Un we r 3 \s, k eat * NN 3 DM n Me v \ NREN, A x rt s N ERW, Ve a EAN N DRS N A u vr ri AN, N, NR : N vi A N na Nachh j i } f ; AN Um ba eN N WONG ' N Y Nusnt Rh N A: ch ak are f ‚ \ LANE ya ah Sant : R AN AN, KENN UT RNE N WIRSOEN » LBS SR. v0. ERCRN TE TUR. ry NN RN I» x ir \ L« [2 x RE un y r a vr Y; % nn RANK Ri \ RN AMA,N NR N j NR NR REN, N Rd AUT \ NEN AN ir % N BR ni‘ N \ a: \ 13 Are Al \ KENN \ “ 2 Rn . A Li . B ’ t on. EN \ von N i % 45 De PIE BREE W EC) Library of tbe Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. Zounded by private subscription, in 1861. ALNNNN.N.NG AN Deposited by ALEX. AGASSIZ. // No. 7388 Bei; v/o ad, BL / 790 _ Ach. 2; /89, / / A REN N RR | N u " ut [g WERE KR rt F Du E MAN. nun Yin Ha ÜANNRFERN - ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG Des von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES, HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILH. HIS uno Da. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1890. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMT. 18590. En nn ARCHIV BEEYSIOLOGLE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dz. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1890, “Ann ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIER TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. m1890, Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt. G. Hürner, Ueber das Gesetz der Dissociation des Oxyhaemoglobins und über einige daran sich knüpfende wichtige Fragen aus der Biologie. 3 . Hürner, Ueber die Bedeutung der in der vorigen Abhandlung vorgetragenen Lehre für die Spectroskopie und Photometrie des Blutes . M. v. Frey und L. Kreat, Untersuchungen über den Puls AngELo Mosso, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Untersuchungen an Muskeln des Menschen LEE nei abe AR Al ARNALDO MaAGGIoRA, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Untersuchungen an Muskeln des Menschen . „, ‚W. v. SOBIERANSKI, Die Aenderung in len Kigenschaften ds Silnskohnesuan ui dem Wärmegrad. (Hierzu Taf. I.) . : G. SAanDMAnn, Zur Physiologie der Bohlen (Elieran Taf, IL). ; ALEXANDER ÖBREGIA, Ueber Augenbewegungen auf Sehsphaerenreizung ELLENBERGER und HOoFMEISTER, Die Verdauung von Fleisch bei Schweinen . RupoLr ARNDT, Ueber das Varurı-RıttTer’sche Gesetz ee : R. NıcorA1ıDes und C. Merissınos, Untersuchungen über einige Haken und et nucleare Gebilde im Pankreas der Säugethiere auf ihre Beziehung zu der Secretion. (Hierzu Taf. III.) W. LAskA, Ueber einige optische rinnen P. v. WALTHER, Zur Lehre von der Fettresorption ; ARNALDO MaGGIoRA, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Nachteas Worcorr Gısgs und H. A. HaArE, Systematische Untersuchung der ne constitutionell verwandter chemischer Verbindungen auf den thierischen Organismus. (Fortsetzung.) M. SIEGFRIED, Ueber Haemoglobin . : AususT GÜRBER, Untersuchungen über die chen mg lan Eure tidine und verwandter Körper und deren Beziehungen zu ihrer chemischen Constitution. (Hierzu Taf. IV.) \ Justus GAuLE, Beziehungen zwischen Mole enlarse wicht SMoldonlaretmietur und physiologischer Wirkung 1 ; A. Stosse, Der Harn nach dans der ei Danmartenien ; W. BECHTEREwW, Ueber die Erscheinungen, welche die Drmeikelingiskne fe Hinterstränge des Rückenmarkes bei Thieren herbeiführt und über die Be- ziehungen dieser Stränge zur Gleichgewichtsfunction Seite 489 VI InHALT H. P. Bowpitca, Ueber den Nachweis der Unermüdlichkeit des Säugethiernerven Leo BREISACHER, Untersuchungen über die Glandula thyreoidea . J. Gap und J. F. Heymans, Ueber das Es die en und togelellosran Nervenfasern . Justus GAULE, Ueber de rlkndahen. von Fett in dan Zellen ml is dadurch bedingten histologischen Bilder Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1889-90: Hans VırcHow, Ueber die Augengefässe der Selachier und die Verbindung der- selben mit den Kopfgefässen i R. Schneiper, Verbreitung und Bedeutung ion sa im ankmellischen Org oratisan Ren# pu Boıs-ReymonD, Ueber die gestreiften Muskeln im Darm der Schleie H. VırcHow, Ueber die Spritzlochkieme der Selachier , s Mösıus, Demonstration von Praeparaten des Schallapparates von N nefaies acu- leatus L. : G. Fritsch, Ueber das nnmerische ohelikass de eltern im opus eleetrieus der Torpedineen zu ihren peripherischen Endorganen . Ä A. Wauter, Ueber die den Puls begleitende elektrische Schwankung des Herzen O. LiEBrREIcH, Ueber die physikalische Function der Schwimmblase bei Fischen OÖ. LieBreicH, Ueber das Lanolin und den Nachweis der Cholesterinfette beim Menschen 5 : HansEmAnN, Ueber ne nen in N hekallan ; N. Zuntz, Ueber die Einwirkung der Muskelthätigkeit auf den Stöffverbrauch des Menschen. ImmAnveL Munk und kam, Tabs: Demos ont Hacı Beobachtungen an einer Lymph(chylus-)fistel beim Menschen GOLDSCHEIDER, Ueber die Empfindlichkeit der Gelenkenden . E. SALKowskı, Ueber fermentative Processe in den Geweben ImmAanuEL Munk, Ueber Muskelarbeit und Eiweisszerfall.. W. Cowz, Ueber Blutwellenzeichner A. Braschko, Weiteres zur Architektonik der Olbaskna nach Vaters han des Hrn. J. Loewy . O. HAGEMAnN, Ueber ne el ir Swan gerecht "ind de Lactation ImmAntvEL MünK, Wels zur bchte von \ do: Shaltune und Barmen der Fette Gap, Ueber blutcapillarhaltiges Epithel . L. BLumenav, Zur Entwickelung des Balkens . Hans VırcHaow, Ueber Spritzlochkieme von Acipenser ai ie eramnlung nt den Kopfgefässen Gap, Ueber Athemreflexe von dan. arme analhan nich Wosadien is hs Zn aus Neapel 505 509 530 Ueber das Gesetz der Dissociation des Oxyhaemoglobins und über einige daran sich knüpfende wichtige Fragen aus der Biologie. Von G. Hüfner. I. Experimentelle Ergebnisse. Wenn man eine Lösung frisch dargestellter Blutkrystalle in einem geeigneten Gefässe mit einem sehr sauerstoffarmen Gasgemische oder gar mit reinem Stickstoff schüttelt, so tritt jedes Mal eine grössere oder ge- ringere Sauerstoffmenge aus der Lösung in das Gasgemisch oder zum Stickstoff über. Diese Menge zeigt sich von der Concentration, dem Vo- lumen und der Temperatur der Lösung, sowie von dem Drucke des Gases abhängig und ist eine derartig begrenzte und bestimmte, dass sie, auch wenn noch reichliche Quantitäten unzersetzten Oxyhaemoglobins vorhanden sind, doch durch noch so langes Schütteln nicht weiter vermehrt wer- den kann. Schon während meiner ersten! Untersuchung über den Gegenstand fiel es mir auf, dass die Sauerstoffabgabe und folglich die Dissociation des Oxyhaemoglobins im einzelnen Versuche bereits stille steht, wenn der Partiardruck des Sauerstoffs im Gasgemische noch äusserst gering, dagegen die Menge des unzersetzten Oxyhaemoglobins eine im Verhältnisse dazu noch ziemlich bedeutende ist, oder, wie ich mich damals ausdrückte, „dass die Dissociatior schon aufhört, wenn die Zahl der in einem gegebenen Momente in das Wasser der Lösung ein- oder, was dasselbe ist, aus ihm austretenden Sauerstoffmolecüle eine minimale ist gegenüber der Menge derjenigen, welche sich im selben Momente noch in lockerer Verbindung mit dem Haemoglobin der Lösung befinden.“ ı Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. VI. S. 109. Archiv f. A. u. Ph, 1890. Physiol. Abthlg. 1 2 G. Hürner: Offenbar strebt die Dissociation des Oxyhaemoglobins, wie alle Disso- ciationsvorgänge überhaupt, einem Gleichgewichtszustande zu, und zwar gehört sie zu denjenigen unter ihnen, für deren Gleichgewichtszustand als allgemeiner Ausdruck die Gleichung gilt: Gusı @O unus 2 Se Re er) worin « die in der Volumeinheit enthaltene Menge unzersetzter Substanz, u, und z, die Gewichtsmengen der beiden Zersetzungsproducte und € und C, zwei Constanten bedeuten, die man bekanntlich als Geschwindigkeits- coöfficienten bezeichnen kann.! Während nun aber in unserem Falle das Zeichen « selbstverständlich die ganze nach Eintritt des Gleichgewichts- zustandes noch vorhandene Menge Oxyhaemoglobin und ebenso eines der beiden Zeichen x, oder w,, sei es z. B. «,, das gesammte während des Schüttelns entstandene Haemoglobin (sauerstofffreier Farbstoff) bedeutet, wird man dagegen unter «, nicht die Gesammtmenge des durch Disso- ciation freigewordenen Sauerstofis verstehen dürfen, sondern nur denjenigen Antheil desselben, der unter dem bestehenden Partiardrucke und bei der herrschenden Temperatur noch in dem angewandten Flüssigkeitsvolumen gelöst bleibt: denn chemisches Gleichgewicht besteht ja zunächst nur zwischen den in der gleichen Einheit des Raumes, d. h. hier: in der Volum- einheit der Lösung bei einander befindlichen „wirksamen Massen“ der ver- schiedenen Stoffe. Nun ist die absorbirte Sauerstoffmenge z, durch die Gleichung be- stimmt: ine ee Wr Rare 1a na Ukle) d. h. durch das Product von Absorptionscoöfiicient, &s (gültige für die herrschende Temperatur 9), Volumen der Lösung, U, und Partiardruck des Sauerstoffs, nl Wenn daher in einer Reihe von Versuchen Tempe- ratur, Volumen und Qualität der Lösung stets die gleichen bleiben, wäh- rend der Druck varürt, so werden Schwankungen der absorbirten Sauer- stoffmenge nur noch vom Drucke allein abhängen und man wird desshalb für «, in solchem Falle die ihm proportionale Grösse p, setzen dürfen, so dass die Gleichgewichtsgleichung nunmehr lauten wird: Y Y ea Cm oder, wenn man weiter für « und «, noch die leichtverständlichen Zeichen h,, bez. h,, und für a das Zeichen = einführt, ho re h.Po =N1 : . Ö . . « . . . e ( ) ! Siehe Ostwald, Zehrbuch der allgem. Chemie. Leipzig 1887. Bd. 11. 8. 671. ÜBER DAS GESETZ DER DissoCIATION DES ÜXYHARMOGLOBINS. 3 Damit ist aber die gesuchte Beziehung zwischen Grösse der Dissociation und Partiardruck des Sauerstoffs direct gegeben. Man braucht also nur noch durch eine Reihe von Versuchen, in denen Ay, /. und p, sicher be- stimmbare Grössen sind, den Werth von x ein für alle Male festzustellen, um hinterdrein für jeden möglichen Werth von A, und p, sogleich be- rechnen zu können, wie gross dabei A,, d. h. wie viel Blutfarbstoff jedes Mal in sauerstofffreiem Zustande zugegen ist; — vorausgesetzt natürlich immer, dass die Temperatur in allen Fällen die gleiche bleibt, wie in den Grund legenden Versuchen. Zur Feststellung der Grösse x habe ich eine Anzahl von Versuchen durchgeführt, theils mit schwach alkalischen Lösungen frisch dargestellter Ochsenblutkrystalle, theils mit eben solchen Lösungen frischer Ochsenblut- körperchen, die mit Hülfe der Centrifuge isolirt worden waren, und zwar unter Anwendung des bereits früher! von mir beschriebenen Apparates. Als Versuchstemperatur wählte ich eine solche von ungefähr 35° (., und als Gas, mit dem die Lösungen in den einzelnen Versuchen geschüttelt wurden, nicht sauerstoffarme Gasgemische, sondern reines Stickgas, um die Dissociation recht ergiebig, die jedes Mal ausgeschiedenen Sauerstoffimengen also möglichst gross und einer genauen Messung zugänglich zu machen. Dagegen wurde in jeder der einzelnen Versuchsreihen die Concentration der Lösung variirt. Es geschah dies, um zugleich die Grösse des Einflusses zu ermitteln, den die Stärke der Verdünnung auf den Umfang der Disso- ciation ausübt. Da das eingeschlagene Verfahren dasselbe war wie in den Tensions- versuchen, die ich früher ? beschrieben, so stelle ich im Folgenden ohne Weiteres die einzelnen Beobachtungsdaten in Tabellen zusammen und er- läutere vorher nur noch den Sinn der angewandten Bezeichnungen. U bedeutet das angewandte Flüssigkeitsvolumen, % die am Anfange eines jeden Versuches darin enthaltene Gewichtsmenge Oxyhaemoglobin,? c die Concentration der Lösung, d. h. die in 1m derselben enthaltene Gewichtsmenge fester Substanz, p, den nach Eintritt des Gleichgewichts- zustandes herrschenden Partiardruck des Sauerstoffs und 7 das von der Lösung abgegebene Sauerstoffvolumen. » und v’ sind die zu Anfang, bez. zu Ende jedes Versuches in dem Volumen U der Lösung bei einer Temperatur von 35° C. absorbirt enthaltenen Sauerstoffmengen; » für einen Sauerstoffdruck von 153" (d. h. den mittleren Partiardruck von Tübingen), ® v' für den jedesmaligen Druck p, berechnet. Der Absorptionscoöfficient 1! Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. Xil. 8. 568—584. "A.2.0. ® Siehe hierüber die Bemerkungen auf 8. 9 und 11 ft. * Es sei hier ausdrücklich bemerkt, dass die Lösung unmittelbar vor Anfang jedes ne 4 G. Hürner: des Sauerstoffs für das Lösungswasser ist dabei — was wohl mit ziemlicher Annäherung richtig sein dürfte — gleich dem Absorptionscoöfficienten desselben für reines Wasser, also für die Temperatur von 35° C. gleich 0.02546 gesetzt.! — h, bedeutet die Menge des während des Versuches entstandenen reducirten Haemoglobins. Diese Menge wurde jedes Mal ver- mittelst der Gleichung: EV Eee) A oO gefunden. Die Grösse o bezeichnet hier die Sauerstoffmenge in Cubikeenti- metern, welche von 18” Rinderhaemoglobin locker gebunden wird. Ihr Werth ist vorläufig auf Grund mehrerer Analysen, welche einen Procentgehalt des Körpers von 0-35 an Eisen ergaben, zu 1-38 angenommen.” Der Aus- druck V/— (v—v’) ergiebt sich aus der Betrachtung, dass das während des Schüttelns mit Stickgas abgegebene Sauerstoffvolumen / aus zwei Antheilen besteht, wovon der eine von zersetztem Oxyhaemoglobin, der andere von bloss physikalisch absorbirt gewesenem Sauerstoffe herrührt. Die Grösse des letzteren entspricht aber dem Druckunterschiede 153 — 2, ist also durch die Differenz » — v’ direct gegeben; folglich gilt auch für den vom dissocürten Oxyhaemoglobin stammenden Antheil der Ausdruck V— w— ev). Alle Drücke sind in Millimetern Quecksilber, die Gewichtsmengen in Grammen, die Volumina in Cubikcentimetern ausgedrückt; die Gasvolu- mina, wie üblich, redueirt auf 0° und 760 "m Druck. Versuche mit Lösungen frisch dargestellter Ochsenblutkrystalle. Die Krystalle waren zuerst ausgeschleudert, dann in der Kälte auf Trockenplatten abgesaugt und endlich in !/,.-procentiger Natronlauge ge- löst worden. Tabelle 1. Versuchs- ? ; nummer (ge | /6 c | Do | v (0) | v r- w—v) A, 1 17:63 9:18 0:-1182 10-50 2:57 | 0-4010 0-.02752 2:19562 1:590 2 — /4:59| 0-0591 | 8-12] 1-96 _ 0:02129 1-58029 1°145 3 — 1/2-75| 0:0354 | 6:92] 1:64 — 0-01814 1°25714 0-911 Versuches nochmals tüchtig bei einer Temperatur von 35° C. mit atmosphaerischer Luft geschüttelt wurde. ! Siehe die der Abhandlung als Anhang beigegebene Tabelle. ® Ueber die Bestimmung der Grösse o siehe die Bemerkung auf 8. 16 ff. ö N ‚) f j i ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES ÜXYHAEMOGLOBINS. 5 Versuche mit Lösungen ausgeschleuderter Ochsenblutkörperchen. Tabelle II. Versuchs- ; ; ammer U h c 2, v v v V—(@w—v) A, 1 77:63 19-43] 0:2503 11496 3:58 | 0:4010 | 0-03921 3:2182 2:33 2 — 9:71) 0-1252 |11-82| 2-76 — 0-03098 2:3900 1:73 3 — 6°48| 0-0834 | 9-32] 2:19 — 0:02443 1:°8134 1:31 4 —_ 4:86 0-0626 | 8-81| 2-04 — 002309 1:6621 1-13 5 _ 3:56| 0:0458 | 7:44| 1:73 — 0:01950 1°3490 0:97 In diesen Tabellen soll, wie oben bemerkt, % immer diejenige Menge Oxyhaemoglobin bedeuten, die im Anfange jedes Versuchs zugegen war. Dabei ist zunächst noch angenommen, dass sämmtlicher Farbstoff einer an der Luft befindlichen und mit ihr gesättigten Lösung überhaupt stets nur in der Form von Oxyhaemoglobin vorhanden sei.! Gleichung (3) verlangt nun die Kenntniss derjenigen Gewichtsmenge Oxyhaemoglobin, welche nach Eintritt des chemischen Gleichgewichtes noch übrig ist. Da das Mole- culargewicht des Sauerstoffs im Verhältnisse zu demjenigen des Haemo- globins erstaunlich klein ist, so darf man die Moleculargewichte des Haemo- globins und des Oxyhaemoglobins für praktische Zwecke unbedenklich als gleich annehmen,? und desshalb in Gleichung (3) für A, den Ausdruck h—h, einsetzen. Thut man dies, so erhält man für x folgende in den beiden kleinen Tabellen III und IV zusammengestellte Werthe. Diejenigen von Tabelle III sind aus den Daten von Tabelle I, die von IV aus den Daten der Tabelle II berechnet. Tabelle II. Lösung von Krystallen. Versuchs- h nummer * 1 0:1182 0-4548 2 0:0591 0:3705 3 0:0354 0:2919 ! Vergleiche über diese Voraussetzung die Bemerkungen auf S. 9, 11 und 12. ® Einem Procentgehalte von 0-35 an Eisen entspricht das Moleculargewicht 16000. Der Unterschied zwischen 16000 (Haemoglobin) und 16032 (Oxyhaemoglobin) beträgt aber nur 0-2 Procent. 6 G. Hürner: Tabelle IV. Lösung von Blutkörperchen. Versuchs- > i nummer “ 1 0-2508 | 0-4905 2 01252 0:3902 3 0-0834 0-4234 4 0:0626 | 0.3745 5 0-0458 0:3587 Wie man sieht, mächt sich nicht nur in jeder einzelnen der beiden Tabellen eine sehr deutliche Beziehung zwischen x und c geltend, sondern die Resultate beider Versuchsreihen bestätigen und ergänzen sich auch gegenseitig in der Weise, dass sie sich — mit Ausnahme nur von Versuch 2 in Tabelle IV — ohne Zwang in eine einzige Reihe einordnen lassen; — ein Beweis zunächst dafür, dass zwischen dem Verhalten einer Lösung frischer Blutkrystalle und demjenigen einer Lösung von Blutkörperchen in Bezug .auf die Sauerstoffabgabe keinerlei Unterschied obwaltet. Tabelle V giebt sämmtliche Resultate in einer einzigen Reihe vereinigt. Tabelle V. c IR 0-2508 | 0.4905 (0.1252) (0-3902) 0.1182 0.4548 00834 0-4234 0-0626 0-3745 0-0591 0-3705 0-04558 | 0.3587 0-0354 | 0.2919 Es wird sich aus dem Späteren! ergeben, dass die hier aufgeführten x-Werthe, weil unter einer falschen Voraussetzung berechnet, sämmtlich noch etwas zu gross; es wird alsdann aber gleichzeitig gezeigt werden, auf welchem Wege sehr annähernd richtige Werthe von x zu erhalten sind. Ein Blick auf die Gleichung (5) h o —— un Rh, Po lehrt ohne Weiteres, dass, wenn bei abnehmendem Gehalte der Lösung an dissociabler Substanz auch x kleiner und kleiner wird, dies nur daher rühren ! Siehe die Anmerkung auf 8.11. ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES ÜXYHAEMOGLOBINS. 7 kann, dass die Dissociation mit steigender Verdünnung der Lösung zunimmt. Diese Erscheinung, die in vollkommener Uebereinstimmung ist mit dem, was die Physikochemiker neuerdings als für gelöste BElektrolyten gültige Regel hingestellt haben, wird in der That besonders bemerklich, sowie man berechnet, wie viel Procente der ursprünglich vorhandenen Oxyhaemoglobin- menge in jedem einzelnen der hier besprochenen Versuche zerfallen sind. Die so berechneten Werthe findet man unter der Bezeichnung y in der folgenden Tabelle, in welcher die einzelnen Versuche nach der Concentra- tion der Lösungen geordnet sind und in welcher die Zeichen U, A, ce und h, ihre frühere Bedeutung haben. Tabelle VI. U h € h. Y 77-63 19-43 0-2503 2.33 | 11-99 > 9.71 0-1252 ou, |" AescR =; 9.18 0-1182 1-59 | 1933 a 6-48 0-0834 1631 20-22 ur 4:86 0-0626 1-13 23-25 zu 4:59 0-0591 1-14 24-84 Dr 3.56 0-0458 0-97 27-25 — 2.75 0-0354 0-91 33-09 . Aus vorstehender Tabelle ergiebt sich nun in der That, dass die Menge der dissoclirten Theilchen mit wachsender Concentration der Lösung absolut allerdings zu-, relativ dagegen abnimmt; und zwar erkennt man weiter auch noch eine mathematisch definirbare Beziehung zwischen der Grösse h, des dissociirten Bruchtheils 7 und derjenigen von Ah, das ist: der Gesammt- menge des jedes Mal im gleichen Flüssigkeitsvolumen V ursprünglich enthaltenen Oxyhaemoglobins, oder was dasselbe ist, der Stärke der Concentration. Es A Eau Be ist nämlich En gleich einer Constanten, ©, dividirt durch die Quadratwurzel Deal: P aus h, oder, wenn man für u seinen hundertfach grösseren Werth, d. h. die dissoeiirten Procente — ich will den Werth, wie in Tabelle VI, y nennen — und für Yr die Quadratwurzel aus c einsetzt, so ist C A a Berechnet man C für jedes Paar zu einander gehöriger Werthe von z und ce der vorigen Tabelle, so erhält man als Mittel die Zahl 6.003; und bei Anwendung dieser letzteren und bei Einführung der einzelnen c-Werthe in Gleichung (5) gewinnt man endlich eine Reihe von Werthen für y, die 8 G. Hürner: ich zugleich mit den Reihen der zugehörigen c- und der direct gefundenen y-Werthe in der folgenden Tabelle wiedergebe. Tabelle VI. N Dissociirte Procente Concentration gefunden | berechnet 0:2503 11-99 12:00 0:1252 17:82 16-97 0:1182 17:33 17-46 0:0834 20:22 20-79 0:0626 23-25 23:99 0:0591 24:84 24:69 0:0458 27-25 28-05 0:0354 33-09 31-91 Gleichung (5) besitzt indessen nur eine beschränkte Gültigkeit; denn nach der unteren Grenze der Concentration hin wird das nach ihr berech- nete y unmöglich. Wenn dagegen nach wachsendem ce hin beliebig weit extrapolirt werden darf, so sagt sie aus, dass selbst die concentrirtesten Lösungen, wenn auch sehr viel weniger, doch immer noch Sauerstoff an das Vacuum abgeben. Hiermit stimmt eine Beobachtung Hoppe-Seyler’s! überein, wonach selbst ein Brei von Oxyhaemoglobinkrystallen beim Evaecuiren noch Sauerstoff liefert, allerdings aber auch weniger als eine vollkommene Lösung von gleichem Gehalte an trockener Substanz. II. Physiologische Folgerungen. Die vorliegenden Ergebnisse und vor Allem ihre Uebereinstimmung mit den Forderungen der allgemeinen Dissociationstheorie dürften geeignet sein, Klarheit in gewisse, bisher ziemlich dunkle biologische Erscheinungen zu bringen, die nothwendig mit der Dissociation des Oxyhaemoglobins zu- sammenhängen. Sie dürften zunächst aber auch dazu dienen, manche der Widersprüche zu lösen, die bisher nicht nur zwischen den Beobachtungen ver- schiedener Forscher, welche sich mit der Frage nach der sogenannten Ten- sion des Blutsauerstoffs beschäftigt haben, sondern hin und wieder sogar zwischen den Angaben eines und desselben Beobachters über diesen Gegen- stand zu bestehen schienen. ‘ Hoppe-Seyler, Physiologische Chemie. Berlin 1881. 8. 381. ÜBER DAS GESETZ DER DissocIATIOoN DES OXYHAEMOGLOBINS. 9 1. Folgerungen aus dem Satze vom chemischen Gleichgewichte. A. Versuche Christian Bohr’s. Gleichung (3), wonach en sagt für’s erste aus, dass, solange x einen endlichen Werth besitzt, h, unter keinem Drucke = 0 werden kann, dass also eine gegebene Menge gelösten Blutfarbstoffs unter keinem noch so hohen Sauerstoffdrucke aus lauter Oxyhaemoglobin bestehen kann, sondern dass jede Lösung desselben immer und alle Zeit einen, wenn auch noch so geringen, Bruchtheil sauerstofffreien Farbstoffs gleichzeitig enthalten muss. Dasselbe gilt natürlich auch vom frischen defibrinirten Blute, das sich ja nach meinen früheren Ver- suchen! in Bezug auf die Dissociation seines Oxyhaemoglobins durchaus nicht anders verhält, als eine Lösung frisch dar- gestellter reiner Krystalle. Es folgt daraus weiter, dass, wenn Blut unter irgend einem Drucke Sauerstoff aufgenommen hatte, so lange bis der durch die Gleichung aus- gedrückte Gleichgewichtszustand erreicht war, dieses Gleichgewicht sofort wieder gestört werden muss, sobald das Blut mit Luft von anderem Par- tiardrucke des Sauerstoffs in innige Berührung kommt. Ist z. B. Blut erst unter dem normalen Sauerstoffdrucke unserer Atmosphaere (= 159.3 ==) bis zur Herstellung des Gleichgewichtes mit Sauerstoff „gesättigt“? worden, so muss es, wenn es unmittelbar darauf mit Sauerstoff von geringerem Drucke, etwa von 140 mm in Wechselwirkung tritt, Sauerstoff nach aussen abgeben; und wenn das Gas, mit welchem es in Berührung kommt, nicht die ganze freie Athmosphaere ist, sondern selber nur ein kleines und beschränktes Volumen besitzt, so wird in diesem in- folge der Sauerstoffaufnahme aus dem Blute der Sauerstoffdruck so lange steigen, bis wieder den Bedingungen des Gleichgewichtes (zwischen diesem Drucke und dem Sauerstoffgehalte des Blutes) genügt ist, — und ebenso umgekehrt. Natürlich ist bei diesen sehr einfachen Folgerungen immer die Voraus- setzung festgehalten, dass das Blut während des ganzen Vorganges 1. nicht seinen Farbstoffgehalt, 2. nicht seine Temperatur und 3. nicht seine chemische Beschaffenheit ändert, — unter welch’ letzterer Bedingung vor allen Dingen zu verstehen ist, dass unterdess nicht Oxydationsvorgänge \ Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. 12. S. 582. * Unter „mit Sauerstoff gesättigtem‘“ Blute soll in der Folge immer solches ver- standen werden, welches gerade so viel Sauerstoff in zweierlei Form (frei absorbirt und lose gebunden) enthält, als dem darüber lastenden Sauerstoffdrucke entspricht und das chemische Gleichgewicht verlangt. 10 G. Hürner: darin stattfinden, die ihrerseits mit Reduction von Oxyhaemoglobin ver- bunden sind. Das directeste Beispiel und der beste Beweis für das oben Gefolgerte ist uns durch jene ersten Versuche Christian Bohr’s geliefert, davon vor zwei Jahren das Centralblatt für Physiologie! eine kurze Beschreibung gebracht hat. In Bohr’s Versuchen strömte bekanntlich das gerinnungs- unfähig gemachte Blut eines lebenden Hundes direct aus der Carotis in einen der beiden mit einem Gasgemisch von bekannter Sauerstoffspannung gefüllten Cylinder der Ludwig’schen Stromuhr ein, um, nachdem es etwa 1 Minute lang mit dem Gasgemische in Berührung gewesen, in das peri- phere Ende der Carotis (nur 1 Mal in die Jugularis) zurück und dann im Körper weiter zu fliessen. Trat nun das Blut, das, wie in Bohr’s Versuch II, während des Athmens mit Alveolarluft von etwa 138 "m Sauerstoffdruck zusammengetroffen und dabei vielleicht „gesättigt“ worden war, unmittelbar darauf zu einem Gasgemische über, dessen Sauerstoffdruck nur 111 "m be- trug, so gaben die nach einander einströmenden Blutmengen an letzteres so lange Sauerstoff ab, bis dessen Druck — und es geschah dies im Ver- laufe von 221/, Minuten — auf 133.8 "m gestiegen war. Kam es dagegen, wie in Versuch VI, in ein Gasgemenge, dessen Sauerstoffdruck = 146-6", also höher als in der Lunge stand, so nahm es aus demselben noch so lange Sauerstoff heraus, bis der Sauerstoffdruck darin bis auf 138.4 m gesunken war. Um freilich jene ersten? Bohr’schen Versuchsresultate wirklich gründlich auf ihre Uebereinstimmung mit der Theorie prüfen zu können, müsste man ı Jahrgang 1887. 8. 293 ff. °® Hinsichtlich der neueren Versuche des Hrn. Bohr, welche die gleiche Frage betreffen und welche im Centralblatt für Physiologie, 1888, S. 437—440, kurz ver- öffentlicht sind, muss ich leider bekennen, dass mir deren Ergebnisse so sehr sowohl mit dem Dissociationsgesetze, wie mit allen unseren Erfahrungen über Gasdiffusion im Widerspruch zu stehen scheinen, dass ich eher an einen Mangel des Bohr’schen Ver- suchsverfahrens als an die Richtigkeit der dort gezogenen Schlüsse zu glauben vermag. Anstatt mit Hrn. Bohr anzunehmen, dass bei allen seinen Versuchen im Blute die Kohlensäuretension niedriger, die Sauerstofftension höher als in der Exspirationsluft seien, und dass demnach dem Lungengewebe eine active Rolle sowohl bei der Kohlensäureausscheidung wie bei der Sauerstoffaufnahme zuzuschreiben sei, möchte ich vielmehr der Vermuthung Raum geben, dass eine so innige Berührung von Blut und Versuchsluft (in der Stromuhr), wie sie zur Her- stellung des chemischen Gleichgewichtes zwischen beiden erforderlich ist, unter den durch Hrn. Bohr’s Versuchsweise eingeführten Bedingungen niemals stattgefunden habe. Eine solche innige Berührung und mit ihr das gewünschte chemische Gleich- gewicht wird nach nıeiner Erfahrung immer nur durch ein mehrere Minuten hin- durch fortgesetztes sehr heftiges Durcheinanderschütteln von Blut und Gasgemisch zu Stande gebracht. » ÜBER DAS GESETZ DER DIsSOCTATION DES ÖXYHAEMOGLOBINS. 11 1. den Haemoglobingehalt des Blutes der betreffenden Versuchsthiere und 2. genau den Sauerstoffdruck der Alveolarluft kennen, mit welcher das Blut während seines Durchganges durch die Lunge in Berührung gekommen. Auch müsste man versichert sein, dass diese Berührung so innig gewesen und so lange gedauert habe, bis das jenem Drucke entsprechende Gleich- - gewicht in der That erreicht worden, — eine Bedingung, die freilich selbst bei ganz normalem und ruhigem Athmen vielleicht niemals vollkommen er- füllt wird. Dagegen dürfte der Anwendung der oben für das Oxyhaemo- globin des Rinderblutes festgestellten Dissociationsconstanten auf den Farb- stoff des Hundeblutes irgend ein gültiges Bedenken wohl nicht entgegen- stehen. B. Specielle Angaben über das Mengenverhältniss des Oxy- haemoglobins zum Haemoglobin, wie es sich unter einer Reihe verschiedener, praktisch in Betracht kommender, Drücke und bei vier verschiedenen Gehalten der Lösung an Gesammt- farbstoff der Theorie nach gestalten muss. Giebt man unserer Gleichung (3), wie es schon oben, S. 5, vorge- schlagen ist, die Form en Bu 1 ra hl BE a ee (6) so spricht sie ferner aus, dass sich, wenn 1. die in einem gegebenen Vo- lumen Blut enthaltene Gesammtfarbstoffmenge % und 2. der für die bezüg- liche Concentration gültige Werth von x genau bekannt sind, für jeden beliebigen Druck, unter welchem Gleichgewicht zwischen Blut und freiem Sauerstoffe besteht, angeben lässt, wie viel von dem vorhandenen Farbstoffe als Oxyhaemoglobin, wie viel als blosses Haemoglobin zugegen ist. Wir -brauchen dazu nur die Grösse A, zu kennen. Es ergiebt sich aber aus Gleichung (6), dass h et a 35 Malta or call Wenn wir in dieser Gleichung statt A das Zeichen // einführen und darunter, was aus praktischen Gründen zu empfehlen ist, immer sogleich die in 100m Blut enthaltene Farbstoffmenge in Grammen verstehen, so können wir für « jedes Mal ohne Weiteres den Zahlenwerth setzen, der in der foleenden Tabelle VIII neben dem hundertfach verkleinerten 7-Werthe (entsprechend unserer Definition von c) verzeichnet ist. Die in dieser Tabelle gegebenen x-Werthe sind nämlich corrigirt.! Don ! Es wurde bereits mehrfach angedeutet, dass die in Tabelle V aufgeführten #-Werthe sämmtlich noch etwas zu hoch sind. Sie waren alle zunächst unter der Voraussetzung berechnet, dass die zu meinen Versuchen benutzten Lösungen, ehe sie 12 G. Hürner: Tabelle VII. e n 02503 04356 (0-1252) (0-3500) 0.1182 0.4130 0-0834 0.3866 0.0626 0-3412 0-0591 0:3390 0.0458 0.3285 00354 02653 Ich gebe nunmehr vier Tabellen, in welchen nicht nur die Grösse A,, sondern zugleich auch die dissociirten Procente des vorhandenen Farbstoffs für vier verschiedene Gehalte des Blutes an solchem und für eine grössere Anzahl von Partiardrücken des Sauerstoffs nach Gleichung (7), unter An- wendung der neuen x-Werthe, berechnet sind. In diesen Tabellen hat 7 die oben, S. 11, definirte Bedeutung. Die Ueberschriften der einzelnen Columnen bedürfen keiner weiteren Erklärung. Die benutzten #-Werthe sind mit Hülfe einer graphischen Darstellung aus den Daten der Tabelle VIII abgeleitet. — Es sei übrigens nochmals wiederholt, dass die in den Tabellen gegebenen Resultate nur für die Temperatur von 35° C. gültig sind. 0} ” mit Stickgas geschüttelt wurden, lediglich Oxyhaemoglobin und nicht schon Haemo- globin daneben enthielten. Diese Voraussetzung ist, wie auf S. 9 gezeigt wurde, falsch. Die Gleichung, mit Hülfe deren die einzelnen «-Werthe allein genau zu berechnen sind, wird vielmehr lauten müssen: h—(h.+:) Ton 0. ken kiei ieh telh teihueiähier Ziele (8) worin z eben diejenige Menge sauerstofffreien Farbstoffs bedeutet, welche jedes Mal schon vor dem Schütteln der Lösung mit Stickgas in dieser vorhanden war, und zwar bei einem Drucke von 153 "m, d.i. dem mittleren Partiardrucke des Sauerstoffs in der Höhe von Tübingen. Da das einzige directe Verfahren, um den jedesmaligen Werth von x festzustellen, das photometrische gewesen wäre, dieses aber bei der Kleinheit des Werthes selber durchaus keine Garantie für eine genügende Genauigkeit des Re- sultates geboten hätte, so habe ich es vorgezogen, zunächst einmal nach Gleichung (7) den Werth A, für jedes A und ce meiner obigen acht Versuche unter der Annahme zu be- rechnen, dass p, = 153”, und zwar unter vorläufiger Benutzung des für das jedes- malige ce gegebenen «-Werthes aus Tabelle V. Jedes so gefundene 7, stellteinen sehr annähernd richtigen Werth des bezüglichen x vor. Unter Anwendung der so berechneten «-Werthe wurde endlich x selber nach Gleichung (8) für alle meine Versuche von Neuem berechnet und dafür die obige jetzt wohl genügend brauchbare Reihe von Zahlen (Tabelle VIII) gewonnen. ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES ÜXYHAEMOGLOBINS. Tabelle IX. H=140 x=0-415 nscrück Farometer- Procente an Sauerstoffs stand £ Haemoglobin | Oxyhaemoglobin 159-3 760-0 0-21 1:49 98-51 150-0 715-6 0-22 1.58 98-42 130-0 620-2 0-25 1-81 98-19 110-0 524-8 0-30 2.14 97.86 100-0 ATT-1 0-33 2-35 97-65 75-0 357-8 0-44 St 96-89 50-0 238°5 0-64 4-60 95-40 25-0 119-3 1.23 8.79 91-21 10-0 47-7 2.72 19-36 80-64 5-0 23-8 4-55 * 32-51 67-49 1-0 4-8 9-89 70-67 29-33 0-0 0-0 14-00 100:00 0-00 Tabelle X. A=12.0 x=0-.413 De uek Basoneter i Procente an Suuerstoffs stand H Haemoglobin | Oxyhaemoglobin 159-3 760.0 0-18 1:49 98-51 150-0 715-6 0-19 1:53 98-47 130-0 620-2 0-22 1:83 98-17 110-0 524-8 0-26 2-15 97-85 100-0 477-1 0-28 2.36 97-64 75-0 357-8 0-37 3:12 96-88 50:0 238-5 0-55 4-62 95.38 25-0 119-3 1:06 8:83 91-17 10-0 47-7 2-34 19-49 80-51 5.0 23-8 3-92 32-63 67-37 1-0 4:8 8-49 TO-T7 29.27 0-0 0-0 12-00 100.00 0-00 Tabelle XI. ER 605 10235 Back Barometer n Procente an Sauerstoffs uud & Haemoglobin | Oxyhaemoglobin 159-3 760-0 0-106 1-77 98-23 150.0 715.6 0-112 1-87 98-13 130-0 620-2 0-13 2-15 97:85 110-0 5248 0:15 2.53 IT-4T 13 14 G. Hürner: Bakarümee Baraneton | E Procente an Sauerstoffs samt | : Haewmoglobin | Oxyhaemoglobin 100.0 Wa er 2-77 97-23 75-0 357-8 0.22 3:66 | 96-34 50-0 238-5 0-32 5-40 94-60 25:0 119-3 0-62 10-25 | 89-75 10-0 47-7 1-33 22-22 | 77-78 5.0 23-8 2-18 36-37 | 63.63 1-0 4:8 4:44 74-07 25-93 0-0 0:0 6:00 10000 0:00 Tabelle X1l. H=4.0 x= 0:29 PartiarluNch Baroineter: A Procente an Sauerstoffs amd | f Haemoglobin | Oxyhaemoglobin 159-3 760-0 0-08 2-12 97-88 150-0 715-6 0:09 2-22 97-78 130-0 620-2 0:10 2-57 97-43 110.0 524-8 0:12 3:04 96:96 100-0 477-1 0-13 3:33 96:67 75:0 357-8 0-18 4:37 95-63 50-0 238-5 0-26 6-45 93-55 25-0 119-3 0:48 12-12 87.88 10-0 47-7 1-03 25:62 14-38 5:0 23-8 1:63 40:82 59-18 1:0 4-8 3:10 77.50 22-50 0-0 0:0 4:00 10000 | 0:00 Es ist in mehrfacher Beziehung interessant, diese Zahlenreihen, zu deren besserer Veranschaulichung auch noch die auf der beigefügten Tafel gezeichneten Curven dienen mögen, einmal etwas näher zu betrachten, namentlich die Columnen 1, 4 und 5 in jeder der vier Tabellen. Man sieht zunächst, wie die Dissociation so lange eine äusserst geringe bleibt, bis der Partiardruck des Sauerstoffs etwas unter die Hälfte des normalen gesunken ist; denn erst von etwa 75 wm nach abwärts an be- ginnt die Menge des reducirten Haemoglobins rascher und entschiedener zu wachsen. Man begreift jetzt, wie Lothar Meyer! zu einer Zeit, wo man kaum erst anfing, auf Dissociationserscheinungen viel auffälligerer Art zu achten, bei seinen Versuchen über den Einfluss des Druckes auf die Menge des vom Blute aufgenommenen Sauerstoffs zu dem Schlusse kommen \ Die Gase des Blutes. Inaugural-Dissertation. Göttingen 1357. S. 56. 60. ÜBER DAS GESETZ DER DiIssoCIATION DES ÖXYHAEMOGLOBINS. 15 Curven zu Tabelle IX und XI. ge N l an Blutfarbstoff Q —ı—- Kl en ZEN 120 700771307200 10 100 90 780 770 160 SON H0N.300 20) 70 0 Partiardruck des Sauerstoffs in Millimetern Quecksilber. Oxyhaemoglobin in Procenten der Gesammtmen konnte, dass der locker chemisch gebundene Antheil des im Blute enthaltenen Sauerstofls so lange vom Drucke unabhängig sei, bis derselbe sehr gering seworden oder ganz aufhöre. Lothar Meyer arbeitete mit viel zu hohen Drücken, als dass er den Einfluss der Dissociation hätte wahrnehmen können. Der niedrigste von ihm angewandte Sauerstoffdruck betrug 453.5 mm, also beinahe dreimal so viel als der normale Sauerstoffdruck der Atmo- sphaere, der höchste 900.8 mm, 1 In meinen eigenen Tensionsversuchen, die ich mit dem neuen, in der Zeitschrift für physiologische Chemie? beschriebenen Absorptiometer, das eine Mal bei einer Temperatur von 35°, das andere Mal bei circa 39° an Hunde- und Ochsenblut und an Lösungen von Ochsenblutkrystallen aus- führte, wurde die Sauerstoffabgabe überhaupt erst bei Partiardrücken zwei- fellos und deutlich messbar, die weniger als 75 =" betrugen; und in den ersten derartigen Versuchen,? die ich meist nur mit 3- bis 5-procentigen Lösungen von Hundeblutkrystallen, aber, ebenso wie jene späteren, bei 35 anstellte, konnte, was jetzt sehr begreiflich, das Statthaben eines Dissocia- tionsprocesses erst bei Partiardrücken, die zwischen 20 bis 30 mm Jagen, wahrgenommen werden. Der bei solchen Versuchen stets vorkommende und vielleicht nie völlig zu verhütende Verlust an Sauerstoff infolge von Bevfer2l2 2.23: 0. S. 51% 522 55. ®? A.a.O. Bd. XII. S. 568-584 und Bd. XIII. 8. 285—291. ® Dieselbe Zeitschrift. Bd. Vl. 8. 94. ff. 16 G. Hürner: allerlei unbekannten und uncontrolirbaren Oxydationen kann mehr als hin- reichen, um die kleinen Sauerstoffmengen zu verdecken, die auch schon bei höheren Drücken durch Dissociation frei werden. In der That kann man sagen, dass es für den Sauerstoffgehalt eines Blutes nahezu einerlei ist, ob es unmittelbar am Meeresstrande oder in der Höhe von Potosi in Südamerika, dessen mittlerer Barometerstand etwa 450 “m beträgt, bis zur Herstellung chemischen Gleichgewichtes geschüttelt worden. Die Mengen des beide Male lose gebundenen Sauerstoffs werden bei einem Gehalte von 14s"= Farbstoff in 100°" Blut, wie ein Blick auf Tabelle IX ergiebt, nicht um mehr als um 0.87 Procent von einander verschieden sein. Ja selbst auf den höchsten Spitzen des Himalaya, bei einem mittleren Atmosphaerendrucke von 250 "=, dürfte — stets Herstellung chemischen Gleichgewichtes vorausgesetzt — unter sonst gleichen Bedin- gungen ein erheblicher Sauerstoffmangel im Blute nicht eintreten; denn die Grösse der Abweichung vom normalen Sauerstoffeehalte — so will ich den Gehalt nennen, wenn das Blut bei 760 "m Barometerstand mit Sauer- stoff gesättigt wurde — würde selbst in diesem Falle (vergl. Tabelle IX) nur erst 3 Procent betragen. Wenn trotzdem schon in geringeren Höhen Athembeschwerden auf- treten und noch eine Reihe weiterer Symptome, welche auf Sauerstoffmangel im Blute deuten, so kann demnach die Ursache dieses Mangels nicht im physikalisch-chemischen Verhalten des Haemoglobins, sondern sie muss anderswo liegen. Hierüber siehe Ausführliches weiter unten.! Dagegen ist nun klar, dass es unmöglich ist, auf absorptiometrischem Wege, unter Anwendung gelösten sauerstofffreien Haemoglobins auf der einen und von Sauerstoffgas auf der anderen Seite, etwa unter Zugrunde- legung der bekannten Bedingungsgleichung: ? v=a-+bp, daher bei möglichster Variation des Druckes p, die Menge Sauerstoff genau zu bestimmen, welche von 1:'m Haemoglobin lose gebunden wird. Die Werthe von a werden stets verschieden, und zwar müssen sie um so kleiner ausfallen, je kleiner im Versuche der Druck p gewählt wurde. Die Be- dingungsgleichung selber ist unzulässig: nicht bloss 5 allein, auch a wird infolge der Dissoeiation eine vom Drucke abhängige Grösse. Die Werthe von a müssen ferner aber auch dann verschieden gross werden, wenn die Concentration der angewandten Lösung in den einzelnen Versuchsreihen nicht die gleiche bleibt; da ja, wie aus dem Obigen her- 18.20 ff. ® Loth. Meyer, Die Gase des Blutes. Inaugural-Dissertation. Göttingen 1857. 8.30; — Hüfner, Journal für praktische Chemie. 2. Folge. Bd. XXII. 5. 364 ft. ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES ÖXYHAEMOGLOBINS. 17 vorgeht, eine verdünntere Lösung bei gleichem Drucke schon in stärkerem Grade dissociirt ist, als eine concentrirte. Möglichst genaue Bestimmungen des Eisengehaltes im Blutfarbstoff werden wohl das einzig sichere und entscheidende Mittel bleiben, um die fragliche Grösse einmal endgültig festzustellen. C. Besteht eine hohe Sauerstoffspannung im Plasma? Eine solche nimmt man bekanntlich an und denkt sie sich als die Ursache der Diffusion des Sauerstoffs aus dem Blute in die Gewebsflüssig- keiten. In der That erfolgt ja jede Diffusion, sei sie nun diejenige eines gelösten Salzes oder eines gelösten Gases, wie die Fortleitung der Wärme in festen Körpern, unter dem Einflusse eines gewissen Gefälles. Unser Satz vom chemischen Gleichgewichte und im Besonderen die in den Ta- bellen IX, X, XI und XII zusammengestellten Rechnungsresultate geben ohne Weiteres einen Begriff und einen Ueberblick über die Grösse der möglichen Sauerstoffdrücke, die im Plasma bei verschiedenem Gehalte des Blutes an Farbstoff und bei wechselndem Verhältnisse zwischen Haemoglobin und Oxyhaemoglobin überhaupt statthaben können. Wenn ein Volumen arteriellen Blutes, U, bei einer Temperatur von 37° und einem Partiardrucke des Sauerstoffs von 159" vollständig mit Sauer- stoff gesättigt ist, so wird darin bei einem Gehalte von 14#s'm Farbstoff in 100 m Blut das Verhältniss des Haemoglobins zum Oxyhaemoglobin etwa wie 1-5:98-5 sein,’ und da die im Plasma dieses Blutes absorbirt ent- 159. U.0, — natürlich 159 ®® betragen. Während eines einmaligen Umlaufes durch den Körper pflegt aber das Mengenverhältniss zwischen Haemoglobin und Oxy- .‚haemoglobin sich derartig zu ändern, dass es im venösen Blute wie 40:60 ist. Chemisches Gleichgewicht besteht nun aber, wie Tabelle IX zeigt, bei einem solchen Verhältnisse nur dann, wenn die im Plasma absorbirt ent- haltene Sauerstoffmenge nur noch unter einem Drucke von etwa 4m steht, oder, was dasselbe ist, wenn die Sauerstoffspannung daselbst nur 4" be- trägt. Man sieht daraus, wie rasch während des hauptsächlich in den Capillaren erfolgenden Ueberganges des arteriellen in den venösen Zustand des Blutes die Sauerstoffspannung im Plasma abnehmen muss, und wie sie doch andererseits auch im venösen Blute unter normalen Verhältnissen niemals ganz verschwindet. haltene Sauerstoffmenge » — ist, der Sauerstoffdruck im Plasma ! Eine Erhöhung der Temperatur um 2° dürfte kaum eine erhebliche Vergrösserung h des Quotienten 7 zur Folge haben. ‘0 Archiv f, A,u. Ph, 1890. Physiol, Abtblg. 9% 18 G. HürneERr: D. Ueber den Sauerstoffgehalt in der Schwimmblase der Fische. Es ist in neuerer Zeit mehrfach! auf den bisweilen erstaunlich hohen, denjenigen unserer Atmosphaere bedeutend übertreffenden Sauerstoffgehalt in der Schwimmblase der Fische hingewiesen worden, als auf eine Erschei- nung, die sich vor der Hand physikalisch in keiner Weise erklären lasse. In der That scheint es, als müsse man dem lebendigen Drüsengewebe Kräfte zuschreiben, die im Stande seien, trotz einem gegenüberstehenden stärkeren Partiardrucke doch noch Sauerstoff aus dem Blute auszutreiben, zu „secerniren.“ Mich dünkt, als stehe auch diese, auf den ersten Blick allerdings be- fremdliche, Erscheinung mit dem vorgetragenen Dissociationsgesetze, d. h, also in letzter Linie mit der Lehre vom chemischen Gleichgewichte, durch- aus nicht in unlösbarem Widerspruche Doch müssen wir dabei zwei Fälle wohl unterscheiden. 1. Fall: Das Gas der Schwimmblase enthält im Maximum etwa ebensoviel Sauerstoff, wie die Atmosphaere. Wenn arterielles Blut, das unter irgend einem Drucke mit Sauerstoff gesättigt worden, eine leere Körperhöhle umströmt, derart und bei so be- schaffener Trennungsmembran, dass überhaupt ein Uebertritt von Gas aus dem Blute in diese Höhle hinein möglich ist, so wird sich in dieser letz- teren neben Stickstoff und Kohlensäure auch so lange Sauerstoff ansammeln können, bis endlich der Sauerstofidruck in der Körperhöhle demjenigen gleich geworden, unter welchem das herbeiströmende Blut anderwärts immer von Neuem gesättigt wird. Und wenn nun diese Körperhöhle die Schwimm- blase eines Fisches ist und das Blut desselben bei der Kiemenathmung in mit Sauerstoff von normalem Drucke (= 159.3 wm) sesättigtem Wasser durch Diffusion aus diesem nach und nach so viel Sauerstoff empfängt, dass es zuletzt selber als unter dem gleichen Drucke gesättigt betrachtet werden kann, so wird jener Partiardruck, bei welchem endlich Gleichgewicht zwischen dem Blute und dem in der Blase abgesperrten Sauerstoffe besteht, ebenfalls der normale sein, und die Gesammtluft der Schwimmblase wird am Ende annähernd? ebensoviel Procente Sauerstoff enthalten wie die freie Atmosphaere. Der 2. Fall ist der, wo die Blase sogar bis zu SO und mehr Procenten Sauerstoff enthält. ! Moreau, Memoires de Physiologie. Paris 1877. p. 85. 86. 193—218. — Zuntz in Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. IV. II. 8.151. — Bohr, Central- blatt für Physiologie. 1888. 8. 440. ® Nur „annähernd“ wegen der gleichzeitig vorhandenen Kohlensäure. ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES OXYHAEMOGLOBINS. 19 Das Zustandekommen solch’ höherer Sauerstoffprocente, wie sie La- roche! und Biot? wirklich und zwar bei in grösseren Meerestiefen ge- fangenen Fischen beobachtet haben und wie sie neuerdings Moreau® künstlich durch mehrmaliges Entleeren der Blase bei lebenden Fischen erzeugt hat, ist in der That schwierig zu erklären. Gerade des Letzteren Versuche bieten aber vielleicht einen Schlüssel für das Verständniss auch jener älteren Beobachtungen. Um sie verstehen zu lernen, hat man sich vor allen Dingen zu fragen, aus welchem Gasvorrathe denn ein tief unter Wasser befindlicher Fisch seine Blase, wenn sie ihm entleert worden, am raschesten wenigstens nothdürftig wieder füllen könnte. Da wird nun Jeder zugeben, dass der augenblicklich verfügbare Vorrath an Sauerstoff auch im Blute der Fische um Vieles bedeutender ist, als derjenige an Stickstoff; denn zu diesem augenblicklich verfügbaren Vorrathe gehört ja auch hier in erster Linie der lose an’s Haemoglobin gebundene Sauerstoff. Hatte daher die Schwimmblase ihren Gasgehalt auf irgend eine Weise ganz oder bis auf einen geringen Rest verloren, so wird ihr Binnenraum sofort sau- send wirken, falls der Fisch, was J. Müller? für einige Gattungen von Welsen und die Ophidien nachgewiesen, mechanische Vorrichtungen besitzt und in Thätigkeit setzt, welche ihm gestatten, die Blase plötzlich willkür- lich auszuspannen und zu erweitern. Die Wirkung hiervon auf das arte- rielle Blut der umspinnenden und vielleicht gleichfalls erweiterten Gefässe muss die nämliche sein, wie die des Vacuums oder wenigstens des luft- verdünnten Raumes: eine lebhafte Dissociation sauerstoffhaltigen Farbstoffs wird beginnen, gefolgt von einem so reichlichen Uebertritte von Sauerstoff- gas in das Innere der Blase, dass dagegen die Diffusion des Stickstofts, weil abhängig von der spärlichen Zufuhr einfach absorbirter Mengen, im Anfange weit hinter jener zurückbleibt. Freilich den absoluten Druck des Sauerstoffs, unter welchem das Blut in den Kiemen gesättigt ward, — und dieser ist im besten Falle der Sauerstoffdruck der Atmosphaere,? — I Schweigger’s Journal. Bd.I. 8. 122. ® Gilbert’s Annalen. Bd. XXVI. 8. 454. ® Comptes rendus. t. LVII. p. 37. 816; — Memoires de Physiologie. Paris 1877. p- 69—86. — Vergl. auch einige der Versuche von Frau Dr. Margherita Traube- Mengarini (Dies Archiv, 1889. S. 61 u. 63). * Abhandlungen der kgl. Akad. der Wiss. zu Berlin. 1843. 8. 135 —170. 5 Lediglich dieser kommt auch für die Sättigung der tiefsten Wasserschichten in Betracht; denn ausser vom specifischen Absorptionscoöfficienten ist die absolute Menge der in das Meerwasser eindringenden Gastheilchen ja einzig und allein durch den Druck der auf der Oberfläche des Wassers lastenden Athmosphaere bedingt; wie denn auch der absolute Gehalt des Meerwassers an Sauerstoff in den verschiedensten Tiefen that- sächlich etwa gleich gross gefunden worden ist, ja mit der Tiefe eher etwas ab- als zunehmend. Nach Hercules Tornöe ist der Sauerstoffgehalt des vom Meerwasser 9* 20 G. HürneRr: kann der Sauerstoffdruck der Blase auch im angenommenen Falle nicht überschreiten; nur der Procentgehalt ihres gasigen Inhalts an Sauerstoff kann ein höherer werden, und auch dieser nur in einem frühen Stadium ihrer allmählichen Neufüllung. Keinesweges könnte dabei aber die Blase prall gefüllt sein.! Wäre sie letzteres dennoch, — und nach Biot’s Be- obachtungen war dies bei in grosser Tiefe gefangenen Fischen allerdings der Fall, — wäre somit nicht bloss der Procentgehalt an Sauerstoff, son- dern auch der Partiardruck des letzteren grösser als in der atmosphaerischen Luft, so wäre dafür eine einfache Erklärung vor der Hand allerdings un- möglich. Aber immerhin darf man desswegen noch nicht so ohne Weiteres neue geheimnissvolle Drüsenkräfte zu Hülfe rufen; vielmehr erheischt der ganze Gegenstand zunächst eine erneute sehr gründliche, sowohl anato- mische, wie experimentell-physiologische Untersuchung. 2. Zur Frage nach der wahren Erstickungsursache beim Athmen in grossen Höhen oder in Räumen, deren Luft auf die Hälfte und mehr verdünnt ist. Ueber diesen Gegenstand existirt bekanntlich bereits eine ziemlich ausgedehnte Litteratur. Paul Bert hat in seinem umfangreichen Werke? in gewiss nahezu erschöpfender Weise alle die Erfahrungen zusammen- getragen, welche dafür sprechen, dass das Athmen unter stark, d. h. bis etwa zur Hälfte, vermindertem Drucke, bereits einen erheblichen Sauerstoff- mangel im Blute zur Folge habe. Bewiesen wird dieser Satz aber nament- lich durch seine eigenen an Hunden angestellten Versuche,? sowie durch diejenigen der HH. Fränkel und Geppert,* welche letzteren gleichfalls an Hunden experimentirten. Paul Bert fand das Blut seiner Versuchs- thiere, nachdem er dieselben bis zu °/, Stunden unter einem Atmosphaeren- absorbirten Sauerstoff-Stickstoff-Gemenges „an der Oberfläche durchschnittlich 3-3 Pro- cent und nimmt dann zuerst schnell und danach langsamer ab, bis derselbe in einer Tiefe von 300 Faden auf 32-5 Procent sinkt und danach in grösseren Tiefen wesent- lich constant bleibt“. (Kolbe’s Journal. Bd. XIX. 8. 428.) ! Ob und wie sehr dies bei Fischen, deren Blase künstlich entleert worden, der Fall gewesen, darüber hat Hr. Moreau in seinem ausführlichen Werke etwas Bestimmtes nicht angegeben. Doch findet sich auf S. 74 desselben die wichtige Bemerkung: „Il importe aussi, si ’on veut avoir une proportion maximum de ce gaz (Sauerstoff), de ne pas attendre au dela d’un certain temps pour analyser l’air de la vessie natatoire.‘“ ® La pression barometrique. Mvecherches de physiologie experimentale. Paris 1878. p. 23—867. ” A.a.0. 8. 687—697. * Ueber die Wirkung der verdünnten Luft auf den Organismus. Eine Experi- mentaluntersuchung. Berlin 1883. S. 47. ÜBER DAS GESETZ DER DIssoCIATION DES ÜXYHAEMOGLOBINS. 21 drucke von nur 860 """ hatte athmen lassen, durchschnittlich um 43 Procent (Max. 55, Min. 36) ärmer an Sauerstoff als vorher, wo die Thiere unter normalem Drucke geathmet hatten. Im den Versuchen von Fränkel und Geppert betrug dieser Verlust bei Drücken von 378—365 "m im Mittel 34.4 Procent. (Max. 431, Min. 14-2). Da nun aus dem Obigen hervorgeht, dass die Höhe dieses Deficits keineswegs von dem durch den jeweiligen Druck bedingten Dissociationsgrade des Oxyhaemoglobins herrühren kann, so bleibt nichts anderes als die Vermu- thung übrig, dass sich bei diesen Drücken eine Mangelhaftigkeit ander- weiter physiologischer Veranstaltungen geltend mache, denen die Versorgung des Blutes mit Sauerstoff mit übertragen ist. Diese Mangelhaftigkeit äussert sich wesentlich darin, dass während des Athmens unter gewissen niedrigen Drücken nicht einmal diejenige Sättigung des Blutes mit Sauerstoff mehr erreicht wird, die jedem einzelnen dieser Drücke wirklich entspricht, oder dass jenes Gleichgewicht nicht mehr zu Stande kommt, das doch bei je einem bestimmten Drucke am Ende sich einstellen und gemäss der Gleich- gewichtsgleichung bestehen sollte. Es verlohnt sich wohl, um die betreffenden Hindernisse oder die Quellen solcher Störungen ausfindig zu machen, im Folgenden einmal die Einzelheiten des Vorganges etwas genauer zu betrachten, der bei der Sauer- stoffaufnahme in’s Blut in erster Linie betheiligt ist. Ich werde also die gröbere Athemmechanik ganz aus dem Spiele lassen und mich lediglich auf die Betrachtung des Diffusionsvorganges beschränken, der zwischen Lungenluft und Blut stattfindet. Die Menge y eines Gases, welche durch ein Gas absorbirendes Medium (Membran oder Platte) hindurchgeht, ist — Gleichheit der Temperatur für alle Fälle vorausgesetzt — direct proportional! 1. dem Unterschiede der „Sättigung“ auf beiden Seiten des Mediums; er sei bezeichnet mit Sa—Sb; 2. der Grösse (2 der Oberfläche der Membran oder Platte; 3. der Zeit ı, während welcher der Vorgang andauert, und 4. einer specifischen Constante, D, der sogenannten Verbreitungsconstante, welche lediglich von der Natur des Gases und des Mediums abhängt; und sie ist umgekehrt proportional der Dicke m des Mediums, so dass man also die Gleichung hat: S(a—b)-$2tD Es et. (9) ! Siehe hierüber Bunsen, Gusometrische Methoden. 1877. 2. Aufl. S. 267—305. — v. Wroblewsky, Ueber die Diffusion der Gase durch absorbirende Substanzen. Habilitationsschrift. Strassburg 1876. 8. Tf. — Ferner Derselbe, Wiedemann’s Annalen. Bd.II. 8. 481-513. Bd.IV. S. 268-277. Bd. VII: 8S.1-13. Bad. VII- 8. 2952. — Hüfner, Wiedemann’s Annalen. Bd. XVI. 8. 253—273. 22 G. Hürner: Da nun die Sättigung, $, durch den Absorptionscoöfficienten, 4, — bezeichnet wieder die Temperatur — und den Druck En bestimmt, also — nn ist, so geht, wenn «= 1 und 5=0, Gleichung (9) über in den Ausdruck: 0) = 760 er TER . . . . . . » . (10) Man darf wohl annehmen, dass sich das vben Angeführte auf die äusserst dünne Capillarwand nebst Zellenbelag, durch welche beide das Blut von der Athmungsluft in der Lunge geschieden ist, ohne Weiteres an- wenden lässt. Ob diese Capillarwand nebst Zellenbelag neben der Eigen- schaft, für Gase durchgängig zu sein, auch noch die Fähigkeit besitzt, Gase in specifischer Weise zu absorbiren, darauf kommt bei der ungeheuren Dünne derselben nicht viel an. Besitzt sie indessen die letztere Fähigkeit nicht, so tritt in Gleichung (10) an Stelle von &,» einfach das Zeichen v, als Ausdruck für die Einheit des Volumens. Etwas verwickelter wird die Anwendung derselben Betrachtung auf den Vorgang der Sauerstoffdiffusion in das innerhalb der Capillaren strömende Blut. Um der Einfachheit willen denken wir uns das Blut zunächst einmal ruhend und den Eintritt des Gases nur von einer und zwar von der dem Binnenraume des Alveolus zugekehrten Seite der abgeplatteten Capillare aus vor sich gehend. Auch haben wir jetzt nicht nach der Gasmenge zu fragen, die durch die Dicke der Capillarschicht hindurch tritt, sondern nur nach derjenigen, die von der einen Seite her in sie eindringt. Wir dürfen als- dann annehmen, dass die Grösse (2 durch die innere Oberfläche der Lunge — dieselbe auf der Höhe der Inspiration gedacht — und m durch die durchschnittliche lichte Weite der Capillaren gegeben ist. Der Ausdruck $(a—b) wird dabei seine oben definirte Bedeutung behalten. Nun sahen wir oben,! dass die Sauerstoffspannung im venösen Plasma immer noch etwa 4m beträgt. Um die Betrachtung zu vereinfachen, wollen wir sıe vollends = 0 setzen. Damit setzen wir aber die Grösse = 0 und der ganze Ausdruck S(a— Öb) geht dadurch wieder über in —_ Die Grösse D aber, die „Verbreitungsconstante* Wroblewsky’s, be- sitzt in unserem Falle eine etwas zusammengesetzte Bedeutung. Während bei der Diffusion eines Gases in einem homogenen Medium D lediglich von der Qualität des Gases und der Flüssigkeit, ist es im venösen Blute auch SLR ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES OÖXYHAEMOGLOBINS. 23 noch von der Anwesenheit der haemoglobinhaltigen (nicht oxyhaemoglobin- haltigen) Körperchen abhängig, und zwar muss es, wie sogleich erhellen wird, der Zahl und dem Haemoglobinreichthum der letzteren direct pro- portional sein. In der That dürfen wir den Einfluss der sogenannten Verbreitungs- constante der Wirkung einer Vorrichtung vergleichen, welche den neu in die Flüssigkeit eintreten wollenden Gastheilchen ununterbrochen Platz ver- schafft. Insofern nun aber die in der Flüssigkeit vertheilten venösen Körperchen die durch die Oberfläche 4 eindringenden Gastheilchen immer sogleich an sich reissen, nehmen gerade sie den hervorragendsten Antheil an dieser Thätigkeit des Platzschaffens; und so können wir uns die Grösse D, bei Annahme eines ruhig liegenden Blutfadens, zunächst zusammengesetzt denken aus zwei Componenten, c und h, davon die eine, c, im Sinne Wroblewsky’s bloss von der Qualität des Gases und der Flüssigkeit, die andere, %, aber von der Zahl und dem Haemoglobinreichthum der in der Flüssigkeit schwimmenden venösen Körperchen abhängt. Gleichung (9) erhält also in unserem Falle die Form: E a aan Ist nun g zugleich diejenige bestimmte Sauerstoffimenge, welche zur Sättigung des Blutes bis zur Herstellung des chemischen Gleichgewichtes unter dem Drucke p nothwendig ist, so sieht man, dass, wenn p durch die Meereshöhe, die Grössen «s, ce und A durch die individuelle Beschaffenheit des Blutes und 2 und m durch die individuellen anatomischen Verhältnisse von vornherein gegeben sind, als einzige Variable nur noch die Zeit, Z, übrig bleibt. In der That von der Zeitdauer des Vorganges wird es jetzt nur noch allein abhängen, ob oder in wie weit das chemische Gleichgewicht oder jene völlige, dem Drucke p entsprechende, Sättigung des zunächst ruhend gedachten Blutes mit Sauerstoff erreicht wird. Für den lebenden Organismus kommt es nun aber gar nicht darauf an, dass bei der Athmung jedes Mal gerade diese letztere Bedingung er- füllt wird. Da er in der Zeiteinheit regelmässig ein gewisses Quantum Sauerstoff verbraucht, so gilt es für ihn lediglich, dieses selbe Quantum Sauerstoff nun auch regelmässig in der gleichen Zeiteinheit wieder von aussen zu erlangen, und zwar sei es mit welchen Mitteln es wolle, sei es deshalb auch auf Kosten jener jedesmaligen Sättigung. Die in der Zeiteinheit in das ruhend gedachte Lungenblut diffundirende Sauerstoffmenge ergiebt sich aus der Formel: q ET S2(c+ h) TEN m (12) 24 G. Hürner: Nun bleibt aber das Blut in der lebenden Lunge nicht ruhig stehen, sondern es strömt unaufhörlich unter der Membran vorüber, durch welche der Sauerstoff eindringt. Es fragt sich jetzt, in welcher Weise der auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens unserer letzten Formel stehende Ausdruck durch diesen Umstand beeinflusst wird. Ich habe oben den Einfluss der sogenannten Verbreitungsconstante der Wirkung einer Vorrichtung verglichen, welche unaufhörlich Raum schafft für die durch die Oberfläche der Flüssigkeit neu eintretenden Gastheilchen. Hat sie in der That diese Bedeutung, so tritt in dem Falle, wo immer neues Blut unter der Trennungsmembran vorüberströmt, zu den bisherigen Compo- nenten von D, c und h, offenbar noch eine dritte hinzu, und diese ist die Ge- schwindigkeit, g, der strömenden Bewegung, so dass wir nun die Gleichung erhalten: a Me SEE Wer) 1-,. - Bas a RRHBENNGES) Unter normalem Drucke reicht die so bestimmte Grösse thatsächlich hin, um den in der gleichen Zeit stattfindenden Verbrauch immer voll- ständig zu decken. Nimmt aber der Werth von p plötzlich bis auf die Hälfte ab, so fragt es sich, ob und welche Mittel dem Organismus zu Gebote stehen, um den dadurch gleichfalls auf die Hälfte verminderten Werth von gjt wieder auf die vorige Höhe zu bringen und für länger darauf zu erhalten. Zwei Componenten von D, e und h, ebenso «s, sind ein für alle Male gegebene, deshalb unveränderliche Grössen; nur 2 ist vielleicht durch Vertiefung der Athemzüge einiger Vergrösserung fähig. Ebenso lässt sich die Geschwindigkeit, g, des Blutstromes erhöhen und zwar durch vermehrte Anzahl und Stärke der Herzbewegungen. Geschwin- deres Athmen dagegen hat, in Bezug auf die Aufnahme von Sauerstoff, höchstens den Erfolg einer besseren Constanterhaltung des in der Lunge herrschenden Partiardruckes. In der That thut der Organismus, insofern er die Zahl der auf die Minute kommenden Athemzüge vermehrt, dasselbe wie wir im Laboratorium, — ich denke hier natürlich auch wiederum nur an die Aufnahme von Sauerstoff und nicht an die Ausscheidung der Kohlensäure —, wenn wir, um aus einem Bunsen’schen Quecksilbergaso- meter einen Gasstrom von möglichst annähernd gleicher Geschwindigkeit zu erhalten, die Drucksäule im seitlichen Eingussrohre durch recht häufiges Nach- giessen von Quecksilber möglichst gleich hoch zu halten suchen. Aus unserer letzten Gleichung ergiebt sich, dass eine Halbirung von . p die Halbirung des ganzen Zählers bedeutet, während der Einfluss einer Verdoppelung von g, weil eines blossen Summanden, sich nicht ebenso über den ganzen Zähler erstreckt. Selbst im Vereine mit einer geringen Er- ÜBER DAS GESETZ DER DisS0CIATION DES OXYHAEMOGLOBINS. 25 höhung von 2 vermag eine solche Verdoppelung den Einfluss jener Druck- halbirung nicht auszugleichen. Eine Vermehrung der Stromgeschwindigkeit g wirkt aber dem Zustandekommen der Sättigung sogar direct entgegen; denn: diese ist ja gerade, wie wir oben sahen, ausser von einigen anderen Bedingungen auch noch direet abhängig von der Zeit. So erklären sich nun Paul Bert’s und Fränkel’s und Geppert’s Versuchsresultate, welche sämmtlich eine allmähliche Verarmung des Blutes an Sauerstoff als Folge der Athmung unter stark vermindertem Drucke ergaben. Jedenfalls geht aus dem Allen hervor, dass unter dem halben Atmos- phaerendrucke eine wirkliche Ausgleichung des durch die Druckhalbirung bedingten Ausfalles an aufgenommenem Sauerstoff durch die verfügbaren Compensationsmittel! auf die Dauer nicht mehr gelingen kann; ja die Erfahrung zeigt, dass dieser Compensation sogar schon bei etwa ?/, des normalen Atmosphaerendruckes für gewöhnlich eine Grenze gesetzt ist. Indessen wenn wir auch sehen, dass das Anpassungsvermögen eines unter normalem Drucke entwickelten menschlichen oder thierischen Organis- mus an die durch Druckverminderung veränderten Athembedingungen ein beschränktes ist, so dürfen wir doch die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass Körpereigenschaften, welche dem einzelnen, einmal fertigen, Individuum sich plötzlich zu verschaffen unmöglich ist, durch Generationen hindurch stetig fortgehende Züchtung sich allmählich vom Genus erwerben lassen. Solche Körpereigenschaften wären in unserem Falle 1. eine grössere Innenoberfläche der Lungen, 2, und 2. ein grösserer Reichthum des Blutes an Haemoglobin, }, Vielleicht ist es gerade der höhere Werth dieser beiden in unserer Gleichung (13) figurirenden physiologischen Grössen, welchem der Körper der Ureinwohner jener hochgelegenen südamerikanischen Plateaux (von Quito, Potosi, Cerro de Pasco u. s. w.) die Fähigkeit verdankt, das sanze Leben hindurch in wesentlich sauerstoffärmerer Luft ohne Schaden auszudauern.? Vielleicht ist es die reichere Ausstattung mit den gleichen anatomischen ! Nach den Beobachtungen französischer Aöronauten an sich selbst war in einer Höhe von über 4000 Meter, also z. B. unter einem Drucke der Luft von 440 wu, die Athemfrequenz durchschnittlich um 60 Procent, die Pulsfregquenz im Mittel um 43 Procent erhöht. (P. Bert, a.a.O. S. 203.) ® Nach E. Pöppig scheint der Indianer „eine Art von Immunität gegen die Puna“ (ebenso wie „Veta‘, einer der Namen für die sogenannte Bergkrankheit) „zu geniessen; denn er verrichtet die furchtbar schwere Arbeit der Bergwerke mit derselben Ausdauer im Cerro“ (in einer Höhe von 4350 Metern oder eirca 14000 Fuss) „wie in den wenige Tausend Fuss über das Meer erhöhten Minen.“ (Reisen in Chile, Peru und auf dem Amazonenstrume während der Jahre 1827”—1832. Leipzig 1836. Bd. II. 4°. 26 | G. Hürner: Hülfsmitteln,! welche den mächtigen Condor befähigt, stundenlang in der gewaltigen Höhe von 22,000 Pariser Fuss zu schweben, wo der Luftdruck weniger als 324, der Sauerstoffdruck also kaum noch 68" beträgt. Tübingen, im August 1889. S. 89.) Ueber ähnliche Erfahrungen sowohl an 'Thieren wie an Menschen berichtet der Schweizer Reisende J. J. v. Tschudi. So heisst es in seinem bekanntesten Reisewerke (Peru. Reiseskizzen aus den Jahren 1838—-1842. St. Gallen 1846): „Die in der Sierra geborenen 'T'hiere sind fast ganz frei von diesem Uebel“ (Bd.II. 8.33); ferner: „Die Gebirgsindianer, die von Jugend auf in dieser verdünnten Luft leben, leiden nie an der Veta.“ (Bd.II. 8. 69.) ! Ob die grossen, mit der Lunge communicirenden, Luftsäcke des Vogels unter Umständen seine Athemfläche vergrössern können? Es wäre in der That wichtig zu wissen, ob dieselben auch Blut aus dem rechten Herzen empfangen. ÜBER DAS GESETZ DER DISSOCIATION DES OÜXYHARMOGLOBINS. 27 Anhang. Tafel derAbsorptionscoöfficienten desStickstoffs und Sauerstoffs für Wasser, gültig für Temperaturen von 20° — 40°. (Berechnet aus meinen in Wiedemann’s Annalen, Bd. I, S. 632— 636 mitgetheilten Versuchen.) DICH Stickstoff Sauerstoff 20 0-01406 0-02844 21 0-01396 0-02823 22 | 0-01387 0-02805 23 0-01377 0-02785 24 0-01367 0-02765 25 0-01357 0-02745 26 0-01347 _ 0-02724 27 0-01337 0-02704 28 0-01328 0-02686 29 0-01318 0-02666 30 0-01308 0-02635 31 0-01298 | 0-02625 32 0-012338 | 0-02605 33 0-01278 . 0-02585 34 0-01269 0-02567 35 0-01259 0-02546 36 0-012499 __ 0-02526 37 0-01239 0-02506 38 0-01229 002486 39 0-01219 0-02465 40 0-01210 0-02447 Ueber die Bedeutung der in der vorigen Abhandlung vorgetragenen Lehre für die Spectroskopie und Photo- metrie des Blutes. Von G. Hüfner. Wenn in einer Lösung von Blutfarbstoff oder in Blut selbst, welches sich in Berührung mit der freien Atmosphaere befindet, der durch die Gleichung: Ga = C,, M, ausgedrückte Zustand besteht, wonach in der Raumeinheit der Flüssigkeit Oxyhaemoglobin, Haemoglobin und frei absorbirter Sauerstoff gleichzeitig neben einander vorhanden sind, so drängt sich die Frage auf, welche Vor- stellung wir uns von dem Nebeneinander der beiden letzten Stoffe, Haemo- globin und Sauerstoff, zu machen haben. Ist es überhaupt möglich, fragt man sich, dass Haemoglobin und Sauerstoff in einer Lösung bei einander sind, ohne sich zu Oxyhaemoglobin zu verbinden? Welche Vorstellung wir uns auch von diesem eigenthümlichen Zu- stande machen mögen, das Verhalten der Flüssigkeit vor dem Spectrakop . und namentlich vor dem Photometer lässt, wie ich schon früher durch besondere Versuche bewiesen habe,! nur die eine Deutung zu, dass, so- bald überhaupt Haemoglobin und Sauerstoff in einer Lösung, und sei sie die verdünnteste, zusammentreffen, die Bildung von Oxyhaemoglobin die Folge ist. Wohl mag die Verbindung zwischen beiden in dem betreffenden Falle äusserst lose und wenig haltbar sein: immer muss es eben doch eine \ Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. X. 8. 218—226. 6. Hürner: ZUR SPECTROSKOPIE UND PHOTOMETRIE DES BLUTES. 29 chemische Verbindung sein und zwar eine solche, die sich in ihrem op- tischen Verhalten von dem gewöhnlichen Oxyhaemoglobin durchaus nicht unterscheidet. Wäre letzteres nicht der Fall, so könnte es ein Absorptionsspec- trum reinen Oxyhaemoglobins überhaupt gar nicht geben. Um das Eigenthümliche des Zustandes noch klarer zu machen, will ich sogleich ein paar ganz bestimmte Fälle ausführlich betrachten. Nach Tabelle IX sollen bei einem Gehalte von 14 e”= Farbstoff in 100 «m Blut unter dem normalen Sauerstoffdrucke von 159.3 wm und bei einer Temperatur von 35° 0.21 sm Haemoglobin in reducirtem Zustande vorhanden sein. Die Menge des bei der gleichen Temperatur und unter demselben Drucke von 100 «= Blut einfach absorbirten Sauerstofis wird vielleicht nicht ganz 0.53 “= betragen, jedenfalls aber viel mehr, als hin- reichend ist, um 0-21 em Haemoglobin in Oxyhaemoglobin umzuwandeln, — denn hierzu bedarf es nur 0.29 cm, Sollen wir nun annehmen, dass diese 0.21 "7 Haemoglobin sich wirk- lich ganz indifferent neben den im Ueberschusse vorhandenen Sauerstoff- theilchen umhertreiben? Ich glaube nicht. Wohl aber ist es nicht un- . wahrscheinlich, dass gerade jener Bruchtheil an Farbstoff einen fortwähren- den Wechsel des mit ihm lose verbundenen Sauerstoffs erleidet; wie wir ja auch annehmen, dass die von einem Flüssigkeitsvolumen absorbirten Gastheilchen nicht dauernd in demselben verbleiben, sondern dass gerade im Zustande des Gleichgewichtes, also dann, wenn das Flüssigkeitsvolumen mit dem Gase „gesättigt“ ist, ein fortwährender Wechsel derselben statt- findet, derart, dass für eine gewisse Zahl in der Zeiteinheit von aussen neu eintretender (Gastheilchen ebenso viele andere in der gleichen Zeit die Flüssigkeit wieder verlassen. Wird nun arterielles Blut so weit mit luftgesättigtem Wasser ver- dünnt, dass eine spectroskopische und sogar eine photometrische Unter- suchung desselben möglich ist, und besitzt die an freier Luft befindliche Lösung nachher vielleicht die Concentration 0.001, so sind darin in Folge der Verdünnung wahrscheinlich schon sämmtliche Oxyhaemoglobinmolecüle dissoeürt. Allein die von 1 «m der wässerigen Lösung bei etwa 20° — es sei dies z. B. während der Untersuchung die Temperatur desselben — unter dem normalen Partiardrucke absorbirte Sauerstoffmenge beträgt 0.0059 em und ist demnach mehr als viermal so gross als diejenige, die zur Umwandlung von 0.001 em Haemoglobin in die Sauerstoffverbindung erforderlich ist. Jetzt werden sämmtliche vorhandene Oxyhaemoglobin- molecüle den oben geschilderten immerwährenden Wechsel ihrer Sauer- stoffmolecüle erfahren, ohne dass die Reinheit des Spectrums, und zwar desjenigen des Oxyhaemoglobins, darunter Schaden leidet. 30 G. HürneEr: ZuR SPECTROSKOPIE UND PHOTOMETRIE DES BLUTES. Mit Hülfe solcher Vorstellungen erklärt sich nun auch am unge- zwungensten die von mir schon früher gemachte und mitgetheilte Erfah- rung,! wonach Verdünnung arteriellen Blutes mit ausgekochtem, also luft- freiem, Wasser durchaus nicht, wie man erwartet hatte, das Auftreten des venösen Blutspeetrums zur Folge hat, sondern dass sie vielmehr das Spectrum des arteriellen Blutes, das will sagen die Vertheilung der Intensität des Lichtes in demselben, in keiner Weise verändert. Nur ist es in diesem letzteren Falle nicht die Vertauschung der am Haemoglobin hängenden Sauerstoffmolecüle mit solchen, die immer neu aus der Atmosphaere in die Lösung eintreten, sondern nur der gegenseitige Aus- tausch der Sauerstoffmolecüle zwischen den verschiedenen Oxyhaemoglobin- molecülen unter einander, was den fraglichen, eigenthümlichen Dissociations- zustand darstellt. Tübingen, im August 1889. INAN2. ON Untersuchungen über den Puls. Von M. v. Frey und L. Krehl, (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) Obwohl zur Aufzeichnung der Druckänderung an einem beliebigen Punkte des Blutgefässsystemes zuverlässige Instrumente vorhanden sind, ist die Deutung der Beobachtungen noch immer mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, weil eine und dieselbe Curvenform auf verschiedene Weise zu Stande kommen kann. Diese Unsicherheit lässt sich aber grösstentheils beheben, wenn die Aufschreibung der Druckänderung an zwei Punkten gleichzeitig erfolet. Ob eine Drucksteigerung am Orte erzeugt oder fort- gepflanzt ist, ob eine Wellenbewegung in der einen oder anderen Richtung fortschreitet, wird sich in den meisten Fällen auf solche Weise entscheiden lassen. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend haben wir mittels zweier Mano- meter die Druckschwankungen der Herzkammer sowohl mit den Vorhof- als mit den Aortenpulsen verglichen. Endlich haben wir auch zuweilen beide Manometer in das Arteriensystem eingeführt, wenn es sich darum handelte über die Herkunft: der Pulswellen Auskunft zu erhalten. Zur Aufzeichnung und Messung der Druckschwankungen haben wir uns einer Vorrichtung: bedient, welche dem verbesserten Blutwellenzeichner von A. Fick! nachgebildet ist und nur in Einzelheiten der Ausführung von seinem Instrument abweicht. Die Construction wird durch den Auf- riss Fig. 1 dargestellt. X ist die Luftkapsel, welche sich nach oben in eine Röhre von nur 1-5 "” Jichter Weite fortsetzt. Durch Drehung der ı Pflüger’s Archw u.s.w. Bd. XXX. S. 597. 32 M,.v. Frey uno L. KrEht: Schraube S, kann die Kapsel höher oder tiefer gestellt werden. Der Raum der Kapsel ist nach unten geschlossen durch eine starke Kautschukplatte. Um das Aufbinden derselben zu erleichtern ist der Ring, über welchen sie gespannt wird, abschraubbar. Auf die festgebundene Kautschukplatte wird nun ein kegelföürmiger Beinknopf mit breiter Basis durch Schellack geklebt, hierauf der Ring wieder umgedreht (so dass der Beinknopf nach unten sieht) und auf die Kautschukplatte einige Tropfen Wasser gebracht, um den Luftraum der Kapsel auf ein möglichst kleines Maass zu beschränken. Die enge Röhre, in welche sich die Kapsel nach oben fortsetzt, muss stets mit Luft gefüllt bleiben. Die Spitze des Beinknopfes berührt die obere Fläche eines kleinen Federblattes aus Stahl (/°) dessen Griff durch die Schraube S, festgehalten wird. Gegenüber dem Berührungspunkte mit der Luftkapsel, also nach unten gerichtet, ist an die Stahlfeder ein keilförmig abgeschrägter Bein- cylinder angenietet, dessen scharfe Kante unmittelbar dem Schreibhebel an- liest. Der Schreibhebel selbst ist in der Figur nur als runder Querschnitt siehtbar, die Spitze der Schreibfeder ist gegen den Beschauer gerichtet; dagegen ist die in Spitzen laufende Axe des Schreibhebels sowie das Ge- wicht, welches um die Axe geschlungen den Hebel beständig nach oben UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PUuns. 33 an die Stahlfeder andrückt, ohne Verkürzung dargestellt. Entfernt man das Gewicht, so fällt der Hebel durch seine eigene Schwere nach unten und schraubt man nun die Luftkapsel nach oben, so kann man bequem an die Stahlfeder herankommen. Wir haben stets eine Anzahl von Federn von verschiedener Steifigkeit vorräthig gehabt. Sehr oft haben wir aber ohne jede Stahlfeder geschrieben und die Luftkapsel so tief herabgeschraubt, dass sie den Schreibhebel unmittelbar berührte. Der Apparat ist für eine von links nach rechts drehende Trommel bestimmt, deren Curven somit von rechts nach links zu lesen sind. Druck- steigerungen schreibt der Apparat nach abwärts. Dreht man die fertige Tafel um 180 Grad, so sind die Curven von links nach rechts und die Drucksteigerungen nach aufwärts zu lesen. Der Schreibhebel ist in doppelter Weise verstellbar. Erstens kann die Gabel, in welcher seine Axe läuft, dem Angriffspunkt genähert oder von ihm entfernt werden, so dass die Curve in beliebigem Verhältnis vergrössert werden kann. Durch die Schraube $, wird die Gabel in der gewählten Stellung festgehalten. Wir haben gewöhnlich eine 20fache Vergrösserung benützt. Zweitens kann der Arm, welcher die Schraube $, trägt, an dem rechtwinklisen Rahmen des Manometers vertical verstellt werden, wodurch die Berührung des Schreibhebels mit der Stahlfeder bez. der Luftkapsel bei horizontaler Ausgangsstellung jederzeit herstellbar ist. Fig. 2. Die Verbindungsstücke zwischen dem Manometer und dem Thiere sind in Fig. 2 dargestellt. In das betreffende Blutgefäss ist eine metallene Röhre mit Hahn (7/7) eingebunden. In das äussere erweiterte Ende des Hahnes passt, luftdicht eingeschliffien, ein kleiner metallener Stiefel, welcher mit dem unteren Ende der Glaskugel (X) fest verkittet ist. Das obere Ende der Kugel ist durch ein Stück diekwandigen Kautschukschlauches mit der Capillarröhre (©) und weiterhin mit dem metallenen T-Rohr (7) verbunden. Archiv f. A.u. Ph. 1390. Physiol. Abtlılg. 3 34 M. v. Frey und L. KrEaL: Der zweite horizontale Schenkel des T-Rohres führt zu einem Quecksilber- Manometer mit Vorrichtung zum Aichen des Blutwellenzeichners, der ver- ticale Schenkel bildet die Fortsetzung der verticalen Röhre der Luftkapsel. Je nach der Stellung der beiden Hähne am T-Rohr lässt sich die Luft- kapsel nach Belieben mit dem Aichapparat oder dem Blutgefäss verbinden. Die Bohrungen des T-Rohres haben 1-5 "m Jichte Weite. Zu Beginn des Versuches sind alle Hähne, auch der an der Canule (/7) geschlossen. Die Glaskugel X wird mit gerinnungswidriger Flüssigkeit zur Hälfte gefüllt (ihr Rauminhalt beträgt 1.2°) und in den Schliff gesteckt. Hierauf wird Hahn 4 und der eine des 7-Rohres geöffnet. Ebenso einfach sind die Handgrifie zur Reinigung der Glaskugel und der Canüle, welche im Laufe eines Versuches mehrfach vorzunehmen ist. Der aufrechte Stand der Glaskugel, der für die Zuverlässigkeit der Messungen Voraussetzung ist, lässt sich ohne Mühe herhalten. Wir haben diese Anordnung mit freier Flüssigkeitsoberfläche viel bequemer gefunden als das Goldschlägerhäutchen, durch welches A. Fick! die Flüssigkeit von der Luft abgrenzt. Ueber die Leistungsfähigkeit des Apparates haben wir uns durch fol- ‘sende Prüfungen Kenntniss zu verschaffen gesucht. 1. Beweglichkeit. Zwei Manometer von der beschriebenen Con- struction waren durch ein mit Luft gefülltes Capillarrohr von 30°” Länge (die für gewöhnlich gebrauchte Länge) mit einander verbunden. Von dem zweiten Manometer waren die Stahlfeder und der Schreibhebel entfernt und der Beinknopf der Kautschukplatte mit der Zinke einer Stimmgabel von 120 Schwingungen in Berührung gebracht. Die Stimmgabel wurde elek- trisch erregt. Die Schwingungen wurden von dem schreibenden Manometer gut leserlich verzeichnet. 2. Rasche Einstellung. Der Stempel einer Injectionsspritze wird durch einen Excenter periodisch auf- und niedergedrückt. Der Excenter von dem Gasmotor angetrieben macht zwei Umdrehungen in der Secunde. Die Spritze mündet in ein 7-Rohr mit Saug- und Druckventil, wodurch die Fortbewegung der Flüssigkeit (Wasser) in Einer Richtung bedingt wird. An das Druckventil ist ein 7 Meter langer Kautschukschlauch von 5m Jichter Weite und Im= Wanddicke angesteckt, aus dessen freiem Ende das Wasser in eine Schaale abfliesst. Der Anfang des Schlauches ist ausser mit dem Druckventil auch noch mit dem Manometer verbunden und zwar nach Belieben entweder direct oder durch Vermittelung eines Kautschukventiles, durch welches der Wellenzeichner in ein Maximum- manometer verwandelt wird. Die Schliessung oder Oeffnung einer Klemme ! Verhandlungen des fünften Congresses für innere Medicin. 8. 92. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN Puns. 35 genügt, um das Manometer in dem einen oder anderen Sinne arbeiten zu lassen. In Fig. 3 sind die Curven der vollen Druckschwankung und des maximalen Druckes unmittelbar hintereinander auf dieselbe Trommel ge- schrieben. Letztere läuft, wie man sieht, genau durch die Gipfel der Schwan- kungscurve. Da die Transmission etwas schlägt, haben weder die Gipfel der Schwankungscurve noch die Linie des Maximaldruckes vollkommen con- stante Werthe. 150 — — 700 80 I — — — — — — — —_———————— nn 1" al Fig. 3. Die Geschwindigkeit der Druckänderung von etwa 500 a entspricht Werthen, welche bei der Aufschreibung von Ventrikeldrucken häufig zu beobachten sind. Die Einstellung des Manometers geschieht also für die vorliegenden Zwecke genügend rasch. 3. Eigenschwingungen. Durch einen horizontal liegenden Kautschuk- schlauch von 3= Länge fliesst Wasser aus einem Druckgefäss von constantem Niveau und 135.5°® Wasserdruck (= 100"® Hg). Die freie Mündung des Schlauches kann durch einen Glashahn verschlossen werden. Unmittel- bar oberhalb des Hahnes zweigt die Verbindung zum Manometer ab. Die Curve, welche das Manometer zu schreiben hat, wenn der stetige Wasser- strom durch Drehung des Hahnes unterbrochen wird, ist durch v. Kries theoretisch abgeleitet und auch experimentell verificirt worden. In Fig. 4 zeigt die obere Curve, welche von unserem Instrumente herrührt, anschliessend an den ersten Druckanstieg kleine die geforderte Form der Curve nur wenig entstellende Eigenschwingungen. In der unteren Curve, welche von einem Hürthle’schen Apparate herrührt, macht sich der Einfluss der Eigenschwin- gungen stärker geltend. Selbst im ersten absteigenden Schenkel dieser 3* 36 | M. v. Frey uno L. Krear: Curve, welche die Rückkehr der (vom Druckgefäss ungleichnamig reflec- tirten) Welle zum Manometer anzeigt, lässt sich eine Abweichung von der normalen Curvenform bemerken. ae TE m u a nn m 1 Fig. 4. Nach diesen Erfahrungen können wir dem ungünstigen Urtheil, das Hürthle! über die Methode der Luftübertragung abgiebt, nicht allgemein zustimmen. Wie jede andere Methode wird auch diese nur unter Einhaltung gewisser Vorsichtsmaassregeln zuverlässige Angaben liefern. Die Flüssigkeits- verschiebung in der Canüle und dem entsprechend die Reibung wird zwar bei Luftübertragung, gleiche elastische Widerstände vorausgesetzt, stets grösser sein als bei durchgängiger Wasserfüllung des Manometers. Sorgt man aber für kleine Lufträume, und begnügt man sich mit kleinen Exeursionen des Schreihhebels, so wird, wie die Erfahrung lehrt, die Curve nur mit geringen Fehlern behaftet sein. Bei Versuchen mit Druckschwankungen in weiten Gefässen, wie beim Hunde, steht der Anwendung der Methode kein Be- denken entgegen. Der Satz, dass die Grösse der Flüssigkeitsverschiebung, welche einem Manometer für eine gegebene Druckdifferenz eigenthümlich ist, das Kriterium der Leistumgsfähigkeit sei, ist also sicher nicht zureichend, ja nicht einmal der Satz, dass die Arbeit, welche der Blutstrom an dem Manometer leistet, ein Minimum sein müsse, welcher übrigens mit dem ersten nicht identisch ı Pflüger’s Archiw u.s. w. B. XLIIl. S. 399. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PU1s. 37 ist. Wie Mach! gezeigt hat ist die Genauigkeit, mit welcher ein Druck- messer einer gegebenen Schwankung folgt, von der Beschaffenheit einer sanzen Anzahl von entgegenstehenden Kräften abhängige, so dass es nicht allein auf die Arbeitssumme, sondern auch auf die Form ankommt, in welcher die Arbeit geleistet wird. Daraus folgt aber weiter, dass kein Manometer für alle Zwecke gleich gut ist und dass je nach den Bedingungen des Versuches bald der einen bald der anderen Construction der Vorzug zu geben sein wird. Am wenigsten kann aus dem Formenreichthum der Curven auf die Tüchtigkeit des Apparates geschlossen werden. Die Beobachtungen, über welche im Folgenden berichtet wird, sind aus- schliesslich an Hunden angestellt. Alle Thiere waren mit Vemictaen (0.5— 2.0 8m, je nach der Grösse) -betäubt und in der Regel ausserdem noch durch Curare unbeweglich gemacht. Die Verbindung des Manometers mit dem betreffenden Gefässabschnitt geschah entweder unter Benutzung eines an dieser Stelle abgehenden Astes oder durch Röhren, welche von der Nachbarschaft her bis an die gewünschte Stelle vorgeschoben wurden. I. Der Druckablauf in den Herzkammern. Zur Darstellung der Druckänderungen im rechten Ventrikel haben wir - ein Metallrohr von 3"® breitem Durchmesser durch die rechte Vena jugu- laris bis in die Kammer vorgeschoben, je nach den Umständen des Ver- suches bei geschlossenem oder geöffnetem Thorax. Um eine Verletzung der Gefässe durch die scharfen Ränder des Rohres zu vermeiden, wird während der Einführung in das Lumen des Rohres ein dasselbe ausfüllender Stab gesteckt, dessen abgerundetes Ende das Rohr um einige Millimeter über- ragt. Der am äusseren Ende des Rohres befindliche Metallhahn muss daher eine Bohrung von genügender Weite haben, um den Stab hindurch zu lassen. In den linken Ventrikel gelangt man mit derselben Röhre von einem der grossen Halsgefässe, am bequemsten von der rechten Carotis aus. Hierzu eignen sich nur grössere Thiere mit: weiten Gefässen, bei welchen sich die Röhre ohne grosse Reibung einschieben lässt. Sind die Widerstände beträchtlich, so verliert die operirende Hand jedes Gefühl für die Hindernisse, auf welche die Spitze des Rohres stösst, und man läuft Gefahr, die Wurzel der Aorta oder das Herzfleisch zu durchbohren. Bei sorgsamer Einführung gelingt es zuweilen an den Aortenklappen vorbei zu kommen, ohne sie zu beschä- digen. Wir haben aber auch von der Durchbohrung einer Tasche keinen Schaden gesehen, d. h. keine Aenderung der Curvenformen zu beiden Seiten der Klappe, so lange das Rohr an seiner Stelle liegen blieb. Es verstopft dann selbst den Riss, den es verursacht hat. 1 Wiener Sitzungsberichte. Bd. XLVI. II. 8.157; — Bd. LXVIL II. 8.33.53. 38 M. v. Frey unD L. Kreun: Ist der Thorax geöffnet, so gelingt die Einführung sehr leicht vom Vorhof aus. Hierzu empfiehlt sich die Anwendung weiter, kurzer, recht- winklig geknickter oder gebogener Röhren. Die Einführung geschieht auf folgende Weise: Der äusserste Zipfel des Herzohres wird mit einer Faden- schlinge abgeschnürt oder noch besser mit einer Serre-fine abgeklemmt. Der Zipfel wird nun angeschnitten und das Ende des Rohres locker eingebunden. Nun wird die Schlinge oder die Klemme gelöst und das Rohr behutsam weiter vorgeschoben, bis seine Mündung die Zipfelklappe überschritten hat. Man kann nun, wenn nöthig, noch eine zweite, festere Ligatur um Herzohr und Röhre legen; man hüte sich aber, den Faden stark anzuziehen und wähle möglichst dieke und weiche Fäden. Die zarte Muskelwand des Vorhofes wird sonst leicht durchschnitten und man verliert den Versuch durch Blutungen oder, was wir noch häufiger gesehen haben, durch Ansaugung von Luft in’s Blut in den Zeiten des negativen Vorhofdruckes. Das bei operativen Manipula- tionen am Herzen drohende Delirium cordis haben wir stets eintreten sehen, wenn Luft in die Coronargefässe eingedrungen war. Sicherlich giebt es noch andere Veranlassungen zu dieser eigenthümlichen Störung des Herzrhythmus. Eine längere Zeit dem Herzen aufgezwungene, anormale Lage, namentlich, wenn sie mit Behinderung der Füllung verbunden ist, wirkt ebenfalls verderblich. Deshalb haben wir zur Einführung vom Vor- hof aus, die gebogenen Röhren vortheilhafter gefunden als die geraden. Ist die Einführung geschehen, so kann das (etwas nach rechts gedrehte) Herz in seine normale Lage zurückgebracht werden. Unter Einhaltung _ dieser Vorsichtsmaassregeln wird man selten einen Versuch verlieren. A. Die Form der Ventrikelpulse. Liegen die Röhren richtig im Ventrikel (darüber noch später Vor- schriften), so erhält man bei jeder Art der Einführung am linken wie am rechten Herzen, bei geschlossenem wie offenem Thorax, stets dieselbe charak- teristische Form des Druckablaufes, welche durch Fig. 5 dargestellt wird. Mit jeder Contraction des Herzens beginnt der Druck von einem Werthe, der nicht weit von Null abweicht, zu steigen, zuerst so allmählich, dass der Beginn der Erhebung nicht scharf zu bestimmen ist, sodann aber sehr bald mit grosser Steilheit. Gegen den Gipfel nimmt dann die Schnelligkeit des Anstieges wieder ab. Ist die Maximalhöhe erreicht, so beginnt der Druck ohne Verzug wieder zu sinken, zuerst mit zunehmender, dann mit abneh- mender Geschwindigkeit, bis der Werth Null erreicht ist. Dieser erste, positive Theil der Ventrikeldruckeurve hat demnach eine um die Maximal- ordinate nahezu symmetrische Gestalt. Die Symmetrie ist wie gesagt keine vollständige, denn das Absinken des Druckes geschieht in der Regel mit etwas geringerer Geschwindigkeit als das Ansteigen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 39 74 19} u O— 50 0 [0] 7fh Fig. 5. Curve 1 und 3 stammen vom rechten, 2 und 4 vom linken Ventrikel; 1 und 2 bei offenem, 3 und 4 bei geschlossenem Thorax. Künstliche Respiration. Auf die Periode positiven Druckes folgt nun in den meisten Fällen eine Zeit negativen Druckes. Ihre Dauer ist kürzer als die positive Phase, ihre Ordinaten viel kleiner und ihre Gestalt deutlich unsymmetrisch, da das Absinken zum Minimum stets rascher geschieht, als das Wiederauf- steigen zu einem von Null wenig verschiedenem Werthe. Auf diesem Werthe verbleibt nun der Druck, je nach der Pulzfrequenz verschieden lange, bis eine neue Contraction einsetzt und damit ein neuer Anstieg be- ginnt. Die Zeit eines Kammerpulses lässt sich demnach in drei Abschnitte zerlegen, von welchen der erste der positiven, der zweite der negativen 40 M. v. Frey unD L. Krent: Druckschwankung entspricht, während im dritten Abschnitt der Druck nahezu constant bleibt. Zahlreiche Beobachtungen haben uns gelehrt, dass die Druckcurve des Ventrikels, obwohl sie im ganzen weniger veränderlich erscheint als die Pulse irgend einer anderen Abtheilung des (Gefässsystemes, doch je nach den Bedingungen des Versuches gewisse Verschiedenheiten zeigt, auf welche wir nun näher eingehen müssen. 1. Periode der positiven Druckschwankung. Die Lage der Metallröhre im Herzen ist für die Form der Ventrikel- pulse, insbesondere in der 1. Periode von grosser Bedeutung und zwar bei der linken Kammer mehr als bei der rechten. Curven von der oben beschriebenen Form werden nur erhalten, wenn die Röhre in der Richtung der Längsaxe der Kammer gelegen ist und mit ihrer Mündung möglichst nahe der Basis. Schiebt man die Röhre weiter gegen die Herzspitze vor, so erhält man Pulse mit abgekappten Gipfeln und zwar geschieht die Unter- brechung des normalen Druckanstieges auf desto tieferem Niveau, je näher die Mündung des Rohres an die Herzspitze heranrückt. In Fig. 6 wird umgekehrt die Röhre immer weiter herangezogen. Die Erscheinung ist ver- ständlich auf Grund der Untersuchungen von Hesse,! welcher zeigte, dass in dem durch heisses Kaliumbichromat maximal contrahirten linken Ventrikel ein mit Blut erfüllter Raum nur an der Basis, oberhalb der Papillarmuskeln, übrig bleibt, während der gegen die Spitze gelegene Abschnitt durch das Zusammenrücken der Wände und der Papillarmuskeln zu einer sternför- migen Spalte zusammenschrumpft. Geräth die metallene Röhre in diesen Raum, so muss sie verschlossen werden und zwar wie der Versuch zeigt um so früher, je tiefer sie liegt. Die Zusammenlegung der Herzwände ge- schieht also von der Spitze an nach aufwärts, so dass dem Blut kein an- derer Ausweg bleibt, als in die offene Aorta. Auch wenn die Röhre nicht zu tief eingeführt worden ist, können ab- weichende Formen dadurch entstehen, dass sie sich schräg zur Kammeraxe stellt. Bei unveränderter Lage der Röhre genügen oft die Verschiebungen des Herzens bei natürlicher oder künstlicher Respiration, um periodisch eine Störung der Curven zu bewirken, Fig. 7. Es kommen dabei abgekappte oder doch abgestumpfte Gipfel, Doppelgipfel und anderweitig entstellte Formen zum Vorschein, welche sich dadurch als fehlerhaft erweisen, dass sie ver- schwinden, sobald man die Röhre in passender Weise umlagert. Bei der grossen Sorgfalt, welche auf diesen Theil der Versuchsanordnung verwendet werden muss, haben wir es für unerlässlich gehalten, einen von uns aus- ! Dies Archiv. 1880. Anat. Abth. 8. 328, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PUTs. 41 30 Fig. 6. Linker Ventrikel, Thorax offen, Röhre zuerst tief im Ventrikel, dann immer mehr herausgezogen (18. 5. 88). schliesslich mit der Ueberwachung der Röhre bez. deren Lagerung zu be- trauen. Wir erwähnen dies, weil wir es für möglich halten, dass manche 100 0 WEN ee 6 2 2 Fig. 7. Linker Ventrikel, Thorax offen (6. 6. 88). der so abweichenden Formen von Ventrikelpulsen, welche Marey und Chauveau,! Fick,? Fredericqg? und zum Theil auch Rolleston* ab- ' Marey, Physiologie meiicale de la eirculation. Paris 1863. p. 54. ? Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XXX. ® Travaur du Laboratoire. t. 11. p. 37. * Journal of Physiology. Vol. VIII. p. 235. 42 M. v. Frey unn L. KrEar: gebildet haben, auf Störungen der erwähnten Art zurückzuführen sind. Dagegen findet Fick! in seiner letzten Mittheilung über Ventrikelpulse, Rolleston in einer grossen Zahl von Fällen, Hürthle in dem Beispiele Taf. I Fig. 1 der oben citirten Abhandlung Formen, welche mit unserer Darstellung völlig übereinstimmen. Abnorme Formen von Kammerpulsen sind ferner zu beobachten bei unregelmässiger Schlagfolge, wie sie am blossliegenden Herzen, insbeson- dere nach längerer Unterbrechung der Athmung, häufig vorkommt. Es treten dann gespaltene oder Doppelgipfel auf, so oft zwei Systolen einander so nahe rücken, dass zwischen ihnen der Druck nicht auf Null sinken kann (Fig. 8). 700 0 0 RN 1 | 0) is 2 Fig. 8. Linker Ventrikel, Thorax geschlossen (11. 2. 89.) Der zweite Gipfel ist dann stets kleiner als der erste und nach bekannten Regeln um so niedriger, je näher er an den ersten herankommt. Häufig ist die zweite Systole nicht mehr im Stande, die Aortenklappen zu öffnen, weil zwischen den beiden Contractionen keine Füllung stattgefunden hat, und ohne weitere Hilfsmittel würde es dann kaum möglich sein, die abnorme Form des Druckablaufes als eine Doppelcontraction mit Sicherheit anzu- sprechen. Durch gleichzeitige Aufschreibung der Vorhofdrucke lässt sich aber die Diagnose meist mit Sicherheit stellen (siehe unten). 2. Periode der negativen Druckschwankung. Wie bereits Goltz und Gaule? gezeigt haben treten negative Drücke in der Kammer auch bei offenem Thorax ein. Dieselben entsprechen also zweifellos einer von der Thätigkeit des Herzmuskels herrührenden Saugung, deren Wirkung sich auch im Vorhof bemerkbar macht, wie später gezeigt werden soll. Sie schliesst sich der positiven Druckschwankung unmittelbar an, doch kommt sie nicht jederzeit zur Beobachtung. Aus der Erfahrung, dass der Druckabfall im Ventrikel durch eine neu eintretende Oontraction jederzeit unterbrochen werden kann, folgt, dass ! Siehe oben S. 34. ® Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XVII. S. 100. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN Puns. 43 die Entwickelung der negativen Phase von der Schlagzahl abhängig sein muss. Bei schr raschem Puls wie z. B. nach Vagusdurchschneidung kann sie fehlen, oder doch nur spurweise angedeutet sein, weil die neue Systole einsetzt, bevor der Druck unter Null hat sinken können. Aber auch bei langsamer Schlagfolge werden die negative Drücke nicht selten vermisst, wenn in den Venen und den Vorhöfen das Blut so sehr angestaut ist, dass eine Oefinung der Zipfelklappen und eine Füllung des Ventrikels eintritt, bevor der Druck im Ventrikel die Nulllinie erreicht hat, z. B. bei der Erstickung, bei der Massage des Bauches u.s. w. Dass die Kammer nichtsdestoweniger ihre ansaugenden Bewegungen ausführt geht daraus hervor, dass die Druckeurve ein dem Maximum unmittelbar folgendes Minimum ebenso besitzt wie die normale, nur dass hier auch das Mini- mum noch einen positiven Druckwerth repräsentirt. Die Curve ist gewisser- maassen über die Abseisse hinaufgeschoben. (Fig. 9.) 50 Ta u Da Fig. 9. Rechter Ventrikel, Thorax offen, Druck auf den Unterleib (10. 7. 88). Es könnte vielleicht widersinnig erscheinen von einer Saugwirkung auch in den Fällen zu sprechen, in welchen der Druck nicht unter den atmosphaerischen herabgeht. Die active Erweiterung einer Höhle braucht indessen nicht zu negativen Drücken zu führen. Wird der Stempel einer Spritze unter Wasser zurückgezogen, so hängt es von der Geschwindigkeit dieser Bewegung, von der Weite der Mündung und der Grösse des Wasser- druckes vor derselben ab, ob negative Drücke unterhalb des Stempels ent- stehen. Die selbstthätige Erweiterung der Kammer führt stets dann nicht zur Entwickelung negativer Drücke, wenn der Vorhof durch Massage des Unterleibs, durch Vagusreizung oder Erstickung prall mit Blut gefüllt ist, die Füllung der Kammer somit ohne Verzug stattfinden kann. Dieselbe Erscheinung findet sich auch bei den Vorhofpulsen, wie später zu besprechen sein wird. Besonders beschleunigt muss die Füllung der Kammer werden, wenn Vorhofcontraction und Kammersaugung zeitlich zu- sammen fallen. Dies trifft bei sehr raschem Puls thatsächlich ein, und hat zweifellos einen Antheil an der geringen Ausbildung der negativen Druckphase, welche für hohe Pulsfrequenzen als charakteristisch geschildert worden ist. Wir werden auf diesen Fall noch zu sprechen kommen. Von diesen physiologischen Bedingungen, welche der Ausbildung der 44 M. v. Frey und L. Krent: negativen Phase oft entgegen arbeiten, sind künstliche Hindernisse im Mano- meter wohl zu unterscheiden, welche dadurch entstehen, dass durch geronnenes oder in Berührung mit der gerinnunghemmenden Lösung dickflüssig ge- wordenes Blut eine ventilartige Verstopfung geschaffen wird. Die Curve verräth dieses Hinderniss, indem sie ihren regelmässigen Abfall auf oder über der Abseisse plötzlich unterbricht und als horizontale Linie bis zur nächsten Herzcontraction weiterzieht. Nach Reinigung der Röhren verschwindet die Erscheinung. Erwähnenswerth scheint uns, dass wir in einem Falle (1. 8. 1888, Fig. 13 im DH. Theil) die negative Phase dauernd vermissten. Es waren Pulse des rechten Ventrikels, zu deren Aufschreibung wir die Röhre nicht wie sonst vom rechten Vorhof, sondern von der Pulmonalarterie aus einge- schoben hatten. Dabei wurde eine Taschenklappe durchbohrt; die Röhre blieb aber in der Oeffnung liegen. Die Mündung der Röhre befand sich im Conus arteriosus etwa 2°” unterhalb der Klappe. Die Form der Pulse ist aus Fig. 30 ersichtlich. Statt der negativen Druckschwankung erscheint eine sehr langsame Senkung des absteigenden Schenkels der Curve gegen die Nulllinie. Diese Abweichung der durchstossenen Klappe zuzuschreiben scheint uns nicht geboten, weil wir nach Durchstossung einer Aortenklappe die negative Phase im linken Ventrikel auftreten sahen. Es ist uns viel- mehr nicht unwahrscheinlich, dass in dem lang gestreckten rechten Ven- trikel die Druckänderungen nicht in allen Theilen der Höhle gleich ver- laufen, speciell die negativen Druckschwankungen nur im venösen Abschnitte auftreten. Da wir nur über Einen Versuch verfügen, können wir diesen Satz lediglich als eine Vermuthung aussprechen. 3. Periode des wenig veränderlichen Druckes. Diese Periode ist in Bezug auf ihre Dauer dem allergrössten Wechsel unterworfen. Bei rascher Schlagfolge verschwindet sie vollständig, während sie durch Vagusreizung beliebig verlängert werden kann. Ist sie deutlich entwickelt, so zeigen sich gewisse individuelle Formverschiedenheiten. In der Regel erscheint unmittelbar nach dem Ablauf der negativen Druck- periode ein kleiner positiver Ausschlag, worauf die Curve gegen die Abseissen- axe zurückkehrt, vel. Fig. 10. In Fig. 11 folgt dieser ersten Schwankung sogar noch eine zweite schwächere nach. Die Annahme, dass es sich hier um Eigenschwingungen des registrirenden Apparates handelt, ist vollkommen ausgeschlossen. Eigenschwingungen kommen bei der plötzlichen Abkappung von Ventrikelpulsen durch den Herzmuskel zuweilen zum Vorschein (z. B. in Fig. 6) und zeigen eine Periode von 0-012 bis 0-026 Sec. Die Periode des hier be- schriebenen Vorganges beträgt aber mindestens das 10fache dieser Werthe. Es liegt nahe an unvollständige systolische Contractionen zu denken, wie UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 45 solche bei unregelmässiger Herzthätigkeit sehr oft zu beobachten sind. Fick, ' dem derartige Formen aufgestossen sind, hat sie in diesem Sinne gedeutet und es ist sicher, dass durch überzählige, verfrühte oder abortive Con- tractionen Drucksteigerungen von ganz ähnlicher Form hervorgebracht werden können. Es ist indessen zu berücksichtisen, dass die Schwankungen oft lange Zeit hindurch jeder Systole mit grösster Regelmässigkeit folgen und sich gleichzeitig weder in der Aorta noch in dem Vorhof eine Spur von überzähligen systolischen Contractionen finden lässt. 700 so 0 Ti N 3" Fig. 10. Linker Ventrikel, Thorax geschlossen (11. 2. 89). 0 Fl Fig. 11. Rechter Ventrikel, Thorax offen (1. 5. 88). Wir können die Ursache der fraglichen Schwankung nicht in einer Morphiumwirkung sehen (siehe Fick, a. a. O.). Unsere Thiere waren ohne Ausnahme mit Opium narkotisirtt und wir haben Fälle, wo die Schwankung trotz deutlicher Ausbildung der negativen Phase fehlte. Rolleston, weleher mit Aether und Chloroform narkotisirte, hat sie als eine fast regelmässige Erscheinung gefunden. Er spricht die Meinung: aus, dass sie ist „presumably due to the inertia of the blood, which enters the ventricle as the result of the negative pressure, the influence of which must be assisted by the cessation of the elastic expansion of the ventricle.“ Wenn wir ihn recht verstehen, denkt er sich durch die lebendige Kraft des ein- strömenden Blutes eine Drucksteigerung in dem Augenblicke hervorgebracht, in welehem die Saugwirkung der Kammer nachlässt. Thatsächlich muss das Aufhören der Saugung auf die in Bewegung befindlichen Blutmengen wirken, wie die Unterbrechung eines Flüssigkeitsstromes durch Hahnschluss am peripheren Ende eines elastischen Schlauches, und folglich eine Druck- steigerung hervorbringen. Warum aber der Druck hierauf nochmals gegen die Abseissenaxe zurückkehrt, wie in Fig. 10, wäre nur verständlich durch ' Verhandlungen des V. Congresses u. s. W. .46 M. v. Frey und L. KREHt: eine weitere active Formveränderung der Kammer oder unter der Annahme, dass die besprochene Drucksteigerung ungleichnamig reflectirt aus den Venen zurückkäme. In letzterem Falle müsste sich der Vorgang auch im Vorhof nachweisen lassen, was uns bisher nicht gelungen ist. Wir möchten ferner bemerken, dass wir in allen Fällen, in welchen wir Kammerpulse und Vorhofpulse gleichzeitig aufgeschrieben haben, diese secundären Druck- maxima des Ventrikels niemals mit den Vorhofcontractionen haben zu- sammenfallen sehen. Die Druckerhöhung, welche durch die Vorhofsystole in der Kammer erzeugt wird, fällt vielmehr, solange der Herzschlag regel- mässig bleibt, stets unmittelbar vor die grosse positive Druckschwankung der Kammer, von welcher sie sich nur undeutlich abgrenzt, wie später ge- zeigt werden soll. Es wird also, bis nicht weitere Nachweise erbracht sind, am Richtigsten sein, die Druckschwankungen der dritten Periode als Leistungen der Musculatur der Kammer aufzufassen. Dauert die Erschlaffung der Kammer noch an, nachdem die negative Druckphase und die ihr eventuell folgenden Schwankungen abgelaufen sind, so hält sich der Druck, entsprechend der Füllung des schlaffen Herzens, langsam anwachsend, auf einem von der Nulllinie nur wenig verschiedenen Werthe; bei geschlossenem Thorax unter ihr, bei offenem über ihr. Bei hochgradiger Erstickung und entsprechend starker Anfüllung der Herzhöhlen kann der Druck bis gegen 20” He steigen. Immer bleibt er also gering- fügig gegen die Druckwerthe, welche durch die Contraction der Wand er- reicht werden. Es ist in der That erstaunlich, welch verschiedenen Füllungsgraden sich die schlaffe Herzkammer ohne grosse Spannungsände- rung anpasst. In einem Falle hatten wir Gelegenheit, Druckeurven zu verzeichnen von einer Kammer, welche sich im Zustande des sogenannten Muskelge- wühles befand. Der Druck stellte sich auf einen Mittelwerth von etwa 15m Hg ein, um welchen noch kleine periodische Schwankungen von doppelschlägigem Rhythmus stattfanden (vergl. Fig. 12). Wir werden auf diesen Fall bei den Vorhofpulsen zurückkommen. B. Ueber den zeitlichen Verlauf der Herzcontraction. Aus den Erörterungen über die Form der Ventrikelpulse ging hervor, dass, von den zuweilen eintretenden Doppelcontractionen abgesehen, die posi- tive Phase der Curve mit grosser Regelmässigkeit abläuft. Aber nicht nur ihre Form, sondern auch ihre Dauer ist durch besondere Beständigkeit ausge- zeichnet. Dies ist um so bemerkenswerther, als die Füllung des Herzens und damit die pro Systole ausgeworfene Blutmenge innerhalb weiter Grenzen UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN Purs. 47 veränderlich ist. So fand z. B. Stolnikow! bei einem Versuch die maxi- male Stromgeschwindigkeit 12!/, Mal grösser als die minimale, während Verhältnisszahlen, die zwischen 6 und 7 liegen, häufig wiederkehren. Da nun die Entleerung des Herzens nur in die Periode der positiven Druck- änderung oder in den als positive Phase vorhin beschriebenen Abschnitt der Herzrevolution fallen kann, so ist es wichtig zu wissen, ob die Dauer dieses Abschnittes ähnlichen Wandlungen unterliegt wie die Stromge- schwindigkeit. 1. Das einfachste Mittel, die Füllung des Herzens und damit die Strom- seschwindigkeit zu erhöhen, ist die Massage des Unterleibes. Drängt man an einem T'hiere mit offenem Thorax die Baucheingeweide gegen das Zwerch- fell, so sieht man das Herz in den Pausen sich hoch emporwölben; gleich- zeitig wird von dem Manometer in der Arterie eine Drucksteigerung ange- zeist. Der Druck auf den Unterleib muss gleichmässig und nicht zu stark sein, sonst führt der grosse Blutandrang zum Herzen zu unregelmässiger Schlagfolge. Insbesondere wird bei den Vorhöfen leicht ein Füllungsgrad erreicht, welcher sie der Fähiekeit sich zu contrahiren beraubt oder doch nur unvollständige Contractionen zulässt. (Gewöhnlich wird dann auch die Schlagfolge des Ventrikels gestört. Da nun die Aenderung des Rhythmus allein schon zu verschiedener Füllung des Herzens führt, so kann die Wir- kung der Massage auf den Druckverlauf in der Kammer nur dann rein zur Beobachtung kommen, wenn die geschilderte Störung vermieden ist. Im ersten Stabe der Tabelle 1 auf folgender Seite ist die Dauer des Druck- anstieges einer Anzahl von Ventrikelpulsen vor und während der Massage des Unterleibes aufgeführt. Auch in diesem Versuche führte die Compression der Eingeweide anfangs eine unregelmässige Herzthätigkeit herbei; dieselbe machte aber bald einer regelmässigen gegen früher nur wenig langsameren Schlag- folge Platz, wie aus den Zahlen des zweiten Stabes zu erkennen ist. Von diesem Punkte an beginnt wieder die Messung der Anstiegszeiten. Die Zahlen des dritten Stabes werden später zur Sprache kommen. Die Zeit des Druckanstieges ist während der Massage stets länger als vor derselben, die Mittelwerthe verhalten sich wie 100: 114, die maximale Zunahme ist. etwa 30 Procent. Wir bemerken, dass die Verhältnisse dieselben bleiben, wenn man statt des Druckanstieges die Dauer der ganzen positiven Druckphase misst. 2. Ein anderer Weg die Füllung des Herzens zu ändern ist durch Reizung des Vagus gegeben. Da der Blutstrom aus den Arterien in die Venen nach Unterbrechung der Herzthätigkeit noch längere Zeit besteht, so schreitet \ Dies Archiv. 1886. Physiol. Abthlg. 8. 1. 48 M.v. Frey und L. KrReur: Tabelle 1. Druckpulse des rechten Ventrikels. Nn. vagi intact. Versuch vom 10. Juli 1888. a. Vor der Massage. b. Während der Massage. de S 28 > a S 28% |: © ® ae 3 zes, |ı ze 2.2 & Tassen 803 33 33332 san &0 3 8 =333 sah | Be ae ae ee ea SE 22H een e3| 38 |&8g85#| SEs S = ae = S area] ea 1 —_ | mas 49 1 -— 10506 | — 2 0.106 | 09-410 | 46 2 0-120 0.450 58 3 | .0-.106 | 0.400 42 3 0.118 0.420 64 4 0-100 0.400 45 2 20-152 20 .0-450, 0 6r 5 0.112 0.405 45 5 0.124 0.335 | 68 6 0-108 0-410 46 6 0-120 | 0-45 | 54 7 0-112 0.400 48 7 0-122 | 0:45 | 66 8 0.104 0.420 44 8 0-116 0.440 60 9 0-104 0-415 41 9 | 0-122 043520 0158 10 0.112 0-410 45 10 0-124 0-420 | 57 11 0-112 0-415 44 11 09-124 0.430 57 12 0.110 0-405 45 12 0.122 | 0-45 60 13 0.100 0-410 47 13 O:120) 120-1200 56 14 0.110 0-415 43 14 0.120 0.420 51 15 0-100 0-420 40 15 0-124 | 0-45 | 53 16 0-110 0-40 | 48 16 0-128 | 0.430 54 17 0120 1070-425 03559 18 0-118 | 0-430 | 58 die Füllung des Herzens während einer Vaguspause fort und erreicht im Allgemeinen um so höhere Werthe, je länger die Pause ist. Bei offenem Thorax lässt sich das Anschwellen des Herzens vortrefllich beobachten und es werden bei längeren Pausen leicht Füllungsgrade erreicht, welche durch Lähmung des Vorhofes zu unregelmässiger Schlagfolge Veranlassung geben. Darauf mag es beruhen, dass Hüfler! nur bei schwachen Vagusreizen regelmässige Schlagfolgen erzielen konnte, Ueber die Dauer des Druckanstieges vor und während der Vagus- reizung giebt Tabelle 2 Auskunft. Sobald durch den Vagus das Intervall zwischen zwei Pulsen auf etwa das Dreifache des normalen Werthes gedehnt ist (Puls 14 und 16) wächst die Dauer des Druckanstieges von 0-140 auf 0-160 Sec., also etwa um 14 Procent; bei weiterer Streckung des Intervalles werden noch grössere ! Dies Archiv. 1889. 8. 295. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 49 Tabelle 2. Druckpulse des rechten Ventrikels, linker Vagus durchschnitten, rechter Vagus unversehrt. Versuch vom 5. Februar 1889. a. Vor der Vagusreizung. b. Während der Vagusreizung. as | 8 |=3538 35H ag | 25 |=335 55H nn 23.5 z.- an = ae 1 0.146 0-36 21 13 0.142 0-53 22 2 0-144 0-38 21 14 0.138 1-16 | 20 3 0-140 0-38 22 15 0-160 0-76 32 4 OS1ssmal 20-38 0 02.22 16 0-140 1-66 22 5 0.148 0-37 22 1 0-160 1-75 33 6 0.140 0-36 23 18 0-164 ers, 83 7 0.140 0-35 22 19 0-166 ars 33 8 0.142 0-37 21 20 0.170 3-57 32 9 0-140 0-36 21 21 0-180 3.94 32 10 0.136 0-36 21 22 0.180 3-74 32 11 0-140 0-36 22 23 0-174 2.90 30 oa 70-144. | 0-37 21 24 0-182 6-30 | 30 25 0-180 | 2-89 | 32 26 0-180 — | 33 Werthe, im Maximum 0.182 Sec. (30 °/,) erreicht. Bei Vagusreizungen, welche durch längere Zeit andauern, wird das Thier asphyktisch, es tritt Gefässkrampf ein, wodurch die Füllung des Venensystems und des Herzens noch weiter gefördert wird. 3. Wird bei einem curarisirten Thiere die Athmung unterbrochen, so tritt gleichzeitig Gefässkrampf und Vagusreizung ein und man wird erwarten können, dass die Druckpulse des Ventrikels den in 2 beschriebenen sehr ähnlich verlaufen. Wenn wir aus einem solchen Versuche dennoch ein Beispiel hier anführen, so geschieht dies wegen besonderer, der Erwähnung werthen Erscheinungen. Tabelle 3 giebt zuerst einige Werthe von Anstiegsdauer und Puls- intervall vor der Erstickung. Sodann wurde die künstliche Athmung auf kurze Zeit unterbrochen. Die Messungen setzen wieder ein zu einem Zeit- punkte, wo die gut ausgeprägten Erstickungspulse in die normale Schlag- folge zurückzukehren beginnen. Wie der Anblick des blossliegenden Herzens und übereinstimmend damit die gleichzeitig aufgeschriebenen Druck- und Contractionscurven des Vorhofes lehren, nimmt der Vorhof zu dieser Zeit Archiv f. A, u. Ph, 1890. Physiol. Abthlg. 4 50 M. v. Frey un L. Krear: an den Contractionen des Herzens kaum erkennbaren Antheil. Er ist durch die starke Füllung mit Erstickungsblut gelähmt. Erst nachdem etwa zehn Ventrikelcontractionen von normaler Frequenz die Spannung im Venensystem vermindert haben, beginnt er selbst wieder kräftig zu schlagen (von Puls 21 ab). Tabelle 3. Druckpulse des rechten Ventrikels, Nn. vagi intact. Versuch vom 1. August 1888. a. Vor der Erstickung. — - un = —! I] pi F=7,} © @o8& = | © 208 & 2 &0 > 22 Zoao saH en 3 ja ZEER sm ale | Vealze a | ee Beil, Ben. | 5: | = ee E8| 5° |238>5#| SEs E= E a5# = I =) IESA = Oo < N & ® < ea 1 | _ 0-43 — Ie) 0-126 0-42 44 =9., iz 0-43 44 0-120 0-43 43 3277202130 0-44 43 10 0-118 0-44 42 4 | 0.122 0-43 43 11 0-126 0-43 43 | 5 0.123 0-43 44 12 0.124 0.44 | 44 6 | 0-19 | 0-43 44 13 0-120 0-4 | 44 ao, 0.126.0|4 0-43 44 14 0.122 _ 44 b. Während und nach der Erstiekung. —_ Pe | | Ze! - un aA = en = < Br Sa. Se ee ee Se Sg maasß8 s'’aH NS oo Sale sE 2 SseEm im . er nn 3:8 On = a a ee Ja SE IE = 5. 95-5 Sins =38 gehen 557 SEES Eos 5% Zi Ela a ea ze ee) < Kl @) = FEN l 1 — 3-25 —_ 15 0-144 0-36 65 2 0-142 1-49 66 16 0-126 | 0.37 52 3 0.144 1-71 68 17 0:132 | 0-34 60 4 0-152 1-36 13 18 03122E2 7 0234| 53 5 0-136 3-95 68.0 0,19 0.124 Kr Pu u 31 6 0-140 5-60 65 20 0-114 0.44 56 7 0-166 | 1-21 82 Vorhof beginnt kräftig zu schlagen 8 0.144 2.43 66 21 0-136 17°7.0-49 70 g 0-160 0-98 76 22 0:168 0-51 84 10 0-150 1-25 61 95 0-160 0-48 82 Erholung 24 0-150 0-48 71 11 0.146 0-52 65 95 0-143 0-47 66 Vorhofseontraetion noch sehr schwach 26 0.150 0-46 65 12 0:154 0-40 53 27 0.138 0-46 60 13 0.132 0-37 50 28 0.128 0-49 58 14 0-130 0-47 49 29 0.132 0-53 58 UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 51 Die Erholung des Vorhofes ist in den zugehörigen Curventafeln deut- lich erkennbar durch das Wiederauftreten kräftiger Contractionen des Herz- ohres, welche vermittelst eines Muskelhebels registrirt wurden, sowie durch die Zeichen selbstthätiger Druckänderungen in der Pulscurve des Vorhofes von welchen später die Rede sein wird. In der Tabelle äussert sie sich durch eine neue kurzdauernde Periode verlängerter Anstiegsdauer der Ven-, trikelpulse; die Pulsfrequenz ist dabei normal. Der Betrag der Verlängerung steht den Werthen, welche während der Erstickung erreicht werden, nicht - nach. Es steht ausser Zweifel, dass durch die kräftige Antheilnahme des Vorhofes an den Herzcontractionen die Füllung des Ventrikels vermehrt wird. Die höheren Druckmaxima der Ventrikelpulse sind dafür ein sicheres Kennzeichen (siehe unten). Aus den angeführten Beobachtungen geht hervor, dass die Dauer des Druckanstieges im Ventrikel, und annähernd proportional damit auch die Dauer der ganzen positiven Druckphase deutlich, wenn auch immer nur um ein Weniges (bis zu 30°/,) verlängert werden kann durch verschiedene Ver- suchsbedingungen, welche sämmtlich das Gemeinsame haben, die Füllung der Herzkammer mit Blut zu vermehren. Es ist daher gerechtfertigt, in diesem gemeinschaftlichen Merkmale der verschiedenartigen Eingriffe die wesentliche Bedingung des Vorganges zu erblicken. Daneben bleibt die Möglichkeit bestehen, dass durch directe Nervenwirkung eine Veränderung des Contractionsablaufes herbeigeführt wird. Für den Vagus hat diese Annahme nach unserer Meinung geringe Wahrscheinlichkeit, da durch rein mechanische Vermehrung der Herzfüllung gleichwerthige Verlängerungen erzielt werden können. Eine Entscheidung über diese Frage würde besser durch Aufschreibung der Verkürzung des Herzmuskels nach der Methode von Gaskell,! als durch Beobachtung des Druckverlaufes zu erzielen sein. Angaben sind uns darüber nicht bekannt. Die Ergebnisse der cardiogra- phischen Versuche können hier nicht maassgebend sein, da bei ihnen, wie bei der Druckschreibung Contractionsablauf und Füllungszustand sich gegen- seitig beeinflussen. Es scheint uns jedoch angezeigt auf die Uebereinstimmung hinzuweisen, welche in Bezug auf das zeitliche Verhalten zwischen Druckpuls des Ven- trikels und Cardiogramm besteht. Wir hatten verschiedentlich Gelegenheit die Beobachtung von N. Baxt? zu wiederholen und haben stets seine An- gabe bestätigen können, dass durch Reizung des Vagus der systolische Ab- schnitt der cardiographischen Curve nicht wesentlich verlängert wird, dagegen ! Journal of Physiology. Vol. IV. p. 43. ® Dies Archiv. 1878. 8. 122. 4* 52 M.v. FREeY und L. Keent: der diastolische Theil zu beliebiger Länge gestreckt werden kann. Für das menschliche Herz haben jüngst Ziemssen und Maximowitsch! die relative Beständigkeit der cardiographischen Curve bei verschiedener Pulszahl nach- gewiesen. Aile Erfahrungen weisen also darauf hin, dass der zeitliche Ablauf der Herzeontraction etwas sehr constantes ist gegenüber dem Wechsel der Frequenz und dementsprechend der Füllung und Arbeitsleistung, welche zu bewältigen ist. Bei strotzend gefülltem Ventrikel wird ein viel grösseres Blutquantum pro Zeiteinheit ausgeworfen als bei wenig entfaltetem Herzen und da die Aortenwurzel ihren Querschnitt nicht entsprechend verändert, so kann die Entleerung nur unter Aufwendung grösserer Druckkräfte stattfinden. Dem entsprechend sieht man jede vermehrte Füllung des Ventrikels gefolgt von einer Erhöhung der systolischen Druckmaxima, gleichgiltig durch welchen Eingriff dem Herzen mehr Blut zugeführt wird. Ueber diese Verhältnisse giebt der vierte Stab der obenstehenden drei Tabellen Auskunft. Wenn auch kein strenger Parallelismus herrscht, so bewegen sich doch die Werthe von Anstiegsdauer und Druckmaximum im Allgemeinen in derselben Richtung. Selbst bei starker Vagusreizung, welche den arteriellen Druck tief herabsinken macht, sind die Druckmaxima des Ventrikels höher als bei normaler Schlagfolge. Die Analogie mit den Er- scheinungen am Skeletmuskel springt in die Augen. Sieht man von Tem- peraturänderungen, gewissen Vergiftungen und den äussersten Ermüdungs- graden ab, so ist auch dem Skeletmuskel eine Zuckungsdauer eigenthümlich, welche nur wenig veränderlich ist im Verhältniss zu den Arbeiten, welche von ihm verlangt werden. Seine Fähigkeit, so verschiedenen Aufgaben ge- wachsen zu sein, beruht im Wesentlichen darauf, dass er innerhalb der gegebenen Zeitspanne die Kräfte nach Maassgabe der Widerstände entwickelt. Letztere Eigenschaft ist übrigens, wie Fick? gezeigt hat, dem tetanisch gereizten Muskel in gleicher Weise eigenthümlich wie dem einfach zuckenden, so dass der Vergleich mit der Herzcontraction auch dann noch zutreffend bleibt, wenn man letztere als einen kurzen Tetanus auffassen will. Hat ein Herz dauernd übernormale Füllungen zu bewältigen (Klappen- fehler), so werden bleibend ungewöhnliche Kraftentwicklungen von ihm ver- langt und dadurch Bedingungen geschaffen, welche bei gesundem Herzmuskel ebenso wie eine andauernde Vergrösserung des Widerstandes zur Hyper- trophie führen werden. I Archiv für klinische Mediein. Bd. XLV. ” Mechanische Arbeit und Wärmeentwickelung u.s. w. Internationale wissen- schaftliche Bibliothek. Leipzig 1882. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 53 Il, Der Druckablauf in den Vorhöfen. Die Verbindung der Vorhöfe mit dem Manometer geschah entweder durch Einbinden einer Canüle in das Herzohr, oder bei dem rechten Vorhof durch Vorschieben einer Röhre von der Vena jugularis aus. Die stets gleich- zeitig erfolgende Aufschreibung der Ventrikelpulse wurde bewerkstelligt durch Einschieben einer Röhre von der Aorta bez. der Art. pulmonalis her. Im letzteren Falle wurde unmittelbar hinter der Gabelung der zur linken Lunge gehende Ast unterbunden, die Röhre eingeführt und bis in den Conus arteriosus vorgeschoben. Zwischen den Curven vom rechten und linken Vorhof haben wir keine Unterschiede bemerkt. Während der Druckverlauf im Ventrikel im Wesent- liehen bedingt ist durch die contractilen Kräfte seiner Wand, gegen welche die Einwirkungen von den angrenzenden Gefässabschnitten beinahe ver- schwinden, ist die Pulsform des Vorhofes von den Vorgängen in der Nach- barschaft in hohem Grade abhängig und zeigt daher die allergrösste Mannig- faltigkeit.. Welche Form die Pulscurve des Vorhofes besitzt, wenn die Druckänderungen nur durch die Contraction seiner Musculatur hervorge- bracht werden, lässt sich ermitteln an Herzen, deren Ventrikel im sogenannten Delirium sind. Dieser Zustand führt zu einer plötzlichen Unterbrechung des Blutstromes, weil das Herz sich nicht mehr entleert. Die mano- metrische Beobachtung zeigt, dass die Druckschwankungen, welche in Vor- hof und Kammer noch durch eine geraume Zeit fortdauern, völlig unab- hängig von einander verlaufen, woraus zu schliessen ist, dass eine Communi- cation zwischen den beiden Räumen nicht mehr stattfindet. Die kleinen frequenten und periodischen Schwankungen um einen niedrigen Mittelwerth, welche in der Kammer stattfinden, sind bereits oben erwähnt worden. In der Regel schlagen dann die Vorhöfe noch eine Zeit lang im alten Rhyth- mus fort, die Druckmaxima erheben sich aber nicht hoch genug, um Blut in die Kammer überzuführen. Die Füllung des Vorhofes bleibt demnach constant oder wächst nur allmählich in dem Maasse, als Blut aus den Venen zuströmt. Die periodischen Druckänderungen, welche unter solchen Um- ständen im Vorhof zu beobachten sind, können somit nur von den con- tractilen Kräften seiner Wand herrühren. Es scheint uns bemerkenswerth, dass dann die Vorhofpulse vollständig die Form von Kammerpulsen ge- winnen (vgl. Fig. 12), d. h. dass, ausgehend von einer Pause mit constantem, der Füllung des schlaffen Vorhofes entsprechendem Druck, mit jeder Con- traction ein grösserer, nach oben gerichteter Ausschlag und ein unmittel- bar darauf folgender kleiner nach unten gerichteter Ausschlag zur Beobach- tung kommt, worauf der Druck sich sofort wieder auf den Werth einstellt, welcher gewissermaassen die Abseissenlinie für die nach oben und unten 54 M. v. FReY unD L. Krent: gehenden Abweichungen darstellt. Entsprechend den eigenthümlichen Ver- suchsbedingungen, welche eine Entleerung des Vorhofes ausschliessen, gehen die nach abwärts gerichteten Ausschläge unter einen gewissen positiven Druckwerth nicht herab. Es wird sich aber weiterhin zeigen, dass bei er- haltener Circulation der Druck im Vorhof in den entsprechenden Zeitabschnitten thatsächlich unter den atmosphaerischen sinken kann, wodurch, bei offenem Thorax, die ansaugende Kraft des Vorhofes bewiesen ist. Dieselbe konnte aus den Versuchen von Goltz und Gaule noch nicht mit Sicherheit ge- folgert werden, da der Einwand zulässig ist, dass die Saugwirkung der Kammer sich im Vorhof bemerklich macht. Vorhof. Fig. 12. Die den Kammerpulsen ähnliche Form der Vorhofpulse lässt sich ferner beobachten bei unregelmässigem Herzschlag, wie er namentlich bei Er- stickung leicht auftritt. Sehr häufig folgt dann einer Vorhofeontraction die zugehörige Kammersystole nicht nach, die Druckänderung kann dann nur von der Vorhofsmuseulatur herrühren. Die beschriebene Form der Druckeurve ist somit allen contractilen Höhlen des Herzens eigenthümlich. Bei einem in regelmässiger Weise schlagenden Herzen zeigen die Vor- hofpulse weniger einfache und namentlich während eines und desselben Ver- suches so rasch wechselnde Formen, dass ein Verständniss derselben selbst ‚dann nicht immer leicht gelingt, wenn die Druckpulse des Ventrikels gleich- zeitig aufgeschrieben werden. Die Vorhofpulse sind zumeist zweigipflig, es kommen aber auch drei Gipfel vor. Welcher von ihnen der Contraction des Vorhofes entspricht, lässt sich sicherstellen, wenn man gleichzeitig die Bewegungen des Herzohres durch einen Muskelhebel aufschreiben lässt. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 55 0 Dener, Torhof. Zuckungen. des | \ | r. Herzphres. Fig. 13. Fig. 13 zeigt ein Beispiel aus einem solchen Versuch. Der Druckpuls des Conus arteriosus der rechten Kammer, der Druckpuls des rechten Vorhofes und die Zuckungen des rechten Herzohres (letztere nach abwärts gerichtet) sind genau übereinander gezeichnet. In den Ventrikelpulsen (oberste Curve) fehlt die negative Phase. Es ist dies der Fall, der oben besprochen wurde. Die darunter stehende Vorhofeurve zeigt kurz vor Beginn jeder Kammer- contraction eine Druckerhöhung, welche wie die unterste der drei Curven lehrt, zeitlich zusammenfällt mit der Zuckung des Herzohres, also herrührt von der Zusammenziehung des Vorhofes, während der nachfolgende Druckabfall das Zeichen der Erschlaffung ist. Das tiefe Minimum des Vorhofdruckes, welches nun folgt, entspricht der Periode der saugenden Wirkung des Vorhofes. Hinter dem Minimum beginnt die Curve ein zweites Mal zu steigen. Da zu dieser Zeit der Ventrikeldruck noch sehr hoch, die Zipfelklappe also geschlossen ist, da ferner das Herzohr keine Bewegung zeigt, so wird darin der Ausdruck der rasch zunehmenden Füllung des Vorhofes zu erblicken sein. Dieser Vorgang wird unterbrochen und es beginnt ein neues Sinken, sobald die Erschlaffung der Kammer soweit gediehen ist, dass Blut aus dem Vorhof einströmen kann, beziehungsweise durch Saugung angezogen wird. Damit ist die Curve wieder bei der Drucksteigerung angelangt, welche der nächsten Vorhofcontraction zugehört. Als Ursachen für die Drucksteigerung im Vorhof lassen sich nach dem soeben gesagten erkennen: Die Vorhofcontraction und die Füllung des Vor- 56 M. v. FREY unD L. Kreur: hofes von den Venen aus. Als Ursachen für die Druckverminderung: die Erschlaffung des Vorhofes und die damit verbundene active Erweiterung und ferner die Ansaugung von Seiten der Kammer. Aus dem Zusammen- wirken dieser vier Bedingungen können die allerverschiedensten Druckcurven entstehen und der Wechsel der Form ist innerhalb eines und desselben Ver- suches oft sehr auffällig. Fig. 14. In Fig. 14 sind eine Anzahl Formen aus verschiedenen Versuchen zusammengestellt, während einige unregelmässige Curvenformen später Er- wähnung finden sollen. In den Beispielen 1—4 bedeutet c die Vorhof- contraction, a die Vorhofsaugung, 5 die Kammersaugung. 1 und 2 sind bei schwacher Vagusreizung geschrieben. In 3 führt die Kammersaugung zu negativen Drucken im Vorhof. In 4 war der Puls sehr rasch, die Vorhof- contraction fällt in die Periode der Kammersaugung, sie führt daher zu niedrigen Druckmaximis, oder der Druckanstieg wird durch die Kammer- saugung 5 unterbrochen. Die Vorhofsaugung führt zu negativen Drücken. Wenn die Herzkammer zwischen zwei Contractionen nicht genügend erschlafft und eine Entleerung des Vorhofes nicht stattfinden kann, so fällt das Minimum 5 fort und die beiden auf einander folgenden Vorhofcon- tractionen sind nur durch eine gleichmässig ansteigende Linie getrennt, welche die zunehmende Füllung des Vorhofes anzeigt. In Fig. 15 findet man fünf Contractionen des Vorhofes, welche in regelmässigem Abstande aufeinander folgen. Die zur zweiten gehörige Kammercontraction kommt verfrüht, sie bildet einen Nachschlag zu der vorausgehenden, von welcher sie durch eine so unvollständige Erschlaffung getrennt ist, dass eine Ent- leerung des Vorhofes nicht stattfindet. Die Kammer arbeitet also bei dieser vorzeitigen Contraction mit keiner oder geringer Füllung. Aus diesem UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 57 Grunde, sowie wegen der Interferenz zweier sehr nahe liegenden Zuckungen fällt die Druckhöhe klein aus. Die gleichzeitig eintretende Vorhofcon- traction arbeitet dagegen mit abnormer Füllung gegen einen verschlossenen Ventrikel und erzeugt daher Drücke, welche bei ungestörtem Rhythmus nicht zur Beobachtung kommen. J0 Kammer 3 Vorhof TH ? a Fig. 15. Derartige Störungen der geordneten Schlagfolge treten bei Unterbrechung der künstlichen Athmung sehr gewöhnlich auf; doch sind nicht alle Herzen gleich empfindlich. 30 Kammer 0 5 Vorhof‘ 0 JERFGRRRENE NER EEE NEE a ne en, Fig. 16. Einen anderen Fall von unregelmässigem Kammerpuls zeigt Fig. 16. Zu den ersten drei im Takte wiederkehrende Vorhofeontractionen, gehören vier Kammercontractionen, zwischen welchen es nur zu unvollständigen 58 M. v. Frey unD L. Krent: Erschlaffungen kommt. Zwischen der ersten und zweiten Kammercontraction kann der Vorhof sich theilweise entleeren, wie eine leichte Einknickung in seiner Curve anzeigt. Eine ausgiebigere Entleerung bringt die zweite V.-C. hervor, welcher zwischen die zweite und dritte Kammercontraction zu liegen kommt, während die dritte V.-C. wieder gegen die durch eine Systole gespannte und daher verschlossene Kammer zu arbeiten hat. Erst nach dieser vierten Contraction der Kammer tritt eine starke Saugwirkung in ihr auf und damit eine ausgiebige Entleerung des Vorhofes. Die Fig. 16 scheint uns noch desshalb von Interesse zu sein, weil die dritte Kammer- contraction so spät nach der Vorhofcontraction einsetzt, dass eine mit dem Klappenschluss einhergehende Rückstauung sich durch eine Störung in dem abfallenden Schenkel der Vorhofcurve verrathen müsste. Der prompte und dichte Schluss der Zipfelklappen, welche der eine von uns aus anatomischen Grün- den gefolgert hat, erfährt somit durch die Ergebnisse der Versuche seine volle Bestätigung. Die Klappen halten, wie Waller! gezeigt hat, selbst dann noch dicht, wenn das Herz abnorm stark gefüllt ist. Hierzu hat er sich theils der Rückenmarksreizung bedient, theils der Abschnürung der 150 — IGBRER Fig. 17. Aorta. Einen ähnlichen Zustand haben wir durch Aussetzen der künstlichen Respiration erreicht, wozu noch eine starke Herabsetzung der Pulszahl kommt, welche für die Aufzeichnung der Drücke vortheilhaft ist. Man sieht dann, 1 Dies Archiv. 1878. 8. 525. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 59 während die Kammern sich noch kräftig contrahiren, die Vorhöfe in Folge übermässiger Füllung mehr und mehr erlahmen und ihre Druckcurve eine Gestalt annehmen, welche durch Fig. 17 dargestellt wird. Das Blut im Vorhof steht unter ungewöhnlich hoher Spannung, welche nur langsam wächst, solange die Kammer schlaff ist und einen Theil des Blutes auf- nehmen kann. Unmittelbar vor oder häufiger gleichzeitig mit dem Beginn der Kammercontraction zeigt dann die Vorhofeurve eine kleine Erhebung, welche sich durch die gleichzeitig erfolgende sehr kleine Zuckung des Herz- ohres als eine Leistung der Vorhofmuseulatur offenbart. Während des weiteren Verlaufes der Kammercontraction steigt der Druck rascher als vorher, weil das Blut aus den Venen sich nur noch in den Vorhof ergiessen kann. Erst wenn die Kammer ihre ansaugende Wirkung entfaltet, tritt eine rasche und ausgiebige Entleerung des Vorhofes ein. Bei lang dauernder Erstickung kann die Contraction des Vorhofes ganz unmerklich werden und dann steieen Füllung und Druck im Vorhof ohne Unterbrechung bis zur völligen Erschlaffung der Kammer. Fig. 18 zeigt diese schrittweise Umwandlung 8 ir RE 5 - —) 5 Vorhof" Fig. 18. sehr deutlich. Würde hier eine Rückstauung stattfinden, so müsste der Druck im Vorhof mit der Kraft der Ventrikelcontraction erst rasch, dann lang- samer zunehmen. Offenbar ist dafür gesorgt, dass die Klappe auch solchen ungewöhnlichen Aufgaben gewachsen ist. Ob sie auch bei lange dauern- den Stauungen noch schlussfähig bleibt, ist aus unseren Versuchen nicht zu entnehmen, wird aber durch die pathologischen Erfahrungen unwahr- scheinlich. Die Insufficienz dürfte dann, vorausgesetzt dass die Klappe intact ist, auf einer unvollständigen ÖOontraction beruhen, welche gewöhnlich als Herz- schwäche bezeichnet wird.‘ Am Vorhof lässt sich das Erlahmen bei über- mässiger Füllung leicht beobachten. An der Kammer tritt dieser Fall nicht so bald ein; dass aber auch dort eine Grenze der Leistung existirt, ! Vergl. L. Krehl, Die Mechanik der Trieuspidalklappe. Dies Archiv. 1889. 8.289. 60 M. v. Frey und L. Kreeat: über welche hinaus das Herz ohne Gefahr nicht in Anspruch genommen werden darf, ist durch vielfache Erfahrung sichergestellt und wird durch die Versuche von Roy und Adami! (Abschnürung der Aorta), sowie von Johansson? (reichliche Transfusion) neuerdings bewiesen. Die Thatsache, dass der Schluss der Zipfelklappen ohne jedes Anzeichen einer Rückstauung, ohne Drucksenkung im Ventrikel und ohne Druck- steigerung im Vorhof von Statten geht, findet ihr Gegenstück in dem gleich glatten Schluss der Taschenklappen, wie später noch zu zeigen sein wird. Wir können daher mit Rolleston die Einkniekungen, welche Marey in der Druckeurve des Ventrikels als Symptom des Klappenschlusses deutet, nicht in diesem Sinne auffassen, um somehr, als derselbe erst bei einem un- natürlich hohen, für den Vorhof gefährlichen Druck stattfinden müsste. Bei dreien unter fünf Versuchen haben wir das Druckmaximum, welches der Contraction des Vorhofes entspricht, in zwei Gipfel zerspalten gesehen, aber stets nur vorübergehend, nicht während der ganzen Dauer des Versuches, wenn auch mitunter durch lange Zeit hindurch. Angedeutet findet sich diese Eigenthümlichkeit bereits in den Figg. 15 und 16, besser ist sie in Fig. 19 zu sehen. Die Vorhofscurve erhält dadurch drei Maxima. 700 Kammer en j Fig. 19. In dem Versuche, bei welchem auch die Zuckung des Herzohres verzeichnet wurde, kam diese Form nur im Beginn der Erstickungen zur Beobachtung und es zeigte sich, dass dann auch die Zuckungscurve des Herzohres zwie- spältig war. Es dürfte also wohl gerechtfertigt sein anzunehmen, dass in diesen Fällen die Muskeln des Vorhofes nicht auf einmal, sondern in zwei Abtheilungen in die Contraction eintreten. Es liegt nahe an eine abgesonderte, der Vorhofssystole vorangehende Contraction der Muskeln zu denken, welche die Mündungen der grossen Hohlvenen umflechten. Es liegen darüber Beobachtungen vor von Brunton ' British Medical Journal. Dec. 15!" 1888. ” Verhandlungen des biologischen Vereins in Stockholm. 1888. Bd. I; — Skan- dinavisches Archiv für Physiologie. 1889. Bd. 1. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 61 und Fayrer,! welche auch die ältere Litteratur über den Gegenstand zusammen- gestellt haben. Bisher war nur von den Einwirkungen die Rede, welche die Vorhof- curve von seiten der Kammer erleidet. Es lässt sich aber zeigen, dass auch umgekehrt die Thätigkeit des Vorhofes in der Kammer merkbar werden kann. Bei der Beschreibung der Ventrikelcurven wurde erwähnt, dass der systolische Druckanstieg so langsam beginnt, dass der Zeitpunkt seines Ein- tretens nicht scharf zu bestimmen ist. Häufig wird der steile Anstieg durch eine sanfte Erhebung ein- geleitet, wie in Fig. 20. Die- ? T. L selbe fällt zeitlich mit der a Vorhofeontractiin zusam- Vendrikel, men und ist zweifellos durch 0 dieselbe veranlasst, wie der dritte Herzschlag der Figur beweist. In Folge steigender Erstickung und damitwach- 0 sender Ueberfüllung des Vor- Fig. 20. hofs wird seine Contraction sehr klein, die Curve bekommt eine Form wie Fig. 17. (Man könnte sie auch als gespaltene Vorhofcontraction auffassen.) Jedenfalls kommt sie ver- spätet und kann zur Füllung der Kammer wenig beitragen. Es fehlt daher die sanfte Erhebung, welche in der Kammercurve der beiden vorausgehen- den Schläge zu bemerken ist. Der Druck in der Kammer erreicht auch nicht die gleiche Höhe. Ausnahmsweise kann es geschehen, wenn der prall gefüllte Vorhof sich kräftig und rechtzeitig contrahirt, dass sich die plötzliche Zunahme der Ven- trikelfüllung durch ein deutlich ab- 0 72 geerenztes Höckerchen am Fusse der 200 Ventrikelcurve bemerklich macht. „,, Fig. 21. In der Regel gehen aber / \ Kammer: die beiden Drucksteigerungen, wel- ° own Be che im Ventrikel durch die Con- traction des Vorhofes und die daran- ” schliessende des Ventrikels selbst zu Stande kommen, ohne merkliche Grenze in einander über. Nach den gegenwärtigen Erfahrungen kommen für die Füllung der Herzkammer drei Ursachen in Betracht, welche bei langsamer Schlagfolge Vorhor. 710 Fig. 21. \ Proceedings Royal Society. 1876. vol. XXV. p. 174. 62 M. v. Frey und L. Kent: z. B. bei Vagusreizung zeitlich von einander getrennt werden können. Zuerst kommt die Saugwirkung der Kammer, welche zu einer raschen Ent- leerung des Vorhofes führt, sodann wird bei völliger Erschlaffung von Vor- hof und Kammer das Blut durch den Druck in den Venen nach dem Herzen fliessen. Dies ist sichergestellt durch die Thatsache, dass in der Er- schlaffungszeit in Vorhof und Kammer der Druck stetig, wenngleich nur langsam, zunimmt. Endlich kommt als dritte Ursache die Contraetion des Vorhofes. Würden die drei Momente für die Bewegung des Blutes gleich wirk- sam sein, so müsste die Füllung des Ventrikels in der Diastole in dem Maasse abnehmen, als die Pulsfrequenz steigt, da ja die Füllungszeit dadurch verkürzt wird. Vermehrung der Pulszahl könnte dann die mittlere Strom- geschwindigkeit des Blutes nicht vergrössern. Dem widerspricht die Er- fahrung, dass auf Reizung des N. accelerans der Blutdruck steigt, auf Reizung des N. vagus sinkt. Es müssen also Einrichtungen vorhanden sein, welche dahin wirken, die Füllung des Herzens innerhalb gewisser Grenzen nahezu unabhängige zu machen von der Pulsfrequenz. In dieser Beziehung dürfte der Umstand von Bedeutung sein, dass von den drei aufgezählten Ursachen für die Füllung des Herzens die erste und dritte zweifellos die wirksameren sind. III. Die Druckpulse der Aorta. Bindet man das Manometer endständig in eine Carotis, so erhält man die Druckpulse der Anonyma, aus welcher beim Hunde wie beim Kaninchen die rechte Subelavia und die beiden Carotiden entspringen. Reine Puls- eurven des Aortenbogens lassen sich gewinnen, wenn man das Manometer endständig in die linke Subclavia einsetzt, nachdem alle tiefen Aeste der- selben unterbunden sind. Diese Operation lässt sich bei uneröffnetem Thorax ohne grosse Schwierigkeit ausführen. Da indessen die linke Subelavia hart neben der Anonyma aus dem Aortenbogen entspringt, der Stamm der Anonyma überdem kurz ist, so ist begreiflich, dass die beiden Verfahrungs- arten im Wesentlichen übereinstimmende Resultate geben. Es möge daher gestattet sein die Pulscurven, welche auf dem einen oder dem anderen Wege gewonnen sind, als Druckpulse des Aortenbogens oder kurz als Aorten- pulse zu bezeichnen. Dauer des Druckanstieges. Da die Pulse der Aorta als Folge der Druckänderungen im linken Ventrikel aufzufassen sind, so fällt bei UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 63 Vergleichung beider eine beträchtliche Verschiedenheit in die Augen, welche sich namentlich in zwei Richtungen äussert: Erstens sind die Aortenpulse viel mannigfaltiger in der Form und meistens reicher an Gipfel- und Wendepunkten als die Ventrikelpulse; zweitens unterliegt die Dauer des Druckanstieges in der Aorta viel grösseren Schwankungen als im Ventrikel. Ueber das letztere Verhalten hat bereits E. Hüfler! sehr merkwürdige Beobachtungen mitgetheilt, aus welchen sich ergiebt, dass die Dauer des Druckanstieges in der Aorta durch Vagusreizung auf mehr als das Fünf- fache ihrer normalen Dauer verlängert werden kann. Da eine ähnliche Streckung des Druckanstieges im Ventrikel bei Vagusreiz von uns nicht beobachtet worden ist, so liegt darin ein scheinbarer Widerspruch zwischen den Pulscurven des Ventrikels und der Aorta, welcher weitere Aufklärung verlangt. Zunächst konnten wir gleich Hüfler eine beträchtliche Verlängerung der Anstiegsdauer bei Vagusreizung nachweisen. Beispiele. I. Versuch, 12. Januar 1889. H. Versuch, 11. Februar 1889. Intervall bis Intervall bis Dee: Anstiegszeit zum nächsten us Anstiegszeit ' zum nächsten Balke in Sec. Pulsschlag Pulse in Sec. Pulsschlag in Sec. in Sec. — = 0-37 et 0.270 1 0-080 0-37 1 0-070 0-235 2 0-087 0-36 2 0-065 0-240 3 0-087 0-37 3 0-060 0.230 Vagus gereizt : | > | 5) .0-065 0-230 : een aus Vagus gereizt 5 0.227 3-00 6 0-233 7-18 6 0-065 0.590 7 0-240 0-98 7 0-05 | 0.800 8 0-200 3-65 8 0-245 1.270 $) 0-240 | 6-00 ) 0:280 0650 10 0-260 0-57 10 0.230 0600 11 0-133 | 6-74 11 0-115 — 12 0-267 | 0-55 13 0-200 0-51 14 0-167 — ıA.2.0. 64 M. v. Frey un L. Krent: III. Versuch, 22. Februar 1889. Ordnungs- Anstiegszeit ne Ordnnnge, Anstiegszeit za der in Sec. Pulsschlag zahlgder in Sec. Pulsschlag ulse | > Pulse . > | in Sec. = — | 0.220 8 0-169 0-346 1 0-107 | 0-213 9 0-160 0-586 2 0-107 0-213 10 0.160 0-573 3 0.107 0-213 11 0.153 0-573 4 0-113 | 0-213 12 0-153 0.600 5 0-113 0-220 13 0.140 0-613 Vagus gereizt. 14 0.147 > 6 0-113 0-353 7 0-133 0913 IV. Derselbe Versuch später. Intervall bis Intervall bis us Anstiegszeit | zum nächsten ne Anstiegszeit | zum nächsten Pass in Sec. Pulsschlag Pal in Sec. Pulsschlag in Sec. in Sec. = — 0-207 14 0:180 0-900 1 0-093 0.207 15 09:173 0:826 2 0.080 0.213 16 0:173 0:313 3 | 0-087 0-213 17 0:180 2.875 4 0-093 0-207 18 | 0:113 3:160 B) 0-107 | 0-213 19 | 09-107 11600 Vagus gereizt. 20 0.113 2.525 21 12.20.1240 3-T10 6 0-107 0-300 09 | 0-213 1:985 k 139 u 3 | 0. 2.290 o el 0:20 4 | 0.283 1.080 - aD a 5 | 0.218 2-420 2 0700 Bo 08er 2.380 11 0-173 0-640 97 | 0-240 0-946 12 0.160 1.460 98 | 0-200 er 13 0.180 0-913 Diese Beispiele, welchen leicht noch weitere zugesellt werden könnten, zeigen, dass wenigstens innerhalb gewisser Grenzen der Druckanstieg eines Pulsschlages um so länger wird, ein je grösseres Intervall ihn von seinem Vorgänger trennt. Dass die Abhängigkeit aber keine einfache ist, lehrt jedes der angezogenen Beispiele, insbesondere das vierte, bei welchem auf die längsten Intervalle wieder kurze Druckanstiege folgen. Aber auch bei den mittellangen Intervallen fällt die Verlängerung des Druckanstieges zu- weilen aus‘ wie IV Puls 9 und 10. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 65 Weiter lehren die Tabellen, dass der Betrag der Verlängerung bei gleicher Dehnung des Intervalls individuell verschieden ist. In II führt das 4.67fach vergrösserte Intervall zu einer 5-52fachen Verlängerung des Druckanstieges; in III das 4-3 Mal vergrösserte Intervall zu einer nur anderthalbfachen Verlängerung des Druckanstieges. Die Tabelle auf S. 313 der Abhandlung von Hüfler zeigt ähnliche und selbst noch grössere Unter- schiede zwischen den einzelnen Versuchen. Die Curven des Gummimanometers zeigen aber ausser den eben be- schriebenen Erscheinungen eigenthümliche Veränderungen der Curvenform, auf welche wir nunmehr die Aufmerksamkeit lenken wollen, da aus ihnen erst die Verlängerung des Druckanstieges verständlich wird. Form der Aortenpulse, a. während einer Vagusreizung. Es ist zweckmässig die Beschreibung zu beginnen mit der Form des Aorten- pulses während einer Vagusreizung, von welcher wir annehmen wollen, dass sie so stark sei, dass der mittlere Blutdruck auf mindestens die Hälfte seines normalen Werthes herabsinkt. Die Curven besitzen dann stets zwei Druckmaxima oder Gipfel, während ein drittes Maximum nicht regelmässig, aber doch sehr häufig nachweisbar ist. Noch seltener erscheint eine vierte Ausbiegung der Pulscurve nach oben, welche dann stets im abfallenden Schenkel liest und so flach verläuft, dass es nicht zur Bildung eines neuen Druckmaximums kommt; es wachsen der Curve nur zwei weitere Wendepunkte zu. E! Von diesen Gipfelpunkten ist der erste der höchste (Fig. 22 c,d, e), so lange der Vagus mit einer Stärke gereizt wird, welche gerade nicht genügt um vollständigen Herzstillstand herbeizuführen. Lässt die Reizung nach oder ermüdet der Nerv, so steigt mit der Pulszahl der Blutdruck und es tritt dann früher oder später der Fall ein, dass das zweite Druckmaxi- mum höher wird wie das erste, wobei es gleichzeitig näher an den Beginn der Curve heranrückt. Fig. 22. Fünf Vaguspulse (a—e). 22. Februar 1889. Als Beispiel diene Fig. 22, welche fünf auf einanderfolgende, während einer Vagusreizung gezeichnete Pulse darstellt; um dem Bilde eine hand- Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 5 66 M.v. Frey un L. KrReEHtL: liche Grösse zu verleihen, ist der grösste Theil der Pausen ausgelassen. Tabelle 5 giebt die Coordinaten dieser Pulse sowie einiger vorausgehenden und nachfolgenden. Tabelle (5) zu Figur 22. I. Ordinaten. Blutdruck in Mm. Quecksilber. 1. Maximum | 2. Maximum Eule, Ausgangshöhe : nummer bezogen auf die Ausgangs- höhe = 0 15 147-5 46-0 48-5 16 148 415 42-0 „(17 147-5 41-5 49-5 = 18 106 49-0 48-0 = 19 86-5 51-5 48-0 © [20 50 53-5 43-0 er lol 63 63-5 58-0 22 66 62-0 64-0 23 101-5 51-0 54-5 II. Abscissen. Zeit in Tausendstel Secunden. e Zeitliche Entfernung vom Puls- Dauer des Beginn des Pulses nummer Pulses 1. Maximum | 2. Maximum 14 900 —_— — 15 826 125 175 16 813 112 162 SET 2875 137 185 2 [18 3160 112 217 = 19 11600 110 i 250 > 120 2525 112 307 a 31 3710 137 295 22 1285 150 280 23 2290 150 235 Die Wanderung des zweiten Maximums, welche aus Figur und Tabelle zu ersehen ist, hat bereits Hürthle an dem Anonymapuls des Kaninchens beobachtet und von der Höhe des Blutdrucks abhängig gefunden. Am reinsten tritt der Vorgang zu Tage, wenn der Blutdruck ohne grosse Aenderung der Pulsfreguenz erhöht wird. Dies lässt sich bewirken durch Reizung des kückenmarkes, wenn vorher die Vagi durchschnitten sind. Fig. 23 stellt die Wirkung einer solchen Reizung auf den Aortenpuls eines Hundes UNTERSUCHUNGEN -ÜBER DEN PULS. 67 (Versuch 6. Juli 1888) dar. Wie aus der zugehörigen Tabelle 6 zu ent- nehmen ist, steigt die Pulsfrequenz von 4 in 2 Secunden auf 5, der Blut- druck auf mehr als die doppelte Höhe, während gleichzeitig der Abstand des 2. Maximum von dem Anfangspunkt des Pulses auf die Hälfte zusammen- schrumpft. 0 5" 70' Fig. 23. Wirkung der Rückenmarksreizung auf den Puls (6. Juli 1888). Tabelle 6. I. Ordinaten. Blutdruck in Mm. Quecksilber. Ordnungs- 1. Maximum | 1. Minimum | 2. Maximum zahl der Anfang Pulse bezogen auf die Anfangspunkte = 0 1 58-7 8.0 5.0 5-3 2 58-0 6-0 3-3 3-3 3 56-7 8-0 5-0 5-7 4 57-3 87 7-0 7-7 5 98-3 80 5-3 5-3 6 58-0 6-3 3-7 4-0 7 57-3 IT 5-7 6-7 8 60-0 9.0 8-0 9-3 9 66-0 9-0 8-0 9-3 10 lot eat 8-3 10-3 11 19-3 11-7 10-7 12-3 12 87-0 18-7 18-3 20-3 13 100-7 23-7 23-3 25-3 14 115-7 25.3 25-0 25-7 15 125-7 21-7 — 22.0 16 129-7 — — 20-7 oO x 68 M.v. FReY un L. KrEeHL: II. Abscissen in Secunden. Zeitliche Entfernung vom Beginn des ae | Dauer des Pulles : Pulse FR 1. Maximum | 1. Minimum | 2. Maximum 1 0-560 0-120 0-187 0.267 2 0-553 0-127 0-213 0-300 3 0-540 0-133 0-193 0-280 4 0.547 0-140 0-200 0280 5 0-580 0-120 0-200 | 0.280 6 0-493 0.093 0-167 0-240 7 0-513 0-100 OSl6T 0:96 8 0-500 | 0.147 0-157 0-267 9 0-47 ° | 01a 0-173 09-260 10 0.460 0.120 0-153 0-233 11 | 0.483 0-107 0-133 | 0.213 12 0-460 0-107 0-133 0-207 13 0-447 0-113 0.120 0-180 14 0-440 0.120 0-127 0-167 15 0-420 0.120 107 0.1075 1270-147 16 0-400 = us = 0133 In den letzten Pulsen der Figur 2 ist eine Trennung der beiden ersten Gipfel überhaupt nicht mehr ausführbar, der dritte Gipfel, von Anfang an schwach ausgeprägt, ist ebenfalls verschwunden, so dass bei den höchsten Drücken die Pulse eine einfache, nach der klinischen Ausdrucksweise monokrote.-Form annehmen. Aus den bisher ermittelten Thatsachen folgt der Satz, dass das zweite Maximum des Vaguspulses und unter gewissen, noch näher zu bezeichnenden Bedingungen auch des normalen Pulses um so näher an den Beeinn der Pulseurve heranrückt und zugleich an Höhe im Vergleich zum ersten Druckmaximum gewinnt, je höher der Blutdruck ist. b. Im Beginn einer Vagusreizung. Betrachten wir nunmehr die Veränderung der Pulsform im Beginn einer Vagusreizung, wofür die Figuren 24—26 Beispiele liefern. Die Figuren 24 und 25 stammen von demselben Versuche In Fig. 24 ist der Blutdruck vor der Reizung etwa 140"m Hg, die Pulse sind „katakrot“; in Fig. 25 hält sich der Blut- druck vor der Reizung über 200", die Pulse sind „anakrot.“ In beiden Fällen wird durch die Vaeusreizung der Charakter des Pulses nicht ge- ändert, die katakrote, bez. anakrote Form tritt nur noch deutlicher zu Tage. Hierzu trägt jedenfalls der Umstand bei, dass die Erniedrigung des Blut- drucks, zu welcher die Vagusreizung führt, ein Auseinanderrücken der ein- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 69 „200 700 0 17 au Fr Ze" Fig. 25. zelnen Maxima und dadurch eine deutliche Sonderung derselben im Gefolge hat. Dass aber diese Erklärung nicht ausreicht, folgt aus Fig. 26, in welcher mit Beginn der Vagusreizung der Puls seinen Charakter verändert. Der Regel entgegen, dass Erniedrisung des Blutdruckes die secundären Er- hebungen gegen die primäre zurücktreten lässt, zeigen hier die Vaguspulse eine mächtig entwickelte, den ersten Gipfel überragende zweite Erhebung, welche vorher bei raschem Herzschlag und hohem Druck nur als flacher Höcker zu erkennen ist. Dieselbe Förderung der secundären Erhebungen lässt sich in den Figg. 24 und 25 beobachten, wenn sie auch in Fig. 24 nicht hinreicht, den Puls aus einen katakroten in einen anakroten zu ver- wandeln, wie in Fig. 26. In Fie. 25 sind die Pulse von vornherein anakrot. Der zweite Gipfel, welcher auf den ersten aufgesetzt und mit ihm theilweise verschmolzen ist, ist während der Vagusreizung stärker überragend. Vergleicht man die Figg. 24—26 mit Fig 23, so findet man, dass der zweite Gipfel nicht dadurch an Höhe gewinnt, dass er näher an dem ersten 70 M. v. Frey und L. KreEar: anzusteigen beginnt, sondern dass der zu ihm führende Druckanstieg längere Zeit fortgesetzt wird und dadurch eine grössere Amplitude gewinnt. Da bei den Vaguspulsen auch der erste Druckanstieg, welcher zum ersten Gipfel hinleitet, an Umfang gewinnt, so wird man die beiden Erscheinungen in Zusammenhang bringen dürfen. Die oben aufgestellte Regel bezüglich der relativen Höhe des zweiten Druckmaximum bedarf also, wenn anders sie den Thatsachen entsprechen soll, eine Ergänzung, der zufolge sie nur so lange gilt, als die Pulsfrequenz sich nicht oder nur wenig ändert. Bei unverändertem Blutdruck dagegen wird das zweite Maximum um so stärker hervortreten, je seltener das Herz schlägt. Bei jeder Vagusreizung wirken zwei Einflüsse auf die Pulsform in ent- gegengesetzter Richtung, indem das zweite Maximum durch die Ernie- drigung des Blutdruckes herabgedrückt, durch die seltene Schlagfolge aber gehoben wird. Welche Wirkung überwiegt, lässt sich nicht allgemein fest- setzen und hängt von Bedingungen ab, welche erst später besprochen werden können. Tritt wie in Figur 26 eine Umkehr in dem Höhenver- hältniss der beiden Maxima auf, so wird der höchste Punkt der Curve später erreicht und die Messung der gesammten Anstiegszeit ergiebt eine bedeutende Verlängerung. Dieser Vorgang ist in den von uns beigebrachten Tabellen zweifellos eine der Ursachen der grösseren Zeitwerthe während der Vagusreize, wie die Betrachtung der zugehörigen Pulscurven ohne weiteres ergiebt. Andere Ursachen werden auf S. 72 und 73 Erwähnung finden. Ob unter diesen Umständen die Vergleichung zulässig ist, d. h. ob die vor und während der Vagusreizung gemessenen Stücke einander gleichwerthig sind, kann erst entschieden werden,‘ wenn die Beziehung der einzelnen Stücke der Pulscurve zur Herzcontraction festgesetzt ist. Durch die Bezeich- nung erstes und zweites Maximum ist über die Entstehung der einzelnen Gipfel noch nichts ausgesagt. Vergleich des Ventrikelpulses mit dem Aortenpuls. Die gleichzeitige Aufschreibung der Druckpulse im Ventrikel und im Aortenbogen führt ausnahmslos zu dem Ergebnisse, dass der von der Herz- contraction herrührende Druckanstieg in der Aorta, gleich dem im Ven- trikel, ohne Unterbrechung oder Knickung verläuft, und dass demgemäss in mehrgipfligen Aortencurven nur der erste Gipfel von der Entleerung der Kammer unmittelbar herrühren kann. Wir wollen ihm daher, um ihn von anderen zu unterscheiden, den systolischen Druckanstieg bez. Gipfel nennen. Ebenso bestimmt lässt sich aussagen, dass jener ausgezeichnete Punkt des Aortenpulses, welchen wir bisher als zweites Maximum bezeichnet haben, in der Regel in die Diastole des Ventrikels fällt, d. h. der zweite Druck- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 71 anstieg in der Aorta findet in weitaus den meisten Fällen zu einer Zeit statt, in welcher der Druck in der Kammer rapide sinkt. Erinnern wir uns der Eigenschaft, welche dieses zweite Druckmaximum auszeichnete, seine Lage in der Pulscurve und damit auch seine Stellung zum systolischen Druckgipfel mit dem Blutdrucke zu ändern, so finden wir eine weitgehende Unabhängigkeit von den Vorgängen in der Kanımer. \ | () 7" 700 2 Z. Ventrikel. N 50 N 4 onym& U TE / —— 2; — = 50 Fig. 27. 12 M. v. Frey und L. KreHL: In den Figuren 27 und 28, welche von demselben Versuche stammen (6. Juni 18388), entspricht das zweite Maximum den eben aufgestellten Merkmalen. In Fig. 28 ist durch Unterbrechung der künstlichen Athmung der Blutdruck gehoben und die Pulsfreguenz vermindert. Das zweite Maxi- mum ist dem ersten nahe gerückt und gleich oder höher als dieses. Da sich die beiden Pulsbilder der Figg. 27 und 28 völlig stetig in einander überführen lassen, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die ver- glichenen Punkte identisch sind. Die Figuren zeigen ferner, dass beide Male das zweite Maximum erst nach dem Schluss der Semilunarklappen erstiegen wird. Denn schon !/,, Secunde nach dem Druckmaximum ist der Druck in der Kammer unter den Aortendruck herabgesunken, wobei die Klappen zugeschlagen werden müssen. Von den beiden Gipfeln der Aorteneurve kann somit nur der erste unmittelbar auf die Herzcontraction bezogen werden, mit welcher er auch zeitlich übereinstimmt, unter Berück- sichtigung der geringen Verspätung, welche auf Kosten der Fortpflanzung zu setzen ist. Spannungszeit und Entleerungszeit. Damit ist für die Deutung des Aortenpulses ein fester Anhaltepunkt gewonnen und wir wollen den- selben sogleich benutzen, um den Druckanstieg in der Kammer in richtiger Weise mit dem systolischen Druckanstieg in der Aorta in Beziehung zu setzen. Wir erfahren dabei, dass der Druckanstieg in der Aorta ohne Aus- nahme kürzer dauert, als der im Herzen, dass aber ersterer grössere Variationen in seiner Dauer aufweist. Dieser Befund ist nicht befremdlich, da ein Emporsteigen des Druckes in der Aorta erst stattfinden kann, so- bald die Spannung in der Kammer den Werth des arteriellen Druckes erreicht. Das Intervall zwischen Beginn der Herzcontraetion und Oeff- nung der Aortenklappen ist auch von den Untersuchern des Cardiogramms stets nachgewiesen worden und ist als „Anspannungszeit“ in der Litte- ratur bekannt. Je niedriger der Druck in der Aorta ist, um so eher wird man eine Eröffnung der Klappen erwarten dürfen und ein um so orösserer Theil der Herzcontraetion wird zur Austreibung des Blutes ver- werthet werden können. Hierbei ist jedoch eine wichtige Eigenschaft des Herzens in Betracht zu ziehen. Würde die Contraction des Herzens ein Vorgang sein, welcher stets in derselben Weise abläuft, so dass die Drucksteigerung im Inneren der Kammer stets mit derselben Steilheit vor sich ginge, so würde das Verhältniss zwischen Anspannungs- und Austrei- bungszeit leicht für jeden Blutdruck im voraus zu bestimmen sein. Wie wir jedoch im ersten Theile dieser Abhandlung ausführten, wird die Con- traction des Herzens, gleichwie die-jedes anderen Muskels, durch die Wider- stände, welche sich entgegensetzen, modifieirt in der Weise, dass erschwerte UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN Purs. 18) Entleerung der Kammer, sei sie durch stärkere Füllung oder durch höheren arteriellen Druck bedingt, eine raschere Entwickelung von Energie wach- ruft. Dabei wird die Contractionsdauer um ein Geringes verlängert. So kann es kommen, dass die dem arteriellen Drucke gleichwerthige Spannung des Ventrikels bei hohem Blutdruck in wenig längerer Zeit er- reicht wird als bei niedrigem. Trotz dieser theilweisen Compensation wird aber doch im Allgemeinen die Regel gelten, dass bei niedrigem Blutdruck die Austreibungszeit auf Kosten der Spannungsseit wächst. Was speciell die Verhältnisse bei Vagusreizung betrifft, so wirken mehrere Ursachen zusammen die Austreibungszeit lang zu machen. Die starke Füllung des Herzens bedingt eine geringe Verlängerung der Con- tractionszeit und ein hohes Druckmaximum des Kammerpulses, wie im ersten Theile ausgeführt wurde. Da gleichzeitig die Aorta wenig gespannt ist, so müssen die Klappen früh geöffnet werden. Ueber die Aenderungen, welche die Dauer und Steilheit des systolischen Druckanstieges unter solchen Um- ständen erleiden, giebt Tabelle 7 aus Versuch 22. Februar 1889 Auskunft. > | Ta Puls-- Ausgangshöhe Höhe des Dauer des Tl ne | 1. Maximums | Druckanstie- Pulsdauer | ° | Mm.Hg | ges in Sec. 1 1440 6-5 0-0607 ° | 70-236 2 143-0 7-0 0-060 | 0-234 8.0 142-5 9-0 0-058 0-231 Vagus 4 145-0 9-0 0.060 0-247 5 146-5 12-5 0.069 0-373 6 146-7 | 18-0 0-074 0-417 7 1505 | 17-0 0.082 | 1060 8 125-0 22-0 0-085 1-300 9 111-0 27-5 0-096 , 0-945 10 109-5 27-0 0.093 | 0.780 11 109-5 23-0 0-090 | 1-455 12 92-5 33-5 0.098 | 0-70 13 104-0 25-0 0.098 ° | 1-48 14 95-0 30-5 0.104 1-495 15 92-5 36-5 0-107 1-650 16 s8-0 32-5 0-101 3.440 17 66-5 42-5 0-115 3.025 18 64-5 AL:0,0 5 \.,,,0:126,|..| 13-990 ge. 36-5 40-0 | 0-137 1-330 AD 52-0 2 | nei) 1-240 Mit der Pulsdauer wächst die (relative) Höhe des ersten Maximums und gleichzeitig die Dauer des ersten Druckanstieges in der Aorta. Da aber die Höhe des ersten Gipfels in dem angezogenen Beispiele auf das 6fache wächst, die Anstiegsdauer nur auf das doppelte, so folgt daraus ein 74 M. v. FReY und L. Kreut: steilerer Anstieg der Vaguspulse. Auch die Figuren 24—26 können als Belege dienen. Ein steileres Ansteigen der Aortenpulse ist ferner zu beobachten bei Erhöhung des Blutdruckes mittelst Rückenmarksreizung, wodurch das Herz zu einer sehr grossen Aufwendung von Energie und sehr raschem Auswerfen seiner Füllung veranlasst wird. Vergl. Fig. 23. Immer muss aber im Auge behalten werden, dass die Aenderungen, welche die Dauer und Steilheit des ersten Anstieges der Pulscurve aufweist, sehr geringe sind im Ver- hältniss zu irgend einem anderen Stücke der Curve. Da dieses Stück von der Contraction des Ventrikels direct abhängig ist, so theilt sie mit dieser die grosse Beständigkeit des Verlaufs. Die absolute Höhe des systolischen Druckgipfels in der Aorta haben wir stets um ein Geringes niedriger gefunden als das Druckmaximum des Ventrikels; die Differenz ist aber keine constante Grösse, weil das Ge- fälle in der arteriellen Strombahn grossem Wechsel unterworfen ist. Bei reiner Vagusreizung findet sich constant die scheinbar paradoxe Erschei- nung, dass das systolische Druckmaximum der Aorta sinkt, während. gleich- zeitig das Druckmaximum des Ventrikels steigt. Dieser Zuwachs ist aber nicht so bedeutend als die Herabsetzung des mittleren Blutdruckes in der En } I I I \ 1 Fig. 29. Aorta, zu welcher jede stärkere Vagusreizung führt. Bedeute in Fig. 29 AK die Höhe des Maximaldruckes im linken Ventrikel bei raschem Puls, ‘KK’ den Druckzuwachs bei Vagusreizung, AM und X’M’ die zugehörigen Linien des Druckgefälles gegen den Aortenbogen, so wird man, wie aus der Figur ersichtlich ist, nur in unmittelbarer Nähe der Aortenwurzel eine Zunahme des Druckes erwarten dürfen. Fig. 30 möge als Beispiel der in entgegen- gesetzter Richtung stattfindenden Aenderungen der Maximaldrücke dienen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 75 anonyma U I I /Tn A Bun ket En yr y, BA TA Ventrikel Fig. 30. Scheinbar monokrote Pulse. Wir haben den systolischen Druck- anstiee und Gipfel des Aortenpulses abgesehen von seiner Stellung in der Reihe der Druckschwankungen und seiner zeitlichen Correspondenz mit dem Druckmaximum in der Kammer durch eine Anzahl von Eigenschaften kennzeichnen können, wodurch sein enger Zusammenhang mit den Con- tractionsvorgängen in der Kammer sichergestellt ist. Es dürfte daher nicht schwierig sein, aus dem Pulsbilde den betreffenden Antheil auszu- sondern, auch dann, wenn eine gleichzeitige Aufschreibung des Ventrikel- druckes nicht erfolgt. Vorausgesetzt wird dabei, dass der Aortenpuls über- haupt eine scharfe Gliederung gestattet. Dies ist aber durchaus nicht immer der Fall. Viele der abgebildeten Aortenpulse enthalten Beispiele von schwer zerlegbaren Formen, auf welche wir oft gestossen sind. Nicht nur bei starker Reizung der Vasomotoren wie in Fig. 23, sondern auch bei Drücken, welche als normal angesehen werden müssen, kommen beim Hunde zweifellos Aortenpulse vor, welche durch eine weitgehende Aus- gleichung und Verschmelzung der Details jeder Gliederung baar sind und an welcher eine Abtheilung in verschiedenwerthige Stücke ohne besondere Hülfsmittel vollständig willkürlich werden muss. Man könnte hier leicht den Einwurf machen, dass die Instrumente zu träge seien um den ganzen Formenreichthum der Pulscurve zur Darstellung zu bringen. Da aber dieselben Instrumente an anderen Thieren oder auch an demselben Thiere unter geänderten Bedingungen mannigfach gegliederte Pulsbilder verzeichnen können, so müssen die Gründe für das zeitweise Verschwinden der Details in den jeweils maassgebenden Versuchsbedingungen bez. in der Individualität des Thieres gesucht werden. Die Vagusreizung als Mittel zur Analyse der Pulscurve. In allen Fällen nun, in welchen bei normaler Höhe des Blutdrucks die Formen der Pulse nicht ausdrucksvoll genug sind, um eine Zerlegung in die ver- schiedenen Stücke ohne weiteres zu gestatten, bietet die Herabsetzung der Pulszahl durch Reizung des Vagus ein vortreflliches Mittel, um zu dem gewünschten Ziele zu gelangen. Durch das Absinken des Blutdruckes rücken die einzelnen Componenten des Pulsbildes zeitlich auseinander, ohne 76 M. v. Frey un L. KreEuL: dass ihre Ausbildung dadurch Schaden leidet. Im Gegentheil treten bei den seltenen Pulsen alle Einzelheiten schärfer hervor. Der erste Anstieg erfolet steil und durch längere Zeit als gewöhnlich, weil grosse Blutmengen ausgeworfen werden. Dem steilen Aufstieg folgt ein steiler Abfall (Fig. 224) und der dadurch scharf ausgeprägte erste Gipfel wird von weiteren Schwan- kungen gefolgt, welche ebenfalls viel deutlicher als gewöhnlich hervortreten. Aus diesen Gründen haben wir uns veranlasst gesehen, bei der Beschreibung der Aortenpulse von den Vaguspulsen auszugehen. Die Erniedrigung des Blutdruckes allein, ohne gleichzeitige Herabsetzung der Pulsfreguenz ist, beim Hunde wenigstens, lange nicht so wirksam, sei sie durch Gifte, durch Blutentziehung oder durch Trennung von Gefäss- nerven, bez. des Rückenmarkes herbeigeführt. Zwar rücken die secundären Erhebungen vom Anfangspunkt der Curve hinweg, gleichzeitig werden sie aber unscheinbarer und zwar in demselben Maasse, als der erste oder systo- lische Gipfel der Curve an Höhe verliert. Der Ventrikel arbeitet bei nie- drigem Druck und rascher Schlagfolge mit sehr geringen Füllungen, die Aortenpulse werden klein und monokrot nicht durch Vereinigung des systo- lischen Druckmaximums mit dem zweiten, sondern durch das fast vollstän- dige Verschwinden der am absteigenden Schenkel der Pulscurve tief herab- gesunkenen secundären Erhebungen. Die Vagusreizung dagegen erleichtert, wie wir gesehen haben, die Analyse der Pulscurve in doppelter Weise und da sie, ohne eingreifend für das Thier zu sein, in feinster Weise abgestuft werden kann, so ist die Prüfung des Pulses auf diesem Wege sehr zu empfehlen. Aus den bisherigen Erfahrungen geht bereits hervor, dass die Ausbil- dung der secundären Erhebungen mit der Höhe des systolischen Druck- gipfels gleichen Schritt hält. Diese Beziehung wird für die folgenden Be- trachtungen von Wichtigkeit sein. Die secundären Erhebungen. Sind wir nunmehr im Stande, in den Druckpulsen der Aorta ein durch bestimmte Merkmale ausgezeichnetes Stück abzusondern als unmittelbarer Ausdruck der Entleerung des Ven- trikels, so nehmen die übrigen nachfolgenden Druckschwankungen sogleich unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. In den meisten Fällen werden sie sich erst nach Schluss der Aortenklappen einstellen, wie dies an den Figg. 27 und 28 gezeigt worden ist. Ein solches Verhalten ist aber durchaus nicht nothwendig. Wir haben in Fige. 23 und 25 das soge- nannte zweite Maximum so nahe an den Anfang der Pulseurve heran- rücken sehen, dass der zugehörige Druckanstieg sich unmittelbar an den ersten anschloss, von welchem er zuweilen noch durch eine leichte Aen- derung der Steilheit zu unterscheiden war. Der charakteristische systo- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 77 lische Druckgipfel ist in diesem Falle von der ersten secundären Erhebung überdeckt, woraus zu schliessen ist, dass der neue Druckanstieg noch in die Entleerungszeit des Ventrikels fällt. Die grosse Unabhängigkeit des zweiten Druckanstieges in Bezug auf sein zeitliches Eintreffen schliesst eine An- zahl von Erklärungsversuchen von vornherein aus. Man kann weder an eine mit Absätzen erfolgende Herzcontraction noch an einen Vorgang denken, welcher mit dem Klappenschluss zusammenhängt, da die Druck- steigerung nachweislich oft erst geraume Zeit nach denselben anhebt. So stark ausgeprägte Drucksteigerungen, wie sie bei Vagusreizung die Regel bilden, aus der plötzlichen, durch den Klappenschluss erfolgenden Unter- brechung eines Rückstromes ableiten zu wollen, würde nur statthaft sein, wenn sich auch im Ventrikel zur Zeit des Klappenschlusses entsprechende Störungen des Druckablaufes nachweisen liessen. Von einem solchen Vor- kommniss haben wir aber nie eine Spur finden können. Nicht grössere Wahrscheinlichkeit hat die Annahme einer Längscon- traction der gedehnten Aorta, eine Auffassung, welche übrigens durch Be- obachtungen an elastischen Schläuchen in keiner Weise gestützt werden kann. Warum die Längsdehnung der Aorta in anderer Weise als die Querdehnung an der Entleerung des Inhaltes sich betheiligen soll, ist un- verständlich, so lange man nicht contractile Kräfte zu Hülfe nehmen will. Wahrscheinliche Reflexionen. Unter diesen Umständen liegt es nahe, an eine von der Peripherie zurückkehrende Drucksteigerung zu denken, insbesondere, nachdem durch die Untersuchungen von Fick und v. Kries die Existenz einer centripetalen Welle im Radialispuls vollkommen sicher- gestellt ist. Die Erfahrung, dass das zweite Druckmaximum unter Um- ständen das erste überragte, könnte nur dann gegen diese Annahme sprechen, wenn man die Vorstellung hegt, dass die Arbeit des Herzens in der Aorta aufgespeichert bleibt und erst nach dem Klappenschluss gegen die Peripherie abfliesst. Nun ist es aber leicht zu zeigen, dass sofort mit dem Beginn des systolischen Einströmens die Drucksteigerung sich mit grosser Schnellig- keit nach den Capillaren zu ausbreitet. Kehrt auch nur ein Theil derselben gegen das Herz zurück, so wird die inzwischen stärker ausgedehnte Aorta einen weiteren Zuwachs ihres Durchmessers und ihrer Spannung erfahren müssen. Für die Auffassung des Vorganges als einer Reflexion spricht ferner, wie bereits Hürthle betont hat, das frühzeitige Eintreffen derselben bei hohem Druck. Nach Grunmach! werden Druckänderungen in der Aorta um so schneller fortgepflanzt, je höher der Druck ist. Da die Pulscurve der Aorta nicht unmittelbar mit der Radialcurve verglichen werden kann, so bleibt die Existenz rückläufiger Wellenbewegungen 1 Dies Arehiv. 1888. 8. 129. 78 M. v. FREY und L. KReEuL: für erstere noch nachzuweisen. Diese Aufgabe scheint sich nun am ein- fachsten in der Weise lösen zu lassen, dass die Pulsbewegung in der Aorta gleichzeitig durch zwei Manometer in verschiedenem Abstande vom Herzen ver- zeichnet wird, von welchen das Nähere die centrifugalen, das entferntere die centripetalen Impulse zuerst anzeigen muss. Die Ausführung des Versuches stösst auf viele Schwierigkeiten und Bedenken. Anonyma und linke Sub- clavia entspringen zu nahe neben einander am Aortenbogen, um gute Ver- gleichspunkte zu geben. Wählt man deshalb die Coeliaca und eine der grossen Halsarterien zur Verbindung mit den Manometern, so wird die Ausführung des Versuches für das Thier ausserordentlich eingreifend, ins- besondere, wenn man bedenkt, dass sämmtliche Arterien des Halses unter- bunden werden müssen, wenn der Versuch eindeutige Resultate geben soll. Nach den Voraussetzungen des Versuchs stellt jede Arterie ein besonderes Reflexionsgebiet dar. Ein centripetaler aus den Halsgefässen stammender Impuls wird, einmal in die Aorta gelangt, dieselbe in centrifugaler Rich- tung durchlaufen, und von den beiden Manometern angezeigt werden wie ein vom Herzen kommender Anstoss. Wir haben daher nach wenig Vorversuchen, über die wir vielleicht ein anderes Mal berichten werden, die weitere Verfolgung dieses Planes als zu schwierig und kostspielig aufgegeben und uns zu einem einfacheren, wenn auch indirecten Verfahren gewendet. Künstlicher Blutstrom. Vor Allem schien es uns wichtig zu wissen, wie plötzliche Aenderungen der Geschwindigkeit des Flüssigkeitsstromes in der Aortenwurzel sich in zwei arteriellen Manometern anzeigen würden. Zu dem Ende haben wir das Herz durch ein Druckgefäss ersetzt, dessen Inhalt vermittelst eines Hahnes von der Aorta abgesperrt oder mit ihr in Verbindung gesetzt werden konnte. Um die Verhältnisse am Praeparat den natürlichen möglichst nahe zu bringen haben wir zur Durchleitung unverdünntes defibrinirtes, in einem Falle auch durch Pepton ungerinn- bar gemachtes Blut verwendet. Wir haben uns von unserem Plane nicht abhalten lassen durch die negativen Erfolge, welche Bernstein! bei einer in gleicher Absicht unternommener Versuchsreihe erhielt. Wir waren durch unsere Erfahrungen über den Aortenpuls bereits belehrt, dass die sogenannten secundären Wellen der Pulscurve nur unter besonderen begünstigenden Verhältnissen deutlich zum Vorschein kommen. Das Praeparat wurde in folgender Weise vorbereitet. Nach Verblutung \ Sitzungsberichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle. 4. März 1887. Neuerdings hat Hoorweg, Plüger’s Archiv u. s. w., Bd. XLVI, S. 167, den Ver- such Bernstein’s mit im Wesentlichen gleicher Anordnung und auch gleichem Er- folg wiederholt. Den Grund dieser negativen Resultate werden wir bei einer anderen Gelegenheit besprecheu. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. 719 des Thieres wurde der Thorax geöffnet, Herz und Lungen entfernt und in die Wurzel der Aorta möglichst nahe an den Klappen eine weite, kurz- halsige Canüle eingebunden. Durch ein kurzes weites Glasrohr stand die Canüle mit einem leicht spielenden Metallhahn von weiter Bohrung in Ver- bindung. Ebenso wurde die Verbindung des Hahnes mit dem Druckgefäss durch ein Glasrohr hergestellt. Der Druck der Blutsäule konnte auf jeder Höhe durch beliebige Zeit constant erhalten werden. Eine Canüle mit Rohr in der Vena cava inferior vermittelte den Abfluss des venösen Blutes in eine Schaale. Nun wurde die Anonyma unterbunden und in die linke Subelavia das obere der beiden Gummimanometer eingesetzt. Durch Resection der linken Rippen bis auf kurze Stümpfe, unter Schonung des Zwerchfellansatzes, wurde die Aorta descendens zugänglich gemacht und ohne Oeffnung der Bauchhöhle die Art. coeliaca freigelegt, in welche das untere Manometer endständig eingebunden wurde. Berücksichtist man, dass bei der Resec- tion der linken Rippen auch die zugehörigen Intercostalarterien unterbun- den wurden, so kann man das zwischen den beiden Manometern befindliche Stück der Aorta als nahezu ästelos (wenigstens im Verhältniss zu den zahl- reichen Verzweigungen unterhalb des Zwerchfells) und die Aufgabe als gelöst betrachten, zwischen das Herz und das Ausbreitungsgebiet der Aorta zwei Manometer in genügendem räumlichen Abstande einzuschalten. Oeffnungswellen. Ist das Gefässystem des Praeparates mit Blut gefüllt und hierauf der Hahn wieder geschlossen worden, so wird mit jeder Oeffnung desselben ein stationärer Strom hergestellt, wobei die Gefässe einen neuen dem höhe- ren Druck entsprechenden Durch- messer annehmen, Die Einstellung in diese neue Gleichgewichtslage be- ginnt wie bekannt nicht auf allen Querschnitten gleichzeitig und ge- schieht selbst unmittelbar hinter dem Hahn nicht momentan sondern Fig. 31. mit allmählich abnehmender Ge- schwindiekeit. Das in die Subelavia eingesetzte Manometer verzeichnet dem- entsprechend eine steil aufsteigende Linie Fig. 31, 1, obere Curve, welche bald gegen die Horizontale umbiegt. Kurze Zeit darauf (nach etwa !/, Secunde 80 M. v. Frey uno L. Keear: in dem angezogenen Beispiele) sieht man den Druck neuerdings rasch emporgehen (4), so dass der Anstieg in zwei Anläufen oder Stufen geschieht. Ueber die Herkunft der zweiten Steigerung giebt das Manometer in der Coeliaca Auskunft, Fig. 31, untere Curve. Dasselbe beginnt sehr bald (!/s. Secunde) nach dem oberen in Bewegung zu gerathen (2) und erhebt sich merklich ebenso steil wie dieses, auch die Scheidung des Anstieges in zwei Anläufe ist wahrzunehmen, wenn auch lange nicht so deutlich wie oben. In der Subelavia sind die beiden Anstiege durch einen breiten Absatz getrennt; in der Coeliaca deutet nur eine geringe Knickung der Curve (bei 3) darauf hin, dass hier ein neuer Anstieg einsetzt. Endlich beginnt in der Coeliaca eine dritte Periode des Druckanstieges (bei 5), für welche in der Subelavia ein Analogon nicht nachweisbar ist. Der Verdacht, dass die Curven nur deshalb verschieden ausfallen, weil die beiden Manometer ungleich arbeiten, lässt sich durch Vertauschung derselben sofort beheben; die Curven sind den beiden Querschnitten der Aorta eigenthümlich. Berücksichtigen wir zunächst nur die ersten vier Perioden, so können wir unterscheiden eine erste Stufe der Drucksteigerung, welche innerhalb /,, Secunde von der Subelavia zur Coeliaca gelangt und eine zweite Stufe, welche zuerst in der Coeliaca auftritt und mit ungefähr gleicher Verspätung die Subelavia erreicht. Die erste muss als eine centrifugale die zweite als eine centripetale fortschreitende Erweiterung der Aorta aufgefasst werden. Dass letztere die Reflexion der ersten darstellt kann nicht bezweifelt werden. e : RL ee : I ee. 2 Wir wollen die mit einer Geschwindigkeit von etwa 3 = sich ausbrei- tende Drucksteigerung als Oeffnungswelle bezeichnen. Das weitere Schick- sal der Welle nach der ersten gleichnamigen Reflexion ist folgendes. Nach- dem sie in die Subelavia und an die Aortenwurzel zurückgelangt ist, wird sie mn den zwischen Aorta und Druckgefäss eingeschalteten Stücken theils sleichnamig theils ungleichnamig reflectirt. Die gleichnamige Reflexion er- scheint früher (wahrscheinlich schon von der Canüle herrührend) interferirt in der Subelavia mit der zweiten centripetalen Drucksteigerung und bringt in der Coeliaca eine dritte kleinere Stufe (5) hervor. Endlich erscheint vom Druckgefäss her eine gut ausgeprägte ungleichnamige Reflexion (6 und 7), deren Schicksal sich nun auch wieder weiter verfolgen liesse, für die gegen- wärtigen Betrachtungen aber ohne Interesse ist. Schliesst man nun den Hahn, so verbreitet sich eine von ihm aus- gehende Druckverminderung oder Schliessungswelle in ganz ähnlicher Weise über das Gefässsystem. Die einzelnen Phasen des Vorganges sind aber lange nicht so deutlich zu beobachten, weil die Abnahme der Stromgeschwindig- keit nicht annähernd so rasch geschieht, wie die Zunahme bei der Oefinung; mit anderen Worten: die Aorta füllt sich rasch, entleert sich aber langsam. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 81 Stromstösse. Man kann aber auch die Ausbreitung der Schliessungs- welle gut verfolgen, wenn man von einer sehr wenig gefüllten Aorta aus- geht und die Schliessung des Hahnes auf die Oeffnung folgen lässt, bevor die Oeffnungswelle aus der Peripherie zurückgekommen ist. Die Strom- geschwindigkeit sinkt dann sehr rasch wieder auf den ursprünglichen nie- drigen Werth herab. Wir können den Vorgang als einen Stromstoss bezeichnen. Für die Curven, welche man auf diesem Wege erhält, möge Fig 32 als Beispiel dienen. Die obere Curve stammt von der Subelavia die untere von der Coeliaca; beide sind gleich- 5, zeitig geschrieben und richtig untereinander gesetzt. Das Manometer in der Coeliaca zeichnet etwas grössere Ordinaten. Der erste Druckanstieg in der Subelavia_O, wird in S, durch Schliessung des Hahnes unter- brochen. Diese Druckverminderug 8, pflanzt sich mit derselben Geschwindigkeit wie die erste Drucksteigerung nach der Coeliaca fort, setzt sich aber dort nicht an die erste O, sondern an die zweite inzwischen von der Peripherie zurück- gekehrte Drucksteigerung O, an. Das Curven- stück O, O, 5, entspricht vollständig dem Stücke 2, 3, 5 mFig. 31. Der Gipfel bei $,, Fig. 32, entsteht dadurch, dass eine centripetale Oeffnungs- und eine centrifugale Schliessungswelle hintereinander an dem Manometer vor- bei streichen, während die beiden Wellen des Gipfel $5, beide centrifugaler Natur sind. Die zurückgeworfene Oeffnungswelle erscheint bei O, in der Subelavia, wird durch die gleichnamige Reflexion am geschlossenen Hahn ver- stärkt und begiebt sich nun nochmals gegen die Capillaren zu auf den Weg, wo sie bei O, in der Coeliaca wieder sichtbar wird. Die ihr auf dem Fusse folgende Schliessungswelle macht genau dieselben Wanderungen durch und so entstehen in den beiden Manometern in wechselseitiger Aufeinanderfolge die Gipfel 5, 5, 8, 9, u.s.f. Lässt man die Schliessung des Hahnes noch schneller auf die Oeffnung folgen, so können sich die reflectirten Wellen auch in der Coeliaca von der centrifugalen trennen wie in Fig. 33. Der kurze Stromstoss erscheint zu- erst in der Subelavia @,,, bald darauf in der Coeliaca G,. Die erste Re- flexion G, schliesst sich unmittelbar an, gelangt in die Subelavia und wird am Hahn zum zweiten Male gleichnamig zurückgeworfen. Aus der Inter- ferenz des ersten centripetal und des zweiten centrifugal verlaufenden Stückes entsteht der hohe Gipfel @,. Nun wandert der Stromstoss bereits bedeu- tend geschwächt und mit Verflachung aller Curvenstücke zum zweiten Male Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol, Abthig. 6 Fig. 32. 82 M. v. Frey uno L. Kreur: nach den Capillaren zu, G,, und wird nochmals zurückgeworfen G,. In der Curve erscheint eine breite Erhebung. Die Trennung der beiden Gipfel, welche dem Paare G, und G, analog wären, gelingt an diesem Beispiele nicht mehr. @, ist die Wiederholung von @,. Man sieht, dass hier wie bei den Pulscurven scheinbar einfache Gipfelformen mannigfaltig zusammen- gesetzt sein können, so dass die Deutung grosse Vorsicht erheischt. Soviel ist aber sicher, dass alle an der Aortenwurzel entstehenden Druckänderungen das arterielle Gefässgebiet centrifugal und centripetal in regelmässigem Wechsel solange durchwandern, bis sie durch Reibung und Interferenz erlöschen. Man muss daher erwarten, dass wirklich homologe Punkte, wie z. B. die Minima zwischen den Gipfeln G, 6, @, u.s.f., Fig. 33, gleichen Abstand von einander halten, wobei allerdings zu be- rücksichtigen ist, dass bei hohem Druck die Ausbreitung der Wellen rascher geschieht. 6 Das erste Auftreten der Reflexionen in der Coeliaca fordert ungefähr doppelt soviel Zeit, als die Fortpflanzung der Wellen von der Subclavia zur Coeliaca. Der reflectirende Ort ist also (stets gleiche Geschwindigkeit der Aus- breitung vorausgesetzt) ungefähr ebenso weit von der Coeliaca nach der Peripherie zu ge- legen, als der Abstand zwischen Coeliaca und Subelavia beträgt. Wir haben übrigens die Ost Reflexionen häufig auch deutlich früher ein- Hua 1 treffen sehen, so dass der reflectirende Ort Fig. 33. näher an der Coeliaca zu suchen wäre. coeliaca Bei der Raschheit, mit welcher die reflectirten Wellen in der Coeliaca wieder erscheinen, bedarf es natürlich der Einhaltung gewisser Versuchs- bedingungen, wenn die einzelnen Gipfel der Curve mit solcher Deutlichkeit heraustreten sollen wie in Fig. 31. Die Aorta muss möglichst entleert sein, damit die Ausbreitung der Wellen mit der geringsten Geschwindigkeit geschehe, die Bewegungen des Hahnes müssen mit grosser Geschwindigkeit geschehen und das Reservoir unter hohem Druck stehen, damit der Strom- stoss trotz seiner kurzen Dauer doch einen starken Druckwechsel hervor- bringt. Die Bedingungen sind, wie man sieht, den Verhältnissen bei der Vagusreizung nachgeahmt. Länger dauernde Stromstösse führen zur Ver- schmelzung der centrifugalen und -petalen Impulse zuerst in der Coeliaca, später auch in der Subelavia. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. 83 Einfluss des Blutdruckes auf die Curvenform. Aehnlich wie Verlängerung des Stromstosses wirkt vermehrte Füllung der Aorta, da hier- durch die Geschwindigkeit der Wellenausbreitung wächst. Lässt man da- her eine Reihe von Stromstössen so rasch hintereinander in die Aorta ein- treten, dass sich das Gefäss in den Pausen nicht mehr genügend entleeren kann, so beginnt jeder neue Stoss auf einer höheren Abseisse und die Gipfel der Reflexionen rücken immer näher an den Hauptegipfel heran. Als Beispiel eines solchen Versuches diene Fig. 34, welche von dem Manometer in der Subelavia gezeichnet ist und vier aufeinanderfolgende Stromstösse darstellt. Unter Beibehaltung der dort gebrauchten Abkürzungen soll auch hier der erste oder Hauptgipfel der Curve mit @,, die Rellexions- gipfel mit @,, @, u. s. f. bezeichnet werden. Das erste Minimum der Curve liegt zwischen G, und G,, das zweite zwischen G, und G, u. s. w. Fig. 34. Das Druckbild des ersten Stromstosses gleicht so sehr der oberen Curve in Fig. 33, dass eine Beschreibung überflüssig erscheint. Der zweite Strom- stoss ist zufällig etwas länger gerathen, wie die lange Anstiegsdauer erkennen lässt. Der erste Reflexionsgipfel (@,) ist in Folge dessen bereits sehr nahe an den Hauptgipfel (@,) herangerückt und steht ihm nur wenig an Höhe nach. Die zweite Reflexion (G,) erscheint ebenfalls beträchtlich früher, als bei dem ersten Stromstoss. Durch das Zusammenrücken der Minima er- halten die Druckschwankungen kürzere Perioden. Bei dem dritten Strom- stosse ist die Curve anakrot geworden, indem @, ganz an @, herangetreten ist und denselben überragt. Im Druckbild des vierten Stromstosses endlich sind G, und @, zu einem scheinbar einheitlichen Gipfel verschmolzen. Misst man den horizontalen Abstand des zweiten Minimums (zwischen G, und @,) von dem Anfangspunkt jeder der vier Curven, so erhält man nachstehende Werthe, welche von der zunehmenden Geschwindigkeit der Wellenbewegung Zeugniss ablegen: 6* 34 M. v. Frey unD L. Krent: z Versuch vom 5. Juni 1889. Puls- | Intervall zwischen An-| De 1 0-40 0 mm Hg 2 0-32 I 3 0-25 a 4 0-19 Ss: Mit der Verminderung des Abstandes zweier benachbarter Minima werden, wie schon oben erwähnt, die zwischenliesenden Gipfel immer kürzer und steiler. Für diese Veränderung ist neben der grösseren Geschwindigkeit der Wellenausbreitung bei hohem Druck, vielleicht noch ein anderer Umstand verantwortlich zu machen. Wiederholt haben wir in den Curven von der Coeliaca Andeutungen gesehen, dass die Reflexionen von der Peripherie her nicht auf einmal, sondern in Absätzen erfolgte; namentlich konnte eine in zwei Abschnitte gespaltene Reflexion sehr häufig beobachtet werden, z. B. Fig. 35. Es macht den Eindruck, als ob aus den verschiedenen Veräste- lungsgebieten, in welche die Aorta zerfällt, die Reflexionen nicht gleich- 03° bl ln —— Fig. 35. zeitig in den Stamm zurückkehren würden. Ein völlig gleichzeitiges Ein- treffen würde bei der so sehr verschiedenen Länge der einzelnen Aeste in der That unwahrscheinlich sein. Was die Versuche an dem beschriebenen Praeparat mit künstlicher Blutleitung anbelangt, so kann man an demselben das Verästelungsgebiet der Aorta in zwei grosse Bezirke theilen. Da alle Halsarterien und die linken Intercostales unterbunden sind, so bleiben, wie ein Gypsausguss der Aorta sehr anschaulich zeigt, im Wesentlichen nur zwei Astfolgen übrig: die grossen Eingeweidearterien, welche unmittelbar unter dem Zwerchfell abgehen, und die fünf Aeste für untere Extremität, Becken und Schwanz, in welche die Aorta am Promontorium zerfällt. Die Ein- geweidearterien, insbesondere die Nierenarterien, können als kurze Arterien UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PuLs. 85 den langen für die Hinterbeine bestimmten Aesten entgegengestellt werden, so dass eine Sammlung der vielfachen Theilreflexionen zu zwei mehr oder weniger deutlich scheidbaren Summen wohl verständlich sein würde. Mit der Zunahme der Ausbreitungsgeschwindigkeit bei hohem Blutdruck müsste auch die gegenseitige Verspätung der Theilreflexionen geringer werden, so dass sie sich zu schärfer begrenzten Gipfeln sammeln können. Anwendung auf den Puls. Die Versuche am Praeparat lehren, dass die Druckänderungen, welche am Anfangstheil der Aorta durch Oeffnen oder Schliessen des Hahnes hervorgebracht werden, ohne Aenderung ihres Cha- rakters, nur allmählich verflachend durch die Reibung, nach der Peripherie sich ausbreiten. Von Elasticitätsschwingungen oder Rückstosselevationen ist nichts zu bemerken. Von der Peripherie kehren die Druckschwankungen gleichnamig reflectirt nach dem Centrum zurück und können unter Um- ständen den Weg wiederholt durchlaufen. Es würde übertriebene Vorsicht sein, wollte man vor der Uebertragung der am Praeparate gewonnenen Erfahrung auf das lebende Thier zurück- schrecken. Dass die Gefässwände bei künstlichem Blutstrom nicht nur ihre elastischen sondern selbst ihre contractilen Eigenschaften durch viele Stun- den conserviren, ist durch zahlreiche Erfahrungen aus diesem Laboratorium sichergestellt. Es ist somit kaum zu bezweifeln, dass Druckänderungen, welche im Anfangstheil der Aorta entstehen, auch im lebenden Thier eine Aus- breitung und Zurückwerfung nach den soeben gefundenen Regeln erfahren werden. In Frage kann nur noch kommen, ob diese Erscheinungen ge- nügen um jene Formen der Pulscurve zu erklären, welche ausser dem be- stimmt erkannten systolischen Hauptgipfel an ihr zu unterscheiden sind. Dies scheint uns nun für die Druckpulse der Aorta thatsächlich zuzutreffen. Die Gründe, warum wir alle secundären Gipfel des Aortenpulses als (centripetal oder centrifugal) reflectirte Wellen auffassen, sind folgende: 1. Die secundären Gipfel sind weniger steil und weniger hoch (bezogen auf die einschliessenden Minima) als der Hauptgipfel, überhaupt von ab- geflachter, wenig ausdrucksvoller Form. Sie sind um so mehr verstrichen, je höher die Ordnungszahl des secundären Gipfels ist. Es beruht dies theils auf Reibung, theils auf Vermengung verschiedenartiger Reflexionen. 2. Ihre Amplituden wachsen und nehmen ab mit der des Hauptgipfels. 3. Das. zweite Minimum der Pulseurve (vgl. die Definition auf S. 83) liegt von dem Anfangspunkt doppelt soweit ab als das erste. hkücken mit Erhöhung des Blutdruckes die seeundären Gipfel an den Hauptgipfel heran, so bleibt das Verhältniss dasselbe. Die Verschiebung gegen den Anfangs- 86 M.v. Frey unD L. Krear: punkt beträgt somit für das zweite Minimum das doppelte des Werthes für das erste Minimum. Zum Beweise dieses Satzes mögen nachfolgende Messungen dienen. Versuch vom 22. Februar 1389. Vaeusreizung. | Abseisse des Puls- Ausgangshöhe nummer Mm.Hg. | 1. Minimums 2. Minimums IBekEinu(See. in Sec. 1 147-5 0-135 | 0.262 2 148-5 0-130 0-275 3 147-5 0.140 0.282 4 106-0 0-150 0-312 0) | 86-5 0-170 0-335 6 50-0 0-205 0-417 T 63-0 0-200 0-400 8 66-0 0:182 0-375 9 101-5 0-165 0-335 4. Endlich sehen wir als Beweis für die reflectirte Natur der se- cundären Pulswellen die Thatsache an, dass ihr Verhältniss zum Hauptgipfel, sowohl was die zeitliche Lage als ihre Höhe betrifft, in den einzelnen Ge- fässbezirken verschieden ist. Würden sich wirklich, wie man gewöhnlich annimmt, alle Wellen nur centrifugal ausbreiten, so könnte zwar der Pıfls als ganzes in den entfernteren Arterien verspätet sein, nicht aber einzelne Theile desselben gegeneinander. Das Zeitintervall zwischen den charakteri- stischen Punkten der Pulscurve müsste in jeder Arterie gleich sein. Ganz dasselbe kann von der relativen Höhe der Theilgipfel der Pulscurve ausge- sagt werden. Die Thatsache, dass gewisse Theile der Curve, wie z. B. die sogenannte dikrotische Erhebung in der Carotis und Radialis deutlicher (relativ höher) und früher erscheint, als in der Art. dorsalis pedis, kann nur erklärt werden unter der Annahme, dass die dikrotische Welle andere Wege zurückzulegen hat bez. auf andere Weise zustande kommt als die primäre Erhebung. Sie wird auch in den verschiedenen Gefässgebieten nicht noth- wendig denselben Ursachen ihre Entstehung verdanken, sondern voraus- sichtlich in jedem Gefässgebiete in anderer und wahrscheinlich sehr ver- wickelter Weise aus centrifugalen und centripetalen Impulsen zusammen- gesetzt sein. Um auf diese Verhältnisse einzugehen fehlen uns gegenwärtig noch ausreichende Erfahrungen. Die Versuche an der möglichst verein- fachten und entästeten Aorta haben bereits innerhalb dieser kurzen Strecke die Pulsbilder von einzelnen Stromstössen durch die Interferenz der hin- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULS. Br und herlaufenden Wellen örtlich verschieden erscheinen lassen. Geht man weiter gegen die Peripherie hinaus, so müssen die Erscheinungen durch die gegenseitige Beeinflussung der Verästelungsgebiete eine Complication er- leiden, welche ohne ein sehr grosses Beobachtungsmaterial nicht zu lösen sein wird. 700 oa Ss S 7" PZ | = ” S Si S; = 28 Fig. 36. Wird dadurch die Deutung eines gegebenen Pulsbildes schwieriger als man sich zunächst erwartet haben mag, so gewinnt anderseits die Curve an diagnostischer Bedeutung. Wenn jedes einzelne Gefässgebiet den Puls 88 M.v.FrEY und L. KREHL: UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN PULs. in jedem anderen beeinflusst, so werden sich in einem gegebenen Pulsbilde nicht allein gewisse Functionen des Herzens, der Zustand und die Inner- vation der gegebenen Arterie und ihres Capillargebietes, sondern auch die Zustände in allen anderen Capillargebieten abspiegeln.. Dass diese Auf- fassung des Pulsbildes zutreffend ist, scheint uns gestützt durch die Er- fahrung, dass die Herabsetzung des Blutdruckes auf einen gewissen Werth die Pulsform in verschiedener Weise beeinflusst, je nach dem Mittel, durch welches die Herabsetzung bewerkstelligt wurde. Fig. 36 zeigt drei Pulsbilder von einem Hunde (Manometer endständig in einer Carotis) entsprechend drei Vergiftungsperioden, während welcher der Blutdruck auf Werthe zwischen 50 und 100"m Hg herabsank. Die Vergiftung wurde das erste Mal durch Chloroform, das zweite Mal durch arsenigsaures Kali, das dritte Mal durch Chloralhydrat herbeigeführt. Die Pulsformen sind zu verschieden, als dass man sie nur auf Rechnung der ungleichen Frequenz setzen könnte. Eine weite Verfolgung dieser Erschei- nung scheint uns von nicht geringem pharmakologischen Interesse zu sein. Ueber die Gesetze der Ermüdung. Untersuchungen an Muskeln des Menschen. Von Prof. Angelo Mosso. (Aus der physiologischen Anstalt der Universität zu Turin.) Die exacten Versuche über die Muskelarbeit, welche durch die klassi- schen Untersuchungen von Eduard Weber und Helmholtz eingeleitet und später von trefflichen Experimentatoren fortgesetzt wurden, sind an vom Körper losgetrennten Froschmuskeln gemacht worden. Erst nach den Arbeiten von Marey,! Helmholtz und Baxt,? Ludwig und Alex. Schmidt,? H. Kronecker,* E. Tiegel,’ Rossbach und Harteneck,® Cyon’ und Anderen begann man unter weniger ungünstigen Verhältnissen zu experi- mentiren. Doch sind die Forschungen, welche behufs Feststellung der Ge- setze der Ermüdung am Menschen ausgeführt wurden, bisher nur sehr spärlich. i Marey, Etudes graphiques sur la nature de la contraetion museulaire. Journal de l'anatomie. 1886. p. 225. 2 Helmholtz und Baxt, Monatsberichte der königl. preussischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1870. ® Ludwig und Alex. Schmidt, Berichte der königl. sächsischen Gesellschaft zu Leipzig. 1868. 8. 12. * Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der quergestreiften Muskeln. Berichte der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1810. 8. 690. ° E. Tiegel, Ueber den Einfluss einiger willkürlich Veränderlichen auf die Zuckungshöhe des untermaximal gereizten Muskels. Berichte der sächsischen Gesell- schaft der Wissenschaften. 1875. ® Rossbach und Harteneck, Muskelversuche an Warmblütern. Pflüger’s Archiv u.s. w. 1877. Bd. XV. S.1. ” E.Cyon, Methodik. 8. 460. 90 ANGELO Mosso: Ich suchte die mechanische Arbeit der menschlichen Muskeln direct zu verzeichnen. Die Methode, welche ich hierbei befolgt habe, ist von jenen, die zum Studium der Muskelcontractionen beim Menschen dienten, so verschieden, dass ich mich nicht für verpflichtet halte, den historischen Theil dieser Frage zu entwickeln, oder zwischen meiner Methode und den allgemein gebräuchlichen Dynamometern einen Vergleich zu ziehen. Auch über die jüngsten Arbeiten von Nipher! und Haughton? glaube ich der Kürze halber schweigen zu können. In dieser ersten Abhandlung werde ich die Apparate beschreiben, welche ich zum Studium der Zusammen- ziehung und der Ermüdung der Muskeln und Nerven des Menschen con- struirte, und in der zweiten wird Dr. Arnaldo Maggiora die Forschungen darlegen, welche er mit diesen Instrumenten in meinem Laboratorium durchführte. Beschreibung des Ergographen. Der Kürze halber übergehe ich die Methode, nach welcher ich eine Reihe einleitender Versuche, die Ermüdungscurve zu verzeichnen, angestellt habe. Die Schwierigkeiten, welche ich zu überwinden hatte, sind haupt- sächlich zwei: die erste besteht darin, die Leistung eines Muskels gut zu isoliren, so dass kein anderer Muskel ihm zu Hülfe kommen kann, wenn er ermüdet; die zweite darin, ein Ende des Muskels gut fixirt zu halten, während das andere die Contractionen schreibt. Ich versuchte es mit den Muskeln des Daumenballens, mit dem Abductor indicis, dem Biceps brachii, dem M. deltoideus, mit den Gastroenemii, den Masseteren, und erzielte nur mit den Beugern der Finger (M. flexor digit. sublimis und profundus) be- friedigende Resultate. Ich musste auf die Instrumente verzichten, bei welchen man mittels der Arbeit den Widerstand einer Feder überwindet, da sie nicht genau genug sind. Den Apparat, welchen ich hier beschreiben werde, nenne ich Ergograph,? weil er die mechanische Arbeit direct verzeichnet. Er besteht aus zwei Theilen: aus einem, welcher die Hand festhält, und einem anderen, der die Contractionen auf einem rotirenden Cylinder ver- zeichnet, wie man es bei den graphischen Versuchen macht. Der Fixir- apparat wird von einer 50 °® Jansen, 17m breiten, 0.7 = starken Eisen- platte gebildet, wie man es in Fig. 1 sieht. Um die Art der Festhaltung " F.E. Nipher, On the mechanical Work done by a Muscle before Exhaustion. The American Journal of Science and Arts. 1875. Vol. IX. p. 130. ® Samuel Haughthon, Proceedings of the Royal Society of London. XXIV. p- 43. ° Ergograph, von 2oyov Arbeit und yoagesır schreiben. tr 3 ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 91 der Hand zu verstehen, genügt es Fig. 3 zu betrachten. Es sind da näm- lich zwei Kissen 4, B (Fig. 1); auf ersterem liegt die Hand auf, und auf dem anderen, das leicht gehöhlt ist, ruht der Vorderarm. Um die Hand gut zu fixiren, bediene ich mich weiterer zwei Kissen C, D in der Weise, dass sie das Handgelenk leicht pressen und die Hand festhalten, damit sie nicht nach rückwärts weichen könne. Es sind noch zwei andere halbkreisförmige Kissen da, um den Vorderarm festzuhalten, wie man in Fig. 3 sieht, ge- wöhnlich bediene ich mich aber derselben nicht. Jedes Kissen besteht aus einer innen gepolsterten concaven Messingplatte; an der äusseren convexen Fläche derselben ist ein runder Metallstab angebracht, welcher durch die Oeffnung einer Klemme geht, wo man ihn mittels einer Schraube befestigt. In Fig. 1 sieht man vier gleiche Klemmen, welche unten, wie man bei #7 bemerkt, eine 2m tiefe, 0-8” breite Ausbuchtung besitzen, wo- durch sie mittels einer Schraube, die unter jeder Klemme angebracht ist, an den Rand der Eisenplatte befestigt werden können. Bevor man den Arm fixirt, sind diese Klemmen alle frei. Man legt hierauf die Hand mit dem Rücken auf das Kissen 4, man nähert nun die beiden Kissen CD in der Weise, dass sie die Hand entsprechend dem Gelenke gut pressen und schliesst hierauf die oberen und unteren Schrauben ihrer Klemmen. Die Hand wird vorn durch zwei Messingröhren G Z fixirt, deren innere Lichte, je nach der Dicke der Finger der Versuchsperson, zwischen 18 und - 23mm schwankt. — In die Röhre, welche man mit der Klemme Z fixirt, wird der Zeigefinger und in jene bei 7 der Goldfinger der rechten Hand gesteckt. In dem Zwischenraume, welcher zwischen der Klemmen #Z und 7 bleibt, bewegt sich der Mittelfinger, an dem man, an der Mittelphalange, eine Schnur befestigt, welche den Schreibapparat in Bewegung setzt. Um dem Arme eine bequeme Lage zu geben, muss man denselben, wie ich beobachtete, nicht in Supination, sondern in leichter Pronation halten. Die Platte ist desshalb gegen die innere Seite hin um etwa 30° 92 ANGELO Mosso: geneigt, und vom Ellbogen gegen die Fingerspitzen zu um etwa 2 bis 3” leicht gehoben. Diese beiden Neigungen nöthigen uns, die Lage des Stativs zu ändern, je nachdem man mit dem rechten oder mit dem linken Arm arbeitet; zu diesem Behufe hat die Eisenplatte hinten nur einen Fuss /, der aus einem cylindrischen Metailstücke besteht und auf welchem der Apparat ruht, während vorne zwei Füsse ZM sind, und zwar der eine L5®, der andere 7 12” lang. . Diese beiden Füsse sind durch eine schmale eiserne Querleiste verbunden, welche man in der Figur nicht wahrnehmen kann, weil sie sich an der unteren Fläche der eingangs erwähnten Eisen- platte befindet. In der Mitte hat die genannte Querleiste eine Klemm- schraube, wodurch es möglich wird, sie zu drehen und so den niederen Fuss bald auf die eine, bald auf die andere Seite der grossen Eisen- platte zu wenden. Dieselbe kann auf diese Weise eine Neigung nach rechts oder links erhalten, je nach der Hand, an welcher man die Ermüdungs- curve studiren will. En oS RR U KR Ill) Fig. 2. Der zweite Theil des Apparates ist der Schreibapparat. Er besteht aus einer 7°” breiten und 32 °® langen Eisenplatte, welche zwei Nessingsäulchen ZM trägt, die man in Fig. 2 in der Seitenansicht sieht. Sie sind gegabelt und tragen in einer Entfernung von 4°“ von einander je zwei cylindrische Stahlstangen NN in der Weise, dass sie die Führung des metallischen Läufers O7 bilden. Derselbe läuft mit zwei ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 95 cylindrischen Oeffnungen zwischen den erwähnten Stahlstangen und trägt eine 12 m Jange Metallhülse, welche in eine Gänsefeder @ endigt, die auf das berusste Papier des Cylinders schreibt. Wenn man eine gewöhnliche, in Anilintinte getauchte Feder verwendet, so kann man ebenso auf gewöhn- liehem Papier schreiben. Die Metallhülse besitzt eine Klemmschraube 7, wodurch man die Feder höher oder niedriger stellen kann, um auf den Cylinder deutlich zu schreiben oder die Berührung mit dem Papiere ganz aufzuheben. Der Läufer O % hat zwei Haken; an dem einen befestigt man die Schnur $, mittels welcher man ihn durch die Fingerbeugung anzieht. Diese Schnur trägt an ihrem ‚Ende einen starken Lederring, den man um al ia Fig. 3. das erste Glied des Mittelfingers legt. An den anderen Haken des Läufers, welcher sich an dem entgegengesetzten Ende desselben befindet, hängt man mittelst der Schnur 7’ ein Gewicht von 3, 4 oder mehr Kilogramm, wie dies in Fig. 3 ersichtlich ist. Diese Schnur läuft über eine metallene Rolle 7”. Da sich diese kleinen Schnüre leicht abnützen, wenn man mit grossen Gewichten arbeitet, so ist es besser, wenn man Darmsaiten benutzt, wie sie für das Violoncell oder die Bassgeige verwendet werden. Da man bei den Untersuchungen der Muskelcontractionen den Muskel in Belastung oder in Ueberlastung haben muss, so dachte ich die beweg- liche Hemmungsstütze A anzubringen, welche man in einem beliebigen Punkte feststellen konnte.. Diese Stütze, welche die Form der zwei Messing- säulen Z M hat, unterscheidet sich von diesen nur durch die recht- winkelig gebogene Basis, die auf der Eisenplatte X} beweglich ist. In 94 ANnGELo Mosso: dieser Eisenplatte befindet sich eine Spalte. In demselben läuft die Schraube 2, welche zur Feststellung der Stützsäule in einem beliebigen Punkte dient. Wenn man jedoch mit Gewichten von mehreren Kilogramm arbeitet, so würde diese Säule X den Schlägen, die sie von oben erhält, nicht Stand halten. Um sie unbeweglich zu machen, dient die Schraube © am oberen Theile, welche, indem sie sich gegen die Säule Z stützt, die Hemmungs- säule X für die Schläge des fallenden Gewichtes unempfindlich macht. Diese Vorrichtung bietet mir gleichzeitig den Vortheil, die Unterstützung nach Belieben zu regeln, da man durch Bewegen der Schraube das Gewicht stützen und den Muskel eines Theiles seiner Arbeit stufenweise entladen, wie es schon v. Frey bei seinen Untersuchungen gethan hatte. ! Fig. 3 stellt den Apparat im Augenblicke eines Versuches dar. Es fehlt nur noch der Schreibeylinder, doch ist es unnöthig ihn zu zeichnen. Die Contractionen der Mittelfinger vollziehen sich nach dem Rhythmus einer Baltzar’schen Uhr. Der unterbrochene elektrische Strom lässt eine Glocke ertönen und im Rhythmus dieses Signals vollziehen sich regelmässig die will- kürlichen Contractionen. Es genügt aber auch ein einfaches Secundenpendel J Fig. 4. Fig. 5. oder eine Minutenuhr, um die Zeit der Contractionen zu reguliren. Ich re- produeire hier zwei mit dem Ergographen geschriebene Curven. Fig. 4 stellt die Reihe der Contractionen dar, welche Dr. Arnaldo Maggiora schrieb, während er alle zwei Secunden ein Gewicht von drei Kilogramm hob. i Max von Frey, Reizungsversuche am unbelasteten Muskel. Dies Archiv. 1887. 8.195. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 95 Das Gewicht in diesem und in den folgenden Versuchen wirkt als Ueber- lastung am Muskel, mit Ausnahme einiger Versuche, welche ich später be- zeichnen werde.! Fig. 5 ist eine von Dr. Vittorio Aducco unter gleichen Verhältnissen geschriebene Curve. Bei diesen Versuchen kam eine Maximal- leistung bis zur Erschöpfung der Kraft in Verwendung. Wenn man Ge- wichte von 3 bis 4 Kilogramm benützt und die Contractionen alle zwei Secunden wiederholt, so macht man gewöhnlich 40 bis 80 Contractionen, welche regelmässig schwächer werden. Die Linie, welche die oberen End- punkte der in gleichen Abständen geschriebenen Zusammenziehungen ver- - bindet, wurde schon von H. Kronecker als Ermüdungscurve bezeichnet. Wenn man mit einem nicht zu grossen Gewichte arbeitet, so fühlt man, dass man im Anfange das Maximum der Beugung erreicht, ohne dass die Muskeln die ganze Leistung vollzogen hätten, deren sie fähig sind, und schliesslich, wenn man ermüdet ist, gelingt es trotz aller Anstreng- ung nicht mehr, das Gewicht zu heben. Es ist daher nicht möglich, zwischen dem ersten Theile der Curve und dem letzten einen genauen Vergleich zu machen. Jedoch auch in diesem Verhältnisse nämlich, wenn die Gewichte derart sind, dass zur Durchführung eines Maximalhubes keine Maximalleistung gehört, kann man — wenn man die Willenskraft bis zur Erschöpfung der Muskelkraft zu behaupten sucht — noch regelmässige und für das Studium der Ermüdung verwendbare Curven erhalten. In Figsg. 4 und 5 sieht man sofort den grossen Unterschied in der Ermüdungscurve zweier Personen, obgleich sie fast das gleiche Alter von 24 bis 28 Jahren haben, dieselbe Lebensweise führen und Beide mit einer Maximalanstrengung, alle zwei Secunden ein Gewicht von 3 Kilogramm heben. Beim Dr. Maggiora nehmen die Contractionen beim Beginn der Arbeit an Höhe rapid ab, weniger rasch gegen das Ende zu. Dr. Aducco giebt unter gleichen Verhältnissen eine gerade verkehrte Curve (Fig. 5), d. h. am Beginne ist die Abnahme der Höhe der Contractionen gering, gegen das Ende zu hingegen nehmen dieselben rapid ab, bis der Muskel sich endlich nicht mehr zuzammenziehen kann. Betrachten wir — bevor wir zur Besprechung der Curven übergehen — näher die Wirkung des Ergographen. Fig. 6 stellt die Seitenansicht einer Hand dar, wo der Mittelfinger während der Beugung nacheinander in die drei Stellungen M, M’, M” geräth. Wenn das erste und zweite Fingerglied steif wären und der Finger sich nur im Metacarpo-phalangeal- Gelenk drehte, so würde Punkt 3, we die Schnur, welche die Contractionen verzeichnet, befestigt ist, einen Kreisbogen BC mit dem Mittelpunkte in A ! Die Curven dieser Abhandlung und der folgenden von Dr. Maggiora, sind sämmt- lich von rechts nach links geschrieben, mit Ausnahme einiger, welche von links nach rechts geschrieben und zur Unterscheidung mit einem Pfeil ®-> bezeichnet sind. 96 ANGELO Mosso: beschreiben. Da sich aber auch die anderen zwei Fingergelenke beugen, so beschreibt der Angrifispunkt keinen Kreisbogen, sondern eine beson- dere Curve BMN, Fig. 7. — Die Strecke BM, welche der für die ver- wendbare Arbeit weniger günstige Theil der Trajectorie wäre, wird elimi- nirt, wenn man den Mittelfinger von Beginn des Versuches an leicht ge- beugt hält, wie man es in Fig. 3 sieht. Der sich contrahirende- Finger zieht an der Schnur des Ereographen längs der Strecke MN, welche man fast als eine Gerade be- trachten kann. Bei Ueberlastung hebt der arbeitende Mus- kel das Gewicht nicht gleich in dem Momente, ..aB in welchem er seine An- De, strengung beginnt und bei der Erschlaffung wird das Gewicht vom Appa- rat selbst zurückgehalten; auf diese Weise Behnen wir uns in den günstigsten Verhältnissen, die Ermüdung des arbeitenden Muskels zu studiren. Damit «lie Darmasaite, welche den Schreibapparat in Bewegung setzt, gut gespannt bleibe und der Finger sofort nach der Muskelcontraction das Gewicht hebe, ist ein Metallstück in Schraubenform angebracht, welches dazu dient, die Saite zu spannen oder nachzulassen, so dass man ihr genau die benöthigte Länge geben kann. Man sieht diesen Mechanismus in der Figur nicht, doch kann man sich die Anordnung desselben leicht vorstellen. Man begreift, dass hier gleichzeitig zwei Muskeln arbeiten: der M. Hexor dig. sublimis und profundus, und dass die Mm. interossei daran wenig An- theil nehmen. ÜBER DIE GESETZE DER ErMÜDUNG. 97 Was uns bei diesen Versuchen am meisten überraschte, war, dass jede Person ihre eigene Ermüdungscurve hat, wesshalb die von verschie- denen Personen geschriebenen Curven leicht von einander zu unterscheiden sind. Es sind nun vier Jahre, dass wir mit diesen Apparaten in meinem Laboratorium arbeiten, und der für die verschiedenen Personen charak- teristische Typus der Curven hat sich noch nicht geändert, so dass z. B. Dr. Maggiora nach vier Jahren noch immer Curven beschreibt, wie in Fig. 4, und Dr. Aducco Curven, wie in Fig. 5, so oft sie das gleiche Ge- wicht mit der nämlichen Hand und mit der gleichen Frequenz der Con- tractionen heben. | Als Beweis hierfür bringe ich zwei andere, im Jahre 1888 geschriebene Curven der DD. Maggiora und Aducco, um sie mit den im Jahre 1884 geschriebenen zu vergleichen. Fig. 8 Fig.9. Die Curve in Fig. 8 gehört dem Dr. Maggiora, jene in Fig. 9 dem Dr. Aducco. Ein Blick auf dieselben genügt, um zu sehen, dass sich die Ermüdungscurve dieser beiden Personen nach vier Jahren nicht verändert hat. Wenn wir die Summe der Hübe ziehen, auf welche das 3 Kilogramm- Gewicht durch die einzelnen Contractionen bis zur Erschöpfung der Kraft gehoben wurde, so finden wir die Differenz nicht sehr bedeutend. Dieses Zusammentreffen erscheint noch interessanter, wenn ınan bemerkt, dass ich die Curven auf’s Geradewohl unter vielen ähnlichen herausgegriffen habe, ohne die Absicht jene zu wählen, welche in ihrer mechanischen Arbeit gleichwerthig wären. Dr. Maggiora. 1884 1888 Hiubhöher 22... 0.122 27:218.0-791 0.596 Mechanische Arbeit . . KM . . 2.373 1.788 Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol, Abthig. 7 98 AnGeELo Mosso: Dr. Aducco. 1884 1888 Hubhöhe dass FE 236 Wo rer( Mechanische Arbeit . . KM.. . 3-708 3-531 Eine beträchtliche Differenz tritt mit dem Wechsel der Jahreszeiten zu Tage, wenn nämlich dieser Umstand die Ernährung des Körpers beein- flusst. Dr. Aducco z. B., der sich im Sommer weniger gut befindet als im Winter, zeigte zwei Jahre nach einander bemerkenswerthe Veränderungen der mechanischen Arbeit, wenngleich die Ermüdungscurve das gleiche Bild behielt. Fig. 10. Die Curve in Fig. 10 wurde von Dr. Aducco im Winter 1887 ge- schrieben, als er nach seinen Angaben bei grösster Kraft war. Er hob damals mit dem Mittelfinger der rechten Hand alle zwei Secunden ein Ge- wicht von 3#8 auf eine totale Hubhöhe von 1.842”, welche einer mecha- nischen Arbeit von 5-.526*" entspricht. Seit jener Zeit hat Dr. Aducco keine so langen Curven mehr geschrieben. Ich wollte vorzugsweise dieses Beispiel anführen, um eine Probe von der Genauigkeit der Resultate zu geben, die man mit dem Ergographen erhält. Weit grössere Veränderungen beobachtete ich, als ich mit dem Mechaniker des Laboratoriums, Hrn. Corino, experimentirte, welcher in Folge einer Augenkrankheit, die, wie wir glaubten, auf sein Allgemein- befinden keinen Einfluss haben konnte, eine bedeutende Modification und Abnahme der Ermüdungscurve zeigte. Aus den Versuchen, die wir während vier Jahren mit diesem Apparate in unserem J.aboratorium machten, geht hervor, dass man mit keinem anderen Apparate die jährlichen oder zu- fälligen Veränderungen, welche in der Muskelkraft zu Tage treten, so sicher ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 99 messen kann, und ich glaube, dass der Ergograph in dieser Beziehung mit Vortheil vor den Dynamometern Verwendung finden wird, welche als Mess- instrumente für die Muskelkraft weniger genau sind. Das Aichen des Ergographen. Um das Verhältniss, welches zwischen einer gewissen Verkürzung der Beugemuskeln und der zugehörigen Hebung des Gewichtes besteht, genau zu kennen, habe ich den folgenden Versuch angestellt. Ich nagelte auf einem Brette die Hand eines Leichnams fest, wie dies in Fig. 6 ersichtlich ist, nachdem ich die Sehnen des M. fiexor dig. sublimis und profundus isolirt hatte. An den Sehnen befestigte ich Drähte und vereinigte diese Drähte an einer horizontal längs der Muskeln gelegten Schraube. Indem ich nun diese Schraube drehte, wurden die Phalangen wie bei der Con- traction der Muskeln gebeugt. Das Gewinde der Schraube war derart ge- arbeitet, dass dieselbe mit jeder Drehung 1 "” Weg zurücklegte. Die Schnur des Ergographen wurde wie gewöhnlich fest an das zweite Fingerglied ge- Biosall. bunden. Fig. 11 stellt einige am Leichnam gemachte Bestimmungen dar. Die erste Curve A stellt die Höhen dar, auf welche ein Gewicht von 2:8 gehoben wird bei steigender Verkürzung des M. flexor dig. sublimis, welcher sich mit seiner Sehne bekanntlich an der zweiten Phalange inserirt. Die ee 100 ANGELO Mosso: horizontalen Strecken 1, 2, 3, 4, 5 sind Centimeter und stellen die Scala dar, um die Verhältnisse zwischen der Höhe, auf welche das Gewicht gehoben ward und die Verkürzung des Muskels, welche hinwiederum durch die Schraube verursacht wird, zu kennen. Wenn man, während der Finger in horizontaler Lage gestreckt ist, die Sehne des M. flexor dig. sublimis mittels der Schraube um 1” anzieht, so sehen wir, dass der Finger sich wenig hebt und die Strecke c d beschreibt. Beim zweiten Centimeter des Zuges ist die Wirkung grösser, da das Gewicht von d auf e gehoben wird; beim dritten Centimeter ist sie von e auf f ein wenig geringer. Wenn man diese drei auf einander folgenden Hübe misst, so sehen wir, dass sie in dem Ver- hältnisse von 8-5wm, ]9mm, jgmm stehen. Das heisst, dass, wenn wir mit dem Ergographen bei ein wenig gebeugtem Finger arbeiten, die Be- wegungen proportional der Verkürzung sind, und dass die Hebelwirkung der Phalangen in vergrösserndem Sinne sich geltend macht, etwa in dem Verhältnisse von 1:2. Wenn man die Schraube im entgegengesetzten Sinne dreht, dehnt das Gewicht den Finger wieder und wir erhalten eine ähnliche Figur von oben nach unten, wie es die Curve ein wenig nach links zeigt. Wenn man an der Schraube die Sehne des M. flex. dig. profundus befestigt, erhalten wir durch eine gleiche dreimal wiederholte Bewegung um ein Centimeter die Curve 5, wo die successiven Hübe unter sich im Verhältnisse von 7m, 10®m, j4mm stehen. Um von diesen Verhältnissen eine genauere Idee zu haben, band ich beide Beugemuskeln an die Schraube und schrieb die Hebelwirkung des Gewichtes auf einem rotirenden Cylinder, während ich die Schraube in Be- wegung setzte. Um eine Aufzeichnung zu erhalten, welche der charakteristi- schen Ermüdungscurve der Beugemuskeln ähnlich sähe, bediente ich mich eines am freien Ende der Schraube angebrachten Zahnrades, das ich in gleichförmige Drehung versetzte und so alle zwei Secunden einen constanten Zug ausübte, wie man dies an den kleinen Zähnen der Curve MM’M” der Fig. 11 sieht. Diese Curve stellt die Art und Weise dar, in welcher die Phalangen des Mittelfingers beim Heben des Ergographen-Gewichtes functioniren, während die Phalange 2 der Fig. 6 in die Stellungen MM’ M” geräth. Nach Vollendung der aufsteigenden Curve, dreht man die Schraube im entgegengesetzten Sinne und schreibt den absteigenden Ast der Curve M” N. Um mich schliesslich zu überzeugen, dass der Schraubenapparat gut functionirt, verbinde ich direct mit seinem Ende die Schnur des Ergo- graphen und wiederhole die Versuche, indem ich eine Curve von 3°” Höhe reproducire. Ich erhalte so die aufsteigende Linie #G, und wenn ich die Schraube in entgegengesetztem Sinne drehe, die Linie @ 47, welche das Dreieck #G H bilden. Diese zwei Curven, MM'M”’N und das Dreieck ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 101 F@H, gestatten uns den thatsächlichen Werth der Verkürzungen der Beuge- muskeln in den verschiedenen Graden ihrer Zusammenziehung kennen zu lernen. Durch das Aichen des Ergographen erfahren wir also, welches der wahre Werth der Contractionen der Beugemuskeln des Mittelfingers sei. Die mit dem Ergographen geschriebenen Curven geben getreu und etwa zweimal vergrössert die Verkürzung wieder, welche der Muskel bei jeder Contraction erleidet. Vergleich der durch willkürliche Muskelcontractionen erhaltenen Ermüdungscurven mit den durch Reizung der Nerven oder Muskel hervorgerufenen. Um die durch künstliche Reizung hervorgerufenen Contractionen der Muskeln zu studiren, musste ich mich einer tetanisirenden Reizung und nicht derjenigen eines elektrischen Schlages bedienen, weil bei einem maximalen Einzelreiz die Contractionen nicht genügend stark sind. Im dritten Capitel werde ich einige Curven bringen, welche geschrieben wurden, indem man den Nerven mittels inducirter Oeffnungs- und Schliessungs- ströme reizte, und wir werden sehen, wie klein die Gewichte sind, welche man in dieser Weise auch bei maximalen Reizungen zu heben vermag. Die besten Resultate erzielte ich mittels der tetanischen Reizungen. In dieser Beziehung wäre zu unterscheiden zwischen den Muskeln des Menschen und jenen des Frosches, ein Unterschied dessen schon Fick! erwähnte, welcher bei seinen myographischen Versuchen am lebenden Menschen, wenn man die Spannung, die durch einen maximalen Einzelreiz entwickelt wird, mit der, welche bei tetanischer Reizung zu Stande kommt, verglich, einen merkwürdigen Unterschied zwischen den Frosch- und Menschenmuskeln fand. Fick sagt: „Wir haben es hier offenbar mit einer specifischen Eigenthümlichkeit der menschlichen Muskelsubstanz zu thun, die darin be- steht, dass die Summirung der Wirkung von auf einander folgenden Einzel- reizen weiter geht als bei dem Froschmuskel. Die von mir aufgestellten Versuche wurden folgendermaassen ausge- führt: Zwei Grove’sche Elemente setzten einen du Bois-Reymond’schen Schlittenapparat, aus der Werkstätte von R. Krüger in Berlin, in Be- wegung. Der Inductionsapparat war nach Stromeinheiten graduirt. Im ı A. Fick, Myographische Versuche am lebenden Menschen. Pflüger’s Archiv u.s. w. 1887. Bd. XLI. S. 176. 102 ANGELO Mosso: Folgenden werde ich die Stellung der secundären Spirale immer nur nach dieser Scala der Stromeinheiten angeben. Der galvanische Strom wurde alle zwei Secunden durch ein Pendel unterbrochen, an dessen Schaft, etwa 15°” über dem Aufhängepunkt ein nach der Seite gebogener Platindraht in der Weise befestigt war, dass derselbe bei jedem Ausschlage nach links in ein mit Quecksilber gefülltes Schälchen tauchte. Man schloss so den Strom, und dieser blieb geschlossen bis das Pendel gegen die verticale Stellung zurückkehrte und den Platindraht aus dem Quecksilber zog. Das Schälchen war auf einem Stativ beweglich in der Weise, dass man durch Heben oder Senken desselben die Dauer der Reizung verkürzen oder ver- längern konnte. Mittels Alkohols entfernte ich beständig das Oxyd, welches die Funken an der Oberfläche des Quecksilbers erzeugten. Zu Beginn eines jeden Versuches setzte man das Pendel in Bewegung und liess das Schlitten-Inductorium functioniren. Ein an den Drähten des Inductionsstromes angebrachter Interruptor erlaubte, im gegebenen Moment die beiden Elektroden gleichzeitig auf den Nerven oder den Muskel wirken zu lassen. Die Application des Stromes auf den Mediannerven oder auf die Beuge- muskeln wurde durch zwei mit in leicht angesäuertes Wasser getauchte Schwämmchen bedeckte Metallknöpfe vorgenommen. Um dieselben fest- zuhalten, bediente ich mich zweier elastischer Bänder, die mittels einer Schnalle gleich einer Jarretiere um den Arm angelegt wurden. Durch einen kleinen knopflochähnlichen Einschnitt in das Band der Jarretiere konnte man den oberen Theil des Metallknopfes durchstecken, in dem man mittels einer Schraube den Draht des Inductoriums fixirte. Wenn ich gleichzeitig mit dem N. medianus die Beugemuskeln direct reizen wollte, so applieirte ich zwei weitere ähnliche Jarretieres mit ihren Elektroden auf den Muskeln des Vorderarmes an der von Erb! bezeich- neten Stelle. Bei diesen Experimenten war manchmal die Lage des Armes einiger- maassen verschieden von der in Fig. 3. Ich will nicht unterlassen, mit- zutheilen, wie der Apparat angeordnet war, denn, wenn man mit den Elek- troden die Muskeln oder den Nerven lange reizen muss, so ist es nicht gleich- gültig, welche Lage man wählt. Ich sass mit dem Oberarme vertical zur Seite und den Vorderarm in rechtem Winkel zum Oberarme gebeugt. Damit sich der Oberarm nicht nach rückwärts bewege, habe ich die beiden hinteren halbkreisförmigen Stützen der Fig. 3 weggenommen und eine derselben in die Nähe des Ellbogens und die andere unter dem oberen Drittel des Vorderarmes angebracht. Ein schweres Stativ trug diese beiden halbkreis- I W.Erb, Handbuch der Elektrotherapie. 1882. S. 286. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 103 förmigen Stützen, um das Ausweichen des Armes und Ellbogens nach hin- ten zu verhindern. Die Reizung des N. medianus gelingt besser bei mageren Personen, wo man die Arterie und den Nerven leicht unter der Haut fühlt. Bei dem ‘kleinsten Uebermaasse an Fett unter der Haut verursacht der Induetions- strom einen heftigen Schmerz, bevor noch die Intensität des ersteren eine gute Contraction bewirken könnte. Eine maximale Reizung des Nerven kann man wegen des Schmerzes nicht lange aushalten. Die folgenden Curven sind also mit untermaximaler Reizstärke erhalten worden, und bei jedem Versuche könnte man mit einer maximalen Reizung noch eine grössere Leistung des Muskels erzielen. Doch ist der Unterschied zwischen der Reizung, welche ich angewendet habe, und der Maximalreizung sehr klein. Um von dem Einflusse der Stärke des Inductionsstromes auf die Höhe der Contractionen eine Vorstellung zu geben, berichte ich über einen Ver- such, den ich angestellt habe, indem ich den N. medianus reizte, während der Mittelfinger in freier Belastung ein Gewicht von 400 sm hielt. Der gal- vanische Strom in der primären Spirale des Inductionsapparates machte 58 bis 60 Unterbrechungen in der Secunde. In Intervallen von zwei Se- cunden blieb der Nerv während °5/,, Secunden gereizt. Der Nerv erhielt somit jedesmal 25 Oeffnungs- und Schliessungsschläge. Der folgende Ver- ‚such wurde mit dem Dr. A. Maggiora gemacht; der Cylinder drehte sich "mit grosser Schnelligkeit. Ich maass die erste Erhöhung, welche zu An- fang der Reizung erreicht wurde und hierauf die Maximalhöhe, auf welche die tetanische Contraction stieg. Reizstärke nach Höhe des ersten Maximalhöhe der Stromeinheiten Gipfels Contraetion 1800 B 6 2000 28 34 2125 35 48 2250 37 50 2375 38 52 2625 51 54 2750 33 sl Nach der Intensität von 2750 wurden die Contractionen zwar stärker, aber sie sind unregelmässie. In der Fig. 12 sieht man den Einfluss, den die elektrische Reizstärke auf die Höhe der Zusammenziehung und auf den Verlauf der Ermüdung ausübt, besser. Das Gewicht von 400 E”” wirkt als Belastung auf den Mittel- finger. 104 AnGELo Mosso: Bei jeder Erregung, begonnen mit der Reizstärke von 1500, macht man nacheinander acht Reizungen, dann gleich darauf je acht andere mit 1750 — 2000 — 2250 — 2500 — 2750 — 3000— 3250, wie es unter der Curve in Fig. 12 geschrieben steht. 3250. 3000. 2750. 2500 2250. 2000. 1750. 1500. Fig. 12. Bei dem Reize von 1500 antwortet der Muskel nur auf die ersten vier Reizungen; die nächsten vier machen den Muskel contrahiren, heben aber nicht das Gewicht. Bei dieser Curve sieht man, dass die Contractionen unregelmässig werden, wenn die Reizstärke 3000 übersteigt. In diesem Falle kann man die Reizstärke von 3250 als übermaximale und die Reiz- stärke von 3000 wegen des Schmerzes als maximale betrachten. Wenn ich also von Maximalreizungen sprechen werde, so heisst das so viel, dass man sie ohne zu grossen Schmerz ertragen kann; doch sind es nicht maxi- male Reize in absolutem Sinne, d.h. solche, dass ich mittels eines stär- keren Reizes keine stärkere Contraction mehr erzielen könnte. Die Er- scheinung der Erhöhung der Zusammenziehungen nach Reizverstärkung kann man in diesem Versuche sehr deutlich sehen. Eine so ganz regel- mässig verlaufende Curve, wie Fig. 12, kann man vom bluthaltigen Frosch- muskel, der vom Nerven aus gereizt wird, kaum besser erhalten. ÜBER DIE GESETZE EER ERMÜDUNG. 105 Von besonderer Wichtigkeit, ausser der Regelmässigkeit der Erniedri- sung jeder Reihe von acht Zusammenziehungen, ist noch die Veränderung der Elastieität des Muskels. Anfangs bis 2250 hat man eine kleine Dehnung des Fingers, und wenn man den Reiz verstärkt, von 2750 an, und besonders bei 3250, wo die Zusammenziehungen unregelmässig werden, kommt die Contractur zum Vorschein. Sowohl bei dieser Curve (Fig. 12), wie bei den folgenden, war die Dauer des Reizes grösser, als bei dem Falle der Tabelle S. 103. Bei den folgenden Curven functionirte der Inductionsapparat während ?°/,, Secunden, und setzte während der übrigen Zeitdauer der zwei Secunden aus. Die Frequenz der Unterbrechungen des Induectionsstromes im Schlitten-Induc- torium war constant 58 bis 60 in der Secunde. Es ist überflüssig zu sagen, dass ich von Zeit zu Zeit die Controle angewandt habe, den schwingenden Hammer durch ein Deprez’sches Signal auf der mit grosser Geschwindigkeit rotirenden Trommel zeichnen zu lassen; die Zeit wurde hierbei gleichzeitig mit einer Gabel in !/,,, Secunde geschrieben. Da die Muskeln des lebenden Organismus gewöhnlich mit sehr ge- ringen Reizstärken arbeiten, will ich sogleich den Einfluss der Belastung auf die Ermüdung zeigen, wenn der Muskel mit untermaximalen Reizen erregt wird. Auf Fig. 13 bringe ich einen an Dr. Aducco mit 500 == Belastung ausgeführten Versuch. Indem ich am N. medianus mittels einer Strom- Il IM Fig. 13. 500.m, stärke 1000 reizte, erhielt ich eine erste Serie von Zusammenziehungen AB, welche in gerader Linie nach dem Gesetz von Kronecker abnehmen. Die Curven dieses Versuches, mit Ausnahme der Fig. 18, wurden durch die Photographie auf die Hälfte redueirt, weil die Contractionen zu hoch waren. 106 ANGELO Mosso: Der Muskel arbeitet zwei Minuten mit 500 "= (Fig. 13). Hierauf verdop- pelte ich das Gewicht und bringe es auf 1000 8”; die Ermüdungscurve CD (Fig. 14) steigt gleichfalls in ziemlich gerader Linie ab. Der Muskel arbeitet u Fig. 14. 1000 8, nn —— N zwei Minuten und ruht hierauf etwa 30 Secunden. Man beginnt mit dem Gewichte von 1500 und erhält die Fig. 15 die Curve #7, während der Muskel weitere zwei Minuten arbeitet. Ich verliere etwa eine Minute mit dem Wenden des Cylinders, und indem ich das Gewicht auf 3900 3m bringe, erhalte ich die Curve @H (Fig. 16). Fig. 15. 15008, | | Fig. 16. 3000 sm, | | ul | Il „al Schliesslich vollführt Dr. Aducco nach 15 Seeunden willkürlich die letzte Reihe von Contractionen (Fig. 17) /Z, indem er das gleiche Gewicht von 3®s hebt. Sowie sich der Muskel durch die willkürliche Anstrengung nicht mehr zusammenziehen kann, lasse ich in M neuerdings den Induc- ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 107 tionsstrom mit der früheren Reizstärke 1000 wirken, und erziele keinen Effect mehr oder nur sehr schwache Contractionen. Am folgenden Tage, als Dr. Aducco gut ausgeruht war, reize ich direet den Muskel, während er 500 sm Belastung hatte, und mit der Strom- stärke 3500 erhalte ich die Curve 18, welche in ihrer natürlichen Grösse reprodueirt wurde. Bemerkenswerth ist die grosse Aehnlichkeit dieser Curve mit der Curve der willkürlichen Er- müdung (vgl. Fig. 5, 9, 10), sowie die steigende Contractur, welche bewirkt, dass die Fusspunkte der kurzen Te- tani immer höher zu liegen kommen. Die Curve, welche die Fusspunkte verbindet, ist concav nach unten. \enn ich im vorhergehenden Kapitel gesagt habe, dass der Typus der Curven für die verschiedenen Personen charakteristisch ist, so muss das in dem Sinne aufgefasst werden, dass eine in physiologischem Zustande befindliche und gut ausgeruhte Person bei einem gewissen Gewichte und bei dem constanten Rhythmus die gleiche Ermüdungscurve geben wird. Fig. 18. Wenn diese Person aber ein geringeres oder grösseres Gewicht heben soll, so wird sie eine andere Curve geben; andere Curven, wenn man den 108 ANnGELoO Mosso: Rhythmus der Contractionen ändert, und wieder andere, wenn die Person durch vorhergegangene Arbeit mehr oder weniger ermüdet ist. Die Ermüdungscurve ist also nicht constant, da eben ihr Charakter sowohl von äusseren Umständen wie Veränderung des Rhythmus und des Gewichtes, also auch von inneren Umständen, dem Ruhe- oder dem Er- müdungszustande des Muskels und der Nervencentren, von dem Ernährungs- zustande des Organismus u. s. w. abhängig erscheint. Die individuelle Beständigkeit der Curve bezieht sich nur darauf, dass die nämliche Person unter gleichen Verhältnissen mit dem Ergographen dieselbe Curve verzeichnet, auch wenn die betreffenden Zeiträume von- einander entfernt sind. Hier sehen wir indessen, dass die bei Dr. Aducco durch Reizung des Nerven erhaltenen Curven, während der Muskel ein kleines Gewicht hebt, in gerader Linie verlaufen, wie es schon Kronecker beobachtet hatte, während die durch directe Reizung des Muskels erhaltene Curve ein Profil besitzt, welches den willkürlich erhaltenen Curven ähnelt. Wenn man dagegen von dem Unterschiede im Werthe der gehobenen Gewichte absieht, so könnte die Formveränderung der Curve von der Dif- ferenz in der Stärke des Reizes allein abhängen. Wir werden bald sehen, dass der Reiz, welcher beim Menschen die schwersten Gewichte heben lässt, jener des Willens ist, und dass innerhalb der möglichen Grenzen des Ver- suches keine elektrische Reizung einen so- starken Tetanus erzielen kann; wir werden aber auch sehen, dass der Reiz des Willens sich dafür er- schöpft. Thatsächlich haben Kronecker und Tiegel! an Froschmuskeln nach- gewiesen, dass schwächere Reize einen steileren Ermüdungsabfall geben, als stärkere. Remak, Bernard und Rosenthal? haben gefunden, dass der gleiche elektrische Reiz eine stärkere Wirkung auf den Muskel hat, wenn er dessen Nerven, als wenn er die Muskelsubstanz trifft. A. Fick® hatte schon bei den Versuchen mit seinem Spannungszeiger am Menschen, beim M. abductor indieis beobachtet, dass durch elektrische Tetanisirung niemals derselbe Spannungsgrad zu erreichen ist, wie durch willkürliche Erregung. | Dass der Wille für den Muskel ein stärkerer Reiz ist, als jener der Inductionsströme, das sieht man in den pathologischen Fällen, wo in Folge einer Verletzung des Nerven auch die stärksten elektrischen Erregungen ! E. Tiegel, Berichte der königl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1875. 8. 97. Fig. 6. ?2 J. Rosenthal, Ueber die relative Stärke der directen und indirecten Muskel- reizung. Moleschott’s Untersuchungen. III. S. 185. ® A. Fick, Pflüger’s Archiv u.s.w. 1887. Hft. XLI. S. 188. Ar Fe. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 109 noch keine Bewegung der Muskeln hervorrufen, während sie sich unter dem Einflusse des Willens zusammenziehen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass zwar tetanisirende Reize an Intensität, Zahl und Frequenz ganz gleich zu halten sind, nicht aber Willensreize, wie ich später zeigen will. Um wenigstens die Unterschiede betreffs des Gewichtes zu vermindern und Curven zu erzielen, in denen bei beiden Reizungsarten das Gewicht constant 1 oder 248 betrüge, dachte ich die Nervencentren vorerst durch eine intensive Geistesarbeit zu ermüden. Wir werden im nächsten Capitel sehen, dass sich in dieser Weise auch die Muskelkraft vermindert, ich hatte aber wenigstens den Vortheil, das Uebermaass an Energie durch die Willenskraft herabzusetzen. Von der Aehnlichkeit der Curve der willkürlichen Ermüdung mit der Curve der Ermüdung durch elektrische Reizung des Nerven kann man sich leicht überzeugen. Es genügt die Curve in Fig. 19 zu betrachten, welche am 2. August von Hrn. Maggiora erhalten wurde, während er willkürlich mit dem Mittelfinger der linken Hand das Gewicht von 1000s% in Ueberlastung 110 ANGELO Mosso: alle zwei Secunden hebt. Als nach zwei Stunden die linke Hand gut aus- geruht war, applicirten wir den tetanisirenden Strom auf den N. medianus. Die Reizstärke beträgt hier nur 1250, und das Gewicht 1000 erm, trotzdem finden wir die Contractionen sehr hoch (Fig. 20); dies beweist, wie sehr die Widerstände bei verschiedenen Personen verschieden sind, und wie schwierig es ist, die Elektroden in constanter Weise zu appliciren. Nachdem wir gesehen hatten, dass die Ermüdungscurve einen charak- teristischen individuellen Typus trage, drängte sich der Gedanke auf, dass dies von der Natur der psychischen Thätigkeit abhänge, d. h. dass es eine centrale Erscheinung sei, welche in der Wirkung der Nervencentren ihre Erklärung findet. Die Ermüdungscurven Figg. 19 und 20, welche an Dr. Maggiora mit willkürlichen Bewegungen und mit directer Reizung erhalten wurden und viele andere Versuche, die wir in der Folge be- sprechen werden, führen uns hingegen zu der Annahme, dass die charak- teristischen Erscheinungen ihren Sitz in der Peripherie haben, weil der Muskel auch dann seine besondere Ermüdungscurve giebt, wenn er ohne Mitwirkung des Willens errest wird. Wir berichten noch über einen Versuch an Dr. leeren, um nach- zuweisen, was geschieht, wenn man willkürlich oder mittels indirecter Rei- zung des N. medianus oder’ durch directe Reizung des Muskels das gleiche Gewicht hebt. Die Curven in Figg. 21, 22 und 23 werden in Intervallen von zwei Stunden verzeichnet, um dem Muskel Zeit zur Erholung zu lassen. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. dalıl Fig. 21, Reizung des N. medianus, geschrieben mit der Reizstärke von 1250 alle 2 Secunden und mit 3*® Ueberlastung, zeigt uns, dass die Er- müdungscurve auch dann noch eine gerade Linie sein kann, wenn es sich um ein beträchtliches Gewicht handelt. Fig. 22 stellt die durch das Gewicht und im selben Rhythmus von 2 Secunden erzielte willkürliche Curve dar, und Fig. 23 die Curve, ge- schrieben durch directe Erregung des Muskels und mit einer Reizstärke von 3500. Reizintervall 2 Secunden. Fig. 23, Fig. 22. Fig. 21. Es bestätigt sich, was schon Bernstein nachgewiesen, dass der direct gereizte Muskel früher ermüdet, als der indirect gereizte. Die Curve, welche man durch Reizung der Nerven erhält, ist länger und giebt eine grössere Arbeit; ich werde auf diesen Umstand im nächsten Capitel zurückkehren. Die Ermüdungsceurve bei den Muskeln des Menschen. Der zwischen H. Kronecker und L. Hermann! bezüglich der Er- müdungscurve aufgetauchte Streit ist bekannt. Kronecker sagt in seiner Arbeit Ueber die Ermüdung und Erholung der quergestreiften Muskeln, dass die Ermüdungscurve des in gleichen Zeitintervallen, mit gleich starken (maximalen) Inductionsschlägen gereizten, überlasteten Muskels eine gerade L.Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd.I. S. 74. 112 ANGELO Mosso: Linie ist. Gegenüber den von Tiegel! bestätigten Resultaten Kronecker’s sagt Hermann, dass er dagegen „sowohl bei gewöhnlicher als bei genauer Nachahmung des Tiegel’schen Verfahrens stets diese Linie nach unten convex gekrümmt fand.“ Rossbach und Harteneck fanden, dass die Ermüdungscurve des in gleichen Zeitintervallen durch seinen. Nerven maximal gereizten, belasteten, aus dem Kreislaufe ausgeschaltenen Warm- blütermuskels eine gerade Linie ist, und durch die Versuche am blut- durchströmten Warmblütermuskel erhielten Rossbach und Harteneck für den Gang der gesammten Ermüdung eine Linie, die sich mit concaver Krümmung Anfangs rascher, später langsamer der Abseisse nähert. Bei den am Menschen angestellten Untersuchungen habe ich gefunden, dass die Ermüdungscurve der Muskeln oft eine gerade Linie sein kann, oder eine Linie, die sich der geraden so sehr nähert, dass es unmöglich wäre festzustellen, welcher Curve die Linie entspreche, die durch die Höhe- punkte der Contractionen geht. Die Ermüdungscurven können durch eine gerade Linie in zwei verschiedenen Versuchsbedingungen dargestellt werden, nämlich unter Verhältnissen, welche jenen ähneln, unter denen Kronecker experimentirte, ferner unter anderen Verhältnissen. Indem ich mich in die gleichen Verhältnisse versetzte, unter denen Kronecker an Fröschen experimentirte, nämlich, indem ich das Gewicht und den Reiz regelte, so dass der Muskel eine grosse Anzahl — nicht unter 100 — von Contractionen gab, erhielt ich oft beim Menschen Curven, welche in gerader Linie abstiegen. Es ist jedoch nicht leicht, diesen Gang der Ermüdung bei allen Personen zu beobachten, wenngleich es sich nur darum handelt, den richtigen Grad der Erregung und des zu hebenden Gewichtes zu finden, damit der Muskel langsam ermüde, indem er. eine grosse Anzahl von Contractionen macht. Der Kürze halber berichte ich nur über einen einzigen dieser Versuche, der auch in anderen Beziehungen interessant ist. Dr. Maggiora erhält auf den N. medianus die Oeflnungsschläge eines Inductionsstromes von der Reizstärke 6500. Die Elektroden waren unten in der Nähe des Ellbogens, aber entsprechend dem Nerven in der Weise angebracht, dass nach oben gegen die Achsel zu noch genug Raum blieb, die Oberarmarterie zu com- primiren. Der Mittelfinger hebt das Gewicht von 4008m alle zwei Se- cunden. Die Fig. 24 wurde durch die Photographie auf die Hälfte re- dueirt. / In dem mit einem Pfeil bezeichneten Punkte A beginnt die Compression der Arterie, wobei der Radialpuls sofort verschwindet. Wir sehen, dass gleich darauf die Contractionen an Höhe zunehmen. 1 Tiegel, Pflüger’s Archiv u.s. w. 1876. Bd. XII. S. 133. ÜBER DIE GESETZE DER MUSKELERMÜDUNG. Diese Höhenzunahme der Contractionen kommt der Stei- gerung der Reizbarkeit zu, welche schon Ludwig und Alex. Schmidt an den mit künstlichem Kreislauf unter- haltenen Muskeln des Hundes beobachteten. Diese beiden Forscher drücken sich wie folgt aus: „In dem ersten Sta- dium der Blutleere steigt die Reizbarkeit, die auch hier durch die Minimalzuckung bestimmt wurde, empor, und zwar zuweilen sehr merklich über den Werth, den sie vor Beginn der Stromunterbrechung besessen hatte.“ Wir sehen hier durch die Erregung des Nerven die nämliche Thatsache bestätigt, welche Ludwig undSchmidt bei der direeten Reizung des vom Körper getrennten und dem künstlichen Kreislauf unterworfenen Muskels beob- achteten. Im Punkte 2 setze ich mit dem Reize des Nerven aus, und, während die Blutleere des Armes anhält, ersuche ich den Dr. Maggiora die Beugemuskeln willkürlich kräftig zusammen zu ziehen. Trotz allen Anstrengungen gelinst es ihm nicht, das Gewicht auch nur um ein Geringes zu bewegen. Nachdem er vier Mal umsonst seine Kraft ver- sucht hatte, bitte ich ihn auszusetzen und ich beginne auf’s Neue mit der Erregung, welche dieselben Contrac- tionen wie vorher zur Folge hat. Die Tastempfindung war in den blutleeren Fingern zu dieser Zeit gut erhalten, soweit sich dies durch den Erfolg einfacher Berührungen feststellen liess. Die Blut- leere scheint auf die natürlichen Innervationsvorgänge ähn- lich wie Curare zu wirken, wie ich dies schon früher in einer Arbeit mit Hrn. Prof. Guareschi! gezeigt habe. Die Lebensbedingungen der Muskelsubstanz und der mo- torischen Nervenendigungen werden durch die Anaemie leichter gestört, als die Leitung schwacher Reize durch die Empfindungsnerven. In C setze ich mit dem Reize aus und ersuche Dr. Maggiora neuerdings sich anzustrengen, allein der Wille bleibt erfolglos. Nachdem er vergebens vier Anstrengungen gemacht hatte, bedeute ich ihm inne zu halten und be- ginne aufs Neue mit der elektrischen Erregung des N. medianus. Dieselbe ist stets wirksam. ! Guareschi et Mosso, Les ptomaines. Archives italiennes de Biologie. t.Il. p. 367. Archivf.A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 113 114 ANGELO Mosso: Diese Thatsache ist interessant, weil sie zeigt, wie die Cireulationsunter- brechung früher eine Schädigung des Nerven für die willkürliche Reizung als für die künstliche Reizung erzeugt. Wahrscheinlich liefert dieser Ver- such den Beweis für den tiefgehenden Unterschied, welcher zwischen der Wirkung des Willens und jener der elektrischen Erregung besteht, welch ersterem, wie stark er auch vermöge seiner Natur dem elektrischen Reize gegenüber sei, es nicht gelingt, den Muskel zu erregen, während dies durch letzteren gelingt. Um den Verdacht auszuschliessen, dass die Hemmung des Willens von der Compression des Nerven abhängen könnte, habe ich diese Versuche wiederholt, indem ich die Elektroden höher gegen die Achsel zu anlegte und die Compression tiefer unten vornahm. Wenn die Hem- mung von der Compression des Nerven abhinge, hätte nun nicht nur die Wirkung des Willens ausbleiben müssen, sondern auch die des Nerven- reizes, was aber nicht der Fall war. Diese Hemmung ist um so wichtiger, weil die Höhe der Zusammen- ziehungen in BC grösser als beim Anfange des Versuches ist. Die normale Erregung des Muskels ist also durch die Blutleere verhindert, während sie im Muskel und peripherischen Nervenapparate ein Wachsen der Reizbarkeit und der Energie für künstliche Reizung bewirkt. Wie beim Stenson’schen Versuch verschwindet auch hier die indirecte Erregbarkeit vor der directen. Dr. Maggiora hat in der folgenden Abhand- lung in Capitel VII die Wirkung der Anaemie auf die Ermüdungseurve studirt. Ich werde auf diese Frage mit neuen Untersuchungen zurück- kommen, weil der sogenannte Stenson’sche Versuch für die Aufsuchung der Momente, welche die Erregbarkeit der Nerven und Muskeln während des Lebens unterhalten, sehr geeignet ist. Die Höhe der Contractionen in Fig. 24 nimmt in gerader Linie langsam ab, im Punkte D hört die Compression der Arterie auf, der Radialpuls stellt sich wieder ein, die Hand erröthet leicht, allein die Höhe der Con- tractionen kehrt erst nach einigen Minuten wieder auf ihren früheren Werth zurück. Dieser Versuch möge unter den vielen, die ich anführen könnte, ge- nügen, um zu zeigen, dass die Höhe der Contractionen in der Ermüdung auch beim Menschen in gerader Linie absteigen kann, wie dies Kro- necker für die Froschmuskeln festgestellt hatte. Andere Male zeigt sich die gerade Linie unter Verhältnissen, die von denen, unter welehen Kronecker experimentirte, ganz verschieden sind, nämlich, während der Muskel sich erschöpft und eine relativ kleine Anzahl von Contraetionen macht. Ich will über einen einzigen dieser Fälle berichten, und eine Curve bringen, die ich an mir selbst erhalten habe, indem ich ein Gewicht von 3*® alle zwei Secunden willkürlich zuerst mit der linken ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 115 Hand (Fig. 25) dann, nach einem Ruheintervall von zwei Stunden, mit der rechten Hand (Fig. 26) hob. Dieser Versuch, welcher angestellt wurde, um den Unterschied zu kennen, der zwischen den beiden Händen besteht, gab stets das gleiche Resultat. In Fig. 26 sieht man, dass die Contractionen, wie bei der linken Hand, progressiv in gerader Linie bis zu einem gewissen Punkte absteigen, und dass dann die Curve hyperbolisch verläuft. Durch mich wie durch andere Per- sonen kann das Gewicht von 3"® im Rhythmus von 2 Secunden unzählige ul il! Fig. 26. Fig. 25. Male gehoben werden; die kleine Ruhepause des Rhythmus ist schon aus- reichend, um dem Muskel die Energie wiederzugeben, welche genügt, das Gewicht auf eine kleine Höhe zu heben. Während ich die Correctur dieser Bogen besorge, wiederhole ich noch einmal dieses Experiment und finde, dass die Curven, welche ich in der Zwischenzeit von drei Jahren mit der rechten und linken Hand erhalte, in- dem ich die gleiche Arbeit vollziehe, identisch sind mit den in Fieg. 25 und 26 dargestellteer. Die Gradlinigkeit meiner Ermüdungseurve gilt nur für mittlere Gewichte und für den Rhythmus von zwei Secunden. Für kleinere wird sie S-förmig gebogen und für grössere Gewichte nimmt meine Ermüdungsceurve einen hyperbolischen Charakter an. Fig. 27 zeigt meine Ermüdungscurve, erhalten 'bei directer Reizung der Muskeln durch einen inducirten Strom von der Intensität und Dauer des Reizes, welche S. 105 angegeben wurde. Der Mittelfinger hebt 500 sm Ueberlastung mit dem Rhythmus von zwei Secunden, Reizstärke 3000. Für grössere Ueberlastungen wird die Kraft der Muskeln früher Nuil, und die Ermüdungscurve auch bei directer Reizung scheint gradlinig zu werden. 5* 116 ANGELO Mosso: Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass die Erschöpfung eine sehr complieirte Erscheinung ist, sodass, wenn auch manchmal die Ermüdungs- curve gradlinig ist, in dieser Gradlinigkeit, wie schon Hermann sagte, eine INTRANET > Fig. 27. Anzahl Zwischenfunctionen stecken, die unmöglich alle wirklich streng grad- linig sein können.! Mein Bruder Dr. Ugolino Mosso, einige Studenten, Giorgo Mondo, der Diener meines Laboratoriums und einige Soldaten geben gleichfalls Curven, wie in Fig. 26, weil man die Muskelkraft nicht vollständig er- schöpft, indem man mit dem Mittelfinger alle 2 Secunden 33 hebt. Bei anderen Personen in ähnlichen Verhältnissen erscheinen Perioden grösserer oder geringerer Thätigkeit. Das heisst, wer den Versuch macht, hat das Be- wusstsein, stets mit der gleichen Kraft zu ziehen, und zwar trotzdem, dass es dabei Momente giebt, in welchen es nicht gelingt, das Gewicht zu bewegen und wieder andere, in welchen man es hebt; dies geschieht stufenweise derart, dass sich Perioden bilden, in welchen die Contractionen an Höhe zu- oder abnehmen oder ganz aufhören. Dr. Warren P. Lombard stu- dirte diese interessante Erscheinung der Ermüdungsperioden und wird die Forschungen, welche er in meinem Laboratorium gemacht, bald veröffent- lichen. Um sich nun von den Variationen, welche die Ermüdungscurve der näm- lichen Personen darbietet, einen Begriff zu bilden, habe ich in Gemeinschaft mit Dr. Maggiora eine lange Reihe von Beobachtungen angestellt. Ausser den Collegen, die das Laboratorium besuchten, halfen uns bei diesem Stu- dium bereitwillig einige Studenten der Mediecin, sowie einige Soldaten, denen der Oberst des 81-er Regimentes erlaubte, auf’s Laboratorium zu kommen. ! L.Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd.I. S. 119. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 117 Es sind dies Versuche, die oft Tage lang dauern, und wobei man die Er- müdungscurve mit dem Ergographen alle 2 Stunden wiederholt. Ich werde die Curven dieser Experimente nicht bringen, wenngleich ich glaube, dass es nicht überflüssig wäre, die ganze Serie der während eines Tages ge- machten Beobachtungen zu reprodueiren. Dr. Maggiora wird später über einige Serien dieser Versuche, insoweit sie sich auf die mechanische Arbeit beziehen, berichten. Ich will mich darauf beschränken, die Resultate dieser Beobachtungen summarisch mitzutheilen. Es giebt Personen, welche eine grössere Anlage besitzen, eine regel- mässige Serie von Curven sowohl mit der rechten als mit der linken Hand zu geben; bei anderen Personen ist die Arbeit unregelmässiger und gelingen die Curven weniger gleichförmig, insbesondere wenn Jemand das erste Mal mit dem Ergographen schreibt. Uın den Vergleich zwischen der durch directe oder indirecte und willkürliche Reizung erzielten Ermüdungscurven der Muskeln deutlicher hervorzuheben, habe ich mit dem Rhythmus von 2 oder 4 Secunden will- kürliche Contractionen geschrieben und zwischen je zwei derselben eine Reizung des Nerven oder des Muskels gemacht. Man erhält so abwech- selnd willkürliche und elektrische Erregungen, deren Ermüdungsreihen in einander geschrieben sind und sich auf dieselbe Abseissenaxe beziehen. Jede derselben hatte ihren eigenen charakteristischen Verlauf. Die Bestimmung der Curve der Muskelermüdung beim Menschen ist eine wichtige Sache, da wir bisher über die Natur der Processe, unter welchen die Energie der Muskeln, Nerven und Nervencentren sich erschöpft und wieder herstellt, nur sehr wenig wissen. Die Linie, welche. sämmtliche Spitzen der Contractionen, die die Bugs: muskeln der Finger successiv machen, verbindet, ist nur bei wenigen Per- sonen eine Gerade, bei den meisten ist sie eine Curve mit der Convexität nach unten oder oben; seltener besteht eine doppelte Krümmung, sodass die Curve eine S-Form annimmt. Es giebt also keinen Gruudtypus, welcher den Ermüdungsprocess, wie er bei den Muskeln des Menschen durch eine Reihe willkürlicher Contractionen verläuft, darstellen würde. Wir werden in der Folge sehen, dass sich das Profil der Ermüdungscurve durch viele Ursachen modificirt, und insbesondere je nach dem Gewichte, das der Muskel hebt und je nach dem Rhythmus, in welchem- er es hebt und schliesslich nach der vorgegangenen Ermüdung. Inzwischen haben wir bereits bemerkt, dass derselbe Muskel mit dem gleichen Gewichte und bei der nämlichen Frequenz der Contractionen, stets dieselbe Curve giebt, oder doch eine Curve, die mit wenigen Veränderungen ein charakteristisches 118 ANGELO Mosso: und individuelles Bild darbietet. Die Ermüdungscurve ist die Resultante eines Complexes von Ursachen, welche auf die Muskeln, auf die Nerven- centren, auf den Kreislauf wirken, und die von der Zusammensetzung des Blutes und von der Gesammtresistenz des Organismus abhängen. Das psychische Phaenomen ist nicht der einzige Factor der charak- teristischen Zeichen, welche die Ermüdungscurve darbietet. Wir müssen annehmen, dass die Muskeln ihnen eigene Zustände von Reizbarkeit und von Energie besitzen, so dass sie sich unabhängig von der Reizbarkeit und Energie der Nervencentren erschöpfen. Der Muskel ist kein blindes Werk- zeug der Nerven, da sich diese seiner bedienen, ohne dass sie den Cha- rakter seiner Contractionen und die charakteristische Art und Weise, die eigene Energie aufzuzehren, anders als in sehr beschränktem Maasse ändern können. Wie sehr complieirt der psychische Vorgang auch sein möge, welcher einer Reihe von willkürlichen Contractionen zum Ursprung dient, so müssen wir doch annehmen, dass die Beschaffenheit des Muskels und seine Zu- standsänderung gleich charakteristisch und wandelbar sind. Das wesent- liche Resultat der mit dem Ergographen ausgeführten Forschungen, welches wir noch mit grösserer Deutlichkeit bei den folgenden Versuchen und bei jenen des Dr. Maggiora sehen werden, besteht darin, dass wir viele cha- rakteristische Erscheinungen der Ermüdung, die wir früher centralen Ur- sprungs und essentiell an die Funetionen der Nervencentren gebunden dachten, nun auf die Peripherie und auf die Muskeln übertragen müssen. Beschreibung des Ponometers. Jedermann weiss aus eigener Erfahrung, dass, wenn wir die nämliche Muskelübung viele Male wiederholen, die Anstrengung der ersten Con- tractionen von den letzten, zur Zeit, wo wir zu ermüden beginnen, sehr ver- schieden ist. Auch wenn man mit dem Ergographen arbeitet, fühlt man, als ob das Gewicht immer schwerer würde, und mit der Ermüdung wächst die Nervenerregung, welche sich anderen Muskeln, die nicht in Thätigkeit treten durften, mittheilt. Zuerst eontrahiren sich die Gesichtsmuskeln, dann gesellen sich ihnen jene der Gliedmaassen und des Rumpfes hinzu. Der Kreislauf alterirt sich sammt der Athmung und die Schweissabsonderung wird reichlich. Ich suchte die Curve zu verzeichnen, in welcher die Nerven- anstrengung mit der Ermüdung wächst; im Folgenden theile ich das Re- sultat mit. Der Apparat, dem ich den Namen Ponometer! oder Er- * Ponometer von zov&w, ich strenge mich an, und wergo» Maass. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 119 müdungsmesser gab, ist in Fig. 28 dargestellt. Er besteht aus einer 40% langen, 11°“ breiten und 1°” starken Eisenplatte 43. In der Mitte steht unbeweglich die Metallsäule ©, welche gabelförmige ausläuft und die Stahlstange DZ hält, die sich in © um eine horizontale Axe dreht wie u Il 1 IL] Mm Il NIIT WINE LU) l INT] JM II der Balken einer Wage, und einen doppelarmigen Hebel bildet. Das Ende dieser Hebelstange # trägt das 4*sım schwere Gewicht 7, welches man auf der Stange #D hin und her bewegen und mittels einer seitlichen Schraube in einem beliebigen Punkte feststellen kann. Der arbeitende Finger muss dieses Gewicht heben. Eine zweite Gabel @ ist beweglich und lässt sich in dem Canale, welcher in der Eisenplatte angebracht ist, verschieben und soweit als möglich in die Nähe des Ge- wichtes 77 bringen, um es zu stützen. Ein Stück Kautschuk am Fusse der Gabel @ dient dazu, den Stoss und das Geräusch des fallenden Ge- wichtes zu dämpfen. Um das Gewicht 7 zu heben, bediene ich mich eines dreiarmigen Hebels mno, welcher in Fig. 28 durch ein T-förmiges Metallstück dar- gestellt wird, das aber auch einfach ein rechtwinkliges Eisenstück sein könnte. An dem Ende o wird die Schnur befestigt, woran der Finger zieht. Es genügt die Fig. 29, wo der Apparat für ein Experiment vorbereitet erscheint, der Fig. 28 gegenüberzustellen, um zu verstehen, wie der dreiarmige Hebel functionirt. An dem Ende m befindet sich ein abgekanteter Zapfen, welcher durch eine Feder beweglich ist. Es ist dies eine Vorrichtung ähnlich jener, wie man sie bei den Thürschlössern findet, die man mit einem einfachen Drucke schliesst. Sowie der Mittelfinger aufhört an der Schnur zu ziehen, gelangt der rechtwinkelige Hebel aus der in Fig. 28 ersichtlichen Stellung in jene durch Fig. 29 angezeigte; denn die Spiralfeder ? zieht den genannten 120 ANGELO Mosso: Hebel an sich und durch das Zurückschnellen wird der erwähnte Zapfen — wie in Fig. 29 ersichtlich — mit einem Schlage geschlossen. Man be- greift leicht, dass der Apparat auf diese Weise neuerdings zur Thätigkeit bereit wird. Ich habe den Hebel in der Winkelform mn o construirt, weil ee air I EEE GE GE | Fig. 29. ich anstatt einer Spiralfeder, der grösseren Genauigkeit halber, in z ein Gewicht in Anwendung brachte; doch ist der Unterschied hiebei so klein, dass eine Feder der Bequemlichkeit halber vorzuziehen ist. Wenn man nun die Schnur des Apparates anzieht, wie dies in Fig. 29 dargestellt erscheint, so wird die Muskelkraft nur während eines Theiles der Contractionsdauer wirken, und zwar nur zu Beginn derselben. Wir haben es wie mit zwei Kreisen zu thun: der eine wird durch den recht- winkeligen Hebel, der andere durch den Doppelhebel, welcher das Ge- wicht 7 trägt, gegeben; in dem Augenblicke, in welchem die Berührung zwischen dem Zapfen m und dem Punkte D, der das Gewicht hält, aufge- hoben wird, wird der Muskel, indem er sich zu contrahiren fortfährt, leer arbeiten. Eine besondere Schraubenvorrichtung gestattet es, den Zapfen m zu verlängern oder zu kürzen, damit die Berührung mit der Stange D längere oder kürzere Zeit andauere. Man ist auf diese Weise leicht in der Lage, die Zeitdauer zu verlängern oder zu kürzen, während welcher die Beugemuskeln der Finger ein Gewicht heben, dessen Grösse man durch Bewegen der Masse 7 auf der Stange ZCD regelt. Der Muskel arbeitet also mit diesem Apparate nur zu Beginn der Contractionen und wir ver- zeichnen ausser dem Nutzeffecte auch die Bewegung, die der Muskel mit leerem Gang macht, wenn ihm das Gewicht, das er hebt, plötzlich fehlt. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 121 Fig. 30 zeigt eine von Dr. Aducco mit diesem Apparate geschriebene Curve, während er im Rhythmus von 2” ein Gewicht von 4'& hebt. Das Profil der Curve verläuft im entgegen- gesetzten Sinne, wie die mit dem Er- gographen geschriebenen Öurven, wenn- gleich dieselbe, wie alle anderen, von rechts nach links geschrieben worden ist. Die Linie mn zeigt den Punkt an, bis zu welchem der Mittelfinger das Gewicht von 4*® hebt; der Theil der Curve, welcher sich oberhalb der Linie mn befindet, zeigt die Höhe der ent- lasteten leeren Contractionen. Wir sehen, dass der nach Aufhören der Belastung vom Finger durchlaufene Raum im Beginne kleiner und zuletzt, wenn der Muskel ermüdet, beiläufig ‚dreimal so gross ist als die Hebung des Gewichtes. Die einfachste Art, diese Thatsache zu erklären, wäre, wie ich glaube, anzunehmen, dass der Nerven- reiz, den man zu einem Muskel entsendet, viel grösser.ist, wenn der Muskel ermüdet, als wenn er ausgeruht ist, und dass der erschöpfte Muskel, wegen der veränderten Intensität der Processe, von denen die Contraction abhängt, nicht mit derselben Leichtigkeit in der Bewegung inne halten kann, wenn er plötzlich entlastet wird. Fig. 31 stellt ein gleiches Experiment des Dr. Maggiora dar, wäh- rend derselbe alle 3” ein Gewicht von 5*® hebt. Die Figur ist auf !/, ihrer ursprünglichen Grösse verkleinert. Auch hier ist die leere Bewegung anfangs klein und wächst dann mit der Ermüdung; interessant ist es, dass wir auch hier zwei verschiedene Curven haben, wie wir es bereits bei den Versuchen mit dem Ergographen bemerkten. Beim Dr. Maggiora wird die Curve des Wachsthums der Nervenanstrengung durch eine fast gerade Linie dargestellt. Diese Curven zeigen, mit jener des Ergographen verglichen, dass, während die durch den Muskel geleistete mechanische Arbeit zur Ab- nahme neigt, die Nervenanstrengung und die Intensität der Processe, welche die Contraction hervorrufen, progressiv wachsen. Die einfachste Deutung dieses Versuches ist, dass der ermüdende Muskel eines kräftigeren Nervenreizes benöthigt, um sich zusammenzuziehen. Donders und van Mansvelt hatten schon am Menschen gesehen, 122 ANGELO Mosso: dass beim Halten eines Gewichtes auf bestimmter Höhe der Arm nach plötzlicher Entlastung um so weiter emporschnellt, je länger der Tetanus gedauert hat, woraus sie schliessen, dass der Contractionsgrad zur Unter- haltung einer constanten Leistung beständig zunehmen muss, oder mit anderen Worten, dass die Ermüdung den contrahirten Muskel dehnbarer macht. Um zu erkennen, welches der centrale und welches der peripherische Theil dieses Phaenomens sei, dachte ich die Ermüdungscurve mittels des l ‚u III) Ponometers zu schreiben, während ich den N. me- dianus reizte. Fig. 32 stellt die mit dem Mittel- finger vonDr. Maggiora geschriebene Curve dar, während er mit dem Po- nometer i"S hob und den N. medianus durch einen tetanisirenden Induc- tionsstrom bei einem Rol- 4 lenabstande = 2250 und mit denselben Bedingun- gen, welche schon auf ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 123 S. 105 angegeben wurden, gereizt wird. Man sieht, dass die Höhe der Contractionen mit leerem Gang stufenweise abnimmt. Zuletzt gelingt es der Contraction der Beugemuskeln nur noch aus- nahmsweise das Gewicht über die Linie MN zu heben, über welche hinaus der Muskel leer arbeitet. Man sieht vier ungenügende Contractionen, welche die beständig abfallende Ermüdungsreihe unterbrechen. Eine andere uns interessirende Thatsache ist, dass mit dem Sinken der Contractionshöhe die Fusspunkte der Contractionen emporgehen, und dass die Höhe der Contractionen mit der Ermüdung abnimmt, wenngleich der tetanisirende Reiz über die Curve M7/N hinaus und bis an’s Ende der höchsten Contractionen andauert. Bei diesem Versuche wäre nach der Lehre von Weber und Volk- mann eine Abnahme der Muskelelastieität zu erwarten gewesen, wodurch der Muskel dehnbarer geworden wäre, und wir sehen hingegen, dass die Elastieität gewachsen ist. Es ist doch wahrscheinlicher, dass die elektrische Reizung der Nerven eine Contractur des Muskels hervorruft, und wir werden dies nächstens deutlicher sehen. Allenfalls erscheint es in Folge dieses Versuches sehr wahrscheinlich, dass der Unterschied zwischen der mit dem Ponometer willkürlich geschrie- benen, aufsteigenden, und der durch Reizung des Nerven mittels eines elektrischen Stromes verzeichneten absteigenden Curve, durch den wach- senden Nervenreiz hervorgerufen werde, welchen die Centren zu dem Muskel entsenden, je schwieriger die materiellen Bedingungen der Contraction für den Ermüdungsprocess werden. Die Ermüdung der Nervencentren. Die bedeutenden Schwierigkeiten, weiche sich dem Studium der Ner- venermüdung entgegenstellen, sind bekannt.” Doch ist die Frage von solcher Wichtigkeit, dass ich nicht umhin konnte, mich mit ihr zu befassen, umsomehr, als es leicht ist, mittels des Ergographen die Arbeit zu erken- nen, welche die Muskeln vollziehen, wenn sie willkürlich gereizt werden, sowie wenn man sie durch directe oder indirecte Erregung sich zusammen- ziehen macht. Mittels des Willens können wir eine grössere Kraft ausüben, und Maximalgewichte heben, aber die Arbeitsfähigkeit erschöpft sich bald und der Willenreiz wird unwirksam, während man durch elektrische Nerven- reizung die Muskeln lange in Thätigkeit hält. ı Ch. Richet, Physiologie des muscles et des nerfs. p. 722. ‘ 124 AnGeELo Mosso: Die Abnahme der Leistungsfähigkeit bei der Ermüdung hängt nicht nur von musculären Veränderungen ab. Es ist schon bekannt, dass wir die Anstrengung von der Arbeit unterscheiden müssen: und ich glaube, dass bei jeder Anstrengung noch zwei Theile zu unterscheiden sind — die centrale oder Nervenanstrengung — und die peripherische oder Muskel- anstrengung. Wenn es mir gestattet ist, der Kürze halber einen Ausspruch, dessen Beweise später folgen werden, vorauszusenden, so würde ich sagen, Fig. 33. dass der grosse Unterschied, den wir zwischen der willkürlichen und der durch elektrische Erregung der Nerven vollzogenen mechanischen Arbeit finden, von der Ermüdung der Nervencentren abhängt, welche bei der in- directen Contraction fehlt. Wahrscheinlich wird die rasche Erschöpfung des Willens dadurch bewirkt, dass die Anstrengungen der Nervencentren grösser sind, als für die mechanische Arbeit, welche der Muskel vollbringen muss, nöthig ist. Um den Unterschied zwischen der willkürlichen Contraction und der künstlich mittels der elektrischen Ströme erhaltenen deutlicher zu kennen, habe ich den folgenden Versuch (Fig. 33) gemacht. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 125 Ich applieire dem Dr. Maggiora auf den N. medianus den stärksten elektrischen Reiz, welchen er ertragen kann. Rollenabstand gleich 2000. Der Mittelfinger der linken Hand hebt 2500 8’, Ueberlastung, Reizintervall 2 Secunden. Unter diesen Verhältnissen erhalte ich vom frischen Muskel die Curve # (Fig. 33). Wenn der Muskel erschöpft ist, hört der elektrische Reiz auf, und es beginnen die Maximalanstrengungen des ‚Willens. Auf diese Weise erhält man die Curve 7”. Nachdem der Muskel willkürlich erschöpft ist, reize ich den N. medianus auf’s Neue mittels des gleichen Stromes wie vorher und erhalte ganz schwache Erhebungen Z. Man be- ginnt noch einmal mit dem Willen und erhält nach einer Zusammen- ziehung fast Nichts mehr, Y. Um nun den Verdacht auszuschliessen, dass der willkürliche Reiz viel stärker sei als der elektrische, muss man die Reihenfolge des Ver- suches umkehren und, nachdem der Muskel ausgeruht ist, zuerst mit dem Willen beginnen. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren und so den Elektroden Gelegenheit zu geben, sich zu verrücken, bediene ich mich der Massage. Man entfernt den Arm vom Ergographen und massirt den Vor- derarm durch 10 Minuten, indem man Acht giebt, die Elektroden nicht zu verrücken. Mittels dieser Massage stellt man den Muskel von der Ermüdung wieder her, wie wir es in der Folge in der Abhandlung des Dr. Maggiora, Capitel XI, besser sehen werden. Die Curve der Fig. 34 beginnt 12 Minuten nachdem die letzten Con- tractionen der vorhergehenden Figur aufhörten. Man hebt mit willkürlichen Zusammenziehungen dasselbe Gewicht im gleichen Rhythmus. Wenn der Muskel erschöpft ist (wir werden bald sehen, dass es richtiger wäre, zu sagen, wenn die Wirkung des Willens auf den Muskel erschöpft ist), _be- ginnt man mit der Reizung des N. medianus mittels des maximalen Reizes von vorher, und man erhält noch vom Muskel eine bemerkenswerthe Arbeits- menge, welche durch Curve Z dargestellt wird (Fig. 34). Hierauf erzielt der Wille nach einer Zusammenziehung nichts mehr und die elektrische Erregung ergiebt minimale Hübe des Gewichtes. Der elektrische Reiz ist so schmerzhaft, dass man mit dem Versuche aufhören muss. Aus diesen. Versuchen (Figg. 33 und 34) ersieht man, dass der bis zur Erschöpfung der Muskelkraft fortgesetzte tetanisirende elektrische Reiz in dem Muskel noch einen Rest von Energie belässt, welcher von dem Willen ausgenutzt werden kann, und dass hinwiederum der Wille einen Rest von Kraft zurücklässt, welcher von der Elektricität ausgenutzt und in Thätigkeit gesetzt wird, und ferner, dass, wenn diese Reize einer nach dem anderen thätig sind, sie die ganze Muskelkraft erschöpfen, gleichviel welcher der beiden den Vortritt hatte. ; 126 ANGELO Mosso: Es ist möglich, dass der elektrische Reiz auf andere Art, als der Wille auf den Muskel wirke, nämlich, dass der Vorgang der natürlichen und künstlichen Contraction bezüglich der feineren Processe, welche in den Muskelfasern verlaufen, verschieden ist; mir scheint aber, dass sich die Fig. 34. soeben gebrachten Curven viel leichter erklären lassen, wenn man annimmt, dass sich die Energie der Nervencentren erschöpfe. In Fig. 33 haben wir zuerst die Muskelkräfte mittels eines elektrischen Reizes erschöpft, und alsdann kam der Wille hinzu, und da derselbe ein stärkerer Reiz ist, so erhielt man vom Muskel eine Reihe von Contractionen, welche der gereizte Nerv nicht mehr erzielen konnte. Im zweiten Falle, Fig. 34, erschöpfte sich der Wille, wie es gewöhnlich geschieht, bevor noch der Muskel die ganze Energie, deren er fähig ist, abgegeben hatte. Die Ermüdung der Nervencentren wird deutlicher in dem folgenden Versuche, wo ich die Muskelkraft durch die auf den Nerv applicirten Erregungen nicht erschöpft habe, um zu sehen, was im Centrum ge- ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 127 schieht, wenn ich, ohne den Muskel ausruhen zu lassen, dem Nerven- centrum Zeit zur Erholung von den vollbrachten Anstrengungen gab. Dr. Aducco hebt mit dem Mittelfinger ein Gewicht von 3*s in Ueberlastung. Man versucht den grössterträglichen elektrischen Reiz des N. medianus. KRollenabstand 1250. Mit diesem Reize schreibt man eine _ Reihe von Contraetionen. Reizintervall zwei Secunden. Dr. Aducco macht Fig. 35. hierauf eine Reihe willkürlicher Contractionen. In Fig. 35 Y ist solche Ermüdungscurve dargestellt. Wir sehen in dieser Curve, wie in Fig. 10, dass die ersten 4 oder 5 Zusammenziehungen rascher abfallen als die folgenden, sodass eine kleine Krümmung mit der Convexität gegen die Abseisse entsteht. Diese charakteristische S-förmige Biegung wird bei jeder neuen Reihe der Zusammenziehungen zum Vorschein kommen. — In dem Punkte #, wo der Muskel willkürlich nur mehr schwache Contractionen giebt, reize ich den N. medianus. Um nun dem Willen Zeit zur Erholung zu lassen, arbeitet der Muskel während 30 Secunden mittels der elektrischen Erregung von 1250. Wenn der Nerv eine Zeit lang mit maximalem Reize gearbeitet hat, geht man wieder zum früheren willkürlichen Reiz zurück (Fig. 36). Die Zusammenziehungen, welche die Muskeln jetzt zeich- nen, sind achtmal höher als die letzten Zusammenziehungen des maximal elektrischen Reizes. Die Curve der willkürlichen Bewegungen 7 (Fig. 36) beginnt genau so wie vorher, indem sie ein kleines $ beschreibt. Ich lasse den Cylinder in Bewegung und mache alsdann in Z eine andere elektrische Reizung. Während diesen drei künstlichen Zusammenziehungen hat sich der Muskel schon erholt und giebt eine normale S-förmige Curve / mit dem Willen. 128 98 317 ANGELO Mosso: Ich wiederhole noch dreimal das Experiment in ZEVYEV, und stets sehen wir dieselbe Erhöhung der Muskelzusammenziehungen nach ei- ner Reihe von indirecten maximalen Reizungen. Aus diesem Versuche erscheint der centrale Antheil der Ermüdung deutlich. Wir lassen den Muskel sich nicht erholen, da wir ihn mittels des auf den Nerven applicirten maxi- malen elektrischen Reizes in Contrac- tion halten. In dieser Zwischenzeit aber erholt sich der Wille, und wenn er wieder in Thätigkeit tritt, macht er den Muskel kräftiger sich contrahiren. Wir können dem Willen Zeit lassen sich zu erholen, während der Muskel mittels der elektrischen Er- regung zu arbeiten fortfährt, aber das entgegengesetzte Phaenomen tritt nicht ein, d. h. während der Muskel willkürlich arbeitet, rehabilitirt er sich nicht wieder für den Nervenreiz, und wenn die willkürliche Arbeit auf- hört und man mit den elektrischen Erregungen beginnt, so sieht man, dass diese kleinere Contractionen geben als vorher. Es ist dies also keine Er- scheinung, welche sich mit den schon von Kronecker undTiegel bei den blutlosen Praeparaten gemachten Be- obachtungen in Zusammenhang brin- gen liesse, nämlich, dass während der Muskel bei irgend einem untermaxi- malen Reiz arbeitet, er sich für jeden grösseren Reiz erholt, mag derselbe maximal oder untermaximal sein.! ! Tiegel, Berichte der sächsischen Ge- sellschaft der Wissenschaften. 1875. 8.99. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 129 Es handelt sich hier, aller Wahrscheinlichkeit nach, um eine Erholung, welche in den Neweffeintien erfolgt, wenn der wille keine en macht. Einfluss der psychischen Ermüdung auf die Muskelkraft. Nachdem ich beobachtet hatte, dass bei der Muskelarbeit auch die Nervencentren ermüden, interessirte es mich zu wissen, ob eine intensive Geistesarbeit auf die Muskelkraft einen Einfluss habe, oder mit anderen Worten, ob die Ermüdung der psychischen Centren des Gehirns unmittelbar auf die motorischen Centren desselben wirken könne. Die bezüglichen Versuche vollführte ich nach verschiedenen Methoden; besonders gute Resultate erzielte ich aber mit der Ermüdung, welche man beim Abhalten der Prüfungen erleidet. Ich beschränke mich darauf, die an Dr. Maggiora gemachten Versuche zu bringen, welche so über- zeugend sind, dass jedes andere Beweismittel überflüssig wäre. Ich muss hier einige Erläuterungen vorausschicken, um die Bedingungen, unter denen die Versuche ausgeführt wurden, begreiflich zu machen. An den italienischen Universitäten muss jeder Lehrer in seinem Gegen- stande eine besondere Prüfung abhalten, welche für jeden Studenten wenigstens 20 Minuten dauert. Die Prüfungen werden zweimal im Jahre abgehalten, und zwar Anfangs Juli und Ende October. An den grossen Universitäten, wie in Turin, bilden diese Prüfungen eine der ermüdendsten Arbeiten der Professoren, da jeder Curs mehr als 100 Studenten zählt und jeder Pro- fessor oder Lehrer gewöhnlich Mitglied von zwei Prüfungscommissionen ist. Dr. Maggiora prüfte in Hygiene, da er als Privatdocent in diesem Jahre den Professor L. Pagliani suppliren musste, welcher nach Rom als General- Director des Landes-Sanitätsamtes berufen ward. Prof. G. Bizzozero und Dr. Soave waren Mitglied dieser Prüfungscommission. Ich füge noch hinzu, dass das physiologische Laboratorium ganz nahe der Universität ist. Schon vom ersten Tage der Prüfungen an bemerkte ich, dass die Muskelkraft des Dr. Maggiora vermindert war. Die gleichzeitig an mir selbst gemachten Untersuchungen. gaben nicht gleich deutliche Resültate wie beim Dr. Maggiora, wenngleich man auch bei mir nach den Prü- fungen eine kleine Abnahme der Kraft bemerken konnte. Der Kürze halber werde ich nicht alle Beobachtungen mittheilen, welche ich an Dr. Maggiora gemacht habe, und unterlasse über die erste Periode zu berichten, in welcher die Abnahme der Kraft so evident war, dass wir um nicht zu kurze Curven zu erhalten, das Gewicht von drei Kilogramm auf zwei vermindern mussten. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 9 130 ANGELO Mosso: Am 9. Juli schreibt Dr. Maggiora willkürlich die Curve 1 in Fig. 37, indem er mit dem Mittelfinger der linken Hand 2*s hebt. Es erfolgen 55 Contractionen, welche von der Höhe von 45"" der dritten und vierten bis zu Null fast in gerader Linie absteigen. Ich reprodueire nicht die Fig. 37. Curve von 8 Uhr Vormittags, da sie fast gleich it. Um 2 Uhr Nach- mittags beginnen die Prüfungen in Hygiene Dr. Maggiora prüft 11 Studenten, was einer intensiven Geistesarbeit von 3!/, Stunden ohne Unterbrechung entspricht. Man begreift, dass ausser der Mühe fortwährend fragen und die Prüfung leiten zu müssen, auch die Gemüthserregung hin- zukommt, die ganze Verantwortung des eigenen Unterrichtes zu fühlen und sich von den maassgebenden Collegen, welche als Mitglieder der Prüfungs- commission anwesend waren, beurtheilt zu wissen. Sofort nach beendigter Prüfung kommt Dr. Maggiora in’s Laborato- torrum und um 5 Uhr 45 Minuten schreibt er unter den nämlichen Ver- hältnissen wie früher die Curve 2 der Fig. 37, wo wir sehen, dass sich die Leistungsfähigkeit des Muskels ausserordentlich verringert hat. Die erste Contraction ist noch stark, aber die folgenden nehmen an Höhe rasch ab, und nach 9 Contractionen ist die Energie des Muskels bereits vollkommen erschöpft. Es ist fast unnöthig hinzuzufügen, dass Dr. Maggiora darauf achtete, sich der linken Hand nur während der Versuche zu bedienen, um ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 131 sie nicht zu ermüden. Um 6 Uhr geht er zum Speisen und um 7!/, Uhr kehrt er in’s Laboratorium zurück, um die Curve 3 zu schreiben, und dann kehrt er noch einmal um 9 Uhr zurück, um die Curve 4 zu schreiben. Wenn man diese grosse Verminderung der Muskelkraft in Folge einer Arbeit des Gehirns sieht, so ist der erste Gedanke, der Einen befällt, dass die Ermüdung eine centrale sei, und dass der Wille nicht mit gleicher Kraft auf die Muskeln wirken könne, weil die Ermüdung der psychischen Centren sich den motorischen Centren mittheile. Der folgende Versuch wird beweisen, dass die Sache viel complicirter ist, weil man dasselbe Resultat erhält, wenn man die Nervencentren ausschliesst und den N. medianus oder direct die Beugemuskeln reizt. Fig. 38. Fig. 38 stellt die am folgenden Tage mit dem Mittelfinger der linken Hand geschriebene Curve dar, während derselbe 500 z”= Ueberlastung hält. Reizstärke des du Bois-Reymond’schen Schlittenapparates = 4250; der Inductionsstrom war auf die Beugemuskeln in der S. 105 beschriebenen Weise applieirt. Reizintervall zwei Secunden. Die erste Curve wird Vor- mittags 9 Uhr geschrieben. Um 11 Uhr Vormittags schreibt er eine weitere, welche ich nicht reproducire, weil sie der ersteren ähnlich ist. Um 2 Uhr beginnt Dr. Maggiora mit den Prüfungen und nimmt deren zwölf vor. Sofort nach Beendigung derselben schreibt er um 5 Uhr 30 Secunden die Curve 2 der Fig. 38. Auch hier sehen wir die Muskelkraft ver- mindert; anstatt der 53 Contractionen von Vormittag macht er nach den Prüfungen nur 12. Um 6 Uhr 30 Minuten geht er zum Speisen, um 7 Uhr 9* 132 ANGELO Mosso: schreibt er die Curve 3. Die Ermüdung ist also keine centrale, sondern eine peripherische. Es ist nicht der Wille, es sind nicht die Nerven allein, auch der Muskel ist es, welcher in Folge einer intensiven Arbeit des Gehirns erschöpft ist. Diese Thatsache bewies ich durch wiederholte Versuche und halte es für überflüssig, andere Curven hierüber zu bringen; auch durch Reizung des N. medianus erhielt ich das nämliche Resultat. Der Verbindungswege zwischen Gehirn und Muskeln giebt es zwei: die Nerven und die Blutgefässe. Bezüglich der Nerven besitzen wir in der Physiologie bisher keine einzige Thatsache, die uns die Uebertragung der Ermüdung oder irgend eines Productes derselben längs der Nerven so ver- muthen liesse, dass die excessive Arbeit des Gehirns sich auf die Peripherie fortpflanzen und den Muskel zur Thätigkeit unfähig machen könne. Der Weg der Blutgefässe dagegen dient besser zur Erklärung der beobachteten Thatsache. Wir können annehmen, dass durch die gesteigerte Arbeit des Gehirns die Zersetzungsproducte in den Kreislauf kommen, welche die Muskeln vergiften und sie unfähig machen, ihre volle Energie zu entfalten, oder aber man kann vermuthen, dass während der gesteigerten Arbeit des Ge- hirns die Muskeln dem Blute einen Theil der Substanzen überlassen haben, welche sonst für ihre eigene Thätigkeit gedient hätten. Es würde sich hier wiederholen, was wir während des Hungers beobachten, nämlich, dass die weniger edlen Organe die Vorräthe an Substanzen, welche ihrer eigenen Energie dienen sollten, der Nervensubstanz überlassen, um den Verlust auszugleichen, den die Nervenzellen erleiden. Wir werden sehen, dass die erste dieser zwei Hypothesen die wahrschein- lichere ist. Ich habe gemeinsam mit Dr. Maggiora über den Einfluss des Hungers und der Speise auf die Muskelermüdung eine Reihe von Forschungen gemacht. Die Resultate derselben werden in Capitel X der nächsten Ab- handlung dargelegt werden. Indessen kann ich einige Resultate dieser Studien des Dr. Maggiora vorausschicken und sagen, dass die durch Hunger erhaltenen Curven so sehr denjenigen ähneln, welche der Gehirn- ermüdung zukommen, dass man die beiden mit einander verwechseln könnte. Aber auch durch anstrengende Märsche und mittels langer Nachtwachen erhielt Dr. Maggiora ähnliche Resultate, und wir werden sehen, dass die Curven, welche er in Capitel VIII und IX seiner Abhandlung veröffent- lichen wird, durch die Verminderung der Kraft und durch die Art und Weise, in welcher die Höhe der Contractionen abnimmt, mit den vorher- gehenden Curven identisch sind. Ungeachtet der grossen Aehnlichkeit des Profils dieser Curven, besteht aber unter ihnen ein charakteristischer Unterschied, welcher sie zwei Reihen deutlich getrennter Erscheinungen bilden lässt. | Die durch Hunger bewirkte Schwäche des Muskels unterscheidet sich ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 133 durch die wunderbar schnelle Erholung und durch das fast vollständige Verschwinden der Schwäche, kaum dass man Speise zu sich genommen hat, Bei der Ermüdung der Nervencentren durch geistige Arbeit, durch Nacht- wachen, durch angestrengte Märsche, hat die Speise wenig stärkenden Einfluss. Dazu, dass der Muskel sich erhole, gehört eine unvergleichlich längere Zeit und ist die Ruhe des Nervensystems durch Schlaf unerlässlich. Es sind also zwei Ermüdungen verschiedener Natur: mit verschiedenen Ur- sachen und verschiedenen Heilmitteln. Man wird diese Unterschiede in den Capiteln VII, IX und X der folgenden Abhandlung des Dr. Maggiora besser sehen; indessen können wir aus den Figg. 37 und 38 constatiren, dass die Speise bei der durch excessive Arbeit des Gehirns verursachten Muskelschwäche nur sehr wenig stärkenden Einfluss übe. Man könnte vermuthen, dass der Muskel im Hunger an gewissen zu seiner Arbeit unentbehrlichen Substanzen verarme, und dass er während der Nerventhätigkeit, durch die Geistesarbeit, durch die Schlaflosigkeit und durch die angestrengten Märsche, an anderen für seine Arbeit gleichfalls unentbehrlichen aber von ersteren verschiedenen Substanzen verarme, weil der Muskel sie nicht mit gleicher Leichtigkeit nach der Einführung von Nahrungsmitteln wieder zu erlangen vermag. Eine solche Vermuthung scheint mir aber zu complieirt und wir werden sogleich sehen, dass jene von der Vergiftung durch Substanzen, welche das Nerven- system während seiner Thätigkeit entwickelt, grössere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Dass bei den antrengenden Märschen im Blute giftige Stoffe entstehen, habe ich in folgender Weise nachgewiesen. Ich habe in meinem Labora- torium ein grosses Tretrad construirt, in welcher ich einen Hund stunden- lang laufen lassen kann. Nach einer Uebung von einigen Tagen erlernen die Hunde leicht in dem Rade zu laufen. Mittels eines Gasmotors von Langen und Wolff kann ich diesem Tretrad eine beliebige Geschwindig- keit geben und den Hund zwingen 12 bis 18 Stunden zu laufen, bis seine Kräfte fast erschöpft sind. Ich habe nun gefunden, dass das Blut eines bis zu diesem äussersten Grade ermüdeten Hundes giftig ist. In der That, wenn man das Blut desselben einem anderen Hunde injieirt, so zeigt dieser Vereiftungssymptome. Die Hunde erscheinen müde und niedergeschlagen, oft erfolgt Erbrechen. Sofort nach der Transfusion legen sie sich nieder und man muss sie sehr reizen, damit sie sich bewegen; wenn sie gehen oder wenn sie ein Hinderniss übersteigen, so erscheint in ihren Be- wegungen eine gewisse Steife und Schwerfälligkeit. Auf Jedem machen sie den Eindruck einer tiefen Ermüdung. Ich glaube, dass es überflüssig ist zu bemerken, dass ich mich vorerst überzeugte, dass die Bluttransfusion aus einem Hunde in den anderen un- 134 ANGELO Mosso: schädlich ist; es wird aber nicht überflüssig sein der Methode zu en deren ich mich bei diesen Transfusionen bediente. Ich legte einen kleinen Hund auf eine eigene Wage und entnahm ihm dann aus einer Carotis beiläufig die Hälfte seines Blutes. Ein anderer, grosser Hund war inzwischen aufgebunden worden und aus dessen Carotis liess ich sofort so viel Blut in die Jugularis des zur Ader gelassenen Hundes strömen, bis die Wage mir anzeigte, dass der kleine Hund wieder seine frühere Blutmenge hatte. Diese Operation macht man ohne jeden Zwischenfall und die Hunde, denen man die Hälfte und auch zwei Drittel des Blutes wechselt, haben, losgebunden und auf die Erde gesetzt, das Aussehen von normalen Thieren. Dies ist aber nicht der Fall, wenn das Blut, das man zur Injection verwandte, einem ermüdeten Hunde ent- nommen wurde. ! Zum Beweise, dass nicht dem Blute etwas fehlt, sondern dass das Blut der ermüdeten Thiere etwas Fremdes enthält, habe ich einem normalen Hunde ohne vorhergehenden Aderlass das Blut eines sehr ermüdeten Thieres in die Venen einströmen lassen, und auch in diesem Falle zeigte der Hund die charakteristischen Zeichen der Ermüdung. Indem so die Anwesenheit von giftigen Substanzen im Blute des er- müdeten Thieres nachgewiesen ist, wird es wahrscheinlich, dass auch wäh- rend der Gehirnthätigkeit Stoffe in den Kreislauf gelangen, welche der Muskelthätigkeit schädlich sind. Dies scheint mir wenigstens die Erklärung zu sein welche man bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft die einfachste ist. Für mich und alle Collegen, welche dieser Serie der an Dr. Maggiora ausgeführten Versuche beiwohnten, kann kein Zweifel sein, dass die Ver- minderung der Muskelkraft ausschliesslich der gesteigerten Arbeit des Ge- hirns zukomme. Dr. Maggiora war bei seinem gewöhnlichen Appetite und bot ausser der psychischen Ermüdung keinerlei anormale Erscheinung dar. Um beim Leser den Zweifel zu beheben, als hinge die Muskelschwäche von irgend einer anderen Ursache ab, und um zu beweisen, dass die Muskelkraft mit dem Aufhören der Prüfungsarbeit sofort rasch wuchs und auf ihren normalen Werth zurückkehrte, will ich noch über ein letztes Experiment berichten. Am 11. Juli schrieb Dr. Maggiora willkürlich die Ermüdungseurve, während der Mittelfinger der rechten Hand alle zwei Secunden 200 = hob. ! Ich habe diese Versuche in einem Vortrage vor S. M. dem König von Italien in der R. Accademia dei Lincei am 29. Mai 1887 bekannt gegeben, und werde darüber ausführlicher in einem nächsten Buche über die Ermüdung sprechen. 135 136 ANGELO Mosso: In diesem Capitel haben wir also gesehen, dass die Ermüdung des Gehirns die Muskelkraft herabsetzt, und dass diese Verminderung der Muskelenergie wahrscheinlich von einer Alteration des Blutes, vielleicht von einer Vergiftung durch die Zersetzungsproducte des arbeitenden Gehirns abhängt. Hemmung der willkürlichen Bewegungen durch elektrische Reizung der motorischen Nerven. Schon A. Fick hatte mittels seines Spannungszeigers beim Menschen die höchst auffallende Erscheinung beobachtet, dass der elektrische Schlag beim willkürlich maximal tetanisirten Muskel nicht eine Erhöhung der Spannung bewirkt, sondern eine deutliche Verminderung. Fick sah, dass die Spannungsabnahme erst etwa !/,, Secunde nach dem Schlag eintritt und glaubte schliessen zu können, dass der ganze Vorgang als eine Art von Reflex, in Folge einer hemmenden Wirkung des Reizes, zu bezeichnen ist und dass dieser besondere Reflex vielleicht durch sensible Nerven des Muskels selbst gebildet wird. ! Ich habe diese interessante Erscheinung, welche zuerst Fick mit seinem Spannungszeiger beobachtete, mit dem Ergographen studirt. Vor Allem suchte ich, während der Muskel willkürlich eine Contraction machte, auf den Muskel oder auf den N. medianus tetanisirende elektrische Reize, oder einfache Oeffnungsschläge eines Inductoriums einwirken zu lassen. Zum Schliessen und Oeffnen des inducirenden Stromkreises bediene ich mich des Ergographen selbst. Der Kürze halber halte ich mich bei der Beschreibung der Anordnung des Apparates nicht auf. Man begreift leicht, dass ein an dem metallischen Läufer, welcher die Feder des Ergographen trägt, be- festigter Platindraht, die Oberfläche eines mit Quecksilber gefüllten Schäl- chens berühren oder einen Commutator in Bewegung setzen könne. Durch diese einfache Vorrichtung konnte ich den Muskel oder den N. medianus zu Beginn oder am Ende der willkürlichen Contraction reizen, die Dauer des tetanisirenden Stromes modificiren, oder einen einfachen Oeffnungsstrom einwirken lassen. Die in dieser Weise angewendeten elektrischen Reize erhöhten die Höhe der willkürlichen Contractionen nicht. Dies beweist, dass die will- kürliche Contraction durch einen Maximalreiz erfolgt. Als Beispiei gebe ich hier die Fig. 41. ı A. Fick, Myographische Versnche am lebenden Menschen. Ptlüger’s Archiv u.s.w. 1887. Bd. LXL S. 187. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 137 Dr. Aducco hebt mit dem Zeigefinger der. rechten Hand das Gewicht von 2*s als Ueberlastung in Reizintervallen von zwei Secunden. Man lässt den Dr. Aducco drei willkürliche Contractionen machen, und schliesst nach Vollendung der dritten den Strom: derselbe wirkt auf den N. medianus so lange sich das Gewicht über NY befindet. Intensität des tetanischen Reizes 3500. Fig. 41 stellt zwei nach ein- ander gemachte Versuche dar, und wir sehen, dass durch elektrische Teta- nisirung des Nerven der willkürlich erregte Muskel keine höhere Con- traction giebt. Die Veränderung er- folgt hingegen unten: die Contrac- tur wächst nach und nach und wird mit der Wiederholung der Reize stärker. Ich werde im nächsten Capitel über die Contractur ausführlicher zu sprechen kommen, es genüge hier zu wissen, dass durch das Einwir- ken zweier tetanisirender Einflüsse des Willens und des elektrischen Stromes die Höhe der Muskelzusam- Fig. 41. menziehungen nicht vermehrt wird, Ä und dass der elektrische Reiz, welcher an und für sich keine Contraetur be- wirken würde, hingegen eine sehr starke hervorruft, wenn man ihn dem willkürlichen Reize hinzugesellt. Um die Hemmung zu erzielen und die willkürlichen Bewegungen zu verhindern, muss man den Inductionsstrom dauernd schliessen und ihn längere Zeit auf den Nerv wirken lassen. Wenn der Strom stark ist, so verschwinden die willkürlichen Bewegungen und die Beugemuskeln bleiben contrahirt; wenn aber der Strom weniger kräftig ist, so erhalten wir eine Curve, wie die in Fig. 42 dargestellte, wo Dr. Aducco 2'S mit dem Mittelfinger alle 2 Secunden hebt. Hier ist der Reiz nur mit einem Rollenabstande von 2000 gemacht and beginnt nach sechs Contractionen. Der Muskel macht zunächst noch drei Contractionen, welche etwas höher sind und deutliche Contractur zeigen; dann folgen zwei unvollständige Contractionen; der Muskel reagirt nicht 138 ANGELO Mosso: mehr gut auf den Willen. Kaum dass der Inductionsstrom aussetzt, so erscheinen die willkürlichen Bewegungen wieder, und es bleibt von dem vorhergegangenen Stillstande keine Spur übrig. Nach Voll- endung der sechsten willkür- lichen Contraction schliesse ich neuerdings den Strom, und die volle Wirkung des Willens hört sofort auf, die Contrac- tionen werden sehr klein. In einem anderen Ver- suche habe ich die Zeit fest- gestellt, welche zwischen der Schliessung des Stromes und | dem Erscheinen der Hem- mung verstrich, und habe gefunden, dass das Minimum BE 2%/,0. Secunde betrug. Die | erste willkürliche Contraction, i welche nach der Hemmung Bo kommt, hat die Höhe der vor- hergegangenen. Die Hemmung der willkürlichen Contraetionen tritt auch ein, wenn der elektrische Strom direct auf den Muskel applieirt wird. Ich berichte über einen dieser Versuche, den ich an Dr. Aducco ausführte. Fig. 43 stellt die verschiedenen Phasen dieses Experimentes dar, in welchem wir die Hemmung drei Mal hervorrufen. Dr. Aducco macht sechs willkürliche Contractionen; nach der sechsten schliesst man den In- ductionsstrom, welcher eine Intensität von 5000 besitzt, und Dr. Aducco versucht, indem er den gleichen Rhythmus beibehält, das 2 =3-Gewicht mittels Maximalanstrengungen zu heben. Wir sehen, dass der Muskel, wenn die Wirkung des Stromes beginnt, noch zwei Contractionen gleich den vorherigen macht; erst nach 6 Secun- den beginnt die Contractur bei der dritten Contraction sich zu zeigen. Der Muskel wird successiv kürzer, doch die Höhe der Contractionen ändert sich wenig. Nachdem der Strom 18 Secunden lang gewirkt hatte, erscheint die Hemmung, und die neunte Contraction ist niedriger als die anderen. Ich lasse noch eine niedrige Contraction folgen, und indem ich hierauf den Strom öffne, finde ich, dass der Wille frei wirkt wie vorher. Man wiederholt zwei weitere Erregungen nach sechs willkürlichen ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 139 Contractionen und erhält das gleiche Resultat, nur dass die latente Periode der Hemmung nach und nach immer kürzer wird. Der erste Gedanke, der Einem hierbei kommt, ist, dass es sich um eine Erscheinung handle, welche zuerst Bernstein! und später Wedenskii? Fig. 43. beim Frosche beobachteten: Wenn man auf den Nerven in der Nähe des Muskels einen elektrischen Strom applicirt, so bleiben centralwärts an- gebrachte Reize wirkungslos. Fick hingegen glaubt, dass die beim menschlichen Muskel mittels seines Spannungszeigers während eines elek- trischen Schlages beobachtete Spannungsverminderung eine Reflexerschei- nung sei. Es scheint mir nicht wahrscheinlich, dass es sich um eine Reflex- erscheinung handelt. ’ Das Phaenomen der Hemmung, welches wir durch Reizung des N. me- dianus mittels eines Inductionsstromes beobachtet haben, ist wahrscheinlich für die Muskeln des Vorderarmes dieselbe Hemmung, welche wir beim Herzen durch Reizung des Vagus eintreten sehen. Um diese Lähmung zu 1 Bernstein, dies Archiv. 1882. ? Wedenskii, Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1884. 8. 66. 140 . ANGELO Mosso: erzielen, ist es nicht nöthig, dass der Strom so stark sei, um einen an- dauernden Tetanus zu bewirken, es genügt hierzu ein schwacher Inductions- strom, den man kaum fühlt. Die Analogien zwischen den charakteristischen Erscheinungen dieser Hemmung und der Hemmung des Vagus sind bei weitem tiefer, als die blosse Anschauung der Curven zeigt. Ich hoffe in einer nächsten Arbeit nachweisen zu können, dass die Thatsachen, welche wir aus der Physio- logie bezüglich der hemmenden Wirkung des Vagus kennen, durch die Lähmung sich erklären lassen, die mittels Reizung des N. medianus in den willkürlichen Bewegungen hervorgerufen werden kann, sowie dass die Natur dieser beiden Erscheinungen identisch ist. Die von Weber aufgestellte Theorie der Hemmungsnerven ist bisher in ihrem Wesen unsicher geblieben, und ich hoffe das noch ungelöste Räthsel durch diese Versuche am Vorderarm des Menschen erklären zu können. Der Vagus und das Herz wären dann nicht mehr eine Ausnahme, sondern sie würden wieder unter das Gesetz fallen, welches alle Muskeln und alle Nerven regiert, nämlich, dass durch einen übertriebenen Reiz, in der Substanz des Muskels Alterationen entstehen, wodurch derselbe unfähig wird, auf seinen natürlichen Reiz zu reagiren. Die Muskelcontractur. Die Contractur wurde von Kronecker, Tiegel, v. Frey, Rossbach, Richet, v. Kries und Anderen studirt, und es ist nicht meine Absicht zu wiederholen, was diese Autoren bereits veröffentlicht haben. Ich muss je- doch erinnern, dass Kronecker der Erste war, welcher die Contraetur studirte und beobachtete, dass es etwas von der Ermüdung Verschiedenes sei. Im Jahre 1870 beschrieb Kroneeker! eine rückständige Erscheinung der Muskelcontraetion mit folgenden Worten: „Eine absonderliche Reizbar- keiterscheinung bieten manche schwach (20 sm) belastet oder überlastet zuckende Muskeln: sie bleiben auch während der Ruhepausen ein wenig contrahirt. Die hieraus resultirende „Abscissenhebung“ wächst zuerst mit der Zahl der Zuckungen, um eine Weile auf dieser Höhe zu beharren und dann erst schnell, später sehr allmählich zu der normalen Abseisse zurück- zukehren.“ 1 H. Kronecker, Monatsberichte der königl. Akademie zu Berlin. 1870. S. 639. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 141 M. Schiff hatte schon früher in seinem Lehrbuche über Muskel- und Nervenphysiologie gesagt, „dass die Ausdehnungscurve der Muskel- contraction äusserst langsam zur früheren Länge zurückkehrt“ und diese geringe, bleibende Verkürzung hatte L. Hermann als Verkürzungs- rückstand bezeichnet; ! dies war die Wirkung der Ermüdung, wie es schon Valentin, Helmholtz und Marey gesehen hatten. Nach Kronecker war es E. Tiegel, welcher diese Erscheinung stu- dirte und ihr den Namen Muskelcontractur gab. Er fand, dass im Zustande der Contractur die Erregbarkeit des Muskels für seinen normalen vitalen Reiz eine minimale geworden ist. Diese Thatsache ist sehr wichtig, weil sie der erste Versuch ist, welcher der von mir vorher erwähnten Hemmunssdoetrin als Grundlage dient. Der grösseren Genauigkeit halber führe ich hier die Worte Tiegel’s selbst an „Legt man“, sagt er, „nach- dem der Muskel für irgend eine Reizstärke seinen Ermüdungsabfall zu er- kennen gegeben hat, die Wippe um, so dass die Inductionsströme direct durch die Muskeln gehen, so tritt sofort in gewöhnlicher Weise die Con- tractur ein. Wurde nun auch nur nach einem einzigen Schlage, welcher durch die Muskeln direct gegangen war, wieder die Nervenreizung be- sonnen, so konnten auf diesem Wege von dem eben noch untermaximal in geradlinigem Abfall arbeitenden Muskel nur minimale Zuckungen durch Nervenerregung ausgelöst werden.“ ? Wir sehen hier die Erscheinung, welche sich bei dem Experimente Fick’s und bei meinem als eine Hemmung darstellt, in ihrer anfäng- lichen Form. Die über die Contractur mit dem Ergographen angestellten Forschungen haben, glaube ich, einen grossen Vorzug über jene, welche bisher an Fröschen gemacht wurden, da man beim Menschen die Versuchsconditionen normaler erhalten kann und auch die Analyse dieser Erscheinung leichter ist.. Von meinen Experimenten über die Contractur werde ich nur jene | mittheilen, welche mit den Versuchen oder mit den Folgerungen der mir in diesem Studium vorhergegangenen Autoren nicht übereinstimmen. Ich hoffe, dass sie genügen werden, die enge Verwandtschaft zu beweisen, welche zwischen Erscheinungen besteht, die unter verschiedenen Namen be- schrieben wurden und Versuche einander näher zu bringen, welche sich zu widersprechen schienen. ! L. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. I. 8.35. 2 E. Tiegel, Ueber Muskeleontractur im Gegensatz zu Contraction. Pflüger’s Archiv u.s.w. 1876. Bd. XII. 8.71. 142 ANGELO Mosso: Ich beginne mit der Aufzeichnung der Contractur (Fig. 44), wie sie sich beim Menschen durch die elektrische Reizung der Muskeln ge- staltet. Hr. Colla hält mit dem Mittelfinger der rechten Hand ein Ge- wicht von 500 sm Belastung. Die Reizung mittels eines indueirten Stromes (Entfernung der Rollen 4000, Reizintervall 2 Secunden) wird in | Fig. 44. der auf 8. 105 angegebenen Weise auf die Beugemuskeln ausgeführt. Die Fig. 44 repraesentirt den Verlauf der Contractur im Beginne einer Reihe von Contractionen. Wir bemerken daran gleichsam eine Uebereinanderstellung der Einzelzusammenziehung und einer durch die ersten fünf Contractionen gebildeten aufsteigenden Treppe. Die Contractur erreicht langsam und mit gleichförmigem Verlaufe ihren Höhepunkt: am höchsten Punkte der Treppe sehen wir eine niedrigere Contractur, welche dann plötzlich abnimmt. Der absteigende Theil der Curve ist zweimal länger als der aufsteigende. Die Contractur erreicht das Maximum ihrer Intensität in 12 Secunden und ist so stark, dass sie 8 Secunden lang das Gewicht von 5008" in einer Höhe erhalten kann, welche grösser ist als die der ersten Contraction: das Maximum der Contractur dauert aber bloss zwei Secunden und lässt dann plötzlich nach, um langsam gegen die Abseisse zurückzukehren, ohne jedoch diese zu erreichen. Interessant ist die Beobachtung, dass in dem Momente, wo die Contractur nachlässt, die Ermüdung anzufangen scheint. Einer Periode von steigender Reizbarkeit folgt, wie wir später besser sehen werden, eine Periode von geringerer Reizbarkeit: aber in dieser Periode sind die Contractionen noch höher als die, welche im Anfange gemacht wurden. Bei den willkürlichen Contractionen varirt die Stärke der Contractur je nach den Personen und zwar sowohl bei Belastung als auch bei Ueber- ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 143 lastung. Bei einigen Personen ist die Contractur so stark, dass sie ein Gewicht von 3®® und noch mehr in der Höhe erhalten kaıin. Sowie schon Kronecker und Tiegel bei Fröschen beobachtet haben, erscheint auch beim Menschen die Contractur im Beginne einer Reihe von Zusammenziehungen und erreicht rasch ihr Maximum wie Fig. 44 zeigt. Ich werde aber im nächsten Capitel zeigen, dass bei vielen Personen beim Fort- schreiten der Ermüdung die Contractur nicht vollständig schwindet, und dass der Muskel auch dann in der Contractur verbleibt, wenn seine Kraft unter dem Einflusse des Nervenreizes oder der directen Reizung erschöpft zu sein scheint. Wenn die Beugemuskeln der Finger nicht sehr müde sind, ge- nüst die Ruhe von zwei Minuten damit die Contractur mit ihrer charakte- ristischen Curve — die sie im Beginne einer Reihe von Contractionen zeigt — wieder erscheine. III] I Fig. 45. Fig. 45 soll dazu dienen, eine Vorstellung von der Zeit zu geben welche nothwendig ist, damit sich die Bedingungen des Erscheinens der Contractur wieder herstellen, wenn der Muskel sich willkürlich contrahirt und alle zwei Secunden ein Gewicht von 500 gs hebt. Hr. Colla macht erst ungefähr. 40 Contractionen, dann eine Erholungspause von einer Minute. Nach Wiederbeginn der willkürlichen Contractionen sah man, dass diese Erholungspause nicht genügend war, damit sich die Contractur wieder zeige. Bei dem vorliegenden Versuche wurden daher bloss 20 Contractionen und dann eine Erholungspause von zwei Minuten gemacht. Wie aus der Fig. 45 ersichtlich ist, welche auf diese Pause folgt, erschien die Contractur 144 ANGELO Mosso: sofort mit Beginn der Contractionen. Ich theile bloss diese Aufzeichnung mit, die anderen nicht. Um die Ermüdung des Muskels zu demonstriren, genügt es wohl, darauf hinzuweisen, dass die Höhe der Contractionen der ersten Serie, welche geschrieben wurde, als der Muskel frisch war, ungefähr doppelt so gross war, als die der Fig. 45. Es ist überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, dass die Contractur um so evidenter erscheint, je kleiner das Gewicht ist, welches den Muskel dehnt, nachdem er eine anstrengende Arbeit vollführt hat. Ich gebe noch ein anderes an Hrn. Oolla gemachtes Experiment wieder, um ein Beispiel der Contractur zu geben, wobei der Muskel eine Serie von willkürlichen Contractionen macht, indem er ein Gewicht von 2500 8m Belastung hebt. Um nicht zu viele Aufzeichnungen zu geben, beschränke ich mich auf die Mittheilung der Werthe dieses Experimentes, welches so geschrieben wurde, dass der Cylinder vier Mal schneller als bei den vorhergehenden Figuren gedreht wurde, um mit grösserer Fxactheit den Verlauf der Erscheinung beobachten zu können. In der folgenden Tabelle ist die Contractur in Millimetern angegeben, und es wurde die Höhe gemessen, um welche sich die Basis der Contrac- tionen von der Absecisse abhebt. Tabelle IL Die Contractur bei willkürlichen Bewegungen. Gewicht = 2500, Rhythmus = 2 Secunden. Höhe der Contraction - in Millimetern Contractur in Millimetern Nummer der Contraction 1 Sl 1 ‚83 3 6) 3 4 4 75 4 5) s0 7 6 78 7 7 33 7 Re) 79 6) 3m 79 ) 10 19 7 11 EX 3) 12 ar 19 12 13 | 16 102 14 70 10 15 70 a 16 70 2) ie 65 ) 18 65 7° 7 Die Contractur verschwindet also allmählich. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 145 Wir sehen hier, dass die Treppe im Beginne fehlt, und dass die Con- tractur allmählich steigt, ferner dass, wenn diese abnimmt, die Contractionen an Höhe abnehmen. Wenn wir bedenken, dass der Ergograph die Verkürzungen oder Ver- längerungen, welche im Muskel vor sich gehen, verdoppelt, dann müssen wir annehmen, dass in Folge der willkürlichen Bewegungen die Contractur so stark ist, dass trotz des Gewichtes von 2500 erm der Muskel 6 "m kürzer geworden ist. Der Kürze halber referire ich kein Beispiel von Contractur in Folge von Reizung des Nerven, weil wir dies schon in den Figg. 42 und 43 sahen und in der Folge Gelegenheit haben werden, noch anderen derartigen Fällen zu begegnen. Diese Beobachtungen erlauben uns einstweilen zwei Thatsachen mit- einander in Einklang zu bringen, welche einerseits von Tiegel, andererseits von Kronecker wahrgenommen wurden. Tiegel! behauptete, dass bei Erregung eines Muskels von seinem Nerven aus niemals Contraction auf- tritt, mag man auch alle möglichen Schlittenstellungen durchprobiren. Kronecker fand hingegen, dass der Muskel stärker reagirt, wenn er im Zustande der Contractur vom Nerven aus gereizt wird. Um zu zeigen, dass die Contraetur als ein activer Zustand anzusehen ist, hat Kronecker? den Muskel im Stadium der Contractur neuerdings gereizt und fand, dass, wenn der Muskel vom Nerven aus gereizt war, er einen Reiz stärker beantwortet, als ein zuvor ruhender Muskel. Ich glaube, dass diese Beobachtungen beide auf die Contractur zurückzuführen sind mit dem Unterschiede, dass Tiegel sehr starke Reize anwendete und eine kräftige Contraction erzeugte, während Kronecker sich auf weniger intensive Contracturen beschränkte. Ich habe untersucht, welchen Einfluss auf die Erscheinung der Oon- tractur die folgenden Factoren haben: 1. die Intensität des elektrischen Reizes; 2. die Dauer des Reizes; 3. das Gewicht, welches der Muskel. hebt. Der Einfluss, welchen die Intensität des Reizes auf die Contractur ausübt. In dem Falle, den die Fig. 46 darstellt, wurde der inducirte Strom alle zwei Secunden auf die Beugemuskeln applieirt, und die Reizung Zwiesel, 2.2.0. S.:3. ® H. Kronecker und G. Stanley Hall, Die willkürliche Muskelaction. Dies Archiv. 1879. S. 45. Archiv f. A. u. Ph. 1390. Physiol, Abthlg. 10 146 "9p SI ANGELO Mosso: dauerte */, Seeunden. In diesem Zeit- raume erfolgten 40 Unterbrechungen im primären Stromkreise. Der Mittelfinger der linken Hand hält ein Gewicht 200 &= Belastung. Ich mache eine erste Reizung mit einer Rollenentfernung von 4250, und erhalte 16 Contractionen. Die ersten sechs er- heben sich leicht mit ihrer Basis und derMuskel bleibt dann contrahirt, un- gefähr 3 "m über der Abscisse. Ich halte den Cylinder nicht an und nach 14 Secunden reize ich die Muskeln mit einem stärkeren Strome, d.h. mit 5250; es folgen weitere 16 Contractionen, und man sieht gleich, dass die Contrac- tur eine viel raschere ist. Die Höhe der Contractionen varirt sehr wenig, sie erreichen fast alle dasselbe Niveau, bilden aber gegen ihre Basis eine un- regelmässige Linie, die sich ungefähr 13 "m über die Abscisse erhebt. Ich unterbreche die Reizung, ohne den Cy- linder stehen zu lassen, und die Con- tractur verschwindet erst rasch, dann langsam. Wir sehen, dass eine Minute ge- nügt, damit der Muskel seine primäre Länge wieder erlangt. Jetzt reize ich wieder den Muskel mit einer Stärke von 6000 und erhalte so die letzte Reihe der Contractionen der Fig. 46, wo man sieht, dass der Effect noch grösser ist und dass die Contractur fortwährend zunimmt, wenngleich alle Contractionen mit ihrer Spitze oben dieselbe Höhe erreichen. Es genügt dieses Experiment um zu beweisen, dass die Intensität des elektrischen Reizes in directem Ver- hältnisse zur Intensität der Contractur ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 147 steht, jedoch bloss innerhalb gewisser Grenzen. Die Intensität des Stromes von 6000 meines Inductionsapparates repraesentirt eine maximale Reizung, denn bei Steigerung der Reizung wächst die Contractur nicht mehr. An Hrn. Colla mache ich unter denselben Bedingungen nach einer Erholungs- pause von 15 Minuten eine Reizung mit einer Rollenentfernung von 4250 und erhalte die erste Aufzeichnung der Fig. 47, welche der ersten Aufzeichnung der Fig. 47. vorangehenden Figur gleicht. Ich halte den Cylinder nicht an und mache nach 14 Secunden eine andere Reilıe von Reizungen mit einer Rollenent- fernung von 7000. Wir sehen, dass man trotz der viel grösseren Intensität des Reizes eine Serie von Contractionen erhält, welche der letzten Serie der Fig. 46 gleich ist, die wir mit einer Intensität von bloss 6000 erzielten. Wenn wir den Werth der Aufzeichnung auf die Hälfte reduciren, dann sieht man, dass der reelle Werth der Verkürzung der Beugemuskeln un- gefähr 8m beträgt. In der Fig. 47 ist auch das Factum interessant, dass die Muskeln, wenn sie erschlaffen und während der Erholungspause zwischen zwei aufeinander folgenden Contractionen in einer Stellung ver- bleiben, welche der höchsten Verkürzung der Contractionen der voran- gehenden Reihe entspricht, als sich der Muskel auf den Reiz von 4250 contrahirte. Um die Veränderungen im Charakter der Contractionen während der Contractur besser studiren zu können, habe ich mit grösserer Schnelligkeit die Aufzeichnungen geschrieben. Fig. 48 repraesentirt ein ähnliches Expe- riment an Hrn. Dr. V. Grandis, der mit dem Mittelfinger ein Gewicht von 5008” aufhebt. Der direct auf die Beugemuskeln applieirte elektri- sche Reiz ist von derselben Dauer und Frequenz der Unterbrechungen, wie früher angegeben wurde. Für die Reizstärke 3000 erhalten wir die Auf- zeichnung 48, an der man sieht, dass die Contractionen leicht treppenförmig 10* 148 ANGELO Mosso: sind, aber es fehlt jede Spur einer Contractur, und es ist vielmehr eine geringe Dehnung des Fingers vorhanden. Die untere Linie bezeichnet die Dauer der Reizung, in ? sind die zwei Punkte des Zusammentreffens, um zu zeigen, in welcher Weise sich die Curven entsprechen. Ich lasse den Muskeln eine Erholungspause von fünf Minuten und schreibe dann die Aufzeichnung der Fig. 49, wobei die Mus- keln mittels eines inducirten Stromes von der Intensität 4250 gereizt wer- den. Bei den ersten fünf Contractionen ist die Contractur des Muskels gering, aber bei der fünften wird sie stärker und wächst rasch. Bei den letzten Contractionen sieht man vorn in dem mit a bezeichneten Punkte eine nasenförmige Einbiegung, welche, wenngleich weniger deutlich, auch in den ersten Contractionen dieser Aufzeichnung auftritt. Ich werde später von dieser Veränderung des Charakters der Contractionsceurve in Folge der Contractur sprechen, vorläufig genügt es demonstrirt zu haben, dass die Contractur mit der Intensität des Reizes in Beziehung steht, dass sie am kleinsten bei den willkürlichen Contractionen, am grössten bei den directen oder indirecten Reizen des Muskels sei, dass sie sogleich bei starken Reizen erscheint, bei schwachen hingegen fehlt. Einfluss der Dauer des elektrischen Reizes auf die Contractur. Ich mache ein Experiment mit 20 Unterbrechungen des primären Stromkreises bei jeder Reizung. Die Frequenz der Unterbrechungen des primären Stromkreises war etwa 60 in jeder Secunde. Reizintervall 2”. — Fig. 50 stelit die Aufzeichnung dar, welche ich von Hrn. Colla erhielt, nach Application der Reizung auf den N. medianus mit der Intensität von 3000. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 150 ANGELO Mosso: Der Mittelfinger ist mit 500®”® belastet. Nach der ersten Contraction bleibt der Muskel einigermaassen dauernd verkürzt, aber bei der zweiten, dritten und vierten Contraction ist er neuerdings bestrebt, sich der Abseisse zu nähern. Bei der fünften erhebt er sich wieder und steigt gradweise immer mehr, bis die Reizung unterbrochen wird. Während ich warte, dass sich der Muskel ausruhe, wird ein länger dauernder Reiz vorbereitet. Es wird nämlich die Spitze des Platindrahtes, welcher an den Pendelstiel befestigt ist, gesenkt, damit diese längere Zeit in’s Quecksilber tauche. Statt 20 Unterbrechungen werden jetzt 24 in jeder Reizperiode gemacht. | Fig. 51. Nach Application dieses Reizes auf den N. medianus erhielt ich die Aufzeichnung 5l, an der man sieht, dass die Höhe der Contractionen un- verändert ist, dass aber die Contraetur früher erscheint und schon nach der dritten Reizung deutlich ist. Die kleine Differenz, welche zwischen 20 und 24 Reizungen mittels des indueirten Stromes alle zwei Secunden besteht, genügt, trotz ihrer Kleinheit, um ein rascheres Erscheinen der Con- tractur in den Beugemuskeln hervorzubringen. Einfluss, den das Gewicht auf die Contractur ausübt. Zu dieser Untersuchung bediente ich mich nicht sehr starker Reize 'und-kleiner Gewichte, weil man sonst gar nichts sieht. Auch ist es un- erlässlich solche Personen zu wählen, bei denen die Contractur leicht zum ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. Vorschein kommt. Die Aufzeichnung der Fig. 52 wurde von Hrn. Colla geschrieben, während der N. medianus mit einer Rollendistanz von 1290 bis 1500 gereizt wurde und der Mittelfinger der rechten Hand ein Gewicht mit 400 sm Belastung hob. Nachdem die ersten neun Contractionen geschrie- ben waren, und ich sah, dass die hervorgebrachte Contractur schwach war und nach den ersten zwei Con- tractionen stationär blieb, vermehrte ich das Gewicht bei der zehnten Con- traction um 10008", Der Muskel dehnt sich augenblicklich nach An- wendung dieses grösseren Gewichtes, die Contractionen werden kleiner, so dass sie kaum den Punkt erreichen, wo die Ruhestelle der anderen war. Ich lasse nun vier Contractionen mit dem Gewichte von 14008” aus- führen und dann werden die 10008'”, welche hinzugefügt wurden, entfernt, um zum ursprünglichen Gewichte zu- rückzukehren. Wir sehen, dass die Contracetur gleich danach zum Vor- schein kommt, und dass sie nach sechs Contractionen verschwunden ist. Um dem Zweifel zu begegnen, dass die Contractur auch ohne Hinzu- fügung der 1000s8'm zu Stande ge- kommen wäre, habe ich das Experi- ment in anderer Weise an demselben Tage mit einem etwas stärkeren Reiz an Hrn. Colla wiederholt. Ich wartete, bis die erste Contractur verschwunden war, wie aus der Fig. 53 ersichtlich ist, und dann das Gewicht von 1000 8” hinzufügte. Der Finger streckte sich wie früher: ich liess dann fünf Contractionen aus- Fig. 52. GR 152 "ec 'Sıa ANGELO Mosso: führen, entfernte die 1000 8°” und kehrte wie- der zu 4008” zurück. Die Contractur er- scheint augenblicklich, Anfangs schwach, wächst successive und bei der elften Contraction erreicht sie dasselbe Maximum wie früher; endlich bei der zwölften, die man in der Aufzeichnung nicht mehr sieht, übersteigt sie das Maximum um hmm, Die Curve sinkt dann, ohne aber das ur- sprüngliche Niveau zu erreichen. Ich überzeugte mich auch in anderer Weise, dass das Gewicht wirklich einen Einfluss habe: ich beobachtete in einigen Experimenten, dass der Muskel die Differenz der Gewichte schon fühlt, wenn man von 200 zu 500 em schreitet und es erscheint nach einigen Contractionen eine Contractur, die früher nicht bestand. Wir sahen schon, dass die Kraft der Contractur eine der- artige ist, dass sie 30008” halten kann. Ich. habe nicht versucht die äusserste Grenze des Gewichtes zu bestimmen, weil sie je nach den Personen variirt. Bei Dr. Grandis und Hrn. Colla vermochte die Contractur 40008" zu heben in Folge der stärksten Reizung des N. me- dianus oder der Muskeln. Das Studium der Contractur hat für die Muskelphysiologie eine gewisse Wichtigkeit, weil es sich hier um eine Erscheinung von rein musculärer Natur handelt. Dies folgt aus der durch die Untersuchungen vieler Experimen- tatoren festgestellten Thatsache, dass die Con- tractur sich auch am curarisirten Muskel zeigt. Aus den Untersuchungen von Tiegel ging hervor, dass bei den sehr reizbaren März- Fröschen der Muskel nach dem ersten Oeff- nungsschlag bei dem Rollenabstande von 10 m ausnahmsweise auf der vollen Zuckungshöhe ver- kürzt blieb, und sich nach dem zweiten noch mehr verkürzte. ! EN. 2.008929: ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 153 Diese Beobachtung ist derjenigen ähnlich, welche etwas früher Ran- vier! mittheilte, wonach man bei Reizung des Gastroknemius eines Frosches unter gewissen Umständen mit einer einzigen Reizung Tetanus erhalten kann. A. Richet,? der über die Contractur interessante Beobachtungen machte, fand, dass bei lange Zeit gefangen gehaltenen Krebsen, deren Muskelreizbarkeit sehr herabgesetzt war, keine Contractur mehr erzeugt werden konnte, auch wenn äusserst starke Ströme angewendet wurden. Schon Tiegel und v. Frey bemerkten, dass die Contractur nicht bei allen Fröschen und in allen Jahreszeiten gleich stark ist, und dass sie oft fehle. Auch beim Menschen bestehen erhebliche Differenzen; im Allgemeinen kann man sagen, dass die Contractur bei reizbaren Personen bedeutend stärker ist. Meine Beobachtungen zeigen, dass viele Erscheinungen von über- triebener Reizbarkeit ihren Sitz, unabhängig von den Nervencentren, in den Muskeln selbst haben. Ich erlaube mir, bezüglich dieser Frage eine Thatsache anzuführen. Die Contractur ist eine Erscheinung, welche ihren Sitz unabhängig vom Nervensysteme in der Muskelsubstanz hat. Die Erkenntniss, dass die- selbe bei Personen, welche vermuthungsweise ein reizbares Nervensystem haben, stärker ist, legt die Nothwendigkeit dar, nicht mehr zu exclusiv vor- zugehen, und nicht alle Erscheinungen dem Nervensysteme zuzuschreiben, da viele derselben ihren Ursprung einzig und allein in’den Muskeln haben können. Hr. Colla, Student der Mediein, welcher im physiologischen Labo- ratorium arbeitet, ist ein junger Mann von 20 Jahren, stark und rüstig, aber ganz ausserordentlich reizbar und empfindlich, sofern dies aus dem Umstande geschlossen werden kann, dass er beim geringsten Anlass er- röthet; es genügt, dass ich ihn anspreche oder begrüsse, wenn wir uns Morgens oder Nachmittags im Laboratorium zum ersten Male begegnen, damit augenblicklich eine starke Erweiterung der Gefässe seines Gesichtes erfolge. Der Umstand, dass die Contractur der Muskeln bei einem Men- schen, welcher so leicht entstehende und intensive Gefässreflexe zeigt, stärker ist, lässt uns vermuthen, dass die Erscheinungen der grösseren Reizbarkeit nicht ausschliesslich von den Nerven abhängig seien, sondern dass sie ihre Ursache theilweise in der grösseren Reizbarkeit der Muskelsubstanz selbst haben. Es wäre interessant, vergleichende Untersuchungen auf pathologi- schem Gebiete anzustellen. Bis jetzt hatte ich aber keine Zeit, meine Untersuchungen in dieser Richtung auszudehnen. ! Ranvier, Legon d’anatomie generale sur le systeme musculaire. p. 199. ® A. Richet, Physiologie des muscles. Paris 1882. p. 78. 154 ANGELO Mosso: Wenn wir erwägen, dass die Contractur nur bei excessiven An- strengungen erscheint, dann müssen wir dieselbe als eine abnorme und fast pathologische Erscheinung betrachten, als ein charakteristisches Symp- tom einer Veränderung im Muskel, die durch einen zu starken Reiz erzeugt wird, und folglich als eine Art von Ermüdung, die sich im Muskel im Beginne seiner Thätigkeit manifestirt. Es ist wahrscheinlich, dass die ersten Contractionen des ausgeruhten Muskels von denen des er- müdeten verschieden seien, und dass bei denselben chemisch verschiedene Substanzen des Muskels verbraucht werden. Wir werden später im VI. Capitel der Abhandlung von Dr. Maggiora sehen, dass die Arbeit, welche der schon ermüdete Muskel macht, demselben mehr schadet, als eine unter normalen Bedingungen vollführte grössere Arbeit. Die Differenz ist so gross, dass wir annnehmen müssen, dass es nicht die mechanische Arbeit ist, welche den Muskel mehr ermüdet, sondern dass dies der Reiz be- wirkt, und dass die Contractionen des ermüdeten Muskels in ihrer Wirkung und ihrem Aussehen von denen des frischen Muskels ganz verschieden sind. Wir müssen vielleicht annehmen, dass im Muskel dasselbe vor sich gehe, was im Organismus beim Fasten erfolgt, wobei, wie Voit nachwies, in den ersten Tagen der Umsatz des Eiweisses am meisten abnimmt und im Be- ginne und in den letzten Stadien der Inanition von einander verschiedene Substanzen verbraucht werden.! Ich bin fest überzeugt, dass die Physiologie der ersten Contractionen, welche ein frischer Muskel macht, verschieden ist von derjenigen der Con- tractionen des ermüdeten Muskels. Mir scheint, dasssich durch diesen Unter- schied die Erscheinungen, welche wir im Beginne und am Schlusse einer Reihe von Contractionen beobachten, sehr leicht erklären lassen. Die Contractur und die Treppe, welche wir beim Menschen unter dem Im- puls von starken Reizen entstehen sehen, sind Erscheinungen, welche am leicht ermüdeten Muskel fehlen, und wenn sie vorhanden sind, dann können sie auf den Umstand zurückgeführt werden, dass der Muskel unter dem Impulse von einem excessiven Reiz Contractionen ausführt, welche ihrer Natur nach von denen verschieden sind, welche er später unter demselben Reize bis zur Erschöpfung seiner Energie ausführen wird. Frey sagt schon in seiner interessanten Arbeit,” „hat der Muskel in Folge der Contraetur sich tonisch verkürzt, so ist seine Fähigkeit auf eine ı Voit, Ucber die Verschiedenheiten der Eiweisszersetzung beim Hungern. Zeit- schrift für Physiologie. 1866. Bd.I. S. 307. 365. ° Max von Frey, Reizungsversuche am unbelasteten Muskel. Dies Archiv. 1887. S. 201. ÜBER DIE GESETZE DER ERNÜDUNG. 155 Wiederholung des Reizes mit einer Zuckung zu antworten, durchaus nicht verloren gegangen. Der Muskel stellt sich für dieselbe Spannung auf eine neue Gleichgewichtslage ein, von welcher aus er seine Zuckungen, von fast gleicher Höhe wie die ursprünglichen, wieder fortsetzt. Der Muskel ver- hält sich jetzt so, als ob man ein Stück von ihm abgeschnitten hätte.‘ Beobachtungen, welche ich am Menschen machte, zeigen, dass die Er- scheinung der Contractur viel complieirter ist. TE wet I, BERN. EN, Au! Fer Fig. 54. Fig. 54 stellt eine von Dr. Grandis geschriebene Aufzeichnung dar, während er mit dem Mittelfinger der linken Hand ein Gewicht von 500m Belastung mit dem Reizintervall von 2 Secunden aufhob. Es wurden die Beugemuskeln direct mit dem Rollenabstande von 3000 gereizt, die untere Linie bezeichnet die Dauer der Reizung. Wir sehen, dass keine Contractur vorhanden ist. Die aufsteigende Linie der Contraction ist nicht gerade, sondern hat in a eine Nase. Experimente über diese Erscheinung werde ich möglichst bald in einer nächsten Abhandlung mittheilen. Nachdem diese Aufzeichnung geschrieben wurde, wartete ich 10 Mi- nutem, damit sich der Muskel erhole und reizte dann denselben mit dem Rollenabstande von 4300. Fig. 55. Die Contractur erschien unmittelbar. Die zweite, dritte und vierte Contraction haben die Charaktere der Er- müdungscurven. In einer nächsten Arbeit werde ich diejenigen Untersuchungen mit- theilen, die ich mit dem Ergographen machte, indem auf dem mit grosser Schnelligkeit rotirenden Cylinder die Contraetionscurven der Beugemuskeln geschrieben wurden. Vorläufig will ich nur die Thatsache erwähnen, dass sich die Curve fast senkrecht von 5 bis a erhebt; an diesem Punkte wird die Geschwindigkeit der Contractionen kleiner und erreicht langsamer den Gipfel bei c. 156 "ce ad AnGELo Mosso: Es scheint, dass, da der elektrische Reiz stärker ist, der Muskel das Maxi- mum seiner Contraction schneller erreichen müsste. Statt dessen geschieht das Gegentheil. Esgenügt wohl diese Beobachtung, um zu zeigen, dass die Reizbarkeit des Muskels vermindert ist. Als der Reiz schwach war, konnte das Profil einer je- den Contraction sowohl in Fig. 54 als auch in der Fig. 48 mit zwei geraden Linien, welche sich unter spitzem Winkel treffen, dargestellt werden. Jetzt, wo der Reiz stärker ist, ist die Höhe der Contrac- tionen nicht grösser, und es besteht eine Verspätung im letzten Theile der Con- traction. Sonderbar ist es, dass diese Differenz allmäh- lich schwindet, weshalb die Contractionen nach Auf- hören der Contractur wie- . der den vorangehenden ähnlich werden. Dieselbe Veränderung in dem Charakter der Zu- sammenziehung während der Contraction sehen wir auch in Fig. 49 S. 149. Es erscheint sonderbar, zu- geben zu müssen, dass sich im Muskel in Folge einer zu starken Nervenreizung gleich Anfangs eine Ermü- dung manifestire, und dass ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 157 diese fortbestehe, während die Contractionen in ihrer Höhe zunehmen, die beobachteten Thatsachen jedoch eignen sich zu einer solchen Deutung, und wir sehen, dass diese ersten Erscheinungen der Ermüdung später schwinden. Ausser der Contractur erfolgen im Muskel unter dem Einflusse der Nervenreizung sicherlich noch andere Veränderungen. Es genüge, auf die Steigerung der Höhe der Contractionen aufmerksam zu machen, welche zuerst von Bowditch beobachtet und mit dem Namen „Treppe“ bezeichnet wurde, die man auch dann sieht, wenn die Reize so schwach sind, dass sie im Beginne keine Contractionen zu erzeugen vermögen. Ich werde in einer nächsten Arbeit über die „Treppe“ die Erschei- nungen eingehender studiren, welche der Muskel darbietet, wenn er, nach- dem er ausgeruht, eine Reihe von Contractionen beginnt. Vorläufig sage ich nur, dass die Treppe von einer vorhergehenden Ermüdung abhängig ist. Man kann an Menschen die treppenförmige An- steigung der Zusammenziehungen durch die Massage verhindern und ver- schwinden lassen. — Die Treppe hängt von der mechanischen Wirkung der Zusammenziehung ab, weil der Muskel bei seinen Contractionen sich selbst massirt. Wenn wir die Aufzeichnungen der Figg. 49 und 55 mit einander ver- gleichen, dann sehen wir, dass der obere Theil einer jeden Contraction modifieirt ist und nicht der untere, welch letzterer bis zur Höhe « unver- ändert bleibt. Der Muskel ist in einen neuen Zustand getreten. Die Contractionen, welche der Muskel jetzt ausführt, sind den früheren nicht gleich. Beim Menschen verändern sich während der Contractur die Charaktere der einzelnen Con- tractionen, und diese werden den Contractionen des ermüdeten. Muskels ähnlich. £ Die beim Menschen mittels des Ergographen gemachten Untersuchungen lassen uns die innere Natur einiger Erscheinungen des Tetanus besser er- kennen. Schon Kronecker hatte in seiner Arbeit vom Jahre 1871, S. 734, bemerkt, dass die Ermüdung in Folge von tetanisirenden Reizen ähnlich verläuft, wie die durch einfache Contractionen verursachte, natürlich modi- fieirt durch die mit der Zuckungsdauer veränderliche Superposition der Zusammenziehungen. Die tetanisirenden Reize haben einen ähnlichen Er- müdungseflect, wie eine gleiche Reihe von Contractionen, die durch Inter- valle geschieden sind, welche Erschlaffung gestatten. Die Figg. 46 und 47 haben alle Charaktere des Tetanus, mit der einzigen Differenz, dass die Contractionen alle zwei Secunden auf einander folgen. In der Aufzeichnung der Fig. 56 sieht man besser das Verhältniss der Contractur zur Aenderung in der Reizbarkeit des Muskels. Dr. Grandis 158 "99 "SL ANGELO Mosso: hob mit dem Mittelfinger der linken Hand 200 er” Belastung, während der N. medianus in der ge- wöhnlichen Weise durch einen tetanisirenden in- ducirten Strom mit dem Rollenabstande von 2000 gereizt wurde. Die Aufzeichnung 56 wurde photo- graphisch ungefähr auf die Hälfte reducirt. In dem ersten Theile sieht man während 25 Contractionen keine Spur von Contraetur. Kaum dass sich diese zu zeigen beginnt, sehen wir, dass die Contractionen niedriger werden; weiterhin bleiben die Contractionen dann un- regelmässig während der Contractur. Nachdem die Fig. 56 geschrieben ward, ver- stärkte ich den Reiz, d. h. ich brachte ihn auf 3000 und die Unregelmässigkeit in der Höhe der Contractionen verschwand. Diese Beobachtung ist wichtig, weil sie zeigt, dass die Unregelmässigkeit der Contractionen — in Folge von untermaximalen Reizen zusammen mit der Öontractur entsteht. Wir sehen hier in ihrer Arfangsform jene Verminderung von Reiz- barkeit, welche wachsend zur Hemmung führt. In der Arbeit, welche ich zusammen mit Prof. Guareschi über die Ptomaine veröffentlicht habe,! haben wir die Ursache der Unregelmässig- keiten untersucht, welche man in den Contractio- nen der Froschmuskeln beobachten kann. Ich erlaube mir das zu citiren, was wir damals sagten: „D’apres nos recherches l’excita- bilite du sciatique de la grenouille se maintient pendant quelque temps & son niveau normal lorsqu’on irrite le nerf par une secousse d’ ou- verture tellement faible qu’elle est a peine sentie sur la pointe de la langue; on obtient alors une serie de contractions regulieres. C’est la premiere periode. Des que pour une raison quelconque, il se produit une diminution de lexecitabilite du nerf, la regularit€e des contractions disparait (tracees GHIL—QR-—-ST, planchel.); elles ne 1 Guareschi et Mosso I. c. TREE TEE BETT ZUBE n ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 159 sont plus proportionnees & l’exeitation; il faut alors, pour avoir des con- tractions regulieres, recourir & des excitations plus fortes (trace R S, planche 1.). C’est une periode d’excitabilit@ diminuee, la deuxieme periode.“ Die Contraetur wäre also von einer anderen schweren Veränderung des Muskels begleitet, weshalb dieser nicht mehr regelmässig mit gleichen Contractionen auf den constanten Reiz antwortet, welcher durch den Nerven geht. Es wird also, um zu verhindern, dass bei der Contractur unregel- ınässige Contractionen erfolgen, der Wille entweder die Reize verstärken oder mit den stärksten Reizen arbeiten müssen. Trotz des Bestehens der Contractur kann der Muskel nicht als ein leistungsunfähiges Instrument angesehen werden. Ich würde sogar sagen, dass die Contractur eine Vervollkommnung der Muskeln darstelle. Die Con- tractur ist eine Reizerscheinung, welche der Verlängerung der Muskeln bei der Ermüdung entgegenwirkt, und diese, wie wir im nächsten Capitel sehen werden, übercompensiren kann. Sie ist ein Regulirungsmittel der Natur, und hilft die Contractionen bei den grössten Anstrengungen zu verstärken. Unter den aussergewöhnlichen Umständen des Lebens und des Kampfes um das Dasein, wenn eine sehr starke Contraction nothwendig ist, kann die Contractur für eine kurze Zeit den Tetanus des Muskels unterstützen, ‚und eine grössere Kraftäusserung ermöglichen. Veränderungen in der Elastieität des Muskels bei der Ermüdung. So lange die Natur der Contraction unbekannt bleibt, wird die Identi- fieirung der contractilen Kräfte mit den elastischen nur Verwirrung ver- ursachen und wenig zur Aufklärung der Natur derjenigen äusserst compli- cirten Vorgänge beitragen, welche die Muskelbewegung zusammensetzen. In der Nomenclatur der Erscheinungen, welche man während der verschie- denen Stadien der Contraction beobachtet, stösst man auf Schwierigkeiten, denen man nicht leicht ausweichen kann, weil es unmöglich ist, die Zu- sammenziehung von der Contractur genau zu. sondern und man nicht be- stimmen kann, wo die eine aufhört und die andere anfängt. Ebenso verhält es sich mit der Elastieität und der Tonicität, die man, bei Zunahme der- selben, mit der Contractur verwechselt. In diesem Capitel betrachte ich als Abnahme der Elasticität diejenige Erscheinung, wobei sich der Muskel über dasjenige Maass hinaus verlängert, welches er früher besass, und werde mit dem Ausdrucke „Contractur“ die dauernde Verkürzung bezeichnen, welche der Muskel in Folge der Ermüdung erleidet. 160 ANGELO Mosso: Es ist allbekannt, dass in der Hand während der Ruhe die Finger- beuger ein leichtes Uebergewicht über ihre Antagonisten, die Fingerstrecker, zeigen, weshalb eben die Finger etwas gebeugt sind. Ich habe an der am Ergographen befestigten Hand, deren Finger ihre natürliche Flexion bei- behalten, gemessen, um wieviel sich dieselben strecken, wenn sie von einem kleinen Gewichte gezogen werden, welches an der Schnur des Ergographen aufgehängt ist, die wie gewöhnlich mit einem Ring an der zweiten Phalanx zieht. Diese auf den ersten Blick wenig exacte Methode liefert regel- mässige Aufzeichnungen, weil sich die Finger auf eine constante Länge dehnen lassen, wenn sie von demselben Gewichte gezogen werden. Sie kehren in ihre ursprüngliche Lage zurück, wenn sie freigelassen werden. Da die Sehnen sich nicht dehnen lassen, und das Handgelenk fixirt ist, so kann angenommen werden, dass die unter solchen Bedingungen erhaltene Auf- Fig. 57. zeichnung der Dehnung oder Verkürzung proportional ist, welche die Finger- beuger erleiden. Die Figg. 57 und 58 zeigen im ersten Theile der Auf- zeichnung die Art und Weise, in welcher die Experimente angestellt wurden. So oft die Schnur des Ergographen mit einem Gewichte von 400 ®"m be- lastet wurde, erfolgte eine leichte Streekung der Finger und die Feder des Ergographen schrieb eine verticale Linie nach unten. Da der Oylinder sich dreht, so zeichnete die Feder eine untere horizontale Linie. Nach vier Secunden hebt man das Gewicht, die Finger beugen sich wieder und schreiben eine verticale Linie nach oben und dann die obere horizontale Strecke, welche die normale Lage andeutet. Nachdem diese erste Aufzeichnung der Elastieität im Ruhezustande ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 161 semacht wurde, hängt man an die Schnur des Ergographen ein Gewicht von 3—4*®, damit sich der hebende Muskel ermüde. Die Ueberlastung des Muskels ist nothwendig, weil sonst die Finger in der Pause zwischen je zwei Contractionen durch die grossen Gewichte zu stark gedehnt würden. Kaum ist die Aufzeichnung der Ermüdung beendet, so belastet man den Muskel neuerdings mit dem Gewichte von 4008" und vergleicht die ge- wonnene Aufzeichnung mit der vorhergehenden. Ich habe in dieser Weise die Veränderungen studirt, welche bei der Ermüdung durch directe und indirecte Reizung der Muskeln, ferner durch die willkürlichen Bewegungen derselben erfolgen, und beobachtete alle Gombinationen, die möglich sind, d. h. 1) Vermehrung der Elastieität, 2) Verminderung der Elastieität, 3) constante Elasticität. Fig. 57 repraesentirt ein Experiment, welches mit dem Mechaniker meines Laboratoriums, dem Hrn. Corino gemacht wurde. Die Linie ab stellt die Reihe der Elasticitätsbestimmungen am Mittelfinger der linken Hand im Ruhezustande dar. Hiernach wurden 4%® angehängt, nachdem früher der Ergograph in die Ueberlastungsposition gesetzt wurde. Hr. Corino machte nun eine Reihe von grössten Contractionen, jede zweite Secunde bis zur Ermüdung. Kaum endigten in ce die willkürlichen Contractionen, so entfernte man die 4*s und die Unterstützung und belastete neuerdings mit 4008"®%, Man sieht, dass sich die Muskeln weiter dehnen liessen und dass eine Abnahme der Elastieität stattgefunden hatte. Während der Aufzeich- nung cd beobachtete ich, dass der Muskel allmählich zu seiner primitiven Länge zurückkehrt, weil die Linie von ce nach d sich hebt. Der Raumersparniss halber habe ich nicht die ganze Aufzeichnung, aus welcher diese Thatsache klar hervorgeht, wiedergegeben. Ich werde aber in Kurzem eine andere Aufzeichnung mittheilen, welche auf den Gegen- stand Bezug hat. Eine Verminderung der Elastieität beobachtete ich an mir selbst, an meinem Bruder Dr. Ugolino und an Giorgio Mondo, Diener meines Laboratoriums. An anderen Personen hingegen fand ich eine Vermehrung der Elasticität, so an den Doctoren Grandis, Maggiora und an dem Hrn. Colla. Ich theile hier als Beispiel ein an dem Hrn. Colla gemachtes Experiment mit. In der Strecke ab der Fig. 58 sind zwei Elastieitätsbestimmungen im Ruhezustande. Diesen gleich sind die vier vorangehenden, und deshalb theile ich sie hier nicht mit. Hr. Colla machte nun eine Reihe von Contractionen, indem er 3%3 Ueberlastung bis zur Ermüdung*hob. Bei c wurden hernach 4008” Belastung angehängt, und als Folge davon sehen wir, dass die Curve gestiegen ist, es ist also eine Steigerung der Elastieität des Muskels vorhanden. Die Aufzeichnung der Rlastieität wurde fortgesetzt und ich fand, dass die Contractur all- mählich schwand, und dass der Muskel nach drei Minuten zu seiner ur- Archiv f. A, u.Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 11 162 ANGELO Mosso: sprünglichen Länge zurückgekehrt ist. An Hrn. Dr. Aducco und an dem Hrn. Caselgrandi beobachtete ich gar keine Veränderung der Rlastieität in Folge der Ermüdunge. Fig. 58. Wenn man den Nerven oder direct den Muskel reizt, dann schwinden die Effecte der Ermüdung viel langsamer. Fig. 59 repraesentirt ein Ex- periment an Dr. Maggiora mit Reizung des N. medianus. Der Mittelfinger arbeitete mit 38 Ueberlastung. Die Intensität des Reizes ist gleich 1750. Fig. 59. Bei jeder Reizung werden 40 Schliessungen und Oeffnungen des primären Stromes gemacht, und in der Secunde erfolgen 50 solche Unterbrechungen, die Reizung dauert also */, Secunde. Bevor noch der \luskel vollkommen erschöpft ist, und während er noch das Gewicht zu heben vermag, wird die Aufzeichnung der Elastieität gemacht. Da die Figur zu lang geworden wäre, so sehnitt ich davon 5 Stücke aus, so dass man die nach drei, fünf, sieben und neun Minuten gemachten Bestimmungen mit einander vergleichen kann. In diesem Experimente wendete ich statt 400 8m — 3 Ee ÜBER DIE GESETZE DER ErRMÜDUNG. 163 an, um den Muskel zu dehnen. Dieses Gewicht ist zu gross, um die Wir- kung der Contractur im unteren Theile der Aufzeichnung beurtheilen zu lassen, man sieht aber, dass ungefähr neun Minuten nothwendig waren, damit der Muskel seine primitive Länge wiedererlange. Ich halte ‚es für überflüssig andere Experimente anzuführen, sondern erwähne auf Grund der erhaltenen Resultate, dass ich eine Vermehrung der Blastieität oder eine beständige Contractur an leichter erregbaren Personen beobachtete, an solchen, welche eine deutliche und stärkere Oontractur im Anfange einer Reihe von Zusammenziehungen zeigen. Stärkere und an Muskelanstrengungen gewöhntere Personen zeigen keine Veränderung oder wenigstens nur kleine Verminderung der Elastieität. Vergleicht man nun diese Beobachtungen mit denen des vorhergehenden Capitels, so kann man behaupten, dass die Contraetur nicht vollständig in Folge der Ermüdung schwindet. Es ist bekannt, wie heftig der Streit in der Frage der Elastieität der Muskeln war. Ich beabsichtige nicht auf dieses streitige Feld zu treten, glaube jedoch, dass die Beobachtung, wonach die Contractur auch im er- müdeten Muskel vorhanden ist, dazu dienen wird, um die Beobachtungen einiger Autoren, welche dem Weber’schen Gesetze zu widersprechen schienen, auf ihren richtigen Werth zurückzuführen. | Boudet hat in der That auf Grund einer Reihe von Experimenten, die er in Marey’s Laboratorium anstellte, behauptet, dass ein durch Aus- schneiden seines Nerven oder elektrisch gereizter Muskel (einmalige Reizung oder Reizung bis Auftreten von Tetanus) stärker und vollkommener elastisch werde. ! \ ‚ Nach den am Menschen gemachten Versuchen muss Boudet’s Schluss bloss auf stark reizbare Muskeln und auf starke Reizungen bezogen werden. Ich hatte keine Zeit zu entscheiden ob die Contractur und die Verminde- rung der Elastieität einen verschiedenen Verlauf haben; in einigen Fällen schien es mir als ob die Verminderung der Elastieität rascher als die Con- tractur verschwinde, so dass die Contractur, nachdem der Muskel aufgehört hat sich zu contrahiren, langsam zunahm. Den entgegengesetzten Fall, d. h. eine Verlängerung des Muskels über die primitive ‚Grenze hinaus nach Aufhören der Contractur habe ich nicht beobachtet. Ich werde diese Untersuchungen fortsetzen, glaube jedoch jetzt schon, dass nachdem die ! Boudet de Paris, Effets du curare, de la chaleur et de la seetion des nerfs moteurs sur l’exeitabilite et ’elastieite museulaires. Travan.r du laboratoire de M. Marey. 1878/79. t. IV. p. 194. 11* 164 ANGELO Mosso: Existenz der Contraetur bei der Ermüdung nach willkürlichen Bewegungen oder nach direeter oder indirecter Reizung erkannt ist, man diesem Um- stande als einer Erscheinung Rechnung tragen werde, welche die Vermin- derung der Elasticität, die der Muskel bei der Ermüdung gewöhnlich zeigt, zu eompensiren und sogar zu übercompensiren vermag. Kronecker hat in seiner Arbeit über die Ermüdung und Erholung der Muskeln ! bemerkt, „dass die der Zahl der Zuckungen proportional wachsende Ermüdung des belasteten Muskels scheinbar einem anderen Ge- setze folge, sobald die Zuckungsgrösse kleiner geworden ist, als die Dehnung des ruhenden Muskels durch das belastende Gewicht.“ Beim Menschen ist diese Dehnung des ruhenden Muskels nach der Ermüdung sehr klein, wie wir im Experiment Fig. 57 bei Corino gesehen haben. Ich habe diese Differenzen gegenwärtig nicht genau studiren können, werde aber später in einer anderen Arbeit auf dieses Argument zurück- kehren, in der ich über die Veränderungen, welche die Anaemie in der Rlastieität der Muskeln und Reizbarkeit des Nerven hervorbringt und über die Unterschiede, welche die Ermüdungscurve der belasteten und überlasteten Muskeln aufweist, handeln werde. Einfluss der Unterstützung auf die Contractionshöhe. Nachdem ich die Ermüdungscurve nach Entlastung des Muskels wäh- rend des letzten Theiles seiner Contraction studirt, habe ich den Muskel im Beginne der Contraction entlastet, wie dies schon v. Frey” beim Frosche gemacht hat. Um diese Unterstützung zu erhalten, genügte es, die Schraube c, welche die zum Aufhalten dienende Säule X (Fig. 2) verschiebt, zu drehen, nachdem die Schraube 5 nachgelassen wurde Wir kennen bereits die Ermüdungsceurve von Dr. Aducco nach Aufhebung von 3®8 mit dem Mittelfinger der rechten Hand. Wenn wir die Fig. 10 mit der Fig. 60 vergleichen, dann sehen wir, dass die Unterstützung gar keinen Einfluss auf die Ermüdungscurve ausübt. Der Rhythmus ist iden- tisch mit dem der vorhergehenden Figuren, d. h. 2 Secunden. Kaum wurden die ersten zwei Contractionen in der Aufzeichnung 60 gemacht, so begann ich die Schraube c (Fig. 2) zu drehen, und näherte langsam die Unterstützungssäule X den Fingern. Es erfolgen 13 Contractionen, die immer kürzer und kürzer werden, dann drehte ich in entgegengesetzter Riehtung die Schraube und führte die Unterstützung gegen die Abscisse UA ar OST ° Max von Frey, dies Archiv. 1887. 8. 195. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 165 zurück. Es entstand eine dreieckähnliche Figur in der Aufzeichnung der Contractionen, ohne dass die Ermüdungscurve eine erhebliche Aenderung zeigen würde. Beim letzten Theile der Curve, als die Ermüdung grösser war, versuchte ich noch einmal die Unterstützung, aber auch diesmal ohne sichtbaren Erfolg. Fig. 60. Dieses Experiment wurde auch an anderen Personen wiederholt, und ich habe in gleicher Weise gefunden, dass der Muskel mittels der Unterstützung von einem grossen Theile seiner Arbeit befreit werden kann, ohne dass sich die Ermüdungscurve ändert. Es würde dies mit den Resultaten von 4 | " ——— ——— — I, il 166 AnGEno Mosso: Kronecker übereinstimmen, und man müsste auch mit Bezug auf die Contractionen der Muskeln des Menschen zugeben, was Kronecker schon betreffs der Zuckungen der Muskeln des Frosches demonstrirt hat, d.h. dass die Ermüdung die gleiche bleibt, wenn nur die Reize gleich bleiben, gleichgültig ob die Zuckungen oder die Gewichte, welche gehoben werden, gross oder klein sind. In der Meinung, dass das Ausbleiben der Wirkung der Unterstützung vom Willen abhängig sein könnte, welcher die Anstrengung und die Muskel- contraction dem Gewichte proportional ge- N: stalten könnte, sodass die Ermüdungscurve IN) dem zu Folge eine constante bleibe, habe ul) || || ich die Wirkung der Nervencentren dadurch LU 1. eliminirt, dass ich den N. medianus reizte. Das an Hrn. Dr. Grandis ausgeführte Experiment (Fig. 61) mit 2*® und einer Fig. 62. Reizstärke von 2250 zeigt, dass es sich in der That um eine Erscheinung handelt, die ihren Sitz in den Muskeln und in den Nerven hat. Die Unterstützung wurde dreimal hintereinander ausgeführt: zwei Mal ohne Erfolg, aber das dritte Mal hatte sie eine sichtbare Wirkung. Das zeigt sich deutlich in der Fig. 62, welche die Fortsetzung derselben Aufzeichnung ist. Es ist deshalb nicht für alle Fälle richtig, dass der Muskel sich gleichgültig gegen die Gewichte verhält, die er zu heben hat. Je — — Der Einfluss des Gewichtes auf die Ermüdungscurve wird eingehender von Dr. Maggiora im ersten Capitel der folgenden Abhandlung beleuchtet werden. Vorläufig erachten wir es als wahrscheinlich, dass für den frischen Te \ Fig. 63. Muskel während seiner ersten Oontractionen das Gewicht gleichgültig sei, - sodass derselbe, wenn er einmal zur Contraction angeregt wird, eine grosse Verkürzung ausführt, gleichgültig, ob das Gewicht während der ganzen ÜBER DIE GKSETZE DER Ermünune. maximalen Contraetion oder bloss während eines Theiles derselben gehoben werden soll; wenn aber die Energie des Muskels in Folge der Ermüdung abnimmt, dann ge- reicht es ihm zum Vortheile, wenn man ihm mittels der Unterstützung zu Hülfe kommt. Um dieses Factum mit grösserer Sicherheit zu analysiren, ist es besser, sich nicht der willkürlichen Contractionen zu bedienen, bei welcher zuweilen in der Öurve Einsenkungen und Erhebungen er- scheinen, welche man mit der Wirkung der Unterstützung verwechseln könnte. Es sind zu diesem Zwecke die Experimente mit Reizung des Nerven vorzuziehen, welche gleichförmige und lange Curven ergeben. Die elektrische Reizung darf jedoch nicht zu stark zu sein, weil sonst die Wirkung des Gewichtes und der Unterstützung we- niger evident wird. Die Fig. 63 repraesentirt die Aufzeich- nung eines Experimentes, welches an Dr. Maggiora mit dem Gewichte von 500 em in Belastung, und durch Reizung des N. me- dianus, mit einer Intensität von 1500 aus- geführt wurde. Kaum dass man die Unterstützung machte, wurden die Contractionen etwas höher und blieben so, solange die Unter- stützung dauerte: die Wirkung war aber nur ganz gering. Gleich danach steigerte ich das Gewicht auf 1000 8"” und verstärkte die elektrische Reizung bis auf 2500. Die Contractionen wurden höher, wie man dies der Aufzeichnung Fig. 64 entnehmen kann. Hierauf schrieb ich eine Reihe von Con- tractionen, um zu sehen, ob die Höhe der- selben regelmässig bleibt. Nachdem ich wahrgenommen, dass dieselben langsam abnehmen, wie man dies an der Strecke a—b sieht, machte ich die Unterstützung 168 ANGELO Mosso: ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. von 5 bis ec; die Gipfel der Contractionen hoben sich in leichtem Grade und sanken im absteigenden Theile ce d der Unterstützung. Wurde der Muskel in Belastung gelassen, dann fielen die Contractionen regelmässig in demselben Maasse wie vor der Unterstützung. Legt man ein Lineal auf die Aufzeichnung, dann sieht man, dass die Strecke de sich auf derselben geraden Linie wie die Strecke ab befindet. Ohne den Cylinder anzuhalten, befestigte ich nun bei e in dem vom Pfeile angedeuteten Punkte ein grösseres Gewicht, gleich 1500®""; der Finger streckte sich etwas mehr, die Contractionen waren weniger hoch und fielen rasch, so dass sie die Curve ef bildeten. Bei f beginnt die Unterstützung und wir sehen, dass ihre Wirkung für dieses Gewicht evi- denter ist, so dass wir im absteigenden Theile y% Contractionen haben, die höher sind als diejenigen, welche vor der Unterstützung vorhanden waren. Diese Aufzeichnungen haben grosse Aehnlichkeit mit denjenigen, welche v. Frey! und v.Kries? bei Fröschen erhielten. Ich will diesmal jedoch weder auf meine, noch auf die Experimente anderer Autoren näher eingehen und behalte mir vor, auf den Gegenstand in einer nächsten Arbeit zurück- zukommen. ! M.v. Frey, Versuche zur Auflösung der tetanischen Muskelcurve. Zestschrift für C. Ludwig. 1887. S. 55. ?2 J.v. Kries, Untersuchungen zur Mechanik des quergestreiften Muskels. Dies Archiv. 1880. 8. 348. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1889 — 0. 1. Sitzung am 18. October 1889." 1. Hr. Hans VırcHow spricht: „Ueber die Augengefässe der Sela- chier und die Verbindung derselben mit den Kopfgefässen.“ In der Litteratur der letzten Jahre ist auf die morphologische Bedeutung der Augengefässe so nachdrücklich hingewiesen worden, dass es nicht nöthig ist, in dieser Hinsicht etwas Einleitendes zu bemerken. Ich gehe daher so- gleich auf die Sache selbst ein und erinnere daran, dass es bei bei Selachiern (ebenso wie bei Knochenfischen) zwei Augenarterien giebt, von denen die eine aus der Vene der Spritzlochkieme, die andere aus der Carotis interna etwa dort entspringt, wo letztere — neben dem Chiasma — rückwärts biegend sich an die Unterseite des Medullarrohres begiebtt. Man kann diese beiden Arterien ihrer Lage nach als hintere und vordere, oder ihren Ursprungsverhältnissen nach als äussere oder innere, oder den Theilen des Auges nach, zu denen sie bei Selachiern treten, als Arterie der Chorioides und Arterie der Iris be- zeichnen. Da für die morphologische Deutung dieser Gefässe ihre Beziehung zu den Kopfgefässen bestimmend ist, so lenke ich zunächst die Aufmerksamkeit auf drei Punkte: auf die Verlängerung der Aorta über die erste Kiemenvene hinaus, auf die Gefässe der Spritzlochkieme und auf die Verbindung der Vene der Spritz- lochkieme mit der Carotis interna. 1. Mit Rücksicht auf die Verlängerung der Aorta über die erste Kiemen- vene hinaus kommen vier Fälle zur Beobachtung. ! Ausgegeben am 25. October 1889. 170 VERHANDLUNGEN DER BERLINER a) Das Gefäss läuft (bei Heptanchus, Mustelus, Sceyllium, Carcharias) als ein unpaarer Stamm in der Verlängerung der Aorta vorwärts, spaltet sich dann und vereinigt sich — nach der Abgabe der letzten Verte- bralarterie auf den Rang einer dünnen Anastomose gesunken — mit dem vorderen Bogen des „Kopfkreises“ bez. der „Car. posterior“. b) Die Spaltung setzt sich (bei Squatina) bis an die erste Kiemenvene heran fort, so dass das Gefäss als ein Seitenast der ersten Kiemen- vene, bez. als eine Anastomose zwischen dieser und der Carotis poste- rior erscheint. c) Nach Aufhebung der Verbindung mit der Carotis posterior (Centro- phorus, Rhinobatus) erscheint das Gefäss als ein noch unbedeutenderer Seitenzweig der ersten Kiemenvene. d) Das Gefäss fehlt gänzlich (Torpedo). 2. Von Gefässen der Spritzlochkieme ist eine Arterie und eine Vene zu unterscheiden, von denen allerdings die Arterie bei den erwachsenen Selachiern in das Gebiet der Venen hineingezogen ist, indem sie sich mit der Vene der Hyoidkieme verbunden hat. Von allen Selachiern haben nur Heptanchus und Hexanchus in dem Spritzloch eine wirkliche Kieme in dem Sinne, dass sie typische Blättchen besitzen und in denselben ein Netz von Capillaren, welches die Verbindung zwischen dem zuführenden und abführenden Gefässe vermittelt. Bei allen übrigen Selachiern, soweit sie überhaupt Rudimente der Kiemengefässe haben, ist an die Stelle der Gefässe eines Blättchens je eine einfache Gefäss- schlinge getreten, welche, über die Dicke einer Capillare erhoben, dem Blut- strome einen geringen Widerstand entgegensetzt. Indem von allen diesen Schlingen eine sich stärker ausweitet, während die nebenliegenden zurück- bleiben (Squatina), ist die Ueberleitung zu dem Zustande gegeben, den wir bei Trygon treffen, wo ein glatt verlaufendes Gefäss, ohne Knickung und ohne Ver- eugerung, an der Vorderseite des Spritzloches liegt. Wenden wir im Vorbei- gehen den Blick zu den Teleostiern, so bemerken wir einen scharfen Gegensatz: bei den Selachiern besteht das Streben, das Spritzloch zu erhalten; ja das letz- tere nimmt bei den Rochen, einer bestimmten Function angepasst, eine bestimmt ausgeprägte eigenartige Form an; die Spritzlochkieme aber und ihre Gefässe sehen dem Verfall entgegen. Bei Knochenfischen dagegen schliesst sich das Spritzloch und verstreicht die Spritzlochtasche; die Spritzlochkieme dagegen .er- hält sich in der Form der Deckelkieme in den meisten Fällen; sie erhält sich nicht nur, sondern sie entwickelt sich bei vielen Fischen, worunter wir gerade zahlreiche Stachelflosser finden, zu bedeutender Grösse (sie hat z. B. bei Zeus 21, bei Umbrina 33, Trachypterus 34, Sciaena 59, Dentex etwa 60, Orthagoriscus 75 Blättchen), und wenn sie sich : in dieser Weise entwickelt, so geht sie den übrigen Kiemen parallel, wie sich am deutlichsten zeigt in solchen Fällen, wo wie bei Xiphias und Orthagoriscus die Kiemen eigenartige Merkmale an- nehmen. 3. Die Verbindung der Spritzlochvene mit der Carotis interna fehlt bei Teleostiern; es ist hier an der gleichen Stelle nur eine Anastomose zu der gleichwerthigen Vene der anderen Seite vorhanden, so dass bei ihnen die Cho- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HANS VIRCHOW. 171 rioides ausschliesslich Blut erhält, welches durch die Deckelkieme gelaufen ist. Indessen bei jungen Teleostiern findet man, wie Dohrn dargestellt hat, die gleiche Anastomose der Spritzlochvene mit der Carotis interna wie bei Selachiern. Gehen wir zu dem Auge selbst über. Netzhaut und Glaskörper sind bei den Selachiern frei-von Gefässen. An der äusseren Augenhaut findet man nur spärliche Gefässe, in denen ein beständiger Charakter nicht bekannt geworden ist. Wir sind daher auf die mittlere Augenhaut beschränkt. Zu den genannten zwei Arterien, der A. iridis und A.chorioideae, gesellen sich zwei Venen, eine dorsale und eine ventralee Wir haben also die gleiche Anordnung der Gefässe vor uns, die von Amphibien bereits bekannt ist. Hieran dürfen wir die Er- . wartung knüpfen, dass in diesem Organ die Gefässausbreitungen beharren, wenn auch die Beziehungen zu den Kopfgefässen durch Herstellung neuer Ver- bindungen und Zugrundegehen alter sich ändern. Ein einfaches Beispiel in letzterer Richtung bieten die sog. „hinteren Ciliararterien“ der Säugethiere, welche beim Menschen von der A. ophthalmica, also Carotis interna, bei Kanin- chen und Carnivoren dagegen von der Maxillaris interna, also Carotis externa abgegeben werden. Die Eintrittsstelle der Arterie der Chorioides in den Bulbus ist nach der temporalen Seite verschoben, worin wir wohl ein passives Verhältniss, bedingt durch die Art des Ursprunges, erblicken dürfen. Die Arterie betritt die Cho- rioides im horizontalen Meridian und spaltet sich in zwei Aeste (einen nasalen und einen temporalen), welche horizontal, oft streng im Meridiane verlaufen. Sie geben dabei eine beschränkte Anzahl von Zweigen, entweder nach der dor- salen und ventralen oder nur nach der dorsalen Seite ab. Die Arterie der Iris, nachdem sie im senkrechten Meridiane an der unteren Seite der Chorioides bis zum ciliaren Rande verlaufen ist, betritt die Iris in zwei meist gleichstarke Zweige (einen nasalen und einen temporalen) gespalten, und diese nähern sich aufsteigend allmählich dem pupillaren Rande, wobei sie eine beschränkte Zahl von Zweigen, fast ausschliesslich nach dem pupillaren Rande zu abgeben. Die Sammelstellen der beiden Venen liegen im senkrechten Meridiane, dorsal und ventral, bald näher am ciliaren Rande, bald mehr von demselben entfernt (bei Lamna ist z. B. die dorsale bis zur Mitte zwischen ciliarem Rande und hinterem Pole zurückgerückt). Sie erinnern an die Vortices der Säuge- thiere, besonders wenn man sich zwei der letzteren zusammengerückt und ver- schmolzen denkt. Der Typus der Gefässe unterliegt manchen Varianten, von denen hier fünf zu nennen sind, vier bei den Arterien und eine bei den Venen. a) Die Eintrittsstelle der Art. chorioideae ist soweit nach der temporalen Seite verschoben, dass es innerhalb der Chorioides gar nicht zur Bildung eines temporalen Astes kommt. — Es ist hierin vielleicht nur eine Steigerung des oben geschilderten normalen Verhaltens zu erblicken. b) Die Enden der beiden Aeste der Chorioidealarterie betreten die Iris (bei Carcharias) und betheiligen sich an der Blutversorgung derselben. — Es ist hierin eine interessante Analogie mit den Säugethieren zu erblicken. 172 VERHANDLUNGEN DER BERLINER ec) Es kommt am proximalen Pole auf der Chorioides zu einer Anasto- mosenbildung zwischen der Arterie der Chorioides und der der Iris, entweder durch ein Stämmchen (bei Heptanchus) oder durch netzartige Verbindungen (bei Trygon). Das zeigt die Möglichkeit an, dass noch innerhalb der Chorioides die Endausbreitung der einen Arterie durch den Stamm der anderen übernommen werden könnte. d) Wie schon gesagt, entspringen die Zweige der chorioidealen Arterie entweder nur auf der dorsalen oder auf der dorsalen und ventralen Seite. e) Es stellt sich ein venöses Ringgefäss ein (Lamna, Pristiurus), welches, am ciliaren Rande gelegen, mit zwei gleichstarken Bogen, die dorsal nicht zusammenfliessen, den ganzen Umfang umgreift und in die ven- trale Vene abfliesst. Das Verhalten bei Lamna scheint den Schluss zu begründen, dass dieses Gefäss nicht aus dem ventralen Halbstern entsteht, sondern sich distal davon neubildet. Diese Ringvene beein- trächtigt zunächst den ventralen Halbstern stärker als den dorsalen. Von den genannten Erscheinungen sind, soweit erkennbar, nur zwei für die morphologische Betrachtung wichtig: Bei den Arterienzweigen der Chorioides haben wir den Gegensatz eines dorsalen und ventralen und demgegenüber eines nur dorsalen Austrittes; bei den Venen den Gegensatz einer gleichstarken dor- salen und ventralen Vene und demgegenüber eines den beiden beigesellten Venen- ringes. Soweit bisher erkennbar, steht die arterielle und die venöse Anordnung nicht in der Weise in Zusammenhang, dass einer bestimmten arteriellen eine bestimmte venöse entspräche. Wir sind daher genöthigt, beide vor der Hand getrennt zu betrachten und zu fragen: welche Anordnung ist bei den Arterien die ältere, und welche ist bei den Venen die ältere? Zur Beantwortung dieser Fragen liegt zur Zeit das Material, insbesondere das embryologische, nicht vor. Wollte man Heptanchus als die älteste Form der Auffassung zu Grunde legen, so müsste man sagen: bei den Arterien der Chorioides ist der Zustand der ältere, bei welchem die Zweige dorsal und ventral austreten; bei den Venen derjenige, bei dem es eine gleichstarke dorsale und ventrale Vene giebt. Das Auge von Heptanchus macht jedoch nicht schlechtweg den Eindruck eines primitiven, wie sich vor Allem an der dicken in zwei Blätter trennbaren Iris verräth. Lassen wir also einstweilen diese rückschauende Betrachtung auf sich beruhen. Dagegen mögen wir von dieser Betrachtung der Gefässe der mittleren Augenhaut der Selachier den Blick über die der übrigen Wirbelthiere schweifen lassen. Die Amphibien haben, wie schon erwähnt, die gleichen Gefässe. Auch bei den Reptilien treffen wir sie, wennschon bei Schlangen, wenigstens bei Coluber, die Chorioidealarterie die Iris betritt. Bei Vögeln finden wir die gleichen zwei Arterienäste in der Chorioides (mit verändertem Typus); ebenso trotz der Grösse der Augen nur zwei Venen; die Gefässversorgung der Iris hat sich verwickelter gestaltet, worüber zur Zeit Hr. Wertheim Untersuchungen anstellt. Erst bei den Säugethieren gelingt es den beiden Aesten der Cho- rioidealarterie, zu dauerndem Einfluss über die Iris zu gelangen und der Herr- schaft der alten Irisarterie ein Ende zu machen. Zugleich formen sich aus den beiden Venen durch Zerspaltung und Einschiebung von Schaltstücken zwei Venen- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Hans VIRCHOw. — R. SCHNEIDER. 173 paare, die sogenannten Venae vorticosae. Beim Kaninchen ist dieser Zustand in einer primitiven Form vorhanden. Von hier aus schlägt die Umbildung zwei Wege ein: Beim Menschen weichen, indem ein neues arterielles Gebiet, das der „vorderen Ciliararterien‘“, zu grösserem Einfluss gelangt, die Sammelstellen der Venen bis zum Aequator zurück. Bei Carnivoren dagegen zerspalten sich die Sammelstellen, am ciliaren Rande verharrend und mit dem reichen Venennetz des Hornhautrandes ausgiebig verbunden (Bellarminoff), in eine grössere Zahl kleinerer Gebiete. Wenn wir so in der Gefässanordnung der mittleren Augenhaut von den Selachiern bis zu den Säugethieren Uebergänge finden, so dürfen wir hoffen, auch die Knochenfische einzureihen. Wie schon gesagt, kennen wir auch bei diesen die Art. ophthalmica interna und die externa, letztere als Art. ophthal- mica magna (Joh. Müller). Die Art. ophthalmica externa stellt die Arterie des Chorioidealköipers (der ‚Chorioidealdrüse‘) dar, und wir können auch an ihr einen nasalen und einen temporalen Ast unterscheiden. Es ist daher zur Zeit das Wahrscheinlichste, dass die beiden Aeste der Chorioidealarterie gerades- wegs zu den beiden Aesten der Arterie des Chorioidealkörpers geworden sind, wobei sich dieselben mit der zunehmenden Krümmung des Chorioidealkörpers nach unten geschlagen haben müssen. Auch die Ringvene finden wir bei den Knochenfischen wieder, jedoch unter dem Einflusse des starken chorioidealen Gefässnetzes noch weiter distalwärts, bis in die Iris hinein, gedrängt. 2. Hr. Dr. R. Schneider (a. G) hält den angekündigten Vortrag: „Ver- breitung und Bedeutung des Eisens im animalischen Organismus.“ Die schon bei den früheren Untersuchungen über diesen Gegenstand er- haltenen Resultate, alle Thiergruppen von den Protozoen bis zu den Vertebraten umfassend, waren der Hauptsache nach folgende. Bei den meisten Thieren spielt das Eisen in den eigentlichen constituiren- den festen Geweben offenbar eine viel grössere und bedeutsamere Rolle, als im Blute selbst, und zwar in Form ausgesprochener oxydischer Ablagerungen; also solcher, welche sich mit Hülfe der gewöhnlichen Ferrocyankaliumreaction direct nachweisen lassen. Die natürliche und ursprüngliche Form sowohl wie Ab- lagerungsstätte des Eisens im thierischen Körper lässt sich also hier verfolgen, und zwar bis in die feineren histogenen Bestandtheile der Zellelemente hinein, in Plasma und Nucleus. Sehr viele Zellkerne bekunden dabei eine ausge- sprochene Neigung, das Eisen aufzunehmen; im Allgemeinen scheint dem Kerne sewissermaassen die Rolle eines Stoffspeichers zuzufallen, welcher das Eisen zwar aufnimmt, aber auch wieder abzugeben geneigt ist, denn es findet sich häufig abwechselnd in Plasma oder Kern. Im allen solchen Fällen dürfte es, verhält- nissmässig locker, an Eiweissstoffe gebunden sein. Die Beziehung des Eisens zu den Geweben ım Allgemeinen ist eine sehr vielseitige: Epithelien, Eizellen, Se- cretionszellen, Knorpelzellen so gut wie structurlose Membranen ergaben Eisen- resorptionen. Die eigentlichen Nerven- und Muskelelemente scheinen sehr wenig Neigung zur Eisenaufnahme zu besitzen, desto mehr die hier wie auch anderen- orts betheiligten Bindegewebe. In organologischer Beziehung lässt sich ebenfalls eine sehr ausgedehnte Verbreitung des Eisens constatiren: in den verschiedenen Gewebelagen des Darmes, in Leber, Milz, Nieren, Genitalien (besonders Eiern), 174 VERHANDLUNGEN DER BERLINER verschiedenen Drüsen, in Haut- und Cuticulargebilden. Als ein entschiedenes Sammel- und Centralorgan für das Eisen aber muss die Leber, und ‚im Zu- sammenhange mit ihr bei Vertebraten die Milz, bezeichnet werden, ein Gesetz, welches das gesammte, überhaupt hier in Frage kommende 'Thierreich, bis zu den Würmern abwärts, beherrscht. Als Gesetzmässigkeit allgemeinster Natur kann schliesslich noch erwähnt werden, dass Wasserbewohner, entsprechend der hier gebotenen, dem Organismus leichter zugänglichen Form des Eisens, ganz besonders zu oft sehr intensiven Resorptionen neigen. Dass die Erscheinung weit universelleren Charakter besitzt, beweist die ebenso kräftige und regel- mässige Eisenaufnahme in den Körpern mancher Landthiere, wie Landmollusken oder Kellerasseln. Diese vielfältigen Einzelthatsachen unter mehr allgemeine Gesichtspunkte und umfassende Gesetzmässigkeiten zu bringen, ist nun auf Grund weiter fort- gesetzter Untersuchungsreihen ebenfalls gelungen, besonders nach histologischer Richtung hin. Vor Allem steht es nunmehr fest, dass die bei weitem meisten aller wirk- lich stabilen und nachhaltigen Eisenablagerungen im inneren Körper jenen Ge- weben zukommen, welche man unter dem Namen der Bindesubstanzen zu- sammenzufassen pflegt. Jene häufigen und typischen Resorptionen in Knorpel- zellen und Knochensubstanz, wie sie sich früher schon bei zahlreichen Fischen und besonders schön beim Proteus nachweisen liessen, gehören ja auch in diese Kategorie. Bei neuerer Zeit untersuchten Exemplaren von Proteus bildeten die gesammten Bindegewebsmassen, auch die interstitiellen, ein wahres Eisennetz vom Centrum bis zur Peripherie des Körpers, im Skelete beginnend und durch die Ligamenta intermuscularia, Perimysium und Sarkolemma bis in die zelligen Bindegewebselemente der Hautlagen ziehend. Auch die wirklich beständigen Eisenablagerungen in Leber, Milz und Tractus gehören vorherrschend den binde- sewebigen Grundlagen dieser Organe an. Es verdient dabei der Umstand be- sondere Beachtung, dass alle jene so verschiedenartigen Elementarformen des Bindegewebes die Resorptionsneigung bekunden: die Bindegewebskörper, die Fibrillen und die eigentlich zelligen Elemente, insbesondere deren Kerne. Eine wahrhaft grossartige Rolle spielt das Eisen im Bindegewebe der Mollusken (auch bei Land und Meer bewohnenden Schnecken), besonders da, wo stark functio- nirende Muskelpartien von demselben durchsetzt und verbunden werden, also im Fusse, Mantel oder am Spindelmuskel, aber auch in den die Eingeweide um- kleidenden Häuten. Der Körper der Najaden (der Süsswassermuscheln Unio und Anodonta) enthält regelmässig geradezu staunenerweckende Eisenmengen, die sich zum bei weitem grössten Theile dem Mesenchym (dem Gallertbindegewebe älterer Autoren) eingelagert finden und sich hier ebenfalls netz- oder maschen- artig den Muskelsträngen und den inneren Weichtheilen einschalten. Aehnliche mikroskopische Bilder geben Längs- und Querschnitte durch den Körper gewisser sehr muskelthätiger Würmer wie Hirudineen (Clepsine, Nephelis).. Beim An- blicke gerade solcher Objecte drängt sich dem Beobachter mit einer gewissen Unabweislichkeit die Vorstellung auf, als ob die typischen Eiseneinlagerungen hier in den Bindesubstanzen die Function eines gewissen histomechanischen Haltes, einer Festigung oder Bindung der übrigen Gewebeelemente, zu versehen hätten.. Uebrigens kann diese lebhafte Betheiligung des Eisens an der Con- stitution des Bindegewebes gar nicht so sehr Wunder nehmen, wenn man erwägt, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. SCHNEIDER. 175 in wie naher physiologischer und entwickelungsgeschichtlieher Beziehuug das Lymph- (und im weiteren Sinne also auch das Blut-) System zu den Binde- substanzen, speciell der interstitiellen, steht. Dazu kommt eine andere, fast noch charakteristischere und noch mehr in die Augen springende Erscheinung, welche ebenfalls für eine derartige causale Bedeutung des Eisens im thierischen Organismus zu sprechen scheint: eine ganz allgemein verbreitete Ablagerung dieses Stoffes näwlich in die mehr äusser- lichen Cutieular- und Hautgebilde, besonders da, wo es auf Schutz oder Deckung innerer Organe ankommt. Schon früher waren derartige Fälle bekannt gemacht worden, so z. R. typische Eisenablagerungen in die äusseren Schutzmembranen von Eiern, Eibehältern oder Cocons bei niederen 'Thieren, was speciell auf eine Art Brutschutz deuten würde; oder in die chitinöse Cuticula von Crustaceen, wasser- bewohnenden Insectenlarven, Bryozoen, Hydroidpolypen. Neuererzeit wurde eine lange Reihe weiterer derartiger Fälle beobachtet, darunter interessanter Weise mehrere an ganz gewöhnlichen und Jedermann zugänglichen Objecten, wie z. B. die folgenden. Die Substanz, welche die Eier an die Afterfüsse des Krebs- weibchens (Astacus fluviatilis L.) anzukitten hat, gleichzeitig aber auch eine schützende Membran um das eigentliche Ei bildet, ist stets mehr oder minder, oft sehr stark eisenhaltig und zwar durch ihre ganze cuticulirte Masse. Jene selblichen höchst flexiblen Borstenbüschel an Scheeren und Füssen desselben gewöhnlichen Flusskrebses, aber auch vieler mariner Kruster wie Homarus, Palinurus, Pagurus, Careinus u. s. w., enthalten statt des hier fehlenden Kalkes Eisen. Bei den vorhin schon erwähnten Najaden (Süsswassermuscheln) wird in Folge der übermässig starken Eisenaufnahme für eine Art Abfuhr des Stoffes auf dem Wege der Secretion gesorgt, welcher Process sich am Mantelrande deutlich bemerkbar macht, dessen drüsige Organe bekanntlich Cuticularsubstrat und Kalksalze zur Bildung der Schale liefern, aber gleichzeitig auch einen Theil des Eisens in dieselben mit einlagern. Die Hauptmenge des excernirten Eisens aber wird am Schalensaume concentrirt, also da, wo es auf möglichst dichten und elastischen Schluss der beiden Klappen ankommt. Dieser äusserste Schalen- saum ist in der That sehr biegsam und nachgiebig, aber doch ziemlich zähe und stellt sich im Wesentlichen als ein höchst kalkarmes, aber eisenreiches Cuticulargebilde heraus. Es wird also hier gewissermaassen ein Eisenschloss vor das Kalkgehäuse gelegt. Auch die feinen cuticulirten Leisten, welche die Kiemen dieser Muschelthiere zu stützen haben („Chitinisirte Stützen“ nennt sie Leydig geradezu), sind regelmässig eisenreich. Die bedeutsamste aller hierhergehörigen Thatsachen aber dürfte die sein, dass die Kronen oder Spitzen sämmtlicher Fisch- und Amphibien- zähne einen cuticulirten Eisenüberzug besitzen, was um so interessanter ist, als bekanntlich früher schon der gelbliche oder rothe Schmelzüberzug vieler Nagethierzähne als stark eisenhaltig erkannt wurde, besonders durch die Ar- beiten v. Bibra’s. Sprechen alle diese Fälle schon dafür, dass das Eisen hier als Schutz-, Stütz- oder Bindemittel zu wirken habe, so wird diese Ansicht be- stärkt durch die kürzlich gemachte Entdeckung, dass in den Panzern gewisser meerbewohnender Kruster (z. B. Squilla mantis Rondelet) der sonst übliche Kalk fast völlig durch Eisen ersetzt werden kann. Nach allen vorliegenden Untersuchungen über diesen Gegenstand hat man in allgemein physiologischer-Beziehung drei Phasen oder Status, in welchen 176 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN die Eisenresorption im Thierkörper zum Ausdrucke kommt, sehr scharf zu unter- scheiden, welche gleichzeitig den Hauptabschnitten im Verlaufe des Stoffwechsels entsprechen. Erstlich die Resorption im engeren Sinne, die eigentliche Aufnahme des Eisens nebst den sich unmittelbar daran schliessenden Assimilations- processen (innere Lage des Darmes, eventuell Leber). Zweitens: die Accumu- lation, die stabile Aufspeicherung des Eisens (Bindesubstanzen, eventuell auch Blut- und Lymphzellen). Drittens: die Secretion, die Abscheidung über- schüssiger Eisenmengen, aber oft noch mit nutzengewährender Verwendung für die peripherischen Körpertheile (Haut- und äussere Cuticulargebilde; danebeau wahrscheinlich aueh noch innere Secretion durch die Leber bez. Galle). II. Sitzung am 1. November 1889. Hr. Dr. Ren& Du Boıs-Reymonp (a. G.) hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die gestreiften Muskeln im Darm der Schleie.“ Gestatten Sie mir, aus dem Inhalte meiner Inaugural-Dissertation „Ueber gestreifte Darmmusculatur insbesondere der Schleie“ Einiges mitzutheilen, um mehrere Punkte in das rechte Licht zu stellen, welche die bisherigen Beob- achter nicht hinreichend gewürdigt zu haben scheinen. Bekanntlich hat Reichert die gestreiften Darmfasern der Schleie entdeckt und in einem Aufsatz über Vertheilung glatter und gestreifter Muskeln be- sprochen. Hierin sagt er zwar, dass dies eine im ganzen Wirbelthierreich uner- hörte Ausnahme sei, schwächt aber diese Angabe durch den Zusatz ab, es stände nicht zu erwarten, dass sie sich als eine solche erhalten werde, wenn alle Species darauf hin untersucht würden. Ich weiss nicht, ob man nach dem heutigen Stande der Wissenschaft behaupten kann, dass die Ausnahme that- sächlich einzig ist, aber jedenfalls ist bis heute noch kein zweiter Fall der Art sefunden worden. Trotzdem heisst es in einem neueren Lehrbuche: „bei einigen Knochenfischen, z. B. bei Cyprinus Tinca“, als wenn gestreifte Darmmuskeln eine ganz gewöhnliche Abweichung wären. Dies bezieht sich auf den obersten Darmabschnitt oder Magen von Cobitis fossilis, der nach Budge’s Entdeckung ebenso gebaut ist, wie der Darm der Schleie. Nach meinen Versuchen ist auch seine Bewegungsart dem entsprechend eine „animalische“. Aber die gestreiften Fasern überschreiten nur um ein Geringes die bei anderen Fischen, z. B. bei Gobio fluviatilis, gewöhnliche Grenze, während sie bei der Schleie alle drei Windungen des Darmes überziehen. Wären die beiden Fische nahe verwandt, so könnte natürlich Cobitis als eine Uebergangsstufe aufgefasst werden, that- sächlich ist es nur vom Standpunkte der Uebersicht gerechtfertigt, Schleie und Schlammpeizger zusammenzustellen. Denn die eigentliche Merkwürdigkeit des Schleiendarms liegt nicht auf histologischem, sondern auf physiologischem Gebiet. ! Ausgegeben amı 22. November 1389. GESELLSCHAFT. — REn&k Du BoIs-REymondp — H. Vırcnow. 177 Es giebt Classen von Thieren mit gestreiften Darmmuskeln, aber nur eine einzige Species, deren Darmhaut zuckt wie ein Skeletmuskel, nämlich die Schleie. Eduard Weber, welcher zuerst den Schleiendarm elektrisch prüfte, giebt nur eine Schilderung seiner Versuche, ohne sich auf irgend welche Betrach- tungen oder Folgerungen einzulassen. Ebenso begnügte sich Molin mit dem anatomischen Nachweis von inneren Schichten glatter Fasern, ohne ein Wort - weiter hinzuzufügen. Im Gegensatz hierzu haben sich Hr. v. Leydig und in neuester Zeit Hr. Cattaneo in Bologna über die Herkunft und den Zweck der gestreiften Darmmuskelfasern geäussert. Hr. v. Leydig betrachtet die glatten Schichten als ausgebildete Muscularis Mucosae, sodass die gestreiften Schichten als die Muscularis aufzufassen wären. Hiermit ist einerseits nicht viel ge- wonnen, andererseits dürften gegen diese Ansicht verschiedene Einwürfe zu er- heben sein. Ebenso unbefriedigend ist Hrn. Cattaneo’s Hypothese, welcher . der Darmmusculatur im Zusammenhang mit der Schwimmblase eine rein hydro- statische Function zuschreibt, die offenbar ebenso gut allen anderen Physostomen zukommen muss. Dagegen geht aus den angeführten Berichten wie aus der Betrachtung eine überraschende Thatsache hervor. Spontane Zuckung des Darms ist nie beobachtet worden. So ungewöhnlichem Sachverhalt gegenüber bemühte ich mich die Unter- suchung an möglichst vielen Seiten anzugreifen. Zunächst nahm ich eine ein- gehende anatomisch-histologische Erforschung vor. Zugleich war ich erfolglos bestrebt, durch unmittelbare Beobachtung und durch besonders angestellte Ver- suche der Function auf die Spur zu kommen. Drittens ist es mir gelungen, in der chemischen Zusammensetzung der Muskelfasern eine Eigenthümlichkeit auf- zufinden, durch welche sie sich den glatten nähern. Kalt bereiteter Wasser- auszug von gestreiften Muskeln enthält nämlich einen schon bei 47° gerinnenden Eiweissstoff, welcher in dem von glatten Muskeln fehlt, sodass letzterer erst bei 56—57° durch die Myosingerinnung sich trübt. In dieser Hinsicht verhalten sich die gestreiften Schleiendarmmuskeln wie glatte. > Demnach erscheint es zweifelhaft, ob man ihnen eine willkürliche und der- jenigen der Skeletmuskeln ganz gleiche Thätigkeit zuschreiben soll. Die eigentliche Frage, wozu die gestreifte Darmhaut diene, bleibt nach wie vor räthselhaft. III. Sitzung am 15. November 1889. Hr. H. Vırcmow spricht über die Spritzlochkieme der Selachier. Joh. Müller hat in diesem Archiv (1841) und in der vergleichenden Anatomie der Myxinoiden über nicht weniger wie 25 Selachier berichtet, die er auf die Spritzlochkieme hin untersucht hat, und trotz der grossen Ausdeh- nung der Untersuchung findet man dort auch die einzelnen Formen theilweise eingehend und anschaulich beschrieben. Es sind auf Grund dieser Untersuchung ! Ausgegeben am 22: November 1889. Archiv f. A, u, Ph. 1890. Physiol. Abthig. 12 178 VERHANDLUNGEN DER BERLINER solche Formen gegenübergestellt, welche eine Pseudobranchie haben, und solche, denen sie fehlt; und unter ersteren wieder sind unterschieden Formen mit „freier“, mit „abortiver“ und mit „verborgener“ Pseudobranchie. Ich will gleich Eingangs bemerken, dass man von vornherein bei der Untersuchung eines Kiemen- restes darauf gefasst sein muss, nur eine unvollkommene Deckung zwischen Oberflächengestaltung und Gefässanordnung zu finden. Bei einer wohlent- wickelten Kieme ist ja naturgemäss eine Uebereinstimmung zwischen beiden vorhanden, so dass, wenn man Kiemen vergleichend betrachtet, dieselbe Classi- fication sich ergeben wird, gleichviel ob man die Oberflächengestaltung oder die Gefässanordnung zur Grundlage macht. Bei Kiemen dagegen, die in Rück- bildung sind, ist das nicht sicher zu erwarten, und die Classification kann daher verschieden ausfallen, je nachdem man sie auf Grund des einen oder des anderen Merkmales macht. Dies möchte ich vorausschicken und bemerken, dass es sich bei meiner Untersuchung im Wesentlichen um die Gefässe handelt. Unter den von mir untersuchten Formen nehmen die Notidaniden, Hep- tanchus und Hexanchus, durch den Besitz einer noch wohlgestalteten Kieme eine so eigenartige Stellung ein, dass sie als Gruppe allen übrigen Selachiern entgegenzustellen sind; denn der Schritt von dieser Kieme zu der Form der Haifische ist ein grösserer, als der von hier bis zu dem völligen Schwinden. Will man aber nicht so eingreifend vorgehen, so empfiehlt sich die Bildung dreier Gruppen, in deren einer die Notidaniden stehen mit einer Kieme, deren zweite von den Haifischen eingenommen wird mit einem Gefässkörper von der Anordnung eines ziemlich einfachen Wundernetzes, und deren dritte dar- sestellt wird durch Formen, bei denen aus dem zu- und abführenden Schenkel ein einfaches an der Vorderseite des Spritzloches vorbeiziehendes Gefäss ge- worden ist, welches unbedeutende Zweige aufwärts sendet. Als Vertreter dieser letztgenannten Form sei Trygon aufgeführt, welchen schon Joh. Müller in diesem Sinne nennt. Von Rochen habe ich keine ausführlichere Kenntniss; doch ist an Trygon auch Torpedo anzureihen, bei welcher noch die Besonderheit vor- liegt, dass der abführende Schenkel der Carotis anterior, d. h. die Vene der Spritzlochkieme, geschwunden ist. Eine Ueberleitung der zweiten zur dritten Gruppe übernimmt Squatina, wie ich schon in einem vor vier Wochen an dieser Stelle gehaltenen Vortrage bemerkt habe. (S. oben S. 169). In die zweite Gruppe wären die von mir untersuchten Haifische zu stellen: Galeus, Mustelus, Seyllium, Pristiurus, Lamna, Carcharias, von denen Carcharias noch gewisse Reste complieirterer Bildungen, vielleicht Rückstände der bei Heptanchus vor- liegenden Anordnung, zeigt. Carcharias hat damit Anspruch, wenn die Gefäss- anordnung die Reihenfolge bestimmt, an den Anfang dieser Gruppe gestellt zu werden, wogegen er der ÖOberflächengestaltung nach an’s Ende käme, denn bei ihm ist das Spritzloch geschlossen und die Spritzlochtasche stark rückgebildet. Bevor ich auf Einzelnheiten der Gefässanordnungen eingehe, sei über die Kiemen selbst, d. h. über die Oberflächengestaltungen einiges bemerkt. 1. Heptanchus (Thier 89 m lang): Die Spritzlochkieme, 17 "m Jang und 14 mm hoch, besteht aus 17 Blättchen; sie ist in dem Spritzlocheanale so ein- sezwängt, dass sie an ihrem medialen und lateralen Ende rückwärts abgebogen wird, An den einzelnen Blättchen ist der Winkel, in welchem deren freier (hinterer) und kurzer oberer (äusserer) Rand zusammenstossen, zu einer Spitze ausgezogen. Die seitlichen (medialen und lateralen) Blättehen sind verkürzt PHYSIOLOGISCSHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHoWw. 179 und zwar hauptsächlich auf Kosten der unteren (inneren) Theile, während (com- pensatorisch?) zugleich die Spitzen stärker ausgezogen und hakenförmig rück- und abwärts gekrümmt sind. 2. Hexanchus: Nach flüchtiger Betrachtung — ich hatte keine Gelegenheit, eine Injection zu machen — kann ich sagen, dass die Spritzlochkieme der von Heptanchus ähnlich ist. 3. Galeus: Bei einem (nicht injieirten) Exemplare (Spitze des Rostrum bis Mundspalte 9%) war die Spritzlochkieme 6 ©” lang und hatte 11 Blättchen; bei einem anderen (injieirten) Exemplare hatte sie 12 Blättchen. Was hier und bei den folgenden Selachiern als „Blättchen“ bezeichnet ist, sind nicht wie bei den Notidaniden scharf geschnittene Falten, sondern längliche senkrecht stehende Wülste von abgerundeten stumpfen Formen. 4. Mustelus laevis: 9 Blättchen. 5. Lamna (Spitze des Rostrums bis Mundspalte 17 ®): Spritzloch 4 mm lang; an der vorderen (lateralen) Wand der Spritzlochtasche sind einige unregel- mässige Wülste zu bemerken, durch Schlingen der Pseudobranchie bedingt; von Kiemenblättchen keine Spur. 6. Carcharias (Spitze des Rostrums bis Mundspalte 19 ©%): Spritzloch fehlt; die Spritzlochtasche, in Gestalt eines 17 "M tiefen Ganges, liegt weiter medial als die Pseudobranchie. 7. Squatina: An der vorderen Wand des Spritzlocheanales findet man 10 kleine Vorsprünge in ziemlichen Abständen. Die unteren Enden dieser Wülste stehen auf einer gebogenen Linie, welche an der medialen Seite mit dem Rande des Spritzloches selbst zusammenfällt, an der lateralen Seite dagegen sich senkt, so dass die fünf lateralen Vorsprünge unterhalb des Randes, die fünf medialen am Rande selbst stehen. Die lateralen sind am grössten, besonders der erste — es ist der, welcher der einzigen grösseren Gefässschleife“ ent- sprieht — und eigenthümlich unregelmässig gestaltet, näinlich beherrscht, so klein sie sind, durch die Neigung zur Bildung bizarrer Lappen, wie sie grösser in der Nähe des Maules als Hautanhänge vorkommen (ähnlich wie bei Lophius, aber weit schwächer). Die medialen Vorsprünge sind klein und blattförmig. 8. Raja punctata: 12 kleine Blättchen, die verhältnissmässig hoch sind (in der Richtung von der Basis zum freien Rande); Form der Blättchen drei- eckig. 9. Torpedo ocellata (grosses Thier); Kieme 5 "® lang, in der Mitte 1.5 mm hoch; 7 kleine Wülste. 10. Torpedo marmorata (grosses Thier): Kieme 5%" lang, in der Mitte 1.5mm hoch; 10 kleine Wülsta. 11. Trygon: Die Schleimhaut an der vorderen Seite des Spritzlochcanales zeigt keine Spur von Kiemenblättchen oder entsprechenden Wülsten, dagegen eine grosse Zahl kleiner flacher Papillen. 1995: 180 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Indem ich zu dem Gefässkörper übergehe, erinnere ich daran, dass das zu- führende Gefäss („Arterie der Spritzlochkieme‘“) von der lateralen Seite kommt, und dass das abführende (‚Vene der Spritzlochkieme“) nach der medialen Seite läuft; die venösen Abflüsse aus dem Gefässkörper liegen an der hinteren Seite, die arteriellen Zuflüsse steigen an der vorderen Seite auf. 1. Heptanchus. — Schon hier, obwohl der Kiemencharakter deutlich er- halten ist, findet man Züge, die sich demselben zugesellen und theilweise ihn stören, und zwar betreffen dieselben die arterielle, also vordere Seite des Gefäss- körpers. Die Vene liegt an der Basis der Kieme, und an der freien (hinteren) Kante jedes Blättchens läuft ein Venenstämmchen hinab, welches die capillaren Gefässe des Blättchens aufnimmt. Die Arterie dagegen tritt am lateralen Rande in der Mitte der Höhe, also nicht an der Basis, ein und spaltet sich dann in zwei Aeste, deren einer in halber Höhe weiterläuft, während der andere gegen den oberen Rand aufsteigt. Aus diesen beiden Aesten geht ein Gefässnetz her- vor, welches der Fläche nach angeordnet ist; also eine Anordnung, welche mit dem Kiemencharakter nichts zu thun hat. Zwar biegen einzelne grössere Zweige aus dem Netze zu den Kiemenblättchen ab, um zu Arterien der letzteren zu werden, aber das Netz als solches ist dieser Anordnung fremd. Dasselbe wird mit der Entfernung von den zuführenden Aesten enger und geht gegen den oberen Rand des Gefässkörpers in ein dichtes Geflecht über, in dem die Zwischenräume zwischen den Gefässen fast schwinden. Das Netz hängt mit den Capillarnetzen der Blättchen zusammen. Liegt schon in den genannten Zügen eine Abweichung von dem Kiementypus, so kommen zwei weitere Punkte hinzu: erstens ist in den, wie oben gesagt, verlängerten und hakenförmig ge- bogenen, Spitzen der Blättchen die Anordnung der Gefässe so dicht, dass dar- aus fast zusammenfliessende Bluträume werden; zweitens biegen aus dem unteren Theile des arteriellen Netzes Zweige ab, die geradeweges, ohne sich in Capil- laren aufzulösen, in Venenstämmchen übergehen. In letztgenanntem Zuge liegt der Schlüssel zum Verständniss der gewöhnlichen wundernetzartigen Form der Gefässanordnung in der Pseudobranchie der Haifische. 2. Galeus. — Die mir bekannt gewordenen Formen der Pseudobranchie der Haifische zeigen keine bestimmte Abstufung, durch welche man veranlasst werden könnte, sie in eine Reihe zu ordnen, sondern stellen sich als specielle Abänderungen eines gemeinsamen Typus dar, so dass es gestattet ist, hier die- jenige Form als Beispiel herzuszugreifen, in welcher der Typus am „reinsten‘“, d.h. für die Auffassung am bequemsten, zum Vorscheine kommt. Bei Galeus giebt das zuführende Gefäss nach einander 11 dorsale Zweige ab, wobei es allmählich zum oberen Rande des Gefässkörpers aufsteigt und hier selbst als zwölfter Zweig endigt. Das abführende Gefäss liegt auf der Rückseite der Pseudobranchie und setzt sich in umgekehrter Folge aus diesen zwölf Zweigen zusammen, nachdem die letzteren am oberen Rande sich schleifenförmig zurück- gebogen haben. Hier ist eine so grosse Regelmässigkeit des Typus eingetreten, dass es zwischen der Vorderansicht und der Rückansicht des Gefässkörpers kaum einen Unterschied giebt. Man kann diese Form aus der von Heptanchus ableiten, indem man annimmt, dass nur das zuführende und das abführende Gefäss und diejenigen Zweige übrig blieben, welche, wie vorhin gesagt, in der unteren Seite geradesweges von dem arteriellen Netze zu den Venenstämmchen PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRcHow. 181 führten: wogegen die oberen Theile, d. h. die eigentliche Kieme zu Grunde gingen. Ob damit der Vorgang im strengsten Sinne genau geordnet ist, mag dahingestellt bleiben. 3. Lamna. — Lamna und Carcharias gehören mit Alopias (Joh. Müller) und Oxyrrhina (Trois) zu denjenigen Haifischen, bei welchen sich an den Kopf- gefässen starke Schlängelungen vorfinden. Betroffen von dieser Veränderung sind: Das vordere (mit der „Carotis posterior‘ verbundene) Stück der vorderen Verlängerung der Aorta, die Carotis posterior in ihrer lateralen und medialen Hälfte, die von ihr ausgehende Arteria infraorbitalis, die „Carotis anterior“, d. h. Vene der Spritzlochkieme und in geringem Grade die von letzterer ent- springende Arteria ophthalmica externa (oder Chorioidealarterie). Die Schlän- gelung ist verbunden mit einer bedeutenden Erweiterung der betroffenen Ab- schnitte und starker Verdickung ihrer Wand. Die Veränderung trifft nicht bestimmte Gefässe von Theilungsstelle zu Theilungsstelle und lässt andere frei, sondern sie trifft alle Gefässe auf einem bestimmten Raume und läuft an den Grenzen des Gebietes schwächer werdend aus. Sie ist weitaus am stärksten an der Vene der Spritzlochkieme, so dass diese bei einem Carcharias (Spitze des Rostrums bis Mundspalte 19 °%) aufgewickelt und gerade gehalten 27°” maass. Irgend welche seitlichen Verbindungen in diesen Knäueln, die Veranlassung geben könnten, von einem Wundernetze zu sprechen, habe ich nicht gefunden, abgesehen von der Pseudobranchie. Bei Lamna ist der Gefässkörper der Pseudobranchie von der Schlängelung stark in Mitleidenschaft gezogen, das zuführende, das abführende Gefäss und die Schleifen. Entwirrt man den Knäuel mit Geduld und Beständigkeit, so zeigt sich die Anordnung einfach und von dem Typus dieser Gruppe nicht gar verschieden; doch lassen allerdings die enggepackten dickwandigen Schleifen den kiemenartigen Typus an einem nicht gefüllten Praeparate wohl nicht vermuthen; und auch vor einer bis in’s Kleinste durchgearbeiteten Zeichnung eines durch die Corrosion — die unerlässlich ist — hindurchgegangenen Gefässausgusses wird es selbst dem emsigen Beschauer nicht gelingen, jede einzelne Schleife in Zu- und Abfluss und Verbindungen völlig zu begreifen. Es wird hier der Er- läuterung durch Worte und analytische Hülfszeichnungen bedürfen. Ich finde an einem Praeparate von dem zuführenden Gefässe abgehende zwölf Schleifen, zu denen zwei Endschleifen kommen, in welche sich der Haupt- stamm spaltet. h Wenn es sogar Joh. Müller zustiess, die Pseudobranchie bei Lamna zu übersehen, so ist daran ausser der entstellenden Schlängelung noch die unge- wöhnliche Grösse des Gefässkörpers, insbesondere der Schleifen, Schuld; eine Grösse, welche gestattet, die Pseudobranchie von Lamna in natürlichem Maass- stabe abzubilden, was von anderen Selachiern nicht möglich wäre. Es führt sich damit ein neuer Gesichtspunkt in unsere Betrachtung ein, nämlich fol- sender: wenn eine Kieme bei zunehmender Grösse einer Species wächst, so vermehren sich die capillaren Verbindungen zwischen Arterie und Vene; an der Pseudobranchie dagegen, welche den durch Capillaren sich ausprägenden Kiemencharakter verloren hat, tritt bei Wachsthum des Thieres nicht eine Ver- mehrung der Schleifen, sondern eine Vergrösserung (Verlängerung und Er- weiterung), proportional der Vergrösserung der Kopfgefässe überhaupt, ein. Lamna wenigstens zeigt dies. 182 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 4. Carcharias. — Bei Carcharias nimmt (an einem injieirten Praeparate) die Vene neun Schleifen auf. Die Schlängelung der Kopfgefässe trifft die Ge- fässe der Pseudobranchie nicht in gleichem Maasse wie bei Lamna, vielmehr nur unerheblich. Es wäre daher hier keine Veranlassung, von Carcharias be- sonders zu sprechen, wenn nicht mehrere kleine Gefässkörper, wie Anhänge der oberen Kante, sichtbar wären. Dieselben werden gespeist von kleinen Aesten und geben in ähnlicher Weise das Blut wieder ab. Sie lassen sich wohl mit der Carotisanschwellung („Carotisdrüse“) des Frosches vergleichen. Eine genauere Beschreibung derselben und eine Deutung soll an dieser Stelle nicht gegeben werden. V. Sitzung am 13. December 1889." 1. Hr. Prof. Mögıus (a. G.) zeigte und erklärte Praeparate des Schall- apparates von Balistes aculeatus L., eines zu den Plektognathen gehörenden Fisches des indischen Oceans. Ein lebendes Individuum dieser Species, welches er am 21. September 1874 auf einem Korallenriff der Insel Mauritius fing, er- zeugte einen lauten Schall, ähnlich dem einer Trommel mit feuchter Membran. Während des Trommelns bewegte der Fisch weiter nichts als eine unmittelbar hinter der Kiemenöffnung oberhalb der Brustflosse liegende Hautstelle, die sich durch eingelagerte grössere Knochenplatten von dem übrigen gleichmässig klein- schuppigen Hautüberzuge unterscheidet und in ichthyologischen Schriften zur Charakteristik von Balistes-Gruppen dient. Unmittelbar unter dieser vibrirend beweglichen Supraaxillarhaut liegt ein Theil der Schwimmblase, während sonst deren laterale Wand von dem Seitenrumpfmuskel bedeckt wird. Praeparirt man die Schwimmblase frei, so zeigt sich, dass sie geschlossen ist und keine eigenen Muskelfasern enthält und dass ihre äussere fibröse Hautschicht mit dem Post- claviculare verwachsen ist. Dies ist ein säbelförmiger Knochen, der beweglich mit dem oberen Theile der Clavicula in Verbindung steht. Der untere längere Theil des Postelavieulare liegt zwischen Segmenten des ventralen Seitenrumpf- muskels und kann durch diese hinter- und vorwärtsgezogen werden. Wenn dies geschieht, entsteht dadurch ein knacksender Schall, dass der obere Theil des Postelaviculare durch eine feingefurchte Erhöhung an der medialen Seite der Clavieula gehemmt wird, dem Zuge des unteren Theiles gleichmässig zu folgen, bis er endlich über die Erhöhung hinwegspringend in Schwingungen geräth, durch welche die Wand und der Gasinhalt der Schwimmblase in trommelartige Mitschwingungen versetzt werden. Die Schwimmblase überträgt ihre Schwingungen auf die bewegliche Supraaxillarhaut und diese pflanzt sie in das umgebende Medium fort. Gewöhnlich wird Balistes aculeatus trommeln, wenn er sich im Wasser be- findet. Als Bewohner flacher Küstenkorallenriffe mag er bei niedrigem Wasser- stande zuweilen auch trocken liegen und dann auch in der Luft trommeln. Seine enge dicht verschliessbare Kiemenöffnung gestattet ihm ohne Athemstörungen ein längeres Verweilen in feuchter Luft. Das Trommeln ist für ihn wahr- ' Ausgegeben am 3. Januar 1890. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Mösıus. — G. Frırscnh. 183 scheinlich ‘eine Furchtäusserung und ein Mittel, Feinde abzuschrecken und dient ihm vielleicht auch, Individuen seiner Art anzulocken. Auf Grund anatomischer Untersuchungen von Balistes vetula hielt W. Sö- rensen die Schwimmblase dieses Fisches für ein Schallorgan. (Om Lydorganer hos Fiske, Kjöbenhavn 1884, p. 50.) Ausführlicheres findet man in der von dem Vortragenden vorgelegten Abhandlung: „Balistes aculeatus, ein trommelnder Fisch. sSitzungsberichte der Berliner Akademie. 14. November 1889. Mit RE 2. Hr. G. Frrrsch spricht: „Ueber das numerische Verhältniss der Ganglienzellen im Lobus electricus der Torpedineen zu ihren peri- pherischen Endorganen.“ Eine der wichtigsten Fragen in der Beurtheilung des Centralnervensystems, seiner hıstologischen Beschaffenheit wie seiner Function nach, ist diejenige nach der Bedeutung der Ganglienzellen für die Fortleitung des Nervenprincips und die dadurch bewirkte Auslösung specifischer Leitungen in peripherischen End- organen. Diese Frage wird bis in die neueste Zeit verschieden beantwortet und keineswegs allgemein zu Gunsten der Bedeutung der Ganglienzellen entschieden. Für diejenigen Autoren, welche mit voller Ueberzeugung daran festhalten, dass die Ganglienzellen thatsächlich die wesentlichste Rolle bei solchen Vorgängen spielen, dürften sich keine besseren Beweismittel darbieten als die elektrischen Apparate der Fische. Der Zitterwels bildet an einer Ganglienzelle durch Verschmelzung von Fortsätzen, die von sogenannten Protoplasmafortsätzen nicht zu unterscheiden sind, den Axencylinder zu einer colossalen Nervenfaser aus, deren unendliche Verzweigungen in der Peripherie sich direct in die Stiele der elektrischen Platten verfolgen lassen. Die grossen Ganglienzellen des Gymotusrückenmarkes schicken ihre Axencylinderfortsätze in gestrecktem Verlauf durch Reihen elek- trischer Nerven in die Verästelungen auf den elektrischen Platten. Gerade bei den häufigsten elektrischen Fischen, den Torpedineen, war. noch immer ein gewisser Zweifel über die Beziehung der Ganglienzellen des Lobus zu den Endplatten gestattet, da man das Verhältniss beider Kategorien von Elementen zu einander nur ungenügend kannte. R. Wagner liess in schematischer Darstellung den Axencylinderfortsatz verbreitert auf der elektrischen Platte endigen, während wir gerade ihm einen erheblichen Fortschritt in der Kenntniss durch den Nachweis verdanken, dass jeder Axencylinder, als Stammfaser an die Säule tretend, plötzlich in eine An- zahl von Theilfasern zerfällt, deren Zahl etwa von 12 bis 23 schwankt. Man nennt diese Bündel der Theilfasern bekanntlich die Wagner’schen Büschel. Weitere Untersuchungen, wie solche zuerst von Hrn. August Ewald ver- öffentlicht, später von mir bestätigt und erweitert wurden, haben ergeben, dass die 'Theilfasern eine bemerkenswerth regelmässige Anordnung längs der Säulen- kante zeigen und als Regel streng übereinander, ausgerichtet wie die Soldaten, in die Plattenecken eintreten, um sich weiter dichotomisch zu verzweigen. Die wie Bienenwaben aneinander gedrängten Säulen des elektrischen Organs haben normaler Weise sechs Kanten, seltener redueirt sich die Zahl auf fünf oder selbst vier. Nimmt man (was vielleicht etwa zu hoch gegriffen ist) den 184 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Durchschnitt der Theilfasern zu 13 ım Wagner’schen Büschel an, und da- bei, ebenfalls etwas hoch, die Normalzahl der Säulenecken zu sechs, so würde, bei einfachem Verlauf der Axencylinder von der Zelle zur Säule, jede Zelle ’8/, Platten zu innerviren haben, da jede Platte durch die sechs Ecken sechs- mal in der Gesammtzahl vorkommt; mit anderen Worten eine gewisse Summe von Ganglienzellen würde genügen, die dreifache Zahl von Platten zu versorgen. Um diesem aprioristisch ermittelten Verhältniss nachzugehen, ist es durch- aus erforderlich, die Gesammtzahl der Platten eines Organs und der zugehörigen Ganglienzellen zu kennen. Die Schwierigkeit in der Behandlung des zu untersuchenden Materials hat die Resultate der Plattenzählungen bei den wenigen Autoren, die sich an dies spröde Thema gewagt haben, ganz auffallend ungleichwerthig gemacht. Die gewonnenen Zahlen verhalten sich etwa wie 1 (Hunter):2 (Valentin):12 (Pacini). Unter diesen ist Valentin der Wahrheit am nächsten gekommen und zwar in einem Grade, der mit Rücksicht auf die einfache Technik seiner Zeit ganz besondere Anerkennung verdient. Er fand die Gesammtplattenzahl des Organs einer „Torpedo Galvanii“ mittlerer Grösse zu 125 780, nachdem er die durchschnittliche Säulenhöhe zu 5-2”, die Plattenzahl einer solchen Säule zu 307 berechnet hatte. Die gefundene Summe, welche der Autor selbst eher für zu niedrig als zu hoch gegriffen hält, ist thatsächlich besonders dadurch zu niedrig ausgefallen, dass Valentin der untersuchten Torpedo nur 410 Säulen zuspricht.. Damit kann es als sicher gelten, dass sich ein Irrthum bei ihm eingeschlichen hat und er entweder überhaupt nicht T. Galvanii (die nicht marmorirte Varietät von T. marmorata), sondern ein ungeflecktes Exemplar von T. ocellata vor sich gehabt hat, oder er hat die Säulenzahl falsch gezählt; denn T. marmorata hat eine durchschnittliche Säulenzahl von 513. Um zu sicheren Resultaten zu gelangen, untersuchte ich ein fast genan gleich grosses Exemplar von T. marmorata, nachdem das in seiner natür- lichen Befestigung von Jod-Alkohol und doppelt chromsaures Kali erhärtete Organ später mit Celloidin durchtränkt war, um die Platten in ihrer Lage zu fixiren. Obgleich ich die durchschnittliche Säulenhöhe unter richtigerer Würdigung der niedrigen Zonen des Organs berechnete, erhielt ich bei der besseren Con- servirung doch eine die Valentin’sche etwas übertreffiende Zahl, nämlich 13-5 "m, Die Plattenzahl solcher Säule stellt sich dadurch erheblich höher und zwar auf 375, wahrscheinlich waren also damals durch das Zusammen- sinken des Organs Platten übersehen worden. Der untersuchte Zitterrochen hatte eine Säulenzahl unter dem Durchschnitt, und zwar 479, die Gesammtzahl der Platten berechnete sich demnach auf 179 625. Zum Vergleich wurde darauf eine sorgfältig conservirte T. ocellata von nur 10°® Länge gewählt und in gleicher Weise untersucht. Es ergab sich eine durchschnittliche Säulenhöhe von 6-25" mit einer Plattenzahl von je 380; somit kann schon jetzt mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit behauptet werden, dass die Platten wie die Säulen Baralız im Foetal- leben zur vollen Ausbildung gelangen. Das delle Chiaje-Babuchin’sche Gesetz von der Braefermation der elektrischen Elemente hat also auch für die Platten seine Gültigkeit. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. FRITSCH. 185 Gleichzeitig stellte sich bei den mikrometrischen Zählungen die interessante Thatsache heraus, dass in den höheren Säulen die Platten weiter von einander abstehen als in den niedrigeren und die Platten durch die Anhäufung der schleimigen Zwischensubstanz auseinander gedrängt werden, den ganzen Entwickelungsvorgang der Umbildung musculärer Elemente zu elektrischen als einen Quellungsprocess charakterisirend. Die durchschnittliche Säulenzahl bei T. ocellata ist 433, bei 380 Platten in der mittleren Säule hatte die kleine T. ocellata also eine Gesammtzahl der Platten eines Organs von 164 540. Zur Feststellung der Beziehung, welche zwischen den peripherischen Endigungen in den Platten und den Elementen des Centralnervensystems be- stehen, war es erforderlich, auch die Zahl der letzteren zu bestimmen. Solche Bestimmung, und zwar diejenige der Ganglienzellen, ist bereits von Boll veröffentlicht, und etwa gleichzeitig mit Boll auch von mir versucht worden (1875). Ich unterliess damals die Beendigung der Untersuchung, weil mir die gewonnenen Resultate nicht zuverlässig genug erschienen. Boll zählte am grössten Querschnitt des Lobus electricus 560 Ganglien- zellen jederseits, in der Längsrichtung des Lobus 120 Zellen als einfache Reihe hintereinander, und also 560 x 120 Zellen oder 67200 im Ganzen unter der Annahme, dass der Lobus ein cylindrischer Körper sei; da dies nicht der Fall ist, wird eine Reduction der berechneten Summe erforderlich, die Boll ohne weitere Begründung auf 24 grösste Querschnitte, also 24 x 560 Zellen schätzt. So ergiebt sich eine Summe von 53 760 Zellen. Die Bedenken gegen das Auszählen der Ganglienzellen an Durchschnitten sind mannigfaltig und zum Theil sehr schwerwiegend; am störendsten wirkt dabei offenbar das Auftreten einer grossen Zahl von Theilstücken zerschnittener Ganglienzellen, deren Unterbringung in der Rechnung erheblichen Schwierigkeiten unterliegt, während Boll kein Wort darüber sagt. Es kommt hierzu, dass die Zellen nicht nach Boll’s Annahme schicht- weise übereinander gepackt sind, sondern als unregelmässig polygonale Körper aneinander gedrängt, gegen die Oberflächen des Lobus aber stark abgeplattet sind; auch finden sich zwischen den typischen eine grosse Anzahl kleinerer un- vollkommen entwickelter Zellen. Trotz den gewiss gerechtfertigten Bedenken segen die Zuverlässigkeit des zu gewinnenden Resultates ging ich auf anderem Wege wie Boll neuerdings ebenfalls der Bestimmung dieser Ganglienzellen nach. Ich zählte im grössten Querschnitt des Lobus 518 ganze Zellen, daneben etwa ?/, deutlich kennbare Theilstücke von Zellen, welche mit der Hälfte ihrer Zahl in Ansatz zu bringen sind, da sie mindestens in zwei Durchschnitten des Lobus vorkommen müssen. Die Schnittflächen des in 105 Querschnitte zer- legten Lobus wurden vergleichsweise in Betreff des Flächeninhaltes nach Fünfteln des grössten Querschnittes (°/,) geschätzt; diese Schätzung ergab °°?/, = 78 Querschnitte der grössten Breite. Somit erhält man Ganglienzellen 518 x 78 — 40504 (ganze Zellen) und !/, davon oder 13435 (aus Theilstücken be- rechnete); dies ergiebt die Summe von 53 739 Ganglienzellen auf einer Seite, d. h. nur 21 Zellen weniger als Boll fand. Diese erstaunliche Uebereinstimmung ist selbstverständlich in hohem Maasse durch den Zufall beeinflusst worden, doch lehrt sie jedenfalls, dass man durch ' überlegte Combination von Zählung und Schätzung sehr wohl zu bemerkenswerth annähernden Werthen gelangen kann. 186 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Die oben angedeuteten, im Material begründeten Fehler der Untersuchung beeinflussten mich, wie sie Boll beeinflussten, und trotz der Uebereinstimmung konnte ich mich bei dem Resultat nicht beruhigen. Es blieb noch der bisher nicht beschrittene Weg übrig, die Axencylinder der elektrischen Nerven zu zählen. Zu diesem Zwecke wurden Querschnitte der vier elektrischen Nerven des auf die Plattenzahl untersuchten Fisches kurz vor ihrem Eintritt in das Organ angefertigt und die dabei erscheinenden un- geheuren Felder von Nervenfaserbündeln zunächst bei einer Vergrösserung von 90 linear photographirt. Dabei war in Aussicht genommen, dass jeder Nerven- faserquerschnitt etwa 1 4mm decken sollte Das Auszählen der klarsten Bündel- querschnitte ergab, dass thatsächlich 1°25 Nervenfaser auf das Quadratmilli- meter kam. Durch Abzeichnen und Ausschneiden der abgezeichneten Bündelquerschnitte erhielt ich ein Material, welches sich mit einiger Mühe mosaikartig zu regel- mässigen Kreisen zusammenfügen lies. Es ergab sich daraus, dass die vier elektrischen Nerven im Durchschnitt sich zu Kreisen formuliren liessen, deren Radien sich verhielten wie: 50-6 (1):77-5 (ID):64 (III): 55-7 (IV). Aus dem Flächenraum der Kreise ‚berechnet sich durch Multiplication mit der obigen Zahl 1-25 die Zahl der Nervenfasern in den vier Nerven wie folgt: I=8 038; II = 23770, III = 16711; IV = 9799 oder in Summa 58318. Multiplicirt man aber nun diese Zahl mit 3, so erhält man: 174964 oder auf !/,, genau die obige im Organ berechnete Zahl der Platten. Die Axencylinder der Ganglienzellen verlaufen also, wie vor- ausgesetzt, einfach bis zum Zerfall in die Wagner’schen Büschel und innerviren in regelmässiger Vertheilung die dreifache Zahl der ihnen zugehörigen Platten. VI. (Ausserordentliche) Sitzung am 27. December 1889." 1. Hr. Dr. Augustus WALLER aus London (a. G.) zeigte am Menschen und am unversehbrten Hunde und Pferde die den Puls begleitende elektrische Schwankung des Herzens, und gab dazu folgende Erläuterungen: „Lhe first hint of the possibility of the particular line of inquiry, some of the results of which I am to demonstrate this evening, was derived from this Society. In the Verhandlungen of July 20. 1883,? it is recorded that Dr. Martius demonstrated the negative variations of the muscle current of the uninjured heart of the rabbit by means of the capillary electrometer. 'The heart was however transfixed by fine needles and thus led off to the electrometer. The proceeding adopted by Martius suggested to me the possibility of leading off from the heart of Man by means of electrodes applied to the sur- face of the body. The experiment was successful, each beat of the heart was ! Ausgegeben am 24. Januar 1890. ? Dies Archiv 1884, S. 156; — 1883, S. 571. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. FritseH.. — A. WALLER. 187 associated with .an electrical variation. That the latter was a true physiological symptom of the muscular contraction, and not a consequence of its mechanical impulse, was proved by photography, which shewed that the electrical begins before the mechanical effect. It then occurred to me that it should be possible to „lead off“ the heart by means of the extremities and from any part of the body. The experiment was successful. But not in every case. With certain pairs of parts led off to the two poles of the electrometer, the electrical pul- sations were obvious, with certain other pairs the effects were invisible or hardly visible. For instance — the head and the left hand being connected with the electrometer, the mercury pulsates (wörksame Anordnung); the head and the right hand being similarly connected, the mercury remains motionless (unwirk- same Anordnung). Again — with the right hand and a foot we have a „wirksame Anordnung“, whith the left hand and a foot we have a comparatively „unwirksame Anordnung“. The facts are easily explained. Let A und 5 respectively represent apex and base of the ventricular mass. Then if at any moment a difference of potential should arise between 4 and Da current ece will be established along and around the axis AB. The line OO will represent the plane of zero potential or equator. The lines aaa, bbb will represent equipotential curves around A and 5. A difference of potential between A and BZ will be manifested if the two leading off elec- trodes are applied on opposite ‚sides of the equator OO, no such difference 188 VERHANDLUNGEN DER BERLINER will be manifested if both electrodes are on the same side of the equator. Transferring these data to the human body, it is clear that the equator OO will divide the body into two asymmetrical parts, 1) a portion 555 including the head and right upper extremity, 2) a portion aaa including the three other extremities. All the observations I have made on man are in conformity with these physical conditions and in two cases of „inversio viscerum“ which I have examined, the departures from the normal have been in conformity with the abnormal physical conditions, e. g. mouth and right hand being „wirksam“, mouth and left hand being „unwirksam“. The more minute analysis of the electrical change or changes accom- panying a single heart beat is somewhat less simple. By inspection you will be able to see that the change is a double one, but a pliotographie record of the pulsating column of mercury underneath the simultaneous record of the heart beat is necessary to bring out the relation between the contraction and its electrical symptoms. The record gives a somewhat unexpected reading, and opens up possibilities of discussion and of conflieting interpretation. To the best of my observation the electrical event is to be read and divided as follows: During a first period, A is negative to 2. During a second period, A and B are iso-electric. During a third period, 3 is negative to A.“ Professor du Bois-Reymond then submitted himself to observation, one electrode being fixed to the forehead by an elastic band, the other dipping into a vessel of salt solution into which 1) the left hand was dipped to form a „wirksame Anordnung“, 2) the right hand to form an „unwirksame Anordnung“. The meeting then adjourned to the small lecture theatre where the image of a capillary eleetrometer under a !/,, immersion was projected upon a ground glass screen magnified X 1250. With this apparatus favourable-and unfavourable combinations were demonstrated 1. on Man 2. on a Dog 3. on a Horse. „The following results were obtained in the preliminary trials of the apparatus made.on the same day: Large yellow Dog. Variation | Right posterior extremity to Hg N \ Right anterior extremity to H,SO, f Left anterior extremity to Hg x \ Right anterior extremity to H,SO, | f Left anterior extremity to Hg \ 2 \ Rhigt posterior extremity to H,SO, | [ Left posterior extremity to Hg \n \ Left anterior extremity to H,SO, jüans [| Left posterior extremity to Hg In \ Right anterior extremity to H,SO, | PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — AUGUSTUS WALLER. 189 Medium-sixed brown Dog. Variation Right posterior extremity to Hg Right anterior extremity to H,SO, — m. =} J j Left posterior extremity to Hg N N \ Right anterior extremity to H,SO, „f Left anterior extremity to Hg (he "\ Right anterior extremity to H,SO, J f Left posterior extremity to Hg In \ Left anterior extremity to H,SO, J j Right posterior extremity to Hg N \ Left anterior extremity to H,SO, f Nose to Hg ls \ Left anterior extremity to H,S0, J j Nose to Hg 6 \ Right anterior extremity to H 1,80, i Nose to Hg S Rigt posterior extremity to H,SO, Nose to H \ R Left posterior extremity to H,S0, | Horse. Variation „j Left anterior extremity to Hg N “ \ Right posterior extremity to H,SO, „JS Left anterior extremity to Hg S “ \ Right anterior extremity to H,SO, [ Left anterior extremity to Hg lg \ Left posterior extremity to H,SO, J | Left posterior extremity to Hg N Left anterior extremity to H,SO, j Left posterior extremity to Hg \ N \ Right anterior extremity to H,S0O, | The results observed on the first dog are of interest in as much as they are identical with what may be called the „normal formula“ of Man, and implied a considerable obliquity of the equator. In the second dog, the results were more like what I had observed on my own dog with almost completely transverse equator. As regards the letters used above, N signifies movement towards the end of the capillary, S the reverse movement. The variation noted is in every case the second and most obvious portion of the double movement. Except in the instances marked by asterisks the direction of this 190 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — A. WALLER. second phase was always such as to indicate that B became negative to A. The exceptional instance in the dog is simply owing to the fact that the variation was barely readable. In the case of the horse, it is probable that a mistake was made in tracing the wires through the window to the court yard in which the animal was standing.“ 2. Der Photograph Hr. OTroMArR AnscHürz aus Lissa führte der Gesell- schaft seinen sogenannten elektrischen Schnellseher vor, d.i. die bis jetzt voll- kommenste Form der stroboskopischen Scheiben, wobei das augenblick- liche Hindurchsehen durch eine rasch vorübergeführte Oeffnung ersetzt ist durch eine plötzliche Beleuchtung des neu erscheinenden Bildes. Ueber die Gesetze der Ermüdung. Untersuchungen an Muskeln des Menschen. Von Dr. Arnaldo Maggiora, Docenten der Hygiene an der K, Universität zu Turin. (Aus der physiologischen Anstalt der Universität zu Turin.) Mittels der von Prof. A. Mosso! construirten Apparate zum Studium der Muskelermüdung habe ich in dessen Laboratorium die folgenden Unter- suchungen über die Gesetze der Ermüdung gemacht. I. Ueber die Veränderungen, welche die Ermüdungscurve zeigt, wenn der contrahirende Muskel grössere oder kleinere Ge- wichte hebt. Die Quantität der mechanischen Arbeit, welche ein Muskel in” der Zeiteinheit bei gleicher Reizung produeirt, kann man auf zweierlei Art varüiren; und zwar: 1. indem man die Grösse des Gewichtes modifieirt, welches der Muskel zu heben ‘hat. 2. indem man die Häufigkeit der Muskelceontraction ändert. Ich werde zuerst diese beiden Factoren in ihren Variationen und dann die Modificationen verfolgen, welche die Ermüdung unter verschiedenen physiologischen Umständen aufweist. Viele meiner Versuche am Menschen repraesentiren eine Wiederholung derjenigen Untersuchungen, welche Prof. H. Kronecker über die Ermüdung der Muskeln des Frosches machte. Da die Fundamental- Untersuchungen dieses Autors allen Physiologen be- kannt sein dürften, glaube ich, um meine Abhandlung nicht zu sehr in ' Vergl. oben 8. 89. 192 ARNALDO MAGGIORA: die Länge zu ziehen, einen detaillirten Vergleich meiner Untersuchungen mit denen des Prof. Kronecker, die mir als Führer dienten, unterlassen zu können. Ed. Weber! hat in seiner bekannten Schrift über die Bewegung der Muskeln die Thatsache festgestellt, dass die Arbeit der Muskelcontraction für ein bestimmtes Gewicht am grössten sei, und dass dieselbe abnimmt, wenn das zu hebende Gewicht grösser oder kleiner wird; und er fand, dass das Gewicht, bei dessen Hebung ein Muskel die grösste Arbeitsleistung auf- weist, um so kleiner wird, je mehr der Muskel ermüdet. Diese Unter- suchungen, welche Weber an isolirten Froschmuskeln anstellte, habe ich beim Menschen zu wiederholen versucht mit dem Unterschiede jedoch, dass ich statt einer einzigen Contraction die ganze Reihe von Contractionen, welche ein Muskel vor Erschöpfung seiner Kräfte zeigt, studirt habe. Im Interesse der leichteren Beschreibung werde ich das Wort Rhythmus, oder Reizintervall anwenden, um die Frequenz der Contractionen anzudeuten, d. h. die Zahl der Secunden, welche zwischen zwei Contractionen abläuft, und mit dem Worte Erholungspause bezeichne ich die Ruheperiode, d. i. die Zeitdauer, welche zwischen zwei Gruppen von ÜContractionen liest. Ich theile hier ein Experiment mit, in welchem mit der linken und der rechten Hand die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers auf- gezeichnet wurde, indem ein Gewicht von zwei Kilogrammen mit dem Rhythmus von 2” gehoben wurde. Nach zwei Stunden, als die Ermüdung nachzulassen schien, wurde die Ermüdungseurve desselben Fingers beim Aufheben eines Gewichtes von vier Kilogrammen aufgezeichnet, und schliess- lich nach zweistündiger Pause‘ die Ermüdungscurve beim Heben von acht Kilogrammen. Versuch 1. (28./4 1886.) Maggiora A. 24 Jahre alt, legt um 8 Uhr früh den linken Arm in den Ergographen. Es werden die Finger nach der in Prof. Mosso’s vorangehender Abhandlung angegebenen Weise fixirt, frei bleibt bloss der Mittelfinger, welcher an die Schnur des Apparates befestigt wird, um ein Gewicht von 2Y®? zu heben. Eine Baltzar’sche Uhr unterbricht alle 2 Secunden einen elektrischen Strom, welcher eine metallische Trommel ertönen lässt, un die Frequenz der Muskel- anstrengung anzudeuten. Dieses Experiment besteht aus 12 Aufzeichnungen; der Kürze halber theile ' R. Wagner, Handwörterbuch der Physiologie. Bd. DI. Ab. II. 8. 121. ° Das Gewicht in diesem und den folgenden Versuchen wirkt als Ueberlastung am Muskel. Wenn es ausnahmsweise als Belastung wirken wird, dann werde ich dies ausdrücklich bemerken. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 193 ieh nicht alle mit.! Die erste Aufzeichnung (Fig. 1) stellt die Reihe der Con- tractionen des Mittelfingers der linken Hand, jede zweite Secunde bis zur Er- sehöpfung der Kräfte, dar. Wenn wir die Höhe der einzelnen Contractionen messen, dann finden wir die Summe 1-301%. Diese Zahl werden wir Hubhöhe nennen; wenn wir sie mit der Anzahl der gehobenen Kilogramme multipliciren, dann er- halten wir die vom Muskel geleistete mechanische Arbeit, und zwar 2.602 kam, Gleich nachdem diese Aufzeichnung beendet ist, wendet man die Unterlage des Ergographen, um ihm diejenige Neigung zu geben, welche der Haltung der rechten Hand besser entspricht. Diese hebt mit demselben Rhythmus das Ge- wicht von 2*& auf die Höhe von 1-157”. Mechanische Arbeit = 2.314 Kam, Um die Muskeln ausruhen zu lassen, pausirte ich 2 Stunden lang, und um 10 Uhr wurde wieder die Contraction des rechten Mittelfingers mit dem Ge- wichte von 4®® und derselben Confractionsfrequenz aufgezeichnet. Hubhöhe Fig. 2. Fig. 1. Erste Aufzeichnung des ersten Experimentes. Er- Vierte Aufzeichnung des ersten Ex- müdungscurve der Beuger des Mittelfingers der perimentes. Ermüdungscurve der linken Hand, mit dem Gewichte von 2*® und mit Beuger des Mittelfingers der linken dem Rhythmus von 2 Secunden. ? Hand, mit dem Gewichte von 4*® und mit dem Rhythmus von 2 Sec. ! Ich unterlasse die Reproduction der Tabellen mit den Zahlangaben der Experi- mente, welche in der Originalarbeit (Memorie della Reale Accademia dei Lincei. Roma 1888. Vol. V. 4. Nov.) niedergelegt sind. Derjenige Leser, welcher die Resultate der folgenden Experimente eingehender kennen zu lernen wünscht, wird in der italie- nischen Originalarbeit eine grössere Zahl von Aufzeichnungen und die Werthtabellen der mechanischen Arbeit finden. * Die Figuren dieser Abhandlung sind alle bei der photographischen Reproduction etwas kleiner geworden. Archiv f. A. u. Ph, 1890. Physiol. Abthlg. : 13 194 ARNALDO MAGGIORA: 0.485”, mechanische Arbeit 1-940 43m; vierte Aufzeichnung, (Fig. 2) linker Mittelfinger, Hubhöhe 0-473”, mechanische Arbeit 1.8392 kam, Nach zweistündiger Pause wird eine Aufzeichnung sowohl der linken wie der rechten Hand gemacht, welche ein Gewicht von je 8#® alle 2 Secunden he- ben; fünfte Aufzeichnung, Fig.3: Hubhöhe 0-159", mechanische Arbeit 1'272 em und sechste Aufzeich- nung: Hubhöhe 0 - 130%, mechanische Arbeit 1- 040K8". Um die Beobachtungen über den Verlauf der Ermüdung zu vervollständigen, wiederholte ich nach zweistündiger Erholungspause das letzte Experiment, und liess dasselbe Individuum 8®® erst mit dem rech- ten Mittelfinger heben; siebente Aufzeichnung: Hub- höhe 0-167%, mechanische Arbeit 1-336*E", und dann mit dem linken, achte Aufzeichnung: Hubhöhe 0 - 165", mechanische Arbeit 1-320*E®, nach zweistündiger Erholungspause machte ich einen analogen Versuch, Fig. 3. wie im Falle 3 und 4, indem ich erst mit der linken Hand 48 heben liess; neunte Aufzeichnung: Hubhöhe 0.482, mechanische Arbsit 1.928 Km und dann mit der rechten, zehnte Auf- zeichnung: Hubhöhe 0590”, mechanische Arbeit 2-360 K2”; schliesslich wurde nach zweistündiger Erholungspause das Experiment 1 und 2 wiederholt, d. h. es wurde mit der rechten Hand ein Gewicht von 2 "8 alle 2 Secunden gehoben; elfte Aufzeichnung: Hubhöhe 1.460”, mechanische Arbeit 2-920*8”, dann mit der linken, zwölfte Aufzeichnung: Hubhöhe 1.284”, mechanische Arbeit 2-568 kem, Vergleicht man unter einander die Figuren 1, 2 und 3, dann er- giebt sich: 1. dass die Linie, welche die Höhe der einzelnen Contractionen mit- einander verbindet, einen verschiedenen. Verlauf in denselben zeigt, d. h. dass die Ermüdungscurve sich ändert, je nachdem die Fingerbeuger ein Gewicht von zwei oder vier oder acht Kilogrammen heben. 2. dass die mechanische Arbeit der Fingerbeuger, wenn dieselben bis zur Ermüdung jede zweite Secunde ein Gewicht von zwei Kilogrammen heben, die mechanische Arbeit übertriflt, welche dieselben Muskeln bei He- bung von 4 *s leisten, und dass die Arbeit mit 4 %® die mechanische Arbeit bei Hebung von 8 Y& übertrifft. Um rasch Ermüdung zu erhalten, bediente ich mich im Vorhergehen- den Experimente solcher Gewichte, die 2, 4 und 8*® gleich waren. Sehen wir jetzt, wie sich die Ermüdungscurve für kleinere Gewichte, d. h. für 1% und noch weniger gestalten wird. Am nächstfolgenden Tage schreibt A. Maggiora um 8 Uhr früh die Er- müdungscurve mit dem Mittelfinger der linken Hand, indem er das Gewicht von 1 ‘8 Ueberlastung mit dem khythmus von 2” hebt. Die Ermüdungscurve (Fig. 4) ergab eine mechanische Arbeit von 2-238 em, Wenn wir dieselbe mit der Fig. 1 vergleichen, dann wird die Aehnlichkeit zwischen beiden evident: im Reginne “ der Contractionen ist die Concavität der Curve gegen die Abseisse gewendet, ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 195 während am Ende derselben daselbst eine Convexität vorhanden ist, weshalb das Profil der Curve einem weit offenen und umgestürzten $ gleicht. An der Fig. 1 sieht man, dass gegen die Mitte hin höhere und tiefere Contractionen mit einer gewissen Unregelmässigkeit zerstreut sind, während sie in der Fig. 4 mit grösserer Regelmässigkeit abnehmen. Sobald diese Aufzeichnung beendet ist, wird der Ergograph umgedreht, und man schreibt in derselben Weise die Ermüdung der Beuger des Mittelfingers der rechten Hand. Mecharische Arbeit 2.589 kem, Fig. 4. Ermüdungscurve der Beuger des linken Mittelfingers mit dem Gewichte von 13 und mit dem Rhythmus von 2”. Nach einer Erholungspause von 2 Stunden schreibe ich eine andere Er- müdungscurve der linken Hand mit zwei Kilogrammen und dem Rhythmus von 2”. Die Aufzeichnung gleicht der der Fig. 1. Die mechanische Arbeit ist 2.480 kem; eine andere Aufzeichnung, die gleich darauf mit der rechten Hand gemacht wurde, ergab eine mechanische Arbeit von 2.64 kem, Nach einer Erholungspause von weiteren zwei Stunden liefert die linke Hand mit 4®® eine mechanische Arbeit von 1.920*s”, die rechte Hand 1.892 ksm, Ich theile diese Aufzeichnungen nicht mit, weil sie dem der vorangehenden Figuren gleichen. Es existirt also auch für die Muskeln des Menschen ein bestimmtes Ge- wicht, mit welchem man den grösstmöglichen Effect erhält. Dies wären für mich zwei Kilogramme, wenn ich mit dem Rhythmus von 2” arbeite Wenn man dieses Gewicht steigert oder vermindert, wird die Quantität von mechanischer Arbeit, die man mit einer Reihe von bis zur Ermüdung des Muskels fortgesetzten Contractionen erhält, geringer. Die Herabsetzung des Gewichtes, welche eine Verminderung der mecha- nischen Arbeit hervorbringt, variirt bei verschiedenen Personen, innerhalb sehr enger Grenzen, denn wenn das Gewicht sehr klein wird, dann kann der Muskel 18° 196 AÄRNALDO MAGGIORA: arbeiten, ohne zu ermüden. Ich machte an einigen Personen die Beobach- tung, dass sie mit dem Gewichte von 1®® bis in’s Unendliche die Beuger des Mittelfingers contrahiren können, ohne zu ermüden. An mir selbst beobachtete ich, dass mit einem Gewichte von 500® die Höhe der Contractionen im Be- ginnen einigermaassen abnimmt, dann aber kann ich mit dem Rhythmus von 2” diese Arbeit für eine sehr lange Zeit fortsetzen bei gleichbleibender Höhe der Contractionen. Versuch 2. Ein zweites Beispiel der Modification der Ermüdungscurve in Folge von Hebung von starken Gewichten ergiebt sich aus den folgenden Aufzeichnungen 5 und 5a von Dr. U. Mosso, welcher mit dem rechten Mittelfinger ein Gewicht 4 Il) Fig. De Fig. 5a. Dr. U. Mosso. Ermüdungscurve des rech- Dr. U. Mosso. Ermüdungscurve des rech- ten Mittelfingers mit dem Gewichte von ten Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*® und dem Rhythmus von 2 Sec. 5*s und dem Rhythmus von 2 Sec. von 3 &® mit dem Rhythmus von 2 Secunden aufhob, Fig. 5, Hubhöhe 1.209“, mechanische Arbeit 3.627 “®®; und nach dreistündiger Ruhe mit denselben Mus- keln und derselben Frequenz ein Gewicht von 58, Fig. 5a, Hubhöhe 0.300", mechanische Arbeit 1.500 "em, Dieselben Modificationen der Form, welche die Ermüdungscurve beim Va- riiren des Gewichtes zeigt, beobachtete ich auch, wenn der Muskel mit dem- selben Gewichte arbeitet, wenn man aber demselben nicht genügend lange Er- holungspausen gönnt. Ich theile die 2 Ro ungen dieser Experimente nicht mit, weil sie den vorangehenden Figg. 1, 2, 3, 4 und 5 vollständig gleich sind. Bei einer Erholungspause von zwei Minuten zeigt die Ermüdungscurve statt einer Convexität nach aussen, eine Convexität nach innen, und die Quantität der mechanischen Arbeit vermindert sich successiv, wie wenn das Gewicht, welches der Muskel hebt, bei jedem Versuche stiege und nicht, wie es thatsächlich der Fall ist, constant bliebe. Eine Reihe ähnlicher Versuche wurden im Ca- pitel XII, Figg. 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, S1 mitgetheilt. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 197 Die Frage über den Einfluss, welchen die Gewichtsveränderung auf den Verlauf der Ermüdung ausübt, erscheint in einer anderen Form, wenn der Muskel abwechselnd mit verschiedenen Gewichten arbeitet. Im nachfolgenden Versuche habe ich eine Reihe von zehn Contrac- tionen mit dem Gewichte von 2 *® aufgezeichnet und gleich darauf eine zweite Serie von zehn Contractionen mit dem Gewichte von 4 #8 und dem- selben Rhythmus, und so fuhr ich fort bis zur äussersten Ermüdung, mit Varürung der Gewichte. Wie man an Fig. 6 sieht, habe ich am Menschen das Experiment wiederholt, welches Kronecker! an Froschmuskeln ausführte. Versuch 3. (30./4 1886.) Dr. Aducco Vittorio, 26 Jahr alt, hebt mit dem rechten Mittelfinger ein Gewicht von 2%3 mit der Contractionsfrequenz von 2 Secunden. Nach der zehnten Contraction vermehrt ein Assistent das zu hebende Gewicht um 2%; Dr. Aduceo führt weitere grösstmögliche zehn Contractionen aus und hebt auf ı H.Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der quergestreiften Muskeln, Berichte der königl. sächs. Gesellschaft zu Leipzig. 1871, 8, 737, 198 ARNALDO MAGGIORA: diese Weise 4 #& mit der Frequenz von 2 Secunden. Am Ende der 20ten Contraction wird das hinzugefügte Gewicht entfernt, und es finden noch weitere zehn Contractionen mit 2*8 statt; hierauf folgt eine vierte Reihe von Contrac- tionen ähnlich der zweiten und so weiter bis zur Erschöpfung (Fig. 6). Die Linie, welche durch die Spitzen der höchsten und diejenige, welche durch die Spitzen der niedrigsten Contractionen verlaufen würde, repraesen- tirt die Ermüdungseurve für 2 und 4 ®. Die Ermüdungscurve scheint für die ersten drei Gruppen von Con- tractionen mit 4% eine geradlinige zu sein, im letzten Theile nimmt die Nei- gung der Curve ab, wie wenn der Gang der Ermüdung verlangsamt wäre. Auch die Verbindungslinie der Höhe der Contractionen mit 2*® bildet zuletzt eine leichte Concavität gegen die Abscisse. N Das Resultat dieses Experiments ist in hohem Grade ähnlich dem- jenigen, welches Kronecker auf Fig. 16! mit Bezug auf den M. triceps eines Frosches darstellt, welcher abwechselnd mit einem Gewichte von 20 und 40 gm arbeitete. Um die Art und Weise kennen zu lernen, wie sich die Ermüdungs- curve und die Quantität der mechanischen Arbeit des Muskels ändert, wenn man Gruppen von Contractionen, die eine grössere Anstrengung erfordern, einschaltet, machte ich den folgenden Versuch. Versuch 4. (30./4 1886.) Alfredo Montanari, Infanterist, 22 Jahr alt, schreibt die normale Er- müdungscurve des rechten Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*8& (Fig. 7); Hubhöhe 1.819%, mechanische Arbeit 5.457 \em, Fig. 7. Montanari. Ermüdungseurve der Beuger des rechten Mittelfingers mit dem Gewichte von 3®® und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden. NO 8138: ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 199 Nach zweistündiger Erholungspause schreibt er die Ermüdungseurve mit demselben Finger und derselben Frequenz von 2 Secunden, indem er zehnmal ein Gewicht von 348 und ebenso oft ein Gewicht von 6'# hob (Fig. 8). Hubhöhe Mechanische Arbeit Die Reihe von Contractionen mit 3 F8 0.990" 2.970 kam „ „ „ „ „ 6 „ 0.192, 1-152 „ 4.199 km In diesem zweiten Versuche war also die vom Muskel geleistete mechanische Arbeit um 1.335 Fsm vermindert. ul Fig. 8. Montanari. Ermüdungscurve der Beuger des rechten Mittelfingers, welche abwechselnd Gewichte von 3 und 6*® mit der Contractionsfrequenz von 2 Secunden heben. Wenn man die beiden Curven mit 3®® in den Figg. 7 und 8 ver- gleicht, dann sieht man gleich, dass sie einander nicht entsprechen. Die zehn Contractionen, welche 6*® heben, ermüden stärker den Muskel. Dies bemerkt man an der Veränderung, welche in der Curve des Muskels sich kundgiebt, sobald er bloss mit 3*® arbeitet: In der Fig. 8 erscheint in der Ermüdungscurve von 3*8 eine Convexität gegen die Abseisse, während in der Fig. 7 die Ermüdungseurve durch eine fast gerade Linie repraesentirt ist. Es wird somit auf einem anderen Wege bestätigt, dass die Ermüdungs- curve von der stärkeren oder geringeren Ermüdung abhängig ist. Wenn wir den Gang der Curve beobachten, dann finden wir, dass in der dritten Gruppe von Contractionen bei der Hebung von 6 E& der Muskel nicht mehr im Stande war, bei der sechsten Contraction das Gewicht von 6% zu heben, während er das Gewicht von 3 Y® auf eine beträchtliche Höhe heben kann. Ed. Weber hatte schon in seiner bekannten Arbeit über die Muskel- 200 ARNALDO MAGGIORA: bewegung! bemerkt, dass die müden Muskeln sich für grosse Gewichte verhältnissmässig viel weniger verkürzen, als für kleinere Gewichte. Wir entnehmen noch aus diesem Versuche: dass die Arbeitsleistung des sich contrahirenden Muskels bei der Hebung eines Gewichtes von 6 und 3 kg bedeutend geringer ist, als diejenige, welche derselbe Muskel bei der Hebung von 3 #3 aufweist; die Differenz ist grösser als !/,, und dass, wenn ein Muskel nicht mehr im Stande ist, ein Gewicht von 6% zu heben, er wohl noch ein Gewicht von 3 "8 auf eine bedeutende Höhe heben kann. Ich muss jedoch bemerken, dass es bei vielen Individuen schwierig ist, eine so regelmässige Reihe von willkürlichen Contractionen zu erhalten, wie in den vorangehenden Figuren. Der Einfluss, den das Gewicht auf die Ermüdungscurve ausübt, mani- festirtt sich auch dann, wenn der Wille ausgeschlossen bleibt und der Muskel in Folge eines directen elektrischen Reizes oder einer Reizung des Nerven arbeitet. Der Kürze halber unterlasse ich die Mittheilung der Auf- zeichnungen, und werde nur kurz einen der hierauf bezüglichen an mir selbst gemachten Versuche beschreiben. Ich applieire auf den linken Arm entsprechend dem Nervus medianus die Elektroden eines inducirten Stromes nach der von Prof. Mosso in der vorausgehenden Abhandlung angegebenen Methode. Der tetanisirende Reiz dauerte *%/,, einer Secunde und wurde alle 2” wiederholt.”2 Die Frequenz der Unterbrechungen im primären Stromkreise des du Bois-Reymond’- schen Schlittenapparates betrug 58 bis 60 in der Secunde. Der Mittelfinger der linken Hand hebt 1 *= in Ueberlastung und macht eine lange Reihe von Contractionen. Die ersten sind 60 "m hoch und nehmen allmählich in der Weise ab, dass die Ermüdungscurve einen mit der Convexität nach aussen gerichteten, sehr regelmässigen Bogen bildet, der dem vierten Theile einer Ellipse gleicht. Summirt man die Höhe ETAROESTITE ® Die Elektroden waren von zwei metallischen, den Drahtschliessern anhängenden Platten gebildet, und waren mit einem feinen Schwämmchen und einer Schicht von hydrophiler Baumwolle überkleidet, und bedeckt mit gegerbtem Handschuhleder. Die in der Achselhöhle befindliche hatte einen Durchmesser von 5°”, die andere am Vorder- arme von nur 3°=, Um eine Verschiebung derselben zu verhüten, habe ich ihre Lage auf der Haut mit Silbernitrat bezeichnet. In der Zwischenzeit zwischen je zwei Beobach- tungen wurden die Elektroden in ein Bad von angesäuertem Wasser gelegt. Bei An- wendung aller nothwendigen Vorsichtsmaassregeln habe ich feststellen können, dass bei der Aufschreibung der Ermüdungscurve eines in normalen Zuständen befindlichen Muskels zu verschiedenen Stunden des Tages mit hinreichenden Ruheperioden (zwei Stunden), imıner dieselbe Aufzeichnung mit beiläufig derselben Quantität von mechanischer Arbeit resultirte, selbstverständlich dann, wenn das Gewicht und der Abstand der beiden Rollen des Schlittenapparates constant blieben. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 201 sämmtlicher Contractionen, so erhält man 6.095”, entsprechend der mecha- nischen Arbeit in Kilogrammen. Nach dreistündiger Erholungspause schreibe ich neuerdings die Er- müdungscurve derselben Muskeln und unter denselben Bedingungen mit dem Gewichte von 2®8. Ich erhalte eine Ermüdungseurve, die der Fig. 1 ähnlich sieht. Hubhöhe 2.018”. Mechanische Arbeit 4.036 «em, Nach weiterer dreistündiger Erholungspause schreibe ich wieder die Ermüdungs- curve unter denselben Bedingungen wie früher, aber mit dem Gewichte von 4%, Die Ermüdungscurve sieht der Fig. 5 ähnlich, d. h. repraesentirt einen gegen die Abscisse leicht convexen Bogen: Hubhöhe 0.368”, mechanische Arbeit 1.572 kam, Ich wiederholte diese Versuche an anderen Personen mit demselben Resultate, und auch die Experimente mit directer Reizung der Beugemuskeln, deren Mittheilung ich der Kürze halber unterlasse, bestätigten, dass das Gewicht einen Einfluss auf die Ermüdungscurve ausübt, so dass diese ihre Form ändert. II. Variationen der Contractionsfrequenz (Rhythmus). In den vorangehenden Versuchen haben wir festzustellen versucht, wie sich die Ermüdungscurve bei Steigerung der Gewichte ändert, wir wollen jetzt untersuchen, in welcher Weise sich die Ermüdungscurve gestaltet, wenn man die Frequenz der Contractionen modificirt. Versuch 5. Am 13. Juli 1886 von 8 Uhr früh an schreibe ich alle 2 Stunden_ die Ermüdungscurve der Beuger der Mittelfinger beider Hände auf bei Hebung von 68, erst mit dem Rhythmus von 1, dann 2, 4 und schliesslich von 10 Secunden. Ich erhielt hierdurch acht Aufzeichnungen, von denen ich der Kürze halber nur vier mittheile, und zwar die Figuren 9, 10, 11 und 12. Um den Vergleich der Curven übersichtlicher zu gestalten, hätte ich diese Aufzeichnungen in der Weise copiren sollen, dass die Linien der Contractionen gleich weit von einander stehen: ich habe jedoch vorgezogen, die Aufzeichnungen unverändert wiederzugeben. Aus der Prüfung der Figg. 9, 10, 11, 12 und aus dem Vergleich der Zahlen, welche die mecha- nische Arbeit ausdrücken, geht hervor: 1. dass die Contractionen der Fingerbeuger am grössten und fast alle in derselben Höhe sind, wenn die Frequenz 10 Secunden beträgt (Fig. 12), d. h. dass eine Pause von 10 Secunden zwischen zwei Contractionen ge- nügt, um die Organe, welche in Function treten, zu restauriren, wenn man 6* mit dem Mittelfinger im Ergographen emporhebt, 202 ARNALDO MAGGIORA: 2. dass die mechanische Arbeit eines Muskels, der sich eine Stunde lang mit der Frequenz von 10 Secunden contrahirt, 34-560 km beträgt. Fig. 10. Fig. 9 repraesentirt die zweite Aufzeichnung des fünften Experimentes, d. h. die Ermüdungscurve der Beuger des rechten Mittelfingers, welche ein Gewicht von 6*# mit dem Rhythmus von 1 Secunde heben. Hubhöhe 0: 152”, mechanische Arbeit 0-912 "m. Fig. 10 entspricht der vierten Aufzeichnung und repräsentirt die Ermüdungscurve der genannten Muskeln bei Hebung von 6*® und dem Rhythmus von 2 Secunden. Hubhöhe 0-181 ”, mechanische Arbeit 1.080 kem. Fig. 11 entspricht der sechsten Aufzeichnung und repräsentirt die Ermüdungscurve derselben Muskeln bei Hebung von 6%® und dem Rhythmus von 4 Secunden. Hub- höhe 0-307 ® mechanische Arbeit 1-842 kem, Diese Arbeit ist bedeutend grösser, als diejenige, welche der Muskel bei Hebung desselben Gewichtes mit der Frequenz von 4 Secunden leistet. Fig. 12. Verhalten der Contractionen bei Hebung von 6*® mit dem Rhythmus von 10 Secunden. In diesem Falle, angenommen, dass der Muskel 2 Stunden Ruhe bedarf, wäre die mechanische Arbeitsleistung bloss 1.074*em für die Stunde, während ! Aus den Figg. 9, 10 und 11 ersieht man, dass die Beuger des rechten Mittel- fingers, indem sie ein Gewicht von 6®® mit der Contractionsfrequenz von 4 Secunden aufheben, eine mechanische Arbeit von 1-842%kem Jjiefern. Angenommen, dass die Muskeln von 8 Uhr Früh bis 8 Uhr Abends, also 12 Stunden arbeiteten mit Einschaltung von Perioden zweistündiger Ruhe, so würden sie sieben Mal die mechanische Arbeit von 1-.842%em leisten, d.h. im Ganzen 12-894 kem, Dividirt man diese Zahl mit derjenigen der Arbeitsstunden, erhält man genau 1-074*sm mechanische Arbeit für jede Stunde. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 203 der Muskel mit einer Frequenz von 10 Secunden eine Arbeit von 34-560 "k ausführt, d. h. eine 32mal grössere Arbeit, ohne zu ermüden. Ich habe das Experiment mit dem Gewicht von 2 bis 6%# wiederholt und habe immer gefunden, dass je geringer die Frequenz der Contraction ist, um so grösser wird die Quantität der Arbeit und um so später tritt die Ermüdung ein; und dass die Ruhe von 10 Secunden zwischen je zwei Contractionen genügt, um den Muskel vollständig wieder herzustellen, auch wenn derselbe ;mit 6®e arbeitet. Da jedoch die individuellen Differenzen gross sind, wollte ich mich nicht näher auf die Bestimmung der Ruhe- periode zwischen zwei Contractionen einlassen, welche keine Zeichen von Ermüdung mehr wahrnehmen lässt, und auf welche Weise jene Ruheperiode im Verhältnisse zu den Gewichten varirt. Es wiederholt sich demnach für die Muskeln der Hand das was für den Herzmuskel bekannt ist, mit dem Unterschiede jedoch, dass für die Muskeln der Hand der Rhythmus von 10 Secunden nothwendig ist, damit sich dieselben vollständig ausruhen und für eine unbestimmte Zeit arbeiten können. III. Die gleichzeitigen Veränderungen im Gewichte und in der Frequenz der Contractionen. Wenn ein Muskel mit derselben Contractionsfrequenz Gewichte von successiv steigender Grösse hebt, dann arbeitet er unter ungünstigen Be- dingungen, denn wenn der Rhythmus der aufeinander folgenden Contrac- tionen so rasch ist, dass der Muskel keine Zeit hat, uın seine Energie vollständig wieder zu erlangen, dann ermüdet er viel rascher bei Hebung von grösseren, als bei Hebung von kleineren Gewichten. Versuchen’ wir jetzt festzustellen, wie der Verlauf der Ermüdung sich gestaltet, wenn wir dem mit doppeltem Gewichte arbeitenden Muskel die doppelte Ruhezeit zwischen je zwei Contractionen gönnen. Versuch 6. (11./5 1885.) A. Maggiora schreibt um 8 Uhr früh die Ermüdungscurve der Beuger des linken Mittelfingers mit dem Gewichte von 3%8 und mit der Contractions- frequenz von 2 Secunden und gleich darauf mit dem Beuger des rechten Mittel- fingers mit demselben Rhythmus und Gewichte. Nach 2 Stunden schreibt er wieder die Ermüdungscurve mit dem Gewichte von 6®® und der Contractions- frequenz von 4 Secunden. Nach weiteren 2 Stunden schreibt er wieder den Gang der Ermüdung der Beuger des Mittelfingers beider Hände mit 6®& und 4 Secunden Frequenz, und schliesslich nach zweistündiger Ruhe mit 3®3 und dem Rhythmus von 2 Secunden. Ich erhielt demnach acht Aufzeichnungen, von welchen ich jedoch nur zwei Figuren, 13 und 14, mittheile, 204 ARNALDO MAGGIORA: Man exsieht hieraus, dass, wenn die vom Muskel gehobenen Gewichte steigen, es nicht genügt, die Ruhezeit zwischen je zwei Contractionen in demselben Verhältnisse zu steigern, sondern dass die Pause zwischen je zwei Contractionen in viel grösserem Maasse wachsen muss. Fig. 14. Fig. 13. Ermüdungscurve der Beuger des linken Ermüdungscurve der Beuger des linken Mittelfingers, welche ein Gewicht von 6®® Mittelfingers, welche ein Gewicht von 3% (2G) mit dem Rhythmus von 4 Secunden (G) mit dem Rhythmus von 2 Secunden (2 R) heben. Hubhöhe 0-251, mechanische (AR) heben. Hubhöhe 0-768, mechanische Arbeit 1.506 ke, Arbeit 2-304 ksm. Mit anderen Worten: ein Muskel, der mit einem Rhythmus von A=2 Secunden und einem Gewichte von G=3 F® gearbeitet hat, wird viel rascher ermüden, wenn man ihn mit dem Rhythmus = 2% und dem Gewichte =2G arbeiten lässt. Um zu erkennen, wie viel Ruhezeit zwischen je zwei Contractionen dem Muskel gegönnt sein muss, wenn das Gewicht um das Doppelte steigt, habe ich ein dem vorhergehenden ähnliches Experiment mit 2G und 3R gemacht, in welchem @=3*® und R = 2 Secunden war, und habe ge- funden, dass ein Muskel, der mit dem angegebenen Rhythmus und dem doppelten Gewichte arbeitet, eine Quantität von mechanischer Arbeit leistet, welche gleich oder etwas grösser ist, als die mit @ und A. Die Beobachtungen in dem speciellen Falle, wo £ = 2 Secunden und G@=3*8, wurden wiederholt mit dem Rhythmus # = 1 Secunde und dem Gewichte = 2", und es stellte sich heraus, dass in dem Falle, wenn ÜBER DIE GRSETZE DER ERMÜDUNG. 205 G=2% und $=1 Secunde ist, die Quantität von mechanischer Arbeit eines Muskels, der ein Gewicht von 2@=4'* mit dem Rhythmus von 2R=2 Secunden hebt, kleiner ist, als die eines Muskels, der sich mit € und % contrahirt; wenn wir aber die Ruhezeit verlängern, indem der Rhythmus 3% = 3 Secunden gemacht wird, dann kann der Muskel eine Arbeit leisten, die gleich ist der mit @ und 2%, und wenn schliesslich der Rhythmus auf 4% = 4 Secunden gebracht wird, dann kann der Muskel mit dem Gewichte von 2@ = 4'& eine Arbeit verrichten, welche grösser als das Doppelte der mit @ und A geleisteten Arbeit ist. Deshalb kann geschlossen werden: dass, wenn man bei einem Muskel, der sich mit einem Rhythmus contrahirt, welcher genügend rasch ist, damit der Muskel nicht nach einer jeden Contraction seine Energie wieder er- langen könne, das zu hebende Gewicht verdoppelt, es nicht genügt, den Rhythmus um das Doppelte zu verlängern, d. h. denselben auf 2% zu er- höhen, um von dem Muskel dieselbe Quantität mechanischer Arbeit erhal- ten zu können, sondern dass der Rhythmus Verlmalnell, d.h. auf 32% ge- bracht werden muss. Wenn man die Pausen zwischen den einzelnen Contractionen verviel- facht, d. h. wenn der Rhythmus =4% ist, dann ist die Quantität der Arbeit, welche der Muskel mit dem doppelten Gewichte leistet, viel grösser als diejenige, welche er mit dem Gewichte @ und dem Rhythmus # zu produciren vermag. IV. Ueber die Erholungspause, welche nothwendig ist, um von dem Muskel über den ganzen Tag eine normale Dmdlunge eurve erhalten zu können. Die im Capitel II mitgetheilten Untersuchungen haben gezeigt, dass die Beuger des Mittelfingers, welche 3 bis 6%& heben, eines 10 mal längeren Rhythmus bedürfen als der Herzmuskel, um unbeschränkt ohne Ermüdung arbeiten zu können. Prüfen wir jetzt den gewöhnlichsten Fall, wo der Muskel zu bestimmten Stunden des Tages mit Einschaltung von mehr oder weniger langen Erholungspausen die grösstmögliche Energie entwickeln muss. Schon im Beginne dieser Experimente richtete sich meine Aufmerk- samkeit auf die Thatsache, dass nach der nächtlichen Ruhe die Muskeln, welche ermüdet sind, sehr schnell wieder ihre frühere Energie gewinnen, dass sie aber, bei fortgesetzter Arbeit ohne die genügende Ruhezeit, in den folgenden Stunden des Tages eine gradweise abnehmende mechanische Arbeit leisten. Ich machte zuerst ein Experiment, indem ich während des ganzen Tages jede Stunde die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers mit dem Gewichte von 3%*® schrieb. Ich unterlasse die Beschreibung dieses 206 ARNALDO MAGGIORA: Experimentes und die Mittheilung der betreffenden Aufzeichnungen. Es ergab sich, dass in den ersten drei Beobachtungen eine einstündige Er- holungspause für jede Hand genügend war, damit sich der Muskel vollständig erhole, dann aber nicht mehr, und in Folge der Ermüdung des Muskels, welche nicht vollständig schwindet, erhält man eine successiv abnehmende mechanische Arbeit. Nachdem ich eine einstündige Erholungspause als ungenügend erachtete, wiederholte ich das Experiment an demselben Individuum an einem anderen Tage, so dass ich zwischen zwei Aufzeichnungen eine anderthalbstündige Erholungspause machte. Versuch 7. (26./8 1886.) A. Maggiora schreibt von 8 Uhr früh an bis 6!/, Uhr Nachmittags die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*®, der Contractionsfrequenz von 2 Secunden und Erholungspausen von 90 Minuten. Ich erhielt so 16 Aufzeichnungen, von denen ich nur die erste Fig. 15, die neunte Fig. 16 und die fünfzehnte Fig. 17 mittheile. Einige Aufzeichnungen der Ermüdungscurve der Beuger des linken Mittelfingers, welche ein Gewicht von 3®® mit dem Rhythmus von 2 Secunden und mit anderthalb stündigen Erholungspausen heben. Fig. 15. Fig. 16. Fig. 17. Erste Aufzeichnung, geschrieben um 8 Uhr Dritte Aufzeichnung, ge- Fünfzehnte Auf- Vormittags. Normale Ermüdungscurve. Me- schrieben um 2 Uhr Nachm. zeichn. geschr. um chanische Arbeit 2-013+Em, Mechanische Arbeit 1-383*e",. 6, 30 Uhr Nachm. Mech.Arb. 0-930K. m Modificationen, welche die Ermüdungseurve zeigt nach 1 Uhr 30 Minuten Erholungspausen. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 207 Es geht aus diesem Experiment hervor, dass die anderthalbstündige Erholungspause, welche in den ersten drei Beobachtungen für jede Hand genügend ist, damit sich der Muskel vollkommen erhole, später nicht hin- reichend ist, und dass sich die Quantität der mechanischen Arbeit all- mählich vermindert. In einem anderen Experimente verlängerte ich auf zwei Stunden die Erholungspause und habe gefunden, dass diese Zeit genügend ist, um das Anwachsen der Ermüdung zu verhindern und um von dem Muskel sowohl Morsens als Abends diejenige normale Quantität von mechanischer Arbeit erhalten zu können, welche er unter der Bedingung der vollständigen Ruhe zu leisten vermag. Beobachtungen, die ich an verschiedenen Personen anstellte, zeigen, dass nicht für alle eine zweistündige Ruhepause nothwendig ist, damit ihre Muskeln zu jeder Stunde des Tages eine normale Ermüdungscurve zu geben im Stande seien. So z. B. während für mich und Dr. Aducco zwei Stunden nothwendig waren, beanspruchten drei Soldaten, die mir für diese und andere Experi- mente dienten, nur 1!/, Stunden. Es ist wahrscheinlich, dass diese Unter- schiede von der Lebensweise, von den mehr oder weniger intensiven Muskel- übungen abhängen; auf diese Fragen gedenke ich in einer nächsten Arbeit zurückzukommen. Beobachtungen, die ich mit successiv geänderten Gewichten an diesen und anderen Personen anstellte, haben gezeigt, dass die Erholungspause, welehe nothwendig ist, un dem Muskel seine normale Energie wiederzugeben, sich für eine und dieselbe Person erhält, gleicheültie, ob der Muskel bis zur vollständigen Ermüdung ein Gewicht von z. B. 2 oder 48 hebt. ‚Und dies kann uns nicht überraschen, denn da ich die Dauer der Erholungs- pause von der ersten und nicht von der letzten Contraction an rechne, so hört der Muskel, wenn er ein grösseres Gewicht hebt, früher auf zu arbeiten, und kann deshalb längere Zeit ruhen. Es ist deshalb nothwendig, dem Muskel schon Anfangs eine g .ugende Erholungspause zu gönnen, damit er immer wieder seine Energie erlangen könne und damit sich die Ermüdung nicht summire, wenn man von dem- selben den ganzen Tag hindurch eine Reihe von normalen Ermüdungscurven und dieselbe Quantität von mechanischer Arbeit erhalten will. V. Periodische Arbeit. Wir haben bis jetzt‘ bei constanter Frequenz der Contractionen die Erholungspause zwischen zwei Gruppen von Contractionen variiren lassen, um zu sehen, wie lange die Erholungspause dauern muss, um die grösst- 208 ARNALDO MAGGIORA: mögliche Arbeit zu erhalten. Nun handelt es sich darum, den Rhythmus und die Erholungspausen gleichzeitig variiren zu lassen, um zu sehen, welche Bedingung die günstigste für die Arbeit ist, wenn diese nicht con- tinuirlich von Statten gehen kann. Versuch 8. (29./5 1886.) Mantovani und Capurro, Infanteristen, 22 Jahr alt, schreiben um 8 Uhr früh die Ermüdungscurve der Beuger des rechten Mittelfingers, indem sie Grup- pen von 30 Contractionen mit der Frequenz von 2 Secunden ausführen. Jeder Gruppe von Contractionen folgt eine Erholungspause von 1 Minute. Das Gewicht beträgt 2:8. Ich erhielt so zwei Aufzeichnungen, und zwar: Hubhöhe Mechanische Arbeit Mantovani, Gruppen von 30 Contract, Nr.8 5.390” 10.780 kam Von diesen Gruppen sind zwei in Fig. 18 dargestellt. Capurro, Gruppen von 30 Contract., Nr. 10 5.490” 10.980 kam Il | Fig. 18. Zwei Gruppen von 30 Contractionen der Beuger des rechten Mittelfingers mit dem Ge- wichte von 2k®, dem Rhythmus von 2 Secunden und einer Erholungspause von 1 Minute. Nachdem die Muskeln nach einer zweistündigen Ruhe wieder in ihren nor- malen Zustaud zurückgekehrt sind, schreiben dieselben Individuen wieder die Ermüdungscurven der Beuger des rechten Mittelfingers, indem sie Serien von 15 Contractionen mit der Frequenz von 1 Secunde und einer Ruheperiode von 45 Secunden zwischen je zwei Serien ausführen. Das Gewicht bleibt con- stant 288, Hubhöhe Mechanische Arbeit Mantovani, Gruppen von 15 Contract., Nr. 15 4.886" 9.772 kam Capurro, „ 200099 ” Nr. ” 2.497 „ 4.994 ” In der Fig. 19 sind vier dieser Gruppen, und zwar auch der Aufzeichnung von Mantovani angehörig, dargestellt. Schliesslich schreiben die beiden Soldaten nach waißtohdiger Ruhe die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers, indem sie ohne Erholungspause nacheinander jede vierte Secunde Contractionen ausführen. So erhielt ich zwei ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 209 weitere Aufzeichnungen, deren Mittheilung der Kürze halber unterlassen wird. Diese zwei Aufzeichnungen ergaben: : Hubhöhe Mechanische Arbeit Für Mantovani 3.660 % 7.320 ksm „ Capurro 1.882 „ 3:764 Fig. 19. Vier Gruppen von 15. Contractionen der Beuger des rechten Mittelfingers, mit dem Gewichte von 2%s, dem Rhythmus von 1 Secunde und einer Erholungspause von 45 Secunden. Wir entnehmen aus diesem Versuche, wo die Beuger des Mittelfingers mit der grössten Kraftanwendung bis zur Ermüdung dasselbe Gewicht von 2 2 aufhoben, mit oder ohne Erholungspause und mit variirender Contrac- tionsfrequenz, wobei jedoch in dem Zeitraume von zwei Minuten eine gleiche Zahl von Contractionen ausgeführt wurde, — dass die Quantität der geleiste- ten mechanischen Arbeit am grössten war bei den Contractionen in Gruppen zu 30 jede zweite Secunde und mit Erholungspausen von 1 Minute, kleiner bei einer Contractionsfrequenz von 1 Secunde und Erholungspausen von 45 Secunden und am kleinsten bei den Contractionen jede vierte Secunde ohne Erholungspausen. Bei Wiederholung dieses Experimentes am folgenden Tage bei denselben Personen und unter denselben Bedingungen erhielt ich ein dem vorher- gehenden ähnliches Resultat bei Mantovani bezüglich beider Hände, bei Capurro bloss bezüglich der linken Hand: für die Beuger des rechten Mittelfingers bei Capurro erhielt ich: Hubhöhe Mechanische Arbeit Gruppen von 30 Contractionen mit dem Rhythmus von 2 Sec. und Erholungspausen von 1 Min. 4.140” 8.280 kam Gruppen von 15 Contractionen mit dem Rhythmus von 1 Sec. und Erholungspausen von 45 Sec. 5.225 , 10.450 „ Continuirliche Reihe von Contractionen mit dem Rhythmus von 4 Secunden . . 2. .......1-.774 , 3.488 „ Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 14 210 ARNALDO MAGGIORA: Wir haben also auch in diesem Experimente die kleinste Quantität von mechanischer Arbeit, wenn der Muskel sich continuirlich mit der Fre- quenz von 4 Secunden contrahirt, aber wir haben nicht die grösste Quan- tität von Arbeit, wenn der Muskel mit Gruppen von 30 Contrationen in der Minute und mit Erholungspausen von 1 Minute arbeitet; die grösste Quantität von Arbeit haben wir bei den Gruppen von 15 Contractionen in 15 Secunden und Erholungspausen von 45 Secunden. Um in Anbetracht des verschiedenen Resultates, welches der zweite Theil des Experimentes bot, festzustellen, ob man von dem Muskel die grösste Arbeit durch Serien von Contractionen mit dem Rhythmus von 2 Secunden oder 1 Secunde erhält, habe ich das Experiment 21 mal unter denselben Bedingungen, bei denselben Individuen und auch bei anderen wiederholt, und habe zur Schlussfolgerung die Mittelzahl aus den Experimenten gezogen. Aus den hier nicht wiedergegebenen Werthen, welche die von dem Muskel in jedem einzelnen Experimente geleistete Arbeit repraesentiren, geht hervor, dass stets die kleinste Quantität von mechanischer Arbeit seitens der Beuger des Mittelfingers geleistet wurde, wenn diese sich continuirlich mit der Frequenz von 4 Secunden contrahirten. Vergleicht man die an derselben Person gemachten Beobachtungen, dann ergibt sich, dass auch die grösste (uantität von mechanischer Arbeit eines Muskels, der sich mit dem Rhythmus von 4 Secunden und ohne Erholungspause contrahirt, immer kleiner ist, als die geringste Quantität von Arbeit eines Muskels, der sich mit Serien von 15 oder 30 Contractionen und eingeschobenen Erholungspausen con- trahirt. Die grösste Quantität von mechanischer Arbeit erhielt ich 24 mal unter 28 Fällen von dem Muskel, welcher Gruppen von 30 Contrac- tionen mit der Frequenz von 2 Secunden und Erholungspausen von 1 Mi- nute macht. Aus der Prüfung der Mittelwerthe sämmtlicher Beobachtungen re- sultirt: 1. Die grösste Quantität von mechanischer Arbeit lieferten die Mus- keln, wenn sie Gruppen von 30 Contractionen mit der Frequenz von 2 Se- cunden und Erholungspausen von 1 Minute ausführten. 2. Die kleinste Quantität von mechanischer Arbeit lieferten die Mus- keln, die sich mit dem Rhythmus von 4 Secunden und ohne Ruheperioden contrahirten. Diese Experimente können als erster Versuch gelten, beim Menschen mittelst des Ergographen die beste Art der Ausnützung der Muskelkraft zu studiren. Die Ermüdung ist jedoch hier dadurch complieirt, dass stets die grösstmögliche Willensanstrengung aufgewendet wird. Dies ändert an den Resultaten, weil, wie schon Prof. Mosso in der vorausgehenden Ab- handlung nachwies und wie wir im folgenden Capitel sehen werden, die ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 211 Anstrengung mehr ermüdet als die Arbeit. Man müsste diese Versuche mit dem Ponometer wiederholen, so dass man das Gewicht, welches das Maass der Arbeit repraesentirt, bloss bis auf eine gewisse Höhe hebt und müsste methodisch nicht nur diese Höhe, sondern auch das Gewicht, den Rhythmus und die Erholungspause variiren. Leider fehlte es mir an Zeit, um solche ausgedehnte Studien zu machen und beschränke ich mich einst- weilen auf diese ersten wenn auch unvollkommenen Versuche. VI. Die Arbeit, welche ein schon ermüdeter Muskel ausführt, ist demselben viel schädlicher, als eine grössere Arbeitsleistung unter normalen Bedingungen. Die Untersuchungen dieses Abschnittes sollen feststellen, in welchem Theile der Ermüdungscurve sich eine grössere Ermüdung des Muskels aus- spricht. Obgleich uns die feineren Vorgänge, von welchen die Erscheinungen der Ermüdung abhängen, unbekannt sind, so ist es doch ein festgestelltes Factum, dass die Muskeln viel rascher ermüden wenn sie direct, als wenn sie indirect durch die Nerven gereizt sind, und dass es, um einen müden Muskel zur Contraction anzuregen, einer grösseren Reizung der Nerven bedarf. Wir wissen aus den vorhergehenden Experimenten, dass sich ein Muskel, der jede zweite Stunde seine Ermüdungscurve schreibt, in aus- reichendem Ruhezustande befindet, um den ganzen Tag über die grösste Arbeit leisten zu können, dass aber, wenn die Ruheperioden auf eine Stunde redueirt sind, sich die einzelnen Ermüdungen summiren, so dass die Ar- beitskraft und Widerstandsfähigkeit des Muskels sich mindern und die Er- müdung bedeutend früher sich manifestirt. Lassen wir jetzt von dem Muskel mit demselben Gewichte und. unter denselben Bedingungen der Ruhe bloss den ersten Theil der Curve aus- führen, d. h. die ersten 15 Contractionen. Wenn diese sich den ersten 15 Contractionen der normalen Curve gleich verhalten, trotzdem dass die Erholungspause nur eine Stunde beträgt, dann werden wir behaupten können, dass es der zweite Theil der Curve ist, in welcher für die geringste Arbeitsleistung seitens des Muskels die grösste Nervenanstrengung nothwendig ist, welche den Muskel mehr ermüdet. Mit noch mehr Recht werden wir dies behaupten können, wenn sich bei Reduction der Erholungspause auf eine halbe Stunde der erste Theil der Curve während des ganzen Tages normal erhalten würde. Versuch 9. Nachdem ich am 30./6 1886 ein Experiment machte, wobei stündlich die erste Hälfte der Ermüdungscurve der Beuger beider Mittelfinger mit dem Ge- 14* 212 ARNALDO MAGGIORA: wichte von 3®® und dem Rhythmus von 2 Secunden geschrieben wurde und gesehen hatte, dass sich diese Curve den ganzen Tag hindurch normal erhielt wiederholte ich am 1./7 1386 ein ähnliches Experiment von 3 Uhr früh bis 6 Uhr Nachmittags, indem ich nur halbstündige Erholungspausen anwendete. Ich erhielt so 42 Aufzeichnungen, von denen ich nur die erste und letzte von der linken Hand, Fig. 20 und 21, wiedergebe. Zwei Gruppen von 15 grössten Contractionen der Beuger des linken Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*, dem Rhythmus von 2 Secunden und mit Erholungs- pausen von 30 Minuten. Fig.’20. Fig. 21. Erste Aufzeichnung. Geschrieben um 8 Uhr KEinundvierzigste Aufzeichnung. Geschrie- Vormittags. Mechanische Arbeit 0-462*e®. ben um 6 Uhr Nachmittags. Mechanische Arbeit 0-469 kem, Die letzte Aufzeichnung, geschrieben um 6 Uhr Nachmittags, zeigte auch in diesem Experimente gar keine Verminderung der Quantität der mechanischen Arbeit des Muskels im Vergleiche zu jenen in den ersten 15 Contractionen in der Frühe, d.h. unter Bedingungen der vollständigsten Ruhe. Wenn wir nun die totale Quantität der vom Muskel geleisteten mecha- nischen Arbeit während des ganzen Experiments mit derjenigen vergleichen, welche der Muskel liefert, wenn er alle zwei Stunden die ganze Ermüdungs- curve (die hier der Kürze halber nicht wiedergegeben ist) schreibt, dann erhalten wir: i linke Hand rechte Hand Muskel, der jede 30. Minute 15 Contractionen macht, mechanische Arbeit 26-855 ksm 28.164 kam ER der jede zweite Stunde die ganze Ermüdungs- curve schreibt, mechanische Arbeit 14-742 „ 15-674 „ Differenz 12-113 gm 14.490 ken rg ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 213 d. h. im ersten Falle eine viel grössere Quantität von Arbeitsleistung. Ich konnte diese Resultate durch ähnliche Experimente an den Soldaten Man - tovani und Capurro bestätigen. Es geht daraus hervor, dass, wenn sich die Kraft des Muskels nicht vollständig erschöpft und man ihm die letzten Contractionen vor der Er- schöpfung erlässt, der Muskel viel weniger ermüdet und fähig bleibt, eine Quantität von mechanischer Arbeit auszuführen, welche um das Doppelte höher ist als die, welche er beim Arbeiten bis zur vollständigen Ermüdung unter den günstigsten Bedingungen der Ruhe liefern würde. Ich habe untersucht, ob man bei der Reduction der Erholungspausen auf eine !/, Stunde noch vom Muskel eine nachträgliche Vermehrung der Arbeit und weitere Serien von 15 Contractionen erhalten könnte; aber unter diesen Bedingungen ist im Gegentheil eine merkliche Verminderung der Arbeitsleistung zu constatiren, weil sich nach einer gewissen Zahl von Con- tractionsreihen, die je nach den Individuen wechselt, die Ermüdung sich anhäuft und die Contractionen rasch sinken. Die in diesem Capitel gemachte Beobachtung, dass die letzten kleinen Contractionen einer Arbeitsreihe mehr erschöpfen als die grossen ersten, ist wichtig, weil sie uns lehrt, dass die Anstrengung mehr ermüdet als die Arbeit. Dies stimmt mit den Resultaten von H. Kronecker und mit den schon von Prof. Mosso in der vorausgehenden Abhandlung 'auseinander- gesetzten Versuchen. VII. Wirkung der Anaemie auf die Ermüdungscurve. Ich beschränkte mich bloss auf die Untersuchung der Modification, welche die Ermüdungscurve erleidet, wenn man den Zufluss des Blutes zu den Muskeln verhindert und auf das Studium des Einflusses, welcher auf den Gang der Ermüdung durch eine vorangehende Anaemie der Muskeln des Vorderarmes ausgeübt wird. Versuch 10. (22./5 1886.) Am 22./5 1886 schreibe ich die Ermüdungscurve des linken Mittelfingers mit dem Gewichte von 2"® und dem Rhythmus von 2 Secunden und erhalte so die Aufzeichnung, welche in der Fig. 22 dargestellt ist. Hubhoheneer er ER BERIE EEE 1436 SL Mechanische Arbeit. . . 2.736 kam Ich liess sodann 2 Stunden verstreichen, sodass jede Spur der Ermüdung verschwand und schrieb eine andere Aufzeichnung mit demselben Gewichte und Rhythmus, mit dem Unterschiede jedoch, dass mir ein Assistent die Oberarm- 214 ARNALDO MAGGIORA: arterie comprimirte, und nachdem der Radialarterienpuls vollkommen verschwand, machte ich die Aufzeichnung, welche auf Fig. 23 wiedergegeben ist. Hubhöhe . . END ON Mechanische Nabe. 3.0 Fig. 22. Fig. 23. Ermüdungscurve der Beuger des linken Mittelfingers mit dem Ge- Ermüdungscurve wichte von 2*s und dem Rhythmus von 2 Secunden. derselben anaem. Muskeln. Beim Vergleiche dieser Figuren erscheint evident die bedeutende Ver- ringerung der mechanischen Arbeit, welche ein Muskel erleidet, wenn in demselben die Bluteireulation aufgehoben wird. Ich bemerke jedoch, dass die Anaemie, welche bei mir und anderen Personen eine augenblickliche und sehr bedeutende Wirkung hervorbrachte, bei anderen Individuen im Gegentheile von bedeutend geringerem Einflusse war. In diesem, so auch in anderen ähnlichen Experimenten wurde die Compression der Arterie unmittelbar nach der Aufzeichnung sistirt und die Versuchsperson angehalten, den Muskel contrahiren zu lassen, aber dieser Versuch war vergeblich. Es bedurfte einer ziemlich langen Ruheperiode, ehe die Muskel wieder die Fähigkeit erlangten, das Gewicht zu heben. Die Curve 23 in dem Experiment 10 ist die Resultirende von zwei Factoren, nämlich der Muskelarbeit und der Anaemie, welche beide die Muskelkraft zu erschöpfen suchen. Es ist wohl die Annahme berechtigt, dass, je länger dauernd die Anaemie ist, der Muskel um so mehr seine Fähigkeit, sich zu contrahiren, einbüsst. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 215 Um mir eine genauere Vorstellung über den Einfluss der Anaemie zu bilden, machte ich folgendes Experiment. Versuch 11. (13./12 1887.) A. Maggiora schreibt die normale Ermüdungscurve mit dem Gewichte von 3k&2 und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden. Linke Hand, Fig. 24. Bi al | | | Fig. 24. Fig. 3 Normale Ermüdungscurve d. linken Mittel- Ermüdungscurve d. linken Mittelfingers mit fingeıs mit dem Gewichte von 3*® und dem Gewichte von 3*® und dem Rhythmus „ dem Rhythmus von 2 Secunden. von 2 Sec, nach 3 Min. Anaemie. Hubhöhe . . 0.6699 Mechanische niet OFEN Nach zweistündiger Ruhe fixirt ihm ein Assistent wieder die linke Hand im Ergografen, um wie früher die Ermüdungscurve des Mittelfingers schreiben zu lassen und comprimirt ihm die Oberarmarterie 3 Minuten hindurch; dann wird die Compression sistirt und der Versuchsperson aufgetragen, mit der grössten Kraftanstrengung den Muskel contrahiren zu lassen (Fig. 25). Hubhöhe . . -..0.108% Mechanische An 0.3934 Nach allmählich schwächer werdenden Contractionen ist A. Maggiora nicht mehr im Stande, das Gewicht zu heben und die vom Muskel producirte Quan- tität von mechanischer Arbeit war um !/, geringer als die, welche er normaler Weise zu produciren vermochte. Die Fig. 25 lässt erkennen, dass die Fingerbeuger trotz der 3 Secun- den dauernden Anaemie nicht die Fähigkeit verloren, noch eine erste grösste Contraction auszuführen. Wir wollen nun sehen, ob sie dies auch dann thun können, wenn die Anaemie längere Zeit, besteht. 216 ARNALDO MAGGIORA: Ich mache ein Experiment unter denselben Bedingungen, wie das vorher- gehende, nur mit dem Unterschiede, dass die Anaemie jetzt 10 Minuten dauerte. Ich erhielt die Aufzeichnung, welche in Fig. 26 wiedergegeben ist, und welche zeigt, dass die Muskeln auch nach einer so lange dauernden Anaemie nicht vollständig ihre Contractionsfähigkeit eingebüsst haben, aber schon die erste Contraction war viel niedriger als ge- wöhnlich, und schon nach drei Contractionen war der Muskel müde. Um die Wirkung der Anaemie auf die Muskelcon- traction besser demonstriren zu können, und um nach- zuweisen, wie die normalen Zustände in den Muskeln nach Wiederherstellung der Bluteirculation in denselben zurückkehren, machte ich eine andere Reihe von Unter- suchungen. Wir sahen im Abschnitt II, dass die Höhe Fig. 26. der Contractionen constant bleibt, wenn die Frequenz, mit Ermüdungseurve d. der sie aufeinander folgen, 10 Secunden beträgt. . Mittelfingers m. d. Wenn wir nun in einem Muskel, der sich unter Gewichte v.3*#, u. d. Rhythm. v. 2 Sec., n. 10 Min. Anaemie. diesen Bedingungen contrahirt, Anaemie erzeugen, und wenn sich in der Höhe der Contractionen ein Sinken zeigen wird, dann wird dies ausschliesslich der Anaemie zuzuschreiben sein. Versuch 12. (23./5 1886.) Giorgio Mondo macht mit den Beugern des rechten Mittelfingers jede 10. Secunde grösste Contractionen mit dem Gewichte von 3®8. Die Contrac- tionen erweisen sich alle beiläufig gleich gut, und ordnen sich in einer horizon- talen Linie. Nach einigen Minuten comprimire ich ihm die Oberarmarterie an der inneren Oberarmseite (Punkt A der Fig. 27); die Contractionen werden grad- weise niedriger, bis sie verschwinden, und mit ihren oberen Enden bilden sie eine mit der Convexität gegen die Abscisse gewendete Curve. Diese Linie, welche das Abfallen der Muskelcontractionen in Folge von Anaemie bedeutet, bezeichne ich mit den Worten: Anaemie-Curve. Im Punkte 3 hört die Anaemie auf, und man sieht, dass der Muskel schon nach 10 Secunden im Stande ist, sich schwach zu contrahiren, und dass er ungefähr nach 1 Minute wieder in den normalen Zustand zurückgekehrt ist, wie dies die Höhe der Contractionen nach C zeigt. Wenn wir die aufsteigende Curve, welche das Zurückkehren der Mus- kelkraft nach Wiederherstellung der Bluteirculation ausdrückt, mit derjenigen Curve vergleichen, welche das Verschwinden der Muskelkraft anzeigt, dann sehen wir, dass die. erstere rascher steigt, als die letztere in Folge der Anaemie gesunken ist. Mit anderen Worten: bei gleichbleibender Arbeit stellt sich beim Muskel nach Wiederherstellung der Bluteireulation rascher die Energie wieder her, als er sie in Folge der Anaemie verloren hat. u u wm. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 217 Fig 27. Diese Contractiousreibe ist wegen Raumersparniss auf die Hälfte der normalen Grösse redueirt. Die Beuger des rechten Mittelfingers machen Contractionen mit der grössten Kraftanstrengung mit dem Gewichte von 3*s und dem Rhythmus von 10 Secunden. Im Punkte A beginnt die Anaemie, in D hört sie auf; ich erhielt hierdurch die Anaemie- eurve; in CO sind bereits die Contractionen normal. In anderen den vorhergehenden ähnlichen Experimenten erfolgte die Rückkehr des Muskels zum normalen Zustand noch rascher. Schon 20 Secunden nach Aufhören der Compression der Oberarmarterie waren die Contractionen so hoch wie vor der Anaemie. Zuweilen manifestirt sich die Wirkung der Anaemie nicht mit so evidentem Sinken der Contractionen, weil sich ein Phaenomen einstellt, wel- ches das Experiment abzubrechen zwingt; d. h. es entsteht Ameisenkriechen, welches, anfangs unbedeutend, sich schnell in einen so intensiven “und schmerzhaften Krampf verwandelt, dass die Anaemie sistirt werden muss. Wir sehen aus dem Vorhergehenden: 1. Dass die Anaemie an und für sich der Ermüdung ähnliche Symp- tome hervorbringen kann. 2. Dass, wenn in Folge der Anaemie ein Muskel seine Contractions- fähigkeit verloren hat, nach Aufhören der Anaemie die Contractionen rascher in die Höhe steigen, als sie früher bei Hebung desselben Gewichtes ge- sunken sind; d. h. dass die Materie für die Muskelarbeit allmählich zer- stört wird und durch die Bluteireulation rasch wieder hergestellt wer- den kann.! ! Ich wiederholte die Experimente von Zabludowski mit der Massage (Central- blatt für die medicinischen Wissenschaften. 1883. Nr. 14) und werde von denselben im Abschnitt XI berichten. 218 ARNALDO MAGGIORA: VIII. Wie sich die Ermüdung der arbeitenden Muskeln auf diejenigen fortpflanzt, welche nicht direct arbeiten. Schon R. Mayer sagte in seinem berühmten Werke! über die orga- nische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel, dass sich die Müdigkeit, wenn sie nicht von einem momentanen Excess in der Arbeit hervorgebracht wurde, gleichförmig über das ganze Muskelsystem ausbreitet; dass die momentane Arbeit eines Armes nicht ermüdend auf den der anderen Seite wirkt, aber dass nach einem ermüdenden Marsche die Arme so wie die Beine weniger geeignet zu weiterer Arbeit sind. Diese Thatsache, welche man übrigens bei einfacher Beobachtung der eigenen Person sehen kann, habe ich mittels der graphischen Methode studirt. Wenn wir mit dem Ergographen die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers einer Hand und gleich darauf jene der Beuger des Ring- und Zeigefingers schreiben, dann können wir oft eine leichte Verminderung der Quantität der Arbeit der letzteren zwei Finger beobachten, im Vergleiche mit derjenigen Quantität, welche sie produciren, wenn sie zuerst arbeiten. Man kann jedoch aus diesem Experimente keinen Schluss auf die Art und Weise der Vertheilung der Ermüdung ziehen, weil, wenn sich einer der Finger contrahirt, um ein Gewicht zu heben, auch die anderen Finger an der Arbeit theilnehmen. Man kann aber sehr gut den Ergographen zum Studium der Wirkung der Müdigkeit der Beine auf die Ermüdungscurve der Fingerbeuger der Hand anwenden. Versuch 13. Am 9./5 1886, nachdem ich successiv um 8, 10 und 12 Uhr die nor- malen Ermüdungscurven der Beuger des Mittelfingers beider Hände mit dem Gewichte von 3*"® und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden geschrieben hatte, frühstückte ich und ging in Begleitung von zwei Freunden von Turin nach S. Mauro und wieder zurück. Die Länge des durchmessenen Weges betrug im Hingehen und Zurückgehen jedesmal 5*". Während des nicht schnellen Gehens hielt ich die Hände fast immer in der Tasche, um sie durch das Pen- deln nicht zu ermüden. Nachdem ich um 5!/, Uhr in’s Laboratorium zu- rückkehrte, war ich müde, und schrieb augenblicklich die Ermüdungscurve der genannten Fingerbeuger. Um 6!/, Uhr verliess ich das Laboratorium, ging zum Speisen, ass mit Appetit, trank Wein und kehrte um 7 Uhr 30 Minuten 1 Mayer, Die organische Bewegung in ihrem. Zusammenhange mit dem Stoff- wechsel. 8. 110. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 219 wieder in’s Laboratorium zurück, um wieder die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände zu schreiben. Der Kürze halber veröffentliche ich von den zehn Aufzeichnungen, die ge- macht wurden, bloss drei, welche auf die linke Hand Bezug haben. Die eine bedeutet die normale Ermüdungscurve der Beuger des rechten Mittelfingers (Fig. 28); die zweite den Gang der Ermüdung in diesen Muskeln, als ich vom Spaziergange zurückkehrte und meine Beine müde waren (Fig. 29); die letzte wurde um 7 Uhr 30 Minuten nach dem Speisen aufgezeichnet (Fig. 30). Fig. 30. Fig. 29. Fig. 28. Fig. 28. Fünfte Aufzeichnung. Normale Ermüdungseurve der Beuger des Hinken Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*® und dem Rhythmus von 2 Secunden. Mecha- nische Arbeit 2-625 km, Fig. 29. Siebente Aufzeichnung. Modificationen an der Curve derselben Muskeln nach Ermüdung der Beine. Mechanische Arbeit 0-870 "em, Fig. 30. Neunte Aufzeichnung zeigt die Rückkehr der Fingerbeuger zur Norm in Folge der zweistündigen Ruhe und des Essens. Mechanische Arbeit 2-892 kem, Wenn wir die Figg. 28, 29 und 30 und die Werthe der mechanischen Arbeit miteinander vergleichen, dann sehen wir, dass: 1. die Muskeln des Vorderarmes in Folge der allgemeinen Müdigkeit nach einem Spaziergange von 10 = rascher ermüden und eine geringere Quantität von mechanischer Arbeit leisten. 2. dass nach einem Spaziergange von 10 !® eine zweistündige Ruhe und die Stärkung einer Mahlzeit genügen, damit die Armmuskeln wieder in den Besitz ihrer normalen Energie gelangen können. 220 ARNALDO MAGGIORA: Der Arbeitsleistung nimmt in meinen Muskeln bei kurzen Märschen in so erstaunlicher Weise ab, dass in mir der Zweifel aufstieg, ob es sich hierbei nicht eher um eine nervöse Erscheinung als um eine wirkliche Verminderung der Arbeitsfähigkeit der Muskelsubstanz handle. Um dies zu entscheiden machte ich Experimente, bei denen der N. medianus oder die Fingerbeuger direct, vor und nach einem langen Spaziergange mit einem tetanisirenden Strome gereizt wurden. Versuch 14. Am 12. August 1888 habe ich nach einem Frühstück um 12 Uhr Mittags, um 2 Uhr Nachmittags die normale Ermüdungscurve der Beuger : des linken Mittelfingers mit dem Gewichte von 2*® geschrieben, indem nach der im Vorhergehenden beschriebenen Weise der N. medianus mit einem inducirten Strome, der durch die Entfernung der Rollen auf 1250 erhalten wurde, und mit einem Reizintervall von 2”, gereizt wurde. Die Zahi der Unterbrechungen des primären Stromes für die Dauer einer jeden Reizung betrug 30. Der Kürze halber unterlasse ich die Mittheilung der Aufzeichnungen, und gebe bloss den Werth der erhaltenen mechanischen Arbeit wieder, welcher 2.918*em gleich. war. Die Ermüdungscurve sieht im Profile der der Fig. 30 ähnlich, nur dass die Zeit, während welcher der Muskel fortfährt, sich zu contrahiren, länger ist. Gleich darauf drehte ich den Apparat um und schrieb die Ermüdung der Fingerbeuger der rechten Seite, indem ich sie in der im Vorhergehenden beschriebenen Weise direct reizte.e Das Gewicht betrug 2*®, die Intensität des inducirten Stromes 4250, der Reizintervall 2”. Die Ermüdungscurve repraesentirt eine mecha- nische Arbeit von 0-818*s”, Dann machte ich einen Spaziergang bis Superga, das 675” hoch über der Meeresoberfläche und ungefähr acht Kilometer weit von Turin liegt. In Superga hielt ich mich 20 Minuten auf, um ein Glas Bier zu trinken und kehrte dann in’s Laboratorium zurück, um die Ermüdungseurve zu schreiben. Der linke Mittelfinger giebt unter den- selben Bedingungen wie früher, bei Reizung des N. medianus, bloss um 0.498 kem, die directe Reizung der Beugemuskeln unter denselben Be- dingungen wie früher bloss um 0.168 em weniger mechanische Arbeit. Die Verminderung der Muskelkraft der Arme nach einem mässigen Marsche ist daher nicht von der verminderten Energie der von den nervösen Oentren ausgehenden Reize abhängig, sondern hat ihre Ursache in der Peripherie und ist durch die verminderte Widerstandskraft der Muskeln und der Nerven bedingt. Die mechanische Arbeit, welche man durch Reizung des Nerven erhält, ist bloss ungefähr der siebente Theil der normalen Arbeit. Und man kann nicht sagen, dass die Reizbarkeit abgenommen ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 221 habe, denn die erste Contraction ist 58"m hoch in der Aufzeichnung vor dem Spaziergange und 54"m hoch in der Curve nach demselben, so dass die Differenz fast übergangen werden kann. Hier also ist es, gerade so wie bei der Anaemie, die Widerstandskraft, welche fehlt. Für die directe Reizung des Muskels ist die mechanische Arbeit auf den fünften Theil des früheren Werthes reducirt. Ich ging zum Speisen, ass mit Appetit, trank Wein und Kaffee. Nach- dem die Müdigkeit geschwunden zu sein schien, wollte ich versuchen, ob dem allgemeinen Wohlbefinden und der Erholung entsprechend die normale Kraft in die Muskeln zurückgekehrt sei. Um 8 Uhr 30 Minuten schreibe ich in der angegebenen Weise die Ermüdungscurve, und erhalte durch die Reizung des N. medianus links eine mechanische Arbeit von 0-502*em, rechts durch die directe Reizung der Beugemuskeln 0.296", Mich wunderte diese geringfügige Vermeh- rung und überzeugte mich, dass wir nicht mit Exactheit über die Kraft unserer Muskeln urtheilen können, denn ich wähnte mich vollständig restaurirt und es war im Gegentheil die Wirkung der Ruhe noch nicht . genügend, es praevalirte die Action des Weins und Kaffees auf das Nerven- system. Ich werde auf dieses Argument in einer nächsten Arbeit über die physiologische Action der Exeitantia zurückkehren, und werde hier bloss noch eine Beobachtung anführen, welche eine Stunde nach der vorhergehenden gemacht wurde, und eine gewisse Bedeutung hat, weil sie die Wirkung der nervösen Centren beleuchtet. Um 9 Uhr 30 Minuten schreibe ich die Ermüdungscurve für willkürliche Bewegungen. Der linke Mittelfinger hebt 2%: mit dem Rhythmus von 2”, und ich erhalte eine normale Curve, welche der Fig. 1 ähnlich sieht und eine Quantität von mechanischer Arbeit, welche nur um Weniges geringer ist, d.h. = 2.446em, Der Reiz des Willens, indem er stärker ist als die elektrischen Reize, welche wir auf die Nerven oder Muskeln applieiren, bewirkt also eine normale Arbeit des Muskels, obgleich dieser sich noch nicht vollständig von der vorausgehenden Er- müdung erholt hat und nicht mit gleicher Energie auf die Almaoe oder - indirecte Reizung reagirt. Einfluss angestrengter Märsche. Um die grosse Verschiedenheit, welche verschiedene Individuen in dem Widerstande gegen die Ermüdung an den Tag legen, zu zeigen, ferner, um festzustellen, wie bedeutend die Uebung die Zustände des Organismus ver- ändert, theile ich ein Experiment mit, wo ein Marsch von 32 *=, den zwei Soldaten machten, gar keinen Einfluss auf die Muskeln der Hand ausübte, 222 ARNALDO MAGGIORA: und bei denen ein Marsch von 64 "= nothwendig war, damit die Wirkung der allgemeinen Müdigkeit evident werde, während bei mir zu einer Zeit, wo ich continuirlich eine sitzende Lebensweise führte, schon ein Spaziergang von 10 *= ausreichte, um die Quantität der mechanischen Arbeit der Fin- gerbeuger der Hände herabzusetzen. Versuch 15. Mantovani und Capurro, beide 22 Jahre alt, Soldaten vom 81sten Infanterie-Regiment, die mir schon für andere Experimente dienten, schreiben um 8 Uhr Vormittags am 27./5 1886 die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände, verspeisen dann die erste Hälfte einer militärischen Mahlzeit! und gehen von Turin nach Castello di Rivoli und zurück, machen also einen Weg von 32km, Sie kehrten um 3!/, Uhr zurück und behaupteten keine Ermüdung zu fühlen, schrieben ihre Ermüdungscurve mit den erwähnten Muskeln, welche sowohl bezüglich ihrer Form, als auch bezüglich der Quantität der geleisteten mechanischen Arbeit noch ganz normale Charaktere darbietet. Gleich hernach verspeisten sie den zweiten Theil ihrer Mahlzeit, und machten sich wieder auf den Weg, um nochmals denselben Weg von Turin nach Rivoli, d.h. weitere 32 kn zurückzulegen.? Um 9 Uhr Abends kehrten die beiden Soldaten zum zweiten Male nach Turin zurück und behaupteten sehr müde zu sein, sie schrieben ihre Ermüdungs- curven der Beuger und gingen dann zu Bette. In der Nacht jedoch waren sie aufgerest und konnten kaum schlafen, am 28. früh um 7 Uhr kamen sie wieder in’s Laboratorium, behaupteten noch müde zu sein und schrieben die Emüdungscurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände. Dasselbe thaten sie um 11!/, Uhr Vormittags und um 3 Uhr Nachmittags. Dieses Experiment besteht aus 24 Aufzeichnungen, von denen ich nur drei der rechten Hand des Soldaten Capurro mittheile Die erste, Fig. 31, reprae- sentirt den normalen Gang der Ermüdung der Beuger des rechten Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*8 und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden; sie entspricht der zweiten Aufzeichnung des Experimentes: Hubhöhe 1-737 ®%, mecha- nische Arbeit 5.211 3m; die zweite Aufzeichnung, Fig. 32, entspricht der zehnten Aufzeichnung des Experimentes und repraesentirt die Ermüdungscurve derselben Muskeln nach dem Marsche von 64%®, Hubhöhe 0.375”, mechanische Arbeit ! Die vom Laboratorium dargereichte Mahlzeit war die beim Marsche übliche: Fleisch 300 =“, Proviantbrod 900 s”®, Mehlspeise 150 8”, Gewürze 35 e'=, Salz nach Belieben; Wein 500 «m, ? Die Soldaten boten sich recht gern zu diesen Experimenten an, die sie dem Kasernendienst vorzogen, und obgleich ich gar nicht daran zweifelte, dass sie den ihnen vorgeschriebenen Weg wirklich durchlaufen würden, so habe ich ihnen doch einen Geleitbrief mitgegeben, den sie bei der Ankunft in Rivoli dem Offizier der dort stationirten Mannschaft praesentirten, der den Geleitbrief vidimirte, auf demselben die Stunde bezeichnete, in der sich ihm die Soldaten praesentirten, und sie dann nach Turin zurückschickte. Be ÜRER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 223 1°125*8”m; die dritte Aufzeichnung, Fig. 33, entspricht der 14ten Aufzeichnung des Experimentes und zeigt den Gang der Ermüdung der Beuger des Mittel- fingerss um 7 Uhr früh vom 28./5: Hubhöhe 0.640”, mechanische Arbeit 1.920 kam, Fig. 31. Capurro. Normale Ermüdungscurve der Beuger des rechten Mittelfingers mit dem - Gewichte von 3%s und dem Rhythm. von 2 Secunden. Fig. 32. Capurro. Ermüdungscurve der Beuger des rechten Mittelfingers mit dem Gewichte von 3*s, dem Rhythınus von 2 Secunden, nach einem Marsche von 64“, Die übrigen Aufzeichnungen habe ich weggelassen. Die von den Soldaten am ersten Versuchstage um 3!/, Uhr gelieferten Curven sind der Fig. 31 voll- ständig ähnlich, d. h. sowohl bezüglich der Form, als auch der Quantität der mechanischen Arbeit. Mantovani und Capurro, gewöhnt an lange Märsche mit dem Tragen eines Gewichtes von ungefähr 258,1 wurden fast gar nicht müde nach einem Marsche von 32%® ohne Gewehr und Gepäck, während ich, an eine sitzende Lebensweise gewöhnt, nach einem Marsche von 10", wie das vorhergehende Experiment es zeigt, bedeutend mehr ermüdet war. Dagegen ! Wetterly-Gewehr 4*®, Bayonetten-Säbel, Ladung, Tornister, andere Utensilien, Lebensmittelvorrath zu je 15 bis 22 ®e, 224 ARNALDO MAGGIORA: zeigen die von den Soldaten nach dem Marsche von 64 km geschriebenen Curven, von denen die Fig. 32 ein Beispiel darstellt, eine bedeutende Vermin- derung der Kraft und Ausdauer ihrer Handmuskeln, die noch um 7 Uhr früh des folgenden Tages nach der nächtlichen Ruhe sehr deutlich war, weniger deutlich um 9 und 11 Uhr nach dem Frühstücke, und erst um 3 Uhr Nach- - mittags, vor dem Mittagsessen, verschwunden war. Zu dieser Stunde, wo sie noch über Müdigkeit und Schmerzen in den Beinen klagten, machten die Soldaten vier normale Aufzeichnungen der Ermüdungscurve mit den Beugern der Hand. | ıg oa zoll I Ih N | j | \ Fig. 33. Capurro. Ermüdungscurve derselben Muskeln nach der Nachtruhe. Man ersieht, dass die Ruhe nicht hinreicht, um die normalen Zustände in den Muskeln wieder herzustellen. Es resultirt aus diesen Versuchen: Dass die Ermüdung der Beine die Ermüdung in den Armen beschleu- nigt, und zwar mehr oder weniger je nach den Individuen und ihrem grösseren oder geringeren Gewohntsein an Märsche. Wir werden im letzten Abschnitte mit Hülfe von anderen Experi- menten auf die Natur der Ermüdung zurückkommen, und werden sehen, dass es sich um einen sehr complicirten Vorgang handelt. Es ist wahr- scheinlich, dass der arbeitende Muskel durch einen Zerstörungsprocess Sub- stanzen producirt, welche, durch das Blut und die Lymphe in den Gesammt- körper verbreitet, auf die Muskeln, nervösen Centren und die Nerven einen schädlichen Einfluss ausüben, wie schon Prof. A. Mosso in seiner Abhand- lung über die nervöse Ermüdung S. 133 gezeigt hat. IX. Wirkung des Wachseins und des Schlafes. Während mehrerer Tage registrirte ich die Ermüdungscurve der Beuge- muskeln der Hand verschiedener Individuen (der HH. DDr. Vittorio Aducco, Ugolino Mosso, Valentino Grandis, Giorgio Mondo u. A.) Morgens, gleich nachdem sie in’s Laboratorium kamen, und Abends, be- DD D on ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. vor sie dasselbe verliessen ; aber ich fand keinen Un- terschied in den Aufzeich- nungen, denn die Form der Curve und die Quan- tität der mechanischen Arbeit der Muskeln waren ungefähr die gleichen oder zeigten ähnliche Va- rlationen sowohl in der Frühe als auch Abends. Wenn wir diese Be- obachtungen mit den- Fig. 34 Mechanische Arbeit 2-388 em, . > jenigen vergleichen, wel- 38 che im vorhergehenden 7 Abschnitte bezüglich der durch lange Märsche ver- ursachten Ermüdung, die .. 2 während der Nachtruhe 3 nicht verschwindet, mit- — getheillt wurden, dann sehen wir, dass sich bei = . . . . .co der mässigen Arbeit, die SR bei den gewöhnlichen Be- schäftigungen des Lebens = 3 ö he . Do nothwendig sind, während 82 des Tages die Vorräthe des Muskels an Energie nicht erschöpfen, und dass deshalb die „ nächtliche Ruhe nur wenig die Muskeln beeinflusst, wäh- rend im Gegentheile die Wirkung des Schlafes auf die nervösen Centren eine viel ausgesprochenere ist. Es boten sich zweier- lei Mittel, um die Wir- kung des Schlafes ken- nen zu lernen: erstens eine Steigerung der Er- 43. 44. 0-306 0-270 0-270 0-354 0-333 0-411 0-381 0-441 45. 46. Archiv f. A.u. Ph, 1890, Physiol, Abthig, 15 226 ' -ARNALDO MAGGIORA: müdung während des Tages, zweitens eine Herabsetzung der Dauer des Schlafes. Untersuchen wir den letzteren Fall. Versuch 16. Am 11./5 1886 schrieb ich von 8 Uhr früh bis 6 Uhr Abends jede zweite Stunde die normale Ermüdungscurve der Beuger der Mittelfinger beider Hände mit dem Gewichte von 3®® und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden. Ich erhielt so 12 Aufzeichnungen, von denen ich bloss die letzte wiedergebe, die Fig. 34, da die anderen jener ganz ähnlich sind. Um 6 Uhr Nachmittags hörte ich auf, speiste wie gewöhnlich, und anstatt mich in’s Bett zu legen, wachte ich die ganze Nacht hindurch, indem ich bis 12 Uhr im Theater und nachher im Laboratorium war. Am nächsten Tage schrieb ich wieder von 8 Uhr früh bis 6 Uhr Nachmittags, wie am vorhergehenden Tage, die Ermüdungscurven der Beuger des Mittelfingers beider Hände mit demselben Gewichte, Contractions- frequenz und Ruheperioden. Ich gebe alle 12 Aufzeichnungen dieses Tages wieder, Fig. 35 —46. Aus dem Versuch 16 kann man ohne Weiteres erkennen, dass das Wachen eine Nacht hindurch genügt, damit am nächsten Tage der Muskel viel rascher ermüde, sodass um 8 Uhr Früh des nachfolgenden Tages die Quantität der mechanischen Arbeit auf die Hälfte derjenigen redueirt ist, welche unter normalen Verhältnissen producirt wird. Am Tage nach der durchwachten Nacht machen die Fingerbeuger noch eine erste normale oder wenig modifieirte Contraction, aber die Höhe der nach- folgenden Contractionen nimmt mit ungewöhnlicher Raschheit ab. Man sieht wie bei der Anaemie das Kraftcapital abnehmen, während Einzel- ausgaben noch möglich sind. Prof. Mosso hat mit seinen Versuchen über die Ermüdung des Nervensystems schon gezeigt, dass nicht nur die Fr- regbarkeit, sondern auch die Leistungsfähigkeit in diesem Zustande kleiner wird. Die Verminderung der mechanischen Arbeit ist oft grösser, als bei der durch Anaemie bedingten Erschöpfung. Dies erfolgte trotz der zweistün- digen Ruheperioden und trotzdem ich um 12 Uhr mit grossem Appetite gegessen habe. Die am 13. nach der nächtlichen Ruhe geschriebenen Aufzeichnungen, welche hier nicht wiedergegeben sind, zeigten, dass die normalen Zustände in den Muskeln sich wieder hergestellt haben. Man sieht also, dass das Wachen, indem es eine allgemeine Er- schöpfung des Organismus verursacht, die Ermüdung in unseren Muskeln beschleunigt; diese können wohl noch eine erste normale oder wenig ver- änderte Contraction liefern, aber sie ermüden dann rasch und geben eine sehr kleine Quantität von mechanischer Arbeit. „e ÜBER DIE ÜRSETZE DER ERMÜDUNG. 227 Diese erschöpfende Action des Wachens wird durch die Mahlzeit nieht modifieirt und schwindet nur nach dem compensirenden Einfluss des Schlafes. X. Einfluss des Fastens und der Nahrungsaufnahme auf die Muskelmüdigkeit. Ich habe bis jetzt nicht von den feineren Vorgängen gesprochen, von welchen die Muskelcontraction abhängig ist, und welche zur unmittelbaren Ursache der Ermüdung werden; die Experimente jedoch, die ich in der Folge mittheile, zwingen zur Berücksichtigung dieses wichtigen Problems. Seitdem Hermann gezeigt hatte, dass ein Muskel ohne Sauerstoff thätig bleiben könne, haben sich die Ideen, welche man über die Activität der Muskeln hatte, geändert, und wir sind jetzt der Meinung, dass diese Acti- vität von der chemischen Umwandlung der Materie abhängig sei, welche den Muskel zusammensetzt. Lassen wir jetzt die Complication bei Seite, welche für das Studium der Ermüdung dadurch erwächst, dass auch eine centrale Ermüdung existirt, und dass Vieles auf die Rechnung der Vorgänge zu setzen ist, die in den Nervenzellen der Centralorgane und in den Nerven stattfinden, und beschränken wir uns bloss auf die Betrachtung des Muskels. Aus den bis jetzt mitgetheilten Experimenten darf geschlossen wer- den, dass sich in den Muskeln in Folge der Contraction ein Theil der- jenigen Substanzen erschöpft, die sie zusammensetzen. Wir werden im letzten Capitel sehen, dass Ermüdung auch in anderer Weise entsteht, und zwar in Folge der Anwesenheit von Zersetzungs- produeten aus den chemischen Umwandlungen, welche die Contractionen hervorrufen. Wir wollen jetzt mittelst des Ergographen studiren, wie sich in den Muskeln des Menschen die Energie erschöpft, und welche Modificationen sie erleiden, wenn der ganze Organismus durch Fasten geschwächt wird. Ich habe zwei Reihen von Beobachtungen angestellt: die erste an Dr. Aduceo, Dr. Grandis und mir selbst, indem wir um 11!/, Uhr früh- stückten, um 6 Uhr zu Mittag speisten und während des ganzen Tages jede zweite Stunde die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände mit demselben Gewichte und demselben Rhythmus schrieben; die zweite an den Soldaten Mantovani und Attolini, welche um 8!/, Uhr Vormittags und 3 Uhr Nachmittags assen. In diesen beiden Beobachtungs- reihen sind sowohl die Form der Ermüdungscurve, als auch die Quantität der mechanischen Arbeit des Muskels in den Stunden vor und nach der Mahlzeit ungefähr dieselben oder zeigen ähnliche Variationen. Top 2328 ÄRNALDO MAGGIORA: Ein einziges Mal nur, als ich von den Soldaten Mantovani und Ca- purro für andere Zwecke die Ermüdungseurve der Beuger des Mittelfin- gers den ganzen Tag über jede zweite Stunde schreiben liess, konnte ich in den Curven, welche um 5 und 7 Uhr nach der Mahlzeit geschrieben wur- den, eine merkliche Steigerung in der Quantität der vom Muskel geleisteten mechanischen Arbeit constatiren; aber diese Beobachtung blieb isolirt und ich konnte sie nieht durch wiederholte Experimente bekräftigen. Es geht hieraus hervor, dass das kurze Fasten zwischen Frühstück und Mittagsessen bei ausreichender Ernährung die Arbeitsfähigkeit des Muskels nicht her- absetzt. Ich musste deshalb zu längerem Fasten meine Zuflucht nehmen; hier- bei konnte ich auch beobachten, mit welcher Schnelligkeit das Essen die Kräfte des durch Fasten geschwächten Organismus wieder herstellen kann. Versuch 17. Gewöhnt zu speisen um 11!/, Uhr Vormittags und um 6 Uhr Nachmittags, unterliess ich am 22./12 1886 das Frühstück und fastete 24 Stunden lang. Von 6 Uhr früh, bis 6 Uhr Nachmittags schrieb ich jede zweite Stunde mit dem Gewichte von 3*® und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden die Er- müdungscurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände. Um 6 Uhr ging ich zum Speisen und kehrte 6 Uhr 45 Minuten in’s Laboratorium zurück, um die Ermtidungscurve des Mittelfingers beider Hände zu schreiben. Dasselbe that ich um 9 Uhr Abends. Ich erhielt so im Ganzen 16 Aufzeichnungen, von denen ich die fünf ersten und die drei letzten weglasse, und reproducire bloss die übrigen von Fig. 47 bis 54. Die sechste Aufzeichnung, welche der Fig. 47 entspricht, wurde um 12 Uhr Mittags geschrieben, also noch in normalen Verhältnissen, und dient zum Ver- gleiche mit den anderen Aufzeichnungen. Die Aufzeichnungen 7, 8, 9, 10, 11 und 12, welche den Figuren 48, 49, 50, 51, 52 und 53 entsprechen, zeigen die Wirkung des Fastens; die Ermüdungscurve hat ihre Form verändert; sie sinkt bedeutend rascher. Die Fig. 48 wurde um 2 Uhr mit der rechten Hand geschrieben — Fig. 49 links 2 Uhr — Fig. 50 rechts 4 Uhr — Fig. 51 links 4 Uhr — Fig. 52 rechts 6 Uhr — Fig. 53 links 6 Uhr. — Die Quantität der mechanischen Arbeit war schon um 2 Uhr Nachmittags geringer, als die nor- male, verminderte sich noch mehr um 4 und um 6 Uhr. Die Höhe der ersten Contraetion ist normal oder nur ganz unbedeutend modificirt. Die Fig. 54 ist um 6 Uhr 45 Minuten, einige Minuten nach der Nahrungs- aufnahme geschrieben. Die schnelle Zunahme der Leistung ist überraschend. Die linke Hand, welche gleich nach der rechten die Ermüdungscurve schreibt, giebt 2-085 "sm mechanische Arbeit anstatt 0615 "=®, die sie 45 Minuten vor- her gegeben hat. Um 9 Uhr schreibe ich noch einmal die Ermüdungsceurve, ich erhalte Rechts mechanische Arbeit 2.319 Ks”, Links 2-295 \sm, Diese Contractionsreihen, welche ich der Kürze wegen nicht reproducire, zeigen, dass die Muskeln dauernd ihre primitive Energie erlangt haben. 229 1 Te iR ERMÜDUNG ESETZE DE (f x 4 3ER DIE Ür WU NESSUnIgeN OP 95[0,7 UT UHPIOM9S [euıou puep ua9yo9L A9p 9Almossanpnung "uamum cr un 9 "FC "Sta "79PIE]Ia SUa9se J SOp 93[07 UT Opurf .Ioplaq UJENYSUM] Usq[aSI9p uaAmaSSUnpnULM ap 9gafeMm “usuoryesgtpom EC SIq SF "01 ‘u9pundag z UoA snwugAgy wep pun s,g UOA ayyoImaK map ur sıaduypogyim uoyuı SOp Aasnag A9p AAmoassunpnunmg ofewaon “UN ZI Fr "SIE g : = DS N nn nn [m nn aun al "T una’ ana "I ans war wage “ung "ı ayn cHr-9'y "nöy LS NOqLYy "UeDoN 898-0 866-0 806-0 918-0 FrL-0 19-0 93-7 "pr Sg ‘Sp Sa zeit 08 314 LER EB TE read 230 ARNALDO MAGGIORA: In einem anderen Versuch, welcher an den Soldaten Mantovani und Attolini angestellt wurde, habe ich dieselben Resultate erhalten. Nur bei dem Soldaten Attolini war an der linken Hand die Verminderung der Höhe der ersten Contraction nach dem Fasten etwas bedeutender, aber in der Curve der anderen Hand von demselben Soldaten Attolini und in den Curven des Manto- vani gewahrt man dieselbe Erscheinung wie in den meinigen, d. h. nur eine un- bedeutende oder gar keine Verringerung der ersten Kraftanstrengung des Muskels. Es wird hierdurch festgestellt: l. dass das Fasten die Ausdauer der Muskeln verringert, während das- selbe nur in geringem Maasse die Kraft der ersten Contraction beeinflusst. 2. Die durch das Fasten bedingte Erschöpfung der Muskelkraft ver- schwindet rasch nach einer Mahlzeit und der Muskel bewahrt in der Folge seine ursprüngliche Energie. Man könnte im Hinblick auf die Raschheit, womit die Ermüdung während des Fastens auftritt, vermuthen, dass diese Erscheinung von dem Umstande abhängt, dass der Muskel nach seiner Ermüdung zur Erholung während des Fastens einer längeren Zeit bedarf. Allein diese Annahme wird durch andere Experimente, die ich an- stellte, nicht bekräftigt, denn diese zeigen, dass der Muskel, auch wenn er früher durch eine oder mehrere Proben von Aufzeichnungen nicht ermüdet wurde, beim fastenden Menschen sich viel rascher erschöpft. Directe Reizung der Nerven und der Muskeln, um den Einfluss des Fastens und der Nahrungsaufnahme auf die Muskelmüdig- keit zu zeigen. Um die Ergebnisse der vorhergehenden Versuche zu erklären, könnte man annehmen, dass die explosiven Substanzen, welche in den Muskeln enthalten sind, in Folge des Fastens zerstört werden, und dass durch die Nahrungsaufnahme diese Substanzen wieder restituirt werden. Aber diese Hypothese würde zur Annahme nöthigen, dass der Zeitraum von einer halben Stunde hinreichend ist, um den Muskeln jene Substanzen zurückzuerstatten. Dieser Annahme kann nur mit Vorsicht Raum gegeben werden, wenn wir bedenken, wie lange die Verdauung der in den Magen geführten Nahrungsmittel dauert. Die Untersuchungen von Prof. Mosso! haben schon gezeigt, dass nach der Nahrungsaufnahme die Herzschläge rasch stärker werden und die Tonicität der Blutgefässe wächst. Wir be- obachten hier Aehnliches nur mit dem Unterschiede, dass sich der Effect der Erholung in den willkürlichen’ Muskeln manifestirt. Da wir aber die ! Die Diagnostik des Pulses. Leipzig, Veit & Comp. ÜBER DIE GESETZE DER FRMÜDUNG. 231 Raschheit kennen, womit die Nahrungsmittel und erregende Substanzen auf das Herz und die Blutgefässe wirken, können wir uns auch nicht über die Raschheit der Wirkung wundern, welche die Absorption der Nahrungsmittel ausübt, um den Muskeln ihre Energie zurückzuerstatten. Es ist noch eine andere Hypothese statthaft, und zwar die, dass die Herabsetzung der Kraft durch das Fasten nicht so sehr von der Vermin- derung des Vorraths an explosiver Substanz im Muskel abhänge, als viel- mehr von der geschwächten Fähigkeit der Nerven diejenigen chemischen Umwandlungen anzuregen, welche die Ursache der Muskelverkürzung bilden. Mit dieser Hypothese wird jedoch die Schwierigkeit der Erklärung nicht beseitigt, weil es doch unerklärlich bliebe, dass sich das Nervensystem in so kurzer Zeit hinreichend erholen könne, um die Kraft der Contractionen so beträchtlich zu steigern. Wir sehen auch in diesen Experimenten die Wiederholung der schon angedeuteten Erscheinung, dass nämlich die erste Contraction trotz des Fastens ihre normale Höhe bewahrt. Es mangelt also nicht an der Kraft, des Muskels oder an der Erregung der Nerven, da sich ja Anfangs die Contraction mit ihren normalen Charakteren äussert. Das, was dem Muskel abgeht, ist die Constanz der Energie, oder die Fähigkeit, weitere starke Contractionen auszuführen. Die Hypothese, dass die Ueberreste der Umwandlung der. explosiven Stoffe dem Nerven und dem Muskel während des Fastens schädlicher seien, erscheint uns gleichfalls unwahrscheinlich. Ueberraschend in diesen Experimenten ist die Raschheit, womit der Muskel in Folge der Nahrungsaufnahme wieder zu Kräften kommt, denn wie man aus den Tabellen der vorangegangenen Experimente sieht, hat sich der Muskel, der um 6 Uhr Nachmittags nicht mehr als die Hälfte der normalen mechanischen Arbeit producirte, ?/, Stunden nachher schon voll- ständig erholt, und seine mechanische Arbeit war gleich der in physiolo- gischen Zuständen. Es kann schliesslich die Frage entstehen, ob es sich nicht um re- flectorische Vorgänge, oder um eine vom Willen abhängige Gehirnthätigkeit handle Um dieses Problem zu lösen, habe ich den folgenden Versuch an- - gestellt, in welchem der Reiz auf den sich contrahirenden Muskel nicht vom centralen Nervensystem, sondern von einem inducirten Strom ausgeht, der auf einen peripherischen Nerven angewendet wurde. Versuch 18. Am 30./7 1888 um 8 Uhr früh fixirte ich den linken Vorderarm am Ergographen, wie ich es gewöhnlich that, um die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers zu schreiben. Ein Gehilfe applieirte mir ’mit Hülfe eines 232 ÄARNALDO MAGGIORA: elastischen Bandes eine der Elektroden eines inducirten Stromes auf das Gefäss- Nervenbündel an der äusseren oder Schulterblatt-Oberarmseite der Achselhöhle und fixirte auf dieselbe Weise die andere Elektrode auf der vorderen Seite des Vorderarmes ungefähr in der Mitte des Verlaufes der Beuger des Mittelfingers. Der inducirte Strom kam $ von einem du Bois- eo Su y keymon d’schen Schlit- Ro Y tenapparate, in welchem a gg die primäre Rolle11 5°” weit von der inducirten g Bun Rolle war (2500E.). Der EuWE an primäre Stromkreis war sPrEnE mit zwei Bunsen’schen 2 = a Elementen verbunden. E85 e Ein Pendel schloss alle Se? 2 Secunden den primä- EeEnB ren Stromkreis auf die BE Dauer ?°/,, einer Se- Slsır cunde, der Strom reizte gar nn so auf dem Wege der 5 = & Nerven alle Muskeln des S, : Vorderarmes, und daher = we auch die Beuger des = 4® Mittelfingers zur Con- 3 gu traction. In dieser Weise z i registrirte ich die Er- =. ınüdungscurve der Beu- ser des linken Mittel- fingers, deren Nerven auf obige Weise gereist wur- den. Nach zweistündiger Ruhe schrieb ich wieder in derselben Weise die Ermüdungscurve dersel- ben Muskeln, ebenso unı 12 UhrMittags (Fig. 55). [ch erhielt so zwei wei- tere normale Aufzeich- nungen der Ermüdung. Diese und die folgende Aufzeichnung sind von 2 links nach rechts ge- : schrieben. Nach der dritten Aufzeichnung (Fig. 55) habe ich das Frühstücken unter- lassen und fastete bis 6 Uhr Abends. Uın 2 Uhr (Fig. 56) — 4 Uhr (Fig. 57) und 6 Uhr Nachmittags schrieb ich neuerdings die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers (Fig. 58); um 6 Uhr 5 Min. ging ich zum Speisen, kehrte um 6 Uhr 35 Min. in’s Laboratorium zurück und schrieb die letzte Ermüdungscurve (Fig. 59). Von den sieben auf dieses Experiment bezüglichen Aufzeichnungen -upgayndg 8G "ILq ‚uımegayn 9 69 "14 ‘33192 U9ISET IA UJEYSUNT Uag[esIoep SAMmosZunpnunFg 9Ip ausm “uguorreoygipom "SC ‘LE ‘9E "Zug sI93uyjogyipt uoyum Sop Aadnagg A9p JAınasdunpnuny 9feuLoN ÜBER DIE GESETZE DER ÜRMÜDUNG. 233 habe ich die zwei ersten weggelassen, weil sie normal und der dritten (Fig. 55) gleich sind, und theile bloss die übrigen von 56 bis 59 mit. Aus den nebenstehenden Aufzeichnungen geht deutlich hervor, dass die Schwäche, welche wir während des Fastens fühlen, nicht ausschliesslich einer geringeren Energie des Gehirns und des Rückenmarks zuzuschreiben ist. Bei directer Reizung der Nerven manifestiren sich gleichfalls bedeutende Differenzen in Folge eines relativ kurz dauernden Fastens.. Die Herab- setzung der um 2 Uhr Nachmittags geschriebenen Aufzeichnungen im Vergleiche mit der zu Mittag gemachten ist bedeutend grösser, als man erwartet hätte. Die erste Contraction ist, wie in den willkürlich geschrie- benen Curven, nur um weniges geringer als die in normalen Zuständen gewonnene, aber es erschöpft sich in dem Muskel die Energie rascher. Diese Verminderung der mechanischen Arbeit ist noch viel evidenter in den um 4 und 6 Uhr Nachmittags gemachten Aufzeichnungen, in welchen nicht einmal die erste Contraction die normale Höhe erreicht. Ich hatte kaum gespeist und schon eine halbe Stunde nach Beginn meines Mittagsessens haben die Muskeln ihre Energie wieder erlangt. Dies beweist, dass die Absorption bei der Verdauung der Nahrungsmittel sich mit grosser Schnellig- keit vollzieht, und dass wenig Substanz hinreicht, um den Muskeln ihre primitive Energie wieder zurückzugeben. Im Nachfolgenden theile ich ein Experiment mit, in welchem die Rei- zung mit dem indueirten Strom direct auf die Beuger des Mittelfingers aus- geübt wurde. Versuch 19. Am 2./8 1888 habe ich bezüglich des Fastens ein dem vorhergehenden ähnliches Experiment geniacht, worin jedoch die elektrische Reizung direct auf die Beuger des Mittelfingers ausgeübt wurde. Die Elektroden wurden am Vor- derarm angebracht, die grössere in der Gegend der fixen Insertion der besagten Muskeln, 3°" unter der Ellbogenbeuge, die kleinere 5°" weiter unten. Der- Strom ging auch diesmal von zwei Bunsen’schen Elementen aus; die Ent- fernung der beiden Rollen war 10-5°% gleich 3000 E., das Gewicht 1200 8", der Rhythmus 2 Secunden. Ich schrieb jede zweite Stunde von 83 Uhr früh bis 6 Uhr Nachmittags die Aufzeichnung der Ermüdung der Beuger des linken Mittelfingers. Die Fig. 60 wurde um 8 Uhr Morgens geschrieben. — Fig. 61 um 2 Uhr Nachmittags. — Fig. 62 um 4 Uhr. — Fig. 63 um 6 Uhr 5 Minuten. Um 6 Uhr 5 Minuten ging ich zum Speisen, um 6 Uhr 35 Minuten war ich wieder im Laboratorium und schrieb noch einmal die Ermüdungscurve (Fig. 64). Dieses Experiment ergab sieben Aufzeichnungen, von denen ich nur die Nrn. 1, 4, 5, 6, 7, Figg. 60—63 und 64, wiedergebe, die Nrn. 2 und 3 lasse ich weg, weil sie vollständig der ersten gleichen. 234 "NOZIUEN Op yoeu Avgfayımun 9Amossunpnwar 79 Lg ISIHMFNE UHISEg WIT UJOYSUML uHg[asIap 9Aanosdunpnuwum aIp 9yofoMm uouogeogipom 'g9 ‘39 ‘19 "FA uopunag z snmugAyuy ARNALDO MAGGIORA: Auch in diesem Experimente zeigte sich an mir einfach wegen Unter- lassung des Frühstücks um 2 Uhr Nachmittags eine starke Herabsetzung der Widerstandskraft des Muskels; diese Herabsetzung wurde viel evidenter um 4 und um 6 Uhr Nachmittags, obgleich der Muskel noch im Stande "sıasuy "SOUONSIaA "6I Soap Junugdrazny Asa 09 "SIA "us 005I IUDIMOH "JoJy9LI93 uPYSnm Ip ae PaLıp um Zunzioy Al [Jg Sp TO3nag Top JAımasdunpninag OfeunıoN aun 8 °09 SU un % "19 IL Iuf) Fr "29 D1d um 6 un 9 “um cs ayun 9 <— X "89 "214 ‘#9 'S17 war, eine erste nor- male oder nur wenig unter der normalen bleibende Contraction zu geben. Um 6 Uhr 35 Minuten, d.h. un- mittelbar nach dem Es- sen, hatte der Finger- muskel vollständig wie- der seine Kraft erlangt, und war im Stande, eine mechanische Ar- beit zu produeiren, welche gleich und sogar etwas grösser war, als die in den ersten Mor- genstunden geleistete. Die Methode der directen Reizung der Nerven und der Mus- keln machte es uns möglich, die Action der nervösen Centren von der der peripherischen Organe, d. h. der Ner- ven und der Muskeln, zu trennen. Die Wich- tigkeit dieser Methode für die Untersuchun- gen der experimentel- len Psychologie ist evi- dent, ohne dass hier- über besondere Betrachtungen gemacht werden müssten. Man ersieht, dass die durch das Fasten verursachte Schwäche nicht von der geringeren Widerstandskraft der Nerven und des Gehirns abhänge. Wir können zwar nicht zugeben, dass die nervösen Centren bis in’s Unendliche dem Fasten Widerstand leisten können, aber wir können jetzt ganz im Gegensatz zu ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 235 unserer Erwartung behaupten, dass die Muskeln unabhängig von den ner- vösen Centren bei mangelhafter Ernährung sehr bald sich erschöpfen und ihre Kraft verlieren. Es bleibt noch unentschieden, ob mehr die Muskel- fasern oder die Nervenendigungen leiden; dieses Problem ist aber vielleicht unlösbar. Das, was in diesen Experimenten überrascht, ist die Raschheit, mit welcher sich in dem durch das Fasten erschöpften Muskel wenige Minuten nach Einführung der Nahrung in den Magen die normalen Ver- hältnisse der primitiven Energie wieder herstellen. Dieses Factum, indem es einerseits über die Schnelligkeit der Absorption der Verdauungsproducte belehrt, zeigt andererseits, mit welcher Leichtigkeit die Stoffe der Nahrungs- mittel assimilirt werden und die normalen Zustände für die Arbeit der Muskeln sich unmittelbar wieder herstellen. X1. Einfluss der Massage auf die Muskelcontractionen. Wir haben im Capitel VII den Einfluss der Anaemie auf die Muskel- eontraction studirt. Untersuchen wir jetzt, welche Wirkungen auf dieselbe eine Vermehrung der Circulation ausübt... Es ist selbstverständlich, dass bei diesen Untersuchungen bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden sind, da es viel leichter ist, den Zufluss des Blutes zum Muskel zu vermindern als denselben zu vermehren, ohne andere Complicationen hervorzurufen. Es könnte z. B. der Fall sein, dass die im letzten Experimente des vorher- gehenden Capitels notirte Vermehrung der Stärke der Contractionen in dem durch Fasten erschöpften Muskel nach der Nahrungsaufnahme zum Theile auch von der gesteigerten Activität der Bluteireulation abhängt, welche auf die Nahrungsaufnahme folgt. Die Thatsache, dass die Steigerung der Muskel- kraft so rasch erfolgt, macht diese Annahme sehr wahrscheinlich. Um dies zu entscheiden, habe ich daran gedacht, in dem durch das Fasten geschwächten Muskel durch die Massage die Bluteirculation zu modifieiren. Versen 20. Am 1./9 1888 habe ich mit nüchternem Magen von 8 Uhr Morgens an jede zweite Stunde die Ermüdungscurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände geschrieben mit dem Gewichte von 3%8 und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden. Dieses Experiment besteht aus 12 Aufzeichnungen, von welchen ich nur die Nrn. 1, 2, 7, 8, 9, 10, 11 und 12, Fig. 65 bis 72, reproducire. Fig. 65 zeigt die normale Ermüdungscurve der linken Hand und Fig. 66 der rechten Hand um 8 Uhr Morgens. Fig. 67 linke Hand und Fig. 68 rechte Hand um 2 Uhr. Fig. 69 linke Hand und Fig. 70 rechte-Hand um 4 Uhr. Um 5 Uhr 45 Minuten bat ich die HH. Dr. Aducco nnd Morpurgo mir 15 Mi- nuten lang beide Vorderarme zu massiren, und um 6 Uhr schrieb ich die letzten zwei Aufzeichnungen der Ermüdung. Fig. 71 linke Hand und Fig. 72 rechte Hand. 236 ARNALDO MAGGIORA: | | il auf h. r| |) | ıIN 1 Fig. 66. a 65. Mechanische Arbeit 1-917 *®®. Mechanische Arbeit 2-007 Ksm, Erste und zweite Aufzeichnung des 20. Experimentes. Fig. 65 normale Ermüdungs- curve der Beuger des linken Mitte fin en) RnB: 66 des rechten Mittelfingers, um S Uhr Morgens, mit dem Gewichte und dem Rhykhungs von 2 Secunden. "Fr | i I ')) fl | f Hi il 1 | | „l a I ae I. Fig. 72. Fig. 71. Fig. 70. Fig. 69. Fig. 68. Fig. 67. Mechan. Arbeit 1-830 sm 1-365 0-609 0.420 0-753 0-948 R. 6 Uhr L. 6 Uhr R.4 Uhr L.4Uhr R.2 Uhr L.2 Uhr. Dee GTTTETETTEETTET ET — — _— ee 70. Aufzeichnu a 20. Experimentes. Durch das Fasten bedingte Modificationen der Ermüdungscurv a ee auf die durch Fasten geschwächten Muskeln. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 237 Aus der Prüfung dieser Figuren und aus den Werthen der mechani- schen Arbeit geht hervor, dass der in Folge des Fastens auffallende Schwäche- zustand des Muskels nach einer 15 Minuten dauernden Massage bedeutend abnimmt oder fast ganz verschwindet. Die Beuger des Mittelfingers, welche um 4 Uhr Nachmittags nur eine mechanische Arbeit von 0.609 "em für die rechte und 0.420 für die linke Hand lieferten, gaben, anstatt bei den letzten zwei um 6 Uhr geschriebenen Aufzeichnungen eine Verminderung der Arbeitsleistung zu zeigen, eine mechanische Arbeit von 1.830 "em für die rechte und 1-365 für die linke Hand. Es geht hieraus hervor, dass man in dem Muskel, der durch das Fasten geschwächt ist, durch einfache Steigerung der Cireulation die Resistenz- fähigkeit zur Arbeit beträchtlich bessern kann. Um die physiologische Wirkung des Massirens auf die Ermüdung besser studiren zu können, habe ich eine Reihe von Experimenten angestellt, von denen ich das nachfolgende mittheile.! Versuch 21. Am 3./9. 1888 um 8 Uhr früh schreibe ich die Ermüdungseurve der Beuger des Mittelfingers beider Hände mit dem Gewichte von 3®8 und der Contractionsfrequenz von 2 Secunden, Fig. 73 rechte Hand; nach einer 15 Min. dauernden Erholungspause schreibe ich neuerdings die Ermüdungscurve derselben Muskeln mit demselben Gewichte und Rhythmus, Fig. 74 und 75; ebenso noch dreimal hintereinander mit je 15 Minuten dauernden Erholungspausen. Ich erhielt so zehn Aufzeichnungen, von denen ich der Kürze halber die erste weglasse, weil sie der zweiten, Fig. 73, vollkommen gleich ist. Die Fig. 73 entspricht der Contractionsreihe, welche von der rechten Hand um 8 Uhr Morgens geschrieben wurde. Fig. 74 linke Hand 5 Uhr 14 Minuten. Fig. 75 rechte Hand 8 Uhr 19 Minuten. Fig. 76 linke Hand 8 Uhr 35 Minuten. Fig. 77 rechte Hand 8 Uhr 36 Minuten. Fig. 75 linke Hand 8 Uhr 51 Minuten. Fig. 79 rechte Hand 8 Uhr 53 Minuten. Den nächstfolgenden Tag um 8 Uhr früh registrirte ich wieder die Er- müdungscurve der Beuger des linken und rechten Mittelfingers. Kaum geendigt, massirten die HH. Dr. Aducco und Colla ganz energisch 15 Minuten lang meinen Vorderarm, und ich machte dann neuerdings die Auf- zeichnung der Ermüdung derselben Muskel um 5 Uhr 17 Minuten; hierauf un- mittelbar neuerdings Massage 15 Minuten lang, wieder eine Aufzeichnung um 8 Uhr 34 Minuten, und so fort wurden noch neunmal abwechselnd Ermüdungs- curven und 15 Minuten dauernde Massage gemacht. ! Die anderen hierauf bezüglichen Experimente werde ich möglichst bald in einer besonderen Abhandlung über die physiologische Action der Massage mittheilen. 180) (6,0) ‘79pIeple uosnedsSunjogim uspussuussun Aap 95[fog ur Sunpnuny 3 "uaynurpy GI u0oA uasnedsSunjoyiy pun uaPun92G z UOA SnwrgJÄyg WOp ‘s, 8 UOA aYUOIMaH weop Ju sroumfeggipy uoyuı pun uaggo91 sap 19Snag Ip usAmasSunpnunm 12p Sue) 10p ayoom “uauomeoyIpom Fıp ueW JyIomoq uadunuyplezyuy uafemıou 1aıp TOeN aufn) 61-8 "u -suasıop uf 8 IL BI 82 DIE '6L A "yL SL BR "2 214 ‘er Sg ARNALDO MAGGIORA: Die Figg. 80, 81, 82 zeigen, wie die Ermü- dung der Muskel durch die Massage verhindert wird. Fig. 80 ist um 9 Uhr 55 Minuten mit der linken Hand ge- schrieben. Fig. 81 mit der rechten Hand um 9 Uhr 27 Minuten. Fig.82 mit der linken Hand um 9 Uhr 42 Minuten. Die mechanische Arbeit die- ser und der folgenden Ermüdungseurven ist in der nächsten Tabelle (S. 108) mitgetheilt. Dann folgt eine zwei- stündige Erholungspause und schliesslich mache ich zum letzten Male die Aufzeichnung der Ermü- dung der benannten Mus- kel (Fig. 87.) Dieser zweite Theil des Experimentes besteht aus 22 Aufzeichnungen, von denen ich nur die Nrn. 11,12, 13 in Figg. 80, 81, 32 und die Nrn. 17, 18, 19, 20, 22 in Fig. 33, 84, 85, 86, 87 mittheile. Wenn also der Mus- kel mit Ruheperioden von 15 Minuten ar- beitet, dann sinkt rasch seine Widerstandskraft, nachdem er zwei nor- . male "Aufzeichnungen gemacht hat; obgleich er noch in den folgen- den Curven eine erste der. normalen gleiche, oder davon nur wenig ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 239 Mechanische Arbeit geleistet von den Beugemuskeln des Mittelfingers der rechten und linken Hand während des 21. Experiments um den Einfluss der Massage zu zeigen. Erster Tag. Erholungspause von 15 Minuten. Linke Hand Rechte Hand NIE runden Hubhöhe Mechanische Embhöhe Mechanische Arbeit Arbeit No. Vormittag m | kgm m kgm Ip | 8 0-895 2.685 au u 2. Fig. 73 E == | —_ 0-883 2.649 SR 8-17 0-884 | 2.652 = — AR 5 x — | — 0-835 2.505 De 76 8-34 0.2400 0.720 | == = a a — — | 0-262 0:789 Me 0 TS 8-51 0-151 0-453 | > u 8. 1 "iz ne — -—Zzu 0-218 0:654 9. 9:8 0-152 0.456 x _ 10. x — = | 0-205 0-615 Zweiter Tag. Massageperioden von 15 Minuten. No. Vormittag | m kgm m kgm % 8 0-830 2.490 = a. > % _ _ 0.820 2.460 3. 8-17 0-850 2.550 > — 4. hi _ — 0-925 2.775 5. 8-34 0-897 2.691 - u 6. | n — — 0-970 2.910 ST. | 8-51 0.900 2.700 —_ —- 88 5 _ — 0-901 2.708 9. 9-8 0-812 2.436 =: — 10. & — — | 0-936 » 2.808 11. Fig. 80 9.25 0-862 2.586 | — — Kar Bl ss — — | 0-947 2.841 en 327 9.42 0-984 2.952 | — 14.. x -_ — | 0-980 2.940 15 9.59 0.840 2.520 — — 16. = _ | — | 0-760 | 2-280 17.. Fig. 88 | 10-16 0-438 1-314 | = | — iso, sa | 5 — - ' .0:299 | 0897 19. „85 | 10-33 0.136 0408 — — 20. ,.86 | = — | a 0+174 0:522 Erholungspause von 2 Stunden. No, Nachmittag m | kgm | m kgm 21. 12-83 0-945 2.835 | en 22. Fig. 87 — = — 0-994 2.882 240 ARNALDO MAGGIORA: Fig. 87. - Fig. 86. Fig. 85. Fig. 84. Fig. 33. Die Figg. SO, 81, 82, entsprechend den Aufzeichnungen 11, 12, 13 des zweiten Tages des 21. Experimentes, repraesentiren die Ermüdungscurven der Beuger des rechten Mittelfinges mit dem Gewichte von 3*®, dem Rhythmus von 2 Secunden und inter- calirten Perioden von 15 Minuten dauernder Massage; vergleicht man diese Figuren mit denen des vorhergehenden Tages, Figg. 76, 77, 78, 79, dann sieht man, wie sehr sie sich unterscheiden. Die Figg. 33, 84, 85, 86, entsprechend den Aufzeichnungen 17, 18, 19, 20 des zweiten Tages zeigen das Aufhören der restaurirenden Wirkung der Massage. Die Fig. 87, entsprechend der 22. Aufzeichnung des zweiten Tages des 41. Ex- perimentes zeigt, wie die Muskeln nach zweistündiger Erholungspause in ihren normalen Zustand zurückgekehrt sind. ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG. 241 verschiedene Contraction zu machen im Stande ist, so erschöpft er sich doch bald. Die Beuger des linken Mittelfingers, welche unter normalen Verhältnissen mit dem Gewicht von 3*® und dem Rhythmus von 2 Secunden eine mecha- nische Arbeit von ungefähr 2.685 "em lieferten, haben, als sie zum dritten Male nach einer 15 Minuten dauernden Ruheperiode ihre Ermüdungscurve schrie- ben, nur eine Arbeit von 0.720*sm und das fünfte Mal nur 0.456 "®" geliefert. Als man im Gegentheil am zweiten Tage des Experiments die 15 Mi- nuten dauernde Ruheperiode durch ebenso lange dauernde Massage ersetzte, erhielten sich die Ermüdungscurven der Beuger des Mittelfingers 8 Mal fast normal, sowohl was die Höhe der ersten Contraction, als auch die Form der Curve und die Quantität der mechanischen Arbeit betrifft. Die Fieg. 80, 81, 82, welche die Aufzeichnungen der Ermüdung der Beuger des rechten und linken Mittelfingers darstellen, nachdem diese unter der Einwirkung der Massage 5 und 6 Mal gearbeitet haben, repraesentiren eine Arbeit von je 2.586, 2.841, 2-952\em, d. h. eine Arbeit, welche gleich oder etwas höher ist als jene, welche dieselben Muskeln unter ganz normalen Bedingungen und im Zustande vollständiger Ruhe leisten. Wenn wir die Arbeit der Beuger des Mittelfingers, welche sie leisten, bevor sich in ihrer Curve die Verminderung der Resistenz in Folge von Anhäufung der Müdigkeit durch ungenügende Ruheperioden manifestirt, summiren, dann finden wir: 1. Tag. Ruheperioden von 15 Minuten. Normale Ermüdungscurven der Beuger des Mittelfingers. 1. Mechanische Arbeit von 2.685 E Linke Hand. 2 Curven. 2. ” ” ” 2. 652 Summa: 5-337 ir = 1. Mechanische Arbeit von 2.649 „, 2. ” ) ” 2.505 „ Summa: 4.154 m Rechte Hand. 2 Curven. | 2. Tag. Perioden von 15 Minuten dauernder Massage. 1. Mechanische Arbeit von 2.490 Ye 2 ” BR) „ 2: 990 ” 9. ” ” ” 2. 691 ” 2 | re 4. » cn nn 2RUW0ER Linke Hand. 8 Curven. 5 h . se, 6. ” ” 22980), T. „ „ „ 2.952 „ 8. ” ” „ 2.520 „ Summa: 20.925 kem Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol, Abihlg. 16 3423 ÄRNALDO MAGGIORA: 1. Mechanische Arbeit von 2.460 k2= 2. „ „ „ 2.7705 „ >. „ „ ”„ 2.910 2 | R 4. = u; 20 Rechte Hand. 8 Curven. 5, N x 22808.) 6. „ „ „ Base] ” (l- x e „» 2.940, 8. h Ss 3280), Summa: 21.717 km Nach der achten Ermüdungscurve der Aufzeichnungen 17, 18, 19, 20 dieses Experimentes sehen wir, dass trotz der Fortsetzung der Massage mit 15 Minuten dauernden Perioden, sich in den Muskeln schon Ermüdung an- häuft; dieselben sind noch im Stande, bei den Aufzeichnungen eine normale oder fast normale Contraction zu geben, aber die Contractionen werden immer niedriger und hören schliesslich vollständig auf und die mechanische Arbeit redueirt sich zuerst auf die Hälfte, dann auf ein Drittel des Nor- malen. Dies bedeutet, dass die Wirkung der Massage nicht über eine ge- wisse Grenze hinaus dauert; wird diese überschritten, dann häuft sich im Muskel die Ermüdung an, und derselbe erfordert alsdann eine zweistün- dige Ruhe, um wieder in normale Zustände zurückkehren zu können. (Fig. 87.) Dieses Experiment zeigt, dass die Massage die Anhäufung von Er- müdung im Muskel in Folge von zu rasch aufeinander folgenden Arbeiten verhindern kann und ermöglicht eine mechanische Arbeit, die beträchtlich srösser ist, als der Muskel mit aequivalenten Erholungspausen leisten kann. Wenn die Arbeiten des Muskels nach jeder 15 Minuten dauernden Massageperiode unmittelbar aufeinander folgen, dann hört die restaurirende Action der letzteren ungefähr nach zwei Stunden auf. Hiernach scheint der Beweis für die Abnutzung des Muskels, soweit es überhaupt möglich ist, erbracht zu sein. Damit nach dieser Zeit der Muskel in normale Zustände zurückkehren könne, bedarf er keiner längeren Erholungspause, als er unter normalen Umständen erfordert, um während des ganzen Tages eine normale Auf- zeichnung der Ermüdung zu geben. Ich wiederholte andere Male dieses Experiment mit anderen Gewichten und erhielt analoge Resultate. Diese Experimente haben bestätigt, was Zabludowski im Jahre 1883 aussagte.! Die im Laboratorium des Prof. H. Kronecker ausgeführten Experi- mente wurden in anderer Weise gemacht, als die meinigen: man ermüdete ! Ueber die physiologische Bedeutung der Massage. Centralblatt für die medi- cinischen Wissenschaften. 1883. Nr. 14. u ÜBER DIE (ESETZE DER ERMÜDUNG. 243 nämlich mit der Frequenz von I Secunde die Beuger des Unterarmes durch Erheben eines Gewichtes von 2*® bis zur Schulterhöhe; dann massirte man stark die Extremität 5 Minuten lang. Man sah, dass dann die Muskeln in normale Zustände zurückkehrten und wieder im Stande waren eine Ar- beit auszuführen,» welche der ersten aequivalent oder noch überlegen war. Die Beobachtungen von Zabludowski und die mitgetheilten Experi- mente mit der Massage zeigen, wie gross der Einfluss der Circulation auf den Muskel sei. Ebenso wie wir früher annehmen konnten, dass die Er- müdung zum grossen Theile dem Verbrauch der eigenen Substanz des Muskels und der Anhäufung von Zersetzungsproducten in demselben zuzu- schreiben ist, müssen wir jetzt anerkennen, dass eine lebhaftere Circulation des Blutes und der Lymphe in Gemeinschaft mit den Veränderungen, welche im Stoffwechsel in Folge der Massage auftreten, genügt, um die Activität des Muskels zu steigern. Es muss nicht angenommen werden, dass die Massage deshalb günstig wirkt, weil sie aus dem Muskel die durch die Contraction entstandenen schadhaften Producte entfernt, denn wir sehen, dass sich die Energie des Muskels auch dann steigert, wenn derselbe früher nicht ermüdet wurde. Die Wirkung der Massage ist jedoch nicht dauernd und wir sehen, dass sich trotz derselben die Muskelkraft erschöpft, wie wenn dıe Cireulation und der lebhaftere Stoffwechsel nicht genügen würden, um die Erschöpfung zu compensiren, welche durch die Arbeit der Contraction entsteht. Es ist dies ein anderes Beispiel, welches im Vereine mit den mitge- theilten Beobachtungen zeigt, wie gross die Schwierigkeiten sind, welchen man bei der Analyse der Muskelarbeit und der Ermüdung begegnet. Es handelt sich um verwickelte Processe, wobei verschiedene Ursachen gleich- zeitig wirken und denselben oder entgegengesetzte Eflecte hervorbringen. Die Vorgänge, welche in Action treten, sind so eng miteinander verknüpft, dass wir sie mit unseren heutigen Untersuchungsmitteln nicht getrennt wir- ken lassen können, um zu erfahren, wie sich die Function eines jeden der- selben gestaltet, und um die Gesetze, welche die verschiedenen Factoren betreffen, aus denen die Contraction und Erschöpfung der Muskelenersie resultirt, feststellen zu können. Dem Hrn. Prof. A. Mosso spreche ich hiermit für die Rathschläge ‚und Unterstützung, die er mir bei Ausführung dieser Arbeit gütigst zu Theil werden liess, meinen besten Dank aus. 162 Die Aenderung in den Eigenschaften des Muskelnerven mit dem Wärmegrad. Von W, v. Sobieranski. (Aus der physiologischen Anstalt in Leipzig.) (Hierzu Taf. I.) Um zu erkennen, wie der lebendige Nerv in Folge des Wärmegrades, den er angenommen, seine übrigen Eigenschaften ändert, muss er möglichst lange reizbar bleiben und durch chemisch unwirksame Mittel erwärmt und abgekühlt werden. Alle Beobachter,! welche unter den genannten Be- dingungen ihre Erfahrungen sammelten, sprechen dem raschen Wechsel der Temperatur — ob auf- oder absteigend — jede sichtbare, namentlich aber jede erregende Wirkung ab; den Schwankungen der Wärme gegen- über verhält sich somit der Nerv anders als gegen die des elektrischen Stromes. Anderseits und auch hierin herrscht allgemeine Uebereinstimmung, fand sich der Zustand des Nerven von der Temperatur, die er angenommen, wesentlich beeinflusst. Vor dem kalten zeichnet sich der warme durch eine grössere Beweglichkeit seines Innern aus. Denn er leitet die Er- regung rascher, und bei der Prüfung der Reizbarkeit ergiebt sich, dass er ! Eekhard, Zeitschrift für ration. Mediein. 1. Reihe. Bd. X. 1851; — Harley, Ebenda. 3. Reihe. Bd. VII; — Afanasief, Dies Archiv. 1865; — J. Bernstein, Pflüger’s Archiv. Bd. XV. 1877; — Grützner, Zbenda. Bd. XVII. 1878; — J. v. Kries, Verhandlungen der naturf. Gesellschaft zu Freiburg. Band VIII; — Ch. L. Edwards, Studies from the biol. Laborat. of John Hopkins University. Bd. IV. 1887. W,v. SOBIERANSKI: Die ÄNDERUNG DES ERWÄRMTEN MUSKELNERVEN. 245 Schwankungen des Stromes beantwortet, welche zwischen sehr niedrigen Stärken und ungemein rasch ablaufen. Auf einen tiefer greifenden Unter- schied innerer Beweglichkeit dürfte die Eigenschaft des unter 8° C. ab- sekühlten Nerven hinweisen, durch den gleichmässigen galvanischen Strom in dauernde Erregung zu gerathen. ! An die angeführten reiht sich öfters noch die weitere Mittheilung, dass der über 40° C. erwärmte Nerv tetanisch erregt gewesen sei. Warum der Erfolg ein unbeständiger, wie die Erscheinungen während der Erwärmung verliefen und ob die Gestalt des erregt gewesenen Nerven unversehrt ge- blieben sei, darüber gebricht es an Nachrichten. Durch Hrn. Professor €. Ludwig wurde ich darauf aufmerksam, dass es wichtig sei, das Fehlende womöglich zu ergänzen; denn weil unzweifelhaft jedesmal der- selbe Vorgang im Nerven abläuft, so oft er im Muskel eine überein- stimmende Folge nach sich zieht, verdient auch jedes Mittel, durch welches die Erregung des Nerven herbeigeführt wird, eine gleich sorgsame Be- achtung. Für die Erkenntniss der im Innern des Nerven ablaufenden Vorgänge liefert jedes Reizmittel einen eigenartigen Beitrag. Durch den Apparat, welcher mir für die Ausführung meiner Versuche zur Verfügung stand, war der Muskel und Nerv auf das Vollkommenste vor der Verdunstung und dem Zutritt chemisch verändernder Stoffe geschützt, der Nerv aber in einen Raum. eingebettet, in dem er eine nach Belieben veränderliche Temperatur bekannten Grades annehmen musste. Ausserdem war innerhalb des geschützten Raumes der Nerv mit zwei Paar Elektroden belegt, das eine am freien Ende, das andere unmittelbar am Uebergang in den Muskel, so dass sich zwischen beiden die Nervenstrecke befand, welche wechselnd erwärmt und erkältet wurde. Darum konnte, vom Muskel aus ge- rechnet, der Nerv diesseits und jenseits seiner verschieden temperirten Strecke auf die Empfindlichkeit gegen den elektrischen Strom geprüft werden. Der Muskel, welcher mit einem leichten Schreibhebel in Verbindung stand, war nach der von A. Fick gegebenen Vorschrift für isotonische Zusammenziehung belastet; seine Bewegungen schrieb er auf den berussten Ueberzug der rotirenden Trommel. Auf ihr markirte sich auch die Zeit. Damit die auf den folgenden Blättern beschriebenen Erscheinungen sich ausprägen, musste der Frosch, weleher den Nerven hergab, längere Zeit in einer nahe auf 0° C. gebrachten Temperatur verweilt haben und das Praeparat möglichst rasch fertig gestellt sein. Unter dieser Bedingung gelingt zwar der Versuch in der Regel; ausnahmslos jedoch, und vorzugs- weise befriedigend, wenn Muskel und Nerv einem kräftigen, blutreichen Frosch entnommen waren. Wie bei allen die Reizbarkeit betreffenden . 1M.v. Frey, Dies Archiv. 1883. — E. Hering, Wiener Sitzungsberichte Bd. LXXXV. II. 246 W. v. SOBIERANSKT: Versuchen, besitzt auch hier der Herbstfrosch den Vorzug. — Wenn die Frösche, nachdem sie aus dem kalten Raume gebracht wurden, nicht so- gleich verbraucht werden, wenn sie statt dessen noch stundenlang im warmen Zimmer verweilen, so versagt der Nerv. In diesem Fall lässt sich die Einbusse oft wieder dadurch ersetzen, dass der mit der Haut be- kleidete Hintertheil des Frosches eine bis mehrere Stunden auf Eis gelegt wird. — Damit auch im Hochsommer — Ende Juni und Juli — dem Frosch die Eigenschaft zukomme, dass seine Nerven durch 40°C. tetanisch erregt werden, muss er vier und mehr Tage im Eiskasten eingesperrt ge- wesen sein. Um das Wann und Wie der Wärmewirkung zu schildern, ist geson- dert zu besprechen: 1. Die Lage des wirksamen Wärmegrades. Der dem abgekühlten Frosch entnommene Nerv theilt mit jedem anderen die Unfähigkeit, durch plötzliches Sinken oder Anwachsen seiner Temperatur erregt zu werden. Nur der länger fortgesetzten Einwirkung estiines bemmten Temperatur- grades gelingt es, den Nerven in Thätigkeit zu versetzen. — Je nachdem liegt der wirksame Grad in der Nähe von 40° oder von 0°C. Die höhere Wärmestufe ist begreiflich nur nach einer voraus- segangenen Abkühlung wirksam: In der Regel liest sie zwischen 39° und 41° C., zuweilen auch um einige Grade niedriger oder höher. Jeder Nerv verlangt jedoch, soll er sich erregt erweisen, dass eine bestimmte Temperatur- grenze überschritten werde. Wiederholt sind mir Nerven begegnet, welche eine Reihe von Minuten hindurch in einer Umgebung von 38° bis 39% C. verweilten, ohne um ihre Ruhe gebracht zu werden, die aber sogleich den Muskeln zum Tetanus veranlassten, wenn die Temperatur auf 40° oder 41°C. sesteigert wurde. Genaueres über die Lage der Grenze wird sich kaum ermitteln lassen, weil durch ein allmähliges Wachsthum der Wärme die den 40° C. nahen Temperaturen überhaupt ihre erregenden Kräfte ein- büssen, und anderseits weil auch der Nerv den Hinzutritt des wirksamen Wärmegrades erst nach einer unbestimmten, oft nach Minuten bemessenen Zeit, beantwortet, Der niedere, dem Eispunkt nahe Grad, ruft nur den Nerven zur Thätigkeit auf, welcher vorher bis nahe auf 40°C. erwärmt gewesen ist. Die höhere Temperatur, welche dem Nerven die Befähigung giebt, durch die niedere erregt zu werden, liegt sonach nahe oder schon im Bereiche der- jenigen, welche den vordem abgekühlten zu tetanisiren vermag. Da die höhere Temperatur den bis dahin kühlen Nerven und die niedere 'Tem- peratur den früher warmen Nerven erregt, so lässt sich öfter durch die mehrfach wechselnde Anwendung von kalt und warm eine Reihe von kalten und warmen Tetanis hervorbringen. Die ÄNDERUNG DES MUSKELNERVEN DURCH ERWÄRMUNG. 247 2. Die zur Erregung nöthige Zeit. — Zwischen dem Eintritt des kühlen Nerven in den warmen Raum und dem ersten Zeichen der Erregung verstreichen stets Minuten, bald nur eine, bald mehrere. — Trotz des langsamen Fortschreitens der Wärme in der Nervenmasse wird man die Zeit von einer oder gar einigen Minuten für ausreichend halten müssen, um die Nervenröhren auf die Temperatur ihrer Umgebung zu bringen, denn im Verhältniss zur Wärme empfangenden Oberfläche ist die Masse des Nervenstammes klein. Wenn aber der Nerv nicht erregt wird während und kurz nachdem er sich erwärmt hat, so kann die Art von Bewegung, welche man als Wärme bezeichnet, nicht zu den Reizen gezählt werden. — Nachdem sich also das Bestehen einer unmittelbaren Abhängigkeit zwischen den Bewegungen als unzutreffend erwiesen hat, die unter den Namen Wärme und Nerven- erregung zusammengefasst werden, wird man geneigt, in irgend welchen Umformungen der erwärmten Nervenmasse die Ursache der Erregung zu finden. Beim Uebergang aus dem kälteren in den wärmeren Zustand ordnen sich die Bestandtheile des Nerven in eine neue Gleichgewichtslage. Da dieses im dem gleichmässig erwärmten Nerven geschieht, ohne Ver- anlassung eines neuen Anstosses von aussen, also allein in Folge des mole- eularen Nervenbaues, so sind die Erregungen, um welche es sich hier han- delt, zu den automatischen zu rechnen. — Somit können innerhalb des Nervenrohres auch Reize entwickelt werden, weshalb der Nerv aus der Stellung eines Werkzeuges heraustritt, welches einzig zur Fortpflanzung einer von aussen her eingeleiteten Erregung dient. Auch beim Uebergang des vordem erwärmten Nerven in den kalten Raum tetanisirt der Nerv den zugehörigen Muskel nicht sogleich. Nach der Umschaltungs- Temperatur verstreicht mindestens eine Reihe von Se- cunden, oft auch eine Zahl von Minuten, bevor die erste Zuckung erscheint. Dass die kühle Temperatur den Nerven nicht bevor, sondern erst nachdem er erwärmt war, in Erregung versetzt, könnte auf eine gegensätzliche Wir- kung von Kälte und Wärme bezogen werden; eine Umlagerung, welche die letztere bedingte, wäre durch die erstere wieder aufgehoben, der ehe- mals vorhandene Zustand wieder hergestellt. Unabhängig von der Zu- lässigkeit der versuchten Erklärung beweist die Thatsache für das Ver- mögen des Nervenrohres unter verschiedenartiger Bedingung in sich selbst Reize zu erzeugen. Dass die auf die zeitlichen Verhältnisse bezüglichen Angaben nicht für alle Frösche gelten, welche im Winter kurz nach ihrer Ueberführung in das warme Zimmer praeparirt werden, bedarf keiner weiteren Auseinander- 248 W. v. SOBIERANSKI: setzung. Glieder, deren Muskeln nach Zerschneidung der grossen Nerven- stämme schon in der Temperatur des Zimmers anhaltend zucken, sind zur Darstellung der beschriebenen Erscheinungen nicht geeignet. 3. Die Art und Folge der Zusammenziehung. Die sichtbare Wirkung des Wechsels der Temperaturen besteht nicht darin, dass der Muskel, wenn er einmal in Contraction gerieth, auch in ihr gleichmässig- verharrt. Statt dessen lösen Zeiten der Erschlafung die der Zusammenziehung ab, sodass während der ganzen Wirkungszeit nur eine Anzahl einzelner kürzer oder länger dauernder stets aber tetanischer Anfälle sichtbar wird. — Dabei halten Ruhe und Contraction keine strenge Ordnung ein, bald über- wieet die Dauer der einen, bald die der anderen. Nur insoweit kann von einer Regel die Rede sein, als die zuerst erscheinenden Tetani kürzer dauern und durch längere Ruhezeiten von einander getrennt sind. In einem späteren Abschnitt der Wirkungszeit folgen sich rascher Tetani von längerer, oft minutenlanger Dauer, weiterhin gewinnen die Zeiten der Ruhe wieder das Uebergewicht über rasch vergängliche Tetani, bis endlich die letzteren ganz verschwinden. Wie im zeitlichen Verlauf die Unregelmässigkeit zur Regel wird, so auch im Umfang der Verkürzung. Nur selten, und dann auch nur auf kleiner Strecke, ist die aufgeschriebene Curve geradlinig begrenzt, meist sind in sie tiefe Zacken eingeschnitten, eine Gestaltung, welche in gleicher Weise die am Beginn, wie die am Ende der Erregungsdauer gelieferten Curven darbieten. — Sehr häufig besteht, rücksichtlich des Umfanges der Verkürzung, ein Unterschied zwischen dem Tetanus von kalt zu warm und dem durch den umgekehrten Temperaturwechsel erzeugten. Die von der höheren, dem vierzigsten Grade nahen Temperatur hervorgebrachten Ver- kürzungen des Muskels sind umfangreicher, als die von der niederen Tem- peratur erzeugten. Aus der Beschreibung erhellt, dass die Wirkungen der constanten Wärme auf den vorher abgekühlten Nerv und Muskel keine Aehnlichkeit besitzen mit dem unter gleichen Umständen angewendeten galvanischen Strom. An die Dauer der letzteren knüpft sich auch eine ununterbrochene Erreeung, während die constante Wärme in dem erregbaren Praeparate den Wechsel von Ruhe und Zusammenziehung gestattet, zum Zeichen dafür, dass sie kein Reiz im gewöhnlichen Wortsinn sei. Bei der Anordnung und dem Verlauf, welche meine Versuche empfan- sen und genommen haben, sind sie zu einem Beitrag für die Entscheidung Dis ÄNDERUNG DES MUSKELNERVEN DURCH ERWÄRMUNG. 249 der Frage unvermögend, ob der Nerv mit seiner Erwärmung für den elek- trischen Reiz empfindlicher werde. Neben den Folgen gesteigerter Tem- peratur machen sich die der tetanischen Anfälle und der langen Zeit- abschnitte geltend, welche zwischen den zur Vergleichung gestellten Reizungen eingeschaltet werden müssen. — Indess ist die Prüfung mit dem elek- trischen Strom nicht ohne Ausbeute geblieben. Sie machte uns mit einer Aenderung des inneren Gefüges der abgekühlten und dann plötzlich er- wärmten Nervenmasse dadurch bekannt, dass sie uns zeigte, wie eine Nachwirkung des momentanen Reizes, welche sich gemeinhin nur schwach ausprägt, zu einer ausserordentlichen Stärke angewachsen’ ist.! Bekanntlich hinterlässt jede durch einen Induetionsstrom bedingte Erregung des Nerven eine merkliche, aber rasch vorübergehende Steigerung der Empfänglichkeit für einen folgenden Reiz. Am deutlichsten lässt sich die Eigenschaft beim Suchen nach dem Abstand der Inductionsrollen nach- weisen, bei welchem die kleinste Zuckung hervorgebracht wird. Selbst- verständlich muss bei der Bestimmung des verlangten Abstandes derart verfahren werden, dass man die Rollen aus grösserer Entfernung allmäh- lich einander nähert. Zur Gewissheit, dass die Nachwirkung des Minimalreizes am kühlen Nerven weniger mächtig ausgebildet sei, als am warmen, gelangt man, wenn die Temperaturen derart gewählt wurden, dass während ihres Be- standes keine Erregungen eintraten, beispielsweise eine Wärme von 35° bis 38° C. und eine Kühle von 5° bis 8° C.; günstig ist es ausserdem, wenn der Nerv nach vorausgegangener Ruhe, gleichgiltig ob er warm oder kühl ist, durch annähernd denselben Minimalreiz erregt wird. Unter der Vor- aussetzung dieser Bedingungen kann man, wenn der zweite keiz _etwa 2 bis 3 Secunden nach dem ersten auf den warmen Nerven fällt, die secundäre Rolle um 20 und mehr Centimeter zurückschieben, ohne dass der Induetionsstrom unwirksam wird; am kalten Nerven verliert unter gleichen Umständen der Inductionsstrom schon seine erregende Kraft, wenn die Rollenabstäinde um etwa 4 bis 5 ® vergrössert wurden. — In beiden Fällen aber muss man, soll eine Zuckung erwirkt werden, auf den ersten Rollenabstand zurückkehren, wenn zwischen dem ersten und zweiten Reiz 4 bis 5 Minuten verflossen sind. Die beschriebene Eigenschaft des Nerven dürfte wegen ihrer Aehnlich- keit mit der sogenannten Treppe des Muskels, und nicht minder, weil sich durch sie die Aussicht für die Summirung schwacher Reize zu stark wirkenden durch das Nervenrohr bietet, eine weitere Untersuchung ver- dienen. " Tiegel, Arbeiten aus dem physiol. Institut zu Leipzig. 1875. 8.113. 250 W. v. SOBIERANSKI: 4. Beschreibung des Apparates. In den Abbildungen desselben sind nur die Theile dargestellt, mit und in welchen der Nerv erwärmt oder ah- gekühlt wurde, ohne dass er verdunstete oder vom Wasser bespült wurde. Die feuchte Kammer, in welcher der Muskel hing und der Hebel, mittelst welchem er seine Zuckungen aufschrieb, sind, weil bekannt, weggelassen. Von den Wänden der feuchten Kammer ist nur die vordere, aus Metall hergestellte, wieder gegeben, Fig. 1A4A; sie wird durchbohrt von einem silbernen Röhrchen r, welches den N. ischiadicus aufzunehmen be- stimmt war. Das Röhrchen r kann, wie die Figur andeutet, durch eine ihm eng anliegende silberne Hülse geschoben werden, die in das Kästchen cc eingelöthet ist. Damit das Kästchen ec mit allen seinen Anhängen verschieden weit von der feststehenden feuchten Kammer entfernt werden kann, lässt sich dasselbe mittelst eines Trägers dd in einer Führung auf dem vierseitigen prismatischen Stab ee verschieben. Auf dem Träger dd ist das Kästchen unverrückbar, und zwar derart befestigt, dass die Oeffnung der in das- selbe eingelötheten Hülse genau dem Röhrchen r gegenüber steht, so- dass bei der Annäherung des Kästchens an die feuchte Kammer das Röhrchen durch die Hülse ec leicht und sicher hindurch geht. Beson- dere Aufmerksamkeit verdient der Nerv auf der Strecke zwischen dem Austritt aus dem Röhrchen bis zum Eintritt in den Muskel. Vorausgesetzt der Nerv sei im Röhrchen erwärmt worden, so wird er an der Stelle, wo er in die bei niedriger Temperatur mit Wasserdampf gesättigte Kammer tritt, stark verdunsten und damit wird die Gefahr des bekannten Vertrock- nungstetanus drohen. Eine hieraus verursachte Täuschung lässt sich leicht vermeiden, indem ein Bausch mit 0°7 procentiger Na Cl-Lösung befeuchtet und um die bedrohte Strecke von der Kammerwand bis zum Muskel hin geschlagen wird. Ob sich der beabsichtigte Erfolg erfüllt hat, wird am Ende des Versuches an dem Aussehen des Nerven erkennbar sein. Auch mit der Lupe darf sich keine eingezogene oder gar geschrumpfte Stelle im Verlauf des Nervenstammes nachweisen lassen. — Dass aus dem Röhrchen jenseits des Kästchens oder der Röhrenelektroden der Nerv nicht frei her- vorstehen darf, wird keiner Erinnerung bedürfen. Damit war der Schutz des Nerven vor Zerrung, Verdunstung und Bespülung zugleich aber die Füglichkeit gegeben, ihn verschiedenen Temperaturen auszusetzen. Eine Wasserströmung, welche das Kästchen cc durchsetzte, brachte und nahm dem Nerven die Wärme. Die Sicherheit dafür, dass die Nerven tragende Hülse umspült werde, gab die Lage der Zu- und Abflusswege für das Wasser und die Anwesenheit einer das Innere des Kästchens durehziehenden Metallwand; sie erstreckte sich vom Boden des Kästchens zu der Hülse für den Nerven (siehe Fig. 2 ss), und weil der Zufluss auf Die ÄNDERUNG DES MUSKELNERVEN DURCH PRWÄRMUNG. >51 der einen, der entsprechende Abfluss auf der anderen Seite der Wand von und zum Boden her geschah, so musste der Strom den verlangten Weg nehmen. — Wechselnd musste der Nerv abzukühlen und zu erwärmen sein, weshalb ein warmer und ein kalter Zu- und Abflussweg zum Käst- chen führte; je nach Bedarf wurde die eine oder andere Bahn geöffnet mittelst zweier Hahnzapfen, die von einer Führung aus gedreht wurden. Ihren Bau giebt Fig. 3 wieder. Der Zufluss, den sie eröffneten, je nach ihrer Stellung den warmen oder kalten, fand sich vorn auf dem Boden des Kästchens, der Abfluss jenseits der Scheidewand hinten (siehe Fig. 2, wo z’ den Zufluss zur Hülse des Hahns, w den entsprechenden Abfluss aus ihr darstellt. Wenn demnach durch 2’ Wasser hineintritt, so nimmt es den in Fie. 4 durch die getüpfelte Linie und den Pfeil vorgezeichneten Weg nach w, den umgekehrten aber, wenn es von z” herkommt. — Aus der Fig. 1 ist dann zu sehen, wie die Zuflussröhren zum Kästchen noch weiter ausgestattet waren. Zunächst verband sich durch ein Kaut- schukröhrehen mit ihnen je ein Glasrohr, in welchem je ein Thermometer stand, der die Temperatur des von weiter her kommenden Wassers an- zeigte. An das freie Ende jedes Glasrohres war ein starker Kautschuk- schlauch gesteckt, welcher auf der einen Seite mit einem grossen Gefäss voll kalten, auf der anderen mit einem solchen voll warmen Wassers ver- bunden war. Zur Physiologie der Bronchialmuseulatur. Von Dr. G. Sandmann in Berlin. (Mierzu Taf. IL.) Obwohl eine grosse Anzahl von Autoren sich mit der Frage der Bron- chialmuskeln und dem Einfluss des N. vagus auf dieselben beschäftigt haben, so stehen dennoch positive und negative Resultate der verschiedenen Be- obachter ? unvermittelt einander gegenüber. William, Longet, Volk- mann, Knaut und von neueren Autoren Bert, Riegel und Edinger, Graham Brown? u. A. sprechen sich für den motorischen Einfluss des N. vagus auf die glatten Muskelfasern der Lunge aus, Donders, Rosen- thal, Rügenberg u. A. leugnen ihn. Bei diesem Stand der Dinge schien es mir angezeigt, die Frage einer erneuten Prüfung zu unterwerfen. Meine Versuche habe ich an einer grossen Anzahl von Kaninchen und Katzen angestellt. Die Versuchsanordnung war folgende: Das auf den Rücken gebundene Thier wurde tracheotomirt und ihm eine Gad’sche Trachealeanüle eingelegt, welche mit einem gläsernen Dreiwegerohr luftdicht verbunden wurde. Der eine seiner freien Schenkel wurde mit einem Tambour enregistreur in Verbindung gebracht, der andere diente zur Herstellung einer Verbindung mit dem Apparat zur künstlichen Athmung. Sobald das Thier durch intravenöse Curareinjection gelähmt war und die Athmung aussetzte, wurde die künstliche Ventilation eingeleitet. ! Ausführliche Angaben der Litteratur finden sich bei Knaut (De vilali, quae dieitur, pulmonum contractilitate. Dorpat 1859) und bei Riegel und Edinger (Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. V). Ich nehme deshalb von einer historischen Uebersicht der bisherigen Arbeiten Abstand. ® Brown, On the innervation of the bronchi. Zdingburgh med. Journal. Vol. 31. Nr. II. G. SANDMANN: ZUR PHYSIOLOGIE DER BRONCHIALMUSCULATUR. 253 War Alles zur Beobachtung in dieser Weise vorbereitet, so wurde der Schlauch zur künstlichen Athmung abgenommen und dieser Schenkel durch eine Klemmschraube luftdicht geschlossen, während der bis jetzt ver- schlossene zum Tambour führende Schlauch geöffnet wurde. Auf einer rotirenden Trommel zeichnete nun der Tambour die in den Luftwegen eintretenden Druckschwankungen auf.! Das eingeschlagene Verfahren der graphischen Darstellung empfiehlt sich vor dem von den früheren Autoren ausser P. Bert benutzten mano- metrischen Messungen der Druckschwankungen dadurch, dass es eine weit exactere Beobachtung gestattet. Von Brown wurde ebenfalls die graphische Methode benutzt, und zwar in der Weise, dass er eine Glasröhre in einen Bronchus zweiter oder dritter Ordnung führte, deren unteres Ende mit einer Blase aus thierischer Membran versehen war. Mit Luft gefüllt sollte sie den Bronchus verschliessen und die Druckschwankungen anzeigen. Gegen dieses Verfahren ist einzuwenden, dass es in erster Linie den Druck nur an der Stelle angiebt, wo die Blase der Bronchialwand anliegt und diese durch die mechanische Irritation der als Fremdkörper wirkenden Blase sich schon unter abnormen Bedingungen befindet. Leider war ich trotz aller Bemühungen nicht in der Lage, die hiermit gewonnenen Curventafeln, deren Publication in dem mir vorliegenden Vortrage in Aussicht gestellt wird, einzusehen, ich weiss auch nicht, ob eine solche ausführlichere Ver- öffentlichung geschehen ist. 5 Bei unserem Verfahren bekommen wir Curven der Druckschwankungen in den Luftwegen. Dieselben setzen sich zusammen aus den Contractions- : zuständen der Tracheal- und Bronchialmusculatur des elastischen Lungen- gewebes und endlich der veränderten Blutfüllung der Lungengefässe,- des Herzens und der übrigen grossen Gefässstämme im Thorax. Was das letztere Moment anlangt, so ergiebt eine einfache Ueber- legung, dass eine vermehrte Blutfüllung im Thorax und damit ein Steigen ! Im Anfang bediente ich mich einer anderen Versuchsanordnung. Das im Uebrigen in der oben geschilderten Weise behandelte Thier wurde mit einem Tambour enregistreur in Verbindung gebracht, der mit Luft mässig aufgeblasen war. Während die unter dem elastischen Druck der Gummimembran stehende Luft sich in die Lungen entleerte, wurden die Vagi gereizt. Der Tambour schrieb die Curven der Entleerung der Luft in die Luftwege des Thieres auf (Curve 13). Bei Reizung des peripherischen Vagus (a und a,) zeigte sich, dass das Absinken langsamer geschieht, ein Beweis, dass ein grösserer Widerstand vorhanden ist. — Ein ähnlicher Weg — Messung der Wider- stände, die unter bestimmtem Druck in die Luftwege ein- und austretende gleiche Luft- mengen finden — ist in sehr sinnreicher Weise von Hrn. Lazarus eingeschlagen worden (Sitzung der Berliner physiologischen Gesellschaft vom 29./XI 89) und ist dieser Autor in Bezug auf die Reflexe von der Nasenschleimhaut auf die Bronchial- museulatur zu denselben Resultaten gelangt. 954 G. SANDMANK: der Curven bewirkt wird 1) durch Verlangsamung der einzelnen Pulse, 2) durch Vasoconstrietion der Körperarterien und 3) durch Vasodilatation der Pulmonalgefässe. Umgekehrt muss eine verminderte Blutfüllung des Thorax und damit ein Sinken der Curven resultiren aus einer Beschleu- nigung der Pulse, einer Vasodilatation der Körperarterien und einer Vaso- constrietion der Lungengefässe. Betrachten wir eine Curve, wie wir sie erhalten, wenn in der oben beschriebenen Weise die künstliche Athmung ausgesetzt wird und die viel- leicht eben vollendete respiratorische Lufteinblasung durch einige Secunden andauerndes Offenlassen des Sperrhahnes sich — scheinbar — ausgeglichen hat. (Curve 1.) Wir sehen, dass dieselbe sich über das Niveau der Nulllinie allmählich erhebt und zwar zuerst schneller, dann langsamer. Die einzelnen Pulse, die sich in der Curve als Hebungen und Senkungen markiren, lassen wir unberücksichtigt. Worauf ist diese Erscheinung zurückzuführen? Handelt es sich um Contraetion der glatten Muskeln, um die Wirkung des elastischen Gewebes, oder um Veränderungen der Circulationsverhältnisse? Ein ein- faches Experiment am todten Thiere entscheidet die Frage. Auch an diesem nämlich, wo von vitalen Kräften nicht mehr die Rede sein kann, sehen wir bei derselben Versuchsanordnung dasselbe Aufsteigen der Curve, wodurch die Abhängigkeit desselben von der Elastieität des Lungengewebes bewiesen ist. Mit dem Aussetzen der künstlichen Athmung und dem selbst mehrere Secunden andauernden Offenlassen der Luftröhre kommt das Lungengewebe noch nicht in seinen Gleichgewichtszustand, sondern es dauert bis zu 5 und 6 Minuten, ehe dieser erreicht ist. Auch bei eröffnetem Thorax zeigt sich ein derartiger allmählicher Aus- gleich der elastischen Kräfte, nur dass hier, da der starre Widerstand der Brustwand fortfällt, dieser Ausgleich erheblich schneller vor sich geht. (Curve 2.) Dieses Factum, schon an sich von Interesse, berührt auch die in Rede stehenden Fragen über die Contraction der Bronchialmusken. Riegel und Edinger, ebenso Brown reizten sofort nach Anfhebung der künst- lichen Athmung die Vagi und constatirten ein Steigen des Manometers, das sehr wohl wegen der minimalen Werthe, die sie erhielten, bloss auf Rechnung dieses Ausgleichs der Elastieität des Lungengewebes gesetzt werden könnte. In wenigen Fällen bemerkte ich, dass diesem Aufsteigen der Curve eine Senkung derselben vorhergeht. Bei den Versuchen, wo ich zugleich den Blutdruck aufschrieb, zeigte sich, dass diese Senkung mit der bekannten Blutdrucksteigerung bei Aufhebung der künstlichen Athmung coneidirt. Diese beiden Momente nun, Elastieitätswirkung und Blutdrucksteigerung, RR EN Zur PHYsIoLoGIE DER BRONCHIALMUSCULATUR. 255 können sich eine Zeit lang die Wage halten, so dass eime gerade Curve im Anfang resultirt. Dass die verschiedenen Beobachter in Bezug auf den Einfluss der Vagi auf die Contraction der Bronchialmuskeln zu so divergirenden Re- sultaten kamen, liest meines Erachtens daran, dass wir es hier mit einem ausserordentlich feinen, durch die mannigfachsten Einflüsse zu schä- digenden Mechanismus zu thun haben, Ich habe es sehr häufig beobachtet, dass ich bei demselben Thier und bei derselben Versuchsanordnung bald positive bald negative Resultate bekam. Bald war die Wirkung der Reizung sehr erheblich, gleich darauf bei demselben Thier oder bei anderen Thieren minimal oder überhaupt negativ. Es sind bei meinen zahlreichen Experimenten aber eine genügende Anzahl reiner Versuche vorhanden, die einen Schluss auf die Thätigkeit der Muskeln gestatten. Es zeigte sich nämlich, dass bei einer keizung des peripherischen Endes des durchschnittenen Vagus ausgesprochene Druckschwankungen ein- traten und zwar Hebungen oder Senkungen der Curven über die Null- linie, von denen erstere einer Contraction der Bronchien, letztere einer Er- weiterung derselben entsprechen würden. Dass wir es nicht mit der von RKügenberg erwähnten Contraction des Oesophagus zu thun haben, konnte ich dadurch, dass ich denselben durch einen eingeführten dieken Glasstab immobilisirte, ausschliessen. Einer möglichen Beeinflussung von Seiten des Magens habe ich des öfteren auch durch auseiebige Eröffnung des Abdomen vorgebeugt. Ein anderer gewichtiger Einwand gegen die Deutung der erhaltenen Curven als Ausdruck der erhaltenen Bronchialmuskelcontraetion dürfte der sein, dass die Vagusreizung zugleich zu einer Aenderung des Herzrhythmus und des Blutdruckes und diese zu Aenderungen im Blutgehalt des Thorax führt. Blutdruekmessungen in der Carotis, die ich gleichzeitig mit den Messungen des Bronchialdruckes aufnahm, gaben nicht genügenden Auf- schluss darüber, wie sich die Verhältnisse im kleinen Kreislauf gestalten, noch wie sich die Körperarterien verhalten. Wir erhalten nur einen Com- plex von Erscheinungen, die sich aus Frequenz und Grösse des Pulses und dem Drucke in den Körperarterien zusammensetzen. (Curve 4a und 42.) Mit Hülfe von Atropininjeetionen jedoch gelang es mir in vielen Fällen die Wirkung einer Vagusreizung auf das Herz auszuschliessen und voll- kommen oder in anderen Fällen fast vollkommen gleichmässige Pulse zu erhalten. Sehen wir nun unter dieser Versuchsanordnung bei Reizung des peripheren Vagusendes — der andere ist intact oder ebenfalls durch- schnitten — eine Hebung oder Senkung der Curve, so werden wir nicht fehl gehen, wenn wir diesen Effect auf die Thätiekeit der glatten Muskel- 256 G. SANDMANKN: fasern der Lunge beziehen. Denn die Veränderung des Herzrhythmus haben wir ausgeschlossen, eine Wirkung der peripherischen Vagusreizung auf die Vasomotoren des grossen und kleinen Kreislaufs aber ist nicht wahrscheinlich. Wurde das peripherische Vagusende so mit dem Inductionsstrom ge- reizt, dann zeigte sich, dass schwächere Ströme meist verengernd, stärkere erweiternd wirkten. So sah ich bei 20 bis 15” Abstand Contraction, bei 4 bis 9® Dilatation der Bronchien, bei Reizstärken von 15 bis 9 ex- oder inspiratorische Wirkung. Curve 5 zeigt die inspiratorische Wirkung der peripherischen Vagus- reizung bei 8“ Abstand, Curve 6 die inspiratorische Wirkung bei 12 Abstand. Curve 7 zeigt eine langandauernde, einem Tetanus vergleichbare in- spiratorische Wirkung bei 9 = Abstand. In ähnlicher Weise, doch bei weitem schwächer wirkte die Reizung des centralen Vagusendes des einen, bei undurchschnittenem zweiten Vagus z. B. (Curve 14) bei 8°® Abstand: Hebung der Curve. Dieser Versuch ist jedoch nicht ganz eindeutig, da eine centrale Rei- zung des Vagus nach den Arbeiten von R. Bradford und P. Dean! zu- gleich eine Erhöhung des Druckes in der A. pulmonalis bewirkt, aus der die genannten Autoren ..auf eine Contraction der Pulmonalgefässe schliessen. Allein da eine solche Contraction eine Senkung der Curve zur Folge haben würde, dürfen wir die hier zu constatirende umgekehrte Wirkung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Rechnung der Bronchialmusculatur setzen. Diese Fehlerquelle brauchen wir auch deshalb nicht übermässig hoch anzuschlagen, weil nach den genannten Autoren der vasomotorische Mechanismus der Lungengefässe nicht in so hohem Grade entwickelt ist, wie im Aorten- system. Es scheint mir somit bewiesen, dass im Vagus Fasern verlaufen, die die Bronchialmuskeln innerviren. Die einen bewirken gereizt Verengerung, die anderen Erweiterung der Bronchien. Diese Thatsache fand auch schon Graham Brown? bei seinen Versuchen am Hunde, und ich bin in der Lage, sie für Kaninchen und Katze zu bestätigen. In mehreren Punkten jedoch stimme ich mit dem genannten Autor nicht überein. Er fand, dass die „Asphyxie“ (Dyspno&) bei Aufhören mit künstlicher Atlımung gewöhnlich Contraction der Bronchien herbeiführt, ausser bei aetherisirten Thieren, bei denen häufig Erweiterung der Bronchien beobachtet ! The Innervation of the Pulmonary Vessels. Proceedings of the Royal Society. t. XLV. Feb. 1889. p. 369. 2A.2.0. men ZUR PHYSIOLOGIE DER BRONCHIALMUSCULATUR. 25H wurde. Ich habe eine Wirkung der Dyspnoö nicht constatiren können und möchte die von ihm beobachtete Contraction mit der Elasticität des Lungen- gewebes, worüber ich schon weiter oben gesprochen, in Zusammenhang bringen. Nach Brown bewirkt ferner Atropin bei Hunden völlige Lähmung der verengernden Bronchialmuseulatur. Wie ich schon oben angeführt, ist bei Katzen und Kaninchen dies nicht der Fail. Endlich leugnet Brown auch den Einfluss einer Reizung der sen- sorischen Nerven, sowie einer Reizung des Magens, der Pleura und Tracheal- schleimhaut, der Nasenlöcher u. s. w. auf die Bronchialmuskeln. Ich bin in der Lage diesen letzteren reflectorischen Einfluss zu beweisen. Ich habe von der Nase und dem Larynx aus sehr ausgesprochene Wirkungen erhalten, auch Reizung der Cornea ist nicht ohne Einfluss.! Ammoniak in die Nase geblasen bewirkt Contraction der Bronchien (Curve 9). Bei diesem Versuch ist natürlich Abschluss der tiefer liegenden Partien nothwendig. Kitzeln der Nasenschleimhaut bewirkt ebenfalls Con- traction, doch geht derselben eine geringe Erweiterung voraus (Curve 11). Vom Larynx aus habe ich ebenfalls durch Reizung mit Ammoniak und durch Kitzeln Verengerung gesehen. (Curve 8 Ammoniak, Curve 10 Kitzelreizung.) Auch Reizung der Cornea zeigt, wenn auch bei weitem geringeren, verengernden Effect. (Curve 12.) Durchschneidung der beiden Vagi hebt den Reflex von der Nasen- schleimhaut auf. Auch diese Resultate erschienen nicht ganz eindeutig, da wir wissen, dass Reizung der Nasenschleimhaut zu einer Steigerung des Blutdruckes führt, die im Verein mit der Verlangsamung und Vergrösserung der Pulse sehr wohl das Steigen unserer Curve erklären könnten. Nun hebt aber Durchschneidung beider Vagi den Reflex von der Nase auf, woraus der Schluss gestattet ist, dass die Wirkung der Vasomotoren hierbei in den Hintergrund tritt. Umd da auch die Herzaction durch Atropin in der oben geschilderten Weise beeinflusst worden ist, so sind wir wohl berechtigt, auch für diese Reflexe die glatten Muskelfasern der Bronchien anzusprechen. Aus den vorliegenden Resultaten ergiebt sich ein zweekmässiger Me- chanismus. Reizungen der Nasen- und Kehlkopfschleimhaut, die bei nicht eurarisirten Thieren exspiratorische Athemstillstände hervorbringen, be- ! In einer mir nach Beendigung meiner Untersuchungen zu Händen gekommenen Arbeit (Etudes experimentales des nevroses reflexes d’origine nasale. Archives de Phy- siologie normale et pathologique. Juillet 1889) hat Francois Franck ebenfalls eine Contraction der Bronchialmuskeln auf Nasenreizung constatirt. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 17 258 (G. SANDMANN: wirken zugleich eine Verengerung der Luftwege durch Contraction der Bronchialmuskeln. Der Schutz des Athmungsapparates vor schädlichen Einwirkungen wird dadurch noch vergrössert. Bei Kitzelreizung der Nasen- schleimhaut, die bei nicht curarisirten Thieren Niesen, der Larynxschleim- haut, die Husten hervorruft, zeigt sich ebenfalls eine entsprechende reflec- torische Thätigkeit der Bronchialmuskeln. Durch diese wird auch die Heraus- beförderung von Schleim aus den Alveolen und Broncheolen in hervor- ragender Weise gefördert. In den Alveolen gerade finden wir statt des Flimmerepithels der übrigen Luftwege das bekannte respiratorische Epithel, das natürlich einer Herausbeförderung von Secreten nicht wie jenes dienen kann. Dafür aber ist nach Kölliker gerade um den Eingang zu den Alveolen herum ein Ring von glatten Muskelfasern vorhanden. Wenn dieser sich contrahirt, so ist damit ein Mittel gegeben, den Schleim zu lockern und aus dem Infundibulus zu entfernen. Diese Versuche sind ein weiterer Baustein zur Erklärung der von den Klinikern beobachteten von der Nase ausgehenden asthmatischen Anfälle, bei denen eine Mitwirkung der Bron- chialmusculatur hiernach ein physiologisches Fundament hat. Die dieser Arbeit zu Grunde liegenden experimentellen Untersuchungen habe ich im Jahre 1888 in der speciell physiologischen Abtheilung des Berliner physiologischen Instituts ausgeführt. Hrn. Professor Gad, der mir hierbei mit Rath und That zur Seite stand, fühle ich mich veranlasst, meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen. ZUR PHYSIOLOGIE DER BRONCHIALMUSCULATUR. 259 Erklärung der Curven. (Taf. II.) Bei den Curven des Trachealdruckes bedeutet Hebung der Curve Steigen des Druckes, Senkung derselben Sinken des Druckes. Die einzelnen Zacken entsprechen den Pulsen. Bei der Blutdruckeurve (4 a) bedeutet Sinken der Curve Steigerung des Blutdruckes. Curve 1. Trachealdruck des eurarisirten Kaninchens. Bei « Aufhebung der künstlichen Athmung. Das Steigen der Curve ist in dieser und den folgenden drei Curven auf die Contraction des elastischen Lungengewebes zu beziehen. Curve 2. Trachealdruck bei eröffnetem Thorax (die darunter befindliche Linie ist die Nulllinie), Curve 3 beim todten Thiere. Curve 4a. Blutdruck des curarisirten Thieres in der Carotis. Bei « Aufhebung der künstlichen Athmung nnd damit Steigerung des Druckes, hierauf bei $ Stehen- bleiben, bei y mit Eintreten der Dyspno&ö weitere Steigerung, Verlangsamung und Ver- stärkung der Pulsschläge. Curve 4b. Entsprechende Trachealdruckeurve: trotz der Aenderung des Blut- druckes gleichbleibende auf der Elastieitätswirkung der Lunge beruhende Hebung der Curve. Curve 5. Kaninchen. Trachealeurve. Das Thier hat Curare und Atropin erhalten ; bei | Reizung mit 8°” Abstand; Senkung der Curve. Curve 7. Dieselbe Anordnung, langandauernde Wirkung in gleichem Sinne. Curve 6. Dieselbe Anordnung. Reizung bei 12°“ Rollenabstand. Wirkung in exspiratorischem Sinne. Curve 8. Reizung des Larynx, Curve 9 der Nase durch Ammoniak, Hebung “ der Curve. Curve 10. Kitzeln des Larynx -— exspiratorische Wirkung. Curve 11. Kitzeln der Nase, bei a leichte Senkung, bei 5 länger andauernde Hebung der Curve. Curve 12. Berührung der Cornea. Curve 13. Entleerung eines mit Luft gefüllten Tambour enregistreur in die Luftwege; bei a und a, Reizung des peripherischen Vagus bei 10°“ Rollenabstand. Curve 14. Reizung des centralen Vagusendes; leichte Hebung der Curve bei | auf Reizung mit 8°® Rollenabstand. 17* Ueber Augenbewegungen auf Sehsphaerenreizung. Von Dr. Alexander Obregia, erstem Assistenten am physiologischen Laboratorium (Prof. Vitzou) in Bukarest. Die ersten Angaben über die Augenbewegungen nach elektrischer Reizung der Grosshirnrinde sind von Fritsch und Hitzig gemacht.! Auf der von diesen Autoren gegebenen Abbildung des Hundegehirns ist das Centrum für die Augenmuskeln mit einem kleinen punktirten Kreise bezeichnet, welcher mit einem Theile des Facialiscentrums zusammenfällt und sich auf der Partie des Gyrus suprasigmoideus befindet, die dem vorderen Theil der II. Urwindung zugehört. Um die nach der Reizung dieses Centrums folgenden Augenbewegungen beobachten zu können, machte Hitzig die Neurotomie des Facialis und stach ausserdem eine Carlsbader Nadel, an deren Kopf eine senkrechte Papierfahne befestigt war, als Fühl- hebel durch das Centrum der Cornea in den Glaskörper. Nun machte nach der Reizung der Fühlhebel eine Bewegung in der Regel nach einer Richtung, manchmal aber auch zwei ausserordentlich schnell aufeinander- folgende Bewegungen nach entgegengesetzten Richtungen, so dass der zweite Theil der ersten Bewegung von der zweiten gleichsam verschlungen wurde. Da das Augencentrum ein sehr kleines ist, so nimmt Hitzig an, dass die Reizung im Allgemeinen mehrere Muskeln auf einmal trifft, und erklärt sich daraus, weshalb die nachfolgenden Augenbewegungen klein und sogar doppelt sind. Den Nachweis dafür hat er geführt, indem er die Augen- muskeln, den einen nach dem anderen durchschnitt, was ausgeprägte Augen- bewegungen beobachten liess. Das gleichseitige Auge bleibt stets in Ruhe, so dass auch für die Augenmuskeln die Grosshirnwirkung eine gekreuzte ist. Von anderen aus der Reizung der Rinde resultirenden Augenbewegungen sprechen Fritsch und Hitzig nicht. ! E.Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874. ALEXANDER ÜBREGIA: AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 261 Ferrier zeichnet beim Hunde eine Reihe von kreisföürmigen Zonen, von welchen aus Augenbewegungen zu erzielen sind, die sich folgendermaassen zusammenfassen lassen. Man erhält bei Reizung: 1. der drei Kreise (7), die sich auf dem vorderen Theile der II. Win- dung befinden, gleichzeitige Bewegung des Orbicularis und der Zygomatici, so dass das entgegengesetzte Auge geschlossen wird. 2. des Kreises (12) Oeffnen der Augen mit Pupillenerweiterung, nach- folgende Wendung des Kopfes und der Augen nach der entgegengesetzten Seite. Dieser Kreis befindet sich auf dem vorderen Theile des Gyrus sigmoideus. 3. der drei Kreise (13) auf dem mittleren Theile der II. Urwindung, der eine auf dem Punkte, wo die Halbirung dieser Windung anfängt, die beiden anderen auf der Mitte des halbirten Theiles.. Wendung der Augäpfel nach der entgegengesetzten Seite und manchmal auch eine Pupillenver- engerung. Beim Affen sieht Ferrier erfolgen bei Reizung: l. der Kreise (12) auf dem hinteren Theile der II. Stirnwindung: Oeffnen beider Augen, Pupillarerweiterung, Wendung der Augen und des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite; 2. der drei Kreise (13) auf dem vorderen Arm der Angularwindung: Bewegung der Augen nach der entgegengesetzten Seite und nach oben; 3. der drei Kreise (13’) auf dem hinteren Arm der Angularwindung: Wendung der Augen nach der entgegengesetzten Seite und zugleich nach unten; 4. der drei Kreise (14) auf der I. Schläfenwindung: Zuckung des“ent- gegengesetzten Ohres, Bewegung der Augen und des Kopfes nach der ent- gegengesetzten Seite mit Pupillenerweiterung. Durch Reizung des Oeccipitallappens hat Ferrier nie eine Augen- bewegung hervorrufen können. Luciani und Tamburini! fanden in einer Reihe von Versuchen an narkotisirten Hunden, dass nur die II. Windung, unter elektrischer Reizung Augenbewegungen hervorrufen kann. Der vordere Scheiteltheil dieser I. Windung bewirkt Schliessung des entgegengesetzten Auges. Der mitt- lere Theil ruft Hebung des entgegengesetzten Augenlides mit Wendung der Augen nach der entgegengesetzten Seite hervor. Dieselben Erfolge wurden durch Reizung der Grosshirnrinde an einer einen Monat alten Katze, in schwacher Chloroformnarkose erzielt. I Sui centri psicho-sensori corticali. 1819. 262 ALEXANDER ÖÜBREGIA: Bei der Betrachtung der einzelnen Versuche sieht man, dass manch- mal neben contralateralen Bewegungen auch eine Bewegung nach oben oder unten des einen oder beider Augen erfolgt. Ferner bewegt sich manch- mal ein Augapfel stärker oder allein, so dass eine Art Strabismus eintritt. Diese Bewegungen sind aber so veränderlich, dass sie nicht in Betracht gezogen zu werden verdienen, und dass nur an den contralateralen Bewe- sungen festzuhalten ist. E. A. Schäfer! untersuchte die Sehsphaere des Affen mit der elek- trischen Reizung und kam zu folgenden Resultaten: 1. Eine vordere oder oberste Zone, welche den hinteren Rand des Gyrus angularis, den direct benachbarten Theil der II. Schläfenwindung, den Theil der äusseren Oberfläche des Occipitallappens unmittelbar hinter der äusseren Parieto-oceipital-Spalte und den vorderen und oberen Theil der medialen Oberfläche direct hinter und vor der inneren Parieto-oceipital- Spalte umfasst, giebt bei Reizung eine Wendung der Augen nach der ent- gegengesetzten Seite mit einer Bewegung derselben nach unten. Diese Wirkung ist am stärksten, wenn die Elektroden auf der Medialfläche oder in der Nähe derselben applicirt werden. 2. Eine hinterste oder unterste Zone, welche die hinterste Spitze des Oeeipitallappens, dessen tentoriale Fläche und den hintersten untersten Theil seiner Medialfläche umfasst, bewirkt bei Reizung eine Abweichung der Augen nach der entgegengesetzten Seite und nach oben. Diese Wirkung ist am stärksten, wenn die Reizung entweder auf der Medialfläche oder nahe der- selben erfolgt. 3. Eine mittlere, intermediäre Zone, welche die übrige Oberfläche des Hinterhauptslappens in sich begreift, ruft eine einfache Abweichung der Augen nach der entgegengesetzten Seite hervor. Manchmal ist bei Reizung der vordersten oder hintersten Zone die Augenbewegung nach unten bezw. oben so stark, dass die contralaterale aufgehoben wird. Im Allgemeinen hebt sich bei Bewegung der Augen nach oben das obere Augenlid auch mit und senkt sich während der Bewegung nach unten. Diese Erscheinungen sind aber wenig beständig, ebensowenig sind Pupillarveränderungen constant. Manchmal hat Schäfer nach Reizung des Lobulus quadratus oder in der Nähe desselben gelegener Partien eine deutliche Pupillarverengerung beobachtet. Im Allgemeinen sind aber fast alle Augenbewegungen von einer Erweiterung der Pupillen begleitet. ! Experiments on the electrical excitation of the visual area of the cerebral cortex in the monkey. Brain, April 1888. Part. LXI. ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 263 Bei schwacher Reizung auf dem hinteren Rande des Gyrus angularis hatte Schäfer noch keinen Erfolg, während zu derselben Zeit mit mini- malen Strömen deutliche Resultate bei den anderen oben genannten Par- tien hervortraten. Bei einseitiger Reizung bewegen sich die Augen simultan, so dass die Axen parallel bleiben. Einmal war nach beiderseitiger Reizung der Hemi- spbaeren ein Kampf zwischen den Augenmuskeln zu beobachten, deren Kräfte sich entweder aufhoben oder bei Ueberwiegen einer Muskelgruppe eine contralaterale Bewegung hervorriefen. In einem Falle, in welchem die Elektroden auf correspondirende Partien der Medialflächen gelegt waren, erfolgte eine Convergenzbewegung. Auf Grund der Annahme, dass diese Augenbewegungen eine Folge oder concomitirende Erscheinungen der subjectiven Sehempfindungen seien, stellt Schäfer folgende Connexionen zwischen den Retinen und den Hinter- hauptslappen auf: 1. Die Sehfläche einer Hemisphaere ist mit den gleich- seitigen Hälften beider Netzhäute verbunden. 2. Die oberste Zone der Sehfläche einer Hemisphaere ist mit den obersten Partien der gleichseitigen Hälften beider Retinen verbunden. 3. Die untere Zone der Sehfläche ist mit den untersten Partien der gleichseitigen Hälften beider Retinen ver- bunden. 4. Die intermediäre Zone der Sehfläche ist mit den mittleren Partien der gleichseitigen Hälften beider Retinen verbunden. Unverricht beschäftigt sich in einer Arbeit über die Beziehungen der hinteren Rindengebiete zum epileptischen Anfall! mit der Munk’schen Sehsphaere und spricht vorübergehend von den Augenbewe- gungen, die nach Reizung derselben zu Stande kommen. Er erwähnt zwei Stellen (die er mit 12 bezeichnet), welche fast dieselbe Lage — etwas mehr nach vorn vielleicht — wie die Ferrier’schen Kreise 13 haben: Bei Reizung dieser Stellen sollen die Bulbi nach der entgegengesetzten Seite rollen. Eine neuerdings erschienene und nach Abschluss der Untersuchungen uns bekannt gewordene Arbeit ist die vorläufige Mittheilung von Danillo „Ueber das Verhältniss der Oceipitallappen neugeborener und Junger Thiere zu den Augenbewegungen.“? Aus dieser, leider zu kurz gefassten Mittheilung entnehmen wir folgendes: Danillo reizte mit Inductionsströmen (S—10 °® Rollenabstand) und für längere Zeitdauer (1—3 Minuten) die Hirnrinde, besonders die Munk’sche Sehsphaere. Bei Hunden und Katzen bis zum dritten Lebensmonate zeigen sich keine motorischen Erscheinungen weder der Augenmuskeln noch der Ex- tremitäten. Erstin dem fünften extrauterinen Monate treten diese Bewegungen 1 Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1888. Bd. XLIV. Hft. 1. 2 Wratsch. 1888. Nr. 48. 264 ALEXANDER ÜBREGIA: auf. Dann ergiebt Reizung der Mitte der Hinterhauptswindungen conjugirte contralaterale Augenabweichung. Für den Ocecipitallappen ist aber eine grössere Dauer und Stärke des Stromes nothwendig, als für die vorderen Gehirn- abschnitte, um überhaupt Bewegungen zu erzielen. Die Reizung der weissen Substanz des Hinterhauptslappens giebt: im ersten Monate keine Bewegung; in dem zweiten Monate deutliche Abwei- chung der Augen (nach Abtragung der Rinde oder Einführung von isolirten Elektroden auf 1 ® Tiefe in die Hirnsubstanz). Je tiefer die Einsenkung der Elektroden, desto deutlicher wird die Abweichung. Bei beiderseitiger gleichzeitiger Reizung ist die Abweichung auf der stärker gereizten Seite grösser. Abtragung der psychomotorischen Rinde ändert die Form der Bewe- gungen nicht; ebensowenig ein langer, 1!/, °“ tiefer Querschnitt zwischen den vorderen und hinteren Hirnabschnitten, oder longitudinale, mit dem medialen Rande parallele Schnitte im Gebiete des Gyrus angularis und längs der I. Occipitalwindung. Starke und andauernde Reizungen der weissen Substanz der moto- rischen Zone rufen keine Augenbewegung hervor. Danillo kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Die Hinterhauptslappen enthalten keine Centra, wie die motorische Zone. 2. Die Ferrier’sche Ansicht, dass nach Reizung der Oceipitallappen subjective optische Wahr- nehmungen zu Stande kommen, ist unhaltbar, weil ebensolche Bewegungen durch Reizung der weissen Substanz, bei mangelnder Erregungsfähigkeit der grauen, sich zeigen. 3. Die nach Führung von Quer- oder Längs- schnitten, oder nach Exstirpation der motorischen Rinde auftretenden Er- scheinungen führen zu dem Schlusse, dass die Centren für die conjugirten Augenabweichungen weder in der motorischen noch in der Hinterhaupts- region, sondern niedriger zu suchen sind.! 4. Bis zum fünften extrauterinen Monate kann in der sogenannten psychomotorischen Zone kein Bezirk für die Augenbewegungen nachgewiesen werden. Die Munk’schen Exstirpations- und Entartungsversuche haben klar und genau den engen Zusammenhang zwischen den Netzhäuten und den Hinterhauptslappen festgestellt und somit der Wissenschaft die Projections- ! Diesen Schluss bestreitet Bechterew (Neurologisches Centralblatt. 1889. Nr. 18. 8. 518 Anmerk.). Nach ihm befinden sich solche Centren, sowohl in der motorischen, wie in der Oceipitalgegend. — Endlich hat P. Rosenbach (Neurologisches Central- blatt. 1889. Nr. 9. S. 255) angegeben, dass die von einem bestimmten Punkte der Munk’schen Sehsphaere aus zu erzielende seitliche Augenablenkung stets, auch nach völliger Zerstörung der motorischen Region, bestehen bleibt. ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 265 lehre gegeben, von welcher Luciani! — obwohl er sie bezweifelt — sagt: „Wären die Thatsachen, worauf sich Munk stützt, klar und leicht zu bestätigen, so würde dieselbe (Projeetionslehre) unbestreitbar der schönste Erwerb der modernen Physiologie mit Bezug auf die Gehirnlocalisationen sein.“ Nun brinet die Schäfer’sche Arbeit für das Gehirn des Affen auf einem anderen Wege (Reizungsmethode) neue Stützen für de Munk’- sche Lehre. Da ich als Dissertation eine experimentelle Arbeit im physiologischen Laboratorium des Hrn. Prof. Al. Vitzou (Bukarest) über die Gehirn- localisationen angefertigt hatte, in welcher ich, nach wiederholten Versuchen, übereinstimmend mit denen von Prof. Vitzou,? ganz dieselben Resultate verzeichnen konnte, die Munk veröffentlicht hatte, ging ich sehr gern auf den Vorschlag von Hrn. Prof. Munk ein, Reizungsversuche am Hinter- hauptslappen des Hundehirns, in Gemeinschaft mit ihm, im physiologischen Laboratorium der thierärztlichen Hochschule auszuführen.” Ich spreche Hrn. Prof. Munk an dieser Stelle meinen besten Dank für seine liebens- würdige Anleitung und Unterstützung aus. Das operative Verfahren und die Technik wollen wir nur sehr kurz berühren. Im Wesentlichen sind wir den bereits veröffentlichten Methoden des Hrn. Prof. Munk gefolgt, durch die er — wie Wernicke mit Recht bemerkt — die klinische Operations- und Beobachtungssorgfalt für Gehirn- versuche in das physiologische Laboratorium eingeführt hat. Nur einige sanz specielle Punkte müssen wir hervorheben, die uns in den vielfach wiederholten Versuchen als nützlich und sogar unentbehrlich erschienen, und welche den Control- und Nachversuchen eine leichtere Ausführung und besonders eine grössere Zuverlässigkeit zu verleihen im Stande sind. Wenn man die feinsten, durch die Reizung der Grosshirnrinde hervor- gerufenen Frscheinungen studiren will, so muss man die umfassendsten Vorsichtsmaassregeln treffen, damit diese Rinde die möglichst geringe Abweichung von ihrem normalen Zustande erleidee Wir haben dafür als vortheilhaft, sogar nothwendig gefunden, an narkosefreien Hunden zu experi- mentiren. Nur für die Operation haben wir natürlich aetherisirt. Eine lange Erfahrung aber hat uns gezeigt, — und das betonen wir ganz besonders —, ! Luciani und Seppilli, Ze localizzazioni funzionali del cervello. Napoli NSS SEUT. ® Al.N. Vitzou, Comptes rendus des Seances de l’ Academie des Sciences. Paris 1888. ® Prof. Munk hat darüber eine Veröffentlichung in den Sitzungsberichten der königl. preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1890, 8. 53—74 gemacht. 266 ALEXANDER ÜBREGIA: dass nur so viel Aether zu geben ist, wie durchaus nothwendig, weil jede darüber hinausgehende Anwendung von Aether eine nach dem Erwachen sich äussernde schädliche Wirkung auf die Rindenreizbarkeit, besonders mit Bezug auf Augenbewegungen ausübt. | Die Operation der Freilegung muss eine äusserst sorgfältige sein. Die höchste Aufmerksamkeit vor allem verdient das letzte Stadium derselben, die Dura-Inecision, da ein kleiner Stich in die Gehirn- oder Duragefässe den Versuch vereiteln kann. Jede Blutung muss vermieden werden. Die Schädelvenen werden Blutungen ergeben; diese sind indessen nicht gefähr- lich und können gut gehemmt werden. Gerade das Gegentheil gilt aber für die Dura- und Gehirngefässe. In der That bedeutet die Verstopfung eines dieser Gefässe eine Störung des Blutkreislaufes der Rinde und da- durch eine Herabsetzung der Leistungen derselben. Die Operation ist leicht, wenn man nur die Sehsphaere blosslegt; schwierig wird sie dagegen, wenn man weiter nach vorn geht, weil hier, besonders auf der Augenregion 7, eine, zwei, ja sogar mehrere Venen vorkommen können, welche vom Gehirn in die Dura treten, um nach dem oberen Longitudinalsinus zu verlaufen. Da dieselben das Hinterhauptsblut ableiten und keine ganz constante Lage haben, so ist die grösste Vorsicht nothwendig. Am besten ist es, wie wir gefunden haben, dieselben mit einem Durazipfel bedeckt unberührt liegen zu lassen. Ob die Operation gut ausgeführt ist, kann man aus Folgendem ersehen. Nach Freilegung des Gehirns und nach Entfernung des Aethers muss der Hund wieder zu sich kommen; bewegen sich dann seine Augen, sowohl willkürlich, wie auf äusseren Anlass, nicht nach allen Richtungen hin, be- sonders nicht nach der dem blossgelegten Lappen entgegengesetzten Seite, so ist dies ein Beweis dafür, dass die Leistungsfähigkeit des Gehirns herab- gesetzt ist, besonders mit Bezug auf die Augenbewegungen. In diesem Falle darf man nicht auf exacte Ergebnisse hoffen. Die beiderseitige Freilegung der Hemisphaeren haben wir mehrmals für bestimmte Zwecke mit gutem Erfolge ausgeführt. Im Allgemeinen aber haben wir die einseitige Aufdeckung vorgezogen. Wir haben immer die blossgelegten Duraläppchen womöglich weggeschnitten, damit dieselben durch Luft oder andere Reizmittel nicht getroffen werden und keine fremden Erscheinungen hervorrufen können. Soweit es nothwendig war, haben wir, um die Austrocknung zu verhindern, das freigelegte Gehirn mit lauwarmer, physiologischer Kochsalzlösung von Zeit zu Zeit irrigirt. Zur Reizung haben wir in der Regel die gewöhnlichen Inductionsströme des du Bois-Reymond’schen Apparates benutzt, nachdem wir wiederholt festgestellt hatten, dass sowohl die Helmholtz’sche Anordnung wie die ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHARRENREIZUNG. 267 unipolare Reizung, bei entsprechender Stärke, ganz dieselben Erfolge hervor- riefen. Immer haben wir geknöpfte Platinelektroden mit 2—3 "m Abstand benutzt. Ehe wir mit der eingehenden Beschreibung der Reizungserfolge be- einnen, müssen wir einige Erklärungen über die im Verlaufe dieser Arbeit gebrauchten Bezeichnungen geben. Wir benutzen das nebenstehende, von Munk gegebene Schema des Hunde- gehirns. Die bei Hunden gut erhal- tenen Urwindungen sind, wie ge- wöhnlich, mit den römischen Ziffern 1, 11, 11, IV von der Medialspalte an bezeichnet. Die im Allgemeinen sehr stark entwickelte Windung /7 zeigt eine Halbirung durch eine aus- gesprochene, longitudinal verlaufende Furche, welche ungefähr die hinteren drei Viertel dieser Windung spaltet. Die somit entstandenen kleinen Win- dungen werden wir mit ZZ, und I7, bezeichnen. Die hinten abfallenden, am Tentorium gelegenen Theile dieser Windungen bezeichnen wir als ab- steigende Partien derselben (/, /7, II, hinten absteigend). Auf diesen 14 Partien befindet sich die hintere Fie.1. Grenze der Sehsphaere. Grosshirnrinde des Hundes nach Munk. Die der mittleren Zone der Seh- A Sehsphaere. B Hörsphaere. C—J Fühl- sphaere entsprechenden Theile der sphaere. D Vorderbeinregion. C Hinter-- Windungen werden der Kürze halber beinregion. E Kopfregion. F Augenregion. mit 7, IZ, II, Mitte bezeichnet, und REIN: a 7 Rumpf gas auf II, befindliche Centrum des wichtigen Kreises 4, mit 77, A, Mitte. Die der vorderen Sehsphaerengegend entsprechenden Windungstheile werden I, IL, I,, III vorn bezeichnet. i Etwas vor der Halbirung der Windung 77 liegt eine sehr beständige Vene, welche von hinten lateral nach vorn medial verläuft. Diese be- zeichnen wir als schiefe Vene. Wir kommen jetzt zur Darstellung der Reizungsergebnisse und fangen von der hinteren Sehsphaerengrenze an. 268 ALEXANDER ÜBREGIA; Wenn man die Elektroden an der hinteren Grenze auf den ab- steigenden Ast der Windung Z/, legt, so entsteht bei hinreichender Strom- stärke (gewöhnlich 120"m R.-A.) eine assocürte Bewegung beider Augen, welche nach der dem gereizten Lappen entgegengesetzten Seite und gleich- zeitig stark nach oben gerichtet ist. Die oberen Augenlider werden dabei fast immer stark gehoben. Sehr oft haben wir gleichzeitig eine mässige, beiderseitige, rasch vorübergehende Pupillenerweiterung beobachtet. Reizt man nun die benachbarte Windung //, hinten absteigend, so tritt dieselbe letztbeschriebene Augenbewegung ein, ist indessen manchmal kleiner mit Bezug auf die Drehung nach oben. Diese Abnahme der Bewegungsinten- sität ist noch deutlicher, wenn man die Windung / hinten (Spitze des Hinterhauptslappens) reizt. Hier kommt, in der Mehrzahl der Fälle, bei derselben Stromstärke keine Augenbewegung zu Stande, und wenn man die Stromstärke nimmt, bei welcher Erfolge eintreten, dann ist es oft zu bemerken, dass die Richtung der Augen nach oben unterbleibt. (rehen wir auf denselben Windungen weiter nach unten oder hinten, so werden die Augenbewegungen gleich Null, und nur bei stärkeren Strömen schwach contralateral. Noch etwas weiter unten ist gar keine Augen- bewegung zu erzielen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die letzten Augenbewegungen nur durch die Uebertragung der Reize auf die empfind- lichen benachbarten Gegenden zu erklären sind. Wenn wir nun mit den Elektroden stufenweise, besonders auf /Z, nach vorn gehen, so beobachten wir wieder deutliche, associirte Augen- abweichungen in der Richtung contralateral nach oben; merkwürdigerweise aber erkennen wir, dass, je mehr die Reizungen sich der Mitte des Kreises 4, nähern, in demselben Maasse die Intensität der Augenbewegungen, be- sonders die Bewegung nach oben, immer mehr abnimmt, so dass wir z. B. auf dem Gebiete der hinteren Grenze des Kreises 4, Augenbewegung con- tralateral und mittelstark nach oben bekommen, während zwischen der letzteren Stelle und der Mitte des Kreises A, die Augenabweichung nur schwach contralateral und schwach oder gar nicht nach oben erscheint. Wir sind nun mit den Elektroden auf dem mittleren Theile der Seh- sphaere angekommen. Gehen wir hier von lateral aus medialwärts, so finden wir, dass die Mitte der Windung 7/7 bei mässiger Stromstärke keine Augen- bewegung hervorruft. Wird die Windung //, ebenso gereizt, so erfolgt, eine Bewegung beider Augen nach der entgegengesetzten Seite, die im Allgemeinen stark ist. Dabei haben wir in der Mehrzahl der Fälle be- obachten können, dass das gleichseitige Auge eine grössere Seitenbewegung machte, als das. entgegengesetzte. Diese contralaterale Augenbewegung nimmt aber ab, wenn man sich der Mitte A, nähert. ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 269 Um die ungleiche Seitenbewegung beider Augen zu verstehen, muss man die normale Augenstellung beim Hunde in Betracht ziehen.! Beim Hunde fällt die Sehaxe nicht mit der Augenaxe zusammen, sondern die erstere hat eine mediale Abweichung von ca. 30°, so dass die Augen des Hundes, wenn er nach vorn blickt, eine Divergenz der Augenaxen zeigen mit einem Winkel, der je nach der Race verschieden ist. Daher muss, wenn die nach vorn gerichteten Augen auf einen z. B. rechts gelegenen Punkt blicken wollen, das linke Auge eine grössere Angularbewegung als das rechte machen. Reizen wir die Mitte des Kreises 4, — dessen genaue Bestimmung weiter unten besprochen wird —, so zeigt sich eine Reihe von Erscheinungen, die uns zuerst als unregelmässig auffielen. Nach zahlreichen Versuchen aber bemerkten wir, dass diese Augenbewegungen sich den nachfolgenden Bedingungen völlig unterwerfen. Wenn das Thier nach der Operation aus der Aethernarkose erwacht, bewegt es erregt die Augen nach den verschiedensten Richtungen. Bei manchen Hunden lassen diese unsteten Bewegungen bald nach; die Augen stellen dann nicht mehr so oft ein und nehmen die Ruhelage an, in welcher die Augenaxen divergent sind. In dieser Ruhelage ruft die Reizung von II, Mitte A, eine ziemlich constante Erscheinung hervor, welche in einer Art von Convergenzbewegung (das rechte Auge nach links, das linke nach rechts) besteht. An dieser Bewegung nehmen aber nicht beide Augen in gleicher Weise Theil; das Auge auf der Seite der Reizung beschreibt einen grösseren Winkel als das andere, welches sich sogar ziemlich häufig nur wenig oder gar nicht bewegt. Bisweilen konnte sogar für das letztere Auge eine ganz kleine Bewegung nach der entgegengesetzten Seite- fest- gestellt werden. Waren dagegen im Augenblicke der Reizung die Augen fixirend ein- gestellt, so entsteht entweder keine oder nur eine sehr schwache Convergenz- bewegung. Dagegen tritt bei dieser Reizung sehr oft ein Oefinen der Augenlidspalten zu Tage; auch zeigen die Pupillen eine mässige, rasch vorübergehende Erweiterung, oder, besser gesagt, eine Schwankung. Die- selbe Erscheinung (Oeffnen der Lider und Pupillenschwankung) zeigt sich, wie wiederholte Beobachtungen lehrten, bei intacten Hunden, wenn man ihre Aufmerksamkeit künstlich erregt. Reizung der Windung / Mitte ruft eine deutliche, manchmal starke contralaterale Bewegung beider Augen hervor. ! Vergl. Grossmann und Meyerhausen, Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, 1877, Bd. XXIII, Abthlg. 3, S. 217, und H. Munk, Ueber die Functionen der Gross- hirnrinde. Berlin 1881. 8. 90. 370 ALEXANDER ÜBREGIA: \ i \ lady \ | ; - - h- - -—- - - - | Fig. 2. Munk’sches Projeetionsschema, in welchem nur die Stellen des deutlichen Sehens in den oberen äusseren Quadranten der Netzhäute eingetragen worden sind. c Mitte der Retina, M M Stellen des deutlichen Sehens. Schon einige Millimeter weiter nach vorn von der Mitte 4, erhalten wir eine associirte Augenbewegung, welche contralateral und etwas nach unten gerichtet ist. Je mehr wir nun nach vorn gehen, desto intensiver wird diese Bewegung. Die Richtung nach unten tritt hierbei immer deut- licher hervor. Ihr Maximum erreicht die Bewegung auf dem Gebiete der vorderen Sehsphaerengrenze (// vorn), wo sie als contralateral und stark ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 271 nach unten gerichtet erscheint. Diese Bewegung ist fast immer von einer Pupillarschwankung begleitet. Die Windung / vorn giebt dieselbe Wir- kung, meist etwas stärker, manchmal etwas schwächer. Wenn der Hund mit den Augen fixirt, so ergiebt die Reizung von I, oder /7, bis //I vorn eine contralaterale und nach unten gerichtete Augenbewegung, wobei aber im Allgemeinen die Richtung nach unten nicht so stark hervortritt, und das gleichseitige Auge sich stärker contra- lateral bewegt als das entgegengesetzte. Befinden sich die Augen aber in der Ruhelage (divergent), so bewirkt die Reizung von //, oder //, bis 11/ (etwas hinter der vorderen Sehsphaerengrenze) eine deutliche Convergenz- bewegung der Augen. Auch hier macht indessen das gleichseitige Auge eine deutlich grössere Seitenbewegung als das entgegengesetzte, welches mit- unter, besonders wenn es nicht sehr stark divergent war, sich wenig oder gar nicht medialwärts bewegt. Die Reizung der Windung /// allein ergiebt im Allgemeinen keine Augenbewegung, gewöhnlich aber eine starke und dauernde Pupillar- erweiterung. Gehen wir nun weiter nach vorn, auf den hinteren Theil der Augen- region F, so beobachten wir entweder gar keine Augenbewegung oder, bei stärkeren Reizungen, schwache contralaterale Bewegungen, selten auch nach unten gerichtete. Diese Bewegungen aber nehmen sehr schnell ab, wenn man weiter vorwärts geht und verschwinden bald darauf. Wie auf der hinteren unteren Fläche, so ist es deshalb auch hier sehr wahrscheinlich, dass nur dem Reizübergange auf die so empfindliche benachbarte Gegend (vordere Partie der Sehsphaere) diese Erscheinungen zuzuschreiben sind. Die ganze, ziemlich ausgedehnte, hinter der schiefen Vene befindliche Partie von 7 bewirkt im Allgemeinen ein Oeffnen des entgegengesetzten Auges. Wenn die Reizung auf der Windung 7/7 oder in ihrer Nachbar- schaft stattfindet, so gesellt sich dazu eine erhebliche und ziemlich an- dauernde Pupillenerweiterung. Auf der vor der schiefen Vene liegenden Partie der Region # ruft die Reizung auf der Windung // eine starke Schliessung des entgegengesetzten Auges hervor, während das gleichseitige Auge ruhig bleibt. Nur bei stärkeren Strömen blinzelt auch das letztere. Auch der Augapfel zeigt manchmal bei dieser Reizung zuckende Bewe- gungen, besonders nach der entgegengesetzten Seite, bisweilen zugleich nach unten. Um den Antagonismus der Augenmuskeln zu beseitigen, haben wir, wie Hitzig, die beiden Mm. obliqui und den Mm. abducens durchschnitten. Dann beobachteten wir öfters deutliche Augenbewegungen nach unten, sehr selten solche nach oben. Das gleichseitige Auge scheint in der Regel un- bewegt zu bleiben und sich nur bei grösseren Stromstärken sehr wenig nach 22 ALEXANDER ÜBREGIA: derselben Richtung zu bewegen. Diese so erzielten Bewegungen der Augen sind von ganz kurzer Dauer. In der Regel ist diese Augenregion, besonders ihr vor der Vene ge- legener Theil, sehr empfindlich gegen die elektrische Reizung, so dass, während die Vorder- und Hinterbeinregion 110 bis 120 Rollenabstand ver- langten, beim Rollenabstand 130 bis 140 die Schliessung der Augen er- zielt wurde. Sehr oft gemachte Erfahrungen haben uns gezeigt, dass die Reizungen dieser Region / und auch der benachbarten vorderen Partie der Sehsphaere häufige epileptische Anfälle veranlassen können. Sie beginnen mit Zuckungen der Augenlider des entgegengesetzten Auges, dann treten Ohr- und Zygo- matiei-Zuckungen ein, und endlich wird die ganze eine Körperhälfte, öfters auch die andere Körperhälfte ergriffen. Bei der Feststellung der vorher beschriebenen Stellen, von denen aus wir die typisch verschiedenen Augenbewegungen erzielten, dürfte man wohl auf dieselben Schwierigkeiten stossen, wie bei der Mehrzahl der übrigen Rindencentren, da bekanntlich die letzteren bei verschiedenen Individuen und Racen kleine Abweichungen in Bezug auf die Lage zeigen. Die That- sache, dass auch die Windungen in Form und Grösse, sogar an den beiden Seiten eines und desselben Individuums, variiren können, erschwert natür- lich die Feststellung. In der That zeigte sich bei den Versuchen, dass eine jedesmalige genaue Bestimmung des Kreises 4, und der anderen Stellen vorzunehmen ist, da sonst kleine Abweichungen nicht ausge- schlossen sind. Es ist uns z. B. ein Mal der abnorme Befund vorgekommen, dass auf Reizung der Stelle I, bis /// vorn, welche gewöhnlich der Sehsphaere angehört, nur Bewegungen des entgegengesetzten Ohres erfolgten, woraus hervorging, dass es sich um eine Abweichung in der Begrenzung der Sehsphaere handelte. Dasselbe Gehirn zeigte mehrere solche Abweichungen. In einem anderen Falle machte die Windung / einen Einsprung in die Windung // und übernahm dort mit die Rolle von A,. Ein anderes Mal bekamen wir von A,, neben schwacher Convergenz, Bewegung der Augen nach oben; aber eine weitere Aufdeckung nach vorn zeigte, dass wir, weil ein sehr lang ge- strecktes Gehirn vorlag, anstatt in der Mitte, nahe der hinteren Grenze von 4, gewesen waren. Wir haben erkannt, dass die Augenbewegungen nach unten nicht so stark wie die nach oben sind. Die Erklärung ist darin zu suchen, dass beim Hunde das Tapetum sich nicht in der Mitte der Retina befindet. Vielmehr liest es im oberen äusseren Quadranten der Retina, und in der Mitte seiner grössten Höhe ist der Punkt des deutlichsten Sehens des ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 273 Hundes." Demgemäss hat der Hund, wenn er einen tiefsten Punkt des Gesichtsfeldes fixiren will, eine viel kleinere Angularbewegung nach unten auszuführen, als wenn er einen höchsten Punkt des Gesichtsfeldes fixiren will. Die Differenz der beiden Bewegungen wird natürlich um so grösser sein, je höher das Tapetum in der Retina gelegen ist. So waren auch bei einigen Hunden, nach wiederholten und sogar stärkeren Reizungen an der vorderen Grenze der Sehsphaere, dennoch die Augenbewegungen nach unten sehr gering, so dass bisweilen gar nichts davon zu sehen war. In diesen Fällen haben wir schon während des Versuches höher liegende Tapeta ver- muthet, was die Section auch bestätigte. Noch interessanter waren zwei Fälle, bei welchen durch dieselben Reizungen sich das linke Auge, wie ge- wöhnlich, ziemlich stark nach unten, dagegen das rechte Auge nur spur- weise bewegte. Hier ergab die Section, was wir sofort annehmen zu müssen geglaubt hatten, dass das rechte Tapetum viel höher als das linke lag. Nur in einem Falle, in welchem die Tapeta ungewöhnlich gross waren, hat die Section unsere Voraussage nicht bestätigt. Die Reizung des vorderen Sehsphaerengebietes muss, um deutliche Augenbewegungen zu erzielen, etwas stärker sein (110 bis 100 Rollenabstand), als die Reizung des hinteren Sehsphaerengebietes. Reizt man aber dort noch wesentlich stärker, so können Unregelmässigkeiten vorkommen, indem die Augenbewegungen auf einmal schwach oder sogar gleich Null werden. Dann wird man fast immer folgende Erscheinungen beobachten: Es tritt ziemlich starke beiderseitige und andauernde Pupillenerweiterung ein, das Thier wird still, und es schliessen sich auch schwache Zuckungen der Augenlider der entgegengesetzten Seite und Zuckungen des entgegengesetzten Öhres an. Sie sind die Vorläufer eines epileptischen Anfalles. - Während wir von der ganzen übrigen Sehsphaere, sogar bei 50 mm Rollenabstand, am nicht morphinisirten Hunde keinen Anfall bekommen haben, wurde derselbe von dem vorderen, / benachbarten Sehsphaerentheile, besonders von //, bis /// aus ziemlich häufig hervorgerufen. In einigen Fällen haben wir nicht nur einseitige, sondern auch gleich- zeitig beiderseitige Reizung angewandt. Die Reizungserfolge entsprachen den Angaben von Schäfer, indem die Augen bald nach rechts, bald nach links abwichen. Nach Reizungen hinten (bez. vorn) auf der Sehsphaere war die Richtung der Bewegungen beider Augen sehr oft eine einfache nach ! Vergl. Grossmann und Meyerhausen, a. a. O., und die auf Prof. Munk’s Anlass von Preusse gemachten Studien über das Tapetum der Haussäugethiere, Archiv für Thierheilkunde, Bd. VIIL, S. 264. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 18 274 ALEXANDER ÜBREGIA: oben (bez. nach unten), während die contralaterale Bewegung sehr schwach oder gleich Null war. In der Regel scheint die Empfindlichkeit der Sehsphaeren gegenüber der elektrischen Reizung eine gleiche für die beiden Hemisphaeren eines und desselben Thieres zu sein. Ausnahmen können indess stattfinden. Einige interessante Erscheinungen, welche auf sämmtliche durch Rei- zung der Sehsphaere erzielten Augenbewegungen Bezug haben, müssen hier erörtert werden. Bei etwas mehr als minimaler Reizung (z. B. hinten 110 bis 100 Rollen- abstand) haben die Augenbewegungen eine etwas längere Dauer, indem die Augen in der in Folge der Reizung eingenommenen Stellung etwas länger verharren, und nach der Kückkehr in die Ruhelage bisweilen noch ein oder sogar mehrere Mal dieselbe Bewegung wiederholen, so dass man den Eindruck gewinnt, als ob das Thier aufmerksam oder erschrocken etwas ansieht. Dagegen sind nach Reizung der vorderen Partie von / die Augen- bewegungen Immer sehr kurz und nie wiederholt. Der Zustand der Sehsphaerenrinde hat einen sehr grossen Einfluss auf die Stärke und Dauer der durch ihre Reizung erzielten Augenbewegungen. Zu grosse Anaemie oder Congestion, Blutstasis, verschiedene Verletzungen u. dergl. können die Bewegungen sehr herabmindern, sogar völlig aufheben. Mehrmals ist es uns vorgekommen, dass eine, in Folge eines epileptischen Anfalles entwickelte submeningeale Suffusion eine Stelle unempfindlich machte, die früher empfindlich war. Auf dem vorderen Hirngebiete sind dagegen bekanntlich diese Störungen bei weitem nicht von so schädlicher Wirkung. Wiederholt haben wir auch die Thatsache feststellen können, dass an noch nicht vollständig von der Aethernarkose befreiten Thieren die Seh- sphaerenreizung schwache Erfolge gab. Sobald indessen das Thier zu sich kam, wurden die Augenbewegungen deutlich und stark. Im Bezug auf die Fühlsphaere zeigte sich der Unterschied nicht.! Bei mehreren Hunden haben wir vor dem Versuche subeutan eine hinreichende Dosis Morphium injieirt, so dass die Narkose nach der Bloss- legung eine vollständige war. Im diesem Zustande ergaben die Reizungen ! Schäfer (Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie, 1888, Bd. V, Hft. 4) hat schon bemerkt, dass die Anaesthetica mächtiger auf die hinteren als auf die vorderen reizbaren Gebiete der Rinde wirken, da er die Differenz der La- tenzperiode der Reizung grösser fand, wenn die Narkose tiefer war. Schäfer hat bei seinen Versuchen immer an aetherisirten T'hieren gearbeitet (Drain, April 1888, S.2, Anmerk. 4). Ich wiederhole deshalb, dass wir, ausser in den gerade hier be- sprochenen Fällen, die Versuche immer an nicht narkotisirteu Thieren angestollt haben. ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 2) bei den gewöhnlichen Stromstärken (120 bis 100 Rollenabstand) gar keine, bei bedeutend grösseren Intensitäten (bis 50 Rollenabstand) sehr schwache, manchmal kaum wahrnehmbare Erfolge, besonders nach der Reizung der- jenigen Stellen, welche nur eine geringe Augenexcursion oder nur eine Aufmerksamkeitsbewegung veranlassen, wie die Mitte A,; Reizungen von /, wie von // an der vorderen und besonders hinteren Grenze der Sehsphaere zeigten eine noch etwas bessere, obschon auch schwache Wirkung. Bei demselben Thiere aber gaben die Reizungen mit viel geringeren Intensitäten 120 bis 100 Rollenabstand) auf der Augen- und der Vorder- oder Hinter- beinregion sehr deutliche Bewegungen. In dieser Morphiumnarkose ist manchmal eine einzige Reizung auf der Region / oder der vorderen Sehsphaerengrenze hinreichend, um einen epi- leptischen Anfall hervorzurufen. Dieser den morphinisirten Hunden eigen- thümliche Zustand giebt eine Erklärung für die Meinung mancher Autoren, dass die Reizung der Sehsphaere zahlreiche epileptische Anfälle hervorrufe. Wenn das Thier nicht munter ist oder gar schläft, so sind die Augen- bewegungen viel schwächer, oder es müssen stärkere Ströme in Anwendung kommen. Diese Herabsetzung der Sehsphaerenempfindlichkeit wurde auch numerisch bestimmt. So waren bei einigen Versuchen, in denen die Thiere viel Blut verloren hatten und in Folge dessen schliefen, Stromstärken von 90 bez. 80 Rollenabstand hinten bez. vorn nothwendig, um Augenbewe- sungen zu erzielen. Machte man nun das Thier munter, so kamen die- selben Augenbewegungen bei 120 bez. 100 Rollenabstand zu Stande. Wenn die Reizungen auf verschiedenen Punkten der Sehsphaere rasch nach einander erfolgten, so trat wiederholt der Fall ein, dass nach einer gewissen Zeit die nachfolgenden Augenbewegungen immer mehr an Stärke und Deutlichkeit verloren, als wenn eine Verwirrung in den Bewegungen entstände. Dagegen geben die durch Ruhepausen getrennten Reizungen die gewöhnlichen guten Erfolge. Schliesslich haben wir, um die Beobachtungen zu vervollständigen, die schon untersuchte Hinterhauptsrinde durch einen zuerst oberflächlichen Schnitt abgetragen und die weisse Marksubstanz gereizt. Die Schnittfläche zeigte mehrere, von der die Furchen auskleidenden Rindensubstanz getrennte Markfelder, die dadurch als zu den verschiedenen Windungen gehörig zu erkennen waren. Die Reizung dieser Felder gab nun dieselben Augen- bewegungen (contralateral oben, rein contralateral), wie die früher be- schriebenen jetzt abgetragenen Windungen (/Z, abst., /7, und //, Mitte). Macht man nun einen zweiten, etwas tieferen, dem ersten parallelen Schnitt, so bekommt man dieselben Bewegungen, nur muss man jede Reizstelle etwas weiter nach vorn verlegen. Dieses Vorrücken war noch ausgespro- chener an einem dritten tieferen Schnitte zu bemerken. An einem dem 18* 2716 ALEXANDER ÜBREGIA: Dache des Seitenventrikels nahen Schnitte musste man, um die Bewegung contralateral oben zu erhalten, eine ganz vorn auf dem Schnitte liegende Stelle reizen. Dieser Versuch zeigt, dass auch durch die Reizmethode der Verlauf der schief nach unten vorn gehenden Stabkranzfasern bestätigt wird. Bezüglich der Stromstärke ergab sich im Allgemeinen, dass für die Mark- substanz der Sehsphaere, um entsprechende Augenbewegungen zu erzielen, etwas stärkere Ströme nothwendig sind, als für die Rinde. Der Unter- schied scheint 10 bis 20 "m Rollenabstand zu betragen. Die Unabhängigkeit der durch Reizung der Augenregion hervor- gerufenen Augenbewegungen von denen der Sehsphaere wurde durch fol- genden Versuch festgestellt. An einem Hunde, dem fünf Monate vorher die beiden Sehsphaeren (bis auf einen kleinen Rest rechts) exstirpirt waren, wurde die linke Augenregeion / vollständig aufgedeckt. Die elektrische Reizung ergab nun dieselben Resultate wie sonst, so dass eine Betheiligung der Sehsphaere bei diesen Bewegungen ausgeschlossen war. Die Natur und die Selbständigkeit der Sehsphaerenwirkung, ebenso wie die Rolle der Associations- und Commissuralfasern, welche die Sehsphaere mit den anderen Hirntheilen verbinden, wurden bei der Mehrzahl unserer zahlreichen Thierexperimente durch folgende Schnittversuche klargelegt. Nachdem wir die verschiedenen Stellen der Sehsphaere gereizt und die obenbeschriebenen Augenbewegungen beobachtet hatten, führten wir an dem vorderen Rande der Sehsphaere den von Prof. Munk! beschriebenen Frontalschnitt aus, welcher lateral bis zum Zusammenstoss der vorderen und lateralen Sehsphaerengrenze sich erstreckte, aber etwas tiefer ging, so dass er eben den Ventrikel eröffnete. Reizten wir nun die verschiedenen Stellen der Sehsphaere, so zeigten sich die Augenbewegungen wie früher. Wir legten ferner einen anderen Schnitt an, welcher die hintere Hälfte des Balkens der Länge nach durchtrennte. Die Reizungen der Seh- sphaere ergaben auch jetzt die unveränderten Erfolge. Daraus folgt also, dass jede Sehsphaere, für sich allein gereizt, Augenbewegungen veranlassen kann. Wenn wir aber einen horizontalen Schnitt anlegten, der zwar in der- selben Richtung wie der von Prof. Munk? für die Sehsphaerenexstirpation ! Herm. Munk, Ueber die centralen Organe für das Sehen und Hören bei den Wirbelthieren. Sizzungsberichte der königl. preussischen Akademie der Wissenschaften. 1889. S. 616. ® Ebenda: „Man schiebt einen dünnen und schmalen Scalpellstiel am vorderen Ende der Sehsphaere zwischen Falx und Hirnsubstanz bis auf den Balken ein. Dann sticht man ein bauchiges Scalpell mit geradem Rücken, diesen nach vorn gewandt, dort, ÜBER AUGENBEWEGUNGEN AUF SEHSPHAERENREIZUNG. 277 gegebene, aber etwas mehr horizontal auszuführen ist, so bleibt jetzt jede Reizung der Sehsphaere erfolglos, wenn wir auch die Stromstärken bis 60, sogar 50 Rollenabstand steigern. Es ist leicht zu ersehen, dass dieser Horizontalschnitt die Stabkranzfasern der Sehsphaere vollständig trennt. Um eine totale Aufhebung jeder Augenbewegung zu erzielen, muss dieser Horizontalschnitt aber auch die vorderste Sehsphaerengrenze genau getroffen haben. Diese sehr oft und immer mit übereinstimmenden Erfolgen ausgeführten Schnittversuche lassen mit Sicherheit schliessen, dass die Sehsphaere bei Reizung auch unabhängig von allen anderen Rindengebieten, Augenbewe- sungen bewirken kann. Weitere interessante Ergebnisse erzielten wir durch folgende Modificationen der Schnittform. Wird der Frontalschnitt bis unten, nahe der Schädelbasis, verlängert, so kann er auch, an und für sich allein, jede Reizung der Sehsphaere wirkungslos machen. Diese Aufhebung der Wirkung findet dann statt, wenn man die Verlängerung so ausführt, dass ein mitteldünner, stumpfer Scalpellstiel durch den schon gemachten Frontalschnitt in das untere Ven- trikelhorn langsam, aber bis zu der untersten Grenze eingeführt, und dann auf diesem Stiel als Führer die lateralbefindliche Hirnsubstanz durchschnitten wird. Anders aber ist es, wenn der platte und ziemlich fein zugespitzte Messerstiel, indem man ihn nach unten einführt, nicht in die Höhle des Unterhornes, sondern in die lateral anliegende Marksubstanz eindringt, so dass eine etliche Millimeter dicke Markschicht ungetrennt bleibt. In diesem Falle geben Reizungen auf der Sehsphaere weiter deutliche Augen- bewegungen. Der Schluss hieraus muss sein, dass dieses dünne, lateral vom Ventrikel liegende Markbündel die meisten Gratiolet’schen Fasern enthält und somit die Sehsphaere mit dem Stamm verbindet. Es handelt sich jetzt darum, die in dieser Arbeit dargelegten Resultate einer resumirenden Betrachtung zu unterwerfen und ihrer Bedeutung nach zu besprechen. Da die zahlreichen beschriebenen Verschiedenheiten zwischen den von der Sehsphaere und den von der Augenregion 7 hervorgerufenen Augen- bewegungen einen Unterschied zwischen beiden Regionen ergeben; da die wo nach meinen wiederholt gegebenen Abbildungen der vordere und der laterale Rand der Sehsphaere zusammenstossen, nahezu horizontal, etwas schräg nach oben gerichtet, so weit ein, bis die Spitze auf den Messerstiel, 2 bis 3 "= oberhalb seines unteren Endes trifft, und zieht das Scalpell in unveränderter Haltung nach hinten durch die Hemi- sphaere aus.“ 278 ALEXANDER ÜBREGIA:! Augenregion # seit Hitzig und Fritsch allgemein als Augenmuskelcen- trum anerkannt ist; da ferner die auf die Sehsphaerenreizung folgenden Augenerscheinungen gerade so sind, wie wenn das Thier etwas fixirt; da die Sehsphaere unabhängig von sämmtlichen anderen Rindengebieten bei einer Reizung Augenerscheinungen veranlassen kann; da schliesslich diese Augenerscheinungen nur durch die Trennung der Stabkranzfasern aufgehoben werden, so halten wir uns zu der Annahme berechtigt, dass die Sehsphaeren- reizungen optische Empfindungen hervorrufen.! Es ist nun aber alleemein anerkannt, dass die Reizung eines Retina- elementes als von einer ausserhalb und zwar diagonal entgegengesetzt ge- legenen Lichterscheinung hervorgerufen zum Bewusstsein gelangt. Diese subjeetive Empfindung wird sich durch eine Augenbewegung nach der fin- girten Lichtquelle hin kundthun. Nun zeigt aber die Betrachtung der früher beschriebenen Sehsphaeren- reizungen, dass Reizung des hinteren bez. vorderen Sehsphaerengebietes Augenbewegung nach oben bez. unten bewirkt, also sich ganz ähnlich wie eine Erregung der unten bez. oben gelegenen Retinaelemente (s. Fig. 2) äussert, womit eine directe Verbindung zwischen den betreffenden Seh- sphaeren- und Retinaelementen nachgewiesen wird. Die bei Annäherung an die Mitte immer grössere Abnahme der Bewegung nach oben bez. unten zeigt dann eine Verbindung dieser Rindenelemente mit immer näher der Retinamitte (Stelle des deutlichsten Sehens) gelegenen Stellen an. Die Rei- zung der Mitte 4, erzeugt nur Aufmerksamkeits- oder schwache Oonvergenz- bewegung, gerade als ob die Stelle des deutlichsten Sehens in der Retina erregt wäre. Die nach Reizung von //, nahe der vorderen Sehsphaeren- ! Man kann vielleicht noch die Hypothese aufstellen, dass die elektrische Sehsphaeren- reizung durch die Stabkranzfasern bis zu deren Endpunkten in den Netzhäuten oder Stammganglien (äussere Kniehöcker, vordere Vierhügel) gelangt, von denen aus die entsprechende Augenbewegung refleetorisch vermittelt wird. Bei dieser viel compli- eirteren Annahme bleiben aber die Thatsachen und die Verbindungen zwischen den Sehsphaeren und den Netzhäuten ganz dieselben. Wir müssen indessen hervorheben, dass eine Reihe von Thatsachen gegen die letztere Hypothese zu Gunsten der erste- ren (Munk’schen) sprechen. So z. B. die' Herabsetzung der Reizungserfolge bei schlafenden oder morphinisirten Hunden, die grosse Latenzperiode (Schäfer, a.a. O.), die Nothwendigkeit, stärkere Ströme auf der Mark- als auf der Rindensubstanz in An- wendung zu bringen u. dergl. m. Uebrigens haben aber neue anatomische Unter- suchungen (Mendel, Art. Gehirn, anatomisch, Eulenburg’s Real-Encyelopädie der gesammten Heilkunde) gezeigt, im Gegensatz zu Betz, dass in dem Hinterhaupts- lappen sich neben kleinen auch grosse Pyramidenzellen befinden. Endlich findet v. Mo- nakow (Archiv für Psuchiatrie. Bd. XX) schon zwei Wochen nach Sehsphaeren- exstirpation bei erwachsenen Hunden einen Anfang von Entartung der Gratiolet’schen Stabkranzfasern, während bei einem fünf Wochen alten Thiere, vier Monate nach Sehsphaerenabtragung, ein Theil der Stabkranzfasern noch nicht entartet ist. ÜBER AUGENBEWEGUNG EN AUF SEHSPHAERENREIZUNG, 279 srenze kommende Convergenz zeigt eine Verbindung dieser Gegend mit der am meisten lateral gelegenen Partie der gleichseitigen Retina. Schliess- lich führt die Reizung der Windung / Mitte auf eine Bewegung, die nur aus der Verbindung der Windung mit der medialen Seite der entgegengesetzten Retina verständlich ist. Man sieht also, dass diese Reizversuche die auf Grund von Exstirpa- tionsversuchen von Munk entdeckte projectionsartige Verbindung zwischen den Retinen und den Sehsphaeren völlig bestätigen. Endlich müssen wir auf Grund aller unserer an 64 Hunden angestellten Reizversuche hervorheben, dass die dadurch bestimmten Sehsphaerengrenzen sich vollständig mit den schon vor vielen Jahren von Munk festgestellten deckten. Die Verdauung von Fleisch bei Schweinen. Von Ellenberger und Hofmeister. (Aus der physiologischen Abtheilung der thierärztlichen Hochschule zu Dresden.) Versuche, die wir früher angestellt haben, bezweckten, die Verdauung pflanzlicher Nährstoffe, der Körner und der Kartoffeln durch die Schweine festzustellen. Die Resultate dieser Versuche haben wir in mehreren Ab- handlungen niedergelegt.! Da das Schwein, ebenso wie der Mensch, ein Omnivore ist, so lag der Gedanke nahe, durch eine weitere Versuchsreihe auch die Fleischverdauung der Schweine zu studiren. Wir haben diesen (Gedanken zur Ausführung gebracht und durch eine Anzahl von Versuchen festzustellen versucht, in welcher Weise thierische Nahrungsmittel und speciell Fleisch von den Schweinen verdaut werden. Die Vorversuche über den Magen- und Pankreassaft der Schweine und deren Einwirkung auf thierische Gewebe, auf Hühnereiweiss, Fleisch u. s. w. hatten wir bereits früher angestellt. ? Untersuchungsmethode. Jedes der Versuchsthiere wurde, nach- dem es einige Zeit beobachtet und gesund befunden worden war, zunächst ! Die Magenverdauung der Schweine bei Haferfütterung. Archiv für wissen- schaftliche und practische Thierheilkunde. Bd. XI. 8. 126—146; — 2. Die Darm- verdauung und die Resorption im Darmcanale der Schweine bei Haferfütterung. Kbenda. Bd. XIV. 8. 127—171. — 3. Aufenthaltszeiten der Nahrung im Darmcanale der Schweine und die ‚Reaction des Darminhaltes. Zbenda. Bd. XII. S. 271—276. — 4. Ueber die Verdauung des Schweines. Dies Archiv. 1889. 8. 138—153. — Ueber die Verdauung der Kartoffeln bei Schweinen. Deutsche Zeitschrift für Thiermediein nnd vergleichende Pathologie. Bd. XIV. S. 317—344. ” Der Magensaft und die Histologie der Magenschleimhaut der Schweine. Archiv für wissenschaftliche und practische Thierheilkunde. Bd. XI. S. 249—268 u. s. w. ELLENBERGER v. HOFMEISTER: FLEISCHVERDAUUNG BEI SCHWEINEN. 281 5 bis 7 Tage mit einem Vorfutter und zwar einer stickstofffreien (Stärkemehl in verschiedener Zubereitung) oder einer stickstoffarmen Nahrung (gekochten und geschälten Kartoffeln) ernährt, um Magen und Darm möglichst frei von Nahrungseiweiss zu machen. Die letzten 36 Stunden vor Verabreichung des Versuchsfutters erhielt das betr. Thier gar keine Nahrung, wohl aber Trinkwasser. Dann wurde dem Thiere das Versuchsfutter verabreicht. Dasselbe bestand in 500 8m Pferdefleisch , welches besonders praeparirt worden war. Das vom Pferdefleischer bezogene Fleisch wurde erst; gehackt, wobei etwa vorhandene sehnige Massen entfernt wurden; dann wurde es gekocht; die Fleischbrühe wurde entfernt und das gekochte Fleisch so lange mit Wasser ausgewaschen bis das Auswaschwasser keine Eiweiss- und keine Peptonreaction mehr zeigte. Von diesem gekochten und ausgewaschenen Fleische, welches keine Spur lösliches, sondern nur noch unlösliches Eiweiss enthielt, wurden 500 = abgewogen und, mit etwas Kochsalz versetzt, dem Schweine verabreicht. Eine andere Portion dieses zubereiteten Fleisches wurde zu einer Analyse, zur Feststellung des Trocken-, Eiweiss-, bez. Stickstoff gehaltes verwendet. Auf diese Weise wurde bei jedem einzelnen Schweine die Zusammensetzung der von ihm aufgenommenen Nahrung genau fest- gestellt. Die 7 Versuchsschweine wurden zu verschiedenen Stunden, und zwar 1, 2, 3, 4,5, 8, 12 Stunden nach Beendigung der Mahlzeit getödtet. Dem todten Thiere wurden so rasch als möglich der am Pylorus und an der Cardia abgeschnürte Magen, der ausserdem durch eine umgelegte Ligatur in eine linke Cardia- und eine rechte Pylorushälfte zerlegt war und der durch Abbinden ebenfalls in seine einzelnen Abtheilungen geschiedene Darm- canal entnommen. Die beiden Magenhälften und ev. auch die Darmab- theilungen wurden geöffnet und der Inhalt in die bereit gehaltenen Schalen entleert. Nachdem die Inhaltsmengen gewogen und gemessen waren, wurden sie in ähnlicher Weise untersucht, wie wir dies in unseren früheren Artikeln mehrfach geschildert haben. Es handelte sich darum, den Säuregrad und die Säurenatur des Mageninhaltes, das vorhandene gelöste und das un- gelöste Eiweiss und das vorhandene Pepton festzustellen. Daneben wurde stets noch eine Prüfung des Magen- und Darminhaltes auf Stärke und Zucker vorgenommen, um zu sehen, ob noch Theile der früheren Mahl- zeiten vorhanden seien. Die getrennte Untersuchung des Inhaltes jeder Magenhälfte fand nur bei zwei Schweinen statt. Bei den übrigen Thieren wurde nur der Säure- grad und die Säurenatur in jeder Abtheilung festgestellt; dann wurden die Inhaltsmassen gemischt. Die weitere Untersuchung erstreekte sich auf das Gemisch, also auf den gesammten Mageninhalt. Die Trennung der ge- lösten von den ungelösten Nährstoffen geschah auf dem Wege des Filtrirens 282 ELLENBERGER UND HOoFMEISTER: und des Auswaschens des Filtrationsrückstandes. Die Bestimmung des Eiweiss- und Peptongehaltes des flüssigen, filtrirbaren Theiles, sowohl als des festen Rückstandes des Mageninhaltes geschah in der früher geschil- derten Art und Weise und unter Anwendung der N-bestimmung nach Kjeldahl. Die Untersuchungen erstreckten sich in der Regel nur auf den Inhalt des Magens und des Dünndarms. Eine Untersuchung des Diekdarm- inhaltes war werthlos, weil sich in demselben stets noch Theile des Vor- futters, ja Theile von Nahrungsmitteln befanden, welche die Thiere bereits vor 8 bis 10 Tagen aufgenommen hatten. Bei denjenigen Schweinen, die kürzere Zeit nach der Mahlzeit getödtet wurden, war auch deshalb eine Untersuchung des Diekdarminhaltes nicht nothwendig, weil das verabreichte Fleisch noch nicht in den Diekdarm vorgedrungen war. Bei den anderen Thieren waren stets so geringe Mensen Fleisch im Diekdarm vorhanden, dass dieselben das durch die Untersuchung des Magen- und Dünndarm- inhaltes über die Fleischverdauung gewonnene Untersuchungsresultat nicht wesentlich zu ändern vermochten. Man konnte unter dem Mikroskop stets nur vereinzelte Theilchen von Muskelfasern nachweisen. Der in dem Dick- darm vorhandene Stickstoff gehörte wesentlich den hesten der’ vor dem Versuchsfutter verabreichten Nahrung und den Verdauungssäften an. Bei Beurtheilung der Versuchsresultate muss stets in Betracht ge- zogen werden, dass ein bestimmter Theil des im Magen- und im Darm- inhalt gefundenen Stickstoffes aus dem thierischen Körper stammt und nicht mit der Nahrung eingeführt worden ist. Er gehört den Verdauungssäften, dem Darmschleim, abgestossenen Darmepithelien u. s. w. an. Schon durch frühere Versuche hatten wir festzustellen versucht, wie viel von dem im Verdauunescanal vorhandenen Stickstoff als „Körper- stickstoff“ angenommen werden dürfe! Auch vor Beginn unserer letzten Versuchsreihe haben wir wieder einen derartigen Versuch angestellt. Die betr. Thiere wurden längere Zeit mit einer stickstofffreien Nahrung ernährt; dann wurde ihr Magen- und Darminhalt auf seinen Stickstoffgehalt unter- sucht und der vorhandene Stickstoff auf Eiweiss, welches wir als „Körper- eiweiss“ bezeichnen, berechnet. Die Berechnung auf „Eiweiss“ ist der Einfachheit wegen geschehen, trotzdem bekanntlich ein Theil des N auf das im Verdauungscanal vorhandene Mucin zu beziehen ist. Das „Körpereiweiss“ ist natürlich von der im Magen und Darm ge- [undenen Eiweissmenge abzuziehen, wenn man die Resorption des auf- ! Hofmeister, Ueber die stickstoffhaltigen Bestandtheile des Darminhaltes, welche aus dein Thierkörper, aber nicht aus den Nahrungsmitteln stammen. Archiv für wissenschaftliche und practische Thierheilkunde. Bd. XIV. 8. 39—54. — Zeit- schrift für physiologische Chemie. Bd. XI. S. 497. Dis VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 283 senommenen „Nahrungseiweisses“ feststellen will. Da man annehmen muss, dass das meiste Körpereiweiss im gelösten und filtrirbaren Zustande vor- handen ist, so braucht nur bei Berechnung der Resorption und nicht bei Berechnung der Verdauung das Abziehen des Körperstickstoffes statt- zufinden. Bei Berechnung der Verdauung des Nahrungseiweisses ist nur das im Magen- und Dünndarm vorhandene ungelöste Eiweiss von dem auf- genommenen unlöslichen Nahrungseiweiss abzuziehen und man erhält ein richtiges Resultat. Die bei Abscheidung des unverdauten Eiweisses auf dem Filter bleibenden geringen Schleimmengen und Epithelzellen können um so mehr unberücksichtigt bleiben als wir ja auch die geringen, im Dick- darm vorhandenen ungelösten Fleischmengen nicht mit in die Berechnung aufnehmen. An gelöstem Körpereiweiss fand man im Magen ungefähr 1-4 Em, gleichgültig, ob der Inhalt bedeutend oder unbedeutend war. Der Procent- gehalt des Mageninhaltes an Körpereiweiss schwankt also bedeutend. Versuche. Schwein 1. Das Vorfutter bestand aus Kartoffeln. Die Tödtung des Thieres fand 1 Stunde nach der Aufnahme von 500:'" Fleisch, welches 25-04 Procent, d.h. 125.2 3% Eiweiss enthielt, statt. (Trockenrückstand des Fleisches 34-1 Procent mit 73°4 Procent des Eiweissss.) Im Magen fand man 890 2m Inhalt; davon blieben 133-5 2% auf dem Filter, während 756.5 3" aus gelöstem Material und Wasser bestanden. Man fand weder Stärkereste noch Zucker im Magen. Der Säuregrad des Mageninhaltes betrug, auf HCl be- rechnet, in der Cardiaabtheilung 0-036, in der Fundus-Pylorusabtheilung 0.081 Procent. In Gemisch fand man 0-03 HCl, 0.0625 (auf HCl 0°025) Milch- und 0.005 Fettsäure. Man fand in 1008“ des Flüssigen bez. des Filtrates 0-.62'% Pepton, 2.2 8m ovelöstes Eiweiss und in 100 8% Trockensubstanz des Ungelösten 70 0 E"” Eiweiss. Demnach waren im Magen enthalten: 4.54 8m Pepton 16.645 „ gelöstes Eiweiss 93450 „ ungelöstes HKiweiss Summa 114.63 srm Fiweiss. Bemerkenswerth ist, dass schon Fleisch in den Dünndarm übergetreten war. Bis zur Mitte desselben konnten auf mikroskopischem Wege Fleischfasern ge- funden werden. Man fand in der ersten Hälfte des Dünndarms: 1.4 3’m Pepton, 7.48: gelöstes und 2.42" ungelöstes Eiweiss. Berechnungen. 1. Das Schwein hatte verzehrt: 125.28" Fleischeiweiss. Man fand im Magen 114.63 2% Eiweiss; davon sind 1-4 8”M als Körpereiweiss zu rechnen; mithin bleiben 113.238”% im Magen vorhanden. Demnach sind 284 ELLENBERGER UND HOoFMEISTER: von dem aufgenommenen Eiweiss 11-97 8m —= 9.5 Procent aus dem Magen verschwunden. 2. Von den 114.63" Eiweiss, die im Magen gefunden wurden, waren aber nur 93-45 8" ungelöst; demnach sind 31-758”, bez. 25-3 Procent ge- löst. Nimmt man an, dass die 2.4 3"m ungelöstes Eiweiss die sich im Darm fanden, dem Fleisch angehören, dann waren immerhin schon 1 Stunde nach der Mahlzeit 29.35 8”% Eiweiss, d.h. 23-4 Procent verdaut. Schwein 2. Vorfutter: Stärkekuchen. Versuchsfutter: 500 8”% praeparirtes Fleisch mit 122 8% Eiweiss (32-5 Procent Trockenrückstand mit 75 Procent Eiweiss). Tödtung: 2 Stunden nach der Mahlzeit. Der Mageninhalt war sauer. Der Säuregrad betrug, auf Salzsäure berechnet, in der linken Magenabthei- lung 0-03, in der rechten 0-08 Procent. Das Gewicht des Mageninhaltes war 7008; davon gingen 5888” durch’s Filter, während 112 3% ungelöste Stoffe auf dem Filter zurückblieben. Der Mageninhalt bestand also aus 84-0 Procent Flüssigem und 16°0 Procent ungelösten Stoffen. Im Flüssigen fand man 1-5 Pro- cent Pepton und 0-5 Procent gelöstes Eiweiss. In 100 &”% Trockensubstanz des Ungelösten fand man 69.4 87m Hiweiss. Im Mageninhalt waren sonach enthalten: 8.82 Sm Pepton 2940 „ gelöstes Eiweiss 77.728 ” ungelöstes Eiweiss 89.4888rm oder nach Abzug des Körpereiweisses 881 2% Im Dünndarm waren bis in das Ileum hinein Fleischfasern nachzuweisen, im Coecum dagegen nicht. Der Dünndarminhalt enthielt 0°51 Procent Pepton, 2.8 Procent gelöstes und 3-78 Procent ungelöstes Eiweiss oder 2.1 "m Pepton 9.48rm oelöstes und 4.02 87m ungelöstes Eiweiss. Berechnungen. | 1. Das Schwein hatte verzehrt . . . . . 122 stm Eiweiss ImwMagen fand man 22 2 2.2.20 00.20.2077 58:18 Eiweiss Sonach sind aus dem Magen verschwunden 33-9 8m Eiweiss oder 27.7 Procent. 2. Das im Magen und Dünndarm vorhandene ungelöste Eiweiss betrug 88-1 + 4-02 = 92-.128'M Eiweiss. Zieht man dies von den genossenen 122 2m Eiweiss ab, dann bleiben 27°88eE'm Eiweis, die als verdaut anzusehen sind, das sind 25.8 Procent des verzehrten Eiweisses. Schwein 3. Vorfutter: Stärkekuchen. Versuchsfutter: 500 &"% Fleisch mit 121 8m Eiweiss. (Trockenrückstand des Fleisches = 34-5 Procent, Eiweiss darın = 70.0 Procent.) Tödtung: 3 Stunden nach der Mahlzeit. Der Magen- inhalt wog 600#'®. Der Säuregrad betrug anf HCl berechnet in der linken Magenabtheilung 0.0538 Procent und in der rechten 0.157 Procent und zwar links: 0-00 Fettsäure, 0-0336 HCl und 0-05 Milchsäure (0-0202 auf HÜ]l) und rechts 0.0045 Fettsäure, 0-105 HCl, 0-1 Milchsäure (0:04 auf HCl be- rechnet). DiE VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 285 Im Mageninhalt waren enthalten 10.4 8"m Pepton 3-2 „ gelöstes Eiweiss 81-97 „ ungelöstes Eiweiss Summa: 95° sam Davon ab an Körpereiweiss 1-4 » Rest: 94.17 2m Berechnungen. 1. Das Schwein hatte verzehrt . . . . . 121-1 "= Eiweiss Im Magen fand man. . . . N OANEL NEN, „ Also waren aus dem Magen Versen erz 26.95 Sm Eiweiss oder 22.2 Procent Eiweiss. 2. Das Schwein hatte verzehrt . . . 121-1 8@ Eiweiss Der Magen und Dünndarm enthielten 83-00 „‚ ungelöstes Eiweiss Rest 38-1003 Eiweiss Von dem unlöslichen genossenen Eiweiss sind also 32-0 Procent als ver- daut anzusehen. Der Dünndarminhalt enthielt ausser 11°” ungelöstes Eiweiss noch 7.7sm Pepton und 5.28’M ungelöstes Eiweiss. Im Coecuminhalt waren keine Fleischfasern vorhanden; ebensowenig im Colon und Rectum. Schwein 4. Vorfutter: geschälte und gedämpfte Kartoffeln. Versuchs- futter: 500 8"” Fleisch mit 130 8" Eiweiss (Fleischtrockenrückstand 33°6 Pro- cent mit 77-5 Procent Eiweiss). Tödtung: 4 Stunden nach der Mahlzeit Gewicht des Mageninhaltes: 670 8"”. — Es waren keine Kartoffelreste und kein Zucker vorhanden. — Der Säuregrad, auf HC] berechnet, betrug in der Cardia- region 0-034, in der Pylorusregion 0-0675 Procent. Der Mageninhalt bestand aus 85 Procent flüssigem und 15 Procent ungelöstem Material; sonach setzte sich der ganze Inhalt aus 569.6®"m Flüssigem und 100.5 8'M Ungelöstem zu- sammen. Das Flüssige enthielt 2 Procent Pepton und 1 Procent gelöstes Eiweiss; der Filtrationsrückstand enthielt in 100 8"” der Trockensubstanz 72 E"m Eiweiss. Sonach waren im Magen enthalten: 11-39 gm Pepton 5-695 „ gelöstes Eiweiss 12.360 u ungelöstes Eiweiss 89.445 57m davon ab: 1-4 ,, Körpereiweiss Rest: 88.045 8” Eiweiss Der Dünndarminhalt enthielt 1.163" Pepton, 6-.388M gelöstes und 4.9 2rm ungelöstes Eiweiss. Berechnungen. 1. Da das Schwein 130 8% Fleischeiweiss aufgenommen hatte, so sind 42-087 oder 32-3 Procent davon aus dem Magen verschwunden. 286 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: 2. Ungelöstes Eiweiss waren im Magen 72.36 S’® vorhanden, also sind von dem unlöslichen Nahrungseiweiss (130 3%) im Ganzen 57:64 8m — 44.3 Procent gelöst worden oder nach dem Darm übergetreten. 3. Im Dünndarm fanden sich aber nur 4-9 und im Blinddarm, in welchem ganz vereinzelte Fleischfaserstückchen mikroskopisch nachweisbar waren, nur 1-.88® ungelöstes Eiweiss. Zieht man diese 6.7 2"m ab von den 57:64 8m, dann bleiben immerhin ca. 518" Eiweiss als gelöst. Bringt man aus den oben angegebenen Gründen das im Coecum vorhandene Eiweiss nicht mit in die Be- rechnung, dann sind 52-748'® d. bh. mehr als 40 Procent als verdaut anzusehen. Schwein 5. Vorfutter: Stärkekuchen. Versuchsfutter: 500 8m Fleisch u! 1288’% Eiweiss. (70-3 Procent Eiweiss im Trockenrückstand). Tödtung: 5 Stunden nach der Mahlzeit. Der Mageninhalt wog 756®”%. Er enthielt 12. 74 erm Pepton, 1-36 gelöstes Eiweiss, 63.97 8% ungelöstes Eiweiss, also im Ganzen 78.67 8" Eiweiss. Im Darm fand man 1-89 uneelosies 1.28M gelöstes Eiweiss und 7.4 Em Pepton. Der Säuregrad des Mageninhaltes betrug in der Cardiaabtheilung 0-07, in der Fundus-Pylorusabtheilung 0°082 Procent. An Säuren fand man im Magen in der Cardiaregion: 0-008 Fettsäure, 0:038 HCl und 0-0225 Milchsäure (0009 auf HCl berechnet) und rechter- seits 0-009 Fettsäure, 0°063 HCl, 0-0175 Milchsäure (0-007 auf HCl be- rechnet). Die Berechnungen gestalten sich wie folgt: 1. Von dem 78.078 Ei- weiss des Mageninhaltes sind 1-48'% Körpergewicht abzuziehen, dann bleiben 76.6718'@ Eiweiss. Zieht man diese von den 127.758’= des aufgenommenen Eiweisses ab, dann müssen 51-079 8%, d.h. 40 Procent als verschwunden an- sesehen werden. 2. Zieht man das im Magen und Darm gefundene ungelöste Eiweiss, 65-86 von dem genossenen Fleischeiweiss ab, dann bleiben 62.14 8'm Eiweiss als ver- daut, d.h. ca. 50 Procent. Schwein 6. Vorfutter: Kartoffeln. Versuchsfutter 500 ®”® Fleisch mit 96. 1458”® Eiweiss (Fleischtrockenrückstand 28.7 Procent, Eiweiss darin: 67 0 Pro- cent). Tödtung: 8 Stunden nach der Mahlzeit. Der Mageninhalt wog 2408'%; der Säuregrad war in beiden Magen- hälften derselbe; er betrug .auf HCl berechnet 0-28 Procent, davon waren 0.25 Procent freie HC] und 0-03 Procent Milch- und Fettsäure. Kartoffel- reste und Zucker waren im Magen nicht vorhanden. Der Mageninhalt bestand aus 91-2 Procent Flüssigem und 8.8 Procent Filtrationsrückstand, oder ın Grammen aus 218-888"” Flüssigem und 21-1208” Ungelöstem. Im Gelösten fand man 0.49 Procent gelöstes Eiweiss und 2-06 Procent Pepton; 1008” Trockensubstanz des Ungelösten enthielten 57.58” Eiweiss. Im Magen waren also enthalten: 1.0725 89 gelöstes Eiweiss 4.51 , Pepton 12.145 „ ungelöstes Eiweiss 17°72758m Hijweiss DiE VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 287 Der Dünndarm enthielt 5.084 8” ungelöstes, 5.208 7% gelöstes Biweiss und 2.8580 Pepton. Im Coecuminhalt waren nur ganz vereinzelte Fleisch- fasern und kein Pepton zu finden. Berechnungen. 1. Nach Abzug des Körpereiweisses waren im Magen noch 163275 8m Eiweiss enthalten. Zieht man diese von dem aufgenommenen Biweiss (96-145 2"M) ab, dann bleibt eine Differenz von 79.818. Aus dem Magen waren also ca. 83 Procent des verzehrten Eiweisses geschwunden. 2. Im Magen und Darm zusammen fand man nur noch 17.229 EM un- selöstes Eiweiss. Zieht man dies von den aufgenommenen 96.145 8" Hiweiss ab, dann bleiben 78-916 8°", die als verdaut anzusehen sind. Bei diesem T'hiere waren also ca. 82 Procent des aufgenommenen Eiweisses bereits verdaut. Schwein 7. Vorfutter: Kartoffeln. Versuchsfutter 500 8"% Fleisch mit 119s® Eiweiss (Trockenrückstand des Fleisches 31-1 Procent mit 76-6 Procent siweiss).. Tödtung: 12 Stunden nach der Mahlzeit. Der Mageninhalt wog 250 2"" und enthielt weder Stärke noch Zucker. Der Säuregrad betrug auf HC] berechnet in der Cardiaabtheilung 0-1, in der Fundus-Pylorusabtheilung 0-15 Procent. Der Mageninhalt bestand aus 93.0 Procent Flüssigem und 7-0 Procent Filtrationsrückstand oder aus 232.5 gm Flüssigem und 17-5 #"”% Ungelöstem. Das Flüssige (Filtrirbare) enthielt 1°3 Pro- cent Pepton und Ö-4 Procent Eiweiss. Der Trockenrückstand des Ungelösten enthielt 68-5 Procent Eiweiss. Sonach fand man im Mageninhalt; 3.02 gm Pepton 0-93 , gelöstes Eiweiss 11.987 5 ungelöstes Eiweiss 15.937 80 Eiweiss Der Dünndarminhalt enthielt 2-17 &” ungelöstes, 9.827 gelöstes Ei- weiss und 1.33 8"m Pepton. Berechnungen: 1. Nach Abzug des Körpereiweisses waren im Magen 14-5578" Hiweiss enthalten. Zieht man diese von den verabreichten 119 5" Eiweiss ab, dann bleiben 104-463 2"® Eiweiss, die aus dem Magen verschwunden waren, d. h. 878 Procent. 2. Im Magen und Dünndarm waren an ungelöstem Eiweiss vorhanden 13.258'M. Aufgenommen hatte das Schwein 1198’ unlösliches Eiweis. Demnach waren 105.75 :'”" Eiweiss in den 12 Stunden verdaut worden, d. h. ungefähr 38 Procent. Im Coecum waren nur Spuren von Fleischfasern zu finden; ebenso im Colon. Man fand im Coecum 98"@ Eiweiss. Dies ist zum Theil auf die Kar- toffelreste, z. Th. auf Körpereiweiss zu setzen. Nur ein sehr kleiner Theil kann als unverdautes Nahrungseiweiss angesehen werden. Auf das genannte Resultat über die Verdauung des Nahrungseiweisses kann diese geringe im Coecum ent- haltene Menge von Fleischfasern keinen merkbaren Einfluss ausüben. Schlussbetrachtung. Die wesentlichen Ergebnisse der im Vor- stehenden geschilderten Versuche lassen sich in Folgendem zusammenfassen: 288 FLLENBERGER UND HOFMEISTER: 1. Der Säuregehalt des Filtrates des Mageninhaltes, resp. der Magenflüssigkeit ist bei reiner Fleischnahrung ein verhält- nissmässig niedriger. In den ersten 5 Verdauungsstunden erreicht derselbe in der Stunde noch nicht 0-1 Procent. 8 Stunden nach der Mahl- zeit betrug derselbe 0-28 und 12 Stunden nach derselben 0-15 Procent. Es kommen in Bezug auf den Säuregrad individuelle Verhältnisse in Be- tracht. Bei dem 3 Stunden nach der Mahlzeit getödteten Thiere war der Säure- srad höher als bei den 1 und 2 Stunden später getödteten Thieren. So war auch bei einem Thiere in der 12. Verdauungsstunde der Säuregrad ein niedrigerer als bei dem anderen Thiere in der 8. Verdauungsstunde. Merkwürdig erscheint es im ersten Momente, dass trotz des Vor- handenseins einer so geringen Menge freier Säure, wie wir dies bei den Versuchsschweinen feststellten, eine so bedeutende Menge Eiweiss verdaut worden ist und so erhebliche Mengen Pepton im Magen vorhanden waren. Diese Thatsache erklärt sich aber leicht aus folgenden Erfahrungen: a) Wenn wir Fibrinflocken kurze Zeit in eine 0.1 bis 0.2 procentige Salzsäure einlegten, dieselben dann herausnahmen, mit Wasser abwuschen und nun in eine neutrale Pepsinlösung brachten, dann fand die Verdauung des Fibrins statt. Die absorbirte (imbibirte) Säuremenge genügte voll- kommen, um die Wirksamkeit des Pepsins in neutraler Lösung zu er- möglichen. b) Brachten wir ausgekochtes Pferdefleisch mit einer O-2procentigen HCl in den Brütofen und untersuchten nach einiger Zeit das Filtrat dieses semisches, dann fanden wir dasselbe zwar noch sauer reagirend, aber nur noch 0-05 Procent HCl enthaltend. Das Fleisch hatte also sehr bedeutende Mengen der Säure absorbirt und hielt dieselben fest. Trotzdem sich also das Fleisch in einer 0-2 procentigen Säure befand, liess sein Filtrat doch nur einen Säuregrad von 0-05 Procent erkennen. Braclıte man zu diesem Ge- mische eine Pepsinlösung, dann trat Peptonisirung des Eiweisses ein. Aus diesen Thatsachen geht hervor, dass man aus dem Säuregrad des Filtrates, resp. der Colatur des Mageninhaltes nicht den wirklichen Säuregehalt des Mageninhaltes erkennen kann. Das in den Magen eingeführte, verhältniss- mässig trockene Fleisch nimmt die lebhaft diffundirende Salzsäure in sich auf und hält die imbibirte Säure beim Filtriren und Auspressen fest. Sonach findet man im Filtrat viel weniger Säure, als thatsächlich im Magen vorhanden ist. Die Verdauung kann demnach bei einem so geringen Säuregehalte des Filtrates stattfinden, bei welchem der Magensaft, wenn er auf Eiweiss einwirkt, welches noch keine Säure aufgenommen hat, un- wirksam ist. DIE VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 289 c) Presste man einen Theil des Mageninhaltes der Schweine, dessen Filtrat einen Säuregrad von 0.06 bis 0.08 Procent zeigte, derart tüchtig aus, dass alle Flüssigkeit entfernt war und brachte man dann diese trockene Fleischmasse mit einem künstlichen Magensaft oder einer natürlichen Magen- flüssigkeit, die nur 0:06 bis 0.08 Procent Salzsäure enthielt, in den Ver- dauungsofen, dann trat Peptonisirung des Eiweisses ein. Hiermit ist also bewiesen, dass Fleisch, welches im sauren Magensafte gelegen hat, durch einen Magensaft von 0-06 bis 0.08 Procent Salzsäuregehalt verdaut werden kann. Die vorstehenden Thatsachen erklären unsere Beobachtung, dass trotz des niederen Säuregehaltes des Filtrates des Mageninhaltes so bedeutende Mengen Fleisch verdaut und dass deren Eiweiss peptonisirt wurde. 2. Der Säuregrad des Mageninhaltes ist nach der Natur der Nahrung verschieden. Bei Fütterung mit feingehacktem Fleisch ist derselbe bedeutend niedriger als bei Fütterung mit Kartoffeln und als bei Fütterung mit Hafer. Bei Fütterung mit Kartoffeln betrug der Säuregrad der Magen- Hüssigkeit in der Pylorusabtheilung! des Magens: 2 Stunden nach der Mahlzeit 0.124 Procent 8a „ 3) „ „ 0.15 „ 61), „ „ „ „ 0.16 „ Bei Haferfütterung betrug er rechterseits: 1 Stunde nach der Mahlzeit 0-05 Procent 2 „ ” DB „ 0.2 ” 3 „ „ „ 2) .23 ) 6 „ ” „ ’ 28 „ 6) 10 r2) ” ” ” 12 ” rR) ” ER Bei der Kartoffelfütterung waren 1 Stunde nach der Mahlzeit in der rechten Magenabtheilung 0.27 Procent Säure. Hier fanden sich aber noch Nahrungsmittel von der früheren Mahlzeit; dieser Säuregrad ist also auf spätere Verdauungs- stunden zu beziehen. ! Pylorus- und Cardiatheilung ist hier nicht im histologischen Sinne zu verstehen. Wir schnüren den Magen ungefähr in der Mitte ab und nennen die eine Hälfte des Magens die Cardia- oder Schlund-, und die andere die Pylorus- oder Funduspylorushälfte. Archiv f.A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 19 290 - ELLENBERGER UND HOoFMEISTER: Bei der Fleischnahrung fanden wir in der rechten Magenabtheilung: 1 Stunde nach der Mahlzeit 0-08 Procent „ ” „ „ 0:08 „ 3 „ 2) „ „ 0.15 4 ” „ „ ” 0.067 „ 5) ” „ „ ” 0.08 „ 6) 2 [80] „ ” „ ” 0.25 „ „ „ „ „ 0.15 „ Aus diesen Zusammenstellungen ergiebt sich, dass bei Haferfütterung die Säuremenge des Mageninhaltes die bedeutendste ist, dann folgt die Kartoffel- und dann die Fleischnahrung. Die Haferkörner wirken auf die Magenschleimhaut sicherlich stärker mechanisch reizend als die Kartofiel- stücke und diese stärker als das fein gehackte und ausgekochte Fleisch. Dazu kommt noch, dass das fein gehackte Fleisch für die Absorption der von den Magendrüsen secernirten Säure sehr geeignet ist, während die Kartoffelstücke und die stärke- und cellulosereichen Haferkörmer für der- artige Imbibitionsvorgänge weniger geeignet sind. Diese Betrachtungen erklären vielleicht theilweise die Verschiedenheit des Säuregehaltes des Mageninhaltes bei verschiedener Ernährung. 3. Die Natur der Säure des Mageninhaltes resp. der Magen- Nlüssigkeit ist verschieden nach der Natur der Nahrungsmittel. Bei reiner Fleischnahrung finden wir im Mageninhalt nur wenig organische Säuren und fast nur Salzsäure. Bei Ernährung mit stärke- oder zucker- haltigen pflanzlichen Nahrungsmitteln kommt viel Milchsäure in der Magen- flüssigkeit vor. Beispiele: Bei einem Säuregrade von 2-8 pro Mille waren bei Fleischnahrung 2:5 pro Mille Salz- und 0.3 pro Mille Milch- und Fettsäuren zugegen. Bei Ernährung mit Kartoffeln fand man dagegen neben 1-2 pro Mille HCl noch 3-94 pro Mille Milchsäure und 0.07 pro Mille Fettsäure. Bei allen unseren Fütterungen mit Kartoffeln und Hafer haben wir stets grosse Mengen Milchsäure im Magen vorgefunden. In der linken Magenabtheilung war stets bedeutend mehr Milch- als Salzsäure vorhanden. Diese Thatsache konnte nicht nur bei Schweinen, sondern auch bei Pferden constatirt werden. 4. Der Säuregrad des Mageninhalts ist je nach der Verdauungs- stunde verschieden, er nimmt mit der Länge der Verdauung zu. Diese Thatsache stellten wir auch bei den früheren Versuchen, die wir mit Pfer- den und mit Schweinen unter Fütterung von Vegetabilien anstellten, fest. Natürlich findet die Steigerung der Säuremenge nicht in gerader Linie Dıe VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 291 statt. Individuelle und zufällige unberechenbare Einflüsse bedingen Un- regelmässigkeiten in dieser Steigerung, so dass z. B. bei einem Thiere der Säuregrad in der sechsten Verdauungsstunde niedriger sein kann, als bei einem anderen Thiere in der vierten Stunde der Verdauung u. s. w. 5. Der Säuregrad der Flüssigkeit des Inhaltes der linken, der sogenannten Cardiahälfte des Magens ist verschieden von dem Säuregrade der rechten, der Fundus-Pylorushälfte und zwar ist der in der Cardiahälfte herrschende Säuregrad, mindestens in den ersten Verdauungsstunden, stets niedriger als der Säuregrad in der Fundus- resion. Bei der Fleischfütterung war der Säuregrad wie folet: | In der Cardia- | In der Fundus- hälfte Pylorushälfte 1 Stunde nach der Verdauung 0-036 |. 0-081 Procent 2 » ) „ „ | 0-03 | 0.08 ” In Dan „ 0.053 VD 2 y ) D 2) | 0.034 0.067 S: In De, » 0.07 DR S ” „ ” 5% | 0.25 0:28 „ 12 $) ” ” „ | 0.1 0215 + In ähnlicher Weise gestalten sich die Verhältnisse bei Hafer- und Kartoffelfütterung. Der Säuregrad betrug bei Kartoffelfütterung: In dem linken Im dem rechten Drittel | Drittel 2 Stunden nach der Mahlzeit 0-025 0-2 Procent ı_ 3a ” „ ” „ 0.08 0-15 an 6, „ „ » 0085 Valor Auch bei Haferfütterung liegen ähnliche Verhältnisse vor. Der Säure- gerad betrug z. B.: In der linken In der rechten Magenabtheilung| Magenabtheilung 1 Stunde nach der Mahlzeit 0.05 0.05 Procent 2 ” ” „ „ 0:05 0.2 „ 2: ” 2) „ ” 0.07 022 ” 6 „ „ „ ) 0:28 0.28 „ SSE ;; en Y en 0:33 WO22Rr 102, en 5 5 0:24 0.29 aa. F „ = 0-2 10.2 5 ! Die Erklärung hierfür siehe unter 2. $. 289, Fussnote. 292 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: Bei der Fütterung mit pflanzlichen Nahrungsmitteln hört ungefähr in der fünften Stunde der Verdauung die regionäre Verschiedenheit des Säure- grades des Mageninhaltes auf. Es erklärt sich dies daraus, dass sich in Folge der bedeutenden Milchsäuregährung, die wesentlich in der Cardia- abtheilung stattfindet, in dieser Region sehr viel Milchsäure, da dieselbe nicht rasch genug resorbirt wird, ansammelt, so dass der Säuregehalt des Inhaltes des Cardiasackes oft höher erscheint als der des Pylorussackes. Allerdings ist die in der Cardiaabtheilung vorhandene Säure wesentlich Milchsäure, während die Säure der Fundusregion vorzugsweise Salzsäure ist, Bei Fleischnahrung fehlt die genannte Milchsäuregährung; zur An- _ säuerung des Inhaltes der Cardiaabtheilung muss die von den Fundus- drüsen gelieferte Salzsäure nach der Cardiaabtheilung des Magens (auf dem Wege der Diffusion und durch die Bewegung des Mageninhaltes und der Magenwände) übertreten. Dieser Uebertritt kann bei gefülltem Magen nur langsam stattfinden. Sobald derselbe aber nur noch geringe Mengen eines flüssigen Inhaltes enthält (wie namentlich bei Schwein 6 und 7 und zum Theil bei Schwein 5), dann erfolgt der Uebertritt leicht, dann wird der Säuregrad in beiden Magenhälften fast derselbe. 6. Der Peptongehalt des Mageninhaltes verhielt sich wie folet. Wir fanden: 1 Stunde nach der Mahlzeit 0.6 Procent oder 4.542” Pepton, 2 „ 2) ”„ „ 1.5 ” „ 8.82 „ 2) B ” 2) ” ” 1:73 „ „ 10-4 „ ” 4 ’ „ ’ ” 2.0 ” „ 11.39 ” ” 5) „ „ ” ’ 1.7 „ „ 12.74 „ „ 8 ’ ’ ’ 2.06 „ OL 5 ER 12 ’ „ ” „ 1.3 ” ” 3-02 „ ” Aus diesen Thatsachen ergiebt sich, dass der Peptongehalt des Mageninhaltes procentisch und. absolut in der ersten Zeit der Verdauung, mindestens bis zur fünften Verdauungsstunde, zunimmt, während später der absolute und vielleicht auch der procen- tische Peptongehalt des Mageninhaltes wieder abnimmt. Bei Ernährung mit Vegetabilien, welche reichlich Eiweiss enthalten, haben wir sowohl bei Schweinen als bei Pferden dasselbe Verhalten des Peptongehaltes des Mageninhaltes constatiren können. 7. Der Gehalt des Mageninhaltes an gelöstem, aber nicht peptoni- sirtem Eiweiss ist bei Fleischnahrung sehr wechselnd. Wir fanden im Mageninhalte: DiE VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 293 1 Stunde nach der Mahlzeit 2.2 Procent oder 16.45 sm celöstes Eiweiss, 2 ” ” ” ’ 0.5 ; 2.94 „ „ „ 3 ” ) „ „ 0.5 3) „ 3.2 ) ) 4 „ ” „ 1o0) ) ” 3-7 „ ’ ) 5 ” „ ” ” 0.18 ) „ 1.36 „ ; „ 8 „ „ ’ „ 0.49 „ „ 1.07 ” „ „ 12 ” ” ” ’ 0.4 ” ” 0.93 „ ” „ Die Menge des gelösten Eiweisses ist demnach im Magen- inhalte nur in der ersten Verdauungsstunde bedeutend, später übersteigt sie kaum 0-5 Procent in der Magenflüssigkeit. 8. Der Gehalt des Dünndarminhaltes an ungelöstem Eiweiss ist stets unbedeutend (1 bis 5s"); dagegen kommt das gelöste Eiweiss in grösseren Quantitäten (2 bis 118m) als das ungelöste vor. Der Pep- tongehalt verhielt sich wie folgt. Wir fanden in der Dünndarmflüssigkeit: .1 Stunde nach der Mahlzeit 0-69 Procent oder 1.4 sm Pepton, 2 ” „ „ „ 0.51 ” „ 2.1 ” „ 3 „ „ , ” 2.40 „ „ 7.7 4 , „ „ „ 0.40 „ E2) 1216 „ ’ 5 ” „ „ „ 3.54 „ „ (92. „ 8 „ „ ” „ 0.92 „ ER) 2.85 „ ’ 12 „ 2) „ 2) 0.43 „ „ 1.33 „ „ Die Peptonmengen sind zwar nicht bedeutend, sie übertreffen aber die Mengen des ungelösten Eiweisses. Dagegen ist in der Regel mehr gelöstes Eiweiss als Pepton zugegen. Bei Ernährung mit Vegetabilien haben wir viel geringere Mengen (0-8 bis 2°”) und häufig gar kein Pepton im Darminhalte gefunden. 9. Der Flüssigkeitsgehalt des Mageninhaltes nimmt bei Fleischnahrung mit der vorschreitenden Verdauung zu. Wäh- rend derselbe in den ersten Verdauungsstunden 84 bis 85 Procent beträgt, erreicht er in der 8. Stunde 91 und in der 12. Verdauungsstunde 93 Pro- cent. Dies ist aber keineswegs bei jeder Ernährung der Fall. Bei der Ernährung mit Hafer schwankt der Wassergehalt des Magen- inhaltes von ungefähr 65 bis 70 Procent. Wir fanden ihn z. B. 12 Stun- den nach der Mahlzeit 65 Procent, 10 Stunden nach der Mahlzeit 70 Pro- cent, 8 Stunden nach der Mahlzeit 65 Procent u.s.w. Eine Zunahme des Wassergehaltes mit der vorschreitenden Verdauung konnte bei Haferfütterung nicht constatirt werden. Bei Kartoffelfütte- rung war der Wassergehalt ein bedeutend höherer als bei Hafernahrung 294 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: (80 bis 90 Procent). Ob derselbein den späteren Verdauungsstunden zunimmt, wissen wir nicht, weil wir unsere Versuche nur auf die ersten 6 Versuchs- stunden ausgedehnt haben. 10. Was den Aufenthalt der Nahrung im Magen, resp. den Uebertritt derselben in den Darmcanal anlangt, so ergiebt sich aus unseren Versuchen, dass bei Ernährung mit gehacktem Fleisch schon in den ersten Verdauungsstunden der Uebertritt in den Darmcanal beginnt. Er nimmt langsam zu. Wir fanden bei gleicher Nahrungsaufnahme im Magen: 1 Stunde nach der Mahlzeit 890 == Inhalt, 2 ” ” 2 ” 700 ” ” 3 ” PL) ” ” 600 ” ” 4 ” ” ” ” 670 ” ” 8 ” ” r] ” 240 ” PR 12 ” ” ” ” 250 ” ” Hieraus ergiebt sich aber der Uebertritt des Fleisches in den Darm deshalb nicht genau, weil, wie wir gesehen haben, die Menge der Ver- dauungssäfte mit den Verdauungsstunden erheblich zunimmt. Am besten wird man sich über das Verschwinden des Fleisches aus dem Magen (durch Verdauung, durch Resorption und durch Uebertritt in den Darm) orientiren, wenn man den Trockenrückstaud des genossenen Fleisches mit dem Trockenrückstand des Mageninhaltes vergleicht. Die dabei ge- fundene Differenz giebt ungefähr an, wie viel von dem aufgenommenen Fleische aus dem Magen verschwunden, d. h. verdaut, resorbirt und nach dem Darm übergetreten ist. Die von uns angestellten Versuche ergaben, dass von dem Trockenrückstand des aufgenommenen Fleisches verschwunden waren: 1 Stunde nach der Mahlzeit 21-7 Procent, 2 ” ” ” ” a! ” 4 ” 2) „ ” 40.2 „ 5 ” ” 2) ” 49.5 ” 5 „ ” „ „ 85.3 „- 12 ” ” ) ” 88.7 ” Diese Zahlen geben uns eine ziemlich genaue Vorstellung von dem Aufenthalte des genossenen Fleisches im Magen. Die Zahlen sind nicht ganz genau richtig, weil sich in dem Trockenrück- stand noch kleine Reste einer früheren Mahlzeit (trotz 36 stündigen Hungerns) und auch der Trockenrückstand des Schleimes u. s. w. der Verdauungssäfte be- findet. Der Procentsatz ist also noch um eine Kleinigkeit höher. DiE VERDAUUNG VON FLEISCH BEI SCHWEINEN. 295 Trotzdem 12 Stunden nach der Mahlzeit noch 250 8” Inhalt, also ca. !/, von demjenigen Inhalte, der 1 bis 2 Stunden nach der Mahlzeit zugegen war, im Magen gefunden wurde, waren doch von dem genossenen Fleische nur noch höchstens 11 Procent zugegen. Man kann sich aber auch noch nach einer anderen Methode ziemlich genau über den Aufenthalt des genossenen Fleisches im Magen orientiren. Man bestimmt allen im Magen vorhandenen Stickstoff und berechnet ihn auf Eiweiss. Die erhaltene Summe Eiweiss zieht man, nachdem dieselbe um das „Körpereiweiss“ verkleinert worden ist, von dem genossenen Eiweiss ab. Die Differenz zeigt uns, wie viel von dem mit dem’ Fleisch aufgenom- menen Eiweiss aus dem Magen verschwunden ist. Die angestellten Untersuchungen und Berechnungen (s. unter dem Abschnitt: Versuche) haben ergeben, dass von dem aufgenommenen Eiweiss aus dem Magen verschwunden waren: 1 Stunde nach der Mahlzeit 9.5 Procent, 2 2) ” ” „ 27-7 ” 3 „ 2) ” 2) 22.2 ” 4 „ ’ „ ” 32. 3, „ 5 „ ” ” ” 40.0 „ S „ ” PL) „ 33.0 ” 12 ” „ ” ” 87.8 ” Die Aufenthaltszeiten des Fleisches im Magen erweisen sich also auch nach diesen Berechnungen ähnlich wie oben angegeben. Eine bedeutende Differenz besteht nur in Bezug auf die Verhältnisse eine Stunde nach der Mahlzeit. Eine Erklärung für diese Thatsache vermögen wir nicht zu geben. ji Der Aufenthalt der Nahrung im Magen richtet sich natür- lich auch nach der aufgenommenen Nahrungsquantität und nach der Natur der Nahrung. Bei den vorstehend geschilderten Ver- ‚suchen war nur eine geringe Menge einer leicht verdaulichen und gut zer- kleinerten Nahrung genossen worden. Bei Fütterung mit Kartoffeln erfolgt der Uebertritt in den Darm in ähnlicher Weise wie bei Fleisch- nahrung. Schon in der ersten Verdauungsstunde beginnt der Uebertritt; zwei Stunden nach der Mahlzeit ist schon !/, der genossenen Kartoffeln aus dem Magen verschwunden. Bei Haferfütterung erfolgt der Ueber- tritt viel langsamer, er beginnt erst im der dritten Verdauungsstunde. 12 Stunden nach der Mahlzeit sind noch sehr bedeutende Mengen des ge- nossenen Hafers in dem Schweinemagen. Wir fanden bei Aufnahme von 10002 Hafer in der 12. Verdauungsstunde noch 9708” Mageninhalt mit einem Wassergehalte von nur 65 Procent. 296 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: 11. Die mit den Verdauungsstunden vorschreitende Verdauung des Fleisches gestaltet sich wie folgt. Es waren von den mit dem Fleische aufgenommenen Eiweissmengen verdaut: 1 Stunde nach der Mahlzeit 23 Procent, 2 ” ” 2 ” 25 ” 3 ” ’ ” r2] 32 2 4 ” ” ” ” 40 ’ 5 er] PL) 22 ” 50 2) 5 PL) ” ” ” 82 ” 12 ” ” ” ” s8 ” . Bei Ernährung mit Körnern waren 10 Stunden nach der Mahlzeit nur 70 und 22 Stunden nach der Mahlzeit nur 75 Procent des in den Körnern enthaltenen Eiweisses verdaut. 12. Die Resorption des verdauten Fleisches lässt sich, wenn nicht ganz genau, so doch annähernd berechnen, wenn man das im Magen vor- handene Gesammteiweiss (Pepton, gelöstes und ungelöstes Eiweiss) nach Abzug des Körpereiweisses mit dem im Darm vorhandenen Pepton und ungelösten Eiweiss addirt und dies von dem aufgenommenen Eiweiss ab- zieht. Das im Darm vorhandene gelöste Eiweiss muss unberücksichtigt bleiben, da dies als Körpereiweiss, wie unsere Versuche bestimmt ergeben haben, anzusehen ist. Das Berechnungsresultat wird nur insofern für die späteren Verdauungs- stunden nicht absolut richtig sein, weil sich in den späteren Stunden der Verdauung Spuren von Nahrungseiweiss im Dickdarm finden, die wir bei unseren Berechnungen unberücksichtigt lassen, die also fälschlich als resorbirt angesehen werden. Die Grundlagen der Berechnungen sind bei den 7 Versuchsthieren folgende: Schwein 1 hat’ aufgenommen... nr... 72727252 iweiss Das nicht resorbirte Eiweiss (gelöstes Eiweiss + Pepton + ungelöstes Eiweiss des Magen- inhaltes + ungelöstes Eiweiss + Pepton des Darminhaltes, — Körpereiweiss des Magen- inhaltes). ca ee ler 0 Di, 3 Rest 8.238"M Eiweiss Schwein 2 hat aufgenommen . . . 122.0 8m Eiweiss An nicht resorbirtem Eiweiss onen. 94:22, ” Rest 27.78 stm Eiweiss Aufnahme von Schwein 3 . . ...... 12T sm Eiweiss Nichte resorbirteseEiweisst m er r Rest 158m Eiweiss DiE VERDAUUNG VON FLEISCH BEL SCHWEINEN. 297 Aufnahme von Schwein 4 De BONEEEIERWOISS Nicht resorbirtes Eiweiss . . . . 94.1, r Rest 35.9 87m Eiweiss Aufnahme von Schwein 5. . . . 12837m Eiweiss Nicht resorbirtes Eiweiss . . . . S6 ,„ r Rest 2 stm Hijweiss Aufnahme von Schwein 6 . . 96-145 87m Eiweiss Nicht resorbirtes Eiweiss. . . 24-14 „ r Rest 72.0 sm Hiweiss Aufnahme von Schwein 7. . . . 1193m Eiweiss Nicht resorbirtes Eiweiss . . . . Sr, n Rest 1018m Riweiss Die vorstehenden Berechnungen ergeben, dass von dem eingeführten Eiweiss bereits zur Resorption gelangt waren: 1 Stunde nach der Mahlzeit 8.2srm Eiweiss, 2 ” ” „ „ AUT B) en) 3 ” ” 2) 2) 15.0 ” „ a ’ „ ” 2) 39-9 ,, ” 5 ” 5) ) „ 42.0 ” „ SDdezn a a 12 ” „ ” » 101.0 „ ” Die Resorption hatte also von Stunde zu Stunde zugenommen; eine Ausnahme macht nur das Schwein 3. Dieses muss aber aus der Auf- stellung deshalb ausgeschlossen werden, weil bei diesem Thiere in Folge der Ungeschicklichkeit des Schlächters beim Tödten Blut in den Magen gekommen war. Das Blut wurde zwar, soweit dies irgend möglich war, von dem Mageninhalte wieder getrennt und entfernt. Selbstverständlich war aber eine vollständige Beseitigung des Blutes, kleiner Blutgerinsel u. s. w. nicht möglich. So erklärt es sich, dass bei diesem Thhiere mehr N im Magen und Darın gefunden wurde, als man wohl hätte erwarten sollen. Vergleicht man die resorbirten mit den mit der Nahrung aufgenom- menen Eiweissmengen, dann ergiebt sich, dass von dem aufgenommenen Eiweiss procentisch resorbirt waren: 1 Stunde nach der Mahlzeit 6-7 Procent, DE REN a ee, OD te 219.081. 2,0) N ER oo 5 ) ” ” „ 33-0 „ 3 „ , „ ” 14.8 „ 12 ” 4 65] [5 84.8 6%) 298 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: FLEISCHVERDAUUNG BEI SCHWEINEN. Sonach sind 12 Stunden nach einer Mahlzeit von 500 8 Fleisch schon beinahe 85 Procent des in ihm enthaltenen Eiweisses nicht allein verdaut, sondern auch schon in die thierischen Säfte übergegangen. Bei Ernährung mit Körnern stieg die Gesammtresorption der N-haltigen Stoffe derart, dass 3 Stunden nach der Mahlzeit ca. 40, 10 Stunden nach der Mahlzeit ca. 68, und 22 Stunden nach der Mahlzeit ca. 75 Procent des in den aufgenom- menen Körnern enthaltenen Eiweisses resorbirt waren. Demnach wird das in Form von Fleisch eingeführte Eiweiss rascher verdaut und resorbirt als das pilanzliche, in Hafer- und anderen Körnerarten enthaltene Eiweiss. Offenbar kommt hier nicht die schwerere oder leichtere Verdaulichkeit des thierischen oder pflanzlichen Eiweisses in Betracht. Die geringere Ver- dauung und Resorption des im Hafer vorhandenen Eiweisses findet darin seinen Grund, dass dieses Eiweiss der Einwirkung der verdauenden Säfte schwer zugänglich ist. Ueber das Valli-Ritter’sche Gesetz. Von Dr. Rudolf Arndt, Professor iu Greifswaid, Das von Rosenthal vervollständigte Valli-Ritter’sche Gesetz, nach welchem ein Nerv, der von seinem Centrum getrennt, oder dessen Centrum abgestorben ist, von seinem centralen nach seinem peripherischen Ende hin zuerst erhöhte, dann verminderte, endlich erloschene Erregbarkeit und zwar mit der Maassgabe zeigt, dass der zu Grunde liegende Vorgang sich rascher in seinem centralen, langsamer in seinem peripherischen Theile vollzieht, besagt kurzweg: Ein Nerv, der von seinem Oentrum getrennt, oder dessen Centrum zerstört ist, stirbt von diesem nach der Peri- pherie hin ab. Hieraus hat man vielfach, ja wohl ziemlich allgemein den Schluss gezogen, dass der periphere Nerv, überhaupt das periphere Nervensystem vom Üentralnervensystem aus nach der Peripherie hin ab- sterbe, und daraufhin namentlich für die Pathologie weitgehende Folgerungen gemacht. Das scheint nun aber nicht richtig zu sen. Das Valli-Ritter’sche Gesetz, wenigstens in der Allgemeinheit, wie zuletzt angeführt, ist nur für den centrifugalleitenden Nerv, den bei den trophischen Vorgängen in Be- tracht kommenden, den sogenannten trophischen, den motorischen, den secretorischen erwiesen, nicht aber damit auch für den centripetalleitenden, den sensiblen. Der scheint vielmehr umgekehrt seine Thätigkeit von der Peripherie nach dem Centrum, beziehentlich Centralnervensystem hin ein- zustellen. Experimentell beweisen lässt sich das allerdings wohl nicht, weder mittels Durchschneidung des bezüglichen Nerven selbst, noch durch Er- tödtung seines Centrums im Gehirn oder Rückenmark; aber die ganze Ent- stehung und Entwickelung des Nervensystems sowie eine Menge einschlägiger 300 | RUDOLF ARNDT: Vorgänge legen nichtsdestoweniger dafür nicht zu unterschätzendes Zeug- niss ab. Man hat meiner Meinung nach das Nervensystem in seiner Bedeutung bisher überhaupt nicht richtig gewürdigt und deshalb manche mit der Wirklichkeit nicht in Einklang stehende Ansichten und Lehren über das- selbe aufgestellt und verbreitet. Von Seiten einer Anzahl Biologen, der Anhänger und Verfechter einer weitgehenden Cellulartheorie und vornehm- lich Cellularpathologie ist es in seinem physiologischen Werthe entschieden unterschätzt worden. Man maass und misst ihm noch heute in den Kreisen derselben wenig oder gar keinen Einfluss auf die Bethätigung der einzelnen Zellen oder Zellencomplexe, d.i. der verschiedenen Organe eines Organismus bei, sondern lässt dieselben aus einer gewissen Selbstherrlichkeit, aus der Autonomie der Zelle heraus, ihre Leistungen vollführen, wie z. B. erst wie- der die Verhandlungen des Berliner Chirurgencongresses vom Jahre 1887 bezüglich der Frage der Tabes dorsualis und der in ihrem Verlaufe auf- tretenden Ernährungsstörungen, namentlich der Knochenatrophien, gezeigt haben.! Das Nervensystem ist nach den erklärtesten Anhängern und Ver- fechtern der Cellulartheorie und besonders der Cellularpathologie ein Organ, wie alle anderen Organe, diesen durchaus gleichwerthig, coordinirt, aber auch nichts mehr und nichts weniger, und ebenso wie diese, nach dem Prineip der Arbeitstheilung, zu ganz bestimmten, von anderen Organleistungen wenigstens der Hauptsache nach unabhängigen Leistungen vorhanden. Es erzeugt durch die Thätigkeit seiner Zellen, und zwar durch die autonome Thätigkeit derselben, die Gefühle, die Empfindungen, die Wahrnehmungen, die Vorstellungen, schlechtweg die Gedanken und ihre Verbindungen, die Entschlüsse, den Willen und die Willensäusserungen. Wie indessen die letztgenannten zum Ausdruck kommen, wie also das Nervensystem auf die Musculatur wirkt, durch welche letztere vornehmlich zu Stande kommen, wird nicht gesagt. Allenfalls lässt man durchblicken, dass elektrische Vor- gänge, in den Doyere’schen Nervenhügeln und Kühne’schen Nervenend- platten der Muskelprimitivbündel erzeugt, das vermitteln möchten. Auf die Ernährung der einzelnen Organe, beziehungsweise der sie zusammensetzenden Zellen habe das Nervensystem keinen Einfluss. Diese gehe unabhängige von demselben vor sich, obwohl die neurotischen Formen der Muskelatrophie, der Knochenatrophie, d. i. die sogenannte Osteomalacie, die Anomalien der Drüsenabsonderungen u. s. w. ganz abgesehen von den Experimental- Erforschungen der Physiologie dafür doch manches recht zwingende Zeug- niss ablegen und deshalb auch gar nicht geleugnet werden. Der Wider- spruch, der darin liest, wird zugegeben, allein auch nicht im Gering- ! Sitzung vom 15. April 1837. ÜBER DAS VALL-RITTER’SCHE GESETZ. 301 sten zu lösen gesucht: das eine Mal macht sich das so, das andere Mal anders. Andere Biologen, darunter vorzugsweise die Neurologen, beziehungsweise Neuropathologen, sehen dagegen im Nervensystem das Hauptorgan des be- züglichen Körpers, und namentlich ist es das Centralnervensystem, Gehirn und Rückenmark, das sie gewissermaassen als Hochburg betrachten, von welcher aus durch das peripherische Nervensystem als einem alle, auch die kleinsten Theile, die Zellen, versorgenden Telegraphennetz, alle übrigen Organe in ihrer Thätigkeit geregelt, beschleunigt, gehemmt oder auch sonst wie verändert. werden. Im Uebrigen fassen sie das Nervensystem, zumal sehirn und Rückenmark, wie die Anhänger der gedachten Cellulartheorie und namentlich Cellularpathologie auf und lassen sämmtliche Funetionen desselben aus der selbstherrlichen autonomen Thätigkeit ihrer sie bildenden Zellen hervorgehen. Nach den überzeugtesten Neuropathologen hat jede dieser Zellen ihre ganz bestimmte Thätigkeit: die Rückenmarkszelle 4 be- thätigt sich immer nur mit der Function a, die Rückenmarkszelle 3 mit der Function 5, die Gehirnzelle X nur mit x und die Gehirnzelle F nur mit y, die Nervenfasern aber, welche lediglich einfache Ausläufer dieser Zellen sind, Ausläufer, die in den einzelnen Fällen bis an die äusserste Peripherie hinwachsen, vermitteln die Aeusserungen der genannten Thätig- keiten mit der Aussenwelt. Die Nervenfasern sind danach gewissermaassen bloss Fangarme, welche die aus sich allein herausarbeitenden, nur von ihrer Ernährung abhängigen Zellen in die sämmtlichen Körperzellen hinein und mittels einer Anzahl derselben an die Aussenwelt hinan erstrecken, um auf diesen Wegen einestheils zu erfahren, was daselbst vorgeht und ihre Neu- gierde zu befriedigen, anderentheils danach ihre Maassnahmen zu treffen und an die einzelnen Organe ihre Befehle zu den bezüglichen Leistungen zu senden, wobei zahlreiche Verbindungen zwischen den einzelnen, nur ganz bestimmte Thätigkeiten vollführenden Zellen das in leichtester Weise er- möglichen. Und in der That, die neueren Entdeckungen und Erfahrungen der Physiologen wie der Pathologen schienen fast ausnahmslos nur Be- stätigungen dafür zu liefern. Die Abhängigkeit der Blut- und Lymph- bewegung, die Abhängigkeit der Drüsenabscheidungen von den wechselnden Einflüssen des Centralnervensystems sind feststehende Thatsachen. Nicht minder dürften aber auch als solche die trophischen und plastischen Ein- Nüsse anzusehen sein. Denn mannigfache Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks, insbesondere die der allgemeinen progressiven Paralyse und Tabes dorsualis zu Grunde liegenden, dann aber auch viele einfach ence- phalitische und myelitische Veränderungen, ja sogar die noch nicht genauer bekannten, welche die Hysterie und Epilepsie bedingen, haben für jeden Unbefangenen ganz unzweifelhaft sie zur Folge. Der Muskelschwund, der 302 RUDOLF ARNDT: Knochenschwund, die Knochenerweichung und Knorpelerweichung im Ver- laufe der allgemeinen progressiven Paralyse und Tabes dorsualis beweisen das auf’s Bündigste. Nichtsdestoweniger dürften die Neurologen ebensowenig oder zum Mindesten nicht viel mehr Recht haben, wie die genannten Cellulartheore- tiker. Denn ganz abgesehen davon, dass die Zelle nicht die Autonomie besitzt, welche ihr letztere schlechtweg und erstere wenigstens für die Cen- tralorgane des Nervensystems beilegen, wodurch sie sich aber arger In- consequenzen schuldig machen, ganz abgesehen davon haben die genannten Centralorgane wohl gar nicht die Bedeutung, welche man ihnen zuschreibt. Die Zelle ist kein autonomer, nur aul Grund seiner Ernährungsverhältnisse im landiäufigen Sinne des Wortes und der durch diese letzteren in ihm angehäuften Spann- oder Druckkräfte, aus sich herausarbeitender Körper; die Zelle, um arbeiten, eine Ueberführung der in ihr vorhandenen Spann- oder Druckkräfte in lebendige, ihrer potentiellen Energie in actuelle be- wirken zu können, bedarf der Zufuhr von Reizen, von Erregungen, die nicht gerade als Ernährungsmittel schlechthin anzusehen sein möchten. Die Spann- oder Druckkräfte, die potentielle Energie, beruhen auf der Hemmung der bewegung, welche das Wesen der lebendigen Kraft, oder actuelle Energie ausmacht. Damit die jeweiligen Spann- oder Druckkräfte, die potentielle Energie, in lebendige Kraft, actuelle Energie, übergeführt werden, bedarf es eines Anstosses, d. i. der Zufuhr von lebendiger Kraft oder actueller Energie, der sogenannten auslösenden Kraft der Physiologen, einer Bewegungsgrösse, welche wenigstens die Stärke hat, die erforderlich ist, um die vorhandene Hemmung zu beseitigen, also die Differenz zwischen jenen und dieser darstellt. Diese Bewegungsgrössen oder Anstösse nennt man in Bezug auf die organische Welt Reize und die nächste Wirkung der- selben Erregungen. Für die einfachen selbständigen Zellen, die sich in der freien Natur vorfinden, die Flagellaten, die Amoeben, die Arcellinen, für die ihnen nahe stehenden Zellencomplexe, die Katallakten, die Syn- amöbien, die Planäaden, Gasträaden, die sich namentlich im Bereiche der Coelenteraten und Würmer, aber z. B. auch bei den Ascidien und dem Amphioxus finden, für diese sind das die verschiedenen Kräfte oder Be- wegungsvorgänge der Natur, die Wärme, das Licht, die Elektrieität, die zur Geltung kommenden chemischen Vorgänge unmittelbar; für die Zellen der höheren Organismen der Thierwelt, zumal die mehr innerlich gelegenen, die Kräfte der Bewegungsvorgänge der Natur, welche ihnen erst vermittelst der Nerven zugeführt werden. Ein Reiz aus der Aussenwelt trifft die für ihn empfänglichen an der äusseren oder inneren Körperoberfläche gelegenen Zellen; durch Nerven oder nervenähnliche Gebilde, welche von ihnen aus- und zu anderen Zellen hingehen, wird derselbe diesen in der einen oder ÜBER DAS \VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. 303 anderen Form zugeführt und kommt so oder so als veränderte Ernäh- rung oder Bildung, als Massenbewegung oder Secret wieder zum Vor- schein. Die Zellen sind so mehr Maschinen, reflectorisch arbeitende Apparate, als autonome Wesen, die aus eigener ihnen innewohnender Kraft ihre Leistungen vollbringen. Alle ihre Leistungen, alle ihre Arbeiten, wie beschaffen sie auch immer sein mögen, sind darum auch nur Umwand- lungen der Leistungen und Arbeiten, welche von anderen Factoren aus- geführt in ihren Wirkungen sie beeinflussten, reizten, erregten. Das Gesetz von der Erhaltung der Kraft hat auch für sie Geltune. Wer die Sache anders ansieht, huldigt vitalistischen Anschauungen. Die autonome Zelle ist nichts anderes als ein Kind des Vitalismus, der ja vielleicht seine Be- rechtigung hat, aber mit der heutigen, mechanischen Richtung in den Naturwissenschaften in unversöhnbarem Widerspruche steht. Wollen wir die biologischen Vorgänge mechanisch begreifen, so muss die autonome Zelle fallen. Was sodann die Centralorgane, Gehirn und Rückenmark selbst anlangt, so sind dieselben den übrigen Organen des Körpers meinem Dafürhalten nach weder coordinirt, wie namentlich die Cellularpathologen wollen, noch gar superordinirt, wie die Neuropathologen überhaupt es annehmen. Das Nervensystem und mit ihm Gehirn und Rückenmark ist hinsichtlich der oekonomischen Verhältnisse und Einrichtungen des jeweiligen Körpers ein durchaus untergeordnetes Organ, und das hat die Cellularpathologie wohl auch hauptsächlich bestimmt, ihm eine ganz beschränkte Rolle zuzuweisen und die Autonomie der Zelle allerorten zu proclamiren. Es giebt eine grosse Anzahl von zusammengesetzten Thieren, Polypen, Würmer, mit Muskeln, Verdauungs-, Excretions- und Generationsorganen versehen, welche von Nerven zeitlebens auch nicht eine Spur aufzuweisen haben, und die Thiere, welche solche aufweisen, haben sie auch erst im Laufe der Zeit erhalten. Wenn vielleicht auch sehr früh, immer doch erst im Laufe ihrer Ent- wickelung stellen sie sich ein. Jedes Thier macht in dieser eine Stufe, eine Stufenreihe durch, auf welcher ihm noch jegliche Nerven fehlen. Darm, Herz und Gefässe sind entschieden früher vorhanden als jene. Hiernach schon erscheint das Nervensystem mitsammt Gehirn und Rückenmark mehr als ein secundäres Organ und von secundärer Bedeutung, denn als das Hauptorgan des Körpers und von maassgebenden, gewissermaassen beherr- schendem Einfluss auf diesen letzteren und seine übrigen Organe. Noch mehr beinahe tritt das jedoch hervor, wenn man seine Ent- wickelung in’s Auge fasst. Das cerebrospinale System entwickelt sich be- kanntlich vom Hautsinnesblatt, dem Ektoderm, her, das sympathische aller Wahrscheinlichkeit nach (His, Haeckel) in ganz analoger Weise vom Darmdrüsenblatt, dem Entoderm, her. Und wie geschieht das? 304 RUDOLF ARNDT: Wenn die befruchtete Eizelle sich theilt, die Morula, die Blastosphaere sich bildet, bleiben die dabei in Betracht kommenden Zellen trotz aller Theilungen, trotz aller Verschiebungen, die sie bei dem Vorgange erfahren, doch immer im Zusammenhange Und wenn auch nur durch winzige Protoplasmamassen, dünne fädige Züge desselben, die von einem Zellenleil zum anderen herüberreichen und die Zellenleiber mit einander verkleben, verbunden bleiben sie doch. Der Bestand der Morula, namentlich aber der Blastosphaere, deren Wand ja nur aus den durch die fortgesetzte Theilung des Eies hervorgegangenen Zellen zusammengesetzt wird, wäre insbesondere bei den hüllenlosen Eiern sonst gar nicht zu erklären. Dass die Eitheilung, die nachfolgende Zellentheilung eine vollkommene sei und zu freien Zellen führe, die sich nachher wieder zum Aufbau des Körpers vereinigten, ist eine ganz willkührliche Annahme. Es dürfte das noch Niemand ge- sehen haben, ausser vielleicht an gehärteten Praeparaten, die indessen zur Entscheidung einer so heiklen Angelegenheit nicht gerade die geeignetsten meiner Meinung nach sein möchten. Frische Eier setzen der Isolirune ihrer Zellen, der sogenannten Furchungskugeln, einen entschiedenen Wider- stand entgegen; die Isolirung derselben erfordert erst manche Maassnahmen und das spricht doch ganz erheblich gegen die Annahme, dass bei der Zell- theilung ein völliges Freiwerden der einzelnen Zellen eintrete. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass überhaupt keine vollkommene Zellentheilung im Verlaufe der organischen Entwickelung vorkomme und gesehen worden sei — die Blutzellen bezeugen dies ja hinlänglich; allein wo das der Fall gewesen, da waren die frei gewordenen Zellen für die weitere Körperentwickelung an sich als Zellen verloren; sie dienten höchstens noch, wie eben die Blutzellen, in der einen oder der anderen Weise zur Nahrung der übrigen im Zusammenhang gebliebenen, welche die fragliche Weiterentwickelung des Körpers eingingen und unterhielten. Alle Zellen, welche zum Aufbau eines thierischen oder pflanzlichen Leibes als Zellen wirksam sind, stehen unter einander im Zusammenhang, und ein jeder Organismus ist somit weniger ein Ganzes, das sich aus einer Anzahl von Zellen aufbaut, als vielmehr ein solches Ganze, eine Einheit, die sich in eine Anzahl von Zellen gegliedert hat. Jeder Organismus, der thierische wie der pflanzliche, ist ein Protoplasmaklumpen, welcher den auf ihn wir- kenden Naturkräften gemäss eine Spaltung in lauter kleine, mehr oder weniger verschiedene Klümpchen, eben die Zellen, einging und dadurch geschickt wurde, sich besser zu ernähren und zu erhalten. Alle Zellthei- lung aber ist nur der Ausdruck eines während seines Wachsthums sich sofort gliedernden Protoplasmahaufens. Sie ist nur eine nach einer ge- wissen Richtung hin weiter fortgeschrittene Zellensprossung, wie diese umge- kehrt eine nicht so weit gediehene, unvollkommene Zellentheilung darstellt. ÜBER DAS VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. 305 Demzufolge müssen auch die Zellen der beiden Schichten der Area germinativa, jenes Theiles der Blastosphaere, von welchen nach der Bildung derselben allein die embryonale Entwickelung noch vor sich geht, unter einander in Zusammenhang stehen. Und sie stehen in der That auch in Zusammenhang. Die Zellen der beiden primären Keimblätter hängen unter einander zusammen, sei es, dass dies durch die germinativen Fort- sätze von His geschieht, durch welche das zweite primäre Keimblatt überhaupt erst gebildet werden soll, sei es, dass dies schon bei der Blastosphaerenbildung, wo ein Theil der entsprechenden Morulazellen, doch immer noch im Zusammenhange mit den neugebildeten Wandzellen, schein- bar unbenutzt in ihrem Inneren liegen blieb und die Blastosphaere als zweites primäres Keimblatt verdickte, zu Stande kommt. Die Keimblätter, wenigstens das zweite, dehnen sich weiter aus; im Axenstrang bleiben sie mit einander verbunden. Die Zellen dieses verbinden die Zellen jener, in- dem ihre Leiber bald mehr bald weniger mit einander verklebt sind. Durch Zellenwucherung entsteht aus der Masse des Axenstranges das mittlere, entstehen beziehungsweise die beiden mittleren secundären Keimblätter, und dem Gesagten nach müssen auch sie und ihre Zellen mit dem ersten und ehemaligen zweiten, den nunmehrigen beiden äusseren secundären Keim- blättern und ihren Zellen in Zusammenhang stehen. Da die Entwickelung des thierischen Embryo’s von den beiden primären Keimblättern, beziehungs- weise ihren Anlagen ausgeht, und zwar zunächst indem Zellen auf Zellen von denselben vorgeschoben werden, so machen sich die Verbindungen der einzelnen Zellen gewissermaassen von jenen aus. Denken wir uns diese Verbindungen oder Verbindungsstränge, Verbindungsfäden selbst als eine Art Netz, in dessen Maschen die Hauptmassen der Zellen eingebettet sind, so nehmen die Fäden dieses Netzes ihren Anfang in jenen beiden primären Keimblättern, wurzeln gleichsam in ihnen. Im Axenstrang entsteht der Axenstreif, die Medullarfurche, das Me- dullarrohr, aus den in letzterem enthaltenen Zellen, ächten vorgeschobenen und mit ihm wie seinen übrigen Abkömmlingen in Verbindung gebliebenen Sprossen des ersten Keimblattes, das Centralnervensystem, Rückenmark und Gehim. Gehirn und Rückenmark sind so nur Erzeugnisse der loealen Wucherung von Verbindungs- beziehentlich verbinden- den Zellen oder Zellengruppen zwischen dem ersten und den übrigen Keimblättern, beziehungsweise ihren Zellen. In ähnlicher Weise entsteht über den Verbindungen zwischen dem vierten secundären und den übrigen Keimblättern, wenn wir His und Häckel folgen, das Gangliensystem des N. sympathicus. Es ist dasselbe das Homologon des Rückenmarks und ist, was dieses für die beiden oberen secundären Keimblätter und deren Abkömmlinge, dasselbe für die bei- Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 20 306 RUDOLF ARNDT: den unteren secundären Keimblätter und die aus ihnen entstandenen Ürgane. Die vorhandenen Verbindungen festigen sich, lockern und lösen sich sogar scheinbar — doch wo letzteres der Fall ist, haben vielleicht nie welche bestanden —; zuletzt hängen alle Keimblätter nur noch durch den Inhalt des Medullarrohres, das spätere Rückenmark, und die Anlage des sympathischen Gangliensystems zusammen, zwischen welchen beiden mit Auftreten der Urwirbel die ehemals mehr gleichmässig fortlaufende Ver- bindung zwischen oberstem und unterstem Keimblatte unterbrochen und auf einzelne, den Urwirbel entsprechende Züge beschränkt wird. Mit dem Auftreten und der Ausbildung der Urwirbel zerfällt der bis dahin in seiner Zusammensetzung ziemlich gleichmässige und deshalb auch überall ziemlich gleichartig aussehende Körper in eine Anzahl von Ab- schnitten, die sogenannten Metameren. In jedem Metamer entstehen nun zwei Nervenpaare, ein rechts- und ein linksseitiges, welche im Rückenmark zusammentreffen und durch seine Zellenmassen in Verbindung stehen. Wie geschieht das? Nach der gewöhnlichen gang und geben Annahme dadurch, dass die Nerven einfach aus dem Rückenmark hervorwachsen und dabei immer den Ort, die Zellen zu finden wissen, welche sie mit diesem zu verbinden haben. Manche Nerven, wie z.B. der N. vagus, entwickeln dabei eine ganz staunenswerthe Findigkeit, indem sie Lunge, Herz, Magen, Darm, Leber, Nieren zu versorgen und bei den Billionen und abermals Billionen von Individuen, wo das geschieht und geschehen ist, sich noch nicht ein einziges Mal geirrt haben. Die Nerven entspringen nach dieser Annahme auch sammt und sonders im Rückenmark, beziehentlich dem Centralnervensystem überhaupt und endigen an der Peripherie. Die manch- mal sehr verwickelt gebauten Organe wie Retina, Corti’sches Organ, Ge- ruchsorgan, Geschmacksbecher, Pacini’sche Körperchen u. s. w., mittels deren (las dem Anschein nach vor sich geht, heissen deshalb auch ganz all- gemein gerade so wie die schon erwähnten Doyere’schen Hügel und Kühne’schen Nervenendplatten der Muskeln, die es in der That auch sind, Nervenendapparate. Allein das sind blosse Annahmen, welche jeden auch nur einiger- maassen stichhaltigen Beweises entbehren und nur das Herkommen für sich haben. Was sich allein beweisen lässt, ist, dass das Nervensystem sich von der Peripherie, den beiden äusseren Keimblättern, her entwickelt und darum von diesen aus auch seinen Anfang nimmt. Die sogenannten End- apparate der sensiblen Nerven sind demnach auch in Wirklichkeit nicht End-, sondern vielmehr Anfangs- oder Aufnahmeapparate — mehrfach sind sie neuerdings vom physiologischen bez. psychophysischen Standpunkte aus als Aufnahmestationen der jeweiligen Reize bezeichnet worden — und das ÜBER DAS VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. 307 ganz dem physiologischen Zwecke entsprechend, dem sie dienen. Denn allen Anzeichen nach geht das Nervensystem durch blosse Verdickung und Festigung aus den Verbindungen hervor, in welchen die Theilungszellen der verschiedenen Keimblätter und die von ihnen dargestellten mannig- fachen Organe sich von Anfang der Eitheilung an befanden, also aus dem Protoplasmanetze, in das diese Zellen eingebettet erscheinen, und denen beiden wir bereits eingehender unsere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die von der Peripherie, d. i. den beiden äusseren Keimblättern, welche später unter Anderem die äussere und innere Oberfläche des Körpers bilden, die von diesen ausgehenden Verbindungen oder auch Verbindungszüge ver- dicken sich ihren Ursprüngen entsprechend anscheinend herd- oder insel- föürmig und wachsen zu Strängen gesammelt, wie das z. B. die hinteren Wurzeln beweisen, scheinbar dem Rückenmark entgegen. Die hinteren Wurzeln entstehen so entschieden, wie das His erst neuerdings nachgewiesen hat, von der Peripherie zum Rückenmark hin. In Anbetracht dessen sieht es aus, als ob überhaupt wenigstens ein Theil der Nerven zur selben Zeit an verschiedenen Orten entstände. — Die nach der Peripherie, vornehmlich nach den beiden mittelsten Keimblättern und den aus ihnen entstandenen Organen, insbesondere den Muskeln, hinstrebenden Verbindungszüge verdicken sich vom Rückenmark her: es sieht darum aus, als wüchsen die Nerven einfach aus demselben hervor, was für einen Theil bis zu einem gewissen Grade auch wirklich der Fall ist. Dabei werden die vorderen Wurzeln be- kanntlich früher als die hinteren, und die hinteren früher als die sie er- zeugenden peripherischen Nerven sichtbar. Warum? Die sogenannten Nervenwurzeln entwickeln sich offenbar aus den vereinigten Zellenzügen, durch welche nach Schluss des Medullarrohres und dem Auftreten der Ur- wirbeln, die peripherischen Keimblätterzellen mit dem im Medullarrohr liegenden durch die Urwirbel hindurch im Zusammenhang bleiben. Die stärkere Inanspruchnahme, Reizung der Zellen bedingt verstärkte Functio- nirung und auf Grund des dabei verstärkten Stoflwechsels verstärktes Wachs- thum. Die Reizung der Nerven bildenden Zellen ist am grössten im Cen- tralorgane, wo die zugeführten Reize gehemmt, die sie repraesentirenden lebendigen Kräfte, actuelle Energien, in Spannkräfte, potentielle Energien umgewandelt werden. Unter dem Druck dieser letzteren, der einen er- höhten Reizzustand bedingt, wachsen die Nervenzellen, durch welche die bezüglichen Reize wieder nach der Peripherie abgeführt werden sollen, im verstärkten Maasse und verdieken und festigen ihre entsprechenden Ver- bindungen in dem Grade, als dies geschieht. Daher erscheinen also die vorderen Wurzeln der Zeit nach vor den hinteren. Die hinteren Wurzeln wachsen aus den @gl. intervertebralia, Vorwerken des eigentlichen Central- organs, aber für die von der Peripherie kommenden Fasern schon Central- 20* 308 RUDOLF ARNDT: organ selbst, hervor, und darum werden sie, die Wurzeln, auch früher sichtbar als diese, die Nerven, welche ebenfalls von ihrer Ursprungsstätte aus, die gewissermaassen für sie auch Centralorgane sind, oder wenigstens doch das, was man gewöhnlich mit solchen verbindet, zuerst zur Erschei- nung kamen. Im Uebrigen, wenn das einmal nicht der Fall ist, sondern die Nerven dem Anschein nach ganz unregelmässig auftreten, bald hier ein Theil derselben bald dort, so thut das nichts zur Sache; wir können uns nach dem Besprochenen denken, wovon das abhängt. Ungleichmässig- keiten in der Leitung in Folge ungleichmässiger Vertheilung der Wider- stände, welche zu Hemmungen führen, die wieder Reizzustände setzen, unter deren Herrschaft die Entwickelung am bezüglichen Orte schneller vor sich geht, sind die Ursachen davon. Die von der Peripherie kommenden. und die nach der Peripherie gehenden Verbindungszüge hängen also durch die das Medullarrohr mehr oder weniger erfüllenden Zellen, Wucherungsergebnisse des Axenstreifens beziehungsweise seiner Bildungszellen mit einander zusammen; die ent- sprechenden neu sich bildenden Nerven natürlich auch. Die Wurzeln der- selben sind der endlich deutliche Ausdruck dieses Zusammenhanges, der seiner Dünn- und Zartheit halber in den ersten Entwickelungszuständen bloss eine Zeitlang unsichtbar wurde oder auch unsichtbar blieb. Dabei ist noch in Rücksicht zu nehmen, dass bei den Entwickelungsvorgängen zahl- reiche Verschiebungen von Zellen aus einem Keimblatt in das andere er- folgen, wie bei Bildung des Urnierenganges solche vom obersten, dem ersten secundären Keimblatte bis in das Bereich des untersten, des vierten secun- dären Keimblattes, und bei Bildung der Gefässe solche des untersten, vierten secundären Keimblattes bis geradezu in das oberste, erste secundäre be- ziehungsweise dessen Bildungen hinein, dass ferner auch Zellen des ersten und vierten secundären Keimblattes, welche ihren ursprünglichen d.i. . Empfindung auslösenden Charakter mehr oder weniger bewahrten, in die beiden mittelsten secundären Keimblätter nebst ihren Abkömmlingen ge- rathen, und dass alle diese Zellen, welche dennoch später sich in einem ganz bestimmten Zusammenhange mit anderen oft weit entlegenen erweisen, wie die der Genitalien mit denen der Milch- und Speicheldrüsen oder den Ärrectores pilorum, dass diese durchaus von vornherein in dem besagten Zusammenhang gestanden haben und geblieben sein müssen. Denn ein Anderes ist nicht denkbar, wenn wir unserer Logik nicht Zwang anthun und ein vitalistisches Prineip, das leicht auch zu einem animistischen und mystischen überhaupt werden kann, für sie bei ihren Verschiebungen so- wie späteren Verwachsungen annehmen wollen. Ich schliesse mich nach alledem in der Hauptsache ganz und gar an Hensen an und thue das um so lieber, als ich unabhängige von ihm zu ÜBER DAS VALuı-RiTtTer’schE GESETZ. 309 den bezüglichen Anschauungen gekommen bin, die ich schon in meinem Lehrbuche der Psychiatrie (Wien und Leipzig 1883) und meiner Neurasthenie (Wien und Leipzig 1885) zur Grundlage meiner ganzen bezüglichen Dar- stellungen gemacht habe. Denn diese Anschauungen sind meines Erachtens ein Postulat gerade so, wie, dass um die Wirkung in die Ferne zu be- greifen, ein verbindendes Medium vorhanden sein müsse, dass um Ohemis- mus, Licht, Wärme, Elektrieität, Magnetismus zu erklären, ein Aether an- genommen werden müsse, dass um die Vorgänge im Gehirn und Rücken- mark zu verstehen, die Zellen derselben untereinander verbunden sein müssen. Im Uebrigen schliessen sich die von Hensen und mir erforderten Anschauungen ganz denen v. Baer’s an, der wollte, dass die Nerven in allen ihren Theilen an Ort und Stelle durch blosse Differeneirung des vorhandenen Bildungsmaterials entstünden, und finden meiner Meinung nach ihre Be- stätigung 1. durch einen Ausspruch von Kölliker,!' nach welchem die Spinalnerven (motorischen Nerven?) zwar vom Rückenmark nach der Peri- pherie hin vorwärts wachsen, aber in Bahnen, die bereits angelegt sind, und 2. durch die Untersuchungen von Lahousse,? nach dem die periphe- rischen Nerven zwar auch vom Centrum her nach der Peripherie hin sich entwickeln, aber auf Kosten des Protoplasma’s von Zellen, welche vom Rückenmark stammend (warum?) im Mesoblast, den sie zu durchwachsen haben, eingestreut liegen und denen sie wie einem vorgezeichneten \Vege ähnlich wie bei Kölliker folgen. Auch spricht dafür die Neuromuskel- zelle Kleinenberg’s, mit Bezug auf welche C. Gegenbaur? sagt: „Nerven und Muskeln erscheinen von diesem Gesichtspunkte aus als Pro- duete der Sonderung einer und derselben Gewebsschichte, die wir weiter unten als Ectoderm kennen lernen werden. Damit wird zugleich ein phy- siologisches Postulat erfüllt; denn es ist völlig undenkbar, dass der Nerv oder Muskel in ihren Elementen einmal von einander gesondert bestanden, und dass der die Function beider bestimmende Zusammenhang das Er- gebniss einer späteren Verbindung sei.“ Was aber für Nerv und Muskel gilt, das gilt auch für Nerv und Drüse, für Nerv und jegliches Gewebe, sowie seine Zellen, das von ihm beeinflusst wird. Beide müssen nothwendig von Anfang an zusammengehört haben, können nicht erst später zusammen- gewachsen sein, und dieser von Hensen und mir vertretenen Ansicht hat sich in jüngster Zeit auch Ed. Pflüger angeschlossen und ist für ! Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig 1876. 2. Aufl. S. 606. ?® Recherches histologiques sur la genese des ganglions et des nerfs spinaux. Bulletin de " Academie de Medecine de Belgique. 1885. Nr. 5. p. 253. ® Grundriss der vergleichenden Anatomie. Leipzig 1878. 2. Aufl. S. 32. 310 RUDOLF ARNDT: sie in seiner Rectoratsrede: Die allgemeinen LDebenserscheinungen, Bonn 1889, S. 9 ganz und voll eingetreten, so dass diese Ansicht nicht mehr so ver- einzelt dasteht, wie damals:, als ich sie zur Grundlage meiner eben erwähnten Werke machte. Sehen wir uns nun darauf hin die Sache einmal histogenetisch an, namentlich wie das Bildungsmaterial der 'bezüglichen Nerven sich allmählich seordnet hat, so ergiebt sich, dass die beiden Nervenpaare jedes Metamers eigentlich nur ein Nervenpaar sind. Jedes rechtsseitige, jedes linksseitige ist nur scheinbar ein solches, in Wirklichkeit stellt es nur einen Nerven dar, der an verschiedenen Stellen der Peripherie, in Bezug auf das Üen- tralnervensystem sich sammelt, gesammelt anhebt, nach diesem letzteren zieht, durch die sogenannten hinteren Wurzeln als centripetale Fasermasse in dasselbe, insonderheit das Rückenmark eintritt, in diesem, gleichsam wieder aufgelöst, mehr oder minder kurz umbiest, um sich abermals ge- sammelt durch die sogenannten vorderen Wurzeln als centrifugale Faser- masse, zumeist mit der centripetalen in dieselbe Bindegewebsscheide, das- selbe Neurilemm eingeschlossen, wieder nach der Peripherie der nämlichen Seite zu begeben und an ihr, von Neuem aufgelöst und in nahezu dieselbe Anzahl von Aesten zerfallen als der, aus welcher er sich sammelte, indessen an anderen Orten, zu endigen. Im Centralorgan finden dabei mittels der erwähnten Auflösung durch die in ihm vorhandenen Zellenmassen und die aus ihnen entstandenen Nerven wieder zahlreiche Verbindungen statt, unter anderen durch die Commissuren auch solche mit den Nerven der gegen- überliegenden Seite, und so ist, nachdem das Alles sich vollzogen hat, das Nervensystem eigentlich nichts Anderes, als ein System von Verbindungen, das zwischen die verschiedenen Organe des Körpers und deren Elemente, die sie bildenden Zellen, eingeschaltet ist. Die Einrichtungen des Central- nervensystems, durch welche, wie die auf- und absteigenden d. i. die hinteren, vorderen, die Seitenstränge, auch die verschiedensten Verbindungen zwischen den einzelnen Metameren hergestellt werden, bringen es so mit sich, dass, wie Physiologie und Pathologie lehrt, wenn auch auf weiten Umwegen, so doch jede Zelle des Körpers mit jeder anderen desselben verbunden ist. Das Centralnervensystem ist somit mehr ein Reflexorgan als ein automatisch wirkendes. Es dient dazu, die auf den jeweiligen Körper wirkenden Reize der Aussenwelt, die als Reize wirkenden Vorgänge in seinen einzelnen Or- sanen auf seine übrigen Organe zu übertragen und sie in ihnen je nach ihrer Natur zu verwerthen und zur Geltung zu bringen. Der nicht zu leugnende Einfluss des Nervensystems und besonders des Centralnerven- systems auf den übrigen Körper und seine Organe beruht also wesentlich auf einer Reiz- beziehungsweise Kraftübertragung, und die automatische Thätigkeit, welche man ihm zuschreibt, beziehentlich zuschrieb und aus der ÜBER DAS VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. 34 Autonomie seiner Zellen erklärte, ist lediglich hierauf zurückzuführen. Die Reflexvorgänge namentlich unter pathologischen Verhältnissen beweisen das insbesondere. Man denke nur an die schweren Störungen des Allgemein- verhaltens, welche durch Reizungen des Verdauungsapparates hervorgerufen werden, an die Gichter und Fraisen in der Zahnungsperiode, an die Krämpfe bei Würmern im Darmcanale, an die Hirnreizung bekundenden Symptome bei katarrhalischen Vorgängen in demselben, an den Tod bei der Defaecation, welche Affeetionen alle bis vor kurzer Zeit für den Ausdruck schwerer Hirn- und Rückenmarksleiden, Hyperaemie, Anaemie, Miningitiden, Ence- phalitiden, Myelitiden angesehen wurden, aber wie Hunderte von Fällen ergeben haben, auch nicht das Geringste mit ihnen in anatomischer Be- ziehung gemein haben. Dazu kommt, dass auch bei wirklich vorhandenen pathologischen Veränderungen des Gehirns und Rückenmarkes, bei un- zweifelhaften Degenerationszuständen derselben eine Reihe von Vorgängen gar nicht auf ihre automatische Thätigkeit zu beziehen sind, wie das ge- meinhin angenommen wird, sondern dass selbige ebenso reflectorisch ent- stehen, wie wohl so ziemlich alle anderen. Dahin gehören z. B. die leicht eintretenden Zuckungen bei Gehirn- und Rückenmarkskranken, welche beim Einschlafen, bei beabsichtigten Bewegungen und dergleichen Umständen eintreten, und von denen ich mich wiederholt auf das Unzweifelhafteste überzeugt habe, dass sie auf äusseren, wenn auch noch so unbedeutenden Veranlassungen, wie z. B. dem veränderten ganz leichten Druck, durch ver- ändertes Sitzen, Liegen, Tragen eines Kleidungsstückes u. s. w. beruhen. Sie kamen auf diese für gewöhnlich nur nicht beachtete Veranlassung bloss darum zu Stande, weil der Reflexbogen im erkrankten Gehirn oder Rücken- mark erregbarer, weil widerstandsloser, nicht aber weil ihre Automatie grösser geworden war. a Niehtsdestoweniger können allerdings statt der am Ursprunge der Nerven angreifenden Reize auch solche, die erst in ihrem weiteren Ver- laufe, in ihrer Leitungsbahn einsetzen, alle die Vorgänge zur Folge haben, zu deren Ausführung der einzelne Nerv gewissermaassen berufen ist. Wenn nun diese Reize im ÜÖentralnervensystem, durch das Blut ihm zu- geführt oder durch Gewebsveränderungen in ihm veranlasst, unmittelbar sich geltend machen, so kann es allerdines aussehen, als ob selbiges automatisch wirke, und auf solchen einschlägigen Wahrnehmungen sowie den nicht richtig gedeuteten der letztbesprochenen Art beruht denn wohl auch zum grossen Theil wenn nicht vielleicht ganz allein, die herrschende Lehre, dass die Thätigkeit des Centralnervensystems eine zum Mindesten vorzugsweise automatische sei. Was von dem Üentralnervensystem, von Gehirn und Rückenmark gilt, das gilt, nebenbei gesagt, auch von dem sympathischen Gangliensystem. 312 RUDOLF ARNDT: Auch dieses ist nur ein Reilex- und nicht ein automatisch wirkender Apparat. Seine Nerven fangen auch an der Peripherie, im vierten secundären Keim- blatt, beziehentlich seinen Bildungen, sowie in seinen durch Verschiebung in andere Keimblätter gerathenen unveränderten oder nur wenig ver- änderten Abkömmlingen an, ziehen nach den einzelnen Knoten des Ganglien- systems, in welchen sie in die vorhandenen Nervenzellen übergehen, um aus diesen wieder auszutreten und sich wieder nach der Peripherie in die Organe, die sich aus dem dritten secundären Keimblatte entwickelt haben, zu begeben. Durch die Aami communicantes finden dabei Verbindungen beziehungsweise Austauschungen von Elementen des N. sympathicus und des Centralnervensystems statt, so dass im den Bahnen jenes cerebrospinale und in den Bahnen dieses sympathische Nervenfasern sich finden, und so wird der Reflexapparat, als welchen wir das Nervensystem und insbeson- dere das Centralnervensystem anzusehen gelernt haben, ein höchst voll- kommener und sein Zweck, wenn ich so sagen darf, jede Zelle des Körpers mit jeder anderen zu verbinden, auf’s vollständigste erreicht. Doch kehren wir wieder zu unseren in den einzelnen Metameren ent- standenen cerebrospinalen Nervenpaaren zurück! Jedes auf derselben Seite gelegene ist also eigentlich nur Ein Nerv, der im ersten secundären oder sensoriellen Keimblatte, beziehungsweise seiner Gebilde anhebt, nach dem Rückenmarke zieht, in ihm umbiegt und von da vorzugsweise nach dem zweiten secundären Keimblatte und seinen Produceten geht, um in ihnen zu endigen. Der trophische, der motorische, der secretorische Nerv ist somit nur das Ende des sensiblen. Warum der sensible Nerv centri- petal, der trophische, motorische, secretorische centrifugal leitet, wird damit verständlich. Der Nerv leitet von seinem Ursprung nach seinem Ende. Die Versuche von E. du Bois-Reymond, Kühne, Babuchin und Mantey zeigen freilich, dass unter gewissen experimentellen Bedingungen doppelsinnige Leitung der Nerven möglich ist; im lebenden Organis- mus aber leitet der Nerv erfahrungsmässig nur in seiner Entstehungs- richtung. | In der Leitungsrichtung nun stellt der Nerv auch seine Thätigkeit ein, stirbt er ab. Für den centrifugalleitenden ist der Beweis, wie Eingangs erwähnt, erbracht, für den centripetalleitenden fehlt er dagegen und dürfte überhaupt auch nur schwer zu erbringen sein. Dennoch sprechen eine Reihe von Vorkommnissen blos dafür. Abgesehen von den schon mit- getheilten sind es insbesondere die die sogenannten aufsteigenden Nerven- atrophien anzeigenden. Die aufsteigende Atrophie des N. opticus nimmt ihren Anfang in der Retina und schreitet allmählich dem Centralnerven- system zu. Es treten zuerst Functionsschwächen jener auf: Asthenopie, leichte Amblyopie. Dann wird die Amblyopie stärker und geht in Amaurose ÜBER DAS VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. 313 über. Dabei bestehen noch längere oder kürzere Zeit Photopsien, Chroma- topsien, selbst Hallucinationen. Bei der nervösen Schwerhörigkeit und nervösen Taubheit verhält es sich analog. Die von ihr Befallenen ver- nehmen immer schwerer und schwerer, zuletzt gar nicht mehr die Schall- bewegungen, die Geräusche, Töne und Klänge der objectiven Welt. Da- gegen werden sie gequält von allerhand subjeetiven Geräuschen, von Sausen und Brausen, Hämmern und Klopfen, Schiessen und Dröhnen, von Klingen und Singen und Glockenläuten, von Melodien und Lauten allerhand Art bis zu den deutlichsten Worten und Wortverbindungen der Menschen. Beide Vorgänge aber sprechen dafür, dass während der zuführende Nerv von der Peripherie her seine Fähigkeit verliert und endlich verloren hat, die entsprechenden Vorgänge der Aussenwelt zur Perception zu bringen, weiter nach dem Centrum hin und im Centralnervensystem selbst noch das Vermögen besteht zu percipiren und appereipiren. Es giebt Menschen, welche an Hypogeusie und Ageusie leiden. Sie schmecken weder Chinin, noch Coloquinten, noch Pfeffer; der durch die Zunge, namentlich Zungen- wurzel geleitete galvanische Strom aber ruft den bekannten metallischen Geschmack hervor. Ich sehe darin den Ausdruck der Unerregbarkeit der Geschmackswärzchen beziehentlich Geschmacksbecher bei noch wenigstens einigermaassen erhaltener Erreebarkeit der sie mit dem Gehirn verbin- denden Nervenfasern. Ebenso giebt es Hyposmien und Anosmien, bei denen Rosenöl, Asa foetida, Aether und Ammoniak, Schwefelammoniak, Schwefel- kohlenstoff wenig oder auch gar nicht mehr gerochen werden, der elektrische Strom aber durch die Nase geleitet noch jenen erfrischend säuerlichen Ge- ruch erzeugt, der von ihm wohl ziemlich allgemein bekannt ist. Auch hier glaube ich, dass die Sache so liegt, dass die peripherischen Apparate der Ge- ruchsnerven, die Riechzellen der Schneider’schen Membran unempfindlich geworden sind, während die Stämme derselben noch mehr oder weniger erregbar geblieben sind und den an sie einsetzenden elektrischen Reiz weiter leiten. Den Neuropathologen wohl bekannt ist eine /mpotentia virilis, welche durch Faradisirung der Genitalien meist schnell geheilt oder doch wenigstens erheblich gebessert wird. Die herrschende Ansicht darüber ist, dass diese Impotenz local verursacht sei und zum Wenigsten der Haupt- sache nach durch die örtlichen Hyp- oder Anaesthesien, zumal der Glans, doch auch des Scrotum, des Perinaeum bedingt werde, welche sich bei ihr vorfinden. So leicht nun diese Impotenz gebeilt oder doch gebessert wird, ebenso leicht kehrt sie wieder, je öfter, in um so kürzerer Zeit und dann in der Regel auch um so länger anhaltend und schwieriger zu beseitigen. Endlich wird sie dauernd und ist durch nichts mehr zu beheben. Eine Reihe von anderen Symptomen zeigen an, dass die Ursache davon jetzt in den Centralorganen des Nervensystems liegt. Die zuerst locale peripherische 314 RUDOLF ARNDT: Hyp- oder Anaesthesie, wenigstens der sexuellen Empfindungsnerven, ist eine mehr allgemeine geworden und hat dabei auf das (entralnervensystem sich fortgepflanzt. Ebenso liest es auch bei der senilen Impotenz. Auch sie entwickelt sich aus einer an der Peripherie der sexuellen Empfindungs- nerven beginnenden Hyp- und Anaesthesie. Während dieselbe oft schon recht weit gediehen ist, bestehen auf Grund gesteigerter Erregbarkeit, welche der verminderten und aufgehobenen vorangeht, im Centrum noch entsprechende Vorgänge, die in lasciven Vorstellungen und Strebungen vielfach ganz abnormer Art ihren Ausdruck finden; endlich hören auch diese auf und an die Stelle früherer Lüsternheit tritt die Keuschheit des höheren Alters als endlicher Sieg der Tugend über das Laster. — Bei manchen Formen der Zabes dorsualis, die sich vorzugsweise, wenn nicht überhaupt von der Peripherie her entwickeln dürfte, besteht an der Peri- pherie, an den Fusssohlen, den Zehen, am kleinen, am Ringfinger Hyp- oder vielleicht Anaesthesie, im Verlauf der Nervenstämme, der Nn. peronaei, ulnares dagegen, wie namentlich elektrische Reizungen derselben lehren, wenigstens relative Hyperaesthesie. Endlich verschwindet auch diese, Hyp- und Anaesthesie treten an ihre Stelle, und man kann die betreffenden Tabiker reizen wie man will, sie fühlen nichts mehr. Die ursprünglich bloss peripherische Anaesthesie ist eine Leitungsanaesthesie und schliesslich auch eine centrale und damit, wenigstens in gewissem Umfang, allgemeine geworden. Von ausserordentlichem Belang in dieser Frage sind darum erstens auch die bekannten Gudden’schen Durchschneidungs- und Ausrottungs- versuche sensibler Nerven junger Thiere. Denn es ergiebt sich aus ihnen, dass die Centralorgane des Nervensystems an den Stellen, wo jene in sie einmünden und weiterziehen, in ihrer weiteren Entwickelung zurückbleiben und verkümmern, was wieder darauf schliessen lässt, dass die Autonomie des Öentralnervensystems und seiner Zellen keine sonderliche sein kann, die sensiblen Nerven vielmehr auf das Centralnervensystem und seine Zellen einen durchaus bestimmenden, seine Ernährung regelnden, fördernden oder beschränkenden Einfluss ausüben, dass das Centralnervensystem somit ganz seiner Entstehung gemäss auch im späteren Leben in einem Abhängiekeits- verhältnisse von ihnen steht und nicht umgekehrt, sie von ihm. Die (@udden’schen Versuche scheinen somit auch nur zu beweisen, dass die sensiblen Nerven, um nicht zu sagen die Nerven überhaupt, sich wohl ihre Centralorgane , das Centralnervensystem schaffen, aber nicht umgekehrt dieses sich erst durch Auswachsen seine Nerven erzeugt, von denen es heisst, dass sie ihm dienen, die in der That in ihren centripetalleitenden (liedern es indessen geradezu beherrschen. Und zweitens von kaum min- Jerem Gewicht ist danach die erst kürzlich gemachte wichtige Entdeckung ÜBER DAS VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. 315 von Friedländer und Krause,! welche fanden, dass in dem centralen Stumpf durchschnittener Nervenstämme immer nur die sensiblen Fasern entarten, die motorischen dagegen wohl erhalten bleiben. Friedländer und Krause sind zwar der Ansicht, dass nur diejenigen sensiblen Nerven so entarten, welche mit gewissen zelligen Apparaten, Meissner- Wagner'- schen Tastkörperchen, Krause’schen Endkolben, Pacini’schen Körperchen in Verbindung stehen, während die frei endenden, d.h. die zwischen den Epidermiszellen, beziehungsweise im Zete Malpighi anfangenden unversehrt bleiben, dass also nur einige dieser sensiblen Nerven entarten; doch ist das zunächst nur eine blosse und nicht einmal gehörig gestützte Annahme, und sodann kommt es auch gar nicht darauf an. Was es eilt ist, dass die vom Centralnervensystem aus unzweifelhaft erregbaren und auch erregten mo- torischen, als centrifugalen Nerven bleiben, wie sie sind, die centripetalen hingegen mehr oder minder zu Grunde gehen. Ich ziehe daraus den Schluss, dass diese vom Centrum her nicht erregt werden, sondern dass ihre Erregung nur von der Peripherie her in ihrer Leitungsrichtung erfolgt. Der motorische Nerv stirbt in seiner Leitungsrichtung von seinem Anfang im Centralnervensystem zu seinem Ende in der Peripherie ab. Sollte es beim sensiblen Nerven anders sein? In Anbetracht des schon früher Bei- gebrachten nicht. Auch er stirbt in seiner Leitungsrichtung von seinem histogenetischen Anfange zu seinem histogenetischen Ende, von der Peri- pherie zum ÜCentralorgan hin ab. Man muss sich mit dem Gedanken nur vertraut machen, zu dem uns die Genesis, namentlich die Phylogenesis, un- erbittlich hindrängt: Der N. opticus entspringt nicht im Gehirn, sondern in der Retina, die aus einer lichtempfindlich gewordenen Epidermis, wie sie der Regenwurm an seinen beiden ersten Kopfringen noch aufweist (Hoffmeister, Darwin), entstanden ist, und endigt, aber auch bloss als Optieus, im Gehirn, beziehentlich in seinem Stamme. In der That durch- zieht er es aber bloss, um der Hauptsache nach als N. oculomotorius, troch- learis, abducens wieder an einer anderen Stelle zum Vorschein zu kommen. Der N. acusticus entspringt nicht in der Medulla oblongata, sondern im Corti’schen Organ sowie den Labyrinthzellen, welche ebenfalls aus blossen Epidermiszellen hervorgegangen sind, und endigt in der Medulla oblongata. Aber auch er endist in ihr lediglich als N. acusticus, in Wirklichkeit durch- zieht auch er sie bloss, um anderwärts unter Anderem als N. facialis aus ihr wieder herauszutreten. Ebenso entspringen die Geschmacksnerven durch- aus nicht in der Medulla oblongata, sondern soweit sie wenigstens dem N. glossopharyngeus angehören, in den sogenannten Geschmacksknospen ı C.Friedländer und F. Krause, Ueber Veränderungeu der Nerven und des Rückenmarkes nach Amputationen. Fortschritte der Medicin. 1886. Bd. IV. Nr. 23. 316 RUDOLF ArnDT: Das VALLI-RITTER’SCHE GESETZ. oder Schmeckbechern, von denen Leydig glaubt annehmen zu dürfen, dass sie blosse Modificationen gewisser in der Haut z. B. des Aales, des Frosches vorkommender becherförmiger Organe seien. Sie endigen eher in der Me- dulla oblongata, indessen auch nur scheinbar. Thatsächlich durchziehen sie lediglich dieselbe, um durch die Bahnen des N. glossopharyngeus selbst, der Nn. hypoglossus, facialis wie auch trigeminus als motorische, vaso- motorische, secretorische Nerven ihr Ende in den entsprechenden Gebilden zu finden. Die sensiblen Nerven der Hand, der Finger, des Fusses, der Zehen entspringen nicht im Rückenmark, sondern in der Haut, den Muskeln, den Knochen und sonstigen emfindenden Theilen jener; sie endigen viel- mehr im Rückenmarke, doch nur bei oberflächlicher Betrachtung; in Wahr- heit durchziehen auch sie bloss dasselbe, beziehentlich ist das Rückenmark in ihren Verlauf eingeschaltet, und treten nach seiner Durchsetzung als moto- rische, vasomotorische und secretorische Nerven heraus, um in den Muskeln, Gefässen und Drüsen des Armes und der Hand, des Schenkels und des Fusses zu endigen. Und ebenso entspringen die das Wollustgefühl vermittelnden Nerven nicht im Centralnervensystem, sondern im den Finger’schen Wollustkörperchen der Glans penis et chtoridis. Auch sie durchsetzen nur jenes, das gewissermaassen zwischen sie und die Nn. erigentes penis et clitoridis eingeschaltet ist, um als diese letzteren es zu verlassen, und haupt- sächlich in den entsprechenden Mm. ereciores, die ja beim Manne auch zugleich ejaculatores seminis sind, zu endigen u. s. w. Das Valli-Ritter’sche Gesetz kann somit in der Allgemeinheit, dass es gelten soll, nicht aufrecht erhalten werden. Es gilt für den tro- phischen, den motorischen , secretorischen d. i. den centrifugalleitenden Nerven überhaupt. Für den centripetalleitenden, den sensiblen, den wahren Anfang des centrifugalleitenden, hat es keine Geltung. Allein es kommt wieder zu vollem Gewicht auch für diesen und somit beide Arten von Nerven, wenn wir sagen: „Jeder Nerv stirbt in seiner Leitungsrichtung von seinem Anfang her zu seinem Ende hin ab.“ Untersuchungen über einige intra- und extranucleare Gebilde im Pankreas der Säugethiere auf ihre Beziehung zu der Secretion. Von Dr. C. Melissinos, Assistenten an der histologischen Abtheilung des anatomischen Instituts, Mitgetheilt von R. Nicolaides. (Aus dem physiologischen Laboratorium der Universität zu Athen.) (Hierzu Taf. III.) Einleitung. Es ist bekannt, dass Gaule! und Nussbaum? fast gleichzeitig einen neuen Bestandtheil in den Pankreaszellen beim Frosch und anderen Amphibien, den sie Nebenkern nannten, entdeckt haben. Ueber die Bedeutung der Nebenkerne bei der Secretion hat Ogata°® unter Gaule’s Leitung experimentelle Untersuchungen angestellt und ist zu dem Resultate gelangt, dass die Nebenkerne entweder sofort zu Zymogenkörnern zerfallen, oder sich vorher zu vollständigen Zellen ausbilden. Die von Ogata nur bei Kalthlütern gemachten Beobachtungen über das Schicksal der Nebenkerne veranlasste ich Hrn. Dr. ©. Melisinos, welcher früher bei mir Assistent gewesen ist, bei Säugethieren zu prüfen. Seine Resultate, welche wesentlich, wie in den folgenden Zeilen auseinander gesetzt ! Gaule, Kerne, Nebenkerne und Cytozoen. Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 1881. 8. 561. 2 Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXI. S. 343, ® Ogata, Die Veränderungen der Pankreaszelle u.s. w. Dies Archiv. 1883. S. 405. 318 R. NICOLAIDES UND Ü, MELISSINOS: wird, von denjenigen Ogata’s abweichen und welche eigene Gesichtspunkte eröffnen, theile ich heute ausführlich mit.! Methode. Unsere Untersuchungen sind an Hunden angestellt. Um die Drüse in den thätigen Zustand zu bringen, haben wir uns bedient: 1. der normalen Reize durch die Fütterung, 2. der Vergiftung durch das Pilocarpin. Vor der Fütterung bez. vor der Vergiftung durch das Pilocarpin liessen wir die Hunde 15—24 Stunden fasten. Die von uns geübte Be- handlung des Pankreas ist dieselbe wie die in der Abhandlung von Ogata angegeben. Wir eröffneten während tiefer Chloroformnarkose rasch die Bauchhöhle des Thieres, schnitten aus dem Pankreas kleine Stücke ab und fixirten sie mittels einer concentrirten Sublimatlösung in der Wärme. Wir vermochten aus dem in dem Paraffin eingebetteten Praeparate Schnitte von U oo bis Yo” Dicke anzufertigen. Die Schnitte wurden dann mit Alkohol oder viel besser mit einem Tropfen Collodium auf dem Objectträger an- geklebt und der Einwirkung verschiedener Farbstoffe unterworfen. Von Farbstoffen benutzten wir Haematoxylin, Eosin und Safranin. Die Con- centrationen der Lösungen war die von Ogata angegebene. Da wir von Anfang an eingesehen haben, dass die extranuclearen Ge- bilde in Bezug auf Structur Form und Farbenreaction sehr mannigfaltig sind, haben wir uns alle Mühe gegeben, sämmtliche typische Formen in den Abbildungen zu reproduciren. Dadurch vermochten wir auf der Tafel wie auf einer photographischen Copie alle Einzelheiten der Gebilde zu über- sehen und das eine oder andere Bild besser in der Vorstellung zu fixiren. Wir arbeiteten mit der Leitz’schen Oelimmersion !/,, und Ocular 1 oder 3. Die erste Combination entspricht einer Vergrösserung von 1200 Mal, die zweite einer solchen von 1700. Die Resultate unserer Untersuchungen werden wir in folgenden Abschnitten besprechen: I. Die intra- und extranuclearen Gebilde, II. Die intra- und extranuclearen Gebilde im thätigen und im ruhen- den Zustande der Drüse, III. Betrachtungen über den Ursprung der extranuclearen Gebilde. I. Die intra- und extranuclearen Gebilde. Die Gebilde, welche in den Pankreaszellen vorkommen, kann man in intranucleare und extranucleare Gebilde theilen. ! Eine vorläufige Mittheilung ist im Centralblatt für Physiologie, 16. März 1389, Nr. 25 gemacht. ÜBER GEBILDE IM PANKREAS DER SÄUGETHIERE. 319 l. Intranucleare Gebilde. a) In den Kernen sieht man ganz deutlich mit Eosin gefärbte Plasmo- somen in Form von kleinen oder grösseren Kügelchen, welche etwas höckerig aussehen und neben den violet (durch Haematoxylin) gefärbten Karyosomen oder am Rande des Kernes liegen (vergl. Fig. 1). b) Sehr oft, besonders bei pilocarpinisirten Hunden, bekommt man Kerne zu Gesicht, in denen man alle Stadien der Entstehung des Neben- kernes aus dem Plasmosoma verfolgen kann. In einigen Kernen sieht man nämlich, dass das Plasmosoma die Kernmembran ausstülpt, in anderen, dass die Kernmembran aufgebrochen ist und das Plasmosoma theilweise inner- halb, theilweise ausserhalb des Kernes liegt und mit dem letzteren durch feine Fädchen zusammenhängt (vergl. Fig. 2, 3). Endlich trifft man Kerne, bei denen das Plasmosoma von dem Kerne abgeschieden ist und ausser- halb des Kernes als Nebenkern liegt. Platner! hält das Auswachsen des Plasmosoma’s aus dem Kerne, wie es Ogata in den Pankreaszellen des Frosches beschreibt, als Artefact und glaubt, dass das Messer das Plasmosoma herausreisst. Dass die Plasmo- somen aus dem Kerne austreten, zweifle ich nicht und werde weiter unten bei der Beschreibung der Erscheinungen, welche die Pankreaszellen bei pilokarpinisirten Hunden darbieten, Beweise darüber bringen. Ueber den Modus aber, sowie über die Kräfte, welche die Abscheidung des Plasmo- soma’s vom Kerne bewirken, kann ich keine Auskunft geben. 2. Extranueleare Gebilde. P= Ausser den Nebenkernen trifft man ausserhalb des Kernes eine Reihe von Gebilden, welche in Bezug auf Form, Farbenreaction und Structur sehr verschieden sind und welche sich mit einer hellen Zone umgeben. Ge- wöhnlich kommen bis drei solche Gebilde in einer Zelle vor, manchmal aber trifft man einen Haufen von diesen Gebilden, die verschiedene Formen darbieten. Sie lagern sich meistenstheils in der Nähe des Kernes und nehmen einen Theil des Protoplasma’s ein, welches ihnen Platz macht. Um eine Vorstellung von diesen Gebilden zu geben, will ich eine Reihe von typischen Formen etwas ausführlicher beschreiben, indem ich von den ein- fachsten zu den verwickeltsten Formen derselben übergehe. a) Am einfachsten erscheinen die betreffenden Gebilde in Form von kleineren oder grösseren Kugeln, welche ganz gleichmässig mit Eosin oder ! Platner, Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Theilung. Archiv für für mikroskopische Anatomie. Bd. XXXIH. S. 180. : 320 R. NICOLAIDES UND Ü. MELISSINOS: Safranin sich färben und frei von jeglichen Anhängseln sind (vergl. Fig. 5). Gebilde dieser Art sind manchmal in grosser Anzahl vohanden, so dass das ganze Protoplasma von ihnen eingenommen ist und der Kern nach der Peripherie zu verdrängt ist (vergl. Fig. 7). b) Sehr oft kommen runde Gebilde von verschiedenen Grössen vor, deren Substanz körnig ist. Die Körner sind etwas kleiner als die Zymogen- körner, sie färben sich aber wie diese roth (vergl. Fig. 8). c) In einer besonderen Gruppe reihen wir diejenigen extranuclearen Gebilde, welche von verschiedener Grösse sind und welche zwei, drei, seltener mehrere violet gefärbte Körperchen in ihrem rosagefärbten Leibe erschei- nen lassen. Die violetten Körperchen sind bald rundlich, bald eckig, bald liegen sie enge zusammengedrängt, bald durch weitere Entfernungen von einander getrennt (vergl. Figg. 4, 6). d) Zur vierten Gruppe gehören solche Fälle, wo in der Mitte des Ge- bildes ein scharf abgegrenzter Körper existirt, welcher aus zwei Theilen be- steht; der eine ist violet, der andere dunkelroth gefärbt (vergl. Fig. 10). e) Als fünfte typische Form gilt der Fall, wo in der Mitte rosa ge- färbter Gebilde ein Kranz auftritt, welcher aus violetten Körnchen besteht, die mit einander durch feine Fädchen verbunden sind (vergl. Fig. 13). f) In einer besonderen Gruppe rechnen wir diejenigen extranuclearen Gebilde, welche nicht, wie die schon beschriebenen, roth, sondern gleich- mässig violet gefärbt sind. Solche Gebilde kommen sehr oft zwei neben- einander vor, und, wie alle extranuclearen Gebilde, umgeben sich auch diese mit einer hellen Zone (vergl. Fig. 11). &) Endlich erwähnen wir eine Form von extranuclearen Gebilden, welche man an der Grenze der inneren und äusseren Zone der Zelle, dort also, wo der Kern zu liegen pflegt, trifft. Sie bestehen meistentheils aus Sichel, kleiner Kugel, welche das Aussehen eines Kernkörperchens darbietet, und feinkörniger rosa gefärbter Masse (vergl. Fig. 14). Diese Gebilde sind höchst wahrscheinlich nichts anderes, als metamorphosirte Kerne. Ich werde auf diese Form, welche einen sehr wichtigen Wink zur Erklärung des Ur- sprunges der extranuclearen Gebilde giebt, weiter unten zurückkommen. Die oben beschriebenen Gebilde, von deren Auffassung weiter unten berichtet wird, kommen im ruhenden sowie im thätigen Pankreas vor, nur dass sie in der thätigen Drüse am zahlreichsten auftreten, wie es im nächsten Abschnitte bewiesen wird. ÜBER GEBILDE IM PANKREAS DER SÄUGETHIERE. 321 II. Die intra- und extranuclearen Gebilde im thätigen und im ruhenden Zustande der Drüsen. Wie verhält es sich nun mut den beschriebenen Gebilden während der Seeretion der Drüse? Darüber kann die Vergleichung der Erscheinungen des Pankreas während seiner Thätigkeit mit denjenigen seiner Ruhe Rechen- schaft geben. Wie gesagt, um die Drüse in den thätigen Zustand zu bringen, bedienten wir uns 1. des normalen Reizes durch die Fütterung, 2. der Vergiftung durch das Pilocarpin. Die Erscheinungen, welche das Pankreas während der Verdauung und während der Vereiftung darbietet, sind wegen der stärkeren Wirkung des Pilocarpins nur quantitativ ver- schieden. A. Erscheinungen des Pankreas während der Verdauung. Die Hunde sind nach 24stündigem Hunger mit gemischter Kost, welche aus Fleisch, Fett und Brod besteht, und in verschiedener Zeit nach der Fütterung getödtet. Das Pankreas wurde nach der in der Einleitung angegebenen Methode behandelt und in einer grossen Anzahl von Serien- praeparaten wurde dann untersucht, wie viel auf je 10000 Kerne von den schon beschriebenen extranuclearen Gebilden in den verschiedenen Stadien des thätigen Pankreas vorkommen. Die gefundenen Zahlen sind verglichen mit denjenigen, welche aus dem Pankreas eines Hundes, der mindestens 24 Stunden gefastet hat, nach derselben Methode eruirt worden. Die Re- sultate sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt: | En Extranueleare ' Blutreichthum Gebildelaufje | des Fankreos | |9.900 Kerne Zustand des Hundes Stunden nach he 162 Fütterung roth 53 23 „ IHN, r sehr roth 18 3.5 » Dh " mässig roth 62 42:6 „ ) » ) mässig roth 56 5. 48 ” „ „ en) | blass 44 Aus diesen Zahlen ersieht man, 1. dass die extranuclearen Gebilde im thätigan Pankreas häufiger sind als im ruhenden, 2. dass die extranuclearen Gebilde schon drei Stunden nach der Fütterung am zahlreichsten sind, 3. dass von dieser Zeit ab ihre Zahl abnimmt. Viel schärfer treten obige Erscheinungen in dem Pankreas der Hunde, welche mit Pilocarpin ver- giftet sind, auf. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthig. 21 322 R. NICOLAIDES UND (C. MELISSINos: B. Erscheinungen des Pankreas nach Vergiftung durch das Pilocarpin. Es wurde den Hunden, welche 24 Stunden gefastet hatten, 0-006 Pilocarpin suhcutan eingespritzt. Schon nach fünf Minuten beginnt die Salivation und manchmal tritt auch Erbrechen ein. Die Hunde sind in ver- schiedener Zeit nach der Einspritzung von Pilocarpin getödtet. Das Pan- kreas wurde in der gewöhnlichen Weise untersucht. Folgende sind die Resultate: | Blutreichthum Extranucleare Zustand des Hundes des Pankreas | Gebilde auf je 10 000 Kerne 1. 48 Stunden nach der Fütterung | Das | 35 2. !/, Stunde nach 0-006 Pilocarpin | roth 90 3. !/, Stunde nach 0.006 Pilocarpin roth 2 BR: Extranucleare Blutreichthum alien Zustand des Hundes des Pankreas 10.000 Kerne 1. 24 Stunden nach der Fütterung blass | 36 2. '/, Stunde nach 0.006 Pilocarpin roth ln 3. ?/, Stunde nach 0.006 Pilocarpin roth - Obige Zellen zeigen sehr evident, dass schon 15 Minuten (Nr. 2) nach der Einspritzung von Pilocarpin die extranuclearen Gebilde sehr zahlreich auftreten und dass sie nach !/, Stunde (Nr. 3) fast vollständig verschwinden In dem letzteren Falle sind die Zellen des Pankreas zusammengefallen. Weder Plasmosomen in den Kernen, noch extranucleare Gebilde, noch Zymogenkörner kann man mehr wahrnehmen, während in dem ersteren Falle, d. h. in dem Pankreas, welcher !/, Stunde nach der Einspritzung von Pilocarpin getödtet ist, alle diese Gebilde zahlreich sind, die Plasmo- somen sogar zeigen alle die beschriebenen Stadien der Abscheidung aus dem Kerne. Dieser Befund zwingt, glaube ich, zu der Annahme, dass die Plasmosomen aus dem Kerne austreten und dass sie wahrscheinlich zu Zymogenkörnern zerfallen. III. Betrachtungen über den Ursprung der extranuclearen Gebilde. Es fragt sich jetzt, woher stammen die extranuclearen Gebilde? Von (lenjenigen extranuclearen Gebilden, welche sich nicht mit einer hellen Zone DD ÜBER GEBILDE IM PANKREAS DER SÄUGETHIERE, 32: umgeben, und welche ganz ähnlich den im Kerne liegenden und mit Eosin sich färbenden Gebilden sind, wurde schon dargelegt, dass sie aus dem Kerne stammen. Nicht so leicht ist aber die Entscheidung für die übrigen extranuclearen Gebilde, welche mit einer hellen Zone umgeben sind. Ogata ist der Ansicht, dass die extranuclearen Gebilde die verschiedenen Phasen, einer Zellenbildung aus den Nebenkernen darstellen. Er denkt sich die Sache in foleender Weise: Die Nebenkerne vergrössern sich und in ihrer Substanz lassen sie Kernchen erscheinen, die sich theils zu Zymogenkörnchen, theils zu Chromatinkörnchen differenziren, worauf letztere zu einem Kerne zusammentreten. Diesen Vorgang bezeichnet Ogata als Zellerneuerung im Gegensatz zu der Zellentheilung. Bei der letzteren entstehen aus einer Zelle zwei, bei der ersteren dagegen tritt an Stelle einer Zelle, die zu Grunde geht, eine andere, es findet keine Zellvermehrung statt, die junge Zelle übernimmt von der alten nur das Plasmosoma, welches sich selber das Zellmaterial bildet. Die Zelltheilung dient also dem Wachsthum, die Zellerneuerung der Secretion des Organes. Diese Ansicht Ogata’s theile ich nicht und zwar aus folgenden Grün- den: Erstens, weil die nuclearen Gebilde, wie sie wenigstens in dem Pankreas der Säugethiere auftreten, sehr verschieden sind und keine Uebergangs- formen von den eigentlichen Nebenkernen zu den vermeintlichen neuen Zellen zeigen, denn neben grossen rosagefärbten, welche in ihrer Sub- stanz violet gefärbte Körner zeigen, sieht man ebenfalls roth gefärbte Gebilde, welche aber sehr klein sind und doch viele violet gefärbte Körner enthalten und neben diesen beiden andere, welche trotzdem, dass sie sehr eross sind, keine Differenzirung in ihrer roth gefärbten Substanz zeigen und dazu noch andere, welche alle die allersonderbarsten Formen dar- bieten. Welche von diesen Gebilden sollen die Uebergangsformen von den Nebenkernen zu den neuen Zellen darstellen? Zweitens, weil das Experiment gezeigt hat, dass die extranuclearen Ge- bilde, welche nach subcutaner Injection von Pilocarpin sehr zahlreich auf- treten, in einem Stadium der durch das Pilocarpin hervorgerufenen Thätig- keit der Drüse verschwinden und in den Pankreaszellen leere Räume hinter- lassen. Drittens, weil die Ansicht Ogata’s, dass aus nur einem Bestandtheile des Kernes, dem Plasmosoma, neue Zellen sich entwickeln können, im 'Widerspruche steht mit unseren Anschauungen über die Entstehung der Zelle. Aus diesen Gründen kann ich nicht die Ansicht Ogata’s wenigstens für das Pankreas der Säugethiere acceptiren. Für mich sind die extra- nuclearen Gebilde, welche sämmtlich durch eine helle Zone von dem Proto- plasma der Zelle sich trennen, und welche sehr manniefaltig sind, verschie- 2ık: 324 R. NICOLAIDES UND Ü. MELISSINOS: dener Herkunft. Einige davon sind vielleicht Ausscheidungen aus dem Protoplasma der Zelle, andere sind in das Protoplasma der Zelle eingewan- derte Leukocyten und noch andere, besonders diejenigen, welche an der Grenze zwischen der äusseren und inneren Zone der Zellen liegen, also dort, wo der Kern der Zelle zu liegen pflegt, regressive Metamorphosen des Kernes, welchen Veränderungen des Kernes Flemming! neuerdings den Namen „Chromatolyse“ gegeben hat. Die in Folge der Chromatolyse, welche vielleicht eine Rolle bei der Secretion spielt, zu Grunde gegangenen Zellen ersetzen sich durch die in- directe Theilung d. h. durch die Pyrenokinese,? welche man im Pankreas des Hundes sehr häufig zu Gesicht bekommt. ı W. Flemming, Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. Archiv für mikro- skopische Anatomie. Bd. XXIX. S. 339—464. ® Das im Deutschen eingeführte Wort Karyokinese ist äusserst falsch, denn Karyokinese bedeutet Bewegung der Nuss (von z«gvo» = Nuss und xivnoıs = Be- wegung). Man muss statt Karyokinese Pyrenokinese (von zwonyv = Kern und zivnoıs = Bewegung) oder richtiger Pyrenokinesie (rvonvozıwnoie) und statt Karyosomen Pyrenosomen schreiben. ÜBER GEBILDE IM PANKREAS DER SÄUGETHIERE. 325 Erklärung der Abbildungen. (Taf. III.) Fig. 1. Kern mit Plasmosoma. Fig. 2. Kern mit Plasmosoma, welches die Kernmembran ausstülpt. Fig. 3. Das Plasmosoma liegt theilweise im Kerne, theilweise ausserhalb des- selben. Fig. 4. Ein grosses extranucleares Gebilde, welches roth und violet gefärbte Körnchen enthält. Fig. 5. Zwei extranueleare Gebilde in der Nähe des Kernes. Fig. 6. Ein grosses extranucleares Gebilde, welches violet gefärbte Körnchen enthält. Fig. 7. Eine Zelle, welche voll von rothen Körnern ist. Der Kern ist nach der Peripherie zu verdrängt. Fig. 8. Ein grosses extranucleares Gebilde, welches ausser vielen rosagefärbten Körnchen einen mit Safranin gefärbten Körper enthält. Fig. 9. Eine Kugel und eine Sichel mit farblosen Körnchen. Fig. 10. Ein extranucleares Gebilde, welches in der Mitte einen Haufen von violet gefärbten Körnchen enthält. Fig. 11. Ein violettes extranucleares Gebilde in der Nähe des Kernes. Fig. 12. Eine Sichel und eine Kugel mit drei violetten Körnchen. $ Fig. 13. In der Nähe des Kernes ein grosses nucleares Gebilde mit einem violetten Kranze in der Mitte. Fig. 14. Gebilde, welches aus Sichel, kleiner Kugel und feinkörniger Masse besteht. Fig. 15. Verschiedene extranucleare Gebilde in der Nähe der Kerne. Ueber einige optische Urtheilstäuschungen. Von Dr. W. Laska in Prag. Hr. F.C. Müller-Lyer hat im vorigen Jahre in diesem Archiv (Supple- mentband, S. 263) einige interessante Beispiele der optischen Urtheils- täuschungen gegeben und dieselben zu erklären versucht. Ich möchte diesmal einige Ergänzungen zu diesem Aufsatze liefern, die nicht uninteressant sein Fig. 2. dürften. Der Satz, dass die Schenkel eines spitzen Winkels kürzer erscheinen, als die eines stumpfen, kann auch umgekehrt werden, wie die nebenstehende Fig. 1 zeigt, in wel- cher zwei schiefe Winkel von verschiaslener Grösse aneinander gereiht sind. Hier er- scheint der Schenkel des spitzeren Winkels länger. Noch auffallender zeigt sich eine Combination, wie sie in der Fig. 2 erscheint. In dieser halter wir den oberen Theil für grösser, als den unteren. Es findet hier das Gegen- theil statt von der Fig. 1. Wie ist das zu erklären ? | Die Erklärung dürfte vielleicht darin zu suchen sein, dass wir gewohnt sind, alle Discontinuitäten, die sich uns darbieten, auf geradlinigem und möglichst kürzestem Wege zu verbinden. Diese Thatsache erklärt nicht nur die vorhergehenden Täuschungen, son- dern auch manche Beobachtungen des Hrn. Müller-Lyer. Wird ein Kreis an einer oder mehreren Stellen unterbrochen, so wird dadurch eine schein- W. LÄSKA: ÜBER EINIGE OPTISCHE ÜRTHEILSTÄUSCHUNGEN. 327 bare Abflachung desselben bewirkt, weil wir im Geiste diese Unterbrechungen zwar durch Kreisbögen zu ersetzen trachten, diese aber keine Kreisbögen sind, sondern zwischen der geraden Linie und dem Kreisbogen schwankende Curven. Die Winkel der Fig. 1 denkt sich das Auge als aus den Schenkeln und deren Projectionen auf die gemeinsame Gerade bestehend, indem es so die Discontinuität der Schenkelenden sich ergänzt. Darum erscheint der spitzere Winkelschenkel länger. Streng genommmen liegt der Er- gänzungspunkt zwischen dem Endpunkte der Projection und einem Punkte, der im Abstande der Schenkellänge von der Spitze liest. Bei der Fig. 2 muss der obere Theil uns länger erscheinen als der untere, weil die Dis- continuität der oberen Schenkelenden eine grössere ist, als jene der unteren, und das Auge bei der Beurtheilung des Ganzen auch diese Discontinuität . sich ergänzt denkt, wodurch die Urtheilstäuschung entsteht. Darum er- scheinen uns auch die Schenkel eines frei- stehenden spitzen Winkels kürzer, als jene des stumpfen, wie auch schon Hr. Müller- wo Lyer bemerkt hat und Fig. 3 erst recht deutlich zeigt. Fig. 3. Recht beweisend für diese Auffassung wird die Fig. 1, wenn man sie auf zweierlei Weise zeichnet, einmal mit zusammenhängenden und sodann mit getrennten Winkeln (vergl. Fig. 4). Bei der Fig. 4a ist der Schenkel des kleineren Winkels scheinbar länger, bei der Fig. 45 scheinbar kürzer als jener des grösseren Winkels, genau so wie es das Princip der kürze- @ sten Verbindung der Disconti- nuitäten, wie ich es nennen will, erfordert. Alle Sinnesurtheile sind H aufzufassen als Producte zweier Fac- toren: der Angewöhnung und der d Umstände Die Angewöhnune ist bei zwei discontinuirlichen Punkten Me durch das Princip der kürzesten Ver- Ha bindung gegeben, während die Umstände die Figur selbst liefert. So z. B. ın dem früheren Falle der Kreisabflachung ist die Angewöhnung durch die verbindende Gerade vertreten, die Umstände dagegen sind es durch den Kreisbogen, der ergänzt werden soll. Demnach muss das Resultat eine Abflachung sein. Eine andere interessante optische Täuschung ergiebt sich, wenn man zwei gleiche Schenkel eines Winkels durch je einen Punkt in ungleichen 328 W. LäÄskA: ÜBER EINIGE OPTISCHE ÜRTHEILSTÄUSCHUNGEN. Abständen erweitert (Fig. 5 A). Sie erscheinen uns sodann ungleich lang, und zwar wird derjenige uns länger zu sein scheinen, zu welchem der nähere Punkt gehört, und dieses um so mehr, je näher der Punkt der Linie liegt. Dabei ist aber wesentlich, dass die Schenkel mit der Gesichtslinie, d.h. mit der auf die Verbindungslinie der beiden Augencentra senkrechten Ebene einen gleichen Winkel bilden, weil die verschiedenen Neigungen gegen die Gesichtslinie (d. h. den Durchschnitt des erwähnten durch den Mittelpunkt der beiden Augencentren gehenden Ebene mit der Papierebene) die Richtigkeit des Urtheils in Bezug auf die Schenkellängen beeinflussen. Um dieses einzusehen denke man in Fig. 5 B die Gesichtslinie durch 4A. B gelegt (d.h. man stelle die Augen so, B dass ihre Axe senkrecht zur Linie AB Fig. 5. geht) und betrachte zwei gleich lange Schenkel eines Winkels, so scheint es, als ob derjenige, welcher mit der Axe AB einen kleinen Winkel einschliesst, länger wäre. Der Grund liest darin, dass das Auge diese Winkelschenkel nach der Art der Coordinaten- geometrie zerlegt; dabei kommt die in die Axe 42 fallende Coordinate der Schenkel mehr in Betracht, d. h. wird intensiver zum Bewusstsein gebracht. Prag, Astronomisches Institut der b. Universität, Februar 1890. Zur Lehre von der Fettresorption. Von Dr.P. v. Walther aus St, Petersburg. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) Die überraschende Beobachtung von I. Munk,! dass nach dem Ge- nuss von fetten Säuren vorzugsweise und reichlich Glyceride mit dem Chylus dem Bilute zufliessen, gab Hrn. Professor C. Ludwig Ver- anlassung, mich zu einigen weiteren Versuchen aufzufordern. Namentlich sollte das Verhältniss zwischen den neutralen und sauren Fetten des Chylus festgestellt und womöglich der Ort ermittelt werden, an welchem die Ueber- führung der fetten Säuren in Glyceride stattfindet. Um der Aufgabe zu genügen bestimmte ich die neutralen und sauren Fette im Magen, Dünndarm und Chylus solcher Hunde, welche seit einigen Tagen nüchtern, ferner welche mit fettfreien Stoffen — Amylon und Hühnereiweiss — und endlich solcher, welche neben den ebenerwähnten Nahrungsmitteln noch mit einer bekannten Menge fetter Säuren gefüttert waren. Die Methoden, welche ich bei der Untersuchung verwendete, habe ich an dem Ende dieser Abhandlung mitgetheilt; den kritischen Leser ersuche ich, sie dort nachzusehen. — Um eine Uebersicht über den freilich nicht allzugrossen Umfang meiner Beobachtungen und ihre Variationen zu ge- währen, gebe ich nun zunächst die Bedingungen an, unter welchen die Versuche angestellt wurden und die Ergebnisse, zu denen sie führten. ! Die Resorption der Fettsäuren u.s. w. Virchow’s Archiv. 1880. Bd. LXXX; — Resorption, Bildung und Ablagerung der Fette u.s. w. Zbenda. 1884. Bd. XCV; — Zeitschrift für physiologische Chemie. 1885. — Zur Fettresorption. Einfluss des Glyeerins, der Fettsäure u.s. w. Pflüger’s Archiv u.s.w. 1889. Bd. XLVI. - 330 P. v. WALTHER: ]J. Nüchterner Zustand. Die Untersuchung desselben erstreckte sich nur auf ein Thier. Nachdem dem Hunde 48 Stunden hindurch die Nahrung vorenthalten gewesen, wurde am dritten Tage sein Ductus thoracicus eröffnet. Im Ver- laufe von 4% wurden 197.58” Lymphe gesammelt; in ihr fanden sich an fetter Säure 0. 1038”, an neutralem Fett 0-338 8m, an Lecithin 0.143 8m; Seife war nur spurweise vorhanden. Magen und Darm enthielten keine Speisereste, dagegen fand sich im Magen an fetter Säure 0.943 8m, an Lecithn 0.160: m und im Darm an fetter Säure 1°0258%, an neutralem Fett 0.6308 m, an Seife 0.0123, an Lecithin 1.439 sm. Il. Fettfreies Futter; es bestand aus Eiereiweiss, Stärke und einem Zusatz von 0.58% an Fleischextract. 1. Das Gewicht der Nahrung betrug 3108". Vier Stunden nach der Fütterung wurde der Duectus aufgesucht und aus ihm im Verlauf von drei Stunden 1288”m Lymphe gesammelt. Sie enthielt an fetter Säure 0.096 sm, an Neutralfett 0282 sm, an Seife 0:002sm, an Lecithin 0-044 sm, 2. Ein kleiner Hund nur zur Prüfung der im Verdauungsschlauch enthaltenen Fette. Futtermenge = 225 sm, Iım Magen fand sich an fetter Säure 0.057 =”, an Leeithin 0.041 sm, — Im Dünndarm an fetter Säure 0-369 sm, an neutralen Fetten 0.044sm; an Seife Spuren, an Lecithin 0.361 sm, 3. Ein kleiner Hund. Alles wie in 2. Es fand sich im Magen an fetter Säure 0-049 sm an Lecithin 0.2253 m. Im Darm an fetter Säure = 0°412®2””, an Seife nur Spuren, an Leeithin — 0.405 8m, III. Nahrung aus Eiweiss, Stärke und fetter Säure. Vier Stun- den nach der Aufnahme des Futters. wurde der Ductus thoraeicus eröffnet. 1. Gewicht der Nahrung 3008” — darin 1008 fetter Säure. Wäh- rend 3% 30” flossen ab 1188" Lymphe. Sie enthielt an fetten Säuren 0.091 2%, an neutralen Fetten 1936 &”, an Seife 0-010 8%, nach Le- cithin wurde nicht gesucht. Es fand sich im Magen an fetten Säuren 36.458m, — Im Dünndarm an fetten Säuren 5-168®"W, an neutralem Fett 1.642 sm, an Seife 0.125 sm, 2. Das Gewicht der Nahrung = 267%, darin 100 8m fetter Säure. In drei Stunden flossen aus dem geöffneten Ductus 93" Lymphe. Sie enthielt an fetter Säure 0-103&%, an neutralem Fett 1-984 8m, an Seife Oislelr rn? ZuR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 331 Im Magen waren vorhanden 55.67 8m fetter Säure. — Im Darm fand sich ein schwer schmelzbarer Körper, aus welchem Fett abzuspalten war. Auf die Beschreibung desselben komme ich später zurück. 3. Das Gewicht der Nahrung = 2368”; darin 50: fetter Säure. In drei Stunden flossen aus dem Ductus thoraeicus 106.58” Lymphe. Sie enthielt an fetten Säuren 0.0828”, an neutralen Fetten 1-800 82", an Seife 0.003 8m, Im Magen fanden sich 18-22" fetter Säuren. Im Darm war ausser einem in Alkohol und Aether löslichem Körper, welcher aber seinen übrigen Eigenschaften nach weder neutrales Fett noch eine fette Säure sein konnte, an Seifen 0.071”. Qualitativ wurden Cholesterin und Leeithin nachgewiesen. 4. Das Gewicht der Nahrung betrug 350 ®””, darin 100 ©” fetter Säure. Aus dem eröffneten Brustgange flossen nur wenige Tropfen Lymphe ab, und dann stockte trotz wiederholter Bemühungen der Strom vollkommen. Unter diesen Umständen musste ich auf die Analyse der Lymphe ver- zichten. Bei der Leichenschau fand sich, dass der Ductus thoracieus auf seinem Verlauf durch die Brusthöhle mit weissem Chylus erfüllt war. Im Magen waren vorhanden an fetten Säuren 47.5lsm und an neutralen Fetten 0.920 2”. — Der Dünndarm enthielt an fetten Säuren 3.280 2 und an neutralen Fetten 4.158, an Seifen 6.590 8m. 5. Gewicht der Nahrung = 370°”, darin 100®"” fetter Säure. Vier Stunden nach der Fütterung wurde der Ductus thoracicus eröffnet, aus dem im Verlauf von vier Stunden 1488"m Lymphe flossen. Sie enthielt an fetten Säuren = 0.1238”, an Neutralfetten 2.032 2%, an Seife 0-12 3” und an Leeithin 0-082 sm. | 2 Im Masen fanden sich an fetten Säuren = 44-625®”%, an Neutral- fetten 8-615®°®. — Im Dünndarm waren vorhanden an fetten Säuren 11.0098”, an neutralen Fetten 10-8508”, an Seifen 3-501 =", an Le- cithin 0.687 em. Zu dieser Beobachtung gehört die Bemerkung, dass der Hund während der Vorbereitung zur Operation sich erbrochen hat. 6. Das Gewicht der Nahrung = 300 s"", darin an fetten Säuren 54-5erm und an Neutralfett 455m, Im Verlauf von zwei Stunden flossen aus dem geöffneten Ductus thoraeicus SO®’"” Lymphe; in ihr fanden sich an fetten Säuren 0-0748”, an neutralen Fetten 1.5688", an Seifen 0.0848" und an Leeithin 0-0738 m. Das Verhältniss der im Chylus vorhandenen freien Fett- säuren zu den Neutralfetten. Der Vergleichbarkeit wegen berechnen = 332 P. v. WALTHER: wir die bei verschiedenen Beobachtungen gewonnenen Zahlen auf je 100 srm Chylus und bilden dann den Quotienten des neutralen in das saure Fett. In 100 Theilen Chylus : Versuchs- | Saneı nummer Nahrung saures Fett |neutrales Fett | neutral erm grm | ° I Nüchtern a 0:05,20, oe 1 ı Eiweiss, Stärke | 0-07 | 0-20 0:35 III 1 ‚Eiweiss, Stärke, 100°" fetterSäure 0-08 | 1.64 0-0 2 2 9100 FR oe zes 0:05 3 En ® DU: 5% | 0-08 | 1:69 0-05 5 = ee Aa 0-08 1-37 0:06 6 a bach: 55 | 0:09 1:96 0-05 45-5 Neutralfett Mit der Art der Fütterung ändert sich, wie vorauszusehen war, das Verhältniss des sauren zum neutralen Fett. Im nüchternen Zustande und nach der Fütterung mit nur Amylon und Eiweiss macht die fette Säure einen grösseren Antheil an dem gesammten Chylusfett aus, als nach der Fütterung mit Fett. Beachtenswerth aber ist es, dass sich an der Ver- hältnisszahl nichts änderte, wenn dem Futter ein reichlicher Antheil neu- tralen Fettes zugesetzt wurde. Für die Veränderlichkeit des Quotienten ist wie ersichtlich der wechselnde Gehalt des Chylus an neutralen Fetten verantwortlich, denn der Procent- satz an sauren Fetten behauptet sich der veränderten Lebensweise zum Trotz stets auf einem nahezu gleichem Stande. Da grössere Mengen von Säure, die in den Darmcanal eingeführt wurden, in neutrales Fett übergeführt werden können, so sollte man er- warten, dass kleine Mengen derselben, insofern sie nicht zur Herstellung von Seifen benutzt wurden, der Umwandlung nicht entgehen könnten. Auffallender Weise geschieht dies nicht. Gleichen aber, woran kaum zu zweifeln, die im Ohylus anwesenden freien Fettsäuren den mit dem Glycerin verbundenen, so dürfte aus dem Umstande, dass gewisse Antheile der im Ductus fliessenden Säuren der Ueberführung in Glyceride enteingen, auf eine besondere Herkunft derselben zu schliessen sein, zum wenigsten dürfte für die Thatsache, dass neben einer grösseren Menge aus dem sauren in den neutralen Zustand umgewandelten Fettes auch unter den günstigsten Bedingungen ein stets gleich grosser Gehalt des Chylus an fetter Säure gewahrt bleibt, die einfachste Erklärung darin liegen, dass jene unverändert gebliebenen Fettsäuren nicht aus den Orten stammen, an welchen die Be- dingungen für ihre Umformung in Glyceride bestehen. ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 309 Die Bildungsstätte der Glyceride. Dem Suchen nach den Be- dingungen, welche das saure in ein neutrales Fett umwandeln, wird die Kenntniss des Ortes Dienste leisten, an dem es geschieht. Indem man, um der Aufgabe zu genügen, dem Vordringen des Fettes Schritt um Schritt zu folgen hatte, wurde es nöthig, nachzusehen, ob nach dem Genuss fetter Säure schon im Magen oder im Dünndarme Neutralfett vorhanden sei. Deshalb wurde acht bis zehn Stunden nach der Fütterung, beziehungsweise unmittelbar nachdem der Chylus gesammelt war, das Thier getödtet, Magen und Dünndarm am oberen und unteren Ende unterbunden, der Inhalt jedes dieser Behälter auf das Sorgfältigste mit 96 procentigem Alkohol aus- gespült und die in ihm enthaltenen Fette bestimmt; mit dem folgenden Ergebniss: En Fett im Magen |Fettim Dünndarm z - | Verfüttertes Fett a | or mer Bemerkungen Zi | grm grm | grm grm | I Ohne Nahrung | 0-9 | 0 1-03 | 0-63 I12| Kein Fett 0:06 0 0-37 6.04 | 3 | | 0-05 0 0-41 70 | III ı Mit 100 = fetter Säure | 36-45 0 5-17 | 1-64 2 042.7100% .; H a De 0 — | — ‚Eigenthümliche Kör- BU REN SON. 5 n 18-20 0 — I = per im Dünndarm. 4| ,„ 100, R 1% | 47-51 0-92 3-28 | 4-15 StockungdesChylus. OD, 44-60 | 8-62 | 11-01 | 10-85 Erbrechen. 6| „ 54-5 „ saurem und , 21-08 20-16 9-64 | 6-00 ‚ 45-.58m neutralem Fett | | Wenn das neutrale Fett im Futter fehlte. so wurde es in der Regel auch im Magen vermisst, fand es sich dort ausnahmsweise, so lag der Verdacht einer Störung vor. Im Magen wurde es einmal angetroffen, wo die Darmschleimhaut nicht resorbirte, so dass aus dem Ductus längere Zeit hindurch kein Chylus abfloss, und ein anderes Mal, wo Neutralfett sich vorfand, hatte das Thier sich erbrochen. Für gewöhnlich wird dem Magen die Fähigkeit versagt sein, das saure in neutrales Fett umzuformen. Ob man aber berechtigt ist, ihn für vollkommen unvermögend zu erklären, wird von der Sicherheit des Nachweises abhängen, dass die im Inneren des Masens gefundenen neutralen Fette dort nicht entstanden, vielmehr aus dem Dünndarm herübergewandert sind. Unzweifelhaft werden jedoch im Dünndarm die fetten Säuren in Glyceride übergeführt. Dafür tritt der Erfolg der Titrirung-mit Rosolsäure in Ver- bindung mit dem . unmittelbaren Nachweis des Glycerins ein. Niemals wurden diese Beweismittel vergebens angewendet, immer, wie auch die 334 P. v. WALTHER: Nahrung beschaffen gewesen, wurden neutrale Fette im aetherischen Aus- zug des Dünndarms angetroffen. Mit einer bisher giltigen Annahme steht der mitgetheilte Befund aller- dings im Widerspruch. Seit der Beobachtung Cl. Bernard’s, dass der Saft des Pankreas neutrale Fette in Säure und Glycerin zerlegt, brach sich die Ueberzeugung Bahn, dass an diese Eigenschaft die Möglichkeit der Aufsaugung von Fetten geknüpft sei. Nun ist dieser Annahme durch die Untersuchungen von Cash! und v. Frey? allerdings der Boden entzogen worden, denn im Chylus findet sich keine Seifenemulsion, die in dem an- gesäuerten Inhalte des Dünndarms auch nicht einmal entstehen könnte. Ausserdem aber liegen auf der Oberfläche der Darmzotten niemals Fett- massen von ähnlicher Zerklüftung wie im Chylus. — Jetzt aber erhebt sich im Gegensatz zu der früheren gar die Vermuthung, dass der Ueber- sang des Fettes in das Zotteninnere durch die Umwandlung der Säuren in eine neutrale Verbindung gefördert werde. Selbstverständlich steht die von mir gefundene Thatsache mit der von Bernard ermittelten nicht im Widerspruch; wohl aber weisen die beiden oben erwähnten in gleicher Weise wie die anatomischen Untersuchungen L. Krehl’s? und Sehrwald’s* darauf hin, dass die Fettverdauung auf etwas mehr als auf einfachen physikalischen Vorgängen beruhe. In dem Glauben, dass der Aufnahme des Fettes in den Binnenraum der Zotte em umfänglicher chemischer Process vorausgehe, bestärkten mich Erscheinungen, welche ich einige Male an dem Inhalte des Dünndarmes von Thieren beobachtete, die mit fetten Säuren gefüttert waren. Während in der Regel der aetherische Auszug aus dem Inhalte des Dünndarmes einen weichen, leicht schmelzbaren Rückstand hinterliess, blieb ausnahms- weise nach der Verdunstung des Aethers eine poröse, schwer schmelzbare Masse zurück, welche sich gar nicht in kaltem und heissem Wasser, da- gegen leicht in absolutem Alkohol löste. Aus der Lösung in möglichst wenig kochendem Alkohol fielen, als sie über Schwefelsäure im Exsiccator stand, schwach gefärbte Krystalle heraus. Nach mehrmalisem Umkrystallisiren errwiesen sich dieselben als frei an S und N. Sie lieferten bei der Elementar- analyse an Ü 66 Procent, an H 10 Procent und 10 Procent einer viel Phosphorsäure haltenden Asche. Der Schmelzpunkt der Krystalle lag bei 103° C., sie erstarrten bei 93°C. — Der Körper gehört also keinenfalls in die Reihe der Fette. Aus der Mutterlauge der Krystalle wurde Cholesterin, Lecithin und eine geringe Menge Neutralfett erhalten. 1 Dies Archiv. 1880. ? Dies Archiv. 1881. ® Dies Archiv. 1890. Anatomische Abtheilung. * Rossbach und Sehrwald, Gesammelte klinische Arbeiten. 1890. 8. 346. Zur LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 335 Ob der beschriebene Stoff zu der Fettverdauung in Beziehung steht, ob sein Vorkommen ein regelmässiges oder nur zufälliges ist, bleibt fraglich. Das Verhältniss zwischen neutralen und sauren Fetten ist im Dünn- darm das Umgekehrte von dem im Chylus. Im Dünndarm überwiegen die fetten Säuren, im Chylus die Glyceride. Hieraus wäre zu schliessen: ent- weder es reicht die Arbeit des Dünndarmes zur Herstellung eines voll- ständigen Chylus nicht aus, — was hier begonnen ward, muss noch an an einem anderen Orte fortgesetzt werden — oder es giebt für die sauren Fette noch einen zweiten Abzugsweg neben dem Brustgang zum Blute hin. Ueber das Verhältniss des mit dem Chylus ausgestossenen Fettes zu dem aus Magen und Dünndarm verschwundenen. Der Gewichtsunterschied des genossenen und des im Magen und Darmcanal acht Stunden nach der Fütterung wiedergefundenen ist in der folgenden Zusammenstellung verzeichnet. E 2 | Wedergeiunere Fettmenge | Yorschwun- 2 = Verabreichte Fettmenge im Magen im Dünndarm as = - gsrm grm Am 100° fetter Säure a eo zen 2 OEL NTNT 55-90 — | p 3 res oh, 20-38 er | 2 4 KOON 48-49 8017 21, 43-50 5 OD | 54-82 DD sa u 7 20:34 6 -|54-5Em saures, 45-5&m neutr.F. | 42-80 15.60, 760 Wenn, was für die grösste Menge desselben vorausgesetzt werden kann, dieim Magen und Dünndarm nicht mehr vorhandenen Antheile des gefressenen Fettes aufgesaugt worden sind, so kann die Bahn, auf welcher sie entfernt wurden, nicht in den Brustgang münden. Denn durch ihn flossen in vier Stun- den, in der Hälfte der Zeit, während welcher das aufgenommene Fett im Thiere verweilte, statt der 40 bis 50 m verschwundenen Fettes nur wenige Gramme ab. Darum, nehme man auch im Widerspruch mit bekannten Erfahrungen an, dass die Bewegung des Fettes vom Augenblick der Fütterung an so mächtig wie zwischen der vierten bis achten Stunde nach ihr gewesen sel, so würde auch die doppelte Menge der durch den Chylus abgeflossenen Fett- menge ; III. 1 = 4.054:8’%, die verschwundene Fettmenge aber 54-45 8” I. 4=0 Pa „ ” „ 4353 „ Te, 74-310, ” > De ea u MR26 3.284, , es h5 „41-60 „ betragen haben. 336 P. v. WALTHER: Ueber das Wie und Wohin das Fett aus dem Darm gekommen sei, lässt sich aus meinen Beobachtungen nichts aussagen, namentlich auch darüber nichts, ob die mit Umgehung des Brustganges einverleibte fette Säure sich mit Glycerin verbunden habe. Ein bis zum gewissen Grade berechtigter Einwand gegen das eben mitgetheilte Ergebniss stützt sich darauf, dass die Untersuchung des Kothes unterblieben ist. Unzweifelhaft würde die Menge des im Darmcanal ver- bliebenen Fettes unter Berücksichtigung des Diekdarminhaltes grösser, der verschwundene Antheil kleiner ausgefallen sein, aber an dem Wesentlichen des Resultates dürfte dadurch kaum eine Aenderung eintreten. Zu diesem Schluss, dass mit dem. Koth nur geringe Bruchtheile der verzehrten Fett- säure abgeführt werden, gelangt man durch die sorgfältigen Beobachtungen von I. Munk, aus denen die vollständige Ausnutzung der sauren Fette hervorgeht. Da mir das Ergebniss meiner Versuche belangreich genug zu sein scheint, um eine Fortsetzung zu verdienen, so wird sich bei einer solchen auch prüfen lassen, welchen Einfluss das Fett des Kothes auf die hin- gestellten Folgerungen zu üben vermag. Um die Betheiligung der Seifen an der Aufsaugung des Fettes zu würdigen, habe ich dieselben in dem Chylus und in dem Dünndarme be- stimmt. Aus der äusserst geringen Menge des verseiften Fettes im Chylus geht ihre Bedeutungslosigkeit für die Aufnahme des Fettes durch die Lymph- gefässe hervor, hiervon überzeugt die nachfolgende Zusammenstellung. | | = = | £ an | Darm 2 = | Alltenung Gesammte Menge | Seife Seife = | grm | grm Proc. grm III 1 Eiweiss, Stärke m. 1008 fetter $., 118 ‚0.010 = 0-008 0-125 2 >» 1005 93 0-117=0.15 — San Oel: 106 10-003 = 0003 — af rt 1 3ER, 0-0 0-0 6-59 5 3 ENT ee 148 (0.012 = 0.008) 3-50 6 DD Dass | und 45-5 Neutralfett so ‚0.084 1-88 Ohne Nahrung | 197 Spuren 0.012 II 1 Eiweiss und Stärke ohne Fett | 128 ‚0.001 — 2 > © 55 r = | nicht gesammelt — Spuren > > » » a ” _ Spuren Im Inhalt des Magens wurden niemals Seifen angetroffen, in dem des Dünndarmes zwar nicht immer, aber doch häufig, dann aber in der Regel ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 337 nur in geringer Menge. Eine Ausnahme bilden auch in diesem Punkte die III 4 und die III 6, in welchen nachweislich die Verdauung und Re- sorption gestört war. Der Beachtung empfohlen sei es, dass sich die Bestimmung des Seifen- gehaltes auf den gesammten Inhalt des Darms, den oberen sauer und den unteren neutral reagirenden bezieht. Das Leeithin. Nachdem sich aus der Untersuchung einiger Lymphen des Ductus thoracicus die ganze Menge der hier vorhandenen Fettsäuren ergeben hatte, hielt ich es der Genauigkeit wegen für nothwendig, eine ge- sonderte Bestimmung des Lecithins vorzunehmen. An die Bestimmung im Chylus schloss sich dann auch die im Magen und Darminhalt. — Ueberall wo sie an den genannten Orten gesucht wurde, geschah es mit Erfolg. Lymphe Kelle) Magen | Darm IE Fütterun Ge- aan ithi z= g sammt- | Leeithin in | Leeithin| Leeithin en menge grm grm Proc, grm grm 1115 [Eiweiss u. Stärke mit 1005 fetter S.| 148 0-082 = 0-05 —_ 0.688 6 Eiweiss u. Stärke m. 54-58 fetter 8. und 45-5 Neutralfett 80 0:073 = 0:096 — 1465 Ohne Nahrung 197 0:143 = 0.070 | 0:160 | 1-439 11 Eiweiss und Stärke ohne Fett 128 0044 = 0:03 —_ —_ 2 Er) > E} ” ” en et 0041 0-361 3 Er} Er) „ PR) Er) | 32-3 m 0) E 225 0 “ 405 Im Chylus war der Procentgehalt des Leeithins zwar ein geringer, aber doch von gleicher Ordnung wie der der fetten Säuren. Gleich den letz- teren war die Reichlichkeit seiner Anwesenheit nicht von der Art der Nah- rung beeinflusst. Im Magen wurde weniger, im Darm mehr an Lecithin gefunden und zwar an beiden Orten, auch wenn sie nüchtern waren. Sonach entstammt es der Absonderung. Weil aber nicht anzunehmen ist, dass die an der Verdauung betheiligten Drüsen das Leeithin im freien Zustande liefern, so kann seine Anwesenheit nur aus den mannigfachen Zellen abgeleitet werden, welche innerhalb des Darmes zu Grunde gehen. Dem gleichen Schicksal, in seine näheren Bestandtheile zerlegt zu werden, entgeht es in Folge der aufsaugenden Thätigkeit der Darmwand. Dem Strom der Nahrungssäfte zurückgegeben, kann das Lecithin neuen Verwendungen entgegengehen. Methoden der Untersuchung. Vor dem Beginn eines jeden Ver- suchs blieben die Hunde zwei Tage hindurch nüchtern. Wenn ihnen nach vorausgegangener Fütterung Chylus entnommen werden sollte, so wurde Archiv f. A. u. Ph. 1890, Physiol. Abthlg. 22 338 ‘ P. v.. WALTHER: 4 bis 4!/, Stunde nach dem Fressen mit der Sammlung des Ausflusses be- gonnen und 2 bis 4 Stunden damit fortgefahren. In diesen Versuchen war mit bekannten Vorsichtsmaassregeln das Curare verwendet und keine Art von passiven Bewegungen ausgeführt worden. Zur Nahrung wurden die fetten Säuren aus käuflichem Schweine- schmalz hergestellt, indem zu 1*sm des letzteren 3 Liter 96 procentigen, auf den Schmelzpunkt des Fettes erwärmten Alkohols und die entsprechende Menge KOH zugesetzt wurden. Die Mischung wurde unter Anwendung eines Rückflusskühlers so lange zum Sieden erhitzt, bis die Verseifung des Fettes stattgefunden hatte. Zum Nachweis der vollständigen Verseifung versetzte ich eine Probe der Flüssigkeit mit Wasser, welche, wenn alles Neutralfett zersetzt war, durchsichtig bleiben musste. Sowie dies erreicht war, wurde ein Theil des Alkohols abdestillirt, und der Rückstand mit dem zwei- bis dreifachen Volumen Wasser vermengt, der Alkohol auf einem nicht bis zum Sieden erwärmten Wasserbade verdunstet. Der übrig ge- bliebenen klaren Seifenlösung wurde so lange HCl zugesetzt, bis kein flockiger Niederschlag mehr entstand. Nach dem Erkalten der Flüssigkeit wurden die schwimmenden Fettsäuren abgehoben und auf bekannte Weise mit destillirtem Wasser von der anhängenden HC] befreit. Die Prüfung auf einen Gehalt von Neutralfetten fiel nach der später zu beschreibenden Methode ablehnend aus. Um den Schmelzpunkt des Gemenges auf etwa 36° zu erniedrigen, setzte ich zu 93="” derselben 7 8"® chemisch reiner Oleinsäure. Den Thieren wurde das Fett gemischt mit Amylon, Hühnereiweiss und einer kleinen Menge Fleischextractes gegeben. Die meisten derselben ver- zehrten nach zwei Hungertagen die vorgesetzte Nahrung begierig, in einem Falle konnte erst nach achttägigem Hungern dasselbe Ergebniss erzielt werden. Je nach der Fütterungsart war der Chylus nur getrübt oder milchweiss gefärbt. Nachdem er vom Gerinnsel befreit war, wurde er in einer Porzellan- schale gewogen und in derselben nach Zusatz von reinem Quarz auf dem Wasserbade unter stetem Umrühren getrocknet. Aus der Schale wurde die trockene Masse in einen Mörser übergeführt und dort zu feinem Pulver zerrieben und dieses nach abermaligem Trocknen in dem bekannten Apparat von Drechsel mit Aether von saurem Fett befreit. Zur vollkommenen Entfettung bedarf es eines fünf Tage langen ununterbrochenen Siedens des Aethers. Der Auszug enthält Neutralfett, Fettsäuren, Cholesterin, Leeithin und dem Anschein nach eine geringe Menge anderer Producte. Um auch die Seifen aus dem Chylus zu gewinnen, wird der unter dem Aether stehende Rückstand getrocknet, mit Wasser übergossen und auf das Wasser- bad gesetzt, bis sich die Seifen aufgelöst haben. Nachdem die letzteren ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 339 durch HÜl zersetzt sind, verfährt man mit Bestimmung ihrer Säuren auf bekannte Weise. In dem aetherischen Auszug des Chylus mussten die Neutralfette und Fettsäuren enthalten gewesen sein. Bei ihrer Bestimmung verfuhr ich da- hin, dass ich den Aether abdestillirte, dann das Kölbchen auf ein nicht zum Sieden erhitztes Wasserbad setzte und durch das Kölbchen mittels eines Aspirators wasserfreie Luft durchführte. Durch diese Vorsicht gelingt es in kurzer Zeit, die Fette zu trocknen und die Umsetzung der neutralen in saure Fette zu umgehen. Der trockene, auf unveränderliches Gewicht gebrachte Rückstand wurde gewogen. Aus dem Gemenge wurden zuerst die Fettsäuren bestimmt, indem man sich eine Auflösung von einem gewissen Volumen, z. B. 100 °m her- stellt. In ihr titrirtt man nach der Methode von Fr. Hofmann,! wobei man zur Festlegung des Titers ein bekanntes Gewicht der fetten Säuren be- nutzt, die verfüttert wurden. Als Indicator wählte ich die von Hofmann vorgeschlagene Rosolsäure.. Um nun auch die Neutralfette zu bestimmen, entfernte ich aus dem vorhin erwähnte Gemenge den Aether, verseifte den Rückstand durch eine Lösung von KÖH in absolutem Alkohol unter stun- denlangem Erwärmen mit Hülfe des Rückflusskühlers. Zu der Seifenlösung fügte ich destillirtes Wasser, stellte das Gemenge auf ein nicht siedendes Wasserbad und brachte es von dort auf einen Scheidetrichter. Die dort vorhandene, von Alkohol befreite, wässrige Seifenlösung wurde dann durch tropfenweisen Zusatz von H,SO, zerlegt. Die ausgeschiedenen Fettsäuren wurden durch wiederholtes Ausschütteln mit Aether entfernt. Es verdient beachtet zu werden, dass in den Aether nur spurweise H,SO, übergeht. Die in der aetherischen Lösung befindlichen fetten Säuren wurden abermals nach dem Verfahren von Hofmann titrirt. Aus dem Unter- schiede des Ergebnisses der ersten und zweiten Titrirung folgte der Gehalt an Neutralfetten des Chylus. In der wässrigen Lösung, aus welcher die sauren Fette mittels H,SO, abgeschieden waren, musste Glycerin enthalten sein, welches nach der Methode von Diez”? nachweisbar sein musste. In allen Fällen wurde auf diese Weise ein entsprechender Glyceringehalt gefunden. Nachdem ich auf die reichliche Anwesenheit des Lecithins aufmerk- sam geworden war, habe ich auch diesen Körper bestimmt. Denn ab- ! Beiträge zur Anatomie und Physiologie als Fesigabe für ©. Ludwig. 1874. S. 134. ? Zeitschrift für physiologische Chemie. 1887. Bd. XI. — Törring, Ueber den Glyceringehalt der Schlempe. Die landwirthschaftlichen Versuchsstationen. Bd. XXXVI. 22* 340 P. v. WALTHER: gesehen davon, dass die Bestimmung des Lecithins für den Stoffwechsel an und für sich werthvoll ist, wird dieselbe in unserem Falle auch zur Nothwendigkeit, weil ihre Vernachlässigung zu einer fehlerhaften Aus- werthung der Fettsäuren führt, da die in diesem Körper enthaltenen fetten Säuren beim Sieden mit Aetzkali frei gemacht werden. Weil bekanntlich aus dem trockenen Rückstande der Lymphe durch Aether nicht alles Lecithin ausgezogen wird,! so behandelte ich denselben noch mit Alkohol. Aus der alkoholischen Lösung bestimmt man auf die früher angegebene Weise die Seifen. Um aus dem in Aether gelösten (Gemenge von Neutralfetten, Fettsäuren und Lecithin das letztere zu be- stimmen, verfährt man nach der Methode von Drechsel wie folgt: Nach Entfernung des Aethers löst man den Rückstand in Alkohol und versetzt diesen so lange mit einer alkoholischen Lösung von Platinchlorid, bis kein Niederschlag mehr erzeugt wird. Den Niederschlag filtrirt man von der künstlich gekühlten Flüssigkeit ab auf ein aschefreies Filter, wo er mit stark abgekühltem absolutem Alkohol vom überschüssigen Platinchlorid be- freit wird. Hiernach wurde er im Exsiceator über H,SO, bei gewöhnlicher Temperatur getrocknet. Die trockene Masse wird im Platintiegel unter Zusatz von kohlensaurem und salpetersaurem Natron bis zur vollkommenen Oxydation geglüht. Das Platin als metallisches Platin, der Phosphor als pyrophosphorsaure Magnesia bestimmt. Da die Menge des Phosphors und des Platins bekannt ist, so kann man aus dem Verhältniss, in dem sie stehen, erfahren, ob die Verbin- dung, aus welcher sie stammen, wirklich Leecithin gewesen sei, denn es muss auf zwei Molecüle -Phosphor ein solches des Platin kommen, also auf 62 Gewichtstheile Phosphor 194 Gewichtstheile Platin. Die auf der folgenden Seite stehende Zusammenstellung, in welcher die ausallen Leeithin- bestimmungen stammenden Zahlen aufgeführt sind, wird den Leser da- von überzeugen, dass der untersuchte Körper wirklich Leeithin gewesen ist. Obwohl die Anwesenheit des Lecithins sichergestellt ist, so bleibt doch die Art derselben fraglich. Meine Berechnungen haben die Voraussetzung von Palmitinsäure-Lecithin. Unmittelbar nach dem Tode des Thieres wurde der Magen am Pylorus, der Dünndarm am untersten Ende zugebunden, mit 96 procentigem Alkohol gefüllt und durch Nachspülen unter Eröffnung der Höhle von ihrem In- halte so vollkommen als thunlich befreit. — Bei der Analyse der ge- wonnenen Massen wurde nach dem schon beschriebenen Verfahren vor- gegangen. ! Schulze und Steiger, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XI. ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. Darin Analysirt ist n 2 ir Pt an P an Pt erechnet 2] Chylus III 5 0-0034 0-0101 0:0032 Darminhalisr ns 0.0284 0-0957 0-0305 Chylus III 6 0:0030 0-0110 00035 Darminhalt „ » 0-0605 0-1864 0.0595 Chylus IL cal 00059 0.0160 00051 Darminhalt ,„, , 0-0594 0-1801 0-0575 Mageninhalt „ , 00066 0-0230 00073 Chylus ur Al 0-0018 0-0081 0:0026 Darminhalt II 2 0-0149 0-0405 0-0129 Mageninhalt . . . 0-0017 0-0086 00027 Darminhalt II 3 00167 0:0548 0-0175 Mageninhalt . 0-0093 0.0327 0.0104 341 Ueber die Gesetze der Ermüdung. Von Dr. Arnaldo Maggiora, Docenten der Hygiene an der K. Universität zu Turin, Nachtrag.! Nach mehr als einem Semester seit der Beendigung meiner ausführ- lichen Abhandlung habe ich eine andere Versuchsreihe mit dem Ergographen unternommen und dabei bemerkt, dass die Kraft meiner Muskeln sich be- trächtlich steigerte. Der Unterschied ist so bedeutend, dass ich mich bewogen fühle, diese Thatsache mitzutheilen. Die hier wiedergegebene Aufzeichnung, welche im März d. J. nieder- geschrieben und einer langen Reihe gleicher Aufzeichnungen entnommen wurde, stellt die Ermüdungscurve des linken Mittelfingers dar, welcher das Gewicht von 3*sm in Ueberlastung mit dem Rhythmus von 2” hebt. Es genügt, diese Aufzeichnung mit einer von denjenigen zu vergleichen, welche unter analogen Bedingungen gemacht und auf S. 206 Fig. 15 meiner Abhandlung dargestellt wurden, um zu sehen, dass die Curve der Ermü- dung sich verändert und dass sich die Kraft fast um’s Doppelte vergrössert hat, so dass die Quantität der geleisteten mechanischen Arbeit jetzt ungefähr 5-901 m ausmacht, während sie früher nur 2.200 sm betrug. Diese Steigerung hängt nicht von der Uebung, aber wahrscheinlich von einer allgemeinen Besserung meines Gesundheitszustandes ab; denn obgleich ich in den früheren Jahren nie krank gewesen bin, so glaube ich doch, dass die Intensität meiner Beschäftigungen und andere mir un- bekannte Ursachen dazu beigetragen haben, die Kraft und die Resistenz meiner Muskeln herabzusetzen. I 8. oben 8. 191—243. ARNALDO MAGGIORA: ÜBER DIE GESETZE DER ERMÜDUNG, 343 >> Ich habe gegenwärtig mein 28. Jahr vollendet; es ist wahrscheinlich, dass auch das Alter auf die erwähnte Aenderung Einfluss hatte. Aehnliche Versuche mache ich jetzt auch an anderen Personen. Jedenfalls ist es be- merkenswerth, dass in so kurzer Zeit sich die Kraft meiner Muskeln änderte, und zwar der Art, dass ich jetzt unter ganz gleichen Versuchsbedingungen mit 6%3m regelmässig fast dieselben Curven erhalte, wie vor 6 Monaten mit 3 kam, Diese Aenderung ist ohne mein Wissen aufgetreten, so dass ich ohne die Versuche mit dem Ergographen bloss mit Rücksicht auf meine ge- wöhnlichen Beschäftigungen und meinen Gesundheitszustand die so bedeu- tende Aenderung in meiner Muskelkraft nicht wahrgenommen hätte. Turin, 20. März 1890. Systematische Untersuchung der Wirkung constitutionell verwandter chemischer Verbindungen auf den thierischen Organismus. Von Woleott Gibbs, M. D., Rumford Professor (Emeritus\ an der Harvard-Universität, und H. A. Hare, M.D., Demonstrator der Therapie und Instructor der physikalischen Untersuchungsmethoden in der medici- nischen Abtheilung, der Physiologie in der biologischen Abtheilung der Universität von Pennsylvanien.! (Fortgesetzt aus dem Supplement-Band 1889. 8. 271—291.) Orthotoluidin. Orthotoluidin, einem Frosch in der Dosis von 0.017 8'= der Verbindung auf das Gramm Frosch in den hinteren Lymphraum eingespritzt, hebt augenblicklich Reflexe und Athmung auf, und das Thier bleibt liegen, wo es hingelegt wird. Muskeln und Nerven reagiren auf Reiz, aber ihre Em- pfindlichkeit ist vermindert, und es macht sich bemerkbar, dass die Reflexe in der hinteren Extremität stärker abgeschwächt sind als in der vorderen. Hierauf verstärken sie sich wieder und werden fast übermässig stark. Zu- gleich ist das Herz sehr geschwächt und bleibt in kurzem, binnen einer Stunde nach Aufnahme des Giftes, in schlaffer Diastole stehen. Die Re- flexe sind noch vorhanden, aber von neuem abgeschwächt. Muskeln und Nerven reagiren schwach noch viele Minuten nach dem Tode. Gaben bis zu 0.001 8” wirken ebenso. ! Nach dem unter dem 24. Februar d. J. eingesandten Manuscript der Verfasser ' übersetzt von Dr. Rene du Bois-Reymond. W. Gısgs v. H. A. HARE: WIRKUNG CONSTIT. VERW. VERBINDUNGEN. 345 Wird ein einzelner Tropfen einem Frosch auf das blossgelegte Rücken- mark gebracht, so tritt sofort Paraplegie ein, indem die Bewegung der vorderen Extremitäten erhalten bleibt. Dass der von uns beobachtete Aus- fall von Bewegung und Empfindung auf einer Beeinflussung des Rücken- marks beruht, zeigt folgende Thatsache: In Gestalt eines Tropfens auf den freigelegten Ischiadicus gebracht, bewirkt das Gift, wenn überhaupt irgend welche, doch jedenfalls nur sehr geringe Störung der Function, obwohl besondere Vorsichtsmaassregeln getroffen wurden, damit nicht ein Theil davon durch den Kreislauf anderswohin geführt werde. Es scheint uns, dass der zuerst eintretende Ausfall der Reflexe einer Depression im Rücken- mark, und die Verstärkung der Reflexthätiskeit, die sich später zeigt, anderen Einwirkungen, welche zu erklären uns unsere heutigen Kenntnisse in der Physiologie noch nicht gestatten, zuzuschreiben ist, oder der Störung der Blutzufuhr, infolge deren das Rückenmark Mangel leidet, sodass seine Reizbarkeit zuerst erhöht, schliesslich aber aufgehoben wird. Wird ein einziger Tropfen einem Frosch unmittelbar auf das Herz gebracht, so bleibt es binnen weniger Minuten in der Diastole stehen. Unsere Erfahrungen am Hund stimmen mit denen am Frosch überein. Wird Orthotoluidin in der Gabe von 0.128 auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt, so tritt eine geringfügige Aenderung im Rhythmus der Athmung mit nachfolgender Ruhe ein. Die Sensibilität ist unverändert, ebenso die Bewegung. Die Temperatur im Rectum sinkt um 0-83° C.! und kehrt alsbald zur normalen zurück. Eine Stunde nach der Einspritzung scheint das Thier sich vollständig wohl zu befinden. Taumeln tritt garnicht auf. Giebt man das Mittel in so grosser Menge, dass die Einspritzung in die Jugularis 0-208 Sm auf das Kilogramm in 20 em Wasser beträgt, so wird das Thier augenblicklich unbeweglich und liegt vollkommen ruhig, nur dass die Athmung beschleunigt ist. Die Zunge ist dunkelblau, eyano- tisch, bleifarben. Die Pupillen sind erweitert. Setzt man den Hund nieder, so kann er anfänglich nicht gehen, vermag aber nach ein oder zwei Mi- nuten im Zimmer umherzuschwanken, wobei die Hinterbeine am stärksten ergriffen sind. Fünf Minuten nach der Einspritzung geht er leidlich gut, aber fünfundzwanzig Minuten nach Aufnahme des Giftes wird er wiederum schwach, taumelt stark, lehnt sich, eine Stütze suchend, an die Wand und fällt, wenn er die Stütze verliert. Zunge, Nase und Maul sind jetzt ausser- ordentlich blass oder livid. Die Temperatur im Rectum wird seit der Ein- spritzung um 0-83°C. erniedrigt gefunden, und es stellt sich völlige Erschlaffung der Muskeln ein. Die Athemzüge sind langsam und flach, das Exspirium aber heftig und schnell. Das Bewusstsein ist ganz ungetrübt. Das Thier wedelt " Sämmtliche Gradangaben sind vom Uebersetzer von F. auf C. redueirt. 346 WoucoTT GIBBS UND H. A. Hare: schwach mit dem Schwanz, wenn man es anspricht. Es beginnt nun bei jedem Athemzuge zu grunzen und zu stöhnen, und die Symptome werden drohender. Die Temperatur des Rectums wird jetzt noch um 0.55°C. niedriger ge- funden. Etwas später tritt heftiges Erbrechen von Wasser und Mageninhalt auf. Die Augen werden starr und der Tod scheint unmittelbar bevorzu- stehen. Die Temperatur beträgt jetzt 37-2° C., nachdem sie normal 40° C. betragen hatte. Die Athmung stockt plötzlich und im selben Augenblick wird eine grosse Menge blutiger Flüssigkeit von Haemoglobinfärbung er- brochen. Das Herz hört erst drei Minuten später auf zu schlagen. Diese Ergebnisse stimmen mit den am Frosch gefundenen darin überein, dass die Bewegung anfänglich aufgehoben ist und nachher wiederkehrt, und dass die Athmung früher stillsteht als das Herz. Der Ausfall der Reflex- thätigkeit und die allgemeine Muskelerschlaffung treffen ebenfalls überein. Die eigenthümliche blutigwässerige Flüssigkeit, die ausgeworfen wurde, rührte wahrscheinlich vom Austritt zersetzten Blutes aus der Magenschleim- haut her, der durch die grossen Veränderungen, die das Mittel im Blut hervorbringt, veranlasst war, denn Zerreissungen von Gefässen waren nicht zu erkennen. Es ist bemerkenswerth, dass Orthotoluidin in grossen Gaben die Körperwärme herabsetzt, wie alle anderen Verbindungen aus der Anilin- gruppe. Einem mit dem Manometer in Verbindung gesetzten Hunde in der Gabe von 0-05 3m auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt, be- wirkt Orthotoluidin im Laufe von etwa anderthalb Minuten eine geringe Verminderung des Blutdrucks ohne merkliche Aenderung der Pulsfrequenz. Der Druck steigt schnell wieder bis zur Norm oder sogar ein wenig höher. Fünfzehn Minuten später wurde 0-1 em auf das Kilogramm in 20m Wasser binnen zwanzig Secunden eingespritzt. mit dem Ergebniss, dass der Druck sehr merklich sank, und auch die Pulszahl fast um die Hälfte vermindert wurde. Letztere stieg jedoch bald wieder bis zur Norm, wie auch einige Minuten später der arterielle Druck. In diesem Augenblick gegeben, hat ein Decigramm mehr auf das Kilogramm Tod durch Auf- hebung der Athmung zur Folge, während das Herz noch einige Minuten zu schlagen fortfährt. Die Verminderung der Pulszahl beruht auf directer Herzdepression, und nicht auf Vagusreizung, da Durchschneidung dieses Nerven nicht die normale Steigerung der Frequenz hervorruft. Bei anderen Versuchsthieren trat zwei Minuten nach der Einspritzung von 0-3 &m auf das Kilogramm Tod ein, dem ein allmähliger Abfall der Pulsfrequenz und des Blutdrucks vorausging, welcher durch den Vagusschnitt nicht aufge- halten wurde, WIRKUNG CONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 347 Da diese Ergebnisse sowohl an curarisirten Versuchsthieren gefunden wurden, wie an nicht curarisirten, müssen sie wohl richtig sein. Metatoluidin. Wird einem ausgewachsenen Hunde durch die Jugularis dieses Mittel in einer Menge von 0-125 Em auf das Kilogramm beigebracht, so tritt auf der Stelle Tod durch Herz- und Athmungslähmung ein, indem beide Func- tionen zugleich stocken. Beträgt die Gabe 0.010 E” auf das Kilogramm, so sind die an Frequenz und Stärke des Pulses und am Blutdruck hervor- gerufenen Veränderungen fast gleich Null. Erreicht die Gabe 0.06 &* auf das Kilogramm, so stellt sich ein sehr deutlicher Abfall des Blutdrucks ein, auf den nach einem Zeitraum von 30 Secunden bis 1 Minute eine Stei- gerung folgt, welche den Druck bald wieder die Norm erreichen lässt. Stets findet bei kleinen Dosen eine bedeutende Verminderung der Tempe- ratur statt. Metatoluidin einem freilaufenden und nicht aetherisirten Hunde in der Dosis von 0-1 s’= auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt ruft zunächst die äusserste Schwäche und Erschlaffung hervor, sodass das Thier im Sterben zu liegen scheint. Dies geht schnell vorüber, sodass es sich bald mit schleppendem Gang im Zimmer umherzubewegen vermag und, wenn es ihm gestattet wird, sich in die Ecke legt. Bei Gaben von 0.05 e’= tritt bis auf unbedeutende Mattigkeit keine wesentliche Aenderung hinsichtlich der Symptome auf. Das Blut enthält immer Methaemoglobin und ist stark verdunkelt und breiie. Beim Frosch stellt sich bald nach der Einspritzung von 0-0015 2” auf das Gramm in den hinteren Lymphraum Erschlaffung ein, bei der die Athmung gänzlich stockt und nur die Kehle sich noch ein wenig bewegt. Die Extremitäten werden cyanotisch, und der Frosch bleibt alsbald auf dem Rücken liegen, wenn er in diese Stellung gebracht wird. Die Bewegung der Beine entbehrt sichtlich der Coordination, die bewegende Kraft aber scheint nicht vermindert. Die Empfindlichkeit gegen Reize aller Art, mit Ausnahme heftiger Verbrennung, ist gänzlich aufgehoben, und auch diese hört bald auf. Die willkürliche Bewegung ist zum Theil erhalten. Die moto- rischen Nerven sind geschwächt, reagiren aber noch auf Reiz. Unterbindet man die Arterie eines Beines und spritzt das Gift oberhalb ein, so findet man dennoch beide Beine gleichmässig gelähmt, ein Beweis, dass die Ein- wirkung das Rückenmark oder wenigstens nicht die motorischen Nerven trifft. Das angewendete Metatoluidin war in dem Laboratorium des Hrn. Prof. Ira Remsen dargestellt, dem wir dafür zu bestem Danke ver- pflichtet sind. 348 WoLcoTT GIBBsS UND H. A. Hark: Paratoluidin.! Giebt man diese Verbindung innerlich einem Hunde in der Dosis von 0.13erm auf das Kilogramm, so stellen sich allmählich alle Erscheinungen der Anilinvergiftung ein. Wird dieselbe Menge einem Thiere äusserst langsam in die Jugularis gespritzt, so treten schwache Krämpfe auf, noch ehe die gesammte Menge aus der Spritze ausgetreten ist. Legt man das Thier auf die Erde und lässt es frei, so zeigt es sich namentlich in den Hinterbeinen zu schwach zum Stehen, aber im Lauf von etwa zwei Minuten stellen sich die Kräfte hinreichend wieder her, dass sich das Thier mit schwankendem Gang umherbewegen kann. Die Athmung ist beschleunigt, und der exspiratorische Theil der Athembewegung wird so gewaltsam aus- geführt, dass er fast den Charakter des Niesens trägt. Die Pupillen sind stark erweitert. Eine halbe Stunde nach der Einspritzung scheint das Thier fast ganz gesund, bis auf die Exspirationsstösse, welche schliesslich noch eine Stunde später unter grosser Mattigkeit und Bedürfniss nach Ruhe fortdauern. Von da an wird der Zustand des Hundes immer schlechter: Er ist offenbar stärker angegriffen als zuvor und stirbt zwei Stunden nach der Einspritzung des Mittels. Eine Veränderung in der Körperwärme findet während der ersten drei Stunden nicht statt, aber indem die Lähmungserscheinungen zunehmen, erreicht die Temperatur schliesslich einen etwas tieferen Stand, als normal. Es folgt Bewusstlosigkeit und der Tod tritt ein, indem das Thier seine Umgebung absolut nicht mehr wahrnimmt. Das Blut zeigt sich dunkel- farbig, abnorm leichtflüssig, Methaemoglobin ist in reichlicher Menge vor- handen. Beträgt die Gabe 0-38'm auf das Kilogramm, so macht das Versuchsthier viel schneller dieselbe Reihe von Erscheinungen durch, die eben berichtet worden sind, aber zugleich sind sie auch viel ausgesprochener. Die Zuckungen, welche zu Anfang während der Einspritzung auftreten, beruhen auf Herzdepression und den daraus hervorgehenden Nervenstörungen, da sie nicht entstehen, wenn die Dosis mit sehr grosser Langsamkeit ein- gespritzt oder innerlich gegeben wird. Diese Ansicht bestätigen unsere Manometercurven, indem sie beweisen, dass eine derartige Herzwirkung stattfindet. Die anderen Symptome sind allein der Blutveränderung zu- zuschreiben. ! Es muss bemerkt werden, dass, da Paratoluidin sehr schwer löslich ist, Dr. Marshall gütigst das Hydrochlorid dargestellt hat, welches sich verhältnissmässig leicht in Lö- sung verwenden lässt. WIRKUNG CONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 349 Werden 0:02—0.058% vom Hydrochlorid des Paratoluidins einem Frosch von 368” Gewicht eingespritzt, so verschwinden alsbald die Reflexe und das Thier bleibt einige Minuten auf dem Rücken liegen, wenn es so hingeleet wurde. Vorderfüsse und Hinterbeine werden schnell blau und cyanotisch. Die Reflexe sind zwar noch vorhanden, aber äusserst schwach, und äussern sich durch incoordinirte und ruckweise Bewegungen. Da diese Veränderungen sowohl beim blutlosen wie beim normalen Frosch auftreten, müssen sie wenigstens zum Theil auf einer Beeinflussung des Rückenmarks beruhen. Dass schliesslich Nerven und Muskeln gelähmt werden, haben wir zwar wiederholt nachgewiesen, aber es scheint, dass dies Veränderungen im Blute zuzuschreiben ist, da es beim blutlosen Thiere nicht beobachtet wurde. Wird das Herz freigelegt, so sieht man es regelmässig schlagen, das Blut ist jedoch abnorm dunkel. Oft kommen die Reflexe fast eine Stunde nach der Einspritzung wieder auf einen dem normalen sehr nahe oder so- gar darüber gelegenen Punkt, aber immer bleiben sie incoordinirt. Schliess- lich liegt das Thier vollständig ruhig, das Herz schlägt bedeutend lang- samer, und dabei wird die merkwürdige Thatsache beobachtet, dass der Vorhof zweimal so oft schlägt wie die Kammer, auch hört die letztere eher auf als der erstere. Dasselbe ergiebt sich, wenn ein einzelnes Schüppchen von ‚der Verbindung unmittelbar auf den Herzmuskel eines Frosches ge- bracht wird, dem die vordere Brustwand entfernt ist, um das Organ frei- zulegen. Das Ergebniss ist sogar unter diesen Umständen noch ausge- sprochener. Dem doppelten Schlagen des Vorhofs geht ein Zeitraum vorher, wäh- rend dessen dieser Theil des Herzens mit Blut übermässig gefüllt erscheint. Die Frequenz des Herzens ist, ehe diese eigenthümlichen Veränderungen eintreten, immer um fast die Hälfte vermindert. Paratoluidin, in der Menge von 0-10sm auf das Kilogramm einem Hunde in die Jugularis gespritzt, bewirkt binnen 30 Secunden Tod durch Aufhebung der Athmung, während das Herz noch einige Minuten länger zu schlagen fortfährt. In gleichem Maasse mit dem Aufhören der Ath- mung nimmt der Blutdruck sehr merklich ab, schliesslich bis zur Ab- seissenaxe.' Die Herzschläge werden nicht schwächer, bis der Tod sehr nahe be- vorsteht, und lassen Asphyxie erkennen, während die Verlangsamung von Vaguswirkungen nachweisbar unabhängig ist, da sie auch nach Durch- schneidung dieser Nerven sich einstellt. Dass auch das vasomotorische System gelähmt wird, steht fest, denn obgleich, wie eben bemerkt, das Herz leidlich kräftig schlägt, sinkt der Blutdruck, trotz der Asphyxie, welche durch den Stillstand der Athmung hervorgebracht wird. Genau dieselben 350 WoLcoTT GIBBS UND H. A. HARrE: Erscheinungen folgen nach der Einspritzung von 0.08 em auf das Kilo- gramm. Werden 0:0318= auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt, so findet im Blutdruck keine Veränderung statt, aber die Pulsfrequenz wird im Laufe einiger Minuten erheblich vergrössert. Reizung des Vagus bewirkt um diese Zeit Verlangsamung des Herzschlages in normaler Stärke, woraus hervorgeht, dass die Beschleunigung nicht auf Lähmung der Vagi beruhen kann. Zusammenfassung. Orthotoluidin bringt beim Frosch wie beim Hund bedeutende Ver- änderungen des Blutes und verhältnissmässig kleine Wirkungen auf das Herz hervor, ausgenommen wenn es in grosser Menge oder in concentrirter Form unmittelbar mit diesem Organ in Berührung gebracht wird. Bei beiden Thieren bewirkt es einen Zustand verringerter Reflexthätigkeit und Energie, nach welchem beides abnimmt, bis zum Eintritt von Lähmung, Coma und Tod. Die wesentliche Wirkung der Verbindung ist die verderbliche Ver- änderung des Blutes; dass jedoch nicht die ganze Reihe der Symptome auf dieser Veränderung allein beruht, beweist die Thatsache, dass das Mittel beim blutlosen Frosch das Rückenmark lähmt. Beim Warmblüter bewirkt es einen merklichen Abfall der Körperwärme, der 2-22—2.77°C. beträgt. Der Tod tritt durch Aufhebung der Athmung ein. Das Herz bleibt zuletzt in Diastole stehen. Den Kreislauf betreffend vermindert das Mittel durch die Lähmung des Herzmuskels die Pulsfrequenz und übt auf den Vagus keinen Reiz aus. Ebenfalls lähmt es das vasomotorische System. Metatoluidin verwandelt beim Hunde wie beim Frosch das Haemo- globin des Blutes in Methaemoglobin, und bewirkt eine auf Lähmung des Rückenmarks beruhende Abnahme der Reflexthätigkeit. Es setzt die Körper- wärme sehr erheblich herab, wirkt aber auf den Kreislauf nur wenig, wenn es nicht in übermässig grossen Dosen gegeben wird. Tödtlich wird es vor- nehmlich durch Aufhebung der Athmung, ausser wenn es massenweise in das Herz getrieben wird, wobei es gleichzeitig durch Ausfall der Herzthätig- keit und der Athmung wirksam ist. Paratoluidin. Am Frosch und am Hunde gleicht das Ergebniss dem bei der Ortho- und Metaverbindung, in Anbetracht, dass Reflexthätig- keit und Energie anfänglich herabgesetzt, dann gesteigert und schliesslich aufgehoben werden, sodass in dieser Hinsicht Paratoluidin, Metatoluidin WIRKUNG CONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 351 und Orthotoluidin sehr nahe verwandt sind. Die Hauptwirkung ist gleich- falls die Zerstörung der Blutkörperchen und die Entwickelung von Met- haemoglobin. Es lähmt ebenfalls das Rückenmark und wirkt durch den Ausfall der Athmung tödtlich, während das Herz noch einige Minuten länger schlägt. Die auffallendste Thatsache, die in Bezug auf diese Ver- bindung beobachtet wurde, ist das zwiefache Schlagen des Vorhofes auf einen Schlag des Ventrikels am Froschherzen. In grosser Gabe mit dem Frosch- oder Säugerherzen in unmittelbare Berührung gebracht, bewirkt es Stillstand in der Diastole.. Kleine Gaben, 0.031er=m auf das Kilogramm, vergrössern die Pulsfrequenz, die jedoch Reizung des Vagus augenblicklich wieder herabzusetzen vermag. Die bei Einspritzung in die Jugularis tödtliche Dosis beträgt für Ortho- toluidin 0.2088” auf das Kilogramm, binnen einer Stunde, für Meta- toluidin 0.125”, für Paratoluidin 0.108 auf das Kilogramm. Es muss bemerkt werden, dass die tödtlichen Mengen dieser Verbin- dungen sehr wesentlich von der Geschwindigkeit der Einspritzung abhängen. Das angewandte Orthotoluidin und Metatoluidin stammte aus der Fabrik von Kahlbaum in Berlin. Pyrocatechin. Pyrocatechin, die Orthoverbindung der zunächst zu betrachtenden Gruppe, scheint, im Gegensatz zu den meisten der bisher untersuchten Stoffe, viel stärker zu wirken als die Metaverbindung, und sogar als die Paraverbindung, das Hydrochinon. = Einspritzung von Pyrocatechin in kleinen Mengen, etwa 0.0166 8m auf das Kilogramm Hund, ruft sofort epileptoide Zuckungen und alle Ver- giftungserscheinungen dieser Gruppe von Verbindungen hervor. Das Blut wird schnell schwärzlich. Die Krampfanfälle sind langdauernd und heftig, und es tritt anscheinend durch Ermattung und Ausfall der Athmung Tod ein, wenn die Gabe 0.048 auf das Kilogramm erreichte. Wird sie inner- lich gegeben, so bedarf es viel grösserer Mengen. Unter diesen Umständen erfolgt die nämliche Reihe von Erscheinungen, wie wenn das Mittel in die Jugularis eingespritzt wird. Pyrocatechin, in einer Dosis von 0-0166s'” auf das Kilogramm Hund in die Jugularis eines mit dem Manometer verbundenen Versuchsthieres eingespritzt, bewirkt, gleichzeitig mit den Zuckungen und Krämpfen der Museculatur, eine deutliche Pulsverlangsamung, während der Arteriendruck fast unverändert bleibt. 352 WorcorTT GIBBs unD H. A. Hark: Beträgt die Gabe 0-.03848®% auf das Kilogramm, so wird der Puls ebenfalls verlangsamt, und während der Krämpfe der arterielle Druck ein wenig erhöht. Schliesslich sinkt jedoch, während die Pulsfrequenz auf dem anfänglich erreichten Punkt bleibt, der arterielle Druck mehr und mehr, und das Thier stirbt an Respirationsschwäche, indem die Athmung früher aufhört als der Herzschlag, der noch einige Augenblicke fortdauert. Erreicht die Gabe 0.0758" auf das Kilogramm, so wird der Puls sogleich um viele Schläge langsamer, während der Blutdruck unverändert bleibt. Dass diese Pulsverlangsamung, die auch nach kleinen .Gaben beobachtet wird, nicht auf die Krämpfe, sondern auf Vagusreiz zurückzuführen ist, geht sowohl daraus hervor, dass sie beim curarisirten Hund auftritt, als auch aus der entscheidenden Thatsache, dass Durchschneidung der Vagi sofort eine ebenso hohe Pulsfrequenz herbeiführt, wie derselbe Eingriff beim unvergifteten Thier. Die Pulswelle ist dabei sehr gross und voll, die Herzschläge kräftig. Die Ergebnisse von Brieger’s Untersuchungen, welche die unsrigen durchaus bestätigen, sind in der Zusammenfassung der Wirkung dieser Ver- bindungen unter Hydrochinon zu ersehen. Resorein. Da das Resorein sowohl als innerliches wie als äusserliches Mittel thera- peutisch verwendet worden ist, knüpft sich an seine Untersuchung ein hohes Interesse, und es findet sich, dass frühere Beobachter in der Erforschung seiner wahren physiologischen Wirkung schon weit vorgeschritten sind. Keine der Arbeiten, von denen wir haben Kenntniss nehmen können, stellt jedoch die Beziehungen des Mittels als einer Metaverbindung dar, obgleich in zwei Fällen Physiologen zugleich über Ortho- und Paraverbindung, über Pyrocatechin und Hydrochinon, gearbeitet haben. Auf diese Arbeiten wer- den wir uns später, nach Mittheilung unserer eigenen Erfahrungen, be- ziehen, weil sie auch erst nachdem unsere Untersuchungen beendet waren, bekannt geworden sind. Selbstverständlich erkennen wir ihre Prio- rität an. Resorein, einem mit dem Manometer verbundenen Hunde in der Gabe von 0.0143 sm auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt, setzt den arteriellen Druck ein wenig herab und vermindert die Pulsfrequenz um ein Geringes. Betrug die Dosis 0-1666 sm auf das Kilogramm Versuchsthier, so spricht sich diese Druckverminderung, wie auch die Pnlsverlangsamung, noch deutlicher aus. Diese Herabsetzung des Blutdrucks beruht auf einer Beeinflussung des vasomotorischen Systems, wie die Thatsache beweisen WIRKUNG GONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 353 dürfte, dass der Herzschlag keine Anzeichen von Depression darbietet, und dass Asphyxie nicht so starke Druckerhöhung verursacht, als zu erwarten wäre. Die beobachtete Pulsverlangsamung kann man verschiedenen Ur- sachen zuschreiben, den Krämpfen in Verbindung mit der gewaltsamen Athmung und der daraus entstehenden Ueberanstrengung des Herzens, der Wirkung des Mittels auf das Herz selbst, oder auf den Vagus. Dass die angestrengte Athmung wenigstens theilweise schuld ist, scheint dadurch erwiesen, dass am curarisirten Thier die Verlangsamung nicht in demselben Grade eintritt, wiewohl sie nichtsdestoweniger doch in merklicher Weise erscheint. Dass das Herz nicht gelähmt ist, scheint ebenso deutlich aus dem kräftigen Pulsschlage hervorzugehen. Endlich ist auch der Vagus ge- reizt, denn die Durchschneidung verdoppelt um diese Zeit die Frequenz des Herzens, obgleich die des normalen Hundes mit durchschnittenem Vagus noch nicht erreicht wird, was auf Reizung der peripherischen Ausbreitung hin- deutet. Werden 0-4 em auf das Kilogramm angewendet, so tritt eine be- deutende Abnahme des Blutdrucks ein, die 30 bis 140 "m Quecksilber be- trägt, zugleich findet infolge Vagusreizung eine sehr merkliche Verlang- samung des Pulses statt. Die hervorgerufenen Krämpfe sind äusserst stark. Wird einem frei umherlaufenden Hunde eine Dosis von 0.1—0.4 Sm auf das Kiloeramm in die Jugularis eingespritzt, so bestehen die Symptome in heftigen epileptoiden Krämpfen, von welchen das Thier hin- und her geschleudert wird, sodass es vollständig unfähig ist, sich aufrecht zu halten. Die tödtliche Dosis bei Einspritzung in die Jugularis ist etwa 0-7 bis 1 gm auf das Kilogramm. Der Tod wird durch Ausfall der Athmung ver- ursacht, der wahrscheinlich auf dem Einflusse des Blutes beruht. _Dieses Ergebniss bestätigen diejenigen von Brieger! und Beyer”. Am Frosch beobachtete Brieger, dass die Dosis von 0.005 sm Re- sorcin auf 55 e" Frosch Krämpfe mit nachfolgender Genesung hervorbrachte, und dass 0-01 sm bei einem grösseren Frosch ähnliche Krämpfe und Tod binnen 6 Stunden hervorrief. Sehr viel kleinere Gaben bewirkten schwache Krampfanfälle, und noch kleinere überhaupt gar keine Krämpfe. Am Ka- ninchen fand Brieger, dass die Gabe von 0.33 #m auf das Kilogramm innerlich zwei Stunden hindurch Krämpfe hervorrief, doch erholte sich das Thier im Laufe des Tages. Beyer fand bei seinen Untersuchungen am isolirten Herzen des Frosches und der Dosenschildkröte, dass Resoreinlösung von 1:1000 auf die Frequenz des Herzschlages oder die vom Herzen geleistete Arbeit keinen ı Dies Archiw. 1879. Suppl: 8.61. 2 American Journal of Med. Sciences. April 1886. Archiv f. A.u.Ph. 1890. Physiol. Abthlg. ze 23 354 WoLcoTT GIBBS UND H. A. Hark: merklichen Einfluss hat, dass aber stärkere Lösungen von 20: 1000 Frequenz und Energie verringerten und bald Stillstand in der Diastole herbeiführten. Er schliesst, dass es in kleinen Gaben die Thätigkeit des Herzens anregt, in grösseren es in der Diastole anhält. Beyer behauptet auch, dass es den Puls durch Einwirkung auf die Vagusendigungen verlangsame, ein Schluss, den auch unsere Untersuchungen rechtfertigen. Seine Angabe, dass kleine Gaben die Herzthätigkeit anregen, können wir ebenfalls bestä- tigen, da wir beim Versuch am unversehrten Hunde gefunden haben, dass die Dosis von 0-0714 Em auf das Kilogramm diese Wirkung hatte. Hydrochinon. Wie die Metaverbindung ist auch die Paraverbindung, das Hydrochinon als Antipyreticum therapeutisch verwerthet worden, doch ist seine pharma- kologische Bedeutung äusserst beschränkt. Einem freilaufenden Hunde in der Menge von 0-033 Em auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt, ruft Hydrochinon starkes Taumeln und Krämpfe mit etwas beschleunigter Athmung hervor. Nachdem diese etwa 2—3 Minuten gedauert haben, tritt allmählich Besserung ein, sodass sich das Thier nach Verlauf von 15 Mi- nuten beinah ebensowohl befindet, wie zuvor. Späterhin können von neuem Krämpfe auftreten. Gleichzeitig mit dem Krampfanfall stellt sich deutlicher Exophthalmus und Rennbewegung ein, während die Krämpfe epileptiform erscheinen. Das Blut sieht schwarz und tintenähnlich aus. Ist der Hund mit dem Manometer verbunden, und werden ihm 0.166 sm auf das Kilo- gramm seines Gewichts in die Jugularis gespritzt, so verändert sich die Curve infolge der auftretenden Krämpfe sehr. Die Pulsfreguenz wird be- deutend erhöht, der arterielle Druck aber sinkt fortdauernd, bis der Unter- schied etwa 70 == Quecksilber beträgt, und schliesslich Tod eintritt. Erreicht die Gabe 0.28” auf das Kilogramm, so wird der Puls sehr langsam, doch macht dies bald einem Stadium sehr schnellen Pulses Platz, welches bis zum Tode anhält. Der Blutdruck steigt um etwa 20 wm "Quecksilber. Die Pulsverlangsamung nach der Aufnahme von 0.166 sm auf das Kilogramm beruht, wie wir nachgewiesen haben, auf Reizung der Vagi, da deren Durchschneidung sofort jene hohe Pulszahl hervorbringt, welche beim normalen Versuchsthier den Vagusschnitt kennzeichnet. Dies hängt in keiner Weise mit den Krampfanfällen zusammen, da es auch beim eurarisirten Hunde eintritt. Die Verminderung des Blutdrucks, welche nach Aufnahme von 0-166 &°= auf das Kilogramm beobachtet wurde, muss der Pulsverlang- samung zugeschrieben werden, weil sie durch den Vagusschnitt sogleich WIRKUNG CONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 355 beseitigt wurde, und die Zunahme des Druckes nach Einspritzung von 0.2 sm auf das Kilogramm beruht auf der gesteigerten Kraft des Herz- schlages, der um diese Zeit auffallend verstärkt ist. Weiterhin wirken die Veränderungen des Blutes so hemmend auf die Function des Herzens, dass sie Asphyxie erzeugen und dadurch eine Steigerung des Blutdrucks verur- sachen. Zum Schluss, wenn die hohe Pulsfreguenz des zweiten Stadiums eintritt, wird der Druck durch den schnellen Pulsschlag eine Zeitlang auf- rechterhalten, fällt aber endlich, indem durch die allmählich zunehmende Asphyxie, welche die Veränderungen des Blutes und die directe und in- directe Depression des Athemcentrums hervorrufen, das vasomotorische System allmählich gelähmt wird. Die Ursache des schnellen Pulses während des zweiten Stadiums ist Lähmung des, Vagus und zwar von peripherischem Charakter, denn energische Reizung dieser Nerven vermag das Herz nicht im geringsten zu hemmen. Bei Einspritzung in die Jugularis ist die tödtliche Dosis etwa 0.08—0.1 gm auf das Kilogramm Hund. In seinen Untersuchungen am Frosch fand Brieger (a. a. O.), dass die Menge von 0.005 sm bei einem 55 g"”m schweren Frosch binnen einer Minute Krämpfe, in 4'/, Stunde Tod hervorbrachte, dass 0.001 erm bei einem grösseren Frosch in 21/, Stunde, und Gaben unter 0.005 em auf 55 sm Frosch in 6 Stunden Tod verursachten, während noch kleinere das Ende erst in 8!/, Stunde herbeiriefen, indem die Krämpfe erst nach 2 Stunden auftraten. Ferner fand Brieger am Kaninchen, dass eine Dosis von etwa 0°01668 m auf das Kilogramm innerlich gegeben, keine Symptome hervor- ‘brachte. Am nächsten Tage gab er demselben Thiere etwa 0.0332 sm auf das Kilogramm, und nach einer halben Stunde traten Krämpfe in den Ex- tremitäten auf. Gleichzeitig erweiterten sich die Gefässe, der Blutdruck sank, der Puls verlangsamte sich und wurde weich und klein. Die Sensi- bilität war unverändert, die Reflexe anfangs verstärkt, schwanden aber späterhin. Wurden kleine Mengen gegeben, so traten weniger heftige Krämpfe auf, der Urin wurde aber dunkel und enthielt kein freies Hydro- chinon. Nach Beyer (a.a. O0.) vermindern kleine Mengen Hydrochinon bei Fröschen die Frequenz des Herzens und die geleistete Arbeit, grössere lähmen die Wandmusculatur der grossen Venenstämme, des Sinus, und der Vor- höfe in der Reihenfolge, in der sie genannt sind, während der Ventrikel nur wenig beeinflusst wird. Bei der Dosenschildkröte erhöhen kleine Mengen Hydrochinon die Arbeitsleistung des Herzens um ein Weniges, setzen aber die Pulsfreguenz herab, während grössere Gaben sowohl die Frequenz, wie 23: 356 Worcorrt GIBBs und H. A. Hare: auch die Leistung verringern. Sinus und Vorhof werden am stärksten an- gegriffen, während die Kammer am wenigsten geschwächt wird. Das Mittel bewirkt zuerst eine Contraction, dann eine Erweiterung der Venen, Capil- laren und kleinen Arterien, wobei die Venen am stärksten betheilist sind. Wird es in den Körper eingespritzt, so tritt Muskelzucken auf. Es ver- mindert die Thätigkeit der rothen Blutkörperchen. Das Blut wird purpur- roth-braun. | Das Gift wirkt mehr auf die Venen, als auf die Arterien. Es ver- langsamt den Puls, indem es auf die Vagusendigungen wirkt. Eine Lösung von 0-1— 0-2: auf 100° m Wasser bei einem 280 em schweren Frosche lähmt die Venen und ebenfalls fast vollständig den Ventrikel. { Brieger giebt an, dass es Erweiterung der kleinen Arterien und Herabsetzung des Blutdruckes hervorbringt. Kleine Gaben vermindern die Pulszahl ein wenig, der Puls wird klein und weich. Zusammenfassung. Betrachtet man die durch unsere Untersuchung gewonnenen Ergeb- nisse, so zeigt sich, dass sie mit denen der Beobachter, welche schon früher über dieselben Stoffe gearbeitet haben, übeinstimmen, und es ist wohl nicht unangebracht zu erklären, dass m den Punkten, wo das Ergebniss nicht das nämliche ist, der Unterschied darauf beruht, dass Beyer sich des isolirten Herzens ven Frosch und Dosenschildkröte bediente. Zunächst fällt auf, dass Brieger, ebenso wie wir, das Pyrocatechin, die Orthoverbindung, für die giftigste der Gruppe erkannt hat, während Hydrochinon beinahe, aber nicht ganz ebenso stark wirken sollte, und die Metaverbindung, das Resorein, als die schwächste erschien. So fand sich bei unseren Versuchen als tödtliche Dosis des Pyrocatechins etwa 0-04 oder 0-.058m auf das Kilogramm, beim Hydrochinon fanden wir sie zu etwa 0-08—0-12'” auf das Kilogramm, während Resorein erst tödtlich wirkte, wenn die Gabe auf 0-.7—1 em auf das Kilogramm stieg. In Brieger’s Arbeiten ergab sich als tödtliche Dosis des Pyrocatechins 0.0058 m auf 55m Frosch, indem der Tod nach zwei Stunden eintrat, während nach derselben Gabe Hydrochinon bei derselben Thierart der Tod erst nach 4!/, Stunde erfolgte. Betrugen die Gaben an Pyrocatechin und Hydrochinon 1-01 8” auf 558m, so trat der Tod nach der ersteren in WIRKUNG CONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 3 2 Stunden und nach der letzteren erst in 2!/, Stunde ein. Als tödtliche Dosis des Resoreins fand Brieger 0-Olsm auf 55 sm Frosch, erst nach 6 Stunden. 0.005 sm waren nicht tödtlich. Bei den Versuchen Beyer’s stellte sich heraus, dass Hydrochinon vie] stärker sei als Resoren. So fand Beyer, dass, wenn er eine Hydrochinon- lösung von 0-5sm auf 500 m Salzlösung das Herz einer Dosenschildkröte von 940 sm Gewicht durchströmen liess, ziemlich starke Wirkung wahr- zunehmen war, während eine Resoreinlösung von 1.08" auf 500 m Salz- lösung keine Wirkung hatte. Ebenso fand Beyer, dass es nur 0.4erm Hydrochinon auf 55°“ Salzlösung bedurfte, um das Herz abzutödten, während dazu 108% auf 55 °® nöthig war, wenn Resorein angewendet wurde. Ueber Pyrocatechin machte er keine Versuche. Phlorogluein. Phlorogluein, in der Menge von 0.068= auf das Kilogramm einem Hunde in die Jugularis eingespritzt, dessen Carotis mit einem Manometer in Verbindung gesetzt ist, bewirkt eine Verlangsamung des Pulses um viele Schläge, und eine geringe Verminderung des arteriellen Druckes, welche nur vorübergehend besteht und nach einigen Secunden dem nor- malen Zustand Platz macht. Das Sinken des Druckes beruht offenbar darauf, dass das Mittel eingespritzt wird. Dass die Verlangsamung des Pulses nicht nur einer Depression des Herzens zuzuschreiben ist, scheint dadurch erwiesen, dass keine Druckverminderung besteht, und dass die Pulswelle bedeutend kräftiger wird. Durchschneidung der Vagi stellt den Puls nur unvollständig wieder her, und die Verlangsamung scheint auf peripherischer Reizung dieser Nerven zu beruhen, da die Frequenz nach dem Schnitte noch kleiner ist, als sie vor Einspritzung des Mittels war. Das Blut zeigt unter diesen Umständen wenig oder gar keine Ver- änderung. Beträgt die Dosis 0:88” auf das Kilogramm in 80° m Wasser, so sinkt die Pulszahl im Laufe von zwei Minuten, um bis 20 oder 30 Schläge in der Minute, und es tritt ein sehr merklicher Abfall des arteriellen Druckes ein, der bis 60 "m Quecksilber betragen kann, und auf die Hälfte zurückgeht, sobald das Herz von dem Mittel befreit ist. Die Verlang- samung des Pulses bleibt bestehen und wird nicht im Geringsten be- einträchtigt, wenn man den Vagus durchschneidet. Es werden also durch diese Dosis, wie durch die kleineren, die Vagusendigungen gereizt, während die Pulswelle sehr gross und kräftig ist. 358 WoLcoTT GIBBS UND H. A. HARE: Die tödtliche Gabe bei Einspritzung in die Jugularis beim Hunde liegt zwischen 10 und 1-28” auf das Kilogramm des Körpergewichtes. Unter diesen Umständen ist der Tod auf Aufhebung der Respiration zurückzuführen, indem das Herz noch einige Minuten schlägt, nachdem die Athmung aufgehört hat. Dass das Mittel auf die Athmung wirkt, ‘geht auch aus der Thatsache hervor, dass schnelle Einspritzung des Mittels in die Jugularis dem Herzen nicht schadet. Ob das Gift das Athmungscentrum beeinflusst oder nicht, kann man nicht bestimmt sagen, da im Blut wesent- liche Veränderungen eintreten. Ungleich dem Pyrogallol, welches das Blut auffallend schwarz aussehen macht, scheint diese Verbindung eher eine ziegelrothe Färbung hervorzurufen, und zugleich dem Blut ein breiiges Aus- ‘sehen, wie das eines dicken Gemenges von Wasserfarben, zu verleihen. Bei tödtlichen Gaben treten keine Zuckungen oder Krämpfe auf, das Thier geht vom Leben zum Tode so ruhig über, dass der Beobachter eine genaue Untersuchung vornehmen muss, ehe er gewiss sein kann, dass der Tod erfolgt ist. Pyrogallol. Einem Hunde in der Dosis von 0.05?" auf das Kilogramm in die Jugularis eingespritzt, verursacht dieses Mittel eine geringfügige Steigerung des Blutdrucks, welche wahrscheinlich auf der allmählich eintretenden Asphyxie beruht, und etwas verminderte Pulsfrequenz. Das Blut bekommt eine ausserordentlich schwarze Färbung und sieht so dunkel aus wie Tinte. Andere Erscheinungen werden nicht beobachtet. Beträgt die Gabe 0.1 sm auf das Kilogramm, so tritt zunehmend ein Abfall des arteriellen Druckes ein, bis etwa 8 Minuten nach Aufnahme des Mittels die Curve die Abscissen- axe erreicht. Der Puls ist in diesem Augenblick fast um die Hälfte ver- langsamt, ist aber in Betracht des ausserordentlich niedrigen Blutdruckes recht kräftig. Die Veränderung des Blutes nach einer solchen Dosis ist ungewöhnlich, und der Tod wird durch den Ausfall der Respiration her- beigeführt, welche schon zwei bis drei Minuten, ehe das Herz zu schlagen aufhört, stehen bleibt. Dass der arterielle Druck infolge einer zunehmen- den Asphyxie sinkt, die auf der Veränderung des Blutes beruht, beweist die Thatsache, dass künstliche Athmung am curarisirten Versuchsthier nicht im Stande ist den Druck zu erhalten oder den Tod auf irgend längere Zeit hinauszuschieben. Die tödtliche Gabe des Pyrogallols bei Einspritzung in die Jugularis beträgt 0-08—0-18m auf das Kilogramm. Es folgen auf tödtliche Gaben durchaus keine Zuckungen, und bis auf Schwäche, Ver- giftungssymptome und Bewusstlosigkeit treten keine Allgemeinerschei- nungen auf. WIRKUNG CONSTITUTIONELL VERWANDTER VERBINDUNGEN. 359 Zusammenfassung. In Folgendem sind die Aehnlichkeiten und Unterschiede in den Wir- kungen der beiden letzten Stoffe zusammengefasst: Beide hemmen den Puls durch Vagusreiz. Beide verändern das Aussehen des Blutes. Beide tödten durch directe oder indireete Aufhebung der Athmung. Pyrogallol ist bei weitem giftiger, da 0-05 3” auf das Kilogramm fast 120 Phloroglucin auf das Kilogramm gleichkommen. Bei Einspritzung in die Jugularis wird der Tod schon durch 0-08 bis 0.1em Pyrogallol auf das Kilogramm herbeigeführt, an Phlorogluein be- darf es 1-0—1.2s'm auf das Kilogramm. (Wird fortgesetzt.) Verhandlungen der physiologischen ehe zu Berlin. Jahrgang 1859—90. VII. Sitzung am 17. Januar 1890. Hr. O. LIEBREICH sprach: „Ueber die physikalische Function der Schwimmblase bei Fischen.“ Die physikalische Function der Schwimmblase durch Borelli (1674), Boyle und Ray (1675) zuerst hervorgehoben, ist bis zum heutigen Tage Gegenstand der weiteren Untersuchung geblieben. Die Arbeiten von Biot, Johannes Müller, die Erörterungen von Bergmann und Leuckart fussen auf den Be- trachtungen der Vorgänger, ohne klares Licht zu verbreiten. Auch die in letzter Zeit ausgeführten Untersuchungen von Charbonnel-Salle haben zu einem abschliessenden Urtheil nicht geführt. Die Vermuthung, dass der Schwimmblase eine besondere Bedeutung für die Bewegungen des Fisches nicht zukomme, ist von Moreau (1863), von Monoyer und Gouriet, welche den Gasaustausch bez. die Aufspeicherung des Sauerstoffs in der Fischblase fanden, ausgesprochen worden. Ueber den Gasaustausch in der Schwimmblase sind dieser Gesellschaft von Dr. Margherita Traube-Mengarini weitere sehr bemerkenswerthe Er- scheinungen berichtet worden. Die physikalische Betrachtung der Function der Schwimmblase als lufterfüllter Raum ist jedoch in den Hintergrund gedrängt worden. Als Grund der geringen Bedeutung derselben für die Bewegungen des Fisches ist die Thatsache angeführt worden, dass viele Fische gar keine Schwimm- blase besitzen, manche nur eine verkümmerte Blase haben und andererseits die Schwimmblase einen besonderen und eigenthümlichen Werth als Organ in der Weise besitze, wie es z. B. durch Hrn. Möbius in dieser Gesellschaft gezeigt worden ist. Die historische Entwickelung der Ansichten über den physikalischen Werth der Schwimmblase hatte für den Vortragenden von dem nachfolgenden Gesichts- punkte aus Werth. Bei Gelegenheit der Publication „über den todten Raum bei chemischen Reactionen“ wurde nachgewiesen, dass die in Flüssigkeiten auf- ! Ausgegeben am 21. Februar 1890. VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — 0. LiEBREICH. 361 steigenden Körper in sichtbarer Entfernung von der Oberfläche einen Widerstand gegen das Weitersteigen finden. Als Versuchskörper dienten hierzu Substanzen, deren specifisches Gewicht um ein Weniges kleiner als das des Wassers war. Die Schwierigkeit, eine gleichmässige Temperatur zu erhalten und geeignete Schwimmer für andere Flüssigkeiten zu beschaffen, führte dazu, lufthaltige Schwimmer, wie sie zuerst von Boyle beschrieben worden und andererseits unter dem Namen des Cartesianischen Tauchers bekannt sind, steigen zu lasssen. Die Angaben, die sich in älteren und neueren Lehrbüchern über den Taucher-Apparat vorfinden, entbehren entweder der Genauigkeit oder sind ge- radezu falsch. Es zeigt dies eine Beschreibung, die Musschenbroek giebt, ebenso die Darstellung in Gehler’s physikalischem Wörterbuch (Artikel „Schwim- men“) und die später folgenden Beschreibungen. Die falsche Darstellung scheint nicht ohne Einfluss auf die physikalische Betrachtung der Schwimmblase ge- blieben zu sein. Die Gleichgewichtslage eines mit Luft versehenen Boyle’schen Schwimmers (Cartesianischen Tauchers) war für die anzuwendenden Apparate von besonderer Wichtigkeit. — Es zeigte sich für denselben nur eine und zwar eine labile Gleichgewichtslage unter Wasser. Es sei F das Gewicht der starren Substanz des Schwimmers s das specifische Gewicht derselben, Z das Gewicht der eingeschlossenen Luft, o das specifische Gewicht der im Schwimmer abgesperrten Luft, so gilt für das Gleichgewicht des Schwimmers zunächst folgende Gleichung: I L 1) = + = F+L. Es sei ferner P der äussere Luftdruck, 6, das diesem entsprechende specifische Gewicht der Luft, h die Höhe der auf die Luftblase drückenden Wassersäule, so ist nach dem Boyle-Mariotte’schen Gesetz 2) o=S(P+h), wobei vorausgesetzt ist, dass P ebenfalls durch Wassersäulen gemessen ist. Setzt man nun den aus (2) sieh ergebenden Werth von o in (1) ein, so er- hält man 3) Zee Be p(P+h Aus Gleichung (3) ergiebt sich, dass der Taucher nur in einer bestimmten Tiefe im Gleichgewicht ist nnd zwar ist diese Tiefe uy 0 , 1 pP hat dabei den constanten Werth 32 x 770 einheit der Fuss gewählt wird, was in Rücksicht auf viele ältere Publieationen ge- schehen ist. ‚ vorausgesetzt, dass als Längen- 362 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 1 ee re Gl ai aa nd BET, - P. Es zeigt sich hieraus, dass diese Gleichgewichtsebene bei vermehrtem äusseren Druck 7 steigt, bei vermindertem Druck ? sinkt. Diese Betrachtungen dürften geeignet sein, ein klareres Licht auf die physi- kalische Bedeutung der Schwimmblase der Fische zu werfen. Nach Borelli’s Untersuchungen steht es fest, dass ein Fisch mit punc- tirter Blase etwas schwerer als Wasser ist. Die Richtigkeit dieses Versuches zeigt sich auch sehr einfach, wenn man einem Fisch die Schwimmblase heraus- nimmt, er sinkt dann unter, bindet man ihm eine Schwimmblase an, so bleibt er auf der Oberfläche des Wasser schwimmend. Da die Bauchwandungen des Fisches nicht starr sind, so kann der Fischkörper der Schwimmblase von dem- selben Gesichtspunkte aus, wie der Boyle’sche Schwimmer betrachtet werden. Man kann die Wassertiefe von der Oberfläche bis zu der labilen Gleichgewichts- lage als die Hydrosphaere des Fisches bezeichnen. In dieser wird sich der- selbe mit einem leichteren specifischen Gewicht, als das Wasser, aufhalten müssen. Hat ein Fisch direct unter der Oberfläche des Wassers seine Schwimm- blase ad maximum gefüllt, so kann er natürlich mit derselben bis zur unteren Grenze seiner Hydrosphaere schwimmen. Mit der Annäherung an diese Grenze nimmt jedoch sein specifisches Gewicht zu. Diese Zunahme wird für die Be- wegung eine Erleichterung sein; nehmen wir an, er brauche die Muskelkraft , um sich nach unten zu bewegen, so setzt sich diesem M entgegen erstens der Auftrieb, welcher mit zunehmender Tiefe geringer wird, zweitens der Wider- stand des Wassers, der ebenfalls mit zunehmender Tiefe kleiner wird, da sich das specifische Gewicht der 1 nähert. Bei dem Hinaufschwimmen des Fisches wird eine grössere Gleichmässigkeit der Bewegung eintreten, es nimmt nämlich der Auftrieb zu und giebt ihm eine grössere Erleichterung, dagegen wächst der Widerstand durch die ver- grösserte Differenz der specifischen Gewichte. Kann man auch diesen Wider- stand nicht exact in Rechnung bringen, so lässt sich doch folgende allgemeine Betrachtung anstellen, welche zeigt, dass beim horizontalen Schwimmen die Be- wegung in der Nähe der Oberfläche schwerer sein muss, als in der Nähe der unteren Grenze der Hydrosphaere. Nehmen wir an, der Fisch befinde sich in der Nähe dieser Grenze, also das specifische Gewicht desselben sei sehr wenig von dem des Wassers verschieden, und somit der Auftrieb sich der Null nähernd, so fände der Fisch bei Anwendung seiner Muskelkraft nicht den Widerstand, der von der Differenz der specifischen Gewichte herrührt und ebenso wenig den durch den Auftrieb gegebenen. In den höheren Schichten dagegen tritt der durch die Verschiedenheit der specifischen Gewichte gegebene. Widerstand der Be- wegung entgegen, da der Fisch gleichzeitig mit seiner eigenen Bewegung grössere Wassermengen in Bewegung zu setzen hat; zugleich ist ein erhöhter Auftrieb zu überwinden. Eine für die Erweiterung der Hydrosphaere wichtige Einrichtung der Fischblase lässt sich aus Gleichung (4) ersehen. Wird nämlich Z grösser, so wird auch % grösser, d. h. die Hydrosphaere wird vergrössert. Nehmen wir aber an, dass der Fisch an der Oberflächs ad maximum Luft aufgenommen hat, welchem Maximum eine bestimmte Hydrosphaere entspricht, so ist er im Stande, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — 0. LIEBREICH. 363 unterhalb der Oberfläche Luft aufzunehmen, da durch Verdichtung derselben in der Blase mehr Platz geschaffen ist, und zwar braucht er, damit die Hydro- sphaere um ein und dasselbe Stück vergrössert werde, im Verhältniss zu der schon vorhandenen Luftmenge um so weniger aufzunehmen, je tiefer die Hydrosphaere schon ist. Was das Schweben der Fische betrifft, so lässt sich auch für diese Er- scheinung der Boyle’sche Schwimmer zur Erklärung heranziehen. Die schwe- bende Stellung desselben ist, wie sich durch geeignete Apparate nachweisen lässt, nicht ein Ruhen bei dem specifischen Gewichte 1, sondern ein Balanciren auf der Gleichgewichtsebene, hervorgerufen durch abwechselnde Verdünnung und Verdichtung der Luft. Wenn nun ein Fisch beim Schweben äusserlich keine Muskelanstrengung macht, so ist dieselbe doch innerlich für die Musculatur der Schwimmblase nothwendig, seine Gleichgewichtebene wird dadurch, dass sie über und unter den Körper gleichmässig geschleudert wird, den Fisch thatsächlich in eine Ruhelage bringen. Ferner ist eine Thatsache zu berücksichtigen, welche möglicher Weise nicht nur bei Fischen, sondern auch bei anderen im Wasser lebenden Thieren in Be- tracht kommt. Hat man ein nach Art des Boyle’schen Schwimmers aus einem festen Körper und Luft bestehendes System derart, dass das specifische Gewicht etwas grösser als 1 ist, so kann dasselbe durch Contraetionsstösse der elastischen Luft in geeigneter Weise statt zum Sinken, zum Steigen gebracht werden. Das Entgegengesetzte findet statt, wenn der Körper leichter als Wasser ist. Durch Druckerhöhungen, welche allein nicht ausreichen würden, das System specifisch schwerer als 1 zu machen, ist es möglich, den Körper zum Sinken zu bringen, oder durch geeignete Stösse in schwebender Lage zu erhalten. Nachtrag. In der Sitzung vom 29. November 1889 sprach Hr. O. LriEBREICH: „Ueber das Lanolin und den Nachweis der Cholesterinfette beim Menschen.“! Nachdem die Glycerinfette durch Chevreul’s Untersuchungen in ihrer Zu- sammensetzung erkannt worden waren, versuchte man an die Untersuchung des ‚Wollfettes heranzutreten. Die ausserordentlich grosse Anzahl der Untersuchungen über diesen Gegenstand vermochte kein neues Licht über die Constitution des Wollfettes zu verbreiten, bis im Jahre 1868 Friedrich Hartmann und 1870 E. Schultze nachwiesen, dass in dem Wollfett die Cholesterinaether der fetten Säuren und auch Isocholesterinaether enthalten seien. Eine weitere physiologische Betrachtung über die Bedeutung dieses Fettes, von dem man annahm, dass es der Schafwolle eigenthümlich zukomme, wurde nicht gegeben, und von diesem, zugleich auch vom pharmakologischen Gesichts- punkte aus wurde die Frage in Angriff genommen. Es ist bekannt, dass Pflanzentheile, besonders die Früchte, von wachsartiger Materie umgeben sind, deren Absonderung zuweilen eine ausserordentliche Abun- danz zeigen kann. Die Carnaubapalme z. B. sondert soviel Wachs ab, dass von " Ausgegeben am 27. Januar 1890, 364 VERHANDLUNGEN DER BERLINER einem gefällten Stamme etwa 25 Pfund gewonnen werden können. Diese Wachs- arten sind als die Aether einatomiger Alkohole mit fetten Säuren erkannt wor- den und dienen als Schutzfette für die inneren Pflanzentheile, da sie entgegen den Glycerinfetten eine grössere Beständigkeit gegen chemische Einflüsse zeigen und von niederen Organismen nicht leicht zerstört werden. Die ungemein reichen Quantitäten von Fett, welche auf manchen Schaf- wollsorten vorkommen, stehen übrigens nicht vereinzelt da; die Federn der Fett- gans, die Stacheln des Stachelschweines zeigen, wenn auch nicht eine so reiche, so doch eine deutliche Absonderung von Fett. Es lag nun die Frage offen, ob nicht ein ähnliches Verhalten wie bei Pflanzen auch bei Thieren stattfinde, dass sie nämlich durch Fette, die nicht aus Glycerin, sondern aus einatomigen Alko- holen gebildet würden, speciell aus Cholesterin und Isocholesterin, vor den atmo- sphaerischen Einflüssen geschützt wären? Da das hornartige Material meistens nicht sehr reichlich ist und die in ihm zu erwartenden Quantitäten Fett als gering anzunehmen sind, so bedurfte es zum Nachweise zuvörderst einer be- stimmten Reactionsmethode. Von der Voraussetzung ausgehend, dass die kera- tinöse Substanz auch von Cholesterin oder dem Cholesterinfette ähnlichen Fetten durchdrungen sei, wurde die Liebermann’sche Cholestolreaction mit Essig- säureanhydrid und concentrirter Schwefelsäure benutzt, gleichzeitig eine vom Verfasser beobachtete Eigenschaft der Cholesterinfette bis zu 200 Procent Wasser aufzunehmen, eine Eigenschaft, die den bekannten Glycerinfetten fehlt. Es ge- lang, wie bereits früher nachgewiesen,! in der menschlichen Haut und Haaren, des Vernix caseosa, den Federn und Schnäbeln der Vögel, im Huf und den Kastanien der Pferde u. s. w. den Nachweis für das Vorkommen des Cholesterin- fettes zu geben. Obgleich in den Federn der Pinguine ausnahmsweise kein Cholesterinfett, sondern ein anderes Fett gefunden wurde, so kann man, beson- ders da letzteres sich als kein Glycerinfett ergab, annehmen, dass alle Thiere mehr oder weniger von den Aethern des Cholesterins, eines einatomigen Alkohols, eingehüllt sind, also eine Analogie des Pflanzenreiches mit dem Thierreich vor- liege. Dass dieses Fett, wie die Wachsarten bei Pflanzen, als Schutzfett dienen kann, ist besonders klar durch die Untersuchungen Gottstein’s bewiesen worden, welcher die Unzerlegbarkeit der Cholesterinfette gegenüber dem Glycerinfett durch Mikroorganismen mit Hülfe verschiedener Methoden prüfte und zeigen konnte, dass Nährgelatine, bedeckt mit Lanolin, unverändert bleibt, ein Eintritt der Mikroorganismen also nicht stattfindet, während Glycerinfette diesen Schutz nicht gewährten. (Ein solches ein Jahr altes durch Lanolin unverändert erhaltenes Gelatine- Praeparat konnte in der Sitzung vom 29. November 1889 demonstrirt werden.) Diesen Beobachtungen sich anschliessend, drängten sich neue Fragen auf, vor Allem, ob das Fett durch Drüsen secernirt werde, also gewissermaassen additionelles Fett für die Horngewebe sei, oder ob es durch die Zellen selber gebildet als intracelluläres auf die Oberfläche. gelange. Es hatte sich ge- zeigt, dass in dem Horngewebe der Thiere, selbst da, wo keine drüsigen Organe vorhanden sind, wie bei dem Huf und den Kastanien der Pferde, das Fett ebenso aufgefunden werden konnte, wie in der Nähe der Talgdrüsen. Es musste 1 O. Liebreich, Ueber das Lanolin u. s. w. Berliner klinische Wochenschrift 1885. Nr. 47. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — 0. LIEBREICH. 365 das Fett also hier intracellulär gebildet sein. Auch bei den Federn der Vögel konnte für diese Bildungsweise ein Beweis gefunden werden, da die Extraction der Federn der Pfauentaube, die keine Bürzeldrüse besitzt, zu Cholesterinfett führte. Für den Nachweis der Cholesterinfette beim Menschen stellen sich natur- gemäss der direeten Untersuchung einzelner Epidermistheile besondere Schwierig- keiten entgegen und eine verschärfte Methode der Untersuchung musste erwünscht sein. Es geschah eine solche erstens durch eine Verfeinerung der Reaction. An Stelle von Essigsäureanhydrid und Schwefelsäure wurde Chloroform, Essig- säureanhydrid und Schwefelsäure benutzt. Die Vortheile dieser Reaction sind nach vielen Gesichtspunkten ausserordentlich gross, es gelang noch, !/,yo00 Cho- lesterin und Cholesterinfette nachzuweisen. Zur Zeit meiner Untersuchungen mit Hülfe dieser Reaction publicirte Hr. Burchard dieselbe! Ich bin daher natürlich bereit, ihm die Priorität dieser Beobachtung zuzuerkennen, und möchte ich dieselbe zum Unterschied von der früheren als Liebermann-Burchard’sche bezeichnen. Zweitens gelang es, eine Trennung der Cholesterinfette von dem Cholesterin zu bewerkstelligen. Die dazu angewandten Substanzen sind der Acetessigaethylaether und der Aethylacetessigaethylaether. Diese beiden Körper sind vor anderen Lösungsmitteln dadurch ausgezeichnet, dass der Lösungs- coefficient derselben für Cholesterin ein bei Weitem grösserer ist als für das Lanolin. Werden Lanolin und Cholesterin in den heissen Lösungsmitteln in nach dem Lösungscoefficienten berechneten Quantitäten der Lösungsmittel gelöst, so scheidet sich beim Erkalten das Lanolin ab, während Cholesterin gelöst bleibt; der Niederschlag wird nach dem jedesmaligen Auswaschen mit Acetessigaethyl- aether oder Aethylacetessigaethylaether mehrere Male von Neuem gelöst, so dass schliesslich ein von freiem Cholesterin befreites Cholesterinfett übrig bleibt. Zur Untersuchung wurde menschliche Vernix caseosa benutzt, die bekannt- lich eine weisse salbenartige Masse ist und aus dem Secret der Talgdrüsen ge- mengt mit Epidermis besteht. Das bei 383—39° schmelzende Fett wurde durch Chloroformextraetion gewonnen. Das Fett zeigte die Liebermann-Burchard- sche Reaction, aber andererseits auch die Gegenwart von Glycerinfetten. Es wurde nun eine gewogene Menge in Aethylacetessigaethylaether gelöst und die Quantität des Lösungsmittels so hoch bemessen, dass es ausgereicht haben würde, die gesammte Masse, falls es Cholesterin gewesen wäre, in Lösung zu halten. Der kückstand, nach der soeben beschriebenen Methode weiter behandelt, liess ein Fett zurück, welches kein freies Cholesterin mehr enthalten konnte. Es zeigte dasselbe in der stärksten Weise die Cholestol-Reaction. Somit ist durch diese Methode erwiesen, dass in der Vernix caseosa, also beim Menschen, Lanolin vorkomme.? ! H. Burchard, Beiträge zur Kenntniss der Cholesterine. Rostock 1889. ® Ein Nachweis, dass in der menschlichen Haut kein Lanolin enthalten sei, ist son Hrn. Dr. Santi (Monatshefte für practische Dermatologie, Bd. IX, Nr. 4) ver- vucht worden. Derselbe glaubte gefunden zu haben, dass die Liebermann’sche Re- action für Cholesterin und Cholesterinfette eine von einander verschiedene Farbenscala zeigen, nämlich für Cholesterin roth, violet, für Lanolin orange bis roth und grün. Man kann sich leicht überzeugen, besonders mit Hülfe der Liebermann-Burchard’schen Reaction, dass die Grundfarben bei der Reaction rosa-roth und blau sind. Aus der Mischung dieser Farben entsteht violet und grün durch die Beimengung der bei der Reaction auftretenden gelben Farbe: letztere ist bei Gegenwart organischer Stoffe ziem- 366 VERHANDLUNGEN DER BERLINER IX. Sitzung am 14. Februar 1890." 1. Hr. HansemAnn hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber asym- metrische Karyokinesen in Krebszellen.“ ; Die Polymorphie der Krebszellen ist eine seit Langem bekannte Thatsache und ist schon von Johannes Müller in seinem Werk über die bösartigen Ge- schwülste zum Ausdruck gebracht worden. Sie war es, die lange Zeit den Streit um die Specifität der Krebszellen aufrecht erhielt. Diese Polymorphie erstreckt sich nun auch auf die Kerne der Krebszellen und äussert sich hier in der, Grösse, der Form und dem Chromatingehalt derselben. Der letztere tritt besonders bei den Kerntheilungsfiguren hervor. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Zellen ist am deutlichsten im Monaster-Stadium. Man findet Sterne mit sehr wenigen Fadensegmenten, z. B. 9 oder 8, gar nicht selten. Diese „bypochromatischen“ Zellen entstehen aus solchen mit mehr Segmenten durch asymmetrische Theilung, die im Grossen und Ganzen nach dem Princip der Karyokinese verläuft. Es lassen sich Zellen auffinden, die im Stadium der be- einnenden Anaphase stehen und bei denen dieses Verhältniss sich zahlenmässig nachweisen lässt, so z. B. eine Theilung in 5 und 8 Schleifen, oder eine solche in 11 und 16 Schleifen, Ist die Zelle in der Theilungsphase etwas weiter vor- geschritten, so verkürzen sich die Segmente, rücken näher aneinander und ver- schmelzen dann leichter durch Reagentien. Es ist dann nicht mehr möglich, die einzelnen Segmente zu zählen, aber die Differenzen der beiden Theilstücke sind doch so erheblich, dass die Deutung dadurch ermöglicht wird. Ist es schon zu einer Einschnürung der Zelle gekommen, so sind auch hier die beiden Theil- stücke von sehr verschiedener Grösse. Diese Befunde wurden gewonnen an 15 Epithelkrebsen, während 11 gutartige Epithelgeschwülste oder einfache Hyper- plasien nichts derart erkennen liessen. Trotzdem darf man nicht schliessen, dass die asymmetrische Karyokinese den Krebsen allein zukommt, aber man ist berechtigt, in allen Krebsen asymmetrische Karyokinese zu erwarten, was be- wiesen wird: 1) durch die vorliegenden Befunde, 2) durch die Mittheilungen von hypochromatischen Elementen in Krebsen dursh Klebs und Pfitzner, 3) durch den allgemein anerkannten verschiedenen Chromatingehalt der Krebs- zellen. Wie weitere Untersuchungen zeigen, gehen die hypochromatischen Zellen wahrscheinlich bald zu Grunde, nachdem sie sich vorher noch ein- oder mehrere- lich stark, so dass z. B. Schmalz und Cholesterin gemengt sofort grün giebt. Das Blau des Cholesterins geht ebenfalls in Grün über, wenn man ein wenig wartet. Man sieht, dass auf Grund dieser Erscheinungen kein Unterschied von Cholesterin und Cholesterinfett constatirt werden kann. — Es wurde auch von Hrn. Santi versucht, die Unverseifbarkeit des Lanolins in wässerigem Kali zu benutzen, um zu zeigen, dass kein Lanolin in der menschlichen Haut enthalten sei. Nun zeigt sich bei Gegenwart von Glycerinfetten, dass ein Theil des Lanolins gerade wie das Cholesterin sich in Seifen löst und ferner, dass das Lanolin, wie bekannt, zwar im Ganzen mit wässerigen Alkalien unverseifbar ist, ein Theil jedoch durch wässerige Alkalien besonders bei Gegen- wart anderer Seifen zerlegt wird, so dass auch diese versuchte Beweisführung als un- richtig zu bezeichnen ist. ! Ausgegeben am 21. Februar 1890. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HANSEMANN. — N. Zuntz. 367 mal getheilt haben. Der ganze Process gewinnt dadurch grosse Aehnlichkeit mit der Ausstossung der Richtungskörperchen beim Bi. Der Gegenstand ist ausführlich veröffentlicht in Virchow’s Archw, Bd. CXIX, 8. 299— 326. 2. Hr. N. Zuntz sprach: „Ueber die Einwirkung der Muskelthätig- keit auf den Stoffverbrauch des Menschen.“ Nach Versuchen des Hrn. Cand. med. Georg Katzenstein.! Seit Lavoisier’s denkwürdigen Untersuchungen wissen wir, dass die Muskel- thätigkeit mit einer erheblichen Steigerung des Sauerstoffverbrauches und der Kohlensäureausscheidung verbunden ist, und dieser Forscher hat schon den Ver- such gemacht, zahlenmässige Beziehungen zwischen Sauerstoffverbrauch und Grösse der geleisteten Arbeit festzustellen. Mehrfach sind seitdem ähnliche Be- stimmungen ausgeführt worden, doch sind die Untersuchungen theils nicht um- fasseud genug, theils nicht genügend gegen Einwände gesichert, so dass wir die nach Aufstellung des Princips von der Erhaltung der Energie doppelt interessante Aufgabe noch nicht als gelöst betrachten können. Ehe ich über Hrn. Katzenstein’s Versuche zur Feststellung der Grösse des 'Stoffverbrauchs bei Leistung bestimmter mechanischer Arbeit berichte, muss ich die Frage erörtern, mit welcher Sicherheit wir die Grösse des einer be- stimmten Arbeitsleistung entsprechenden Stoffumsatzes und der dabei aus chemi- schen Spannkräften freiwerdenden lebendigen Kraft ermitteln können. Die calorimetrischen Arbeiten von Stohmann und Rubner haben uns die Verbrennungswärme der Nährstoffe und der Körperbestandtheile so genau kennen gelehrt, dass wir unter der Voraussetzung vollständiger. Verbrennung bez. der Spaltung in Harn- und Kothbestandtheile einerseits, in einen verbrennenden An- theil andererseits, wie sie für die Eiweisskörper nachgewiesen ist, leicht aus dem Sauerstoffverbrauch und der Kohlensäureausscheidung die Menge der frei gewordenen Spannkräfte berechnen können. Gilt aber diese Voraussetzung auch noch bei Muskelarbeit? Viele der bis jetzt vorliegenden Untersuchungen möchten uns geneigt machen, diese Frage zu verneinen. Dieselben ergeben nämlich ein erhebliches Ansteigen des respiratorischen Quotienten bei der Arbeit. Derselbe kann sogar unendlich gross werden, wie die Untersuchungen von L. Hermann am ausgeschnittenen Muskel, die von Pflüger am Frosch, welcher lange Zeit "in reinem Stickstoff lebt uua sich bewegt, zeigen. Aus diesen Versuchen hat man sefolgert, dass der chemische Process bei der Muskelthätigkeit im Wesent- lichen eine Spaltung einer complicirten organischen Substanz sei, welche Kohlen- säure liefere. Zur Regeneration dieser Substanz wäre dann neben den organi- schen der Nahrung bez. den Reservestoffen des Körpers entstammenden Atom- complexen der eingeathmete Sauerstoff nöthig. Wir können nicht zweifeln, dass der chemische Process bei der Muskelthätigkeit ein sehr viel complieirterer ist, als bei der einfachen Verbrennung. Trotzdem können wir bei der Untersuchung der Muskelarbeit mit den bekannten Verbrennungswärmen rechnen, wenn wir unserer Betrachtung einen Zeitraum zu Grunde legen, innerhalb dessen sich der ursprüngliche Zustand im Muskel wieder hergestellt hat. Die frei gewordene Kraft muss dann den bekannten Principien der 'Thermochemie zufolge genau ! Ausgegeben am 7. März 1890. 368 VERHANDLUNGEN DER BERLINER dieselbe sein, als wenn die verbrauchten Mengen von Nährstoffen und Sauerstoff sich direct oxydativ verbunden hätten. Der günstigste Fall für die Berechnung der bei der Muskelthätigkeit umgesetzten Kraftmengen würde der sein, dass der regenerative Process mit der Spaltung gleichen Schritt hielte, d.h. dass das Verhältniss der Sauerstofaufnahme zur Kohlensäureausscheidung während der Arbeit unverändert bliebe. So verhielt es sich in der That in den Versuchen am arbeitenden Pferde, welche ich vor einem Jahre mit Lehmann und Hage- mann in den Landwirthschaftlichen Jahrbüchern veröffentlichte. Bei einem Theile der Versuche des Hrn. Katzenstein wurde, wie in vielen früheren Versuchen, ein Anwachsen der respiratorischen Quotienten constatirt, in einer grossen Versuchsreihe aber blieb derselbe vollkommen constant. Man muss daraus schliessen, dass die Steigerung der respiratorischen Quotienten nicht nothwendig in der Natur der Muskelthätigkeit begründet ist, vielmehr von gewissen Nebenumständen abhängt, welche verhindern, dass die Sauerstoffauf- nahme mit der Abspaltung der Kohlensäure gleichen Schritt hält. Ein Vergleich der jüngst erschienenen Untersuchungen von Speck,! in welchen viel regel- mässiger und stärker als in Katzenstein’s Versuchen der Quotient in die Höhe geht, wirft Licht auf diese Umstände Zum Theil beruht die relative Steigerung der CO,-Ausscheidung auf der durch die Muskelarbeit herbeigeführten Aenderung der Athemmechanik. Wie Geppert und ich nachgewiesen haben, wächst die Lungenventilation bei der Arbeit häufig stärker als die CO,-Produc- tion, so dass der Gehalt des Blutes und der Gewebe an Kohlensäure abnimmt. Diese Wirkung der Athemmechanik kann durch Abnahme der Alkalescenz des Blutes noch wesentlich verstärkt werden. Es kann aber die Arbeit auch zu localem Sauerstoffmangel führen, wenn nämlich ein Muskel so intensiv thätig ist, dass er trotz der starken Erweiterung seiner Arterien, welche ja die Ge- schwindigkeit des Blutstromes auf’s Drei- bis Vierfache zu erhöhen pflegt, dem durchströmenden Blute allen Sauerstoff entzieht. Ein solcher Muskel be- findet sich in der Lage des von Pflüger studirten Frosches im Stickgase. Bei weiterer Steigerung der Arbeit wird zwar noch mehr Kohlensäure produeirt, aber es kann dafür kein Sauerstoff aufgenommen werden. Der respiratorische Quotient wächst also. Dieser letzte Gesichtspunkt hauptsächlich dürfte die von Speck gefundene Steigerung des respiratorischen Quotienten, wie auch den Umstand erklären, dass es in seinen Versuchen sehr lange dauerte, ehe die Athmung nach der Muskel- arbeit wieder zur Norm zurückkehrte. ? I 1 Deutsches Archiv für klinische Mediein. Bd. XLV. S. 461. ® Als Beispiel verweise ich auf Speck’s Versuche 53, 56 und 57. Vor den beiden letzteren Versuchen wurde je 3'/, Minute lang eine Arbeit von 360 Fzm per Minute, im Ganzen also von 1260 *s® vollführt. In Versuch 53 wurde eine analoge, aber um !/,; geringere Arbeit (334 km per Minute) ausgeführt und bewirkte eine Stei- gerung des O-Verbrauchs um 848 «= der CO,-Production um 859 °® per Minute. Das macht für die ganze Arbeitszeit von 3'/, Minuten 2968 °® O und 3006 “m CO,. Diese Zahlen steigen für die um '/s höhere Arbeit auf 3196 = O und 3237 = CO,. In den einer derartigen Arbeit unmittelbar folgenden 4 Minuten 7’ wurden im Versuch 56 noch 1448° m O mehr aufgenommen und 2206 °® CO, mehr ausgeschieden; Ver- such 57 wurde 4!/, Minute nach Beendigung der Arbeit begonnen und dauerte 6 55"; er zeigte noch ein Plus von 353 °® im O-Verbrauch und ein solches von 630 “= in der CO,. Im Ganzen wurden also während der Arbeit 3237 «= CO, ausgeschie- den, nach derselben 2206 + 630 = 2836 “=. Beinahe die Hälfte der bei der Arbeit gebildeten CO, wurde also erst nachträglich ausgeschieden und analog verhält sich PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, —- ZUNTZ. 369 Die gesammte Arbeit, welche in Speck’s Versuchen geleistet wurde, war zwar nur eine geringe, in maximo 334 em pro Minute, aber diese Arbeit wurde mit einem einzigen Arme geleistet, während der übrige Körper in Ruhe war. Die thätigen Muskeln waren daher übermässig angestrengt, was sich auch darin aussprach, dass eine Arbeit von wenigen Minuten langdauernde Ermüdung des Armes zur Folge hatte. Der Umstand, dass bei der durch Gehen geleisteten Arbeit sich eine grosse Zahl von Muskeln betheilist und dass jeder derselben dabei nur in so mässigem Grade angestrengt wird, dass er erst nach mehrstündiger Arbeit ermüdet, er- klärt die von Katzenstein beobachtete Geringfügigkeit der Nachwirkung, sowie die Constanz des respiratorischen Quotienten. Die Berechnung der freigewor- denen Spannkräfte aus dem Gaswechsel gewinnt in der zunächst zu beobachtenden Versuchsreihe an dem 55-58 wiegenden Ko. noch dadurch an Zuverlässigkeit, dass das Körpergewicht dieses Mannes während der i4tägigen Versuchsreihe absolut constant blieb, derselbe sich also im vollkommenen Ernährungsgleich- gewicht befand. Ko. wog bei Beginn der Versuche am 13. August 55-35 "® und bei Schluss derselben am 31. August 55-36 8. Das Mittel der elf während der Versuchs- zeit ausgeführten Wägungen war = 55-535 Ye. Eine genaue Ermittelung der Nahrung war leider nicht möglich, wir können aber ihre Beschaffenheit aus dem Gaswechsel des Individuums, speciell aus der Natur des respiratorischen Quotienten erschliessen. Kleine Irrthümer, die wir bei dieser Schätzung begehen, kommen für die uns wesentlich interessirende Frage, nach der Grösse der im Körper freiwerdenden Spannkräfte, nur wenig in Betracht, wie eine Ueberschlagsrech- nung leicht ergiebt. Die Arbeit bestand in Gehen theils auf horizontaler Bahn, theils bergauf, theils bergab. Das Gehen erfolgte auf derselben Tretbahn, welche zu den Ver- suchen des Referenten mit C. Lehmann und Hagemann über die Arbeit des Pferdes benutzt wird und welche in den Zandwirthschaftlichen Jahrbüchern, 1889, S. 7—12, beschrieben und ebenda, Taf. I, abgebildet ist. Die Gehbahn wird durch ein ellipsoides geschlossenes Band von beweglich mit einander verbundenen Eisenstäben, die mit einem Belag von Bohlen bedeckt sind, gebildet. Die Bahn stützt sich mittels eiserner Rollen auf je ein Paar oberer und unterer Schienen. Die Bewegung der Bahn wird durch ein Zahnrad vermittelt, dessen Zähne in die Eisenstäbe, welche die Grundlage der Bahn bilden, eingreifen. Die Bewe- sung des Zahnrades erfolgt durch kiemenübertragung von einer kleinen in der Nähe aufgestellten Dampfmaschine. Die ganze Bahn mit den Schienen, auf welche sie sich stützt, ist mit einem starken Rahmenwerk von Baiken ver- bunden, welches seinerseits auf einem drehbaren Balken vorn, auf einem in ver- ticaler Richtung verschiebbaren hinten ruht. Indem der letztere Balken nach Art der Fuhrmannswinde mit Hülfe eines gezahnten Rades an einer Zahnstange auf- und abwärts geschoben wird, kann man die Richtung der Bahn gegen die Horizontalebene soweit verändern, dass dieselbe alle Winkel von einer Steigung von 20° bis zu einer Neigung von 10° nehmen kann. die O-Aufnahme. Dagegen beträgt in den Gehversuchen Katzenstein’s die nach- träglich ausgeschiedene CO,-Meuge nach einer 8 bis [0 Minuten dauernden Arbeits- leistung von 300 bis 500*s” per Minute, welche ein Gesammtplus des O-Verbrauchs und der CO,-Ausscheidung von 6000 bis 10000 «= bedingte, nur 225 bis höchstens 640 cm, Archiv f. A.u. Ph. 1890, Physiol. Abthlg, 24 370 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Wenn man diese Bahn nun mit Hülfe einer Dampfmaschine so schnell nach rückwärts dreht, wie das Versuchsindividuum vorwärts schreitet, bleibt dieses natürlich trotz beständigen Gehens an derselben Stelle Dadurch wird die Auf- gabe, die Athmung zu messen, zu einer sehr leichten. Es gilt einfach, das Mundstück und die Ventile, welche inspirirte und exspirirte Luft von einander trennen, sowie die Leitung, welche letztere nach der Gasuhr führt, so am Körper der Versuchsperson zu befestigen, dass keinerlei Zerrungen beim Gehen erfolgen. Die Einrichtung zum Messen der exspirirten Luft und zum Gewinnen einer Durchschnittsprobe derselben weichen nicht wesentlich von denen ab, welche Referent und Lehmann bei den Versuchen am hungernden Menschen und später Loewy angewendet und beschrieben haben. Ein von Bernh. Loeb jr., hier- selbst, geliefertes Mundstück mit Ventilen, welches den von diesem Fabrikanten für Athmung von irrespirablen Gasen in Bergwerken u. dergl. erfundenen nach- gebildet war, erwies sich als besonders bequem. Die Ausführung der Versuche geschah in der Regel so, dass das Individuum im Stehen anfing, durch die Apparate zu athmen, und damit während des Gehens unverändert fortfuhr. Dabei wurde die exspirirte Luftmenge jede Minute abge- lesen. Nachdem das Gehen 3—5 Minuten gedauert hatte, begann das Sammeln der Durchschnittsprobe für die Analyse und dauerte 4—6 Minuten. Während der Zeit von 1—2 Minuten, welche hierauf nöthig war, um das Auffangen einer neuen Durchschnittsprobe vorzubereiten, dauerte das Gehen im selben Tempo an. Dann wurde die Maschine still gestellt und während die Versuchsperson in be- quemer Stellung auf einen der Balken des Tretwerks sich lehnend ruhte, wurde eine zweite Luftprobe zur Analyse angesammelt; dieselbe ergab die Nachwirkung der Arbeit auf den Gaswechsel. Im Laufe eines Morgens konnten 6—8 solche Bestimmungen ausgeführt werden. Dabei wurde die Neigung der Tretbahn ge- ändert, und zwar meist so, dass in einem Theile der Versuche der Weg hori- zontal war, in dem anderen ein Steigen um 5—6 Winkelgrade erfolgte. Die Einwirkung dieser Geharbeit auf die Athemmechanik war stets eine sehr prompte. Die Athemgrösse, welche in der Ruhe 3 300 °® betrug, stieg schon in der ersten Minute des horizontalen Gehens mit einer Geschwindigkeit von etwa 75 ® pro Minute auf etwa 14 000 °®, in der zweiten auf 15—16 000 ® und blieb auf diesem Werthe, so lange das Gehen andauerte Nach dem Still- stande war dann die Athmung in 3, längstens 4 Minuten wieder bis zum Normal- werth herabgesunken, um in den nächstfolgenden etwas unter denselben zu fallen. Beim Bergaufsteigen war das Wachsen der Athemgrösse natürlich noch bedeu- tender, meist war auch hier bis zu der 3. Minute das Maximum, 20—22 Liter, erreicht, die Rückkehr zur Norm dauerte etwa 1 Minute länger als nach hori- zontalem Gehen. Die Steigerung der Ventilation entsprach nicht ganz dem Athembedürfniss, es wuchs demnach der procentische Werth des O-Deficits und der Kohlensäure- ausscheidung und zwar beim Bergansteigen mehr als beim horizontalen Gehen. Hierin weicht der Mensch von dem Verhalten des Hundes und des Kaninchens ab,! das Pferd steht etwa in der Mitte der beiden Extreme. Das Wesentliche für uns ist der Zuwachs, welchen Sauerstoffverbrauch und CO,-Bildung während der verschiedenen Formen des Gehens erleiden und das ! Vgl. J. Geppert und N. Zuntz, Ueber die Regulation der Athmung. Pflüger’s Archiv u.s.w. 1888. Bd. XLII. S. 189—245. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. Sul Verhältniss dieses Zuwachses zur geleisteten Arbeit. Nur ein Theil dieser Arbeit ist ohne Weiteres in mechanischem Maasse ausdrückbar, das ist die für Hebung des Körpers aufgewendete. Die Hebung misst sich durch das Product des Weges mit dem Sinus des Steigungswinkels. Dieser Winkel wurde jedesmal mit Hülfe einer Nivellirvorrichtung gemessen, wobei der Fehler nur wenige Winkelminuten ausmachte. Die Steigarbeit ist das Product aus Hebung und Körpergewicht. Die Mittel der bei Ko. erhobenen Werthe sind auf die Minute berechnet folgende: a) 17 Versuche bei fast horizontalem Gang: Weg = 74.48 ", Steigarbeit —= 32.27 kem. O-Verbr. = 763 °", Resp.-Quot. = 0.805; b) 16 Versuche beim Gehen bergauf: Weg = 67.42 ", Steigarbeit = 403.72 km; OQ-Verbr. = 1253.2 m, Resp.-Quot. = 0:799; c) 4 Versuche bei ruhigem Stehen: O-Verbr. = 263.75 °“, Resp.-Quot. = 0.801; d) 2 Versuche beim Gehen bergab: Weg=80.6", Steigarbeit = — 110. 1*E”, O-Verbr. = 701-0 °®, Resp.-Quot. = 0-755. Durch Subtraction des Sauerstoffverbrauchs in der Ruhe von dem bei den verschiedenen Arbeitsleistungen gewinnen wir eine ungefähre Vorstellung von dem Stoffverbrauch, durch welchen die Arbeit bestritten wurde. Ich sage eine ungefähre deshalb, weil wohl unzweifelhaft die Leistungen, welche der Körper in der Ruhe vollführt, bei der Arbeit nicht ungeschwächt andauern, andererseits aber die Arbeit ausser der ihr direct zu Gute kommenden Leistung noch eine verstärkte Thätigkeit des Herzens und der Athemmuskeln erfordert. Nach Subtraction des Ruhewerthes ergeben sich für die beiden am voll- ständigsten untersuchten Formen des Gehens folgende Minutenwerthe: a) 17 Versuche bei fast horizontalem Gange: Weg = 74-48", Steigarbeit — 32.27 kem, Zuwachs des O-Verbrauchs = 499.25 m; b) 16 Versuche beim Gehen bergauf: Weg = 67.42 %, Steigarbeit = 403.72 ksm, Zuwachs des O-Verbr. = 989.45 sm, P= Wäre der Vorsatz, in der einen Versuchsreihe die Bahn horizontal zu stellen, absolut genau ausführbar gewesen, so brauchten wir nur die Differenz des zur Fortbewegung um ein Meter in beiden Fällen erforderlichen Sauerstoffverbrauchs zu nehmen. Diese Differenz wurde bedingt durch den im zweiten Falle für die Hebung des Körpers erforderlichen Kraftaufwand; den Werth dieser Hebung in Kilogrammmetern kennen wir genau. Die Rechnung setzt nur voraus, dass der Charakter der Gehbewegungen beim Bergaufschreiten derselbe bleibt, wie beim horizontalen Gang. Von der annähernden Richtigkeit dieser Voraussetzung konnte man sich durch Beobach- tung der auf der Tretbahn gehenden Individuen sehr wohl überzeugen. So be- sehen wir also gewiss keinen nennenswerthen Fehler, wenn wir annehmen, dass in beiden Versuchsreihen für die horizontale Fortbewegung um ein Meter die- selbe Muskelthätigkeit und dem entsprechend derselbe Sauerstoffverbrauch, den wir mit x bezeichnen wollen, erforderlich ist, während die Hebung des Körpers pro Kilogrammmeter einen Sauerstoffverbrauch y erheischt. Aus den obigen Angaben über Weg, Steigarbeit und Sauerstoffverbrauch leiten sich dann fol- sende zwei Gleichungen ab: 24* 31024 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 1. 74.482 + 32-27 y = 499.25 2. 67.420 + 4053-72 y = 989.45 Hieraus berechnet sich x = 6-08114 Merlsie Das heisst für die horizontale Fortbewegung des mit den 3 #2 wiegenden Kleidern 55-53 ®& schweren Mannes werden per Meter Weges 6-.08114 = O verbraucht, für die Leistung einer Steigarbeit von 1 Fem werden 1.4353 m O verbraucht. Um zu prüfen, wie weit die hier gewonnenen Ergebnisse Anspruch auf all- gemeinere Gültigkeit haben, hat Katzenstein ganz analoge Versuche, nur in geringerer Zahl, an mehreren anderen Männern angestellt. Um die Zahlen vollkommen mit einander vergleichbar zu machen, muss der Werth x» in allen Fällen auf die Einheit des Körpergewichtes und zwar des Gewichtes des bekleideten Menschen umgerechnet werden, da mit diesem Ge- wichte die Grösse der Anstrengung bei der Horizontalbewegung wächst. Er findet so, dass für die horizontale Bewegung um ein Meter pro Kilo für einen bekleideten Menschen an Sauerstoff erforderlich sind: bei Ko. = 0-1095 °", für 1 kam Steigarbeit = 1-4353 TR Voraen, & es ae i Br r91sg A x — 1.5038 Man sieht aus diesen Zahlen, dass der Sauerstoffverbrauch für die Leistung eines Kilogrammmeters Steigarbeit innerhalb engerer Grenzen schwankt, als der für Zurücklegung von einem Meter Weg. Ferner zeigt sich, dass diejenigen Individuen, welche die Horizontalbewegung am wenigsten oekonomisch leisten, beim Aufwärtssteigen die Hebung des Körpers scheinbar mit dem geringsten Stoffaufwand vollziehen. Dieser Umstand illustrirt die Ursache der gefundenen Unterschiede. Sie liegt in der verschieden zweckmässigen Weise des horizontalen Ganges. Der Sauerstoffverbrauch für die normale Leistung kann sich bei ihm wie 1:2 verhalten, ein Ergebniss, das sich aus der verschieden geschickten Gangweise verschiedener Individuen zur Genüge erklärt. Beim Gange bergauf zwingt. die grössere Anforderung zu einer oekonomischeren Verwerthung der Kräfte, daher ist hier bei denjenigen Individuen, welche beim horizontalen Gange unnütze Mitbewegungen machten, der Zuwachs an Stoffverbrauch ein geringerer, weil diese Mitbewegungen wegfallen, und so berechnet sich der Werth y bei ihnen zu niedrig. In der That sehen wir, dass mit den grössten Werthen für die kleinsten für y zusammenfallen. Wir müssten demgemäss die an Z. gefun- denen Werthe für x und y als die richtigsten betrachten, wäre nicht die Zahl der Versuche an diesem Individuum zu gering (zweimal horizontaler Gang, ein- mal bergauf). So halten wir uns vorläufig besser an die nur wenig abweichen- den und wegen der Zahl der Versuche von Zufälligkeiten unbeeinflussten Er- gebnisse bei Ko. Wir wollen zunächst einen bisher nur auf anderem, viel weniger sicherem Wege gesuchten Werth aus ihnen berechnen: die mechanische Leistung des Menschen beim horizontalen Gang. Wenn für 1 !Sm Arbeit 1.4353 m O er- forderlich sind, entsprechen die 0°1095 °" OQ-Verbrauch für die horizontale Fortbewegung pro kg und Meter einer mechanischen Arbeit von 0-07629 kam, und es entsprechen die 6. 08114°°m O, welche das ganze Individuum von 55-535 FE nn PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuNTz. 373 Gewicht braucht, einer mechanischen Leistung von 4.2369 ksm pro Meter Weg bez. 315°56 sm pro Minute. Man hat bisher nur eine Ableitung dieses Werthes aus der mechanischen Analyse des menschlichen Ganges versucht; auf Grund der genauen Daten, welche Marey’s Momentphotographien für diese Analyse geliefert haben, berechneten Marey und Demeny! folgende Werthe für einen 64 *® wiegenden Mann: Minimum bei ganz langsamem Marsche = 364 kem, Maximum bei schnellstem Laufe = 3374 \sm, Für die Geschwindigkeit, welche Ko. im Mittel innehielt, entsprechend etwa 80 Schritten pro Minute, wird die Anstrengung zu 9*sm. pro Schritt, also zu etwa 720 Em pro Minute berechnet, d.h. mehr als doppelt so hoch als Katzenstein sie gefunden hat. Einer der Fehler, welche diese zu hohe Auswerthung bedingt haben, ist von Demeny? selbst später klar gestellt worden. Er zeigt durch Messung der Lage des Kör- perschwerpunktes bei den verschiedenen im Laufe eines Schrittes eingenommenen Stellungen, dass die Hebungen und Senkungen dieses Schwerpunktes nur etwa halb so gross sind, als die gleichzeitigen Lageänderungen des Scheitels, aus welchen dieselben bei der früheren Rechnung abgeleitet waren. Die ursprüng- liche und die corrigirte Rechnung gestaltet sich wie folgt: erste corrigirte Rechnung Für Beschleunigung und Hemmung der Beinbewegung 0.3Fem 0.3 km Für senkrechte Oscillation des Körperschwerpunktes 6-2 „ 3-1 ,, Für Beschleunigung und Hemmung der Horizontal- bewegung des Körperschwerpunktes . . ...%25, 25, 9.0k&m 5. 9 kgm Aber auch die corrigirte Rechnung ergiebt noch pro Minute 80 x 5-9 — 472ksm, während Katzenstein für den 55-5*8 wiegenden Ko. 315.4 ksm fand, was bei 64®8 Gewicht 363.7 gm entsprechen würde. Marey und De- meny nennen übrigens selbst ihre Zahlen Maximalwerthe und sie müssen als solche schon deshalb bezeichnet werden, weil die Autoren für die negative Ar- beit der Senkung des Schwerpunktes dieselbe Muskelthätigkeit in Rechnung setzen, wie für die positive des Hebens. Sie weisen zur Begründung dieser Annahme auf die Erfahrung hin, dass Bergabsteigen fast ebenso sehr ermüde, als die Bewegung bergan. Man braucht, um das Unrichtige dieser Annahme sich klar zu machen, nur daran zu denken, wie geschwind man bei günstiger Gestaltung des Weges in eine grosse Tiefe hinabsteigen kann, während beim Bergaufsteigen die Athemnoth, das sicherste Zeichen ‘des über die mögliche Zu- fuhr hinausgewachsenen Sauerstoffbedürfnisses der Schnelligkeit der Bewegung eine ziemlich niedrige Grenze setzt. In der That fand Katzenstein, wie aus den oben angeführten Zahlen hervorgeht, den Sauerstoffverbrauch beim Berg- absteigen sogar etwas geringer, als bei horizontalem Gang. Sollte dies Ergeb- niss, weil es nur auf zwei Beobachtungen sich stützt, noch als zweifelhaft er- scheinen, so müssen diese Zweifel schwinden gegenüber dem gleichen Befunde, den wir in einer grösseren, noch nicht publicirten Versuchsreihe am Pferde hatten. Es dürfte an dieser Stelle von Interesse sein, die Arbeitsleistung des Men- schen mit der des Pferdes zu vergleichen. Diesen Vergleich kann ich mit einer 1 Comptes rendus de l’Academie des Seiences. t. CI. p. 905. 3 Ibidem. t. CV. p. 679. 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER gewissen Zuversicht anstellen, weil die Messung der Arbeitsleistung sowohl, als auch des ihr entsprechenden Gaswechsels mutatis mutandis nach gleichen Me- thoden erfolgte. In der bereits erwähnten Publication in den Zandwirthschaft- lichen Jahrbüchern 1589 berechneten wir den Sauerstoffverbrauch pro Kilo Pferd: Für die Horizontalbewegung um 1” zu 0.0932 em » » Steigarbeit pro Kilogrammmeter ,„ 1-332 „ Bei diesen ersten Bestimmungen fiel der Sauerstoffverbrauch für die Hori- zontalbewegung zu gross aus und zwar deshalb, weil wir durch eine Gesichts- maske, welche das Thier durch ihre Schwere und durch die Spannung, welche sie ausübte, in etwas belästigte, athmen liessen. Die späteren Versuche wurden am tracheotomirten Thiere, welches durch eine Trendelenburg-Moeller'sche Tamponcanüle athmete, angestellt. Eine kleine Zahl solcher ergab bei dem- selben Pferde, welches obige Zahlen lieferte: Für die Horizontalbewegung um 1” 0.0808 Sauerstoffverbrauch » » Steigarbeit pro Kilogrammmeter 1-360 „, „ Eine grosse Reihe noch nicht publieirter Versuche an einem anderen durch- aus normal gebauten Pferde, welche in der Zeit vom December 1888 bis jetzt ausgeführt wurden, ergab noch günstigere Zahlen für die Horizontalbewegung, dagegen etwas schlechtere Verwerthung der Muskelkraft bei der Steigarbeit: Erstere erforderte pro Meter Weg nur 0.0678 °“@ Sauerstoff Letztere ” „ Kilogrammmeter 1-521 „ en Ein Vergleich der am Menschen und am Pferde ermittelten Zahlen führt zu dem interessanten Ergebniss, dass die mechanische Arbeit von beiden fast genau mit demselben Sauerstoffverbrauch bestritten wird, der Unterschied beim Vergleich verschiedener Menschen, bez. verschiedener Pferde mit einander fällt grösser aus als der zwischen dem Zwei- und dem Vierfüsser. Anders steht es mit der Horizontalbewegung, diese leistet der letztere unstreitig mit geringerer Anstrengung. Die Vielseitigkeit der Verwendung seiner Kräfte, welche der Mensch dadurch erlangt hat, dass die vorderen Extremitäten von der Hülfeleistung bei der Ortsbewegung entbunden wurden, muss er mit einem Mehr- aufwand an Kräften bei der Locomotion bezahlen. Wie weit dieser Mehrauf- wand durch rationelle Gestaltung der Gehbewegungen vermindert werden kann, müssen weitere Untersuchungen feststellen; da bei einem von Katzenstein’s Objeeten der Sauerstoffverbrauch für die Horizontalbewegung so niedrig war, dass er in die beim Pferde gefundenen Werthe hineinfällt, ist es nicht unwahr- scheinlich, dass bei Untersuchung vollkommen trainirter Menschen der Unterschied zwischen Mensch und Pferd ganz verschwindet. Bei unseren Versuchen am Pferde hat sich ein erheblicher Binfluss der Geschwindigkeit der Bewegung auf den Stoffverbrauch gezeigt. Die Zurück- legung eines Weges von 1” erforderte im Trabe bei dem emen Pferde (Ge- schwindigkeit 148% pro Minute) 0.101 °% pro kg, das heisst 25 Procent mehr als im Schritt, bei dem anderen (Geschwindigkeit 211” pro Minute) 0107 m pro kg, d.h. 67 Procent mehr als die Bewegung im Schritt. Es sind offenbar die sehr viel erheblicheren Dislocationen des Schwerpunktes bei der schnelleren Bewegung, welche diese weniger oekonomisch machen. Für den Menschen haben Marey und Demeny an der oben eitirten Stelle gezeigt, dass die Arbeit bei schnellerer Bewegung auch ohne Aenderung der PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. Zuntz. 375 Gangart sehr erheblich wächst, und zwar sind es hauptsächlich die grösseren senkrechten Oscillationen des Körperschwerpunktes, welche bei rascheren Schritten die für die Wegeinheit aufzuwendende Arbeit erhöhen. In den 17 Versuchen Katzenstein’s an Ko. bei annähernd horizontalem Gange schwankt die Geschwindigkeit zwischen 56 und 92” pro Minute. Be- rechnet man nun für jeden dieser Versuche den O-Verbrauch aus den oben an- seführten Durchschnittswerthen (6081 °“® O pro Meter Weg und 1.435 m O pro Kilogrammmeter Steigarbeit), so übertreffen die berechneten Zahlen die wirklich gefundenen meist bei langsamem Gang, während sie bei raschem da- hinter zurückbleiben. Im. Grossen und Ganzen wird also die Auffassung von Marey und Demeny durch Katzenstein’s Erfahrungen bestätigt. Beim Pferde haben die bisherigen Experimente, die allerdings noch nicht speciell auf diesen Punkt gerichtet waren, keinen regelmässigen Unterschied zwischen schnellerer und langsamerer Bewegung innerhalb derselben Gangart ergeben. Bisher haben wir nur die Arbeit des Menschen bei der Locpmotion be- trachtet, wobei die Hauptleistung den Muskeln der unteren Extremitäten zufällt. Eine besondere Versuchsreihe Katzenstein’s beschäftigt sich mit einer Ar- beitsform, bei der die Musculatur der oberen Extremitäten vorwiegend in An- spruch genommen wird, das ist das Raddrehen. Dr. Gaertner in Wien ha- unter dem Namen Ergostat einen Apparat anfertigen lassen, welcher im Wesentt lichen aus einer leicht drehbaren horizontalen Axe besteht, welche durch eine Kurbel gedreht wird, während eine Bremse, deren Leistung durch ein Lauf- gewicht an einer langen graduirten Stange sicher abgestuft werden kann, den nöthigen Widerstand liefert. Die Scala des Bremshebels giebt die Arbeit einer Umdrehung in Kilo- srammmetern an. Diese Scala ist annähernd richtig, doch hat sich Hr. Katzen- stein nicht bei ihren Angaben beruhigt, vielmehr nach einem Verfahren, wel- ches schon früher Lehmann und ich -bei Benutzung desselben Apparates er- probt hatten, mit Hülfe einer Federwage die Arbeit genau bestimmt, welche bei jeder Umdrehung geleistet wird. Die Zahl der Umdrehungen registrirt ein am Apparate angebrachter Tourenzähler. Die Einrichtung für die Messung der Athemgase wich nur wenig von der bei den Gehversuchen benutzten ab. Die Probenahme begann auch hier immer erst, nachdem die betreffende Arbeit einige Minute gedauert hatte, dadurch wurde es unnöthig den in der Nach- wirkungsperiode noch erhöhten Gaswechsel für die Berechnung des Stoffverbrauchs bei der Arbeit zu berücksichtigen. Die Nachwirkung ist bei diesen Versuchen etwas stärker als bei den Gehversuchen, erreicht aber doch keine Werthe, welche denen Speck’s gleichkommen. Auch die Steigerung des respiratorischen Quotienten ist viel geringer als dieser Autor gefunden hatte, in einigen Ver- suchen fehlt sie ganz, ähnlich wie wir dies bei den Gehversuchen an Ko. ge- funden hatten. Wir dürfen demgemäss auch hier den Stoffwechsel während der Arbeit als normal ansehen. Der Sauerstoffverbrauch für 1 "SM Dreharbeit ist bei den Versuchen mit ge- ringer Belastung grösser als bei denen mit stärkerer. Im Mittel einer grösseren Zahl von Versuchen an sechs verschiedenen Per- sonen ergaben sich folgende auf’s Kilo Körpergewicht und die Minute bezogene Werthe: 1. Arbeit 3115 3% bei 31-04 Radumdrehungen — O-Verbrauch nach Ab- zug des Ruhewerthes = 11 405 °®; 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 2. Arbeit 7487 ksm bei 26:44 Radumdrehungen — O-Verbrauch nach Ab- zug des Ruhewerthes = 19 176°", Indem wir diese Werthe in derselben Weise wie bei den Gehversuchen com- biniren, finden wir, dass der Sauerstofiverbrauch fürsa ken Dreharbeiten ee nehrägt „ 1 widerstandslose Umdrehung des Rades . 0-1711,, ” Die Dreharbeit wird also sehr viel weniger oekonomisch vollführt als die Arbeit beim Gehen. Letztere erforderte im ungünstigsten Falle 1-5038 «m O pro Kilogrammmeter. Die Dreharbeit im Durchschnitt 1°957 m. Wir hätten nun schliesslich noch die Verbrennungswärme der Nährstoffe und den dieser entsprechenden theoretischen Arbeitswerth des aufgenommenen Sauerstoffs zu berechnen, um diesen mit der factisch gefundenen Arbeitsleistung zu vergleichen. Aus den Bestimmungen Rubner’s über die Verbrennungswärme der Nährstoffe bei der Zersetzung, welche sie im lebenden Organismus erleiden, ergiebt sich, dass 1 Liter Sauerstoff folgenden Wärme- bez. Arbeitsmengen ent- spricht: 1. Bei Zersetzung von Muskelsubstanz = 4333 cal = 1837 kam 2.5 55 „ Fett —_ 402200, — 11960 I: y5 „ Stärke — A ODE —e2 110 Je nachdem man nun den nicht bestimmten Antheil der Eiweisskörper an der gesammten Zersetzung innerhalb der zulässigen Grenzen möglichst hoch oder möglichst niedrig schätzt und dann das Verhältniss von Fett und Kohlehydrat aus dem respiratorischen Quotienten berechnet, ergiebt sich der mechanische Werth eines verbrauchten Cubikcentimeters Sauerstoff im ersteren Falle zu 1:968 m, im letzteren zu 1-999 sm, Da beim Gehen der Sauerstoffverbrauch pro kgm Arbeit = 1.435 *" beträgt, so entspricht die hierbei umgesetzte Körpersubstanz einer mechanischen Arbeit von 1.435 x 1968 = 2824 \em bez. von 1-435 x 1999 = 2869 \®”, Die factisch geleistete Arbeit beträgt im ersten Falle =35.4 Procent, im letzteren 34 85 Procent der theoretisch möglichen. Beim Pferde ist die Ausnutzung der zersetzten Substanz bei der Arbeit fast senau dieselbe, vielleicht um einige Procent geringer, wie aus den oben mit- getheilten Zahlen sich leicht berechnen lässt. X. Sitzung am 28. Februar 1890. Hr. Inmanven Munk im Verein mit Hrn. Dr. Rosenstein berichtete: „Ueber Darmresorption, nach Beobachtungen an einer Lymph- (chylus-)fistel beim Menschen.“ Hr. Dr. Rosenstein (a. G.) stellte eine 18 jährige Patientin aus der unter Leitung des Hrn. Dr. J. Israel stehenden chirurgischen Abtheilung des ‚Jüdischen Krankenhauses vor, bei der sich seit vier Jahren eine von oben nach unten ı Ausgegeben am 7. März 1890. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. — IMMANUEL MUnK. 377 fortschreitende Elephantiasis des linken Beines ohne nachweisbare Ursache ent- wickelt hat. Gleichzeitig bildete sich zuerst am Oberschenkel, später, unter Schluss der ersteren, am Unterschenkel eine Fistel, welche sich zuerst all- monatlich, später in kürzeren Intervallen öffnete und während einer Dauer von durchschnittlich je vier Tagen eine, im nüchternen Zustande klare, im Laufe des Tages sich mehr oder weniger stark milchig trübende Flüssigkeit entleerte. Die während des Umhergehens stärker, in der Ruhe weniger stark ausfliessende Flüssigkeitsmenge betrug im nüchternen Zustande 70—120 8”! in der Stunde und stieg während der Verdauung, insbesondere von fettreicher Nahrung, bis auf 1508”% an; einmal wurden auf der Höhe der Fettverdauung schon in !/, Stunde 149 en sewonnen. Aus der chemischen Untersuchung der Flüssigkeit, sowie aus der schon makroskopisch sichtbaren, starken Erweiterung der feinsten Lymph- sefässe der Haut erhellt mit Sicherheit, dass es sich um eine Lymphfistel han- delt, welche auf der Höhe der Verdauung chylöse Flüssigkeit entleert. Weiter berichtet Hr. I. Munk über die im Verein mit dem Vorredner im physiologischen Laboratorium der Landwirthschaftlichen Hochschule ausgeführten Untersuchungen: Die ausfliessende Lymphe war stets frei von Blutkörperchen oder Blut- farbstoff. Im nüchternen Zustande aufgefangen, war sie grünlichgelb, opalisirend, von 1-017—1-023 spec. Gewicht, enthielt 3°7—5.5 Procent feste Stoffe, da- unter 3.4—4.1 Procent Eiweiss (Globulin : Albumin = 1:2.4—4), 0:06—0.13 Procent Aetherextract (Fett, Lecithin, Cholesterin) und rund 0-1 Procent Zucker. Ausser Eiweiss fanden sich N-haltige Extractivstoffe zu 0-.05—0.-07 Procent N. Unter den Salzen, 0:S—0.-9 Procent, vorherrschend Na Cl zu 0 °55—0°58 Pro- cent, ausserdem 0-24 Procent kohlensaures Natron; von Kalisalzen fand sich nur wenig, etwa nur !/,, so viel als von Natronsalzen, Phosphate entsprechend 0-017—0.021 Procent P,O,, von Eisen nur Spuren (0001 Procent Fe.) Bald früher bald später nach der Entleerung bildete sich ein lockeres Fibringerinnsel. Nach Genuss fetthaltiger Nahrung wurde die Lymphe von der zweiten Verdauungsstunde ab milchig trübe; die milchige Trübung nahm stetig zu bis zur fünften bis achten Stunde. Schon von der dritten bis vierten Stunde ab sah die Lymphe wie eine gesättigte weisse Milch aus, mit im Maximum 4!/, Procent Fett und mit der charakteristischen Eigenschaft des Chylus: feiner Fettstaub und nur wenige Fetttröpfchen kleinsten Ausmaasses. Auf der Höhe der Verdauung waren stündliche Ausflussmengen von 120—140 8% nichts Sel- tenes, einmal wurden nach reichlichem Fettgenuss in der fünften Verdauungs- stunde schon innerhalb 30 Minuten 1498'M Chylus mit 3-9 Procent Fett ge- wonnen. Da, wie die Untersuchung: lehrte, schon die in den ersten 13 Stunden nach Fettgenuss ausgeflossene chylöse Lymphe rund 60 Procent des verabreichten Fettes entführte, war es höchst wahrscheinlich, dass, wenn überhaupt, nur ein kleiner Bruchtheil des Chylus in’s Blut, die bei weitem überwiegende Menge mit der Lymphe durch die Fistel nach aussen gelangt. Ein fernerer Versuch zeigte, dass, während in der fünften Stunde nach reichlichem Genuss von Sahne die ausfliessende chylöse Lymphe über 113m Fett pro Stunde aus dem Körper ent- führte, kein irgend erheblicher Bruchtheil davon durch den Brustgang dem Blute zuströmte: denn das zu derselben Zeit entzogene Blut enthielt nur 0-16 ! Die Angaben über die Lymphmenge beziehen sich auf die sitzende Stellung, weil beim Umhergehen nur für kürzere Zeit ein sicheres Auffangen möglich war. 378 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Procent Aetherextract, also kaum mehr als im nüchternen Zustande, während sich sonst auf der Höhe der Fettverdauung im Blute ein Gehalt an Fett von 0:8—0.9 Procent und darüber findet. Da somit fast der gesammte Darm- chylus aus der Cysterna chyli durch die enorm erweiterten Lymphgefässe des Truncus lumbalis sin. nach unten und durch die Fistel nach aussen floss, war die, beim Menschen bisher noch nicht beobachtete Gelegenheit geboten, durch chemische Analyse der in den einzelnen Stunden, nach Einführung bestimmter Nahrungsstoffe per os, ausgeflossenen Lymphmengen den zeitlichen Ablauf der Darmresorption quantitativ zu verfolgen. Nachdem, Pat. vor 17 Stunden die letzte fetthaltige Nahrung zu sich ge- nommen hatte, wurde zunächst 1—2 Stunden lang die Lymphe des nüchternen Zustandes aufgefangen; dann bekam sie die auf die Resorption zu prüfende Substanz und danach wurde 11—13 Stunden lang die Lymphe aufgefangen, und zwar für jede Stunde gesondert, und analysirt. Nach Genuss von Olivenöl (in Form von Lipanin, 41 8'M) erschienen die ersten Fettantheile in der zweiten Stunde, erreichten in der dritten Stunde schon 1'37, in der vierten sogar 3-24 Procent und in der fünften Stunde das Maxi- mum mit 4-34 Procent; von da ab sank der Fettgehalt allmählich ab, betrug aber noch in der 12. Stunde 1-17 Procent. Die Gesammtfettausfuhr stieg von 0.188" in der zweiten Stunde bis zum Maximum von 5-65 2'% in der fünften Stunde; in der dreizehnten Stunde hatte sie bis auf 0.53 8"M abgenommen. Das Aetherextract des Chylus hinterliess beim Verdunsten ein noch bei 0° flüssiges Oel, das sich nur durch eine intensiv gelbe Färbung von. dem ein- geführten Oel unterschied; es enthielt nur geringe Antheile freier Fettsäuren und daneben fand sich an Seifen nicht mehr als in der Norm (rund 0-1 Procent). Nach Verabreichung der nämlichen Menge Hammeltalg enthielt zwar die Lymphe schon in der zweiten Stunde 1°9 Procent Fett, das weitere Ansteigen erfolgte aber langsamer als beim Oel; das Maximum des Fettgehaltes mit 3-8 Pro- cent fiel erst in die siebente bis achte Stunde. Dafür ging aber nunmehr das Absinken schneller vor sich, so dass bereits in der elften Stunde die Lymphe nur noch 0°77 Procent einschloss. Die Lymphmenge erreichte schon in der fünften Stunde ihr Maximum und damit auch die Gesammtfettausfuhr (4.7 8% pro Stunde), während in der elften Stunde nur noch 0:48 8m Fett mit der Lymphe austrat. Das Chylusfett war bei Zimmertemperatur ganz fest, sein Schmelz- und Erstarrungspunkt lag kaum niedriger als der des verabreichten Hammeltalges. Grössere Mengen Hammelfett trieben nur den procentischen Fettgehalt der Lymphe und die Gesammtfettausfuhr, für gleiche Zeiten verglichen, in die Höhe, ohne an der Curve des Resorptionsablaufes etwas Wesentliches zu ändern. Nach Einführung von 15—20:'” mit schwacher Sodalösung emulgirten Oels per Klysma nahm der Fettgehalt der in den folgenden acht bis neun Stun- den ausfliessenden Lymphe zu, so von 0-06 bis auf 0.34 Procent Fett (fünfte bis sechste Stunde); zugleich nahm die Lymphe leicht milchiges Aussehen an. Im Ganzen wurden nur 3°7—5'5 Procent vom per Klysma eingegebenen Oel resorbirt. Mein auf Thierversuchen begründeter Fund, demzufolge die festen Fett- säuren, innerlich gegeben, als solche resorbirt werden, aber schon in den ersten Resorptionswegen einer synthetischen Umbildung zu Neutralfett anheimfallen, daher nach Genuss fester Fettsäuren weder diese noch ihre Alkalisalze (Seifen), sondern das entsprechende Fettsäureglycerid oder Neutralfett in dem aus dem PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. 379 Brustgange gewonnenen Chylus erscheint, war nunmehr einer exacten Prüfung beim Menschen fähig. Der Versuch musste sich durchaus eindeutig und scharf gestalten, wenn nach Einverleibung einer dem Thierkörper fremden, „heterogenen“ Fettsäure, so z. B. der aus Rüböl darstellbaren Erucasäure, in der ausfliessenden Lymphe das entsprechende Neutralfett, Eruein, constatirt werden konnte.! Pat. erhielt, bei einem Fettgehalt der nüchternen Lymphe von 0-11 Procent, Eruca- säure in Oblaten. Erst in der vierten Stunde danach wurde die Lymphe milchig trübe (0-5 Procent Fett), weiterhin nahm die milchweisse Farbe und Undurch- sichtigkeit noch mehr zu und erreichte in der achten Stunde ihr Maximum (1-4 Procent Fett), um später langsam abzunehmen; in der vierzehnten Stunde sah die Lymphe wieder wie in der vierten Stunde aus (0-48 Procent Fett). In 13!/, Stunden strömten 1096 °°® chylöser Lymphe mit fast 88"% aether- löslicher Stoffe aus. Nach Verdunstung des Aethers hinterblieb ein schmalz- artiges Fett (Schmelzpunkt 25°, Erstarrungspunkt 21°), das nicht wesentlich mehr freie Fettsäuren enthält als sonst Chylusfett. Ebenso wenig enthielt die Lymphe mehr Seifen als in der Norm, somit war die Erucasäure weder als solche noch als Alkalisalz (Seife) in nennenswerther Menge in den Chylus über- getreten. Dagegen wurden nach Verseifung des Chylusfettes Fettsäuren erhalten, die, wie der Schmelzpunkt (30 °) und der Gehalt der Bleisalze an Blei (24-12 Procent) lehrte, aus Erucasäure ? bestanden, der etwas Oelsäure beigemischt war. Da diese Säure erst nach Verseifung des Fettes nachweisbar wurde, musste sie im Chylusfett in Form ihres Glycerids, des Erucins, enthalten gewesen sein. Damit war die synthetische Bildung von Neutralfett aus der ein- geführten heterogenen Fettsäure bewiesen. Offenbar bedarf es zum Uebertritt der Fettsäure und zu deren Synthese zu Neutralfett längere Zeit als zur einfachen Resorption von Fett, daher im letzteren Falle schon in der zweiten Stunde, hier dagegen erst in der vierten Stunde Fett im Chylus erschien. Nach reichlichem Genuss von Kohlehydraten (100 8’” Stärke und Zucker) nahm der Zuckergehalt der ausfliessenden Lymphe, von 0-095 Procent im nüchternen Zustande, in den ersten beiden Stunden auf 0-13, in der dritten bis sechsten Stunde auf 0-164 und in der siebenten bis neunten Stunde bis auf 0-21 Procent zu; insgesammt erschien knapp 1 Procent der genossenen Kohlenhydrate als Zucker in der Lymphe. Also ist, im Einklange mit den Thier- versuchen von v. Mering, sowie von Ginsberg, zu schliessen, dass für den im Darm resorbirten Zucker bis auf einen verschwindenden Bruchtheil die Blut- bahnen die Abzugswege bilden. Nach reichlichem Genuss von Eiweiss erscheint allen Erfahrungen zu- folge (die der gesammten Eiweissration entsprechende 24 stündige Harnstoff- menge = 100 gesetzt) schon in den ersten beiden Stunden 8 Procent, in der 3. und 4. Stunde 12 Procent, in der 5. und 6. 14 Procent, in der 7. und 8. 13 Procent, in der 9. uud 10. 10'/, Procent in der 11. und 12. 7!/, Procent des gesammten Harmnstoffes im Harn, also muss in gleichen Zeiten, die resorbirte ! Durch meinen Fund angeregt, hat Minkowski sieben Jahre später in einem Falle von chylösem Aseites Erucasäure verfüttert, und konnte danach in der durch Punction erhaltenen chylösen Aseitesflüssigkeit das Glycerid dieser Säure qualitativ nachweisen. 2 Erucasäure schmilzt bei 33°. Erucasaures Blei hat einen Bleigehalt von 23-5 Pro- cent, dagegen Ölsaures und stearinsaures Blei einen solchen von 26-9 Procent, pal- mitinsaures Blei von 28-9 Procent Pb. 380 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN Eiweissmenge = 100 gesetzt, allermindestens auch ebensoviel Eiweiss ! re- sorbirt worden sein, d. h. in weniger als 12 Stunden rund ?/, der Gesammt- menge. Träte nun das im Darm resorbirte Eiweiss in die Chylusbahnen über, so müsste nach 100 8”% Nahrungseiweiss schon in den ersten beiden Stunden sem in der 3. und 4. Stunde 123% u.s. f. an Eiweiss mehr in der aus- fliessenden Lymphe erscheinen. So grosse Mengen von übertretendem Nahrungs- eiweiss müssten den Procentgehalt der Lymphe an Eiweiss auf das drei- bis vierfache vermehren oder es müsste die Lymphmenge entsprechend auf das drei- bis vierfache ansteigen. Nach Aufnahme von 1038” Eiweiss (500 2" ge- bratenes Fleisch) stiegen weder die Eiweissprocente noch die absoluten Mengen und somit auch nicht die Gesammt-Eiweissausfuhr der ausfliessenden Lymphe in den nächsten 12 Stunden merklich an, somit kann keine irgend nennenswerthe Menge des resorbirten Eiweiss in die Chylusbahnen übergetreten sein, vielmehr muss man auch für das Nahrungseiweiss die Blutbahnen der Darmschleimhaut als Abzugswege erschliessen. Im Einklange mit den zuletzt angeführten Beobachtungen, denen zufolge der Zucker und das Eiweiss der Nahrung vom Darm aus so gut wie gar nicht in die Chylusbabnen übertreten, steht auch die durch Bestimmung des Trocken- gehaltes der ausfliessenden Lymphe erhärtete Feststellung, dass die Trocken- substanz der Verdauungsiymphe einzig und allein dem Fettgehalt derselben parallel läuft. Die ausführliche Darlegung der Untersuchungen und der analytischen Be- lege wird an anderer Stelle gegeben werden. Es ist wohl der Erwähnung werth, dass in der hier geschilderten Weise bisher noch kein Fall von Lymph- fistel beim Menschen (Odenius und Lang, Hensen) für die Kenntniss der Resorptionsvorgänge im menschlichen Darm hat verwerthet werden können. XI. Sitzung am 14. März 1890.? Hr. GOLDSCHEIDER sprach: „Ueber die Empfindlichkeit der Ge- lenkenden.“ In der neueren Zeit ist mehr und mehr die Ansicht hervorgetreten, dass die Sensibilität der Gelenke eine wichtige Rolle in der Reihe derjenigen Vorrichtungen spiele, mittels welcher wir die Lage und die Bewegungen der Glieder fühlen und die Coordination der activen Bewegungen regeln. Bei meineın Bestreben, die in den sogenannten Muskelsinn eingehenden Elemente nach Qualität der Empfindungen und Substrat zu analysiren, war ich dazu ge- kommen, die Bedeutung der Gelenke nach zwei Richtungen hin zu praeeisiren: 1) als Substrat der Bewegungsempfindung, derart, dass durch die Verschie- bung der Gelenkenden eine Sensation entstehe, welche für uns unmittelbar zum Merkmal der Bewegung wird und in Association mit anderen vom bewegten Gliede zugehenden Sensationen die Vorstellung von der Bewegung des Gliedes ! Sicher noch viel mehr, da die intermediäre Umsetznng des resorbirten Nahrungs- eiweiss bis zum Harnstoff eine gewisse Zeit erfordert. ” Ausgegeben am 21. März 1890. GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. — GOLDSCHEIDER. 38l erzeugt, und 2) als Substrat der Widerstands-Empfindung. Letztere stellt eine Sensation einfacher Art dar, welche wie die Druck-Empfindung als Merk- mal des Druckes so für uns als Merkmal des Widerstandes dient und welche mit der oberflächlichen Sensibilität nichts zu thun hat, sondern wahrscheinlich durch das Aneinanderpressen der Gelenkenden bez. einen die Knochen und speciell die Gelenkenden trefienden Stoss zu Stande kommt. Bezüglich der Be- wegungs-Empfindung konnte es nun allerdings nicht zweifelhaft sein, dass das nothwendige sensible Substrat vorhanden sei, denn die bei der Verschiebung der Gelenkenden auftretenden Verschiebungen und Faltungen der Kapsel, welche er- wiesener Maassen mit Nerven und Nervenendigungen versehen ist, würden die Erzeugung der Sensation erklären können. Wohl aber drängte sich die Frage auf, ob die für die Widerstands-Empfindung postulirte Sensibilität der knöchernen Gelenkenden vorhanden sei. Was die hierüber vorliegenden Erfahrungen betrifft, so führt Haller die Sehnen, Membranen der Gelenke, Beinhaut, Knochen, Mark als unempfindlich auf. Es ist bekannt, dass diese Angaben irrig gewesen sind. In den zahl- reichen Gegenschriften, welche Haller’s berühmte Abhandlung, „Von den empfind- lichen und reizbaren Theilen des menschlichen Leibes‘“, hervorgerufen hat, werden die Gelenkenden nicht gesondert berücksichtigt. Nur die Bemerkung von chirurgischer Seite (Heuermann), dass das Mark empfindlich sei, wäre hier zu verwerthen. Die anatomischen Angaben über Knochennerven sind spärlich. Kölliker sagt in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der Gewebelehre hierüber: „In den grösseren langen Knochen dringen die Nerven einmal mit den Ernährungsgefässen als ein, oder, wo zwei Foramina nutritia da sind, als zwei ziemlich bedeutende, von blossem Auge sichtbare Stämmchen unmittelbar in die Markhöhle ein und verbreiten sich hier, dem Laufe der Gefässe folgend, jedoch nicht immer an denselben anliegend, bis gegen die Apophysen zu im Marke, indem sie vielfach sich verästeln u. s. w. Zweitens besitzen alle diese Knochen auch in den Apophysen viele feinere Nerven, welche mit den hier so reich- lichen Blutgefässen sofort in die schwammige Substanz sich begeben und im Marke sich verzweigen, und drittens endlich gehen selbst in die feste Sub- stanz der Diaphysen mit den feinen, in dieselbe eindringenden Arterien ganz zarte Fädchen ein, die wohl unzweifelhaft hier sich verbreiten, obwohl es mir noch nicht gelungen ist, sie mitten in der festen Substanz drin aufzufinden. Wie die grösseren verhalten sich auch die kleineren Röhrenknochen der Hand und des Fusses, nur dass ihre zahlreichen Nerven wegen der hier unentwickelten Markhöhle nicht so regelmässig in Apophysen- und Diaphysennerven sich scheiden.“ Die von mir nun in dieser Richtung angestellten Versuche bezogen sich zunächst auf den enthirnten Froschh Am Hüft- wie am Schultergelenk konnte ich durch leichte Berührungen oder leichtes Streichen der Oberfläche der Pfanne keine Reflexe auslösen. Ebenso wenig gelang dies mittels der an die Pfanne gehaltenen vibrirenden Schreibfeder einer Stimmgabel. Leichte Stösse gegen die Gelenkfläche lösten freilich gelegentlich Bewegungen aus; hierbei aber waren verbreitete Erschütterungen sowie Frictionen der Haut nicht auszuschliessen. Säure und Ferrum candens, welche von der Haut in der Nähe des Gelenkes sicher Reflexe auslösten, blieben an der Gelenkpfanne wirkungslos. Die kleineren Gelenke lassen die Ausschliessung der Weichtheile bei der Reizung nicht sicher zu. Sichere Reflexe konnte ich mit glühender Nadel vom Marke der Tibia aus erzielen. Auch mit strychnisirten Fröschen war nicht weiter zu gelangen. Ich 382 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wandte mich daher zum Kaninchen, bei welchem ich auf den Rath von Prof. Gad den Athmungsreflex benutzte, welcher ein sehr empfindliches Reagens dar- stellt. Die Thiere verhalten sich in dieser Beziehung nicht ganz gleichmässig. Anblasen der Haut, speciell an Brust und Bauch, Bestreichen derselben führt den Reflex fast regelmässig herbei, während auf punktförmige Reize unsicher und erst bei einer gewissen Stärke des Reizes reagirt wird. Passive Bewegungen eines Beines erzeugten im Allgemeinen erst dann Athmungsreflex, wenn sie mit einer leichten Erschütterung einhergingen. Dass nicht jede Nervenerregung den Reflex herbeiführt, geht z. B. daraus hervor, dass ich bei einem allerdings nicht sonderlich empfindlichen Thier von der geschorenen Haut des Unterschenkels aus durch faradische Reizung eine Contraction der Zehenbeuger bewirken konnte, ohne dass der Reflex eintrat. Hieraus folgt, dass aus dem Ausbleiben der Reaction nicht das Fehlen einer Sensation gefolgert werden darf. Die Versuche wurden zunächst an der unteren Gelenkfläche der Tibia gemacht, zu welchem Behufe das Tibio-Tarsal-Gelenk eröffnet und durch Luxation der Fusswurzel das Gelenkende freigelegt wurde. Diesem Eingriff wurde einige Stunden zuvor die Tracheotomie vorausgeschickt. Mittels des Gad’schen Volumschreibers wurden die Athembewegungen auf dem Kymographion verzeichnet. Nach Anstellung einiger Versuchsreihen wurde das Thier genäht und verbunden und am nächsten Tage nach Eröffnung der Naht von Neuem benutzt, zuweilen auch noch am dritten Tage, wo aber die Erregbarkeit schon sehr verringert war. Um Ver- schiebungen des Gliedes bei der mechanischen Reizung und dadurch hervor- gebrachte Frictionen der Haut zu vermeiden, wurde die Tibia in ihrer Mitte vom Periost entblösst und in einer an dieser Stelle um sie herumgreifenden, hierzu gefertigten Knochenklemme fixirt, welche an einem schweren Stativ ver- stellbar befestigt war. Die mechanischen Reize bestanden darin, dass mit einer feinen Sonde (Finder) gegen die Gelenkfläche ein leichter mässig starker Druck oder ein leichter Stoss ausgeübt oder an derselben einige Male hin- und her- gestrichen wurde, selbstverständlich stets unter Vermeidung der Weichtheile. Bei diesen Reizungen wurde an mehreren Thieren eine ganze Reihe von deut- lichen Athmungs-Reflexen beobachtet. Allerdings erfolgte auf leichten Druck, leichtes Klopfen oder Streichen nur sehr vereinzelt eine Reaction; vielmehr war im Allgemeinen eine mässige Stärke dieser Reize nothwendig, wie man sie mit der Hand sehr wohl abstufen kann, und welche derjenigen Intensität des Druckes glich, welche man anzuwenden pflegt, um mit einem harten Bleistift einen Grund- strich zu zeichnen. Die Reize durften ferner nicht von momentaner Dauer sein; das Klopfen geschah einige Male hinter einander, ebenso das Streichen; den Druck liess ich etwa zwei Secunden lang einwirken und dabei mehrfach an- und abschwellen. Zu einer Erschütterung oder Verschiebung der Knochenklemme kam es natürlich nie. Zwischendurch wurden in derselben Weise Periost, Gelenk- kapsel, Sehne gereizt und auch hierbei kam es theils zu Reactionen, theils nicht. Und zwar traten dieselben nicht häufiger auf als vom Knochen aus; dagegen erzielte die Reizung der äusseren Haut mit grösserer Regelmässigkeit Reflex. Dadurch ist nun allerdings wohl erwiesen, dass durch mechanische Reize, welche die Gelenkfläche treffen, Sensationen ausgelöst werden können, allein nicht, dass die Gelenkfläche selbst empfindlich ist; vielmehr könnte die Reaction vom Inneren des Knochens aus erfolgt sein; auch besteht die Möglichkeit, dass durch Fort- pflanzung des Stosses und Druckes eine Frietion an der Stelle der Knochen- klemme entstanden sei, Um letzteres zu prüfen, wurden die genannten mecha- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GOLDSCHEIDER. 385 nischen Reize an der Stelle der Knochenklemme, theils dicht darunter, theils dicht darüber applicirt und in der That trat auch hierbei, wenn auch seltener als vom Gelenk aus, Reaction auf, so dass jene Möglichkeit vorläufig nicht ganz von der Hand zu weisen, jedenfalls aber zu folgern war, dass der Knochen auch in der Diaphyse gegen mechanische Reizung empfindlich sei. Um nun ein Urtheil darüber zu gewinnen, in wie weit die Gelenkfläche selbst betheiligt sei, wurden folgweise dünne Schichten abgetragen und nach jeder Abtragung gereizt. Die ersten in dieser Richtung angestellten Versuche schienen eine gewisse Beein- trächtigung der Reaction zu zeigen. Jedoch ein stärkerer Reiz, nämlich das Zusammendrücken des von Weichtheilen befreiten Gelenkendes mittels einer Pin- cette rief genügend oft (unter 17 Versuchen 5mal) deutliche Reactionen hervor, während allerdings der gleiche Eingriff bei der Gelenkkapsel bez. der in der Nähe gelegenen Haut meistens von Reaction gefolgt war. Allein diese Procedur ist nicht sehr geeignet, fortgeleitete Wirkungen auszuschliessen. Bessere Er- folge bezüglich der mechanischen Reizung nach Abtragung hatte ich an dem unteren Gelenkende des 4. Metatarsalknochens, welches durch Exarticulation der Zehe freigelegt wurde. Die Pfote wurde fest in der Hand gehalten und die kleine Gelenkfläche durch sehr leichten Druck gereizt. Es erfolgten nur ver- einzelte Reactionen, aber nicht seltener als bei der gleichen Reizung der Weich- theile. Nun wurden fortschreitend dünne Schichten vom Metatarsus glatt ab- setragen. Nach jeder Abtragung konnten, wie vorher, einzelne Reactionen erzielt werden. Nachdem ich so bis zum Mark vorgedrungen war, wurden vor- sichtige Einstiche in dasselbe gemacht, welche auffallend häufig von Reaction sefolgt waren. Diese mehrfach bestätigten Ermittelungen zeigen, dass die Reaction nicht nothwendig auf die Erregung der Gelenkfläche zu schieben ist, sondern dass auch von den tieferen Schichten der Epiphyse aus eine solche hervorgerufen werden kann. Zweifelhaft blieb es dagegen, ob diese selbst empfindlich oder ob die Erregung einer Fortpflanzung des Reizes auf noch tiefere T'heile, etwa Mark, entsprang. Nunmehr wurde zur Reizung mittels eines glühenden Pfriemens übergegangen, mit welchem die Gelenkfläche während der Dauer von zwei Athemzügen berührt wurde. Das Bein wurde hierbei nicht fixirt. Von der äusseren Haut aus brachte dieser Reiz nahezu jedesmal Reaction hervor. Von der intacten Gelenkfläche der Tibia und des 4. Metatarsalknochens aus nun wurde zwar nicht jedesmal, aber doch in einer grossen Anzahl von Fällen Athmungsreflex erzeugt. (Das beste bei einem sehr empfindlichen Thier gewonnene Resultat war: an der Tibia von 7 Reizen 6, am Metatarsus von 9 Reizen 5 von Erfolg begleitet.) Um hierbei eine Ausstrahlung auf die das Gelenk umgebenden Weichtheile zu ver- hindern, wurden dieselben mit einer das knöcherne Gelenkende ringförmig um- gebenden mit Kochsalzlösung getränkten Watteschicht bedeckt. Die Berührung geschah nicht am Rande der Gelenkfläche, um nicht die Insertion der Synovialis und das Periost zu betheiligen, sondern mehr nach der Mitte der Gelenkfläche hin. “In der That erfolgte die Reaction bei den absichtlich vergleichsweise applicirten Berührungen am Rande mit grösserer Sicherheit. Es hätte sich nun vielleicht bei jenen Versuchen so verhalten können, dass die Berührung der Ge- lenkfläche gar nicht das Erregende gewesen, sondern dass eine gleichzeitige Wärmestrahlung auf Randtheile, welche von der feuchten Watte noch nicht be- deckt waren, die Reaction verursacht hätte. Es wurden deshalb Reihen von Reizen so applieirt, dass die glühende Spitze einige Secunden lang in grösster 384 VERHANDLUNGEN D. BERL. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — GOLDSCHEIDER. Annäherung an die Gelenkfläche gehalten und dann erst zum Contact mit der- selben gebracht wurde. Während dieses ersten Stadiums nun erfolgte keine Reaction; die folgende Berührung aber löste eine solche nichtsdestoweniger aus. Es wurden nun wieder folgeweise dünne Schichten abgetragen und nach jeder Abtragung gereizt. Hierbei ergab sich zunächst, dass auch nach Entfernung der Oberflächenschicht die Reactionen nicht ausblieben und dass sie weiterhin mit besonderer Häufigkeit auftraten, sobald die Abtragung bis zur Freilegung des Markes gediehen und nun dieses berührt wurde. War ich soweit gelangt, dass das Gelenkende weggefallen war und ein von Corticalis umgebener Quer- schnitt des Markes vorlag, so trat folgender bemerkenswerther Unterschied her- vor: die Berührung der Corticalis erregte keine Reaction, wohl aber diejenige des Markes. Man darf hieraus gleichzeitig schliessen, dass man sich über die Fortpflanzung des thermischen Reizes innerhalb des Knochengewebes keine all- zugrossen Vorstellungen zu machen hat, denn bei der Berührung der Corticalis hätte sich die Reizung einmal nach dem Periost und ferner nach dem Mark hin verbreiten können. Angesichts der von der intacten Gelenkfläche und dem Inneren des Gelenkendes aus erfolgten Reactionen muss man daher als sehr wahrscheinlich annehmen, dass der erregbare Ort in grosser Nähe der Reizstelle gelegen habe, d. h. dass das knöcherne Gelenkende bis nahe an die Gelenkfläche, vielleicht bis an den Knorpel, empfindlich ist. Dass die Gelenkfläche selbst empfindlich sei, hat durch die Versuche nicht erwiesen werden können. Dies Ergebniss dürfte mit den citirten anatomischen Angaben sehr wohl in Einklang zu bringen sein. Eine anatomische Untersuchung der Innervation der Gelenkenden wäre wünschenswerth. Aber auch ohne dieselbe darf wohl die Berechtigung, die Gelenkenden als Substrat einer Sensation an- zusehen, bereits anerkannt werden. — Die Versuche sind in der speciell-physio- logischen Abtheilung des physiologischen Instituts (Prof. Gad) ausgeführt. Ueber Haemoglobin. Von Dr. M. Siegfried. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) Bei der Bestimmung des Sauerstoffes im Blute nach der Methode von Schützenberger findet man stets beträchtlich mehr Sauerstoff als durch Auspumpen. Während Rollet! und Hoppe-Seyler? die Ansicht aus- gesprochen haben, dass das Hydrosulfit eine über die Reduction zu Haemo- globin hinausgehende Zersetzung des Oxyhaemoglobins bewirke, hat Lamb- ling? in seinen ausführlichen Versuchen über die Bestimmung des im Blute locker gebundenen Sauerstoffes gezeigt, dass durch Wasserstoff vollständig reducirtes Blut nicht weiter durch Hydrosulfit zersetzt wird. Er glaubt. ebenso wie Schützenberger,* dass die Werthe für Sauerstoff, welche man nach der Schützenberger’schen Methode erhält, die richtigen seien, wäh- rend beim Auspumpen des Blutes so beträchtliche Mengen Sauerstoff (5 Proc. und mehr) durch innere Zersetzung des Oxyhaemoglobins verloren gingen. Wenn auch die Versuche, welche Lambling zur Begründung seiner An- sicht anstellte, ergaben, dass beim Erwärmen des Blutes ein Verbrauch von Sauerstoff stattfindet, so konnten sie doch nicht die grosse Differenz der Werthe für Sauerstoff, welche man bei Bestimmungen durch Auspumpen und durch Hydrosulfit erhält, erklären. Um über die Frage nach dem wahren Sauerstoffgehalt des Blutes völlige Klarheit zu gewinnen, bemühte ich mich, eine Methode zu finden, welche ! Hermann’s Handbuch der Physiologie. Cit. nach Lambling. ® Physiologische Chemie. Cit. nach Lambling. 3 Des procedes de dosage de lU’'hemoglobine par E.Lambling. Nancy. 1882. * Bulletin de la societe chim. 1873. t. XX. p. 152. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 25 386 M. SIEGFRIED: frei von den Fehlerquellen, welche in dem Operiren in einer Wasserstoff- atmosphaere mit luftfreiem Wasser liegen, ein scharfes Erkennen der End- reaction ermöglicht. Während bei der Methode von Schützenberger das Blut mit Indigearmin, das man mit Hydrosulfit redueirt, titrirt wird, ging ich davon aus, es direct mit Hydrosulfit zu titriren und als Indicator das höchst empfindliche Reagens auf freien Sauerstoff, das Spectrum des Haemoglobins selbst zu nehmen. Der Verlauf der Untersuchung wird zeigen, dass das Verhalten des Oxyhaemoglobins bei der allmählichen Reduction mit Hydro- sulfit mich von der Beantwortung der Frage nach dem wahren Gehalte des Blutes an Sauerstoff abhielt und zu neuen Vorstellungen über die Natur des Haemoglobins führte. Nachdem Hoppe-Seyler schon früher! darauf hingewiesen hatte, dass ein Gemenge von sehr viel Haemoglobin und wenig Oxyhaemoglobin das Spectrum des letzteren erkennen lässt, hat er später? bestimmt, welche Mengen Sauerstoff sich mittels einer reducirten Haemoglobinlösung spectral- analytisch nachweisen lassen. Er fand, dass dies noch möglich sei bei einem (Gehalte des Gasgemisches an 0-19 Volumprocent Sauerstoff. Sollte das vollständige Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen als Kriterium für vollendete Reduction des Blutes benutzt werden, so handelte es sich darum, festzustellen, bei welchem Procentgehalt an Haemo- globin kann man Oxyhaemoglobin spectroskopisch erkennen, und damit die Schärfe des Indicators zu bestimmen. Zu dem Zwecke wurde von de- fibrinirten Hundeblut, welches mit 5 Thin. Wasser verdünnt war, der grössere Theil in einem durch zwei Glashähne verschliessbaren Queck- silbergasometer nach Bunsen unter Vermeidung der Diffusion von atmo- sphaerischen Sauerstoff durch vierstündiges Hindurchleiten eines gewaschenen Wasserstoffstromes reducirt. Durch Quecksilber wurde der über der Blut- lösung befindliche Wasserstoff von unten her verdrängt, so dass das Ge- fäss schliesslich vollständig mit reducirter Blutlösung und Quecksilber an- gefüllt war. Diese Blutlösung wurde durch Quecksilberdruck mittels eines vorher mit Quecksilber gefüllten Capillarrohres in eine durch zwei Glas- hähne verschliessbare Bürette, welche vom oberen Hahn an calibrirt war, übergefüllt. Der untere Hahn der Bürette stand mit einem Quecksilber- druckgefäss in Verbindung. Aus dieser Bürette wurde die Lösung durch das Capillarrohr, das jetzt unter Quecksilber mündete, bis zu einem be- stimmten Theilstriche der Bürette zurückgedrängt und der obere Hahn ge- schlossen. Das Spectrum der in der Capillarröhre gebliebenen Blutlösung war das des reinen redueirten Haemoglobins. Sodann wurde ebenfalls unter ! Hoppe-Seyler, Medieinisch-chemische Untersuchungen. 1866. Bd.I. 8.135 Anmerkung. ? Hoppe-Seyler, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd.1l. S.121. ÜBER HAEMOGLoBIN. 387 (uecksilber eine bestimmte, in den einzelnen Versuchen verschiedene Menge der nicht reducirten Blutlösung, welche in der Bürette gemessen wurde, hinzugefügt und nach Schliessung der Hähne mit Hülfe des Quecksilbers gehörig durchgeschüttelt. Auf diese Weise wurden in mehreren Versuchen (Gemenge von Oxyhaemoglobin- und Haemoglobinlösung von verschiedener bestimmter procentiger Zusammensetzung erhalten, deren Spectra nach Zurückdrängen eines Theiles der Lösung durch das unter Quecksilber mün- dende Capillarrohr in diesem beobachtet wurde. Indem ich bei den einzelnen Versuchen immer kleinere Mengen der Öxyhaemoglobinlösung mit der Haemo- . globinlösung mischte, fand ich als Grenze der deutlichen Sichtbarkeit der ÖOxyhaemoglobinstreifen ein Gemenge von 99.5 Procent Haemoglobin- und 0.5 Procent Oxyhaemoglobinlösung. Würde man also eine Blutlösung in geeignetem Apparate bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen reduciren, so ist sicher die Menge des noch vorhandenen Oxyhaemoglobins kleiner als 0.5 Procent vom Ganzen, das würde bei dem Resultate der Titrirung eines Blutes, welches 20 Procent im Oxyhaemoglobin gebundenen Sauerstoff enthält, eine Differenz, die kleiner als O-1 Procent ist, ausmachen. Es sei bemerkt, dass später in dem gleich zu beschreibenden Titrirungs- apparate eine Controlbestimmung gemacht wurde, wobei das Blut durch Auspumpen reducirt war. Das Resultat war dasselbe; ich fand für den Punkt des deutlichen Sichtbarwerdens der Oxyhaemoglobinstreifen eine Mischung von 99.42 Procent Haemoglobin und 0-58 Procent Oxyhaemoglobin. Der Titrirapparat. Die Titrirung von Blut in einer Wasserstoffatmosphaere hat den Nach- theil, dass bei Unterbrechung des Gasstromes nach dem Einbringen von Blut in den Apparat ein Zutritt von atmosphaerischem Sauerstoff durch Diffusion nicht ganz zu vermeiden ist. Bei dauerndem Durchleiten von Wasserstoff wird ein Theil des Sauerstoffes weggeführt. Ferner wirkt der über der Flüssigkeit vorhandene Wasserstoff verzögernd auf die Absorption des Sauerstoffes durch Hydrosulfit, da ein Gas, in dem der Partiardruck für Sauerstoff gleich Null ist, begierig aus dem sauerstoffreichen Blute Sauer- stof aufnimmt und die letzten Spuren nur sehr schwer an Absorptionsmittel abgiebt. Dieser Fehler ist unter Umständen sehr bedeutend, wie Henry E. Roscoe und Joseph Lunt! kürzlich gezeigt haben. Um diese Fehler- quellen, welche dem üblichen Verfahren der Titrirung mit Hydrosulfit an- haften, zu vermeiden, setzte ich an Stelle des Wasserstoffes Quecksilber und und construirte einen Apparat, der den Zweck erfüllt, eine Flüssigkeit bei ! Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XXI. S. 2717. 25* 388 M. SIEGFRIED: Abschluss jedweder Gasart zu titriren und für vorliegenden Fall jederzeit die Untersuchung des Spectrums der Flüssigkeit gestattet. — Der Apparat (Fig. 1) besteht aus dem Titrirungsgefäss und zwei Büretten. Das Titri- rungsgefäss ist ein an beiden Enden verjüngter Cylinder, der an dem einen Ende in ein kurzes weites Glasrohr mit grossem Glashahn, an dem anderen in eine engere geschlossene Glasröhre ausläuft. An einer Seite besitzt das a cylindrische Gefäss zwei kurze An- satzröhren, welche zur Verbindung mit den Büretten dienen. Diese bestehen aus kleinen Glascylindern, welche an beiden Enden durch Glashähne verschliessbar sind, wel- che kurze rechtwinklich umge- bogene Ansatzröhren von demsel- ben Durchmesser wie die Ansatz- röhren des Titrirgefässes tragen. Zur Titrirung sind, wie später klar werden wird, zwei Büretten er- forderlich, welche durch kurze T-Rohre, wie Fig. 1 zeigt, ver- bunden werden. Die Handhabung des Apparates ist folgende: Nachdem die mit Hydrosulfitgefüllten Büretten durch kurze Gummischläuche mit dem Titrirungsgefäss verbunden sind, wird bei geschlossenen Büretten- ‚hähnen der ganze Apparat mit | — (Quecksilber gefüllt und dieses in \ S | der Quecksilberwanne theilweise “P { durch die zu titrirende Flüssigkeit ee ee) verdrängt. Durch Oeffnen eines oberen Bürettenhahnes lässt man kleine Mengen Quecksilber, welche man vorher durch Neigen des Apparates in das Knie des Ansatzrohres der Bürette gebracht hat, in die Bürette fallen. Hierdurch wird das gleiche Volumen Hydrosulfit in die zu titrirende Flüssigkeit gedrängt; sie wird durch Schütteln mit dem im Apparate vorhandenen Quecksilber gleichmässig vertheilt. Das Volumen der ausgetretenen Titrirflüssigkeit wird durch Wägung des ein- getretenen Quecksilbers und Division des gefundenen Gewichtes durch das specifische Gewicht des Quecksilbers ermittelt. Hierdurch wird der Ab- lesungsfehler vermieden. Da man durch lebhaftes Schütteln äusserst kleine UBER HAEMOGLOBIN. 389 Quecksilberkugeln erzeugen und in das Knie der Bürette bringen kann, so ist es möglich, gegen Ende der Titrirung sehr kleine Mengen Hydrosulfit in das Titrirungsgefäss eintreten zu lassen, so dass die Genauigkeit; viel grösser ist, als bei gewöhnlichen Titrirungen, wo die kleinste Quantität auf einmal zugesetzter Titrirflüssigkeit ein Tropfen ist. Bei der Titrirung von Blut beobachtet man in dem oberen Ansatzrohr des cylindrischen Gefässes das Spectrum. Die Methode der Titrirung von Blut mit Hydrosulifit. Zur Beobachtung des Blutspeetrums in dem 1 = weiten Ansatzrohr des Apparates ist selbstverständlich eine grosse Verdünnung des Blutes mit Wasser erforderlich. Es gelang nicht, bei Berücksichtigung aller Vor- sichtsmaassregeln durch Auskochen luft- frei gemachtes Wasser in den Apparat überzufüllen, ohne dass Spuren von Sauer- stoff eindrangen; selbst wenn der Apparat im Vacuum der Quecksilberluftpumpe mit Quecksilber gefüllt war, so dass zwischen Glaswand und Quecksilber keine Luft ein- geschlossen sein konnte, war immer noch Sauerstoff nachweisbar; denn liess ich aus der Bürette Indigolösung, welche vorher im Apparat gerade reducirt worden war, in das Titrirungsgefäss eintreten, so färbte sich dieselbe deutlich blau. Auch als das Wasser im Apparate an der Quecksilber- luftpumpe völlig luftfrei gemacht war, fand beim Zulassen der Indigolösung all- mählich eine vom Quecksilber ausgehende Blaufärbung statt. Nur durch anhalten- des Schütteln mit Hydrosulfit gelang es, das Queckssilber völlig indifferent zu machen. Diese Fehlerquellen werden ver- mieden, wenn man Wasser und Queck- silber im Apparate selbst durch Hydro- sulfit aus der einen Bürette bis zur Abwesenheit von Sauerstoff titrirt und als Indieator einige Tropfen Blut nimmt. Bei Beobachtung des’ Spectrums benutzt man in diesem Falle den weiten Theil des Titrirungsgefässes, welcher selbst bei der grossen Verdünnung ein sehr deutliches Blutspectrum er- kennen lässt. Ist auf diese Weise der Sauerstoff aus dem Apparate ent- Fig. 2. (!/, nat. Grösse.) 390 M. SIEGFRIED: fernt, so wird das zu titrirende Blut unter Quecksilber übergefüllt. Zu dem Ende habe ich mich des in Fig. 2 abgebildeten Apparates bedient. Der- selbe besteht aus einem mehrfach gebogenen Capillarrohre, in welchem eine Kugel von ca. 3 °® Inhalt eingeschmolzen ist.. Ungefähr 1°“ oberhalb und unterhalb der Kugel befindet sich je eine Marke. An das Capillarrohr ist eine gewöhnliche Glasröhre mit Hahn angeschmolzen, das zwischen Capillar- rohr und Hahn eine Kugel von ungefähr gleichem Inhalt wie jene trägt. Die im Capillarrohr befindliche Kugel ist von einer Marke bis zur anderen mit Quecksilber calibrirt. Bei der Ueberfüllung des Blutes in den Titri- rungsapparat hat dieses Ueberfüllungsgefäss die Stellung, wie in Fig. 2 an- gegeben, während er in umgekehrter Lage sich befindet, wenn er mit Blut beschickt wird. Zu diesem Zwecke wird das Glasrohr unterhalb des Hahnes durch einen Schlauch mit einem mit Quecksilber gefüllten Druckgefässe verbunden, aus welchem der Apparat zunächst mit Quecksilber gefüllt wird. Ist das zu untersuchende Blut mit Luft frisch geschlagen, so wird es aus einem offenen Standgläschen mit dem freien Ende des Capillarrohres durch Senken des Druckgefässes unter das Niveau des Apparates und Oeffnen des Hahnes gesaugt. In Folge des hohen specifischen Gewichtes des Queck- silbers füllt sich zunächst die zweite Kugel mit Blut, welches durch Heben des Druckgefässes in die erste Kugel übergeführt wird, so dass der Queck- silberfaden im Capillarrohr mit der oberen Marke (bei umgekehrten Apparate) abschliesst. Soll das Blut aus einem geschlossenen Cylinder übergefüllt werden, so verbindet man in bekannter Weise das freie Ende des Capillar- rohres mit dem oberen Ansatzschlauch unter Quecksilber und den unteren Ansatzschlauch mit einem zweiten Druckgefäss; im Uebrigen verfährt man wie angegeben. Zur Ueberführung des Blutes in den Titrirapparat bringt man in der Quecksilberwanne das Capillarrohr durch die Bohrung des grossen Hahnes in den Apparat selbst ein und drückt das Blut mit Quecksilber, bis dieses — in dem jetzt aufrechtstehenden Ueberfüllungsgefäss — an der oberen Marke abschneidet. Es befindet sich jetzt das durch Calibrirung der Kugel des Capillarrohres bekannte Volumen Blut im Titrirungsapparat ohne Verlust durch Anhaften an der Wandung der Hahnbohrung, welcher bei einer anderen Ueberfüllungsmethode unvermeidlich und bei dem ge- ringen Volumen des Blutes auf das Resultat der Titrirung von störendem Einflusse wäre. Das Spectrum der so erhaltenen Blutlösung, deren Ver- dünnung etwa 1:50 ist, zeigt vor einem grossen Spectralapparate, dessen ich mich stets bediente, sehr deutlich die beiden weit getrennten Oxy- haemoglobinstreifen. Bei dem nun folgenden allmählichen Zusatz von Hydro- sulfit, der, wie oben angegeben, durch Verdrängung mit Quecksilber ge- schieht, aus der zweiten Bürette, tritt zwischen beiden Streifen das Re- ductionsband auf, lässt aber die beiden Oxyhaemoglobinstreifen, namentlich ÜBER HABMoGLoBm. 391 den nach dem Roth zu gelegenen, bis zum völligen Verschwinden un- trügerisch erkennen. Das am Ende der Titrirung, welche 5—10 Minuten dauert, in der zweiten Bürette vorhandene Quecksilber wird, nachdem die Bürette vom Apparate gelöst ist, auf ein Filter zum Ablaufen der Hydro- sulits und von da in ein tarirtes Wägegläschen gebracht. Durch Division des gefundenen Gewichtes durch das specifische Gewicht des Quecksilbers erhält man das Volumen des verbrauchten Hydrosulfits. Die äusserst ge- ringen Abweichungen, welche verschiedene Bestimmungen desselben Blutes aufweisen, zeigen die Genauigkeit der Methode. Selbst bei den kleinen Mengen angewandten Blutes (2.73 em) differiren die gefundenen Werthe für Sauerstoff meist nur innerhalb 0-1 Procent. Die Hydrosulfitlösung. Die Hydrosulfitlösung wurde nach den Angaben von Tiemann und Preusse! bereite. Von der thioschwefligen Säure und dem Schwefel- wasserstofl befreit man die Hydrosulfitlösung durch Zusatz von essigsaurem Blei. Zur Titerstellung habe ich, wie üblich, eine ammoniakalische Kupfer- sulfatlösung benutzt. Dieselbe enthielt auf 1 Liter 4-469 8 reines Kupfer- sulfat, so dass je 10 = bei der Reduction durch Hydrosulfit zu Oxydul- lösung 1 °°= Sauerstoff gemessen bei 0° und 760 wm Bar. verlieren. Bei der Reduction der Kupferoxydlösung durch Hydrosulfit ist die Möglichkeit zu zwei Fehlerquellen gegeben: Bei überschüssigem Oxyd kann die Oxy- dation der hydroschwefligen Säure bis zur Bildung von Schwefelsäure gehen; dann würde man einen zu hohen Titerwerth erhalten. Bei überschüssigem Hydrosulfit kann das Kupferoxyd bis zu metallischem Kupfer redueitt wer- den, man würde einen zu niedrigen Titerwerth finden. Beide Fehlerquellen sind natürlich zu vermeiden. Eine Oxydation zu Schwefelsäure während der Dauer der Titrirung lässt sich nicht erkennen, hingegen würde man die Abscheidung von Kupfer sofort wahrnehmen. Der Versuch zeigte, dass die Reduction des Kupferoxydes zu Metall erst bei grossem Ueberschusse von Hydrosulfit und längerer Zeit, während der Dauer der Titerstellung aber nie eintritt. Deshalb habe ich stets die Kupferlösung zu der Hydro- sulfitlösung tropfen lassen. Die Titerstellung wurde in einem ca. 100°” fassenden Standglase vor- genommen, welches mit einem vierfach durchbohrten Gummipfropfen ver- schlossen war. Durch zwei Bohrungen waren die Ausflussröhren der Büretten, von denen eine durch seitliches Ansatzrohr mit Hydrosulfit aus 1 Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XU. 8. 1776. 392 M. SIEGFRIED: einer 10 Liter haltenden Flasche, die andere aus einer dreifach tubulirten Flasche, welche zwei Liter ammoniakalische Kupfersulfatlösung von oben angegebener Concentration enthielt, ebenfalls durch ein seitliches mit Glas- hahn verschliessbares Ansatzrohr gespeist wurde. Die Hydrosulfitflasche stand erhöht und communicirte durch einen Heber mit der Bürette; die beim Ausfluss von Hydrosulfit aus der Flasche und Bürette nachströmende Luft wurde durch mehrere Waschflaschen mit alkalischer Pyrogalluslösung vom Sauerstoff befreit. Durch die drei Tuben der Flasche, welche die Kupfer- lösung enthielt, führten mit Gummistopfen luftdicht eingesetzt drei Glas- röhren; zwei, von denen eine mit einem Kipp’schen Wasserstoffentwickelungs- apparate, die andere mit der zur Aufnahme der Kupferlösung bestimmten Bürette verbunden war, reichten bis auf den Boden der Flasche; die dritte war kurz unterhalb des Gummistopfens abgeschnitten und führte durch die dritte Bohrung des Standgefässes bis auf den Boden derselben. In sämmt- lichen Röhren waren Glashähne eingeschmolzen. Bei der Titerstellung war der Hahn des Wasserstoffentwickelungsapparates vollständig, derjenige, durch welchen der Gasstrom aus der tubulirten Flasche in das Standgefäss ge- leitet wurde, nur wenig geöffnet, so dass beständig ein mässiger Strom Wasserstoff durch beide Gefässe ging, während in der tubulirten Flasche ein genügender Druck vorhanden war, um die Bürette bei geöffnetem Hahne des seitlichen Ansatzrohres zu füllen. Die Ableitung des Wasser- stoffes aus dem Standgefässe erfolgte durch eine in die vierte Bohrung des Gummistopfens eingesetzte Glasröhre, welche nach unten umgebogen unter Quecksilber mündete. Um Diffusionsfehler zu vermeiden, waren stets nur kurze Schlauchverbindungen benutzt. Der grosse Vorrath von Hydrosulfit hat den Vortheil, dass eine Spur durch die Pyrogalluslösung nicht zurückgehaltenen Sauerstoffes, welche bei einer kleinen Menge Hydro- sulfit schon einen Titerfehler verursachen würde, nicht bemerkbar wird. Zur Titerstellung bringt man, nachdem man durch Hydrosulfit-Bürette und Heber eine Zeit lang Hydrosulfitlösung hat fliessen lassen und die andere Bürette mit Kupferlösung wie angegeben gefüllt hat, in das Stand- gefäss einige Tropfen Indigearminlösung und verdrängt alle Luft durch Wasserstoff. Durch ein paar Tropfen Hydrosulfitlösung entfärbt man die Indigolösung — an dem Bleiben der gelblichen Farbe des reducirten Indigos hat man eine Controle für völlige Abwesenheit von Sauerstoff — und lässt eine bestimmte Menge Hydrosulfitlösung — 10 oder 20° m — einfliessen. Sodann setzt man aus der anderen Bürette solange tropfenweise Kupfer- lösung hinzu, bis eben das Gemisch schwach blau gefärbt erscheint. Aus dem Verhältniss der verbrauchten Hydrosulfit- und Kupferlösung berechnet man das Volumen Sauerstoff bei 0° und 760 Bar., welches 1°” Hydro- sulfitlösung bei ihrer Oxydation zu schwefeliger Säure verbraucht. Es ist ÜBER HAEMoGLOoBIN. 393 erforderlich, vor jedem Versuche den Titer neu zu prüfen. Ich habe stets drei übereinstimmende Titerstellungen hintereinander gemacht. Zur Titri- rung von Blut habe ich die Concentration: 10 °® Hydrosulfit = 5 bis 10 em Kupferlösung am geeignetsten gefunden. Zur Füllung der Büretten des Titrir- apparates ist zwischen Hydrosulfit-Bürette und Heber ein T-Rohr eingeschoben, dessen freier Schenkel durch einen Glashahn verschlossen ist. Nachdem man durch die mit diesem Rohre durch kurzen Gummischlauch verbundenen Büretten bei geöffneten Hähnen eine Zeit lang Hydrosulfitlösung hat fliessen lassen, kann man bei Schliessung der Hähne sicher sein, unver- änderte Titrirflüssigkeit in den Büretten zu haben. Resultate. Versuch 1. Zur Analyse wurde durch Schlagen an der Luft defibri- nirtes Blut eines kleinen Hundes verwendet. Titer des Hydrosulfits: 20 °® Hydrosulfit entsprechend 12.4 m Kupfer- lösung. 1. 2.75 eem Blut erforderten zur Reduction bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen 1.52" Hydrosulfit; entspricht 7.9 Pro- cent Sauerstoff bei 0° und 760 Bar. 2. 2.73 ° m Blut erforderten 1.47 = Hydrosulfit; entspricht 7.6 Pro- cent Sauerstoff. 3. Durch Auspumpen und Bestimmung des Sauerstoffes im Eudio- meter wurden gefunden 16.1 Procent. Die grosse Differenz der durch Titrirung und durch Auspumpen ge- fundenen Werthe für Sauerstoff sind nur auf zwei Wegen zu erklären: Entweder enthält die das Reductionsspectrum zeigende Blutlösung noch erhebliche Mengen Sauerstoff, oder die Titerstellung der Hydrosulfitlösung ist falsch. Gegen den Gebrauch der ammoniakalischen Kupferlösung zur Titerstellung des Hydrosulfits haben sich kürzlich Roscoe und Hunt! ausgesprochen. Sie behaupten, die Alkalität beeinträchtige wesentlich die Reduetionskraft des Hydrosulfits. Ich habe dieselbe Hydrosulfitlösung hintereinander mit zwei Kupferlösungen, welche die gleiche Menge Kupfer- sulfat aber verschiedene Mengen Ammoniak enthielten, titrirt und über- einstimmende Resultate erhalten. Vor allem aber hat Lambling in seiner oben eitirten Abhandlung die Brauchbarkeit der Kupferlösung zur Titer- stellung nachgewiesen, indem er Wasser mit einer Hydrosulfitlösung, deren ! Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, Bd. XXIl. 8. 2717. 394 M. SIEGFRIED: Titer mit ammoniakalischer Kupferlösung bestimmt war, titrirte und den- selben Werth für gelösten Sauerstoff erhielt, als durch Auspumpen. Die Frage in dem vorliegenden Falle wurde entschieden indem ich nachwies, dass die Differenz des durch Auspumpen und Titriren gefundenen Sauer- stoffes wirklich noch im Blute vorhanden war. Dass überhaupt nach der Titration bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen noch Sauerstoff in der Blutlösung vorhanden war, wurde durch folgenden Versuch gezeigt: Im Titrirungsapparat wurde eine Indigecarminlösung durch Hydrosulfit genau redueirt, darauf die eine Bürette mit dieser Lösung gefüllt und die Hähne verschlossen. Nachdem aus dem übrigen Theile des Apparates die Indigo- lösung entfernt und die zweite Bürette von Neuem mit Hydrosulfitlösung beschickt war, wurde der Apparat mit Quecksilber und Blutlösung gefüllt und diese bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen redueirt. Als ich jetzt die Indigolösung in den Apparat einfliessen liess, färbte sich die Flüssigkeit stark blau, ein Beweis für das Vorhandensein locker gebundenen Sauerstoffes. Quantitativ wurde dieser Sauerstoff folgendermaassen bestimmt: Versuch 2. Es wurde wieder durch Schlagen defibrinirtes Hundeblut verwendet. Titer: 10 °® Hydrosulfitlösung entspricht 7.8 °® Kupferlösung. 1. 2.73 em Blut erforderlich zur Reduction bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen 2.33 = Hydrosulfitlösung; entspricht 6.6 Procent Sauerstoff bei 0° und 760 Bar. 2. 2.73° m Blut erforderten 2.30 °® Hydrosulfitlösung; entspricht 6-6 Procent Sauerstoff bei 0° und 760 Bar. Eine Kugel mit Ansatzrohr und Hahn, wie sie beim Auspumpen von Blut Verwendung finden, von ca. 100 °°® Inhalt, wurde, nachdem sie an der Quecksilberluftpumpe vollständig evacuirt war, unter Vermeidung von Luftzutritt mit 50°" völlig reinen, anhaltend mit starker Hydrosulfitlösung seschüttelten Quecksilbers beschickt. Darauf wurde in dem Ansatzrohr die Ausflussröhre der Hydrosulfitbürette mit Gummischlauch zunächst lose ein- gesetzt, sodass nach Oeffnen des Quetschhahnes der Bürette die ausfliessende Titerflüssigkeit unter Verdrängung aller Luft den Raum zwischen Glashahn und Bürettenrohr völlig ausfüllen und beim Hindurchfliessen zwischen Glas und Schlauch reinigen konnte. Nach Schnürung des Schlauches während des Ausfliessens des Hydrosulfits war man so sicher, dass der ganze Raum zwischen Hahn der Kugel und Schwimmer der Bürette mit Titerflüssigkeit ausgefüllt war. Jetzt wurde durch Oeffnen des Glashahnes eine aus obigen Daten für 45-28 m Blut berechnete Menge Hydrosulfit (38.6 m) hinzugelassen. Darauf wurde das Blut einer zweiten Hahnen- kugel von 45-28 m Inhalt unter Quecksilber gegen Quecksilber aus der ÜBER HAEMOGLOBIN. 395 ersten Kugel ausgetauscht, sodass in der Mischkugel vorhanden war: ein kleiner leerer Raum, 45.28 m Blut und die zur Reduction bis zum Ver- schwinden der Oxyhaemoglobinstreifen erforderliche Menge Hydrosulfit —= 38.6 m, Nach gehörigem Durchschütteln wurde der noch vorhandene Sauerstoff evacuirt. | Es wurde so erhalten an Sauerstoff redueirt auf 0° und 760 Bar. 10-4 Proc. Durch Auspumpen des ursprünglichen Blutes fand ich. . . 17.3 „ Durch Titriren waren verbraucht 6-6 Procent. Differenz. . 0-3 „ Ein unter denselben Bedingungen ausgeführter Controlversuch, bei welchem das Blut eines anderen Hundes verwendet wurde, gab dasselbe Resultat. Versuch 3. Titer: 10 °® Hydrosuifit entspricht 6-1“ Kupferlösung. 2.73 m Blut erforderten zur Reduction bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen 2-67 = Hydrosulfit; entspricht 6-7 Pro- cent Sauerstoff. Nach der Reduction enthielt das Blut noch 8.8 Procent. Ursprünglich enthielt das Blut 16-3 Procent. Differenz 0-8 Procent. Eine vergleichende Titrirung und Auspumpung wurde ferner mit einer Lösung von reinen, zweimal umkrystallisirten Oxyhaemoglobinkrystallen aus Pferdeblut angestellt: Versuch 4. Titer: 10 = Hydrosulfit entspricht 5-9 °°® Kupferlösung. 1. 5.46 m Oxyhaemoglobinlösung erforderten zur Reduction bis zum Verschwinden der Oxyhaemoselobinstreifen: 1-34 = Hydrosuliit; entspricht 1.4 Procent Sauerstoff. 2. 5.46 °m Oxyhaemoglobinlösung erforderten 1:20 °m Hydrosulfit; entspricht 1-3 Procent Sauerstoff. Durch Auspumpen wurden erhalten: 5.2 Procent Sauerstoff. Durch diese Versuche ist bewiesen, dass durch Reduction von Oxyhaemoglobin mit Hydrosulfit bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen nur ein Theil desauspumpbaren Sauer- ‚stoffes verschwindet. Es sei bemerkt, dass nach beendeter Titration das reine Reductionspectrum bestehen bleibt, sodass der Vorwurf einer zu zu schnellen, unvollkommenen Titrirung haltlos ist. Der Umstand, dass der übrige Sauerstoff vollständig auspumpbar ist, lässt eine Deutung nach der Theorie von Hoppe-Seyler über die oxydirende Wirkung reducirender Substanzen, dass durch Reduction des Sauerstoffes ein Theil activ würde und eine Zerstörung des Oxyhaemoglobins bewirkte, nicht zu. Oxyhaemo- globin kann nach Hoppe-Seyler’s und meinen Versuchen bei einem reinen 396 M. SIEGFRIED: Haemoglobinspectrum höchstens spurenweise vorhanden sein. Es bleibt daher nur die Erklärung übrig, dass das Oxyhaemoglobin zunächst zu einem Pseudo- Haemoglobin, welches noch locker gebundenen Sauerstoff besitzt, reducirt wird, und dass dieses Pseudo-Haemoglobin weiter redueirt wird, ohne sein Spectrum zu ändern. Hingegen, muss man annehmen, bildet sich bei der Oxydation völlig reducirten Haemoglobins durch Sauerstoff wenigstens theilweise sofort Oxy- haemoglobin, sonst würde bei Zutritt kleiner Sauerstoffmengen nicht das Spec- trum des Oxyhaemoglobins sichtbar werden. Deshalb bleibt auch beim Re- dueiren des Blutes durch Auspumpen das Spectrum des Oxyhaemoglobins er- halten, bis die letzten Spuren Sauerstoff geschwunden sind, denn, wenn auch in diesem Falle jedenfalls zunächst das Pseudo-Haemoglobin entsteht, so nimmt dieses trotz der niedrigen Sauerstoffspannung! Sauerstoff auf und bildet Oxy- haemoglobin. Durch Hydrosulfit wird zunächst der mechanisch gelöste Sauerstoff entfernt werden, sodann wird dem Oxyhaemoglobin Sauerstoff entzogen, ohne dass dieser vorher frei wird, da, wie Hüfner ? nachgewiesen hat, Oxyhaemoglobin seinen Sauerstoff an sauerstofffreies Wasser nicht ab- siebt. Ebenso wie aus Kupferoxyd durch Hydrosulfit zunächst Kupfer- oxydul und erst bei grösserem Ueberschuss des Reduetionsmittels und längerem Stehen Kupfer gebildet wird, entsteht aus Oxyhaemoglobin als Zwischenstufe zwischen dem Haemoglobin das Pseudo-Haemoglobin. Es ist einleuchtend, dass bei jeder Reduction des Oxyhaemoglobins, welche auf Verminderung des Partiardruckes für Sauerstoff beruht, die Menge des im Momente des Verschwindens der Oxyhaemoglobinstreifen vor- handenen Pseudo-Haemoglobins indirect proportional sein muss der Schnellig- keit der Reduction, vorausgesetzt, dass der dem Blute entzogene Sauerstoff fortwährend entfernt wird; denn je schneller die Reduction geschieht, um so grösser ist die Menge des entfernten Sauerstoffes, welcher den Partiar- druck im reducirenden Raum erhöht, und um so mehr wird das schon fast vollständig reducirte Haemoglobin Sauerstoff wieder aufnehmen und Oxy- haemoglobin bilden. Geschieht dagegen die Reduction langsam, so ist der Partiardruck für Sauerstoff im reducirenden Raume nur sehr gering, sodass nur wenig oder gar kein Sauerstoff vom Blute wieder gebunden werden kann. Die Schnelligkeit dieser Reductionen ist wesentlich abhängig von der Temperatur. Dem Blute wird bei 0° weder durch das Vacuum Sauer- stoff entzogen, wie Hoppe-Seyler nachgewiesen, noch auch durch Wasser- stoff, wovon ich mich durch einen 14 Stunden dauernden Versuch über- zeugt habe. Beim Erwärmen auf 40° geht die Reduction auf beide Arten sehr schnell von statten. Es war wahrscheinlich, dass man bei gewöhn- ! Vergl. Stroganow, Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XI. 8.18. ? Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. X. 8. 218. ÜBER HAEMOGLOBIN. 397 licher Temperatur durch einen Wasserstoffstrom Oxyhaemoglobin langsam genug reduciren konnte, sodass in Folge des stets nur geringen Partiar- druckes im reducirenden Raume ein Verschwinden des Oxyhaemoglobin- spectrums eintrat, während noch locker gebundener Sauerstoff, also Pseudo- Haemoglobin vorhanden war. Dies sind die hierüber angestellten Versuche. 1. Mit dem Ansatzrohr einer mit der Oeffnung nach oben eingespannten Hahnenkugel von ca. 100°® Inhalt war ein T-Rohr luftdicht verbunden; durch den senkrechten Schenkel desselben war ein Zuleitungsrohr eingeführt, der nach unten umgebogene wagrechte diente zur Ableitung des Gases und mündete unter Quecksilber. Durch 50° ® Hundeblut, welche sich in der Kugel befanden, wurde ein Strom gewaschenen Wasserstoffgases erst bei gewöhnlicher Temperatur, dann unter Erwärmen auf 25° geleitet. An der Wandung der Kugel liess sich beim Umschütteln bequem mit einem Spec- tralapparate mit gerader Durchsicht das Speetrum beobachten. Sobald die Oxyhaemoglobinstreifen verschwunden waren, wurde ohne den Wasserstoff- strom zu unterbrechen das Zuleitungsrohr durch die Bohrung des Hahnes gezogen und der Hahn geschlossen. Der eingeschlossene Wasserstoff wurde unter Quecksilber durch Quecksilber verdrängt. Durch Auspumpen dieses Blutes wurden noch 2.4 Procent Sauerstoff erhalten. 2. Derselbe Versuch mit dem Unterschiede, dass das Blut nicht über 14° (Lufttemperatur) erwärmt wurde Nach 8 stündigem Durchleiten eines starken Wasserstoffstromes waren die Oxyhaemoglobinstreifen verschwunden. Durch Auspumpen wurden noch 4-5 Procent Sauerstoff erhalten. 3. Durch 20 ° = Hundeblut wurde nach der Reduction durch Wasserstoff bei gewöhnlicher Temperatur bis zum Auftreten des reinen Reductions- speetrums noch zwei Stunden ein starker Wasserstofistrom geleitet. Beim Auspumpen wurde kein Sauerstoff erhalten. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass in der That durch Wasser- stoff das Oxyhaemoglobin zunächst zu dem Pseudo-Haemoglobin redueirt wird. Da also ein durch Wasserstoff reducirtes Blut, welches das reine Re- ductionsspectrum besitzt, noch Sauerstoff enthalten kann, war es nicht un- möglich, dass die redueirte Blutlösung, welche ich bei dem im Anfange der Abhandlung angeführten Versuche zur Bestimmung der Empfindlichkeit des Reductionsspectrums gegen Oxyhaemoglobin verwendet hatte, noch Sauer- stoff enthalten hatte, und dass eine völlig redueirte Blutlösung nicht so empfindlich sei, als eine noch Pseudo-Haemoglobin enthaltende. Deshalb wiederholte ich jenen Versuch mit einer Blutlösung, die dureh Evacuiren redueirt war, in folgender Weise: 398 M. SIEGFRIED: Der nur mit einer leeren Bürette verbundene Titrirapparat wurde mit Quecksilber und einer Blutlösung, welche auf 100 Theile 1 Theil Blut ent- hielt, gefüllt. Nach Schliessung der Hähne der Bürette, welche nur Blut- lösung, kein Quecksilber enthielt, wurde der Apparat durch das kurze Ansatzrohr mit der Quecksilberluftpumpe verbunden und unter Erwärmen die Blutlösung so lange ausgepumpt, bis sich in der oberen Kugel der Pumpe kein Gas mehr wahrnehmen liess. Hierauf liess ich die Blutlösung wieder in den Apparat fliesen und füllte den noch vorhandenen leeren Raum vollständig mit Quecksilber aus. Das Spectrum war das des reinen redueirten Haemoglobins.. Aus der Bürette wurde nun durch Verdrängung mit kleinen Quecksilberkugeln so lange unveränderte Oxyhaemoslobinlösung zugesetzt, bis die Oxyhaemoglobinstreifen in dem Spectrum der Mischung deutlich sichtbar wurden. Durch Wägung des am Ende des Versuches im der Bürette befindlichen Quecksilbers wurde als Volumen der verbrauchten Oxyhaemoglobinlösung 0-35 °® ermittelt. Als Volumen der Lösung im Apparat wurden gefunden: 60-.0°». Hieraus berechnet sich, dass eine Haemoglobinlösung das Spectrum des Oxyhaemoglobims bei einem Ge- halte an letzterem von 0.58 Procent erkennen lässt, ein Resultat, das mit dem beim ersten Versuche erhaltenen übereinstimmt. Untersuchung des venösen Blutes auf den Gehalt an Pseudo- Haemoglobin. Interessant erschien die Beantwortung der Frage, ob sich das Oxy- haemoglobin gegen die reducirenden Substanzen des Organismus ebenso verhält, wie gegen Hydrosulfit, d.h. ob es im Organismus erst zu Pseudo- Haemoglobin und dann zu Haemoglobin redueirt wird. Ueber die Art der Reduction des Oxyhaemoglobins existiren bekanntlich zwei Ansichten: Die eine sagt, die Reduction findet bereits innerhalb der geschlossenen Blut- bahn statt, nach der anderen diffundirt der Sauerstoff durch die Wandungen der Blutcapillaren in die Gewebe und wird erst dort verbraucht. Nach der ersten Ansicht würde die Reduction der durch Hydrosulfit ähnlich sein, indem der Sauerstoff weggenommeu würde, ohne vorher frei zu werden. Nach der zweiten würde die Reduction in Folge verminderten Partiardruckes des Sauerstoffes stattfinden, sie würde also der durch das Vacuum ent- sprechen und zwar in Folge der hohen Temperatur einer sehr schnellen. Nach dem auf 8. 396 Gesagten müsste also das Blut eines unvollkommen erstickten Thieres in diesem Falle immer wieder Sauerstoff aufnehmen können und Oxyhaemoglobin zurückbilden, es würde also die Hauptmenge des locker gebundenen Sauerstoffes in Oxyhaemoelobin, nicht in Pseudo- Haemoglobin gebunden enthalten. Wird hingegen das Oxyhaemoglobin ÜBER HARMOGLOBIN. 399 innerhalb der Blutbahn, ohne dass der Sauerstoff zuvor frei wird, reducirt, so ist keine Gelegenheit zur Rückbildung von Oxyhaemoglobin gegeben und es wird nach theilweiser Reduction des Blutes der grössere Theil des noch vorhandenen Sauerstoffes in Pseudo-Haemoglobin gebunden vorhanden sein. Das letztere haben die folgenden Versuche ergeben: Das Blut wurde aus der Carotis zweier nach Zuschnüren der Trachea erstickenden Hunde entnommen, unter Vermeidung von Luftzutritt unter Quecksilber aufgefangen und durch Schütteln mit Quecksilber defibrinirt. Versuch 1. Blutentnahme noch vor Beginn der Krämpfe. Titer des Hydrosulfits: 10 R Hydrosulfit entsprechen 5-3 m Kupfer- lösung. Titrirung: 2.73 em Blut erforderten zur Reduction bis zum Ver- schwinden der Oxyhaemoelobinstreifen 1.14 m Hydrosulfit, was 2.2 Pro- cent Sauerstoff entspricht. Durch Auspumpen wurde erhalten 8-8 Procent. Versuch 2. Blutentnahme kurz vor der völligen Erstickung. Titrirung: Es wurde bis zum Verschwinden der Oxyhaemoglobinstreifen 0m Hydrosulfit gebraucht, also Sauerstoff = 0. Die Auspumpung lieferte 2.1 Procent Sauerstoff. Versuch 3. Blutentnahme sofort nach Beginn der Krämpfe. Titer des Hydrosulfits 10 °®, entspricht 5-.0°°® Kupferlösung. Titri- rung: 2.730 erforderten 0-38°m Hydrosulfit, entspricht 07 Procent Sauerstoff. Durch Auspumpen wurden erhalten 5.6 Procent Sauerstofl. Das Resultat des zweiten Versuches scheint mit dem, welches Stro- ganow (a. a. 0.) bei Beobachtung des Spectrums des Erstickungsblutes in der Carotis oder Vena jugularis selbst erhielt, im Widerspruch zu stehen. Stroganow sah stets noch die beiden Oxyhaemoglobinstreifen, selbst wenn das Thier vollständig erstickt war. Bedenkt man jedoch die ungeheuere Empfindlichkeit des Haemoglobinspectrums gegen Sauerstoff, so erkennt man, dass das Oxyhaemoglobinspectrum bei Stroganow’s Versuchen ver- ursacht sein kann durch eine Spur Sauerstoff, welche nicht messbar ist und in meinem Apparate, wo sich, nachdem vorher das Wasser unter Be- nutzung von ein paar Tropfen Blut als Indicator, sauerstofffrei titrirt ist, jedenfalls ein äusserst kleiner, nicht bestimmbarer Ueberschuss von Hydrosulfit befindet, der eine derartige Spur Oxyhaemoglobin, wie sie zur Erzeugung des Spectrums nöthig ist, redueiren würde. Es geht aus meinen Versuchen hervor, dass von dem im venösen Blute noch enthaltenen Sauerstoff ein Theil in Pseudo- Haemoglobin gebunden ist. Denn berechnet man aus den Resultaten der Versuche mit arteriellem, mit Luft geschlagenem Blute die Menge in 400 M. SıEGFRIED: ÜBER HAEMOGLOBIN. Oxyhaemoglobin gebundenen Sauerstofles, welche der durch Titration ge- fundenen entspricht, so findet man, dass im Oxyhaemoglobin etwas mehr als die doppelte Menge von dem bei der Reduction zu Pseudo-Haemoglobin entzogenen Sauerstoff enthalten ist. Es würde im ersten Versuche das venöse Blnt etwas mehr als 2.2x2 in Oxyhaemoglobin gebundenen Sauerstoff enthalten, es blieb also von dem gefundenen Gesammtsauerstoff = 8°8 Procent ungefähr noch 4 Procent als in Pseudo-Haemoglobin gebunden übrig. Ebenso erhält man im dritten Versuche mehr als 0.7 x 2 in Oxyhaemoglobin gebundenen Sauerstoff, also für in Pseudo-Haemoglobin gebundenen weniger als 5-6—1-4 = ca. 4 Procent. Man sieht, dass die Reduetion des Blutes im Orga- nismus in ähnlicher Weise verläuft, wie die durch Hydrosulfit; es ist also wahrscheinlich, dass die Sauerstoffentziehung durch reducirende Substanzen in der geschlossenen Blutbahn selbst erfolgt, ohne dass der Sauerstoff vorher frei wird. Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen der Lupetidine und verwandter Körper und deren Be- ziehungen zu ihrer chemischen Constitution. Von August Gürber. (Aus dem physiologischen Institut zu Zürich.) (Hierzu Taf. IV .) 1. Einleitung. „Ueber die Beziehungen der Structur der Gifte zu den Veränderungen der Zellen.“ Unter diesem Titel veröffentlichte Hr. J. Gaule im Central- blatt für Physiologie (nach einem Vortrag, gehalten in einer Versammlung der Naturforschenden Gesellschaft) die Resultate einer Reihe von Unter- suchungen, die ich unter seiner Leitung über die Wirkung einer Anzahl sowohl chemisch als physiologisch höchst interessanter Körper angestellt habe. Diese Körper, Glieder einer homologen Reihe, wurden zum grössten Theil unter Hrn. Prof. Hantzsch von Hın. Dr. Jaeckle im chemischen Laboratorium des eidgenössischen Polytechnikums synthetisch dargestellt und in dessen Inauguraldissertation, in welch’ letzterer die Ergebnisse meiner Untersuchungen ebenfalls erwähnt und in einer Tabelle zusammengefasst sind, beschrieben. Das Anfanesglied dieser homologen Reihe wurde von Laden- . burg synthetisch dargestellt und entsprechend den Piperidinen, als deren Dimethylglied dasselbe anzusehen ist, Lupetidin genannt. Falk in Kiel hat das Lupetidin auf seine physiologische Wirkung untersucht und dieselbe der- jenigen des Coniins ähnlich gefunden. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 96 402 AUGUST GÜRBER: A. Die chemische Structur der Lupetidine. Wie schon erwähnt, ist das Lupetidin Anfangsglied einer homologen Reihe, als deren weitere Glieder die eben von Jaeckle synthetisch dar- gestellten und als Copellidin, Parpevolin, Propyllupetidin, Isobutyllupetidin und Hexyllupetidin benannten Körper bekannt sind. Als Kern der Reihe muss das Piperidin angesehen werden, indem die Lupetidine dimethylirte Alkylsubstitutionen des Piperidins sind. Ist daher | | : Moleculargewicht 85, CH, NH die Structurformel des Piperidins, so entsteht durch symmetrische Methyl- substitution zweier Wasserstoffatome in «-Stellung zum Stickstoff das Lu- petidin oder Dimethylpiperidin mit der Formel CH, DS CH, CH, | CH,—CH CH-CH,. NH Wird in diesem Lupetidin noch ein Wasserstoffatom und zwar das dem Stickstoff gegenüberstehende durch die Radicale, Methyl, Aethyl, Propyl, Isobutyl und Hexyl vertreten, so bilden sich die weiteren Glieder der Reihe. Es ergiebt sich demnach für die Lupetidine, so wollen wir in Zukunft die Glieder der Reihe in ihrer Gesammtheit benennen, die allgemeine Formel: R | | CH,—CH CH-CH,, N NH wobei R die eben erwähnten Alkyle bedeutet. Dem entsprechend werden die einzelnen Lupetidine folgendermaassen geschrieben: I. Lupetidin oder Dimethylpiperidin R=H H H, Moleculargewicht 113. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE tv. Ss. w. 4083 II. Copellidin oder Trimethylpiperidin R= CH, CH, | CH LEN nr CH, Moleculargewicht 127. CH,—CH CH--CH, NH III. Parpevolin oder Aethyllupetidin R = (C,H, OEL CM ZEN ne Ar Moleculargewicht 141. CH, CH CH-CH, NH Die folgenden Glieder haben keine besondere Namen und werden lediglich nach dem substituirten Alkoholradical benannt. IV. Propyllupetidin R= C,H, L Na CH; Moleculargewicht 155. CHE CHNCHECH, N NH CH, CH, 7 V. Isobutyllupetidin R= CH Moleculargewicht 169. CH, CH, | | NH Das normale Butyllupetidin ist nicht bekannt, ebensowenig ein Pentyl- lupetidin. 26* 404 AUGUST GÜRBER: VI. Hexyllupetidn R= C,H, ; CoH;z | CH LES 2 CH, CH, Moleculargewicht 197. CH,_CH CHCH, NZ NH Wie aus diesen Formeln hervorgeht, unterscheiden sich die höheren Glieder der Reihe vom Lupetidin einfach durch ein an Stelle des dem Stickstoff gegenüberliegenden Wasserstoffatoms substituirtes Alkylradical und unter sich nur durch die Grösse des substituirten Radicals. Reihen wir hier gleich noch die Structurformel des Coniins an, so er- halten wir das vollständige chemische Bild von den Substanzen, welche in dieser Arbeit Gegenstand der Untersuchung sein sollen. Das Coniün, ein schon im Alterthum bekanntes Gift, wurde in neuester Zeit von Laden- burg ebenfalls synthetisch dargestellt und demselben dabei folgende Struc- turformel gegeben: | Moleeulargewicht 127. CHR CH CH N NH Nach dieser Formel ist das Coniin als ein Piperidin charakterisirt, in welchem ein Wasserstoffatom in «-Stellung zum Stickstoff durch das Alkyl Propyl substituirt wird, weshalb das Coniin auch als ein «&-Propylpiperidin bezeichnet werden kann. In Bezug auf die Lupetidine steht es in seiner chemischen Constitution wohl am nächsten dem Propyllupetidin. Ein ein- facher Vergleich beider Structurformeln wird das zeigen können. C,H, CH, | EN CH CH, CH, EN | | CHSSCH> CH, CH-C,H, | | Na CH,-CH CH-CH, NH N NH Conün. Propyllupetidin. Denken wir uns beim Propyllupetidin die beiden symmetrisch ge- legenen Methyle wieder durch Wasserstoffatome ersetzt, so haben wir das Coniin mit anderer Stellung des Propylradicals.. Mit dem Copellidin ist zwar das Coniin isomer, denn beide haben ein Moleculargewicht von 127, ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 405 Doch würde man sehr fehl gehen, wollte man daraus auf eine noch nähere Verwandtschaft dieser beiden zu einander schliessen, als eine solche zwischen dem Propyllupetidin und dem Coniin, Propylpiperidin, durch das in beiden vorhandene Propylradical gegeben ist. Es ist nämlich längst bekannt, dass die Alkoholradicale und auch an- dere Radicale ihre eigene chemische Natur, selbst in höchst complicirte Verbindungen substituirt, theilweise bewahren können. Dieses spiegelt sich dann auch öfters in der physiologischen Wirkungsweise solcher substituirter Verbindungen wieder, ja selbst der ganze Charakter der physiologischen Wirkungsweise derselben kann durch die substituirenden Radicale bedingt sein. Besonders deutlich zeigt sich letzteres bei den Lupetidinen, wie wir dann später sehen werden. Was nun die ferneren chemischen Eigenschaften und die Synthese der Lupetidine anbetrifft, so muss ich auf die schon erwähnte Arbeit von Jaeckle verweisen. Hier möge nur in Bezug auf die Synthese kurz ge- sagst sein, dass die Lupetidine, symmetrische Piperidine, durch Reduction aus den entsprechenden Lutidinen, symmetrische Pyridine, entstanden sind, wonach das Lupetidin aus einem Lutidin, das Copellidin aus einem Collidin, das Parpevolin aus einem Parvolin und das Propyl-, Isobutyl- und Hexyl- lupetidin aus einem Propyl-Isobutyl-Hexyllutidin hervorgegangen ist. Die Form, in welcher mir die Lupetidine zur Verfügung standen, war nicht die der freien Basen, sondern die der Chlorhydrate derselben und zwar in einer 10 procentigen, genau neutralisirten, wässerigen Lösung. Dass die Wirkungsweise der sogenannten Alkaloide, und zu diesen gehören auch die Lupetidine, in Folge ihres hohen Moleculargewichtes durch den Eintritt der Salzsäure in die Verbindung wenig oder gar nicht modificirt wird, ist den Toxikologen schon längst bekannt. Zudem wäre bei der starken Basi- eität der Lupetidine wie der Piperidine überhaupt, eine directe Application der freien Basen experimentell unerlaubt, wegen der theilweisen Schwer- löslichkeit derselben in Wasser geradezu unmöglich gewesen. B. Inhaltsangabe. Die im Vorstehenden gemachten Mittheilungen über die Structur- verhältnisse der untersuchten Lupetidine und ihre Verwandtschaft zu den schon ihrer Wirkung nach einigermaassen bekannten Körpern des Conins und des Piperidins zeichneten mir den Weg für meine Versuche vor. Doch stellte ich zunächst eine Anzahl von Vorversuchen an, um mich vorläufig über die Natur der durch die Lupetidine hervorgebrachten Veränderungen zu orientiren und die Dosen, in welchen dieselben wirksam seien, festzustellen. Dabei ergab sich eine leicht übersehbare Regel, dass im Allgemeinen die 406 AUGUST GÜRBER: Grösse der wirksamen Dosen abnahm, wenn die Grösse des substituirten Alkylradicals zunahm. Dieses Verhältniss schien einer tieferen Analyse werth zu sein. Zu diesem Zwecke musste aber vor Allem der Begriff, Wirksamkeit, näher praecisirt werden, d. h. man musste zuerst einen festen Punkt gewinnen, nach dem man dieselbe bemessen konnte, entweder den Eintritt des Todes (letale Dosen), das Zustandekommen des Gesammtwirkungseffectes ohne tödt- lichen Auseang (maximale Dosen) oder auch die geringste wahrnehmbare Veränderung (minimale Dosen), mit Berücksichtigung der dabei in Betracht kommenden Zeitverhältnisse. Ich musste daher eine Reihe von Versuchen anstellen, um mir darüber klar zu werden, was ich bei den Lupetidinen als das am besten verwerthbare Maass für ihre physiologische Wirkung ansehen dürfe. AufGrund derselben habe ich das Reciproke der kleinsten Dosis, welche eine für die angewendete Substanz charakteristische, vollständige Verände- rung in dem physiologischen Verhalten des Versuchsthieres hervorruft, als ein solches Maass gewählt und bezeichne diesen Werth als die Intensität des Giftes. Die dadurch gegebene Definition der Wirkungsintensität deckt nicht vollständig das, was man in der Litteratur unter diesem Begriffe ver- standen hat. Aber ein Jeder, der Geduld hat, diese Frage ein wenig zu überdenken, wird finden, dass der Gebrauch dieses Begriffes ein höchst schwankender gewesen ist. Er ist aus der älteren Litteratur, in der sich an ihn oft höchst willkürliche Vorstellungen anknüpfen, übernommen worden, und man hat ihn bald in der einen, bald in der anderen Weise unseren wissenschaftlichen Anschauungen anzupassen gesucht. Es ist klar, dass man einen so lebendigen Begriff, wenn man die Wirkung der Gifte zu beschreiben hat, nicht wird entbehren können. Ich habe aber für nothwendig gehalten, um aus der seitherigen Willkür herauszukommen, ihm eine scharfe Definition auf gleichsam mathematischer Basis zu geben, wobei denn sein seitheriger weiter Gebrauch wohl etwas eingeschränkt wird. Auf der anderen Seite schien nach den Vorstellungen, die seither in der Litteratur entwickelt wurden, der Einfluss des geänderten Alkylradicals hauptsächlich in der dadurch bedingten Aenderung der Moleculargrösse ge- sucht werden zu müssen. Bei Vergleichung des Moleculargewichtes mit den festgestellten Inten- sitäten zeigte sich nun ganz deutlich, dass die Wirkungsintensität gleich- sam in. geometrischer Progression zunimmt, wenn das Moleculargewicht in arithmetischer Progression steigt, vorausgesetzt, dass man die Intensität eben als das Reciproke der kleinsten in obigem Sinne wirksamen Dosis definirt. Dieses Gesetz stimmt jedoch in der Lupetidinreihe nur bis zum Iso- butyllupetidin, denn dieses und noch mehr das Hexyllupetidin weichen er- heblich davon ab. Es handelt sich also zunächst darum, den Grund hier- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. Ss. w. 407 von zu finden. Dabei wurde meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass die Vergiftungserscheinungen, welche diese beiden letzten Lupetidine hervor- gerufen hatten, schon in den Vorversuchen sich doch nicht unwesentlich von denen der niederen Homologen unterschieden. Es machte so den Ein- druck, als ob die letzteren mehr periphere, die ersteren, die höheren Homo- logen, mehr eine centrale Lähmung hervorriefen. Um dieses festzustellen, musste eine neue Versuchsreihe angestellt werden, welche einen sehr be- deutenden Umfang annahm. Es stellte sich nämlich dabei heraus, dass die Versuchsmethode, welche man seither angewendet hat, um eine solche Frage zu entscheiden, z. B. beim Curare, die Unterbindung der Arterie eines Beines, wodurch zum Schutze vor Mitvergiftung die Muskeln und Nerven dieses Beines aus dem Blutkreislauf ausgeschaltet werden sollen, gerade in dieser Richtung nicht sanz genügt. Es zeigte sich bei meinen Versuchen, welche in den nachher zu erwähnenden Veränderungen im Blute selbst ein sehr feines Hülfsmittel darbieten, um jedes Hineingelangen des Giftes in einen Theil des Kreis- laufs zu entdecken, dass die Unterbindung, wie man sie seither geübt hat, die Circulation in den unterbundenen Theilen zwar vermindert aber nicht vollständig ausschiiesst. Es wurden nach und nach durch Injection mit farbigen Massen, die zum Theil durch die Haut gehenden Anastomosen, durch die das Gift seinen Weg in ein unterbundenes Bein nehmen konnte, entdeckt und dann durch Versengung der betreffenden Hautpartien auch diese Communication eliminirt. Schliesslich zeigte sich nach Besiegung dieser sämmtlichen Schwierigkeiten mit aller Deutlichkeit, dass das Isobutyl- und das Hexyllupetidin in der That mehr central, die niederen molecularen Lupetidine mehr peripher lähmen, Die ersteren zwei haben also einen anderen Angrifispunkt, deshalb ist ihre Wirkung nicht direct age und fügt sich dem obigen Gesetze nicht. Da nun in diesen Körpern nichts geändert ist als das eingetretene Radical, so muss eben die Veränderung des Angriffspunktes auf dieses be- zogen werden. Die an sich auffallende Thatsache, dass ein Butyl und ein Hexylradical so ganz anders wirken sollen, als ein Methyl, Aethyl oder gar Propyl wird indessen durch einige chemische Analogien bestätigt. Vor allem aber wurde mir die ganze Sache klarer, als ich auch nunmehr Versuche an zwei Körpern der Piperidinreihe, nämlich dem Piperidin selbst und dem Propylpiperidin oder Coniin anstellte. Dabei ergab sich, dass die Wirkungs- weise dieser beiden sich ganz ähnlich unterscheidet, wie diejenigen der ent- sprechenden Lupetidine. Vergleicht man dagegen das Piperidin mit dem Lupetidin und das Coniin mit dem Propyllupetidin, so fügen sich deren Wirkungen mehr oder weniger den oben entwickelten Beziehungen zwischen 408 AUGUST GÜRBER: Wirkungsintensität und Moleculargewicht, offenbar weil sie entsprechend den gleichen Angriffspunkt haben. So komme ich zu dem Schlusse, dass wir bei der Beurtheilung der Giftwirkung chemischer Körper zwei Variablen in Rechnung zu ziehen haben: 1. die Grösse des Moleculargewichtes, von der die Intensität der Wirkung in einer einfachen Beziehung abhängig ist, so lange der Angriffs- punkt des Giftes derselbe bleibt, und 2. die Natur der eintretenden variablen Radicale, welche im Stande sind, den Angriffspunkt zu ändern, was eben- falls nach einer gewissen Gesetzmässigkeit vor sich zu gehen scheint. Neben diesen beiden Variablen dürfte im Allgemeinen noch eine dritte Aenderung in der Constitution einer chemischen Verbindung von Einfluss sein auf den physiologischen Charakter dieser Verbindung, nämlich die Stellung der eintretenden Radicale.. Dass dieser Einfluss bei meinen Unter- suchungen nicht besonders zu Tage tritt, liegt einerseits darin, dass eben bei den Lupetidinen eine Variation in diesem Sinne nicht vorliegt und dass andererseits nicht erwiesen ist, ob das von mir verwendete Coniin, in Bezug auf seine chemische Structur mit dem «-Propylpiperidin Ladenburg’s darf indentificirt werden, oder nicht und ob mein natürliches Coniin nicht doch vielleicht sein Propylradical in derselben y-Stellung hat, wie das mit ihm verglichene Propyllupetidin. Wie dem auch sei, muss doch nach den bis jetzt gesammelten Er- fahrungen auch der Stellung der Radicale eine Bedeutung für die Art der physiologischen Wirkung zugemessen werden. Denn in all’ diesen Be- ziehungen sind die physiologischen Wirkungen eines Körpers der Spiegel von Gesetzen, die aus dem chemischen Verhalten desselben schon früher abgeleitet werden konnten, was im Grunde auch nicht anders zu erwarten war. Neben den genannten physiologischen Veränderungen, auf welche ich bei der Untersuchung auf die Wirkungsweise der Lupetidine gestossen bin, habe ich noch zu berichten über solche, von denen man seither noch kein Beispiel dieser Art gehabt hat und auf die daher Prof. Gaule in seiner citirten Mittheilung das Hauptgewicht legte, nämlich die morphologischen Veränderungen der Zellen des Blutes. Es ist nicht meine Absicht, in dieser Abhandlung auf die speciellen Eigenthümlichkeiten dieser Veränderungen und die Schlüsse, die man aus ihnen auf die Natur der Blutkörperchen ziehen kann, einzugehen. Sie solien hier einfach beschrieben werden als ein Theil des Bildes, welches die Lupetidine hervorrufen und es soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie sich auch den oben entwickelten Beziehungen zwischen physiologischer Wirkung und chemischer Constitution fügen. Meine Abhandlung wird sich dem geschilderten historischen Entwicke- lungsgange gemäss gliedern in: ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. s. w. 409 . Einleitung. . Vorversuche. . Versuche über die Intensität der Wirkung. . Beziehungen zwischen Wirkungsintensität und Moleculargewicht. . Versuche über die Angriffspunkte und Wirkungsweise der Lupe- tidine im Allgemeinen. Dieser Abschnitt 5 zerfällt in die Unterabtheilungen: a. Versuchsmethode. b. Wirkung auf die Muskeln. c. Wirkung auf die Nerven. d. Curarewirkung der Lupetidine. e. Wirkung auf das Centralnervensystem. f. Wirkung auf die sensiblen Nervenenden in der Haut. g. Wirkung auf das Herz. h. Wirkung auf morphologische Bestandtheile des Blutes. i k | at$rom m . Tabelle über die Wirkune. . Zusammenstellung der functionellen Veränderungen. . Zusammenstellung der morphologischen Veränderungen. 6. Einzelbesprechung der Körper. 7. Allgemeine Ableitung der Wirkungsweise von der Constitution der Lupetidine. 8. Anhang. Versuchsprotokolle. Die Versuche werde ich in den Resultaten tabellarisch ordnen und die genaue Beschreibung in einem Anhang geben. Die morphologischen Ver- änderungen sollen durch Lichtdrucke, die nach Aukropnu. maplien an- gefertigt wurden, veranschaulicht werden. 2, Vorversuche. Die Wirkungsweise des Coniüns, dieses nahen Verwandten der Lupe- tidine, ist von verschiedenen Autoren dahin charakterisirt worden, dass es ähnlich dem Curare die intramusculären Nervenendigungen lähme, zugleich aber auch centrale Wirkung habe. Nach den Untersuchungen von Prof. Falk soll nun das Lupetidin dieselben lähmenden Eigenschaften haben wie das Coniin. Um schnell eine vorläufige Orientirung über die Wirkungsweise der Lupetidine zu bekommen, wählte ich sechs gleichartige Frösche, männliche Ranae temporariae, aus und applieirte jedem derselben von je einem der Lupetidine die gleiche Dosis von 0-005 sm mittelst Pravaz’scher Spritze 410 AUGUST GÜRBER: in den Rückenlymphsack. Die hierzu verwendete wässerige Lösung war so gestellt, dass je O-1 «m derselben 0-001 &”= des betreffenden Lupetidins entsprach. Die vergifteten Frösche kamen dann einzeln unter Glasglocken, welche mit den entsprechenden Namen der Lupetidine angeschrieben waren und wurden da beobachtet. Schon nach verhältnissmässig kurzer Zeit entwickelten sich bei den mit Parpevolin, Propyl-, Isobutyl- und Hexyllupetidin vergifteten Fröschen die ersten Symptome einer acuten Vergiftung, welche sich in einer immer stärker werdenden Lähmung aller willkürlichen Bewegung manifestirte. Die mit Lupetidin und Copellidin vergifteten Frösche zeigten dagegen selbst nach mehreren Stunden keinerlei abnorme Erscheinungen. Da voraussicht- lich die angewendete Dosis von diesen letzteren beiden als zu klein ange- nommen werden musste, so verdoppelte ich dieselbe in einem folgenden Versuche, was nun die Lähmung des mit. Copellidin vergifteten Frosches zur Folge hatte, während das Lupetidin auch in einer Dosis von 0-01 gm wirkungslos blieb, was mich zu einer nochmaligen Verdoppelung der Dosis Lupetidin veranlasste, so dass nun ein Frosch 0.02 em injieirt bekam. Diese Dosis war jetzt gross genug, um den Frosch in etwa zwei Stunden total zu lähmen. War ich bei dem ersten Versuch von gleichen Dosen ausgegangen, so vergiftete ich nunmehr sechs gleiche Frösche, ebenfalls R. t. Z, mit ver- schiedenen Dosen und zwar denjenigen, welche ich in dem ersten Versuch als wirksam gefunden hatte. Vorerst verhielten sich alle Frösche sehr. un- ruhig, wohl nur eine Folge der bei der Application der Gifte verursachten mechanischen Reizung. Nach 10—15 Minuten hatten sich fast alle so ziemlich beruhigt und zeigten wieder ein ganz normales Verhalten mit Ausnahme von demjenigen mit Hexyllupetidin vergifteten. Dieser Frosch machte fortwährend ganz uncoordinirte Bewegungen, athmete sehr mühsam und hatte den Tonus in der Haltung des Kopfes verloren. Diese Symptome gewannen in den nächsten 15 Minuten an Deutlichkeit, während die übrigen Frösche sich in ihrem Verhalten wenig änderten. Nur der Isobutylfrosch begann nun ebenfalls unruhig zu werden, indem er fortwährend seine Lage wechselte. Die anderen vier Frösche dagegen boten mehr das Bild leichter Apathie, bisweilen aber doch einen gewissen Grad abnormer Er- regung verrathend. Dieser Zustand mit immer steigender Apathie und deutlichen Bewegungsstörungen dauerte bei dem einen Frosche bis über 40 Minuten, während bei den anderen schon nach 20—30 Minuten erheb- liche Lähmung sich entwickelt hatte. Die Reaction war bei denselben der Lähmung entsprechend äusserst matt, erst sehr starke Reize wurden etwas lebhafter, ja selbst ungestüm beantwortet. In der folgenden halben oder ganzen Stunde, bei den verschiedenen Fröschen eben verschieden, ging N 1 | | ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.S.w. All dann dieser Zustand allmählicher Erlahmung in totale Lähmung über. Auch der Isobutyllupetidin-Frosch wurde inzwischen vollständig gelähmt, der Hexyllupetidin-Frosch aber war todt. Es musste der Tod ziemlich plötzlich dem Zustand höchster Erregtheit gefolgt sein, indem ein Zwischenstadium im Verlaufe der Vergiftung nicht konnte constatirt werden. Die anderen nur gelähmten Frösche boten zwar auch mehr ein Bild des Todes als des Lebens, jede Bewegung, jede Reaction war verschwunden, die Athmung sistirt, der Tonus in der Haltung der Extremitäten und des Kopfes er- schlafft, nur das Herz schlug weiter, wie das rhythmische Heben und Senken einer kleinen Stelle der Brustwand dem aufmerksam beobachtenden Auge verrieth. Während den folgenden 15 Stunden stand bei den mit Propyl- und Isobutyllupetidin vergifteten Fröschen ebenfalls das Herz still, auch diese beiden Frösche waren todt. Die noch überlebenden Frösche dagegen fingen sich nach Verlauf der 20. Stunde wieder langsam an zu erholen und konnten nach weiteren 10 Stunden als in ihren Functionen so ziemlich normal betrachtet werden. Und nun die Resultate aus diesen Vorver- suchen: 1. Alle Lupetidine sind für den Frosch heftige Gifte, indem sie in kleinsten Mengen tödtlich wirken, oder doch durch tiefgehende Verän- derungen der vitalen Functionen das Leben gefährden. 2. Das allen Lupetidinen gemeinsame Hauptvergiftungssymptom ist die Lähmung der willkürlichen Bewegungen. 3. Die Wirkungsweise der verschiedenen Lupetidine scheint trotz des gleichartigen Vergiftungseffectes ebenfalls etwas verschieden zu sein. 4. Diese Verschiedenheit in der Wirkungsweise ist zweifellos eine quantitative in Bezug auf Dosis und Zeit, wahrscheinlich aber auch eine qualtitative in Bezug auf den Angriffspunkt. 5. Die Gesammtwirkungsweise der Lupetidine, vorzüglich aber deren quantitative Verhältnisse scheinen in gewissen festen Beziehungen zu der chemischen Constitution derselben zu stehen. 3. Versuche über die Intensität der Wirkung der Lupetidine. Was ich unter Intensität der Wirkung eines Giftes verstehe, ist in der Einleitung definirt worden. Dass diese Grösse in einem reciproken Ver- hältniss zur Dosis stehen müsse, leuchtet aus der einfachen Ueberlegung ein, dass, je weniger ich von einer Substanz brauche, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen, desto grösser die jedem Theil des Giftes innewohnende Kraft sein wird. 412 AUGUST GÜRBER: Wenden wir uns noch einmal für einen Augenblick zu den Resultaten der Vorversuche zurück, so finden wir bei allen Lupetidinen die Eigenschaft, die willkürlichen Bewegungen zu lähmen. Diese Lähmung können wir somit als die eine für die Lupetidine charakteristische Veränderung in ihrem physiologischen Verhalten betrachten. Es fragt sich nun: kommen nicht noch andere Veränderungen vor, welche 1. von allgemeinem Interesse sind und 2. für die vorliegende Frage berücksichtigt werden müssen? Hierüber waren nun umfassendere und genauere Versuche anzustellen. Diese zeigen fast dieselbe Versuchsanordnung wie die Vorversuche. In den Kreis der Beobachtung wurden aber möglichst sämmtliche Functionen des Versuchsthieres hineingezogen. Das Gift wurde den Fröschen (sämmtlich abgewogene männliche Ranae temp.) mittels der Pravaz’schen Spritze in einer genau gestellten wässerigen Lösung in den Rückenlymphsack injieirt und so mit der Spritze selbst dosirt. Im Allgemeinen wurden die Versuchs- reihen mit einer Dosis angefangen, die etwa einem Drittel oder der Hälfte der in den Vorversuchen ermittelten entsprach, diese Dosis dann bis zur letalen gesteigert. Nach der Injection des Giftes, die immer mit besonderer Vorsicht ausgeführt wurde, kamen die Frösche zur Beobachtung ebenfalls unter (mit den Namen der Gifte etiquettirte) Glasglocken bei fortwährender Notirung der sich allmählich entwickelnden Vergiftungssymptome und der sich dabei ergebenden zeitlichen Verhältnisse. Hieraus ergaben sich die im Folgenden in einer Tabelle zusammengefassten Versuchsreihen. (Siehe S. 414 u. fle.) Bevor ich nun zur Discussion der Versuche übergehe, will ich noch einige erklärende und ergänzende Bemerkungen über dieselben voraus- schicken. Vor Allem sei hier erwähnt, dass die in der Tabelle angeführten Versuche nicht der wirklichen Zahl der angestellten Versuche entsprechen, sondern dass vielmehr ein Versuch der Tabelle 3—5 Versuche und gleich- zeitig den Mittelwerth aus denselben repraesentirt. Dem entsprechend ist auch das im Anhange wiedergegebene Versuchsprotokoll ebenfalls nur ein im obigen Sinne gemachter Auszug aus dem eigentlichen grossen Versuchs- protokoll, das eben seines grossen Umfangs halber hier wohl, ohne etwas Wesentliches dabei einzubüssen, weggelassen werden konnte. Die Beurtheilung der Vergiftungssymptome sollte eine im gewöhnlichen Sinne deutliche sein und geschah ohne feinere physiologische Hülfsmittel durch die einfache Beobachtung und grobe mechanische Reize. So wurde maximale Lähmung angenommen, wenn ein Frosch auf den Rücken gelegt auch nicht eine Spur von Bewegung auszuführen im Stande war. Auf Sensibilitätsstörungen wurde geschlossen, beim Fehlen oder bei Verzögerung der Reaction auf sensible Reize, oder bei umgestümer Beantwortung der- selben. Den ersteren Zustand bezeichnete ich mit dem Namen Apathie, Zur ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.S.w. 413 das Gegentheil davon, die erhöhte Reizbarkeit, mit dem Namen Unruhe, wobei nicht etwa an Strychninhyperaesthesie gedacht werden darf. Das Herz beobachtete ich einfach durch ein kleines in die Brustwand geschnittenes Fenster und Sistirung der Athmung nahm ich dann an, wenn der Versuchs- frosch 10—15 Minuten in der Rückenlage keinerlei Athembewegung mehr machte. Vollständig hatte sich ein Frosch dann erholt, wenn alle die äusserlich sichtbaren Vereiftungsymptome verschwunden waren. Die Zeitangaben sind alle auf den Moment der Application der Gifte berechnet. Es kann bei der Betrachtung der umstehenden Versuchstabelle kaum Jemandem zweifelhaft sein, dass die allgemeine Hauptwirkung der Lupetidine in einer Lähmung der motorischen Apparate des Froschorganismus gelegen ist, gegen welche die anderen Symptome fast gänzlich in den Hintergrund gedrängt werden. Es hat sich demnach die aus den Vorversuchen sich ergebende Vermuthung, als möchten die Lähmungserscheinungen jene ge- suchte Norm für die Beurtheilung der Wirkungsintensität sein, vollständig bestätigt und wir stehen nun nur noch vor der Frage, in welcher Stärke die Lähmungserscheinungen als Wirkungsnorm anzunehmen sind. Im Allgemeinen können wir aus den Versuchsreihen in Bezug auf die Lähmungserscheinungen drei Gruppen von Versuchen ausscheiden. Erstens Versuche, bei denen die Lähmungssymptome gerade bemerkbar auftreten. Zweitens Versuche, bei denen die volle Wirkung der Gifte zur Entwickelung kommt, indem die Lähmung eine vollständige wird, so dass auch eine weitere Steigerung der Dosis sie nicht deutlicher macht, wobei sich die Versuchs- thiere aber nach einiger Zeit wieder gänzlich erholen können. Und drittens Versuche, bei denen die Vergiftung immer einen tödtlichen Ausgang nimmt. Es könnte unter Umständen jedes von diesen Verhältnissen zwischen Dosis und Wirkung geeignet sein, als Maass für die Wirkungsintensität zu gelten, wenn als Wirkungsnorm eben die entsprechenden Lähmungserschei- nungen angenommen würden, gäbe es nicht ein besonderes Moment, welches diese Möglichkeit bedeutend beschränkt. Dieses Moment, welches ich bis jetzt unberücksichtigt gelassen habe, ist die Zeit, in der sich die Wir- kung entfaltet. Die Wirkungszeit kann zwar bei der Beurtheilung der Wirkungsintensität verschiedener Gifte ausser Rechnung fallen, dann muss sie aber für die verschiedenen Gifte constant sein. Nur in diesem Falle darf die Dosis allein als Maass für die Intensitätsgrösse angesehen werden. Diese Zeitconstanz trifft nun nur bei der zweiten Versuchsgruppe zu. Obgleich zwar bei der grossen individuellen Verschiedenheit der Versuchs- thiere von einer absoluten Gleichheit der Wirkungszeiten auch für diese Gruppe keine Rede sein kann, so ist doch deren Differenz dabei so klein, dass sie füglich darf übersehen werden. Dagegen differiren die Wirkungs- zeiten für die tödtlichen Dosen um mehrere, ja bis über 20 Stunden. Das 414 AUGUST GÜRBER: Tabelle 3a 822 "3, Gattung, Geschlecht ; Sof Name des Structurformel und os 8: : Dosis STeyscı ke | on „ » o = 7 und Gewicht (in grm)|. Mobilitätsstörungen | -=& £ Giftes Moleculargewicht SER Were (in grm) = 55 Pr EG zZ BIS 1. Lupe- CH, M.-G.113| 1 | Rana temp. 42 | 0-01 keine - wir or Der 2 Rana temp. # 40 | 0-015 deutliche Lähmung) 3$t. 2 2 | | 3 Rana temp. f' 35 | 0-02 maximale Lähmung! 21, SER OH en, 4 Rana temp. X 40 | 0-02 [maximale Lähmung 2 NH 5 Rana temp. f 41 0°027 maximale Lähmung 2 2. Copel- CH, M.-G.127| 1 Rana temp. X 37 | 0.005 keine | = el 2 Rana temp. X 38 |, 0.0075 deutliche Lähmung 3 „4 PAR 3 Rana temp. f 40 | 0-01 maximale Lähmung u nn: ee 4 Rana temp. f' 35 | 0-01 maximale Lähmung 2, CH,—CH CH-CH, 5 Rana temp. f' 42 | 0-015 maximale Lähmung 2, >24 | NH 3. Parpe- C,H, M.-G. 141 Rana temp. ' 40 | 0-003 keine re — voln CH Rana temp. f' 35 | 0-004 | leichte Lähmung 2 IN Rana temp. f' 40 | 0-005 |maximale Lähmung) 21), „ CH, CH, | CHRECcHe cu Fon: 4 Rana temp. f 43 | 0.006 maximale Lähmung 2!/, ., u 5 Rana temp. f' 37 | 0-007 |maximale Lähmung 1’), „, NH 4. Propyl- C,H, M.-G.155| 1 Rana temp. f' 36 | 0-001 keine _ lupetidin | 0 2 Rana temp. ' 39 | 0.0015 | leichte Lähmung | — CH, CH, | | 3 Rana temp. X 40 | 0-002 | starke Lähmung |2!), „ en ı 4 Rana temp. 39 | 0-0025 [maximale Lähmung ” NH 5 Rana temp. 40 | 0.003 maximale Lähmung 5 6 | Rana temp. «' 38 | 0-004 maximale Lähmung| 1", „ 5. Isobutyl- CH, CH; lupetidin SQ | CH M.-G.169 1 Rana temp. X 40 | 0:002 keine — | . - 2 Rana temp. f' 42 | 0-003 | leichte Lähmung 23 CH ATS 3 Rana temp. f' 40 | 0-004 maximale Lähmung 2, CH, CH, | | | a ERBE Rana temp. X 41 | 0-005 [maximale Lähmung 1), „ NH | Rana temp. # 36 | 0-006 maximale Lähmung 1, 1 Die Zeitangaben sind einer besonderen Versuchsreihe entnommen. i 1; eb) =! 3 {eb} =| Ao Fe! a fe Sensibilitäts- | a2 . | Störungen der Herz- | =. . | Störungen | .o = ul 0 = 8 252 störungen E58 thätigkeit = ‚S der Athmung| #3 | 5 E Ze aax >e ak »E 2ed SEE Saas Isdals® |SF | kaum bemerkbar 2 St. keine ar keine — — 7 St. ' deutliche Apathie Dr, keine — leicht belastet — — TOwe» starke Apathie |1—2 „ Herzstillstand 24 St. Sistirung 2, St.| 24 St _ starke Apathie 1—2 „| Herz verlangsamt | 20 „, Sistirung | 21, „ — Sb starke Apathie vor — Herzstillstand N) Sistirung 2% 208; En Eintritt d. Lähmg. keine —_ keine —_ keine _ — — zieml.starke Apath. 1—2 „, keine 4 — leicht belastet 3 „ —_ hrs ı starke Apathie 1—2 „| Herz verlangsamt 18%, Sistirung Zula 5, _ 30er —_ _ Herz langsam,schwach| 16 „, Sistirung 2E 55 _ Ho — —_ Herzstillstand 15—20| Sistirung 2 „|15—208.| — leichte Apathie Du keine — keine —_ —_ Sn bedeutende Apathie 1—2 ,„ keine — leicht belastet 20 _— O5 zuerstUnruhe,danın — Herz verlangsamt | 17 „ Sistirung | 21, „ _ San Apathie _ — Herzlangsam,schwach 14 „, Sistirung 20; —_ Ay = —_ Herzstillstand IS, Sistirung Nas 15 St. _ leichte Unruhe, |11—2 „ keine = keine _ — _ nachher Apathie i zuerstUnruhe,dann — keine — leicht belastet| — — EA Apathie starke Apathie 2 keine — stark belastet | 21), „ _ 1 ir = —_ Herz verlangsamt A; Sistirung 20. —_ U Vor Eintritt der — Herz verlangsamt 3 Sistirung 20m —_ ODE Lähmung zuerst Unruhe, dann Apathie — _ Herzstillstand 1 Er, Sistirung 11... 18 St. — | Unruhe, dann 11-3 „ keine - keine _ _ 4 „ | Apathie | Ielinruhe, dann 1-2 „, leicht belastet _ keine _ — 100 | Apathie , zuerst starke Un- |!,—1 „ Herz erst beschleunigt,|21/, —3 Sistirung An _ 1877, ı ruhe, dann ent- dann verlangsamt ‚sprechende Apathie ‚heftige Aufregung 1 „ Herzthätigk. s. belastet 1'/, „ Sistirung | 1Y), „ — 1 _ _ Herzstillstand 1, Sn AR | le De _ ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.8S.w. 415 416 AUGUST GÜRBER: Tabelle 2 253 Ze Gattung, Geschlecht | SSH e Pers) N : Nas des Se oe a = Z und Gewicht (in grm) Be Mobilitätsstörungen | aa: Lues a men =,© des Versuchsthieres 8 | 8 a s> E88 z R aISi=E 6. Hexyl- C,H, ;M.-G.197 1 Rana temp. d' 34 | 0.008 keine = inparlihn ar 2 | Rana temp. #' 42 | 0-004 | starke Lähmung 2 St. AN CH, CH, | | 3 Rana temp. f' 39 | 0-005 maximale Lähmung 2 CH,;—CH CH-CH, 2 NH 4 Rana temp. f' 37 | 0-006 maximale Lähmung 1 „ 5 Rana temp. X 40 | 0-007 maximale Lähmung 1 „ Verhältniss der Minimaldosis zu ihrer Wirkung eignet sich aber, abgesehen von den zeitlichen Verschiedenheiten, schon deshalb nicht besonders als Maass für die Intensitätsgrösse, weil die Beurtheilung des minimalsten Wirkungseffectes doch zu sehr dem subjectiven Gutdünken anheimgestellt wäre und daher die richtige Grenze schwer zu finden sein dürfte. Es ist mithin die im Obigen charakterisirte vollständige Lähmung die allein gültige Wirkungsnorm. Ich will die zu ihrer Erreichung eben hinreichende Dosis die Maximaldosis, diejenige Dosis, welche darüber hinausgeht, aber die Läh- mung nicht mehr steigert, die übermaximale und diejenige Dose, welche den Tod herbeiführt, die letale Dosis nennen. Die letztere ist bei unseren Giften natürlich gleichzeitig eine übermaximale. Zwischen der maximalen und letalen Dose besteht ein mehr oder weniger beträchtliches Intervall. Hieraus ergeben sich nun für die einzelnen Lupitidine folgende Inten- sitäten, die ich in der Tabelle II zusammenstellen will. Ich entnehme der Tabelle I die Maximaldosen und die Wirkungszeiten derselben für die ver- schiedenen Lupetidine, ich führe die reeiproken Werthe der Dosen als In- tensitäten ein und vergleiche die Intensitäten mit einander, indem ich die des Lupetidins gleich eins setze. (Siehe nebenstehende Tabelle II.) Von besonderem Interesse ist nun die Regelmässigkeit, nach welcher die Zunahme oder Abnahme der Grösse der Dosis in der Lupetidinreihe erfolgt, zuerst eine successive Abnahme bis zu einem Minimum beim Propyl- lupetidin und dann für Isobutyl- und Hexyllupetidin wieder eine ebensolche Zunahme, ein Verhältniss, das aus der Zusammenstellung in der obigen Tabelle eine ganz specielle Bedeutung gewinnt. Es verhalten sich demnach die Intensitäten wie 1:2:4:8, d. h. sie steigen in geometrischer Progression, ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.$.w. 417 I. (Fortsetzung.) 93.8 3.8 SS =7 = Er ze Se aSE ie, Sa® Sensibilitäts- »a2 .| Störungen der Herz- | „2 . Störungen | a are 0 = = störungen =a5s thätigkeit au = der Athmung | 2 == zes ® Sa saelıs See sale) | as = | sas SEE sa: sa |s® ; ] — = Unruhe, dann Apath. |1—4 St — — keine _ -- 6 St. - Vor der Lähmung _ = — keine _ — 114 zuerst Uuruhe, dann m Apathie | erst starke Auf- — Herz sehr belastet |1—3 St. Sistirung Sen | ee regung, dann ent- sprechende Apathie | heftige Erregungs- |,„—1 ‚, | diastol. Herzstillstand 4 „| S8istirung 10St. 1.4 St. ‚ erscheinungen | ‚starke Sensibilitäts- |,—1 ‚, diastol. Herzstillstand 1!/, ‚, — — 1%, St störungen | | Tabelle II. | ar Wirkungsintensi- ‚Maximal- EN ‘ 3 Wirkungs- | täten, bezogen | dosis Wirkungsnorm a intensität auf die des Lupe- grm tidins als Einheit Lupetidin | 0-02 maximale Lähmung| 2'/, St.|1/0-02 50 en Copellidin 0-01 maximale Lähmung, 2!/, „ |1/0-01 =100 2 Parpevolin 0-005 maximale Lähmung| 2!/, „ |1/0-005 =200 4 Propylliupetidin | 0-0025 |maximale Lähmung| 2% 10” |1/0-0025 = 400 8 Isobutyllupetidin | 0-004 |maximale Lähmung| 2 St. [1/0-004 =250 5 Hexyllupetidin 0-005 |maximale Lähmung) 2 „ .\1/0:005 =200 de jedoch nur für die vier ersten Glieder der Reihe, während sie für die beiden letzten Glieder im Verhältniss von 5:4 wieder abfallen. Was ist der Grund dieser eigenthümlichen Gesetzmässigkeit? Mit der Beantwortung dieser Frage werde ich mich im folgenden Abschnitte zu beschäftigen haben. 4. Beziehungen zwischen Wirkungsintensität und Molecular- gewicht. Zwei Fragen sind durch die Resultate des vorigen Abschnittes aufge- worfen worden: 1) Warum steigt die Wirkung bei den ersten vier Gliedern der Lupetidinreihe in geometrischer Progression? 2) Warum hört das bei den zwei letzten Gliedern auf? Man kann wohl im Allgemeinen annehmen und die Erfahrung bestätigt diese Annahme in der Regel, dass Körper von ähnlicher che- mischer Constitution eine ähnliche Wirkung zeigen, wenn sie in den Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 27 418 AUGUST GÜRBER: orossen Complex chemischer Umsetzungen, den wir Organismus nennen, eingeführt werden. Gesetzmässigen Aenderungen in dem chemischen Bau der eingeführten Substanzen dürfen daher auch gesetzmässige Aenderungen in ihrer Wirkungsweise entsprechen. In hohem Grade gesetzmässig ist aber unsere Lupetidinreihe aufgebaut, indem bei einem ganz gleichen Stammradical, auch die eintretenden Seitenketten immer gleich variirt sind, d. h. jede von der anderen sich nur um die CH,-Gruppe unterscheidet. Nennen wir das Stammradical R, so stellen unsere Lupetidine eine arith- metische Reike dar, nämlich: R+(CH, — H),, R+2(CH, — H), R+3(CH, —H), R+4(CH, —H), R+6(CH, — H). Ihre Wirkungs- intensitäten aber verhalten sich wie 1:2:4:8:5:4, d. h. sie steigen bis zum vierten Gliede in geometrischer Progression. Wir würden also bezüglich der vier ersten Glieder sagen können: es ist die Steigerung der Intensität abhängig von der Zahl der mit dem Stammradical verbundenen CH,-Gruppe und zwar ist die Abhängigkeit derart, dass die Wirkungsintensität in geometrischer Progression steigt, wenn das Moleeulargewicht in arithmetischer Progression sich vergrössert. Um so auffallender muss es nun erscheinen, dass die Intensität beim fünften und sechsten Gliede wieder sinkt. Man wird sich das kaum in anderer Weise erklären können, als dass das Butyl- und Hexylradical, welches hier zur Wirkung kommt, nicht mehr als aus einer einfach gerad- linigen Kette von CH,-Gruppen bestehend aufzufassen ist, sondern, wofür auch chemische Anhaltspunkte vorhanden sınd, (ich verweise in dieser Beziehung auf die Dissertation des Hrn. Jaeckle), noch andere Möglichkeiten der Bindung entfaltet. Diese Annahme erhält einen festen Boden durch die Beobachtung, dass der Symptomencomplex bei diesen Vergiftungen sich wesentlich von dem bei den niederen Gliedern der Reihe unterscheidet. Hierfür liefern schon die Vorversuche und die in Tafel 1 niedergeleeten That- sachen einen Anhaltspunkt. Eine genauere Analyse der Symptome, wie sie der folgende Abschnitt bringt, hat dies noch viel klarer gemacht. 5. Versuche über die Angriffspunkte und die Wirkungsweise der Lupetidine. Eine einfache Beziehung zwischen einer chemischen Reihe und ihren physiologischen Wirkungen, wie sie im vorigen Abschnitte für die vier ersten Glieder der Lupetidinreihe dargethan wurde, kann sich nur ergeben, wenn dieselben an einem und demselben System des Organismus ganz eindeutige und bloss ihrer Grösse nach verschiedene Wirkungen hervor- bringen. Sind diese Veränderungen nicht mehr eindeutig, werden überdies noch andere Organsysteme in Betracht gezogen, so hört natürlich die Ver- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.$S.w. 419 gleichbarkeit der Wirkung in obigem Sinne auf. Das ist aber der Fall bei den höheren Gliedern der Lupetidine Schon die Raschheit, mit der der Tod bei diesen eintritt, musste daran denken lassen, dass bei ihnen auch andere Organe, vor allem das Centralnervensystem mitergriffen sei. Ferner zeigte sich, dass das Isobutyl und das Hexyllupetidin stark auf das Herz wirken, was die übrigen Lupetidine nicht oder nur in geringerem Grade thun. So ergab sich die Nothwendigkeit in Bezug auf die verschie- denen Organe und Funetionen eine genaue Vergleichung der Giftwirkungen durchzuführen, über welche in diesem Abschnitt Rechenschaft abgelegt werden sol. Dabei erhob sich dann noch eine Frage, welche mich einen sehr erheblichen Tbeil der ganzen, dieser Untersuchung gewidmeten Arbeit gekostet hat. Es ist nämlich für jede Lähmung der willkür- lichen Muskeln von vornherein ein doppelter, oder eigentlich ein drei- facher Sitz der Lähmung möglich und zwar erstens in den Muskeln selbst, wie bei dem Caffein; dann in den peripheren Enden der Nerven wie bei Curare und drittens im Centralnervensystem, wie bei den ächten Narcotieis. Ich hatte seither die Frage nach dem Sitz der Lähmung un- berührt gelassen,! jetzt musste sie entschieden werden. Dabei stiess ich auf Schwieriekeiten, namentlich deshalb, weil die bekannte Methode Claude Bernard’s zur Unterscheidung einer peripheren und centralen Lähmung sich für diese Fälle nicht ganz ausreichend erwies. Doch dieses muss ich ausführlicher mittheilen. 5a) Die Versuchsmethoden. Schon Claude Bernard selbst hat gefunden, dass die behufs partieller Vergiftung nöthige Unterbindung der Hauptarterie einer hinteren Extremität nicht genüst, die Bluteireulation und damit die Mitvergiftung derselben für längere Zeit vollständig anzuschliessen, sondern dass sich vielmehr in dem vor der Vereiftung auszuschliessenden Gliede doch nach kürzerer oder längerer Zeit die Vereiftung entwickele Andere Forscher haben diesen Uebelstand der sonst so geistreichen Methode nachgefühlt und es ist fraglich, ob nicht gerade darin der Grund liegt, dass man sich über die Wirkungsweise des Coniins bis jetzt noch nicht hat vollständig einigen können. Denn wer will da mit Sicherheit bestimmen, dass im Centralnervensystem eine Hemmung der normalen Bewegungsimpulse vorhanden, wenn nicht zugleich der Uebergang eines solchen von den Nerven auf die Muskeln durch peri- phere Versiftung unmöglich gemacht worden ist? Warum nun dieser ! Ueber die seitherigen Angaben in dieser Richtung ist nur zu sagen, dass Falk das Lupetidin, das einzige bisher untersuchte Glied der Reihe, mit dem Coniin in Parallele stellte. Das Coniin ist aber von den Autoren bald mehr den peripher, bald mehr den central Jlähmenden Giften zugezählt worden. Di 420 AUGUST GÜRBER: Uebelstand gerade bei meinen Untersuchungen der Lupetidine so recht prägnant zum Vorschein kam, lässt sich nicht wohl sagen. Jedenfalls ergab sich daraus für mich die Aufgabe, nach der Ursache desselben zu forschen. Dass die theilweise Wiederherstellung der Bluteireulation in einer Extremität, deren zugehörige Hauptarterie unterbunden ist, nur durch Er- öffnung von Collateralgefässen und deren Anastomosen, selbst solchen aus Capillarnetzen sich entwickelnden, erfolgen kann, ist wohl selbstverständlich. Schwieriger aber dürfte es oft sein, zu zeigen, von wo diese Gefässverbin- dungen ausgehen und wo sie sich befinden. Besonders gilt letzteres für den Frosch mit seinen vielen Varietäten der Gefässanordnung, Um nun aber gerade bei dem Frosch die möglichen Wege des Blutes in eine ligirte hintere Extremität kennen zu lernen, schlug ich folgendes Verfahren ein. Ich unterband einem Frosch die eine Arteria iliaca comm. in oben genau beschriebener Weise, führte dann in den einen Aortenbogen ganz nahe dem Herzen mit gleichzeitiger Unterbindung des anderen eine geknöpfte Metall- canüle ein und injieirte durch dieselbe unter mässigem Drucke, sowie unter den Cautelen der mikroskopischen Injectionstechnik, eine durch Erwärmen flüssig gemachte Carmingelatine in das gesammte wegbare Gefässsystem. Dadurch gelang es mir, letzteres mit Ausnahme der unterbundenen Theile ganz mit einer schön rothen in der Kälte starr werdenden Masse zu füllen, wobei auch in die unterbundenen Theile nicht unbeträchtliche Mengen von Gelatine eindrangen. Auf diese Weise konnte ich den Verlauf und die Verzweigungen der einzelnen Gefässe, sei es mit blossem Auge, oder mit Hilfe einer Lupe genau verfolgen. Die Resultate dieser Versuche, denn ich habe mehrere solche Injectionen gemacht, sollen in einer speciellen Abhandlung unter Beifügung von erklärenden Abbildungen veröffentlicht werden. Hier möge nur so viel gesagt sein, dass es mir leicht war, die gesuchten Wege zu entdecken und auch Mittel dafür zu finden, sie gehörig zu verlegen. Zumeist waren es capilläre Netze der Haut und Verbindungen derselben mit grösseren Gefässen unterhalb der Unterbindungsstelle der Hauptarterie, durch welche der unerwünschte Bluttransport erfolgt. Dieser konnte nun dadurch verhindert werden, dass ich mit einem glühenden Eisen die betreffenden Hautpartien in gewisser Ausdehnung versenete und so die Hauteirculation unterbrach ohne aber dabei die darunter gelegenen Weichtheile zu schädigen. Erst jetzt durfte ich an die Lösung der eigentlichen Aufgabe denken. Zu diesem Zwecke habe ich nun eine grosse Anzahl der verschiedensten Versuche zur Ausführung gebracht, deren Versuchsordnung im Einzelnen ich kurz skizziren will. Die Resultate der Versuche aber sollen in einer nach- folgenden Tabelle übersichtlich zusammengestellt werden. In Bezug auf das eigentliche Versuchsprotocoll sei auf den Anhang verwiesen. Im Allgemeinen wurden, so weit nöthig, mit jedem der Lupetidine ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.$.w. 421 sieben verschiedene Versuche angestellt und jedem Versuch zwei oder auch mehrere Controlversuche angereiht. Die Auswahl der Versuche entsprach dem Bedürfniss, zu zeigen, wie die Lupetidine wirken auf die Musculatur, auf das Nervensystem, auf das Herz und auf das Blut. Nebenbei wurden auch andere Organe, soweit bei der grossen Zahl der zu untersuchenden Gifte es möglich war, in den Kreis meiner Beobachtungen gezogen. Hieraus ergab sich für die Untersuchung der Lupetidine folgendes allgemeines Ver- suchsschema. 5b) Versuch über die Wirkungsweise der Lupetidine auf die Muskeln. Einem Frosch (Rana temp. 3) auf dem Bauche liegend fixirt, wurde die Haut über dem einen Wadenmuskel mit einigen Scheerenschlägen durch- trennt, auf diese Weise war dieser Muskel freigelegt und derselbe zur Prüfung der normalen Erregbarkeit mit dem du Bois-Reymond’schen Schlitten- inductoriums gereizt, indem ich die Elektroden in Form feiner Platin- drähte in die Enden des Muskels einstach und da liegen liess. Als Elek- trieitätsquelle bediente ich mich immer des Daniell’schen Elementes und zwar mit täglich erneuter Füllung. Nachdem nun der Rollenabstand des kleinsten wirksamen Reizes notirt war, bekam der Frosch eine Maximal- dosis des Giftes mittelst Pravaz’scher Spritze in den Rückenlymphsack oder, weil das Ausfliessen der injieirten Flüssigkeit zumal bei grösseren Quantitäten nicht vollständig verhindert werden konnte, in die Bauchhöhle. Der losgebundene Frosch wurde dann unter eine Glasglocke gesetzt und von Zeit zu Zeit die Erregbarkeit des Muskels geprüft, sowie die gefundenen Rollenabstände notirt. Diese Untersuchung setzte ich einige Stunden in dieser Weise fort, bis das Vergiftungsbild keine Veränderung mehr zeigte. Gewöhnlich leste ich dann zum Schluss des Versuches noch den einen Nervus ischiadicus zur Prüfung dessen Erregbarkeit frei. 5c) Versuch über die Wirkung der Lupetidine auf die Nerven. Einem ebenfalls in Bauchlage fixirten Frosche wurde der Nervus ischiadicus in folgender Weise freigelegt. Mit einigen Scheerenschlägen durch- trennte ich die Haut an der hinteren Seite des Oberschenkels in einer Linie, welche durch eine seichte Hautfalte markirt ist und gelangte dadurch in eine tiefe Spalte, welche die Adductoren des Oberschenkels von den Flexoren des Unterschenkels scheidet. Diese Spalte ist mit lockerem Bindegewebe angefüllt, aber mit einer etwas derberen Fascie bedeckt. Nach Spaltung dieser letzteren praeparirte ich sorgfältig mit Pincetten in die Tiefe und sah alsbald den theilweise von der stark pigmentirten Arteria cruralis bedeckten Nerven, wie er die ganze Länge der Muskelspalte durchzieht. Vorsichtig 492 AUGUST GÜRBER: wurde derselbe nun, jeglichen Insult meidend, mittelst spitzen aber nicht scharfen Glasstäbchen aus dem umgebenden Bindegewebe herausgeschält, von der anhaftenden Arterie getrennt und mit einer losen Fadenschleife umschlungen, damit der Nerv bequem an derselben zum Reizen hervor- gezogen werden konnte. Zum Schutz vor Vertrocknung reponirte ich den- selben jedesmal nach dem Reizen in die Spalte zurück und bedeckte die Wunde mit feuchtem Fliesspapier. Zum Reizen gebrauchte ich feine Pla- tinnadelelektroden, deren Spitzen etwa 4 wu von einander abstanden und über welche der isolirte Nerv gebrückt wurde. Nach Beendigung dieser Operation, sowie nach Prüfung der normalen Erregbarkeit des Nerven ebenfalls mittels des faradischen Stromes und der Notirung der Reizgrössen (ausgedrückt in den Rollenabständen des Schlitten- inductoriums) wurde dann der Frosch in gewohnter Weise mit einer maximalen Dosis des Giftes vergiftet. Bis zum Eintritt der maximalen Lähmung prüfte ich in kurzen Zeitintervallen die Erregbarkeit des frei- gelegten Nerven, dann aber wurde der losgebundene Frosch zur weiteren Beobachtung und Prüfung der Nervenerregbarkeit, welche letztere nunmehr in grösseren Zeitintervallen geschah, unter eine Glasglocke gebracht und da bis zu seiner vollständigen Erholung liegen gelassen. Im Verlaufe dieses Versuches wurde auch die Herz- und Athemthätigkeit controlirt und all- fällige Veränderungen im Versuchsprotokolle vorgemerkt. 5d) Versuch über die Curarewirkung der Lupetidine. Nach Freilegung beider Nn. ischiadiei in der obigen Weise und der Bestimmung ihrer normalen Erregbarkeit, wurde einem Frosch entweder die eine Arteria iliaca comm. oder die Arteria cruralis unterbunden. Zum Zwecke der ersten Unterbindung wurde mit wenigen Scheeren- schlägen die Haut über dem Steissbein des fixirten Frosches bis ungefähr zur Höhe des zweitletzten Brustwirbels gespalten und je nach der zur Unter- bindung gewählten Seite mit einem Haken der rechte oder linke Wundrand seitwärts abgezogen. Dadurch erfolgte vollständige Klarlegung des Opera- tionsfeldes. Median liest, als weisslicher Streifen durchschimmernd, das keil- förmige Steissbein, lateral ‚das Beckenbein und dazwischen, von einer starken Fascie bedeckt, der ziemlich kräftige, in seiner Faserrichtung mit der Längsaxe des Steissbeines einen spitzen Winkel bildend, M. iliococcygeus. Nach Spaltung der Fascie wurde der Muskel in seiner Steissbeininsertion vorsichtig losgelöst und über das Beckenbein gegen aussen geschlagen. Dadurch gelangte ich in die Bauchhöhle des Frosches und entdeckte da bald am Boden der Wunde die weissen glänzenden Nerverstämme des Plexus iliacus, median den Nerven anliegend die stark pigmentirte A. iliaca comm. Mit doppelt gebogenem Fadenzieher wurde nun das ganze Bündel ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. Ss. w. 423 von Nerven und die Arterie umstochen, aus der Wunde leicht hervorgezogen und die isolirte Arterie nahe ihrer Abzweigung von der Aorta mit einem Seidenfaden unterbunden. Dann reponirte ich das Bündel wieder in seine normale Lage, ebenso auch den losgelösten Muskel soweit dieses möglich war und schloss die Hautwunde mit einer kleinen Klemme. Da nun aber diese Unterbindung, wie die Erfahrung lehrte, nicht genügt zum vollstän- digen Ausschluss der betreffenden Extremität aus dem Blutkreislauf, so wurde entsprechend der durch die oben angedeuteten Injectionsversuche ermittelten Thatsache einer anastomotischen Hautcirculation die Haut in der Ober- schenkelbeuge an der Hüfte bis zum Steissbein und dann noch einmal in halber Höhe des Oberschenkels durch kurzes Berühren mit einem glühenden Eisen versengt und so die Circulation vollkommen unterbrochen. Handelt es sich darum, eine grössere Strecke des N. ischiadicus im Vergiftungsbezirke reizen zu können, was zur Entscheidung der Frage, ob nicht etwa neben der rein peripheren Lähmung auch eine Leitungsunfähig- keit im Nervenstamme vorhanden sei, absolut nöthig ist, so wurde statt der Unterbindung der A. iliaca comm. nur die A. cruralis etwa in halber Höhe des Oberschenkels ligirt und entsprechend den Hautanastomosen die Haut der Kniekehle und des Knies kauterisirt. Hierdurch erreichte ich zwar keine vollständige Unterbrechung der Blutcireulation im Unterschenkel, immerhin durch die, dadurch doch auf Stunden verzögerte Mitvergiftung desselben di® gewünschte Functionsprüfung des N. ischiadieus. Die Auf- findung der Arterie in der bekannten Muskelspalte wurde schon bei der Freilesung des N. ischiadieus in genügender Weise besprochen. Nach der einen oder der anderen Operation bekam der Frosch in ge- wohnter Weise seine Maximaldosis Gift, wobei aber zuvor noch einmal die Erregbarkeit der beiden Nn. ischiadici geprüft und die gefundenen Reiz- srössen notirt wurden. Die nun nachfolgende, von Zeit zu Zeit wiederholte Prüfung der Erregbarkeit beider Nerven bis zum Eintritt vollständiger Er- holung ist zu selbstverständlich, als um hier weiter angeführt zu werden. Dieser Versuch wurde immer durch zwei Controlversuche gestützt, von denen der eine die Unterbindung der A. cruralis betraf. 5e) Versuch über die Wirkung der Lupetidine auf das Central- nervensystem. Einem Frosch wurden beide Nn. ischiadici freigelegt und nach voriger Methode die eine A. iliaca comm. unterbunden; dann erfolgte Prüfung der normalen Nervenerregbarkeit, Notirung der Reizgrössen und Vergiftung des Frosches in gewohnter Weise. Nach Eintritt der ersten deutlichen Lähmungs- symptome und nach nochmaliger Bestimmung der beiderseitigen Nervenerreg- barkeit wurde der Frosch enthirnt und zur Prüfung seiner Reflexerregbar- 424 AUGUST GÜRBER: keit mit der Schnauze an einem eisernen Stativ aufgehängt. Das dabei heftig zappelnde Thier beruhigte ich durch sanftes Ziehen an den Hinter- beinen und konnte so die gewollten sensiblen Reize appliciren. Sie bestanden nach der bekannten Methode von Türk in einer ganz verdünnten Salzsäure, welche titrirt 5 °/,, freie Säure enthielt. In diese Säure wurde dann das zu reizende Bein bis etwa zu halben Höhe des Unterschenkels hineingehänet und nach dem Versuch tüchtig mit destillirtem Wasser abgespült. Als Maass für die Erregbarkeit nahm ich die Zeit von der Einwirkung des Reizes bis zur Auslösung des gewollten Reflexes, in diesem Falle die Bewegung des gereizten oder des gekreuzten Beines, und bestimmte dieselbe nach Metro- nomschlägen. Sowohl diese Prüfung der Reflexerresbarkeit, wie auch die Prüfung der directen Nervenerregbarkeit wurde im Verlaufe der Vergiftung bis zur vollständigen Erholung des Versuchsthieres öfters wiederholt und die dabei sich ergebenden Daten notirt. Auch diesem Versuche stehen mehrere Controlversuche zur Seite. öf) Versuche über die Wirkung der Lupetidine auf die sensiblen Nervenendigungen der Haut.! Einem Frosch wurden beide Aa. iliacae unterbunden, die Haut ent- sprechend kauterisirt, die beiden Nn. ischiadiei freigelegt, das Gehirn aus- gebohrt, danach die directe Nerven- und die Reflexerresbarkeit geprüft und der Frosch dann in gewohnter Weise vergiftet. In der Folge bestimmte ich nach dem Stand der Vergiftung mehrere Male die Reflexerregbarkeit, sowohl die einfache wie die gekreuzte und zugleich auch die directe Nerven- erregbarkeit, alles nach den Methoden der vorigen Versuche. Mit der voll- ständigen Erholung des Versuchsthieres wurde dann der Versuch beendigt, ohne aber demselben, weil zu zeitraubend, Controlversuche anzureihen. 5g) Versuch über die Wirkung der Lupetidine auf das Herz. Im Allgemeinen wurden die Veränderungen der Herzthätigkeit, wie auch diejenigen der Athemthätigkeit bei den bis jetzt angeführten Versuchen, soweit möglich, mitbeobachtet und controlirt. Für die Erscheinungen am Herzen bei den Isobutyl- und Hexyllupetidinvergiftungen konnte dies aber nicht mehr genügen und musste daher auch hierfür eine specielle Unter- suchung eingeleitet werden. Diese bezieht sich hauptsächlich auf das isolirte Froschherz. Dieses wurde zuerst durch Einschneiden eines Fensters in die Brustwand blossgelegt, dann nach einer Pause von etwa 10 Minuten die normale Schlagfrequenz desselben bestimmt und darauf der Frosch ver- giftet. Die allmähliche Entwickelung “der Herzsymptome wurde genau -be- obachtet und nach Eintritt des Herzstillstandes das Herz sammt den Vor- ! Streng genommen ist es nur der Vergleich zwischen den Versuchen 5e und Sf, welcher einen Schluss auf die Vergiftung der sensiblen Nervenenden gestattet. Vgl. 5.429. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. Ss. w. 425 höfen und dem Venensinus rasch herausgeschnitten. Das herausgeschnittene Herz brachte ich sodann in eine auf 30°C. erwärmte, schwach alkalische Kochsalzlösung von 0°6 Procent und spülte es gut mit dieser Kochsalz- lösung aus. Kam dadurch das Herz wieder zum Schlagen, so wurde es zum zweiten, ja oft zum dritten Male in der Kochsalzlösung selbst vergiftet mit jedesmaliger Beobachtung der dabei auftretenden Erscheinungen nach Zeit und Zahl. Das Herausschneiden des Herzens konnte auch vor der Ver- siftung erfolgen und es wurde dann dasselbe in gleicher Weise wie das nach der Vergiftung herausgeschnittene behandelt und beobachtet worden sein. Wenn nöthig, wurde das Herz sowohl mechanisch, wie elektrisch gereizt, eine manometrische Aufzeichnung wollte nicht immer gelingen und sind die hieraufbezüglichen Versuche hier ganz weggelassen. 5h) Versuch über die Wirkung der Lupetidine auf die morpho- logischen Bestandtheile des Froschblutes. Die hierzu verwendeten Frösche (Ranae temp. Ö) wurden in gewohnter Weise mit Maximaldosen der verschiedenen Gifte vergiftet, ihnen aber zuvor eine kleine Blutprobe zur mikroskopischen Untersuchung aus einer kleinen Hautwunde entnommen. Davon wurde ein sogenanntes frisches Praeparat hergestellt und dasselbe bei einer Vergrösserung von etwa 600 linear unter- sucht. Etwa 8 Stunden nach Eintritt der maximalen Lähmung entnahm ich den Fröschen eine zweite kleine Blutmenge und machte damit ebenfalls ein frisches Praeparat, aber mit Zusatz von etwas 0.6 procentiger Kochsalz- lösung und mit Paraffinumsäumung des Deckgläschens. Dieses Praeparat wurde auch bei 600 linear unter dem Mikroskop betrachtet und die darin sichtbaren abnormen Veränderungen der Blutkörperchen nach deren Grösse und Zahl bestimmt, wozu ich mich eines Ocularmikrometers von Zeiss be- diente. Die Frösche wurden dann entweder gerade getödtet, secirt, zu- fällige sichtbare Veränderungen der freigelesten Organe vermerkt und aus dem Herzblut ein Dauerpraeparat nach Gaule’s Methode angefertigt. Oder ich entnahm den Fröschen nur das zur Herstellung eines Dauerprae- parates nöthige Blut, setzte sie dann unter Glasglocken und verfertigte nach 50 und mehr Stunden nach vollständiger Erholung des Versuchsthieres ein zweites Dauerpraeparat. Von diesen Praeparaten liess ich einige bei Ver- grösserung von etwa 600 und 1100 linear mit dem Zeiss’schen Apparate photographiren und sind davon Copien in Taf. IV, Figg. 1 und 2 dieser Abhandlung beigegeben. Die Resultate der vorstehenden Versuche habe ich nun, soweit die- selben für die Untersuchung der einzelnen Lupetidine angewendet werden konnten, in der folgenden Tabelle übersichtlich zusammengestellt, das Ver- suchsprotokoll ist im Anhang wiedergegeben. 426 AUGUST GÜRBER: 5i) Tabelle = = Functionelle Ver- Zi 8 N Nervensystem © rS - - Narıa Structur- = E = = formel E > Se E ae 3 5 | Nervenendigungen Ele Sr elle 3 organe | 58 - ] < = = 2% motorisch | sensibel Lupetidin (H)y_ |113 0-02 1 |keine | leichte [keine Lähmung | Lähmung keine CHE directe | Belastung direete Copellidin | (CH,)y |127 0-01 | 2 |keine | leichte |keine Lähmung Lähmung | keine CH. directe| Belastung directe >?arpevolin (C,H,)y |141 0-005 | 4 |keine etwas |keine) Lähmung | Lähmung keine C,H,,N directe! stärkere directe | Belastung | Propyl- (C3H,)y |155 10-0025] 8 | keine | ebenfalls | keine) Lähmung | Lähmung | leichte lupetidiin C,H,,N etwas Belastung | stärkere ? | Belastung Isobutyl- (C,H,)y |169 10-004 | 5 | keine sehr starke keine Lähmung zweifelhaft| starke lupetidin | C,H,,N Belastung Belastung Hexyl- | (C,H,s)v ‚1970-005 4 | keine sehr starke | keine nur unbestimm- sehr starke lupetidin | C,H,,N Belastung schwache bar Belastung Lähmung - Die vorstehende Tabelle dürfte nun in hervorragendem Maasse ge- eignet sein, einerseits zu zeigen, nach welchen Richtungen die Lupetidine untersucht worden sind, andererseits aber ein übersichtliches Bild nicht nur von der Wirkungsweise der ganzen Reihe, sondern auch von der Wirkungs- weise der einzelnen Glieder zu geben. Sie erlaubt uns die schnellste Orientirung über die im Gefolge der Lupetidinevergiftungen auftretenden Veränderungen. Diese sind an sich in zwei grosse Gruppen geordnet, je nachdem sie die Functionen oder den morphologischen Bau des Frosch- organismus betreffen und wir wollen in den folgenden Betrachtungen diese Trennung beibehalten, zumal ein innerer Zusammenhang derselben für jetzt noch nicht abzusehen ist. II. änderungen Athmung Verdauungs- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE UV. S. w. tractus Urogenital- tractus Ueber die Wirkung. 427 Morphologische Veränderungen. Blut | Leber Milz Muskeln Nerven- system Andere Organe Sistirung ‚ Sistirung ‚ Sistirung ‚ Sistirung Sistirung Sistirung nicht untersucht nicht untersucht Alle Blutkörperchen haben Vacuolen ; durch- schnittlicher Durch- messer derselben 2-5 u Alle Blutkörperchen haben Vaeuolen; durch- schnittlicher Durch- messer derselben 2 u 80 Procent der Blut- körperchen haben Va- cuolen; durchschnitt- licher Durchmesser der- selben 1-5 u 50 Procent der Blut- körperchen haben Va- euolen; durchschnitt- licher Durchmesser der- selben 1-5 u 15 Procent der Blut- körperchen haben Va- euolen; durchschnitt- licher Durchmesser der- selben kleiner als 1 u 1—2 Procent der Blut- körperchen haben ganz kleine Vacuolen vorhanden aber noch Er nicht untersucht 2) E>) unbestimmt unbestimmt vorhanden aber noch Er) nicht untersucht ” ” unbestimmt unbestimmt Verände- Muskelkör perchen ? nicht | untersucht LE) 9 Er] 5k) Functionelle Veränderungen. rung anden - Spinalgang- unbestimmt Vac.in dem Plasmos. d. lienzellen | nicht untersucht Er) 33 EZ) 2 Fettkörper eigenartig verändert? unbestimmt nicht | untersucht &>] 9 „> In Bezug auf das Allgemeinbild der Erscheinungen dieser Art bieten uns die vorstehenden Versuche nicht viel Neues, was nicht schon aus den früheren Versuchsreihen hervorgegangen wäre. Sie unterscheiden sich aber wesentlich von den letzteren dadurch, dass sie uns dieses Bild nicht nur zeigen, sondern dasselbe in seinen ursächlichen Momenten auch erklären. Dieses liest nun vornehmlich darin, dass sie uns über die Angrifispunkte der Gifte und somit über den eigentlichen Sitz der Ursachen für die Ent- stehung der beobachteten Vergiftungssymptome orientiren. Diesen Sitz, hier speciell der Lähmungsursachen, finden wir jetzt bei den Lupetidinen ausschliesslich im Nervensystem gelegen und wird dadurch der Charakter derselben als Nervengifte auf’s Schärfste documentirt. Die Muskeln 428 AUGUST GÜRBER: werden kaum, jedenfalls nicht direet von den Giften angegriffen. Gleich- zeitig zeigt es sich aber, dass diese nervösen Lähmungsursachen nicht nur - für die ganze Reihe, sondern auch für die einzelnen Glieder keine absolut einheitlichen sind, indem sie sich mehr oder weniger auf verschiedene Organe des gesammten Nervensystems vertheilen. In den Versuchen 5a wurden einfach die Frösche vergiftet und nach Ein- tritt der Lähmung wurde die directe Muskelerregbarkeit geprüft. Diese erwies sich selbst im Maximum der Lähmung als vollständig normal. Die geringe Abnahme derselben gegen das Ende der Vergiftung darf nicht als directe Giftwirkung angesehen werden, sondern ist wahrscheinlich nur eine Folge gestörter Ernährungsverhältnisse, die nach 10—20 Stunden auch für den Froschmuskel in Betracht fallen. Dagegen fehlte bei diesen Versuchen, wenigstens in der Mehrzahl der Fälle, die indireete Muskel- oder die Nerven- erregbarkeit. In den Versuchen 5 b ist dann diese Thatsache weiter untersucht worden. An einem freigelesten Nerven wurde die allmähliche Abnahme und das endliche Erlöschen der Nervenerregbarkeit experimentell verfolgt. Dabei zeigte es sich, dass nur die vier ersteren Lupetidine und mehr oder weniger auch das Isobutylglied im Stande sind, die directe Nervenerregbarkeit auf- zuheben, dass aber das Hexyllupetidin weder die Muskeln noch die Nerven lähmt, sondern seinen Angrifispunkt mit dem Isobutyllupetidin an einem dritten Orte haben muss. Durch die Versuche 5c u. d wurde nun der Sitz der Lähmungsursache im Nerven noch mehr localisirt und dabei die zweifellose Curarewirkung des Lupetidins, Copellidins, Parpevolins und Propyllupetidins, sowie in gewissem Sinne auch des Isobutyllupetidins constatirt. Als Resultat der von mir modifieirten Methode Claude Bernard’s von der partiellen Vergiftung ergab sich nämlich, dass der Sitz der Lähmung bei den oben genannten Giften in den intramusculären Nervenendigungen gelegen sein muss, da der Nervenstamm bei der Vergiftung unbetheiligt zu sein scheint. Aus den Versuchen 5e ging hervor, dass den Lupetidinen noch ein zweiter Angriffspunkt zukommt, nämlich im Centralnervensystem. Dieser mag wohl sich sowohl auf die motorische als auch auf die sensible Sphaere desselben erstrecken und sowohl in dem Rückenmark und seinen Adnexen als auch zugleich in dem Gehirn gelegen sein, in letzterem allein jedenfalls nicht, doch war derselbe eben nicht zu localisiren. Die centrale Wirkung der Lupetidine manifestirte sich hauptsächlich in der Verzögerung und dem gänzlichen Ausbleiben der Reflexe, hier speciell der einfachen Reflexe. Da wir nun aber wissen, dass nach der Methode ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. S.w. 429 der partiellen Vergiftung das ganze ligirte Glied unvergiftet bleibt, dass ferner, wie aus den Versuchen 3 hervorgeht, die Leitungsfähigkeit der Nerven- stämme in keiner Weise durch die Vergiftung leidet, dass demnach die ganze Reflexbahn wegbar ist, so kann der Sitz der Reflexhemmung nur in’s Rückenmark verlegt werden, vorausgesetzt, dass das Rückenmark von anderer Seite unbeeinflusst bleibt und es sich eben um einen einfachen Reflex handelt. Wenn aber das gereizte Bein vergiftet ist und man beabsichtigt die Er- zielung eines gekreuzten Reflexes, so kann das Ausbleiben desselben nicht nur in einer Veränderung des Rückenmarks, sondern auch in der Unem- pfindlichkeit des gereizten Beines begründet sein, indem bei der Ver- giftung auch die sensiblen Nervenendigungen der Haut in irgend welcher Weise verändert werden können. Ein solches Verhältniss zeieten denn auch in Wirklichkeit die Versuche 5. In diesen wurde durch Unterbindung der beiden hinteren Extremitäten auch ein gekreuzter Reflexbogen aus der Mitvergiftung ausgeschaltet, selbstver- ständlich mit Ausnahme des Rückenmarks, una dabei dann gekreuzte Reflexe erzielt. Für das Isobutyllupetidin, ganz besonders aber für das Hexyllupetidin, waren viele der erwähnten Versuche wegen ihres exquisit centrallähmenden Charakters überflüssig und wurden deshalb weggelassen. Dagegen erfor- derten beide als Herzgifte specielle Versuche über ihre diesbezügliche Wir- kungsweise. Bei den anderen Lupetidinen wurde Herz und Athmung mit den Lähmungserscheinungen gleichzeitig beobachtet. Dabei war bei keinem der vier ersten Glieder der Reihe, vielleicht mit Ausnahme des vierten, ein directer Einfluss auf die Herzthätigkeit zu constatiren, während bei allen Gliedern, auch dem Isobutyl- und Hexyllupetidin, mit dem Eintritt der maximalen Lähmung sich Athmungsstillstand einstellte. Nun in Bezug auf das Herz wirken Isobutyl- und Hexyllupetidin zweifellos durch directe Beeinflussung der intracardialen Nervencentren. Hierfür sprechen genügend die Art und Weise der Erscheinungen, wie der Herzstillstand selbst am ausgeschnittenen Herzen zu Stande kommt. Doch dürften hierüber noch eingehendere Versuche angestellt werden, als das in den Versuchen 6 möglich war. Auf anderweitige functionelle Störungen als Folge der Lupetidinwirkung wurde entweder nicht gefahndet, oder waren solche nicht so einfach nach- zuweisen. Ueberall, wo solche Lücken gelassen wurden, sollen dieselben durch Specialuntersuchungen ausgefüllt werden, die ich nach und nach zu veröffentlichen gedenke. Für jetzt aber wollen wir noch einen kurzen Blick auf die morphologischen Veränderungen werfen, welche die Lupetidinver- giftungen zur Folge haben. 430 AUGUST GÜRBER: 5l) Morphologische Veränderungen. Wie interessant auch die geschilderten Befunde von den functionellen Veränderungen für den Toxikologen sein mögen, so treten sie doch in Bezug auf ihre Wichtigkeit weit zurück gegenüber den morphologischen Veränderungen. Gaule hat dieser Thatsache dadurch Ausdruck verliehen, dass er in der angeführten vorläufigen Mittheilung derselben besonders ein- gehend gedachte. Morphologische Veränderungen im Gefolge von Vergiftungserscheinungen waren bis jetzt bei den specifischen Giften eine grosse Seltenheit. Es musste daher um so mehr überraschen bei der Wirkungsweise der Lupe- tidine, gewiss auch speecifischen Giften, so deutliche morphologische Ver- änderungen zu entdecken. Die durch die Lupetidine im Froschorganismus erzeugten morpholo- gischen Veränderungen sind überaus mannigfaltiger Natur, doch ermangeln sie grösstentheils noch einer exacten Untersuchung. Am besten untersucht und hier auch allein in Betracht kommend sind die morphologischen Ver- änderungen an den Zellen des Blutes. Ob dieser nicht auch eine functionelle Veränderung des Blutes entspricht, ist noch nicht genügend festgestellt, immerhin aber sehr wahrscheinlich. Erwähnt sei hier gleich, dass die Fähig- keit, die Froschblutkörperchen in typischer Weise zu verändern, allen Lu- petidinen, aber nicht allen in demselben Maasse zukommt. Diese morphologischen Veränderungen des Blutes erstrecken sich selbst- redend ausschliesslich auf dessen geformte Elemente und zwar hauptsäch- auf die rothen Blutkörperchen, dann aber auch auf die weissen. In den Versuchen 5h ist die Methode angegeben, nach welcher das Blut beobachtet und untersucht wurde Um dem Leser ein deutliches Bild dieser Ver- änderungen zu geben, habe ich zwei nach Gaule’s Methode hergestellte Dauerpraeparate mit dem Zeiss’schen 4”® und 3 =” (Imm.) Apochromaten photographiren lassen und sind dieselben in Taf. IV, Figg. 1 und 2 verviel- fältigt. Im Wesentlichsten bestehen nun die Veränderungen in den Blut- körperchen darin, dass die protoplasmatische Zone derselben an Stelle des homogenen Aussehens von einer Anzahl grösserer oder kleinerer, heller, kreisfürmiger Stellen besetzt ist. Daneben erleidet auch der Kern der Blutkörperchen sowohl in Bezug auf Grösse und Gestalt als auch besonders hinsichtlich seiner Färbbarkeit die manigfachsten Modifieationen. Die hellen Stellen, mit keinem der gewöhnlichen Farbstoffe färbbar, erscheinen anfäng- lich wie Defeete in der Blutkörperchensubstanz und sind so regelmässig, als wären sie mit einem Locheisen ausgestanzt worden. Bei etwas ge- nauerem Hinsehen aber bemerkt man bald, dass es sich nicht um einfache ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. Ss. w. 3l Löcher in dem Protoplasma der Blutkörperchen handelt, sondern dass in dasselbe eine Substanz mit anderen physikalischen und chemischen Eigen- schaften eingelagert ist. Die eigentliche Natur dieser Snbstanz habe ich noch nicht sicher erkannt, sie ist aber wahrscheinlich mucinösen Charakters. Ich nannte diese hellen Stellen Vacuolen, eine Bezeichnung, welche der Form und dem Wesen dieser Gebilde wohl am besten entspricht. Die Vacuolen sind sowohl in den frischen, wie in den gefärbten Präparaten gleich gut zu sehen. Das Auftreten dieser Vacuolen bei den verschiedenev Gliedern der Lupetidinreihe ist nun an eine gewisse Regelmässigkeit grbunden. Von dem Lupetidin zum Hexyllupetidin hin nehmen die Vacuoler nicht nur an Grösse, sondern auch an Zahl stetig ab. Während beim Lupetidin das Volumen der vorhandenen Vacuolen zwei Drittel und mehr des Gesammt- volumens des Blutkörperchens einnimmt, sind diese beim Hexyllupetidin kaum sichtbare kleinste Pünktchen. Aber auch der Kern ändert sein Aus- sehen bei den verschiedenen Giften in verschiedener Weise. Nach dem Verschwinden der Lähmungserscheinungen verschwinden die Vacuolen nicht sogleich wieder aus dem Blute, vielmehr scheint es, dass dieselben das Maximum ihrer Bildung oft erst nach der Erholung von den übrigen Vergiftungserscheinungen erreichen. Das erste Auftreten der Vacuolen fällt etwa in die erste Stunde nach der Vergiftung und sie können S Tage nach derselben noch im Blute angetroffen werden. Endlich, etwa bis zum 10. Tage verschwinden sie ganz aus dem Blute, das an sich während dieser Zeit merkwürdige Veränderungen durchgemacht hat, ohne Hinterlassung irgend welcher bis jetzt erkannter Residuen. Doch alle diese Erscheinungen können erst in der Specialarbeit besprochen werden. Ich habe nun das aus der Tabelle III sich entwickelnde allgemeine ‚Bild von der physiologischen Wirkungsweise der Lupetidine in Kürze hier entworfen, und gehe jetzt zur Besprechung der einzelnen Glieder derselben über und zwar an der Hand der betreffenden Einzelversuche. 6. Einzelbesprechung der Körper. 1. Das Lupetidin. A. Funetionelle Veränderungen. Entsprechend dem allgemeinen Charakter der Lupetidinwirkungen wirkt auch das Lupetidin vor allem auf die intramusculären Nervenendigungen ganz analog dem Curare. In dieser Richtung erzeugt es die Lähmung. Daneben hebt das Lupetidin zum Theil die Hautempfindung auf, wie aus der Hemmung der gekreuzten Reflexe bei ziemlich gut verlaufenden einfachen Reflexen hervorgeht und was 432 AUGUST GÜRBER: dann weiter in dem Versuche 5 nach der Ligatur beider Aa. iliacae comm. seine volle Bestätigung findet in dem nunmehrigen Auftreten der gekreuzten Reflexe. Doch ist die Reflexerregbarkeit auf keinen Fall so frei wie z. B. beim Curare. Es muss demnach auch das zweite mögliche Moment der Reflexhemmung zur Geltung kommen, nämlich die Lähmung des Rücken- marks. Für die Mitbelastung des Centralnervensystems bei der Lupetidin- wirkung sprechen aber noch andere Gründe, so ein kurzes oft ganz leb- haftes Exeitationsstadium zu Anfang der Giftwirkung, dann die verhältniss- mässig schweren Bewegungsstörungen in gewissen Stadien der Vergiftung bei der oft noch schwachen Abnahme der Nervenerregbarkeit. Alle diese Momente scheinen aber stark durch die individuellen Verschiedenheiten der Versuchsthiere beeinflusst zu sein. Für eine besondere Wirkung auf das Herz sprechen die Befunde in den einzelnen Versuchen nicht. Die kleinen im Verlaufe der Vergiftung oft wechselnden Anomalien der Herzthätigkeit müssen als eine Folge des durch die Behinderung der Athmung bedingten Sauerstoflmangels angesehen werden. Die Sistirung der Athmung tritt zugleich mit dem Maximum der Lähmung ein und hat ihre Ursache in der Vergiftung auch jener Nerven- endigungen, welche den Athmungsmuskeln angehören. Andere functionelle Störungen sind, soweit bis jetzt erforscht, für das Lupetidin nicht nach- zuweisen. B. Morphologische Veränderungen. Von diesen können hier nur diejenigen des Blutes besprochen werden. Diese Veränderungen bestehen nun aber gerade in der oben beschriebenen Vacuolenbildung und der Grösse und den Formenveränderungen des Kernes der Blutkörperchen. Von all den Lupetidinen ist es das Lupetidin, welches in ausgiebigstem Maasse die Fähigkeit, Vacuolen zu erzeugen, besitzt. Die Untersuchung eines Praepa- rates aus der achten Stunde nach der Vergiftung giebt uns hierüber folgende Daten. (Vergl. Versuch 7.) a) Alle Blutkörperchen haben Vacuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 5—20. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen 1—4u. Dabei sind die Kerne der Blutkörperchen sehr klein und rund und von einem hellen ringförmigen Hof umgeben, während viele Blutkörperchen um die Hälfte ihres Volumens abgenommen haben. Andere Veränderungen zeigten hauptsächlich Leber und Milz. Nach diesen Befunden können wir das Lupetidin als ein Gift bezeichnen, welches unter gleichzeitigem Auftreten weitergehender morphologischer Ver- änderungen im Blute und auch in anderen Organen, vor allem die intra- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 483 musculären Nervenendigungen, ähnlich dem Curare lähmt, schwach die Central- organe des Nervensystems mitaffieirt und zugleich die Haut local anaesthesirt. 2. Copellidin. A. Functionelle Veränderungen. In Bezug auf diese wirkt das Copellidin, das nächst höhere Homologon des Lupetidins, entsprechend dieser nahen chemischen Verwandtschaft fast ganz analog demselben, also Lähmung der peripheren motorischen und sensiblen Nervenenden unter Mitbetheiligung des Centralnervensystems. Wir finden demnach auch beim Copellidin eine zusammengesetzte Wirkung und zwar ist dieselbe zusammengesetzt aus, wenn ich mich so ausdrücken darf, drei Componenten, einer peripheren motorischen, einer peripheren sensiblen und einer centralen. Doch ver- halten sich diese Componenten in der Öopellidinwirkung quantitativ etwas anders als beim Lupetidin. Wohl ist auch hier die Lähmung der intra- musculären Nervenendigungen die Hauptursache der motorischen Lähmung und muss ein gutes Stück der Reflexhemmung der herabgesetzten Haut- empfindung angerechnet werden, doch kommt hierbei der centralen Störung ein grösserer Antheil zu als beim Lupetidin, weil beim Copellidin die cen- tral wirkende Componente entschieden deutlicher zum Ausdruck gelangt. Hierfür spricht nicht nur das stärkere Auftreten von Erscheinungen, welche gemeinhin als Zeichen centraler Affection gelten, sondern ganz spe- ciell die mangelhafte Reflexerregbarkeit, bei Ligirung beider hinteren Ex- tremitäten. Doch ist auch hier der centrale Einfluss mannigfachen indivi- duellen Schwankungen unterworfen. Auf das Herz hat das Copellidin ebenfalls keine directe Wirkung und für den Athmungsstillstand in der Höhe der maximalen Lähmung muss dieselbe Ursache angenommen werden, wie beim Lupetidin, nämlich directe Lähmung der Athmungsmuskeln. B. Morphologische Veränderungen. Auch in Bezug auf diese documentirt das Copellidin seine nahe chemische Verwandtschaft mit Lu- petidin und zwar sind es wiederum die Veränderungen im Blute, welche uns hier speciell interessiren. Wie beim Lupetidin treten auch beim Co- pellidin einige Zeit nach erfolgter Vergiftung sogenannte Vacuolen in der Protoplasmazone der Blutkörperchen auf, gefolgt von Grössen- und Form- veränderungen der Kerne. Doch stehen die Vacuolen, wiewohl qualitativ gleich, quantitativ denjenigen des Lupetidins bedeutend nach, was leicht aus nachstehender Zusammenstellung der Untersuchungsresultate des Co- pellidinblutes aus der 9. Stunde nach der Vergiftung hervorgeht. a) Alle Blutkörperchen haben Vaeuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 3—15. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen 1—4 u. Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 28 434 AUGUST GÜRBER: Andere morphologische Veränderungen zeigten fast alle untersuchte Organe. | Wir definiren nun das Copellidin als ein Gift, welches hauptsächlich die intramusculären Nervenendigungen lähmt, die Hautempfindung herab- setzt, das Centralnervensystem etwas stärker als das Lupetidin affieirt und im functionellen Gesammtwirkungseffeet doppelt so intensiv wirkt, als das Lupetidin. Dabei sind diese functionellen Störungen gefolgt von morpho- logischen Veränderungen, speciell des Blutes jedoch so, dass in dieser letztern Beziehung das Copellidin dem Lupetidin an Intensität etwa um 20°/, nachsteht. 3. Das Parpevolin. A. Functionelle Veränderungen. Das Parpevolin, das Aethyl- glied der Reihe, steht in seiner physiologischen Wirksamkeit ungefähr in demselben Verhältniss zum Copellidin wie das Copellidin zum Lupetidin. Es lähmt vorzugsweise durch Veränderung der intramusculären Nerven- endigungen und wirkt anaesthesirend auf die sensiblen Nervenenden der Haut. Diese letztere Componente erscheint aber um so weniger deutlich, als die centrale Componente noch mehr an Intensität zugenommen hat. Abgesehen von dem Exeitationsstadium kommt hier vornehmlich, was schon für das Copellidin Geltung hatte, die unverhältnissmässig geringe Aenderung der Nervenerregbarkeit gegenüber den sehr stark vorgeschrittenen, ja oft fast maximalen Lähmungserscheinungen in Betracht. In solchen Stadien lässt sich die Lähmung fast nur aus central gelegenen Ursachen erklären. Da- neben spricht für eine starke centrale Affection die bedeutend herabgesetzte Reflexerregbarkeit. Beim Parpevolin ist die centrale Componente immer, aber mit verschiedener Intensität nachweisbar, während die Constatirung der zweiten Componente entsprechend der Stärke dieser dritten sehr schwierige - sein könnte. | B. Morphologische Veränderungen. Als solche sind auch beim Parpevolin und zwar in hervorragendem Maasse die Vacuolen in den Blut- körperchen und die Veränderungen ihres Kernes zu nennen. Dieser nimmt die Form eines längeren Stäbchens an und dreht sich dann aus seiner nor- malen Lage heraus, sodass seine Längsachse mit derjenigen des Blutkör- perchens einen mehr oder weniger grossen Winkel bildet. Die quantitativen Untersuchungen über die Vacuolen an einem Praeparat aus aer 8. Stunde nach der Vergiftung ergab folgende Zahlen: a) SO Procent der Blutkörperchen haben Vacuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 1-8. c) Grösster Durchmeseer der Vacuolen 1—3u. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 435 Als morphologisch unverändert erwiesen sich Leber und Milz. Es ist das Parpevolin ebenfalls ein Gift von gemischtem Character, mit einer den Gesammtwirkungseffect hauptsächlich bestimmenden peripher motorischen, einer weniger deutlichen peripher sensiblen und einer noch stärker als beim Copellidin integrirenden centralen Componente. Nebenbei erzeugt das Parpevolin die typischen Veränderungen der Froschblutkörperchen und auch anderer Organe. In Bezug auf die Lähmung wirkt das Parpe- volin doppelt so intensiv als das Copellidin, hinsichtlich der Vacuolenbildung um 30—40 Procent weniger als dasselbe. 4. Das Propyllupetidin. A. Functionelle Veränderungen. Dem Propyllupetidin kommt ebenfalls, wie den bis jetzt besprochenen Lupetidinen, vor allem die läh- mende Wirkung auf die intramusculären Nervenendigungen zu. Dagegen tritt der Einfluss der centralen Componente auf das gesammte Wirkungs- bild hier noch mehr hervor als beim Parpevolin, wofür ich nur das starke Excitationsstadium, die ausgedehnte Reflexhemmung und das frühe Auf- treten schwerer Bewegungsstörungen bei noch nicht verminderter Nerven- erreebarkeit nennen will. Durch dieses Hervordrängen der centralen Com- ponente gelangt die peripher sensible Componente so sehr in den Hinter- grund, dass sie nur schwierig nachzuweisen ist. Daneben scheint das Pro- pyllupetidin auch eine leichte Wirkung auf das Herz geltend zu machen, die nun nicht bei den vorigen Gliedern als eine blosse Folge von Sauer- stoffmangel angesehen werden kann, doch ist es für jetzt mir unmöglich, hierüber nähere Angaben zu machen. - B. Morphologische Veränderungen. Auch hinsichtlich der mor- phologischen Veränderungen reiht sich das Propyllupetidin den vorgehenden Gliedern der Reihe auf engste an. Es erzeugt dieselben Vacuolen in den Blutkörperchen des Froschblutes und verändert ebenfalls Grösse und Form der Kerne derselben, doch letzteres nicht in so charakteristischer Weise wie das Parpevolin. Aber auch quantitativ steht das Propyllupetidin dem Parpevolin in Bezug auf die Veränderungen der Blutkörperchen etwas nach, was aus folgenden Daten hervorgeht — Praeparat aus der 8. Stunde nach der Vergiftung. a) 50 Procent der Biutkörperchen haben Vaeuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 1—10. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen 1—3 u. Andere Organe wurden auf morphologische Veränderungen noch nicht untersucht. 28* 436 AUGUST GÜRBER: Wir definiren nun das Propyllupetidin als ein Gift, welches vorwiegend die intramusculären Nervenendigungen lähmt, vielleicht die Sensibilität der Haut herabsetzt und die Centralorgane des Nervensystems stark mit afficirt. ‘Dabei scheint das Propyllupetidin leicht, aber noch in unbekannter Weise auf das Herz zu wirken und hebt wie die anderen Lupetidine durch direete Lähmung der Athmungsmuseulatur die Athmung auf. Hand in Hand mit diesen functionellen gehen die bekannten morphologischen Veränderungen des Blutes. Bezüglich der ersteren wirkt das Propyllupetidin am inten- sivsten von allen Lupetidinen, achtfach so intensiv als das Lupetidin; in seiner Fähigkeit, Vacuolen zu erzeugen, tritt es gegenüber den bis jetzt besprochenen Glieder der Reihe bedeutend zurück. 5. Das Isobutyllupetidin. A. Functionelle Veränderungen. Schon bei diesem Gliede ändert sich der physiologische Charakter der Lupetidine ganz beträchtlich. Der peripher motorischen Componente wird der Hauptantheil an dem Gesammt- wirkungseffeet von der centralen Componente in ausgiebigster Weise streitig gemacht, ja dem Vergiftungsbilde ist schon recht deutlich der Stempel der centralen Ursache aufgeprägt. Das hier unvergleichlich stärker als bei irgend einem der niederen Homologen zur Entwickelung gelangende Exeita- tionsstadium, die maximale Lähmung ohne wesentliche Verminderung der Nervenerregbarkeit, die vollständige Reflexhemmung zeugen zweifellos für einen hauptsächlich central gelegenen Angrifispunkt des Isobutyllupetidins. Doch kommt auch der peripheren motorischen Componente ein gutes Stück der Lähmung zu, indem nach einiger Zeit, wenn die Vergiftung nicht einen raschen tödtlichen Ausgang nimmt, die Nervenerregbarkeit verschwindet und erst mit der völligen Erholung des Versuchsthieres wiederkehrt. Dass bei dieser andauernden und starken centralen Wirkung die Constatirung der peripheren sensiblen Componente nun zur Unmöglichkeit geworden ist, bleibt wohl selbstverständlich. Dagegen tritt nun bei dem Isobutyllupetidin eine neue Seite in der Wirkungsweise auf, welche vielleicht andeutungsweise schon beim Propyl- lupetidin zu bemerken war, nämlich die Wirkung auf das Herz. Diese letztere muss als ein Hauptsymptom im Vergiftungsbilde des Isobutyllupe- tidins und beim tödtlichen Verlauf der Vergiftung als eine Hauptursache des Todes angesehen werden. Im Wesentlichsten manifestirt sich die Herz- affection zuerst durch eine Steigerung der Herzthätigkeit, dann durch eine oft ziemlich rapide Abnahme derselben, verbunden mit convulsivischen und uncoordinirten Contractionen und endlichem Herzstillstand in Diastole. Diese Wirkung auf das Herz ist grössten Theils eine direete, denn sie tritt ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.s.w. 437 auch am ausgeschnittenen Herzen auf und lässt sich da durch Entfernung des Giftes mittelst einer neutralen Spülflüssigkeit ganz aufheben. Die Ur- sache der Herzlähmung dürfte wahrscheinlich in den nervösen Elementen des Herzens gesucht werden, wenigstens scheint der Herzmuskel kaum durch die Vergiftung zu leiden. Anderweitige functionelle Störungen wurden nicht constatirt. B. Morphologische Veränderungen. Nicht so verschieden von den anderen Lupetidinen wie in seinen functionellen Störungen, ist das Iso- butyllupetidin in Bezug auf die von ihm erzeugten morphologischen Ver- änderungen. Zwar sind die Vacuolen in den Blutkörperchen an Zahl und Grösse viel geringer als beim Propyllupetidin, gleich sind sie aber doch in ihrer Natur. Die hieraufbezüglichen Verhältnisse sind nach einem Prae- parat aus der 9. Stunde nach der Vergiftung folgende: a) 15 Procent der Blutkörperchen haben Vaecuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 1—3. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen 1—2 u. d) Grusse Vacuolen 5 Procent. e) Grosse Vacuolen in einem Blutkörperchen 1—2. Andere morphologische Veränderungen werden nicht nachgewiesen. Das Isobutyllupetidin ist demnach ein Gift, welches vorzugsweise ähn- lich den ächten Nareoticis das Centralnervensystem und das Herz lähmt, dann aber auch wie die vorgehenden Glieder der Reihe die intramuseulären Nervenendigungen in Mitleidenschaft zieht. Die morphologischen Verän- derungen, die eine Folge seiner Wirkung sind, beziehen sich ebenfalls auf das Blut und bestehen in der bekannten Vacuolenbildung, worin das Iso- butyllupetidin dem Propyllupetidin beträchtlich nachsteht. Ein Intensitäts- vergleich über die functionellen Veränderungen lässt sich zwischen den beiden Lupetidinen aus oben ausführlich entwickelten Gründen nicht anstellen. 6. Das Hexyllupetidin. A. Functionelle Veränderungen. Noch weniger als das Isobutyl- lupetidin gleicht das Hexyllupetidin in seiner physiologischen Wirkungsweise den vier ersten Lupetidinen. Der centrale Character ist bei ıhm der allein herrschende geworden, von der Curarewirkung sind kaum noch Spuren übrig geblieben. Bei Vergiftungen mit nur einigermaassen raschem tödt- liehen Ausgang ist von einer Abnahme der Nervenerregbarkeit gar keine Rede. Dagegen ist während der ganzen Dauer der Vergiftung die Reflex- erregbarkeit total aufgehoben. Es muss deshalb die Ursache der Lähmung 438 AUGUST GÜRBER: fast rein centraler Natur sein, eine Verminderung der Nervenerreebarkeit zeigt sich erst bei Vergiftungen in refracta dosi und zwar nur sehr undeutlich. Dafür zeichnet sich das Hexyllupetidin durch eine äusserst intensive Wirkung auf das Herz aus und gleicht deshalb auch hierin dem Isobutyl- lupetidin, nur tritt diese Wirkung bei dem ersteren Gift noch in viel höherem Maasse hervor als beim anderen. Qualitativ unterscheiden sich die beiden Wirkungen nur insofern, dass das durch die Hexyllupetidin- vergiftung zum Stillstand gebrachte Herz durch kein Ausspülen wieder zur Thätigkeit veranlasst werden kann. Im Uebrigen sind die Herzsymptome wie beim Isobutylgliede zuerst Beschleunigung der Herzthätiskeit, dann rasche Abnahme der Schlagfrequenz und zuletzt Stillstand in Diastole. Bei nichttödtlichem Ausgang erholt sich das nur mehr in Gruppen schlagende Herz unter Zunahme der Zahl und der Kraft der Contractionen. Die Ur- sache der Herzlähmung ist auch in diesem Falle höchst wahrscheinlich in den intracardialen Nervencentren gelegen, doch muss die Entscheidung dieser Frage noch als eine offene betrachtet werden. B. Morphologische Veränderungen. Etwas mehr als in den functionellen scheint das Hexyllupetidin in den morphologischen Verän- derungen noch von der eigentlichen Natur der Lupetidine bewahrt zu haben. Zwar sind Grösse und Zahl der Vacuolen in den Blutkörperchen des Frosches auf ein Minimum reducirt, vielleicht etwas stärker ausgeprägt ist die Veränderung der Kerne. Doch steht alles dieses in keinem Vergleich zum Isobutyllupetidin, wie viel weniger noch zu irgend einem anderen Gliede der Reihe. Ein Blutpraeparat aus der 9. Stunde nach der Ver- siftung ergab folgende Resultate: a) 1—2 Procent der Blutkörperchen haben Vacuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen höchstens 1—2. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen kleiner als I u. Andere Veränderungen wurden nicht gesehen. Das Hexyllupetidin ist ein nach Art der ächten Narcotica auf. die Centralorgane und direct auf das Herz wirkendes, sehr energisches Gift. Nebenbei lähmt es schwach die intramusculären Nervenendigungen und erzeugt in geringem Maasse die für die Lupetidinwirkung typischen Va- cuolen in den Froschblutkörperchen. Zu dieser Charakterisirung der physiologischen Wirkungsweise der Lupetidine sei hier noch vor allem bemerkt, dass sie ohne absolute Ver- bindlichkeit für spätere genauere Untersuchungen der einzelnen Gifte allein ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.S$S. w. 439 gegeben ist. Ich bin mir nämlich wohl bewusst, dass diese meine Unter- suchungen keinen Anspruch auf die Genauigkeit und Allseitigkeit machen dürfen, wie dieses in der Toxikologie von der scharfen Charakterisirung eines Giftes verlangt werden muss. Immerhin genügen sie dem Zwecke, welcher dieser Arbeit zu Grunde liegt, mdem sie von jedem einzelnen der Lupetidine, wenn auch in vielleicht etwas groben Zügen, das eigentliche Wesen ihrer Wirkungsweise zu erkennen geben, sodass wir nicht nur über die letztere vollständig orientirt sein dürften, sondern auch die feinere Nüancirung der Giftwirkung soweit durchgeführt finden, um von einer Wirkungsverschiedenheit der gewiss überaus ähnlich wirkenden vier ersten Lupetidine sprechen zu können. Wir stehen nun noch vor der Frage, ob diese Wirkungsweisen der einzelnen Lupetidine auch in irgend welchen gesetzmässigen Beziehungen zu der chemischen Natur derselben stehen, wie wir selbes für die Wirkungs- intensitäten und die Moleculargrössen gefunden haben. Die Antwort hierauf soll uns, soweit möglich, der nächste und letzte Abschnitt geben. <. Allgemeine Ableitung der Wirkungsweise von der Constitution der Lupetidine. Nach den Resultaten des vorigen Abschnittes kann man nicht im Zweifel sein, dass die Wirkungen der Lupetidine in den vier ersten Gliedern im Wesentlichen gleichartig sind. Man wird daher für dieselben die Be- ziehungen zwischen der chemischen Constitution und der Wirkung auf den Organismus die sich aus der ganzen vorstehenden Untersuchung ergeben, wohl so aussprechen dürfen: Der Angrifispunkt und die Art der Wirkung ist bedingt durch den allen gemeinsamen Kern, die Intensität der Wir- kung durch die Zahl der angeketteten CH,-Gruppen. Dabei ist dann noch weiter sehr bemerkenswerth, dass in Bezug auf die letzteren die mor- phologischen und die functionellen Veränderungen sich verschieden ver- halten. Die ersteren scheinen wesentlich bedingt durch den Kern und nehmen ab mit der Zahl der CH,-Gruppen, die letzteren umgekehrt nehmen sogar in geometrischer Progression mit diesen zu. In Bezug auf die beiden höchsten Glieder dagegen zeigt sich ein ver- schiedenes Verhalten, dessen Ursache nur in der Grösse des eingetretenen Alkylradicales gesucht werden kann, das somit als eine eigenartige Variable auftritt. Ob dabei das Alkylradical für sich wirksam wird, ob die Mög- lichkeit des Stellenwechsels der CH,-Gruppen in ihm selbst seine Angriffs- punkte bedingt, oder ob es in eine Wechselwirkung mit dem Kern tritt und auf diesen verändernd einwirken kann, muss dahingestellt bleiben, bis wir etwas mehr von der Chemie dieser Substanzen wissen. 440 AUGUST GÜRBER: Eine grössere Sicherheit gewinnen diese Betrachtungen, wenn wir zwei Körper, die den gleichen Kern besitzen, nämlich das Piperidin und das Coniin in den Kreis derselben ziehen. Das Piperidin. Das Piperidin, das Anfangsglied der Piperidinreihe, unterscheidet sich vom Lupetidin durch das Fehlen der symmetrischen Methyle in «-Stellung zum Stickstoff und hat demnach ein um die zwei CH,-Gruppen kleineres Moleculargewicht als das Lupetidin (vergl. Einleitung), wodurch auch eine kleine Verschiedenheit in dem gesammten chemischen Charakter bedingt ist. Als Gift wurde das Piperidin von verschiedenen Autoren dahin definirt und hat sich das in meinen Untersuchungen auch bestätigt gefunden, dass das Piperidin vorzugsweise die peripheren Nervenendigungen lähme, mit besondereın Hinweis auf seine Wirkung auf die sensible Sphäre. Eine gleichzeitig centrale Wirkung wird von Kronecker und von Fliess, die das Piperidin weitgehend untersucht haben, geleugnet ünd war auch ich nicht im Stande, deren Existenz zu constatiren. Neben diesen functionellen Veränderungen, die als Wirkung des Pi- peridins anzusehen sind, kommt demselben auch in hervorragendster Weise die Eigenschaft der Vacuolenbildung in den Froschblutkörperchen zu, ver- bunden mit allen jenen weiteren Veränderungen von denen ich beim Lu- petidin gesprochen habe. Die quantitativen Verhältnisse der Vacuolen- bildung sind nach einem Praeparat aus der 8. Stunde der Vergiftung folgende: a) Alle Blutkörperchen haben Vacuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 7—26. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen 1—4u. Die Entdeckung von der Vacuolen erzeugenden Eigenschaft wird das Piperidin nun zu einer ebenso interessanten Substanz machen wie das Lupetidin. Bei der vergleichenden Untersuchung des Piperidins mit den Gliedern der Lupetidinreihe ergab sich sofort die grösste Aehnlichkeit in der Wirkungsweise des Piperidins und des Lupetidins, eine Thatsache, die auch nicht anders zu erwarten war. Diese Aehnlichkeit ist aber allerdings nur eine qualitative, nicht aber eine quantitative; denn die Wirkungsintensität des Piperidins ist kaum die Hälfte derjenigen des Lupetidins; Maximaldosis des ersteren 0-045 em, Maximaldosis des letzteren 0-02 st”, Die grosse Aehnliehkeit in der Wirkung beider Gifte manifestirt sich aber nicht nur in den funetionellen, sondern auch hauptsächlich in den morphologischen ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 441 Veränderungen. Zwar darf unter dieser Aehnlichkeit nicht etwa die Iden- tität beider Wirkungen verstanden werden, da das Lupetidin doch ent- schieden etwas centrale Wirkung hat, während das beim Piperidin jeden- falls nicht erwiesen ist, und dann /wirkt das Piperidin wiederum etwas ausgesprochener auf die sensiblen Nervenenden als das Lupetidin. Beide Momente genügen aber noch nicht, um im Lupetidin und im Piperidin so principiell verschiedene Gifte zu sehen, dass ein Intensitätsvergleich un- statthaft wäre. Es ist deshalb überaus interessant, die Beziehungen zwischen der Moleculargrösse der beiden Körper und der Intensität der Wirkung der beiden Gifte ebenfalls ausgesprochen zu finden und auch den Einfluss der chemischen Eigenschaften auf die physiologischen Eigenschaften constatirt zu sehen. Das Coniin. Das Coniin ist nach den neuesten Untersuchungen Ladenburg’s ein «-Propylpiperidin, d. h. es ist das Coniin ein Piperidin, in welchem das eine «-Wasserstoffatom durch das Radical Propyl ersetzt ist. Wenn wir die Stellung dieses Radicals, auf die ich noch einmal zurückzukommen ge- denke, vorläufig ausser Betracht lassen, so steht das Coniin in seiner Con- stitution am nächsten dem Propyllupetidin, von welchem es sich wesentlich durch das Feilen der zwei symmetrischen CH,-Gruppen unterscheidet, und auch etwas in seinen übrigen chemischen Eigenschaften. Von dem Piperidin unterscheidet es sich entsprechend seiner Stellung in der Reihe ebenfalls im Moleeulargewicht und auch in anderen chemischen Beziehungen. In Bezug auf die physiologischen Wirkungsweise ist das Coniin be- deutend eingehender untersucht und studirt worden als das Piperidin. Dessen ungeachtet ist der Giftcharakter des Conins von den verschiedenen Autoren bis jetzt durchaus nicht in übereinstimmender Weise beurtheilt worden. Die mögliche Ursache dieser Controverse habe ich schon früher erwähnt, sie könnte aber auch, was nicht unwahrschemlich wäre, in der Ver- schiedenheit der verwendeten Coniinpraeparate gesucht werden. Einige der Forscher zeihen das Coniin vorzugsweise der Curarewirkung, während andere dasselbe mehr zu den central wirkenden Giften zu zählen geneigt sind; zweifellos ist, dass das Coniin wie die Lupetidine periphere und cen- trale Wirkung in sich vereinigt, was speciell auch aus meinen darauf bezüglichen Versuchen hervorgeht. Die im Piperidin vorhandene peripher sensible Componente war beim Coniin nicht nachzuweisen. Dagegen besitzt dasselbe in ausgesprochener Weise die Eigenschaft, Vacuolen in den Blutkörperchen des Frosches zu erzeugen und zwar nach folgenden quantitativen Verhältnissen; Praeparat aus der 9. Stunde der Vergiftung: 442 AUGUST (FÜRBER: a) 40 Proc. der Blutkörperchen haben Vacuolen. b) Zahl der Vacuolen in einem Blutkörperchen 1—6. c) Grösster Durchmesser der Vacuolen 1—3 u. Es ist also eine bedeutende Abnahme in der Intensität der Vacuolen- bildung gegenüber dem Piperidin zu constatiren, was aber nicht der Fall ist für die Intensität der eigentlichen physiologischen Wirkung. Diese ist im Gegentheil beim Conin sieben- bis achtmal grösser als beim Piperidin bezogen auf die wirksame Maximaldosis 0.006 gm gegen 0-045 Em, Wir können nun diese beiden Körper sowohl als eine der Lupetidin- reihe analoge allerdings kleine Piperidinreihe, als auch jeden derselben in Beziehung zu dem analogen Glied der Lupetidine betrachten. Thun wir das erstere, so finden wir, dass das Piperidin grössere Va- cuolen — Wirkung des Stammradicals — aber kleinere physiologische Wirkung hat.—, Wirkung der Alkyle. In der Reihe der Piperidine ist das Verhältniss der Wirkungsintensität der Glieder gleich: R (Piperidin) : R-+3(CH, — H)Coniin 1 ER 1 5 ) In der Lupetidinreihe war es: R (Lupetidin) : R-+3(CH, — H) Propyllupetidin De 0 oder 0-02 i 0: nen 1 2 8. Ziehen wir den zweiten A so hat das a die Intensität Ten: r 1 22; das Lupetidin d: — 50; Coniin die Intensität Dr a 160; Pro- 22 160 pyllupetidin — —— 5 hs ‚400; also —, m) d.h. 1:2.3 und 1:2-5; beide verhalten sich gleich. Wollte man das Gesetz der arithmetischen Reihe anwenden, so müsste allerdings das Lupetidin zu Piperidin sich verhalten wie 4:1, weil es ja 2(CH, —H) mehr hat. Ebenso müsste dem Coniin dann die Wirkungs- Intensität des Copellidins zukommen, mit dem es die gleiche Zahl CH,- Gruppen und das gleiche Moleculargewicht hat. Aher diese CH,-Gruppen sind in beiden Körpern in verschiedener Stellung. Vor allen Dingen sieht man sofort aus dem Vergleich der beiden Reihen, dass es einen Unterschied macht, ob die CH,-Gruppen symmetrisch an verschiedene Kohlenstoffatome ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v.s.w. 443 herangetreten sind oder asymmetrisch an eins allein. Es ist also auch die Stellung der Seitenkette, welche als dritte Variable in Betracht kommt, ‘von Einfluss auf die Wirkung der beiden Gifte. Von diesem Gesichtspunkte aus wird man auch einen Unterschied zwischen der Wirkungsweise des Coniins, bei dem das Propylradical in «-Stellung sich befinden soll, und der- jenigen des Propyllupetidins, bei dem das Radical in y-Stellung steht, machen müssen. Doch tritt dieser Unterschied nicht sehr deutlich hervor, vielleicht ist auch die «-Stellung für das käufliche von mir verwendete Coniin nicht so sicher. Soll ich mir ein Schlusswort gestatten, so möchte es das sein, dass mir ein innerer Zusammenhang zwischen den hier geschilderten morpho- logischen und physiologischen Veränderungen des Froschorganismus und der chemischen Constitution der um den Piperidinkern sich gruppirenden Substanzen zweifellos geworden ist und dass ich den Wunsch hege, noch mehr Thatsachen an’s Licht zu fördern, welche die Natur dieses Zusammen- hanges beleuchten könnten. Anhang. Auszug aus dem Versuchsprotokoll. (Die Versuche über die morphologischen Veränderungen sind hier nicht mit aufgeführt.) I. Lupetidin. - 1. Versuch. 10 Uhr 15. Einer Rana temporaria, & 428% schwer, wird‘ mittelst Pravaz’scher Spritze 0-018’® Lupetidin iu den Rückenlymphsack injieirt und der Frosch zur Beobachtung unter ein Glasglocke gebracht. 11 Uhr. Keine Vergiftungssymptome. 12 Uhr. Ganz leichte Apathie. 4 Uhr. Der Frosch verhält sich ganz normal. 5 Uhr. Keine Veränderung; Dosis fast unwirksam. 2. Versuch. 9 Uhr. Eine Rana temporaria, d 408% schwer, wird mit 0-0158" Lu- petidin vergiftet. 11 Uhr 10. Auffällige Mattigkeit und Apathie des Frosches, welcher jedoch noch leicht auf Reize reagirt. 11 Uhr 40. Starke Lähmung, besonders der Hinterbeine, Athmung mühsam. 2 Uhr. Lähmung an Vorder- und Hinterbeinen gleich stark. 444 AUGUST GÜRBER: 4 Uhr. Schwinden der Lähmungserscheinungen. 6 Uhr. Der Frosch hat sich sehr erholt. 7 Uhr. Leichte Apathie. Am Morgen des folgenden Tages hatte sich der Frosch vollständig erholt. 3. Versuch. 8 Uhr 20. Eine Rana temporaria, d 358% schwer, wird in gewohnter Weise mit 0-.028"% Lupetidin vergiftet. 9 Uhr 10. Grosse Mattigkeit nnd Apathie; mühsame Athmung. 9 Uhr 30. Starke Lähmung der Hinterbeine. 10 Uhr. Der ganze Frosch ist gelähmt. 10 Uhr 30. Maximale Lähmung; Herzthätigkeit verlangsamt. 8 Uhr des folgenden Tages. Herzstillstand; Tod. 4. Versuch. 8 Uhr. Eine Rana temporaria, d 408'“@ schwer, wird mit 0.028m Lu- petidin vergiftet. 10 Uhr 20. Maximale Lähmung. Herz verlangsamt. 12 Uhr. Zustand unverändert. 4 Uhr. Zustand unverändert. S Uhr des folgenden Tages. Schwache Erholung. 12 Uhr. Der Frosch hat sich bedeutend erholt. 6 Uhr. Der Frosch hat sich fast ganz erholt. Leichte Apathie. Am Morgen des folgenden Tages war der Frosch wieder vollkommen nor- mal in seiner Bewegungsfähigkeit. 5. Versuch. 11 Uhr. Eine Rana temporaria, d 418m schwer, wird mit 0.027sm Lupetidin vergiftet. 2 Uhr. Maximale Lähmung; Herz langsam und schwach. 8 Uhr des folgenden Tages. Herzstillstand; Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0-012— 0.014 8m Maximaldosis 0.02 sm Minimallethale Dosis 0.025 —27 gm Gültig für Frösche (Ranae temp.) von durchschnittlich 40 8m Körpergewicht. II. Copellidin. 1. Versuch. 10 Uhr 20. Einer Rana temporaria, ö 378% schwer, werden mittelst Pravaz’scher Spritze 0.005 8'”% Copellidin in den Rückenlymphsack injieirt. 11 Uhr 30. Keine Vergiftungssymptome. 12 Uhr. Wie oben. 2 Uhr. Nichts abnormales. 6 Uhr. Da der Frosch immer noch ganz normal ist, wird der Versuch hier abgebrochen. Die Dosis war also unwirksam. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 445 2. Versuch. 9 Uhr 10. Eine Rana temporaria d, 38 ?"% schwer, wird mit 0.0075 grm Copellidin in gewohnter Weise vergiftet. 10 Uhr. Der Frosch ist stark apathisch, reagirt aber heftig auf starke Hautreize. 10 Uhr 50. Lähmungserscheinungen an den Hinterbeinen. 11 Uhr 10. Schwache allgemeine Lähmung. 12 Uhr. Zustand unverändert. 2 Uhr. Der Frosch erholt sich. 3 Uhr. Lähmungserscheinung total verschwunden, Frosch aber immer noch etwas apathisch. 6 Uhr. Frosch wieder normal. 3. Versuch. 10 Uhr 40. Eine Rana temporaria d, 40 5% schwer, wird mit 0.01 8m Copellidin vergiftet. 11 Uhr 30. Heftige Vergiftungssymptome. 12 Uhr. Sehr starke allgemeine Lähmung. 12 Uhr 30. Maximale Lähmung; Herz langsam aber kräftig. 3 Uhr. Zustand unverändert. 6 Uhr. Herzthätigkeit langsamer und schwächer. 9 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch beginnt sich zu erholen. 12 Uhr. Der Frosch hat sich sehr erholt. 7 Uhr. Die Erholung ist eine fast vollständige. 4. Versuch. 11 Uhr 15. Eine Rana temporaria d, 35 2”% schwer, wird mit 0.01 m Copellidin vergiftet. 2 Uhr. Der Frosch ist maximal gelähmt. 5 Uhr. Lähmungserscheinung unverändert, Herz langsam und. sehr schwach. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch ist immer noch maximal gelähmt; das Herz schlägt langsam aber kräftiger. Am Abend dieses Tages begann sich der Frosch zu erholen und hatte bis 3 Uhr des folgenden Tages seine normale Beweglichkeit wieder erlangt. 5. Versuch. 8 Uhr 20. Eine Rana temporaria d, 428% schwer, wird mit 0.015 sm Copellidin vergiftet. 10 Uhr. Maximale Lähmung. Herz langsam und schwer. 2 Uhr. Herzthätigkeit noch langsamer und schwächer. 7 Uhr. Zustand unverändert. 7 Uhr 40 des folgenden Tages. Der Frosch ist und wie es scheint schon längere Zeit todt. Versuchsresultate: Minimaldosis 0-006-—7 Sm Maximaldosis 0-01 sm Minimal lethale Dosis 0.015 2m 446 AUGUST GÜRBER: Gültig für Ranae temp. von durchschnittlich 40 8"” Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung 11/,—2 Stunden. Zeit bis zum Eintritt des Todes 15—20 Stunden. III. Parpevolin. 1. Versuch. 10 Uhr 40. Einer Rana temporaria 3, 40 8”% schwer, wird mittelst Pra- vaz’scher Spritze 0-0038”% Parpevolin in den Rückenlymphsack injieirt und der Frosch zur Beobachtung unter eine Glasglocke gesetzt. 11 Uhr 10. Keine Vergiftungssymptome. 12 Uhr. Der Frosch ist etwas unruhig. 2 Uhr. Der Frosch ist jetzt eher leicht apathisch. 4 Uhr. Keine Vergiftungssymptome, deswegen wird die Beobachtung hier sistirt. 2. Versuch. 8 Uhr 10. Eine Rana temporaria d, 35 2% schwer, wird mit 0.004 8m Parpevolin vergiftet. 8 Uhr 40. Leichte Unruhe. 9 Uhr 30. Ziemlich starke Apathie. 10 Uhr 10. Leichte allgemeine Lähmung. 11 Uhr. Zustand unverändert. 2 Uhr. Der Frosch hat sich wieder etwas erholt, ist aber noch stark apathisch. 6 Uhr. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. 3. Versuch. 9 Uhr 15. Eine Rana temporaria &, 40 2”% schwer, wird mit 0.005 8% Parpaevolin vergiftet. 10 Uhr. Sehr starke allgemeine Lähmung. 10 Uhr 30. Maximale Lähmung. Herz normal. 12 Uhr. Lähmungszustand unverändert; Herz verlangsamt, aber kräftig. 2 Uhr. Zustand unverändert. 6 Uhr. Herz etwas schneller. S Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ein wenig erholt. 7 Uhr. Der Frosch hat sich ganz erholt. 4. Versuch. 2 Uhr. Eine Rana temporaria d, 438“ schwer, wird mit 0.006 8m Parpevolin vergiftet. 3 Uhr 40. Maximale Lähmung. Herz langsam. 4 Uhr. Zustand unverändert. 6 Uhr. Lähmungszustand unverändert. Herz schwach. 8 Uhr des folgenden Tages. Lähmung immer noch maximal. Herz schneller und kräftiger. 12 Uhr. Wiederkehr der Athmung, Lähmung immer noch eine sehr starke. 4 Uhr. Der Frosch hat sich etwas mehr erholt. 6 Uhr. Erholung noch weiter fortgeschritten. 11 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ganz erholt. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE UV. Ss. w. 447 5. Versuch. 10 Uhr 20. Eine Rana temporaria d, 37 8m schwer, wird mit 0.007 gm Parpevolin vergiftet. 11 Uhr. Maximale Lähmung. Herz langsam, aber kräftig. 3 Uhr. Herz schwächer. 9 Uhr des folgenden Tages. Herzstillstand. Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0.003 —4 Erm Maximaldosis 0-005—6 „, Lethale Minimaldosis 0-007—8 „, Gültig für Ranae temp. von 35—40 8m Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung 1—1!/, Stunden. Zeit bis zum Eintritt des Todes 15—30 " 6) IV. Propyllupetidin. 1. Versuch. 2 Uhr 10. Einer Rana temporaria d, 36 2"" schwer, wird mittelst Pra- vatz’scher Spritze 0-001#"® Propyllupetidin in den Rückenlymphsack injieirt und der Frosch zur Beobachtung unter eine Glasglocke gebracht. 3 Uhr. Der Frosch ist sehr unruhig. 3 Uhr 40. Die Unruhe ist in leichte Apathie übergegangen. 5 Uhr. Kein Vergiftungssymptom mehr, daher Schluss der Beobachtung. 3. Versuch. 3 Uhr. Eine Rana temporaria Ö, 398"® schwer, wird in gewohnter Weise mit 0-00158'”% Propyllupetidin vergiftet. 3 Uhr 5. Sehr starke Unruhe. 3 Uhr 20. Die Unruhe hat sich noch gesteigert. 4 Uhr 10. Der Frosch ist sehr apathisch, reagirt dagegen ungestüm auf stärkere Hautreize. 5 Uhr. Obige Symptome haben sich mehr oder weniger wieder verloren. 6 Uhr. Der Frosch verhält sich wieder ziemlich normal. 3. Versuch. 2 Uhr. Eine Rana temporaria d, 40°” schwer, wird mit 0.0022 Propyllupetidin vergiftet. 2 Uhr 20. Starke Unruhe. . 3 Uhr. Die Unruhe ist in Apathie übergegangen. 3 Uhr 30. Starke Lähmung der Hinterbeine. 4 Uhr. Starke allgemeine Lähmung. 5 Uhr. Intensität der Lähmung eher etwas vermindert. 7 Uhr. Der Frosch hat sich ziemlich erholt. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ganz erholt. 448 AUGUST GÜRBER: 4. Versuch. 2 Uhr 30. Eine Rana temporaria d, 39 8% schwer, wird mit 0.0025 gm Propyllupetidin vergiftet. 4 Uhr 40. Maximale Lähmung. Herz normal. 5 Uhr 20. Herz langsam, aber kräftig. 8 Uhr des folgenden Tages. Wiederkehr der Athmung. 11 Uhr. Die Erholung ist weiter fortgeschritten. 3 Uhr. Die Lähmung ist so ziemlich verschwunden, dagegen starke Apathie. 5 Uhr. Der Frosch hat sich fast vollkommen erholt. 5. Versuch. 2 Uhr 10. Eine Rana temporaria d, 40 8°” schwer, wird mit 0.003 8m Propyllupetidin vergiftet. 4 Uhr. Maximale Lähmung. 4 Uhr 50. Maximale Lähmung; Herz etwas verlangsamt. 6 Uhr. Zustand unverändert. S Uhr des folgenden Tages. Der Frosch ist immer noch maximal 12 Uhr. Wiederkehr der Athmung. 4 Uhr. Der Frosch hat sich ziemlich erholt. 11 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollständig erholt. 6. Versuch. 3 Uhr. Eine Rana temporaria, d 388% schwer, wird mit 0.004 8m Propyllupetidin vergiftet. 3 Uhr 40. Maximale Lähmung. Herz schwach. 5 Uhr. Zustand unverändert. S Uhr des folgenden Tages. Herzstillstand; Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0.0015 — 2 8% Maximaldosis 0-0025 ” Lethale Minimaldosis 0-004 ” Gültig für Frösche (Ranae temp.) von 35—38 8m Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung ?/,—1 Stunde. Zeit bis zum Eintritt des Todes 10—30 Stunden. V. Isobutyllupetidin. 1. Versuch. 2 Uhr 30. Einer Rana temporaria, d 40®% schwer, wird mittelst Pravaz’scher Spritze 0°002®"= Isobutyllupetidin in den Rückenlymphsack injicirt. 3 Uhr, Der Frosch ist sehr unruhig. 3 Uhr 40. Der Frosch ist noch mehr aufgeregt. 5 Uhr. Die Aufregung hat sich gelegt, dagegen ist der Frosch jetzt ganz apathisch. 6 Uhr 45. Der Frosch ist wieder normal. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE UV. Ss. w. 449 2. Versuch. 3 Uhr 10. Eine Rana temporaria, & 428% schwer, wird in gewohnter Weise mit 0003 8'% Isobutyllupetidin vergiftet. 3 Uhr 40. Der Frosch ist überaus aufgeregt. 4 Uhr 30. Der Frosch ist ganz apathisch. Hintere Extremitäten leicht gelähmt. 5 Uhr 20. Lähmung noch etwas deutlicher. 6 Uhr 30. Der Frosch ist immer noch apathisch und leicht gelähmt. S Uhr des folgenden Tages. Vollständige Erholung. 3. Versuch. 1 Uhr 50. Eine Rana temporaria, d 40 8”% schwer, wird mit 0.004 grm Isobutyllupetidin vergiftet. 2 Uhr 10. Der Frosch ist schon stark aufgeregt, indem er fortwährend seine Stellung ändert. 2 Uhr 30. Aeusserste Aufregung. 3 Uhr. Starke Lähmung. 3 Uhr 10. Maximale Lähmung. Herz sehr schnell. 3 Uhr 20. Herz ganz langsam. 4 Uhr. Lähmungserscheinungen dieselben. Herz aber wieder etwas schneller. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. 4. Versuch. 2 Uhr. Eine Rana temporaria, d 418” schwer, wird mit 0.0055 m Isobutyllupetidin vergiftet. 3 Uhr 50. Maximale Lähmung. Herz sehr langsam und schwach. 4 Uhr. Herz wieder etwas schneller und stärker. 5 Uhr. Zustand unverändert. 7 Uhr 40 des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ziemlich von der Lähmung erholt, ist aber noch sehr apathisch. 5. Versuch. 2 Uhr 20. Eine Rana temporaria, d 36% schwer, wird mit 0.006 gm Isobutyllupetidin vergiftet. 3 Uhr. Maximale Lähmung. Herz noch ziemlich schnell. 4 Uhr. Herz sehr langsam. Schlagen in Gruppen. 4 Uhr 35. Herzstillstand; Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0:.002 sm Maximaldosis 0°004 ‚, Lethale Minimaldosis 0006 ‚, Gültig für Frösche (Rana temp.) von 40 8'® Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung !/,—°/, Stunden. Zeit bis zum Eintritt des Todes 2—5 „ Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 29 450 AUGUST GÜRBER: VI. Hexyllupetidin. 1. Versuch. 8 Uhr 10. Eine Rana temporaria, & 345'M schwer, wird mittelst Pra- vaz’scher Spritze 0-0038’® Hexyllupetidin in den Rückenlymphsack injieirt. 8 Uhr 40. Der Frosch ist sehr unruhig. 9 Uhr. Die Unruhe hat sich gesteigert. 9 Uhr 45. Sehr starke Apathie. 11 Uhr. Zustand unverändert. 4 Uhr. Der Frosch hat sich fast vollkommen erholt. 2. Versuch. 9 Uhr. Eine Rana temporaria, 8 423% schwer, wird in gewohnter Weise mit 0°004 8% Hexyllupetidin vergiftet. 9 Uhr 30. Sehr starke Unruhe. 10 Uhr 20. Der Frosch ist total reactionslos. 11 Uhr. Starke Lähmung. 3 Uhr. Der Frosch hat sich von der Lähmung wieder etwas erholt. 5 Uhr. Die Erholung ist noch weiter fortgeschritten. 8 Uhr 30 des folgenden Tages. Vollständige Erholung. 3. Versuch. 8 Uhr. Eine Rana temporaria, © 39.8"M schwer, wird mit 0005 8m Hexyllupetidin vergiftet. 9 Uhr 50. Maximale Lähmung. Herz sehr matt und schwach. 10 Uhr 30. Herz etwas schneller, aber immer noch schwach. 11 Uhr.. Herz wieder ziemlich normal. 3 Uhr. Herz wieder etwas langsamer. 5 Uhr. Zustand unverändert. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich erholt. 4. Versuch. 9 Uhr 30. Eine Rana temporaria, © 37 8” schwer, wird mit 0.006 sm Hexyllupetidin vergiftet. 10 Uhr 20. Maximale Lähmung. Herz überaus matt. 11 Uhr. Herzthätigkeit unregelmässig, convulsivisch. 12 Uhr. Herz, Schlagen in Gruppen. 2 Uhr. Herzstillstand in Diastole; Tod. 5. Versuch. 2 Uhr. Eine Rana temporaria, & 408m schwer, wird mit 0007 sm Hexyllupetidin vergiftet. 3 Uhr. Maximale Lähmung. Herz, Schlagen in Gruppen. 3 Uhr 30. Herzstillstand; Tod. 6. Versuch. 3 Uhr. Eine Rana temporaria, & 428” schwer, wird mit 0.0088" Hexyllupetidin vergiftet. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U.S$. w. 451 3 Uhr 20. Herzstillstand. 4 Uhr. Herzstillstand, maximale Lähmung, Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0.003 sm Maximaldosis 0-005 ‚, Minimallethale Dosis 0:-006—7 3m, Gültig für Frösche (Ranae temp.) von 40 8m Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung 1 Stunde. Zeit bis zum Eintritt des Todes 1/,„—2 Stunden. I. Lupetidin. 1. Versuch. 8 Uhr. Rana temporaria, & 37 8% schwer. Freilesung des Gastroknemius. Muskel erregbar bei 38 °% Rollendistanz; Application von 0.0228’% Tupetidin. 8 Uhr 30. Schwache Aufgerestheit, Herz normal 54 Schläge; Muskel erregbar bei 39 ® Rollenabstand. 9 Uhr. Starke Lähmungssymptome; Herz normal 59 Schläge; Muskel erresbar bei 36 °%® Rollenabstand. 9 Uhr 30. Fast maximale Lähmung; Athmung mühsam und intermit- tirend; Herz 56 Schläge; Muskel erregbar bei 37 *@ Rollenabstand. 10 Uhr. Maximale Lähmung; Athmung sistirt; Herz 50 Schläge; Muskel erregbar bei 33 °® Rollenabstand. 11 Uhr. Herz 45 Schläge; Muskel erregbar bei 35 °® Rollenabstand. 12 Uhr. Herz 48 Schläge; Muskel erregsbar bei 32°" Rollenabstand. 2 Uhr. Freilegung des N. ischiadicus; Nerv nicht erregbar; Muskel bei 34m Rollenabstand. Schluss des Versuchs. 2. Versuch. 8 Uhr 10. Rana temporaria, @ 348% schwer. Freilegung des einen N. ischiadicus; normale Erresbarkeit bei 62°” Rollenabstand. . Application von 0.023" Tupetidin in die Bauchhöhle. 8 Uhr 30. Muskel erresbar bei 40°%, Nerv bei 65°® Rollenabstand. 8 Uhr 50. Deutliche Lähmungserscheinungen; Athmung mühsam; Herz normal; Muskel bei 41°=, Nerv bei 60 °@ Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 10. Starke Lähmung; Athmung mühsam; Herz normal; Muskel bei 40 °®, Nerv bei 58°“ Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 30. Sehr starke Lähmung; Athmung äusserst mühsam; Muskel bei 42°m, Nerv bei 55 °® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 50. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Muskel bei 37%, Nerv bei 26°® Rollenabstand erregbar. 10 Uhr 10. Herz 48 Schläge; Cornealreiz wirkungslos; Muskel bei 35 °“ Rollenabstand, Nerv nicht mehr erregbar. 10 Uhr 30. Herz etwas matt; Muskel bei 38°% Rollenabstand, Nerv nicht erregbar. 4 Uhr. Herz sehr matt, 29 Schläge; Muskel bei 30 °% Rollenabstand, Nerv nicht erregbar. 99* = 452 AUGUST GÜRBER: 6 Uhr. Herz etwas kräftiger, 30 Schläge; Muskel bei 32 °®@, Nerv nicht erregbar. 8 Uhr des folgenden Tages. Wiederkehr der Athmung; Herz kräftig und schneller; Muskel bei 28°“ Rollenabstand, Nerv mit starkem Strom nur unvollkommen erregbar. 10 Uhr. Athmung frequent; Herz normal; Wiederkehr der Bewegungs- fähigkeit; Freilegung des anderen N. ischiadiecus; Muskel bei 30°“, Nerv bei 40% Rollenabstand erregbar. 2 Uhr. Der Frosch hat sich vollkommen erholt; Muskel bei 30 *%, Nerv bei 53 @ Rollenabstand erregbar. Schluss des Versuchs. 3. Versuch. 8 Uhr 20. Rana temporaria, d 348% schwer, Freilesung beider Nn. ischiadici; Erregbarkeit des einen bei 60 °%, des anderen bei 65“ Rollenab- stand; Ligatur der rechten A. iliaca comm.; Unterbrechung der Hautcirculation. 8 Uhr 40. Linker Nerv bei 62 °%, rechter bei 59°” Rollenabstand er- reebar; Application von 0'028” TLupetidin. 8 Uhr 55. Keine Vergiftungssymptome; linker Nerv bei 58°®, rechter Nerv bei 63°® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 5. Beginn der Athmungsbeschwerden; linker Nerv bei 61°, rechter Nerv bei 60% Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 15. Deutliche Lähmungserscheinungen; Athmung etwas freier; linker Nerv bei 57 °%, rechter Nerv bei 56% Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 25. Lähmung etwas stärker; Athmung mehr belastet; linker Nerv bei 57 ®, rechter Nerv bei 60 °® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 35. Starke Lähmung; Athmung mühsam; linker Nerv bei 39 *® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 45. Sehr starke Lähmung; linker Nerv bei 35%, rechter Nerv bei 60°® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 55. Fast maximale Lähmung; Athmungsstillstand; linker Nerv bei 23%, rechter Nerv bei 57 *%® Rollenabstand erregbar. 10 Uhr 5. Maximale Lähmung; linker Nerv bei 19°“ Rollenabstand noch schwach erregbar. 10 Uhr 20. Maximale Lähmung; Herz kräftig, aber langsam; linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv bei 59% Rollenabstand erregbar. 12 Uhr. Herz matt und langsam, 25 Schläge. Bei Reizung des linken Nerven schwache Zuckung des ligirten Beines; Nerv rechts bei 56 ® Rollen- abstand erregbar. 4 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 52°“@ Rollenabstand erregbar. 6 Uhr. Bei Reizung des linken Nerven mit sehr starkem Strom schwache Zuckung des ligirten Beines; Nerv rechts bei 54 °® Rollenabstand erregbar. 8 Uhr des folgenden Tages. Herzstillstand; Tod des Frosches. Die zwei Controlversuche ergeben dieselben Resultate, bei dem einen besonders deut- liche Reflexbewegung des ligirten Beines. 4. Versuch. 8 Uhr 50. Rana temporaria, d 368% schwer; Freilegung beider Nn. ischiadiei; Prüfung auf normale Erregbarkeit bei 53 und 59°” Rollenabstand; Ligatur der rechten A. iliaca comm.; Application von 0-02 8% Lupetidin. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. $S. w. 453 9 Uhr 20. Deutliche Vergiftungssymptome; Nerv links bei 56%, Nerv rechts bei 62°® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 40. Starke Lähmung; Athmung belastet; linker Nerv bei 45 em, rechter Nerv bei 60 °@ Rollenabstand erregbar; Durchschneidung des Rücken- markes; Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch. 9 Uhr 45. Reizung des ligirten Beines, sofortige Reaction; Reizung des vergifteten Beines, Reaction nach 6 Metronomschlägen; Nerv rechts bei 57 °%, Nerv links bei 32°" Rollenabstand erregbar. 10 Uhr. Starke Lähmung; Athmung sehr belastet; Herz normal; Reizung des ligirten Beines, Reaction nach 8 Metronomschlägen; Reizung des nicht ligirten Beines, Reaction links und rechts, aber schwach, nach 20 Metronom- schlägen. 10 Uhr 30. Maximale Lähmung; linker Nerv bei 15°% Rollenabstand noch schwach erregbar, rechter Nerv normal; Reizung links, keine Reaction; Reizung rechts, schwache Reaction nach 15 Metronomschlägen. 11 Uhr. Maximale Lähmung; Athemstillstand; Nerv links nicht mehr, Nerv rechts bei 54” Rollenabstand erregbar; Reizung des linken und rechten Beines erfolglos. 12 Uhr. Reizung des Nerven links, deutliche Zuckung des ligirten Beines, dessen Nerv bei 59°® Rollenabstand erregbar ist; Reizung des linken Beines erfolglos; Reizung des rechten Beines, nach 23 Metronomschlägen schwache Reaction. ‚2 Uhr. Linker Nerv unerregbar, rechter Nerv normal; Reizung des linken Beines, keine, Reizung des rechten Beines, deutliche Reaction. 4 Uhr. Reizung des linken Nerven mit starkem Strom, schwacher aber deutlicher, gekreuzter Reflex; Reizung beider Beine erfolglos. 6 Uhr. Reizung des linken Nerven, wiederum deutlicher, gekreuzter Reflex; rechter Nerv bei 53% Rollenabstand erregbar. Reizung des linken Beines er- folglos; Reizung des rechten, schwache Reaction nach 30 Metronomschlägen. 8 Uhr des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung; linker Nerv etwas vertrocknet; rechter Nerv bei 45 °®@ Rollendistanz erregbar. Reizung des linken Beines erfolglos; Reizung des rechten Beines deutliche Reaction nach 12 Metronomschlägen. Bis zum Abend dieses Tages erholt sich der Frosch fast vollständig unter fortwährender Zunahme der Reflexerregbarkeit des ligirten Beines; das nicht ligirte bleibt gelähmt, weil der Nerv abgestorben ist. Dieselben Resultate zeigen auch die sich hier anschliessenden Controll- versuche, die Reflexerregbarkeit bleibt, wie auch in diesem Versuche, eine höchst variable. 5. Versuch. 8 Uhr. Rana temporaria, d 38 ®"% schwer; Freilegung beider Nn. ischia- diei; Ligatur beider A. iliacae; Cauterisation der Haut; Durchschneidung des Rückenmarks; Prüfung der normalen Nervenerregbarkeit, links bei 59°%, rechts bei 64° Rollenabstand; Reizung des linken und des rechten Beines, sofortige Reaction, keine gekreuzte Reflexe. 8 Uhr 30. Application von 0-02 8"M Lupetidin. 9 Uhr. Schwache Vergiftungssymptome. Nerven und einfache Reflex- erregbarkeit normal, gekreuzte Reflexe nur schwach angedeutet. 454 AUGUST GÜRBER: 9 Uhr 30. Starke Lähmung; Athmung mühsam. Beide Nn. ischiadiei normal erregbar. Reizung des linken Beines, Reaction ziemlich gut nach 17 Metronomschlägen mit deutlichem, gekreuztem Reflex. Reizung des rechten Beines, nur einfacher Reflex nach 11 Metronomschlägen. 10 Uhr. Maximale Lähmung; Nn. ischiadiei beiderseits normal erregbar. Reizung beider Beine, schwache, aber deutliche, einfache und gekreuzte Reflexe. 10 Uhr 30. Linker Nerv bei 59%, rechter Nerv bei 53 °® Rollenabstand erregbar. Reizung beider Beine erfolglos. 11 Uhr. Reizung des rechten Beines, schwacher einfacher und gekreuzter Reflex; Reizung des linken Beines, keiner. 4 Uhr. Linker Nerv bei 52°%, rechter Nerv bei 57 °® Rollenabstand erregbar. Reizung beider Beine, deutliche einfache Reflexe nach 17 und 23 Me- tronomschlägen. 6 Uhr. Erregbarkeit beider Nn. ischiadici normal. Reizung beider Beine, gute einfache Reflexe und schwach angedeutete ge- kreuzte Reflexe. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen erholt unter Rückkehr der normalen Reflexerregbarkeit. Versuchsresultate: Das Lupetidin lähmt allgemein, mit Ausnahme des Herzens, welches durch das Gift kaum oder nur schwach afficirt wird. Die Ursache der Lähmung liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache sind hauptsächlich die intramusculären Nervenendigungen, dann aber auch in geringerem Maasse die Organe des ÜCentralnervensystems. Eine Lähmung auch der sensiblen peripheren Nervenenden ist höchst wahrscheinlich. II. Copellidin. 1. Versuch. 9 Uhr. Rana temporaria, © 358% schwer; Freilesung des Gastro- knemius, erregbar bei 42 °% Rollenabstand. 9 Uhr 7. Application von 0-01 8”® Copellidin. 9 Uhr 30. Keine Vergiftungssymptome. Muskel erregbar bei 35 °@ Rollenabstand. 10 Uhr. Starke Lähmungserscheinungen; Athmung belastet; Herz normal; Sensibilität erhalten; Muskel bei 38% Rollenabstand erregbar. 10 Uhr 30. Sehr starke Lähmung; Athmung äusserst mühsam; Herz kräftig, aber langsam; Sensibilität vermindert. Muskel bei 37 °® Rollenabstand erregbar. 11 Uhr. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz kräftig, aber langsam; Muskel normal erregbar. 12 Uhr. Freilegung des N. ischiadiecus; Nerv nicht erregbar; Muskel bei 31°® Rollenabstand erregbar. Schluss des Versuches. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U.S$. w. 455 2. Versuch. 10 Uhr 15. Rana temporaria, & 398" schwer; Freilegung des einen N. ischiadicus; Erregbarkeit bei 56 “" Rollenabstand. 10 Uhr 20. Application von 0.01 8"” Copellidin. | 10 Uhr 40. Keine Vergiftungssymptome; Nerv bei 60% Rollenabstand erregbar. 11 Uhr. Deutliche Lähmungserscheinunger; Athmung etwas belastet; Nerv bei 62m Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 20. Starke Lähmung; Athmung mühsam; Nerv bei 53 *” Rollen- abstand erregbar. 11 Uhr 40. Sehr starke Lähmung; Athmung intermittirend; Herz normal; Sensibilität vermindert; Nerv bei 48°” Rollenabstand erregbar. 12 Uhr. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Nerv bei 26 *® Rollen- abstand noch erregbar; Muskel normal erregbar. 12 Uhr 20. Nerv nicht mehr, Muskel normal erregbar. 2 Uhr. Nerv nicht, Muskel normal erregbar; Herz etwas schwach. 6 Uhr. Nerv nicht, Muskel bei einem Rollenabstand von 31 °% erregbar; Herz kräftiger, aber langsam. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich wieder erholt; Nerv bei 48°%, Muskel bei 37 *® Rollenabstand erregbar. 3. Versuch. 10 Uhr 35. Rana temporaria, © 358” schwer. Freilegung beider Nn. ischiadiei; normale Erregbarkeit bei 56 und 63°” Rollenabstand; Ligatur der A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 10 Uhr 50. Application von 0-01 ®”® Copellidin. Nerv links bei 59 m, Nerv rechts bei 61 °® Rullenabstand erregbar. 11 Uhr. Keine Vergiftungssymptome; linker Nerv bei 64%, rechter Nerv bei 55% Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 10. Leichte Aufgeregtheit; Sensibilität normal; Nerv links bei 62 °%, Nerv rechts bei 54°% Rollenabstand erregbar. j' 11 Uhr 20. Keine bestimmten Symptome; Sensibilität sehr scharf; Herz kräftig und schnell; linker Nerv bei 65cm, rechter Nerv bei 58°” Rollenab- stand erregbar. 11 Uhr 30. Deutliche Lähmungserscheinungen; Nerv links bei 60%, Nerv rechts bei 61 °% Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 40. Lähmung etwas weiter vorgeschritten; Sensibilität weniger scharf; Herz normal; linker Nerv bei 60°%, rechter Nerv bei 59% Rollen - abstand erregbar. 11 Uhr 50. Starke Lähmung; Athmung belastet; linker Nerv bei 56 %, rechter Nerv bei 55°” Rollenabstand erregbar. 12 Uhr. Sehr starke Lähmung; Athmung sehr belastet; Herz normal; Sensibilität gleich Null; linker Nerv bei 47 ®, rechter Nerv bei 54 “® Rollen- abstand erregbar. 12 Uhr 10. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz kräftig, etwas langsam; linker Nerv bei 29°“, rechter Nerv bei 56°% Rollenabstand erregbar. 12 Uhr 30. Linker Nerv bei 15°” Rollenabstand noch schwach erregbar, rechter Nerv normal erregbar. 456 AUGUST GÜRBER: 2 Uhr. Linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv normal erregbar. 4 Uhr. Reizung des linken Nerven, schwache Zuckung des ligirten Beines; rechter Nerv normal. 6 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 51°” Rollenabstand erreg- bar; Herz etwas schwach. 9 Uhr des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung; Herz kräftig, aber langsam; Reizung des linken Nerven mit starkem Strom, deutliche und mehrmalige Zuckung des ligirten Beines. 12 Uhr. Die Lähmung scheint sich allmählich zu verlieren; linker Nerv bei 13°® Rollenabstand schwach erregbar; zugleich Zuckung des ligirten Beines; Herz schneller; rechter Nerv bei 43% Rollenabstand erregbar. 4 Uhr. Der Frosch hat sich ziemlich erholt. Linker Nerv bei 45 m Rollenabstand erregbar. Der Nerv rechts wird beim Reizen stark gezerrt. Schluss des Versuchs. Controlversuche zeigen dieselben Resultate, jedoch nur undeutliche Zuckungen des ligirten Beines beim Reizen des linken Nerven mit starken Strömen. 4. Versuch. 9 Uhr. Rana temporaria, Q 33 8"M schwer. Freilegung beider Nn. ischia- dici, erregbar bei 59 und 64°” Rollenabstand. Ligatur der rechten A. iliaca und Cauterisation der Haut. 9 Uhr 15. Application von 0°013’® Copellidin. Linker Nerv bei 57“, rechter Nerv bei 55°” Rollenabstand erregbar. Durchschneidung des Rückenmarks. 9 Uhr 30. Keine Vergiftungssymptome; Nerven beiderseits normal er- regbar; Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch. 10 Uhr. Starke Lähmung; Athmung belastet; linker Nerv bei 53%, rechter Nerv bei 60°”% Rollenakstand erregbar. Reizung des linken Beines, keine Reaction; Reizung des rechten Beines, Reaction nach 15 Metronomschlägen. 11 Uhr. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz normal; linker Nerv nicht, rechter Nerv normal erregbar. Reizung des linken Beines, keine, Reizung des ligirten Beines, schwache Zuckung nach 20 Metronomschlägen. 12 Uhr. Beim Reizen des linken Nerven kaum merkbare Zuckung des rechten Beines; rechter Nerv normal erregbar. Reizung beider Beine erfolglos. 2 Uhr. Beim Reizen des linken Nerven einmal deutliche Zuckung des ligirten Beines; Reizung beider Beine erfolglos. 4 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 51°” Rollenabstand erreg- bar. Reizung der beiden Beine erfolglos; Herz kräftig, aber sehr langsam. 6 Uhr. Reizung des linken Nerven, wiederum deutliche Zuckung des ligirten Beines; Reizung des linken Beines, ganz schwacher gekreuzter Reflex. ; 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch ist todt. In den Controlversuchen mit im Uebrigen gleichen Resultaten erholen sich die Frösche unter successiver Zunahme der directen Nerven- und Reflexerreg- barkeit. 5. Versuch. S Uhr 40. Rana temporaria, d 35°“ schwer. Freilesung beider Nn. ischiadici, Ligatur beider A. iliacae und Cauterisation der Haut; Durchschnei- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 457 dung des Rückenmarks; Nervenerregbarkeit links bei 62 °%, rechts bei 58 = Rollenabstand. Reizung beider Beine, sofortige Reaction, deutlich gekreuzte Reflexe. 9 Uhr 5. Application von 0-01 8” Copellidin. 9 Uhr 30. Nichts abnormes. Linker Nerv bei 65%, rechter Nerv bei 56°® Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines, Reflex nach drei Me- tronomschlägen; Reizung des rechten Beines, sofortige Reaction. 10 Uhr. Starke Lähmung; Athmung belastet; Herz kräftig. Nerven bei- derseits normal erregbar; Reizung des linken Beines, schwacher einfacher Re- flex; Reizung des rechten Beines, deutlicher einfacher und kaum merkbarer ge- kreuzter Reflex. 10 Uhr 30. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz normal; Er- resbarkeit beider Nerven normal; Reizung beider Beine erfolglos. 11 Uhr. Zustand unverändert. 2 Uhr. Erregbarkeit der Nerven normal; Reizung des linken Beines, ganz schwacher gekreuzter Reflex; Reizung des rechten Beines, erfolglos. 4 Uhr. Reizung des linken Beines, schwacher einfacher Reflex; Reizung des rechten Beines, deutlicher einfacher Reflex nach 14 Metronomschlägen. S Uhr des folgenden Tages. Frosch noch stark gelähmt. Linker Nerv bei 48°”, rechter Nerv bei 53 *® Rollenabstand erregbar. Reizung bei- der Beine, deutlicher einfacher Reflex nach 10 uud 13 Metronomschlägen. 12 Uhr. Erholung mehr vorgesehritten. Reizung des linken Beines nach 5 Metronomschlägen, Reizung des rechten Beines nach 3 Metronomschlägen, starke einfache und deutliche gekreuzte Reflexe. 6 Uhr. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. Schluss des Versuchs. Versuchsresultate: Das Copellidin lähmt allgemein, mit Ausnahme des Herzens, welches durch das Gift kaum affieirt wird. Die Ursache der Lähmung liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache sind die intramusculären Nervenendigungen, dann aber auch wohl in geringerem Maasse das Centralnervensystem, jedenfalls mehr als beim Lupetidin (vergl. die Reflexversuche). Eine Lähmung der sensiblen peripheren Nervenenden ist ziem- lich wahrscheinlich. = III. Parpevolin. 1. Versuch. 9 Uhr 20. Rana temporaria, d 34®"® schwer. Freilegung des Gastro- knemius; Muskel bei 32 °® Rollenabstand erregbar. Application von 0°006 3m Parpevolin. 9 Uhr 50. Grosse Unruhe; Athmung beschleunigt; Herz normal; Muskel erregbar bei 30 °® Rollenabstand. 10 Uhr 20. Starke Lähmung; Athmung äusserst mühsam; Herz etwas träge; Muskel bei 34°% Rollenabstand erregbar. 10 Uhr 50. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz schwach und langsam; Muskel normal erregbar. 11 Uhr 20. Zustand unverändert. 12 Uhr. Freilegung des N. ischiadicus; Nerv nicht erregbar; Muskel bei 30°” Rollenabstand erregbar; Herz sehr schwach. Schluss des Versuchs. 458 AUGUST GÜRBER: 2. Versuch. 10 Uhr. Rana temporaria, © 36°'@ schwer; Freilesung des einen N. ischiadieus; Nerv bei 60 *% Rollenabstand erregbar. Application von 0.006erm Parpevolin. 10 Uhr 30. Deutliche Lähmungserscheinungen; Muskel bei 37 °®, Nerv bei 65 @@ Rollenabstand erregbar. 11 Uhr. Sehr starke Lähmung; Athmung stark belastet; Herz normal; Muskel bei 33%, Nerv bei 60 °® Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 10. Fast maximale Lähmung; Athmung intermittirend; Herz etwas unruhig; Nerv bei 57 °% Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 20. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz kräftig, lang- sam; Nerv bei 51 °% Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 30. Muskel bei 34°%, Nerv bei 38°” Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 40. Nerv bei 19°” Rollenabstand nur mehr schwach erregbar. 12 Uhr. Muskel normal; Nerv nicht mehr erregbar; Herz etwas schwach und langsam. 2 Uhr. Herz noch etwas schwächer; Muskel normal; Nerv nicht erregbar. 4 Uhr. Zustand unverändert. 6 Uhr. Herz noch schwach; Muskel bei 30 *® Rollenabstand, Nerv nicht erregbar. 11 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ein wenig erholt; Muskel normal; Nerv bei 31°” Rollenabstand schwach erregbar; Herz kräftiger und schneller. 4 Uhr. Der Frosch hat sich ganz erholt. Nerv bei 50 ® Rollenabstand erregbar. Schluss des Versuchs. SaVielnsiuicih® S Uhr. Rana temporaria, © 32®”9 schwer; Freilesung beider Nn. ischi- adiei; linker Nerv bei 61°%, rechter Nerv bei 59°® Rollenabstand erregbar. Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 8 Uhr 25. Linker Nerv bei 63 °%, rechter Nerv bei 56 *% Rollenabstand erregbar. Application von 0.005 8% Parpevolin. 8 Uhr 35. Keine Vergiftungssymptome; linker Nerv bei 60 °®, rechter Nerv bei 62 *® Rollenabstand erregbar. 8 Uhr 45. Wie oben; beide Nerven normal erregbar. 8 Uhr 55. Der Frosch ist etwas unruhig; Sensibilität scharf und Reac- tion ungestüm. Beide Nerven normal erregbar. 9 Uhr 10. Deutliche Lähmungserscheinungen; Sensibilität etwas ge- schwächt; Reaction langsam und träge; linker Nerv bei 60 °%, rechter Nerv bei 63 °% Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 25. Starke Lähmung; Athmung belastet; Herz normal; linker Nerv bei 57%, rechter Nerv bei 65 °% Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 40. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz etwas schwach; linker Nerv bei 33%, rechter Nerv bei 60°” Rollenabstand erregbar. 10 Uhr. Herz noch schwächer und sehr langsam; linker Nerv bei 12°% Rollenabstand nur schwach erregbar, rechter Nerv normal erregbar. 10 Uhr 30. Herz etwas kräftiger; linker Nerv bei stärksten Strömen nicht, rechter Nerv normal erregbar. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. s. w. 459 12 Uhr. Herz schneller und kräftiger; linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 57°” Rollenabstand erregbar. 2 Uhr. Zustand unverändert. 4 Uhr. Bei Reizung des linken Nerven einmal schwache Zuckung des rechten Beines, rechter Nerv normal erregbar. 6 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 55 “@ Rollenabstand erreg- bar; der Nerv wird bei der Reizung etwas gezerrt. 11 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. Linker Nerv bei 56“ Rollenabstand erregbar. Die Controlversuche zeigen dieselben Resultate, bei beiden ist ein einmaliger, schwacher, gekreuzter Reflex bei Reizung des linken Nerven im rechten Beine wahrzunehmen. 4. Versuch. 8 Uhr 30. Rana temporaria, © 33 S"® schwer; Freilegung beider Nn. ischi- adiei; linker Nerv bei 61%, rechter Nerv bei 64°” Rollenabstand erregbar. Ligatur der rechten A. iliaca comm.; Cauterisation der Haut. 8 Uhr 45. Application von 0°006®'% Parpevolin; linker Nerv bei 60°®, rechter Nerv bei 65% Rollenabstand erregbar. 9 Uhr 10. Deutliche Lähmungssymptome; Athmung schnell; Herz un- ruhig; linker und rechter Nerv normal erregbar. Durchschneidung des Rücken- marks und Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch. 9 Uhr 30. Sehr starke Lähmung, Athmung sehr mühsam, Herz langsam; Reizung des linken Beines, Reaction nach 25 Metronomschlägen nur sehr un- vollkommen, Reizung des rechten Beines, deutlicher Reflex nach 17 Metronom- schlägen. 9 Uhr 45. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand; linker Nerv bei 23 Rollenabstand, rechter Nerv normal erregbar; Reizung beider Beine er- folglos. 10 Uhr 10. Herz kräftiger; linker Nerv nicht, rechter Nerv normal er- regbar. Reizung beider Beine erfolglos. 12 Uhr. Zustand unverändert. 4 Uhr 15. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 56°" Rollenabstand erregbar. Reizung beider Beine erfolglos. 6 Uhr 20. Reizung des linken Beines erfolglos, Reizung des rechten Beines, schwacher Reflex nach 27 Metronomschlägen, bei dieser Reizung ist etwas verdünnte Säure in die Oberschenkelwunde hineingekommen. 8 Uhr 40 des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung. Herz ziemlich kräftig, oben langsam; linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 52 m Rollenabstand erregbar; lange Reizung des linken Beines schwacher gekreuzter Reflex, Reizung des rechten Beines deutlicher Reflex nach 14 Metronomschlägen. 12 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 48°" Rollenabstand er- regbar; Reizung des linken Beines erfolglos, Reizung des rechten Beines deut- licher Reflex nach 11 Metronomschlägen. 4 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 53 “% Rollenabstand er- regbar; Reizung des linken Beines, schwacher gekreuzter Reflex; Reizung des rechten Beines, guter einfacher Reflex. 5 Uhr 40. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 50“ Rollenabstand erregbar, Reizung des linken Beines, deutlicher gekreuzter Reflex nach 18, Reizung des rechten Beines, guter einfacher Reflex nach 15 Metronomschlägen. 460 AUGUST GÜRBER: 8 Uhr des dritten Tages. Der Frosch hat sich vollständig erholt. Schluss des Versuchs. Die Controlversuche zeigen dieselben Resultate mit mehr oder weniger (deutlichen Reflexbewegungen bei Reizung des ligirten Beines. 5. Versuch. 9 Uhr. Rana temporaria, © 313% schwer; Freilegung beider Nn. ischi- adici; Ligatur beider Aa. iliacae und Cauterisation der Haut; Durchschneidung des Rückenmarks, linker Nerv bei 57 %, rechter Nerv bei 60°“ Rollenabstand erregbar; Reizung beider Beine, sofortige Reaction. 9 Uhr 45. Application von 0.006 ®® Parpevolin. 10 Uhr. Keine Vergiftungssymptome; Nerven und Reflexerregbarkeit normal. 10 Uhr 30. Starke Lähmung; Athmung sehr belastet; Herz unruhig, Nerven normal erregbar, Reflexe auf beiden Beinen deutlich nach 19 und 21 Me- tronomschlägen. 11 Uhr. Maximale Lähmung, Nerven normal erregbar, Reizung beider Beine erfolglos. 12 Uhr. Zustand unverändert. 2 Uhr. Herz kräftig aber langsam; Nerven normal erregbar, Reflex- erregbarkeit auf beiden Beinen gleich Null. 5 Uhr. Nerven normal erregbar, Reizung des linken Beines erfolglos, Reizung des rechten Beines, schwacher einfacher und noch schwächerer ge- kreuzter Reflex. 10 Uhr 20 des folgenden Tages. Der Frosch ist todt. Versuchsresultate. Das Parpevolin lähmt allgemein, das Herz nur schwach irritirend. Die Ursache der Lähmung liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmung sird die intramusculären Nerven- endigungen, dann aber auch in erheblichem Maasse die Centralorgane des Nerven- systems. Eine gleichzeitige Lähmung der sensiblen peripheren Nervenenden ist nach diesen Versuchen nicht ausgeschlossen. IV. Propyllupetidin. 1. Versuch. 2 Uhr 10. Rana temporaria, d 378" schwer; Freilegung des Gastro- knemius; Muskel erregbar bei 40 “% Rollenabstand; Application von 0.003 8m Propyllupetidin. 2 Uhr 50. Der Frosch ist sehr unruhig; Athmung und Herz frequent. Muskel erregbar bei 38 °%® Rollenabstand. 3 Uhr. Sehr starke Lähmung; Athmung mühsam, Herz sehr unruhig, Muskel erregbar bei 40 °® Rollenabstand. 3 Uhr 30. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, Herz träge und schwach, Muskel bei 39 ®@ Rollenabstand erregbar. 4 Uhr. Zustand unverändert. 5 Uhr. Zustand unverändert; Herz immer noch matt, Muskel erregbar bei 35°® Rollenabstand; Freilegung des N. ischiadicus, Nerv nicht erregbar. Schluss des Versuchs. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. s. w. 461 2. Versuch. 2 Uhr 30. Rana temporaria, 5 35 @%® schwer; Freilegung des einen N. ischiadicus, Nerv erregbar bei 55 *% Rollenabstand. 2 Uhr 40. Application von 0-0025 8% Propyllupetidin. ö Uhr. Der Frosch ist sehr unruhig, Athmung und Herz frequent, Muskel bei 42 °%, Nerv bei 60 *% Rollenabstand erregbar. 3 Uhr 20. Deutliche Lähmung, Athmung und Herz noch schneller und unruhiger, Sensibilität sehr scharf, Reaction ungestüm, Muskel und Nerv normal erres;bar. 3 Uhr 40. Starke Lähmung; Athmung mühsam, Herz matt, Muskel und Nerv normal erregbar. 4 Uhr. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, Herz matt und lang- sam; Muskel normal, Nerv bei 52% Rollenabstand erregbar. 4 Uhr 20. Herz etwas freier; Nerv bei 41°“ Rollenabstand erregbar. 4 Uhr 40. Muskel normal, Nerv bei 26 ““ Rollenabstand erregbar. 5 Uhr. Muskel normal, Nerv nicht mehr erregbar, Herz kräftiger. 8 Uhr 10 des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung; Herz kräftig aber sehr langsam, Muskel normal, Nerv nicht erregbar. 12 Uhr 15. Zustand unverändert. 6 Uhr. Der Frosch hat sich etwas erholt; Wiederkehr der Athmung, Herz kräftiger und schneller, Muskel normal, Nerv bei 22% Rollenabstand schwach erregbar. 8 Uhr des dritten Tages. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. Nerv bei 53 °® Rollenabstand erregbar. 3. Versuch. 3 Uhr. Rana temporaria, © 328% schwer; Freilegung beider Nn. ischiadici, linker Nerv erregbar bei 59 %, rechter Nerv bei 54 °% Rollenabstand; Ligatur der rechten A. cruralis und Cauterisation der Haut. 3 Uhr 15. Application von 0.0025 8% Propyllupetidin; linker Nerv bei 58°®, rechter Nerv bei 60°” Rollenabstand erregbar. 3 Uhr 25. Keine Vergiftungssymptome; linker Nerv bei 60 °% rechter, Nerv bei 60 ® Rollenabstand erregbar. 3 Uhr 35. Grosse Unruhe, Athmung und Herz sehr frequent; Sensi- bilität scharf, Reaction ungestüm; beide Nerven normal erregbar. 3 Uhr 45. Zustand der Erregung hat sich allgemein gesteigert. 3 Uhr 55. Starke Lähmung, Athmung gehemmt, Herz langsamer, linker Nerv bei 57 °%, rechter Nerv bei 61 “® Rollenabstand erregbar. 4 Uhr 10. Sehr starke Lähmung; linker Nerv bei 56 *%, rechter Nerv bei 59 °® Rollenabstand erregbar. 4 Uhr 20. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, Herz matt, linker Nerv bei 50 °®, rechter Nerv bei 35 ®“ Rollenabstand erregbar. 5 Uhr. Herz immer noch sehr matt, linker Nerv bei 14°%, rechter Nerv bei 55°” Rollenabstand erregbar. 6 Uhr. Linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv bei 52°” Rollenabstand erregbar,; Herz etwas freier. 9 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich etwas erholt, Wiederkehr der Athmung, Herz normal; linker Nerv bei 32 °®, rechter Nerv bei 48°® Rollenabstand erregbar. 462 AUGUST GÜRBER: 12 Uhr. Der Frosch hat sich vollständig erholt; linker Nerv bei 53 =, rechter Nerv bei 36 *® Rollenabstand erregbar. Schluss des Versuchs. Aus diesem Versuch ist zu ersehen, dass die Unterbindung der A. cruralis trotz Cauterisation der Haut nicht genügt, das ligirte Bein von der Mitver- giftung ganz auszuschliessen. In den vorigen Versuchsreihen wurde die Cruralis- ligatur nur bei den Controlversuchen von kurzer Dauer angewandt. Die Con- trolversuche für diesen Versuch ergeben im Uebrigen dieselben Resultate, be- sonders deutliche Stadien von Herzaffection. 4. Versuch. 3 Uhr 20. Rana temporaria, 5 35 8"% schwer; Freilegung beider Nn. ischiadiei; beide Nerven bei 58 “® Rollenabstand erregbar; Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 3 Uhr 40. Application von 0.0025 S"® Propyllupetidin. 4 Uhr. Starke Unruhe; Athmung und Herz schnell; linker und rechter Nerv normal erregbar. Durchschneidung des Rückenmarks und Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch. 4 Uhr 30. Starke Lähmung, Athmung sehr belastet, Herz matt und langsam, beide Nerven normal erregbar, Reizung des linken Beines, schwache Reaction nach 19 Metronomschlägen, Reizung des rechten Beines, deutlicher ein- facher Reflex nach 12 Metronomschlägen. 5 Uhr. Maximale Lähmung, linker Nerv bei 23 ““ Rollenabstand noch erregbar, rechter Nerv normal erregbar, Reizung beider Beine erfolglos. 6 Uhr. Linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 62 ““ Rollenabstand er- regbar; Reizung beider Beine erfolglos. Herz immer noch sehr matt. 8 Uhr des folgenden Tages. Immer noch maximale Lähmung; Herz kräftiger und schneller; linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 56 ““ Rollenabstand erregbar. Reizung des linken Beines erfolglos, Reizung des rechten Beines, schwache Zuckung nach 19 Metronomschlägen. 12 Uhr. Der Frosch beginnt sich zu erholen. Wiederkehr der Athmung, Herz ziemlich normal; linker Nerv bei 23 *® Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines nicht, Reizung des rechten Beines, deutlicher Reflex nach 15 Metronomschlägen. 2 Uhr. Die Erholung ist weiter vorgeschritten; linker Nerv bei 31%, rechter Nerv bei 52 *@ Rollenabstand erregbar. Reizung des linken Beines nach 11, Reizung des rechten Beines nach 7 Metronomsehlägen gute Reflexe. 6 Uhr. Der Frosch hat sich vollständig erholt;linker Nerv bei 54m, rechter Nerv bei 50 “@ Rollenabstand erresbar; Reizung des linken Beines nach 6, Reizung des rechten Beines nach 8 Metronomschlägen, gute Reaction. Die Controlversuche zeigen dieselben Resultate, einfache oder gekreuzte Re- flexe werden während der ersten 10 Stunden der maximalen Lähmung nicht beobachtet. 5. Versuch. 2 Uhr. Rana temporaria, 8 30 S"” schwer; Freilegung beider Nn. ischi- adici; Nerven bei 57 und 63 ©“ Rollenahstand erregbar; Ligatur beider A. iliacae comm. und Cauterisation der Haut; Durchschneidung des Rückenmarks; Reizung beider Beine, sofortige Reaction. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 463 2 Uhr 35. Application von 0.005 S’® Propyllupetidin. 3 Uhr. Grosse Unruhe; Athmung und Herz frequent; Reflexerregbarkeit beider Beine normal. 3 Uhr 10. Deutliche Lähmung, Athmung und Herz sehr frequent, Reizung des linken Beines nach 5, Reizung des rechten Beines nach 3 Metro- nomschlägen, ungestüme Reaction. 3 Uhr 30. Sehr starke Lähmung, Athmung mühsam, Herz noch schnell; Erregbarkeit der Nerven normal; Reizung des linken Beines nach 14, Reizung des rechten Beines nach 17 Metronomschlägen, etwas träge Reaction. 4 Uhr. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, Herz sehr matt, Nerven normal erregbar, Reizung beider Beine erfolglos. 5 Uhr. Zustand unverändert. 9 Uhr des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung; Nerven normal erregbar; Reizung des linken Beines, deutlicher Reflex, Reizung des rechten Beines erfolglos. 12 Uhr. Noch maximale Lähmung, Herz kräftig aber En Reizung des linken Beines nach 18, Reizung des rechten Beines nach 13 Metronom- schlägen, guter Reilex. 6 Uhr. Der Frosch hat sich etwas erholt, Wiederkehr der Athmung, Herz normal, Nerven erregbar bei 55 und 59 °® Rollenabstand. Reizung beider Beine, gute Reflexe nach 10 Metronomschlägen. Schluss des Versuchs. : Versuchgsresultate: Das Propyllupetidin lähmt allgemein, das Herz nicht unbedeutend irritirend. Die Ursache der Lähmung liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache sind die intramusculären Nervenendigungen und in erheblichem Maasse das Centralnervensystem. Ob eine gleichzeitige Lähmung der sensiblen peripheren Nervenenden vorhanden ist, lässt sich nach den Versuchen weder verneinen noch bejahen. V. Isobutyllupetidin. 1. Versuch. 3 Uhr. Rana temporaria, © 36 S’® schwer; Freilegung des Gastro- knemius, Muskel erregbar bei 43 “® Rollenabstand. Application von 0.004 em Isobutyllupetidin. 3 Uhr 20. Sehr grosse Aufregung; Athmung mässig beschleunigt; Herz sehr frequent, Muskel normal erregbar. 3 Uhr 40. Deutliche Lähmungserscheinungen, Athmung belastet, Herz galoppirend; Muskel normal erregt. 4 Uhr. Starke Lähmung, Athmung ruhiger, Herz sehr matt. 4 Uhr 30. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand; Herz sehr schwach und matt, Contractionen des Ventrikels convulsivisch, Muskel normal erregbar. 5. Uhr. Herz etwas stärker und schneller, Contractionen des Ventrikels normaler, Muskel direct erregbar. 6. Uhr. Herz immer noch matt; Muskel normal erregbar; Freilegung des Nerven, Nerv bei 21°” Rollenabstand noch erresbar. Schluss des Versuchs. 464 AUGUST GÜRBER: 2. Versuch. 2 Uhr 10. Rana temporaria, d 35 Sm schwer; Freilegung des einen N. ischiadicus, Nerv erregbar bei 49 “@ Rollen- abstand. 2 Uhr 20. Application von 0°005 &"” Isobutyllupetidin. 2 Uhr 40. Der Frosch ist sehr unruhig, Athmung normal, Herz sehr schnell, Contractionen convulsivisch; Nerv normal erregbar. 3 Uhr. Die Unruhe hat sich sehr gesteigert, Athmung etwas schnell, Herz galoppirend; Muskel und Nerv normal erregbar. 3 Uhr 30. Starke Lähmung; Athmung langsamer, Herz etwas ruhiger, Contractionen convulsivisch; Muskel und Nerv normal erregbar. 4 Uhr. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand; Herz äusserst matt und langsam, Contractionen arhythmisch; Muskel und Nerv normal erresbar. 5 Uhr. Herz etwas schneller, Contractionen normaler, Muskel bei 38 “ Rollenabstand, Nerv bei 41 “@ Rollenabstand erregbar. 6 Uhr. Herz etwas kräftiger und schneller, Coutractionen regelmässig, Muskel normal, Nerv bei 35 °® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung, Muskel nor- mal, Nerv nicht mehr erregbar; Herz ruhig und kräftig. Im Laufe dieses Tages erholt sich der Frosch vollständig unter fortwährender Zunahme der Nervenerregbarkeit. 3. Versuch. 8 Uhr 30. Rana temporaria, d 33 En schwer; Freilesung beider Nn. ischiadici, linker Nerv bei 56 “%, rechter Nerv bei 58 m Rollenabstand erregbar; Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Caute- risation der Haut. 8 Uhr 50. Application von 0-004 ®® Isobutyllupetidin. Linker Nerv bei 60 °%, rechter Nerv bei 59 °® Rollenabstand erregbar. 9 Uhr. Der Frosch ist schon etwas unruhig und wechselt fortwährend seinen Standort; Athmung und Herz schnell; linker und rechter Nerv normal erregbar. 9 Uhr 10. Starke Aufregung, Athmung normal, Herz sehr frequent, Nerven normal erregbar. 9 Uhr 20. Leichte Bewegungsstörungen, Athmung frei, Herz sehr schnell, Nerven normal erregbar. 9 Uhr 30. Deutliche Lähmung, Herz äusserst schnell, Contractionen un- regelmässig; Nerven normal erregbar. 9 Uhr 40. Starke Lähmung, Athmung belastet, Herz galoppirend, Con- tractionen convulsivisch, Nerven normal erregbar. 9 Uhr 50. Obiger Zustand in jeder Weise etwas verstärkt, Nerven normal erregbar. 10 Uhr 20. Maximale. Lähmung, Athmungsstillstand; Herz sehr matt, Contractionen arhythmisch, linker Nerv bei 53 °%, rechter Nerv bei 65 °% Rollen- abstand erregbar. 10 Uhr 50. Herz unverändert, linker Nerv bei 54 °%, rechter Nerv bei 62 *® Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 30. Herz etwas freier, doch noch sehr matt; linker Nerv bei 47 °%, rechter Nerv bei 65 *® Rollenabstand erregbar. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 465 2 Uhr. Herz kräftiger, Contractionen regelmässig; linker Nerv bei 16 m Rollenabstand noch schwach erregbar, rechter Nerv normal erregbar. 4 Uhr. Linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv bei 59 *@® Rollenabstand erregbar. 6 Uhr. Herz ruhig und kräftig, linker Nerv nicht, rechter Nerv nor- mal erregbar. 10 Uhr 30 des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollständig erholt. Die Controlversuche ergeben dieselben Resultate, einer der Frösche ist 3 Stunden nach der Vergiftung an Herzparalyse gestorben. 4. Versuch. | 2 Uhr 15. Rana temporaria, d 33 &”% schwer; Freilegung beider Nn. ischiadiei, linker Nerv bei 57 °%®, rechter Nerv bei 52 *® Rollenabstand err- egbar; Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 2 Uhr 40. Application von 0.004 8” Isobutyllupetidin. 3 Uhr. Starke Aufregung, Athmung mässig, Herz sehr frequent. 3 Uhr 30. Starke Lähmung, Athmung belastet, Herz äusserst schnell, Contractionen unregelmässig, beide Nerven normal erregbar. Durchschneidung des Rückenmarks und Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch. 4 Uhr. Maximale Lähmung, Athmung intermittirend; Herz etwas ruhig, Contractionen arhythmisch, beide Nerven normal erregbar, Reizung beider Beine erfolglos. 5 Uhr 20. Herz sehr matt, Contractionen convulsivisch; linker Nerv bei 51 °® Rollenabstand erregbar, rechter Nerv bei 63 “® Rollenabstand erregbar, Reizung beider Beine erfolglos. 6 Uhr 30. Herz noch sehr matt, Contractionen convulsivisch, linker Nerv bei 48 °%, rechter Nerv bei 60 °® Rollenabstand erregbar. S Uhr 20 des folgenden Tages. Noch maximale Lähmung; linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 57 *” Rollenabstand erregbar, Reizung- beider Beine erfolglos. 12 Uhr 25. Herz normal aber langsam; linker Nerv bei 13 °® Rollen- abstand schwach erregbar, rechter Nerv normal erregbar, Reizung des linken Beines keiner, Reizung des rechten Beines, schwacher Reflex. 3 Uhr. Der Frosch hat sich ziemlich erholt, Herz normal; linker Nerv bei 39 e” Rollenabstand gut erregbar, Reizung des linken Beines nach 20, Reizung des rechten Beines nach 11 Metronomschlägen, gute Reaction. 5 Uhr. Die Erholung ist weiter fortgeschritten; linker Nerv bei 46 °”, rechter Nerv bei 58 °® Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines nach 15, Reizung des rechten Beines nach 6 Metronomschlägen, starker Reflex. Schluss des Versuchs. Die Controlversuche, bei denen ebenfalls ein Frosch in Folge Herzlähmung sestorben ist, zeigen dieselben Resultate. Auftreten von Reflexbewegungen erst nach Eintritt der Erholung. Nach den Resultaten dieses Versuchs kann der 5. Versuch füglich weg- gelassen werden, dagegen muss ein Versuch über die Wirkung des Giftes auf das Herz hier eingeschaltet werden. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 30 466 AUGUST GÜRBER: Herzversuch. 9 Uhr. Rana temporaria, & 408m schwer; Freilegung des Herzens durch Resection des Processus xiphoides und Eröffnung des Herzbeutels. 9 Uhr 10. Application von 0.006 S’M Isobutyllupetidin. 50 Herz- schläge in der Minute. 9 Uhr 20. Das Herz wird unruhig, 58 Schläge in der Minute. 9 Uhr 30. Herz sehr frequent, 64 Schläge in der Minute. 9 Uhr 40. Herz galoppirend, Contraetionen unregelmässig, 82 Schläge in der Minute. 9 Uhr 50. Maximale Lähmung des Thieres, Herz langsam, aber noch unregelmässig, 52 Schläge in der Minute. 10 Uhr. Herz sehr matt und langsam, Contractionen convulsivisch, 21 Schläge in der Minute. 10 Uhr 10. Herz intermittirend, Schlagen in Gruppen von 6 und 7 Con- - tractionen, Vorhof und Ventrikelbewegungen nicht mehr coordinirt. 10 Uhr 20. Vollständige Paralyse des Ventrikels, Vorhöfe pulsiren noch schwach. Das Herz wird herausgeschnitten und in 0-7 procentige auf 30°C. erwärmte Kochsalzlösung gebracht und tüchtig ausgewaschen. 10 Uhr 30. Das Herz fängt wieder an sich langsam zu contrahiren. 11 Schläge in der Minute. 10 Uhr 40. Nach Zusatz einer Spur Alkali zur Kochsalzlösung beginnt das Herz wieder schneller zu schlagen; 42 Schläge in der Minute. 10 Uhr 50. Das Herz macht 52 Schläge in der Minute, die Contractionen sind ziemlich normal. 11 Uhr. Der Kochsalzlösung werden einige Tropfen Isobutyllupetidin- lösung zugegossen. 11 Uhr 5. Die Zahl der Herzschläge steigt auf 63 in der Minute. 11 Uhr 15. Zahl der Herzschläge 70 in der Minute, die Contractionen sind convulsivisch. 11 Uhr 30. Vollständige Herzparalyse.. Das Herz wird wieder in er- wärmter und etwas alkalisch gemachter Kochsalzlösung ausgespült und erholt sich wieder vollständig von der Vergiftung, um bei einer dritten Vergiftung noch einmal dieselben Erscheinungen zu zeigen, ohne sich aber zu erholen. Schluss des Versuchs. Versuchsresultate. Das Isobutyllupetidin lähmt allgemein und beson- ders direct das Herz. Die Ursache der Lähmung liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache sind die Centralorgane des Nervensystems, dann aber auch die intramusculären Nervenendigungen. Gleich- zeitige Lähmung der sensiblen peripheren Nervenenden ist nicht wahrscheinlich. VI. Hexyllupetidin. 1. Versuch. 1 Uhr 40. Rana temporaria, 2 37 'M schwer; Freilegung des Gastro- knemius, Muskel bei 35°” Rollenabstand erregbar; Application von 0.005 Sm Hexyllupetidin. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 467 2 Uhr. Der Frosch ist sehr unruhig, wechselt beständig seine Lage, reagirt auf sensible Reize äusserst ungestüm, Muskel erregbar bei 38°” Rollen- abstand. 2 Uhr 30. Der Frosch liegt ganz apathisch, reagirt auf Reize träge und uncoordinirt, Herz ganz matt und langsam; Muskel normal erregbar. 3 Uhr. Maximale Lähmung, Herzbewegung uncoordinirt und ganz lang- sam, Muskel normal erregbar. 4 Uhr. Herz etwas freier, aber noch matt und langsam, Freilegung des N. ischiadicus, Nerv bei 53 “% Rollenabstand erregbar. Schluss des Versuchs. 2. Versuch. S Uhr. Rana temporaria, d 35°'% schwer; Freilesung des N. ischia- dicus, Nerv erregbar bei 55 °® Rollenabstand. 8 Uhr 7. Application von 0.005 8”® Hexyllupetidin. S Uhr 30. Heftige Aufregung, Reaction auf sensible Reize ungestüm und uncoordinirt, Herz galoppirend und convulsivisch. 8 Uhr 50. Starke Lähmung, Sensibilität schwach, Reaction träge und uncoordinirt, Herz etwas langsamer, aber noch sehr unregelmässig, Nerv erreg- bar bei 67 °® Rollenabstand. 9 Uhr. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand, Herz äusserst matt, Contractionen des Ventrikels und der Vorhöfe uncoordinirt; Nerv erregbar bei 63 °® Rollenabstand. 9 Uhr 30. Das Herz schlägt in Gruppen, die Vorhöfe machen drei und vier Contractionen während der Ventrikel eine macht, Blut ganz dunkelbraunroth, Nerv erregsbar bei 65 “%® Rollenabstand. 11 Uhr. Herz sehr matt, Contractionen regelmässiger; Nerv bei 59 = Rollenabstand erregbar. 12 Uhr. Zustand unverändert. 2 Uhr 30. Herz freier, Contractionen kräftiger und regelmässig, Nerv bei 62°® Rollenabstand erregbar. 5 Uhr. Herz schneller und kräftiger, Contractionen coordinirt; Nerv normal erregbar. 6 Uhr 30. Wiederkehr der Athmung; Herz so ziemlich normal; Nerv erregbar bei 55°“ Rollenabstand. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. Die hier angereihten Controlversuche ergeben dieselben Resultate, eine Abnahme der directen Nervenerregbarkeit ist nicht wahrzunehmen, bis zu 16 Stunden nach der Vergiftung stieg die nöthige Reizgrösse nie über 42 °m Rollenabstand. Nach den obigen Resultaten können die drei folgenden Versuche füglich weggelassen werden, ohne dass über die Natur der Lähmung irgend ein Zweifel bleiben dürfte. Dagegen müssen auch hier Versuche über die Wirkung des Hexyllupetidins auf das Herz angereiht werden. Herzversuch. 2 Uhr. Rana temporaria, 2 323% schwer; Freilegung des Herzens durch Resection des Processus xiphoides und Eröffnung des Pericards. 30* 468 AUGUST GÜRBER: 2 Uhr 10. Application von 0-0062’% Hexyllupetidin. 2 Uhr 20. Herz frequent, 65 Schläge in der Minute, Contractionen kräftig und normal. 2 Uhr 30. Zahl der Herzschläge 72, Contractionen regelmässig. 2 Uhr 40. Herz galoppirend, 85 Schläge in der Minute, Contractionen oft uncoordinirt. 2 Uhr 50. Das Herz schlägt etwas langsam, 49 Schläge in der Minute, Contractionen höchst unregelmässig, convulsivisch. 3 Uhr. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, das Blut fängt an, dunkel zu werden, Herz matt und langsam; Contractionen ganz uncoordinirt. 3 Uhr 10. Das Herz schlägt in Gruppen, die Vorhöfe pulsiren schneller als der Ventrikel, Contractionen der letzteren convulsivisch. 3 Uhr 20. Herzstillstand, die Vorhöfe pulsiren vereinzelt noch ganz schwach. Das Herz wird ganz herausgeschnitten und mit erwärmter alkalischer Kochsalzlösung tüchtig ausgespült. Die Vorhöfe machen einige Bewegungen, der Ventrikel bleibt gelähmt. 4 Uhr. Vorhöfe und Ventrikel sind und bleiben gelähmt. 4 Uhr 20. Einer Rana temporaria wird das Herz herausgeschnitten und dasselbe in erwärmte alkalische Kochsalzlösung gebracht, Herzcontractionen 45 in der Minute. | 4 Uhr 30. Zusatz von einigen Tropfen Hexyllupetidin zur Kochsalz- lösung. 4 Uhr 40. Das Herz pulsirt schneller, 55 Schläge in der Minute. 4 Uhr 50. Die Pulsationen werden convulsisch und uncoordinirt. 5 Uhr. Das Herz schlägt matt, langsam und ganz uncoordinirt. 5 Uhr 5. Schlagen in Gruppen, Vorhöfe pulsiren schneller als der Ventrikel. 5 Uhr 15. Vollständige Herzparalyse, von der sich das Herz trotz sorgfältiger und langdauernder Ausspülung mit Kochsalzlösung nicht mehr er- holt. Schluss des Versuchs. Versuchsresultate. Das Hexyllupetidin lähmt allgemein, und ist ein intensives directes Herzgift. Die Ursache der Lähmung liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache ist das Centralnerven- system gleichzeitige periphere Lähmung konnte nicht zweifellos wahrgenommen werden. VII. Piperidin. 1. Versuch. 1 Uhr 40. Einer Rana temporaria, & 37 8% schwer, wird mittels der Pravaz’schen Spritze 0-03 8°” Piperidin in den Rückenlymphsack injieirt. 2 Uhr. Keine Vergiftungssymptome. 3 Uhr. Wie oben. 4 Uhr. Keinerlei abnorme Erscheinungen. 5 Uhr. Die Dosis Piperidin scheint unwirksam. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 469 2. Versuch. 1 Uhr 50. Einer Rana temporaria, d 353m schwer, wird 0.04 8m Piperidin in den Rückenlymphsack injicirt. 2 Uhr 50. Keine Vergiftungssymptome. 4 Uhr. Der Frosch liegt ziemlich apathisch und reagirt anf stärkere sensible Reize ungestüm und uncoordinirt. 5 Uhr. Lähmungssymptome deutlich. 6 Uhr. Fortdauer des obigen Zustandes ohne Zunahme der Lähmung. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ganz erholt. 3. Versuch. 1 Uhr 55. Eine Rana temporaria, d 413% schwer, wird mit 0.05 5m Piperidin vergiftet. 3 Uhr 10. Der Frosch reagirt auf sensible Reize sehr ungestüm und uncoordinirt. 4 Uhr. Starke Lähmung. 5 Uhr. Maximale Lähmung. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch ist nur noch schwach ge- lähmt und erholt sich im Laufe des Tages vollständig. 4. Versuch. 2 Uhr. Eine Rana temporaria, 8 403% schwer, wird mit 0-.06:m Piperidin vergiftet. 3 Uhr. Ausser schwachen Athembewegungen maximale Lähmung. 4 Uhr. Keine Alihembewegungen mehr; Herz noch kräftig. 5 Uhr. Auch die Herzthätigkeit etwas schwach. 8 Uhr des folgenden Tages. Frosch noch maximal gelähmt; Herz sehr schwach. Dieser Zustand dauert den ganzen Tag. 8 Uhr des dritten Tages. Der Frosch hat sich ziemlich erholt, ist aber noch stark apathisch und reagirt auf Reize nur schwer. Im Laufe- dieses Tages erholt sich der Frosch vollständig. 5. Versuch. 2 Uhr 5. Eine Rana temporaria, d 38:3" schwer, wird mit 0.07 3m Piperidin vergiitet. 3 Uhr. Maximale Lähmung, Stillstand der Ah raune; Herz noch ziem- lich kräftig. 3 Uhr 40. Herz sehr schwach. 5 Uhr. Nur noch Pulsationen der Vorhöfe. 8 Uhr des folgenden Tages. Totaler Herzstillstand.. Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0.03 su Maximaldosis 0-05 ‚, Lethale Minimaldosis 0-07 ,, Gültig für Frösche (Ranae temp.) von 408m Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung 1!/, Stunden. Zeit bis zum Eintritt des Todes 15—24 sr 470 AUGUST GÜRBER: VIII. Coniin. 1. Versuch. 1 Uhr 40. Einer Rana temporaria, d 39:’® schwer, wird mittels Pravaz’scher Spritze 0-.0043’® Coniin in den Rückenlymphsack injicirt. 3 Uhr. Keinerlei Vergiftungssymptome. 4 Uhr. Wie oben. 5 Uhr. Immer noch keine abnormen Erscheinungen. 6 Uhr. Da sich bis zu dieser Zeit auch nicht die geringsten Lähmungs- symptome eingestellt haben, muss die applieirte Dosis als unwirksam angesehen werden. 2. Versuch. 2 Uhr. Einer Rana temporaria, d 37 8% schwer, wird 0005 8"% Coniin in den Rückenlymphsack injicirt. 3 Uhr. Die hinteren Extremitäten leichte Lähmung, 3 Uhr 30. Die Lähmung ist etwas ausgesprochener; auf sensible Reize uncoordinirte Reflexe. 4 Uhr. Lähmng allgemein und ziemlich stark. 5 Uhr. Die Lähmung verliert sich allmählich. 6 Uhr. Der Frosch hat sich fast vollständig erholt. 3. Versuch. 2 Uhr 10. Eine Rana temporaria, d 378” schwer, wird mit 0.006 em Coniin vergiftet. 3 Uhr. Starke Lähmungserscheinungen; Sensibilität ziemlich erhalten, Herz kräftig aber langsam. 3 Uhr 30. Sehr starke Lähmung, jedoch noch nicht maximale; Athmung schwach; Herz langsam. 4 Uhr. Zustand unverändert. 5 Uhr. Lähmung eher etwas vermindert. 6 Uhr. Die Lähmung hat sich stark verloren. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen erholt. 4. Versuch. 9 Uhr 30. Eine Rana temporaria, d 40 8"” schwer, wird mit 0.007 em Coniin vergiftet. 10 Uhr 20. Starke Lähmung. 11 Uhr. Maximale Lähmung mit Sistirung der Athembewegungen; Herz kräftig, aber langsam. 12 Uhr. Herz etwas schwächer und sehr langsam. 2 Uhr. Herz wieder kräftiger und schneller; einzelne Athembewegungen. 5 Uhr. Die Lähmung verliert sich immer mehr. 6 Uhr. Der Frosch hat sich fast vollständig erholt. 5. Versuch. 9 Uhr 40. Eine Rana temporaria, 5 378m schwer, wird mit 0.01 8m Coniin vergiftet. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE U. Ss. w. 471 11 Uhr. Maximale Lähmung mit Stillstand der Athmung; Herz noch kräftig, aber langsam. 12 Uhr. Herz immer noch kräftig, aber noch langsamer. 2 Uhr. Herz bedeutend schwächer. 6 Uhr. Herz sehr schwach und langsam. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollstängig erholt. 6. Versuch. 10 Uhr. Eine Rana temporaria, d 358'” schwer, wird mit 0.015 gm Coniin vergiftet. 11 Uhr. Maximale Lähmung; Herz noch kräftig. 12 Uhr. Herz etwas schwächer. 4 Uhr. Herz sehr schwach und langsam. 6 Uhr. Herzstillstand; Tod. Versuchsresultate: Minimaldosis 0.005 gm Maximaldosis 0-006 „, Lethale Minimaldosis 0-015 — 0:02 Gültig für Frösche von 40 2% Körpergewicht. Zeit bis zum Eintritt maximaler Lähmung 1—1!/, Stunden. Zeit bis zum Eintritt des Todes ist sehr variabel. „ IX. Piperidin. eViersuch. 3 Uhr 15. Rana temporaria, & 39 8"® schwer; Freilegung des Gastro- enemius, Muskel erregbar bei 37% Rollenabstand, Application von 0.05 8m Piperidin. 3 Uhr 40. Keine Vergiftungssymptome. 4 Uhr. Deutliche Lähmung, Athmung belastet, Herz langsam; Muskel normal erregbar. 5 Uhr. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, Herz etwas matt und langsam, Muskel normal erregbar. 6 Uhr. Herz etwas kräftig, aber noch langsam; Muskel normal erregbar. Freilegung des N. ischiadieus, Nerv nicht mehr erregbar. Schluss des Versuchs. 2. Versuch; 4 Uhr. Rana temporaria, 2 368% schwer; Freilegung des N. ischia- dicus, Nerv bei 53 “® Rollenabstand erregbar. 4 Uhr 10. Application von 0-05 3’m Piperidin. 4 Uhr 40. Frosch sitzt ganz apathisch und reagirt auf sensible Reize nur langsam und träge, Nerv normal erregbar. 5 Uhr 30. Starke Lähmung, Athmung belastet, Herz langsam, Nerv bei 37 °® Rollenabstand noch leidlich erregbar. 472 AUGUST GÜRBER: 6 Uhr. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand, Herz matt und langsam, Nerv nur mit starkem Strome schwach erregbar. 10 Uhr des folgenden Tages. Frosch noch maximal gelähmt; Nerv unerregbar. 6 Uhr. Herzstillstand, Tod des Frosches. Muskeln normal, Nerv nicht erregbar. 3. Versuch. 9 Uhr 40. Rana temporaria, | 34 2% schwer; Freilegung beider Nn. ischiadiei, linker Nerv bei 58 °%, rechter Nerv bei 53 ®® Rollenabstand er- regbar. Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 10 Uhr. Application von 0-05°'” Piperidin. Linker Nerv bei 61%, rechter Nerv bei 59% Rollenabstand erregbar. 10 Uhr 30. Deutliche Lähmung, Athmung belastet, Herz langsam, linker Nerv bei 56 °%, rechter Nerv bei 58% Rollenabstand erregbar. | 11 Uhr. Starke Lähmung, Athmung sehr mühsam, Herz etwas matt und langsam, linker Nerv bei 36 %, rechter Nerv bei 56 ““ Rollenabstand erregbar. 11 Uhr 30. Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv bei 57 “® Rollenabstand erregbar. 12 Uhr. Zustand unverändert, linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 53 “ erregbar. 2 Uhr. Bei Reizung des linken Nerven deutlicher gekreuzter Reflex im ligirten Beine. 4 Uhr. Reizung des linken Nerven, mehrmals guter Reflex im rechten Beine. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch ist gestorben. 4. Versuch. 10 Uhr 20. KRana temporaria, 43 S"”" schwer; Freilegung beider Nn. ischi- adiei, linker Nerv erregbar bei 56°%, rechter Nerv bei 54°” Rollenabstand. Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 10 Uhr 45. Applieation von 0-05 ®”” Piperidin. 11 Uhr 30. Starke Lähmung; Athmung belastet, Herz langsam; linker Nerv bei 53°%, rechter Nerv bei 61 °® Rollenabstand erregbar. Durchschnei- dung des Rückenmarkes und Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch; Reizung des linken Beines, schwacher einfacher und noch schwächerer und gekreuzter Reflex nach 26 Metronomschlägen, Reizung des rechten Beines, gute Reaction nach 7 Metronomschlägen. 12 Uhr. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz matt und schwach; linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv normal erregbar. Reizung beider Beine erfolglos. 12 Uhr 30. Herz etwas kräftiger, linker Nerv nicht, rechter Nerv bei 63° Rollenabstand erregbar. Reizung des linken Beines, kein, Reizung des rechten Beines, schwacher einfacher Reiz nach 18 Metronomschlägen. 2 Uhr. Reizung des linken Nerven, deutlicher gekreuzter Reflex des rechten Beines; Reizung des linken Beines erfolglos; Reizung des rechten Beines, gute Reaction nach 12 Metronomschlägen. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. $S. w. 473 4 Uhr 10. Reizung des linken Nerven, wiederholt deutlich gekreuzter Reflex; rechter Nerv bei 59°”m Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines keine, Reizung des rechten Beines schwache Reaction nach 18 Metronom- schlägen. 6 Uhr 20. Linker Nerv nicht, rechter Nerv normal erregbar; Reizung des linken Beines, kein, Reizung des rechten Beines, guter einfacher Reflex. Herz langsam und kräftig. 2 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich gut erholt, linker Nerv bei 48°%, rechter Nerv bei 56% Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines nach 11 Metronomschlägen, Reizung des rechten Beines nach 5 Metronomschlägen, starker Reflex. Die Controlversuche mit längerer Be- obachtungsdauer ergeben dieselben Resultate. Die Reflexerregbarkeit sinkt im Beginne der Vergiftung, besonders die erste und zweite Stunde nach Eintritt maximaler Lähmung und steigt dann wieder, doch nie ganz bis zur normalen Erregbarkeit. 5. Versuch. 9 Uhr 15. Rana temporaria, 388% schwer; Freilesung beider Nn. ischiadici, linker Nerv bei 53°®%, rechter Nerv bei 58°® Rollenabstand erregbar; Ligatur beider Aa. iliacae comm. und Cauterisation der Haut; Durchschneidung des Rückenmarks; Reizung des linken Beines nach 4 Metronomschlägen, Reizung des rechten Beines, sofortige Reaction. 9 Uhr 45. Application von 0-05 8’® Piperidin. 11 Uhr 30. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand, beide Nerven normal erregbar. Reizung des linken Beines, kaum merkbarer Reflex, im rechten Beine nach 19 Metronomschlägen, Reizung des rechten Beines, schwacher ein- facher Reflex nach 23 Metronomschlägen. 2 Uhr. Nerven beiderseits normal erregbar, Reizung des linken Beines, schwacher einfacher und gekreuzter Reflex nach 13 Metronomschlägen, Reizung der rechten Beines, gute Reaction nach 10 Metronomschlägen. 4 Uhr 30. Herz kräftig aber langsam; linker Nerv bei 57%, rechter Nerv bei 58°®% Rollenabstand erregbar, Reizung des linken und rechten Beines starker einfacher und gekreuzter Reflex nach 9 und 7 Metronomschlägen. 6 Uhr 30. Nerven beiderseits normal erregbar, Reizung ‘des linken Beines, starker gekreuzter Reflex nach 8, Reizung des rechten Beines, schwächerer einfacher und gekreuzter Reflex nach 14 Metronomschlägen. 9 Uhr 45 des folgenden Tages. Der Frosch ist gestorben, weil zu warm gehalten. Versuchsresultate: Das Piperidin lähmt allgemein ohne das Herz zu affieiren. Die Ursache der Lähmung liest im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache sind hauptsächlich die intramusculären Nerven- endigungen, dann wahrscheinlich auch in geringem Grade das Centralnerven- system. Eine gleichzeitige Lähmung der sensiblen peripheren Nervenenden ist zweifellos. A714 AUGUST GÜRBER X. Coniin. 1. Versuch. 2 Uhr 30. Rana temporaria, & 31®"” schwer; Freilesung des Gastro- knemius, Muskel erregbar bei 34°”® Rollenabstand; Application von 0.006 Erm Coniin. 3 Uhr. Deutliche Lähmungserscheinungen; Athmung normal, Herz ziem- lich schnell, Muskel normal erregbar. 3 Uhr 30. Starke Lähmung; Athmung belastet, Herz sehr unruhig; Muskel normal erregbar. 4 Uhr Maximale Lähmung, Athmungsstillstand, Herz matt: und langsam; Muskel normal erregbar. 5 Uhr 45. Muskel normal erregbar, Herz etwas kräftiger aber sehr lang- sam, Freilegung des N. ischiadicus, Nerv nicht erregbar. Schluss des Versuchs. 2. Versuch. 2 Uhr. Rana temporaria, d 35 8"% schwer; Freilegung des N. ischiadicus, Nerv bei 57 °® Rollenabstand erregbar. 2 Uhr 10. Application von 0.007 "m Coniin. 2 Uhr 40. Deutliche Lähmung, Athmung frei, Herz sehr schnell, Nerv bei 63°“ Rollenabstand erregbar. 3 Uhr. Starke Lähmung, Athmung sehr mühsam; Herz etwas ruhiger; Nerv bei 58°” Rollenabstand erregbar. 3 Uhr 30. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz sehr matt, Nerv bei 49 *® Rollenabstand erregbar. 4 Uhr 30. Herz etwas kräftiger aber langsam; Nerv mit sehr starkem Strom noch schwach erregbar. 5 Uhr. Herz kräftig, aber langsam, Nerv nicht mehr erregbar. 6 Uhr. Zustand unverändert. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen er- holt; Nerv bei 52°” Rollenabstand erregbar. 3. Versuch. 2 Uhr. Rana temporaria, © 36 8"% schwer; Freilegung beider Nn. ischia- diei, linker Nerv bei 60 °®, rechter Nerv bei 62 ” Rollenabstand erregbar. Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 2 Uhr 20. Application von 0°0078"% Coniin. 3 Uhr. Starke Lähmung; Athmung belastet; Herz schnell; linker Nerv bei 61 °%, rechter Nerv bei 67 °® Rollenabstand erregbar. 3 Uhr 30. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand; Herz matt und langsam; linker Nerv bei 33 °%, rechter Nerv bei 61 °% Rollenabstand erregbar. 4 Uhr. Herz etwas freier; linker Nerv bei 24°” Rollenabstand, rechter Nerv normal erregbar. 5 Uhr. Herz kräftiger aber langsam; linker Nerv nicht, rechter Nerv normal erregbar. 6 Uhr 30. Zustand unverändert. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPFTIDINE UV. $.w. 475 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich ganz erholt. Die Controlversuche ergeben dieselben Resultate. Besonders bemerkenswerth ist die oft erstaunlich kurze Erholungszeit, wie sie bei keinem Lupetidine zu finden ist. 4. Versuch. 9 Uhr. KRana temporaria, d 38 m schwer; Freilesung beider Nn. ischia- dici; linker Nerv bei 55°%, rechter Nerv bei 57 °% Rollenabstand erregbar; Ligatur der rechten A. iliaca comm. und Cauterisation der Haut. 9 Uhr 25. Application von 0.007 e"M Coniin. 10 Uhr. Starke Lähmung; Athmung mühsam; Herz schnell; linker Nerv bei 58°%, rechter Nerv bei 64°" Rollenabstand erregbar; Durchschneidung des Rückenmarks und Aufhängen des Frosches zum Reflexversuch; Reizung des linken Beines erfolglos, Reizung des rechten Beines, nach 20 Metronomschlägen schwacher Reflex. 10 Uhr 30. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand, Herz langsamer; linker Nerv bei 42 °®, rechter Nerv bei 61 °® Rollenabstand erregbar; Reizung beider Beine erfolglos. 11 Uhr. Herz matt; linker Nerv nicht mehr, rechter Nerv bei 59 m Rollenabstand erregbar, Reizung beider Beine erfolglos. 12 Uhr. Herz etwas kräftiger; linker Nerv nicht, rechter Nerv normal erreebar; Reizung des linken Beines kein, Reizung des rechten Beines deut- licher Reflex nach 15 Metronomschlägen. 2 Uhr. Der Frosch zeigt schon Zeichen der Erholung; linker Nerv nicht, rechter Nerv normal erregbar; Reizung des linken Beines schwachen gekreuzten Reflex, Reizung des rechten Beines starken Reflex nach 11 Metronomschlägen. 3 Uhr. Der Frosch hat sich schon sehr erholt; Wiederkehr der Athmung, Cornealreflex, linker Nerv bei 39%, rechter Nerv bei 56% Rollenabstand er- regbar. Reizung des linken Beines, schwacher einfacher und gekreuzter Reflex nach 17 Metronomschlägen; Reizung des rechten Beines, starker Reflex nach 10 Metronomschlägen. 4 Uhr. Der Frosch hat sich fast gänzlich erholt, linker Nerv bei 45 °®, rechter Nerv bei 58% Rollenabstand erregbar. Herz kräftig und mässig schnell. 6 Uhr. Der Frosch hat sich vollkommen erholt, linker Nerv bei 51 ®, rechter Nerv bei 54°” Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines, nach 6, Reizung des rechten Beines, nach 3 Metronomschlägen starke Reaction, Schluss des Versuchs. Die Controllversuche ergaben ganz dieselben Resultate. 5. Versuch. 1 Uhr 40. Rana temporaria, d 34®’% schwer; Freilegung beider Nn. ischiadiei; linker Nerv bei 50 °®, rechter Nerv bei 56 *°® Rollenabstand erregbar; Ligatur beider Aa. iliacae comm. und Cauterisation der Haut; Durchschneidung des Rückenmarks, bei Reizung beider Beine sofortige Reaction, 2 Uhr 10. Application von 0.007 em Coniin. 3 Uhr. Starke Lähmung, Athmung mühsam, Herz schnell und unruhig; linker Nerv bei 51°”, rechter Nerv bei 55 ® Rollenabstand erregbar; Reizung des linken Beines, schwache Reaction nach 13, Reizung des rechten, nach 17 Me- tronomschlägen. 476 AUGUST GÜRBER: 3 Uhr 40. Maximale Lähmung; Athmungsstillstand ; Herz langsam, beide Nerven normal erregbar. Reizung beider Beine erfolglos. 4 Uhr 30. Herz matt und langsam, Nerven normal erregbar. Reizung des linker Beines, schwache Zuckung des rechten, Reizung des rechten Beines erfolglos. 5 Uhr. Herz etwas kräftiger, beide Nerven normal erregbar. Reizung beider Beine erfolglos. 6 Uhr 30. Herz kräftig aber langsam, Nerven normal erregbar. Reizung des linken Beines, einfacher und gekreuzter Reflex nach 16, Reizung des rechten Beines, starker Reflex nach 12 Metronomschlägen. 8 Uhr des folgenden Tages. Der Frosch hat sich vollkommen er- holt. Reizung des linken Beines, starker einfacher und schwächerer gekreuzter Reflex nach 4, Reizung des rechten Beines, starker einfacher und gekreuzter Reflex nach 3 Metronomschlägen. Schluss des Versuchs. Versuchsresultate: Das Coniin lähmt allgemein, in nicht geringem Grade auch das Herz irritirend.. Die Lähmungsursache liegt im Nervensystem, die Muskeln bleiben intact. Sitz der Lähmungsursache sind die intramuseulären Nervenendigungen, dann aber auch in nicht geringem Grade das Centralnerven- system. Für die Annahme einer gleichzeitigen Lähmung der sensiblen peripheren Nervenenden liegt nach diesen Versuchen kein Grund vor. Litteraturverzeichniss. 1. Gaule, Ueber die Beziehung der Structur der Gifte zu den Veränderungen der Zellen. Physiologisches Centralblatt. 1888. Nr. 15. 2. Alphons Jaekle, Höhere Homologe der synthetischen Pyridine und Piperi- dine. Inauguraldissertation. Basel. 3. Hermann, Lehrbuch der experimentellen Toxikologie. 4. Vulpian, Les Substances toxiques. 5. Harnack, Arzneimittellehre. 6. Fliess, cand. med., Ueber die Wirkung des Piperidins und des Coniins. Ver- handlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 1881/2. 8. 46. 7. Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XVII. S. 1618; — Bd. XVIII. 8. 54 und 8. 919; — Bd. XIX. S. 2578. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER LUPETIDINE v. Ss. w. 477 Erklärung der Abbildungen. (Taf. IV.) Fig. 1. Copellidinblut des Frosches aus der 9. Stunde der Vergiftung. (Ver- grösserung 600 linear.) a Gut erhaltene Blutkörperchen mit Vacuolen. b Blutkörperchen, welche ihre Form verändert haben. c. Veränderte Kerne. d Sublimatkrystalle. Fig. 2. Lupetidinblut des Frosches aus der 8. Stunde der Vergiftung. (Ver- grösserung 1150.) a Gut erhaltene Blutkörperchen mit Vacuolen. b Blutkörperchen, welche ihre Form verändert haben. ce Veränderte Kerne. d Sublimatkrystalle. Beziehungen zwischen Moleculargewicht, Molecular- structur und physiologischer Wirkung. (Bemerkune zu der Arbeit des Hrn. Gürber.) Von Justus Gaule. Die Resultate, welche in den vorstehenden Untersuchungen nieder- gelegt sind, sind nicht die einzigen, welche Hr. Gürber mit diesen Kör- pern erhalten hat. Ich habe aber gerathen das Wesentlichste zu ver- öffentlichen, um wenigstens ein Bild zu geben, von dem Einblick in den Zusammenhang zwischen chemischer Constitution und physiologischer Wir- kung, den dieselben gewähren. Zwei Punkte, welche möglicherweise miss- verstanden werden könnten, möchte ich mit einigen Worten erläutern. Es ist in der Arbeit von der Beziehung des Moleeulargewichts zu der physio- logischen Wirkung die Rede, und für eine Anzahl der Körper ist ein bestimmtes Verhältniss zwischen beiden ableitbar. Diese Beobachtung ist nicht allein- stehend. So hat z. B. F. Richet! gefunden, dass die tödtlichen Dosen des Lithium, Kalium und Rubidium (als Chloride angewandt) nahezu im Verhältniss der Atomgewichte der drei Metalle stehen. Gestützt auf diese und einige andere Resultate hatte man auch den Gedanken ausgesprochen, dass das Moleculargewicht oder wie man sich auch ausdrückte, die Grösse des Molecüls von entscheidendem Einfluss auf die physiologische Wirkung sei. Nun möchte ich mich dagegen aussprechen, dass man die Resultate Hrn. Gürber’s in diesem Sinne interpretire.e. Man muss der unzweifel- haften Beziehung, welche Moleculargewicht und physiologische Wirkung zeigen, wenn man von dem Lupetidin aufsteigt bis zum Propyllupetidin, entgegenhalten 1) die Abnahme der Wirkung, welche die gleiche weitere ı Comptes rendus ete. t. CI. p. 707. GAULE: MOLECULARGEWICHT, -STRUCTUR UND PHYSIOL. WIRKUNG. 479 Steigerung des Moleculargewichts zum Butyl und Hexyllupetidin begleitet, 2) die Verschiedenheit der Wirkung, der symmetrisch substituirten CH,- Gruppen, die den Uebergang von dem Piperidin zu dem Lupetidin bilden, gegenüber den in einer Reihe substituirten Alkylradikalen der verschiedenen Lupetidine, endlich 3) die vollständige Verschiedenheit der Wirkung des geschlossenen Kerns dieser Körper und der angehängten Seitenketten. Berücksichtigt man alle diese schon in dieser Zusammenstellung des Hrn. Gürber übersehbaren Verschiedenheiten, so wird man zu der Einsicht geführt, dass es sehr darauf ankommt, wie die Steigerung des Molecular- gewichts zu Stande komme. Der Eintritt von NH, oder von CH, in ein Molecül kann das Moleculargewicht um nahezu den gleichen Betrag stei- gern, und doch wird die Veränderung der physiologischen Wirkung eine ganz verschiedene sein. Noch mehr, es wird die Steigerung, die dieselbe CH,-Gruppe hervorbringt, eine ganz verschiedene sein, je nach der Stellung zu den übrigen Atomgruppen desselben Molecüls, die sie einnimmt. Sehen wir die Sache in diesem Lichte, so werden wir eine einfache Beziehung zwischen dem Moleculargewichte und der physiologischen Wirkung nur erwarten können, soweit das Molecül sich aufbaut aus einer Anzahl gleich- artiger, zu einander gleichgestellter Atomgruppen. Das führt aber zu einer verhältnissmässig rationellen Auffassung dieser Beziehung. Es ist nicht das Gewicht oder die Grösse des Molecüls, welche die Wirkung bedingt, son- dern es ist das Product der Wirkung, welche die Componenten ausüben. Sind diese Componenten durchaus gleichartige, dann ergiebt sich auch eine einfache Beziehung der Wirkung des Ganzen zu der Zahl der Componenten. Freilich ist es nicht eine arithmetische Summirung, da die Wirkung ja viel rascher steigt, als das Moleculargewicht. Das gilt für organische Mole- cüle. Für anorganische haben wir einen solchen Aufbau des Molecüls aus gleichartigen oder ungleichartigen Gruppen natürlich nicht. Es scheint da eine Beziehung zwischen physiologischer Wirkung und Atomgewicht haupt- sächlich innerhalb der Mendelejeff’schen Gruppen zu existiren. Doch will ich nicht wagen, einen Versuch der Erklärung hierfür zu machen. Ein zweiter Punkt, der sich aus den Feststellungen des Hrn. Gürber ergiebt, ist die Erklärung, dass die Wirkung der verschiedenen Atom- gruppen eine ungleiche ist, und dass letztere auf verschiedene Organ- systeme wirken. Der im Piperidin, Conin und Lupetidin überall vorhandene Pipe- ridinkern zeigt seine Wirkung hauptsächlich an Blutkörperchen, die Seiten- ketten schwächen diese Wirkung eher ab, dagegen hängt die Wirkung auf das Nervensystem ganz wesentlich von diesen Seitenketten ab. Wiederum „zeigt sich auch hier eine Differenz zwischen ein- bis dreigliederigen Seiten- ketten, welche eine periphere und den vier- und mehrgliederigen, welche 480 JUSTUS GAULE: eine centrale Lähmung bewirken. Man wird den Schluss nicht abweisen können, dass dies dadurch zu Stande kommt, dass das Leben in jedem dieser Organsysteme einen eigenthümlichen Chemismus darstellt, in welchen von den in den Organismus eingeführten Molecülen gerade.diejenigen Atom- gruppen eingreifen, die eine gewisse Verwandtschaft damit haben. Auf die eigenthümlichen morphologischen Veränderungen, welche die Einwirkungen von Substanzen, die den Piperidinkern enthalten, auf die Blut- körperchen begleiten, habe ich bereits die Aufmerksamkeit gelenkt.! Seitdem ist uns noch keine Substanz anderer Structur bekannt geworden, die gleiches oder nur ähnliches bewirkt. Ich bin daher geneigt anzunehmen, dass es eine eigenthümliche chemische Beziehung zwischen einer der Substanzen, die das Blutkörperchen aufbauen, und gerade dieser Atomgruppirung giebt, und dass dies nicht ausser Acht gelassen werden sollte beim Suchen nach der chemischen Zusammensetzung der Blutkörperchen. Das, was die hellen Stellen in den Blutkörperchen füllt, ist also das Product einer Veränderung, die in den Substanzen der Blutkörperchen, sagen wir einmal in Stroma und und Farbstoff, hervorgebracht wird, durch Piperidin und substituirtes Piperi- din. Ob diese Veränderung eine directe, oder eine indirecte Wirkung der letzteren Körper ist, bleibt einstweilen noch unentschieden. Die an den Kernen der Blutkörperchen auftretenden und zeitig oft vorausgehenden Veränderungen machen es wahrscheinlich, dass die Wirkung eine indirecte ist, d.h. dass zuerst in dem Kern des Blutkörperchens eine Substanz durch den Piperidinkern verändert wird und dass diese dann verändernd auf den Zellleib wirkt. Sicher aber ist das nicht, weil die beiden Wirkungen auf Kern und Zellleib auch neben einander hergehen können. Was es ist, was die hellen Stellen füllt, ist auch noch nicht ermittelt. Wenn man sieht, dass die nach meiner Methode gehärteten, gefärbten und in Canadabalsam eingeschlossenen Blutkörperchen, wie sie Hr. Gürber photographirt hat, diese Stellen ebenso farblos und durchsichtig zeigen, wie die frischen, so ist man geneigt, an Fett zu denken. Doch geben die hellen Stellen keine der gewöhnlichen Fettreactionen, und wenn die Blutkörperchen mit Wasser ge- löst werden, so lösen sie sich mit, ohne dass Fetttropfen zurückbleiben. Ich wünsche noch, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass mitunter ähnliche helle Stellen in den Blutkörperchen auch spontan auftreten, im Frühjahr sogar ziemlich häufig. Wenn man das Experiment nur genügend oft und umsichtig anstellt, so ist eben so wenig Gefahr vorhanden, dass man solche spontan auftretende helle Stellen mit den experimentell hervor- gerufenen verwechselt, wie etwa die durch Arsen hervorgerufene Leber. verfettung mit spontan auftretendem Fett in der Leber, oder noch besser, ı Centralblatt für Physiologie. 1888. Nr. 15. MOLECULARGEWICHT, -STRUCTUR UND PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG. 481 wie eine durch elektrische Reize bewirkte Muskelcontraction mit einer spontan auftretenden. Dagegen ist es wichtig, sich klar zu machen, dass etwas ähnliches, wie der eingeführte Piperidinkern es bewirkt, auch ohne eine solche von aussen her eingeführte Substanz im Organismus entstehen kann. Sollten die Derivate des Piperidins wirklich als die einzigen chemischen Körper sich erweisen, welche diese Veränderungen experimentell hervorrufen, so könnte man sich, glaube ich, dem Schluss nicht entziehen, dass sobald diese hellen Stellen spontan auftreten, bei den chemischen Umsetzungen des Organismus selbst Piperidine bez. deren Derivate entstanden sind, welche auf die Blutkörperchen zur Wirkung kommen. Das wäre zur Zeit der Reife der Geschlechtsproducte, öfter auch unmittelbar nachher. Die hellen Stellen, welche dann in den Blutkörperchen auftreten, bergen übrigens oft Einschlüsse und unterscheiden sich dann sehr wesentlich in ihrer Bedeutung. Solche Stellen mit Einschlüssen sind wir natürlich noch nicht im Stande gewesen, experimentell hervorzurufen. Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 31 Der Harn nach Unterbindung der drei Darmarterien. Von Dr. A, Slosse. (Aus der physiologischen Anstalt in Leipzig.) Wenn die drei Darmarterien — Coeliaca und die beiden Mesaraicae — des Säugethieres unterbunden sind, so fliesst bekanntlich der Strom in den nicht verödeten Zweigen der Aorta in unveränderter Stärke weiter. Des- halb wird voraussichtlich die Niere leistungsfähig bleiben und Harn aus einem Blute bilden, dessen Zusammensetzung von der Leber nicht beeinflusst wurde. Hierauf von Hrn. Professor C. Ludwig aufmerksam gemacht, entschloss ich mich zu prüfen, ob sich auf diesem Wege am lebenden Hunde die für die Harnstoffbildung bedeutsame Thatsache bestätigen und erweitern lasse, welche v. Schröder ! an der künstlich durchbluteten Leber festgestellt hatte. Bei der Durchführung der Versuche wurde die Aufmerksamkeit auch noch von anderen Erscheinungen in Anspruch ge- nommen, über welche späterhin berichtet werden wird. | Die Arterien wurden mit möglichster Schonung der Baucheingeweide unterbunden. Zu ihnen gelangte man durch eine Wunde, welche linkerseits unter der letzten Rippe begann und sich nahe bis zum Darmbein hin er- streckte, gleichgerichtet mit der Längsaxe der Wirbelsäule. Die Wunde durchsetzte die Cutis, die Scheide des Sacrolumbaris an ihrem, von der Wirbelsäule abgewendeten Rande und gelangte damit hinter das Parietalblatt des Bauchfells auf die vor den Lendenwirbeln gelegenen Weichtheile. Wäh- rend der Ausführung des Schnittes und der sich anschliessenden Hand- griffe lag die rechte Seite des Thieres auf einer gepolsterten Unterlage. ’ Archiw für ewperimentelle Pathologie, Bd, XV u. XIX. A. SLosse: DER HARN NACH UNTERBINDUNG DER DREI DARMARTERIEN. 483 Auf das Gelingen der Unterbindungen namentlich der A. coeliaca und der A. mesaraica sup. ist nur zu rechnen, wenn die Wunde vollkommen blutfrei gehalten wird; darum muss während des Schnittes durch die Cutis jede Blutung sogleich nach ihrer Entstehung gestillt werden und beim weiteren Fortschreiten durch die Faseien und die Zwischenräume der Muskeln jedes grössere Gefäss, welchem man begegnet, doppelt unterbunden sein bevor es durchsehnitten wird. Für den weiteren Verlauf der Arbeit insbesondere für das Auffinden und Umschlingen der hoch im Hypochondrium gelegenen A. coeliaca ist die Anwendung gestielter, verschieden grosser, passend ge- krümmter Metallspiegel sehr dienlich. Von einem Gehülfen wird dann das /werchfell und der Darm zurückgedrängt um das Sehfeld zu vergrössern und zu erhellen. Unvermeidlich ist die Verletzung zahlreicher Aeste des Plexus solaris bei der Unterbindung der Art. coeliaca und mesaraica. Schädliche Folgen für den Versuch dürften aus der theilweisen Zerstörung des Nervengeflechtes nicht zu befürchten sein, weil das Verbreitungsgebiet seiner Aeste ohne- dies dem raschen Tod entgegengeführt wird. Zum Versuch eignen sich nur kleine Hunde, und der Ausführung der Unterbindung am lebenden muss eine sorgfältige Einübung der Handsriffe an der Leiche vorausgehen. Von dem schweren Eingriff scheint das Thier einige Zeit nach seiner Vollendung wenig berührt zu sein. Denn es läuft, nachdem es mit ver- nähter Wunde vom Operationstisch entlassen war, munter umher. All- mählich aber, meist zwei Stunden nach der Operation, werden die Anfänge eines Leidens sichtbar, das in rascher Steigerung nach einer beschränkten Zahl von Stunden — meist in der fünften bis sechsten Stunde nach- der Unterbindung, doch öfter auch später — zum Tode führt. Die Aeusserungen desselben sind theils als unmittelbare Folgen des blutigen Eingriffs anzusehen, wie namentlich vergebliche und gelungene Versuche zum Erbrechen, braune oder blutie-flüssige Kothentleerungen. Daneben treten die Anzeichen eines Hirnleidens auf. Das Thier verliert die Theilnahme an der Umgebung, schläfrig liest es auf seinem Kissen, etwas später zucken einige Muskeln bald hier bald da, am häufigsten in den oberen Gliedmassen, noch später kommt es zu allgemeinen jedoch noch vorüber gehenden Krämpfen, starr sind die Extremitäten ausgestreckt, der Kiefer führt schnappende Bewegung aus und öfter veranlasst der Brust- und Kehlkopfkrampf die Bildung eigen- thümlicher Laute. Wenn die Krämpfe nachlassen, dann erhebt sich öfter noch das Thier und bewegt sich wie ein gesundes. Demnächst aber drängen sich die Anfälle rascher auf einander, die Theilnahmslosigkeit wird eine vollkommene, die Haut wird kühl, obwohl das Thermometer im Rectum noch Temperaturen bis 40° ja zu 41°C. nachweist, die Athembewegungen werden flacher und erlöschen endlich. Sl, 484 P. SLossE: Die Krämpfe, welche dem Tode vorausgehen, rufen die Vermuthuns hervor, als seien sie durch eine Vereiftung der nervösen CGentralorgane ver- anlasst. Ihrem nur zeitweiligen Auftreten und ihrer Gestaltung nach er- innern sie an Strychninkrämpfe. Keinesfalls ist die Erscheinungsreihe, unter welcher der Tod nach Unterbindung der Arterien erfolgt, der zu vergleichen, unter welcher das Thier nach Unterbindung der Pfortader ab- stirbt. Im letzteren Falle fehlen die heftigen Starrkrämpfe; das Leben er- lischt allmählich ohne die tumultuarischen Anfälle. — Worin mag der Unterschied der Wirkungen begründet sein, da doch im einen wie im anderen Falle der Blutstrom durch die Verdauungswerkzeuge stockt und der Einfluss, den jene Organe auf die Zusammensetzung der Sältemasse üben können, ausgeschaltet ist? Einige Stunden nach der vollendeten Unterbindung der drei Arterien wurde der Druck im Carotisblut der drei Thiere gemessen, welche in der Tabelle auf S. 486 mit II, III, IV bezeichnet sind. Seine Werthe bewegten sich in II um 124 "= Hs, in II um 150" Hs, in IV um 128" Hg auf und ab, d. h. innerhalb derselben Grenzen wie bei gesunden Thieren. Unmittelbar nach dem Tode wurde die Unterleibshöhle geöffnet, um den Harn aus der Blase zu sammeln, und um über die gelungene Unter- bindung der Arterien Gewissheit zu erhalten, bei dieser Gelegenheit wurde auch aus der V. cava Blut aufgefangen und die Beschaffenheit der Gedärme und der zugehörigen Drüsen beobachtet. So oft sich die Unterbindung als durchweg gelungen erwies, ward auch Milz und Leber schlaff, Magen und Darmwand blass und zusammengezogen angetroffen. Wenn aber ein oder der andere Ast z. B. der Art. coeliaca dem Faden entschlüpft war, so fand sich die Wand des Darmes an vielen Stellen dunkel geröthet. — Mancherlei bei den Sectionen gewonnene Befunde machen es jedoch zweifelhaft, ob nach der Unterbindung der drei grossen Arterien der Blutstrom durch die Eingeweide, und namentlich durch die Leber, vollkommen unterbrochen gewesen. Ganz besondere Zweifel hege ich an der vollständigen Verödung der Pfortader. Erst aus einer sorgfältigeren Untersuchung des Blutstromes, als sie mir vergönnt war, wird sich Sicherheit darüber gewinnen lassen, ob der Pfortader jeder Zufluss abgeschnitten gewesen. Besondere Aufmerksam- keit dürfte die Verbindung der Pfortaderzweige mit den Venen des Mast- darmes verdienen. Regelmässig wurden an der Leiche die Nieren sehr blutreich gefunden. Da ihre Gefässe bei der Operation unangefochten blieben, so kann, wenn dem blutigen Eingriff eine Schuld an der Ueberfüllung der Gefässe zugeschoben wird, diese nur in der Verletzung von vasomotorischen Nerven gefunden werden. Das Blut, welches dem Thiere unmittelbar nach dem letzten Athem- zuge entnommen war, gerann jedesmal nach dem Verlaufe von wenigen DeR HARN NACH UNTERBINDUNG DER DREI DARMARTERIEN. 485 Minuten, weshalb dem Gedärm und seinen Drüsen keineswegs ausschliess- lich die Befähigung zugesprochen werden darf, das Blut gerinnbar zu machen. Der Harn. Die Aufgabe, welche ich zu lösen wünschte, galt der Vergleichung der Harnbildung vor und während der Unterbindung der Arterien. Anfänglich beschränkte ich mich auf die Bestimmung der Harn- stoffprocente eines Harnes, welchen der Hund 48 Stunden nach der letzten Fütterung entleert hatte und verglich damit die ganze Menge des Harns und des Harnstoffs, welcher nach der Unterbindung der Arterien ent- standen war. Als einige Beobachtungen jeden Zweifel daran beseitigten, dass durch die Unterbindung der Arterien die Abscheidung des Harns und des Harnstoffs sehr bedeutend herabgedrückt seien, ging ich zur quantitativen Vergleichung über. Qualitative und quantitative Versuche wurden unter Anwendung ähnlicher Maassregeln ausgeführt. Nachdem der Hund 24 Stunden nüchtern geblieben, wurde ihm der Harn durch den Katheter — Verfahren von Panum — entzogen. Sollte von da ab jedem weiteren Verlust an Harn vorgebeugt werden, so wurde das Thier in den schon wiederholt beschriebenen Kasten gesetzt, an dessen netzförmig durchbohrten Boden ein grosser, glasirter T’hontricher angepasst war. Ohne Futter zu empfangen, verweilte der Hund noch 48 Stunden in dem Be- hälter. Nach je 24 Stunden wurde der entleerte, von dem Trichter in einen Glaskolben abgeflossene Harn gesammelt, gemessen und auf seine Eigen- schaften und seinen Harnstoffgehalt geprüft. Unmittelbar vor Beginn des blutigen Eingriffes wurde die Blase mittels des Katheters entleert und mit NaCl-Lösung harnfrei gewaschen, sodann aber um die Vorhaut ein_Band gelest, sodass kein Harn mehr verloren werden konnte. Meist hatte sich einige Stunden nach der vollendeten Operation zwi- schen Eichel und Vorhaut eine gewisse Menge Harns angehäuft; sie wurde sorgfältige gesammelt. Zuweilen wurde dann auch der in der Harnblase vorhandene Harn mit dem Katheter weggenommen. Sogleich nach dem Tode des Thieres wurden die unter der Vorhaut und in der Blase an- wesenden Harnmengen aufgefangen. An dem Harn wurden bestimmt die Reaction, die Anwesenheit von Eiweiss, der Gehalt an Harnstoff durch Titrirung, der an Ammoniak nach der Methode von Schlösing. Zur Darlegung der Unterschiede der Harnbildung vor und während der Unterbindung der Arterien stellen sich sachgemäss die Ergebnisse von den vier Thieren in den Vordergrund, in welchen alle Grundlagen der Ver- gleichung ziffermässig vorhanden sind, Vor der Unterbindung war der Harn klar, von saurer Reaction und frei von allen ungewöhnlichen Bestandtheilen. 486 A. SLOSSE: Nach der Unterbindung war der Harn öfters trüb, doch von saurer Reaction. Stets enthielt er Albumin und in geringer, jedoch deutlich nach- weisbarer Menge Hemialbumose (Propepton). Vor der Unterbindung wurden im Mittel für eine Stunde abgeschieden 9.5 em Harn mit einem mittleren Gehalt von 6-61 Procent an Harnstoff. Nach der Unterbindung für je eine Stunde geliefert 3-8°m Harn mit einem Gehalt von 2.47 Procent Harnstoff. Demnach wurden in je einer Stunde vor der Unterbndung 0-62 em Harnstoff und in der gleichen Zeit nach der Unterbindung 0-08: Harn- stoff abgeschieden. Und in zwei Thieren, in welchen das Ammoniak be- stimmt wurde, fand sich vor der Unterbindung eine Ammoniakausscheidung für je eine Stunde von = 0.050 2” und nach der Unterbindung von 0.005 sm, Inwieweit von den mittleren Werthen die von den einzelnen Ver- suchen gelieferten abweichen, ergiebt sich aus der folgenden Zusammen- stellung: Eu Harn in der Stunde | Harnstoff i. d. Stunde | Ammoniak i. d. Std. eben 7 5 vor der | nach der | vor der | nach der |vor der | nach der Sn Auen = = Unter- Unter- Unter- Unter- Unter- Unter- bindung, bindung | bindung | bindung | bindung |bindung bindung tax 1a Sic — 0.829 am — — — — b. 12-0 „ 7-0.) 0-614 ,, 0-350 sım — — 7 Stunden La. bu — 0-440 „, — — — — b. gealere 0m 0:605 „, 0-020 „, —_ — 14 Stunden III 15-6 „ 4-0 „, 0-T7O „ 0-030 „ | 0-011 0.001 5 Std.45 M. IVea: 6 — 0:436 „ = = _ — b. 4-4 „ 4-6 „ 0-354 „, 0-138 „ 0.010 0.004 4 Stunden Die Ergebnisse der Beobachtungen von vier anderen, ebenfalls nüch- ternen Hunden stimmen, soweit ihre Vergleichbarkeit reicht, mit den eben beschriebenen vollkommen überein. Da die Gesammtmenge Harns in den Tagen, welche der Unterbindung vorauseingen, nicht gesammelt, und in dem aufgefangenen Antheil nur der Harnstoffgehalt bestimmt wurde, so bleibt eine zahlenmässige Angabe über die Aenderung der Harnstoffbildung in Folge der Operation ausgeschlossen; doch lässt sich aus dem Sinken der Harnstoffprocente und aus der geringen Menge der abgesonderten Harne während der bestehenden Unterbindung mit Sicherheit auf eine be- deutende Minderung der absoluten Menge des abgeschiedenen Harnstoffs schliessen. Der HARN NACH UNTERBINDUNG DER DREI DARMARTERIEN. 487 sch Gehalt des Harns an Urea, Nach der Unterbindung Trebensakmer Nummer vor der nach der in der Stunde | Harnmenge a Unterbindung Unterbindung Harnstoff | in der Stunde . o V 1-60 1-07 0-247 23-0 7 Stunden vI 7-84 3-30 0.107 3 4 Ssunden vI 3-48 2-73 0-052 1-8 10 Std. 30.Min. VIII 6-30 0-68 0.025 4:0 9 Stunden Aus den vorliegenden Thatsachen lässt sich auf zweierlei Weise die verminderte Abscheidung des Harns und Harnstoffs ableiten. Entweder weil das Blut an Harnstoff verarmt ist, nachdem die Quelle seiner Bildung versiegte, welche nach den Beobachtungen v. Schröder’s und Minkowski’s in der Leber liegt. Oder weil die Niere, da sie gleichzeitig Eiweiss durchliess, an der Ab- sonderung des gebotenen Harnstofis verhindert war. Beides wirkt nach der gleichen Richtung hin, darum muss der Antheil, welchen die Anwesenheit des Eiweisses an der Abminderung der Harnabson- derung hervorbringt, mindestens schätzungsweise bekannt sein, wenn man erfahren will, ob die Verödung des Gebietes der Darmarterien wesentlich für den Ausfall verantwortlich sei. Wenn wir als wahrscheinlich annehmen, dass die Abscheidung des Eiweisses durch eine Störung im Blutlaufe der Niere bedingt gewesen sei, wie sie durch plötzliche Aenderungen des arteriellen Drucks hervorgerufen werden, so können wir zum Vergleich die von Overbeck! gesammelten Erfahrungen herbeiziehen, um zu einer Schätzung des Einflusses zu ge- langen, welchen die Beimischung des Eiweisses auf die Menge des gebildeten Harns und Harnstoffs ausüben könnte. In den Beobachtungen Overbeck’s finden wir nun, dass die Ver- minderung der Procente und der absoluten Mengen des Harnstofis keines- wegs mit der Grösse der Eiweissabscheidung wächst, und dass, wenn auch das Eiweiss bis über ein Procent steigt, der Procentsatz des Harnstoffs nur um Bruchtheile der Einheit abnehmen kann. — In noch geringerem Grade als auf Harnstoff wirkt das Eiweiss auf die Harnmenge, so dass, wenn man den Vergleich mit meinen Versuchen und die Anwendung darauf gelten lässt, die Aenderung des Zustandes der Niere, welche die Ausscheidung des Eiweisses veranlasste, weitaus nicht hinreicht, um den Abfall an Harn und Harnstoff begreiflich zu machen, wie er nach der Unterbindung der drei Darmarterien erscheint. 1 Wiener Sitzungsberichte. Bd. XLVII. Abthlg. 2. S. 189. 488 A.SuossE: DER HARN NACH ÜNTERBINDUNG DER DREI DARMARTERIEN. Mit einer gewissen Berechtigung könnten wir darum behaupten, dass die Veranlassung für die veränderte Zusammensetzung des Harns in der verminderten Herstellung von Harnstoff zu suchen sei und daran sogleich die Folgerung knüpfen, dass sich dann die Molecüle, aus welchen der Harn- stoff aufgebaut wird, reichlicher im Blute vorfinden und, insofern sie harn- fähig wären, auch durch die Niere ausgeschieden werden müssten. Zu den nothwendigen Vorläufern des Harnstoffs zählen Ammoniaksalze, welche, wie bekannt, leicht durch die Niere auswandern. Nach den von mir ausgeführten Bestimmungen nimmt aber der Ammoniakgehalt des Harns eher ab als zu, wenn die Harnstoffmenge ge- : mindert wird; unter diesen Umständen wird ein Zuwachs an Ammoniak im Blute nicht für wahrscheinlich gelten dürfen. Der Annahme, dass der Harnstoff in der Leber zusammengefügt werde, widersprechen meine Versuche nicht, aber, wie vorauszusehen, sie bringen ihr keine einfache Bestätigung. Denn der Eingriff, welchen die Unter- bindung der drei Arterien bedingt, geht über die Grenzen der Leber hin- aus im anatomischen und functionellen Gebiete. Wie die Unterbindung ausser der Leber noch Milz, Pankreas und den ganzen Darm aus dem Strom schaltet, so erzeugt sie auch’ neben der Verminderung der Harnstoff- ausscheidung ein besonderes Gift und das Auftreten der sonst nur im krank- haften Harn erscheinenden Albumose. Ueber die Erscheinungen, welche die Durchschneidung der Hinterstränge des Rückenmarkes bei Thieren her- beiführt und über die Beziehungen dieser Stränge zur Gleichgewichtsfunction. Von Prof. W. Bechterew in Kasan. Jeder hückenmarkshinterstrang besteht bekanntlich aus einem inneren und einem äusseren Bündel. Wie die entwickelungsgeschichtliche Methode lehrt, muss am letzteren noch ein vorderer äusserer Abschnitt, oder der innere Wurzelbezirk, und ein peripherer oder hinterer unterschieden werden." Diese beiden, eine Strecke weit durch ein zartes, bindegewebiges Septum von einander getrennten Hinterstrangtheile bilden durchaus kein gemein- schaftliches System, was nicht allen aus der verschiedenen Länge und Dicke ihrer Fasern, sondern auch aus der uneleichzeitigen Entwickelung und verschiedenen Abstammung derselben hervorgeht. ! Vergl. meine Arbeit: „Ueber die Bestandtheile der Hinterstränge des Rücken- markes auf Grundlage ihrer Entwickelung im Wratsch, 1884, und im Neurologischen Centralblatt, 1885. Nach den neuesten Untersuchungen von Fleehsig, mit welchen auch die meinen übereinstimmen, sind in dem Burdach’schen Bündel sogar drei verschiedene Abschnitte zu unterscheiden (vergl. seine Arbeit: „Ist die Tabes dorsalis eine System-Erkrankung?“ im Neurologischen Centralblatt, 1890, Nr. 2 u. 3). Ausser- dem muss bemerkt werden, dass auch die inneren oder Goll’schen Bündel nicht aus genetisch ganz gleichen Fasern bestehen. Die entwiekelungsgeschichtliche Methode zeigt im Gegentheil, dass ausser den sich spät entwickelnden, die Hauptmasse dieser Bündel ausmachenden Fasern daselbst noch eine gewisse Anzahl sich früh entwickeln- der Fasern, welche sich meist in der Nähe des hinteren Septums anhäufen, vorfinden (vergl. meine Mittheilung und die Mittheilung von N. Popow in der Medieinskoie Obosrenie (russisch) 1887, Nr. 14 und Nr. 17, und von Flechsig im Neurologischen Centralblatt, 1890, Nr. 2). 490 W. BECHTEREW: Gegenwärtig ist wohl als anerkannt zu betrachten, dass die inneren Bündel der Hinterstränge (Goll’sche Stränge) im Gegensatz zu den äusseren (Burdach’schen Strängen) aus feineren und längeren Fasern bestehen. In verschiedenen Rückenmarksniveaus, hauptsächlich aber in den unteren ihren Anfang nehmend, verlaufen sie zum verlängerten Mark. Wie ich mich überzeugt habe, entspringen die Fasern dieser inneren Bündel aus den in den Hinterhörnern liegenden Zellen und theilweise auch aus den Zellen der Clarke’schen Säulen der entsprechenden Seite. Dagegen stammen die äusseren Bündel, welche mit Ausnahme der hierselbst verlaufenden Hinterwurzeln aus mehr kurzen, die einzelnen Segmente der grauen Rücken- markssubstanz mit einander verbindenden Fasern bestehen, fast ausschliess- lich aus den Zellen der Clarke’schen Säulen.” Somit ist es klar, dass die Rückenmarkshinterstränge durchaus nicht als unmittelbare Fortsetzung der hinteren Spinalwurzeln, wie es einige Autoren angenommen haben, (Schrö- der van der Kolk, in neuester Zeit Singer? u. A.), anzusehen sind, da die im Hinterhorn liegenden Zellen und solche der Clarke’schen Säulen dazwischen treten.’ Im verlängerten Mark treten die Fasern der inneren Bündel, hier zarte Stränge genannt, in die sogenannten Kerne der zarten Stränge, ! Vergl. meine Arbeit: „Ueber die Hinterwurzeln, ihre Endigungsart in der grauen Rückenmarkssubstanz und ihre centrale Fortsetzung“ im Wiestnik klin. i. soud. Psy- chiatris v Neuropathologii, 1887, Lief. 1. und in diesem Archiv, 1887, anat. Abthlg. ® Singer, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1881. Bd. LXXXIV. Abthlg. Ill. ® Vergl. die hierher gehörende Arbeit von mir und Dr. P. Rosenbach, „Ueber die Bedeutung der Intervertebralganglien“ und den „Nachtrag“ zu ihr im Neurolog:- schen Centralblatt, 1884, Nr. 10 u. 14; dann meine Mittheilung in der S82.- Petersburger Gesellschaft der Psychiater, 1885, „Ueber die Fasern der grauen Rückenmarkssubstanz“ und die soeben oben eitirte Arbeit „Ueber die Hinterwurzeln“ u. s. w. im Wiestnik klin. i soud. Psychiatriü v Neuropathologii, 1887 und dies Archiv, 1887, ferner noch die Arbeit von Dr. Rossolymo: „Zur Frage über den weiteren Verlauf der Hinterwurzel- fasern im Rückenmark“ im Neurologischen Centralblatt, 1886, Nr. 17, und seine Dissertation: Experimentelle Untersuchungen zur Frage über die Bahnen, welche der Sensibilität und der Bewegung dienen“, Moskau 1887. Nachdem der letztere Autor sich überzeugt hatte, dass bei Meerschweinchen nach der Durchschneidung der Hinter- wurzeln die secundäre Degeneration der Goll’schen Stränge ausbleibt, ungeachtet dessen, dass die centralen Stümpfe der Hinterwurzeln degenerirt waren, schliesst er ganz richtig, dass die Goll’schen Stränge also nicht die unmittelbare Fortsetzung der Hinterwurzeln sein können. In unserer (gemeinschaftlich mit Dr. Rosenbach aus- geführten) Arbeit (a. a. O.) hatten wir noch viel früher dieselbe Ansicht bezüglich der Goll’schen Stränge vertreten und sie auch durch Resultate der Durchschneidung der Hinterwurzeln bei Hunden begründet. Bald darauf lieferte ich hierfür noch weitere Belege durch meine Untersuchungen des Rückenmarks von Menschenembryonen (vergl. meine obige Mittheilung in der Gesellschaft der Psychiater und meine Arbeit: „Ueber die Hinterwurzeln“ u. s. w.). DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKS. 491 die Fasern der äusseren oder keilförmigen Bündel aber in Kerne gleichen Namens. Aus diesen und jenen Kernen gehen schon die die centrale Fort- setzung der genannten Bündel darstellenden Fasern hervor. Die Mehrzahl letzterer tritt in die sogenannte hintere oder obere (sensible) Kreuzung. Von hier aus zieht ein Theil der Fasern um die untere Olive und theilweise um die contralaterale Pyramide herum zur äusseren Fläche der Medulla oblon- sata, wo sie als Fibrae arcuatae externae anteriores hinaufsteigen und in das Kleinhirns treten, um in letzterem in der Rinde des mittleren Lappens ohne neue Kreuzung zu endigen;! der übrige Theil der Fasern dringt nach der Kreuzung in der Raphe durch die Olivenzwischenschicht und setzt sich dann weiter in der Schleifenschicht in der Richtung zum Grosshirn fort. Be- merkt werden muss, dass aus den zarten und den keilförmigen Bündeln eine Anzahl von Fasern gar nicht zur hinteren Kreuzung geht, sondern un- mittelbar als Fibrae arcuatae externae posteriores nach aussen zieht und in das entsprechende Corpus restiforme tritt, wo sie alsdann sich den Fasern hinzugesellt, welche aus den Kernen des zarten und des keilföürmigen Stranges der contralateralen Seite zum Kleinhirn ziehen. Was die physiologische Rolle der Rückenmarkshinterstränge anbetrifft, so ist solche bis heute weder durch experimentelle Untersuchungen noch pathologische Data vollkommen klar gelegt worden. Unter dem Einfluss der Bell’schen Lehre waren früher Physiologen geneigt, den in so naher Beziehung zu den hinteren Spinalnervenwurzeln stehenden Hintersträngen sensible Functionen zuzuschreiben; die Vorderstränge sah man als Leiter für willkürlich-motorische Impulse an.? Das Fehlerhafte dieser aprioristischen Schlussfolgerung konnte nicht lange verborgen bleiben. Die Resultate neuerer physiologischer speciell mit der Erforschung der Rolle der Hinter- stränge sich beschäftigender Untersuchungen sprechen keineswegs für obige Auffassung. Unter diesen sind besonders die Arbeiten von Brown-Sequard, Schiff, Woroschiloff, Dittmar und Nawrozki hervorzuheben. Im Nachfolgenden sollen sie deshalb auch besonders berücksichtigt werden. Durch Brown-Sequard’s Versuche werden die Folgerungen älterer Autoren nur insofern bestätigt, als bei der Reizung der Hinterstränge wirklich Schmerzäusserung auftritt, was bei der Reizung anderer Kücken- markstheile nicht der Fall ist, Seine Durchschneidungsversuche der Hinter- stränge brachten ihn zu dem Schluss, dass denselben die Leitung des Schmerzgefühles zum Gehirn gar nicht zukommt.’ ! Vergl. meine Arbeit: „Ueber die Bestandtheile der Striekkörper“ im WMiestnik klin. i sound. Psychiatrii, 1886, Lief. 1 und dies Archiv, 1886. * Longet, Anatomie et physiologie du systeme nerveu. ® Wir glauben anführen zu müssen, dass schon früher einige Autoren, wie z.B. Stilling und van Deen darauf hingewiesen haben, dass nach vollkommener Durch- 492 | W. BECHTEREW: Brown-Söquard! und Schiff? brachten noch einen weiteren Beweis dafür bei, dass die Hinterstränge des Rückenmarkes nicht als Leiter für Schmerzempfindungen funetioniren: war auf einem gewissen Niveau das Rücken- mark bis auf die Hinterstränge durchschnitten, so waren auch die unter- halb gelegenen Körpertheile gefühllos. Nach Brown-Söquard hatte diese Operation stets vollkommene Ge- fühllosigkeit, also Verlust des Schmerz- wie des Tastgefühls zur Folge, während Schiff behauptet, dass danach wohl Analgesie eintritt, das Tast- vermögen jedoch erhalten bleibt. Diese Thatsache veranlasste Schiff jan- zunehmen, dass die qualitativ verschiedenen Gefühle des Schmerzes und der Berührung im Rückenmark verschiedene Leitungsbahnen besitzen, ‚wo- bei die die Tastempfindung vermittelnden Fasern in den weissen Hinter- strängen sich finden, die graue Rückenmarkssubstanz aber den Schmerz leiten soll. Bleibt auch nur ein noch so kleiner Theil vom Querschnitt der grauen Substanz unversehrt, so ist nach Schiff in den unterhalb ge- legenen Hautbezirken das Schmerzgefühl vollkommen erhalten, wobei es gleichgültig ist, welcher Theil der grauen Substanz vom Schnitt nicht ge- troffen war. Von dieser soeben eitirten Ansicht von Schiff unterscheidet sich die von Brown-Söquard der Hauptsache nach dadurch, dass letzterer die graue Rückenmarkssubstanz alle sensiblen Impulse leiten lässt. Bei seinen Versuchen konnte Brown-Sequard nicht den von Schiff gefundenen Unterschied in der Leitung der Tast- und Schmerzempfindung constatiren, musste aber hernach, auf Grund klinischer Untersuchungen, die Existenz besonderer Bahnen nicht allein für Tast- und Schmerz-, son- dern auch für Juck- und Temperaturempfindung anerkennen. Andererseits haben die Untersuchungen von Miescher? und Woro- schiloff* gezeigt, dass die Leitung der willkürlich-motorischen Impulse aus dem Gehirn und sensibler von der Körperperipherie her den Seitensträngen des Rückenmarkes zukommt. In den: Versuchen von Woroschiloff hatte die isolirte Durchschneidung der Hinterstränge bei Kaninchen im Niveau schneidung der Hinterstränge oberhalb der Abgangsstelle der Wurzeln für den Plexus ischiadieus die Sensibilität der Hinterextremitäten nicht allein ungesehwächt bleibt, sondern gerade umgekehrt mehr oder weniger erhöht wird. ! Brown-Sequard, Vorlesungen über Physiologie und Pathologie des centralen Nervensystems. ® Schiff, Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der höheren Thiere von J. Moleschott. 1858. Bd, IV. ® Ludwig’s Arbeiten. 1870. 8. 172. * Der Verlauf der motorischen und sensiblen Bahnen durch das Lendenmark des Kaninchens.. Ludwig’s Arbeiten. 1874. 8. 99. DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKS. 493 des letzten Brustwirbels weder Anaesthesie der unterhalb gelegenen Körper- theile zur Folge, noch sah er hiernach die von Brown-Söquard hervor- gehobene Erhöhung der Sensibilität. Endlich konnten sich Nawrozki und Dittmar, welche gleich den beiden vorhergehenden Forschern im Ludwig’schen Laboratorium ar- beiteten, sich davon überzeugen, dass die Zerstörung der Hinter- und Vorderstränge nebst der grauen Substanz weder die centrifugale noch die centripetale Leitung der Impulse aufhebt, folglich die Seitenstränge des Rückenmarkes als Leiter derselben anzusehen sind. Aus dem Gesasten geht hervor, dass die Mehrzahl neuerer Unter- sucher den Hintersträngen des Rückenmarkes die Leitung der Hautgefühle abspricht und nur Schiff die Meinung vertritt, dass dieselben als Bahnen für die Tastempfindung fungiren. Es müssen hier noch die Beobachtungen dieses Autors über den Einfluss, welchen die Durchschneidung der Hinterstränge auf die Bewegung der Thiere ausübt, angeführt werden. Hatte Schiff bei Katzen und Hunden beide Hinterstränge am oberen Theile des Halsmarkes durchschnitten, so sah er eigenthümliche Bewegungsstörungen auftreten, welche er also be- schreibt: „Die ersten Tage nach der Operation hat man Bewegungsstörungen der verschiedensten Art, und wenn die traumatischen Störungen geschwun- den sind, bleibt die bekannte Ataxie zurück, die hier nur besonders auf- fallend ist, weil sie die beiden Hinter- und Vorderfüsse zugleich ergriffen hat.“ Mit der Zeit soll sich übrigens der Gang der Thiere etwas bessern. Schiff hat noch eine weitere Beobachtung an derart operirten Thieren gemacht: einige Zeit nach der Operation soll nämlich bei denselben die Erregbarkeit der motorischen Hirnrindenzone erlöschen. Der Schwerpunkt dieser Beobachtung liest in Folgendem. Schiff macht nämlich die Erreg- barkeit der motorischen Hirnrindenzone davon abhängig, dass von dem dort applieirten Reiz die in der Hemisphaere unter der Rinde vorhandenen Leiter für die Tastempfindung, welche die Fortsetzung der Hinterstränge des Rückenmarkes bilden, getroffen werden. Wurden nun beim Versuchsthier zuerst die Hinterstränge durchschnitten und ist die aufsteigende secundäre Degeneration derselben nebst ihrer Fortsetzung im Gehirn erfolgt, so existirt auch nicht mehr die Erregbarkeit der motorischen Hirnrindenzone. Dass diese Beobachtung nicht richtig ist, wurde in der Folge von Horsley? und mir? nachgewiesen. In den Versuchen von Schiff sind wohl bei der ! Schiff, Ueber die Erregbarkeit des Rückenmarkes. Pflüger’s Archw u. s. w. Bd. XXX. 8.25. ?2 Horsley, Brain. October 1886. 3 Vergl. meine Arbeit: „Physiologie der motorischen Hirnrindenzone“, Archiv Psyehiatrü, Neurologii i soud. Psychopathologii, 1886 u. 1887. 494 W. BECHTEREW: Durchschneidung der Hinterstränge zugleich auch die Pyramidenbahnen in den Seitensträngen mit getroffen worden. Bei meinen an Tauben, Kaninchen und Hunden treställien Versuchen verletzte oder durchschnitt ich die Hinterstränge meist am obersten Abschnitt des Halsmarkes. Eine solche hohe Durchschneidungsstelle bietet wesent- liche Vortheile bei der Erforschung der Leitungsbahnen in den Hinter- strängen, da das Wirkungsbild mehr nach unten gelegener Durchschnei- dungen, besonders solcher in der Nähe der Anschwellung, durch sensible und motorische Störungen in Folge der Durchtrennung der Wurzelfasern der Burdach’schen Stränge stark getrübt wird. Anzuführen ist, dass ich bei Hunden im angegebenen Rückenmarksniveau nicht allein totale Durch- schneidung der Hinterstränge, sondern auch solche der inneren oder Goll’- schen Bündel allein ausführen konnte Der kleinen Dimensionen ihres Rückenmarkes wegen ist letzteres bei Tauben und Kaninchen nicht möglich. Die Operationsmethode war folgende: An der entsprechenden Stelle des Halses wurde beim Versuchsthier ein tiefer Einschnitt durch die Haut und die Muskeln gemacht, hierauf der Bogen eines Halswirbels von den Weich- theilen entblösst und mittels einer starken Scheere oder einer Knochen- scheere entfernt, so dass das Rückenmark frei lag. Alsdann machte ich einen kleinen Einschnitt in die harte Rückenmarkshaut und stach ein sehr dünnes, zweischneidiges, kleines Messerchen an der Stelle der hinteren Längsfurche des Rückenmarkes bis zu einer vorher bestimmten Tiefe ein und zwar so, dass die Klingenfläche des Messers mit der Längsaxe des Rückenmarkes einen rechten Winkel bildete. War es nöthig, so konnte die Durchschneidung der Hinterstränge durch seitliche Bewegungen des Hand- srifis zu Ende geführt werden. In der angegebenen Weise bietet die Aus- führung der Operation keine besondere Schwierigkeit dar, und bei einiger Uebung gelingt fast immer der Versuch, nur muss man das Instrument nicht zu tief in die Rückenmarkssubstanz einstechen. Sollten beim Hunde nur die inneren Bündel der Hinterstränge durch- schnitten werden, so wurde das Messer nur bis zu einer gewissen Tiefe an der entsprechenden Stelle in das Rückenmark eingesenkt. Zugang zu den Kernen der zarten Stränge im verlängerten Mark erhielt man durch Er- öffnung der Membran zwischen dem Atlas und dem Hinterhauptsbein. Die Verletzung des einen oder des anderen Kernes wurde mittels eines ähn- lichen Instruments, wie oben beschrieben, vorgenommen. Ich halte es für nöthig, hier besonders hervorzuheben, dass bei allen Versuchen das Resultat‘ der Operation durch postmortale anatomische und in einigen Fällen sogar histologische Untersuchung genau controlirt wurde. »elbstverständlich dienten nur tadellos operirte Fälle zu Schluss- folgerungen, DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKES. 495 Versuche an Tauben. Schon die Berührung der Hinterstränge mit einer stumpfen Nadel- spitze hat eine Aufregung der Taube zur Folge. Auf den Stich in den inneren (medialen) Abschnitt der hinteren Stränge schnellt die Taube nicht selten einige Secunden lang vorwärts, oder fliegt in einer eigenthümlichen Körperhaltung, z. B. mit gerade nach oben gehobenem Kopfe, auf. Sie beruhigt sich hierauf gewöhnlich bald, es genügt aber (wenigstens in der ersten Zeit nach der Operation) sie einfach zu erschrecken, damit sie wieder ebenso nach vorwärts strebt, dabei mit Flügelschlägen nachhelfend. In anderen Fällen tritt bei der Taube diese oder jene Zwangsbewegung auf; sie beschreibt z. B. Halbkreise, oder äussert die Neigung in einer gewissen Richtung zu fallen. Selten halten diese Erscheinungen lange an. Ge- wöhnlich verschwinden sie bald nach der Operation entweder ganz, oder nehmen doch bedeutend ab. Dagegen kommen bei der Taube nach der Operation eine Reihe mehr oder weniger constanter Bewegungsstörungen zum Vorschein. So constatirt man bei ihr schon beim Stehen oder bei langsamer Fortbewegung mehr oder weniger starke Gleichgewichtsstörungen. Auf ebener Fläche kann sie sich oft nur mit grosser Mühe aufrecht er- halten und das nur meist dadurch, dass ihr auch der Schwanz gleichzeitig als Stütze dient. Hat man der Taube Zeit gegeben, sich von der Operation zu beruhigen und bringt sie dann aus der von ihr angenommenen Stellung, so fängt ihr Körper an hin und her zu schwanken, bis sie sich wieder auf den Schwanz stützen kann. In einigen Fällen ist die Taube von der Neigung nach vorn zu fallen behaftet, oder aber sie weicht bei ihrer Bewegung stets nach einer Seite hin, z. B. nach rechts oder links hin, ab. Auf der Sitzstange kann sie sich entweder gar nicht oder aber nur dadurch erhalten, dass sie sich das Gleichgewicht durch Flügelschläge giebt. Auch im letzteren Falle bleibt sie auf der Stange nur einige Secunden, oder höchstens 1—2 Minuten, worauf sie wieder zu Boden fällt. Der Gang der operirten Taube ist stets unregelmässig und zeichnet sich durch ein mehr oder weniger starkes Schwanken aus. Dabei äussert sich sehr bestimmt die Neigung entweder zu fallen oder aber bei der Fortbewegung in einer gewissen Richtung abzuweichen. Zur schnelleren Bewegung an- geregt, gebraucht sie schon ihre Flügel. Besonders will ich darauf auf- merksam machen, dass die beschriebenen Gleichgewichtsstörungen noch viel deutlicher auftreten, wenn der operirten Taube die Augen verschlossen werden. Zieht man z. B. einer solchen Taube ein Säckchen über den Kopf, so stellen sich sogleich eine Reihe unregelmässiger Bewegungen ein. Nicht - 496 W. BECHTEREW: selten dreht sie sich dabei einige Male auf einer Stelle im Kreise herum und geht zurück. In einigen Fällen erfolgen jedoch nur Zwangsbewegungen des Kopfes, welche denen ähneln, die nach der Durchschneidung der halbkreisförmigen Canäle sich einstellen. Nach einiger Zeit beruhigt sich eine solche Taube und nimmt eine eigenthümliche Stellung z. B. mit zur Seite gebeugtem oder etwas zurückgeworfenem Kopfe und herabhängen- dem Schwanze ein. Es können aber die oben beschriebenen Bewegungs- störungen sich wieder, einstellen und zwar nach einem Stoss, oder lautem Klopfen, oft aber auch ohne sichtliche Ursache. Bevor sie dabei zu kreisen anfängt, stellen sich bei ihr nicht selten starke schaukelnde Bewegungen des Kopfes nach der Seite des Kreisens hin ein. Ein ruhiges festes Stehen mit verbundenen Augen ist für eine solche Taube fast unmöglich: ihr Körper schwankt mehr oder weniger stark hin und her, nach vorn und zurück, bis sie einen dritten Unterstützungspunkt durch Aufstemmen des Schwanzes oder Kopfes gewonnen hat. Zuweilen muss die Taube wegen Schwankungen des Körpers nach einer Richtung hin fast beständig den Ort wechseln, wobei zur Erhaltung des Gleichgewichts nicht selten Flügel- schläge nothwendig sind. Bemerken will ich, dass die Coordination der einzelnen Bewegungen bei derartig operirten Tauben nicht gelitten hat; sie können sogar fliegen, obgleich ihr Flug schwerfällig und bisweilen auch sehr eigenthümlich ist. Einige Tauben erheben sich hierbei anfangs gerade in die Höhe, wobei ihr Körper mit dem ausgestreckten Hals sich beinahe vertical stellt; andere fliegen mit der einen Körperhälfte voraus, wieder andere können gar nicht hinauffliegen, sondern bewegen sich mit gestrecktem und etwas gesenktem Kopfe in der Richtung einer schiefen Ebene. Die beschriebenen Gleichgewichtsstörungen halten gewöhnlich sehr lange an. In ausgesprochenen Fällen nach einigen Wochen und zuweilen sogar Monaten sind sie noch vorhanden, obwohl sie mit der Zeit mehr oder weniger stark abgenommen haben. In keinem Falle sah ich paretische oder paralytische Erscheinungen irgend eines Körpertheiles bei derart operirten Tauben auftreten. Eine aufmerksame Untersuchung ihrer Sensibilität wies auch keine anormalen Erscheinungen nach, Schon sehr vorsichtiges und gewaltloses Anfassen eines Fusses der operirten Taube, welcher vorher die Augen verbunden waren, lässt sie nicht selten mit aller Kraft Befreiungs- versuche anstellen. Ebenfalls werden die operirten Tauben von allgemeiner Unruhe ergriffen, wenn man ihren Füssen andere Stellung zu geben ver- sucht oder dieselben drückt, gleichfalls auch auf schmerzhafte Reize (Stiche) hin, DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKS. 497 x Versuche an Kaninchen. Bei den Kaninchenversuchen wurden die Hinterstränge im Niveau des zweiten bis dritten Halswirbels durchschnitten. Zuerst wollen wir be- merken, dass bei Kaninchen, ebenso wie bei Tauben, schon einfache Be- rührung der Hinterstränge mit einer stumpfen Nadel- oder Messerspitze reflectorisch die Glieder des Versuchsthieres in Bewegung setzt. In dem- selben Moment, wo die Verletzung stattfindet, wird das Kaninchen sehr unruhig und versucht sich aus dem Gestell zu befreien. Hat man ihm nun die Fesseln abgenommen, so zeigen sich bei ihm ausgesprochene Be- wegungsstörungen und zwar mit dem Charakter der Gleichgewichtsstörung. Macht das Thier einige Sprünge, um den Ort zu wechseln, so fällt es da- bei bald rechts, bald links um oder auch auf den Bauch hin. Seine Sprünge sind ausserdem ungleich und es hat überhaupt den Anschein, als ob die Fortbewegung dem Thiere grosse Anstrengung kostete, jedenfalls geschieht sie nicht so leicht wie bei gesunden Kaninchen. Auf die Hinterbeine sich setzen kann das operirte Kaninchen dagegen gar nicht. Bei einigen Kanin- chen sieht man, wenn sie durch Kneifen des Schwanzes in Bewegung gesetzt werden, die Neigung, kopfüber rückwärts um die Queraxe zu fallen. Bemerkt muss werden, dass in einigen Fällen bei passiven Hin- und Herbewesungen der operirten Kaninchen eine eigenthümliche schwankende, an Nystagmus erinnernde Bewegung ihrer Augäpfel zur Beobachtung gelangt. Verbindet man die Augen des Versuchsthieres, so verstärken sich alle beschriebenen Bewegungsstörungen im höchsten Grade. Aufrecht kann sich das Kaninchen nur auf dem Bauche liegend erhalten. Kneift man seinen Schwanz, um es zur Bewegung anzuspornen, so fällt es gleich beim ersten Sprunge auf die Seite und kann ohne fremde Hülfe nicht mehr sich auf die Beine erheben, oder aber es kostet ihm nicht geringe Mühe. Einige operirte Kaninchen schnellen auf den Kniff in den Schwanz gerade in die Höhe oder fallen sogar zurück, bisweilen fangen sie darauf an, rückwärts zu treten. Eine deutliche Abnahme der Schmerzempfindung konnte ich bei den operirten Kaninchen weder am Körper noch an Extremitäten constatiren. Was das Tastvermögen und das Muskelgefühl anbelangt, so hat es seine Schwierig- keiten, über das Vorhanden- und Nichtvorhandensein derselben bei operirten Kaninchen zu sprechen, da diese Thiere zu derartigen Versuchen sehr schlechte Objecte abgeben. Alle beschriebenen Motilitätsstörungen halten sich doch mehr oder weniger lange Zeit. Uebrigens fangen die operirten Thiere nicht selten ein bis zwei Wochen nach der Operation an, ohne sichtliche Ursache abzumagern, wobei die Gleichgewichtsstörungen deutlich zunehmen. Der Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 32 498 . W. BECHTEREW: Tod tritt in solchen Fällen bei starkem Kräfteverfall des Thieres ein. Bei den Thieren aber, welche nicht eingehen, war die Gleichgewichtsstörung noch viele Wochen nachher vorhanden. Versuche an Hunden. Wie bei Tauben und Kaninchen setzt die mechanische Reizung (Be- rührung und Streichen mittels einer stumpfen Nadel- oder Messerspitze) der Hinterstränge auch bei Hunden die Glieder reflectorisch in Bewegung.! Ebensolche Bewegungen und eine allgemeine Aufregung begleiten die Ver- letzung oder Durchschneidung der Hinterstränge des Halsmarkes. Hiernach beruhigt sich jedoch das Thier sehr schnell. Befreit man es nun von den Fesseln, so treten bei ihm deutliche Gleichgewichtsstörungen zu Tage. Sein Gang ist unregelmässig, die Extremitäten werden breit auseinander gespreizt, aber dennoch taumelt es hin und her. Steht das Thier mit ziemlich nahe aneinander gestellten Beinen, so schaukelt sein Körper hin und her, vor und rückwärts. Obwohl es dem Thiere noch gelingt, sich auf die Hinterbeine zu setzen, muss es doch die Vorderbeine weiter als gewöhn- lich auseinanderstellen. Durch das Verbinden der Augen gerathen einige Thiere in furchtbare Aufregung, fangen sogar bisweilen an, sich im Kreise zu drehen und rückwärts zu gehen, beruhigen sich aber gewöhnlich in einigen Minuten. Jetzt tritt die Gleichgewichtsstörung viel deutlicher hervor. Einige Thiere sind sogar nicht im Stande, auf einem Flecke zu stehen und fallen zur Seite, andere stützen sich dabei auf das Maul. Trotzdem schwankt ihr Körper so bedeutend, dass sie fast beständig in dieser oder jener Richtung sich fortbewegen müssen. Um fester auf den Beinen stehen zu können, spreizen die Thiere nicht selten instinetiv die Extremitäten auseinander. Zwingt man das operirte Thier, mit verbundenen Augen sich in Be- wegung zu setzen (was nicht immer leicht ist, da die Thiere ungern den Ort wechseln), so ist ihr Gang äusserst schwankend und unsicher, dabei fallen sie nicht selten beim ersten Versuch zum Gehen um und können sich hierauf nicht mehr selbst erheben. Ich will darauf aufmerksam machen, dass die operirten Thiere beim Gehen viel ausgiebigere Bewegungen mit den Ex- tremitäten, besonders den Vorderbeinen ausführen, als im normalen Zustand. Diese Erscheinung hängt meiner Meinung nach mit dem unsicheren, schwan- ! Wie ich in einer anderen Arbeit gezeist habe, sind diese Bewegungen ein Aus- druck der selbständigen Erregbarkeit der Hinterstränge. Bei neugeborenen Thieren, bei welchen die Hinterstränge noch marklos sind, kann man dieselben nicht hervorrufen. (Vergl. meine Arbeit im Neurologischen Centralblatt, 1888, Nr.6 und Wratsch, 1887, Nr. 22.) DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKS. 499 kenden Gang zusammen und ist nicht als Ataxie der Bewegungen selbst aufzufassen.! Die von mir operirten Thiere blieben verschieden lange Zeit, von einigen Tagen bis zu einigen Wochen, in Beobachtung. Zuweilen verstärkten sich die beschriebenen Gleichgewichtsstörungen in den ersten Tagen nach der Operation, wohl in Folge der entzündlichen Reaction an der Operations- stelle, in anderen Fällen war in den ersten Tagen keine Veränderung in dieser Hinsicht zu verzeichnen. Immer aber wurden die Bewegungsstörungen mit der Zeit schwächer und verschwanden nach einigen Wochen, hin und wieder sogar früher, vollständig. Was die Gefühlssphaere anlangt, so konnte ich bei den von mir operirten Thieren ungeachtet der sorgfältigsten Untersuchung in den Extremitäten keine deutliche Veränderung der Haut- gefühle, die Tastempfindung nicht ausgenommen, und des Muskelgefühls wahr- nehmen. War die Operation am unteren Abschnitte des Halsmarkes, im Niveau des 5.— 6. Halswirbels ausgeführt worden, so trat bei dem Thiere deutliche Anaesthesie der Vorderextremitäten mit Verlust des Muskelgefühls und Coordinationsstörung der Bewegungen auf. Am Körper oder an den Hinter- extremitäten konnten auch in diesem Falle weder Ooordinationsstörung noch irgend welche Veränderungen der Haut- oder Muskelgefühle wahrgenommen werden. Augenscheinlich sind die angegebenen Störungen in den Vorder- extremitäten von der Verletzung der Muskelfasern, welche in dem äusseren Burdäch’schen Bündel vorhanden sind, und nicht von einer Affection irgend welcher Leitungsbahnen abhängig. Ausserdem war in einigen, wenn auch Ausnahmefällen, in den unter- halb gelegenen Körpertheilen der operirten Thiere deutliche Erhöhung der Hautgefühle zu constatiren. Letztere hielt sich auch dann ziemlich Zange nach der Operation und verlor sich nur allmählich. Bekanntlich fanden einige frühere Autoren, wie z. B. Brown-Sequard, nach der Durchschnei- dung der Hinterstränge bei Thieren Hyperaesthesie in den unterhalb ge- legenen. Körpertheilen, doch blieb der Entstehungsmodus dieser Hyper- aesthesie bis zur Zeit unaufgeklärt. Auf Grund meiner Versuche kann ich behaupten, dass die Hyperaesthesie bei derart operirten Thieren nur in den Fällen auftritt, wo die Verletzung des Rückenmarkes eine entzünd- liche Reaction der grauen Substanz zur Folge hat. Wenigstens fand ich ! Erkennen wir den soeben beschriebenen Gang nicht für Ataxie an, so können wir bei Thieren nach Durchschneidung der Hinterstränge im oberen Abschnitt des Hals- markes wahre Ataxie der Vorder- und Hinterextremitäteu nicht constatiren. Nur dann, wenn die Durchschneidung der Hinterstränge im unteren Abschnitt des Halsmarkes vorgenommen war, äussert sich bei Thieren Ataxie der Vorderextremitäten, ebenso wie Ataxie der Hinterextremitäten bei ihnen nach der Durchschneidung der Hinter- stränge im Niveau des Lendenmarkes herbeigeführt werden kann. 322 500 W. BECHTEREW: in solchen Fällen bei der Section an der Durchschnittsstelle der Hinter- stränge ganz deutliche Röthung der grauen Substanz und bei mikroskopischer Untersuchung Erweiterung oder Entwickelung von Gefässen, nicht selten mit plasmatischem Exsudat in das Gewebe verbunden, und ausserdem eine mehr oder weniger deutliche Trübung der Zellelemente. Aus diesem Grunde erkläre ich die Hyperaesthesie in solchen Fällen durch Reizung sensibler Fasern in Folge entzündlicher Reaction, welche sich in der grauen Substanz des Rückenmarks einstellt. Um den Antheil der verschiedenen Hinterstrangstheile an den oben beschriebenen Störungen festzustellen, durchschnitt ich in einigen Fällen an besagter Stelle die inneren Bündel der Hinterstränge allein. Aus solchen Ver- suchen ging hervor, dass hierauf keine sensiblen, wohl aber Bewegungsstörungen wie bei gänzlicher Durchschneidung der Hinterstränge auftreten, nur mit dem Unterschiede, dass hierbei die Gleichgewichtsstörungen nicht so aus- gesprochen waren, wie bei gänzlicher Durchschneidung der Hinterstränge. Zu dieser Beschreibung muss ich noch hinzufügen, dass es mir in einigen Fällen gelang, nach der Durchschneidung der Membranae oceipito- atlantoideae eine isolirte Verletzung der Kerne von zarten Strängen aus- zuführen. Auch hierbei traten beim Versuchsthier keine sensiblen Störungen ein, die Gleichgewichtsstörungen zeigten sich aber sehr praegnant. Ein derart operirtes Thier wankt oder fällt sogar bei seiner Bewegung stets zur Seite hin; werden ihm beide Augen verbunden, so verstärkt sich jedes Mal das Schwanken und zwar so bedeutend, dass die Thiere mit verbundenen Augen nicht im Stande sind an einer Stelle ruhig zu stehen und nicht selten auf die Seite fallen. In einigen Fällen sah ich nach der Verletzung der inneren Hinter- strangbündel des Halsmarkes, dass das Thier bei seiner Fortbewegung die Neigung hatte, in einer Richtung abzuweichen. Bei der Section ergab sich, dass in solchem Falle nur die eine Hälfte des hinteren Bündels ver- letzt war und zwar auf der entgegengesetzten Hälfte bezüglich der Seite, zu welcher hin das Thier abwich. Die andere Hälfte des Bündels war vollkommen erhalten oder nur unbedeutend mit verletzt. Aus dem Gesagten ist evident, dass die eigenthümlichen, nach der Verletzung oder Zerstörung der Hinterstränge des Rückenmarkes auftreten- den Gleichgewichtsstörungen hauptsächlich von der Unterbrechung der Fasern der inneren Bündel abhängen, theilweise aber auch auf Rech- nung der Verletzung der äusseren Bündel zu setzen sind. Somit zeigen unsere Versuche, dass die Hinterstränge des Rückenmarkes Leitungsbahnen sind, welche unter Anderem auch mit dem Kleinhirn in engem funetio- nellen Verhältniss stehen. Ziehen wir hierbei in Betracht, dass die ana- tomische Verbindung der Goll’schen und auch der äusseren Bündel, DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKS. 501 oder der Burdach’schen Stränge mit dem Kleinhirn gegenwärtig als vollkommen anerkannt gelten kann, so haben wir guten Grund anzunehmen, dass die Fasern der genannten Bündel nebst ihren Kernen centripetale Leiter für Impulse von der Peripherie im Kleinhirn sind. Ohne Zweifel ist das nicht die einzige Function der in Rede stehenden Bündel. Ab- gesehen davon, dass die Fasern der Hinterstränge zur Uebergabe dieser oder jener spinalen Reflexe dienen, soll man nicht ausser Acht lassen, dass aus den Kernen der Hinterstränge in centraler Richtung Fasern nicht allein zum Kleinhirn, sondern auch in die Schleifenschicht ausgehen, die durch letztere bis zum Grosshirn gelangen, obwohl die Functionen der- selben bisher unbekannt geblieben sind. Die Beobachtungen an Thieren, denen die Grosshirnhemisphaeren ab- getragen worden, erlauben nicht, daran zu zweifeln, dass die Hautreize einen wesentlichen Einfluss auf das Gleichgewicht des Körpers haben. Allbekannt ist es, mit welcher Gewandtheit solche Thiere sich auf abschüssiger Fläche halten können und wie vollkommen sie das Gleichgewicht bewahren, wenn man sie zur Bewegung auf unebener Fläche antreibt, obgleich sie nur von Hautreizen geleitet werden. Beobachten wir z. B. eine operirte Taube, welche sich auf einer mit Erhöhungen und Vertiefungen versehenen Fläche fortbewegen muss. Niemals geschieht es, dass sie über dieses oder jenes Hinderniss stolpernd, oder aus einer erhöhten Stelle in eine Vertiefung tretend fällt. Im Gegentheil, unter ähnlichen Bedingungen bewahrt die Taube ihr Gleichgewicht mit fast ebensolcher Vollkommenheit wie eine gesunde. Nieht weniger überzeugend ist der allbekannte Goltz’sche Versuch mit dem aequilibrirenden Frosch, dessen Grosshirnhemisphaeren vorher ent- fernt werden waren. Aehnliche Thatsachen sprechen überzeugend dafür, dass die Hautreize mit zu den Erregern des centralen Mechanismus für das Gleichgewicht gehören. Ausserdem sind schwerwiegende Gründe dafür vorhanden, dass in der Haut selbst (von den Muskeln und dem Bandapparat will ich nicht reden) ihrer Function nach noch mit anderen uns bekannten peripheren Organen für das Gleichgewicht — den halbkreisförmigen Canälen und dem von mir beschriebenen Organ in der Nachbarschaft des dritten Ventrikels! — vergleichbare Nervenapparate existiren. Es genügt z. B. einem seiner Grosshirnhemisphaeren beraubten Frosche die Haut von den Pfoten abzuziehen, um bei ihm vollkommen deutliche Gleichgewichtsstörungen zum Vorschein zu bringen. Wie ich mich überzeugt habe, gelingt derselbe ! Vergl. meine Arbeiten: „Die Bedeutung der Trichterregion des dritten Ventrikels für die Erhaltung des Körpergleichgewichtes“ in 82. Petersburger medieinischen Wochen- schrift, 1882, Nr. 12 und: „Zur Physiologie des Körpergleichgewichtes“ in Pflüger’s Archiv u. s. w., 1883, Bd. XXXI. 502 } W. BECHTEREW: Versuch auch an Vögeln. Ich entfernte ohne besonderen Blutverlust bei einer Taube, welcher zuerst die Grosshirnhemisphaeren abgetragen worden waren, die äussere Bekleidung beider Füsse von der Kniebeuge bis zu den Krallen. Nach dieser Operation konnte die Taube, welche einige Tage in Beobachtung verblieb, sich gar nicht mehr auf den Füssen erhalten. Sich selbst überlassen, lag sie die ganze Zeit auf der Brust. Trieb man sie an, so führte sie wohl einige uncoordinirte Bewegungen mit ihren Unterextremi- täten aus, konnte aber mit Hülfe derselben sich nicht fortbewegen (gehen oder laufen). Gleichfalls war es ihr unmöglich, sich auf der Sitzstange zu halten. Aufgeworfen flog sie ganz gut, konnte sich aber nicht regelrecht auf den Boden setzen, wie es doch alle hirnlosen Tauben noch zu thun vermögen, sondern fiel dabei auf die Brust oder Seite. Die Unmöglichkeit, sich auf den Füssen zu erhalten, muss bei derart operirten Tauben über- haupt auffallen, da die Füsse weder an ihrer Kraft verloren hatten, noch als gelähmt angesehen werden konnten. Beim Menschen ist der Einfluss der Hautreize auf das Gleichgewicht unter Anderem auch durch die Versuche von Vierordt bewiesen. Nach künstlich herbeigeführter Anaesthesie der Sohlen sah derselbe beim Menschen eine Verstärkung der normalen Körperschwankungen. Müssen wir somit in der Haut selbst die Existenz solcher Organe, welche einen wesentlichen Einfluss auf das Gleichgewicht ausüben, an- erkennen, welche wir mit Recht Hautorgane des Gleichgewichts nennen könnten, so fragt es sich: sollen wir die sensible Impulse empfangenden Nervengebilde für solche Organe halten, oder sind vielleicht die Haut- organe für das Gleichgewicht und Nervenapparate für sensible Eindrücke anatomisch getrennt in der Haut vorhanden? Können wir auch diese Frage vorläufig nicht positiv beantworten, so müssen wir doch nicht vergessen, dass zur Zeit gar kein Grund vorliest, die Gleichgewichtsfunction in der Haut denselben Nervengebilden, welche Tast- und überhaupt Hautgefühle besorgen, aufzubürden. Ohne Zweifel sind alle erwähnten Data für die Pathologie des Nerven- systems von Bedeutung. Es ist uns nun verständlich, warum bei Tabes dorsalis, bei welcher die Goll’schen nebst den äusseren hinteren Strängen so constant ergriffen sind, die unter der Bezeichnung Romberg’sches Zeichen bekannten Gleichgewichtsstörungen so gewöhnlich vorkommen. Bekanntlich ist das Romberg’sche Zeichen von vielen Autoren ausschliesslich von der bei Tabes sich einstellenden Anaesthesie der Unterextremitäten abhängig gemacht worden. Das Schwanken der Tabetiker, ihr Unvermögen, sich im Dunkeln oder mit geschlossenen Augen auf den Füssen zu erhalten, er- klärt man folglich dadurch, dass dieselben nicht unter sich festen Grund fühlen und die Lage ihrer Gliedmaassen nur unvollkommen bestimmen DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE DES RÜCKENMARKS. 503 können. Augenscheinlich setzt diese Erklärung voraus, dass das Gleich- gewicht unseres Körpers unter der Controle der Haut- und Muskelempfin- dungen, welche unserem Bewusstsein von den Unterextremitäten zugehen, steht und durch Willensimpulse unterhalten wird. Für diese Ansicht wird besonders der Umstand hervorgehoben, dass bei Tabetikern, welche bei geschlossenen Augen schwanken, fast stets Sen- sibilitätsstörungen an den Unterextremitäten nachweisbar sind (Benedict, Erb u. A.). Nichtsdestoweniger zwingen uns die Ergebnisse experimenteller Forschung, dem Einfluss der Hautempfindungen und den Willensimpulsen keine so dominirende Rolle bei Erhaltung des Gleichgewichts zuzuschreiben. Wir haben schon oben erwähnt, dass Thiere, deren Grosshirnhemisphaeren entfernt worden sind, denen folelich bewusstvolle Empfindungen und ein Wille abgeht, doch vollkommen das Gleichgewicht ihres Körpers zu be- wahren vermögen. Der Hinweis der für die Abhängigkeit des Romberg’- schen Zeichens nur von sensiblen Störungen eintretenden Autoren auf Tabes ist nicht besonders stichhaltig, weil es unzweifelhafte Fälle von Tabes giebt, wo die genaueste Untersuchung keine bemerkbare Veränderung der Sensi- bilitätsstörungen nachzuweisen im Stande ist, trotzdem aber bei geschlossenen Ausen Schwanken des Körpers ganz deutlich hervortritt. In solchen Fällen sprechen einige Autoren über Unzulänglichkeit unserer Untersuchungsmittel der,sensiblen Sphaere; selbstverständlich muss aber eine solche Erklärung zurückgewiesen werden, weil sie der Wirklichkeit nicht entspricht. Unsere Versuche beweisen, dass im Rückenmark specielle Leitungsbahnen existiren, welche mit dem Kleinhirn verbunden sind, und deren Durchschneidung nicht von sensiblen Störungen, wohl aber von ganz deutlicher Gleichgewichts- störung begleitet ist. Folglich kann auch die bei Tabes dorsalis vor- handene Gleichgewichtsstörung (Romberg’sches Zeichen) von einer Affection dieser Bahnen und nicht von Veränderungen in der sensiblen Sphaere ab- hängen." 1 Ich halte es für passend, hier einen von mir auf Grund anatomischer Data ge- machten Ausspruch bezüglich der Uebergabe von Hauteindrücken zum Kieinhirn vermittelst der unteren Oliven (vergl. meine Arbeit: „Ueber die Function der Oliven des verlängerten Markes“ im Wratsch. 1885, Nr. 35 und Pflüger’s Archiv u. s. w., Bd. XXIX; „Zur Physiologie des Gleichgewichtes“, Woenno-med. Journal, 1883, und Pflüger’s Archiv u. s. w., Bd. XXXI und „Ueber die Verbindung der sogenannten peripheren Organe des Gleichgewichtes mit dem Kleinhirn“ in Russkaja Medieina, 1884 uud Pflüger’s Archiv u.8. w., Bd. XXXIV) zu berichtigen. Die neuesten anatomischen Untersuchungen von Edinger, Flechsig (Neurologisches Centralblatt, 1385) und von mir haben mich davon überzeugt, dass die unteren Oliven nicht in der Bahn der von den Kernen der Hinterstränge zum Kleinhirn gehenden Fasern liegen, wie früher geglaubt wurde, son- dern in der Bahn der Fasern, welche das Kleinhirn mit centralen Theilen des Gross- hirns verbinden (vergl. meine Arbeit: „Ueber eine bisher unbekannte Verbindung der 504 W. BECHTEREW: DURCHSCHNEIDUNG DER HINTERSTRÄNGE. Es muss hier noch Folgendes bemerkt werden: die Durchschneidung der Hinterstränge des Rückenmarkes ruft niemals so ausgeprägte Gleich- gewichtsstörung hervor, wie die Durchschneidung der beiden hinteren Klein- hirnschenkel an der Strecke von den Kernen der Hinterstränge bis zu der Acusticuswurzel. Wie wir gesehen, können im ersteren Falle die Thiere noch gehen, obwohl sie nicht selten dabei fallen oder von der geraden Linie in dieser oder jener Richtung abweichen; im letzteren Falle aber ist ein Stehen oder Gehen den Thieren, ohne dass sie gelähmt wären, unmöglich. Diese Thatsache beweist ohne Zweifel, dass die Kleinhirnschenkel ausser den Fasern aus den Kernen der Hinterstränge noch solche aus dem Rücken- mark aufgenommen haben, und diese letzteren sind aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls centripetale Leitungsbahnen für das als Organ für das Gleich- gewicht functionirende Kleinhirn. In der That lehrt uns die Anatomie, dass der periphere Theil der Seitenstränge des Rückenmarkes in das Corpus restiforme tritt und hernach in das Kleinhirn geht. Dieses von Flechsig als direete Kleinhirnseitenstrangbahn bezeichnete Bündel des Seitenstranges degenerirt in pathologischen Fällen in aufsteigender Richtung und steht, wie die anatomischen Untersuchungen beweisen, durch Vermittelung der Zellen der Clarke’schen Säule mit den hinteren Spinalwurzeln, folglich mit der Körperperipherie in Verbindung.! In Betracht dieser Data, kann man wohl voraussetzen, dass in Bezug auf das Kleinhirn die Fasern der direeten Kleinhirn-Seitenstrangbahn, gleich den Bündeln der Goll’schen und Burdach’schen Stränge, eine zweite centripetale, zur Erhaltung des Gleichgewichts dienende und möglicher Weise mit den Muskeln verbundene Leitungsbahn darstellen. unteren Oliven mit dem Grosshirn“, im Zeurologischen Centralblatt, 1885, Nr. 9). Die aus den Kernen der Hinterstränge ausgehenden Fasern treten, wie wir gesehen, unmittelbar in das Kleinhirn, folglich können auch die Hauteindrücke, welche an der Erhaltung des Gleichgewichtes theilnehmen und in den Hintersträngen verlaufen, keine direeten Beziehungen zu den unteren Oliven haben. ! Vergl. meine Arbeit: „Ueber die hinteren Nervenwurzeln, ihre Endigung in der grauen Substanz des Rückenmarkes und ihre centrale Fortsetzung im letzteren“, dies Archiv, 1887, und Wiestnik klin. i soud. Psychiatrii, 1887, Lief. 1. Ueber den Nachweis der Unermüdlichkeit des Säugethiernerven. Von H. P. Bowditch, Professor of Physiology Harvard medieal School Boston. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) Als Bernstein! den Froschnerven näher dem centralen Ende reizte und näher zur Peripherie elektrotonisirte, und damit den Uebergang der Erregung auf den Muskel hinderte, gelang ihm der wichtige Nachweis, dass der Nerv später als der Muskel ermüdet. Hieran anknüpfend konnte We- denski? unter Anwendung des gleichen, jedoch verbesserten Verfahrens darthun, dass der Nerv durch eine, viele Stunden hindurch fortgesetzte Tetanisirung nicht ermüdet. Gleiches mit Hülfe des Curare an dem Erosch- nerven nachzuweisen, gelang ihm nicht. Angeregt von Wedenski fasste ich den Plan, den Beweis für die Dauerbarkeit der Nerven durch Curare zu erbringen.” Dieser ein- fache Weg führte zum Ziel, als an die Stelle des Frosches die Katze trat. Das Thier wurde mit Aether betäubt, einerseits der N. ischiadicus durch- schnitten, das freie Ende des peripheren Stumpfes in Elektroden gelegt und der Abstand der Inductionsrollen aufgesucht, welcher der M. tibialis ant. in Tetanus versetzte. — Die Sehne des eben genannten Muskels war schon vorher freigelegt und auf passende Weise mit einem Hebel verbunden, dessen Ende sich an das berusste Papier einer sehr langsam und spiralig gedrehten Trommel lehnte Nach diesen Vorbereitungen wurde das Thier ı Pflüger’s Archiv u. s. w. 1887. Bd. XV. 2 Oentralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 1384. ® Journal of physiology. 1885. t. VI; — Siehe auch Maschek, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1887. Dritte Abthlg. 506 H. P. Bowpitc#: mit Curare vergiftet, sogleich der Nerv mit den wirksamen Inductions- strömen verbunden und mit der Reizung ununterbrochen fortgefahren. Anderthalb bis zwei Stunden nach seiner einmaligen ° Anwendung, vier bis fünf Stunden nach wiederholter lässt die Wirkung des Giftes ganz allmählich nach, ein oder der andere Muskel regt sich leise ohne sichtbare äussere Veranlassung und nahezu gleichzeitig macht sich auch der Inductionsreiz auf den M. tibialis geltend, jedoch nicht so, wie es nach der Art des Reizes zu erwarten war. Statt des Tetanus, den das Inductorium vor der Vergiftung einleitete, erscheinen zunächst nur einzelne Zuckungen, zwischen welchen längere Zeiten der Ruhe eingeschoben sind, und erst später bringt es die Reizung zu einem unregelmässigen Tetanus. Ob die eigenthümlichen Folgen der Reizung im Beginn der Entgiftung bedingt seien von einer gewissen Ermüdungsstufe der Nerven, veranlasst von der stundenlang fortgesetzten Reizung, oder ob sie auf Eigenthümlich- keiten zurückzuführen seien, die den Nerven und Muskeln bei der allmäh- lichen Entfernung des Curare aus dem Organismus zukommen, schien mir einer erneuten Untersuchung werth. Zeit und Gelegenheit zu ihrer Ausführung bot mir ein längerer Aufent- halt in Deutschland und das Entgegenkommen meines Freundes C. Ludwig. In Leipzig mussten in Ermangelung der früher angewendeten Thiere nur Hunde dem Versuche unterworfen werden. Mitihnen wurde gerade so verfahren, wie vordem mit den Katzen. — Angewiesen auf die Hülfsmittel des hiesigen Institutes, benutzte ich zur Befestigung des Unterschenkels die von Luk- janow! beschriebene Klemme, wodurch es unmöglich wurde, dass sich die Bewegungen anderer Glieder in der auf dem rotirenden Papier niederge- schriebenen Linie geltend machen konnten. In allen übrigen Punkten stimmte Vorbereitung und Ausführung des Versuches mit den zu Boston ausgeführten überein. Das Ergebniss mehrfach wiederholter Versuche bestätigte die früher erhaltenen. Wenn die volle Wirkung des Curare, nachdem sie drei bis vier Stunden hindurch bestanden hatte, nachliess, was sich durch sog. willkür- liche Bewegung dieses oder jenes Muskels ofienbarte, so wirkten auch die Inductionsströme wieder, welche von der Einführung des Giftes an ununter- brochen den peripheren Stumpf des N. ischiadicus durchsetzt hatten. Die ersten Zeichen der wiederkehrenden Herrschaft des Nerven über den Muskel äusserten sich durch einzelne, zeitlich von einander getrennte Zuckungen. Was den rasch aufeinander folgenden Induetionsströmen im Beginn des Auf- wachens aus der Vergiftung nicht gelang, wurde jedoch unter der fortdauern- der Reizung erreicht bei weiterer Abnahme der Vergiftung. Statt der ein- ! Dies Archiv. 1886. Suppl.-Bd. 8. 126. ÜBER DEN NACHWEIS DER ÜUNERMÜDLICHKEIT DES SÄUGETHIERNERVEN. 507 zelnen Zuckungen kam es nun zu einem Tetanus, aber auch dieser zeigte, keinen gleichmässigen, vielmehr einen sehr ungleichen Verlauf. Als Bei- spiel dafür, was der Muskel aufzeichnet, diene die Fig. 1. N A | tall N Da n \ «la aulMla „NN A nad NL Nu nn NHL [) a Fig. 1. RUN EHEN aRT mn N lkanı AN, MN Haan NEN PHÄAR= TU A plan Yo N Durch diese Versuche hatte sich gezeigt, dass der Hund geeignet sei, um an ihm die oben aufgeworfene Frage zu entscheiden: ob der durch das Curare hervorgerufene Zustand oder ob die anhaltende Reizung des Nerven anzuklagen sei, wenn durch die gleichmässig wirkenden Inductionsströme ungleichmässige Zusammenziehungen des Muskels veranlasst werden. Den gesuchten Aufschluss gewährten Thiere, welche mit Curare ver- siftet waren, deren Nerven aber nur sehr vorübergehend und namentlich bei beginnender und wieder verschwindender Wirkung des Giftes gereizt wurden. Um die Leistungsfähigkeit des Nerven möglichst zu schonen und doch den Zeitpunkt des Wiedererwachens aus der Vergiftung nicht zu versäumen, wurde selten und dann nur während kurzer Zeit mit Inductionsströmen von geprüfter Wirksamkeit gereizt. Wenn der Nerv nach längerer Dauer der vollen Vergiftung wieder zur Herrschaft über den Muskel gelangt, so geschieht dieses nicht sogleich im vollen Umfange, denn wenn nach der Periode ihrer Unwirksamkeit die In- duetionsschläge den Muskel wieder zu erregen vermögen, bringen sie statt des erwarteten Tetanus nur Anfangszuckungen hervor. Ein Beispiel für die Folgen der Reizung während der verschwindenden Curarevergiftung giebt Fig. 2. \ \ \ | | | I BR lm. Ins \ et a D 2 2 a dv RAT4 RAID RAID RARO Fig. 2. Auf der oberen Linie sind die Zuckungen, auf der unteren von je @ zu b die zugehörigen Reizungsdauern und -Stärken geschrieben. — Mit dem Hereinbrechen der Inductionsströme verkürzt sich der Muskel rasch, um sich alsbald, wenn auch allmählicher zu verlängern. Wenn dann, nachdem sie einige Zeit hindurch unterbrochen gewesen, die Reizung von Neuem beginnt, so wiederholt sich, wie die Figur zeigt, die frühere Erscheinung. 508 H.P. BowpitcH: UNERMÜDLICHKEIT DER SÄUGETHIERNERVEN. Doch mit der fortschreitenden Zeit ändern sich die Folgen, welche die Inductionsströme erzielen; allmählich gelingt es ihnen, einen dauernden Tetanus zu erzielen, wie ihn die Fie. 3 darstellt. — Während seines Ver- ? {o) \ ’ IS. Mn IN 1 M Iı ——! \ N BE SM ee a, Bee RE Fig. 3. laufes zeigt er viele Unregelmässigkeiten, starke und schwache Verkürzungen wechseln unabhängig mit einander, doch erinnert sein Ansehen insoweit an das vorhergehende Stadium der Vergiftung, als auch der Anfangstheil des Tetanus umfangreichere Verkürzung aufweist. Um zu erklären, warum sich während schwacher Vergiftung mit Curare der Nerv zum Muskel eigenthümlich verhält, dazu reichen die vorgelegten Beobachtungen nicht aus, wohl aber genügen sie zur Entscheidung der auf- geworfenen Frage. Sie beweisen, dass die Beantwortung einer Reihe von Inductionsströmen durch einzelne Zuckungen und unregelmässige Tetani dem besonderen Zustand zugeschrieben werden müsse, in welchen das Verbin- dungsstück von Muskel und Nerv während der fortschreitenden Entgiftung geräth. Denn es zeigte sich, dass die Folgen der Reizung zu der Zeit, in welcher die Wirkung des Giftes zu verschwinden begann, genau überein- stimmten, gleichgültig ob der Nerv bis dahin geruht hatte oder stunden- lang von kräftigen Inductionsströmen durchsetzt worden war. — Damit ist der letzte Zweifel an der Befähigung des Säugethiernerven beseitigt, ohne Ermüdung kräftige und andauernde Reizung überstehen zu können. Die Erfahrung, dass der Nerv, ohne zu ermüden, viele Stunden hin- durch gereizt werden kann, lässt die Vorstellung aufkommen, dass die Er- regung sich ohne jeglichen Verbrauch an Stoffen fortpflanzen könne. Zu der Annahme, dass das Fortschreiten der Erregung nur auf einer Ver- schiebung der Nervenmasse ohne irgend welche Zerlegung derselben be- ruhe, passen die Messungen Rolleston’s.! Mit einem äusserst empfind- lichen Bolometer konnte er keine Steigerung der Temperatur des Nerven, welcher anhaltend tetanisirt war, nachweisen, wohl aber eine solche, wenn der Nerv abstarb. Indessen stehen auch der Annahme, dass die Fort- pfanzung der Erregung ein rein physikalischer Vorgang sei, Bedenken ent- gegen, z. B. die negative Schwankung. Aber wenn auch die Bewegung zu ihrem Fortschreiten durch den Nerven eines Kraftaufwandes bedürfte, welcher aus der Nervenmasse selbst bestritten werden müsste, so würde dieser doch von einer unmessbar geringen Grösse sein. " Journal of physiology. t. XI. p. 208. Untersuchungen über die Glandula thyreoidea. Von Dr. Leo Breisacher aus Detroit Mich, U. S.A. R. Wenige physiologische Probleme können in ihrer Geschichte so ver- schiedenartige Epochen aufweisen, wie die Schilddrüsenfrage. Einst spielte die Glandula thyreoidea die Rolle einer Saugaderdrüse, dann sonderte sie einen für die Luftröhre nützlichen Saft ab, später wieder sollte sie die zu dem Gehirn fliessende Blutmenge reguliren, nach anderer Auffassung schützte sie die Luftröhre vor Kälte, auch sollte sie für die Bildung der Stimme von Nutzen sein u. S. w. Wenn nun auch die Forscher, welche diese Frage durch das Experi- ment zu lösen versuchten, jenen närrischen Vermuthungen über die Function der Schilddrüse den Boden entzogen haben, so sind doch auch für die An- sichten der betreifenden Experimentatoren keine positiven Beweise vor- handen. Darüber, dass die Exstirpation der Schilddrüse für Mensch, Affe, Hund, Katze und Fuchs schädliche Folgen hat, sind Alle einig, aber über die Art dieser schädlichen Folgen herrschen noch die verschiedensten An- sichten. Wie bei den meisten complieirten Fragen kommen auch bei dieser viele Momente in Betracht, deren Werth man, durch die betreffenden Ver- suchsresultate verleitet, leicht zu hoch anschlagen, oder andererseits deren Bedeutung man im Gegensatz hierzu auch wieder unterschätzen kann. Man betrachte nur die in neuerer Zeit angestellten Untersuchungen, um sich zu überzeugen, dass dieses Problem die mannigfaltigsten Fragen, welche man mit grösster Sorgfalt erwägen muss, in sich schliesst. Die primäre Ur- sache der Schilddrüsensymptome (klonische und tonische Krämpfe, sowie fibrilläre Zuckungen des gesammten Muskelsystems, Herzklopfen, Respi- rationsbeschleunigung, Dyspnoe u. d. m., welche in der Mehrzahl von Fällen 510 L. BREISACHER: zum Tode führen,) liest in der Exstirpation der Schilddrüse, aber es sind noch andere Bedingungen vorhanden, welche je nach den Umständen die Wirkung der schädlichen Einflüsse verstärken oder abschwächen können. Es wäre überflüssig, näher auf die früheren Versuchsresultate und die daraus gezogenen Schlüsse einzugehen, denn wie bekannt, sind in den letzten Jahren verschiedene neue Factoren gefunden worden, welche zeigen, dass die Folgerungen der betreffenden Experimentatoren nicht berechtigt waren. Heute existiren zwei Haupttheorien; die eine nimmt an, dass die üblen Folgen der Schilddrüsenexstirpation von Reizungen abhängig seien, welche die in der Umgebung der Schilddrüse befindlichen Nerven erfahren; die an- dere nimmt an, dass der Ausfall eines für das Leben wichtigen Organs die genannten Störungen mit sich bringe. Der hauptsächlichste Vertreter der ersten Theorie ist Prof. H. Munk,! welchem sich P. Drobnik? in neuerer Zeit angeschlossen hat, während Schiff? und Fuhr? auf Grund ihrer Untersuchungen sich der letzteren Theorie zuneigen. II. Um der Lösung dieser Frage näher zu treten, machte ich vom Herbst 1385 an eine Reihe von Versuchen, welche sich bis auf die jetzige Zeit er- streckt haben. Ich entschloss mich, zunächst die Wirkung verschiedener künstlicher Reize auf die Nerven in der Umgebung der Schilddrüse zu unter- suchen. Nach vielem mühsamen Praepariren am Cadaver des Hundes sah ich ein, dass eine methodische Reihe von Reizversuchen an den Schild- drüsennerven unmöglich sei, nicht nur weil die Nerven so ausnehmend fein und zart sind, sondern auch weil sie sich in ihrem Ursprunge und Verlaufe so verschieden verhalten. In der Mehrzahl der Fälle konnte ich die Angabe Fuhr’s betreffs der Innervation bestätigen, nur in einem Falle fand ich eine beträchtliche Abweichung. Diese bestand darin, dass ein ziemlich starker Ast von dem Vagus sich in der Drüsensubstanz auflöste. Von den etwa zwanzig Sectionen, die ich an kleinen und mittelerossen Hunden machte, konnte ich nur in einem Falle, an einem mittelgrossen Hunde, einen Schilddrüsen-Isthmus finden. Hr, Prof. C. Müller hat auch durch eine noch ausgedehntere Untersuchung von Hunden sich überzeugt, dass ein Isthmus, wie er in der Regel bei grossen Hunden sich findet, nur manchmal bei mittelgrossen Hunden vorkommt. Um festzustellen, ob 1 Sitzungsberichte der Berliner Akademie. 1888. 2.Hlbd. S. 1059. * Experimentelle Untersuchungen über die Folgen der Exstirpation der Schild- drüse. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. ® Citirt von C. Weil, Prager medicinische Wochenschrift. 3. April 1889. Nr. 14. * Archiv für experimentelle Pathologie u.s. w. Bd. XXI. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 511 Reizung des Vagus und Sympathicus in der Höhe der Schilddrüse an einem Hunde mit intacter Schilddrüse irgend welche üblen Folgen verursachen könne, führte ich mehrere Versuche in dieser Richtung aus. III. Elektrische Reizungsversuche des Vagus und Sympathicus in der Höhe der Schilddrüse. Versuch 1. Einem mittelgrossen Pudel wurde der linke Vagus und Sympathicus nach Entfernung der gemeinsamen Scheide jeder für sich mit In- ductionsströmen eines du Bois-Reymond’schen Apparates 5 —6 mal gereizt. Der Vagus wurde so lange gereizt, bis das Herz unter der Reizung wieder zu schlagen anfing. Auf der rechten Seite wurde. der Vago-sympathicus, ohne ihn aus der Scheide zu nehmen, 5—6mal gereizt. Die ganze Procedur dauerte etwa anderthalb Stunden. Die Wunde wurde unter antiseptischen Maassregeln vernäht. An den folgenden zwei Tagen wurde ausser Myosis der linken und Mydriasis der rechten Pupille und ausser erhöhter Temperatur beider Ohren nichts bemerkt. Appetit war gut. Am dritten Tage bemerkte ich eine Con- junetivitis des linken Auges mit partieller Ptosis auf derselben Seite Puls war 160. Das Thier zeigte ausserdem einen sehr sonderbaren Athmungs- rhythmus — zuweilen konnte ich 40 Respirationen in 15 Secunden zählen, die plötzlich auf 9 in 15 Secunden herabgingen, um bald wieder auf 40 zu steigen. Diese Erscheinung beobachtete ich etwa drei Stunden lang. Die Wunde ent- hielt eine sehr geringe Quantität Eiter. Am folgenden Tage waren der Puls auf 120 und die Respirationen auf 20 in der Minute gesunken. Den Tag darauf fing der Hund zu husten an, welches 4—5 Tage dauerte. Zur gleichen Zeit bildeten sich die Abnormitäten an den Augen und Ohren allmählich zurück, so dass in 6!/, Wochen das Thier wieder ganz normal war. Ich wiederholte an diesem Thier nun die elektrischen Reizversuche, ohne jedoch die Nerven — welche unterdessen wieder zusammengewachsen waren — zu trennen. Die Reizung dauerte ungefähr 25 Minuten. Das Thier zeigte weder Husten noch Athmungs- und Pulsbeschleunigung, aber auch die Pupillen und Ohren zeigten keine Abweichung vom normalen Verhalten. Das Thier wurde für andere Reiz- versuche benutzt, welche ich in einem anderen Kapitel näher angeben werde. Versuch 2 und 3. Zwei gesunden mittelgrossen Hunden wurde der linke Vago-sympathicus mit dem Laryng. superior resecirt. Drei Wochen nach der Operation wurde der rechte Vago-sympathicus mehrmals mit Inductionsströmen gereizt und dies nach einigen Tagen wiederholt. Die Thiere zeigten absolut keine Veränderungen in ihrem sonstigen Verhalten. IV. Chemische Reizversuche am Vago-sympathicus. In dieser Versuchsreihe gebrauchte ich Aether, Jod und Kochsalzlösung, welche ich entweder auf die blossgelegten Nerven pinselte oder mit einer Pravaz’schen Spritze unter der Vago-sympathieus-Scheide injieirte. Nach 512 L. BREISACHER: wenigen Versuchen mit Aether zeigte sich diese Substanz für meine Zwecke ganz unanwendbar; denn gebrauchte ich !/,, bis !/, Spritze Aether, so traten gewöhnlich gar keine Folgen ein, nahm ich andererseits !/, bis 1 Spritze, so trat immer eine Vaguslähmung ein, welche ich durch die laryn- . goskopische Untersuchung constatiren konnte. Injieirte ich beiderseits !/, bis 1 Spritze Aether, so starb das Thier binnen kurzer Zeit an einer Schluck- pneumonie, ähnlich wie nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung. Versuch 4. Von den verschiedenen Aetherversuchen ist nur einer be- merkenswerth. Dem Thier, an welchem ich nach elektrischer Reizung zeitweilig erhöhte Athmungsfrequenz beobachtet hatte, injieirte ich beiderseits !/, Pravaz’- sche Spritze Aether. Die rechte Pupille wurde eng, das Ohr derselben Seite zeigte erhöhte Temperatur. Das Thier verhielt sich die nächsten zwei Tage hindurch normal. Am dritten Tage zeigte der Hund eine Respirationsfrequenz von 32 in der Minute. Die Wunde enthielt eine ziemlich grosse Quantität eitriger Flüssigkeit. Das Thier wurde einige Zeit lang beobachtet und dann die Wunde geöffnet. Die Respirationen gingen jetzt bald wieder zur Norm (12 in der Minute) zurück. Versuch 5. Einem jungen gesunden Hunde wurden die Vago-sympathici, ohne sie aus ihrer Scheide zu nehmen, mit einer alkoholischen Jodtinetur in der Ausdehnung von etwa °/, Zoll in der Schilddrüsenregion bepinselt. Zwei Wochen hindurch verhielt sich der Hund normal. Am 15. Tage begann das Thier zu husten und hatte eine Respiration von 40 in der Minute. Die Augen waren etwas entzündet, Pupillen beiderseits gleich. Das rechte Ohr war wärmer als das linke. Am folgenden Tage stieg die Respiration auf 52. Zwei Tage darauf bildete sich, während die Respirationsfrequenz herunter ging, eine Noma an der rechten Unterlippe. Puls schwankte zwischen 120—160. Das Thier kehrte allmählich zum normalen Zustande zurück. Versuch 6. Einem gesunden Hunde wurden auf beiden Seiten 10 Tropfen Alkohol-Jodtinetur unter die Nervenscheide des Vago-sympathieus injieirt. Ausser Myosis der linken Pupille und erhöhter Temperatur des Ohres derselben Seite zeiste das Thier am folgenden Tage nichts Abnormes.. Am elften Tage nach der Operation bildete sich an der linken Backe eine enorme Noma, an welcher das Thier in drei Tagen zu Grunde ging. Die Section ergab, dass sich alle Organe in normalem Zustande. befanden, nur war das Thier etwas anaemisch, da es seit mehreren Tagen nichts gefressen hatte. Versuch 7. Einem anderen Hunde injieirte ich unter die Scheide des Vago-sympathicus beiderseits eine physiologische Kochsalzlösung. Das Thier blieb während einer längeren Beobachtung vollständig normal. V.Schilddrüsen-Exstirpation nach einseitiger Reseetion des Vago- sympathicus und Laryngeus sup. Versuch 8. Einem gesunden Hunde wurde der linke Vago-sympathieus und Laryngeus superior resecirt. Der obere Schnitt wurde dicht am Ganglion UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 513 sup., der untere etwa einen halben Zoll unter der Schilddrüse gemacht. Das Thier verhielt sich drei Wochen nach der Operation absolut normal. Nun exstirpirte ich den rechten Lappen der Schilddrüse und beobachtete das Thier wiederum drei Wochen — es verhielt sich fortdauernd normal. Der übrige Theil der Schilddrüse wurde darauf exstirpirt. Das Thier zeigte während der nächsten zwei Tage keine krankhaften Erscheinungen. Am dritten Morgen wurde es todt im Käfig gefunden, nachdem ich ihm am Abend vorher das erste Futter — welches aus rohem Fleisch bestand — seit der letzten Operation gegeben hatte. Das Thier hatte das Fleisch bis auf einige Fasern erbrochen. Die er- brochene Masse war nur wenig von dem Magensaft angegriffen, so dass das Thier es wahrscheinlich kurz nach dem Schlucken erbrochen hatte. Die Section ergab, dass der Nerv in der beabsichtigten Weise durchschnitten war. Ich führte noch einige Versuche in derselben Weise, wie oben angegeben ist, aus, aber die Thiere gingen sämmtlich zu Grunde. VI. Schilddrüsen-Exstirpation an Hunden bei einer Milchdiät. Prof. H. Munk und E. Fuhr hatten schon die Beobachtung mitge- theilt, dass sehr häufig das erste Auftreten der Schilddrüsensymptome nach einer Fleischfütterung erfolgt sei. H. Munk sagt in seiner oben erwähnten Abhandlung: „Die erste Fleischportion ist dann oft für ihn verhängnissvoll“ und bemerkt dann weiter: „So entstand der Verdacht, dass die Fütterung verhängnissvoll für die Hunde gewesen wäre, und er erwies sich berechtigt, indem die raschen Todesfälle ausblieben, nachdem ich gar keine Nahrung mehr oder bloss Milch am zweiten Abend hatte reichen lassen. Die räthsel- hafte Erfahrung klärte sich dann auf, als ich Hunden, welche bis dahin keine Nahrung nach der Operation erhalten hatten und noch keine anderen Krankheitserscheinungen als höchstens einen beschleunigten und _.regel- mässigen Puls darboten, am Morgen des dritten Tages Fleischstücke vor- setzen liess. Einzelne Hunde verschlangen vorsichtig und langsam ein oder wenige Stücke, nach Ausdruck und Bewegung zu urtheilen mit Schmerzen und Beschwerden beim Schlucken; darauf entfernten sie sich von der Schüssel und traten nicht wieder an dieselbe heran; sie boten in den nächsten Stunden nichts Besonderes dar. Andere Hunde frassen die Fleisch- portion ganz oder zum Theil auf, rasch und gut, anscheinend ohne alle Beschwerden, aber unmittelbar danach hatten sie ihre bisherige Munter- keit eingebüsst. Sie schlichen ruh- und planlos umher und nicht lange dauerte es, so entwickelte sich ein respiratorischer Anfall mitunter bis zur äussersten Heftiskeit. Noch andere Hunde fingen gierig zu schlingen an, aber schon beim ersten oder bei einem der nächsten Bissen fielen sie plötzlich, manch- mal unter einem lauten Aufschrei respirationslos auf die Seite um“. (A.a. 0. 8.1073.) Wie man hieraus ersieht, ist die Wirkung der Füttterung nicht immer gleichartig — in manchen Fällen bewirkt sie, wahrscheinlich wegen der Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 33 514 L. BREISACHER: Beschwerden beim Schlucken der ersten Fleischstücke, nur eine Abneigung des Thieres gegen das Fleisch — in anderen Fällen werden die Thiere ruhelos und zeigen bald darauf die Schilddrüsensymptome — während in noch anderen Fällen das Thier schon bei dem Schlingen des ersten oder eines der nächsten Bissen in einen heftigen Anfall geräth. Diese auffällige Verschiedenheit der Wirkung des Fütterns, sowie einige andere Beobach- tungen, die ich an Hunden gemacht hatte, veranlassten mich, diesen Punkt näher zu untersuchen. Zunächst will ich einige von den Beobachtungen, welche mich auf diese Versuche führten, hier vorausschicken. VI. Versuch 9. Einem gesunden Hunde exstirpirte ich beide Schilddrüsen- lappen. Das Thier wurde ausschliesslich mit Milch gefüttert und zeigte wäh- rend der nächsten vier Tage keine krankhaften Erscheinungen. Am vierten Abend wurde dem Thiere eine Portion gehacktes Fleisch gereicht, welches es hastig verschlang. Im den nächsten 15 Minuten waren keine üblen Folgen bemerkbar. Am nächsten Morgen sah ich zu meinem Erstaunen, dass das Thier während der Nacht gestorben war. Die Section gab hierfür keine Erklärung. Den Magen fand ich leer, alle Organe normal. Versuch 10. Einem gesunden Hunde exstirpirte ich- beide Schilddrüsen- lappen und fütterte das :Thier mit Milch. Am neunten Tage, nachdem der Hund bis dahin keine Symptome gezeigt hatte, wurde etwas rohes Fleisch ge- füttert, und in kurzer Zeit trat ein Schilddrüsenanfall ein. Wiederum wurde das Thier mit Milch gefüttert und verhielt sich während der folgenden Zeit (fünf Tage) absolut normal. Eine nochmalige Fleischfütterung am 15. und 17. Tage verursachte den Tod. In diesem Falle traten die Symptome zwischen 2—4 Stunden nach der Fütterung ein. Die Section ergab alle Organe in nor- malem Zustande. Versuch 11. An einer starken Bulldogge machte ich einen doppelseitigen „Ausschaltungs“-Versuch, welcher bekanntlich darin besteht, dass die Drüse vollständig aus ihrer Kapsel geschält wird, die unteren Blutgefässe der Drüse doppelt unterbunden, dann durchtrennt und die Ligaturfäden der durchtrennten Gefässe zusammengebunden werden, während die oberen Gefässe mit einer starken Ligatur einfach unterbunden werden, so dass die Drüse vollständig ohne Blutzu- und -ausfuhr ist. Das Thier wurde den zweiten Abend nach der-Operation mit Fleisch gefüttert. Am folgenden Tage zeigte es beschleunigte Respirationen und Muskelzuckungen. Nun wurde das Thier die nächsten 16 Tage ausschliess- lich mit Milch gefüttert und verhielt sich absolut normal. Am 17. Tage wurde wieder rohes Fleisch gefüttert und zeigte das Thier am folgenden Abend klo- nische Muskelzuckungen. Am nächsten Morgen wurde das Thier anscheinend normal gefunden. Ob es während der Nacht irgend welche Erscheinungen ge- zeigt hat, kann ich nicht sagen. Wiederum wurde Fleisch gefüttert, wir be- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDRA. 515 merkten aber während der nächsten Stunden nichts Abnormes. Am folgenden Tage fand ich das Thier ungewöhnlich ruhig, dennoch wurde wieder Fleisch gefüttert, von welchem jedoch bald danach ein Theil erbrochen wurde; während der nächsten vier Tage frass das Thier absolut Nichts. Es entwickelte sich nun ein heftiger Anfall, bei welchem die tonischen Krämpfe in erstaunlicher Heftigkeit auftraten. Während des Anfalles erbrach das Thier eine Masse von übelriechendem, verfaultem Fleisch. Am nächsten Morgen wurde das Thier todt sefunden. Die Section ergab, dass die Drüse bis auf einen dünnen Strang bindegewebsartiger Fasern resorbirt war. An den anderen Organen fand ich nichts Bemerkenswerthes. Versuch i2. Diesen Hund erhielt ich nach Schilddrüsenexstirpation fünf Wochen am Leben, aber er ging schliesslich durch Inanition zu Grunde, da er nur spärlich Milch zu sich nahm. Versuch 13. Einem sehr kräftigen, mittelgrossen Hunde von 12 FE Ge- wicht exstirpirte ich die beiden Schilddrüsenlappen. Die Wunde wurde nicht vernäht: und mit Jodoform behandelt. Es wurde ausschliesslich Milch gefüttert. Bis zum vierten Tage nach der Operation blieb das Thier gesund. Am vierten Tage bekam das Thier einen heftigen Respirationsanfall (148 Respirationen in der Minute). Etwa drei Stunden nach dem Anfall fand ich das Thier ruhig, aber es war ihm unmöglich, auf den Beinen zu stehen — dennoch trank es die gereichte Milch. Am folgenden Tage fand ich das Thier wieder ganz normal. Die beiden nächsten Tage jedoch bekam es je einen heftigen Respirationsanfall. Von da ab blieb das Thier normal, nur magerte es sehr ab, so dass zu den 1!/, Liter Milch jeden Tag einige Eier zugesetzt werden mussten. Nach zwei Wochen, während welcher der Hund etwas schwerer geworden war, erhielt er 3/, Pfund rohes Fleisch. Das Thier zeigte während des Tages keine Erschei- nungen, auch am folgenden Morgen zeigte sich nichts Abnormes. Abends wurden wieder °/, Pfund Fleisch gereicht. Am Morgen des folgenden Tages befand es sich wie zuvor, aber um 11 Uhr bekam es einen Anfall von tonischen Muskel- contractionen; Respirationen waren auf 30 erhöht. Das Thier wurde nun wieder etwa 3!/, Wochen mit Milch und Eiern gefüttert und verhielt sich absolut normal. Jetzt wurde das Thier vier Tage lang mit ausgekochtem Fleisch (ohne Fleischbrühe) gefüttert — es verhielt sich normal. Darauf wurde dem Thiere Morgens Bouillon von einem Pfund Fleisch gereicht und dies Abends wieder- holt. Das Thier bot nichts Abnormes dar. Am folgenden Morgen wurde wieder Bouillon gereicht. Um 3 Uhr Nachmittags fand ich das Thier aufgeregt, es zeigte fibrilläre Zuckungen der Rumpfmuskeln und klonische Krämpfe der Kopf- und Nackenmuskeln. Es wurde ihm etwas Bouillon vorgesetzt, aber es hatte seine sonst colossale Fresslust verloren. 20 Minuten nachher war das Thier beinahe unfähig, sich zu erheben, klonische Contractionen der gesammten Muscu- latur hatten sich entwickelt und die Athmung war auf 90 in der Minute ge- stiegen. Am folgenden Tage hatten sich diese Erscheinungen vollständig ver- loren und das Thier nahm Milch und Eier mit seiner gewöhnlichen Begierde zu sich. Am nächsten Tage wurden wieder Milch und Eier gefüttert und das Thier blieb wohl. Nun wurde dem Thiere Morgens früh !/, Liter klar filtrirte Bouillon gereicht und bis Abends 5 Uhr konnte ich keine besonderen Symptome 330 516 L. BREISACHER: erkennen. Es wurde wiederum /, Liter Bouillon gereicht. Nach einer Stunde hatte das Thier klonische Zuckungen der Kopfmuskeln und schien etwas auf- serest. Am folgenden Morgen fand ich das Thier gesund. Um 1 Uhr wurde dem Thiere etwa !/, Liter Bouillon gereicht und um 5 Uhr hatte es einen heftigen Anfall — beschleunigte Respiration (90—100 in der Minute) und klonische Zuckungen des gesammten Körpers — mit anderen Worten: einen Zu- stand, der mit einem Schilddrüsenanfall vollständig identisch war. Nachdem der Hund während einer viertägigen Fütterung mit ausgekochtem Fleisch keine abnormen Erscheinungen gezeigt hatte, wurde ihm rohes Fleisch gereicht. Nach 21/, Tagen wurde beobachtet, dass der Hund, welcher sonst sehr ausgelassen war, sich sehr ruhig und niedergeschlagen verhielt. Am Nachmittag des vierten Tages bekam das Thier einen heftigen Krampfanfall und am folgenden wurde es vollständig steif gefunden. Von dieser Zeit bis zum Tode, welcher nach vier Tagen erfolgte, frass das Thier nur eine geringe Quantität Fleisch und konnte sich während dieser Zeit wegen der tonischen Contractionen der Musculatur nicht bewegen. Die Section zeigte alle Organe normal. Versuch 14. Einem 6-5'E'm schweren Pinscher wurde nach einer drei- tägigen Milchfütterung die Schilddrüse exstirpirt. Die Wunde heilte per primam intentionem. Das Thier wurde drei Wochen lang ausschliesslich mit Milch und Eiern gefüttert und verhielt sich absolut normal. Nun wurde die Bouillon von etwa 1!/, Pfund Fleisch gefüttert und ich beobachtete das Thier zu verschie- denen Zeiten des Tages, konnte aber keine krankhaften Erscheinungen wahr- nehmen. Auch am folgenden Morgen befand das Thier sich in demselben nor- malen Zustande. Wiederum wurde Bouillon von einem Pfund Fleisch gereicht. Um 5 Uhr Abends fand ich das Thier in einem sehr heftigen Anfall — be- schleunigte Respiration und Muskelzuckungen. Der Hund war unfähig, zu stehen, jedoch bei voller Besinnung. Nun wurde das Thier wieder vier Tage lang mit Eiern und Milch gefüttert. Schon am Nachmittag des ersten Tages, an dem die Milch gegeben wurde, war es wieder munter geworden. Dem Thier wurde jetzt am Morgen des folgenden Tages eine Mischnahrung von Bouillon, Eiern und Milch gegeben. Abends 6 Uhr hatten sich noch keine besonderen Er- scheinungen gezeigt, auch am Morgen darauf war das Thier normal. Wiederum wurde Milch, Eier und Bouillon gefüttert. Um 5 Uhr Abends hatte das Thier localisirte Zuckungen einzelner Muskelgruppen der Vorderextremitäten. Am nächsten Morgen fand ich, dass diese Muskelzuckungen noch in derselben Stärke bestanden, das Thier trank auch die vorgesetzte Milch nicht. Um 12 Uhr Mit- tags desselben Tages verbreiteten sich plötzlich die Muskelzuckungen, die Respi- ration wurde etwas schneller und in etwa einer halben Stunde lag das Thier in einem sehr heftigen Anfall. Um 5 Uhr Abends hatten die Zuckungen und die anderen Erscheinungen nachgelassen, das Thier lag ruhig in einer Ecke seines Käfigs und nahm etwas Milch zu sich. Am folgenden Morgen war das Thier wieder munter. Nun wurde für fünf Tage ausgekochtes Fleisch gereicht, es nahm dasselbe immer mit grosser Lust und zeigte ‚nicht die geringsten Er- scheinungen. Jetzt wurde dem Thiere rohes Fleisch gereicht und am folgenden Tage diese Fütterung wiederholt. Das Thier frass aber sehr wenig, zeigte jedoch keine krankhaften Symptome. Am vierten Tage stellte sich tetanische Contraction der gesammten Musculatur ein, so dass es dem Thiere nicht möglich war, die Unterkiefer auseinander zu bekommen. Am achten Tage nach dem UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE (FLANDULA THYREOIDEA. 517 Eintreten des Tetanus war das Thier todt. Die Section gab keine Erklärung, ‚alle Organe waren normal, der Magen leer. Versuch 15. Einem jungen Bastardhund (Gewicht 11-5*="m) wurden nach viertägiger Milch- und Eierfütterung die beiden ziemlich grossen Schild- drüsenlappen exstirpir. An den nächsten vier Tagen wurde das Thier gesund sefunden. Am zweiten Tage wurden etwa zwanzig Tropfen Secret von der Wunde entfernt. Am fünften Tage trank das Thier wie gewöhnlich seine Quan- tität Milch, nur winselte es hie und da etwas. Am sechsten Tage weigerte sich das Thier, aus dem Käfig zu kommen, und rührte die vorgesetzte Milch nicht an. Das Thier heulte oft und hielt das linke Hinterbein krampfhaft an den Körper gezogen. Es wurde aus dem Käfig genommen und untersucht. Dabei fasste ich das T'hier etwas stark an dem einen Hinterbein an, worauf es mit einem lauten Schrei umfiel und einige Minuten lang einen leichten Krampfanfall hatte. Die Wunde wurde untersucht und es zeigte sich, dass etwa 12 °@ Secret sich angesammelt hatte, nach dessen Entfernung das Thier sogleich besser schien. Am siebenten Tage war das Thier augenscheinlich wieder ganz normal und ich untersuchte die Wunde, worauf das Thier sich auf den Boden warf und einen lauten Schrei von sich gab. Es stand jedoch sogleich wieder auf und fing an, Milch zu trinken. Am achten Morgen trank das Thier die Milch nicht und hielt die Hinterextremitäten abwechselnd einige Minuten lang krampfhaft an dem Körper angezogen. Wiederum fand ich, dass sich etwa 20 °%® Secret in der Wunde angesammelt hatte, nach dessen Entfernung das Thier sogleich Milch zu trinken anfing und während des folgenden Tages wohl war. Vom 10. bis 14. Tage blieb das Thier bei einer Fütterung mit ausgekochtem Fleisch ganz wohl, die Wunde war am 11. Tage verheilt. Vom 14. bis 22. Tage wurde rohes Fleisch gefüttert, ohne dass irgend welche Erscheinungen zu bemerken waren. Am 22. Tage wurde der Hund wie gewöhnlich in den Hof gelassen. Plötzlich wurde das Thier in den Hinterextremitäten steif und gab einen Schrei von sich, als ob es grosse Schmerzen hätte. Während der nächsten drei Tage wiederholten sich die oben erwähnten Erscheinungen täglich, nachdem das Thier einige Zeit herumgelaufen war. Am 26. Tage wurde das T'hier auch in den Vorderextremitäten steif, so dass seine Bewegungsfähigkeit — besonders das Springen — sehr beeinträchtigt war. Dabei schien der Enährungszustand des Thieres ein sehr guter zu sein. Es wurden demselben wieder Eier und Milch gereicht und schon am nächsten Tage war es beträchlich gelenkiger und ziem- lich munter. Die Milchfütterung wurde fortgesetzt und das Thier erholte sich jetzt rasch unter dieser Diät, so dass es am 31. Tage nicht von einem normalen Hunde zu unterscheiden war. Am 31. Tage wurde es Morgens mit Bouillon gefüttert, ohne dass irgend welche Erscheinungen aufgetreten wären. Am Abend des 32. Tages wurde das Thier nach abermaliger Bouillonfütterung, die am Morgen desselben Tages stattgefunden hatte, aus dem Käfig gelassen, es sprang etwa acht Minuten munter herum, worauf es plötzlich einen Krampfanfall bekam und grosse Schmerzen zu haben schien. Dies dauerte etwa zwei Minuten, darauf erhob es sich, hatte aber seine Munterkeit verloren. Am 33. Tage wurde wieder Bouillon gefüttert und das Thier gerieth in einen ähnlichen Anfall, wie am vorigen Tage. Vom 34. bis zum 41. Tage wurde ausschliesslich rohes Fleisch gefüttert, von welchem Tage ab das Thier wegen der Steifheit seiner Muskeln sich nicht mehr bewegen konnte. Am 42. Tage wurde das Thier todt gefunden. 518 L. BREISACHER: Die Section ergab eine auffällige Anaemie des Thieres; die Muskeln waren sehr blass, der Magen war mit unverdautem Fleisch angefüllt. Versuch 16. Einem 6.2*erm schweren Dachshund wurden nach einer fünftägigen Milch- und Eierfütterung die beiden Schilddrüsenlappen exstirpirt. Am siebenten Tage nach der Operation war die Wunde verheilt, der Hund hatte keine Krankheitserscheinungen dargeboten. Am 16. Tage, nachdem ich mich überzeugt hatte, dass das Thier absolut gesund war, wurde die Bouillon von einem Pfunde Fleisch gefüttert. Am 17. Tage Morgens war das Thier normal, wiederum wurde Bouillon gefüttert und zwei Stunden nach der Fütterung bekam es klonische Zuckungen der Kopfmuskeln. Nach etwa einer halben Stunde wurden die Hinterbeine ergriffen und bald darauf die Vorderbeine. Die Respiration war nur ein wenig erhöht. Um 4 Uhr Nachmittags war das Thier noch in dem- selben Zustande. Am nächsten Morgen war es etwas schwach und hatte zuweilen noch Zuckungen der Kopfmuskeln. Am 23. Tage, nachdem das Thier wieder täglich Milch erhalten hatte, war es vollständig normal. An diesem und den folgenden Tagen wurden dem Thiere die Salze einer Bouillon von zwei Pfund Pferdefleisch in der Milch gereicht, ohne jedoch irgend welche abnorme Erscheinungen zu verursachen. Am 25. Tage wurden die Salze von einer Bouillon von zwei Pfund Fleisch gereicht, aber das Thier verhielt sich absolut normal. Von jetzt an bis zum 33. Tage wurde wieder Milch und Eier gefüttert. Nun wurde die Bouillon von einem Pfund Fleisch gereicht, wovon das Thier jedoch nur die Hälfte trank. Am Morgen des 34. Tages trank es die andere Hälfte und war um 12 Uhr etwas ruhiger geworden. Da das Thier nicht mehr willig die Bouillon zu sich nahm, wurde dieselbe künstlich in den Magen eingeführt. Etwa die Hälfte von einem Pfund Fleisch wurde gegeben. Um 5!/, Uhr, als ich zum Laboratorium ging, erfuhr ich von dem Wärter, dass er den Hund vor etwa 20 Minuten in einem starken Krampfanfall verlassen hatte. Ich eilte zum Laboratorium, aber das Thier war inzwischen gestorben. Die Section zeigte alle Organe normal. Zur gleichen Zeit mit dem vorhergehenden Versuche machte ich an einem gesunden Hunde mit intacter Schilddrüse einen Parallelversuch, dessen Gang ich kurz angeben will. Versuch 17 (zur Controle). Eine kleine Dachshündin von 5.5 sm Ge- wicht wurde vier Tage hindurch mit Bouillon von einem Pfund Fleisch gefüttert, ohne dass das Thier irgend welche Veränderungen gezeigt hätte Nun wurde das Thier zwei Wochen lang ausschliesslich mit Milch und Eiern gefüttert, worauf ich es von derselben Bouillon habe füttern lassen, welche den Tod des anderen Thieres verursacht hatte, und fuhr noch zwei Tage mit dieser Fütterung fort. Das Thier blieb aber absolut normal. Noch zwei Hunde, welche die Totalexstirpation überstanden haben, werden unter den Partialexstirpationen ausführlich behandelt werden. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 519 VILI. In den vorhergehenden Versuchen habe ich die Nebenschilddrüse! nicht berücksichtiet, da Piana”? von der Veterinärschule zu Mailand an 30 von ihm untersuchten Hunden nachgewiesen hat, dass bei 20 von ihnen Nebenschilddrüsen an dem Aortenbogen vorhanden waren, ein Pro- centsatz, welcher die Zahl der die Exstirpation überlebenden Hunde weit überschreitet. Auch haben Carle? und Andere gezeigt, dass viele von den Hunden, die nach der Exstirpation der Schildrüse zu Grunde gingen, Neben- schilddrüsen hatten, während Schiff, Fuhr und Girard angeben, dass die bei ihnen die Operation überlebenden Hunde keine Nebenschilddrüsen hatten. Aus den oben erwähnten Beobachtungen scheint mir hervorzugehen, dass das Vorhandensein oder Fehlen der Nebenschilddrüsen für das Ueberstehen der Operation nicht nothwendig in Betracht gezogen werden muss. Daher erschien es mir überflüssig, in den vorhergehenden Versuchen die Nebenschilddrüsen zu berücksichtigen, um so mehr als ich eine Reihe von Versuchen vorhatte, deren Resultate zu gleicher Zeit für die Prüfung der Nebenschilddrüsenfrage dienen sollten. Die auffälligen Ergebnisse, zu welchen ich gekommen war, konnte ich nicht aus den verschiedenen Unter- suchungen anderer Experimentatoren erklären. Prof. H. Munk und P. Al- bertoni hatten schon gezeigt, dass Hunde nach der Exstirpation der Schild- drüse, auch wenn sie keine Nahrung bekommen, doch erkranken. Ferner blieben nicht alle von meinen mit Milch gefütterten Thieren nach der Operation am Leben (ich werde die Zahl der Todesfälle noch angeben), auch starb ein Thier, welches vor der Exstirpation mit Milch gefüttert worden war und nach der Operation einige Tage ohne Futter gelassen_wurde. Unter diesen Umständen hielt ich es jedenfalls für meine Pflicht, nachzu- sehen, ob durch einen Stofiwechselvorgang, der bei der Fleischfütterung sich anders abspielt, als bei der Milchfütterung, der Tod herbeigeführt werde. Die Partial-Exstirpation sollte diesem Zweck dienen. IX. Partial-Exstirpationen. Von neun ausgeführten Partial-Exstirpationen sind nur die ersten zwei Ver- suche misslungen. Dem ersten Thier exstirpirte ich einen Lappen der Schild- ! Kölliker (Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere, Leipzig 1879) hat an 10tägigen Kaninchenembryonen beobachtet, dass die Schilddrüse aus einer Verdickung des Schlundepithels in der Gegend des Bulbus aortae sich bildet. Daher scheint es, dass die in der weiteren Entwickelung dort zurückgebliebenen Reste die späteren Aorten- Nebenschilddrüsen repraesentiren. ® Citirt von Fuhr, Archiv für experimentelle Pathologie u.s. w. Bd. XXV. ?® Citirt von P. Grützner, Deutsche medicinische Wochenschrift. 3. Januar 1889. 520 L. BREISACHER: drüse ganz und vom anderen die oberen drei Fünftel. Der zurückgelassene Rest degenerirte, wie die nach acht Tagen vorgenommene Section zeigte. Bei dem zweiten Hunde war die Circulation in dem zurückgelassenen Fünftel eines Lappens nicht genügend, um sie zu erhalten. In diesem Falle zeigte die Section ebenfalls, dass der Rest völlig degenerirt war. Versuch 18. Einem starken Hund (16.5 *e"") wurden nach viertägiger Milch- und Eierfütterung der rechte Schilddrüsenlappen völlig und */, des linken Lappens exstirpirt. Sechzehn Tage nach der Operation, nachdem das Thier unter einer Milchdiät sich normal verhalten hatte, wurde ihm die Bouillon von 1-3 Pfund Fleisch gereicht. Am 17. und 18. Tage wurde das 'Thier mit Bouillon von drei Pfund Fleisch gefüttert, verhielt sich jedoch absolut normal. Nun wurde das Thier bis zum 35. Tage mit Fleisch gefüttert — es blieb völlig normal. Das Thier wurde wieder fünf Tage lang mit Milch und Eiern gefüttert und der Drüsenrest, welcher sich nicht vergrössert hatte, exstirpirt. Schon am folgenden Tage bemerkte ich, dass das Thier etwas aufgeregt war; es trank jedoch die Milch wie gewöhnlich. In der Wunde hatte sich etwa 6 °“@ Secret angesammelt. Am zweiten Tage nach der Operation entwickelten sich klonische Zuckungen der Vorderextremitäten, es hustete etwas und schien sehr reizbar und unruhig. Am dritten Tage hatte das Thier fibrilläre Zuckungen der ge- sammten Musculatur und hier und da klonische Krämpfe. Am fünften Tage hatte der Hund starke Zwerchfellcontraction, während die fibrillären und klo- nischen Muskelzuckungen nicht nachgelassen hatten. Am achten Tage nach der Operation wurde das Thier todt in seinem Käfig gefunden. Alle Organe waren normal. Versuch 19. Einem starken Hund (Gewicht 15 sm) wurden nach 10- tägiger Fütterung mit Eiern und Milch der linke Lappen der Schilddrüse total und */, des unteren Theils des rechten Lappens exstirpirt. Das Thier wurde neun Tage nach der Operation mit Milch und Eiern gefüttert. Es traten keine krankhaften Erscheinungen ein. Nun wurde zwei Tage lang die Bouillon von vier Pfund Fleisch gefüttert, und da das Thier keine üblen Folgen zeigte, wurde weitere fünf Tage lang rohes Fleisch gegeben. Das Thier blieb jedoch normal. Nun wurde das Thier wiederum fünf Tage hindurch mit Milch gefüttert. Ich hatte vor, den Drüsenrest total zu entfernen, fand aber, dass sich derselbe etwa zu */, des normalen Lappens vergrössert hatte. Von diesem Stück wurde /, gelassen. Das zurückgelassene Stück betrug etwa 0-5. Drei Tage nach der Operation wurde das Thier mit Bouillon von einem Pfund Fleisch und etwa vier Stunden darauf mit einem Pfund rohen Fleisches gefüttert. Nach zwei Tagen wurden dem Thier reichliche Quantitäten Fleisch und Bouillon gereicht, es verhielt sich jedoch absolut normal. Nach viertägiger Milchfütterung exstir- pirte ich den Rest der Schilddrüse, welcher sich schon wieder etwas vergrössert hatte. Während der nächsten drei Tage nach der Operation zeigte das Thier nichts Abnormes. Am vierten Tage beobachtete ich sehr feine fibrilläre Zuckungen der Rumpfmuskeln. Am fünften Tage trank das Thier die vorgesetzte Milch mit seiner gewöhnlichen Begierde, hatte jedoch zuweilen klonische Zuckungen der Kopfmuskeln und fibrilläre Zuckungen der übrigen Musculatur. Am sechsten Morgen trank das Thier die Milch nicht mehr. Die Nickhäute waren stark UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 521 hervorgetreten und entzündet. Von jetzt bis zum 15. Tage, an welchem der Tod eintrat, stöhnte das Thier fortwährend und nahm keine Nahrung mehr zu sich. Die Section zeigte alle Organe normal. Versuch 20. Einer kleinen Hündin (6 FE Gewicht) exstirpirte ich den rechten Lappen der Schilddrüse total und ®/, des unteren Theiles des linken Lappens. Das Thier wurde 18 Tage lang vor der Operation und 14 Tage nach derselben mit Milch und Eiern gefüttert, und nun wurde zwei Tage hindurch Bouillon aus 2-5 Pfuud Fleisch und dann sieben Tage lang rohes Fleisch ge- reicht. Während dieser ganzen Zeit verhielt sich das Thier absolut normal. Ich konnte es jedoch nicht länger für diese Versuche benutzen, da es in Folge der colossalen Quantitäten Flüssigkeit Magenerweiterung bekam und in Folge der ungenügenden Nahrungsaufnahme ziemlich entkräftet wurde. Versuch 21. Einem jungen Hund von etwa 12 Wochen (9 Em Gewicht) wurden nach zweitägiger Milchfütterung der linke Lappen total und etwas weniger wie */,. des unteren Theiles des rechten Lappens der Schilddrüse ex- stirpirt. Am siebenten Tage nach der Operation wurde das Thier mit Bouillon von 1!/, Pfund Fleisch gefüttert una dieselbe Quantität am folgenden Tage ge- reicht, das Thier zeigte jedoch keine krankhaften Erscheinungen. Nun wurde der Hund acht Tage lang mit rohem Fleich gefüttert, er blieb jedoch normal. Nach fünftägiger Fütterung mit Milch wurde der Drüsenrest, welcher sich etwa um 1/, vergrössert hatte, exstirpirt. Sieben Tage nach der Totalexstirpation wurde das Thier mit Bouillon von etwa °/, Pfund Fleisch gefüttert. Drei Stunden nach der Fütterung fand ich das Thier mit starken klonischen Zuckungen der Kopfmuskeln und fibrillären Zuckungen der übrigen Musculatur, und es konnte sich wegen Steifheit der Muskeln nur schwer bewegen. Anderthalb Stunden darauf starb das Thier. Die Section zeigte alle Organe normal. An dem Aorten- bogen wurden mehrere drüsenartige Gewebe gefunden. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass dieselben einfache Lymphdrüsen waren. Am Halse konnte ich keine Nebendrüsen finden. = Versuch 22. Einem jungen Hunde (8-53 Gewicht) von demselben Wurf wie der vorhergehende wurden nach dreitägiger Milchfütterung der linke Lappen total und */, des unteren Theils des rechten Lappens der Schilddrüse exstirpirt. Sieben Tage nach der Operation wurde das Thier mit Fleisch und Bouillon gefüttert und am folgenden Tage dieselbe Fütterung wiederholt — das Thier zeigte jedoch keine krankhaften Erscheinungen. Nun wurde das Thier 12 Tage hindurch mit Fleisch gefüttert, zeigte aber ebenfalls keine Störungen in seinem Verhalten. Nun wurde das Thier vier Tage lang mit Milch gefüttert und der Drüsenrest, welcher sich etwa auf das Dreifache seines ursprünglichen Volumens vergrössert hatte, exstirpirt. Das Thier wurde sieben Tage lang mit Milch und Eiern gefüttert und verhielt sich normal. Nun wurde es mit Bouillon von ?/, Pfund Fleisch gefüttert und eine halbe Stunde nachher hatten sich klonische Zuckungen der gesammten Musculatur entwickelt. Respirationen waren 40 in der Minute. Ausserdem zeigte das Thier Juckgefühl am Maul und Beinen, wie man es an Hunden bei einem typischen Anfall nach Totalexstirpation der Schilddrüse beobachten kann. Nach sechs Stunden waren die Symptome ver- schwunden und am folgenden Tage war das Thier wieder normal. Nach einer 522 L. BREISACHER: eintägigen Milchfütterung wurde Bouillon von ungefähr !/, Pfund Fleisch ge- reicht. In einer Stunde hatte das Thier fibrilläre Zuckungen der Kopfmuskeln und eine halbe Stunde darauf klonische Zuckungen der gesammten Musculatur. Am folgenden Tage war das Thier wieder normal. Nun wurde abermals fünf Tage lang Milch gefüttert, worauf 5 S”% phosphorsaures Kali in Milch gelöst ge- seben wurde. In etwa einer Stunde traten ziemlich starke klonische Contractionen der gesammten Musculatur ein. Am folgenden Tage war das Thier, von geringen fibrillären Zuckungen der Kopfmuskeln abgesehen, normal. Während der nächsten beiden Tage wurde das Thier mit Milch gefüttert. Dann wurde eine Bouillon aus 800 8” Fleisch bereitet und in zwei gleiche Portionen getheilt. Da das Thier die Bouillon nicht trinken wollte, wurde sie ihm künstlich in den Magen eingeführt. Nach einer halben Stunde hatte das Thier fibrilläre Zuckungen der Kopfmuskeln. Die zweite Portion Fleischbrühe wurde eingedampft und verascht. Die Salze wogen 1.98%, welche dem Hunde drei Tage nach der Fleischbrüh- fütterung in Milch gelöst gereicht wurden. Zwei Stunden darauf hatte das Thier Zuckungen der Kopfmuskeln, welche vielleicht etwas schwächer waren, als die- jenigen nach Fütterung der einen Hälfte der Fleischbrühe. Nun wurde dem Thiere täglich fünf Tage lang 80 8”% rohes Fleisch gereicht und allmählich die Quantität vergrössert, so dass es am 14. Tage 400 &% erhielt. Das Thier zeigte am zweiten Tage der Fleischfütterung geringe Zuckungen der Kopfmuskeln. Drei Wochen nach der ersten Darreichung von Fleisch bekam das Thier beider- seits eine Conjunctivitis und es schien nicht mehr so gelenkig wie gewöhnlich zu sein. In den folgenden Tagen war die Steifheit der Muskeln verstärkt. In acht Tagen nach dem ersten Eintreten dieser Symptome bekam das Thier einen heftigen tonischen Krampfanfall. Fleisch wurde jetzt sogleich entzogen und Milch gefüttert. Das Thier erholte sich in einigen Tagen und befindet sich jetzt, unter einer Milchdiät, völlig wohl. Versuch 23. Einem 7 ksm schweren Hunde wurden ein und vier Fünftel Lappen der Schilddrüse exstirpirt, nachdem er vier Tage lang vor der Operation Milch erhalten hatte. Diese Milchfütterung wurde sieben Tage lang nach der Operation fortgesetzt, und es wurden keine krankhaften Erscheinungen beobachtet. Nun wurde ihm eine Bouillon von anderthalb Pfund Fleisch gegeben und am folgenden Tage dies wiederholt. Da das Thier sich normal verhielt, wurde ihm vier Tage lang rohes Fleisch gefüttert und auch bei dieser Fütterung zeigten sich keine Abnormitäten. Nun exstirpirte ich nach zweitägiger Milchfütterung den Drüsenrest, welcher 0.1758" wog und sich nicht vergrössert hatte. Wäh- rend der nächsten zwei Tage konnte ich keine Abweichung vom normalen Zu- stande wahrnehmen. In der Wunde sammelte sich zuweilen etwas Eiter an. Am vierten Tage sprang das Thier mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit aus dem Käfig, aher plötzlich wurde das linke Hinterbein krampfhaft an den Körper an- gezogen und in einigen Minuten stellten sich fibrilläre Zuckungen der Rumpf- muskeln ein. Zwölf Tage nach dem Eintreten der ersten Symptome starb das Thier. Die Section zeigte alle Organe normal. Nebenschilddrüsen waren weder ‘am Halse noch in der Brusthöhle zu finden. Versuch 24. Einem jungen Hund von 5Ferm Gewicht wurde nach drei- tägiger Milchfütterung der linke Lappen total und */, des rechten Lappen der Schilddrüse exstirpirt. Beide Lappen waren 2.5 ““ Jang, so dass das zurück- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 523 . gelassene Stück 0-5“ gross war. Die Wunde war nach einigen Tagen ver- heilt. Fünf Wochen sind jetzt verflossen, ohne dass das Thier unter einer Milchdiät irgend welche krankbaften Erscheinungen dargeboten hätte. X. Zur besseren Uebersicht mag an dieser Stelle das Wesentliche der angestellten Versuche in Kürze zusammengefasst werden. Wir haben ge- sehen, dass elektrische Reizung der Vagi in einem Falle vorübergehende periodische Respirationsbeschleunigung (40 in -15 Secunden) und Husten verursachte und dass bei zwei Hunden die elektrische Reizung des Vago- sympathicus nach Resection des anderen keine üblen Folgen hatte. Ferner hat eines von den Thieren, unter deren Vago-sympathicus-Scheide beiderseits Jod, Aether oder Salzlösung injieirt oder deren Nerven selbst mit dieser Lösung bepinselt waren, nach Aetherinjection eine Respirationsbeschleuni- gung von 32 in der Minute gezeigt, welche sich jedoch nach der Ent- fernung des angesammelten Eiters verlor. Ein anderes Thier zeigte 15 Tage nach der Pinselung der Vagi mit Jodtinetur Husten und eine Respirations- beschleunigung von 40 in der Minute, welche an dem folgenden Tage bis auf 52 stieg. Darauf bekam das Thier eine Noma, welche sich, sowie auch die Respirationsbeschleunigung, in einiger Zeit zurückbildete. Ferner ging ein Hund nach doppelseitiger Jodinjection an einer Noma zu Grunde, die sich am 11. Tage nach der Operation bildete. Ein anderes Thier, welchem eine Kochsalzlösung unter die Vagusscheide injicirt wurde, blieb normal. Wir haben ferner gesehen, dass einseitige Vagusreizung mit Resection des Laryngeus superior und Exstirpation des Schilddrüsenlappens der ent- gegengesetzten Seite wohl das Thier unverändert lassen kann, dass aber nach Exstirpation des zweiten Lappens der Tod doch eintritt. Interessant sind die Fälle, in welchen Respirationsbeschleunigsung beobachtet wurde. Diese Versuche genügen jedoch nicht, um eine ausreichende Erklärung der Erscheinungen zu geben, sie können nur als Wegweiser für weitere und eingehendere Untersuchungen dienen. Wie aus den Milchfütterungsversuchen 9, 10, 11 und 12 zu ersehen ist, lagen genügende Gründe vor, dem Fleisch bezw. den in der Bouillon enthaltenen Salzen und Extractivstoffen eine deletäre Wirkung bei Hunden nach der Exstirpation der Schilddrüse zuzuschreiben. Wie ich schon an- gedeutet habe, war es nicht zu erwarten, dass etwa die Milchfütterung in allen Fällen die Erkrankung nach der Schilddrüsenexstirpation verhindern könne, wie es sich dann auch bei den weiteren Versuchen herausstellte. Von 30 Thieren, an denen ich die erwähnten Schilddrüsenoperationen machte und die ich nachher mit Milch fütterte, blieben neun am Leben, 524 L. BREISACHER: das Thier, welches fünf Wochen nach der Operation durch Inanition zu Grunde ging, mitgerechnet. Von diesen 30 Versuchen waren 25 Total- exstirpationen (sieben nach Partialexstirpationen) — acht Thiere blieben am Leben, die anderen fünf waren Ausschaltungsversuche, von welchen ein Thier die Operation überlebte. Schiff! hat von 52 an der Schilddrüse operirten Thieren vier durchgebracht, Fuhr blieb ein Thier von 14 am Leben nach Exstirpation oder Resection der Schilddrüse (fünf davon waren Partialexstirpations-Versuche, unter denen einige sogleich starben, oder, wenn sie die erste Operation überstanden, nach Entfernung des: Restes), während Autokratow von 15 Hunden einen am Leben behielt. Andere Experimentatoren haben von einer kleineren Zahl von operirten Thieren einen relativ grösseren Procentsatz am Leben erhalten, wie z.B. H. Schwarz, welcher von fünf Versuchen zwei Thiere, und T. Drobnik, welcher drei aus einer Zahl von acht am Leben behielt. Dass aus einer so kleinen Zahl von Versuchen keine weitergehenden Schlüsse gezogen werden können, ist selbstverständlich. Wie ich glaube, können wir annehmen, dass durch Milchfütterung die Zahl der die Schilddrüsenexstirpation überlebenden Hunde eine grössere wird. Ich habe nie nach einer Milchfütterung, wie andere nach einer Fleischfütterung, einen plötzlichen Tod nach der Schilddrüsen- exstirpation eintreten sehen. Nie geriethen meine Thiere unmittelbar nach der Milchaufnahme — wie man es bei Fleischfütterung sehen kann — in einen Anfall. Hier und da entstanden während des Trinkens geringe Zuckungen der Kopfmuskeln, welche man aber auch einfach durch das Auseinanderbringen der Kiefern verursachen kann. Die Mehrzahl von meinen Thieren starb erst Wochen nach der Operation. Viele Thiere wurden zwischen dem 15. und 20. Tage nach der Operation wegen Inanition getödtet. Verglichen mit den raschen Todesfällen, die andere ebenso wie ich bei Fleischfütterung nach der Operation beobachtet haben, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Milchfütterung, wenn sie auch das Thier nicht jedesmal am Leben erhält, jedoch günstiger ist wie eine Fleisch- fütterung, und dass das Fleisch eine giftige Wirkung auf das Nervensystem eines schilddrüsenlosen Hundes ausüben kann, gleichgültig, ob dem Thiere vor der Operation Milch oder ein anderes Futter gegeben worden war. Schon Liebig und andere hatten die Vermuthung ausgesprochen, dass die Fleischbrühe unter Umständen auf gesunde Menschen und Thiere als ein heftiges Gilft wirken könne, aber man ist nie darüber ins Klare gekommen, ob neben den Kalisalzen auch die organischen Substanzen (Kreatin, Krea- ! Centralblatt für Physiologie. Litteratur. 1889. Nr. 14. ° Citirt von Drobnik, Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XXV. 3 Experimentelles zur Frage der Folgen der Schilddrüsen- Exstirpation u. S. W. Inaugural-Dissertation. 1888. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 525 tinin, Inosinsäure, Milchsäure, Salze u. dgl. m.) eine toxische Wirkung aus- üben. Versuche über die Wirkung der Fleischbrühe sind, soweit mir be- kannt ist, ausschliesslich an Kaninchen gemacht worden, da Hunde die grosse Menge von Fleischbrühe, welche eingeführt werden muss, erbrechen, daher sich nicht für derartige Versuche eignen. Kemmerich! behauptet, dass eine Bouillon aus 875 =” Fleisch die geringste Quantität sei, um ein Kaninchen von 1010 =” zu tödten, und dass der Tod in gleicher Weise durch Fütterung mit der Bouillon selbst oder mit den Salzen einer gleichen Quantität verursacht wird. W. Bogoslowski? ist aber zu anderen Resul- taten gekommen. Er experimentirte an sechs Kaninchen von ungefähr gleichem Gewicht, drei bekamen eine gleiche Quantität von Bouillon, die anderen die Salze von ebenso grossen Mengen. Die mit Bouillon ge- fütterten Thiere starben beziehentlich 45, 15 und 50 Minuten nach Einführung derselben. Zwei von den mit Salzen gefütterten Thieren gingen erst viele Stunden nach der Darreichung zu Grunde, während das dritte Thier am Leben blieb. Wie zu ersehen ist, geben die oben erwähnten Versuche, ebenso wenig wie meine zwei mit Salzen der Bouillon gemachten Versuche eine Aufklärung über diese Frage. Denn von den zwei mit Salzen gefütterten Thieren zeigte eines geringe Er- scheinungen, während der andere Hund — ein viel kleineres Thier — sich nach einer sehr grossen Quantität von eingeführten Salzen normal verhielt, dagegen nach Fütterung mit einer geringen Quantität Fleischbrühe einige Stunden später zu Grunde ging. Gaethgens? gab einem Hunde 105m Kalisalze, ohne irgend welche deletäre Wirkung beobachten zu können, und Laborde* injieirte 108” chlorsaures Kali in die Vena cervicalis ohne jeden Nachtheil. . Dass nicht etwa die Anfälle bei einem schilddrüsenlosen Hunde nach Fütterung der Bouillon abhängig seien von irgend welchem Zustande, der durch die Wegnahme von Fleisch und Darreichung von Milch verursacht werde, zeigt der Controlversuch, sowie auch die ver- schiedenen Fütterungsversuche mit Thieren nach Partialexstirpation. Aus- gekochtes Fleisch übt keinen schädlichen Einfluss auf operirte Thiere, die sich bei Milchfütterung bis dahin wohlbefanden, aus, so dass wir annehmen können, dass nur die in Wasser löslichen Bestandtheile des Fleisches toxische Wirkung besitzen. Auffällig ist die Verschiedenheit in der Zeit- dauer wie auch in der Quantität Bouillon, welche nöthig ist, bei mit Milch ! Pflüger’s Archiw u.s. w. 1869. 8. 49. ! Deber die Wirkung der Fleischbrühe. Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 1871. Nr. 32. 3 Citirt von Stokvis, Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XXI. * Ebenda. 526 L. BREISACHER: gefütterten, schilddrüsenlosen Thieren einen Anfall oder den Tod zu ver- ursachen. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass Hunde nach Schilddrüsen- exstirpation nicht als absolut normal anzusehen sind. Die Ursache des krankhaften Zustandes ist wahrscheinlich in dem Nervensystem zu suchen. Das Nervensystem muss sich in einem Zustande befinden, in welchem es für Reize empfänglich ist, die auf einen normalen Hund keine sicht- baren Einflüsse ausüben. H. Schwartz! hat durch faradische und gal- vanische elektrische Reizungen des N. radialis und N. peroneus nach- gewiesen, dass schon zwei Tage nach Exstirpation der Schilddrüse bei Hunden das Nervensystem sich in einem erhöhten Reizzustand_ befindet, der allmählich verschwindet, wenn die Thiere genesen, wenn sie aber sterben, bis zum Tode nachweisbar ist. Wie wir gesehen haben, kommt der er- höhte reizbare Zustand des Nervensystems durch die Fütterung von Fleisch oder Bouillon bei Thieren zum Vorschein, die durch eine Milchfütterung normal erhalten worden waren, und zwar durch eine Quantität Bouillon oder Fleisch, die bei einem Thiere mit intacter Schilddrüse gar keine sichtbaren Veränderungen verursacht. Es ist sehr naheliegend, anzunehmen, dass auch diese reizenden Sub- stanzen von den Stoffwechselproducten stammen, welche durch ihre Wir- kung auf das durch die Exstirpation in einen erhöhten Reizzustand ver- setzte Nervensystem den letalen Ausgang in der Mehrzahl der Fälle herbei- führen oder doch mindestens dazu beitragen. Die Versuche von Fano und Zanda°” machen es sehr wahrscheinlich, dass diese gesteigerte Empfindlich- keit des Nervensystems auch auf anderem Wege gehindert oder sogar auch ganz aufgehoben werden kann. Diese Forscher haben einem Hund grosse Mengen Blutes entzogen — etwa 580 = in 30 Tagen, dann die Schilddrüse exstirpirt, und das Thier blieb am Leben. Es ist ferner bekannt, dass viele Hunde nach Exstirpation nicht durch einen Schilddrüsenanfall, sondern rein durch Inanition zu Grunde gehen, wovon auch ich mich öfters überzeugen konnte. Wenn das Thier nach der Operation gut frisst, von der Stärke und Zahl der Anfälle abgesehen, so ist die Aussicht vorhanden, dass das Thier endlich doch genesen wird. Albertoni und Tizzoni wollen durch künstliches Füttern der Thiere, welche die Fresslust verloren hatten, gute Resultate erreicht haben. Die Milchfütterung wirkt nicht nur günstig, weil sie frei von giftig wirkenden Substanzen ist, sondern auch weil nach längerem Gebrauch das Thier in einen herabgesetzten Ernährungszustand kommt, welcher, wie ich schon an- IA a0, 3826: ? Citirt im Centralblatt für Physiologie. 1890. Nr. 25. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 527 gedeutet habe, für einen Hund nach der Schilddrüsenexstirpation vortheil- haft ist. Der interessanteste Fall unter den Totalexstirpationen ist Versuch Nr. 15, bei welchem das Thier während der ersten Tage nach der Operation unter einer Milchdiät geringe Störungen seines Befindens zeigte, die jedoch bald zurück gingen. Als nun Fleisch gefüttert wurde, blieb das Thier zu- nächst längere Zeit in demselben normalen Zustande, bis plötzlich heftige Krankheitserscheinungen auftraten, die bei Milehfütterung sofort nachliessen, um bei abermaliger Fleisch- und Bouillonfütterung in derselben Heftigkeit aufzutreten, und die auch schliesslich den Tod herbeiführten. Das Ver- suchsthier Nr. 22, an welchem nach einer Partialexstirpation eine Total- exstirpation gemacht wurde, und welches nach der ersten Operation gesund blieb und erst vier Wochen nach der Totalexstirpation unter einer Fleisch- diät einen Schilddrüsenanfall bekam, bildet einen nicht minder interessanten Fall. Auffällig waren noch besonders die tetanusartigen Erscheinungen, die, wie wir gesehen haben, bei mehreren Thieren auftraten. Die Partial- exstirpationsversuche, sowie auch die zwei oben angegebenen Versuche zeigen, dass die Wirkung der Bouillon nicht etwa von einem mit der Schilddrüse unmittelbar zusammenhängenden Stoffwechselvorgang verbunden ist. Manche Hunde erkranken nach der Schilddrüsenexstirpation, manche aber nicht, ganz abgesehen von der Art der Fütterung. Milch eignet sich jedoch durch ihre Zusammen- setzung und durch den Zustand, welchen sie nach längerer Darreichung bewirkt, besser als Fleisch. Fuhr ist auf Grund seiner Partialexstirpations- versuche zu der Ansicht gekommen, dass ziemlich grosse Stücke Schilddrüse nothwendig wären, um das Thier zu erhalten. Er sagt: „In jedem Fall genügt die Hälfte und noch weniger. Bleibt weniger als der dritte Theil zurück, so stellen sich wohl Erscheinungen wie nach der Totalexstirpation ein, doch ohne tödtlichen Ausgang.“ Diese Behauptung bezieht sich auf einen Versuch an einem Hunde, dem er zwei Drittel der Drüse exstirpirte. Das Thier überstand die Operation, zeigte aber Hautjucken und fibrilläre Zuckungen, welche letztere bestehen blieben. Also hiernach wären ?/, eines Lappens nöthig, um einen Hund eben nur am Leben zu erhalten. Ein Blick auf meine Partialexstirpationen genüst, um die Unrichtigkeit dieser Angabe zu zeigen. Bei den neun Partialexstirpationen! liess ich fünf Thieren weniger als °/,, den vier anderen nur !/, des Drüsenlappens.. Abgesehen von den beiden ersten Thieren, deren Tod, wie oben erwähnt, aus anderen Ursachen eintrat, blieben die anderen sieben mit diesen kleinen Drüsenresten " Ich habe gewähnlich den oberen Theil des rechten Lappens stehen lassen, weil derselbe höher liest und daher mehr vor der Einschmelzung durch das Wundsecret ge- schützt ist. 528 L. BREISACHER: am Leben. Allerdings wurden diese Thiere vor und nach der Operation mit Milch gefüttert. Sie blieben jedoch auch nachher bei einer Bouillon- und Fleischfütterung normal. Von sechs Thieren entfernte ich fünfen die Drüsenr&ste und von diesen blieben zwei Thiere, denen ich vorher !/, Lappen gelassen hatte, am Leben. Ob durch diese Methode dasselbe erreicht werden kann, was Prof. H. Munk mit dem Ausschaltungsversuche erreicht hat, und was Schiff durch seine Verpflanzungsversuche erzielt haben will, müssen noch weitere Versuche ergeben. Schiff hat nämlich Schilddrüsen srosser Hunde in die Bauchhöhle kleinerer Hunde verpflanzt und nach 2 bis 5 Wochen den Thieren ihre Schilddrüse exstirpirt. Mehrere so be- handelte Thiere sollen die Operation überstanden haben, aber bei diesem Verfahren hat sich die auffällige Thatsache herausgestellt, dass die ver- pflanzten Drüsen vollständig oder bis auf geringe Spuren resorbirt waren. Hieraus schloss Schiff, dass die Schilddrüse zwar ein dem: Thiere nütz- liches Organ sei, aber dass andere Organe dessen Function übernehmen können. Es ist klar, dass diese Auffassung eine ganz willkürliche ist, denn es liegen nicht die geringsten Gründe vor, die zu der Möglichkeit eines solchen Gedankens berechtigen. Dass eine specifische Function von einem anderen Organ übernommen wird, ist in der Physiologie unbekannt. Prof. H. Munk änderte dieses Verfahren durch den „Ausschaltungsversuch“ und es gelang ihm — wenn nicht Eiterung eintrat und die Wunde per primam inientionem heilte — je ein Thier von vier Versuchen am Leben zu erhalten. Von einigen Experimentatoren ist diese Operation wiederholt worden, Man- chen ist sie gelungen, Anderen nicht. C. Weil! hat von acht Versuchsthieren zwei durchgebracht, von welchen eines nach Exstirpation des atrophirten Restes zu Grunde ging — und wenn auch Weil die Schilddrüse für ein bedeutungsvolles und nothwendiges Organ ansieht, so scheint er doch der Meinung zu sein, dass die Function in manchen Fällen entbehrlich ist. Aus den Partialexstirpationen, bei denen nur !/, Lappen zurückgelassen wurde, geht hervor, dass die Regulations- theorie von Liebermeister, sowie auch die Theorie von P. Albertoni, dass die Schilddrüse den Sauerstoff der Blutkörperchen fixire, völlig zu ver- werfen ist. Die Angaben über die Vergrösserung zurückgelassener Schilddrüsen- reste, sowie auch über Vergrösserung des einen Lappens nach einseitiger Exstirpation weichen sehr von einander ab. Fuhr, sowie auch Sanquirico und Canalis fanden die zurückgelassenen Reste stets unverändert, während Wagner Vergrösserung sowohl der Reste, sowie auch des einen zurück- gelassenen Lappens beobachtete. Diese Beobachtung des letzteren kann ich auf Grund meiner Partialexstirpationen völlig bestätigen. Nach einseitiger ! Prager medicinische Wochenschrift. 1889. Nr. 14 und 15. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE GLANDULA THYREOIDEA. 529 Exstirpation an zwei Thieren fand ich beide Male, dass der zurückgelassene Lappen um einen sehr beträchtlichen Theil schwerer war, wie der zuerst ex- stirpirte. In einem Falle wog der zuerst exstirpirte Lappen 1-5 "m, dagegen der zweite, welcher 13 Tage nach der ersten Exstirpation entfernt wurde, 3.28m, jm zweiten Falle wog der zuerst exstirpirte Lappen 5-5”, der zweite, welchen ich 9 Wochen nach der ersten entfernte, wog 8.58 m — beide aussergewöhnlich grosse Drüsen. Die Thiere erlagen beide nach der zweiten Exstirpation. Dass die Schilddrüse wirklich hypertrophirt, zeigen die genauen Untersuchungen von Ribbert.! Ich konnte keinen Zusammenhang zwischen der Vergrösserung des Drüsenrestes und dem Ausgang nach totaler Exstir- pation dieses Restes erkennen. Wo der Drüsenrest gar nicht hypertrophirte, starben die Thiere nach Entfernung desselben gerade wie diejenigen, bei welchen der Rest sich sehr vergrössert hatte. Wie aus den vorhergehen- den Versuchen ersichtlich ist» sind die Resultate der Schilddrüsenexstirpa- tion von den verschiedenartigsten zum Theil störenden Nebenumständen, die mit der Operation selbst nichts zu thun haben, und die auch in vielen Fällen zu beseitigen sind, abhängig. Bei Berücksichtigung aller dieser Ein- zelheiten, wird man, glaube ich, in den von mir angegebenen Partial- exstirpationen in Verbindung mit der Milchfütterung ein sehr geeignetes Mittel für die weitere Prüfung dieser so schwierigen und verwickelten Frage finden. ! Ueber die Regeneration der Schilddrüse. Virchow’s Archiv. 1889. 8.151 Archiv f. A.u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 34 Ueber das Myelin, die myelinhaltigen und myelinlosen Nervenfasern. Von J. Gad und J.®. Heymans. (Aus dem physiologischen Institut zu Berlin.) Versucht man die Nervenfasern nach der Complication ihres Baues zu ordnen, so stehen an dem einen Ende der Reihe die myelinhaltigen Nervenfasern, welche die Hauptmasse der Nervenstämme des Centralnerven- systems ausmachen, und an dem anderen Ende die freien Axencylinder wie sie sich beim Uebergang fast aller Nervenfasern zu ihren peripherischen oder centralen Endapparaten finden. Die Attribute der ersteren sind man- nigfaltig und histologisch gut charakterisirt. In der Mitte der Reihe stehen Faserarten, welche sich in ihren Dimensionen mehr und mehr den aus freiem Axencylinder bestehenden nähern. Bis zu einer beträchtlichen Ver- ringerung der Dimensionen hinab kann man ein Bestehenbleiben aller der für die erste Kategorie charakteristischen Attribute constatiren. Bei den feineren Fasern wird es zweifelhaft, ob es sich um freie Axeneylinder han- delt oder ob die den Axencylinder etwa umgeberden Scheiden von derselben Natur sind wie bei den groben myelinhaltigen Nervenfasern, nur in ihren Dimensionen reducirt, oder ob es sich hier um eine Zahlreduction der ein- scheidenden Substanzen und um eine Aenderung ihrer Constitution handelt. Für die Entscheidung dieser Frage ist mehr noch als die Feinheit der Ob- jecte der Umstand hinderlich gewesen, dass diejenige Substanz, welcher die myelinhaltigen Nervenfasern ihren Namen verdanken, bisher weder morpho- logisch noch chemisch definirt war. J. GAp unD J. F. HrymaAns: ÜBER DAS MYyELIN v. S. w. 531 Im Jahre 1854 bezeichnete Virchow! als Myelin diejenige einfache oder zusammengesetzte Substanz, welche Formänderungen zeigt, wie sie an den Nervenfasern im Wasser und anderen Reagentien beobachtet werden. Diese Substanz liess sich bei besonderer Behandlung auch aus vielen anderen Körpergeweben gewinnen. Mettenheimer”? und namentlich Beneke? versuchten die chemische Natur des Myelins zu bestimmen; Beneke kam zu dem Schluss: „ohne Cholesterin kein Myelin.“ Couerbe, Vauquelin, Lassaigne, Fremy, Schlossberger, Walterhauf, v. Bibra, Müller, Parcus studirten die chemische Zu- sammensetzung der Nervensubstanz. Die Gegenwart des Cholesterins im weissen Mark wird nachgewiesen; das Vorhandensein des Lecithins und einer phosphorfreien Substanz, des Cerebrins, wird ausserdem angegeben. Liebreich* nahm die chemische Analyse des Nervensystems wieder auf und erhielt eine Substanz, welche er Protagon nannte. Dieses giebt bei seiner auf bestimmte Weise geleiteten Zersetzung fette Säuren, Phosphor- glycerinsäure und Neurin.. Wenn man zu einem Gemisch von Protagon und Öleinsäure eine kleine Menge Neurin hinzufügt, so erhält man nach der Angabe dieses Autors Myelinformen. Diese Formationen würden also auf einem Verseifungsprocess beruhen. Nach Neubauer? würde es genügen, Ammoniak zu Oleinsäure hinzu- zufügen um Myelinformationen hervorzurufen. Köhler schloss aus seinen Untersuchungen, dass es im Nervensystem keine Substanz giebt, welche in reinem und unzersetztem Zustande Myelin- formen bildet: diese würden hervorgebracht sein durch verschiedene phos- phorhaltige, nicht phosphorhaltige und stickstofffreie Zersetzungsproducte. " Rud. Virchow, Ueber das ausgebreitete Vorkommen einer dem Nervenmark analogen Substanz in den thierischen Geweben. Virchow’s Archiv. 1854. Bd. VI. S. 562—571. ® Mettenheimer, Obrrespondenzblatt des Vereins für gemeinschaftliche Arbeit 1858. Nr. 31. S. 467. ® Beneke, Studien über das Vorkommen von Gallenbestandtheilen u. S. W. Giessen 1863. — Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. CXXI. S. 249. * Osc. Liebreich, Ueber die chemische Beschaffenheit der Gehirnsubstanz. Annalen der Chemie und Pharmacie. 1865. Bd. CXXXIV. 8.27—-44; — Ueber die Entstehung der Myelin-Formen. Zeitschrift für analytische Chemie. 1865. Bd. IV. S. 173— 177. ° C. Neubauer, Ueber das Myelin. Zeischrift für analytische Chemie. 1867. Bd. VI. S. 189—194. ° H. Köhler, Ueber die chemische Zusammensetzung und Bedeutung des so- genannten Myelins. Virchow’s Archiv. 1867. Bd. XLI. S. 265—278. 34” 532 J. GAD unD J.F. se Diaconow! erklärte, dass die phosphorhaltige Substanz Leeithin, und dass das Protagon Liebreich’s nichts als ein Gemisch von Cerebrin und Leeithin sei. Petrowsky? und Gobley° stützen sich auf diese Behauptung Dia- conow’s und schlossen aus der Menge des Phosphors auf die Menge des Lecithins; den Rest betrachteten sie als Cerebrin. Hierbei wird voraus- gesetzt, dass das Lecithin die einzige phosphorhaltige Substanz sei, und dass dieses dieselbe procentische Zusammensetzung wie das Lecithin des Eigelbes habe. Blankenhorn und Gamgee* nahmen die Untersuchungen Lieb- reich’s wieder auf und bestätigten die Existenz des Protagons als eines chemischen Körpers. Baumstark° kam nach einer anderen Methode zu demselben Schluss, und er betrachtete das Cerebrin als ein Product weiter gehender Zer- setzung; er lässt es zweifelhaft, ob Lecithin noch ausser dem Protagon vor- handen ist. Eine Analyse der peripherischen Nerven wurde von Josephine Che- valier® ausgeführt; ohne den Arbeiten von Liebreich, Blankenhorn und Gamgee, Baumstark Rechnung zu tragen, giebt sie noch den Ge- halt an Lecithin und an Cerebrin nach der Menge des Phosphors an. Schon im Jahre 1877 war eine andere wichtige Substanz, welche in die Zusammensetzung der Myelinscheide eingeht, von Ewald und Kühne’ beschrieben worden; es ist das Neurokeratin, welches neuerdings von Kühne und Chittenden® ausführlicher bearbeitet wurde. ı GC, Diaconow, Ueber die chemische Constitution des Leeithins. Oentralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1864. S. 2; — Das Leeithin im Gehirn. Zbenda. S. 97; — Medicinisch-chemische Untersuchungen. Hft. 2. S. 221. 2 D.Petrowsky, Zusammensetzung der grauen und weissen Substanz des Ge- hirns. Plüger’s Archiv u.s. w. 1873. Bd. VII. S. 367— 371. 3 Gobley, Archiv für Pharmacie. Bd.X. 8. 445. * A. Gamgee und E. Blankenhorn, Ueber Protagon. Virchow’s Archiv. 1879. Bd. LXXIX. S. 289—396. 5 F. Baumstark, Ueber eine neue Methode, das Gehirn zu erforschen und deren bisherige Ergebnisse. Zeitschrift für physiologische Chemie. 1885. Bd. IX. S. 144— 210. $ Josephine Chevalier, Chemische Untersuchung der Nervensubstanz Zeit- schrift für physiologische Chemie.. 1886. Bd. X. S. 97—105. ” A. Ewald und W. Kühne, Ueber einen neuen Bestandtheil des Nervensystems. Verhandlungen des naturhistorischen Vereins zu Heidelberg. 1877. N.F. Bd. I. S. 457—464. s W.Kühne und R.H. Chittenden, Ueber das Neurokeratin. Zeetschrift für Biologie. Bd. XXVI. 1890. 8. 291—323. Das MYELIN, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 539 Fassen wir zusammen, so würde also die Myelinscheide der Nerven- fasern, abgesehen von extractiven Stoffen und Albuminen, bestehen aus dem Neurokeratin, dem Cholesterin, einer oder zweien phosphorhaltigen Substanzen (Protagon, Lecithin) und aus einer phosphorfreien Substanz (Cerebrin). Soll man nun Myelin die Gesammtheit dieser Substanzen nennen oder soll man vielmehr diesen Namen einer derselben vorbehalten? Diese Frage ist weder durch die Chemiker noch durch die Histologen entschieden. Die Myelinformationen sind schon von den ältesten Mikroskopikern gesehen worden, aber erst viel später hat man bewiesen, dass sie aus- schliesslich von dem Theil der Nervenfasern herstammen, welcher zwischen dem Axencylinder und der Schwann’schen Scheide gelegen ist. Man stritt 20 Jahre lang um die Existenz dieser Markscheide; seit 25 Jahren erörtert man die Zusammensetzung dieser Scheide und das Vorkommen von Einschnürungen und eines Gerüste. Unter den Autoren, welche hauptsächlich sich an dieser Discussion betheiligt haben, wie Kuhnt, Boll, Ranvier, Rumpf, Hesse, Pertik, Retzius, Joseph, Gedoelst!u.s. w. haben Einige die Formänderungen beschrieben, welche die Myelinscheide er- leidet, aber Keiner weist die chemische Natur der Myelinformationen nach oder giebt eine Erklärung des Phaenomens. Alles was wir aus diesen Untersuchungen über die Myelinscheide ent- nehmen, sind die beiden folgenden allgemein anerkannten Eigenschaften: sich mit Osmiumsäure schwarz zu färben und im Wasser die Myelinforma- tionen zu geben. Mit Hülfe chemischer Methoden haben wir versucht, die Substanz zu bestimmen, welche diese beiden fundamentalen Eigenschaften der Myelinscheide besitzt. Wenn man Nervi ischiadiei von Fröschen in destillirtes Wasser legt, so quellen sie bekanntlich allmählich auf, namentlich an ihren beiden Enden, wo sie eine pilzfürmige Gestalt annehmen. Nach 24 Stunden übertragen wir diese Nerven in Osmiumsäure von 2 Procent. Das Wasser wird bei einer Temperatur von 45° verdampft, und wir erhalten am Boden des Gläschens einen geringen weissen Rückstand. Einige Partikelchen werden unter das Mikroskop gebracht; in destillirttem Wasser lösen sie sich nur zum kleinen Theil. Nach einigen Minuten sieht man am Umfange der Partikelchen nur einige kleine Myelinformen hervorquellen. Nehmen wir einige andere Partikelchen des Rückstandes und bringen wir zu denselben einen Tropfen von Osmiumsäurelösung, so ändern sie kaum ihre Form und nehmen nur einen leicht grauen Ton an. Die Nerven dagegen haben sich in der Osmiumsäure intensiv schwarz gefärbt. 1 Man findet diese Litteratur bei Gedoelst, Za Cellule. t. II. p. 117—127 und t. V. p. 127—130. 534 J. GA unD J.F. Heymans: Um besser die durch Wasser gelösten von den durch Wasser quellen- den Substanzen getrennt zu erhalten, schlugen wir folgendes Verfahren ein. Wir unterbanden die Nervi ischiadicı wo sie sich in der Bauchhöhle formiren und in der Kniekehle, sowie die Aeste, welche sie in ihrem Verlauf abgeben und wir legten die Schnitte so nahe wie möglich ausserhalb dieser Ligaturen. So praeparirte Nerven zeigen in destillirtem Wasser nicht mehr die termi- nalen Quellungen. Nach Verlauf eines Tages ist die Fontana’sche Bän- derung noch nicht vollkommen geschwunden; nach dieser Zeit und selbst nach mehreren Tagen haben sich die Dimensionen (Länge und Durchmesser) kaum geändert. Zerzupft man ein Stückchen dieser Nerven in Wasser, so treten noch Myelinformationen hervor. Bringt man diese Nerven in die Os- miumlösung, so schwärzen sie sich ebenso intensiv wie frische Nerven. Die mikroskopische Betrachtung eines zerzupften Nervenstückes zeigt, dass sich alle mit Osmiumsäure geschwärzte Substanz im Inneren der Nervenfasern befindet; der Axencylinder ist auf einen kleinen Faden reducirt, und das ganze Innere der Nervenfasern ist unregelmässie durch die Substanzen der Markscheide ausgefüllt. Das Wasser, in welchem die unterbundenen Nerven gelegen haben, ist klar geblieben; wenn man es erhitzt, zeigt es eine leichte Trübung, wahrscheinlich von der Coagulation der albuminoiden Substanzen herrührend. Mit Sublimat giebt es einen Niederschlag. Nach Verdampfung bei nie- driger Temperatur erhält man einen weissen Rückstand. Dieser nimmt bei Behandlung mit Millon’schem Reagens eine leichte Färbung an. Die Albuminoide scheinen also nicht seine Hauptmasse zu bilden, sondern die sogenannten Extractivstoffe und unorganische Salze. Bringt man Partikel- chen dieses Wasserrückstandes unter das Mikroskop und fügt Wasser hinzu, so zeigen sich nur noch ausserordentlich wenig Myelinformationen. In der Hitze quillen die Partikelchen nicht wie es das Protagon thut, und Os- miumsäure ertheilt ihnen nur eine ganz leicht bräunliche Färbung. Diese Experimente wurden mit Nerven vom Kaninchen, Katze und Hund wiederholt, sie gaben uns dieselben Resultate. Wir schliessen daraus, dass das Myelin der Nervenfasern nicht durch die Schwann’sche Scheide diffundirt, und dass es durch Wasser die Eigen- schaft, sich mit Osmiumsäure zu schwärzen, nicht verliert. Nervi ischiadiei des Frosches, welchen nach Unterbindung die Ex- sractivstoffe durch einen beständigen Strom destillirten Wassers entzogen sind, werden in Alkohol von 90° gebracht und während 24 Stunden einer Temperatur von 40° ausgesetzt. Stückchen von solchen Nerven zerzupft, zeigen in destillirtem Wasser keine Myelinformationen mehr. Die Nerven werden in destillirtem Wasser ausgewaschen bis die letzte Spur Alkohol Das MYELIN, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 535 entfernt ist! und dann in eine 2 procentige Lösung von Osmiumsäure ge- bracht. Der Alkohol zeigt bei Rückkehr zur gewöhnlichen Temperatur eine weisse Wolke mit einzelnen glänzenden Flöckchen. Diese sind zum Theil aus Cholesterinkrystallen gebildet, wie es das Mikroskop und die che- mischen Reactionen zeigen. Wenn wir den Alkahol vollkommen verdampfen, so erhalten wir einen gelblich-weissen schmierigen Rückstand, in welchem das Mikroskop nicht mehr Krystalle von Cholesterin oder anderen Sub- stanzen erkennen lässt. Wenn man zu Partikelchen dieses Bodensatzes Osmiumsäure hinzufügt, so färben sie sich schwarz. Lässt man, statt der Ösmiumsäure, destillirtes Wasser hinzutreten, so sieht man sofort eine Quellungserscheinung hervortreten. Kleine, einzeln liegende Theilchen nehmen die Form homogener, stark lichtbrechender Kugeln an; wo sie in Klümpchen liegen, bilden sich am Umfang derselben mehr oder weniger regelmässige Cylinder, welche von ihrer mit den Klümpchen im Zusammen- hang gebliebenen Basis aus wachsen. Das Klümpchen selbst quillt eben- falls zu einer sphaerischen homogenen Masse, welche mit diesen cylindrischen Armen besetzt ist, und in welcher sich kleine Körnchen befinden, deren Volumen sich nicht ändert. Fügt man Osmiumsäure hinzu, so sieht man die Kugeln, die Cylinder und die homogene Substanz der Klümpchen sich schwarz färben; die nicht gequollenen Körnchen schwärzen sich nicht. Die Nerven, welche das alkoholische FExtract geliefert hatten, und welche in Osmiumsäure gebracht waren, haben sich nicht geschwärzt und schwärzen sich nicht, was man auch mit ihnen thun möge.? Man kommt zu denselben Resultaten, wenn man die Nerven wieder- holt bei gewöhnlicher Temperatur durch eine grössere Menge Alkohol ex- trahirt.? Obige Experimente wurden auch an Nerven von Warmblütern angestellt, und sie ergaben hier dieselben Resultate. Wir schliessen daraus, dass der Alkohol aus den Nerven diejenige Sub- stanz zum Verschwinden bringt, welche sich mit Osmiumsäure schwärzt, ! „Bei allen Manipulationen mit Os 0%“, sagt Cahn (Zeitschrift für physiologische Chemie, Bd.\V, S. 221) „und dieses ist doch allgemein angenommen, muss man sich vor den geringsten Spuren Alkohols sehr hüten, da dieser im Verlauf einer halben Stunde sich intensiv schwarz färbt.“ Vergl. Gedoelst, a.a. ©., S. 137, welcher eine Mischung von Osmiumsäure und Alkohol empfiehlt. Weiter wird auch bewiesen, dass das Le- eithin, einmal durch Osmiumsäure fixirt, sich in Alkohol nicht mehr löst. 2 Vergl. W. Flemming, Zeitschrift für mikroskopische Wissenschaften. 1889. IBaavIsESsails: 3 Dieses ist in Betracht zu ziehen, wenn man in Alkohol oder Sublimat-Alkohol aufbewahrte Nerven studirt. Vergl. B. Friedländer, Ueber die markhaltigen Nerven- fasern und Neurochorde der Crustaceen und Anneliden. Mittheilungen aus der zoolo- gischen Station zu Neapel. 1889. Bd. IX. 8. 214. 536 J. GAD unD J. F. Hrymans: und welche die Ursache für die Myelinformationen ist, sowie dass diese Substanz die genannten Eigenschaften bewahrt hat, nachdem sie in Alkohol gelöst war. Schütteln wir den Rückstand des bei 40° erhaltenen alkoholischen Extractes mit Aether, so löst dieser einen Theil davon auf, der Rest setzt sich am Boden des Glases allmählich ab. Wir heben den Aether mit einer Pipette ab und erschöpfen den Bodensatz auf dieselbe Weise ein Dutzend Mal innerhalb dreier Tage. Ein Theil desselben erweist sich als oanz unlöslich. Man verdampft den letzten Aether und erhält also einen ersten Rückstand. Der zur Erschöpfung desselben verwandte Aether wurde gesammelt und durch Verdunstung desselben erhält man einen zweiten Rückstand. Der alkoholische Auszug ist so in zwei Theile getheilt, von denen der eine das enthält, was in Alkohol löslich und in Aether unlöslich ist, während der andere aus dem in Alkohol und Aether Löslichen besteht. Der in Aether unlösliche Theil bildet ein weisses, nicht hygroskopisches Pulver. Mit Osmiumsäure schwärzt er sich nicht, er wird höchstens gelblich. Unter dem Mikroskop lässt er keine Krystalle erkennen. Fügt man ihm destillirtes Wasser hinzu, so sieht man bei gewöhnlicher Temperatur Nichts, was anf eine Quellung deuten lässt. Aber wenn man erhitzt, wird jedes Körnchen zu einer grossen homogenen Kugel und bleibt auch so bei Rück- kehr zu gewöhnlicher Temperatur. Auch die Kugeln schwärzen sich nicht mit Osmiumsäure. Im FExsiccator werden sie wieder zu Körnchen und bleiben auch so, wenn man Wasser bei gewöhnlicher Temperatur wieder hinzusetzt. Löst man diese Substanz in einer kleinen Menge Alkohols bei 40° und lässt sie langsam erkalten, so schlägt sie sich in kleinen krystallinischen, sternförmig angeordneten Tafeln nieder. Wir haben keinen Grund, an der Reinheit dieser krystallinischen Substanz zu zweifeln und neben ihr die Existenz einer anderen chemischen Substanz anzunehmen. Wir glauben also, dass jener erste Theil nur einen einzigen Körper enthält, welcher das Protagon Liebreich’s ist.! Die Existenz dieses Körpers kann wohl kaum noch in Zweifel gezogen werden, aber wir haben keinen Grund zuzugeben, dass das Protagon irgend eine wesentliche Rolle bei der Erzeugung der Myelinformen spiele, oder dass es die Ursache der Schwärzung der Myelin- scheide mit Osmiumsäure sei. ! Es ist das Protagon, welches beim Kochen mit Baryt Cerebrin geben soll. Cerebrin beim Kochen mit Schwefelsäure giebt einen Zucker, die Cerebrose, welche identisch mit Galaktose sein soll. Vergl. H. Thierfelder, Ueber die Identität des Gehirnzuckers mit Galaktose. Zeitschrift für physiologische Chemie. 1889. Bd. XIV. S. 209— 216. Das MYELIN, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 537 Der zweite Theil des alkoholischen Extractes, welcher durch Aether gelöst wurde, zeigt, sobald der Aether bei der Verdunstung übersättigt wird, einen Niederschlag, in welchem man Cholesterin-Krystalle unterschei- det. Nach vollkommener Verjagung des Aethers stellt der Rückstand eine gelbliche schmierige hygroskopische Masse dar. Reines Cholesterin quillt nicht in Wasser und schwärzt sich nicht in Osmiumsäure. Indessen wenn wir zu Partikelchen dieses Aether-Rückstandes einen Tropfen Osmiumlösung hinzufügen, so sehen wir, dass sie eine intensiv schwarze Färbung an- nehmen; lassen wir zu einem anderen mikroskopischen Praeparat aus der- selben Substanz destillirtes Wasser hinzutreten, so sehen wir, wie es quillt und sich ausbreitet. Es zeigen sich homogene, stark brechende Kugeln und Cylinder; in der Mitte der Klümpchen befindet sich eine homogene Masse mit eingesprengten Körnchen, welche ihre Form nicht ändern. Fügen wir Osmiumsäure hinzu, so färbt sich die gequollene Substanz, ohne weiter die Form zu ändern, schön schwarz, während die Körnchen fast farblos bleiben. Der aetherische Extract enthält also wenigstens zwei chemische Sub- stanzen, von denen die eine das Cholesterin ist, die andere aber eine Sub- stanz, welche die Grundeigenschaften der Myelinscheide besitzt, nämlich die, sich zu schwärzen und in Wasser zu quellen. Eine gute Methode, diese beiden Substanzen von einander zu trennen, ist nicht bekannt; wir haben uns, um die Trennung annähernd zu erreichen, eine Beobachtung von Baumstark! zu Nutze gemacht. Der ohne vorhergehende Behand- lung mit Alkohol gewonnene Aetherextract der Nerven, welchen Baum- stark vor sich hatte, löst sich nicht vollkommen in Alkohol selbst bei 40° und auch der aetherische Extract des alkoholischen Extractes löst sich nicht wieder vollkommen in Alkohol bei derselben Temperatur. Das Cholesterin allein tritt wieder in Lösung, während die andere Substanz der Wieder- auflösung widersteht. Man erhält also durch wiederholte Erschöpfung des aetherischen Extractes mit Alkohol von 40° einen Rückstand, welcher, wenn noch nicht absolut, so doch fast ganz von Cholesterin befreit ist. Obgleich dieser Rückstand nicht in krystallinischer Form erhalten wurde, betrachten wir ihn doch wenigstens vorläufig als durch einen relativ reinen chemischen Körper gebildet. Im trockenen Zustande stellt er eine gelbliche schmierige Masse dar und ist hygroskopisch. Mit Osmiumsäure färbt er sich intensiv schwarz. Bringt man Partikelchen davon unter das Mikro- skop und lässt man destillirtes Wasser hinzutreten, so quellen sie stark, es bilden sich Kugeln und mehr oder weniger regelmässige Cylinder, welche homogen und stark lichtbrechend sind und sich mit Osmiumsäure schwarz 1 A.a.0. 8. 165—167. 538 J. GAD unD J. F. HEymans: färben. Die Substanz besitzt also in demselben Grade wie die Myelin- scheide die beiden hauptsächlichsten Eigenschaften, welche diese Partie der Nervenfasern charakterisiren. Die Gesammtheit ihrer Eigenschaften nähert sie dem Lecithin des Eigelbs, während einige derselben, wie vielleicht ihr quantitativer Gehalt an Phosphor und ihre Unlöslichkeit in Alkohol nach Behandlung durch Aether, sie davon zu entfernen scheinen. Wenn das sogenannte Lecithin verschiedener Herkunft besser untersucht und wenn die Natur dieser Substanz! besser bekannt sein wird, kann es vielleicht möglich werden, eine Reihe von Leeithinen aufzustellen, in welcher das- jenige der Nerven seinen Platz finden würde.” Vielleicht werden neue Unter- suchungen selbst zeigen, dass diese Lecithine so grosse Unterschiede haben, dass sie nicht in eine Gruppe gebracht werden können und daher verschieden benannt werden müssen. Wenn man zu Partikelehen dieses Leecithins , welches so aus Nerven extrahirt und dann mit Osmiumsäure gefärbt worden ist, destillirtes Wasser hinzufüst, so quellen sie nicht mehr; wenn man zu gequollenen Partikel- chen Osmiumsäure hinzufügt, so schwärzen sie sich, ohne die Form zu ändern. Nachdem sie mit Osmiumsäure geschwärzt sind, lösen sie sich nicht wieder in Aether auf. Anderweitig noch nicht behandelte Partikel- chen ändern in wasserfreiem Glycerin ihre Form nicht, wird aber das Glycerin wasserhaltig, sei es, dass man einen Tropfen Wasser zufliessen lässt oder dass man das Praeparat für die Dauer von 24 Stunden in eine feuchte Kammer bringt, so quellen die Partikelchen wie in destillirtem Wasser. Alkohol und Kochsalzlösung haben auf dieselben eine Wirkung, von der wir weiterhin reden wollen. Wenn man Nervi ischiadici vom Frosch in einem Exsiceator trocknet und sie dann mit Osmiumsäure behandelt, so schwärzen sie sich noch; erschöpft man die nur getrockneten Nerven mit Aether, was sich im Ver- lauf von 24 bis 48 Stunden erreichen lässt,’ so schwärzen sie sich nicht mehr. Bei der Verdunstung des Aethers setzt sich Cholesterin in Krystallen ab, dann eine andere Substanz, welche die Eigenschaften des Lecithins hat. Wenn getrocknete und dann mit Aether erschöpfte Nerven mit Alkohol ! Vergl. G. Gilson, Beiträge zur Kenntniss des Leeithins. Zeitschrift für phvsio- logische Chemie. 1888. Bd. XI. S. 585. ? Vergl. G. Bunge, Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. 1889. 8. 79. „Es sind mehrere isomere Verbindungen der genannten Bestandtheile denkbar.“ 3 Bei feuchten Nerven dringt Aether nicht ein. Nach 24stündiger und längerer Behandlung mit Aether, schwärzen diese frisch hineingebrachten Nerven sich noch in- tensiv mit Osmiumsäure, und “der verdampfte Aether lässt kaum einen Rückstand hinter sich. Baumstark, A.a.0. 8. 153. DAs MYELIN, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 539 bei 40° behandelt werden, so erhält man durch Verdampfen des Alkohols einen Bodensatz, welcher aus Protagon besteht. Getrocknete Nerven, welche mit Chloroform erschöpft sind, geben kein Protagon mehr an warmen Alkohol ab und in dem Chloroformextraect findet man Leeithin, Cholesterin und Protagon. Wir bringen Nervi ischiadici für 24 Stunden in ÖOsmiumsäure von 2 Procent und waschen sie dann sorgfältig aus: diese Nerven entfärben sich weder in Alkohol von gewöhnlicher Temperatur, noch in warmem Alkohol, noch in Aether, wie lange man auch die Einwirkung dauern lässt. Dies zeiet uns, dass die Substanz der Myelinscheide, welche sich mit Osmium- säure färbt, hierbei zugleich unlöslich in Alkohol und Aether wird, Flüssig- ‚keiten, welche sie vorher lösten. Behandelt man Nerven, welche durch 24stündige Einwirkung von 2 procentiger Osmiumsäure fixirt worden sind, während 24 Stunden mit Alkohol bei 40° und verdampft man dann den Alkohol, so erhält man noch einen verhältnissmässig reichlichen Rückstand. Erschöpft man die- sen mit Aether, so löst sich ein Theil desselben und es bleibt ein Theil ungelöst. Partikelchen des letzteren, welche in Wasser bei gewöhnlicher Tem- peratur nicht quellen, thun es in beträchtlicher Weise, wenn man erhitzt, ganz wie das Protagon. Nach Lösung in wenig Alkohol von 40° und langsamer Abkühlung erhält man krystallinische Formen. Wir glauben also schliessen zu können, dass dies Protagon ist. Der in Aether gelöste Theil ist hauptsächlich aus Cholesterin gebildet. Die Nervenfasern, aus denen auf diese Weise Protagon und Cholesterin ausgezogen ist, zeigen unter dem Mikroskop nicht mehr oder nicht weniger ein Netzwerk in der Myelinscheide, wie diejenigen, bei welchen eine Ex- traction nicht stattgefunden hat. Diese Fixation der Myelinscheide durch Osmiumsäure mit der Möglichkeit, nachher noch das Protagon und das Cholesterin ausziehen zu können, ferner jeglicher Mangel eines Einflusses der Extraction auf den Grad der Homogenität der Myelinscheide sprechen, scheint uns, zu Gunsten der Ansicht, nach welcher diese drei Substanzen zwar praeexistiren, aber in vollkommener gegenseitiger Mischung!. Unsere Versuche lehren uns Nichts über das Neurokeratin. Dass die Entstehung der Myelinformationen am Nerven auf compli- eirtere Quellungserscheinungen am Leeithin zurückzuführen ist, kann durch folgende Beobachtungen dargethan werden. Das Leeithin der Nerven ist, wie das Lecithin des Gelbeies eine viscöse Substanz, welche in Wasser quillt und dabei je nach den mechanischen Bedingungen verschiedene For- 1 Fettsäuren befinden sich in den Molekülen des Protagons und des Lecithins. Cholesterinfette und gewöhnliche Fette oder Triglyceride scheinen absolut zu fehlen. 540 J. GAD unD J.F. HEymans: men annimmt. Welches auch die Formen sein mögen, welche diese Gebilde annehmen, so sind sie doch, wenn das Leeithin rein ist, immer homogen. Es handelt sich also hierbei um eine einfache Quellungserscheinung. Aber diese Gebilde sind, wie es schon Virchow gesagt hat, verschieden von den Myelinformationen, welche man an dem Ende frischer, in Wasser gebrachter Nervenfasern beobachtet. Wenigstens muss dabei noch ein anderer Factor eine Rolle spielen. Nehmen wir Partikelchen von Leeithin und breiten wir sie sorgfältig auf einen Objectträger aus. Bei Zusatz destillirten Wassers tritt Quellung ein, wir beobachten Kugeln, regelmässige oder unregelmässige und ge- schlängelte Cylinder, auch Massen, deren Form noch weniger leicht zu beschreiben ist, welche aber alle aus gleichmässig gequollenem Leeithin be- stehen; sie sind homogen. Lassen wir zu diesem Praeparat langsam einen Tropfen Alkohol zufliessen, so beobachten wir an den homogenen Kügel- chen, dass sie ein klein wenig an Durchmesser abnehmen und dass sich in ihnen 5 bis 10 concentrirte sphaerische Schichten bilden, von der Peripherie bis zum Centrum: die homogene Masse schlägt sich also nach und nach in Membranen nieder. Bei den Cylindern hat ebenfalls die Schichtung stattgefunden, ebenso auch bei den anderen Formen, welche alle mehr oder weniger regelmässige Membranen zeigen. Wir erhalten Gebilde, welche ein wenig regelmässiger, aber im Wesen doch identisch mit den Myelinformen sind, wie sie Ranvier darstellt.’ Wenn man den Alkohol zu schnell in grosser Quantität zutreten lässt, so giebt es auch noch Niederschlag mit Membranbildung, aber zu gleicher Zeit beträchtliche Runzelungen, derart, dass die Membranen geringeren Abstand haben und weniger deutlich sind. Fügen wir statt des Alkohols zu dem mit destillirttem Wasser ge- quollenen Leeithin ein Tröpfchen physiologischer Kochsalzlösung hinzu, so entsteht ebenfalls ein Niederschlag physikalischer Art mit Bildung von Membranen, analog denjenigen, welche durch Alkohol hervorgerufen werden, und denjenigen, welche das aus frischen Nervenfasern hervortretende Myelin zeigt. Kochsalzlösungen von 1 Promille und von 0-1 Promille veranlassen denselben Vorgang. Fügen wir zu diesen Niederschlagspraeparaten Osmium- säure hinzu, so färben sich nur die Membranen, und keinesfalls ihr Inhalt, und so verhält es sich auch bei den Myelinformationen.? Das Phaenomen der Myelinformationen an ‚den Nervenfasern beruht nach unserer Auffassung auf der Quellung des Lecithins der Myelinscheide, einer Quellung, welche für gewöhnlich mit der Bildung von Niederschlags- ı L.Ranvier, Zecons sur !’histologie du systeme nerveux. Paris 1878. Pl. I. Fig. 2. ” Vergl. Prawitz, Centrales Nervensystem der Acephalen. Jenaer Zeitschrift der Naturwissenschaften. 1887. Bd. XX 8.334. — K. Friedländer, a.a. 0. S. 247. Das MYELIN, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 541 membranen einhergeht. Es gehört dies in dieselbe Classe von Erschei- nungen, wie sie der Leim unter gewissen Bedingungen darbietet.! Die ausser dem Lecithin in der Myelinscheide vorhandenen Substanzen spielen bei diesen Phaenomenen theils eine passive, theils eine die Wirkung des Wassers modifieirende Rolle. Nach den Analysen der Chemiker kommt das Leecithin auch in den Ganglienzellen fast in gleicher Menge und in anderen histologischen Ele- menten des Organismus vor; diese Elemente bringen unter gewöhnlichen Bedingungen keine Myelinformationen hervor und schwärzen sich nicht unter Bedingungen, unter denen es die Nervenfasern thun. Man kann hieraus schliessen, dass das Leeithin der Nerven sich in einem anderen Zustand befindet, als das Lecithin der anderen Gewebe, und man könnte vielleicht sagen, dass in letzteren das Lecithin im Zustande festerer chemischer Bindung ist, während es in den Nervenfasern entweder frei oder höchstens derart gebunden ist, dass es die Fähigkeit, sich mit Osmiumsäure zu schwärzen, bewahrt hat und dass es durch die einfache Einwirkung von Wasser frei wird. Aus diesen Untersuchungen schliessen wir also: Myelin ist Lecithin in freiem Zustand oder in loser chemischer Bindung. Nachdem wir in dem ersten Theil die Aufgaben gelöst haben, welche sich uns aus den einleitenden Erörterungen ergaben, können wir in Be- zug auf die Ausdrücke myelinhaltig und myelinfrei nicht mehr miss- verstanden werden. Ebenso ist klar, was wir unter Myelinscheide zu ver- stehen haben; es braucht kaum ausdrücklich darauf hingewiesen zu werden, dass die Myelinscheide nicht eine solche ist, welche ausschliesslich aus Myelin besteht, sondern eine solche, welche Myelin als intregrirenden Be- standtheil enthält. Die Worte Myelinscheide, Markscheide und Nerven- mark als gleichbedeutend zu gebrauchen, wie es jetzt gewöhnlich geschieht,? können wir uns nicht entschliessen. Nervenmark wurde ursprünglich der ganze Inhalt der Nervenröhren genannt, als man noch im Zweifel darüber war, ob man an diesem Inhalt einen centralen und einen peripherischen Antheil als praeformirt anerkennen sollte. Das Nervenmark der myelin- ! M. Traube, Experimente zur Theorie der Zellenbildung und Endosmose. Dies Archiv. 1867. 8.87; — Vergl. E. Brücke, Ueber den Zusammenhang zwischen der freiwilligen Emulgirung der Oele und dem Entstehen sogenannter Myelinformen, Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften. Wien 1879. Bd. LXXIX. Abthleg. 3. * Siehe zum Beispiel K. Bardeleben, Eulenburg’s Real- Encyklopaedie. Bd. XIV. S. 152. ® Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd.I. S. 686. 542 J. GAn unD J. F. Hrymans: haltigen Nervenfasern besteht also aus Axencylinder und Myelinscheide, für letztere allein den Ausdruck Nervenmark zu gebrauchen, ist weder historisch berechtigt, noch sprachlich. Unter Mark versteht man gemein- hin den innersten Theil eines gestreckten Gebildes; von Markscheide kann man insofern mit gutem Sinne reden, als man an dem ursprünglich als einheitlich gedachten Mark ein centrales Gebilde, den Axencylinder, und _ einen diesen einschliessenden Theil kennen gelernt hat. Markscheide ist also derjenige Theil des Markes, welcher den Axencylinder einscheidet. Nervenmark der myelinhaltigen Nervenfasern ist Axencylinder plus Mark- scheide, und Myelinscheide ist bei diesen Nervenfasern zwar identisch mit Markscheide, während die Frage eine offene ist, ob es Markscheiden giebt, die kein Myelin enthalten. Die Frage nach der Constitution der zwischen den groben myelinhaltigen Nervenfasern und den freien Axencylindern stehenden Kategorien von Nervenfasern spitzt sich also darauf zu, ob die- selben eine Markscheide besitzen oder nicht, und ob es Nervenfasern mit einer myelinfreien Markscheide giebt. Was bis jetzt über myelinfreie Nerven- fasern geschrieben worden ist, findet man in Wagner’s Handwörterbuch,! bei Axel Key und Retzius,? Ranvier? und Boveri* genau angegeben. Das zuverlässigste Reagens auf Myelin ist noch immerhin die Osmium- säure. Wo Myelin vorhanden ist, tritt bei richtiger Anwendung derselben schwarze Färbung ein. Die mit der Feinheit einer isolirten Faser ver- bundene Dünne der Schicht kann das Hervortreten von intensivem Schwarz verhindern, charakteristisch bleibt aber dann noch das reine Grau des Farben- tones, während dort, wo trotz Fehlens von Myelin und bei dickerer Schicht eine Färbung mit Osmiumsäure eintritt, der Farbenton gelblich ist. Die Osmiumsäure bietet noch einen anderen, hier sehr in Betracht kommenden Vortheil; sie gilt freilich als ein Fixationsmittel, und was das Myelin an- langt, so trifft diese Bezeichnung auch zu, denn wir haben oben gesehen, dass aus Nerven, welche mit Osmiumsäure fixirt sind, das geschwärzte Leeithin unextrahirbar geworden ist; wir haben aber auch gesehen, dass sich dies in Bezug auf andere wesentliche Bestandtheile myelinhaltiger Nervenfasern, nämlich das Protogon und das Cholesterin, ganz anders ver- hält; dieselben bleiben nach Osmiumsäure-Behandlung extrahirbar mit " Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. 1844. Bd. II. S. 492; — Bd. III. S. 408. ” Axel Key und G. Retzius, Sfudien in der Anatomie des Nervensystems und des Bindegewebes. Stockholm. 1876. ®° L. Ranvier, Decons sur P’histologie du systeme nerveux. Paris 1878. p..136 bis 155. } * Th. Boveri, Beiträge zur Kentniss der Nervenfasern. Abhandlungen der math.- phys. Classe der k. bayer. Akademie der Wissenschaften. 1885. Bd. XV. S. 421—496. 2 Taf. Das MyYELI1N, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN 543 Alkohol, sind also nicht eigentlich fixirt. Noch grösser ist der Unter- schied im Verhalten gegen das bindegewebige Gerüst der Nerven, dieses kann durch Behandlung mit Osmiumsäure geradezu gelockert werden; es geschieht dies in ausgezeichneter Weise unter gleichzeitiger vorzüglicher Färbung des Myelins, wenn man die Nerven mehrere Tage (vier bis fünf) in einer 2 procentigen Osmiumsäurelösung liegen lässt. Das Zerzupfen voll- zieht sich dann auf die bequemste Weise und man erhält auch die feinsten Nervenfasern zwischen gröberen gut isolirt, ohne dass das hierbei als Uebel- stand bemerkte Sprödewerden einzutreten pflegt. Um myelinfreie Nervenfasern in grösserer Ansammlung zu demon- striren, sind sehr geeignet der mittlere Ramus cardiacus vom Ganelion stellatum des Hundes, ! der Halssympathicus des Kaninchens peripher von seinem Ganglion supremum, und der Milzuerv.” Hat man einen dieser Nerven in der angegebenen Weise behandelt und bringt man ihn auf den Objectträger, entfernt das leicht abziehbare fetthaltige Bindegewebe und betrachtet man ihn unter dem Mikroskop, so erkennt man sofort, dass man es mit Bündeln einer besonderen Faserkategorie zu thun hat; denn die Färbung, trotz der Dicke der Schicht, ist verhältnissmässig schwach und im Ganzen von gelblicher Nuance Aus der ganzen Fasermasse heben sich nur wenige schwarz gefärbte Nerven ab. Vergleicht man nach dem Zerzupfen einzelne geschwärzte Fasern mit einzelnen nicht geschwärzten, so findet man den Durchmesser der letzteren im Allgemeinen nur wenig kleiner als den der ersteren. Diese zeigen eine deutliche, doppelt contou- rirte, vollkommen schwarze Myelinscheide, während die Färbung an den anderen nach der Isolirung noch weniger hervortritt, als im Bündel, und bei ihnen nichts von einer dunkelen Myelinscheide zu sehen ist. Dieses gilt auch, wenn sie nach Auswaschen der Osmiumsäure eine Nachbehand- lung mit Alkohol erfahren haben. Nach den Befunden an diesen Nerven bleibt für uns ein Zweifel über das Vorkommen myelinfreier Nervenfasern im mittleren Verlauf der Leitungsbahnen nicht mehr bestehen. Ein Object, welches beim Studium der uns beschäftigenden Frage nicht umgangen werden kann, ist der Tractus olfactorius, welcher nament- lich vom Hecht in längerer Ausdehnung bequem zu gewinnen ist. Es kommt hierbei zunächst nicht in Betracht, dass es sich bei ihm nicht um einen peripherischen Nerv, sondern um eine intercentrale Leitungsbahn handelt. Das Studium dieses Objectes ist darum von besonderer Wichtig- keit, weil seine Fasern, welches ihre Constitution auch sein möge, wesent- " Vergl. W.H. Gaskell, On the structure, distribution and function of the nerves which innervate the visceral and vascular system. Journal of Physiology. 1886. Vol. VI. p. 12. ?2 Ranvier, A.a. ©. S. 108. 544 J. GAD unD J. F. Hrymans: lich einander gleich sind. Ein besonderes Interesse knüpft sich darum an dieses Object, weil es wegen der Gleichartigkeit seiner Fasern unter ein- ander und wegen der vorausgesetzten Verschiedenheit derselben von den allgemein als myelinhaltig angenommenen Nervenfasern wiederholt Gegen- stand physiologischer Untersuchungen gewesen ist und da diese Unter- suchungen an Bedeutung verlieren müssten, wenn es sich in der That, wie Boveri meint,! auch hier um myelinhaltige Nervenfasern handelte. Bringt man den nach der von Kühne und Steiner? angegebenen Methode schnell und sauber isolirten Tractus sive Nervus olfactorius vom Hecht sofort in zweiprocentige Osmiumlösung, so bemerkt man allerdings bald, dass das ganze Object schwarz wird; zerzupft man aber den Nerven, was sich am besten nach mehrtägigem Belassen in der Osmiumsäure aus- führen lässt, so erkennt man auch nach dieser langen Einwirkungszeit des Mittels an den einzelnen Fasern Nichts, was wir auf eine schwarze Mark- scheide beziehen können. Die Schwärzung der gesammten Nerven beruht auf einer Dunkelung der einzelnen Fasern, welche von gleicher Ordnung ist mit derjenigen, wie sie Ganglienzellen und viele andere histologische Elemente nach gleicher Behandlung zeigen. Der beste Beweis für die Abwesenheit von Myelin, d. h. des prae- formirt freien Leeithins, im Tractus olfactorius wird bei der Beobachtung des frisch in das Wasser gebrachten Nerven gewonnen. Selbst nicht nach 24 Stunden haben sich Myelinformationen gebildet. Freilich enthält das Object auch Leeithin, denn in dem Rückstand des alkoholischen Extractes findet sich neben anderen Substanzen (Cholesterin, Protagon?) ein Bestand- theil, welcher in Wasser quillt und sich mit Osmiumsäure schwärzt. Dieses Lecithin kann aber erst durch die eingreifende Wirkung des Alkohols aus Verbindungen frei gemacht werden, welche die Lecithinreactionen ohne Weiteres nicht gaben. Dies geschieht nicht nur durch Alkohol, sondern auch unter anderen Umständen (z. B. Eintrocknen), hei denen dieselbe Spaltung stattfindet. Dass im Grenzstrang des Sympathicus und in den splanchnischen Nerven grobe und feine, myelinhaltige und myelinfreie oder Remak’sche Fasern vorkommen, ist schon längst angegeben; doch ist das quantitative Verhältniss nicht allgemein richtig gewürdigt worden. Sind diese Nerven richtig mit Osmiumsäure behandelt, so erweisen sie sich zum grossen Theil als aus myelinhaltigen Nervenfasern bestehend; die feinen myelinhaltigen ! Boveri, A.a. 0. S.69 (des Separatabdruckes). ® W. Kühne und J. Steiner, Beobachtungen über markhaltige und marklose Nervenfasern. Untersuchungen des physiologischen Instituts der Universität Heidel- berg Ba.Ill. S. 154. Das MyELIN, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 545 Nervenfasern. wiegen vor und da sich diese Nerven auch nicht leicht zerzupfen lassen, so ist die Demonstration der myelinfreien Fasern hier nicht leicht. In den spinalen Nerven, welche wir studirt haben, speciell dem Nervus ischiadicus, lassen sich myelinfreie Nervenfasern darstellen und zwar findet man sie dort nach der Zerzupfung auf längere Strecken isolirt.! Wir schliessen hier ebenfalls auf das Vorhandensein myelinfreier Nervenfasern aus dem Umstande, dass nach sorgsamer Osmiumsäure- behandlung Fasern zu demonstriren sind, welche Nichts von der charakte- ristischen Schwärzung zeigen, und es ist besonders lehrreich, dass es hier von Zeit zu Zeit beobachtet werden kann, dass solche Fasern neben schön geschwärzten dahinlaufen, welche letzteren einen ebenso kleinen Durch- messer haben. Darüber, dass es ausser an den Uebergängen zu den Endapparaten im Verlaufe der Leitungsbahnen selbst myelinfreie Nervenfasern giebt, be- steht für uns kein Zweifel mehr; wir haben die Orte und Methoden an- gegeben, welche in Betracht kommen, wenn sich Jemand ein eigenes Ur- theil darüber bilden will, woraus wir unsere Ueberzeugung geschöpft haben. Wir können also jetzt an die Frage herantreten, wie die Constitution dieser Fasern aufzufassen ist, und zwar ob es sich um freie Axencylinder handelt, oder um Axenceylinder, welche nur von einer Schwann’schen Scheide umgeben sind, oder um Nervenfasern mit einer myelinfreien Markscheide. Im Allgemeinen gilt die Ansicht, dass die Remak’schen Fasern im Sympathicus aus freien Axencylindern bestehen; aber schon Kölliker? und Retzius® behaupten, dass diese Formen eine Scheide besitzen, welche sie als Schwann’sche Scheide auffassen. Die Betrachtung der isolirten myelinfreien Nervenfasern unserer Praeparate vom Sympathicus und Nervus ischiadicus bei genügend starker Vergrösserung hat auch uns zu der Ueber- zeugung gebracht, dass es sich bei ihnen nicht um homogene Gebilde handelt. Wir unterscheiden in denselben eine axiale hellere Zone, um- geben von einer weniger hellen und weniger homogenen. Wir glauben also auch, dass diese Nervenfasern aus einem centralen Theil, dem Axen- eylinder, und aus einem peripherischen, einer Scheide, bestehen. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Scheide nur als eine Schwann’- sche Scheide aufzufassen ist? Bei genauer Betrachtung sehen wir, dass die peripherische Zone nicht homogen, sondern leicht granulirt ist. Die ! Diese Fasern sind nach unserer Meinung keine im Entwickelungsstadium be- griffene myelinhaltige Nervenfasern. Vergl. Sigm. Mayer, Ueber Degenerations- und Regenerationsvorgänge im unversehrten peripherischen Nerven. Prager mediei- nische Wochenschrift 1879. Nr. 51. ®2 A. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. 1889. 8. 151. SEAT2RO! Archiv f. A. u. Ph. 1890, Physiol. Abthlg. 35 546 J. Gap unD J. F. Heymans; Ösmiumsäurebehandlung hat sie auch nicht so hell und farblos gelassen wie eine Schwann’sche Scheide, vielmehr hat sie stärker als die axiale Zone eine gelbliche Färbung angenommen, wie es protoplasmatische Ge- bilde unter gleichen Bedingungen thun. Vergleicht man ferner den An- theil, welchen die peripherische Zone dieser myelinfreien Nervenfasern an der Faserbreite nimmt, mit demjenigen, welcher der Schwann’schen Scheide an myelinhaltigen Nervenfasern zukommt, so findet man ersteren grösser. Schliesslich bemerken wir, dass nach unserer Meinung die Kerne, welche sich längs dieser Fasern vertheilt finden, der peripherischen Schicht angehören. Nach alledem schliessen wir, dass zwar eine Scheide vorhanden ist, welche wir aber nicht als Schwann’sche Scheide auffassen können; die Schwann’sche Scheide der myelinhaltigen Nervenfasern in den Nerven- stämmen ist eine doppelt contourirte, glashelle Membran; zwischen ihr und dem Axencylinder liegen deutlich unterscheidbar Kerne mit umge- lagertem Protoplasma und das myelinhaltige Mark. Kerne und Proto- plasma sind auch die wesentlichen Bestandtheile, welche wir an der Scheide der ınyelinfreien Nervenfasern erkennen können; das Gemeinschaftliche bei beiden Faserkategorien scheint also zu sein, dass der Axencylinder von kernhaltigem Protoplasma umgeben ist, und der Unterschied scheint darin zu bestehen, dass in dem einen Falle das kernhaltige Protoplasma eine Schwann’sche Scheide nach Aussen und Myelin im Inneren gebildet hat. Wenn sich an den myelinfreien Nervenfaseın auch keine Schwann’sche Scheide demonstriren lässt, so ist darum die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass das kernhaltige Protoplasma auch hier nach aussen von einer dichteren Schicht abgegrenzt, ist. Ob es gelingen wird, durch Behandlung mit Silber- nitrat oder auf andere Weise eine Segmentirung, wie sie an den myelin- haltigen Nervenfasern durch die Ranvier’schen Einschnürungen angedeutet ist, nachzuweisen, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Auch ist es mög- lich, dass die myelinfreie protoplasmatische Scheide, wie die myelinhaltige Markscheide, Cholesterin, Protagon, Neurokeratin und Leeithin in festerer Verbindung enthäit. Die Verdauungsversuche und die Färbungen mit Hülfe der Weigert’schen Methode, welche Boveri! gemacht hat, scheinen dafür zu sprechen. Mit Rücksicht hierauf können wir die Scheide nicht einfach als Protoplasmascheide bezeichnen, und da als einzig bewiesener und demonstrirbarer Unterschied von den myelinhaltigen Nervenfasern die Abwesenheit von Myelin übrig bleibt, nennen wir sie die myelinfreie Mark-' scheide. ‘ Diese Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide kommen also im INTRO STORE Das MyEuLın, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 547 Sympathicus und in den Nervenstämmen des cerebrospinalen Systems vor; sie gehören zu den Fasern, welche man als Remak’sche Fasern bezeichnet hat. Ob aber alle hier vorkommenden Remak’schen Fasern dieselbe Con- stitution besitzen, ist nicht zu entscheiden, weil mit Abnahme der Dimen- sionen die Anwendung der Kriterien immer schwieriger wird. Die Nervenfasern des Olfactorius vom Hecht haben wir ebenfalls myelinfrei gefunden und wir müssen dieses Resultat den von Boveri! geäusserten Ansichten gegenüber hervorheben; andererseits haben wir keinen Grund, der Angabe dieses Autors zu widersprechen, dass hier eine Difle- renzirung der Nervenfasern in eine centrale und eine peripherische. Zone vorhanden sei. Freilich haben wir wegen eigenthümlicher Schwierigkeiten, welche das Object bietet, nicht mit Sicherheit entscheiden können, ob die Olfactoriusfasern dieselbe Constitution besitzen, wie die Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide des sympathischen Systems. In der Reihe der Nervenfaserarten nehmen wir also auf Grund all- gemein anerkannter Ansichten und auf Grund unserer eigenen Unter- suchungen an, Nervenfasern mit myelinhaltiger Markscheide mit oder ohne Schwann’sche Scheide, Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide ohne Schwann’sche Scheide und freie Axencylinder. Wir leugnen nicht, dass es Zwischenglieder geben könne, wir haben aber vorläufig keinen Grund, solche anzuerkennen. In Bezug auf die Dimensionen trifft es allerdings zu, dass die Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide das grösste Con- tingent zu den feineren und feinsten Fasern stellen, doch ist hervorzuheben, dass es Nervenfasern mit myelinhaltiger Markscheide giebt, welche feiner sind, als die gröberen Fasern mit myelinfreier Markscheide Was die Be- nennung betrifft, so bringen die Ausdrücke Nervenfasern mit myelinhaltiger Markscheide und Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide zwar unsere Ansicht von der Constitution der Nervenfasern vollkommener zum Ausdruck, doch decken sie sich bei dem jetzigen Stand unserer Kenntniss mit den Ausdrücken myelinhaltige Nervenfasern und myelinfreie Nervenfasern, inso- fern man nicht einen Gegensatz zu den freien Axencylindern zum Aus- druck zu bringen hat, welche ja auch myelinfreie Nervenfasern sind. Wir haben bisher nicht den Ausdruck sympathische Nervenfasern ge- braucht, weil uns der Begriff nicht genügend festgestellt zu sein schien. Die von uns als myelinfrei erkannten Nervenfasern stehen aber allerdings in einer sehr innigen Beziehung zum sympathischen Nervensystem; wir können uns in dieser Beziehung im Wesentlichen auf den Boden der Gaskell’schen Lehren stellen, wenn wir nur streng durchführen, dass wir statt von marklosen, von myelinfreien Nervenfasern sprechen. ! A.a.0. 8.69 —173. 548 J. GAD unD J. F. HeyMmAnSs: Die Wurzeln der Kückenmarksnerven führen, wenn wir von den niederen Vertebraten absehen, keine myelinfreien Nervenfasern; die weissen kami communicantes, mit denen das sympathische Nervensystem im centralen Nervensystem wurzelt, führen dem Grenzstrang des Sympathicus nur myelin- haltige Nervenfasern zu; dem Caliber nach gehören diese Nervenfasern hauptsächlich zu den mittleren und feineren, doch fehlen auch die gröberen nicht ganz. Aus den myelinhaltigen Wurzelfasern des Sympathicus werden durch Vermittelung von sympathischen Nervenzellen myelinfreie Nerven- fasern. Wir haben uns hiervon an Praeparaten des Sympathicus vom Frosch überzeugen können; wir fanden die Nervenzellen von der typischen durch Beale! beschriebenen Form und sahen in Uebereinstimmung mit Key und Retzius? und Schwalbe,’ dass die Spiralfaser die Fortsetzung einer myelinhaltigen Nervenfaser ist, und dass die Spiralfaser wie die Central- faser den Charakter unserer Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide besitzt. Beale’sche Zellen, an denen dieses im Nervenbündel selbst zu beobachten war, lagen mit der Nervenaustrittsstelle peripheriewärts gelagert und ihre myelinhaltig gewordene Spiralfaser bog centralwärts um. An in umgekehrter Richtung orientirten Beale’schen Zellen gelang es leider nicht, die Verlaufsrichtung beider Faserarten zu ermitteln. Dass grobe markhaltige Nervenfasern, wie man sie nicht gerade häufig, aber doch sicher im Sympathicus antrifft, nicht nur Beimengung aus be- nachbarten Cerebrospinalnerven darstellen, sondern dass auch Fasern vom Durchmesser motorischer Nervenfasern sich an der Constituirung des sym- pathischen Nervensystems betheiligen, geht daraus hervor, dass sie, wie wir mit Bestimmtheit beobachtet haben, in Ganglienzellen einmünden können. Steht es einerseits fest, dass myelinhaltige, aus dem Cerebrospinal- system stammende Nervenfasern beim Durchtritt durch sympathische Gang- lienzellen ihr Myelin verlieren, so bleibt es doch fraglich, ob dies eine durchgreifende Regel ist, welche für alle Nervenfasern gilt, welche sich einmal in den Sympathicus begeben haben, und für alle, welche ihrer Funetion nach als sympathische betrachtet werden, namentlich also für die Gefässnerven. Wir haben ebenso wie Langley* in den sympathischen ! L.S. Beale, On the structure and formation of the so called apolar, unipolar and bipolar nerve cells of the frog. Philosophical Transactions of the .Boyal Society of London. 1863. Vol. CLIIL. p. 543. ZEN.22 08 3 @. Schwalbe, Ueber die Kaliberverhältnisse der Nervenfasern. Leipzig (C. W. Vogel) 1882. 8.13. *J. N. Langley, On the physiology of the salivary secretion. Journal of Phy- siology. 1890. Vol. XI. p. 123. Das MyELın, DIE MYELINHALTIGEN UND MYELINLOSEN NERVENFASERN. 949 Nervenästchen peripher vom Ganglion supremum des Halssympathieus die myelinfreien Nervenfasern an Zahl freilich weit überwiegend gefunden, aber die myelinhaltisen kommen hier, wenn auch in geringer Zahl (schätzungs- weise 5 bis 10 Procent), so doch regelmässig vor. Ferner haben wir in Uebereinstimmung mit Langley an kleinen Arterien selbst (Arteria aurieularis des Kaninchens) die Nervenstämmchen der Adventitia myelin- haltige Nervenfasern führen sehen, welche wir bis zu ihrem Eintritt in die Muscularis verfolgen konnten. Unter Anwendung der Goldmethode haben wir uns viel Mühe gegeben, etwas Genaueres über die Endigungsweise der Gefässnervenfasern zu erfahren. Obgleich die positiven Ergebnisse sich zu einer kurzen Besprechung an dieser Stelle nicht eignen, so können wir doch so viel mit Bestimmtheit aussprechen, dass wir ebenso wie Ranvier! und andere Autoren Ganelienzellen ähnliche Gebilde im Verlauf dieser Nervenfasern, trotz stets darauf gerichteter Aufmerksamkeit, nie gesehen haben, so dass wir es für wahrscheinlich halten, dass die in der Adven- titia befindlichen myelinhaltigen Nervenfasern endigen, ohne in Ganglien- zellen ihr Myelin verloren zu haben. Was die Vermehrung der sym- pathischen Nervenfasern in ihrem Verlauf anlangt, so können wir nur sagen, dass wir gelegentlich Theilungen myelinfreier Nervenfasern in Nerven- stämmen, ohne die Zwischenkunft von Ganglienzellen, beobachtet haben. Dass Plexusbildungen im Sympathicusstamm vorkommen, wie behauptet worden ist, müssen wir mit Boveri entschieden in Abrede stellen. Wenn wir die myelinfreien Nervenfasern des Sympathicus anstandslos als Nervenfasern mit myelinfreier Markscheide bezeichnen können, so können wir für die Nervenfasern des Olfactorius doch nur mit Sicherheit behaupten, dass sie myelinfrei sind, und müssen es dahingestellt sein lassen, ob sie in anderer Beziehung nicht doch von myelinfreien sympathischen Nervenfasern sich unterscheiden, wie ja denn auch ihre Stellung im morphologischen System eine sehr verschiedene ist. Kühne und Steiner,? welche den Traetus olfactorius vom Hecht in die physiologische Experimental-Technik eingeführt haben, thaten dies unter der Annahme, dass seine Nervenfasern „marklose“ wären, d. h. wie wir es ausdrücken würden, keine Markscheide besässen. Für die Tragweite der Schlussfolgerungen aus den an diesem Object bisher angestellten Versuchen wäre es sehr erwünscht, wenn sich diese Annahme bestätigen liesse; mit dem Nachweise der Abwesenheit des Myelins scheint uns dies aber noch nicht vollkommen erreicht zu sein, denn der Punkt, auf welchen es hier hauptsächlich ankommt, wäre der, ! Ranvier, Appareils nerveux terminauz des muscles de la vie organique. Paris 1880. p. 488. 2 A.2.0. 550 J. Gap uno J. F. Hrymans: ÜBER MYELM vd. Ss. w. zu wissen, ob wir es hier in jeder Nervenfaser nur mit Axencylinder- substanz zu thun haben. Immerhin geht schon so viel aus den bisher am Ölfactorius angestellten Experimenten und aus dieser unserer Unter- suchung hervor, dass die An- oder Abwesenheit von Myelin in Nerven- fasern keinen wesentlichen Einfluss auf die elektrischen Erscheinungen am Nerven! und auf das Verhalten seiner Leitungsfähigkeit und Reizbarkeit ? gegen Reagentien ausübt. ! Kühne und Steiner, 2.2.0. ®? @ad und Piotrowski, Ueber Leitungsfähigkeit und Reizbarkeit der Nerven in ihren Beziehungen zur Längs- und Quererregbarkeit. Verhandlungen der physio- logischen Gesellschaft zu Berlin. 1889. VIII. S.1. — Dies Archiv. 1889. S, 350. Ueber das Auftreten von Fett in den Zellen und die dadurch bedingten histologischen Bilder. Von Justus Gaule. Es ist nur eine kurze und durch einen besonderen Fall veranlasste Bemerkung, die ich hier beabsichtige. Hr. Metzner in seiner kürzlich erschienenen Abhandlung: „Ueber die Beziehungen der Granula zum Fett- ansatz“! sagt S. 95: „Es war mir auffällig, dass in der citirten Arbeit von Stolnikow das Auftreten von Fettelementen in der Leber der mit Phosphor vergifteten Frösche nicht erwähnt wird und erklärt sich dieses vielleicht daraus, dass die von dem genannten Autor bei der Paraffin- einbettung benutzten Flüssigkeiten das Osmiumfett extrahirt haben, bevor es in den Schnitten zur Beobachtung kam.“ Das ist ein Missverständniss, welches ich nach der klaren Auseinandersetzung, die Stolnikow _über seinen Befund siebt, eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Stolnikow hat seine Lebern nicht blos histologisch, sondern auch chemisch untersucht. Die chemische Analyse belehrte ihn über den hohen Fettgehalt derselben und er suchte deshalb das Fett auch mikroskopisch nachzuweisen. Was er über diesen Punkt sagt, ist wörtlich Folgendes (8. 13 a. a. O.): „Mich interessirte zunächst das Auftreten des Fettes in dem Protoplasma der Leberzellen. Zu meinem Erstaunen boten dieselben keineswegs das oft beschriebene Aussehen der fettigen Degeneration dar. Die keineren und - grösseren Fetttröpfehen sind in dem Protoplasma meiner Praeparate der Phosphorleber nicht zu finden. Erst als ich Stückchen dieser Lebern nach der gewöhnlichen Methode untersuchte, d.h. die Zellen in 0-6 procentiger NaCl-Lösung absterben liess, traten die Fetttröpfehen auf und wurden ! Metzner, dies Archiv. 1890. Anat. Abthlg. 8. 82. ? Stolnikow, dies Archiv. 1887. Physiol. Abthlg. Suppl. 8.1. 552 JUSTUS GAULE: noch um Vieles deutlicher und zahlreicher, als ich die Zellen mit ver- dünnter Essigsäure behandelte. Ich vermuthete daher, dass das Fett im Protoplasma an eine Substanz gebunden sein müsse, welche durch Säure und beim Absterben (hier auch vielleicht durch Säurebildung) zerstört werde; mit anderen Worten, ich vermuthete, dass das Fett in jenen eigen- thümlichen, das Protoplasma der Zellen der Phosphorleber bildenden Körpern (ce und d der Figuren) enthalten sei und erst nach Zerstörung dieser Körper durch Säuren oder Absterben in Gestalt von Tropfen auftrete.“ Also Hr. Stolnikow hat das Fett nicht etwa übersehen, sondern er hat trotz seiner Aufmerksamkeit darauf es nicht gefunden, weder in der ganz frischen noch abgestorbenen Leberzelle, noch in den nach der von ihm gebrauchten Methode (Sublimat und Osmiumsäure) aus den ganz frischen Leberzellen hergestellten Praeparaten. Wohl aber zeigt er, dass das Fett vorhanden ist, wie man ja nach der chemischen Analyse nicht zweifelhaft sein konnte, jedoch in einer Form, in der es sich nicht morpho- logisch sondert, sondern in einer Verbindung, die seine Eigenschaften so lange verdeckt, bis sie gespalten wird, was durch Säuren oder auch schon durch das Absterben geschehen kann. In der weiteren Auseinandersetzung, welche zu lang ist, um sie wört- lich zu eitiren, die man aber die Güte haben möge, im Original nachzu- lesen (S. 13 ff. a. a. O.), setzt dann Stolnikow die Gründe auseinander, die dafür sprechen, dass das Fett hier in einer Verbindung mit dem Ei- weiss ist und dass das Lecithin, an welchem die Phosphorlebern besonders reich sind, diese Verbindung vermittelt. Es scheint mir, dass es aus diesem Befund etwas zu lernen giebt, was über die Berichtigung der falschen Vermuthung des Hrn. Metzner hinaus- geht, und das ist der Grund, weshalb ich hier das Wort ergreife, Die Sache ist die. Einmal wird hier ganz sicher constatirt, dass Fett in der Zelle vorhanden sein kann, ohne dass es sich morphologisch sondert und also durch das Mikroskop sichtbar wird. Das ist für diejenigen, die den Weg des Fettes durch den Organismus verfolgen, recht wichtig. Ob das Fett in der Zelle verborgen bleibt oder als Fett auftritt, das scheint mir, soweit ich es jetzt übersehe, von drei Factoren abhängig: 1. von der Menge des Fettes, 2. von der Menge der Substanzen, welche Fett zu binden vermögen, also z. B. Eiweiss, Leecithin, vielleicht auch noch andere Körper, wie das Jecorin u. s. w.! 3. von dem Lebenszustand der Zelle, da ja das Absterben ! Neben der lockeren Bindung, die ich hier im Auge habe, die schon durch ver- dünnte Säuren spaltbar ist, giebt es natürlich noch das fester gebundene Fett, welches erst beim Kochen mit Säure frei wird. ÜBER DAS AUFTRETEN VON FETT IN DEN ZELLEN. 553 und wohl auch manche Thätiekeitszustände diese Verbindungen spalten. Andererseits mache ich darauf aufmerksam, dass die Art der Untersuchung und bei erhärteten Praeparaten die Methode der Erhärtung offenbar einen grossen Kinfluss ausübt, da die Methode dazu führen kann, dass Fett ab- gespalten wird. Nun will ich an sich gewiss nicht einer Methode einen Vorwurf daraus machen, dass sie auf diese Weise einen chemischen Be- standtheil der Zelle sichtbar macht. Fehlerhaft wird die Sache erst dann, wenn man aus der bei dieser Sonderung des Fettes auftretenden morpho- logischen Gliederung der Zelle weitgehende Schlüsse zieht auf eine Structur, welche die Zelle schon im Leben gehabt haben soll. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1889 —90. "XI. Sitzung am 28. März 1890. 1. Hr. E. SALKowskt hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber fermenta- tive Processe in den Geweben.“ Vor einiger Zeit habe ich auf die bisher wenig beachteten antiseptichen Wirkungen des Chloroforms in wässeriger Lösung hingewiesen,! ich habe gezeigt, dass die wässerige Lösung des Chloroforms (5 °® in 1 Liter Wasser) nicht allein (wie zum Theil schon bekannt war) entwickelunghemmende, sondern direct desinficirende Wirkungen hat, und habe das letztere Factum auch an zwei pathogenen Bakterien, den Choleraspirillen und Milzbrandbacillen, an letz- teren auch durch das Thierexperiment, erwiesen. An sich ist diese Thatsache von keinem hervorragenden Interesse, da wir Antiseptica in grosser Zahl kennen, allein bei keinem anderen Körper als dem Chloroform, ist, soviel mir bekannt, die antiseptische Wirkung combinirt mit grosser chemischer Indifferenz und Leichtflüchtigkeit. Die Combination dieser drei Eigenschaften macht das Chloroform in wässeriger Lösung zu einem äusserst werthvollen Hülfsmittel der physiologisch-chemischen Forschung. Das Chloroform übt keinen verändern- den Einfluss auf Eiweisskörper aus und es lässt gelöste Fermente (Enzyme) Sanz unangegriffen; andererseits gestattet seine Leichtflüchtigkeit, es jederzeit durch einen Luftstrom aus Flüssigkeiten zu entfernen. Auf die zahlreichen Anwendungen, welche das Chloroform in der Technik der physiologischen Chemie gestattet, will ich hier nicht eingehen, ich beschränke mich darauf, auf die Anwendbarkeit des Chloroforms auf dem Gebiete der Fermente hinzuweisen. Man kann dasselbe sehr zweckmässig zur Aufbewahrung wässeriger Fermentlösungen verwenden, andererseits aber auch zur Aufsuchung von Fermenten in den Geweben. Wenn man zerkleinerte Gewebe in Chloroformwasser bei 40 ° digerirt (in Glasstöpselflaschen), so bleiben die Misch- ungen steril, wie Impfungen auf Nährgelatine zeigen. Enthalten die Gewebe ! Ausgegeben am 5. April 1890. ” Deutsche medieinische Wochenschrift. 1888. Nr. 16. VERHANDL, DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — E. SALKowskı. 555 Fermente, so müssen diese in das Chloroform übergehen; wirken diese Fermente auf Substrate der Gewebe selbst ein, so gehen die Producte dieser Wirkung in das Chloroformwasser über. Die ersten Beobachtungen über das Vorkommen solcher Fermente, welche auf die Substrate der Zelle selbst einwirken, wurden an der Hefe gemacht. Wenn man Hefe (amylumfreie Presshefe) einige Tage mit Chloroformwasser digerirt, so tritt keine Selbstgährung ein, sondern es bildet sich eine ansehnliche Quan- tität — im Mittel 6-48 Procent des Trockengewichts der Hefe — links- drehender gährungsfähiger Zucker, der wahrscheinlich mit Laevulose identisch ist. Diese Zuckerbildung hängt nicht von der Wirkung des Wassers auf die Hefezellen ab, denn sie bleibt aus, wenn man die Hefe vorher durch Erhitzen sterilisirt hat und dann erst mit Cloroformwasser digerirt („Controlversuch“ im Gegensatz zu der ersten Versuchsanordnung, die als „Hauptversuch“ be- zeichnet werden mag). Die Quelle dieses Zuckers sind die Kohlehydrate der Hefe, welche ich auch als Quelle der Bildung von Alkolıol und Kohlensäure bei der Selbstgährung der Hefe erweisen konnte. Die Frage, welches Kohlehydrat der Hefe die Muttersubstanz des Zuckers sei, machte eine erneute Untersuchung dieser erforderlich, die noch nicht ganz zum Abschluss gelangt ist. Bisher habe ich in der Hefe zwei bezw. drei Kohlehydrate unterscheiden können: 1. Hefegummi, 2. Hefecellulose, 3. einen glykogenartigen Körper, welcher unter gewissen Bedingungen aus der Cellulose entsteht. Das Hefe- gummi erhält man aus dem wässerisen oder alkalischen Auszug der Hefe durch Fällung mit Fehling’scher Lösung unter starkem Zusatz von Natron, Ab- filtriren, Auswaschen des Niederschlages, Auflösen in Salzsäure, Fällung mit starkem Alkohol, Reinigung durch Alkohol und Aether u. s. w. als äusserst feines schneeweisses Pulver, das sich leicht in Wasser löst, Fehling’s Lösung nicht reducirt, rechts dreht. Beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure geht es langsam in einen rechtsdrehenden Zucker über. In Wasser gelöst und ab- gedampft bildet es durchsichtige, äusserst spröde Massen. Die „Hefecellulose“ erhält man als Rest bei Erschöpfung der Hefe mit einer Reihe von Reagentien, unter denen jedoch die Säuren ausgeschlossen sind, da sie sehr leicht Zucker bilden. Dieser Zucker ist rechtsdrehend, gährungs- fahig. Mikroskopisch zeigt sich diese „Cellulose“ ausschliesslich aus stark ge- schrumpften Hefezellen bestehend. Die Hefecellulose ist nach ihrem Verhalten zur verdünnten Säure vollkommen verschieden von der gewöhnlichen Cellulose; es wäre vielleicht zweckmässig, für diejenigen celluloseartigen Körper, welche sich in Säuren leicht unter Zuckerbildung auflösen, einen anderen Namen zu wählen, etwa „Membranin“ (die Endung ,„ose‘“ ist unzweckmässig, weil sie den Zuckerarten reservirt bleiben muss). Kocht man die Hefecellulose anhaltend mit Wasser, so geht sie theilweise in Lösung. Durch langdauernde Behandlung wurde etwa die Hälfte gelöst. Die ungelöste Cellulose bleibt in äusserst stark gequollenem Zustande zurück. Alko- hol fällt aus dieser Lösung einen Körper, der in der Jodreaction u. s. w. voll- kommen mit dem thierischen Glykogen übereinstimmt, stark rechtsdreht, mit Säure gährungsfähigen Zucker bildet, übrigens aber nicht mit Glykogen identisch ist. Der glykogenartige Körper aus Hefe lässt sich nämlich durch Erhitzen auf 130°, nachdem er vorher etwas angefeuchtet war, wiederum partiell in „Cellulose“ überführen. Ausser dieser Zuckerbildung verlaufen in der digerirten Hefe noch andere Processe, über welche ich schon in einer Abhandlung in der 556 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Zeitschrift für physiologische Chemie, Bd. XIII, S. 527, berichtet habe. Es bilden sich bei der Digestion ansehnliche Mengen Leucin und Tyrosin, und das Nuclein wird vollständig gespalten: die Xanthinkörper gehen in Lösung und sind in dieser durch Silberlösung vollständig fällbar. In der Mischung des Controlversuchs wird dagegen nur etwa die Hälfte des Nucleins gespalten. Die dabei freiwerdenden Xanthinkörper gehen zwar auch in die Lösung über, aber in einer latenten Form, so dass sie durch Silberlösung nicht direct fällbar sind, sondern erst nach dem Kochen der Lösung mit Säure. Worauf diese Latenz beruht, ob auf der Gegenwart „störender Substanzen“ oder auf der Anwesenheit einer Zwischenstufe, welche erst durch Säure in Xanthinsubstanzen übergeführt wird, ist noch zu entscheiden. Wie grosse Mengen von Substanz bei der Autodigestion der Hefe in Lö- sung gehen, erhellt aus folgenden Zahlen: Aus 1000 8% Hefe gehen in Lösung: Controlversuch. Hauptversuch Organische, Substanz 126-5 Stickstoll 7 Des ae Eau 15-49 ASCHE Sa a re lo 18-3 Andererseits enthalten 1000 2!" Hefe im Ganzen: Organischeg Subtstanzok Fast. Er AT Stickstoils and Kali LIE Nah Rah EA Asche is... BEL RE LH EEE 21-695 Ganz ähnliche Processe, wie in der Hefe, nur an Intensität erheblich zu- rückstehend, spielen sich auch in den thierischen Geweben, namentlich in der Leber ab. Auch bei der Digestion der Leber wird das Nuclein gespalten und die Xanthinkörper sind direct fällbar, während in dem Controlversuch das Nuclein zwar auch gespalten wird, die Xanthinkörper aber nicht fällbar sind. Eine ganz analoge Beobachtung hat G. Salomon! schon für Leber gemacht, die ohne weitere Eingriffe einige Stunden liegen blieb, gegenüber sofort verarbeiteter. Die Flüssigkeit des Hauptversuchs enthielt ferner Lucin und Zucker, die des Control- versuchs nicht, die Flüssigkeit des Hauptversuchs Tyrosin, gegen Glykogen im Controlversuch. Aehnliche Verhältnisse ergaben sich auch für das Muskelfleisch, nur konnte hier Leuein und Tyrosin nicht nachgewiesen werden. Ganz besonders verdient noch hervorgehoben zu werden, dass eine Bildung von Säure bei der Digestion nicht stattfindet, die Quantität derselben ist vielmehr im Hauptversuch und Controlversuch gleich, und es sind fast ausschliesslich Fettsäuren, nur Spuren von in Wasser löslichen Säuren. Die Beobachtung, dass eine Bildung von Milchsäure bei der Digestion nicht stattfindet, spricht sehr dafür, dass die Milchsäure unter allen Umständen ein Product der Thätigkeit des lebenden Protoplasma’s ist, und auch die Milchsäurebildung im Muskel ausserhalb des Körpers bei der Ausbildung der Todtenstarre kein Absterbephaenomen ist, son- dern ein Lebensphaenomen. Nach dieser Auffassung beruht das Fehlen der Milchsäure im digerirten Muskel auf der schnellen Ertödtung des Protoplasma’s durch das Chloroformwasser. ı Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1881. S. 361. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. SALKOWwSKI. — I. Munk. 557 Es ist selbstverständlich, dass die wenigen von mir ausgeführten Be- obachtungen, von denen ich allerdings nur einen Theil hier angeführt habe, das in Rede stehende Thema nicht erschöpfen, vielmehr noch eine Reihe von Einzelversuchen angestellt werden muss. Was die Natur der bei diesen Um- wandlungen stattfindenden Processe betrifft, so halte ich sie gemäss der er- tödtenden Einwirkung des Chloroforms auf das Protoplasma, welche sich auch bei den unter Chloroformwirkung stehenden Säugethieren in dem erhöhten Eiweisszerfall zu erkennen giebt,! für bedingt durch lösliche Fermente, durch Enzyme, nicht für directe Protoplasmawirkungen. Von dieser Anschauung müsste man abgehen, wenn bei dieser Digestion mit Chloroformwasser Processe vor sich gingen, die wir nach unseren bisherigen Anschauungen nur auf die Wirkung lebenden Protoplasma’s zurükführen können, also z. B. Synthesen, Anhydrid- bildungen, Oxydationen. Das ist jedoch nicht der Fall. Wenn es gestattet ist, diese Beobachtungen auf den lebenden Organismus zu übertragen, so sind diese Vorgänge in quantitativer Richtung von erheblicher Bedeutung. Ob eine solche Uebertragung zulässig ist, lässt sich freilich noch nicht mit Besimmtheit behaupten, indessen hat man alles Recht, diejenigen Vor- sänge, die man im vom Körper abgetrennten Organ ohne Fäulniss vor sich sehen sieht, als auch im Körper existent anzunehmen. Zu diesen Vorgängen sehört nach der Beobachtung von G. Salomon der Uebergang der Xanthinkörper aus der latenten in eine manifeste Form; der Analogie nach könnte man an- nehmen, dass auch die anderen bei der Digestion mit Chloroformwasser statt- findenden Vorgänge sich auch während des Lebens abspielen, namentlich die Bildung erheblicher Mengen von Extractivstickstoft. Gegen das Vorkommen fermentativer Processe in den Geweben hat sich Pflüger bei verschiedenen Gelegenheiten erklärt, und der Hauptsache nach gewiss mit Recht, es ist jedoch nicht abzusehen, warum neben dem Ablauf der Zersetzungserscheinungen im lebenden Protoplasma nach seinen Anschauungen nicht auch fermentative Vorgänge einen Raum haben sollten. Wenn die Pflüger’sche Anschauung über das lebende Protoplasma auch darin gipfelt, dass dasselbe gewisse Atomgruppen abspalten, neue wieder aufnehmen, alse sich wiederum regeneriren kann, so geht gewiss doch auch Protoplasma im Körper völlig zu Grunde. Dieses abgestorbene Protoplasma, den Fremdkörper, beweglich zu machen, in die Säftemasse überzuführen, wird Aufgabe der Fermente der Gewebe sein. 2. Hr. InmAanueL Munk sprach: „Ueber Muskelarbeit und Eiweiss- zerfall“. Durch eine Reihe sorgfältiger Untersuchungen, unter denen vor allen diejenigen von Voit und Pettenkofer zu nennen sind,” war der bestimmte Nachweis erbracht worden, dass die 24 stündige Stickstoffausscheidung auch bei angestrengter Arbeit ebenso gross oder nur wenig grösser ist, als ceteris paribus bei Ruhe, dass dagegen die CO,-Ausscheidung und O-Aufnahme an den Arbeitstagen bis ! F.Strassmann, Virchow’s Archiv u. s. w. Bd. CXV. 8.1; — E. Sal- kowski, ebenda. S. 339. ® Die kritische Darstellung dieser Frage findet sich bei C. v. Voit in L. Her- mann’s Handbuch der Physiologie. VI. I. Th. S. 187 ff. (Litteratur bis 1880) und bei I. Munk (und Uffelmann), die Ernährung des gesunden und kranken Menschen. 1887. 8. 62 ff. (Litteratur bis 1886); ferner derselbe in Art. „Stoffwechsel“ von Eulen- burg’s Mealencyklopädie. 2. Aufl. XIX. S. 167. (Litieratur bis 1889). 558 VERHANDLUNGEN DER BERLINER um 70 Procent gesteigert ist, dass somit bei der Muskelarbeit vorherrschend N-freie Bestandtheile des Körpers (Glykogen, Fett) oder Nahrung (Fette, Kohle- hydrate) zerstört werden. So lange genügende Mengen N-freier Stoffe, seien sie im Körper aufgespeichert oder mit der Nahrung zugeführt, zur Verfügung stehen, zehren die Muskeln bei der Arbeit vorherrschend von diesem Vorrathe und erst wenn dieser Vorrath erschöpft ist, wird das Eiweiss angegriffen. Ebenso steigt, auch bei genügender Nahrungszufuhr und im N-Gleichgewicht, nach Zuntz und Oppenheim! der Eiweisszerfall, wenn die Muskelarbeit zur Dyspnoe (A. Fraenkel) führt, wie z. B. beim schnellen Bergsteigen. Zu durchaus anderen Ergebnissen, welche sich der alten Liebig’schen Anschauung nähern, derzufolge in der Eiweisszersetzung die Quelle der Muskel- kraft gelegen sein sollte, ist jüngst P. Argutinsky? gelangt. Da dieser Forscher seine Selbstversuche unter Pflüger’s Aegide ausgeführt hat, so ver- dient sein Einwand gegen die herrschende Lehre um so grössere Beachtung und rechtfertigt ein näheres Eingehen auf die Anordnung seiner Versuchs- bedingungen, auf die Ausführung der Versuche selbst und auf die daraus ge- zogenen allgemeinen Schlüsse. Durch genaue Controle der N-Einnahmen mit der annähernd gleichmässigen Kost und der N-Ausscheidungen durch Harn und Koth hat Argutinsky gefunden, dass eine 5—-7!/, stündliche Bergbesteigung bis zu einer Höhe von 1000 bis 1600 Meter eine bedeutende, 12—25 Procent betragende Zunahme der N-Aus- scheidung im Harne, die volle drei Tage andauert, zur Folge hat. Dieses Plus der N-Ausfuhr wurde auch dann nicht ganz unterdrückt, wenn er am Arbeitstage eine Quantität Zucker mehr genoss, welche seiner Aufstellung nach zur Leistung einer fast doppelt so grossen Arbeit theoretisch erforderlich ist. Das calorische Aequivalent des nach Maassgabe der Mehrausfuhr von N zerfallenen Eiweisses vermag 75— 100 Procent, und im Falle der Mehraufnahme von Zucker, noch immer 25 Procent der Bergbesteigungsarbeit zu decken. Will man die Frage entscheiden, ob ein Eingriff den Eiweiss- oder N-Um- satz beeinflusst, so muss man von einem bestimmten Eiweissstande am Körper ausgehen, also entweder bei N-Gleichgewicht oder bei der gleichmässigen N-Aus- scheidung der späteren Hungertage die Prüfung vornehmen. Dieser principiellen Anforderung genügen Argutinsky’s Versuche keineswegs. Von der Versuchs- reihe A ist: hierbei abzusehen, da in dieser die N-Aufnahme nicht verzeichnet ist. Im Versuch B betrug in den Ruhetagen (15. bis 20. August) die tägliche Einfuhr 16-8 N, die Ausfuhr durch Harn 15-22, durch Faeces 1-79, im ganzen 17-01 N. Somit büsste der Körper täglich 0-21 N ein. Dieser gering- fügise N-Verlust würde an sich noch nicht viel zu bedeuten haben, allein ungJücklicher Weise gelangten gerade am Arbeitstage (21. Angust) nur 14-8 N zur Einfuhr, d. h. noch 2&%® N weniger als an den Ruhetagen. Und wenn wir ferner die beiden folgenden Tage (22. und 23. August) ausser Betracht lassen, weil dieselben noch sichtlich unter der Nachwirkung des Arbeitstages mit dessen so niedriger N-Einfuhr stehen, und nur die weiteren Nachtage (24. bis 26. August) in’s Auge fassen, so findet sich hier gegenüber einer täg- lichen Einfuhr von 16°43 N eine N-Ausscheidung durch Harn und Koth von ! Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XXIL S. 49; — Bd. XXIII. S. 446. ? Ebenda. Bd. XLVI. S. 552. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUnNK. 559 von 17-64 N; also beträgt der tägliche N-Verlust vom Körper 1-21 3'””, ent- sprechend 7.6 2% Eiweiss oder 36 &% Fleisch. Noch viel grösser ist der N-Verlust in Versuchsreihe C und D. An deu der Arbeit voraufgehenden Ruhetagen (8. und 9. October) nahm Argutinsky 12-43 N ein und schied (13-62 +1-15 =) 14-77 N aus, somit büsste er schon in der Ruhe täglich 2-37 N, entsprechend 14.9 8m Eiweiss oder 70 sm Fleisch, von seinem Körper ein. An den weiteren Ruhetagen, die nicht mehr unter der Nachwirkung der Arbeit stehen (20. bis 23. October) betrug gegenüber einer Einfuhr von 12-62 N die Ausscheidung (12-83 + 0,92 =) 13-75N, also der N-Verlust vom Körper nur 1-13 8%, entsprechend 7-1®" Eiweiss oder 33 &" Fleisch; endlich an den Nachtagen (13. bis 16. November), an denen sich eine Nachwirkung der Steigarbeit nicht mehr bemerkbar macht, die Einfuhr 13-05 N, die Ausfuhr (13-82 +1-22=) 15-04N, also das N- Deficit 1-99 N. (12-5 &% Eiweiss oder 59 8”® Fleisch). Wenn aber schon während der Ruhetage der Körper stetig, bald mehr, bald weniger, Eiweiss einbüsste, also von N-Gleichgewicht keine Rede war, dann ist die Steigerung der N-Ausfuhr, sobald noch ein den Stoffverbrauch in die Höhe treibender Eingriff wie die Steigarbeit, hinzukam, nicht nur nicht auf- fällig, sondern war a priori zu erwarten. Nur das Eine verdient um so grössere Beachtung, als es sich bei allen vier Versuchen wiederholt, nämlich dass der den Eiweisszerfall steigernde Einfluss der Arbeit nicht nur am Arbeitstage, sondern sogar noch an den beiden folgenden Tagen, wo Ruhe eingehalten wurde, fast ausnahmlos zu beobachten ist. Es weist dies von vornherein darauf hin, dass die genossene Nahrung nicht nur, wie dargelegt, ungenügend war, um den N-(Eiweiss-)bestand des Körpers zu erhalten, sondern wahrscheinlich auch nicht dem C-(Fett-)bedarfe des Körpers entsprochen hat. Gerade hierauf einzugehen, stellt sich um so dringlicher heraus, als Ar- gsutinsky selbst dieses so wichtige Moment nirgends auch nur mit einer Silbe berührt. Die Diättabellen des Autors enthalten die Mengen der einzelnen, täg- lich aufgenommenen Nahrungsmittel und deren N-Gehalt; von den damit zugleich eingeführten Fetten und Kohlehydraten ist nirgends die Rede, ebenso wenig auch nur discutirt, ob die neben dem Nahrungs-N eingeführte Menge der N- freien Stoffe dem C-Bedarfe des Körpers bei Ruhe oder gar bei Arbeit genügen konnte Als ob nur der Eiweissgehalt der Nahrung für die Grösse der N- Ausscheidung bestimmend wäre und nicht zugleich die Menge der daneben ge- reichten Kohlehydrate und Fette! Während früher Voit für den erwachsenen Mann eine tägliche Nahrung als Norm hinstellte, welche neben 18 8% N, entsprechend 118°” Eiweiss, noch 2708 6 in Form von Fetten und Kohlehydraten bietet, wissen wir jetzt, dass bis auf eine geringe, unter allen Umständen nothwendige Eiweissmenge, deren unterer Grenzwerth durch F. Hirschfeld,’ Kumagawa? u. A. zu rund 50 8m ermittelt worden ist,” Fette und Kohlehydrate nicht nur einander, sondern 1! Virchow’s Archiv u. s. w. Bd. CXIV. S. 301. ” Ebenda. Bd. CXVl. 8.370. ® Für diese principielle Betrachtung kann die Frage, ob dieses Eiweissminimum hygienisch vortheilhaft ist, ausser Betracht bleiben. Vergl. auch meine Ausführungen im Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 1889. Nr. 46. 560 VERHANDLUNGEN DER BERLINER auch beide das übrige Eiweiss vertreten können und zwar nach Maassgabe ihres Brennwerthes (calorischen Aequivalents), so dass 1®”” Fett 2.2 8m Eiweiss oder 2-3 2% Kohlehydrat entspricht. Der Stoffbestand des Körpers wird, von der absolut erforderlichen geringen Menge des Nahrungseiweiss abgesehen, da- durch gewahrt, dass entsprechend dem jeweiligen Verbrauch genügendes Brenn- material zur Stelle ist, gleichviel in welcher Form, ob Eiweiss, Fett oder Kohle- hydrate. Rechnet man die nach den Ermittelungen von C. Voit,! J. Ranke? u. A. den erwachsenen Menschen von rund 70*emM hei Ruhe oder leichter Arbeit auf N- und Körpergleichgewicht erhaltende Nahrung auf Calorien? um, so findet man, dass dieselbe 34—35 Cal. pro Körperkilogramm bietet. Dass dieser Werth in der That dem absoluten Eiweiss- und Fettverbrauch nahe kommt, seht daraus hervor, dass auch im Hungerzustande fast ebenso viel Körpersub- stanz zersetzt wird. In unserem Hungerversuche an Cetti? wurden, nach Maassgabe des Eiweiss- und Fettverbrauchs, am 1. Hungertage 32-4, am 5. Hungertage noch 30 Cal., beim hungernden Succi nach Luciani’ sogar noch am 29. Hungertage 27 Cal. pro Körperkilo gebildet. Bei gewöhnlicher Ernährung wird durch die Verdauungsarbeit (Darmmuskeln und -Drüsen) und vielleicht auch durch kräftigere Bewegungen mehr Wärme erzeugt, daher der Calorienbedarf auch 30— 32 Cal. übersteigt und 35 Cal. pro Körperkilo erreicht. Jedenfalls wird man 32 Cal. pro Körperkilo, den Werth des 1. Hungertages, als die untere Grenze des Bedarfs für den erwachsenen, ruhenden oder höchstens ganz leicht arbeitenden Mann bei Nahrungszufuhr erachten müssen. Wie stellt sich demgegenüber die Stoffaufnahme bei Argutinsky, in Ca- lorien umgerechnet ? Diese Berechnung müssen wir vollständig ausführen, da, wie schon bemerkt, Argutinsky nur die Menge der Nahrungsmittel angiebt, nicht aber deren Gehalt an Kohlehydraten und Fetten, und zwar werden wir überall die für Argutinsky günstigsten Annahmen machen, d. h. aus der stattlichen Analysen- zahl, die sich bei J. König‘ findet, die dem von Argutinsky verzeichneten N-Gehalt entsprechende grösstmögliche Menge von Kohlehydrat und Fett in Ansatz bringen. Von Versuch A ist wegen fehlender Diätangabe abzusehen. Versuch B. 1) Vortage, 15. bis 20. August. Eingeführt im Mittel pro Tag: 154 =” Fleisch, 392 8” Zwieback, 187-5 ®°% con- densirte Milch,” mit im Ganzen 16-85 ® N = 105-8 sm Eiweiss; ! Zeitschrift für Biologie. Bd. Il. S. 488. ? Dies Archiv. 1862. 8. 311. > 3m Fett liefert 9-3, 15m Eiweiss 4-2, 15@ Kohlehydrat 4-1 Cal. * Berliner klinische Wochenschrift. 1887. Nr. 24. ? Fisiologia del digiuno. Firenze 1889. p. 136. 6 Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel. 3. Aufl. Bd. 1. ‘ Argutinsky bezeichnet den Ursprung derselben als von der „Angloswyss Comp. in Chur“, soll offenbar „Cham“ heissen. Zu Gunsten von Argutinsky nehme ich an, dass es sich um eine durch reichlichen Rohrzuckerzusatz (40 Procent) conden- sirte Milch handelt, welche im Maximum nach König 51-5 Procent Zucker (Rohr- N en und 8-64 Procent Fett neben 9%/, Procent Eiweiss (1-41 Procent N) enthält. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. 561 in 154 em Fleisch . Sem Fett, 18m Kohlehydrate, SD el wiebäckesssn, en 2 Mi STR che to, Sa sk en“ 105.82 m Biweiss 32 sm Fett, 325 sm KanEnranate Im Kong > (dee) NP) liloe) 5 % N ale resorbirt: 94-5em Hiweiss 275m Fett, 315 em Koblehy drate, welche liefern 1940 Cal. bei 72*®= Körpergewicht oder nur 27 Cal. pro Körperkilo. oO 2) Arbeitstag, 21. August. 200 sm Fleisch, 234 am Zwieback, 1128» Milch mit 14-8 N = 93-2 2% Eiweiss in 200 sm Fleisch . 108% Fett, 28 Kohlehydrate, „234 ,„ Zwieback A een Pellalnrgz “ SD Sr RT Ne N 93.28m Hiweiss, 24 „ „ 196 sm Kohlehydrate, im Koth:: (1-51 N =) OD, 9 b) 9 ” 6 E resorbirt: 83-7 2® Eiweiss, 198” Fett, 190 &® Kohlehydrate, welche liefern 1308 Cal., oder bei 72 *® Körpergewicht nur 18-2 Cal. pro Körperkilo. 3) Nachtage, 22. bis 26. August. Täglich im Mittel 200 8% Fleisch, 293 2% Zwieback und 1428» Milch, mit 16-8 N = 105-8 8% Biweiss in 200 == Fleisch 10 s== Fett, 28m Kohlehydrate 930, We Tmeback oe H a ee 105-8 8” Eiweiss, 27.580 Fett, 245 8m Kohlehydrate im Koth: 9.5 s Er) B) Er] » 8 E) ” resorbirt: 94-3 == Kiweiss, 22.5 8@ Fett, 237 = Kohlehydrate 3 liefern 1577 Cal. oder bei einem Körpergewicht von 71%8 nur 22-2 Cal. pro Kör- perkilo. Versuch C und D. 1) Vortage, 8. und 9. October. Täglich: 125 &= Zucker, 75 s"® Reis, 20 &”@ Butter, 250 s”= Fleisch, 150 &”= Zwie- back, 200 == Wein mit 12-4N = 78-1 sm Eiweiss. in 12582 Zucker . . — &= Fett, 120 S®= Kohlehydrate > 15 > Reis Q 9..,0 Tamron > 98 „ ER) Er) 20 2) Butter Ö . 18 ” 9 3 Er 250, 3 Hleischag lem, 2 = » 10% Zunebeees oo 86 „ BB 78.1 sm Eiweiss, 285m Fett, 266 &= Kohlehydrate im Koth: (1-15 N =) voll FR) ER 5 99 PR) 8 Er) Er) resorbirtt: 71 .rm Eiweiss, 23 m Fett, 258 = Kohlehydrate liefern 1565 Cal. bei 72*® Körpergewicht oder nur 21-8 Cal. pro Körperkilo, und wenn wir die in 200s” Wein enthaltenen 208m Alkohol mit dem calorischen Werth der Kohlehydrate hinzurechnen, 23 Cal. pro Körperkilo. 2) 1. Arbeitstag. 10. October; 3) Nachtage 11. bis 16. October wie in den Vortagen: 21-8 bis 23 Cal. pro Körperkilo. ! Weizenzwieback mit 1-86 Procent N (= 11:9 Procent Eiweiss) enthält 58 Procent Kohlehydrate. ° Nur der N im Koth ist von Argutinsky bestimmt; die Menge des ausge- stossenen Fettes und der Kohlehydrate ist unter Annahme bestmöglicher Resorption angesetzt. Archiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg. 36 162 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 4) 2. Arbeitstag, 17. October. Nahrung wie vorher, dazu mehr 100 5” Zucker = 96 Kohlehydrate = 394 Cal. (und mehr 100 8°” Wein mit 10 == Alkohol = 41 Cal.), im ganzen 1979 bis 2101 Cal. bei 70*s Körpergewicht oder 28-3 bis 30 Cal. pro Körperkilo. 5) Nachtage, 18. bis 23. October, wieder wie bei 1) bis 3): 21-8 bis 23 Cal. pro Körperkilo. Vorstehenude Berechnung liefert den Schlüssel zur Erklärung der seltsamen Verhältnisse des N-Umsatzes in Argutinsky’s Versuchen. Selbst an den Ruhetagen wurde dem Nährstoffbedürfniss nie völlig genügt, in Reihe B nur höchstens zu */, und in Reihe C und D, selbst wenn der genossene Alkohol als Brennmaterial in Rechnung gestellt wird, gar nur zu ?/,. Folglich musste schon in den Ruhetagen der Körper sowohl von seinem N-, als seinem C-Be- stande eine Einbusse erleiden, geschweige denn, dass es ihm ermöglicht gewesen wäre, einen Vorrath an N- und C-Material aufzuspeichern. Kommt nun dazu ein den Stoffverbrauch in die Höhe treibendes Moment, wie das Bergsteigen, so muss der Verlust an Körpereiweiss und -Fett nothwendig noch grösser werden. Nun wissen wir aber, dass der N-Umsatz unter Anderem auch von dem am Körper vorhandenen Fett abhängig ist, insofern letzteres, gleichwie das Nah- rungsfett, den Eiweisszerfall beschränkt, eiweisssparend wirkt. Daher musste sich hier im fettarmen Körper die Wirkung des Bergsteigens auch auf den Eiweissumsatz um so stärker geltend machen. Wird nun gar noch am Arbeits- tage, wie in Versuch B, unglücklicherweise so wenig Nahrung eingeführt, dass damit selbst der Bedarf bei Ruhe nur zu kaum mehr als der Hälfte gedeckt wird, dann muss der Ausschlag noch stärker werden und über .den eigentlichen Arbeitstag hinaus in die folgenden Ruhetage nachklingen. In Versuch C und D, wo infolge ungenügender Ernährung (22—23 Cal.) schon in der Ruhe der Körper noch mehr von seinem N- und C-Bestande zusetzte. bot der 1. Arbeits- tag nur so viel als der Ruhetag, d. h. selbst für die Ruhe erheblich zu wenig, daher auch der grosse Ausschlag, die N-Steigerung um 25°%,, die noch über die beiden folgenden Tage sich erstreckte. Und wenn auch am 2. Arbeitstage (17. October) 100°" Zucker und 1008% Wein mehr genossen worden sind und damit der Calorienwerth pro Körperkilo auf 28—30 anstieg, so genügt doch selbst diese Nahrungszufuhr nicht einmal gänzlich für die Ruhe, geschweige denn für die Arbeit. Selbstverständlich kann selbst die letztere reichlichere Stoffzufuhr, weil noch weit davon entfernt, dem Bedarf zu genügen, die Steige- rung des Eiweisszerfalles nicht ganz aufheben, aber sie vermag ihn schon nach- haltig zu beschränken, daher an diesem 2. Arbeitstage (17. October), die N- Ausscheidung nur um 9 °/, ansteigt und diese Steigerung in gleicher Höhe noch am folgenden Tage anhält, am zweitnächsten Tage, im Gegensatz zu den Ver- hältnissen in Reihe B und C, schon minimal ist. Uebrigens geht auch aus der Körpergewichtstabelle hervor, was wir über allen Zweifel erwiesen haben, nämlich, dass die Nahrungszufuhr dem Bedarf keineswegs genügt hat. In Reihe B sank das Körpergewicht während der Stägigen Versuchsdauer, in welche nur ein Arbeitstag eingeschaltet war, von 72.4 bis auf 70-15®8, also um 2-25 ksrm, in Reihe C schon während der 5 Ruhetage um 0-6*® und betrug nach 20tägiger Dauer (darunter nur zwei Arbeitstage) 69-35 gegen 72-43 zu Anfang, so dass hier volle 348 vom Körper zu Verlust gegangen sind. Eine andere Betrachtung liefert uns eine Vorstellung von der Grösse der PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL Munk«k. 563 Arbeitsleistung Argutinsky’s und zugleich von der Grösse des Stoffbedarfs zur Deckung dieser Arbeitsleistung. Bei dem kürzesten Spaziergang der Versuchs- reihe D betrug die Steigung 1300 Meter, also verrichtete Argutinsky bei einem Körpergewicht von fast 708 eine Arbeitsleistung von 91000 Meterkilo. Nun werden nach den neuesten genauen Bestimmungen von Zuntz und Katzen- stein! pro Meterkilo Steigarbeit 1.4353 °“" Sauerstoff verbraucht; mithin er- forderte die Steigarbeit einen Mehrverbrauch von 130-6 Liter O, entsprechend rund 160®"" Zucker. Dazu kommt noch die, durch das Gehen auf ebener Bahn und durch die beiden Abstiege repraesentirte, nicht unbeträchtliche Arbeitsleistung. Man dürfte eher zu niedrig greifen, wenn man den für letztere erforderlichen Stoffverbrauch zu 40 ®"” Zucker ansetzt. Demnach berechnet sich der für diesen Arbeitstag erforderliche Mehrverbrauch insgesammt zu mindestens 200 E"® Zucker. Wenn daher Argutinsky an diesem Arbeitstag 100°" Zucker (und 108m Alkohol) mehr als an den Ruhetagen genossen hat, so hat er nicht, wie er angiebt „so viel Zucker mehr aufgenommen, dass der Ueberschuss doppelt so gross war, als zur Deckung der durch die Bergsteigsung geleisteten Arbeit aus- gereicht hätte, wenn diese Arbeitsleistung ausschliesslich auf Kosten des Zuckers geschehen wäre“, vielmehr hat er nur halb so viel Zucker mehr ge- nossen, als zur Deckung dieser Arbeitsleistung erforderlich war. Endlich ist noch zu discutiren, ob die kräftige und, wie es scheint, nicht zu langsam erfolgte, Bergsteigung nicht ab und zu zu Dyspnoe geführt hat, wodurch ebenfalls der N-Umsatz gesteigert wird. In dieser Hinsicht können indess nur Vermuthungen geäussert werden, da, ungeachtet genauer Beschreibung aller sonstigen Einzelheiten, gerade dieses Moments keine Erwähnung geschieht. Wurde die Besteigung so langsam vorgenommen, dass auch nicht der geringste Grad von Athemnoth eingetreten ist, dann wäre dies doch, sollte man meinen, werth gewesen, verzeichnet zu werden, da bei Abwesenheit von Dyspnoe die Steigerung des Eiweisszerfalles durch die Arbeit um so eindeutiger sein musste. Es ist vielleicht angebracht, hier daran zu erinnern, dass ähnliche Ergeb- nisse, wie von Argutinsky, schon früher an Thieren und am Menschen erzielt worden sind. Bei fettarmen Pferden, die mit einer für die Ruhe oder höchstens für leichte Arbeit zureichenden Futterration ernährt wurden, hat Kellner? eine mit zunehmender Stärke der geleisteten Arbeit fast proportionale Steigerung des Eiweisszerfalles beobachtet, ebenso verschiedene Autoren? an Schnellläufern bei ‚einer für den foreirten Dauerlauf durchaus ungenügenden Ernährung ein An- steigen des Eiweisszerfalles bis auf 20 Proc., wobei auch die zeitweilige Dyspnoe mit im Spiele gewesen sein mag. Alles in allem sind die Versuche von Argutinsky nicht dazu angethan, unsere bisherigen, auf exacter Grundlage ruhenden Anschauungen über den Einfluss der Arbeit auf den Stoffumsatz zu erschütten. Es bleibt bis auf weiteres dabei, dass die Muskelarbeit vorherrschend und zunächst aut Kosten N-freier Substanzen erfolgt und erst, wenn solche nicht zur Verfügung stehen oder Dyspnoe bei der Arbeit mitspielt, das Eiweiss angegriffen wird. ! Siehe oben S. 367. ? Landwirthschaftliche Jahrbücher. 1880. 8. 701 ® Austin Flint, Journal of Anat. and Physiol. Vol. XI. p. 109 et vol. XI. p- 91; — Pavy, Lancet. 1876. II. No. 22—26. 1877. I. No.2; — North, B:;itish med. Journal. 1884. II. p. 112. 564 VERHANDLUNGEN DER BERLINER XIII. Sitzung am 25. April 1890." Hr. W. Cowr, U.S.A., (a. G.) hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber Blutwellenzeichner.“ Die Anforderungen an diejenigen Instrumente, welche Aufschluss über den jeweiligen Zustand der grösseren Blutgefässe und über die Vorgänge des Blutlaufs innerhalb derselben zu geben bestimmt sind, wachsen mit der Zeit und zergliedern sich. Die erste Aufgabe der Blutwellenzeichnung bildet wohl die Darstellung des mittleren Blutdruckes und der Schwankungen desselben, welche theils mit der Athmung einhergehen, theils als längere Wellen verlaufen. Eine zweite, zweckmässiger Weise von der ersten zu trennende Aufgabe ist, Blutwellen- zeichner herzustellen, die ein scharf ausgeprägtes Pulswellenbild liefern sollen, das Aenderungen in dem Zustaude des Blutgefässsystems oder in den Vor- sängen des Blutkreislaufs deutlich erkennen lässt, ohne dass Blutdruckmessung in absoluten Werthen dabei erstrebt wird. Solche Instrumente sind Sphygmo- sraphen und Sphygmoskope. Drittens sollte ein Blutwellenzeichner, eine zeit- lich scharfe Aufzeichnung des Blutdruckanstiegs und -abfalls, dem Anfang und Ende des systolischen Blutausflusses vom Herzen her entsprechend, unzweideutig zu geben im Stande sein. Schliesslich könnte man ein treues Bild der am Orte der Anbringung des Apparats wirklich vorhandenen Blutwellen sowohl, wie auch genaue absolute Druckangaben verlangen, deren Lieferung freilich auch die drei vorhergebenden Anforderungen erfüllen würde. Das letzte Ziel halte ich für noch nicht erreicht, da ich aber die ver- schiedenen Typen der jetzt vorhandenen Blutwellenzeichner einer Prüfung unter- zogen habe, so möchte ich die Aufmerksamkeit auf dieselben lenken, und namentlich auf das eigentliche Organ, durch dessen Spannung bei jedem Instru- ment der gerade einwirkende Blutdruck in Bewegung umgesetzt wird. Wegen seiner Einfachheit bleibt wohl zunächst das Quecksilbermanometer, welches zur Messung des Blutdrucks von Poiseuille gebraucht, und durch das kymographische Verfahren Ludwig’s zu einem Blutwellenzeichner aus- gebildet wurde, das geeignetste Mittel, um Blutdruckschwankungen zu veran- schaulichen. Die pulsatorischen Bewegungen der Quecksilbermasse sind von verhältniss- mässig kleiner Höhe (ungefähr !/,, der ganzen Blutdruckhöhe), und weil sie klein sind, so lassen sie die Blutdruckwellen längeren Verlaufs, das heisst die respiratorischen Schwankungen (Traube-Hering) und die noch langsameren (Sigm. Mayer) deutlich hervortreten. Aus kymographischen Curven kann man den Verlauf des Mittelblutdrucks nach Setschenow genau bestimmen, bezw. den Betrag der zwei letzterwähnten Arten der Blutdruckschwankungen messen. Durch geeignete Verengung der Verbindung zwischen Blutgefäss und Manometer erzielt man auch nach J. v. Kries eine genaue Aufzeichnung des Mittelblut- druckverlaufs ohne pulsatorische Schwankungen. Andererseits aber zeigt eine Blutwellenecurve des Quecksilbermanometers selbst unter den für die Aufzeichnung der pulsatorischen Blutdruckschwankungen ! Ausgegeben am 13. Juni 1890. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. ÜoWL. 565 möglichst günstigen Bedingungen, eine Verwischung der Einzelheiten, welche sie, besonders was den scharfen Anfang des systolischen Anstiegs betrifft, hinter die Curven anderer nicht durch das Gewicht ihres wesentlichen Organs wirken- der Apparate und auch hinter die Controle des Pulses durch das Gefühl zurück- treten lässt. Durch Vierordt, Fick und Andere sind die Gründe dieser Mangelhattigkeit angegeben worden. Weil ich auf sie aber bei der Betrachtung der verschiedenen zur Blutwellenzeichnung benutzten Apparate häufig Bezug nehmen muss, so werde ich sie hier kurz wiederholen. Setzt man eine ruhende, beiderseitig durch Luft begrenzte U-förmige Quecksilbersäule plötzlich der ein- seitigen Einwirkung eines bedeutenden positiven bez. negativen Druckes aus, so seräth sie in grosse, daher nicht sehr schnelle, mehrmals wiederholte Schwingungen, welche an Höhe schnell abnehmen, an Frequenz dieselben.bleiben und im Ganzen über einen bedeutenden Theil einer Secunde dauern. Wenn von vornherein die beiden Enden des Manometers unter bedeutend verschiedenem Druck, sei es positiv, negativ, oder positiv und negativ stehen, und wenn, wie in dem oben ge- nannten Fall, ein elastischer Körper, sei es Luft oder ein elastisches mit Flüssigkeit gefülltes Gefäss sich in Verbindung mit jedem Ende befindet, so bewirkt eine plötzliche Aenderung des Druckes auf dem einen Ende des Manometers im Grossen und Ganzen eben solche Schwingungen wie oben beschrieben. Damit sind die Interferenzen ersichtlich, die zwischen den Blutwellen eines Pulsschlages und den Eisenschwingungen des Quecksilbermanometers zustande kommen müssen. Die Grundursache dieser immer bedeutenden sogenannten Pendelschwingungen des Quecksilbers, dessen Aufgabe es wäre, die zu bestimmenden Blutdruck- änderungen in Bewegungen umzusetzen, liegt bekanntlich in der lebendigen Kraft, die der durch die Druckänderung erzeugten Massenbewegung entspricht. Die Grösse dieser lebendigen Kraft hängt von dem Gewichte der Masse und der Geschwindigkeit der Bewegung ab. In dem Momente, um den einfachsten Fall zu betrachten, wo letztere eine gleichmässige geworden ist, dient die Flüssigkeitsmasse des Manometers einfach als Zwischenstück, und zeichnet treu den Gang der gleichmässigen Druckänderung; sobald aber die Kraftquelle in ihrer bewegenden Wirkung aufhört, d. h. sobald die Ausgleichung des Druck- unterschieds vollzogen ist, hört nicht die die Ausgleichung vermittelnde Flüssig- keitsbewegung gleichfalls auf, sondern dauert zunächst in derselben Richtung fort, bis die lebendige Kraft durch Hebung schwerer Masse und durch Ueber- windung von Widerständen aufgebraucht ist. Infolge der durch die gehobene schwere Masse repraesentirten Spannkraft findet darauf eine Rückkehr der Be- wegung der Masse, beinahe ebensoweit über die Gleichgewichtslage hinaus statt u. Ss. w., bis die ganze Summe der lebendigen Kraft zur Ueberwindung von Reibungswiderständen aufgebraucht ist. Die sogenannten Reibungswiderstände beruhen in der Anziehungskraft, welche die betreffenden Flüssigkeitstheilchen einerseits zu einander, andererseits zu der Wandung ihres Behälters haben, und sie stehen in Beziehung zu dem Flächeninhalt und Durchmesser des letzteren, sowie zu der Geschwindigkeit des Bewegungsvorganges. Bei Quecksilbermanometern, wie sie zu Blutdruckuntersuchungen gebraucht werden, ist der keibungswiderstand verhältnissmässig sehr klein, wie aus den Nachschwingungen und aus dem fast verdoppelten Betrag des ersten Anstiegs im Vergleich zu dem beständig erreichten Druckhöhenunterschiede hervorgeht. Die Blutwellenzeichner, welche hergestellt worden sind, um die Nachtheile des Quecksilbermanometers zu vermeiden, unterscheiden sich von letzterem da- 566 VERHANDLUNGEN DER BERLINER durch, dass sie durch Spannungsänderungen eines elastischen Organs die darauf wirkenden Druckschwankungen in minimale Bewegungen umsetzen, welche letzteren dann für das Aufschreiben durch Hebelwerk mannigfach vergrössert werden. Wir dürfen sie also als elastische Blutwellenzeichner be- zeichnen. Wenn sich aber zwischen dem Gefäss, dessen Seitendruckschwankungen aufgezeichnet werden sollen, und dem elastischen Organ des Instrumentes eine Flüssigkeitsverbindung befindet, so bleibt noch ein Rest der Flüssigkeitsmasse des Quecksilbermanometers: dass dieser Rest bei gewöhnlichen oder selbst noch kürzeren Verbindungen zwischen blutgefäss und Instrument einen Einfluss auf die Blutwellenzeichnungen ausübt, ist aus dem früher Gesagten zu vermuthen. Da bei dem elastischen Blutwellenzeichner die pulsatorischen Verschiebungen der Verbindungsflüssigkeit einerseits und die Masse letzterer andererseits sehr klein sind, so müssten Eigenschwingungen derselben durch solche kleinen Be- wegungen hervorgerufen, weit kleinere Dauer haben, als die des Quecksilber- manometers. Die Eigenschwingungen der Flüssigkeit in einem elastischen Blut- wellenzeichner bedingen aber auch ein Mitschwingen des elastischen Organs, welches ihre Dauer unzweifelhaft beeinflussen, und zwar aus bekannten physi- kalischen Gründen verkürzen muss. Es ist also anzunehmen, dass die Eigen- schwingungen eines elastischen Blutwellenzeichners, die einem Pulsschlag an- gehören, wohl abgeklungen sein können, ehe der nächstfolgende Pulsschlag eintritt. In diesem Falle wäre eine weniger verwischte Curve auch bei grösserer Höhe als von dem Quecksilbermanometer zu erwarten, und dies entspricht der Wirklichkeit. Nach dem oben Gesagten ist die Zweckmässigkeit einer Verminderung der pulsatorischen Verschiebungen der Verbindungsflüssigkeit eines elastischen Blut- wellenzeichners, womit eine Verringerung der Geschwindigkeit derselben einher- sehen würde, ersichtlich. Eine solche Verminderung der Flüssigkeitsverschiebungen bei der Ein- wirkung gleichgrosser Druckänderungen ist durch Verkleinerung der Oberfläche der unmittelbar bewegten Theile eines Blutwellenzeichners zu erreichen, wobei die Schwankunger des Rauminhalts desselben bei Einwirkung gleicher Druck- änderungen kleiner werden müssen. Auf einem anderen Wege aber sind die Nachtheile einer Flüssigkeitsver- bindung zwischen Blutgefäss und Blutwellenzeichner zu vermeiden, nämlich durch Anwendung einer Luftübertragung. Diese Methode ist zuerst von Marey angewendet worden, und zwar durch Anbringung des elastischen Organs unmittelbar auf die Blutgefässcanüle und durch Luftübertragung der Volumschwankungen des Organs von hier aus bis zu seiner Lufttrommel. Fick hat diese Methode abgeändert, indem er innerhalb der Gefässcanüle das Blut unmittelbar an Luft grenzen, letztere in einem sehr engen Verbindungs- rohr die Blutschwankungen aufnehmen und auf das elastische Organ übertragen liess: da aber praktische Schwierigkeiten mit dieser Methode verknüpft sind, hat derselbe eine Aenderung seines Verfahrens beschrieben, wobei eine nicht elastische, äusserst leicht bewegliche Membran die Grenze zwischen Luft und Blut bildet. Aber letztere Vorrichtung hat auch ihre Schwierigkeiten beim Gebrauch, und hauptsächlich deswegen ist es, dass das Fick’sche Mano- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. —- W. CowL. 567 meter meistens mit einer Flüssigkeitsübertragung der Blutdruckänderungen ge- braucht wird. Dieses wohlbekannte Instrument hat als elastisches, den Druck aufnehmendes Organ eine flache Stahlfederzunge, deren eines Ende fest und deren anderes mit einem Schreibhebelwerk verbunden ist. Gegen die Feder drückt ein kleiner Knopf, der auf einer verkleinerten Marey’schen Trommel sitzt; die Vergrösserung der Bewegungen des Knopfes durch das Hebelwerk ist eine sehr grosse (1:120—150). Bei der Calibrirung dieses Instrumentes sind die Ausschläge des Schreibhebels für gleiche Druckunterschiede bei verschiedenen Druckhöhen gleich gross, infolge dessen wird es unter sonst günstigen Bedingungen Druck- änderungen, welche mit constanter Geschwindigkeit verlaufen, auf eine mit constanter Geschwindigkeit vorbeigeführte Fläche als gradlinige Hebungen bez. Senkungen aufschreiben, was bekanntlich bei den einfachen Marey’schen Trom- meln nicht der Fall ist. Bei der Calibrirung letzterer werden auch die Aus- schläge immer kleiner, je mehr sich die Gummiplatte durch ihre Ausdehnung der Kugelform nähert. Ferner nimmt das Federmanometer bei der Rückkehr zum Nulldruck bez. zu einer anderen Druckhöhe immer wieder dieselbe Stellung an. In neuerer Zeit ist das Fick’sche Manometer von Hürthle mit einer noch kleineren Trommel versehen und für Flüssigkeitsübertragung allein ein- gerichtet worden, nachdem er zuvor ein eigenes sogenanntes Gummimanometer, welches inzwischen einen weiteren Gebrauch gefunden hat, hergestellt hatte. Letzteres stellt eine verkleinerte Marey’sche Trommel dar, deren Druck ver- mittelndes Organ durch eine gespannte Gummimembran gebildet ist. Dasselbe wird nur mit Flüssigkeitsübertragung der Blutdruckänderungen gebraucht. Durch die Kleinheit und bedeutende Anfangsspannung dieser Membram sind die oben erwähnten Fehlerquellen der Marey’schen Trommel erheblich ver- mindert worden. Ein noch bedeutenderer Gewinn folgt aus der Kleinheit der Oberfläche und aus der Grösse der Anfangsspannung für den Gebrauch der Flüssig- keitsübertragung durch die damit erzielte Verminderung der Flüssigkeitsbe- wegungen an Grösse und Geschwindigkeit. Durch die Verringerung der lebendigen Kraft der bewegten Flüssigkeit wird die Entstellung der Aufzeich- nung plötzlicher Druckänderungen verkleinert. Was den Gebrauch einer ge- spannten elastischen Mebran, wie sie an der Marey’schen Trommel benutzt’ wird, anbetrifft, so habe ich durch ausgedehnte Versuche an diesem Instrumente unter verschiedenen Bedingungen, mit Wasser- sowohl wie mit Luftüber- tragung, das Vorkommen von Eigenschwingungen der Membran bei einem zeit- lichen Verlauf der Bewegungen der Membranmitte von 3 bis 4 mm pro Secunde constatirt. Bei einer durch die Länge des Hebels bedingten Vergrösserung dieser Bewegungen von 1:25 bis 33 ist man an der von Marey angegebenen (srenze der Treue seines Instrumentes angelangt, nämlich bei einem Verlauf der auf- gezeichneten Bewegungen der Schreibspitze von 100 "® pro Secunde. Da aber, wie ich finde, der Grad der Vergrösserung der Bewegungen der Membran keinen merklichen Einfluss auf den Grad der Geschwindigkeit der Membranbewegungen, bei welchem Eigenschwingungen der letzteren auftreten, ausübt, so darf ich nicht die Geschwindigkeit des Verlaufs der Schreibbewe- gungen, sondern die Geschwindigkeit der in jedem Falle leicht aus der letzteren 568 VERHANDLUNGEN DER BERLINER berechenbaren Bewegungen der Mitte der Gummimembran als maassgebend betrachten. Genannte Eigenschwingungen habe ich in verschiedener Weise beobachtet: zunächst wurden vermittelst einer leicht wirkenden Spritze kurze, regelmässige, plötzlich endende einfache Druckänderungen innerhalb der mit Wasser gefüllten Trommel herbeigeführt. Bei genügender Geschwindigkeit des gradlinig verlaufenden Endtheils einer solchen Druckänderung sieht man in der Aufzeichnung derselben, unmittelbar nach ihrer Vollziehung, eine kleine Ausschweifung der Curve, ausserhalb der folgenden beständigen Höhe, bei Druckerhöhungen oberhalb derselben, bei Druck- senkungen unterhalb derselben. Dieser Welle, wenn z. B. dieselbe oberhalb der Gleichgewichtslage liegt, folgt bei grösseren Geschwindigkeiten der Druck- änderung bald nur eine zweite gleich lang dauernde aber kleinere Welle unter- halb der Gleichgewichtslage, bald eine weitere Zahl solcher Wellen, je nach der Geschwindigkeit des Vorgangs; während der Dauer jeder dieser Wellen ist wegen der Nichtzusammendrückbarkeit des Wassers und der sonstigen Starrheit der Wandung nicht nur die Mitte der Meınbran ausserhalb der Gleichgewichts- lage, sondern auch ein Theil davon zwischen Mitte und Rand derselben, und zwar der eine in entgegengesetzter hichtung zum anderen, wodurch allein der Rauminhalt der Trommel unverändert bleiben kann. Es sind also diese Eigen- schwingungen der elastischen Membran einer mit Wasser gefüllten Marey’schen Trommel im Ganzen aus, sich einander ausgleichenden Hebungen und Senkungen verschiedener Theile derselben zusammengesetzt. Die Bewegungen des Theiles der Gummimembran zwischen Rand und Mitte derselben, habe ich aufzuzeichnen versucht durch Anbringung eines Drahtringes, der seine Bewegungen einem zweiten Schreibhebel mittheilt, und ich finde die zwei aufgezeichneten Reihen von Wellen in hohem Grade entgegengesetzt: da aber der zweite von mir an- gebrachte Hebel einen vermehrten Widerstand für die Membran unterhalb des Drahtringes, den benachbarten Theilen gegenüber bildet, so ist diese Aus- gleichung zwischen den Bewegungen der Mitte und des Ringes nicht vollkommen. Eine Belastung des Schreibhebels der Membranmitte, auch in bedeutendem Grade, ergab keine Aenderung in dem Grade der Geschwindigkeit der Membran- bewegungen, bei welcher Eigenschwingungen zuerst eintraten. Wenn bei dem .oben angegebenen zeitlichen Verlauf der Bewegung der Membranmitte, wobei Eigenschwingungen oder vielmehr Nachschwingungen vorkamen, die Bewegung sofort mit der vollen Geschwindigkeit angefangen wurde, so traten Eigen- schwingungen der Membran auch im ersten Theil der Zeichnung auf, die den- selben Charakter wie die Nachschwingungen trugen. Wenn aber im Beginn oder am Ende der Druckänderung letztere allmählich anstieg bezw. abstieg, traten selbst bei grossen Geschwindigkeiten während des mittleren Theiles des Vorganges, keine Eigenschwingungen der Membran ein. Bei grösseren Geschwindigkeiten als bei derjenigen, welche eben eine Eigenschwingung hervorruft, wurde die ganze Dauer der Anfangseigenschwin- sungen länger und reichte zuweilen bis in das Bereich der Nachschwingungen hinein, wodurch letztere unregelmässig wurden. Der Gipfel der ersten Welle fand auch seinen Platz weiter in der Ordinatenrichtung von der Anfangshöhe entfernt. Bei genügend grossen Geschwindigkeiten wurden die aufgezeichneten Eigenschwingungen wieder regelmässig in ihrem Verlauf. Sehr grosse Ge- schwindigkeiten des Vorganges rufen sogar eine Reihe regelmässiger Wellen PHYSIOLOGISCHEN (FESELLSCHAFT. — W. ÜowL. 569 hervor, welche wie einfache Nachschwingungen aussehen, indem die erste An- fangsschwingung soweit in die Höhe gerückt ist, dass sie auch als erste Nach- schwinsung betrachtet werden kann. Bei der beschriebenen Prüfung der Ma- rey’schen Trommel wurde, wie schon früher erwähnt. auch eine Luftübertragung der Druckvorgänge gebraucht, ohne aber wesentliche Unterschiede von den be- schriebenen Versuchsresultaten mit der Wasserübertragung zu geben. In letz- terem Falle zeigte sich ein Unterschied in der Geschwindigkeit des Druckvor- ganges, bei welcher Eigenschwingungen der Membran eben eintraten, zwischen Trommeln mit ungewöhnlich grosser, mit gewöhnlich grosser und mit kleiner Platte, — wie letztere auf den neuesten Verdin’schen Exemplaren vorkommt, — indem je grösser die Platte, desto grösser die Geschwindigkeit, bei welcher sie eben erschienen. Die Dieke der Membran und die Spannung derselben innerhalb der gewöhn- lichen Grenzen der Druckempfindlichkeit hatte wenig Einfluss. Ausser nach der angegebenen Methode habe ich auch nach Art der Donders’- schen Prüfung der Marey’schen Trommel einen Versuch angestellt, nämlich durch zwei gleiche vermittelst eines Glasrohres mit einander verbundene In- strumente und durch Bewegungen eines auf der Schreibhebelachse der einen Trommel befestigten Metallstreifens, durch welche sich die Membranen beider Trommeln in Bewegung setzten, die der einen mittelbar durch die Luftdruck- übertragung, die der anderen unmittelbar durch ihren Schreibhebel, und ich bekam deutliche Eigenschwingungen der mittelbar bewegten Membran bei einer Geschwindigkeit derselben von 4 "“ pro Secunde Diese Art der Prüfung ist aber nicht rein, da die elastischen Theile der Vorrichtung sich nicht ausschliess- lich an dem geprüften Instrumente befinden. Kleine Wellen auf der Curve des unmittelbar bewegten Hebels fehlen auch zuweilen auf der Curve der mittelbar bewegten Membran. Um nun an einem Blutwellenzeichner Eigenschwingungen, wie solche bei einer trommelartigen Vorrichtung wohl zu erwarten sind, zu vermindern, habe ich vor einem Jahre durch eine andere Gestaltung des elastischen Organs- eine Methode der Blutwellenzeichnung durchzuführen versucht, die mir weniger Ver- anlassung für das Entstehen von Eigenschwingungen darzubieten schien, und die Prüfung des von diesem Gesichtspunkte aus hergestellten Blutwellenzeichners hat in der That diese Vermuthung bestätigt. Die Methode besteht in der An- wendung eines elastischen Organs in cylindrischer Form, welches zunächst aus einem dünnwandigen Gummischlauch gebildet wird, dessen Volumschwankungen auf Längenveränderungen beschränkt sind. Um diese Beschränkung zu erreichen, ist der Schlauch mit feinen Seiden- oder Coconfäden umwickelt. Die Auf- zeichnung der erwähnten Längenänderungen geschieht durch eine Spiralfeder, die fortwährend an dem freien Ende des Schlauches zieht, und durch einen einfachen Schreibhebel, der in Verbindung mit dem Vereinisungspunkt beider elastischen Theile steht. Wie nach dem früher Gesasten zu erwarten ist, leidet dieses Instrument als Blutdruckmanometer unter demselben Uebelstande, wie das sogenannte Gummi- manometer, und zwar in höherem Grade, da eine nicht so grosse Anfangs- spannung des Gummischlauches gebraucht werden kann. Es zeigt nämlich bei Rückkehr zu einem Druckwerth bezw. Nulldruck nur nach einer beträchtlichen Zeit denselben wieder an. VERHANDLUNGEN DER BERLINER or =] Si Die Eigenschaft einer Gummimembran auf Einwirkung einer einseitigen Druckänderung, Nachdehnung bezw. Nachschrumpfung zu zeigen, in welcher der Hauptnachtheil derjenigen Blutwellenzeichner liegt, die eine Schicht geschwefelten Kautschuks als elastisches Organ haben, führt nicht nur eine Beeinträchtigung ihrer Angaben als Blutdruckmanometer, sondern auch als Blutwellenzeichner herbei, da bei verschiedenem zeitlichen Verlauf des Druckvorgangs diese Nach- dehnung eine Verschiedenheit in der Grösse der aufgezeichneten Wellen herbei- führen muss. In dieser Beziehung, sowie auch bei dem Gebrauch als Blut- druckmanometer ist dem Fick’schen Blutwellenzeichner seine Gummimembran nicht nachtheilig. Dafür aber erleidet es bei seiner Verwendung mit Flüssig- keitsübertragung wohl eine Beeinträchtigung seiner Wirkung durch die Ungleich- artigkeit seiner beiden elastischen Theile, wegen deren bei verschiedenem Betrag der einwirkenden Druckänderung auch eine Ungleichartigkeit in den Aufzeichnungen hervorgerufen werden muss. Bei verschiedenen Graden der Hervorwölbung des Gummi’s um die knopfförmige Angriffsfläche der Stahlfeder herum wird, je mehr die Membran auf dem Querschnitt sich der Kreisform nähert, die Bewegung um so weniger ausgiebig werden müssen. Für den Fick’schen Blutwellen- zeichner fallen die oben geschilderten Nachtheile einer Gummimembran beim Gebrauch einer Luftübertragung weg; es bleibt aber zu fragen, ob letztere Gebrauchsart andere Nachtheile mit sich bringt und worin sie liegen. Es könnte deren zwei geben: einerseits, wenn die elastischen Theile des Instrumentes eine plötzliche Druckänderung erfahren, so werden sie, durch die Zusammendrückbarkeit der Luft, als Ganzes in Schwingungen um ihre Gleichgewichtslage gesetzt werden: ein Ereigniss, welches ich bis zu messbarem Grade bei der Luftdruckprüfung der Marey’schen Trommel eintreten sah; andererseits werden bei der Entstehung einander sich ausgleichender Eigenschwingungen zwischen Stahlfeder und Gummi- membran diese nicht durch die Reibung des Hin- und Herschiebens einer tropt- baren Flüssigkeit gedämpft; ihre Dauer wird daher länger als bei der Wasser- übertragung sein, wie thatsächlich in Versuchen mit der Marey’schen Trommel zu beobachten ist. Um nun eine Gummimembran bei der Construction eines Blutwellen- und bBlutdruckzeichners überhaupt zu vermeiden, habe ich einen Vorschlag des Hrn. Prof. Gad wieder in Angriff genommen, nämlich als elastisches Organ eine kreis- förmig gewellte Blechplatte zu gebrauchen. Es ist dem Hausmechaniker dieses Instituts, Hrn. W. Oehmke, gelungen, zweckentsprechende Metallblättchen her- zustellen und auch die übrigen Einrichtungen an den Instrumenten sind von ihm in sehr zweckentsprechender Weise ausgeführt worden. In der Absicht Eigenschwingungen der Metallplatte möglichst zu verringern, liess ich eine verhältnissmässig starke spiralige Spannungsfeder anbringen, die den Schreibhebei vermittelst einer Schneide immer gegen die Mitte der Platte drückt. Bei Prüfung vermittelst bedeutender momentaner Druckeinwirkungen (plötz- liche Oeffnung eines geschlossenen Luftdruckgefässes) zeigten sich die Nach- schwingungen der Membran dadurch an Betrag, Dauer und Zahl im hohen Grade verringert. Da der Betrag der Ausschläge der elastischen Platte im Verhältniss zu der Länge der Spiralfeder verschwindend klein ist, so bleibt dieser Betrag bei sehr verschiedener Spannnng der Feder unter gleich grossen Druckänderungen derselbe. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. (owL. a Bei der Calibirung des Instruments ergaben gleiche Druckunterschiede gleich- grosse Aenderungen der Ausschläge zwischen Nulldruck und 300 ©” Wassersäule; es ist also die erwähnte Spannfeder nur als einfacher Dämpfer zu betrachten. Infolge der Proportionalität zwichen Druckänderung und Ausschlag wird hier wie bei dem Fick’schen Manometer, die Aufzeichnung gleichmässig verlaufender Druckänderungen gradlinige Hebungen bezw. Senkungen ergeben. Indem auch bei kückkehr zu einer beliebigen Druckhöhe bezw. zum Nulldruck, das Instrument den ersten Werth mit grosser Treue wieder angiebt, so ist es als genaues Mano- meter zu brauchen, und zwar mit gleichem Maassstabe für Druckunterschiede von verschiedenen Höhen über den Nulldruck hinaus. Um die vier beschriebenen Typen der Blutwellenzeichner in Hinsicht ihrer Wiedergabe schneller Druckänderungen zu prüfen, bin ich in verschiedener Weise verfahren: I. Mit einer Spritze; II. Mit einer Wassersäule und einem bezw. zwei Drehhähnen; III. Mit Luftdruck aus einem festwandigen Raum; IV. Mit aufeinanderfolgenden Aufzeichnungen der Blutwellen einer Art. carotis bei einem und demselben Versuchsthier. Mit der Spritze sind Druckänderungen in positiver bezw. negativer Richtung von verschiedenen Druckhöhen bezw. vom Nulldruck aus, bei verschiedener Ge- schwindigkeit des Verlaufs und zwar vorzugsweise um die Grenze des Erscheinens der Eigenschwingungen herum, vorgenommen worden. Diese Druckänderungen sind in ihrem Verlauf theils von plötzlichem, theils von allmählichem Anfang aus- gegangen und leiteten zu einem plötzlichen Ende. Da die Spritze auf einem Tisch für sich befestigt, und ihr Stempel sehr leicht beweglich war, da die von letzterem durchzumachenden Bewegungen sehr klein waren, und da diese entweder durch den verlangsamten Fall eines, Ge- wichtes oder vermittelst eines langen Hebelarms und schneller Handbewegung bewirkt wurden, glaube ich einen unregelmässisen Verlauf beim Gebrauch der Spritze ausgeschlossen zu haben. Die Geschwindigkeiten der Druckänderung, bei welchen sich an ihrem Ende eine kleine Eigenschwingung des elastischen Organs aufzeichnete, waren folgende: 7 Anlauf der Druckänderung von 100 “® Wasserhöhe bei dem | \Bewegung des in Secunden. Vergr. elastischen Organs. Fick’schen Blutwellenzeichner | 0.16 1 1218) More Hürthle’schen a 0-18 Sales. 10088 5 Gad’schen 3 10.09 und 0-12| 1:64 | 0.113 „ Schlauchwellenzeichner 0-07 „ 0-14 | 1:86 0-100 „ wobei die angewendeten Bewegsungsgrössen des elastischen Organs und die Ver- grösserungen dieser Bewegungen durch den Zwischenhebel hinzugefügt sind, und — für die beiden letzten Instrumente — die grösseren Geschwindigkeiten, bei welchen eben Eigenschwingungen hervortreten, dem starken Zug bezw. Druck der Spannfeder entsprechen, die kleineren Geschwindigkeiten dem leichten Zug: bezw. Druck dieser Feder. Diese Eigenschwingungen prägen sich dadurch aus, 572 VERHANDLUNGEN DER BERLINER dass die Linie der aufgezeichneten Druckänderungen sich zunächst über die nachher gezeichnete beständige Druckhöhe hinaus erhebt und dann in einer Welle zu ihr zurückkehrt. Wenn die Geschwindigkeit der Druckänderungen im Blut- wellenzeichner grösser ist als nöthig, um eben eine Eigenschwingung der Mem- bran hervorzurufen, so treten mehrere solche Wellen von gleicher Dauer und schnell abnehmender Höhe auf. Fängt man eine Druckänderung sofort mit einer solchen Geschwindigkeit an, welche, wenn sie später beginnt und bis zum Ende währt, eben nur eine merkliche Nachschwingung des elastischen Organs hervor- zurufen vermag, so tritt in der auf- bezw. absteisenden Linie der Aufzeichnung eine kleine wellenförmige Ausbiegung am Anfang derselben auf. Bei etwas grösseren Geschwindigkeiten kommen mehrere solche Wellen von gleicher Dauer und abnehmendem Betrag vor. Wenn bei erheblichen Anfangsgeschwindigkeiten die Druckänderung im Ganzen nicht gross ist, oder wenn hei einer grossen Druckänderung auch die Anfangsgeschwindigkeit im Verhältniss zu derselben wächst, so überdauern die initialen Eigenschwingungen das Ende der Druck- änderung, und falls letztere ebenso wie zu Anfang plötzlich ist, verschmelzen sie mit den eigentlichen Nachschwingungen. Bei einer genügend grossen gleichmässigen Geschwindigkeit bezw. bei einer Kleinheit der Druckänderung ist der Erfolg des Vorgangs eine Reihe gleich- langdauernder regelmässigverlaufender verhältnissmässig grosser Schwingungen des elastischen Organs. Kleinere gleichmässige Geschwirdigkeiten rufen Un- regelmässigkeiten des Verlaufs der Nachschwingungen hervor, deren erstes Merk- mal eine grössere Dauer der ersten Schwingung ist. Der Anfangspunkt dieser Schwingung, d. h. der Punkt, wo die aufgezeichnete Linie die nachher beibe- haltene Höhe zuerst erreicht, braucht nicht das Ende der Druckänderung anzu- seben, sondern dieses mag in einen früheren Zeitpunkt fallen, da es in dem Verlauf der ersten Anfangseigenschwingung der elastischen Membran selber liegen kann. Eine Bestimmung darüber habe ich nicht gemacht, sie liesse sich aber ohne Schwierigkeit ausführen. Bei einer Mischung von Anfangseigen- schwingungen mit den eigentlichen Nachschwingungen wird der Moment des Endes der Druckänderung von der Curve allein nur abzulesen sein, wenn eine vollständige Eigenschwingung vor diesem Ende sich vollzogen hat, wo dann bei durchaus gleichbleibender Geschwindigkeit der Druckänderung vermittelst be- kannter Construction der Moment zu finden sein würde. Durch eine freibewegliche Flüssigkeitssäule, z. B. von Wasser oder Queck- silber, die plötzlich auf das elastische Organ eines Blutwellenzeichners einwirkt, bekommt man Aufzeichnungen ganz anderen Charakters als die eben besproche- nen, durch eine Spritze gewonnenen. Es sind im vorliegenden Falle gemeinsame Schwingungen der Flüssigkeits- säule und des ganzen elastischen Organs, deren Verlauf übrigens unter sonst gleichen Bedingungen gleich ist, ob die Druckwirkung auf dem Blutwellen- zeichner in einer negativen Richtung oder in einer positiven Richtung stattfindet. Der Verlauf ist im Verhältniss zu den oben besprochenen Eigenschwingungen ein weit langsamerer. Nach Herstellung eines höheren bezw. niedrigeren Druckes in dem Flüssig- keitsrohr als im Wellenzeichner wurden die Schwankungen durch eine momentane Hahndrehung, welche die beiden Hohlräume mit einander in Verbindung setzt, erzeugt. Wenn das Flüssigkeitsrohr ein nicht zu enges Lumen hat, mischen sich die Eigenschwingungen des elastischen Organs den Flüssigkeitsschwingungen Ro}! I ab) PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. VUowL. bei, und zeigen sich unter günstigen Bedingungen für ihr Entstehen als Un- regelmässigkeiten in dem Verlaufe der gemeinsamen Schwingungen der Flüssig- keitssäule und des elastischen Organs: unter ungünstigen Bedingungen sind sie wahrscheinlich mit den Schwingungen der Flüssigkeitsmasse ganz verschmolzen. Die in Betracht kommenden Bedingungen sind wohl Länge, Höhe und Durch- messer der Wassersäule und ihre Verbindung mit dem Wellenzeichner im Ver- hältniss zu der Schwingungsfähigkeit bezw. Schwingungszahl der elastischen Theile der verschiedenen Instrumente. Um die Eigenschwingungen des elastischen Organs auch in den Fällen, in denen sie in den Schwingungen der Flüssigkeitssäule versteckt schienen, zur Anschauung zu bringen, verfuhr ich folgendermaassen. Zwei durch gespannte und arretirte Spiralfedern schnell drehbare Hälıne waren in einer starrwandigen Verbindung zwischen Blutwellenzeichner und Wassersäule derart eingeschaltet, dass nach Herstellung eines erwünschten Drucks bezw. Nulldrucks in dem Wellenzeichner, derselbe von der Wassersäule durch den dieser zunächst liegenden Hahn abgeschlossen wurde, während der andere Hahn offen stand. Nachdem dann der Druck der Wassersäule beliebig erhöht oder erniedrigt worden war, wurden durch Vorbeiführung eines Stiftes die Auslösungsvorrichtungen der Hähne in verschiedenen zeitlichen Abständen eine nach der anderen in’s Spiel gesetzt, wodurch der erste Hahn geöffnet, der zweite geschlossen wurde. Besonders wenn die Zwischenzeit, während welcher allein Flüssigkeit von der Wassersäule dem Wellenzeichner zufliessen konnte, so kurz gemacht wurde, dass der Druck im letzteren noch nicht den Werth desjenigen der Wasserhöhe erreichen konnte, traten — falls das Wasserrohr nicht sehr eng war — von dem Zeitpunkte an, wo die Verbindung abgeschnitten wurde, eine oder mehr Schwingungen um die neue beständige Gleichgewichts- lage ein. Mit der Geschwindigkeit der Druckänderung innerhalb des Wellenzeichners zur Zeit der Absperrung desselben von der Flüssigkeitssäule wächst die Grösse der aufgezeichneten Nachschwingungen. Dies ist ein zweiter Beweis für die Figenschwingungen des elastischen Organs der aufzeichnenden Instrumente unter der Voraussetzung, dass dem Schreibhebel selbst keine Eigenschwingungen zukommen. Die Treue der Aufzeichnungen der Bewegungen des elastischen Organs durch das Schreibwerk habe ich controlirt durch Vergleichung der Zeichnung des beim Gebrauch angewendeten Hebels mit derjenigen eines kurzen steifen Hebels, der die Bewegungen des elastischen Organs in schwacher Vergrösserung mit feiner Schreibspitze auf grau berusstem Papier aufschrieb, so dass die kleinsten Erhebungen vermittelst einer Lupe deutlich abgelesen werden konnten. Im Allgemeinen habe ich Schreibhebel aus geraden Stroh- bezw. Grashalmen, je nach Bedarf, angefertigt und gebraucht. Die hervorragende Leichtigkeit und Steifheit solcher Hebel sind wohl kaum mit anderen Materialien nachzuahmen, während ihre äusserste Schicht sich für die Anschneidung einer eben so guten Schreibspitze eignet, wie Aluminium, Federpose, Haare u. s. w., die an diesem wichtigsten Punkte des Schreibwerks befestigt, sich oft entweder durch ihre Schwere oder durch ihre Torsionsfähigkeit als für die Aufzeichnung schneller Vorgänge ungeeignet oder weniger vortheilhaft erweisen. Meine Hebel waren auch bei minimaler Reibung der Schreibspitze an der Schreibfläche bei allen vorkommenden Geschwindigkeiten von Eigenschwingung frei. 7A VERHANDLUNGEN DER BERLINER Ich gehe jetzt zu den Versuchen über, in denen durch momentane Oefinung der Verbindung eines verhältnissmässig grossen Luitdruckgefässes mit den ver- schiedenen Blutwellenzeichnern die Eigenschwingungen des elastischen Organs derselben aufgezeichnet wurden. In diesen Versuchen nahmen die Beträge der Schwingungen schneller ab, wenn Wasser anstatt Luft in dem kurzen (15 ® langen) Verbindungsrohr und in dem Hohlraum des Blutwellenzeichners sich befand, während die Höhe der ersten \Schwingung wenig geändert wurde. Bei den Blutwellenzeichnern, deren bewegliche Theile Gummi enthalten, war auch der regelmässige Verlauf der Eigenschwingungen wenig geändert. Hieraus würde das Vorherrschen der Eigenschwingungen des elastischen Organs über diejenigen einer kurzen Flüssigkeitsverbindung erhellen; nur das Gad’sche Ma- nometer zeigte unter sonst gleichen Bedingungen einen gewaltigen Unterschied in den gewonnenen Curven, ın dem Sinne, dass bei Luftübertragung eine kurze, rapid abnehmende Reihe schneller, regelmässiger Schwingungen auftrat, während bei Wasserübertragung im Ganzen ebenso lange Zeit wiederholte Wellen von verdoppelter Dauer und zwar solche, wie sie sich bei der Einwirkung des Druckes einer einfachen Wassersäule zeigen, zum Vorschein kamen. Dieser Unterschied in den Curven des Gad’schen Manometers und das Fehlen desselben in den Curven der übrigen Blutwellenzeichner, gestattet die Schlussfolgerung, dass in letzteren die Eigenschwingungen der elastischen Theile versteckt, oder vielmehr mit den Schwingungen der Flüssigkeitsmasse verschmolzen liegen: dadurch aber müssen die aufgezeichneten Schwingungen um so grösser sein, und beim Messen der Curven finde ich, dass die erste Schwingung über die neue Gleichgewichtslage hinaus im Procentsatz der aufgezeichneten Druck- änderungshöhe, bei dem Fic k’schen Manometer 85 Procent, bei dem Hürthle’- schen 100 Procent, bei dem Schlauchwellenzeichner 50 Procent und bei dem Gad’schen Manometer 60 Procent ist. Wenn wir den Schlauchwellenzeichner ausser Vergleichung lassen, da er nicht eine trommelartige Vorrichtung bildet, so sprechen diese Messungen zu Gunsten der gemachten Schlussfolgerung und zu Gunsten des Gad’schen Apparates. Beim Gebrauch dieses Instruments mit Wasserübertragung für einfache Drückände- rungen, wie in den oben angegebenen Versuchen, zeigt die Curve eine Erhaben- heit auf der ersten Welle, die in ihrem Verlaufe mit der ersten Schwingung bei der Luitübertragung übereinstimmt; und es scheint berechtigt, jene Erhabenheit und diese Schwingung als desselben Ursprungs anzusehen. Eine Controle dieser Annahme habe ich durch Gewinnung von Blutwellen- curven unmittelbar nacheinander mittelst‘der verschiedenen Blutwellenzeichner an einem und demselben Blutgefäss eines nicht narkotisirten Kaninchens zu ge- winnen versucht und ich erlaube mir hier, die betreffenden Curven anzuführen. Dieselben waren bei einer Geschwindigkeit der Zeichenfläche von 2" pro 0-01 Secunde geschrieben: die Pulszahl war 170 pro Minute, der mittlere Blutdruck betrug 135% und der minimale 100°@ Wasserhöhe. Bei dem Fick’schen Apparat ist die Drucksteigerung nach unten, bei den übrigen nach oben angeschrieben. Rechne ich oben genannte Erhabenheit an den Curven des Gad’schen Manometers durchschnittlich ab, so bekomme ich im Vergleich: bei dem Fick’schen Manometer eine Ordinaten- bezw. Druckhöhe von 40 Procent des Mittelblutdruckes, bei dem Hürthle’schen 40 Procent, bei dem Schlauch- wellenzeichner 40 Procent und bei dem Gad’schen 35 Procent oder im Ver- hältniss zu dem Minimalblutdruck 70 bezw. 55 Procent, welches dafür spricht, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. (oWL. 575 dass in den QCurven der Gummi enthaltenden Blutwellenzeichner die Eizen- schwingungen der elastischen Theile verborgen bleiben. \, Eitimelnlle, 2 Coyalb 3 Niels 2, Crack In Bezug auf Aenderungen ın den Blutwellencurven, die nicht von dem elastischen Organ bedingt sind, habe ich bei einem und demselben 'Tbiere eine verzweiste und wieder zusammenkommende Verbindung zwischen Art. sarotis und Blutwellenzeichner eingeschaltet und zwar dergestalt, dass einerseits die genannte Strecke 10 °%@, andererseits 60 “%® bei 2” Rohrlichte betrug. Durch Drehung zweier Hähne wurde das kurze oder das lange Rohr zur Benutzung gebracht. In letzterem Falle war der aufgezeichnete systolische Blutdruckanstieg viel langsamer als in ersterem, während die katakrotischen Wellen verwaschen waren, insbesondere der plötzliche Abfall am Ende des ersten Drittels des Pulses, welcher bei der kurzen Verbindung immer sehr deutlich hervortritt. In den genannten sowohl wie in den früher besprochenen Versuchen wurde eine gläserne Carotiscanüle von 2-5 ®% Lichte, mit kurzer Verengerung am Ende zu 1-3", bei Kaninchen von 1500 bis 2000 &% Gewicht gebraucht. Einen bedeutenden und bisher unerwähnten Einfluss auf die Gestalt derjenigen Blutwellencurven, die von den durch Gummi wirkenden Blutwellenzeichnern zu bekommen sind, übt der freie oder bedeckte Zustand desjenigen centralen Theils ‚der Arterie, welcher der Einbindung der Canüle wegen praeparirt worden ist; wenn nämlich derselbe, sei es nur über einen Centimeter, frei zu Tage liegt, ‚so ist die zweite Welle der Curve sehr gross und spitz, wenn aber das Blut- gefäss bedeckt wird, entweder durch Auflagerung, nicht Aufdrückung, der schon wegpraeparirten Gewebe oder durch Einschieben der Canüle bis in die nicht praeparirte Scheide des Gefässes hinein, so bekommt man eine Curve, worin die zweite Welle abgeflacht erscheint. Im ersten Falle liest es nahe, anzunehmen, dass die nicht unbeträchtliche freie Fläche der Gefässwand einerseits als ela- stisches Organ, andererseits als ein besonders dehnbarer Theil der ganzen Vor- richtung wirkt, woraus Interferenzen mit den Schwingungen der übrigen elastischen Theile hervorgehen können. Der Umstand, dass der Einfluss der besprochenen Gebrauchsbedingung bei dem Fick’schen Manometer kleiner als bei dem Hürthle’- ‚schen Blut- und dem Schlauchwellenzeichner und am kleinsten bei dem Gad’schen Manometer ist, lässt nochmals auf die Labilität der Eigenschwingungen bei den durch Gummi wirkenden Instrumenten und auf die Beeinträchtigung der be- deutenderen Angaben derselben schliessen. Als allgemeiner Schluss aus den vorhergehenden Versuchen bei bekanntem Verlauf der gebrauchten Druckänderung sowohl wie bei dem Vergleich der Blut- wellencurven erscheint es klar, dass jeder dieser untersuchten Blutwellenzeichner seine eigene Antwort auf Einwirkung von Druckänderungen giebt, und weil der 576 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Verlauf der Pulswellen als noch nicht bekannt zu betrachten ist, müsste man jedes Instrument, ehe es für die Blutwellenzeichnung gebraucht wird, vermittelst bekannter Vorgänge probiren. Da das Gad’sche Manometer ganz aus Metall verfertigt ist, wird es nur einmal nöthig, dass man die Wirkung desselben in der schon beschriebenen Weise bestimmen muss. Sonstige Vortheile dieses In- struments erhellen auch aus dem Vorhergesagten, und einige Bequemlichkeiten für den Gebrauch, welche die Nebeneinrichtungen des Instruments gestatten, brauche ich nur zu erwähnen. Statt einen Nulllinienhebel nach Hürthle’s Art an den Apparat anzubringen, habe ich, mit Rücksicht auf die Genauigkeit der Druckangaben, auf die leichtere Erkenubarkeit des Eintretens einer Aende- derung in der Mittelblutdruckhöhe während eines Versuches und auch zur Er- sparniss an berusstem Papier einen Grundlinienschreiber angebracht, der nicht um eine wagerechte Achse sich dreht bezw. drehen kann. Beim Gebrauch des Instruments verfährt man so, dass zuerst unmittelbar ehe die Verbindung zwischen Uebertragungsrohr und Arteriencanüle vollzogen wird, der Grundlinien- schreiber und der Druckschreibhebel eine Linie schreiben, darauf steigt bei der Verbindung letzterer, dem Druck entsprechend, in die Höhe; nach kurzem Schreiben bringt man ihn durch kurze Drehung einer Stellschraubenmutter wieder herunter, bis er beim Mittelblutdruck wagerecht steht; wenn nun beim Weiter- schreiben der Blutdruck im geringsten Grad sich ändert, erkennt man dies sofort an der Curve, da dann die Grundlinie sich nicht mehr in der Mitte der auf- gezeichneten pulsatorischen und anderer Schwankungen des Blutdruckes befindet. Eine vor- oder nachherige Calibrirung des Instruments ermöglicht eine genaue Bestimmung des Werths der Grundlinienhöhe. Ausserdem besitzt das Instrument durch die einfache und eigenthümliche Art der Uebertragung der Bewegung von dem elastischen Organ auf den Schreib- hebel die Fähigkeit, alle möglichen Vergrösserungen der Bewegungen innerhalb weiter Grenzen zu geben. Die Spannfeder, welche den metallenen Anfangstheil des Druckhebels gegen eine auf der Manometerplatte befestigte Schneide drückt, beugt auch einer Beeinträchtigung der Curven durch etwaigen todten Gang der Drehachse oder zwischen dem Angriffspunkt des elastischen Organs an dem Schreibhebel vor. Ausserdem besitzt das Instrument eine getheilte Schraube mit Scala, wodurch der Grad der Vergrösserung immer bestimmt werden kann. Das elastische Organ betreffend ist noch hinzuzufügen, dass es vor kurzem Hrn. Oehmke gelungen ist, noch kleinere Metallblättchen herzustellen, welche noch über die Ergebnisse dieser Mittheilung hinaus günstige Erfolge zu ‚geben wohl im Stande sein werden, während durch eine Reihe elastischer Platten ver- schiedener Stärke das Instrument für jedes Versuchsthier, dessen Mittelblut- druck bis zu einem halben Meter Wasserhöhe oder mehr beträgt, passend ge- macht werden kann. In Bezug schliesslich auf die grosse Verschiedenheit der in den vorliegenden Versuchen gewonnenen Curven einerseits und auf die mehrmals geltend gemachte Uebereinstimmung zwischen Blutwellencurven und Sphygmogrammen andererseits, wie sie namentlich in ausgedehnten Versuchen, vermittelst eines verbesserten Fick’schen Manometers und eines eigenen einfachen Federsphygmographen für die blossgelegte Arterie, von Hürthle gefunden wurde, möchte ich darauf hin- weisen, dass wir beim Gebrauch des Sphygmographen, wie in dem Fick’schen Manometer eine Stahlfeder auf einem elastischen mitschwingenden Zwischenstück, nämlich der Arterienwand haben und dass diese zwei zusammenwirkenden Körper PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. BLASCHKO. — 0. HAGEMAnNnN. 577 ebensolche Eigenschwingungen durchmachen können, wie die elastischen Theile des Fick’schen Instruments. Dass Eigenschwingungen zu beiden Seiten der Druckstelle der Sphygmo- sraphenfeder zu erwarten sind, erhellt aus einer Betrachtung, die in dieser Beziehung, meines Wissens, nicht angestellt worden ist, nämlich dass jede an dieser Stelle stattfindende Verengung der Arterie eine Umsetzung von lebendiger Kraft des beschleunigten Theils der Flüssigkeitssäule in Seitendruck gegen die Arterienwand, die daraufliegende Sphygmographenfeder und das unterliegende Gewebe verursacht, und so bei genügender Geschwindigkeit des Vorgangs Eigen- schwingungen zu unterstützen im Stande sein wird. Indem ich nun diese kurze Darstellung meiner Versuchsresultate und die daran geknüpften Betrachtungen abschliesse, erlaube ich mir noch meinen tiefsten Dank für die werthvolle Anregung, Hilfe und Kritik des Hrn. Prof. Gad und für die ausserordentliche Gastlichkeit des Physiologischen Instituts hierselbst, in dessen Räumen mir verstattet war, diese Arbeit auszuführen, zum Ausdruck zu bringen. XIV. Sitzung am 9. Mai 1890. Hr. A. BrascHko hielt den angekündigten Vortrag: „Weiteres zur Archi- tektonik der Oberhaut nach Untersuchungen des Hrn. J. Loewy.“ Der Vortragende hat durch frühere Arbeiten den Nachweis geführt, dass die Oberhaut des Menschen an ihrer unteren Fläche einen sehr regelmässigen Aufbau, gebildet durch ein Netz einander recht- und spitzwinklig schneidender Leisten darstelle.” ‚Jetzt hat im Laboratorium des Vortragenden Hr. cand. med. J. Loewy durch Untersuchung von Praeparaten der Epidermis, welche durch Maceration in 3 bis 6 procentigem Holzessig gewonnen waren, diese regelmässige Gliederung in ihren charakteristischen Unterschieden für die verschiedenen Körperregionen und Altersstufen genauer studirt. Diese Gliederung ist nicht abhängig von der sogenannten Oberhautfelderung, sondern steht in einem gewissen Parallelismus zu den von Vogt und Escherich beschriebenen Haarströmen und der von Langer gefundenen Spaltbarkeitsrichtung der Haut, welche ihrerseits durch die Richtung der Cutisbindegewebs- fasern bedingt ist. Sonach scheint der Aufbau der Oberhaut auch endlich durch die Nerven- und Gefässvertheilung, welche ja mit der Richtung der Bindegewebsfasern in gewissem Zusammenhange steht, mit bedingt zu sein. — Die ausführliche Publication der Arbeiten des Hrn. Loewy wird demnächst anderweit erfolgen. XV1. Sitzung am 6. Juni 1890. 1. Hr. O. Hagzmann (a. G.) hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber Eiweissumsatz während der Schwangerschaft und der Lactation.‘“ ı Ausgegeben am 13. Juni 1890, 2 Dies Archiv, 1884. 8.173; — 1885. 8.349; — 1887. 8. 350. ® Ausgegeben am 13. Juni 1890. Archiy f. A.u. Ph, 1890. Physiol. Abthlg. 37 578 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Wir finden in der Litteratur fast gar keine Angaben darüber, wie sich unter dem Einfluss des sexuellen Lebens der Stoffwechsel, insbesondere der Ei- weissumsatz weiblicher Individuen, gestaltet. Ein Referat im Jahresberichte Maly’s von 1872 über eine Arbeit Rabu- teau’s enthält die Behauptung, dass während der Menstruationsperiode einer Frau der Eiweissumsatz vermindert gewesen sei. Da weder eine Angabe der Nahrungsaufnahme noch eine solche der Menge und Zusammensetzung der Aus- scheidungen gegeben ist, entzieht sich diese Notiz einer jeden Kritik. Stohmann stellte 1873 Untersuchungen über den Eiweissumsatz an milchgebenden Ziegen an. Das Resultat war, dass etwa 5 bis 10 Procent Ei- weiss, welche sonst voraussichtlich zerstört worden wären, für die Milchsecretion retinirt wurden. Potthast untersuchte auf Anregung von Prof. Zuntz den Eiweissumsatz einer säugenden Hündin und kam dabei zu einem höchst merkwürdigen und überraschenden Resultat. Er fand nämlich, dass die Hündin, während sie ihre drei Jungen voll säugte, mit dem Harne fast so viel Stickstoff ausschied, als sie aus der Nahrung resorbirt hatte; als die Jnngen dann Beifutter erhielten, zerstörte die wahrscheinlich weniger Milch abgebende Hündin bei demselben Futter weniger Eiweiss, bezw. hatte sie für die Milcbbildung mehr Eiweiss dis- ponikel. Nach Entfernung der Jungen setzte sie 18 Procent des verdauten Eiweisses an. Die Richtigkeit dieses paradoxen Ergebnisses ist aber deswegen anzuzweifeln, weil die Ernährung öfters geändert wurde, und weil die Vorfüt- terung vor dem Beginn der der Analyse unterworfenen Periode zu kurze Zeit gedauert hatte. Im Hinblick auf diese Bedenken stellte ich auf die Anregung meines hochverehrten Chefs Hrn. Prof. Zuntz, welchem ich mich hierfür, wie auch für die Anregung zu anderen Arbeiten auf das Tiefste verpflichtet fühle, zwei Stoffwechselreihen mit zwei Hündinnen in der Weise an, dass ich die Thiere mit einem sehr reichlichen Futter vollständig gleichmässig ernährte und wartete, bis sie brünstig wurden. Nachdem Brunst eingetreten war, wurde Be- gattung der Thiere herbeigeführt und der weitere Verlauf beobachtet. Mit dem ersten Thiere verunglückte die Reihe insofern, als die Föten zu einer unbekannten Zeit durch irgend welche Einflüsse abgestorben sein müssen, denn das Thier brachte etwa acht Wochen nach der Brunstzeit einige faulige, grünliche, übelriechende Massen zur Welt, welche es grösstentheils auffrass; die hypertrophischen Milchdrüsen gingen danach auch zurück. Insofern aber die Ergebnisse dieser Reihe mit der zweiten tadellos verlaufenen übereinstimmen, will ich dieselben doch erwähnen. Die erste Hündin wog 8 FE, die zweite 12.5 ®&. Das Futter der ersteren bestand aus 70 &m Fleischmehl, 50 sm Schmalz und 50 8m Stärke, das der zweiten aus 300 &'% frischem Fleisch, 50 gm Schmalz und 60 m Stärke. Der Stickstoffgehalt der beiden Futter- mischungen war 8-548 und 9.986 Em. Der Wärmewerth beider war pro F& Thier 110 und 82 Cal, während auf Grund der Rubner’schen Angaben ca. 65 bezw. 56 Cal. erforderlich gewesen wären. Das erste Thier setzte bei seiner Einnahme von 8-548 Sm N, wovon 7-63 5" resorbirt wurden, während der Zeit kurz vor Eintritt der Brunst täglich 0.627 &® N an. Nachdem die Brunstzeit vorüber war, also in den ersten Schwangerschaftstagen, setzte es während einer zwölftägigen Periode soviel Eiweiss um, dass es mit dem Harne noch täglich 0-519 &% Stickstoff mehr ausschied, als es aus dem Futter re- sorbirt hatte. Darauf fiel der Stickstoffverlust vom Körper, bis das Thier etwa PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — 0. HAGEMANN. 579 in der Mitte der Schwangerschaft auf Stickstoffgleichgewicht war. Sechs Wochen später, als das Thier sich wieder in vollständiger sexueller Ruhe befand, setzte es bei demselben Futter täglich 0.756 5" N an. Das zweite Thier setzte anfangs bei resorbirten 9.567 Em Stickstoff 0.187 2m N. an; später dagegen, kurz vor Eintritt der Brunst, als es fett- reicher und schwerer geworden war, 0.570 E, Während der ersten fünf Brunsttage wurden Harn und Koth nicht analy- sirt; in der darauf folgenden achttägigen Periode gab das Thier von seinem Körper noch täglich 0.376 ®”" N zu, darauf drei Wochen lang pro Tag noch 0.177 ®°® N. Während der Mitte und im Anfang der zweiten Hälfte der Schwangerschaft hielt es dann täglich 0.220 ®” N zu- rück und während der letzten 18 Schwangerschaftstage bestand eine starke Retention von Eiweiss, nämlich pro Tag 1.617 ®°” N gleich 17 Procent des Resorbirten. Darauf gebar das Thier zwei Junge, welche zusammen 740 8% wogen. Durch vierwöchiges Säugen brachte das Thier die Jungen auf 3250 ®°” Lebend- gewicht; während dieser Lactationszeit blieb die tägliche Stickstoffausscheidung in Harn und Koth um 1.498 ®"” hinter der mit der Nahrung aufgenommenen Stickstoffmenge zurück. Als darauf die Jungen entfernt waren, setzte das Thier in der Schlussperiode bei sexueller Ruhe täglich nur noch 1.297 ®% N an. Dieselben beiden Thiere waren in anderen Stoffwechselreihen mit weit weniger, mit der halben Stickstoffeinfuhr, auf Stickstoff- und Körpergleichgewicht zu bringen; die erste Hündin war eine lange Reihe hindurch mit 35 ®”” Fleisch- mehl, 50 &’® Stärke und 36 &’® Fett, welche Nahrung nur 4-30 2% N ent- hielt, im Gleichgewichte, ja hielt daraus noch Stickstoff zurück. Die zweite setzte sich in einer Reihe mit einer allerdings an stickstofffreien Stoffen viel reicheren Nahrung, bestehend aus 200 &’@ Reis, 17 Sm Fleischmehl und 60 &”® Fett mit 4-36 8m Stickstoff, ebenfalls in’s Gleichgewicht. Bei ihrer sehr reichlichen Nahrung setzten beide Hündinnen also eine allerdings nur geringe Menge Stickstoff an, nämlich 0.627 bezw. 0.570 8% pro Tag. Sobald aber Brunst eingetreten war und Befruchtung stattgefunden “hatte, wobei doch immer eine, wenn auch im Anfang nur kleine Menge Eiweiss für den wachsenden Uterus und die Embryoanlage in Anspruch genommen wurde, hielt sich die Eiweisszerstörung im Körper nicht nur nicht auf der früheren Höhe, so dass die 0-627 bezw. 0.570 &’% N Verwendung zum Aufbau der wachsenden Theile finden konnten, sondern sie stieg so stark an, dass das Thier mehr Stickstoff mit dem Harn ausschied, als es aus der Nahrung resor- birte, so dass der Körper während dieser Zeit nach doppelter Richtung hin an Eiweiss verarmte. Bis zur Mitte der Schwangerschaft hin hielt diese übergrosse Eiweisszerstörung im Körper an, dann wurde aber Eiweiss zurückbehalten und zwar ziemlich erheblich, besonders in den letzten acht Tagen der Schwanger- schaft, zu der Zeit, als neben der Fötenbildung auch noch ein starkes Wachsen der Brustdrüsen statthatte.e Während der ersten fünf Tage nach der Geburt stand die Harnstickstoffausscheidung wieder ziemlich hoch, wegen der ausge- stossenen und aufgefressenen Placenten; danach sank sie wieder auf das Niveau während der letzten Tage der Schwangerschaft, sodass für die Milchbildung eine grosse Menge Eiweiss zurückbehalten wurde. Nachdem dann wieder nach Entfernung der Jungen sexuelle Ruhe ein- getreten war, fand eine geringere Eiweisszurückhaltung als während der Lactation 37* 580 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN statt. Dass in dieser Periode die Eiweisszerstörung nicht wieder dieselbe Höhe erreichte, als vor Beginn der Brunst, erklärt sich daraus, dass das Thier während der Lacatationszeit erheblich eiweissärmer geworden war. Ich will versuchen, den Eiweissbestand des Mutterthieres aus den Gewichts- verhältnissen der Jungen zu berechnen. Nach E. Bischoff beträgt das Skelet Neugeborener circa 15-7 Procent vom Körper gegen 15-9 Procent bei Erwachsenen. Die Haut Neugeborener ist ebenfalls nicht erheblich feuchter, als die Ewachsener; dagegen werden die Muskeln der Neugeborenen, welche circa 43 Procent des ganzen Körpers bilden, als etwa 80 Procent Wasser enthaltend, betrachtet, gegenüber 75 Procent beim Erwachsenen. Bischoff und Volkmann rechnen auf 100 8% Thier, 16 SW Eiweiss + leimgebende Substanz; ich glaube nun, dass ich ohne erheblichen Fehler nach dem Vorhergehenden auf 100 &"” neugeborenen Hund 14 Em Eiweiss + leim- sebende Substanz rechnen darf. Danach enthalten die 740 EM neugeborener Hund 103.6 &% Eiweiss oder 16-6 E&”” Stickstoff. Während der Trächtigkeit waren aber 26.128 Sm Stickstoff angesetzt worden; es waren also circa 9-5 Sm Stickstoff (vermindert um diejenige Menge, welche mit dem Fruchtwasser verloren gegangen war) im Mutterthiere verblieben. Diese 9-58" N dürften aber kaum ausgereicht haben, den vergrösserten Uterus und die Placenten, sowie die vergrösserten Brustdrüsen zu bilden, denn während der ersten fünf Tage nach der Geburt wurden allein mit dem Harne schon 7.58rm N mehr ausgeschieden als in den Tagen vorher und nachher; und diese Stickstoffmenge ist doch wohl ohne Weiteres als den gefressenen Placenten und und dem sich zurückbildenden Uterus entsprechend anzusehen. Während der Lactationsperiode blieben im 'TThierkörper 41.944 Em Stick- stoff. Die Jungen nahmen dabei. um 2510 E% zu. Nach den Versuchen von Soxhlet am Saugkalbe bringt dasselbe 74 Procent der aufgenommenen Eiweiss- menge zum Ansatze. Lege ich für die in Rede stehenden Hunde denselben Maassstab an, so musste das Mutterthier, da den 2510 &”% Gewichtszunahme 851.4 8m Eiweiss oder 56.2 8m Stickstoff entsprechen, 76 2% Stickstoff in Form der Milch hergeben, sodass es während der vierwöchigen Lactation 34.056 3" Stickstoff oder 1014 &"@ Fleisch von seinem Körper verlor. Gegenüber der experimentell nachgewiesenen Thatsache, dass dasselbe Thier sich mit der Hälfte der während dieser Schwangerschaftsreihe gebotenen Stick- stoffmenge in’s Gleichgewicht zu setzen vermochte, ist die grosse Eiweisszerstörung in der ersten Hälfte der Schwangerschaft und die Körpereiweisszugabe während der Lactationsperiode gewissermaassen ein Luxus. Es fragt sich nun, ob dies wirklich als ein Luxus zu betrachten ist, oder ob der Körper nicht anders kann. Aufschluss darüber denke ich noch durch unter anderen Bedingungen, unter anderer Fütterung, angestellte Schwangerschaftsreihen zu erhalten. Sollte der Körper nicht anders können, so wäre daran zu denken, dass bei der Umwandlung von Eiweiss des Mutterthieres in Organeiweiss des Uterus und der Föten, sowie in die Eiweisskörper der Milch, stickstoffhaltige Atomgruppen des Eiweisses ihren specifischen Charakter verlieren, sich derartig umlagern, dass sie in das neue Kiweissmolecül nicht wieder aufgenommen werden können und mit dem Harn ausgeschieden werden müssen. Jedenfalls ist bewiesen, dass während der Brunstperiode ein erhöhter Eiweiss- zerfall statthat und dass zur Organ- und Milchbildung in der That Eiweiss u GESELLSCHAFT. — OÖ. HAGEMANN. — IMMANUEL MUNnNK. 581 retinirt wird. Letzteres ist um so interessanter, als bei malignen Neubildungen, z. B. beim Carcinom, ohne dass Fieber vorhanden ist, die Eiweisszerstörung und die Stickstoffausscheidung mit dem Harne dauernd in die Höhe geht, wie Friedrich Müller nachgewiesen hat. Zum Schlusse will ich noch eine Betrachtung über die Stickstoffausscheidungs- verhältnisse während der Lactationsperiode und der Periode danach, bei sexueller Ruhe, anfügen, welche das von dem meinigen so abweichende Ergebniss der Potthast’schen Untersuchung verständlicher macht. Nach obigen Berechnungen gab das Thier in der Milch täglich etwa 2.7 Em Stickstoff ab; demnach ver- blieben im Körper von den resorbirten 9.6 8m, 6.95m N. Mit dieser Menge N kam das Thier nicht in’s Gleichgewicht, sondern gab noch 1-28"% N her. In der folgenden Periode sexueller Ruhe, wo dem Körper die ganzen 9-6®% N zur Verfügung standen, setzte es 1-32" N an. Demnach bedingt ein Plus von 2.78" N ein Plus im Stickstoffansatz von 1-2+1-3= 2.5 8". Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird von einer Ei- weisszulage niemals soviel zum Ansatze gebracht; wir können also nicht zweifeln, dass während der Lactation noch ein besonderes, den Eiweisszerfall steigerndes Moment mitwirkt. Dieses Moment dürfte, wie oben schon ausgeführt, darin zu suchen sein, dass es eben unmöglich ist, Nahrungseiweiss ohne Verlust von Stickstoff in Milcheiweiss überzuführen. XVII. Sitzung am 20. Juni 1890." Hr. InmAnuerL Munk hielt den angekündigten Vortrag: „Weiteres zur Lehre von der Spaltung und Resorption der Fette.“ Nachdem ich bereits vor Jahren? die Ueberzeugung gewonnen hatte, dass selbst erst um 60° C. herum schmelzende Fette, wie das Tristearin beim Hunde zu einem kleinen Bruchtheil resorbirt werden, habe ich neuerdings, im Verein mit Hrn. A. Rosenstein, an der Patientin mit einer Lymphfistel, durch welche, wie früher gezeigt,’ nach Fettgenuss die bei Weitem überwiegende Menge des resorbirten Fettes nach Aussen gelangt, die Versuche mit hochschmelzenden Fetten wieder aufgenommen. Etwa 17 Stunden nach Aufnahme der letzten fetthaltigen Nahrung wurde 1 Stunde lang die Lymphe des nüchternen Zustandes aufgefangen, dann nahm die Pat. 208m Walrath (Spermacet), ein bei 53° C. schmelzendes Fett, in welchem die Palmitinsäure, anstatt mit Glycerin (dem tertiären Alkohol der Propylreihe), mit Cetylalkohol gepaart ist. Schon in der 3. Stunde danach nahm der Fettgehalt der Lymphe zu (0-23 Procent Fett), er- reichte in der 6. Stunde seinen Höhepunkt (0°7 Procent Fett) und sank all- mählich bis zur 13. Stunde fast bis auf den Werth des nüchternen Zustandes (0-12 Procent) herab. Im Ganzen erschienen in der chylösen Lymphe, welche ! Ausgegeben am 27. Juni 1890. 2 Virchow’s Archiv u.s. w. 1884. Bd. XCV. S. 436. — Arnschink hat neuer- dings dafür die Bestätigung geliefert (Zeitschrift für Biologie. Bd. XXVI. S. 446); nach seiner Angabe wird Stearin beim Hunde zu 9 bis 13-8 Procent resorbirt. ® 8. oben 8. 376. 582 VERHANDLUNGEN DER BERLINER das Fett in Form feinsten Staubes enthielt, in 13 Stunden 3-93 gm Fett, d.h. 2.88 Fett mehr als im nüchternen Zustande, entsprechend 14 Procent der verabreichten Menge. Das Chylusfett schmolz bei 36 ° (die daraus dargestellten Fettsäuren bei 41 bis 42°), enthielt selbst keinen Walrath, spaltete auch bei der Verseifung keinen Cetylalkohol ab. Die daraus dargestellten Bleiseifen waren nur zu einem Bruchtheil (etwa !/,) in Aether löslich (ölsaures Blei), die Hauptmasse ergab einen Bleigehalt von 28°7 Procent, entsprechend palmitin- saurem Blei.’ Damit war bewiesen, dass der zur Resorption gelangte Antheil des Walraths im Darm in Palmitinsäure und Cetylalkohol gespalten, erstere re- sorbirt, mit Glycerin synthetisch zu Palmitin umgebildet und als Palmitin in den Chylus übergetreten ist, daher das exquisite Ueberwiegen von Palmitin im Fett der chylösen Lymphe. Bei Hunden wurde der Walrath trotz seines hohen Schmelzpunktes noch besser, zu 51 bis 69 Procent, resorbirt; von dem durch den Koth ausgestossenen Walrath war nur wenig, !/,,, gespalten. Bei Digestion von Pankreasbrei mit Walrath bei 40°, unter Ausschluss der Fäulniss durch Thymolzusatz, wurde in 8 bis 24 Stunden !/, bis !/, so viel vom Walrath ge- spalten, als von möglichst neutralem Oel. Im Anschluss an diese bemerkenswerthe, aus dem Chylusfett überzeugend nachweisbare Spaltung hoch schmelzenden Fettes im Darm, habe ich auf An- regung des Hrn. Prof. Liebreich die Schicksale des mir von demselben freund- lichst zur Verfügung gestellten Oelsäureamylaethers untersucht. Dieses bei Zimmertemperatur flüssige Oel, in welchem die Oelsäure, anstatt mit Glycerin, mit Amylalkohol aetherartig gepaart ist, nahm die Pat. mit der Lymphfistel im nüchternen Zustande zu 158”. Erst in der 4. Stunde danach wurde die Lymphe etwas trüber, erreichte in der 7. bis 9. Stunde das Aussehen einer dünnen Milch mit einem Fettgehalt von fast 1-1 Procent; weiterhin klärte sie sich wieder auf und sah in der 12. Stunde kaum anders als im Hungerzustande aus (0-1 Pro- cent Fett). In 12 Stunden flossen 1372°® Lymphe mit 4.728’m Fett aus; nach Abzug von 1.98’ Fett für 12 Hungerstunden bleibt ein Ueberschuss von 2.88'm — 19 Procent der genossenen Substanz. Das bei Zimmertemperatur flüssige Chylusfett enthielt auf 3 Theile Neutralfett 1 Theil freie Fettsäure, fast ausschliesslich Oelsäure. Auch das Fett bestand überwiegend aus Olein,? bei der Verseifung spaltete sich kein Amylalkohol ab. Also war auch der Oel- säureamylaether zum Theil im Darm gespalten worden, die so frei gewordene Oelsäure resorbirt, mit Glycerin zu Olein synthetisch umgebildet und als Olein in den Chylus übergetreten; von der abgespalteten Oelsäure aber war hier sehr bemerkenswerther Weise etwa !/, der gesammten Menge der Synthese entgangen und in Form der freien Oelsäure durch die Zotten in den Chylus übergewandert. Bei Digestion von Oelsäureamylaether mit Pankreasbrei unter Thymolzusatz bei 40° erwiesen sich 12 Procent bereits nach 6 Stunden gespalten. Im Darm des Hundes scheint die Spaltung und Resorption noch kräftiger vor sich zu gehen, wenigstens enthält der danach entleerte Koth nur wenig von dem Aether in unveränderter Form.? ! Palmitinsaures Blei verlangt 28-8 Procent Ph. ? Die daraus dargestellten Bleiseifen enthielten 27-03 Procent Pb; ölsanres Blei verlangt 26-82 Procent Pb. ® Die Untersuchungen wurden im thierphysiologischen Laboratorium der land- wirthschaftlichen Hochschule ausgeführt. ee ee Du PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL Munk. — GAD. 583 Nachtrag. In der Sitzung vom 9. Mai hielt Hr. GAp den angekündigten Vortrag: „Ueber blutcapillarhaltiges Epithel.“ Schöne Praeparate von der Stria vascularis an der äusseren Wand des Ductus cochlearis, welche mir Hr. College Katz unlängst zeigte, haben mich an einen Befund erinnert, den ich vor Jahren gemacht habe und den mitzutheilen ich unterliess, weil ich die physiologischen Erwartungen, welche ich an den- selben knüpfte, nicht durch das Experiment bestätigen konnte. Sollte aber die Frage nach der morphologischen und functionellen Bedeutung solcher Bildungen, wie wir sie in der Stria vascularis vor uns haben, wieder einmal in Fluss kommen, und es scheint, dass dies der Fall sein wird, so dürfte mein Befund von einigem Interesse sein. Es handelt sich nämlich um einen anderen, leicht zugänglichen und, soviel ich weiss, bisher nicht beachteten Fundort für blut- capillarhaltiges Epithel. | Blutcapillaren in situ zwischen Epithelzellen zu sehen hat stets Verwunde- rung erregt. Als Einleitung zur Beschreibung seines bezüglichen Befundes an der Stria vascularis des Alligators sagt Retzius:! „Bekanntlich gilt es — den ‚aus der mittleren Keimschicht entwickelten Geweben gegenüber — als ein die wahren Epithelgewebe charakterisirendes Kennzeichen, dass die letzteren keine blutgefässe führen“, und zwei Jahre? später sagt er von dem Epithel der Stria vascularis des Alligators und der höheren Thiere: „Es ist dies Epithel meines Wissens das einzige gefässführende, echte Epithel im Organismus.“ Kölliker beschrieb in seinem Handbuch der Gewebelehre des Menschen? die Stria vascu- Jaris als einen gefässreichen Streifen, der wie in das Epithel eingebettet ist. Als ich Schnittserien eines in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten und mit Carmin gefärbten Rückenmarkes vom Frosch zum Zweck einer theilweisen Controle der unter Gaule’s Leitung von Birge ausgeführten Zählung von Ganglienzellen der Vorderhörner durchmusterte,? erregte das Epithel am Boden des vierten Ventrikels meine besondere Aufmerksamkeit. Jeder der etwa_20 u - dicken Querschnitte zeigte hier eine oder mehrere Blutcapillaren, welche sich zwischen den hohen Zellen des Ependyms, annähernd parallel der Oberfläche und vorwiegend in transversaler Richtung hindurchwanden, zum Theil mehr an der Basis der Zellen, zum Theil aber auch in der Mitte der Zellenhöhe und noch weiter gegen die freie ventriculare Oberfläche hin. Gelegentlich konnte man diese Blutcapillaren in die Marksubstanz zurück verfolgen. Spuren eines dieselben etwa begleitenden Bindegewebes konnte ich nicht erkennen, sie schienen mir vielmehr mit nackter Wand an die Körper der Epithelzellen zu grenzen. Die Praeparate haben sich gut gehalten, ich habe einige derselben unter dem Mikroskop aufgestellt und man wird sich an denselben leicht von dem Vor- handensein der beschriebenen Verhältnisse überzeugen können. 1 G. Retzius, Ueber ein Blutgefässe führendes Epithelgewebe im membranösen Gehörorgan. Biologische Untersuchungen, herausg. von G. Retzius. 1882. Nr. II. S. 97. ® G. Retzius, Das Gehörorgan der Wirbelthiere. Il. 1884. 8.133. ? 5. Auflage. 1867. S. 730. * J. Gad, Centren und Leitungsbahnen im Rückenmark des Frosches. Verhand- nn ns Würzburger physiologisch - medicinischen Gesellschaft. N. F. XVIII. 1884. 8 86 te 584 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Da ich nie ähnliche nahe Beziehungen zwischen Blutgefässen und Epithel- zellen gesehen hatte und da sich der Befund auf den vierten Ventrikel be- schränkte, weder weiter unten im Centralcanal des Rückenmarkes, noch in den Höhlen des Hirns Aehnliches vorhanden war, so vermuthete ich, dass dies Ver- halten für die Functionen des verlängerten Markes von besonderer Bedeutung sein könnte. Ziemlich allgemein wird die Annahme gemacht, dass die Anregung zu den Athembewegungen von dem Einfluss ausgehe, welchen die Beschaffenheit des Blutes auf besondere Elemente des verlängerten Markes ausübe, ohne dass man angeben könnte, welches diese Elemente seien; man stellt sie sich wohl meistens als Ganglienzellen vor. Könnten nicht aber die, wie ich sah, fast direet vom Blut umspülten Epithelzellen am Boden des vierten Ventrikels em- pfindliche Elemente sein? Die nervöse Natur ihrer langen radiären Fortsätze in das Mark hinein ist ja wiederholt behauptet worden. Die Entwickelungs- geschichte würde der Auffassung des Ventrikelepithels als Sinnesepithel nicht widersprechen und die Anregung zur Athmung würde sich, wenn man dem an- sedeuteten Gedankengange eine experimentelle Grundlage geben könnte, aus ihrer „automatischen“ Sonderstellung entfernen und in das allgemeine Schema der Reflexe einreihen lassen. Was ich zur Prüfung des Gedankens habe thun können, war nicht viel, und der Erfolg des Wenigen war nicht geeignet, den Gedanken irgendwie zu stützen. Ich habe beim Kaninchen den ganzen Boden des vierten Ventrikels freigelegt, wodurch die Athmung nicht beeinträchtigt wurde und ich habe ihn bei gleichzeitiger Registrirung der Athmung mit concentrirter Kohlensäure be- spült ohne nennenswerthen Erfolg. Ich habe ferner den ganzen Boden des vierten Ventrikels mit Lösung von Argentum nitricum oberflächlich geätzt, ohne dass sich die gewöhnliche Athmung und ohne dass sich die Dyspnoe bei Tra- chealverschluss wesentlich geändert hätte. Ein einfaches Experiment mit durch- schlagendem Erfolg scheint sich also zur Stützung des angeregten Gedankens nicht ausführen zu lassen. Uebrigens habe ich die Angelegenheit nicht syste- matisch untersuchen können, da ich durch meine seitherige Stellung auf das Zusammenarbeiten mit anderen Collegen angewiesen bin und ich Niemand ver- anlassen wollte, Zeit an eine Untersuchung mit so unsicherem Gewinn zu wenden. Immerhin dürfte das Scheitern meines Versuches, an dem Epithel des vierten Ventrikels eine Sinnesfunction nachzuweisen, bei Forschern Beachtung verdienen, welche, wie noch neuestens G. Magini! aus rein histologischen Gründen die Ependymzellen der Gehirnventrikel mit den Neuroepithelzellen der Sinnesorgane auf gleiche Stufe stellen und in denselben Theile eines intracerebralen Sinnes- organes erkennen wollen. Was nun die morphologische Bedeutung meines Befundes anlangt, so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um Blutcapillaren in einer Gewebsschicht handelt, welche allseitig als Epithel bezeichnet wird, wogegen die Auffassung der Zellen, welche in der Stria vascularis von Blutcapillaren umsponnen sind, als Epithelzellen Anfechtungen erfahren hat,” oder wenigstens 1 G. Magini, Histologische Untersuchungen über die Ausläufer der Epithelzellen des Ependyms. Ari della Accademia Melica di Roma. XV. 4. Mai 1889. S. 123. ? Gottstein, Ueber den feineren Bau und die Entwickelung der Gehör- schnecke beim Menschen und den Säugelhieren. Bonn 1871; — B. Baginky, Zur Entwiekelung der Gehörschnecke. Archiv für mikroskopische Anafomie. Bd. XX VII. 8. 20. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GAD. 585 auf Zweifel gestossen ist.’ Während aber das den letzteren unterliegende Ge- webe sicher weder epithelialer Herkunft noch epithelialer Natur ist, so ist ein Unterschied wenigstens in Bezug auf die Herkunft bei dem Epithel des vierten Ventrikels und seiner Unterlage nicht zu machen, denn die Ansicht, welche Hensen? zuerst ausgesprochen haben dürfte: „dass man das Mark auffassen müsse als ein Epithel, und zwar als ein einfach geschichtetes Epithel“, wird wohl jetzt nach den neueren Arbeiten von His,’ wenn auch mit der Einschrän- kung auf das „Marlkgerüst“, allgemein anerkannt werden. Sehen wir nun, dass aus dem mittleren Keimblatt stammende Blutgefässe mit reichlichem begleiten- den Bindegewebe in ein massig verdicktes Organ egithelialer Herkunft hinein- wuchern, wie es ja geschehen muss, wenn für den Stoffwechsel dieses Organs gesorgt werden soll, so wird es uns nicht so sehr Wunder nehmen können, wenn Capillarschlingen dieser Gefässe auch in diejenige Schicht des Organs vor- dringen, welche den epithelialen Charakter auch nach Abschluss der individuellen Entwickelung noch deutlich gewahrt hat.* Eine morphologische Uebereinstimmung besteht übrigens für die mir bis jetzt bekannten Fundorte blutgefässhaltigen Epithels. Es handelt sich in beiden Fällen um Gegenden, in denen Neigung zu Gefässzottenbildungen besteht, wie sie sich im Plexus chorioideus ventrieuli quarti in voller Entwickelung zeigen und wie sie nach Böttcher im Aquaeductus vestibuli der erwachsenen Katze? und in der Stria vascularis des Igels,® sowie nach Retzius in der häutigen Wand der Lagena cohleae bei der Taube?” mehr oder weniger stark angedeutet finden. Da zu der functionellen Bedeutung des Plexus ehorioidei höchst wahr- scheinlich die Absonderung von Cerebrospinalflüssigkeit gehört, so wird die schon von Böttcher ansgesprochene Vermuthung, dass die oberflächlichen ge- fässschlingenhaltigen Bildungen des häutigen Labyrinths der Secretion von Endo- lymphe dienen möchten, wohl das Richtige getroffen haben, und auch auf die gefässhaltigen Epithelien der Stria vascularis und des vierten Ventrikels aus- gedehnt werden dürfen. Nach dem Niederschreiben dieser Zeilen geht mir Nr. 19 des COomptes rendus de la SocietE de Biologie 1890 zu, welche auf p. 292 eine am 24. Mai vorgetragene Mittheilung von E. Laguesse enthält. Dieser fand ein dichtes Netz von Blutcapillaren in dem geschichteten Cylinderepithel der Darmschleim- haut von Protopterus und er führt ausserdem ohne nähere Ortsangabe auf, dass ! Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. Erlangen 1885. S. 352. ® V. Hensen, Beobachtungen über die Befruchtung und Entwickelung des Kanin- ei und Meerschweinchens. Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte. . 1876. 8.382. ® W. His, Die Neuroblasten und deren Entstehung im embryonalen Mark. Dies Archiv, anat. Abthlg. 1889. S. 267. = Vergl. Hensen, a.a.0. S. 393. > A. Böttcher, Ueber den Aquaeductus vestibuli. Centralblatt für die medi- cinischen Wissenschaften. 1868. S. 305. 6 A. Böttcher, Ueber Entwickelung und Bau des Gehörlabyrinths nach Unter- suchungen an Säugetbieren. Nova acta der Kaiserlichen Leopoldino - Carolinischen Akademie der Naturforscher. XXXV. Dresden 1870. 8. 147. 7 G. Retzius, Das Gehörorgan der Wirbelthiere. Il. 1884. S. 191. Taf. XVIII, Figg. 11 u. 19. 586 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN Bovier-Lapierre die Tache olfactive des Meerschweinchens als Fundort für sefässführendes Epithel bezeichnet, und dass M. Duval in der Placenta etwas Analoges beschrieben habe. XVII Sitzung am 18. Juli 1890.' 1. Hr. L. BLUMENAU aus St. Petersburg (a. G.) hält den angekündigten Vor- trag: „Zur Entwickelung des Balkens.“ 1. Der Balken, der zuerst vor dem Monroe’schen Loche erscheint, ent- wickelt sich später unter weitergehender Verwachsung der medialen Hemisphaeren- flächen, wie nach vorn, so auch nach hinten — innerhalb des sogen. oberen Randbogens, nicht zwischen oberem und unterem Randbogen. 2. Der Verwachsung der medialen Hemisphaerenwände geht eine Ausbildung der transversalen Balkenbündel voran, welche sich der Medianebene immer mehr nähern und die zwischen ihnen liegende graue Substanz, sowie die Hirnsichel in zunehmende Atrophie versetzen. 3. Auf seiner ganzen freien Oberfläche behält der Balken beim Erwachsenen, ebenso wie beim Embryo, eine Schicht grauer Substanz, und zwar nicht nur auf der oberen Fläche (wie schon Giacomini gezeigt hat), sondern auch auf der unteren, soweit letztere frei bleibt, d. h. innerhalb des Ventrieulus Septi pellueidi und am hinteren Ende — von der Stelle an, wo die Crura posteriora fornicis anfangen auseinander zu weichen. 4. In der oberen grauen Substanz des Balkens lassen sich mit Rücksicht auf die Zellen zwei Schichten unterscheiden — eine oberflächliche, zellenarme und eine tiefere, mit grossen Zellen. Die markhaltigen sagittal verlaufenden Fasern vertheilen sich hier auch in zwei Schichten, von denen die äussere mit der zellenarmen zusammenfällt, während die zweite nur die tiefste Lage der grosszelligen Schicht bildet. 5. Bei verschiedenen Thieren bietet dieselbe Substanz bedeutende Differenzen dar; beim Schweine ist sie gut entwickelt, besonders in den Theilen, welche den Striae tectae des menschlichen Balkens entsprechen; bei anderen Thieren (Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen) trägt die freie Balkenfläche nur eine dünne Schicht grauer Substanz. 2. Hr. Hans VırcHnow hält den angekündigten Vortrag: „Ueber Spritzloch- kieme von Acipenser und ihre Verbindung mit den Kopfgefässen.“ 1. Aeussere Gestalt der Spritzlochkieme. — Die Spritzlochkieme von Acipenser hat in hohem Maasse den Kiemencharackter bewahrt. Sie hat bei Acipenser Sturio etwa vierzehn vordere Blätter, bei Acipenser ruthenus etwa elf Blätter. Letztere sind wie die der vollkommenen Kiemen mit secundären Blättchen besetzt. Die Kieme im Ganzen ist in Folge von Verkleinerung, ge- wissermaassen Schrumpfung, der vorderen (angewachsenen) Fläche gekrümmt, so dass die freien (hinteren) Ränder der Blätter nicht gerade, sondern halbkreis- förmig gebogene Linien bilden mit rückwärts gerichteter Convexität. * Ausgegeben am 25. Juli 1890. GESELLSCHAFT. — L. BLUMENAU. — Hans VIRCHOWw. 587 Bei Acipenser Sturio geht die Kieme auf die Rückseite der Oeffnung über, welche aus der Spritzlochtasche in den Spritzlochkanal führt. Es ist zuuächst keine zwingende Veranlassung, diesen Befund so zu deuten, als sei eine Kieme an der Hinterseite des Spritzlochkanals erhalten geblieben, sondern man wird vorläufig vielleicht besser an ein Ueberwandern eines Theiles der vorderen Kieme auf die hintere Wand denken, also die gleiche Betrachtung annehmen, welche Boas zur Erklärung des von Peters mitgetheilten Befundes einer Kieme an der Rückseite der vierten Spalte bei Protopterus gemacht hat. Das Kiemenstück der hinteren Wand wechselt individuell stark. In einem Falle fand sich bei Acipenser Sturio einseitig eine vom Spritz- lochkanale seitwärts (ventralwärts) gewanderte Kieme. 2. Anordnung der zuführenden Arterie innerhalb der Spritz- lochkieme. — Die zuführende Arterie betritt die Kieme in der Mitte des lateralen Randes und zwar gespalten in zwei Aeste, einen lateralen (oberen) und medialen (unteren). Der erstere versorgt die lateralen Blätter und bei Acipenser Sturio die Blätter an der vorderen Wand; der mediale Ast, welcher an der vorderen Fläche der Kieme in halber Höhe verläuft, versorgt die Mehrzahl der Blätter und zwar durch dorsale und ventrale Zweige. Die Anastomosenbildung ist innerhalb dieses Gebietes unbedeutend: ausser einem im Bereiche der letzten vier Blätter gelegenen Netze, in welchem bei Acipenser ruthenus die zuführende Arterie ihr Ende findet, zeigen nur die dorsalen Zweige in halber Höhe eine schwache Neigung, in seitliche Verbindung zu treten. aR Re ne der abführenden Arterie innerhalb der Spritz- lochkieme. — Die abführende Arterie verlässt die Kieme an dem Punkte, wo der mediale und der untere Rand zusammenstossen. Sie nimmt die aus- führenden Arterien der Blätter auf, welche einzeln in sie einmünden; nur die letzten (medialen) Blätter-Arterien (bei Acipenser ruthenus in einem Falle vier) münden durch ein gemeinsames Stämmchen. Die ausführenden Arterien der Blätter laufen an den freien Rändern der letzteren herab und nehmen ihrerseits das Blut aus den capillaren Netzen der secundären Blätter durch kurze Zweige auf. 4. Entstehung der zuführenden Arterie der Spritzlochkieme. — Die zuführende Arterie der Spritzlochkieme setzt sich aus zwei Wurzeln zusammen, deren eine aus dem „basalen Netze“ der Hyoidkieme (s. 6. c) und deren andere aus der ventralen Verlängerung der ausführenden Arterie des ersten Bogens (s.5.b) stammt. Letztere ist in ihrer Stärke wechselnd. Die Vereinigung findet an der ventralen Seite des Symplecticum statt. 5. Ventrale Verlängerung der ausführenden Arterie des ersten Bogens. — Die ventrale Verlängerung der ausführenden Arterie des ersten Bogens, welche aus dem hinteren Theilaste der letzteren hervorgeht, spaltet sich zunächst in der Querebene der ersten Kiemenspalte in einen medialen und lateralen Hauptast. Letzterer giebt ausser den starken Muskelzweigen zum M. constrictor ab: a) einen R. opercularis, welcher seitwärts zieht und in Verbindung mit dem basalen Netze der ausführenden Hyoidarterie tritt (s.6.a); b) den unter 4. ge- nannten, in seiner Stärke wechselnden R. spiracularis; c) einen in seiner Stärke wechselnden R. angularis zum Mundwinkel. 6. Ausführende Arterie der Hyoidkieme. — Bei Acipenser liegt nicht wie bei Selachiern eine einfache ausführende Arterie an der Basis der Hyoidkieme, sondern es findet sich ein Gefässnetz („basales Netz der Hyoid- 588 VERHANDLUNGEN DER BERLINER kieme“) in dem Raume zwischen Hyomandibulare und Basis der Hyoidkieme („basalem Felde der Deckfalte“). Dieses Netz hat folgende Verbindungen: a) eine Verbindung mit dem R. opereularis der ausführenden Arterie des ersten Bogens in der Nähe des ventralen Endes (s. 5. a); b) eine dorsale Verbindung mit der ausführenden Arterie des ersten Bogens, die aber nicht beständig ist; c) eine Verbindung mit der zuführenden Arterie der Spritzlochkieme (s. unter 4.) am ventralen Theile des vorderen Randes; d) eine Verbindung mit der A. retrohyo- mandibularis durch einen rückwärts führenden Ast der letzteren (s. unter 7.); e) eine Verbindung mit einem an der Aussenfläche des M. retractor hyomandi- bularis und M. opercularis laufenden Ast der A. retrohyomandibularis (s. unter 7.). Letztgenannte Verbindung ist nicht beständig. 7. Arteria retrohyomandibularis. — Diese Arterie entsteht aus dem Stamme, welcher von der ersten Aortenwurzel (A. efferens branchialis I.) nach vorn läuft, und zwar entsteht sie an der hinteren Seite des Gelenkes zwischen Hyomandibulare und Schädel. Sie zieht an der hinteren und inneren Seite des Hyomandibulare seitwärts (ventralwärts) und ist sodann theilweise der Innenseite der Hyomandibulare angepresst, theilweise in das Hyomandibulare selbst auf- genommen. Sie giebt vor allem die starken Muskelzweige zum M. protractor hyomandibularis ab, sowie den unter 6. e erwähnten oberflächlichen Muskelzweig zum M. retractor hyomandibularis und opercularis. Ausserdem giebt sie rück- wärts die Verbindung zum basalen Netze der Hyoidkieme (8. 6. d). 8. Morphologische Deutung bezüglich der A. efferens hyoidea. — Die A. efferens hyoidea der Selachier kann entweder in der unter 6.b ge- nannten (nicht beständigen) dorsalen Verbindung des basalen Netzes mit der A. efferens branchialis I. oder in der A. retrohyomandibularis gesucht werden. Eine sichere Entscheidung hierüber wird vielleicht nur durch entwicklungsgeschicht- liche Untersuchung gewonnen werden können. 9. Vergleichende Betrachtung der A. afferens spiracularis. — a) Vergleich mit Selachiern und Teleostiern: Acipenser bildet ein verbindendes Glied zwischen Selachiern und Teleostiern, insofern als die A. afferens spiracu- laris ihr Blut sowohl von der A. efferens hyoidea (wie bei Selachiern), als von der ventralen Verlängerung der A. efferens branchialis I (wie bei 'Teleostiern) erhält. — b) Vergleich mit Petromyzon und Myxine: Bei Petromyzon und My- xyne ist bisher nichts bekannt geworden, was man mit der A. afferens spira- cularis der Selachier, Ganoiden und Teleostier vergleichen könnte Es ist in diesem Zusammenhange daran zu erinnern, dass die Anordnung der Gefässe innerhalb der Kiementaschen der Myxinoiden so eigenartig ist, dass sich in diesem Punkte die Myxinoiden allen übrigen fischartigen Wirbelthieren ein- schliesslich der Petromyzonten gegenüberstellen. 10. Vergleich der Spritzlochkieme mit der der Selachier. — Die Spritzlochkieme von Acipenser erinnert stark an die der Notidaniden, jedoch ist sie in mancher Hinsicht ursprünglicher, vor allem in Hinsicht auf die geringere Entwickelung des Gefässnetzes an der vorderen Fläche. 3. Hr. Gap hält den angekündigten Vortrag: „Ueber Athemreflexe von den Hauptbronchen nach Versuchen des Hrn. Zagari aus Neapel.“ Dass bei der Regulirung der normalen Athmung Reflexe eine wesentliche Rolle spielen, ist mit Recht jetzt allgemein anerkannt. Namentlich steht fest, dass jede Inspiration, wenn sie eine gewisse Tiefe erreicht hat, reflectorisch ee PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VırcHow. — GaD v. ZaGarı. 589 gehemmt wird. Der diesen Reflex auslösende Reiz wird durch die inspiratorische Lungendehnung selbst erzeugt, die in Folge des Reizes entstandene Nervener- regung wird im Vagus centripetal geleitet. Weniger streng begründet als diese Lehre von der reflectorischen Hemmnng der Inspiration ist die ebenso allgemein verbreitete Ansicht von der automa- tischen Anregung zur Inspiration, nach welcher Blut von gewisser Beschaffen- heit unmittelbar erregend auf gewisse zu den Inspirationsmuskeln in Beziehung stehende Elemente in der Medulla oblongata wirken soll. Ausserdem vertreten Hering, Breuer und Head die Ansicht, dass die exspiratorische Lungenver- kleinerung reflectorisch die nächste Inspiration anrege. Marshall Hall dagegen lehrte, dass die Inspiration reflectorisch von der Lunge aus durch Kohlensäurereiz erfolge und, den Erscheinungen nach Vagi- section besser Rechnung tragend, veränderten Volkmann und Vierordt diese Lehre dahin, dass die für Kohlensäure empfindlichen, dem inspiratorischen Re- flex dienenden peripherischen Nervenendigungen nicht nur in der Lunge, sondern auch weiter im Körper ausgebreitet vorhanden seien. Streng widerlegt ist die Lehre von Volkmann und Vierordt bisher nicht. Der Gedanke, es dadurch zu thun, dass man ein Thier vorzeigt, welches noch athmet, nachdem alle centripetalen Bahnen zur Medulla oblongata abge- trennt sind, ist am unmittelbarsten auf das Ziel gerichtet, doch ist er natürlich sehr schwer auszuführen. Die betreffenden erfolgreichen Versuche von I Rosen- thal genügen nicht allen an dieselben zu stellenden Anforderungen, da in ihnen Laryngeus superior, Glossopharyngeus, Trigeminus und Acusticus unbeachtet blieben und bei späteren Nachahmungen wurden wieder andere centripetale Bahnen intact gelassen. Gefässunterbindungen, welche I. Rosenthal ebenfalls zur Begründung der jetzt herrschenden Lehre unternahm, haben wegen der collateralen Beziehungen der Carotiden durch den Circulus arteriosus Willisii zu den Vertebrales kein einwandfreies Resultat geliefert. Unter der Leitung von Donders hat schon vor Jahren Berns Versuche angestellt, aus denen hervorging, dass eine Einathmung, welche der Lunge von aussen Kohlensäure zuführt, sofort vertieft wird. Dieses im Sinne der Lehre von Marshall Hall verwerthbare Versuchsresultat konnte später Knoll aller- dings nicht bestätigen, doch sah M. Rosenthal, welcher unter Gad's Leitung arbeitete, wenigstens wenn die Kohlensäure concentrirt war, denselben Erfolg eintreten wie Berns. Auch hiergegen hat Knoll wieder Einspruch erhoben, doch giebt er selbst an, dass er der Frage keine wesentliche Bedeutung bei- messen könne. Da wir in Bezug hierauf, wie aus der Einleitung hervorgeht, anderer Ansicht sind, so haben wir die Versuche wieder aufgenommen. Die Athmung von Kaninchen, welche nicht narkotisirt waren, wurde mit Hilfe von Gad’s Athemvolumschreiber registrirt. Es war dafür gesorgt, dass durch eine einfache Hahndrehung statt atmosphaerischer Luft eine andere Luft- art zur Einathmung geboten werden konnte. Die Ein- und Ausathmung erfolgte zunächst durch eine in der Mitte des Halses eingebundene Gad’sche Tracheal- canüle Wurde durch die Hahndrehung reine Kohlensäure au Stelle der atıno- sphaerischen Luft zur Einathmung geboten, so war regelmässig schon die erste darauf folgende Einathmung erheblich vertieft. Dieses Ergebniss war stets bei den ersten Versuchen aller von einer grösseren Zahl von Thieren aufgenommenen Versuchsreihen ganz constant und nur, wenn dasselbe Thier schon öfter reine Kohlensäure geathmet hatte, blieb die reflectorische Vertiefung der ersten Ein- 590 VERHANDLUNGEN DER BERLINER athmung aus, oder zeigte sich schwach. Nach beiderseitiger Durchschneidung des Vagus am Halse blieb der Reflex regelmässig aus und es begann dann erst nach der schon von Berns richtig bestimmten Zeit von 2 bis 3 Secunden die- jenige allmähliche Vertiefung der Inspiration, welche nach Berns, Gad und M. Rosenthal im Gegensatz zu J. Bernstein’s Angaben, charakteristisch für die Einwirkung der Kohlensäurevermehrung im Blute ist. Wurden statt der Vagi beide Nervi recurrentes an ihrer Ursprungsstelle durchschnitten, so blieb der Reflex bestehen. Durchschneidung beider Laryngei superiores änderte hieran nichts. Der Kohlensäurereiz muss also noch tiefer angreifen, als das Innerva- tionsgebiet der Kehlkopfnerven reicht. Es wurden nun Canülen aus dünnwandigen Glasröhren für verschiedene Körpergrössen der Thiere gefertigt, derart, dass, wenn man eine passende Ca- nüle durch ein Trachealfenster bis an das untere Ende eines Haupt-Bronchus vorschoh, dieser Bronchus dadurch ganz ausgefüllt war, und dass, wenn man die Trachea auf die Canüle festband, das Thier nur mit der zugehörigen Lungen- hälfte athmete. Wurde der beschriebene Versuch an so vorbereiteten Thieren ausgeführt, so blieb der Reflex aus, war aber sofort wieder zu erzielen, wenn die Canüle bis zur Theilungsstelle der Bronchien zurückgezogen worden war. Dass bei der Athmung durch die eine Lungenhälfte die Athemanstrengung nicht so gross geworden war, dass sie nicht mehr hätle gesteigert werden können, ging daraus hervor, dass die secundäre Vermehrung der Inspirationsan- strengung durch Vermittelung der Kohlensäureanreicherung des Blutes in ge- wöhnlicher Weise eintrat. Der Reflex kommt also nicht durch Vermittelung der Lungenalveolen und kleineren Bronchen zu Stande, sondern die an ihm be- theiligten Partien reichen zwar über das Innervationsgebiet der Kehlkopfnerven hinaus, nicht aber tiefer als bis zu den unteren Enden der Hauptbronchen, das heisst, nicht tiefer als bis zum Lungenhilus hinab. Die Thatsache, dass nach der auch von uns wieder bestätigten Erfahrung von Gad und M. Rosenthal zur Hervorrufung des Reflexes starke Concen- tration der Kohlensäure erforderlich ist, konnte zu einer strengen Widerlegung der Ansicht von Marshall Hall nicht benutzt werden, denn wenn man auch den Procentgehalt der eingeathmeten Luft genau kennt, so kann man doch über die Concentration, in welcher die Kohlensäure in die Lungenalveolen gelangt, wegen der Unkenntniss über die Grösse des Residualluftraumes und der Absorp- tionsgeschwindigkeit der Kohlensäure nichts Bestimmtes aussagen. Bei Ein- athmung irgendwie verdünnter Kohlensäure brauchte die Concentrationsänderung in den Alveolen die Schwelle der Unterschieds- Empfindlichkeit nicht zu über- schreiten. Die vorliegenden Ergebnisse entziehen aber der bezeichneten Ansicht den letzten Boden, da sie lehren, dass der zu ihrer Stütze etwa heranziehbare Reflex central vom Lungenhilus zu Stande kommt und dass weiter an der Pe- ripherie nichts durch Kohlensäure Reizbares vorhanden ist. Denn dass ganz concentrirt eingeathmete Kohlensäure den Gehalt der Lungenalveolen an diesem Gase merklich und plötzlich steigern muss, wird man zugeben, auch wenn man dem Residualluftraum und der Absorptionsgeschwindigkeit der Kohlen- säure hohe Werthe beilegt. Einen bestimmten Grund dafür, weshalb Knoll bei wiederholt darauf ge- richteten Versuchen den Kohlensäure-Reflex von den Bronchen aus nicht mit der von ihnen verlangten Constanz zu sehen bekommen hat, sind wir nicht im Stande anzugeben. Zur Garantie dafür, dass unsere Kohlensäure frei von Salz- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GAD UND ZAGART. 591 säure war, haben wir die schon von M. Rosenthal angewendeten und von Knoll anerkannten Vorsichtsmaassregeln noch verschärft. Der durch Marmor und Salzsäure erzeugte Kohlensäurestrom, welcher zur Füllung eines Kautschuk- beutels diente, passirte mehrere mit concentrirter Lösung doppeltkohlensauren Natrons, dann eine mit Höllensteinlösung und schliesslich eine mit Wasser ge- füllte Waschflasche. Die Höllensteinlösung zeigte nie die geringste Trübung. Eine Verunreinigung der Kohlensäure mit Salzsäure, auf deren Ausschluss auch in den Versuchen von M. Rosenthal Gewicht gelegt war, kann also auch in unseren Versuchen nicht bestanden haben. Ein Unterschied in der Versuchsanordnung, welcher von Bedeutung sein könnte, ist der, dass unser Kohlensäurebeutel, der stets unmittelbar vor dem Versuch ganz frisch mit reiner Kohlensäure gefüllt wurde, aus Kautschuk be- stand, und dass sein Inhalt durch die Ausathmungsluft des Thieres nicht ver- unreinigt wurde, während Knol! feuchte Blase anwandte, welche Concentrations- verlust durch Diffusion mehr begünstigt haben mag und deren Inhalt bei der Athmung verändert wurde. Vielleicht hat auch Knoll mehr Gewicht auf die späteren Versuche einer Versuchsreihe gelegt, als wir für erlaubt halten. Wie weit Ungenauigkeiten im Zusammenfall der Hahndrebung mit dem Ende der Exspiration Knoll’s Resultate zu belasten im Stande sind, lässt sich bei Mangel von Angaben über das Volum der Verbindungsröhren nicht erkennen. Der Gedankengang, welcher Donders veranlasste, Berns zu seinen Ver- suchen aufzufordern, war ein origineller, nicht auf die Prüfung der Lehre von Marshall Hall gerichtete. Es war vor dem Erscheinen der bahnbrechenden Arbeit von Hering und Breuer über die Selbststeuerung der Athmung. Auch Donders vermuthete eie reflectorische Regulirung der Athmung, doch dachte er hierbei nicht an mechanische, sondern an chemische Reize. Wenn Kohlen- säure als inspiratorischer Reiz für die Schleimhaut der Athemwege nachgewiesen werden konnte, so durfte man annehmen, dass die mit vorschreitender Ausath- mung dort zunehmende Concentration an diesem Gase zur reflectorischen Unter- brechung der Ausathmung führe. Berns glaubte durch seine Versuche diese Theorie bestätigt zu haben und auch unsere Localisation des von Bern$ zu- erst beobachteten Reflexes in den Hauptbronchen würde gut zu den Postulaten von Donders passen. Hier treten nun aber die Concentrationsverhältnisse in ihr volles Recht. Der Rauminhalt unseres Zuleitungsrohrs zur Trachea plus derjenigen der Trachea und der beiden Haupt-Bronchen betrug annähernd 3 cm, Bei der einzelnen Einathmung des Kaninchens werden 12 “@ und mehr einge- sogen. Im zweiten Theil der Inspiration muss also die Luft in derjenigen Zu- sammensetzung die Bronchen passiren, in welcher sie vorräthig gehalten wurde, wenn die Hahndrehung am Ende einer Exspiration erfolgt war. Es trat nun aber unter diesen Bedingungen nie ein Reflex ein, wenn dem Thier vorher ge- sammelte Ausathmungsluft oder Erstickungsluft desselpen Tbieres oder eine Mischung von drei Theilen atmosphaerischer Luft und einem Theil reiner Kohlen- säure zur Einathmung geboten wurde Die ersten inspiratorischen Reflexe machten sich erst bemerklich bei 50 Procent Kohlensäure. Die Empfindlichkeit der Bronchial- und Trachealschleimhaut gegen Kohlensäure hat sich also in unseren Versuchen als nicht so gross erwiesen, wie sie Berns gefunden zu haben glaubte und wie sie sein müsste, wenn der Gedanke von Donders sollte aufrecht erhalten werden können. Es wäre nun aber möglich, dass die für gewöhnlich von dem austretenden 592 VERHANDL. D. BERL. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — GAD U. ZAGART. Luftstrom getroffenen Schleimhautparthien oberhalb der Einbindungsstelle unserer Tranchealcanüle ebenfalls mit Kohlensäure einen inspiratorichen Reflex gäben und dass auch schwache Reize bei Summirung von der ganzen Fläche zu dem Erfolge führten, der von einem Theil untermerklich bleibt. Es wurden nun dicht bei einander zwei Canülen in die Trachea gebunden, von denen die eine nach abwärts mit der Lunge, die andere nach aufwärts mit der Glottis communicirte. Durch erstere athmete das Thier spontan und schrieb seine Athmung mittels des Volumschreibers auf. Die zweite war mit einem Blasebalg verbunden, mit Hülfe dessen Luft rhythmisch nach oben durch die Nase geblasen wurde. Zwischen Blasebalg und Trachea befand sich eine Gabelung mit Hahn derart, dass eine Halındrehung gestattete, die durch die Nase ge- blasene Luft durch eine andere Luftart zu ersetzen. Bei dem Durchblasen gewöhnlicher Luft zeigte die Athemcurve keine Ab- weichungen von der Norm. Wurde die Luft durch concentrirte reine Kohlen- säure ersetzt, so trat ein exspiratorischer Reflex ein, ähnlich dem, welcher der Ammoniak-Einathmung durch die Nase folgt. Wurde die Concentration der Kohlensäure vermindert, so blieb dieser Reflex aus, ohne dass bei vorschreitender Verdünnung ein inspiratorischer an seine Stelle getreten wäre. Von demselben Thier vorher gesammelte Ausathmungs- oder Erstickungsluft brachte weder exspiratorischen noch inspiratorischen Reflex zu Wege. Nach unseren Versuchen müssen wir also die Thatsache aufrecht erhalten, dass concentrirte reine Kohlensäure einen starken inspiratorischen Reflex aus- zulösen im Stande ist, und wir können hinzufügen, dass dieser Reflex nament- lich von der Schleimhaut der Haupt-Bronchen und nicht von der eigentlichen Lunge ausgeht. Dieser thatsächlich vorhandene Reflex kann aber weder zur Stützung der Lehre von Marshall Hall noch zur Belebung der Theorie von Donders verwerthet werden. Aus unseren Versuchen geht ferner hervor, dass der bronchiale Reflex auf concentrirte Kohlensäure nicht durch diejenigen Fasern des Laryngeus inferior vermittelt wird, welche sich an dem Aufbau der Plexus pulmonales betheiligen, sondern durch Vagusfasern, welche unterhalb des Laryn- geus inferior den Vagusstamm verlassen. Die Erscheinungen lassen sich übrigens nicht nur deuten, wenn man annimmt, dass die Kohlensäure reizend auf Nerven- endigungen der Schleimhaut wirkt, sondern auch unter der Voraussetzung, dass die Nerven, welche die inspiratorische Lungendehnung mit Inspirationshemmung beantworten, gelähmt werden. Taf. - nz \ Beilage Verlag Veit & Comp. Leip zig. Lith. Anstv. E.A.Funke Leipzig. Archiv FAnat.u.Phys.1890 Phys Abthlg. | br Figl, | er Zig®, A| A nnmmrnwvwvrsY a Do Denn Ananaanaan Annan Fig. i Fig.l0, FR wenn Aa pV* aa laVaVaVaValaVaVaVaVaraVatalalalalaVararaVa/a/ara aan AAAAAAAMAAAAAAAAANV ar we Figk ® [44 2 Figs Eig.1E. | | en a aaa ala aa | aM MM IM I—mmmmnnnannnnnm le I nn \ RAN UTLULU 17107 u an Fig6! BR e Mn De ER a a Ü az E Figis EEE IB DIENE, ee u Fig, N Fit. ee | ie nenne = mV Verlag Veit 8: Comp. Leipzig Lith AnstrEARkrlepng iii | Archiv f. Anat.u. Phys. 1890. Phys. Abthlg. Iktenfe, IE Figur 1. v. 1150. Figur 2. V. 600 Verlag Veit & Comp. Leipzig. 1890. 1. u. II. Heft. u FORTSETZUNG pes von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vu. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ÄRCHIVER. i HE RAU SGEGEBEN VON Dr WILH. HIS uno Ds. WILH. BRAUNE, AEROR ESSOREN DER.ANATOMIE AN DER UNIVERSITAT LEIPZIG, UND Dr. EMIL DU BOIS- -REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOL OGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. E JAHRGANG 1890. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT EINHUNDERTUNDZWEI ABBILDUNGEN IM TEXT. LEIPZIG, VERLAG VoN VEIT & COMP. 1890. ARCHIV | ANATOMIE UND PHISIOLOGIE z Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 19. Februar 1890.) "inhalt: : ; AX Seite G. Hürner, Ueber das (Gesetz der Dissociation des Oxyhaemoglobins und über ‚einige daran sich knüpfende wichtige Fragen aus der Biologie. . . . .- 17 &. Hürner, Ueber die Bedeutung der in der vorigen Abhandlung vorgetragenen Lehre für die Speetroskopie und Photometrie des Blutes . .u.......- -» 28 M. v. Frey und L. KreaL, Untersuchungen über den Pal Mr ANGELO Mosso, Ueber die Gesetze der, ee a an Muskeln . des Menschen .... i ZRE RER URD elandianden der silber Gesellschaft zu Berlin 1889290 1%. 3, 2. 7169 Hass Vırcmow, Ueber die Augengefässe der Selachier und die Verbindung derselben mit den Kopfgefässen. — R. ScHxeIper, Verbreitung und Be- deutung des Eisens im animalischen. Organismus. — Rent Du Poıs-Reymoxp, Ueber die gestreiften Muskeln im Darm .der Schleie, — H. Vırcnow, Ueber die Spritzlochkieme der Selachier. — Mögıus, Demonstration von Praeparaten ‘ des Schallapparates von Balistes aculeatus L. — G. Fritsch, Ueber das numerische Verhältniss der Ganglienzellen im Lobus electrieus der Torpe- dineen zu ihren | peripherischen Endorganen. — A.'WALLER, Ueber die den‘ Puls ‚begleitende elektrische, SORm Oman des ‚Herzens, Die. Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis. BR Sr Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an . Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune | ; in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Reymond a in.Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen: die Zeich- nungen zu 'afeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. ee x jour - 7. % FA ’ nt 2% 4 {3 £ ‚ m. a ‚ ANATOMIE UND PHYSIOL ÖGIE, en U. DU BOIS- REYMOND HERAUSGRGEBENEN ARCHIVES. \ BERAUPEDOERRIT voN en WIEN. HIS uno Dr. WILH. BRAUNE. PROFESSOREN Sun en AN-DER. UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND De EMIL DU BOIS- REYMOND. PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN: DER UNIVERSITÄT ‚BERLIN. I AHRGANG 1890. Some — PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — == DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT FÜNFUNDNEUNZIG. ABBILDUNGEN DI TEXT UND DREI TÄRELN. ERIPZIG, VERLAG VON VEIT & CONP 1800, _ Fonnsarzuxo DES von REIL, REIL. U. AUTENRIETH, = F. MECKEL, JOH, MÜLLER, Abtheilung. 1S90. II. u. IV. Heft, EEE 2 - (Ausgegeben am 20. Juni. 1890.) Mit einer Beilage von Aeapolg Voss in Hamburg. Zu beziehen dur ch. alle Buchhandlungen des. In- und Anslandes. Inhalt. Seite ARNALDO MAGGIoRA, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Untersuchungen an Muskeln des Menschen .., .. 191 W, v. SOBIERANSKI, Die Aenderung- in en Eigenschäften es Muskelnorven ni 5 dem- Wärmegrad. (Hierzu Taf.I). . ... 244 G. SanpMmAnn, Zur Physiologie der Bioachiolmaselatur. en Taf. 1). BERRY ALEXANDER OÖBREGIA, Ueber Augenbewegungen auf Sehsphaerenreizung . . . 260 ELLENBERGER und HOFMEISTER, Die Verdauung von Fleisch bei Schyenen 2,2280 'Rupour Arnpr, Ueber das Vartı-Ritter’sche Gesetz . . . . 1208299 R. NicoLAmes und C. Meusssınos, Untersuchungen über einige ne anal ee nucleare Gebilde im Pankreas der Säugethiere auf ihre res zu der Secretion. (Hierzu Taf, IL)... Ne ee ee 317 W. TÄska, Ueber einige optische Urtheilstäuschungen a E32, °P. v. Wautuer, Zur Lehre von der Fettresorption -. . . Se ae ÄRNALDO MagsIorRA, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Nachtrag ER 349 Worcorr Gises und H. A. ‚HARE, Systematische Untersuchung der Wirkung constitutionell- verwandter chemischer en auf, den. thierischen Organismus. (Fortsetzung.) . - N 3445 Verhandlungen der physiologischen. Gesellschaft. Zu Berlin 1889 90 N) ©. LIEBREICH, Ueber die physikalische Function der Schwimmblase. bei { Fischen. — 0. LiepreicH, Ueber das Lanolin und den Nachweis der Cho- lesterinfette beim Menschen. — Hanwsezmann, Ueber asymmetrische Karyo- kinesen in Krebszellen. — N. Zuntz, Ueber die Einwirkung der Muskel- - thätigkeit auf den Stoffverbrauch des Menschen. — Immanver Muxk und Rosensteis, Ueber Darmresorption, nach Beobachtungen an einer Lymph- (chylus-)fistel beim Menschen. — a as die au Lı - der. Gelenkenden. 5 Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat- Abzüge ihrer Bei- träge gratis, Beiträge für die anatomische Apikeiline sind an Professor Dr. W. His ‚oder Professor Dr. W.- Braune. in Leip zig, Beiträge für die physiologische Ablheilune‘ an Professor Dr. E du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, . portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind ‚ auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Ss ee, ae 9, y Physiologische Abtheilung. 1890. V. u. VI. Heft. Fe Te = RT en hen — „ARCHIV SFEB 21891 = % ANATOMIE UND PIYSIOLOGIE, R aseise Dus von REIL, REIL U. AUTENRIE HJ. E MECKEL, JOH. MÜLLER, BBICHERT u. DU Es nn. IND HERAUSGEGEBENEN Arcıtıvas. 3 HBRAU SURGEBEN . von D WILH. EIS on Da WILE. BRAUNE DESIS x _ PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER "UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND > Du EMIL DU BOIS- -REYMOND. _ PROFBSSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. E AHREANG - 1890. == PHYSIOLOGISCHE ABTHBILUNG.. = nn _ FÜNFTES usD SECHSTES HEFT. = i MIN VIER ABBILDUN GEN IM TEXT und BINER TAREL. E / LEIPZIG, > VERLAG VoN VEIT & COMP. 1890. Sn ae Zu beziehen de ch alle Buchhandlungen des In- und A4uslandes. mes am 24. December en Eu halt. c {! ; 2 Seite Avsvst GüRBER, Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen der Lupe- - tidine und verwandter Körper und deren Beziehungen zu ihrer chemischen Constitution. (Hierzu Taf, IV.) . A 2 401 Juszus GAULE, Beziehungen zwischen Moleoularebwicht, Meledigfareirmekid une . ‚physiologischer Wirkung ... EIER ATS A..S1oSse, Der'Harn nach Unterbitdure der a Darnarterien 482 W. Becurterew, ‚Ueber die Erscheinungen, welche die Durchschneidung de "Hinterstränge des Rückenmarkes bei Thieren herbeiführt und über die Be- ziehungen dieser Stränge zur Gleiehgewichtsfunetion .,. . RE 489 H. P..Bowpitcn, Ueber den Nachweis der Unermüdlichkeit des’ Bäugethiernerven 505 Leo BREISACHER, Untersuchungen über die Glandula thyreoidea.. . . . 509 J. GAp und F. Hrymans, Ueber das a die my ee und | myelinlosen Nervenfasemn... . 530. Justus GAuULE, Ueber das Auftreten. von Fett in os Zellen ri die durch bedingten histologischen Bilder . . . | Verhandlungen der physiologischen Ge zu Bun 189 90 554 ‚E. SaLxowskı, Ueber fermentative Processe in den Geweben. — ImmAnvuEL -Munk, Ueber Muskelarbeit und Eiweisszerfall. — W. Cowı, Ueber Blut-- wellenzeichner. — A. BLAscHko, Weiteres zur Architektonik der Oberhaut nach Untersuchungen des Hrn. J. Lorwy. — ©. Hagemann, Ueber Eiweiss- umsatz während dr Schwangerschaft und der Lactation. — Immanver Munx, Weiteres zur Lehre von der Spaltung und Resorption der Fette. — Gap, Ueber bluteapillarhaltiges Epithel. — L. BLomenAv, Zur Entwickelung des Balkens. — Hans VircHow, Ueber die Spritzlochkieme von Acipenser und ihre Verbindung mit den Kopfgefässen. — GAD, Ueber Athemreflexe - von den Hauptbronchen nach Versuchen des Hrn. ZAGARrı aus Neapel. Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis. 3 Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. ‚Braune in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. EB. du Bois- Reymond in Berlin, NW, Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen’die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Se PM 1 Acme Bookbinding Co,, inc. 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