfluss der schwachen Vagusreizung offenbart sich also bei den Vorhöfen in einer längeren Dauer der Diastole derselben, bei der Herzkammer wohl auch in einer entsprechenden Abnahme der Frequenz der Herzschläge, allein das Verhältniss der Dauer der Systole und Diastole zu einander bleibt noch unverändert. Erst wenn der Vagus stärker erregt wird, so dass die Contractionen der Vorhöfe kaum zu beobachten sind oder ganz ausbleiben, der Ventrikel aber noch fort pulsirt (s. Versuch ‘I, Reihe 3, und Versuch II, Reihe 2), erleidet das Zeitverhältniss der Systole und Diastole auch hier eine ähnliche Aenderung wie bei den Vorhöfen; die Dauer der Systole verhält sich nämlich zu jener der Diastole wie 1: 2-27 bezüglich wie 1: 2.59. Fig. 1. Fig. 2. Beim Frosche nimmt also, bei normaler Herzaction, die Systole der Vorhöfe ein Viertel der Zeit eines Herzschlages, die der Kammer zwei Drittel ein, die übrige Zeit fällt der Diastole zu. Dies Verhältniss versinnlicht in übersichtlicher Weise Fig. 1, in welcher AB den Vorhöfen, CD der Herzkammer entspricht. Die Zeit eines Herz- schlages ist in 12 gleiche Theile getheilt. Die über der Abscisse gezogene Gerade deutet die Contraction, die auf der Abscisse selbst gezogene die Er- weiterung der betreffenden Herztheile an. Bei den Säugethieren begann ich die Versuche an Hunden, überzeugte BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES HERZENS. 263 mich aber bald, dass hier denselben sehr grosse Schwierigkeiten im Wege stehen. Wird nämlich das Hundeherz, wie Baxt bei seinen Ver- suchen gethan, freigelegt, dann überzeugt man sich sehr leicht, dass kein Vorhof soweit zugänglich ist, um auf denselben das Aluminiumstäbchen des einen Hebels sicher genug stellen zu können. Daher nahm ich meine Zu- flucht zu dem Kaninchen. Bei diesen Thieren ist jeder Vorhof zu erreichen. Auch ist es ein grosser Vortheil, dass das Herz dieser Thiere freigelegt werden kann, ohne dass zugleich die Pleurahöhle eröffnet werden müsste.! Ich öffnete die Brustwand der Kaninchen am linken Rande des Sternums. Nachdem ich das Pericardium spaltete, nähte ich dasselbe vorsichtig an die beiderseitigen Wandränder fest. Das Pericardium bildete so eine Mulde, in welcher das Herz sicher lag; auch war hierdurch die Pleura gegen Ver- letzung mehr geschützt. Ein starker Augenlidhalter hielt die Brustöffnung offen. Von den beiden Hebeln des Apparates zeichnete der eine die Be- wegungen des rechten Vorhofes, der andere die der Mitte der rechten Kammer auf den rotirenden Cylinder. Die Resultate zweier auf diese Weise gemachter Versuche verzeichne ich kurz in Folgendem: & & g N 5 & b & ß & - . . Es | Seal & | Die Zeitdauer | Die Zeitdauer = Z 3 = der der RG a?) = E |=35 38% |Systole |Diastole| Systole | Diastole u” N a. As = der Vorhöfe der Herzkammern rS NZ & q E) in Secunden. in Secunden. 0:09 1.0.16 | 0-11 | 0.14 | 1:1:77 | 1:1-27 0:16 | 0.68 | 0.41 | 0-43 | 1:4°28 | 1:1°04 Er a ER) Q SI [S) S-@& Qa m gr! 0.08.) 0-17 | 0.13. 0.12 |.1:2:12, | 1:0-92 | 0:32 | 2.08 | 0-50 | 1.90 | 1:6°50 | 1:3°80 [80 ©) = x 9 DD © a So) a In beiden Versuchen verhält sich, bei normaler Herzaction, die Systole der Vorhöfe zur Diastole derselben wie 1:1.77, bezüglich wie 1:2.12, also wie 1:2. Während schwacher Reizung des Vagus nimmt die Dauer der Vorhofsystole und -Diastole zu, allein die Diastole in grösserem Maasse, ' Siehe: Gad, in den Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft, 9. März 1877. Dies Archiv, 1878, S. 596. ” Der Vagus wurde schwach gereizt. 3 Vagus gereizt. 264 FeErD. Kıve: so dass sich das Verhältniss beider zu einander zum Vortheil der Diastole ändert. In dem ersten Versuche verhielt sich die Systole zur Diastole wie 1:4.28 in dem zweiten wie 1:6-50; die Diastole nahm also fünfmal soviel Zeit in Anspruch als die Systole. Die Systole der Kammer verhält sich zur Diastole derselben in beiden Versuchen wie 1:1.27, bezüglich wie 1:0-92. Es dauerte also die Systole der Kammer beinahe eben so lange wie die Diastole. Während der durch Vagusreizung verursachten langsamen Herzaction nimmt auch hier die Diastolendauer in grösserem Maasse zu als die Systole. Bei normaler Herzaction fällt demnach auf die Systole der Vorhöfe ein Drittel, auf die der Kammern die Hälfte der Zeit eines Herzschlages. Wenn wir die Dauer der Phasen eines Herzschlages bei dem Kaninchen, ähnlich wie bei dem Frosche, bildlich ausdrücken, dann erhalten wir die Fig. 2. Der Vergleich beider Figuren zeigt, in welcher Weise sich die Zeitdauer der einzelnen Phasen eines Herzschlages, bei dem Frosche und dem Kaninchen, von einander unterscheiden; bei dem Frosche dauert die Systole der Vorhöfe kürzer, die der Kammer länger, als bei dem Kaninchen. Auffallend stimmen die Resultate meiner Kaninchenversuche mit den Schlüssen überein, zu welchen Volkmann durch die Beobachtung des Zeitverhältnisses der Herztöne bei dem Menschen gelangte; nach den letzteren verhält sich nämlich die Zeit der Systole der Kammern zu der der Diastole derselben wie 96:100, nach unseren Versuchen im Mittel wie 1:1-04. Bei den Versuchen, welche Marey und Chauveau an Pferden machten, dauerte die Contraction der Vorhöfe verhältnissmässig sehr kurz; ein Herz- schlag nahm nämlich 1-15 Sec. in Anspruch und hiervon entfiel auf die Vorhofssystole 0-2 Sec. Aehnlich sind auch die Angaben von Landois, nach welchen die Vorhofscontraction bei einem Menschen, dessen Herz in einer Minute 55 Schläge machte, ein Herzschlag also 1-09 Sec. lang an- hielt, 0.177 Sec. dauerte. Diese Angaben stimmen mehr mit den Ergeb- nissen, zu welchen unsere Froschversuche führten, überein, als mit den bei dem Kaninchenherzen gefundenen Werthen. Nicht so die die Herzkammer betreffenden Resultate derselben Forscher, diese stimmen nämlich mit un- seren bei den Kaninchen gefundenen Werthen vollkommen überein. Ursache der Abweichung in der Dauer der Vorhofscontractionen kann das verschiedene Versuchsobject sein, bei den Versuchen von Marey und Chauveau aber auch die Versuchsmethode, welche zu hochgradiger Störung der Herzaction führen muss, da, wie bekannt, nach derselben durch Carotis und Vena jugularis cardiographische Sonden in die entsprechenden Herz- kamern und Vorhöfe eingeführt werden. Auf Grund welcher Erfahrung BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES HERZENS. 265 Landois, aus der mit dem Sphygmographen von Marey gewonnenen Herz- stosseurve, die Dauer der einzelnen Phasen des Herzschlages berechnet, finde ich nirgends angegeben. II. Ueber den Verlauf der Herzkammer-Contraction. Nach Haller beginnt die Kammercontraction gleichzeitig an der Basis und an der Spitze des Herzens und schreitet von beiden Enden gegen die Mitte der Kammer vor; nach Sennac beginnt die Contraction an der Herz- spitze, eilt der Basis zu, um von dort abermals zurückzukehren; nach Arnold wäre die Herzbasis der Ausgangspunkt der Kammercontraction (siehe Kürschner in Wagner’s Handwörterbuch, Bd. II, S. 55). Kürschner führte in das Herz junger Hunde und Kaninchen durch den geöffneten Vorhof einen Finger ein und fühlte zu gleicher Zeit den Finger in dem Ostium venosum eingeschnürt und die Papillen hart wer- den, sowie dass die ganze Herzwand sich um den Finger schliesst; daher folgert Kürschner, dass die Contraction der Herzwand nicht von einem Punkte derselben ausgeht, sondern an allen Punkten zugleich beginnt. In neuerer Zeit beobachteten den Verlauf der Ventrikel - Contraction Engelmann! und Marchand.? Engelmann zerschnitt die Herzkammer eines Frosches in Stückehen, die durch eine ganz schmale Brücke von Muskelsubstanz zusammenhängend blieben. Wurde eines dieser Stückchen gereizt, so contrahirten sich nach einander auch die übrigen. Da nun in dem Kammermuskel keine Spur von Nervenfäserchen oder Ganglienzellen zu entdecken ist, schliesst Engel- mann, dass der Erregungsprocess direct von Zelle zu Zelle fortschreitet. Die Grösse der Leitungsgeschwindigkeit im normalen Froschherzen beträgt nach Engelmann gewiss mehr als 20%” in der Secunde; demnach scheint sich jeder Theil der Herzkammer zugleich zu contrahiren. Das Stadium der Latenz fand Engelmann wenigstens 0:08 Sec. Die Messungen wurden an solchen Herzkammern unternommen deren Basaltheil fehlte. Die Herz- kammer wurde in einer feuchten Kammer zwischen breite Thonelektroden gegeben. Als Reiz diente ein Inductionsschlag. Oeflnung und Schliessung des primären Stromes besorgte das Kymographion selbst. Die Contractionen zeichnete ein Schilfhebel der dem Herzen breit auflag. Ebenfalls an Fröschen und nach einer ähnlichen Methode untersuchte Marchand die Contraetionswelle des Herzmuskels. Benutzt wurde die " Archiw für die gesammte Physiologie. Bd. XI. 8. 465. ? Ebenda. Bd. XV. 8. 511. 266 FERD. Kıug: „Herzspitze“ der „ganze Herzventrikel“ endlich das „Herz ohne Sinus“; in allen drei Fällen also blieb das Herz während des Versuches pulslos. Das Präparat wurde auf ein Glasplättchen gelegt, welches auch die Elektroden trug. Auf den Elektroden ruhte die Herzbasis und auf dieser ein leichter Glashebel, der die Herzcontractionen auf den COylinder eines Myographions aufschrieb. Kleine Thonkissen fixirten das Präparat in seiner Lage. Die Latenzdauer schwankte bei Winterfröschen zwischen 30-8— 17-75, bei Sommerfröschen zwischen 22-06 25—11:5 Hundertstel Sec. Die Beschaffen- heit des Präparates, die Temperatur, sowie die Ermüdung waren ohne Ein- fluss auf die Latenzdauer. Einen merklichen Einfluss schien die Reizstärke zu besitzen. Die Öontractionscurve zeigte dieselben wesentlichen Eigenthüm- lichkeiten wie die Curve des quergestreiften Muskels und dauerte 2—-2-5 Sec. Um die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Herzmuskel zu messen, zeichnete Marchand möglichst rasch nach einander zwei Curven, während er nach einander an zwei möglichst weit von einander gelegenen Punkten das Herzpräparat reizte, während der Hebel an seiner Stelle blieb. Die Anfangspunkte der Curve lagen ziemlich ohne Regel bald weniger bald auch gar nicht auseinander. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit musste demnach grösser sein als 100"® in 1 Sec.; alle Fasern des Herzens schienen dem- nach auch bei diesen Versuchen ihre Contraction gleichzeitig zu beginnen und zu vollenden. Diese Untersuchungen konnten aber über den Verlauf der Contraction des normal schlagenden Herzens keine Aufklärung geben. Denn wenn sich auch die elektrisch gereizte Herzkammer in allen ihren Theilen gleichzeitig zu contrahiren scheint, so kann hieraus noch nicht geschlossen werden, dass sich die normale Herzkammer auch in allen ihren Theilen zugleich con- trahirt. Die auf eine Stelle des Froschherzens einwirkenden Inductions- schläge werden kaum nur den zwischen beiden Elektroden liegenden Punkt und nicht mehr Theile der Kammer gereizt haben. Marchand fand ferner, dass die negative Stromschwankung stets von der gereizten Stelle ausging, demnach musste auch die Erregung an diesem Orte ihren Ausgang nehmen. Da mir aber weitere Versuche über diesen Gegenstand nicht bekannt sind, mögen in Folgendem die Resultate einiger Versuche, welche ich mit dem in der vorangegangenen Mittheilung beschriebenen Hebelapparat machte, Erwähnung finden. Dem Zweck der Versuche entsprechend stellte ich die Enden der Alu- miniumstäbchen beider Hebel, in bestimmter Entfernung von einander, auf die Herzkammer. Die freien Enden der beiden Hebel schrieben die Be- wegungen der Kammer auf die berusste Fläche des rotirenden Cylinders des Marey’schen Myographions. Zugleich registrirte eine Stimmgabel von 100 Schwingungen die Zeit. Die Versuche machte ich sowohl an ausge- BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES HERZENS. 267 schnittenen aber noch pulsirenden, als auch an unversehrten Herzen der Frösche und einiger Säugethiere. Bei den Froschversuchen wurde das eine Aluminiumstäbchen auf den Basaltheil der Herzkammer, das zweite 4” tiefer gestellt. Durch eine Schraubenvorrichtung an dem Apparate konnten beide Hebel auf die be- treffenden Punkte der Herzkammer ganz gleich .. eingestellt werden; auch schrieben die Hebel genau übereinander. Bei einem normal pulsirenden Froschherzen, das 40 bis 60 Schläge in der Minute macht, scheinen die Hebel in der That gleichzeitig die Abscisse zu verlassen, wenigstens war keine merkliche Verspätung des einen oder anderen Hebels zu bemerken. Auffallend war nur, dass der Hebel, welcher die Contraction der Herzbasis zeichnete, stets um einige Secunden später zur Abscisse zurückkehrte, als der andere. Begann aber das Herz lang- samer zu pulsiren — entweder weil es langsam abstarb (bei ausgeschnittenen Herzen), oder weil der Vagus schwach gereizt wurde — so etwa, dass es nur 9 bis 10 Schläge in der Minute machte, dann verliess der Hebel der Herzspitze die Abseisse constant um 0-03—0.04 Sec. früher als jener der Herzbasis, während der letztere auch diesmal die Pulscurve um 0-10 bis 0-45 Sec. später vollendete. Die Form der Pulscurve der Herzspitze ent- sprach vollkommen der der Zuckungseurve anderer Muskeln; die Curve der Herzbasis ist in die Länge gezogen, hat daher eihe stumpfe gedehnte Spitze. Von den Säugethieren machte ich Versuche mit ausgeschnittenen Herzen junger Hunde und Katzen, am besten bewährte sich aber auch hier, das unversehrte Herz des Kaninchens bei offener Brustwand zu benützen. Natür- lich musste auf eine genaue Einstellung der Aluminiumstäbchen ebenfalls geachtet werden. Die Hebel stellte ich 10” entfernt von einander und liess in demselben Abstand die Enden der Aluminiumstäbchen auf der Herz- kammer ruhen; sobald sich also die unter den Stäbchen befindliche Herz- partie contrahirte, wurde auch das entsprechende Hebelende gehoben. An der rechten Kammer beginnt die der Spitze nahe gelegene Partie eines normal pulsirenden Kaninchenherzens (etwa 250 Schläge in der Minute) kaum merklich früher ihre Contraction, als die 10%” höher gelegenen Theile. Auffallend grösser wird aber diese Zeitdifferenz, wenn wir entweder den Vagus schwach reizen, oder die linke Pleurahöhle öffnen; in beiden Fällen wird die Herzaction früher oder später seltener und langsamer. Das letztere Verfahren bietet noch den Vortheil, dass das Herz nach der Seite fällt, in welcher die Lunge collabirt ist, und man der anderseitigen Herz- kammer viel leichter beikommen kann. Collabirt also die linke Lunge, dann ist die rechte Kammer mit den Aluminiumstäbchen viel leichter zu erreichen. In einem solchen Falle pulsirte das Herz 48 mal in der Minute, ein Herzschlag nahm 1.29 Sec. in Anspruch. Die Herzspitze begann um 268 FeErD. Krug: BEITRÄGE zur PHYSIOLOGIE DES HERZENS. 0.09 Sec. früher ihre Contraction zu zeichnen als die Basis, zum Beweise dessen, dass die Contraction der rechten Herzkammer von der Spitze nach der Basis fortschreitet. In bedeutend weniger auffallender Weise gelangt der frühere Beginn der Contraction der linken Herzkammerspitze zur Beobachtung. In einem Falle in welchem das Herz 46 mal in der Minute schlug, fand ich die Con- traction der Herzspitze kaum 0-02—0.03 Sec. früher beginnend als die der Basis. Zugleich ist die Pulscurve auffallend dierot; an ausgeschnittenen Herzen beobachtete ich niemals einen solchen dicroten Herzschlag. Dieser bei langsamer Herzaction zu beobachtende Verlauf der Ventrikelsystole, macht es im höchsten Grade wahrschein- lich, dass die Contraction der Herzkammern von der Spitze nach der Basis verläuft. Klausenburg, am 22. Januar 1881. Die gerinnbaren Eiweissstofie im Blutserum und in der Lymphe des Hundes. Von Gaetano Salvioli. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. Mehrfache Erfahrungen im Gebiete des Stoffwechsels haben zu ihrer Erklärung die Annahme gefordert, dass das gerinnbare, vormals als Albumin bezeichnete Eiweiss des Blutserums aus einem Gemenge nahe verwandter Körper bestehen müsse. Eine thatsächliche Bestätigung hat diese Unterstellung durch die Entdeckung Hammarsten’s erfahren, wel- cher den früher nicht zerlegten grössten Theil des gerinnbaren Serum- eiweisses in zwei Bestandtheile, des Serumalbumin und das Paraglobulin spaltete. Fast gleichzeitig hiermit gelang es Schmiedeberg und in noch ausgesprochenerem Grade Drechsel, einen dem Paraglobulin des Blut- serums nah verwandten Eiweisskörper zum Krystallisiren zu bringen , wo- durch die Globuline, welche nun in die Reihe der geschlossenen Molecule eintraten, eine erhöhte Bedeutung gewannen. Enthält aber das Blutserum zwei verschiedene Albumine, so wird auch jedem derselben in dem leben- digen Umsatz eine besondere Rolle zukommen, und es erwächst daraus die Aufgabe dieselbe festzustellen. Zur Aufhellung der sich hieran knüpfenden Frage hat Hammarsten den zunächst offenen Weg, die quantitative Zerlegung des Blutes, schon in umfänglicher Weise betreten. Aus der Analyse von 25 verschiedenen Blut- flüssigkeiten des Menschen, des Pferdes, Rindes und Kaninchens gewann er Mittelzahlen, welche nach dem Paraglobulingehalt geordnet folgendermaassen lauten. In 100 Theilen Blutserum finden sich: 270 (FAETANO SALVIOLT: Verhältniss desselben Gesammteiweiss. Darin Paraglobulin. zum Gesammteiweiss. Pferdeserum . . 7.26 4.57 0-63 Rinderserum . . . 7-50 4.17 0-56 Menschenserum . . 7.62 3:10 0.41 Kaninchenserum . . 6-23 1:79 0.29 Dass den Unterschieden zwischen dem Paraglobulingehalt der auf- sezählten Serumarten keine Zufälligkeiten zu Grunde liegen, ergiebt sich, wenn man auf die Zahlen zurückgeht, aus welchen die Mittelwerthe ab- geleitet sind. Zum Beweis hierfür wird es genügen, statt aller nur die Grenzen anzugeben, zwischen welchen sich der Gehalt an Gesammt- eiweiss und an Paraglobulin in den von Hammarsten zerlegten Serums- arten bewegen. Zahl der Gesammteiweiss. Paraglobulin. Beobachtungen. Maximum, Minimum. Maximum, Minimum. Bierd a a. 10 8-2 6-3 5.3 3:9 Kind tes 5 8.0 6-2 5-1 2.8 Mensch re: 6 8.1 7-0 38 2.5 Kaninchen. . . 4 7.2 5.8 2.0 1-5 Minima und Maxima folgen, wie man sieht, der durch die Mittelzahlen aufgestellten Regel, welche der Thiergattung, aus der das Blut stammt, einen entscheidenden Einfluss auf den Paraglobulingehalt des Blutserums zuweist. Die Zahlen belehren uns aber auch darüber, dass ausser der Gattung noch dem Individuum und daneben vielleicht den verschiedenen Zuständen desselben eine Bedeutung zukommt, denn es schwanken in jeder der auf- oezählten Thierarten die Zahlen nicht unbeträchtlich, welche den Paraglo- bulingehalt des Serums angeben. Worin jedoch die Ursachen der Schwan- kungen liegen, welche die gleichnamigen Blutarten aufweisen, geht aus den Beobachtungen Hammarsten’s nicht hervor. — In diese Lücke tritt eine Beobachtung von Tiegel an Schlangenblut, vorausgesetzt, dass die von ihm gebrauchte ältere analytische Methode zur Darlegung des wahren Sach- verhaltes ausreicht. Nach langem Hungern verschwindet aus dem Serum des Schlangenblutes das Albumin, indess sich das Paraglobulin noch nach- weisen lässt; in dem Blutserum gefütterter Schlangen tritt dagegen auch das Albumin wieder auf. Dem Paraglobulin käme somit eine grössere Widerstandsfähigkeit gegen die das Eiweiss umsetzenden Kräfte als dem Albumin zu. Im Hinblick auf die Beobachtungen v. Schröder’s über die Harnsäurebildung bei gefütterten und hungernden Schlangen würde man mit der Behauptung vielleicht nicht fehl gehen, dass das Verschwinden des Albumins mit der Entstehung der Harnsäure im Zusammenhang stehe. EIWEISSSTOFFE IM BLUTSERUM UND IN DER LYMPHE DES Hunpes. 271 Da es jedoch gewagt erscheinen muss, die an den Schlangen gefundenen Thatsachen auch für das Säugethier gelten zu lassen, so entschloss ich mich zu einer Reihe von Beobachtungen an nüchternen und gefütterten Hunden. In dem Blutserum, welches von denselben stammte, wurde das Albumin und Paraglobulin nach der von Hammarsten gegebenen Vorschrift be- stimmt. Da ich anfänglich neben dem Blute auch im Chylus und in der Lymphe dieselben Bestimmungen ausführen wollte, so mussten die Thiere nach dem Gewinn der nöthigen Flüssiekeitsmengen getödtet werden, wes- halb je eins nur zu einer Beobachtung dienen konnte. Die Analysen er- gaben in hundert Theilen Blutserum: | $ ‘ x . . . Paraglobulin Körpergewicht. Fütterungszustand. Albumin. Paraglobulin. — Ann 1) 12ksm 20 Stunden nüchtern 4.44 129 0.29 2) 107, 24 n on 4.02 1.61 0.40 Während der Fleisch- aA, en danung Isa 20 08 4 — ,„ desgleichen 3.69 2.06 0.56 In dem Serum der vier Thiere war der Gehalt an Gesammteiweiss, wie er sich aus der Addition seiner beiden Bestandtheile ergiebt, nahezu unver- ändert geblieben, das Verhältniss, in welchem sich das Paraglobulin zum Albumin stellte, hatte sich dagegen wechselvoll und zwar regelmässig dahin gestaltet, dass im hungernden Thiere der Paraglobulingehalt im Verhältniss zu dem des Albumins beträchtlich niedriger als während der Fleischver- dauung gefunden wurde. | Da jedoch das Blutserum verschiedener Individuen miteinander ver- glichen war, so durfte man sich bei dem gefundenen Ergebniss nicht be- ruhigen. Vielmehr war nun darauf zu dringen das Blutserum desselben Thieres, während es sich in verschiedenen Fütterungszuständen befand, der Analyse zu unterwerfen. Beobachtungen solcher Art sind an zwei Thieren _ durchgeführt worden. Einem Hunde von 38*sm Körpergewicht, seit 48 Stunden nüchtern, wird Blut entzogen und ihm darauf 500 sm Pferdefleisch gereicht; danach werden ihm in der 3., 7. und 24. Stunde Blutentziehungen gemacht, die Gesammtmasse des entzogenen Blutes betrug 350 «m, 100 Theile Blutserum enthielten von der zuletzt stattgefundenen Fütterung an gerechnet: In der 48. Stunde 3. Stunde 7. Stunde 24. Stunde Baraslobulne 2 72772390 2.178 2.62 2.74 lung 3.16 3.09 3.17 Paraglobulin 0.95 0.85 0.85 0.86 Albumin 272 GAETANO SALVIOLT: Ein anderer Hund von 18 stm Körpergewicht hatte, nachdem er dreimal 24 Stunden gehungert, den grössten Theil einer ihm zufällig nahe gebrachten Kaninchenleiche gefressen. Nachdem derselbe von da ab noch weitere viermal 24 Stunden gefastet hatte, wurde ihm eine Blutprobe entnommen und ihm alsbald 1-5 %erm Pferdefleisch gegeben; alsdann wurden ihm 6, 24, 48 Stun- den nachher Blut entzogen, im Ganzen 150 m, 100 Theile Blutserum enthielten nach der zuletzt stattgehabten Fütterung: In der 168. Stunde (96. Stunde) 6. Stunde 24. Stunde 48. Stunde Paraglobulin . . . 2.42 2.24 2.37 2.48 Albumin a 0 ano 3.54 3-91 3.72 Kemsg aba 0-67 0-63 0-61 0-67 Albumin Zwischen den analytischen Ergebnissen des Blutserums gefütterter und nüchterner Thiere findet sich sonach ein Unterschied je nachdem die be- treffenden Blutproben aus verschiedenen oder von denselben Thieren zu un- gleichen Zeiten genommen wurden. Als das Blutserum zweier hungernden mit demjenigen zweier anderer Hunde verglichen wurde, ergab sich, dass im Hungerzustande das Paraglobulin im Verhältniss zum Albumin abge- nommen hatte. Als dagegen dieselben Hunde ihr Blut im hungernden und gefütterten Zustande hergeben mussten, zeigten sich in dem Verhältniss zwischen Paraelobulin und Albumin kein wesentlicher Unterschied; die kleine Abweichung der verschiedenen (@uotienten weist sogar, wenn man ihr überhaupt einen Werth beilegen will, darauf hin, dass während der Hungerperiode das Paraglobulin in einem relativen Wachsthum begriffen ge- wesen sei. Zwischen den Versuchen an den ersten vier und an den letzten zwei Thieren hatte in dem angewendeten Verfahren noch ein Unterschied be- standen über dessen Tragweite Aufschluss gegeben werden musste. Weil ich von ihnen Chylus und Lymphe zu gewinnen wünschte, hatte ich die vier ersten Hunde mit Curara beruhigt, während die Anwendung dieses Giftes bei den letzten zwei Hunden unterblieben war. Obwohl nun das Blut- serum der fastenden und der in Verdauung begriffenen Hunde rücksichtlich des Paraglobulingehaltes zu entgegengesetzten Ergebnissen geführt hatte, weshalb auf keine nach einer bestimmten Richtung hingehende Wirkung des Curara’s zu schliessen war, so hielt ich es doch für sicherer mir Gewiss- heit von dem Einflusse des Curara’s zu verschaffen. Zu ihr wird man ge- langen müssen, wenn man einem Thiere vor, während und nach aufge- hobener Curarawirkung Blut entzieht. Eine nach diesem Plane durchgeführte Beobachtung ergab die folgenden Zahlen: EIWEISSSTOFFE IM BLUTSERUM UND IN DER LYMPHE DES Hundes. 273 Vor der In tiefer Nach vollständigem Vergiftung. Curaranarkose. Wiedererwachen. Baraglobuline 2. 1.88 2:04 1-65 Albumin . . . . verunglückt 4-41 3.76 Paraglobulin —— RE 0.46 0.44 Alumin Während das Curara die ihm auf die Muskelnerven eigenthümliche Wirkung im ausgeprägtesten Maasse hervorgerufen hatte, war der Gehalt des Serums an Gesammteiweiss grösser als nach dem Wiedererwachen ge- wesen, aber das Verhältniss zwischen Paraglobulin und Albumin war in beiden Fällen dasselbe Mit Rücksicht auf unsere Frage kommt demnach dem Curara keine Bedeutung zu. Nachdem durch den eben mitgetheilten Versuch das letzte Bedenken beseitigt ist, darf wohl der Schluss für berechtigt gelten, dass die Aende- rungen, welche der Gehalt des Blutserums an Paraglobulin bei verschiedenen Thieren wahrnehmen liess, in keiner Beziehung zu dem Nüchternheitsgrade eines mit Fleisch ernährten Hundes steht. Ob sich andere Nahrungsmittel verschieden vom Fleisch verhalten, muss dahingestellt bleiben. Wahrschein- lich ist dieses gerade nicht; denn die sieben Hunde, deren Blutserum ana- lysirt worden, waren vor den Blutentziehungen sämmtlich mit Fleisch gefüttert worden, sodass, wenn der Antheil, welchen das Paraglobulin an der Herstellung des Gesammteiweisses nimmt, vom Futter abhängig wäre, auch allen ein gleicher Gehalt ihres Serums an Paraglobulin hätte zu- kommen müssen. Uebt auf die Zusammensetzung des Gesammteiweisses die Ernährungs- weise keinen Einfluss, so wird man zunächst zu der Annahme geführt, dass die ungleiche Vertheilung des einen oder anderen Bestandtheiles auf die aus dem Blute abgeschiedenen Flüssigkeiten von Bedeutung sein möchte. In der That findet Estelle, dass das Eiweiss, welches in den Harn über- gegangen ist, zuweilen nur Albumin enthält, während das Paraglobulin gänzlich fehlt. Andere Male aber fand er das Eiweiss des Harns aus beiden Bestandtheilen zusammengesetzt. ‚Bei zwei Kranken war es ihm möglich, mit der Zusammensetzung des im Harn erscheinenden Eiweisses auch die des Blutserums zu vergleichen; und hier ergab sich dann, dass der Quotient aus dem Albumin in das Paraglobulin für Serum und Harneiweiss nahezu gleich ausfiel. Zur weiteren Aufklärung der Sachlage schien es mir am passendsten den Gehalt des Serums, des Chylus und der Halslymphe an den beiden Stoffen bei demselben Thiere mit einander zu vergleichen. Indem ich das Verfahren Chylus und Lymphe zu gewinnen als bekannt voraussetze, be- merke ich nur, dass von diesen beiden Flüssigkeiten die zu einer Analyse Archiv f. A. u.Ph. 1881. Physiol. Abthig. 18 274 GAETANO SALVIOLT: nöthige Quantität gesammelt und dann sogleich das Vereleichsblut entzogen wurde. Die Flüssigkeiten, auf welche sich die folgenden Zahlen beziehen, stammten von den vier Hunden, die schon auf Seite 269 erwähnt wurden. 1. Körpergewicht 12%sm seit 20 Stunden nüchtern. Blutserum. Chylus. Halslymphe. Paraglobulin p. c. 1.29 1.02 0.69 Albumin p. €. ERee® ee 2.33 5.73 4-06 2:96 lu 0:22 0.25 0.21 Gesammteiweiss 2. Körpergewicht 10\em seit 24 Stunden nüchtern. Blutserum. Chylus. Halslymphe. Paraglobulin p. c. 1-61 1:06 0.74 Albumin p. c. 4-02 3.08 2.01 5-63 4.09 2-75 En 0.29 0.26 0-27 (Gesammteiweiss 3. Körpergewicht 14 se”, In der Fleischverdauung begriffen. Blutserum Chylus. Halslymphe. Paraglobulin p. ce. 2.14 1.94 1.35 Albumin p. c. 3.820 2.60 2.00 5.96 4:54 3.35 Sasıelobulin. 0.36 0.43 0.40 (Gesammteiweiss 4. In der Fleischverdauung begriffen. Blutserum Chylus. Paraglobulin p. ce. 2-06 1.60 Albumin p. €. ESSSIER 2.54 5.75 4.14 en N (esammteiweiss Das Paraglobulin macht, wie die Zahlen zeigen, in dem Blutserum, dem Chylus und der Lymphe, vorausgesetzt, dass sie denselben Thieren ent- nommen sind, annähernd denselben Bruchtheil des Gesammteiweisses aus. So darf man wenigstens unter Vernachlässigung kleiner Unterschiede das in den Zahlen niedergelegte analytische Ergebniss deuten. Wollte man auf die Abweichungen Werth legen, die zwischen den Quotienten des Para- globulins und Gesammteiweisses in den verschiedenen Flüssigkeiten desselben EIWEISSSTOFFE IM BLUTSERUM UND IN DER LyMPıHE DES Hundes. 275 Thieres auftreten, so würde dem Chylus ein erösserer relativer Gehalt an Paraglobulin zuzuschreiben sein, da ein solcher dreimal unter den vier Beobachtungen auftritt. Immerhin sind jedoch die Unterschiede nicht be- deutend genug, um weiteren Folgerungen eine sichere Stütze zu gewähren; zudem würde die Ursache der Abweichung unbestimmt gelassen werden müssen, da man mit gleichem Rechte unterstellen könnte, es sei die be- obachtete Abweichung des @Quotienten schon unmittelbar nach ihrer Ab- sonderung im Chylus und in der Lymphe vorhanden gewesen oder es habe dieselbe ursprünglich gefehlt und sie sei erst auf den Wegen aufgetreten, welche Chylus und Lymphe durchlaufen haben von den Orten, wo sie ent- standen, bis zu den, an welchen sie aufeefangen wurden. Das Resultat, welches durch die mitgetheilten Zahlen als sichergestellt anzusehen ist, weil in ihm alle Beobachtungen übereinstimmen, besteht in dem gleichsinnigen Wachsthum der Quotienten, denn es nimmt, wenn der Paraglobulingehalt des Serums ansteigt, auch der des Chylus und der Lymphe zu. Für die Annahme, dass die Variationen, welche im Gehalt des Serums an Paraglobulin auftreten, abhängig seien von einer veränderlichen dem Paraglobulingehalt des Serums nicht gleichsinnigen Absonderung, liegt sonach kein Grund vor. In der auf S. 268 mitgetheilten Zahlentafel, welche von Hammarsten herrührt, fehlt eine Angabe über den Antheil, welchen im Hundeserum das Paraglobulin an dem Gesammteiweiss nimmt. Zur Ergänzung dieser Lücke kann ich eine aus neun Beobachtungen gezogene Mittelzahl liefern. Von diesen verdanke ich zwei Hrn. Dr. Fano. In hundert Theilen Blutserum des Hundes fanden sich: Gesammteiweiss Paraglobulin Paraglobulin Gesammteiweiss 1. Hero 129 0.23 2, 5.04 1.61 0-29 d. 5.96 2.14 0.36 4. 5-75 2.06 0.36 5. 5-31 1-65 0-31 6. 5.94 2.90 0.49 % 6-01 1.42 0.40 8. 6.49 2.72 0.42 9. 5.52 1-71 0-31 Mittelwerth: 5.82 2-05 0-37 Dem Verhältnisse gemäss, in welchem der Procentgehalt an Paraglo- bulin zu dem des Gesammteiweisses steht, würde das Blutserum des Hundes 18* 276 GAETANO SALVIOLI: EIWEISSSTOFFE IM BLUTSERUM U. S. w. in der von Hammarsten aufgestellten Reihe zwischen das Serum des Menschen- und Kaninchenblutes zu stehen kommen. — Dem Procentsatz an Gesammteiweiss nach würde dagegen das Serum des Hundeblutes noch unterhalb das Serum des Kaninchenblutes zu ordnen sein. Wer sich mit den Bestimmungen des Gesammteiweisses im Serum und der Zusammensetzung desselben aus seinen beiden Bestandtheilen be- schäftigt hat, dem kann es nicht entgehen, dass die Zahlen für das erstere eine viel grössere Beständigkeit darbieten als diejenigen, welche für seine Bestandtheile gelten. Teleologisch gesprochen würde dieses bedeuten, dass es vielmehr darauf ankomme, dem Blutserum einen bestimmten Procent- satz an Eiweissstoffen überhaupt zu sichern, als auf den Antheil, welche dem Paraglobulin und dem Albumin in dem Gemenge zukommen. Hierbei bleibt es jedoch auffallend, dass man niemals einem Blutserum des Säuge- thiers begegnet, in welchem nur einer der beiden Eiweissstoffe vorhanden ist. Durch welche Mittel diese beiden sich scheinbar widersprechenden Ereignisse erfüllbar werden, bleibt leider auch nach meiner Beobachtungs- reihe unaufgeklärt. Das Verhalten des Peptons und Tryptons gegen Blut und Lymphe. Aus dem physiologischen Institute zu Leipzig. Da die folgende Untersuchung, zu der mir Hr. Professor C. Ludwig die Anregung gegeben, sich an die Arbeit Schmidt-Mülheim’s! an- schliesst, so begann dieselbe mit der Beobachtung der Wirkungen, welche das mit künstlichem Magensaft hergestellte Pepton auf das Blut des Hundes übt. Von da aus erstreckte sie sich weiterhm über den Einfluss desselben Präparates auf die Lymphe des Hundes und auf das Blut des Kaninchens. Hieran schlossen sich Versuche mit dem durch Trypsin hergestellten Pepton. Unerwarteter Weise wirkte dieses Präparat auf das lebendige Blut anders als das Magensaftpepton, so dass ich genöthigt wurde bei jeder Erwähnung eines der beiden Präparate auf seinen Ursprung hinzuweisen. Um dieses kurz und unverfänglich erreichen zu können habe ich mich statt der schwer- fälligen Ausdrücke Pepsinpepton und Trypsinpepton die kürzeren Worte Pepton und Trypton bedient. I. Pepton. Für meine Zwecke habe ich mir öfter aus Fibrin oder aus Kleber durch Verdauung mit künstlichem Magensaft Pepton bereitet, öfter auch aus dem mit anderen Eiweisskörpern noch verunreinigten Pepton von Witte ein reines Präparat hergestellt. Hierbei ist mir ein von Hrn. Prof. Drechsel ! Dies Archiv. 1880. 8.33. 278 Fıno: vorgeschlagenes Verfahren sehr zu statten gekommen, welches seiner Sicher- heit und Handlichkeit wegen vor dem von Schmidt-Mühlheim benutzten grosse Vorzüge besitzt. Nach der neuen Vorschrift wird aus einer Lösung des Witte’schen Präparates das Eiweiss durch Ferrocyanwasserstoff gefällt; das Filtrat durch Eisenchlorid von dem überschüssig zugesetzten Ferrocyan- wasserstoff befreit; nachdem sie filtrirt ist wird die neutralisirte Lösung zur Entfernung des Eisenoxyds gekocht, wieder filtrirt, das Pepton durch Alkohol niedergeschlagen und dieses durch wiederholtes Auflösen in Wasser und Fällen mit Alkohol vollständig gereinigt. Noch bequemer aber fand ich es schliesslich die mir von Hrn. Dr. Grübler dargebotene Gelegenheit zu benutzen. Das von ihm bezogene Präparat, welches nach der Methode von Henninger bereitet und der von Drechsel gereinigt war, erwies sich als ein sehr reines und preiswürdiges Pepton. Auch mit einem amerikanischen Product, welches ich der Güte des Hrn. Professor Bowditch aus Boston verdanke, habe ich gearbeitet; dasselbe stellte sich dar als einen gelben klebrigen Stoff mit einem angenehmen Geruch nach Fleischbrühe; es löste sich nicht vollständig in kochendem Wasser; sein in die Lösung überge- gangener Antheil erwies sich als ein sehr reines und vorzüglich wirksames Pepton. — Vergeblich habe ich mich dagegen bemüht frisch coagulirtes Eiereiweiss durch Ueberhitzen in Pepton umzuwandeln. Nachdem eine Portion des Albumins sieben Tage hindurch unter Vorlegung eines Kückflusskühlers in einem Paraffinbad erhitzt worden war, hatte sich das Eiweiss allerdings gelöst, aber es war auch eine alkalische Reaction eingetreten, wahrschein- lich in Folge einer Zersetzung des Glases; in der Flüssigkeit selbst trat die Biuretreaction nur in sehr schwachem Grade hervor. Alle auf die verschiedenen Weisen gewonnenen Peptone „chieiten sich, insofern sie nach dem Zeugniss der chemischen Reaction rein waren, in physiologischer Beziehung wesentlich gleichartig bis auf den einzigen Umstand, dass das aus dem Witte’schen Producte hergestellte Präparat eine stärkere Füllung der Blutgefässe des Darmes und häufiger blutige Stühle hervorrief als die Uebrigen. Wirkung des Peptons auf das Blut des Hundes. a. Auf zahlreiche Beobachtungen gestützt, darf ich behaupten, dass sich die erwünschten Folgen vollkommen, die unerwünschten dagegen möglichst schwach ausprägen, wenn bei Thieren bis zu 10km Körper- gewicht auf je eines derselben 0-3 sm Pepton mit 0-5 procentiger Na Cl- Lösung vermischt und zwar in einem \ Zuge eingespritzt werden. Bei Thieren über 10ksrm Körpergewicht darf man um ein weniges unter die genannte Gabe herabgehen. Als Eingangsort wählte ich stets die V. jugularis, von Das VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT U. LYMPpHE. 279 wo aus sich die eingeführte Flüssigkeit sogleich mit dem reichlichen Herz- blut mischt, so dass es erlaubt ist, das Pepton in einer geringen Menge von NaCl-Lösung einzuspritzen. Hierdurch wird die aus anderen Gründen störende Verdünnung des Blutes vermieden. Gewöhnlich waren in der bei- gebrachten Flüssigkeit 10 Procent Pepton enthalten. — Werden mehr als 0-3 5m für 1 km Körpergewicht eingespritzt, so sinkt der Blutdruck so tief und es wird die venöse Stauung in dem Darm so mächtig, dass das Leben des Thieres gefährdet wird; nimmt man weniger, so bewahrt sich das aus der Ader gelassene Blut häufig seine Gerinnbarkeit. Dem hieraus erwach- senden Nachtheil kann man durch eine zweite und dritte der ersten als- bald nachfolgenden Einspritzung nicht begegnen, selbst wenn das Gesammt- gewicht des absatzweise eingeführten Peptons eben so gross und grösser wie das auf einmal eingespritzte wirksame gewesen. Da dieses Verhalten nicht bloss für die Anwendungsweise des Peptons von Wichtigkeit ist, da es auch ein Licht auf seine Wirkungsart wirft, so mögen zwei Versuche Platz finden, in welchen die anderemale zur dauernden Aufhebung der Ge- rinnbarkeit genügende Peptonmenge nicht auf einmal, sondern nach und nach eingeführt wurde. Den Versuchsthieren war je ein Röhrchen in die V. jugularis und in die A. carotis eingebunden; durch die erstere wurde die 10 procentige Pep- tonlösung zugeführt, aus der zweiten wurde das zu prüfende Blut abgelassen. Die Erfolge sind tabellarisch dargestellt. Alle angemerkten Zeiten zählen vom Beginn der ersten Einspritzung. I. Körpergewicht 10-4 kam, Zeit in Einspritzung in die Aderlass aus der Gerinnungseintritt Minuten. V. jugularis. A. carotis. nach dem Aderlass. 0 0:25 8m Pepton 3 entnommen sofort 6 AB, ul, 8 ” ” 10 020 14 020, 20 020 5,» 22 r2} 2) 57 ” ” 67 10 69 h 48 Minuten = Bl 10.0, 92 1.502, 5, 35 4 280 Fano: Zeit in Einspritzung in die Aderlass aus der Gerinnungseintritt Minuten. V. jugularis. A. carotis. nach dem Aderlass. 105 2.308” Pepton 110 entnommen 5 Minuten 158 9.000 159 5, 34 N 165 ” 5 Stunden 178 re 19 Minuten OD. Körpergewicht 18 em. Zeit in Einspritzung in die Aderlass aus der N Ba Minuten. V. jugularis. A. earotis. Gerinnuup nu 0 1.88% Pepton 2 entnommen sofort 8 „ „ 15 SH; 16 ” r2) 21 „ „ 26 DORT 28 v2] „ 29 „ » 42 ” ” Was im ersten Versuche mit einer auf einmal zugeführten Pepton- menge von 4-928'” erreichbar gewesen, gelang durch die allmählich bei- gebrachten 11-88" nur unvollkommen, und was im zweiten Versuch ein 5.4 sm schweres Peptongewicht vermocht hätte, ward nicht erreicht durch die absatzweise Einführung von 7.28, Will man also dem in den Adern kreisenden Blute auf Stunden hin- aus die Gerinnbarkeit rauben und das abgelassene dauernd flüssig sehen, so muss die oben angegebene Peptonmenge in einem Zuge einverleibt werden. Aber auch beim Innehalten der richtigen Zeit und der nöthigen Menge tritt der gewünschte Erfolg nicht jedes Mal ein. Etwa 6 Procent meiner Beobachtungen kann ich zu den Fehlfällen rechnen; in ihnen blieben ent- weder der Druck und die Gerinnbarkeit unverändert, oder es war die Ge- rinnbarkeit nur geschwächt, indem das entzogene Blut schon nach zwei bis drei Stunden coagulirte. An diesem Misserfolg hatte die Peptonsorte keinen Antheil, da sich dieselbe vorher und nachher bei anderen Thieren wirksam erwiesen hatte. Die Ursache muss also in den Eigenheiten der Thiere gesucht werden. Vielleicht übt die Periode der Verdauung einen DAS VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT U. LYMPHE. 281 Einfluss, denn es ist mir wiederholt begegnet, dass das Pepton versagte, wenn es einige Stunden nach der Fütterung eingeführt worden war. Möglich bleibt es darum, dass die aus der Nahrung aufgenommenen Pepton- mengen ähnliches verursacht haben, wie die ungenügenden, unmittelbar ın das Blut eingespritzten. Manchem Beobachter, der nicht: gerade ein reines Pepton zur Hand hat, würde es erwünscht sein, sich statt eines solchen, des käuflichen von Witte bedienen zu können. Zu ihm kann man in der That greifen, doch muss man von demselben mindestens 0-6 bis 0.88" pro Kilogr. Körper- gewicht einführen, da das Präparat nur 30 bis 40 Procent Pepton enthält. Den Verunreinigungen scheint vorzugsweise die Eigenschaft zuzukommen, die Blutgefässe des Darms zu lähmen, daher mag es dann auch rühren, dass sich bei seiner Anwendung der Blutdruck vorzugsweise erniedrigt und dass diese Erscheinung trotz vollkommen unangetasteter Gerinnungsfähigkeit des Blutes eintreten kann. Schmidt-Mühlheim hat schon gezeigt, dass das Pepton kurze Zeit nach seiner Einführung mit Hilfe der Biuretreaction im Blute nicht mehr aufzufinden ist. Auf Grundlage des nachstehenden Verfahrens kann ich die Beobachtungen meines Vorgängers bestätigen und erweitern. Die Röhre, durch welche das Pepton eingeführt werden sollte, war von der V. jugularis aus bis in den rechten Vorhof geschoben. Die Einspritzung wurde möglichst beschleunigt und während oder nach ihr aus der geöffneten, mit einem Röhrchen versehenen A. carotis, Blut aufgefangen. Um den zeitlichen Verlauf, nach welchem das Pepton aus dem Blute verschwindet, möglichst feststellen zu können, war die Einrichtung getroffen, dass die Gläschen, in welche einige Cubikcentimeter Blut aus der Arterie gelassen werden sollten, von 5 zu 5 Secunden wechselten. Als nach dieser Vor- bereitung für je ein Kilo des Körpergewichts 0.3 sm Pepton im Verlaufe von einer halben Minute eingebracht worden, war dasselbe in zwei Ver- suchen aus dem Blute verschwunden, welches 30 Secunden nach vollendeter Einspritzung aus der Arterie abfloss. Anderemale gab das eine Minute nach vollendeter Einspritzung aufgefangene Blut noch eine schwache Biuret- reaction; in dem nach weiteren fünf Minuten gewonnenen versagte dieselbe entweder gänzlich, oder sie deutete sich erst an, wenn der wässerige Auszug des Plasma’s auf ein sehr kleines Volumen eingedampft war, so dass jeden- falls nur noch Spuren von Pepton vorhanden sein konnten. Zu dem für die Erkennung des Peptons eingeschlagenem Verfahren wäre zu bemerken, dass das aufgefangene Blut zwei Stunden hindurch centrifugirt wurde; das abgeschiedene Plasma wurde mit verdünnter Essigsäure neutralisirt, mit dem doppelten Volum Wassers verdünnt, zum Sieden erhitzt, aus dem Filtrat die noch vorhandenen Eiweissstoffe durch Essigsäure und Blut- 282 Fano: laugensalz entfernt; darauf erst wurde auf den Eintritt der Biuretreaction geprüft. Das alsbald nach dem Ende der Einspritzung entnommene Blut bleibt wie schon wiederholt erwähnt, Tage hindurch vollkommen flüssig, das in den Adern kreisende Blut büsst jedoch diese neue, ihm durch den Peptonzusatz ertheilte Eigenschaft früher wieder ein. Wird, nachdem einige, spätestens drei Stunden seit der Einspritzung verflossen sind, Blut entzogen, so gerinnt dasselbe ebenso fest und rasch wie gewöhnlich. Diesem Anschein zum Trotz ist jedoch das Blut nicht mehr in dem früheren Zustande, denn es verhält sich einer nun eingeführten Pepton- lösung gegenüber wesentlich anders als vorher. Durch eine solche, wenn sie auch mehr Pepton als die erste in das Gefässsystem bringt, wird die normale Gerinnbarkeit des Blutes nicht noch einmal beeinträchtigt. Erst viel später, wenn 24 Stunden verflossen sind, übt das Pepton denselben Einfluss, der ihm bei der ersten Einspritzung zukam. b. Sucht man sich auf Grundlage der mitgetheilten Thatsachen davon Rechenschaft zu geben, wie das Pepton an dem Verluste der Gerinnbar- keit des Blutes betheiligt sei, so darf es zunächst als sicher gelten, dass seiner Anwesenheit als solchem keine Bedeutung zukommt, denn das Pepton ist durch die gewöhnlichen Reactionen längst nicht mehr nach- weisbar, ohne dass das Blut seine Gerinnbarkeit wieder gewonnen hätte. Hieraus dürfte zu schliessen sein, dass unter Beihilfe des Peptons im Blute eine Verbindung entstanden sei, welche demselben seine Befähigung zu gerinnen raubt. Dieser neue Stoff muss, damit er wirksam werden kann, in einer genügenden Menge vorhanden sein und er wird innerhalb des lebendigen Blutstroms allmählich einer Zerstörung entgegengeführt. Nach seiner Entfernung findet sich der Blutbestandtheil, aus oder mit welchem durch das eingespritzte Pepton der die Gerinnung hemmende Körper her- gestellt wurde, nicht mehr in genügender Menge vor, um abermals den zuerst herbeigeführten Erfolg zu erzielen. Allmählich jedoch erneuert sich derselbe im Blute, so dass nach 24 Stunden die erste Wirkung wiederholt hervortreten kann. Die ausgesprochene Ansicht ist mit den bisher vor- getragenen Thatsachen nicht im Widerspruch, und sie empfängt eine wesentliche Stütze durch das Verhalten des peptonisirten zum Normalblut. Schmidt-Mühlheim hatte gezeigt, dass das Blut, welches aus der Ader in eine Peptonlösung abgelassen und dort geschüttelt wird, seine Gerinn- barkeit nicht einbüsst, sondern günstigsten Falls nur um einige Minuten später als gewöhnlich gerinnt. Als ich diesen Versuch dahin abänderte, dass ich in das vor Stunden abgelassene und noch flüssige Blut eines peptonisirten Hundes aus der Carotis eines anderen Hundes Blut einfliessen liess, so gewann ich ein Gemenge, welches seine Gerinnungsfähigkeit ver- Das VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT U. LYMPHE. 2853 loren hatte. Da mir leider der Gedanke zur Anstellung dieses Versuchs erst ganz am Ende meiner Arbeit kam, so war mir nur noch die folgende Gelegenheit zu seiner Variation geboten. Einem Hunde wurde die gewöhnliche Menge Pepton eingespritzt und ihm dann sein gesammtes Blut entzogen. Nachdem es sich mehrere Stun- den überlassen gewesen und flüssig geblieben war, wurde es in abgemessenen Mengen in Messcylinder vertheilt und in diese aus der Carotis eines an- deren Normalhundes so viel Blut zugelassen, dass auf einen Theil desselben 0-.5—1:0—2.0 Theile Peptonblut kamen. Jedesmal nach geschehener Ein- füllung wurde das Cylinderglas tüchtig umgeschüttelt. Nach 24 Stunden war in den beiden Gläsern mit dem Verhältniss von 2 und 1 Pepton- zu 1 Nor- malblut nicht die Spur einer Gerinnung sichtbar, in dem Cylinder da- gegen, in welchem auf 1 Theil Normalblut 0-5 Peptonblut genommen waren, hatte sich an den Wänden ein schwaches Gerinnsel abgeschieden. Aehnlich verlief ein zweiter Versuch, in welchem statt des gesammten nur das Plasma des peptonisirten Blutes mit dem Normalblute vermischt wurde. Das Thier, welchem das Plasma entstammte, war früh am Vor- mittage peptonisirt und darauf verblutet worden. Nachdem das Plasma desselben vollkommen klar auf der Centrifuge abgeschieden war, wurde dasselbe bis spät am Nachmittag aufbewahrt, um die noch aufgeschwemmten Leukocyten sich möglichst absetzen zu lassen. Mit der abgehobenen Flüssig- keit wurde dann wie in den vorher beschriebenen Versuchen verfahren; es wurden auf je 0-5—1-.0—2.0 Volumtheile desselben je 1 Theil Blut aus der A. carotis eines Normalhundes eingelassen und mit ihm geschüttelt. In den drei Proben hatte sich, nachdem sie 24 Stunden ruhig gestanden, ein rother Bodensatz gebildet, über welchem eine starke Schicht klaren Plasma’s vorhanden war. In dem Glase, welches 0.5 Peptonplasma zu 1-0 Normalblut enthielt, hatte sich ein der Wand anhaftendes schwaches Gerinnsel abgeschieden, ein solches fehlte in den beiden anderen Cylin- dern vollständig. Alle Proben boten auch die übrigen dem Peptonplasma eigenthümlichen, sogleich zu erwähnenden Reactionen in ausgesprochener Weise dar. Die Versuche liefern den unzweideutigen Beweis dafür, dass in dem Peptonplasma ein Stoff gelöst ist, welcher die Ausscheidung des Faserstoffs zu verhindern vermag. c. An dem plötzlichen Verschwinden des Peptons aus dem Blute trägt sein Uebergang in den Harn keine Schuld. Auf die gegentheilige Annahme hätte man nun zwar um so leichter verfallen können, seitdem es Hof- meister gelungen ist, das Pepton im Harn nachzuweisen. An der schon von Schmidt-Mühlheim vertretenen Ansicht, dass das eingespritzte Pepton nicht darum dem Blute fehlt, weil es einen Ausweg durch die 284 Fano: Nieren gefunden hat, ist aus dem von ihm vorgebrachten Grunde fest- zuhalten. Bis zur dritten Stunde nach beendeter Peptoneinspritzung habe ich stets die Harnblase leer gefunden, vorausgesetzt, dass dieselbe vor der Peptoneinspritzung mittels des Katheters entleert worden war. Unter Berücksichtigung des äusserst raschen Wegfalls der Biuret- . reaction dürfte man überhaupt geneigt sein, weniger an ein Auswandern als an eine Umwandlung des Peptons innerhalb des Blutstromes selbst zu denken; vielleicht dass es mit einem der festen Bestandtheile des Blutes in Verbindung getreten, vielleicht auch dass es in einen anderen Eiweiss- stoff umgeformt sei. Zur Erledigung dieser letzteren Frage habe ich einige Versuche angestellt, welche, wenn sie auch zu keinem vollen Abschluss gediehen sind, doch zur Auffindung einiger beachtenswerther Erscheinungen führten. Vorausgesetzt es habe sich das Pepton in einen der gerinnbaren Ei- weissstoffe umgewandelt, welche dem Plasma eigen zu sein pflegen, so hätte sich möglicher Weise hierdurch auf Grund einer danach eingetretenen Diffusion die Gesammtmenge der Blutflüssigkeit vermehren können, ohne dass ihre procentische Zusammensetzung wesentlich verändert erschie- nen wäre. Ob eine solche Zufuhr von Wasser beziehungsweise von Salz- lösung stattgefunden, musste sich aus einer Vergleichung des Farbstoff- gehaltes ergeben, den das Blut vor und nach der Peptoneinspritzung besass. Die Bestimmung desselben wurde ausgeführt nach dem von Hoppe-Seyler begründeten und durch v. Lesser veränderten Verfahren. Namentlich wurde, um den aus der Gerinnung entstehenden Verlust an Farbstoff zu vermeiden, das vor der Peptoneinspritzung abgelassene Blut in einem leichten, eine abgewogene Menge Wassers enthaltenden Glasgefäss aufgefangen, inner- halb desselben so lange geschüttelt, bis sich der Faserstoff in feinsten farb- losen Flöckehen abgeschieden hatte und dann wiederum gewogen. Bei vier an verschiedenen Thieren durchgeführten Versuchen ergab sich, dass 100 Theile des Normalblutes gleich stark färbten, wie 100 — 97 — 107 — 113 Theile Peptonblutes. In dem Blute der Thiere, welchen die ersteren beiden Zahlen an- gehören, war durch die Zuführung der Peptonlösung in dem Verhältniss zwischen den gefärbten und farblosen Theilen keine Aenderung hervorgerufen; in den beiden anderen zeigt sich eine relative Verminderung des Farbstoff- gehaltes, die namentlich in der vierten Beobachtung in einem ausserhalb der Fehlergrenzen liegenden Grade hervortritt. Weil hieraus zu schliessen ist, dass durch die Zuführung des Peptons eine Verdünnung des Blutes nicht nothwendiger Weise eintreten muss, so liegt es nahe, das von den ersteren abweichende Resultat der letzten Beobachtung auf eine Zufälligkeit zu schieben. Eine solche lässt sich darin finden, dass die mit dem Pepton DAs VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT v. LympHeE. 285 gleichzeitig eingeführte halbprocentige Kochsalzlösung zu der Zeit noch nieht wieder ausgeschieden gewesen, als das Blut zu den Farbstoffbestimmungen entnommen wurde. Und in sofern bei dem grossen Körpergewicht des Thieres die geringe Menge der eingespritzten Salzlösung nicht ausreichend war, um die wirklich aufgefundene Verdünnung zu erklären, könnte man an eine Anhäufung der rothen Scheiben in den Gefässen des Unterleibs denken. In der That ist die Füllung der Darmgefässe mit Blut häufig kaum minder gross, als die, welche nach Unterbindung der V. portarum angetroffen wird. Wegen der Unsicherheit der Schlüsse, die sich aus den Veränderungen des Farbstoffgehaltes auf die ihm zu Grunde liegenden Ur- sachen ziehen liessen, habe ich mich bewogen gefunden, die Zahl der hier- her gehörigen Beobachtungen nicht noch weiter zu vermehren, da ja ohne dies die angestellten ergeben hatten, dass durch das Pepton das Verhältniss zwischen den rothen Scheiben und der Blutflüssigkeit nicht geändert werden müsse. Zur Gewinnung des weiter zu behandelnden Plasma’s habe ich sehr oft das Blut nach der Peptoneinspritzung centrifugirt und dabei in der Regel gefunden, dass das Volumen des zu Boden gesunkenen Cruors etwa ein Drittel von dem der angewendeten Blutmenge betrug und sich somit iu den auch dem gewöhnlichen Blute angehörigen Grenzen bewegte, Nur wenige Male betrug die über der rothen stehende farblose Schicht etwa ein Viertel des gesammten Röhreninhaltes. Solche Fälle bleiben jedoch auch beim Centrifugiren von geschlagenem Normalblute nicht aus; die Erklärung, welche man hierfür giebt, es sei der Unterschied der spezifischen Gewichte zwischen den flüssigen und aufgeschwemmten Bestandtheilen ungewöhnlich gering gewesen, kann auf das peptonisirte Blut um so mehr angewendet werden, als die Fälle zu den Ausnahmen gehören, welche einen Anspruch auf diese Deutung erheben. Durch das Mikroskop habe ich niemals eine Abweichung von der normalen Gestalt der rothen Blutscheiben aufgefunden, vorausgesetzt man wolle nicht darin eine Eigenthümlichkeit des peptonisirten Blutes er- kennen, dass seine: Scheiben ausserordentlich glatte Umrisse zeigten; eine maulbeerförmige Umformung ist mir fast niemals zu Gesicht gekommen. Dahingestellt muss es bleiben, ob eine Beweglichkeit des Protoplasma’s der rothen Scheiben ähnlich der wie sie von Gaule an denen des Froschblutes aufgefunden wurde, auf Rechnung der Peptoneinspritzung zu setzen ist. Nach einer solchen habe ich die Bewegungen zweimal im Hundeblut be- obachtet, bei vielen späteren Untersuchungen jedoch nicht wiedergefunden. d. In dem centrifugirten Blute hatte sich eine grosse Zahl seiner Leuko- cyten an der Grenze zwischen dem rothen und dem farblosen Theile an- gehäuft und zu einem Klümpchen geballt, das nach dem Abgiessen des Plasma’s mittelst eines Platindrahtes im Zusammenhange herausgehoben 286 Fıno: werden konnte. Bei der mikroskopischen Betrachtung bot jeder kleinste Theil dieses Klümpehens den Anblick eines Filzes, welcher eine grössere Zahl von Kernen umschloss. Auf dem Wärmtisch besannen in den Häufchen lebhafte Bewegungen, deren schliessliches Ergebniss darin bestand, dass sich der Filz in einzelne Zellen sonderte, die sich von einander getrennt be- wegten. Hatte sich das Präparat nach seiner Entfernung vom Wärmtisch wieder abgekühlt, so war auch alsbald das frühere Ansehen wieder herge- stellt; viele feine Fäden erstreckten sich von Zelle zu Zelle, deren Umrisse hierdurch verwischt erschienen. e. Obwohl sich das Peptonblut und das hieraus gewonnene Plasma lange Zeit und oft bis zur eintretenden Fäulniss hin flüssig erhalten, so sind beide doch mit einem gerinnbaren Stoff behaftet, dessen Ausscheidung geschildert zu werden verdient wegen der eigenthümlichen Umstände unter denen sie erfolgt. Alles Folgende gilt für das Blut von Hunden, welchen 24 Stunden hindurch das Futter vorenthalten und in deren Jugularvene dann eine genügende Menge von Pepton eingespritzt wurde. Wird das Blut eines so behandelten Thieres in einem Cylinderglase zwei bis drei Stunden hindurch centrifugirt und sich dann bei gewöhnlicher Zimmer- temperatur selbst überlassen, so beginnt nach 24 bis 48 Stunden die Ge- rinnung in dem Häufchen von Leukocyten, welche wie vorhin erwähnt, an der Grenze zwischen dem Cruor und dem darüberstehenden farblosen Plasma liegen. Von diesem Orte aus schreitet die Faserstoffbildung nach oben und unten hin fort, so dass man in einer vom Beginne der Gerinnung nicht allzu entfernten Zeit eine vollkommen bewegliche Flüssigkeit näher dem Boden und eine andere näher der freien Oberfläche abheben kann; hierbei eilt jedoch die Regel, dass die Gerinnung in das Plasma’s hinein sich weiter als in den Cruor erstreckt hat. Mit dieser schon von Schmidt-Mühlheim beobachteten Erscheinung ist die Aufforderung gegeben, das Plasma soweit als möglich von den in ihm aufgeschwemmten Lymphkörperchen zu trennen und danach die Ge- rinnungsvorgänge weiter zu beobachten. Zur Erreichung des vorgesteckten Zieles habe ich mich der wiederholten Centrifugirung des Plasma’s oder der Filtration desselben durch eine Thonzelle bedient. Das von dem Üruor abgehobene Plasma verhält sich bis zu einem ge- wissen Punkte hin verschieden, je nachdem es kürzere oder längere Zeit hindurch centrifugirt worden. Setzt man die Cylinder, welche mit dem aus dem Gesammtblute genommenen Plasma gefüllt waren, von Neuem auf die Centrifuge, so hat sich, wenn sie dort mehrere Stunden verweilten, ein ge- ringer Bodensatz niedergeschlagen. Hebt man von diesem das überstehende Plasma ab, behandelt dasselbe abermals auf die gleiche Art, so setzt sich in der Regel abermals eine kleine Menge festen Stoffes ab, was sich dann, Das VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT U. LYMPHE. 287 wenn das ebengeschilderte Verfahren fortgesetzt wird, noch einige Male wiederholt bis endlich keine weitere Ausfällung von aufgeschwemmten Körpern mehr zu erzeugen ist. Das nur ein oder zweimal centrifugirte Plasma, aus welchem sich bei Wiederholung des Verfahrens noch ein Bodensatz abscheiden würde, lässt sich auf verschiedene Weise zur Gerinnung bringen. Zuweilen schon dadurch, dass man dasselbe in der Zimmertemperatur ruhig stehen lässt; die Flüssig- keit durchzieht sich, auch bevor noch der Geruch den Beeinn der Fäulniss ankündigt, mit feinen Fäden. Häufiger bleibt das sich selbst überlassene Plasma vollkommen flüssige und eine Gerinnung stellt sich erst dann ein, wenn man in dasselbe einige Minuten hindurch CO, eingeleitet oder es mit einem gleichen Volum Wasser verdünnt hat. Obwohl nun auf beiderlei Art die Ausscheidung des Fibrins zu bewirken ist, so erfolgt diese doch nicht in gleicher Weise. War das unverdünnte Plasma von einem CO,-Strom durchsetzt worden, so hat sich zwar zuweilen ein sehr feiner eben noch sichtbarer Niederschlag aber kein Gerinnsel gebildet. Erst nach einiger Zeit, zuweilen nach Minuten, öfter aber auch nach dem Verfluss von Stunden beginnt die Gerinnung und sie dehnt sich dann so rasch aus, dass man, ohne einen Tropfen zu ver- giessen, das Glas umdrehen kann. Der Kuchen lässt sich dann mit einem Glasstab emporheben, aus ihm tropft das klare Serum hervor und es bleibt schliesslich eine faserige Masse übrig, die sich in Wasser jetzt noch weiter zusammenzieht. Ausgedrückt und ausgewaschen bleibt dann das schnee- weisse Fibrin zurück; ich sage Fibrin, weil es sich seinen Reactionen nach von dem Faserstoff nicht unterscheiden lässt, welcher aus dem Normal- blute herausgeschlagen wurde. Anders verhält sich die Erscheinung, wenn das Plasma nur mit seinem gleichen Volum Wasser verdünnt war. Nach der Zumischung von Wasser bleibt die Flüssigkeit vollkommen klar und beweglich; in diesem Zustande verharrt sie 10 bis 24 Stunden und erst von da ab überziehen sich die Wände des Gefässes mit einer feinen zusammenhängenden Haut; von ihnen aus geht absatzweise auch die Gerinnung in die Flüssigkeit hinein, so dass es oft zur Bildung von deutlich abgegrenzten durch flüssige Schichten von einander getrennten Häuten kommt; vollendet ist die Ausscheidung des Faserstoffs erst nach zwei bis drei Tagen. In einem durchsichtigen unter dem Zuthun des Wassers entstandenen Häutchen zeigt das Mikroskop ein Geflecht von Fasern und daneben in unregelmässigen Abständen stern- föürmige Gebilde. Die Strahlen dieser Sterne gehen von einer kleinen mittleren Scheibe oder einem unregelmässig gestalteten Kern aus, der durch sein getrübtes Ansehen und durch seine Fähigkeit sich mit Haematoxyln zu färben, auf einen Ursprung aus den Lymphzellen hinweist. - Auch das 288 Faxo: mit Wasser hervorgebrachte Gerinnsel gleicht in allen wesentlichen Punkten dem Fibrin, so dass man es wohl als einen Faserstoff bezeichnen darf, wenn es auch etwas weniger leicht wie das gewöhnliche Blutfibrin in 0-1 procentiger Salzsäure aufquillt. Als ein weiterer Beweis für die Ueber- einstimmung des nur mit CO, und des nur mit H,O erzeugten Faserstoffs wird der Umstand gelten dürfen, dass sich aus dem auf die eine Art be- handelten Plasma durch die andere Behandlung nicht noch einmal ein Fibrin gewinnen lässt; denn gegen das Serum, welches aus dem mit CO, erzeugten Kuchen abgetropft ist, verhält sich das H,O unwirksam, ebenso wie im umgekehrten Falle die CO, gegen die vorher durch H,O zum Ge- rinnen gebrachte Flüssigkeit. Wenn ein Plasma, dessen Gerinnungsfähiekeit so eben geschildert wurde, noch einmal zwei bis drei Stunden lang centrifugirt worden ist, so lässt sich aus ihm durch H,O kein Gerinnsel mehr abscheiden wohl aber durch CO,, jedoch die durch sie hervorgebrachte Coagulation beginnt erst nach vielen Stunden und nicht mehr wie öfter in der nur kürzer centrifugirten Flüssigkeit nach Minuten. — Und endlich, gelingt es der Centrifugirung nicht mehr aus dem Plasma aufgeschwemmte Körper heraus zu drücken, so fand ich auch zuweilen die CO, unwirksam. In einem solchen Plasma entsteht erst dann wieder ein Gerinnsel wenn dasselbe mit frischen Leu- kocyten versetzt wird, die nach einem von Hrn. Wooldridge zu be- schreibenden Verfahren gereinigt werden. Behufs der Enfernung von aufgeschwemmten Körpern habe ich das Plasma auch durch eine Thonzelle filtrirt, da das in eleicher Absicht an- gewendete Filterpapier die Leukocyten nicht zurückhielt. Die Veranstaltung, welche Zahn getroffen, um das Milchserum durch die Wand einer Thon- zelle zu pressen, hat sich auch für meine Zwecke brauchbar erwiesen. Auf der Aussenwand der Zelle blieben die Leukocyten zurück und im Inneren desselben sammelte sich eine klare eiweisshaltige Flüssigkeit, Von diesen beiden Bestandtheilen liess sich nur die äussere zur Gerinnung bringen, ja es überzog sich ohne Weiteres mit der fortschreitenden Ver- dichtung von der Flüssigkeit aus, welche die Leukocyten enthielt, die Wand der Thonzelle mit einer faserigen Haut. In der klaren Lösung dagegen, der die aufgeschwemmten Körperchen entzogen waren, konnte durch keines der sonst auf Peptonplasma wirksamen Mittel ein Gerinnsel hervorgerufen werden. Ich hoffe man wird mich keiner Voreiligkeit bezüchtigen, wenn ich aus den mitgetheilten 'Thatsachen schliesse, dass im Peptonplasma die Lymphzellen dieselbe Rolle bei der Gerinnung spielen, die ihnen von Mante- geazza und Alex. Schmidt auch im normalen Plasma zugeschrieben wird. Zur genauen Bestimmung der Peptonwirkung auf das Blut würde man, wenn meine Annahme richtig ist, jetzt noch den Zusatz zu machen haben, Das VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT U. LYMPHE. 289 dass der die Gerinnung hindernde Stoff, welcher nach der Entfernung des Peptons im Blute entstanden ist, die Leukocyten vor dem Zerfall schützt, dem sie sonst nach dem Austritt aus dem Organismus anheim gegeben sind. Mit der Anschauung, dass der Stoff, welcher aus dem normalen Blute als Fibrin ausfällt, übereinstimmt mit dem aus dem Peptonplasma durch H,O und CO, abgeschiedenen, lässt es sich vereinen, dass aus einem, trotz der Peptoneinspritzung noch ceoagulirenden Blute niemals durch CO, oder durch einen so mässigen Zusatz von H,O ein faserstoffiges Gerinnsel er- halten werden kann. Nach allen diesen Erfahrungen hatte ich erwartet, dass auch das Fibrinferment das flüssige Peptonplasma zum Gerinnen bringen würde. Das hiesige Institut besitzt durch die Güte des Hrn. Professors Alex. Schmidt ein Präparat — fibrinfermenthaltiger Rückstand des Blutserums — dessen wässriger Auszug auf ungeronnenes sogenanntes Salzplasma äusserst wirksam ist. Von diesem Präparate habe ich auch auf Pepton- serum eine Anwendung gemacht. Begreiflich konnte ich nicht hier nach der für das Salzplasma gültigen Vorschrift verfahren, weil eine Lösung des Fibrinferments schen durch ihren Wassergehalt Gerinnung erzeugt haben würde. So war ich darauf angewiesen in einer reinen Schale das Peptonplasma mit dem trocknen Präparat zu zerreiben, den befeuchteten Brei in eine grössere Menge des Plasma’s einzutragen und das Gemenge öfter umzuschütteln. Dieses Verfahren habe ich wiederholt angewendet, aber niemals eher eine deutliche Gerinnung beobachtet, als bis der Geruch den Eintritt der Fäulniss angezeigt hatte. Hiernach ist die Vermuthung gestattet, dass das Ferment erst nach dem Zerfall der Lymphzellen wirk- sam werden könne; und daran knüpft sich dann die weitere, ‘dass auch das Peptonplasma fermenthaltig sei und darum die Gerinnung hervorrufe, wenn durch einen Zusatz von wenigem H,O oder durch Einleiten von 00, das Gefüge der Zellen zerstört sei. Denn dass es wesentlich auf die Zer- klüftung der letzteren ankomme, scheint mir die Erfahrung zu beweisen, dass das Peptonplasma mit seinem gleichen Volum 0.5 procentigen Na Ul- lösung vermischt, viel länger flüssig bleibt, als nach dem entsprechenden Zusatz an Wasser. Anschliessend an die Mittheilungen der Bedingungen, unter welchen das Peptonplasma gerinnt, gebe ich noch folgende weitere. — Weil die in das abgelassene Blut und dessen Plasma eingeleitete CO, Gerinnung be- wirkt, so war es nicht müssig zu fragen, ob das peptonisirte Blut eines erstickten Thieres freiwillig gerinne. Der Versuch verneinte diese Frage; vollkommen dunkles Erstickungsblut bleibt nach dem Austritt aus der Ader so flüssig wie arterielles, wenn in beiden Fällen eine hinreichende Menge von Pepton in die V. jugularis eingeführt war. Archiv f. A, u, Ph. 1881. Physiol. Abthlg, 19 290 Fano: Zuweilen trifft man auf Hunde, deren Blut und Lymphe auch ausser- halb des Organismus nicht gerinnt; der Zufall führte ein solches Thier auf den Operationstisch, während der Zeit in welcher ich mit meinen Versuchen beschäftiet war. Von dem Blute desselben wurde mir ein Antheil über- geben, aus dem mir dann die Centrifuge Plasma abschied. Vergeblich habe ich mich bemüht, beide Flüssigkeiten mit den Mitteln zum Gerinnen zu bringen, die bei dem Peptonserum niemals versagten. Weder CO, noch H,O schieden Faserstoff ab. Der Mangel an Gerinnungsfähigkeit beruhte auf anderen als den Ursachen, welche das Pepton herbeiführt. f. Wäre, wie vorhin vermuthungsweise ausgesprochen wurde, das in das Blut eingespritzte Pepton deshalb durch die Biuretreaction nicht mehr erkennbar gewesen, weil dasselbe in Albumin oder Paraglobulin umge- wandelt worden wäre, so hätte dieses der Analyse trotz aller ihr anhaften- den Mängel nicht entgehen können. Den Farbstoffbestimmungen zufolge war durch die Peptoneinspritzung das Verhältniss zwischen Cruor und Plasma nicht wesentlich verändert, sonach hätte der eingeführten Pepton- menge nach der Gehalt des Plasma’s an gerinnbaren Eiweissstoffen mindestens um 0.5 Procent vermehrt sein müssen, vorausgesetzt, dass auf 1Fsım des Körpergewichts 70 sm Blut und 45 bis 508m Plasma kommen. Das Verfahren, durch welches Serum und Plasma behufs der vergleichenden Analysen gewonnen wurden, gestaltete sich einfach dahin, dass einem Hunde etwa 80 Cem Blut entzogen, ihm dann die nöthige Peptonmenge — 10 Theile desselben in 100 Theilen halbprocentiger Kochsalzlösung — eingespritzt und ihm nach Verfluss einer Minute abermals 80 cem Blut abgenommen wurden. Beide Blutarten wurden centrifugirt und die farblose Flüssigkeit vorsichtig abgehoben. — Das Ergebniss der Bestimmungen verneinte in überzeugendster Weise die Annahme, dass eine Umformung des Peptons in einen gerinnbaren Eiweisskörper geschehen oder sich statt dessen in irgend einen anderen im Plasma lösslichen Körper verwandelt habe, denn es be- trug in 4 verschiedenen Thieren der gesammte bei 110° C. getrocknete Rückstand im Mittel aus je zwei Wägungen im Normalserum. Peptonplasma. 1. 6.7 Procent 6.1 Procent DET. SOHlt,, Teadeln 87202, 7.08 „ 4. 6-56 „ 6:53 „ Unter diesen vier Beobachtungen finden sich zwei in welchen der Gehalt an gerinnbaren Eiweissstoflen bestimmt war; es wurden gefunden DAs VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT v. LymPpHe. 291 im Normalserum. im Peptonplasma. 3. 4.81 Procent 4:76 Procent AR, 5-40 „ Ausserdem wurde noch zweimal das Serumalbumin und das Paraglo- bulin des Normalserums und des Peptonplasma’s nach der Methode von Hammarsten ermittelt. Die Bestimmungen der beiden dem Peptonplasma angehörigen Eiweissstoffe wurde unternommen vor und nach der durch CO, veranlassten Gerinnung; sie sind, wie hieraus hervorgeht, an Plasma an- gestellt, welches noch Lymphzellen enthält. Es wurden gefunden: im Normalserum. im Peptonplasma. 5. Paraglobulin 2-72 Procent 2.57 Procent Serumalbumin 377 „ 3.30 „ Nach Ausfällung des Faserstoffes waren im Peptonplasma vorhanden Paraglobulin 2.31 Procent s Serumalbumin 93-02 im Normalserum. im Peptonplasma. 6. Paraglobulin 1.71 Procent 1.93 Procent Serumalbumin 3-81 „ Sala Nach Ausfällung des Faserstoffs im Peptonplasma: Paraglobulin 1.74 Procent und Serumalbumin 2-98 ,„, Mit einer Ausnahme in welcher sie gleich gross gefunden waren, lagen die procentischen Werthe des Gesammtrückstandes im Peptonplasma unter denen des Normalserums. Ausnahmslos gilt dasselbe Verhältniss für die Procentwerthe der gerinnbaren Eiweissstoffe im Ganzen so wohl wie für die einzelnen Componenten aus welchen sie bestehen. Auf S. 278 wurde mitgetheilt, dass eine zweite Einspritzung von Pepton die Gerinnbarkeit des Blutes nicht aufhebt, wenn sie drei bis vier Stunden nach einer ersten, also zu der Zeit vorgenommen wird, in welcher das Blut die Gerinnbarkeit wieder gewonnen hat, die ihm vorher geraubt worden war. Blut, welches wenige Minuten nach dieser zweiten Einspritzung abgelassen wird, lässt ebenfalls die Biuretreaction vermissen, und ebenso wenig ist durch das zugeführte Pepton der Procentgehalt des Plasma’s an gerinnbaren Eiweissstoffen verändert. Hierüber giebt der folgende Ver- such Aufschluss. 19* 292 Fınxo: Dem Thiere, von welchem unter 6. schon eine vergleichende Be- stimmung des Normalserums und des Peptonplasma’s mitgetheilt ist, wurde zum zweiten Male Pepton eingespritzt. Unmittelbar bevor und eine Minute nachdem dieses geschehen, war Blut entzogen und aus beiden Proben Serum bereitet worden. Die Analyse ergab: Serum vor der zweiten Serum nach der zweiten Einspritzung von Pepton. Einspritzung. Paraglobulin 1:52 Procent 1.45 Procent Serumalbumin 3:19 „ 3:18 05 Weshalb das Peptonplasma fast regelmässig an festen Bestandtheilen etwas ärmer als das Normalserum gefunden wird, lässt sich ungezwungen aus seiner Verdünnung durch die Kochsalzlösung ableiten, welche das Blut gleichzeitig mit dem Pepton aufnehmen musste. Zum mindesten genügt unter Zugrundelegung der gewöhnlichen Voraussetzungen über den Gehalt der Gewichtseinheit des Hundes an Blut und an Plasma die ausgeführte Rechnung der eben ausgesprochenen Annahme. Wie und wohin die nach Grammen zählenden Peptonmengen in. weniger als einer Minute nach ihrer Ankunft aus der Blutflüssigkeit verschwunden sind, bleibt vorerst unbekannt und um so räthselhafter als durch diesen Vorgang die quantitative und unter Umständen sogar die qualitative Zu- sammensetzung der Blutflüssigkeit nicht verändert, ja sogar, wenn die so- eben gegebene Deutung richtig ist, die gleichzeitig eingespritzte Kochsalz- lösung nicht ausgeschieden wird. Diese Betrachtung legt die Vermuthung nahe, dass sich die Körperchen des Blutes das Pepton angeeignet haben. Beweise hierfür kann ich allerdings nicht vorbringen. Insofern in den Resultaten meiner quantitativen Analysen der Flüssig- keiten des peptonisirten Blutes vor und nach der durch CO, bewirkten Gerinnung kein Fehler verborgen liegt, der mir entgangen wäre, führen sie auch zu weiteren Vermuthungen über die an der Faserstoffbildung be- theilisten Eiweisskörper. Wenn ich der naheliegenden Versuchung wider- stehe, die Zahlen nach dieser Richtung hin zu besprechen, so geschieht dieses wesentlich deshalb, weil ich hoffe, dass ein anderes Mal der hier abgebrochene Faden durch neue und vervielfältigte Versuche aufgenom- men wird. Wirkung des Peptons auf die Lymphe des Hundes. Für die Wirkung des Peptons und nicht minder für die an der Lymph- bildung ‘betheiligten Vorgänge musste eine Untersuchung der Eigenschaften von Belang sein, welche die aus dem Ductus thoracicus gewonnene Flüssig- Das VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT UV. LYMPHE. 293 keit darbot. Um hierüber Aufschluss zu erhalten, eröffnete ich an zwei Hunden den Brustgang und sammelte die ausfliessende Lymphe, bevor und nachdem in das Blut Pepton gespritzt worden war. Es ergab sich, dass die Lymphe vor der Einspritzung der gewöhnlichen Gerinnung verfiel und dass diese Flüssigkeit auch noch 8 bis 10 Minuten nach der Einspritzung ein schwaches Gerinnsel absetzte, also zu einer Zeit, in welcher, wie ich mich überzeugte, das Blut schon vollkommen flüssig blieb. Die Lymphe dagegen, welche 10 Minuten nach der Einführung des Peptons ausfloss, hatte ihre Gerinnbarkeit vollkommen eingebüsst und sie blieb mit dieser Eigenschaft behaftet, so lange als der Versuch, welcher °/, Stunden dauerte, fortgesetzt wurde. Aus der freiwillig nicht gerinnenden Lymphe liess sich unter denselben Umständen wie aus dem Blute, also durch Kohlensäure und durch ein gleiches Volum Wasser Faserstoff ausfällen. Diese Reaction war dagegen, wie ich andere Male sah, der Lymphe nicht mehr eigen, wenn das Blut seine Gerinnbarkeit wieder erlangt hatte; auch hatte die Lymphe ihre Gerinnbarkeit bewahrt, wenn eine Peptoneinspritzung an dem Blute wir- kungslos vorüber gegangen war. Einen klareren Ausdruck für die Abhängigkeit der Lymphe von dem Blute, als sie hierdurch gegeben ist, wird man schwerlich finden können. Mit diesen Thatsachen scheint mir der letzte Zweifel an der Annahme be- seitigt zu sein, welche die Lymphe als das Ergebniss einer stetigen Abson- derung aus dem Blute auffasst. Da dem Plasma, welches aus den Blutgefässen ausgetreten und durch Gewebsbestandtheile bis in die Lymphwurzeln und von da durch die Drüsen bis in den Brustgang gelangt war, die Fähigkeit verblieb, der Gerinnung zu widerstehen, so konnte sich die Ansicht bilden, dass bei der Anwesen- heit nicht gerinnbaren Blutes auch andere Flüssigkeiten z. B. die der Mus- kelfasern um ihre normale Gerinnbarkeit gebracht worden seien. Hierfür hat jedoch der Versuch keine Bestätigung gebracht, denn es tritt auch nach der auf das Blut wirksamsten Peptoneinspritzung die Todtenstarre in den Muskeln so stark und so rasch wie gewöhnlich ein. II. Trypton. Auf die Gerinnbarkeit des Blutes wirkt das Trypton — so mag das mit Trypsin dargestellte Pepton kurzweg heissen — verschieden ein, je nachdem sich dasselbe unter Anwesenheit des kohlensauren Natrons oder der verdünnten Salicylsäure gebildet hat. Wird die Verdauung des Faserstoffes nach der Vorschrift von Kühne durchgeführt, d. h. sind die trockenen mit Alkohol und Aether gereinigten 294 Fano: Pankreasstückchen mit einer 0-1 procentigen Salicylsäure ausgezogen und bleibt der wässerigen Flüssigkeit während der fortschreitenden Auflösung und Umwandlung des in sie gelegten Faserstoffes die saure Reaction ge- wahrt, so lässt sich durch das oben geschilderte Reinigungsverfahren des Peptons ein Product gewinnen, das vollkommen frei von Fäulniss ist, und das seinen chemischen Reactionen nach, soweit ich sie geprüft, mit dem im künstlichen Magensaft gebildeten Pepton vollkommen übereinstimmt. Dieses reinste Trypton übt nun trotzdem, dass es dem Pepton zum Verwechseln gleicht, auf die Gerinnbarkeit des Blutes auch nicht den geringsten Einfluss. Hat man einem Hunde auf 1 Kilo 0-3®" und mehr desselben mit 0-5 procentiger NaCl-Lösung durch die V. jugularis einge- spritzt, so gerinnt das nachträglich abgelassene Blut ebenso fest und rasch wie vordem. Und noch mehr, durch die Einführung des Tryptons ist das Blut in einen Zustand versetzt, welcher es befähigt, dem gerinnungshemmen- den Wirkungen des Peptons Widerstand zu leisten. Denn wenn man einige Minuten nach der vorausgegangenen Einspritzung einer vollen Gabe des Tryptons eine gleiche des Peptons folgen lässt, so gerinnt das nun abge- nommene Blut in durchaus normaler Weise. In dieser Beziehung bringt also eine grosse Gabe des Tryptons ähnliche Folgen hervor, wie eine An- zahl unzureichender des Peptons. Nachdem sich das reine Trypton in drei auf einander folgenden Ver- suchen auf die Gerinnbarkeit des Blutes und des Chylus unwirksam er- wiesen hatte, hielt ich es doch für nothwendig, den Versuch mit Pepton und Trypton an demselben Thiere anzustellen, um den Einwand zu begegnen, dass der negative Erfolg weniger dem Präparate als den Eigenheiten des Thieres zuzuschreiben sei. Einem Hunde von 17 Kilo Körpergewicht wur- den 5-88'” reinstes von Hrn. Dr. Grübler bezogenes Trypton durch die Ven. jugularis beigebracht. Eine, zwei, fünf und zehn Minuten nach vol- lendeter Einspritzung wurden aus der Art. carotis Blutproben entnommen. Die erste derselben war nach Verfluss von 3, die späteren nach je einer Minute fest geronnen. Nachdem das Thier nach diesem Versuche noch vier Tage in voller Gesundheit gelebt hatte, wurden ihm nun durch die V. jugularis der anderen Seite 5.1 ®"® Pepton zugeführt. Nach dieser Ein- spritzung stellte sich sogleich der schlafsüchtige Zustand ein, welcher nach der des Tryptons gefehlt hatte und die 1 und 20 Minuten später abge- nommenen Blutproben erhielten sich tagelang flüssige. Sonach kann die vorhin mitgetheilte Thatsache, welche für die Beurtheilung der natürlichen Verdauungsproducte nicht ohne Bedeutung sein dürfte, als sichergestellt betrachtet werden. Anders als das unter Zusatz von Salicylsäure bereitete verhielt sich ein Trypton, welches in einer schwach alkalischen Lösung entstanden war. DAs VERHALTEN DES PEPTONS U. TRYPTONS GEGEN BLUT u. LYMPHE. 295 Ueber seine Bereitung gab mir Hr. Dr. Grübler die nachstehende Auskunft. „Zur Bereitung des Präparates wurde ein zuerst mit reinem und dann mit salicylsäurehaltigen Wasser ausgewaschener Faserstoff benutzt; derselbe wurde mit einem alkalischen Auszug des frischen Pankreas einen Tag lang digerirt, aus der colirten Flüssigkeit der grösste Theil des anwesenden Ei- weisses durch Kochen gefällt, das Filtrat zu einem dünnen Syrup einge- dampft und demselben so lange vorsichtig Alkohol zugesetzt, als noch ein dem Glase nicht anhaftender Niederschlag entstand und darauf die Flüssig- keit 10 Tage lang sich selbst überlassen. Nach dieser Zeit hatte sich das Eiweiss in leicht abfiltrirbaren Flocken niedergesetzt. Aus dem Filtrat wurde durch reichlichen Zusatz von Alkohol das Trypton als eine dem Glase anhaftende Masse ausgefällt, hiernach der Alkohol abgegossen, das Trypton in Wasser gelöst, filtrirt, eingedampft und im Exsiccator über Schwefelsäure aufgehoben. Bei dieser Darstellungsweise hatte die Ver- dauungsflüssigkeit einen schwachen Fäulnissgeruch angenommen und das schliesslich gewonnene Trypton besass eine gelbliche Farbe und stark hygroskopische Eigenschaften, weshalb es auch nach dem Austrocknen an der Luft aufgehoben leicht faulte.“ Ein solches aus zwei verschiedenen Darstellungen herrührendes Tryp- ton äusserte verschiedene Wirkungen. Das erste der beiden Präparate er- wies sich bei einem Hunde vollkommen geeignet, die Gerinnbarkeit des Blutes aufzuheben. Das andere Präparat war dagegen bei zwei verschiedenen Thieren ein- mal vollkommen unwirksam, und das andere Mal übte es einen nur ge- ringen Einfluss, indem das nach seiner Einspritzung abgenommene Blut schon eine Stunde nach vollbrachtem Aderlass geronnen war. Wirkung des Peptons auf das Blut des Kaninchens. Dem Pepton gegenüber zeigt das Kaninchen ein von dem des Hundes vollkommen abweichendes Verhalten. Präparate, die sich bei ihrer Anwen- dung auf den Hund als vollkommen wirksam erwiesen hatten, brachten in 15 dem Versuch unterworfenen Kaninchen entweder gar keine nachweis- bare Veränderung hervor, oder eine nur so geringe, dass das Blut schon 9 Minuten nach seiner Entziehung gerann, und auch diese Verzögerung blieb aus, wenn der Aderlass 4 bis 5 Minuten nach vollendeter Einspritzung vorgenommen worden war. Wie der Mangel an Gerinnbarkeit, so fehlt auch die Herabsetzung des Blutdruckes und der schlafsüchtige Zustand, welche beim Hunde für die Peptonwirkung so bezeichnend sind. Da die Möglichkeit nicht abzuweisen war, dass die Art des Futters 296 Fano: Das VERHALTEN DES PEPTONS UND TRYPTONS T. S. w. und die sich daran knüpfenden Eigenschaften des Blutes die Ursache ab- geben möchten, weshalb sich der Hund und das Kaninchen abweichend verhalten, so habe ich mehrmals den letzteren Thieren so lange das Futter entzogen, bis ihr Harn eine saure Reaction angenommen hatte. Aber auch nach dieser Behandlung blieb das Ergebniss der Peptoneinspritzung un- verändert. — Und weil das Präparat, welches beim Kaninchen unwirksam geblieben, aus Fibrin dargestellt war, das mit einem aus dem Hunde- magen herstammenden Pepsin verdaut gewesen, so hielt ich es nicht für überflüssig, auch die Wirkungen des Peptons zu prüfen, das unter dem Einflusse eines dem Kaninchenmagen entnommenen Pepsins aus Kleber entstanden war. Auf den Erfolg blieb diese Umänderung des Versuches ohne Einfluss. Zwischen dem Blute des Kaninchens und dem des Hundes muss demnach der Unterschied bestehen, dass dem ersteren der oder die Be- standtheile fehlen, welche mit Hülfe des Peptons in einen Stoff übergehen können, der die Gerinnung des Blutes zu verhindern im Stande ist. Ge- setzt, diese Deutung der negativen Ergebnisse hätte das Richtige getroffen, so war zu erwarten, dass Hundeblut, welches durch das Pepton um seine Gerinnbarkeit gebracht war, vermögend sei, dem Blute des lebendigen Kanin- chens die Gerinnbarkeit zu rauben. In der That ist dieses der Fall. Als ich einem Kaninchen von 1.5%s'm Körpergewicht 35 “® Blut, das einem vor kurzen peptonisirten Hunde entnommen war, in die V. jugularis einge- führt und einige Minuten darauf einen Aderlass aus der A. carotis angestellt hatte, so gewann ich ein Blut, welches 24 Stunden hindurch vollkommen flüssig blieb. Erst im Verlaufe der nächsten Tage hatte sich an der Wand des (Glasgefässes eine geringe Menge faserigen Gerinnsels angesetzt, ähnlich demjenigen, welches man aus normalem Hundeblut erhält, das für je einen seiner Theile mit 0-5 Theilen Peptonblutes vermischt worden ist. Als das flüssige Kaninchenblut centrifugirt und in das abgeschiedene röthlich gefärbte Plasma Kohlensäure eingeleitet wurde, schied sich Faser- stoff in so reichlichem Maasse ab, das es schon aus dem blossen Anblick das Missverhältniss zwischen dem hier entstandenen und dem mit dem Hundeblute eingeführten Fibrin deutlich wurde. Bei mehrmaliger Wieder- holung des beschriebenen Versuches wurde stets derselbe Erfolg erzielt. Die Beziehungen der Cytozoen (Würmehen) zu den Zellkernen. Von J. Gaule. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. (Hierzu Tafel V.) Vor ungefähr einem Jahre theilte ich mit,' dass aus Froschblutkörper- chen sich Gebilde von selbständiger Beweglichkeit entwickelten, welche ich nach ihrer Form und der Art ihrer Bewegung mit Würmchen verglich. Schon damals indessen erklärte ich mich gegen die Hypothese, dass diese Gebilde wirkliche, parasitisch die Blutkörperchen bewohnende Thiere seien, einerlei welche Klasse des Thierreichs wir sie auch zurechnen möchten. Die Gründe, welche ich damals anführte, erscheinen mir auch heute noch gültig, umsomehr, als ich mich von allen Thatsachen nicht nur durch vielfache Wiederholung, sondern auch durch Anwendung neuer Methoden um so sicherer überzeugt habe. Allein es lässt sich nicht läugnen, dass diese Hypo- these doch die einzige war, welche unseren Anschauungen bequem sich an- passen liess, und wenn mich die Thatsachen nöthigten, sie zurückzuweisen, so bürdeten sie mir die schwere Pflicht auf, die Einfügung dieses seltsamen Phänomens in den Rahmen von mit ihm sehr wenig harmonirenden Vor- stellungen zu unternehmen. Es kann nicht erwartet werden, dass ein solches Unternehmen so leicht gelinge, denn ebenso wenig wie wir unser Auge gegen Thatsachen verschliessen dürfen, ebenso wenig kann andererseits da- von die Rede sein, die auf Grund eines ungeheuren Materials von Beobach- ! Ueber Würmehen, welche aus Froschblutkörperchen auswandern. Dies Archiv 1880. 8. 56. 298 J. GAULE: tungen auf dem ganzen Gebiete der Biologie gewonnenen Vorstellungen von Zelle, von Protoplasma, von Kern u. s. w. zu Gunsten der Beobachtung an einer einzigen Thierspecies reformiren zu wollen. Vielleicht möchte diese Bemerkung überflüssig erscheinen, sie mag aber hier als Erklärung dafür dienen, warum ich nicht mehr, als es im Folgenden geschieht, die An- knüpfung an die uns bekannten Phänomene des Zellenlebens discutire. Alle meine Erfahrungen beziehen sich allein auf Rana esculenta, und wenn ich auch bei R. temporaria, bei Tritonen, bei Schildkröten in einzelnen Fällen die Würmchen gesehen habe, so haben mir doch meine Erfahrungen ge- zeigt, dass bei nahe stehenden Thieren die Verhältnisse schon so ver- schieden liegen, dass wir nur Schritt für Schritt vorwärts kommen. Noch mehr als dieser Umstand, muss uns vor allgemeinen Schlüssen die Ueber- legung warnen, dass es im Grunde doch Absterbungserscheinungen der Zelle sind, die wir beobachten. Denn selbst die lebhaften Bewegungserschei- nungen, die wir sehen, können uns nicht blind machen gegen die Einsicht, dass das Auswandern der Würmchen aus den Zellen doch eigentlich ein Zerfall der Zelle in ihre Bestandtheile ist, und wenn wir dann sehen, wie rasch die Würmchen sich ganz und die Zellen zum grössten Theil sich auflösen, dann kommen wir zum Schluss, dass dies Leben nur ein Scheinleben, nur ein ver- langsamtes Absterben ist. Das uns beschäftigende charakteristische Gebilde, welches bei den Absterbungserscheinen gewisser Zellen von Rana esculenta auftritt, mag daher seinen Entstehungsgrund zum Theil in besondern che- mischen Bedingungen haben, die das verdünnte Serum dieser Thiere dar- bietet. Trotzdem aber, und hier muss ich mich nach einer anderen Seite verwahren, muss man die Würmchen nicht als ein seltsames und singulares Faectum, als ein Curiosum ansehen. Die Beobachtungen, welche ich im Fol- genden mittheilen werde, haben in mir vielmehr die Ueberzeugung hervor- gerufen, dass diese Gebilde in der engsten Beziehung stehen sowohl zu dem Leben des ganzen Frosches, wie der einzelnen Zelle. Denn wenn sie auch nicht Erscheinungen des Lebens sind, worüber wir übrigens nichts wissen und nichts wissen können!, so sind sie doch sicherlich Boten, welche uns Kunde bringen von dem Leben. Denn der Stoff, aus dem sie geformt sind, liegt jedenfalls in den Zellen, und von der Bedeutung, die sie für die Leistungs- fähigkeit und Function der Zelle haben mögen, können wir uns nach den Proben, die wir an der Kraft und Beweglichkeit der Cytozoen sehen, kaum eine zu hohe Vorstellung machen. Indem die Letzteren aber hervorkommen, verrathen sie uns, welche Zellen mit dieser Substanz geladen sind, und ! Ich habe sie zwar einigemal in den Gefässen des lebenden Thieres sowohl in den Lungen wie im Mesenterium gesehen, aber das beweist nichts, denn unter den Umständen, unter denen man beobachtet, ist das Absterben einer Anzahl von Zellen durchaus nicht unwahrscheinlich. DıEe PBEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 299 isoliren gleichzeitig dieselbe, indem sie sie so einer Untersuchung ihrer Eigen- schaften zugänglich machen. Noch mehr aber, da. die Würmchen, wie meine weiterhin mitzutheilenden Beobachtungen lehren, nicht zu allen Zeiten aus den Zellen hervorkommen, so lehren sie wie in bestimmten Epochen bestimmte Zellen mit besonderen Stoffen ausgestattet werden, und da diese Epochen mit eyklischen Vorgängen im Leben des ganzen 'Thieres in wenn auch noch unklarer Beziehung stehen, so erscheint «die Hoffnung gerecht- fertigt, dass dies Phänomen uns ein Leitfaden sein könne, um Vorgänge des Zellenlebens mit den Zuständen des Organismus zu verknüpfen. Unter diesen Umständen war die Bezeichnung Würmchen weder mehr genügend noch passend. Das Bedürfniss drängte, einen Namen für diese Gebilde zu finden, und um ihrem Verhältniss zu Zelle, wie ihrer hervorragendsten Eigenschaft, der selbständigen Bewegung, Rechnung zu tragen, nannte ich sie Cytozoen. Ich würde diese Bezeichnung nicht gewählt haben, wenn mir nicht das Wort Spermatozoen vorgeschwebt hätte. Freilich ist dieses entstanden in der falschen Voraussetzung, dass die Spermatozoen wirklich Zoen also Thiere seien, aber wir haben uns doch geeinigt, trotz anderer Erkenntniss die Bezeichnung der Samenfäden als Spermatozoen beizubehalten und wir sind deshalb daran gewöhnt, dass das Wort Zoen in der Zusammen- setzung eine gewissermaassen abgeschwächte Bedeutung hat. Wie wir also Spermatozoen die beweglichen Elemente des Samen nennen, so sollen uns Cytozoen die beweglichsten Elemente der Zellen bedeuten. Vielleicht, — hoffentlich, möchte ich lieber sagen, hat auch die Bezeichnung Cytozoen nur eine kurze Lebensdauer und wird ersetzt durch eine andere, welche die eigentliche Ratio dieser Gebilde ausdrückt. Jedenfalls, und das wird bereits in dieser Mittheilung besprochen werden, müssen wir uns. mit ver- schiedenen Arten von Cytozoen vertraut machen. Zunächst und vor Allem möchte es sich indessen darum handeln, das Phänomen selbst allgemeiner bekannt zu machen. Zwar hatte ich Gelegenheit es einer ziemlich grossen Anzahl von Forschern zu zeigen, und andere haben es mit Hülfe der Angaben, die ich in meiner ersten Mittheilung machte, be- stätigt. Nicht alle Versuche in dieser Richtung jedoch haben Erfolg ge- habt, und daher haben einige Missverständnisse in Bezug auf die Cytozoen Eingang gefunden. Einerseits hat man geglaubt, dass die Cytozoen nichts An- deres seien als die von Kölliker! und Preyer? beim Vermischen des Blutes mit Harnstofflösung, von Max Schultze? beim Erwärmen des Blutes auf 50° beobachteten Bewegungserscheinungen. Wer einmal die Oytozoen ge- ı Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. VII. 8. 187. ? Preyer, Archiv für Pathologische Anatomie. Bd. XXX. 8. 432. ° M. Schultze, Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. I. 8. 25 fle. 300 J. GAULE: sehen hat, wird sicherlich nicht dieser Ansicht sein. Diese charakteristischen (Gebilde, durchweg von derselben Form und Grösse, mit ihrer auf ein Ziel gerichteten, scheinbar willkürlichen Bewegung haben mit jenen unbestimmten Tröpfehen, die sich bei der Einwirkung der genannten Reactionen, von den Blutkörperchen abschnüren, und eine bald zitternde, bald wogende Bewe- gung ausführen, nichts gemein. ! Eher könnte man der ganzen Erscheinungsweise nach die Würmcehen mit den Haematozoen in Beziehung bringen. Aber auch hier würden sie einen ganz eigenen Typus repräsentiren. Sie stehen in ihrer Erscheinung eben- soweit von Bacterien, Microcokken, Spirochaeten, wie von den das Blut be- wohnenden Filarien und Nematoden andererseits ab. Die Meinung, welche Hr. Arndt? kürzlich ausgesprochen hat, dass die Würmchen identisch seien mit den Spirochaeten, kann ich daher nicht theilen. Die einzigen Haematozoen welche mir, wenn ich so sagen darf, von derselben Ordnung erscheinen, wie die Würmchen, sind beschrieben in dem Blute von Nagern. Die erste Erwähnung darüber finde ich in den Proceedings der Royal Society vom Jahre 1874. Hr. Osler? beobachtete, als er Blut einer jungen Ratte verdünnte mit 3/,°/, Kochsalzlösung oder Serum und dasselbe auf 37°C. erwärmte, in demselben bewegliche Gebilde, welche anscheinend aus einer Scholle, d.h. aus einer durch Gerinnung verklebten Masse von Blutkörper- chen auswanderten. Die Form derselben war im Beginn Spermatozoen ähnlich, später kamen mehr unregelmässige Formen zum Vorschein. Einige Jahre später sah Hr. Lewis“ in Calcutta ohne von der Beobachtung des Hrn. Osler etwas zu wissen, bei mikroskopischer Untersuchung des Blutes gesunder Ratten eine lebhafte Bewegung in dem Präparate, welche sich, als er das Blut mit !/,°/, Kochsalzlösung verdünnte, als durch geisselnde Organismen von der Form von Spermatozoen bedingt herausstellte. Manch- mal waren sehr viele in dem Blute vorhanden, manchmal wenige; oft behielten sie ihre Bewegung längere Zeit, oft lösten sie sich unter den Augen des Beobachters in dem verdünnten Serum auf, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Gesundheit der Ratten von denen das Blut stammte, war vollkommen ungestört und auch bei längerer Beobachtung liess sich an ! Man sieht im Froschblut zu manchen Zeiten die von den erwähnten Autoren geschilderten Erscheinungen auch ohne Harnstofflösung und ohne Erwärmen des Blutes beim blossen Verdünnen desselben mit Kochsalzlösung häufig genug. Preyer, Rind- fleisch u. A. haben überdies mancherlei spontan eintretende Formveränderuugen “der Blutkörperchen beschrieben , aber alle diese Vorgänge haben so wenig Aehnlichkeit mit der Entwiekelung der Cytozoen, dass ich zunächst für eine Discussion der Beziehungen noch keinen Anhaltspunkt sehe. ® Arndt, Archiv für pathologische Anatomie. Bd. LXXXIU. S. 15 u. flg. ® Osler, Proceedings of the Roy. Soc. 1874. Bd. XXIIL p. 391. * Lewis, Quarterly Journal of mier. Science. 18719. p. 109. DIE BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 301 denselben nichts Krankhaftes nachweisen. Dieselben Gebilde sind neuer- dings von Hrn. v. Wittich! in dem Blute von Hamstern gesehen worden und zwar in dem Blute sämmtlicher 12 untersuchter Thiere, die sich alle in bester Gesundheit befanden. Was diese Gebilde den Würmchen nähert, das ist ihre Grösse, ihr Vor- kommen in dem Blute gesunder Thiere, ihre spontane spurlose Auflösung in dem verdünnten Serum. Auch der Umstand, den alle Beobachter er- wähnen, dass die Gebilde auf Zusatz von '/, — ?/,°/, Kochsalzlösung deut- licher hervortreten, mag eine grössere Bedeutung für dieselben haben, als bloss die, die Blutkörperchen mehr zu vertheilen. Die Bewegung aber ist eine andere, denn die Würmchen geisseln nicht, und was vor Allem eine vollständige Trennung zwischen den beiden Arten von Gebilden bewirkt: die Würmchen kommen erst bei der Verdünnung des Blutes mit Koch- salzlösung aus den Blutkörperchen hervor, während jene Gebilde bereits im unverdünnten Blute enthalten sind, und wahrscheinlich in gar keiner näheren Beziehung zu den Blutkörperchen stehen, wenigstens spricht dagegen ihre relativ beträchtliche Länge. Uebrigens ist es ja gar nicht nothwendig, dass die beiden Gebilde irgend eine Homologie repräsentiren, denn wir werden wahrscheinlich noch viele bewegliche Gebilde in dem Blute verschiedener Thiere kennen lernen, und darunter mögen sich welche finden, die bei äusserer Aehnlichkeit ganz ver- schiedene Bedeutung haben.” Sodann muss ich noch eine Beziehung er- wähnen, in die man die Würmchen gebracht hat zu den angeblichen In- fusorien des Froschbluts, deren Natur als Kymatocyten ich kürzlich dargethan habe.” Es ist dies die einzige Erwähnung, die ich in der Literatur gefunden habe, welche man auf die Würmchen beziehen könnte Hr. Ray Lan- kester? sagt bei Gelegenheit der Schilderung der Undulina: „Ich bemerkte in dem Blute eines Frosches, in dem diese Parasiten (Undulina) sehr zahlreich waren, kleine längliche Körper, die mich stark an die Pseudo-Navicellen ' v. Wittich, Centralblatt für mediein. Wissenschaften. 1881. 8. 81. Es ist mir nicht erklärlich, warum Hr. v. Wittich die Gebilde Spirillen nennt, da sie doch mit den gewöhnlich als Spirillen bezeichneten Spirochaeten keine Aehnlichkeit haben, und dabei keine pathologische Bedeutung. ” Ich möchte übrigens darauf aufmerksam machen, dass nach den Mittheilungen, die wir bis jetzt haben, für die Annahme der parasitären Natur der Gebilde im Ham- ster- und Rattenblut nicht ein Grund spricht. Doch sind dieselben noch zu wenig untersucht, um eine positive Behauptung in dieser Hinsicht zu stützen. ® Dies Archiv, Jahrg. 1880. $. 375. Vergl. dort auch die Notiz über Lankester’s Undulina. * Ray Lankester, @Quarterly Journ.-of mier. Science. 1871. XI. p. 387. Hr. Lankester bildet an einem der „kleinen länglichen Körper“ zwei Geisseln ab, von denen ich bei den Cytozoen nichts gesehen habe. Die Aehnlichkeit seiner Ab- bildung ist aber so gross, dass wohl nicht zu zweifeln ist, er meine dasselbe Gebilde. 302 J. GAULE: erinnerten, die ich in den Cysten der parasitischen Gregarine von Tubifex rivulorum fand. Diese kleinen länglichen Körper, waren in vielen Fällen an den Enden der rothen Blutkörperchen befestigt, gerade wie die Pseudonavicellen u. s. w. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass diese kleinen länglichen Körper mit den kleinen, infusorischen Parasiten in genetischer Beziehung stehen, da sie zusammen vorkommen.“ ! Es scheint, dass diese Gebilde die Cytozoen gewesen sind, der wichtige Um- stand, dass dieselben aus den Blutkörperchen hervorkommen, war indessen dem Beobachter entgangen. Eine engere Beziehung zwischen Kymatocyten und Cytozoen, die Lankester vermuthete, habe ich, wie ich bereits in meiner Mit- theilung über die Kymatocyten aussprach, nicht auffinden können. Beides sind periodische Erscheinungen, deren Auftreten von den gewissen Vorgängen im Leben des Frosches bedinst ist. Wenn ihre Perioden zusammenfallen, trifft man sie gleichzeitig im Blute, aber es ist ebenso häufig sie nicht zusammen anzutreffen. In der Entwickelungsreihe beider giebt es allerdings einen Be- rührungspunkt: Die Kymatocyten entwickelten sich aus weissen Blutkörper- chen und die Würmchen unter Umständen ebenfalls. Aber die Oytozoen sind ein Phänomen von viel allgemeinerer Bedeutung, sie entstehen auch aus rothen Blutkörperchen, aus Milzzellen, Leberzellen, Knochenmarkzellen und vermuthlich noch aus vielen anderen Zellen des Frosches. Hier wo sie entstehen, da nehmen sie nur einen Theil der Zelle für sich in Anspruch, während in den Kymatocyten die ganze Zelle aufgeht. Ich will also diese Frage der Zukunft offen lassen und zur Mittheilung der Thatsachen über- gehen. Unter diesen stelle ich oben an die Periodieität, weil sie die wich- tigsten Aufschlüsse giebt für den Nachuntersucher in der Auswahl seines Materials. Der Grund, weshalb die Würmchen nicht immer und bei allen Fröschen zu treffen sind, liegt eben in dieser Periodieität. So wenig man zu jeder Zeit bei einem Frosche erwarten darf reife Eier oder reife Sper- matozoen oder wirksame Verdauungssäfte zu trefien, so wenig wird man die Würmchen gerade dann finden, wenn es einem beliebt zu untersuchen. Welche Zeiten man aber zur Untersuchung wählen solle, dafür geben die Beobachtungen die ich während des letzten Jahres anstellte einige Anhalts- punkte. Freilich wird dabei noch viel zu corrigiren sein, denn ein ein- ziger Jahrescyklus dürfte schwerlich hinreichen um allgemein gültige Regeln aufzustellen, um so mehr als die Witterung einen nicht unbeträchtlichen Einfluss ausübt und nichts ist so veränderlich als diese. Gern hätte ich auch die wichtige Frage in Betracht gezogen in wie fern klimatische und geographische Verhältnisse diese Phänomen beeinflussen können. Aber ! Nieht mit den Pseudonavicellen des Regenwurms, wohl aber mit dem Inhalt derselben haben die Cytozoen Aehnlichkeit. Mit einer Untersuchung über die ersteren bin ich gegenwärtig beschäftigt. Dis BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 303 es stehen mir ausser von Leipzig umfassende Beobachtungen nur noch von Neapel zu Gebote. Dort fand ich an den Fröschen des Flüsschens Sebeto genau dieselben Erscheinungen, welche die Frösche der Umgebung von Leipzig darboten. Nur die Periode des Auftretens war verschieden, wie es vielleicht den klimatischen Verhältnissen entsprach, indem dort im October eine besondere Form der Cytozoen auftrat, die sich in Leipzig im April und Mai findet. Vielleicht ist es nicht unnütz, dass ich wiederhole, wie alle Angaben nur für Rana esculenta für kräftige nicht zu lange in Gefangenschaft be- findliche Frösche gelten. I. Die Periodieität. In meiner ersten Mittheilung konnte ich nur bei 50 °/, der untersuchten Frösche die Anwesenheit der Würmchen constatiren. Ich stellte mir damals als erste Aufgabe die Frage: Warum haben nicht alle Frösche die Würm- chen? Die erste Aufklärung in dieser Beziehung erhielt ich, als ich eine An- zahl Frösche in einem passenden Behälter aufbewahrte und während eines längeren Zeitraumes täglich oder in grösseren Intervallen das Blut unter- suchte. Ich entnahm zu diesem Zweck aus einem kleinen Hautschnitt einen Tropfen Blut, was zur Constatirung der Thatsache, ob Würmchen vorhanden seien oder nicht, vollkommen genügte. Dabei ergab sich denn, dass während der Dauer dieser Beobachtung die Würmchen plötzlich aus dem Blute eines Frosches verschwanden, in dem eines anderen auftauchten. Das waren nicht zufällige Ergebnisse, sondern wenn ein Frosch Tag für Tag durch mehrere Wochen hindurch Würmchen gezeigt hatte, so konnten sie plötzlich ver- schwunden sein und wurden dann, auch wenn die Beobachtung noch Wochen lang weiter fortgesetzt wurde, nicht wieder gefunden. Und ebenso konnten sie umgekehrt eines Tages auftauchen, um sich von nun an immer zu zeigen. Ich wandte mir jedoch ein, dass durch diese fortgesetzten kleinen Verwundungen das Befinden vielleicht in einer Weise gestört werden möchte, welche auf das Phänomen Einfluss habe. Ich brachte daher eine Anzahl von frisch gefangenen Fröschen in einen Behälter und untersuchte von ihnen sofort soviele, als nöthig waren, um mit Sicherheit den Procent- satz zu bestimmen, in dem die Cytozoen vorhanden seien. Die Unberührten liess ich einige Wochen leben und untersuchte dann wieder eine Anzahl. Es ergab sich auch nach dieser Methode als unzweifelhaftes Resultat, dass die Würmehen nicht eine dauernde Erscheinung seien, sondern dass sie ohne äussere Veranlassung, ohne dass sich scheinbar in dem Befinden des Frosches etwas ändert auftauchen und verschwinden. Aber diese Beob- 304 J. GAULE: achtungen an Fröschen, die sich in Gefangenschaft befanden, konnten mir nicht genügen, da die Gefangenschaft ja doch das Leben des Frosches er- heblich beeinflusst. Ich begann daher die Einkäufe, welche das hiesige Institut an Fröschen macht, zu überwachen und von jedem eingelieferten Schock eine Anzahl zu untersuchen. Es zeigte sich bei dieser Untersuchungs- methode dass zwei Factoren Einfluss haben möchten, nämlich das Alter und das Geschlecht. Ich begann also Buch zu führen über das Gewicht und das Geschlecht jeden untersuchten Frosches (da der Frosch fortwährend wächst, sind Gewicht und Alter gewiss annähernd proportional, direct be- stimmen kann man natürlich nur das Gewicht). Indess ich gelangte nicht dazu aus den Resultaten welche ich erhielt, mir den gesetzmässigen Zu- sammenhang klar zu machen, bis ich mich um die Herkunft der Frösche etwas mehr bekümmerte. Diese ist zweierlei Art, wir kaufen die Frösche entweder von Händlern oder von Fischern. Die Lieferungen, die wir von den ersteren erhalten, sind in der Regel zusammengespart, d. h. ein Frosch welcher heute da, ein anderer, der morgen dort gefangen wird, werden auf- oehoben bis ein oder zwei Schock zusammen sind und es lohnt, sie in die Stadt zum Verkauf zu tragen. So erhält man denn Frösche, die zu ganz verschiedenen Zeiten ihrer Nahrung und ihrer freien Bewegung entzogen sind, und die überdies eine verschieden lange Gefangenschaftsdauer hinter sich haben, beides Umstände, die von Einfluss sind. Daher sind solche Lieferungen nicht geeignet uns übereinstimmende Resultate zu geben. Da- gegen gelingt es von den Fischern, wenn sie einen Teich ausgefischt oder in einem der kleinen Flüsschen ihr Netz statt mit Fischen mit Fröschen beschwert aus der Tiefe gezogen haben, eine ganze Anzahl von Fröschen zu erhalten, die zu gleicher Zeit, am gleichen Ort gefangen ist, die unter den gleichen äusseren Bedingungen gelebt haben. Die Resultate, welche man mit diesen erhält, sind äusserst prägnant. So ergab die Untersuchung im November v. J. dass alle Frösche, welche mehr als 502m wogen, Cytozoen hatten, alle unter 50°" keine; im Mai vor. J. dagegen hatten alle Frösche unter 50m Cytozoen, die über 508% nur ausnahmsweise. Die Frösche über 50°" haben ihre Cytozoen also zu einer anderen Zeit als die unter 508”. Als diese Thatsachen sicher constatirt waren, erklärten sich alle übrigen. Num belehrten mich meine Beobachtungen, wie während der Wintermonate bei den grossen Fröschen die Cytozoen allmählich schwin- den, bei den kleinen allmählich auftauchen. Mit anderen Worten die Periodi- cität der Würmchen lässt sich durch eine Curve darstellen deren Maximum für die grossen Frösche im Herbst für die kleinen im Frühjahr liegt. Dass die Grenze gerade 50°" sei, ist natürlich nicht nothwendig, das liegt in den Futterverhältnissen der betreffenden Localitäten von denen ich die Würmchen bezog, begründet. Untersuchte ich im November oder Mai Die BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 305 Frösche von anderen Localitäten, so lag für diese die Grenze bei 40—45 oder auch 55 8m. Wollen wir uns das Rationale dieses Verhältnisses klar machen, so müssen wir uns an den Cyclus erinnern, der sich während einem Jahre in dem Dasein eines Frosches vollzieht. Die Zeit, während welcher er Futter findet, liegst in unseren Gegenden zwischen Mai und October, die Witterung kann diese Grenzen um 14 Tage verschieben, aber im Allgemeinen trifft man vor und nachher selten etwas im Magen eines Frosches.. Während dieser Zeit wird also das gesammte Nahrungsmaterial für das ganze Jahr aufgenommen und einstweilen im Fettkörper, vielleicht auch in Muskeln (wie wir nach Miescher’s! Untersuchungen vermuthen dürfen) und Leber aufgespeichert. Dann folgt die lange Pause, in der der Frosch von dem Aufgespeicherten lebt, wächst und seine Geschlechtsproducte bildet. In diese Zeit der Umformung des Zellenmaterials hinein fällt die Periode der Cytozoen und zwar liegt sie bei den grösseren älteren Fröschen nahe dem Anfang, bei den kleineren Jüngeren näher bei dem Ende. Dass dazwischen ein so grosser Zwischenraum liegt, rührt wahrscheinlich nur daher, dass in den kalten Wintermonaten die Lebensthätigkeit des Frosches auf en Mini- mum herabsinkt. Der alte Frosch bildet seine Cytozoen noch in den warmen Tagen des Herbstes, der junge erst im Frühjahr, wenn es wieder warm wird. Leider ist es mir nicht möglich anzugeben, wie sich die Verhältnisse bei den im Winter im Freien lebenden Fröschen gestalten, da ich nicht im Stande war, im Winter frischgefangene Frösche zu erhalten. Meine Er- fahrungen beziehen sich nur auf solche, die theils im Fischkasten, theils im Keller überwinterten. An diesen constatirt man eben das bereits er- wähnte Verhältniss, dass im Verlauf des Winters die Würmchen bei den Grossen verschwinden, bei den Kleinen auftauchen. Viel lebhafter wird die Störung, welche die Gefangenschaft hervorruft, wenn man die Frösche im warmen Zimmer gefangen hält, dann können in wenigen Tagen, ja mit- unter in einigen Stunden die Würmehen zur Entwieklung gelangen oder auch verschwinden, der eine Fall ist so häufig wie der andere, doch tritt das erstere eher am Anfang, das letztere eher am Ende der Periode ein. So können wir leider das Phänomen der Periodieität nicht in seiner Rein- heit verfolgen, bis wir Ranarien haben, die uns gestatten zu jeder Zeit uns unter normalen Verhältnissen befindliche Frösche zu verschaffen. Die gegen- wärtig in den physiologischen Instituten Vorhandenen sind leider hierzu nicht geeignet. Glücklicherweise vermögen uns die unvollkommnen Beob- achtungen wenigstens in der Hauptsache zu leiten. Als eine Regel von praktischer Wichtigkeit möchte es sich erweisen, dass die Frösche von 60 " Miescher-Riesch, Schweizer Literatursammlung zur internationalen Fischerei- ausstellung in Berlin 1880. Archiv f. A,u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 20 306 J. GAULE: bis 150°” eine viel längere Periode haben, da sie im Herbst beginnt, und den grössten Theil des Winters hindurch dauert, als die kleinen, und daher wird man, selbst wenn die Witterungsverhältnisse eines Jahres die Periode verschieben sollten, bei ihnen die grössere Chance haben die Oytozoen zu treffen. Bei den ganz grossen über 1508" schweren Fröschen habe ich wieder eine Abnahme bemerkt. Niemals habe ich die Würmchen gefunden bei Fröschen unter 202%. Solche Frösche sind noch nicht geschlechts- reif, und man könnte vielleicht vermuthen, dass sie deshalb keine hätten; aber sie bilden immerhin schon Spermatozoen und Eier, wenn auch noch nicht in genügender Menge, um sich zu begatten. Es ist deshalb möglich, dass die Periode bei ihnen sehr kurz ist und dass ich sie deshalb noch nicht fand, da mir ohnehin von Fröschen dieser Grösse nie ein erhebliches Material zu Gebote stand. Eines Umstands, der sich im Herbst und Frühjahr er- eignet, muss ich noch gedenken. Man kann dann an manchen Tagen unter 10 Weibchen kein einziges mit Cytozoen finden, während alle Männchen sie haben, und umgekehrt. Im Winter findet man keine Differenz zwischen den Geschlechtern, sie ereignet sich also am Anfang und Ende der Periode und sie kann nur daher rühren, dass die Perioden bei Männchen und Weib- chen verschieden einsetzen, vielleicht auch dass die Umstände welche die- selben stören können, auf Männchen und Weibchen verschieden einwirken. Ueber den Sommer erstrecken sich meine Erfahrungen noch nicht in genügendem Maasse, um die da auftretenden complieirten Phänomene zu beherrschen, von ihnen soll hier im Allgemeinen noch nicht die Rede sein !. II. Die Cytozoen in den Organen. . Man würde zu einer sehr unvollkommenen Idee von den Würmchen gelangen, wenn man nur ihre Anwesenheit im Blute in’s Auge fasste. Es ist ja selbstverständlich, dass man die Cytozoen auch in allen Organen trifft, welche von dem Blute durchspült werden. Aber während sie sich in den meisten derselben durchaus nicht anders. verhalten wie in dem Blute, welches man dem Herzen oder den grossen Gefässen entnimmt, giebt es einige, die eine ganz besondere Stellung einnehmen. Das sind Milz, Leber und Knochenmark, vor allem aber die Milz. Es ist gar nicht zu vergleichen ! Sobald das Frühjahr vorrückt, treten neben den einfachen Formen, von denen seither allein die Rede war, noch andere auf, die theilweise im dritten Abschnitt ge- schildert werden. Dass auch sie streng periodisch sind, erfuhr ich sehr deutlich wäh- rend des Schreibens dieser Abhandlung. Eine Form dieser Gebilde, abgebildet Taf. V, Fig. 6, hatte ich voriges Jahr zum ersten Mal am 14. April gesehen. Dieses Jahr suchte ich nach ihr bereits mehrere Wochen und erblickte das erste Exemplar am 21. April. Die BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 307 wie viel leichter, schneller und zahlreicher sich die Cytozoen entwickeln aus den Blutkörperchen, die in der Milz enthalten sind, als z. B. aus dem Blute des Herzens. Man trifft zwar auch Fälle, wie ich schon in meiner ersten Abhandlung erwähnte, bei denen 90°/, der Blutkörperchen des Herzblutes die Würmchen liefern, aber diese Fälle sind selten. In der Milz dagegen sind sie ausserordentlich häufig, während der Höhe des Processes ist es die Regel. Und dabei bedarf es in der Milz keines Schüttelns, keiner Er- wärmung auf dem geheizten Objecttisch, und vor allem keines langen Wartens, man zerzupft einfach ein Stückehen Milz mit etwas 0-6°/, Koch- salzlösung auf dem Objectträger und wird sofort die Cytozoen sich ent- wickeln sehen. Deshalb ist die Milz zunächst das bequemste Untersuchungs- object, auch für die Würmchen der Blutkörperchen. Doch lehrt uns schon die Ueberleeung, dass wir in ihr mehr finden müssen als das. Nehmen wir einen Fall an, wie er häufig ist, wo wir in dem Herzblut eine gewisse Anzahl von Blutkörperchen treffen, aus denen Würmchen hervorkommen, während in der Milz alle diese Eigenschaft besitzen. Schliessen wir die ganz unwahrscheinliche Annahme aus, dass am Eingang der Arteria lienalis die Blutkörperchen in der Weise gesiebt würden, dass nur die mit Cytozoen versehenen in die Milz hineinkämen, so bleibt uns nur der Schluss, dass in der Milz die Blutkörperchen erst die Eigenschaft erhalten, die Würmchen in sich zu entwickeln. Und diese Eigenschaft müssen sie wieder verlieren, nachdem sie die Milz verlassen haben, denn da der Kreislauf sie immer wieder mit den Anderen mischt, müssten anderenfalls binnen kurzer Zeit alle Blutkörperchen damit begabt werden. Daher sehen wir ein, dass. diese Fähigkeit an die Wirkungssphäre der Milz selbst geknüpft ist, dass sie gewissen Agentien, die in der Milz enthalten sind, zuzuschreiben ist. In Bezug auf jene Blutkörperchen, die im Herzblute die Würmchen entwickeln, tauchen nun allerlei Möglichkeiten auf — wir könnten sie als Ausnahmen betrachten, oder wir könnten uns vorstellen, dass es im Plane des Organis- mus liest, in einem bestimmten Procentsatze diese Fähigkeit zu erhalten u. 8. w. Diese Fragen sind vorerst zu dunkel, um sie zu discutiren, zumal sich mit dem Einfluss der Milz der Einfluss der Leber combinirt, der zu gewissen Zeiten ebenfalls sehr bedeutend ist. Wenden wir uns wieder dem thatsächlichen Befunde in der Milz, der noch mehr Neues zeigt, zu. In dem Bild, welches uns die zerzupfte Milz darbietet, fallen vielmehr die Cytozoen auf, die in den Milzzellen sich befinden, als die- jenigen in den Blutkörperchen, denn die letzteren werden erst sichtbar unmit- telbar bevor sie hervorkommen, in den Milzzellen aber treten schon nach einigen Augenblicken überall die Würmchen auf, und liegen vorerst noch regungslos, zusammengerollt in der Zelle. Wenn dann das Auge über eine Gruppe von Milzzellen schweift, erkennt es in kleinem Abstande von einander überall 20* 308 J. GAULE: die beiden dreieckigen, grünlich glänzenden Feldchen mit dem hellen Fleck dazwischen, welche für das Würmchen charakteristisch sind. Mustert man die isolirten Zellen, so sieht man häufig, wie keine der vielen Gattungen von Zellen, welche die Milz birgt, ohne Würmchen ist. Taf. V. Fig. 1—5. Da ist die vielkernige, blasse, grosse Milzzelle, welche viele Würmchen ent- hält, Fig. 2, die anderen welche sich mit Pigment und Trümmern von Blutkörperchen beladen hat, enthält deren neben diesen Trümmern liegend, Fig. 3 die kleine einkernige blasse Milzzelle, Fig. 4 und 5 und die ihr ver- wandte spindelförmige Zelle besitzen je eins. Der umherkriechende Leukocyt zeigt deren bald ein bald zwei, und wenn er grobgranulirt ist, kann man nur bei manchen seiner Bewegungen im Inneren das Würmchen durch- schimmern sehen. Meine Abbildungen werden das besser als viele Worte beschreiben. Oft ist das Bild theilweise ein anderes, wenn nämlich nur eine dieser Zellgattungen Würmchen besitzt, dann sieht man z. B. kleine ein- kernige Milzzellen mit dem Würmchen und in keiner der übrigen Zellformen irgend etwas. Nach einigen Momenten, während deren das Auge eben nur Zeit ge- habt hat, diese Verhältnisse aufzufassen, beginnen sich die Cytozoen zu regen und durchbohren das Protoplasma der Zelle, von dem erst ein Theil an ihnen hängen bleibt, bald in Gestalt von Körnchen und Fädchen Taf. V. Fig. 15, bald in Gestalt blasser, farbloser Kugeln Taf. V. Fig. 19. Sie gelangen in’s Freie und beginnen ihr Spiel, wie ich es schon geschildert. Gleichzeitig kommen auch die Cytozoen der Blutkörperchen hervor und nun bohren sich die Cytozoen der Milzzellen in Blutkörperchen, die der Blutkörperchen in Milzzellen und alles geht toll durcheinander. Ich will hier nicht die tausenderlei Variationen schildern, nicht, weil ich sie für un- wichtig halte, sondern weil ich den Sinn derselben noch nicht verstehe. Nur eine Beobachtung noch. Es ist gar nicht selten, dass man ein Cyto- zoon sich in eine Zelle einbohren sieht, aus der es nicht wieder hervor- kommt. Eigenthümliche Veränderungen gehen dann im Inneren der Zelle vor, die sich durch lebhafte Bewegungen der Protoplasmakörner verrathen. Namentlich sind es die Amoebocyten, welche den Würmchen gefährlich sind und oft, wenn das Cytozoon nur erst mit halbem Leibe activ sich in sie eingebohrt hat, umschliessen sie es plötzlich mit ihren Fortsätzen und ziehen es völlie in’s Innere. So beobachtete ich einmal einen Amoebocyten, welcher in Zeit weniger Minuten 3 Würmchen in sich aufnahm, dann kroch er munter davon, ohne an der Stelle, an der er gelegen hatte, etwas zurück- zulassen. Ich folete seinen Bewegungen und konnte im Anfang die glänzende Substanz der Oytozoen noch in seinem Inneren erblicken. Allmählich wurde dieselbe blässer und nach einer halben Stunde war sie völlig assimilirt. Solche Beobachtungen liessen mich daran denken, ob nicht die Gytozoen in DIE BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 309 den Milzzellen überhaupt von den Blutkörperchen her eingewandert seien oder umgekehrt. Alle Hypothesen, welche ich vielleicht daran geknüpft hätte, wurden aber abgeschnitten, als ich bemerkte, dass dies auch eine jener Erscheinungen sei, die nur in bestimmten Epochen auftreten. Zu anderen Zeiten verhalten sich die Zellen den Würmchen gegenüber ganz passiv und es kommt gar nicht vor, dass eines derselben festgehalten wird. Ueber die Leber und das Knochenmark kann ich mich ganz kurz fassen. Das Bild, welches dieselben darbieten zu den Zeiten, wo ihre Zellen Würmchen enthalten, ist in den Hauptzügen ganz dasselbe, das ich eben schilderte (Taf. V, Fig.7 und 8). Auch die Blutkörperchen entwickeln dann viele Würmehen. Die Details zu beobachten, die ja von der Milz wesentlich ab- weichen werden, ist bei beiden Organen schwer, wegen der Fetttröpfehen, die in dem Serum sich vertheilen. Der Zustand der Cytozoenbildung ist in beiden Organen sehr viel kürzer dauernd als in der Milz. Ill. Die verschiedenen Formen der Cytozoen. Ich habe seither von den Cytozoen gesprochen, als handle es sich um eine einzige Art von Gebilde. Dem ist aber nicht so. Je weiter ich meine Beobachtungen ausgedehnt habe, desto mehr verschiedene Formen von be- weglichen Gebilden im Blut der Frösche habe ich kennen gelernt. Unter _ diesen giebt es eine ganze Anzahl, welche bei grosser Verschiedenheit in der Form, doch in der Art ihrer Bewegung, in ihrem Verhalten gegen die Zellen, in ihrer Veränderung unter dem Einfluss von Reagentien eine enge Verwandtschaft unter einander zeigen. Es sind diejenigen, welche dem Würmchentypus folgen. Mit ihnen allein habe ich mich beschäftigt, während ich den Formen, welche abweichenden Typen angehören, bis jetzt keine Auf- merksamkeit geschenkt habe. In den Figuren 14—52 habe ich alle die Formen zusammengestellt, die ich bis jetzt im Froschblut beobachtet habe, und die ich zu den Cytozoen rechne. So manniefaltig dieselben auch sind, so muss man doch nicht glauben, dass irgend eine Regellosigskeit dabei vor- käme. Wenn ein Frosch Cytozoen in seinen Blutkörperchen hat, die dem Modell 1 entsprechen, so sind alle einzelnen Exemplare genau nach dem Modell 1 gebildet, während sie hei einem anderen Frosche alle nach dem Modell 2 gebildet sind. Doch kommen bei einem Frosche auch verschiedene Modelle gleichzeitig vor, aber man ist nicht darüber im Zweifel, dass alle einzelnen Individuen genau nach den betreffenden Mustern gebildet sind. Kurz in einer Hinsicht wiederholen die Würmchen die Zellen; wie wir einem Präparate Blutkörperchen und Milzzellen von der Form 1, 2, 5 zusammen 310 J. GAULE: haben können, so können wir auch Würmchen von der Form a, b neben- einander haben. Wie die Gestalt der Zellen so ist auch die der Würmchen in hohem Grade abhängige von der Einwirkung des Mediums, in dem sie betrachtet werden. Der erste Gedanke, den man haben könnte, ist unter diesen Umständen der, dass den verschiedenen Zellenformen verschiedene Cytozoenformen entsprächen. Die Beobachtungen scheinen auf den ersten Blick dies zu bestätigen. Untersucht man einen Frosch mit grosser Auf- merksamkeit, so dass man in einem beschränkten Felde jedes Blutkörperchen und jede Milzzelle controlirt, dann sieht man z. B. wie aus den Blutkör- perchen nur Würmchen von dem Modell a, aus den Milzzellen nur Würmchen von dem Modell 5. hervorkommen. Aber die fortgesetzte Erfahrung lehrt, dass die Sache so einfach nicht ist. Schon der folgende Tag z. B. kann einen Frosch von anderem Gewicht zur Untersuchung bringen, bei dem aus Blutkörperchen wie Milzzellen das Modell 5 sich entwickelt. Und setzen wir die Beobachtungen über Jahr und Tag fort, so sehen wir in den Blut- körperchen nach und nach die verschiedenen Modelle von Fig. 14 bis zuletzt zu Fig. 52, und ein ähnlicher Cyclus von Formen vollendet sich in den Milzzellen. Daher kann es kommen, dass in den verschiedenen Zellen gleichzeitig dieselben Modelle! sich finden oder auch verschiedene. Also auch die einzelnen Formen haben ihre Perioden und treten nur zu bestimmten Zeiten auf. Am frühesten erscheint Modell Fig. 14, dann treten successive, Fig. 15, 17, 18, darauf die hakenförmigen Fig. 20, 23, die kern- förmigen, Fig. 24—29, am spätesten die lanzenförmigen Cytozoen, Fig. 26 auf.” Nun muss man alle diese Formen in zwei Classen theilen, in die be- weglichen und unbeweglichen. Beweglich sind nur die mit schlankem Leib und einem zugespitzten Ende versehenen, also nur die Modelle 14—19. Uebersieht man die Reihe der Uebrigen, so wird man fragen, mit welchem Rechte dann diese heterogenen Gebilde den Würmchen angereiht werden? Aus dem einfachen Grunde, weil sie alle in eine der beweglichen Formen übergehen können. Ein Hinderniss wird im Verlauf der Beobachtung be- seitigt und plötzlich streckt sich das hakenförmige Cytozoon, Fig. 21, der scheinbare Kern, Fig. 28, klappt auseinander, das unförmige Klümpchen, Fig. 35, spitzt sich von einer Seite zu, und nun beginnen dieselben drehen- den und fortschreitenden Bewegungen wie bei den anderen. Welcher Art das Hinderniss wohl sein mag? Bald ist es körniges Protoplasma, das ! Es kann natürlich sein, dass die anscheinend gleichen Formen, die in ver- schiedenen Zellen vorkommen, sich durch Merkmale unterscheiden, die mir bis jetzt entgangen sind. ° Ich habe bereits früher in einer Anmerkung S. 306 darauf aufmerksam gemacht, wie im vorigen Jahre das erste lanzenförmige Cytozoon am 14. April, in diesem Jahr am 21. April erschien. DIE BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 311 das Cytozoon einhüllt, Fig. 31, bald scheinen die beiden Enden verklebt, Fig. 24, bald hüllt eine hyaline Membran das Gebilde ein, Fig. 29. Immer wird zunächst durch ein deutliches Abschmelzen der Umhüllungen das Hinderniss gemildert und dann beginnt nach mehr oder weniger langer Zeit das Spiel der inneren Kräfte um dasselbe zu sprengen. Nicht allen gelingt es, aber einzelne ruckweise Bewegungen zeigen auch bei denen, die in ihrer ursprünglichen Form verharren, an, dass der Impuls wohl vor- handen ist. Es fragt sich, ist diese Erfahrung nicht zu verallgemeinern, d. h. gehen nieht überhaupt alle sich bewegenden Würmehen aus solchen unbeweglichen Formen hervor? Das ist in der That der Fall. Studiren wir die Formen in den Zellen selbst, namentlich mit Hülfe der im nächsten Abschnitt an- gegebenen Methode, so sehen wir, dass wo zuerst in den Zellen die Cytozoen sichtbar werden, es in einer unbeweglichen Form geschieht. Dann entwickeln sich erst aus ihnen die beweglichen Formen. Es ist derselbe Vorgang, der hier in den Zellen sich abspielt, den wir vorhin ausserhalb derselben beobachtet haben. Aber ein Umstand muss das Verhältniss noch besonders beeinflussen. Je weiter die Periode der Cytozoen vorrückt, desto mehr vermehrt sich die Zahl dieser unbeweglichen Formen, die sich erst nachträglich zu Würmehen entwickeln, im Verhältniss zu jenen die direct aus den Zellen hervorkommen. Zuletzt trifft man nur noch unbewegliche Formen an, und es entwickeln sich nur vereinzelte spärliche Cytozoen. Dann aber tritt eine neue Form der be- weglichen Cytozoen auf, die lanzenförmigen, Fig. 26, die gewissermaassen eine neue Serie bilden, und sich durch ihre rasche Auflösung auszeichnen. Eine besondere Sorte von Formen bilden endlich die abgestorbenen und theilweise aufgelösten. Ich habe einige von diesen, wie man sie in den ge- wöhnlichen Präparaten mit 0.6°/, Kochsalzlösung erhält, in Fig. 38—42 abgebildet. Bei Anwendung stärkerer Kochsalzlösung erhält man steife, glänzende Gebilde. IV. Die Beziehung der Cytozoen zu den Kernen. Mancherlei von dem, was ich im vorigen Abschnitt mitgetheilt habe, musste darauf hinweisen, eine Beziehung der Cytozoen zu den Kernen! zu suchen. Aber ich war doch im höchsten Grade überrascht, als eines Tages ! Vielleicht möchte in diesem Abschnitte an die aus den Zellen ausgestossenen Kerne zu erinnern sein, welche Hr Klein von den Hautdrüsen des Schwanzes von Triton im Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften, 1879, S. 29 beschreibt ; vielleicht finden sich in der Literatur noch andere Angaben über Auswanderung der Kerne. Ich habe bis jetzt noch nicht sorgfältig danach gesucht. 32; J.: GAULE: ein rundes körniges Gebilde wie Fig. 43, ein Gebilde also, dass ich mit Fug und Recht für einen freien Kern gehalten hatte, unter meinen Augen aus- einanderklappte, sich streckte, nach etlichen Oscillationen an einem Ende zuspitzte und als ein Cytozoon davonkroch. Die Beobachtung liess sich bald hundertfach bestätigen, und ich sah nun, wie fast alle die unbeweglichen Formen von Würmchen, wie sie die Abbildungen zeigten, ihren Ausgangs- punkt von solchen freien Kernen nahmen. Nicht immer nämlich wandelte sich der runde Kern mit einem Male durch eine Art Aufklappen um, oft erlitt er vorher mannigfache Deformationen und ich entdeckte nach und nach die verschiedenen Modi, in denen eine Umwandlung zu dem beweg- lichen Elemente stattfinden konnte. Die Figuren 43—52 stellten die hauptsächlichsten derselben dar. Schliesslich mussten mich jene Formen, in denen das Cytozoon, von etwas Protoplasma umgeben, ganz wie eine kleine Zelle sich ausnahm, Fig. 51, in dem Gedanken an die Kernnatur der Cytozoen bestärken. Die Ueberlegung, welche ich im vorigen Abschnitt bereits anführte, dass das was sich hier ausserhalb der Zelle abspiele, inner- halb der Zelle im Wesentlichen in der gleichen Weise nur rascher sich voll- ziehen möge, führte natürlich auch dazu, die Entwickelung der Cytozoen in den Zellen aus den Kernen zu untersuchen. Es war dieses Stadium der Untersuchung, welches mir mit die grössten Schwierigkeiten geboten hat. Denn entweder verläuft die Bildung der Cytozoen rasch und dann kann man dem Vorgang nicht folgen, oder sie verläuft so allmählich, dass man durch das gekörnte Protoplasma hindurch die Uebergänge nicht wahr- nehmen kann. Endlich gelangte ich, für die Milzzellen wenigstens, durch die Beobachtung am frischen Objeete zum Ziel, indem ich mich statt der 0.6 °/, Chlornatriumlösung einer Lösung bediente, die 0.3 Chlorkalium und 0-3 Chlornatrium enthielt. Hierbei verläuft das Phänomen wie sonst, nur etwas langsamer und die Substanz der Würmchen tritt deutlicher hervor. Bei den Blutkörperchen führt eine Beobachtung am frischen Object des Blut- farbstoffs wegen nicht zum Ziel. Indessen erhält man hier sehr klare und instructive Bilder, wenn man das Blut mit einer Kochsalzlösung verdünnt, der man eine Spur Gentianaviolett zugesetzt hat. Nach 12 bis 24 Stunden ist den Blutkörperchen der Farbstoff entzogen, dagegen haben Kern und Cytozoon sich mit dem Gentianaviolett gefärbt und treten deutlich hervor. Man kann dann die Präparate mit Osmiumsäure behandeln und eintrocknen, um Dauerpräparate zu erhalten. Auf diese Weise sind die Bilder entstanden, welche die Figuren 1—12 wiedergeben. Das Resultat ‚war, wie es die Abbildungen zeigen, bei den Blutkörperchen durchweg die Anwesenheit des Cytozoons als eines von dem Kern getrennten Gebildes. In den Milzzellen findet man, wie schon oben erwähnt, in der grossen Mehrzahl das gleiche zesultat, für eine kleine Minderzahl aber konnte neben dem Cytozoon Die BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 33 nicht nur kein Kern nachgewiesen werden, sondern dasselbe lag auch central und hatte Form und Aussehen des Kerns. Dieser Befund schien zu dem Schluss zu führen, dass in der Mehrzahl der Zellen das Cyto- zoon als ein präformirtes Gebilde existirt, das von ähnlicher Form wie der Kern, tingirbar wie dieses und vielfach mit ähnlichen Eigenschaften begabt wie dieser, wohl den Namen eines Nebenkerns verdiente. Fussend auf diese Vermuthung, versuchte ich die Cytozoen durch Färbung an er- härteten Präparaten mir deutlich zu machen. Aber das gelingt nicht; wie man auch erhärten und färben mag, man entdeckt nichts von dem Cytozoon. Im Grunde ist das ja auch natürlich, denn sonst hätte man sie längst ge- sehen. Aber noch mehr! wenn man die Milz unmittelbar in Osmiumsäure zerzupft oder in Sublimat oder sonst einem die Zellen gut erhaltenden Mittel, oder wenn man die Blutkörperchen ganz in der gleichen Weise behandelt, wie oben zur Färbung der Cytozoen gelehrt, nur dass man die Osmium- säure dem Blute sofort zusetzt, dann erhält man nichts als das gewöhnliche Bild — Kern und körniges Protoplasma, aber kein Cytozoon. Man könnte vielleicht denken, dass die Cytozoen unter der Einwirkung der Erhärtungs- mittel bis zur Unkenntlichkeit schrumpfen; aber das ist durchaus nicht der Fall. Lässt man ihnen nur erst Zeit zur Entwickelung und setzt dann vor- sichtig Osmiumsäure, Sublimat oder am besten Merkel’sche Lösung zu, dann conservirt man sie ganz schön. Es ist also keine andere Möglichkeit, als dass bei einem langsamen Absterben in Kochsalzlösung die Substanz der Zelle in anderen Formelementen sich fixirt, als beim raschen Tode durch Erhärtungsmittel — dort in Protoplasma, Kern und Cytozoon, hier in Protoplasma und Kern allein. Für eine solche Vorstellung spricht aber auch das ganze Bild, welches das Auftreten der Cytozoen darbietet. Es ist gar nicht zu verkennen, wie in demselben Momente wo man das Cytozoon sieht, in der Zelle auch der Kern erscheint. In den ersten Augenblicken ist in den Zellen alles homogen, dann vollzieht sich die Scheidung, wobei entweder Protoplasma, Cytozoon und Kern sich gleich trennen können, oder wobei das Cytozoon bei dem Kern verbleibt. In diesem Falle kann, wenn die Zelle weiterlebt, sich nachträglich das Cytozoon noch von dem Kern, der also bereits deutlich hervorgetreten ist, sondern. Das Beispiel hierfür sind jene Zellen, in denen ein Cytozoon an Stelle des Kerns liegt, jene freien Kerne (deren Zellen eingeschmolzen waren), aus denen wir die Cytozoen entstehen sahen, und vor allem die rothen Blutkörperchen während Mai und Juni vorigen Jahres, deren Kerne, nachdem sie plötzlich hervorgetreten, noch in der Scheibe liegend sich in derselben Weise in Cytozoen umwandelten, wie die freien Kerne (Taf. V, Fig. 53—57). Wenn wir mit unseren Reagentien rasch tödten, dann bleibt in der Regel wohl das Cytozoon bei dem Kern, denn wir erhalten dann die grossen vollen, mit glänzender Substanz er- 314 J. GAULE: füllten Kerne, während die Kerne jener Zellen, in denen das Öytozoon sich gesondert hat, einen Kern enthalten, der den Eindruck des leeren macht (vergl. Taf. V, Fig. 4 und 6). Nach dem ersten Act verläuft nun in unseren Präparaten ein zweiter Act, den wir von erstem getrennt halten müssen, nämlich der Uebergang in die bewegliche Würmchenform. Hier liegt der Punkt, an dem tausend Fragen unwillkürlich einsetzen. Sondert sich im Leben das Cytozoon, wird es auch da beweglich, was spielt es für eine Rolle? Steht es vielleicht in Beziehung zur Kerntheilung? Wandert es vielleicht in andere Zellen über? Meine Antwort darauf ist: Ich weiss es nicht. Was ich bis hierher mit- getheilt, sind Beobachtungen, die Jedermann bei genügender Geduld nach- machen kann, darüber hinaus könnte ich nur Vermuthungen bieten. Leipzig, 21. April 1881. Berichtigung : S. 302 Z. 12 v. o. lies „von gewissen“ statt von den gewissen. »„ 302 „. Iv.w ,„ „Phänomene“ statt Phänomen. Dıe BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNEN. 315 Beschreibung der Abbildungen. Figg. 1—6. Milzzellen mit Cytozoen. In Fig. 3 enthält die Zelle Pigment. Figg. 5 und 6 zeigen das Cytozoon im Kern, Fig. 6 in einer Position, als ob es aus dem- selben auszuwandern im Begriff sei. Figg. 7—S. Leberzellen mit Cytozoen; in Fig. 7 besitzt die Zelle neben dem deutlich im Kern gelagerten noch mehrere andere, die eben so wie die pigment- und blutfarbstoffhaltigen Körnchen im Protoplasma der Zelle vertheilt sind. In Fig. 8 liegt das hakenförmige Cytozoon an Stelle des Kerns, aber ohne abgrenzenden Hof gegen das Protoplasma. Sämmtliche Figuren sind nach wenige Augenblicke in 0-6°, Kochsalzlösung befindlichen Zellen gezeichnet. a Figg. 9—12 zeigen Blutkörperchen, in denen Kern, Protoplasma und Cytozoon mit Gentianaviolett gefärbt sind, während der Blutfarbstoff gelöst ist. Die Präparate sind durch zwölfstündige Einwirkung der mit Gentianaviolett versetzten Kochsalz- lösung auf frisches Froschblut erhalten. Die Gerinnung bleibt wegen des Zusatzes von Farbstoff aus. Fig. 13 stellt ein Froschblutkörperchen dar, aus dem sich eben ein Cytozoon entwickelt hat, das noch durch protoplasmatische Fäden mit dem Körperchen zusam- menhängt und dasselbe nachzieht. Figg. 14—20. Bewegliche Cytozoen, davon Fig. 15 die häufigste in den Blut- körperchen vorkommende Form. Fig. 16 lanzenförmiges Cytozoon. Fig. 15 schleppt noch körniges Protoplasma mit. Fig. 20 ist mit farblosen, blassen Kugeln (wie man sie häufig auch allein aus Zellen austreten sieht, namentlich aus Flimmerzellen) behaftet. Figg. 21—33. Unbewegliche Formen der Cytozoen, darunter Figg. 21—25 ein- fach als hakenförmig, Figg. 25—33 als mehr oder weniger kernförmig zu bezeichnen. Figg. 534—49. Unvollkommene Formen, welche sich manchmal zuspitzen und dann würmchenartige Bewegungen ausführen. 316 J. GAULE: DIE BEZIEHUNGEN DER ÜYTOZOEN ZU DEN ZELLKERNE. Figg. 50—54. Verblasste theilweise aufgelöste Formen. Figg. 43—46. Vier Stadien beim Uebergang eines freien Kerns in ein Cytozoon. Figg. 47—49. Stadien einer anderen Uebergangsform; auf Fig. 49 würde das- selbe Stadium, das schon in Fig. 46 abgebildet ist, folgen. Figg. 50—52. Verschiedene andere Stadien, aus denen das Bild des ganzen Uebergangs nach dem vorhergehenden leicht zu construiren ist. Figg. 95—57. Fünf verschiedene Uebergangsformen von Kernen in Cytozoen innerhalb rother Blutkörperchen; von jeder ist nur ein Stadium gezeichnet, da die anderen leicht zu ergänzen sind. Alle sind nach direeten Beobachtungen des voll- ständigen Uebergangs gezeichnet. Das Blasenepithel bei verschiedenen Füllungszuständen der Blase. Von Dr. B. London. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. Die Frage, ob die Harnblase von ihrem Inhalt etwas resorbire, ist eine alte Streitfrage der Pathologen und Physiologen. Das Interesse, welches die Application medicamentöser Stoffe von der Blase aus erweckte, ebenso wie der Gedanke, dass beim Verweilen in der Blase der Harn vielleicht eine Modification in seiner Zusammensetzung erleide, veranlassten immer neue Versuche diese Frage zu lösen. Die Arbeiten von Kaupp, Treskin, Susini,Cazeneuve und Livon bis auf die neuesten Mittheilungen von Maas und Pinner sowie von Fleischer und Brinkmann! bezeugen dies Interesse zur Genüge. Aber sie bezeugen leider auch, wie controvers die Frage ist. Dass man in einer so einfachen Sache sich so viel widersprochen hat, liest gewiss zum Theil daran, dass die Blasenschleimhaut sich gegen verschiedene Stoffe verschieden verhält, während die Beobachter ihre für einige Stoffe gewon- nenen Erfahrungen generalisirten. Zum Theil aber ist wohl auch die Ver- schiedenheit der Resultate darin begründet, dass die Experimente die Blasen in verschiedenen Zuständen vorfanden oder in dieselben versetzten. Ich will hier nicht von pathologischen Zuständen reden, weil ich diese als ausgeschlossen voraussetze, sondern nur von physiologischen. Von hervorragendem Einflusse scheint mir namentlich der Füllungszustand der Blase zu sein. Das wesentlichste Hinderniss für die Resorption der Schleimhaut bildet ja nach der Ueber- einstimmung aller Beobachter das Epithel, und wir sind gewohnt uns das- selbe nach der Schilderung Burkhard’s,? Link’s,? u.A., als ein vier- bis " Fleischer und Brinkmann in Deutsche medicinische Wochenschrift, 1880. No. 89; — Maas und Pinner, Centralblatt für Chirurgie, 1880, No. 48. Auf die Literatur der Frage einzugehen liegt nicht im Plane dieser Abhandlung. * Burkhard, Archiv für pathologische Anatomie. Bd. XVII, S. 94. ®? Link, Archiv für Anatomie und Physiologie. 1864. S. 137. 318 B. Lonporx: fünfschiehtiges Plattenepithel von ansehnlicher Mächtigkeit vorzustellen. Die meisten Handbücher bestätigen uns diese Anschauung. Aber gilt dann die- selbe für beide Zustände der Blase, für den contrahirten, wie für den aus- gedehnten? Muss nicht, wenn das Epithel bei der Füllung der Blase eine sehr viel mal grössere Oberfläche zu bekleiden hat, die Dicke des Belags entsprechend abnehmen? Oder sind Mechanismen vorhanden, welche eine solche Verdünnung der Epithellage verhindern und so auch der ausge- dehnten Blase ein mehrschichtiges Epithel als Schutz gegen die Resorption ihres Inhalts gewähren? Und wenn dies der Fall ist, worin bestehen diese Mechanismen? Denkbar wäre a priori, dass die Schleimhaut ihre Ober- fläche bei der Contraction nicht verkleinert, sondern in dem Maasse als die Museularis sich zusammenzieht, sich von ihr abhebt und in die ja bekannten und beschriebenen Falten legt. Denkbar wäre es auch, dass eine Volumenvermehrung des Epithels bei der Ausdehnung der Blase statt- fände. Auf diese Fragen wurde ich von Dr. Gaule aufmerksam gemacht, bei Gelegenheit eines Aufenthaltes in der Leipziger physiologischen Anstalt. Da dieselben auf Grund der seitherigen Kenntnisse sich nicht entscheiden lassen, so beschloss ich eine Beantwortung derselben zu versuchen. Das geeignetste Untersuchungsmaterial schienen die Harnblasen von Hunden darzubieten, welche ich in vollkommen frischen Zustande erhalten konnte. Denn es musste natürlich darauf ankommen jede Maceration, jede Quellung kurz Alles was Form, Grösse oder Zahl der Epithelien verändern konnte auszuschliessen. Freilich zeigte sich im Verlauf der Untersuchung, dass der Gebrauch von Erhärtungsmethoden nicht entbehrt werden konnte. Jede Erhärtung bedingt eine Volumänderung der Zellen, aber man hat es in der Hand, diese Volumänderung für alle unter einander zu vergleichenden Zellen derselben Gattung gleichmässig zu gestalten." Daher haben die Zahlen, welche ich weiterhin mittheilen werde, über die Dieke der Epithel- schicht u. s. w. keinen absoluten Werth, d.h. sie gelten nicht für das frische und nicht für jedes beliebig erhärtete Epithel; aber sie sind untereinander vollkommen vergleichbar. Auch würde es nicht schwer sein, daraus die für das frische Epithel gültigen Zahlen herzuleiten, wenn man den Factor der Volumänderung, welche die Erhärtung herbeiführt, durch eine Anzahl Ver- suche bestimmte. Um den Blasen den Füllungsgrad zu geben, bei dem ich sie zu untersuchen wünschte, habe ich verschiedene Methoden benützt. Die erste die ich anwendete, erwies sich als nicht brauchbar. Sie bestand darin, dass ich das Mundstück einer Spritze in die Harnröhre einband und mit Hülfe der Spritze eine bestimmte Quantität der Erhärtungsflüssigkeit ı Man hätte auch an die Gefriermethode denken können. Aber das Gefrieren setzt auch eine Volumänderung voraus und es leistet in anderer Beziehung sehr viel weniger. Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER FÜLLUNG DER BLASE. 319 in die Blase einspritzte. Dann wurde die Blase zugebunden und in der Erhärtungsflüssiekeit aufgehängt. Es zeigte sich jedoch, als hiervon Prä- parate angefertigt wurden, dass das Epithel stellenweise gerissen und los- gelöst war. Wahrscheinlich war das Epithel, welches von der Erhärtungs- flüssigkeit durchtränkt wurde, sofort steif und spröde geworden, während die Ausdehnung noch weiter eing. Ich beschloss daher die Blasen von aussen her, durch negativen Druck auszudehnen. Die Harnröhre wurde auf eine Glasröhre aufgebunden, die durch einen Gummipfropf gesteckt war. Der Pfropf passte auf den Hals eines Kolbens, der mit !/,°/, Chrom- säure gefüllt wurde, und besass ausserdem noch eine zweite Durchbohrung, durch welche ein aus kurzen Glas- und Kautschukstückchen zusammen- gesetztes Rohr durchging. Das eine Ende dieses Rohrs konnte mit einem Aspirationsapparat in Verbindung gesetzt werden, das andere tauchte in die Chromsäure. Wurde der Aspirationsapparat in Wirksamkeit gesetzt, so wurde durch dieses Rohr die Chromsäure aus dem Kolben angesaugt. Der dadurch entstandene negative Druck konnte sich, vorausgesetzt, dass der Pfropfen luftdicht schloss, nur dadurch ausgleichen, dass die Blase sich aus- dehnte, wobei durch das in die Harnröhre eingebundene Rohr Luft in ihr Inneres eindrang. Hatte sie den gewünschten Grad der Ausdehnung er- -reicht, so wurde die Ausdehnung sistirt, durch das Harnröhrenrohr em engeres Rohr hindurchgesteckt und mit Hülfe desselben das Innere mit 1/s°/, Chromsäure gefüllt. Die auf diese Weise erhaltenen Präparate waren sehr schön; sie zeigten das Epithel in einer ganz gleichmässigen Schicht mit glattem Saum. Um jedoch von dieser Methode nicht allein abhängig zu sein, benutzte ich noch eine andere. Ich liess die Thiere während des Lebens eine ge- wisse Zeit den Harn zurückhalten, indem ich das Präputium unterband, tödtete sie dann, eröffnete die Bauchhöhle, legte eine Ligatur um den Blasen- hals, und nahm die Blase heraus. Sie wurde mit Harn gefüllt für 24 Stun- den in 1/,°/, Chromsäure gelest, dann wurde sie eröffnet, der ausfliessende Harn gesammelt und gemessen, die leere Blase gewogen und abermals in die Chromsäure gelegt. Bei den kleineren Blasen wurden bei dieser Ge- legenheit auch die verschiedenen Axsen gemessen. Nach weiteren 24 Stun- den wurde die Blase aus der Chromsäure herausgenommen, in Stücke zer- schnitten, mehrere Stunden mit grossen Mensen Brunnenwasser ausgezogen, dann in 70°/, Alkohol, nach abermals 24 Stunden in 96°/, Alkohol ge- bracht. Da ich von diesem Verfahren anfänglich befürchtete, dass die Epi- thelien von dem in der Blase während der ersten 24 Stunden verbleibenden Harn macerirt werden könnten, so wurde der ausgeflossene Harn untersucht. Er roch frisch, reagirte schwach sauer oder neutral, gab bei mehrstündigem Stehen keinen Bodensatz und zeigte unter dem Mikroskop keine geformten 320 B. Lonpox: Elemente. Die Präparate, welche von diesen Blasen genommen wurden, zeigten ebenfalls das Epithel vollkommen gleichmässig; in der Schönheit der Färbung, welche sie annahmen, standen sie den mit der vorherbeschriebenen Methode gewonnenen etwas nach. Die Herstellung der Schnittpräparate geschah mit Hülfe der bekannten Methoden, der Durchfärbung und Einbettung in Paraffin. Verschiedene Mikrotome, die mir in dem physiologischen Institute zu Gebote standen, so das His’sche, das zum Schneiden eingebetteter Präparate hergerichtete Roy’sche und namentlich ein sehr exact gehendes neues Mikrotom, vom Mechaniker Schanze im pathologischen Institute hier, gestatteten Schnitte von bekannter Richtung und bekannter Dicke durch die Blase zu führen. Zum Durchfärben bediente ich mich ausser Grenacher’schen Carminen auch mit Vortheil eines wässerigen Anilinblaues, welches die Zellgrenzen schön färbt. Die Messungen wurden an diesen Präparaten mit Hülfe einer em- fachen Camera lucida vorgenommen, indem die Contouren des Epithels auf dem Papier entworfen und hinterher bei unverrückter Stellung aller Theile ein Objeetivmikrometer an Stelle des Präparates gebracht und dessen Theil- striche auf das Papier aufgezeichnet wurden. Misst man an diesen Theil- strichen die Dimensionen des Epithels, so erhält man diese Dimensionen be- oreiflicherweise mit derselben Genauigkeit, mit der das Objectivmikrometer oearbeitet ist, d. h. mit einer für diesen Zweck vollkommen genügenden. Die wesentlichste Fehlerquelle, welche man bei diesen Messungen zu vermeiden hat, ist natürlich die, dass das Epithel auch bei aller Sorgfalt des Einbettens nicht immer senkrecht, sondern auch schief durchschnitten wird. Namentlich wenn die Schleimhaut sich faltet, ist das gar nicht zu vermeiden. Es giebt aber einige Kriterien, mit deren Hülfe man sich über- zeugen kann, ob der Schnitt senkrecht gefallen ist oder nieht. Das Epithel setzt sich mit scharfem Rand sowohl gegen das Lumen wie gegen das Bindegewebe der Schleimhaut ab. Sowie der Schnitt schief fällt, er- scheint der Rand nicht scharf und er verschiebt sich bei wechselnder Ein- stellung. Zunächst will ich eine Anzahl der besten Messungen, welche ich an verschiedenen Blasen angestellt habe, mittheilen. Tabelle 1. Messungen der Dicke des Epithels. Bezeichnung. Kleinste Dicke Grösste Dicke Blase. Präparat. in u. in u. Mittel. 1. 2, 52 so 61 58 72 65 2 2, 40 75 58 2 40 68 eb} | RS Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER FÜLLUNG DER BLASE. Bezeichnung. Blase. Präparat. R la 1» le la le IR DE So @ 00 I III IS Je) DD PBROEODS iR D0E 187 - > - IIND HRrRHHRTD mW DH wH iD 3 Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 321 Tabelle 1. (Fortsetzung.) Kleinste Dicke Grösste Dicke in u. in u- Mittel. 40 45 43 40 40 40 36 40 38 51 52 Sl 38 50 44 42 60 Hi Gesammtmittel 51 46 46 45 45 44 44 39 39 40 40 26 26 28 28 35 42 39 36 50 43 39 39 39 40 43 42 40 45 42 28 30 29 24 30 a 24 24 24 42 48 45 Gesammtmittel 38 13 18 35 10 14 12 10 15 13 16 16 16 10 10 10 10 16 15 10 20 15 15 20 7 15 20 18 14 14 14 Gesammtmittel 14 21 322 Bezeichnung. Blase. 1R% V. Präparat. DD Ne IE EEELTT LFI TECH TS TER ER LITE FE wm [I B. Lonpox: Tabelle 1. (Fortsetzung.) Kleinste Dicke Grösste Dicke in u. in u. Mittel. 4 10 H 2 2 2 7 7 M 3 8 5 2 7 4 2 5 3 1 Q 4 1l 1) 5 2 4 3 2 4 3 3 5 4 1 4 3 1 3 2 2 5 3 (Gesammtmittel 4 32 32 16 16 16 16 20 20 14 14 28 23 24 24 32 32 24 24 24 24 25 25 23 23 17 1l 15 15 18 18 (sesammtmittel 22 22 32 27 22 30 26 22 25 23 19 20 19 Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER FÜLLUNG DER BLASE. 323 Tabelle 1. (Fortsetzung.) Bezeichnung. Kleinste Dicke Grösste Dicke Blase. Präparat. in u. in u. Mittel. VI. ie 1 % 99 If 5) 19 17 le 20 20 0 In 20 22 2] li 20 22 al Ik 19 25 22 1 19 30 24 Im 23 28 35 In 15 19 17 (resammtmittel 29 Was in dieser Tabelle am meisten auffällt sind die ausserordentlich grossen Differenzen in der mittleren Dicke der Epithelschicht der verschie- denen Blasen. Zwar wechselt auch in den einzelnen Blasen dies Epithel nicht unbeträchtlich, aber diese Schwankungen um den mittleren Werth sind unbedeutend im Verhältniss zu den Differenzen der einzelnen Blasen untereinander. Die Erklärung für diese Differenzen wird leicht gefunden, wenn ich die Füllungsgrade der Blase neben die mittlere Dicke der Epithe- schicht setze. Blase: Inhalt. Dicke des Epithels. 1. Di 51l# 10% 26 38 10% 55 14 IV. 580 4 - Die Dicke des Epithels nimmt also ab, wenn die Füllung der Blase zunimmt, wenn das Epithel eine grössere Oberfläche bekleidet. Aber noch andere Umstände beeinflussen die Dieke der Epithelschicht. Die Blasen I—IV sind von Hunden nahezu gleicher Grösse, ca. 3—5 Kern, entnommen. Die Blasen V und VI stammen von grösseren Hunden und zwar V von einem Hund von 10, VI von einem Hund von über 20kerm. Sie zeigen Blase. Inhalt. Dicke des Epithels. \Y N) DE Vu S00 22 also bei grösserer Füllung eine dickere Epithelschicht als die Blasen der kleinen Hunde und unter sich verglichen die Differenz in demselben Sinne. Die Erklärung hierfür ist natürlich die, dass grössere Hunde auch Due 324 B. Loxpox: mit grösseren Blasen und grösseren Massen von Epithel ausgestattet sind. Aber selbst wenn wir bei unseren vier Hunden von gleicher Grösse uns eine Curve der Abhängigkeit der Dicke des Epithels von dem Füllungsgrade der Blase construiren wollten, würde dieselbe mehrere Wendepunkte zeigen. Der Grund hierfür liest darin, dass auch Hunde von gleicher Grösse nicht gleich entwickelte Blasen haben. Die Blasen I und III zeigen gegen die Blasen IH und IV einen viel gracileren Bau und ein relativ dünneres Epithel. Es ist dies auch deutlich ausgesprochen in dem Gewicht der leeren Blase, Es-wiestdie ‚Blase I 62, I 1522 7176 22 SV 10er: An der verhältnissmässig stärkeren Entwickelung, an der also Epithel und Muskel sich betheiligen, mag das Alter seinen Theil haben, wohl aber auch die Dressur, welche die Hunde gewöhnt, den Harn während längerer Zeit zurückzuhalten. Der Hund, von dem die Blase II stammt, die das hohe Gewicht von 158m hat, war ein langhaariger Stubenhund. Betrachtet man die Schleimhaut einer Blase von geringem Inhalt, so sieht man, dass dieselbe in Falten gelegt ist. Diese Faltenbildung tritt erst unterhalb einer gewissen Grösse des Inhalts ein; sie bedeutet, dass die Ver- kleinerung der Oberfläche der Verkleinerung des Inhalts nicht länger folet. Auch dieser Umstand stört die Proportionalität unserer Zahlen. Man wird natürlich auch nur eine strenge Proportionalität zwischen Inhalt und Dicke der Epithelschicht erwarten dürfen innerhalb einer und derselben Blase. Deshalb hatte ich den Gedanken durch irgend eine Vorrichtung eine Blase in zwei Abtheilungen zu theilen, von denen ich die eine contrahirt, die andere ausgedehnt untersuchen wollte. Es wollte mir jedoch nicht gelingen eine Einrichtung zu treffen, die diese Aufgabe ohne Zerrungen und Ver- letzungen des Epithels löste. Ich hielt es daher für sicherer eine Anzahl verschieden gefüllter Blasen in einwurfsfreier Weise zu vergleichen. Es er- giebt sich aus den Zahlen, wenn man die angeführten Umstände alle be- rücksichtigt, ja der Sachverhalt mit völliger Klarheit, nämlich: 1) Die Dicke des Epithels, welches die Blase auskleidet, nimmt von mässigen Graden der Füllung bis zu den höchsten, in dem Maasse ab, als die Oberfläche der Blasenschleimhaut zunimmt. 2) Von der höchsten Contraction bis zu mässieen Graden der Füllung tritt zu der Veränderung der Epithelschieht ein Hülfsmoment, nämlich die Faltung der Schleimhaut, so dass die Vergrösserung der Oberfläche hier der Vergrösserung der Füllung nieht proportional geht. Neben diesen beiden ergiebt sich ein dritter Satz, wenn man die Blasen verschiedener 'T'hiere vergleicht, nämlich: Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER FÜLLUNG DER BLASE. 325 3) Bei gleichem Grade der Füllung hat die diekere Epithelschicht diejenige Blase, welche dem grösseren Thier angehört, d. h. diejenige, welche der grösseren Füllung im Leben ausge- setzt ist. Die Natur stattet jede Blase nur mit soviel Epithel aus, als sie eben braucht, um den an sie gestellten Anforderungen zu genügen. Als die Blase eines kleinen Hundes durch 580° Inhalt (den Harn von etwas über 24 Stunden) ausgedehnt war, bedeckte sie nur noch eine Epithelschicht von 4* Dicke. Die Differenz der Zahlen 51 und 4“, welche wir bei den Blasen I und IV finden, giebt uns schon einen Begriff, wie variabel das Epithel sein müsse. Noch anschaulicher aber werden dies die beiden Ab- bildungen machen, die ich von dem Epithel der Blase II und IV gebe. In Blase II sehen wir das mehrschichtige Epithel der Autoren. Es sind hier nur drei Schichten von Epithel vorhanden und ich habe diese Stelle ge- wählt, weil in den noch stärker contrahirten Blasen, wo die Zellen noch mehr in einander geschoben sind, die Gestalt der Zellen weniger deutlich erkannt wird. Wir sehen hier die unterste Lage bei aller Unregelmässig- keit (die auf dem Schnitt noch grösser erscheint, weil der Schnitt die Zellen unter verschiedenen Winkeln trifft) im Allgemeinen prismatisch, in der zweiten Lage cubisch, in der obersten Lage plattenförmig. In den voll- ständig contrahirten Blasen, wie Blase I, sehen wir bis zu fünf Zellenschichten und der Rand ist unregelmässig, weil einzelne Zellen über denselben vorge- schoben sind. Es ist, als hätten sie bei der Contraction zwischen den anderen nicht Platz gehabt. Blase IV zeigt ein ganz anderes Bild. Eine einzige Lage dünner Platten deckte die Oberfläche, und so dünn sind die Platten, dass die Kerne sich deutlich vorwölben. Man glaubt eher ein Endothel als ein Epithel vor sich zu haben. Dass hier ganz andere Bedingungen für die Resorption vorliegen müssen, scheint unzweifelhaft. So müssen wir also vorsichtig sein, mit dem Blasenepithel als einer Constanten zu rechnen, wir müssen seine Variabilität mit der Füllung in Rechnung ziehen. Es schien mir nunmehr wünschenswerth, nachdem diese Abhängigkeit sich ergeben hatte, über die Verhältnisse und den Mechanismus derselben etwas Näheres zu erfahren. Will man. dies, so muss man nicht den Inhalt der Blase, sondern die Oberfläche der Schleimhaut in Rechnung ziehen. Die Beziehung zwischen Inhalt und Oberfläche wechselt ja mit der Gestalt der Blase. Die grossen Blasen von 200° ® und mehr Inhalt nähern sich ausserordentlich der Kugelform. Man kann sie ohne merklichen Fehler als Kugeln ansehen und demgemäss ihre Oberfläche aus dem Inhalt berechnen, nach bekannten Formeln (T = 4 r? n., Ob. = 4 vr? rn). Die kleineren Blasen dagegen haben eine merklich grössere Längs- als Seitenaxe. Man be- 326 B. Lonobon: Abbildung 1. EESEBEEER Schema 1. Abbildung 2. Schema 2. Beschreibung der Abbildungen. Abbildung 1. Epithel der Blase II mit der Camera luc. nach der Natur gezeichnet. 750 fache Vergrösserung. Erhärtung mit !/,°/%, Chroms. Färbung mit Anilinblau. Das Schema zur Abbildung zeigt die Verhältnisse, wie sie bei ideal regelmässiger Form der Zellen eintreten würden. Abbildung 2. Epithel der dilatirten Blase IV nach gleicher Behandlung unter gleichen Verhältnissen gezeichnet wie oben. Das Schema 2 zeigt die einfachsten Verhältnisse, welche sich ergeben, wenn man die in Schema 1 gezeichneten Zellen ohne Veränderung des Gesammtvolums und ohne Aenderung der relativen Lage auf eine im Verhältniss 35:336 grössere Oberfläche vertheilt. Die Vergleichung mit der Abbildung 2 ergiebt, dass die Natur von diesem Schema insofern abweicht, als die Ränder der Zellen stärker gedehnt werden als die Mitte. Daher sinken die Kerne der oberen Schichten, welche den Wänden der unteren Schichten entsprechen, ein, und es entsteht der Anschein einer einzigen Schicht. Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER FÜLLUNG DER BLASE. 3927 rechnet sie am annäherndsten als Rotationsellipsoide. Ich habe dieselben gemessen und die Axen der rotirenden Ellipse gefunden bein 07 162 br 8 ben a, a, 19 Dr 16.5 belle a) 30 b= 20 Die Oberfläche berechnet sich nach der Formel: MRS EHE N] or 0b, — 2moelyi on @+lılaryi a: = | Man erhält auf diese Weise folgende Zahlen: Innere Oberfläche Blase. in Quadratcent. Bemerkung. I. hen Die Oberfläche von 1 ist zu klein gefunden, 1. 35.9 weil die Falten nicht berücksichtigt sind. za) 64-1 1% 336-9 V: 228-8 Va 416-7 Mit Hülfe dieser Werthe und der bekannten Dicke der Epithelschicht, können wir berechnen wie gross das Volum des Epithels in jeder Blase ist. Dicke der Epithelschicht _Gesammtvolumen des Epithels Blase. in ‚Quadratcent. in u. in Cubikcent. IE 11-1 dl 5 0.056 I. 35.9 38 0-135 UK 64-1 14 0.089 Ve 386-3 4 0.133 V. 228.8 20 0.505 ML 416-7 2 0.917 Berücksichtigt man, dass bei I die Oberfläche wegen der Falten zu klein gefunden wurde, so sieht man wie die Blasen I und Ill, II und IV trotz verschiedenen Füllungsgraden das gleiche Epithelvolum zeigen. Es sind das Blasen, die, wie vorn hervorgehoben wurde, durch ihr gleiches Gewicht gleiche Entwickelung voraussetzen lassen. Weit über die Zahlen der kleinen Hunde hinaus geht das Epithelvolum der grossen. Wir gelangen also zu 328 B. Loxpox: der Bestätigung des bereits vermutheten Satzes, dass mit der Ausdehnung der Blase das Volum des Epithels sich nicht ändert, dass es dagegen ab- hängig ist von der Grösse und Entwickelung der Blase. Ein neues Moment kann man in die Untersuchung einführen, wenn man die Zahl der Zellen welche sich in der Volumeinheit des Epithels finden, ermittelt. Ich führte dies aus, indem ich die Kerne, welche sich in der Längeneinheit eines Querschnittes befanden, zählte. Durch Messung der Dicke der Epithelschicht ergab sich die zweite, durch Messung der Dicke des Schnitts die dritte Dimension. (Die letztere Messung ist die un- sicherste, doch habe ich bei Zählung einer grösseren Anzahl von Präparaten von gleicher Dicke der Epithelschicht keine sehr grossen Differenzen in der Zahl der Kerne gefunden, was mich schliessen lässt, dass diese Fehlerquelle sich bei gehöriger Sorgfalt vermeiden lässt.) Die Zählung geschah stets mit Hülfe der Camera, indem die Kerne auf Papier aufgezeichnet und dann gezählt wurden. Um mich zu überzeugen, ob nicht durch mehrkernige Zellen ein Fehler herbeigeführt werde, habe ich bei einigen Präparaten, auch die mit Anilin gefärbten, deutlich hervortretenden Zellgrenzen auf dem Papier nachgezogen. (Dasselbe Verfahren ist in den Abbildungen beob- achtet). Man erhält dann dieselben Zahlen. Es ergiebt sich auf diese Weise, dass enthalten sind in: Blase. Im Cubikmillimeter. l. 621.000 05 605 - 000 IN]: 607-000 IV. 625-000 V. 775-000 vl: 775-000 daraus erkennt man schon, dass das Volum der einzelnen Zelle unter allen Verhältnissen, ob die Blase contrahirt oder ausgedehnt, der Hund gross oder klein sei, gleich gross bleibt. In der That berechnet sich: Das Volumen der Zelle In Blase in Cubik- u." Ik 1601 Il. 1650 111. 1647 IV. 1600 Ye 1290 VI 1290 ' Unter Cubik-u verstehe ich natürlich den Würfel von 0-001 Millimeter Seite, L Cubikmillimeter. alsc —— > 1.000-000-000 Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER FÜLLUNG DER BLASE. 329 Man könnte vielleicht glauben, dass die niederen Werthe, welche ich für die beiden grossen Hunde, den vier kleinen gegenüber gefunden habe, eine Bedeutung hätten. Ich glaube aber, dass diese Differenz noch in die Fehler- grenzen des Verfahrens fällt, und dass die enge Uebereinstimmung der ersten vier und der letzten beiden Werthe unter sich nicht verallgemeinert werden darf. Das Volum der Zelle ändert sich also nicht, wohl aber ihre Dimensionen. Dies kann man sich am besten deutlich machen, wenn man die Zahl der Zellen sich berechnet, welche die Flächeneinheit der Oberfläche bedecken. Die Rechnung ergiebt, dass auf das Quadratmillimeter in Blase der Oberfläche kommen 1. 91 700 11. 25 000 III. 8 500 IV. 2 500 ]. 17 000 Dale 17 000 2500 Zellen decken also in IV dieselbe Fläche, welche in I von 31700 bedeckt wird. Dabei ändert sich das Volum einer Zelle nicht. Werfen wir einen Blick auf unsere Abbildungen, so scheinen zwei Umstände uns dies Verhältniss zu erklären: 1) Die Abnahme der Zahl der Schichten. 2) Die Gestaltsveränderung jeder einzelnen Zelle. Während wir in I fünf Zellenschichten unterscheiden, sehen wir in IV nur eine und während in I die Zellen eine fast cylindrische Gestalt haben, erscheinen dieselben in IV als dünne Platten. Nun fragt es sich, wie wirken diese Momente zusammen. Man könnte zunächst glauben, die Zellen der oberen Schichten rückten zwischen die Zellen der unteren Schichten, welche auseinanderwichen um ihnen Platz zu machen und in zweiter Linie finde dann eine Abplattung der Zellen statt. Aber ein solcher Verlust des Zusammenhangs ist unwahrscheinlich. Betrachtet man die Präparate genauer, so sieht man, wie an dem scheinbar einschichtigen Epithel von IV blaue Linien von beiden Seiten her auf die Zellen hinaufgehen. Diese Linien sind Zellgrenzen, sie bedeuten, dass die Nachbar- zellen über diese Zelle hinweg noch zusammenhängen, durch allerdings sehr dünne Platten. Die Verminderung der Zahl der Schichten bezieht sich eben nur auf die Kerne, nicht aber auf die Zellen, und rührt nur daher, dass die Kerne in jeder einzelnen Schicht sehr weit auseinander gerückt und die dazwischen liegenden Zelltheile zu dünnen Platten ausgezogen sind. Man 330 LonpDon: Das BLASENEPITHEL BEI VERSCHIEDENER BLASENFÜLLUNG. wird sich dies Verhältniss an den beigegebenen Abbildungen leicht deut- lich machen. Wie in einer elastischen Membran, welche durch einen Druck gedehnt wird, rücken in dem Blasenepithel bei der Ausdehnung die einzelnen Theile auseinander, behalten aber ihren Zusammenhang und ihre relative Anord- nung und es ist leicht erklärlich wie alles wieder in die alte Ordnung zu- rückkehrt, wenn der Druck nachlässt. Aber in einer Beziehung ist das Verhältniss hier ein ganz anderes. Der Druck, welcher auf die Innenfläche des Epithels in der sich füllenden Blase wirkt, der es also nach dieser Vor- stellungsweise dehnt, ist viel geringer, als der in der sich contrahirenden Blase, bei dem es in seine Ruhelage zurückkehrt. Diese Rückkehr kann durch die Compression der sich contrahirenden Musculatur nicht bewirkt werden, diese würde nur eine Faltung oder Wulstung herbeiführen. Wir können uns auch nicht mit der Erklärung helfen, dass erst nachdem durch Muskelkräfte zuerst die Blase entleert, und damit der auf die Innenfläche des Epithels lastende Druck beseitigt sei, das Epithel in die Ruhelage über- gehe. Denn thatsächlich ist es nicht so. In demselben Maasse wie die Blase sich entleert, während der Druck in ihr also noch hoch ist, wird das Epithel dieker. Es ist daher die Vermuthung gerechfertigt, dass das Epithel während der Contraction der Blase mit einer höheren Elastieität begabt ist, als während der Ausdehnung derselben. Dann würden sich die Er- scheinungen der Formveränderungen des ganzen Epithels wie der einzelnen Zellen am ungezwungensten erklären. Zum Schluss sei mir die Bemerkung gestattet, dass ich diese Unter- suchung durchweg nach den Rathschlägen von Hrn. Dr. Gaule ausge- führt habe. Leipzig, 7. März 1880. Studien über die Innervation der Athembewegungen. Mitgetheilt von Dr. ©. Langendorff. Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg. Vierte Mittheilung. Periodische Athmung nach Muscarin- und Digitalinvergiftung. Die Beobachtung, dass bei Fröschen die Abschneidung der Blutzufuhr von den Nervencentren bestimmte Veränderungen der Athmung zur Folge hat, ! musste dazu auffordern, die gebräuchlichen Herzgifte auf etwaige secundäre respiratorische Wirkungen zu untersuchen. Wir wählten dazu zwei sicher Herzstillstand herbeiführende Gifte, das Muscarin und das Digi- talin. Unseren neugewonnenen Kenntnissen zufolge musste sowohl der durch das erstere hervorgebrachte diastolische, wie der durch das Digitalin erzeugte systolische Stillstand die Athınung der vergifteten Frösche perio- disch machen. Die von uns angestellten Versuche haben diese Annahme sofort bestätigt, freilich für das Fliegenpilzeift in einer Weise, die wir nicht erwartet hatten. Vergiftung mit Muscarin. Hat man einem Frosche subeutan eine minimale Dosis des freien Al- kaloids beigebracht,” und ist anhaltender diastolischer Stillstand des Her- zens erfolgt, so sieht man alsbald die Athmung eben so periodisch werden, wie wenn man das Herz ausgeschnitten oder die Aorten unter- bunden hätte. Auch hier nehmen die Pausen schnell an Länge zu, die ı Vgl. die dritte Mittheilung. Dies Archiv. 1881. 8. 241. ° Wir benutzten ein bereits längere Zeit aufbewahrtes, an der Luft zerflossenes Präparat, bei dem genaue Dosirung unmöglich war. 332 OÖ. LANGENDORFF: Zahl der zu je einer Gruppe vereinigten Athmungen ab; baid treten nur noch einzelne seltene Athmungen auf, und schliesslich erlöschen auch diese. In manchen Fällen kann (bei sehr kleiner Dosis) Herz und Athmung sich im Laufe von 24 Stunden wieder erholen. Nichts ist natürlicher, als dieses Auftreten der periodischen Athmung auf den Herzstillstand zurückzuführen, in ihm nichts als eine Bestätigung der früher mitgetheilten Versuche zu sehen. Die Folge lehrte, dass eine solche Auffassung eine durchaus irrthüm- liche ist. Die periodische Athmung ist nicht Folge des Herz- stillstandes, sondern beruht auf einer direeten Wirkung des Giftes auf die Athmung. Das Hülfsmittel, das zu dieser Erkenntniss geführt hat, ist das Atropin. Giebt man einem Frosche, der in Folge von Muscarinvergiftung periodisch athmet, eine kleine Menge Atropin (0-0005—0-0015) subeutan, so beginnt zwar das Herz sehr bald wieder lebhaft zu schlagen, die Athmung aber bleibt periodisch, und kann sogar allmählich erlöschen. Es wäre voreilig, daraus bereits den Schluss zu ziehen, dass die Ein- wirkung des Giftes auf die Athmung keine secundäre, keine durch den Herzstillstand bedingte sein könne. Es wäre möglich, dass durch den wenn auch nur kurzdauernden Herzstillstand die Ernährung des Athmungscen- trums derartig geschädigt worden wäre, dass es nicht mehr in normaler Weise zu fungiren vermöchte. Werden diese Bedenken aber schon durch unsere früheren Erfahrungen über kurzdauernde Aortenabklemmung und deren rasch vorübergehende Folgen zurückgewiesen, so macht sie die folgende Thatsache vollends unmöglich. Man injicire einem Frosche einen oder einige Tropfen einer 1 procentigen Atropinlösung in einen Lymphsack, vergifte ihn darauf mit Muscarin. Man sieht dann das Herz ruhig weiter schlagen, während sich nach kurzem Zeit- raume eine ganz typische periodische Athmung ausbildet. Hier hat also das Herz überhaupt nicht stillgestanden; von seiner Seite konnte also eine ver- derbliche Wirkung auf das Athmungscentrum nicht ausgeübt werden. Dass das Atropin vollständig unschuldig ist, davon habe ich mich wiederholt überzeugt. Selbst grössere Dosen liessen die Athmung unver- ändert. Es bleibt somit nichts übrig, als dem Muscarin die Fähigkeit zu- zuschreiben, beim Frosche die Rhythmicität der Athmung zu vernichten, und statt derselben einen periodisch aussetzenden Athmungsmodus herbei- zuführen. Hat man bei combinirter Vergiftung eine schwache Muscarin- dosis gewählt (die Atropingabe darf in weiten Grenzen variiren), so kann sich das Thier im Laufe mehrerer Stunden völlig erholen, die Athmung ihren normalen Rhythmus wiedergewinnen. War die Dosis gross, so werden die Gruppen immer kürzer, und schliesslich sistirt die Athmung STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 335 bei lebhaft schlagendem Herzen für immer. Mittelstarke Muscarin- mengen lassen das Phänomen der periodischen Athmung tagelang be- stehen. Einem Frosche, den ich um 9'/," Morgens mit einigen Tropfen Atropin vergiftet hatte, wurde um 10!/," etwas Muscarin beigebracht. Bald entwickelte sich deutlich Periodik. Das Herz schlug um 12% 7 mal in in 15”. Die Reflexerregbarkeit war schwach. Am nächsten Morgen war das Thier ganz munter, Reflexerregbarkeit völlig zurückgekehrt, das Herz schlug 16—19mal im 30°. Die periodische Athmung bestand, wie am Tage zuvor. Die Pausen betrugen mehrere Minuten. Gegen Ende jeder Pause lösten Hautreize Athmungsgruppen aus. Weitere 24 Stunden später war Athmung ganz normal geworden (13 Respirationen in 30°). Zu bemerken ist, dass bei Muscarinfröschen die Athmungsgruppen für gewöhn- lich den Charakter der auf- und absteigenden Treppe nicht zeigen. Wir besitzen somit im Muscarin ein Mittel, die Athmung bei Fröschen periodisch zu machen; Atropin wirkt gegenüber diesem Einflusse des Fliegenpilzgiftes nicht antagonistisch. Wodurch das Muscarin in dieser Weise wirkt, dürfte sich vor der Hand kaum mit Sicherheit angeben lassen. Unserer Auffassung zufolge! beruht das Auftreten des gruppen- weisen Athmungsmodus auf einer übergrossen Erschöpfbarkeit des Athmungs- centrums. Eine solche kann bedingt sein entweder durch einen Mangel an disponiblen Spannkräften (ungenügende Ernährung), oder durch einen abnorm grossen Widerstand, den die Athmungsinnervation zu überwinden hat, und an dem sich die disponible Kraft schnell aufreibt. Dauernd ver- mehrte Hemmungspulse werden somit die Athmung in ähnlicher Weise zu modificiren vermögen, wie die durch Abschneidung der Blutzufuhr ge- störte Ernährung. Ich vermuthe, dass die respiratorische Muscarinwirkung (soweit es sich um die periodische Athmung handelt) darauf beruht, dass die ath- mungshemmenden CGentren durch das Gift in ähnlicher Weise gereizt werden, wie die Herzhemmungsapparate. Diese Ver- muthung zur Gewissheit zu erheben, dürfte schwer halten, da eine directe Ernährungsstörung des verlängerten Markes sich kaum je mit Sicherheit ausschliessen lassen wird. Vielleicht schaffen Versuche an Warmblütern hier einige Klarheit. Der definitive Athmungsstillstand ist wohl durch eine Lähmung des Athmungscentrums bedingt. ! Siehe die dritte Mittheilung, a. a. ©. 334 OÖ. LANGENDORFF: Die hier geäusserte Anschauung über die Entstehung der Athmungs- periodieität durch Vermehrung der hemmenden Kräfte bedarf einer näheren Ausführung und Begründung. Ich werde sie bei späterer Gelegenheit zu geben versuchen. Für diesmal sei nur angedeutet, dass gewisse Erfah- rungen über die Entstehung des Cheyne-Stokes’schen Phänomens bei Menschen und Säugethieren mit meiner hypothetischen Deutung sehr wohl im Einklang zu stehen scheinen. Hierher möchte ich das Auftreten dieser Athmungsform bei Basilarmenineitis,! hierher die ähnlichen Erscheinungen rechnen, die zuweilen in Folge von Chloroforminhalation bei narkotisirten Ka- ninchen auftreten. In dem einen Falle ist das respiratorische Hemmungs- centrum im verlängerten Marke, in dem anderen der N. trigeminus der Nasenschleimhaut der Angriffspunkt für den hemmenden Reiz. Ganz ver- schieden davon sind die Ursachen für die Entstehung des gleichen Ath- mungsphänomens bei Herzkranken. Hier wird es sich um eine wahre Er- nährungsstörung der Athmungscentren handeln. Vergiftung mit Digitalin. In wesentlich anderer Weise wie das Muscarin scheint dieses Gift auf die Athmung zu wirken. Hat ‘man einem Frosche eine Dosis beigebracht, welche hinreichend ist, um systolischen Stillstand des Herzens herbeizuführen, so sieht man an der Athmung der Reihe nach sich dieselben Erscheinungen abspielen, wie sie nach Aortenunterbindung einzutreten pflegen. Die Periodieität der Respirationen beginnt zumeist vor dem vollständigen Herzstillstande, in einem Stadium der Giftwirkung, das sich durch langdauernde Contractionen und durch kurze und unvollständige, oft nur partielle, Diastole des Herz- muskels auszeichnen. Die Gruppenbildung ist öfters nicht gleich An- fangs eine reine; sondern in sehr charakteristischer Weise treten hier jene Formen auf, die wir bei Salzfröschen studirt, und mit dem Namen der „aufgelösten Gruppen“ bezeichnet haben. Sie gehen in die wahre perio- dische Athmung über. Auch andere Uebergangsformen kommen vor. Im Gegensatze zu den bei der Muscarinvergiftung beobachteten Gruppen ist hier der Charakter der „aufsteigenden Treppe“ sehr ausgesprochen. In den Pausen lösen Reize, falls sie nicht in den Anfang der Pause fallen, stets Athmungsgruppen aus. ! Leyden hat dem Stokes’schen Phänomen ähnliche Anfälle bei experimen- teller Steigerung des Hirndruckes beobachtet. (Virchow’s Archiv u. 5. w. Bd. XXXVIL S. 554. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 335 Was die Erklärung der gruppenweisen Athmung bei Dieitalinvergiftung anlangt, so glaube ich hier nur eine secundäre Wirkung annehmen zu können: die @ruppenbildung ist Folge des Herzstillstandes. Dazu bewegt mich: 1) Der Charakter der Athmungsgruppen (aufsteigende Treppe), der, verschieden von dem der Muscaringruppen, ganz mit dem bei Aortenunter- bindung beobachteten übereinstimmt. 2) Die während des Beeinns der periodischen Athmung vorhandene Integrität der Rückenmarksfunctionen, von denen man doch eine gewisse Solidarität mit der Athmung voraussetzen darf. Ich stelle nicht in Abrede, dass in späteren Stadien das Digitalin als echtes Gangliengift auch das Athmunescentrum direct beeinflusst. Es tritt später, oft sogar nach Wieder- kehr der Herzpulsationen, eine gänzliche respiratorische Lähmung ein. Gleichzeitig sind aber die Rückenmarksreflexe gänzlich oder beimahe voll- ständig geschwunden. 3) Die Athmung bleibt trotz hoher Dieitalindosen vollständige unbe- einträchtigt, so lange nicht die zu einer erheblichen Beeinträchtigung oder zur gänzlichen Aufhebung des Kreislaufs führenden oben genannten Ver- änderungen der Herzthätiekeit eingetreten sind. Bei blosser Verlangsamung der Herzaction entsteht niemals periodisches Athmen. — Freilich muss ich zugeben, dass alle die angeführten Gründe keine Beweise sind. Solche dürften aber überhaupt kaum zu erbringen sein, so lange wir kein sicheres Mittel kennen, den Einfluss der Digitalis auf das Herz auszuschliessen, ohne dabei die sonstigen Wirksamkeit ‘des Giftes zu hindern. Die hier mitgetheilten Versuche sind sämmtlich mit Zuhülfenahme der graphischen Methode unter Mitwirkung der Studd. HH. Kah und Waener angestellt. Königsberg i. Pr., im März 1881. Ueber die Mischung von Spectralfarben. Von M. v. Frey und J. v. Kries. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. Ueber die Erscheinungen, welche bei der Mischung verschiedener Licht- arten eintreten, sind wir zwar bis zu einem gewissen Grade, doch aber nicht so vollständig unterrichtet, dass wir jede sich erhebende Frage zu beant- worten im Stande wären. Eine systematische Untersuchung der durch das ganze Spectrum stattfindenden Mischungsbeziehungen ist quantitativ, so viel uns bekannt, nur von Maxwell! durchgeführt worden. Obwohl die von Maxwell mitgetheilten Resultate in dem Sinne als vollständig bezeichnet werden müssen, dass sie (wenigstens mit Bezug auf die zwei Beobachter) alle etwa aufzuwerfenden Fragen beantworten, so wird doch der Werth der- selben dadurch sehr beeinträchtigt, dass manche (und zwar ganz besonders interessante) Punkte sich nur sehr indireet aus den Beobachtungen herleiten und daher nicht als sicher betrachtet werden können. So ist z. B. schon aus den Untersuchungen von J. J. Müller? bekannt, dass man auch nicht annähernd (wie Müller glaubt) aus Roth und Indigo ein Violett von an- nähernd spectraler Sättigung mischen kann. Zu der Vornahme neuer Unter- suchungen wurden wir theils durch den Wunsch veranlasst, eine Reihe quantitativer definirter Mischungsgleichungen in Bezug auf weisses Tages- licht durch directe Beobachtung zu gewinnen, theils auch durch die Hoff- nung, hierbei etwas Genaueres über die individuellen Verschiedenheiten zu erfahren, welche sich, wie schon lange bekannt, bei solchen Beobachtungen kundgeben. Gerade in jüngster Zeit ist ja durch die Beobachtungen über I Philosophical Tramsactions ete. 1860. ” Archiv fir Ophthalmologie. Bd. XV. M. v. Frey v. J. v. Krıes: ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 337 die Verwechselungsgleichungen Farbenblinder das Interesse auf diese Dif- ferenzen gelenkt worden.! Es kam darauf an, einmal Complementärfarben zu Weiss zusammen- zusetzen, sodann die brechbarere Hälfte des Spectrums aus Grün und Violett, die weniger brechbare aus Roth und Grün zu mischen und zwar jedesmal unter quantitativer Bestimmung aller in die Mischungsgleichungen ein- gehenden Werthe. Es war also erforderlich, von zwei aneinanderstossenden Feldern das eine mit einer Mischung von zwei Spectralfarben, das andere mit einer Spectralfarbe und unzerlegtem. Weiss erleuchten, ausserdem für alle homogenen Lichter sowohl Quantität als Wellenlänge, für das unzer- leste Weiss die Quantität beliebig abstufen zu können: Die benutzte Methode Do | NN I j Ü | 1 1 [ | E re } $| |$ = a, a b u u) ı| 1 kuuy ie ( iuumyyl] ZT ER mr N | N TE 1 ı ı { ! [ x BE INNIININ III | EN NUNUNNNNIKUNUN NT Im Biol. der Liehtmischung schloss sich der von dem einen von uns früher beschrie- benen im Prineip an, war aber erheblich vervollkommnet. Ein vor dem Fenster des Dunkelzimmers aufgestelltes, vom diffusen Tageslicht beleuchtetes weisses Papierblatt (Cartonpapier) dient als Lichtquelle; es schiekt Lieht durch vier verticale Spalten, welche in einem Schirm (Fig. 1, !/, der nat. Grösse) ange- bracht und im den Fensterladen eingesetzt sind. Zwei dieser Spalten stehen in gleicher Höhe, die dritte ist über, die vierte unter ihnen angebracht. Wir wollen sie als Objeetivspalten bezeichnen 8, 8, S, 8,. In einem Abstand von 150° ist der Spectralapparat aufgestellt; derselbe enthält ausser einem grossen gleichseitigen Flintglasprima ein Collimatorrohr mit Linse von 150°® Brennweite, von dem zu ihm gehörigen Fernrohr aber nur das " Vgl.u.a. J.v.Kries und Küster, Ueber angeborene Farbenblindheit. Dies Archiv 1879 S. 513. — Hering, Die Erklärung der Farbenblindheit und die Theorie der Gegenfarben. Lotos 1880. Archiv f. A, u. Ph. 1881. Physiol, Abthlg. 92 338 M. v. Frey unD J. v. Kries: Objectiv von 40°” Brennweite, während das Ocular entfernt ist. An Stelle des Oculars ist eine Kapsel in das Rohr eingeschoben, welche einen kleinen, rechteckigen Spalt von 4””® Höhe und 0.8”” Breite, den Ocularspalt, enthält. Wenn ein Spectrum auf diesen entworfen und das beobachtende Auge hinter ihn gebracht wird, so sieht es die Linse mit derjenigen Farbe erleuchtet, welche der Spalt aus dem Spectrum ausschneidet. Wir verfolgen zunächst die Mischung zweier Spectralfarben, welche von S, und S, geliefert Fig. 2. werden. Der Modus derselben ist in dem schematischen Horizontalschnitt des Apparates (Fig. 2) dargestellt. S, und $S, sind im Querschnitt ange- deutet; die ausgezogenen Linien stellen das von 8,, die punktirten das von $, ausgehende Licht vor. Collimatorlinse ©, Prisma P und Öbjectiv Z ent- werfen von S, und S, Specetren, >, und >,, welche sich, je nach dem Horizontalabstande der zwei Spalten, mehr oder weniger decken. Der Ocular- spalt O schneidet aus beiden ein schmales Stück aus. Wird nun das Auge hinter denselben gebracht, so sieht es die Linse Z gleichmässig erleuchtet mit einer Mischung von zwei Lichtern; das eine gehört dem Spectrum >, an und rührt von 8, her, das andere gehört dem Spectrum >, an und rührt von $, her. ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 339 Für die Herstellung der beiden Felder über einander dient die folgende, durch den schematischen Verticalschnitt (Fig. 3) erläuterte Methode. Der Objectivlinse Z wird ein Doppelprisma vorgesetzt, welches von der Fläche gesehen Fig. 4, im Verticalschnitt aber Fig. 3 D zeigt. Es sind, wie man sieht, zwei halbkreisföürmige Stücke zusammengesetzt, welche im horizontalen Durchmesser zusammenstossen. Beide Stücke gehören Prismen an, und die brechenden Kanten beider Prismen liegen horizontal, aber die des oberen Stückes liest nach unten, die des unteren Stückes nach oben. Demnach werden: alle Strahlen, welche die obere Hälfte durchsetzen, nach oben, diejenigen, welche die untere Hälfte durchsetzen, nach unten abgelenkt. Die Folge hiervon ist, dass von jedem Spalt zwei Speetren entworfen werden, von denen das Fig. 3. Fig. 4. eine um einen gewissen Werth über dem anderen liest. Man sieht in Fig. 3 wie nun demgemäss ein von 8, entworfenes Spectrum in gleiche Höhe mit einem von 8, und 8, entworfenen fällt. Es schneidet daher der Ocularspalt jetzt Streifen aus drei Spectren aus; zwei derselben (3, ., in Fig. 3) gehören den beiden Spalten $S, und 8, an und erhalten ihr Lieht durch die untere Hälfte des Doppelprismas, eins aber ($,) gehört $, an und erhält sein Licht durch die obere Hälfte desselben. Das hinter O befindliche Auge sieht nun- mehr das untere Feld erleuchtet mit der Mischung der beiden Lichter, welche bez, aus I, und >, ausgeschnitten werden, das obere mit dem- jenigen Licht, welches aus I‘, ausgeschnitten ist. Zu der richtigen Aufstellung des Apparates gehört, wie bekannt, dass die reellen Spectren mit dem Ocularspalt genau zusammenfallen, die Ränder desselben den Fraunhofer’schen Linien parallel sind, dass das Prisma für die Strahlen mittlerer Brechbarkeit im Minimum der Ablenkung steht u. s. w. 22% 340 M. v. FrEY unD J. v. KriEs: Sobald dies erreicht ist, kann man die Scala bestimmen, d. h. die Orte auf der Scala des Schirms aufsuchen, welche die Spalten haben müssen, damit bestimmte Linien in der Mitte des Ocularspalts erscheinen. Hieraus ergeben sich dann durch Interpolation die Wellenlängen, welche bei jeder beliebigen Stellung der Objectivspalten auf den Ocularspalt treffen. Die Erleuchtung eines Feldes mit unzerlestem weissem Licht endlich ist aus Fig. 2 ersichtlich. Der Spalt $, wird von einem Reflexionsprisma oder einem schwarzen Spiegel Z% so gespiegelt, dass sein Licht durch die- jenige Oeffnung des Spectralapparates, welche für gewöhnlich die Scala trägt, geworfen wird. Es wird an der Seitenfläche des Prisma’s nochmals reflectirt und ‚fällt durch die Objectivlinse und das Doppelprisma, wodurch zwei übereinanderstehende reelle Bilder von $S, erzeugt werden. Bei passen- der Stellung des Spiegels 2 erreicht man es leicht, dass eines dieser Bilder in den Ocularspalt fällt; alsdann erscheint das eine der beiden Felder gleich- mässig weiss erleuchtet. Wie man sieht, sind bei dieser Methode die sämmt- lichen Lichter, welche in’s Auge gelangen sollen, in dem sehr schmalen Ocular- spalt vereinigt, und sie divergiren auch von demselben aus nur sehr schwach. Dadurch sind kleine Verschiebungen des Auges für die Beobachtung un- ° schädlich gemacht. Ausserdem ist die Methode der früheren gegenüber durch die bedeutend grössere Ausdehnung der hellen Felder verbessert. Sämmtliche Spalte des Schirmes sind in horizontaler Richtung ver- schieblich und ihre Stellung kann an angebrachten Millimeterscalen abge- lesen werden. Die Weiten der Spalte werden dagegen an Scalen von !/, ”” Theilung abgelesen und sonach mit voller Sicherheit auf !/,,”” geschätzt. Es sind durch diese Anordnung alle erforderlichen Mischungen aus- führbar; das untere Feld wird mit zwei Spectralfarben, das obere mit einer und Weiss erleuchtet, überdies sind alle Lichter sowohl der Quantität als auch der Wellenlänge nach beliebig stetig veränderlich. Die Regulirung der Quantitäten wird durch die Weite der Objectivspalte, die Regulirung der Wellenlängen durch deren horizontale Verschiebung besorgt. Eine besondere Einrichtung ist erforderlich, um die beiden Spalte S, und $, in verschiedene Entfernung von einander bringen zu können, ohne dass zwischen ihnen eine Lücke entsteht. Denn natürlich muss das Grundbrett des Schirmes über die ganze Breite ihres Spielraums ausge- schnitten sein, damit bei jeder Stellung Licht durch sie fallen kann. Um die Lücke stets zu schliessen und dabei doch Beweglichkeit zu ermöglichen, dienen Deckstücke, welche an den Spaltschlitten befestigt sind, den Zwischen- raum schliessen und bei Verschiebungen der Spalte auf einander gleiten. Die Einrichtung muss, um lichtdicht zu schliessen, sehr sauber gearbeitet sein, genügt dann aber allen Ansprüchen vollkommen. U er Es erübrigt über die quantitative Bestimmung der einzelnen Lichter ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 341 einige Worte zu sagen. Bekanntlich kann man die Intensität von Licht verschiedener Wellenlängen nicht ohne Weiteres objectiv mit einander ver- gleichen. Dies ist indessen für den vorliegenden Zweck auch nicht erforder- lich; vielmehr handelt es sich nur darum, für jede Wellenlänge eine con- stante stets wieder herzustellende, im Uebrigen aber conventionelle Einheit zu besitzen. Eine solche ist nun, sobald man eine gleichartige Lichtquelle besitzt, durch die Helligkeit des Spectrums an jeder einzelnen Stelle ge- geben. In unserem Falle ist die Intensität, mit welcher das eine der hellen Felder in einer bestimmten Wellenlänge erleuchtet wird, direet proportional der Weite des Objectivspaltes und ebenso der des Ocularspaltes. Dem Pro- duct aus diesen beiden Werthen kann man also die betreffende Lichtquantiät einfach gleichsetzen. Bedient man sich solcher conventioneller Einheiten, so ist natürlich darauf zu achten, dass sie, in ihrem Verhältniss zu einander, unverändert bleiben. Hieraus ergeben sich zwei Bemerkungen: eine Gleichung die für eine Lichtquelle, z. B. Tageslicht, giltig ist, wird für ein anderes Lieht nicht mehr zutreffen, weil die relativen Intensitäten der einzelnen Wellenlängen andere sein müssen. Das Tageslicht entspricht den in dieser Beziehung zu stellenden Anforderungen zwar annähernd, aber nicht voll- kommen. So zeigte sich uns z. B. eine Verschiedenheit der Gleichungen, je ' nach dem bei ganz bedecktem oder bei blauem Himmel gearbeitet wurde, woran zu sehen ist, dass das von unserem Papierblatte ausgesandte Licht in diesen beiden Fällen nicht genau gleich zusammengesetzt war. Zweitens hängt die Grösse unserer Einheiten ab von der Vertheilung der Dispersion innerhalb des Spectrums; in der That wird bei sonst gleichen Umständen eine bestimmte Stelle des Spectrums um so heller sein, je schwächer an ihr die Dispersion ist. Bei derselben Lichtquelle also könnten Gleichungen, die sich auf ein prismatisches Spectrum beziehen, nicht übertragen werden auf ein Beugungs-Spectrum. Bei einer Mischung von Weiss z. B. aus Gelb und Blau würde im Beugungs-Spectrum relativ weniger Blau erfordert werden, weil im prismatischen Spectrum, wie bekannt, die Dispersion gegen das brechbarere Ende immer stärker und somit das Spectrum immer lichtschwächer wird. Indessen wird hierdurch die Vergleichbarkeit unserer Resultate mit anderen nicht wesentlich eingeschränkt, da die Ver- theilung der Dispersionen für Flintglasprismen nicht sehr erheblich varürt, ausserdem aber auch die Angabe der Lage der Fraunhofer’schen Linien auf der Scala die Dispersion ausreichend bestimmt. Die erste Reihe von Untersuchungen, welche wir vornahmen, betraf die directe Bestimmung der Complementärfarben. Dieselben wurden in der Weise ausgeführt, dass die eine der beiden complementären Farben ihrer Qualität und Quantität nach als gegeben betrachtet wurde. Der Beobach- tende hatte nun die Aufgabe diesem Lichte ein anderes so zuzumischen, dass 342 M. v. Frey uno J. v. Krıes: das Feld dem darüber befindlichen weissen vollkommen gleich wurde. Zu diesem Zwecke muss dreierlei regulirt werden: erstens die Qualität der zu- zumischenden Farbe, was durch Verschiebung des zweiten Spaltes geschieht; zweitens die Quantität derselben, durch Regulirung der Weite des Spaltes; drittens die Helligkeit des weissen Feldes durch Regulirung der Weite von $,. Dies Alles besorgte, während der Eine beobachtete, der Andere nach des ersteren Commando. Die Aufgabe, beide Felder genau gleich zu erhalten, ist aus bekannten Gründen keineswegs leicht; sie wird noch erschwert durch einen, bisher wenig gewürdigten Umstand, auf welchen wir gleich zu sprechen kommen werden. Es genüge einstweilen zu bemerken, dass die Abgleichung der Felder mit äusserster Sorgfalt geschah und jedesmal mit ausgeruhtem Auge wieder controlirt wurde. Die Resultate zweier Beobachtungsreihen geben die Tabellen I—IV. Wir bezeichnen in den Tabellen die Farben einfach durch den Ort des betreffenden, sie liefernden Spaltes auf der Scala des Schirmes. Die Mitte desselben ist der Null- Punkt, die Entfernungen nach links sind mit —, die nach rechts mit + bezeichnet. Zur Orientirung ist nur erforderlich, zu wissen, wo die wichtigsten Fraunhofer’schen Linien liegen. Es entspricht —56:8 — 974 D. — 10.5 E. +15.0 FE +68-1 @. Die Quantitäts-Angaben sind, den obigen Bemerkungen zu Folge, ein- fach die Weiten der Objectivspalte in Millimetern. So bedeutet also z. B. die Gleichung 1:0. 56.8) 72.01 14.9, 1.492 dass Roth von der C-Linie und Blaugrün von etwas grösserer Wellenlänge als # complementär sind; dass sie, um Weiss zu geben, im Verhältniss 1:2 gemischt werden müssen, und dass diese Mischung eine Helligkeit hat, welcher das weisse Feld bei 1.4”” Weite des Spaltes S, gleich- kommt. Die Tabellen I und II geben die Mittel je zweier Beobachtungsreihen, welche bei blauem Himmel angestellt wurden, III und IV dagegen beziehen sich auf gleichmässig weiss bedeckten Himmel. ÜBER DIE MiscHUNG VON SPECTRALFARBEN. 343 Tabelle I. Tabelle II. (Beobachter Frey.) (Beobachter Kries.) = + — + 1-0 (56-8) + 2-0 (14-4) =1-4 W. 1:0 (56-8) +2-2 (9-0) =1-3 W. 0-2 (48-8) +1-15(14-2) = 0-8 „ 0-2 (48-8) +1-4 (9-2) =0-9 „ 0-2 (44-8) +1-35(14-9) = 1-0 0-2 (48-8) +15 (9-9) =1-0 „ 0-2 (40-8) + 1-85 (15-7) =1-0 „ 0-2 (40-8) +1-45(10-9) =1-0 „ 0-2 (86-8) +0-8 (18-6) = 0-9, 0-2 (86-8) + 1:15. (14-45) = 0-95 „ 0-2 (82-8) + 0-4 (28-7) = 0-7 0-2 (82-8) + 0-5 (27-0) 0.7 „ 0-2 (85-1) +0-8 (21-0) = 1-0 0-2 (86-4) +0-8 (17-0) =0-8 „ 0-3 (82-7) #08 (25-0) =1:0 „ |: 03 (3 +0-8 (21:0) -1:0 „ 0-4 (31:6) +0-8 (29-0) =1-3 „ 0-3 (82-9) +0-8 (25-0) = 1-1 0-4 (81-2) +0-8 (83-0) =1-15 „ 0-3 (82-2) +0-8 (29.0) =1-2 , 0-4 (30-7) +0-8 (87-0) =1:2 „ 0-3 (32-0) +0-8 (83-0) =1-15 „ 0-4 (80-0) +0-8 (45-0) = 1-15 „. 0-3 (831-6) + 0-8 (37-0) = 1-2 0-4 (29-9) +1-2 (57-0) =1:25 „ 0-3 (81-5) +08 (45-0) = 1-05 0-3 (29-7) +2-0 (69-0) = 1-05, 0-35/@1-25) + 1-2 (57.0) =1-3 , 0-3 (31-25) + 2:0 (69-0) = 1-0 Tabelle III. Tabelle IV. (Beobachter Frey.) (Beobachter Kries.) — + = + 1-0 (56-8) + 1-85 (15-65) = 1-55 W. | 1-0 (56-8) + 2-15 (15-05) = 1-55 W. 0-4 (48-8) + 2-15(16-2) =1-75 „ 0-4 (48-8) +2-4 (10-25) = 1-75 „, 0:2 (44-8) +1-25(17-.0) 1:2 „ 0-2 (44-8) + 1-6 (12-3) =1-05 „ 0-2 (40-8) +1-15(18-4) =1-2 „ 0-2 (40-8) +1-55(13-65)=1-5 „ 0-2 (86-8) +0-8 (20-8) =1-1 „ 0-2 (86-8) +1:15(16-0)=1-1 „ 0:2 (86-5) + 0-8. (21-0) =0-9 „ 0-2 (33-85) + 0-8 (21-0) = 0-9 „ 0-25(83-1) + 0-8 (25-0) =1-15 „ 0-25 (32-75) + 0-8 (25-0) = 1-15 „ 0-35 (31-15) + 0-8 (29-0) =1-3 , 0-3 (81-7) +08 (29-0) = 1-25 „ 0-35 (80-35) + 0-8 (83-0) =1-3 „ 0:3 (81-2) +08 (83-0) =1-8 „ 0-4 (29-65) + 0-8 (37-0) = 1-3 ,, 0-3 (80-5) +0-8 (37-0) =13 „, 0-55(29-83) + 1-2 (45-0) =2-1 „ 0-5 (80-45) + 1-2 (45-0) =1-9 „ 0-4 (28-55) +12 (57-0) =1-5 „ 0-4 (80-2) +1-2 (57-0) =1-5 „ 0-35 (28-6) + 2-0 (69-0) = 1-15 „ 0-3 (80-1) + 2-0 (69-0) =1:25 „ Die in diesen Tabellen niedergelegten Resultate werden übersichtlich dargestellt durch die Figuren 1 und 2. Es sind bei dieser graphischen Darstellung die Orte der weniger brechbaren Complementärfarbe als Ab- scissen und die Orte der zugehörigen anderen als Ordinaten aufgetragen. Fig. 1 stellt Tab. I und I dar, bezieht sich also auf das Tageslicht bei blauem Himmel. Fig. 2 stellt Tab. III und IV dar, bezieht sich also auf das Tageslicht bei Wolkenhimmel. In beiden Figuren stellt die aus- gezogene Curve die auf Fr. und die punktirte die auf Kr. bezüglichen Re- sultate dar. 344 M. v. Frey uxD J. v. Kriıks: Die Figuren gestat- ten in einfacher Weise zu erkennen, wie sich der Abstand der Complemen- tärfarben im Spectrum von einander für die bei- den Beobachter verhält. Er ist für Fr. grösser als für Kr., so lange die eine Complementärfarbe weni- ger brechbar ist als etwa D, d.h. also zwischen Goldgelb und dem äusser- sten Roth liest. Der Ab- stand wird dann bei Gelb- Blau für beide gleich. Ist endlich die weniger brech- bare Farbe nach rechts von D in’s Grünlichgelb gerückt, so ist der Ab- stand für Kr. grösser als für Fr. Dieses Verhältniss giebt sich bei den Ver- ‚suchen in folgender Weise kund. Eine Mischung, deren Elemente einander etwas näher liegen als Complementärfarben, er- schemt grünlich, eine solche dagegen, deren Elemente etwas weiter von einander abstehen, als Complementärfarben, erscheint purpur. Es giebt nun nur ein Complemen- tärfarben-Paar, welches für uns Beide dasselbe ist, nämlich ein gewisses (Gelb-Blau, etwa — (82) + (25); die weniger brech- baren Paare erscheinen ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 345 für Fr. grünlich, wenn sie für Kr. richtig complementär sind, umgekehrt für Kr. purpur, wenn sie für Fr. richtig sind. Das entgegengesetzte Ver- halten zeigt sich bei den brechbareren Paaren. Wir ersehen hieraus zunächst, dass die individuelle Differenz eine un- erwartet grosse Regelmässigkeit zeigt. Dies wird uns die Möglichkeit ge- währen, über ihre Ursachen einige Vermuthungen aufzustellen. Die scheinbar nächstliegende Annahme ist die, dass die einzelnen Com- ponenten des Erregungsvorganges (mögen wir nun solche im Helmholtz’- schen; im Hering’schen, oder irgend einem anderen Sinne annehmen) bei verschiedenen Individuen in ungleicher Weise gegen die verschiedenen Wellenlängen erregbar sind, dass also die „Erregbarkeitscurven“ (Helm- holtz, Physiologische Optik, S. 291), welche die relative Erregungs- stärke als Function der Wellenlänge darstellen, individuell verschieden sind. Diese Annahme kann selbstverständlich alle Erscheinungen erklären. Aber es scheint uns dieselbe wenig Ansprechendes zu haben, denn wenn man sich die Erregung als eine photochemische denkt, so wird man wohl zumeist ge- neigt sein, die lichtempfind- lichen Substanzen als in allen Individuen dieselben vorzu- stellen, wonach individuelle Differenzen der Erreebarkeits- curven schwer denkbar werden. Die Mischung mehrerer licht- empfindlichen Substanzen in individuell verschiedenen Men- genverhältnissen würde nicht unter allen Umständen Verschiedenheit der Farbengleichungen ergeben. Viel einfacher ist es die Ursache der fraglichen Erscheinung in einem absorbirenden Medium zu suchen, welches die Zusammensetzung des an die lichtempfindlichen Theile gelangenden Lichtes beeinflusst. Die Wirksamkeit dieses Momentes wollen wir etwas genauer betrachten. Wir bedienen uns zu diesem Zwecke der bekannten Newton’schen Construction und unter- suchen die Veränderungen der Complementärsgleichungen, wenn das Weiss durch irgend ein absorbirendes Medium verändert wird. Nehmen wir an, es sei Fig. 3 die für das ursprüngliche Weiss richtig construirte Farbentafel, R, Gr, V und W die Orte bez. des Roth, Grün, Violett und Weiss. In W schneiden sich bekanntermaassen die Linien, welche complementäre Farben- paare verbinden. Es werde nun das Weiss durch ein absorbirendes Medium so verändert, dass der Ort der veränderten Farbe in unserer Farbentafel W’ 346 M. v. FREY unD J. v. Kries: ist. Gleichzeitig werden auch die Orte aller complementären Farben- mischungen verändert werden. Wenn ©, und O, eine solche Mischung war, deren Ort also ursprünglich in W lag, so wird jetzt C, und C, in ungleichem Verhältnisse geschwächt sein, es wird also der Ort der Mischung jetzt irgendwo anders auf der Verbindungslinie ©, ©, liegen, etwa in W”. Man übersieht sofort, dass sie von W’ (dem veränderten Weiss) verschieden aus- fallen muss; man übersieht auch weiter, dass von allen Complementärpaaren nur dasjenige noch zutreffend ist, auf dessen Linie das Weiss verschoben worden ist (D, D, in unserer Figur), und weiter, dass die Veränderung der Complementärfarben sich im ganz bestimmter Weise gestaltet. Gehen wir von dem rothen Ende des Spectrums aus, indem wir für jede Wellen- länge desselben die complementäre suchen, so muss für den Theil von & bis D die complementäre Farbe gegen das weniger brechbare Ende, für D bis in’s Gelbgrün gegen das brechbarere Ende verschoben sein, so wie es die Pfeile der Figur andeuten. Man kann daher ganz allgemein den Satz aufstellen: Die die complementären Farben darstellenden Curven für zwei ver- schieden zusammengesetzte Weiss schneiden sich in einem Punkte; die Coordinaten dieses Punktes geben an, wie gefärbt im Vergleich mit dem einen das andere Weiss ist (in welcher Richtung W’ gegen W verschoben ist). Dies ist nun genau der von uns beobachtete Fall; und zwar sind die von uns beobachteten Unterschiede der Art, dass sie erklärt werden durch die Annahme, es gelange zu den pereipirenden Elementen des einen von uns (X) ein gelberes Licht als zu denen des anderen. Durch die Annahme verschiedener Erregbarkeitscurven können, wie schon gesagt, die Differenzen auch erklärt werden; hierbei ist es aber nicht möglich, über ihre Beschaffenheit von vornherein etwas auszusagen; je nach der Art dieser Verschiedenheiten können alle möglichen Fälle eintreten, und es wäre ein besonderer Zufall, wenn sie gerade diesem Gesetze folgten. Eine weitere Reihe von Bestimmungen betraf die Mischungen aller Far- ben der linken Speetralhälfte aus Roth (Linie ©) und Grün (2), sowie diejenigen der rechten Spectralhälfte aus Grün () und Violett (@). Was die Wahl dieser drei Punkte anlangt, so empfiehlt sich C und @, weil jenseit der- selben der Farbenton nur sehr wenig sich ändert, aber die Lichtstärke sehr schnell abnimmt. 5 haben wir statt des von Maxwell benutzten # ge- wählt, weil es, durchschnittlicher Benennung zufolge, von allen leicht auf- zufindenden Linien am genauesten reinem Grün entspricht; E ist noch ent- schieden gelblich, # schon blau. Wir glauben daher, dass C, 5 und @ für solche Versuche stets den geeignetsten Ausgangspunkt bilden werden. Diese Mischungsverhältnisse sind schon wiederholt untersucht worden, mit kück- sicht auf die Frage, ob man aus zwei Spectralfarben eine Mischung herstellen ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 347 könne, welche an Sättigung einer zwischengelegenen Spectralfarbe gleich- kommt.! Wir konnten bei Anwendung der verbesserten Methode constatiren, dass die ganze linke Spectralhälfte aus C und 5, also in gewöhnlicher Be- zeichnung reinem Roth und reinem Grün, mischbar ist, ohne dass mehr als spurweise Sättigungsdifferenzen gegen das spectrale Orange, Gelb und Gelbgrün sich zeigten. Wie weit man mit dem brechbareren Lichte gegen Roth zurückgehen muss, um die Sättigungsunterschiede ganz zum Ver- schwinden zu bringen, ist in der That sehr schwierig anzugeben, denn noch bei 5 ist derselbe der Grenze der Wahrnehmbarkeit sehr nahe. Bei einer Mischung aus © und Licht von der Wellenlänge 5612 (Gelbgrün) war ein Sättigungsunterschied durchaus nicht zu constatiren. Die Grenze mag etwa bei # gelegen sein. Jedenfalls ist die Krümmung in der Linie der Spectral- farben bei der Newton’schen Construction für die weniger brechbare Hälfte bis 5 eine ganz minimale. Um die Weisszusätze hinreichend schwach machen und noch abstufen zu können, benutzten wir statt des reflectirenden Prisma’s einen schwarzen Spiegel; es konnten auf diese Weise ganz geringe Spuren von Weiss dem einfachen Licht zugesetzt, und dasselbe auf diese Weise der Mischung völlig gleichgemacht werden. Für die rechte Spectralhälfte waren immer bedeutendere Zusätze von Weiss erforderlich. Die Resultate dieser Versuche sind in den folgenden Tabellen (und zwar nur für bedeckten Himmel) zusammengestellt. Die linken Seiten der Gleichungen enthalten hier die Quantitäten von Licht der C- und 2- bez. d- und G-Linien, die rechten Seiten das einfache speetrale Licht mit den geringen Weisszumischungen. Es wurden bei diesen Versuchen stets bestimmte Mischungen der zwei Farben eingestellt und dann Ort und Menge der dritten gesucht, welche der Mischung gleich erschienen. Demgemäss sind die linken Seiten für beide Beobachter dieselben und die entsprechenden rechten sind, übersichtlicher Vergleichung halber direct neben einander geschrieben. Für die rechten Seiten ist zu beachten, dass in Tab. V der Ort 10-8 © 29.8 D 641 5 entsprach, dagegen für Tab. VI 0.65 18:5 # 11-1 @. ! Vergl. J. J. Müller, a. a. 0. 348 M. v. Frey uno )J. v. Krıks: Tabelle V. Mischung der linken Spectralhälfte. C. b. (Beobachter Kries.) (Beobachter Frey.) 1:0 +0-1 =0.2 (21-6) +0:1W. | =0.2 (23.4) +0-3 W. 1-0 +0-.2 = 0:2 (26-1) +0.6 „ | =0:2 28-8) +0-2 „ 1-0 +0.4 = 0.3 (32-6) +0°8 , = 0:3 (34:5) + 0-2 „ 1-0 +0-.6 = 0.4 (85-8) +0-9 , = 0.4 (37:7) +03 „ 1-0 +0-.8 + 0-4 (39.4) +0-9 „ ı =0:5 (40.8) +0:3 „ 1-0 +10 +0-5 (42-4) +12 „ | =0:6 (45.6) +00 „ 0-8 +10 = 0:5 (44-35) +0°6 „ 1 =0.6 (44-7) +0.3 „= 0:6 +1.0 = 0.5 (48:0) +0-8 , = 0-6 (48-7) +0.3 „ 0.4 +1:0 =0-6 (52:3) +0-8 „ | =0-6 (52.6) +0-2 „ 0.2 +1-.0 = 0-1 (87:6) +0-3 „ 0-7 (56-2) + 0-0 „ Tabelle VI. Mischung der rechten Spectralhälfte. b. G. (Beobachter Kries.) (Beobachter Frey.) 0.1 +4-0 = 1-4 (89-3) +0°3W. | =1:1 (47.6) +0.5W. 0:2 +40 =1-5 (82-1) +0-5 „ = 1:1 (40.6) +0°7 „ 0.4 +40 = 1-8 (25-0) +0-9 „ —= 1.4 22.8) +1-1 „ 0:6 +4-0 = 2:2 (20-4) +11 „ = 1-6 (27.4) +15 „ 0-3 +40 = 2-3 (17-9) +14 „ = 1.8 (23.5) +1-9 „ 1-0 +4-0 = 2-7 (17:5) +13 „ — 2.1 (21-1 2 1:0. +3:0 —2:1.(4:9), +15, = 1:6 (18.0) +2-.0 „ 1:0 +2-:.0 =1-6 (10-5) +1:3 ,, =1-.4 (14-3) +18 „ 1-0 +10 =1-2 (6-6 +(0°9 „ =1:2 (84 +10, 1-0. -.025, — =0.9 (4.2) +0.7 ,„ Die Figuren S und 9 geben die Resultate in graphischer Darstellung. Dieselben sind so gewonnen, dass als Abseissen die Orte genommen wurden, welche einer bestimmten Mischung von C und 5 (bez. 5 und G) nach der Schwerpunktsconstruction auf einer geraden Linie anzuweisen wären. Wenn die Linie ©, 5 in 100 Theile getheilt-ist und C bei 0, 5 bei 100 steht, so ist also der Ort für gleiche Mengen C und 5 bei 50, der für 3 Theile d und 1 Theil © bei 75 u. s. w.! Als Ordinaten sind die Orte derjenigen Farben aufgetragen, welche der betreffenden Mischung gleich erscheinen. ! Die Quantität des Violett ist für die graphische Darstellung immer nur mit dem vierten Theile ihrer Spaltweite in Rechnung gebracht, weil wegen der geringen Licht- stärke dieses Theils relativ grosse Mengen desselben erforderlich sind und somit die graphische Darstellung ohue diese Veränderung zu sehr gegen das eine Ende zu- sammengedrängt werden würde. ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 349 Die individuelle Abweichung zeigt sich wieder sehr einfach: die Curven laufen neben einander hin, d. h. jede Mischung fand Fr. gleich einer brech- bareren Farbe als Kr. Auch dies erklärt die Annahme des absorbiren- den Mediums ohne Weiteres. Dasselbe kann die einfache Farbe nicht ver- ändern, wohl aber die Mischungen aus Roth und Grün oder Roth und Violett, indem der eine Bestandtheil stärker als der andere absorbirt wird. Im vorliegenden Falle sehen wir, dass bei Kr. im Vergleich mit Fr. Grün Fig. 8. gegen Roth und Violett gegen Grün geschwächt erscheint. Die vollkommene Regelmässiekeit, welche man hiernach erwarten sollte, erscheint nur durch eine Ausnahme gestört, welche der letzten Gleichung der Tab. V entspricht. Hier ist für Fr. eine weniger brechbare Farbe als für Kr. eingestellt. Indessen erklärt sich dies aus dem Weisszusatz, welcher bei Fr. fehlt und bei Kr. vor- handen ist. Man findet sehr oft, dass bei den spurweisen Farbenunterschieden um die es sich bei der völligen Abgleichung der Felder handelt, eine geringe Weisszumischung ebenso wirkt wie eine kleine Veränderung der Wellen- länge der Spectralfarben. Die beiden Einstellungen sind daher wegen der 350 M.v. Frey uno J. v. Krıes: Verschiedenheit des Weisszusatzes nicht direct vergleichbar und die Aus- nahme ist nur eine scheinbare. Durch die erhaltenen Resultate wurde es nahe gelegt, die Ursache der individuellen Verschiedenheiten in der Existenz nicht vollkommen durch- sichtiger, sondern absorbirender, farbiger Medien zu denken. Maxwell hat bereits in dieser Beziehung an das Pigment der Macula lutea erinnert, ohne indessen diese Annahme bestimmter begründen zu können. Dass diese Fig. 9. Vermuthung in der That das Richtige trifft, wird nun, wie wir glauben, zur vollkommenen Gewissheit durch eine sehr auffallende Beobachtung, welche uns bei der Bestimmung der Complementärfarben entgegentrat. Diese bestand darin, dass ein Unterschied ganz derselben Art, wie er zwischen uns beiden (wenn wir mit dem Netzhautcentrum beobachteten) sich zeigte, auch für jeden einzelnen (und sogar noch viel stärker) zwischen Netzhautcentrum und -Peripherie stattfindet. Hat man aus Roth und Grün- blau ein (für das Centrum) richtiges Weiss gemischt und wendet das Auge ÜBER DIE MISCHUNG VON SPECTRALFARBEN. 351 ein wenig ab, so erscheint die Mischung sofort sehr deutlich grün. Hat man dagegen aus Violett und Grüngelb Weiss (für das Centrum) gemischt und wendet nun das Auge, so erscheint die Mischung purpurfarben. Die ersteren Erscheinung hat°schon Helmholtz beschrieben ‚! die letztere ist zwar auch sehr deutlich aber doch nicht ganz so frappant und konnte ihm, da er ohne ein weisses Vereleichsfeld neben der Mischung arbeitete, ent- gehen. Der Unterschied zwischen Peripherie und Centrum ist in dieser Beziehung sehr bedeutend und grösser als der zwischen dem Netzhaut- centrum des einen und des anderen. Eine Mischung z. B. aus Roth und Grünblau, welche für Fr. central richtig ist, erscheint für Kr. bei centraler Betrachtung viel zu purpurn, aber peripherisch immer noch stark grün. Mischungen direct für den peripheren Theil herzustellen, haben wir bei der Unsicherheit der hier stattfindenden Vergleichung nicht indieirt ge- funden. Die Mischung Gelb-Indigo nimmt nach dem Gesagten in der That eine ausgezeichnete Stellung ein; wenn sie richtig hergestellt ist für das Centrum eines Auges, so stimmt sie für die Peripherie desselben und für alle anderen Augen. In der That haben wir uns überzeugt, dass solche Mischungen auch von einer Anzahl anderer Beobachter als mit dem weissen Felde übereinstimmend anerkannt wurden, während Mischungen aus Roth und Grünblau, oder Grüngelb und Violett niemals zutreffen. Aus diesem Umstande vorzugsweise erklärt sich daher wohl die Thatsache, dass es am leichtesten ist, Weiss aus Gelb und Indigo zu mischen, schwieriger aus Grünlichgelb und Violett, am schwierigsten aus Roth und Grünblau. Nach der hier gegebenen Vorstellung erklärt es sich ohne Weiteres, dass Weiss je nach seiner objectiven Zusammensetzung, verschiedene Veränderungen beim Uebergang vom directen zum indirecten Sehen erleidet. Aus der ur- sprünglich von Helmholtz aufgestellten Annahme dagegen, dass sich hier die relative Rothblindheit der Netzhaut geltend mache, würde man dagegen zunächst zu folgern haben, dass jedes Weiss gleicher Weise bei indireetem Sehen grünblau erschiene.? Für die Bedeutung der individuellen Verschiedenheiten erhält man ein ungefähres Maass, wenn man die Mischung einzelner Farben vergleicht. Ist z. B. eine Wellenlänge A für den einen mischbar aus Roth und Grün in dem Verhältniss a:d, für den anderen im Verhältniss «a’:b’, so ist die relative Schwächung des grünen Lichtes gemessen durch den Werth a 2 a oder a: Ebenso kann man die relative Schwächung von Violett 1 Physiologische Optik. 8. 301. * Vergl. hierüber Fick, Zur Theorie der Farbenblindheit. Arbeiten aus dem phy- siologischen Laboratorium der Würzburger Hochschule. 8. 213. 352 M. v. FREY und )J. v. KRIEs: im Vergleich mit Grün bestimmen durch Vergleichung etwa einer Blau- mischung. Diese Bestimmungen sind indessen nur correct für dasjenige Gelb und dasjenige Blau, in welchen sich (Figg. 1 und 2) die Curven der Com- plementärfarben schneiden. Bei diesen nämlich können die Weisszusätze das Verhältniss von Roth und Grün, bez. Grün und Violett, nicht verändern, was bei den anderen Mischungen der Fall sein und die Correctheit der Vergleichung beeinträchtigen würde. Führt man diese Berechnungen aus, so findet man, dass die relative Helligkeit des Grün im Vergleich mit Roth bei Kr. 0:8 von der bei Fr. ist, und ferner die relative Helligkeit des Violett im Vergleich mit Grün nur 0-5 von der bei Fr. stattfindenden. Daraus würde sich ergeben, dass das Verhältniss des Violett zum Roth bei dem einen nur 0:4 von dem bei dem anderen geltenden ist. Nach einigen gelegentlichen Versuchen schien es uns, als ob die zwischen uns stattfindende Differenz eine relativ sehr erhebliche wäre, d. h. die meisten anderen Beobachter Gleichungen einstellten, welche zwischen unseren beiden lagen. Doch können wir hierüber nichts mit Gewissheit behaupten. Als das wesentlichste Resultat dieser Versuche möchten wir bezeichnen, dass die in den Mischungsbeziehungen homogener Lichter auftretenden individuellen Verschiedenheiten mit grösster Wahrscheinlichkeit ausschliess- lich auf die Absorption in dem gelben Pigment des Netzhautcentrums zu- rückzuführen sind. Bemerkung zur Methode der Lichtmischung. Seit dem Abschluss unserer Versuche (März 1880) sind von Donders! und von Glan? Mittheilungen über Apparate gemacht worden, welche in gleicher Weise, wie unsere Methode, Mischungen und Vergleichungen von Spectralfarben gestatten. Es veranlasst uns das zu einigen Bemerkungen bezüglich der Methode. So weit wir aus der Beschreibung über jene Apparate urtheilen können, glauben wir, dass dieselben insofern bequemer als der unsrige sind, als sie ein für allemal fest zusammengestellt sind, während der unsrige die richtige Aufstellung des Spectralapparats zum Spaltenschirm erfordert. Diesem Vorzuge scheinen uns aber nicht unerheb- liche Nachtheile gegenüber zu stehen. Es besteht nämlich ein wesentlicher Unterschied des Verfahrens darin, dass bei jenen Apparaten (wie gewöhn- lich beim Speetralapparat) das wirkliche Spectrum betrachtet wird, also auf der Netzhaut des Beobachters sich abbildet. Bei der von uns ausgebildeten, ! Donders, Sitzungsberichte der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Am- sterdam vom 26. Febr. 1881 und Archiv für Ophthalmologie, Bd. XXVIL 8.1. * Plüger’s Archw u. s. w. Bd. XXIV. S. 307. M.v. Frey v. J. v.Krıes: ÜBER DIE MiscHUNG VON SPECTRALFARBEN. 353 zuerst von Maxwell benutzten Verfahrungsweise sieht dagegen der Be- obachter die Objectivlinse an, während das objective Spectrum dicht vor seiner Pupille liegt. Dies hat zunächst den grossen Vorzug, dass ein grosses Feld ganz gleichmässig erscheint; dies kann dort niemals streng erreicht werden (weil das Spectrum stetig seine Farbe ändert), ein Uebelstand der annähernd nur bei Ausschneiden von sehr schmalen Streifen vermieden wird. Ausserdem wird hierdurch die Anwendung des Tageslichtes ausgeschlossen, welches wegen den Fraunhofer’schen Linien unbrauchbare Bilder geben würde. Hiermit scheint der wesentliche Nachtheil verknüpft, dass man einer Constanz der Zusammensetzung des Lichtes nicht sicher ist, ferner dass man kein wirklich weisses Licht zur Verfügung hat. Auch scheint es uns keineswegs ohne Schwierigkeit möglich, die zwei Spalte des Collimators mit einer Petroleum- oder Gasflamme so zu erleuchten, dass jeder sicher die gleiche Lichtmenge bekommt. Endlich aber sind beide Apparate in dem, was sie leisten, erheblich beschränkter als der unsrige; so kann man mit dem Glan’schen keime Versuche wie die unserer zweiten Serie anstellen, weil hier die Vergleichung einer Spectralfarbe mit der Mischung aus zwei anderen erfordert wird; mit dem Donders’schen kann man wieder keine Complementärfarben-Bestimmungen machen. Der Grund hierfür ist sehr einfach der, dass man bei der Entfernung der Spalte vom Spectralapparat dieselben in solchen Grössen und in solchen Entfernungen von einander bekommt, dass eine vollkommen freie Beweglichkeit eines jeden einzelnen technisch leicht zu erreichen ist. Bei unserem Schirm hat jeder Spalt eine Höhe von 20”, der verticale Abstand zwischen der Basis von S, und den Spitzen von S, und $S, (Fig. 1) beträgt 17.5, so dass die für die sichere Führung erforderlichen Schienen bequem Platz haben. Es fällt übrigens bei dieser Anordnung von selbst der Uebelstand weg, dass die Aenderung den Weiten eines Spaltes zugleich die Farbe verändert, da die geringen Ortsveränderungen der einen Schneide, um die es sich bei der Einstellung handelt, gar nicht in Betracht kommen. Beriehtigung : S. 336 Z. 8 v. u. lies „wie Maxwell glaubte“ statt „wie Müller glaubt“. Archiv f, A.u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg, nD os Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1880—81. X. Sitzung am 11. März 1881. Hr. H. KroNEcKER theilt die Resultate von Versuchen mit, welche Hr. Dr. M'GREGOR-ROBERTSON: „Ueber die Wirkung des Aethers auf das Froschherz“ in der Abtheilung für specielle Physiologie des hiesigen physio- logischen Instituts, auf Vorschlag und mit Hülfe des Hrn. H. KRONECKER aus- geführt hat. Wie man jeden Muskel in zweierlei Weise zur Contraction unfähig machen kann — einmal, indem man seine Leistungsfähigkeit aufhebt, das anderemal, indem man seine Erregbarkeit vernichtet —; so kann man auch das Frosch- herz auf diese beiden Arten zur Unthätigkeit bringen. Seine Leistungsfähigkeit kann nicht nur durch Arbeit erschöpft werden, sondern auch, wie Kronecker sezeigt hat, durch Auswaschen mittels unschädlicher Kochsalzlösung (0 * 6 procentig) aufgehoben werden. Diesen Vorgang hat Aubert als identisch mit demjenigen dargestellt, welchen Vulpian bereits 1859 bei Behandlung des Froschherzens mit 1 procentiger Kochsalzlösung und mit Wasser beobachtet hat. Vulpian hat in der Ueberschrift seiner Mittheilung? die Ergebnisse seiner Versuche in folgender Weise dargestellt: Coeurs de grenouilles plonges dans Veau salee. Abolition rapide des mouvements rhythmiques et de Tirritabilite museulaire. Retour des mouvements rhythmiques apres une immersion plus ou moins prolongee dans l’eau pure. Hieraus ergiebt sich, dass Vulpian selbst nichts Anderes hat zeigen wollen, als dass 1 procentige Kochsalzlösung wegen ihrer Concentration schädlich wirke, und, wie er weiter ausführt, das Herz in einen abnormen Reizzustand versetzt, aus dem es durch zeitweise Wirkung von destillirtem Wasser wieder befreit werden könne. Seine Erfahrungen sind sanz analog den schon von Kölliker” angeführten, welcher fand, dass man die Flimmerbewegung, nachdem sie durch concentrirte Kochsalzlösungen aufge- hoben worden (Purkinje, Valentin), durch Verdünnen der Lösung wieder ' Ausgegeben am 1. April 1881. ” Gazette medicale de Paris. 1859. Nr. 25. ° Kölliker, Physiologische Studien über die Samenflüssigkeit. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1856. Bd. VII. S. 252. Hr VERHANDLUNGEN D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — H. KRONECKER. 355 erwecken könne. Engelmann! hat dann (nach dem Vorgange von Roth) ge- zeigt, dass eine Kochsalzlösung von 0-5 bis 0-6°/, am besten die Flimmer- zellen beweglich halte; und ©. Nasse” giebt an, „dass ausgeschnittene Frosch- muskeln in emer 0.6 procentigen Kochsalzlösung länger reizbar blieben, als in jeder anderen Lösung von grösserem oder geringerem Gehalt an Na Cl“; Bowditch wendet daher als selbstverständlich unschädliches Füllungsmittel für das Frosch- herz eine Lösung von 0°5®"" NaCl, und 40°" Gummi arab. (um Transsudation zu vermeiden) in 1008" Wasser an. Bis dahin war also angenommen worden, dass Flimmerzellen, Skeletmuskeln, Herzen von indifferenter Flüssigkeit umspült aus ihrem Gewebe das Ma- terial zur Leistung beziehen. Kronecker? wies durch seme gemeinsam mit Stirling angestellten Versuche nach: dass das Froschherz schnell seine Leistungs- fähigkeit verliert, wenn es nicht gespeist wird. Das wichtige Resultat ist in folgendem sesperrt gedruckten Satze formulirt: „Verdrängt man das in der Herzhöhle befindliche Blut oder Serum durch unschädliche Kochsalzlösung (0-6°/,), 50 sinken die Pulse sehr schnell bis zur Unmerklichkeit; bald bleiben nur noch matte, peristaltische Bewegungen, und end- lich steht das Herz in Diastole still, unfähig, selbst auf die stärk- sten Reize die leiseste Bewegung auszuführen. Durchspült man nunmehr das erschlaffte Organ wieder mit sauerstoffhaltiger Blut- flüssigkeit, so beginnt es bald fibrilläre Zuckungen zu machen, dann schwach zu schlagen, bis es endlich ebenso kräftig arbeitet, wie im frischen Zustande.“ Am Schlusse der eben citirten Abhandlung wird die neu gewonnene Einsicht in folgender Weise formulirt: „So haben wir das Herz als ein Organ kennen gelernt, mit dessen Leistung keme fabricirte Maschine sich auch nur entfernt zu messen vermag. So gering an Masse, dass ein Verbrauch von Gewebstheilen als Arbeitsmaterial — wie ihn manche Physio- logen vom Skeletmuskel behaupten — es binnen Kurzem gänzlich aufzehren würde, ist es fast augenblicklich zur Leistung fähig, sobald es gespeist ist, und verwendet die Spannkräfte, welche ihm zur Verfügung gestellt werden, auf die vollkommenste und sparsamste Weise zur Arbeit. Es stellt seine Leistung gänz- lich ein, sobald ihm die Speise entzogen wird, zehrt also nicht vom eigenen Stoffe, erhält sich aber, gut genährt und nicht misshandelt, ohne sich abzunutzen, ungemessene Zeit.“ Um das Froschherz völlig auszuwaschen, muss man es mittels der in den Ventrikel eingebundenen Doppelcanüle unter Druck ausspülen. Daher ist es nicht möglich, durch Einlegen eines abgeschnittenen Froschherzens in ein Koch- salzbad den Effect zu erzielen, wie durch Perfusion. Nach alledem wird es klar sein, in wie fern die Darstellung von Aubert* der Entwickelung der Frage entspricht. Aubert sagt: „Wird die Herzspitze (?) mit 06 procentiger (!) Kochsalzlösung gefüllt und in ein Bad derselben Flüssig- ‘ Engelmann, Ueber die KFlimmerbewegung. Leipzig 1868. 8. 29. ” 0. Nasse, Beiträge zur Physiologie der 'contraetilen Substanz. Pflüger’s Archiv u.s.w. 1869. Bd. II. S. 114. ° Kronecker und Stirling, Das charakteristische Merkmal der Herzmuskel- bewegung. Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Festgabe für C. Ludwig. 1874. D. 200 u. 204. * Aubert, Die Innervation der Kreislaufsorgane in Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. IV. Th. 1. 8. 361. 23* 356 VERHANDLUNGEN DER BERLINER keit eingetaucht, so nehmen die Zusammenziehungen des Herzens bald an Um- fang ab (?), und auch (?) nach wiederholter Erneuerung der Kochsalzlösung tritt endlich ein Zustand der Erschöpfung ein, in welchem gar keine Spur von Con- traction mehr beobachtet werden kann, und in welchem auch elektrische oder mechanische Reizung keine Contraction mehr auslöst. Diese Wirkung 1 procen- tiger (!) Kochsalzlösung hat schon Vulpian beobachtet. Ist die Herzspitze in diesen Scheintod durch Kochsalzlösung versetzt, so kann sie durch eine grosse Anzahl von Lösungen, welche einen der Bestandtheile des Blutes enthalten, wie- der zu Pulsationen und zwar zum Theil zu sehr kräftigen und häufigen Pul- sationen gebracht werden, so z. B. bei Zusatz von 1—10°/, Blut zu der Koch- salzlösung.“ Kronecker und M’Guire! haben gezeigt, dass auch kohlensäurehaltiges _ Blut die Leistungsfähigkeit des Herzens mindert, während „entgastes Serum wie auch entgastes Blut kräftige Pulsationen unterhielten“, womit freilich auch Aubert? in seinem Lehrbuche nicht übereinstimmt, wenn er den Satz aufstellt: „Mangel an Sauerstoff macht also das Herz scheintodt.“ Bisher war aber kein Mittel bekannt, um bei erhaltener Muskelkraft die Nerven und deren Centren im Herzen zu lähmen. Das Muscarin, welches bei intactem Herzen im Thiere den Puls lange sistiren kann, ist bekanntlich macht- los, wenn die Vaguscentren vom künstlich perfundirten Herzen abgetrennt sind. Es erschien daher von Interesse, die Wirkung eines Stoffes zu studiren, welcher das perfundirte Herz schlaglos zu machen vermag. Ein solches Mittel ist der Aether. Eben so wie er geeignet ist, ein ganzes Thier einzuschläfern, so lähmt er auch das Herz. In gleicher Weise, wie der einschläfernden Wir- kung ein Erregungsstadium vorangeht, so veranlassen kleine Dosen das Herz zu häufigeren Pulsen. Es ist uns gelungen, das Mittel so zu dosiren, dass ent- weder nur das erste Stadium — der Erregung —, oder nur das zweite, das der Lähmung, eintrat. Die genau abgestufte Wirkung des sorgsam dosirten Mittels wird am besten durch folgende Uebersicht deutlich werden. Wenn wir zu einer Mischung von zwei Theilen 0°6°/, Kochsalzlösung und einem Theile Kaninchenblut 1 °/, reinen Aethers fügten und mit dieser Mischung den Frosch- herzventrikel perfundirten, so begann er bald in beschleunigtem Tempo zu pulsiren. Wenn die Blutlösung 1°5°/, Aether enthielt, so hörte das hiermit perfundirte Herz für kurze Zeit (einige Secunden) zu schlagen auf, und pulsirte dann in verlangsamtem Tempo. 2°/, Aether machten das Herz für längere Zeit (bis 40 Minuten beobachtet) unthätig. Dieses Verhältniss erwies sich merkwürdig constant. Besonders auffällig war es, dass wiederholte Perfusion gleich con- centrirter Aetherlösung den anfänglichen Effect nicht verstärkte, d. h. dass grössere Mengen schwacher Lösung nicht den Effeet geringer Quantitäten starker Lösung erzielen konnten. Die Vergiftung konnte in allen Stadien aufgehoben werden durch Auswaschen des Herzens mit reiner Blutlösung. Dieses Verhalten liess sich auch gradweise erkennen, indem das durch concentrirte Aetherlösung ge- lähmte Herz, wenn es frisches giftfreies Blut erhielt, zuvörderst das Stadium des beschleunigten Pulsirens (Effeet schwacher Aetherlösung) durchmachte, bevor es zur Norm zurückkehrte. Bei lebenskräftigen Herzen genügen schon 2—3 Cem frischen Blutes, um den normalen Zustand wieder herzustellen. 1 Diese Verhandlungen, Mai 1878, 8. 56; — dies Archiv, 1878. 8. 321. > Aubert, 2.2. 058.350: PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — H. KRONECKER. — A. BAacınskyY. 357 Die Intensität der Giftwirkung wird wesentlich verändert, wenn man die Reizbarkeit des Herzens durch andere Einflüsse modifiecirt. Am Nächsten lag es, durch Veränderungen der Temperatur die Erregbarkeit des Herzens abzu- wandeln. Die Kälte setzt bekanntlich die Erregbarkeit (die Pulsfrequenz) des Herzens herab. Ein abgekühltes Herz brauchte stärkere Aetherdosen, als ein temperirtes; während ein erwärmtes durch schwächere Dosen eingeschläfert wird. So bedurfte es z. B. bei einem auf 5° abgekühlten Herzen 1°5°/, Aether, um den Herzschlag zu beschleunigen; und 2°5°/, um das Herz zum Stillstand zu bringen; während das auf Zimmerwärme temperirte Herz, wie oben erwähnt, 1°/, Aether für das erste Stadium, 2-0 °/, für das zweite brauchte. Wenn es aber auf 35° erwärmt war, konnte es schon durch 1 procentige Aetherlösung selähmt werden. Folgerichtig begann ein solches Herz wieder zu schlagen, wenn die Temperatur (bald) gemindert wurde. Es lag nahe, daran zu denken, dass in ähnlicher Weise, wie die grössere Wärme, die Kohlensäureanhäufung im Herzen wirken konnte. In der 'That be- durften wir kleinerer Aetherdosen zur Lähmung des Herzens, wenn wir anstatt des mit Sauerstoff gesättigten Blutes kohlensäurehaltiges durch das Herz leiteten. So genügte für das mässig asphyktische Herz schon 1 procentige Aetherlösung, um es zum Stillstand zu bringen. Wie früher erwähnt worden ist, hebt die Kohlensäure die 'Thätigkeit des Herzens auf, indem sie die Pulse verkleinert. Der Aether dagegen macht die Pulse seltener. Es ist hier also nicht an eine einfache Addition der Wirkungen zu denken. Freilich deprimirt auch der Aether in deutlicher Weise die Leistung des Herzens, indem er auch die Pulse verkleinert; aber der Stillstand des Herzens erfolgt nicht, indem die Pulse unmerklich klein, sondern indem sie in verschwindender Anzahl auftreten. Die Combination von Aether und Kohlensäure wirkt aber nachhaltig schädlich, so dass die darauf folgende Durch- spülung mit sauerstoffreichem giftfreien Blute nur sehr unvollkommene Erholung zu schaffen vermag. Diese Erfahrung giebt einen interessanten Fingerzeig für die therapeutische Anwendung des Aethers. Es scheint danach wesentlich, dass die Respiration gut unterhalten werde, um das Herz davor zu schützen, dass kleine Aetherdosen lähmende Macht über das geschwächte Herz gewinnen.! XII. Sitzung am 6. Mai 1881.? Hr. A. Bacınsky hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber den Einfluss der Entziehung des Kalks in der Nahrung und der Fütterung mit Milchsäure auf den wachsenden Organismus“. Drei junge Hunde desselben Wurfes wurden mit dem gleichen Futter ge- nährt (33°"" ausgekochtes Pferdefleisch, 178" Speck, 100 m destillirtes Wasser pro die); die Nahrung ist nahezu kalkfrei. * Hiermit stimmt ein praktischer Hinweis von L. v. Lesser in seinen Vorlesungen Ueber lebensreitende Operationen. Leipzig 1880. 8. 70 u. 71. ® Ausgegeben am 27. Mai 1881. 358 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Hund I erhielt in die Nahrung pro die 2°" Milchsäure. Hund II erhielt in dieselbe 28°” phosphorsauren Kalk. Hund III die Nahrung ohne jeden Zusatz. Alle drei Thiere nahmen ziemlich continuirlich an Gewicht zu. Nach vier- monatlicher Fütterung war die Zunahme bei und no golern a OR er) Hund II ist am muntersten; Knochen schlank; Körper leicht beweglich. — Hund I zeigt dicke, ungeschlachte Knochen; Zähne verloren; ungeschickte Be- wegungen. — Aehnlich, nur nicht so intensiv, Hund II. In den Leichen sind die Veränderungen an den Knochen durch Maass und Gewicht noch deutlicher zu bestimmen. Makroskopisch und mikroskopisch erkennt man an den Knochen bei Hund I und Hund III rachitische Veränderungen. Die chemische Untersuchung ergiebt bei Hund I und III in den Knochen wesentliche Verminderung des gesammten Aschengehaltes. — Auf die Asche berechnet sind indess die einzelnen Bestand- theile des anorganischen Gehalts der Knochen bei allen drei Hunden nahezu gleich. Resultate. 1) Die Michsäurefütterung und die Entziehung der Kalksalze aus dem Futter beeinträchtigen nicht die Gewichtszunahme der jungen Thiere. 2) Milchsäurefütterung und Entziehung der Kalksalze erzeugen bei jungen Thieren den rachitischen sehr ähnliche Knochenverbildungen. 3) Die Gesammtasche des Knochens wird durch beide Fütterungsmethoden vermindert. 4) Das Procentverhältniss der einzelnen Aschenbestandtheile zu einander wird fast gar nicht alterirt. Die Knochenasche zeigt also eine gewisse Constanz der Zusammensetzung. 5) Alle Veränderungen, welche die Entziehung der Kalksalze erzeugt, werden durch die Fütterung mit Milchsäure gesteigert. XIV. Sitzung am 20. Mai 1831. 1. Hr. F. Busch hielt den angekündigten Vortrag: „Das Knochengewebe der Batrachier nach den Untersuchungen von N. Kastschenko“. Als ich am 10. December v. J. in dieser Gesellschaft den Vortrag: „Ver- theidigung der Osteoblastentheorie gegen einige neuere Angriffe“ hielt, gab ich ein kurzes Resum& der von Kölliker am Knochengewebe der Fische erlangten Befunde und bedauerte, dass über das Knochengewebe der Amphibien und Rep- tilien bisher keine in grossem Maasse ausgeführten vergleichenden histologischen Untersuchungen vorliegen. Fünf Tage darauf gelangte das erste Heft des ı Ausgegeben am 27. Mai 1831. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — A. BAGInskY. — F. Busch. 359 XIX. Bandes des Archivs für mikroskopische Anatomie zur Ausgabe und in demselben befindet sich die Arbeit von N. Kastschenko: „Ueber Genese und Architektur der Batrachierknochen“. Diese unter Strelzoff’s Leitung und mit den Strelzoff’schen Methoden ausgeführte Arbeit füllt die Lücke für die Ba- trachierknochen und, wie man vielleicht generalisirend sagen darf, für die Am- phibien-Knochen in vorzüglicher Weise aus. Es sei mir gestattet, aus dieser Arbeit einige Punkte hervorzuheben, welche, wie ich glaube, für die phylogenetische Fortbildung des Knochengewebes von besonderer Bedeutung sind. Der erste Anfang der. Knochenbildung in den knorpelig präformirten Kno- chen vollzieht sich bei den Batrachiern im Wesentlichen in derselben Weise, wie bei den Säugethieren, d. h. die umhüllende Membran der Knorpelanlage theilt sich in zwei Schichten, eine äussere fibrilläre Schicht und eine innere kleinzellige Schicht. Die wuchernden Zellen dieser (osteoplastischen) Innen- schicht dringen nun im die Knorpelanlage hinem und schaffen dadurch in der- selben den primordialen Markraum, während die Invasionsstelle selbst als Canalis nutritius dauernd offen bleibt. Die in den Markraum eingedrungenen Zellen der osteoplastischen Schicht, die Osteoblasten Gegenbaur’s, lagern nur den un- zerstört gebliebenen Knorpelbalken Knochengewebe nach neoplastischem Typus auf, die Balken selbst aber vollziehen durch Metaplasie ihren Uebergang in Knochengewebe. Die ersten Anfänge der periostalen Knochenbildung, durch welche die perio- stale Grundlamelle entsteht, erfolgen in einer Art, welche keinem der beiden Typen der Knochenbildung vollkommen entspricht, sondern die Mitte zwischen beiden hält. Die weitere Fortsetzung der periostale Knochenbildung wird durch Osteoblastenzellen bewirkt nach ausgesprochenem neoplastischen Typus. Sowohl die endochondral wie die periostal gebildete Knochensubstanz, be- steht aus einer verkalkten, in concentrische Lamellen geordneten Grundsub- stanz, in welcher sternförmig verästelte Knochenkörperchen eingebettet sind. Zwischen beiden befindet sich eine Lage von Knochensubstanz, welche sowohl der lamellösen Schichtung wie der Knochenkörperchen entbehrt und däher eine sanz structurlose zu sein scheint. Havers’sche Lamellensysteme existiren in der Wand eines Röhrenknochens bei den Batrachiern nicht. Alle Lamellen sind generelle Lamellen und umkreisen die ganze Markhöhle. Durch die Knochen- wand tritt in schräger Richtung der Canalis nutritius, der in der Regel doppelt vorhanden ist, und einige kleine Ernährungscanäle, die jedoch nicht von eigenen Lamellensystemen umgeben sind. Die Epiphysen bleiben während des ganzen Lebens des Thieres rein knorpelig und enthalten keine eigenen Knochenkerne. Ein Abschluss des Längenwachsthums scheint bei den Batrachiern nicht vorzu- kommen; so lange diese T'hiere leben, wachsen auch ihre Knochen, da selbst bei den grössten Thieren die epiphysäre Knorpelgrenze noch deutliche Prolifera- tionserscheinungen darbietet. Aus diesen Angaben Kastschenko’s ist zu ersehen, dass das Knochen- gewebe der Batrachier auf einer viel höheren Stufe der Entwicklung steht, als das Knochengewebe der Fische. Die Vertheilung sternförmig geästelter Knochen- körperchen in einer lamellös geschichteten Grundsubstanz bildet bereits eben so- wohl die Grundform des Knochengewebes der Batrachier wie der höheren Wirbelthierklassen. Was den Batrachierknochen und daher, in allgemeinerer Weise gesprochen, den Knochen der Amphibien zum Unterschiede von den 360 VERHANDLUNGEN DER BERLINER höheren Klassen der Wirbelthiere hauptsächlich fehlt, sind die Havers’schen Lamellensysteme und die eigenen Knochenkerne in den Epiphysen. Was den ersten Punkt betrifft, so zeigt sich auch bei dem Knochengewebe der Säugethiere, dass die generellen Lamellen die primäre Bildung sind, inner- halb deren sich erst um eingeschlossene Gefässe Resorptionslücken bilden, deren Aus- füllung mit concentrischen Lamellen zur Entstehung der Havers’schen Lamellen- systeme Veranlassung giebt. Phylogenetische und ontogenetische Entwicklung stimmen also in so fern überein, als die generellen Lamellen die frühere, die Havers’schen Lamellensysteme die spätere Bildung sind. Auch in dem zweiten Punkt, welcher die Anwesenheit eigener Knochenkerne in den Epiphysen betrifft, zeigt sich eine deutliche Uebereinstimmung der phylogenetischen und der ontogenetischen Entwicklungsreihe. Sowie phylogenetisch bei den Knochen der Batrachier der Knochenkern in der Diaphyse zuerst erscheint und einen hohen Grad der Entwicklung erreicht, während die Epiphysen noch das ganze Leben hindurch rein knorpelig bleiben, so ist auch in der menschlichen Ent- wicklungsgeschichte der Knochenkern der Diaphyse stets der primäre und seine Ausbildung ist bereits eine weit vorgeschrittene, bevor sich die ersten Spuren der epiphysären Knochenkerne zu bilden anfangen. Letztere entstehen beim Menschen vielfach erst nach der Geburt, zu einer Zeit also, in welcher die Diaphyse bereits eine sehr erhebliche Ausdehnung erreicht hat. Was den Typus der Knochenbildung betrifft, so herrscht bei den Batra- chiern der neoplastische Typus bereits entschieden vor, wenngleich sich neben ihm der metaplastische Typus in grösserer Verbreitung findet, als das bei den höheren Thierklassen der Fall ist. Bei der Bildung der periostalen Grund- lamelle zeigt sich ferner die interessante Erscheinung, dass die beiden Typen der Knochenbildung sich noch nicht deutlich gesondert haben, sondern dass zwischen ihnen noch eine Vermischung stattfindet. Auch dieses Verhalten scheint mir für die phylogenetische Entwicklung des Knochengewebes von Be- deutung zu sein. Bei den Fischen beruht die Knochenbildung wohl noch fast ausschliesslich auf Metaplasie, ihre Knochensubstanz ist in der That nichts Anderes, als ein durch langsame Umwandlung und Verkalkung aus fibrillärem Bindegewebe und Knorpel hervorgegangen“ Gewebe, der neoplastische Typus der Knochenbildung, sowie die Osteoblastenzelle treten, falls sie überhaupt vor- handen sind, der Metaplasie gegenüber vollkommen in den Hintergrund. Bei den Batrachiern findet man nun bereits die Osteoblastenzelle sowie den neopla- stischen Ossificationstypus, ja dieselben sind bereits der metaplastischen Knochen- bildung deutlich überlegen. Ueber das Knochengewebe der Reptilien fehlen noch ausreichende Unter- suchungen, das Knochengewebe der Vögel ist in seinem feineren histologischen Verhalten von H. Müller, Strelzoff und Kassowitz ausreichend erforscht, und das Knochengewebe der Säugethiere und speciell des Menschen ist von jeher am sorgfältigsten und eifrigsten untersucht. In dieser ganzen Reihe dürfte sich nun herausstellen, dass auf einer je höheren Stufe der Entwicklung die betreffende Thierklasse steht, um so mehr die metaplastische Knochenbildung zurücktritt, während der neoplastische Typus an Ausdehnung und Bedeutung zunimmt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die einfache Umwandlung der niederen Formen der Bindesubstanz in Knochengewebe der ursprüngliche Vorgang war und dass sich erst im weiteren Verlauf fortschreitender Entwick- lung nach dem Gesetz von der Theilung der Arbeit eine besondere knochen- PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — F'. Busch. — G. SALoMoNn. 361 bildende Zelle entwickelte, deren Thätigkeit sich dann im der Ausbildung des neoplastischen Ossificationstypus bemerkbar machte. Bewahrheitet sich diese Art der Entstehung des Knochengewebes, so hat es durchaus nichts Auffallendes an sich, die beiden Typen der Knochenbildung in derselben 'Thierklasse neben einander bestehen zu stehen, doch so, dass je höher die betreffende Thierklasse in der Entwicklung steht, um so mehr die neoplastische Knochenbildung überwiegt, und es hat in Folge dessen auch nichts Ueberraschendes, dass selbst noch beim Menschen, besonders unter pathologischen Verhältnissen, einige Ueberreste metaplastischer Knochenbildung vorhanden sind. 2. Hr. G. Sauomon hielt einen Vortrag: „Zur Physiologie der Xanthin- körper.“ In der letzten Nummer der Zevtschrift für physiologische Chemie (Bd. \, Heft 4) berichtet Kossel über ein neues von ihm gefundenes Verfahren zur Darstellung von Hypoxanthin aus thierischen und pflanzlichen Geweben. Kossel ging von der Annahme aus, dass das Nuclein die Muttersubstanz des Hypo- xanthins sei. Wenn diese Voraussetzung richtig war, so musste bei der An- wendung nucleinspaltender Agentien auf die zerkleinerten Organe der ge- sammte Hypoxanthinbestand derselben erhalten werden, folglich mehr als durch das bisher übliche einfache Auskochen mit Wasser, welches nur über die Menge des gerade disponibeln freien Hypoxanthins Auskunft giebt. Diese Voraus- setzung fand Kossel bestätigt. Durch anhaltendes Kochen mit verdünnter Schwefelsäure erhielt er das 4—6fache von den Hypoxanthinmengen, die frühere Autoren in gesunden Organen hatten nachweisen können. Ich befinde mich seit Anfang dieses Jahres im Besitz ganz gleichlautender Beobachtungen, und auch das Verfahren, durch welches ich zu ihnen gelangt bin, ist dem von Kossel benutzten sehr ähnlich. Es besteht in dem Kochen der Heisswasserextracte (nicht der Organe selbst) mit Salpetersäure, wie es E. Salkowski! bereits im Jahre 1871 zur Beseitigung des störenden Einflusses empfohlen hat, den der Leim bei der Ausfällung der Xanthinkörper durch ammoniakalische Silberlösung ausübt. Es liessen sich aus den so behandelten Extracten mit Leichtigkeit sehr “*srächtliche Mengen von Xanthinkörpern dar- stellen. Ich bestimmte beispielsweise den Gesammtgehalt der Hundeleber an Xan- thinkörpern zu 0°11°/,, den des Hundemuskels zu 0°069°/,; frühere Autoren fanden in diesen Organen 0011°/, bez. 0-014—0°023°/, Hypoxanthin. Nach diesen Erfahrungen bedurften meine früheren Angaben über das Vor- kommen von Hypoxanthin im Blut ? einer Revision. Ich hatte gefunden, dass nur das Leichenblut Hypoxanthin enthält, nicht aber das Aderlassblut. Diese Untersuchungen waren nach dem älteren Verfahren angestellt worden, bei dem nur das in die alkoholischen Auszüge übergehende direct ausfällbare Hypoxanthin erhalten wurde. So wie die Dinge jetzt lagen, liess sich annehmen, dass da- mals eine beträchtliche, nur durch Kochen mit Säure zu erhaltende Quantität Hypoxanthin übersehen worden war. Die Versuche wurden also wiederholt und zwar diesmal, des weit grösseren Hypoxanthingehaltes wegen, an frischen paren- chymatösen Organen. Es ergab sich, soweit man aus den bisher vorliegenden * Ueber ein eigenthümliches Verhalten des Hypoxanthinsilberoxyds. Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. \V. S. 95. ® Ueber die Verbreitung und Entstehung von Hypoxanthin und Milchsäure im thierischen Organismus. Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. 11. 8. 65. 362 VERHANDLUNGEN D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — G. SALOMON. Versuchen schliessen darf, eine Bestätigung der früheren Befunde, nämlich eine sehr bedeutende Zunahme des freien in den Alkohol übergegangen Hy- poxanthins während der Digestion in der Zimmertemperatur. Beim Muskel vermehrte sich dasselbe innerhalb 24 Stunden auf das Doppelte, bei der Leber in derselben Zeit, einem anderem Versuch zufolge sogar schon in 4 Stun- den nach dem Tode auf das Dreifache, ebenso beim Pankreas. Vom zweiten Tage der Digestion an zeigte sich keine nennenswerthe Veränderung mehr im Hypoxanthingehalt. Kochte man nun aber die bisher nicht berücksichtigten Rückstände und Filtrate mit Salpetersäure, Schwefelsäure oder Salzsäure, und addirte die so erhaltenen sehr grossen Hypoxanthinmengen zu dem freien Hypo- xanthin, so ergab es sich (in einem an der Hundeleber angestellten Versuch), dass der Gesammtbestand von Xanthinkörpern nahezu der gleiche geblieben war. Es war also während der Digestion gebundenes Hypoxanthin in freies über- gegangen. Man ist daher genöthigt, in der Leber eine Substanz anzunehmen, welche durch die Action eines ihr angehörigen, über den Moment des Todes hinaus wirksamen Fermentes, wie auch bei der Spaltung durch Säuren Xanthin- körper abgiebt. Diese Annahme nähert sich der von Kossel ungemein, und ich halte es ebenfalls für wahrscheinlich, dass die hypoxanthinbildende Substanz das Nuclein ist, wiewohl ein zwingender Beweis noch nicht erbracht ist. In gleicher Weise muss ich Kossel die Möglichkeit zugeben, dass das bei der Fibrinzersetzung auftretende Hypoxanthin, welches ich früher als ein wahres Spaltungsproduct des Eiweisses bezeichnet habe, ebenfalls vom Nuclein abstamme. Denn das Fibrincoagulum enthält unter allen Umständen weisse Blutkörperchen oder deren Reste und damit auch Nuclein. Die Resultate, welche das Verfahren der Digestion, d. h. der vergleichenden Untersuchung von Theilen desselben Organs in verschiedenen Zuständen, ergeben hat, legen den Gedanken nahe, dieser Methode einen weiteren Wirkungskreis zu geben. Man könnte stickstoffhaltige wie stickstofffreie Substanzen in den Kreis der Betrachtung ziehen und die erhaltenen quantitativen Differenzen zu Rück- schlüssen auf die Lebensvorgänge verwerthen. Man könnte ferner durch Abküh- lung, Erregen von Fieber, Beschränkung der Respiration, Nahrungsentziehung u.s. w. künstlich bei Thieren Störungen des Allgemeinbefindens schaffen und wiederum in der beschriebenen Weise am herausgeschnittenen Organ ihren Einfluss auf den Stoffwechsel studiren. Auf diese Weise würde man schliesslich vielleicht zu klinisch wichtigen Ergebnissen auf dem Gebiete der pathologischen Chemie gelangen, an denen zur Zeit noch grosser Mangel ist. Ueber den Muskelton bei elektrischer Reizung sowie über einige in Zusammenhang damit stehende elektrisch- akustische Erscheinungen. Von Prof. Christian Loven in Stockholm. Die im den Muskeln bei der Contraction entstehenden Geräusche haben schon seit geraumer Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, und sie sind auch in der physiologischen Forschung benutzt worden als Merkmale solcher in diesen Organen verlaufenden Vorgänge, welche nicht in anderer Weise der Beobachtung zugänglich gemacht werden konnten. So hat man, wie bekannt, das gewöhnliche bei einer kräftigen, willkürlichen Muskelcontraction hörbare Geräusch als einen der wichtigsten Gründe für diejenige Ansicht angewendet, nach welcher die willkürliche, scheinbar vollkommen stetige Muskeleontraction in der That discontinuirlich ist, d. h. hervorgebracht durch eine Reihe gesonderter Impulse von den Öentralorganen. Und noch mehr. Da man in diesem Geräusch einen bestimmten und nahezu constanten Ton unterscheiden zu können glaubte, lag es auf der Hand von diesem Tone, d.h. von seiner Schwingungszahl, auf den Rhythmus der in den Muskeln abspielenden Vorgänge zu schliessen. Nach der Auffassung von Haughton! sollte der von den Muskeln des Menschen unter den genannten Umständen gehörte Ton 30—36 ganzen Schwingungen in einer Secunde entsprechen ; Helmholtz? dagegen bestimmte ihn zu 36-40 Schwingungen, aber der letztgenannnte Forscher, der dieser Erscheinung eine nähere Untersuchung widmete, schloss von der Schwingungszahl derjenigen elastischen Körper, die von den tönenden Muskeln am leichtesten in Mitschwingung versetzt wurden, dass der wirkliche Vibrationsrhythmus des Muskels eine Octave ! Meissner’s Jahresbericht. 1862. 8. 447. ? Ebenda. 1864. S. 481; — und 1867. 8. 485. 364 CHRISTIAN LOVvEn: tiefer (d.h. 18—20 in 1 Secunde) ist, der gehörte Ton mithin der erste Oberton der wirklichen Schwingung. Eine Untersuchung, deren Ergebnisse ich an einem anderen Orte! mitgetheilt habe, hat mich jedoch überzeugt, dass die Schwingungszahl des Muskels bei der willkürlichen Contraction viel und wahrscheinlich noch etwa eine ganze Octave tiefer ist. In Anbetracht hiervon so wie auch der Beobachtung Helmholtz’s, dass das Muskeleeräusch einem Eigentone unseres Gehörorganes entspricht, dürfte man schwerlich berechtigt sein, von diesem undeutlichen und seiner Tonhöhe nach nur sehr schwer zu bestim- menden Geräusch bestimmte Schlüsse rücksichtlich der in den Muskeln verlaufenden Vorgänge zu ziehen. Ganz anders verhalten sich diejenigen Geräusche, welche in den Mus- keln entstehen, wenn diese letztere durch intermittirende elektrische Rei- zung in Thätigkeit versetzt werden. Auch dann verschmelzen bekanntlich die von den einzelnen Reizen erweckten Zusammenziehungen zu einer schein- bar stetigen Contraction, Tetanus, wenn die Reize einander nahe genug folgen. Zwar wechselt diejenige Frequenz der Reizstösse, welche um einen solchen Erfolg herbeizuführen nothwendig ist, bei verschiedenen Thieren und auch für verschiedene Muskeln desselben Thieres sehr bedeutend, aber im Allgemeinen kann gesagt werden, dass im Säugethiermuskel ein stetiger Tetanus schon bei einer Reizfrequenz von 20—30 in 1 Secunde entsteht. Die Curve des tetanisirten Muskels zeigt dann keine Schwankungen mehr als Ausdruck der einzelnen Zuckungen, aus welchen die tetanische Zusam- menziehung in solchen Fällen ganz sicher zusammengesetzt ist. Dass jedoch auch hier undulatorische Vorgänge im Muskel stattfinden, dürfte als be- wiesen gelten können, weil der Säugethiermuskel bei einer weit gedrängteren Folge von Reizungen einen deutlichen Ton hören lässt, dessen Schwingungs- zahl von der Zahl der wirksamen Reize in der Zeiteinheit bestimmt wird. Die akustischen Erscheinungen, die im Muskel bei dessen intermitti- render Reizung entstehen, müssen folglich als ein wichtiges Mittel für das Studium der Eigenschaften der lebenden Muskelsubstanz angesehen werden. Speciell konnte man die Hoffnung hegen, mit der Hilfe dieser Erscheinungen entscheiden zu können, ob eine deutliche, d. h. durch einen entsprechenden Muskelton wahrnehmbare, oseillatorische Thätigkeit in einem Muskel auch bei sehr frequenter Reizung hervorgebracht werden kann, ob die in dieser Beziehung etwa existirende obere Grenze, oder, mit anderen Worten, die maximale Frequenz mittels der gewöhnlichen Reizungsmethoden erreicht werden kann, und wie gross sie in diesem Falle ist. Die in Bezug auf die erwähnten Fragen in der Literatur verzeichneten Erfahrungen sind, so weit mir bekannt, die folgenden: ! Nordiskt Medicinskt Arkiv. 1879. Bd. XI. No. 14. ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REIZUNG U.S.w. 365 Helmholtz hörte von tetanisirten Froschmuskeln „spurweise“ einen Ton von 120 Schwingungen, von den Armmuskeln eines Menschen dagegen deutlich einen solchen von 240 Schwingungen, wenn der N. medianus mittels einer entsprechenden Zahl von Stromstössen erregt wurde. Bernstein! konnte bei Reizung des N. ischiadicus vom Kaninchen (mit 748 Stromstössen in 1 Secunde) von den Wadenmuskeln des Thieres deutlich einen Ton von 748 Schwingungen hören, leise einen solchen von 933 Schwingungen bei entsprechender Reizfrequenz. Erreichten die erre- genden Stösse eine Frequenz von 1056 in einer Secunde, so hörte er einen Ton, der eine Quinte oder eine Octave tiefer war. Kronecker und Stirling? machten die Erfahrung, dass wenn der Hüftnerv des Kaninchens mittels eines Induetionsapparates erregt wurde, dessen Interruptor eine König’sche Stimmgabel von 180 Vibrationen. oder ein schnellschwingender Wagner’scher Hammer war, der erregende 'Ton mit allen seinen Klangeigenthümlichkeiten vom weissen Wadenmuskel ge- hört wurde. Dies letztere, oder die telephonartige Wiedergabe der Klang- farbe, wird auch von Bernstein betont; Kronecker und Stirling ziehen daraus den ganz consequenten Schluss, dass nicht nur der Grundton der erregenden Klangmasse, sondern auch die Obertöne den Muskel in ent- sprechende Schwingungen versetzen. Nach den letztgenannten Forschern rufen 22000 Reize in 1 Secunde einen ziemlich stetigen Tetanus in Frosch- muskeln hervor. Wenn nun, wie Kronecker und Stirling es anzunehmen scheinen, obwohl sie es nicht mit ganz deutlichen Worten aussprechen, jeder einzelne von diesen ungeheuer dicht gedrängten Stromstössen als Reiz wirkt, dann sollte man freilich berechtigt sein, den Muskelelementen eine fast unbegrenzte Beweglichkeit beizumessen. Da es mir wichtig schien, dieses Verhältniss näher zu untersuchen, stellte ich schon vor einigen Jahren eine Reihe von Versuchen in dieser Absicht an. Das Versuchsverfahren war wie folgt: Der N. ischiadicus eines Kaninchens wurde am Austritt aus dem Becken blossgelegt, unterbunden und abgeschnitten, und der peripherische Stumpf des Nerven in eine Reiz- röhre von Glas oder Gummi hineingezogen, welche mit zwei ringförmigen etwa 2—3"" von einander abstehenden Platinelektroden versehen war. Von diesen war die eine mittels einer langen Drahtleitung mit dem einen Pole der secundären Rolle eines Schlitteninduetoriums mit Eisenkern verbunden, welches in einem entfernten Zimmer des Laboratoriums aufgestellt war, die zweite Elektrode dagegen, so wie der zweite Pol des Inductoriums standen mit der Gasleitung, d. h. mit dem Erdboden in leitender Verbindung und 1 Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XI. S. 193. ” Die Genesis des Tetanus, in diesem Archiv. 1878. 8. 19. 366 ÜHRISTIAN LovEn: in dem so gebildeten Inductionskreise war ein Vorreiberschlüssel in der gewöhnlichen Weise als Nebenleitung eingefügt. Den inducirenden Strom lieferte ein Grenet’s Chromsäure - Flaschenelement mittlerer Grösse, und als Stromunterbrecher fungirte eine elektro-magnetische Stimmgabel von etwa 440 ganze Schwingungen in der Secunde mit Platincontact. Die Rollen des Inductoriums waren meistens zur Hälfte oder ganz über einander ge- schoben — die reizenden Ströme mithin ziemlich kräftig. Der Muskelton wurde mit Hilfe eines auf die Haut der Wadengegend aufgesetzten Stetho- skopes wahrgenommen. Die Ergebnisse dieser Versuche waren sehr wechselnd. Bald konnte trotz des heftigsten Tetanus kaum ein Geräusch oder nur das gewöhnliche Muskelgeräusch wahrgenommen werden, bald hörte man dagegen einen deutlichen aber dumpfen Ton, bedeutend tiefer als derjenige der Stimm- gabel, und schliesslich konnte man zuweilen den Stimmgabelton mit seiner leicht erkenntlichen metallischen Klangfarbe ganz deutlich hören. Insbeson- dere war dies letztere Ergebniss in hohem Grade überraschend — es war (wie Kronecker und Stirling bemerken) ganz so, „wie wenn die Zulei- tungsdrähte Schallleiter gewesen wären“ oder wie wenn man vor dem Ohre ein Telephon gehabt hätte. Aber noch überraschender ‚war es, dass der Ton in diesen letzten Fällen gleich gut, ja noch besser vom gleichseitigen Hinterfusse gehört wurde. Da dieses mir doch etwas verdächtig vor- kam, untersuchte ich andere Theile des Körpers und erstaunte sehr, den Ton mit derselben Deutlichkeit vom Hinterfusse der anderen Seite, von den Vorderfüssen und endlich am allerdeutlichsten von der Schwanzspitze zu vernehmen. Es war einleuchtend, dass der gehörte Ton gar nicht von etwaigen Muskelschwingungen, sondern von ganz anderen Ursachen herrührte. Wie leicht ersichtlich, hatte man dabei in erster Stelle an unipolare Entladungen zu denken, da die Inductionsströme, obwohl nicht übermässig stark, doch keineswegs als schwach zu bezeichnen waren. Aber in dieser Beziehung erschien es sonderbar, dass der Ton auch dann sehr gut gehört werden konnte, wenn man das Kaninchenbrett isolirte und das Thier, um aller Ableitung nach dem Körper des Horchenden vorzubeugen, aufs sorefältigste mit einer Gummihaut bedeckte, sowie auch, dass keine Zuckungen in anderen Muskeln bemerkt wurden, als in denjenigen, die Nerven vom erregten Nervenstamme erhielten. Es braucht wohl kaum ausdrücklich gesagt zu werden, dass ganz ähnliche Erfahrungen später auch am todten Thierkörper gemacht wurden. Da es mir nicht bekannt war, dass dergleichen Erscheinungen vorher wahrgenommen waren, aber solche bei Versuchen über Muskeltöne in ein- zelnen Fällen möglicherweise als Fehlerquellen sich eingeschlichen und zu falschen Schlüssen Veranlassung gegeben haben konnten, nahm ich eine ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REIZUNG U. S.w. 367 Reihe von Versuchen vor in der Absicht, wenn möglich die Bedingungen dieser elektrisch-akustischen Erscheinungen zu erforschen. Ich werde des- halb zuerst über diese Untersuchung kurz berichten, um später die Er- fahrungen mitzutheilen, die ich rücksichtlich des wahren Muskeltones bei intermittirender elektrischer Reizung gemacht habe. Ausden oben erwähnten Beobachtungen am Kaninchen ging schliesslich, nach vielem Herumtasten, als nothwendige Bedingung für das Auftreten der fraglichen Erscheinung hervor, dass das Thier und der horchende Untersucher durch eine nicht zu dicke, nichtleitende Schicht von einander getrennt sein müssen. Am stärksten klingt der Ton wenn nur der eine von den Polen des Inductoriums mit dem Thierkörper in Verbindung steht und dieser von einer dünnen Gummihaut bedeckt ist, gegen welche das Ohr unmittelbar angelest wird. Wenn aber zwischen dem Ohre und dem Thierkörper ein Stethoskop von nichtleitendem Stoff so angebracht wird, dass das Ohr gegen das Stethoskop gestützt wird, ohne dass irgend ein Theil des Körpers des Beobachters die trockene, haar- bedeckte Kaninchenhaut berührt oder derselben sehr nahe ist, so wird gar kein Ton gehört. Dasselbe geschieht auch, wenn man die Haut an irgend einer Stelle des Thierkörpers abpräparirt und das Stethoskop an dem ent- blössten Theile so anbringt, dass die jenes fixirende Hand diesen leitend berührt. Am unversehrten Thier wird nämlich die für die Entstehung des Tones nothwendige isolirende Schicht von der trockenen Haarbekleidung gebildet, und der Ton erlischt deshalb auch, wenn die Haut nicht abprä- parirt, sondern nur mit einer leitenden Flüssigkeit gut durchfeuchtet wird. Nachdem die nothwendigen Bedingungen der Erscheinung bekannt waren, hatte es keine Schwierigkeit, dieselbe unter viel einfacheren Ver- hältnissen nach Belieben hervorzurufen. Nebenbei darf hier bemerkt werden, dass die jetzt zu beschreibenden Versuche, die sehr leicht zu improvisiren sind und eine deutliche Vorstellung von den in Frage stehenden Erschei- nungen geben, mit derselben Anordnung in Bezug auf das Inductorium an- gestellt wurden wie die vorigen, mit dem alleinigen Unterschiede, dass jetzt anstatt der Erdbodenleitung eine zweite gewöhnliche Drahtleitung benutzt wurde. Ein solcher Versuch ist der folgende: Der eine von den Leitungs- drähten der secundären Rolle des Inductoriums wird an einer gewöhnlichen, mit einem isolirenden Handgriff versehenen Schwammelektrode (wie sie in der Elektrotherapie gebraucht werden) festgeschraubt. Der Schwamm wird mit Salzlösung befeuchtet und mit einer dünnen Gummihaut überzogen. So zugerichtet entspricht er in der einfachsten Weise dem Thierkörper mit dessen nichtleitender Haarbekleidung. Der zweite Pol des Inductionsapparates kann mit dem Erdboden verbunden sein oder nicht; im ersteren Falle sind die Erscheinungen etwas stärker. Falls jetzt die durch die Schwingungen 368 ÜHRISTIAN LovEx: der Stimmgabel erweckten Inductionsströme einigermaassen kräftige sind (bei übereinandergeschobenen Rollen), so bemerkt man, wenn der Schwamm dem Ohre vorsichtig genähert wird, im Augenblicke der ersten leisen Berührung, ein feines knisterndes Geräusch und empfindet ein schwaches, eigenthümlich prickelndes Gefühl, welches offenbar von feinen Funken, die nach dem Öhre hinüberschlagen, hervorgerufen wird. Wird aber jetzt der Schwamm gegen das Ohr fest angedrückt, so vernimmt man nichts derartiges, wohl aber hört man den Ton der Stimmgabel rein und klar mit allen Eigen- thümlichkeiten seiner Klangfarbe und in erstaunender Stärke. Ja, man braucht nicht einmal den Schwamm dem Ohre anzulegen, denn der Ton kann sogar für umstehende Personen hörbar hervorgerufen werden, wenn man mit einem befeuchteten Finger die Gummibekleidung des Schwammes berührt. Eine sehr überraschende Abänderung dieses Versuches ist die folgende: Man erfasse den einen von den Leitungsdrähten des Inductoriums, so dass derselbe in gut leitender Verbindung mit dem eigenen Körper ist, und be- decke sich das eine Ohr mit einer über den Kopf gelegten dünnen Gummi- haut. Unter solehen Umständen hört man weder noch fühlt man irgend etwas. Sobald aber eine zweite Person ihr Ohr dem mit Gummi bedeckten anlegt, bricht der Ton für beide klar und kräftig hervor. In dieser Weise kann mittels Zwischenlagerung von Gummi der Ton mit der gleichen Deut- liehkeit von einer ganzen Reihe von Personen gleichzeitig gehört werden. Noch kräftiger wird der Ton, wie leicht einzusehen, wenn die beiden Per- sonen im ersten Falle, oder die äussersten von der Reihe im zweiten, je einen Leitungsdraht vom Inductorium ergreifen. Natürlicherweise muss in jedem Falle dafür gesorgt werden, dass keine leitende Berührung zwischen den verschiedenen Personen stattfindet. Dem Versuch kann auch die folgende Einrichtung gegeben werden, die auch gestattet, einige andere Einzelheiten der erwähnten Erscheinungen zu demonstriren. Der eine Pol der secundären Rolle des — wie immer in einem entfernten Zimmer aufgestellten — Imductionsapparates wird mit einer -isolirten Metallplatte, (z. B. einer dünnen Scheibe von Zink- oder Eisenblech oder auch einem Stanniolblatt) leitend verbunden. Wenn man jetzt, während die Stimmgabel schwingt, die Metallscheibe mit einem Finger berührt, so wird weder ein Ton gehört, noch irgend etwas empfunden, be- sonders wenn der Finger feucht ist oder der Scheibe fest angedrückt wird. Legt man aber über die Scheibe eine dünne Haut von Gummi oder einem anderen isolirenden Stoffe und berührt nun diesen mit dem. befeuchteten Finger, oder noch besser, legt man über die isolirende Haut eine zweite Metallscheibe und berührt man diese letztere in derselben Weise, so wird der Ton in einem Abstande von mehreren Metern deutlich wahrgenommen. ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER Reizung vs. w. 369 Eine sehr bedeutende Intensität erlangt die Erscheinung, wenn man, bei der zuletzt beschriebenen Anordnung, die obere Scheibe mit dem zweiten Pole der secundären Rolle verbindet, so dass die beiden von einander isolirten Scheiben mit je einem Pole verbunden sind. Unter solchen Umständen klingt der Ton im ganzen Zimmer fast ebenso stark, wie wenn die tönende Stimmgabel selbst da wäre. Es wurde soeben erwähnt, dass kein Ton wahrgenommen wird, wenn man den Finger gegen eine Metallplatte drückt, die mit dem einen Pole des Inductoriums leitend verbunden ist. Ganz anders gehen aber die Dinge vor sich, wenn man die Platte mit dem Finger leicht reibt. Dann klingt der Ton ganz deutlich hervor und erlangt eine bedeutende Stärke, beson- ders wenn die Bewegungen des Fingers schnell ausgeführt werden. Gleich- zeitig hat man — auch wenn die Oberfläche der Platte vollkommen glatt ist — die Empfindung eines Widerstandes, ganz wie wenn die Platte rauh wäre. Hat man den Versuch so eingerichtet, dass die Inductionsströme durch einen in den Stromkreis eingefügten Vorreiberschlüssel von der Platte nach Belieben abgeblendet werden können, so macht es, wenn man den Schlüssel schliesst, während die Reibung fortgesetzt wird, ganz den Ein- druck, wie wenn die Oberfläche auf ein Mal plötzlich ganz eben und glatt würde, wobei zugleich der Stimmgabelton natürlicherweise ebenso plötzlich schweigt. Eine nothwendige Bedingung für das Gelingen dieses Versuches ist die Trockenheit des reibenden Fingers, denn wird derselbe befeuchtet, oder ist er schon an sich feucht in Folge von lebhafter Hautthätigkeit, so kann der Ton in der angegebenen Weise nicht hervorgelockt werden. Am besten gelinet der Versuch bei Personen mit schwacher Hautthätigkeit und trockener Oberhaut, aber auch andere können ihn mit Erfolg anstellen, wenn die Finger mit etwas Fett eingerieben werden. Schliesslich darf be- merkt werden, dass es für das Gelingen der eben beschriebenen Versuche von keiner wesentlichen Bedeutung ist, ob der Körper des Experimentators durch besondere Einrichtung isolirt ist oder nicht, obwohl freilich die Er- scheinungen kräftiger hervortreten, wenn derselbe mit dem Erdboden in gut leitender Verbindung steht. Es wäre gewiss sehr leicht viele andere Abänderungen dieser Versuche auszudenken; die oben beschriebenen dürften jedoch genügen, um die wesent- lichen Bedingungen der in Frage stehenden Erscheinungen zu zeigen. Aus Allem, was angeführt ist, geht unzweideutig hervor, dass diese Erschei- nungen von statischer Elektrieität herrühren müssen. Dafür spricht mit aller Bestimmtheit die Nothwendigkeit einer isolirenden Schicht zwischen demjenigen Leiter, der mit einem Pole des Inductionsapparates in Verbin- dung steht, und dem zweiten leitenden Körper (d. h. dem horchenden Be- obachter), der von der Inductionselektrieität beinflusst wird. - Auch bei dem Archiv f.A.u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 34 370 ÖHRISTIAN Lov£x: zuletzt beschriebenen Versuche muss diese Bedingung offenbar erfüllt sein, denn einerseits ist die trockene oder mit Fett eingeriebene Oberhaut fast nichtleitend, andererseits findet während der ununterbrochenen Bewegung des Fingers bei der Reibung der Metallscheibe sicher keine vollständige Berührung zwischen beiden statt. Bei den einander schnell folgenden Oeffnungen und Schliessungen des primären Stromkreises werden an den beiden Polen der secundären Rolle in ebenso schnellem Wechsel entgegengesetzte elektrische Spannungen er- zeugt. An dem einen freien Pole — d.h. in den beschriebenen Versuchen in der Schwammelektrode oder in der Metallscheibe — entsteht somit in dem einen Augenblicke positive Elektrieität von hoher Spannung, der im nächsten negative folgt, dann wieder positive u. s. w., und so geht es fort, so lange als die schwingende Stimmgabel den primären Strom abwechselnd öffnet und schliesst. Wird nun dem genannten Pole ein Leiter, wie der menschliche Körper, genähert, aber so, dass immer eine dünne nichtleitende Schicht zwischen den beiden sich befindet, so müssen in demjenigen Theile (dem Ohr oder dem Finger), der die isolirende Schicht berührt, nach den bekannten Gesetzen der Elektrieitätsvertheilung durch Influenz in ebenso schnellem Wechsel die entgegengesetzten elektrischen Spannungen entstehen — mithin positive, wenn der Pol negativ elektrisch, negative dagegen, wenn der- selbe positiv elektrisch ist. Bei der beschriebenen Anordnung müssen in der That die beiden durch die isolirende Schicht von einander getrennten Leiter dieselbe Rolle wie die Stanniolbelege eines Condensators spielen. In einem solchen können auch, unter wesentlich ähnlichen Verhältnissen wie die oben geschilderten, Töne hervorgebracht werden -- ja, die Brauch- barkeit solcher Condensatoren für die Telephonie ist ja in der letzten Zeit ernstlich erwogen worden. - Ein Ton könnte unter den gegebenen Bedingungen als in dreierlei Weise hervorgerufen gedacht werden, nämlich: 1) durch wirkliche Entladung zwischen den entgegengesetzten elektrischen Spannungen auf den beiden Seiten der dünnen isolirenden Schicht; 2) dadurch, dass der plötzliche Wechsel der elektrischen Spannung die beiden Leiter in Schwingungen versetzt; 3) durch Schwingungen der isolirenden Schicht in Folge der In- fluenzwirkung. Es dürfte nicht gerade leicht sein, zwischen diesen Möglichkeiten zu entscheiden. Da indessen diese Frage mit dem Gegenstande dieser Arbeit in keinem unmittelbaren Zusammenhange steht, habe ich es unterlassen, in dieser Richtung hinlänglich genaue und umfassende Untersuchungen anzustellen, doch glaube ich auf Grund meiner Beobachtungen die Ansicht aussprechen zu können, dass eine Entladung im gewöhnlichen Sinne des Wortes die Ursache der Erscheinung nicht ist. Freilich darf bemerkt ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REiIzunG v.s,w. 371 werden, dass bei einigen unter den oben beschriebenen Versuchen, wie auch schon erwähnt wurde, Zeichen einer solchen Entladung beobachtet werden, aber gerade in solchen Fällen hört man nicht den reinen Stimmgabelton, sondern derselbe ist dann mit prasselnden oder knisternden Geräuschen stark vermischt, welche schon an und für sich, auch wenn sie nicht zu- gleich mit der eigenthümlichen Tastempfindung vereinigt wären, deutlich angeben, dass eine Entladung stattfindet. Die oben geschilderten akustischen Erscheinungen treten auch bei einer anderen Versuchsanordnung auf, welche, obwohl sie mit dem vorliegenden Gegenstande nicht direct zusammenhängt, der Vollständigkeit wegen hier mit erwähnt werden mag. Stellt man in einer Entfernung von einander von nur etwa einem halben Centimeter zwei metallene Scheiben auf, die mit je einem Pole der secundären Spirale des Inductionsapparates leitend verbunden sind, so wird kein Ton gehört, und dasselbe gilt natürlich auch für grössere Entfernungen. Wird aber jetzt eine über einen Holzrahmen ausgespannte dünne Haut von Gummi oder, noch besser, von Guttapercha (sogenanntes „Guttaperchapapier‘) zwischen den beiden Scheiben eingeschoben, so bricht der Ton oft in erstaunlicher Stärke hervor, auch wenn der Ab- stand der Scheiben viel grösser (30°® und darüber) ist, und die Haut sich in der Mitte zwischen denselben befindet. Bei näherem Nachforschen findet man dann leicht, dass das Auftreten, bez. Ausbleiben des Toones in diesem Falle davon abhängt, ob die Haut elektrisch ist oder nicht, denn bleibt der Ton aus, so kann er augenblicklich einfach dadurch hervorgerufen werden, dass man die Haut mit der Hand ein Wenig reibt — eine Operation, durch welche besonders das Guttaperchapapier stark elektrisch wird und seine freie Elektrieität sehr lange beibehält. Der Ton kann übrigens auch gehört werden, wenn man nur eine Scheibe benutzt und die elektrisirte Haut in einem Abstand von einigen Centimetern davon aufstellt, so wie auch, wenn der Experimentator sich selbst in leitender Verbindung mit dem einen Pole der secundären Spirale setzt und die Haut seinem Ohre nähert. Auch diesem Versuch können eine Menge verschiedener Formen, die ich hier nicht zu beschreiben brauche, gegeben werden. Auch hier ist die Erklärung offenbar aus den ‚Gesetzen der Elektrieitätswirkung durch Influenz abzuleiten. Mit Rücksicht auf den Muskelton und auf die Bedeutung ‘der beschrie- benen Erscheinungen als mögliche Fehlerquellen bei Untersuchungen über jenen, könnte man wohl geneigt sein zu bemerken, dass solche Erschei- nungen für ihr Zustandekommen sehr kräftige Inductionsströme und einen offenen Inductionskreis fordern, mithin niemals störend wirken können, wenn der Inductionskreis durch den Nerven geschlossen ist. In dieser Hin- sicht habe ich einige Versuche angestellt, die unzweideutig beweisen, dass 24* BD UHristian LovEn: der Stimmgabelton, obwohl verhältnissmässig schwach, von einer in der oben angegebenen Weise zugerichteten Schwammelektrode oder von der Metallplatte mit Hilfe eines Stethoskopes, auch dann deutlich gehört werden kann, wenn der Inductionskreis durch einen Nerven oder einen kurzen, in Salzlösung von 0-6°/, getränkten Faden geschlossen ist. Wie kleine Spannungsdifferenzen in dieser Weise hörbar sind, lehrt am besten der folgende Versuch: Die beiden von der secundären Spirale herkommenden Leitungsdrähte werden in zwei auf eine isolirende Unterlage befestigte einige Centimeter von einander abstehende Klemmschrauben ein- geklemmt, die mit einander durch einen mit Salzlösung getränkten Faden verbunden sind. Ein zweiter solcher Faden, den wir als den „Ableitungs- faden“ bezeichnen können, ist mittels einer Oese an dem ersten derartig befestigt, dass er längs desselben verschoben werden kann, und sein freies Ende wird mit der Metallscheibe oder mit der Schwammelektrode leitend verbunden. Giebt man nun dem Ableitungsfaden eine solche Lage, dass seine Oese sich sehr nahe an einer von den beiden Klemmschrauben be- findet, so kann der Ton in der angegebenen Weise hörbar gemacht werden und hat eine verhältnissmässig nicht unbedeutende Intensität; wird aber der Ableitungsfaden allmählich gegen die Mitte des zwischen den Pol- schrauben ausgespannten Fadens verschoben, so wird der Ton immer schwächer und schweigt natürlich ganz, wenn die Mitte erreicht wird. Man bemerkt aber dabei, dass er, wenn auch schwach, in der That noch hörbar ist, wenn die Oese des Ableitungsfadens nur wenige Millimeter von der Mitte des zweiten Fadens entfernt ist. Ein anderer Versuch derselben Art mag auch hier erwähnt werden: Wenn man die Zuleitungsdrähte der secundären Spirale des Inductions- apparates mit einer zweiten Rolle feinen Drahtes derartig verbindet, dass die Inductionsströme die Drahtwindungen derselben durchlaufen müssen, und legt nun das Ohr der Oberfläche der Rolle an, dann klingt der Ton oanz klar und deutlich aus derselben heraus. Dass er in diesem Falle nicht — oder wenigstens nicht wesentlich — von molecularen Schwingungen herrührt, ie durch die Ströme in den Drahtwindungen selbst erzeugt werden, geht daraus hervor, dass er noch viel stärker hervorgerufen werden kann in einer Schwammelektrode oder einer Metallscheibe, die mit dem einen Pole der letzterwähnten Rolle in leitender Verbindung steht. Eben so wenig kann ‘die Ursache der hohen Spannungen an den Polen dieser Drahtrolle in der Länge des feinen Rollendrahtes und dem dadurch be- dingten, verhältnissmässig nicht unbedeutenden Widerstande gesucht werden. Dies scheint mir dadurch bewiesen zu werden, dass, wenn man, bei im Uebrigen ganz identischer Anordnung, anstatt der Drahtrolle einen Rheostat von viel grösserem Widerstande einsetzt, keine Spur eines Tones vernommen ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REIZUNG U.S.w. 373 werden kann. Die Erscheinung rührt mithin ohne Zweifel von den Extra- strömen her, die in den Drahtwindungen entstehen und die Rolle mit Rück- sicht auf die soeben besprochene Wirkung gewissermaassen einem Halb- leiter, wie ein Nerv oder ein feuchter Faden, vergleichbar machen. Die mitgetheilten Erfahrungen scheinen mir zu beweisen, dass die ge- schilderten elektrisch - akustischen Erscheinungen unter den gewöhnlichen Verhältnissen der Versuche über Muskeltöne in der That auftreten und zu Täuschungen möglicherweise Veranlassung geben können. Offenbar ist solches im höchsten Grade zu befürchten, wenn die Stärke der erregenden Inductionsströme sehr bedeutend ist, wenn der Contact zwischen dem Nerven und den an demselben angelegten . Elektroden irgendwie mangelhaft ist, sowie auch wenn diese letztere mehr als 2—3”"” von einander abstehen. Andererseits geht aber aus den Versuchen hervor, dass es auch unter sol- chen Verhältnissen leicht ist, sich vor der angegebenen Irrthumsquelle zu schützen. Man braucht nämlich nur für genügend leitenden Contact zwi- schen dem horchenden Beobachter und dem Thierkörper zu sorgen, z. B. in der Weise, dass man die Haut des Thieres an der Stelle, wo man aus- eultiren will, mit Salzlösung gut durchfeuchtet und das Stethoskop so mit der Hand fixirt, dass vollkommene Berührung zwischen dieser und der feuchten Thierhaut stattfindet. Noch sicherer ist es natürlich, die Haut über den zu untersuchenden Muskeln zu entfernen und die Hand mit dem Stethoskope direct auf diese aufzusetzen. Wenn diese Vorsichtsmaassregeln gehörig beobachtet werden, können die in Frage stehenden Erscheinungen unmöglich auftreten, da ja dieselben als eine unerlässliche Bedingung ihres Entstehens die Gegenwart einer isolirenden Schicht zwischen dem Beob- achter und dem Thiere fordern. | Bei den zahlreichen Versuchen, die ich angestellt habe, um einen Ton aus Froschmuskeln herauszulocken, bin ich auf eine andere Quelle von Tönen gestossen, welche möglicherweise ebenfalls zu Täuschungen Veranlassung geben könnte. Vorweg muss ich bemerken, dass es mir nie gelungen ist, bei Reizung des Froschischiadicus in den Wadenmuskeln des Thieres irgend einen Ton zu hören, wie empfindliche Hilfsmittel für das Gehör ich auch anwenden mochte. In einigen von diesen Versuchen benutzte ich ein ge- wöhnliches Hughes’sches Mikrophon, zwischen dessen vertiealer Holzplatte und einer kleinen von der Fussplatte des Instrumentes aufstehenden Säule der Muskel ausgespannt war, während der Nerv auf zwei in derselben Fuss- platte befestigten Elektroden ruhte. Obwohl ich die Stärke und Frequenz der Induetionsschläge innerhalb sehr weiter Grenzen wechselte, erhielt ich immer, trotz des heftigsten Tetanus des Muskels, nur negative Ergebnisse bis auf ein eben hörbares, der Tonhöhe nach nicht bestimmbares, sausendes Geräusch, das einige Male wahrgenommen wurde. Eben so unglücklich 374 CHRISTIAN LovE&n: war ich mit einer anderen Methode: Ueber die Haut eines gewöhnlichen Fadentelephons (von der Art, die in den letzten Jahren als Spielzeug so viel benutzt worden ist) wurde ein Galgen von Holz angebracht. Zwischen dem (Querstücke desselben und einem in der Mitte der Haut befestigten Häkchen spannte ich den Muskel aus; der Nerv ruhte in diesem Falle auf zwei an dem einen von den Seitenstücken des Galgens angebrachten Elektroden. Ganz verschieden dagegen war der Erfolg, wenn ich den Muskel direet reizte mittels zwei, bez. in das obere Ende und in die Achillessehne ein- gestochene Nadeln, die als Elektroden dienten. Auch jetzt konnte freilich bei schwächeren Strömen, trotz kräftigem Tetanus, kein Ton wahrgenommen werden; dagegen wurde ein solcher sehr deutlich und mit beibehaltener Klangfarbe gehört, wenn die Ströme einigermaassen kräftig waren. Es zeigte sich aber bald, dass man auch in diesem Fall es nicht mit einem wirklichen Muskelton zu thun hatte, indem der gehörte Ton mit unver- minderter Stärke forttönte, auch wenn der Muskel bis zu vollkommener Er- schöpfung tetanisirt wurde — ja er konnte eben so deutlich gehört werden, sogar wenn der Muskel wegsenommen und durch einen. mit Salzwasser ge- tränkten Faden ersetzt wurde. Offenbar also rührte der Ton, im Muskel wie im Faden, von Schwingungen her, welche durch die Inductionsströme direct erzeugt wurden. Die Resultate aller dieser Versuche sind somit als vollkommen negativ zu bezeichnen. Weder bei directer noch bei indirecter Reizung konnte ich, unter solchen Verhältnissen, wo Fehlerquellen mit Sicherheit ausgeschlossen waren, irgend einen Ton von dem Wadenmuskel des Frosches hervorrufen. Nachdem ich durch die Voruntersuchung, deren Ergebnisse im Vorher- gehenden mitgetheilt worden sind, mich möglichst vor solchen Täuschungen sichergestellt hatte, die aus rein physikalischen, von den physiologischen Eigenschaften der Muskeln ganz unabhängigen Erscheinungen herstammen und welche denjenigen, der ihr Vorkommen und dessen Bedingungen nicht kennt, leicht irre führen können, ging ich zu der näheren Untersuchung des wahren durch intermittirende elektrische Reizung erzeugten Muskel- tones beim Kaninchen zurück. Aus Gründen, die leicht einzusehen sind, beschränkte ich mich dabei auf indirecte Reizung, d. h. auf Reizung des hoch oben durchschnittenen N. ischiadieus. Anfangs wurde die Aufmerk- samkeit den in der Wadenmuskelgruppe entstehenden Geräuschen auschliess- lich zugewendet; in den späteren Versuchsreihen dagegen benutzte ich als Object hauptsächlich den M. tibialis anticus, der wegen seiner Lage und besonders wegen seiner Homogeneität gewisse Vorzüge vor der Wadenmus- culatur besitzt. Diese letztere ist nämlich aus sowohl weissen wie rothen Muskeln zusammengesetzt, welche, wie durch die schöne Entdeckung Ran- ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REIZUNG U. S. W. 815 vier’s bekannt geworden ist, hinsichtlich ihrer physiologischen Eigenschaften bedeutend von einander abweichen. Es dürfte dem zu Folge, wenn man reine Resultate haben will, nicht ganz zweckmässig sein, als Versuchsobject eine so complicirte Muskelmasse, wie die Wadenmusculatur des Kaninchens, zu wählen. Die Versuchsanordnung war die Eingangs beschriebene, nur wurde nicht Erdbodenleitung, sondern eine doppelte Drahtleitung benutzt, und als Stromunterbrecher diente, anstatt der Stimmgabel, ein Stück emer Degen- klinge, deren schwingender Theil mittels einer verschiebbaren Klemme länger oder kürzer, der Ton folglich nach Belieben tiefer oder höher gemacht werden konnte. Auch diese Vorrichtung, die im Wesentlichen nur eine Nachbildung des Bernstein’schen akustischen Stromunterbrechers ist, war mit Platincontact versehen. Der Unvollkommenheiten ungeachtet, die sol- chen Contacten immer ankleben, hat sich dieses einfache Instrument für die vorliegenden Versuche als sehr zweckmässig bewährt. Der Apparat ist, vorausgesetzt, dass der Contact einigermaassen federt, leicht in Gang zu setzen, und die durch denselben erzeugten Inductionsströme geben in einem Telephone Töne von genügender Gleichmässigkeit und Reinheit. Diese Töne besitzen ausserdem eine verhältnissmässig reiche metallische Klangfarbe — eine Eigenschaft, die, wie sich zeigen wird, hier vortheilhaft ist. Mittels dieser einfachen, improvisirten Vorrichtung konnte, obwohl mit einiger Schwierigkeit bei den allerhöchsten Tönen, eine Schwingungsfrequenz des Interruptors von über 1400 ganze Schwingungen in einer Secunde unter- halten werden, auch wenn die primäre Rolle des Inductionsapparates mit Eisenkern len war, und keine Nebenleitung für die im solehen Falle sehr starken Extraströme benutzt wurde. Die Versuche, deren Ergebnisse ich jetzt mittheilen werde, waren haupt- sächlieh bestimmt, wenn möglich, die Antwort auf folgende zwei Fragen zu geben, nämlich 1) welchen Einfluss auf den Muskelton die verschiedene Stärke der reizenden Ströme ausübt, und 2) bis zu welcher höchsten Vibra- tionszahl ein solcher Ton noch hervorgerufen werden kann. Ueber die erste von diesen Fragen sind, so weit mir bekannt, keine speciellen Unter- suchungen angestellt worden; die vorliegenden Mittheilungen derjenigen Forscher, die sich mit Versuchen über den Muskelton beschäftigt haben, zeigen im Gegentheile gerade in diesem Punkte bedenkliche Lücken, da es im Allgemeinen gar nicht möglich ist, sich auch nur annäherungsweise eine Vorstellung von der angewendeten Stromstärke zu machen. Mit Rück- sicht auf die zweite Frage dagegen sollte man, wie schon erwähnt wurde, nach den Angaben von Bernstein sowie von Kronecker und Stirling schliessen können, dass das Vermögen der Muskeln in tönende Schwingungen versetzt zu werden nahezu unbegrenzt ist. 376 CHRISTIAN LOVvEx: Da die bei den oben beschriebenen Versuchen gewonnene Erfahrung dazu mahnte, möglichst schwache Ströme anzuwenden, benutzte ich meistens das Inductorium ohne Eisenkern und begann im Allgemeinen die Versuche mit dem grössten Rollenabstande, bei welchem eine Contraction der Muskeln überhaupt sich einstellte. Ich wurde dabei überrascht zu finden, dass so- bald nur die Reizung eine solche Stärke erlangt hatte, dass eben ein voll- kommener Tetanus erzeugt wurde, auch der Ton mit der grössten Deut- lichkeit gehört würde, vorausgesetzt dass irgend ein solcher bei der ange- wendeten Schwingungszahl überhaupt erzeugt werden konnte Im Allge- meinen kann diese Stromstärke so definirt werden, dass der Rollenabstand bei Anwendung von einem mittelgrossen Grenet’schen Elemente im pri- mären Kreise (das Inductorium ohne Eisenkern) etwa 15—20 °®, je nach der Schwingungszahl des Interruptors, betrug. Erhöhte man jetzt die Stromstärke, so wurde der Ton nicht stärker, sondern im Gegentheil immer schwächer, und derselbe schwieg meistens völlig. bei einer grösseren, obwohl noch keines- wegs sehr bedeutenden Intensität der Inductionsströme; an seiner Stelle konnte dann nur das gewöhnliche Muskelgeräusch mehr oder weniger stark gehört werden. In solchen Fällen, wo die angewendete Vibrationszahl einigermaassen hoch war (etwa 330—380 in einer Secunde), war der bei schwacher Reizung gehörte Ton fast immer deutlich eine Octave tiefer, als der Ton des Inter- ruptors. Sehr oft aber nur wenn die Vibrationszahl des Unterbrechers nicht zu hoch war, konnte dann der Muskelton, nachdem er bei allmählicher Steigerung der Stromstärke verschwunden war, bei noch weiterer Erhöhung derselben von Neuem hervorgerufen werden, und jetzt war er mit dem er- regenden Tone unison. Wurde nachher die Reizung wieder auf diejenige Stärke vermindert, die sie im Anfange des Versuchs inne hatte, so trat auch wieder die tiefere Octave mit derselben Deutlichkeit hervor, als vorher. Das eben geschilderte Verhalten — das Auftreten der tieferen Octave mit verhältnissmässig bedeutender Intensität bei fast minimaler Reizung, das Verschwinden des Tones bei etwas stärkerer und die Rückkehr desselben in der Oectave der Reizquelle bei noch stärkerer — habe ich, trotzdem dass die Resultate, wie bei derartigen Versuchen wohl nicht anders er- wartet werden kann, nicht immer ganz constant waren, so oft beobachtet, dass ich nicht anstehe, dasselbe als die Regel zu betrachten. In einigen Fällen konnte ich bei mittelstarker Reizung sogar die beiden Octaven hören, bald gleichzeitig, bald mit einander abwechselnd. Eine ähnliche Erfahrung scheint auch Bernstein gemacht zu haben. Der genannte Forscher er- wähnt ausserdem, dass er bei sehr grosser Reizfrequenz (1050 in 1 Secunde) von den Muskeln einen Ton gehört habe, der etwa eine Quinte niedriger war als derjenige des Umterbrechers, sowie auch in einigen Fällen, aber ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REIZUNG UV.S.w. 377 nur bei dieser hohen Schwingungszahl, ausschliesslich die tiefere Octave. Der Vollständigkeit wegen muss noch zugefügt werden, dass ich ein paar Male von den contrahirten Muskeln ausnahmsweise einen Ton hörte, der nieht genau die tiefere Octave des erregenden war, sondern eine halbe oder ganze Tonstufe höher, und welcher mithin mit dem Ton des Inter- ruptors eine scharfe Dissonanz bildete. In Betreff der höchsten Schwingungszahl, bei welcher in den höchsten Muskeln ein deutlicher Ton gehört werden kann, bin ich nicht so glück- lich gewesen, wie Bernstein. Niemals ist es mir gelungen einen wahren Muskelton bei höherer Vibrationszahl des Unterbrechers zu vernehmen als (und dies nur ein einziges Mal) etwa 880 in 1 Secunde, entsprechend dem «” und hierbei gaben die Muskeln das a’, also die tiefere Octave deutlich an. Das Protocoll dieses Versuches mag hier mitgetheilt werden, da es eine sute Erläuterung des oben vom Einfluss der Stromstärke Gesagten giebt: Rollenabstand | in Centimetern. | Resultat. 15 (ohne Eisenkern) | Gewöhnliches 'Muskelgeräusch, unvollkommener Tetanus. Te ae ns Sehr deutlicher Ton, die tiefere Octave. Id ng hy Ton sehr schwach. ORT, H Kein Ton. 0 (ohne Eisenkern) | Ton sehr deutlich, die tiefere Octave. Ich habe mehrere höhere Schwingungszahlen bis auf f” (1408 Schw.) wiederholt versucht, aber immer ohne etwas anderes als das gewöhnliche Muskelgeräusch zu hören, obwohl die Muskeln sich im heftigsten Tetanus befanden. Der höchste Muskelton, den es mir (aber nur in einem einzigen Falle) zu hören gelang, war das f”) (704 Schw.) bei entsprechender Frequenz der Reizstösse. Als Beispiel vom Verhalten des Muskeltones bei niederer Schwingungs- zahl des Interruptors mag folgender Versuch dienen: Rollenabstand ohne Eisenkern Resultat. in Centimetern. 16 Sehr deutlicher Ton, die tiefere Octave. 0 Deutlicher Ton, Octave der Reizquelle. 10 Schwacher Ton, ,, n 12 Ton kaum hörbar, unsicher. 15 Sehr deutlicher Ton, die tiefere Octave. 378 CHRISTIAN LovÄn: Nachdem ich die Erfahrung gemacht hatte, dass der Muskelton ver- hältnissmässig am deutlichsten und stärksten bei schwacher Reizung auftritt, vorausgesetzt nur, dass diese einen wahren Tetanus hervorrufen kann, lag nahe für diese Versuche das Telephon anzuwenden. Schon bei dem ersten Einführen. des Bell’schen Telephons hatte man beobachtet, dass die in diesem Instrumente erzeugten Ströme genügende Intensität besitzen, um durch Reizung des N. ischiadicus einen kräftigen Tetanus im Wadenmuskel des Frosches zu erwecken,! und es war darum anzunehmen, dass es gelingen würde mit Hülfe des Telephons auch den Hüftnerven des Kaninchens hin- länglich kräftig zu erregen. Das Telephon hat vor den meisten Reizvor- richtungen den nicht unwesentlichen Vorzug, dass es keine Contacte be- sitzt und folglich von solchen Störungen, die bei festen Contacten nie ganz zu vermeiden sind, frei ist. Bei allen solchen Versuchen, wo es nicht auf eine genaue Abstufung der Stärke der erregenden Ströme ankommt, ist dieses Werkzeug deswegen als ein sehr werthvolles Hülfsmittel zu bezeichnen. Ich benutzte anfangs ein grosses Telephon von Siemens und Halske in Berlin, aber nachdem es sich gezeigt hatte, dass ebenso gute, ja noch bessere Erfolge mit dem kleinen von mir construirten Quecksilbertelephon ? erhalten werden konnten, wurde dies ausschliesslich gebraucht. Als Ton- quelle kam bald die menschliche Stimme zur Anwendung, bald Pfeifen von verschiedener ‚Construction — diese letzteren hauptsächlich um recht hohe Töne erzeugen zu können. Auch bei diesen Versuchen konnte kein Muskel- ton bei höherem „Erregungstone“ als etwa a” von 800 Schw. in 1 Secunde erhalten werden, und auch hier wurde dann von den Muskeln die tiefere Octave gehört. Insbesondere machte ich sehr viel Versuche mit einer sehr durchdringenden Gummizungenpfeife, die bei kräftigem Anblasen etwa f” (1408 Schw.) gab, aber stets mit negativem Erfolg, trotz dem kräftigsten Tetanus der Muskeln. Besonders interessant schien es mir, zu untersuchen, wie der Muskel- ton bei fortschreitender Veränderung der Tonhöhe des erregenden Tones sich verhalten möchte. Zu diesem Zwecke wurde von einer männlichen Stimme in das Telephon eine Scala von g (198 Schw.) zu g’ (396 Schw.) hineingesungen. Dabei konnte von den Muskeln ganz deutlich die ganze Scale bis zum c’ (264 Schw.) gehört werden; das d’ war sehr undeutlich, e', fis und g’ dagegen riefen wieder sehr deutliche Muskeltöne hervor, aber diese gehörten der tieferen Octave an. Solche Versuche wurden wiederholt mit verschiedenen Personen angestellt und ergaben immer dasselbe Resultat mit der alleinigen Abweichung, dass in ein paar Fällen der Umschlag in die tiefere Octave eine Tonstufe höher, d. h. bei e’ anstatt d’ geschah. 1 E. du Bois-Reymond in diesem Archiv. 18171. 8. 575. 576. 2 Siehe Nord. Med. Arkiv. Bd. XI. Nr. 14. ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER REIZUNG U. Ss. w. 379 Es bleibt jetzt übrig eine wichtige Bemerkung hinsichtlich der Klang- farbe des von den Muskeln erzeugten Tones zu machen. Nach den An- gaben von Bernstein, sowie auch von Kronecker und Stirling sollte der Muskelton nicht nur der Tonhöhe, sondern auch der Klangfarbe nach mit dem Tone des Interruptors vollständig übereinstimmen. Die Muskeln sollten sich, um mit den letztgenannten Forschern zu reden, wie „mittel- mässige Telephone“ verhalten. In dieser Hinsicht ist meine Erfahrung eine ganz andere gewesen. Sowohl bei Reizung mittels des Inductionsapparates mit schwingendem Unterbrecher, als bei Anwendung des Telephons war der Muskelton auffallend dumpf und klanglos. Ganz besonders schlagend waren in dieser Beziehung die Versuche mit dem Telephon, denn obwohl die menschliche Stimme und ebenso die benutzten Pfeifen sich durch eine sehr charakteristische Klangfarbe auszeichnen, so hatte auch in diesen Fällen das Muskelgeräusch fast den Charakter eines „einfachen Tones“; es wurde nur der Grundton oder dessen tiefere Octave wiedergegeben, nicht aber die Obertöne. In allen Versuchen hörte ich neben dem wahren Ton ein mehr oder weniger deutliches Nebengeräusch, welcher dem gewöhnlichen Muskelgeräusche am meisten ähnlich war. Insbesondere war dies der Fall, wenn die Waden- muskeln auscultirt wurden, und ist es deshalb möglich, dass dasselbe von dem rothen Bestandtheile dieser Muskelgruppe herrührte. Auch im M. tibialis anticus wurde das besagte Geräusch nicht ganz vermisst, aber auch hier konnte es möglicherweise als von dem nahe gelegenen M. soleus herrührend angesehen werden. Eine bestimmte Ansicht in Bezug auf diese Frage wage ich indessen nicht auszusprechen. Wenn die Höhe des erregenden Tones diejenige Grenze überschritt, innerhalb welcher noch ein Muskelton hervorgerufen werden konnte, wurde dieses Geräusch immer gehört. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass dasselbe, ganz so wie der wahre Muskel- ton, bei stärker Reizung schwächer wurde. Unter den eben mitgetheilten Erfahrungen finden sich einige, die ge- wiss als ziemlich räthselhaft bezeichnet werden müssen. So vor allem die - Thatsache, dass der Muskel in gewissen Fällen nicht den Ton der Reizquelle giebt, sondern die tiefere Octave derselben. Da dies vorzugsweise bei schwächerer Reizung geschieht, könnte man geneigt sein anzunehmen, dass in solehem Falle jeder zweite von den Reizen, welche dem Nerven zugeführt werden sollten, wegfällt bez. unwirksam ist. Offenbar aber kann die Ur- sache eines solchen Verhaltens nicht darin gesucht werden, dass etwa bei der schwächeren Reizung nur die Oeffnungsschläge wirksam sein sollten, denn jedes Hin- und Zurückgehen der Feder des Interruptors ruft ja so- wohl eine Schliessung wie eine Oeffnung des primären Stromes hervor und folglich muss jede ganze Schwingung der Feder zwei Reize, nämlich einen 380 CHRISTIAN LovEn: Schliessungs- und einen Oeffnungsschlag, erzeugen. Wenn jeder von diesen Beiden eine Schwingung der Muskelelemente bewirkte, sollte der Muskel mithin die höhere Octave des Interruptortones geben und im Fall die Schliessungsschläge als möglicherweise unwirksam wesfallen, müsste der Muskelton jedenfalls dieselbe Tonhöhe wie diejenige des Unterbrecher- tones haben. Auch wenn die Intervalle zwischen Oeffnung und Schliessung einerseits sammt Schliessung und der folgenden Oeffnung andererseits sehr ungleich sind, wie es bei festen Contacten wahrscheinlich immer der Fall ist, muss unter allen Umständen jede ganze Schwingung wenigstens einen wirksamen Reiz liefern. Ebensowenig scheint mir die Annahme einer solchen Unvollkommenheit der Unterbrechungsvorrichtung zulässig, dass nicht bei jeder Oscillation ein wahrer Contact zu Stande kommen sollte, denn es wäre unter einer solchen Voraussetzung gewiss als ein sehr eigenthümlicher Zufall zu betrachten, wenn gerade jeder zweite Contact ausbleiben sollte und dies nicht nur bei einer einzigen Schwin- sungszahl, sondern bei einer ganzen Reihe von solchen. In der Reiz- quelle ist folglich die Ursache der fraglichen Erscheinung gewiss nicht zu suchen, nicht einmal in denjenigen Versuchen wo ein Inductions- apparat mit schwingendem Unterbrecher benutzt wurde, und offenbar noch weniger in denjenigen, wo das Telephon zur Anwendung kam. Es scheint mir also kein anderer Ausweg zur Erklärung möglich, als an- zunehmen, dass die Erscheinung von einer Eigenschaft des lebenden, reiz- baren Organes — Nerv oder Muskel — abhängt. Es würde indessen zu weit in das Gebiet der Hypothesen führen, hier auf eine Discussion der in dieser Hinsicht möglichen Annahmen einzugehen. Als in hohem Grade sonderbar ist wohl auch die Erscheinung zu be- trachten, dass eine Erhöhung der Stärke der erregenden Ströme eine Schwächung, ja, sogar ein Verschwinden des Muskeltones fast ausnahmslos herbeiführte.e Man könnte wohl geneigt sein, dies als eine Wirkung der Ermüdung aufzufassen, aber gegen eine solche Annahme spricht entschei- dend die so oft gemachte Erfahrung, dass der Muskelton, beim Zurückgehen zu der niedrigeren Stromstärke, nach wiederholten Tetanisirungen mit stärkeren Strömen, wieder mit der ursprünglichen Intensität auftrat. In mehreren Fällen zeigte sich dieses Verhalten so regelmässig, dass man nach einigen Vorversuchen, fast mit vollkommener Sicherheit vorhersagen konnte, bei welchem Rollenabstande man den Ton zu erwarten hatte oder nicht. Bernstein will die Beobachtung gemacht haben, dass der Muskelton, wenn die Vibrationszahl der Reizquelle 300-400 Schwingungen in 1 Se- cunde überschreitet, deutlich schwächer wird, was er mit der Dauer der negativen Stromschwankung der Muskeln (die etwa !/,,, Decunde beträgt) in Zusammenhang bringt. Ohne Zweifel muss es a priori sehr plausibel ÜBER DEN MUSKELTON BEI ELEKTRISCHER Reizung us. w. 38i scheinen, dass ein gewisses Verhältniss zwischen der Dauer der negativen Schwankung und der Stärke des Muskeltones bei verschiedenen Reizfrequen- zen bestehe. Ich muss aber gestehen, dass, obwohl meine Aufmerksam- keit speciell auf diesen Punkt gerichtet war, es mir niemals gelungen ist, eine irgendwie deutliche Abnahme der Stärke des Muskeltones bei dem Ueberschreiten einer gewissen Reizfrequenz mit Sicherheit unserscheiden zu können. Vielmehr schien mir die Intensität dieses Tones von anderen Momenten und vor Allem, in der oben angegebenen Weise, von der Strom- stärke bestimmt zu werden. Die Emulsion des Fettes im Chylus. Von Dr. M. v. Frey, Assistenten am physiologischen Institute zu Leipzig. Aus dem physiologischen Institute zu Leipzig. Bleiben flüssige Fette in Form einer Emulsion vertheilt, so pflegt man die Beständigkeit entweder der Beschaffenheit des emulgirenden Mittels oder der Anwesenheit von Hüllen zuzuschreiben. Bei der Emulsio oleosa der Apotheke soll es die Gummilösung sein, welche die Oeltröpfchen vor dem Zusammenfliessen schützt. Bei den Milchkügelchen vermuthet man eine Ei- weisshülle, eine aus Seife bei den Emulsionen, welche aus saurem Oel und kohlensaurem Natron herstellbar sind. Denn jede Seifenemulsion wird zerstört, wenn man Säure zusetzt. Die Seife wird zerlegt, die Fettsäuren werden frei und laufen mit dem Oele zu einer Schicht über der sich klärenden wässerigen Flüssigkeit zusammen. Dies vollzieht sich rasch, wenn das Oel nur gröblich vertheilt war. Bei sehr feiner Vertheilung, wie sie nach Gad’s! Vorschrift gewonnen werden kann, bedarf es einiger Stunden. Das Resultat ist immer dasselbe. Der Chylus des Hundes zeigt nichts Aehnliches. Setzt man vorsichtig Säure zu bis die Reaction deutlich sauer wird und lässt bei Körperwärme stehen, so zeigt sich nicht die Spur einer Klärung und kein Fetttröpfchen kommt an die Oberfläche. Bei weiterem Zusatz von Säure entsteht ein Eiweissniederschlag, welcher das Fett mitreisst, aber an seiner Form nichts ändert. Ich vermuthete, dass vielleicht das Eiweiss die Emulsion vor der Einwirkung der Säure schütze und versetzte künstliche Seifenemulsion hinterher mit Eiweisslösungen. Ich fand jedoch, dass der zerstörende Ein- fluss der Säure nicht aufgehoben war. 1 Dies Archiv. 1878. 8. 181, M. v. Frer: Dis Emursion DES FETTES Im ÖHyvtos. 383 Welche Veränderungen das Fett beim Uebergange aus der Darmhöhle in die Chylusgefässe erleiden mag, die fertige Emulsion, wie sie beim Hunde leicht in grösseren Mengen aus dem Milchbrustgang zu sammeln ist, hat nicht den Charakter einer Seifenemulsion. Es wird sich aus der Verglei- chung mit anderen Emulsionen ergeben müssen, durch welche Mittel dem Chylus der Bestand seiner Fettkügelchen gesichert ist. In dem Verhalten zu fettlösenden Flüssigkeiten zeigt der Chylus grosse Aehnlichkeit mit der Milch. Soll Kuhmilch mit Aether entfettet werden, so muss vorher Säure oder Alkali zugesetzt werden, angeblich, um die Eiweisshüllen zu lösen. Da aber Soxhlet! die Wirkung des Aethers auch einleiten konnte durch eine Fällung des Caseins mit Kohlensäure oder mit Laab, so scheint es vielmehr auf eine Aenderung der emulgirenden Eiweiss- lösung anzukommen. Bei. der Entfettung kann der Aether weder durch Chloroform, noch durch Petroleumäther (Benzin) ersetzt werden, entsprechend der geringen Löslichkeit, beziehungsweise Unlöslichkeit dieser beiden Flüssig- keiten in Wasser. Genau dieselben Erfahrungen lassen sich am Chylus machen und ausserdem noch die weitere, dass auch Aether allein, wenn im Ueberschuss vorhanden, das ganze Fett des Chylus aufzunehmen im Stande ist. Doch bedarf es in diesem Falle einer viel längeren Zeit, bis der Aether sich wieder vollständig oben gesammelt hat. Hat man in einer out verschlossenen Röhre geschüttelt und lässt absitzen, so sammelt sich unter dem Aether eine trübe Flüssigkeit, welche zuerst den Glauben er- weckt, der Chylus sei unverändert. Bald beginnt jedoch am Grunde die Klärung; die durchsichtige Schicht wächst allmählich nach oben auf Kosten der trüben Zone, bis schliesslich (nach Tagen oder Wochen) Eiweisslösung und Fettlösung klar über einander stehen. Es sei bemerkt, dass in der mit Aether gesättisten Lymphe keine Fäulniss eintritt. Man könnte anführen, dass kein Eiweisskörper in Aether sich löst und kann die unvermittelte Aufnahme des Fettkügelchen als Beweis be- trachten, dass dieselben einer schützenden Membran entbehren. Sicher kann man aus den Beobachtungen den Schluss ziehen, dass die Natur der emulgirenden Flüssigkeit die Reactionen der Emulsionen wesentlich mit be- stimmt und wird darin eine Warnung sehen gegen den Versuch, die Eigen- schaften der Emulsionen an Flüssigkeiten studiren zu wollen, deren com- plicirte Zusammensetzung die Wirkung mancher Prüfungsmittel verändert oder verdeckt und die Anwendung vieler anderen verbietet. Völlige Freiheit in der Wahl der Reagentien und unzweideutige Er- gebnisse durfte ich mir versprechen, wenn es gelang, für die Untersuchung eine Emulsion zu gewinnen, welche lediglich aus neutralem Oel und destillirtem 1 Landw. Versuchs-Stat. Bd. XIX. 1876, 384 M. v. Frey: Wasser bestand. Zweifelhaft blieb nur ob die Vertheilung des Oeles im Wasser, durch mechanische Mittel hergestellt, genüge, die Tröpfchen ge- trennt zu halten. Der Versuch zeigte, dass eine solche Vertheilung sich erreichen lässt und dass es für den Erfole gleichgiltig ist durch welche Mittel sie herbeigeführt worden war. Ich fand es am zweckmässigsten, die beiden Flüssigkeiten in einem gut schliessenden und sorgfältig gereinigten Gefässe zu schütteln oder auch sie mit einer Spritze durcheinander zu treiben. Man darf sich nur die Mühe nicht verdriessen lassen, die es kostet, bis ein Theil des Oeles aufgeschwemmt bleibt. Man trennt dann vermittelst des Sceheidetrichters das unzertheilte Oel und den grosstropfigen nicht halt- baren Rahm von der untenstehenden dünnen Milch. Um Vergleiche an- stellen zu können, habe ich zu solchen künstlichen Emulsionen zuweilen auch geschmolzene Butter, käufliches nicht gereinigtes Olivenöl und andere flüssige Fette benutzt oder habe das destillirte Wasser durch verschiedene Flüssigkeiten und Lösungen ersetzt. Die Eigenschaften der Emulsion aus neutralem Oel und destillirtem Wasser, für welche ich weiterhin den Namen Schüttelemulsion gebrauchen will, mögen hier kurz zusammengestellt werden. 1. Die Beständigkeit der Tröpfehen hängt von ihrer Grösse ab. Es lässt sich annähernd sagen, dass Tröpfehen, deren Durchmesser grösser ist als 0-01 ®®, wieder zusammenfliessen. Ist der Durchmesser kleiner als die genannte Grenze, so tritt nur noch Abrahmung ein und zwar um so lang- samer, je kleiner er ist. Eine scharfe Grenze lässt sich nicht aufstellen, denn sie ist nicht nur von der Natur der beiden Flüssigkeiten, sondern auch von der Temperatur und anderen Einflüssen abhängig. Ist die Vertheilung möglichst fein, so hält sich die Emulsion auf der Centrifuge, sie lässt sich auf dem Wasserbade einengen und läuft trübe durch das Filter. Emulsionen aus Butterfett in destillirtem Wasser sind in der Wärme beständiger als Oelemulsionen. Ferner rahmen sie weniger ab entsprechend der geringeren Differenz der specifischen Gewichte. 2. Die Zertheilung des Oeles beansprucht um so grösseren Kraftauf- wand, je weiter sie getrieben werden soll. Die kleinen Tröpfchen setzen der weiteren Zersplitterung grossen Widerstand entgegen. In Folge der Oberflächen- spannung befindet sich das Innere derselben unter einem Drucke, welcher mit der Krümmung der Oberfläche wächst und bei den kleinsten Kügelchen sehr hohe Werthe erreichen muss. Jede Formveränderung erweckt elastische Kräfte, durch welche das Kügelchen der Zertrümmerung entschlüpft, wenn der Stoss nicht in einer bestimmten Richtung stattfindet. Alle diese Erscheinungen lassen sich an Quecksilberkügelchen, die man zu zerschneiden sucht, zeigen. Die Zerstäubung des Oeles lässt sich erleichtern, wenn man es in eine Die EMmULSION DES FETTES Im CHyLu0s. 385 Flüssigkeit bringt, in der es eine viel geringere Oberflächenspannung besitzt als in Wasser, z. B. in absoluten Alkohol. Hier lassen sich rasch sehr feine Tröpfehen abspalten, die Emulsion hat aber auch keine Beständigkeit. 3. Alle Lösungen klebriger, schleimiger und zähflüssiger Beschaffenheit als Gummi-, Seifen-, Biweisslösungen u.s. w. hinterher einer Schüttelemulsion zugesetzt, verzögern die Abrahmung und können je nach ihrer Concentration auch grössere Oeltropfen vor dem Zusammenfliessen schützen. 4. Von den Lösungsmitteln für Fette zerstören nur diejenigen die Schüttelemulsion, welche sich mit Wasser mischen. Es wirkt daher Aether ziemlich rasch, Chloroform nur sehr langsam und unvollständig, Petroleum- äther (Benzin), Xylol, Terpentinöl wirken gar nicht. Die Wirkung des Aethers wird verzögert wenn man die Emulsion mit einer Eiweisslösung versetzt. Schon Panum! beschreibt eine künstliche Emulsion aus Blut- serum und Butterfett, welche von Aether allein nicht geklärt wurde. 5. Die Schüttelemulsion aus neutralem Oel und destillirtem Wasser wird durch Zusatz schwacher Säuren nicht verändert. Dagegen wird sie zerstört durch concentrirte Mineralsäuren, kaustische Alkalien, Trypsin- und Pepsinlösungen. 6. Die Kügelchen der Schüttelemulsion wie die jeder anderen Emulsion zeigen unter dem Mikroskop beständig eine zitternde Bewegung, welche man mit dem Namen der Brown’schen Molecularbewegung nicht sehr glücklich bezeichnet.? Man findet dieselbe ebenso bei vielen Niederschlägen und es werden durch sie Theilchen von sehr viel höherem specifischen Ge- wicht als Fetttröpfehen lange Zeit oder dauernd schwebend erhalten. So wie die Strömungen der Luft das Niedersinken der Staubtheilchen ver- hindern können, so wird die Abrahmung der Emulsionen durch die Wirbel der Flüssigkeit verzögert. Ich komme nach diesen Erfahrungen auf den Chylus zurück. Er ist von allen Fettemulsionen die feinste und am gleichmässigsten ge- arbeitete. Die Kleinheit der Fetttröpfchen und ihre lebhaften Bewegungen machen eine Messung selbst mit den besten Linsen unmöglich. Eine Ver- gleichung mit den Feldern von Pleurosigma angulatum, einem Objecte von !/,;“ im Durchmesser, zeigte, dass die Tröpfchen noch unter diese Grösse herabgehen. Diese äusserste Kleinheit der Tröpfchen und ihre Suspension ! Virchow’s Archiv u.s.w. Bd. IV. S. 159. ?” Ueber die Deutung dieser Bewegungen vgl. S. Exner, Wiener Sitzungsberichte. Bd. LVI. II. Abthlg. S. 116. Archiv f. A. u. Ph, 1881. z. Physiol. Abthlg. 95 = 386 M. v. Frer: Die EmuLsion DES FETTES IM CHYLts. in einer Eiweisslösung giebt dem Chylus eine Beständigkeit, welche die aller anderen Emulsionen weit übertrifft. Könnte man eine Schüttelemulsion aus Oel und destillirttem Wasser von solcher Feinheit herstellen und würde man dieselbe mit den Eiweisskörpern und Salzen versetzen, welche im Chylus vorkommen, so würden wahrscheinlich auch die letzten Unterschiede in den Reactionen hinweefallen. Der umgekehrte Weg, die Fettkügelchen von der Lymphe zu trennen und sie in destillirtem Wasser aufzuschwemmen, ist mir bis jetzt nicht gelungen. Eine Abrahmung lässt sich so lange der Chylus frisch ist auf keine Weise erzielen, und die Filtration durch Thon- zellen kommt durch die Verstopfung der Poren rasch zum Stillstand. Zur Chemie der Blutkörperchen. Von Dr. L. Wooldridge. Aus dem physiologischen Institute zu Leipzig. Jeder der drei Abschnitte, aus denen sich folgende Abhandlung zusam- mensetzt, könnte wegen der Selbständigkeit seines Inhaltes unter einem besonderen Titel erscheinen; indess sie stehen doch in einem Zusammen- hang zu einander, in einem historischen, weil die Veranlassung zu den Versuchen aus Unterhaltungen mit Hrn. Prof. C. Ludwig entsprang, und in einem sachlichen, denn sie beziehen sich sämmtlich auf die geformten Bestandtheile des Blutes. I. Das Stroma der Blutscheibe. Bekanntlich lässt sich das deckfarbene Blut auf sehr verschiedene Weise in eine lackrothe Flüssigkeit umwandeln; durch Gefrieren und Er- wärmen auf 55°C,, durch Zusatz von viel Wasser, wenig Aethers, ver- dünnter Säuren, Seifen, Chloroform, durch das Eintragen reichlicher Mengen Harnstoffs u. s. w. Unter der Einwirkung aller dieser Mittel werden die rothen Scheiben in zwei Bestandtheile gespalten, einen im Blutserum löslichen und einen darin unlöslichen. Der erste besteht, so weit wir wissen, wesentlich aus Hämoglobin, welches sich dadurch als ein unzersetztes er- weist, dass ihm die Befähigung verblieben ist, unter dem Zutritt von Sauer- stolf seinen Farbenton zu ändern. Der zweite der abgespaltenen Theile, welchen Rollet „das Stroma“ nannte, bewahrt zwar noch die Form der unveränderten Blutscheibe, aber es hat die Farbe und die Körperlichkeit derselben eingebüsst; das Stroma erscheint als eine blasse, nachgiebige, in- haltsleere Kreisscheibe. 25* 383 L. WOOLDRIDGE: Wenn man in einigen Lehrbüchern die Angabe findet, dass durch einzelne der oben angeführten Reagentien auch das Stroma gelöst werde, so hat zu diesem Ausspruch nur die ausserordentliche Durchsichtigkeit des lackfarbig gemachten Blutes veranlasst; dass dieselbe nur dem hohen Quel- lungsgrade des Stroma’s zu verdanken ist, beweist der Zusatz von etwas freier Säure oder eines sauren Salzes; nach ihm trübt sich die vorher klare Flüssiekeit durch eime leichte Wolke, die sich unter dem Mikroskop in lauter Stroma’s auflöst. Ihre Gegenwart lässt sich auch ohne Weiteres er- kennen, wenn man aus dem Blute den Aether abdunsten lässt, welcher die Quellung des Stroma’s bewirkt und unterhalten hatte. Aus der regelmässigen Gestalt des unter verschiedenen Bedingungen abgeschiedenen Stroma’s darf auf eine unveränderliche Zusammensetzung desselben geschlossen werden und es würde gewiss bei der grossen Theil- nahme, welche die physiologischen Chemiker der Blutscheibe gewidmet, ihr Stroma im weiteren Umfange als bisher Gegenstand der Untersuchung ge- wesen sein, wenn sich dasselbe rein und in grösseren Mengen hätte dar- stellen lassen. Diese Aufgabe glaube ich jetzt gelöst zu haben. Frisches geschlagenes Blut wird mit dem Mehrfachen seines Volumens von 2 procentiger Kochsalzlösung versetzt und centrifugirt; der nach dieser ersten Behandlung verbleibende rothe Bodensatz wird noch mehrmals mit Kochsalzlösung auf der Centrifuge ausgewaschen, bis das anhaftende Serum entfernt ist. Der aus einem Gemenge verschiedener Blutkörperchen be- stehende Brei wird in dem Fünf- bis Sechsfachen seines Volumens an Wasser eingetragen und dort geschüttelt, dann aber so lange vorsichtig mit Aether versetzt, bis die Flüssigkeit vollkommen durchsichtig geworden ist. Hiernach kommt sie von Neuem auf die Centrifuge, um die Leukocyten, die wenig verändert in der Flüssigkeit schwimmen, abzuschneiden; um ihrer Entfernung sicher zu sein, muss das Centrifugiren so lange fortgesetzt und wiederholt werden, als noch weisse Flöckchen auf dem Boden des Cylinders erscheinen. Zu der nun erst vollkommen klaren Flüssigkeit setzt man eine einprocentige Lösung von saurem schwefelsauren Natron tropfenweise hinzu. Ist die genügende Menge des Salzes eingebracht, so trübt sich die klare Flüssiskeit bis zu einem ähnlichen Grade, wie unverändertes Blut. Alsbald aber ballen sich die ausgefällten Stromata und senken sich zu Boden. Statt des sauren Salzes können auch verdünnte Säuren dienen; das Salz ist darum vorzuziehen, weil sich bei seiner Anwendung die Zerlegung des Hämoglobins und damit die Verunreinigung der Stromata durch Hämatin sicherer ver- meiden lässt. — Sind die Stromata einmal geschrumpft, so quellen sie auch nach langem Auswaschen mit destillirtem oder mit ätherhaltigem Wasser nicht wieder auf. Da sie im verdichtetem Zustande leicht filtrirbar sind, so kann man alle Beimengungen aus ihnen ausziehen, mit Ausnahme ZUR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 389 einer Spur unzersetzten Hämoglobins, welches sich auf ihnen niedergesetzt hat. Die gesammten hier beschriebenen Operationen lassen sich bei niedriger Temperatur und in wenig Tagen durchführen; an eine Veränderung durch Fäulniss ist darum nicht zu denken. — Dessen ungeachtet ist es rathsam, das Stroma möglichst rasch zu reinigen und das gereinigte möglichst rasch zu verarbeiten, weil es durch die Einwirkung des destillirten Wassers sich ändert. Frisch ist das Stroma vollkommen löslich in 0-2 procentiger Salz- säure; längere Zeit unter Wasser im kalten Raum aufbewahrt, wird ein Theil des Stroma’s in der genannten Säure unlöslich. Der von der Salzsäure nicht aufgenommene Rest gleicht in seinen Eigenschaften dem später zu beschreibenden nucleinartigen Körper. Das gereiniste Stroma besteht aus: Cholesterin, Lecithin, Paraglobulin und aus einem mit einem nucleinartigen Stoffe verbundenen Eiweisskörper; zuweilen enthält das Stroma Spuren von Kalk und von Eisen, letzteres wahr- scheinlich, wenn eine Verunreinigung mit Hämoglobin stattgefunden. 1. Cholesterin. Das abfiltrirte und abgepresste Stroma wird wieder- holt mit kaltem Aether ausgezogen. Dieser Auszug hinterlässt beim Ab- dampfen nadelförmige, verzweigte, rosettenartig gruppirte Krystalle; in die für das Cholesterin charakteristischen Blättchen gehen die Nadeln über, wenn man sie aus warmem Alkohol umkrystallisirt. Alle Reactionen des Cholesterins sind den Krystallen eigen, so dass über ihre Natur kein Zweifel entstehen kann. Verunreinigt könnten die gewonnenen Krystalle mit Fetten und mit Lecithin sein; dass ersteres nicht der Fall, ergiebt sich, weil die Kry- stalle in einer Glasröhre mit sauren schwefelsauren Kali gemengt und er- hitzt nicht nach Acrolein riechen und weil der Rückstand des Aetheraus- zuges bei 100°C. nicht schmilzt. — Gegen eine Verunreinigung mit Leci- thin spricht die Abwesenheit der Phosphorsäure, wenn man den ätherischen Auszug des Stroma’s mit Natronhydrat und Salpeter verbrannt hat. Lassen sich mit Molybdänsäure Spuren von Phosphorsäure nachweisen, so sind bei der Darstellung des Stroma’s die gegebenen Vorschriften nicht genau befolgt, namentlich sind die Leukocyten nicht vollständig entfernt worden. Von dem Cholesterin kann das Stroma nur durch sehr häufig wieder- holtes Ausschütteln mit Aether befreit werden. Aehnlich wie Schwefeläther wirkt auch Petroleumäther, durch ihn lässt sich aus dem Stroma das Cholesterin frei von Fett und phosphorhaltigen Körpern gewinnen. 390 L. WOOoLDRIDGE: 2. Leeithin. Nimmt der Aether nichts mehr aus dem Stroma auf, so kann nun. zur Erschöpfung desselben mit Alkohol geschritten werden ; um dieselbe vollständig herbeizuführen, muss das Stroma oftmals und lange mit Alkohol behandelt werden. Statt das Stroma zuvor mit Aether zu extrahiren, kann man es auch im frischen Zustand mit Alkohol von 80 bis 90 Procent bei einer Temperatur von etwa 45°C. ausziehen. In diesem Falle scheidet sich aus den ersten Portionen des Auszuges beim Erkalten das Cholesterin krystallinisch ab. — Die filtrirten alkoholischen Auszüge werden bei 40 his 45°C. eingedampft. Wird der verbleibende Rückstand in warmem absoluten Alkohol gelöst, so bleibt das anwesende Hämatin zurück. Nachdem dieses durch Filtration entfernt worden, erhält man nach dem Abdunsten des Alkohols einen gelblichen wachsartigen Rückstand mit fol- genden Eigenschaften: Er verbrennt mit starkleuchtender Flamme unter Hinterlassung einer Kohle, die einen starken Gehalt an Phosphorsäure be- sitzt. — Mit Wasser quillt der Rückstand auf unter Bildung der bekannten Myelinformen. — In Schwefel- und Petroleumäther ist er leichter löslich als in heissem Alkohol. — Aus seiner Lösung in warmem absoluten Alkohol wird ein gelblich-weisser krystallinischer Niederschlag erzeugt durch Platin- chlorid das in absolutem mit einigen Tropfen Salzsäure versetzten Alkohol gelöst war. Dass derselbe aus Lecithinplatinchlorid besteht, ergeben die Platin-, Chlor- und Phosphorsäurebestimmungen des in Chloroform aufge- nommenen und nach Verjagung des Chloroforms unter einer Decke von Soda und Salpeter verbrannten Stoffes. An Platin wurde gefunden 0.019, an Chlor 0.022, an Phosphor 0.007. Diese Zahlen führen auf das Ver- hältniss von 1 Platin, 6 Chlor und 2 Phosphor, wie es nach der von Strecker aufgestellten Formel für das Platindoppelsatz des Lecithins =2(C42H83NPO8SCI + PtC1l4 verlangt wird. Dafür, dass der alkoholische Auszug des mit Aether erschöpften Stroma’s nur Lecithin enthält, tritt der Umstand ein, dass der Niederschlag, welcher durch Platinchlorid erzeugt wird, bis auf einen äusserst geringen Rück- stand in Chloroform löslich ist. Aus dem rothen Bodensatz des Blutes ist schon öfter ein phosphor- haltiser Körper gewonnen und früher als Protagon gedeutet, neuerlich aber als Leecithin erkannt worden. Ob dasselbe den rothen oder weissen Körperchen angehöre, blieb zweifelhaft; ja es ist nach der Art, wie es gewonnen wurde, unwahrscheinlich, dass das Lecithin den rothen Scheiben entnommen ge- _ wesen, da diese, wie wir gesehen, nicht an den Aether, sondern nur an den Alkohol ihr Leeithin abgeben. 3. Paraglobulin. Wird das Stroma, nachdem es durch das äther- haltige Wasser von allen fremden Bestandtheilen befreit ist, mit einer mehr- /UR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 391 procentigen NaCl-Lösung geschüttelt, so geht in diese Paraglobulin über. Je rascher die Reinigung vollendet und je kürzere Zeit das Stroma unter Wasser gestanden, um so leichter lässt sich auch das Paraglobulin ent- fernen. Die Concentration der NaÜQl-Lösung, welche zum Auszug verwendet wird, ist nicht gleichgiltig; nach meinen Erfahrungen eignet sich vorzugs- weise eine Lösung von 5 Procent; in ihr quellen die unlöslichen Reste des Stroma’s am wenigsten auf, so dass sie durch Filtration von der Flüssig- keit noch zu trennen sind. Der in Lösung übergegangene Körper besteht aus Paraglobulin. Sät- tist man dieselbe mit NaCl, so entsteht ein Niederschlag und aus der ab- filtrirten Flüssigkeit wird durch Sättigung mit krystallinischer schwefel- saurer Magnesia noch eine weitere Fällung erzeugt; gleiches geschieht, wenn der mit 5 procentiger Kochsalzlösung bewirkte Auszug durch Wasser verdünnt wird. Die niedergeschlagenen Stoffe bieten die Reactionen unge- ronnener Eiweisskörper. In 4 bis 5 procentiger Na Cl-Lösung aufgenommen beginnen sie zu gerinnen, wenn sie auf 66°C. erwärmt sind; steigt die Temperatur auf 69 bis 70°C., so ist die Gerinnung vollendet. Durch diese Erfahrung gewinnt eine Beobachtung von Hoppe-Seyler, welcher die An- wesenheit eines Globulins im Stroma nachwies, einen genaueren Ausdruck, 4. War das frische Stroma andauernd mit einer 5 procentigen Koch- salzlösung geschüttelt bis es an diese nichts Wägbares mehr abgiebt, so bleibt noch ein bedeutender Rest zurück, welcher in 0.2 procentiger Salz- säure und verdünnten Alkalien leicht löslich ist. Brinst man zu der salz- sauren Lösung die entsprechende Menge Glycerinpepsin und erwärmt sie einige Stunden hindurch auf 40°C., so entsteht eine Trübung. Die hiervon abfiltrirte Flüssigkeit enthält Pepton. Die geringe Menge festen Rück- standes, welcher auf dem Filter verbleibt, enthält Schwefel und Phosphor, in verdünnten Alkalien ist er löslich, vorausgesetzt, dass er nicht vorher mit Alkohol behandelt war. Unlöslich ist er dagegen im künstlichen Magen- saft, wie lange man ihn auch bei Brutwärme darin verweilen lässt. Mit Salpetersäure und Amoniak giebt er die Xanthoproteinfärbung. Der nach Entfernung des Paraglobulins, des Cholesterins und Leeithins übrig bleibende Stoff verhält sich also wie der von Plosz in der Leberzelle aufgefundene, welchem er den Namen Nucleoalbumin gegeben hat. Statt des geschilderten kann man auch folgendes kürzere Verfahren anwenden. Frisches mit destillirten Wasser ausgewaschenes Stroma wird mit Aether ausgezogen und darauf in 0-2 procentiger Salzsäure gelöst. Die erhaltene Flüssigkeit ist meist etwas getrübt. War sie durch ein oder nach Umständen durch mehrmaliges Filtriren geklärt, so bewahrt sie auch nach sehr langen Stehen ihre Durchsichtigkeit. Sie setzt dagegen, wenn sie nach 392 L. WOOLDRIDGE: Beimengung von Pepsin einige Stunden hindurch verdaut wird, einen flockigen röthlichen Niederschlag ab, welcher mit verdünntem Kali und kohlensaurem Natron eine leicht filtrirbare aber opalescirende Lösung giebt. Seiner Darstellung entsprechend enthält der niedergefallene Körper noch Leecithin, das ihm nicht durch Aether, sondern nur durch Alkohol entzogen werden kann. Aber auch in den Alkohol geht das Lecithin nur äusserst langsam über; erst nach sehr anhaltendem Kochen ist es vollständig entfernt. Der von dem Leeithin befreite Körper hat seine Löslichkeit in ver- dünnten Alkalien eingebüsst, sonst aber zeigt er alle vorher aufgezählten Eigenschaften. Es verdient bemerkt zu werden, dass sich derselbe auch aus dem Stroma darstellen lässt, wenn dieses, ehe es dem künstlichen Magensafte ausgesetzt war, in verdünnten Alkalien gelöst gewesen ist. Die Erscheinungen, welche der Bestandtheil des Stroma’s darbietet. der nach Entfernung des Cholesterins, des Lecithins und des Paraglobulins übrig bleibt, führen zu dem Schlusse, dass er aus einem Eiweisskörper be- stehe, der mit einem anderen an Phosphor reichen Molecül verbunden ist, Ob dieses letztere mit dem von F. Miescher entdeckten Nuclein über- stimmt, wage ich nicht zu behaupten, wenn auch beiden einige wichtige Reactionen und Eigenschaften gemeinsam sind. Der nucleinartige Körper ist in dem Stroma in so geringer Menge vertreten, dass mir ein genaueres Studium desselben unmöglich wurde, ungeachtet der grossen Quantitäten von Stroma, die zu seiner Darstellung in Angriff genommen wurden. Genügt die gegenwärtige Kenntniss von ihren Stoffen und deren Ver- halten auch nicht zu einer vollen Einsicht in das chemische Gefüge der Blutscheibe, so giebt sie doch den Aufgaben der Forschung eine bestimmtere Fassung. Die folgenden Bemerkungen verdienen von diesem Gesichtspunkt aus vielleicht Beachtung. Zwischen den Bestandtheilen der Blutscheibe, welche beim Entstehen der Lackfarbe in Lösung gingen, und den ungelöst gebliebenen des Stroma’s kann auch vor der Trennung keine chemische Bindung bestanden haben. Zum Mindesten würde es mit unseren Anschauungen von der chemischen Verwandtschaft schwer vereinbar sein, dass die Blutscheibe stets in dieselben Stücken zerfällt, wie verschieden auch die Art des zerlegenden Eingriffs gewesen und namentlich, ob dieser nur in Aenderung der Temperatur oder in der Anwesenheit sehr ungleich beschaffener und ungleich leistungsfähiger Molecüle bestand. Begreiflich wird dagegen der stets gleichartige Zerfall, wenn die löslichen Stoffe der Scheibe von einem unlöslichen derart einge- schlossen liegen, dass sie an dem Uebergang in das Lösungsmittel ver- hindert werden. Unter dieser Voraussetzung lässt sich einsehen, dass jedes Mal, so oft der feste Stoff durch Quellung seine Form ändert, der einge- /UR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 393 schlossene entweder aus seiner bis dahin behaupteten Lage herausgepresst, oder durch Hinzuführung neuer von aussen herandringender Flüssigkeit verdünnt und diffusionsfähig gemacht werde. Für eine genauere Einsicht in den Verlauf der hier unterstellten Verdrängung der Einschlüsse müsste die Kenntniss der Gestalt von Wichtigkeit werden, welche das Stroma wäh- rend seiner Quellung darbietet. Gelänge es, die Stromata vor ihrer Schrum- pfung siehtbar zu machen, so würde sich voraussichtlich entscheiden lassen, ob die vorgetragene Hypothese haltbar sei. Nicht minder eigenthümlich verhalten sich die Stoffe des Stroma’s zu einander und zu den bei der Zerfällung der Scheibe löslich gewordenen. — ‘Warum wandert das Paraglobulin nicht zugleich mit dem Hämoglobin aus dem Stroma, da es doch so gut wie dieses im Serum löslich ist, und so leicht in die NaCl-Lösung übergeht, nachdem das Stroma mit destillirtem Wasser ausgewaschen ist. Aus diesem Verhalten wird es wahrscheinlich, dass das Paraglobulin in der unversehrten Blutscheibe in einer Verbindung vorkommt, welche durch destillirtes Wasser zerlegt wird. Wie und womit es verbunden war, bleibt dagegen ungewiss. Auch das Lecithin muss an dem Stroma und namentlich an dem nucleinartigen Körper desselben in einer eigenthümlichen Weise haften, weil es ohnedies unbegreiflich bliebe, weshalb es nicht durch den Aether und nur so schwierig mit’ Alkohol zu entfernen ist. In einer festeren, weil nicht mehr durch blosse Lösungsmittel trenn- baren Verbindung muss das Eiweiss zu dem nucleinartigen Molecül in dem Körper stehen, der vom Stroma zurückbleibt, nachdem aus ihm Leeithin, Cholesterin und Paraglobulin entfernt waren. Seine Zersetzung erfolgte, wie wir sahen, dadurch, dass der Eiweissstoff mit Hülfe des Pepsins in _ Pepton umgewandelt wurde. Hiernach beschränkt sich die Wirkungsweise des Pepsins nicht auf das Vermögen, die Eiweissstoffe aus der löslichen in die unlösliche Modification überzuführen, es vermag auch, was bisher unbe- kannt war, das Eiweiss aus seinen Verbindungen abzutrennen. Für die Einsicht im den anatomischen Bau der Blutscheibe giebt die Herauslösung eines Stoffs nach dem anderen keinen besonderen Aufschluss; mit welchem Mittel auch die Scheibe oder das Stroma behandelt worden ist, immer bleibt dieselbe Form zurück, die natürlich in dem Maasse schattenhafter erscheint, in welchem ihr Gehalt an wägharer Masse ver- mindert wurde. 394 L. WOooLDRIDGE: II. Die quantitative Bestimmung der farblosen Blutzellen. Für die Bestimmung des Antheils, mit welchem die farblosen Zellen im Gewichte des trockenen Blutrückstandes vertreten sind, schlage ich ein Verfahren vor, das seinen Ausgangspunkt von der aufeinander folgenden Anwendung des Aethers, einer Lösung von schwefelsaurer Magnesia und der Centrifuge nimmt. Dem Aether, welcher die farbigen Scheiben zer- legt, widerstehen die Leukocyten, so dass sie, wenn das Blut lackfarbig geworden, unter den noch aufgeschwemmten Gebilden die einzigen sind, welche durch die Centrifugalkraft an einem Ort der Flüssiekeit zusammen- geführt werden. Obwohl ich mich mit der Ausbildung der Bestimmung, die sich auf dieses Verhalten gründen lässt, eingehend beschäftigt habe, so bin ich doch der Kürze der mir zugemessenen Zeit wegen nicht so weit gelanet, um allen Ansprüchen zu genügen, die man an eine analytische Methode mit Recht zu stellen pflest; andererseits aber glaube ich auf Grund der fol- genden Mittheilungen sagen zu dürfen, dass der betretene Weg eine sichere Aussicht gewährt. Nachdem die farblosen Zellen durch ein erstes Centrifugiren von dem Blute abgehoben sind, müssen sie behufs vollkommener Reinigung noch mehrmals gewaschen werden; von den Veränderungen, welche sie durch die hierzu nöthigen Flüssigkeiten erfahren, müssen wir uns also zunächst zu unterrichten suchen. Wird das nicht gerinnbare Blut eines Hundes, dem Pepton eingespritzt worden, centrifugirt, so geschieht, was schon Schmidt-Mühlheim und Fano beschrieben haben: es ballen sich die farblosen Zellen zu einer Scheibe, welche an der Grenze des Plasma’s und des Cruors zu liegen pflegt. Die einzelnen künstlich aus dem Haufen losgelösten Zellen besitzen anfänglich ihre Lebenseigenschaften; lässt man sie aber in Zimmerwärme einen Tag und länger zusammen mit dem Blutscheiben stehen, so erfahren sie eine Zersetzung, deren Eintritt sich dadurch ankündist, dass die Orte, an wel- chen sich farblose Zellen mit dem Blute berühren, eine venöse Färbung annehmen, im Gegensatz zu der sonst überall vorhandenen arteriellen. Der Verdunkelung der Umgebung folgt eine Umwandlung der Zellen selbst, ihre Leiber zerfallen in faserstoffige Gerinnsel, indess ihre Kerne sich dem Ansehen nach unversehrt erhalten. Füst man zu dem Peptonblute so viel Aether, als zur Herstellung der Lackfarbe nöthig, so gerinnt das Blut in der Regel, bevor seine Zellen die ersten Stadien der Reinigung durchlaufen haben. Ausführbar wird die nöthige Behandlung, wenn man dem Blute eine Lösung von MgS0, zu- mischt, welche bei Zimmertemperatur gesättigt und mit ihrem gleichen ZUR CHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 395 Volumen an Wasser verdünnt ist. Eine Lösung von dieser Concentration mae die halbgesättigte heissen. Hat man ein Peptonblut mit halbgesättigter Lösung von M&SO, ver- setzt, so lässt es sich mit Aether umfärben, ohne dass Gerinnung eintritt. Nachdem es dann centrifugirt worden, schwimmt auf der Oberfläche der rothen Flüssigkeit eine weisse Scheibe, die, wie das Mikroskop zeigt, aus einem Gemenge von Kernen, mit Körnern besetzten getrübten Massen und aus undeutlichen Fasern besteht, von dem sich die beiden zuerst genannten Bestandtheile durch Hämatoxylin färben lassen. Um die farblosen Zellen aus dem normalen Blute gewinnen zu können, muss man demselben seine Gerinnbarkeit durch einen Zusatz von Salz- lösungen rauben. Fliesst das Blut aus der Ader in ein gleiches Volumen von halbgesättigter Mg SO, oder 10°/, NaCl-Lösung, so bleibt es bekannt- lich Hüssig, aber die beiden Salze haben nicht in gleicher Weise eingewirkt, denn in der Kochsalzlösung beginnt sogleich eine Gerinnung, wenn man die Blutmischung mit dem drei- bis vierfachen Volumen an Wasser ver- dünnt; das mit halbgesättigter Mg SO, vermischte Blut verträgt dagegen eine beliebige Zugabe von Wasser ohne der Gerinnung anheim zu fallen. Nimmt man mit Al. Schmidt an, dass zur Gerinnung die Anwesen- heit desjenigen Fermentes gehöre, welches beim Zerfall der Zellen entsteht, so würde zu schliessen sein, dass die Leukocyten dadurch, dass sie mit einer concentrirten Lösung von Mg SO, in Berührung gewesen vor den An- griffen einer wasserhaltigeren Lösung geschützt werden, denen sie im frischen Zustand nicht zu widerstehen vermögen. Dass in dem Plasma eines mit halbgesättigter Mg SO,-Lösung versetzten Blutes das Ferment fehlt, lässt sich auch durch einen einfachen Versuch beweisen. Sind aus der Mischung auf der Centrifuge alle Zellen entfernt und wird die vollkommen klare Flüssigkeit mit dem achtfachen Volumen an Wasser verdünnt, so bleibt sie Tage lang aufbewahrt vollkommen flüssig, aber sie gerinnt durchweg in wenigen Minuten, wenn man ihr etwas von dem nach der Vorschrift Alex. Schmidt’s bereiteten Ferments zugefügt hat. Für meine Zwecke war ich demnach ausschliesslich auf den Gebrauch der Mg&SO,-Lösung an- gewiesen. Das mit halbgesättigter Lösung von Me&SO, verdünnte Blut lässt sich durch einen merklich geringeren Zusatz von Aether lackfarbig herstellen als das reine. Ist die lackfarbige Mischung einige Stunden hindurch centri- fugirt worden, so hat sich aus ihr dieselbe farblose Scheibe ausgeschieden, welche das Peptonblut unter ähnlichen Bedingungen hergegeben hatte. Die Scheibe besteht hier wie dort aus Kernen, aus zerbröckeltem Proto- plasma und aus undeutlichen Fasern, die zu einer zusammenhängenden Masse verschmolzen sind. Die sichtbare Veränderung, welche die farblosen 396 L. WOOLDRIDGE: Zellen des normalen und Peptonblutes unter der mit ihnen vorgenommenen Behandlung erlitten haben, ist der MgSO,, nicht aber dem Aether zuzu- schreiben. Der Beweis hierfür lässt sich mit Hülfe des geschlagenen Blutes erbringen. Dem Zerfall, welcher die Gerinnung des Blutes begleitet, ent- gehen bekanntlich zahlreiche Leukocyten; diese findet man in unveränderter Gestalt auf dem Boden des Gefässes zusammengehäuft, wenn man das ge- schlagene Blut mit der nöthigen Aethermenge durchsichtig gemacht und es der Centrifuge einige Stunden hindurch überlassen hat. Soll der Ver- such gelingen, so muss zu ihm das Blut nicht allein möglichst bald nach seinem Austritt aus der Ader verwendet werden, es darf auch nicht allzu- lange auf der Centrifuge verweilt haben. Nach meinen Erfahrungen kann ich die Vermuthung nicht unterdrücken, dass der zusammengeballte Zu- stand, welchen die Centrifuge herbeiführt, zu einer Verschmelzung der ein- zelnen Zellen Veranlassung giebt; ob durch den Druck der Centrifugalkraft oder durch die gegenseitige Einwirkung der einander berührenden Zellen muss unentschieden bleiben. Aus den mit Hülfe der Salzlösung gewonnenen Haufen farbloser Zellen muss die Mg SO, entfernt werden; hierzu habe ich ätherhaltiges Wasser benutzt, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass dasselbe die vor- her mit dem genannten Salze behandelten Zellen nicht weiter verändert. Wie vortheilhaft sich auch in diesem Falle die Anwendung der Mg SO, erweist, ergiebt sich, wenn man die farblosen Zellen des geschlagenen Blutes, ohne ihm vorher die genannte Salzlösung zugemischt zu haben, mit äther- haltigem Wasser auswäscht. Ist das lackfarbene, mit dem mehrfachen Volum Wassers verdünnte Blut centrifugirt worden, so hat sich auf den Boden des Glascylinders ein weisser Körper ausgeschieden, der seinem An- sehen nach mit dem des gewöhnlichen Faserstoffs übereinstimmt. Das Ge- rinnsel hat die Form der Glaskuppe, in welcher es entstand, angenommen; wirft man es in Wasser, so entfaltet es sich zu zarten durchscheinenden Häutchen und bringt man einen Theil derselben unter das Mikroskop, so erkennt man in ihm em Geflecht feiner Fasern, das unveränderte Kerne einschliesst. Von den Flüssigkeiten, welche die Zellen von den anhaftenden Bei- mengungen befreien sollten, veränderte also eine jede das Gefüge der Leu- koeyten; und wenn die Lösung der Mg SO, auch am wenigsten zerstörend eingriff, so erweckt doch auch ihre Verwendung Bedenken. Denn volle Gewissheit dafür, dass die Zellen bei dem zu ihrer Reinigung verwendeten Verfahren keinen Verlust an ihrem stofflichen Gehalte erlitten haben, würde nur dann vorhanden sein, wenn sie schliesslich noch lebendig geblieben wären. Weil oder so lange dieses zu erreichen unmöglich ist, muss auf anderem Wege bewiesen oder mindestens wahrscheinlich gemacht werden, dass die Zellen /UR CHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 397 bei der Umgestaltung ihres Gefüges an Gewicht nichts eingebüsst oder gewonnen haben. Die Gründe dafür, dass die wägbaren Massen der un- veränderten Zellen und des nach der vorgenommenen Reinigung zurück- bleibenden sich decken, entnehme ich den nachstehenden Erfahrungen. Weil es gegenwärtig noch unmöglich ist, aus dem normalen unge- ronnenen Blute die Leukocyten vollkommen rein darzustellen, so war ich gezwungen meine Beobachtungen auf eine nahe verwandte Zellengattung, die der Lymphdrüsen auszudehnen. Aus beliebigen Lymphdrüsen vor kurzem geschlachteter Thiere wurden, nachdem dieselben mit 0-5 procentiger Na Ül- Lösung gewaschen und zerschnitten sind, die Zellen durch feine Leinwand ausgeknete. Was durch die Leinwand hindurch ging wird mit 0:5 Proc. Na Cl-Lösung durchgeschüttelt und centrifugirt. In dem Cylinder hat sich dann ein Bodensatz niedergeschlagen, welcher, wenn er noch einmal mit 0-5 procentiger NaCl-Lösung auf die Centrifuge gebracht worden war, ganz überwiegend aus Lymphzellen besteht. Dass sie noch lebendig seien, daran ist ihrer Gewinnung nach nicht zu denken, und ebenso wenig lässt sich feststellen, was und wieviel die Zellen an die auswaschende Na Ul-Lösung abgegeben haben. Sicher ist dagegen, dass die Zellen vor und nach der Behandlung bei der mikroskopischen Betrachtung ein durchaus gleiches Aussehen bieten; der wesentliche Theil des Gefüges war also durch die 0.5 procentige NaCl-Lösung nicht geschädigt worden. Solche Zellen werden nun durch Salzlösungen, namentlich die halbgesättigte Lösung von Mg SO, und durch das Plasma des Peptonblutes zerfällt und zwar der Art, dass ihre Kerne sich unversehrt erhalten, ihre Leiber dagegen sich in eine dem Faserstoff ähnliche Masse verwandeln. In dieser Umformung verlieren sie nun weder etwas an ihrer wägbaren Masse, noch nehmen sie etwas derselben von -der zerlegenden Flüssigkeit auf, denn es ist das Trockengewicht des kernhaltigen Gerinnsels eben so gross wie das der Zellen, bevor sie dem Zerfall preisgegeben werden. Stellen wir nun einen Vergleich zwischen den Wirkungen der Ms SO, auf die Leukocyten der Drüsen und des Blutes an, so lässt sich die Aehn- lichkeit derselben nicht verkennen; zwischen den Veränderungen der beiden Zellenarten besteht jedoch ein Unterschied, welcher für meine Absichten nur günstig genannt werden kann. Abgesehen davon, dass in beiden Fällen die Kerne unangetastet bleiben, geht die Umgestaltung, welche der Leib der farblosen Blutzelle erleidet, weitaus noch nicht bis zur Herstellung eines Faserstoffes. Zwischen den Kernen liegt eine Masse, deren mikro- skopisches Bild die grösste Aehnlichkeit mit dem Protoplasma der unver- sehrten Zelle aufweist. An Umfang übertrifft die aus dem Protoplasma stammende Masse die der Kerne um ein bedeutendes, was deshalb mit Sicherheit zu behaupten ist, weil der gesammte aus den Zellen stammende 398 L. WOOoLDRIDGE: Stoff durch die Centrifuge auf einen Haufen zusammengedrängt ist. Aus dem Anblick kleiner Theile desselben, welchen das Mikroskop gewährt, ge- winnt es sogar an Wahrscheinlichkeit, dass das Protoplasma nach Zer- sprengung des Zellenleibes sich nicht einmal von dem Kerne entfernt habe. Niemals begegnet man freien Kernen, immer sind sie noch in die dem Protoplasma ähnlichen Stoffe eingebettet und je zwei derselben liegen in der Regel in Entfernungen von einander, die an Grösse einem ganzen bez. zwei halben Durchmessern einer Zelle gleichkommen. Aus den mitgetheilten Erfahrungen erhalten wir allerdings keinen Nachweis darüber, ob die zum Auswaschen der farblosen Blutzellen benutzten Flüssigkeiten irgend welche organische oder mineralische Stoffe aus ihnen entfernt haben, daran lassen sie jedoch keinen Zweifel aufkommen, dass der nach vollendeter Reinigung verbleibende Stoff die wesentliche Masse des festen Gefüges der Zellen enthält, namentlich die Eiweissstoffe, das Leeithin, Cholesterin, das Nuclein u. s. w. So lange aber der Beweis fehlt, dass der nach dem Auswaschen ver- bleibende farblose Körper die gesammte Menge der Stoffe enthält, welche den unversehrten Zellen eigenthümlich sind, kann die von mir geübte Be- stimmung nur einen relativen Werth beanspruchen; denn sie wird gegen- wärtig nur als eine solche gelten dürfen, durch welche nicht das ganze Gewicht der vorhandenen Zellen, sondern nur ein Bruchtheil desselben er- mittelt wird, von dem jedoch mit naher Wahrscheinlichkeit zu behaupten ist, dass er in einem bestimmten Verhältniss zum Ganzen stehe. Möglicher Weise würde sich die Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit dadurch erheben lassen, dass man in den nach dem Auswaschen verbleibenden Stoffen das Gewicht der Kerne nach der Methode von F. Miescher ermittelt. In dieser Richtung hin habe ich jedoch keine Beobachtungen angestellt. Nach der Würdigung des wichtigsten Einwurfs, der gegen das von mir vorgeschlagene Verfahren zu erheben war, wende ich mich zur Wider- legung der .anderen noch möglichen Ausstellungen. — Vielleicht ist die Centrifuge nicht vermögend, um aus der lackfarbenen Blutmischung alle unlöslich gebliebenen Bestandtheile der farblosen Zellen abzuscheiden? Ein hierüber entstandener Zweifel lässt sich leicht beseitigen durch wiederholte Anwendung der Centrifuge. Blieb auf derselben das lackfarbene Blut zum erstenmal nur hinreichend lange, so kann aus der klaren von dem Boden- satz abgehobenen Flüssigkeit auch nicht mehr die geringste Spur eines festen Stoffes erhalten werden, wie oft und andauernd sie auch später centri- fugirt werden mag, oder wie lange man sie in der Eiskiste ruhig stehen lässt. Ferner wäre an eine Verunreinigung der farblosen Zellen durch Stro- mata der rothen Scheiben zu denken. Vor diesem Fehler kann man sich leicht schützen durch einen Zusatz von Aether zu den zum Auswaschen /UR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 399 benützten Flüssigkeiten; hierdurch quellen die Stromata zu stark, um durch die Centrifugalkraft aus der Flüssigkeit abscheidbar zu werden. Da sich die Stromata, nicht aber die farblosen Zellen in 0.2 Proc. CIH lösen, so be- sitzen wir auch ein Mittel, um uns von der Abwesenheit der Stromata zu überzeugen. Auch könnte der Aether, dessen Zusatz zur Entfernung der rothen Scheiben nöthie ist, in dem Plasma einen Niederschlag erzeugen. Niemals jedoch habe ich eine Trübung des Serums, des Salz- und Peptonplasma’s beobachtet, wenn ich zu 100 Volum derselben 5 bis 8 Volum Aether zufügte. Einen grösseren Aethergehalt haben aber die von mir gebrauchten Flüssigkeiten niemals besessen, Ebensowenig entsteht im Peptonplasma oder im Serum ein Nieder- schlag, wenn sie mit dem gleichen Volum einer halbgesättigten Lösung von MsSO, vermischt werden. Ein Gleiches darf auch für Salzplasma gelten, denn auch dieses trübt sich erst dann, wenn sein Gehalt an Mg SO, beträchtlich erhöht wird. — Dass endlich auch durch das Wasser, mit welchem das unter Beihülfe der Mg SO, hergestellte Salzplasma verdünnt wird, keine Fällung hervorzubringen ist, wurde schon früher erwähnt. Zur Charakteristik der auf die vorbeschriebene Weise gereinigten farb- losen Zellen und deren Trümmer mag noch dienen: sie sind unlöslich in 0-2 Proc. Salzsäure, ferner in wässerigen Lösungen von NaCl und MgS0,. In künstlichem Magensaft ist ein Theil erst nach langer Verdauung und ein anderer nicht unbeträchtlicher gar nicht löslich. Durch verdünnte Alkalien kommt die ganze Masse in Lösung. Kalter Alkohol zieht aus ihr Leeithin, Cholesterin und vermuthlich noch einen dritten Körper aus. Ver- brannt hinterlässt die Masse eine kalkhaltige Asche. | Nach diesen allgemeinen Bemerkungen werde ich jetzt genauer schil- dern, wie bei der Ausführung der mitgetheilten Analysen verfahren wurde. Die farblosen Zellen wurden aus ungeronnenem, aus geschlagenem und aus Peptonblut bestimmt. Soll das Blut vor der Gerinnung benutzt werden, so muss man dasselbe mit besonderer Vorsicht in der halbgesättigten MgSO,-Lösung auffangen. Zwischen dem Austritt desselben aus der A. carotis und seinem Uebergang in die Salzlösung muss eine verschwindend kleime Zeit verstreichen und das dort angelangte Blut muss möglichst rasch und innig mit dem Salz vermischt werden. Darum wird es nothwendig, ein recht kurzes Glasrohr in die Arterie einzubinden, die ersten ausfliessenden Blutstropfen in’s Freie gehen zu lassen und den Antheil, welchen man auf- zufangen wünscht, unvermittelt in den Maasscylinder derart überzuführen, dass alles Schäumen vermieden wird. Die gestellte Aufgabe fordert einen kräftigen Blutstrom, darum sind, wenn grössere Blutmengen gewünscht werden, 400 L. WOooLDRIDGE: stets grosse Hunde zu verwenden. Von kleineren Thieren dürfen nur ge- ringere Blutportionen gefangen werden, durch deren Wegnahme der Blut- strom noch nicht geschwächt wird. Jede Stockung des Stroms ist sorg- fältig zu vermeiden, da das Ergebniss aller folgenden chemischen Operationen um so erwünschter ausfällt, je kürzere Zeit zwischen dem Austritt des Blutes aus der Ader und dem Eintritt in die Salzlösung verstreicht. Auch das geschlagene Blut wurde vor dem Centrifugiren mit Mg SO,- Lösung verdünnt, um den farblosen Zellen die wichtigen von der Anwesen- heit des genannten Salzes abhängigen Eigenschaften zu ertheilen. Bringt man zu drei bis vier Volum des Blutes ein Volum der gesättigten MsSO,-Lösung, so steigen auf der Centrifuge die farblosen Zellen auf die Oberfläche der Flüssigkeit statt wie sonst auf den Boden zu sinken; die erstere Abscheidungsart erfolgt rascher, auch lässt sich die oben schwimmende Scheibe leichter von der übrigen Blutmasse trennen; hierin liest ein weiterer Vortheil, der aus dem Zusatz der M&SO, hervorgeht. Die nach dem ersten Centrifugiren von der Blutmischung getrennten Zellen werden mit Hülfe der Centrifuge weiter ausgewaschen. Aus Be- sorgniss, es möchten in den Resten von Plasma, die den farblosen Zellen anhaften, Gerinnungen eintreten, wählte ich Anfangs als waschende Flüssig- keit die Mg SO,-Lösung; nachdem es sich jedoch gezeigt hatte, dass auch durch ätherhaltiges Wasser aus dem sorgfältig zubereiteten Salzplasma kein Gerinnsel ausgefällt wurde, bediente ich mich desselben zur Reinigung der Zellen, weil es rascher zum gewünschten Ziel führt. Das Centrifugiren wird so lange fortgesetzt und der Zusatz von ätherhaltigem Wasser so oft wiederholt, bis der Bodensatz farblos ist und in der Flüssigkeit die Reaction auf Magnesia versagt. Zuweilen zeigt die Flüssigkeit zu dieser Zeit eine ganz schwache Trübung, welche jedoch von einer äusserst geringen Stolf- menge bedingt sein muss, da viele Cubikcentimeter der Flüssigkeit nach dem Eindampfen nur Spuren eines Rückstandes hinterlassen. Derselbe be- steht, soweit die Prüfung reicht, keinen Falls aus einem Eiweissstofl. Zu den gereinigten Zellen fügt man, bevor sie auf das gewogene Filter gespült werden, etwas Alkohol, weil sie sich erst nach dieser Behandlung rasch und ohne Verlust filtriren lassen. Der abtropfende Alkohol wird auf einem der beiden Uhrgläser eingedampft, zwischen welchen das die Zellen enthaltende Filter behufs der späteren Wägung eingeschlossen werden soll. Trocknen und Wägen geschieht nach bekannten Regeln. Die drei ersten Bestimmungen der farblosen Zellen unternahm ich an ungeronnenem in Nalzlösung aufgefansenem Blute; je zwei Portionen von 50°@ wurden rasch hintereinander aus derselben A. carotis entnommen. Sie enthielten auf 100 berechnet: /UR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 401 a b 13020-62180 0.69 Er 108° 0 0.59 III. 0.82 0-83 Die Uebereinstimmung der Zahlen genügte, um mich zu einer Ver- sleichung des Zellengehaltes im ungeronnenen und geschlagenen Blute auf- zufordern. Die Blutproben, welche zum Vergleiche dienen sollten, wurden entweder gleichzeitig aus den beiden Carotiden entzogen oder aus einer rasch nacheinander. In 100 °® Blut wurden gefunden: Ungeronnenes Blut. Geronnenes Blut. 1b 0.39 8m O-E la. 0.72 0.29 b. — 0.830 J: 0.40 0.29 ING 0.54 0.39 Uebereinstimmend beweisen die Zahlen, dass im geschlagenen Blute die farblosen Zellen mit einem geringeren Gewichte als im nichtgeronnenen vertreten sind, wodurch die Behauptung von Alex. Schmidt eine will- kommene Bestätigung, zugleich auch einen genaueren quantitativen Aus- druck erhält. Doch darf nicht verschwiegen werden, dass sich unter den von mir ausgeführten Bestimmungen auch eine findet, in welcher sich zwischen dem Zellengehalt des deutlich und gut geronnenen und des un- geronnenen Blutes ein weit kleinerer Unterschied aufwies, als er in den vier vorher mitgetheilten Beobachtungen vorhanden gewesen. An einen bei der Analyse begangenen Fehler kann ich bei der Uebereinstimmung je zweier Wägungen nicht wohl denken. Ungeronnenes Blut. (eronnenes Blut. Ja. 0.49 8m 0.418 b. 0.48 0.45 In den vier ersten Versuchen fiel der Unterschied zwischen den Ge- halte des ungeronnenen und geronnenen Blutes an farblosen Zellen gross genug aus, um dem Gedanken Raum zu geben, dass das gesammte Ge- wicht des ausgefallenen Faserstoffes von den verschwundenen Zellen be- stritten worden se. Zu einem ähnlichen Schlusse führte die fünfte der vorgelegten Bestimmungen nicht mehr. Soll man nun annehmen, dass in verschiedenen Blutarten der Faserstoff auf ungleiche Weise entstehe, oder wäre es möglich, dass im ungeronnenen, mit Salzlösung versetzten Blute ein Zerfall von Zellen ohne gleichzeitige Bildung von Faserstoff stattfinden könne? Zukünftige Versuche müssen hierüber entscheiden. Archiv f. A,u.Ph. 1881. Physio]. Abthlg. 26 402 L. WOoOoLDRIDGE: Aus den Beobachtungen von Schmidt-Mühlheim und Fano an Hunden, denen Pepton in das Blut gespritzt worden, war hervorgegangen, dass jener in das Blut gebrachte Eiweisskörper zum grössten Theile min- destens aus dem Plasma verschwand. Dem letzten der genannten Beobachter war unter anderen möglichen Erklärungen hierfür auch die entgegengetreten, dass der nicht mehr nachweisbare Antheil des Peptons in die farblosen Zellen übergetreten sei. Zu einer Prüfung der Vorstellung Fano’s liess sich gelangen, wenn man den Gehalt des Blutes an farblosen Zellen vor und nach vollbrachter Einführung des Peptons bestimmte Zu einer Aus- führung des Versuches konnte man allerdings nur durch die in zwei ver- schiedenen Zeiten vorgenommenen Blutentziehungen gelangen, denn es musste das Normalblut, welches verglichen werden sollte mit dem nach der Peptoneinspritzung vorhandenen, früher abgenommen werden, ehe die erstere erfolgt war. Bei geschickter Ausführung des Versuches. verfliessen edoch zwischen den beiden Terminen nur wenige Minuten. Nun hatte mich ein Theil der schon früher mitgetheilten Beobachtungen darüber be- lehrt, dass die demselben Thiere wenige Minuten nach einander entnommenen Blutproben einen gleichen Gehalt an farblosen Zellen besassen, somit musste auch für die Vergleichung des normalen Peptonblutes das ungleichzeitige Auffangen unbedenklich erscheinen. Zum eingeschlagenen Verfahren bemerke ich kurz, dass dem Thiere zuerst aus der Carotis das Blut in Salzlösung übergeführt wurde, dass dann reines von Dr. Grübler bereitetes Pepton in 10°/, Kochsalzlösung ver- flüssist 0.32” für 1 em des Körpergewichtes durch die Jugularvene ein- gelassen wurde, in welche schon vorher ein Glasröhrchen eingesetzt war. Drei Minuten später wurde aus der Carotis eine kleine Menge von Blut in’s Freie gelassen, dann aber die zur Analyse nöthige Menge in Mg&SO,- Lösung in demselben Verhältniss, wie die andere Blutart. Alles übrige des Verfahrens stimmte mit den früher beschriebenen Maassregeln überein. In 100°°® waren an Zellen enthalten: Normalblut. Peptonblut. Ia. 0.46 8m 0.593 b. — 0.60 JOB 0.39 0.57 III. 0.31 0.41 Aus dem grösseren Gewichte farbloser Zellen in Peptonblut lässt sich der Schluss ziehen, dass ein Theil des Peptons sich aus dem Plasma in die farblosen Zellen begeben habe. Damit würde nicht allein die Ver- muthung Fano’s, es würde damit auch ein Ausspruch von Hofmeister bestätigt werden, welcher den Uebergang des Peptons aus den Producten /UR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 403 der Eiweissverdauung in das Blut oder den Chylus nur dadurch begreiflich findet, dass dasselbe von den Leukocyten aufgenommen worden sei. Lässt sich nun auch mein Befund damit in Uebereinstimmung bringen, so giebt er doch keineswegs einen strengen Beweis für die obigen Annahmen. Man würde denselben erst dann für erbracht halten dürfen, wenn aus den Leuko- cyten das Pepton wieder dargestellt werden könnte. Aus einer Vergleichune der Zunahme des Gewichts farbloser Zellen im Pepton gegenüber denen des Normalblutes erhellt zugleich, dass dieselbe nicht ausreicht, um das Ver- schwinden des gesammten in das Blut eingespritzten Peptons zu erklären. Abgesehen von der Entscheidung, welche die Zukunft über die frag- lichen Punkte bringen mag, jedenfalls wird es von Belang sein, neue Be- obachtungen darüber anzustellen, ob das Pepton von den Leukocyten auf- senommen wird. Geschieht es, so würde sich die Aussicht für die Er- kenntniss weiterer Umsetzungen desselben eröffnen. III. Die Umformung farbloser Zellen in Faserstoff. Dass unter dem Zerfall von Leukocyten Faserstoff und ein dem- selben ähnlicher Körper entstehen kann, wissen wir aus den berühmten Untersuchungen Alex. Schmidt’s über Blutgerinnung und aus einer ausgezeichneten Abhandlung F. Miescher’s, welche unter Anknüpfung an eine Erfahrung Rovida’s die Umwandlung der Eiterzellen in ein faser- stoffiges Gerinnsel nachweist. Sollte es gelingen die eigenthümliche Um- formung mit reinen Zellen unter möglichst eindeutigen Bedingungen her- beizuführen, so würde die Untersuchung des Vorgangs die Einsicht in den Bau und die Leistung der farblosen Zellen zweifellos fördern müssen. Nach dem aufgestellten Ziele streben einige Beobachtungen mit den Leukocyten, welche in den Lymphdrüsen aufgespeichert sind. Auf sie fiel mein Augenmerk, weil sie stets in reichlicher Menge zu erhalten und in einer fast vollkommenen Reinheit darzustellen sind. Einen erhöhten Werth glaube ich den angestellten Beobachtungen dadurch gegeben zu haben, dass ıch in ihren Bereich die Wirkungen des lebenden Blutes, des Plasma’s und des Serums aufnahm. Möglich wurde dieser Theil der Untersuchung durch die Anwendung des Blutes von Hunden, denen kurz vor ihrem Tode Pepton in die Venen gespritzt worden war. Hat die mir zugemessene Zeit auch nur einen kleinen Theil der Fragen zu beantworten erlaubt, welche sich auf diesem Gebiete aufwerfen und mit den angewendeten Mitteln zu lösen sind, so darf ich doch hoffen, dass die gewonnenen Ergebnisse weiteren Untersuchungen einen sicheren Stützpunkt gewähren. 26* 404 L. WOoOoLDRIDGE: 1. Zur Darstellung reiner Leukocyten bediente ich mich der Lymph- drüsen frisch, d. h. einige Stunden vorher geschlachteter Hunde und Kälber und zwar der Drüsen des Halses, des Beckens, des Mesenteriums, kurz aller Lymphdrüsen, die eine merkliche Ausbeute an Zellen versprachen. Die Drüsen wurden mit dem Messer möglichst vom anhängenden Fett und Bindegewebe befreit, mit halbprocentiger Kochsalzlösung sorgfältig abgespült mit der Schere recht klein zerschnitten, die Stückchen mit etwas halb- procentiger Kochsalzlösung befeuchtet und in ein Läppchen aus feiner Lein- wand eingebunden. Durch dieses Säckchen wurden die Zellen in einen Porzellanmörser, der einige Cubikcentimeter 0-5 procentiger Kochsalzlösung enthielt, mit dem Pistill ausgeknetet. Zu dem gewonnenen Brei wurden einige 100 Cm OQ.5procentiger Kochsalzlösung gefüst und das Ganze der Centrifuge übergeben. Nach einigen Stunden waren die Leukocyten auf dem Boden des Glascylinders in Form eines kleinen Kuchens vereinigt und in der Flüssigkeit schwammen Fettkörnchen. Unter dem Mikroskop liess sich erkennen, dass der Bodensatz ganz überwiegend aus Lymphzellen bestand, ihre einzige Verunreinigung wurde durch eine sehr geringe Zahl Blutscheiben gebildet. Für die Gerinnungsversuche erwiesen sich die ge- reinigten Zellen nicht bloss unmittelbar nach ihrer Darstellung, sondern auch 24 bis 36 Stunden später brauchbar, vorausgesetzt, dass sie mit 0-5 procentiger Kochsalzlösung bedeckt in der Eiskiste bewahrt worden waren. Ueber den angegebenen Termin hinaus verlieren jedoch die Leuko- cyten die für unsere Zwecke werthvolle Eigenschaft, mit Wasser, Salzlösungen und Blutplasma Gerinnsel zu bilden. 2. Gerinnung der Lymphzellen durch Salzlösungen und destillirtes Wasser. — Wenn zu den in halbprocentiger Kochsalzlösug aufgeschwemmten Zellen so viel einer concentrirten Lösung von NaCl oder MgSO, zugesetzt wird, dass die Flüssigkeit drei und mehr Procent der genannten Salze ent- hält und sie darauf umgeschüttelt wird, dann sieht man, wie sich im Ver- laufe der nächsten Minute die Zellen zu einem trüblichen Gerinnsel zu- sammenballen, welches sich wie ein zäher Schleim ausnimmt, sobald man es mit einem Glasstabe aus der umgebenden Flüssigkeit hervorhebt. Wird es, einmal entstanden, in destillirtes Wasser übergeführt, so verdichtet sich die geronnene Masse und entfaltet sich zu weisslichen Häuten von quadrat- zollgrosser Ausdehnung. Aehnlich den genannten wirken wahrscheinlich noch die Lösungen anderer Neutralsalee. Hierüber fehlen mir jedoch weitere Beobachtungen. Wird die halbprocentige NaCl-Lösung, in welcher die Zellen anfänglich schwimmen, mit viel Wasser verdünnt, und geschüttelt, so tritt auch jetzt Gerinnung ein. Sie erscheint jedoch sogleich unter der Form der Häute, ZUR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 405 so dass die gallertartige Uebergangsstufe, welche die Salzlösungen hervor- brachten, ausbleibt. Lehrreich ist es, die Salzlösungen unter dem Mikroskope an die Zellen heranzubringen, dort sieht man, wie anfangs die Zellen unter Aussendung von zackigen Fortsätzen schrumpfen und sich mit Körnchen bedecken, welche von ihnen wegzufliessen scheinen. Beruhigt sich die Bewegung, so sind die Kerne der Zellen unversehrt; die Leiber derselben sind dagegen verschwunden. Statt ihrer erstreckt sich eine durchsichtige von Körnchen besetzte Masse von Kern zu Kern und knüpft dieselbe fest aneinander, was man durch die Verschiebung des Deckglases erkennen kann. Wird jetzt die dichtere Salzlösung durch Wasser verdrängt, so treten zwischen den Kernen feine Fäden hervor. Färbungen solcher Präparate bestätigen, dass nur der Leib der Zelle in das faserige Gefüge umgewandelt, der Kern aber vollständig erhalten geblieben sei. Immer bleiben noch einige unversehrte Zellen zurück. Vorgreifend bemerke ich, um nicht noch einmal auf das mikroskopische Bild zurückkommen zu müssen, dass die Fasern, in welche sich der Zellen- leib umwandelt, weit deutlicher hervortreten, wenn "die Zerfällung der Drüsenzellen durch das Peptonplasma eingeleitet ist. Dann gleicht das Gerinnsel zum Verwechseln dem Faserstoff. Das Gerinnsel, welches mit den über 3 Procent Salz enthaltenden Lösungen aus dem Zerfall der Zellen entstanden ist, nimmt niemals den ganzen von Flüssigkeit erfüllten Raum ein. Giesst man, nachdem die Zellen längere Zeit in der Lösung gelegen haben, die freie Flüssigkeit ab, so lässt sich in dieser kein Globulin nachweisen und ebesowenig wenn man die Gallerte mit 1 procentiger Kochsalzlösung auswäscht. 3. Gerinnung der Lymphzellen durch Peptonplasma. — Wurden dem lebenden Hunde auf je 1F="m seines Körpergewichts 0:3 8”® Pepton in die V. jugularis eingespritzt, das mit Hülfe des künstlichen Magensaftes bereitet war, so bleibt das Blut, wenn es einige Minuten nach vollendeter Ein- spritzung abgelassen wird, flüssig. Aus solchem Blute lässt sich auf der Centrifuge ein sehr klares Plasma gewinnen, welches sich mit Rücksicht auf seine Gerinnbarkeit unter verschiedenen Umständen ungleichartig ver- hält. In der Regel kann man aus einem Plasma, welches nach mehr- stündigem Centrifusiren von dem rothen Bodensatz abgehoben wurde, da- durch ein Gerinnsel und zwar ein sehr festes gewinnen, dass man mehrere Minuten lang durch das Plasma einen Strom von Kohlensäure führt oder auch dadurch, dass man zu dem abgehobenen Plasma ein gleiches Volumen Wasser setzt. Da Fano vor Kurzem über die hierbei eintretenden Er- scheinungen berichtet hat, so verweise ich auf dessen Abhandlung. Wenn man dieses gerinnbare Plasma von Neuem, und zwar so lange centrifugirt, 406 L. WOOoLDRIDGE: bis sich kein Bodensatz mehr abscheidet und es dann in einem Cylinder- olase noch 24 Stunden bei 0°C. stehen lässt, so erhält man jetzt ein Plasma, das in einigen Fällen weder durch Kohlensäure, noch durch das gleiche Volum von Wasser zu einer Ausscheidung von Faserstoff zu veranlassen ist und ebensowenig durch einen Zusatz von Paraglobulin, von Fibrinferment oder von Blutserum. Andere Male dagegen erwiesen sich auch jetzt noch die Kohlensäure und das Wasser als gerinnungserzeugende Mittel wirksam. Ein Plasma, welches tagelang aufbewahrt vollkommen flüssig bleibt, und und mit keinem der vorhin erwähnten Mittel versetzt Faserstoff aus- scheidet, gerinnt dagegen unfehlbar nach wenigen Minuten, und zwar durch seine ganze Masse hindurch, wenn man zu ihm gereinigte Lymphzellen ge- fügt und sie durch Schütteln oder Umrühren in der Flüssigkeit gleich- mässig vertheilt hat. Ein durch dieses Verfahren erhaltener Faserstoff unterscheidet sich in seinen physikalischen Eigenschaften von dem aus dem normalen Blute gewonnenen in keiner Weise; er ist dicht und faserig wie dieser. In chemischer Beziehung stimmt der mit Lymphzellen und Pepton- plasma hergestellte Faserstoff ebenfalls mit dem normalen bis auf den einen Punkt überein, dass er in 0-2 Procent Salzsäure nicht aufquillt. Hebt man den Kuchen, in den sich das Plasma umgewandelt hat, mit einem durchgesteekten Glasstabe aus dem Gefässe empor, so tropft aus ihm eine klare Flüssigkeit ab und der Faserstoff zieht sich auf ein kleines Vo- lumen zusammen, eine Schrumpfung, die sich besonders rasch vollführt, wenn die Flüssigkeit aus vielfach angebrachten Scherenschnitten hervor- quellen kann. Wiederholt man mit der abgetropften klaren Flüssigkeit den Versuch, setzt man zu ihr abermals gereiniete Lymphzellen, so tritt eine zweite Ge- rinnung ein. Ein Gleiches gilt zum dritten Male von der Flüssigkeit, welche aus dem zweiten Kuchen hervorgequollen ist. Zum vierten oder fünften Male versagen jedoch die Zellen ihre Wirkung, von nun an bleiben sie und die Flüssigkeit, zu der sie gebracht waren, unverändert. Hat sich das Vermögen des Plasma’s, den Zellenleib zu zerstören, er- schöpft, so steht es nun auf einer Stufe mit dem gewöhnlichen Blutserum ; denn auch in ihm bleiben die eingetauchten Drüsenzellen unangetastet. Weil in der beschriebenen Art des Peptonplasma’s allein nur durch die eingetragenen Drüsenzellen eine Gerinnung entstand, so war es möglich, darüber Bescheid zu erhalten, ob in dem entstandenen Faserstoff nur die Masse der Zellen oder auch Bestandtheile des Plasma’s vertreten seien. Ihn zu erlangen bieten sich zwei Wege. Eine grössere Menge reiner Drüsenzellen schüttelte ich in halbprocen- tiger Kochsalzlösung so lange, bis sie gleichmässig verbreitet erschienen und theilte dann die gesammte Flüssigkeit in zwei gleiche Portionen. Aus ZUR CHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 407 der einen derselben bestimmte ich das Gewicht der getrockneten Drüsen- zellen, die andere setzte ich zu 20 © Peptonplasma von dem beschriebenen Verhalten und als 5 Minuten später die Gerinnung vollendet war, nahm ich den Faserstoff heraus, reinigte, trocknete und wog ihn. Das Gewicht der zugesetzten Zellen hatte 0-17 8”, dass des gereinigten Faserstoffes 0.21 sm betragen. Wenn man die Fehler erwägt, welche der Bestimmungsweise anhaften, ‘namentlich aber, dass eine gleichmässige Ver- theilung der Zellen und eine vollkommene Reinigung des Faserstoffes schwer zu erreichen sein dürfte, so wird der Schluss gestattet sein, dass sich an der Bildung des Faserstoffs kein in das Gewicht fallender Bestandtheil des Plasma’s betheiligt habe. Ueber das Verfahren, welches bei den Auswägungen der Zellen und des Faserstoffes angewendet wurde diene Folgendes: Zellen. Zunächst wurde die Kochsalzlösung, in der die Zellen aufge- schwemmt waren, centrifugirt. Die klare über dem Bodensatz stehende Flüssig- keit wurde abgegossen und darauf die Zellen mit verdünntem Alkohol aus dem Glase auf ein gewogenes Filter gespült. Die Zellen, welche nach dieser Be- handlung auf dem Filter vollständig zurückgehalten wurden, habe ich dann zur Entfernung des Kochsalzes mit verdünntem Alkohol ausgewaschen, getrocknet und gewogen. Die durch das Filter gegangene Flüssigkeit wurde auf dem Wasserbad bis zur Trockne eingedampft, der Rückstand mit absolutem Alkohol erschöpft, der gewonnene und filtrirte Auszug verdampft und das Gewicht des verbliebenen Rückstandes zu dem der ausgewaschenen Zellen addirt. Faserstoff. Der Kuchen wurde mit einem Glashaken emporgehoben, so dass das Serum möglichst vollständig abtropfen konnte. Hierauf wurde er von halbprocentiger Kochsalzlösung bedeckt, wiederholt ausgepresst und endlich so lange mit Kochsalzlösung gewaschen, als diese noch Eiweiss aus ihm aufnahm, hierauf das Kochsalz mit destillirtem Wasser entfernt und bei 100° C. ge- trocknet. Der Zweifel, welchen die eben mitgetheilte Bestimmung hinterlassen hatte, ob nicht doch ein Theil der im Gerinnsel vertretenen Masse aus dem Plasma stamme, wurde durch das folgende Verfahren beseitigt, in welchem der Gehalt an gerinnbaren Eiweissstoffen in dem Plasma bestimmt wurde bevor und nachdem in ihm Drüsenzellen unter Bildung eines Gerinnsels zerfallen waren. Da die Zellen in 0-5 Procent Kochsalzlösung vertheilt in das Plasma eingetragen wurden, so mussten um der hierdurch eingetre- tenen Verdünung Rechnung tragen zu können, die Volumina des Plasma’s und der Kochsalzlösung bekannt sein. Das Eiweiss wurde nach Neutrali- sation ausgekocht, mit Wasser und heissem Alkohol ausgewaschen. In 100 Theilen des Plasma’s waren 6-26 Eiweiss vorhanden; in der gleichen Menge Peptonserums, d.h. in dem Plasma, welches aus dem 408 L. WOooLDRIDGE: Kuchen abgetropft war, der nach der Einführung der Drüsenzellen entstand, waren enhalten: 6-30 Eiweiss. Erleidet das Plasma, wenn in ihm die Zellen in Faserstoff übergehen, keinen Verlust an Eiweissstoffen, so kann man seine Betheilisung an der Gerinnung nur darin finden, dass es ähnlich wie die Salzlösungen befähigt sei, die Umwandlung der Zellen herbeizuführen. Unbeschränkt ist es hierzu jedoch nicht befähigt; hat es eine grössere nicht näher bestimmte Gewichts- menge von Zellenleibern zerfällt, so verhält es sich einem weiteren Zusatz von Zellen gegenüber unwirksam. Die nächste Erklärung hierfür würde die Annahme gewähren, dass mit der Entstehung des Gerinnsels aus dem Plasma der Stoff entfernt oder in ihm umgesetzt sei, welcher die Umfor- mung der Zellen zu bewirken vermochte. War dieser Stoff in das Ge- rinnsel übergegangen, so muss seine Menge als eine äuserst geringe nicht in’s Gewicht fallende anzusehen sein. Von dem nur durch den Zusatz von Zellen gerinnbaren Peptonplasma mussten wir, wie schon erwähnt, ein anderes unterscheiden, welches noch nach dem Einleiten von Kohlensäure oder durch den Zusatz eines gleichen Volums Wasser einen Kuchen oder Häute und Flocken liefern konnte. Auch das Plasma solcher Art führt den Leib der Drüsenzellen in Faser- stoff über. Hatte eine Portion solchen Plasma’s die ihm zugeführten Zellen umgeformt, so verlor es damit nicht bloss seine Wirkung auf weitere Zellen- mengen, es konnte aus ihm auch durch Kohlensäure und Wasser kein weiteres Gerinnsel mehr abgeschieden werden. Hiernach muss es als höchst wahrscheinlich gelten, dass sich an der Masse des entstandenen Gerinnsels die bisher im Plasma gelösten Bestandtheile betheilisten, welche durch Kohlensäure oder Wasser ausscheidbar gewesen wären. Zur Entscheidung dieser Frage vermag ich jedoch keine Thatsachen vorzuhringen. 3. Verhalten des in den lebenden Gefässen kreisenden Blutes gegen die Drüsenzellen — Nachdem sich gezeigt hatte, dass das Plasma des aus der Ader gelassenen Peptonblutes sich verschieden vom Serum dieses und des gewöhnlichen Blutes gegen die Drüsenzellen verhalte, wurde es wichtig, zu wissen, auf welche Seite sich das in den Adern kreisenden Plasma stelle; je nachdem es die zugesetzten Drüsenzesellen zerlegte oder unverändert liess, mussten die Eigenschaften des abgelassenen Peptonplasma’s verschieden beurtheilt werden. Zur Entscheidung wurden drei verschiedene Formen des Versuchs gewählt. Ein erstes Verfahren bestand darin, die V. jugularis eines grossen Hundes kurz vor ihrem Eintritt in die Brusthöhle zu unter- binden und darauf unterhalb der Submaxillardrüse die beiden Aeste der Jugularvene aufzusuchen, einen derselben vorläufig zu unterbinden, durch den anderen unter bekannten Maassnahmen eine grosse Summe reiner in ZUR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 409 0-5 procentigen Kochsalzlösung aufgeschwemmter Drüsenzellen einzuspritzen. Die vorher von ihrem Blute befreite Jugularvene erschien nach vollendeter Einspritzung als ein hellröthlicher strotzender Strang. Nach der Ver- schliessung der einen Mündung, durch welche die Zellen eingespritzt waren, wurde der andere vorläufig unterbundene Venenast geöffnet; sogleich drang vom Kopfe her das Blut zwischen den Zellenbrei, welcher wegen der fortdauernden Verschliessung des Venenstammes nicht entweichen konnte. Eine halbe Stunde später wurde das Thier durch Curara getödtet und die Vene, welche zum Versuch gedient hatte, sorgfältig herauspräparirt. Bei den hierzu nothwendieen Handgriffen war schon zu erkennen, dass ihr In- halt flüssig geblieben sei und als dieser darauf in ein Glasschälchen ent- leert wurde, erwies er sich in der That als ein vollkommen flüssiger. Nach- träglich gerann das entleerte Blut wie gewöhnlich. Ginge die Umformung der Drüsenzellen innerhalb des lebendigen Kreislaufes gerade so vor sich, wie im Plasma des abgelassenen Pepton- blutes, so müssten aus einer reichlichen Einführung der ersteren in das Herz die schwersten Störungen der Gesundheit, wenn nicht der Tod des Thieres hervorgehen. Den geplanten Versuch habe ich an drei Hunden angestellt; zweien davon war vor der Zuführung der Zellen Pepton in die V. jugularis ein- gebracht worden. Obwohl dem Thiere, welches kein Pepton erhalten, 25 em und den beiden anderen je 30 “em steifen Zellenbreies von der Halsvene aus in’s Herz geschoben worden waren, so zeigte doch keines in der Zeit des Lebens nach der Zelleneinspritzung eine irgend merkliche Störung seines Wohlbefindens, und als sie durch Eröffnung einer A. carotis getödtet wurden, war das Blut vollkommen flüssig. Das Thier, welches kein Pepton em- pfangen, liess ich 4 Stunden nach. der geschehenen Zelleneinspritzung am Leben; sein Blut gerann, nachdem es die Gefässe verlassen, alsbald wie gewöhnlich. . Die Hunde, denen zuerst Pepton und dann Zellen eingebracht waren, durfte ich, wenn das eigenthümliche Verhalten des Peptonblutes erkannt werden sollte, nicht so lange am Leben erhalten; einer ward eine viertel, der andere eine halbe Stunde näch der Zelleninjeetion durch Er- öffnen der A. carotis getödtet. Ausserhalb der Adern blieb das abgelassene Blut Stunden hindurch vollkommen flüssig. Bei der Section, die an den Leichen mit Sorgfalt durchgeführt wurde, liessen sich nirgends, namentlich auch nicht in den Lungen Embolien auf- finden. Nur einmal bot das Lungengewebe hin und wieder rothe Stellen dar, die jedoch unter dem Fingerdruck sogleich erblassten. Sprechendere Beweise, als sie in den mitgetheilten Beobachtungen vor- liegen, konnten für die Behauptung nicht vorgebracht werden, dass inner- halb des lebendigen Stromes die Drüsenzellen der Umwandlung in einen 410 L. WOOLDRIDGE: faserstoffähnlichen Körper entgehen, mochte das Blut normal oder durch eine Einspritzung von Pepton in seinen Eigenschaften verändert sein. Gegen die Beweiskraft meiner Versuche liess sich nur noch der eine allerdings von vornherein unwahrscheinliche Einwand erheben, dass dem abgelassenen Blute der Thiere, welchen Pepton eingespritzt worden war, ausnahmsweise die Befähigung gefehlt habe, die Leiber der Zellen in Gerinnsel umzuwandeln. In der Voraussicht des Einwurfs brachte ich von der Zellenmasse, welche in das Herz übergeführt werden sollte, einen kleinen Antheil in ein Uhr- glas. Einige Minuten nachdem die Peptoneinspritzung vollführt war, liess ich auf das Uhrglas eine kleine Menge des Blutes fliessen. Nach kurzer Zeit war alles in einen festen Kuchen verschmolzen. Dasselbe Blut, welches innerhalb der lebenden Gefässe unwirksam geblieben, zerfällt also ausser- halb derselben die Drüsenzellen. 4. Kurzgefasst lauten die Erfahrungen über die Art und die Ursachen des Zerfalls der Drüsenzellen folgendermaassen: Die im Leib der Drüsenzellen vertretenen Eiweissstoffe genügen für sich allein zur Herstellung eines Fibrins, das in vielen Stücken dem Blutfibrin gleicht. L Bei der Umwandlung des Drüsenleibes in Fibrin spielen keine anderen als chemische Bedingungen eine Rolle, denn sie lässt sich mit Zellen be- wirken, deren Protoplasma längst unbeweglich geworden, also gestorben ist. Zu den Stoffen, welche die Umwandlung der Zellen herbeiführen, ge- hört unter anderen ein nicht näher bekannter Bestandtheil des aus der Ader gelassenen, aber noch nicht geronnenen Blutes; denn es fehlt der die Zellen zerlegende Stoff dem in den Adern kreisenden Blute und ebenso dem aus dem geronnenen Blute stammenden Serum. Dieser Stoff kann also mit dem von Alex. Schmidt entdeckten Fibrinferment nicht iden- tisch sein. Die todten, in das lebende Blut eingeführten Drüsenzellen ändern da- selbst ihre Eigenschaften, denn das Blut der Thiere, denen im Leben Pepton und Zellen zugebracht waren, hätte nach dem Austritt aus den Gefässen gerinnen müssen, wären die Zellen nicht verändert gewesen. Da jedoch die Anwesenheit der Drüsenzellen in dem abgelassenen Blute nur er- schlossen wird, weil sie vermöge ihres Aggregatzustandes aus den Gefässen nicht auswandern können und weil kein Anzeichen dafür vorliegt, dass sie sich irgendwo in den Capillaren festgesetzt haben, so bleibt es wünschens- werth, auf geradem Wege die eingespritzten Drüsenzellen in dem abgelassenen Blute nachzuweisen. Ueber die Beziehungen zwischen dem Blutfibrin und dem aus den Drüsenzellen entstandenen Gerinnsel wird erst dann mehr, als gegenwärtig möglich ist, zu sagen sein, wenn die Untersuchung der normalen Gerinnung /UR ÜHEMIE DER BLUTKÖRPERCHEN. 411 zu einem durchweg befriedigenden Abschluss geführt wurde. Einstweilen muss man das aus den Drüsenzellen hervorgegangene faserige Gerinnsel für verschieden vom Blutfibrin erklären, weil das letztere in 0:2 Procent CIH aufquillt, indess das erstere in derselben Säure nicht gleich aber ähnlich dem Mucin schrumpft. Mehr noch als dieser fällt ein anderer Unterschied in das Gewicht. An der Masse des Faserstoffs, welche aus dem Blutplasma ausfällt, ist nicht nothwendig nur der Leib der zerfallenen Leukocyten betheiligt, es kann zur Bildung des Fibrins beitragen ein vorher im flüssigen Plasma vorhandenes Globulin, das Fibrinogen. Im geraden Gegensatz hierzu besteht das aus den Drüsenzellen hervorgegangene Gerinnsel nur und ganz aus den eigenen Stoffen derselben. Da das Gewicht des Gerinnsels gleich dem der bei seiner Entstehung zerfallenen Zellen gefunden wurde, so liest kein Grund für die Annahme vor, dass sich ein dem Plasma angehöriger Bestandtheil dem Faserstoff beigemenst und ein anderer aus den Zellen stammender in Lösung begeben habe. Nicht bloss zwischen dem bei ihrem Zerfall entstehenden Faserstoff, auch zwischen den verschie- denen Zellenarten besteht eine Verschiedenheit; auf sie deutet die un- gleiche Art ihres Zerfalls und der ungleiche Widerstand, mit dem sie ihre Gestalt zu behaupten vermögen. Lösungen von Me SO, zerstören das Gefüge der Leukocyten des Blutes und der Zellen, wobei in jedem Fall faserige Gerinsel entstehen; aber das- jenige, welches aus der Umformung der Drüsenzellen hervorging, erinnert nur noch durch die Anwesenheit der Kerne an seinen Ursprung; nach der Zertrennung der farblosen Zellen des Blutes dagegen liest zwischen der faserigen Masse immer noch eine andere dem Protoplasma ähnlich sehende. — Noch deutlicher tritt die ungleiche Widerstandsfähiskeit der beiden Zellenarten unter der Einwirkung des Peptonplasma’s hervor. Fliesst in das abgelassene Peptonblut oder in das daraus abgehobene Plasma ge- rinnungsfähiges Blut aus der A. carotis, so bleibt die Mischung, voraus- gesetzt, dass sie etwa aus gleichen Volumtheilen besteht, vollkommen flüssig wie Fano zeiste; die farblosen Zellen des gerinnungsfähigen Blutes sind also nicht zerstört worden. Die Drüsenzellen aber fallen innerhalb des ab- gelassenen Peptonblutes sehr rasch der Zerlegung anheim. Beobachtungen über die Wirkungen einer Windhose. Von Dr. J. Gad. Schreiben an den Herausgeber. Würzburg, den 10. Mai 1881. In Ihrer Vorlesung: „Ueber die Physik des organischen Stoffwechsels“, welche ich wiederholt, als Ihr Schüler und als Ihr Gehilfe mit unvermin- dertem, ja mit stets wachsendem Interesse anzuhören das Glück hatte, pflegen Sie zur Veranschaulichung des Wassergehalts vegetirenden Holzes und der austrocknenden Wirkung von Wirbelwinden ein handliches Stück zerschlitzten Eichenholzes Ihren Zuhörern herumzugeben, welches einem Baume entstammt, der einer in der Normandie entstandenen Trombe zum Opfer gefallen ist! Ich hoffe, dass die beifolgende Skizze einen beschei- denen aber lehrreichen Beitrag zu Ihrem Demonstrationsmaterial liefern wird. Die Skizze stellt den, von der Wurzel bis zur Krone, von der Borke bis in das innerste Mark zerschlitzten Stamm einer etwa zweihundertjäh- rigen gesunden Buche dar, welcher sich in der Mitte eines Windbruches vorfand, der bei einem Gewitter in der Rhön entstanden war und den ich einige Zeit nach seinem Entstehen zu besichtigen Gelegenheit hatte. Das Gewitter selbst habe ich leider nicht mit erlebt, doch habe ich zuverlässige Angaben über seinen Verlauf und die demselben vorangegangenen meteorologischen Verhältnisse gesammelt. Es war Anfang August vorigen 1 [Das Stück, welches mir mein Freund Hr. Ch. Martins 1850 in Paris schenkte, rührt her von einer Eiche, welche auf dem Plateau de Malaunay, bei Montville, einige Kilometer von Rouen, stand, und durch die in der Geschichte der Wirbelstürme be- rühmt gewordene Trombe vom 19. August 1845 zerschlitzt wurde. E. d. B.-R.] J. GAanD: BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE WIRKUNGEN EINER WINDHOSE. 413 Jahres. Von dem anmuthigen Rhönthale der Sinn hatte der, den Brücke- nauer Badegästen so erwünschte Bergwind (Nord-Ost) tagelang alles Ge- wölk ferngehalten. Ueber die waldigen Höhen des grossen Auers und der Pilster herab hatte er den sonnigen Matten Kühlung zugeweht, doch als er stockte, trat starke Hitze ein, welche sich um Mittag zu unerträglicher Schwüle steigerte. Die Sonne umschleierte sich, doch nicht hinter massigem Gewölk verbarg sie ihr Antlitz, sondern ihr Strahl erstickte in dem gleich- förmigen Bleigrau, welches dem Firmament ein so unheimliches Aussehen giebt. Es trat absolute Windstille ein. Aber plötzlich brach das Unwetter los, zuerst in Gestalt eines Sturmes, der wirbelnd das Sinnthal hinaufbrauste. Nach wenigen Minuten war der Himmel mit schwerem Wettergewölk be- deckt, die Blitze zuckten und fast gleichzeitig krachte der Donner — dann fiel wolkenbruchartiger Regen. Der Sturm hatte im Sinnthal selbst mancherlei angerichtet, aber Alles, was er dort und in der ganzen Umgegend geleistet, verschwand gegen die Verwüstung,, welche er an einer ver- 0, hältnissmässig kleinen und gut um- ZZ schriebenen Stelle eines Seitenthales hin- 722 terlassen hatte. Oberhalb des Städt- 7, chens Brückenau folgen sich, wie Sie aus beistehendem, der Section „Schwein- furt“ der Reymann’schen Karte ent- lehnten Situationsplane entnehmen kön- nen, in Abständen von 2—3 Kilometern die Ortschaften Römershag am rechten >B4 In" 7 US Ufer der Sinn und dann Riedenberg. Bei RR DENT 1W jeder derselben mündet je ein in nord- fm VE a = südlicher Richtung streichendes scharf- SEN 7 IG N EL 17 Bi 7 i er AND eingeschnittenes Seitenthal. Diese Seiten- "N Berge _ 7 2Hil thäler führen auf das sumpfige Plateau, welches der kahlen, durch ihre alten Hochäcker interessanten Kuppe des kleinen Auers zur Basis dient. In den Thalsohlen fliesst reichlich Wasser von dem Hochsumpf zur Sinn herab. Die oberen Mündungen der Thäler sind nur etwa ein Kilometer von einander entfernt. Zwischen beiden, auf dem Plateau selbst, ein Kilometer von dessen Rande entfernt, liegt der Ebertshof. Die Wände beider Thäler sowie der zwischen beiden gelegene, durch eine besondere Kuppe gekrönte Gebirgsausläufer sind dicht mit Wald, meist sehr alten Buchenbeständen, bedeckt, welcher sich bis auf !/, Kilometer gegen Ebertshof hin auch auf das Plateau fortsetzt. In diesen Waldungen hatte der Sturm einen Windbruch von sehr eigenthümlicher Begrenzung hinterlassen. 414 | J. GAD: Der Windbruch nahm das steilwandige, schmale von Römershag her- aufführende Thal fast von seiner unteren Mündung bis zum Plateau hin ein, hatte seine Hauptausbreitung aber von der oberen Mündung dieses Thales in der Richtung nach dem benachbarten Riedenberger Thal hin. Hier fand sich eine fast kreisrund begrenzte Stelle von etwa 300 Meter im Durchmesser, innerhalb welcher kein Baum erhalten war. (S. das Kärtchen). Diese Stelle ist an sich merkwürdig und bekannt durch die sogenannten „langen Steine“. Es sind dies stattliche, fast rechtwinklich prismatische Weisssandsteinblöcke, die wie das Spielzeug unordentlicher Riesenkinder zwischen und unter 1000 jährigen Buchen an leicht abfallendem Berges- hang zerstreut liegen. Diese Blöcke mit dem Wurzelwerk der entwurzelten Stämme emporgehoben und umgestürzt, bildeten mit den Baumtrümmern untermischt ein Gewirr von überwältigender Wildheit. Das Chaos, in dem das Unterste buchstäblich zu oberst gekehrt war, wo man, mühselig durch Baumkronen sich hindurchwindend, schräg aufgerichtete oder im Wurzel- werk hängen gebliebene Steinblöcke hoch über sich hatte, erschien dem ersten Blick wie eine dämonische Verspottung jeglicher Gesetzmässigkeit. Hatte man sich aber erst heimisch gemacht in dieser abenteuerlichen Welt, wozu die Ausnutzung der reichlichen und zu müheloser Ernte heranreifenden Bucheckern gemüthliche Gelegenheit bot, so sah die Sache schon anders aus. Hatte man im westlichen Theil des Windbruchs in einem Baum- wipfel sitzend, den zugehörigen Stamm südlich vor sich, so war dies im östlichen Theil umgekehrt. Am ausgesprochensten war dieser Gegensatz in der Peripherie des Windbruchs. Das Unheil war also angerichtet durch einen Wirbelwind, der sich von Ost über Süd nach West gedreht hatte. Die- selbe Drehrichtung erkannte man aus der Art, wie das Unterholz, welches stellenweise aus dichten, langschäftigen jungen Buchen bestand, um ein- ander gewunden war. Auch wenn man abgesplitterte Baumkronen in Ge- danken zu reponiren versucht, musste man sie sich erst in entgegengesetzter Richtung gedreht vorstellen. An dem Drehen des Windes und über die Drehrichtung konnte also kein Zweifel sein. Die ältesten Bäume, mit dem grössten Missverhältniss zwischen Kronen- breite und Wurzelfestigkeit waren, wenn im Stamme gesund, einfach ent- wurzelt. Wo ein Stamm, ob alt oder jung, irgend einen Fehler hatte, da war er einfach gebrochen. Diese beiden Fälle waren die bei weitem häufig- sten und sie boten besonderes Interesse nicht dar. Anders die geringere Zahl ganz gesunder Bäume von mittlerem Alter. Die Stämme dieser Bäume zeigten das höchst merkwürdige Aussehen, wie es die Skizze darstellt. Fest in der Erde wurzelnd, ragten sie, in dünne, graziös überhängende Latten zerschlitzt, über die ihnen zu Füssen gelegte Krone hinaus. Der abgehil- dete Stamm war, in seiner Art, der schönste, auf den ich gestossen bin. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE WIRKUNGEN EINER WINDHOSE. 415 Ich hatte Gelegenheit, Hrn. Professor Sandberger zu ihm zu führen, wel- cher die Forstbeamten auf denselben aufmerksam gemacht hat. Es bestand die Absicht, den Stamm hart an der Wurzel abzusägen und als ein Ganzes nach der Forstakademie Aschaffenburg zu bringen, wo er ein Demonstrations- object von seltener Ein- dringlichkeit abgeben würde. Jedenfallsforderte die Eigen- thümlichkeit der Erschei- nung, welche mit typischer Regelmässiskeit an einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Stämmen sich darbot, auch den nicht fachmän- nischen Beobachter zu einem Erklärungsversuch heraus, welcher mich zu einem an- deren Resultat geführt hat, als ich es von Martins in der von Poggendorff im 81. Bande seiner An- nalen wiedergegehenen „An- weisung zur Beobachtung von Windhosen“! vertreten finde. Aus der, dem Unwetter vorangegangenen meteoro- logischen Constellation schliesse ich, fussend auf Hrn. Helmholtz’s Aufsatz über Wirbelstürme in der Deutschen Rundschau von 1875, dass ein autochthones Gewitter vorlag, wie es in unseren Breiten an der Stelle zu entstehen pflegt, wo bei einer Umsetzung der äquatorialen und polaren Luftströmungen die bis dahin untere polare Strömung zuerst nach oben durchbricht. Da “ Es ist eine Uebersetzung der Instructions pour ’Observation des DTrombes ter- vestres, in dem Annuaire meteorologigue de la France, annde 1848. p. 225—244. 416 IMGAD: es sich hierbei um die Störung eines bestandenen labilen Gleichgewichts- zustandes handelt, so ist die Plötzlichkeit und Grösse der Kraftentfaltung bei solchen Gelegenheiten eine sehr bedeutende. Mit rasender Geschwin- digkeit stürzt die Luft durch einen in ihre eigene Substanz gebohrten Schlot hinauf, um welchen herum ein mächtiger Wirbel entsteht. Von dem Orte der ersten Entstehung wandert das Centrum des Wirbels mit grosser Geschwindigkeit weiter, aber in der Nähe des Entstehungsortes muss die Kraftentfaltung am bedeutendsten sein. Courant ascendant und Wirbel sind hierbei das Primäre, Wolkenbildung, Gewitter, horizontaler Sturm das Secundäre. Wo man also an fast kreisrundbegrenzter Stelle das Maximum der Verheerung mit den deutlichsten Spuren des Wirbels antrifft, da wird man den Entstehungsort zu vermuthen und die Verhee- rungen selbst wesentlich auf Rechnung des Courant ascendant und des Wirbels zu setzen haben. Schon aus diesem Grunde glaube ich, dass man in unserem Fall, wie man nach Peltier und Martins wohl versucht sein könnte, das beobachtete Zerschlitzen der Bäume nicht als Folge elektrischer Entladungen ansehen darf. Hiergegen spricht auch die im Verhältniss zur Ausdehnung der eircumscripten Verheerung grosse Zahl der zerschlitzten Stämme, der gänzliche Mangel an Verkohlungen, namentlich aber die Be- schränkung der Zerschlitzung auf die Stämme der gesunden mittelstarken Bäume. Unter elektrischen Entladungen müssten doch, wie mir scheinen will, in erster Linie die höchsten Bäume leiden und an diesen sowohl die aufwärtsstrebenden Aeste wie der Stamm. Aber auch die austrocknende Wirkung des Courant ascendant darf man, so viel ich sehe, nicht für das Zerschlitzen verantwortlich machen. Von Ihnen habe ich, wenn ich mich recht erinnere, unter anderen Mög- lichkeiten die erwähnen hören, dass wegen der Luftverdünnung im Centrum des Wirbels das Gewebewasser des Stammes plötzlich verdampft und durch Sprengung des Zusammenhaltes der Fasern das Zerschlitzen herbeiführt. Es war mir im Hinblick auf diese Annahme sehr auffallend, eine Woche nach dem Unwetter das Laub an den gestürzten Wipfeln noch ziemlich frisch zu finden. An einem Stamm, der völlig seiner Borke entkleidet war, war nur ein Adventivästchen stehen geblieben. Das Laub dieses Aestchens war so frisch, wie das eines normalen Baumes, — ein blühendes Kind, in der Wüste verwaist, dem sicheren Untergang preisgegeben. Allerdings hatte tagelang Regenwetter geherrscht. Aber sollte bei einer Wasserver- dunstung aus der Mitte des Markes, welche so heftig ist, dass der ganze Stamm dadurch zersprengt wird, das Laub so wenig Wasser verlieren, dass es nachträglich einer vollständigen Restitution fähig. wäre? Wie viel ge- schützter ist doch das Wasser im Mark durch Holzfaser und Borke als das Wasser im Blattparenchym, das durch die Spaltöffnungen schon bei ge- BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE WIRKUNGEN EINER WINDHOSE. 417 wöhnlichen Verhältnissen stündlich in Menge den ihm vorgeschriebenen Weg findet! Für mich bleibt also als einziges zulässiges Erklärungsmoment die Drehbewegung des Windes übrige. Und dies Moment scheint mir auch zur Erklärung des von mir Beobachteten auszureichen. Denke ich mir einen festwurzelnden gesunden Baum bei der Krone gepackt und um die Stamm- axe gedreht, so muss es zu einer Wirkung kommen, wie sie sich in der Skizze darstellt. Auffällig, aber nicht unbegreiflich bleibt, dass die auf den Stamm wirkende enorme Kraft aus Einzelkräften resultirt, von denen jede einzelne nicht im Stande ist, das Blatt, an welchem sie direct angegriffen hat, abzureissen. Diese Vorstellung enthält aber auch die Erklärung, wes- halb die Zerschlitzung auf den Stamm sich beschränkt, nämlich auf den Theil des Baumes, an dem einerseits alle Kräfte vereint angreifen, und an dem andererseits die Nachgiebigkeit am geringsten ist. Eine andere Schwierigkeit für Durchführung der angedeuteten Erklärung könnte man daraus herleiten, dass man dieselbe nur für einen Baum gelten liesse, dessen Stamm in der Axe eines Wirbels gestanden habe. Am ervi- dentesten ist ja die auf den Stamm wirkende drehende Kraft, wenn die Luftbewegung an entgegengesetzten Punkten der Krone entgegengesetzt gerichtete Geschwindigkeit hat. Aber auch bei excentrischer Stellung des Baumes muss der Stamm Torsionswirkungen ausgesetzt sein, wenn der dem Wirbeleentrum nächste Punkt der Krone eine genügende Geschwindigkeits- differenz gegen den vom Wirbelcentrum entferntesten Punkt besitzt. Diese Geschwindigkeitsdifferenz wird um so grösser sein, je grösser die Winkel- geschwindigkeit des Wirbels und je breiter die Baumkrone ist, um so kleiner, je grösser die Excentrieität der Baumstellung. Von der Grösse des ersten Factors können wir uns gar keine Vorstellung machen. Dass die Bäume mit breitestem Wipfel, das heisst die ältesten Bäume, keine Dreh- wirkungen zeigen, erklärt sich daraus, dass diese alle einen locus minoris resistentiae in Wurzel, Stamm oder Geäst besitzen, wodurch die Concentri- rung aller Kräfte auf Drehung des Stammes vereitelt wird. Dass die Breite des Wipfels aber in Beziehung zur Zerschlitzung des Stammes steht, möchte ich aus der von Martins hervorgehobenen, freilich anders gedeu- teten, Thatsache schliessen, dass Zerschlitzungen an Eichen, Buchen, Ulmen, Eschen, Schwarz- und Silberpappeln beobachtet sind, nie aber an Kiefern, Tannen oder Lärchen. Nimmt man an, dass bei jeder Windhose nur ein Wirbel mit einem Centrum besteht, so müsste die Excentrieität der Stel- lung manches von mir beobachteten zerschlitzten Stammes recht beträcht- lich gewesen sein. Aber diese Annahme scheint mir nicht nothwendig und nach dem, was man bei schwächeren Wirbelwinden auf sandigen Ebenen zu beobachten Gelegenheit hat, nicht wahrscheinlich. Da sieht man den Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 27 418 J. Gap: BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE WIRKUNGEN EINER WINDHOSE. Sand und Staub oft gleichzeitig in mehreren, mehr weniger unabhängige Bahnen verfolgenden Säulen aufsteigen. Aus diesen Gründen glaube ich, dass das Zerschlitzen der Baumstämme Folge der Wirbelbewegung der Luft ist und dass die durch Zerschlitzung in grosser Oberfläche freigelegten Gewebe nachträglich durch den Courant ascendant bis zu dem Grade ausgetrocknet werden, wie es für das Holz der durch Tromben zerschlitzten Stämme von guten Beobachtern, welche zeitig genug hierzu Gelegenheit hatten, constatirt worden ist. Was die Bahn der Windhose betrifft, deren Hauptwirkungsherd ich beschrieben habe, so ist dieselbe noch etwas weiter nördlich zu verfolgen gewesen. Eine Scheune des Ebertshofes war abgedeckt, weiterhin aber sind mir nennenswerthe Wirkungen nicht bekannt geworden. Es liest dies zum Theil daran, dass auf den,nassen Wiesen des Plateau’s und der kahlen Kuppe des kleinen Auers, welche zunächst in der Bahnrichtung lagen, kein An- griffsobject sich darbot. In den Waldungen und Ortschaften nördlich des kleinen Auers ist es zu Zerstörungen nicht gekommen. : Wie umschrieben die Stelle der grössten Wirkung der Windhose in der That gewesen ist, wurde mir recht klar, als ich auf dem gegenüber- liegenden Pilsterberge stand und nach Verheerungen in den der unter- suchten Stelle benachbarten Forsten ausschaute. Ausser dem Windbruch an „den langen Steinen“ war nichts zu erkennen und auch dieser mar- kirte sich nur als eine zwar umschriebene Stelle, an der aber aus der Ferne Nichts zu erkennen war, als eine gewisse Unordnung in der Zeich- nung des Baumschlages. Wie beherzigenswerth! Was an den langen Steinen selbst aussah, wie Weltuntergang, erschien vom Pilster gesehen, wie eine leichte Unordnung im Baumschlag. Dächte man im Leben doch immer daran, eigenes Missgeschick nicht von den langen Steinen, sondern vom Pilster aus anzusehen! Indem ich Sie bitte, die Skizze als einen kleinen Zoll meiner aufrich- tigen Verehrung hinzunehmen und Ihnen anheimgebe, von diesem Brief beliebigen Gebrauch zu machen, zeichne ich als Ihr dankbarer Schüler IE Ere0l Ueber die physiologischen Wirkungen des Methylen- chlorids. Von Wilhelm Panhoff, aus Hemmerde (Westfalen). Aus dein physiologischen Institute zu Erlangen. Die folgende Untersuchung wurde auf Vorschlag des Hrn. Professor Filehne und mit seiner freundlichen Unterstützung angestellt. Dem Chloroform CHCL,, also Trichlormethan, welches als Anästheticum heute die weitverbreitetste Anwendung findet, stellt sich das Dichlormethan CH,Cl,, auch Methylbichlorid oder Methylenchlorid genannt, unmittelbar zur Seite. Diese von Richardson! zuerst als Anästheticum erprobte Chlorkohlen- wasserstolf-Verbindung wird noch heute in England vielfach dem Chloro- form in der Anwendung vorgezogen. Richardson wählte zu seinen Thierversuchen Tauben; nach seinen grossen Erfahrungen sind nämlich Tauben ein besonderes empfindliches Reagens für Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Anästheticis; ein Anästheticum, das von diesen Thieren gut vertragen wird, ist voraussicht- lich auch für den Menschen relativ ungefährlich. Einen besonderen Vorzug dieses Mittels vor anderen findet Richard- son darin, dass die Narkose ohne jegliches Exeitations-Stadium eintritt, dieselbe ist andererseits auch anhaltender als bei Aether und Amylen. Der schnelle Eintritt der Bewusstlosigkeit wird von Richardson dar- auf bezogen, dass das Mittel leicht vom Blut aufgenommen wird, und dass das Erwachen im Allgemeinen plötzlich und ohne Nachwehen erfolst, erklärt 1 Medical Times and Gazette. 1867. Nr. 905. 420 WILHELM PANHOFF: Richardson durch die Niedrigkeit des Siedepunktes (305°, also unter Körpertemperatur), verglichen mit dem des Chloroforms (61°, über Körper- temperatur), wonach die Abdunstung von der Lungenoberfläche bei ersterem schneller Statt haben muss, als bei letzterem. „On these grounds“, sagt Richardson, „I should hope that, as an agent for general anaesthesia, the bichloride of methylene will be more practicable and readier than ether and, at the same time, safer than chloroform.“ In einer grossen Anzahl scheint bei seinen Versuchen Erbrechen ein- getreten zu sein. A priori glaubt er mit Rücksicht auf die angegebenen Wirkungen annehmen zn dürfen, dass dieses nach Anwendung von Me- thylenchlorid nicht so andauernd sein dürfte, als nach Chloroform. Nach Richardson übt Methylenchlorid einen viel mehr gleichmässigen, deutlichen Einfluss auf Respiration und Circulation aus, als irgend ein anderes Anästheticum. Zur Zeit, wo die Athmung beschleunigt ist, tritt auch Steige- rung der Pulsfrequenz ein und ebenso nimmt auch diese wieder ab, wenn jene ruhiger wird. Hieraus nun zieht Richardson den Schluss, dass die Diffusion des Mittels durch die Nervencentren eine gleichmässige sei, wofür auch das Fehlen des Excitations-Stadiums zu sprechen scheine. Er hält ferner das Methylenchlorid für ein viel weniger gefährliches Agens als das Chloroform; die Anzahl der Todesfälle stellte sich in den Versuchen Richardson’s gleich 1:1-6. Die Muskelreizbarkeit bleibt nach Tod durch Methylenchlorid länger bestehen, als nach Chloroform oder Tetrachlorid. Während dieselbe bei letztgenannten schon nach 7 bez. 23 Minuten erloschen ist, schwindet sie bei ersterem erst nach 58 Minuten. Der Tod erfolgt gleichmässig durch Lähmung, sowohl des Respirations-, wie des Circulations-Mechanismus. Auf Richardson folgten zunächst Tourdes und Hepp! in Strass- burg, welche eingehender mit Methylenchlorid experimentirten. Diesen dienten bei ihren Versuchen, zu welchen sie meist Kanin- chen benutzten, als Inhalationsapparate erstens ein offener Kautschuk- Beutel und zweitens eine ebensolehe Mütze, welche den Versuchsthieren über den Kopf gezogen wurde. Das Mittel wurde bei beiden Apparaten auf ein in denselben befindliches Stück Leinwand geträufelt. Die Versuchsthiere leisteten im Anfang der Inhalation kräftigen Wider- stand, schrieen oft und fielen plötzlich auf die Seite, ohne jedoch schon völlig bewusstlos und unempfindlich zu sein. Zittern in den Muskeln, convulsi- vische Anfälle waren keine seltenen Erscheinungen. Ein Exeitations-Sta- dium war vor dem Eintritt der Narkose stets deutlich ausgesprochen. 1 Gazette hebdomadaire de Medecine. 1868. No. 8. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS,. 421 Die Respiration und Circulation wurde beschleunigt, die Athmung stieg bis auf 92 bis 100 Athemzüge und darüber, der Puls bei einem Hunde bis auf 120 Schläge in der Minute. Auch Tourdes und Hepp fanden, dass die Narkose nach Aussetzen der Inhalation längere Zeit andauere, und dass man dieselbe ohne Gefahr durch wiederholtes Inhalirenlassen länger ausdehnen könne, als bei einem anderen Anästheticum. Das Erwachen ist nach ihren Versuchen ein plötzliches, bei öfterem Wiederholen jedoch, oder bei längerer Ausdehnung der Narkose kommen die Thiere nur allmählich wieder zu sich. Der Tod erfolgt nie im Excitations-Stadium, sondern schliesst sich stets der Narkose an. Kurz vor dem Tode wird die Athmung bei stürmischer Herzthätiekeit sehr beschleunigt, um zuletzt so oberflächlich zu sein, dass man kaum den letzten Athemzug genau bestimmen kann. Holländer! berichtet von einigen Fällen, in denen Methylenchlorid zur Einleitung allgemeiner Narkose beim Menschen benutzt wurde In einem Falle hob sich der Puls um 20 Schläge in der Minute, während ein klebriger Schweiss Stirn und Hände bedeckte, auch stellte sich Erbrechen ein. In zwei anderen Fällen war die Pulssteigerung nicht so erheblich und bemerkt Holländer hier, dass „die Narkose 15 bis 20 Minuten anhielt, während die Pupillen noch länger dilatirt blieben.“ Neuerdings ist von Drozda? in Wien eine Arbeit über Methylen- chlorid erschienen, in welcher er seine Beobachtungen über die narkoti- sirende Wirkung des Mittels mittheilt und zugleich eine Erklärung für die physiologische Einwirkung desselben auf den Organismus giebt, ein Um- stand, den man bei den früheren Forschern vermisst. Drozda, der seine Resultate aus 30 Methylenchlorid-Narkosen am Menschen gewonnen, fand im Anfang regelmässig eine Vermehrung der Pulsfrequenz und mitunter auch der Athmung bei mittelweiter Pupille. Ein Exeitations-Stadium fehlte fast in der Hälfte sämmtlicher Fälle gänzlich. Später nach ununterbrochenen Methylenchlorid - Inhalationen kam es zur Retardation der Pulsfrequenz und einer eben solchen, wenn gleich nicht so hochgradigen Herabsetzung der Respirationsanzahl. Der Puls war alsdann gewöhnlich voll, die Respiration tief und er- giebig und die Pupillen ad maximum verengt. In einem Falle, bei einem 4'/, Monat alten Knaben, konnte ein deut- liches Einsinken der Schädelfontanellen während der Narkose constatirt werden. \ Berliner klinische Wochenschrift. 1867. Nr. 42. ® Deutsches Archiv für klinische Mediein. 1850. Bd. XXVIL S. 339, 422 WILHELM PANHOFF: Brechreiz sowie eigentliches Erbrechen waren keine seltenen Zufälle, während Muskelzuckungen, Streckkrämpfe und Opisthotonus sich nur in geringer Anzahl zeigten. Bei länger dauerndem Einathmen von Methylinchlorid wurde der Puls plötzlich sehr frequent, klein, undulirend; das Athmen äusserst häufig und oberflächlich, die Pupillen dilatirten sich rasch ad maximum. Nach Sisti- rung der Inhalationen jedoch und Zutritt von frischer Luft trat auch aus diesem Stadium der Narkose schnelle Erholung ein. Die Narkose selbst glaubt Drozda nun geradezu in einem Gefäss- krampf der Hirmbahnen bez. in der hieraus resultirenden Hirnanämie be- gründet, wofür ihm die Aehnlichkeit der Narkose mit dem Bilde zu sprechen scheint, welches bekanntlich Kussmaul für acute Hirnanämie giebt. Be- stärkt wird Drozda in seiner Ansicht noch dadurch, dass nach seinen Beobach- tungen anämische Individuen rascher und mit geringen Mengen Methylen- chlorid narkotisirt werden, als kräftige und gutgenährte, so wie, dass ihm häufig während der Narkose eine auffälligere Blässe des Gesichts und eine prallere Füllung der Venen in die Augen fiel, „was doch offenbar nur durch eine namhaft verstärkte vis a tergo im Gebiete der Capillaren bedingt sein konnte“. (A. a. O. 8. 379.) Das erwähnte Einsinken der Schädelfontanellen wird ebenfalls auf Hirnarteriencontraction bezogen, bez. als ein Beweis dafür angeführt. Auch jene bekannten Beobachtungen von Carter, Albertoni und Mosso, Schultz und Schüller an chloroformirten Thieren, in denen auch nach Anwendung dieses Mittels Anämie der Pia und vielleicht auch wohl des Gehirns wahrgenommen wurde, sind bei Drozda in der Reihe der Beweise keine unwichtigen Factoren dafür, dass die Narkose mit Hirnanämie verbunden ist. Er fand ferner, dass mit dem Schwinden der Symptomengruppe, auf Grund deren er die Anämie des Gehirns und eventuell auch des übrigen nervösen Centralapparates erschliessen konnte, auch constant ein gleich- zeitiges Schwinden der Narkose selbst sich einstellte, wonach er zu dem allgemeinen Schluss gelangt, dass die Anästhetica nicht direct auf die sen- soriellen Centren wirken, dass sie vielmehr nur einen Gefässkrampf in den Hirnbahnen erzeugen und die Narkose die Folge der hierdurch herbeige- führten acuten Anämie ist. Die gleiche Wirkung wird übrigens dem Chloroform noch besonders (a. a. 0. 8. 382) zugeschrieben, wo „in Folge eines ganz bestimmte Nerven- bezirke (Olfactorius und Trigeminus) plötzlich treffenden Reizes ein eben so rascher und ziemlich energischer, langsam aber an Intensität zunehmender Gefässkrampf in den Hirnbahnen erfolgt“ und „es wird in Folge der nun plötzlich geänderten Ernährungsverhältnisse jener Partien leicht zu einem prononeirten Exeitations-Stadium kommen können“ — Diese Exeita- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 423 tion kommt aber bei Methylenchlorid nicht zu Stande, weil hierbei die Hirnarteriencontraction nur allmählich sich entwickelt. Die Steigerung der Pulsfrequenz und die hiermit, wieDrozda vermuthet, verbundene Erhöhung des Blutdrucks, führt er auf Reizung des vasomo- torischen Centrums zurück und identifieirt diese Erscheinungen mit denen bei experimentellem Verschluss sämmtlicher Hirnarterien. Die Pupillenverengerung ad maximum zu Anfang der Narkose soll von Oculomotorius-Reizung herrühren, die spätere Retardation der Puls- und Athemfrequenz wird von Erregung des Vagustonus abhängig gemacht. Wie schon erwähnt, wird bei längerer ununterbrochener Methylen- chlorid-Inhalation nach Drozda’s Beobachtungen der Puls plötzlich sehr fre- quent, ungeheuer schwach und kaum zählbar, das Athmen wird oberflächlich und äusserst beschleunigt, die Pupillen dilatiren sich gleichzeitig ad maximum, welches Bild Drozda durch eintretende Medulla-oblongata-Lähmung zu erklären sucht, in Folge dessen sich auch wohl schliesslich dann bei über- mässiger Darreichung des Mittels der Tod einstellen möchte. Dieses sind die wesentlichen Mittheilungen in der Literatur, welche sich auf die physiologische Wirkung unseres Anästheticums beziehen. Die übrigen Arbeiten, welche sich mit Methylenchlorid beschäftigen, betreffen seine praktische Anwendung und wir glauben von deren Besprechung an dieser Stelle absehen und vielmehr direct zur experimentellen Analyse der Erscheinungen während der Methylenchlorid- Narkose übergehen zu sollen. (Das Methylenchlorid bezogen wir von Kahlbaum, Fabrik für Alkohol- präparate, Berlin). Als Versuchsthiere dienten uns hauptsächlich Kaninchen, sodann auch Frösche und ein Hund. Bei letzterem sowohl als auch bei den Kaninchen geschahen die Inhalationen stets durch eine Trachealcanüle, deren freies Ende in ein kleines Becherglas hinabhing. Am Boden dieses Becherglases befand sich etwas Watte, die mit Methylenchlorid befeuchtet wurde, von der aber die Canüle stets so weit entfernt blieb, dass auch die äussere Luft noch freien Zutritt hatte. Wir liessen deswegen die Dämpfe nicht durch die Nase einathmen, da ja nach den bekannten Versuchen von Holmgren und Kratschmer unter diesen Umständen bei Kaninchen ein grosser Theil der Erscheinungen nicht auf die specifische Wirkung des Mittels zu beziehen ist, vielmehr als Reflexäusserung aufgefasst werden muss, hervorgerufen durch Reize, welche die Nasenschleimhaut der Versuchsthiere treffen. Auch Methylenchloriddämpfe rufen nach unseren Beobachtungen beim Kaninchen plötzlichen Stillstand der Athmung und Herzthätigkeit hervor, wenn die Thiere dieselben durch die Nase einathmen. 424 WILHELM PANHOFF: Hiernach scheint uns klar zu sein, dass ein Theil der Erscheinungen bei Tourdes und Hepp, welche die Thiere durch die Nase inhaliren liessen, nicht als von der Methylenchlorid- Wirkung als solcher abhängig betrachtet werden darf, sondern auf Reizung der sensiblen Ausbreitungen des Nervus trigeminus zurückzuführen ist. Bei unseren Versuchen fingen wir mit einer Dosis von 10 gtt. an, wenn diese sich verflüchtigt hatten, mussten, um volle Wirkung zu erhalten, noch ein- bis zweimal eben so viel zugesetzt werden. Auf den ersten Athemzug reagirten die Thiere zwar mit einer gewissen Unruhe, — die wohl mit Recht, da sie sich unmittelbar an die erste In- halation anschloss, von einer sensiblen Reizung der Tracheal- und Bron- chialschleimhaut abhängig gemacht werden durfte, — nach ungefähr zwei Minuten aber trat fast immer ohne vorhergehendes Exeitations - Stadium complete Narkose ein. Die Respiration, von Anfang an beschleunigt und vertieft, nahm bis zum Eintritt der Narkose immer mehr an Frequenz und Tiefe zu. Die graphisch aufgenommene Athmungscurve zeigte eine Steigerung von 52 auf 72 Athemzüge in der Minute. Die Pupillen verengten sich zunächst bis zu 5”"; also nicht ad maxi- mum, wie bei Trigeminus-Reizung, wo bekanntlich der Durchmesser bis nur 1”” betragen kann. Ohne dass die Narkose noch besondere Erscheinungen dargeboten hätte, erholten sich die Thiere ziemlich schnell, wenn die Inhalationen recht- zeitig ausgesetzt wurden. Geschah dies nicht, liessen wir vieimehr auch noch nach Eintritt der Narkose das Mittel längere Zeit einathmen, dann wurde die Respiration plötzlich jagend und immer mehr oberflächlich, die Pupillen dilatirten sich bis zu I9"”, Auch aus diesem Stadium erholten sich die Thiere regelmässig, selbst dann noch, wenn die Athmung bereits erloschen war, es bedurfte hier nur einiger künstlicher Einblasungen in die Lungen. Stets ist es uns gelungen, die Thiere, welche ohne Athmung und scheinbar auch ohne Herzschlag — wie man ohne Eröffnen des Thorax annehmen konnte — dalagen, wieder zu sich zu bringen. (In Wirklichkeit contrahirt sich das Herz natürlich noch, wenn auch schwach und selten, doch genügt dies um die Circula- tion durch die Lungen aufrecht zu erhalten, selbst zu einer Zeit, wo der manometrisch gemessene Blutdruck in der Carotis bereits auf Null ge- sunken.) Nachdem die erwähnte ziemlich plötzliche Aenderung der Athmung und Pupillenweite erfolgt war, konnten wir regelmässig das Auftreten von Streckkrämpfen und Rennbewesungen der Extremitäten beobachten, auch stellten sich immer Thränen und Speichelfluss ein. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 425 Den Tod fanden wir ganz unter dem von Tourdes und Hepp ge- schilderten Bilde eintreten. Die bis an’s Ende beschleunigte Respiration wurde immer oberflächlicher und es kam so, ohne dass die Frequenz ab- nahm zum Stillstand, wobei man jedoch einen bestimmten Moment, in dem die Athmung aufhörte, nicht hätte angeben können. Bei den Beobachtungen am Circulationsapparate konnten auch wir bei Kaninchen und beim Hunde eine Beschleunigung der Herz- thätigkeit constatiren, während beim Frosche eine solche allerdings nicht zur Wahrnehmung kam. Die mit dem Fick’schen Federkymographion aufgenommene Curve ergab neben mässiger Steigerung des Blutdrucks eine Zunahme von 240 auf 280 Schläge in der Minute. Bei dieser Pulssteige- rung blieb es stehen, sowohl im ersten Stadium der Narkose — Stadium beschleunister und vertiefter Athmung, enger Pupillen —, als auch im zweiten — Stadium stark beschleunigter und oberflächlicher Athmung, weiter Pupillen —, und erst kurz vor Bespirations - Stillstand wurde die Pulszahl geringer, worauf dann der Blutdruck noch einige Veränderungen erfuhr, die uns jedoch später beschäftigen sollen. Diese auch von den früheren Forschern wahrgenommene Beschleuni- sung der Herzthätiekeit, konnte nun von uns entweder von Reizung der Herzganglien oder von einer solchen der Beschleunigungsnerven abhängig gedacht werden, oder auch konnte dieselbe von einer Beseitigung des Vagus- tonus bedingt sein. Für oder gegen eine von diesen drei möglichen pulsbeschleunigenden Ursachen giebt das vorhandene Beobachtungsmaterial kein Urtheil ab. Drozda’s Annahme, dass eine Anämie des Vaguscentrums vorliege, ist, vor- läufig nur eine Vermuthung ohne exacten Nachweis. N Wir suchten zur Entscheidung der Frage zunächst festzustellen, wie die Wirkung des Methylenchlorids bei einem Thiere wäre, dessen Vagustonus eliminirt war. Bei einem vagotomirten Kaninchen konnte durch Einathmen unseres Mittels keine Beschleunigung des Pulses mehr erzielt werden, woraus von vornherein hervorgeht, dass nicht die Herzganglien oder die die Herzthätig- keit beschleunigenden Nervenfasern es sind, auf die das Methylenchlorid einwirkt, sondern dass die sonst zu beobachtende Beschleunigung des Herz- schlages auf Beseitigung des Vagustonus zurückzuführen ist. Um zu bestimmen, ob die letztere central oder peripher bedingt sei, reizten wir an einem vagotomirten Kaninchen das periphere Vagusende durch einen zur Pulsverlangsamung genügenden Strom eines du Bois’- schen Schlittens. Nach Inhalation von Methylenchlorid zeigte der Herz- schlag bei Anwendung derselben Stromstärke durchaus keine Verzögerung mehr, dieselbe trat zwar anfangs bei sehr verstärktem Strome wieder ein, 426 WILHELM PANHOFF: um jedoch in der vollen Narkose wieder zu schwinden und fortan selbst bei Verstärkung des Stromes ad maximum auszubleiben. Um den Nerven nicht etwa direet den Methylenchloriddämpfen aus- zusetzen, wurde derselbe in einer Ludwig’schen Klemme in die Tiefe der Wunde versenkt. Hatten wir vorher gezeigt, dass nur von Beseitigung des Vagustonus die Pulsfrequenzsteigerung abhängen kann, so sind wir nunmehr im Stande, es auszusprechen, dass die Lähmung der Vagusperipherie die Ursache dafür ist. Ob das Centrum dabei durchaus unbetheiligt, lassen wir dahingestellt. Es schien uns im vorliegenden Falle, nachdem die Lähmung der Vagus- peripherie festgestellt war, an Ermittelung des Verhaltens des Centrums nicht sonderlich gelegen zu sein. Wo bei anderen Versuchen derartiges Interesse entstehen sollte, wäre die Ausmittelung des Verhaltens des Vagus- centrums bei solchen Giften, welche die Peripherie zu lähmen vermögen, nicht allzu schwierig. Man würde nur bei einem Hunde die Art. coronar. cordis abzuklemmen und zunächst beim unvergifteten Thiere eine Zeitlang den Ablauf der Herzeurve bezüglich ihrer Frequenz zu beobachten, diesen Versuch mehrmals zu wiederholen und nachdem man so nach öfterem Ab- klemmen der Art. coronar. verschiedene Pulscurven für das unvergiftete Thier gewonnen, den Blutzufluss in die Coronararterien wiederum abzu- sperren haben und sodann das Gift einwirken lassen. Da das Gift dann also erst in die Blutbahnen gelangt, nachdem der Blutzufluss in die Herz- gefässe abgeschnitten ist, so würde man am Versuchsthiere unvergiftete Vagusperipherie neben vergiftetem Centrum haben und aus dem Unter- schiede der aufgenommenen Herzcurven am unvergifteten und vergifteten Thiere müsste sich das Verhalten des Vaguscentrums ergeben. Wie schon kurz erwähnt, konnten wir neben zunehmender Pulsfre- quenz auch einen erhöhten Blutdruck nach Inhalation von Methylenchlorid constatiren. Die nach dieser Richtung hin angestellten Versuche ergaben, dass der Blutdruck bald unter häufig werdender Athmung steigt und bei Aufhören der Inhalationen gleichmässig mit Nachlass der Narkose zur Norm zurückkehrt. Lässt man aber das Mittel längere Zeit einathmen, so sinkt er bevor das zweite Stadium erreicht ist, bevor also die Athmung jagend und oberflächlich wird und die bis dahin verengerten Pupillen sich er- weitern. Kurz vor und mit Eintritt dieses Stadiums sinkt der Blutdruck noch gleichmässig und etwas schneller weiter. Wenn aber die Respiration so beschleunigt und oberflächlich geworden ist, dass Athmungsbewegungen überhaupt nicht mehr erkannt werden, mit anderen Worten, hört die Ath- mung auf: dann steigt der Blutdruck für einige Secunden, um jedoch bald auf Null herabzusinken, in welchem Falle dann der Tod nach einiger Zeit ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 427 eintritt, wenn nicht durch einige künstliche Einblasungen in die Lungen das entfliehende Leben neu gefesselt wird. Beim Vergleich der aufgenommenen Curven liess sich eine Verstär- kung der einzelnen Herzsystolen nicht nachweisen, konnte also auch nicht als Grund des erhöhten Blutdrucks gelten. Die beschleunigte Pulsfrequenz allein konnte uns auch nicht zur Erklärung genügen, da auch bei durch- schnittenem Vagus, wo sich die Frequenz nicht ändert, der Druck stieg, wohl aber im Verein mit folgender Thatsache. Wir beobachteten nämlich, dass sich die Ohrgefässe der Kaninchen nach Inhalation von Methylenchlorid nicht, wie man doch bei dem gestei- gerten Blutdruck hätte erwarten sollen, stärker mit Blut füllten, sondern anämischer und enger wurden. Diese Arterienverengerung konnte bei dem erhöhten Blutdruck offenbar nur dadurch zu Stande kommen, dass sich die Gefässwandungen krampfhaft contrahirten, wonach wir zu dem Schluss gelangten, dass die Blutdrucksteigerung das Resultat der beschleunigten Herzthätigkeit neben Contraction der peripheren Arterien sein müsste. Jetzt entstand für uns die Frage, in welchem Abschnitt des vasomo- torischen Apparates nimmt die Erregung, die zur Contraction der Gefässe führt, ihren Anfang? Diese Frage zu entscheiden, wurde bei einem Kaninchen die Verbin- dung der Ohrarterien mit dem vasomotorischen Centrum durch Durch- schneidung des Sympathicus auf einer Seite abgebrochen. Wenn nun in der Methylenchlorid-Narkose die zur Arteriencontraction führende Erregung vom vasomotorischen Centrum selbst ihren Anfang nähme, dann dürfte es auf der Seite, auf der der Sympathicus durch- schnitten, zu keiner Verengerung mehr kommen, im Gegentheil, da der Blutdruck, d.i. die Triebkraft, zunimmt, müsste die Blutfülle eine grössere werden. Begänne aber die Erregung in den Endigungen der vasomotori- schen Nerven, oder in der Musculatur selber, so dürfte die Blutfülle nicht zunehmen, es'wäre vielmehr eine Verengerung der Arterien zu erwarten. Zu diesem Versuche wurden nur Thiere benutzt, welche nach der Durchschneidung des Sympathicus eine deutliche Blutüberfüllung des Ohr- löffels auf der operirten Seite zeigten. Bei Kaninchen nun, deren Sympathicus auf einer Seite durchschnitten war, nahm nach Inhalation von Methylenchlorid die Blutmenge in den Ohrgefässen auf der operirten Seite erheblich zu, während auf der intacten die Arterien enger und blutleerer wurden. Hieraus zeigte sich uns, dass Arterien, welche vom vasomotorischen Centrum nicht mehr innervirt werden, sich nach Inhalation von Methylen- chlorid nicht mehr contrahiren, vielmehr unter dem Einfluss des gesteigerten 428 WILHELM PANHOFF: Blutdracks an Füllung zunehmen; folglich muss der auf der intacten Seite angeregte Arterienkrampf centralen Ursprungs sein. Wovon rührt nun diese Erregung des vasomotorischen Centrums her? Dass dieselbe nicht auf reflectorischem Wege zu Stande kommt, glauben wir von vornherein sicher annehmen zu dürfen, denn nicht plötzlich nach dem ersten Athemzuge tritt der Krampf in den Arterien bez. in die Stei- gerung des Blutdrucks ein, sondern allmählich und erst dann, wenn das Mittel eine Zeitlang in den Organismus aufgenommen worden ist. Es be- darf also offenbar einer gewissen Anhäufung von Methylenchlorid, um vom vasomotorichen Centrum aus seine Wirkung auf die Arterienmusculatur geltend zu machen. Auch die nur nach und nach dem Aufhören der In- halationen folgende Drucksenkung, der Umstand also, dass mit der Aus- scheidung des Mittels aus dem Organismus seine Arterien verengende Wirkung allmählich nachlässt, spricht ganz offenbar dagegen, dass dieselbe eine reflectorische sein sollte. Ob wir es nun hier aber mit einer specifischen Einwirkung des Methylenchlorids zu thun haben, oder ob die besprochene Arteriencontraetion vielleicht secundär von etwaigen Veränderungen des Blutes bedingt sein sollte, darüber wollen wir uns die Discussion offen halten, bis die Erscheinungen am Athmungsapparate besprochen sind. Nur be- züglich der Blutdrucksteigerung, welche nach dem Cessiren der Respiration zu beobachten ist und an welche sich die terminale Senkung bis Null an- schliesst, kann schon jetzt die Erklärung gelten, dass dieselbe eine secundäre ist, die Folge davon, dass das Blut wegen Stillstands der Athmung eine dyspnoische Beschaffenheit annimmt. Das terminale Absinken bis zu Null ist natürlich dann durch das allmähliche Erlöschen der Erregbarkeit des vasomotorischen Centrums bedingt. Wenden wir uns jetzt zur Analyse der schon hervorgehobenen Ver- änderungen der Pupillen während der Methylenchlorid-Narkose und fragen uns, warum verengt sich die Pupille im ersten Stadium z. B. von 6— 7 mm auf 4—5 "m und erweitert sich im zweiten Stadium bis zu 78mm? Drozda führt die Pupillenverengerung auf Oculomotoriusreizung zurück, — (dies kann richtig sein, ist jedoch nur eine Vermuthung von ihm, es fehlte die experimentelle Analyse — und glaubt die nachfolgende Dilatation von eintretender Medulla-oblongata-Lähmung abhängig, was nicht zu verstehen ist, da bekanntlich die Pupillenerweiterung ad maximum im Zustand höchster Athemnoth keine Lähmungserscheinung ist, sondern von einer Reizung des Dilatatorcentrums abhängt. Um auf experimentellem Wege zunächst festzustellen, woher die erste Verengerung der Pupillen rühre, schalteten wir in verschiedenen Versuchen jene Nerven, welche beim Kaninchen eine Pupillenänderung herbeiführen können, einzeln, bald peripher, bald central aus. Auf diese Weise musste ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 429 es sich zeigen, ob jene sonst zu beobachtende Pupillenverengerung von einer Dilatator- bez. Sympathicus-Lähmung, von einer Sphinkter- bez. Oculomoto- rius-Reizung oder aber Beeinflussung des Trigeminus peripher oder central bedingt abhängig sei. | Zunächst ergab sich, dass der Trigeminus unbetheiligt ist, denn bei intactem Trigeminus aber durchschnittenem Sympathieus und mittels Atropin eliminirten Oculomotoriustonus blieb die Pupillenverengerung nach Inhalation von Methylenchlorid aus, während bekanntlich hier Reizung des Trigeminus anderweitig Verengerung der Pupillen ad maximum ergiebt. Andererseits zeigte sich auch, dass bei Kaninchen, deren Trigeminus intracraniell durchschnitten war, und bei welchen sich die durch diese Operation bekanntlich eintretende Myosis wieder ausgeglichen hatte, unter dem Einfluss der Methylenchlorid-Inhalation die Pupillenverengerung eintrat. — Dass ein Nachlass des Dilatatortonus nicht der Hauptfactor für die in Rede stehende Verengerung sein kann, geht aus folgendem Versuche hervor: Bei einem Kaninchen mit atropinisirtem Auge trat im ersten Stadium der Narkose nur noch eine äusserst geringe Verengerung der Pupille von 10 auf 9-5 mw ein, dagegen contrahirte sich in einem anderen Versuche die vom Dilatatortonus durch Sympathicusdurchschneidung befreite und nun- mehr 6"” weite Pupille bis auf 4.5 wm, Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Pupillenverengerung wäh- rend der Methylenchlorid-Narkose in der That, wie Drozda vermuthet, auf einer Reizung des Oculomotorius beruht. Bei der Frage, ob diese Steigerung des Oculomotoriustonus central oder peripher bedingt sei, scheint bei einem Mittel, das so intensiv so- wohl die psychischen als auch das vasomotorische Centrum beeinflusst, eine centrale Wirkung zunächst wahrscheinlicher als eine periphere zu sein, be- wiesen vollends ist dies dadurch, dass bei unseren Versuchen bei einem Kaninchen, dessen Oculomotorius intracraniell durchschnitten war, nach Ein- athmen von Methylenchlorid keine Verengerung der Pupille an dem be- treffenden Auge mehr eintrat. Da in diesem Versuche im Gegensatz zu den früher mit Atropin angestellten die Oculomotoriusperipherie normal er- regbar geblieben war, so beweist derselbe den centralen Ursprung der sonstigen Pupillenverengerung. In diesen Versuchen sprach die eintretende Ptosis und die Reactions- losigkeit der Pupille gegen eintretendes Sonnenlicht dafür, dass die Oculo- motoriusdurchschneidung gelungen war, dieselbe wurde sodann auch nach- träglich durch die Section bestätigt. — (Es ist uns hierbei aufgefallen, dass beim Versuche, den Nerven mittels Einstich z. B. von der rechten Seite zu durehschneiden, es häufiger gelingt, den gegenüberliegenden — linken — zu treffen.) 430 WILHELM PANHOFF: Die Erweiterung der Pupillen im zweiten Stadinm der Methylenchlorid- Narkose beruht auf einem Nachlass im centralen Oculomotoriustonus, denn in unseren Versuchen trat an Kaninchen bei intactem Sympathicus (und Trigeminus), bei intacter Oculomotoriusperipherie aber durchschnittenem Stamme, im zweiten Stadium der Narkose ebensowenig eine Pupillenerwei- terung als im ersten eine Verengerung ein. Eine bis jetzt noch nicht von uns beschriebene Pupillenänderung in der Methylenchloridnarkose, welche nach dem Erlöschen der Athmung auf- tritt, bedarf noch kurzer Erörterung. Unmittelbar nach Cessiren der Re- spiration nämlich verengt sich die bis dahin 6—7 =" weite Pupille bis auf 4—5”m, erreicht das Maximum ihrer Verengerung etwa in einer halben Minute, erweitert sich alsdann während etwa 1—1.-5 Minuten bis zur ur- sprünglichen Weite und erfährt hierauf im Vorlaufe einiger Secunden schnelle Dilatation bis zu 10"m, verweilt hierin etwa 10 Minuten und geht dann allmählich in Cadaverstellung über. Diese terminale Reihenfolge der Pupillenveränderungen ist vollkommen identisch mit der, welche bei Erstickungstod zu beobachten ist und da diese Erscheinungsreihe bei mit Methylenchlorid vergifteten Thieren sich an das Aufhören der Athmung anschloss, so kann diese Reihe von Pupillenverän- derungen ohne Weiteres als Erstickungssymptom aufgefasst werden. Es wäre nun zu erwägen, in welcher Weise die nachgewiesene Er- resung des Oculomotoriuscentrum herbeigeführt wird, wir glauben jedoch auch diese Frage der Besprechung der Respirationserscheinungen nach- stellen zu sollen. Die Respiration, die wie wir sahen durch Inhalation von Methylen- chlorid so erheblich beschleunigt wird, wobei aber, wie der gesteigerte Blut- druck zeigt, die Circulation nicht verschlechtert ist, muss diese Beschleu- nigung entweder durch directe Einwirkung des Mittels auf das Athmungs- centrum oder durch einen das Blut verändernden Einfluss entstehen. Was nun eine etwaige Blutveränderung anlangt, so konnten wir zwar in dem Blute von Kaninchen, die durch Einathmen von Methylenchlorid getödtet, speetroskopisch nichts Abnormes erkennen, constatirten dagegen nach Schütteln von Blut mit der Methylenchlorid-Flüssigkeit, oder wenn wir die Dämpfe direct hindurchleiteten, in dem Blutspeetrum einen dem Methaemoglobin genau entsprechenden Absorptionsstreifen. Auch in dem Blute eines durch Methylenchlorid-Inhalationen getödteten Hundes konnten wir den Methaemoglobin-Streifen wahrnehmen. Für vollkommen säurefreies Chloroform gilt nach unseren Versuchen ebenfalls die Thatsache, dass dasselbe durch Schütteln mit Blut das Haemo- globin in Methaemoglobin umwandelt, diese Umwandlung tritt jedoch be- deutend später ein, als bei Methylenchlorid und während hier das Blut ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 431 eine dunkelbraune Färbung annimmt, zeigt es beim. Chloroform eine hell- ziegelrothe Farbe. Wir bedienten uns bei den spectroskopischen Untersuchungen eines vorzüglichen von Seibert und Krafft in Wetzlar bezogenen Spectroskops nebst Messapparates. Die Messung geschieht mittels der oberen Ecke eines beweglichen kleinen Dreiecks, wobei zur Vermeidung parallaktischer Ver- schiebung anf einen Punkt zu visiren ist, der sich in der Mitte des Dreiecks befinden muss. Die messende Verschiebung des Dreiecks geschieht durch eine Mikrometerschraube. Der Nullpunkt des Messapparates wird an unserem Instrument auf die Linie D gestellt, der beobachtete Streifen an dem durch Methylenchlorid veränderten Blute fiel auf (— 110) zwischen C und D, genau auf die Stelle, an welcher anderweitig der Methaemoglobin-Streifen zur Beobachtung kommt. (Die Linie C fällt an unserem Instrument auf (— 157); die Linie B auf (—211); Linie a auf (— 273) und Linie A auf (— 337). Rechts von D fällt an unserem Instrument die Linie Z (+ 233), Linie 5 auf (+ 275) und Linie Z auf (+ 449).) Wir halten nach dem eben Angeführten die Annahme, dass das Blut durch Methylenchlorid eine dyspnoische Beschaffenheit annimmt, genügend nahe gelest, wie weit jedoch die Beschleunigung der Athmung hierauf zu beziehen ist, wird erst aus Blutgasanalysen mit Bestimmtheit hervorgehen. Hervorheben müssen wir hier, dass beim Frosch die Athmungsbeschleunigung nicht eintritt, was dafür zu sprechen scheint, dass das Methylenchlorid nicht direct vom Athmungscentrum aus seine Respiration steigernde Wir- kung ausübt, sondern dass diese mehr durch eine Blutänderung bedingt ist. Dass eine Verminderung der durch den Querschnitt des Gesammt- gefässsystems strömenden Blutmenge nicht die Ursache für die Dyspnoe bei Inhalation von Methylenchlorid sein dürfte, geht aus der Thatsache des er- höhten Blutdrucks im Aortensystem und auch aus der Analogie mit sonstigen Zuständen, bei denen Arteriencontraction zu Blutdrucksteigerung führt, her- vor, wo die Strömungsgeschwindigkeit der Gesammtblutmenge zunimmt. Ausserdem sehen wir nach Methylenchlorid-Einathmung die Athemnoth progressiv zunehmen, sowohl während der Druck Anfangs steigt, als auch später, wenn er sinkt, was offenbar die Athmungsfrequenzzunahme ander- weitig begründet erscheinen lässt. Man könnte nun noch mit Recht daran denken, dass zwar die Trieb- kraft für die Blutströmung steige, dass aber die Arterien des Gehirns sich so stark contrahirten, dass hierdurch eine Anämie des Gehirns überhaupt, insbesondere eine solche der Medulla oblongata resultire. Da wir jedoch 432 WILHELM PANHOFF: bereits eine andere Ursache für die Athmungssteigerung kennen gelernt haben, so wäre eine derartige Unterstellung überflüssig. Zur näheren Prüfung derselben jedoch liessen wir ein durch Methylen- chlorid narkotisirtes Kaninchen Amylnitrit inhaliren, so lange bis sich die Ohrgefässe erweiterten, wo man dann annehmen konnte, dass auch die Hirngefässe gelähmt seien. Darauf comprimirten wir die Bauchaorta, ein Verfahren, was, wie wir wissen, sonst seinerseits genügt, um die durch Amylnitrit bewirkte Steigerung der Athmungsfrequenz rasch zu beseitigen. In unserem Falle nun war anzunehmen, dass die präsumtive Hirnarterien- Contraction beseitigt sei und da durch die Compression der Bauchaorta der gesteigerte Blutdruck das Blut in grosser Menge direct zum Gehirn führte, so wäre, wenn Drozda im Recht wäre, eine Abnahme der Dyspnoe zu er- warten gewesen. Diese trat aber nicht ein, und wenn dieser Versuch auch nicht absolut beweiskräftig ist, so hat man doch nach dem vorher Aus- einandergesetzten keine Veranlassung mehr, die Drozda’sche Annahme aufrecht zu halten. Nachdem wir so eine dyspnoische Blutbeschaffenheit für die Steigerung der Athmungsfrequenz als Ursache in Anspruch genommen, liegt es nahe auch die Reizung des vasomotorischen Centrums von ihr abhängig zu machen. Um heraus zu bekommen, ob das Mittel nebenbei auch eine specifische Wirkung ausübe, gingen wir an folgenden Versuch: An einem ausgewachsenen Kaninchen wird die Tracheotomie gemacht und eine Gad’sche Canüle eingeführt; die Athmung wird abgesperrt und genau nach der Uhr die Zeit bestimmt, zu welcher die übrigens ziemlich plötzlich einsetzende dyspnoische Blutfüllung der Ohren eintritt, alsdann wird die Athmung freigegeben. — Diese Bestimmungen werden in grösseren Zwischenräumen wiederholt gemacht und es zeigen sich auffällige Ueberein- stimmungen der erforderlichen Erstickungsdauer, z. B. 67, 62 und 63 Sec. Nach Inhalation von Methylenchlorid beliefen sich die Zeiteinheiten von der Absperrung der Athmung bis zu der dyspnoischen Erscheinung an den Ohrgefässen auf 95, 96 und 86 Secunden. Ferner wurde die Zeit bestimmt sowohl beim unvergifteten als auch beim vergifteten Thiere, welche erfor- derlich war, bis sich die Gefässe nach Freigabe der Athmung wieder zur Norm contrahirten, dies geschah bei dem normalen Thiere innerhalb 10 bez. 12 Sec., beim vergifteten dagegen innerhalb 12, 20 bez. 23 Sec. Der Gedanke, der uns zu dem Versuch leitete, war der: Wenn die Blutdrucksteigerung ausschliesslich von der dyspnoischen Beschaffenheit des Blutes abhing, so wäre zu erwarten gewesen, dass nach Abschluss der Trachea bei einem durch Methylenchlorid vergifteten, also bereits dyspnoischen Thiere die dyspnoische Erweiterung der Ohrgefässe früher eingetreten wäre, als bei einem Thiere mit normalem Sauerstoffsehalt des Blutes. Dieses ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 433 war aber, wie wir aus dem Versuche sahen, nicht der Fall, im Gegentheil trat bei dem vergifteten Thiere die Dilatation der Ohrgefässe später ein. So brauchbar ein derartiger Versuch auch bei einem nicht narkotisiren- den Gifte sein kann, so ist er doch in unserem Falle nicht einwurfsfrei, denn es muss daran gedacht werden, dass die gefässerweiternden Centren, von denen die dyspnoische Gefässdilatation abhängt, durch unser Mittel sich in einem Zustande von Betäubung befinden und deshalb bedeutend später reagiren, als in der Norm. Man könnte aber immerhin denken, dass das vasomotorische Centrum durch Methylenchlorid angeregt würde und dass dann im Kampfe mit dem direct verursachten Gefässkrampfe die nunmehr stärker gereizten erwei- terten Centren erst später zur Geltung kommen können. Für letztere An- nahme spricht die Thatsache, dass in unseren Versuchen die dyspnoische Dilatation der Ohrgefässe am narkotisirten Thiere nach Freigebung der Ath- mung länger anhielt, als am unvergifteten. Vielleicht aber beruht diese längere Dauer der Gefässerweiterung darauf, dass das normale Thier sich schneller arterialisiren kann als das vergiftete, dessen Blutfarbstoff sich theilweise im Uebergange zum Methaemoglobin befindet. — Sonach können wir nieht mit Sicherheit entscheiden, ob neben der secundären dyspnoischen Einwirkung auf das vasomotorische Centrum noch eine specifische besteht. Der spätere Abfall des Blutdrucks ist natürlich auf eine schliessliche Ermüdung und Betäubung des vasomotorischen Centrums zu beziehen. Die prämortale Steigerung und Senkung haben wir bereits oben als eime Er- stickungserscheinung durch das Aufhören der Athmung bedingt charakterisirt. Wir kehren nunmehr zurück zu der anfänglichen Erregung und spä- terem Nachlass des Oculomotoriustonus. Da wir wissen, dass jede dyspnoische Beschaffenheit des Blutes anfänglich Erregung des Oculomotoriustonus und Pupillenverengerung macht, so ist in unserem Falle die anfängliche Con- traction der Pupillen zum Theil darauf zu beziehen. Da aber auch jeder Nachlass des Sensoriums als solcher (Schlaf u. s. w.) mit einer Pupillen- verengerung von Oculomotorius-Reizung abhängig, verbunden ist, so dürfte hier bei Methylenchlorid, wie bei vielen narkotisirenden Mitteln die Er- regung des Oculomotoriuscentrums zum Theil auch von dem Erlöschen des Bewusstseins herrühren. Der spätere Nachlass des Oculomotoriustonus dürfte als eine specifische Betäubung zu deuten sein, die jedoch nicht bis zur ab- soluten Lähmung gelangt, da beim Aufhören der Respiration noch die be- kannten Erstickungserscheinungen zu beobachten sind. Archiv f, A. u, Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 38 434 WILHELM PANHOrFFE: Jetzt noch einige Worte über die Einwirkung des Methylen- chlorids auf die Psyche. Wie wir gesehen, macht Drozda für die Narkose einen Gehirnkrampf in den Hirnbahnen geltend. — Die Arteriencontraction können wir nach dem Ausfall unserer Versuche bestätigen, der Ansicht jedoch, welche dieselbe bez. eine durch den Gefässkrampf hervorgerufene etwaige Hirnanämie als Grund für die Narkose aufstellt, glauben wir entgegentreten zu müssen. Denn die Arteriencontraction an und für sich beweist noch nicht, dass das Gehirn deshalb auch schlechter mit arteriellem Blute versorgt wird, es ist vielmehr zu erwarten, dass, wie wir schon oben auseinandergesetzt haben, auch hier eine schnellere Strömung des Blutes bei dem erhöhten Druck durch die Capillaren eintritt. Drozda stellt sich überdies die Circulationsverhältnisse offenbar un- richtig vor, wenn er im Sinne seiner Auffassung die von ihm beobachtete prallere Füllung der Venen des Gesichts mit den Worten deutet, dass sie „doch offenbar nur durch eine namhaft verstärkte Vis a tergo im Gebiete der Capillaren bedingt sein konnte.“ Wäre wirklich die Vis a tergo im Gebiete der Capillaren gesteigert, beruhte wirklich die pralle Füllung der Venen auf einem vermehrten Blutzufluss von den Capillaren her (Vis a tergo), so würde dies ja beweisen, dass mehr Blut als in der Norm das Gehirn in der Zeiteinheit passirt hätte, dass, mit anderen Worten, das Gehirn besser mit Blut versorgt würde, als in der Norm. Vielmehr wird die prallere Füllung der Venen, wenn sie zur Beobachtung kommt, auf einen erschwerten Abfluss zurückzuführen sein. Günstiger der Annahme einer Hirnanämie ist das Verhalten der Schädel- fontanellen kleiner Kinder während der Methylenchlorid-Narkose. Wenn man aber auch das Einsinken der Fontanellen für einen Beweis der Hirn- anämie ansehen will, (es bliebe immer noch zu beweisen, dass die Strö- mungsgeschwindigkeit nicht in demselben Maasse zugenommen, als die in jedem einzelnen Moment im Schädel vorhandene Blutmenge abgenommen hat), dann möchten wir zu bedenken geben, dass die Anämie nicht sowohl die Ursache für die Narkose, als vielmehr ebensogut die Folge derselben sein kann. — Wie jedem Organe des Körpers in der Ruhe weniger Blut zufliesst, als in der Thätigkeit, z. B. dem ruhenden Muskel geringere Mengen als dem arbeitenden, dem verdauenden Magen das Blut energischer zu- strömt, als dem nüchternen u. s. w., so wird auch wohl das Gehirn, dessen Thätigkeit in der Narkose eine Zeitlang vollständig aufgehoben, weniger Blut an sich ziehen, als das wache. Im Uebrigen ist aber gegen die Versuche, die anästhesirende Wirkung irgend eines Mittels von irgend welcher Aenderung der Blutströmung oder der Blutbeschaflenheit abhängig machen zu wollen, schon oft genug mit ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. 435 zweifellosem Recht eingewendet worden, dass es gelinst, Frösche durch eben diese Mittel z. B. innerhalb 0-5 Minuten vollständig zu betäuben, während sie den Verlust ihrer Gesammtblutmenge 15 Minuten lange und darüber ertragen, ohne betäubt zu werden. Zunächst wäre es doch sehr wunderbar, wenn von zwei chemisch so nahestehenden Körpern wie das Di- und Trichlormethan (Methylenchlorid und Chloroform), welche beide anästhesirende Wirkung so prompt ausüben, während das eine (Chloroform) den Blutdruck von vornherein vermindert, das andere (Methylenchlorid) denselben erhöht, wo also offenbar die Ein- wirkung auf die Circulation keine gleichartigen, sondern ganz entgegen- gesetzte sind, die Narkose auf eine beiden Körpern gemeinsame Circulations- störung zurückzuführen wäre. Durchaus nicht anerkennen können wir die Bemerkung Drozda’s, dass das Chloroform in gleicher Weise zwar wie Methylenchlorid die Nar- kose erzeuge, dass aber wegen der Schnelligkeit der Aenderung der Er- nährungsverhältnisse ein Exeitationsstadium beim Chloroform entstünde, bei welchem „in Folge eines ganz bestimmte Nervenbezirke (Olfactorius und Trigeminus) plötzlich treffenden Reizes ein ebenso rascher, langsam aber an Intensität zunehmender Gefässkrampf in den Hirnbahnen erfolgt“ und „es in Folge der nun plötzlich geänderten Ernährungsverhältnisse jener Partien leicht zu einem Excitations-Stadium kommt.“ Der in diesen Worten enthaltene Gedanke ist unrichtig, weil beim Chloroform nicht nur beim Einathmen durch die Nase (wobei übrigens die Betheiligung des Olfactorius nicht in Betracht kommt), sondern auch beim Einathmen durch die Trachealcanüle vor Eintritt der Narkose ein Excitations- stadium zur Beobachtung kommt. Um aber nochmals auf Drozda’s Ansicht einzugehen, nn wir an, die Hirnanämie sei der alleinige Grund für. die Narkose, dann aber muss diese auch in dem Momente wieder schwinden, in welchem das Gehirn wieder mit arteriellem Blute reichlicher versorgt ist, d.h. dann wenn die Gefässe für das Blut wieder normal durchgängig geworden sind. Geringe Mengen von Amylnitrit inhalirt vermögen nun bekanntlich ohne selbst betäubend zu wirken einen etwaigen Arterienkrampf bald zu heben und dass dies auch bei dem mit Methylenchlorid betäubten Thiere der Fall ist, geht daraus hervor, dass sich die vorher stark contrahirten Ohrgefässe eines Kaninchens bald mit Blut füllten; comprimirten wir nun noch oben- drein die Bauchaorta und bewirkten so eine stärkere Strömung des Blutes zum Gehirn, so war zu erwarten, dass die Narkose, falls sie von Hirnanämie abhing, nunmehr aufgehoben werden musste; dies geschah jedoch nicht, die Narkose hielt vielmehr ganz so wie vorher an. Um der vielleicht von irgendwoher kommenden Vermuthung zu be- 28* 436 WILHELM PANHOFF: WIRKUNGEN DES METHYLENCHLORIDS. geonen, als ob die Veränderung des Blutfarbstoffes die Ursache der Nar- kose bei der Methylenchlorid-Wirkung sei (ein Entstehungsmodus, der wie jede indirecte Erzeugung der Narkose aus den oben angeführten Gründen überhaupt nicht zulässig wäre), machten wir bei einem Kaninchen in die Vena jugularis vorsichtig eine Einspritzung von Kali hypermanganicum in einer Dosis von 0:1—0.2 gelöst in 5-.0—10-0 Ag. — Das Thier nun bot nach dieser Injection durchaus keine Veränderung des Sensoriums dar, während doch das aus der Carotis von ihm entnommene Blut den Met- haemoglobin-Streifen in exquisiter Weise spectroskopisch ergab. Somit dürfte die Ansicht Drozda’s, nach welcher die Narkose indirect begründet erscheint, wohl nicht als gültig angenommen werden; wir müssen offenbar auch beim Methylenchlorid eine specifische Wirkung des Mittels auf die Gehirnzellen zur Erklärung seiner anästhesirenden Wirkung in An- spruch nehmen. Vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen der phy- siologischen Functionen der Peripherie der Netzhaut. Von Richard Butz. Aus der Universitätsaugenklinik des Prof. Rählmann zu Dorpat. Im Verlaufe des letzten Jahres hatte ich Gelegenheit, eingehende ex- perimentelle Untersuchungen über die physiologischen Functionen der Pe- ripherie der Netzhaut anzustellen, über welche ich, da in der letzten Zeit Untersuchungen ähnlicher Art veröffentlicht worden sind, in Kürze zu referiren mir gestatte. Was zunächst den Raumsinn anbetrifft, so konnte ich aus allen meinen Versuchen die bekannte 'Thatsache bestätigen, dass die Macula lutea, sei es durch ihre histologische Structur, sei es durch andere uns unbekannte physiologisch und psychologische Momente in bedeutend günstigere Ver- hältnisse gestellt ist, als die Peripherie der Netzhaut. Die excentrische Sehschärfe ist äusserst gering. — Das Unterscheidungs- vermögen der Netzhaut nimmt von dem Centrum zur Peripherie rasch ab. — Dieses Factum ist von keinem Forscher bestritten worden, doch zeigen detaillirte Bestimmungen der excentrischen Sehschärfe, wie sie besonders in letzter Zeit öfters gemacht worden sind, die Unmöglichkeit der Aufstel- lung irgend welcher Norm. — Man vergleiche nur die Daten in der fol- genden Tabelle. Personen mit gleicher centraler Sehschärfe weisen nicht unbedeutende Unterschiede in der peripheren auf. Auch bei demselben Individuum ist letztere gewissen Variationen unterworfen. Bei Berücksichtigung einzelner Netzhauttheile fand es sich, dass die die Fovea centralis zunächst umgebenden Regionen nahezu 438 RıcHArn Burz: =. or | ee Dobrowolsky.? Schadow.? Ego. 4.7.0.0. 4..2...02 0 | 2eloWo 880 a no | ee ee 810 hs Ya en TE Te s a "io ; KrEae "io "ho 15 so fo "oo! - io "ho BI "ho "io "io "so "20 20 "ao Bd le er eg eo zen: 25 so Er io "io Hauer: SCHESRLEBELRE SCREEN "/2o "/o00"/30 30 zo I 20 "so "fo | zo "so Bee 35 "oo ET, Zee, 0 "ao u Ana | "/ooo 40 "200 Te) "/ao "/s0 ie: "so! a 30 == "io "so "/ooo BT A U m "ao! ER oo — "100 "00 — Fe a FE ee = — 6022 = "ao aa "100 en ee ae | nn —_ _ Die Buchstaben A. J. O. U. bezeichnen die der äusseren und inneren, bez. oberen und unteren Ausdehnung des Gesichtsfeldes entsprechenden Richtungen. gleiche Sehschärfe besitzen und hierin weniger von einander abweichen, als mehr peripherisch gelegene Stellen. Damit hängt die Thatsache zusammen, dass wir, wenn wir einen Ge- genstand fixiren, keinen geometrischen Punkt, sondern den betreffenden Gegenstand mit seiner Umgebung wahrnehmen, somit das Verhältniss des- selben zu seiner Umgebung erkennen können. Ferner ist das Unterscheidungsvermögen der Netzhaut im horizontalen Meridian mehr ausgebildet, als im verticalen. Horizontal gestellte Linien wurden weiter peripherisch getrennt wahrgenommen als vertical gestellte,‘ eine Erscheinung, die meiner Ansicht nach in dem Einflusse individueller Uebung begründet erscheint. Die Wahrneh- mung horizontaler Gegenstände geht leichter von statten als die verticaler. Seitenbewegungen sind uns ja geläufiger als Hebungen und Senkungen der Blicklinien. Punkte von gewissem Durchmesser konnten weiter peri- pherisch getrennt wahrgenommen werden als Linien, deren Breite gleich dem Durchmesser der Punkte war. Je einfacher die Objecte sind, die wir zu den Untersuchungen der 1 Dissertation. Erlangen 1876. ® Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XI. ® Pflüger’s Archiw u.s.w. Bd. XIX. * Astigmatismus war in den untersuchten Fällen nicht vorhanden. PHyvsioLoGISCHE FUNCTIONEN DER PERIPHERIE DER NETZHAUT. 439 peripheren Sehschärfe benutzen, desto grösser fällt das Unterscheidungs- vermögen der Netzhaut aus. Zuletzt war es meine Aufgabe, den Einfluss der Erregung der Fovea centralis auf die Energie der peripheren Netzhautfunctionen zu eruiren, in Berücksichtigung der Hering’schen Untersuchungen über die gegen- seitige Beeinflussung zweier erregter Netzhautstellen auf einander. Zu dem Zwecke stellte ich meine Versuche folgendermaassen an: In einem verdunkelten Zimmer wurde der von mir zu allen meinen Versuchen gebrauchte Förster’che Perimeter aufgestellt. Hinter einem undurch- sichtigen Schirm, der dem beobachtenden Auge gegenüber sich befand, wurde eine gleichmässig brennende Petroleumlampe, deren Licht nur in eine Richtung entsendet wurde, angebracht. Dem Centrum des Perimeters entsprechend, unmittelbar über demselben am Bogenrande war eine 2” srosse Oeffnung ausgeschnitten worden, durch die das Licht direct in das Auge des Experimentators gelangte. Dem Bogenrande entlang von der Peripherie zum Centrum wurde eine Marke von weissem Cartonpapier (S"®) geführt. Die Gegenstände in unmittelbarer Nähe des Auges wurden von oben her durch den von der Lampe erzeugten Lichtkreis beleuchtet und so sichtbar. Die Stelle, wo die betreffende Marke bemerkbar auf- tauchte, wurde am schwarzen Perimeter durch einen Kreidestrich bezeichnet und später die betreffende Anzahl Grade nach Ablauf einer Beobachtungs- reihe abgelesen. Zuerst wurde die Ausdehnung des Gesichtsfeldes, wie ge- wöhnlich bei Fixation eines weissen in der Dunkelheit eben sichtbaren Punktes bestimmt, dann durch die Oeffnung im Schirm Licht in das Auge geleitet, und das Gesichtsfeld wiederum gemessen. Aussen. Innen. Oben. Unten. Bei gewöhnlicher Fixation . 90° 56° 45° 65° Bei Fixation eines leuchten- | den Bunktess 2 28.2.75770-80240- 45 50230402.,.48- 552 Es stellt sich also heraus: dass das Gesichtsfeld bei gleichzei- tiger Erregung der Fovea centralis entsprechend sich verengt. Was die Farbenempfindung der Peripherie anbetrifft, so sind wir im Allgemeinen zu der Behauptung berechtigt: Die Farben als solche werden in.den peripheren Netzhauttheilen anders empfunden, als im Centrum der Netzhaut. Wohl lautet die Antwort auf die Frage, wie die betreffenden Farben in den peripherischen Netzhauttheilen empfunden werden, bei den einzelnen 440 RıcHArn Butrz: Autoren keineswegs gleich, doch wird dies theils individuellen Eigenthüm- lichkeiten im Bau eines jeden Auges, theils dem Umstande zuzuschreiben sein, dass verschiedene Forscher dieselben Farbennuancen etwas anders be- zeichnen mögen, denn abgesehen von der Schwierigkeit, indirect eine Farbe als solche zu erkennen, fehlt es unserer Sprache an Ausdrücken, die den verschiedenen feineren Nuaneirungen derselben entsprächen. Der Einfluss des Tons und der Nuance einer Farbe auf die Ausdeh- nung der Farbenzonen ist nicht zu verkennen. Auch der äussersten Peripherie kann ich absolut jede Farbenempfin- dung, wie andere Autoren! es thun, nicht absprechen, da bei gehöriger Grösse des untersuchten Farbenfeldes auch hier eine Farbenempfindung zu constatiren ist. Weiter unten will ich einige Daten anführen, die über die Empfind- lichkeit der Netzhaut für minimale Intensitäten farbigen und weissen Lichts Aufklärung bieten. Der Apparat, den ich hierbei benutzte, ist schon früher zu ähnlichen Zwecken von Rählmann? benutzt worden. Auch die Methode der Unter- suchung, die Beobachtung minimaler farbiger Lichtintensitäten, stammt von ihm. Diese Methode, die bei gehöriger Uebung und Sorgfalt an Genauig- keit nichts zu wünschen übrig lässt, wurde am folgenden Apparate ausgeübt. An dem gewöhnlichen Bunsen’schen Spectralapparat wurden Vor- richtungen getroffen, die die Messung der Reizschwelle für verschieden- farbiges Licht ermöglichten. Den wesentlichsten Theil des Ganzen, den eigentlichen photometrischen Apparat bilden zwei Nicol’sche Prismen, von denen das Eine vor dem Spalt des Collimatorrohres, das andere vor dem Ocular des astronomischen Fernrohres befestigt ist. Ist der eine Nicol un- beweglich, so wird der andere um seine eigene Axe gedreht. Der Grad der Drehung kann bis zu !/,° genau an einer Scala abgelesen werden. Die eigentliche Lichtquelle bildete die Flamme einer möglichst gleichmässig brennenden Petroleumlampe. Das Licht derselben wurde in eine Richtung auf den vor dem Collimatorrohre befindlichen Nicol geworfen. An dem Fernrohre wurde in 12” Entfernung vom Auge des Beobachters ein voll- ständig geschwärzter Perimeterbogen angebracht. Da nur die innere Seite der Netzhaut bei den folgenden Versuchen in Betracht kam, so wurden dementsprechend zwei, nach Ablauf der Adaptationszeit in der Dunkelheit eben sichtbare mattgraue Punkte in einer Entfernung von 30°, beziehungs- weise 60° vom Centrum, am Perimeterbosen angebracht. Dieselben dienten "Klug, Archiv für Ophthalmologie. Bd.XVL. S.1; — Woinow, Ebenda. Bd.XXI; — Kriskow, Ebenda. Bd. XXI. 2 Ebenda. Bd. XX. 8.1. PHYsIoLoGISCHE FUNCTIONEN DER PERIPHERIE DER NETZHAUT. 441 bei den einzelnen Beobachtungen zur Fixation. Durch passend aufgestellte Schirme wurde das Licht der Lampe dem beobachtenden Auge ferngehalten. Dem Eindringen des äusseren Tageslichtes war durch sorgfältiges Verhängen der Fenster und Thüren vorgebeugt. Nur eine schwache Helligkeit an der Decke des Zimmers, die der oberen Oeffnung eines das Licht ab- blendenden Rohres entsprach, verbreitete einen Lichtschein, vor dessen direceter Einwirkung das Auge jedoch bestens geschützt war. Die einzelnen zu beobachtenden Spectralfarben konnten durch ein Diaphragma, in dessen Mitte eine 1 Quadratmillimeter grosse Oeffnung sich befand, isolirt betrachtet werden. Das Diaphragma stand zwischen Ocular und dem vor dem Ocularrohre sich befindenden Nicol. — Die einzelnen Beobachtungen, die erst dann ihren Anfang nahmen, wenn das Auge vollständig sich adaptirt hatte, also nach einem Aufenthalte im Dunkeln von circa 15—20 Minuten, wurden folgendermaassen angestellt. Zuerst wurden einige Bestimmungen für das Centrum gemacht, worauf einige für die Peripherie folgten, oder auch um- gekehrt, zuerst für die Peripherie der Netzhaut und dann des Centrums. Hierbei war die Ausgangsstellung des einen Nicols zum anderen die, wo die beiden Hauptschnitte derselben senkrecht auf einander standen, wo das Licht also nicht durchgelassen wurde. Vor Beginn jeder Versuchsreihe wurde, nachdem ich die Farbe, die ich zu beobachten wünschte, eingestellt, die Intensität der Leuchtquelle so regulirt, dass bei einer Drehung des Nicols bis etwa 10° vom Null-Punkt eine Empfindung noch nicht zu er- zielen war. Brachte ich hierauf das beobachtende Auge dicht an den fest- stehenden Nicol heran, so fixirte ich bei Beobachtung peripherischer Netz- hauttheile die oben erwähnten matten eben sichtbaren Punkte. Der bewegliche Nicol wurde unterdessen so lange gedreht, bis eine Lichtempfindung erfolgte. Hierauf wurde der Nicol zurückgedreht bis die Lichtempfindung verschwun- den war, das Auge wiederum geschlossen, nach einigen Secunden wieder hineingesehen und constatirt, ob eine Spur von Licht noch wahrgenommen werden konnte oder nicht. Im ersten Falle wurde der Nicol nochmals zurück, im zweiten Falle aber wieder bis eine Lichtempfindung auftrat, vorwärts gedreht. Hiermit war eine Einzelbeobachtung beendet. Bei meinen Untersuchungen kam es mir hauptsächlich darauf an, eine Ab- bez. Zunahme der Farbenempfindlichkeit der Peripherie der Netzhaut zu constatiren. Ob in der Peripherie die Empfindlichkeit für alle Farben in gleicher Weise ab-, bez. zunimmt? Welches Verhältniss besteht hierbei zwischen Centrum und Peripherie der Netzhaut? Geprüft wurde die Empfindlichkeit für Roth (zw. Bund CC), Grün (zw. b und E), Violett (Ende d. Sp.), Blau (F), Gelb (Natronl.). 442 RıcHArD BuTz: Bezeichnet man mit J die Intensität, die im Centrum der Netzhaut Empfindung hervorruft, mit S,,, J,, die zur Erregung der betreffenden peripheren Netzhauttheile erforderliche, durch Z, E,,, E,, die entsprechende Empfindlichkeit dieser Theile, so haben wir bekanntlich zwischen beiden das Verhältniss 5. = = Die Intensitäten J, J3,, J, berechnet man bekanntlich nach der Formel sin ?z.! Die Berechtigung des letzteren Verfahrens ist von Dobrowolsky” angezweifelt. Schadow°® hat schon die Unrichtigkeit von Dobrowolsky’s Einwänden nachgewiesen. Vorliegende Tabelle zeigt die Durchschnittszahlen aus hundert Einzel- beobachtungen, die ich auf diese Weise erhielt. | J 1-62 | 2 | 2) E a 1-65 . Jo” 1 s Jzo° ii, a ae 1 Roth | 5 |, | Gin I a ee |... | Igo? ho! | 60° | 1 Ieo° 1 | I | 1-6 Ze 149 | Sao" 1 Ieyg 1 Gelb | ; 1-33 Blauen | JIgo” 1 Jg” 1 Hierbei stellt sich also heraus: 1) dass die Empfindlichkeit für Licht jeder Wellenlänge vom Centrum der Netzhaut zur Peripherie bis 30° zunimmt, um dann für die einzelnen Lichtarten mit grösserer oder ge- ringerer Geschwindigkeit abzunehmen. 2) dass das Anwachsen der Empfindlichkeit für jede Lichtart ver- schieden ist, in der äussersten Peripherie für violett dieselbe am meisten gestiegen, für roth am tiefsten gesunken ist. Schadow“ ist auch der Erste gewesen, der bis zur Evidenz zeigte, wie die Empfindlichkeit der Peripherie durch gleichzeitige Erregung des Netzhautcentrums herabgesetzt wird. Daher habe ich bei allen meinen Versuchen dieses insofern berück- sichtigt, als ich jede Erregung des Netzhautcentrums im obigen Sinne ängst- lich vermied. Die Daten, die ich auf diese Weise zu verzeichnen habe, scheinen mir 1 Raehlmann in Gräfe’s Archiv u.s.w. Bd. XX. 8.1. ®? Plüger’s Archw u.s. w. Bd. XII. S. 446. 3 Ebenda. Bd. XIX. 8. 447. * Ebenda. Bd. XIX. PHYsIoLOGISCHE FUNCTIONEN DER PERIPHERIE DER NETZHAUT. 443 insofern nicht ohne Interesse zu sein, als- meiner Ansicht nach durch die höhere Empfindlichkeit der Peripherie die Farbenübergänge schon eo ipso erklärt werden. Denn wenn ein Reiz in gleicher Intensität vom Centrum der Netzhaut zur Peripherie fortschreitet, so muss er, wenn er empfind- lichere Stellen trifft, ähnliche Uebergänge bewirken, wie derselbe Reiz, wenn an derselben Stelle der Netzhaut ‚seine Intensität gesteigert wird. Mit Hülfe der Young-Helmholtz’schen Theorie und der oben er- wähnten Daten ist eine natürliche und zwanglose Erklärung der Thatsachen wohl möglich. Wird im Centrum die Empfindung roth ausgelöst, so werden bekanntlich die roth-empfindenden Elemente am stärksten gereizt, die grünen weniger, die violetten fast gar nicht. Weiter peripherisch steigt die Empfindlichkeit für grün und resultirt die Empfindung gelb, in der äussersten Peripherie kommt die gesteigerte Empfindlichkeit für violett zur Geltung, es kommt die Empfindung weiss zu Stande. Wie wäre jetzt die Erscheinung, dass dieselben Aetherschwingungen, die im Centrum z. B. die Empfindung roth auslösen, in der Peripherie aber die Empfindung gelb bedingen, der Hering’schen Theorie gemäss zu erklären? Nach Hering existiren bekanntlich drei Farbenpaare, das roth- grüne, das gelb-blaue und das weiss-schwarze. Der Umstand also, dass blau und gelb die Farben sind, die peripherisch am Leichtesten er- kannt werden, kann nur durch die Annahme erklärt werden, dass an peri- pheren Netzhauttheilen die roth-grüne Substanz vollständig fehle, bez. in minderer Menge vorhanden sei; eine Annahme, die mit den Resultaten meiner Untersuchungen unvereinbar erscheint. Auch die Peripherie ist für roth und grün empfänglich. Zwar könnte Hering die Empfindlichkeit der Peripherie für roth und grün nur eine scheinbare nennen und diese Thatsache durch Einwirkung der betreffenden homogenen Strahlen auf die schwarz-weisse Substanz erklären; wie wäre aber hiermit die Erscheinung in Einklang zu bringen, dass die Peripherie empfindlicher ist als das Centrum, und dass die Empfindlichkeit der Peri- pherie für roth und grün nicht mit gleicher Geschwindigkeit wachse und abnehme. Wäre die. Erklärung nach Hering richtig, so müsste in beiden Fällen die Reaction dieselbe sein. Tritt man aus dem Hellen plötzlich in ein dunkles Zimmer, so wird man anfangs nichts in demselben unterscheiden können. Dieser Zustand aber ist nicht von langer Dauer. In verhältnissmässig kurzer Zeit wird man ganz bequem in demselben sich orientiren können. Die Netzhaut ist in diesem Zeitraum empfindlicher geworden, indem jetzt schwache Licht- reize ihre Wirkung auf dieselbe nicht verfehlen. Diese Zunahme der Em- pfindlichkeit einer genaueren Prüfung zu unterwerfen, war die Aufgabe, der ich mich unterzog. 444 Rıc#ArpD Burz: Um genaue Messungen in dieser Frage anstellen zu können, ist eine Lichtquelle nöthig, deren Intensität nach Belieben verringert werden kann. Zugleich muss der Zeitabschnitt angegeben werden, innerhalb dessen die Veränderung der Intensität vorgenommen wurde. Allen diesen Anforde- rungen entspricht der zu den vorherbesprochenen Untersuchungen verwandte Apparat. Derselbe ermöglicht die Messung der Zunahme der Empfindlich- keit der Netzhaut für jede Lichtart. Es wurde an der Aufstellung nichts geändert. Untersucht wurden von mir die Farben Roth, Grün, Violett. Es stellte sich hierbei heraus, dass die Empfindlichkeit der Netz- haut für jede Lichtart im Dunkeln zunimmt. Nach einem Aufent- halt im Dunkeln von circa 5 Minuten war diejenige Lichtintensität, die eine Lichtempfindung hervorrief, circa 20 mal, am Ende der 20 Minuten um circa 30—40mal geringer als am Anfang der Beobachtungszeit. Es ist also im Anfang der Beobachtung eine gewisse Menge Licht nöthig, um gewissermaassen den Torpor der Netzhaut zu überwinden. Meinen Versuchen nach ist solches nun sowohl bei Einwirkung weisser, farbloser, als auch farbiger Strahlen der Fall. Zum Schluss möchte ich auf eine jüngst erschienene Arbeit Char- pentier’s! recurriren, die denselben Gegenstand behandelt. Charpentier ist bei seinen Untersuchungen anders zu Werke gegangen als ich. Die Empfindlichkeit der Netzhaut wurde bei ihm nicht durch diejenige Inten- sität veranschaulicht, die eine eben merkliche Empfindung auslöste, son- dern durch eine Intensität, die eine Farbenempfindung zur Folge hatte. Wenn daher die Resultate Charpentier’s Arbeit mit den meinigen ver- glichen werden sollen, so hat man diesen Umstand wohl zu berücksichtigen. Charpentier’s Bezeichnung „primitive Empfindung“ (sensation primitive) ist mit der meinigen „Wahrnehmung minimaler Lichtintensitäten“ identisch. Nach Charpentier wird diese „primitive Empfindung“ beim farbigen Lichte in allen Theilen der Netzhaut durch gleiche Intensitäten bewirkt. Es wäre somit die Empfindlichkeit der Peripherie der Netzhaut der des Centrums gleich. Nun giebt aber Charpentier über die Art und Weise, wie die peripherischen Netzhauttheile auf ihr Verhalten zur „primitiven Empfindung“ geprüft werden, uns nichts Wesentliches an. Namentlich er- scheint es uns von Wichtigkeit, zu wissen, ob bei Untersuchung peripherer Netzhautpartien eine Erregung des Netzhautcentrums vermieden wurde oder nicht. Auch Charpentier hat die Empfindlichkeit der Netzhaut vor und nach Ablauf der Adaptationszeit geprüft.” Er äussert sich darüber folgen- — \ 1 Archives d’Ophlhalmologie. t. I. Nov. Dee. 1880. p. 48. ®” Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich hier erwähnen, was bei meinen Versuchen unter Farbenempfindlichkeit des Auges vorstanden worden ist. Es scheint PHYsIoLOGISCHE FUNCTIONEN DER PERIPHERIE DER NETZHAUT. 445 dermaassen:! „On voit que la sensation de lumiere primitive se produit apres le repos avec une quantite de lumiere 10, 20 et jusque & 30 fois plus faible qu’auparavant, tandis que la sensation chromatique exige toujours la meme quantite de lumiere.“ Charpentier hat also meiner Ansicht nach bei seinen Experimenten mit farbigem Licht einen Einfluss „du repos“ auf die sogenannte primitive Empfindung in meinem Sinne nicht constatiren können. Beim farbigen Licht ist es vor und nach Ablauf der Adaptationszeit dieselbe Lichtinten- sität, die eine eben merkliche Empfindung auslöst. Es wäre mir sonst unverständlich, wie vor und nach Ablauf der Adap- tationszeit dieselbe Lichtquantität genüge, um eine Farbenempfindung aus- zulösen. Dorpat, 5. Mai 1881. mir solches um so mehr geboten, als die Autoren über die Bedeutung des Terminus „Empfindlichkeit“ des Auges gegen Farben keineswegs einig sind. Bekanntlich konnte nach der Methode, die von mir angewandt wurde, die schwächste Wirkung einer bestimmten Farbe des Speetrums auf die Netzhaut eruirt werden. Aus dem Spectrum wurde homogenes Licht bestimmter Wellenlänge und Schwin- gungsdauer isolirt. Es liest kein Grund vor, anzunehmen, dasselbe wäre mit weissem Lichte verunreinigt gewesen. Untersucht man bei einer Intensität, die eine deutlich nuaneirte Farbenempfindung hervorruft, oder bei minimaler Intensität, die eine merkliche Empfindung zur Folge hat, so haben wir es, abgesehen davon, dass die erstere Untersuchungsmethode von der Subjectivität des Experimentators mehr abhängig und daher eine unzuver- lässigere sein muss, in beiden Fällen mit derselben Lichtqualität zu thun. Die Em- pfindlichkeit des Auges aber ist umgekehrt proportional derjenigen Intensität, welche die eben merkliche Empfindung auslöst. Unbegründet, ja vollkommen unverständlich scheint mir daher die Annahme, in beiden genannten Fällen wirke nicht derselbe Factor. 1 Archives d’Ophthalmologie. t. I. p. 54. Die Deutung der plethysmographischen Curve. Von Professor Dr. S. v. Basch aus Wien, (Hierzu Tafel VI.) Die Vermehrung und Verminderung des Armvolums ist, wie ich im Jahre 1876! dargethan, auf vielerlei bedingende Momente zurückzuführen. Hr. A. Mosso ist seit seiner ersten Publication * über diesen Gegenstand geneigt den activen Gefässcontractionen und Dilatationen den weitaus grössten Einfluss auf die Volumsänderungen zuzuschreiben, während ich meinte, und noch immer meine, dass die durch das Steigen und Sinken des Blutdrucks entstehenden passiven Erweiterungen und Verengerungen der arteriellen Gefässbahn des Arms zumeist für seine Volumsänderungen maassgebend sind. Eine Entscheidung in dieser Frage ist, wie man leicht einsieht, von der plethysmographischen Methode nicht zu erhoffen, durch sie allein wird man nie erfahren können, ob die einen oder anderen Bedingungen im Wesentlichen die Volumsveränderungen veranlassen. Die Deutung der plethysmographischen Curve müsste sich aber jedenfalls klarer gestalten, wenn es gelänge, aus dem Complex von Bedingungen, die in der Volums- curve zum Ausdruck gelangen, wenigstens eine zu isoliren und zugleich mit dem Volum genau zu bestimmen. Dieser Forderung ist gerecht zu werden, wenn man im plethysmo- graphischen Versuch die Blutdruckschwankungen untersucht; eine Unter- suchung, die sich mit Hülfe des von mir construirten Sphygmomanometers® leicht durchführen lässt. ! Die volumetrische Bestimmung des Blutdrucks am Menschen. Wiener medi- cinische Jahrbücher. ” Sopra un nuovo metodo per scrivere i movimenti dei vasi sanguigni nell’ uomo. Torino 1875. b ° Ueber die Messung des Blutdrucks am Menschen. Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. I. H. 1, S. v. Basch: Die DEUTUNG DER PLETHYSMOGRAPHISCHEN ÜURVE. 447 Es empfiehlt sich selbstverständlich bei derartigen Versuchen die Vo- lumschwankungen zugleich mit den Blutdruckschwankungen graphisch dar- zustellen. Für erstere bediente ich mich wieder meiner volumetrischen Wage, letztere wurden in folgender Weise verzeichnet: Auf eine günstige Stelle der Art. radialis setze ich zunächst die Pelotte meines Sphygmomanometers. Zugleich wird, um den Puls der Arterie zu registriren, jenseits dieser Pelotte eine dem Naumann’schen Hämodyna- mometer ähnliche Vorrichtung, welche mit meinem Wellenzeichner in Ver- bindung steht, auf die Arterie applieirt. Sind die so registrirten Pulse deutlich und gross genug, dann comprimirt man die Arterie mittels des Sphygmomanometers so weit, dass die Pulse merklich kleiner werden. Wenn jetzt bei gleichbleibendem Compressionsdruck die Pulse grösser werden, so bedeutet dies eine Steigerung, wenn sie kleiner werden oder verschwinden, ein Sinken des Blutdruck». Es leuchtet ein, dass hier die Vergrösserung bez. Verkleinerung der Pulse unter wesentlich anderen Bedingungen erfolgt, als bei Aufnahme des Pulses mittels der bekannten Sphygmographen, gleichgültig welcher. Die feste, durch Feder- oder Gewichtsdruck auf die Arterie gedrückte Pelotte des Sphygmographen wird nicht nur das Wachsen der Arterien- spannung, sondern auch die Erweiterung der Arterie selbst, wenn diese ohne Zunahme ihrer Spannung erfolet, nach bekannten physikalischen Gesetzen mit einer stärkeren Erhebung beantworten und in dem einen wie anderen Falle ‚wird der mit der Pelotte verbundene Schreibhebel grössere Pulse zeichnen. Umgekehrt werden die vom Sphygmographen gezeichneten Pulse ebensowohl kleiner werden, wenn sich die Arterie zufolge ihrer Spannungs- verminderung, als wenn sie sich durch Contraction verschmälert. Ganz anders bei der Methode, wie ich sie angebe. Wenn hier die Pulse kleiner werden, so bedeutet dies, dass ein stärkerer Blutdruck den Quecksilberdruck des Sphygmomanometers überwindend, die Arterie stärker ausdehnt, und dass in Folge dessen mit jedem Pulse grössere Blutmengen die comprimirte Arterienstrecke durchströmen. Eine Erweiterung der Arterie, die nicht durch einen höheren Blutdruck bedingt wird, kann selbstverständ- lich hier nicht durch einen grösseren Puls zum Ausdruck kommen. Kleiner werden die Pulse und verschwinden sogar, wenn die Arterien- spannung zufolge einer Verminderung des Blutdrucks abnimmt, und nun die Arterie durch die Last der auf der ruhenden Quecksilbersäule des Sphygmomanometers noch mehr in ihrem Lumen beeinträchtigt wird als früher. Eine Contraction der Art. radialis, wenn sie bei steigendem Blutdruck erfolgt, kann unter den vorhandenen methodischen Bedingungen keine Ver- kleinerung der Pulse veranlassen. 448 S. v. Basc#: Da hier schon die Höhe des Pulses, bez. des anakroten Astes der Puls- ceurve ein vollkommen sicheres, keiner verschiedenen Deutung unterliegendes Merkmal für die Art der Blutdrucksänderung abgiebt, so hat man es selbst- verständlich nicht nöthig, auf jene Gestaltsveränderungen der Pulscurve Rücksicht zu nehmen, die bei Anwendung der sphygmographischen Methode von Wolff, Landois, Knoll, Klemencievicz, Schreiber, Sommer- brodt u. A. als Anhaltspunkte für das Verhalten des Blutdrucks benutzt wurden, Rücksicht zu nehmen, auch die allgemeine Erhebung oder Senkung der Pulse über und unter eine als fix angenommene Grundlinie, deren Deutung bekanntlich eine sehr schwierige ist, kommt bei meiner Methode ganz und gar ausser Betracht. Da es, wie eben erwähnt, hier nur auf die Grösse des Pulses, keineswegs aber auf die Details der Pulseurve ankommt, habe ich der Trommel eines Baltzer’schen Kymographions, dessen ich mich bediente, bei meinen Versuchen nur eine geringe Geschwindigkeit ertheilt. Daher kommt es, dass in einigen der meinen Versuchen entnommenen Figuren in Taf. VI die Pulse nur als senkrechte Striche erscheinen. Zur Entscheidung der Eingangs aufgeworfenen Frage schien es mir vor Allem wünschenswerth, das gleichzeitige Verhalten von Armvolum und Blutdruck während der Respiration zu prüfen. Zu diesem Behufe mussten auch die Athembewegungen registrirt werden. Hierbei bediente ich mich der bekannten von Knoll beschriebenen Vorrichtung, mit dem Unter- schiede nur, dass ich den am Thorax befestigten Kautschukbeutel nicht mit der Marey’schen Registrirtrommel, sondern einem mit flüssiger Car- bolsäure gefülltem Manometer in Verbindung brachte. Das Carbolsäure- Manometer hat nämlich vor dem Wasser-Manometer den Vorzug, dass der Schwimmer — den ich mir aus Hollunderstrauchzweigen verfertigte — sich sehr lange hält, so dass man denselben selbst während ausgedehnter Ver- suchsreihen nicht zu wechseln braucht. Bei allen Versuchen wurde ausser dem Volum, dem Puls und der Athmung auch der Stand der Quecksilbersäule im Sphygmomanometer ver- zeichnet. Zu letzterem Zwecke entfernte ich das ungleichschenklige Mano- meter aus meinem Instrumente und ersetzte dasselbe durch ein gleich- schenklises Manometer, in das zugleich ein mit einer Schreibvorrichtung versehener Schwimmer gebracht wurde. So konnte ich mich überzeugen, dass die Verschiedenheit der beobachteten Pulsgrösse nicht etwa von Schwan- kungen des auf der Arterie lastenden Druckes herrührt. Zumeist verlaufen die respiratorischen Blutdruckschwankungen am Menschen so, wie sie Einbrodt am Thiere beobachtet. Im Verlaufe der Inspiration steigt, im Verlaufe der Exspiration sinkt der Blutdruck. Von den verschiedenen Variationen, die dieser Typus erfährt, und von der Prü- fung der Ursachen, von denen die respiratorischen Blutdrucksehwankungen DiE DEUTUNG DER PLETHYSMOGRAPHISCHEN Ü(URVE. 449 abhängen, wird Hr. Dr. Schweinburg in einer folgenden Abhandlung berichten. Für uns haben dieselben vornehmlich nur methodische Bedeu- tung, sie interessiren uns nur deshalb, weil sich zugleich mit ihnen auch Volumschwankungen bemerkbar machen, Wie die Figuren 1, 2 und 3 (in allen Figuren, die von rechts nach links zu lesen sind, bezeichnet #% die Respirations-, Z die Puls- und V die Volum-Curve) übereinstimmend zeigen, ist jedesmal die Steigerung des Blut- drucks, die sich, wie man sieht, in sämmtlichen Figuren deutlich genug durch das Anwachsen der Pulse charakterisirt, von einer Hebung der plethysmographischen Curve gefolst. Deutlich sieht man übrigens diese den respiratorischen Blutdruck- schwankungen entsprechenden Volumschwankungen, nur bei langsam er- folgender Athmung, bei rascher Athmung verschwimmen dieselben bis zur Unkenntlichkeit in einander. Hierfür liefert Fig. 4 einen Beleg. Man sieht daselbst nur während der ersten durch längere Intervalle getrennte Respirationen zugleich mit den Blutschwankungen auch die Volumschwan- kungen deutlich eingeprägt. Während der hierauf folgenden raschen Ath- mung lassen sich noch allenfalls in der Ungleichheit der Pulse Blutdruck- änderungen wahrnehmen, keinesfalls aber Aenderungen des Volums. Es hiesse den Thatsachen Gewalt anthun, wollte man trotz des so mar- kanten Paralellismus den causalen Zusammenhang der eben besprochenen Er- scheinungen, d.i. der Volumschwankungen mit den gleichzeitigen Blut- schwankungen, in Abrede stellen. Ueberdies ergiebt die nähere Ueberlesung, dass hier die Annahme anderer Entstehungsbedingungen für die Volumsänderung kaum zulässig er- scheint. So spricht gegen die Annahme, dass das Sinken der Volumcurve auf einer activen Gefässcontraction und das Steigen derselben auf einer activen Gefässdilatation beruhe, vor Allem die Erfahrung, dass diese Zu- stände sonst von langen Nachwirkungen begleitet werden, wovon hier Nichts wahrzunehmen ist. Ebensowenig kann man die respiratorischen Volum- schwankungen nur auf Aenderungen der Venenfüllung beziehen. Denn gerade während des Inspiriums, wo Volum und arterieller Druck wachsen, entleeren sich aus bekannten Gründen die Armvenen viel mehr als während des Exspiriums, wo Volum und Blutdruck sinken. Wären die respirato- rischen Volumschwankungen nur von der Art der Venenfüllung abhängig, dann müsste ja gerade während des Exspiriums die Volumeurve eine Erhebung und während des Inspiriums eine Senkung erfahren. Es er- folgt aber das Gegentheil, wodurch zur Genüge dargethan ist, dass die vom allgemeinen arteriellen Blutdruck abhängige Füllung der Arterien und Capillaren des Arms für die Aenderung seines Volums weit mehr bedeute, als die Füllung oder Entleerung seiner Venen. Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 239 450 S. v. BascH: In noch schlagenderer Weise sprechen für das eben Gesagte die gleich- zeitigen Aenderungen des Blutdrucks und Armvolums, die man während des sogenannten Valsalva’schen Versuches — wenn man denselben mit den von mir angegebenen Hülfsmitteln studirt — beobachtet. Die Figuren 5—12 zeigen die Volum- und Pulsänderungen während je eines Valsalva’schen Versuches, dessen Dauer durch die Erhebung der zwischen Volum- und Pulseurve eingeschalteten Linie angezeigt ist. Wie alle diese Figuren übereinstimmend lehren, werden zu Beginn des Ver- suches, d. i. mit Beginn der foreirten Exspiration, die Pulse zunächst etwas grösser; bald darauf, d.i. im weiteren Verlauf der Exspiration verkleinern sie sich beträchtlich, um entweder sofort bei Wiederaufnahme der normalen Athmung oder kurz darauf zu ihrer früheren Grösse zurückzukehren, oder dieselbe sogar zu überschreiten. Dieses Resultat ist bei allen Versuchen ein vollkommen constantes, vorausgesetzt, dass man hierbei nur die Thorax- muskeln wirken lässt und die Bauchpresse ausser Spiel setzt. Es sinkt also zweifellos im Verlaufe des Valsalva’schen Versuches der Blutdruck. Oft schon während dieses Sinkens, zuweilen aber auch kurz hernach vermindert sich ebenfalls ausnahmslos das Volum des Arms, um sich mit dem endlichen Steigen des Blutdrucks wieder zu erheben. Dass die Volumschwankungen zuweilen etwas später auftreten als die im Pulse sich sofort aussprechenden Blutdruckschwankungen kann nicht Wunder nehmen. Erstere brauchen zu ihrer vollen Entwickelung voraussetzlich einer längeren Zeit, der Zeit nämlich, die eben nöthig ist, damit eine be- stimmte Blutmenge den Arm verlässt, dagegen kommt sowohl die höhere als die niedrigere Spannung des Blutes gleich mit dem nächsten Pulse zur Geltung. Was ich früher über das Verhalten der Venen während der Exspiration sagte, gilt in noch weit höherem Maasse für die foreirte Exspiration im Valsalva’schen Versuche. Jeder, der den Versuch an sich anstellt, fühlt deutlich die Stauung der Kopf- und Gesichtsvenen, und was in diesen vor- seht muss selbstverständlich in den Armvenen statthaben. Die Abhängig- keit der Volumverminderung von der Blutdruckerniedrigung ist somit hier a fortiori erwiesen. Es steht wohl ausser Frage, dass die nachträgliche Erhebung der Volumeurve darauf beruht, dass mit Erhöhung des Blutdrucks wieder reich- liche Blutmengen in den Arm einströmen. So wie im Valsalva’schen Versuche, so sinkt auch im sogenannten Müller’schen Versuche, wofür Fig. 13 einen deutlichen Beleg giebt, zu- sleich mit dem Blutdruck die Volumeurve Das Pulsbild unterscheidet sich aber, wie nicht anders zu erwarten ist, von dem des Valsalva’schen Versuches dadurch, dass die anfängliche Vergrösserung der Pulse ganz aus- DIE DEUTUNG DER PLETHYSMOGRAPHISCHEN ÜURVE. 451 bleibt, dass demnach dem Sinken des Blutdrucks keine Steigerung vorher- seht. Es ist dieser Versuch übrigens für die Lehre von der Abhängigkeit des Volums vom Blutdruck nicht entscheidend, weil man der Venenentleerung, die während der hier verstärkten Thoraxinspiration stattfindet, einen hoher Antheil an der Volumverminderung nicht absprechen kann. Ich will nun jene Volumschwankungen zur Discussion bringen, die nach einer Reihe von Respirationen auftreten, sich also auf grössere Zeit- intervalle erstrecken. Wie zahlreiche Versuche, die ich an mir, Hrn. Dr. Schweinburg und stud. med. Frankl angestellt, mich gelehrt haben, ist die Aenderung, die das Armvolum nach einer Reihe von Respirationen darbietet, keineswegs eine gleiche. So sieht man in Figg. 14 und 15 (stud. med. Frankl) nach mehreren Athmungen das Volum anfangs sinken, dann steigen. In Figg. 16 (Basch) und 17 (Schweinburg) sinkt die Volumeurve erst in der zweiten Hälfte des Versuches, nachdem sie im ersten Theile desselben fast horizontal verlaufen war, und in Fig. 18 (Basch) und 19 (Schwein- burg) sieht man die Volumeurve abwechselnd steigen und sinken. Schon diese Ungleichheit spricht nicht mehr für die von Mosso mit grosser Beharrlichkeit vertretene Meinung, dass die Volumverminderung, die nach tiefer Inspiration eintritt, durch Gefässcontraction bedingt sei. Denn diese Meinung, die in der Annahme wurzelt, dass während der Respiration sich Reize entwickeln, welche die Armgefässe zur Contraction bringen, könnte allenfalls nur für jene Fälle gelten, wo das Volum sich vermindert, für die anderen Fälle aber, in denen das Umgekehrte erfolet, müsste man, im Mosso’schen Sinne die Volumschwankungen deutend, weiter annehmen, dass die während der Athmung sich entwickelnden Reize ungleich, d.i. bald pressorischer, bald depressorischer Natur seien und also bald die Gefässe sich contrahiren, bald sie erschlaffen machen. Zu dieser complieirten Annahme hat man um so weniger Grund Zu- flucht zu nehmen, als meine Versuche lehren, dass nicht nur das Volum des Arms, sondern auch der Blutdruck nach einer Reihe von Respirationen, und zwar beide in gleichem Sinne sich ändern. In Fig. 14 sowohl als Fie. 15 sieht man deutlich genug, dass über den kleineren Pulsen die Volumeurve eine Senkung, über den grösseren dagegen eine Hebung zeigt. Auch hier verlaufen die Hebungen und Sen- kungen der Volumeurve nicht vollständig synchronisch mit den in den Pulsen sich markirenden Blutdruckschwankungen, und es spiegelt sich, wie nicht anders zu erwarten, nicht jedwede kleinere Blutdruckschwankung getreu in der Volumeurve ab. Aber ein bestimmter Isochronismus und Parallelis- mus zwischen Blutdruck und Volumschwankung ist unverkennbar. 29* 452 S. v. Basc#: In Fig. 17 kann einer oberflächlichen Beobachtung diese Congruenz entgehen, denn die Unterschiede m der Pulsgrösse sind hier nicht so auf- fallend wie früher; die genauere Beobachtung aber zeigt, dass die beiden flachen Pulswellenberge « und 5 den flachen Wellenbergen der Volumeurve in « und 5 entsprechen, und dass mit dem spitzen Pulsgipfel in ce auch die Zacke ce in der Volumcurve correspundirt, dass endlich auch während der Ast d der Volumeurve herabsteist auch die Pulse auf der Strecke d kleiner werden. In den Versuchen, denen Figeg. 14 und 15 entstammen, waren die Athmungen wohl tief, aber ziemlich gleichmässig. Anders in dem Versuche, auf den Fig. 17 sich bezieht. Hier waren, wie die Respirationscurve # zeigt, anfangs die Inspirationen von sehr langer und später von sehr kurzer Dauer. Das Sinken der Volumeurve fällt in den zweiten Abschnitt der durch kurze Inspirationen charakterisirt ist, während in dem ersten Ab- schnitt, wo die langen Inspirationen vorherrschen, das Volum, abgesehen von den eigentlichen respiratorischen Schwankungen, die auch hier conform den respiratorischen Blutdruckschwankungen auftreten, keine Aenderungen darbietet. Auch in Fig. 16 sieht man mit Eintreten der frequenten kurzen Athemstösse, denen eine gedehnte Respiration vorherging, die Volumeurve sinken. Die Pulse, die während der ersten gedehnten Inspiration zu- nächst eine deutliche Vergrösserung bald aber, und zwar noch im Verlaufe der Inspiration eine Verkleinerung erfahren hatten, vergrössern sich zum zweiten Mal zu Ende der ersten Exspiration, um sofort mit Eintritt der be- schleunigteren aber nichtsdestoweniger tiefen Respirationen kleiner zu werden. Der Erhebung der Pulse in « entspricht eine kleine Erhebung a in der Volumeurve Dass diese letztere verhältnissmässig weniger ausge- sprochen erscheint, als die voraussetzlich zu Grunde liegende Blutdruck- schwankung, erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass hier die Erhebung der Pulscurve nur von kurzer Dauer war, und alsbald in das Gegentheil umschlug. Herzu kommt noch der die Volumsteigerung möglicherweise compensirende Einfluss der Venenentleerung zu Beginn der Inspiration, die man immer sich vor Augen halten muss. Solche Compensationen, mögen sie von einer wie immer veranlassten stärkeren bez. geringeren Füllung der Venen oder Arterien und Capillaren ausgehen, scheinen oft genug das Volum in einem dem Blutdruck ent- segengesetzten Sinne zu beeinflussen. Fig. 18 bezieht sich auf einen ähnlichen Versuch wie Fig. 16. Nur sieht man hier — d.i. Fig. 18 — anfangs statt einer, zwei gedehnte Respirationen, die durch eine kurze Exspirationspause von einander getrennt sind und erst der zweiten Respiration folgt eine längere Exspirationspause. Dieser Pause folgt eine Reihe etwas frequenter Athmungen. Auch hier be- Dis DEUTUNG DER PLETHYSMOGRAPHISCHEN ÜURVE. 453 steht ein deutlicher Isochronismus und Parallelismus zwischen Volum und Blutdruck. Den Gipfeln a,d,c und dem Doppelegipfel d der Pulscurve entsprechen die Gipfel a,d,c sowie der breiten Kuppe d der Volumeurve. Von e an- gefangen, wo die Pulse plötzlich kleiner werden, sieht man die Volumeurve sinken, man beobachtet ferner, dass entsprechend dem Grösserwerden der Pulse in f auch das Sinken der Volumeurve in f eine Verzögerung erfährt, dass diese Verzögerung aber in g aufhört, sowie die Pulse in y kleiner werden. Schliesslich sieht man in } die Volumeurve mit der Vergrösserung der Pulse auf der correspondirenden Strecke Ah ansteigen. In Fig. 19 kann man zu wiederholten Malen beobachten, wie mit Ver- längerung der Inspiration das Volum sich hebt, und wieder fällt sobald die Inspirationen nur kurz währen. Die entsprechenden Aenderungen im Pulse fallen hier nicht sofort in’s Auge, doch heben sich bei näherer Betrachtung die etwa auftauchenden Zweifel völlständige. Ueberall nämlich, wo die Puls- curve zahlreichere Einkerbungen darbietet, wie in a,d,c, wo also der Blut- druck sehr häufigen Schwankungen unterliegt, ist an dem correspondirenden Theile der Volumcurve ein Sinken zu beobachten, die Volumcurve steigt dagegen da, wo die Pulse keinen derartigen Schwankungen unterliegen. Es ist nun klar, dass selbst bei gleicher Höhe der maximalen Pulse da wo die Pulse zeitweilig kleiner werden, der Blutdruck niedriger sein muss als zu einer Zeit, wo die Pulse in nahezu gleicher Grösse verharren. Das Steigen des Blutdrucks bei dem einen, sowie das Sinken bei dem anderen Athmungsmodus scheint mir durch die Verschiedenheit der me- chanischen da und dort obwaltenden Bedingungen verursacht. Weshalb ich diese Meinung hege, werde ich wohl später einmal auseinanderzusetzen die Gelegenheit finden. Hier kommen die ursächlichen Bedingungen der Kreislaufsänderungen nicht in Betracht, denn für den vorliegenden Zweck genügt es vollständig, nachgewiesen zu haben, dass bei verschiedenem Re- spirationsmodus sich Volum und Blutdruck in gleichem Sinne ändern, was unwiderleglich darthut, dass ein inniges Abhäneigkeits- verhältniss zwischen Volum und Blutdruck besteht. Diese wie erwähnt von mir schon vor Jahren (1876) aufgestellte Meinung ist also durchaus zulässige und Hr. A. Mosso hätte besser gethan, meine Meinung zu acceptiren, als dieselbe zu wiederholten Malen ! als irrthümlich zu bezeichnen. Ich habe mich nicht geirrt, meine Meinung steht nun zu- dem auf dem festen Boden der Thatsachen, die Deductionen des Hrn. A. Mosso, insoweit sie sich auf die Annahme von activen Gefässcontractionen und ! In seiner Diagnostik des Pulses, 1379, und seinen Untersuchungen über den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn, 1881. 454 8. v. BascHh: Die DEUTUNG DER PLETHYSMOGRAPHISCHEN ÜURVE. Dilatationen beziehen, bewegen sich im Reiche der‘ Hypothese. Denn wenn der Plethysmograph eine Verminderung des Armvolums anzeigt, so darf man als veranlassende Ursache hierfür erst dann eine Gefässcon- traction annehmen, wenn zugleich nachgewiesen wird, dass weder der arterielle Blutdruck gesunken, noch die Venen sich entleert haben, und ebenso kann bei einer etwaigen Vermehrung des Armvolums der Rückschluss auf eine dieselbe veranlassende active Gefässdilatation nur dann zugelassen werden, wenn bewiesen wurde, dass zur selben Zeit der arterielle Blutdruck nicht stieg und die Venen sich nicht stärker füllten. Solche beweisende Ver- suche hat aber Hr. A. Mosso nicht angestellt. Hierzu hätten übrigens auch die Methoden, deren er sich bediente, nicht ausgereicht. Will Hr. A. Mosso seinen Ansichten, die ja für gewisse Fälle richtig sein mögen, Geltung verschaffen, dann muss er sie durch Beweise zu stützen suchen. Wenn ich auch die Volumveränderungen von den Blutdruckschwankungen ableite, so meine ieh doch nicht mehr wie früher, dass es sich empfehle, sich der plethysmographischen Methode zum Studium menschlicher Blut- druckschwankungen zu bedienen. Durch die plethysmographische Methode erfährt man nur die resultirende aus einer Reihe von Bedingungen, zu denen unstreitig auch die Blutdruckschwankungen gehören, man erfährt aber durch diese Methode nicht, welchen von den vielerlei Bedingungen betreffenden Falls eine grössere oder geringere Bedeutung zukömmt. [N Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1880—81. XVI. Sitzung am 1. Juli 1881. 1. Hr. Hermann Munk hält den angekündigten Vortrag: „Zur Physio- logie der Grosshirnrinde“. Eine grössere Sendung Affen, welche ich im October v. J. erhielt, habe ich zu weiteren Versuchen über die Sehsphären verwandt, und es sind die Ergebnisse dieser Versuche, über welche ich heute berichten will. Als ich gerade vor einem Jahre hier sprach, hatte ich dessen zu gedenken, dass auch die Hrn. Luciani und Tamburini nach der Verletzung eines Hinter- hauptslappens beiderseitige Hemiopie beobachtet hatten. Seitdem haben die Hrn. Ferrier und Yeo die Ergebnisse einer neuen Untersuchung über die Sehcentren des Affen veröffentlicht, Ergebnisse, welche dermaassen in sich von Widersprüchen starren, und welche so offenbar der ganzen Untersuchung den Stempel der Unreife aufdrücken, dass eine eingehendere Besprechung derselben unnütz wäre. Es ist jedoch bemerkenswerth, dass Hr. Ferrier, der einstmals nicht herb genug mich anlassen konnte, weil ich den Hinterhauptslappen — sein vermeintliches Hungercentrum — zum Sehen in Beziehung gesetzt hatte, nunmehr gleichfalls die beiderseitige Hemiopie nach Zerstörung des Hinterhauptslappens, allerdings in Verbindung mit Zerstörung des Gyrus angularis, gefunden und ferner „totale und anscheinend permanente“ Blindheit bloss in dem Falle erhalten hat, in wel- chem ausser beiden Gyri angulares auch beide Hinterhauptslappen zerstört waren. Wo, besonders von ärztlicher Seite, über die abweichenden Ergebnisse der ver- schiedenen Experimentatoren Klage geführt worden ist, dürfte die hier sich an- bahnende Uebereinstimmung doch vielleicht Veranlassung sein, dass man nicht weiter bloss zählt, sondern wägt. Ich muss von neuem betonen, dass ich sowohl in der von den Hın. Lu- ciani und Tamburini, wie in der von den Hrn. Ferrier und Yeo beobach- teten zeitweiligen Hemiopie nur eine unzureichende Bestätigung meiner Erfah- rungen erkennen kann. Denn nach diesen ist durch den Ausfall der Rinde eines Hinterhauptslappens stets eine andauernde beiderseitige Hemiopie bedingt, und der Ausfall keiner anderen Rindenpartie, insbesondere nicht des Gyrus angularis, bringt auch nur eine Spur einer partiellen Blindheit oder Amblyopie mit sich. Auch in sechs Versuchen an den neuen Affen habe ich wiederum nie eine He- miopie oder Amblyopie beobachtet, als ich die Rinde des Gyrus angularis ex- ! Ausgegeben am 8. August 1881. 456 VERHANDLUNGEN DER BERLINER stirpirt hatte. Wo nach dem Angriffe des Hinterhauptslappens nur eine vorüber- gehende Hemiopie sich ergeben hat, muss die Rinde des Lappens in zu geringer Ausdehnung entfernt oder zerstört worden sein, so dass wohl in der ersten Zeit, während noch die Umgebung der Operationsstelle functionsunfähig war, die aus- sedehnte Rindenblindheit beider Retinae grob bemerkbar war, später aber die beschränktere Rindenblindheit, welche bestehen blieb, der Beobachtung entging. Und wo dem Angriffe des Gyrus angularis zeitweilige Hemiopie gefolgt ist, kann deren Ursache nur in der Quetschung bei der Operation und in der reactiven Entzündung gelegen gewesen sein, welche die Nachbarschaft der Rinde des Gyrus angularis betrafen. Für den letzteren Ursprung der vorübergehenden Hemiopie kann ich auch interessante Erfahrungen beibringen. Ich hatte die diesmaligen Exstirpations- versuche am Gyrus angularis gerade in der Hoffnung unternommen, dass der Zufall auch mir einmal bei einer weniger glücklichen Operation die zeitweilige Hemiopie nach solchem Eingriffe zuführen würde. Als dies in vier Versuchen wiederum nicht geschehen war, beschloss ich die Vermuthung zu prüfen, welche Hr. Wernicke bei Gelegenheit meiner vorjährigen Mittheilung ausgesprochen hatte, dass die Quetschung und die Entzündung, ebensowohl wie den Hinterhaupts- lappen, auch die Fasern betroffen haben könnten, welche das sagittale Mark- lager des Hinterhauptslappens mit den Ursprungsganglien des Tractus opticus verbinden und als Markleiste unter der Rinde des Gyrus angularis hinziehen. Schlägt man nach Entfernung der Pia den vorderen Rand des Hinterhaupts- lappens zurück, so sieht man den dicken Faserstrang, schief von hinten und innen nach vorn und aussen verlaufend, unter die obere Spitze des Gyrus an- gularis treten. Ich führte nun die nächste Exstirpation am Gyrus angularis so aus, dass ich zwar überall sonst in der gewohnten Weise bloss in etwa 2” Dicke, am Sulcus parieto-oceipitalis aber in etwa 4""” Dicke die Rindenschicht ent- fernte. Wirklich war der Affe beiderseits hemiopisch, wie wenn der Hinter- hauptslappen angegriffen worden wäre, und die Hemiopie blieb durch drei Tage bestehen; am dritten Tage war sie schon schwer nachweisbar, sie war offenbar in der Rückbildung begriffen, und am vierten Tage liess sich keinerlei partielle Blindheit mehr constatiren. Ein zweiter solcher Versuch bot denselben Erfolg dar, nur erhielt sich die Hemiopie durch fünf Tage, und ein letzter Rest war sogar vielleicht noch am sechsten Tage zu erkennen. Später habe ich noch zweimal in der alten und normalen Weise die Rinde des Gyrus angularis ex- stirpirt, so dass ich nicht die Schnitte absichtlich zu tief in der Nähe der Hinterhauptslappen-Fasern führte, und wiederum war keine Spur einer partiellen. Blindheit aufzufinden. Wieviel von derselben Retina dem rechten, wieviel dem linken Hinter- hauptslappen zugeordnet ist, das hat sich jetzt noch schärfer als früher fest- stellen lassen. Die Möglichkeit dazu boten einige Affen, welche soweit gezähmt waren, dass sie frei auf dem Tische sitzend sich prüfen liessen und dazu noch den Verschluss eines Auges durch ein Klebepflaster ohne Widerstreben ertrugen. keichte ich ihnen kleine Mohrrübenstücke auf lange Nadeln gespiesst, so nahmen sie jedes Stück sofort ab, sobald es ihnen -zu Gesichte gekommen war; wurde ihnen jedoch einmal im Augenblicke, da sie zugreifen wollten, der sich hebende Oberarm von dem hinter ihnen stehenden Wärter sanft herabgedrückt, so standen sie von jeder weiteren Bewegung so lange ab und fixirten nur das Mohrrüben- stück scharf durch Minuten hindurch, bis ich schliesslich das Stück rasch noch PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN Munk. 457 weiter ihnen näherte und jetzt beim neuen Zugreifen keinen Widerstand ihnen entgegensetzen liess. Als dem. einen dieser Affen die Rinde des linken Hinter- hauptslappens exstirpirt worden war, brachte ich ein Mohrrübenstückchen in 15—20°” Abstand gerade vor seine Nase, liess seine Greifbewegung unter- drücken und näherte, während er jenes Stückchen scharf fixirte, weit von rechts oder von links her ein zweites Mohrrübenstückchen. Fand diese Annäherung von der linken Seite des Affen her statt, so griff derselbe, sobald nur überhaupt ein Bild des zweiten Mohrrübenstückes auf seinen Retinae entstand, sofort zu und nahm das Stück ab. Dagegen musste ich von der rechten Seite des Affen her das zweite Stück ganz dicht an das erste heranbringen oder oberhalb bez. unter- halb des ersten Stückes bis an die Verticale führen, welche durch das erste Stück ging, damit der Affe das zweite Stück bemerkte und nach ihm griff. Ob beide Augen ofien waren, oder ob das rechte oder das linke Auge verklebt war, stets war das Ergebniss des Versuches dasselbe; und es trat auch in den fünı Wochen, während welcher ich den Affen beobachtete, keine Aenderung ein. An einem zweiten Affen, welchem ich die Rinde des rechten Hinterhauptslappens exstirpirt hatte, und den ich durch sieben Wochen nach der Operation prüfen konnte, war alles ebenso, nur dass statt der rechten die linke Gesichtsfeldhälfte fehlte. Der verticale Meridian, der durch die Mitte der Macula lutea oder die Fovea centralis geht, bildet demnach in jedem Auge die Grenzlinie, zu deren Rechten die Retina der rechten Sehsphäre, zu deren Linken sie der linken Seh- sphäre zugehört. Dass hinwiederum von jeder Sehsphäre bloss die laterale Hälfte mit der gleichseitigen und die mediale Hälfte mit der gegenseitigen Retina verbunden ist, das ist uns bereits im vorigen Jahre bekannt geworden, wo ich damit und mit den Erfolgen der kleineren Läsionen des Hinterhauptslappens den Nachweis erbrachte, dass beim Affen im wesentlichen dieselbe Projection der Retinae auf die Rinde der Hinterhauptslappen besteht wie beim Hunde, nur dass die laterale Partie der Retina, welche der gleichseitigen Sehsphäre zugehört, beim Affen viel grösser als beim Hunde ist. Ich habe es indess nicht verabsäumt, auch an den neuen Affen noch viermal bloss eine seitliche Hälfte einer Sehsphäre zu ex- stirpiren, immer indem ich ungefähr die sagittale Halbirungslinie der convexen Fläche des Hinterhauptslappens als Grenze nallm; und stets habe ich wieder einseitige Hemiopie erhalten, des gleichseitigen Auges, wenn die laterale Hälfte, des gegenseitigen Auges, wenn die mediale Hälfte der Sehsphäre entfernt war, während keinerlei Sehstörung des zweiten Auges bestand. In allen diesen Fällen habe ich dann weiter, nachdem die Wunde einige Zeit vernarbt war, noch die mit derselben Retina verknüpfte Hälfte der zweiten Sehsphäre exstirpirt, aber nur in einem Falle ist es mir geglückt, den Affen längere Zeit am Leben zu erhalten: dieser Affe, welchem die laterale Hälfte der linken und die mediale Hälfte der rechten Sehsphäre entfernt waren, war auf dem linken Auge so gut wie blind, er sah nur sehr schlecht mit der äussersten lateralen Partie der linken Retina, und das Sehen mit dem rechten Auge bot gar keine Abnormi- täten dar. Es ist danach nicht zu glauben, was Hr. L. Mauthner meint und sogar als unzweifelhaft hinzustellen nicht Anstand nimmt, dass beim Menschen das gekreuzte und das ungekreuzte Faserbündel des Optieus nicht an räumlich ge- trennten Orten der Rinde ihren Ursprung nehmen, sondern die Ursprungsfasern und Ursprungszellen beider Bündel untereinandergewürfelt, durcheinanderge- 458 VERHANDLUNGEN DER BERLINER mischt liegen. Da bei den verschiedenen Säugethieren schon die Leber, die Nieren, die Speicheldrüsen u. dergl. m. durchaus nicht vollkommen gleich ge- baut sind und die Leber verschiedene Galle bereitet, die Nieren verschiedenen Harn abscheiden u. s. w., so liessen sich erst recht an der Sehsphäre Verschie- denheiten erwarten, und solche haben sich ja auch schon in der Verbindung derselben mit den Retinae herausgestellt. Aber wie die Leber doch im Princip überall von gleichem Baue ist, ebenso die Niere, und wie die erstere doch überall Galle bereitet, die letztere doch überall Harn abscheidet, so ist es auch nur anzunehmen, dass der Bau der Sehsphäre und ihre groben Leistungen, die ausschliesslich bisher Gegenstand der Untersuchung gewesen sind, bei den ver- schiedenen Säugethieren im Prineip die gleichen sind. Erst auf die gewichtig- sten Gründe hin würde daher ein Zweifel daran zulässig sein, dass die Pro- jection der Retinae auf die Sehsphären, welche beim Hunde und beim Affen sich ergeben hat, auch beim Menschen besteht, zumal da die Sehsphären des Men- schen und des Affen sonst noch mehr übereinstimmen als die des Affen und des Hundes. Hr. Mauthner jedoch stützt seine Behauptung bloss auf emige wenige Fälle umschriebener homonymer Defecte, von welchen ein Theil unvollkommen beobachtet ist, ein anderer Theil ohne weiteres die entgegengesetzte Deutung zulässt, und welche sämmtlich infolge des Fehlens des Sectionsbefundes für ein sicheres Urtheil unbrauchbar sind. Gerade umgekehrt ist denn auch schon zu gleicher Zeit Hr. Wernicke, wie wir im November v. J. hier gehört haben, auf Grund einer grösseren Anzahl genau beobachteter Defecte zu der Ueber- zeugung gekommen, dass dieselbe Projection, wie beim Affen, auch beim Men- schen sich findet. Ueber die den Maculae luteae correspondirende Rinde habe ich nur wenige, aber recht interessante neue Erfahrungen gemacht. Ein Affe, welchem ich beider- seits die Rinde der convexen Fläche des Hinterhauptslappens soweit exstirpirt hatte, dass nur ein schmaler Streifen am vorderen und am äusseren Rande übrig war, glotzte wie der seelenblind gemachte Hund und fixirte auch in der Folge nie mehr, sah dabei jedoch alles; erst als ihm ein Auge vernäht war, zeigte es sich, dass er von den vorgestreuten Mohrrübenstückchen manche übersah, aber bloss in einer ersten kurzen Zeit, denn später bewegte er den Kopf vielfach hin und her und nahm alle Stücke der Reihe nach auf. Zwei andere Affen, an welchen in demselben Rindenbereiche kleinere, beiderseits gleiche Exstirpationen von 12—15 ”" Durchmesser ausgeführt waren, fixirten nach wie vor. In dem einen dieser Fälle, in welchem die Exstirpationsstelle ungefähr die Mitte der Con- vexität emnahm, liess sich gerade so, wie ich es früher immer gefunden hatte, die Sehstörung bloss dadurch constatiren, dass der Affe in den ersten Tagen einzelne Mohrrübenstücke übersah oder beim Zugreifen verfehlte. In dem anderen Falle aber, in welchem die Exstirpationsstelle mehr nach hinten und auch etwas mehr nach innen gelegen war, machte sich die Sehstörung höchst auffällig dadurch bemerklich, dass der Affe jedesmal, wenn ich ihm ein Mohrrübenstückehen vor- legte, den Kopf rasch hin und her nach rechts und nach links bewegte, gerade wie ein Mensch, der einen kleinen Gegenstand, den er fixirt, nicht deutlich ge- nug sieht; am dritten Tage nach der Operation hatten diese eigenthümlichen Kopfbewegungen sehr an Umfang abgenommen, am vierten Tage hatten sie ganz aufgehört, und nichts liess dann mehr eine Sehstörung erkennen. Es zeigen diese Versuche, dass die mit den Maculae luteae verbundene Rinde weit über die Convexität der Hinterhauptslappen verbreitet und — anders vermag ich das PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MunkK. 459 letzte Ergebniss nicht zu deuten — die den Foveae centrales correspondirende Partie jederseits in der hinteren Hälfte der Convexität gelegen ist. Was beim Hunde sich ergeben hat, dass die Retinastelle des deutlichen Sehens besonders sut in der Hirnrinde repräsentirt ist, einen verhältnissmässig grossen Theil der Sehsphäre für sich in Anspruch nimmt, das trifft demgemäss, wie es scheint, auch beim Affen zu; nur lassen hier die unzureichende Kenntniss der Grenzen der Sehsphäre einerseits und die verwickelte Faltung der Rinde des Hinterhaupts- lappens andererseits die wünschenswerthe Sicherheit vorerst noch nicht gewinnen. Ich bin endlich noch der Frage nachgegangen, ob von den centralen Ele- menten, in welchen die Opticusfasern enden, diejenigen, welchen identische Netzhautpunkte zugehören, durch eigene Commissuren- oder Associationsfasern mit einander verbunden sind. Existirten solche Fasern, so mussten sie an der Con- vexität jedes Hinterhauptslappens quer von einer Seite zur anderen nicht weit von der Oberfläche hinziehen, entweder noch im Rindengrau oder in der benach- barten weissen Substanz. Denn nicht nur weiss man, dass im Allgemeinen ım Grosshirn derartige Associationsfasern nahe der Oberfläche verlaufen und zwar desto näher derselben gelegen sind, je kürzer sie sind, je kleiner der Abstand der Elemente ist, zwischen welchen sie die Verbindung herstellen; sondern es zeisen auch die Durchschnitte durch den Hinterhauptslappen des Affen, dass hier infolge der Faltungen der Rinde überall an die 1—2"" dicke graue Schicht nur eine weisse Schicht von kaum der gleichen Dicke anstösst. Dem- gemäss spaltete ich beide Hinterhauptslappen des Affen derart, dass ich an jedem Lappen einen 4—5"%% tiefen Schnitt senkrecht zur Oberfläche in der sagittalen Halbirungslinie der convexen Fläche oder dieser Linie parallel etwas mehr nach innen durch die ganze Länge der Convexität führte. Drei solche Versuche stellte ich an, und jedesmal war das Ergebniss dasselbe: der Affe sah nach der Verletzung so wie zuvor, und insbesondere, was jeden Gedanken an das Vorhandensein von Doppelbildern ausschloss, kaum dass er aus der Narkose erwacht war, ja noch halb in der Narkose, und jederzeit später griff er nach dem kleinsten Mohrrübenstückchen immer mit derselben Sicherheit und fasste es mit derselben Feinheit wie vor der Verletzung. Damit ist von allen ‘den Mög- lichkeiten, an welche seit Newton gedacht worden ist, wie es anatomisch be- gründet sein könne, dass die von zwei identischen Netzhautpunkten kommenden Erregungen zu einer einfachen Erregung bez. Empfindung verschmelzen, auch die letzte Möglichkeit Johannes Müller’s Schleife zwischen den centralen Enden der beiden Opticusfasern, welche mit identischen Netzhautpunkten ver- knüpft sind — beseitigt; und so lehrt auch die Verfolgung der Sehsinnsubstanz, was längst schon Hr. Helmholtz anderweitig aus Erscheinungen des binocularen Sehens erschlossen hat, dass von den beiden Retinae her doppelte Lichtempfindungen entstehen, und dass es nur den höheren Functionen der Sehsphären zuzuschreiben ist, wenn trotzdem mit beiden Augen einfach gesehen wird. Selbst dass die identischen Netzhautpunkte mit derselben Grosshirnhemisphäre verbunden und derselben Sehsphäre zugeordnet sind, kann mit dem binocularen Einfachsehen nichts zu schaffen haben. Denn nicht bloss findet sich jene Verbindung bei Thieren mit kleinerem gemeinschaftlichen Gesichtsfelde, wie beim Hunde, nicht regelmässig wieder; es wird auch, wie mit beiden Augen einfach gesehen, so mit beiden Ohren einfach gehört, und doch sind, wie ich neulich nachwies, die peri- pheren Endelemente jedes Acusticus einzig und allein mit den schallempfindenden centralen Elementen der gegenseitigen Hörsphäre verknüpft, 460 VERHANDLUNGEN DER BERLINER XV1l. Sitzung am 15. Juli 1881. ' 1. Hr. ImmAnuen Munk hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Oxydation des Phenols beim Pferde, ein Beitrag zur Kenntniss der Oxydation bei den Herbivoren.“ Unter den Oxydationsprocessen, welche im Thierkörper ablaufen, hat man neuerdings solche der allerkräftigsten Art erkannt, insofern dabei Producte ge- bildet werden, welche man ausserhalb des Thierkörpers selbst durch die stärk- sten Oxydationsmittel bislang nicht hervorzubringen vermochte. So wird Benzol C,H, im Organismus in Phenol C,H,-OH verwandelt,” Toluol C,H,-CH, zu Benzoösäure C,H,-COOH,? und Phenol C,H, OH zu Hydrochinon und Brenz- catechin C,H,*(OH), oxydirt.” Erst Hoppe-Seyler* ist es gelungen, durch Einwirkung von nascirendem Wasserstoff bei Gegenwart von Sauerstoff dieselben Oxydationsproducte zu erhalten, welche aus den erwähnten Stoffen der Thier- körper bildet; er neigt daher zu der Auffassung, dass auch im Thierkörper durch den bei den Fäulnissreductionen freiwerdenden Wasserstoff der Sauerstoff aetivirt wird. Die quantitative Seite dieser Vorgänge, deren Feststellung einen Beitrag zur Kenntniss von dem Umfange der im thierischen Organismus sich abspie- lenden Oxydationen zu liefern vermag, ist bisher nur zum Theil für den Men- schen und den Hund Gegenstand der Untersuchung gewesen. Beim Menschen werden, wie der Vortragende früher gezeigt hat, vom eingeführten Benzol höch- stens 2—3 Procent als Phenol ausgeschieden,? ein anderer seiner Grösse nach noch nicht bestimmter Antheil erscheint nach v. Nencki und Giacosa® m Form von Hydrochinon und Brenzeatechin im Harn wieder. Bezüglich des Phenols ist für den Hund von Tauber,’ Schaffer® und in noch umfassenderen Ver- suchen von A. Auerbach? festgestellt worden, dass je nach der Grösse der Dosen 70—42 Procent der eingeführten Menge im Organismus verschwinden können, also oxydirt werden. Für die Herbivoren liegen bisher dergleichen Be- stimmungen nicht vor; und doch erscheint die Feststellung dieser Verhältnisse von um so grösserem Interesse, als daraus für die von uns gemachte und gleich mitzutheilende Erfahrung, wonach unter den Herbivoren das Pferd eine grössere Resistenz gegen Phenol zeigt, als die Carni- und Omnivoren, möglicherweise das Verständniss gewonnen werden konnte. Die Versuchsreihen an Pferden sind im Verein mit den Studirenden König, Ludewig und Straube angestellt worden. Da beim Pferde einmal wegen des tief herabhängenden weichen Gaumens, sodann wegen der eigenthümlichen fast spiraligen Windung des Schlundtheils der ! Ausgegeben am 17. August 1881. ? Schultzen und Naunyn, dies Archiv, 1867. 8. 340 ff. — I. Munk, Archiw für die gesammte Physiologie. 1875. Bd. XII. 8. 146 ff. ® Baumann und Preusse, Zeitschrift für physiologische Chemie. 1879. Bd. IN. S. 156. * Zeitschrift für physiologische Chemie. 1878. Bd. II. S. 22. > Aus den a. a. O. S. 148 angeführten Bestimmungen berechnet. ® Zeitschrift für physiologische Chemie. 1880. Bd. IV. S. 336. ” Ebenda. 1878. Bd. II. S. 366. ° Journal fir praktische Chemie. N. F. 1878. Bd. XVII. 3. 282. ° Virchow’s Archiw. 1819, Bd. LXXVI. S. 226. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. 461 Speiseröhre die Einführung von Schlundsonden unmöglich ist, so wurde den Thieren das Phenol in Form einer Latwerge beigebracht. Zu dem Zweck wurde die entsprechende Menge Phenol mit Wasser und etwa dem gleichen Gewicht von Pulv. rad. Alth. zu einer consistenten Latwerge angerührt, daraus Boli ge- formt und diese in die durch ein Maulgatter offen gehaltene Maulhöhle tief hinunter geschoben ; reflectorische Schlingbewegungen beförderten die Bissen hinab. Zur Verhütung von Anätzungen des Magens wurde reichlich Wasser nachgegeben. Bei einiger Uebung und Vorsicht gelingt es so, den Thieren jede gewünschte Dosis quantitativ genau beizubringen. Ein Pferd von 380*s"m Körpergewicht vertrug reines Phenol bis zu 100°" pro die ohne jede Störung seines Wohlbefindens. Bei einer so grossen Gabe, die etwa 0-38"" pro Körperkilogramm beträgt,! war die Puls- und Respirationsfrequenz nur wenig herabgesetzt, und diese Abnahme hielt nur kurze Zeit an; die Fresslust und das Wohlbefinden überhaupt blieben un- verändert. Bei 70, noch mehr bei S0°'" stieg die Pulsfrequenz nur unbedeu- tend (von 36 auf 40, von 37 auf 44 in der Minute) und nur einmal erheblich (von 30 auf 52) an. Gaben von 10— 60°" pro die zeigten keine sichtbare Wirkung. Es ergiebt sich so die Unschädlichkeit einer Dosis von 0-3®’”® pro Kilo- gramm Pferd, während bei den Vergiftungsversuchen von Tereg und dem Vor- tragenden? an Hunden bereits auf eine Gabe von 0183” pro Kilogramm Hund schwere Intoxicationserscheinungen, fibrilläres Muskelzittern bis zu ausgebildeten Krämpfen, auftraten. Ist schon heraus zu erschliessen, dass Pferde Phenol besser vertragen als Hunde, so verdient noch hervorgehoben zu werden, dass dies auch bei wiederholten Gaben der Fall ist. In einer Versuchsreihe mit steigenden Gaben wurden so innerhalb 7 Tagen 500°" Phenol an ein Pferd verfüttert, ohne dass sich irgend welche Störungen bemerkbar machten. Es galt nun, zu ermitteln, wie viel von dem eingeführten Phenol das Pferd oxydirt und vermöge welcher Einrichtungen es grössere Gaben von Phenol zu zersetzen oder in unschädliche Form überzuführen vermag als die Carni- und ÖOmnivoren. Zur Lösung dieser Frage wurde ein Pferd von 350m Gewicht zunächst in annähernden Gleichgewichtszustand gebracht. Es gelang dies nach einer längeren Vorfütterung durch. Darreichung von 4kstm Hafer und 3kerm Heu, nebst 10—15 Liter Trinkwasser pro die; das Tagesfutter wurde in drei Rationen getheilt, die regelmässig zu bestimmter Zeit gegeben wurden. Das gesammte tägliche Harnvolumen wurde ohne jeden Verlust mittels unserer bereits beschrie- benen Auffangevorrichtungen? gesammelt. Das Destillat des mit Schwefelsäure versetzten Harns ward mit Bromwasser bis zur bleibenden leichten Gelbfärbung versetzt und der krystallinische Niederschlag vom T'ribromphenol gewogen. Die erhaltenen Zahlenwerthe dieser Versuchsreihe seien der Uebersichtlichkeit halber tabellarisch aufgeführt. " Bei der Reduction der toxischen Dosis auf die Körpergewichtseinheit muss der nicht unbeträchtliche Darminhalt der Pflanzenfresser, der bei gefütterten Pferden auf mindestens 40—50ksrm zu veranschlagen ist, von dem absoluten Körpergewicht in Ab- zug gebracht werden. ” Dies Archiv, 1880. Suppl.-Bd. 8. 18. ® Dies Archiv, 1880. Suppl.-Bd. 8. 3. 462 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Datum: Verfüttert. Harnmenge Tribromphenol Gesammt -Phenol | | in Litern. | in Procenten. im Harn. es | 1lıl. DONE | 3-1 0688 6-06 12% 3-43 0:739 5225 13. | | 2019 | 0:792 | 4.906 14. | en Be.) 7269 15. | 3-85 0595 | 6-468 16. | I 3288 0492 5-393 er. | 20°°”% Phenol 3-96 0979 | 10.0091 18. | Bet 1:15 | 11-008 19. 20®"® Phenol 4782 0682 | 9.025 20. 98 1'195 | 9.628 >il* 3725 0:66 | 7.984 22. 3-67 0634 6-606 1881. | 8, | 4-77 0-441 5-876 9. | 4:68 0-475 6-318 10. 3-62 0-627 | 6-45 ua. 3-62 09-680 | 6-992 12% ı 208" Phenol 3.28 1:297 12-07 13. | 3:24 1:24 11-405 14. | 3-49 0-614 6-083 15. | 3.28 | .0-564 5.251 17. | 2-62 0757 5.633 9.7. 3-282 0-477 4.447 10. 3-01 0-544 4.65 ala, 32-855 0-63 5.024 198 | 3726 0-50 5-391 110% | 40% Phenol 2092 1:686 ao 1a! 14. 3-706 1-418 14-898 15. 2-13 0-732 4.409 16. 5-67 0-386 6-18 17. 32-275 | 0.586 3.458 18. 3-720 | 0-686 4.89 Beim Betrachten der Tabelle ergiebt sich zunächst die bemerkenswerthe Erfahrung, dass beim Pferd die Ausscheidung des nicht oxydirten Antheils vom verfütterten Phenol nicht, wie beim Hund und Menschen, innerhalb der nächsten 24 Stunden beendigt ist, sondern sich auf mindestens 2 Tage und darüber er- streckt. Bei dem langen Verweilen der Futtermittel im Darm und der ganz allmählichen Auslaugung derselben kann, wie leicht zu verstehen, die Wirkung des eingeführten Futters, bez. heterogener Substanzen auf die Zersetzungspro- ! An den Phenoltagen wurde ab und zu ein Theil der Faeces auf etwaigen Ge- halt an Phenol geprüft. Das Destillat des colirten und dann mit Schwefelsäure ver- setzten Wasserauszuges der Faeces gab mit Bromwasser meist gar keine, selten eine nur eben sichtbare Trübung. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL Munk. 463 cesse beim Pferde nicht, wie bei den Carni- und Omnivoren, schon innerhalb 34 Stunden abgelaufen sein. Von den eingeführten 2x 20°"” Phenol der ersten Reihe wurden 18.938" wieder ausgeschieden oder 47.4 Procent der eingegebenen Menge; von den ver- fütterten 20°” Phenol der zweiten Reihe gelangten 10 °657®"" oder 53-3 Pro- cent zur Ausscheidung. Es werden demnach von 203% Phenol rund 50 Procent wieder mit dem Harn entleert. Bei einmaliger Einführung von 40°" Phenol kamen 18-3 °”” oder 46 Procent zur Ausscheidung. Somit werden von 20—40®" auf einmal gegebenen Phenols im Durchschnitt 50 Pro- cent oxydirt. Beim Pferd erscheint also nur etwa die Hälfte des gefütterten Phenols im Harn wieder, selbst wenn die verabreichte Dosis pro Kilogramm Thier dreimal so gross ist als beim Hund.! Bei Erwägung der möglichen Ursachen für die stärkere Oxydation des Phenol beim Pferde bot sich zunäehst die Vermuthung dar, als stände die stärkere Oxydation bei den Herbivoren in Beziehung zu der — gegenüber den Carnivoren — erheblich grössere Alkalescenz ihrer Gewebssäfte. Ist es doch bekannt, dass — wenigstens ausserhalb des Thierkörpers — eine keihe orga- nischer Stoffe, so die Zuckerarten, ferner Brenzeatechin, Pyrogallol, Gallus- säure u. a. m. bei Gegenwart von Alkali leichter als sonst oxydirt werden, und hat doch erst jüngst Radziszewski? gezeigt, dass schwerer oxydirbare Stoffe, wie Benzol und Toluol, mit Natriumhydroxid versetzt, schon beim Schütteln mit Luft zu Phenol, bez. Benzoösäure oxydirt werden. Zur Prüfung der Vermuthung, ob nicht die starke Alkalescenz der Gewebssäfte bei den Herbivoren die Oxy- dationen befördert, wurde eine Versuchsreihe in der Weise angestellt, dass durch Verfütterung einer bestimmten Menge einer anorganischen Säure neben dem Normalfutter die Alkalescenz der Gewebssäfte so weit herabgesetzt wurde, dass es beim Pferde, gleichwie beim Carnivoren normal, zur Ausscheidung eines sauren Harns kam. Dann wurde neben der Salzsäure noch Phenol gereicht, weiterhin die Salzsäure fortgelassen, so dass wieder ein alkalischer Harn, wie in der Norm, entleert wurde, und nun die gleiche Gabe von Phenol verfüttert. Auch hier mögen die erhaltenen Werthe in tabellarischer Anordnung vorgeführt werden. Darum. Verfüttert. Harnmenge Tribrom- |Gesammt-Phenol in Litern. |phenol in Proe. im Harn. 26.1. 2.56 | 0.484 3.244 27. 12124 Dtexe) I DeTzE 5.969 28. 5er Salzsäure. |. 2.9577 02647 5.421 29. \ 5 29 0 4.714 all. h 5 | 2.85 0.494 3-998 ı Von 0-04srm Phenol pro Kilogramm Hund, der höchsten Gabe, die Auerbach (a.a.0.) ohne Störung des Versuches verfüttern konnte, erschienen 58 Procent im Harn wieder. 408rm Phenol entsprechen bei unserem Versuchspferde etwa 0-12sm pro Kilo- sramm Thier. ” Annalen der Chemie und Pharmacie. 1880. Bd. CC. ® Die ebenfalls in Latwergenform verfütterte Salzsäure vom spec. Gew. 1-124 enthielt 30 Procent HCl. 464 VERHANDLUNGEN DER BERLINER | | Dann: Verfüttert. Harnmenge | Tribrom- ‚Gesammt-Phenol in Litern. phenolinProe) im Harn. 1... |. 50808salzsäure | 2.792 220-1620 2 Taaım ei I Aenn 0-363 ı 4-691 3. : : |. 2-89 0646 5-302 4. 758m HC] + 40°" Phenol.) 7-7 1-19, 262093 5. | 758% Hol. I Mg 0-485 6-749 6. | | 4.706 0:308 4-118 8. | | -5-018 0.288 rate Oh | 3.282 0A EN 10. Br 0-544 | 4-65 tale 2.855 | 0-63 5024 12. | 3.726 | 0-50 5-391 1a 40 SR Phenol. Mo oe 13-154 Kue es Ang 14-898 15. | Is oa 032 4409 16. | 5207er | 20 6-18 lu. 2.275 |. 0-536 3.458 18. 32727008636 4-89 Es wurde demnach ausgeschieden bei alleiniger Zufuhr von Säure (und Entleerung sauren Harns) im Mittel 4°634®"” Phenol pro Tag; bei gleichzeitiger Einverleibung von 40°” Phenol gelangten an den beiden unter dem Einfluss dieser Fütterung stehenden Tagen (4. und 5. II.) zur Ausfuhr 32.771 oder mehr 23.504 °"” Phenol = 58:8 Procent von dem verabreichten Quantum. Nach Fortlassung der Säure entleerte das Pferd im Mittel von 4 Tagen (9. bis 12. II.) 4:878®"% Phenol und nach Darreichung von 40®”% Phenol an zwei Tagen im Ganzen 28.052 oder 18-296 ®”% Phenol mehr als in der Norm — 45.8 Procent von der eingeführten Menge. Diese Versuchsreihe ergiebt somit mit aller Schärfe die Abnahme der In- bez. Extensität der Oxydationen infolge von Herabsetzung der Alkalescenz der Gewebe. Wird beim Herbivoren durch Zufuhr anorganischer Säuren die Alkalescenz des Blutes und der Gewebe so weit herabgedrückt, dass es, wie beim Carnivoren, zur Ausscheidung sauren Harms kommt, so wird vom eingeführten Phenol kaum ®?/, so viel oxydirt, als sonst im der Norm. Daraus lässt sich indireet erschliessen, dass, beim Pferde wenigstens und vermuthlich bei den Herbivoren überhaupt, die Grösse der Oxydationsprocesse befördert wird durch die starke Alkalescenz ihrer Gewebssäfte. Dem gegenüber hat A. Auerbach! durch einwurfsfreie Versuche am Hunde sefunden, dass Zufuhr von Alkalien und dadurch bedingte Steigerung der Alka- lescenz des Blutes die Oxydation des Phenols herabsetzt. Somit besteht in Bezug auf die Bedingungen der Oxydation des Phenols eine principielle Verschiedenheit zwi- schen Hund und Pferd, und vermuthlich auch allgemeiner zwischen Carni- und Her- bivoren. Und diese Erfahrung schliesst sich einer Reihe anderer an, welche die Verschiedenheit des Ablaufes der chemischen Processe bei den Carni- und Herbi- voren zeigen. So wird, um nur einige Beispiele anzuführen, beim Kaninchen vom in den Magen eingeführten 'Taurin der grösste Theil gespalten und m 14.20.89. 232 £. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. — H. KRONECKER. 465 Unterschwefelsäure und Schwefelsäure umgewandelt, während beim Menschen ein grosser Theil, beim Hund ein kleiner Antheil zu Taurocarbaminsäure wird (E. Salkowski). Anorganische Säuren binden beim Herbivoren fixe Alkalien: Kali, Natron (Salkowski), beim Carnivoren Ammoniak (Walter). Bei den Carnivoren sind nach den Versuchen von Schmiedeberg und Bunge die Nieren als die ausschliesslichen Bildungsstätten der Hippursäure (aus einge- führtem benzoösaurem Salz und Glycocoll) anzusehen, während nach W. Sa- lomon beim Kaninchen auch die Muskeln und die Leber im Stande sind, Hippursäure aus Benzoösäure und Glycocoll zu bilden. Mit Recht hat daher wohl Salkowski! zuerst mit Nachdruck darauf hingewiesen: wie wenig die geläufige Verallgemeinerung ‚Verhalten im Organismus“ nach Versuchen an einer Thierspecies berechtigt ist. Das verschiedene Verhalten von Hund und Pferd in Bezug auf die Zersetzung des Phenols fügt zu unseren Kennt- nissen in dieser Hinsicht eine neue bemerkenswerthe Erfahrung hinzu. Wenn nun bei den Herbivoren durch Verminderung, bei den Carnivoren dagegen durch Steigerung der Alkalescenz des Blutes und der Gewebe die Oxy- dationsgrösse herabgesetzt wird, so leuchtet ein, wie vortheilhaft sich für den Ablauf einer möglichst umfänglichen Oxydation die normale, bei den Herbivoren starke, bei den Carnivoren viel schwächere Alkalescenz des Blutes und der Ge- webe erweisen muss. 2. Hr. H. KrRoNEcKER theilte die Ergebnisse von Versuchen mit, die Hr. S. Meutzer mit ihm „Ueber den Schluckact und die Rolle der Kardia bei demselben“ angestellt hat. Im Anschluss an die in diesen Verhandlungen (30. Juli 1880) mitge- theilten Versuche, durch welche nachgewiesen worden war, dass beim normalen Schlucken die Massen durch den Oesophagus in den Magen gespritzt werden, bevor noch die Peristaltik sich geltend machen kann, haben wir die Resultate aus ferneren Experimenten, welche in den Monatsberichten der Berliner Aka- demie vom 24. Januar d. J. mitgetheilt worden sind, in folgenden Sätzen zu- sammengestellt. I. Jeder Anfangsschluckaet regt nicht nur die dazu gehörige Oesophagus- contraction an, sondern hemmt zugleich die zuvor etwa ausgelösten aber noch nicht manifesten Contractionen eines voraufgegangenen Schluckactes. II. Der zweite motorische Reiz wird erst wirksam, wenn die dem ersten folgende Bewegung vorüber ist. III. Wenn der gesammte Glossopharyngeus erregt wird, so kommt keine Schluckbewegung zu Stande. Zu bemerken ist, dass wir beim Kaninchen die hemmende Wirkung des gereizten Glossopharyngeus auf den ersten Schluckact nicht wie beim Hunde haben constatiren können. IV. Wenn Pharyngealäste des Glossopharyngeus einzeln gereizt werden, so machen sich die Hemmungserscheinungen in dem Hals- oder im Brusttheile des Oesophagus geltend. Auch dieses Resultat ist durch Versuche an Hunden ge- wonnen. V. Wenn der N. glossopharyngeus durchschnitten ist, so geräth der Oeso- phagus in tonischen Krampf, welcher mehr als einen Tag lang andauern kann. ! Virchow’s Archiv. 1872: Bd. LVIL. S8. 33. Archiv f. A, u. Ph. 1831. Physiol. Abthlg. 30 466 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Beim Kaninchen ist es nicht schwer, die Hemmungswirkung des N. glosso- pharyngeus auf den Ablauf der Schluckacte in folgender Art zu zeigen. Wenn man durch elektrische Reizung der Nervi laryngei superiores eine Schluckbewe- gung ausgelöst hat, so sieht man an dem freigelesten Halstheile des Oesophagus, etwa 1” nach der Hebung des Kehlkopfes, die (bei den Nagern schnelle) Oeso- phaguscontraction ablaufen. Wenn man nun sogleich nach der Kehlkopfhebung, welche den ersten Act markirt, die Nn. glossopharyngei kurze Zeit tetanisirt, so bleibt die Oesophaguscontraction aus. Durch diese kurz angedeuteten Beobachtungen waren die bewegenden und hemmenden Innervationen im. Bereiche des Oesophagus nachgewiesen. Es fehlte aber zum vollständigen Verständnisse der Beförderungsart des Schluckes vom Munde bis zum Magen die Beobachtung der Kardia während des Schluckvorganges. Während im Ruhezustande die Kardia den Magen vom Oesophagus ab- schliesst, so dass beim Kaninchen aus dem Magen, auch wenn er prall gefüllt ist, Nichts in den Oesophagus übertritt, sieht man zugleich mit dem Anfange des Schluckens die Contractionen der Kardia sich lösen, so dass dem hinabgeschleu- derten Schluck kein Widerstand entgegengesetzt wird. Dieser (passiven) Erwei- terung folgt etwa nach 2” eine kräftige Contraction der Kardia, so dass diese nach dem Magen hineingezogen wird. Diese Einschnürung bleibt aus, so lange fernere Schlucke in der Periode der latenten Reizung ausgelöst werden; erst dem letzten Schluckacte folgt die peristaltisch ablaufende Einschnürung. In diesem Falle erweitert sich die Kardia immer beträchtlicher, und schnürt sich schliesslich kräftiger als nach einzelnen Schlucken ab. Die Erweiterung ist nicht etwa aus dem Eindringen der im Oesophagus fortgeschobenen Massen zu erklären; denn sie tritt ebenso, wie die Verenge- rung auch ein, wenn der Oesophagus durch eine Ligatur undurchgängig ge- macht oder durchtrennt- worden ist. Hierdurch ist zugleich die Beobachtung von Mosso bestätigt, dass am Oesophagus die Schluckbewegungen in gesetz- mässiger Folge ablaufen, auch wenn der Oesophagus in seiner Continuität ganz getrennt ist. Die Hemmung während wiederholter Schluckaete hörte auf, wenn die Nn. slossopharyngei durchtrennt waren; es folgten dann den wiederholten Schlucken ungehindert wiederholte Einschnürungen der Kardia. Abgesehen von diesen Bewegungen der Kardia, in Folge von Einwirkungen spinaler Nervencentren, beobachtet man an denselben selbständige Contractionen gleich nach dem Tode oder bei sehr geschwächten Thieren, sowie einige Mi- nuten nach dem Schlucken. Diese Bewegungen blieben aus, wenn die Vagi durchtrennt waren. Häufig blieb auch nach Durchschneidung der Nn. glossopharyngei die Kardia dauernd contrahirt. An diese Mittheilung schlossen die Vff. eine Demonstration der erwähnten Erscheinungen an einem Kaninchen. 3. Am 1. Juli 1881 hielt Hr. Gnauck einen Vortrag: „Ueber die Un- terschiede der Wirkungen des Hyoscyamins und des Atropins“, über den der Bericht hier folgt. Zur Ausführung der Versuche über das Hyoscyamin, welche ich unter Leitung des Hrn. Prof. H. Kronecker im physiologischen Institute der hiesigen Universität angestellt habe, wurde ich durch den Umstand veranlasst, dass die PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. KRONECKER. — GNAUCK. 467 Angaben über die physiologische Wirkung des Hyoscyamins auf Thiere nicht mit den Thatsachen übereinstimmten, welche die Beobachtungen am Menschen bei der Anwendung des Mittels ergaben. Dem Hyoscyamin werden gewöhnlich die gleichen Wirkungen zugeschrieben wie dem Atropin; eine Ansicht, welche neuerdings noch eine Stütze gewann, als Ladenburg nachwies, dass die beiden Körper isomer seien und dass durch Vertauschung der betreffenden Spaltungsproducte das eine in das andere verwandelt werden könne. Abgesehen davon, dass das isomere Verhalten auch sonst bei an sich ganz verschiedenartigen Stoffen beobachtet wird, z. B. bei Lupulin und Colchiein, so ist es sehr denkbar, dass eine verschieden lockere Bindungsweise physiologische Verschiedenheiten bedingt. Für solche Anschauung spricht auch, dass nur einige Unterschiede zwischen Atropin und Hyoscyamin mehr qualitativer Natur sind, während in vielen Beziehungen nur verschiedene Intensität der Wirkung beobachtet wird. Um die dem Hyoseyamin eigenthümlichen Wirkungen zuerst im Allgemeinen festzustellen, machte ich zahlreiche Versuche am gesunden Menschen; und zwar injieirte ich subcutane Lösungen des krystallinischen Präparates von Merck. Diese Versuche ergaben eine kurze Zeit dauernde Verlangsamung des Pulses, welche bei hohen Dosen auch bisweilen ausblieb; dann eine Pulsbeschleunigung, und endlich Rückkehr zur normalen Pulzfrequenz. Diese Erscheinungen waren gewöhnlich während einer Stunde, manchmal auch erst während der doppelten Zeit abgelaufen. Der Atropinwirkung entsprechend war auch eine geringe Vermehrung der Respirationsthätigkeit; Durst, Trockenheit mit kratzendem Gefühl im Halse, Heiserkeit, Erweiterung der Pupillen, unklares Sehen, auch Doppelsehen; leich- ter Schwindel, Kopfdruck, schwankender Gang. Nach Dosen von Hyoscyamin, welche Vergiftungserscheinungen hervorbrachten, traten Delirien auf, ganz ähnlich denjenigen bei Atropinvergiftung. In das Auge geträufeltes Hyoscyamin wirkt bekanntlich dem Atropin voll- ständig gleich. Die Unterschiede der Wirkung des Hyoscyamins von denjenigen des Atro- pins machen sich geltend: 1. bezüglich der erforderlichen Dosis, 2. bezüglich der Einschläferung, 3. im Verhalten der Pupillen nach den Injectionen. Was zuerst die Dosis betrifft, so kann dieselbe bei Hyoscyamin viel höher senommen werden als bei Atropin. Während bekanntlich Atropin 0-003 schon heftige Vergiftungserscheinungen hervorzurufen pflegt, bewirkt Hyoscyamin 0.003 nichts dergleichen, und nur geringes Gefühl von Trockenheit und Durst und höchstens leichten Kopfdruck. Selbst Hyoscyamin 0-01 ist für gewöhnlich noch keine Vergiftungsdosis, während eine solche von Atropin bedrohliche Symptome hervorruft. Der zweite auffallende Effect, der dem Hyoscyamin abweichend vom Atropin zukommt, ist der Schlaf, welcher .nach der subeutanen Injection von Hyoseyamin eintritt. Dieser normale Schlaf hat keine Aehnlichkeit mit dem Coma nach starker Vergiftung durch Atropn. Nach Einnahme von Hyoscyamin macht sich zu der Zeit, in welcher die Pulszahl die grösste Höhe erreicht hat — manchmal auch noch ein wenig vorher — Müdigkeit geltend; dieser folgt während des Abfallens 30* 468 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Pulszahl Schlaf. Bisweilen bleibt es bei der Müdigkeit; tritt aber der Schlaf ein, so dauert er gewöhnlich Stunden lang, unterscheidet sich m Nichts vom gewöhnlichen Schlafe und ist meistentheils ruhig und tief (s. Fig. 1). aniider | schlaften : 40° 45 50 515 60 _6ß a ; schlai e Fig. 1. Versuche mit dem Mosso’schen Plethysmographen, in der von Kronecker ange- sebenen Modification! (ein Hohlwürfel mit Schwimmer anstatt des Reagensglases im Bade) bestätigten dies. Sie ergaben beim Schlaf in Folge von Hyoscyamin dasselbe Resultat, welches Mosso beim normalen Schlafe gefunden hat: eine Er- weiterung der Gefässe im Arme; beim Erwachen aber sofort eine Verengerung. Die erweiterten Pupillen verengern sich im Hyoscyamin-Schlaf deutlich, wie während des normalen Schlafes, reagiren ferner immer ganz deutlich auf Licht, auch bei maximaler Erweiterung; endlich fehlt häufig die Accommodationslähmung. Indessen wird angegeben, dass die letztere auch nach Injeetionen von Atropin bis- weilen ausbleibe. Nach diesen Vorversuchen am gesunden Menschen untersuchten wir nun am Thiere die verschiedenen Wirkungen des Hyoseyamins, und zwar lösten wir dasselbe immer in 0-6°/, Kochsalzlösung; zugleich verglichen wir es, wo dies nöthig erschien, mit Atropin. Zuerst wollten wir uns vergewissern, ob das Hyoscyamin in grossen Dosen tödte. Zu diesem Zwecke spritzten wir einem mittelgrossen Hunde nach und nach 0-18 des Giftes ein, sahen aber dabei nur ein vorübergehendes Sinken des Blutdruckes; 2°0 Chloral, welches wir nun injieirten, tödtete -das Thier ziemlich schnell. In Bezug auf den Blutdruck schien daher nach grossen Dosen die Wirkung des Hyoscyamins derjenigen des Atropins ähnlich zu sein. Auch vom Atropin vertrug ein Hund die gleiche Dosis ohne zu sterben. Es ist demnach auch dies Gift keineswegs so lebensgefährlich, als man gewöhnlich annimmt. Die Wirkung des Hyoscyamins auf Kaninchen und Frösche betreffend, so beschleunigten Dosen von 0-.005—0.01 den Puls um 40 bis 80 Schläge, die Respiration um 20 bis 50 in 1 Min.; es scheinen die Thiere ruhiger und apathischer zu werden. An enthirnten Fröschen, denen wir sowohl subeutan als auch in die Bauchvene die Injectionen machten, zeigte sich, auch nach grossen Dosen Hyoseyamin bis zu 0 - 05, nur anfänglich eine ganz geringe Beschleunigung der Schläge ' H. Kronecker, Apparate für Physiologie im Bericht über die wissenschaft- lichen Apparate auf der Londoner internationalen Ausstellung im Jahre 15876. Braun- schweig, Vieweg & Sohn. 1881. 8. 609. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GNAUCK. 469 des blossgelegten Herzens, dann sehr bald eine allmähliche Verlangsamung des Herzschlages. Atropin ergab dasselbe, nur sank schliesslich die Zahl der Herz- schläge auffallend tiefer als beim Hyoscyamin. Wir beobachteten nun das Herz am Ludwig’schen, von Kronecker ver- besserten Froschherzmanometer. Wir leiteten durch das ausgeschnittene Frosch- herz bald nur mit Kochsalzlösung verdünntes Kaninchenblut, bald mit Hyoscyamin versetztes (0.002—0.02 auf 10°® Blut), Wenn man von kleinen Dosen zu höheren stieg, so blieb die Zahl der Herzcontractionen die gleiche, aber die Aussiebigkeit derselben nahm ab und zwar begann dies ungefähr bei der Con- centration von 0-005 Hyoscyamin auf 10 bis 15 Blut. Das dazwischen durchgelei- tete unvergiftete Blut machte im Anfang die Herzcontractionen wohl wieder energischer, später aber nicht mehr. Auch Versuche, bei denen wir sogleich mit grossen Dosen des Giftes ver- mischtes Kaninchenblut durch das Froschherz leiteten, ergaben nur eine geringe Vermehrung der Herzcontractionen, welche nicht einmal constant blieb und gleich- falls mit Abnahme der Contractionshöhe verbunden war. Die Wirkung des Hyoscyamins auf den Herzmuskel war also eine der Atropinwirkung ähnliche. Besonders lehrreich war die Wirkung unseres Giftes auf das Kaninchenherz. Wir injieirten dasselbe in die Jugularvene, unterbanden die am Halse frei prä- parirten Vagi und legten um das periphere Ende derselben zur elektrischen Rei- zung die Ludwig-Basch’schen Elektroden. Zur Reizung benutzten wir das durch ein Daniell’sches Element getriebene du Bois-Reymond’sche Schlitten- inductorium. Zuvörderst stellte sich auch bei dieser Gelegenheit heraus, dass die enorme Dosis von 0:16 ®°" Hyoscyamin in das Herz injieirt ein Kaninchen nicht tödtet. Schon bei diesem Versuche, aber noch deutlicher bei einem zweiten mit kleineren Dosen (0:14 Hyoscyamin) stellte sich heraus, dass zwar Anfangs die Reizung der unterbundenen Vagi keine Verlangsamung der Herzschläge ergab, dass aber schon nach 6 Minuten die Vagusreize wirksam werden. Die vagus- lähmende Wirkung des Hyoscyamins ist also sehr vorübergehend. Die Intensität des reizenden Inductionsstromes prüften wir mittels des ein- seschalteten 'Telephons, welches empfindlicher ist als der stromprüfende Frosch- schenkel. (Donders, A. Hartmann u. Kronecker, Hermann u. A.) Zum Vergleiche machten wir denselben Versuch mit Atropin und fanden, dass auch bei diesem Gifte die im Anfange vollständige Lähmung der Vagus- enden ebenfalls wieder abnahm, wenn auch erst nach 16 Minuten. Da dieser Befund auffallend war, so prüften wir verschiedene Präparate von Atropin, besonders das Atropinum germanicum und das Atropinum anglicum; indessen der Erfolg änderte sich nicht. Wir blieben nun bei dem Atropinum anglicum und injieirten dieses ab- wechselnd mit Hyoscyamin demselben Thiere. Der Erfolg war auch hier der- selbe: beide Gifte lähmten die Vagusenden sofort, aber bei beiden begann diese Wirkung auf den Vagus nach einigen Minuten wieder nachzulassen. Dieser Nachlass der Wirkung trat nur beim Hyoscyamin schneller als beim Atropin ein. Fig. 2 illustrirt solchen Versuch.. Die eingetragenen Bemerkungen ge- nügen wohl zur Erklärung der Curve. Die letzten Versuche, welche wir anstellten, betrafen eine Vergleichung der Temperatur von Bauchwand und Rectum beim Kaninchen nach der Injection von Hyoscyamin. 470 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Lamb hat nämlich durch eine unter Kronecker’s Leitung angestellte, noch nicht veröffentlichte Versuchsreihe nachgewiesen, dass, wenn man ein (be- sonders dazu construirtes) Hautthermometer unter den Bauchdecken an einer bestimmten Stelle einnäht, man auf diese Weise die Weite der Darmgefässgebiete getrennt beobachten und den hiervon abhängigen Blutdruck schätzen kann, Man kann nämlich durch das Steigen oder Sinken der Temperatur eine Erwei- Pulszahl während 5 . Hyose. 0'01 Atrop. 0:01 Hyose. 0:01 A. 001 H. 0:01 A. 0:01 grm. 24 22cm. TERN RT ö EEE NIT, 93 Fig. 2. Die * bezeichnen die Momente, von wo tetanisirende Reize eines Schlitteninduc- toriums 5’ lang die Vagi reizten. Die Rollenabstände sind entsprechend den Zeiten des Wechsels unter der Figur notirt. Die Pulsfrequenzen während der Reizung und der Pausen (von je 2) sind durch die Höhen der Ordinaten bezeichnet, deren Werthe an der linken Anfangsordinate in der Pulszahl während 5’ notirt sind. terung oder Verengerung der Gefässe des Leibes erkennen. Anfangs pflegt die Temperatur im Rectum höher zu sein als die Bauchtemperatur. Lamb hat nun nachgewiesen, dass nach Morphium und Chloral der Stand der beiden Tempe- raturen sich für eimige Zeit ändert, und zwar so, dass die Bauchtemperatur steigt, die im Rectum fällt, so dass sich die Temperaturcurven schneiden. Temp. Hyosc. 0°01 Atrop. 0:01 Hyosc. 0°01 Atrop. 0:01 Hyose. 001 grm. Min 5 10° 15° 20‘ 25° 30° 35° 40‘ 45° 50° 55° Fig. 3. Diese Versuche wiederholten wir mit Hyoscyamin und fanden, dass auch nach Injection dieses Giftes die beiden Temperaturcurven sich nach einigen Minuten kreuzten, dass also die Bauchtemperatur stieg und die Rectumtemperatur fiel. Dieses Verhältniss der beiden Temperaturen hielt 12—15 Minuten an, wobei die Bauchtemperatur 3—7 Minuten lang stieg und dann allmählich wieder fiel, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GNAUCK. — .J. SANDER. 471 bis eine neue Kreuzung der Curven das alte Verhältniss der Temperaturen wieder hergestellt zeigte. Die Zeitdauer zwischen den beiden Kreuzungen ent- spricht aber ungefähr der Dauer der Nu nun, welche das Hyoscyamin zu bewirken pflegt. Als wir nun die gleichen Versuche mit Atropin anstellten, ergab es sich, dass das Atropin lange Zeit keine Kreuzung der beiden Temperaturen des Rec- tums und des Bauches herbeizuführen vermochte. Die 'Temperaturcurven Fig. 3 zeigen dies Verhältniss deutlich. Die starke Linie bezeichnet den Gang der Temperatur im Rectum, die feine den Gang der Temperatur in den Blutgefässen des Dünndarms unter der thermometrirten Stelle. Diese Untersuchungen haben also Folgendes ergeben: Hyoscyamin und Atropin stimmen überein: 1. In ihrer Wirkung auf den Herzmuskel. 2. In ihrer lähmenden Wirkung auf die Vagusenden im Herzen. Hyoseyamin und Atropin unterscheiden sich: 1. In der Dauer ihrer vaguslähmenden Wirkung, indem diejenige des Atro- pins länger anhält als diejenige des Hyoscyamins. 2. In ihrer Wirkung auf das Gefässsystem, indem Hyoscyamin vorüber- sehend die Bauchgefässe erweitert, Atropin aber nicht. Erinnern wir uns der am Menschen gewonnenen Resultate, so sehen wir, dass dieselben in Einklang stehen mit diesen specifischen Wirkungen des Hyos- cyamins. Auch dort fanden wir schon, dass eine gleiche Dosis Hyoscyamin eine geringere und vorübergehendere Wirkung hatte als eine solche von Atropin. Ferner stimmt die Erweiterung der Bauchgefässe nach Hyoscyamin mit den plethysmographischen Versuchen überein, welche nach subeutanen Injeetionen des Giftes eine Erweiterung der Gefässe des Vorderarmes darthaten. Bemerkens- werther Weise geschah diese letztere während‘ des Schlafes. In wie weit nun vielleicht diese letzteren Erscheinungen zum Schlaf, den Mosso’schen Anschauungen gemäss, in Beziehung zu setzen sind, das zu be- stimmen, muss einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. XVII. Sitzung am 29. Juli 1881.' 1. Hr. J. Sanper hielt einen Vortrag: „Ueber die Bestimmung der eirculirenden Blutmenge im lebenden Thiere“ nach Versuchen, welche er unter Mithülfe von Hrn. H. KroNEcKER im physiologischen Institute der Universität angestellt hat. Vor längerer Zeit habe ich in der Charite-Gesellschaft eine in die Klinische Wochenschrift übergegangene Mittheilung von Transfusionsversuchen mit anorga- nischem künstlichen Serum (@aule’sche Flüssigkeit 0 °6°/,ClNa +0 005°/, NaOH) gemacht, wodurch gezeigt wurde, dass Thiere, denen mehr als die Hälfte ihres Blutes entzogen war, am Leben erhalten werden konnten, wenn man das ent- zogene Blut durch anorganische unschädliche Flüssigkeit ersetzt. Um zu prüfen, ob diese Flüssigkeit das Blut, zu dem sie gefügt war, unverändert liess, haben wir das Blut der geretteten Thiere an verschiedenen Tagen nach der Trans- fusion auf seinen Farbstoffgehalt geprüft, und gefunden, dass derselbe am zweiten ! Ausgegeben am 17. August 1881. A712 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Tage geringer war als am ersten. Um zu sehen, ob die Gaule’sche Flüssig- keit die Blutkörperchen löst, bewahrte ich nach dem Verfahren von Malassez- Hayem gemessene Proben in Gaule’scher Flüssigkeit auf und fand, dass sie sich darin weniger gut hielten, als in reiner Kochsalzlösung. Da wir aber nach den Gaule’schen Erfahrungen (am Froschherzen) die alkalische Kochsalzlösung für ein Nährmittel hielten, so suchten wir das lösende Alkalı durch Bindung von Eiweiss unschädlich zu machen. Wir bereiteten Syntoninlösungen. Aber diese waren bei dem Natronüberschuss, der nothwendig war, um den Neutrali- sationsniederschlag in Lösung zu halten, für Blutkörperchen ebenfalls schädlich. Nachdem nun die neuen Erfahrungen, welche Hr. Dr. Martius am Frosch- herzen gemacht, zur Evidenz bewiesen hatten, dass die Gaule’sche Lösung kein besseres Nährmittel als CINa-Lösung und dass auch Syntonin, eben so wenig wie das Pepton, das Serum zu ersetzen vermag, so kehrten wir zur Injection von Kochsalzlösungen zurück und versuchten nunmehr mit Hülfe dieser blutschonenden Flüssigkeit die Aufgabe zu lösen, die Blutmenge im lebenden Thiere zu be- stimmen. Jetzt war ja die Hoffnung gegeben, dass die im Principe ganz gute Valentin’sche Mischungsmethode zur Bestimmung der Blutmenge angewendet werden konnte. Valentin’s Methode (1838) besteht darin, dass man einem Thiere eine semessene Menge Blut entzieht, den Procentgehalt desselben an festen Stoffen bestimmt, eine gewogene Menge destillirten Wassers einspritzt und hierauf im Blute eines zweiten Aderlasses wiederum die festen Stoffe bestimmt. Hieraus lässt sich bei vollkommener Mischung aus dem Verdünnungsgrad der Blutgehalt des 'Thieres bestimmen nach der Gleichung x = - + a, worm x = Gesammt- blut, « = erste Aderlassmenge, 5 —= feste Rückstandmenge, e = injicirte Wasser- menge, d = schliessliche feste Rückstände. Diese Methode giebt, wie Veit (1848) ausführlich gezeigt hat, viel zu grosse Werthe, unter Umständen mehr Blut als der Hund im Ganzen wiegt. Dies kann dadurch geschehen, dass Wasser aus dem Gefässsystem in die (rewebe tritt, bevor man die zweite Probe entnimmt. Daher ist diese Methode durch die Welcker’sche verdrängt worden, bei welcher man den Farbstoffzehalt einer Probe des normalen Blutes vergleicht mit dem eines in bekanntem Verhältnisse verdünnten Wasserextractes des gesammten zerkleinerten Thieres. (Heidenhain, Panum, Spiegelberg, Gscheidlen.) Die Preyer’sche Methode, wobei lediglich aus der vergleichenden Spectral- analyse die Farbstoffmenge des normalen Blutes und der zum Ausspülen des Gefässsystems des Thieres verwandten Wassermasse die Blutmenge bestimmt werden soll, ist deshalb fehlerhaft, weil es unmöglich ist, das gesammte Gefässsystem blutfrei zu spülen. Besonders im Pfortadersysteme halten sich immer Blutreste. Man konnte aber hoffen, nach Valentin’s Methode die Blutmenge im Thiere zu bestimmen, wenn man mit einer unschädlichen und im Gefässsystem beherbergten Flüssigkeit das Blut verdünnt. Solche Versuche haben wir in grosser Zahl an Hunden angestellt, und im einigen Fällen die Resultate mit dem durch Welcker’sche Bestimmung gewonnenen verglichen. Die Ergebnisse stimmten weder untereinander, noch mit dem Welcker’schen. Diese letzteren gaben ziemlich genau die präsumptive Blutmenge (!/,, des Hundegewichts) an; unsere Werthe lagen meist darunter; zuweilen aber auch darüber. Die Werthe schwankten bei einem und demselben Thiere, an welchem hintereinander ver- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — J. SANDER. 473 schiedene Aderlasse und Blutverdünnungs- Transfusionen gemacht wurden, in er- heblichem Maasse. So fanden wir z, B, an einem Hunde von 4450®"" Gewicht, dessen Blutmenge präsumptiv 297°” betrug, nach Welcker’scher Methode nach- träglich auf 272°” bestimmt wurde, mittels der Mischungsmethode folgende Werthe: Zahl der Blut- Quantität Zahl Berechnete körperchen auf der der Blutmenge. Aderlass. der Flächeneinheit. Transfusion. Blutkörperchen. 1, 25085 SON 35.8 10 24.0 Hier war also 153°" zu viel Blut gefunden. 1. ET 100 24.0 100 14-5 Hier waren 57°" zu wenig. Il, So 100 14-5 100 1lılaal Hier waren 36°” zu viel. Ebenso ergaben colorimetrische Bestimmungen mit Hülfe des Hüfner’- schen Polarisations-Spectroskops wechselnde Werthe. Z. B. ein Hund von 95810 °"" Gewicht mit 654®”® präsumptiver Blutmenge hatte anfänglich Blut, zu dessen 20 fach verdünnter Probe (5 °°®) die gleiche Menge (5 °°") Wasser zugesetzt werden musste, damit die gewünschte Verdunkelung an der Curve erreicht war. Nachdem diesem Hunde ein Aderlass von 200° ® semacht und dieselbe Menge Koch- salzlösung injieirt war, genügten 3:5°®, um die 5° w Blutlösung auf den glei- chen Concentrationsgrad wie oben zu bringen; nach nochmaligem Aderlass von 200°W@ und Ersatz durch 200°" Salzlösung brauchten wir nur noch 2-25 zum Verdimnen. Aus diesen Daten berechneten sich die zwei Blutmengen : 666 also zu viel 12°, und 609 also zu wenig 45. In anderen Fällen waren die Differenzen viel grösser. Da wir nun bei den Sectionen ‘weder Extravasate, noch Oedeme fanden, also weder Blut, noch Salzlösung in erheblicher Menge das Gefässsystem ver- lassen hatte, so ergiebt sich unmittelbar, dass nicht eme Mischung der gesammten eingespritzten Kochsalzlösung mit dem gesammten Blute erfolgt, sondern dass nur die circulirende Kochsalzlösung mit dem circulirenden Blute sich ver- mischt und wir durch Aderlässe aus dem Aortensysteme Auskunft erhalten über das Verhältniss der dort sich mischenden Flüssigkeiten. Somit war ein Mittel gegeben, die Quantität des ceirculirenden Blutes im lebenden Thiere zu schätzen. Da nun nach Worm Müller das Befinden der Individuen nicht abhängig ist von ihrer Gesammtblutmenge, sondern von der Menge des eirculirenden Blutes, so ist die Wichtigkeit dieser physiologischen Bestimmung klar. Während die bisherigen Methoden, die Blutfülle in gewissen Gefässgebieten zu messen durch Manometer, Hämotachometer, Plethysmographen, Blutuhr, nur Verhältnisszahlen liefern konnten, würden jetzt absolute Werthe zu bestimmen sein. Wenn man der Einfachheit halber als Nebenweg des Aortensystems nur das Pfortadersystem in Betracht zieht, so hat man sich vorzustellen, dass in diesem Reservoir die nicht in der Haupteirculation befindliche Blutmenge nahezu Stagnirt. Wenn nun der Zufluss vom Aortensysteme zu diesem See abgesperrt ist, so wird die Mischung der zugesetzten Salzlösung nur im Aortensysteme statt- 474 VERHANDLUNGEN U. S. w. — J. SANDER. — MAarTIDS. finden; wenn hingegen das Pfortadersystem in das Aortensystem seinen Inhalt entleert, so wird die Mischung mit dem gesammten Blute stattfinden können. Wenn schliesslich während des Einfliessens der Salzlösung die Zuflüsse des Pfortadersystemes offen sind, so kann es geschehen, dass in dieses widerstands- lose Gebiet die Kochsalzlösung einfliesst, ohne sich wesentlich mit dem Blute des grossen Kreislaufs zu mischen. Dann wird die zur Farbprüfung entnommene Blutmenge nur wenig ver- dünnt erscheinen, also auf eine sehr grosse Blutmenge im Verhältniss zur ein- geführten Kochsalzlösung schliessen lassen. Dass diese Annahme begründet ist, dafür sprechen unzweideutig einige Experimente, in welchen nach Einspritzung der Kochsalzlösung das Blut gar nicht verdünnt erschien. Ja einige Male er- eignete sich der paradoxe Fall, dass nach der Transfusion von Kochsalzlösung durch die Carotis in die Aorta der Blutkörperchengehalt im Aortensysteme ver- mehrt war. Dies kann natürlich, da andere Fehler der Bestimmung (Ge- rinnung u. s. w.) hier nicht anzunehmen sind, nur so erklärt werden, dass durch die Kochsalzlösung aus Gebieten an Blutkörperchen reicheren Blutes in das an Blutkörperchen ärmere Aortensystem nicht unerhebliche Quantitäten ver- drängt worden sind. Die Annahme, dass im Pfortadersystem concentrirteres Blut sei, als im Aortensysteme, ist zwar nach den eingehenden v. Lesser’schen Versuchen für das normale Thier nicht zu machen, aber v. Lesser selbst hat gezeigt, dass nach grösseren Aderlässen, so wie auch nach Verblutung in das Pfortadersystem (Lähmung desselben) die Färbkraft des Blutes im Aorten- systeme abnimmt; hierdurch ist indirect bewiesen, dass sie im Pfortadersysteme zunimmt. Dies Verhalten haben wir in einem Falle direct zeigen können. In einem Falle ergab die Wägung des Hundes als präsumptive Blutmenge 166°», die Mischung des Blutes im Aortensysteme 128°", also 38° zu wenig. Eine zweite Mischung nach mechanischer Reizung und Durchschneidung des Rücken- marks ergab einen Werth von 156°®, Mit diesem Resultate stimmte ein an- derer Versuch mit elektrischer Reizung des Rückenmarks überein. — Vielleicht gelingt es der vervollkommneten Technik solcher Versuche die einzelnen Blut- bahnen gut zu isoliren und durch die Mischungsmethode auszumessen. 2. Hr. MaArrıvs las eine Arbeit: „Ueber die Erschöpfung und Er- nährung des Froschherzens‘“, welche die Darstellung von Versuchen enthält, die er unter Leitung von Hrn. H. KRONECKER im physiologischen Institute der Universität angestellt hat. Als wesentliches Ergebniss ist hervorzuheben: Es ist endgültig bewiesen, dass das Froschherz nicht von seinem eigenen Stoffe zehrt. Auch die alkalische Kochsalzlösung (Gaule) vermag, so wenig wie die neutrale, das Herz dauernd schlagfähig zu erhalten. Sie macht zwar letzte Blut- oder Serumreste aus den capil- laren Spalten des Ventrikels verwerthbar, welche die Kochsalzlösung nicht aus- zuschwemmen vermag; aber wenn alle flüssigen Nährstoffe entfernt sind, ver- halten sich alkalische und neutrale Kochsalzlösung ganz gleich. Ebenso macht- los sind dann auch Lösungen von Pepton, Casein, Eiereiweiss, Syntonin und Myosin, Mucin und Glykogen sowie auch Milch. Hingegen kann in allen Fällen Blut, Serum, oder Lymphe (aus dem Ductus thoraeicus) also serumalbumin- haltige Flüssigkeit die Leistungsfähigkeit des Herzens wieder herstellen. Das Serum behält auch diffundirt seine ernährende Fähigkeit. Die Bedeutung der Zwerchfellscontraetion für die respiratorischen Blutdruckschwankungen. Von Dr. Ludwig Schweinburg. Aus dem Laboratorium von Prof. v. Basch in Wien. (Hierzu Taf. VII—IX.) Bisher wurden die respiratorischen Blutdruckschwankungen des Men- schen, auf den sich ein grosser Theil meiner Versuche bezieht, nur mittels der sphygmographischen Methode bestimmt. Bei dieser Methode wird die Erhöhung und die Senkung des Blutdruckes nach der Erhebung, bez. dem Abfallen der Basallinie der Pulscurve gemessen, wobei auch noch gewisse Veränderungen in der Gestalt der einzelnen Pulse.in Betracht gezogen werden. Wie unsicher die hieraus gezogenen Schlüsse sind, zeigen schon folgende Aussagen von Forschern, die sich vielfach mit dieser Methode be- schäftigt haben. So empfiehlt Knoll! Vorsicht bei den kückschlüssen aus der Elevation bez. Senkung der Pulscurve und sagt: „Nur wo diese Rück- schlüsse durch Thatsachen unterstützt werden, welche das physiologische Experiment geliefert hat, halte ich dieselben überhaupt für statthaft.“ An einer anderen Stelle derselben Abhandlung bemerkt er: „Ich muss auf- merksam machen, wie unzulässig es erscheint, lediglich aus geringfügigen Veränderungen der ersten Elastieitätselevation oder der Rückstosselevation auf Steigerung oder Senkung des arteriellen Blutdruckes schliessen zu wollen.“ Im ähnlicher Weise äussert sich Zuntz?: „Am bedenklichsten scheint es mir, eine arterielle Drucksteigerung aus einer Elevation der Grundlinie der sphygmographischen Curve zu erschliessen, da eine solche ı Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. IX. 2 Pflüger’s Archiv u.s.w. 1878. Bd. XVII. 476 LUDWIG SCHWEINBURG: Erhebung ebensowohl durch Stauung im Capillar- und Venengebiete, welche das Volum der Extremität vermehrt, hervorgebracht werden kann.“ Rollet! betont, dass die Hebung der Pelotte des Sphygmographen keineswegs immer eine Erhöhung des Blutdruckes in der Arterie zur Ursache haben müsse und nennt „die Ausdeutung des Sphygmogramms die unsicherste aller Methoden.“ Auf dieser Unsicherheit mag es auch beruhen, dass die Ansichten über das Verhalten des Blutdruckes während der einzelnen Respirationsphasen so sehr auseinander gehen, dass einzelne Forscher (Klemensiewicz?, Knoll?, Schreiber‘) die respiratorischen Blutdrucksschwankungen des Menschen mit denen übereinstimmen lassen, die Einbrodt° am Thiere nachgewiesen hat, während andere (Marey®, Landois’ u. s. w.) das Ge- gentheil hiervon lehren. Da die von v. Basch® letzthin angegebene sphygmomanometrische Methode Blutdruckversuche am Menschen anzustellen eine viel sicherere ist als die sphygmographische, so schien es mir lohnend, die Frage von den respiratorischen Blutdruckschwankungen des Menschen, trotzdem die- selbe schon von so vielen Seiten behandelt wurde, nochmals in Angriff zu nehmen. Ueber die Versuche und Einzelheiten in deren Ausführung werde ich weiter unten berichten. Vorerst will ich die bisherigen Ansichten der Autoren über die Ent- stehung der respiratorischen Blutdruckschwankungen darlegen. Dieselben lassen sich (die allgemein verlassene Schiff’sche chemische Theorie will ich nur erwähnen) in folgender Weise zusammenfassen. I. Die Veränderungen des Blutdruckes sind bedingt durch die Ver- änderungen des intrathoracalen Druckes. Während der Inspiration wird der Blutdruck erniedrigt, während der Exspiration erhöht. Die Erniedrigung sollte durch Verminderung des intrathoracalen Druckes und dem vermehrten Abfliessen des Blutes aus den Arterien in die grossen Venen des Thorax erfolgen, die Erhöhung des Blutdruckes während der Exspiration durch die Einwirkung des vermehrten ! Physiologie des Blutes u. d. Blutbewegung. Hermann’s Handbuch. 1880. Bd. IV. ? Sitzungsberichte der K. Akademie der Wissenschaften. 1876. Bd. LXXIV Abth. III. > Jahrbuch für Natwrwissenschaft. „Lotos“. N. F. Bd. ]. * Archiv für experimentelle Pathologie. 1879. Bd. X, > Sitzungsberichte der K. Akademie der Wissenschaften. 1860. Bd. XL. 6 Physiologie medicale de la eirculation du sang. Paris 1863. " Die Lehre vom Arterienpuls. Berlin 1872. ® Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. 11. Heft 1. Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 477 intrathoracalen Druckes auf das Herz und die grossen Gefässe hervorge- rufen werden (Donders!, Ludwig?, Marey?). II. Die Veränderungen des Blutdruckes während der Respiration sind bedingt durch die beschleunigenden Kräfte, die die Bewegungen der Brust- wand ausüben, durch die verschiedene Füllung und veränderte Schlag- folge des Herzens. Im Anfang der Inspiration sinkt, im Verlaufe derselben und zu Beginn der Exspiration steigt der Blutdruck, um später neuerdings abzusinken. Das anfängliche Sinken im Inspirium beruht darauf, dass die auf dem Herzen und den grossen Gefässen lastende Spannung verringert ist. Das inspiratorische Steigen ist dadurch verursacht, dass in Folge der geringeren Spannung im Thoraxraume dem Herzen mehr Blut zuströmt und sofort für den Blutstrom nutzbar gemacht wird. Die reichlichere Füllung des Herzens bedingt auch die weitere maximale Steigerung des Blutdruckes zu Anfang der Exspiration; begünstigend wirkt hier zudem das Anwachsen des auf den Brusteingeweiden lastenden Druckes. Dieser Druck erschwert aber auch das genügende Nachströmen des Blutes nach den Venen, veranlasst hierdurch eine schwächere Füllung des Herzens und somit das schliessliche Absinken des Blutdruckes während der Exspiration (Einbrodt‘, Zuntz°). III. Die respiratorischen Schwankungen des Blutstromes sind bedingt durch Veränderung des Blutstromes der Lungen während der Vergrösserung und Verkleinerung derselben. _ Wir wollen hier nur auf jene Ansichten Rücksicht nehmen, die sich auf Bedingungen beziehen, wie sie der normalen (nicht künstlichen) Re- spiration zukommen. a) Durch die Lungen fliesst während der Inspiration weniger Blut als während der Exspiration (Poiseuille® J. J. Müller’, Quincke und Pfeiffer®, Funke und Latschenberger°’). Die Blutdrucksteigerung während der Inspiration soll hier (Funke und Latschenberger!") da- durch erfolgen, dass aus der Lunge, — die sich während der Exspiration \ Zeitschrift für rationelle Medicin. N. F. 1853. Bd. II. ” Dies Archiv. 1847. N a0: Sa 2 2 A 5 6 Comptes rendus u.s.w. 1855. t. XLI. " Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. IV. Jahrg. 1869. Dies Archiv. 1811. S. 90. ° Pflüger’s Archiv u.s.w. 1878. Bd. XVII. Aue (0% [5 [0 +] 478 LuDwIG SCHWEINBURG: wegen der vermehrten Capacität ihrer Gefässe mit Blut angefüllt hat — das Blut durch Verengerung der Capillaren gegen das linke Herz getrieben wird. Das Sinken des Blutdruckes in der Exspiration soll demgemäss durch die Erweiterung der Lungengefässe und die reichlichere Anfüllung der- selben mit Blut bewirkt werden. d) Durch die Lungen fliesst während der Inspiration mehr Blut als während der Exspiration (deJager!, Mosso2). So wie früher beruht die Blut- drucksteigerung während der Inspiration auf einer stärkeren, das Sinken während der Exspiration auf einer schwächeren Füllung des Herzens. Nur ist hier die Herzfüllung eine Folge der vermehrten oder verminderten Ge- schwindigkeit des Lungenblutstromes. Uebereinstimmend wird also sowohl von Einbrodt und Zuntz als von Funke und Latschenberger, de Jager und Mosso die Blutdruck- steigerung während der Inspiration auf eine stärkere Füllung des linken Herzens und das Sinken des Blutdruckes während der Exspiration auf die Entleerung des Herzens bezogen. Es differiren demnach nur die Anschauungen über die Bedingungen, welche für die Füllung bez. Entleerung des Herzens maassgebend sind. I. Als ich mit der Kenntniss dieser Theorien hinreichend ausgerüstet Versuche begann, am Menschen die respiratorischen Blutdruckschwankungen nach einer Methode zu studiren, die, wie schon erwähnt, genügende Ga- rantie für ihre Verlässlichkeit bietet, sah ich auch am Menschen die respi- ratorischen Blutdruckschwankungen denselben Gesetzen folgen wie am Thiere; ich hatte aber auch bald Gelegenheit wesentliche Abweichungen hiervon wahrzunehmen. Dieses Abweichen liess sich nicht mit Hülfe der bekannten eben von _ mir auseinandergesetzten Theorien erklären. Dagegen machten meine Ver- suche es schon sehr wahrscheinlich, dass den Aenderungen des intraabdo- minalen Druckes ein grosser Einfluss auf die respiratorischen Blutdruck- schwankungen des Menschen zukomme. Es ist dieser Einfluss schon von verschiedenen Seiten beleuchtet worden. Donders? hebt die Bedeutung der Action der Bauchmuskeln für den Kreislauf hervor und hält es nicht für gleichgültig: „ob der Ausath- mungsdruck mit starkem Pressen auf die Eingeweide der Bauchhöhle ge- ı Pflüger’s Archiv u.s. w. 1879. Bd. XX. ® Ueber den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn. Leipzig 1881. ® Zeitschrift fior rationelle Mediein. N. F. 1854. Bd. IV. Dis BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 479 paart geht oder nicht.“ Marey! schreibt eine «Einwirkung auf den Blut- druck nicht allen den Bewegungen der Bauchmuskeln und der hierdurch hervorgerufenen Compression der Aorta abdominalis zu, sondern auch dem Heben und Senken des Zwerchfelles; er bemerkt: „les effets que la respi- ration produit du cöte du thorax sont exactement inverses de ceux qui se passent dans !’abdomen.“ v. Basch? äussert sich in folgender Weise: „Von den Bauchvenen aus fliesst, während die Bauchpresse in Thätiekeit ist, das Blut ungehindert dem Herzen zu, ja es ist auch anzunehmen, dass der Zufluss von hier aus in dem Maasse reichlicher werden wird, als durch die Bauchpresse die Unterleibsorgane ausgedrückt werden, als das Blut in die Richtung des geringsten Widerstandes d. 1. gegen den Thorax hin getrie- ben wird.“ Eine gleiche Ansicht des durch die Zwerchfellsaction geänderten intraabdominalen Druckes spricht auch Zuntz? aus. Nur von Kuhn und Lueciani liegen directe Versuche über den Ein- fluss der Zwerchfellscontraction auf die Erhöhung des Blutdruckes während der Inspiration vor. Ersterer® sah, dass die inspiratorischen Blutdrucksteigerungen, die, so lange die Bauchhöhle geschlossen war, bei den Contractionen des Zwerch- felles (die Lungen wurden bei geöffnetem Thorax künstlich ventilirt) auf- traten, bei Eröffnung der Bauchhöhle verschwanden. Luciani? theilt mit, dass nach Durchschneidung der Nn. phrenici die inspiratorische Steigerung des Blutdruckes ausbleibt und schliesst hieraus, dass die Zwerchfellscontraction für die inspiratorische Erhebung nicht als accessorisches, sondern als wesentliches Moment zur Geltung komme. Die von ihm mitgetheilte Curve (a. a. ©. Fig. 32) scheint mir aber dieser Mei- nung nicht sehr günstig zu sein; denn es fällt schwer aus ihr auffallende Veränderungen des Bludruckes vor und nach der Phrenicusdurchschneidung abzuleiten. Die Berechtigung dieses von mir ausgesprochenen Zweifels wird sofort aus folgenden Versuchen erhellen, die ich angestellt habe. Versuch Il. An einem mit Morphium narkotisirten Hunde werden die beiden Nn. phreniei und die Carotis präparirt; letztere wird mit einem Quecksilber- manometer verbunden. Zur Reeistrirung der Athmung wird auf dem Aa... * Die volumetrische Bestimmung des Blutdruckes am Menschen. Medieinische Jahrbücher. 1876. Bd. IV. ea O. * Citirt nach Zuntz. Pflüger’s Archiv. 1878. Bd. XVII. ° Delle oscillazioni della pressione intratvracica e intraddominale. Torino 1877. 480 LUDWIG SCHWEINBURG: Thorax ein Kautschuckballon festgebunden, der mit einem mit Carbolsäure gefüllten Manometer in Verbindung gebracht wird.! Auf einem Kymographion mit fortlaufendem Papier werden also Blutdruck und Respiration verzeichnet. Selbstverständlich wurde peinlichst Sorge dafür getragen, dass die Federn- spitzen der beiden Schwimmer sich in einer Verticalen bewegten. Um den Einfluss der veränderten Pulsfrequenz auszuschalten und die Athmung zu verlangsamen wurden beide Vago-Sympathiei durchschnitten. Zunächst werden eine Zeit lang die Blutdruckschwankungen und Athembewegungen bei erhaltenen Phrenieis notirt. Taf. VII, Fig. 1a giebt einen Curvenausschnitt aus dieser Periode. Nach einer Weile werden beide Nn. phrenici durchschnitten, das Thier wird hierbei sehr unruhig; vor und unmittelbar nach der Durchschneidung treten stürmische Athmungen ein. Erst nachdem diese sich vollständig beruhigen, wird wieder mit der Schreibung begonnen. Dieser Versuchs- periode gehört der Curvenabschnitt Taf. VII, Fig. 15 an. Nunmehr wird der Bauch des Thieres eröffnet; Taf. VII, Fig. 1 c ent- spricht diesem Versuchsacte. f Versuch 1. Ein Hund von mittlerer Grösse wird durch Morphium, später durch Chloroform narkotisirt. Vorbereitungen, Anordnung und Verlauf des Ver- suches sind dieselben wie beim ersten. Auf diesen Versuch beziehen sich die Figg. 2a, db, ce Taf. VII und zwar entspricht Fig. 2a der Periode, wo die Phrenici intact waren, Figg. 25 und ce wurden bald nach Durchschneidung der genannten Nerven erhalten und zwar entspricht Fig. 2c einem späteren Zeitabschnitte.? Versuch II. Wie im zweiten Versuche ist das Thier —- ein mittelgrosser Hund — durch Morphium und weiter durch Chloroform narkotisirt. Vorbereitungen, Anordnung und Verlauf des Versuches sind die gleichen wie früher. Diesem Versuche entsprechen die Figg. 3a, 5, c, d, Taf. VII. In Fig. 3a waren die Phrenici intact. Die Figeg. 35, c, d beziehen sich auf die Versuchsperiode nach der Durchschneidung der Nn. phrenici. Zu diesem Versuche ist zu ! Ich habe es vermieden, die Marey’sche Trommel zur Registrirung der Ath- mung zu benützen, weil man aus Gründen, die Jedem einleuchten, über die Zusammen- gehörigkeit der auf einander zu beziehenden Theile der Blutdrucks- und Athmungs- curven viel besser unterrichtet wird, wenn man in meiner Weise registrirt. Der Grund, weshalb sich Carbolsäure mehr empfiehlt als Wasser, ist schon in einer früheren Ar- beit von v. Basch dargelegt worden. 2 In den Figg. 2b und 2e sowie in Fig. 3d sind die Respirationseurven kleiner, aber nur deshalb, weil hier der Kautschukballon sich derart verschoben hatte, dass ein kleinerer Theil desselben bei der jeweiligen Erweiterung des Thorax comprimirt wurde. Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 481 bemerken, dass das Thier, nach der Phrenicusdurchschneidung etwas aus der Chloroformnarkose erwacht, ziemlich starke Exspirationsbewegungen machte. Nun wird der Bauch geöffnet. Kurz darauf erwacht das Thier vollständig aus der Narkose und die activen Exspirationen werden noch intensiver. Man sieht, dass der ausgedehnte Thorax nicht allmählich, son- dern stossweise sich verkleinert. Es wird in Folge dessen das Thier noch einmal chloroformirt und im Verlaufe der stärkeren Narkose hören die activen Exspirationsbewegungen auf. Es bezieht sich die Fig. 35 auf jene Zeit, wo das Thier eben aus der Narkose erwacht, Fig. 3c auf jene Periode, wo die activen Exspirationen intensiver, und Fig. 3d auf die schliessliche vollständige Narkose. In allen diesen drei Versuchen sieht man, so lange die Nn. phreniei erhalten und sonach normale Respirationsbedingungen vorhanden, die ge- wöhnlichen bekannten Blutdruckschwankungen. Es sinkt zu Anfang der Inspiration der Blutdruck (Fig. 2a) oder es beginnt daselbst wenigstens noch keine Steigerung (Figg. la und 3a). Im Verlaufe der Inspiration steigt überall der Blutdruck, erreicht entweder schon auf der Höhe der Inspiration (Fig. 1a) oder erst im Anfange des Exspiriums (Fig. 2a und Fig. 3a) sein Maximum. Im ersten Versuche zeigt der Blutdruck eine nochmalige, deutliche exspiratorische Erhebung (Fig. 1a); hier war aber die Exspirationspause ungewöhnlich lang (13 Secunden) und es lässt sich wohl denken, dass sich die Gefässe während dieser langen Exspirationsdauer dyspnoeisch verengt hatten. Nebstbei muss man aber der Möglichkeit Raum geben, dass diese nachträgliche Erhöhung des Blutdruckes nur durch die Contraction der äusseren Bauchmuskeln — ein Vorkommen, das bekanntlich bei mit Mor- phium narkotisirten Hunden nicht selten ist — hervorgerufen wird. Sobald die Nn. phreniei durchschnitten sind und sich rein thoracale Athmungen etablirt haben, hat sich, wie sämmtliche Versuche lehren, das Bild der respiratorischen Blutdruckschwankungen vollständ’g geändert. Die Blutdruckeurve zeigt jetzt (Fig. 15 und Fig. 25 und c), wenn wir vor- läufig von jenem Theil des dritten Versuches absehen, wo die Thätigkeit der exspiratorischen Muskeln erhöht war, keine oder kaum merkliche Schwankungen. Um diesen Effect hervorzubringen, muss man beide Aeste des Phre- nicus den höheren sowohl als den tiefer entspringenden — beide ver- einigen sich unterhalb der Subelavia zu einem gemeinschaftlichen Stamme — durchschneiden. Dass dies jedesmal bei unseren Versuchen geschah, davon habe ich mich nachträglich durch die Section überzeugt. Ich halte es für nöthig, dies hervorzuheben, weil die Durchschneidung des Archiv f.A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 31 482 LUDWIG SCHWEINBURG: höher gelegenen Astes, der in seinem Verlaufe sich an die Carotis anlegt und leicht zu präpariren ist, den besagten Effeet nicht hervorruft. Wenn Luciani bloss diesen letzteren Nerven durchschnitten hat, be- greift es sich, dass seine Resultate wesentlich von den meinen abweichen. Es ist aber auch möglich, dass diese Abweichung darauf beruht, dass Lu- ciani seine Schlüsse schon aus jenen Curven zog, die er während der stür- mischen Athmung des Thieres unmittelbar nach der Phrenicusdurchschnei- dung aufnahm, während ich nur Stadien der ruhigen Athmung vor und nach der Phrenicusdurchschneidung verglich. Bei solchen stürmischen Ath- mungen bekommt man Curven, wie sie Fig. 35 und 3c zeigen. Wie das betreffende Versuchsprotokoll aussagt, hatte zur Zeit, als diese beiden Cur- ven gezeichnet wurden, die Narkose immer mehr und mehr aufgehört. Erst als mit neu aufgenommener Narkose sich die Athmungen beruhieten, er- schien dasselbe Bild Fig. 3d wie in den anderen zwei Versuchen. Aus solchen Bildern lässt sich nun aussagen, dass mit der Läh- mung des Zwerchfells die respiratorischen Blutdruckschwan- kungen ganz oder nahezu verschwinden und hieraus kann wohl mit Sicherheit geschlossen werden, dass die Action des Zwerchfells sich zum mindesten in sehr hohem Grade an dem Zustandekommen dieser Schwankungen betheilist. Durch die Lähmung des Zwerchfelles müssen sich jedenfalls während der Respiration die intraabdominalen Druckverhältnisse ändern, denn es verharrt während der Inspiration sowohl als Exspiration das Zwerchfell m einer seiner Ruhelage entsprechenden Stellung und rückt nur durch die Verschiebung seiner costalen Ursprünge während der Inspiration etwas nach abwärts und es ist nicht anzunehmen, dass diese Verschiebungen irgendwie erhebliche Schwankungen des intraabdominalen Druckes hervorrufen. Wegen der Lähmung des Zwerchfells wird aber auch der Thoraxraum während der Inspiration nicht so sehr sich vergrössern können als vorher. Allerdings scheinen, wie der Versuch zeigt, sich wie bei der Dyspnoe andere sonst nicht in Action kommende Muskeln an. der Rippenhebung zu betheiligen; es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, dass hierdurch der Ausfall der Zwerch- felleontraetion compensirt wird. Wenn man sich der in letzter Zeit in den Vordergrund getretenen Meinung hingiebt, dass die Aenderung des Lungenvolums und die hier- durch bedingten Aenderungen des Lungenblutstromes — gleichgültig, ob man sich der Auffassung von Funke und Latschenberger oder von de Jager und Mosso anschliesst — die respiratorischen Blutdruckschwan- kungen bedingen, so könnte man annehmen, dass der Ausfall derselben nach der Phrenieusdurchschneidung davon abhänge, dass die Lungen sich nicht in dem Grade wie früher vergrössern und verkleinern. Dies BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 483 Um nun zu entscheiden, ob der Ausfall der Blutdruckschwankungen nach der Phrenieusdurehschneidung auf jenen Aenderungen beruhe, welche oberhalb des Zwerchfelles, d. i. im Thoraxraum oder unterhalb derselben, d.i. im Bauchraume sich geltend machen, musste untersucht werden, wie sich bei Eröffnung der Bauchhöhle die respiratorischen Blutdruckschwan- kungen gestalten. Durch die Eröffnung der Bauchhöhle werden nämlich nur die intraabdominalen Druckschwankungen beseitigt, die Aenderungen des Lungenvolums aber müssen sich gleich bleiben. Wie nun Fig. 4a und 5, die einem diesbezüglichen Versuch entnommen sind, lehren, sind hier die respiratorischen Blutdruckschwankungen (Fig. 45) auffallend ge- ringer, als die vor der Eröffnung beobachteten (Fig. 4a). Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass an dem Ausfall der respiratorischen Blutdruckschwankungen nach der Phrenicusdurchschneidung nur unterhalb des Zwerchfelles eingetretene Aenderungen Schuld tragen. Wie dieser Ausfall zu Stande kommt, erklärt sich sehr leicht. Bedenkt man, dass der Thorax sich hier nicht so sehr erweitert, so wird man den Ausfall der ersten inspiratorischen Senkung des Blutdruckes begreiflich finden, man wird aber auch einsehen, dass dieser Ausfall nicht noth- wendiger Weise eintreten muss (Fig. 2c und 35), weil ja die Bedingungen für denselben nicht vollständig ausfallen, namentlich da, wo die Aspiration im Thoraxraum auch nach Phrenicusdurchschneidung eine beträchtliche bleibt. Man wird ferner erklärlich finden, dass die anfängliche inspirato- rische Blutdrucksenkung durch Phrenicusdurchschneidung mehr verwischt wird, als durch die Eröffnung des Bauches (Fig. 45). Ich muss übrigens hier bemerken, dass selbst unter normalen Respirationsbedingungen, wie diese für Fig. 3a gelten, die inspiratorische Blutdrucksenkung ausbleiben kann. Die Steigerung des Blutdruckes in der Inspiration wird nach der Phrenicusdurchschneidung nicht zu Stande kommen, weil einestheils nach der Lähmung des Zwerchfelles aus den oben entwickelten Gründen dem Herzen weniger Blut zugeführt wird, vor Allem aber deshalb, weil das Blut aus der Aorta in die Gefässe des Unterleibes abströmen kann, ohne hieran durch eine Erhöhung des auf ihnen lastenden Druckes gehindert zu sein. Wenn trotz dieses ungehinderten Abflusses dennoch leichte Steige- rungen eintreten (Fig. 25), so kann das wohl darin liegen, dass der Zufluss von Blut zum Herzen — durch das Zusammenwirken jener Bedingungen, auf die Einbrodt, Funke und Latschenberger, de Jager und Mosso hinwiesen — den Abfluss aus denselben überwiegt. Ist während der Inspiration die Herzfüllung nicht wesentlich gewach- sen, dann können die beschleunigenden Kräfte die während der Exspiration auf das Herz wirken (Einbrodt) keine Steigerung des Druckes hervorrufen (Fig. 2a und 3a); es wäre denn, dass diese letzteren sehr beträchtlich al 484 LUDWIG SCHWEINBURG: sind, was der Fall ist, wenn der Thorax unter heftiger Muskelaction zu- sammengepresst wird. Eine solche Blutdrucksteigerung in der Exspiration sieht man in Fig. 3c, die auf einen Versuch sich bezieht, wo nur die Wirkung der thoracalen Exspiration — der Bauch war geöffnet und die Phreniei durchschnitten — sich geltend machen konnte. Dass hier nur aussergewöhnlich foreirte Exspiration die momentane Blutdrucksteigerung zur Folge hatte, bewies der Umstand, dass dieselbe sofort aufhörte, als das Thier, neuerdings narkotisirt, ruhig zu athmen anfing (Fig. 3d). Es ist wohl denkbar, dass auch die Contraction der Bauchmuskeln während der Exspiration so wirke, wie die des Zwerchfelles während der Inspiration, d. i. den Widerstand in den Bauchgefässen vermehre und so den arteriellen Druck momentan erhöhe. Diese Contraction der exspirato- rischen Bauchmuskeln dürfte sich aber keineswegs in dem Maasse geltend machen, wie Luciani meint. Denn wäre, nach der Meinung Luciani’s, der Einfluss der sich contrahirenden Bauchmuskeln auf den Blutdruck ein überwiegender, so müsste bei geschlossener Bauchhöhle nach Durchschneidung der Phrenici immer eine exspiratorische Blutdrucksteigerung auftreten, was aber nicht geschieht, wie Fig. 15 und Fig. 25 und c lehren; es müsste ferner, wenn die Phrenici durchschnitten sind und der Bauch geöffnet ist, keine oder nur eine geringe exspiratorische Erhöhung des Blutdruckes eintreten, was sich durch den Versuch (Fig. 3c) gleichfalls nicht bestätigt. Für das Sinken des Blutdruckes im Laufe der Exspiration ist von Seite des intraabdominalen Druckes nach der Durchschneidung der Phrenici kein Anlass vorhanden, es fällt also aus, wie Fig. 2c und 3d zeigen. Eine ge- ringe Erniedrigung des Blutdruckes, die nichtsdestoweniger in der Exspi- ration eintritt (Fig. 12, c), mag wohl durch eine mangelhafte Füllung des Herzens, wofür in der Behinderung des Blutzuflusses zum Herzen die bekannten Bedingungen vorliegen, veranlasst sein. Meine Versuche führen also zu folgender Vorstellung über die Ent- stehung der respiratorischen Blutdruckschwankung: Sowie der Thorax sich erweitert, das Zwerchfell sich contrahirt, und demzufolge der Thoraxraum grösser und der Bauchraum kleiner wird, strömt sowohl aus der Vena cava descendens als ascendens mehr Blut als sewöhnlich in das Herz; aus ersterer wegen der bekannten aspiratorischen Wirkung der Thoraxerweiterung (Einbrodt); aus der zweiten wegen des schon von Donders und später von Marey, Ludwig, Zuntz hervor- schobenen Umstandes, dass mit der Erhöhung des intraabdominalen Druckes das Blut aus den Bauchvenen gegen das Herz hingetrieben wird. Ferner könnte zur stärkeren Füllung des Herzens in der Inspiration die in dieser Phase vermehrte Geschwindigkeit des Blutstromes in den Lungen (de Jager, Mosso) oder die verminderte Capacität der Lungencapillaren im Sinne von Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 485 Funke und Latschenberger beitragen. Diese stärkere Herzfüllung kann aber selbstverständlich den Arterien nicht sofort, sondern erst nach einigen Contractionen zu Gute kommen; in der Zeit, als sie sich vollzieht, dürfte im Gegentheil das arterielle System geringere Blutmengen enthalten. In der That sinkt zu dieser Zeit d.i. im Anfange der Inspiration der Blut- druck (Fig. 2a) oder er steigt wenigstens nicht (Fig. 1a und 35). Die mit der Inspiration eintretende Zwerchfelleontraction bewirkt, dass der intraabdominale Druck steigt. Durch diese Steigerung bez. durch die hier- aus resultirende Compression der Unterleibsgefässe, wird der Abfluss des Blutes nach dieser Richtung gehindert und das stark gefüllte Herz kann sich jetzt nur mit einer Kraft entleeren, die nöthig ist, um den ausserhalb des Bauchraumes gelegenen Arterien eine zur Unterbringung des Blutes geeignete Weite zu geben. Dass in letzterem Vorgange der wesent- liche Entstehungsgrund für die Blutdrucksteigerung zu suchen ist, nicht aber in jenem, die die Herzfüllung als solche ver- anlassen, scheint durch meine Versuche vollständig erwiesen zu sein. Aber nicht allein die Drucksteigerung während der Inspiration, auch das Sinken während der Exspiration muss vorzugsweise auf Bedin- sungen zurückgeführt werden, die ausserhalb des Brustraumes, d.i. im Bauchraume liegen. Durch die Erschlaffung des Zwerchfelles wird der Bauchraum vergrössert, die Bauchgefässe sind unter geringeren Druck gesetzt, der Widerstand, den der Blutstrom erfährt, ist vermindert, das Ab- strömen aus dem Herzen erleichtert, dem Blute steht nun sowohl der Ge- fässbezirk der Unterleibsorgane, als der ausserhalb desselben zur Verfügung; zum Ausstossen seines Inhaltes bedarf also das Herz einer geringeren Kraftanstrengung. Beruhte die Blutdrucksenkung in der Exspiration nicht vorzugsweise auf diesem Vorgange und wäre die Entleerung des Herzens zumeist die Folge des verlangsamten Stromes in den Venen, die zum rechten Herzen führen (Einbrodt), oder der Verlangssamung des Blut- stromes in den Lungengefässen (de Jager, Mosso), oder der vermehrten Lungencapacität (Funke und Latschenberger), dann wäre nicht ein- zusehen, warum dieselbe nach Durchschneidung der Nn. phrenici, durch welche an den letzteren Bedingungen nichts geändert wird, ausbleiben sollte. II. Bei den Versuchen, die ich anstellte, um die respiratorischen Blut- druckschwankungen des Menschen kennen zu lernen, hielt ich mich genau an die Anordnung, wie sie v. Basch in der obigen Abhandlung (S. 446) über die Deutung der plethysmographischen Curve beschrieben hat; 486 LUDWIG SCHWEINBURG: selbstverständlich fielen in meinen Versuchen jene Apparate weg, die dort be- hufs Registrirung der Volumveränderung, auf die ich selbst keine Rück- sicht zu nehmen brauchte, in Anwendung kamen. Auf der Trommel eines Baltzar’schen Kymographions wurde also Folgendes aufgeschrieben: 1. die Höhe der Quecksilbersäule, welche die Arterie belastete, 2. der Arterienpuls, 3. die Thoraxexeursionen. Von diesen drei Schreibungen hatte die erste nur den Zweck sicher- zustellen, dass die Aenderungen der Pulsgrösse, aus denen sich mit Sicher- heit die entsprechende Aenderung des Blutdruckes ergieht, nicht etwa von Aenderungen des die Arterie von aussen belastenden Druckes herrühren. Für das Verständniss der Erscheinungen ist dieselbe entbehrlich. Dies der Grund, weshalb sie in den Figuren auf Tafel VIII und IX, die nur die Puls- und Respirationscurven enthalten, fehlt. Es wurde selbstredend auf das Genaueste darauf geachtet, dass die Schreiber des Pulswellenzeichners und des Carbolsäure-Manometers in einer Verticalen sich befanden. In dieser Weise wurden an 15 verschiedenen Individuen zahlreiche Versuche angestellt, von denen hier 104 aufgeführt erscheinen. Da es nicht ausführbar schien, alle erhaltenen Curven wiederzugeben, habe ich die in denselben erhaltenen Resultate in Tabellen zusammengestellt. Die arabischen Ziffern im ersten Stabe dieser Tabellen zeigen die Zahl der Versuche an und die römischen Ziffern im zweiten Stabe beziehen sich auf die verschiedenen Versuchsindividuen. Die Versuchspersonen IV bis XV sind solche, wie sie das klinische Material bot und zwar IV bis VIII männ- lichen, VIII und IX weiblichen Geschlechtes. Diese in Bezug auf Ath- mung und Kreislauf ganz normalen Individuen befanden sich auf der Haut- abtheilung des allgemeinen Krankenhauses. X, XII, XIII, XIV, XV sind Schwangere im letzten Monate der Gravidität; XI eine Wöchnerin 14 Tage nach der Entbindung. I ist Hr. Stud. med. L. Frankl; II ist Hr. Prof. v. Basch und die unter HI subsummirten Versuche wurden an mir an- gestellt. Die übrigen Zahlen bedeuten die Höhe des anakroten Theiles der ein- zelnen Pulscurven, ausgedrückt in Zehnteln eines Millimeters. Aus den Ueberschriften der einzelnen Stäbe ist die der Pulshöhe entsprechende Ath- mungsphase ersichtlich. Wie die Tabellen lehren, habe ich jede Respiration in acht Phasen zerlegt, von denen vier auf die Inspiration und vier auf die Exspiration fallen. Das gilt aber in vollem Maasse nur für jenen Ath- mungstypus, wo Inspirium und Exspivium längere Zeit andauerten. Bei den Versuchen, in denen nach anderem Modus geathmet wurde, fallen einige dieser Phasen weg und dementsprechend die hierauf Bezug nehmenden Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 487 Messungen. Dieser Ausfall ist in der Tabelle durch kleine Querstriche be- zeichnet. Da, wie die frühere Abhandlung von v. Basch lehrt, das Wachsen des Pulses unzweifelhaft auf eine Erhöhung und das Kleinerwerden desselben ebenso unzweifelhaft auf eine Ermiedrigung des Blutdrucks zurückzuführen ist, so geben die Tabellen eine deutliche Vorstellung von der Veränderung, die der Blutdruck während der Respiration erfährt. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass diese Zahlen nur einen relativen Werth besitzen; aus der Differenz derselben erhellt deutlich, ob diese Schwankungen mehr minder ergiebig sind; man erfährt aber durch die Pulsgrösse nichts über die je- weilige wirkliche Grösse des arteriellen Blutdrucks. Auch aus meinen Versuchen ergab sich in Uebereinstimmung mit bekannten Thatsachen, dass während flacher Respirationen keine wesentlichen Veränderungen des Blutdruckes zu Stande kommen, wohl aber bei ver- tiefter Athmung. Ich muss hier bemerken, dass man, wenn es sich nur darum handelt, den Einfluss vertiefter Athmung zu unsersuchen, jedes be- liebige Individuum zum Versuche benutzen kann. Eine grosse Gleich- mässigkeit in der Tiefe der Athmung sowie der Dauer der verschiedenen Athmungsphasen erzielt man aber nur bei hierfür geschulten Personen. Ich lasse nunmehr die in der eben angegebenen Weise zusammen- gestellten Tabellen folgen: Babrellerl: Der Blutdruck erleidet im Inspirium keine Veränderung; im Exspirium erfolet: a. ein Sinken, dann Steigen. b. Steigen. . ce. Sinken. 2 is EEE ee = Ss jaBlerler asjanlsaleälss 3 mes nszren=e2 ne Respirati S. = [85 Barara als masse De n — — aan —= = — — 1 1121 2.21 2] 2) 808) 2 Langes Inspirium. Langes Exspirium. 2 I1110/10/10/)10|10|) 7) 5| 4 > >» > » 8% IS er52 52 571571510) For 12 2 > » > » 4. 5 5| 8 Di 8 0. © IR x Kürzeres R 5. /XII |10/)10|10|— | 9/1015 15 Kurzes pa Langes ” 15/15/1151 — | 8/10/10|10 b6 »» ED » 6. | XIV 115|15115115115|15 10110 Langes » ” » 488 LUDWIG SCHWEINBURG: Tabelle II. Im Inspirium findet anfänglich ein Sinken, dann ein Steigen des Blutdruckes statt; im Exspirium: a. ein Sinken, dann Steigen. b. Steigen, dann Sinken. c. Sinken. E a 5 2 s = E S a LE R: E Ey : 2 BE 3252 Salzz EIER 33 Respirationstypus. ee alcaimae) jun Inspirium. Exspirium. 7 I 5| 5|25[25|25|20|15 Langes. Kurzes. 15| 7| 5/25] 20|20|20|15 3 53 S 25115 25 | — 125 |20|20 | 20 | Kurzes. _ Längeres. 20/10 | 7|—1[30|30|25|25| | Taf. VIII, Fig. 1. R 2 25 |12|20 | — | 20 | 25 | 20 | 20 ss 95 9 2) 21.2195). 15130 1511.75 \ Langes. Langes 5| 2| 2|10|20/15/15,15 |, Taf. VII, Fig. 2. E a 2| 2| 2) 3[20/20|15| 3 >» » 10 110 251233198: 010, A E22 2221525 > 09 4.2340) 10175242 7.10 B > Te 22 39 202.15 .598°3, 031102 > > 2 1 2 6 7 2 2 2 „ 23 12 1ı5| 5|12|25[25 20 | 12|12 » D 12|10|20|30]25 | 25 |20| 15 > EB 15 110 | 11 |30| 25 | 20 | 20 | 20 = 53 20 |10 1530| 20 | 20 | 20 | 20 En > 4| 2/10|30|25|20|15 10| Taf. VII, Fig. 3. a 5: 14 2120 EL 1192370217213 » Kurzes. 1 0 0) 2 4 2 ) 0) E2 ER 15. 20/10 | 15|20|20|15|12 15 ® Er 15 10/15 | 20|20|15|12 12 5 3 16 5) 4| 6|20[15]15 12 10 5 x 17 5| 3| 1/10[10| 5| 3| 3 > 212 91.10] 1510830520315 »» » 305 3110,10) 5 ss »> Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. 8. W. Tabelle II. (Fortsetzung.) 489 E 25 3 E& .E ER ws B- „& E 2 32 mwsE2°528282325% 82 R irationstypus. : er: FE EE n2 Salsz Fasz Be vespirati yP - See ee Inspirium. Exspirium. 18. 19 20117.0) 50:1 4 7755| 4712 Langes. Kurzes. 060800, 5.775 > 2 3 aa a lzele 2 3 3. a ze eel 3 > Baal al \ Fi > ’ 6|5/ s|3|5 5 5 — |; Taf. VIII, Fig. 4. 4 2 19. 10\) 015) — [15/15/1515 |, \ Kurzes. Langes. 1 3 | } Tat. VIIT, Pig. 5, a : 10| 0/15| —115|15|15|15 » ’ 15| 0/15| —-115/15/15/15 “> > 12) 0/)15/| —115 | 15/15 | 15 PR ” 20. 10| 515] 15]22|10|10/10 Langes. Kurzes. 10) 3110/15115 /10),10|10 > ER) 10| 2 15)/151]15 1010| 10 5 » » ı0| 2/15\15 {15 [12 |10|10 | Tat. VOL, Fig.6. ; | 10| 3'15!15]13|10|10|10 > >» Zile Slate] 136 > > » 2 la 2A ron Eh De ER D 5/I 2!) 2/110/20|15|15|15 > ’ 22. | NADDEI RE Ey BI | az , » aa al | ze al oe) PD D 23.| IXl10| 5| 5| 6lıı 1111/10 3; ss 24.| X[25 1720| 20|30 | 25 |30 | so s >» 25. XIV |10| 8/10! 15 [15 | 15 | 10 | 10 : > 10| 7[10!10]|10|10)10 10 PB » 10.7 l la) Ko Fe Taf. VIII, Fig. 7. 5 > 26. 15 10|12/16|15 15,13 13 > ER Athmung behindert. Athmung behindert. 490 LUDwIG SCHWEINBURG: Tabelle III. Im Verlaufe des Inspiriums Steigen des Blutdrucks; im Exspirium: a. Keine Veränderung. b. Sinken, dann Steigen. c. Steigen, dann Sinken. d. Sinken. 5 a 5 4: E -E E . ae Er E 23 SaRaBZ Sal s2ed se Respirationstypus. © = [77 un un|A m = n |,” ae] ee | ia 2 Inspirium. Exspirium. DT RT El la El 23123 et Lianges. Langes. 1. oo) 3 Da 5 = 28. | 5 5110) 25.|.25.120.|15,| 10) Taf yanı mia er ee Kurzes. 10 1013 125|25 2015 10 fe N 29. 8 1515| —[20|20|15 15 Kurzes. _Längeres. 30. 2 8125 —[30|30|115| ı \ = 5 5/15 |s5|_ 45 [a0 |ı5| 3 | J Taf VL Fig.9. "ee | 5| 6117| —1|25|20|20| 8 : : E 35/10 1201 5 315 e le 312.8 10) 221120) .0701082) 25 > '® = 3 re = 3 4 5| 8/15|25,)15/10| 5/] Langes. Langes. |= . « ı\ ı/ slıslıs ı3| 6| a|g Taf VILEig.10. Re 39 IS 10.10.12. 112. 5.031.202 2a En 2 202 ; en N | 33. 10 11 20 22] 15 15 | 10 [10 Fr Kurzes. 20 |25\25|25|15|15|15 10 s 34. 1010)10.22| 0 0 00 10/12|15|15] o| o/ 0/0 B x 0| 0/15/15| 0| 0| 0/0 5 5 35. 10:10) 15 12 70) re Kurzes. Langes. 36. 81015115115 |12| 7| 5) "Tat. VIIL Fig.It. 53 n a] ee | 37. 2021970) 252 5101170:1770.| 10:78 Langes. 38. ee “ i 1, 2 10102, 3 05 5 N Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 491 Tabelle III. . (Fortsetzung.) = |. Eee je E a 5 = rn: Pe E © sn o'E se © PN - = EEE EIFSIER ER SE Respirationstypus "FEEENJEEE: Inspirium. Exspirium. 39. 53119, 515, 1,20 25118 3:175:8 \ Langes. Langes. f 19} 8120|25 1928 5 5 s 10 | Taf. VII, Fig. 12. " % 40. a| 6/15|20| ?7| 5| zlıo) R S 41. 10/10/13/15| 1| 0| 310 Kurzes. 42. 15120|130|30[10/10|15 15 e 2) 43. 05 202 2152| 511521.23510.:0,| 25215110 > > 44. 5) 510) —-|5| 5/15 Kurzes. Langes 10/12/15) —!10|12| 1| 8 * 6 Ass WII A a A| 55 5 308 Langes. ” 46. 21.2121 DD 8 2 2 > En 2a 21.21 21 8 21 210% En > An. 7/10/15/17]10|10|10)10 » > 15 |17|20|20|15 10 1010 > „ 48. 1 a ar Dre‘ 55 Kürzeres. 49. a) 2 alla a il 1.0) 10 > > 0.0.0115] 3/2) 0,0 50. 2) 5 Bl Al oe 2 R 1) 2 4 A| 3 2, 0, 0 >> EB Ba a a a le > » 51. 9/10 ,10/20]18|14 14 |12 > » 52. Oase |751,4| 222 Kurzes. Längeres. 2 2 5) | 5|I 5| 3| 2 ee » a 81.8 —| 8 8 Bl 2 E 93. 3 5) 7 —-[|6/| 6/65 >» » 3|5| 7—113|15|) 7/5 En ” | 492 LUDWIG SCHWEINBURG: Tabelle III. (Fortsetzung.) 3 a 5 4E . . IE 2 a = 2, 2 33 #rs2s2 82283 88l8z Respirationstypus. zero Inspirium. Exspirium. 54 5| 5112125125 |20|12|12 h Langes. Langes. 12|10 20|30|25 25 |20 | 15 | Tat. VI, Bier 5 55. @IV.0)20 | 10031 3) 3.120).0 5 Kurzes. 01 0 3218 322.27 520110..0 » 0 2 0331223211224 ,2022.0 > > 56 Ve 521261 08: 91051270220). .0110 ee En 0/2 81110: 7051 202.20 ER » 0) 752872 9112.02202205.0 ss EB 57 2112214. 25.|.0)20)|20, 05 » Langes. 58. |. VE.12.010703 05. 5:|. 2320: 0.20 > Kurzes. 0103112515172. 20)| 20100 .o > 023212252 0.25:[72221270212:091720 D > 59 vu 0232225325083: 1052212105220 ER) ER 60: MET] 0) 201 3 a s En 61 IX.| 5! 5! 5/10!10|10!10|10 > D 62. X |027121577202]20:]102 6: 0521225 » .s 63.| XL |15|20|20 1522.51 0.92110 Kurzes. Langes. 64 5110/20| —1[20|10 5 5 ER) „ 15 | 20 | 20 | — [20 | 20 | 20 | 20 > ED 5/15[15 —| S| 5| 515 » ED 10120120|—| 8S| 5) 5/5 EB En 65. | XH.|40|50|55 | — [10 |20|20|30| Taf. IX, Fig. 11. 09 ” Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 495 Tabelle TV. Im Anfange des Inspiriums Steigen, dann Sinken des Blutdruckes; im Exspirium: a. Sinken, dann Steigen. b. Steigen, dann Sinken. c. Sinken. 3 [33 FO FISSER see: Respirationstypus. > = ea ae al le Inspirium. Exspirium. Gerne r5| 6. 8 51 09 711315 Langes. Langes. 516,110, 52120, 5.12) 0 & % 67. 15115/20/)10| 0| 0| o| 0 as Kurzes. 5/10|20/15| 0| 0| 0/ 0 > 9 31 E20 6153 8.1.01. 011.0) 0 & B 68. 0/15/10/10| 7| 0) 0 0 3 x 69. 10|13|18|15| 0! 0! 3/10 = % 10,19).15|13| 5) 3| 0 5 hr > 70. 182025 |10|20|30|30 25 | | 3 n 95|30|s0| s|20 |25 |25 | 20 | y Tat-VILL Fig.15, s 20|25 25 |10|12 | 30 | 30 | 30 ,, ee 71 20 | 30 | 30 oe 25 | 20 | 20 \ re r 7 h E£) > 25130 20\10[25 |40\40 | — | Taf-VIILFig.16. “ [23 <1o 72. 1852021130) 125: 252 |222, 222123 5 Langes. 10/15|20| s| 1| 1| 4/10 e » 1020 |20/10| 1) 110/15 08 > 78, 8/15 |25|20| 2| 3) 5 5 > > 74. 12/20|30|25|20| 8| 5|15 | > „ 15/20|30|25|20 10| ı 2| Taf. VIII, Fig. 17. E 5 ı 8 515 eolı5| | slıo!] 4 h 75.) IM.) 610) 3) —(10/10| 5|5 Kurzes. 53 5010) Ho) 5, 5 3 e6 76. 5) 5/15 5| 5) 2| 1 ı| Taf.IX,Fig.1. Langes. = LUDWIG SCHWEINBURG: Tabelle IV. (Fortsetzung.) : E z 32 r z 3; 2 = = Ss S Ze: BEICHI SEIEN ERIEEISEIFR Respirationstypus. es | ae denne 2 | =) &7 | $| | 3” Inspirium. Exspirium. V.| 0110/10| 7| 8| 0} 0) 5 Langes. Langes. 5110/10) 7[ 0| 0o| 0/0 ‚ \ o| 4|1015[ 0o| o| 3| 3 5 3:75. 10.|751.0) 005 2 s ee 5 542.7.12.01100.17 020, 0 % Kurzes. 3 510:|01 0.00 5 5/10|12| 5| 3| 0) 0| 0 x x 52.1055. 2120/25 22511:5 Kurzes Langes. IVIITR 52 era el33 27 1.0212,02.202 25 Langes > 3202 10) 20,20) 0.122183 n 2a, 81 7.01.80] 2.8 B% » Io ee Bil 511032170, 1.0 3 > X.|10/15|20|15|10| 8| 7, 7 35 Kurzes. xTL115 2015| |10| 8| 51 5 Kurzes. Langes. 10 15/10) |10| 5| 5| 5 . > xI.|10/10/15| 0| 4 10 2020 Langes. Kurzes. 7| 7/10| 0/1515 1515| Taf. IX, Fig. 2. E “ XV2 1512020) 26.| 5) 5.110,10 4 > e 10/15|15|11| 6| 5) 610 \ Tat. ae x 2 10|15|15| 5| 3 5| 5,10 ; 5 Dre BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 495 Tabelle V. Im Inspirium erfolst Sinken des Blutdruckes; im Exspirium: a. keine Veränderung. b. Steigen. c. Steigen dann Sinken. F E 5 2: E 2 Eu 2 5 & 5, a 33 wasrens2en:535|58 Respirationstypus. : 33 marariabaraeana sp 1onstypus Brise] 8 Inspirium. Exspirium. 86.| I. |20|10|) 7| —130| 3025| 25 Kurzes. Langes. Sale 25 25 25 10]15/15| 15/18 Langes. ss m FE 88. 25/25 20| 0[15|20|20|20| Taf. IX, Fig. 4. N 82 308 I ee =3 9, | 1006. .®) © Da ea Kurzes. 55 000r0 0,5, 5| 1 7) 0 0. —1 2 9| 3) 1 90. Bias 6 lol >| 5 5510-1510. 7|5 5 > 51 Be ee x 5 91. ol 8 Sl 8 le > Da ll 7: 8| 8| ® » » 92. 15 |12 | 10 | — [20 | 20 | 20 | 20 R r 20|15|15 —|25 25 25 | 22 > s 98. 12\11 10) — l12|15 1513 > 5 12 10/10 —|16 16 | 1615 B ; 94. 15 10 Ne 20 20 20 15 | ” ER) 14110) 5| - (117, 20|17|15 | \ Taf. IX, Fig. 5. 2 1510| 5|— [ız |ı8lıs!ı5 15|13| 5 | — 1101010) 10 > » 10) 8| 5 —[10/10|10)10 » » 10| 7| 5/1 —|10| 10 ı0| 10 ; 5 95. 10) 7 4A —-|5| 0) | — 54 Kurzes. LUDWIG SCHWEINBURG: Tabelle V. (Fortsetzung.) = G E E 2 h ä E E ” 3 HRrsmsessshHsnsh E32 n Ihn 2 8 E BE As ee 22js2 AN Biss Respirationstypus. > & 28 8 he 8 8 B A | Inspirium. Exspirium, 10. .8],4 1107710 [= | — Kurzes. Kurzes. 0; 870 23 1201015 | ann we > al ala ne af. IX, Fig. 6. S ® 925,232 1.10:1710: | B En 10 |..8|123:) —1 9°) 9) — | — s > fe) 5 3 Beer; 10 10 Fi | >” Er] 10| 5| 3/— [10/1101 — | — > 40 |30|20| — |18|35 | — | — > > 35 30 20 er 30 40 a SE » E&) 40 35 |22 | —|35 40 — | — A is Be 10 \35 25 |—I30|45| —_ | — Taf. IX, Fig. 7. 2 < 45140125 | — |25|45| — | — > > 40 | 30 |20 | — 130140 | — | — > > 40 35 30 | — [40 140 | — ı — > 5) 40 | 30 | 20 | — | 30 | 35 | — | — » ED 35 /30|115|— [30135 | — | — » » X.|15|20|15 | 15 | 30 | 30 30 | 30 | Langes. Langes. XI. |15/10| 0| 0[20|25 |20 | 20 En En 2520| 7| 2, 4|15|25|25| | N > B las 20|20| slıo 15 |25|25 | y Tat IX. Fig. 8. 5 F 17) 5| 3| 0/15 |20|25|25 Taf. IX, = 2 15112|]10|— | 4|13|25 | 40 N Fig. 10u.11. Kurzes. 5 RES: 24 22) 227521075255 > > I 10/10/10) 81 5| 5) 5| 5 Langes. = 20 |20|20,15|15 15 1515 »» » 15/15/15|10|] s|ı0/10|10| Taf. IX, Fig. 9. 5 5 104. | XIV. 5 al 5 le el ». >> Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 497 Ueberblickt man zunächst die Köpfe der Tabellen, so sieht man, dass nur in sehr geringen Fällen (Tab. I, III, V) das Inspirium oder Exspirium von keiner Veränderung des Blutdrucks begleitet wird. Was ferner auffällt, ist, dass die Beziehungen zwischen Athmung und Blutdruck weit mannigfaltiger sind,. als nach den hergebrachten, aus sphyg- mographischen Versuchen abgeleiteten Meinungen anzunehmen war. In meinen Versuchen, bez. in den Tabellen finden sich der Fälle genug, in denen mit der Inspiration eine Herabsetzung des arteriellen Blutdruckes und mit der Exspiration eine Erhöhung desselben stattfindet (Tab. V, Taf. IX Figg. 4, 6, 7, 8). Ebenso finden sich unter meinen Versuchen viele, welche darthun, dass in der Inspiration der Blutdruck steigt, im der Ex- spiration fällt, bez. im Anfange der Inspiration sinkt, im Verlaufe der In- spiration steigt, am Anfange der Exspiration das Maximum erreicht und sodann wieder abfällt, wie dies Einbrodt bei der normalen Athmung des Hundes gesehen hat und wie dies auch in meinen Versuchen am Thiere (Taf. VII, Figg. 1a, 2a, 3a, 4a) sichtbar ist (Tabelle II, IH; Taf. VIII, kieosl, 3..6, 9, 10, 11). Allein meine Tabellen weisen auch genug der Fälle auf, in denen andere als die eben erwähnten Beziehungen zum Vorscheine kommen. Weiter ergiebt sich, dass die Dauer einer einzelnen Respirationsphase im Allgemeinen keinen ausschlaggebenden Einfluss auf die Art der Blut- druckschwankung ausübt. Wie die in den Tabellen niedergelesten Ver- suche zeigen, fallen die verschiedensten Typen der Blutdrucksveränderung mit den verschiedensten Respirationstypen zusammen. Nur ein Respirations- typus — kurzes Inspirium und Exspirium — scheint, wie ich hier nur an- deuten will, einer bestimmten Art der Blutdruckschwankung (s. Tabelle V) besonders günstig zu sein. Die Art der respiratorischen Blutdruckschwankung scheint also im Wesentlichen weder von der Tiefe der Athmung noch von der Dauer der ‚einzelnen Athmungsphasen abzuhängen; es scheint vielmehr die Verschie- denartigkeit der respiratorischen Blutdruckschwankung dadurch bedingt, dass die Athmungsthätigkeit in den einzelnen Versuchen keine gleichmässige ist, d.i. dass selbst bei gleicher Dauer der Athmungsphasen und bei gleicher Tiefe der Athmung die verschiedenen Theile des Athmungsapparates nicht in gleicher Weise functioniren. Da meine Versuche am Thiere mich gelehrt hatten, wie sehr die Blutdruck- schwankungen von der Zwerchfellscontraction abhängen, so lag es auch sehr nahe zu vermuthen, dassauch am Menschen das Zwerchfell sich in ungleicher Weise an dem Athmungsgeschäfte betheilige und dass eben von dieser Ungleich- heit die Wandelbarkeit in der Art der respiratorischen Blutdruckschwankungen abhänge. Dass die Zwerchfellscontraction überhaupt die respiratorischen Archiv f. A. u. Ph. 188]. Physiol. Abthlg. 323 498 LUDWIG SCHWEINBURG: Blutdruckschwankungen des Menschen zum grössten Theile bedinge, kann nach meinen Versuchen kaum einem Zweifel unterliegen. Es wäre zum mindesten schwer, die in einer grossen Anzahl von Versuchen sich zeigende volle Uebereinstimmung der respiratorischen Blutdruckschwankungen des Menschen mit denen des Hundes in anderer Weise zu deuten. Steht es aber fest, dass eine Art von Blutdruckschwankungen von der Zwerchfells- contraction abzuleiten sei, dann gewinnt auch die Annahme an Wahr- scheinlichkeit, dass jene Arten von respiratorischen Blutdruckschwankungen, die ihr Vorbild im Thierversuche finden, so wie diese letzteren entstehen. Ehe ich auf diese Analogie zwischen den Versuchen am Thiere und am Menschen eingehe, will ich einige Versuche erwähnen, die ich anstellte um zu erfahren, ob es nicht möglich sei, auch am Menschen in directer Weise einen Beweis für die Beeinflussung der respiratorischen Blutdruck- schwankungen durch die Zwerchfellsaction anzutreten. - Dieser Beweis wäre erbracht, wenn man den Versuchen, in denen die Art der respiratorischen Blutdruckschwankungen eine kräftige Action des Zwerchfelles voraussetzen lässt, solche entgegenstellen könnte, in denen eine Theilnahme des Zwerchfelles an der Respiration ganz oder mindestens zum grossen Theile ausgeschlossen werden könnte. In diesem letzteren Falle müssten conform den am Thierversuche gewonnenen Resultaten die respi- ratorischen Blutdruckschwankungen verschwunden oder zum mindesten sehr reducirt sein. In erster Reihe musste daran gedacht werden, ob es nicht Individuen gäbe, deren Zwerchfell aus physiologischen Gründen nicht in Action tritt. Bekanntlich unterscheidet man seit langem zwischen dem Respirations- typus der Männer und Weiber. An der Athmung der Männer soll sich vorzugsweise das Zwerchfell betheiligen, während Frauen zumeist die Rip- penmusculatur behufs Vergrösserung des Thoraxraumes in Anspruch nehmen. Bestände dieser Unterschied in vollem Maasse, dann müssten die an Frauen angestellten Versuche keine oder geringere Blutdruckschwankungen auf- weisen als die an Männern vorgenommenen. Allein der Unterschied zwischen dem Respirationstypus der Männer und Weiber ist, wie diesbezügliche Versuche lehrten, kein durchgreifender. Nach Riegel! bestehen bereits unter physiologischen Verhältnissen Ab- weichungen in den respiratorischen Formveränderungen des Thorax. Von besonderer Wichtigkeit ist seine Aussage, dass „mit dem Tieferwerden der Athemzüge beide Geschlechter sich von dem ihnen eigenthümlichen Ath- mungstypus entfernen und einen zwischen beiden liegenden und so sich gegenseitig ergänzenden Kespirationstypus annehmen“, deshalb, weil gerade " Die Athembewegungen. Würzburg 1873, DIE BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION T. 8. W. 499 meine Versuche sich auf vertiefte Athmungen beziehen. Uebrigens sind, wie gleichfalls Riegel auseinandersetzt, auch bei gewöhnlicher Athmung die Grenzen zwischen männlichen und weiblichen Athmungstypen nicht scharf gezogen; vielmehr findet man Männer mit weiblichem und Weiber mit männlichem Athmungstypus; man findet auch alle Arten von Ueber- gängen und .endlich schwankt der Typus sogar bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten. Aus alledem geht a priori hervor, dass die vergleichende Prüfung der respiratorischen Blutdruckschwankungen von Männern und Weibern zur Entscheidung der Frage nichts beitragen dürfte. In der That sieht man selbst in den von mir an den weiblichen Ver- suchsindividuen VIII und IX angestellten Versuchen 22,23 und 60,61 die Blutdruckschwankung deutlich ausgeprägt. Das gleiche findet man an dem Versuchsindividuum XI (Versuch 63, 64, 82), das sich 14 Tage nach der Entbindung befand. Leicht begreiflich erschiene es ferner, wenn die Füllung des Bauch- raumes durch den schwangeren Uterus ausgiebigere Lageveränderungen des Zwerchfelles verhinderte. Würde in diesem Falle die inspiratorische Erweiterung des Thorax vorzugsweise durch die Rippenmuskeln bewerkstel- liegt, dann müssten wieder nach Analogie der Thierversuche die respirato- rischen Blutdruckschwankungen sich verringern oder wegfallen. Allein auch hier widerspricht der theoretischen Annahme die Erfahrung Riegel’s!, dass auch während der Schwangerschaft „nicht selten die epigastrische Hervor- wölbung die thoracische an Grösse übertrifft“. Riegel erklärt dies „aus der allmählichen Volumszunahme des Unterleibes und die dadurch hervor- gerufene Accommodirung“, welche „auch bei anderen Arten der allmählichen Ausdehnung des Unterleibes, so bei Ovariencysten u. dgl., die gleichen Resultate ergiebt“. Uebereinstimmend hiermit hat übrigens auch P. Bar? die Beobachtung gemacht, dass bei normalem Volumen des graviden Uterus und Euphorie der Schwangeren das Zwerchfell der hauptsächlichste Factor bei der Respi- ration ist, selbst wenn die Frauen rasch und gewaltsam athmen. Mit diesen letzteren Erfahrungen vollständig im Einklange stehen die von mir an fünf im letzten Monate der Schwangerschaft stehenden Frauen angestellten Versuche. Es sind dies die Versuche 5, 6, 24, 25 (Taf. VIII, Fig. 7), 26, 62, 65 (Taf. IX, Fig. 11), 81, 83, 84 (Taf. IX, Fig. 2), "85 (Taf. IX, Fig. 3), 97, 98, 99 (Taf. IX, Fig. 8), 100 (Taf. IX, Figg. 10 u. 11), 101, 102, 103 (Taf. IX, Fig. 9), 104, welche sich auf die Versuchsindivi- ıA.2.0. ® Citirt nach dem Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1881. Nr.20. 32* 500 LUDWIG SCHWEINBURG: duen X, XI, XII, XIV, XV beziehen. Bei manchen dieser schwangeren Frauen, wie bei XIII, XIV, will es scheinen, als ob die respiratorischen Veränderungen des Blutdruckes weniger ausgiebig sind (s. Versuch 5, 101, 102, 103 [Taf. IX, Fig. 9] und die Versuche 6, 25 [Taf. VI, Fie. 7, 26, 104). Diese Thatsachen sind aber deshalb nicht belangreich, weil man einerseits solchen geringen Schwankungen auch bei Männern und nicht schwangeren Frauen begegnet und weil andererseits selbst hoch- schwangere Versuchsindividuen grössere respiratorische Blutdruckschwan- kungen darbieten. Im Ganzen lehren diese Versuche zum mindesten, dass eine rein thoracale Athmung zu den Seltenheiten gehört und es musste da- her die Absicht aufgegeben werden, vergleichende Untersuchungen zwischen dem Effect der thoracalen und diaphragmalen Athmung anzustellen. Ich unternahm nur noch den Versuch durch feste Einwiekelung des Bauches das Zwerchfell wenn möglich in seiner Action zu hemmen. Allein auch diese Procedur, welche darin bestand, dass man den Bauch des Ver- suchsindividuums mittels einer Esmarch’schen Binde so fest als möglich umschnürte, hatte, wie man aus den beobachteten respiratorischen Blut- druckschwankungen ersieht, nicht den gewünschten Erfolg; die Umschnü- rung des Bauches scheint allerdings die Action des Zwerchfelles zu beein- trächtigen, sie scheint aber nicht im Stande zu sein das Zwerchfell an seiner Bewegung vollständig zu hindern. In manchen Fällen (s. Taf. IX, Figg. 12, 13, 14, 15). zeigten sich nach Umschnürung des Bauches die respiratorischen Blutdruckveränderungen deutlich vermindert; in anderen Fällen dagegen hatte die Umschnürung keinen derartigen Effect. Es giebt also vorläufig kein Mittel, welches gestattet, am Menschen die respiratorishen Bewegungen des Zwerchfelles und mit ihnen die respi- ratorischen Blutdruckschwankungen so auszuschliessen, wie dies am Thiere durch Durchschneidung der Nn. phrenici möglich ist. Es erübrigt also nur zu untersuchen, ob sich die verschiedenen Va- riationen der respiratorischen Blutdruckschwankungen, die man am Men- schen beobachtet, mit den am Thiere gewonnenen Erfahrungen vereinigen lassen. Zu einer solchen Untersuchung können aber nur meine, keineswegs aber die mittels der sphygmographischen (Landois, Knoll u. s. w.) oder hydrosphygmographischen Methode (Mosso) angestellten Versuche heran- gezogen werden, denn nur die ersteren sagen, wie man aus der vorher- gehenden Abhandlung von v. Basch ersieht, sicheres über die Aenderung des arteriellen Blutdruckes aus und nur die ersteren lassen sich deshalb mit den Thierversuchen vergleichen. Tabelle I enthält Versuche, bei welchen während der Inspiration keine Veränderung des arteriellen Blutdruckes sichtbar ist. Dieser beiläufig be- DıEe BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION UT. 8. W. 501 merkt seltene Fall scheint einzutreten, wenn voraussetzlich die Bewegung des Zwerchfelles den intraabdominalen Druck nicht erheblich zu erhöhen vermag. Das Verhalten, das in diesen Fällen der Blutdruck während der Exspiration darbietet, lässt sich folgendermaassen erklären. Zunächst ist es ja möglich, dass trotz der mangelhaften Zwerchfellsaction das Herz sich während der Inspiration reichlich anfüllt. Wirkt auf ein solches Herz die beschleunigende Kraft des exspirirenden 'Thorax, so wird der Blutdruck ansteigen (Versuch 3, 5) und zwar um so eher, als ja hier der Bauchraum keine oder wenigstens nur eine geringe exspiratorische Vergrösserung und der intraabdominale Druck keine wesentliche Verringerung erfährt. Ist aber die Herzfüllung während der Inspiration nur wenig oder gar nicht vermehrt und sind zudem die durch die exspiratorischen Bewegungen des Thorax entwickelten Kräfte nicht bedeutend, dann wird, weil aus be- kannten Gründen die Herzfüllung während der Exspiration abnimmt, auch der Blutdruck sinken (s. Versuche 2, 4, 6). Warum auf das Sinken im Exspirium manchmal noch ein Steigen folgt, soll später erklärt werden. Während die eben besprochenen Versuche ihr Analogon in jenen Thier- versuchen finden, wo das Zwerchfell gelähmt oder dessen Einfluss auf den intraabdominalen Druck durch Eröffnung der Bauchhöhle eliminirt wurde, sind die folgenden in Tab. II und III zusammengestellten Versuche mit den unter wesentlich normalen Bedingungen angestellten 'Thierversuchen vergleichbar. Am vollkommensten stimmen die Versuche in Tab. II mit den Thierversuchen überein, denn dort wie hier geht dem inspiratorischen Steigen des Blutdruckes ein kurzdauerndes Sinken vorher, das ebenfalls in’s Inspirium fällt; ebenso sieht man, dass die im Inspirrum begonnene Er- höhung des Blutdruckes sich in’s Exspirium fortsetzt und dass erst in dessen weiterem Verlaufe der Blutdruck wieder sinkt. Das inspiratorische Sinken erstreckt sich, wie einige Fälle in Tab. IT lehren, manchmal auch über den grössten Theil der Inspirationsphase und das Steigen erfolgt erst viel später. Vermuthlich compensirt in solchen Fällen die erhöhte aspiratorische Kraft des Thorax den Einfluss der Zwerchfellsaction auf den intraabdomi- nalen Druck. In Versuchen, wo die Athmung durch Verschliessung des Mundes und eines Nasenloches behindert wurde, war manchmal (Versuche 19, 20; Taf. VIIL, Figg. 5, 6) die anfängliche inspiratorische Drucksenkung sehr deutlich ausgesprochen; dieselbe fehlt aber auch trotz der behinderten Athmung (Versuche 30, 31; Taf. VIII, Figg. 9, 10). Das anfängliche inspiratorische Sinken fehlt in einigen Versuchen der Tab. III., ebenso das anfängliche exspiratorische Steigen in einem Theile der Versuche in Tab. II und Ill. Diesbezüglich ist aber zu erinnern, dass (S. 485) auch am Thiere diese Veränderungen ausbleiben können. 502 LUDWIG SCHWEINBURG: Auch die Erscheinung, dass dem exspiratorischen Sinken am Schlusse der Exspiration bez. im der Exspirationspause noch ein Steigen des Blut- druckes folgt (Versuch 39; Taf. VII, Fig. 12. — Versuch 65; Taf. IX, Fig. 11. — Versuch 74; Taf. VIH, Fig. 17. — Versuch 85; Taf. IX, Fig. 3. — Taf. VIII, Fig. 14 u. s. w.) ist, wie man sich erinnern wird, nicht ohne Ana- logie im Thierversuche. Die dort (S. 483) ausgesprochene Meinung, dass das Steigen durch die exspiratorische Thätigkeit der Bauchmuseulatur veranlasst sei, _ gewinnt hier an grösserer Wahrscheinlichkeit, weil die Beobachtung lehrt, dass bei langdauernder, foreirter Exspiration die Bauchdecke deutlich ein- sinkt. Hiermit soll die ebendaselbst ausgesprochene Möglichkeit, dass das Steigen des Blutdruckes bei längerem Exspirium auf einer dyspnoischen Gefässcon- traction beruhe, nicht zurückgewiesen werden. Bemerkt muss noch werden, dass das Steigen des Blutdruckes zu Ende der Exspiration nicht bloss in den Versuchen beobachtet wird, wo der Blutdruck im Inspirium- steigt, sondern auch in jenen, wo er sich gleich bleibt oder sinkt (s. Tab. I u. IV). In den Versuchen der Tab. IV. findet man eine weitere Form der Blutdruckschwankung, für die sich in meinen Thierversuchen kein Analogon vorfindet.. Es sinkt nämlich der Blutdruck noch in der Inspiration und zwar zu Ende derselben bez. in der Inspirationspause. Dieses Sinken er- klärt sich durch die Annahme, dass in solchen Versuchen der Thorax noch zu einer Zeit in Inspirationsstellung verharrt, wo das Zwerchfell bereits in seine Ruhelage zurückgekehrt ist. Der intraabdominale Druck wäre dann während eines grossen Theiles der Inspiration und während der Exspiration verringert und hiermit das Sinken des Blutdrucks begreiflich, das noch im Inspirium beginnt und sich bis in das Exspirium fortsetzt (Versuche 67, 68, 76, (Taf. IX, Fig. 1) 80, 81, 82. Was in diesen Versuchen während der Exspiration vorgeht, weicht nicht von dem ab, was auch in Thierversuchen zu beobachten ist. Bei- spiele für das anfängliche Steigen des Blutdruckes im Exspirium geben die Versuche 70 (Taf. VIH, Fig. 15), 71 (Taf. VIII, Fig. 16), 75, 84 (Taf. IX, Fig. 2). Das Steigen des Blutdruckes zu Ende eines langen Exspiriums, das ich schon früher bei den Versuchen in Tab. II und HI besprochen habe, illustriren die Versuche 69, 72, 73, 74 (Taf. VIII, Fig. 17), 77, 79, 83, 85 (Taf. IX, Fig. 3). Bei den Versuchen der Tab. V sinkt gleich mit Eintritt des Inspiri- ums der Blutdruck und steigt sowie die Exspiration beginnt. Da in diesen Versuchen das Inspirium sowohl als das Exspirium zumeist von sehr kurzer Dauer war (Vers. 86, 89, 90, 91, 92, 93, 94 Taf. IX, Fig. 5, 95 Taf. IX, Fig. 6, 96 Taf. IX, Fig. 7), so muss wohl daran gedacht werden, dass ge- rade in diesem Athmungsmodus die Bedingungen für diese Art der respi- ratorischen Blutdruckschwankungen vorhanden sind. In der That gewährt Die BEDEUTUNG DER ZWERCHFELLSCONTRACTION U. S. W. 503 es keine Schwierigkeit sich vorzustellen, dass bei einem solchen Athmungs- modus zumeist — wie man dies ehedem als allgemeine Regel hinstellte — die intrathoracalen Druckveränderungen in’s Spiel kommen und dass diesem gegenüber die Rolle, die sonst den intraabdominalen Druckverhältnissen zu- kommt, eine untergeordnete wird. Für diese Annahme fällt übrigens folgender Umstand in’s Gewicht. Meine Versuche lehren nämlich, dass auch bei einem anderen Athmungs- modus, d. i. bei langdauerndem Inspirium der Blutdruck sinkt. Diese letzteren Versuche (97, 98, 99 Taf. IX, Figg. 8, 100 Taf. IX, Figg. 10 u. 11, 103 Taf. IX, Fig. 9, 104) betreffen aber hochschwangere Frauen und bei denen kann ja leicht die diaphragmale Athmung gegenüber der thoracalen verschwinden. Den Herren Professoren Späth und Kaposi, die mir gütigst gestat- teten ihr klinisches Material zu benützen, sage ich hier meinen wärmsten Dank. Erklärung der Abbildungen. Taf. VII enthält die bei den Thierversuchen gewonnenen Curven, Taf. VIII und IX enthalten die Curven, die von den an Menschen angestellten Versuchen herrühren. Die Pulscurven unterscheiden sich so deutlich von den Respirationscurven , dass mir eine besondere Bezeichnung beider nicht nöthig schien. In Figur 7 auf Taf. VIII, sowie in den Figg. 2, 3, 8, 9, 10, und 11 auf Taf. IX sind die Curven von links nach rechts, in allen übrigen Figuren von rechts nach links zu lesen. Die Aufsaugung im Magen des Hundes. Von Dr. B. v. Anrep. Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig. Im Sommersemester 1880 begann ich auf Anregung des Hrn. Prof. C. Ludwig eine Untersuchung über die Befähigung des Magens, Zucker und Eiweiss aufzusaugen. Obwohl es mir nicht vergönnt war, der Arbeit die gewünschte Vollständigkeit zu geben, so waren doch einige wie mir scheint der Mittheilung werthe Ergebnisse gewonnen worden. Indem ich mich in diesem Frühjahr dazu anschickte, dieselben zu veröffentlichen, er- schien in dem XVI. Bande der Zeitschrift für Biologie, S. 497, eine Ab- handlung von H. Tappeiner, die eine der meinen ähnliche Aufgabe be- behandelt und sie wesentlich auch mit den meinen ähnlichen Mitteln zu lösen bestrebt ist. Bei dieser Sachlage würde die Darstellung meiner Beobach- tungen gegenstandslos gewesen sein, wenn zwischen ihren und den Ergeb- nissen Tappeiner’s Uebereinsimmung herrschte. Dieses ist jedoch nur sehr bedingt der Fall, sei es, dass man die Brauchbarkeit der gemeinsam von uns verwendeten Methode oder die durch sie gewonnenen Resultate in’s Auge fasst. Wenn man zu erfahren beabsichtigt, ob die Stoffe, welche aus dem flüssigen Inhalte des Magens verschwunden sind, durch dessen Wand ihren Weg zu den Blut- oder Lymphgefässen gefunden haben, so muss man es dahin zu bringen wissen, dass die Magenhöhle gegen den Dünndarm hin vollständig abgeschlossen ist. Am einfachsten dürfte dieses dadurch zu er- reichen sein, dass man die Pförtnermündung mittels eines sie ausfüllenden Pfropfes verschliesst. Tappeiner und ich haben unabhängig von einander dasselbe Vorhaben auf gleiche Weise ausgeführt, und zwar folgendermaassen: B. v. Ankep: DIE AUFSAUGUNG IM MAGEN DES HunDes. 505 Einem Hunde wird in unmittelbarer Nähe des Pylorus eine Magenfistel angelegt und in dieselbe eine metallische Verkleidung eingesetzt, deren Lich- tung weit genug ist, um den Mittel- und Zeigefinger bequem eindringen zu lassen. Durch die Oeffnung führt man einen gestielten Kautschuckbeutel über den Pylorus hinaus in das Duodenum. Der Stiel des Beutels, eine Kautschuckröhre von einigen Millimetern Durchmesser, wird an der Aussen- fläche der Bauchwand festgehalten und in seine Lichtung eine mit Wasser gefüllte Spritze eingebunden. Aus derselben werden etwa 25 °°® oder besser gesagt so viel Wasser in den Beutel eingetrieben bis sich dem Vorschieben des Stempels ein merklicher Widerstand entgegenstellt. Dann hält man die Röhre vor der Spritze zu, zieht letztere heraus und bringt an ihre Stelle einen Glaspfropfen, auf den man die Röhrenwand festbindet. Alsbald sucht man die Blase hervorzuziehen und drängt sie hierdurch gegen die nach dem Duodenum hingerichtete Mündung des Pylorus. Hat der Wider- stand, welcher sich dem Herauszerren entgegenstellt, den Beweis für die richtige Lage der ausgedehnten Blase gegeben, so wird ihr röhrenförmiger Fortsatz fest an den vor der Bauchwand hervorragenden Rand der Metall- verkleidung angeheftet. Eine ausführliche Beschreibung des einfachen Hand- sriffes halte ich für nöthig, um dem Leser die Ueberzeugung zu verschaffen, dass sich der Magen nach dem Dünndarme hin vollkommen abschliessen lasse, ohne einen Theil von der Höhle des letzteren mit dem Binnenraum des Magens in Verbindung zu erhalten. Zugleich möchte ich auf die Noth- wendigkeit aufmerksam machen, den gefüllten Beutel stets festzuhalten, weil er sonst durch die Bewegungen des Duodenums darmabwärts ge- führt wird, und zwar wie es mir einmal begegnete so weit, dass sein kurzer Stiel hinter dem Pylorus verschwindet. Ereignet sich dieser Unfall, so geht das Thier an Darmentzündung zu Grunde, weil sich der prall ge- füllte Beutel schon am Ende des Duodenums einklemmt und das Blut von einem wenn auch beschränkten Umfang der Darmwand absperrtt. Nach einer sorgfältigen Anlegung und Befestigung des Beutels ist auf eine vollkommene Verschliessung der Pförtnermündung zu rechnen. Hierfür zeugt die Abwesenheit von Galle im Mageninhalte selbst wenn das Thier den heftigsten Brechbewegungen anheimfällt. Wie damit die Un- wegsamkeit in der Richtung vom Darm zum Magen bewiesen, so lässt sich andererseits auch der Verschluss für einen entgegengesetzt gerichteten Strom darthun. War die Blase am lebenden Thier in der beschriebenen Weise _ angelegt und gefüllt worden, ward dann das Thier durch Verblutung ge- tödtet, Magen und Duodenum herausgelöst und durch die anhängenden Reste der Speiseröhre, der Magen unter einem hohen Drucke mit Wasser gefüllt, so floss auch nicht ein Tropfen desselben aus dem Duodenum ab. Ist der Hund zu den Versuchen über Aufsaugung vorbereitet, so wird 506 B. v. AnNREP: man mit ihnen nicht eher beginnen, als bis man sich von den Folgen unterrichtet hat, die aus der hlossen Verstopfung des Pförtners hervorgehen. Eine erste derselben offenbart sich in einer erhöhten Thätigkeit der Magen- drüsen; denn es tropft unmittelbar nach dem Aufblähen des Kautschuck- beutels die sauere Flüssigkeit rascher als vorher aus der Fistelöffnung. Die Aufregung der Schleimhaut dauert jedoch nur kurze Zeit; zehn bis fünfzehn Minuten nach der Anlegung des Beutels ist schon meist die Geschwindig- keit des Ausflusses auf das vorher bestandene Maass zurückgegangen. Unangenehmer ist eine andere Folge des Eingriffs, das Erbrechen. Sein Eintritt bleibt niemals aus, unterschieden ist nur der Zeitpunkt seines Erscheinens. Da es öfter längere Zeit nach dem Einlegen des Beutels aus- bleibt und erst dann eintritt, wenn sich der Magen mit abgesonderter Flüssigkeit gefüllt hat und der drohende Anfall zuweilen auch wieder hinausgeschoben werden kann, wenn man durch die Fistel den Magen ent- leert, so erschien die Vermuthung berechtigt, dass die Ueberfüllnng des Magens selbst das Erbrechen verursacht. Trotzdem kann die Veranlassung zu demselben nur in einem Reize gesucht werden, welcher von der Schleimhaut ausgeht, die von dem Kautschuckbeutel berührt wrd. Hier- für spricht der Umstand, dass durch eine ganz beschränkte elektrische Reizung der Pylorusfalte Erbrechen zu erregen ist. Allerdings wirkt an unserem Orte der Reiz längst nicht so sicher und so geschwind wie an der Cardia, aber es tritt doch der Erfolg sehr häufig hervor, wenn sehr schwache Inductionsströme anhaltend genug eingewirkt haben. Hierzu kommt, dass zuweilen die Thiere unmittelbar nach der Ausdehnung der Gummiblase erbrechen, zu einer Zeit, in welcher von einer Anhäufung des Magensaftes noch nicht die Rede sein kann. Das Erbrechen fehlt auch dann nicht, wenn man vor den Metallring der Fistelröhre einen Kautschuck- beutel gebunden, in den sich der fortwährend entstehende Magensaft er- giessen kann, Unzweifelhaft würde unser Verfahren zu dem Zwecke, dem es dienen soll, ganz unbrauchbar sein, wenn alle Hunde unmittelbar nach dem Anlegen des verstopfenden Beutels erbrächen und in diesem Beginnen während der dauernden Anwesenheit der Blase fortführen. Dieses geschieht nun keineswegs, wiederholt standen mir Hunde zu Gebote, welche erst anderthalb bis zwei Stunden nach der Verstopfung des Pylorus dem Er- brechen verfielen. Bei ihnen konnte also der. Versuch auf die genannte Zeit ausgedehnt werden; niemals darf man jedoch den Hund unbeobachtet lassen. In allen Versuchen, deren Erfolg später erwähnt wird, hat sich der Hund in meiner unmittelbaren Nähe bewegt. Eine wenn auch noch so häufig wiederholte Einlegung der Blase übt auf das allgemeine Befinden des Thieres keinen Einfluss, Fresslust und Verdauung bleiben namentlich ungestört. Die AUFSAUGUNG IM MAGEN DES HunDes. 507 Vor jedem Versuche, der die aufsaugenden Kräfte der Magenwand ermitteln sollte, wurde das Thier 24 Stunden hindurch nüchtern erhalten, dann wurde nach Anlegung des Kautschuckbeutels der Magen von der Fistel aus mit destillirtem Wasser ausgespült, darauf eine bekannte Menge des zu prüfenden Stoffes durch die Fistelöffnung eingebracht und diese letztere verstopft. Neunzig bis hundert Minuten später wurde der Magen- inhalt vorsichtig aus der Fistel in eine Schale entleert und alsdann der Magen mit destillirtem Wasser so lange ausgespült, bis in den in beson- deren Gefässen aufgefangenen Flüssigkeitsmassen nur noch spurweise Re- actionen auf Zucker, Syntonin oder Pepton zu erzielen waren. Man kann sich nicht verhehlen, dass der Mageninhalt auch bei aller auf die Operationen verwendeten Sorgfalt nicht vollkommen rein gewaschen werden kann. Hinderlich hierbei ist schon die Lage der Fistel. Da sie dort liegt, wo sich die Höhle des Magens zu einer Röhre umgeformt hat, so erhebt sich zwischen ihr und dem übrigen Magenraum eine Schleimhautfalte, welche den Ein- und Austritt von Flüssigkeit nach und aus dem Fundus erschwert. Gelingt es nun auch durch Niederdrücken der Falte den Widerstand zu beseitigen, so ist damit doch noch nicht die Möglichkeit gegeben, die viel- fachen Abschlüsse zu beseitigen, zu welchen die Falten der Magenschleim- haut Veranlassung geben. In den grösseren und kleineren Räumen, die sich zwischen den Unebenheiten bilden, bleibt stets Flüssigkeit zurück. Um die Grenzen der Fehler kennen zu lernen, die des Baues der Magenwand wegen dem Versuche anhaften, habe ich wiederholt bekannte Mengen von Zucker in den leeren und ausgewaschenen Magen des lebenden Thieres eingespritzt und diese so rasch als möglich wieder entleert, nachträglich aber mit reichlichen Mengen destillirten Wassers nachgewaschen. Hier- durch bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, dass günstigen Falls nur neunzig bis zweiundneunzig Procent des eingeführten Zuckers wieder zu ge- winnen sind; ein Verlust von acht bis zehn Procent ist also noch inner- halb der Fehlergrenze gelegen. Wahrscheinlich ist es mir, dass der Magen besser als durch das von mir geübte Verfahren auszuwaschen sein dürfte, wenn man das Spülwasser mittels einer Schlundsonde einführte. Die Ergebnisse der in Folgendem mitzutheilenden Versuche sind sämmt- lich an unvergifteten Thieren gewonnen worden, über andere, bei denen die Hunde eine mässige Gabe von Atropin empfangen hatten, berichte ich vielleicht ein anderes Mal. Die Anwendung von Atropin gewährt den Vor- theil, die Absonderung des Magensaftes bis zu deren vollständiger Unter- drückung hin zu verlangsamen. Deshalb lässt sich öfter die Dauer des Versuchs verlängern und hoffen, dass die an der Aufsaugung betheiligten Ursachen deutlicher als bei bestehender Absonderung des Magensaftes er- kennbar sind. 508 B. v. AnkEP: Auf die Geschwindigkeit der Resorption üben voraussichtlich Ein- fluss: der Zustand der flüssigen und festen Bestandtheile der Magenwand, der Grad ihrer Dehnung, die chemische Beschaffenheit der aufzunehmenden Stoffe, die Dichtigkeit der Lösung u.s.w. An eine Entwirrung der viel- fach verschlungenen Fäden zu denken, schien mir verfrüht, so lange der Nachweis fehlte, ob der Magen überhaupt befähigt sei, Zucker und Eiweiss- stoffe aufzusaugen. Und auch dieser Aufgabe trat ich erst näher, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass Jodkalium und Blutlaugensalz eine halbe Stunde nach ihrer Einführung in einen Magen, dessen Pförtnermün- dung verstopft war, in dem Harn erschienen. 1. Traubenzucker. Durch die Fistel wurde ein abgemessenes Volum einer Lösung eingebracht, deren Zuckergehalt mit frisch bereiteter Fehling- scher Flüssigkeit ausgemittelt worden war. Nachdem die Fistel 1-5 bei 2 Stunden verschlossen gewesen, wurde durch dieselbe der Mageninhalt entleert, die abgeflossene Flüssigkeit gemessen und zurückgestellt, dann wurde der Magen mit einer bekannten Menge destillirten Wassers aus- gewaschen, endlich der Zucker in der Magenflüssigkeit und in dem Wasch- wasser wie vorher titrirt. Fünf Versuche an zwei verschiedenen Thieren ergaben: Nummer des Eingeführt an Zucker Verschwunden an Zucker Aufent: : er in Procenten |. in Proc. des | halts-Zeit. Nr. suchs. I Grammen. | ger Lösung. |" Crsumen. Eingeführten. v 1 1 10 16°6 3.591 39:97 12305 2 20 16.6 10-964 54:3 1+45 3 20 40.0 12-218 61-1 28 — 2 4 20 33°3 15.634 78-1 1:50 5 39 583 14.776 42.0 1:45 Zwischen den eingeführten und wiedergewonnenen Zuckermengen stellt sich ein Unterschied heraus, dessen Grösse zu bedeutend über den höchstens 10 Procent betragenden Fehler hinausgeht, um ihn aus Unvollkommenheiten des analytischen Verfahrens ableiten zu können. Andererseits kann man auch das Verschwinden des Zuckers nicht auf eine Umwandlung desselben in Milchsäure schieben, denn es liess sich dieselbe trotz aller darauf ver- wendeten Sorgfalt in der aus dem Magen entleerten Flüssigkeit nicht nach- weisen. Ein Verdacht war also beseitigt, der im Hinblick darauf entstehen konnte, dass andere Beobachter nach dem Genuss von Zucker Milehsäure im Magen gefunder hatten. DIE AUFSAUGUNG IM MAGEN DES HUNDES. 509 Ist die Aufsaugung des Zuckers im Magen ausser Zweifel gestellt, so erhebt sich sogleich die Frage nach dem Wie. Am nächsten liest der Ge- danke an einen endosmotischen Vorgang. Alle Bedingungen für seinen Eintritt sind erfüllt, und in den Ergebnissen der Versuche selbst spricht Einiges für sein Bestehen. Namentlich wurde bei gleicher Dauer des Ver- suchs um so mehr Zucker aufgesogen, je mehr desselben in den Magen ge- bracht gewesen und seinem Eindringen in die Wand entgegen ergoss sich in die Höhle des Magens Flüssigkeit. Erfolgte dieser Austausch nach en- dosmotischen Regeln, so müsste für jeden Gewichtstheil verschwundenen Zuckers ein bestimmtes Volum an Flüssigkeit erschienen sein. Ob es ge- schehen, lässt sich aus den Angaben des Versuchs erkennen, denn sie machen uns unmittelbar bekannt mit dem Gewicht des aufgesogenen Zuckers und es lässt sich das Volum der vom Magen abgeschiedenen Flüssigkeit leicht berechnen aus den gegebenen Mengen des von aussen eingeführten Wassers, des zurückgebliebenen Zuckers und aus dem procentischen Ver- hältniss, in dem der letztere gelöst war. Stellen wir einander gegenüber, die verschwundenen Mengen des Zuckers und der ausgeschiedenen Flüssig- keit, so ergiebt sich: Verschwunden Ausgetreten Für 1grm Zucker traten an Zucker an Flüssigkeit an Flüssigkeit hervor 1. 3.991 8m 195°” 55 m a Te 510 „ 42 „ 4. 15-634 „ 166 „ 140, 5 1A.in6,, 255 „ I, Die Zahlen des dritten Stabes, welche das endosmotische Aequivalent ausdrücken sollen, weichen allzusehr von einander ab, als dass es sich der Mühe verlohnte, sie auch nur vorübergehend zu besprechen. Will man trotzdem die Vorstellung, dass der Zucker diffundirt sei, nicht verlassen, so muss man behaupten: die gesetzmässigen Aeusserungen der Endosmose seien verdeckt worden von einer gleichzeitig mit der letzteren auftretenden Absonderung des Magensaftes.. Dass eine solche stattgefunden, ist gewiss, denn die am Schlusse eines jeden Versuchs abgelassene Flüssigkeit reagirte stark sauer. Wäre nun der Inhalt des Magens ein Gemenge aus Labsaft und neutraler gegen den Zucker ausgetauschter Flüssigkeit, so müsste sein Säuregehalt veränderlich ausfallen. Hiervon zeigt sich jedoch das Gegen- theil; so oft er bestimmt wurde fand sich der Säuregrad der vorhandenen Flüssigkeit gleich gross. Er betrug im Versuch 3 = 0:18 Procent, im Ver- such 4 = 0:19 Procent, im Versuch 5 = 0:16 Procent. Damit, dass der abgesonderte Magensaft nur ergänzend zu einer auf andere Weise ent- 510 B. v. Ankrep: standenen Flüssigkeit hinzugetreten sei, lassen sich die Zahlen schwer ver- einbaren, und deshalb wird man eingestehen müssen, dass die vorliegenden Erfahrungen nicht ausreichen, um über den Mechanismus der Aufsaugung auch nur eine Vermuthung zu begründen. Vielleicht führt uns die An- wendung des Atropins einen Schritt weiter, weil dasselbe die Verwickelung beseitigt, welche von der Absonderung des Magensaftes herrührt. 2. Eiweiss. Anfänglich führte ich durch die Fistel nur frisch ge- fälltes Syntonin ein, weil sich die mit dem Magensaft berührenden Eiweiss- stoffe iı: diesen Körper zu verwandeln pflegen; als es sich aber ergab, dass das Syntonin innerhalb des Magens ganz oder zum grossen Theil in Pepton überging, bediente ich mich des trockenen Peptons von Witte. Obwohl meinen Absichten die Bestimmung des Gesammteiweisses genügen konnte, so habe ich doch in mehreren Versuchen die Trennung des Syntonins vom Pepton nach der Methode von Hrn. Prof. Drechsel mit Ferrocyanwasser- stofl durchgeführt. Die Beobachtung ergab: Nummer - hehe | en n a Zutat, Thiers. Syntonin. | Pepton. : ; | suchs. 1 1 4. 2em Synt. 0-32720 2.898370. gQHEz 1u2307 2 2 a, 6-534 „1 2.6883, 8. Daue ale: 1 N. 10.729, 13a |, 2 4 5- 91 „ Pepton — ./3:099,, 1.8700 121225 2 5 12-529, — 8.103 „ 43847, 157 Die Menge der verschwundenen Eiweisskörper in Procenten der ein- geführten ausgedrückt stellt sich für 1 = 23:3 Procent, für 2 = 27.9 Pro- cent, für 3 = 656 Procent, für 4 = 31.7 Procent, für 5 = 33-9 Procent. Der dritte Versuch fällt durch den hohen Procentwerth des verschwun- denen Eiweisses aus der Reihe, vielleicht weil der Fehler, welcher beim Ausspülen des Magens begangen werden muss, gegen die geringe Menge des eingeführten Syntonins allzu stark in’s Gewicht fällt. Legt man ihn bei Seite, so genügen doch die vier anderen zum Beweise, dass der Magen Eiweissstofle aufzusaugen vermag, denn auch in dieser Reihe übersteigt die Menge des verschwundenen weitaus den von dem Versuchsfehler abhängigen Verlust. Neben der Aufsaugung ging hier wie bei der des Zuckers die Abson- derung von Magensaft einher, in Folge dessen der Säuregrad immer auf Dik AUFSAUGUNG IM MAGEN DES HUNDES. 511 gleicher und zwar auf derselben Stufe wie in der Zuckerreihe stand. Er wurde gefunden in Versuch 1 = 0:17 Procent; in Versuch 2 = 0:19 Pro- cent; in Versuch 4 = 0:18 Procent; in Versuch 5 = 0:17 Procent. Aus den mitgetheilten Thatsachen dürfte anstandslos zu schliessen sein, dass der Magen auch bei offenem Pförtner aus einer wässerigen Lösung Zucker und Pepton aufzusaugen vermöge; in welchem Verhältnisse dagegen seine auf die Resorption gerichteten Leistungen zu den entsprechenden des Dünndarms stehen lässt sich aus den vorgelegten Beobachtungen und auch voraussichtlich nicht aus deren weiterer Fortsetzung ableiten. Die Methode scheint dagegen nicht aussichtslos, wenn es sich um Erfahrungen darüber handelt, ob die Magenwand unter den ihr gleichzeitig dargebotenen Stoffen ‘eine Auswahl trifft und ob die verschiedenen aufnehmbaren Stoffe mit un- gleicher Geschwindigkeit resorbirt werden. Sollte es den fortgesetzten Be- obachtungen gelingen, bestimmtere Vorstellungen über den Hergang der Aufsaugung zu begründen, so dürfte hieraus auch ein Gewinn für die Ein- sicht in die Resorption des Darmes entspringen bei der vielfachen Aehnlich- keit im Bau seiner mit der Schleimhaut des Magens. Anhangsweise gebe ich die Beschreibung der oben in ihren Ergebnissen mittgetheilten Versuche. Il. Zucker. Versuch L Hund 2. 15.VI. 80. Der Pylorus wird abgesperrt, der Magen mehrmals ausgespült. 108” Traubenzucker in 60°” Wasser gelöst, durch die Fistel- röhre eingeführt. 1 Stunde 30° später der Mageninhalt gesammelt und der Magen mit Wasser gewaschen. Die Zuckerbestimmung ergab folgende Zahlen: 1. 10°®% enthalten 0°251 Zucker. DR ON, ” 02419 5, Daraus die ganze Zuckermenge berechnet 6°408 Em, Versuch II. Hund 1. 22.V1. 80. Es werden 208” Traubenzucker durch 120 °°” Wasser gelöst in den Magen eingeführt. 1 Stunde 45’ später wird die Bestimmung des zurückgebliebenen Zuckers vorgenommen. Mageninhalt — 160°”, Spül- wasser — 200°, 512 B. v. AnRep: 1. 10cm enthalten 0°246 Zucker. 9 10 „ „ 0245 „ 3.10 5, 0'246 ” Mittel = 0246 folglich die Gesammtmenge = 8°864 Zucker. Versuch I. Hund 2. 26. VI. 80. 208% Traubenzucker gelöst in 50 *m Wasser werden in den Magen eingeführt. Nach 2 Stunden die Bestimmung ausgeführt. 1. 10eem enthalten 0°139 Zucker | 2. O5 $ 0°140 a ‘. Mittel 0139. | Daraus die Menge im abgeflossenen Mageninhalt berechnet = 6311. Ausserdem werden noch in 350 m Spülwasser gefunden: 1. 10% enthalten 0°004 | 270, R 0.004 J Mittel 0 004. Daraus die Menge im Spülwasser berechnet = 1°470. Demnach werden nach 2 Stunden im Magen 7781 8'% Zucker wiedergefunden. Säuregehalt des Mageninhaltes. 1 2 al Mn 0:0924 } Mittel 00949 oder 18 pro mille. 32890 % 0.0936 Milchsäure wurde nicht gefunden. Versuch IV. Hund 2. 28. VI. 80. Es werden 203% Traubenzucker im 60 °m Wasser gelöst im Magen eingeführt. Nach 1" 50° Mageninhalt = 165 ° m, In 1. 10°m sind 0°191 Zucker gefunden. 2.109,55, MOSTIDRRE H Mittel = 0.193. Die ganze Menge — 3186 EM. Säuregehalt in 5 «m —= 0.0096 | Ka Bulls ; ee oder 1’9 pro mille. Im Spülwasser wurden noch 1'180 Zucker, Milchsäure dagegen nicht gefunden. Die AUFSAUGUNG IM MAGEN DES HUNDES. 513 Versuch V. Hund 2. 6.VI1.80. 358% Traubenzucker gelöst in 60m Wasser in den Magen eingeführt. Nach 1" 45’ wird die Fistelröhre geöffnet, man erhält 221 °® Mageninhalt. a) 1. 10° mM enthalten 0-642 Zucker | 2 10 5 07640 Mittel 0642, im Ganzen14.205. 31,0, ” DEI Tan,, Säuregehalt: 1. 10°m enthalten 00165 | DEE, En 0°0159 7 Mittel: 0°0162 oder 1°62 pro mille. 3 ” 00163 | b) Zum Ausspülen des Magens werden 300 °® Wasser verwendet. 1. 10°em enthalten 0180 Zucker | 2 “ Salze er Mittel: 0°178S im Ganzen = 5.349 8m, 3 :0%.,, N: Villa | c) Nach einer weiteren Ausspülung mit 300 m Wasser. 1. 10m enthalten 0-022 Zucker | De; es 0021 = . Mittel: 0°022. Im Ganzen 0.669. 9.1017;, 7 0022 = | Demnach wurden 20°223 Zucker wieder gefunden und 14-776 werden resorbirt. Il. Eiweiss. Versuch 1. Hund 1. 10.VI1.80. Es werden 4.28% oelösten Syntonins in den Magen eingebracht. Nach 1% 30° befand sich im Magen 301 °“@ Inhalt von 1:72°/, pro mille Säuregehalt. Es werden 100° ® vorsichtig neutralisirt, es entstand ein Niederschlag. Abfiltrirt und 18 Stunden lang getrocknet bei 104° wiest der Niederschlag 0109; die Gesammtmenge des unveränderten Syntonins hieraus — 0327 8m, Das Filtrat giebt eine schöne Biuretreaction. Durch Zu- satz von Eisencyanwasserstoff überzeugt man sich, dass das Filtrat kein Eiweiss enthält, er wird eingedampft und mit absolutem Alkohol das Pepton gefällt. Die Menge des gefundenen Peptons beträgt in 100°” 0.963, m 301 m = 2.898 5m, Im Spülwasser (400 °®) fanden sich nur Spuren von Pepton. Es wurden also gefunden: Syntonin 0327 Pepton 2.898 3.975. Es wurden resorbirt 0975 8m, Archiv f. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 33 514 B. v. Anrkrp: Die AUFSAUGUNG IM MAGEN DES HunDes. Versuch I. Hund 2. 12.V11.80. Es werden 12.785 8'm frisch gefällten Syntonins in den Magen eingebracht. Nach 1" 40’ findet man im Magen 247 m flüssigen Inhalts vom Säuregehalt, 1-85 pro mille; 600 °® Wasser werden zum Aus- spülen des Magens verbraucht. Darin wurde gefunden: Ungelöstes Syntonin . . UN ERDE PARSOHRETTT 200 °® werden eingetr Berner Feste Theile . . re ee Nach Verbrennen nakterehllefibem- ". .2.0-0045 Asche: Gehalt an Eiweiss = 1-0185. Aus 200 “® wird das Eiweiss durch Zusatz von Eisencyanwasserstoff ent- fernt, das Filtrat eingedampft und das Pepton mit Alkohol gefällt. Es ergaben sich 0.635 88 Pepton. Demnach wurde im Ganzen gefunden: Ungelöstes Syntonin 4-911 8". Gelöstes Y 1-623 „ Beptonse. a ot 2% 688 " 9-Da2isı resorbirt 3°573 „ Versuch II. Hund 1. 13.V1I.80. Es werden 2°124 Syntonin in den Magen ein- gebracht, nach 1% 40° wird die Fistelröhre geöffnet. Mageninhalt = 182°“. Darin wurde gefunden: Ungelöstes Syntonin = 0°0. (elöstes Syntonin nur Spuren, nieht gewogen. Pepton 0.729. Demnach wurden 1'392 8" resorbirt. Versuch IV. Hund 2. 15.V1I.80. Es werden 5°9718® Witte’schen Peptons gelöst in 45 em Wasser eingeführt. Nach 145’ wird die Fistelröhre geöffnet. Magen- inhalt = 213°”; Säuregehalt 1°81 pro mille; Menge des gefundenen Peptons = 3.099 8m, resorbirt 1'872. Versuch V. Hund 2. 16.VII.80. Es werden 12-253’m Witte’schen Peptons ein- seführt. Nach 145’ findet man im Magen 217 °® von 1:69 pro mille Säure- gehalt. 8°103 8” Pepton durch Eindampfen wiedergefunden also wurden 4.147 Em resorbirt. Die Zerlegung neutraler Fette im lebendigen Magen, Von Dr. Ogata. Aus dem physiologischen Institute zu Leipzig. Da nach einem von Tappeiner und v. Anrep eingeführten Verfahren der Magen des Hundes gegen den Dünndarm hin abgesperrt werden kann, ohne Beeinträchtigung seiner uns bekannten Leistungen, so lässt sich nun prüfen, ob die von Cash an der todten Schleimhaut aufgefundene Eigen- schaft, neutrale Fette zu zerlegen, auch der lebendigen zukomme. Eine hierauf abzielende Versuchsreihe, welche ich auf Veranlassung des Hrn. Prof. C. Ludwig unternahm, hat, wie die folgenden Mittheilungen zeigen werden, ein bejahendes Ergebniss geliefert. Meine Versuche habe ich an zwei Hunden angestellt, denen ganz nahe am Pylorus eine Magenfistel mit weiter Oeffnung angelegt war; durch sie konnte ein gestielter Kautschuckbeutel in den Dünndarm geschoben werden, der sich nachträglich von einer mit Wasser gefüllten Spritze aus beliebige aufblähen liess. Ueber das Genauere des Verfahrens, durch welches der Pylorus verstopft wird, hat in diesem Bande des Archivs v. Anrep so aus- führlich berichtet, dass ich auf seine Angaben verweisen kann. Nur ein ‚und wie ich glaube nicht unwichtiger Zusatz wäre seiner Mittheilung bei- zufügen. — An meinen beiden Hunden blieb ebenfalls nach Anlegung des Gummibeutels das Erbrechen nicht aus. Um nun zu verhindern, dass der Inhalt des Magens durch die Bauchpresse aus dem Munde herausge- worfen wurde, befestigte ich an dem Metallrohr, welches in der Fistel- öffnung lag, einen geräumigen Kautschuckbeutel. Demselben war eine birn- förmige Gestalt gegeben, so dass sich sein engerer an das Fistelrohr an- srenzender Theil durch eine Klemme abschliessen liess. War die letztere geschlossen, so musste die in den Magen gebrachte Flüssigkeit dort verbleiben, 516 OGATA: war dagegen die Klemme geöffnet, so floss, wenn der Hund stand, selbst bei einem schwachen Druck auf die Bauchwand die Flüssigkeit in den Beutel ab. Von hier aus konnte sie, sobald die Klemme abgenommen war, leicht wieder in den Magen gebracht und dort zurückgehalten werden. Wie der Beutel für meine Zwecke nützlich werden konnte lässt sich leicht ein- sehen. So lange das der stetigen Beobachtung unterworfene Thier sich ruhig verhielt, wurde die Klemme im geschlossenen Zustande erhalten, zeigten sich dagegen die ersten Andeutungen der Brechneigung, so wurde dieselbe rasch entfernt und es entleerte sich nun der ganze oder mindestens der weitaus grösste Theil des Mageninhaltes in den Beutel. Nach Beendigung des Brechanfalls wurde der Inhalt des Beutels in den Magen übergeführt und die Klemme wiederum geschlossen. Unter Anwendung dieses Kunst- griffes gelingt es bei einiger Aufmerksamkeit das durch die Fistelöffnung ein- gebrachte Oel beliebig lange in dem Magen zurückzuhalten. Bevor das Thier zu einer Beobachtung verwendet werden sollte, blieb dasselbe 24 Stunden hindurch nüchtern; alsdann wurde nach dem Ver- schlusse des Pylorus der Magen auf das sorgfältigste mit reichlichen Men- gen einer 0-5 procentigen Kochsalzlösung ausgewaschen. Diese Flüssigkeit wurde mittels einer Schlundsonde von dem Munde aus in den Magen ge- gossen während dass die Fistelöffnung abwechselnd geöffnet und verstopft war. Das Eingiessen der Kochsalzlösung wurde so oft wiederholt, bis sie nach minutenlangem Aufenthalt in dem Magen aus der Fistel vollkommen klar ablief. Hierauf wurden fünfzig bis sechzig Cem. neutralen Oleins in den sorgfältig gereinigten Beutel gebracht der an das metallene Fistel- rohr angefügt werden sollte. War das letztere bewerkstelligt, so wurde das Oel in den Magen hineingepresst und die Klemme geschlossen. Der Ver- sicherung wird es kaum bedürfen, dass bei der Herstellung des neutralen Oleins auf das Peinlichste verfahren und dass, um der Reinheit gewiss zu sein, mit ihm dieselben Reactionen vorgenommen wurden, welche auch zur Prüfung der Oelmasse dienten, die mehrere Stunden hindurch in dem Ma- gen verweilt hatte. Das Verfahren aber, durch welches das in den Magen gewesene Oel auf einen Säuregehalt geprüft wurde, war das folgende: Un- mittelbar nachdem der Mageninhalt in den Beutel und von da aus weiter entleert war, wurde zu der gewonnenen Flüssigkeit ein gleiches Volum destillirten Wassers gesetzt, und das Gemisch auf 60 Grad erwärmt durch feines Leinen filtrirt. Das trübe schleimig-Ölhaltige Filtrat wurde in einem Scheidetrichter mit dem gleichen Volum Aethers versetzt und dort mehrere Minuten hindurch geschüttelt. Nachdem die Flüssigkeit 24 Stunden im Scheidetrichter gestanden, wurde abermals eine kleinere Portion von Aether zugefügt, geschüttelt und dann zur Abscheidung der ätherischen von der wässerigen Lösung hingestellt. Nach etwa 5 Stunden wurde, wenn der ge- DiE ZERLEGUNG NEUTRALER FETTE IM LEBENDIGEN MAGEN. 517 wünschte Erfolg eingetreten war, die wässerige Lösung bis zur letzten Spur abeelassen, dann zu dem Aether ein halbes Volum Wassers und einige Tropfen Natronlauge zugefügt. Dieses Gemenge wurde in dem Scheide- trichter tüchtig durchgeschüttelt und zum Absitzen hingestellt. 4 bis 5 Stunden später wurde ein grösserer Theil der wässerigen Flüssigkeit abge- lassen und mit einigen Tropfen Schwefelsäure versetzt. Alsbald entstand in der bis dahin wasserhellen Flüssigkeit eine Trübung. Um zu entschei- den, ob dieselbe auf die Anwesenheit von Oelsäure zu beziehen sei, wurde die angesäuerte Flüssigkeit mit Aether versetzt. Hiernach verschwand in der That die Trübung. Wurden dann einige Tropfen des abgehobenen Aethers auf weissem Schreibpapier verdunstet, so entstand ein Oelfleck. Zu dieser schon unzweideutigen Reaction kam noch eine zweite. Grössere Massen des Aethers hinterliessen bei ihrer Verdunstung einen flüssigen Rückstand in dem sich unter Zusatz von Natronlauge in der Kälte sogleich Seife bildete. Mit den beschriebenen Verfahren habe ich 6 Versuche angestellt, von denen 4 als gelungen zu bezeichnen sind. Die beiden anderen fielen nur deshalb ungenügend aus, weil es mir nicht glückte, den Mageninhalt rein zu sammeln. In drei Beobachtungen hatte das Olein 2-5 Stunden, in der vierten 3 Stunden im Magen verweilt. — Sehr ungleich waren die Mengen des Oels, die ich am Ende der genannten Zeit sammeln konnte, weil trotz aller Vorsicht bei dem Erbrechen ein mehr oder weniger grosser Antheil des Maseninhaltes durch den Mund entleert worden war. Am glücklich- sten verlief der letzte meiner Versuche, in welchem ich nahezu die gänze Menge des eingeführten Oels wieder erhielt. In diesem Fall traten die auf die Anwesenheit der Oelsäure hinweisenden Reactionen so deutlich her- vor, dass mir kein Zweifel an der Möglichkeit blieb, eine quantitative Be- stimmung auszuführen. Eine solche würde jedoch nur dann von Werth gewesen sein, wenn sich die Aussicht geboten hätte, eine ganze Reihe von Versuchen unter gleichen oder mindestens beherrschbaren Bedingungen durchzuführen. Dann hätte sich vielleicht aus der Menge des zerspaltenen Oleins auf die Wirkungsgrösse und die Art der Bedingungen schliessen lassen, welche sich an der Entstehung der Oelsäure betheiligen. Zu dem eben angedeuteten Ziele wird sich jedoch, sofern man seine Erreichung für wünschenswerth hält, weit eher durch Anwendung der todten als der leben- den Schleimhaut gelangen lassen. — Vor nicht allzu langer Zeit würde die quantitative Bestimmung der gebildeten Oelsäure auch noch aus einem anderen Gesichtspunkte erwünscht geschienen haben. So lange man glaubte, dass die Emulsion, welche im Chylus auftritt, mit Hilfe einer Natronseife entstünde und annahm, dass dem Uebergang des Fettes in die Zotten eine 518 O6GATA: DIE ZERLEGUNG NEUTRALER FETTE IM LEBENDIGEN MAGEN. Emulsionirung desselben vorausgehen müsse, wäre es gewiss von Wichtig- keit gewesen, zu wissen, in wie weit die Menge der im Magen entstande- nen fetten Säure zur Herstellung einer Emulsion genüge. Nachdem aber M.v. Frey gezeigt hat, dass das Fett des Chylus ohne Beihilfe einer Seife emulgirt ist, wird auch dieser Grund zur quantitativen Bestimmung der im Magen gebildeten fetten Säure hinfällig. Da in meinen Versuchen die Secrete, welche aus den oberhalb des Magens gelegenen Drüsen hervorgehen, freien Zutritt zu der Höhle des letzteren besassen, so steht von vorne herein der Annahme nichts im Wege, dass auch Speichel und Schleim beziehungsweise fremde mit den letzteren verschluckten Fermente an der Zerlegung des Oleins betheilist waren. Zu untersuchen, in wie weit diese Annahme berechtigt sei, scheint mir je- doch überflüssig, da Cash gezeigt hat, dass die von allen fremden Bei- mengungen befreite Magenschleimhaut die neutralen Fette zerspaltet; des- halb kann es nicht zweifelhaft sein, dass auf denselben Grund die gleiche Zerlegung im lebenden Magen zurückzuführen ist. Studien über die Innervation der Athembewegungen. Mitgetheilt von Dr. ©. Langendorff. Aus dem physiologischen Institute zu Königsberg. Fünfte Mittheilung.! Ueber Reizung des verlängerten Markes. (Unter Mitwirkung von F. Gürtler.) (Hierzu Tafel X.) Durch die in meiner ersten Abhandlung ? mitgetheilten Versuche glaube ich die Existenz spinaler Athmungscentren definitiv bewiesen zu haben. An demselben Orte habe ich gezeigt, dass diese Erkenntniss den wesent- lichsten Grundpfeiler des von Legallois und Flourens behaupteten und seither allenthalben angenommenen Athmungscentrums im verlängerten Marke stürzen muss. Die zu Gunsten desselben Centrums in’s Feld ge- führte Einheit der Athembewegungen ergab sich als eine nur schwache Stütze der alten Anschauung, sie war auch ohne die Existenz eines ein- heitlichen Centrums erklärlich. Indessen war von dem neugewonnenen Standpunkte aus die Erklärung des zweifellosen Erfolges des Flourens’schen Hauptversuches nicht ohne Schwierigkeit. Warum steht nach Verletzung der Med. oblongata oder nach Abtragung dieses Hirntheils die Athmung meistens stil? Ich habe diese ! Der wesentlichste Inhalt dieser Abhandlung ist vorgetragen auf der 54. Ver- sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Salzburg im September 1881. ® Dies Archiv. 1880. 8. 518. 520 O0. LANGENDORFF: Frage durch eine doppelte Hypothese zu beantworten gesucht. Erstens nahm ich an, dass durch die mechanische Verletzung der Med. oblongata ein shockähnlicher Einfluss auf die nahegelegenen Rückenmarkscentren ausgeübt werde. Dass solche Wirkungen vorkommen, ist seit den Gemeingut der Physiologie gewordenen Erfahrungen von Goltz u. A. nicht zu bezweifeln. Meine zweite Annahme suchte zugleich der Med. oblongata den ihr gebührenden Platz in der Athmungsinnervation zuzuweisen. Ich nahm an, dass das ver- längerte Mark der Sitz von regulatorischeu (vornehmlich hemmenden) Vor- richtungen (Centren?) ! sei, deren Impulse auf medullären Bahnen zu den spinalen Centren der respiratorischen Nerven gelangten. Die mecha- nische Reizung dieser Apparate oder ihrer Bahnen durch Schnitt oder Stich sollte eine langdauernde hemmende Wirkung auf die Thätigkeit der genannten durch den Shock ohnehin schon geschwächten Rückenmarkscentren ausüben. Die Existenz athmungshemmender Vorrichtungen im verlängerten Marke folgt nothwendig schon daraus, dass im centralen Vagusstamme hemmende Fasern, theils von den beiden Nervi laryngei, theils aus den Lungen her- stammend, verlaufen, von denen man annehmen darf, dass sie in der Med. oblongata ihre nächste Station finden, die sie mit den „motorischen“ Ath- mungscentren in Verbindung setzt. Es schien mir jedoch wünschenswerth, durch eine systematische Unter- suchung den directen Nachweis dieser Apparate zu versuchen, zumal da eine gelegentliche Angabe von Kronecker undMarkwald ? über Reizung der Med. oblongata bereits als Waffe gegen meine Ansicht verwendet worden ist.? Ich entschloss mich deshalb Reizungsversuche an der Med. oblongata vor- zunehmen, obwohl die Schwierigkeit solcher noch grösser zu sein versprach, wie die ähnlicher Versuche an dem immer noch die Crux mancher Physio- logen bildenden Vagus. Von einer strengen Localisation der Reize sah ich von vorn herein ab. Sie schien mir für meinen Zweck entbehrlich. Gegen die „stecknadelkopfgrosse“ Begrenzung von Centren dürfte man ohne- hin gerechte Bedenken haben, seit Flourens’ winziger Noeud vital unter der Hand der nachfolgenden Forscher so zusehends an Volumen zugenommen ! Ich habe damals von regulatorischen Centren gesprochen, gestehe aber, dass der gegenwärtige Stand der anatomischen Erforschung der Med. oblongata noch nicht erlaubt, sich hier ein sicheres Urtheil zu bilden. Die vom Vagus stammenden Regu- lationsfasern müssen nicht nothwendig im Bulbus in Ganglienzellen eintreten, vielmehr halten manche Anatomen ein einfaches Umbiegen in’s Halsmark (spinale aufsteigende Vaguswurzel!) für wahrscheinlich. Für unsere Auffassung ist diese Frage ohne wesent- liche Bedeutung. Ich möchte in Folgendem anstatt des Wortes „Centrum“ die in- differente Bezeichnung „Apparate“ gebrauchen. ? Dies Archiw. 1879. S. 592. ® Rosenthal, Biologisches Centralblatt. 1881. Nr. 3. 8. 93. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 521 hat. Wünschenswerth wäre es freilich gewesen, bei diesen Versuchen die Med. oblongata vom Grosshirn und den übrigen höher gelegenen die Athmung beeinflussenden Hirntheilen zu isoliren. Ich scheute indessen die keines- wegs gefahrlose Operation, und liess deshalb die Hirnverbindungen der Med. oblongata intact. Die Frage, die ich beantworten wollte, lautete einfach: Ist man im Stande, durch Reizung des verlängerten Markes die Athmungen eines Thieres zu hemmen? Es sei im Voraus verrathen, dass die mitzutheilenden, mit Hülfe elektrischer, chemischer und mechanischer Reize unternommenen Versuche, die Frage auf das Entschiedenste bejahen. Die Versuche wurden an Kanınchen, seltener an Meerschweinchen an- gestellt. Die schwach chloralisirten Thiere wurden tracheotomirt; dann in der von mir (Mittheilung I) beschriebenen Weise die Med. oblongata frei- gelegt, der Kopf bei starker Beugung so fixirt, dass dieser Theil der Rautengrube in möglichster Ausdehnung bequem zu Tage lag. Die Trachea konnte mit der Athmungsflasche und dem Zeichenhebel verbunden werden. Alle Versuche wurden graphisch verzeichnet, oft aber wurde gleichzeitig die direete Beobachtung des Zwerchfelles angewendet. Bei der Beurtheilung von Athmungsstillständen glaube ich keine Vorsichtsmaassregel versäumt zu haben. Elektrische Reizung. Sie wurde vorgenommen mittels eines Daniells, des Schlittenapparates und des Schlüssels. Nach einigen wenig erfolgreichen Versuchen, durch ab- gestumpfte, der Med. oblongata aufgesetzte Elektroden zu reizen, benutzte ich weiterhin zu diesem Zwecke zwei feinste Perlnadeln, die im Abstande von 3—4"" durch ein Stück Kork gesteckt, symmetrisch zur Medianlinie in die Med. oblongata eingestochen und dann durch geeignete Befestigung ihrer Drähte in ihrer Lage fixirt wurden. Die Einstichsstelle war meistens das Gebiet der Alae cinereae; sie variirte vom Niveau der Calamusspitze bis 4"® proximalwärts davon. In seltenen Fällen wurde 1—2"°” unterhalb des Calamus gereizt. Um ein vergleichbares Maass für die angewendete Stromstärke zu er- halten, wurde vor Einführung der Elektroden derjenige Spiralenabstand ausprobirt, der auf der Zunge gerade eine Sensation gab. Bei der Reizung wurde mit Abständen begonnen, die stets unter diesem Schwellenwerthe 322 O0. LANGENDORFF: lagen; die Schwelle wurde weiterhin selten um mehr als um 10-20" überschritten. Das Einstechen der Elektroden geht, wenn es schnell geschieht, in der Regel spurlos vorüber. Selten sah ich schnell schwindenden Athmungs- stillstand, noch seltener dauernde Frequenzveränderungen. Bevor ich die Ergebnisse der elektrischen Reizungsversuche bespreche, mögen mir einige Bemerkungen über die Beurtheilung der zur Beobachtung gelangenden Athmungsstillstände erlaubt sein. Athmungsstillstände sind als inspiratorische zu bezeichnen, wenn die ihnen entsprechende Curve unterhalb der Abscisse, als exspiratorisch, wenn sie in der Höhe der Abseisse oder über ihr liest. Ginge bei der normalen Athmung der Zeichenhebel bei der Ausathmung jedesmal nur bis zur Ruhelinie zurück, so wäre die Beurtheilung des Stillstands sehr einfach. Das ist aber nicht oder selten der Fall, wenn man die Athmung in der Weise registrirt, wie ich es that. Der exspiratorische Curvenschenkel steigt hier jedesmal um ein Stück über die Abscisse. Die Höhe dieses Stückes wird durch voran- gehende Reizungen und wohl auch durch andere Bedingungen verändert. Will man Irrthümern entgehen, so ist es am Besten, die Abscisse recht oft von Neuem festzustellen. Die unvermeidliche Reibung der Zeichenfeder am Papier und die dadurch herbeigeführte Verschiebung sorgen dafür, dass sie selten lange dieselbe Lage behält. In sehr zweifelhaften Fällen habe ich während des betreffenden Athmungsstillstandes den Athmungsschlauch von der Trachea abgenommen, so dass also 'die dem Stillstand entsprechende Curve direct in die Abseisse überging. Auf eine Quelle der Täuschung möchte ich ferner aufmerksam machen. Ich sah bei stärkerer Reizung der Med. oblongata zuweilen das freigelegte Zwerchfell in völlig erschlafftem Zustande still stehen, während der Zeichenhebel ‘eine nur wenig unterhalb der Abseisse gelegene Ruhelinie aufzeichnete, also im Sinne des inspiratorischen Stillstandes, freilich eines sehr flachen, ausschlug. Die auffallende Erscheinung erklärte sich sehr einfach, als ich die M. sterno-cleidomastoidei beobachtete. Diese Muskeln geriethen nämlich durch Stromschleifen, die den N. accessorius trafen, in Contraction, und er- weiterten dadurch den Brustkorb. Bei eben getödteten Thieren liess sich feststellen, dass die dadurch bedingte Aspiration des Zeichenhebels gerade so gross war, wie beim lebenden Thiere der Abstand der Stillstandscurve von der Abseisse. Die Wirkungen der elektrischen Reizung des verlängerten Markes sind bei schwacher und mittlerer Chloralnarkose von erstaunlicher Mannig- faltiekeit. Man beobachtet sowohl inspiratorische, als exspiratorische Eifecte, doch STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 523 sind tiefe Inspirationsstillstände!, wie in Taf. X, Fig. 1, ebenso selten, wie Stillstände bei activer Exspiration (Fig. 2). Am häufigsten sind, bei genügender Reizungsstärke, die Fälle, in denen das Zwerchfell entweder ganz schlaff oder in mässiger, zuweilen minimaler Contraction still steht (Fig. 3 und 4), ohne dass dabei exspira- torische Muskelkräfte zur Verwendung kommen. In vielen Fällen kommt es überhaupt nicht zum Stillstande, sondern die Athmung wird nur verflacht. Fig. 5a, 55 und 5c. Die Ath- mungsfrequenz kann dabei normal bleiben, ja sogar abnehmen, in anderen Fällen nimmt sie derartig zu, dass die mangelnde Athmungstiefe dadurch compensirt wird. Während hierbei der exspiratorische Schenkel der Curve jedesmal mindestens bis zur Abseisse zurückkehrt, erfolgen in einer anderen Reihe von Fällen die abgeflachten Athmungen von einem tieferen Zwerch- fellsstande aus. Das Zwerchfell wird hier während der ganzen Zeit der Athmungsveränderung niemals gänzlich schlaff. Die Abflachung kann eine ganz enorme werden; sowohl bei erschlafftem als bei schwach tonisch contra- hirtem Zwerchfell sieht man zuweilen nur seichte und spärliche Inspirations- vertiefungen die Stillstandscurve unterbrechen. Es bedarf in allen diesen Fällen nur gelinder Reizverstärkungen, um absoluten Athmungsstillstand herbeizuführen. Die von Frequenzveränderungen Fegleitete Athmungs- abflachung geht somit durch eine Reihe von Zwischenformen allmählich in den Athmunssstillstand über. — Die beobachteten exspiratorischen Still- stände sind nicht etwa durch secundäre Wirkung vom stillstehenden Herzen aus zu erklären. Atropinisirung vermag den Erfolg nicht zu verändern. Auch treten bei langem Herzstillstand Athmungspausen erst dann auf, wenn der Stillstand schon 10—20 Secunden gedauert hat, wie ich an einer andern Stelle” nachgewiesen habe. Hier aber folgt der Athmungs- stillstand der Reizung der Med. oblongata fast momentan. Die Deutung dieser durch Reizung des verlängerten Markes herbei- geführten Respirationsveränderungen wird erst dann in befriedigender Weise erfolgen können, wenn über die ähnlichen Wirkungen der centripetalen Vagusreizung grössere Klarheit herrschen wird. Dass die bisher gültigen Rosenthal’schen Anschauungen, denen zufolge nur die Arbeitsvertheilung, nicht die Arbeitsgrösse des Athmungsapparates durch die Wirksamkeit der Vagi verändert werden soll, nur in einer beschränkten Anzahl von Fällen ! Tiefe Inspirationsstillstände verdanken ihr Entstehen sehr häufig ohne Zweifel einer sensiblen Reizung. Es giebt Kaninchen, bei denen in einem gewissen Stadium der Chloralnarkose die geringste Reizung von Hautnerven inspiratorischen Stillstand macht. Bei der offenbaren Anwesenheit rein sensibler Elemente in der Med. oblongata muss man nothwendiger Weise auf diese Eigenthümlichkeit Rücksicht nehmen. °? Mittheilungen aus dem Königsberger physiologischen Institute. 1878. 8. 78. 524 O0. LANGENDORFF: richtig sind, unterliegt für mich keinem Zweifel. Gad! hat ihre Un- gültigkeit für den Fall der Vagusdurchschneidung nachgewiesen. Sie lassen sich aber, trotz des einen neuerdings von Rosenthal? angeführten Bei- spieles, auch für die centripetale Reizung nicht halten, wenn man bedenkt, dass durch diese nicht bloss inspiratorischer Stillstand oder Athmungs- beschleunigung, sondern auch Athmungsstillstand bei völliger Muskelruhe erfolgen, die Leistung des Athmungsapparates also = 0 werden kann. Für den inspiratorischen Respirationsstillstand gilt das Rosen- thal’sche Gesetz schon deshalb nicht immer, weil die Contractionstiefe, in der er erfolgt, bei demselben Thiere in verschiedenen aufeinander folgenden Versuchen einen sehr verschiedenen, zuweilen das überhaupt mögliche Maximum erreichenden, zuweilen einem Contractionsminimum entsprechen- den, oft der Reizungsstärke proportionalen Werth haben kann. Der Be- griff der regulatorischen Vagusfasern muss also dahin erweitert werden, dass dieselben nicht nur die Athmungsarbeit ohne Aenderung ihrer Grösse anders zu vertheilen, sondern dass sie auch diese Grösse im negativen und im positiven Sinne zu verändern vermögen. Diese Ueberzeugung, die ich mir durch mehrjährige Beschäftigung mit dem N. vagus erworben habe, durch einzelne Beispiele zu illustriren, verspare ich mir auf eine spä- tere Gelegenheit. Für die Reizung der Med. oblongata gelten ähnliche Erwägungen; die Erfolge derselben sind denen der Vagusreizung ganz ähnlich; nur scheinen mir Verminderungen der Athmungsarbeit und Absinken derselben bis zum Nullpunkte häufiger wie beim Vagus zu sein. Fasst man, was mir un- vermeidlich erscheint, die Vaguswirkung derartig auf, dass man sie auf die Anwesenheit athmungshemmender und inspiratorischer Fasern im Vagus- stamme bezieht, so muss man auch für das verlängerte Mark die Coexistenz hemmender und inspiratorischer Apparate (vielleicht Centren!) annehmen. Ich gelange somit zu einer ähnlichen Folgerung, wie durch ganz andere Versuchsweisen Kronecker ‚und Markwald,? denen zufolge in der Med. oblongata sich zwei verschiedene erregbare Athemcentren be- finden, ein inspiratorisches und ein exspiratorisches, deren Erregung vor- nehmlich die N. vagi vermitteln. Nur in Betreff der von diesen Autoren gefundenen schwächeren Wirksamkeit des exspiratorischen Centrums weichen meine Erfahrungen von den ihrigen ab; die häufiger gefundene Ver- ringerung oder Annullirung der Athmungsthätigkeit durch die Reizung des ! Dies Archiv. 1880. 8. 21. ” Dies Arehiw. 1880. 8.45. ° Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1879—80. Nr. 18. Dies Archiv. 1880. 8. 103. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 525 verlängerten Markes lässt mich eher an eine grössere Wirksamkeit des ‚exspiratorischen oder besser hemmenden Centrums ! denken. Während die Existenz eines solchen Apparates durch die mitgetheilten Versuche bewiesen wird, geht aus derselben doch noch nicht unmittelbar hervor, ob neben diesem nicht noch das eigentliche Athmungscentrum, das leitende, innervirende Centrum seinen Sitz hat. Könnten doch die ver- zeichneten inspiratorischen Wirkungen ? der Reizung der Med. oblongata auf ein solches bezogen werden. Mir ist es freilich unzweifelhaft, dass man damit für die höhere In- stanz dasselbe prätendiren würde, was schon Marshall Hall für die niedere Instanz annahm, der bekanntlich behauptete, „dass der Pneumo- gastricus das Primum mobile oder der Erreger der normalen Athmune“? sei. Weist man heutzutage diese Ansicht zurück, so müsste meiner Meinung nach dasselbe Schicksal jenes bulbäre Respirationscentrum treffen, dessen Reizung nur Ergebnisse liefert, die sich von denen der Vagus- reizung wenig, keinesfalls aber zu Gunsten der inspiratorischen Wirkung unterscheiden. Ich habe mich gefragt, wie sich solchen Reizungen gegenüber ein innervirendes Athmungscentrum verhalten würde Wir wissen, dass ein Theil der „motorischen“ Athmungscentren im Halsmark, wahrscheinlich zwischen 3. und 5. Wirbel gelegen ist. Ich legte durch einfache Prä- paration den dorsalen Zwischenraum zwischen zwei von diesen Wirbeln möglichst frei, und stach dort die feinen Elektroden ein. Die Reizung ist von einfachem klarem Erfolge. Bei schwachen Strömen sind die Athmungen ohne Frequenzveränderung oder bei geringer Verlangsamung abgeflacht, aber in der Weise ab- seflacht, dass das Zwerchfell einen gewissen mittleren oder sogar kräftigen Contraetionszustand als Ruhelage gewinnt, dass von da aus die Athmungs- excursionen bis zur gewohnten Tiefe erfolgen, ohne indess exspiratorisch bis zur Abseisse zurückzukehren. (Fig. 6 a.) ! Ich stelle hier in der gebräuchlichen Weise zwei antagonistisch wirkende Apparate einander gegenüber. Im Anschluss an die neuerdings von Heidenhain (Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie, Bd. XXVL. S. 188) aufgestellte Hypo- these, könnten Erregungs- und Hemmunosvorgänge als Leistungen einer und derselben Ganglienzellengruppe aufgefasst werden. ” Dass die Reizung der Med. oblongata inspiratorische Wirkungen haben kann, geht schon aus den Versuchen von Kronecker und Markwald (Dies Archiv. 1879. S. 592) hervor; in den Versuchen Christiani’s dagegen gaben Reizungen der Med. oblongata gar keine oder unbestimmt schwankende respiratorische Resultate (Monats- bericht der Berliner Akademie. Februar 1881. S. 220.) ® M. Hall, Ueber die Krankheiten und Störungen des Nervensystems. Deutsch von Behrend. 1802. S. 68. 526 0. LANGENDORFF: Die Athmungsarbeit ist hier ohne Zweifel bedeutend vermehrt. Bei Reizverstärkung bleibt das Zwerchfell in seinem stärksten Contractions- zustande stille stehen. (Fig. 62.) Ich bilde mir nicht ein, bei diesen Versuchen ausschliesslich das spinale Centrum der Zwerchfellbewegung gereizt zu haben. Zum Mindesten sind hier die zum N. phrenicus werdenden Wurzelfasern mitgereizt wor- den; aber wäre etwas Aehnliches nicht auch bei Reizung eines bulbären Athmungscentrums der Fall? Wenn die Phrenieusfasern von letzterem ausgehen, so kann es doch keinen grossen Unterschied machen, ob man sie im verlängerten oder im Cervical-Marke reizt. Der Unterschied in der Wir- kung bei den Reizungen ist aber in die Augen springend, denn bei Reizung der Med. oblongata sind tetanische Stillstände von dieser Tiefe eine Seltenheit, hier aber die Regel. Man wird mir einwerfen, dass im verlängerten Marke die gleichzeitige Reizung der hemmenden Apparate den Reizungseflect ver- ändere. Ich nehme diesen Einwand an, constatire aber, dass man dann auch auf diesem Wege zu dem Schlusse gelangt, dass an den respiratorischen Wirkungen der Bulbusreizung neben einem inspiratorischen Apparate ein athmungshemmender betheiligt ist. Obwohl aus diesen Versuchen die Existenz hemmender Vorrichtungen in der Med. oblongata zweifellos hervorgeht, ist es doch von Nutzen, eine Isolation dieser Apparate zu versuchen, bei Reizung derselben die Miterregung der antagonistisch wirkenden auszuschliessen. Das lässt sich leicht mittels des Chloralhydrats erreichen. Nach der übereinstimmenden Aussage mehrerer Autoren !, denen ich mich nach eigenen Erfahrungen anschliessen kann, lähmt dieses Gift bei ausreichender Dosirung die inspiratorisch wirksamen Vagusfasern, ohne dabei die in demselben Nerven enthaltenen Hemmungsfasern zu schädigen. Das Letztere muss besonders Rosenthal gegenüber betont werden, dessen Ausführungen zufolge nur die Fasern des Laryngeus superior von der Gift- wirkung verschont bleiben sollen. Dass auch die übrigen hemmenden Fasern des Vagusstammes wirksam bleiben, ja durch den Fortfall von in- spiratorischen sogar wirksamer erscheinen, wie zuvor, — das geht nicht ! Frederieg (Sur la theorie de l’innervation respiratoire. Bruxelles 1879); — J. Wagner (Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. III. Abthl. Juli 1879. Bd. LXXX); — Christiani (Monatsbericht der Berliner Akademie der Wissenschaften. Februar 1881. 8. 222). — Nach Rosenthal (Dies Archiv. 1880. Supp.- Band S. 58) wird der ganze Vagus, oder vielmehr sein Centralapparat durch Chloral- hydrat gelähmt; die Hemmungsfasern des N. laryng. sup. sollen allein intaect bleiben. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 527 bloss aus den elektrischen Reizungsversuchen vieler Forscher hervor, die sicherlich nicht alle den von Rosenthal betonten Fehlern erlegen sind; sondern das folgt vor Allem aus den von mir! und von Waener? mit so überraschend kräftigem Erfolge ausgeführten Aufblasungsversuchen an den Lungen tief chloralisirter Thiere. Gelang es mir doch auf diesem Wege Athmungsstillstände von mehr als einer Minute Dauer zu erzielen.” Rosenthal hat gezeigt, dass die Athmungsverlangsamung tief chlo- ralisirter Thiere auf die Lähmung der inspiratorischen Vagusfasern (oder vielmehr ihrer Centralapparate) zurückgeführt werden kann.“ Will man also letztere erzielen, so hat man in der Athmungsfrequenz ein Maass für die Höhe der anzuwendenden Chloralmenge. Vergiftet man ein Kaninchen mit solchen Chloraldosen, dass dadurch die Athmung deutlich verlangsamt wird, so hat Reizung der Med. oblongata ausschliesslich exspiratorischen Erfolg. Am Besten überzeugt man sich von dieser Wirkung an einem Thiere, an dessen Med. oblongata man bei unterlassener oder bei sehr schwacher Narkose vorwiegend inspiratorische Wirkungen zu verzeichnen hatte. Injieirt man einem solchen Thiere in die Bauchhöhle eine Chloralmenge, von der man eine genügende Herabsetzung der Athmungszahl erwarten darf, und untersucht man bis zur erfolgten Resorption des Giftes von Zeit zu Zeit den Erfolg einer Reizung, so wird man den inspiratorischen Effect immer mehr und mehr abnehmen, schliesslich aber einen ausgesprochen exspira- torischen an seine Stelle treten sehen. Taf. X, Fig. 7 und Fig. 8, die erstere ohne, die zweite nach er- folgter Narkose gezeichnet, illustriren die bezeichneten Extreme der Reiz- wirkung.’ Bemerkenswerth ist, dass man nach eingetretener Narkose zur Er- zielung eines Athmungsstillstandes etwas stärkerer Ströme bedarf, wie vor- her. Der Spiralenabstand XIV., der in Taf. X, Fig. 7 inspiratorischen ‚1 Dies Archiv. 1879. 8.48. ARE (08 ® Die Ansaugung der Lungenluft gab mir damals nur ganz schwache oder sogar negative Resultate bei tiefer Narkose, * Dieser Satz scheint mir allerdings nur theilweise riehtig zu sein. Zum Theil nämlich dürfte die Athmungsverlangsamung von der durch das Chloral bewirkten Ruhe der höheren Gehirntheile und Sinnesapparate herrühren, deren athmungssteigernder Einfluss ja feststeht. ° In den mitgetheilten Versuchen war die Bauchhöhle eröffnet, und wir über- zeugten uns am deutlich sichtbaren Zwerchfell in den betreffenden Fällen von der absoluten Erschlaffung dieses Muskels. Die mehrmals aufgezeichnete Abseisse lag immer etwas unterhalb der Stillstandslinie. 528 0. LANGENDORFF: Stillstand gemacht hatte, bewirkte nach der Chloralvereiftung nur Ath- mungsverflachung (Taf. X, Fig. 9); bei 13°” Abstand nahm die Abflachung zu; um den Stillstand in Taf. X Fig. 8 zu erzielen, musste man bis auf 12 °® vorrücken. Die exspiratorischen Apparate sind also etwas weniger er- regbar, als die inspiratorischen — eine Erfahrung, die man ja bereits am Vagusstamme vielfach gemacht hat. Bei eben zureichender Reizungsstärke kann bei langer Dauer der Reizung die Athmung wieder beginnen; bei stärkeren Strömen dagegen dauert der Stillstand so lange wie der Reiz, und man hat es somit in der Hand, ihn bis zum Tode des Thieres zu verlängern. Ganz starke Ströme bewirken schon bei kurzer Dauer einen die Reizung weit überdauernden Stillstand; nach einer wenige Secunden währenden Reizung tritt hier oft- mals der Tod ein. Liessen schon die Versuche am wenig chloralisirten Thiere kaum zweifeln an dem Dasein athmungshemmender Apparate im verlängerten Marke, so muss dasselbe aus den vorliegenden Versuchen unmittelbar ge- folgert werden; ich wüsste nicht, wie ein unzweideutigerer Beweis geführt werden sollte. Von Interesse schien es mir noch nachzusehen, wie sich die elektrische Reizbarkeit der spinalen Ursprünge der Athmungsnerven unter dem Ein- flusse des Chlorals verhalten. Es zeigte sich, dass dieselben sich genau so verhalten, wie ohne Narkose: derselbe Strom, der an der Med. oblongata deutlichen exspiratorischen Stillstand gab, bewirkte, auf das Halsmark zwischen 3. und 5. Wirbel applieirt, kräftigen inspiratorischen Tetanus. Mechanische Reizung. Die Schwierigkeit der mechanischen Reizung des verlängerten Markes hat vornehmlich in der tiefen Lage der zu reizenden Gebilde ihren Grund. Lässt man nur leichte mechanische Einflüsse auf die dorsale Oberfläche der Med. oblongata wirken, so muss man befürchten, dass sie nicht genügend in die Tiefe fortgeleitet werden; groben mechanischen Reizen wird aber stets der Vorwurf der Zerstörung zu machen sein. Einen sonst noch nicht überzeugten Gegner meiner Anschauung würde ich durch die mechanischen Reizversuche schwerlich überzeugen, da ihm die Annahme von Druck- paresen und Drucklähmungen überall, wo es sich um die Anwendung von Druckreizen handelt, nicht verwehrt werden kann. Trotz alledem habe ich doch mittels der mechanischen Reizmethode einige mir nicht unwichtig er- scheinende Ergebnisse erhalten, die ich hier kurz mittheilen möchte. STUDIEN ÜBER\DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 529 Uebt man auf die Med. oblongata einen leichten Druck aus, so kann die Athmung dadurch zum Stillstand kommen, der Stillstand kann die Reizung sogar überdauern. Zur unbeabsichtigten Bestätigung dieses Satzes wird man öfters bei gelegentlichen Manipulationen an der Med. oblongata veranlasst, wie später bei der Besprechung der NaCl-Reizung gezeigt werden wird. Auch bei meinen Versuchen über die spinalen Athmungscentren sah ich oft ein leises Drücken oder gar ein erneutes Schneiden des abgetrennten Halsmarkes die lebhafteste „Spinalathmung“ vernichten. Absichtlich führte ich Athmungshemmungen bei intacter Med. oblongata dadurch herbei, dass ich auf dieselbe nach ihrer Freilegung mit einem kleinen Schwamme leicht drückte; die Athmung stand gewöhnlich so lange als ich comprimirte. Möglicher Weise ist hierher auch zu rechnen der initiale Inspirations- stillstand, den Naunyn und Schreiber! bei starkem experimentell her- beigeführten Hirndrucke beobachtet haben. Die Verfasser sind auch ge- neigt, ihn als Symptom einer Reizung der bulbären Hemmungscentren aufzufassen. Ich halte diese Auffassung für um so berechtigter, als den- selben Autoren die gleichzeitige Beobachtung der Herzpulse eine mit dem Athmungsstillstand parallel gehende, unzweifelhaft auf centrale Vagus- reizung zu beziehende Pulsverlangsamung ergab.” Nur ist mir die An- gabe nicht recht verständlich, dass nach Vagusdurchschneidung die Athmung selbst bei stärkster Hirncompression ungeändert bleiben soll.’ Ich habe auch den Versuch gemacht, die Med. oblongata mechanisch zu tetanisiren. Der Heidenhain’sche Tetanomotor war hier nicht an- wendbar; ich construirte mir deshalb eine kleine Vorrichtung, mit deren Hülfe das Gewünschte gelang. Bei einem Deprez’schen Signal electrique, * einem bekanntlich sehr handlichen mit kleinem Anker und -——————— Schreibfeder versehenen Elektromagneten, wird die letztere —_——— durch einen Korkhammer von beistehender Grösse und Form ersetzt. Wird der Maenet durch eine elektrische Stimmgabel oder irgend einen anderen Stromunterbrecher in rhythmische Thätigkeit versetzt, so hämmert der kleine Hammer mit rhythmischen Schlägen auf ein untergelegtes | Object. Legt man z. B. den Nerven eines Froschschenkels — auf eine Korkunterlage, und lässt man den in der Hand zu haltenden oder an einem passenden Stativ zu befestigenden „Tetanisirungshammer“ auf ihn einwirken, so geräth der Schenkel in den kräftigsten Tetanus. ! Naunyn und Schreiber, Ueber Gehirndruck. 18381. 8. 62 u. 68. 2.8 Ob Dh Ah Se 0 8262 * Marey, La methode graphique. >. 140. Archiv £. A. u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 34 530 OÖ. LANGENDORFF: Da sich durch Einschaltung beliebiger Unterbrecher die Tetanisirungs- frequenz in weiten Grenzen variiren lässt, da auch eine Verstärkung oder Abschwächung der Hammerexcursionen durch Drehung an der am In- strument befindlichen Schraube ermöglicht ist, und da man endlich die Reizungsstelle schneller und bequemer wechseln kann, wie bei dem Heiden- hain’schen Apparate, so dürfte meine das Princip desselben benutzende kleine Vorrichtung einige Vorzüge vor den bisher angewendeten Mitteln zur mechanischen Tetanisirung besitzen. — Auf die freigelegte Med. oblongata, und zwar auf die Gegend der Alae cinereae, wurde der Tetanisirungshammer aus freier Hand bei fixirtem stark gebeugtem Kopfe des Versuchsthiers applieirt. Der Einfluss auf die Ath- mung war in einigen Fällen ein unzweifelhaft inspiratorischer; die Ath- mung wurde beschleunigt, und kam auch wohl zu kurzdauerndem Ein- athmungsstillstand. In der Mehrzahl der Fälle war die Wirkung jedoch eine exspiratorische. Ich beobachtete dann Athmungsverlangsamung oder, und das gar nicht selten, Stillstand der Athmung im Zustande der Exspiration. Fig. 10 (Taf. X) erläutert einen derartigen Fall. Die ge- strichelte Linie entspricht der Abscisse. Ich bemerke, dass mit dem Teta- nisirungshammer ein stärkerer Druck auf das verlängerte Mark schon des- halb nicht ausgeübt werden kann, weil ein solcher den Hammer in seiner Thätigkeit sofort hemmt. Man muss ihn also, um ihn im Gange zu er- halten, lose aufsetzen. Sehr häufig hatte die mechanische Tetanisirung nicht den geringsten Erfolg. Ich glaube hierfür, wie ich schon oben andeutete, die tiefe Lage der zu reizenden Theile und die oberflächliche Wirkung des Hammers ver- antwortlich machen zu müssen. | Soviel kann man jedenfalls aus den mitgetheilten Versuchen ent- nehmen, dass in vielen Fällen auch die Einwirkung mechanischer Reize auf das verlängerte Mark die Athembewegungen hemmt. Noch bevor ich die elektrische Reizung anwendete, hatte ich die Wirkung einer anderen Reizungsform erprobt, die sich mir schon beim centralen Vagusstumpfe als besonders vortheilhaft erwiesen hatte, nämlich die chemische Reizung. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 551 Chemische Reizung. Es kam hier darauf an, ein Reizmittel ausfindig zu machen, das bei genügend kräftiger Wirkung nicht schnell vernichtend wirkt, und dessen Entfernung zur rechten Zeit möglich ist. Ich wählte das Steinsalz in Substanz, in der Form flacher, glatter Krystallplättchen von wenigen Quadratmillimetern Fläche. Die Belastung der Med. oblongata durch diese Krystalle ist unbedeutend, die Entfernung derselben mit Hülfe einer spitzen Pincette leicht, und die Localisation der Reizung immer noch eher mög- lich, wie bei Anwendung von Kochsalzlösung oder Salzpulver oder Glycerin. Nur in einigen Fällen habe ich den letztgenannten Stoff zur Reizung benutzt. Die Wirkung der chemischen Reizung war, wie sich das nach den Erfahrungen am Vagus voraussehen liess, in allen Fällen, in denen über- haupt ein Erfolg eintrat, eine unbedingt exspiratorische, athmungs- hemmende. Selten beschränkte sie sich auf einfache Athmungsverlang- samung, meistens entstandlangdauernder Athmungsstillstand im Zu- stande der Exspiration. Leider bleibt zuweilen jeglicher Erfolg der Reizung aus, ohne dass es gelingt, die Ursache dieses Versagens fest- zustellen. i Die Organe, auf die man einwirken will, liegen in der Tiefe der Med. oblongata. Die Oberfläche der Rautengrube kann man verletzen, abtragen, zerquetschen, ohne dass die Athmung darauf reagirt. Daher kommt es, dass bei den Reizungen mit NaCl die Latenzzeit eine ungewöhnlich grosse Dauer, von 20—60 Secunden, zuweilen sogar von 4—5 Minuten, hat. , Erst nach Ablauf dieser Zeit verlangsamt sich die Athmung und kommt schnell zum Stillstand.! Taf. X Fig. 11 illustrirt einen solchen Versuch. Das Thier war mit Chloralhydrat narkotisirt, die Med. oblongata freigelegt; bei s wurde der Salzkrystall auf die Alae cinereae aufgelest. Man sieht den nicht lange darauf folgenden Stillstand, der nur noch einmal von einer Athmung unterbrochen wird, um dann zu einem dauernden zu werden. Ein solcher dauernder Stillstand ist unausbleiblich, wenn man das Salz auf der Med. oblongata liegen lässt, und das Thier geht unter dem Einflusse der Reizung zu Grunde. Man hat es aber in der Hand, das Thier zu retten, indem man bei Zeiten den Krystall entfernt, die gereizte Stelle mit 0°5°/, NaCl-Lösung abspült, und falls der Stillstand schon längere Zeit gewährt haben sollte, mit künstlicher Respiration nachhilft. Nach wenigen Minuten kehrt dann die selbständige Athmung des Thieres 1 Auch die Natur des Reizes dürfte hierbei in Betracht kommen. Die Wasser- entziehung braucht Zeit. 34° 532 0). LANGENDORFF: zurück. Zuweilen bleibt sie etwas verlangsamt, meistens gewinnt sie die alte Frequenz wieder. Diesen Versuch kann man mehrmals, sogar mit steigendem Erfolge, wiederholen. In einem Falle wurde bei einem und demselben Thiere fünfmal hinter- einander durch Auflegen des Salzes die Athmung auf mehrere Minuten suspendirt, und durch Fortnahme desselben wieder belebt. Das Gelingen dieses Versuches widerlegt einen Einwurf, den man mir machen könnte, dass es sich nämlich nicht um eine Reizung von hemmen- den, sondern um eine Lähmung von motorischen Apparaten bei diesen Steinsalzversuchen handle. Weiss man doch, wie schnell die chemischen Reizmittel vernichtend wirken können. Nun, eine fünfmal hintereinander zu producirende Tödtung und Wiederbelebung eines Nervencentrums werden mit mir wohl die Meisten für äusserst unwahrscheinlich halten. Ich habe es indessen nicht versäumt, mir noch auf andere Weise Ge- wissheit darüber zu verschaffen, dass man durch einen solchen Steinsalz- krystall reizt, nicht lähmt. Zunächst beim Frosche. Man lege einem Frosche die Med. oblongata, dann das Herz frei, und bringe auf die erstere einen passend geformten kleinen Na UÜl-Krystall. Nach Verlauf weniger Minuten werden die Herz- pulse langsamer und hören bald gänzlich auf: Das Herz ist durch centrale Vagusreizung in diastolischen Stillstand versetzt. Gleichzeitig findet sich, falls nicht Curare angewendet wurde, der ge- sammte Körper des Frosches im Streckkrampf, der an Stärke dem Strychnintetanus nichts nachgiebt: Reizung des sog. „Krampf- centrums.“ Durch Atropin wird der Herzstillstand schnell beseitigt, der Krampf bleibt bestehen. Entfernt man den Krystall und spült man mit 0-5°/, NaCl aus, so beginnt auch ohne Atropin das Herz wieder zu schlagen, und der Tetanus weicht. Der Versuch kann dreimal, wahr- scheinlich noch öfter mit gleichem Erfolge wiederholt werden. Seiner Ein- fachheit wegen möchte ich ihn für Vorlesungen empfehlen. Weiter wurde die Zulässigkeit der Na Ol-Methode an der Med. oblon- gata einer jungen Katze geprüft. Dieselbe war chloroformirt und mit Curare vergiftet. In die Carotis wurde ein Hg-Manometer eingebunden; der Blutdruck betrug 60"" He. Auf die vorher freigelegte Med. oblongata wird ein Na Ul-Kıystall ge- bracht: langsam steigt die Quecksilbersäule auf 100°". Der Druck verharrt auf dieser Höhe mehrere Minuten; dann wird der Krystall sorgfältig entfernt, die Med. oblongata mit Wasser bespült. Das Quecksilber sinkt wieder langsam bis auf TU”” ab. Dort verbleibt es längere Zeit. Nach Ablauf derselben wird die Med. oblongata an der Grenze des Spinal- markes durehschnitten. Der Blutdruck sinkt auf 20", STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. JIn Ich glaube, dass diese hier mitgetheilten Versuche nicht nur die Zu- lässigkeit der Steinsalzreizung für meinen vorliegenden Zweck beweisen, sondern dass sie auch dazu beitragen werden, der chemischen Reizung neue Wirkungssphären zu eröffnen. Im Hinblick auf die von Grützner! ange- stellten Untersuchungen über die Fähigkeit verschiedener Nervenarten, auf chemische, mechanische und thermische Reize zu reagiren, dürfte der hier eeführte Nachweis Interesse verdienen, dass vasomotorische und herz- hemmende Nerven oder Nervencentren chemischen Reizen ebenso zugäng- lich sind, wie die athmungshemmenden und die motorischen. Natürlich bleibt bei den die athmungshemmenden Apparate der Med. oblongata treffenden chemischen Einwirkungen auch das Herz der Säugethiere nicht unbehelligt. Ob auch hier Stillstand eintritt, kann ich nicht mit Be- stimmtheit sagen, erhebliche Pulsverlangsamung sah ich dagegen oft. Um vor jeder dadurch bedingten secundären Wirkung auf die Athmung sicher zu sein, habe ich die Thiere öfters atropinisirt. Am Erfolge wurde aber dadurch nicht das Geringste geändert. Es könnten ferner Manchem die athmungshemmenden Wirkungen des Salzkrystalles durch den Druck der durch denselben auf die Med. oblongata ausgeübt wird, bedingt erscheinen. Dagegen ist erstens das geringe Gewicht des Salzplättchens anzuführen. Zweitens kann man, falls beim Auflegen doch irgend ein unbeabsichtigter Druck ausgeübt wurde, die Folgen des- selben von der chemischen Reizung sehr wohl trennen. Es tritt in solchen Fällen nämlich sofort ein kurzer Athmungsstillstand oder eine Athmungs- verlangsamung ein. Beide gehen aber schnell vorüber, schneller als die chemische Erregung eintritt. So kommt es, dass zwischen diesem pri- mären Reizungssymptom und dem Eintritt des durch die chemische Be- schaffenheit des Salzes bewirkten Stillstandes immer eine ganze Reihe von wieder normal freguenten Athmungen dazwischen liegt. Die verhältnissmässig grosse Zeit, während deren die chemische Reizung latent bleibt, habe ich oben vornehmlich auf die tiefe Lage der zu erregen- den Nervenfasern oder Ganglienzellen bezogen. Ich suchte deshalb diesen Theilen näher zu kommen. Ich durchschnitt bei einem Kaninchen die Med. oblongata ein wenig oberhalb der Alae cinereae, und legte, als die Ath- mung: fortbestand, das Salz auf die untere Schnittfläche. Auch jetzt noch vergingen bis zum Athmunssstillstande mehrere Minuten. Ich war also den reizbaren Theilen noch nicht nahe genug; des- ı Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XVII. 8.215. 534 O0. LANGENDORFE: halb wurde noch folgender Versuch gemacht: Bei einem drei Wochen alten Kaninchen wird die Med. oblongata vom Halsmark abgetrennt, künst- liche Athmung eingeleitet. Die Athmungsreflexe sind kräftige. Dann wird eine kleine Strychninmenge in die Bauchhöhle gespritzt, und alsbald be- ginnen spontane Respirationen. Das Zwerchfell wird freigelegt, die kräftigen Contractionen desselben direct beobachtet. Sodann wird ein klemer flacher Salzkrystall auf die untere Schnittfläche des Markes gebracht. Schon nach ein paar Secunden steht die Athmung still; Athmungsreflexe lassen sich auch nicht mehr auslösen. Der Krystall wird entfernt, die Schnittfläche mit Wasser irrigirt. Nach kürzester Zeit kehren die Reflexe zurück, und bald stellt sich auch die spontane Athmung wieder ein. Derselbe Versuch gelang auch ein zweites Mal an demselben Thiere. Der Versuch ist deshalb von Interesse, weil aus ihm unmittelbar her- vorgeht, was freilich ohnehin geschlossen werden musste, dass die athmungs- hemmenden Apparate des verlängerten Markes sich in das Halsmark hinein fortsetzen. Es scheint mir hier der Ort, auf einige gegen den Inhalt meiner 1. Mittheilung gemachten Einwürfe näher einzugehen. Rosenthal! will die Gleichwerthigkeit der „spinalen“ Athembewegungen mit denen des unverletzten Thieres nicht anerkennen. Er hält sie für reflectorisch und für unfähig, das Leben auch nur kurze Zeit hindurch zu unterhalten. ; 1) Der Einwand, dass es sich um reflectorische Athmungen handle, war zu allerletzt gerade von Rosenthal zu erwarten, der doch aus eigener Erfahrung zur Genüge wissen muss, wie schwer es ist, von den normalen Athembewegungen zu beweisen, dass sie nicht reflectorisch sind. Ich habe zu Gunsten meiner Ansicht kein Experimentum crucis, wie die Durchschneidung aller sensiblen Rückenmarkswurzeln aufzuweisen. Doch sprechen für die Spontaneität der von mir erhaltenen Athmungen mancherlei Gründe. Eine grosse Reihe von Versuchen wurde ohne künstliche Steigerung der Reflexerregbarkeit angestellt. Besonders bei unvergifteten neugeborenen Thieren waren trotzdem die Athmungen oft sehr kräftig, regelmässig und andauernd. Wendete ich Strychnin an, so suchte ich mit Sorgfalt äussere Reize fern zu halten. Es giebt Autoren, die jeden Strychninkrampf für einen ! Biologisches Centralblatt. 1581. Nr. 3. 8. 88. STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 535 reflectorischen erklären, andere, die eine Selbständigkeit desselben für mög- lich halten. Seit sich Joh. Müller und M. Hall in dieser Frage gegen- über standen, ist bis zum heutigen Tage eine Entscheidung nicht getroffen worden. Fanatikern der ersteren Ansicht gegenüber wird selbst der pein- lichste Schutz vor äusseren Reizen nicht beweisend sein. Die Athmungen des decapitirten und strychninisirten Thieres zeichnen sich vor den Krämpfen durch ihre rhythmische Folge, zuweilen durch grosse Regelmässigkeit aus. Soll man hier die Einwirkung regelmässiger rhyth- mischer Reizung annehmen? Aeussere Reize wirken doch entweder dauernd oder gelegentlich ein. Gelegentliche Reize folgen einander aber nicht in regelmässigen Intervallen. Oder will man annehmen, dass hier eine Ein- richtung vorhanden sei, demzufolge continuirliche äussere Reizung rhyth- mische Thätigkeit auslöst? Das wäre ja an sich nicht unwahrscheinlich; aber es müsste doch erst anderweitig bewiesen werden, ehe man es als Waffe verwerthet. Auch widerspricht dieser Annahme die von mir häufig beobachtete Thatsache, dass das strychninvergiftete anscheinend ohne äussere Anregung rhythmisch athmende Thier durch eine länger dauernde Haut- reizung in heftigen viele Secunden lang währenden Zwerchfelltetanus ge- räth, die dauernde Reizung also mit dauernder Reflexbewegung beantwortet. Gegen die Annahme äusserer Reize ist ferner geltend zu machen die Beobachtung, dass bei kräftiger Action der Athmungsmusculatur die übrigen Muskelgebiete völlig ruhig bleiben können. Besonders wenn die Vergiftung schon längere Zeit bestanden hat, sieht man zuweilen ausser den Respira- tionen nicht die geringste andere Bewegung am Thiere. Aeussere Reize hätten doch auch andere Muskeln in reflectorische Thätigkeit versetzen müssen. 2) Rosenthal sagt weiter: „Noch keinem der Experimentatoren ist es gelungen, diese Athembewegungen wieder so weit in Gang zu bringen, um durch sie das Leben, wenn auch nur auf kurze Zeit, zu unterhalten.“ Dieser Einwurf gilt unmöglich meinen Versuchen; denn ich habe nicht nur oft genug den vom Kopfe getrennten Rumpf noch viertelstunden- lang selbständige Athembewegungen ausführen sehen'!; sondern ich sage S. 529 meiner ersten Abhandlung ausdrücklich: „In einem Falle diente ein 3 Wochen altes, mit weniger als !/, ”s’® Strychnin vergiftetes, der Med. oblongata beraubtes Kaninchen unter ab und zu auf 2—3 Minuten auf- genommener künstlicher Ventilation mindestens eine halbe Stunde lang der graphischen Darstellung seiner Athmungen. Nach Ablauf dieser Zeit wurde die künstliche Respiration dauernd ausgesetzt, und die Trachealcanüle voll- ständig freigegeben. Das Thier athmete in diesem Zustande während ! Erste Mittheilung. S. 533. 536 O0. LANGENDORFF: voller 50 Minuten mit einer erst sub finem abnehmenden Fre- quenz von etwa 14 Athmungen in 15 Secunden fort. Bei der Operation hatte das Thier eine nicht geringfügige Menge Blut verloren; die Bauchhöhle war zum Zwecke der Zwerchfellbeobachtung weit eröffnet.“ Man kann mit derartigen Erfolgen zufrieden sein, wenn man bedenkt, dass auch bei hoher Abtragung des verlängerten Markes das Leben nur kurze Zeit sich erhält. Mit Erlöschen der Athmung verschwinden bei dem der Med. oblongata beraubten Thiere auch die sonstigen Lebensäusserungen des Spinalmarkes (die Extremitätenreflexe können sogar schon früher erlöschen); das auch bei künstlicher Athmung unausbleibliche Absterben dürfte wohl auf die Strychninvergiftung einerseits, andererseits auf den Verfall der Circu- lation und das trotz der Strychninisirung enorme Sinken der Körper- temperatur zurückgeführt werden können. Wie schnell auch andere nicht direct betroffene nahegelegene Centren der Schädigung durch den Schnitt, der Vergiftung, der Circulationsstörung erliegen, das zeigen die Athembewegungen des Kopfes, die bei einem dicht hinter dem Cal. scriptorius geführten Schnitte meistens sehr bald erlöschen; noch vor ihnen pflegt der von der Cornea zu erhaltende Blinzelreflex zu schwinden. Ich habe mich bis jetzt vergeblich nach wesentlichen Unterschieden der spinalen und normalen Athmung umgesehen; bis dahin, wo mir solche nachgewiesen werden, kann ich nur wiederholen, dass das seiner Med. oblon- gata beraubte Thier Athembewegungen ausführen kann, die denen des unverletzten Thieres gleichwerthig sind. Erkennt man die Berechtigung dieses Satzes an, so ist damit die von mir behauptete Bedeutung der „spinalen Athmungscentren“ anerkannt. Man hat mir gesagt: Wir geben die Existenz solcher Centren zu, geben auch die Möglichkeit ihrer Automatie zu; aber „Athmungscentren“ sind dieselben damit noch nicht, sie sind nichts als „Centren der Ath- mungsnerven“ Damit stützt man sich aber einzig und allein auf den inveterirten Glauben an das Dasein eines höheren in der Med. oblongata gelegenen herrschenden Centrums. Ich möchte behaupten: hätte man die Flourens’schen Versuche und deren Folgerungen nicht gekannt, so hätte man wahrscheinlich niemals ein Bedürfniss nach einem solchen Centrum empfunden! dass die Einheit der Athembewegung eine derartige Vor- richtung nicht erfordert, habe ich in meiner 1. Mittheilung gezeigt; die Giltigkeit der Flourens’schen Ausführungen aber halte ich für er- schüttert; denn 1) trifft die ihre Grundlage abgebende Thatsache, dass Abtragung oder Zerstörung der Med. oblongata die Athembewegungen für immer sistirt, für viele Fälle durchaus nicht zu, da man unter gewissen STUDIEN ÜBER DIE INNERVATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. Han Bedingungen die operirten Thiere spontan athmend und dadurch einige Zeit hindurch am Leben erhalten kann. 2) Lässt diese Thatsache eine andere Deutung zu, da in der Med. oblon- sata Apparate gelegen sind, deren Reizung die Athmung hemmt, und da man annehmen darf, dass ein durch die Med. oblongata geführter Schnitt nicht nur diese Apparate reizt, sondern auch die nahe gelegenen spinalen Centren auf mechanische Weise schädigt. Von diesem Standpunkte aus scheint es mir nunmehr nur noch eine rein logische Frage zu sein, ob das verlängerte Mark der Sitz des in- nervirenden Athemcentrums ist oder nicht. Es sei ein Mann auf gewisse Indicien hin eines Verbrechens be- schuldist. In der Verhandlung erweisen sich die Schuldbeweise sämmt- ich als nichtig. Was ist die Folee davon? Der Angeklagte wird ohne Weiteres freigesprochen! Nun wohl, die Medulla oblongata schuldigt man an, „das Athmungscentrum“ zu enthalten. Die dafür geltend ge- machten Gründe sind widerlest. Will man nun an diesem Athmungs- centrum dennoch festhalten, bis der Gegenbeweis erbracht ist? Das wäre doch eine Ungerechtigkeit. Der Richter müsste hier zweifel- los neue Beweise verlangen oder das Nichtschuldig aussprechen. Ueber die Abhängigkeit der Athemanstrengung vom Nervus vagus. Von Dr. Johannes Gad, Assistenten am physiologischen Institute zu Würzburg. Kurze Zeit nach der überraschenden Entdeckung, dass durch Erregung eines Nerven die Thätigkeit eines von (demselben abhängigen Bewegungs- apparates gehemmt werden könne, tauchte die sehr ansprechende Vor- stellung auf, dass in einem solchen Falle keine Aenderung der ganzen vom Apparat geleisteten Arbeitssumme eintrete, sondern nur eine Aenderung der Vertheilung dieser Arbeit auf die Zeit. Wie bei elektrischer Funkenent- ladung, — eine gleich fliessende Elektrieitätsquelle vorausgesetzt, — mit zu- nehmender Schlagweite die einzelnen Entladungen in demselben Maass heftiger werden als sie seltener erfolgen, so stellten sich Ludwig und Hoffa! schon 1850 vor, solle während der durch Vagusreizung verlängerten Diastole des Herzens die contractionsbewirkende Ursache zu einem höheren Werth anschwellen, oder wie sie sich ausdrückten; ‚die bewegende Kraft durch oder wenigstens während der Einwirkung des N. vaeus nur in Spannung versetzt werden“, so dass die darauf folgende Bewegung um so energischer würde. Schon Joh. Müller hatte die Möglichkeit discutirt, dass der Grund für das Periodische in der Thätigkeitsäusserung centraler Bewegungsapparate darin liegen könne, dass der Thätiekeitsäusserung ein gewisser Widerstand entgegen stehe, welcher erst überwunden würde, wenn der innere Thätig- keitsgrad oder die durch innere T'hätiekeit angehäufte Spannkraft einen be- stimmten Werth erreicht habe. Nach der Ludwie-Hoffa’schen Vor- ! Einige neue Versuche über Herzbewegung von M. Hoffa und €. Ludwig. Zeitschrift für rationelle Mediein. IX. (1850) S. 107—144. JoH. GAD: ABHÄNGIGKEIT DER ÄTHEMANSTRENGUNG VOM VAcus. 539 stellung würde durch Vagusreizung der Widerstand vermehrt, der zur Anhäufung von Spannkraft führende Process aber nicht beeinflusst werden, so dass die grössere Spannung nach Durchbrechung des grösseren Wider- standes zu einer um so grösseren Kraftentwickelung führen muss, je seltener die Entladung erfolgt. Die experimentellen Thatsachen, welche diese Vorstellung begründen sollten, waren freilich, wie Ludwig schon damals ausdrücklich hervor- sehoben hat, nichts weniger als eindeutig. Ludwig und Hoffa hatten gelegentlich einer Untersuchung, deren eigentlicher Zweck die Feststellung des zeitlichen Verhältnisses zwischen Systole und Diastole des Herzens war und bei Anwendung einer Methode, welche für diesen Zweck vollkommen ausreichte, sich auch ein Urtheil über die Aenderung der äusseren Herz- arbeit unter dem Einflusse der Vagusreizung zu verschaffen gesucht. Dem blossgelesten Warmblüterherzen lag ein Fühlhebel auf, welcher die Längenänderung der kleinen Axe des, in der Diastole elliptischen, Querschnittes der .Herzbasis aufzeichnete. Die Excursionen dieses Fühl- hebels zeigten sich nun bei den ersten, der Vagusdiastole folgenden Herz- schlägen vergrössert. Diese experimentelle Thatsache ist wohl gleichwerthig mit der von Donders hervorgehobenen palpatorischen Beobachtung der Verstärkung des Spitzenstosses unmittelbar nach beendetem Vagusstillstand des Herzens. Wenn nun diese beiden Beobachtungen auch mit Wahr- scheinlichkeit darauf hinweisen, dass die äussere Arbeit des mit dem Gefäss- apparat in normaler Verbindung gelassenen Säugethierherzens bei einer der eigentlichen Vagusreizung unmittelbar folgenden Systole grösser ist als bei einer der Vagusreizung vorhergehenden, so lässt sich doch, wie auch Donders betont hat, ein Schluss in dem Ludwig-Hoffa’schen Sinne nicht daraus herleiten. Es müsste doch, ganz abgesehen von dem quanti- tativen Nachweis der Uebereinstimmung der Arbeitssumme in gleichen Zeiten mit und ohne Vagusreizung, noch gezeigt werden, dass die grössere Arbeitsleistung nach Vagusreizung auch wirklich auf einer Steigerung des nervösen Bewegungsantriebes beruht, denn bekanntlich wächst die Arbeits- leistung eines Muskels innerhalb gewisser Grenzen nicht nur mit der Grösse des Reizes, sondern auch mit der Grösse der Belastung. Im Sinne der Belastung wirkt aber beim Herzen der Füllungsgrad des- selben während der Diastole und dieser erreicht bei einer durch Vagus- reizung verlängerten Diastole begreifllich einen höheren Werth, als bei einer normalen. Will man berechtigt sein, aus der Aenderung der Arbeits- leistung des Herzens einen Schluss auf die Aenderung der demselben zu- geflossenen Bewegungsantriebe zu ziehen, so muss man also dafür sorgen, dass der Füllungsgrad des Herzens in der Diastole (und ‘der der Ent- leerung entgegenstehende Widerstand) durch den Versuch selbst nicht be- 540 JOHANNES GAD: einflusst wird, was an dem Säugethierherzen bei Vagusreizung wohl kaum zu erreichen sein dürfte. Hier musste das überlebende Froschherz den wesentlichsten Aufschluss gewähren und Ludwig selbst hat nicht nur die Methode hierfür zurecht gemacht, sondern auch die erneute Untersuchung der Frage mit der dem Zweck entsprechenden Methode veranlasst. Die durch Coats ausgeführte Untersuchung! hat dann ergeben, dass die Arbeitsleistung des überlebenden Froschherzens, soweit diese eben nur von der Grösse des inneren Reizes abhängt, in gleichen Zeiten mit Vagusreizung sehr viel kleiner ausfällt, als ohne Vaeusreizung. Ueber das Verhalten beim Säugethierherzen hat sich schliesslich Donders mittels einer eigenthümlichen Methode Aufschluss zu verschaffen gesucht.” Er hat die Grösse der vom schlagenden Säugethierherzen zu er- zielenden secundären Zuckung des stromprüfenden Froschpräparates als An- halt zur Schätzung der durch inneren Reiz bewirkten Zustandsänderung des Herzens genommen und ist ebenfalls zum Schlusse gekommen , dass die Intensität dieser Zustandsänderung durch Vagusreizung herabgesetzt werde. Wenn gegen die zwingende Kraft dieser Versuche auch Ein- wendungen gemacht werden können, welche der Autor selbst hervorhebt, so bestärkt das Resultat doch die an sich wahrscheinliche Vermuthung eines wesentlich eleichen Verhaltens des Warm- und Kaltblüterherzens. Was also die Vaguswirkung auf das Herz anlangt, so sind wir nach dem vorliegenden Erfahrungsmaterial schon seit längerer Zeit nicht mehr berechtigt, uns dieselbe in der ursprünglichen Ludwig”’schen Weise vor- zustellen. Während der Vaguswirkung wird Bewegungsimpuls nicht auf- gespeichert. Besteht ein Widerstand, welcher das stetige Abfliessen des Bewegungsimpulses als adäquaten Reizes auf die contractilen Elemente ver- hindert und wird dieser Widerstand durch Vaguswirkung vermehrt, so muss ausserdem auch der Process vermindert werden, welcher zur Ent- wickelung der Bewegungsimpulse führt. Einfacher und den bekannten Thatsachen genügend scheint aber die Annahme zu sein, dass nur letzteres geschieht, d. h. dass gewisse Zustandsänderungen in Ganglienzellen, von denen die adäquate Reizung der Muskeln abhängt, unter dem Einfluss der Vaguswirkung bei sonst gleichen Bedingungen weniger stark und schnell eintreten, als es ohne Vaguswirkung der Fall sein würde. ! Wie ändern sich durch die Erregung des N. vagus die Arbeit und die inneren Reize des Herzens? Von Dr. J. Coats, Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. IV. (1869) 8. 176—207. ? De secundaire contracties, onder den invloed der systolen van het hart, met en zonder vagus-prikkeling. Door F. C. Donders — Onderzoekingen gedaan in het Physio- logisch Laboratorium der Utrechtsche Hoogeschool. Derde Reeks I. (1872) p. 246—266. ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM NERVUS vAGUSs. DAl Zu einer Zeit aber, als Ludwig noch lange nicht in der Lage war, seine geistreiche Idee mit selbstgeschärftem kritischen Messer vorurtheils- los zu zerschneiden, ist von anderer Seite der Versuch gemacht worden, dieselbe auf die Abhängigkeit der Athemthätigkeit von der Vaguswirkung zu übertragen. Rosenthal! sprach die Behauptung aus, dass die Summe der in der Zeiteinheit vom Athemapparat geleisteten Arbeit unabhängig vom Einfluss des Vagus sei und dass dessen Wirkung sich nur in einer bestimmten Vertheilung dieser Arbeit auf die Zeit äussere. Er nahm auch für den Athemapparat an, dass dem Abfliessen des sich steigernden Be- wesungsimpulses auf die Inspirationsmuskeln ein Widerstand entgegen stehe, welcher periodische Entladungen mit dazwischen liegenden Pausen bewirke. Nach ihm sollte nun allerdings die normalerweise oder im Experiment auf der Bahn des Lungenvagus dem centralen Athemapparat zugeleitete Er- regung die Stärke dieses Widerstandes vermindern, während der Herzvagus den hypothetischen Widerstand Hoffa-Ludwig’s steigern müsste, aber abgesehen von diesem eigentlich quantitativen Unterschied muss man in der Rosenthal’schen Ansicht von dem Einfluss des Vagus auf die Ath- mung eine treue Copie der alten Ludwig’schen Vorstellung von der Ein- wirkung des Vagus auf das Herz erkennen. Es tritt dies um so deutlicher hervor, wenn man Rosenthal’s Ansicht über den Modus der von ihm entdeckten Einwirkung des Laryngeus sup. auf die Athmung mit in Be- tracht zieht. Hier ist die Uebereinstimmung eine vollständige. Bei dem Versuch, seine Ansicht von der Beziehung des Vagus zur Arbeitssumme des Athemapparates zu begründen, ist Rosenthal in einen Fehler verfallen, vor welchem schon Ludwig bei ähnlicher Gelegenheit ausdrücklich gewarnt hatte,? er hat nämlich als Maass der auf die Athmung verwandten Anstrengung den Nutzeffect der Athmung betrachtet. Der Nutzeffect der Athmung kann füglich gemessen werden durch die Grösse des Luftvolums, welches in der Zeiteinheit die Lungen passirt. Da nun Rosen- thal bei den darauf gerichteten Versuchen dieses Luftquantum vor und nach der Vagusdurchschneidung wesentlich gleich zu finden glaubte, so schloss er, dass bei den selteneren und tieferen Athmungen nach Vago- tomie m Summa dieselbe Athemanstrengung von dem Thiere gemacht werde als bei den häufigeren und flacheren Athmungen vorher. So wenig übereinstimmend sich nun aber in den von Rosenthal veröffentlichten Versuchsresultaten die vor und nach Vagotomie durch die Lungen geförderten Luftmengen auch zeigten und so fehlerhaft gedacht der von ihm aus diesen unsicheren 'Thatsachen gezogene Schluss auch war, : ! Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus. Von Dr.I.Rosen- thal. Berlin 1862. zuN2a 0282115. 542 JOHANNES GAD: so hat sich derselbe doch lange verbreiteter Anerkennung zu erfreuen ge- habt. Findet diese psychologisch merkwürdige Erscheinung nicht vielleicht darin ihre theilweise Erklärung, dass die von Rosenthal für den Lungenvagus ausgesprochene Ansicht sich principiell in zu guter Ueber- einstimmung mit der damals angenommenen älteren Ludwig’schen An- sicht über die Wirkung des Herzvagus befand, als dass die Freude an dieser Uebereinstimmung nicht hätte das Urtheil bestechen sollen? In neuester Zeit habe ich auf den von Rosenthal begangenen Denk- fehler aufmerksam gemacht und habe ein anderes Maass zur Schätzung der Aenderung in der Athemanstrengung nicht nur vorgeschlagen'!, son- dern auch zur Anwendung gebracht.” Da dem Thorax eine bestimmte elastische Gleichgewichtslage zukommt, in welche derselbe übergeht, wenn alle auf ihn wirkenden Muskelkräfte fortgefallen sind, und da die Ent- fernung aus dieser Gleichgewichtslage wesentlich durch Anstrengung des inspiratorischen Muskelsystems erfolgt, so kann die Aenderung in der In- tensität und Dauer der Entfernung des Thorax aus der Gleichgewichtslage als Anhalt für die Beurtheilung dienen, ob die Athemanstrengung zu- oder abgenommen hat. Um die Idee zu realisiren, braucht man nur die Aenderungen einer Grösse graphisch — d. h. auf die Zeit bezogen — darzustellen, welche bei Aenderungen der Entfernung des Thorax aus der Gleichgewichtslage in bestimmtem Sinne, ebenfalls in bestimmtem Sinne erfolgen. Ich habe aus guten Gründen? die die Athmung begleitende Volumänderung des Thorax zu dem vorliegenden Zweck benutzt, nachdem ich mir eine Methode zur graphischen Registrirung dieser Volumänderungen zurecht gemacht hatte. Mit Hülfe meines Aöroplethysmographen habe ich nachweisen können, dass die Folge einer plötzlichen reizlosen Unterbrechung: der Leitung der normalen Erregungen in den Vagis eine bedeutende Steigerung der Athemanstrengung ist. Die Mittheilung dieser Ausnahme von dem Rosenthal’schen Satze hielt ich um so mehr für ausreichend zum Beweise seiner Hinfälliskeit, als sie sich auf die normaler Weise im Vagus geleiteten Erregungen bezieht und als sie sich ausser aus meinen directen Experimenten als Öonsequenz aus der Hering-Breuer’schen Lehre von der vago-reilectorischen Inspirations- hemmung durch Lungendehnung ergiebt, welche zu stützen mir ebenfalls gelungen ist. Da überdies dem Rosenthal’schen Satze sein Mutterboden auf dem Gebiete des Herzyvagus längst entzogen war, so hielt ich es vollends für überflüssig, das ganze Material gegen denselben in’s Feld zu ! Ueber einen neuen Pneumatographen. Dies Archiv 1879. 8. 197. ? Die Regulirung der normalen Athmung. Dies Archiv 1880. 8. 1—32. 3 Einige kritische Bemerkungen, die Pneumatographie betreffend. Dies Archiv 18797 185557. ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM NERVUS VAGUS. 543 führen, welches mir bei meiner mehrjährigen experimentellen Beschäftigung mit diesen Fragen reichlich zugeflossen ist. Nun hat aber Rosenthal, freilich ohne zu sagen, woher ihm An- resung und neuer Gesichtspunkt gekommen ist, seinen Satz einer Prüfung auf logisch richtiger Grundlage unterworfen und er giebt als Resultat dieser Prüfung eine vollständige Bestätigung desselben an.! Die Ausnahme, welche die reinen Ausfallserscheinungen bieten, berücksichtigt er hierbei nicht, wenn nicht etwa stillschweigend dadurch, dass er seinen Satz in einer Form reprodueirt, in welcher er den reinen Ausfallserscheinungen nicht auffallend widerspricht. Er eitirt nicht etwa: „Die Folge (der Vagusdurchschneidung) muss sein, dass die Athembewegungen seltener werden, dafür aber intensiver, so dass die Summe der in einer gegebenen Zeit geleisteten Arbeit unverändert bleibt, wie es in der That die Versuche ergeben haben“,? sondern: „Die Erregung der Vagi vermag diese Thätig- keit (der Medulla oblongata) nicht zu vergrössern, sie bewirkt nur eine anderweitige Vertheilung der in’s Spiel gesetzten Muskelwirkungen , der- zufolge die Athembewegungen häufiger, dafür aber schwächer werden, u. s. w.“ Die einzige Erresungsart, für welche er durch neuere Versuche die Gültig- keit dieses Satzes nachzuweisen sucht, ist die elektrische Reizung mit In- ductionsschlägen von geringer Intensität. Dass gerade bei dieser Reizungs- art Erregungen auf den centralen Athemapparat übertragen werden, welche den normalerweise im Vagus fortgeleiteten Erregungen entsprechen, ist eine willkürliche Annahme, welche gegenüber den Erfahrungen von dem Erfolg der Reizung der Vagusendisungen in der Lunge (Hering und Breuer), der mechanischen und chemischen Reizung des Vagusstammes (Langendorff) und von dem Erfolg der plötzlichen reizlosen Leitungs- unterbrechung im Vagus (Gad) nicht aufrecht erhalten werden kann. Die Erfahrungen, welche Rosenthal bei der von ihm angewandten Reizungs- art gesammelt hat, berechtigen ihn deshalb in keinem Fall, ganz allgemein dem Vagus einen Einfluss auf die Athemanstrengung abzusprechen, wie er es thut, indem er einen Theil seines alten Satzes reprodueirt, welcher lautet: „Die Thätigkeit der Medulla oblongata wird nur bestimmt durch den Sauerstoffgehalt des Blutes.“ ? ! Die Wirkung der elektrischen Vagusreizung auf die Athembewegungen. 1. Von I. Rosenthal. Dies Archiv 1880. Suppl.-Bd. 8.34 49. } ” Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus. >. 244. > Ich bemerke hier ausdrücklich, dass ich Rosenthal’s Artikel „Altes und Neues über Athembewegungen“ in Hft. 3—7 des I. Jahrganges seines Biologischen Central- blattes sehr wohl kenne, absichtlich aber in Vorstehendem nicht berücksichtigt habe. Abgesehen davon, dass in diesem Artikel thatsächlich Neues nicht enthalten ist, so ge- währt er wegen seiner populär gehaltenen Fassung keinen Anhalt für eine sachliche Polemik. 544 JOHANNES GAD: Sehen wir uns jedoch zum Ueberfluss die neueren von Rosenthal gesammelten Erfahrungen noch darauf an, ob sie wenigstens für die ganz specielle, willkürlich gewählte Art der Erregung das Behauptete beweisen. (Gegen die Art, wie diese Erfahrungen gesammelt sind, habe ich nichts Wesentliches einzuwenden. Rosenthal eignet sich das von mir vor- geschlagene Maass zur Schätzung der Aenderung der Athemanstrengung an. Dass er die Aenderungen der Entfernung des Thorax aus seiner Gleichgewichtslage nicht an den Aenderungen des Volums, sondern an den Aenderungen des intrathorakalen Druckes abschätzt, ist eine Modification von secundärer Bedeutung. Die von ihm mittels der vollkommen ge- schlossenen Oesophagus-Canüle gewonnenen Curven verlaufen an der unteren Grenze von Flächenräumen,, welche in ganz analoger Weise wie die von meinen aöroplethysmographischen Curven begrenzten Flächenräume eine directe Anschauung von dem Sinne der Aenderung der Athemanstrengungen ge- währen. Nimmt der auf die Zeiteinheit bezogene, oberhalb der Curve ge- legene Flächenraum zu, so hat die Athemanstrengung zugenommen und umgekehrt. Es bedarf nun wahrlich keiner Integration der Curven nach Volk- mann’s oder irgend einer anderen Methode, sondern ein Jeder kann sich sofort durch einfache Betrachtung der von Rosenthal zur Veröffent- lichung ausgewählten Curvenbeispiele überzeugen, bis zu welchem Grade der Genauigkeit seine Behauptung durch dieselben gestützt wird, die Er- regung der Vagi vermöge die Athemthätigkeit nicht zu vergrössern. In den wenigen Beispielen der Figg. 3und4 erkennt man sofort Fälle beträcht- licher Vergrösserung neben solchen von Verkleinerung und allerdings auch solchen, in denen die Vagusreizung ohne Einfluss auf die in der Zeiteinheit aufgewandte Anstrengung geblieben ist. Rosenthal hat sich auf dem Wege der Integration ebenfalls hiervon überzeugt, aber er schiebt den ge- ringen Mangel an Uebereinstimmung auf die Ungenauigkeit des Versuchs- verfahrens, ohne jedoch die Fehlerquellen seines Verfahrens zu discutiren, ohne die Fehlergrenzen festzustellen und ohne zu untersuchen, welcher Grad der Abweichung der Versuchsergebnisse von der vorgefassten Meinung auf die Versuchsfehler geschoben werden darf. Dieser Vorwurf gilt im ganzen Umfange für die Fälle, in denen die Athemanstrengung während der Vagusreizung verringert ist, und welche ebenso wie die entgegen- gesetzten Fälle der Behauptung widersprechen, „die Thätigkeit der Medulla oblongata werde nur bestimmt durch den Sauerstoffgehalt des Blutes.“ Für die Fälle der Vergrösserung der Anstrengung sucht Rosenthal allerdings eine Erklärung zu geben durch Hinweis auf die durch den Athemstillstand bedingte Dyspnoö; mit welchem Recht werden wir bald sehen. ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM NERVUS vAGUs. 545 Dass die auch von Rosenthal wahrgenommene Abweichung der Ver- suchsergebnisse von dem von ihm erwarteten Resultat nicht auf Rechnung der Ungenauigkeit des Versuchsverfahrens zu setzen ist, erkennt man, wenn man eine grössere Reihe von Erfahrungen übersieht. Da findet man, dass Fälle, wie sie Rosenthal abgebildet hat, zwar vorkommen, dass aber bei vollkommen gleichem Reizverfahren die Unsicherheit des Erfolges eine noch weit grössere ist, eine so grosse, dass die Versuchsfehler dagegen voll- kommen verschwinden. Ich urtheile auf Grund eines sehr umfangreichen Curvenmaterials, zum Theil alten, zum Theil ganz neuen Datums, welches sich bei wiederholter Beschäftigung mit diesen Fragen angesammelt hat und aus welchem ich einige Belege für mein Urtheil mittheilen will. Was zunächst die Verkleinerung der Athemanstrengung bei elektrischer (schwacher) Vagusreizung anlangt, so sehe ich keine 21. VIII. 75. Bei <---> jedesmal rechter Vagus mit gleichstarken Inductions- schlägen gereizt. Veranlassung, eigene Curven abzubilden, da in Rosenthal’s Beispielen (An- fang der Curve 1 auf Fig. 3 und Curve 2 und 3 auf Fie. 4) so exquisite Fälle enthalten sind, wie man sie schlagender nicht beibringen kann, wenn man nicht solche wählen will, bei denen vollkommener Athemstillstand in Exspiration eingetreten ist. Es mag genügen, hier darauf aufmerksam gemacht zu haben, wie hart diese von Rosenthal veröffentlichten Fälle an den Erfolg grenzen, den er nun einmal für reine (schwache elektrische) Vagusreizung nicht gelten lassen will. Am deutlichsten wird die Unsicherheit des Erfolges der Vagusreizung in Bezug auf die Athemanstrengung aus solchen Fällen hervorgehen, in denen bei derselben Reizstärke und unter unveränderten Versuchsbedingungen der Erfolg gewechselt hat. Die Figg. 1 und 2 veranschaulichen solche Fälle. Die beiden Curven auf Fie. 1 sind unmittelbar nach einander Archiv f. A,u. Ph. 1881. Physiol. Abthlg. 35 546 JOHANNES GAD: von demselben Thier unter gleichen Bedingungen aufgenommen. In der oberen Curve ist die Athemanstrengung durch die Vagusreizung wenig be- einflusst — trotz der grossen Aenderung in Rhythmus und Tiefe der Athem- züge — wie kaum in einem der von Rosenthal gegebenen Beispiele. In der unteren Curve dagegen ist die Athemanstrengung während der Vagus- reizung beträchtlich vermehrt. Die Curve der Fig. 2 zeigt abwechselnd Vermehrung und Verminderung der Athemanstrengung bei Vagusreizung. Die Vermehrung der Athemanstrengung durch Vagusreizung ist in einigen Beispielen Rosenthal’s (Curve 3 auf Fig. 3 und Cürve 4 auf Fig. 4) schon sehr deutlich ausgesprochen, man braucht aber die Ver- suche gar nicht sehr zu häufen, um noch weit auffallendere Fälle zu Ge- sicht zu bekommen. Es sind dies Fälle, in denen der Thorax während der Vagusreizung dauernd eine grössere Entfernung aus der Gleichgewichts- | <-------> > 6. IX. 78. Mittelgrosses Kaninchen. Mittl. Chloral-Narkose. Beide Vagi durch- schnitten. Rechter Vagus bei <---> jedesmal mit mittelstarken Inductionsschlägen gereizt. (200 mm R-A.) lage (in inspiratorischer Richtung) bewahrt, als er bei irgend einer vorher- gehenden Inspiration überhaupt erreicht hatte. Der Uebergang in diesen verstärkten dauernden Inspirationstetanus findet dabei so schnell statt und die Intensität dieses Tetarus bleibt während der Vagusreizung so constant, dass die Vermehrung der Athemanstrengung als eine Folge der allmählich sich steigernden dyspnoischen Beschaffenheit des Blutes nicht angesehen werden kann. In Curve 1 und 2 auf Fie. 3 gebe ich Beispiele dieses nicht seltenen Verhaltens. Dass diese Fälle mit der Dyspnoö gar nichts zu thun haben, geht übrigens auch aus folgendem, an sich sehr beherzieenswerthem Umstande hervor. Hat man eine Stromstärke gefunden, welche bei dem gerade vor- iegenden Versuchsthiere mit Regelmässigkeit den Athemrhythmus aufhebt und den Thorax in Inspiration bei verstärkter Athemanstrengung feststellt, und erzeugt nun bei diesem Thiere Dyspno& durch zeitweiligen Tracheal- verschluss, so kann man die ersten dyspnoischen Athembewegungen nach ÜBeEr DIE ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM NERVUS VAGUS. 547 Freigeben der Trachea durch Vagusreizung mit der vorher ausprobirten Stromstärke nicht verhindern. Die in der Dyspno& seltenen und tiefen Athemzüge werden beschleunist und verflacht, ohne dass die gesammte Athemanstrengung geändert wird. Erst einige Zeit nach Freigeben der Trachea reicht dieselbe Stromstärke wieder aus, um den Athemrhythmus zu unterbrechen. Mit Ermüdung durch die vergeblichen Athemanstrengungen während des Trachealverschlusses kann man diesen Einfluss der Dyspnoö auf den Erfolg der Vagusreizung nicht wohl erklären, da die gesammte Athemanstrengung während der Dyspnoö überhaupt schon gegenüber der vorher aufgewandten verwerthet ist. nOLR: vei Curve2 AM u Ki u a Un ul) m N AR a a a ER Rn > ee N ne >> B Non | ee > 4 <---- - -- - - - - --- - -> Fig. 3. 4. VIII. 81. Mittelgrosses Kaninchen. Beide Vagi durchschnitten. Ohne Nar- kose. Rechter Vagus bei <---> jedesmal mit gleichstarken Inductionsschlägen (200mm R-A) gereizt. Bei Beginn von Curve 1 und 2 normale Athmung. Bei Beginn von Curve 3 hochgradige Dyspno@. Linie A-B ist die Verlängerung der Mittellinie, um welche die Athmung vor Erregung der Dyspno& schwankte. Curve 3 auf Fie. 3 giebt in Verbindung mit den vorhergehenden Curven ein Beispiel des zuletzt Mitgetheilten. Beide Vagi des Versuchs- thieres waren durchschnitten. Reizung des rechten centralen Vagusstumpfes bei einem Rollenabstand des durch eine Noö’sche Sternsäule gespeisten Schlitten-Inductoriums von 200” hatte wiederholt den Erfolg wie in Curve 1 und 2 gegeben. Dann wurde die Trachea vorübergehend ver- schlossen (durch ein Ventil, welches Inspiration gestattet, aber keine Ex- spiration) und unmittelbar nach Freigeben der Trachea wurde der unver- rückt auf den Elektroden liegende Vagusstumpf bei demselben Rollenabstand gereizt. Der Unterschied im Erfolge ist sehr deutlich. Kurze Zeit darauf nochmalige Reizung unter denselben Bedingungen, die Annäherung an den Erfolge vor Erregung der Dyspnoö ist schon unverkennbar, bei einer bald darauf ausgeführten dritten Reizung, welche hier nicht abgebildet ist, zeigt sich der ursprüngliche Erfolg. Die im obersten Theil der Curve 3 ver- laufende Horizontale entspricht der Mittellage, um welche die Athmune 35 548 JOHANNES GAD: vor Erregung der Dyspnoö schwankte. Man sieht aus dem Verlauf dieser Linie, dass die Athemanstrengung während der Dyspno& verstärkt ist. Da Beispiele, wie sie Curvel und 2 in Fig. 3 illustrirten, am direetesten Rosenthal’s neuerdings reproducirter Behauptung widersprechen, so muss ich sie noch gegen einen naheliesenden Einwand schützen. Ein solcher Einwand könnte aus dem Verdacht von Ausbreitung der elektrischen Reiz- ursache auf benachbarte Theile hergeleitet werden. Der auf diesem Gebiet so böse beleumundete Laryngeus sup. könnte allerdings an dem vorliegen- den Resultat nicht betheilist sein. Aber an Nebenwirkung vom Phrenieus zu denken, liest wohl Veranlassung vor. . Durchschneidet man einen. Phrenicus und reizt. seinen peripheren Stumpf, so wird der Athemrhythmus und die Grösse der Athemvolum- schwankungen wenig dadurch beein- flusst, die Mittellage, um welche diese Schwankungen erfoleen,, wird aber während der Dauer der Reizung beträchtlich herabgesetzt. In Fig. 4 m ist der Erfolg eines solchen Versuches | BR darsestellt. Ohne dass die Thätigkeit aan des centralen Athemapparates 10.11.79. Kaninchen. Rechter Phre- Sich ändert, kann also durch elek- nicus durchschnitten, bei <---> jedesmal trische Phrenicusreizung die Anstren- mit starken Induetionsschlägen gereizt. gung des Athem-Muskelappara- ) tes wesentlich gesteigert werden. Aehnliches könnte in Fällen, wie sie Curve 1 und 2 Fig. 3 repräsen- tiren, vorliegen. Die Reizung des centralen Vagusstumpfes bedinst viel- leicht nur Aufhebung des Rhythmus in der Athmunge, in Folge deren allein eine Horizontale in Höhe der Mittellage der Athemschwankungen sich auf- zeichnen würde. Die Herabrückung dieser Horizontalen unter das Niveau der äussersten Inspirationstiefe vor der Reizung liegt vielleicht nur an Aus- breitung des elektrischen Reizes auf die Phrenici. Diesen Einwurf habe ich mir selbst gemacht, aber auch vollkommen entkräftet durch die Art, wie ich den elektrischen Reiz angewendet und controlirt habe. Gegen die Ausbreitung von Stromschleifen auf den Hals des Versuchsthieres war ich vollständig dadurch gesichert, dass der durch- schnittene Vagus in genügender Länge freipräparirt war, so dass die dem Thiere nächste Elektrode wenigstens 5"" von letzterem entfernt gehalten werden konnte. Viel gefährlicher als Stromschleifen sind aber unipolare Abgleichungen durch das Thier zur Erde. Solche sind, wie ich mich oft überzeugt habe, bei starken Inductionswirkungen sehr schwer zu vermeiden. Abgesehen davon, dass ich in Fällen, wo unipolare Wirkungen zu be- ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM NERVUS VAGUS. 549 fürchten sind, stets nach dem Vorgange von Engelmann die dem Thiere zunächst gelegene Elektrode zur Erde ableite, stelle ich jedesmal den Rollenabstand fest, über welchen hinaus bei den gerade vorliegenden Be- dingungen unipolare Wirkungen sicher ausgeschlossen sind. Ich mache dies so, dass ich ein empfindliches stromprüfendes Präparat in die Wunde lege, den Nerven desselben nur mit der dem Thier zunächst gelegenen Elektrode verbinde und den Rollenabstand feststelle, bei dem eben Zuckungen des Präparates auftreten. Da die Bedingungen für unipolare Wirkungen weit günstiger sind, wenn, wie bei der Controle geschehen, nur die eine Elektrode mit dem Thier leitend verbunden ist, als wenn, wie es im Versuch der Fall ist, die beiden Elektroden durch Nervensubstanz in leitende Verbindung gesetzt sind, so kann man mit Sicherheit behaupten, dass über den ausprobirten Rollenabstand hinaus eine unipolare Wirkung ausgeschlossen ist. In dem als Beleg mitgetheilten Beispiel betrug der Rollenabstand bei Vagusreizung 200”” und der Rollenabstand, bei dem das in beschriebener Weise angebrachte stromprüfende Präparat zu zucken begann, 90”®,. Die sehr beträchtliche Vermehrung der Athem- anstrengung, wie ich sie häufig auf schwache elektrische Vagusreizung habe eintreten sehen, ist also zweifellos eine reine Vaguswirkung. Als Erfolg einwandfreier schwacher elektrischer Vagusreizung kann man also zu sehen bekommen: Beschleunigung und Verflachung der einzelnen Athemzüge bis zu KRespirationsstillstand 1) bei unveränderter Athem- anstrengung (besonders in der Dyspnoe), 2) bei sehr beträchtlich ver- mehrter, 3) bei ebenso beträchtlich verminderter Athemanstrengung. Die neuerdings reproducirten Behauptungen Rosenthal’s: „Die Erregung der Vagi vermag die Thätigkeit der Medulla oblongata nicht zu vergrössern, sie bewirkt nur eine anderweitige Vertheilung der in’s Spiel gesetzten Muskelwirkungen u. s. w. — Die Thätigkeit der Medulla oblongata wird nur bestimmt durch den Sauerstoffgehalt des Blutes,‘ — sind im Wider- spruch mit den von ihm selbst mitgetheilten Thatsachen und in noch aus- gedehnterem Maass im Widerspruch mit den von mir gesammelten sehr umfangreichen Erfahrungen. Die Unsicherheit des Erfolges der noch so vorsichtigen und gleich- mässigen elektrischen Vagusreizung in Bezug auf Aenderung der Athem- anstrengeung kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, wie ver- schiedenartige Lungen -Vagusfasern im Vagusstamm am Halse zusammen- gefasst und nachgewiesen sind. Ebenso natürlich erscheint es, dass bei der gewöhnlichen Athmung unter normalen Verhältnissen nur ein Theil dieser verschiedenartig wirkenden Fasersysteme in Anspruch genommen wird und dass man bei reizloser Unterbrechung der Erregungsleitung im Vasusstamm ein constantes Resultat erhält. Dieses Resultat besteht, wie 550 JOHANNES GAD: ich gezeigt habe, in Vermehrung der Athemanstrengung, so dass man schliessen muss, dass bei der gewöhnlichen Athmung unter normalen Ver- hältnissen im Vagusstamm Erregungen zum centralen Athemapparat ge- leitet werden, welche die Thätigekeit desselben dämpfen. Bei der Regulirung der normalen Athmung spielt der Lungen-Vagus wesentlich die Rolle eines Hemmungsnerven ebenso wie der Herz-Vagus bei der Regulirung der normalen Herzthätigkeit. Im Allgemeinen trifft die Analogie zu, auf einen Unterschied im Speciellen wollen wir nachher eingehen. Zunächst muss ich hier ausdrücklich betonen, dass ich die, wahr- haftig nicht mühelos gewonnene Erkenntniss der übertriebenen und er- schöpfenden Inspirationsanstrengungen, welche Folge des Ausfalls der nor- malen Vaguswirkungen sind, für eine zu schätzbare Bereicherung unserer Vorstellungen von der Oekonomie des normalen Organismus halte, als dass ich zugeben könnte, dass dieselbe durch so einseitige und widersprechende Beobachtungen, wie sie Rosenthal vorgelegt hat, in Zweifel gesetzt werde. Schon aus diesem Grunde habe ich die Beweise für die Haltlosigkeit des Rosenthal’schen Satzes von der Einflusslosigkeit des Vagus auf die Athem- anstrengung häufen müssen, obgleich ich es eigentlich der Aufmerksamkeit der Leser von Rosenthal’s Publication hätte überlassen können, die Widersprüche zwischen seiner Behauptung und den von ihm selbst mit- getheilten Beobachtungen zu erkennen und zu würdigen. Aber noch aus einem anderen Grunde habe ich geglaubt mit allen mir zu (Gebote stehenden Mitteln verhindern zu sollen, dass der falsche Rosenthal’sche Satz nicht wieder Wurzel in dem allgemeinen Bewusst- sein schlage. Dieser Satz ist entstanden, wie ich oben in Erinnerung ge- bracht habe, als Wiederhall eines ganz analogen, damals für den Herz- vagus anerkannten Satzes. Seit die Fehlerhaftigkeit des letzteren nach- gewiesen ist, involvirt das Festhalten an ersterem bedeutende Schwierigkeiten für ein einheitliches Verständniss der Vorgänge in den centralen Apparaten. Im Interesse dieses Verständnisses wird das Häufen der Beweise für die Haltlosigkeit des Rosenthal’schen Satzes hoffentlich gerechtfertigt er- scheinen. Vergegenwärtigen wir uns doch die Vortheile, welche daraus erwachsen, wenn wir die unbegründeten und den Thatsachen widersprechenden Be- hauptungen Rosenthal’s zurückweisen. Für den Herz-Vagus ist nach- gewiesen, dass er eine Ansammlung von, dem Herzen bestimmten Be- wegungsimpulsen nicht bewirken kann. Die Bewegungsimpulse für die Herzmuskelfasern gehen wahrscheinlich von Ganglienzellen aus und ver- danken ihr Entstehen in denselben chemischen Processen,, welche sich in\ ihrer Substanz abspielen. Die Intensität dieser Processe hängt von der chemischen und physikalischen Beschaffenheit der unmittelbaren Umgebung ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM NERVUS vAGus. Ddl und von Erregungen ab, welche den Ganglienzellen auf Nervenbahnen zugeleitet werden. Die Unterhaltung der zu Bewegungsimpulsen führenden Processe kann man die funetionelle Thätigkeit der Ganglienzellen nennen. Ausser den die Bewesungsimpulse veranlassenden Processen müssen andere, nicht auf Nervenbahnen nach Aussen wirkende Processe in den Ganglienzellen ablaufen, deren Unterhaltung man nutritive Thätigkeit nennen kann. Nimmt man an, dass die in den Ganglienzellen sich abspielenden Processe die Form functioneller Thätigkeit nur dann annehmen, wenn der normale Ablauf der nutritiven Processe irgendwie eine Störung erleidet und dass die Wirkung sogenannter Hemmungsnerven auf der Begünstigung des normalen Ablaufes der nutritiven Processe beruht, so kann man die Hypothese eines Be- wegungsimpulse aufspeichernden Widerstandes, welche mit den Thatsachen in Widerspruch gerathen ist, entbehren. Das Periodische in der Thätig- keitsäusserung centraler Apparate, zu dessen Erklärung die Annahme eines solchen Widerstandes Vielen nothwendig erscheint, folgt auf dem Boden der von mir vorgeschlagenen Annahme einfach aus der Betrachtung, dass die Entstehung der Bedingungen für Störung des normalen Ablaufes der nutritiven Processe im Allgemeinen einen anderen zeitlichen Verlauf haben werde als die Entfernung dieser Bedingungen. Die Befreiung von der Annahme eines Bewegungsimpulse aufspeichern- den und durch Nervenerregung veränderbaren Widerstandes würde ich für einen Vortheil ansehen, da die Schwierigkeit, sich den Mechanismus des- selben vorzustellen, allgemein anerkannt ist und analoge Einrichtungen nicht bekannt sind. Dagegen lässt sich die von mir vorgeschlagene An- nahme durch gute Analogien stützen, wie ich an anderer Stelle ge- zeigt habe.! Dieser Befreiung stellen sich nun auf dem Gebiete der Ath- mung die Behauptungen Rosenthal’s entgegen, deren Haltlosigkeit ich oben bewiesen habe. Lässt man aber die in diesen Behauptungen ent- haltenen Sätze fallen und stellt sich auf den Boden des thatsächlich Er- wiesenen, so lassen sich die oben für die Thätigkeit der Herzganglien ent- wickelten Vorstellungen ohne Weiteres auf den centralen Athemapparat übertragen. In Betreff der normalen Wirkungsweise des Vagus besteht allerdings ein Unterschied zwischen Herz- und Athemthätigkeit, dieser Unterschied ist aber nicht wesentlich. Während die Gesammtthätigkeit sowohl des Herzens wie des centralen Athemapparates durch die auf der Vagusbahn normalerweise zugeleitete Erregung in übereinstimmender Weise herabgesetzt wird, besteht die normale Einwirkung des Vagus auf den Rhythmus bekanntlich beim Herzen in Verlangsamung, bei der Athmung dagegen in Beschleunigung. ! Ueber Apno& und über die in der Lehre von der Regulirung der Athem- thätigkeit angewandte Terminologie. Würzburg 1880. 8. 27 ff. 552 JoH. G@AD: ABHÄNGIGKEIT DER ATHEMANSTRENGUNG VOM VAGUS. Dieser Unterschied beruht darauf, dass sich der Herzyagus in con- stanter tonischer Erregung befindet, während die inspirationshemmenden Vagusfasern erst durch die Inspiration selbst in Erregung gerathen. Die tonische Erregung des Herzvagus begünstigt gleichmässig die Bedingungen für normalen Ablauf der nutritiven Processe in den Herzganglien, so dass die Bedingungen für Störung dieses normalen Ablaufes seltener eintreten, die periodische Erregung der inspirationshemmenden Vagusfasern unter- bricht die sich entwickelnde Störung, erlischt aber selbst um so schneller, je schneller dies Resultat erreicht ist. Ganz vollkommen ist die Analogie zwischen der Art des Zustandekommens des Herzstillstandes bei künstlicher Reizung des Herzvagus einerseits und des Athemstillstandes bei künstlicher Lungendehnung oder bei künstlicher Reizung des Laryngeus sup. oder des Trigeminus andererseits. Herzstillstand wie Athemstillstand wird in diesen Fällen dadurch erzeugt, dass den Ganglienzellen, von welchen normalerweise die Bewegungsimpulse für die Herz- resp. Inspirationsmusculatur ausgehen, Erregungen zugeleitet werden, welche die Entstehung dieser Bewegungs- impulse zeitweise hintanhalten. Dass es sich bei dem Respirationsstillstand in den angeführten Fällen um eine wirkliche centrale Hemmung der Inspiration und nicht nur um eine scheinbare Hemmung durch Erregung der Antagonisten handelt, ist von C. Wegele unter meiner Leitung nachgewiesen worden und die Be- lege hierfür werden demnächst in dessen Inaugural - Dissertation mit- getheilt werden. Würzburg im October 1881. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1881—82. I. Sitzung am 14. October 1881.' Hr. HERMANN Munk sprach: „Ueber Erregung und Hemmung“. In einer vorgestern mir zugegangenen Abhandlung theilen die HH. Bubnoff und Heidenhain? mit, dass Reizung derselben Grosshirn-Rindenstelle je nach der Intensität des angewandten Stromes Erregung des motorischen Apparates hervor- ruft oder eine vorhandene Erregung beseitigt. Ob in derselben Rindengegend einerseits motorische Ganglienzellen, andererseits hemmende vorhanden sind und bei stärkerer Reizung die Wirksamkeit der ersteren, bei schwächerer die Wirk- samkeit der letzteren in den Vordergrund tritt, oder ob innerhalb der gleichen Ganglienzellen durch Reizung verschiedener Intensität Vorgänge verschiedener Art ausgelöst werden, lassen sie dahingestellt. Jedenfalls, meinen sie, laufen im Gehirn bei der centralen Innervation neben den eigentlichen Erregungsvor- gängen andere Vorgänge hemmender Natur ab, und wird durch die relative Intensität der letzteren die zeitliche Dauer und die räumliche Ausbreitung der Erregung bestimmt. Auch sehen sie sich zu der theoretischen Vorstellung ge- führt, dass die sensible Reizung jedesmal diejenigen Vorgänge in der Ganglien- zelle in höherem Grade verstärkt, welche im Augenblicke weniger entwickelt sind: in der ruhenden Ganglienzelle die der Erregung, in der thätigen die der Hemmung zu Grunde liegenden Processe; so dass der jedesmal bestehende Zustand der Zelle aufgehoben und in den gegentheiligen verwandelt wird. Ferner ist in einer Abhandlung, welche ich gestern erhielt, Hr. Adamkiewicz’? auf Grund pathologischer Erfahrungen zu den Schlüssen gekommen, dass ein Tonus, d. h. eine fortwährende schwache Innervation aller Muskeln vom Centrum aus existirt, dass dieser Tonus eine automatische Hirnfunetion ist, und dass der Tonus die Willensfunction und die Willensfunetion den Tonus hemmt. Alle diese Angaben, deren keiner ich mich hier anschliessen will, streifen so nahe an ein Gebiet ! Ausgegeben am 21. October 1881. 2 Pflüger’s Archiw u.s.w. Bd. XXVI. 8. 137 fl. 3 Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. III. Heft 3. 554 VERHANDLUNGEN DER BERLINER meiner eigenen Untersuchungen heran, dass es mir wünschenswerth erscheint, einige sehr einfache und dabei bedeutungsvolle Versuche, die Beziehung der Er- regung zur Hemmung betreffend, zu veröffentlichen, Versuche, auf welche ich schon vor langer Zeit unmittelbar durch meine im Jahre 1861 mitgetheilten Herz-Versuche geführt worden bin. i Für das Verständniss der Versuche muss ich an folgendes erinnern. Am Froschherzen ist das automatische Ganglion im Sinus das primum movens der Herzthätigkeit, und die von ihm ausgehende Erregung der Scheidewand-Nerven führt die Contraction der Vorhöfe und, mittelbar durch die Erregung der nicht automatischen Ventricularganglien, die Contraction des Ventrikels herbei. Sind durch eine kleine Oeffnung in der Vorhofswand die Ventricularganglien entfernt worden, so betheiligt sich der Ventrikel nicht mehr an den Pulsationen, welche Sinus und Vorhöfe allein in der bisherigen Weise fortsetzen. Hat man an einem Herzen die Vorhöfe dicht am Sinus durchschnitten, so schlägt nur der Sinus fort, und die anderen Herztheile verharren, wenn alle Reize ferngehalten sind, dauernd in Diastole. KReizt man an solchem Herzen ohne Sinus die ruhenden Herztheile mechanisch durch einmaliges Aufstossen mit der Nadel oder Sonde, so erhält man eine einzelne Pulsation in der Reihenfolge: Vorhöfe—-Ventrikel, wenn man eine Stelle der Vorhöfe, in der Reihenfolge: Ventrikel — Vorhöfe, wenn man eine Stelle des Ventrikels getroffen hat. Trifft man aber mit dem Stosse die Mitte der Ventriculargrenze, so tritt eine ganze Reihe zuerst sehr frequenter und mit der Zeit an Frequenz abnehmender! Pulsationen ein, bei welchen Vorhöfe und Ventrikel gleichzeitig sich zu contrahiren beginnen; eine solche Reihe kann weit über 100 Pulsationen umfassen und dauert meist mehrere (bis über 10) Minuten an. Man hat im letzteren Falle durch den Stoss unmittelbar die Ventricularganglien erregt, welche nach den sonstigen Reizungen bloss den Uebergang der Pulsation von den Vorhöfen auf den Ventrikel und umgekehrt vermittelt haben, und dieselben so erregt, dass sie eine Zeit lang automatischen Ganglien ähnlich sich verhalten. Hat man an einem Herzen ohne Sinus durch eine kleine Oefinung in der Vorhofswand die Ventricularganglien ausgeschnitten, so gelingen alle jene Reizversuche nicht mehr, und es folgt dem jedesmaligen Angriffe bloss eine Contraction des getroffenen Herztheiles. Ich komme nun zu den neuen Versuchen. Führt man die einfache mecha- nische Reizung der Mitte der Ventriculargrenze, welche am Herzen ohne Sinus unfehlbar die eigenartige Reihe von Pulsationen nach sich zieht, am Herzen mit Sinus aus, so kommt es höchstens zu einer ausserordentlichen Contraction des getroffenen Ventrikels, sonst pulsirt das Herz in jeder Hinsicht wie bisher weiter. Führt man an einem Herzen durch Tetanisiren des Vagus oder auch des Sinus den Stillstand aller seiner Theile in Diastole herbei, und nimmt man dann wäh- rend dieses Stillstandes die einfache mechanische heizung der Mitte der Ven- trieulargrenze vor, so kommt es zu der Reihe von Pulsationen gerade so wie ı Hr. R. Marchand (Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XVIIL. S. 513) hat an meiner Angabe, dass die Intervalle der Pulsationen zunehmen, verbessert, dass zwischen der ersten und zweiten Contraction meist eine merklich längere Zeit vergeht, als zwischen den zunächst folgenden Contractionen. Das ist ganz richtig, verstand sich aber von selbst, da ausser den Ventrieularganglien auch der Ventrikel selbst mechanisch gereizt wird und bei Reizung des Ventrikels nicht die lange Latenzzeit in’s Spiel kommt, welche von Alters her bei Reizung von Ganglien bekannt ist. — Auch heute beschränke ich mich überall auf die Angabe der gerade wesentlichen Erfolge der Versuche. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MunKk. 555 am Herzen ohne Sinus. Unterbricht man in solchem Falle das Tetanisiren, so- bald die Reihe der Pulsationen begonnen hat, so setzen sich diese Pulsationen für die kurze Dauer der Nachwirkung des Tetanisirens fort; aber entweder schon mit der ersten Contraction des Sinus, nachdem eine wenig längere Pause vor- hergegangen, oder jedenfalls mit einer der allernächsten Contractionen des Sinus, nachdem bis dahin die Herztheile unregelmässig pulsirt, tritt wieder die ganz normale Pulsation des Herzens ein. Es lehren diese Versuche folgendes: Zwi- schen motorischen und Hemmungs-ÖCentren, zwischen motorischen und hemmen- den Nerven besteht kein Unterschied; es sind Centren (functionell zusammen- gehörige Ganglienzellen-Gruppen), von welchen aus, und Nerven, durch welche hindurch bloss die peripherisch, d.h. in der Richtung zu den Muskeln hin sich fortpflanzende Erregung Wirkungen entfaltet. In einem System functionell zusam- mengehöriger motorischer Centren führt die vom oberen (von den Muskeln entfern- teren) Centrum zu dem unteren (den Muskeln näheren) Centrum gelangende Erregung die Thätigkeit des unteren Centrums herbei, wenn dasselbe "nicht selbständig thätig ist; verhindert aber den Eintritt selbständiger Thätigkeit des unteren Centrums und hebt sogar solche Thätigkeit, wenn sie schon vorhanden ist, auf. Das untere Centrum hat keinen Einfluss auf das obere Centrum. Sehr schön wäre es, liesse sich für den letzten Versuch der mechanische Reiz durch den elektrischen ersetzen; man brauchte dann nur tetanisirende In- ductionsströme für eine Weile das Herz von der Basis zur Spitze hin durchsetzen zu lassen. Aber sowohl bei meinen eigenen Versuchen wie bei denjenigen des Hrn. J. Scherhey!), den ich gerade deshalb die Folgen der elektrischen Rei- zung des Herzens in meinem Laboratorium nochmals untersuchen liess, sind am Herzen ohne Sinus die der Ventricularganglien-Reizung zuzuschreibenden Pul- sationen von Vorhöfen und Ventrikel, welche der Unterbrechung der tetanisiren- den Ströme noch unmittelbar nachfolgen, immer nur von kleiner Anzahl und ge- ringer Dauer gewesen. Vielfache Variationen der Stromstärke und der kichtung der Durchströmung, welche ich versuchte, haben mich wohl manchmal eine über- zeugende, doch keine beweisende Form des Versuches am ganzen Herzen ge- winnen lassen. Ich bin damit eigentlich am Schlusse meiner Mittheilung angelangt; doch will ich die Gelegenheit benutzen, in Rücksicht auf das allgemeine Interesse der Sache noch Antwort auf eine Frage zu geben, welche offenbar an mich zu allererst gerichtet worden ist. Die HH. Bubnoff und Heidenhain kommen a. a. O. S. 186 auf meine Auffassung zu sprechen, dass es bei Einleitung von Bewegungen von der Grosshirnrinde aus allein Bewegungsvorstellungen sind, welche in der Rinde entstehen, und dass mit dem Entstehen einer Bewegungsvorstellung in einer be- stimmten Grösse eo ipso die betreffende Bewegung gesetzt ist, wenn nicht an- derswoher eine Hemmung erfolgt. Diese Auffassung, sagen sie, „scheint uns an den Ergebnissen unserer Reizversuche zu scheitern. Denn wir haben ja mitge- theilt, dass elektrische Reizung der gleichen Rindenstelle, je nach ihrer Inten- sität, Bewegung hervorrufen oder einen irgendwie anders eingeleiteten Bewegungs- zustand aufheben könne. Soll im ersteren Falle der elektrische Reiz die Vor- stellung der Bewegung, im zweiten Falle die Vorstellung der Ruhe erwecken ? ! Dies Archiv, 1880. 8.258. (Zur Lehre von der Herzinnervation. Disser- tation. Berlin 1880.) 556 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Man wird schwerlich den Muth haben, diese Frage mit einem „Ja“ zu beant- worten.“ Nun kann ich einfach „Ja“ allerdings nicht sagen, schon deshalb nicht, weil ich auch hier nicht aus der Zurückhaltung heraustreten mag, welche ich hinsichts der Vorstellungen über die Folgen der elektrischen Rindenreizung bis- her beobachtet habe. Aber ich kann doch eine Antwort geben, welche an Ge- wicht dem fraglichen „Ja“ nicht nachstehen wird. Ich werde zeigen, dass was die HH. Bubnoff und Heidenhain dort als die Ergebnisse ihrer Reizver- suche hinstellen, nicht aus diesen Versuchen folgt, und dass ihre wirklichen Er- gebnisse nicht in Widerspruch zu meiner in Rede stehenden Auffassung treten. Die hierhergehörigen Versuche der HH. Bubnoff und Heidenhain sind an morphinisirten Hunden angestellt, bei welchen alle Muskelaetionen des 'T'hieres tonischer Natur wurden; ein solcher Grad der Narkose war für die Be- obachtungen, um welche es sich handelt, erforderlich. Es hatte sich gezeigt, dass in gewissen Fällen jenes Tonischwerden jeder Muskelcontraetion nach Fort- nahme der Rinde aufhörte, in anderen Fällen nicht, so dass „sowohl die moto- rischen Apparate der Rinde, als die der tieferen Hirntheile in jenen eigenthüm- lichen Zustand gerathen sein konnten, bei welchem vorübergehende Einwirkungen dauernde Erregung erzeugen“ An solchen Hunden nun stellte es sich heraus, dass die durch stärkere elektrische Reizung einer Rindenstelle herbeigeführte Contractur, während sie sonst höchstens allmählich nachliess, infolge einer er- heblich schwächeren oder kürzeren elektrischen Reizung derselben Rindenstelle plötzlich nachliess und danach meist in dem nunmehrigen geringeren Grade be- stehen blieb, nur manchmal wieder etwas anwuchs. Diese Erfahrungen sind ausführlich erörtert und mit Beispielen belegt. Dagegen heisst es nur am Ein- gange der Darlegung (S.181): „wurde auf irgend eine Weise, sei es auf dem Wege des Reflexes, sei es durch stärkere elektrische Reizung des Rinden- centrums für das Vorderbein, anhaltende Zusammenziehung unseres Versuchs- muskels hervorgerufen, so liess sie sich durch erheblich schwächere Rei- zung derselben Rindenstelle aufheben, entweder schon bei der ersten Rei- zung vollständig, oder durch wiederholte Reizungen absatzweise‘“; und weiter wird der Fall der refleetorischen Contractur gar nicht behandelt. Da nun von einer „erheblich schwächeren Reizung derselben Rindenstelle“ doch nur dann die Rede sein kann, wenn eine Reizung der Rindenstelle schon voraufgegangen ist; und da ferner die allein entscheidende Beobachtung, dass im Falle einer reflec- torischen Contractur schon die erstmalige elektrische Reizung der Rinde, wenn sie nur schwach ist, die Contractur aufhebt, durchaus fehlt: so beschränken sich die Erfahrungen der HH. Bubnoff und Heidenhain in der Wirklichkeit auf die Erfolge wiederholter elektrischer Reizung derselben Rindenstelle. Es fehlt aber auch weiter noch der wichtigste Versuch, wenn die Abhängigkeit der Zu- und Abnahme der Contractur von der Stromintensität bewiesen werden sollte, der naheliegende Versuch mit abwechselnd starker und schwacher elektrischer Reizung, so dass die Contractur abwechselnd wuchs und abnahm; Text und Tafeln lehren nur Versuche kennen, bei welchen zuerst starke Reizungen die Contraeturen herbeiführten oder verstärkten, dann schwache keizungen die Con- traeturen schwächten. Die HH. Bubnoff und Heidenhain haben also nicht gezeigt, wie sie meinen, „dass elektrische Reizung der gleichen Rindenstelle, je nach ihrer Intensität, Bewegung hervorrufen oder einen irgendwie anders einge- leiteten Bewegungszustand aufheben könne“; sondern sie waren danach bloss zu PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT — HERMANN MuNK. 557 sagen berechtigt, dass eine nachfolgende schwächere elektrische Reizung eine Bewegung aufheben könne, welche eine vorherige stärkere elektrische Reizung hervorgerufen hat. Den Gegensatz scharf hervortreten zu lassen, habe ich eben noch die Aus- drucksweise der HH. Bubnoff und Heidenhain beibehalten; aber dieselbe ist zu verwerfen, da sie zu Missverständnissen Anlass giebt und schon jene Herren selber zu Täuschungen geführt hat. Weil durch die elektrische Reizung der Rinde die Muskelcontractur das eine Mal hervorgerufen, das andere Mal auf- sehoben werden sollte, nehmen die HH. Bubnoff und Heidenhain ohne weiteres zwei Vorgänge an, einen Erregungs- und einen Hemmunesvorgang, welche entweder jeder für sich in motorischen und hemmenden Ganglienzellen oder auch beide in derselben Ganglienzelle statthaben sollen. Sie haben aber dabei übersehen, dass es doch nur um einen einzigen Vorgang sich zu handeln braucht, den Erregungsvorgang. Denn nichts steht der Annahme entgegen, dass die, wie gerade die Contractur anzeigt, in abnormer Erregung befindlichen Gang- lienzellen der Rinde durch das Hinzukommen der neuen Reizung ermüdet, er- schöpft, functionsunfähig werden und allein deshalb die Contractur sich löst, weil die fernere Anregung von der Rinde her schwächer ist oder gar ausbleibt. Und nicht bloss ordnen sich alle Beobachtungen der HHım. Bubnoff und Heiden- hain, wie ich sehe, gut dieser Annahme unter, sondern dieselbe wird sogar noch besonders dadurch gestützt, dass die Rinde nach den schon bei den ersten Reiz- versuchen gemachten Erfahrungen als leicht erschöpfbar bekannt ist. Jedenfalls also — darauf kommt es zunächst an — lehren die Versuche der HH. Bubnoff und Heidenhain auch das nicht, dass die Bewegung das eine Mal hervorge- rufen und das andere Mal aufgehoben oder beseitigt wird; sondern sie zeigen nur, dass die Bewegung das eine Mal hervorgerufen wird, das andere Mal nach- lässt oder aufhört. Dazu nun noch die besonderen Bedingungen genommen, unter welchen allein die Versuche gelangen, so ist das Ergebniss der hierhergehörigen Versuche der HH. Bubnoff und Heidenhain dahin auszusprechen: dass an morphinisirten Thieren, bei welchen alle Muskelactionen tonisch werden, die durch stärkere elek- trische Reizung einer Rindenstelle hervorgerufene Contractur infolge einer weiteren schwächeren elektrischen Reizung nachlässt oder aufhört. Bei derart morphimisirten Thieren die Bewegungsvorstellungen überhaupt behandeln, vollends auf Grund der Erscheinungen, welche die elektrische Reizung der Rinde nach sich zieht, meine Auffassung von den normalen Bewegungsvor- stellungen bekämpfen zu wollen, wird Jedem ein unmögliches Beginnen scheinen. Das haben denn auch die HH. Bubnoff und Heidenhain nicht gethan; sondern sie übertragen die am derart; morphinisirten Thiere gewonnenen Versuchs- ergebnisse auf das normale Thier, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, ohne zu bedenken, dass beim normalen, ja selbst bei dem gut narkotisirten 'Thiere Niemand, auch sie selber nicht, eine andere Folge der elektrischen Reizung der Rinde bisher gesehen hat, als dass Bewegungen entstehen. Solchen Sprung kann ich nicht mit ihnen machen; aber wollte Jemand ihnen folgen, es gehörte nur eine zweite und sogar viel geringere Kühnheit dazu, dann auch mit den Bewe- gungsvorstellungen sich zurechtzufinden. Denn wie wir oben die Versuchsergeb- nisse analysirt haben, liesse sich sagen, dass, wo infolge starker Reizung der Rinde mit deren Erregung die Bewegungsvorstellung andauert, imfolge einer 558 VERHANDLUNGEN DER BERLINER weiteren schwachen Reizung der Rinde, wiederum mit deren Erregımg, die Be- wegungsvorstellung erlischt. Meine Auffassung von den Bewegungsvorstellungen wird nach alledem durch die Versuche der HH. Bubnoff und Heidenhain gar nicht berührt, ge- schweige denn erschüttert. Aber die Sache hat schliesslich noch eine andere Seite, die Beachtung verdient. Nicht genug, dass sie die Ergebnisse der elek- trischen Reizungen, welche sie am eigenartig morphinisirten Thiere erhielten, für das normale Thier gelten lassen, vollziehen die HH. Bubnoff und Heiden- hain noch einen zweiten und nicht minder bedenklichen Sprung, indem sie jene Ergebnisse auch für das Verständniss der willkürlichen Hemmung verwerthen. Wie der Eingang des $ 6 (S. 181) lehrt, haben sie gerade im Hinblick auf solchen Zweck die besprochenen Versuche angestellt; und was sie damit erreicht zu haben glauben, wird folgende Stelle (S. 194) lehren: „Aber auch innere Ein- flüsse,“ sagen sie, „sind es, welche die Intensität der (centralen) Hemmungsvor- gänge bestimmen. Denn es ist wohl keine Frage, — die eigene Erfahrung eines Jeden hat darüber längst entschieden, wennschon bisher die Grundlage zu einer physiologischen Deutung der Erscheinungen fehlte — dass der Wille, wie er motorische und sensorische Erregungen herbeizuführen, so auch hemmende Ein- wirkungen auf jene Erregungszustände auszuüben vermag. Mit dem objectiven Nachweise der Hemmungsvorgänge in den motorischen Hirncentris ist eine Grund- lage für das Verständniss dieser alltäglichen Thatsache gewonnen. Bei dem morphisirten Hunde versetzt eine bestimmte (stärkere) Reizung des Vorderbein- centrums den Zehenstrecker in anhaltende Zusammenziehung, eine andersartige (viel schwächere) Reizung desselben Centrums löst sofort den Krampf. Ein po- sitiver Impuls also, nicht bloss ein Aufhören desjenigen Reizes, welcher die Zu- sammenziehung veranlasst hat, ist es, welcher die vorhandene Erregung beendet. Wer seinen erhoben gehaltenen Arm fallen lässt, gebietet dem thätigen Central- heerde im Hirn durch seinen Willen plötzlich ein Halt, indem er die Hemmuug anschwellen lässt. Willensanstrengung ist ferner im Stande, die Wirksamkeit reflectorischer Reize aufzuheben: der Wille lässt die Hemmungen spielen nnd überwindet dadurch die Erregungen.“ Aber die HH. Bubnoff und Heidenhain befinden sich sehr im Irrthume. Als ich in den Jahren 1876—78 die Grosshirnrinde zunächst im groben auf ihre Functionen durchmusterte, habe ich begreiflich auch an die willkürliche Hemmung der Bewegung gedacht; doch habe ich mich gar nicht gewundert, als auch ich, wie die Anderen vor mir, durch Reizung der Rinde bloss Muskel- thätigkeit herbeizuführen, nicht solche aufzuheben vermochte. Denn die Beobachtung an uns selbst lehrt, dass unsere willkürlichen Bewegungen nicht anders ein Ende nehmen als entweder dadurch, dass die willkürliche Anregung zu der in’s Auge sefassten Bewegung aufhört, oder dadurch, dass neben dieser ersten Anregung noch eine zweite willkürliche Anregung, und zwar zu der functionell entgegen- gesetzten oder antagonistischen Bewegung eintritt. Wo das letztere geschieht, sprechen wir von willkürlicher Hemmung der willkürlichen Bewegung. Diese ist mithin als antagonistische, d. h. auf dem Erregt- oder Thätigwerden antago- nistischer motorischer Apparate beruhende Hemmung wohl zu unterscheiden von der echten oder genuinen Hemmung — als deren Typus kann die Wirkung der Medulla oblongata durch den Vagus auf das Herz gelten —, bei welcher das Erregt- oder Thätigsein der der betrachteten Bewegung selber dienenden motorischen Apparate unterdrückt wird. Ich habe aber auch noch weiter PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MUNK. — WERNICKE. 559 durch Hrn. Schlösser! in meinem Laboratorium die Hemmung der Reflexbe- wegungen untersuchen lassen, und es ergab sich, dass nicht bloss die willkür- lichen Reflexhemmungen, von welchen man es schon lange wusste, sondern auch alle anderen der Prüfung zugänglichen Hemmungen der Reflexbewegungen will- kürlicher Muskeln durchaus antagonistische Hemmungen sind. Nirgend also haben willkürliche Hemmungen mit genuinen Hemmungen etwas zu schaffen, und die Grosshirnrinde hat immer und ausschliesslich, soll Bewegung willkürlich entstehen oder vergehen, nur die Erregung motorischer Apparate hervorzurufen, nie solche Erregung aufzuheben. Habe ich zuerst gezeigt, wie es keineswegs constatirt ist, dass die Grosshirnrinde infolge elektrischer Reizung eine genuine Hemmung herbeiführt, so sehen wir jetzt, dass, wäre auch eine genuine Hemmung von Seiten der elektrisch gereizten Grosshirnrinde constatirt, solche Hemmung doch nicht als die willkürliche Hemmung unter den normalen Functionen der Gross- hirnrinde Platz finden könnte. II. Sitzung am 28. October 1881.’ 1. Hr. WERNIcKE hält den angekündigten Vortrag: „Ueber einen Fall von secundärer Degeneration.“ Eine secundäre Degeneration der medialen Bündel des Hirnschenkelfusses war in einem Falle zu constatiren, wo durch eine Erweichung ausser anderen Par- tien auch der vordere Schenkel der inneren Kapsel durchbrochen war. Es be- stätigen sich also die diesbezüglichen Angaben von Charcot und Brissaud®. Es war nun von Interesse, die Degeneration weiter nach abwärts zu verfolgen, da bekanntlich an dieser Stelle eine Abschnürung von Fasern des Fusses und Uebertritt derselben in die Haube stattfindet, wie schon Stilling angegeben hat. In der That zerfiel auch die degenerirte Partie, auf einer Querschnittsreihe ver- folgt, in zwei getrennte Degenerationsflecke, wovon der eine die medial gele- genen Längsfasern der vorderen Brückenabtheilung, der andere die medialsten Bündel der Schleifenschicht einnahm. Auf der anderen Seite waren dagegen die vom Fuss zur Haube übertretenden Bündel in der normalen Weise vor- handen. Dieser Unterschied verlor sich in der Haube an der Stelle, wo die betreffenden Bündel auch sonst aufhören, deutlich abgesetzt zu sein; in der vor- deren Brückenabtheilung geschah dasselbe etwa in der Mitte oder gegen das untere Drittel der Brückenhöhe. Die beiden Pyramiden der Oblongata verhielten sich normal und auf beiden Seiten gleich. Ich sehe mich veranlasst, an diese kleine Mittheilung eine Bemerkung über die Methode derartiger Untersuchungen anzuknüpfen. Von Flechsig wird ausser der von ihm geübten nur noch die Methode, welche auch in diesem Falle zur Anwendung kam und in der Verfolgung secundärer Degenerationen besteht, als verlässlich anerkannt, jede andere und besonders die der Faser- verfolgung durch Schnittreihen am erwachsenen Menschen- und Thiergehirn, welche Stilling und Meynert mit so grossem Erfolge geübt haben, wird von ihm perhorrescirt und ihre Resultate als unglaubwürdig verdächtigt. Ebenso urtheilt 1 Dies Archiv, 1880. S. 303. ® Ausgegeben am 15. November 1881. ® Progres medical, Nr. 40 u. 41. 1879. 560 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN er in seiner letzten Publication! über Ergebnisse von Untersuchungen, die ich an dieser Stelle? mitgetheilt habe, und spricht von „angeblich gelungenen“ Faserverfol- sungen. Die Sicherheit seines absprechenden Urtheils erklärt sich, wie das oft zu geschehen pflegt, durch seine Unkenntniss dieser Methode, welche allerdings eine vieljährige Vertrautheit erfordert, um verlässlich gehandhabt zu werden. Die Resultate, welche Flechsig vermittelst seiner entwickelungsgeschichtlichen Methode erreicht hat, sind in ihrer Bedeutung allgemein anerkannt, und ich brauche um so weniger darauf zu insistiren, als ihre Wichtigkeit von Flechsig selbst am allerwenigsten unterschätzt wird. Aber sie bestehen in einigen wenigen T'hat- sachen, von denen abgesehen das Gehirm nach Flechsig vollkommen leer sein würde; der Reichthum an Formen, der seit Meynert bekannt ist und bei einer so complieirten Maschine nur natürlich erscheint, wird von Flechsig vollkommen ienorirt. Das Flechsig’sche Gehirn besitzt beispielsweise keinen Tractus opticus, dessen Fortsetzung auf den Horizontalschnitten Figg. 3, 4 u. 6 seiner oben citirten Arbeit enthalten sein muss und zwar an einer ganz bestimmten Stelle, wie durch die von ihm angegriffene comparativ-anatomische Methode erwiesen ist.” Und dabei handelt es sich um eine Fasermasse von etwa derselben klinischen Dignität und demselben Querschnitt wie der der Flechsig’schen Pyramidenbahn. Wer deshalb ein klinisches und topographisches Interesse an dem Gehirn nimmt, wird dem Anspruch auf Monopolisirung der Methode ent- segentreten und den Detailuntersuchungen Flechsig’s nur den Werth beilegen, der ihnen als solchen unzweifelhaft zugestanden werden muss. Abgesehen von diesen mehr praktischen Gesichtspunkten mache ich darauf aufmerksam, dass ein principieller Gegensatz zwischen den beiden Methoden gar nicht besteht. Beide beruhen schliesslich auf der Verwerthung von Färbungsunterschieden, und diese letzteren wieder auf der mehr oder weniger starken Entwickelung der Markscheiden, welche auch beim erwachsenen Menschen oder Thiere durchaus nicht an allen Stellen gleich und ohne Gesetzmässigkeit ist. Auch die Faser- richtung macht in beiden Fällen verschiedene Farbennüancen. Die Verfolgung einzelner Fasern auf längere Strecken gelingt. so wenig mit der einen wie mit der anderen Methode. 2. Hr. F. BuscH spricht über: „Die von Wallace mit dem Namen Mimicry bezeichnete Erscheinung“, welche 'Thiere und zwar besonders Insecten befähigt eine Gestalt und Farbe anzunehmen, die ihrer Umgebung ausserordentlich ähnlich ist, und demonstrirt als exquisites Beispiel dieses Verhaltens ein Exemplar von Phyllium siceifolium. 3. Hr. Dr. Bexxo Bacınsky spricht: „Ueber Untersuchungen des Kleinhirns.“ Die differenten Anschauungen, welche über die Function des Kleimhirns trotz der grossen Summe physiologischer und pathologischer Erfahrungen bis zum heutigen Tage bestehen, veranlassten mich, das Kleinhirn einer erneuten Unter- suchung zu unterziehen. Während ich mit derselben beschäftigt war, fand ich eine Bemerkung von Goltz (Pflüger’s Archiv u. s. w., Bd. XXVI, Heft 1 u. 2, S. 35) „ein kleiner Hund, welchem ich am 9. Februar 1878 einen erheblichen ! Zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Leitungsbahnen im Grosshirn des Menschen. Dies Archiv. Anatomische Abtheilung. 1881. >. 12. * Vergl. in diesem Archiv, 1880. S. 162. > Man vergl. Wernicke, Lehrbuch der Gehirnkrankheiten. Fig. 42—-44. [ep) m GESELLSCHAFT. — WERNICKE. — F.Busch. — B. Baaımsky. 5 Theil aus der Mitte des Kleinhirns auslöffelte, und der noch die bekannten ! taumelnden Bewegungen des Kopfes und des Körpers sehr ausgesprochen zeigt‘. Ich habe deshalb es für gerathen erachtet, meine Untersuchung, wenn auch unvollendet, abzuschliessen und die bisher gewonnenen Resultate mitzutheilen. Bekanntlich werden nach den Untersuchungen von Flourens durch schichten- weises Abtragen des Kleinhirns bei Vögeln und Säugethieren die Körperbe- wegungen unsicher, schwankend und zitternd, wie die eines Betrunkenen, Störungen, die mit der Grösse der Verletzung an Intensität der Art zunehmen, dass die operirten Thiere die Fähigkeit zur Locomotion vollständig verlieren, nicht mehr stehen, gehen oder fliegen können. Flourens nahm deshalb im Kleinhirn eine Coordinationsvorrichtung für die verschiedenen Körperbewegungen. als Stehen, Gehen, Laufen u. s. f. an. Bei oberflächlicheren Verletzungen oder Incisionen, die auch tiefere Partien des Kleinhirns treffen, beobachtete Flourens während einiger Wochen an Vögeln, bez. Tauben eine völlige Restitution aller Coordinationsstörungen, während gleiche Beobachtungen an Säugethieren von Flourens nicht vorliegen. Auch die meisten Experimentatoren nach ihm, die sich mit dem Kleinhirn beschäftigten, haben keinen Werth auf die Erhaltung der Thiere und die längere Beobachtung gelegt, während doch gerade dieser Umstand besonders berücksichtigt werden musste. Es war dies um so wichtiger, als nach Ablauf der durch die Operation gesetzten reactiven Entzündung die Grösse des Kleinhirndefects bestimmt werden konnte und nur so über die Function gewisser Kleinhirnpartien Aufschluss zu erlangen war. Diesem Mangel sollten meine Versuche abhelfen. Nothnagel? hatte von demselben Gesichts- punkte aus seine Kleinhirnuntersuchungen unternommen, welche sich von den meinigen durch das Operationsverfahren unterscheiden. Während Nothnagel mittelst glühender Nadeln das Kleinhirn zu zerstören und Defecte von beliebiger Grösse zu setzen suchte, wandte ich Flourens’ Operationsmethode, die Exstir- pation kleinerer oder grösserer Partien des Kleinhirns nach Eröffnung der Schädelhöhle, an, ein Verfahren, welches sich von dem Nothnagel’s dadurch vortheilhaft unterscheidet, dass man die Operationsstelle genau übersieht und die Grösse des Defectes und die Tiefe der Wunde des Gehirns bemessen kann, wenn allerdings andererseits der Verlust an T'hieren ein recht erheblicher ist. Und im der That, die Ausbeute ist eine relativ geringe, da es mir nur gelang, von 40 Kaninchen 4 am Leben zu erhalten und für die Beobachtung zu ver- werthen. Ganz besonders sind es Blutungen, welche bei den Operationen am Kleinhirn die Medulla oblongata, den A. Ventrikel und die Kleinhirnschenkel treffen, so dass die vom Kleinhirn aus entstehenden Erscheinungen complieirt sind durch die anderer Hirntheile, und so eine reine Beobachtung ausgeschlossen ist; nicht selten sind es complieirende eitrige Gehirnentzündungen, denen die Thiere nach der Operation erliegen. Ich habe nun in ganz systematischer Weise über die Function des Klein- hirns Aufschluss zu erlangen versucht, indem ich zunächst den Wurm allein, in grösseren und kleineren Partien, alsdann die beiden Hemisphären abwechselnd allein, und alsdann zusammen mit Theilen des Wurms entfernte. Die Versuche wurden sowohl an narkotisirten, wie an nicht narkotisirten ! Dieser Ausdruck bezieht sich wohl nur auf Beobachtungen am Menschen, da trotz der Durchsicht der Literatur von solchen Erfahrungen an Säugethieren mir Nichts bekannt geworden ist. Vergl. auch Ferrier, Die Functionen des Gehirns. 8. 98. 2 Virehow’s Archiv. Bd. LXV11. 8.33 ff. Archiv f. A. u. Ph. 1881. z. Physio]. Abthlg. 36 562 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Kaninchen ausgeführt. Durch einen Längsschnitt wird die Haut am Hinterkopf gespalten, die Musculatur daselbst der Quere nach zum Theil durchschnitten und mittelst Knochenzange der Schädel eröffnet. Die Blutung aus der Knochenwunde, die zeitweise ziemlich stark ist, wird durch Auflegen von Feuerschwamm gestillt. Mittelst Scheere oder Messer kann man nun beliebige Stücke des Kleinhirns entfernen. ! Die Resultate meiner Versuche sind folgende. Alle Kaninchen, denen ich grössere Stücke der Kleinhirnhemisphären allein oder zugleich mit Partien des Wurms entfernt hatte, zeigten meist sogleich nach der Operation recht er- hebliche Störungen; erschöpft durch die ziemlich beträchtlichen Blutungen lagen sie, bei ungestörtem Bewusstsein, auf der einen oder anderen Seite, konnten sich nicht auf den Füssen halten oder von der Stelle bewegen, oder zeigten die auf Verletzung der Kleinhirnschenkel bezogenen Zwangsbewegungen, Nystagmus und Rollen um die Längsaxe. Der Tod erfolgte, wenn nicht künstlich herbeigeführt, wenige Tage nach der Operation, und die Obduetion ergab Zerstörung fast des ganzen Kleinhirns, häufig complieirt mit Blutungen in die Medulla oblongata bis hinab zur Medulla spinalis. Längere Zeit am Leben blieben 4 Kaninchen, denen ich nur kleine Partien des Wurms entfernt hatte, und die Ergebnisse meiner diesbezüglichen Untersuchungen gestalten sich folgendermaassen: Nach Entfernung von nur kleinen oberflächlichen Partien des Wurms lassen die Operationsthiere nach der Operation keine Störungen irgend welcher Art erkennen; in ihren Be- wegungen oder sonstigem Verhalten unterscheiden sie sich nicht von der Norm. Am zweiten oder dritten Tage nach der Operation wurden die meisten im Käfig todt vorgefunden. Die Obduction ergab Zerstörungen des Kleinhirns von ver- schiedener Intensität, die häufig sich weit über die ursprüngliche Operationsstelle erstreckten, Blutungen im 4. Ventrikel und in der Medulla oblongata. Nur 4 blieben längere Zeit am Leben, und diese liessen wenige Tage nach der Operation (am folgenden, dritten, vierten und achten Tage) bestimmte Störungen erkennen, weiche sich in ziemlich gleicher Weise, nur verschieden intensiv, äusserten. Es stellte sich bei ihnen ein Zittern des Kopfes und des Körpers em, welches um so heftiger wurde, wenn die etwas trägen Thiere gejagt sich vorwärts bewegen wollten. Die Sicherheit ihrer Bewegungen war ihnen abhanden gekommen, und während bei einigen zuerst das Zittern des Kopfes sich gezeigt hatte, trat bei anderen die Unsicherheit und das Zittern des Rumpfes zuerst auf und erst später gesellte sich das Zittern des Kopfes hinzu. Nur mit Mühe und einer gewissen Schwerfälligkeit bewegen sie sich vorwärts, kauern sich dann wieder zusammen, indem sie die Wirbelsäule katzenbuckelartig wölben, ohne dass direct eine Verkrümmung der Wirbelsäule nach der einen oder anderen Seite etwa nachweisbar wäre. Auch in der Bewegung der Pfoten zeigte sich bei einzelnen eine deutliche Störung. Ist auch beim Kaninchen eine diesbezügliche Beobachtung immerhin recht erschwert und namentlich über die normale oder abnorme Haltung der Hinterpfoten nur schwer ein sicheres Urtheil zu gewinnen, so konnte ich doch mit Sicherheit beobachten, dass besonders die Vorderpfoten beim Laufen falsch aufgesetzt wurden; bald war es die rechte, bald die linke, welche sich ' Versuche, mittels des Thermokauters Zerstörungen des Kleinhirns herbeizuführen, sind nicht empfehlenswerth, da eine Einwirkung auf benachbarte oder tieferliegende Theile durch die Glühhitze nieht zu vermeiden ist. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — BENNO BAGINsKY. 563 aufs Dorsum umlegte, bald überkreuzten sich die Extremitäten, bald wurde die eine Pfote, bald die andere mehr vorgestreckt, addueirt oder abducirt. Die Prüfung der Sensibilität ergab keine sicheren Resultate, da Kaninchen, wie be- kannt, äusserst verschieden reagiren. Es verdient noch besonders bemerkt zu werden, dass eine Störung an den Augen, Nystagmus oder irgend eine Ver- änderung an den Pupillen bei keinem dieser Thiere zu beobachten war. Diese Störungen, zuerst schwach, nahmen an Intensität mehr oder weniger erheblich zu bis zum Tode des Versuchsthieres, der zwischen der zweiten und fünften Woche nach der Operation erfolgte. Die Obduction! ergab in 3 Fällen, dass der Wurm und nur dieser allein durch die Operation verletzt war. Es handelte sich hier um Defecte der vorderen oberen Partie des Wurms in der Grösse von etwa 8"® Länge, 9”® Breite und 6”” Tiefe, in dem 4. Falle war der Wurm fast vollständig zerstört und der Eiterungsprocess hatte die be- nachbarten Partien der Kleinhirnhemisphäre mit ergriffen, jedoch so, dass die oberen Partien derselben noch fast vollständig erhalten blieben. In allen 4 Fällen war ein Durchbruch in den 4. Ventrikel nicht erfolgt. Die Vergleichung dieser 4 Befunde unter einander ergab, dass mit der Grösse und speciell der Tiefe des Kleinhirndefectes die intra vitam vorhandenen Erscheinungen an Intensität zunahmen. Wir sehen demnach, dass nach Zerstörung des Wurms allein, wenn sie nur in genügender Tiefe denselben trifft, bestimmte Erscheinungen folgen, welche sich im Allgemeinen als die des gestörten Gleichgewichts documentiren. Das vorher noch normale Thier, sicher in seinen Bewegungen, fähig sich ohne Schwierigkeit fortzubewegen, hat jetzt die grösste Mühe, sich aufrecht zu erhalten, bald taumelt es nach rechts, bald nach links; alle Bewegungen werden zwar ausge- führt, eine Lähmung besteht nicht, aber es besteht eine gewisse Schwierigkeit der Locomotion. Wodurch die Resultate meiner Versuche von denen Noth- nagel’s wesentlich differiren, ist die von mir durch die vorliegenden Unter- suchungen erwiesene Thatsache, dass Zerstörungen des Wurms allein und auch schon solche der vorderen oberen Partien des Wurms allein, entgegen Nothnagel,? die Gleichgewichtsstörungen herbeiführen. Die Zerstörung des Wurms muss aber bis zu einer gewissen Tiefe vor- schreiten, da sonst gar keine sichtbaren Störungen am Versuchsthiere zu Tage treten. Hieraus erklärt sich auch die 'Thatsache, dass bei meinen Operationen die Störungen erst einige Tage nachher auftraten. Der durch die Operation gesetzte Defect am Kleinhirn war ausserordentlich klein und oberflächlich, und es bedurfte erst einer Mitalteration tieferliegender Theile des Wurms durch die der Operation nachfolgende reactive Entzündung. In gleicher Weise, wie an Kaninchen, habe ich auch an Hunden Versuche angestellt; auch bei diesen exstirpirte ich Stücke des Kleinhirns, nur sind, wo- rauf ich die Aufmerksamkeit zu lenken nicht unterlassen kann, die Schwierig- keiten der Operation noch erheblicher, da der zur Disposition stehende Raum am Schädel des Hundes ausserordentlich klein ist, wenn anders man nicht den Sinus verletzen will, und die Möglichkeit, die vordere obere Partie des Klein- ! Eine Heilung der Gehirnwunde erfolgt bei Kaninchen nicht, sondern es besteht eine Eiterung oder Verkäsung, welche sich von dem ersten Orte der Operation häufig auf die benachbarten Muskeln und die Ohrlappen, manchmal auch auf die Unterkiefer- drüsen fortsetzt. = Au A. (D, SL Der 36* 564 VERHANDLUNGEN DER BERLINER hirms, Monticulus und Declive, dem Messer mit Sicherheit zugänglich zu machen, wegen der Ueberlagerung und Ausdehnung des Oceipitallappens des Grosshirns ausgeschlossen ist. Es gelingt nur, falls man grössere Blutungen, die das Operationsresultat recht erheblich stören, vermeiden will, einen kleinen Theil des Wurms und die diesem Theile angrenzenden Partien der Kleinhirnhemisphären freizulegen und zu exstirpiren. Es ist dies die Wurmpyramide, welche beim Hunde S-förmig gekrümmt ist, so dass die obere Convexität nach links und hinten, die untere nach rechts und etwas nach vorn steht. Die Resultate der Versuche schliessen sich eng an die von Kaninchen ge- wonnenen an!. Entfernt man nur oberflächliche Partien des Wurms an der Pyramide, so lassen die Thiere keine Störungen erkennen; anders, wenn die Verletzung eine tiefere ist. Der vorher normale, in seinen Bewegungen unge- störte Hund zeigt, wenn er sich von der Operation und der Narkose erholt hat, am folgenden oder zweiten Tage die auffallendsten Störungen. Schon, wenn er liest und den Kopf erheben will, bemerkt man ein Wackeln und Zittern des- selben; hin und her pendelt der Kopf, von einer Seite zur andern, von oben nach unten. Die normale Gleichgewichtslage desselben ist erheblich gestört und um sie wieder herzustellen, legt der Hund den Kopf auf den Erdboden, um ihm so eine festere Stütze zu geben. Angeregt kann der Hund den Kopf er- heben und jedwede Bewegung mit demselben ausführen; reicht man ihm zu trinken, so führt er den Kopf im den Wassernapf; da er ihn aber nicht ruhig halten kann, so geräth der Kopf bald zu tief in das Gefäss, bald wird er aus demselben herausgeschleudert, so dass die Bewegungen etwas Hastiges an sich nehmen. Aehnliche Störungen beobachtet man an semem Rumpfe und seinen Extremitäten. Er taumelt bald nach der einen, bald nach der anderen Seite und ist bemüht, fortwährend sich auf den Füssen zu erhalten. Die Be- wegungen der Extremitäten als solche können beliebig in normaler Weise aus- geführt werden; es sind die einzelnen Muskeln und die Extremitäten selbst in ihrer Thätigkeit in keiner Weise gehemmt, nur in der Gesammtwirkung der Extremitäten beim Gehen, Laufen u. s. w. tritt die Störung zu Tage. Wie ein Betrunkener geht der Hund im Zimmer umher mit vollständig erhaltener Intel- ligenz, mit gutem Seh- und Hörvermögen. Er gleicht in seinen Bewegungen einem Kinde, das eben den Kopf hochhalten und die ersten Gehversuche machen lernt. Breitbeinig mit den hinteren Extremitäten, pendelnd und wackelnd mit dem Kopfe, taumelt er bald nach rechts, bald nach links und sucht sich so im Gleichgewicht zu erhalten. Die Wirbelsäule ist in der Bewegung in keiner Weise gehemmt; der Hund kann sich bequem drehen und wenden und die Wirbelsäule ganz nach Belieben krümmen. Störungen an den Augen, wie Nystagmus oder Veränderungen an den beiderseitigen Pupillen liessen sich auch hier nicht nachweisen. Die Sensi- bilität ist nicht oder wenigstens nicht merklich gestört. Die in die Augen tretenden Störungen lassen sich im Allgemeinen so präcisiren, dass das Gleichgewicht der. betreffenden Thiere gestört erscheint. Es werden die Einzelbewegungen des Kopfes, des Rumpfes und aller Extre- mitäten normal ausgeführt, aber in der Ausführung combinirter Bewegungen, wie Gehen, Laufen, sind die Versuchsthiere mehr oder weniger erheblich gestört. Das Zusammenwirken der zu diesen combinirten Bewegungen nothwendigen ‘ Während bei Kaninchen eine Heilung der Operationswunde nie erfolgte oder wenigstens von mir nicht beobachtet wurde, tritt sie bei Hunden in etwa 3 bis 4 Wochen ein. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — BENNO BAGINSKY. 565 Actionen des Kopfes, Rumpfes und der Extremitäten hat eine Einbusse erlitten. An diesem Bilde ändert sich Nichts, wenn dem Hunde die Augen verbunden werden. Alle Störungen, lebhaft ausgesprochen kurze Zeit nach der Operation, ver- lieren sich im Laufe einiger Wochen, und es findet gleichsam eine Rückbildung derselben statt, so dass nach dieser Zeit die Taumelbewegungen sich fast gänzlich verlieren, und nur noch eine gewisse Ungelenkigkeit und Steifigkeit der Extre- mitäten vorhanden ist. Die Obduetion dieser längere Zeit am Leben erhaltenen Thiere ergab, dass nur eine kleine Partie des Wurms, und nur dieser allein, bei der Operation be- troffen war; es handelte sich um einen Defect an der Wurmpyramide mit theil- weiser oder völliger Zerstörung der oben näher bezeichneten S-förmigen Krüm- mung ohne Durchbruch in den 4. Ventrikel. Die Vergleichung der ‘Befunde unter einander ergab, dass entsprechend der Grösse des Defectes die nach der Operation auftretenden Erscheinungen an Intensität erheblich zunahmen, so dass bei nur ganz oberflächlichen Zerstörungen der Wurmpyramide keine Störungen zu erkennen waren, bei etwas tieferen die Störungen sich auf einzelne Extre- mitäten beschränkten, bei noch grösseren auf den Kopf, Rumpf und die Extre- mitäten sich ausdehnten. Um einen ungefähren Maasstab zu geben, sei bemerkt, dass bei einem Hunde, der die Gleichgewichtsstörung am Kopf, Rumpf und den Extremitäten zeigte, ein Defeect an der S-förmigen Krümmung des Kleinhirns (Pyramide) von fast 1°" Breite, S"m Tiefe und 6" Länge vorhanden war. In allen Fällen waren die Kleinhirnhemisphären intact. Wir beobachten also auch hier, wie bei den Kaninchenversuchen, dass die Zerstörung des Wurms allein resp. eines: Theils desselben, wenn sie nur in ge- nügender Tiefe ihn trifft, eine Störung des Gleichgewichts nach sich zieht; und hiermit im Einverständniss stehen auch die Versuche von Flourens an Tauben, bei denen ebenfalls nach Kleinhirn-Exstirpationen Coordinationsstörungen folgen, Störungen, welche, da das Kleinhirn der Vögel nur dem Wurm der Säugethiere entspricht, nur auf den Wurm zu beziehen Keral Von hohem Interesse war die Beobachtung, dass die einst gesetzten Stö- rungen allmälig sich zurückbildeten, und es entstand die Frage, ob der Aus- gleich dieser Störungen durch Vermittlung des Kleinhirns selbst oder anderer Bahnen, vielleicht durch das Grosshirn statt hat. - Man konnte sich vorstellen, dass die Störungen des Gleichgewichts willkürlich von Seiten der Fühlsphäre des Grosshirns ausgeglichen wären. Wäre dies der Fall, so müsste nach Ex- stirpation der Fühlsphäre z. B. für die vorderen Extremitäten die nach so langer Zeit erlangte Restitution wieder schwinden und das Thier die ursprüng- lichen nach der Kleinhirnexstirpation entstandenen Störungen zeigen. Auf Grund dieser Betrachtung hatte Hr. Prof. Munk die Güte, zweien bereits von mir am Kleinhirn operirten Hunden die Fühlsphäre der rechten Vorderpfote zu entfernen. Ganz besonders geeignet für diese Versuche war ein Hund, dessen Haupt- störungen in der rechten Vorderpfote gelegen waren, die sich aber im Laufe einiger Monate ganz verloren hatten. Die Untersuchung dieser Hunde ergab indess nur diejenigen Erscheinungen, die normale Hunde nach Exstirpation der be- ! Vergl. Nothnagel, Topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten. Berlin 1879. 3 Be 2 Munk, Ueber die Functionen der Grosshirnrinde. 188. 8. 42fl. 566 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN treffenden Fühlsphäre zeigen.” Eine weitere Störung liess sich an ihnen nicht cönstatiren. Es geht daraus hervor, dass subeortical und höchstwahrscheinlich im Klein- hirn selbst Vorrichtungen vorhanden sein müssen, mit denen das 'T’hier bis zu einem gewissen Grade diejenigen Functionen von Neuem ausüben lermt, für welche die durch die Operation entfernten Theile bestimmt waren. Wir haben demnach auch hier eine Eigenthümlichkeit, wie sie H. Munk von der Gross- hirnrinde nachgewiesen hat, dass nämlich, wie dort „bis dahin unbesetzte Par- tien der vom Verluste betroffenen motorischen Sphäre“, so hier „bis dahin unbe- nutzte Partien des Kleinhirns“ zum, wenn auch nicht ganz vollkommenen Ersatze für die verloren gegangenen Kleinhirnpartien eintreten. Die Untersuchung ist im Laboratorium der hiesigen Thierarzneischule unter Leitung und gütiger Unterstützung des Hrn. Prof. H. Munk ausgeführt. 4. Hr. C. FRIEDLAENDER giebt eine Notiz über: „Typhusbacillen“. Der Bacillus des Abdominaltyphus wird durch kernfärbende Anilinfarbstoffe, wie Koch in seinen kürzlich erschienenen, klassischen Untersuchungen bereits mitgetheilt hat, ziemlich intensiv gefärbt, besonders wenn die Färbung bei etwas höherer Temperatur vorgenommen wird. Es gelingt dann an den gefärbten Bacillen eine eigenthümliche Structur wahrzunehmen, nämlich kreisrunde oder elliptische ungefärbte Partien, die als scheinbare Lücken, weisse Fleckchen in der sonst gleichmässig gefärbten Substanz des Stäbehens hervortreten. Dieselben können die Hälfte bis drei Viertheile der Breite des Bacillus einnehmen und liegen gewöhnlich mitten in der Breite desselben; seltener am Rande, wo sie dann als etwa halbkreisförmige Defecte imponiren. Ueber die Bedeutung der scheinbaren Lücken ist ein sicheres Urtheil zur Zeit noch nicht zu fällen. Ill. Sitzung am 11. November 1881." Hr. HERMANN Munk verlas eine am 5. November ihm zugegangene Mit- theilung des auswärtigen Mitgliedes Hın. J. GAn: „Ueber die genuine Natur refleetorischer Athemhemmung“. In der Sitzung vom 14. October d. J. hat Hr. Hermann Munk eine Discussion mit Hm. Heidenhain aufgenommen, in welcher die Frage nach der genuinen oder antagonistischen Natur willkürlieber und refleetorischer Hemmungen eine hervorragende Rolle spielt. Unter genuiner oder echter Hemmung verstehe ich nach dem Vorgang von Hrm. Munk die Unterdrückung von Bewegungs- impulsen im Centrum selbst, unter antagonistischer Hemmung die Unterdrückung einer erwarteten Körperbewegung durch Innervation von Muskeln, welche zu den die erwartete Bewegung bewirkenden in antagonistischem Verhältniss stehen. Nachdem Hr. Schlösser,? angeregt durch Hrn. Munk, für eine Reihe reflec- ! Ausgegeben am 15. November 1831. ® W. Schlösser, Untersuchungen über die Hemmung von Reflexen. Dies Archiv. 1880. 8. 303. GESELLSCHAFT. — Ü. FRIEDLÄNDER. — HERMANN Munk. 567 torischer Hemmungen reflectorisch eingeleiteter Körperbewegungen die antago- nistische Natur der Hemmung constatirt hatte, war in mir der länger bestehende Wunsch lebhaft geworden, etwas Sicheres über die Natur reflectorischer Athem- hemmung zu erfahren. Was die willkürliche Athemhemmung anlangt, so war mir die genuine Natur derselben auf Grund der Selbstbeobachtung so sicher er- schienen, dass ich mir erlaubt hatte, in der Discussion, welche sich in der Sitzung vom 25. Juli 1879 an die Mittheilung des Hın. Kronecker! über die teta- nische Natur der einfachen Athembewegung des Zwerchfells anschloss, einen Beweis aus der genuinen Natur der willkürlichen Athemhemmung herzuleiten. Aus der 'Thatsache, dass wir im Stande sind, jede spontane Inspiration in einer beliebigen Phase ihres Ablaufes willkürlich zu unterbrechen, schloss ich, dass während der ganzen Dauer der Zwerchfellcontraction tetanisirende Erregungen vom Centrum ausgingen. Wäre die Inspirationsbewegung des Zwerchfells eine in Folge eines einmaligen Reizes langsam ablaufende Contraetion, so würden wir nur im Stande sein, das Entstehen dieser Bewegung durch Unterdrückung des Reizes im Centrum zu verhindern, auf ihren Ablauf hätten wir dann keinen Ein- fluss mehr, — den vom Bogen geschnellten Pfeil könnten wir nicht im Fluge aufhalten. Eine tetanisirende Erregung im Centrum dagegen könnten wir jeder- zeit durch Eingreifen des Willens unterbrechen, oder auch beliebig steigern oder schwächen. Hr. Kronecker wandte mir gegen diese Argumentation ein, dass die willkürliche Athemhemmung auf Innervation von Antagonisten beruhen könnte, und ich konnte hiergegen nur das Resultat meiner Selbstbeobachtung anführen. Ich empfinde eben bei der willkürlichen Unterbrechung der spontanen Inspiration in einer beliebigen Phase ihres Ablaufes nicht diejenige Spannung, welche ich nie vermisse, wenn ich antagonistische Muskelsysteme gleichzeitig innervire. Eine solche Spannung empfinde ich auch bei der anhaltenden willkürlichen Unter- drückung der spontanen Athmung nicht, ehe die Dyspno& nicht einen gewissen Grad erreicht hat. Für mich unterliegt also die genuine Natur der willkür- lichen Athemhemmung keinem Zweifel, und ich befinde mich bei meiner Selbst- beobachtung in Uebereinstimmung mit Hrn. Fick, der sich seit langen Jahren in gleichem Sinne ausspricht. ? Bei der Unmöglichkeit, das Resultat der Selbstbeobachtung für Anders- meinende überzeugend zu machen, lag mir der Gedanke nahe, wenigstens an der reflectorischen Athemhemmung, welche dem Thierexperiment zugänglich ist, den objectiven Beweis der genuinen Natur der Hemmung beizubringen. Schlösser’s Versuche haben diesem Gedanken neue Nahrung gegeben, denn, abgesehen von dem speciellen Interesse für die Theorie der Athmung, schien mir die reflectorische Athemhemmung bei der Mittelstellung, welche sie in dem ganzen Gebiete der Hemmungserscheinungen einnimmt, besonderer Aufmerksamkeit werth. Ich glaubte unserer Einsicht eine Brücke schlagen zu können, von der reflectorischen Hemmung reflectorisch eingeleiteter Bewegung bis zur willkürlichen Hemmung automatischer oder auch willkürlicher Bewegung. Die Reihe, deren Continuität mir auf diese Weise geschlossen zu werden scheint, ist folgende: 1) Reflectorische Hemmung reflectorisch eingeleiteter Bewegung (Schlösser’s Versuchsbeispiele). ! Dies Archiv. 18719. S. 592. ? Fick, Compendium der Physiologie des Menschen. (S. 268 der zweiten Aufl.) 568 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN 2) Refleetorische und automatische Hemmung automatischer Bewegung an einem der Willkür entzogenen System. (Herz.) 3) Refleetorische Hemmung automatischer (reflectorischer ?) Bewegung an einem der Willkür zugänglichem System. (Athemapparat.) 4) Willkürliche Hemmung automatischer Bewegung an demselben System. 5) Willkürliche Hemmung von Reflex- und Willkürbewegungen. Die Stellung in dieser Reihe zwischen zwei Gliedern, bei deren einem (Herz) die genuine Hemmung zweifellos ist, bei deren anderem (willkürliche Athem- hemmung) sie mir persönlich auf Grund der Selbstbeobachtung: gewiss erscheint, liess mich erwarten, auch bei der reflectorischen Athemhemmung die genuine Natur nachweisen zu können. Bestätigte sich diese Erwartung objectiv an der reflectorischen Athemhemmung, so schien mir dadurch auch meine sub- jective Auffassung von der Natur der willkürlichen Athemhemmung eine Stütze zu gewinnen. Meine Erwartung hat mich nicht getäuscht. Die Versuche, welche zu diesem Resultat geführt haben, sind von mir während des vergangenen Sommer- semesters gemeinschaftlich mit Hm. C. Wegele, welcher dieselben in seiner Doctor-Dissertation näher beschreiben und mit Belegen versehen wird, im Würz- burger physiologischen Institut unter den Augen des Hrn. Prof. Fick aus-. geführt worden. KReflectorischer Athemstillstand wurde durch Reizung des Tri- geminus oder durch Lungendehnung, nach Hering und Breuer, herbeigeführt. Dass in Folge der, auf diesen Wegen dem Athemcentrum zugeführten Erregung auch Innervation von Exspiratoren eintreten kann, und oft eintritt, ist bekannt. Die Frage ist aber, ob der regelmässig zu beobachtende Athemstillstand in Ex- spiration, allen auf einem die Inspirationsbewegungen unterdrückenden Exspirationstetanus beruht, oder ob während der Dauer des reflectorischen Respirationsstillstandes die Innervation der Inspiratoren unterbleibt. Hier- über kann man Gewissheit erlangen, wenn man die Nervenreizung nach Ab- trennung der Exspiratoren von der Reflexbahn vornimmt. Dies geschah an Kaninchen mittels Durchschneidung des kückenmarkes zwischen letztem Hals- und erstem Brustwirbel und der höher entspringenden Nerven des Latissimus dorsi und Serratus antieus. In Folge des Eingriffes zeigte sich die mit meinem Athem-Volumsschreiber controlirte Athmung der Versuchsthiere nicht wesentlich geändert. Nach sicherem Wegfall aller reflectorischen Exspirations- Anstrengung wurden regelmässig reflectorische Respirationspausen in Exspiration von der- selben Dauer wie vorher erzielt. Bei dem reflectorischen Athemstill- stand spielt also die genuine Hemmung eine wesentliche Rolle. Dass beim intacten Thier die reflectorische Unterdrückung von Bewegungs- Impulsen im Inspirationscentrum mit Innervation von Antagonisten complieirt ist, erinnert an den von Schlösser studirten Vorgang bei reflectorischer Hemmung von Reflexbewegungen, erinnert an den späteren Theil des Vor- ganges bei protrahirter willkürlicher Athemsuspension, erinnert an den Vorgang bei willkürlicher Hemmung einer schon begonnenen geordneten NReflex- bewegung (Niesen), erinnert an den von Hering studirten Vorgang anta- gonistischer Augenmuskelinnervationen beim Uebergang der Blickrichtung von einem gerade vor uns gelegenen entfernten, auf einen seitlichen nahen Punkt.! ! Vergl. Hering’s Darstellung der Augenbewegungen in Hermann’s Hand- buch der Physiologie. Bd. III. Theil 1. S. 520. GESELLSCHAFT. — H. Munk. — H. KRONECKER UND Vv. ÜUTT. 569 Worauf es aber hier zunächst ankommt, ist, dass an einem der Willkür zu- gänglichen Muskelapparat genuine Hemmung sich mit Sicherheit hat nach- weisen lassen. Ich halte mich nicht für berufen, mich auf Grund dieser Einsicht jetzt selbst in die entstandene Discussion einzumischen. Da es sich aber um eine Thatsache handelt, welche in dieser Discussion wohl Verwerthung finden kann, und da Wegele’s ausführliche Publication noch etwas auf sich warten lassen dürfte, habe ich mir diese kurze Mittheilung nicht versagen können. IV. Sitzung am 25. November 1881.' Hr. H. KroneEcker theilte die Resultate einer Untersuchung mit, welche Hr. Dr. D. von Ott (aus St. Petersburg) unter seiner Leitung in der speciell physiologischen Abtheilung des physiologischen Instituts „Ueber die Fähig- keit der Milch, Muskeln leistungsfähig zu machen“ angestellt hat. Im Anschluss an die Experimente von Hın. Martius „Ueber die Er- schöpfung und Ernährung des Froschherzens“? hat Hr. Dr. von Ott die Wir- kung der Milch auf die Leistung des Froschherzens näher untersucht und dabei gefunden, dass dieselbe in ziemlich erheblichem Maasse ernährende Fähigkeit besitzt. Um zu ermitteln, welchem Bestandtheile der Milch diese Wirkung zuzuschreiben ist, wurde die Nährfähigkeit von roher Milch mit derjenigen ge- kochter Milch, sowie der gesammten rohen und gekochten Molke und der durch Dialyse von den diffusiblen Stoffen befreiten Molke verglichen. Das Froschherzmanometer mit bekanntem Zubehör zeichnete die Pulse auf. Bevor die Nährflüssigkeit geprüft wurde, war das Herz durch Kochsalz- lösung von 0°6 Procent (Kronecker und Stirling) und alkalische Koch- salzlösung (Martius) erschöpft. Es ergab sich, dass ähnlich wie die Milch auch die Molke eine erhebliche Nährfähigkeit besitzt. In einem Falle waren die gezeichneten Pulse des Herzens, welches mit roher Milch perfundirt war, bis zur Höhe von 1°5 °® (aufnotirte Höhe 0.75”) zu steigern. Mit Hülfe von Molke stiegen die Pulse bis 1°4°"; bei Anwendung von Blut noch höher. Durch Kochen wird der Milch ein Theil ihrer Muskelnährfähigkeit entzogen. Die Pulse eines mit roher Milch gefüllten Herzens waren 1-3°” hoch, während sie mit gekochter Milch nur auf 1-2°” sich hoben. Es zeigte sich ferner, ganz in Uebereinstimmung mit den von Hrn. Martius erhaltenen Resultaten, dass alle diejenigen Mittel, welche den Gehalt der Milch an Serumalbumin mindern, auch deren Nährfähigkeit schwächen. Es genügen aber sehr kleine Mengen von Eiweiss, um die Arbeit des Herzens zu ermög- lichen, sodass das Herz als ein ausserordentlich empfindliches Reagens auf Serumalbumin anzusehen ist. ! Ausgegeben am 2. December 1881. 2 S. oben 8. 474. 570 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Nachtrag zur Sitzung vom 11. November 1881." Hr. K. Branpr hält einen Vortrag: „Ueber das Zusammenleben von Thieren und Algen. Das Chlorophyll, der grüne Farbstoff, der in allen Pflanzen — mit Aus- nahme der Pilze — vorkommt und eine so wichtige Rolle bei ihnen spielt, findet sich bekanntlich auch im Thierreiche. Chlorophyll ist z. B. nachgewiesen bei gewissen Rhizopoden (Monothalamien, Heliozoeen und Amöben), bei Wimper- infusorien (Parameeium, Stentor, Vorticellinen), beim Süsswasserschwamm (Spon- gilla), dem Armpolypen (Hydra) und mehreren Strudelwürmern des Meeres und des süssen Wassers (Vortex). Bei allen diesen Thieren findet sich das Chlorophyll in der Form von scharf umgrenzten, kugeligen oder ovalen Körperchen, also in ganz ähnlicher Weise wie bei Pflanzen. Bezüglich des Vorkommens von Chlorophylikörpern bei Thieren haben sich drei einander entgegenstehende Ansichten ausgebildet: 1) Die Einen halten die bei Thieren vorkommenden grünen Körper für echte Chlorophyllkörper, die morphologisch und physiologisch den Chloro- phyllikörpern der Pflanzen vollkommen entsprechen. 2) Andere vertreten die Ansicht, dass die vermeintlichen Chlorophylikörper nicht von den Thieren selbst erzeugt, sondern als Parasiten aufzufassen sind. 3) Noch andere endlich sind der Meinung, dass — wenigstens bei Protozoen — die günen Massen nichts weiter sind als gefressene, der Verdauung unter- worfene Pflanzentheile. Welche von diesen drei Meinungen die richtige sei, ist meines Wissens durch direete Untersuchung noch nicht entschieden. Semper giebt in seinem, an fruchtbaren Gedanken so reichen Werke „Die natürlichen Ewistenzbedingungen der Thhiere“ (1880. I. S. 86—93) eine kritische Uebersicht der vorliegenden Untersuchungen und kommt zu dem Schlusse, dass die grünen Körper entweder als endogene Producte der Thiere oder als Hausgenossen (Commensalen) auf- zufassen seien. Von beiden Auffassungen erscheint ihm die letztere wahrschein- licher. Resultate eigener Untersuchungen. Um eine Entscheidung der Frage herbeizuführen, ist zunächst eine genaue morphologische Untersuchung unter Zuhülfenahme mikrochemischer Reactionen nöthig. Ganz besonders wichtig erschien die Beantwortung von drei Fragen: 1) Bestehen die grünen Körper nur aus Grundsubstanz und Chlorophyll, wie die echten Chlorophylikörper, oder besitzen sie ausserdem hyalines, farbstoff- freies Protoplasma? 2) Enthalten sie einen Zellkern oder nicht? 3) Sind sie von einer Cellulosemembran umgeben oder nicht? — Weiterhin war dann festzustellen, ob sie physiologisch selbständig sind oder nicht. Hier waren besonders folgende Punkte zu entscheiden: 1) Bleiben die grünen Körper nach dem Tode der 'Thiere, in denen sie vorkommen, am Leben oder gehen sie mit ihnen zu Grunde? 2) Ist man im Stande mit einem Stück eines chlorophyliführenden Thieres ein anderes, chlorophyllfreies Thier zu infieiren? — 1 Mitausgegeben am 2. December 1881. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — K. BRANDT. byal Die morphologischen Untersuchungen wurden an Hydren, Spongillen, einer Süsswasserplanarie und zahlreichen Infusorien (Stentor, Paramecium, Stylo- nychia, verschiedenen Vorticellinen u. s. w.) vorgenommen, und zwar in der Weise, ‚dass die grünen Körper durch Quetschen aus den Thieren isolirt und dann mit starken Vergrösserungen betrachtet wurden. Bei allen, häufig und an den verschiedensten Objecten angestellten Untersuchungen ergab sich bezüglich des Baues der grünen Körper ein vollkommen übereinstimmendes Resultat: Die grünen Körper sind nicht gleichmässig und vollständig grün, sondern besitzen neben der grün gefärbten Masse stets noch hyalines Protoplasma. ‚Jeder grüne Körper ist also nicht als ein Chlorophylikörper aufzufassen, sondern als eine Protoplasmamasse, in welcher sich ein Chlorophyllkörper befindet. Der ge- wöhnlich muldenförmige Chlorophylikörper besitzt ein sehr starkes Lichtbrechungs- vermögen und enthält, wie spectroskopische Untersuchung eines alkoholischen Spongilla-Auszuges zeigte, echtes Chlorophyll. Fig. 1. Fig. 2. 1 8% 1. Ein grüner Körper von oben gesehen. Man erkennt nur den muldenförmigen Chlorophylikörper. 2. Ein grüner Körper in der Seitenansicht. In dem sehr viel weniger lichtbrechen- den farblosen Protoplasma liegt ein Stärkekorn. 3. Ein grüner Körper mit 2 Chlorophylikörpern. (G. Kessler gez.) In sämmtlichen grünen Körpern konnte durch Behandlung mit Haematoxylin ein Zellkern mit voller Bestimmtheit nachgewiesen werden. Entweder wurden die grünen Körper zunächst mit Chromsäure (1/,°/,) oder Ueberosmiumsäure ab- getödtet, dann durch Alkohol möglichst vom Chlorophyll befreit und schliesslich mit Haematoxylinlösung behandelt — oder aber sie wurden lebend mit Haema- toxylin gefärbt und nachher durch Alkohol abgetödtet und von der grünen Farbe gereinigt. Das Resultat war immer das nämliche. Es liess sich in allen Fällen ein violettes Korn in dem hyalinen Theil des grünen Körpers erkennen. Waren statt eines Kernes mehrere in einem grünen Körper vorhanden, so liessen sich stets auch mehrere Chlorophylikörper nachweisen. Die Formen mit 2—6 Kernen und ebenso vielen Chlorophylikörpern sind wohl ungezwungen als Theilungs- zustände zu deuten. Die aufgeführten, mit voller Sicherheit festgestellten 'Thatsachen beweisen, dass die vermeintlichen Chlorophylikörper der 'Thiere morphologisch selbständige, einzellige Wesen sind. Da bisher noch keine Algengattung beschrieben ist, in welche diese „grünen Körper“ eingeordnet werden könnten, so wird ihnen ein besonderer Name beigelegt werden müssen. Zoochlorella nov. gen. Grüne Körper zahreicher niederer Thiere aus der Gruppe der Protozoen, der Spongien, der Hydrozoen und Turbellarien. Zoochlorella Conductrix mihi. Lebt in Hydra. Durchmesser 3—6#, Jedenfalls identisch damit ist die in Wimperinfusorien vorkommende Form. 572 VERHADLUNGEN DER BERLINER Zoochlorella parasitica mihi. Lebt in Spongillen. Durchmesser 1:5—3 *“. Wahrscheinlich identisch damit ist die in Süsswasserplanarien vor- kommende Form. Zugleich erlaube ich mir, den unter ähnlichen Bedingungen lebenden „gelben Zellen“, deren morphologische und physiologische Selbständigkeit von den Thieren, in welchen sie leben, durch die Untersuchungen von Cienkowski, Hertwig und mir nachgewiesen ist, mit einem entsprechenden Gattungsnamen zu versehen: Zooxanthella nov. gen. Gelbe Zellen der Radiolarien, gewisser Hydrozoen und der Actinien. Zooxanthella nutricula mihi. Gelbe Zellen von Collozoum inerme. Wahrscheinlich identisch mit dieser Art sind. die gelben Zellen der übrigen Polyeystarien, sowie vieler Monocystarien. Ausser der morphologischen Selbständigkeit der Zoochlorellen war aber noch die physiologische Unabhängigkeit derselben zu beweisen. Zu dem Zwecke wurden grüne Körper durch Quetschen aus Hydren, Spongillen und Wimperinfusorien isolirt und auf dem Objeetträger weiter eultivirt. Es zeigte sich, dass die isolirten. Zoochlorellen keineswegs absterben, sondern tage- und selbst wochenlang am Leben bleiben. Exponirt man sie dem Lichte, so treten Stärkekörner in ihnen auf, — ein Zeichen, dass sie ihre Functionsfähigkeit keineswegs eingebüsst haben. Ausserdem wurden Infectionsversuche angestellt. Dabei stellte sich zunächst heraus, dass die oben auf Grund durchgreifender Grösseverschiedenheit auf- gestellten Zoochlorella- Arten nicht nur morphologisch, sondern auch physiologisch unterschieden sind. Isolirte grüne Körper von Spongillen, die ich mit chloro- phylifreien Infusorien zusammenbrachte, wurden zwar von vielen aufgenommen, konnten sich jedoch nicht in dieselben einnisten, sondern wurden entweder ver- daut oder unverändert wieder ausgestossen. Auch Infusorien, die sonst Zoochlorellen (allerdings die grössere Art derselben) beherbergen, behielten sie nicht bei sich. Dagegen gelang es, chlorophylifreie Infusorien mit den Zoochlorellen einer abgestorbenen Hydra viridis zu inficiren. Mehrere Ciliaten, die vollkommen frei von grünen Körpern waren, nahmen die Hydraschmarotzer auf und behielten sie dauernd bei sich (Coleps, Parameeium, Stylonychia u. s. w.). Nach den vorliegenden Untersuchungen fehlt selbstgebildetes Chlorophyll den thierischen Organismen vollkommen. Chlorophyll kommt nur bei echten Pflanzen vor. Wenn es bei Thieren sich findet, ver- dankt es eingewanderten Parasiten sein Dasein. Allgemeine Ergebnisse. Wenn im Obigen der Ausdruck „Schmarotzer“ für die grünen und gelben Algen gebraucht wurde, so geschah es der Kürze wegen und ausserdem des- halb, weil vom morphologischen Standpunkte aus die Algen zunächst als Para- siten der 'Thiere erscheinen. Als echte Parasiten im physiologischen Sinne kann man sie jedoch keineswegs ansehen. Man darf sie nicht mit den parasitischen Pilzen, den Bandwürmern, u. s,. w. in Parallele bringen, denn diese entziehen nur dem Wirth Stoffe, produeiren nicht selbst und geben am Allerwenigsten noch an ihn ab, während die Zoochlorellen und Zooxanthellen nach Art echter PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — K. BRANDT. 573 Pflanzen aus Wasser und Kohlensäure selbst organische Stoffe zu produeiren vermögen. = Von ihnen ist also von vorn herein zu erwarten, dass sie dem Wirthe keine organischen Stoffe entziehen, sondern ihm eher noch solche liefern. Dass nun das Letztere, und zwar in ganz erstaunlichem Maasse, geschieht, zeigen folgende Beobachtungen: 1) Bei genauerer Untersuchung grosser Radiolarieneolonien fand ich weder in noch an ihrer Gallerte der Verdauung unterworfene Fremdkörper. Da diese Thiere bei ihrer beträchtlichen Körpermasse grosse Mengen von Nahrung brauchen und der Fähigkeit gänzlich ermangeln, sich selbst aus Wasser, Kohlensäure und Ammoniak organische Substanzen herzustellen, so können sie nur von den gelben Zellen, die sie in ausserordentlicher Menge be- herbersen, am Leben erhalten werden. 2) Solche Colonien konnte ich am Besten am Leben erhalten, wenn ich sie in gut filtrirtes Seewasser setzte. Hier war ihnen die Möglichkeit gänzlich benommen, sich — wie echte Thiere — von festen organischen Stoffen zu er- nähren. 3) Auch Spongilla hielt ich am Besten in filtrirtem Flusswasser. Selbst wenn das Wasser täglich von Neuem filtrirt wurde, war das Gedeihen der grünen Schwämme ein ganz Vorzügliches. Wurde aber das Gefäss in einen halb dunkeln Raum gesetzt, so gingen die Spongillen regelmässig zu Grunde. Gehörige Be- lichtung ist unbedingt nöthig. Es wäre also hiermit bewiesen, dass die Zooxanthellen und Zoo- chlorellen ihre Wirthe vollkommen am Leben erhalten. Solange die Thiere wenige oder gar keine grünen oder gelben Zellen ent- halten, ernähren sie sich wie echte Thiere durch Aufnahme fester organischer Stoffe, sobald sie genügende Mengen von Algen enthalten, ernähren sie sich wie echte Pflanzen durch Assi, milation von anorganischen Stoffen. Sie müssen sich wieder nach Art der 'Thiere ernähren, sobald bei mangelhafter Belichtung die Algen ihre Function einstellen. Sie gehen zu Grunde, wenn sie sich nicht der ihnen eigentlich zu- kommenden Ernährungsweise wieder anbequemen. Durch die Untersuchungen der Botaniker sind zwei verschiedene Arten des Zusammenlebens von Algen mit anderen pflanzlichen Organismen nach- gewiesen. Erstens finden sich Algen als „Mietherinnen“ in anderen chlorophyll- führenden Pflanzen. Zweitens leben nach den schönen Untersuchungen Schwen- dener’s Algen mit Pilzen vergesellschaftet und bilden zusammen die sogenannten Flechten. In dem ersten Falle verhalten sich die schmarotzenden Algen im All- gemeinen indifferent in Bezug auf die Assimilationsverhältnisse ihrer Wirthe. Die Algen sowohl als auch die Pflanzen, in denen sie leben, ernähren sich in gleicher Weise durch Assimilation von anorganischen Stoffen. Bei den Flechten liefern die Algen für die auf ihnen schmarotzenden Pilze das Nährmaterial. Die Algen erzeugen aus anorganischen Stoffen organische, und die Pilze ver- brauchen davon. Aehnlich mit diesem Falle, und doch verschieden von ihm, ist nun die Vergesellschaftung von Algen mit 'Thieren. Bei grünen und selben Thieren silt im Allgemeinen dasselbe, wie bei Flechten: Die Algen erzeugen aus an- organischen Stoffen organische, und die Thiere verbrauchen davon. Während wir aber bei den Flechten echte Schmarotzer (Pilze) mit Algen vergesellschaftet 574 VERHANDLUNGEN DER BERLINER finden, haben wir bei grünen und gelben Thieren eine Symbiose von Algen mit unabhängigen, an ein selbständiges Leben gewöhnten Thieren. Die Thiere geben, sobald die grünen oder gelben Algen in sie eingewandert sind und sich ge- nügend vermehrt haben, ihr unabhängiges Leben auf und lassen sich vollständig von ihren „Schmarotzern“ ernähren. Obwohl sie vollkommen dazu im Stande sind — sie sind in morphologischer Hinsicht den chlorophylllosen Thieren voll- kommen gleich —, so nehmen sie doch keine festen organischen Stoffe mehr auf. Das Zusammenleben von Algen mit Thieren ist das denkbar eigenthüm- lichste. In morphologischer Hinsicht sind die Algen, in physio- logischer Hinsicht die Thiere die Parasiten. — Die Untersuchungen wurden im hiesigen Physiologischen Institut angestellt. 2. Hr. ScHhorter demonstrirt ein Refractions-Ophthalmoskop zur Bestimmung aller Formen von Ametropie einschliesslich des Astigmatismus. Die Ursache, weshalb bisher nur sphärische Gläser zur Bestimmung der Ametropie in den Drehscheiben der Refractions-Ophthalmoskope zur Verwendung gelangt sind, ist folgende: Es fehlte bisher jede Vorrichtung; um den an der Durchbohrungsöffnung der Spiegel vorüberzuführenden Cylindergläsern eine beliebig drehbare Axenstellung zu geben. Dass diese Aufgabe indessen eine zu lösende ist, hatte ich schon im Jahre 1875 gezeigt. Ein nach denselben Principien, aber technisch voll- kommener ausgeführtes Instrument erlaube ich mir heute zu demonstriren. Auf einem gewöhnlichen Refractionsaugenspiegel (a), welcher, nach dem Knapp’schen geformt, eine Spiegeldurchbohrung von 6"M und entsprechende Durchmesser der sphärischen Gläser besitzt, ist eine Drehscheibe (5) von 5:5” Durchmesser, welche 10 Cylindergläser und eine freie Oeffnung (c) trägt, ange- bracht. Die 5 Convex- und 5 Concavcylinder, welche ebensovielen Dioptrien ent- sprechen, haben einen Durchmesser von 8”" und sind an der äussersten Peri- pherie der Scheibe eingefügt. Letztere (5) liegt mit ihrem peripheren Theile so auf der Deckplatte für die sphärischen Gläser auf, dass bei ihrer Drehung successiv die Cylindergläser vor den centralen Durchbohrungscanal des Spiegels treten. — Um die Cylinderscheibe zu drehen, bedarf es zuvor eines Druckes auf eine an der Deckplatte anliegende Feder (e). Letztere besitzt ein haken- förmig gekrümmtes Endstück (f), welches in entsprechende Vertiefungen des Umkreises der Cylinderscheibe vor jedem Glase bei Drehung derselben ein- springt nach Nachlass des öffnenden Druckes und eine fernere Drehung der Scheibe dadurch verhütet. Die im Zahnrädern eingeschlossenen Cylindergläser können durch ein grosses Zahnrad (9) um jeden beliebigen Winkel gedreht und der Grad der Ablenkung an einem graduirten Bogen (A), welcher inner- halb des Zahnrades immobil angebracht ist, abgelesen werden. Durch einen mit einer Walze versehenen Stab („Zahnstab ‘“), welcher in eine zweite, bei der Spiegeluntersuchung dem Beobachter zugewandte Zahnreihe (%) des Zahn- rades eingreift, wird nun das Zahnrad (g) in Drehung versetzt und werden da- durch alle Cylindergläser um einen gleichen Winkel gleichzeitig gedreht. Bei Drehung an dem Knopfe des Zahnstabes drehen sich indessen die Cylindergläser nur dann, wenn die Feder (e) geschlossen ist, während nach Oefi- nung derselben durch Drehung des Stabes die Cylinderscheibe als solche ohne Drehung der einzelnen Cylindergläser sich in Bewegung setzt. — Als Beleuch- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — SCHOELER. 575 tungsspiegel ist ein an einer Handhabe (2) drehbarer und unter 45° zur Platte geneigter Silberspiegel (m) zur Verwendung gebracht.! Derselbe deckt mit seinem scharfen Rande eirca !/, der Spiegeldurchbohrung (r). Zur Untersuchung im umgekehrten Bilde sind dem Bestecke noch eine Convexlinse (-+ 3), wie ein Concavspiegel aus Metall von circa 8” Focaldistanz Jı ‘7 LUD beigegeben, von welchen letzterer an Stelle des unter 45° geneigten Spiegels (m) in die Spiegelhülse (0) einzudrehen ist. Der Gang der Untersuchung ist nun folgender: Mittels der sphärischen Drehscheibe wird der Grad der etwaigen Ametropie, Hypermetropie oder Myopie bestimmt und dann bei noch vorhandener Undeutlichkeit des aufrechten Bildes t Derselbe ist einem von Hrn. Oberstabsarzt Dr. Burchhardt construirten Spiegel nachgebildet. 576 VERHANDLUNGEN D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — SCHOELER. je nach dem Charakter der vorhandenen Asymmetrie (welche schon zuvor bei der Untersuchung im aufrechten bez. umgekehrten Bilde ohne Beigabe sphärischer Gläser festgestellt worden ist) nach Druck auf der Feder mittels Drehung am Zahnstabe ein Cylinderglas von 2 oder 3 Dioptrien vor die Spiegelöffnung ge- dreht. Nachdem nun der Druck auf die Feder, welche für das linke Auge des Beobachteten unten, für das rechte hingegen oben gelegen ist, da der Griff des Spiegels an zwei einander gegenüberliegenden Punkten (p,g) der Deckplatte für die sphärischen Gläser einzuschrauben ist, nachgelassen hat und dieselbe in Folge dessen die Cylinderscheibe immobilisirt, wird durch Drehung an den Knöpfchen des Zahnstabes die Axenstellung des eingestellten Cylinderglases so lange geändert, bis das Maximum der Deutlichkeit im aufrechten Bilde erzielt ist. Alsdann wird nochmals durch Druck die Feder geöffnet und durch Drehung des Zahnstabes das stärkste convexceylindrische, bez. schwächste concaveylindrische Glas gesucht, mit welchem eine gleiche, bez. noch grössere Deutlichkeit des Bildes erzielt werden kann. Die erste Drehung galt somit nur der Bestimmung der Meridianlage, der zweite hingegen bei feststehender Cylinderaxe dem Grade der Refractionsasyimmetrie. Sollte vorliegender Spiegel eine genaue Gradbestimmung des Astigmatismus in seinen verschiedenen Formen ermöglichen, was die früheren ophthalmoskopischen Methoden meiner Erfahrung nach nicht leisten, so würden noch kleine Mängel, welche den ersten Ausführungen solcher Apparate anzuhaften pflegen, noch zu beseitigen sein. Zu denselben zähle ich die Länge des Durchbohrungscanals, welche, wiewohl schon sehr kurz, ohne Schwierigkeit noch kürzer gemacht werden kann. Ferner müsste die Grösse der Gläserdurchmesser noch genauer regulirt und die Beleuchtungsintensität des Spiegels, wie der Umfang des durch den- selben erleuchteten Gesichtsfeldes voraussichtlich noch ein wenig geändert werden. — Da mir zur Zeit jedoch die erforderliche Uebung und Erfahrung fehlen, um über die Lösung des Problems der präcisen Gradbestimmung des Astigma- tismus — durch diese Construction ein festes Urtheil zu fällen, so soll erst mit vorliegendem Instrumente trotz seiner geringfügigen aber zu eliminirenden Mängel an die Arbeit gegangen werden. Auch in dieser Form hat die An- fertigung des Spiegels schon viel Mühe und Zeit erfordert und danke ich es vor Allem der Sorgfalt des Mechanikus List so weit gelangt zu sein. Von ihm ist die Drehscheibe mit den gezahnten Rädern ausgeführt worden, während den technischen Betrieb derselben fernerhin die Firma Paetz und Flohr' Unter den Linden Nr. 14 übernommen hat. ! So lange es sich noch um Einzelconstructionen handelt, ist der Apparat nicht unter dem Preise von 200 Mark bei der Firma Paetz und Flohr zu beziehen. Wesent- lich billiger gestaltet sich indessen die Construction der Cylinderscheibe allein, welche den meisten der heute gebräuchlichen Refractionsophthalmoskopen nur einfach aufgesetzt zu werden braucht. Sprachliche Bemerkung. Vom Herausgeber. Für das durch Claude Bernard und Hm. v. Kölliker der Physio- logie so bedeutend gewordene südamerikanische Pfeileift giebt es bekanntlich viel Namen, welche theils von verschiedener Transseription, theils von den verschiedenen Volksstämmen herrühren, von welchen das Gift erhandelt wurde.! Der richtigste Namen ist wohl der von Hrn. v. Kölliker ge- brauchte: Urari, welchen es bei den das wirksamste Gift bereitenden Macusi führt.” Die übrigen Namen erscheinen als Varianten, in denen zum Theil — ra an Stelle von —r: trit. Wurara wird ziemlich so berechtigt sein wie Urari, wie man Demerara und Demerary sagt. Ich liess mich dadurch bestimmen, den durch Bernard zur allge- meinen Geltung gebrachten Namen Curare bisher Curara zu schreiben, indem ich das e in Öurare für das stumme e hielt, als welches es im Fran- zösischen ausgesprochen wird. Die Form Curar« kommt nun zwar vor, doch ist sicher Curare das Richtige, und das e darin nicht das stumme e. Der Name Öurare stammt aus dem Spanischen Guayana und. scheint durch die Missionare Gumilla und Gili? bekannt geworden zu sein. Er siegte in Frankreich, und dadurch schliesslich überhaupt, weil Alexander von Humboldt in seinen Berichten über das zu Esmeraldas am Orinoco vor seinen Augen gekochte Gift sich seiner bediente. Im Reisewerke® ‘ Vergl. Hrn. Münter’s gelehrten Artikel: Woorara im Zneyelopädischen Wör- terbuche der medicinischen Wissenschaften. Berlin 1847. Bid. XXXVI. 3.468 fi. ” Vergl. Sir Robert Schomburgk, The Urari, or Arrow Poison of the Indians of Guiana. Remarks in continuation to those contained in the seventh volume of the Annals of Natural History. In: The Pharmaceutical Journal for April 1857. (Mir von Sir Robert übersandter Separatabdruck). ® Vergl. Dr. von Martius, über einige von ihm in der brasilianischen Provinz von Rio Negro beobachtete Arznei-Pflanzen, in Buchner’s Aepertorium für die Pharmacie. 1830. Bd. XXXV. S. 183. * Nachrichten vom Lande Guiana, dem ÖOronocoflus, und den dortigen Wilden. Aus dem Italienischen des Abbt Philip Salvator Gilii Auszugsweise übersetzt. Hamburg 1785. 8. 419, ° Voyage aux Regions equrnoxiales du Nouveau Continent ete. t. VIII. 8°. Paris 1822. p. 5. 153. 578 SPRACHLICHE BEMERKUNG. VoM HERAUSGEBER. schreibt Humboldt Curare, und man könnte über die Natur des e im /weifel bleiben. In seinem Brief über das Gift an Leschenault! aber schreibt er Curare, und so auch den Namen des vielbesprochenen Verbin- dungsarmes zwischen Rio negro und Amazonas: Casiquiare. Auch v. Mar- tius, wo er von dem eigentlichen Namen des Giftes handelt, schreibt Curare.? Nicht allein ist also das e nicht stumm, sondern um es getreu wieder- zugeben, müsste man im Deutschen etwa schreiben: Curareh. Unrichtig aber ist es, wie einige deutsche Physiologen zu schreiben: Curaresiren, statt Curarisiren. Die angehängte verbale Endigung ist nicht -siren, sondern -isiren, wie zahlreiche Beispiele zeigen: elektr-isiren, tetan-isiren, carbol-isiren, ideal-isiren. Diese zunächst dem Französischen entlehnte Endigung, welche die Puttkamer’sche Rechtschreibung unnütz mit einem e beschwert, ist das griechische -ıCzıv, wie in gıikına-ilewv, daher Moritz Haupt mir rieth, in meiner lateinischen Habilitationsschrift für Tetanisiren zu setzen: terovileovn. Üurare-siren ist so regelwidrig gebildet, als sagte man: ein goethe-sirender, ein carlyle-sirender Stil. ı Annales du Museum d’Histoire naturelle ete. 4°. A Paris, 1810. t. XVI. p. 462. ® Von Spix und von Martius, Reise in Brasilien auf Befehl Sr. Majestät Maximilian Joseph I.... gemacht u. s. w. 4°. Dritter und letzter Theil. München 1831. 98. 1155. Anm. „Das Pfeilgitt Urari (so hörten wir es im ganzen Verlaufe unserer Reise nennen, wie einst Ralesgh am Örenoco, und weder Curare, wie in spanisch Gujana, noch Woorara, Wurara, Wurali, wie in Surinam) ist der wichtigste Handelsartikel der Indianer.“ } 3 De Fibrae muscularis Reactione ut Chemieis visa est acida. Berolini 1859. 4°. p- 34 sqg. Berichtigung. In Hrn. Prof. Loven’s Abhandlung ‚Ueber den Muskelton u. s. w.“, oben 8. 363 ff, > » sind folgende Druckfehler zu verbessern: S. 376, Z. 20 v. 0. statt 380 lies 880. S. 377, 2.7 v. o. statt in den höchsten lies in Jen. Ebenda muss es am Schlusse des ersten Versuchsprotocolls heissen : O0 FR | Kein Ton. 0 (mit Eisenkern) Kein Ton. 14 (ohne Eisenkern)! Ton sehr deutlich, die tiefere Octave. Ebenda fehlt in dem zweiten Protocoll die Schwingungszahl des Unterbrechers, 330. S. 378, 2. 23 v. 0. satt 800 lies 880. Archiv f.Anat.n. Phys. 1881 Phys. Ablhilg. Te - ? Zug Taf. a TE EN, ve rt------------ 47 | | | xx | 1a |» N | | H | ı Bun! N ı a 9 | Ie UINMNNANNANIININNNANNANNNNMNNNIANNNINUMNNNT 2 Mei ‚L. I 1 Fig.6. N INN Fig. Be | ! Fig). - AURERRERM ION NND AnmMn als Arnim! Fig.d Fig.n ANTNT Fig. 4, AR R Au Yu A H N es z | at Veit & Comp L« az Archü rchtv £_Anat.u,Phys. 1881. Phys. Abthlg Tat. I. br, lumdır) D AS SS ıl | = ; QBn za m. an en IE Sn: Verl 26 \ei erlag Veit & Comp, Lepzig ith.Anst.v.E.A.Funke, Leipzig Taf Hl. Lith.Anst.v. EA Finke, Leipzig. Y wie ir 0009 a nen a > DNS Verlag Veit & Comp, Leipzig. =aR US. Abthlg, huys.ISI.FN Fiy.2 rchiv [ Anat.u.Pl 4 i | | UF HEFRRFEEEIINRMIRHHSENRHIERFRTH BI MBILTFEI AH UNE . Serien tee SE En a NADEMNAEIS SPP REETDR AR (HE BULET 3 Archio £ nat. u. Phys 1881. Phys Abthlg, Tak IV. IITTeEIIDIERGnNGgRt TI TITAN rg EoRRIAGT DZ fa] Fir Kol Fi Fin DB II | A TOD I! (ea en: [Er] Do Io Km in dio Fo 1 | io Da IE DM I Sn I Da mm I ke 2 = Laser Ir | Bere Flle TTTTTTITTETTTTTTTETERTTEITTETETTTTITTTTTOITTTETELITTTTTTT TTTTT TTETTIITETTTTITTITTETTTEITTITTIITTOITTITIEETTTTOETTIETETETETEIOT TOT] 11a Maafsstab : 197 der nal,üvösse, N A —ye ur A A NE — | TITTTTTTTTTTTTTTTTITETTIODETTEITTETTTTITETTOITETTTTTISOETOTTTITIIITeeIeETITIIIeIIIITTTTTT T Int TTUTTTTOTESTTTTTTTEORTEITOOITEOIITIeT Verlag, Veitu.Clomp. L Lith- Anst’v. E.A’Funke, Leipzig ‚Archiv f Anal. u. Phys. IBBT. Phys Abtlilg, 49 DE Hanle dal 50. Verlag Veit&eComp., Le TakV. Lit. Anstv.E.A-Funke Leipzig, Archiv F Anal u. Puys. 189 Pays Abtılg, Fig.l Fig.ih I Fig15 | | | | Ir IE h | | | || Ir I} | I „ a r | ‚swuwwuwewuwwww Sn DuWWEBDEWWUULULUUBE | # | Fige 14 | 4 Kg. Prasslli un sune | Fig.h. — IE ] Plan rn Kig8. R | IP Kig.I6, n | | n | a A| | | b BEANTLUNTRNMRTLIMN | | | | T- | ma | | || | | Fig9 | || 1} | I Pl I — TB ULLA UNNA ua | FU. U lin r Fig.s. y ” 9 Fig.6. Fig. | | SU f FANTEHN IL TARRRNIAITTMN La I| ee) v [X | IN | f ! ! | | PN u na eat WE | | Fig.I0, | I] n | | | | | 2 | | | Fig. r | I | b a I = i Fig.dR. PANALMM U sus ÄN, uuun! ee BR RAR NLLNLILTTIRSEREURTL LU. ww! a Sr Fig, a ET nt r AL | el PA TITITTIT ATETLLLUTT $ Veit &omp, Leipzig LAUMNTNMNNNNMNONLUDNURURTTTMENGNNNNRMTTUNNTARENTNTTTN GREEN. Taf Fiy.IT. - D 7 Liq.18 J ni d B b a 7 kg | | I 9 | | | | | | | R | | h 9 Fi: € d C b a | a e b B PH & b a —— — “r ln Archio FAnatu. Phys 1881. Phys Ablhig. Taf Eu Fig3.a Fig, Figdh Fig.kh Fig.2ıb. ‚Fig« Fig,3.d Figha. a ne FR Ente ee re ea ee Be 1 ne: Ba nn N eine er > EEE Archin F Anat.n.Phuys. 1881. Plays Abthlg, Pig.ı ILL un Fig.3. SS sweewwewen Fig.i TENURUN BUNTE, Fig LIeE NE > NrImMANANNAAAANG Fig.9. AA, Pig.i0. ANAAA in AA A LA A Bunuen AAanANA Ar aan Taf. El. Bess see Jene ne er aA Fig. 16 AU Fig.I7 Archiv K Anat.u, Phys.1881. Piys. Abthlg. Fig.h. ANA = uU Taf IX. Fig Fig Fig.1#. IIIIISIIAUN Var III III NIN Yun MMS N Kehl gs Er Fiq3. Vitra ann anna, nn VVrvNırLıT Fig 15, Fig.I0, FEN NN ALTER RE nAMMnN IN k.AustvEAPunke, Leipzig Archiv £ Anat.u. Phys. 1881. Phys. Abthlg. j Taf-X. Fig8. Absc. Fig.d. Fig.2. Fig.1. Fig.d. Mig.d“ Fig Verlag Veit& Comp, Leipzig. Ti knstsrE.A Finke, Leipzig. MN g a0 Mar, ZIELEN _ Physiologische de 1881. L u. I. Heft. ARCHIV ANATOMIE UND PINSIOLOGIE, | Fornsurzune Des von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J, F. MECKEL, JOH. MÜLLER, : - REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. _ HERAUSGEGEBEN VON on Da WILH. HIS uso Ds. WILH. BRAUNE, : PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Ds. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1881. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. ERSTES UND ZWEITES HEFT. ER MIT DREIUNDZWANZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND DREI TAFELN. LEIPZIG, - VERLAG VON VEIT & COMP. rt. Zu beziehen durch. alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 14, April 1831.) Inhalt. Franz Bort, Thesen und Hypothesen zur Licht- und Farbenempfindung ; I. Rosent#Av, Neue Studien über Athembewegungen. Zweiter Arpikel) Ueber die Wirkung der elektrischen Reizung des N. vagus.. ; J. v. Krıes und HEenky SEWALL, Ueber die Summirung unter na Bere in Muskeln und Nerven... BESTEN "0, LANGENDOREFF, Studien über die Inderyakion der Kiheicbew lerne Zweite Mittheilung.. Ueber ungleichmässige Thätigkeit. beider Zwerchfellshälften. Unter Mitwirkung von R. Nırschmann und H. Wırzack. (Hierzu Tafel L) K. Hiruseen, Zur Kenntniss der ee Reizung der Nerven. (Hierzu Tafel II.) { 5 | iR MrADE SmitH, Die Tenserattr des Selten at, J. Gauus, Das Flimmerepithel der Aricia foetida. (Hierzu Taf. II.) DönxHorr, Ueber die mittlere Lebensdauer der Thiere . ... BL DE Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin ee 6. Saromon, Ueber die Bildung von Xanthinkörpern in keimenden Pflanzen. — (©. FRIEDLÄNDER, Ueber Herzhypertrophie. — WERNICKE, Ueber eine grössere Seite Anzahl von Gesiehtsfeldsaufnahmen. — F. Busch, Vortrag zur Vertheidigung der Osteoblastentheorie gegen einige neuere Angriffe. — Lucar, Ueber opti- schen Schwindel bei Druckerhöhung im Ohr. — WEeRrnickE,- Ueber einen - Fall von Sehreiberkrampf. — J. SANDER, Ueber. die Löslichkeit des Syntonin, Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ‚Ihrer Bei- träge gratis. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune” in Leipzig, beide Königsstrasse 17, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Beymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung, der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. ATLAN TEN \ Professor Dr. Wilhelm Braune in Leipzig. | Verlag von VEIT & 00MP. in Leipzig. Braune, Dr. Wilhelm, Professor der eich Anatomie zu Leipzig, Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten ' an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt yon (, Scanteven. Colorirt von F. A. Hauprvoszn. Zweite Auflage. 833 Tafele. Mit 49 Holzschnitten im Text. (Hu. 56 S.) Imp.-Fol. 1875. geb. in Halbleinw. | M. 120. — Mit Supplement: Die Lage des Uterus etc. (s. u.) M. 165. — Topographisch - anatomischer Atlas. Nach Durch- schnitten an gefrornen Cadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers topographisch - “anatomischem Atlas mit Einschluss des Supplementes ‚zu diesem; „Die Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln in photographischem Lichtdruck. Mit 46 neun, im ‚Text. (218 S.) Lex.-8. 1875, im Carton. Mi 30 Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der Schwangerschaft. Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern illustrirt. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von 0. SCHMIEDEL. - Colorirt von F. A. Hauprvocer. Supplement zu des Verfassers topo- ; graphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im: Text. (4 8.) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. | M. 45. — ‚Auch mit englischem Text, unter dem Titel: — —- The position of the uterus and foetus at the end ‚of pregnancy. Ilustrated by sections through frozen bodies. Drawn after nature and lithographed by C. Scummener. Coloured by FE. A, HAUPTvoGEL. Supplement to the authors topograph.-anatom. Atlas. 10 plates. With ‘one woodeut in the text. (4 “a Imp.-Fol. 1872. in Mappe. M. 45. - - Der männliche und weibliche Körper im Sagittal- a Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom. ‚Atlas. 2 schwarze Tafeln in Lithographie. Mit 10 Holzschnitten im nn (82 8.) 1872. Imp.-Fol. (Text in gr. 8.) m Mappe. M. 10. — Das Venensystem des menschlichen Körpers. Histe und zweite ‚Abtheilung. Imp.-4. 1873. cart. M. 20.— ..„ Einzeln: I. Abtheilung. Die Oberschenkelvene in ST und klinischer Hering Zweite Ausgabe. 6 Tafeln in Farbendruck. (28 $.) M. 10. — M. Abtheilung. "Die ‘Venen der menschlichen Hand. Bearbeitet von Wilhelm - Braune und Dr. Armin er 4 Tafeln in ee Lichtdruck. ; a n) M. 10. _ N \ 1 Zu beziehen (durch alle Eneohandionen des In- und Auslandes. Das ARCHIV ‚für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond u, Archives, _ erscheint jährlich in 12 Heften ‚von zusammen 66 Bogen mit zahlreichen. in ı den Text eingedruckten Holzschnitten und 25— 30 Tafeln. : 6 Hefte entfallen auf den. anatomischen Theil und 6 auf den. Diysiclo- gischen Theil. Ve Mit dem anatomischen Theil ist die „Zeitschrift für Anatomie a Entwickelungsgeschichte“, *“, welche als selbständiges Organ zu erscheinen aufgehört hat, verschmolzen, in dem physiologischen T'heil kommen auch die "Arbeiten aus dem physiologischen ‚Institut der Universität ea. zur Veröffentlichung, welche seither besonders un Der Preis des Jahrganges beträgt 50: M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Eiliwickelungs geschichte, herausgegeben von His und Braune), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von E. du Bois- ‚Reymond) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der . anatomischen Abtheilung 40 M., der Preis der physiologischen Abtheilung 24 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- N theilungen nehmen alle en des In- und Auslandes entgegen. ee Die a e, Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Plıysiologische Abtheilung. 1581. III. u. IV. Heft. ARUHINV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE | \ FoRSSETZUNG pes von REIL, REIL vw. AUTENRIETH, J. FUMECKEL, JOH. MULLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND usRAUSGEGEBENEN ARCHIVES. | HERAUSGEGEBEN VON Di WITH. HIS uno Dr. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DEE UNIVERSITÄT LEIPZIG, uND Ds. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. J AHRGANG 1881. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. : DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT BÜNRZENK ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZWEI TAFEEN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1881. N. R Zu beziehen dur ch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. : | (Ausgegeben am 18, Juli 1881.) Inhalt. E : Seite Benno Bagınsky, Ueher die Folgen von Drucksteigerung in der Paukenhöhle und die Funetion der Bogengänge . . . 301 L. v. Lesser, Einige Bemerkungen zu dem Aullzabze des 120 Professor Horse. SkyLer über die Veränderungen des Blutes bei Verbrennungen der Haut . 236 ©. LANGENDORFF, Studien über die Innervation der Athembewegungen. Dritte Mittheilung. Ueber periodische Athmung bei Frösehen. '"Theilweise nach Versuchen von Dr. G. Sıerzerr. (Hierzu Tafel IV.) _. ee 2A Ferv. Krug, Beiträge zur Physiologie des: Herzens... -, a 260 GAETANo SaLvioLı, Die gerinnbaren Eiweissstoffe. im Plntserim und a in. der ILymphe des Hundes . . . 269 Fıno, Das Verhalten des Peptons ryitne ı gegen Blnt nd. Kae erh 277 J. Gauue, Die Beziehungen der Cytozoen (Würmcehen) zu den nen (Hierzu Tafek N)... = 297 B. Lonvon, Das Blasenepithel Ba verechledenen Pillunesztistsnden ie Bar . 317 O. LANGENDORFF, Studien über die Innervation der Athembewegungen. Vierte Fe Mittheilung. Periodische Athmung nach Muscarin- und Digitalinvergiftung . 331 M. v. Frey und J. v. Kris, Ueber die Mischung von Spectralfarben . rl Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1880/1831. . . . . 354 H. Kronncker, Ueber die Wirkung des Aethers auf das Froschherz. — & ‘A. Bacınskv, Ueber den Einfluss der Entziehung des Kalks. in der Nahrung - _ und der Fütterung mit Milchsäure auf den wachsenden ‚Organismus. — F. Busch, Das Knochengewebe der Batrachier nach den Untersuchungen von N. KASTscHENKO. — G. Sauomon, Zur Physiologie der Xanthinkörper. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis. | ENE Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune : in Leipzig, beide Königsstrasse 17, “ Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. EE du Bois-Reymond. in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen, ATLANTEN 'von Professor Dr. Wilhelm Braune in Leipzig. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Braune, Dr. Wilhelm, Professor der topographischen Anatomie zu Leipzig, Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchsehnitten "an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt yon C. Scmmmeper. olorirt von F. A. Hauprvockt. Zweite Auflage. ‚33 Tafeln. Mit 49 Holzschnitten im Text. (I u. 56 8.) Imp.-Fol. - 1875. geb. in Halbleinw. _ M. 120. — Mit Supplement: Die Lage des Uterus etc. (s. u.) M. 165. — Topographisch-anatomischer Atlas. Nach. Durch- schnitten an gefrornen Cadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers © topographisch - -anatomischem Atlas mit Einschluss des Supplementes -zu diesem: „Die Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln ın photographischem Lichtdruck. Mit 46 Holzschnitten im Text. (218 8.) - Lex.-8. 1875. in Garten. -M. 30. — — Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der Schwangerschaft. Nach Durehschnitten an gefrornen Cadavern ilustrirt. Nach der Natur gezeichnet und ithographirt von ©. SCHMIEDEL. Colorirt von F. A. Hauprvogkr. Supplement zu des Verfassers topo- sraphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im Text. (4 8) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. M. 45. — .. Auch mit englischem Text unter dem Titel: The position of the uterus and foetus at the end - of pregnancy. Illustrated by sections through frozen bodies. Drawn after nature and lithographed by C. ScHMIEDEL. Coloured by F. A. ». . Hauprvocer. Supplement to the authors Ps -anatom. Atlas. 10 plates. With one woodeut in the text.‘ (4 8.) Imp. -Fol. 1872. ‘in. Mappe. : M. 45. — u — Der m unlehe und werliche Körper im Sagittal- _ schnitte. Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom. . Atlas. 2 schwarze Tafeln in Lithographie. Mit 10. Holzschnitten im Text. (82 8.) 1872. Imp.-Fol. (Text in gr. 8.) in Mappe. M. 10. — Das. Venensystem des menschlichen Körpers. Erste: und zweite Sun, Imp.-4. 1873. cart. M. 20. — Einzeln: I. Abtheilung. Die Oberschenkelvene in erniecher und Elche Beziehung. Zweite Ausgabe. 6 Tafeln in Farbendruck. (28 $.) M.. 10. — I. Abtheilung. Die Venen der menschlichen Hand. Bearbeitet von Wilhelm 2 und Dr. Armin a 4. Tafeln in al sehen Lichtdruck. 2 M. 10. _ Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Preisaufgabe der Fürstlich J ablonowski’ schen Gesellschaft in Leipzig. Für das Jahr 1884 wiederhoh die Gesellschaft die zunächst für 1880 ausgeschrieben, damals aber ohne Bearbeitung gebliebene Aufgabe. Nachdem durch die embryologischen Untersuehungen der letzten J ahre der Nachweis erbracht ist, dass der Körper sämmtlicher Thiere — mit Ausschluss der sog. loan — in ähnlicher Weise aus Keimblättern sich aufbaut, entsteht die Frage, ob der Antheil, welchen diese, Blätter an der Entwickelung der einzelnen Organe und Gewebe nehmen, überall genau der gleiche ist oder nicht; eine Frage, die dann naturgemäss weiter zu der Untersuchung führt,. ob dieser Antheil durch die specifischen Eigen- ER schaften der Keimblätter oder durch anderweitige Momente hbedinst ist. . In Anbetracht der grossen Bedeutung, welche die Entscheidung. dieser : Fragen für die Auffassung der thierischen Organisation hat, wünscht die Gesellschaft eine auf eigene an segsründete Kritik der B. von der Homologie ‚der Keimblätter. Ä Da die zur Betalane dieser Aufeabe nöthigen ee & einen längeren Aufenthalt an der See nothwendig machen dürften, „also ‚ungewöhnliche Kosten verursachen, sieht sich die Gesellschaft veranlasst, den dafür en nn Preis von 700 Mark auf Eu Mark zu erhöhen. | “ Die anonym einzureichenden Bewerbungsschriften sind, wo nicht die Gesellschaft im besonderen Falle ausdrücklich den Gebrauch einer anderen je Sprache gestattet, in deutscher, lateinischer oder französischer 8 Sprache zu verfassen, müssen deutlich geschrieben und paginirt, ferner. 3 mit einem Motto versehen und von einem versiegelten Couvert, begleitet S sein,. das auf der Aussenseite das Motto der Arbeit: trägt, inwendie den » Nanıan und Wohnort des Verfassers angiebt. Die Zeit, der Einsendung endet mit dem 30. November des angegebenen Jahres, und die Zusendung. ist an den Secretär der Gesellschaft (für das Jahr 1881 Prof, Dr. W. Scheibner in Leipzig) zu richten. Die Resultate der, Prüfung der emgegangenen Schriften werden durch die Leipziger ZEN im März oder April des folgenden Jahres bekannt gemacht. | Die gekrönten Bewerbungsschriften werden Eigenthum der Gesellschaft. \ en Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. pe. BEIN gG: | DE 0loulache Abtheilung. 1881. V. Heft. Te er ARCHIV IN ATOMIE UND PHYSIOLOGIE. 5 PonrsnzzunG DES VON REIL, REIE v. AUTHNRIRDE, LE MECKEL, JOH. N MÜLLER, a Bu U, DU BOBS- en HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES, en Re _YoN m WwILH HIS un Da. WILH. BRAUNER, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER\UNIVERSITÄT LEIPZIG, I a NR unn ” De EMIL. DU BOIS- -REYMOND, { | PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. \, EN NN 1881. PHYSIOLOGISCHE ABTHRILUNG. FÜNFTES HEFT. | Ben FÜNF ABBILDUNGEN IM TEXT UND BINER TAFEL. LEIPZIG, a, VERLAG voN VEIT & COMP. 1881. i A Zu, bezichen dur ch edle Buchhandlungen. des In- nd Auslandes,. | R eo (Ausgegeben. ‚am. 20...Oetober .1881.) Mit e einer Beilage von ‚Carl Winter’s Uniyersitätsbuchhandlung in Heidelberg. Inhalt. Seite. Chrıstan Lov£n, Ueber den Muskelton bei elektrischer Reizung sowie über - einige in Zusammenhang damit stehende elektrisch- se Erscheinungen - 363 M. v. Frey, Die Emulsion: des Fettes im Chylus .. „.. 7.2.02, 2... 382 -L. WooLpekıpee, Zur Chemie der Blutkörperchen . . MEN REIST J. Gap, Beobachtungen über die Wirkungen einer Windhöse Re 419 WırueuLm PAnHorr, Ueber die physiologischen Wirkungen des Mothylenehloride Amy Ricuarp Burz, Vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen der Be schen Functionen der Peripherie der Netzhaut . . . . ERLRASeE: S. v. Basch, ‚Die Deutung der plethysmographischen Curve. (Harzı Tafel v. ) .- 446 Verhandlungen der physilologischen Verhandlungen zu Berlin 188018831 . . . 455 Baumann, Ueber Synthesen im Thierkörper. — W. Wourr, Ueber die Inner- vation der glatten Muskeln, über Corneanerven und über sensible Neryen- endigungen. — H. Munk, Zur Physiologie der Grosshirnrinde. — Gwauck, Ueber die Wirkung des Hyoseyamin, — Frırsch demonstrirt ein Gefrierungs- Mikrotom. — Immanuen Muss, Ueber die Oxydation des Phenol beim Pferde, ein Beitrag zur Kenntniss der Oxydation bei den Herbivoren. — H. Kronzerer und 8. Meutzer, Ueber den Schluckaet und die Role der Cardia bei demselben. — Gwauck, Ueber die Unterschiede der Wirkungen des Hyoscyamin und des Atropin. — J. Sanpsr, Ueber die Bestimmung der eirenlirenden Blutmenge im lebenden Thiere. — Marrıvs, Ueber die Ernährung des Froschherzens. I: Die Herren oz erhalten vierzig Separat - Abzüge np Bei- träge gratis. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor. Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Leipzig, beide Königsstrasse 17, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 18,0% ee) portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzsehnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern’ beizulegen. Bestehen die Zeich-, nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. ATLAN TEN Professor Dr. Wilhelm Braune in Leipzig. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. "Braune, Dr. Wilhelm, Professor der ns ohichn Anatomie zu Leipzig, Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von 0. ScHMIEDEL. Colorirt von F.A. HAUPTVOGEL. Zweite Auflage, - 33 Tafeln. Mit 49 Holzsehnitten im Text. (I u. 56 S.) Imp.-Fol. 1875. geb. in Halbleinw. M. 120. — Mit Supplement: Die Lage des Dieres eie..(8..u.)..M. 165. — Topographisch - anatomischer Atlas. Nach Dureh- ‚schnitten an gefrornen Cadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers . topographisch - - anatomischem Atlas mit; Einschluss des Supplementes zu diesem: „Die Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln in _ photographischem Lichtdruck. Mit 46 Holzschnitten im Text. (218 S.) Lex.-8. 1875. in Carton. i - »M. 80. — 2. Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der “= See neergchafl, Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern illustrirt. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von Ü.SCHMIEDEL. - Colorirt von F. A. Hauprvoger. Supplement zu des Verfassers topo- . . graphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im Text. (@&8.) Imp.-Pol. 1872. in Mappe. -&.M. 45. — - Auch mit englischem. Text unter dem Titel: The position of the uterus and foetus at the end dr pregnancy. Illustrated by sections through frozen bodies. Drawn ‚after. nature and lithographed. by C. Scrmeper, Coloured by F.A. Hauprvoger. Supplement to the authors topograph.-anatom. Atlas, 10 plates. With one woodent in the nn @ I Imp.-Fol. 1872. ‘in Mappe. M. 45. — Der männliche und weibliche Körper im Sagittal- 'schnitte. Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom. Atlas. 2 schwarze Tafeln in Lithographie. Mit 10: Holzschnitten im -Text. (32 8.) 1872. Imp.-Fol. (Text in gr. 8.) in Mappe. M. 10. — Das Venensystem des enschlichen Körpers. Erste und zweite Abtheilung. Imp.-4. 1873. cart. M. 20. — Einzeln: L Abtheilung. Die Öbedıeikebiene in auatomischer und klinischer Beziehung. Zweite Ausgabe. 6 Tafeln in Farbendruck. (28 S.) M. 105 II. Abtheilung. Die Venen der menschlichen Hand. Bearbeitet von Wilhelm en und Dr. Armin Trübiger. 4 Tafeln in een Lichtdruck. 20 M.10. — Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Das für Be Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Kiiges erscheint jährlich ın 12 Heften von zusammen 66 Bogen mit zahlreichen in den Text eingedruckten Holzschnitten und 25—30 Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf physiolo- gischen Theil. Sn Mit dern anatomischen Theil ist die „Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte‘, welche als selbständiges Organ zu erscheinen aufgehört hat, verschmolzen, in dem physiologischen Theil kommen auch die Arbeiten aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig zur Veröffentlichung, welche seither besonders erschienen. Der Preis des Jahrganges beträgt 50 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von. His und Braune), sowie-auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von E. du Bois- -Reymond) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 M., der Preis der Bee Abtheilung 24 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie, auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die. Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Physiologische Abtheilung. 18SS1. VI. Heft. e ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. -FORTSKTZUNG Des von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, - REICHERT v. DU BOIS-REYMOND uuRAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN RE VON x Ds. WILH. HIS uno Da. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER. ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, DT UND : Dı. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. - JAHRGANG 1881. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. SECHSTES HEFT. MIT FÜNF ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIER TAFEEN.- A 3 : LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1881. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 23. December 1881.) Imnhallı. > a ‚Seite LUDWIG a Die Bedeutung der Zwerchfellseontraction für die respi- ratorischen Blutdrueckschwankungen. (Hierzu, Tafel VII—IX.) AL BRAD B: ; Anker, Die Aufsaugung im: Magen des Hundes „an se ar or Osara, Die Zerlegung neutraler Fette im lebendigen Magen 4... u 2 09 ©.. LANGENDORFF, Studien über die Innervation der Athembewegungen. et -Mittheiluzg. Ueber Reizung des verlängerten Maärkes. Unter oo - von F. GÜRTLER. . (Hierzu Tafel DO ne a u JOHANNES GAD, Ueber die Abhängiekeit der Athemanstrengung vom Nervus vagus 538. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1880-1881 . . ... 553 2 Hzrmann Müung, Ueber Erregung und Hemmung. — €. Wernickz, Ueber einen Fall von secundärer Degeneration. — F. Busen, Ueber die von Wallace mit dem Namen Mimiery bezeichnete Erscheinung. — Bunxo Bacınsky, Ueber Untersuchungen des Klemhirns. — €. PRIEDLÄNDER, Ueber Typhusbaeillen. — ' JoHannes GaD, Ueber die genuine Natur refleetorischer Athemhemmung. — H. KronsckerR, Ueber die Fähigkeit der Milch, Muskeln leistungsfähig. zu machen.; — K, BRAnDr, Ueber das Zusammenleben von Thieren und Algen. — H. L. SchöLzr, Ueber ein neues Refractions-Ophthalmoskop. A - Sprachliche Bemerkung, Vom Herausgeber 2 2. 05 zen ee 57T Bemehtismmsen > a, Ne en Sen Sek re BI.) Die Herren Mitarheiter erhalten vierzig 'Separat- Abzüge ihrer Bei DE träge Era: Beiträge für. die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Jeipzig, beide Königsstrasse 17, Beiträge für ‘die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Reymond TE \ in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, ” N BIN portofrei einzysenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind ' auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Knpferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen, ATLANTEN . Professor. Dr. Wilhelm Braune in Leipzig. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Braune, Dr. Wilhelm, | Professor der.topographischen Anatomie zu Leipzig, at Topographisch- anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt‘ von €. Schmrsepen. Colorirt von F\ A, HADPTVoGEL. Zweite Auflage, 33 Tafeln. Mit 49. Holzschnitten im Text. eur u. 56 8.) Imp.-Pol. a ‚1875. geb. in Halbleinw. | M. 120. — Mit ‚Supplement: Die Lage des Uterus ete. (s. u.) M. 165, — -— — Topographisch- anatomischer Atlas. Nach Durch- echnitten an geftornen Cadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers topographisch - -anatomischem Atlas mit Einschluss des Supplementes zu diesem: „Die Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln in . photographischem Lichtdruck. Mit 46 Holzsehnitten im. Text. (218 8.) “ bex.-8. 1875. in Carton. \ .M. 80. — =. Die Lage des Uterus und. Foetus am Ende der : : Schwangerschaft. Nach Durchschnitten an eefrornen Cadavern - illustrirt. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von. SCHMIEDEL. - Colorirt von F. A. Hauprvoger. Supplement zu des Verfassers topo- " graphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im Text. (4.8) Imp-Eol. 1872. in Mappe, | Mi | ‚Auch mit enelischem Text unter dem Titel: 2.2 The position of the uterus and foetus at the bnd ‘of pregnancy. Illustrated by sections through frozen bodies. Drawn äfter nature and lithographed by C. Scummsper. Coloured by F. A. HauPprvoskr. Supplement to the authors topograph.-anatom. Atlas. 10 plates. With one woodent in er ut (4 S.) Imp.-Fol. 1872. aM IR M. 45. — Der iännliche und weihliche Karper im Sagittal- _ schnitte. Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom. Atlas, 2 schwarze Tafeln in Lithographie. Mit 10 Holzschnitten im =; Text. ‘(82 8.) 1872. Imp: -Fol. (Text. in gr. 8.) in Mappe. M. 10. — .Das Venensystem des menschlichen Körpers. Be Kiste und zweite Abtheilune. a -4. 1873. cart. M. 20. — Einzeln: I. Abteilung. Die Oliersehenkdivene in oe und klinischer Beziehung. Zweite Ausgabe. 6 Tafeln in Farbendruck. 288.) M. 10. — ee % > Abtheilung. Die Venen der menschlichen Hand. Bearbeitet von Wilhelm es "und Dr. Annin ‚Telbigen eh in photographischem. Lichtdruck. (20 8 AL 10, Zu beziehen dureh alle ‚Buchhandlungen des In- und Auslandes. ARCHIV für ANATOMIE UND. PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften von zusammen 66 Bogen mit zahlreichen in den Text eingedruckten Holzschnitten und 25—30 Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf- den physiolo- . gischen Theil. Br: Mit dem anatomischen Theil ist die „Zeitschrift für Anatomie und : Entwickelungsgeschichte“, welche als selbständiges Organ. zu Ä erscheinen aufgehört hat, verschmolzen, in dem physiologischen Theil kommen auch die Arbeiten aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig zut Veröffentlichung, welche seither besonders an. Der Preis des Jahrganges beträgt 50 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und rich Auges geschichte, herausgegeben von His und Braune), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von E. du Bois-Reymond)- kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 M., der Preis der physiologischen Abtheilung 24 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle "Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlaishuchhandiuier 92 Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzie. KR INN N Ira] ht x URL m N ER EN \ we Fr N ; io NE Aula Arme Bookbinding Co., Inc. 300 Summer Street Boston, Mass. 52210 nun N 3 2044 093 332 781 FF —— tar h 1% s Pe eat iyar DRS EAN) s ER KR 34a B a f Eng » Fig ® PRERRIEN ER R EZ . 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