> RN 5 Ne Dan Na \ e | Dr BANN / er a, : , HARVARD UNIVERSITY ” Library of the Museum of Comparative Zoology N We ag, t On 0) } re \ Mu h N Ai k r N ’ 2 } t Fi ) Nana) .. Hi f ' KNIE r \ \ y y ur 2 Troy i N | m } f j IHR NSOIN ' r ' | J N, ’ { m I 7 vaN 1, ( & . N {6 NEN A | N ( p N \ all, IN E in h A f Ka! HU EL u te E Aue, Zu a BCE N) Bald ni N BI DEIN A ü j Y u ii A ı Ir oe Pr ur I EN Be De NR, ap N RR t j EUREN KERN 3 CR, BIN ARCHIV ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN Da WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, Dr. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1896, PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, Rn VERLAG VON VEIT acom. | —_ 1896. 0 ARCHIV RZHYSIOLOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN vVoN Dr. EMIL DU BOIS-REYMOND. PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1896, “MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIERZEHN TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. em 06, 15 34 N N Inhalt. Seite WERNER ROSENTHAL, Hat Verminderung des Luftdruckes einen Einfluss auf die Muskeln. und: das Nervensystem des Frosches? . . , 2. 2 2 220. 1 Max Münpen, Ein Beitrag zur Granulafrage . . . 22 H. J. HAMBURGER, Ein Apparat, welcher gestattet, de eastzer von ihn und Osmose strömender Flüssigkeiten bei BR Membranen zu studiren. (Eireyzuslai DM)... ... © 6 E36 Wınr. S. Haıı, Ueber das Merballen de Bisens im Ehierischen Orr (Berz lab. IE) 2:0. 18 sn: 49 PaAur Masoın und Ren£ Du Boıs- Beton, Zen Iiehrehn von der; Kanclien der Museuli intercostales interni. (Hierzu Taf. IL) . . . . 85 N. A. MısLrawsky und A. E. Smirknow, Weitere Untersuchungen | über ie Speichelseeretion. (Hierzu Taf. IV.) . ... 93 W. v. BECHTEREw, Ueber die Empfindungen, welche ash der, sog. Gleich- gewichtsorgane wahrgenommen werden, und: über die Bedeutung dieser Empfindungen. in Bezug, auf. die Entwickelung unserer Raumvorstellungen 105 Wir. S. Hast, Einige Bemerkungen über die Herstellung eines künstlichen Eutters, . . . U 5 nee 142 Ren£ DU Beer, Bere &% ehem ar 154 R. NıcoLAıpes, Ueber eine einfache Vorrichtung, die DehnungevanTe des Mus. kels darzustellen . . . 193 Max LEwAnDowsKYy, Die anne der limens: (Biieran Taf. VI-IX) ...195 S. HILLERSOHN, und STEIN-BERNSTEIN, Ueber die Wärmecapaeität des Blutes . 249 A. Benepicenti, Ueber die Alkoholausscheidung durch die Lungen. . . . . 255 Max Münpen, Zweiter Beitrag zur Granulafrage . . . .. 269 RoBERT. ALLEn, Die longitudinale Attraction. während der isofpnischen Muskel- zuekunes (Hierzu Taf. X). . .... 30294 H: J. HAmBURGER, Ueber den Einfluss a. Intesahdominalen. rckee a die Resorption in der Bauchhöhle. III. Beitrag zur Lehre von der Resorption 302 . H, J. HAMBURGER, Ueber den Einfluss des intraabdominalen Druckes auf den allgemeinen arteriellen Blutdruck . . GERT ED BEN IE Er U332 J. SEEGEn, Muskelarbeit:. und Glykogenverbranch: in PN 383 A. Benepicentı, Die Wirkung. der, Kohlensäure auf die ae er Ta RR) a. . 408 H. J. HamBuRGER, Ueber. den Einfuss des enkartinalen Binekes Br: die Re sorption im Dünndarme. IV. Beitrag zur Kenntniss der Resorption . . . 428 C. Speex, Ueber die Regulation der Athemthätigkeit . . 465 Max Lewannowsky, Die Regulirung der. Athmung (Eiierzu Tat. x. u. x) 483 J. SEEGEN, Muskelarbeit und Glykogenverbrauch, II. . . » 2 22 2.2., 54 vi INHALT. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1895 —96: Cr. pu Bois-ReymonD zeigte mit dem Se Photographien des Dr. Jo yon Dublin nee D. HanssmaAnn, Ueber die grossen Vegfterliermrzelen Fr Boden Rawırz, Ueber den Einfluss verdünnten Seewassers auf die Yurchungsfähgkei der Seeigeleier : PAuL ScHULTZ, Demonstration A Kudchenstinne A Viescle am Here a. ine ImMANUEL Munk, Ueber das zur Erzielung von Stickstoffgleichgewicht a Minimum von Nahrungseiweiss : W.Cowr, Ein allgemeiner Thierhalter und Onerationskrettt oan Taf, v u. v1) S. RosENBERG, Zur Kritik der angeblichen Regeneration des Ductus choledochus G. JOACHIMSTHAL, Ueber selbstregulatorische Vorgänge am Muskel N. Zuntz, Ueber die Bedeutung der Galle und des Pankreassecretes für die Resorption der Fette. 3 Huso APoLAnT, Ueber das Ganglion eiliare Ä E. GoLdstEin, Ueber einige nach dem Röntgen’ schen Werfahren äufsenomanbne Bilder ; G. ABELSDORFF, Weber Seh puapar und Angenhittergrund böi de Fischeil C. Benpa, Ueber den Bau der blutbildenden Organe und die Be, der Blutelemente beim Menschen ! J. FRENTZEL, Demonstration von mit Hülfe der Röntgen. Strahlen! inberee tigten Photographien . 5 LEON AsHEr und Frıtz LÜscHER, Weber, die elektrinchen Vor gänge im Oesopkapns während des Schluckactes . Max Roramann, Ueber die secundäre Dogenerakion der Pyamidenkahm oh einseitiger Exstirpation der Extremitätencentren der Hirnrinde Ar N. Zuntz, Ueber Prüfung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie im Thierkörper G.H.F. Nurrauı und H. Token Weitere Untersuchungen Ans halkteHien: freie'il'hiere HH W. Cowz, Ueber Röntgen’ sche De ImmAnuEL Musg, Muskelarbeit und Eiweisszerfall . W. CoHnstein, Kritik einiger neueren Arbeiten über die Theorie der purphliildung Levy, Ueber Durchleuchtung des Thorax mittelst Röntgen-Strahlen . Ren£ ou Boıs-Reymonp, Mittheilung zu Vorstehendem GRUNMACH, Ueber die Ergebnisse von Untersuchungen bei miehreren Kratichleite: fällen mit Hülfe der Röntgen-Strahlen . J. HirscHBErG, Ueber Blutgefässe der Hornhaut A 8. ROSENBERG, Ueber den Einfluss des Pankreas auf die Nusnitung den Nahtite Meısswer, Zur Photographie des Augenhintergrundes SCHUMBURG, Einfluss des Zucekergenusses auf die Leistungsfähigkeit der Mnsonlaktn N. Zuntz, Ueber die Rolle des Zuckers im thierischen Stoffwechsel . P. Scaurzz, Zur Physiologie der längsgestreiften Muskeln i Ren£ ou Boss-Reymonp, Mittheilungen zur Mechanik der unteren Petremiah Brünt, Ueber Verwendung von Röntgen’schen X-Strahlen zu palaeontologisch- diagnostischen Zwecken ; N. Zunzz u. SCHUMBURG, Physiologische Veisuche ai Hülfe dar Röntgen- len NEWTON-HEyNEMANn, Ueber die Blutgefässvertheilung im Herzen . W. Cowz, Demonstration eines Röntgenbildes . Seite 175 176 177 150 183 185 191 338 344 344 345 345 347 358 353 356 358 363 364 372 3719 924 929 929 531 935 936 537 938 545 544 947 550 552 552 MAY 13 1896 Hat Verminderung des Luftdruckes einen Einfluss auf die Muskeln und das Nervensystem des Frosches? Von Dr. Werner Rosenthal, (Aus dem physiologischen Institut zu Turin.) Hr. Prof. A. Mosso, selber beschäftigt mit Untersuchungen über die Bergkrankheit und die Wirkung verminderten Luftdruckes auf Warmblüter, stellte mir die Aufgabe, zu untersuchen, welche Aenderungen sich etwa in der Function der isolirten Gewebe des Frosches unter dem Recipienten der Luftpumpe mit modernen Beobachtungsmethoden feststellen liessen. Aeltere Untersuchungen. In der älteren Litteratur existiren recht widersprechende Angaben hierüber, welche sich hauptsächlich auf das Froschherz beziehen und welche ich später im Zusammenhang mit meinen Beobachtungen besprechen will. Wir zogen vor, die Untersuchung mit einfachen Muskeln zu beginnen, da doch bei allen Beobachtungen über die Function von Nerven und Nerven- centren Muskeln als Indicator in die Versuchsanordnung aufgenommen werden müssen. Hierauf bezüglich fand ich nur eine Bemerkung Al. v. Humboldt’s, der auf Untersuchungen von Aldini, Creve und Fowler verweist. Die ersteren Beiden ! fanden, dass die Reizbarkeit von Frosch- schenkeln unter dem Recipienten der Luftpumpe ein wenig rascher ab- ! Joann. Aldini, De animali electricitate dissertationes duae. Bononiae 1794. 4°. 2. Abhandlung und C. C. Creve, Vom Metallreiz, einem neuentdeckten untrüg- lichen Prüfungsmittel des wahren Todes. Leipzig und Gera 1796. S. Y5ft. Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 1 2 WERNER ROSENTHAL: nehme und früher verschwinde als wenn man sie in atmosphärischer Luft liesse, immerhin aber viele Stunden sich erhalte. Fowler’s Schrift konnte ich im Original nicht einsehen; seine Ergebnisse stimmen nach Humboldt mit den citirten überein. Irgend eine neuere, mit feineren Methoden ausgeführte Untersuchung über das Verhalten von Muskeln im Vacuum fand ich nirgend erwähnt, so dass es uns eine ganz unentschiedene Frage erschien, ob die Muskelarbeit durch Verminderung des Luftdruckes beeinflusst werden könnte. Methode. Als möglichst empfindliches Reagenz für eine etwa eintretende Aenderung im Zustand der Muskeln, wurde die Beobachtung der Ermüdungs- curve gewählt. Kronecker! hat zuerst gezeigt, dass die Höhen, bis zu denen ein maximal in gleichen Zeitintervallen gereizter Muskel ein be- stimmtes Gewicht hebt, gleichmässig abnehmen, so dass wenn man die Zuckungen auf einem langsam rotirenden Oylinder aufschreiben lässt, die Verbindungslinie aller Hubhöhen, die Ermüdungscurve, eine Gerade ist. Nur bei den ersten Zuckungen des frischen Muskels, oder auch nach Pausen, und bei den letzten des erschöpften Muskels werden die Verhält- nisse verwickelter und die Curve folgt anderen Gesetzen. Der regelmässige Abschnitt derselben ist aber um so grösser, in je einfacheren Verhältnissen der Muskel untersucht wird, d.h. wenn die Circulation ausgeschlossen und der Muskel direct gereizt wird. Gegen die Betrachtung der Ermüdungs- curve als einer Geraden hat Hermann? Einspruch erhoben, aber doch nur in Bezug auf die theoretisch etwa daraus zu ziehenden Folgerungen. Denn er giebt zu, dass die Gestalt der Ermüdungscurve in dem einen Theil ihres Verlaufes einer Geraden sich unendlich nähere. Da nun jede Zustandsänderung des Muskels doch wohl irgendwie ent- weder auf die auf einen einzelnen Reiz hin entwickelte Kraft oder auf den im Muskel vorhandenen Kraftvorrath wirken wird, so muss sie, wenn sie an einem unter den obigen Bedingungen arbeitenden Muskel hervorgerufen wird, manifest werden in einem Abweichen der Ermüdungscurve von der (Geraden. Indem wir nun während des Schreibens einer solchen Curve den Muskel unter verminderten Druck brachten, musste sich zunächst ent- scheiden, ob dieser verminderte Luftdruck überhaupt von irgend einem Ein- fluss auf die Constitution des Muskels sei. ' Hugo Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der Muskeln. Berichte der süchs. Akademie der Wissenschaften. 1871. S. 690ff. ° L. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. I. S. 118. EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. Be Versuchsanordnung. Die gebrauchte Versuchsanordnung unterscheidet sich nicht wesentlich von der von Kronecker und seinen Nachfolgern bei den Untersuchungen über die Ermüdung benützten und soll deshalb möglichst kurz dargestellt werden. Zur Reizung des Muskels wurde ein in Elektricitätseinheiten gra- duirtes Sehlitteninductorium benutzt. Der primäre Strom, aus mehreren Leelanch6-Elementen oder aus Accumulatoren, passirte ein Uhrwerk, durch das er nach Wahl jede Secunde oder seltener, für kurze Zeit geschlossen werden konnte, und eine Kronecker’sche Wippe, welche durch Unter- brechung des secundären Kreises die Schliessungsströme vom Praeparat abblendete. Dieses wurde in verschiedenen, später zu schildernden Anord- nungen mit dem Schreibhebel auf einem Stativ befestigt und letzteres auf einen Marmortisch gestellt, der von einer luftdicht aber leicht beweglich eingefügten Stahlachse durchsetzt war. Auf dieser Achse wurde oberhalb des Tisches ein Myographioncylinder befestigt. Das untere Achsenende ruhte mit Stahlspitze auf einer durch Zahn und Trieb verstellbaren Stahl- platte. An ihm befand sich ausserdem eine Scheibe, die durch eine Treib- schnur mit einem. Baltzar’schen Uhrwerk verbunden wurde. So konnte die Achse und mit ihr der Cylinder sowohl gehoben und gesenkt wie in Rotation versetzt werden. Ueber den Cylinder und das Muskelstativ liess sich eine grosse, auf den Marmortisch aufgeschliffene Glasglocke stülpen, durch deren luftdicht eingefügten Stopfen zwei Drähte zur Reizzuleitung zu dem Praeparat und zwei Glasrohre zur Verbindung mit Luftpumpe und Manometer geführt waren. Um einen Versuch zu machen, wurde zunächst das den Muskel und Hebel tragende Stativ neben den Cylinder gesetzt und dann die am Prae- parat befindlichen Elektroden mit den Drähten der über dem Marmortisch aufgehängten Glocke verbunden. Nun wurde die zu wählende Reizstärke ausprobirt und dann die Glocke vorsichtig auf den Tisch gesenkt, ohne dass das Stativ berührt und damit der Schreibhebel aus seiner Stellung gebracht würde. Dann wurde der luftdichte Schluss der Glocke auf der Marmorplatte mit Fett gesichert und die Rohransätze derselben mit Luft- pumpe und mit Manometer verbunden. Nun war der Reizapparat in Function zu setzen und durch das Uhrwerk die Achse und mit ihr der Myographioncylinder in Rotation zu bringen. War dann ein deutlicher Abschnitt einer regelmässigen Ermüdungscurve gewonnen, so wurde mit dem Luftauspumpen begonnen, während der Muskel fortarbeitete. War eine genügende Luftverdünnung erreicht, so konnte die Glocke nach Belieben durch Quetschhähne ganz abgeschlossen und damit der niedrige Druck beliebig lange bewahrt, oder durch Oeffnen des einen Schlauches in kürzester 1* 4 WERNER ROSENTHAL: Zeit wieder zur Norm erhöht werden. War eine Rundtour des Cylinders beendet, so konnte derselbe ohne Unterbrechung des Versuches mit Hülfe des die Achse tragenden Gestelles gehoben werden: das Oel, mit dem die Achse geschmiert war, erfüllte in vollkommenster Weise den doppelten Zweck, dieselbe sehr leicht beweglich zu machen und in allen Lagen der- selben luftdicht den Raum unter der Glocke zu verschliessen. Das Muskelpraeparat wurde in sehr wechselnder Weise behandelt, so dass darüber nichts Allgemeines zu sagen ist. Es wurde aber zu allen Versuchen der Gastroknemius von Rana esculenta oder R. agilis benützt, seine Sehne mit Draht oder Faden mit einem leichten, nicht aequilibrirten Hebel verbunden und an diesen, mit beweglichem Faden, Gewichte ge- hängt. In einigen Versuchen wurde derselbe unterstützt, weitaus die Mehr- zahl wurde mit belastetem Muskel angestellt. Die Reize wurden in fast allen Versuchen mit Pausen von 5” oder von 6” zugeleitet und fast immer „übermaximal“ gewählt. Verhalten der Muskeln im Vacuum. Die Ergebnisse der ersten Versuchsreihe lassen sich in Folgendem zusammenfassen: Verminderung des normalen Luftdruckes um 400 " hatte niemals eine Wirkung; wurde aber über 600 ®" evacuirt, so dass weniger ‘als 150 mm Restdruck blieben, so wurde die Curve immer deutlich beein- flusst. Evacuation auf Drucke, die zwischen den genannten Grenzen lagen, hatte wechselnden Erfole. War nun auch eine Wirkung des Luftauspumpens, wenn es nur bis zu genügendem Grade fortgesetzt wurde, immer vorhanden, so war doch die Art dieser Wirkung von verwirrender Mannigfaltiekeit. Es zeigte sich zuweilen durch ein Höherwerden, häufiger durch ein rasches Abnehmen der Hubhöhen an. Dementsprechend nahmen auch bei neuem Luftzutritt die Hubhöhen bald rasch ab, bald nahmen sie wieder etwas zu. Dazu ge- sellten sich, bei höheren Graden der Evacuation, Aenderungen in der Länge der ruhenden Muskeln, oder vielmehr die Muskeln verlängerten sich nach den Zuckungen so langsam, dass sie in den 5 oder 6 Secunden, die zwischen den Reizungen lagen, ihre frühere Länge nicht wieder erreichten. Auch diese Erscheinung schwand mit der Rückkehr zu normalem Druck wieder mehr oder weniger vollständig, so dass sie nicht der Ermüdung zugeschrieben werden konnte. Die Evacuation bis zu den nöthigen Graden konnte mit der gebrauchten Luftpumpe unter der nothwendiger Weise ziemlich grossen Glocke in 5 bis 10 Minuten bewerkstelligt werden. Bei einigermaassen leistungsfähigen Muskeln (da die Versuche im Winter angestellt wurden, ermüdeten die EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 5 Frösche ziemlich rasch) konnte daher der Versuch ohne Pause in der Reizung einige Male wiederholt werden, so dass zwischen den einzelnen Eva- cuationen die Muskeln wieder ein Stück normaler Ermüdungscurve schreiben konnten. Diese Versuche lehrten, dass die Mannigfaltigkeit der Ergebnisse zum Theil wenigstens eine Function der Zeit oder der Ermüdung des Muskels sei und dass bei einem nur sehr langsam ermüdenden Muskel sich das Phaenomen etwa so darstellte: Bei der ersten Evacuation, welche vor- genommen wird, nachdem der Muskel jenes Anfangsstadium sich steigernder Hubhöhen, das als Treppe bezeichnet wird, schon einige Minuten über- wunden hat, schwinden zunächst die Ueberdehnungen, die der Muskel durch das fallende Gewicht erleidet und die sich als Verlängerungen der Zuckungs- linien unter die Ruhelage darstellen. Dann sieht man die Hubhöhen um ein Weniges höher werden, um darauf natürlich wieder der Ermüdung ent- sprechend ganz langsam abzunehmen. Stellt man nun in wenigen Minuten wieder normalen Druck her, so nehmen die Hubhöhen zuerst rasch an Höhe ab bis sie die Höhe, die sie vor der Evacuation hatten, erreicht oder vielmehr überschritten haben, und beginnen dann wieder langsamer gleich- mässig abzunehmen. Die Evacuation scheint also die Leistungen des Muskels zu steigern. Wırd nun nach kurzer Zeit ein zweites Mal evacuirt, so kann, auch wenn genau derselbe Grad der Evacuation erreicht wird wie vorher, der Effect scheinbar viel geringer sein — es lässt sich kaum ein Unterschied in den Hubhöhen, weder beim Beginn der Evacuation noch bei der Rückkehr zu normalem Druck finden. Wird der Versuch ein drittes Mal wiederholt, so nehmen diesmal während der Evacuation die Hubhöhen rascher ab als der Ermüdung entspricht und nehmen bei der hkückkehr zum normalen Druck wieder zu, oder doch nur sehr langsam ab: jetzt also vermindert die Evacuation die Leistung der Muskeln. Zu- gleich wird dieses dritte Mal jedenfalls, wenn sie nicht schon vorher zu bemerken war, die schon geschilderte Verlangsamung der Zuckung, die dem Muskel nicht gestattet sich vollständig auszudehnen, eintreten. In dieser Form, dass die Evacuation die Hubhöhen vermindert, zeigt sich nun das Phaenomen bei jeder Wiederholung immer deutlicher; die Erholung des Muskels, der ja nothwendiger Weise ermüden muss, wird jedesmal bei Luft- eintritt geringer und der Versuch endigt damit, dass eine Evacuation die Zuckungen ganz unterdrückt und sie sich dann auch durch keine Rück- kehr zum normalen Druck mehr hervorrufen lassen — ob dieses Ende früher eintritt, als die Erschöpfung bei völlig ungestörtem Ermüdungsver- lauf eingetreten wäre, lässt sich natürlich nieht beurtheilen, da jeder Muskel einen anderen Energievorrath besitzt. Der hier geschilderte Verlauf ist ein gewissermaassen idealer, aus mehreren Versuchen zusammengestellter. Das „zweite“ Stadium, in dem 6 WERNER ROSENTHAL: scheinbar keine Wirkung vorhanden ist, lässt sich nur selten beobachten. Ist der Muskel vor der ersten Evacuation schon ermüdet worden, so fehlt das erste Stadium, ist er sehr leicht ermüdbar oder recht schwer belastet, oder dauert die erste Evacuation lange, so verschmelzen das „erste“ und das „dritte“ Stadium: d. h. bei dem Luftauspumpen werden die Hubhöhen grösser, nehmen aber, während der Muskel in verdünnter Luft bleibt, zwar gleichmässig aber rascher ab, als dem ersten Theil der Ermüdungscurve entsprach, und bei dem Lufteintritt nehmen sie dann wieder zu, um von Neuem mit dem ersten, geringeren Gefälle zu sinken. Einfiuss der Versuchsbedingungen. Auf die weitere Discussion dieser verwickelten Erscheinungen will ich vorerst nicht eingehen, sondern zu der Frage zurückkehren, die wir uns sofort vorlegten, wie weit dieses überraschende Phaenomen der Luftdruck- verminderung und wie weit irgend welchen den Versuch begleitenden Um- ständen zuzuschreiben sei. Es zeigte sich nur wenig beeinflusst von der Behandlung des Praepa- rates. Es fehlte nicht, wenn der Gastroknemius in möglichst ungestörter Verbindung mit dem Körper gelassen und nur die Achillessehne frei prae- parirt war, gleichgültig ob das Blut eirculirte oder vorher durch Kochsalzlösung verdrängt worden war. Am abgeschnittenen Schenkel war es freilich deut- licher; ohne Einfluss war, ob derselbe Blut enthielt oder möglichst ent- blutet war, ob der Muskel direct oder indireet gereizt wurde, ob der Frosch vorher curarisirt worden war oder nicht. Das einfachste Verfahren, eine regelmässige Ermüdungscurve zu erhalten und an ihr das Phaenomen her- vorzurufen, war, den Unterschenkel abzuschneiden, die Achillessehne frei zu praepariren und den Muskel ohne vorher curarisirt oder das Blut entfernt zu haben, mit kräftigen (maximalen) Inductionsschlägen direet zu reizen. Dieses Verfahren wurde deshalb auch in der Regel bei den später ange- stellten Versuchen befolst. Bei der Betrachtung der geschilderten Veränderungen der Muskelzuckung musste auffallen, dass dieselben eine grosse Aehnlichkeit zeigten mit den Varia- tionen der Zuckungscurve unter dem Einfluss niederer Temperatur, wie sie (ad und Heymans! so erschöpfend dargestellt haben. Es muss nun ja auch bei der Luftverdünnung nothwendiger Weise eine Temperaturerniedri- gung, bei der Verdichtung der Luft ‚unter der Glocke, wie sie beim ' J. Gad und J. F. Heymans, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähigkeit der Muskelsubstanz. Dies Archiv. 1890. Physiol. Abth. Supplmtbd. S. 59—115. EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 7 Oeffnen des Hahnes und dem plötzlichen Hereinstürzen der äusseren Luft eintritt, eine Temperaturerhöbung statt haben. Mit einem empfindlichen Thermometer, das unter die Glocke gebracht wurde, liessen sich dieselben beobachten, und zwar Erniedrigung um etwa 3° bei der Evacuation und Erwärmung um höchstens 2° über die anfängliche Temperatur bei dem Lufteintritt. Ich rief nun Variationen der Temperatur um diese und grössere Diffe- renzen, einerseits durch Oeffnen des Fensters, in dessen Nähe der Muskel untersucht wurde, andererseits durch Zuführen warmer Luft unter die Glocke hervor, dabei zeigten sich andeutungsweise ähnliche Veränderungen der Er- müdungscurve wie die oben geschilderten, aber bei Temperaturvariationen von mindestens 5° doch eben erst erkennbar. Dagegen zeigte bei einem neuen Versuch mit Evacuation dasselbe Thermometer nur Differenzen von 3°, während der Muskel alle beschriebenen Phaenomene, Abnahme der Hub- höhen und verlanesamte Zuckungen bei vermindertem, und Wiederher- stellung bei der Rückkehr zum normalen Druck auf das schönste er- kennen liess. Aus diesen Versuchen glaubte ich schliessen zu müssen, dass die Temperaturschwankungen vielleicht das Phaenomen unterstützten, da sie in ähnlichem Sinne wirkten, aber doch nicht die einzige und wesentliche Ur- sache desselben sein konnten. Ein anderer Fingerzeig, wo die Ursache desselben zu suchen sei, war in der Beobachtung gegeben, dass das Anfangs zum Schreiben auf der Myographiontrommel benützte, am Ende des Hebels befestigte Stückchen Federspule, sich mehrmals bei dem Auspumpen gerade gestreckt hatte und aufhörte zu schreiben, so dass es durch eine Uhrfeder ersetzt werden musste. Es hatte sich dadurch als empfindliches Hygrometer gezeigt und bewies, wie sehr die Wasserdampfspannung bei der Evacuation abnahm, obgleich, um sie zu erhalten, ein Gefäss mit Wasser, dessen verdunstende Oberfläche durch herausragende Fliesspapierstreifen vermehrt war, unter die Glocke gestellt wurde. Auch wurde, um den Muskel vor Vertrocknung zu schützen, die Haut über demselben immer möglichst unverletzt gelassen und nur durch einen Schlitz an der Fusswurzel ein Haken in die Achillessehne ein- geführt. Die Inspection am Ende der Versuche liess auch in der Regel keine Zeichen der Austrocknung weder an der Haut, noch am Muskel selbst, noch an der Sehne erkennen. Wirkung der Vertrocknung auf den arbeitenden Muskel. In einigen Fällen freilich, in denen vergessen worden war, Wasser unter die Glocke zu stellen, nahmen die Zuckungshöhen bei der Evacuation 8 WERNER RosENTHAL: noch viel rascher ab als sonst. Die Verlängerung der Zuckungsdauer wurde aber nicht so deutlich, eine Erholung trat bei Wiedereintritt der Luft nicht ein und bei einer zweiten Evacuation erlosch die Reizbarkeit. Hier nun zeigte sich die Haut trocken, die Achillessehne vertrocknet. Versuche mit Behinderung und mit Beförderung der Wasser- verdunstung vom Praeparat. Diese Beobachtungen führten dazu, zunächst zu untersuchen, welche Bedeutung der Wasserverlust des Praeparates für das Phaenomen habe, und zu diesem Zweck wurde folgende zweite Gruppe von Versuchen _unter- nommen. Die Muskeln wurden in einer unten mit einem Kork verschlossenen Glasröhre an einem den Kork durchsetzenden Drahthaken befestigt, die Achillessehne mittelst biegsamen Drahtes an den kurzen Arm des über der Röhre befindlichen zweiarmigen Schreibhebels gehängt und der Muskel durch Gewichte am langen Arm gespannt. Dann wurde die Röhre mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllt, so dass der Muskel ganz in sie ver- senkt war. Unter diesen Bedingungen gaben die Muskeln bei entsprechend starken Reizströmen, da ja auch die Salzlösung leitete und nur ein Theil der Stromfäden den Muskel selbst passirte, regelmässige Ermüdungscurven, gleich den in freier Luft gewonnenen. Wurde nun aber evacuirt, bis auch nur einige Centimeter Quecksilberdruck noch unter der Glocke blieben, so war keine Wirkung zu beobachten. Zur Gegenprobe wurde das Salzwasser aus der Röhre entleert und so der Muskel wieder in Luft untersucht. Dabei zeigte sich aber nur ein sehr geringer Einfluss des Luftauspumpens — wie in der Folge sich heraus- stellte, weil an der Röhre noch zu viel Feuchtigkeit haften blieb. Es wurden deshalb nun Muskeln abwechselnd zuerst frei unter der Glocke, gleich darauf dieselben in der Röhre und unter Kochsalzlösung, dann wieder frei untersucht. Sie zeigten die Wirkung der Luftdruckver- minderung beide Mal in Luft, aber nicht in der Kochsalzlösung. Störend war, dass dabei noch eine Versuchsbedingung variirt werden musste, näm- lieh die Stärke der reizenden Inductionsschläge. Dieselben, die in der Kochsalzlösung erst mit Sicherheit maximale Reize darstellten, waren durch den Muskel allein geleitet so stark, dass sie ihn zu schädigen drohten. Es wurde deshalb noch ein anderes Medium versucht und der Muskel statt in Kochsalzlösung in Oel getaucht: dasselbe hat ebensowenig Ein- fluss auf die Ermüdungscurve und verhindert ebenso gut wie jene eine Wirkung der Evacuation. Aber diese hatte auch keine oder kaum eine Wirkung nachdem die Muskeln wieder aus dem Oel herausgenommen frei EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 9 untersucht wurden. Eine minimale Oelschicht, die auf dem Praeparat haften bleibt, ist wohl die Ursache hiervon. Nach diesen Beobachtungen blieben zwei Vermuthungen berechtigt, dass die Wasserverdunstung oder dass die Entziehung im Muskel ent- haltener Gase bei der Luftverdünnung die Ursache des Phaenomens sei. Die Wiederholung des oben erwähnten Versuches mit der feuchten Röhre entschied für die erstere Hypothese. Es genügte, den Muskel in die Röhre zu bringen, die unten eine Spur Wasser enthielt, das den Muskel jedoch nicht berührte, und die obere Oeffnung der Röhre mit einem Kranz von angefeuchtetem Fliesspapier oder Schwammstückchen zu umgeben, um jede Wirkung der Evacuation auszuschliessen. Es gelang auch leicht, am selben Muskel die Erscheinung abwechselnd hervorzurufen oder nicht, je nachdem man ihn frei unter der Glocke oder in der feuchten Röhre untersuchte. Wirkung strömender trockener und feuchter Luft. Die Wasserverdampfung bei der durch das Auspumpen hervorgerufenen Verminderung der Dampfspannung musste also die Ursache des Phaenomens sein, obgleich, wie oben erwähnt, von Vertrocknung der Praeparate keine Rede sein konnte. Ich versuchte sogleich die Gegenprobe zu machen, indem ich die Muskeln in eine Glasröhre brachte, durch die abwechselnd ein Strom durch Chlorcaleium getrockneter oder durch Wasser befeuchteter Luft geleitet wurde. Anfangs liess sich damit das Phaenomeu nur in sehr geringem Grade hervorrufen. Auch als später eine eigene Röhre für diesen Zweck angefertigt wurde, in der der Muskel in möglichst engem Raum der Wirkung des Luftstromes ausgesetzt war, gelang es zwar, die oben be- schriebenen Erscheinungen zum grossen Theil durch das Vorbeileiten trockener Luft hervorzurufen, aber doch nicht die höchsten Grade der- selben. Inzwischen war noch festgestellt worden, dass das Phaenomen nicht etwa einer Aenderung der Reizform bei Wasserverlust der oberflächlichen Theile des Praeparates seine Ursache verdanke. Zu diesem Zwecke wurden die Reize dem N. cruralis am Oberschenkel durch Nadeln zugeführt und der Oberschenkel in Oel untergetaucht, während der Unterschenkel am Knie befestigt, allein der Vertrocknung ausgesetzt war — die Resultate waren ganz dieselben wie bei directer Reizung der Muskelfasern. Es handelte sich also um eine veränderte Reactionsform des Muskels auf Reize, ganz unabhängig von der Art der letzteren. Eine eigene Versuchsreihe zeigte auch noch, dass das Phaenomen bei frei der Luftverdünnung ausgesetzten Muskeln um so stärker hervortrat, in je trockener Atmosphaere sie sich vorher befunden hatten, die Herstellung 10 WERNER ROSENTHAL: zu normalem Verhalten aber um so vollständiger war, je feuchter die Luft wieder unter die Glocke trat. Die Vermuthung, dass eine gleichsam unmerkliche Austrocknung des Muskels auf den Zuckungsverlauf einen so grossen Einfluss haben sollte, wie es diese Versuche zu erweisen schienen, wurde einigermaassen gestützt durch die Erfahrungen Kunkel’s,! welcher durch Circulation von Salzlösungen durch den Muskel die Zuckungscurve in ähnlicher Weise verändert fand. Aber die Art dieser Austrocknung durch die Haut hin- durch und die Wiederherstellung in kürzester Zeit blieben unglaublicher, als dass ich mich mit dieser Annahme beruhigen konnte, ehe jede andere Erklärung ausgeschlossen war. Wirkung der Verdunstung auf die Zuckungseurve. Um die Thatsachen genauer zu beobachten, ging ich von der Unter- suchung der Ermüdungscurve zur Untersuchung der Zuckungscurve über. Ich benutzte dazu den Cylinder und das Uhrwerk des Marey’schen Myografen. Den Muskel brachte ich in eine zu diesem Zweck hergestellte Kammer, bestehend aus einem Glasrohr von 15 "m Durchmesser, das an beiden Enden in Messingringe gefasst war, welche Rohransätze trugen. Die Kammer war ein wenig länger als der Muskel. Dieser wurde mit dem Kniegelenk an einem Querbälkchen am oberen Ende der Röhre befestigt; in die Achillessehne war ein Haken, aus einer Nadel gebogen, geschlagen. Dann wurde die Röhre oben und unten mit Gummikappen geschlossen. Durch die untere, flache und weit ausladende, war ein steifer Draht ge- steckt, der an beiden Enden hakenartig gebogen, die Verbindung zwischen dem Haken in der Achillessehne und dem Hebel herstellte. Die Gummi- membran mit diesem Draht war in den Grenzen der Hubhöhe eines Grastroknemius so frei beweglich, dass ihr Widerstand für die Zwecke meiner Untersuchung ganz zu vernachlässigen war. Der Muskel aber befand sich in einem vollständig abgeschlossenen, sehr kleinen Raum. Ich glaube diese Anordnung für Untersuchungen etwa über den Einfluss von Gasen auf den arbeitenden Muskel und überhaupt als einfache feuchte Kammer empfehlen zu können. In einer solchen Röhre liess ich nun den frischen Muskel einige Zuckungseurven schreiben und setzte ihn dann trockenen oder feuchten Luftströmen aus, indem durch den einen Rohransatz die Luft aus der Muskelkammer durch eine Wasserstrahlpumpe abgesaugt wurde und durch ı A. J. Kunkel, Ueber eine Grundwirkung von Giften auf die quergestreifte Muskelfaser. Pflüger’s Archiv. Bd. XXXVI. 8. 353. EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 11 den anderen Rohransatz Luft nachrückte, die entweder zwei Chlorcaleium- röhren, und, um das Mitreissen von Chlorcaleiumstaub auszuschliessen, einen Wattebausch oder aber zwei Wassergefässe durchströmt hatte. Während dieser Zeit wurde der Muskel immer entlastet. Von Zeit zu Zeit wurde der Luft- strom unterbrochen, der Muskel wieder eingespannt und einige Curven geschrieben, darauf mit dem gleichen Luftstrom oder zur Gegenprobe mit dem anderen der Versuch fortgesetzt. Die Ermüdung konnte keinen merk- baren Einfluss haben, da die Muskeln nur wenige Zuckungen nach einander zu leisten und dann mehrere Minuten Ruhe hatten. Bei diesen Versuchen zeigte sich die Zuckungseurve wieder ganz so verändert wie es Gad und Heymans bei Abkühlung gefunden haben: nach fünf Minuten dauerndem Strömen trockener Luft die Latenzzeit merklich, die Zuckungsdauer bedeutend, aber mehr noch im absteigenden als im auf- steigenden Schenkel verlängert, die Zuckungshöhe unverändert oder etwas gewachsen. Trocknete ich noch einmal fünf Minuten, so waren Latenzzeit und Zuckunesdauer noch viel mehr verlängert, ungefähr auf das Doppelte der anfänglichen Werthe, die Zuckungshöhe aber nun kleiner als Anfangs. Leitete ich nun für fünf Minuten an dem bisher getrockneten Muskel feuchte Luft vorbei, so gab er wieder eine der allerersten ausserordentlich ähnliche, kurze Zuckung; zuweilen vielleicht um eine Spur in allen Theilen verlängert, wie es der Ermüdung und dem schädigenden Einfluss der Zeit auf den isolirten Muskel entsprach. Diese wunderbar rasche Wiederherstellung”schien mir das Räthsel- hafteste. Ich liess nun einen getrockneten Muskel, der die verlängerte Zuckungscurve gab, eine Viertelstunde ruhen, aber in der gut geschlossenen Röhre, die nur mit den Chlorcaleiumgefässen communicirte. Dann schrieb ich eine Zuckungscurve: der Muskel hatte sich vollständig erholt. Feuchtig- keit von aussen konnte er hier nicht an sich gerissen haben um sich wieder herzustellen. Deshalb konnte wohl auch nicht die Austrocknung die directe Ursache der verlängerten Zuckung sein. Ich kehrte deshalb dazu zurück, die Temperatur in der Muskelkammer während der Versuche zu beobachten, aber nun mit feuchtem Thermo- meter, da es sich ja um bewegte Luft handelte. Es zeigte sich sogleich dass in derselben ein trockener Luftstrom Abkühlung des feuchten Thermo- meters um 8° bewirkte und dass der feuchte Luftstrom die Wirkung hatte, das Thermometer viel rascher wieder zu erwärmen, als wenn man es in unbewegter Luft sich selbst überliess. Gleichzeitige Versuche und Tem- peraturbeobachtungen zeigten, dass der Einfluss der trockenen Luft auf die Ermüdungscurve in der That dem Grade der Temperaturerniedrigung des feuchten Thermometers entspreche, 11% WERNER ROSENTHAL: So war die Wirkung der Verdunstung in trockenem Luftstrom zurück- geführt auf den Einfluss der Temperatur. Aber das ganze Phaenomen war damit noch nicht erklärt, denn unter der Glocke der Luftpumpe waren viel stärkere Wirkungen beobachtet worden. Wärmeverlust durch Verdunstung im Vacuum. Die Erklärung dafür brachte der Versuch, ein feuchtes Thermometer unter den Recipienten der Luftpumpe zu bringen. Dasselbe fiel bei der Evacuation auf einige Centimeter Restdruck bis auf 0°, ausgehend von einer Zimmertemperatur von 13°. Und zwar war die niedrigste erreichte Temperatur nicht abhängig von dem erreichten Druck, sondern von der Zeit, während welcher gepumpt wurde. Durch ein etwas langsameres Tempo konnte sie bis 2° und mehr unter den Nullpunkt herabgetrieben werden. Wie der Vergleich mit den Versuchsprotokollen ergab, war aber meistens verhältnissmässig langsam evacuirt worden. Wirkung der Abkühlung auf die Ermüdungseurve. Es blieb nan noch zu zeigen, dass alle Erscheinungen an der Er- müdungseurve, wie sie Eingangs geschildert sind, sich auch alle durch eine wiederholte Abkühlung allein hervorrufen lassen. Eine so starke Abkühlung aber während eines Ermüdungsversuches herzustellen, ohne dass die Curve unterbrochen oder gestört, wurde, gelang erst, nachdem folgender Apparat hergestellt war. Eine Glasröhre, gerade weit genug den Muskel und ein Thermometer aufzunehmen, ist durch dicht schliessende Korke in einer weiteren höhre befestigt. Durch ein den unteren Kork durchbohrendes Röhrchen und Gummischläuche ist diese in Verbindung mit einer Aether und einer Alkohol enthaltenden Flasche, so dass sie durch Heben derselben mit der einen oder anderen Flüssigkeit gefüllt werden kann. Der obere Kork ist von zwei Röhrchen durchbohrt, einem kurzen, das mit einer Saug- pumpe verbunden werden kann und einem längeren, fast auf den Boden reichenden offenen. Füllte man das äussere Gefäss zur Hälfte mit Aether, verband das kurze Rohr mit der Wasserstrahlpumpe, so dass durch das längere Luft eintrat und in Blasen den Aether durchströmte, so kühlte die Aetherverdunstung die Luft in dem inneren, vollständig abgeschlossenen Gefäss innerhalb einer Viertelstunde von Zimmertemperatur bis auf einige Grade unter Null ab. Die Wiedererwärmung erfolgte aber so langsam, dass bei den ersten Versuchen die Muskeln bei der ersten Abkühlung durch die dauernde Kältewirkung getödtet wurden. Deshalb musste, sobald der Muskel selber einen deutlichen Grad von Abkühlung durch die Art seiner Arbeit anzeigte, nicht nur die Saugpumpe abgestellt, sondern auch der kalte EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 13 Aether durch vorher erwärmten Alkohol ersetzt werden. Dadurch wurde der Muskel in entsprechend kurzer Zeit wieder auf 15° bis 20° ©. erwärmt und durch erneutes Vertauschen des Alkohols mit Aether und Luftdureh- leiten konnte der Versuch wiederholt werden. Die Muskeln wurden in der inneren Glasröhre ganz entsprechend wie bei den früheren Versuchsreihen befestigt. Durch Montiren des ganzen Apparates auf einem schweren Stativ wurden störende Erschütterungen bei dem Ein- füllen von Alkohol und Aether und durch das Luftdurchsaugen vermieden. So wurden dann Ermüdungscurven erhalten, die in allen Einzelheiten den oben geschilderten entsprechen und unter ausschliesslicher Wirkung von Abkühlung und Erwärmung gewonnen waren. In den Momenten, in denen die alle fünf Secunden erfolgenden Zuckungen zu unvollständigem Tetanus ver- schmolzen, zeigte das neben dem Muskel angebrachte Thermometer 0° oder etwas niedrigere Temperaturen. Bei einem früheren mit unvollkommener Einrichtung angestellten Versuch, bei dem sich der Muskel in Oel befunden hatte, hatte bei entsprechendem Verhalten des Muskels das Thermometer — 5° gezeigt. Bei dem jedenfalls sehr grossen Unterschied in der Wärme- capaeität und in dem Wärmeleitungsvermögen zwischen Muskel und Ther- mometergefäss, schien es mir aussichtslos, diese disecrepanten Beobachtungen mit Hülfe von Quecksilberthermometern durch besser stimmende ersetzen zu wollen. Dies lag ja auch nicht in der mir gestellten Aufgabe. Verhalten von Muskeln in reinem N. Um die naheliegende Frage zu entscheiden, ob das Fehlen des atmo- sphaerischen und die Entbindung des vielleicht im Muskel oder in der ihn durchsetzenden Flüssigkeit absorbirten Sauerstoffs denn gar keinen Einfluss auf die, Arbeitsleistung hätten, stellte ich noch folgende Versuchsreihe an. Ich liess eine zweite Muskelröhre machen, ganz gleich der oben (S. 10) für die Versuche mit trockenem und feuchtem Luftstrom geschilderten. In diese zwei Röhren wurden die beiden Gastroknemien eines Frosches gebracht, mit zwei ganz gleichen Hebeln verburden und mit gleichen Gewichten be- lastet. Sie wurden in denselben Stromkreis hintereinander und in gleichem Sinne eingeschaltet. Sie konnten deshalb nur gleichzeitig gereizt werden und immer nur mit ganz identischen Reizen. Da sie auch unter gleichen Bedingungen arbeiteten, so mussten sie gleichmässig ermüden. Die beiden Muskelkammern und die beiden Schreibhebel wurden der- art auf einem Stativ befestigt, dass die Spitzen der letzteren genau über- einander schrieben. Mit dieser Anordnung wurden doppelte Ermüdungs- curven und zwischendurch auch Zuckungscurven geschrieben, welche die bei der Anordnung zu erwartende Aehnlichkeit zeigten, sobald nur keiner 14 WERNER ROSENTHAL: der beiden Muskeln bei der Praeparation irgend verletzt worden war. Die geringen Unterschiede, die sich in den absoluten Höhen der zu gleicher Zeit erhaltenen Zuckungen oder in dem ein wenig früheren oder späteren Eintreten der Erschöpfung zeigten, lassen sich auf die Gewichtsdifferenzen beziehen, die man auch an den möglichst sorgfältig praeparirten Gastro- knemien eines Frosches fast immer findet. Die Rohransätze der beiden Muskelkammern verband ich nun einer- seits durch ein Gabelrohr mit einer Saugpumpe, andererseits mit zwei Waschflaschen, von denen die eine mit der Zimmerluft, die andere mit einem Gasometer communicirte, der reinen Stickstoff enthielt. Ich leitete nun zu Beginn des Versuches längere Zeit an dem einen Muskel einen Strom ge- wöhnlicher feuchter Luft, an dem anderen einen Strom feuchten Stick- stoffes vorbei, schloss dieselben dann in der betreffenden Atmosphaere ab und liess von beiden gleichzeitig Zuckungseurven und Ermüdungscurven schreiben. Später wiederholte ich dann in Ruhepausen für die Muskeln das Gaszuleiten, entweder im gleichen Sinne wie vorher oder indem ich die Verbindungen zwischen den Waschflaschen und den Muskelkammern vertauschte. In keinem Falle konnte ich irgend einen Einfluss auf die Muskeln finden. Verschiedene Male dauerte der in sauerstofifreier Atmosphäre ar- beitende Muskel länger aus. Auch von einer anregenden Wirkung des neu zugeleiteten Sauerstoffes auf solche Muskeln war keine Rede. Ebensowenig war irgend ein Anzeichen vorhanden, dass die in atmosphärischer Luft be- findlichen Muskeln sich durch lebhafteren Stoflwechsel etwa rascher er- schöpften. Ergebnisse. Aus allen diesen Versuchen zog ich den Schluss, dass die Druck- verminderung an und für sich gar keinen Einfluss auf die Muskelthätigkeit habe. Ein solcher wird nur dann vorgetäuscht, wenn die Verdunstung von der feuchten Oberfläche der Muskeln oder der sie bedeckenden Haut die Muskelsubstanz merklich abkühlt. Aus dieser Annahme erklären sich ohne Schwierigkeit die meisten der oben angeführten Einzelbeobachtungen: z. B. die verschieden kräftige Wirkung der Luftverdünnung je nachdem der Muskel sich vorher in feuchter oder trockener Atmosphäre befunden hatte. Die schwächere Wirkung auf den vom Körper nicht getrennten Muskel ergiebt sich aus der Erwägung, dass hier der ganze Frosch die verdunstende Oberfläche darstellt und sich der Wärmeverlust auf das ganze Thier vertheilt. Den verwickelten Gang eines Versuches, wie er oben (S. 5) geschildert wurde, kann ich freilich nicht in seinen Einzelheiten erklären. Ein mit- EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 15 wirkendes Moment mag sein, dass sich die Luft, jedesmal wenn sie wieder unter den Reeipienten tritt, erwärmt und in Folge dessen bei jeder neuen Evacuation der Versuch in einer trockeneren Atmosphaere beginnt. Aber auch bei den allein mit Abkühlung angestellten Versuchen, fand sich ver- schiedenartige Wirkung nicht nur bei verschiedenen Graden der Abkühlung, sondern anscheinend auch bei Wiederholung des Versuches bei gleichen Temperaturen. So lange nicht die Temperatur des Muskels selbst während des Versuches genau sich verfolgen lässt, etwa mit Thermoelementen, wird man darüber nichts Sicheres aussagen können. Vorerst aber wird man die Annahme nicht zurückweisen dürfen, dass vielleicht die gleichen Temperatur- gerade auf den ermüdeten Muskel anders wirken als auf den frischen und deshalb die Muskeln während des Versuches immer empfindlicher für die gleichen Veränderungen ihres physikalischen Zustandes werden. Am Schluss der Evacuationsversuche mag auch zuweilen neben Temperatur und Er- müdung als dritter Factor beginnende Vertrocknung oberflächlich gelegener Theile die Ermüdungscurve mit bestimmt haben. Ein wichtiges Ergebniss dieser Versuche scheint mir, dass die Muskel- substanz auch unter Druck von weniger als 150 "®, also bei weniger als 30 mm Partialdruck des Sauerstoffes vollständig arbeitsfähig bleibt, wie dies alle Versuche, bei denen die Verdunstung vermieden war, zeigen. Dass Froschmuskeln in sauerstofffreier Atmosphäre noch Kohlensäure produciren und arbeiten können, hat schon längst Georg Liebig gezeigt.! Die jetzigen Erfahrungen zeigen nun, dass der Sauerstoff, den sie dazu verwenden und der in ihnen enthalten sein muss, nicht nur locker gebunden sein kann. Aeltere Angaben über das Verhalten des Froschherzens im Vacuum. Ueber das Verhalten des Froschherzens unter vermindertem Druck giebt es, wie ich schon erwähnte, eine Reihe früherer Untersuchungen, die schon mit Beobachtungen Caldani’s um die Mitte des vorigen Jahr- hunderts beginnen. Seine und einige andere ältere Arbeiten waren mir aber im Original nicht zugänglich und ich kann ihre Resultate nur nach den Citaten Tiedemann’s anführen.” Caldani? also sah ein Froschherz unter dem Reeipienten der Luftpumpe noch eine Viertelstunde lang, wenn ! Georg Liebig, Ueber die Respiration des Muskels. Dies Archiv. 1850. S. 393. ? Tiedemann, Versuche über die Bewegung des Herzens unter dem Reci- pienten der Luftpumpe. Dies Archiv. 1847. 8. 490. ® Mare Antoine Caldani, Premiere lettre a M. de Haller in Memovres sur les parties sensibles et irritables du corps animal. t. III. Lausanne 1760. p. 135. 16 WERNER RoSENTHAL: auch mit verlangsamtem Rhythmus fortschlagen. Wernlein! bestätigt diese Angabe und Kürschner? ceitirt als allgemeine Meinung, „dass sich das Herz unter der Luftpumpe regelmässig zusammenziehe“. Dagegen führt Tiedemann Fel. Fontana an, der gefunden hätte, dass Herzen beim Evacuiren schnell ihre Reizbarkeit verlieren. Fontana sagt wörtlich,? dass das Herz im Vacuum bald aufhöre zu schlagen und dass es dann auch auf Einzelreize nicht mehr reagire. In dem darauffolgenden Paragraphen sagt er dann, was zum Vergleiche interessant ist, dass sehr kaltes Wasser das Froschherz sofort still stehen mache. Tiedemann selber machte seine Versuche mit vollständig isolirten Frosch- und Salamanderherzen, die er mit einem um die grossen Gefässe geschlungenen Faden unter dem Reei- pienten der Luftpumpe frei aufhing. Er bemerkte gleich nach Beginn der Evacuation Verlangsamung des Rhythmus und ausserordentlich rasch, schon nach 30” hörte das Herz ganz zu schlagen auf. Dann war es auch gegen mechanische Reize unempfänglich. Gleichwohl erholt es sich bei Lufteintritt wieder und fängt von selbst in immer rascherem Rhythmus zu schlagen an. CGastell* konnte einige Jahre später diese Angaben von Tiedemann nicht bestätigen. Er untersuchte die, Froschherzen in Uhrschälchen liegend und fand, dass sie unter der Luftpumpenglocke zwar erheblich kürzere Zeit als in atımosphaerischer Luft, nämlich nur ?/, statt 3 Stunden fortschlagen, immerhin aber doch 60 mal länger als bei Tiedemann. Danach übrigens war auch die mechanische Reizbarkeit erloschen, die Herzen waren durch Gasblasen aufgebläht und erschienen ausgetrocknet. Nur einmal gelang es ihm, ein solches Herz durch Befeuchten mit Serum unvollkommen wieder zu beleben. Die genannten Autoren hatten die Versuche zur Entscheidung der Frage angestellt, „ob der Sauerstoff ein Reiz für das Herz sei“ und dem- entsprechend, wenn sie Herzstillstand eintreten sahen, diesen auf Sauer- stoffmangel bezogen. Castell hatte aus seinen Versuchen keine Schluss- folgerungen mehr ziehen können. Aus seiner Darstellung jedoch geht deutlich hervor, dass die von ihm beobachteten Herzen wegen der Ver- trocknung zu schlagen aufgehört hatten. J. Bernstein? suchte den Widerspruch zwischen Castell’s und Tiedemann’s Resultaten aufzuklären und wiederholte ihre Versuche. Er ı W. Wernlein, Dissertatio de incitatione. Wirceburgi 1808. p. 22. ® Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie u. s. w. Bd. II. 8. 76. ® Fel. Fontana, Ricerche filosofiche sopra la fisica animale. Firenze 1775. Parte I. Cap. IV. S 8. * T, Castell, Ueber das Verhalten des Herzens in verschiedenen Gasarten. Nach seinem Tode von H. Helmholtz veröffentlicht. Dies Archiv. 1854. 8. 2261f. 5 J. Bernstein, Einiges zur Ursache der Herzbewegung. Dies Archiv. 1862. 3. 327. EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 1%. konnte Tiedemann’s Angaben bestätigen, fand aber zugleich, dass das Luft- auspumpen keinen raschen Erfole hatte, sobald er dafür sorgte, dass der Raum unter dem Reeipienten immer mit Wasserdampf erfüllt bliebe und das Herz also nicht vertrocknete. Unter solchen Umständen sah er Herzen bei hoher Temperatur eine Stunde lang kräftig im Vacuum pulsiren. Er kann aber auch die Angaben Castell’s bestätigen. Denn in kleinen Reeipienten gelang es ihm nicht, die Herzen rasch zum Stillstand zu bringen, wenn er auch ebenso kräftig evacuirte und in keiner Weise für Wasser- verdunstung in denselben sorgte. Er erklärt dies dadurch, dass eine viel geringere Menge Wasserdampf genüge, in einem kleinen Recipienten die Dampfspannung zu erhalten und das Herz daher weniger Wasser verliere. Das Wiederaufleben des im Vacuum zum Stillstand gebrachten Herzens erklärt er dadurch, dass sich dasselbe beim Wiedereintritt der Luft „be- schlage“ und so von der Vertrocknung erhole. In einer lateinischen Dissertation bestätigt J. Schiffer! nach eigenen Ver- suchen die Angaben Bernstein’s. Er fügt noch hinzu, dass auch Herzen, die vor Vertrocknung geschützt eine Stunde lang im Vacuum pulsirt hatten und dann in Ruhe verharrt waren, an die Luft oder in reinen Sauerstoff gebracht von neuem zu schlagen anfangen. Dieser Stillstand also erfolge aus Sauerstoffmangel, nachdem das Herz den in ihm vorhandenen O aufgezehrt habe, und ist zu unterscheiden von dem rascher eintretenden Stillstand durch Wasserverlust. Hiermit schliessen die mir bekannt gewordenen Untersuchungen. Da ich an ihre Beurtheilung mit den oben geschilderten Erfahrungen heran- trat, so überzeugten mich Bernstein’s Angaben über die Bedeutung der Wasserverdunstung sofort. aber ich konnte ihm nicht folgen in der Annahme, dass es sich bei den nach Tiedemann angestellten Versuchen um Ver- troeknung des Herzens handle, einer Annahme, der besonders die rasche Wiederherstellung bei Luftzutritt widerspricht. Es ist klar, dass auch hier die Abkühlung eine bedeutende Rolle spielen muss. Das aufgehängte Frosch- herz hat eine viel kleinere Masse und verhältnissmässig viel grössere Ober- fläche als das Thermometergefäss. Es muss. sich daher auch viel rascher abkühlen als ein solches. Bei Temperaturen unter 0° aber hört das Froschherz zu schlagen auf nach den übereinstimmenden Beobachtungen von Schelske,? E. Cyon? und Aristow.* 1 J. Schiffer, De gasorum guorundam in cordis actione efficacitate. Diss. inaug. Berolini 1863. ® Schelske, Ueber die Wirkung der Wärme auf das Herz. Verhandlungen des naturh. medie. Vereines zu Heidelberg. 1862. 8. 26. 3 E. Cyon, Ueber den Einfluss der Temperaturveränderungen auf Zahl, Dauer und Stärke der Herzschläge. Bericht der sächs. Akademie der Wissensch. 1866. S. 271. * Al. Aristow, Einfluss plötzlichen Temperaturwechsels auf das Herz u. s. w. Dies Archiv. 1879. Physiol. Abthlg. S. 158ff. Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol, Abthlg. 2 18 WERNER ROSENTHAL: Eigene Beobachtungen des Verhaltens von Herzen bei Luft- verdünnung. Indem ich Bernstein’s Versuche wiederholte, konnte ich auch dann Herzstillstand bei der Evacuation beobachten, wenn ein deutlicher Tropfen physiologischer Kochsalzlösung (mit welcher das Herz vor dem Evacuiren befeuchtet worden war) an der Herzspiize hing; Vertrocknung war also hier ausgeschlossen. Auch war die Wirkung der Evacuation auf die Herzen immer entsprechend derjenigen auf feuchte Thermometer: sie war für beide in kleinen Recipienten geringer. In einer Glocke, die kleiner war als die zu den Muskelversuchen verwendeten, fiel das feuchte Thermometer nach 12° dauerndem Auspumpen mit einer Wasserstrahlpumpe von 16° auf 3°, während der Luftdruck auf etwa 40 ®” sank. Ein an Stelle des Thermo- meters eingeführtes Herz wurde unter ganz denselben Bedingungen gerade zum Stillstand gebracht. In einem kleinen Kolben von !/, Liter Inhalt fiel dasselbe Thermometer nur von 18° auf 14°, während dieselbe Saug- pumpe ebensolang arbeitete und der Druck natürlich viel rascher, bis auf 15 mm etwa sank. Dasselbe Herz, das sich erholt hatte, schlug unter den- selben Bedingungen in diesem Kolben nur langsamer, 22 mal in der Minute statt 36 mal. Die verschieden starke Abkühlung feuchter Körper in grossen und kleinen Recipienten erklärt sich aus zwei Gründen: 1. aus der geringeren Wasserverdunstung, welche in kleinen Recipienten genügt, die Dampf- spannung während des Auspumpens constant zu erhalten, wie Bernstein schon bemerkt hat, und 2. durch den rascheren Wärmeersatz durch Strahlung von den Wänden des Recipienten her, die in kleineren Gefässen den in der Mitte aufgehängten Körpern näher sind. Ich glaubte es deshalb als bewiesen ansehen zu können, dass alle an- geführten Beobachtungen über rasch eintretende Wirkung des Vacuums auf die Herzthätigkeit auf Abkühlung und Vertrocknung zurückzuführen seien. Um beide Momente auszuschliessen, stellte ich einige Versuche in der Weise an, dass ich die herauspraeparirten Froschherzen in Gläsern mit ausgekochter physiologischer Kochsalzlösung aufhing und so unter die Glocke der Luftpumpe brachte. Nebenher eingeführte Thermometer dienten zur Controle, dass sich die Temperatur der Lösung nicht ändere, was bei ihrer grossen Masse nicht zu erwarten war. Unter solchen Bedingungen fand ich innerhalb zweier Minuten hervor- gerufene Druckschwankungen um 700 »=m ohne jeden Einfluss auf den Rhythmus des Herzschlages. Ich glaube daraus schliessen zu dürfen, dass die Function der automatischen Herzganglien des Frosches durch Verminderung des Luftdruckes durchaus nicht beein- flusst wird. EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN. 19 Versuche mit unverletzten Fröschen. Es blieb nun noch die Frage, wie weit durch Beobachtung ganzer Frösche sich vielleicht eine Wirkung auf das Centralnervensystem erweisen liesse. Die bei Verminderung des Luftdruckes nothwendig eintretende Er- stickung erschwert solche Beobachtungen freilich sehr. Aber Hr. Prof. Mosso! hatte bei Säugethieren Unterschiede in den Symptomen beobachtet, je nachdem sie in gewissen Luftverdünnungen oder bei normalem Druck aber entsprechend vermindertem Partialdruck des Sauerstoffes untersucht wurden. Analoge Unterschiede liessen sich vielleicht auch bei den Fröschen finden, wenn man zu den äussersten Grenzen evacuirte, da sie auch bei voll- ständigem Sauerstoffmangel doch nur sehr langsam ersticken und einem reichliche Zeit zur Beobachtung bleibt. Ich machte daher nach einigen Vorversuchen zwei Froschpaare, je eine Rana esculenta und eine Rana agilis asphyktisch, das eine Paar durch Luftauspumpen, das andere auf andere Weise. In dem einen Versuch brachte ich beide Paare in ausgekochtes Wasser, verhinderte sie an die Oberfläche zu steigen und brachte das eine Gefäss unter den Recipienten, während das andere frei daneben stand; in drei anderen Versuchen setzte ich beide Paare unter kleine Glocken und während ich die eine evacuirte, füllte ich die andere mit reinem Stickstoff, der durch Reduction atmo- sphaerischer Luft über Kupferspänen bereitet war. In dem ersten Versuche beobachtete ich die Thiere, bis sie alle in asphyktischen Scheintod verfallen waren, was erst nach drei Stunden ein- trat. Während dieser Zeit waren nur wenige Symptome zu bemerken. Anfangs bemühten sich die Thiere von Zeit zu Zeit wie willkürlich an die Oberfläche zu kommen. Allmählich aber nahmen diese Bewegungen un- willkürlichen, krampfartigen Charakter an. Zugleich wurden sie seltener und in der Zwischenzeit lagen die Frösche ganz still. Zuletzt traten die Krämpfe nur noch auf Reize, nämlich Erschütterungen des Tisches oder Stösse durch den anderen Frosch ein. Dann traten sie auch auf solche Reize nur unregelmässig ein, während die Thiere zeitweise auf dem Rücken lagen, aber auch wieder bei Gelegenheit eines Krampfanfalles normale Lage einnahmen. Dabei zeigten sich gar keine constanten Unterschiede zwischen den unter 46 "m und den unter 736 “= Druck stehenden Thieren. Eher liessen sich geringe zwischen den R. agilis und esculenta bemerken, indem erstere Anfangs unruhiger waren, dann früher Krämpfe zeigten und zuletzt früher ermatteten als die grünen Wasserfrösche. Als nach drei Stunden der Versuch beendigt wurde, fehlten allen vier U In bisher noch nicht veröffentlichten, im Jahre 1895 angestellten Versuchen. DE 20 WERNER ROSENTHAL: Thieren sämmtliche Reflexe. Ich schritt zur Section. Bei den zuerst geöffneten (es waren die unter normalem Druck gebliebenen) fand ich das Blut dunkel und das Herz schien erst im Moment des Blosslegens wieder zu beginnen langsam zu pulsiren. Bei den beiden anderen, die nun schon einige Minuten an der Luft gelegen, war das Blut schon heller und die Herzen pulsirten regelmässig. Bei allen vier kehrten bald die Reflexe und später auch die Athmung wieder, worauf ich sie tödtete. Bei den anderen Versuchen war das hauptsächlich sich aufdrängende Phaenomen die Athmung. Die Periodieität, mit der die Function des Athem- centrums bei Fröschen, die irgendwie zum Ersticken gebracht werden, lang- sam erlischt und die begleitenden Phaenomene von Unruhe und Krämpfen sind von Langendorff! sowohl wie von Sokolow und Luchsinger? so erschöpfend dargestellt worden, dass ich mich darauf beschränken kann zu sagen, dass ich in allen Fällen im Vacuum und in Sticksteffatmosphaere die betreffenden Erscheinungen in ganz gleicher Weise verlaufen sah. Es zeigten sich natürlich individuelle Unterschiede bei einzelnen der je vier zugleich beobachteten Thiere, aber gar keine Eigenthümlichkeiten, die sich unter der Luftpumpenglocke wiederholt hätten. Indem ich in einem Ver- suche abwechselnd das eine oder andere Paar in Stickstoff brachte und diesen wieder fortpumpte, konnte ich ebensowenig einen Einfluss des wechselnden Druckes erkennen. Wenn ein schon halb asphyktisches Thier mit geschlossener Stimmritze sitzt, so hat Luftverdünnung natürlich Auftreiben, dagegen Verdichtung Zusammenfallen seiner Lungen und seines Leibes zur Folge. Das wirkt als Reiz und löst, wie es auch jeder andere stärkere Reiz in diesem Zustande thun würde, eine Gruppe von Athembewegungen aus, die zuweilen von einem Sprung oder anderen krampfähnlichen Mitbewegungen begleitet sind. Nachdem aber eben durch diese Athembewegungen der Druckunterschied zwischen Lunge und Aussenatmosphaere wieder ausgeglichen ist, ist auch kein Einfluss der geänderten Bedingungen mehr erkennbar. Auch hier ist also gar kein Einfluss des Druckes an und für sich zu bemerken. Es scheint also wie die Muskelfaser auch die Ganglien- zelle des Frosches-in ihrer Function von dem Drucke ganz un- abhängig zu sein: die chemischen Processe in ihr, welche die letztere begleiten müssen, verlaufen bei 25 "® Druck ebenso wie bei 740 "m, ab- gesehen von dem Ersatz verbrauchten Sauerstoffs, der dann freilich nicht mehr statt haben kann. Es scheint aber wahrscheinlich, dass auch die Ganglien- "0. Langendorff, Studien über die Innervation der Athembewegungen. 3. Mittheilung. Ueber periodische Athmung bei Fröschen. Theils nach Versuchen von G. Siebert. Dies Archiv. 1881. Physiol. Abthlg. 8. 241. ®0.>Sokolow und B. Luchsinger, Zur Lehre von dem Cheyne-Stokes’- schen Phänomen. Pflüger’s Archiv. Bd. XXII. 8. 283. EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF FROSCHMUSKELN UND -NERVEN 2 zellen in sich oder in der sie umspülenden Gewebsflüssigkeit eine ge- wisse Reserve recht fest gebundenen Sauerstoffes besitzen, da sie auch unter den ungünstigsten Umständen noch längere Zeit functioniren. So widerstand ein mit Salzwasser durchspülter Frosch, in dessen Organen ich nach der Tödtung keine Spur von Blutfarbstoff finden konnte und der also auch an der atmosphaerischen Luft nur in der allerunvollkommensten Weise sich noch mit Sauerstoff versehen konnte, zweimaliger Evacuation derart, dass 30° nach der zweiten Evacuation refleetorisch noch Gruppen von Athembewegungen ausgelöst werden konnten und die normale Stellung des Thieres, also auch der vom Centralnervensystem ausgehende Muskel- tonus unverändert waren. Diese Resultate scheinen mir auch für die Beurtheilung der bei höheren Thieren beobachteten Wirkungen der Luftverdünnung von einiger Bedeutung zu sein. Wir wissen, dass die Muskeln und das Centralnervensystem der Warmblüter gegen Temperaturdifferenzen und gegen mangelnde Ernährung und Sauerstoffzufuhr ausserordentlich empfindlicher sind als die Muskeln und das Nervensystem des Frosches. Aber es sind bisher uns keine That- sachen bekannt, die erlauben, andere als gradweise Verschiedenheiten zwischen den Warm- und den Kaltblütergeweben anzunehmen. Da die letzteren. gegen Verminderung des Druckes auf !/,, einer Atmosphaere unempfindlich sind, wird man von ersteren dasselbe annehmen dürfen, desto mehr wenn es sich, wie in Versuchen an Warmblütern allein möglich, nur um fünf- fach geringere Druckschwankungen handelt. Soweit sich also bei Warm- blütern Wirkungen verminderten Luftdruckes finden, die sich nicht auf Behinderung der Sauerstoffzufuhr beziehen lassen, wird man nicht die An- nahme machen dürfen, hier liege eine directe Beeinflussung des Nerven- systems durch den Druck vor, sondern die Wege suchen müssen, auf denen dieses indirect durch die veränderten physikalischen Bedingungen gereizt oder in seinem Stoffwechsel behindert werden kann. Ein Beitrag zur Granulafrage. Von Max Münden in Hamburg. Von der Zeit an, wo uns die Vervollkommnung des Mikroskopes Ein- blick in die intimste Gestaltung der Zelle gestattete, haben jene seltsamen Gebilde die Aufmerksamkeit aller Forscher erregt, welche man mit dem Namen Granula belegte. Ihrer chemischen Natur nach musste man sie als organische Gebilde ansprechen; da man sie sich auch bewegen sah, hielt man sie für -belebt und versuchte erfolglos ihre Züchtung. Nun hatte Robert Brown früher an unzweifelhaft unorganischen Stoffen eine ähnliche Bewegung beobachtet und dieselbe für ein Lebensphaenomen ge- halten. C. A. Sig. Schultze wies aber nach, dass die Brown’sche Molecularbewegung nicht lebendig sei, und später wurde sogar von Wies- ner und von Sig. Exner vermuthet, dass die Molecularbewegung von der Wärmebewegung der die Molecüle enthaltenden Flüssigkeit herrühre. Da man nun bis vor wenigen Jahren Ursache hatte, die Granula für leb- lose Ausscheidungsproducte der Zelle zu halten, adoptirte man für die bei ihnen mit nur ohnehin wohl grösstentheils ungenügender Vergrösserung gesehene Bewegung jene Ansicht. Man nannte auch diese Erscheinung eine Molecularbewegung. So lehrte man es auch mir und so sah ich das Ding auch an, bis die Zeit und eine andauernde mikroskopische Beschäftigung mir lebhafte Zweifel erweckte. Es war doch merkwürdig, sehr merkwürdig! Da sind diese Granula überall da zu finden, wo Protoplasma, d. h. Leben ist. Da weiss eine grosse Anzahl bedeutendster Forscher nicht genug darüber zu veröffent- lichen, welch’ ausschliesslichen, hochwichtigen Einfluss diese Granula bei dem wichtigsten Lebensacte, der Fortpflanzung, als Kerntheilungsfiguren Mıx Münpen: Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 23 ausüben. Die Weissman’sche Schule verkündet sogar urbi et orbi, diese Granula seien unter der Bezeichnung Chromosomen, Idioplasmen u. s. w. die Träger der Vererbung, einer der vitalsten Eigenschaften, und Alt- mann zeigte, dass an ihnen wichtige Stoffamsetzungen der lebendigen Zelle ihren Sitz hätten. Wenn man diese Granula aber nicht in Ver- bindung mit der Zelle, sozusagen „an sich“, betrachtete, dann waren es urplötzlich leblose Dinger. Ein ganz seltsamer Widerspruch. Sollte man nicht meinen, dass Jene, welche im Gegensatz zu diesen hundertfachen Erfahrungen sagten, dass die Granula todt seien, dafür auch den Beweis hätten liefern müssen? Da aber das Dogma von der Molecu- larbewegung der Granula schon feststand, als jene Erfahrungen gemacht wurden, entsprach es durchaus menschlicher Gewohnheit, den Spiess um- zudrehen. Und doch hätte schon eine wirklich genaue und vorurtheilsfreie Be- trachtung Grund zu berechtigtem Zweifel gegeben. Wenn man z. B. fein- gepulvertes Carmin und eines der beliebtesten derartigen Objecte, Pigment- körner aus der Choroidea des Froschauges, im Wasser beobachtet, dann sind allerdings beide Theile in Bewegung. Wendet man dann starke Vergrösserung, mindestens ungefähr 1000, am besten Apochromat 2», Ocular 12, und gute Beleuchtung an, so ist schon in der Gestaltung ein wesentlicher Unter- schied. Die Carminkörner haben, wie es ganz natürlich ist, keine be- stimmte Form; es sind unregelmässige Conglomerate. Die Pigment- körner hingegen zeigen eine ganz specifische Gestalt und Structur. Es sind, wenn sie liegen, lanzettförmige Dinger, mit einem deutlichen dunklen, bei Lichtüberschwemmung blauschwarzem Theil und einem leicht grünlichen Leib, von genau derselben protoplasmatischen Erscheinung wie grünliche Bakterien. Fig. 1 giebt eine Darstellung eines besonders grossen Exemplars. Der protoplasmatische Leib tritt erst beim Heben oder Senken der Linse, je nach der Lagerung des Objectes, auf, und zwar neben dem noch sichtbaren schwarzen Theil. Auch Carminkörner ergeben beim Senken der Linse ein blässeres, vielfach in’s Gelbliche herüberspielendes Bild. Dieses deckt sich aber mit dem des Carminkernes. Sind die Granula in Bewegung, so pflegen sie eine schwarze Spitze nach oben einzustellen und täuschen dadurch ein schwarzes Kügelchen vor. Im Verlaufe der stark schüttelnden Bewegung tritt jedoch der protoplasmatisch grünliche Leib zu Gesicht. Die verschiedenartigsten Stellungen, welche eine gut in Bewegung befindliche Menge darbietet, sowie Informirung durch Hebung und Senkung der Linse lassen erkennen, dass es sich um zwei verschiedenartige Substanzen Bie!t. 24 Max Münden: und nicht um etwaige Reflexerscheinungen der schwarzen Masse handelt. Gegen Letzteres spricht auch, dass sowohl bei tiefblauem, wie weissem Woiken- und gelbem Petroleumlicht die grünliche Färbung dieselbe bleibt. Alles dieses veranlasste mich, der Frage näher zu treten und zu sehen, ob es nicht möglich sei, dieselbe in der einen oder anderen Richtung hin zur Entscheidung zu bringen. Denn das war klar: die Verfechter der Leblosigkeit der Granula hatten es sich sehr bequem gemacht. Sie hatten sich einfach skeptisch verhalten und für ihre Ansicht, die doch den wich- tigen Erscheinungen, welche die Granula in der belebten Zelle darboten, widersprach, auch nie die Spur eines Beweises gebracht. Denn der Analogieschluss, dass sich Carminkörner „auch“ derart bewegten und deshalb die Granula „auch“ leblos seien, war doch nicht ernst zu nehmen. Denn wenn Dinge in irgend einer Beziehung einander ähnlich sind, so ist dadurch allein doch nicht gesagt, dass sie es auch in vielleicht sehr vielen anderen Beziehungen sind. Und besonders hier, wo es sich um eine rein physikalische Beziehung handelte, welche schliesslich doch auch ganz gut an „belebtem“ Stoff ebenso in Erscheinung treten konnte, wie an unbelebtem. Es galt also, an einem geeigneten Object zu zeigen, dass dieses etwas thäte, was wir nun einmal mit dem Namen „belebt“ zu belegen gewöhnt sind... Es kamen aus dem Pflanzenreich vorzüglich die Granula der Protoplasmaströmung zeigenden Pflanzen, aus dem Thierreich Pigment- körner, Leukocyten- und Mastzellengranula in Frage. Da eine erste Unter- suchung ein massenhaftes, bequem und rein zu erhaltendes Object, welches sich auch durch eine specifische Gestaltung aus seiner Umgebung, von Bakterien u. s. w. abhöbe, verlangte, wurden als solches die schon oben erwähnten Pigmentkörner aus der Choreidea des Frosches genommen. Jetzt tauchte die Frage auf, nach welcher Richtung hin die Unter- suchung eingeleitet werden sollte. Wenn man hätte zeigen können, dass die Granula sich ausserhalb der Zelle vermehrten, so wäre die Sache ja entschieden gewesen. Leider hatten sich schon früher bedeutende Forscher vergeblich darum bemüht. Auch mir gelang es bisher nicht und war es sehr zweifelhaft, ob jene complicirten, unbekannten Bedingungen, wie sie die Zelle darbot und welchen sich die Granula doch unzweifelhaft im Laufe der Jahrmillionen angepasst hatten, sich bei dem doch mehr oder weniger blindem Herumexperimentiren darbieten würden. Die Froschgranula stellten allerdings bei Anwendung verschiedener sonst lebensfeindlicher Mittel, wie Alkohol, Glycerin, Salicylsäure u. s. w. ihre Bewegungen ein. Die Skepsis war aber leicht mit der Behauptung bei der Hand, dass je demnach die Granula aufgequollen seien oder Wasser ver- loren hätten, angeklebt wären u. s. w. Sie brauchte ihre willkürlichen ot Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 2 Behauptungen eingetretener Möglichkeiten (!) nicht zu beweisen, denn sie hatte das Dogma für sich. Einen Stoffwechsel nachzuweisen war wohl unmöglich und hätte man ihn nachgewiesen, so hätte die Skepsis schon irgendwo einen Analogie- schluss hergestellt, da chemisches Geschehen eben chemisches Geschehen ist, einerlei, ob wir das, woran es geschieht, mit der Etiquette „leblos“ oder „belebt“ bekleben. Die Bewegung hatte die Gegenpartei ja schon durch den oben ge- kennzeichneten Analogieschluss mit Carminkörnern unmöglich gemacht. Es blieb von allen den Erscheinungen, mit welchen wir das Praedicat „belebt“ zu verbinden gewohnt sind, nur eine über, der Chemotropismus. Lebende Wesen müssen als solche sich stets in einem Milieu befinden, welches bestimmte Stoffe, mit welchen sie irgendwie geartete Verbindungen eingehen, enthält. Ist ein Ort derselben ledig, so stürzen sich die lebenden Wesen auf den nächstgelegenen verproviantirten Ort. Es ist höchst gleich- eültie, ob es sich hierbei um Menschen, Thiere oder Bakterien handelt. Das eine Mal nennt man es Völkerwanderung, das andere Mal hat man keinen besonderen Namen dafür. Glücklicherweise hat nun noch Niemand gesehen, wie sich ein Moleeül auf ein anderes stürzt, zu dem es seiner Natur nach chemotropisch ist und sich mit ihm verbindet oder nur lose vermengt, amalgamirt u. s. w. Der Skeptiker wird hier also kein „auch“ finden können. Nichtsdestoweniger will ich auf die Gefahr hin, das Nach- folgende zu verkleinern, gestehen, dass mir der Chemotropismus der Atome und Molecüle nur dem Grade, aber nicht dem Wesen nach, von dem der Protisten und Thiere verschieden erscheint. Der Chemotropismus, vorzüglich auf Sauerstoff, war demnach zur Er- ledieung der Frage heranzuziehen und zwar in der Form der Engel- mann’schen Bakterienmethode. Hatte Engelmann gezeigt, dass die Sauerstoffentwickelung grüner Algen Bewegung und Lagerung „belebter“ Bakterien in typischer Weise beeinflusst, so sollte sie auch den Granula gegenüber zur Anwendung kommen. Allerdings musste erst kritisch er- wogen werden, was man von diesen kleinen Objecten, die zu den kleinsten gehören, deren unsere besten Mikroskope Herr werden, denn überhaupt verlangen konnte. Sie zeigten eine geringe absolute Ortsbewegung, aber doch eine bei an- dauernder scharfer Beobachtung sicher festzustellende. Wunder konnte ein solches Verhalten nicht nehmen. Waren sie doch Jahrmillionen hindurch an die enge Räumlichkeit einer einzigen kleinen Zelle gebunden gewesen. Wenn ein Tropfen mit Granula im Halbdunkel gestanden und in gleicher Be- leuchtung, etwa kurz vor Sonnenuntergang bei stark bewölktem Himmel beobachtet wurde, dann war die Bewegung stets eine viel ausgiebigere, 26 Max MÜnDen: Sie schossen in der Secunde auf Strecken dahin, welche schätzungsweise das 5 bis 10-fache ihrer für gewöhnlich sichtbaren Spitze betrug. Und dieses unter Beleuchtungsbedinsungen, welche wie erwähnt, jede Wärme- strömung ausschlossen, in Reinculturen, welche in später zu erörternder Weise angefertigt, nie die Spur einer Strömung zeigten. Carminkörner gleicher Grösse thaten so etwas nie, wenn sie sich im bezw. Tropfen be- fanden; ihre Bewegung war eine zitternde, sich gleichmässig fortbewegende. Die Bewegung der Granula selbst unterscheidet sich ausserdem in typischer Weise. Carminkörner schieben sich sozusagen zitternd oder rollend vor- wärts. Granula haben aber eine ganz specifisch peitschende, rüttelnde Bewegung, etwa wie sich lagernde, aber noch peitschende Spermatozoen. Sie können lange in ihrer gewöhnlichen Schwimmlage, der Länge nach von oben nach unten eingestellt, so dass die Spitze als Punkt erscheint, an genau demselben Fleck verharren und dennoch heftig peitschende Bewe- . gungen ausführen. Es ist nun garnicht einzusehen, weshalb so heftige Bewegungen veranlassende Molecülstösse den Körper dennoch am selben Fleck lassen sollten, besonders da einzelne, wie in Fig. 1 dargestellt, liegende Granula langsam in der Weise einer Diatomee durch das Gewimmel glitten. Es war selbstverständlich, dass solch’ kleine Körper sich in schleimigen Massen u. s. w. fangen, dass ihre Bewegungen durch die anderer Infusorien beeinflusst werden konnten. Alle derartigen Erscheinungen waren als selbst- verständlich bei der Beurtheilung des specifischen Falles auszuscheiden. Um alle in Betracht kommenden Fragen beurtheilen zu können, wurde eine Reihe verschiedener Praeparate zwecks längerer Beobachtung im frischen Zustande angefertigt. Die einleitenden Untersuchungen hatten als bestes Mittel die Beobachtung unter Deckgläschen mit Vaselinverschluss ergeben. Auf dem Objectträger wurden die Grenzen eines Vierecks, welche den Rändern des Deckgläschens entsprachen, mit mässigen Mengen von Vaseline pur. gezeichnet, hier hinein ein genügend grosser Tropfen ge- bracht, das Deckgläschen jetzt vorsichtig unter Vermeidung von Luftblasen aufgedrückt und so angekittet. Hierauf wurden die Ränder des Deck- gläschens von aussen derart mit einer dicken Schicht Vaseline belegt, dass so ein vollkommen dichter Verschluss hergestellt war, der sowohl das Ein- dringen der Luft in das Praeparat, wie das Verdunsten des in demselben vorhandenen Wassers verhinderte. Ein derartiges Praeparat kann Wochen lang gut bleiben und zeigt, ein sehr grosser Vortheil, nicht die geringste Strömungsbewegung des Wassers. Die Sauerstoffspannung musste bei eventuellem Verbrauch in einem derartigen Tropfen bald minimal werden. Als anderweitige Sauerstoffquelle, die, ohne das Praeparat berühren zu müssen, vorhanden sei, dienten grüne Algen, deren O-Entwickelung durch Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 27 entsprechende Beleuchtung zu reguliren war. Die Granula wurden der Choroidea eines frisch getödteten Frosches entnommen, indem die Choroidea zwecks möglichster Entfernung von Blutkörperchen u. s. w. erst in gewöhn- lichem Wasser ausgeschwenkt und dann in einem Schälchen mit einem Tropfen Wasser gerieben wurde, bis der Tropfen schmutzig grau geworden war. Dieser Tropfen wurde dann unter möglichstem Ausschluss grösserer Choroidafetzen mit dem entsprechenden Zusatz auf den Objectträger ge- bracht und wie vordem beschrieben, verkittet. Die Praeparate wurden dicht an einem Fenster mit weitem Horizont, aber mit Ausschluss des directen Sonnenlichtes, also an einer Nordseite, in ruhiger horizontaler Lage aufgestellt und ihr Befund täglich notirt. Es wurden folgende 18 Praepa- rate angefertigt: 1. Vaselinepraeparat mit Algen und Infusorien im Hellen. Längste Beobachtung. Befund am Anfang nicht täglich notirt. 2. Vaselinepraeparat mit Algen ohne Infusorien im Hellen. Längste Beobachtung. Befund am Anfang nicht täglich notirt. 3 und 3a. Vaselinepraeparat mit einzelnen Blutkörperchen im Hellen (Granulamenge minimal). : 4. Vaselinepraeparat mit vielen Blutkörperchen im Hellen (Granula- menge minimal). 5. Vaselinepraeparat mit einzelnen Blutkörperchen und Algen im hellen (der Algencomplex wurde scharf auf eine Seite des Praeparates gelegt). 6. Vaselinepraeparat, Reincultur. 7. Vaselinepraeparat, Reincultur mit etwa 12 Paramecien. 8. Vaselinepraeparat mit fein gepulvertem Carmin. Je eine Alge wurde in einer Ecke gelegt. Die eine blieb im Hellen, die andere wurde mittelst eines kleinen Schachteldeckels im Dunklen gehalten. 9 und 9a. Desgl., ohne Carmin. 10. Vaselinepraeparat mit Algen und Carmin im Hellen. 11. Vaselinepraeparat mit Algen ohne Carmin im Dunklen. lla. Vaselinepraeparat mit Algen ohne Carmin im Dunklen. 12. Nicht in Vaseline eingeschlossen, in heller feuchter Kammer. Algen und Garmin. 13. Desgl. Algen ohne Carmin. 14. Nicht in Vaseline eingeschlossen, in dunkler feuchter Kammer. Aleen ohne Carmin. 15. Desgl. Algen mit Carmin. 16. Vaselinepraeparat, Reincultur mit Carmin. Der aufgenommene Befund ergab für: 28 MıAx MÜNDEN: 1. Zeigte am zweiten Tage starke Anhäufung der Granula.. Am fünften Tage war überhaupt kaum ein freies Granulum da. Alles lag in diehten Schaaren um runde einzellige und lange vielzellige Algen und um Diatomeen herum und zwar durchgehends überall ausser dicht an die Algen gedrängten Massen vielfach in solcher Entfernung, dass an eine unsichtbare Ausschwitzung der Algen, die etwa die schon gelagerten Granula nur zufälliger Weise gefangen hätte, garnicht zu denken war. Theils bewegten sich diese Schwärme noch; allerdings hatte die sonst so intensive peitschende Bewegung einer auffallend matten Platz gemacht. An einen besonders grossen Algenbüschel waren bis nur dicht an den Rand Schwärme ge- kommen, die theils ruhig lagen, theils jene vorerwähnte matte Bewegung zeigten; hinein in den Büschel waren sie nicht gedrungen. Sie hatten sich auch vielfach an kleine Stäbchenlager gelegt. Sonstige Infusorien waren noch wohl und munter. Sechster Tag. Wie gestern. Siebenter Tag. Wie gestern, doch bewegte sich nur hin und wieder ein Granulum. Viele lagen jetzt auch über dem grossen Algenbüschel. Achter Tag. Es waren Luftblasen aufgetreten und wenn auch die typische Lagerung der Granula vielfach vorhanden war, so schwärmten doch mehrfach mässige Schaaren von Granula zwischen den Lagerungen und an ihnen. Neunter Tag. Granulabewegung fast überall erloschen. Luftblasen verschwunden. 2. Fünfter Tag. Eine massenhafte Entwickelung grünlicher Stäbchen liess die Granula sich überall an ruhende Stäbchen anlegen. Es war nur noch schätzungsweise der erste Theil der Granula in Bewegung. Nur einmal lag ein aus etwa 12 runden Algen bestehender Haufen da und lagerten Granula in verhältnissmässiger Entfernung um ihn herum und über ihn. Weder Granula noch Stäbchen waren an aus der Masse hervortretenden Zellen des Haufens oder an diesem selbst vorhanden. Sechster Tag. Wie gestern. Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 29 Siebenter Tag. Der Algenhaufen war jetzt dicht schwarz besetzt. Um ihn herum hatte sich ein dichter Hof von Granula gelegt, schätzungsweise zehn- mal so dicht wie an sonstigen Stellen des Tropfens und an Grösse einem etwas grösseren Durchmesser des Gesichtsfeldes von Obj. A, Oec. 4, Zeiss entsprechend. In diesem Hof waren keine Stäbehen., Um einzelne runde Algen in diesem Hof lag eine geringe besondere Ansammlung, manche wurden aber lebhaft von einem dichten Granulaschwarm umschwärmt, so dass sie selbst wieder im Hof einen noch dichteren Hof bildeten. Siehe Fig. 2. Achter Tag. Wie gestern. Der Hof war dichter geworden. Es hatten sich noch mehrere Höfe gebildet und eine Luftblase. Neunter Tag. Es bewegen sich nur wenige einzelne Granula. Luftblase weg. 3. Erster Tag. Es bewegen sich schätzungsweise nur der vierte Theil der Granula. Einzelne Blutkörperchen dicht belagert. (Sieht man binnen 5 bis 10 Minuten bei ganz frischen Praeparaten gleichfalls.) Zweiter Tag. Wie gestern. Dritter Tag. Wie gestern. Vierter Tag. Nicht mehr zu gebrauchen, 3a. Status !/, Stunde nach Anfertigung: Ohne Blutkörper, aber sonstige Zellen in Masse. Viele kleine Choroideafetzen. Ein grösseres Gewebsstück. Normale Bewegung. Erster Tag. Bewegung normal. Gewebszellen fast verschwunden. Chorcideafetzen dagegen vollständig und frisch erhalten. Zweiter Tag. Der vierte Theil der Granula noch in Bewegung. Wahllos gelagert. Zellenreste dichter umlagert. Choroideafetzen noch voll- kommen maulbeerförmig erhalten und in ihren Zellen ist die Bewegung der Granula, soweit überhaupt sichtbar, überall erloschen. Dritter Tag. Bewegung erloschen. Sonst wie gestern. Auffällig ist das gute Erhalten der Choroideazellen. Vierter Tag. Wie gestern. 4. Erster Tag. Es bewegt sich schätzungsweise noch die Hälfte der Granula. Viele Stäbchen, um die sich Körper vielfach schaaren. Zerfallene Blutkörperchen vielfach von sich bewegenden, zerrenden Körpern umlagert. Zweiter Tag. Wie gestern. Dritter Tag. Stäbchen sehr stark vermehrt und in lebhafter Bewegung. Granula nicht und liegen zum grössten Theil einzeln oder in Schaaren fest und an Stäbchenlagern. Zwei Luftblasen von sich bewegenden und ruhenden Stäbchen von hier durchgehends sich be- wegenden Granula umlagert. Im Raum zwischen den zwei Luftblasen, der dem doppelten Durchmesser des Gesiehtsfeldes von D Ocul. 4 Zeiss aus- gezogener Tubus, entsprach, bewegten sich die Granula durchweg. Vierter Tag. Granula und Stäbchen bewegungslos in Lagern, die sich von der einen der noch vorhandenen Luftblasen zurückgezogen haben, der anderen aber noch vielfach anliegen. Fünfter Tag. Stäbchen in grossen und kleinen Lagern bewegungslos. Granula und Blutkörperchen fast verschwunden. Stäbchen auffallend gross. Sechster Tag. Wie gestern. 5. Erster Tag. Fadenpilze und runde Algen theilweise schwach be- setzt. Es bewegten sich schätzungsweise noch die Hälfte der Granula. Zweiter Tag. Bewegung fast überall erloschen. Alles um einzelne Algen und Blutkörperchen gedrängt. Auch in der Nähe des Algenklumpens. Ein ganz kleiner aus etwa 20 Algen bestehender Complex schwarz bedeckt. Zahlreiche sonstige grünliche Infusorien wohl und munter. Dritter Tag. 30 Mıx Münpen: Wie gestern. Vierter Tag. Wie gestern. Fünfter und sechster Tag. Wie gestern. 6. Erster Tag. Fast alles strichweise gelagert, es bewegen sich nur sehr wenige Granula. Viel Stäbehenbakterien, etwa acht Stunden später bei andauerndem Lampenlicht erwachende uud anwachsende Bewegung. (Aus- nahmsweise dergleichen bei Einwirkung von Licht beobachtet.) Zweiter Tag. Bewegung bei fast allen Granula erloschen. Fast alles strichweise gelagert, bis auf zwei Stellen: 1. Etwa sechs zusammenliegende Blut- körperchen sind dicht umlagert. Im doppelten Durchmesserumkreise des Gesichtsfeldes von D, Oc. 4 a. T. bewegte sich jedoch gut die Hälfte der Granula. 2. Einzelne Blutkörperchen, die dicht von ruhenden und lebhaft sich bewegenden Granula umbaut und besetzt sind. Die allernächste Umgebung dieser Blutkörperchen bildet in der Regel ein von Granula freier Hof. Dritter Tag. Stäbchen in rasender Bewegung am Vaselinrande. Verschwinden allmählich gegen Mitte des Tropfens, wo sie vollständig fehlen. Stellenweise nur der achte Theil, sonst fast gar keine Granula in Bewegung. Sonst wie gestern. Vierter Tag. Blutkörper zerfallen. Aber mächtige Granulahöfe um ihre Reste und manche dort still lagernde Bakterienlager, welch erstere durchwegs aus einzeln länglich gelagerten Granula ohne dazwischen liegende einzelne Stäbehen bestehen. Man meint, eine sich sonnende Brut junger Stichlinge oder Forellen zu sehen. Gerade an diesem Bild war deutlich zu sehen, dass eine Theorie der Verklebung der Granula eben haltlose Theorie sei. Fünfter Tag. Bewegung bei Granula und Bakterien erloschen. Sonst wie gestern. Sechster Tag. Wie gestern. 7. Erster Tag. Paramecien lebhaft. Schätzungsweise drei Viertel der Granula in Bewegung. Zweiter Tag. Bewegung normal. Vielfach An- sammlung um Blutkörperchen und Stäbchen. Ein langer Fadenpilz auf einer kleinen Strecke dicht besetzt und umschwärmt, aber nur soweit auch Blutkörper dort liegen. Paramecien wohl und munter. Dritter Tag. Ansammlungen vermehrt. Status an dem Fadenpilz geblieben. Paramecien und sonstige sich stark vermehrt habende Ciliaten wohl und mit Granula angefüllt. Vierter Tag. Granula in Klumpen festsitzend, stark reducirt. Paramecien und Ciliaten wie gestern. Fünfter und sechster Tag. Wie gestern. 8. Erster Tag. Carmin wahllos zerstreut und ohne Bewegung. Granula um 9 Uhr unverändert, um 11 Uhr Vormittags jedoch an dunkler Algenseite stark in typischer Weise besetzt, an heller Seite nicht. Zweiter Tag. Sowohl an heller wie an dunkler Algenseite besetzt. In der Mitte ziemlich nicht besetzt. Die Hälfte der Granula noch in Bewegung, stellen- weise um einzelne runde Algen sehr lebhaft. Carminkörner,. selbst in Gra- nulagrösse, nirgends in Bewegung. Dritter Tag. Bewegung fast erloschen. An dunkler Algenseite nicht mehr wie gestern besetzt, sondern alle Granula im Gesichtsfeld einzeln oder in Gruppen zerstreut. Nicht zu entscheiden, ob dieses der Dunkelheit oder massenhaft auftretenden Stäbchen zuzu- schreiben ist. Im hellen Gesichtsfeld desgleichen. Vierter Tag. Seit gestern ohne halbseitige Beschattung. Wie gestern. Fünfter Tag. Wie gestern. Bei diesem wie bei nachfolgenden Carmin enthaltenden Praeparaten ist zu bemerken, dass 1 bis 2 Stunden nach Anfertigung derselben sich nirgends Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. al ein Ansatz der Granula zeigte und ihre Bewegung normal war. Hingegen hatten sich grössere und kleinere Carminkörner schon massenhaft, offen- bar gerade wie sie gefallen waren, frei und an Algen angesetzt. 9. Erster Tag. An der beleuchteten Stelle kein Ansatz der Granula, an dunkler mässiger. An ersterer aber vielfach Ansatz von der geringen Menge Carmin, die durch Zufall hineingerathen war. Zu bemerken ist, dass die freien Algen sehr dieht von Granula umschwärmt wurden und so schon das Bild von Höfen entstand. Zweiter Tag. Beiderseits Algen und Faden- pilze mässig besetzt. Der vierte Theil der Granula in Bewegung. Diato- meen sowohl hier wie in sonstigen Praeparaten sehr selten und dann nur ruhend besetzt. Dritter Tag. Bewegung erloschen. Nirgends zerstreut liegende Granula, Alles typisch gelagert. Vierter Tag. Seit gestern ohne halbseitige Beschattung. Granula stark abgenommen, von ziemlich zahl- reich plötzlich aufgetretenen Ciliaten gefressen. Fünfter Tag. Wie gestern. 9a. Erster und zweiter Tag. Im Gesammtverhalten wie 9. Dritter Tag. Wie gestern. Vierter Tag. Ein kleiner Algenbüschel gut besetzt, der grosse so gut wie kein Besatz, dagegen stark von oben her von Kokken belagert. Bewegung erloschen. Fünfter Tag. Wie gestern. 10. Erster Tag. Carmin hatte sich in grösseren und bis Granula kleinen Brocken stellenweise dicht an Algen und Fadenpilze angelegt, aber nur hin und wieder ein einzelnes Granulum. Granula überall vertheilt in normaler Bewegung. Die compacte Algenmasse war bis auf einzelne von Granula frei, selbst da, wo massenhaft Carmin sass. Zweiter Tag. Wie gestern. Granulagrosse Carminkörner stellenweise in Bewegung. Dritter Tag. Zerquetscht, nicht mehr zu gebrauchen. 11. Erster Tag. Nirgends Ansatz. Bewegung normal. Algen un- verändert grün. Zweiter Tag. In der einen Hälfte des Tropfens hatte sich alles um massenhaft vorhandene Stäbchen gelagert und war die Be- wegung dort fast bei allen Granula erloschen. In der anderen Hälfte, die freier war, nirgends Ansatz und normale Bewegung. Dritter Tag. Wie gestern. Die gelagerte Stelle umfasste eine Kante in !/, Breite des Deck- gläschens und fing bald hinter den beiden Hauptalgenbüscheln, die in der Mitte mit einem gegenseitigen Abstand von 1 “® lagen, an. Eine Ursache für dieses eigenthümliche Verhalten von Granula und Stäbchen war nicht zu ermitteln. Eine Vorticelle lag wie fixirt mit steifen Wimpern todt dar. Eine grosse Amoebe bewegte sich förmlich convulsivisch. Sonstige wenige Ciliaten schwärmten dort normal. Algenfarbe anscheinend normal. Vierter Tag. Beschädigt. Nicht mehr zu gebrauchen. lila. Erster Tag. Bewegung normal. Viele thierische Zellen vom vergangenen Tage fast ganz verschwunden. Einzelne Choroideafetzen gut erhalten. Zweiter Tag. Bewegung fast überall erloschen. Wahllos gelagert. Dritter Tag. Bewegung fast überall erloschen. Wahllos gelagert. Choroideafetzen gut erhalten. 12. Erster Tag. Kein Granula- wohl aber Carminbesatz. Zweiter Tag. Theils in Bewegung, theils ruhend um Bakterien oder allein zu zwei bis sechs, selten an Algen, nie an Diatomeen. Dritter Tag. Wie gestern. Vierter Tag. Bewegung erloschen. Ohne typische Lagerung. Selten an Algen, nie an Diatomeen. &> [I Max MÜnDeEn: 13. Erster Tag. Bewegung normal, kein Besatz. Zweiter Tag. Wie 12. Dritter Tag. Bewegung erloschen. Ohne typische Lagerung. Selten an Algen, nie an Diatomeen. Massenhaft Stäbchen. 14. Erster Tag. Unverändert. Zweiter Tag. Bewegung fast überall erloschen. Häufchen oder einzelne ohne typische Lagerung. Stellenweise an Stäbchen. Nie an Algen oder Diatomeen. Dritter Tag. Wie gestern. Bewegung erloschen. Vierter Tag. Wie gestern. Fünfter Tag. Wie gestern. 15. Erster Tag. Carmin- aber kein Granulabesatz. Zweiter Tag Bewegung fast überall erloschen ohne typische Lagerung. Selten Granula wohl aber stellenweise massenhaft Carmin an Algen, Fadenpilzen und Diatomeen. Dritter Tag. Wie gestern. Bewegung überall erloschen. 16. Erster Tag. Normale Bewegung der Granula. Carmin gelagert. Zweiter Tag. Die Hälfte der Granula noch in Bewegung, doch nicht eines der Carminkörner, von denen viele nicht grösser als die Granula waren, zeigt selbst auf Erschütterung hin Bewegung. Dritter Tag. Wie gestern. Fünfter Tag. Alles gelagert. Theils um Bakterienlager, theils so. Siebenter Tag. Im Halbdunkel stets geringe Bewegung auch von an Stäbehen gelagerten Granula. Beweis, dass dieselben nicht an einem even- tuell abgesonderten Schleim der Bakterien festgehalten sind. Aus diesen Versuchen geht folgendes hervor: Nr. 8, 10, 12, 15 und 16 erweisen, dass unter den verschiedensten Verhältnissen Carminkörner sich vollständig abweichend von den Granula verhalten. Erstere sinken kurze Zeit nach Anfertigung der Praeparate zu Boden und lagern sich vollkommen wahllos überall. Letztere bewahren ihre Bewegung mindesten 24 Stunden, in der Regel aber zwei bis drei Tage und lagern sich bei Luftabschluss in einer typischen Weise, welche den Bildern der Engelmann’schen Sauerstoffprobe vermittelst Bakterien entspricht. Fig. 3 zeigt eine solche genau angefertigte typische Lagerung der Granula. Sie sammeln sich um OÖ spendende Algen und Fadenpilze in derart bestimmter gesetzmässiger Weise an, dass an ein zufälliees Ankleben an irgend welche ausgeschwitzten Stoffe der Algen u. s. w. gar nicht zu denken ist (Nr. 1, 2, 5, 7, 8, 9, 9a). Sie vermeiden auffallender Weise Diatomeen, auch wenn dieselben lagern, was vielleicht daher rührt, dass Diatomeen später wie die Granula zur Ruhe gelangen. Es ist zu bemerken, dass bei andauerndem Luftabschluss auch Diatomeen schliesslich ihre Bewegungen einstellen. - Wenn nun umgekehrt die Aleen durch Dunkelheit verhindert werden O zu entwickeln, so lagern sich die Granula vollkommen wahllos (Nr. 10a, 11a). Wenn andererseits durch freien Luftzutritt die Ursache für die Granula, sich um O spendende Körper zu lagern, aufgehoben ist, lagern sie sich auch thatsächlich wahllos (Nr. 12, 13, 14, 15). Wenn bei Luftabschluss kein O spendender Körper vorhanden ist, so geschieht dasselbe (3a, 4, 6). Wenn unter demselben Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 33 Deckeläschen eine O spendende Alge an einer und eine kein O spendende an der andern Seite liegt, so wirkt die O-Vertheilung im ganzen Tropfen nicht ganz typisch (Nr. 8, 9, 9a), lässt aber ein Verständniss zu, wenn man beachtet, dass die Granula auch zu viel O scheuen. Sie sammeln sich fast nie um die grossen Algenhaufen und bleiben eventuell in ent- sprechender Entfernung. Erst bei abnehmendem Ö-Mangel im Tropfen rücken sie dichter an die grossen Büschel heran und lagern sich in einzel- nen Fällen an dieselben. Ein ähnliches Maximum für O-Einwirkung zeigten sie zwischen zwei Luftblasen (Nr. 4, 3. Tag). Nicht nur Algen, sondern auch O enthaltende Blutkörperchen sind Mittelpunkte ihrer Lager (Nr. 3, Fig. 3. 4, 5, 6 [2. Tag], 7). Sie bilden ihre typischen Ansammlungen nicht nur ruhend, sondern auch, indem sie noch in lebhafter Bewegung begriffen sind (Nr. 1, 2 [7. Tag], 3, 4 [3. Tag], 6 [2. Tag]). Ob ihre Ansamm- lung um zerfallende Thierzellen und um einzelne Stäbchenbakterien auf Chemotropismus beruht, lasse ich offen. Ich verzichte auch an dieser Stelle darauf, auf eine Reihe sonstiger interessanter Facta, die der Befund auf- weist, einzugehen, da sie nicht zur Sache gehören. Bewiesen ist die chemotropische Ortsveränderung der Granula in Verbindung mit activer Bewegung. Ihre peitschende Bewegung bei ein- Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 3 34 Max MÜNDEN: facher Ocularinspection ist deshalb nicht als Molecularbewe- gung, sondern als active Bewegung eines Organismus aufzu- fassen. Die Granula oder Altmann’schen Elementarorganismen sind deshalb vollständige Organismen, die in Staaten, der Zelle, leben. | Nachdem also nun feststand, dass die Granula aus der Choroidea des Frosches selbständige Organismen seien, welche befähigt sind, Tage lang im Wasser lebend zu bleiben, tauchte die Frage auf, wie sie sich etwa verhalten möchten, wenn man sie unter ihnen günstigen Nahrungsverhält- nissen beobachtete. Es wurden deshalb eine Anzahl Vaselinpraeparate in der früher beschriebenen Art und Weise angefertigt. Für genügenden Sauerstoff sorgten eine grössere Anzahl einzelliger Algen, sodann wurde durch grössere Mengen von Blutkörperchen und sonstiger einzelner Zellen des Frosches eine leicht zersetzliche organische Nahrung geboten. Schon nach zwei Tagen zeigten einzelne Granula wichtige Umwandlungen; wenige Tage darauf hatte der Prozess in allen Praeparaten den weitaus grössten Theil der Granula betroffen. Musterte man den Tropfen durch, so fand man viele sich noch be- wegende Granula, welche so erheblich grösser geworden waren, dass jetzt schon eine 500fache Vergrösserung hinreichte, ihre Formver- PU) hältnisse genau zu erfassen. Ein solches Granulum war länger und vorzüglich dicker geworden. Zugenommen hatte die licht- brechende protoplasmatische Substanz, welcher der Farbstoff als Kappe aufsass, wie Fig. 4 darstellt. In bewegungsloser Lage fanden sich sodann massenhaft an allen Stellen der Praeparate Gebilde, welche in allen nur denkbaren Variationen das weitere Wachsthum der protoplasmatischen Substanz, weiche eine sehr hellgrüne Farbe zeigte und die Umwandlung des Granulum im eine einzellige sogenannte grüne Alge aufwies. Fig. 5 stellt eine Reihe derartiger Gebilde dar. ; Die protoplasmatische Substanz wächst demnach in der verschiedensten Art und Weise, zersprengt hierbei vielfach den dunklen Farbstoff und bildet nicht nur regelrechte grüne einzellige Algen, weiche schliesslich nur noch ee0oQ 8 099 88000 A6 509 Eiems. Fig. 4. durch einen besonders scharfen schwarzen Rand von Zellen gleicher Art abstechen, sondern auch äusserst bizarre Formen, wie solche die am Ende der Reihe der Fig. 5 aufweisen. Die Bedingungen für dieses verschiedene Eın BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 35 Verhalten werden äusserst schwer zu ermitteln sein, denn es finden sich schon Häufchen von sechs bis zwölf Individuen, welche eine grosse Mannig- faltigkeit in der Form zeigen. Insoweit das Centrum des neuen Gebildes nicht von verschiedenartig gestalteten Resten des Farbstoffes erfüllt wird, vermag man von einer gewissen Grösse desselben an stets eine Sonderung in zwei verschieden stark lichtbrechende Substanzen zu beobachten. Lässt man die Praeparate zwei bis drei Wochen stehen, so zeigt sich bei allen, dass der schwarze Farbstoff nach und nach resorbirt und das Gebilde eine tadellose grüne Zelle wird. Fertigt man ein derartiges Vaselinpraeparat ohne Algen und mit möglichstem Ausschluss sonstiger Zellen des Frosches an, so zeigen sich ähnliche Gebilde, aber nur sehr, sehr spärlich, sodass es der sorgsamsten Durchmusterung des Praeparates bedarf, um überhaupt welche zu ent- decken. Es lag nun die Vermuthung nahe, dass es sich bei diesen Erschei- nungen etwa doch nur um eine Färbung sonst schon im Tropfen vor- handener grüner einzelliger Algen handeln könne, welche der Farbstoff der Granula bewirke. Dieser Einwand musste aber folgenden Erwägungen weichen: 1. Auch in Wochen alten Reinculturen zeigt der Farbstoff keine Neigung, sich im Wasser des Praeparates aufzulösen. 2. Um todte, ge- schweige lebende Zellen zu färben, bedürfen wir sonst einer tief gesättigten Lösung des betreffenden Farbstoffe. Hier zeigt das Praeparat aber über- haupt kaum eine Trübung. 3. Für die vielen bizarren Formen sind im Praeparat durchaus keine Analoga unter den anderen Zellen zu finden. 4. Wir vermögen nicht nur, wie vorstehend dargestellt, die Entwickelung vom Granulum zur Zelle an den zerstreuten Individuen Schritt für Schritt zu verfolgen; wir finden auch häufig kleinere Haufen von ungefähr zwölf Individuen, welche alle Uebergänge auf das Schönste zeigen. Es dürfte demnach seine Richtigkeit haben, dass hier eine Verwandlung des Granulum in eine grüne Zelle vorliegt, die unter geeigneten Verhältnissen in wenigen Tagen, ja vielleicht in Stunden, stattfindet. 3* Ein Apparat, welcher gestattet die Gesetze von Filtration und Osmose strömender Flüssigkeiten bei homogenen Membranen zu studiren.' Von H. J. Hamburger in Utrecht. (Hierzu Taf. I.) In meiner vorigen Abhandlung ? habe ich gezeigt, dass wenn man Flüssigkeiten, gleichviel ob seröse oder nicht seröse, ob Lösungen von starker oder von schwacher Concentration, in die Bauch- oder Pericardial- höhle einführt, diese Flüssigkeiten fast ausschliesslich von den im Peritoneum oder Pericardium gelegenen feinen Blutgefässen aufgenommen werden. Es war dann weiter die Frage auf welche Weise dies stattfand. Vor einem derartigen Problem befand sich vor Kurzem auch Heiden- hain,? als er die Resorption von Flüssigkeiten im Dünndarm untersuchte. Brachte er Serum eines Hundes in eine an zwei Stellen abgebundene Darm- schlinge eines anderen Hundes, so sah er das Serum verschwinden, obgleich es mit dem Blutplasma des Versuchsthieres isotonisch war. Von osmotischen Triebkräften konnte hier nicht die Rede sein. Es sollten darum, nach Heidenhain, Lebenskräfte der Darmschleimhaut im Spiele sein. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangten auch Starling und Tubby,® als sie ! Der Apparat ist zu bekommen beim Hrn. D. B. Kagenaar, Mechaniker des physiologischen Laboratoriums der hiesigen Universität. ® Ueber die Regelung der osmotischen Spannkraft von Flüssigkeiten in Bauch- und Pericardialhöhle. Ein Beitrag zur Kenntniss der Resorption. Dies Archiv. 1895. s. oben S. 281. 3 Pflüger’s Archw. Bd. XLI. 1894. S. 600. * Journal of Physiology. XVI. 1894. Nr. 1 und 2. 8. 150. H. J. HAMBURGER: FILTRATION U. OSMOSE BEI HOMOG. MEMBRANEN. 37 beobachteten, dass Flüssigkeiten, isotonisch oder nicht, mit dem Blutserum des Versuchsthieres in der Bauchhöhle resorbirt wurden. Was war natürlicher, als dass auch ich bei meinen Versuchen an eine Lebensäusserung des Peritoneums und Pericardiums dachte. Doch ehe ich mich mit dieser Auffassung zufrieden stellen durfte, wünschte ich zu untersuchen, ob die beim lebenden Thiere beobachteten Erscheinungen dann beim todten fehlen würden. Und nun stellte sich heraus, dass dies bei Thieren, welche 2 bis 24 Stunden und sogar länger todt waren, nicht der Fall war, ebensowenig wie bei lebenden und todten Thieren, deren ganzes Peritoneum thermisch oder chemisch tödtlich geschädigt war. Auch beim Dünndarme wurden dieselben Erscheinungen an der ge- tödteten Schleimhaut beobachtet, wie Heidenhain auch an der lebenden constatirt hatte. Neuerdings kam Starling, unabhängig von mir, auf Grund anderer Experimente, von der Annahme von Lebenskräften zurück.! Erhellt also hieraus, dass die Resorption von Flüssigkeiten durch die Blutgefässe nicht am Leben gebunden ist, so kann es noch die Frage sein, in wie weit die postmortale Struetur der Blutgefässe verantwortlich gestellt werden muss. Darum habe ich untersucht, ob die Resorptionserscheinungen vielleicht auch an künstlichen, homogenen, structurlosen Membranen hervorgerufen werden könnten. Das war wirklich der Fall. Im Alleemeinen haben die Physiologen und Pathologen, überzeugt von der grossen Bedeutung für den Organismus von Flüssigkeitsbewegung und Stoffaustausch durch thierische Membranen, schon lange das Bedürfniss gefühlt, die bezüglichen Gesetze, ausserhalb des Körpers, systematisch zu studiren. Gewöhnlich wandten sie hierzu thierische Häute an, wie Pericardium, getrocknete Harnblase, Darm u. s. w. Im Jahre 1857 aber sprach Fick die Wahrscheinlichkeit aus, dass man mit derartigen Membranen unmöglich reine Resultate bekommen könnte, weil man hier mit zusammengesetzten Geweben zu thun hat, auf- gebaut aus porösen und nicht porösen homogenen Theilen. Diese beiden Arten von Membranen sollten nach ihm jede für sich studirt werden.? ! Vergl. Leathes und Starling, On the absorption of salt solutions from the pleural cavities. Journal of Physiology. Vol. XVIII. p. 106. ® Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre. Bd. Il. 1857. S. 294. 38 H. J. HAMBURGER: Mit den porösen konnte er kurz sein, weil Graham dieselben aus- führlich untersucht hatte. Fick hatte sich also hauptsächlich mit den homogenen zu beschäftigen. Leicht war diese Aufgabe aber nicht; denn, wie allgemein dieselben im Körper auch vorkommen mögen, schwierig ist es, sie in freiem Zustande darzustellen; und was die künstlichen Membranen betrifft, wenn dieselben dünn sind — und das soll der Fall sein — so sind sie sehr wenig resistent. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es ihm endlich, eine Methode ausfindig zu machen, welche ihm gestattete, einige Thatsachen mit Sicher- heit festzustellen. So fand er z. B., dass homogene Häute ganz anderen Gesetzen folgen wie poröse. Für die Anfertigung seiner homogenen Membranen gebrauchte er Collodion. Er arbeitete in folgender Weise: Von einem etwa 5 °m enthaltenden Kölbehen wurde die Innenwand mit einer Collodionlösung bedeckt. Nachdem Alkohol und Aether verdampft waren, wurde an dem Halse das Häutchen vorsichtig gelockert und um ein Glasröhrchen gefaltet und befestigt. Wurde nun am Röhrchen gezogen, so liess die Collodionschichte überall los und konnte aus dem Kölbchen entfernt werden. Das also gebildete Beutelchen füllte er theilweise mit einer Salzlösung und setzte es dann in ein kleines, eine bekannte Menge Wasser enthaltendes Reservoir. Durch Wägung des Beutelchens vor und nach dem Versuch und durch Wägung des in’s Wasser hinübergetretenen Salzes, konnte er die osmotische Wirkung feststellen und bestimmen. Fick hat die Nachtheile seiner Methode und die an derselben haf- tenden Fehler nicht verschwiegen. War die Membran dünn — und das sollte dieselbe sein — so zeigten sich Falten am Beutelchen; innerhalb dieser Falten wurde an der Aussen- seite der Membran ein gewisses Volum Wasser eingeschlossen und also vom übrigen Wasser nahezu ganz getrennt. Es liegt auf der Hand, dass die innerhalb der Falten eingeschlossene Flüssigkeit eine andere Zusammen- setzung erhielt als die übrige im Reservoir sich befindende Flüssigkeit. Weiter stieg in den Falten die Lösung hinauf, so dass auch das Moment Druck das Resultat beeinflusste und zwar in einem nicht berechen- baren Maasse. In diesen Falten erkannte fick die meist bedeutende Fehlerquelle seiner Methode. Aber auch bei der Wägung waren Fehler unvermeidlich. Es war namentlich äusserst schwierig, das feine Beutelchen zuvor genau ab- zutrocknen; auch war während der Wägung Verdampfung nicht aus- zuschliessen. FILTRATION UND ÖOSMOSE STRÖM. FTLÜSS. BEI HOMOG. MEMBRANEN. 39 Diesen von Fick selbst erhobenen Beschwerden könnte ich noch zwei andere hinzufügen. Erstens gestattet die Methode nur mit sehr kleinen Flüssigkeitsmengen zu experimentiren, so klein, dass dieselben eine quan- titative Analyse kaum erlauben. Eine einigermaassen grössere (Quantität würde das Beutelchen nicht ertragen. Zweitens kann von Durchströmungs- und Filtrationsversuchen hier nicht die Rede sein. Es wird wohl sein auf Grund von den genannten Erwägungen und von den nicht geringen mit der Anfertigung und Behandlung der Membranen verknüpften technischen Schwierigkeiten, dass Fick die von ihm in Aussicht gestellte Fortsetzung seiner betreffenden Experimente nicht ge- geben hat und auch andere Physiologen die von ihm in seiner Abhandlung erfragte Mitwirkung nicht verleiht haben. Diese Mitwirkung wurde ihm nicht vorenthalten, weil man sich für die Sache nicht interessirte; hat man ja nach dem Jahre 1857 wiederholte Male die Bewegung seröser und nicht seröser Flüssigkeiten durch Membranen zu studiren versucht, insbesondere mit Bezug auf die Lymphbildung. Stets gebrauchte man aber zusammengesetzte Gewebe, gewöhnlich den todten Darm. Wir erinnern nur an die bekannten Versuche Runeberg’s, welche einige Zeit eine Rolle spielten in der Frage der Lymphbildung bei arterieller Hyperaemie! und auch in der Albuminuriefrage. Ich glaube, dass nach den in Pekelharing’s Laboratorium aus- geführten Untersuchungen von van Beek nur wenig Physiologen sich noch für berechtigt erachten werden, die von Runeberg am mehrschichtigen, theilweise faserig gebauten Darme gewonnenen Filtrationsresultate ohne Weiteres auf die Blutcapillaren zu übertragen.? Doch hat Cohnstein? ganz neuerdings wieder neue Versuche am todten Darme angestellt, um Heidenhain’s Schlussfolgerungen bezüglich der Lymphbildungslehre zu bekämpfen. Ein Versuch zur Construction eines Apparates, welcher gestattet an künstlichen homogenen Membranen die Gesetze von Fil- tration und Osmose zu studiren, kann nach dem Erwähnten nicht ganz überflüssig erscheinen. Vielleicht wird die Bemerkung gemacht werden, dass schon lange vorher 1 Archiv für Heilkunde. Bd. XVII. 8. 1. ® Vergl. hierzu van Beek, Sur la filtration des liquides a travers les membranes fibreuses. Archives Neerlandaises. T. XIX. 1883. Im eigenthümlichen faserigen Bau des Darmes erkannte van Beek die Ursache der von Runeberg beobachteten Per- meabilitätsänderung. 3 Virchow’s Archiv. Bd. CXXXV. 1894. 8. 514. — Pflüger’s Archiv. Bd. LIX. 1894. S. 350. 40 H. J. HAMBURGER: (1877) Pfeffer sich homogener Membranen bediente. Das ist in der That auch der Fall. Bekanntlich waren es Niederschlagsmembranen, d. h. Praecipitate, ent- standen durch chemische Wechselwirkung zweier Salze. Sie wurden ge- bildet in und auf den Poren von Thoneylindern. Abgesehen von der Zart- heit dieser Häute und von der Schwierigkeit, dass man hier nicht nur mit einem homogenen, sondern auch mit einem porösen (Thoneylinder) zu schaffen hat, sind diese Membranen für unseren Zweck nicht geeignet, weil dieselben semipermeabel sind (d. h. nur Wasser und kein Salz und Eiweiss den Durchgang gestatten), was von thierischen Membranen entschieden nicht behauptet werden darf. Diese Semipermeabilität gilt auch für die später von G. Tamman! angefertisten stärkeren Niederschlagsmembranen, welche ausserdem für unseren Zweck viel zu dick sind. Um die Demonstration des Apparates zu erleichtern, bitten wir den Leser uns bei der Vorbereitung zu einem Versuch zu folgen. Wir werden dabei Gelegenheit haben, die verschiedenen Theile in der geeigneten Reihen- folge zu beschreiben, und wo nöthig auf deren Bedeutung hinzuweisen. Das Wesentliche des Apparates ist natürlich die Membran. Diese wird angefertigt, indem ein Rohr von Metallgaze in horizontaler Richtung um seine Längsaxe gedreht wird, in einer Flüssigkeit, aus welcher sich die Membran bilden soll. Hierbei füllen sich die Maschen der Gaze von selbst an. Als Flüssigkeiten habe ich bis jetzt mit Erfolg versucht: Lösungen von Gelatine, von Gelatine und Agar-Agar und von Collodion. Nachdem das Rohr aus der Flüssigkeit entfernt ist, fährt man eine kurze Zeit fort dasselbe um die Längsaxe in horizontaler Richtung zu drehen: bald ist die Membran fest geworden. Hält man nun das Rohr vor das Licht, so bemerkt man zuweilen ein nicht gefülltes Fensterchen. Es ist sehr leicht diesem Fehler abzuhelfen, indem man aus einer feinen Pipette ein wenig von der flüssigen Membran- substanz hinauffallen lässt. Fürchtet man aber aus irgend einem Grund eine örtliche Verdiekung der Membran, so kann man, wenn die allgemeine Dickenzunahme keine Beschwerde ist, das Rohr noch einmal in der Flüssigkeit herumdrehen; sonst hat man eine neue anzufertigen. Zu diesem Zweck wird das Rohr in kochendes Wasser gelegt. wenn nämlich die Membran aus Gelatine oder Gelatine-Agar bestand, in ein Gemisch von Alkohol-Aether dahingegen, wenn die Membransubstanz Collodion war. ! Zeitschrift für physik. Chemie. Bd. IX. 1892. 8. 97. FILTRATION UND ÜSMOSE STRÖM. FLÜSS. BEI HOMOG, MEMBRANEN. 41 Die Reinigung wird beschleunigt, wenn man eine Bürste zu Hülfe nimmt. Nachdem endlich das Rohr in kaltem Wasser gründlich abgespült ist, wird es mittelst eines Tuches abgetrocknet und auf einige Minuten an einem warmen Ort gelest. Die vorangehende Erwärmung hat einen zwei- fachen Vortheil: 1. wird das Trocknen der Gaze beschleunigt, 2. haftet die Membran besser am Metalldraht. Indessen habe ich mit kalten Rohren auch recht gute Resultate bekommen. Man kann nun unmittelbar zur Anfertigung einer neuen Membran schreiten. (Gewöhnlich mache ich drei Membranen hintereinander; zwei also in Vorrath. Es ereignet sich namentlich nicht selten, dass sieh erst bei der Füllung des homogenen Rohres mit Flüssigkeit ein Fehler in der Membran zeigt. Hat man nun sofort eine neue Membran zur Verfügung, so wird die Verzögerung sehr beschränkt. Die praeparirten Rohre werden aufbewahrt in verschlossenen Glas- cylindern, also nicht der Luft ausgesetzt; denn sonst würde die Membran austrocknen und beim Versuch hätte man dann zu warten bis dieselbe sich wieder mit der ursprünglichen Flüssigkeitsmenge imbibirt hat.! Diese Bemerkung bezieht sich natürlich nicht auf Collodionmembranen. Diese werden nach völliger Verdampfung von Alkohol und Aether in ver- schlossenen Flaschen aufbewahrt, nur um dieselben vor Verunreinigung zu schützen. Noch ein Paar Bemerkungen über das Rohr. Man kann demselben eine willkürliche Form geben. Die bis jetzt von mir gebrauchten sind abgebildet in Fiegs. 3 und 4.? Sie bestehen aus gewälzter Nickelgaze, deren Maschen eine Länge und eine Breite von 0.8 "m besitzen. Am meisten habe ich Fig. 3 angewandt. An den beiden Enden findet man Kupferstücke 5 und ec eingelöthet, die dazu dienen, um das Rohr mit anderen Theilen des Apparates verbinden zu können. c hat einen Schrauben- draht (vergl. hierzu auch Fig. 4). ! Ich denke nicht daran, die Aufbewahrung in verschlossenen Flaschen als eine allgemeine Regel hinzustellen. Ich kann mir Fälle denken, in welchen das vorherige Austrocknen gerade erwünscht ist. ° Diese beiden Figuren sind zugleich mit Fig. 1 und 2 auf derselben Platte photographirt, indem die Objeete untereinander in einer verticalen Fläche an seidenen Fäden aufgehängt waren. Die relative Grösse der Bilder entspricht somit der Wirk- lichkeit. Die wahre Grösse von be ist 25. Die Photogramme sind durch Zeich- nungen reprodueirt. Auch Fig. 5 habe ich durch Photographie erhalten. Fig. 6 ist gezeichnet. Sie stellt einen vertiealen Durchschnitt durch den Haupttheil des Apparates vor. Das Gazerohr sollte also nicht mit Pünktchen angefüllt sein. Ich habe es aber doch gethan, um das Rohr mit seinen Maschen deutlicher hervortreten zu lassen. 42 H. J. HAMBURGER: Ist die Membran zum Gebrauch fertig, so wird das Rohr bei 5 ver- sehen mit einem Gummipfropfen d, in welchem ein Glasrohr e passt (vgl. Fig. 2). Weiter wird das Ende ce an das Metallstück geschraubt, welches an der linken Seite von Fig. 2 ersichtlich ist und welches ich jetzt be- schreiben werde. Es ist hohl und links verschlossen mit einem Gummipfropfen f. Weiter trägt es zwei Metallröhrchen, ein Röhrchen y von unten und ein anderes A, welches auf der Abbildung nicht sichtbar ist, weil ein Gummirohr darüber geschoben ist, welches Gummirohr ein Glasrohr mit Hahn 7 trägt. h und i stehen mit dem Hohlraum des Metallstückes, also mit dem Innern des Gazerohres in offener Verbindung (vergl. Fig. 6). Der also zusammengesetzte und durch Fig. 2 vorgestellte Theil muss in Fig. 1 geschoben und darin befestigt werden. Fig. 1 stellt ein an beiden Seiten offenes, ziemlich diekwandiges Glas- rohr vor. Links ist das Rohr umgeben von einem Kupferstück, das zwei Metallröhrchen A und / trägt, welche mit dem Innern des Glasrohres in Communication stehen. Die Bedeutung dieser Röhrchen besprechen wir sofort. Weiter sieht man vier Schrauben mit Muttern. Nur zwei von diesen Schrauben mit Muttern, m’ und m, sind auf der Abbildung deutlich sichtbar. Uebrigens findet man an der rechten Seite. des Glasrohres ein metallenes Band, welches ein Röhrchen n trägt, das ebenso wie k und / mit dem Innern des Glasrohres in Verbindung steht. Wie gesagt, muss Fig. 2 in Fig. 1 geschoben werden. Hierzu werden die Schraubenmuttern m und m’ (und auch die zwei nicht deutlich sicht- baren) weggenommen und dann wird Theil 2, mit dem Glasrohr e voraus, in der Richtung von links nach rechts in Theil 1 gebracht. Nun befinden sich in der Metallscheibe o des bei Fig. 2 beschriebenen linken Metallstückes vier Löcher, welche den in Fig. 1 angedeuteten Schrauben gerade den Durchgang gestatten. Ist das geschehen, so werden die Schraubenmuttern auf die Schraube gedreht und auf diese Weise wird die Metallplatte o von Fig. 2 gegen die Metallplatte » von Fig. 3 gedrückt. Zwischen o und p befindet sich noch eine Gummischeibe. Begreiflicherweise ragt nun das Glasröhrchen e von Fig. 2 aus dem grossen Glasrohr von Fig. 1 hinaus. In letzterer Figur sieht man bei y einen Gummipfropfen abgebildet. Dieser besitzt eine centrale Bohrung, welche dem Glasröhrchen e den Durchgang gestattet. Die Bohrung wird über e geschoben, bis der Pfropfen das grosse Glasrohr genau abschliesst (in der Fig. 1 befindet sich der Pfropfen auf einiger Entfernung von der Oeffnung des Glasrohres). Jetzt ist der Haupttheil des Apparates fertig (man vergleiche Fig. 6). FILTRATION UND OSMOSE STRÖM. FLÜSS. BEI HOMOG. MEMBRANEN. 43 Der Leser hat schon bemerkt, dass durch das Glasröhrehen e hindurch das Lumen des homogenen Rohres gefüllt werden muss. Hierzu ist e mit einem Gummirohr r verbunden, welches Gummirohr sich wieder an ein Glasrohr mit Glashahn s anschliesst (s. Fig. 5). Mit dem Glasrohr steht der Trichter 2 in Verbindung. Der Trichter empfängt Flüssigkeit aus Röhrchen x und x wieder aus v. v ist ein Glashahn, welcher durch eine auf der Flüssigkeit im Trichter treibenden gläsernen Hohlkugel » in Be- wegung versetzt wird. Auf diese Weise wird der Flüssigkeitsstrom aus dem mit z: verbundenen Reservoir (in der Figur nicht sichtbar) geregelt und die Flüssigkeit im Trichter auf constantem Niveau gehalten. Die Druckhöhe der in das homogene Rohr strömenden Flüssigkeit kann nach Willkür variirt werden. Erstens kann der Ring in welchem der Trichter ruht und auch der Hahn mit Hohlkugel des Kupferstabes y ent- lang bewegt werden, und zweitens kann man auch den ganzen Kupfer- stab selbst verstellen. Natürlich muss während der Füllung des homogenen Cylinders Hahn z (s. Fig. 5 an der linken Seite unten) geöffnet sein. Wünscht man aber später nach der Füllung eine Strömung, so hat man z zu öffnen. Es liest auf der Hand, dass der'Stand von Hahn = einen grossen Einfluss auf den hydrostatischen Druck in den verschiedenen Theilen des homogenen Membran ausüben muss. Mittelst Schraube 1 kann z auf willkürliche Höhe gebracht werden. Jetzt muss der Mantelraum gefüllt werden, d. i. der Raum zwischen dem homogenen Cylinder und dem grossen Glasrohr. Die Flüssigkeit strömt ein bei d und zwar aus Trichter 2, welcher, ebenso wie Trichter £ am Kupferstabe y auf und nieder bewegt werden kann. Aus der Figur ist ersichtlich, dass Gummirohr 3 und Glashahn 4 von der Flüssigkeit passirt werden. Wo muss nun die Luft aus dem Mantelraum entweichen? Bei der Fig. 1 sprachen wir schon von zwei Röhrchen % und . In Fig. 5 findet man k versehen mit einem Glasrohr und Hahn 5, während an Z/ein Gummi- rohr mit Glasrohr und Glashahn 6 verbunden ist. Schliesst man Glas- hahn 6, so kann bei der Füllung des Mantelraumes die Luft durch den geöffneten Hahn 5 entweichen. Mittelst Schraube 7 kann man Hahn 6 auf- und niederschieben. Es braucht nicht gesagt zu werden, dass man mittelst der beschriebenen Einrichtung durch den Mantelraum auch Flüssig- keit kann durchströmen lassen. Auch auf Trichter 2 kann man einen selbstregulirenden Glasbahn anbringen. Der Rest des Apparates ist von relativ untergeordneter Bedeutung. Beim eisernen dreifüssigen Stativ 8 verdient Erwähnung, dass eine Schrauben- 44 H. J. HAMBURGER: mutter 9 angebracht ist, um während der Füllung der beiden Rohre der linken Seite einen höheren Stand ertheilen zu können als der rechten, was absolut nothwendig ist, um die letzte Luft zu vertreiben. Ist die Füllung geschehen, so wird die Schraube wieder zurückgedreht, bis die Rohre wieder einen horizontalen Stand bekommen haben. Weiter ist zu bemerken, dass im Stativ 8 sich ein kupferner Stab 10 bewegen und darin fixirt werden kann. Dieser verticale Stab trägt das Gestell 11, auf welchem die beiden Rohre ruhen und an welchem auch die Kupferstäbe y und 12, sowie auch die Scala für die Glasrohre Ai und k5 befestigt sind. Anfänglich gebrauchte ich Klemmschrauben statt Glashähne, aber kam davon zurück, als Membranen, welche sich einige Zeit als vortrefflich er- wiesen hatten, zuweilen plötzlich zu lecken anfingen. A posteriori ist es dann auch leicht verständlich, dass in einem Reservoir, welches man mittelst einer Klemmschraube verschliesst, eine geringe Drucksteigerung entstehen muss. Wird nun die Wand des Reser- voirs, wie hier, von dünnen Fensterchen einer zarten Substanz gebildet, so kann es nicht befremden, dass ein Riss oder eine kleine Oeffnung darin entsteht. Die Anwendung des Apparates beruht somit in der Hauptsache auf Folgendem: 1. Schiefstellung des Apparates mittelst Schraube 9. 2. Füllung des homogenen Rohres. Hierzu wird, nachdem Hahn z und z geöffnet sind, auch Hahn s geöffnet. Sobald aus z Flüssig- keit auszutröpfeln anfängt, wird dieser Hahn geschlossen. Nun füllt sich das homogene Rohr weiter. Der hydrostatische Druck ist genau zu messen und zu regeln. Nach der Füllung bemerkt man unmittelbar, ob die Membran irgendwo einen kleinen Riss hat; denn in diesem Fall sinkt die Flüssigkeit im Rohr hi ziemlich schnell und sieht man auch an der Aussenfläche der Membran Tropfen sich ansammeln. Indessen verdient bemerkt zu werden, dass eine geringe Senkung in hi im Anfang immer stattfindet, weil die Membran einige Flüssigkeit imbibirt. Man braucht aber nur kurze Zeit mit dem Apparat gearbeitet zu haben und man sieht unmittelbar, ob die erste Senkung einem Fehler in der Membran zugeschrieben werden muss oder ob nur Imbibition daran zu (Grunde liegt. Bis jetzt habe ich bei allen Untersuchungen wenigstens noch eine halbe Stunde nach dem Stillstand des Niveaus in hi gewartet, bevor ich ZU „3“ überging. FILTRATION UND ÜSMOSE STRÖM. FLÜSS. BEI HOMOG. MEMBRANEN. 45 3. Füllung des Mantelraums (Glasrohr). Diese Füllung findet statt mittelst Trichter 2 und Glashahn 4, Hahn 5 und 6 sind geöffnet. Letzterer bleibt offen, bis Flüssigkeit auszutröpfeln anfängt, dann wird er geschlossen. Auch hier ist der hydrostatische Druck der Flüssigkeit im Mantelraum genau zu messen und zu regeln. 4. Horizontalstellung des Apparates. Hierzu wird Schraube 9 zurückgedreht. Jetzt kann der eigentliche Versuch mit oder ohne Durchströmung anfangen. Ist der Versuch beendigt, so überzeugt man sich von der vollkommenen Schliessung der Membran, indem man die Flüssigkeit aus dem Mantelraum oder aus dem homogenen Rohr abfliessen lässt. Bleibt das Flüssigkeits- niveau, abgesehen von einer plötzlichen kleinen Senkung durch Form- veränderung der Membran, in hi bezw. in A5 constant, so ist damit das Unversehrtsein der Membran bewiesen. Zuweilen giebt aber der Gang des Versuches schon eine Antwort auf die Frage, oder wenigstens eine werth- volle Anweisung. Ist z. B. die Aussenflüssigkeit (im Mantelraum) eine 2proc. Kochsalzlösung, die Innenflüssigkeit eine 1 proc., und steigt dann das Niveau in A5 über das in Az hinaus, so ist die Membran höchstwahr- scheinlich als unversehrt zu betrachten u. s. w.! Die Vorzüge unserer Methode gegenüber der Fick’schen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: 1. Die Anfertigung der Membran begegnet keinen technischen Schwie- riekeiten von einiger Bedeutung. 2. Von Falten in der Membran und deshalb von den hieraus ent- springenden Fehlern kann hier nicht die Rede sein. 3. Durch die Anwendung von Metallgaze ist man an eine bestimmte Form der Membran nicht gebunden. So z. B. sieht man in Fig. 4 eine abgebildet, welche einigermaassen die Verhältnisse im Blutgefässsystem nachahmt. Bekanntlich besitzt das Capillarnetz einen grösseren Gesammt- durchschnitt als die Arterien aus welchen es entsteht. Vereinigen sich die Capillaren wieder zu Venen, so nimmt der Flächendurchschnitt wieder ab, aber bleibt doch grösser als der der entsprechenden Arterien. In Fig. 4 stellt 13—14 eine Arterie, 14—15 die Capillaren und 15—16 die ent- sprechende Vene vor. 4. Die Membran kann sehr dünn sein. Membranen von !/,, "" Dicke gehören gar nicht zu den dünnsten, welche wir mit Erfolg angefertigt und gebraucht haben. 1 Bedeutend kann die Steigerung nicht sein, denn die Gelatinemembranen sind nicht semipermeabel. 46 H. J. HAMBURGER: 5. Die Natur und die Zusammensetzung der Membran kann bis zu einer gewissen Höhe nach Willkür geändert und der Einfluss der Modi- ficationen auf Filtration und Osmose untersucht werden. 6. Der hydrostatische Druck kann genau gemessen und geregelt und dessen Einfluss auf Filtration und Osmose genau studirt werden. 7. Unser Apparat gestattet auch die Flüssigkeitsströmung in den Kreis der Versuche über homogene Membranen aufzunehmen. Wir betrachten das als einen grossen Vortheil, weil auch im lebenden Körper alle Flüssig- keiten in Bewegung begriffen sind. 8. Man verfügt über eine reichliche Menge Flüssigkeit zum Behufe der Analyse. (In unserem Apparat enthält das homogene Rohr 46 «m und der Mantelraum 85 “m Flüssigkeit.) Schlussfolgerung aus einer mit dem beschriebenen Apparat ausgeführten Versuchsreihe. Es liegt nicht im Plane des vorliegenden Aufsatzes, die Resultate mit- zutheilen, welche unser Apparat uns bis jetzt geliefert hat. Wir können aber nicht umhin, hier mit einigen Worten zu besprechen, inwieweit der ursprüngliche, specielle Zweck, zu welchem der Apparat aus- gedacht und angefertigt wurde, erreicht ist. Wie wir im Anfange vorliegender Arbeit sagten, beabsichtigten wir zu untersuchen, ob der bei lebenden und bei todten Individuen beobachtete Flüssigkeitsübergang aus der Bauchhöhle in die peritonealen Blutgefässe vielleicht auch nachgeahmt werden könnte, wenn man statt eines Blut- gefässes einen künstlichen homogenen Cylinder nähme. Hierzu wurden folgende Versuche angestellt: Die Membran besteht aus neutralisirter, sterilisirter 10 procentiger Gelatine.! Gelatinerohr und Mantelraum werden beide angefüllt mit demselben Blutserum. Hahn 6, s und 4 sind geschlossen, Hahn z und 5 dagegen sind geöffnet. Es hängt, so zu sagen, eine Flüssigkeitssäule gz an der Flüssigkeit im Gelatinerohr. Aus z tröpfelt Serum hinaus. Und dieses Serum stammt vom Mantelraum, aus welchem es durch den Gelatinemembran hindurch in das Gazerohr hineingesogen wird. ! Mit derartigen Membranen konnte ich gewöhnlich vier Tage experimentiren. Dann fingen sie zu lecken an. FILTRATION UND ÖSMOSE STRÖM. FLÜSS. BEI HOMOG. MEMBRANEN. 47 Erst sieht man dann auch im Rohr %5 die Flüssigkeit rasch hinab- steigen, später sammelt sich Luft im Mantelraum an. Oeffnet man nun aber Hahn s ein wenig, so tritt natürlich eine be- deutende Beschleunigung des Flüssigkeitsstromes aus z ein. Aber zu gleicher Zeit nimmt nun auch die Flüssigkeit aus dem Mantelraum ab und zwar viel schneller, als wenn s nicht geöffnet ist. Je schneller die Flüssigkeit aus Trichter { und Hahn s durch z ausströmt, desto schneller nimmt die Flüssigkeitsmenge aus dem Mantelraum ab. Bei der Durch- ströomung kann die Abnahme das Zehnfache erreichen der, welche man beobachtet, wenn bloss eine Druckdifferenz und keine Strömung stattfindet. Bei der Strömung durch das homogene kohr wird also aus dem Mantelraum durch die Gelatinemembran hindurch Flüssigkeit mitgezogen. Für das Zustandekommen der letzten Erscheinung ist es nach meinen Versuchen eine Bedingung, dass durch z mehr abfliessen kann, als s zu- führt, was mit der Oeffnungsweite der beiden Hähne leicht zu regeln ist. Genannte Bedingung ist auch im Körper erfüllt; denn die Venen können mehr abführen, als die Arterien zuführen, Am Ende des Versuches wird die Gelatinemembran geprüft durch voll- kommene Entleerung des Mantelraumes. Hahn s wird ein wenig geöffnet, um das Serum in hi hinaufsteigen zu lassen; dann wird Hahn s geschlossen. Das Niveau in Ai bleibt unverändert. Die Membran ist also unversehrt geblieben. Weiter stellt sich heraus, dass das soeben aus dem Mantelraum ent- fernte, noch zurückgebliebene Serum einen bedeutend grösseren Eiweiss- gehalt besitzt als das hindurchgeführte. Ohne Zweifel rührt das daher, dass Wasser und Salze leichter durch die Gelatinemembran hindurchgehen als Eiweiss. Genau dasselbe Ergebniss erhielt Heidenhain bei seinen Resorptionsversuchen mit serösen Flüssigkeiten am lebenden Dünndarm, und ich bei den nämlichen Versuchen am todten Dünndarm. Auch in der Pericardialhöhle lebender Hunde sah ich den Eiweissgehalt des injieirten Serums bedeutend zunehmen. Auf diese Weise habe ich dann die Resorption von mit dem Blutplasma des Versuchsthieres iso- tonischem Serum nachgeahmt an künstlichen Membranen. Auch die Resorption von gegenüber dem Blutplasma des Versuchs- thieres hyperisotonischen Lösungen ist an diesen Membranen nach- zuweisen. Bringt man in den Mantelraum eine 2proc. NaCl-Lösung und leitet durch das Gelatinerohr eine 1 procentige, so sieht man die erstere Lösung den Mantelraum verlassen. Während dieser Resorption findet eine Aus- gleichung der osmotischen Spannkraft beider Flüssigkeiten statt und zwar 48 H. J. HAMBURGER: FILTRATION U. ÜSMOSE BEI HOMOG. MEMBRANEN. viel schneller, als wenn die beiden in Ruhe verkehren. Letztere Erscheinung braucht keine Erklärung. Zahlen und Besonderheiten der oben erwähnten Versuche werde ich hier nicht geben. Mein Zweck war nur, vorläufig mitzutheilen, wie es durch den beschriebenen Apparat möglich ist, zu zeigen, dass für die Er- klärung der Resorption von gegenüber dem Blutplasma des Versuchsthieres isotonischen und hyperisotonischen Flüssigkeiten, keine Lebenserscheinung zu Hülfe gerufen zu werden braucht, wie es Heidenhain und Orlow wünschen. Es handelt sich hierbei nur um einen rein mechanischen Process. Ueber das Verhalten des Eisens im thierischen Organismus. Von Dr. Winf. S. Hall. (Northwestern Univ. Chicago.) (Hierzu Taf. Il,) (Aus dem physiologischen Institut zu Zürich.) Bei Gelegenheit meiner Untersuchung über die Resorption des Carne- ferrins habe ich mich überzeugt, dass wir uns nur ein sehr unvollkommenes Bild von dem Verhalten des Eisens im thierischen Organismus machen können. Ich habe daher beschlossen, mich der Aufgabe zu widmen, unsere Kenntnisse in dieser Beziehung so viel wie möglich zu erweitern. Der gegenwärtigen Untersuchung, bei der ich mich des Rathes und der Unter- stützung von Professor Gaule erfreute, lag auf dessen Vorschlag folgender Plan zu Grunde: Es sollten die Veränderungen constatirt werden, welche in dem thierischen Organismus durch eine Steigerung des Eisengehaltes desselben über die Norm (Eisenreichthum) und eine Verminderung desselben unter die Norm (Eisenarmuth) entstehen. Um den ersteren Zustand herbeizuführen, sollte dem Futter eine Eisenver- bindung, deren Resorbirbarkeit sicher constatirt war, also z. B. das Carneferrin, während längerer Zeit zugefügt werden. Um den zweiten Zustand herbei- zuführen, sollte, wie dies früher schon Socin gethan, ein Futter hergestellt werden, welches künstlich seines Eisens völlig beraubt war. Damit aber bei einem eisenfreien Futter auch im Organismus sich der Zustand der Eisenarmuth herstelle, war es nothwendig, dass der Organismus nicht in einem solchen Falle sein Eisen zäh festhalte.e Es musste also auch die Eisenausscheidung in den Bereich der Untersuchung gezogen und fest- Archiv f. A. u, Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 4 50 WinE. S. HALL: gestellt werden, in welchem Maasse der Organismus auch aus seinem Körperbestand das Eisen durch die Ausscheidung verliert. Bezüglich der Veränderungen, welche der Zustand des Eisenreichthums und der Eisen- armuth in dem thierischen Organismus herbeiführen, war natürlich ein grosser Spielraum für die Untersuchung gegeben. Sie konnte sich eben- sowohl auf das allgemeine Verhalten der Thiere, wie auf die Functions- fähigkeit ihrer Organe, Muskeln, Nerven, Drüsen, wie auf ihren Stoffwechsel, wie auf ihr Zellenleben u. s. w. richten. Es wäre natürlich interessant gewesen, nach allen diesen Richtungen hin Aufschluss über den Einfluss des Eisens zu erhalten. Da aber die Constatirung solcher Veränderungen immer mit experimentellen Schwierigkeiten verbunden ist, deren Lösung erst nach und nach gelingt, so sah ich mich genöthigt, mich auf folgende Veränderungen zu beschränken: 1. Allgemeines Befinden; 2. Ab- und Zunahme des Körpergewichts; 3. Ab- und Zunahme des Gesammteisen- gehalts; 4. Ab- und Zunahme der Blutkörperchenzahl; 5. Ab- und Zunahme des mikrochemisch nachweisbaren Eisengehalts des Darms, der Milz, der Leber, der Niere. Die Methoden für diese Feststellungen fand ich bis zu einem gewissen Grade bereits ausgebildet, jedoch haften denselben noch gewisse Mängel an und um mit ihrer Hülfe ein nur diese fünf Punkte gleichzeitig umfassen- des Gesammtbild über die Wirkung des Eisens zu gewinnen, hatte ich immerhin beträchtliche Schwierigkeiten zu überwinden. Ich werde mich mit der Darstellung dieser Methodik zunächst zu befassen haben und dann weiterhin meine Resultate einer zusammenfassenden Besprechung unter- ziehen. Schon hier mag von diesen vorausschickend bemerkt werden, weil dies auf die Versuche selbst einen Einfluss gehabt hat, dass sich nur die Begriffe „Eisenreichthum und Eisenarmuth“ im Verlauf der Untersuchung als für ein feineres Verstehen ungenügend erwiesen. Es stellte sich heraus, dass nicht alles Eisen, welches von dem Organismus aufgenommen und in die Zellen desselben übergegangen ist, für denselben von gleichem Werthe ist, sondern dass man unterscheiden muss zwischen Eisen, welches in diejenigen Verbindungen aufgenommen ist, welche an dem Stoffwechsel activ theilnehmen, wie z. B. im Haemoglobin und in den Eisenverbindungen des Protoplasmas und demjenigen Eisen, welches zwar ein Bestandtheil des Organismus geworden ist, aber noch nicht ein Bestandtheil seiner activ thätigen Elemente, sondern welches an den Ein- und Ausgangspforten, sowie an gewissen Uebergangsstellen aufgehäuft liegt. Das erstere Eisen ist in sehr fester Form gebunden, es ist mir nicht gelungen, durch keine ncch so eingreifende weitere chemische Reaction dasselbe im mikroskopischen Bilde sichtbar zu machen, während es doch durch die Analyse sicher nach- gewiesen wird. Man wird dabei sich den Einwand machen müssen, dass ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 51 dieses Eisen, auch seibst wenn es durch die Reactionen aus seinen Ver- bindungen abgespalten werde, in zu feiner Vertheilung vorhanden sei, um sichtbar zu werden. Man muss sich an die eigenthümlichen Be- dingungen, unter denen man bei den mikrochemischen Methoden die Reaction erkennen muss, erinnern. Ich will dies an einem Beispiel er- läutern. Diejenige Verbindung, welche man als eine typische für diese das Eisen fest gebunden Enthaltende ansehen kann, ist das Haemoglobin. Nun enthalten 100% Mäuseblut etwa 108% Haemoglobin, welches einen Gehalt von etwa 0-3 Procent Eisen besetzt. Das Blut wäre also eine !/, pro Mille Eisenlösung, und in dieser Verdünnung müsste das Eisen bei der Application der mikrochemischen Methoden nachgewiesen werden. Nun kaun man sich leicht überzeugen, dass man mit (NH,),S wie mit Ferro- cyankalium in Eisenlösung von 1 auf 3000 noch einen deutlich erkenn- baren Niederschlag erhält. Die Frage ist aber für uns nicht, ob dieser Niederschlag noch als Ganzes erkennbar ist, sondern ob das einzelne Körnchen dieses Niederschlags, wenn es in derselben Feinheit ausfällt, wie im Blut, noch erkennbar, ja überhaupt noch sichtbar ist. Man kann sich nämlich leicht durch die Rechnung überzeugen, dass der ganze Eisengehalt 1 1-500 000 000 dieser ganze Eisengehalt sich in Form eines einzigen Schwefeleisen- oder Berlinerblaukornes ausfällen liesse, wäre es fraglich, ob man dieses Körnchen noch würde erkennen können. Diese Besorgniss erwies sich als unbegründet. Es gelangen mir Eisenlösungen in der Verdünnung von !/s,00 herzustellen, welche in !/,000 ”® nach der Behandlung mit (NH,),S in der Kammer des Zeiss’schen Blutkörperchenzählers gemessen, über 100 Eisenkörnchen enthielten, und diese Körnchen, welche also etwa den Eisengehalt eines rothen Blutkörperchens repraesentiren, waren ganz gut zu erkennen. Wenn wir demnach von den Methoden, den festgebundenen Eisenvorrath mikro- chemisch zu erkennen, bis jetzt kein Resultat haben, so liegt das nur daran, dass es nicht gelingt, dieses Eisen aus seiner organischen Bindung abzuspalten, wenigstens nicht ohne eine so eingreifende Behandlung, dass dann von einem mikroskopischen Praeparat nicht mehr die Rede sein kann. Ich werde diesen Eisenvorrath, der uns nur durch die Analyse angegeben wird, im Allgemeinen als den Eisenvorrath @ bezeichnen und davon unter- scheiden das locker gebundene Eisen, welches durch mikrochemische Re- actionen in Milz, Leber und anderen Organen nachgewiesen werden kann. Auch dieses Eisen ist nicht bloss in einer bestimmten Bindungsform vor- handen, es scheint bald leicht, bald schwerer abgespalten zu werden, aber seine gemeinschaftliche Eigenthümlichkeit ist, dass es abgespalten werden kann, ohne dass die Gewebe, in denen es sich befindet, zerstört werden. Sn eines Blutkörperchens nur Milligramm ist, und selbst wenn 52 Wine. S. Hau: Ich werde dieses Eisen als den Eisenvorrath 5 bezeichnen. Sowohl der Vorrath a wie 5 wechseln unter dem Einfluss des Eisengehaltes des Futters, und zwar in verschiedener Weise. Der Vorrath a ist der bei Weitem con- stantere und weniger beeinflussbare, aber offenbar für die Lebensfunctionen bei Weitem der wichtigere. Bei manchen der seitherigen Untersuchungen hat man auf die Variationen des Vorraths 5 ein Gewicht gelegt, als ob von ihnen das Verhalten des Gesammteisenvorraths abhinge und er- schlossen werden kann. Das ist, wie meine Untersuchungen ergeben, keineswegs der Fall. Es existirt keinerlei Proportionalität zwischen dem Eisenvorrath 5 und dem Gesammteisenvorrath des Thieres und alle darauf gebauten Schlüsse sind hinfällig. Dagegen ist der Vorrath 5 in einer ge- wissen Beziehung zu der Eisenwanderung durch den Organismus, indem er bei dem Eintritt und Austritt eine Rolle spielt. Ein Organismus kann demnach reich an Vorrath 5 sein, d. h. es kann viel nachweisbares Eisen in seiner Milz, Leber u. s. w. sein und er kann deshalb doch insgesammt eisenärmer sein als ein anderer Organismus, dessen Vorrath 5 fast gleich Null ist. Bei dem letzteren ist dafür der Vorrat a um so grösser. Andererseits wird ein Organismus nicht in den Zustand grösseren Eisenreichthums über- gehen können, aber auch nicht in den der grösseren Eisenarmuth, ohne dass sein Vorrath 5 sich vergrössert. Die Vermehrung des sichtbaren Vor- raths 5 ist also lediglich ein Zeichen der Labilität in dem Eisenigehalt des Organismus. Methodik. Als Versuchsthier wurde die weisse Maus gebraucht. Sie bietet als solches gewisse Vortheile. Zunächst den, dass jedes Resultat auf dem an einer Anzahl von Thieren, nicht einem einzelnen Thier, angestellten Ver- suche beruht. Es wirken bei derartigen Versuchen so viele Factoren zu- sammen, dass Resultate, welche nur von einem einzigen Thiere gewonnen sind, zu leicht von Zufälligkeiten beeinflusst werden und daher nur wenig Werth beanspruchen können. Es sind ferner die Eisenmengen, mit welchen man arbeiten muss, so klein, dass Durchschnittszahlen weit zuverlässiger erscheinen als Einzelwerthe. Die Maus ist ferner ein omnivores Thier und daher in Bezug auf Futterzusammensetzung und Ausnutzung dem Menschen weit vergleichbarer als Vögel, Frösche oder Kaninchen. Es ist ferner die Lebensdauer dieser Thiere so kurz, dass eine drei- bis sechswöchentliche Ver- suchsperiode schon einen bedeutenden Bruchtheil davon ausmacht, man kann daher hoffen, den Eisenvorrath in einer solchen Periode weit gründ- licher zu beeinflussen, als bei einem länger lebenden Thier. Das gilt namentlich auch mit Bezug auf die Veränderungen, welche darin z. B. während der Schwangerschaft oder während des Wachsthums eintreten. ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 53 Endlich ist die weisse Maus an Gefangenschaft gewöhnt. Die Versuchs- reihen werden dementsprechend selten durch Todesfälle oder andere üble Folgen der Gefangenschaft unterbrochen und die Thierchen sind wegen ihrer Zahmheit bequem zu behandeln. Das erste Bedürfniss für eine Ver- suchsreihe, wie ich sie im Auge hatte, war ein Futter, welches bei an- nähernd gleicher Zusammensetzung sowohl eisenfrei wie eisenreich her- gestellt werden konnte Man kann ein solches Futter nicht einfach durch Extraction des Eisens aus einem gewöhnlichen Futter bereiten, weil das organisch gebundene Eisen sich nicht extrahiren lässt. Man muss zunächst eisenfreie Substanzen herstellen und aus diesen das Futter zusammensetzen. Das Nähere über das Verfahren zur Her- stellung von eisenfreiem Casein, Stärke und Fett theile ich in einer be- sonderen Abhandlung mit, welche demnächst in diesem Archiv erscheinen wird. Ich will mich hier nur über die Zusammenstellung dieser Be- standtheile äussern. Bis jetzt ist kein derartiges künstliches Futter her- gestellt worden, mit dem man die Thiere beliebig lang am Leben erhalten kann. Socin’s Zusammensetzung von Pferdeserum, Stärke und Fett er- hielt seine Mäuse höchstens 30 Tage und durchschnittlich nur 15 Tage. Meine Versuche fielen besser aus, ob dies aber von der besseren Zusammen- setzung meines Futters abhing oder von anderen hygienisch günstigeren Umständen, lässt sich einstweilen nicht feststellen. Ich habe mein Futter nach zwei Formeln zusammengesetzt und jede der beiden Mischungen wurde eisenfrei und eisenreich gegeben. Bei der ersten Mischung diente mir als Muster die Bunge’sche Milchanalyse, und ich setzte dasselbe zu- sammen wie folet: Gasein sen Eee 119008 Stärke REN FAN 8°: ED. erstens elcheleee ke lie W BCE. ul im Kür: = 0.975 NIC Pre er ER N — 0.788 Gel) Ba ERNERIENE = 1.800 MO ee ea er ET Amorsanischeuy 0... 3.75 HestenStole ent 13... 2..2..22.3..,.100500 Bei der Beurtheilung dieser Zusammensetzung wird man allerdings einwenden können, dass wir nicht wissen, ob die anorganischen Stoffe gerade in dieser Bindung in der Milch enthalten seien. Wir wissen nur, dass die Milchaschen enthalten: Na,0 1-39 Procent, K,O 22.1 Procent, Ca0 20.05 Procent, MgO 2.63 Procent, P,O, 24.75 Procent, Cl 21.27 Procent, FeO 0-04 Procent. Wahrscheinlich indessen existirt der CaO als 54 Wine. S. Hain: phosphorsaures Calcium, Na,0 und K,O theilweise als Salze und theilweise in Verbindung mit Chlor. So hat die gewählte Zusammenstellung immerhin den grössten Grad von Wahrscheinlichkeit für sich, ein Futter darzustellen, welches alle Nahrungsbestandtheile mit Ausnahme des Eisens in denselben Verhältnissen wie in der Milch enthält. Sollte dieses eisenarme Futter (O«) in das eisenreiche Futter (@) umgewandelt werden, so wurden einfach auf 1008m feste Stoffe 0.1 8”m Carneferrin zugesetzt, dadurch erhielt es dann 30 fach die in der Milch enthaltene Fe-Menge. Dieses Futter war, wie sich im Verlauf der Untersuchung. heraus- stellte, noch immer nicht das, was man ein normales Futter nennen könnte, d. h. es erfüllte noch nicht die Bedingung, dass man mit oder ohne Eisen damit Mäuse beliebig lange am Leben erhalten konnte. Die Thiere verloren nach der 1. oder 2. Woche an Gewicht, nach der 4. Woche wurde diese Abnahme stark und obwohl nur einige vor dem 40. Tage starben, konnte man doch voraussehen, dass auch für die Uebrigen das Zugrundegehen nur eine Frage der Zeit sei. Ich habe deshalb noch eine andere Zusammensetzung versucht, welche wesentlich auf Grund der von Pettenkofer und Voit ermittelten Verhältnisszahlen in der Kost der Er- wachsenen, das Eiweiss in geringerer Menge, dagegen mehr Kohlenhydrate enthielt. Die Salze wurden entsprechend den Zahlen der Milchanalyse zu- gemischt, ebenso wie bei Futter «. Ferner wurde nach Socin’,s Vorschrift etwas aus Filtrirpapier hergestellte Cellulose beigemengt. Als Fett wurde theilweise die Butter beigegeben, die bei der Gewinnung des eisenfreien Caseins (wenn dieselbe mit ganz verdünnten Säuren und Alkalien geschah) sich als Nebenproduct ergab. Das Futter hatte die folgende Zusammensetzung: Gaseine. "a naen. ee 20.00 Butter tn 3.94 Bett‘ aa 0 eo a 11-66 Starkei.\ nad. ee 60.50 Bellulose. = Sn une 0.75 K,C0, ea en 09 — Nach 7 7,0:088 — CaHPO, 1.800 — MsQ], 0.187 3-75 Dem Eisenfutter (#) wurden 0-1 Procent Carneferrin zugesetzt. Bei der Bereitung des Futters wurde die Stärke zunächst zu einem Kleister gekocht, dann die anderen Bestandtheile hinzugefügt, in einem Mörser das ganze homogen gemengt und dann drei Stunden auf dem Wasserbad gekocht. ÜBER DAS VERHALTEN DES EIsENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS, 55 Das Futter hat dann eine käseähnliche Beschaffenheit und wird von den Mäusen begierig gefressen, wenigstens während der ersten Wochen. Meine Hoffnung, dass die Mäuse mit diesem Futter (3) besser gedeihen würden, als mit dem Futter («) erfüllte sich nicht. Sie nahmen während der dritten und vierten Woche noch stärker an Gewicht ab. Worauf dies beruht, kann ich einstweilen noch nicht völlig erklären. Futter () war mir als möglicher Weise zu eiweissreich erschienen (für Mäuse), dieses Futter (3) enthielt weniger Eiweiss, aber jedenfalls noch genug, um nicht zu eiweissarm zu sein. Salze waren in gleicher Menge vorhanden. Der Hauptunterschied aber bestand in der Bereitungsart des Caseins. Bei Futter (@) war nur ein eisenfreies aber nicht aschenfreies Casein her- gestellt, wogegen in Futter (#) das Casein nur Spuren von Asche enthielt. Es enthielt also Futter £ gar keine oder nur sehr wenig organisch ge- bundene Aschenbestandtheile, nur die anorganischen zugesetzten. Ich hege die Vermuthung, dass es die Abspaltung dieser organisch gebundenen Aschenbestandtheile ist, welche verhindert, dass die Thiere mit dem künst- lichen Futter, in dem ihnen ja alle Nahrungsbestandtheile in richtigem Verhältniss und in reichlicher Menge geboten werden, sich dauernd er- halten können. Zu dieser Vermuthung wurde ich durch die Beobachtung geführt, dass Mäuse bei aschenfreier Fütterung ceteris paribus nicht schneller zu Grunde gehen, als bei Darreichung eines Fuiters, bei dem man die organischen Aschenbestandtheile abgespalten und nachher in anorganischer Form wieder zugesetzt hat, ! Da diese Bemerkung jedoch über den Rahmen der gegenwärtigen Untersuchung des Verhaltens des Eisens hinausführen würde, so will ich sie in einer besonderen Abhandlung weiter begründen. II. Mikrochemische Untersuchungen. 1. Ein neues Verfahren, das in der Zelle vorhandene Eisen nachzuweisen. Reactionen um das Vorkommen, sowie die Lage des Eisens in gewissen pathologischen Fällen, sowie nach Einspritzungen von Eisenlösungen nach- zuweisen, sind vielfach gemacht worden. Quincke (7), Peters (8), Kunkel (9), Minkowsky (10) und Stühlen (11) haben die Eisen- ablagerungen bei verschiedenen Krankheiten, in welchen die rothen Blut- körperchen massenhaft zu Grunde gehen, untersucht. Andererseits haben Quincke (12) nach Transfusion fremden Blutes, und Glaeschke (13), Jacobi (14) und Steuder (15) nach venöser Injection einer Eisenlösung ! Vergl. hierüber auch N. Lunin: Ueber die Bedeutung der anorganischen Salze für die Ernährung des Thieres. Zeitschrift für physiolog. Chemie. 1381. Bd. V. 8. 31. 56 Wir. S. Haut: die verschiedenen Organe auf Eisen mikrochemisch untersucht. Bei allen diesen Untersuchungen wurde entweder NH,SH oder K,Fe.0y,+HCl als Eisenreagens gebraucht. Da es sich bei den erwähnten pathologischen Fällen und natürlich noch mehr bei den anderen um Eisen handelt, welches seiner organischen Bindung entlassen ist, oder von vornherein als an- organisches Eisen vorhanden ist, bietet der Nachweis mit Hülfe dieser Rea- gentien keinerlei Schwierigkeiten. Die Chemiker haben zwar immer gewisse Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der letzteren Reaction, da Lösungen von Ferrocyankalium und Salzsäure für sich bei einigem Stehen schon eine Blaufärbung bezw. einen Niederschlag zeigen, indem die Salzsäure das Ferrocyankalium zersetzt. Diese Bedenken sind ganz wohl begründet, namentlich bei Gegenwart organischer Substanzen und bei Anwendung von Salzsäure in stärkerer Concentration. Gerade zu letzterer haben aber manche Forscher gegriffen, in der Absicht, das organisch gebundene Eisen aus seinen Verbindungen abzuspalten und dann als Berlinerblau nach- zuweisen. Braucht man nach Zaleski (16) 1- bis 3proc. Lösungen von K,FeCy,, in welche die Gewebe eingetaucht werden, bis sie durchtränkt sind und nachher 2proc. Salzsäure (in 65 proc. Alkohol), so wird man allerdings leicht überall eine schöne Eisenreaction erhalten, sogar in aschenfreiem Filtrirpapier, welches absolut eisenfrei ist, wie das bekannte von Schleicher und Schüll. Man braucht nur ein Stückchen davon in 3 proc. Ferro- cyankaliumlösung zu tauchen und dann das feuchte Stückchen in 2 pıoc. alkoholische Salzsäure zu legen, um sicher eine Eisenreaction zu bekommen. Molisch (17) braucht sogar 10 proc. Salzsäure mit 2proc. Ferro- cyankaliumlösung. Es ist nicht zu verwundern, dass er mit dieser Methode das Eisen ungeheuer verbreitet unter den Pflanzen findet. Vor dieser Quelle der Täuschungen seien die Mikroskopiker nachdrück- lich gewarnt. Ich bin bei meiner Methode von zwei Beobachtungen aus- gegangen. Die eine führte mich zu der Ueberzeugung, dass das Eisen häufig schon bei der Manipulation des Härtens, Auswaschens u. s. w. den Geweben entzogen wird. Wenn man Milz und Leber eines normalen, im Wachsen begriffenen Thieres nach Alkoholhärtung untersucht, so findet man nur sparsam Eisenkörnchen in der Milz und in der Regel gar nichts in der Leber. Legt man aber die Milz und Leber eines gleichen Thieres frisch in NH,SH, so färben sich die Organe grünlich, oft dunkelgrün oder sogar schwarzgrün, was ein ziemlich sicheres Zeichen für Eisengehalt ist. Eisen, welches ursprünglich nachgewiesen werden konnte, ist nach der Härtung also verschwunden, und daraus ergiebt sich, dass man das Eisen sofort in eine unlösliche Verbindung überführen muss, in der es nicht mehr extrahirt werden kann. Dazu eignet sich nun eben die Behandlung mit ÜBER DAS VERHALTEN DES FISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 57 Schwefelammonium, wenn man von diesem nicht die macerirende Wirkung zu fürchten ‚hätte, welche die nachherige Härtung unmöglich macht. Alkoholische Lösungen von NH,SH haben aber diese Wirkung fast gar nicht und eignen sich, wie ich gefunden habe, vortrefflich, um gleichzeitig das Eisen zu fixiren und die Gewebe zu härten. Ich habe zwei Lösungen benutzt: NH,SH-Lösung 4: Lösung B: EIES EIERN. 1 23 0 ENESEL 2 Saccm SENbsol#Alkohol! ... 7.070 ;; INDSOlENIkohola. man un 21083 ron ulm A 25; | 100 ccm Wegen der immerhin noch etwas macerirenden Wirkung von Lösung A ist Lösung D besser für das sehr empfindliche Darmepithel, für Milz und Leber aber ziehe ich Lösung 4 vor. In dieser Lösung verbleiben die Gewebsstückchen (2 bis 4” im. Durchmesser) während 24 Stunden. Bei der Weiterbehandlung und Härtung macht man nun die zweite Beobach- tung, von der ich ausgegangen bin. Die anfänglich grünlich oder schwärz- lich gewordenen Gewebsstückchen verbleichen wieder. Man kann diesen Vorgang im Reagensglas nachmachen. Stellt man einen FeS-Niederschlag her, wäscht ihn mit destillirtem Wasser aus, übergiesst ihn noch feucht mit absolutem Alkohol und lässt ihn 48 Stunden stehen, so sind die oberen Schichten braungelb geworden, die geringen Wassermengen haben eine Oxydation des FeS zu Fe(OH), ermöglicht. Dasselbe findet auch in den Geweben statt und wenn man die bleich gewordenen Stückchen untersucht, so findet man in ihnen jetzt statt der schwarzen FeS-Körnchen, die gelb- braunen Fe(OH),-Körnchen. Da diese aber weit schwerer sichtbar sind, so ist es nothwendig, für das mikroskopische Praeparat durch eine zweite Behandlung sie wieder in Schwefeleisen zurückzuverwandeln, oder wenn das Praeparat ein Dauerpraeparat sein soll, in Berlinerblau. Die Behand- lung der das Eisen bereits als Fe(ÖH), oder FeS enthaltenden Gewebs- stücke bezw. Schnitte mit Ferrocyankalium und Salzsäure ist nunmehr ganz unbedenklich, da zur Erzeugung der Reaction die allerschwächste Salz- säure, welche auf das Ferrocyankalium noch nicht zersetzend einwirkt, genügt. Zwei Controlen wurden indessen immer angewendet. Es wurden andere Schnitte mit NH,SH behandelt und verglichen, so dass man sich überzeugte, dass überall nur da blaue Körnchen lagen, wo in den Control- schnitten schwarze Körnchen lagen. Es wurden ferner in die zur Reaction verwendeten Lösungen Stückchen Filtrirpapier eingelegt und nachgewiesen, dass in denselben keine Blaufärbung eintrat. Die Berlinerblaureaction kam übrigens auch nur für die Dauerpraeparate in Betracht, die direete Beob- 58 WinrF. S. Haut: achtung wurde überall an Praeparaten ausgeführt, die einer zweiten Be- handlung mit NH,SH unterworfen worden waren. Um demnach das ganze Verfahren im Zusammenhang darzustellen, will ich dasselbe kurz resumiren. Nachdem die Gewebstückchen 24 Stunden in der NH,SH-Lösung (4 oder D) verweilt hatten, wurden sie successive in 70-, 80-, 90-, 95 proc. und absolutem Alkohol gehärtet, in Paraffin ein- gebettet und geschnitten. Die Schnitte wurden mit destillirtem Wasser auf dem Objectträger fixirt, von Paraffin befreit und nunmehr entweder zum zweiten Mal mit der (NH,SH)-Lösung behandelt oder in eine Mischung von 1.5 Proc. Ferrocyankalium und 0-5 proc. Salzsäure während 20 Minuten eingelegt. Danach wurden sie abgespült, mit Alkohol und Xylol behandelt und in Xylolbalsam eingeschlossen. | Beschreibung der Versuche zur Ermittelung der Resorptions- wege des Eisens. Zunächst sollte ermittelt werden, auf welchem Weg das dem Futter beigemengte Eisen des Carneferrins in den Organismus gelangt. Obgleich die Vermehrung des Eisengehaltes des Organismus in meinen wie auch schon in den Versuchen anderer Forscher dargethan hat, dass eine solche Resorption stattfinden muss, war der gesammte Weg, den das Eisen nimmt, bis jetzt noch nicht klargelegt worden. Mäuse, welche das eisenreiche Futter erhielten, wurden zu diesem Zweck am Ende der ersten und dritten Woche durch Chloroform getödtet. Der Darm wurde sofort herausgenommen und mit physiologischer Kochsalzlösung ausgespült, bis aller Darminhalt entfernt war. Dann wurden Stückchen des Duodenum, des Jejunum und Ileum in NH,SH-Lösung 2 eingelegt und nach dem oben beschriebenen Verfahren weiter behandelt. Wenn das Epithel gut erhalten war, so fehlte das Eisen nie in den Epithelzellen des Duodenum bei einer eine Woche mit eisenreichem Futter gefütterten Maus. Die Abbildung 7, Taf. Il unter- richtet besser als alle Beschreibung über die Art seines Vorkommens. Die Abbildung ist vollkommen naturgetreu nach einem Praeparat (nicht nach einer Combination mehrerer) entworfen. Im Gegensatz zu dem Duodenum habe ich in den Epithelien des Jejunum und Ileum nie diese Reaction getroffen, selbst wenn in dem Darmlumen Eisen in Menge vorhanden war. Hierfür scheinen zwei Er- klärungen möglich. Entweder die Epithelzellen des Jejunum und Ileum sind weniger geeignet zur Aufnahme von organischen Eisenverbindungen als die des Duodenum, oder das Eisen geht auf dem Wege durch den Darm rasch aus seiner organischen oder sonst löslichen Bindungssform in eine ÜBER DAS VERHALTEN DES FIsSENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 59 unlösliche Bindungsform über, in der es nicht mehr resorbirt werden kann. Das könnte durch Alkalien oder durch SH, oder andere Schwefelver- bindungen geschehen. Entscheiden kann man einstweilen nicht, aber die letztere Alternative erscheint als die wahrscheinlichere. Man kann nun auch die Frage erheben, ob das hier in den Epithelien angetroffene Eisen auch wirklich auf dem Resorptionswege und nicht auf dem Ausscheidungswege sich befinde. Diese Frage wird dadurch ent- schieden, dass man bei der Darreichung des eisenfreien Futters dieses Bild einfach nie trifft. Dabei ist gar nicht ausgeschlossen, dass nicht auch eine Ausscheidung von Eisen in den Darm stattfindet und zwar auch bei eisenfreiem Futter, denn man findet auch dann manchmal eine diffuse Reaction im Darm- lumen, wie ja auch meine Zahlen über die Eisenausscheidung ergeben, dass auch bei eisenfreiem Futter eine Eisenausscheidung stattfindet. Aber diese Reaction ist eben eine ganz andere und man kann umsomehr nicht im Zweifel sein, dass man in der gegebenen Abbildung wirklich das Resorp- -tionsbild vor sich hat. Man beachte daher, dass die Eisenkörnchen um so zahlreicher und grösser sind, je näher sie dem äusseren Zellenrand liegen. Zweitens dass man die Körnchen zwar bis zu dem proximalen Zellenrand verfolgen kann, kein einziges jedoch bis zu den Lymph- oder Blutgefässen. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Eisen schon in den Darmzellen wieder in organische Bindungen, in denen es sich unserer mikrochemischen Methode entzieht, übergeführt wird und in diesen in die Blutgefässe übergeht. Dass die letzteren es wahrscheinlich aus dem Darme abführen, geht aus meinen früheren Untersuchungen (1) hervor, in denen ich nachwies, dass es nicht im Ductus thoracicus erscheint. Verhalten des Eisens im Organismus. Wie verhält sich das resorbirte Eisen im Organismus weiter? Wird dadurch eine Vermehrung des Gesammteisengehaltes herbeigeführt? Das hatte meine frühere Untersuchung bejaht. In welchen Organen und in welchen Veränderungen der Gewebe äussert sich dieselbe zunächst? Ich muss bemerken, dass, wie schon aus meinen früheren Analysen hervorgeht (1), gewisse Schwankungen in dem Eisengehalt schon bei Thieren stattfinden, deren Futter man nicht beeinflusst, also sagen wir bei „normalen Thieren“. Zunächst sind junge Mäuse durchweg eisenreicher als alte Mäuse, ich trenne daher meine Angaben in solche, welche sich auf alte Mäuse und junge Mäuse beziehen. So fand ich zwischen 0-385 und 0.548 8m Fe pro Kilo junge Maus und zwischen 0.339 und 0.433 sm Fe pro Kilo alte MausTrockensubstanz. . Noch grösser als die Scwankungen des Gesammteisenvorraths sind die des 60 Wisr. S. HALt: Eisenvorraths „5“ allein, wie er. sich durch die mikrochemischen Reactionen offenbart. Durch eisenreiches oder eisenarmes Futter können nun diese normalen Schwankungen stark übertrieben werden und dadurch Zustände herbei- geführt werden, welche sich scharf charakterisiren und zu einer bestimmten Erklärung des Eisenstoffwechsels verwerthet werden können. Neben der Untersuchung eines sehr eisenreichen und eines sehr eisenarmen Zustandes habe ich auch beabsichtigt zu versuchen, ob man an demselben Thier den einen Zustand in den anderen überführen kann und wie dabei sich die Thiere verhalten. Die Erfahrung lehrte, dass man dazu ziemlich viel Zeit braucht. Mäuse, welche eine Woche lang das eisenreiche Futter gefressen haben, sind schon als eisenreiche anzusehen, weil sowohl die Analysen meiner früheren Arbeit, wie die mikroskopischen Untersuchungen, welche ich jetzt anstellte, dies für das ganze Thier wie für einzelne Organe deutlich zeigten. Setzt man solche Mäuse jetzt auf eisenarmes Futter, so werden sie in Zeit von zwei Wochen zu dem Eisengehalt von normalen Mäusen reducirt. Eine wirkliche Eisenarmuth tritt aber erst nach weiteren drei Wochen eisenfreier Fütterung ein. Die Thiere sind nach sechs wöchentlicher künstlicher Fütterung bereits ziemlich erschöpft. Die Herstellung des entgegengesetzten Uebergangs aus dem Zustand der Eisenarmuth in den des Eisenreichthums ist = mir nicht gelungen, da die Thiere, wenn sie nach dreiwöchentlicher eisenfreier Fütterung in den Zustand der Eisenarmuth gelangt sind, ziem- lich erschöpft sind, und sich mit dem Eisenfutter nicht wieder erholen. Es ist indess nicht einzusehen, weshalb der Versuch nicht auch gelingen sollte. Man sollte vielleicht, nachdem man die Eisen- armuth herbeigeführt hat, die Thiere beliebiges Futter fressen lassen und daneben Fe geben, dann würden sie sich besser erholen; das Misslingen der anderen Versuche erfolgte aber zu spät, als dass ich diesen Gedanken noch hätte durchführen können. Das Halten und Füttern der Thiere er- fordert einige Vorsichtsmaassregeln. Die mit eisenreichem Futter ernährten Thiere wurden in einem neuen Vogelkäfig gehalten, die mit eisenfreiem Futter ernährten in geräumigen Glasglocken. In alle Behälter wurde ge- nügende weisse chirurgische Watte hineingethan, so dass die Thiere Nester bauen konnten. Jeder Käfig wurde mit einem kleinen gläsernen Wasser- apparat nach obenstehender Zeichnung (Fig. 1) versehen. Derselbe ist, wie sich aus der Zeichnung ergiebt, so eingerichtet, dass der darin befindliche Vorrath destillirten Wassers tropfenweise ausfliesst, um das weggetruukene Fig. 1. Automat. Wasserapparat. ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 61 Wasser zu ersetzen. Dies verhütet das Benetzen der Watte und das Un- gesundwerden der Thiere. Ventilation und gleichmässige Temperatur wurden peinlich überwacht. Bei gewöhnlichem Futter leben die Thiere unter diesen Verhältnissen gesund viele Wochen lang. Bei dem künstlichen praeparirten Futter (mit oder ohne Eisenzusatz) schienen sie gesund bis zur sechsten Woche bei Mischung („«“), aber nur bis zur vierten Woche bei Mischung („5“). Auf die mikroskopische Beschaffenheit der Gewebe hat dieses spätere Erkranken keinen Einfluss, da die hierfür bestimmten Thiere nicht später als am Ende der dritten Woche getödtet wurden. Um alle sonstigen Differenzen zu vermeiden, habe ich jedesmal eine Fe-arme und eine Fe-reiche Maus gleich- zeitig chloroformirt und die in gleicher Grösse aber ungleicher Form ge- schnittenen Milz-, Leber-, Darm- und Nierenstückchen wurden noch warm und bluthaltig in die NH,SH-Lösung „4“ bezw. „D“ hineingethan. Alle wurden in den nämlichen Flüssigkeiten gleiche Zeiten hindurch belassen. Schliess- lich wurden immer die Vergleichsstückchen auf demselben Objectträger aufgeklebt und dieser als Ganzes weiter behandelt. Mikroskopischer Befund. Dieser zeigte sich bei eisenreichen und eisenarmen Thieren wie folgt charakterisirt: a) Eisenreiche Thiere. Der Befund bei Thieren, welche nach einer Woche getödtet wurden, ist ganz verschieden von dem nach drei- bis sechs- wöchentlicher Fütterung. Handelt es sich um die kürzere Fütterungs- periode, so findet man erstens im Duodenum das schon oben besprochene und Taf. II, Fig. 7 abgebildete Verhältniss der lebhaften Eisenresorption. In der Leber sieht man sehr wenig; in der That nicht mehr als bei eisenreicheren normalen Thieren nach gewöhnlicher Fütterung: das heisst höchstens einzelne Körnchen, welche irgendwo in den Leberläppchen ge- lagert werden können. Die Milz ist es, welche das auffallendste Bild dar- bietet. In Taf. II, Fig. 1 wird die eisenreichste Milz, welche unter den untersuchten normalen Thieren vorgekommen ist, abgebildet. Man sieht hier eine mässige Ablagerung, hauptsächlich längs der Blutbahnen, also gewöhnlich mehr oder weniger um die Follikel gelagert. Unter stärkerer Vergrösserung (s. Taf. II, Fig. 5) sieht man keine Körnchen ausserhalb der Pulpazellen und Leukocyten. Zuweilen auftretende kleine runde Zellen mit einem blauen Inhalt sind vermuthlich rothe Blutkörperchen, deren Haemoglobin molecular zerfallen ist, aber deren Structur noch erhalten ist. In den Leukocyten findet man zuweilen die nämliche eingeschlossen. Leukocyten, welche den Blutgefässen anhaften, haben bei normalen Thieren 62 WixE. S. Haut: oft mehrere Eisenkörnchen, während bei künstlichem Eisenreichthum sie vollgestopft sind. Die Pulpazellen nehmen unter gewöhnlichen Verhält- nissen das Eisen vielleicht nicht so leicht auf, aber bei Fe-Reichthum sind auch diese sehr eisenhaltig.. In der That sind bei starkem Eisenreichthum während der zweiten Woche mindestens zwei Drittel der Pulpazellen eisen- körnchenhaltig (s. Taf. II, Fig. 2). Innerhalb der Follikel findet man bei normalen Thieren fast kein Fe, aber bei eisenreichen Thieren eine beträcht- liche Menge. Handelt es sich dagegen um den mikroskopischen Befund nach längerer Fe-Fütterung, dann tritt die Leber in den Vordergrund, weil man höchstens einzelne Körnchen in den Darmepithelien findet und die Fe-Ablagerung der Milz bis zum Normalen zurückgegangen ist. In der Leber aber findet man eine starke Eisenablagerung. Schon nach einigen Minuten Verweilens in Ferrocyankalium beobachtet man blaue Inseln in den Leberschnitten. Unter schwächerer Vergrösserung wird es klar, dass diese Inseln um die Venae intralobulares gelagert sind. Nähere Betrachtung mittelst stärkerer Vergrösserung weist das Vorhandensein von unzähligen kleinen Fe-Körnchen auf, welche innerhalb der in der Nähe der Vena intralobularis liegenden Zellen gelagert sind (s. Taf. II, Fig. 4). Es sind zwei Arten von Körnchen; erstens bemerkt man grössere, ganz dunkelblaue Körnchen, welche ent- weder an oder vielleicht auch theilweise in den Gallengängen liegen; und zweitens liegen überall in dem Plasma der Zellengänge kleine, helle, blaue Punkte Es handelt sich hier um zweierlei im Gang der Ausscheidung getroffenen Fe-Verbindungen, von denen die erstere unzweifelhaft eine niedrigere Stufe darstellt. Bei übermässigem Eisenreichthum trifft man das Metall in den Nieren. Erst nachdem die Leber schwer mit Eisen beladen ist, tritt das betreffende Metall in den Nieren auf. Die abgebildete Leber (Taf. II, Fig. 4) und die abgebildete Niere (Taf. II, Fig. 6) rührt von demselben Thier her, welches mitten in der sechsten Woche der Fütterung untersucht wurde. Ueber die allgemeine Lage des Eisens in der Niere kann man sagen es liegt in den gewundenen Kanälchen — nie in den Glomeruli — nie in der Mark- substanz. Die Reaction scheint zuerst diffus zu sein, aber stärkere Ver- srösserung zeigt zahllose feine blaue Punkte, welche in den Zellen darin liegen, daneben noch eine diffuse Färbung, welche theilweise die Zellen, theilweise das Lumen der gewundenen Kanälchen bedeckt. Diese diffuse Färbung kann vielleicht von den nicht in der Focusschicht liegenden Pünktchen herrühren. b) Eisenarme Thiere. Bei der Untersuchung der Organe der Thiere, welche der eisenfreien Fütterung unterworfen worden sind, constatirt man zunächst, wie auch schon bei der Besprechung der Resorption erwähnt, ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 63 dass im Darmepithel die Reaction des resorbirten Eisens gänzlich fehlt. In der Milz dagegen findet man einen wesentlichen Unterschied zwischen den Thieren, die nach einer Woche, und denen, die nach drei- bis vierwöchent- licher Fütterung getödtet wurden. Bei den ersteren findet man in der Milz oft eine beträchtliche Menge des Metalls, während bei den anderen die Milz gewöhnlich kein oder ganz wenig Eisen aufweist (s. Taf. II, Fig. 3). Wie kommt es, dass nach einer Woche eisenfreier Fütterung, wenn, wie aus den später mitzutheilenden Tabellen über die Eisenausscheidung hervorgeht, der Gesammteisenvorrath des Thieres schon beträchtlich abgenommen hat, die Milz noch beträchtliche Eisenmengen aufweist, die allerdings viel ge- ringer sind, als bei dem Thier mit Eisenfütterung, aber nicht sehr von denen beim normalen Thier sich unterscheiden? Sollte nicht der durch die mikrochemischen Reactionen nachzuweisende lockere Eisenvorrath D am ersten ausgeschieden werden? Man kann sich das wohl nur so erklären, dass die Milz eine der Stationen für die Ausscheidung ist; so dass, so lange der Organismus beträchtliche Mengen Eisen ausscheidet, in ihr locker ge- bundenes Eisen in gewisser Menge angetroffen wird. Ich meine das so. Der Haupteisengehalt des Organismus liegt in dem festgebundenen Eisen a. Von diesem wird täglich eine gewisse Menge ausgeschieden (wie die späteren Tabellen beweisen), und dieses muss zunächst aus seiner festen Verbindung losgelöst, also in lockere Bindung übergeführt werden. Dies geschieht ent- weder in der Milz oder wenn nicht, so machen doch diese lockeren Eisen- verbindungen auf ihrem Weg aus dem Organismus hinaus in der Milz Station. Es wird also dieser sichtbare Vorrath in einem gewissen Verhält- niss zur Eisenausscheidung stehen, und erst in den Stadien hochgradiger Eisenverarmung, wo der Organismus die Reste von Eisen zäh festhält, ver- schwindet das Eisen aus der Milz. In der Leber treten Eisenkörnchen bei Eisenarmuth nur spärlich auf, in den Nieren habe ich unter diesen Um- ständen nie ein einziges Körnchen gefunden. Im Darmlumen findet sich oft eine diffuse blaue Färbung, in den Epithelien aber keine Spur. Die Ausscheidung mag also in den Darm auf dem Weg von Secretionen er- folgen, Leber und Nieren aber scheinen nur bei Eisenreichthum zur Ab- lagerung und Ausscheidung von Eisen benutzt zu werden. Unterscheidung verschiedener Eisenverbindungen. Auf den Hauptunterschied zwischen dem fest gebundenen und durch keine mikroskopische Reaction nachweisbaren Eisen (a) und dem locker gebundenen (5) habe ich schon aufmerksam gemacht. Es fragte sich, ob in dem letzteren nicht noch Unterschiede erkannt würden, welche auf die Uebergänge hinwiesen, die zwischen der anorganischen und organischen 64 Winr. S. Hat: Bindung auf dem Wege der Aufnahme oder Ausscheidung hinwiesen. In der Leber kann man zweierlei Arten von Eisenkörnchen erkennen, die sich gegen Reagentien etwas verschieden verhalten. Bei der zweiten Behand- lung mit NH,SH (s. oben in d. Meth.) färben sich die grösseren Körnchen zuerst, und erst nach zwölf Stunden bei Brüttemperatur wird auch die zweite Art von Körnchen gefärbt. Die letzteren entfärben sich auch nach einigen Wochen wieder. In den Darmepithelien entfärben sich die helleren Körnchen schon nach einigen Stunden, ‘obwohl sie viel grösser sind als die zweite Art der Leberkörnchen. Das sind Andeutungen einer verschiedenen Bindungsart dieses locker gebundenen Eisens, nähere Beweise aber fehlen mir. III. Einfluss von Eisenreichthum und -Armuth auf die Zahl der rothen Blutkörperchen. Nachdem durch die mikroskopischen Befunde einiges über die Ver- änderungen des locker gebundenen Eisens (5) bekannt geworden war, schien es wünschenswerth, auch über die Variationen des festgebundenen Eisens (a) etwas zu erfahren. Dieser Vorrath vertheilt sich auf viele Verbindungen, von denen wir eine, das Haemoglobin, etwas genauer kennen, während die übrigen uns so gut wie unbekannt sind. Wir können sie zusammenfassen als Eisen- verbindungen der Protoplasmen, da sie wohl meistens in den Zellproto- plasmen enthalten sein mögen, wenigstens ist über den Eisengehalt der Inter- cellularsubstanzen bis jetzt nicht viel bekannt geworden. Es dürfte nicht ohne Interesse sein, sich wenigstens annähernd eine Vorstellung zu machen, wie sich der Vorrath a zwischen dem Haemoglobin und den übrigen Eisenver- bindungen vertheilt. Nach meiner früheren Untersuchung (18) ist die Ge- sammteisenzahl einer alten normalen Maus etwa 1-81 "8" Fe. Der Werth des Vorraths 5 kann nur geschätzt werden, ich glaube aber eher zu hoch als zu niedrig zu greifen, wenn ich denselben auf 10 Proc. des Gesammtvorraths an- nehme, dann bleiben für den Vorrath@1-63 "8. Eine alte normale Maus wiegt in der Regel 20 bis 24 gm, also im Mittel 228”, Ihr Blutgehalt wird eher zu niedrig als zu hoch auf 7-5 Procent des Körpergewichts, der Haemoglobin- gehalt ihres Blutes gleichfalls eher zu niedrig als zu hoch (wegen der hohen Blutkörperchenzahlen) auf 12 Proc. des Blutes, also auf — ® oder 0-9 Proc. des Körpergewichts zu setzen sein. Das ergäbe 198 ws Haemoglobin. Enthielte das Mäusehaemoglobin 0-3 bis 0-4 Proc. Fe, so ergäbe das 0.59 bis 0.79 mg Fe, welches im Haemoglobin gebunden wäre, also etwa die Hälfte des ganzen fest gebundenen Eisenvorraths von 1:63 ”s. Ueber die Veränderungen dieses Antheils können wir uns an der Hand von Blut- körperchenzählungen eine Vorstellung machen, während es uns vorläufig an ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 65 einer Methode gebricht, etwas über die andere Hälfte zu erfahren. Zunächst jedoch ist es auch hierbei nothwendig, sich über die Schwankungen zu unterrichten, welche unter normalen Verhältnissen, d. h. ohne Beein- flussung des Eisengehaltes des Futters, vorkommen. a) Normale Veränderung der Zahl bei zunehmendem Alter. Man braucht nicht viele normale Thiere zu untersuchen betreffs der Blut- körperchenzahl bis der Einfluss des Alters ganz deutlich hervortritt, denn alte T'hiere haben fast ohne Ausnahme eine wesentlich höhere Zahl als die jüngeren. Um den Einfluss des Alters zu bestimmen, habe ich eine Maus- familie untersucht. So weit ich weiss, waren die Verhältnisse dieser Maus- familie absolut normal. Die Alte war gut genährt und kräftig, die fünf Jungen waren auch kräftig und wuchsen schnell. Anfangs der dritten Woche fingen sie an zu fressen. Um das Wachsthum und die Zunahme der Blutkörperchenzahl deutlich zu machen, habe ich die Zahlen durch Curven dargestellt (s. Fig. 2, I). Die obere ausgezogene Linie stellt die Blutkörperchenzahl dar, während die andere Linie die Gewichtszunahme darstellt. Bevor wir die Curven interpretiren, müssen verschiedene Sachen in Betracht genommen werden: 1. Enthält der Körper des erwachsenen Säugethieres unter normalen Verhältnissen annähernd das gleiche Proportionalgewicht von Blut? 2. Schwankt das specifische Gewicht des Blutes nicht wesentlich ? 3. Enthält die Volumeinheit des Blutes stets die gleiche Zahl von Blutkörperchen, diese wieder den gleichen Gehalt an Haemoglobin, und diese wieder an Eisen? Wären diese Fragen alle mit ja zu beantworten, dann müsste das Verhältniss zwischen dem im Haemoglobin enthaltenen Eisen, oder wie ich es auch kurz (aber nicht ganz genau) nennen will, dem circulirenden Eisen und dem Körpergewicht sich immer gleich bleiben, d. h. es entspräche in Jedem Alter der Gewichtseinheit des Körpers die gleiche Menge des cireu- lirenden Eisens. Die Blutkörperchencurve müsste parallel der Abseisse ver- laufen. Sie thut das aber nicht, sie steigt vielmehr rasch an bis zu einem Maximum in der vierten Woche, und erst von da an verläuft sie annähernd parallel mit der Abscisse. Die Factoren, welche dies bewirken, sind einiger- maassen bekannt. Im intrauterinen Leben ist der Sauerstoffzutritt ein langsamer, da die Oxydationsprocesse eine geringere Rolle spielen. Dem- entsprechend enthält das Blut weniger Sauerstoffträger, weniger rothe Blut- körperchen. Das Thier wird geboren mit derjenigen Zahl, die es während des intrauterinen Lebens gebildet hat, daher ist die Zahl bei der Geburt gering und muss rasch ansteigen, um dem erhöhten Sauerstoffbedürfniss des extrauterinen Lebens zu genügen. Man kann sich nun fragen: erfolgt Archiv f. A, u. Ph. 1596. Physiol. Abthlg. 5 66 WinF. S. Hau: diese Zunahme einfach in derselben Weise wie die Gewichtszunahme, d.h. vermehrt sich die Menge des ceirculirenden Eisens einfach in demselben Verhältniss wie die Körpersubstanz? Zu diesem Zwecke habe ich die Curve der Gewichtszunahme (in Procenten des Anfangsgewichtes) unter die Curve Einfluss des Alters auf die Zahl der Blutkörperchen 1. Alter Geburt 1. Woche 23. Woche 3. Woche 4. Woche = chenzahl 0.000 5120000 5704000 8360000 9440000 E | na ne Ben 2.000.000 Il ar | Bi Anfangszahl 22 I a Barelle o Are F L Q 4 hliene AU EREAEN AREA L le ale BR Di re N r Gewicht |1-5 am 4-70 2m 7.545 er 9.4 grm 14:39 sr Einfluss des Alters und der Schwangerschaft der Mutter auf die Zahl der Blutkörperchen II. | Alter |Blutkörper- chenzahl 6000000 4000000 2000 000 Geburt 3 824 000 1. Woche 2800000 3, Woche 2620000 3. Woche 23280000 Anfangszahl Gewicht 1.3080 3.108 6-40 2m Fig. 2. 8-20 em ÜBER DAS VERHALTEN DES EisEns IM THIERISCHEN ÖÜRGANISMUS. 67 der Blutkörperchenzahl gesetzt. Man sieht, dass auch diese nicht parallel verlaufen. Auch hierfür ist der Grund einigermaassen bekannt. Die Menge des in Circulation gesetzten Eisens kann von zwei Quellen herrühren: erstens von einem mit auf die Welt gebrachten Eisenvorrath und zweitens von dem in der Nahrung zugeführten Eisen. Nun ist es durch Bunge’s Untersuchungen bekannt, dass junge Thiere mit einem beträchtlichen Eisenvorrath auf die Welt kommen, dagegen in der ersten Lebensperiode mit der dermaligen Nahrung der Milch wenig Eisen zugeführt erhalten. Dieses Verhältniss wird durch meine Curven sehr gut veran- schaulicht. Die Säugeperiode der Mäuse dauert bis in die dritte Woche. In der ersten Woche steigt die Blutkörperchenzahl sehr rasch, rascher als das Gewicht zunimmt, vermuthlich weil der Eisenvorrath in circulirendes Eisen umgesetzt wird, dann findet eine Verlangsamung statt in der zweiten Woche, weil die Milch nicht entsprechend Eisen zuführt, und in der dritten Woche, wo das Thier selbständig zu fressen anfängt, beginnt wieder eine raschere Steigerung, die sich dann wieder verlangsamt, indem sie sich dem Maximum nähert. Ich habe meine Curve nicht über die vierte Woche fortgesetzt, da ich eine Maus, wenn sie ein Gewicht von 158m erreicht hat, als erwachsen betrachte. Darüber hinaus findet sich jedoch auch noch eine Zunahme der Blutkörperchenzahl, welche jedoch nicht mehr den Charakter der Regel- mässigkeit hat und durch Futterwechsel, Schwangerschaft, Lactation u. s. w. leicht unterbrochen werden kann. Ich habe mich daher begnügt, neben der Classe der eben erwachsenen Mäuse noch eine zweite Classe der „alten“ Mäuse zu unterscheiden: Mäuse, die 20 bis 24m wiegen, und die, wie aus meiner-Haupttabelle I. hervorgeht, im Allgemeinen höhere Blutkörperchen- zahlen haben. Normale Variationen der Blutkörperchenzahlen unter Thieren desselben Alters. Solche Variationen findet man unter Thieren von demselben Stamm, unter denselben Verhältnissen. Ihre Ursachen kann ich nicht angeben. Einfluss gleichzeitiger Schwangerschaft und Lactation. Mit der Absicht, eine zweite Beobachtungsreihe über den „Einfluss des Alters“ anzustellen, unternahm ich die Untersuchung einer zweiten Familie, einer säugenden Maus mit fünf Jungen. Zwei Mäuschen wurden am Ende der ersten Woche untersucht und hatten 3 040 000 und 2 560000. Zwei weitere am Ende der zweiten Woche 2960000 und 2280000. Dies waren also auffallend geringe Zahlen und gar kein Ansteigen. Bei dem Nachforschen nach der Ursache fand sich, dass die säugende Maus bereits 5* 68 Winr. 8. Haut: Tabelle I. Verhalten des Eisens im thierischen .) Alter Futter 3 e Gewichte Zahl der Blutkörperchen 3 2 Se 58 | »E |=& . iR E Ei = SIE 2 Ss ae | AmExes Ende 383 SER a us anerch Als "ll 5 BE= SäelErwachs) Alt, |Erwachs.| Alt ke) 5 |I(Tage) Sion ic) | 11 | —|A|N]—|' — 19-50 — 13-8404-155| 0 — | 8720000 — = 2 | BE ln 1526 = —: | —; 7.440000) . — -— | ee eeeinan. _ al | .j2 8 | — 410 |, | —_ | — | 7 14260:000, 28 = 5 -1— ,1,|— — || — 20-57 | — | — 856000 — — 6 —| E Alan — 116-083 -— — — 17.200 000 — _ — Ds | | re LAT 2: — | — [T60000W| — = = 8sI—| „1,1 — |. —. |15-05 - — | — [86400001 — — a 91—|„ —.1— — || — |14-39 | — | 9-88213-1109440000| — — n 109)» = Fe — || 19 | 7-23. 9088| = | — — 9 576 000 == ee a 20247 77-038. 0 106.992 4-4X0 1.915 _ 795200 — all es. el en Era | res ee ne 7 360 000 —_ el. 1 24 7=03..5| 6-40 | 4-69011:370|2 —- - 8 800 000 — 141-|— |Al—| „| — || 38 [23:27 [18-57 j10-1442.944| 9 — _ — [11552000 all 26 24-56 [|17-24| — sl _ — 11 360 000 16 —(E)| „|—| „| -O [24-9 [16-81 11-04 | 7-790l2.2001 — = — [11 840.000 171 —| „ |„|—| »| „ 24-18l13-30 0 | 9-665| 6-205l1-856| — _ — 11 760 000 18|(9)| EI -|—| 0:20) 8-69 0) T-szı — | | _ en u ol ler 21 10-00av | Ta | — | — a = En _ 20|| „|. 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Zahl d. Blutkörperchen 69 =65) Eisen pro Kilo Maus E Eisenarm ER Normal Eisenreich | Eisenarm Bemerkungen Erwachsen Alt = | Erw. | Alt | Erw. | Alt | Erw. | Alt er ur era na ne — _ | Fe 23 BR — Le — —_ _ — Mikroskopisch unters. ss ys — = 1:6 | 0.514) — — — _ — ai un an —_ on au _ — _ — |,Mikroskopisch unters. zur — 1-6 Ze 1.320 m —_ = — je | an — BE = — _ — |/Mikroskopisch unters. ae en 1-3 — — 0:949 —_ — == —_ Be — 3.3 — _ = 1.120 _ = — e_ — Bl — _ _ —_ — |Mikroskopisch unters. at — OBEN —_ = 0-961 _ = = _ _ 1-3 m _ 270.708... — — || Mikroskopisch unters. 9 120 000 = _ _ Ta = — Te B » 5 120 000 - 0-6 — _ == — 0339 2 57 — _ 0-9 _ —_ DER — 0-517 == ar: 10 240 000 — —_ — er = — = Er 2 640 000 = Eur —_ _ a = _ — == — _ 0-6 —_ — Zr = 0-368 — >= — 10 064 000 | — —_ _ Ze — _ — | Mikroskopisch unters. — 12.000 000 | 1-5 — — = = _ 0459 = = = 1.2 = re = a au = = 1.4 — —: 0.791 — E a a = — 1.4 — = 1:011 — 2 ar _ — — 11 — — = _ _ — ,0-458 Fe pro Kilo Maus : ar Br 1-9 ER: BE — nu ze — U WORNAE En K En — _ 3-2 — — 0-76 — 2 ih ar — — = a = = — —_ — |/Mikroskopisch unters. = — 2.8 —_ — 0959 — == = gan —_ _ _ _ — - _ E — | Mikrosko pisch unters. — 9 752000 | 0-79 = = = — — 0.329 9 » —_ | 10 800 000 0:77 — —_ = —_ _ 0.381 . » — ,10000000| 0-70 | — — — _ — | 0.339 ® » | Nummer en | En 11 70 Winr. 8. Hart: wieder neun Embryonen im Alter von 11 bis 13 Tagen enthielt. Sie selbst hatte 6 880 000 Blutkörperchen, also nur 66 Proc. der normalen Zahl für alte Thiere. Der gleichzeitigen Aufgabe der Eisenaufspeicherung in den Embryonen und der Eisenabgabe an die Säugenden war offenbar der Orga- nismus nicht gewachsen, darüber war sie selber anaemisch geworden und die Jungen hatten zu wenig bekommen. Zunahme der Blutkörperchenzahl bei Eisenfütterung. Die Constatirung einer Zunahme der Blutkörperchenzahl unter dem Einfluss der Fütterung stösst auf die Schwierigkeit, dass während der Untersuchungsperiode junge Thiere sich in erwachsene, erwachsene in alte verwandeln und damit ihre Zahlen ändern. Ausserdem kommen auch die normalen Schwankungen in Betracht. Die Resultate der Zählungen ersieht man aus der Tabelle I. Die zweiwöchentlichen Mäuse Nr. 10, 11, 12 und 13 erreichten während der Versuchsperiode ihr volles Wachsthum. Am Anfang der Fütterung hatten sie wahrscheinlich ca. 5 bis 6 Millionen, am Schluss der Fütterung war die Durchschnittszahl 8488000. Bei normalen Mäusen erwartet man in der gleichen Zeit eine Steigerung auf 8 bis 9 Millionen. Die künstlich gefütterten waren also nicht über das Normale hinausgegangen, sie waren aber auch nicht dahinter zurückgeblieben, und sie hatten das erreicht bei einem Futter, bei dem sie die erforderlichen Eisenmengen aus keiner anderen Quelle als dem bkeigemengten Carneferrin beziehen konnten. Bei den alten Thieren findet man eine wesentliche Steigerung über das Normale bis zu 11 Millionen und darüber, und es ist bemerkenswerth, dass unter dem Einfluss des eisenreichen Futters die Werthe alle der Mittelzahl sehr nahe liegen, während bei den normalen Mäusen grosse Abweichungen vorkommen (s. die Tabelle I, Nr. 14 bis 17 und 36 bis 38, dagegen Nr. 1, 3, 4, 5. Blutkörperchenzahl bei eisenfreier Fütterung. Die jungen Thiere wurden Anfangs der vierten Woche auf eisenfreie Fütterung gestellt. Also hatten sie ‘schon eine Blutkörperchenzahl von 8 bis 9 Millionen. Nach einer 3 bis 4 wöchentlichen Fütterung wurde die Mittelzahl bis auf 6 780000 reducirt. Diese Reduction war aber keine gleichmässige, sondern zwei müssen als nicht redueirt betrachtet werden; während die dritte bis auf die Hälfte und die vierte bis auf das Viertel des Normalen reducirt waren. Mäuse Nr. 19 und 22 hatten wahrscheinlich schon genügend Eisen aufgespeichert, um für die Periode der eisenfreien Fütterung auszureichen. Die alten T'hiere litten keine Abnahme der Blut- ÜBER DAS VERHALTEN DES EIsens IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. zei körperchenzahl trotz der bedeutenden Abnahme des gesammten Körper- eisens. ! Diesen Thatsachen müssen wir entnehmen, dass das circulirende Eisen bezw. das Eisen des Haemoglobins durch den Eisengehalt des Futters weniger beeinflusst wird als der Gesammteisenvorrath und das locker ge- bundene, abgelagerte Eisen. IV. Chemische Untersuchung. 1. Verfahren: Den bis jetzt beschriebenen mikroskopischen und mikrochemischen Untersuchungen schlossen sich Hand in Hand die che- mischen Untersuchungen an. Ein Theil der Versuchsthiere wurde zu den ersteren, ein anderer ganz gleichartiger zu den letzteren bestimmt. Am Ende der Versuchsperiode wurde die Maus chloroformirt. Wegen des mög- lichen Vorhandenseins fremden Eisens in dem Felle wurde dasselbe ab- gezogen, und wegen des sicheren Vorhandenseins unresorbirten oder aus- geschiedenen Eisens in dem Darmtractus wurde derselbe — vom Oesophagus zum Anus — ausgeschnitten, Blutverlust wurde vermieden. Also, ohne Fell und ohne Darmtractus wurden die Mäuse gewogen und getrocknet bei einer Temperatur von 100° C. bis zum constanten Gewicht. Die Eisenbestimmung der getrockneten Maus ist genau beschrieben in meiner früheren Abhandlung [(18), S. 473]. Das Verfahren ist kurz fol- gendes: 1. Verkohlung und Einäscherung der zum constanten Gewicht ge- trockneten Substanz, bezw. Mauskörper. 2. Vollständige Lösung der Aschen in HCl. 3. Ausfällung des Eisens als FePO, mittelst essigsauren Ammo- niaks. 4. Lösung der im Filter aufgefangenen, gewaschenen Eisenphosphat- niederschläge in verdünnter H,SO,. 5. Reduction des Ferrisulphates zu Ferrosulphat mittelst Zink. 6. Titration des Ferrosulphates mittelst Kalium- permanganatlösung. Selbstverständlich habe ich eisenfreie Reagentien ge- braucht. Davon, dass sie eisenfrei waren, habe ich mich durch wiederholte Prüfungen überzeugt. 2. Normaler Eisengehalt der Versuchsthiere: In meiner früheren Untersuchung habe ich den Eisengehalt dieser Thierart unter normalen Verhältnissen festgestellt. Derselbe beträgt für eben erwachsene Mäuse etwa 0-452 2m Fe pro Kilo Trockensubstanz, während er für alte Mäuse etwa 0.387 sm Fe pro Kilo beträgt. Die Thiere, welche für diese letztere Unter- ! Die Durchschnittszahl für das gesammte Körpereisen bei Mäusen Nr. 26, 40, 41 und 42 ist 0-94"s, während die alte normale Maus Nr. 1 1:7" Körpereisen hatte, und die Durchschnrittszahl für die sechs alten normalen Mäuse von meiner früheren Untersuchung (18) 1-81 ®® Fe ist. Die Abnahme des Körpergewichtes und des Körpereisens bei eisenfreier Fütterung. Perioden Aufang I I III ya V | VI VAR IENADNEZ TIBS Körpereisen | | 2-0 | 1.761 1.522 |1-283 | 1-077\0-949 |0-s47 |o-ı8 | _ | | mg mg mg mg | mg mg mg mg | 1 Nor ons — Mittelzahl ormal 2 von Normal 1-8m: = 12 Thieren Dee i | Normal 1-4” = 2 Normal 1-2ms — 2 Fütterungs- _ Normal 1.0 =8 3x Z versuche a es = SE Normal 0-6" — Normal 0-4 ws — Normal 0-9ws — Normal 0.085 — Körpergewicht 15-22 |16-49 | 15-40 | 13-82 | 12-41 | 11-47 |10-39 | 9-71 | | | 100°), | 108-3 | 101-2 | 90-8 | 81-5 | 75°3 |.68-2 | 63-7 72 Q ÜBER DAS VERHALTEN DES FISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 13 suchung gebraucht wurden, hatten, neben Milch und Brod, Weizen anstatt Hafer; dieses könnte einen kleinen Unterschied machen. Ich habe zu diesem Zweck nochmals eine erwachsene normale Maus (Nr. 9 der Tabelle I) und eine alte normale Maus (Nr. 1 der Tabelle TI) analysirt und für die erste einen Fe-Gehalt von 0.514 ®m pro Kilo, für die zweite von 0.414 s’" pro Kilo Trockensubstanz gefunden. Diese Zahlen, obgleich etwas von den früheren abweichend, geben doch keine Veranlassung zu Bedenken, da die Abweichungen unter dem Einflusse eisenreichen und und eisenarmen Futters sehr viel grösser sind. Eisengehalt bei eisenreichem und eisenarmem Futter. Wie in der Tabelle I für die Mäuse 10, 13, 14, 16, 17, 27, 28, 29, 32, 35 mitgetheilte Analysenzahlen beweisen, kann der Eisengehalt des Thieres bis auf 18% pro Kilo Trockensubstanz und darüber gesteigert werden, also auf mehr als das Doppelte des Normalen. Ein so grosser Eisengehalt erscheint jedoch nicht unbedenklich. Schon bevor die Grenze erreicht wird, verlieren die Thiere ziemlich rasch an Gewicht. Die rasche Gewichtsabnahme tritt bald nach dem 21. Tage der Eisenfütterung ein. Um die gleiche Zeit bemerkt man die Anhäufung des Metalls in der Leber. Man kann diese Erscheinung in eine gewisse Analogie mit anderen Metall- vergiftungen bringen. Unter dem Einfluss eisenarmen Futters kann umgekehrt der Eisen- gehalt eines Thieres stark vermindert werden bis auf 0-329, 0.339 5m pro Kilo Trockensubstanz (s. Nr. 20, 21, 24, 40—42 der Tabelle I). Während bei eisenreicher Fütterung die Aufnahme des Eisens über die Ausscheidung soweit hinausgeht, dass der Eisengehalt auf mehr als das Doppelte gesteigert wird, geht bei der eisenarmen Fütterung die Ausschei- dung weiter, während die Aufnahme Null ist und führt also zu einem Ver- lust des Körpereisens. Die Extreme, welche meine Versuche erreichten, bewegen sich zwischen 1-320 8% Fe (eisenreiche Maus Nr. 11) und 0-329 sım Fe (eisenarme Maus Nr. 40) beides pro Kilo Trockensubstanz. Die beiden Zahlen verhalten sich nahe wie 4:1, gewiss eine grosse Variation. Die Untersuchung der eisenarmen Mäuse hatte noch den Zweck, die Controle für den folgenden Abschnitt, die Ausscheidung des Eisens, zu bilden. Wenn die sämmtlichen Ausscheidungen des Thieres während der Versuchsperiode gesammelt und auf ihren Eisengehalt untersucht wurden, wenn dann das Thier selbst am Schluss der Versuchsperiode analysirt wurde, so müssten die beiden Zahlen zusammen sich vergleichen lassen mit der Menge, welche sie am Anfang des Versuches enthielten. Diese Menge kann man freilich direct nicht bestimmen, aber man kann sie berechnen, 714 Wiınr. 8. Haur: weil man ja den Fe-Gehalt von normalen Mäusen von diesem Alter und und Gewicht kennt. Nehmen wir z. B. die Mäuse Nr. 40, 41, 42. Ihr Durchschnittsgewicht war 16.948, Ihr wahrscheinlicher Eisengehalt am Anfang des Versuches war 2-17”8, wie man findet, wenn man ihr Ge- wicht erst auf Trockensubstanz redueirt (etwa 31 Procent) und dann für die Trockensubstanz, die aus meinen Analysen für normale erwachsene Mäuse sich ergebende Zahl von 0-414&m pro Kilo Trockensubstanz in Rechnung setzt. Diese Thiere haben ausgeschieden während der Versuchsperiode 1-33 ws, ihr Eisengehalt war im Durchschnitt am Ende derselben . 0-75 „ also gefundenes Eisen für den Anfang des Versuches. . . 2.088, berechnetes x Sn däss ni 55 Br a elite V. Die Ausscheidung des Eisens aus dem thierischen Erganismus. 1. Beschreibung der Versuche. a) Behandlung der Thiere: Wenn es sich um eine so kleine Fe- Menge handelt wie bei dieser Untersuchung, darf man nicht offene, dem Staub zugängliche Käfige gebrauchen. Folgende Einrichtung habe ich prak- tisch gefunden: Man stellt eine grosse, chemisch reine Glasglocke umgekehrt auf ein Gestell, thut eine kleine Menge chirurgische Watte hinein, legt eine der Glocke entsprechend viel grössere Glasplatte über die Oeffnung der Glocke und schliesslich, um die Mäuse gegen Licht zu schützen, legt man grosse Bogen Filtrirpapier oder Zeitungen über den ganzen Käfig; dieselben dienen ferner als Schutz gegen Staub. Ein Käfig von 25 m Durchmesser kann 4 bis 6 Mäuse sehr behaglich halten. Futter und destillirtes Wasser wurden in gläsernen Gefässen dargereicht. Ein auf diese Weise eingerichteter Glaskäfig kann chemisch reingehalten werden. Der einzige Einwand gegen die Einrichtung ist der Gebrauch von chirurgischer Watte, welche fast, aber nicht ganz eisenfrei ist, etwas für Nester müssen die Thiere indessen haben, sonst gedeihen sie nicht. Wenn man die Exeremente von der fast eisenfreien Watte möglichst befreit, so bekommt man von den an den Exerementen hängengebliebenen Watte- resten eine nicht mehr bestimmbare Fe-Menge. b) Sammeln der Excremente: Jeden Abend wurde beim Füttern aller Koth aus der Watte gepflückt und in einen bestimmten Becher hineingethan. Der Theil der Watte, welcher mit Harn durchnässt war, wurde auch mit hineingethan. Am Ende jeder Versuchsperiode, also alle drei Tage, wurde der ganze Käfige noch einmal chemisch rein gemacht. Während die Mäuse zum Wiegen in einem reinen Becherglas behalten ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 15 wurden, war Gelegenheit, den Wasserapparat (s. Fig. 1) und das Futter- schälchen abzuspülen. Die Glasglocke wurde auch mit Ag. dest. aus- gespült. Die Ausspülungen wurden abgedampft und mitanalysirt. Die noch reine Watte und noch etwas neue dazu, wurde in den Käfig hinein- gethan, und die Mäuse ebenfalls. Diese vollständige Wechselung des Käfiginhaltes fand am Ende jeder Versuchsperiode statt. Es ist kaum nöthig zu sagen, dass alles mit peinlichster Reinlichkeit gemacht wurde. c) Untersuchung der Excremente: Die in Bechergläsern ge- sammelten Excremente wurden erst getrocknet und dann verbrannt und eingeäschert. Nach der Einäscherung ist der Verlauf der Fe-Bestimmung ganz derselbe wie oben beschrieben (s. Abtheilung II, D. 1). Resultate: Eine Uebersicht über die gesammten Resultate dieser Abtheilung hat man in Tabelle II (8. 76). In Versuch „A“ z. B. wurden sechs normale Mäuse während sieben 3-tägiger Perioden unter- sucht; das Durchschnittsgewicht jeder Maus am Ende der ersten Periode war 18.06 sm, eine Zunahme über das Anfangsgewicht von -+0-07 sm, Während dieser 3-tägigen Periode erlitten die Mäuse einen Fe-Verlust, welcher durchschnittlich 0:.343 "8 beträgt. Während des ganzen Versuchs- verlaufes (VII Perioden von je drei Tagen) erlitten die Mäuse durchschnitt- lich einen Körperverlust von 3-17 s® und einen Körpereisenverlust von 1.17 =2. Nun aber bemerkt man, dass die Ausscheidung während der ersten und zweiten Periode auffallend grösser ist als später. Dieses rührt unzweifelhaft von dem zu Anfang des Versuches im Darmtractus vorhandenen, vom Futter herstammenden, aber nicht resorbirten Eisen her. Nehmen wir an, dass dieses fremde Eisen innerhalb sechs Tagen ganz ausgeschieden wird, dann haben wir eine Gelegenheit, den Körperverlust und den Körper- eisenverlust während der letzten 15 Tage zu vergleichen. In Versuch „4“ war der Körperverlust 3-31 ®'® und der Fe-Verlust 0.600 =& während der betreffenden Perioden; also auf 1 "= Körperverlust 0.182 ®s Risen. In Versuchen „A“ und „2“ brauchte ich eisenfreies Futter («); in Versuchen „C“, „D“ und „#“ brauchte ich ebenfalls eisenfreies Futter (£). Versuche „2“ und ,„Z“ waren unglücklicher Weise unterbrochen wegen zufälliger Verunrei- nigung des Futters; sonst verliefen alle Versuche ohne Zwischenfall bis zum Ende der Untersuchung. Vergleichen wir die Mittelzahlen von „A und 5“ mit denen von „CO, D und #“, da finden wir einen auffallenden Unter- schied, besonders in der letzten Rubrik: in Versuchen „A und 2“ be- trug der Eisenverlust bei eisenfreiem Futter («) auf 1s"= Körperverlust etwa 0.28, während in Versuchen „CO, D und #“ bei eisenfreiem Futter (f) derselbe etwa 0.13 betrug. Dieses beruht wahrscheinlich darauf, dass der Körperverlust in den letzteren Fällen hauptsächlich aus Fett bestand, das bekanntlich eisenarm ist. Die Mittelzahlen für „C, D und #“ bieten eine Wiınr. S. Harı: Ne) De Tabelle Il. Der Eisengehalt der Excremente. 52 3assa eE5 : Ho : u Versuch Periode I II IH IV V IV VII ae > = a3 5 San IE 3 3 FEEIFS-EIGEN A |Gewicht jeder Maus=| 18-06 | 18-13 | 17-96 | 17-398] 16-70 | 15-800| 14-82 = — — sechs normale | Zunahme an Gew. =|+ 0-07 + 0-07 |— 0-17 |— 0.562 |— 0.698 |— 0900 — 0980| —3-31 — = Mäuse |MermFein3Tagen=| 0-343 0.228 0-187 0-115| 0-102|+ 0-105 | 0.091 = 0-600 | 0+182 B Gewicht jeder Maus= 11-39 ] 11-57 | 11-27 10-49 Versuch unterbrochen _ Sr sechs normale | Zunahme an Gew. = + 0-29 |+ 0-18 |— 0:30 |— 0-78 wegen Verunreinigung des| —1-08 — — Mäuse |MgrmFein3 Tagen=| 0.214 0-126| 0-151 0-084 Futters —_ 0.235 | 0-217 = Gewicht jeder Maus=| 15-40 | 15-19 | 13-22 | 11-17 | 10-69 9:50 | 9-87 | —5-82 B = vier normale | Zunahme an Gew. =|+ 1:00 — 0-21 |— 1:97 — 2:05 |— 0-48 — 1-19 |— 0-13 _ 0.874 | — Mäuse Mgrm Fe in 3 Tagen = 0-425| 0.257 0.260 | 0.270 0129 0.150 0065 — —_ 0-150 ==» |Gewicht jeder Maus=| 16-52 | 14-79 | 13-00 | 11-92 | 11-08 | 10-09 9-15 | —5-64 = == vier normale | Zunahme an Gew. = |+ 1:96 |— 1:73 |— 1:79 |— 1-08 |— 0-84 |— 0-99 |— 0-94 _ 0.634 _ Mäuse Mgrın Fe in 3 Tagen = 0-407 0-330, 0.240 0-165 0:079 0:077 0-073 —_ — 0-112 Sen Gewicht jeder Maus!=| 17-57 | 16-22 | 15-25 | 14-14 | 12-64 | 11-58 | 10-61 | —5-61 Ferse vier normale | Zunahme an Gew. =|+ 0:88 |—- 1:35 — 0-97 |— 1-11 |— 1-50 |— 1:06 |— 0-97 —_ 0.726 Mäuse Mgrm Fe in 3 Tagen = 0308 0295 0-217 0:184 0-177 0079 0.069 — _ 0:129 A und B |Gewicht jeder Maus=| 14-725] 14-85 | 14-165| 13-94 = Feel = = Mittelzahl v.|| Zunahme an Gew. =|+ 0+-180/+ 0-125|— 0235 — 0-67 _ —_ _ — 2.195 _ = zwölf Mäusen || Mgrın Fe in 3 Tagen = 0.278| 0-177 _ 0.169 0-100 _ = _ _ 0-418 | 0.1995 °C, D und E| Gewicht jeder Maus=|| 16-496] 15-40 | 13-828] 12-41 | 11-47 | 10-39 | 9-71 | —5-69 ges: Mittelzahl v. | Zunahme an Gew. =|+ 1-280— 1-096 — 1-577 |— 1-413 |— 0:94 |— 1-08 ® 0-68 _ 0.745 — zwölf Mäusen | Mgrm Fe in 3 Tagen = 0:380| 0-294| 0.239 0:206 0.128 0-102) 0.069] — — ER ER | Gewicht jeder Maus= 9-357| 8-723| 8.050 Versuch unterbrochen | — || 0.673 7a sechs eisen- | Zunahme an Gew. =|— 0:630 — 0-664|— 0.673 |) wegen Verunreinigung des | — 0.173 | — reiche Mäuse | Mgrin Fe in 3 Tagen = 0.266| 0-176| 0-173) Futters | = — 0.257 ! Anfangseewicht der Mäuse 40-41-42 = 16-94. ÜBER Das VERHALTEN DES EisENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. Le gute Gelegenheit dar, den Körperverlust und den Körpereisenverlust zu vergleichen (s. Fig. 3). Die Curven der Körpergewichte und des Körpereisengehaltes sind so dargestellt, dass normales Körpergewicht und normaler Eisengehalt auf Ordinatabtheilung 100 stehen. Die Curve des Körpergewichtes wurde ein- fach von den procentisch reducirten Gewichten, welche Anfangs und am Ende jeder Periode genommen wurden, hergestellt. Die Herstellung der Körpereisengehaltscurve ist nicht so einfach: 1. müssen wir den normalen Eisengehalt für die betreffenden Thiere fest- stellen. Wie oben angegeben (S. 74) das Anfangsgewicht 15-228" x 0.31 (feste Substanz) x 0-414 (normaler Fe-Gehalt) = 1-954 "8 Fe. Des kechnens wegen wollen wir 2 ”® annehmen. 2. nehmen wir an, dass das Anfangs des Versuches schon im Darmtractus vorhandene Eisen am Ende der zweiten Periode ganz ausgeschieden wird, dann haben wir in der Aus- scheidung der dritten Periode einen Anhaltspunkt, die Menge des in den zwei ersten Perioden ausgeschiedenen Körpereisens zu bestimmen, wahrscheinlich ist sie annähernd dieselbe wie in der dritten Periode Nehmen wir dieses an, so steigt die Curve in einer geraden Linie von 100 Procent bis zu 64 Procent durch die ersten drei Perioden ab. Während der Ill. bis VII. Periode ist die Curve direct von den in Tabelle II angegebenen Zahlen hergestell. Man bemerkt, in den ersten zwei Perioden dieses nach der Tabelle festgestellten Theiles der Curve eine Abweichung zwischen Fe- Gehalt und Körpergewicht; es findet zu dieser Zeit eine bedeutende relative Eisenverarmung statt. Dagegen in dem späteren Verlauf des fest- gestellten Theiles der Curve (Perioden V, VI, VII) sinkt das Körpergewicht schneller als der Eisengehalt. Während der letzten drei Perioden (VIII, IX, X) beruht der Verlauf der Curve des Eisengehaltes auf der Thatsache, dass chemische Analysen eisenarmer Mäuse nie weniger als 33 Procent des gezeichneten Normalgehaltes an Fe aufgewiesen haben, sobald also diese Zahl erreicht ist, ist die Curve als stationär an- genommen. Eine eingehendere Besprechung dieser Curven findet man in der nächst- folgenden Abtheilung, welche die Zusammenfassung der Resultate giebt. VI. Zusammenfassung und Besprechung der Resultate. Ich beabsichtige, die im Verlaufe der Untersuchung gezogenen physio- logisch wichtigeren Schlüsse hier noch einmal zu recapituliren, um ein Ge- sammtbild des Eisenstoffwechsels zu geben. Ich beginne dabei mit der in der Untersuchung zuletzt genannten Eisenausscheidung, weil sie den Schlüssel zum Uehrigen bildet. 73 Winr. S. Hart: 4. Eisenausscheidung. 1. Auch bei vollkommen eisenfreiem Futter findet eine regelmässige Ausscheidung von Eisen aus dem Körper statt. 1a. Bei allen Versuchen über die Aufnahme einer Eisenverbindung muss daher berücksichtigt werden, dass man neben dem nicht resorbirten Futtereisen auch Körpereisen in den Ausscheidungen zu erwarten hat. Man kann daher nicht aus der Gleichheit des dem Körper einverleibten Eisens und des in den Ausscheidungen wiedergefundenen Eisens den Schluss ziehen, dass die betreffende Eisenverbindung nicht resorbirt sei, es kann vielmehr in einem solchen Falle eine dem ausgeschiedenen Körpereisen ent- sprechende Menge aufgenommen worden sein. 1b. Bei den zum Versuch benutzten Mäusen war eine Trennung des durch den Harn und durch den Koth ausgeschiedenen Eisens nicht mög- lich. Eine solche Unterscheidung hat aber eine Bedeutung für die vor- liegende Frage nicht, weil das Eisen aus dem Stoffwechsel durch die Galle, die Darmsecrete und die abgestossenen Epithelien auch in den Darm kommt, das Körpereisen sich also in beiden Ausscheidungen Koth und Harn promiscue findet. 2. Die Ausscheidung von Eisen bei eisenfreiem Futter führt zu einer Verarmung des Körpers an Eisen, welche im Verlauf von 21 Tagen bei Mäusen bis 40 Procent des ursprünglichen Eisengehaltes beträgt. Diese Eisenverarmung ist begleitet von einer Abnahme des Körper- gewichtes. 2a. Die einfachste Vorstellung, welche man diesem Verhältniss zu Grunde legen könnte, wäre die, dass bei der Zerstörung von Körpermaterial Eisen aus seiner organischen Bindung in der eisenhaltigen Körpersubstanz frei wird, welches dann zur Ausscheidung gelangt. Wenn dann bei mangelnder Zufuhr von Eisen in dem Futter die Körpersubstanzen aus demselben sich nicht neu bilden könnten, müsste die Eisenverarmung des Organismus der Abnahme des Körpergewichtes un- gefähr proportional sein, und es würde der Procentgehalt des Organismus an Eisen unverändert derselbe bleiben. 2b. Thatsächlich gestalten sich die Verhältnisse etwas complicirter, weil die Abnahme des Körpergewichtes und des Eisengehaltes nur in dem mittleren Theil parallel verläuft. Im ersten Theil der Curve, vom 1. bis 12. Tage ungefähr, sinkt der Eisengehalt rascher als das Körpergewicht, ja es findet zuerst noch eine Zunahme des Körpergewichtes statt. Hier versucht der Organismus aus dem eisenfreien Futter einen Ersatz für die zerstörten eisenhaltigen Körper- substanzen zu bilden, was auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 79 kann. In dieser Periode sinkt der Procentgehalt des Organismus an Eisen rascher als der absolute Eisenvorrath. In der letzten Periode dagegen, vom 18. Tage an, findet eine rasche Abnahme des Körpergewichtes statt, welche von Ursachen herrührt, die nicht unmittelbar mit der Eisenarmuth zu- sammenhängen und auch bei eisenreichem Futter sich einstellen und das auf diese Weise frei werdende Eisen kann nicht rasch genug ausgeschieden werden. In dieser Periode steigt also der Procentgehalt des Organismus an Eisen bei abnehmendem absoluten Eisenvorrath. B. Eisenaufnahme. 1. Aus dem dem Futter beigemengten Carneferrin wird Eisen durch die Darmepithelien aufgenommen. la. Das aufgenommene Eisen lässt sich im dem Protoplasma der Darmepithelien in Form von eisenhaltigen Körnchen (mit Hülfe der in dieser Abhandlung beschriebenen Methode) nachweisen. Die Resorption ist somit eine echte Resorption, welche durch den Stäbchensaum hindurch in das Protoplasma der Zellen geht. 1b. Das Eisen scheint hierbei in eine andere Bindungsform über- zugehen, da es im Darmlumen auf dem Stäbchensaume aufliegend in diffuser Form, in dem Protoplasma der Zellen aber in Körnchen von den Reagentien nachgewiesen wird. lc. Die in dem Protoplasma enthaltenen eisenhaltigen Körnchen ent- färben sich viel rascher als der im Lumen befindliche unresorbirte Theil des Eisens, woraus man vielleicht den Schluss ziehen darf, dass sie das Eisen nur in einer dünnen Schicht enthalten. 2. Die Eisenresorption ist allein deutlich in den Epithelien des Duo- denums, nur undeutlich in denen des Jejunums und gar nicht in denen des Iliums nachweisbar. 2a. In den unteren Abschnitten des Darmes findet sich eisenreicher Inhalt genug, so dass man die Abwesenheit der Resorptionsvorgänge nicht dadurch erklären kann, weil alles Eisen schon oberhalb resorbirt sei. Es bleiben zwei Möglichkeiten, entweder dass das Epithel der unteren Darmabschnitte zur Resorption von Eisen weniger befähigt ist, oder dass das Eisen bei seiner Wanderung durch den Darm aus seiner resorptions- fähigen Bindungsform unter dem Einfluss der Darmsecrete und den Fäul- nissvorgängen in nichtresorptionsfähige Formen (Schwefeleisen z. B.) über- geht. Das letztere ist das wahrscheinlichere. 3. Ein Theil des aufgenommenen Eisens wird zur Bildung von Haemo- globin verwendet, weil die Zahl der Blutkörperchen sich nach Zufuhr des eisenreichen Futters vermehrt. Dieser Antheil ist stärker bei jungen 80 WinF. S. Hart: Thieren, und bei solchen, die noch nicht sehr hohe Blutkörperchenzahlen haben. 4. Ein Theil des Eisens wird in der Milz abgelagert und zwar in der Pulpe. Bevorzugt sind die Pulpaschichten, welche die Follikel zunächst umgeben. Das Eisen findet sich in Form von eisenhaltigen Einschlüssen in den Pulpazellen. 5. Bei länger als eine Woche dauernder reichlicher Eisenzufuhr findet sich auch eine Eisenanhäufung in der Leber, welche namentlich in den der Vena centralis zu gelegenenen Theil der Leber nachgewiesen werden kann. 6. Der Gesammtvorrath eines Thieres an Eisen lässt sich durch reich- liche Eisenzufuhr steigern und es steigt in diesem Fall der Procentgehalt rascher als der absolute Gehalt. 7. Der gesammte Eisengehalt eines Thieres steigt auch bei eisen- reicher Fütterung nicht viel über Is” Fe pro Kilo (Trockengewicht), während er bei eisenfreier Nahrung nicht viel unter 0.333 em Fe pro Kilo Trockensubstanz sinkt. Zwischen !/, und !°/,, Fe-Gehalt scheint sich also die Lebensmöglich- keit zu bewegen. C. Eisenstoffwechsel. 1. Aus dem Vergleich der mit Hülfe des Mikroskopes und der mikro- chemischen Reactionen nachweisbaren Eisenverbindungen und dem mit Hülfe der chemischen Analyse festgestellten Gesammteisengehaltes der Thiere ergeben sich folgende Schlüsse: la. Ganz junge säugende Mäuse zeigen keine durch mikrochemische Reactionen nachweisbare Eisenverbindungen, obgleich die Analyse ihren Gesammteisengehalt procentisch nicht wesentlich niedriger als den er- wachsener Thiere ausweist. Ihr Eisen muss daher in sehr festen organischen Verbindungen enthalten sein, aus denen es nicht durch die gewöhnlichen Reagentien (NH,SH und HÜCl) abgespalten werden kann, sondern nur durch die Zerstörung dieser Verbindungen. ib. Erwachsene Mäuse zeigen bei normalem Futter, d. h. solchem, wie sie sich selbst wählen, einen schwachen Gehalt an mikroskopisch nach- weisbaren Eisenverbindungen in der Milz, der bei eisenreichem Futter sofort stark steigt. Dies beweist, dass diese Eisenverbindungen zum Theil aus dem mit dem Futter aufgenommenen Eisen herrühren. 1c. Erwachsene Mäuse zeigen bei eisenfreiem Futter einen mikro- skopischen Eisengehalt der Milz, der etwas schwächer ist als der der Mäuse mit normalem und viel schwächer als der der Mäuse mit eisenreichem Futter, dies beweist, dass ein Theil dieser Eisenverbindungen in der Milz ÜBER DAS VERHALTEN DES EISENS IM THIERISCHEN ÜRGANISMUS. 81 nicht von dem Futter herrührt, sondern von der Zersetzung der festen organischen Eisenverbindungen des Körpers. 2. Man muss also annehmen, dass der Eisenvorrath des Organismus aus zwei Theilen besteht. a) Einem Theil, der in festen organischen Verbindungen vorhanden ist (wie es uns in dem Haemoglobin als Paradigma bekannt ist, aber auch wahrscheinlich noch in anderen Formen in den Protoplasmen vor- kommt). d) Einem Theil, der entweder schon als anorganisches Eisen vorhanden ist, oder in solchen lockeren organischen Verbindungen, aus denen das Eisen durch Reagentien abgespalten werden kann. Von diesen beiden Theilen stellt der erstere den eigentlichen activen Bestand des Organismus dar, während der zweite Theil einen Uebergangsstand darstellt, in den das Eisen beim Ein- und Austritt aus dem Organismus geräth. 3. Die Versuche über die Eisenausscheidung bei eisenfreiem Futter beweisen, dass auch der Eisenvorrath (a) während des Lebens einem be- ständigen Wechsel unterworfen ist, indem das ihm angehörige Eisen, wenn die betreffenden organischen Verbindungen zerstört werden, zur Ausscheidung gelangt. Ist das Futter normal, d. h. enthält es resorbirbare Eisenverbindungen in natürlicher Menge, so werden aus demselben diese festen organischen Eisenverbindungen Zug um Zug wieder aufgebaut und es gelangt nur eine geringe Menge Eisen in die Vorrathsform (2). Ist das Futter eisenarm, so finden sich in der Form (5) nur diejenigen Eisenmengen, die bei der Zerstörung des Eisenvorraths (a) durch den Stoffwechsel frei werden. Ist das Futter künstlich eisenreich, so steigt der Eisenvorrath (2) rasch an, weil ein Theil des resorbirten Eisens in dieser Form auf- gespeichert wird. 4. Von den bei künstlicher Eisenzufuhr resorbirten Eisenmengen wird ein Theil verwendet, um (wie bei normaler Fütterung) den durch Stoff- wechsel angegriffenen Eisenvorrath (a) jedesmal wieder zu ergänzen. Ein zweiter Theil scheint dazu verwendet zu werden, diesen Vorrath (a) über den früheren Bestand (a) hinaus zu steigern. Die Zunahme von Blut- körperchen, welche bei eisenreichem Futter constatirt wird, bedingt un- zweifelhaft eine Zunahme des Organismus an festen organischen Verbin- dungen. Ein dritter Theil wird in der Form des Vorraths (d) in der Milz und Leber abgelagert. 5. Das Eisen, welches im Darm resorbirt wurde und in dem Proto- plasma der Epithelzellen nachgewiesen werden konnte, gelangt nicht in den Lymphstrom, da im Ductus thoracicus auch bei eisenreicher Fütterung keine nennenswerthen Eisenmengen gefunden wurden. Es Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 6 82 WiınF. S. Haun: geht also in die Pfortader über und muss die Leber passiren. Bei diesem Passiren der Leber ist es in derselben nicht mikroskopisch nachweisbar, denn wenn die Leber in der ersten Woche der Fütterung mit eisenreichem Futter untersucht wird, kann man Eisen in ihr noch nicht entdecken. Es muss also hier in einer fest gebundenen Form passiren, aus der es erst abgespalten wird, wenn es in die Milz gelangt, welche in dieser Zeit be- reits eine starke Zunahme des Eisenvorraths (b) zeigt. 6. Erst wenn der Eisenvorrath (d) eine sehr erhebliche Vermehrung in der dritten Woche der Eisenfütterung erlitten hat, tritt in der Leber eine mikroskopisch nachweisbare Eisenverbindung auf. Es ist daher ge- rechtfertigt anzunehmen, dass es sich hier nicht um ein Passiren des Eisens auf dem Assimilationswege, sondern um einen Ausscheidungsvorgang handelt, durch den der Organismus sich des zu viel angehäuften Eisen- vorraths (5) durch die Leber bezw. die Galle entledigt. Es ist dabei vielleicht von Bedeutung, dass diese Eisenverbindung nur in der centralen Zone der Acini auftritt. 7. Das Verhalten des Eisens in der Form (5) welches bei andauernder künstlicher Eisenzufuhr auftritt, gleicht dem vieler Metalle bei chronischer Metallvergiftung, indem es sich wie diese zuerst in der Milz ablagert, um dann in der Leber sich anzuhäufen und auszuscheiden. Man könnte für dasselbe auch den Ausdruck chronischer Eisenvergiftung gebrauchen, der wenigstens das Pathologisch-anatomische des Vorganges bezeichnen würde. ÜBER DAS VERHALTEN DES FISENS IM THIERISCHEN ORGANISMÜS. 83 Litteraturverzeichniss. 1. Hall, Ueber die Resorption des Carniferrins. Dies Archiv. 1894. H. 5—6. 2. Socin, In welcher Form wird das Eisen resorbirt. Zeitschrift für physiol. Chemie. 1891. Bd. XV. 8. 9. x 3. Bunge, Der Kali-, Natron- und Chlorgehalt der Milch. Inaug.-Diss. Dorpat. 4. Siegfried, Ueber Fleischsäure. Dies Archiv. 1894. Heft 5-6. 5. Pettenkoffer und Voit, Untersuchungen über den Stoffverbrauch des normalen Menschen. Zeitschrift für Biologie. 1866. Bd. II. 8. 540. 6. Bunge, Lehrbuch der physiol. Chemie. 3. Aufl. 7. Vorl. 7. Quincke, Ueber perniciöse Anaemie. Deutsches Archiv f. klin. Medicin. 1877. Bd. XX. 8. Peters, Beobachtungen über Fe-Ablagerungen in den Organen bei ver- schiedenen Krankheiten. Zbenda. 1883. Bd. XXXII. 9. Knnkel, Ueber das Vorkommen von Fe nach Blutextravasation. Zeitschrift für physiol. Chemie. 1881. Bd. V. 10. Minkowsky und Naunyn, Ueber Ieterus durch Polycholie u. s. w. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmacologie. 1886. Bd. XXI. 11. Stühlen, Ueber den Fe-Gehalt verschiedener Orange bei anaemischen Zu- ständen. Deutsches Archiv für klin. Medicin. 1895. April. 12. Quincke, Ueber Siderosis. Zbenda. 1880. Bd. XXV--XXVI. 13. Glaeschke, Ueber subeutane Eiseninjectionen. Archiv für exper. Pathologie und Pharmacologie. 1883. Bd. XVII. 14. Jacobi, Ueber Fe-Ausscheidung aus dem Thierkörper nach subeutanen und intravenösen Fe-Injectionen. Dissert. Strassburg 1887. 15. Stender, Mikroskopische Untersuchung über die Vortheilung des in grossen Dosen eingespritzten Fe in den Organismus. Dorpater Inst. 1891. Bd. VII. 16. Zaleski, Die Vereinfachung. von macro- und mierochemischen Fe-Reactionen. Zeitschrift für physiol. Chemie. 1889. Bd. XIV. 17. Molisch, Die Pflunze in ihrer Beziehung zum Eisen. Jena 1892. Verlag von Gustav Fischer. 18. Bunge, Ueber die Aufnahme des Eisens im thierischen Organismus. Zeit- schrift für physiol. Chemie. 1893. Bd. XVL. 6* 84 Wınr. S. HALL: VERHALTEN DES FISENS IM THIERE. Erklärung der Abbildungen. (Taf. IL) Fig. 1. Die eisenreichste Milz welche unter den untersuchten normalen Mäusen vorgekommen ist. Die blaue Farbe zeigt die Lage der Eisenkörnchenmassen. Fig. 2. Eine mässig eisenreiche Milz (Maus Nr. 33). Nach einer Woche Fe- Fhtterung. Fig. 3. Milz von einer nach 3 wöchentlichen eisenfreien Fütterung untersuchten Maus (Maus Nr. 19). Eisenarme Milz). Fig. 1—3 schwache Vergrösserung. Fig. 4. Eisenreiche, in der Nähe einer Vena intralobularis liegende, Leberzellen einer nach 3 wöchentlicher Fe-Fütterung untersuchten Maus (Nr. 39). Fig. 5. Von der normalen Milz starke Vergrösserung. Fig. 6. Von einer Niere einer nach 3 wöchentlichen Fe-Fütteruug untersuchten Maus (Nr. 39). Fig. 7. Zotte des Duodenums einer nach 1wöchentlicher Fe-Fütterung unter- suchten Maus (Nr. 33). Diffuse Eisenmassen im Lumen, Körnchen in den Zellen. Sämmtliche Praeparate nach den im Text angegebenen Methoden behandelt. Die Eisenreaction überall blau. /ur Lehre von der Function der Museuli intereostales intern. Von Dr. Paul Masoin und Dr. Rene du Bois-Reymond Assist. im Therapeut. Laborat, zu Gent (Belgien). Assist. im Physiol. Institut zu Berlin, (Hierzu Taf, 111.) (Aus dem physiologischen Institut zu Berlin.) Ueber die Wirkung der Musculi intercostales ist seit Galen’s Zeit gestritten worden, ohne dass sich eine vollständige und allgemein anerkannte Anschauung ausgebildet hat. Anfänglich lag die Schwierigkeit auf dem Gebiete der Mechanik. Erst Hamberger bewies, dass zwischen parallel beweglichen Hebeln schräg ausgespannte Fäden, indem sich sich verkürzen, je nach ihrer Richtung, Hebung oder Senkung des Hebelsystems bewirken müssen. Dies wurde am beweglichen Modell bestätigt, ein Versuch, den Hr. Prof. Gad, indem er statt elastischer Fäden Froschmuskeln anwendete, zu einer überaus anschaulichen Demonstration vervollkommnet hat. Weitere Untersuchungen lehrten, dass die mechanischen Verhältnisse des Brust- korbes mit denen des Modells übereinstimmen. Nun fehlte nichts mehr an dem Beweis, dass die Intercostalmuskeln die Bewegungen der Rippen hervorzubringen im Stande sein müssen. Es blieb aber vorläufig eine offene Frage, ob sie diese Function thatsächlich erfüllen. Die rippenhebende, also inspiratorische Wirkung der Externi ist nach Rosenthal! als fest- gestellt zu betrachten. Seitdem haben sich Newell Martin und E. Mussey Hartwell? auch von der expiratorischen Wirkung der Interni % ! Vergl. Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. IV. S. 193. ” The Journal of Physiology. 1879—80. Vol. II. p. 24. 86 PAauu MasoIn UnD Renk Du Boıs-REeymonp: überzeugt. Ihre Methode bestand darin, dass sie ein Stück des zu unter- suchenden Muskels aus seinem mechanischen Zusammenhange loslösten, ohne die Innervation zu unterbrechen, und daran einen Registrirapparat anbrachten, auf dessen Schreibfläche zu gleicher Zeit die Athembewegungen des Zwerchfelles aufgenommen wurden. Sie kamen zu dem Schluss, dass bei Hunden wie bei Katzen die Interni expiratorische Wirkung haben, dass sie indessen beim Hunde nur bei angestrengter Ath- mung thätig sind. Dagegen ist Weidenfeld,! dem His Versuche von Martin und Hartwell unbekannt geblieben zu sein scheinen, bei der Beobachtung der Intercostalmuskeln zu völlig negativen Ergebnissen gelangt. Er hat weder durch Inspection, noch durch Palpation, noch endlich mit Hülfe graphischer Versuche eine active Betheiligung der Intercostalmuskeln an der Athmung feststellen können. Hr. Prof. Gad, dem wir für diese Anregung, wie auch für die An- leitung zu den nachfolgenden Versuchen zu Dank verpflichtet sind, schlug uns daher vor, die Versuche von Martin und Hartwell zu prüfen. Zu- gleich galt es, einen in ihrer Arbeit nur leichthin erwähnten Punkt klar- zustellen. Martin und Hartwell fanden nämlich zwischen der hinteren Portion der Interni und der, als Intercartilaginei zu unterscheidenden vorderen Portion keinen Unterschied. Nach dem Hamberger’schen Schema müssten aber die Intercartilaginei die Rippenknorpel heben, wobei der Winkel zwischen knöchernem und knorpeligem Theil einer jeden Rippe gestreckt, und dadurch eine Erweiterung des Thorax, also eine Inspiration bewirkt würde. Nach Hamberger sind also die Intercartilaginej Inspiratoren. Martin und Hartwell erklären sie für Expiratoren. Das Hamberger’sche Schema wäre also nur für die Externi und die hintere Partie der Interni richtig, für die Intercartilaginei falsch. Unser Versuchsplan war derselbe, den Martin und Hartwell befolgt haben: DieZusammenziehungen der Intercostalmuskeln graphisch aufzunehmen, während der Rythmus der Athmung durch einen mit dem Zwerchfell ver- bundenen Schreibhebel angegeben wird. Im Gegensatz zu Martin und Hartwell richteten wir indessen unser Augenmerk ausschliesslich auf die Intercartilaginei, woraus sich für die Methodik eine grosse Erleichterung ergab. Die Versuche wurden an Katzen, Kaninchen und Hunden mit ganz gleichem Ergebniss angestellt. Das Verfahren war folgendes: Das Versuchs- thier wurde in Rückenlage aufgebunden und narkotisirt. Für die Katzen bedienten wir uns des Bromaethyls.. Den Kaninchen wurde vor der ! Sitzungsberichte der k. Academie zu Wien. 1894. Bd. CIIl. Zur LEHRE VON DER FUNCTION DER MUSCULI INTERCOSTALES INTERNI. 87 Operation Chloral injieirt. Von den Hunden hatte der erste Morphium und Atropin bekommen, da die Athmung aber sehr ungleichmässig war, wendeten wir später Aether an. Alsdann wurde eine Trachealcanüle ein- gelegt, um nöthigenfalls zur künstlichen Athmung bereit zu sein. Die künstliche Athmung wurde indessen nur vorübergehend nothwendig. ‘Die Operation (Fig. 1) begann mit einem Längsschnitte auf der Mitte des Brustbeines (s). Am unteren Winkel wurde die Wunde durch einen Querschnitt bis auf die Flanke erweitert, und der Hautlappen zurück- geschlagen. Darauf wurden die Inser- tionen des Pectoralis und Reetus ab- dominis gelöst, und so das Gebiet der Intercartilaginei frei gelegt. Nun wurde der untere Rippenknorpel (a4) des- jenigen Zwischenraumes (M), dessen Muskel beobachtet werden sollte, mit einem Arterienhaken unmittelbar am Winkel umstochen, und durch die Umsehnürung (a) die Intercostalarterie unterbunden. Der obere Rippenknorpel (#5) wurde mit einer Hakenpincette erfasst und vorsichtig mit schabenden Schnitten durchtrennt (2), ohne dass der Nerv oder die Blut- V) Mi A A / L Nun Se MM REEL ENLGL NE gefässe verletzt wurden. Be g \ ? M wurde der untere Rippenknorpel unter- S_ Wir LF halb der Ligatur ebenfalls durch- 7 __"" m S © schnitten (A), und endlich die Interecostal- — muskeln längs des oberen Randes des BEZ Pr oberen (m) und des unteren Randes des _ unteren Rippenknorpels(2”) durchtrennt. __-— Auf diese Weise waren die zwei Rippen- knorpel mit dem dazwischenliegenden Intercartilagineus bis auf ihre Verbindung mit dem Brustbein mechanisch isolirt. Die Innervation und die Blutzufuhr blieb erhalten, doch hatte der schlaffe Gewebsstreifen, der Nerven und Gefässe enthielt, auf die Bewegung keinen Einfluss. Die Stümpfe der Rippen wurden nachträglich noch um einige Millimeter abgestutzt, damit sie das isolirte Stück nicht etwa be- rühren könnten. Man könnte gegen. diese Versuchsbedingungen einwenden, dass die beiden Rippenknorpel noch unter dem Einflusse des Triangularis sterni ständen. Es gelang indessen Hrn. Masoin, diesen Muskel von unten her 88 PAuL MaAsoIn UND Ren& Du BoIs-REYMonD: mit dem Scalpell aufs Vollkommenste zu durchschneiden. Da das Ergebniss dadurch nicht im Geringsten geändert wurde, beschränkten wir uns bei den weiteren Versuchen auf die oben angegebene Schnittführung. Die Bewegungen des solchergestalt befreiten Muskels wurden durch einen, einem kleinen Instrumente von Hrn. Kronecker! nachgebildeten Mechanismus (Fig. 2) aufgenommen. Dieser bestand aus zwei ungefähr in der Mitte durch ein Gelenk verbundenen Hebeln aus Aluminiumdraht. In das untere Ende der Hebel waren Stecknadelspitzen eingesetzt. Zwischen den oberen Enden war eine Marey’sche Trommel angebracht. Jede Be- wegung der Nadelspitzen gegeneinander bewirkte einen ungefähr gleichen Ausschlag der Membran, durch deren Elasticität allein die Hebel gegen einander festgestellt waren. Der Apparat wurde an den oberen Enden der Hebel an zwei Fäden aufgehängt und mit den Spitzen in den Muskel eingestossen. Der Luftschlauch, der von der Trommel herabhing, gab ihm eine schräge Lage, in der er, leicht federnd, auf dem Muskel ruhte. Gegen Erschütterungen, wie sie bei heftigen Athem- bewegungen vorkamen, war der Apparat hinreichend un- empfindlich. Wurden die Spitzen der Hebel gegen das Brust- bein gesetzt, so blieb der Schreibhebel trotz der Schwankungen des Apparates in Ruhe. Um die Bewegungen des Zwerchfells aufzuzeichnen,wurde ein Gummibläschen zwischen Leber und Zwerchfell eingeführt und mit einer Schreibtrommel verbunden. Aus dieser An- ordnung folgt, dass der Zusammenziehung des Zwerchfelles Hebüng des Schreibhebels entsprechen müsste. Um aber eine mit der von den Intercartilaginei geschriebenen Curve gleich- sinnige Zwerchfellcurve zu erhalten, wurde die Schreibtrommel mit der Membran nach unten eingestellt. In den späteren Versuchen wendeten wir ein, Rosenthal’s Pneumograph nachgebildetes, Instrument an: ein spatelförmiger Blechstreif, der in der Mitte durch Zapfenlager fixirt war, wurde zwischen Leber und Zwerchfell eingeschoben, und übertrug die Be- wegung auf eine Marey’sche Trommel, die wiederum mit dem Schreib- apparate verbunden war. Mit den beschriebenen Hülfsmitteln stellten wir elf Versuche an: vier an Katzen, zwei an Hunden, fünf an Kaninchen. Fig. 2. ! Das betreffende Instrument, das sich im Laboratorium vorfand, war zu Ver- suchen über die Herzcontraetion bestimmt gewesen, ist aber unseres Wissens nicht beschrieben worden. | Zur LEHRE VON DER FUNCTION DER MUSCULI INTERCOSTALES INTERNI. 89 Das Ergebniss war fast immer übereinstimmend und unzweifelhaft. Bei unversehrtem Thorax war bei ruhiger Athmung die Thätiekeit der Intercartilaginei durch blosse Inspection nicht festzustellen. Sobald dagegen im Verlaufe der Operation Pneumothorax entstanden war, wurden die Be- wegungen viel lebhafter, sodass man die Zusammenziehungen der Muskeln erkennen konnte, die gleichzeitig mit dem Absteigen des Zwerchfelles -ein- treten. Nach vollendeter Operation nehmen die beiden durchschnittenen Rippenknorpel eine etwas convergirende Stellung an. Während die unver- letzten Rippenbogen sich stark auf und ab bewegen, erkennt man an den durchschnittenen nur bei sorgfältiger Beobachtung eine rythmische An- näherung. Mittelst der Schreibapparate lassen sich Zusammenziehungen nachweisen, die mit denen des Zwerchfells isochron sind. Wir wählten aus den gewonnenen Curven als typisch für Hund, Katze und Kaninchen die ersten drei der Tafel. Die beiden Schreibhebel arbeiteten dermaassen gleich- förmig, dass es schien, als wären beide Trommeln an einen und denselben Luftschlauch angeschlossen. Zweimal haben wir indessen vorübergehend vom Typus abweichende Curven erhalten, einmal bei einer Katze, einmal bei einem Kaninchen. In diesen Fällen bewegten sich die Zeiger auch gleichzeitig, aber im um- gekehrten Sinne. Der Grund für diese scheinbare Ausnahme ist darin zu suchen, dass in gewissen Fällen der Zwischenrippenraum (senkrecht zur Rippenrichtung gemessen) durch die Thätigkeit der Intercostalmuskeln er- weitert wird.! Setzt man in einem solchen Falle die Spitzen unseres Hebel- apparates auf einer senkrecht zur Richtung der Rippen laufenden Linie ein, so erhält man bei jeder Contraction des Muskels statt einer An- näherung eine Entiernung der Spitzen, das heisst, die Curve wird gerade im verkehrten Sinne geschrieben. Der Fehler ist sogleich beseitigt, wenn man die Spitzen in der Faserrichtung des Muskels einsetzt. An einer Katze wurde, wie oben erwähnt, nachdem schon eine Curve aufgenommen war, der Triangularis sterni unter dem betreffenden Intercarti- lagineus durchschnitten, und darauf die Curve 4 aufgenommen. Bei dieser Aufnahme waren also die Rippen nur durch den Zwischenknorpelmuskel verbunden. Die Bewegung ist aber von der auf den anderen Curven nicht zu unterscheiden. Sie ist demnach allein auf die Intercartilaginei zurück- zuführen. Da dieser Befund den oben erwähnten Angaben Weidenfeld’s geradezu entgegensteht, scheint es angebracht, hier eine ältere Beobachtung nochmals anzuführen, die noch nicht so allgemein bekannt zu sein scheint, wie ihre Bedeutung es wohl verdiente Wir verdanken den Hinweis Hrn. ! Lukjanow, Archiv für die gesammte Physiologie. Bonn 1883. XXX. S. 82. 90 Pau MasoIn unp REnk Du Boıs-Reymonp: Prof. Gad.! Es handelt sich um einen von Freund in Breslau beob- achteten Fall, über den A. W. Volkmann? folgendermaassen berichtet: „Bei einer 30jährigen Frau besteht angeborener Mangel des rechten Musc. pectoralis maior und ein Defect der dritten und vierten Rippe, da wo Knochen und. Knorpel zusammenstossen. In Folge dieses Defects be- findet sich an der vorderen Brustwand eine etwa kindeshandgrosse Stelle, welche nur von der sehr verdünnten äusseren Haut bedeckt ist. Die Grenzen dieser Stelle bilden nach oben der gegen das stark gebogene Schlüsselbein steil aufwärts gerichtete Knorpel und Knochen der zweiten Rippe, nach unten die auffallend stark nach unten gekrümmte fünfte Rippe, und zu beiden Seiten, also median und rückwärts, die Stümpfe der defeeten dritten und vierten Rippen. Der Knochen- und Knorpeldefeet nimmt also die Stelle ein, wo nach Wegnahme des grossen Brustmuskels beide Lagen der Intercostalmuskeln, innere wie äussere, zu Tage liegen, indem die Intercostales externi nicht über die Grenzen der knöchernen Rippen hinausgehen und die weiter nach vorn liegenden Interni unbedeckt lassen. Von höchster Wichtigkeit für die Beurtheilung der Muskelfunction war nun der Umstand, dass da, wo Knochen und Knorpel fehlten, die Interni nicht fehlten, vielmehr wie die Figur ausweist, sich durch den zwischen der zweiten und fünften Rippe gelegenen offenen Raum in ungewöhnlicher Länge hingezogen. Eben die ungewöhnliche Länge der intercostalen Fleisch- fasern, verbunden mit der Dünne der Hautbedeckung hatte zur Folge, dass die Muskelcontractionen sehr ins Auge fielen, und dass bei langsamen und tiefen Inspirationen die gleichzeitige Thätigkeit der äusseren und inneren Intercostalmuskeln direct wahrgenommen werden konnte.“ Unter „inneren Intercostalmuskeln“ ist die vorderste Portion der Interni, also „‚die Intercartilaginei“ zu verstehen. Die Beobachtung trifft mit- hin völlig mit dem Ergebnis unserer Versuche zusammen. Um noch sicherer festzustellen, dass die Intercartilaginei mit dem Zwerchfell gemeinsam arbeiten, brachten wir die Versuchsthiere durch künst- liche Athmung in Apnoö, und erhielten die Curve der wiederauftretenden Athembewegung (Fig. 5 der Tafel). Das Zwerchfell beginnt in diesem Falle geraume Zeit vor den Rippenmuskeln seine rythmische Bewegung. Die Intercartilaginei fallen mit allmählich verstärkten Zusammenziehungen in demselben Takte ein. Bläst man während des Versuchs dem Thiere Ammoniakgas in die ! Gad, Habilitationsschrift: Ueber Apnoe. Würzburg 1880. 2A. W. Volkmann, Zur Theorie der Intercostalmuskeln.. Dies Archiv. Anat. Abthlg. Bd. II. ZUR LEHRE VON DER FUNCTION DER MUSCULI INTERCOSTALES INTERNI. 91 Nase, so stocken beide Bewegungen in Expirationsstellung und setzen nach einiger Zeit beide genau gleichzeitig wieder ein, wie Fig. 6 der Tafel zeigt. Bei so genauem Zusammenwirken des Zwerchfells und der Zwischen- rippenmuskeln könnte man erwarten, dass Lähmung der einen Gruppe verstärkte Thätigkeit der anderen zur Folge haben würde. Um dies zu prüfen, durchschnitten wir den Phrenicus an Versuchsthieren, die durch sorgfältig abgemessene künstliche Respiration vor der Dyspno& bewahrt waren, ohne dass sie sich in Apno& befunden hätten. Wir fanden, dass einseitige Durchschneidung auf die Thätigkeit der Intercartilaginei derselben Seite ohne Einfluss war (Fig. 7 der Tafel. Wurden beide Phrenici durchschnitten, so trat allmählig Dyspno& und damit zugleich verstärkte Thätigkeit der Intercostalmuskeln ein. Die Ergebnisse unserer Arbeit lassen sich folgendermaassen zusammen- fassen: 1. Die Zwischenknorpelmuskeln arbeiten synchron mit dem Zwerchfell, sind also Inspiratoren. 2. Bei normaler Athmung ist die Mitwirkung der Zeischehleletnel, muskeln nicht erkennbar. 3. Bei angestrengter Athmung, wie sie bei Pneumothorax oder bei Dyspno& auftritt, ist die Thätigkeit der Zwischenknorpelmuskeln unzwei- deutig nachzuweisen. 4. Nach dem Stillstande der Athmung im Zustande der Apno& be- ginnen die Zwischenknorpelmuskeln später als das Zwerchfell zu arbeiten, indem sie sich dessen Rythmus anschliessen. 5. Einathmung von Ammoniakgas hemmt Zwerchfell und Zwischen- knorpelmuskeln gleichzeitig, und beide fangen nachher gleichzeitig wieder an zu arbeiten. 6. Durchschneidung des Phrenicus hat bei einem Thiere, das durch künstliche Athmung vor Dyspno& geschützt ist, auf die Bewegung der Zwischenknorpelmuskeln keinen Einfluss. 92 Pauu MaAsom unD Renk Du Bois-REYMonD: Zur LEHRE U. S. w. Erklärung der Abbildungen, (Taf. IIL.) | Die Curven sind von links nach rechts zu lesen. Auf allen Figuren ist die obere Curve die der Intercostalmuskeln, die untere die des Zwerchfelles. Bei allen Curven, mit Ausnahme der ersten, der besondere Bezeichnungen beigefügt sind, entspricht der Muskelzusammenziehung ein Abfall, und dementsprechend der Erschlaffung ein An- steigen der Curve. Fig. 1. Hund 1, Vierter Intercostalraum der rechten Seite. Typische Curve. Fig. 2. Katze 3, Fünfter Intercostalraum der rechten Seite. Typische Curve. Fig. 5. Kaninchen 2, Vierter Intercostalraum der rechten Seite. T'ypische Curve. Fig. 4. Katze 4, Vierter Intercostalraum der rechten Seite. Die Curve ist nach Durchschneidung des Triangularis sterni aufgenommen. Fig. 5. Kaninchen 2, Vierter Intereostalraum der rechten Seite. Wiedereintritt der Athembewegung nach Apno&. Fig. 6. Kaninchen 3, Vierter Intercostalraum der rechten Seite. Wiedereintritt der Athembewegung nach Hemmung durch Ammoniakgas. Fig. 7. Kaninchen 2, Vierter Intercostalraum der rechten Seite. Durch ab- gemessene künstliche Respiration unterstützte Athembewegungen. Durchschneidung des rechten Phrenieus. Weitere Untersuchungen über die Speichelsecretion. Von Dr. N. A. Mislawsky und Dr. A. E. Smirnow Professor der Physiologie Prosector der Physiologie an der Universität Kasan. (Hierzu Taf. IV.) In unseren, im Supplementbande 1593 dieses Archives veröffentlichten Untersuchungen haben wir diejenigen morphologischen Veränderungen dar- gestellt, welche die Drüsenzellen der Parotis unter streng festgestellten Bedingungen sowohl der Nervenreizung als auch der Blutzufuhr erleiden; hierbei richteten wir unser Hauptaugenmerk auf die auffälligen und be- stimmten Veränderungen der Granula der Drüsenzellen. Wir haben be- reits in jener Arbeit die Angabe gemacht, dass in den Zellen der Drüsenaus- führungsgänge deutliche und mitunter scharf ausgesprochene Veränderungen von uns constatirt worden waren, Veränderungen welche von den Bedingungen der Drüsenthätigkeit in Abhängigkeit standen; wir versprachen, dies zum Gegenstand einer speciellen Arbeit zu machen. Eine solche Arbeit ist nun an dem nämlichen Materiale und unter den nämlichen Bedingungen der Bearbeitung und Versuchsanordnung ausgeführt worden wie die oben er- wähnte. Ausser der Beschreibung der morphologischen Veränderungen in den Zeilen der Drüsenausführungsgänge und namentlich der Speichelröhren der Parotis und zum Theil der Submaxillaris, werden wir in einer kurzen Beilage auch diejenigen Veränderungen darlegen, welche unter Anderem an den Drüsenzellen der Gl. submaxillaris von uns gefunden worden sind. Die Veränderungen in den Zellen der Speichelröhren. In der vorhergehenden Arbeit haben wir bereits die Structur der Speichelröhrenzellen in ihrem Ruhezustande ziemlich ausführlich beschrieben und vermögen jener Beschreibung gegenwärtig nur noch wenig hinzu- 94 N. A. MisLAwsK&Y unD A. E. SmIRNow: fügen. In Fig. 1 der beiliegenden Tafel sind zwei Zellen aus der Speichel- röhre der Parotis eines Hundes dargestellt. Wenigstens die zwei äusseren Drittel einer jeden dieser Zellen sind mit Drüsenzellengranulis angefüllt und nur etwa das innere Drittel ist fast frei von denselben, wie dies be- sonders in der rechten, grösseren Zelle hervortritt. Bemerkenswerth er- scheint folgendes: die Granula werden, je näher zum inneren Zellen- abschnitte desto kleiner, was im Allgemeinen und zumal stellenweise hervortritt, und in dem inneren Theile des inneren Zelldrittels verschwinden die Granula als solche vollständig; anstatt und gleichsam auf Kosten der- selben, tritt eine amorphe Masse auf, welche in Säurefuchsin eine, wenn auch nur schwache Färbung annimmt. Dieses Bild weist unseres Erachtens darauf hin, dass die Granula innerhalb der Speichelröhrenzellen selbst sich verändern und zerfliessen können, eine Erscheinung, die dem Anscheine nach die Regel bildet. An den Stellen, wo keine Granula vorhanden, wo sie zerflossen sind, tritt das Spongioplasmanetz ziemlich deutlich hervor. Dieses Netz ist in dem inneren Zellenabschnitt bedeutend feiner als in dem äusseren, wo es eine andere Form aufweist, indem nämlich die Maschen hier mehr in die Länge gezogen sind und grössere Zwischenräume zwischen sich lassen. Schon aus dem eben Gesagten lässt sich schliessen, dass die Zellen der Speichelröhren gleichzeitig auch secernirende Drüsenzellen sind, was besonders aus der weiteren Beschreibung noch ersichtlicher werden wird. Fig. 2 stellt eine Zelle dar aus einer Speichelröhre, wie sie auf Reizung während 1 Stunde und 31 Minuten (Reizungssumme) des N. auriculo-tem- poralis bei unversehrtem N. sympathicus erhalten wurde. In dem inneren Zellenabschnitte sieht man hie und da verstreute Granula, wobei das fein- maschige Spongioplasmanetz deutlich hervortritt. Der Zellkern erscheint gleichsam nach innen verschoben, In dem äusseren, erheblich grösseren Zellenabschnitte, sieht man Granula in grosser Anzahl; stellenweise durch- ziehen den Zellkörper breite unregelmässig contourirte Stränge mit einzelnen hie und da verstreuten Granulis und einem deutlich hervortretenden Netze; an diesen Stellen sind die Granula fast ganz geschwunden und die übrig gebliebenen, vereinzelten Granula erscheinen hier in Gestalt kleiner Körn- chen, die viel kleiner sind als die Granula in dem übrigen Zellenabschnitte, während diese letzteren ihrerseits im Aligemeinen die der entsprechenden ruhenden Zellen an Kleinheit übertreffen. Im äusseren Zellenabschnitte ist das Spongioplasmanetz in der Figur mit derselben Farbe dargestellt wie auch die Granula, während es im Praeparate von dem Säurefuchsin fast garnicht gefärbt war. Der Speichel enthielt kein Mucin und war in den ersten Portionen dickflüssig, sedimen- tirend, gegen Ende des Experimentes dagegen dünnflüssig und durchsichtig. Die Menge des Speichels betrug 56.44 m, WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE SPEICHELSECRETION. 95 Die in den Figg. 3 und 4 abgebildeten Zellen der Speichelröhren sind einer Parotis entnommen, welche unter den Bedingungen einer ad mazimum erleichterten Blutzufuhr gearbeitet hatte, nämlich auf Reizung des N. auri- culo-temporalis bei durchschnittenem Sympathicus. In der Fig. 3 haben wir ein praegnantes Beispiel des Austrittes der Granula aus den Zellen der Speichelröhren in das Lumen dieser letzteren. Die Lagerung der Granula ist hier verändert: sie sind ohne Ordnung in den Zellen verstreut und haben eine geringere Grösse im Vergleich mit denen der entsprechenden Zellen einer ruhenden Drüse. Der Austritt der Granula aus den Zellen ist, wie man sich denken muss, durch die äusserst erleichterte Blutzufuhr seitens der Gefässe und durch den raschen Eintritt des Blutes in die Zellen selbst bedingt; die Granula werden hier gleichsam aus den Zellen fort- seschwemmt, noch ehe sie beträchtlich verändert worden, geschweige denn zerflossen sind. Die Zellkerne und deren Kernkörperchen erscheinen hier von grösserem Umfange als in den Figg. 1 und 2 abgebildeten Zellen. Das Spongioplasmagerüst tritt deutlich hervor. In der Fig. 4 dargestellten Zelle, welche unter den nämlichen Bedingungen der Reizung und der Blut- zufuhr erhalten wurde, bemerkt man folgendes: die Granula in dem äusseren Zellenabschnitte sind in ihrem Umfange stark vergrössert, einige von ihnen erscheinen schwächer gefärbt; in dem inneren Zellenabschnitte erscheinen die Granula sehr klein, einige von ihnen reichen bis an den Innenrand der Zelle, ja, sie liegen mitunter nur zu einem Theile noch innerhalb der Zelle, während die andere Hälfte des Granulum den inneren Zellenrand überragt und mithin frei in das Lumen des Speichelröhrchens hervorsteht. Der Zellkern ist stark nach innen gedrängt. In dem äusseren Zellenabschnitte treten helle Räume mit einzelnen darin liegenden Granulis hervor, welche letzteren schwächer gefärbt und grösstentheils auch ver- grössert erscheinen; in diesen Räumen tritt das Spongioplasmanetz deutlich hervor, dessen Maschen auseinandergedrängt, erweitert sind. In einem dieser Räume ist aber kein solches Netz mehr sichtbar, so dass der er- wähnte helle rundliche Hohlraum als eine Vacuole anzusprechen ist, als eine Secretionsvacuole, entstanden durch den mechanischen Impuls seitens der zerflossenen und angeschwollenen Granula. Die Reizungssume betrug 2 Stunden 22 Minuten. Eine jede einzelne Reizung dauerte 2 Min. und jedes Mal darauf wurde eine Ruhepause von ebenfalls 2 Min. gemacht. -Zu Ende des Versuches war der Speichel etwas dünnflüssiger, d. h. reicher an Wasser und ärmer an organischen Substanzen. Ueberhaupt bot der Speichel wenig Besonderes dar. Bei gleichzeitiger Reizung des N. auriculo-temporalis und N. sympa- thieus, mithin also unter den Bedingungen eines im Vergleich zum vor- hergehenden verminderten Wasserzuflusses, beobachten wir, wie dies aus 96 N. A. MısLawskY unD A. E. SMIRNow: der Fig. 5 hervorgeht, wesentlich dieselben Aenderungen in der morpho- logischen Structur der Zellen, wie auch bei Reizung des N. auriculo-tempo- ralis bei unversehrtem Sympathieus, mit dem alleinigen Unterschiede, dass hier die Granula anscheinend innerhalb der Zellen selbst stärkere Ver- änderungen erleiden können, wie dies aus ihrer schwächeren, helleren Färbung (vergl. hierzu die Färbung der Granula der in Fig. 2 abgebildeten Zelle) und aus ihrer, besonders gegen den äusseren Zellenrand hervortre- tenden beträchtlicheren Grösse hervorgeht. Das Spongioplasmanetz ist hier sehr dicht und nähert sich in dieser Beziehung dem der entsprechenden ruhenden Drüsenzelle. In der Zelle sind hie und da in Osmium gefärbte Fetttröpfehen zu bemerken. Die Veränderungen seitens der Granula und des Spongioplasmanetzes lassen sich im gegebenen Falle daraus herleiten, dass der Zufluss von Wasser zu den Zellen und in dieselben hier ein geringerer ist, als dies bei alleiniger Reizung des cerebralen Nerven bei Unversehrtheit des Sympathicus der Fall war. Das Lumen des Speichel- röhrchens, von dem die in Fig. 5 abgebildete Zelle entnommen ist, ent- hielt ein theils körniges, theils faseriges, stellenweise aber ein fast homo- genes ungefärbtes Secret. Die Summe der Reizungen betrug eine Stunde 20 Minuten. Die Menge des secernirten Speichels war gleich 44.3 «m; derselbe war sehr dickflüssig und enthielt in einigen Portionen Spuren von Muein, stets aber eine Menge Eiweiss. = ; Die in Fig. 6 abgebildete Zelle stammt aus einer Speichelröhre der Parotis und ist auf Reizung des N. auriculo-temporalis bei durchschnittenem Sympathicus und Compression der Carotis während der keizung erhalten worden. Mithin stand hier die Drüse während ihrer Thätigkeit unter den Bedingungen eines noch stärker beeinträchtigten, ja bis auf ein Minimum reducirten Wasserzuflusses in die Zellen. Hier erscheinen die Granula im Allgemeinen von einem beträchtlich kleineren Umfange als in den vorher- gehenden Praeparaten; sie füllen fast die ganze Zelle an, bis auf einige Stellen in dem innersten Zellenabschnitte; ausserdem ist es hier sehr deut- lieh zu bemerken, dass in der Richtung vom äusseren, der Peripherie der Speichelröhre zugewandten Zelltheile nach dem inneren, in das Lumen schauenden Zellenende hin die Granula allmählich kleiner werden. Die Granula des streifigen Zellenabschnittes sind im Allgemeinen in Längsreihen gelagert, wobei zwischen diesen Längsreihen der Granula stellenweise helle Stränge hinziehen, welche die Granulareihen auseinander gedrängt haben. Vergleicht man die Drüsenzellen der Alveolen mit denen der Speichel- röhren unter den soeben angegebenen Bedingungen der Versuchsanord- nung, so ergiebt sich eine bemerkenswerthe Differenz zwischen den ersteren und den letzteren. Während nämlich die Granula in den Alveolarzellen hierbei durch eine ausserordentliche, mitunter phänomenale Grösse aus- WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE SPEICHELSECRETION. 97 gezeichnet und unregelmässig verstreut sind, wobei das Spongioplasmanetz bedeutend erweitert erscheint und deutlich in die Augen fällt, sind die ‚Granula der Speichelröhrenzellen an einem und demselben Praeparate von ungewöhnlicher Kleinheit, sie erscheinen gleichsam geschrumpft und füllen gleichmässig fast die ganze Zelle aus, deren Spongioplasmanetz hierbei so fein ist, dass es als ein solches selbst bei einer Vergrösserung von 2200 kaum bemerkbar ist. Aus dem eben Gesagten lässt sich erschliessen, dass in den Zellen der Drüsenalveolen und in denen der Speichelröhren ver- schiedene Processe stattfinden, wenigstens in Hinsicht auf die Granula und das Spongioplasmanetz. Die Menge des diekflüssigen und sehr trüben Speichels betrug 351 Tropfen im Verlaufe von 52 Min. der Reizungssumme (jede Reizung dauerte 2 Min. bei einer ebenfalls 2 Min. langen Zwischenpause, innerhalb derer, und zwar eine Minute vor Beginn der Reizung, die Carotis comprimirt wurde). Was die Veränderungen in den Speichelröhrenzellen der Parotis nach Reizung des N. sympathicus, sowohl bei Unversehrtheit des Auriculo- temporalis als auch bei dessen Durchschneidung betrifft, so sind diese Ver- änderungen von uns noch nicht ausführlich erörtert worden, Hier wollen wir auf einige dieser Veränderungen hinweisen. So werden bei Reizung des N. sympathicus bei durchnittenem cerebralen Nerven keine Aenderungen in der Anordnung ‘der Granula wahrgenommen, ebensowenig wie in deren Grösse; manchmal treten in dem äusseren Zellenabschnitte helle dünne Stränge auf, welche letzteren die Längsreihen der Granula auseinander drängen. Dagegen haben wir auf Reizung desselben Nerven, jedoch bei unversehrtem Auriculo-temporalis eine Störung in der regelmässigen Lage- rung der Granula innerhalb des äusseren Zellenabschnittes bemerkt, indem hier anstatt der regelmässigen Anordnung der Granula in Längsreihen, gewöhnlich eine Zusammenhäufung derselben gefunden wird; die innere Zellenzone erscheint in zahlreichen Speichelröhren sehr hell und sind in derselben entweder gar keine oder nur sehr wenige Granula enthalten, das Spongioplasmanetz endlich ist hier nicht selten gelockert. Die morphologischen Veränderungen, welche von uns in den Zellen der Speichelröhren der Gl. submaxillaris des Hundes unter verschiedenen Bedingungen der Reizung der diese Drüse innervirenden Nerven beobachtet wurden, erinnern im Allgemeinen durchweg an die Veränderungen der entsprechenden Zellen in der Parotis, mit Ausschluss der nur noch wenig von uns erforschten Veränderungen dieser Zellen, welche auf Reizung des N. sympathieus bei Unversehrtheit oder aber bei Durchschneidung des N. auriculo-temporalis erfolgen. Hier wird insbesondere eine scharf aus- geprägte Auflockerung des äusseren Abschnittes der Zellen. gefunden, wobei diese letzteren stellenweise von einer homogenen Substanz besetzt erscheinen; Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 7 98 N. A. MisLawskY UND A. SMIRNOW: diese Substanz färbt sich, ähnlich dem, im Lumen der Speichelröhren ent- haltenen, schleimigen Secrete, durch Haematoxylin oder Dahlia-dunkelblau, während das Säurefuchsin der besagten Substanz eine schwach-rosa oder eine ziegelrothe Färbung verleiht. Nach all dem Gesagten wollen wir in Kürze die morphologischen Ver- änderungen zusammenstellen, welche einerseits in den Drüsenzellen der Alveolen, andererseits in denen der Speichelröhren unter gleichnamigen Bedingungen unserer Versuchsanordnung an der Parotis eintraten. So wurde bei Reizung des N. auriculo-temporalis mit Unversehrtheit des Sym- pathicus, in zahlreichen Alveolen kein einziges Granulum in den Drüsen- zellen gefunden, wobei das stellenweise gelockerte Spongioplasmanetz voll- kommen deutlich und in seiner ganzen Schönheit hervortrat; dagegen boten die Speichelröhren an den nämlichen Praeparaten folgendes Bild: es fanden sich zwar in dem Zellenkörper der Speichelröhrenzellen solche Stellen, die der Granula entbehrten (partieller Granulaschwund), wobei helle Zwischen- räume mit deutlich markirtem Spongioplasmanetze in dem äusseren Zellen- abschnitte sich bildeten, ferner eine Verkleinerung der Granula zumal in dem inneren Zellenabschnitte und in den Maschenräumen des, die hellen Zwischenräume durchsetzenden Netzes, wo die Granula hie und da ver- streut lagen; nichtsdestoweniger aber fand sich in den Speichelröhren nie eine Zelle, welche gar keine Granula enthielt, im Gegentheil, stets waren die letzteren in den Speichelröhrenzellen, zumal in deren äusserem Ab- schnitte, massenhaft vertreten. Bei Reizung des Auriculo-temporalis nach Durchschneidung des Sympathicus sah man in einigen Fällen ein Heraus- treten, gleichsam ein Fortschwemmen der in ihrem Umfange verkleinerten ‘ Granula in das Lumen der Speichelröhren, in anderen Fällen eine colossale Anschwellung der Granula innerhalb der Zellen unter Ausbildung von hellen, von dem Spongioplasmanetze durchsetzten Zwischenräumen oder gar von Vacuolen. In den Drüsenzellen der Alveolen dagegen trat überall das zarte Spongioplasmanetz hervor, hie und da bemerkte man Vacuolen, die gewöhnlich von geringer Grösse waren und von einer durchsichtigen Sub- stanz ausgefüllt wurden und die Zahl der zum Theil angeschwollenen Granula war in einigen Zellen bis auf einzelne redueirt. Während in den Drüsenzellen der Alveolen, unter den letztgenannten Bedingungen, die Gruppen der vergrösserten Granula hauptsächlich an dem inneren Zellen- rande gelagert waren, nahmen in den Speichelröhrenzellen die stark an- geschwollenen Granula ausschliesslich den äusseren Zellenabschnitt ein, wo- gegen die kleinsten Granula in dem inneren Zellentheile lagen. Wenn man unter den angegebenen Bedingungen überhaupt irgend einen Parallelismus in den Veränderungen dieser und jener Zellen wahrnehmen konnte, so betraf er nur einzelne Zellen dieses oder jenes Drüsenabschnittes: dieser WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE SPEICHELSECRETION. 99 Parallelismus beschränkte sich auf die Anschwellung der Granula, die Bildung der erwähnten hellen Zellräume und Vacuolen und gewissermaassen auf die Abnahme der Granulaanzahl. Bei gleichzeitiger Reizung des einen und des anderen der genannten Nerven kommen in den Zellen der Drüsen- alveolen äusserst praegnante Veränderungen zur Anschauung, Veränderungen welche bisweilen dazu führen, dass von der ganzen Zelle nur ein kleines Klümpchen netzartiger Substanz ohne. Kern übrig bleibt; ausserdem beob- achtet man hierbei eine in hohem Grade ausgeprägte Vacuolisation der Substanz des Zellleibes, unter stellenweisem Auftreten von Fetttröpfchen; dagegen bieten die Speichelröhrenzellen unter den nämlichen Bedingungen fast gar keine, den beschriebenen analoge Veränderungen dar, abgesehen von dem Auftreten von Fetttröpfchen und der wiederholt erwähnten, von dem Spongioplasmanetz durchzogenen, hellen Zellräume. Schliesslich, be- treffend die Reizung des cerebralen Nerven bei durchschnittenem Sympa- thieus und bei Compression der Carotis während der Reizung, werden in diesen und jenen Zellen, besonders bezüglich der Granula, solche Ver- änderungen wahrgenommen, die dem Anschein nach einander gerade ent- gegengesetzt sind; während nämlich in den Alveolarzellen die Granula, man kann sagen, eine Riesengrösse zeigen, wobei das Spongioplasmanetz deut- lich hervortritt und stellenweise stark ausgedehnt erscheint, sind die Gra- nula der Speichelröhrenzellen ungemein klein, gleichsam geschrumpft und das Spongioplasmanetz derselben dermaassen fein und zart, dass es selbst bei sehr starken Vergrösserungen kaum sichtbar ist. Mithin erweist es sich aus all dem Dargelesten, dass fast gar keine Aehnlichkeit existirt zwischen den Veränderungen, welche die als Zellenbestandtheile anzuspre- chenden Elemente (nämlich die Granula und das Spongioplasmanetz) in den Zellen der Drüsenalveolen einerseits und in denen der Speichelröhren anderer- seits unter den nämlichen Versuchsbedingungen erleiden. Besonders augenfällig ist diese Differenz in Betreff der Granula: in den Zellen der Alveolen bleibt unter gewissen Bedingungen nur das Spongioplasmanetz übrig, ohne Spur von Granula in deren Maschenräumen, wogegen wir in den Speichelröhren- zellen, welche auch immer die Versuchsbedingungen waren, nie etwas der- artiges beobachtet haber; im Gegentheil, es bleibt immer eine Masse Gra- nula in diesen Zellen übrig und nie verschwinden sie sämmtlich aus den Zellen, während ein Theil der Granula sich verändert — verfliesst —, bleibt ein anderer, und zwar ein beträchtlicher T'heil derselben, wo nicht unver- ändert, so doch immer in Gestalt deutlich ausgebildeter Granula erhalten. Wenn man alles Gesagte in Betracht zieht und das verschiedene Verhalten der Granula der Speichelröhrenzellen und der der Alveolarzellen zur Fär- bung nach Altmann mit berücksichtigt, so lässt sich mit Wahrschein- lichkeit schliessen, dass die genannten Zellenbestandtheile der Alveolar- und x s 100 N. A. MısLawsky und A. E. SmiRnow: der Speichelröhrenzellen unter einander verschieden sind und verschieden functioniren. Ferner betheiligen sich die Granula der Speichelröhrenzellen, ähnlich wie die der Drüsenzellen, an der Bildung des Drüsensecrets, indem die Substanz der Granula in diesem letzteren aufgeht; aus diesem Grunde sind auch die Zellen der Speichelröhren gleichzeitig secernirende Drüsen- zellen; ! diese Schlussfolgerung stützt sich, wie das aus dem oben Gesasten ersichtlich, auf der Veränderung und dem Zerfliessen der Granula und auf dem mitunter erfolgendem Heraustreten, bezw. Ausschwemmen derselben aus den Zellen der Speichelröhren. Die Granula der Speichelröhrenzellen betheiligen sich an der Drüsensecretion nicht nur in dem Sinne, dass sie auf Kosten ihrer eigenen Substanz — bis zur völligen Vernichtung ihrer Form — ein gewisses Material an das Drüsensecret liefern, sondern sie dienen, wie man wohl annehmen muss, auch zur Uebertragung von Wasser in das Secret. Diese letztere Annahme gründet sich unseres Erachtens auf den Bildern welche die betreffenden Zellen in den Fällen darbieten, wenn das Praeparat von einer Drüse stammt, welche unter den Bedingungen eines mehr oder weniger behinderten Wasserzuflusses gearbeitet hatte, nämlich besonders bei Reizung des Aurieulo-temporalis nach Durchschneidung des Sympathicus und Compression der Carotis während der Reizung (s. Fig. 6), zum Theil aber auch bei gleichzeitiger oder successiver Reizung der beiden genannten Nerven (s. Fig. 5). Das unter den Bedingungen einer vermin- derten Wasserzufuhr, von den Alveolarzellen gelieferte und aus dem Lumen der Alveolen in die Ausführungsgänge austretende Secret erscheint gewöhn- lich diekflüssig und stark hygroskopisch; dieses letztere geht einerseits hervor aus den physikalischen Eigenschaften des unter besagten Bedingungen secernirten Speichels, andererseits aber daraus, dass das Spongioplasmanetz Risse zeigt, die durch den Anprall der stark angeschwollenen Granula- substanz hervorgebracht werden. Giebt man nun zu, dass -das von den Drüsehzellen der Alveolen ge- lieferte und in die Speichelröhren beförderte Secret in der That stark hygroskopisch ist und berücksichtigt man die werthvollen Beobachtungen von J. W. Langley über die Veränderungen der Speichelröhrenzellen in der Glandula submaxillaris des Hundes, so kann man, vorausgesetzt dass ! Zerner jun. beobachtete bei Einführung von indigschwefelsaurem Natron in’s Blut und auf Reizung der secretorischen Nerven der Gl. submaxillaris des Hundes, das Eintreten der genannten Substanz in die Zellen der Alveolen und besonders in die der Speichelröhren; indess konnte einer von uns (Prof. N. A. Mislawsky) ähnlich wie Heidenhain, unter den nämlichen Bedingungen auch nicht eine Spur dieses Farb- stoffes, weder in den Zellen der Alveolen, noch in denen der Ausführungsgänge über- haupt bemerken. Bei dieser Sachlage erfordert die betreffende Frage noch weitere Nachuntersuchungen. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE SPEICHELSEORETION. 101 die von dem genannten Autor in diesen Zellen beschriebenen Körnchen mit unseren Granulis identisch sind, mit Recht annehmen, dass dieses Secret stark Wasser anziehend wirken und letzteres aus den Speichelröhren- zellen und in specıe aus deren Granulis in sich aufnehmen muss. Auf besagte Weise lassen sich auch die Bilder leicht erklären, wo wir bei ver- minderter Wasserzufuhr die Zellen überall von kleinen Granulis gefüllt sehen, welche letzteren weder ihre Form noch ihre Färbung eingebüsst haben (s. Fig. 6 und theils auch die Fig. 5), ebenso lässt sich so auch der Umstand erklären, dass in dem inneren Zellenabschnitte stets und fast aus- schliesslich die kleinsten Granula gelegen sind. Wie bereits oben gesagt, sind die unter verschiedenen gleichnamigen Bedingungen in den Alveolarzellen und in den Zellen der Speichelröhren zur Beobachtung kommenden Veränderungen unter einander verschieden, was besonders betreffs der Zellengranula hervortritt, und weist dies darauf hin, dass sich die beiden genannten Zellenarten in verschiedener Weise an der Secretion betheiligen; so dienen die Zellen der Alveolen wahrscheinlich vorzugsweise dazu, um feste und vielleicht sogar ausschliesslich organische Substanzen zu liefern, während sich dagegen die Speichelröhrenzellen haupt- sächlich, wenn auch nicht ausschliesslich, als Wasser zuleitende Apparate bethätigen. Einige Bemerkungen über die Speichelseceretion in der @landula submaxillaris des Hundes. Die Glandula submaxillaris des Hundes, welche eine mehr complieirte Structur der Drüsenalveolen aufweist, war schon seit lange von uns als ein Object unserer in der dargelegten Richtung aufzunehmenden Untersuchungen über die Secretion auserwählt worden. Gegenwärtig besitzen wir eine Reihe von mikroskopischen Praeparaten aus dieser Drüse, welche unter verschie- denen bestimmten Bedingungen der Reizung ihrer Nerven erhalten worden sind. In diesem kurzen Nachtrag beschränken wir uns auf einige allge- meine Thesen und Bemerkungen und fügen zur Erläuterung zwei Zeich- nungen bei, welche aus der genannten Drüse des Hundes stammen, wobei das Thier in dem einen Falle 24 Stunden lang gehungert hatte, während in dem anderen eine langdauernde Reizung der Chorda tympani und des N. sympathicus vorausgeschickt worden war. Mit der eingehenden Unter- suchung dieser Drüse beschäftigt sich, auf unseren Vorschlag, einer der in unserem Laboratorium Arbeitenden. In Figg. 7 und 8 sind die Drüsenalveolen aus der Submaxillaris des Hundes nach 24stündigem Hungern des Thieres abgebildet. Das Prae- parat, dem die Fig. 7 entnommen ist, wurde mit einem Gemisch aus 102 N. A. MiısLaws&KkY unD A. E. SMIRNow: gleichen Volumtheilen einer gesättigten wässerigen Sublimatlösung und einer 1-proc. Osmiumlösung behandelt; die Färbung wurde in Dahlia aus- geführt. In den Schleimzellen ist nur das 'gefärbte und erweiterte Netz sichtbar, dessen Ausdehnung der geschwollenen und ungefärbten Substanz der Granula zuzuschreiben ist; dagegen findet sich in den Halbmonden eine Unmasse von Granulis, die in Dahlia gefärbt sind. Das vorliegende Bild weist entweder darauf hin, dass die Schleimzellen sich in einer Thätig- keitsphase befinden, welche verschieden ist von der der Zellen in’ den Halb- . monden, oder aber darauf, dass die einen und die anderen der genannten Zellen, besonders aber deren Granula, sich zur Behandlung mit fixirenden und färbenden Reagentien verschieden verhalten. In Fig. S sehen wir zwei Drüsenalveolen aus derselben Submaxillar- drüse, welche dem Hunde nach 24 Stunden langen Hungern entnommen wurde; jedoch war das betreffende Stück dieser Drüse nach der Methode von Altmann fixirt und gefärbt worden. An diesem Praeparate finden wir, dass sowohl in den Zellen der Halbmonde als auch in den Schleim- zellen gefärbte Granula enthalten sind, indess sind in den letztgenannten Zellen die Granula kleiner und dabei schwächer gefärbt als in denen der Halbmonde. In den Schleimzellen sieht man ein recht derbes Netzwerk, welches die Zelle durchzieht. In der Fig. 9, die einem Drüsenpraeparate angehört, welches auf Reizung des N. chorda tympani und des Sympa- thieus erhalten wurde, fällt die grosse Differenz zwischen den Schleimzellen und den Zellen der Halbmonde auf. Während in den Schleimzellen keine Spur von Granulis existirt, wobei diese Zellen ein weitmaschiges, stellen- weise zerrissenes Spongioplasmanetz enthalten, bemerkt man in den Zellen der Halbmonde überall Granula, welche in verstreuten Häufchen gelagert sind und ausserdem ein engmaschiges, obzwar etwas gelockertes und stellen- weise gleichsam zerrissenes Netz, welches aber im Allgemeinen ziemlich regelmässige Maschenlücken besitzt. Dieses Bild weist darauf hin, dass 1. die Arbeit der Zellen der Halbmonde und die der Schleimzellen unab- hängig von einander vor sich gehen kann und 2. dass die Zellen der Halb- monde ebenfalls secretorische Zellen sind. Das Studium einer ganzen Reihe von Praeparaten, die theils der ruhenden Glandula submaxillaris, theils aber unter verschiedenen Be- dingungen der Reizung ihrer Nerven entnommen waren, hat uns zu fol- genden Schlussfolgerungen geführt: 1. Die Unterkieferspeicheldrüse des Hundes stellt ein in morphologischer sowohl als in physiologischer Beziehung höher differenzirtes Organ dar als die Parotis; in morphologischer Beziehung besteht diese Differenzirung darin, dass hier zwei Arten von Drüsenzellen existiren, die sich in ihrer Form, ihrer Lagerung, ihrem Verhalten zu den chemischen Reagentien und Farb- WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE SPEICHELSECRETION. 103 stoffen, sowie auch in ihrer Structur von einander unterscheiden, in physio- logischer Hinsicht dagegen äussert sich diese Differenzirung in einer Ar- beitstheilung betreffs der Production der Bestandtheile des Drüsensecretes. Analog den Pepsindrüsen produeirt auch die uns beschäftigende Drüse gewisse Substanzen mit Hülfe der Schleimzellen, während einige andere Substanzen von den Zellen der Gianuzzi’schen Halbmonde geliefert werden. Wir neigen uns zu der Annahme, dass die Becherzellen hauptsächlich, und vielleicht sogar ausschliesslich Mucin liefern, während dagegen die Zellen der Halbmonde wahrscheinlich vorzugsweise das Ferment produeiren. 2. Sowohl die Schleimzellen als auch die Zellen der Halbmonde sind secretorische Zellen. Die Arbeit der ersteren und die der letzteren geht in einem und demselben primären Acinus, obschon gleichzeitig, so doch ungleichmässig und aller Wahrscheinlichkeit nach unabhängig vor sich, wie man dies aus den während der Thätigkeit der Drüse statthabenden morpho- logischen Veränderungen in den einen und den anderen dieser Zellen er- schliessen kann. Unselten findet man, dass in einem Zeitpunkte, wo die Halbmondzellen noch ganz mit Granulis überfüllt sind, oder dieselben noch in grösserer oder geringerer Menge enthalten, die Schleimzellen des ent- sprechenden Acinus dagegen nicht nur kein einziges Granulum mehr auf- weisen, sondern auf Schritt und Tritt Bilder eines partiellen oder totalen Zerfalles darbieten. 3. Die Zellen der Halbmonde erscheinen uns in ihrer allgemeinen Structur und ihren Veränderungen während der Thätigkeit der Drüse (wobei hauptsächlich die Granula und Netze dieser Zellen gemeint sind) den Drüsenzellen der Alveolen der Parotis analog. Sowohl in dem Ruhezustande, als auch in den verschiedenen Be- dingungen der Thätigkeit der Drüse gaben uns die Drüsenzellen der Halb- monde, soweit uns unsere Praeparate darüber ein Urtheil gestatten, bis jetzt kein einziges Bild, ja keine Andeutung zu Gunsten dessen, dass diese Zellen bei dem erwachsenen Thiere als Ersatzelemente der Schleimzellen dienen können; es zeigen diese Zellen keinerlei Erscheinungen, die auf eine Vermehrung derselben schliessen lassen, obgleich wir weit entfernt sind, die Möglichkeit: eines solchen Processes in den betreffenden Zellen zu be- streiten. 104 N. A. MiısLawsky v. A. E. SMIRNOW: ÜBER DIE SPEICHELSECRETION. Erklärung der Abbildungen. (Taf. IV.) Die in den Figg. 1 bis 6 abgebildeten Zellen beziehen sich auf die Speichel-. röhren der Parotis des Hundes und sind sämmtlich bei einer und derselben Ver- grösserung (Reichert, Semiapochromat 185 '/, Oc. 12 bei bis auf 185 "m ausgezo- genem Tubus) aufgenommen. Die zugehörigen Praeparate sind sämmtlich nach der Methode von R. Altmann behandelt und gefärbt worden. Fig. 1. Zwei Zellen aus der Speichelröhre der Gl. parotis des Hundes. Die Drüse wurde einem Thiere entnommen, welches 24 Stunden lang gehungert hatte. Fig. 2. Eine Zelle aus der Speichelröhre einer Drüse, nach Reizung des N. auri- culo-temporalis bei Unversehrtheit des N. sympathieus. Fig. 3. Vier Speichelröhrenzellen aus einem Drüsenpraeparat, welches nach Reizung des N. auriculo-temporalis bei durchschnittenem N. sympathicus erhalten worden war. Fig. 4 zeigt ein gleiches Bild wie Fig. 3. Fig. 5. Speichelröhrenzelle aus einem nach Reizung der Nn. aurieulo-temporalis und Sympathicus erhaltenen Praeparate. Fig. 6. Speichelröhrenzelle aus einer Drüse, deren N. auriculo-temporalis bei durchschnittenem Sympathicus der Reizung unterworfen wurde; während der Reizungs- zeit wurde die Carotis comprimirt. Fig. 7. Drüsenalveole aus der Gland. submaxillaris des Hundes nach 24 Stunden langem Hungern des Thieres. Erklärung s. im Texte. Mischung aus gleichen Theilen einer gesättigten wässerigen Sublimatlösung und einer 1-proc. Osmiumlösung. Dahlia. Zeiss’ Apochrom. 1-30. Oc. 18. Fig. 8. Ebenso. Behandlung und Färbung nach Altmann. Reichert, Semia- pochromat !/,, 185, Oc. 8. Cam. lue. Nachet. Fig. 9. Zelle aus einer Alveole der Gl. submaxillaris des Hundes; Reizung der Nn. chorda tympani und Sympathicus. Behandlung und Färbung nach R. Altmann. Reichert, Semiapochromat '/,, 185, Oc. 8. Cam. luc. Nachet. Ueber die Empfindungen, welche mittels der sogenannten Gleichgewichtsorgane wahrgenommen werden, und über die Bedeutung dieser Empfindungen in Bezug auf die Entwickelung unserer Raumvorstellungen. Von Prof. W. v. Bechterew. Schon die ersten Schritte bei meinen Untersuchungen über die physio- logische Rolle der Gleichgewichtsorgane, deren Resultate in einer Reihe von Artikeln in verschiedenen russischen Journalen und im „Archiv für die gesammte Physiologie“ ! abgedruckt sind, führten mich zu dem Schluss, dass diesen Organen bei der Bildung unserer Raumvorstellungen eine wichtige Bedeutung zukommt. 1884 habe ich in dem russischen Journal „Bote für forensische und klinische Psychiatrie“ (russisch) mich bemüht zu ! Vergl. meine Artikel: Untersuchungen über gewaltsame oder Zwangsbewegungen der Thiere bei der Zerstörung der Wandungen des dritten Hirnventrikel.e. Wöchentliche klinische Zeitung (russisch) 1882 und ebenso in.len Arbeiten der Gesellschaft russ. Aerzte. 1882. — Thierversuche über zwangsweise Rollbewegungen an die Längsaxe. St. Petersburger medie. Wochenschrift. 1882. — Die Bedeutung der Trichterregion des dritten Ventrikels für die Erhaltung des Körpergleichgewichts. SZ. Petersburger med. Wochenschrift. 1882. Nr. 12. — Zur Physiologie des Körpergleichgewichts und die Function der centralen grauen Substanz des dritten Hirnventrikels. Militär-medic. Journal (russisch). 1883 und in Pflüger’s Archiv. 1883. Bd. XXXI. — Ueber die. Function der Olivenkörper des verlängerten Markes. Arz7 (russisch). 1882. Nr. 35 und Pflüger’s Archiv. 1882. Bd. XXIX. — Versuche mit Durchschneidung des Hör- nerven bei Hunden. Sitzungsprotokolle der Gesellschaft der Psychiater(russisch). 1882 und Arbeiten der Gesellschaft russ. Aerzte (russisch). 1882. — Ueber die Function der semieirculären Canäle des heutigen Labyrinths. Meschdunaradnaja Bibliotheka (russisch) 1882 und Pflüger’s Archiv. 1882. Bd. XXX. — Ueber den Zusammenhang der sogen. peripheren Gleichgewichtsorgane mit dem Kleinhirn. Russ. Medicin, (russisch) 3. 1884 und Pflüger’s Archiv. 1884. Bd. XXXIV. 106 W. v. BECHTEREWw: einem, diesen Gegenstand speciell gewidmeten Artikel meine Ansichten in dieser Beziehung zu erläutern.! Da in wissenschaftlicher Hinsicht die Frage über die Rolle der Gleich- gewichtsorgane in der Bildung der Raumvorstellungen höchst wichtig ist, dieselbe aber in der physiologischen Litteratur der letzteren Zeit nur hin und wieder berührt wird, so soll die vorliegende Abhandlung jene Ab- schnitte des soeben erwähnten, in Deutschland dem Anscheine nach un- bekannt gebliebenen Artikels theils in aller Kürze reprodueiren, theils aber, soweit sie meiner Meinung nach noch gegenwärtig von einem wissen- schaftlichen Werthe und Interesse sind, weiter entwickeln; der Rest wird entweder ganz gestrichen oder aber den wissenschaftlichen Thatsachen der Neuzeit gemäss verändert werden. Meine anhaltenden experimentellen Untersuchungen über die sogenannten Gleichgewichtsorgane brachten mich zu dem Schluss, dass diese Organe nicht nur für die Erhaltung des Gleichgewichts thätig sind, sondern auch dem Bewusstsein bestimmte Empfindungen zuführen, deren Charakter in der physiologischen Litteratur bisher ungenügend aufgeklärt geblieben ist. Letzterer Umstand eben veranlasst mich, in der vorliegenden Arbeit eine Analyse der subjectiven, nach der Zerstörung der peripheren Gleichgewichts- organe sich einstellenden Erscheinungen vorzunehmen, um auf solche Weise, soweit die Versuchsergebnisse an Thieren und die Beobachtungen an Men- schen es gestatten, den specifischen Charakter derjenigen Empfindungen, welche im normalen Zustande durch die Vermittelung der erwähnten Or- gane erregt werden, möglichst näher zu bestimmen. Zuerst halte ich es jedoch für nothwendig, jene allgemeinen Schlussfolgerungen, zu welchen mich die Frforschung der reflestorischen Thätigkeit der Gleichgewichtsorgane geführt hat, kurz anzugeben. In dieser Hinsicht haben wir hauptsächlich folgende fundamentale Thatsachen und Sätze zu beachten. I) Für das Gleichgewicht des Körpers dienen einige speciell angepasste periphere Organe; unter diesen unterscheiden wir 1. cerebrale Organe, zu welchen a) die semicirculären Canäle des häutigen Labyrinths und 5) die Gegend des trichter- förmigen Theiles des dritten Ventrikel gehören, und 2. extra- cerebrale Organe, zu welchen wir die in der Haut und in den Muskeln localisirten Nervenapparate rechnen. Gegenwärtig erscheint die Bedeutung der semicirculären Canäle für das Gleichgewicht des Körpers, auf Grund experimenteller und patholo- ‘ Ueber die Bildung unserer Raumvorstellungen. Bote für Psychiatrie (russisch) 1884; vergl. auch die Protokolle der Gesellschaft der Psychiater zu St. Petersburg für dasselbe Jahr. DIiE EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 107 gischer Beobachtungen, dermaassen aufgeklärt, dass hier gar keine Noth- wendigkeit vorliegt, sich bei diesem Gegenstande weiter aufzuhalten. Ebenso halte ich die Bedeutung der Gegend des dritten Ventrikels für das Gleich- gewicht des Körpers auf Grund einer Reihe von mir an Thieren (haupt- sächlich an Hunden) ausgeführten Versuche für dargethan. Was die peri- pheren Haut-Muskelorgane anbelangt, so wird ihre Existenz u. A. durch folgende Thatsache bewiesen. Bekanntlich büssen die ihrer Extremitäten- haut beraubten Frösche das Aequilibriumsvermögen ein. Diesen bekannten Versuch habe ich mit gleichem Resultat an einer Taube wiederholt. Hieraus folgt, dass in der Haut Nervenapparate vorhanden sein müssen, welche vermittels centripetaler in aufsteigender Richtung sich (aller Wahrschein- lichkeit nach zum Kleinhirn, wenigstens bei den Wirbelthieren höherer Typen) erhebender Bahnen das Gleichgewicht des Körpers stark beeinflussen. Diese Apparate eben nennen wir Hautorgane des Gleichgewichts. Es er- scheint mehr als wahrscheinlich, dass auch in den Muskeln Nervenapparate enthalten sind, welche auf das Gleichgewicht des Körpers einen Einfluss äussern, wie das wenigstens aus der Wirkung einer Störung des Muskel. gefühls auf das Gleichgewicht des Körpers klar hervorgeht. Zu bemerken ist, dass die Anwesenheit besonderer Haut-Muskelorgane des Gleichgewichts an der Körperperipherie u. A. auch dadurch bewiesen wird, dass Durch- schneidungen und pathologische Processe in den Hintersträngen des Rücken- markes zuweilen auch von Nystagmus begleiteten Störungen des Körper- gleichgewichts führen.! Meine Versuche haben ebenfalls dargethan, dass durch eine Verletzung der das sogen. Kleinhirnbündel enthaltenden Seitentheile der oberen Rücken- markabschnitte bei den Thieren charakteristische Zwangsbewegungen um die Längsaxe des Körpers, mit Ablenkung und Nystagmus der Augen,’ herbeigeführt werden können. Es ist hier noch nöthig zu bemerken, dass unter dem Namen Haut- Muskelorgane des Gleichgewichts, die in der Haut, in den Muskeln und wahrscheinlich in den Sehnen enthaltenen, peripheren Nervenapparate ver- standen werden, welche von den sensiblen Nervenapparaten oder den Tast- eindrücke vermittelnden Organen sogar ganz isolirt sein können. Auf die Möglichkeit der Existenz isolirter Nervenapparate für die Gleichgewichts- 18. meine Arbeit: Ueber die Erscheinungen, welche die Durchschneidung der Hinterstränge des Rückenmarkes bei Thieren herbeiführt u. s. w. Dies Archiv. 1890 und Wiestnik psychiatriüi (russisch) 1890. ? 8. meine Arbeit: Die Bedeutung der Combination der Entwickelungsgeschicht- lichen und der Degenerationsmethode mit Vivisectionen für die experimentelle Physio- logie des Nervensystems u. s. w. Neurol. Oentralblatt. 1895. Nr. 16 und Neurol. Wiestnik (russisch). 189. 108 W. v. BECHTEREw: function an der Peripherie habe ich schon in meiner Arbeit „Ueber den Zusammenhang der sogen. peripheren Gleichgewichtsorgane mit dem Klein- hirn“ hingewiesen. Für eine solche Isolirtheit sprechen meiner Meinung nach mit einiger Wahrscheinlichkeit die beiden folgenden Erwägungen 1. das Gesetz der specifischen Energie ist mit der Voraussetzung, dass ein und derselbe Nervenapparat der Haut gleichzeitig als Organ für specielle, d. h. Tastempfindungen, und als Gleichgewichtsorgan dienen soll, nicht gut zu vereinigen. Eine solche Voraussetzung erscheint um so weniger wahr- scheinlich, da, wie wir sehen werden, die peripheren Gleichgewichtsorgane auch noch Gefühlsorgane sind, welche bestimmte Empfindungen dem Be- wusstsein zuzuführen haben. 2. Die Analogie mit anderen peripheren Gleichgewichtsorganen, welche, wie wir wissen, ganz von den entsprechenden Sinnesorganen isolirte Apparate repraesentiren, wäre keine vollständige, wenn die Annahme, dass ein und dasselbe Organ der Haut für die Berührungs- empfindung und für die Gleichgewichtsfunction bestimmt sei, in Kraft bliebe. Uebrigens wie auch die Frage über die Existenz der für die Zwecke . des Gleichgewichts dienenden Nervenapparate in der Haut und in den Muskeln entschieden wird, so haben wir doch zu beachten, dass für diese Organe, aller Wahrscheinlichkeit nach, im Allgemeinen dieselben äusseren Impulse als Erreger dienen, welche auch für die speciellen Tastorgane als Reize erscheinen (Berührung, Druck, Dehnung u. s. w.). Das geht schon aus dem Einflusse, welchen das Berührungsgefühl und die Muskelspannung auf das Gleichgewicht des Körpers überhaupt ausüben, nothwendigerweise hervor. II. Alle obeu erwähnten „peripheren Gleichgewichtsorgane“ scheinen nichts weiter als die Zuleitungsapparate eines und desselben centralen, wahrscheinlich im Kleinhirn gelegenen Mechanismus darzustellen, in welchem die von diesen Or- ganen erhaltenen Impulse centrifugalen Bahnen übermittelt werden. Die Richtigkeit dieser von mir schon in der Arbeit „Ueber den Zu- sammenhang der sogenannten peripheren Gleichgewichtsorgane mit dem Klein- hirn“! ausgesprochenen Behauptung ist evident, und zwar sowohl aus den ana- tomischen Beziehungen der peripheren Gleichgewichtsorgane zum Kleinhirn, wie auch aus dem Umstande, dass die auf die Zerstörung dieses oder jenes der peripheren Gleichgewichtsorgane auftretenden Bewegungserscheinungen sich durch merkwürdige Aehnlichkeit unter einander auszeichnen, und ihrerseits wieder den auf die Zerstörung der verschiedenen Kleinhirn- abschnitten sich einstellenden Erscheinungen vollkommen analog sind. ' Russische Mediein. 1884. Nr. 3—5. — Pflüger’s Archiv. 1884. Bd. XXXIV. Die EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 109 Hierdurch soll übrigens die Möglichkeit eines directeren Zusammenhanges der erwähnten Organe mit den wichtigsten Centren unseres Bewusst- seins, d. h. mit den Hirnhemisphaeren durchaus nicht ausgeschlossen werden.! II. Im normalen Zustande funetioniren gewöhnlich alle, als Zuleitungsapparate eines und desselben centralen Mecha- nismus dienenden, peripheren Gleichgewichtsorgane vereint mit einander, Impulse vermittelnd, deren Resultat die Unterhal- tung und Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts ist. Diese von mir schon in meiner Abhandlung „Zur Physiologie des Körpergleichgewichts‘“ ? gemachte Schlussfolgerung ergiebt sich direct aus dem Umstand, dass die Erregung der reflectorischen Thätigkeit aller peri- pheren Gleichgewichtsorgane überhaupt — wenn sie nur nicht durch äussere, durch die speciellen Sinnesorgane übermittelte Impulse bedingt wird — gewöhnlich unter dem Einfluss gleicher Bedingungen, durch die Gleich- gewichtsstörung nämlich, entsteht. So gelangen z. B. beim plötzlichen Stoss nach rechts, bei der Gleichgewichtsstörung in dieser Richtung, wegen der Neigung des ganzen Körpers nach rechts mit Verlegung des Schwerpunktes auf den rechten Fuss und der hierdurch verursachten grösseren Pressung der Gelenkoberflächen und der Sohle des rechten Fusses, einerseits die Haut-Muskelorgane der rechten Seite in Erregung, und andererseits werden auch die linken semieireulären Canäle in Folge der gleichzeitigen Druck- zunahme der Endolymphe in ihnen erregt; aller Wahrscheinlichkeit nach gesellt sich hierzu noch eine gleichzeitige Erregung (wegen der Druck- zunahme der cerebrospinalen Flüssigkeit?) der in der rechten Wand des dritten Ventrikels gelegenen Organe. Als Resultat einer solchen gleich- zeitigen Erregung der drei erwähnten Organe entsteht eine reflectorische Uebermittelung der Impulse durch das Kleinhirn auf die Bewegungsorgane, was jene willkürliche zur Wiederherstellung des gestörten Körpergleich- gewichts führende Spannung der Muskeln zur Folge hat. IV. Das centrale Gewichtsorgan oder das Kleinhirn befindet sich unter dem beständigen Einfluss der in den peripheren Gleichgewichtsorganen stehenden Impulse Im Kleinhirn wer- den diese Impulse den motorischen oder centrifugalen, zu den Muskeln verlaufenden Bahnen übermittelt, und führen auf diese Weise reflectorische, den Körper im Gleichgewicht er- haltende Muskelcontractionen herbei. ! Anatomische Daten über den Zusammenhang der peripheren Organe mit dem Kleinhirn und des letzteren mit den Hirnhemisphaeren findet man u. A. in meinem Werke: Die Leitungsbahnen mit Gehirn und Rückenmark. Leipzig 1893. ® Militär-med. Journal. 1883 und Pflüger’s Archiv (russisch). Bd. XXXI. 110 W. v. BECHTEREW: Dieser allgemeine Satz muss folgender Umstände wegen anerkannt werden: unsere gewöhnliche Körperlage (bei der Bewegung, beim Stehen und Sitzen) ist im physischen Sinne des Wortes eine höchst labile, und bestände nicht ein centraler anatomischer Mechanismus für das Körper- gleichgewicht, so würden wir dasselbe zweifellos jeden Augenblick verlieren. Letzteres geschieht thatsächlich, wenn bei Thieren das centrale Gleich- gewichtsorgan — das Kleinhirn — oder sogar nur ein Paar seiner peri- pheren Zuleitungsbahnen (z. B. die semicirculären Canäle oder die Wandungen des dritten Ventrikels) entfernt werden. Da uns andererseits bekannt ist, dass jede Gleichgewichtsstörung des Körpers unvermeidlich zu Impulsen von den peripheren Gleichgewichtsorganen Anlass giebt, so sind wir zu der Annahme gezwungen, dass unter normalen Bedingungen die Gleichgewichtsorgane sich in einem ununterbrochen activen Zustande be- finden. Da wir ferner vorläufig zugeben müssen, dass der Flüssigkeitsdruck auf die Nervenendigungen als Erreger für einige: dieser Organe (für die semicirculären Canäle und aller Wahrscheinlichkeit nach auch für die (regenden des dritten Ventrikels) dient, für die andern (die Haut-Muskel- organe) aber die peripheren, unter allen gewöhnlichen Bedingungen unserer Körperlage (vielleicht auch als Druck auf die Nervenendigungen in der Haut und in den Muskeln) entstehenden Reizungen als Erreger erscheinen, so fällt es nicht schwer zu begreifen, dass überhaupt alle Gleichgewichts- organe schon in Folge ihrer Einrichtung zur Hervorbringung einer con- tinuirlichen Reihe von Impulsen höchst geeignet erscheinen. V. Die nach der Zerstörung dieses oder jenes der Gleich- gewichtsorgane sich einstellenden Bewegungstörungen bilden eine directe Folge der Disharmonie der dem Kleinhirn über- haupt von allen peripheren Organen beider Seiten zufliessenden Impulse. In meiner Arbeit „Die Resultate der Hörnervendurchschneidung“ ! habe ich zuerst auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass die nach der einseitigen Zerstörung der semieirculären Canäle oder nach der Durch- schneidung eines der Hörnerven sich einstellenden Erscheinungen direct von der Einstellung der Function seitens der zerstörten (oder von ihrem Centrum abgetrennten) Canäle und von der Fortdauer der normalen, con- tinuirlich wirksamen Erregung Seitens der Canäle der nicht operirten Seite abhängen. In einer anderen Arbeit? habe ich gezeigt, dass die nämliche ! Mediceinische Bibliothek (russisch). December 1882 und Pflüger’s Archiv. Bd. XXX. * Zur Physiologie des Körpergewichts. Militär-med. Journal (russisch). Juni 1883 und Pflüger’s Archiv. Bd. XXXI. DıE EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANF. 111 Erklärung auch auf die nach der Zerstörung anderer Gleichgewichtsorgane auftretenden Erscheinungen passt. In Anbetracht dessen aber, dass, wie schon oben erklärt wurde, alle peripheren Gleichgewichtsorgane nur Zu- leitungsapparate eines centralen Organs — des Kleinhirns — zu sein scheinen, wobei jedes von ihnen nur einen Theil des allgemeinen Gleich- gewichtsmechanismus bildet, da andererseits alle diese Organe gleichzeitig an der Erhaltung des Körpergleichgewichts sich betheiligen, erscheint die oben gegebene Erklärung der nach der Zerstörung dieses oder jenes der Gleichgewichtsorgane auftretenden Erscheinungen mehr wahrheitsgemäss. Nach dieser Erklärung liegt die mittelbare Ursache der nach der Zerstörung eines der Gleichgewichtsorgane sich einstellenden Erscheinungen darin, dass mit dem Wegfall einer bestimmten Reihe von Impulsen seitens des zer- störten Organes die Harmonie in der Thätigkeit überhaupt aller Gleich- gewichtsorgane gestört wird. Als Resultat des hierbei entstehenden Miss- verhältnisses in der Intensität der aus den Gleichgewichtsorganen der operirten und nicht operirten Seite ausgehenden Impulse erscheinen reflecto- rische Bewegungen, ähnlich wie bei ganz gesunden Thieren bei plötzlicher Gleichgewichtsstörung das Missverhältniss der von den beiderseitigen Gleichgewichtsorganen ausgehenden Impulsen zu reflectorischen, die Wieder- herstellung des gestörten Gleichgewichts bewirkenden Bewegungen führt. VI Die allmähliche Abnahme der nach der Zerstörung eines der Gleichgewichtsorgane sich einstellenden Bewegungstö- rungen steht offenbar hauptsächlich damit im Zusammenliange, dass die übriggebliebenen Gleichgewichtsorgane nach und nach sich den neuen Bedingungen im Organismus anpassen, in Folge dessen eben sich eine relative Harmonie in der Intensität der von den Gleichgewichtsorganen dieser oder jener Seite aus- gehenden Impulse herstellt. Die Richtigkeit dieser Behauptung erhärten alle Beobachtungen an Thieren, bei welchen diese oder jene Gleichgewichtsorgane zerstört worden sind. Zwar ist die Meinung, dass die Abnahme der Bewegungsstörungen bei Thieren mit zerstörten semicirculären Canälen durch das allmähliche Schwächerwerden und schliessliche Aufhören der durch die Operation be- dinsten Reizung in den letzteren zu Stande kommt, sehr verbreitet. In ihr spiegelt sich aber die Theorie, welche überhaupt alle bei den Thieren durch die Durchschneidung der semicirculären Canäle bewirkten Symptome durch einen Reizungszustand der durchschnittenen Canäle erklärt, wieder. Es erscheint mir jedoch, dass in dem Artikel „Ueber die Function der semicireulären Canäle des häutigen Labyrints ! von mir genügend gewichtige ı Pflüger’s Archiv. Bd.XXX. 1882. — Meschdunarodnaja Biblioteka (russ.) 1882. 172 W. v. BECHTEREW: Argumente gegen diese Theorie geltend gemacht worden sind, und zugleich bewiesen worden ist, dass die bei den operirten Thieren zur Beobachtung gelangenden Erscheinungen hauptsächlich durch die in Folge der Ent- fernung der semieirculären Canäle entstandene Disharmonie der von den Organen der gesunden Seite normal zufliessenden Impulsen und den von den Organen der operirten Seite ausgehenden, geschwächten bedingt werden. Es ist mir nicht möglich hier auf diese Frage weiter zurückzukommen, ich möchte nur bemerken, dass mit der Erregungstheorie weder die un- gewöhnliche Dauer der bei den Thieren zur Beobachtung gelangenden Er- scheinungen (einige von ihnen bleiben bekanntlich für immer, bilden also eine beständige Erscheinung), noch die äusserste Langsamkeit und grad- weise Besserung der in Folge der Operation aufgetretenen Bewegungs- störungen nicht in Einklang zu bringen ist. Ihre einzige Stütze findet die Erregungstheorie eigentlich in dem anfallsweisen Verlauf einiger von den durch die Zerstörung der semicirculären Canäle bewirkten Bewegungs- störungen (wie z. B, des Nystagmus und. der Zwangsbewegungen); jedoch wird der anfallsweise Charakter dieser Erscheinungen noch besser durch die von mir aufgestellte Theorie erklärt, welche vorzugsweise die Disharmonie der von den Organen der kranken und solcher der operirten Seite aus- gehenden Impulse im Auge hat, in Folge wovon die bei den operirten Thieren zur Beobachtung gelangenden Bewegungsstörungen sich einerseits aus einer ungenügenden Entstehung der Impulse in den Organen der operirten Seite und andererseits aus den von den Organen der gesunden Seite stammenden, diese Impulse an Intensität übertreffenden Frregungen resultirt. Die Ausgleichung dieser Disharmonie kommt offenbar auf dem Wege einer allmählichen Anpassung der nicht zerstörten Gleichgewichts- _ organe zu Stande, folglich 1. auf Kosten der Function der etwa vorhandenen unversehrten Theile des operirten Gleichgewichtsorganes und 2. auf Kosten der vicarirenden Thätigkeit anderer, synthetisch mit ihm functionirenden Gleichgewichtsorgane; weshalb eine langsame und allmählige Wiederher- stellung der gestörten Functionen der Bewegungen und des Gleichgewichts bei den Thieren erfolgt.! VII. Dienen auch alle peripheren Gleichgewichtsorgane gleicherweise den Zwecken des Gleichgewichts, so können sie ! Hiermit ist natürlich die Möglichkeit des Einflusses der Erregung seitens der Operationswunde auf die Bewegungen des Thieres nicht ausgeschlossen; jedenfalls glauben wir aber, dass dieser Einfluss bei weitem nicht jene ansehnliche Rolle, welche ihm gewöhnlich zuzeschrieben wird, spielt; falls er sich überhaupt bei den Operationen an den Gleichgewichtsorganen äussert, so geschieht das doch nur in den ersten Tagen nach der Zerstörung. Dıe EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 113 doch nicht als gleichwerthige oder im physiologischen Sinne identische Urgane aufgefasst werden. Schon in meinen früheren Arbeiten habe ich auf den Zusammenhang jedes der peripheren Gleichgewichtsorgane mit dem entsprechenden Sinnes- organe hingewiesen. Dank dieser Verbindung ist die Möglichkeit gegeben, die Gleichgewichtsorgane durch die äusseren, durch die entsprechenden Sinnesorgane — Gehör, Gesicht, Hautoberfläche des Körpers und aller Wahrscheinlichkeit nach auch durch die Muskelcontraetionen — vermittelten Impulse zu erregen. Dieser Umstand eben scheint einen wesentlichen Unterschied in der reflectorischen Thätigkeit dieser oder jener peripherischen Gleichgewichtsorgane zu bedingen. Deshalb ist auch natürlich, dass die nach der Zerstörung eines dieser Organe auftretenden Bewegungsstörungen mit der Zeit unter dem Einfluss der vicarirenden Thätigkeit anderer, ähnlicher Organe wohl in mehr oder weniger bedeutendem Maasse abnehmen können, der reflectorische, durch das zerstörte — periphere — Organ vermittelte Einfluss der von dem entsprechenden Sinnesorgane ausgehenden äusseren Impulse auf den Gleichgewichtsmechanismus aber schon für immer verloren sein muss. Nach der Bekanntschaft mit den angeführten, sich auf die reflecto- rische Thätigkeit der Gleichgewichtsorgane beziehenden Daten, wird es uns schon leichter, sich über die Bedeutung dieser Organe in einer anderen Hinsicht aufzuklären. Gleich am Anfang der Arbeit habe ich erwähnt, dass die von mir über die peripheren Gleichgewichtsorgane angeführten Untersuchungen mich zum Schluss geführt haben, dass diese Organe, abgesehen von ihrer reflecto- rischen Thätigkeit, noch den Ursprungsort bestimmter Empfindungen bilden. Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung kann an Thieren auf folgende Weise dargethan werden. Angenommen, wir hätten bei Thieren eine ausgedehnte Zerstörung eines der Gleichgewichtsorgane, z. B. aller semicirculären Canäle oder des Hörnerven, oder eine Laesion des hinteren und lateralen Theiles der Wan- dung vom dritten Ventrikel an einer Seite vorgenommen. Nach einer solchen Operation fängt das Thier gewöhnlich an zwangsmässige Rotation um die Längsaxe des Körpers auszuführen, wobei an den Augäpfeln eine eigenthümliche, vom ausgesprochenen Nystagmus begleitete Ablenkung (das eine Auge ist nach oben und aussen, dass andere nach unten und innen gerichtet) auftritt. Nach Verlauf einiger Zeit hört das Rollen auf und das Thier legt sich auf die Seite hin, zur welchen hin die Rotation stattfand. Wie vorhin besteht hierbei der Nystagmus und die angegebene Ablenkung der Augäpfel; der Kopf und der Vordertheil sind um die Längs- axe des Körpers in der Richtung des früheren Rollens gedreht, die contra- Archiv f. A, u. Ph, 1896, Physiol, Abthlg. 3 114 W. v. BECHTEREW: lateralen Extremitäten sind ausgestreckt und gespannt, die entsprechenden aber flectirt und können leicht passiv gebeugt und gestreckt werden. Nach kurzer Zeit (gewöhnlich nach einigen Minuten) stellt sich die Roll Jewegung wieder mit gleicher Kraft ein, und zwar entweder spontan oder unter dem Einflusse bestimmter äuserer Reizungen (Stoss, Schreck, Schmerz- reiz u. S. w.). Das wäre die Reihenfolge der Erscheinungen in den ersten Tagen nach der Operation; der weitere Verlauf der Bewegungsstörungen und ihre allmähliche Ausgleichung brauchen hier weiter nicht berücksichtigt zu werden. | In meinen früheren Arbeiten habe ich erwähnt, dass alle beschriebenen Erscheinungen hauptsächlich reflectorischer Natur sind; denn gewöhnlich führt dieselbe Operation bei vorher ihrer Grosshirnhemisphaeren beraubten Thieren ebensolche Bewegungsstörungen, wie bei Thieren mit unverletzten Hemisphaeren herbei. Doch wäre man übrigens im Irrthum, wenn man glaubte, dass die Abtragung der Hirnhemisphaeren gar keinen Einfluss auf die in Folge der Zerstörung der Gleichgewichtsorgane auftretenden Be- wegungsstörungen äussert. Ganz im Gegentheil, werden bei den sich um ihre Körperaxe rollenden Thieren die Hirnhemisphaeren entfernt, so sieht man danach den Nystagmus und die Rollbewegungsanfälle stets merklich schwächer werden und oft nicht anders, als unter dem Einflusse dieser oder jener äusseren Reize auftreten; die eigenthümliche Ablenkung der Augäpfel, die Drehung des Kopfes und des Vordertheils um die Längs- axe des Körpers und ebenso die zwangsmässige Körperlage auf einer Seite bestehen dabei aber fast im früheren Grade. /weifellos ist im gegebenen Falle diese Abnahme der Bewegungs- störungen am leichtesten dadurch zu erklären, dass zugleich mit der Ab- tragung der Hirnhemisphaeren eine Reihe von aus diesem Organ ausgehenden und das Thier zur Fortsetzung der Rollbewegungen antreibenden Impaulsen beseitigt werden. Dieser Schluss führt einerseits zur Annahme, dass die Zerstörung der Gleichgewichtsorgane bei den Thieren nicht allein reflectorische Bewegungsstörungen veranlasst, sondern auch in einer bestimmten Weise auf die psychische Sphaere einwirkt, indem sie in ihr Veränderungen verursacht, welche bis zu einem gewissen Grade als ein die reflectorischen Be- weeungsstörungen verstärkendes Moment bilden. Es erhebt sich nun die Frage, welche Veränderungen der psychischen Sphaere aus der Zerstörung der Gleiehgewichtsorgane resultiren? Eine Antwort auf diese Frage finden wir in den pathologischen Beob- achtungen der Fälle von Kleinhirnaffeetion oder dieser oder jener seiner Zuleitungsbahnen bezw. der peripheren Gleichgewichtsorgane, in den Ver- Dıze EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 115 suchen mit der Elektrisation der Occipitalregion beim Menschen und endlich in den Versuchen mit passiver und activer Rotation um die Körperaxe. Es ist schon lange bekannt, dass beim Menschen eine Affection des Labyrinths und des Kleinhirns ausser den Gleichgewichtsstörungen, den Zwangsbewegungen und dem Nystagmus äusserst heftige Schwindelerschei- nungen bewirkt. Es sind ebenfalls Fälle von Affeetionen des verlängerten Markes in der Gegend der unteren, mit dem Kleinhirn und, wie es scheint, durch das von mir beschriebene centrale Haubenbündel auch mit der Gegend des dritten Ventrikels auf’s Engste verknüpften Oliven bekannt, in welchen neben den charakteristichen Bewegungsstörungen auch starke Schwindelanfälle bestanden. Endlich habe ich in der Arbeit: „Ueber die Verrichtung der centralen grauen Substanz des dritten Hırnventrikels“ Fälle von Affection der bezeichneten Gegend angeführt, in denen ebenfalis constant neben den Bewegungsstörungen heftige Schwindelerscheinungen zur Beobach- tung gelangten. Ueberhaupt kann es gegenwärtig als bewiesen gelten, dass die Schwindelempfindung für die Affection des Kleinhirns und seiner Zuleitungs- apparate ein ebenso charakteristisches Symptom wie dıein der Form von Gleich- gewichtsstörungen auftretenden Bewegungsstörungen darstellt. Viele von den Kranken sind im Stande diese Schwindelempfindung genau zu beschreiben und geben an, dass sie in solchem Falle entweder die Empfindung einer schein- baren Abwesenheit einer festen Stütze unter den Füssen oder eine abnorme Be- wegungsempfindung des eigenen Körpers in bestimmter Richtung — bald als Vorwärts — oder Rückwärtsfallen, bald als Drehung in dieser oder jener Seite hin — haben. Zu diesen Erscheinungen tritt nicht selten noch eine Scheinbewegung aller umgebenden Gegenstände, welche meinen Be- obachtungen nach gewöhnlich der subjectiven Körperbewegung entgegen- gesetzt gerichtet ist. Die bei der Galvanisation der Oceipitalgegend des Menschen auf- tretenden Erscheinungen waren schon Purkinje ! bekannt und sind hernach von verschiedenen Beobachtern studirt werden; besonders eingehend haben Brenner”? und Hitzig? in dieser Richtung gearbeitet. Da es mir un- möglich ist, auf eine ausführliche Erörterung aller hierher gehörigen Unter- suchungen einzugehen, so will ich hier nur eine gedrängte Schilderung der Erscheinungen selbst geben, wobei ich von den an mir selbst angestellten Beobachtungen ausgehen werde. ! Rust’s Magazin für die gesammte Heilkunde u.s. w. Berlin 1827. Bd. XXIIl. — Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874. S. 197. ® Brenner, Untersuchungen un! Beobachtungen auf dem Gebiete der KElectro- therapie. Lipzig 1868. I u. II. ® Hitzig, Dies Archiv. 1871. Heft 5 u. 6. — Untersuchungen über das Ge- hirn. Berlin 1574 und f. m. 8*F 116 W. v. BECHTEREW: Werden die Elektroden eines galvanischen Stromes an die Oceipitalgegend, in der Nähe der Warzenfortsätze applicirt, so hat man im Moment der Strom- schliessung und während des Stromdurchtritts eine Reihe von Empfindungen in der Form von heftigem Schwindel. Der letztere besteht in einer Empfindung einer scheinbaren Bewegung des eigenen Körpers zum positiven Pol oder der Anode hin und in einer Scheinbegwegung aller sichtbaren Gegenstände über- haupt in entgegengesetzter Richtung. Schliessen wir in diesem Augenblick die Augen und berühren irgend welchen von den uns umgebenden Gegen- ständen, so erscheint der belastete Gegenstand sich nach der Kathodenseite hin zu bewegen. Irgend ein während des Versuchs gehörtes einförmiges und an- haltendes Geräusch (z. B. das Schwirren des Hammers am Inductions- apparate, das Geräusch einer Gasflamme u. s. w.) erscheint uns bei hef- tigerer Schwindelempfindung (besonders bei geschlossenen Augen in der nämlichen Richtung, wie die sichtbaren und betasteten Gegenstände, sich zu entfernen. Objectiv gelangt dabei eine thatsächliche und nicht selten eine äusserst starke Bewegung des Körpers nach dem positiven Pole oder der Anode hin und eine Ablenkung der Augen nebst Nystagmus in ent- gegengesetzter Richtung zur Beobachtung. Die Oefinung der Kette ist im Allgemeinen von identischen, aber weniger anhaltenden und der Richtung nach entgegengesetzten Erschei- nungen begleitet. Findet der Versuch bei geschlossenen Augen statt, so verstärkt sich die subjectige Empfindung der Körperbewegung noch mehr, die thatsäch- liche Bewegung desselben aber wird ebenfalls nicht geringer als bei ge- öffneten Augen. In beiden Fällen gesellt sich zu allen diesen Erscheinungen noch ein im höchsten Grade unangenehmes Gefühl von Uebelkeit. Der - Zusammenhang aller soeben beschriebenen Erscheinungen mit der Functions- störung der Kleinhirnhemisphaere und derer Zuleitungsapparate ist ganz offenbar und kann überhaupt keinem Zweifel unterliegen. Unter den ver- schiedenen Beobachtern sind hierüber nur Widersprüche von ganz speciellem Charakter entstanden. So glaubten z. B. Brenner und Mach, im Wider- spruch zu anderen Autoren, die oben geschilderten Erscheinungen auf eine Reizung der semicirculären Canäle allein zurückführen zu können. Im der Folge ist jedoch diese Meinung durch die von Hitzig erhobenen Einwände stark erschüttert worden. Endlich hat Spamer! unlängst gezeigt, dass es an Tauben auch nach der Entfernung aller häutigen Canäle noch gelingt bei querer Durchströmung des Kopfes Rollbewegung zu beobachten. Die neuesten Untersuchungen mit Elektrisation des Kleinhirus von tauben Menschen, bei welchen hierbei Schwindelerscheinungen nicht auftreten ' Spamer, Pflüger’s Archiv. Bd. XXI. Heft 10—12. Dıs EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 11% sollten, sprechen auf’s Neue dafür, dass bei ihrer Entstehung die semi- eireulären Canäle thatsächlich betheiligt sind. Nichtsdestoweniger kann man in Anbetracht der oben erwähnten Spamer’schen Versuche kaum daran zweifeln, dass auch das Kleinhirn bei der Entstehung dieser Er- scheinung eine gewisse Rolle spielt. Für unsere Zwecke ist es übrigens gleichgültig, in welchem Sinne die endgültige Entscheidung dieser Frage erfolgt, da uns bekannt ist, dass die Fasern der semicirculären Canäle in das Kleinhirn treten und die CGanäle selbst nichts weiter als einen der peripheren Zuleitungsapparate des Kleinhirns darstellen. Wir wollen nur bemerken dass die unmittelbare Ursache der bei der Galvanisation der Oceipitalgegend zu beobachtenden Störungen zweifellos in dem verschiedenen Einfluss des Katelektrotonus und des Anelektrotonus auf die Nervenbahnen zu suchen ist. Als unwiderleglicher Beweis hierfür kann u. A. die That- sache gelten, dass die oben beschriebenen Erscheinungen nicht mehr be- obachet werden, falls man an die Warzenfortsätze die gleichen Pole des Stromes setzt (wozu sich am besten gespaltene Elektroden eignen) und den entgegengesetzten Pol auf einen indifferenten Körpertheil, z. B. auf den hinteren Theil des Halses oder das Brustbein stellt (Brenner, Hitzig;). Die bei der Drehung um die Körperaxe sich äussernden Erscheinungen stehen, wie wir weiter unten sehen werden, ebenfalls mit der Thätigkeits- störung der Gleichgewichtsorgane im directen Zusammenhang. Da diese Erscheinungen jedem Beobachter gut bekannt sind, so genügt es hier, dieselben nur drevi manu anzugeben: Drehen wir uns einige Male schnell um die Körperaxe, so fühlen wir in dem Momente, wo wir die Drehung einstellen, als ob unser Körper plötzlich einen starken Stoss in entgegengesetzter Richtung erhalten hätte. Zugleich erscheinen alle sichtbaren Gegenstände nach der Seite der ge- wesenen Drehung sich zu bewegen. Bei geschlossenen Augen können wir uns davon überzeugen, dass eine ähnliche Täuschung auch in den Tast- und Gehörorganen vor sich geht. Berühren wir nämlich irgend einen der uns umgebenden Gegenstände, so kommt es uns vor, als ob derselbe sich unter unseren Fingern nach der Seite der gewesenen Drehung bewege, ebenso erscheint uns die Geräuschquelle, falls das Geräusch eine gewisse Zeit lang fortdauert, sich in der nämlichen Richtung zu entfernen. Gleich- zeitig mit der Empfindung gestossen zu sein, oder in der der Drehung entgegengesetzten Seite zu fallen, taumeln wir thatsächlich unwillkürlich in dieser Richtung und können sogar stürzen, falls es uns nicht zeitig gelang, durch entsprechende Körperbewegungen unserem Fallen vorzubeugen. Die Augen sind dabei zur Seite der Drehung abgelenkt und in ihnen tritt Nystagmus auf. Ganz ähnliche Erscheinungen bemerkt man in dem Falle, wenn man sich bei geschlossenen Augen dreht und letztere nur im Momente 118 W. v. BECHTEREW: des Stillbleibens öffnet; bleiben die Augen aber nach der Drehung ge- schlossen, so wird das Gefühl des Fallens in entgegengesetzter Richtung für uns noch deutlicher und wir stürzen dabei fast unausbleiblich, wenn wir nicht rechtzeitig an einem Gegenstande uns halten können. Nach einer mehr oder weniger lange anhaltenden Drehung entsteht zugleich mit der heftigen Schwindelempfindung fast immer ein höchst quälendes Gefühl von Uebelkeit und zu gleicher ‚Zeit erscheinen uns die sichtbaren Gegenstände undeutlich, gleichsam mit verschwommenen Rändern. Schliesslich kann es bis zur Verdunkelung des Gesichtsfeldes kommen, und zwar in solchem Grade, dass anscheinend nur die subjective Lichtempfin- dung übrig bleibt, das Gehör und das Tastgefühl werden dabei ebenfalls ganz merklich abgestumpft. In solchem Zustande gelangen schwache Laute fast gar nicht an unser Bewusstsein, stärkere werden subjectivirt; rauhe Flächen erscheinen uns glatt. In dem soeben angegebenen Falle verschwinden sowohl die letzteren Erscheinungen, wie überhaupt alle Schwindelsymptome ziemlich schnell unter dem Einfluss einiger Drehungen in einer der früheren Drehung ent- gegengesetzten Richtung, folglich in der entgegengesetzten Richtung der Scheinbewegung der umgebenden Gegenstände. Meinerseits sei bemerkt, dass in den Fällen von Schwindelempfindung, welche durch Galvanisation der Oceipitalgegend oder pathologische Processe bedingt sind, dieselbe stets bei der Drehung des Körpers und überhaupt bei Bewegungen, welche der Scheinbewegung des Körpers entsprechen und der Scheinbewgung der Gegen- stände entgegengesetzt sind, merklich schwächer wird. Die bei der passiven Drehung des Körpers zu beobachtenden Erschei- nungen sind von dem Prager Physiker Mach! studirt worden. Aus - seinen Untersuchungen entnehmen wir hier nur die uns am meisten inter- essierenden Resultate. Wird der an sich die bei der Drehung auftretenden Erscheinungen studirende Beobachter in einen Papierkasten eingeschlossen, damit er gar keine Gesichtsempfindungen hat, so ist er zu Anfang der Rotation ge- wöhnlich noch im Stande die Richtung derselben zu bestimmen. Bei der weiteren Rotation geht diese Empfindung verloren und zugleich entsteht das subjective Gefühl der Rotation in entgegengesetzter Richtung. Beim plötzlichen Aufhören der Rotation steigert sich diese subjective Bewegungs- oder Rotationsempfindung noch mehr. Wird in diesem Moment der Papier- kasten schnell geöffnet, so erscheint es uns, als drehe sich die ganze Aussen- welt ebenfalls. Der hierbei erhaltene Eindruck könnte folgendermaassen ausgedrückt werden: „Es scheint als ob der ganze sichtbare Raum in ! Grundlinien der Lehre von den Bewegungsempfindungen. Leipzig 1875. Dıze EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 119 einem unbeweglichen, wenn auch sichtbaren, sich drehen würde“.! Hierbei entspricht die Rotationsaxe stets der Lage unseres Kopfes, wie das bereits aus den Versuchen von Purkinje und Darwin (dem älteren) bekannt war.? Alle soeben geschilderten, bei der activen und passiven Rotation des Körpers zu beobachtenden Erscheinungen, sind zweifellos denjenigen bei der Galvanisation der Oceipitalgegend auftretenden vollkommen analog. Sowohl diese wie jene Erscheinungen frappiren ferner durch ihre Aehnlich- keit mit den in den pathologischen Fällen, bei der Affection des Klein- hirns und der demselben zugehörigen peripheren Leitungsbahnen auf- tretenden Erscheinungen. Sowohl hier wie dort gelangen Zwangsbewegungen des Körpers nebst Ablenkung der Augen und Nystagmus zur Beobachtung. Ebenso zeichnet sich der Character der Schwindelempfindung in beiden Fällen durch vollkommene Aehnlichkeit aus. Somit kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die bei der activen und passiven hotation um die Körper- axe und ebenso bei der Galvanisation der Oceipitalgegend auftretenden Erscheinungen von einer Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane, folglich des Kleinhirns und seiner peripheren Zuleitungsapparate ab- hängen. Einige Autoren, wie Mach und Brenner, welche die bei der Gal- vanisation der Oceipitalgegend auftretenden Erscheinungen von einer Func- tionsstörung der semicireulären Canäle abhängig dachten, versuchten auch die nach der Rotation um die Körperaxe sich einstellenden Erscheinungen durch eine Functionsstörung der Canäle allein zu erklären; dieselbe sollte nämlich unter dem Einflnss der Veränderungen des Druckes der in ihnen enthaltenen Flüssigkeit entstehen. Ohne Zweifel kann eine solche Ansicht schon nicht mehr aufrecht erhalten werden, seitdem wir die Existenz anderer, der Function nach mit den semicireulären Canälen vollkommen ähnlicher peripherer Gleichgewichtsorgane kennen. Gegen dieselbe sprechen übrigens auch Facta, denn bei Thieren mit durchschnittenen Hörnerven sind bei der Rotation alle jene objectiven Erscheinungen (Ablenkung des Rumpfes und Kopfes, Nystagmus u. s. w.), welche sich bei Rotation gesunder Thiere zeigen, wahrzunehmen. In Anbetracht dessen erscheint es mir richtiger, die bei der Rotation um die .Körperaxe zu beobachtenden Erscheinungen als complieirte an- zusehen, welche von der Functionsstörung aller Gleichgewichtsorgane über- haupt, folglich von der der semicireulären Canäle, der Gegend des dritten 12Mach, a. 2.203578: n Obelach Mach in seiner Beschreibung die Gbrdckivsh Erscheinungen (Ab- lenkung des Körpers, Veränderungen in der Augenstellung u. s. w.) nicht erwähnt hat, so müssen dieselben doch zweifellos in seinen Versuchen ebenso wie bei einer activen Rotation um die Körperaxe aufgetreten sein. 120 W. v. BECHTEREW: Ventrikels und der Haut-Muskelorgane, abhängen. Gleichfalls ist es mög- Jich, dass auch das Kleinhirn einigen Antheil an der Entstehung der ge- schilderten Erscheinungen hat, weil, wie Purkinje schon voraussetzte, die Kleinhirnhemisphaeren bei der Körperrotation in Folge der Centrifugalkraft gepresst werden könnten. Ebenso kann der Strom bei der Galvanisation der Oceipitalgegend nicht allein bis zu den semicirculären Canälen, sondern auch bis zu den Kleinhirnhemisphaeren vordringen. Alle oben angeführten Thatsachen überzeugen uns davon, dass bei den verschiedensten, auf die Gleichgewichtsorgane einwirken- den Einflüssen ausser den objectiven Erscheinungen sich nöch höchst ausgeprägte Veränderungen der psychischen Sphaere, in der Form einer charakteristischen Schwindelempfindung zeigen. Somit ist es wohl natürlich zu schliessen, dass auch bei den Thieren bei der Verletzung des Kleinhirns oder dessen Leitungsbahnen zu- gleich mit der reflectorischen Bewegungsstörung ähnliche subjective Er- scheinungen in der psychischen Sphaere vorhanden sein müssen, welche ihrerseits auf die motorische Sphaere nicht einflusslos bleiben, indem sie die Neigung zur Fortsetzung der Zwangsbewegungen verstärken. Kurzum, die nach der Zerstörung der Kleinhirnhemisphaeren oder dessen peripheren Leitungsbahnen sowohl beim Menschen, wie bei den Thieren auftretenden Erscheinungen zerfallen in zwei Gruppen: 1. in objective Erscheinungen, welche in der Störung des Körpergleichgewichtes und in unwillkürlichen oder zwang- mässigen, von eigenthümlicher Ablenkung der Augen und nystagmischen Erscheinungen begleiteten Bewegungen be- stehen; 2. in subjective Erscheinungen in der Form von einer Schwindelempfindung, welche darin besteht, dass es vorkommt, als ob der eigene Körper in einer bestimmten Richtung, näm- lich zur Seite der wirklichen, unwillkürlichen oder zwang- mässigen Bewegung des Körpers hin — und als ob alle um- sebenden, mittelst der Seh-, Tast- und Gehörorgane wahr- genommenen Gegenstände sich nach der entgegengesetzten Seite hin bewegten. In der Physiologie war bekanntlich eine Theorie vorhanden, welche die Bewegungsstörungen, besonders die Rotation der Thiere mit verletztem Kleinhirn oder Canälen, durch das Auftreten von Schwindelempfindung erklärte, mit anderen Worten, die objectiven Erscheinungen wurden von solchen rein subjeetiver Natur in directe Abhängigkeit gestellt. Hierbei Dis EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 121 nehmen einige Autoren, wie Gratiolet und Leven! an, dass das Auf- treten der Schwindelempfindung bei den operirten Thieren von der eigen- thümlichen Ablenkung der Augen abhängig sei; nach der Meinung anderer sollte die Schwindelempfindung ihren Sitz in Grosshirnhemisphaeren haben.? Eine ähnliche Theorie kann jedoch bei uns nicht auf Anerkennung rechnen und zwar hauptsächlich in Anbetracht folgender Thatsachen: 1. habe ich mich überzeugt, dass bei den operirten Thieren, welche sich um ihre Längesaxe wälzen, die Rotation nicht nach der Enucleation der Augäpfel ® aufhört; 2. führt die Exstirpation der Grosshirnhemisphaeren bei solchen Thieren, wie erwähnt worden, nur eine gewisse Abnahme der Bewegungsstörungen herbei, lässt aber alle charakteristischen Erscheinungen unverändert und 3. wissen wir endlich, dass in der Pathologie des Klein- hirns ‘solche Fälle notirt sind, in welchen vollkommen deutliche Bewegungs- störungen ohne jegliche Schwindelempfindung bestanden. Auch mit der Anschauung von Hitzig* und Wundt? kann man sich nicht für einverstanden erklären, nach welcher die bei der Galva- nisation der Oeccipitalgegend auftretenden Zwangsbewegungen als willkür- liehe, die Wiederherstellung der scheinbaren Gleichgewichtsstörung be- zweckende Bewegungen anzusehen wären. In allen meinen Versuchen mit der Galvanisation der Oceipitalgegend und ebenso mit der Rotation um die Körperaxe fand die Ablenkung des Körpers stets in der Richtung der subjectiven Bewegung statt, dieselbe konnte aber durchaus nicht der Wiederherstellung des Gleichgewichtes dienen. Ausserdem gelangt die erwähnte Ablenkung des Körpers immer schon als geschehene Thatsache zu unserem Bewusstsein, ohne dass wir die Möglichkeit besässen ihr vorzubeugen oder sie zu hemmen. Offenbar spricht letzteres wenig zu Gunsten der Annahme, dass die Zwangsbewegungen von unserem Willen abhängen. Endlich bezeichnen die mit einer Affeetion des Kleinhirns oder der semieirculären Canäle behafteten Kranken niemals die Zwangsbewegungen als willkürliche. Viele derselben sind gar nicht im Stande deutliche Rechenschaft über die Entstehung dieser Bewegungen zu geben, während andere zu ihrer Bezeichnung sich des stereotypen Aus- druckes „als ob irgend eine unsichtbare Kraft sie beständig in bestimmter Richtung treibe“, bedienen. Indem ich diese Daten anführe, habe ich gar nicht die Absicht den Einfluss der willkürlichen Impulse auf die unter den ! Gratiolet et Leven, Mcuvements de rotation sur P’axe determines par les lesions du cervelet. Z’Institut. 1860. T. 28. ® Vulpian, Zecons sur la physiologie gen. et comp. Paris 1866. p. 599 et suiv. ® Auf viese Thatsache weist ebenfalls Vulpian (a. a. OÖ. S. 596) hin. * Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. 8. 225. ° Grundzüge der physiologischen Psychologie. Bd. 1. 122 W. v. BECHTEREW: angegebenen Bedingungen auftretende Erscheinung ganz zu läugnen. Ich habe nur zeigen wollen, dass die erwähnten Bewegungen gleich jenen, welche bei den Thieren mit zerstörten Gleichgewichtsorganen beobachtet werden, vorzüglich einen reflectorischen Charakter besitzen, zweifellos aber kann die Scheinbewegung der sichtbaren Gegenstände und ebenso die sub- jectiv wahrgenommene unwillkürliche Bewegung des Körpers uns über die relative Lage unseres Körpers in der Aussenwelt täuschen, und ihrerseits Anlass zu willkürlichen, die Bewegung des Körpers in der nämlichen Richtung, in welcher die unwillkürliche oder reflectorische Zwangsbewegung stattfindet, begünstigenden Impulsen geben. Folglich erscheinen die will- kürlichen Bewegungen im gegebenen Falle als secundär bedingte, während die direet durch die oben aufgezählten Einflüsse herbeigeführten Bewe- gungen stets den Charakter unwillkürlicher, reflectorischer Bewegungen tragen, weshalb sie auch als zwangmässige oder gewaltsame Bewegungen aufgefasst werden. | Besitzen also die bei der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane auftretenden Bewegungsstörungen, wie wir soeben erörtert haben, haupt- sächlich einen reflectorischen Charakter und können dieselben nur zum Theil von der subjeetiven Schwindelempfindung abhängen, so könnte vielleicht diese letztere aus den bei den Thieren erscheinenden Bewegungsstörungen resultiren. In der That haben einige von den Autoren sich in dem Sinne geäussert, dass die bei der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane auftretende Schwindelempfindung sich in directer Abhängigkeit von den Bewegungen der Augäpfel befindet. So spricht z. B. Hitzig in seiner classischen Arbeit folgendermaassen über die Ursache der Schwindelempfindung bei der Gal- vanisation der Hinterhauptsgegend: „Ja, das Eintreten von derartigen Scheinbewegungen bei den beschriebenen Augenbewegungen ist in dem Grade ein physiologisches Postulat, dass ich ungeachtet dessen, was ich vorgebracht habe, die Erklärung dieses Theiles der Schwindelempfindungen aus den Augenbewegungen nicht für unbedenklich, sondern für nothwendig halte.“ Meiner Ansicht nach können aber alle derartigen Theorieen nicht vollkommen genügen. Wenn auch für die Möglichkeit des Auftretens der Schwindelempfindung unter dem Einfluss der unwillkürlichen Augäpfel- bewegungen ! unanfechtbare Beweise erbracht werden können, so scheint ! Als Beispiel können z. B. die Fälle dienen in welchen die Schwindelempfindung beim Betrachten der sich vor unseren Augen bewegenden Gegenstände, der schnellen Strömung eines Wasserfalls u. s. w. sich einstellt. In der Arbeit „Zur Physiologie des Körgergleichgewichts“ (Pflüger’s Archiv. Bd. XXXI) habe ich ähnliche Schwindel- empfindung durch einen unmittelbaren Einfluss der Augäpfelbewegungen auf die Func- DiıE EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 123 doch nicht hierin die Hauptursache der sowohl bei der Rotation des Körpers, wie unter dem Einfluss der Galvanisation des Kleinhirns, oder überhaupt bei der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane auftretenden Schwindel- empfindung zu liegen. Thatsächlich ist es near dass an peripherem Nystagmus Leidende schon bald nach dem Auftreten der Krankheit keine Schwindelempfindungen haben. Ferner ist es bekannt, dass bei der unter dem Einfluss der Rota- tion um die Körperaxe entstehenden Schwindelempfindung die Fixation der Augen die Scheinbewegung der umgebenden Gegenstände nicht aufhebt. Einige Autoren reden sogar von einer Zunahme der Schwindel- empfindung unter dieser Bedingung (Mach, Cyon). Es ist hier ange- bracht einen interessanten Versuch von Mach vorzuführen. Wird während der Rotation um die Körperaxe durch einen Druck auf den Augapfel im Gesichtsfeld ein Phosphen erzeugt, so erweist es sich, dass das letztere sogar dann sich an der Scheinbewegung der Gegenstände betheiligt, wenn das Auge fixirt ist und in Folge dessen die ganze Zeit über unbeweglich bleibt. Brenner suchte übrigens auch diese Thatsache vom Standpunkte der oben erwähnten Theorie zu erklären, indem er annahm, dass das Phosphen in solchen Fällen nur unter dem Einfluss von Innervationsempfindungen allein seinen Ort verändert, wenn auch hierbei eine wirkliche Bewegung des Augapfels nicht stattfände Cyon! konnte aber eine Ortsveränderung des Phosphens sogar in dem Falle beobachten, wenn man während des Versuchs bei geschlossenen Augen, einen naheliegenden Finger oder die Nasenspitze fixirt. Zweifellos können unter der angegebenen Bedingung die Innervationsempfindungen, wie Cyon selbst bemerkt, nur die Vorstellung von der Unbeweglichkeit der Augen erwecken, folglich kann der Seh- schwindel auch ohne active Betheiligung der Sehorgane entstehen. Hier ist noch folgender Umstand zu berücksichtigen: bekanntlich entsteht bei der Rotation um die Körperaxe nicht allen der Sehschwindel, sondern auch der Tast- und Gehörschwindel; schwerlich wird man hierbei daran zweifeln können, dass alle diese in den verschiedenen Sinnesorganen vor sich gehenden Scheinempfindungen das Resultat einer und derselben ge- meinsamen Ursache bilden müssen. tion des Gebietes des dritten Ventrikel erklärt. Da gegenwärtig aus den Sehnerven, hinter dem Chiasma, direct in die graue Substanz der Gegend des dritten Ventrikels tretende Fasern (vergl. meine LZeitungsbahnen des Gehirns) bekannt sind, so liegt die Möglichkeit einer Uebermittelung der Sehimpulse selbst, unabhängig von allen Aug- äpfelbewegungen, durch diese Fasern dem im Gebiete des dritten Ventrikels gelegenen Gleichgewichtsorgan vor. ! Cyon, Ueber die Function der semieirculären Canäle u. s. w. Militär-medie. Journal (russisch) Juli 1879 und ebenso These pour le doctorat. Paris 1878, 124 W. v. BECHTEREW: Es fragt sich nun, wie sollten wir die Entstehung des Tast- und Gehör- schwindels bei der Körperrotation erklären, wenn wir die Scheinbewegung der umgebenden Gegenstände von der abnormen Ablenkung der Augäpfel abhängen lassen ? Schliesslich muss ich auf zahlreiche, allen Klinikern bekannte That- sachen aus der Pathologie des Menschen hinweisen, welche beweisen, dass bei den Affectionen des Kleinhirns und der semicirculären Canäle die charakteristische Schwindelempfindung nicht selten bei der Abwesenheit jeglicher objectiver Erscheinungen auftreten. Ebenso stellt sich in den oben angeführten Versuchen mit der Rotatiin um die Körperaxe und mit der Galvanisation in der Kleinhirngegend, falls nur ein schwacher Strom zur Anwendung gelangt, die Schwindelempfindung ein, bevor irgend welche Veränderungen in der Stellung der Augäpfel bemerkt werden. Alle diese Daten führen uns zu dem Schlusse, dass in den erwähnten Fällen, das Symptom der Schwindelempfindung ebenso eine directe Folge der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane, wie die eigenthümlichen Bewegungsstörungen, bildet. Letztere könnten vielleicht gewissermaassen als ein die Schwindelanfälle verstärkendes Moment, durchaus aber nicht als Hauptursache ihrer Entstehung, wie einige Autoren annahmen, gelten. Also verhalten sich die objectiven und subjectiven, bei der Functions- störung oder Zerstörung der Gleichgewichtsorgane eintretenden Erscheinungen nicht zu einander wie die Ursache zur Folge. Beide Erscheinungsreihen repraesentiren nur ein combinirtes Symptom und bilden zugleich eine directe Folge der nämlichen Ursache. Folglich haben wir bei der Zerstörung der Gleichgewichtsorgane Erscheinungen, welche den bei der Affection anderer sensibler Organe zur Beobachtung gelangenden vollkommen analog sind: einerseits Ausfall einer bestimmten Reihe von Reflexen, andererseits Per- ceptionsstörung bestimmter Empfindungen. Seinerseits spricht das dafür, dass die Gleichgewichtsorgane nicht allein im Organismus als eine beständige Quelle reflectorischer, auf Zwecke der Gleich- gewichtserhaltung gerichteten Bewegungen dienen, sondern dass sie auch noch als Organe angesehen werden müssen, welche gewisse Empfindungen percipiren. Wir wollen uns hier noch kurz mit dem Charakter der subjectiven, unter diesen oder jenen Einflüssen auf die Gleichgewichtsorgane entstehenden Erscheinungen beschäftigen und darauf zur Erörterung der von diesen Organen zu percipirenden Empfindungen übergehen. Die bei der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane auftretende Schwindelempfindung besteht, wie wir gesehen, eigentlich aus zweierlei Art von Scheinempfindungen: 1. aus einer Empfindung der Bewegung des eigenen Körpers in bestimmter Richtung und 2. aus einer Scheinbewegung aller Die EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 125 von uns gesehenen und berührten Gegenstände und der von uns gehörten Laute in entgegengesetzter Richtung. Es frägt sich nun, in welchem Verhältniss die beiden Empfindungs- reihen zu einander stehen, und ob nicht unter ihnen ein innerer Zusammen- hang waltet? Ich glaube, dass in diesem Falle wir thatsächlich mit einem innigen Zusammenhang der einen Erscheinung mit der anderen zu thun haben, d. h. dass. die eine von ihnen direct von der anderen abhängt. Das geht schon aus dem Umstande hervor, dass die Bewegungsempfindung des eigenen Körpers und die Scheinbewegung der Aussenwelt der Richtung nach direct entgegengesetzt sind. Es ist bekannt, dass wir gewöhnlich die passiven Bewegungen des eigenen Körpers auf die Aussenwelt übertragen, wobei uns alle Gegenstände in entgegengesetzter Richtung sich zu bewegen scheinen. Andererseits übertragen wir nicht selten die Bewegung der Aussenwelt auf uns selber. Es genügt hier an das allbekannte Beispiel zu erinnern, wie wir bei einem Aufenthalte auf einer Eisenbahnstation, bei der Bewegung des Zuges nicht selten durch folgende Erscheinung überrascht werden: es erscheint uns, als ob die von uns gesehenen Züge ständen und unser Waggon in Be- wegung gerathen sel. | Somit kann man sich leicht vorstellen, dass, falls bei gewissen Ein- wirkungen auf die Gleichgewichtsorgane wir von Anfang an eine falsche Bewegungsempfindung des eigenen Körpers in bestimmter Richtung er- halten, es uns zugleich vorkommen muss, als ob die uns umgebenden Gegenstände in entgegengesetzter Richtung sich bewegten. Umgekehrt, wenn wir unter den nämlichen Bedingungen die primäre Empfindung in der Form von einer Bewegung der Aussenwelt erhalten hätten, so würden wir es auf uns selber übertragen haben und somit zugleich die Bewegung des eigenen Körpers empfinden. Deshalb ist es für uns wichtige darüber Aufschluss zu erhalten, welche von den beiden erwähnten Empfindungen wir im gegebenen Falle für die primäre oder Grundempfindung anzusehen haben? Die Entscheidung dieser Frage wird auf Grund folgender Betrachtungen möglich sein: Wäre die Scheinbewegung der Aussenwelt bei der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane eine primäre oder Grundempfindung, so müsste zweifellos die Täuschung von der Bewegung des eigenen Körpers sowohl bei der Rotation um die Körperaxe wie auch bei der Galvanisation der Oceipitalgegend nach dem Schliessen der Augen verschwinden, oder wenigstens mehr oder weniger deutlich abnehmen. Unterdessen lehren aber die Experimente, wie wir gesehen, dass unter ähnlichen Bedingungen die Empfindung der Bewegung des eigenen Körpers nicht allein nicht ab- nimmt, sondern, im Gegentheil, noch bedeutend stärker wird. Letzterer 126 W. v. BECHTEREW: Umstand zwingt uns positiv zu behaupten, dass bei den auf die Gleich- gewichtsorgane einwirkenden Einflüssen die Empfindung der Bewegung des eigenen Körpers in bestimmter Richtung die Grundempfindung bildet, während die Scheinbewegung der Aussenwelt in entgegengesetzter Richtung weiter nichts als eine secundäre, eine direete Folge der ersteren Empfindung darstellende Empfindung ist. Die verschiedenen Thätigkeitsstörungen der Gleichgewichtsorgane er- regen vor Allem also, zusammen mit den reflectorischen Bewegungsstörungen, die Empfindung der Körperbewegung in dieser oder jener Richtung. Nach- dem wir diese Thatsache klargelegt haben, wird es nicht schwer fallen auch die spevifische Energie der in Rede stehenden Organe zu bestimmen, und damit zugleich den Charakter derjenigen Empfindungen, welche im normalen Zustande vermittelst dieser Organe percipirt werden, zu erkennen. Den specifischen Charakter der Empfindungen eines dieser Gleich- gewichtsorgane, der semicireulären Canäle nämlich, haben einige Autoren schon versucht zu bestimmen. Wir wollen hier vor Allem zwei der ver- breitetsten Ansichten von Goltz und von Mach und Breuer Erwähnung thun. Der erstere hat sich in dem Sinne geäussert, dass die semieirculären Canäle sensible Organe für das Gleichgewicht des Kopfes und indirect des ganzen Körpers darstellen („sind so zu sagen Sinnesorgane für das Gleich- gewicht des Kopfes und mittelbar des ganzen Körpers“). Es ist leicht ersichtlich, dass eine ähnliche Definition nur die nach der Zerstörung der Canäle auftretenden Gleichgewichtsstörungen im Auge hat. Wir wissen jedoch, dass diese Erscheinungen hauptsächlich reflec- torischer Natur sind und in keiner directen Abhängigkeit von irgend welchen Empfindungen sich befinden. Es frägt sich deshalb, ob irgend welche Möglichkeit vorliegt nach diesen Erscheinungen den speecifischen Charakter der durch die Vermitte- lung der Gleichgewichtsorgane percipirten Empfindungen zu bestimmen ? Natürlich nicht! Zur Erläuterung des Gesagten wollen wir folgendes Bei- spiel wählen: nach der Durchschneidung des Sehnerven geht die reflecto- rische Pupillencontraction auf Lichtreiz vollkommen verloren; kann aber hieraus geschlossen werden, dass der Sehnerv ein Sinnesorgan vorstellt, welches die Iris in Contraction zu erhalten hat? Die Hypothese von Mach und Breuer bekundet zweifellos schon einen bedeutenden Fortschritt, trotzdem sie auch ihre schwachen Seiten hat. Nach der Meinung von Mach stellen die semieircularen Canäle Organe vor, vermittelst welches wir die Bewegungen des eigenen Körpers wahrnehmen, folglich sind die specifischen Empfindungen dieser Organe Be- wegungsempfindungen des Körpers. Die Hauptstütze dieser Ansicht findet Dre EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 127 sich offenbar in einer von den Schlussfolgerungen des Autors, nämlich: wie wir auch den Charakter der taetilen und der Muskelempfindungen des Be- obachters während der passiven Rotation verändern mögen, so bewahrt derselbe trotzdem noch die Fähigkeit, die Richtung der Bewegung zu be- stimmen. Hieraus eben schliesst der Autor, dass in unserem Organismus ein besonderes specifisches Organ existiren muss, durch dessen Vermitte- lung wir die Richtung der Bewegungen unseres Körpers bestimmen. Auf dem Wege der Deduction gelangt Mach zu dem Schlusse, dass dieses Organ durch die semieirculären Canäle repraesentirt wird. In einer aus- führlicheren Form nimmt die Theorie von Mach und Breuer, welche den semicirculären Canälen die Aufgabe, die Empfindungen der Rotation und der Bewegung des Körpers überhaupt zu percipiren, zuschreibt, zugleich an, dass wir vermöge der Function der Otolithen uns im Raume orientiren. Dieses und jenes kommt in Folge folgender Bedingungen zu Stande: Jeder der semicirculären Canäle bildet bekanntlich einen bogenförmigen mit Endolymphe gefüllten Hohlraum. Bei jeder Drehung des Kopfes entsteht in Folge des Beharrungsvermögens eine entgegengesetzte, relative Bewegung der Flüssigkeit, welche den in die Lichtung hineinragenden und als Endi- sungen des N. vestibuli dienenden Nervenhärchen übermittelt wird. In Folge dieser mechanischen Reizung der Nervenendigungen wird eben die Drehung der Flüssigkeit und hiermit sogleich die Drehung des Kopfes wahrgenommen. Da nun der Mensch drei semicirculäre Canäle besitzt, welche in der Richtung von drei sich perpendieulär schneidenden Ebenen gelagert sind, so wird offenbar auf diese Weise vermittelst der semicireu- lären Canäle die Rotation um jede Axe des Körpers percipirt. Anderer- seits treten bekanntlich die Nervenendigungen der Otolithen in eine gela- tinöse Masse, mit welcher sie eine Platte bilden, auf welcher der Otolith rollt. Jede Beschleunigung der Bewegung bewirkt eine Ortsveränderung des Otolithen als eines schwereren Körpers, wobei diese Lageveränderung des Otolithen ebenfalls mechanisch auf die darunter liegenden Nerven- härchen einwirkt. Auf diese Weise ermöglichen uns die Bewegungen der Otolithen, indem sie mechanisch die Nervenendigungen reizen, den Schluss über die Bewegung des Kopfes. Es muss bemerkt werden, dass diese Theorie in den Experimenten und Untersuchungen an Taubstummen von James und Kreidl! eine Stütze erhält, aber nur bezüglich des Einflusses der semieirculären Canäle auf die Entstehung der Schwindelempfindung und der reflectorischen Augen- 18. A. Kreidl, Zur physiologischen Bedeutung des Ohrlabyrinthes. Wiener klin. Wochenschrift. 1812. Nr. 7. — Protokolle der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 12. Februar 1892, 128 W. v. BECHTEREW: bewegung, welche bei der Rotation des Körpers um die Axe auftreten. Dieser Einfluss muss zweifellos für unbestreitbar gelten, obgleich schon aus den oben angeführten Daten es evident ist, dass auf die Entwickelung dieser und jener Erscheinungen, ausser den semicirculären Canälen, auch die Thätigkeit anderer Gleichgewichtsorgane, welche ihrer Function nach den semicirculären Canälen vollkommen analog sind, einen Einfluss ausüben. Die angeführte Hypothese von Mach und Breuer halten wir insofern nicht für richtig, inwiefern sie sich auf die Erklärung der subjeetiven, durch die Function der semieirculären Canäle bedingten Erscheinungen bezieht. Es handelt sich darum, dass wir die Vorstellung über die Bewegung unseres Körpers nicht anders als durch die Vermittelung der Empfindungen seiner Lage im Raume erhalten. Ohne solche Empfindungen wäre eine Vorstel- lung von der Bewegung des Körpers undenkbar. Mit anderen Worten, bevor wir die Bewegung des Körpers empfinden, müssen wir seine Lage empfunden haben. Dass die Empfindungen der Körperlage unserem Organismus thatsäch- lich eigen sind, unterliegt meiner Meinung nach wohl keinem Zweifel. Es ist bekannt, dass wir bei jedweden Gleichgewichtsbedingungen stets im Stande sind, die Lage unseres Körpers mit gewisser Genauigkeit zu be- stimmen, und das sogar in dem Falle, wenn wir hierbei uns weder der Gesichts-, noch der Tast-, noch der Muskelgefühle bedienen. So sind wir beim passiven Versenken in’s Wasser bei geschlossenen Augen noch immer im Stande, mit gewisser Genauigkeit jeden Augenblick sowohl die Richtung, wie auch die Grösse der Ablenkung unseres Körpers von der Verticallinie zu bestimmen. Ausserdem wird man kaum daran zweifeln können, dass wir in ähnlichen Fällen vor Allem die Lage unseres Kopfes empfinden; die Lagebestimmung anderer Körpertheile aber bezüglich des Kopfes wird offen- bar durch die Vermittelung der von unserer Hautoberfläche und von den Muskeln ausgehenden Empfindungen erreicht. Thatsächlich erscheinen die Gleichgewichtsorgane ihrer Einrichtung nach im höchsten Grade gut angepasst für die Empfindungen der Lage des Kopfes und somit zugleich des ganzen Körpers. Nimmt man an, dass der Flüssigkeitsaruck in den semicireulären Canälen und in der trichterförmigen kegion des dritten Ventrikels den natürlichen Erreger für die Nervenendigungen dieser Organe abgiebt, wo- für meines Erachtens nach vollkommen gewichtige Gründe sprechen, so ist es leicht begreiflich, dass der Druck auf diese oder jene sensible, in den Wandungen der erwähnten Organe befindlichen Appa- rate, je nach der Lage unseres Kopfes wechseln muss, was eben zu einer Quelle specifischer Empfindungen der Kopfstellung für uns wird. Dis EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 129 Was die Haut-Muskelorgane des Gleichgewichts anbelangt, deren nor- male Erreger, wie man annehmen muss, die Berührung und überhaupt der Druck auf die Hautoberfläche und Gelenke, und Dehnungen der Muskeln und des Bandapparates bilden, so sind sie offenbar mehr zur Bestimmung der Lage der einzelnen Glieder, bezüglich der Kopflage, angepasst. Es ist sehr wahrscheinlich, dass durch die Vermittelung dieser Organe nämlich wir eben die specifischen Empfindungen der Lage unserer Glieder percipiren, welche wir auf das sogenannte Muskelgefühl beziehen. Jedenfalls müssen die durch die Vermittelung der Haut-Muskelorgane des Gleichgewichts entstehenden Empfindungen als direete Ergänzung zu den Empfindungen der Kopflage, welche wir durch die Impulse von den semicirculären Canälen und aus dem Gebiete des dritten Ventrikels erhalten, dienen. Es ist selbstverständlich, dass diese Empfindungen der Lage des Kopfes und der übrigen Körpertheile, welche wir vermittelst der Gleichgewichts- organe percipiren, u. A. auch dem Gefühl zu Grunde liegen, welches wir als Gefühl des Körpergleichgewichtes bezeichnen. In dieser Beziehung kam Goltz mit seiner Annahme, dass die semicirculären Canäle sensible Organe für das Gleichgewicht des Kopfes und indirect des ganzen Körpers dar- stellen, zweifellos der Wahrheit sehr nahe. Geben wir zu, dass die peripheren Gleichgewichtsorgane uns vor Allem zur Quelle für besondere Empfindungen der Lage des Kopfes und des Körpers werden, so müssen wir zugleich annehmen, dass wir durch die Vermittelung der nämlichen Organe auch den Wechsel dieser Lage, d. h. die Bewegung des Körpers bestimmen. Bei jeder Bewegung des Körpers muss nämlich in unseren Gleichgewichtsorganen eine succesive Reihe von Impulsen entstehen, auf Grund welcher schon die Empfindungen der Körperlage zu den verschiedenen Zeiträumen geschaffen werden. Das eben giebt uns die Möglichkeit eine Vorstellung von der Bewegung unseres Körpers zu haben. Ganz ähnlich dem, wie unsere zur Perception der Ge- sichtseindrücke angepasste Netzhaut im Stande ist, nicht allein die Lage der uns umgebenden Gegenstände, sondern auch ihre Bewegung zu be- stimmen, ebenso sind unsere Gleichgewichtsorgane zur Perception der Em- pfindungen der Lage des Kopfes und der übrigen Körpertheile angepasst und auch im Stande, die Bewegung des letzteren und gleichfalls die Ge- schwindigkeit dieser Bewegung zu bestimmen. Es ist übrigens zu beachten, dass unsere Fähigkeit die Geschwindig- keit der Körperbewegung zu bestimmen im’Allgemeinen ziemlich beschränkt erscheint. Mach hat durch seine Versuche bewiesen, dass wir thatsächlich nicht fähig sind, eine constante Geschwindigkeit der Körperbewegung zu bestimmen und nur deren Beschleunigung wahrnehmen. Folglich können nur Schwankungen in der Geschwindigkeit der Körperbewegung zur Quelle Archiv f. A. u. Ph. 1596. Physiol. Abtblg. 9 130 > W. v. BECHTEREW: von Empfindungen werden, nach welcher wir die Richtung dieser Bewegung bestimmen.! Eine äusserst allmähliche Beschleunigung sind wir anscheinend ebenfalls nicht im Stande, genau zu bestimmen, bei schnellerer Bewegung, besonders bei einer gewissen Art derselben, nämlich bei der Rotation um die Axe, beginnen wir Schwindel zu empfinden, welcher sich durch eine Scheinbewegung unseres Körpers äussert. Somit sind die Gleichgewichtsorgane nicht geeignet zur Wahrnehmung von Empfindungen der Körperbewegung; sie percipiren nur die Beschleunigung dieser Bewegung und nicht die Bewegung selbst und geben uns nur auf diesem Wege die Möglichkeit, die Richtung der Bewegung zu bestimmen. Der Umstand, dass die Zerstörung oder Hemmung der Function dieses oder jenes der Gleichgewichtsorgane an einer Seite, wie wir gesehen, von der Empfindung einer Bewegung des Körpers begleitet ist, spricht noch durchaus nicht zu Gunsten der Mach’schen Hypothese. Die Gleichgewichts- organe nämlich befinden sich, wie ich bereits nachgewiesen habe, unter normalen Bedingungen in einem ununterbrochenen Thätigkeitszustand; wo- bei die übliche ruhige Körperlage, z. B. die verticale, gleiche oder identische Empfindungen von den beiderseitigen Gleichgewichtsorganen voraussetzt. Jede Veränderung der ruhigen Lage vor- oder rückwärts, oder nach rechts oder links, um so mehr eine Rotation des Körpers um die Axe, wird schon von einer Zunahme der centripetalen Impulse in den Organen der einen Seite und von einer Abnahme solcher in den Organen der anderen Seite begleitet. Bei der einseitigen Zerstörung und überhaupt bei der Hemmung der Function eines der Gleichgewichtsorgane müssen wir ähn- liche Verhältnisse voraussetzen: mit dem Wegfall der in diesem Organe - entstehenden Empfindungen werden die den Centren von den Gleichgewichts- organen der anderen Seite zufliessenden Impulse ‘ungenügend durch die Impulse von den unversehrten Gleichgewichtsorganen an der Seite der Zer- störung in Wage gehalten, weshalb in diesem Falle eine Disharmonie der von den Gleichgewichtsorganen beider Seiten ausgehenden Empfindungen ' Während einer Eisenbahnfahrt, sagt Mach, empfinden wir nur kleine, durch ‚die Verlangsammung oder Beschleunigung bewirkte Erschütterungen zu der Bewegung uuseres Körpers; da aber ihre mittlere Geschwindigkeit bei der Fort- oder Retour- bewegung des Zuges unverändert bleibt, so gleichen sich diese Erschütterungen gegen- seitig aus. Und in der T'hat, mit geschlossenen Augen können wir uns leicht diese oder jene Bewegung des Zuges vorstellen und ohne Schwierigkeit von der einen Vor- stellung zur anderen übergehen. Letzteres ist unmöglich, wenn der Zug eben anfängt sich zu bewegen oder seinen Lauf vor dem Anhalten verlangsammt; in diesem Falle ist die Beschleunigung nieht gleich Null und besitzt eine bestimmte Richtung (Mach, a. '8.. 0.8.23): DıE EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 131 entstehen muss, ganz ebenso, wie bei schneller Bewegung nach einer Seite und besonders bei der Rotation um die Axe bei gesunden Thieren. Eine ähnliche Disharmonie der Empfindungen muss bei unvollständigen, bilateralen Zerstörungen eines der Gleichgewichtsorgane (Durchschneidung des vorderen oder hinteren Paares der Canäle, Zerstörung der vorderen oder hinteren Wand des dritten Ventrikels u. s. w.) sich einstellen. Es ist daher natür- lich, dass sowohl die einseitige Zerstörung oder überhaupt die Functions- hemmung der Gleichgewichtsorgane, wie auch eine beiderseitige, jedoch be- schränkte Verletzung derselben nicht von dem Gefühl einer abnormen Körperlage, sondern von einer Bewegungsempfindung begleitet ist, mit anderen Worten, von einer Empfindung eines ununterbrochenen Wechsels der Körperlage. Hiergegen müssen wir in den Fällen von bilateralen und beträchtlichen Zerstörungen der Gleichgewichtsorgane einen mehr oder weniger vollen Verlust des Gefühls der Lage des Kopfes und des Körpers überhaupt voraussetzen. Also führt die ganze Analyse der Thatsachen uns zum Schluss, dass die sogen. peripheren, als Zuleitungsapparate des Kleinhirns erscheinenden Gleichgewichtsorgane, abgesehen von ihrer re- flectorischen Function, noch als Organe dienen, welche die Empfindungen der Körperlage wahrnehmen. Wir haben bisher nur deshalb nicht über die theoretischen, dem Gegenstand unserer Untersuchungen naheliegenden Ansichten Cyon’s ge- sprochen, weil wir es für geeigneter hielten, sie nach den angeführten Theorien zu erörtern. Der genannte Autor hat in seiner letzten Arbeit über die semieircu- lären Canäle! zuerst die Hypothese über die Beziehungen dieser Organe zur Bildung unserer Raumvorstellungen ziemlich ausführlich behandelt. Die Ergebnisse dieses Theiles seiner Arbeit hat er selbst folgendermaassen formulirt: „Die semieirculären Canäle sind periphere Organe des Raum- sinnes, d. h. die durch die Reizung der Nervenendigungen in den Am- pullen entstehenden Empfindungen dienen zur Bildung unserer Begriffe von drei Dimensionen des Raumes. Die Empfindungen eines jeden Canals entsprechen einer von diesen Dimensionen.“ „Vermittelst dieser Empfindungen entsteht in unserem Bewusstsein die Vorstellung eines idealen Raumes, in welchen sowohl alle uns von anderen Sinnesorganen zugestellten Empfindungen von der Lage der Gegenstände im Raume, wie auch die Em- pfindungen von der räumlichen Lage unseres eigenen Körpers verlegt werden.“ Die Thatsachen, auf welche sich dieser Erklärungs- ! Cyon, These pour le doctorat. Paris 1878. — Militär-med. Journal (russ.). 1879. 132 W. v. BECHTEREW: versuch der Bildung unserer Raumvorstellungen stützt, sind bei Weitem nicht zahlreich, und dabei besitzen die wesentlichsten derselben meiner Meinung nach nicht jene Bedeutung, welche ihnen der Autor selbst zu- schreibt. Die Hauptgründe, auf welche sich die Cyon’sche Hypothese stützt, sind von ihm selbst durch folgende Worte ausgedrückt worden: „Steht es einmal fest, dass einerseits unsere Vorstellungen vorzüglich von unbewussten Innervationsgefühlen oder von den Contractionsempfindungen der Augenmuskeln abhängen, andererseits, dass eine jede, sogar minimale Erregung der semicirculären Canäle Contraction und Innervation eben dieser Muskeln zur Folge hat, so ist es evident, dass die Nervencentren in welchen die sich in den semicirculären Ganälen verzweigen- den Nervenfasern endigen, in intimem Zusammenhang mit dem Öeulomotoriuscentrum stehen müssen, und dass also ihre Er- regung einen vorwaltenden Einfluss auf die. Bildung unserer Raumvorstellungen ausüben muss.“ | Obgleich Cyon selbst diese von ihm als eine einfache Wiedergabe der Thatsachen angesehene Behauptung für einwandsfrei hält, so kann einem aufmerksamen Leser doch nicht der Umstand entschlüpfen, dass der erste Theil dieser sich auf den Zusammenhang der centralen Endigungen der den semicirculären Canälen angehörenden Nervenfasern mit dem Oculo- motoriuscentrum beziehenden Behauptung keinem Zweifel unterliegt, was jedoch von dem zweiten Theil derselben Behauptung bei weitem nicht ge- sagt werden kann. In der That ist es schwer begreiflich, auf welche Weise aus dem Zusammenhang der Centren für die semicirculären Canäle mit den Nerven für die Augenbewegung ein Einfluss der Canäle auf die Bildung der Raumvorstellung gefolgert werden kann. Ob die Cyon’sche Ansicht wegen der geringen Beweiskraft seiner Argumente zu Gunsten derselben oder aus irgend welchen andern Gründen nicht allein eine geringe Verbreitung erfahren hat, sondern auch nur von wenigen Autoren, welche nach ihm über die semicirculären Canäle geschrieben hahen, erwähnt wird, mag dahingestellt bleiben. Thatsächlich bietet diese Hypothese schon an ihrer Grundlage eine schwache Seite, auf welche hier hingewiesen werden soll. ‚Indem die Hypothese von Cyon eine uns angeborene Organisation für die Entstehung der Raumidee zulässt, erklärt sie uns eigentlich gar nicht, auf welche Weise die semieireulären Canäle die Perception des Raumes und die Bildung der Raumvorstellung vermitteln. Wohl sagt Cyon an einer Stelle, dass die Empfindungen eines jeden Canals einer der drei Dimensionen des Raumes entsprechen; aber was das für Empfindungen ihrem Wesen nach sind, ' Cursiv des Originals. Die EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 133 und in welcher Hinsicht sie einer der drei Dimensionen des Raumes ent- sprechen — dafür finden wir keine klare Antwort. Andererseits finden wir bei Cyon den Hinweis, dass die semieircu- lären Canäle ein „specielles Organ der Raumempfindung“ darstellen. Nach seiner Auffassung verschwinden die Schwierigkeiten, auf welche die em- pirische und nativische Theorie über die Bildung unserer Raumvorstellungen stossen, ganz, „wenn man die Existenz eines Sinnesorganes, welches speciell dazu bestimmt ist Empfindungen zu liefern, welche direct zur Bildung des Raumbegriffes mit drei Dimen- sionen dienen, zulässt.“! Ein solches Organ sieht Cyon in dem System der semicirculären Canäle. Etwas weiter sagt der Autor: „wir können sehr gut begreifen, auf welche Weise eine Reihe von in der Richtung der drei Dimensionen gelegenen Fasern uns bei der Erregung eine Reihe von unbewussten Empfindungen über den Raum, welcher ähnliche Dimensionen hat, giebt.“ Schwerlich wird aber Jemand mit diesen Schlussfolgerungen des Autors sich für einverstanden erklären. Es ist leicht schwierige Probleme dadurch zu lösen, dass man sagt, dass wir ein „specielles Organ für Raumempfindung“ besitzen, Dank welchem „in unserem Bewusstsein die Vorstellung eines idealen Raumes erweckt wird“ in welchen wir alle unsere Empfindungen verlegen, doch lässt sich eine solche Auffassung sehr schwer mit uuseren allgemeinen Ansichten über die Funetionen des Nervensystems vereinigen; könnten wir uns z. B. noch vor- stellen, dass auch die übrigen Sinnesorgane schon von dem ersten Anfang an unserem Bewusstsein etwas Fertiges, „Ideales“ geben, mit welchem die übrigen Empfindungen nur zur vergleichen wären, so würde die angeführte Ansicht noch irgend welche Basis haben, da wir aber solche Organe nicht kennen, so widerspricht die Hypothese Cyons ihrem innersten Wesen nach unseren Grundanschauungen über die Verrichtungen des Nerven- systems überhaupt. Abgesehen hiervon können gegen die Cyon’sche Hypothese noch viele andere Einwände erhoben werden. Besässen wir wirklich in den semicir- culären Canälen ein Organ des Raumsinnes, durch welches in unserer Vor- stellung ein idealer Raum geschaffen wird, in welchen nur die durch unsere äusseren Sinnesorgane erhaltenen Empfindungen hinein zu verlegen sind, so fragt es sich, wie wir den Umstand uns erklären sollen, dass wir einige _ Empfindungen im äusseren Raum localisiren, andere aber nicht? Von rein physiologischer Seite endlich hält die Hypothese Cyon’s der Kritik schon deshalb nicht Stand, weil wir gegenwärtig auch noch andere Organe kennen, welche ihrer Function nach mit den semicirculären Canälen vollkommen ! Cursiv des Originals. 134 W. v. BECHTEREW: gleichwerthig sind. Indem wir diese Bemerkungen zu der Cyon’schen Hypothese machen, zweifeln wir jedoch keinen Augenblick daran, dass die Gleichgewichtsorgane thatsächlich eine gewisse Rolle in Bezug auf die Bildung unserer Raumvorstellung spielen; ihre Rolle in dieser Beziehung fassen wir aber ganz anders auf. Vor allem spielen die Gleichgewichts- organe eine zweifellose Rolle bei dem Processe, welchen wir als Projection unserer Empfindungen nach aussen bezeichnen können, und welcher die Basis jeder Raumperception bildet. Im letzteren müssen unserer Meinung nach zwei Processe unterschieden werden a) Projection der Empfindungen nach aussen und 5) Localisation derselben im äusseren Raum. Der erste Process ist der fundamentale, weil auf Grund desselben zuerst die Vor- stellungen vom „Ich“ als Subject und vom „Nicht-Ich“ als Objeet ge- schaffen werden, mit anderen Worten, die Vorstellungen von der Innen- und Aussenwelt. Ohne diese ursprüngliche Unterscheidung wäre auch die Localisation der Empfindungen im Raume undenkbar. Eine Erklärung des Gesetzes der Projection geben, hiesse die ursprüngliche Perception des Raumes erklären. Die Mehrzahl der Theorien der Localisation der Em- pfindungen im Raume setzt die Projection der Empfindungen als uns ge- geben voraus, während doch vor ihr eigentlich die Untersuchung ihren Anfang nehmen sollte. In der That, warum percipiren wir die Empfin- dungen in der Form von äusseren Formen, d.h. Formen, welche wir nach aussen, in die Aussenwelt versetzen und nicht als innere Zustände, wie z. B. Gefühle, wahrnehmen? Gelingt es uns diese Frage zu lösen, so hätten wir hiermit den ersten und wesentlichsten Schritt in der Erklärung der Localisation unserer Em- pfindungen gethan. Am einfachsten sind natürlich die Erscheinungen an der Projection der unserer Hand zugänglichen Gegenstände zu studiren. Stellen wir uns vor, dass wir einen gegebenen (egenstand belasten. Weshalb erscheint er uns von aussen uns berührend? Deshalb, weil wir die Lage der Hand verändernd, die Empfindung selbst verändern; wir ziehen die Hand zurück — sie verschwindet, wir nähern sie dem Gegenstand und die Empfindung tritt wieder auf. Es ist folglich klar, dass der Gegenstand der Empfindung ausserhalb uns liest. Folelich ziehen wir hier einen Schluss, dieser Schluss ist aber nur dank der Empfindung der Lage unserer Hand möglich. Eine | ähnliche Rolle müssen auch die Gleichgewichtsorgane spielen, welche uns die Empfindungen der Lage des Kopfes und des Körpers liefern. Offenbar müssen wir, bevor wir die Empfindung nach aussen versetzen, die Em- pfindungen der Lage unseres eigenen Körpers besitzen. Ohne solche Em- pfindungen ist es undenkbar die Empfindung nach aussen von uns zu verlegen. Die EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 135 In Folge der Empfindungen unserer Körperlage erhalten wir jedesmal bei einem Ortswechsel unseres Körpers und der zugleich in den äusseren Empfindungen (den Gesichts-, Gehör-, Tastempfindungen u. s. w.) statt- gefundenen Veränderung die Ueberzeugung, dass diese letztere vom Orts- wechsel unseres Körpers abhängt, folglich die Gegenstände der Empfindung sich ausser uns und nicht in uns befinden müssen. Hier machen wir also die gleiche Schlussfolgerung, wie beim Belasten der Gegenstände mit der Hand. Somit ist es offenbar, dass die Thätigkeit der Gleichgewichtsorgane, welche die Empfindungen der Körperlage pereipiren, auf’s Innigste mit dem Process verbunden ist, durch lan wir unsere Empfindungen nach aussen verlegen oder projiciren. Zu Gunsten einer solchen Rolle der Gleichgewichtsorgane spricht un- bedingt auch die Analyse der bei der Schwindelempfindung wahrgenommenen Erscheinungen, welche sowohl unter dem‘ Einfluss der Rotation des Körpers um die Axe, wie auch bei der Galvanisation in der Oceipitalgegend sich entwickeln. Wir haben bereits oben gesehen, dass die Erscheinungen der Schwindelempfindung in diesen Fällen von einer Funetionsstörung der Gleichgewichtsorgane abhängen. Wir haben ausserdem nachgewiesen, dass die Grundempfindung, welche sich unter dem Einflusse dieser Functions- störung der Gleichgewichtsorgane einstellt, nämlich die subjectiven Gefühle der Körperbewegung in bestimmter Richtung, von uns auf die Aussenwelt übertragen oder objeetivirt wird, wodurch eine Scheinbewegung in entgegen- gesetzter Richtung derjenigen umgebenden Gegenstände, welche wir sehen, betasten oder der Laute, welche wir hören, entsteht; hierbei wird die Per- ception der äusseren Eindrücke selbst (der Gesichts-, Tast- oder Gehörein- drücke) mit Ausnahme der Fälle, wo heftige Schwindelempfindung besteht, nicht besonders beeinträchtigt. Aber was wäre denn eigentlich die Schein- bewegung der Gegenstände der Aussenwelt, wenn sie nicht eine beständige Störung der Projicirung unserer speciellen Empfindungen ist? Bedeutet nicht diese Erscheinung, dass wir im Stande sind äussere Eindrücke wahr- zunehmen, welche die Gesichts-, Gehör- und Tastempfindung in uns er- regen, aber dass die Projection dieser Empfindungen gestört erscheint? Mit anderen Worten, anstatt bei der Schwindelempfindung unsere Gesichts- und Tastempfindungen oder Bilder in der Richtung zu localisiren, in welcher die von uns wahrgenommenen Objecte der Aussenwelt sich befinden, verlegen wir diese Empfindungen an andere Stellen des Raumes, wobei ihre Projection schon nicht stabil, sondern gleichsam beständig in gewisser Richtung gelöst erscheint. Da "alle Gleichgewichtsorgane überhaupt gleichzeitig funetioniren, wobei unsere Empfindungen der Lage des Körpers als Resultat ihrer gleichzeitigen Thätigkeit erscheinen, so ist es natürlich, dass sogar in 136 W. v. BECHTEREW: dem Falle, wo wir mit der Affeetion nur eines Gleichgewichts (z. B. die semieirculären Canäle allen) zu thun haben, die Schwindel- empfindung stets in der Form von Projectionsstörung aller über- haupt räumlichen Empfindungen (der Gesichts-, Gehör- und Tastempfin- dungen) auftritt. Mit der Zerstörung oder Affection eines dieser Organe, wie es nachgewiesen worden ist, wird die Harmonie in den zum Bewusst- sein gelangenden Impulsen aus den Gleichgewichtsorganen gestört, woraus sich einerseits reflectorische Erscheinungen, andererseits in unserem Be- wusstsein eine beständige Störung des Gefühls von der Körperlage und der Projection unserer Empfindungen im Raume resultirt. Die Störungen können sich jedoch mit der Zeit ausgleichen, weil die unversehrten Gleich- gewichtsorgane die Function des verlorenen oder verletzten Organs auf sich nehmen. Im solchen Falle verschwinden allmählich sowohl die Be- wegungsstörungen wie auch die subjectiven Erscheinungen der Schwindel- empfindung. Das eben erklärt uns, warum in den Fällen älterer Laesionen des Kleinhirns und der semicirculären Canäle die Schwindelempfindung zuweilen ganz fehlt. Somit stossen wir bei der von der Functionsstörung der Gleich- gewichtsorgane abhängenden Schwindelempfindung auf das zutreffendste Beispiel der Perception unserer, durch Vermittelung unserer äuseren speciellen Sinnesorgane (des Gesichts-, Gehörs- und Tastgefühls) erhaltenen Empfindungen, mit einer Störung desjenigen Processes nämlich, welcher unter der Bezeichnung der Projection der Empfindungen verstanden wird, und welcher allen unseren Raumvorstellungen zu Grunde liegt. Ist einmal jedoch die Möglichkeit einer isolirten Störung der Projection unserer Empfindungen bei der Functionsstörung der Gleichgewichtsorgane gegeben, so ist es klar, dass der Process der Projicirung der Empfindungen auf eine Weise in ausschliessliche Abhängigkeit von der Function der speciellen Organe, welche zur Perception der äusseren Eindrücke dienen, gestellt werden kann. Die Projection der Empfindungen nach aussen, muss unserer Meinung nach hauptsächlich von der Funetion besonderer Organe des Nervensystems, welche von uns Gleichgewichsorgane genannt werden, abhängen. Für sich stellt diese Schlussfolgerung nur ein unumgängliches Ergeb- niss aus den beobachteten Thatsachen dar. Ebenso wie wir auf Grund der motorischen oder sensiblen Lähmungen, die das Resultat der Verletzung bestimmter Gehirntheile bilden, auf die Beziehung dieser Theile zur Function der Bewegung oder der Empfindlichkeit schliessen, thun wir das auf Grund der Störung in der Projection der Empfindungen bei der Schwindelempfindung, welche die Folge der Funectionsstörung der Gleich- gewichtsorgane bildet, indem wir schliessen, dass diese letzteren Organe Dıe EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 137 eine hervorragende Rolle bei dem Process der Projection unserer speciellen Empfindungen nach aussen spielen. Die Bedeutung der Gleichgewichtsorgane in Bezug auf die Projieirung der Gesichtsempfindungen tritt unter anderen an Blindgeborenen und später Öperirten schön zu Tage. Bekanntlich versetzen solche Personen schon von den ersten Momenten nach der Operation ihre Gesichtsbilder nach aussen oder objectiviren sie obgleich sie sehr unvollkommen die Form, die Dimensionen und die Entfernung der von ihnen gesehenen Gegenstände bestimmen. Da in diesem Falle der Perception der Sehobjecte gar keine Versuche seitens des’ Sehorgans vorausgegangen sind, so spricht dieser Um- stand offenbar zu Gunsten dessen, dass in unserem Organismus besondere Bedingungen vorhanden sein müssen, dank welchen das Bewusstsein sich sogleich überzeugt, dass es sich um eine Perception handelt, deren Quelle ausserhalb uns liest. Diese besonderen Bedingungen eben. sind uns in den Empfindungen der Lage unseres Körpers gegeben, welche wir durch die Gleichgewichtsorgane wahrnehmen. ’ Da die Gleichgewichtsorgane uns von der Natur gegeben worden sind, so ist es hieraus klar, dass das Gesetz der Projection der Empfindungen für sich eine fertige organische Basis in uns vorfindet. Andererseits erscheint es mehr als evident, dass wenn wir specielle Organe haben, deren Function so innig mit der Projection der Empfindungen nach aussen ver- bunden ist, diese Organe eine ansehnliche Rolle auch bei der Bildung unserer Vorstellungen über den umgehenden Raum spielen müssen. Beständig unter allen gewöhnlichen Bedingungen erregt und in all- gemeiner Harmonie mit einander functionirend, bringen die Gleichgewichts- organe, wie wir gesehen haben, in jedem gegebenen Moment die Empfin- dungen der Lage des Kopfes und des Körpers zum Bewusstsein. Diese Empfindungen wechseln mit jedem ÖOrtswechsel unseres Körpers, in Folge wovon dieser ÖOrtswechsel von uns als solcher percipirt wird. Folglich, dank unseren Gleichgewichtsorganen, fühlen wir unmittelbar, dass wir irgend wo uns bewegen und das eben dient uns als erster Schritt zur Bildung der Vorstellungen über den uns umgebenden Raum. Somit schaffen wir durch unmittelbar von uns percipirte Empfin- dungen der Lage des Kopfes und des Körpers den Begriff über den uns umgebenden Raum mit drei Dimensionen, welcher nach der Meinung Kant’s als „nothwendige Voraussetzung“, von welcher unser Bewusstsein sich sogar keinen Augenblick befreien kann, erscheint. In dieser Beziehung theilen die cerebralen Gleichgewichtsorgane (die semicirculären Canäle und das Gebiet des 3. Ventrikels) ihre Rolle mit dem complieirten Gefühl, das uns ermöglicht :die Lage unserer Glieder zu be- 138 W. v. BECHTEREW: stimmen und das, wie wir gesehen haben, aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls auf die Function besonderer Nervenapparate, welche wir als Haut- Muskelorgane des Gleichgewichts bezeichnen, zurückzuführen ist. In- der That, indem wir mit unseren Gliedern uns nach rechts und nach links, nach oben und nach unten, rück- und vorwärtsbewegen, und jedes Mal Empfin- dungen über die Lage unserer Glieder erhalten, überzeugen wir uns auf gleiche Weise, dass ausserhalb uns ein Raum existirt, in welchem unsere Glieder sich bewegen. Es ist schwer zu entscheiden, ob die Empfindungen der Lage des Kopfes und des Körpers, welche wir hauptsächlich durch Vermittelung der cerebralen Gleichgewichtsorgane wahrnehmen, oder ob das Gefühl der Lage der Glieder eine wichtigere Rolle in Bezug auf die Bildung unserer Raumvorstellung spielen. Man kann nur sagen, dass wir von den zrsteren Organen, in dem Falle, wenn unser Körper in Massen- bewegung geräth, z. B. beim Gehen, intensivere Empfindungen erhalten, während das Gefühl der Lage der Glieder uns besonders starre Empfin- dungen bei.der Lageveränderung der letzteren (z. B. bei den Bewegungen der Hände und Füsse) giebt. In bestimmten Fällen, wie z. B. bei passiven Massendislocationen des Körpers erhalten wir die Empfindungen des Fort- rückens des Körpers nur von den cerebralen Gleichgewichtsorganen, aber andererseits sind auch Fälle vorhanden, wo wir die Empfindungen der Lageveränderungen der Theile unseres Körpers ausschliesslich mit Hilfe des Gefühls der Lage der Glieder erhalten, wie z. B. bei der einfachen Dislocation der Augenaxen oder bei der Lageveränderung der Handwurzel oder der Finger. Es ist somit evident, dass die cerebralen Gleichgewichts- organe und die Haut-Muskelorgane in Bezug auf die Perception ‘der Empfindungen der Lage des Körpers und seiner Glieder sich gegenseitig ergänzen und im gleichen Maasse zur Bildung unserer Raumvorstellungen dienen. In diesem Raume eben, d.h. in dem Raume, welcher durch die Em- pfindungen der Lage des Körpers und seiner Glieder geschaften ist, locali- siren wir unsere speciellen Empfindungen, wobei eine genaue Placirung derselben im Raume hauptsächlich von den entsprechenden Anpassungen in den Sinnesorganen und von der Erziehung der letzteren nach der Lehre der empiristischen Theorie abhängt. Was möge aber der Grund davon sein, dass wir unsere Empfindungen unvermeidlich im BRaume mit drei Dimensionen placiren? Wenn die allgemeine Vorstellung vom Raume schon auf Grund der von uns erhaltenen Empfindungen der Lage des Körpers und seiner Glieder geschaffen ist, so wird die Nothwendigkeit der Placirung unserer speciellen von unseren Sinnesorganen erhaltenen Empfindungen in den drei Dimensionen des Die EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 139 Raumes schon dadurch bedingt, dass zugleich mit der Dislocation unseres Körpers oder seiner Organe, also zugleich mit der Veränderung der Em- pfindungen unserer Lage jedes Mal auch die Lage des percipirten Eindruckes in Bezug auf das entsprechende Organ verändert wird und dieselbe zu- gleich damit also von anderen localen Zeichen begleitet sein muss. Hieraus kommt unvermeidlich eine gewisse Correlation zwischen der Empfindung der Lage unseres Körpers und seiner Glieder und der be- stimmten Veränderung der localen Zeichen in den von den äusseren Sinnesorganen percipirten Empfindungen zu Stande, was seinerseits dem Bewusstsein einen deutlichen Hinweis über die Richtung der Quelle der äusseren Reizung in Bezug auf uns selbst giebt. Folglich in der Wechsel- beziehung zwischen den Empfindungen der Lage des eigenen Körpers und seiner Glieder und den localen Zeichen der Empfindungen ist der Grund dafür enthalten, weshalb wir unsere Empfindungen in den drei Dimensionen des Raumes placiren. Wir wissen jedoch, dass unsere Empfindungen nicht allein von uns im umgebenden Raume in dem drei Dimensionen placirt werden, d. h. in die Aussenwelt in dieser oder jener Richtung verlegt werden, sondern dass einige von den Empfindungen, wie z. B. die Gesichts- und Tastempfindung, wie auch in gewissen Punkten des uns umgebenden Raumes localisiren und zu gleicher Zeit mit gewisser Genauigkeit sowohl die Entfernung der äusseren Gegenstände von uns selbst, wie auch die Dimensionen dieser Gegenstände bestimmen können. Bei diesem Theil der räumlichen Per- ception spielen ausser den Localzeichen vor Allem das Gefühl der Lage der Glieder eine am meisten active Rolle und offenbar nehmen hier die cerebralen Gleichgewichtsorgane ebenfalls einigen Antheil. - Indem wir uns im Raume fortbewegen und die Hand zu den um- gebenden Gegenständen ausstrecken, erhalten wir die Möglichkeit auf Grund der von uns pereipirten Empfindungen die Entfernung dieses oder jenes der Gegenstände von uns zu bestimmen, können also denselben in einem gewissen Theil des umgebenden Raumes localisiren. Andererseits können wie auf Grund der Empfindungen über die Lage der Bulbi in Orbiten, welche uns einen Begriff von dem Grade der Convergenz der Augenaxe geben, und auf Grund der Accommodationsspannung die Gegen- stände in gewisser Entfernung von uns selbst localisiren ohne sich ihnen zu nähern. Aber bekanntlich schätzen wir auch bei unbewegter Lage unseres Körpers und unserer Augenaxen bis zu einem gewissen Grade die relä- tive Lage der uns berührenden oder von uns gesehenen Gegenstände nach jenen Localzeichen in den entsprechenden Empfindungen, deren Bedeutung Helmholtz so voll gewürdigt hat. Die-Localzeichen spielen offenbar auch 140 W. v. BECHTEREW: eine gewisse Rolle bei der Bestimmung der Dimensionen der umgebenden Gegenstände, wobei übrigens auch dem Gefühl der Lage der Glieder (Um- fassen der Gegenstände, die Dislocation der Augenaxen auf verschiedene Theile des Gegenstandes u. s. w.), und ebenfalls den Empfindungen der Lage des Kopfes und Körpers, welche vermittelst der cerebralen Gleich- gewichtsorgane pereipirt werden (Dislocation des Kopfes und des Rumpfes bei der Besichtigung und der Berührung der verschiedenen Theile der Gegenstände), keine geringe Bedeutung zukommen muss. Der Verlust des Gefühls der Lage der Glieder im Raume raubt uns nicht allein die Mög- lichkeit die Dimensionen der von uns ergriffenen Gegenstände, sondern auch die Entfernung und die relative Lage der von uns berührten Gegen- stände zu schätzen. Ganz ebenso raubt uns der Verlust dieses oder jenes der cerebralen Gleichgewichtsorgane nicht allein die Empfindung der Festig- keit unserer Lage, sondern ist, wie wir gesehen, auch von einer Störung der Projection unserer Empfindungen im Raume, welche sich durch heftige Schwindelempfindung äussert, begleitet. Wenn letztere den höchsten Grad ihrer Entwickelung erreicht, so verlieren wir zeitweilig sogar die Fähigkeit unsere Empfindungen zu objectiviren, es wird uns dunkel vor den Augen und es kann zum Bewusstseinsverlust kommen. Somit sind die hauptsächlichsten Urheber unserer räum- lichen Perception die von uns von den cerebralen Gleich- gewichtsorganen erhaltenen Empfindungen, die Haut-Muskel- empfindungen, welche den Gefühlen der Lage der Glieder zu Grunde liegen, und die localen Unterschiede in den Empfin- dungen, welche bei der Reizung der verschiedenen Theile dieses oder jenes von den Sinnesorganen erhalten werden, oder die sogenannten localen Zeichen. Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung geht unter anderen auch daraus hervor, dass alle jene Empfindungen, wie z. B. die centralen Gefühle, welche ihreın eigentlichen Charakter nach in keine beständige Wechsel- beziehung mit den Empfindungen der Lage des Körpers und seiner Glieder treten, denen auch die localen Zeichen abgehen, nicht in den äusseren Raum verlegt werden können. Sie sind vollkommen subjective Empfindungen, denen jede Localisation sogar in uns selber abgeht, wenn man hierfür nicht die Verlegung ihrer peripheren Mitempfindungen (das Gefühl des Pressens und Drückens in der Herzgegend bei der Beklemmung u.s. w.) in bestimmte Körpertheile hält. Schon zu Anfang der Arbeit haben wir die Aufmerksamkeit unter anderem auf die nahe Beziehung der peripheren Gleichgewichtsorgane zu den höheren Sinnesorganen (der semicirculären Canäle zu dem Gehörorgan, des Gebietes vom 3. Ventrikel zum Sehorgan, der Haut-Muskelorgane zu dem Berührungs- DIiE EMPFINDUNGEN DER GLEICHGEWICHTSORGANE. 141 und Druckgefühl) gelenkt, was wahrscheinlich zu Gunsten eines functionellen Zusammenhanges zwischen diesen und jenen spricht. Die Existenz einer solchen Verbindung geht besonders aus dem Umstande hervor, dass die durch die drei höheren äusseren Sinnesorgane percipirten Eindrücke, bezw. die Ge- sichts-, Gehör- und Tastimpulse, nicht selten einen direeten Einfluss auf die Gleichgewichtsfunction ausüben. Letztere Thatsache kann ihrerseits durch die unmittelbare Uebermittelung der erwähnten Impulse zu den entsprechenden Gleichgewichtsorganen oder durch die gleichzeitige Reizung dieser Organe erklärt werden. In beiden Fällen müssen unsere Eindrücke, indem sie so zu sagen als äussere Reize der Gleichgewichtsorgane dienen, ihrerseits in den letzteren entsprechende Empfindungen erregen. Möglich und sogar wahrscheinlich ist, dass diese vermittelst der äusseren Reizungen der Gleichgewichtsorgane erregten Empfindungen nicht ohne Bedeutung in Bezug auf die Localisation der ihnen entsprechenden speciellen Empfindungen bleiben, jedenfalls aber fordert diese Frage vor- läufig noch die specielle Untersuchung. Einige Bemerkungen über die Herstellung eines künstlichen Futters. Von Dr. Winf. S. Hall, Northwestern Univ. Chicago. (Aus dem physiologischen Institut zu Zürich.) Im Verlauf der Untersuchung über das Verhalten des Eisens im thierischen Organismus, über welche ich in diesem Archiv (1) berichtete, war ich in der Lage, ein Futter herzustellen, welches kein Eisen enthielt. Ein solches Futter lässt sich nur künstlich bereiten, da Eisen in fast allen pflanzlichen oder thierischen Nahrungsmitteln vorkommt. Man ist also in der Lage, zunächst eisenfreie Substanzen herzustellen und dann diese wieder in einem bestimmten Verhältniss zusammenmischen zu müssen. Dabei kommt man in die Lage, neben dem Eisen auch den grössten Theil der anderen anorganischen Bestandtheile abzuspalten und muss diese nach einer bestimmten Formel dem Futter wieder zusetzen. Ich bin hierbei in dem gleichen Falle gewesen, wie andere Untersucher, z. B. Lunin (2) und Socin (3), die entweder zu gleichem Zweck der Ausschaltung des Eisens oder aus anderen Gründen sich mit der Darstellung eines künst- lichen Futters befassten. Wie diese Forscher, habe ich dabei die Er- fahrung gemacht, dass mit einem solchen künstlichen Futter, die Thiere nicht auf unbegrenzte Zeit in vollkommenem Wohlsein erhalten werden können. Das sollte ein künstliches Futter indessen leisten, wenn man es zur Basis der Ernährung bei Versuchen, wie die meinigen z. B. es waren, machen will. Irgend welche Schlussfolgerungen über die Bedeu- tung eines dem Futter zugesetzten Stoffes, wie z. B. des Eisens, werden natürlich beeinträchtigt, wenn der Organismus unter dem Einfluss des Futters allein Veränderungen erleidet, und wenn derartige Versuche da- durch auch nicht unmöglich gemacht werden, so werden sie doch in ihrer W.S. HALL: ÜBER DIE HERSTELLUNG EINES KÜNSTLICHEN FUTTERS. 143 Ausdehnung wesentlich beschränkt. Andererseits schwebt uns doch wohl als ein jedenfalls zu lösendes Problem die Ernährung mit chemisch reinen Substanzen vor und man muss sich vergewissern, welche Schwierigkeiten dem entgegenstehen. Unter diesen Umständen wurde mir von Prof. Gaule gerathen, die Erfahrungen, welche ich bei der Bereitung und Verfütterung einer solchen künstlich bereiteten Nahrung gemacht habe, zu veröffentlichen, wenn dieselben auch nur nebenbei bei meiner Untersuchung über das Verhalten des Eisens gewonnen sind und keineswegs beanspruchen können, eine vollständige Bearbeitung dieser Frage zu sein. Bereitung des künstlichen Futters. Da wir als bereits festgestellt ansehen dürfen, dass jede Nahrung, welche den Organismus auf längere Zeit erhalten soll, Eiweisskörper, Fette, Kohlehydrate und gewisse Salze enthalten muss, so war für mich die Aufgabe gegeben, Repraesentanten dieser vier Gruppen in eisenfreiem Zu- stand darzustellen. Socin (3) benützte zur Darstellung des Eiweiss das Blutserum des Pferdes. Die Kosten der Bereitung genügender Mengen von Eiweisskörpern auf diesem Wege sind aber zu gross und verboten mir, den- selben einzuschlagen. Dasselbe Hinderniss stand im Wege, die nach Hof- meister krystallisirten Eiweisskörper oder das nach Harnack (11) bereitete aschenfreie Albumin zu verwenden, obgleich diese Substanzen gewiss einmal bei der Bereitung einer idealen chemisch reinen Nahrung geprüft werden sollten. Ich wandte mich an das Casein der Milch, welches ich im Wesentlichen nach der von Hammarsteen (6) angegebenen Methode! aus der Milch darstellte. Da es für mich zunächst darauf ankam, das Casein absolut eisenfrei zu bekommen, so hatte ich alle meine Reagentien zuvörderst auf ihre. Risenfreiheit zu prüfen und fand es ausserdem nothwendig, um die Verunreinigung der Milch mit eisenhaltigem Staub oder durch rostige Ge- fässe und dergl. zu verhüten, dieselbe selbst und zwar auf folgende Weise zu sammeln. Ein 1 Liter haltender Erlenmeyer’scher Kolben wird chemisch rein gemacht und mit einem gut passenden Kautschukpfropfen versehen. Ein grosser gereinigter Trichter wird mit aseptischer chirurgischer Watte fast gefüllt und in ein mit Paraffin durchtränktes Papier eingeschlagen. Beides wird dann in einen benachbarten Kuhstall gebracht und die Milch direct aus dem Euter auf die Watte im Trichter gemolken, so dass sie unmittel- bar in den Kolben filtrirte. Nachdem derselbe mit dem Stopfen wieder ‘ Vergl. über die Methode und den Aschengehalt des nach ihr erhaltenen Caseins auch W. v. Moraczewski (7)... 144 Wiınr. S. Haut: verschlossen war, stand die Milch in demselben 24 Stunden, worauf sie mit einem Heber abgesogen wurde. Aller Rahm und etwas Milch blieben dabei im Kolben zurück. Ein Liter Milch wurde mit destillirtem Wasser zu 4 Litern verdünnt und eine lproc. Essigsäure bis zur Ausfällung des Caseins zugesetzt. Sobald sich das Letztere am Boden des Cylinders abgesetzt hatte, wurde die überstehende Flüssigkeit abgehebert und das Casein zwei- oder dreimal mit zwei Litern destillirten Wassers gewaschen. Wenn das Wasser zum dritten Mal darüber gegossen wird, verräth das Casein seine beginnende Lösung durch das Milchigwerden des Wassers. Nun werden wenige Tropfen einer 1 proc. Natronlauge zugesetzt, welche eine rasche Lösung des Caseins bewirken. (Es mag hier daran erinnert werden, dass auch die sogen. chemisch reine Natronlauge häufig Eisen enthielt und dass man auch dieses Reagens vorher prüfen und eventuell reinigen muss.) Die nunmehr leicht alkalische Caseinlösung wird filtrirtt und das Casein wieder ausgefällt mit Essigsäure. Jede Wiederholung dieser Manipulation vermindert den Gehalt an Aschenbestandtheilen und nach drei- oder vier- maliger Wiederausfällung können nur noch unwägbare Spuren von Asche in demselben gefunden werden, während das Eisen (vorausgesetzt dass man mit absolut eisenfreien Reagentien gearbeitet und das Hineinfallen von Staub während der Manipulationen verhütet hat) vollständig verschwunden ist. Durch noch öfteres Auflösen und Wiederausfällen kann man auch die letzten Aschenreste zum Verschwinden bringen, indessen wurde bei dem zu meinen Fütterungsversuchen bestimmten Casein das Verfahren bloss bis zur Befreiung von Eisen fortgesetzt, da die Fütterung mit einem absolut aschenfreien Casein nicht im Plan der Untersuchung lag. Das dritte oder vierte Praecipitat wurde mit absolutem Alkohol ge- waschen, getrocknet und gepulvert. Dasselbe enthält noch eine kleine (Quantität Butterfett, welche bestimmt wird, aber nicht entfernt zu werden braucht, da der Nahrung ja ohnehin Fett zugesetzt wird. Auf einem anderen Wege wurde ein Casein aus der Milch dargestellt, welches gleichfalls fast eisenfrei war, aber noch grössere Aschenmengen enthielt. Die verdünnte abgerahmte Milch wurde bei 90° C mit einer 5/, HCI unter raschem Umrühren bis zur Ausfällung des Caseins versetzt. Die gelbliche Molke enthielt alles Eisen und so ziemlich die Salze. Das Caseingerinsel karn, fein vertheilt, mit destillirtem Wasser und absolutem Alkohol gewaschen und das Fett mit Aether extrahirt werden. Das auf diese Weise bereitete Casein gab manchmal bei der Analyse noch Spuren von Eisen und konnte dann für die Eisenversuche nicht gebraucht werden. Ich unterscheide die auf diese verschiedene Weise dargestellten Caseine als I und II, die Analyse liess ihre Differenz dahin präeeisiren, dass I ganz ÜBER DIE HERSTELLUNG EINER KÜNSTLICHEN FÜTTERUNG. 145 eisen- und fast ganz aschenfrei war, II aber noch Asche und gelegentlich noch Spuren von Eisen enthielt. Was die der Fütterung zuzusetzenden Kohlehydrate betrifft, so wählte ich Stärke und bereitete dieselbe nach Socin’s.(3) Vorschrift. Ich benützte Reisstärke (von der Qualität mit dem Elephant als Handelszeichen) als Aus- sangspunkt. Vier oder fünf Packete von je 50 8"" wurden in einem grossen Mörser gepulvert und das Pulver, in einen zwei Liter haltenden Glascylinder ge- füllt, mit !/, proc. HC] begossen. Die Mischung wurde während des Tages öfters heftig geschüttelt, über Nacht zum Absetzen stehen gelassen, dekantirt am nächsten Morgen und auf’s Neue mit !/, proec. HCl übergossen. Das Waschen mit verdünnter Säure wurde auf diese Weise solange fortgesetzt bis die Stärke keine Asche mehr enthielt, was ein 4 bis 5maliges Erneuern der Säure erforderte. So behandelte Stärke ist absolut eisenfrei. Fett wurde gleichfalls nach der einfachen Methode Socin’s bereitet. Klares ungeräuchertes Schweinefett wurde in kleine Würfel geschnitten und ausgelassen. Das durchgesiebte Fett, abgekühlt auf 100°0. wurde in eine grosse Flasche gegossen, die es bis zu !/, füllte, das gleiche Volum 1 proc. HCl hinzugefügt, die Flasche fest verstopft und solange kräftig geschüttelt, bis das Fett zu fest wurde, um sich beim Schütteln in feine Kügelchen zu vertheilen. Die Flasche wurde nun an einen kühlen Platz gestellt, bis das Fett fest wurde, worauf man es mit einem Glasstab durchstiess und die nunmehr milchig gewordene Säure ausgoss. Darauf wurde das Fett abermals geschmolzen und zum zweiten Mal mit neuer HCl behandelt und so fort, bis die Säure vollkommen klar blieb und das Fett bei der Verbrennung keine Spur von Asche zurückliess. Es ist oft nothwendig, die Behandlung 7 bis Smal zu wiederholen. Zum Schluss wird die Säure mit destillirtem Wasser ausgewaschen. Zu den auf diese Weise hergestellten, ganz oder fast aschenfreien orga- nischen Futterbestandtheilen waren nun die anorganischen hinzuzufügen. Welche davon als für die Ernährung nothwendig zu betrachten sind und in welchen Verhältnissen der Organismus sie braucht, ist freilich noch keineswegs sichergestellt, und man kann sich bei der Auswahl der Aschen- bestandtheile, welche man zuzusetzen hat, auf keine eigentlich autoritativen Angaben stützen. Indessen werden ja im Allgemeinen die Salze der Milch (abgesehen von dem Eisen, das bei meinen Versuchen ja in anderer Be- ziehung in Frage kam) als genügend betrachtet für den Aufbau des Organismus und ich beschloss daher, so genau wie möglich der Bunge’schen Analyse der Milchasche (5) zu folgen. Dieselbe enthält hiernach Na,O 13-9 Proc., K,0 22.1 Proc., Ca0 20-05 Proc., MgO 2-63 Proc., P,O, 24.75 Proc., C1 21-27 Proc. (Fa,O, 0-04). Man weiss weiter, dass NaundK in der Milch theilweise als Chloride und theilweise als Carbonate, Ca grössten- Archiv f. A, u. D’h, 1896. Physiol. Abthl:r., 10 146 Wine. S. Hau: theils als Phosphat, jedoch auch als Carbonat, Mg wahrscheinlich theilweise als Chlorid und theilweise als Phosphat existiren. Ich wählte nun die Verbindungen K,CO,, NaCl, CaHPO, und MgCl,, indem ich annahm, dass dieselben dem physiologischen Bedürfniss Rechnung tragen würden, wenn man sie in der Menge dem Futter zusetzte, dass die Asche desselben die gleiche Zusammensetzung hatte, wie die der Milch. Hätte ich die Versuche noch einmal zu machen, so würde ich mich weniger ängstlich an die durch die Analyse gegebenen quantitativen Verhältnisse halten und dafür alle die möglichen Combinationen zwischen den Säuren und Basen repraesentiren. Indessen ist es fraglich, ob hierdurch ein wesentlicher Unterschied erzielt werden würde, insofern sich ja solche wechselnde Combinationen, sobald die Salze gelöst werden, in der Lösung von selbst bilden können, sofern das relative Verhältniss von Säuren und Basen nur dasselbe ist wie in der Milch. Viel wichtiger erschien ein anderes Verhältniss, ich hatte für meine Futtermischung neben dem aschenfreien Fett und der aschenfreien Stärke zwei Caseine bereitet, von denen das eine nahezu ganz aschenfrei, das andere aber noch aschenhaltig war. In dem mit dem letzteren be- reiteten Futter, müssten also die Aschenbestandtheile des Caseins zu den zugesetzten Salzen sich gesellen. Die Futtermischungen wurden nach zwei verschiedenen Formeln be- reitet und. jede mit und ohne Eisen verfüttert. Es entstanden also vier verschiedene Arten von künstlicher Nahrung. Die erste Formel basirte auf Bunge’s Milchanalyse, indem deren Zahlen auf Trockensubstanz um- gerechnet und anstatt Milchzucker Stärke gesetzt wurde, und enthielt demnach: Casein-ll "re arensh Starke. 0 ee Hetb n.cre e e N ee SE=LO) K00, nes Na0la RATE Ste) CaHBo, = 0200 Se 800 IMERUlE 2 20 5. 0 20 ae ne OEL ee este: Stollen. "10200 Re rn. sun. 100. — bezeichnet als (e). Würde dasselbe mit Eisen verfüttert, so würde 0.1 gm Carneferrin zugesetzt. Meine zweite Formel ging aus von den Pettenkofer-Voit’schen (8) Erfahrungen, dass 137 srm Eiweiss, 72 gm Fett, 352 sm Kohlehydrate den erwachsenen Organismus erhalten. In Procenten ausgedrückt, ergiebt dies, vorausgesetzt, dass man 3-75 Proc. Aschenbestandtheile wie im vorigen Fall der Formel einfügt, Eiweisskörper 23-48, Fett 12-37, Kohlehydrate ÜBER DIE HERSTELLUNG EINES KÜNSTLICHEN FUTTERS. 147 60-4 Procent. Die Nachprüfung der Pettenkofer-Voit’schen Zahlen hat andere Autoren zur Aufstellung eines etwas geringeren Eiweissbedarfs geführt. Ich adoptirte eine Formel, welche eher einem Durchschnitt ver- schiedener Angaben, als einer besonderen entspricht und welche lautet: WASCH EI BE RNIT RI NEN 20500 INetb e N BaBer I 749500 Starke RN ee Er Fe 2926050 Belluloser a ne a 20T Aschenbestandtheile .... =. ze, 25 3.75 wie oben 100.00 Futter nach dieser Formel wurde bezeichnet als (Of), wenn eisenfrei, _ und wenn mit Eisen (das heisst mit 0-1 2” Carneferrin) gegeben als (Feß). Bereitet wurde die Mischung, indem die Stärke zu einen dicken Kleister gekocht wurde, zu welchem die übrigen Bestandtheile hinzugefügt wurden. Das Ganze wurde in einem Mörser zu einer homogenen Masse zerrieben und auf dem Wasserbade drei Stunden gekocht. Das käseähnlich aussehende Product wurde von den Thieren gern gefressen während der ersten zwei oder drei Wochen, und erst in der vierten Woche schienen sie eine gewisse Abneigung gegen dasselbe zu zeigen. Die Thiere schienen mit dem Futter sehr gut zu gedeihen und sie behielten ihr wohlgenährtes Aussehen mit dem Futter (&) bis nach der dritten Woche, während mit dem Futter (/) eine gewisse Struppigkeit sich schon gleich in der dritten Woche geltend zu machen begann. Ich erinnere nun daran, dass vier Arten künstlichen Futters vorhanden waren, Formel (&) und (%) je mit und ohne Eisen, und dass dement- sprechend vier Gruppen von Versuchen entstanden. In jeder Gruppe wurden möglichst junge, erwachsene und alte Mäuse untersucht, um eine Ver- schiedenheit an dem Verhalten der Altersklassen zu entdecken, und auch, um aus allen drei gemischte Mittelzahlen zu bekommen. Die Unter- suchungen wurden im Allgemeinen durch 21 Tage hindurch geführt, nur in den Versuchen # und Z wurden sie vorher unterbrochen, um die Thiere chemisch und mikroskopisch zu untersuchen. Die eingeklammerten Zahlen in den letzten Perioden in diesen Versuchen haben keine andere Bedeu- tung als die Bildung der Mittelwerthe für die ganze Versuchsdauer durch- führen zu können. Die Constatirung des Körpergewichtes erfolgte alle drei Tage, so dass die ganze Versuchsdauer in sieben Perioden von je drei Tagen zerfiel. Während der ganzen Zeit hatten die Thiere so viel Futter als sie nur fressen wollten, und es wurde keine Mühe gespart, um sie in Bezug auf Temperatur, Licht, Luft und Reinlichkeit unter die günstigsten Be- dingungen zu setzen. Die Gleichmässigkeit der Behandlung für alle wurde mit peinlicher Genauigkeit durchgeführt. 10* 148 Wir. S. Haut: Die Resultate. Ich habe zur Veranschaulichung der Resultate eine Tabelle und eine graphische Darstellung angefertigt. Die Tabelle 1 enthält alle Original- zahlen, sowie die aus denselben ausgerechneten Mittelwerthe (in fettem Drucke) für jede Gruppe. Die letzteren bilden die Grundlage der graphi- schen Darstellung, weche die Zeit als Abseisse, die Schwankungen des Körper- gewichts in Procenten des Anfangsgewichts ausgedrückt als Ordinaten ent- hält. Dieselbe ermöglicht mit einem Blicke, den ganzen Verlauf der Ver- suche in den vier Gruppen zu umfassen, und da ergiebt sich Folgendes: 1. Eine bleibende Zunahme des Körpergewichts bewirkt nur Eisen- futter (e). 2. Alle Gruppen, also auch die eben genannte, zeigen nach der dritten Periode, also dem neunten Tage, einen Abfall von der erreiehten Höhe. Daraus wird man zunächst schliessen müssen, dass keine der künst- lichen Futtermischungen einen vollkommenen Ersatz des natürlichen Futters bildet, denn sonst hätte die Zunahme eine stetige sein müssen. 3. Futter (&) mit Eisen hat eine erheblich bessere Wirkung als Futter («) ohne Eisen. Bei Futter (#) ist der Einfluss nicht so ausge- sprochen, doch ist das Gewicht nach 21 Tagen nur auf 78 Procent des Anfangsgewichtes im ersten, auf 63 Procent im letzeren Fall gesunken. Die Zugabe des Eisens übt also einen entschieden günstigen Einfluss auf die allgemeine Ernährung aus. 4. Ein auffallender Unterschied besteht zwischen dem Erfolg der Fütterung (&) und (%). Die erstere ist entschieden günstiger für die Er- nährung als die letztere. In diesem Unterschied schien nun das Hauptinteresse der Fütterungsversuche zu liegen, und ich wurde darauf geführt, darüber . nachzudenken, worauf dieser Unterschied beruhen könne. Wodurch unter- scheiden sich die beiden Formeln? Die Formel (#) enthielt einen Stoff, den die Formel (&) nicht enthielt, nämlich etwas Cellulose. Dieselbe war nach Socin’s Erfahrungen (3) zugesetzt worden, um die Bewegungen des Darm- tractus anzuregen, und es ist nach eben diesen Erfahrungen fast ausge- schlossen, dass dieselbe in dieser Menge die Ernährung ungünstig beein- fussen sollte. Formel (f) enthielt Eiweiss in geringerem Procentsatz als Formel («). Auch hierbei war wesentlich von Bunge’s, an Lunin’s Er- fahrungen geknüpften Betrachtungen (4) ausgegangen, dass vielleicht ein zuviel des Eiweiss in der Nahrung zu Alkalientziehung führen könne. Nun hätte man denken können, weil ja die Formeln (#) ungünstiger wirkten wie (ec), dass man, indem man diesen Uebelstand vermeiden wollte, in den entgegengesetzten Fehler verfallen wäre, zu wenig Eiweiss zu geben. Allein abgesehen -davon, dass man nicht unter den Procentsatz herunter- ÜBER DIE HERSTELLUNG EINES KÜNSTLICHEN FUTTERS. 149 gegangen war, der sich bei Omnivoren bereits bewährt hat, fällt dieser Ein- wand auch deshalb dahin, weil die Mäuse von dem Fhntter ja fressen konnten so viel sie wollten. Sie konnten also jedes Deficit an Eiweiss sich er- gänzen, allerdings um den Preis einer gewissen Mehraufnahme von Fett und Kohlehydraten, die aber bei dem enormen Verdauungsvermögen der Mäuse ihnen gewiss keine Beschwerden gemacht hätten. Von Verdauungs- störungen war auch gar nichts zu bemerken. Der einzige weitere Unter- schied aber zwischen den beiden Formeln bestand darin, dass in (ce) das Casein II, in (#) das Casein I gebraucht wurde. Casein I und II unter- schieden sich aber dadurch, dass I fast ganz aschefrei, II aber nur eisen- frei, dagegen noch aschehaltig dargestellt wurde. In der Formel (#) be- kamen die Mäuse nur die zugesetzten anorganische Salze, in Formel («) daneben aber noch einen Theil der ursprünglichen Aschenbestandtheile des Caseins. Dass diese letzteren aber nicht bloss als ein Plus von anorgani- schem Material wirken, scheint darum anzunehmen, weil wir ja wissen, dass der Organismus die Salze, die ihm im Ueberschuss zugeführt werden, ein- fach wieder ausscheidet, und mit einer Nahrung, die 3-75 Procent Salz enthielt, hat der Organismus jedenfalls schon einen Ueberschuss bekommen. Es müssen also diese ursprünglichen Aschenbestandtheile nicht bloss durch ihre Quantität, sondern durch ihre Qualität einen Einfluss ausüben. Das kann aber nicht in den in ihnen enthaltenen Elementen begründet sein, die uns die Analyse ja als dieselben ergiebt, wie diejenigen, die ich auch zugesetzt habe; es muss demnach in der Natur ihrer Bindung begründet sein. Es ist ja jetzt als sicher feststehend anzusehen, dass ein Theil der Aschenbestandtheile des Eiweiss, als in Bindung mit demselben stehend, betrachtet werden muss (vergl. darüber z. B. Harnack 10). Daher ist es sicher, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Formel (&) und () darin bestand, dass die erstere an das Eiweiss gebundene Aschenbestand- theile enthielt, die letztere nicht. Darauf aber scheint mir die viel günstigere Wirkung der Formel («) gegenüber der von (3) mehr als auf irgend etwas anderes zurückzuführen. Unter aller Reserve, die dadurch geboten ist, dass ich diese Frage ja nicht in ihrem vollen Umfange untersuchte und zu meinem Resultate nur als einem Nebenproducte meiner Eisenuntersuchung ge- kommen bin, möchte ich die Vermuthung aussprechen, dass die schlechten Fütterungserfolge bei künstlichem Futter wesentlich auf der Spaltung dieser Verbindungen zwischen Eiweiss und Aschenbestandtheilen beruhen, und dass dem thierischen Organismus für seine Ernährung die rein anorga- nischen Salze nicht genügen, sondern dass er daneben noch der mit dem Eiweiss verbundenen Aschenbestandtheile bedarf, mag man diese nun mit dem Namen des organisch gebundenen bezeichnen, oder dafür (weil ja die Bindung doch nicht so innig ist wie in den metallorganischen Ver- bindungen) noch einen neuen Namen wählen. 150 - Wise. S. Hau: Tabelle 1. Versuch Zahl der Art Dauer der, Alter der | Anfangs- Periode 3 Tage Mäuse des Futters Fütterung Mäuse gewicht I II | Mittelzahl | A 7 Fe « 21 Jung 7:23 8-28 9-33 +1:05 +1:-05 B 1 % 21 Alt 23:27 24-02 24-71 +0-75 +0:69 C 1 a 21 Erwachsen 18-23 19-22 20-15 5 +0.99 +0:39 D | 1 & 213 r 14-71 15.50 16-20 | +0-80 +0-70 Fa 3 1 15 Jung 8-45 9-11 9-77 | +0.66 +0.66 Mittelzahl 13 Fe « 21— 14-38 15:23 16-03 | +0-85 +0-.80 F 1 Fe ß 2 Erwachsen 18-00 TEN 17-28 — 0:23 — 0.49 G | 1 , 21-+ Alt 21-08 20:16 19-25 | | | —0:92 0-91 I} | I H 4 5 21 Erwachsen) 13-70 | 14-30 14-85 \ +0+60 +0-55 Mittelzahl 6 Fe 21 — 17-59 17-44 17-13 | 0-15 —0-28 | 4 Our 21 Alt 20-18 20-20 20-14 +0.02 — 0:06 K il ss 21 | Erwachsen 18-50 18-74 18-97 | { | +0:24 +0-23 Di || 1 I: 18 Jung | 8:6 8-99 9.29 | | +0-30 +0.30 MM, \ 3 5 ai ” 10-00 10-66 11-26 | +0-66 +0-60 N | 3 ” 21 ® 12-22 12-31 12-39 | +0:09 +0-08 Mittelzahl 12 Vu 21 _ 13-92 14-18 14-41 | +0:.26 +0:23 0) 4 0ß 21 Erwachsen 14-40 15.40 15-19 -+1.00 —0)-21 P 4 2 21 n 14-56 16-52 14-79 -+1°96 — 1:73 Q 4 r 21 A: 16.69 17-57 16-22 | —0.88 —1-35 Mittelzahl 12 08 21 — 15:22 16-49 15-40 | +1-27 —1:09 Fütterungs-Versuche. ÜBER DIE HERSTELLUNG EINES KÜNSTLICHEN FUTTERS. 151 PB errzivonde Tuayg e | Körperzu- |. », Er = > \nahme oder zogen IH IV V VI VII | -Verlust | derselben 9-38 8-87 8-52 8-61 8-70 +0-05 0-51 0-35 +0-09 +0-09 24-92 24-87 24-76 24-52 24-30 | +0-21 —0+.05 -0*11 0.24 0.22 19-87 18-97 18-45 18-69 18-96 0-28 0-90 0-52 +0-24 +0-27 Sa 15-85 14-95 14-39 14-45 14-50 0-35 0-90 0-56 +0-06 +0-05 9-73 9.43 8-95 [8-95] [8-95] 0-04 0-30 0-48 15-95 15-42 15:01 15-04 15-08 —0-03 0-58 — 0-41 +0:03 +0.04= | +0:70 = + 499, 16-52 16-10 15-68 14-18 12-38 | 0.76 0.42 0-42 1-50 —1.80 18-20 17-99 17-59 17-14 1664. | j 1:05 0-21 — 0-40 —0+45 0-50 Serie II 14-97 14-79 14-22 12-87 11-52 | +0-12 0-18 0-57 1:35 1-35 16-56 16-29 15-83 14-75 13-51 0-57 —0.27 0-46 _1-10 —1-22=| -4-08=| —23-2%,, 19-74 19-19 18-49 17-54 16-53 || 0-40 0.55 0.70 0-95 2101 18-51 17-70 16-82 15-79 14-64 0-46 0-81 0-88 —1-03 1-15 9-15 8-79 8-15 7-00 ( En 0-14 0-36 Mo 115 —0.84) Serie III 10-85 9-92 9-13 8-64 813 |) 0.41 0-93 0.79 —0-49 —0-51 11-90 11-15 10-44 9.69 8-90 | —0.49 0.15 Zoe 0-75 0.79 14-03 13-35 12-61 11-73 10-87 0-38 0-68 0.74 — 0-88 se 3:05 = | 21-90), 18-22 11-17 10-69 9-50 9-37 | 21.97 — 2-05 — 0-48 —\o1lG) oil) | 13-00 11-92 11-08 10-09 9-15 79 —1-08 — 0-84 0-99 —0:94 Serie IV 15-35 14-14 12-64 11-58 10.61 0.97 1-1 —1-50 1008 0-97 13-82 12-41 11-47 10-39 9.71 | —1-58 —1.41 —0:94 —1:08 -0-.685 = | -—5-5l = — 362°), 152 Winr. S. HALL: Curven, die Schwankungen des Körpergewichtes bei künstlicher Fütterung 14-38= 100°], darstellend. Versuche| Perioden [Anfang I 188 III IV V VI vo Ordinatenw. | | ADC: 120 | (Eisenfutter «) Dur, 110 | a | Er | . | | | Mittel- | Körperg. °/, | 100%, |105-9 |111-5 110-9 107-2 104-4 104-6 | 104-9 zahlen in grm 14:38 15-23 16.03 15-95] 15-42 15-01 15:04) 15-08 | | | | = = 1 17-59=100%), GER 90 | _ 80 (Eisenfutter $) Mittel- 710 | zahlen | Körperg. %% | 100%, | 99-1 | 97-5 | 94-3 | 92-8 | 90-0 | 83-9 | 76-8 in grm 17-59 17-44 | 17-13| 16-56) 16-29| 15-83] 14-73) 13-51 110 J, K, L|13-92= 100°), MuN 90 — s0 (Eisenfreies Futter «) Mittel- 70 | zahlen | Körperg. °/, | 1000/, | 101-9 103-5 |100-8 | 95-9 | 90-6 | 84-2 | 78-1 in grm 13-92 | 14-18) 14-41 | 14-03) 13-35) 12-61} 11-73) 10-87 110 0,P,Q Mittel- zahlen 15-22=1009), 90 80 70 60 Körperg. °/, in grın 100%, 15-22 108-3 16-49 101-2 15.40 Eis241. (Eisenfreies Futter 90-8 13-82 P) 81-5 | 75-3 12-41, 11-47 68-2 10-39 ÜBER DIE HERSTELLUNG EINES KÜNSTLICHEN FUTTERS. 153 Litteraturverzeichniss. 1. Hall, Ueber das Verhalten des Eisens im thierischen Organismus. Dies Archiv. 1896. Siehe oben S. 49. 2. Lunin, Ueber die Bedeutung der anorganischen Salze für die Ernährung des Thieres. Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. V. 8. 31. 3. Socin, In welcher Form wird das Eisen resorbirt. Zbenda. 1891. Bd. XIV. 8. 93. 4. Bunge, Zehrbuch der physiol. Chemie. 3. Aufl. 8. 104. 5. Derselbe, Der Kali-, Natron- und Chlorgehalt der Milch. Inaug.-Dissert. Dorpat 1874. 6. Hammarsten, Zur Kenntniss des Caseins u. s. w. Abhandlungen der k. Gesellschaft der- Wissenschaften. Upsala, 1877. 7. W. v. Moraczewski, Verdauungsproducte des Caseins und ihr Phosphor- gehalt. Zeitschrift für physiol. Chemie. 1894. Bd. XX. 8. 28. 8. Voit, Physiologie des allgemeinen Stoffwechsels und der Ernährung. Her- mann’s Handbuch der Physiologie. Bd. VI. 9. Forster, Ueber die Bedeutung der Aschenbestandtheile in der Nahrung. Zeitschrift für Biologie. 1813. Bd. XX. 8. 297. 10. E. Harnack, Zur Frage des krystallisirten und aschenfreien Albumins. Zeit- schrift für physiol. Chemie. 1896. Bd. XVII. 8. 299. Ueter die O;positionsbewegung. Von Dr. Rene du Bois-Beymond in Berlin. 1. Litteraturübersicht. Sucht man sich aus den Lehrbüchern über die sogenannte „Opposition“ des Daumens zu unterrichten, so bemerkt man, dass es an einer genauen Beschreibung dieser Bewegung fehlt. Dies muss um so mehr überraschen, als alle Autoren die grosse Bedeutung der Opposition für die Functionen der Hand aner- kennen. Trotzdem begnügen sich die meisten mit der blossen Einführung der Bezeichnung „Opposition“. Manche geben eine kurze Erläuterung, in der merkwürdiger Weise fast immer der wichtigste Punkt übergangen wird. Nur ganz vereinzelt finden sich Versuche, die Bewegung genau zu be- schreiben. Selbst die Altmeister der Lehre von den Gelenkbewegungen, und selbst solche Autoren, die die Opponirbarkeit des Daumens als ein Kennzeichen anführen, lassen sich nicht auf eine Analyse ein. Diesen Mangel zu ergänzen ist das Ziel der im Folgenden mitgetheilten Untersuchung. Zum Belege für die vorstehenden Bemerkungen werde zunächst im Anschluss an eine kurze Angabe des wirklichen Sachverhaltes eine Zu- sammenstellung der verschiedenen Erklärungsversuche älterer Autoren ge- geben: Die als Opposition bezeichnete Bewegung besteht darin, dass der Daumen aus seiner Stellung neben den Fingern vor die Handfläche gestellt, und zugleich seine Beugefläche den Fingern zugewendet wird. Diese Erscheinung beruht, wie nachgewiesen werden wird, auf Flexions- und Ro- tationsbewegungen im Carpometacarpal- und Metacarpophalangealgelenk. Die einzelnen Vorgänge sind sämmtlich schon von verschiedenen Autoren angegeben, nirgends aber findet sich ein vollständiges Bild ihrer Gesammt- Ren& ou Boıs-ReymonD: ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 155 wirkung. Interessant ist, dass gerade die besten Angaben in älteren Lehr- büchern zu finden sind. Von wem die Bezeichnung „Opposition“ herrührt, habe ich nicht aus- findig machen können. In den ältesten, mir zugänglichen Schriftstellern fand ich sie schon wie einen bekannten Kunstausdruck angewendet. Bei denjenigen Autoren, die über die Form der Bewegung Angaben machen, kann man eine Reihe verschiedener Anschauungen unterscheiden, die auf einzelne mehr oder weniger wesentliche Begleiterscheinungen ge- gründet sind. Einige heben besonders die Gestaltveränderung der Mittelhand, das „Hohl- machen“ der Hand hervor. Andere meinen das Wesen der Opposition am besten zu bezeichnen, indem sie den extremen Fall, nämlich die Gegen- überstellung von Daumen und Kleinfinger erwähnen. Wieder Anderen er- scheint die bogenförmige Anordnung der Handwurzelknochen, durch die das proximale Ende des Metacarpus pollieis ein wenig aus der Ebene der Hand- fläche hervortritt, als der wesentliche Punkt. Diese Anschauung ist bei Vielen dahin erweitert, dass sie die Opposition als reine Flexion um die schräge Axe des Multangulum, oder als eine Combination von Flexion und Adduction betrachten. Bei Poirier,! der mit dieser Bemerkung, soweit mir bekannt ist, allein steht, ist die Behauptung ausgesprochen, dass bei der Flexion auch der Handwurzelknochen sich mit bewege. Viele Autoren leugnen ausdrücklich jede Rotation. Die Rotation im Metacarpophalangealgelenk erwähnt meines Wissens nur ein einziger Forscher, der alte Winslow, mit dem Worte: „La petite portion (sc. der Musculatur des Daumenballens) en particulier, quand elle agit seule, peut donner un petit mouvement de rotation a la seconde phalange sur la premi£re; (Winslow betrachtet den jetzt als Metacarpus bezeichneten Knochen als erste, den jetzt als erste Phalanx bezeichneten Knochen als zweite Phalanx). l’articulation de ces deux phalanges n’etant pas en charniere“.? Die vorstehenden Angaben sind das Ergebniss der Durchmusterung folgender Schriftsteller: Aeby, Albin, d’Alton, es Beaunis und Bouchard, Bichat, Blandin, Alnnenbadkh, Broesicke, Caldanius, Cruveilhier, Cuvier, Debierre, Douglass, Duval, Eckhardt, Flower, Gegenbauer, Gray, Günther, Harless, Hartmann, Hempel, Henke, Henle, Hildebrandt, Hollstein, Hoffmann-Rauber, Krause, Knobloch, Langer-Toldt, Luschka, Malgaigne, Maygrier, Meckel, Pansch-Stieda, Paulet, Poirier, Pouchet, Ranke, Richet, Rosenmüller, Rüdinger, Sappey, ! Traite d’anatomie humaine. Paris. Tome I. p. 628. ? E:rposition anatomique de la structure du corps humain ete. Amsterdam 1772, ap. 355. 156 Ren& pu Boıs-REYMmoxD: Sernow, Sömmering, Strambio, Testut, Tillaux, Valentin, Vesal, Winslow. Weitaus die besten Schilderungen sind die von Bichat, Henle, Luschka und Testut. 2. Aus welchen Einzelbewegungen besteht die Opposition? Um sich von der Oppositionsbewegung eine deutliche Vorstellung zu bilden, denke man an eine Thätigkeit, bei der sie in typischer Weise aus- geführt wird, etwa an das Fassen einer Nadel mit dem Daumen und einem Finger. Als wesentlich erscheint bei dieser Bewegung die Gegenüber- stellung der Volarflächen der Endphalangen. Die Bewegung der End- phalanx des Daumens gegen die Grundphalanx ist bekanntlich eine reine Charnierbewegung. Die angegebene Greifbewegung kann überdies in allen möglichen Graden der Beugestellung der Phalangen ausgeführt werden. Die Stellung der Endphalanx gegen die Grundphalanx ist also für die Opposition unwesentlich. Demnach handelt es sich bei der Betrachtung der Oppositionsbewegung um die Stellungsveränderungen der Grundphalanx, die wiederum abhängen von denen des Mittelhandknochens. Die Bewegung des Handwurzelknochens, von der Poirier spricht,! habe ich nicht entdecken können. Im Gegentheil fand ich bei einer Anzahl Praeparate, die ich daraufhin untersuchte, entweder vollständige Unbe- weglichkeit oder nur eine ganz geringe passive Drehbarkeit:. Da ich den Knochen mit einer starken Zange erfasste, wurde bei diesen Versuchen jedenfalls ein sehr viel stärkerer Antrieb zur Bewegung gegeben, als unter natürlichen Bedingungen möglich ist. Ich glaube also die Gelenkfläche des Multangulum maius als relativ feststehend annehmen zu können. Die genaue Beschreibung einer Bewegung besteht darin, dass man, von einer zunächst zu bestimmenden Anfangslage ausgehend, die Stellungen bestimmt, welche der bewegte Körper während der Bewegung bis zur End- lage durchläuft. Handelt es sich um gleichzeitige Bewegung zweier Theile, so kann die Bewegung jedes einzelnen Theiles auf diese Weise beschrieben werden, oder es können die Stellungen des einen Theiles relativ zu denen des anderen bestimmt werden. Um im Allgemeinen einen Begriff von der ausgeführten Bewegung zu bilden, genügt die Kenntniss der Anfangs- und Endstellung. Die Oppositionsbewegung soll nun im Folgenden in der Weise be- schrieben werden, dass zuerst Anfangs- und Endstellung des Mittelhand- knochens, dann Anfangs- und Endstellung der Grundphalanx bestimmt werden, und endlich die Lage der beiden Theile gegen einander während der Bewegung untersucht wird. ! Traite d’anatomie humaine. T. I. p. 628. ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 157 3. Normen für die Bestimmung. Um die Bewegungen des Mittelhandknochens angeben zu können, müssen zuerst bestimmte Bezeichnungen für die Richtungen der Be- wegungen gegeben sein. Es empfiehlt sich von der, in der Anatomie über- haupt als normale Lage betrachteten Stellung der Hand auszugehen. Der Arm wird am aufrecht stehenden Körper herabhängend, die Hand in äusserster Supination gedacht. Die Handfläche sieht gerade nach vorn und wird als eine absolut frontaie Ebene angesehen. Die Richtung von der Handwurzel nach den Fingern fällt also mit der Verticalrichtung nach unten zusammen, die Dorsovolarrichtung mit der Sagittalrichtung nach vorn, die Ulnarradialrichtung mit der Transversalrichtung von medial- nach lateralwärts. Die Stellung der Hand zu diesen Ebenen kann nur schätzungsweise bestimmt werden. Damit ist für die Genauigkeit der Angaben schon eine ziemlich weite Grenze gesetzt. Die nachfolgenden Messungen sind sämmt- lich an meiner rechten Hand gemacht und können daher auch nur als Beispiel, nicht als Normalfall gelten. Die Zahlen sind nach einer längeren Reihe von Beobachtungen mit verschiedenen Methoden in abgerundeter Form angenommen. Die durch Rechnung gefundenen Zahlen sind ent- sprechend abgerundet. 4. Methode. Um die Bewegungen des Mittelhandknochens am Lebenden beobachten zu können, klebte ich mittelst der unter dem Namen „Plastiline“ käuf- lichen Modellirmasse einen leichten hölzernen Zeiger ($ der Fig. 1) von 25 ® Länge möglichst im der Richtung der Längsaxe auf den Rücken des Mittelhandtheiles des Daumens. Die Hand wurde in eine Gypsform (@ der Fig. 1) fest eingelegt, und so gestellt, dass sich der Mittelpunkt des Carpometacarpalgelenks (WM der Fig. 1) möglichst genau im Mittelpunkte eines Perimeters ' befand. Die Richtung der Längsaxe des Daumens in jeder Stellung war alsdann am Perimeter ohne Weiteres abzulesen. Der Bequemlichkeit wegen wurden die Messungen bei horizontaler Lage des ‚aufgestützten Unterarmes gemacht, und das Ergebniss auf die oben ange- gebene Normalstellung umgeschrieben. ! Ich benutzte zu den Messungen nicht ein eigentliches Perimeter, sondern ein ähnliches, einfach construirtes Instrument, das Geh. R. Stieda die Güte hatte, mir im Königsberger anatomischen Institut herstellen zu lassen. Hierfür sowohl, wie für die Ueberlassung des Materiales zu meiner Arbeit: Ueber das Sattelgelenk und zur vor- liegenden spreche ich hiermit meinen Dank ans. 158 Ren& nu Boiıs-Reymonp: Die hauptsächlichsten Fehlerquellen dieser Art der Messung sind: 1. Schätzungsfehler beim Einsetzen des Zeigers parallel zur Knochenaxe. 2. Verrückung des Zeigers dadurch, dass sich die Befestigungsmasse theil- weise von der Haut löst. 3. Die Verschieblichkeit der Haut auf dem Knochen. Der erste dieser Fehler ist durch öfteres Wiederholen der Mes- sungen auszugleichen. Er kommt übrigens verhältnissmässig wenig in Be- Fig. 1. Bestimmung der Bewegungen des Metacarpus mittelst des Perimeters. tracht, wo es sich um die relative Lage zweier Stellungen handelt, da er dann für beide gleichmässig gilt. Der zweite Fehler macht sich ohne Weiteres bemerkbar, und ist also leicht zu vermeiden. Der dritte ist da- gegen bei Anwendung dieser und ähnlicher Methoden unvermeidlich. Er hat aber für den Werth der Messung deswegen nur geringe Bedeutung, weil er sie nur in negativer Richtung beeinflusst. Die gefundenen Be- wegungsgrössen können nur zu klein, nicht aber zu gross ausfallen. Eine andere, in der Ausführung noch einfachere Methode sei hier eben- falls beschrieben, da das ihr zu Grunde liegende Princip vielleicht weiter verwendbar ist. Die Hand befindet sich in gestreckter Stellung. In ein über dem Mittelhandknochen des Daumens aufgeklebtes Klümpchen „Plastiline“ wird ein leichter hölzerner Zeiger in der Richtung der Knochenaxe eingestossen. Alsdann werden in den drei Cardinalrichtungen verschieden bezeichnete Stäbehen (etwa Roth, Blau, Schwarz) eingestossen, darauf die Oppositions- bewegung ausgeführt, und wiederum in den drei Cardinalrichtungen ent- sprechend bezeichnete Stäbehen (Roth 1, Blau 1, Schwarz 1) eingestossen. Das Plastiline-Klümpehen mit allen Stäbchen wird alsdann vorsichtig abge- löst und auf ein Stativ geklebt. Aus der Lage der beiden Systeme von Stäbehen gegen einander und gegen die Axe ist die ausgeführte Bewegung nach Grösse und Richtung ÜBER DIE ÜPPOSITIONSBEWEGUNG. 159 abzumessen. Die Messungen an je zwei Stäbchenpaaren können zu gegen- - seitiger Controle benutzt werden. Trotzdem ich die Stäbehen nur nach dem Augenmaass anbrachte, indem ich mich der Tischkanten und eines Senkbleies als Richtschnur bediente, gab diese Methode schliesslich brauchbare Mittelzahlen. 5. Bestimmung der Flexionsbewegung des Metacarpalknochens. Bei äusserster Dorsal- und Radialflexion des Daumens liegt die Längs- axe des Metacarpalknochens in einer Verticalebene, die von der Frontal- ebene (Ebene der Handfläche) lateralwärts um fast 10° nach hinten ab- weicht. In dieser Verticalebene bildet die Längsaxe mit der horizontalen einen Winkel von fast 30° nach fusswärts. Auf der Fig. 2, welche die vom Perimeter beschriebene Halbkugel darstellen soll, ist diese Stellung der Längsaxe mit dem Buchstaben 4 bezeichnet. In der entgegengesetzten Extremstellung, bei äusserster Volarflexion, als solle der Daumen zum Kleinfinger in Opposition treten, liegt die Längs- axe des Metacarpus in einer Verticalebene, die von der Frontalebene lateralwärts um etwa 60° nach vorn abweicht. Mit der Horizontalen bildet sie in dieser Ebene einen Winkel von etwa 60° nach unten (Punkt 2 der Figur 2). Es scheint demnach, als müssten diese Stellungen aus gleichseitigen Flexions- und Ab- oder Adductionsbewegungen hervorgegangen sein. Sie sind aber trotzdem als reine Flexionsstellungen anzusehen, welche nur durch die schräge Lage der Gelenkaxen schräg zu den Normalebenen zu liegen _ kommen. Denn durch die bogenförmige Anordnung der Handwurzelknochen tritt der radiale Theil des Multangulum volarwärts hervor, so dass die Axe der convexen Krümmung, statt rein radioulmar zu verlaufen, von vorn radialwärts, nach hinten ulnarwärts verläuft. Ausserdem steht die Gelenk- fläche des Multangulum auch in der Richtung schräg, dass ihr radialer Rand proximalwärts gegen die Handwurzel zurücktritt, der ulnare distalwärts gegen die Fingerspitzen hinabzieht. Das ulnare Ende der Axe ist also mehr fingerwärts gelegen als das radiale. Die Winkel, die die Axe mit der sagittalen und der lateralen Richtung macht, bezeichnet Henke! als gleich, also als 45° betragend. Ueber die Abweichung von der Horizontalen macht er keine deutliche Angabe, sondern sagt: „Ausserdem sind auch die Axen beider Bewegungen nicht rein horizontal an der herabhängenden Hand, sondern die im Trapezbein liegende der Beugung und Streckung convergirt mit dem den anderen Fingern zuge- 1 Anatomie und Mechanik der Gelenke. Leipzig und Heidelberg 1863. 8. 187. 160 Ren& ou Boıs-Reymonxp: kehrtem Rande des Gelenkes, die im Mittelhandknochen liegende, der Ab- duction und Adduction mit dem hinteren.“ Vielleicht ist unter „con“ vergirt“ hier zu verstehen, dass die Axe dieselbe Neigung hat wie die ganze Fläche, also „nicht divergirt“. Der Ausdruck „convergirt“ könnte aus einer schematisirenden Anschauung der Gelenkfläche als horizontaler Vorn Medial Hinterı Fig. 2. Die Figur stellt die vom Perimeterbogen beschriebene Halbkugel dar, als sei sie hori- zontal so aufgestellt, dass der Leser hineinsieht. Man denke sich die eigene rechte Hand in der anatomischen Normalstellung so in die Halbkugel hineingesteckt, dass das Sattelgelenk im Mittelpunkte der Kugel liegt. A bezeichnet dann den Schnittpunkt der Längsaxe des Metacarpus mit der Kugel bei der Anfangsstellung, B bei der Opposition, Die punktirte Linie AB ist der Kreisbogen, den der Schnittpunkt bei der Flexion um die schräge Axe beschreibt. Aa und Db sind die Stellungen des Zeigers z der Fig. 1 vor und nach der Bewegung. Die punktirte Linie BC ist die Bahn der Phalanxflexion, so dass C den Schnittpunkt der Längsaxe der Phalanx mit der Kugelfläche in der Opposition bedeutet. Ce ist die Endstellung des an der Phalanx befestigten Rotationszeigers. ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 161 Ebene entstammen. Oder die Bemerkung bezieht sich auf die in manchen Fällen! bemerkbare Kegelgestalt der Sattelfläche, die Henke auch an anderer Stelle erwähnt, indem er S. 188 von einer „dem Zeigefinger zugekehrten Spitze des Trapezbeins“ spricht. Krause? giebt an, die Axe des Gelenkes sei unter 45° fusswärts geneigt, und bilde mit der Ulnarrichtung einen nach vorn offenen Winkel von 130°. Berechnet man nun die Lage derjenigen Axe, um welche der Mittel- handknochen gedreht werden muss, um auf geradem Wege aus der ersten der oben bezeichneten Stellungen in die zweite übergeführt zu werden, so fällt die berechnete Drehungsaxe nahezu in die von Krause angegebene Lage. Die Winkelbewegung des Mittelhandknochens bei der Opposition ist also eine einfache Scharnierbewegung um die Axe der convexen Krümmung des Multangulum. Ihre Winkelgrösse ist aus den gegebenen Werthen der Anfangs- und Endstellung leicht zu berechnen, und beträgt 55°. Denkt man sich den Mittelpunkt des Gelenks als Mittelpunkt einer Kugelfläche, so bilden die Punkte (A und B der Figur), in welchen die Längsaxe des Mittelhandknochens in den beiden bezeichneten Extrem- stellungen die Kugelfläche schneidet, mit dem fusswärts gerichteten Pol der Kugel die Eckpunkte eines sphaerischen Dreiecks. Die Seite des Drei- ecks (a), die die erste Stellung mit dem Pol verbindet, beträgt 60°, die, die die zweite Stellung mit dem Pol verbindet (5), 30°, der eingeschlossene Winkel (7) 10° + 60°, also 70°. Die anderen Stücke des Dreiecks be- rechnen sich nach den Formeln: a) = cosd (a — b) a cot4, cos}(a+b) ad and cotiy sinl(a-+b) Es ergiebt sich «= 90°, $=35°. Also steht der grösste Kreis durch den Fusspol und die zweite Stellung der Metacarpusaxe auf dem grössten Kreise durch die beiden Extremstellungen, das heisst, auf der Richtung der Bewegung senkrecht. Mithin liegt auch die Axe der Bewegung in der Ebene des grössten Kreises durch Fusspol und zweite Stellung, und zwar sind ihre Endpunkte um 90° von der zweiten Stellung entfernt. Die Axe bildet also mit der Horizontalebene einen Winkel von 30°. Krause schätzt, wie oben bemerkt, die Neigung der Axe gegen die Horizontale auf 45°. Vielleicht bezieht sich diese Angabe auf die Sagittalprojeetion, in welcher die Axe nach meiner Bestimmung unter etwa 49° erscheint. An Stelle des nach vorn offenen Winkels von 130°, den Krause angiebt, tritt nach der vorliegenden Bestimmung ein ! Deber das Sattelgelenk. Dies Archiv. 1895. S. 454. 2 Handbuch der menschlichen Anatomie. 1879. S. 110. Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 11 162 REn& pu Boıs-Reymonp: Winkel von 120° Die Grösse der Flexion (die punktirte Linie AB der Figur) ergiebt sich als die dritte Seite des sphärischen Dreiecks, AB=e, nach der Formel tg(a—b) _ sinkl«—) tgie — sind(a+P)' und beträgt 55°. 6. Bestimmung der Rotation des Mittelhandknochens. Betrachtet man den Mittelhandtheil des Daumens, während er den Weg von der ersten der oben bezeichneten Extremstellungen zur zweiten durchläuft, so kommt man zu der Ueberzeugung, dass sich gleichzeitig mit dieser Bewegung, die nach dem obigen als eine einfache Flexionsbewegung erscheint, eine Drehung um die Längsaxe vollzieht. Denn während die Streckseite des Daumenballens anfänglich dorsal gerichtet war, sieht sie am Schlusse der Bewegung volarwärts. Die Drehung geschieht im Sinne der Pronation. Um diese Rotation des Mittelhandknochens um seine Längsaxe fest- zustellen, wurde an dem Ende jenes Stäbchens ($ der Fig. 1), welcher in der Verlängerung der Längsaxe befestigt worden war, ein zweiter Zeiger von 175 "= Länge angebracht. Dieser Zeiger (Z der Fig. 1) bildete mit dem Stäbchen einen solchen Winkel, dass sein freies Ende vom Gelenk- mittelpunkt dieselbe Entfernung hatte, wie das am Stäbchen befestigte Ende. Die beiden Endpunkte des Zeigers bewegten sich also bei der oben beschriebenen Anordnung beide auf der Kugelfläche, deren Punkte mittelst des Perimeters bestimmt werden konnten. Statt dass nur die Bewegung der Längsaxe bestimmt wurde, konnte nun auch die Bewegung eines zweiten, mit dem bewegten Knochen zu einem System verbundenen Punktes auf der Kugelfläche festgestellt werden. In der Anfangsstellung lag bekanntlich die Längsaxe in einer Ver- ticalebene, die von der Frontalebene lateralwärts um fast 10° nach hinten abwich, und bildete mit der Horizontalebene fusswärts einen Winkel von fast 30°. Die Richtung des Zeigers wurde nun so eingestellt, dass sein Endpunkt in dieselbe Verticalebene fiel, die mit der Frontalebene lateral- wärts einen Winkel von fast 10° nach hinten bildete. Er war alsdann von der Horizontalebene um etwas über 70° (nach unten) entfernt (Punkt a der Fig. 2), da die Länge des Zeigers der Sehne eines Bogens von etwas mehr als 40° entsprach. In der Endstellung lag bekanntlich die Längsaxe in einer Vertical- ebene, die von der Frontalebene lateralwärts um etwa 60° nach vorn ab- wich, und bildete mit der Horizontalebene einen Winkel von ungefähr 60° ÜBER DIE ÜPPOSITIONSBEWEGUNG. 163 fusswärts. Der Endpunkt des Zeigers lag alsdann in der Frontalebene selbst, um 20° medialwärts vom Fusspol. Der Winkel, in welchem der Zeiger zur Richtung der Bewegung der Längsaxe steht, lässt sich aus diesen Angaben berechnen. Er ist, für die Anfangsstellung, gleich 35°, für die Endstellung gleich 65°. Denkt . Hıinterı Fig. 2. Die Figur stellt die vom Perimeterbogen beschriebene Halbkugel dar, als sei sie hori- zontal so aufgestellt, dass der Leser hineinsieht. Man denke sich die eigene rechte Hand in der anatomischen Normalstellung so in die Halbkugel hineingesteckt, dass das Sattelgelenk im Mittelpunkte der Kugel liegt. A bezeichnet dann den Schnittpunkt der Längsaxe des Metacarpus mit der Kugel bei der Anfangsstellung, B bei der Opposition. Die punktirte Linie AB ist der Kreisbogen, den der Schnittpunkt bei der Flexion um die schräge Axe beschreibt. Aa und Bb sind die Stellungen des Zeigers z der Fig. 1 vor und nach der Bewegung. Die punktirte Linie 3C ist die Bahn der Phalanxflexion, so dass C' den Schnittpunkt der Jängsaxe der Phalanx mit der Kugelfläche in der Opposition bedeutet. Ce ist die Endstellung des an der Phalanx befestigten Rotationszeigers. HZ 164 REnk ou Boıs-Reymonp: man sich das Stäbchen mit sammt dem Zeiger fest mit der oben be- rechneten schrägen Flexionsaxe verbunden, und aus der ersten Stellung (4) in die zweite (3) durch blosse Drehung der Axe übergeführt, so wird der Zeiger am Ende der Bewegung zur Bewegungsrichtung den- selben Winkel haben, wie am Anfang. Die oben angegebenen Maasszahlen beweisen aber, dass der am Metacarpus befestigte Zeiger am Ende der Bewegung seinen Winkel zur Bewegungsrichtung geändert hat, und zwar um 65°—-35°, also um 30°. Es muss also der Metacarpaltheil des Daumens gleichzeitig mit der Flexion im Carpometacarpalgelenk eine Rotation von etwa 30° Umfang er- fahren haben. Der Winkel, den die Endstellung (db) des Zeigerstäbehens mit der Be- wegungsrichtung der Längsaxe (AB) bildet, ist zu berechnen als Stück des sphärischen Dreiecks (3b Fusspol), dessen Eckpunkte durch die beiden Enden des Zeigers und den Fusspol gebildet werden. Von diesem Dreieck sind bekannt zwei Seiten, nämlich die Entfernungen der Endpunkte vom Fusspel, die 30° und 20° betragen, und der einge- schlossene Winkel, der sich aus den Angaben über die Verticalebenen, in denen die Endpunkte liegen, zu 30° + 90°, also 120° ergiebt. Zum Ueber- fluss ist auch die dritte Seite, die Länge des Stäbchens bekannt. Berechnet man diese zur Vontrole aus den gefundenen Winkeln, so erhält man frei- lich einen etwas zu grossen Werth. Die Berechnung des Winkels geschieht nach den Formeln tgi(@-+P) g cosi(a—b) Er cot4y cosl(a +5) tgl) sing (a — b) cot4y — sind@+b) Es ergiebt sich «= 38°, = 24°. Der Winkel $ giebt die Abweichung des Zeigers von der Richtung nach dem Fusspol an. Da die Richtung der Bewegung der Längsaxe (AB) nach den Winkelberechnungen für die Flexionsbewegungen des Metacarpus als senkrecht zur Richtung auf den Fusspol erkannt ist, so ist der Winkel zwischen der Endlage des Zeigers und der Richtung der Bewegung ABb = 90° + 24°, also= 114°. Der Winkel zwischen der Anfangslage des Zeigers (Aa) und der Bewegungs- richtung (AB) ist schon früher zu 35° berechnet worden. Da die beiden Winkel aber auf verschiedenen Seiten des Zeigers ge- messen sind, muss der Supplementwinkel des einen mit dem anderen ver- glichen werden. Der Supplementwerth von 114° ist 66°, abgerundet 65°. Der Umfang der Rotation wird gemessen durch die Differenz beider Winkel: 65° — 35° = 30°. 7. Die Bewegung der Grundphalanx. Bedient man sich zur Bestimmung der Bewegungen der Phalanx der- selben Einrichtung, wie für den Metacarpalknochen, so erhält man folgende ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 165 Beobachtungen: In der gestreckten Stellung des Daumens steht die Phalanx . ungefähr in der Verlängerung des Metacarpalknochens. Das nunmehr die Längsaxe der Phalanx bezeichnende Stäbchen hat dieselbe Stellung wie oben (A der Fig. 2). Es liegt in einer Verticalebene, die von der Frontal- ebene lateralwärts um fast 10° nach hinten abweicht, und bildet mit der Horizontalebene einen Winkel von fast 30° fusswärts. Der am Stäb- chen befestigte Zeiger werde in dieselbe Verticalebene gebracht, so dass er gerade auf den Fusspol hinzeigt. Im der Oppositionsstellung stellt sich sodann das Ende der Längsaxe in der Frontalebene, 20° medialwärts vom Fusspol, ein (Punkt a der Fig. 2). Das Ende des Zeigers fällt in eine Verticalebene, die von der Frontalebene medialwärts um 50° nach hinten abweicht, und ist von der Horizontalebene um 40° fusswärts ent- fernt (c der Fig. 2). Aus diesen Maassen lassen sich die Bewegungen der Phalanx gegen den Mittelhandknochen erkennen. Hätte die Längsaxe der Phalanx gegen die des Mittelhandknochens keine Bewegung gemacht, so würde sie, wie in der Anfangslage, auch in der Endstellung die gerade Verlängerung von dessen Längsaxe bilden. Sie ist aber, wie man aus der relativen Lage der Endpunkte bei der Metacarpus- und Phalanxbestimmung ersieht, aus dieser Richtung erheblich abgewichen. Das Bogenmaass dieser Abweichung beträgt etwas über 40°. Da sie aber entstanden ist durch Abweichung der Längsaxe der Phalanx von der des Metacarpus, also durch eine Be- wegung des Metacarpophalangealgelenkes, so ist der Mittelpunkt dieser Bewegung nicht der des Perimeterkreises. Der zu diesem Bogen gehörige Winkel von dem Metacarpophalangealgelenk aus gemessen, ist also grösser als der am Perimeter abgelesene, in dem Verhältniss, das durch den Unter- schied der Entfernungen des Perimetermittelpunktes und des Mittelpunktes des Metacarpophalangealgelenkes von dem Perimeterbogen bedingt wird. Der Umfang der Winkelbewegung des Gelenks wird demnach zu etwa 50° angenommen werden können. Die Bewegung ist als eine einfache Flexion anzusehen, da sie genau in die Richtung fällt, welche die Beuge- fläche des Metacarpus annimmt. Für die Rotation der Phalanx ergiebt sich aus den angegebenen Stellungen des Zeigers Folgendes: Fände keine Rotation statt, so müsste der Zeiger, obschon er mit der Phalanx verbunden ist, nur diejenige Rotation anzeigen, die oben als Rotation des Metacarpus beschrieben worden ist. Durch die Flexion der Phalanx würde nur seine Lage auf der Kugelfläche, nicht seine Richtung, geändert werden. Sein festes Ende, das der Längs- axe der Phalanx entspricht, kommt in Folge der Flexion um 20° medial- wärts vom Fusspol zu stehen. Diese Uebereinstimmung zwischen der Lage des freien Zeigerendes bei der Metacarpusrotation, und des festen (Längs- 166 REn& ou Boıs-ReyYMmonp: axen-) Endes bei fleetirter Phalanx erklärt sich daraus, dass der Zeiger anfänglich in der Flexionsebene des Metacarpophalangealgelenks einge- stellt war, und dass der Umfang der Flexion zufällig mit der Länge des Zeigers übereinstimmt. Aenderte nun der Zeiger während der Flexion des Metacarpus seine Richtung nicht, so müsste er am Ende der Bewegung in der geraden Verlängerung der Flexionsrichtung stehen. Nach den ange- gebenen Maassen weicht er aber von dieser Richtung nach hinten ab, und zwar um einen Winkel, für dessen Grösse die Berechnung 30° ergiebt. Es findet also gleichzeitig mit der Flexion im Metacarpo- phalangealgelenk eine Rotation von gegen 30° statt. Da die Rotation in der Articulatio metacarpophalangeas von vielen Autoren geleugnet wird, indem sie dies Gelenk den Interphalangealgelenken gleichstellen, so sei hier hervorgehoben, dass sich dies Gelenk nur durch seine etwas grössere Breitenausdehnung von den anderen Metacarpophalangealgelenken unterscheidet. Es fehlt voll- ständig die an allen Interphalangealgelenken bemerkbare Leit- furche. Zugleich sei nochmals auf die im ersten Abschnitt eitirte Stelle aus Winslow hingewiesen. Es ist übrigens sehr leicht, die Rotation in diesem Gelenk anschaulich zu machen. Man braucht nur bei gespreiztem Daumen einen Zeiger auf den Rücken des Mittelhandtheils und einen anderen auf den Rücken der Phalanx zu kleben, so dass beide in einer Ebene stehen. Geht man dann zur Oppositionsstellung über, so verdrehen sich die beiden Zeiger gegen ‘einander um einen recht deutlich bemerkbaren Winkel. Hierbei kommt in Betracht, dass sich die Haut über den Knochen erheblich verschiebt, offenbar aber in dem Sinne, dass dadurch die Drehung der Zeiger geringer ausfällt, als die der Knochen selbst. Die Flexionsgrösse der Grundphalanx braucht nicht erst berechnet zu werden, da die Längsaxe nach beendeter Flexion zufällig gerade auf die Stelle fällt, die das Ende des Zeigers bei Bestimmung der Metacarpusrotation einnahm. Da die Länge des Zeigers der Sehne eines Bogens von etwas mehr als 40° entsprach, der Scheitelpunkt des Flexionswinkels aber im Metacarpophalangealgelenk und nicht im Perimetermittelpunkt liegt, kann als Umfang der Flexion ein Winkel von nahezu 50° betrachtet werden. Um zu bestimmen, um wieviel der mit der Phalanx verbundene Zeiger am Ende der Bewegung von der Richtung abweicht, in die er am Anfange durch die Rotation des Metacarpus gebracht worden war, sind die Stücke des sphärischen Dreiecks (Ce Fusspol) zu berechnen, das durch die End- punkte des Zeigers (CO und ce) und den Fusspol gebildet wird. Zwei Seiten dieses Dreiecks (c Fusspol = a = 50° und CO Fusspol = b = 20°) und der eingeschlossene Winkel (© Fusspol e=y=50°) sind durch die oben ange- gebenen Messungen bestimmt. Die Rechnung gestaltet sich wie die obigen, indem aus den Formeln ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 167 te}l@+D) _ eosil@-) , cot4y cosd(a-+b) tgi(e—ß) _ sinl(a—b) cot4y nesnt@ +) die Winkel «=112°, ö=24° gefunden werden. Um die Abweichung der Richtung des Zeigers (C’c) von seiner Lage am Anfang der Flexion (BO) Fig. 2. Die Figur stellt die vom Perimeterbogen beschriebene Halbkugel dar, als sei sie hori- zontal so aufgestellt, dass der Leser hineinsieht. Man denke sich die eigene rechte Hand in der anatomischen Normalstellung so in die Halbkugel hineingesteckt, dass das Sattelgelenk im Mittelpunkte der Kugel liegt. A bezeichnet dann den Schnittpunkt der Längsaxe des Metacarpus mit der Kugel bei der Anfangsstellung, BD bei der Opposition, Die punktirte Linie AB ist der Kreisbogen, den der Schnittpunkt bei der Flexion um die schräge Axe beschreibt. Aa und Bb sind die Stellungen des Zeigers z der Fig. 1 vor und nach der Bewegung. Die punktirte Linie 3C ist die Bahn der Phalanxflexion, so dass C' den Schnittpunkt der Jängsaxe der Phalanx mit der Kugelfläche in der Opposition bedeutet. Ce ist die Endstellung des an der Phalanx befestigten Rotationszeigers. 168 Ren& ou Boıs-Reymonp: zu finden, muss zu 112° der Winkel Fusspol eB hinzugerechnet werden, der gelegentlich als Stück des sphärischen Dreiecks Bc Fusspol bestimmt worden ist und 38° beträgt. Das Supplement des Gesammtwinkels, also 180° — (112° +38°%) = 30°, ist die gesuchte Abweichung, oder der Umfang der Rotation der Grundphalanx. 8. Die Rotationen von Metacarpus und Phalanx in ihren Beziehungen zu einander und zur Circumduction. Augenfälliger und zugleich übersichtlicher kann die Rotation des Daumens durch photographische Aufnahme nach der von Braune und Fischer geübten Methode demonstrirt werden. Man befestigt auf dem Radial er el BE en Sn Te S S N S war oe WWF Ulnar Fig. 3. Photographische Aufnahme der Rotationsstellungen der Phalanx bei Circumduction. Die Striche sind die Verbindungslinien je dreier zusammengehöriger Funkenbilder der Platte. Die Figur stellt die Bewegung des rechten Daumens vor, als. sei die Hand horizontal vorwärts gegen eine senkrechte Wand gestreckt und die Rotation des Daumens auf die Wand projieirt. Daumen ein Holzgestell, welches eine mit einem Ruhmkorff’schen In- ductor verbundene, durch Spitzenpaare unterbrochene Leitung trägt, und seinem Institute die zu diesem Verfahren erforderlichen Apparate zu Gebote, wofür ich biermit meinen Dank sage. ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 169 Das Ergebniss einer solchen Aufnahme stellt die Fig. 3 dar. Der Daumen war in eine Blechhülse gesteckt, an der der Länge nach ein 15m Janges Stäbchen befestigt war, das an seinem Ende ein Querstück trug. Auf diesem war der an drei Stellen unterbrochene Schliessungsdraht des Funkengebers befestigt. Die äusseren Funken waren 10°” weit von einander entfernt. Die Aufnahme geschah aus ungefähr 1-5 % Entfernung. Die Funkenbilder. fielen auf der Platte ungleich scharf aus, sodass es zweck- mässig erschien, das wenig übersichtliche Photogramm durch eine genau übertragene Zeichnung zu ersetzen. b Polar SR Lan Ry 7D zog RN Olnar ’ Fig. 4. Schattenprojeetion auf Metacarpus und Phalanx quer befestigter Zeiger in vier Phasen der Circumduction. Die dünnen mit Zahlen bezeichneten Striche bedeuten die Stellungen des Metacarpus, die diekeren, mit Buchstaben bezeichneten Striche, die Stellungen der Phalanx. Die Lage der Figur ist ebenso zu verstehen wie bei Fig. 3. Mit einfacheren Mitteln erreicht man denselben Zweck, indem man durch Sonnenlicht oder eine andere geeignete Lichtquelle Schattenbilder von an dem Daumen befestigten Zeigern auf eine passend aufgestellte Tafel projieirt und deren Lage bei verschiedenen Phasen der Bewegung auf- zeichnet. 170 Ren& Du Boıs-REeyMmonD: Auf diese Weise ist die Fig. 4 gewonnen. Ueber dem durch eine Blechhülse fixirten Interphalangealgelenk und ebenfalls etwa 10 @® proxi- mal vom Capitulum ossis metacarpi waren quer zwei Holzstäbehen von je 25°m Länge aufgeklebt. Ueber das Handgelenk war ein fester Verband gelegt, in dem gleichfalls ein langer Zeiger befestigt war. Die Lichtquelle war eine 4” entfernte Lampe, die Projectionstafel befand sich etwa einen halben Meter von der Hand entfernt. Die Stellung des. am Handgelenk befestigten Zeigers wurde zu Anfang der Aufnahme bezeichnet und unver- rückt innegehalten. Die Fig. 4 bestätigte zunächst die oben nach den Messungen am Perimeter gemachten Angaben über die Flexion. Da die Entfernung der projieirten Zeiger vom Gelenkmittelpunkt gegeben ist, sind die Winkel- stellungen der Längsaxe des Daumens aus den Abständen der Mittel- punkte der Projectionen leicht zu construiren. Für den Metacarpalknochen ergiebt sich ein Flexionswinkel von nahezu 60° Die hinzukommende Flexion der Grundphalanx gewährt dieser eine Beweglichkeit von über 90°. Ferner geben die beiden Figuren, indem sie die Bewegung der Circum- duction darstellen, Aufschluss über die Grösse der in jeder Stellung mög- lichen Ab- und Adduction. Als Maximum erscheint für den Metacarpal- knochen 30°, für die Phalanx ergiebt sich, indem die Bewegung des Metacarpophalangealgelenks hinzukommt, ein Umfang von ungefähr 60°. Besonders interessant ist aber die gewonnene Darstellung der Rotation beider Knochen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Winkel der Projectionen untereinander nicht unmittelbar die Rotations- winkel sind. Die genaue Berechnung der wirklichen Rotation für jede einzelne Stellung würde eine langwierige Arbeit sein. Um die Werthe der Rotation an verschiedenen Stellen der Circumductionsbahn mit einander zu vergleichen, dürfte indessen die Projection trotz ihrer Verzerrungen ge- nügenden Anhalt bieten. Aus der photographischen Aufnahme (Fig. 3) ergiebt sich vor allem, dass die Rotation durchaus nicht regelmässig auf die von der Längsaxe beschriebene Strecke vertheilt ist. Verfolgt man die Circumduetion im Sinne der Supination von der Streckstellung aus, so zeigt sich, dass fast die Hälfte des Weges ohne bedeutende Drehung zurück- gelegt wird. Erst kurz vor der extremen Opposition findet eine scharfe Wendung (im Sinne der Pronation) statt, die während der beginnenden Reduction noch etwas zunimmt und sodann im weiteren Verlauf des Kreises allmählich wieder ausgeglichen wird. Die Rotationsstellung gleich nach der pronatorischen Wendung, also kurz vor Beginn der Reduction, ist fast genau dieselbe wie kurz vor dem inde der Reduction. Die Verbindungslinie zwischen diesen beiden parallelen Lagen des Zeigers bezeichnet eine Flexionsebene des Daumens, ÜBER DIE ÜOPPOSITIONSBEWEGUNG. 171 in der keine wesentliche Rotation stattfindet. Bei ungezwungener Hal- tung stellt sich der Daumen in eine Mittellage zwischen diesen beiden Stellungen, etwas näher an der Oppositionsstellung ein. Bei Ab- und Adductionsbewegungen findet dagegen stets ein gewisse Rotation statt, durch welche an der Grenze der Bewegung diejenige Ro- tationsstellung entsteht, die bei der Circumduction an der betreffenden Stelle eintreten würde. Die mit Hülfe der Schattenprojection aufgenommene Fig. 4 lässt end- lich erkennen, in welcher Weise sich die Rotation in jeder Stellung aus Rota- tion des Metacarpus und Rotation der Phalanx zusammensetzt. Man sieht, dass die Vertheilung der Rotation auf den Umkreis der Bewegung für die beiden Gelenke auch erheblich verschieden ist. Die mit 1 bezeichnete Stellung des Metacarpuszeigers, die der Extension in der Flexionsebene entspricht, werde als Ausgangsstellung mit 0° be- trachtet. Der Phalanxzeiger ist so angebracht worden, dass er in dieser Stellung (a) dem Metacarpuszeiger parallel ist. Indem man nun zur Spreiz- Tabelle über die relative Lage der Schattenprojectionen auf Fig. 4. Metacarpus Phalanx Bezeichnung EN 5. u ereele der S 59% 88 = EEE oT 88 Das =: Eee El Sees Erneeer ses, Seas Stell = Eu Ss.ost = Isa Be33+53 Er EZUUS 5 9 so.8 3 == >35 Esn8a Z Be o 3 zen = = 5. Aloe 22583 =) 17) Fe = zZ = 2% Bi A 0! [71 Q Aa 'S An |A &n Extension in der Mittelebene] 1. 0° a 0% + 26° + 41° + 15° Spreizstellung | 2. + 26° b. + 41° — 40° — 63° — 23 Opposition 8. — 14° c. — 22° a0 | —_ 4° 0° Abduction 4. — 18° d. — 26° + 18° +. 26% 82 Extension in der Mittelebene| 1. 0° a. 0° 172 REn&k Du Bois-REYMmonp: stellung des Daumens (2) übergeht, erleidet die Projection des Metacarpus- zeigers eine Drehung im Sinne der Supination, die + 26° beträgt, zugleich die des Phalanxzeigers (5) eine Drehung von + 15°. Während nun der Daumen, an die Hand addueirt, in die Opposition (3) geführt wird, kehren die Schatten beider Zeiger in der oben erwähnten scharfen pronatorischen Wendung zur Anfangsstellung zurück und drehen sich noch in dem Maasse darüber hinaus, das der des Metacarpuszeigers die Stellung — 14°, der des Phalanxzeigers — 22° erreicht. In der vierten Stellung, die ungefähr der reinen Abduction des Daumens entspricht, ist die prona- torische Drehung der Metacarpusprojection bis auf — 18°, die der Phalanx- projection auf — 26° angewachsen. Die Phalanx hat also ihre Rotations- stellung gegen den Metacarpus nicht wesentlich geändert. Die Tabelle (S. 171) giebt über diese Zahlenverhältnisse eine Ueber- sicht. 9. Die Opposition des Kleinfingers. Die im Vorstehenden besprochene Rotation des Daumens reiht sich anderen früher beobachteten Beispielen unwillkürlicher Rotation an. Die Rotation tritt nur bei Flexions-, Ab- und Adductionsbewegungen auf, und ist willkürlich, unabhängig von diesen Bewegungen, nicht hervorzubringen. Nur nach längerer Uebung gelingt es durch geeignete Stellung des Daumens, die Rotation noch in merklicher Grösse zu zeigen, während die Flexion fast verschwindet. | Von der von Braune und Fischer an den Fingern beobachteten Rotation insbesondere ist die des Daumens dadurch verschieden, dass sie zu einem wesentlichen Theile im Carpometacarpalgelenk stattfindet. Auch die Drehung im Metacarpophalangealgelenk ist derjenigen der Finger nicht gleichzuachten, weil sie sehr viel grösseren Umfang erreicht. Es drängt sich die Frage auf, wie sich der Kleinfinger verhalte, dem ja auch ein „Musculus opponens“ zukommt. Bewegung des Handwurzelknochens kann beim Kleinfinger noch weniger als beim Daumen angenommen werden, weil bekanntlich die Ge- lenkflächen für die beiden letzten Mittelhandknochen sich an einem einzigen Handwurzelknochen, dem Hakenbein, befinden. Das Carpometacarpalgelenk des Kleinfingers wird als sattelföürmig be- schrieben, meist ohne Angaben über Sinn und Richtung der Flächen- krümmung, oft sogar mit falscher Angabe. Es ist leicht festzustellen, dass die Krümmungen sich umgekehrt verhalten wie beim Sattelge- lenk des Daumens. ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 173 Man vergleiche nachstehende Beobachtungen: Tabelle über die Krümmung der Hamatumfläche. Nummer Körperseite Radioulnare Richtung | Dorsovolare Richtung 1 Rechts CONVex | stark concav 2 ” | »s concav 3 u | & ‚ ulnar concav, radial plan 4 » | plan concav 5 Links | convex ” 7 5 schwach convex “ Die Krümmungen sind durchweg so gering, dass sie nur ganz kleine Bewegungen des Metacarpus gestatten können. Die Flexion ist auf sehr geringen Umfang, die Rotation auf Null redueirt. Das Metacarpophalangeal- gelenk gleicht dem der mittleren Finger, und dementsprechend verhält sich seine Beweglichkeit. Bei Dorsalflexion der Phalanx findet nämlich eine eben bemerkbare Drehung im Sinne der Pronation, bei Volarflexion eine eben so grosse entgegengesetzte Drehung statt. Die Drehung ist deut- licher bei Abduction und Adduction. Diese Angaben berechtigen wohl zu der Ansicht, dass die Oppositions- bewegung des Kleinfingers, sofern sie überhaupt als solche bezeichnet werden darf, mit der des Daumens doch nur wenige Vergleichspunkte gemein hat. Die Existenz des Musculus opponens digiti quinti fällt umsoweniger in’s Gewicht, weil auch schon bei der Opposition des Daumens die Rolle des Museulus opponens pollieis nicht bestimmt bezeichnet werden kann. 10. Zusammenfassung. Der Inhalt der vorliegenden Abhandlung lässt sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1. Die früheren Autoren scheinen geflissentlich der Vorstellung aus- zuweichen, dass bei der Opposition Rotation stattfindet. 2. Das Os multangulum majus ist selbst bei grossem Kraftaufwand gar nicht oder sehr wenig beweglich. 3. Die Winkelbewegung des Metacarpus bei der Opposition ist eine reine Flexionsbewegung um die Axe der convexen Krümmung des Multangulum. 4. Mit dieser Flexionsbewegung findet eine pronatorische Rotation im Sattelgelenk von etwa 30° Umfang statt. | 174 Renk ou Boıs-REyMonD: ÜBER DIE OPPOSITIONSBEWEGUNG. 5. Die Oppositionsbewegung wird ergänzt durch Flexion (und Ab- duction) der Phalanx, die zugleich im Metacarpophalangealgelenk um gegen 30° im Sinne der Pronation rotirt. 6. Das Metacarpophalangealgelenk des Daumens ist dem der übrigen Finger gleich zu achten. Es entbehrt der Leitfurche der Interphalangeal- gelenke. 7. Die Rotation ist auf den Umkreis der Circumduction ungleich und zwar für beide Gelenke verschieden vertheilt. 8. Für beide Gelenke ist am stärksten die pronatorische Rotation, kurz ehe die Oppositionsstellung erreicht wird, am schwächsten die supinatorische Drehung am Anfang der Reduction, die für das Metacarpophalangealgelenk gleich Null ist. 9. Das Carpometacarpalgelenk des Kleinfingers hat Sattelform, aber die Flächen sind in entgegengesetztem Sinne gekrümmt wie die des Daumens. 10. Die Flexions- und Rotationsbewegungen des Metacarpus V sind minimal, die der Phalanx erreichen nicht grösseren Umfang als bei den mittleren Fingern. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1895 — 1896. I. Sitzung am 25. October 1895.' Hr. Cr. pu Boıs-Reymonn (als Gast) zeigte mit dem Kalklicht-Apparat Photographien des Hrn. Dr. J. Joly in Dublin, die verschiedene Gegenstände (Landschaft, Bildniss, Mikroskop, buntes Porzellan, Speetrum) in ihren na- türlichen Farben darstellen. Die Bilder sind Glascopien der ersten Ver- suchsplatten des Erfinders selbst, der — durch gütige Vermittelung des Hrn. Dr. Jagor mit dem Vortragenden bekannt geworden —, ihm solche mit dankenswerther Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt hat. Bei nur geringen technischen Mängeln zeigen sie viele Einzelheiten in überraschender Natur- treue des Farbentones. Das Verfahren Dr. Joly’s besteht darin, einen „Farbenschirm“ in der Camera vor die gewöhnliche orthochromatische Trocken- platte zu legen. Der Farbenschirm ist eine Platte aus Spiegelglas, auf welcher mit Ziehfedern und der Theilmaschine farbige Streifen von !/, mm Breite aufgetragen sind. Es werden dazu farbige Lasurtinten in drei mög- licehst den von Arthur König ermittelten Grundfarben entsprechenden Tönen benutzt. Die Streifen sind abwechselnd roth, grün und blau und der Intensität nach so abgestimmt, dass der Farbenschirm, aus genügender Ent- fernung betrachtet, gleichmässig weiss erscheint. Die hinter dem Farben- schirm exponirte Platte liefert ein Negativ, das auf Glas copirt wird. Die Copie gleicht einer gewöhnlichen schwarzen Photographie, bis auf eine zarte Strichelung, die den Schatten der Farbenstreifen entspricht. Diese Schatten enthalten jedoch gerade die Verdunkelungs- oder Schwarzwerthe, die an jedem Orte von den Einzelstreifen des Farbenschirmes zu subtrahiren sind, um die ursprüngliche örtliche Mischfarbe wieder zu schaffen. Werden also jetzt das Positiv und der Farbenschirm scharf auf einander gepasst, so dass die Streifen sich decken, und in dieser Lage befestigt, so erscheint in der Durchsicht durch beide Gläser das naturfarbige Bild. In grosser Nähe oder unter dem Mikroskop erkennt man, dass lediglich das Roth, Grün und Blau des Schirmes mit, dem zugemischten Grau der Bildschicht vorhanden sind; sobald man aber das Bild in die geeignete Entfernung vom Auge bringt, ! Ausgegeben am 29. November 1895. 176 VERHANDLUNGEN DER BERLINER vollzieht sich in der Netzhaut die richtige Mischung, und die mannigfaltig- sten Färbungen treten mit höchster Lebhaftigkeit auf. Hr. Joly versichert, dass die Farbenschirme binnen kurzem fabrikmässig hergestellt werden sollen. Da die Handhabung des Verfahrens sonst nichts erfordert als die jedem photographischen Anfänger geläufigen Handgriffe, wird alsdann der allgemeinen Ausübung nichts mehr im Wege stehen. E II. Sitzung am 8. November 1895. 1. Hr. D. HansemAnn hält den angekündigten Vortrag: Ueber die srossen Zwischenzellen der Hoden. Die bekannten grossen Zellen in der Zwischensubstanz der Hoden wurden bereits von Henle, Leydig, Kölliker u.A. beschrieben. In allen Lehr- büchern finden sich Angaben über ihre Existenz. Dagegen weiss man über ihre Herkunft und ihre Bedeutung bisher sehr wenig, Waldeyer hat ihnen stets eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Er ist der Ansicht, dass sie zu den Gefässen in einer ähnlichen Beziehung stehen, wie die Perithelien zu den Gefässen der Pia. Früher war er geneigt, sie in eine Reihe mit den Mastzellen zu stellen, neuerdings aber hat er sie ausdrücklich davon getrennt (Sitzung der Akademie vom 11. Juli 1895). Er hat ferner nach- gewiesen, dass ganz ähnliche Zellen in der Glandula carotica und coceygea vorkommen, und dass sie auch zur Ursprungsstätte von Geschwülsten werden können. Auch Jakobsohn hat sich näher mit diesen Zellen beschäftigt ! und giebt an, dass sie mit dem Alter beim Menschen zunehmen und sich mehr mit Pigment anfüllen. Bei Untersuchungen über das Verhalten der Gewebe im Winterschlaf der Thiere fand ich bei Murmelthieren, dass die grossen Zwischenzellen während des Schlafes fast ganz fehlen, während sie im Frühjahr nach dem Erwachen so mächtig entwickelt sind, wie beim Eber, dem Kater, dem Maul- wurf u. a. Die Zellen sind also kein constanter Factor, sondern können in ihrer Erscheinung wechseln. Beim normalen Menschen verhalten sie sich folgendermaassen: Beim Neugeborenen sind sie sehr deutlich. Zur Puber- tätszeit nehmen sie mit der Entwiekelung der Canälchen allmählich ab. Im . kräftigen Mannesalter sind sie spärlich, so dass man nur hier und da kleine Gruppen von 5 bis 8 Zellen findet. Eine bestimmte Beziehung zur Sperma- togenese, die in vielen Krankheitsfällen sehr schnell abnimmt, lässt sich nicht constatiren. Auch konnte eine feste Beziehung zu den Gefässen nicht ge- funden werden. Mit zunehmendem Alter nehmen die Zellen nur unwesent- lich zu und nur ganz ausnahmsweise kommt es zu einer deutlichen Wuche- rung derselben, so dass kleine Knötehen aus ihnen entstehen, die niemals so gross werden, dass sie mit blossem Auge gesehen werden können. Bei allen kachektischen Krankheiten nehmen die Zellen in mässigem Grade zu. Bei zwei Erkrankungsformen aber sind sie ganz regelmässig erheblich ver- mehrt, die eine ist die perniciöse Anaemie, die andere die Haemochroma- tosis. Die Hoden sehen dabei schon makroskopisch graubraun aus, sind von ı Virchow’s Archiv. Bd. LXXV. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — D. HAnsEmAnn. — Rawızz. 177 etwas zäherer Consistenz und die Canälchen lassen sich mit der Pincette nicht lang herausziehen. Obwohl sich hierbei die Zellen soweit, entwickeln können, dass die Hoden wie die eines Ebers aussehen, so kann man an denselben doch niemals Wucherungserscheinungen wahrnehmen. Man muss daher annehmen, dass bestimmte Bindesubstanzzellen im Stande sind, sich in die grossen Zwischenzellen umzuwandeln. Die Anhäufung des braunen Pig- mentes bedeutet nicht eine braune Atrophie, sondern eine Pigmentinfiltration, wie sich solche bei der Haemochromatose auch in anderen Zellen findet. Das Pigment ist in der Regel auch eisenhaltig. Bei den interstitiellen Entzündungen des Hodens, z. B. bei Syphilis, Tubereulose, Gonorrhoe und Lepra betheiligen sich die Zellen nicht. Da- gegen können sie, wie schon Waldeyer hervorhob, Geschwülste bilden, die grosszellige Sarcome darstellen mit einer deutlichen Zwischensubstanz und so ausgebildetem Stroma, dass sie bei schwacher Vergrösserung als alveolaere Careinome imponiren können. Ein ausführlicher Bericht über die Zellen mit Abbildungen ist in Virehow’s Archiv Bd. CXLII, S. 538 erschienen. 2. Hr. Rawırz sprach: Ueber den Einfluss verdünnten See- wassers auf die Furchungsfähigkeit der Seeigeleier. In Bd. LV des Pflüger’schen Archivs für die gesammte Physiologie findet sich eine Abhandlung von J. Loeb, betitelt: :‚Ueber eine einfache Methode, zwei oder mehr zusammengewachsene Embryonen aus einem Ei hervorzubringen.“ Der Autor beschreibt darin Versuche, welche er an See- igeleiern derart angestellt hat, dass er sie 10 Minuten nach vorgenommener künstlicher Befruchtung in ein Seewasser brachte, „dem 100 Procent seines Volumens destillirtes Wasser zugefügt war.“ Wurden die Eier nach einiger Zeit in gewöhnliches Seewasser zurückgesetzt, so furchten sie sich in nor- maler Weise und zwar entstanden nun, da in dem verdünnten Seewasser ein Theil der Eisubstanz durch einen Riss der Eihaut als „Extraovat“ aus- getreten und mit dem Reste des Eies in Verbindung geblieben war, Zwillings- embryonen, einer vom Eirest, der andere vom Extraovat. Das hohe theoretische Interesse, welches diesen Beobachtungen unstreitig zukommt, hat mich veranlasst, als ich im vergangenen Jahre mit Unter- stützung des Königl. Preussischen Cultusministerii und der Direction des Berliner Aquarium, denen beiden ich dafür aufrich- tigen Dank sage, in der zoologischen Station zu Rovigno arbeitete, die Loeb’schen Versuche nachzumachen. Kann ich auch nicht die Angaben von Loeb über Zwillingsbildung bestätigen, was möglicher Weise auf die Differenz der benutzten Arten (Loeb: eine nicht genannte Art von Arbacia, ich: Strongylocentrotus lividus) zurückzuführen ist, so haben meine Versuche doch einige Resultate ergeben, deren kurze Mittheilung nicht ohne einiges Interesse sein dürfte. Eier von Strongylocentrotus lividus wurden 10 Minuten nach der Besamung in ein gemäss der Vorschrift von Loeb mit destillirtem Wasser verdünntes Seewasser gebracht, nach 15 Minuten wurde das 6fache an nor- malem Seewasser beigefügt, dann, nachdem sich die Eier zu Boden gesenkt hatten, das Seewasser abgegossen und normales aufgefüllt. Im Ganzen habe Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 12 178 VERHANDLUNGEN DER BERLINER ich drei Befruchtungsversuche, an drei verschiedenen Tagen je einen, aus- geführt, aber nur bei einem ein positives Resultat erhalten. In den beiden resultatlos verlaufenen Versuchen hatten fast alle Eier, von deren gelungener Befruchtung ich mich vor Zusatz des verdünnten Seewassers durch das Mikro- skop überzeugt hatte, ein oder zwei Extraovate, aber keines derselben furchte sich nach Zurückbringen in normale Verhältnisse, alle vielmehr zerfielen nach längerer oder kürzer Zeit krümlich. In dem Versuche mit positivem Ergebnisse wies nur ein Theil der Eier ein Extraovat auf, die meisten waren normal geblieben; worauf die hier hervorgehobene Differenz beruht, vermag ich nicht zu sagen. Während die unverändert gebliebenen Eier in ganz normaler Weise sich furchten, war an den Eiern mit Extraovat Folgendes zu beobachten. Der innerhalb der Eihaut verbliebene Eirest, dessen Volumen stets be- trächtlicher war als das des Extraovates, welch’ letzteres auch niemals den Kern enthielt, hatte sich so ausgedehnt, dass er einem normalen Seeigelei vollkommen glich. Die Eihaut, in welcher der Riss, aus dem das Extraovat ausgetreten, deutlich erkennbar war, bildete nirgends Falten, welche auf eine Verkleinerung des Volumens hingewiesen hätten. Nach normaler Zeit, d.h. zur selben Zeit, wie in den vom selben Versuch stammenden Eiern ohne Extraovat, trat im Ei eine Doppelstrahlung auf und die Richtung, welche dieselbe hatte, entschied über das Schicksal des Eies und des Extraovates. Stand die Kernspindel so, dass das Extraovat in der Verlängerung des einen Poles sich befand, gehörte dasselbe demnach nach der ersten meridionalen Furche der einen (linken oder rechten) Blastomere an, so erhielt zwar das Extraovat einen Kern, aber eine Weiterentwickelung fand nicht statt. Das nunmehr kernhaltige Extraovat wuchs zusehends auf Kosten seiner Blasto- mere, indem es dieselbe aus der Eihaut herauszog, und zerfiel sehr bald krümlich. Und ebenso ging der Rest eines solchen Eies nach kurzer Zeit zu Grunde. War dagegen die Stellung der ersten Spindel derart, dass das Extraovat in die Verlängerung der ersten meridionalen Furche fiel, dann war das Er- gebniss ein anderes. Noch vor Eintritt der Furche, aber nach Ausbildung der Spindel, schnürte sich das Extraovat von dem Ei völlig ab, wobei die Eihaut sich anscheinend schloss, und zerfiell. Der Rest des Eies furchte sieh in normaler Weise. Die ersten vier Blastomeren, nach Eintritt der äquatorialen Furche, waren durchaus übereinstimmend, d. h. die beiden ekto- dermalen Zellen besassen genau die gleichen Mäasse und ebendasselbe war der Fall mit den beiden Entodermzellen. Die Weiterentwiekelung bis zur Blastula verlief ganz normal, wie ich aus dem Vergleich mit den Eiern constatiren konnte, bei denen kein Extraovat sich ausgebildet hatte, und als ich nach einiger Zeit wieder nachsah, fand ich so vollkommen überein- stimmende Gastrulae, dass eine Differenz zwischen denjenigen, die von Eiern mit, und denen, die von Eiern ohne Extraovat herstammten, nicht zu con- statiren war. Oder richtiger ausged rückt: die zur Beobachtung gelangenden Gastrulae waren so übereinstimmend, dass nichts an ihnen auf .eine ver- schiedene Provenienz hinwies. Auf diesem Stadium brach ich die Beobachtung ab. Die Angaben, welche Loeb über die Erzielung von Zwillingsembryonen gemacht hat, kann ich auf Grund meiner eigenen Untersuchungen zwar nicht PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — RAWITZ. 179 bestätigen, aber ich habe auch kein Recht, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Ein negatives Resultat kann einem positiven gegenüber erst dann in’s Ge- wicht fallen, wenn der Nachweis erbracht ist, dass bei der Erzielung des positiven erhebliche Fehlerquellen von Ausschlag gebender Bedeutung waren. Einen solchen Nachweis kann ich aber um so weniger beibringen, als ich meine Versuche an einer ganz anderen Species wie Loeb anstellte, die möglicher Weise für die beabsichtigten Zwecke, namentlich im Herbst, in welcher Jahreszeit ich arbeitete, nicht günstig ist. Aber auch so bieten meine Versuchsergebnisse einiges theoretisches Interesse. Wie Loeb auf Grund der Zwillingsbildung sagen durfte, dass jeder Theil des Eies einen ganzen Embryo bilden könne, so kann ich, mich stützend auf die normale Entwickelung der Eier, welche ihr Extra- ovat abgestossen hatten, den Schluss ziehen, dass ein Ei, welches einen mehr oder minder beträchtlichen Substanzverlust erlitten, einen normalen Embryo zu bilden vermag. Ein solches Resultat ist in einem contradietorischen Gegensatze zu der von Weismann in jüngster Zeit aufgestellten Präformationstheorie. Wären die Weismann’schen Anschauungen richtig, wäre wirklich jeder Theil des Eies für einen bestimmten Theil des späteren Embryo präformirt, so dürfte, nachdem das Ei einen Theil seiner Substanz verloren hat, sich niemals mehr ein normaler Embryo entwickeln. Geschieht dies dennoch, wie in den Loeb’schen und in meinen Versuchen, dann kann auch von einer Präformation keine Rede sein. In einem verstümmelten Ei fehlt eine mehr oder minder beträchtliche Zahl Weismann’scher Determinanten, es müssten also auch diejenigen Theile bei der Entwickelung ausfallen, für welche die fehlenden Determinanten bestimmt waren. Theorieen wie die Determinantentheorie Weismann’s sind ausschliessende, d. h. sie sind etweder richtig und dann müssen sie in allen Fällen aus- nahmslos sich verifieiren lassen, oder aber es giebt Thatsachen, welche nicht nur mit der Theorie sich nicht vereinigen lassen, sondern derselben geradezu widersprechen, und dann ist die Theorie falsch. Die von Loeb und die von mir beobachteten Thatsachen aber sind mit der Weismann’- schen Lehre in keiner Weise in Einklang zu bringen, die Lehre ist daher nicht richtig, zum Mindesten wird sie in ihrer Geltung ganz bedenklich erschüttert. Man hat mir bei privater Besprechung dieses Vortrages (ich glaube bei der Veröffentlichung auf die mir gemachten Einwände eingehen zu sollen) entgegengehalten, dass für die Gastrulae, die von Eiern mit Extraovat stammten, der Beweis nicht erbracht sei, dass sie wirklich normal gewesen. Die Möglichkeit, dass einige Zellgruppen fehlten, welche durch vermehrte Neubildung von der Nachbarschaft aus ergänzt worden seien, wäre nicht auszuschliessen. Den Einwand habe ich, als er mir gemacht wurde, nicht verstanden und verstehe ihn auch jetzt noch nicht, wo ich den Vortrag niederschreibe. Es ist im Prineip ganz gleichgültig, ob die Beobachtung der Furchung des Eies bis zur Gastrula fortgesetzt oder nach Eintritt der ersten meridionalen Furche abgebrochen wird. Ist ein verstümmeltes Ei überhaupt im Stande, zwei einander vollkommen gleiche erste Ektoderm- und ebenso zwei vollkommen gleiche Entodermzellen zu liefern, dann ist die 12* 180 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Präformation bereits widerlegt. Denn nach der Determinantentheorie dürfte ein verstümmeltes Ei nicht einmal zwei normale Furchungszellen liefern. Bis zum Eintritte der Gastrulation habe ich die Beobachtung nur fortgesetzt, um zu sehen, ob die Weiterentwickelung durch die Verdünnung des See- wassers unterdrückt wird oder nicht. Eine solche Unterdrückung braucht nicht nothwendig schon bei den ersten Furchungsstadien sich bemerkbar zu machen; diese können ganz gut normal verlaufen und dennoch kann die Entwickelungsfähigkeit gelitten haben. Dass dies nicht der Fall, davon habe ich mich, nachdem einmal meine Ergebnisse von denen Loeb’s diffe- rirten, überzeugen wollen. Ein fernerer (privatim erhobener) Einwand war der, dass die Regene- rationsfähigkeit des Eiplasma so gross sei, dass jeder Substanzverlust sofort ersetzt werde. Und zwar wurde „Regeneration“, wie das im Worte liegt, als Ausdruck einer Thätigkeit, eines activen Verhaltens der Eizelle ver- standen. Ein solcher Einwand ist mir ebenso unverständlich wie der vorige. Dass eine Regeneration Statt hat, kann man ja annehmen, aber eine solche Annahme ist doch kein zwingender Beweis, ist kaum eine Deutung zu nennen. Wenn man die Thatsachen sich nach seinen Vorstellungen zurecht legen will und nicht vielmehr die Vorstellungen den Thatsachen anzupassen sucht, dann kann man alles Mögliche erklären, dann verliert man aber auch sehr bald in seinen Erklärungen den empirischen Boden und geräht in’s Nebel- hafte. Die Regenerationsfähigkeit der Eizelle, die einen Theil ihrer Substanz durch Extraovat verloren hat, muss einwandsfrei bewiesen werden, das ein- fache Aussprechen des Wortes „Regeneration“ ist ein solcher Beweis nicht. Die hier geschilderten Versuche lehren, dass ein verstümmeltes Ei. eine nor- male Gastrula liefern kann, dass ein solches Ei, wenn durch die Ver- stümmelung die Lebensfähigkeit nicht leidet, mechanisch sich auf seine normale Grösse ausdehnen kann, beweisen aber nicht das Geringste dafür, dass nach Eintritt der Verstümmelung eine Regeneration Platz greift, d. h, dass durch eine besondere Plasmathätigkeit eine volle Restitutio in integrum. ein Ersatz der verlorenen Eimasse erfolgt. Die Versuchsergebnisse sind geeignet, die Weismann’sche Determi- nantenlehre in ihren Grundlagen zu erschüttern und deswegen habe ich. sie hier vorgetragen. (Ein genaueres Eingehen auf die Litteratur der Entwiekelungsmechanik, besonders auf eine neuere Arbeit von Loeb, lag nicht in der Absicht des Vortragenden.) III. Sitzung am 22. November 1895." Hr. Dr. PauL ScHurzz (a. G.): Demonstration der Knochenath- mung der Vögel am Humerus der Ente. M. H.! Hr. Prof. du Bois-Reymond pflegt in seinen Vorlesungen am Ende der Lehre von der Athmung einen vergleichenden Ueberblick über die Physiologie der Athmung in der Thierreihe zu geben. Dabei wird die sehr interessante Thatsache erwähnt, dass Harvey, eben jener ! Ausgegeben am 24. December 1896. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — PAUL SCHULTZ. 181 Harvey, dem wir die Kenntniss des Kreislaufs des Blutes verdanken, es war, welcher zuerst die Luftsäcke der Vögel auffand, dass Hunter die Pneumatieität der Knochen der Vögel entdeckte, und dass er auch zuerst einen Vogel nach abgebundener Trachea durch den Humerus athmen liess. Dieses Experiment, wird hinzugefügt, wurde dann von Sappey derart demonstrabel gemacht, dass er das durch den Humerus athmende Thier ein Licht ausblasen liess. Diese Angaben veranlasten mich, den Versuch, der sonst in der deutschen physiologischen Litteratur, soweit ich habe Einsicht nehmen können, gar nieht erwähnt wird, nachzumachen. Die einzige Anleitung! dazu fand ich in Paul Bert’s: Lecons sur la physiologie comparee de la Respiration (Paris 1870); sie lautet: Un tube de verre est fix@ ä& la trachee d’un canard; puis ’humerus est ampute, sans perte importante de sang, denude et coifte d’un tube de cautchoue. Ich möchte daher im Folgenden eine Beschreibung geben, welche Jedem diesen schönen Demonstrationsversuch leicht und sicher anzustellen ermög- lieht. Eine Ente wird auf dem Rücken (hierzu eignet sich vorzüglich das Cowl’sche Brett, vergl. diese Verhandlungen S. 187) durch einen Bügel un- mittelbar hinter dem Unterkiefer, durch einen zweiten am Schnabel und durch je eine Schlinge an den Pfoten befestigt. Da Vögel in solcher Lage sehr leicht in Hypnose verfallen, so liegt das Thier während der ganzen folgenden Operation meist vollständig stil. Man macht zuerst die Tracheotomie, bindet eine knieförmige Canüle ein, deren freies Ende ein Stück Kautschukschlauch trägt, welches leicht mit einem P&an verschlossen werden kann. Dies ist nothwendig, weil die Trachea der Ente so ausser- ordentlich feste Wandungen hat, dass es nur schwer möglich ist, sie durch Zudrücken sicher zu verschliessen. Nun breitet man einen Flügel aus, rupft über dem Humerus, der leicht durchzufühlen ist, die grösseren Federn aus und säubert mit der Scheere nach. Man sieht dann schon eine Sehne als weissen Strang durch die sehr dünne Haut durcehschimmern. Auf diese schneidet man ein, indem man sich immer mehr nach der medianen, also bei ausgebreitetem Flügel nach der dem Thorax zu gelegenen Seite des Humerus hält, um die grossen Gefässe, welche auf der äusseren Seite verlaufen, zu vermeiden. Man legt stumpf den Knochen von den umgebenden Muskeln und dem zarten Periost frei und dringt damit nach oben vor. Dabei trifft man ziemlich in der Mitte des Knochens auf ein, wie es scheint, constant vorkommendes Emissarium, aus welchem eine kleine Vene heraustritt; sie wird zwischen zwei Ligaturen durchschnitten. Dieses Emissarium giebt einen sicheren Anhalt für die Höhe, in welcher der Humerus durchtrennt werden muss, wenn der Versuch gelingen soll. Wenn man nämlich, wie ich es nach dem Vorschlage meines Collegen R. du 1 J. Hunter’s Werke waren mir nur in der franz. Uebersetzung von G. Richelot (Paris 1841) zugänglich. Dort (Bd. IV, S. 250, Anm.) wird der Prioritätsstreit über die Entdeckung der lufthaltigen Vogelknochen gegen Camper zu Gunsten Hunter’s entschieden, dessen schon am 27. Februar 1774 in der Royal Society gelesene Mitthei- lung im selben Jahre in den Philosophical Transactions gedruckt erschien. 8. 255 heisst es über die Operation: Je divisai P’aile dans la continuite de ’humerus et apres avoir lie la trachee, je constatai que l’air penetrait dans les poumons et revenait de ces organes par le canal de os. Sappey’s Werke waren leider nicht zu erlangen. 182 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Bois-Reymond that, einen herauspraeparirten Humerus der Länge nach mit einer feinen Säge in zwei Hälften zerlegt, so gewahrt man, wie die beiden unteren Drittel des Knochens mit rothem, weichem, sehr blutreichem Mark gefüllt sind, während das obere Drittel davon völlig frei bleibt, in Folge dessen weiss aussieht und unter der dünnen compacten Rinde luft- haltige, von feinsten Bälkchen durchzogene Hohlräume führt. Die Grenze zwischen diesen beiden so verschieden beschaffenen Regionen liegt nun, ziemlich scharf gezogen, etwa 2% proximal von dem erwähnten Emissarium. Man praeparirt also den Knochen noch über diese Grenze hinaus nach oben frei, wo er zugleich breiter und platter wird, schiebt unter ihn einen breiten stumpfen Halter durch und sägt ihn durch unter Vermeidung einer auf der medianen Seite verlaufenden grossen oberflächlichen Vene. Sofort erblickt man die lufthaltigen Poren des Knochens, kein Tropfen Blut tritt heraus. Hat man die Durchtrennung zu tief vorgenommen, ist man in das weiche Mark gerathen, so erhält man profuse Blutungen, und von Lufträumen ist natürlich nichts zu sehen. Man kann sich auch dann noch helfen, indem man schnell den distalen Knochenstumpf mit Pengavar verstopft und das proximale Stück höher oben durchsägt. Liegen die Lufträume frei zu Tage so bindet man auf den Knochenstumpf ein Stück Kautschukschlauch fest, in dessen freies Ende ein nach abwärts etwas verjüngtes Glasrohr eingefügt ist. Die Wunde wird gereinigt, und der Flügel mitsammt dem Humerus, Schlauch und Glasrohr in die gewöhnliche Lage an den Thorax zurückgebracht. Klemmt man jetzt die Trachealcanüle zu, so beginnt alsbald das Thier durch den Knochen zu athmen und löscht bei der Exspiration eine vor die Öeffnung des Glasrohres gehaltene kleine Kerze aus. Die ganze Operation dauert etwa 25— 30 Minuten und verläuft, hat man das Thier ein bis zwei Tage vorher dürsten lassen, ohne nennenswerthe Blutung. Die Athmung kann auf diese Weise einige Zeit ertragen werden; so sah Sappey eine Ente 48 Stunden bei solcher Knochenathmung leben. Dass die Pneumatieität der Knochen, dies mag schliesslich hinzuzufügen noch gestattet‘ sein, zur Erleichterung des Skelets diene, und somit eine wesentliche Bedingung des Vogelfluges sei, lässt sich nach den neuesten Untersuchungen nicht mehr behaupten. Denn man kennt ausgezeichnete Flieger, welche, wie die Sterna, keine, oder, wie die Möven, fast gar keine lufthaltigen Knochen haben. Andererseits mag ihr Vorhandensein bei grösseren Vögeln zur Verminderung des Gesammtgewichts beitragen und damit bei den Fliegern die Flugarbeit erleichtern und bei den Schwimm- vögeln zur Herabsetzung des specifischen Gewichts noch von besonderer Bedeutung sein. „Etwas Eigenartiges, nur fliegenden Thieren oder nur der Classe der Vögel Zukommendes liegt in der Einrichtung der Knochen- pneumatiecität überhaupt nicht. So haben die Untersuchungen Marsh’s über die zum grossen Theil gigantischen Dinosaurier Amerikas gezeigt, dass auch unter ihnen lufthohle Knochen allgemein verbreitet waren. Auch die Sinus frontales, sphenoidales u. s. w. der Säugethiere gehören hierher. Hier wie dort handelt es sich offenbar in erster Linie um eine Ersparniss an Material (Strasser).“! ı Wiedersheim, Vergleichende Anatomie d. Wirbelthiere. Jena 1883. S. 681. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. 183 IV. Sitzung am 6. December 1895. 1. Hr. InmAanteL Monk hielt den angekündigten Vortrag: Ueber das zur Erzielung von Stickstoffgleichgewicht nöthige Minimum von Nahrungseiweiss. Nachdem ich bereits 1885 eine Beobachtung am Hunde mitgetheilt hatte, bei dem es gelungen war, durch überreichliche Fütterung mit Kohle- hydraten neben einer geringen Gabe von Fleisch den Eiweissumsatz unter die Grösse des Eiweissverbrauches beim Hunger herunter- zudrücken, und diese Erfahrung gelegentlich einer Untersuchung über die Folgen ausreichender, aber eiweissarmer Ernährung in ausgedehnten Ver- suchsreihen an 4 Hunden wiederholt bestätigen konnte, endlich auch auf eine gleiche Beobachtung am Menschen, der zuvor 6 Tage gehungert hatte, gestossen war, schienen diese Erfahrungen um so mehr dem gesicherten Be- stande der experimentell gefundenen Thatsachen eingereiht werden zu dürfen, als inzwischen auch von Rubner, F.Hirschfeld, Kumagawa, Klemperer, Breisacher u. A. über Beobachtungen an Menschen berichtet worden ist, in denen ein fast unglaublich niedriger Werth des Eiweissumsatzes beim Genuss von sehr viel Kohlehydraten neben wenig Eiweiss festgestellt worden ist, niedriger als er für gewöhnlich, nach unseren und Luciani’s Ermitte- lungen, beim hungernden Menschen in die Erscheinung tritt. Alle diese Erfahrungen stellten sich in schroffen Gegensatz zu dem von Carl Voit proclamirten Lehrsatz, „es giebt auch für die Zufuhr von Eiweiss mit Kohle- hydraten eine untere Grenze, unter welche man nicht gehen darf, ohne dass der Körper Eiweiss verliert, und welche immer höher steht, als die Eiweisszersetzung beim Hunger“. Neuerdings hat nun Erwin Voit im Verein mit Korkunoff versucht, dem alten Satze von C. Voit, wenigstens für den Hund, wieder zu seinem Rechte zu verhelfen. Sie theilen 7 Fütterungsreihen an 3 Hunden mit, die zuerst mehrere Tage bis zum Eintritt des typisch niedrigen N-Umsatzes hungerten und dann ein analysirtes Futter erhielten, das neben wenig Eiweiss sehr viel Kohlehydrate einschloss. In 3 dieser Reihen finden auch sie den Eiweissumsatz unter der Grösse des Hungerverbrauches liegen; aber mit Hülfe einer verschlungenen Rechnung und unter der zweifellos unberech- tigten Annahme, dass, gleichwie beim Hunger, auch bei der Fütterung der mit dem Koth ausgestossene N-Betrag nur den Residuen der N-haltigen Stoffe der in den Darm ergossenen Verdauungssäfte, des Darmschleims. der abgestossenen Darmepithelien u. s. w. entstamme und deshalb als vom Körper geliefert, d.h. verbraucht, anzusehen und dem Eiweissumsatze zuzurechnen sei, kommen sie zu dem Schluss, dass auch in diesen Fällen der Eiweiss- verbrauch jedenfalls nicht niedriger anzusetzen sei, als der im Hunger- zustande ermittelte. Indem ich mir vorbehalte, in meiner ausführlichen Veröffentlichung auf Grund einer kritischen Beleuchtung der Versuche und Berechnungen von Voit und Korkunoff nachzuweisen, dass auch diese Versuche, wofern man nur den festgestellten Thatsachen und Erfahrungen keinen Zwang anthut, den Eiweissverbrauch des Hundes als unter dem Hungerwerth gelegen that- sächlich ergeben, beschränke ich mich heute darauf, über eine von mir (im Zuntz’schen Laboratorium) ausgeführte Versuchsreihe zu berichten, die für 184 VERHANDLUNGEN DER BERLINER den zuerst von mir, entgegen C. Voit aufgestellten Satz ein durchaus ein- wandfreies Beweisstück liefert. Eine junge magere Hündin von fast 258 erhielt zuerst ein aus Fleisch, Reis und Fett bestehendes Futter, hungerte dann 6 Tage lang (an 4 Tagen nahm sie je 200 bis 250m Wasser auf), wobei ihr Gewicht auf 22.3 3 absank, bekam dann eine auf N und Fett analysirte Nahrung, neben 100 &” Fleisch und 758% Schmalz zuerst 200 3”® Reis, am 3. und 4. Tage je 210, am 5. 225, am 6. und 7. Tage je 2508’” Reis. Der Harn wurde durch den Katheter gewonnen; der pechschwarze Hungerkoth war, da in der Vor- fütterungs-, ebenso wie in der Nachfütterungsperiode in Folge der kohle- hydratreichen Ration ein gelber Koth abgesetzt wurde, scharf abzugrenzen; am Schluss der Nachfütterung bewirkte die Darreichung von Knochen eine genaue Abgrenzung des auf diese Periode treffenden Kothes. Hungerperiode. Harn-N Koth-N 1. Tag. 71-242 RR 6-775 3 6.514. ) 9,301 AS 6-076 pro Tag De 5-935 Os 6-23 Fütterungsperiode. Harn-N Koth-N N verfüttert 1. Tag 17-445 [ | 5.695 2 ss 66-775 - 5695 gute, 5-61 En | 5-8 PTERyE 5-81 m | 5-8 Be 5-02 p2O2722 5-96 Br 4-62 6-23 7 r 4:68 6-23 Das Resultat ist ohne Weiteres klar. In der Hungerperiode betrug der Harn-N am 4. bis 6. Tage, wo die Ausscheidung annähernd gleichmässig geworden ist, im Tagesmittel 6-088"" N; dazu der Koth-N mit 0-35018'T N ergiebt einen Verbrauch von 6-388m N, In der nachfolgenden Periode bei einem Futter mit einem Inhalt an potentieller Energie, entsprechend 66 bis 72 Calorien per Körperkilo, ist am 5. Tage bereits N-Gleichgewicht eingetreten, am 6. und 7. Tage ist die N-Ausscheidung durch Harn und Koth sogar schon erheblich, um rund ?/, &", niedriger als die N-Einfuhr mit dem Futter, d.h. es ist bereits ein Ansatz von 3/,&” N, entsprechend 4.88'm Eiweiss oder 228m Fleisch, täglich zu verzeichnen. Dabei beträgt der N-Umsatz, wofern wir zunächst nur die N-Ausfuhr durch den Harn als Maassstab nehmen, 4-62 bis 4.688”, also im Mittel 4.658". Von dem N des auf diese Periode treffenden Kothes würde auf jeden Tag 0.862 8’% entfallen, d.h. fast 3 Mal so viel als in der Hungerperiode. Es kann kein Zweifel sein, dass wenigstens ein Theil davon auf unverdaute Residuen des eingeführten Futter-N (Eiweiss des Fleisches und Reis) zu beziehen ist, um so mehr, als, wie schon die makroskopische Betrachtung ergab, sich einzelne Reiskörner im Koth fanden, also unverdaut abgegangen waren, und nach Maassgabe der quantitativen Bestimmung der löslichen Kohlehydrate im Koth (nach Maercker’s Methode) etwa 2-9 Proc. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. — (owL. 185 der Einfuhr von Kohlehydraten des Reis unausgenutzt ausgestossen worden waren. Machen wir mit Voit und Korkunoff die sicherlich ganz unberech- tigte und für das Versuchsergebniss denkbar ungünstigste Annahme, dass der Koth-N überhaupt nicht vom Nahrungs-N stamme, sondern aus Residuen der Verdauungssäfte, Darmschleim u. s. w. besteht und demnach als vom Körper geliefert, d. h. als vom Körperbestande verbraucht anzusehen sei, so würde, selbst in diesem ungünstigsten Falle, 4-65 + 0-86 = 5-515'"" N als verbraucht sich ergeben, d.h. noch 0.98” N oder rund 14 Procent weniger als im Hunger. Rechnen wir aber, was den thatsächlichen Verhältnissen eher entsprechen dürfte, den Koth-N nur zur Hälfte vom unverdauten Nahrungs-N stam- mend, so beträgt der N-Umsatz bei der Fütterung sogar 20 Procent weniger als im Hunger. Damit ist gegen jeden Einwand sicher gestellt, dass bei Fütterung mit sehr reichlichen Gaben von Kohlehydraten und wenig Ei- weiss, bei der nicht nur N- und Körpergleichgewicht, sondern sogar N- und Gewicehtsansatz (das Gewicht des Hundes nahm in den 7 Fütterungstagen um 6008" zu) erzielt wird, der N- oder Eiweissverbrauch beträcht- lich unter "die Grösse des „typischen Hungerminimums“ ab- sinken kann. 2. Hr. Cowu hält den angekündigten Vortrag: Ein allgemeiner Thierbalter und Operationsbrett. M. H.! Der operative Thierversuch, welcher in Folge der praktischen Bedürfnisse der experimentellen Mediein schrittweise ausgebildet worden ist, hat schon eine Reihe von Aufspannungsvorrichtungen gezeitigt, welche einerseits Operationen bezw. Demonstrationen am Thiere erleichtern, an- dererseits das letztere schonen. Wir haben 1. den einfachen Tatin’schen Kopfhalter! Pariser Modells, bestehend aus einer über den Kopf reichenden Hinterhauptgabel und einem darauf verschieblichen Schnauzring, welcher in allen Fällen, wo nicht am Kopfe oder Nacken des Thieres operirt wird, wenig zu wünschen übrig lässt; 2. das Czermak’sche Kaninchenbrett? mit einem nur an dem Vorder- kopf und hinter die Schneidezähne angreifenden Kopfhalter, welcher das Grosshirn und verlängerte Mark nicht mehr bedeckt; 3. das vereinfachte Leipziger Modell des Bernard-Oyon’schen Kopfhalters für Hunde,’ welches auch am Vorderkopf, doch nur in einer Ebene hinter den Eckzähnen an- greift und in zweckmässiger Weise mit einer muldenförmigen, seitlich durch- bohrten Holzunterlage für das Thier verbunden ist. In neuerer Zeit sind hinzu gekommen: 4. der Baltimore-Kopfhalter,! welcher eine rasche Befestigung des Kopfes bei Hunden ermöglichen soll; 5. die Malassez’schen Kopfhalter? für Thiere verschiedener Grösse, welche nach einheitlichem Prineip gebaut, aus einem von der Kopfseite her um den ! Fredericg, Manipulations de Physiologie. ® Cyon, Methodik der physiolog. Exper. u. Vivisect. 3 Ebenda. * Stud. Biol. Labor. Johns Hopkins Univ. 1887. 5 ©. R. Soc. de Biol. 1890. — Archiv d. Med. exper. 1891. 186 VERHANDLUNGEN DER BERLINER oberen Nacken reichenden Haken und einem gleichfalls mit langem Griff versehenen, darauf verschieblichen Schnauzring bestehen. Diese lassen ebenfalls das Schädeldach frei; 6. das Steinach’sche Operationsbrett mit verstellbarem Kopfhalter! für mittelgrosse und kleinere Thiere, bestehend aus einer seitlichen Hinterhauptgabel veränderlicher Weite und darauf ver- schieblichen Schnauzringen in vier verschiedenen Grössen. Für pharmakologische Zwecke ist der Czermak’sche Kopfhalter von Liebreich und Langgaard so abgeändert worden, dass Sonden und da- durch flüssige Medicamente leicht in den Magen eingeführt werden können. Auf dem internationalen medieinischen Congresse zu Rom hat Roussy eine Reihe Immobilisationsapparate gezeigt? und später beschrieben,? welche die bisherigen Apparate zu ergänzen bezw. ersetzen bestimmt sind. Dieselben sind mir bis jetzt nur aus seinen gedruckten Veröffentlichungen bekannt und scheinen sich wesentlich von den weiterhin zu beschreibenden Vorriehtungen zu unterscheiden. In letzter Zeit ist von Centanni ein neuer einfacher Beinhalter in Verbindung mit einem modifieirten Tatin’schen Kopfhalter beschrieben worden.* Hauptsächlich für bakterielle Impfungen und Temperaturmessungen sind ferner Ratten- und Mäusehalter von Kitasato, sowie ein höchst einfacher Meerschweinchenhalter von Voges zu nennen, welche beide wegen ihrer einfachen Einrichtungen und Zwecke uns hier nicht weiter beschäftigen. Nach umfassender Erfahrung mit den gebräuchlicheren der vorhin auf- gezählten Aufspannungsvorrichtungen und nach besonderer Prüfung der Uebrigen mit den erwähnten Ausnahmen betrachte ich sie als empfehlens- werth für die bisher geläufigen Operationen am Thiere. Es kommen aber andererseits verschiedene Operationen bezw. Demon- strationen jetzt nicht selten vor, deren Bedingungen dieselben nicht genügen: erstens am Grosshirn und verlängerten Mark von Kaninchen, Katzen u. s. w., wegen der Bedeckung dieser Theile durch den Kopfhalter oder in gewissen Fällen wegen der Schwierigkeit, dem Kopfe eine genügend geneigte Stellung zu geben; zweitens Operationen in der Mund- bezw. Rachenhöhle und an der Schädelbasis bezw. durch letztere bis zum Gehirn und seinen Nervenwurzeln; drittens Besichtigung der Stimmbänder, insbesondere bei nicht narecotisirten Thieren. Bei Kopfoperationen im Allgemeinen, namentlich aber bei Demon- strationen, bildet ferner die bisher übliche Stützstange für den Kopfhalter ein mehr oder weniger beträchtliches Hindernis. Aus diesem Grunde und zuerst mit besonderer Rücksicht auf eine einfache Befestigung für Kaninchen, Katzen und kleine Hunde, habe ich vor mehreren Jahren ein Operationsbrett und Kopfhalter construirt und gelegentlich der Demon- strationen am ersten Physiologen-Congress in Basel gezeigt.’° Seitdem ist dasselbe im hiesigen physiologischen Institut ganz allgemein für Versuche 1 Pflüger’s Archiv. 1893. 2 Archives d. Biologie. 1894. ® ©. R. Soc. d. Biol. 1894. * Centralblatt für Bakteriologie. 1895. 5 Centralblatt für Physiologie. 1889. — Progres Medical. 1889. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜOoWL. 187 an diesen Thieren benutzt worden und es haben sich seine einfachen Vor- richtungen als 'vortheilhaft erwiesen. Wegen der Zweckmässigkeit dieses Thierhalters und in Folge eines Wunsches der bekannten Fabrikantenfirma F. & M. Lautenschläger, den- selben zu verbreiten, habe ich am Anfang dieses Jahres die Vorriehtungen desselben auch für die verschiedensten Thiere und Operationen weiter aus- gebildet. In der Zwischenzeit sind dieselben in der früher von Prof. J. Gad, jetzt von Prof. I. Munk geleiteten speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Instituts mannigfaltig benutzt worden. Das wesentlich Neue an der ursprünglichen und nunmehr ausgebildeten Vorrichtung betrifft das Operationsbrett selbst, die Gestalt der Kopf- und Beinhalter und deren Verstellung beim Gebrauch. Wie aus den photographischen Abbildungen verschiedener aufgespannter Thiere erhellt, sind letztere möglichst einfacher Natur. Das Brett ist von paraffinirtem Eichenholz und ruht auf leicht entfernbaren Metallfüssen von 12% Höhe, es hat eine Länge von 70%, eine Breite von 18%, ist am Kopfende verjüngt und hier mit Metall belegt; im Ganzen besitzt dasselbe 2060 Löcher zur Aufnahme der verstellbaren Beinhalter bezw. Maulsperrer, on 0 0 o 0 oo be=zu Tee > Fig. 1. Obere Ansicht des Operationsbrettes ohne Kopfhalter. Klemmgabel, Haken, Stumme Assistenten u.s.w. und zwei Längsschlitze zur Aufnahme und Verstellung der Kopfhalter und deren Träger. Die Beinhalter bestehen aus ganz einfachen Schnurschlingen, welche aus dem Kopfe einer leicht verstellbaren Mutterschraube hervorragen; zur leichten Einführung der Thierpfoten werden diese Schlingen erst bis zur Handgrösse erweitert und über die Pfote gebracht, an die letztere durch einfaches Ziehen angeschnallt und dann durch die Schraubenmutter fest fixirt. Es können in dieser Weise Thiere von 608’” und noch darunter bis 6000 8"" Gewicht mit zweckentsprechender Lagerung der Extremitäten auf dem Brette befestigt werden; die Schnurschlingen lassen sich ohne Weiteres durch einfache Schnüre ersetzen. Wie aus den Abbildungen ersichtlich, liegen die Thierpfoten unmittelbar dem Halter auf. Die Kopfhalter für Säugethiere unterscheiden sich von den bisher üblichen in zwei wesentlichen Punkten: 1. dadurch, dass die Hinterhaupt- gabel gleichviel bei welcher Lagerung des Thieres nach oben offen ist und in Folge dessen bei Operationen am Hinterhaupte und Nacken diese Theile frei lässt; 2. dass der Schnauzring, bezw. Maulsperrer einerseits und die 188 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Hinterhauptgabel andererseits unabhängig von einander durch „eigene Klemm- stücke am Brette zu befestigen, bezw. zu verstellen sind. Vermittelst zweier in der Mittellinie und am Kopfende des Brettes hintereinander liegender Längsschlitze, welche die erwähnten Klemmstücke tragen, und vermittelst der Stützstangen an den Schnauzringen und Hinterhauptgabeln lässt sich der Thierkopf innerhalb weiter Grenzen heben, senken, strecken, neigen. Genannte Träger oder Klemmstücke für die Kopf- und Schnauzhalter sind neuer Art und bestehen aus einer Ober- oder Stützplatte, einer dazu senkrechten, seitlich abgefeilten, dadurch gespaltenen Röhre, welche in einem Längsschlitze des Brettes sitzt und einer Schraubenmutter für den unten hervorragenden kurzen Gewindetheil der Röhre. Für extreme Lagerungen, wie bei Operationen an der Medulla oblongata, in der Mund- bezw. Rachen- höhle und im Kehlkopfe, werden höchst einfache Winkelklemmstücke, wie abgebildet, angewandt. Die vier verschiedenen Grössen der Kopfhalter vermögen insbesondere Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen und Hunde innerhalb der vorhin erwähnten Gewichtsgrenzen am Kopfe festzuhalten. Wegen des mehr oder weniger ähnlichen Körperbaues anderer. Säugethiere können dieselben auch in zweckmässiger Weise damit aufgespannt werden. Für leichtere Hantirung mit nicht- oder halbnarcotisirten Katzen und Hunden bei Ver- stellungen des Kopfes wird eine Stange mit Verschlusskette benutzt, erstere hinter den Eckzähnen, letztere um die Schnauze, und am Griffe der Stange zwei Mal befestigt. Ausserdem hat der Gebrauch dieses Hülfsmittels Vor- theil nur bei unvollkommener Streckung des Halses, welche bei allen Be- festigungsarten, wo die Extremitäten fixirt sind, eine Unruhe des Thieres bedingen kann. Für Vögel und Kaltblüter habe ich noch einfachere Vorrichtungen zur Befestigung des Kopfes ausreichend gefunden, und zwar Klemmgabeln, bezw. stumpfe Haken in drei, bezw. zwei verschiedenen Grössen, mit denen Maul, Schnabel, Hals, Flügel, Wirbelsäule, bezw. Schwanz leicht am Brette zu fixiren sind, wie aus den Abbildungen ersichtlich ist. Zur Aufsperrung der beiden Kiefer bei diesen und bei den kleineren Säugethieren empfiehlt sich eine Vorrichtung, weiche, in verstellbarer Höhe am Kopfende oder sonstwo am Brette angebracht, durch Auseinanderschrauben zweier Querstangen die Mundhöhle öffnet. Für grössere Säugethiere habe ich eine andere Vorrichtung construirt, welche gestattet mit einer Bewegung die Kiefer ad maximum von einan- der zu entfernen, auf der einen Seite von selbst festhält und auf der an- deren durch eine Klemmschraube befestigt wird. Nach Entfernung eines Stellstiftes sind die zwei Theile derselben ohne Weiteres auseinanderzunehmen, entweder in geöffnetem Zustande am Thiere selbst, oder noch zusammen- geklappt zur Einführung der @Querstangen hinter den Eckzähnen bei ge- schlossenem Maul. Eine Abbildung veranschaulicht die erzielte Aufsperrung für Operationen an der Schädelbasis einer Katze. Für Beobachtungen, bezw. Operationen in der Mund-, Rachenhöhle u. s. w. bei der Bauchlage des Thieres, namentlich im Zusammenhang mit Hirnopera- tionen an Katzen und Hunden, wird der grössere Maulsperrer in Verbindung gebracht mit einem selbstständigen Kopfhalter, bestehend aus einer Hinter- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜOWL. 189 hauptgabel und einem damit verbundenen verstellbaren Bernard-Öyon’schen Kynolith, welche insgesammt augenblicklich vom Brette loszumachen, bezw. wieder daran zu befestigen sind. Eine Abbildung zeigt die Anordnung zur Demonstration der Stimmbänder bei hoher Fixation des Kopfes. Zur leichten Aufspannung von Kaninchen ohne Beihülfe kommen federnde verschliessbare Drahtgabeln für die Hinterpfoten in Gebrauch. Hierbei, wie auch bei der Aufspannung grösserer Thiere ist die Fussplatte des Brettes zweckmässiger Weise vermittelst einer Schraubenzwinge am Tische zu be- festigen. Als stumme Assistenten dienen stumpfe und scharfe Haken mit leichten Ketten, die sich in Schlitzen an Stiften verstellen lassen, welche am ÖOpera- tionsbrett überall hin zu verlegen sind. Da das Brett mit Paraffin durchtränkt ist und die übrigen Theile aus vernickeltem Metall bestehen, können Fische und andere Wasserthiere ohne Weiteres aufgespannt und in ihrem Element beobachtet, bezw. operirt werden. Erhebung des einen Brettendes ermöglicht es dann, diesen oder jenen Theil ausserhalb des Wassers zu operiren. 190 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Erklärung der Tafeln. (Taf. V u. VI) Fig. 2a. Kaninchen, Rückenlage. 2b: es Bauchlage. ERIC. 06 Stellung für Kopf- und Nackenoperationen. „ 3a. Hund, Rückenlage. „.28b. » Bauchlage. ‚„ 4a. Katze, Rückenlage. „4b. » Bauchlage. » 5a. Meerschweinchen, Rückenlage. 275: & Bauchlage. ». 6. Ratte. „ 7. Maulsperrer für kleinere Thiere, am Kaninchen mit eingeführter Magensonde. „ 8a. Maulsperrer für grössere Thiere, an der Katze in der Rückenlage. „ 85. Derselbe am Hunde, in der Bauchlage zur Demonstration der Stimm bänder. » 9. Ente, Rückenlage. „ 10. Taube. „ 11. Kreuzotter. „ 12. Frosch, Rückenlage. „las Hecht. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — S. ROSENBERG. 191 V. Sitzung am 20. December 1895. Hr. S. RosenBer@ hält den angekündigten Vortrag: Zur Kritik der angeblichen Regeneration des Ductus choledochus. Unter den Physiologen, welche zum Studium der Gallensecretion Gallen- blasenbauchwandfisteln anlegten, war noch vor wenigen Jahrzehnten die An- nahme verbreitet, dass der durchschnittene und zum Theil reseeirte Duetus choledochus sich regeneriren könne. Nachdem schon Blondlot auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht hatte, führten Bidder und Schmidt aus- drücklich zwei Fälle an, bei welchen sie eine Gangregeneration für erwiesen halten, trotzdem das ganze zwischen Ligatur und Darm gelegene Chole- dochusstück resecirt worden war. — In dem ersten dieser beiden Fälle überlebte der Hund die Operation etwas über einen Monat, und bei der Obduction glaubten die Autoren durch Lufteinblasung in den Hepaticus eine Communication nach dem Darm gefunden zu haben, welche nach ihrer Meinung sich zwischen dem 21. und 25. Tag gebildet haben sollte. Da aber das Thier zu Lebzeiten keine verminderte Secretion durch die Fistel zeigte, auch bei der anatomischen Untersuchung jene angenommene Communi- cation nicht durch die Sonde nachgewiesen werden konnte, so schwebt in diesem Falle die Annahme einer Gangregeneration vollkommen in der Luft und dürfte doch vielleicht nur auf einem Irrthum beruhen. Ganz anders dagegen verhielt es sich in dem zweiten Falle. Da be- gann am 18. Tage nach der Operation die bis dahin reichliche Secretion aus der Fistel plötzlich ganz wesentlich abzunehmen, und im Verlauf der nächsten zwölf Tage schloss sich die Fistel vollständig, während in derselben Zeit das Gewicht der Hunde von 6-8 auf 8®8 stieg. Dass hier thatsächlich die Galle wieder einen Weg nach dem Darm zu gefunden habe, kann gar keinem Zweifel unterliegen, und es entsteht nun die Frage, ob auf Grund dieser Beobachtung thatsächlich die Re- generation eines durchschnittenen und zum Theil resecirten Ganges an- genommen werden soll. Die Vorgänge, welche sich nach der Operation im Bauchraum abspielen und welche — wie wir aus gelegentlichen Autopsieen schliessen müssen — im Wesentlichen durch vom Peritonaeum ausgehende plastische Processe be- dingt sind, lassen eine solche Annahme nicht als naheliegend erscheinen. Dazu kommt noch, dass die direete Beobachtung einer Gallengangsregeneration bisher eben so wenig beschrieben ist, wie die Regeneration von anderen Drüsenausführungsgängen, welche man zu reseciren Veranlassung hatte. Wir werden uns also nach einer anderen Erklärung für die beobachtete Erscheinung umsehen — Man könnte nun daran denken, dass nach Ver- löthung von Darm und Choledochusstumpf, wie sie sicher vorkommt, ein einfacher Durchbruch von Galle nach dem Darm erfolgt sei — was unter pathologischen Bedingungen z. B. dem Vorhandensein von Gallensteinen, 192 VERHANDL. D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — S. ROSENBERG. nicht selten beobachtet wird. Allein für solchen Vorgang fehlt uns jede Ursache. Man könnte ja vielleicht den Druck der Galle für den Durch- bruch verantwortlich machen wollen; indessen fliesst die Galle unter einem sehr geringen Druck, und so lange die Fistel offen ist, kann dieser auch nicht beträchtlich ansteigen. Käme es aber zu einem Verschluss der Fistel und dadurch zur Druckerhöhung, so müssten die Erscheinungen der Gallenresorption dem Durchbruch vorangehen. Icterus wurde aber bei dem Hunde von Bidder und Schmidt nicht beobachtet, also ist auch diese Annahme nicht zu halten. Ich bin nun in der Lage für die Erklärung eine Beobachtung heran- zuziehen, welche Herr Prof. Zuntz und ich vor ca. fünf Jahren gemacht haben. Als wir nämlich bei einem jungen Hunde grosser Rasse eine Lapa- rotomie ausgeführt hatten, um eine Gallenblasen- und Pankreasfistel anzulegen, fiel uns beim Freimachen des Choledochus ein Ast auf, welcher von diesem etwa 2-5 % nach links zu einem Strange zog, der von der Leber sich nach dem Duodenum erstreckte. Wir vermutheten in diesem Gebilde sofort einen accidentellen, mit dem Choledochus communieirenden Gallengang und konnten uns alsbald durch die Sonde von der Richtigkeit unserer Annahme überzeugen. Die Weite dieses Ganges entsprach etwa ein Drittel der normalen Choledochus- weite, seine Schleimhaut war zur Zeit der Beobachtung frei von Galle. Nehmen wir an, dass in dem zweiten Falle von Bidder und Schmidt die gleiche Anomalie vorgelegen habe, so lassen sich die beobachteten Er- scheinungen zwanglos erklären. Eine geringe Verengerung der Fistel — wie sie sich gerade bei Gallenblasenfisteln ungemein leicht einstellen — mag zu einer Rückstauung der Galle und zur ersten Benutzung des acci- dentellen Ganges geführt haben. Und indem das Secret von nun an dauernd diesen Weg nahm, konnte die Fistel sich schliessen und der Hund nach - Wiederherstellung normaler Verhältnisse so rapide an Gewicht zunehmen. Wie oft solche aceidentellen Gänge vorkommen, vermag ich mit Be- stimmtheit nicht zu sagen. Aber aus dem Umstande, dass wir selber in den letzten fünf Jahren trotz ziemlich häufig ausgeführter Laparotomieen etwas Aehnliches nicht wieder gesehen haben, dass ferner dieser accidentelle Gang — soweit mir bekannt ist — noch niemals von anderer Seite beschrieben worden ist — möchte ich schliessen, dass sein Vorkommen ein recht seltenes ist. Immerhin aber ist seine Kenntniss nicht ohne alle Bedeutung, einerseits weil sie uns gestattet, die Erscheinungen, welche bisher zu der Annahme der Gangregeneration geführt haben, in einfacher Weise zu erklären, dann aber auch, weil sein unbeachtetes Vorhandensein beim Studium der Gallen- secretion zu unrichtigen Untersuchungsergebnissen führen könnte. AUG 12 1896 Ueber eine einfache Vorrichtung, die Dehnungscurve des Muskels darzustellen. Von Prof. R. Nicolaides. (Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Athen.) Die Vorrichtung, welche ich mittheile, kann zur Darstellung der Dehnungscurve des Muskels, sowie zu manchen anderen Versuchen an dem- selben dienen. Sie ist einfacher und aus Gründen, welche weiter unten zur Sprache kommen, genauer, als die zur Darstellung der Dehnungscurve des Muskels üblichen Vorrichtungen. Der Muskel ist verknüpft mit einem stählernen Schreibhebel (77), welcher ähnlich ist dem des Pflüger’chen Myographions. An dem An- grifispunkte des Muskels ist ein leichtes Gefäss (9) angehängt, welches durch Gewichte (?), die am Ende des Hebels hängen, aequilibrirt ist. Das Gefäss steht in Verbindung mit einer Mariotte’schen Flasche (W), welche mit Wasser gefüllt it. Am Verbindungsrohr ist ein Hahn (AR) angebracht. Wenn der Hahn geöffnet wird, fliesst das Wasser mit constantem Drucke in das an dem Zeichenhebel angehängte Gefäss. Dadurch wird der Muskel gedehnt, und mittelst der Zeichenspitze des Hebels wird auf der Trommel des Ludwig’schen Kymographions, dessen Lauf sehr langsam sein muss, in Einem Zuge die Dehnungscurve des Muskels entstehen. Auf diese Weise kann man ganz schöne Dehnungscurven des ruhen- den, und durch Reizung des Nerven des contrahirten Muskels, bei sich erfüllendem, sowie die Zusammenziehungscurve bei sich entleerendem Gefässe, d. h. bei zunehmendem und abnehmendem Gewichte, zeichnen. Die beschriebene Vorrichtung ist, wie jeder einsehen kann, viel ein- facher und genauer als die von Marey! angegebene Vorrichtung, welche sehr complieirt ist und den Nachtheil hat, dass das von einer Höhe ohne constanten Druck herabfliessende Quecksilber störend auf den Ver- lauf der Curve, sein wird. ! Marey, Du mouvement dans les fonctions de la vie. p. 295. Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 13 194 R. NICOLAIDES: DEHNUNGSCURVE DES MUSKELS. Auch dem Blix’schen Myographion gegenüber hat meine Vorrichtung manche Vortheile. Abgesehen davon, dass man am Blix’schen Myo- graphion den Schlitten mit der Hand ziehen muss, was immer störend für den Verlauf der Curve sein kann, kann die mit dem Blix’schen Myo- graphion erhaltene Curve nicht als Dehnungscurve in rechtwinkligen Ordinaten ohne weitere Correcturen gelten, weil die von der Schreibspitze gezeichnete Linie, besonders wenn der Hebel nicht in engen Grenzen sich dreht, keine gerade zur Verschiebungsrichtung senkrechte Linie, sondern ein Kreisbogen ist. Bei meiner Vorrichtung dagegen ist der Schreibhebel so construirt, dass der von ihm gezeichnete Strich stets senkrecht zur Drehungsrichtung der Trommel ist. So erhält man vorwurfsfreie hyper- bolische Dehnungscurven des Muskels. Die Regulirung der Athmung. Von Max Lewandowsky aus Berlin. (Hierzu Taf, VII—IX.) (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) I. Der Lungenvagus.! A. Reizung des centralen Vagusstumpfes. Es kann als erwiesen gelten, dass Reizung des centralen Vagusstumpfes am Halse die Athmung sowohl in inspiratorischer, wie auch in exspira- torischer Weise zu beeinflussen vermag. Die Ansicht Rosenthal’s von der ausschliesslich inspiratorischen Wirkung künstlicher Vagusreizung hat fast bei keinem der späteren Autoren (Langendorff, Burkart, Grützner, Fredericq, Gad, Wedenskii, Knoll, Meltzer u. A.) Anerkennung ge- funden. Aber eine Uebereinstimmung in Betreff der Bedingungen — soweit man solche überhaupt versucht hat festzustellen — unter welchen die einen oder anderen Erscheinungen auftreten, ist bisher keineswegs erzielt worden. Man hat die Inconstanz der Resultate schliesslich ganz natürlich gefunden und sie aus den eigenthümlichen anatomischen Verhältnissen des Vagus er- klären wollen.” Es ist daher erwünscht, im Zusammenhang kurz die Be- deutung dieser und zugleich der übrigen Fehlerquellen bei Reizung des centralen Vagusstumpfes festzustellen. ! Zusammenstellungen der Vaguslitteratur geben Marckwald, Zeitschrift für Biologie. 1887. Bd. XXIII, und Boruttau, Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. 1895. Bd. LXI. Die ältere Vaguslitteratur findet sich bei Rosenthal, Athembewegungen u. s. w. 1862. ® Vergl. z. B. Rosenthal, Neue Studien über Athembewegungen, H. Dies Archiv. 1881. S. 49. 50. 183% 196 Max LEWANDOWSKY: Fehlerquellen. Die erste, unvermeidbare Fehlerquelle ist die Zusammensetzung des Vagusstammes am Halse. Uns kommt es doch in erster Linie darauf an, zu wissen, welche Wirkung die künstliche Reizung der Fasern des Lungenvagus hat. Die Mitreizung anderer centripetaler Fasern muss als störende Complication des Experimentes, d. h. eben als Fehlerquelle angesehen werden. Es fragt sich nun, welchen Einfluss auf die Athmung die nicht der Lunge angehörigen Fasern gewinnen können. Festgestellt ist die athmungbeeinflussende Wirkung nur vom N. re- currens (Burkart,! Rosenthal?). Jedoch macht es nach meinen Ver- suchen gar keinen Unterschied, ob man den Vagus oberhalb oder unter- halb des Recurrensabganges reizt. Auch Wedenskii? scheint einen Unterschied nicht beobachtet zu haben. Nach den Interferenzversuchen Meltzer’s an Vagus und Laryngeus superior, der in gleicher Weise, nur stärker wirkt, als der Laryngeus inferior, erscheint das natürlich. Warum die Mitreizung des Recurrens sich bei Vagusreizung nicht störend bemerkbar macht, das liegt einerseits wohl daran, dass schon in Folge ihrer numerischen Ueberlegenheit die Fasern des Lungenvagus den Erfolg beherrschen. Anderer- reits wird (bei elektrischer Reizung) in Folge der Vergrösserung des Nerven- querschnittes durch die übrigen Halsvagusfasern die Stromdichte so verringert, dass man sehr oft die Reizschwelle für die isolirte Recurrens- reizung, bei Reizung des (nunmehr central vom Recurrensabgang durch- schnittenen) Halsvagus ganz unwirksam findet. Im Einzelfall liegt der Beweis für die Unschädlichkeit der Mitreizung des Recurrens immer darin, dass die Wirkung der Reizung des isolirten Recurrens (vgl. weiter unten) eine von jeder Art der Vaguswirkung charakteristisch verschiedene ist. Die übrigen im Vagusstamm noch verlaufenden Nervenfasern haben keinen Einfluss auf die Athmung. Von den Rami cardiacı hat Knoll? nachgewiesen, „dass keinerlei Anhaltspunkte bestehen für die Annahme, dass eine wesentliche Beziehung zwischen dem Erregungszustand der sen- siblen Herznerven und den Athembewegungen besteht.“ Derselbe Autor hat beim Kaninchen wenigstens gefunden, dass bei Reizung des centralen Vagusstumpfes am Magen nur in dem einen oder anderen Falle vereinzelte ! Burkart, Ueber den Einfluss des N. vagus auf die Athembewegungen. Pflü- ger’s Archiw. Bd. I. 8. 107. ® Rosenthal, Bemerkungen über die Thätigkeit der automatischen Nerven- centra. Erlangen 1875. 8. 46. 3 Wedenskii, Pflüger’s Archiw. Bd. XXVI. 8.1. * Knoll, Beiträge zur Lehre von der Athmungsinnervation, IV. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. 1883. Bd. LXXXVIM. 3. 8. 23. (S.-A.) Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 197 Schluckbewegungen auftreten,' dass also auch die Reizung der Rami gastrici keinen Einfluss auf die Athmung hat. Meine Beobachtungen stimmen mit denen Knoll’s überein. Die Bestätigung und Erklärung für die Unwirksamkeit der ganz überwiegenden Masse der Vagusfasern finden wir in den Versuchen von Beer und Kreidl.? Diese Autoren konnten die athmungbeeinflussenden Vagusfasern in einem (dem vorobersten) Bündel der Vaguswurzeln localisiren. Sie konnten nachweisen, dass man nur durch Reizung dieses Bündels die Athmung beeinflussen kann, und dass nach Durchschneidung nur dieses Bündels die Reizung des Vagus am Halse wirkungslos bleibt. Nach alledem kann man ohne Bedenken die Mitreizung von nicht dem Lungenvagus angehörigen Nervenfasern bei Reizung des centralen Vagusstumpfes am Halse als Fehlerquelle ver- nachlässigen. Bei elektrischer Reizung kommen weiter in erster Linie als Fehlerquelle in Betracht Stromschleifen und unipolare Abgleichungen auf be- nachbarte Nerven. Am gefürchtetsten war lange der Laryngeus superior, auf dessen Miterregung Rosenthal bekanntlich alle exspiratori- schen Erfolge zurückführen wollte. Meltzer? hat durch gleichzeitige Reizung des Vagus und Lar. sup. nachgewiesen, dass der Erfolg der Vagusreizung durch Stromschleifen fast gar nicht beeinflusst zu werden pflegt. Wenn übrigens Meltzer als Kriterium für Stromschleifen auf den Lar. superior das Auftreten von Schluckbewegungen (und Schluckmarken auf der Athem- curve) bezeichnet, so ist zu bemerken, dass erstens im Vagusstamm und im Recurrens Schluckfasern vorkommen, und dass ich zweitens öfter bei direeter Reizung des Lar. sup. Schluckbewegungen vermisst habe. Jedoch ist das ziemlich gleichgültig: auch die Wirkung der Reizung des Laryngeus ist wie die des Recurrens von jeder Art der Vaguswirkung verschieden. Wenn also wirklich Stromschleifen auf den Lar. sup. den Erfolg der Vagusreizung beeinträchtigen sollten, so müsste man doch wohl mindestens Andeutungen der Laryngeuswirkung zu sehen bekommen. Das ist aber bei Vagusreizung nie der Fall. Curven, welche an eine Combination der Reizwirkung vom Vagus und Lar. sup. denken liessen, habe ich nur bei starker Laryngeus- reizung gesehen, wenn also Stromschleifen vom Laryngeus auf den Vagus übergehen konnten. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissensch. 1883. Bd. LXXXVII, 3. 8. 27. ® Beer und Kreidl, Der Ursprung der Vagusfasern u. s. w. Pflüger’s Archiv. Bd. LXII S. 156. 3 Meltzer, Die athemhemmenden und -anregenden Nervenfasern innerhalb des Vagus u. s. w. Dies Archiv. 1892. 8. 341. 198 MAx LEWANDOWSKY: Gefährlicher sind die Stromschleifen auf den Phrenicus (Gad!). Sie geben sich nach Gad zu erkennen durch eine beträchtlich herabgesetzte Mittellage des Thorax, auf die sich die einzelnen Athemzüge aufsetzen. Es ist das eine Athemform, die bei reiner Vagusreizung nie vorkommt. Da- gegen kommt sie zur Beobachtung bei Reizung sensibler Nerven und man wird daher auch auf Stromschleifen auf die sensiblen Fasern des Plexus brachialis und cervicalis zu achten haben. Als dritte, am wenigsten beachtete, und vielleicht wichtigste Fehler- quelle stellt sich dar der Zustand des Thieres, d. h. seines Athemcentrums. Sie wird später durch die ausführliche Besprechung der Veränderung der Reizerfolge bei künstlicher Beeinflussung des Athemecentrums erledigt werden (s. 8. 213 u. 215). Die zunächst beschriebenen Versuche sind angestellt an Kaninchen, die ohne Chloralnarkose eine ruhige, normale Athmung zeigten. Aufgeregte oder wärmedyspnoische Thiere sind natürlich zu verwerfen.? Als Aufzeichnungsapparat wurde benutzt der Gad’sche Aeroplethys- mograph, der gleichzeitig Frequenz, Form, Volum der Athemzüge und innerhalb gewisser Zeitgrenzen auch die Athemlage des Thorax angiebt. Die Anordnung war die übliche: Der auf einem Baltzar’schen Kymographion zeichnende Aeroplethysmograph stand in Verbindung mit einer als Luftvor- lage dienenden grossen Glasflasche, welche wieder durch möglichst weite und kurze Wege mit der Trachea des Thieres (gewöhnlich wurde eine Gad’sche Dreiwegcanüle benutzt) communicirte. Man muss die Vorsicht brauchen, die Luft in der Vorlage oft zu erneuern (es geschieht das am bequemsten durch Ausspülen mit Wasser), da einzelne Thiere ausserordent- lich schnell dyspnoisch werden. Die mitgetheilten Curven sind von links nach rechts zu lesen. Die Inspiration geht nach unten, die Exspiration nach oben. Hrn. Prof. J. Munk spreche ich für seine liebenswürdige Unterstützung bei meinen Experimenten meinen ergebenen Dank aus. 1. Reizung mit Inductionsströmen. Die Geschichte der Vagusreizung mit Inductionsströmen beginnt mit Traube, der als ihren Erfolg Stillstand der Athmung in Inspirationsstellung ! Gad, Abhängigkeit der Athemanstrengung vom N. vagus. Dies Archiv. 1881. S. 548. ?2 Ueber den normalen Athemtypus und über den Einfluss der Fesselung auf die Athmung vgl. Gad, dies Archiv. 1880. 8. 3ft. Dis REGULIRUNG DER ATHMUNG. 199 angiebt (directe Beobachtung des Zwerchfells). Rosenthal bestätigte in seinem bekannten Buch vom Jahre 1862! unter Anwendung neuer gra- phischer Methoden (Phrenograph) den Traube’schen Fund. Rosenthal hält auch noch 1881 ? und 1882? die Lehre von der ausschliesslich inspi- ratorischen Wirksamkeit der Vagusreizung mit Inductionsströmen aufrecht. ' Aber schon vor Rosenthal’s erster Arbeit war von Aubert und von Tschischwitz (1857) und von v. Helmolt behauptet worden, dass schwache Ströme inspiratorischen, starke exspiratorischen Effect hätten, und, wenn auch die späteren Beobachter fast alle die Thatsache bestätigt haben, dass man durch elektrische Reizung des centralen Vagusstumpfes inspiratorische Wirkungen bekommen kann, so ist doch die weitere Aufstellung Rosen- thal’s, exspiratorische Erfolge wären bei reiner Vagusreizung ausgeschlossen, von keinem derselben (Langendorff, Burkart, Fredericq, Gad, Wedenskii, Knoll, Meltzer, Kauders u. A.) anerkannt worden. Trotz- dem sind seit 1862 nur wenige eingehendere Arbeiten über die elektrische Vagusreizung erschienen. Das mag daran liegen, dass keiner der oben genannten Forscher constante und beherrschbare Resultate gehabt hat. In ausführlicherer Weise ist das vorliegende Thema behandelt worden von Rosenbach, Wedenskii, Meltzer, Kauders. Rosenbach hat die Ergebnisse seiner umfangreichen Arbeit * in einer kurzen Mittheilung? widerrufen. Wedenskii® beobachtete oft bei schwacher Reizung eine Ver- kleinerung der Inspirationstiefe, sonst ziemlich regellose Erscheinungen. Meltzer” will constant bei Anwendung stärkster Ströme exspiratorischen Stillstand gesehen haben. Den von ihm früher® gemachten Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Thieren hat Meltzer in seiner neueren Arbeit wieder aufgegeben. Jetzt theilt er seine Thiere in drei Classen, je nachdem sie 1. bei Anwendung schwacher und mittelstarker Ströme ausgesprochene inspiratorische Effecte zeigten; 2. schwache und " Rosenthal, Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus. Berlin 1862. ?2 Derselbe, Neue Studien über Athembewegungen, II. Dies Archiv. 1881. 8.39. ® Derselbe, Physiologie der Athembewegungen und der Innervation derselben. Hermann’s Handbuch der Physiologie. 1882. Ba. IV. * 0. Rosenbach, Studien über den N. vagus. Berlin 1877. ® Derselbe, Notiz über den Einfluss der Vagusreizung auf die Athmung. Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. XVI. S. 502. ° Wedenskii, Ueber den Einfluss elektrischer Vagusreizung auf die Athem- bewegungen. Pflüger’s Archiv. Bd. XXVIL S. 1. "Aa 0. ® Meltzer, Geschlecht und Lungenvagus. Centralblatt für die medie. Wissen- schaften. 1882. S. 497. 200 Max LEWANDOWSKY: mittelstarke Reizungen des Vagus reine exspiratorische Stillstände be- wirkten; 3. schwache Ströme exspiratorische Stillstände erscheinen liessen, mittelstarke Reizungen hingegen stets inspiratorische Stillstände in Mittel- stellungen (?) bewirkten. Diese Unterschiede hält er für rein individuell “ und alle drei Gruppen für ganz normal. Es wäre doch sehr wunderbar und in der ganzen Physiologie ohne Analogon, dass derselbe Nerv, noch dazu bei derselben Thierspecies, nur je nach der individuellen Verschieden- heit der Versuchsthiere auf drei ganz verschiedene Arten wirken sollte. Noch weiter in der Speeificirung geht Kauders! auf Grund einer, wie mir scheint, weder an Zahl, noch Exactheit der Versuche ganz zureichenden und einwandfreien Arbeit. Er theilt seine Thiere ein in fünf Typen und sieben Untertypen und zwar nach dem Verhältniss der Wirkung des linken und rechten Vagus. Es sei hier schon bemerkt, dass ich nie einen Un- terschied in der Wirkung der beiden Vagi gesehen habe, der nicht inner- halb der Fehlergrenzen (Schädigung der Nerven durch Praeparation und Reizung) gelegen hätte. Vollends hat weder irgend einer der mir be- kannten Autoren noch ich selbst einen Vagus beim normalen Thier einfach unerregbar gefunden (vorausgesetzt, dass er vorher nicht misshandelt war), wie Kauders in 20 Procent seiner Fälle, und ganz und gar nicht ist der eine Vagus jemals unerregbar, wenn der andere noch ausgesprochene Wirkungen giebt. Die Eintheilung von Kauders ist daher von vorne- herein zurückzuweisen. Wir haben also als sichere Ergebnisse der bisherigen Forschung zu betrachten die Möglichkeit, durch elektrische Vagusreizung beim normalen Thier Inspirationsstillstand zu erzeugen, und wir haben ferner die alte, jüngst von Meltzer wieder aufgenommene Behauptung, dass man durch Anwendung stärkster Ströme constant Exspirationsstillstand erzielen könnte. Alle übrigen Resultate sind mehr oder weniger regellos. ! Kauders, Ueber den Einfluss der elektrischen Reizung der N. vagi auf die Athmung. Pflüger’s Archiv. Bd. LVII. S. 333. Kauders hat nur an Hunden ex- perimentirt, ein nicht unbedenklich erscheinendes Verfahren, wenn man erwägt, dass man an diesen hochorganisirten Thieren Athmungsversuche nur während der Narkose machen kann. Da nun Kauders zum grossen Theil gerade die Beeinflussung der Resultate durch das Chloral studiren wollte, die Chloralnarkose also mit der von vorne- herein angewandten Morphiumnarkose combiniren musste, kann man sich schon aus diesem Grunde über die Unsicherheit der von ihm gewonnenen Resultate nicht wundern. Trotzdem erscheint es unerklärlich, wie Kauders auf die Stromstärke so gar kein Ge- wicht legen konnte und in allen seinen Versuchen „das periphere Reizgebiet des cen- tralen Vagus mit möglichst constanten und zwar mittelstarken Strömen gereizt hat“, und dass wir in der ganzen Arbeit nicht die geringste positive Angabe über angewandte Stromstärken finden. DıEe REGULIRUNG DER ATHMUNG. 201 Meine eigenen (etwa 40!) Versuche über die Reizung des centralen Vagusstumpfes mit Iuductionsströmen haben mich zu ganz constanten Er- gebnissen geführt. Die Erfolge der Reizung wechselten gesetz- mässig mit der Stärke der angewandten Ströme. Die schwächsten überhaupt wirksamen Ströme bewirken ausnahmslos eine Hemmung der Inspiration, d. h. eine Vermin- derung der Inspirationstiefe ohne gleichzeitige Aenderung der Exspirationslage (Schemal u. Taf. VII, Figg. 1, 2, 12). Das Maass dieser Verminderung der Inspirationstiefe kann ein verschiedenes sein. Gewöhnlich ist es nicht übermässig schwer, durch vorsichtiges Heranschieben der secun- dären Rolle an die primäre die Reizschwelle zu finden, und es gelingt dann auch meistens, durch vorsichtige Verstärkung des Stromes die Anfangs- wirkung noch etwas ausgesprochener zu machen. Meistens kann man es zu einer Verminderung der Inspirationstiefe um !/, bis !/, bringen. Je- doch sind die Fälle nicht gerade selten, wo es gelingt, die Inspirationstiefe um !/, bis ?/, zu vermindern. Ein Stillstand in Exspiration ist beim Schema 1. nicht narkotisirten Thier in diesem Stadium nie zu erreichen. Es gelingt immer, die Hemmung der Inspirationstiefe während einer Reihe von Athemzügen aufrecht zu erhalten. Allmählich jedoch geht das Zwerch- fell wieder bis zur normalen Inspirationstiefe zurück. Es beruht das auf einem Unerregbarwerden des Nerven, bezw. Unempfindlichwerden dem schwachen Reiz gegenüber. Denn die Erscheinung tritt gewöhnlich wieder ein, wenn man den Nerven auf den Elektroden verschiebt. Einige Fälle, in denen es mir nur mit Mühe gelang, bei scheinbar normal athmenden Thieren eine geringe, wenn auch sichere Verminderung der Inspirationstiefe herbei- zuführen, bin ich nachträglich, nach Untersuchung dieser Fehlerquelle (s. S. 213), geneigt, auf beginnende Dyspno& zurückzuführen. Ich habe mich daher bei meinen späteren Versuchen daran gewöhnt, den Hahn der Gad- schen Trachealcanüle, durch welche das Thier athmete, erst kurz vor jeder ! Die in dieser Arbeit mitgetheilten Resultate sind gewonnen durch Versuche an insgesammt über 80 Kaninchen. 202 MAX LEWANDOWSKY: Reizung auf Trachealathmung zu stellen und die Reizung sofort eintreten zu lassen, sobald das Thier einige regelmässige Athemzüge in die Vorlage gethan hatte, ebenso bald nach jeder Reizung die Trachealcanüle wieder auf Nasenathmung zu stellen. Der Rhythmus, sowie die Form der Athemzüge ist in diesem Stadium nicht wesentlich verändert, wenn auch oft eine geringe Verlängerung der exspiratorischen Pausen (besonders der ersten) während der Reizung und eine entsprechende unbedeutende Verlangsamung derAthmung zu beobach- ten ist. Sind inspiratorische Pausen vorhanden (wie nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung), so können dieselben während der Reizung abgekürzt oder beseitigt sein, so dass die Athmung dadurch sogar beschleunigt er- scheinen kann. Nur selten giebt sich die Inspirationshemmung auch in der Weise kund, dass das Zwerchfell bei der Exspiration mehr erschlafft als in der Norm, dass also die Linie der Exspirationskuppen auf der Curve höher verläuft als normal! (Taf. VII, Fig. 8). Eine Nachwirkung ist ge- wöhnlich nicht zu beobachten; war die Wirkung eine ausgesprochnere, so kann eine ganz geringe inspiratorische Nachwirkung zur Beobachtung kommen (Taf. VII, Fig.8). Die Reizschwelle schwankte bei Benutzung eines mit 1 Daniell armirten Schlitteninduetoriums zwischen 300 und 700m Rollen- abstand. Gewöhnlich liegt sie zwischen 400 und 500m, Die eben beschriebene Form der Vaguswirkung wurde zuerst von Wedenskii? „recht häufig“ beobachtet, ven Knoll? für eine Anzahl von Fällen bestätigt, von den übrigen Untersuchern, wie es scheint, übersehen oder nicht gewürdigt. Durch meine Experimente scheint der Nachweis erbracht, dass die Anwendung schwächster Ströme, d.h. der Reizschwelle, immer inspirationshemmende Wirkungen hat. Während man nun erwarten könnte, dass diese inspirationshemmende Wirkung schwächster Reizung bei Verstärkung des Stromes in einem exspira- torischen Stillstand ihren Abschluss fände, tritt das, wie schon oben bemerkt, beim normalen Thier nie ein, sondern man sieht, wenn man die Strom- stärke allmählich steigert,‘ nun auch die Exspirationshöhe sich ändern. Die Kuppen der. Exspiration sinken unter das normale Niveau. Also eine 1 Es ist diese Erscheinung nicht zu verwechseln mit activer Exspiration. Es dürfte überhaupt, mehr als es bisher geschehen ist, darauf zu achten sein, dass man nicht von „exspiratorischen Erscheinungen“ oder Aehnlichem spricht, sondern genauer definirt ob es sich um eine (genuine) Hemmung oder (antagonistische) Ueberwindung der Inspiration handelt. Es würde genügen, wenn nur die active Exspiration als solche immer bezeichnet würde. Sen Va VISMD: ® Knoll, Beiträge u. s. w. Il. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. 1882. Bd. LXXXVI. S. 2. (S.-A.) Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 203 allmähliche Umkehr im Sinne der Inspiration (Schema 2a und 25 und Taf. VII, Figg. 3, 4, 9, 13, 14, 18). Die Linie der Inspiration kann wäh- rend dieser Umkehr noch etwas in die Höhe gehen, gewöhnlich bleibt sie auf dem Niveau des ersten Stadiums, öfter kommt es auch vor, dass sie wieder heruntergeht und das normale Niveau der Inspiration erreicht. Die relative Form des einzelnen Athemzuges ist wenig, manchmal im Sinne der Inspi- ration verändert. Dabei werden aber die einzelnen Athemzüge er- heblich verkleinert und die Athemfrequenz wesentlich erhöht. Schema 2a. Schema 2b. Diese Verkleinerung und Beschleunigung der Athmung wächst bei Ver- stärkung des Stromes immer mehr. Die Linie der Exspirationskuppen nähert sich immer mehr der Inspirationslinie, diese sinkt stetig, und end- lich kommt es unter normalen Verhältnissen! zu dem bekannten Stillstand in Inspirationsstellung. Dieser Inspirationsstillstand tritt in der Regel im Niveau der normalen Inspiration ein (Schema 3 u. Taf. VII, Figg. 5, 10, 15). Selten ist es. wenn ein absoluter Stillstand schon etwas über der normalen Inspirations- Schema 3. ! Ich habe nur ein hier gesehen, bei dem von vorneherein inspiratorischer Stillstand auch nicht annähernd zu erreichen war, sondern nur Mittelstellungen zur Beobachtung kamen. 204 Max LEWANDOWSKY: linie zu Stande kommt und es einer Verstärkung des Stromes bedarf, um ihn auf das normale Niveau hinunterzudrücken. Häufiger kommt es vor, dass die Stillstandslinie um ein Weniges unter der Normalen verläuft. Be- trächtlich sind diese Differenzen nie. Der inspiratorische Stillstand hat immer eine inspiratorische, d. i. gleichsinnige Nachwirkung, welche sich entweder in einer Fortdauer des Stillstandes über die Reizdauer hinaus, oder doch mindestens in einem allmählichen Uebergang zur normalen Athmung äussert. Die Stromstärke, bei welcher dieser Stillstand eintritt, schwankt in denselben weiten Grenzen, wie die Reizschwelle Innerhalb einer gewissen Breite der Stromstärke bleibt dieser Stillstand nun aber be- stehen, und man kann die secundäre Rolle gewöhnlich um 100”" und mehr der primären nähern, ohne eine Veränderung der Wirkung zu bekommen. Nur scheint die Dauer des Stillstandes, sowie der Nachwirkung von der Stärke des Reizes beeinflusst zu werden. Lässt man den Reiz lange Zeit auf den Nerven wirken, so fängt die Athmung an, sich wieder herzustellen, indem das Zwerchfell kleine Excursionen beginnt, die sich allmählich der Norm nähern (Taf. VII, Fig. 6). Während des Inspirationsstillstandes treten häufig Schluckbewegungen auf (Taf. VII, Fig. 38), die wohl meist durch Stromschleifen auf den Lar. sup. veranlasst sind. Wird nun (immer beim nicht narkotisirten Thier) die Stromstärke noch weiter gesteigert, so treten Schmerzäusserungen und entsprechende Athembewegungen auf (Schema 4 u. Taf. VII, Figg.7, 11, 16, 19). Active Schema 4. Exspirationen, forcirte Inspirationen, sehr schnelle und tiefe Athemzüge in wechselnden Thoraxlagen: ein Wirrwarr von Erscheinungen, welches man als Schmerzathmung oder Athemunruhe bezeichnen könnte. Diese Schmerzäusserungen (verbunden mit gewaltsamen Körperbewegungen des Thieres, welches das Bestreben zeigt, sich loszureissen) können den Reiz um etwas überdauern, gewöhnlich finden sie mit ihm ihr Ende, und es zeigt DiE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 205 sich sehr häufig eine deutlich ausgesprochene inspiratorische Nachwirkung (Taf. VII, Fig. 11). Diese so heftigen und stürmischen Wirkungen können eintreten bei verhältnissmässig schwachen Strömen (150 bis 200" Rollen- abstand des mit 1 Daniell armirten du Bois-Reymond’schen Schlitten- inductoriums). Dass die Psyche an diesen Erscheinungen betheiligt ist, ist wohl nicht zu bezweifeln. Dass aber das Grosshirn, d. h. die Schmerz- empfindung nicht allein die Quelle der so stürmischen Athmungsbeein- flussungen ist, lässt sich durch Grosshirnexstirpation nachweisen. Rücken- marksdurchschneidung in der Höhe des 7. Halswirbels! verändert nur die Form der Curven, insoweit die active Exspiration ausfällt und die Athmung äusserlich weniger foreirt erscheint, und verhindert in Folge der Lähmung des ganzen Hinterthieres die Unruheerscheinungen. Ich kann also die alte Behauptung, dass man bei Anwendung starker und stärkster Ströme exspiratorischen Stillstand bekommt, beim normalen Thier nicht bestätigen. Trotzdem möchte ich hier schon bemerken, dass dieser Gegensatz, in den ich mich besonders zu Meltzer stelle, mir nicht als ein principieller erscheint. Wir werden später sehen, dass bei gewissen Veränderungen des Thieres und seines Athemcentrums, die sich im Allge- meinen als Schädigungen desselben charakterisiren lassen, das Resultat stärkster Vagusreizung in der That exspiratorischer Stillstand ist. Da nun unter einer gewissen Anzahl von Thieren immer einige sein werden, deren Constitution von vornherein an sich mangelhaft ist, so erscheint es nicht wunderbar, dass ich in ganz wenigen Fällen (3) eine Annäherung an die Meltzer’schen Resultate bekommen habe. Im Allgemeinen aber ist an der Thatsache festzuhalten, dass man beim normalen, nicht chloralisirten Thier auch bei Anwendung stärkster Ströme nie exspiratorischen Stillstand zu sehen bekommt, sondern stürmische Veränderungen der Athmung: Athemunruhe. Ueber flüchtige Reizung des Lungenvagus sind von Langen- dorff? (fast ohne Erfolg) und Wedenskii? Versuche gemacht worden. Ich kann die bestechenden Resultate Wedenskii’s, der bei Reizung im Inspi- rationsmomente exspiratorische, im Exspirationsmomente inspiratorische Er- folge gesehen hat, nicht bestätigen. Ich habe bei Anwendung gleichstarker ! Die Versuche nach hoher Rückenmarksdurchschneidung, ebenso wie die nach Grosshirnexstirpation, sind natürlich nur dann beweisend, wenn das Thier unter diesen schweren Eingriffen nicht allzusehr gelitten hat. Das Thier muss vor Allem nach der Operation, die ohne Narkose auszuführen ist, denselben Athmungsmodus zeigen wie vorher. ® Langendorff, Der Einfluss des N. vagus und der sensiblen Nerven auf die Athmung. Königsberg 1878. 8. 33. 2.2. 0N 1888: 206 Max LEWANDOWSKY: Ströme, wann ich auch reizte, immer entweder exspiratorische oder inspira- torische Wirkungen bekommen. Wedenskii hat zunächst für die exspira- torische Reizung viel stärkere Ströme verwandt, als für die inspiratorische. Ausserdem scheint mir die Deutung der Curven flüchtiger Vagusreizung unmöglich, wenn man nicht vorher die Wirkung längerer tetanischer Rei- zung des Nerven mit der betreffenden Stromstärke geprüft hat. Denn sieht man eine Verkleinerung der Inspirationstiefe nach Reizung im Exspira- tionsmomente, so kann das ebenso gut eine echte Inspirationshemmung (Schema 1) als die Andeutung einer Mittelstellung (Schema 2) sein. Die constante Reihenfolge der Erscheinungen bei Reizung des centralen Vagusstumpfes mit Inductionsströmen wachsender Stärke ist also: Inspirationshemmung, Uebergang zur Inspi- ration, Inspirationsstillstand, Athemunruhe. 2. Reizung mit constanten Strömen. Beim Lungenvagus hat Grützner! zuerst die Reizung mit dem con- stanten Strom angewendet. Er bekam durch Schliessung des aufsteigenden und Oeffnung des absteigenden Stromes exspiratorische Wirkungen. Oeffnung aufsteigender und Schliessung absteigender Ströme blieb wirkungslos. Langendorff und Oldag” haben diese Versuche wiederholt und insofern erweitert, als sie auch Reizungen mit rhythmisch unterbrochenen Ketten- strömen angestellt haben. Sie kommen zu dem Ergebniss, dass Schliessung (und Dauer) des aufsteigenden und Oefinung des absteigenden Stromes exspiratorisch, Oefinung des aufsteigenden und Schliessung des absteigenden Stromes inspiratorisch wirkt, dass ferner absteigende unterbrochene Ketten- ströme inspiratorischen, unterbrochene aufsteigende exspiratorischen Effect haben. Boruttau? bestätigt im Wesentlichen diese Ergebnisse, um sich in ihrer Deutung allerdings von Langendorff und Oldag zu unter- scheiden. Uebereinstimmung besteht also unter den Autoren darüber, dass Schliessung des aufsteigenden und Oeffnung des absteigenden Stromes exspiratorisch, das ist inspirationshemmend wirkt. In der That sind diese Erscheinungen als absolut sichere zu bezeichnen (Taf. VIIL, Figg. 39, 40, 41, 44, 45), jedoch ist gewöhnlich die Oeffnungswirkung des aufsteigenden schwächer als die Schliessungswirkung des geleichstarken ab- ! Grützner, Ueber verschiedene Arten der Nervenerregung. Pflüger’s Archw. Bd. XVIL S. 248. ® Langendorff und Oldag, Ueber das Verhalten der die Athmung beein- flussenden Nervenfasern gegen Kettenströme. Zbenda. Bd. LVIII. S. 201. ® Boruttau, Untersuchungen über den Lungenvagus. Ebenda. Bd. LXI. 3.39. s Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 207 steigenden Stromes. Die Form dieser Wirkung stimmt überein mit der Wirkung schwächster Inductionsströme. Nur können hier bei Anwendung constanter Ströme auch beim normalen nicht chloralisirten Thier diese inspirationshemmenden Wirkungen sich bis zum Stillstand in Exspirationsstellung steigern, wenn ein solcher auch bei vielen Thieren nicht zu erreichen ist. Es kann die exspiratorische Stillstandslinie etwas über dem Niveau der normalen Exspiration liegen. Ueberraschend starke Erfolge bekommt man oft, wie auch Langendorff und Oldag hervorgehoben haben, durch Anlegen einer elektrischen Pincette. Die in- spirationshemmende Wirkung des constanten aufsteigenden Stromes ist nicht nur die Folge der Schliessung, sondern auch der Dauer des Stromes, wie Langendorff und Oldag nachgewiesen haben. Die inspirationshemmende Wirkung der Oeffnung des absteigenden Stromes erkläre ich mit Boruttau durch das nunmehr alleinige Bestehen des dem polarisirenden Strome ent- gegengesetzt gerichteten polarisatorischen Nachstromes im Nerven. Es handelt sich weiter um die behauptete inspiratorische Schliessungs- wirkung des absteigenden Stromes. Von Grützner wird sie ge- eugnet. Bei Langendorff fehlt sie mitunter gänzlich. Ich habe bei Anwendung von unpolarisirbaren Elektroden und bei sicherer Ausschliessung von Stromschleifen Schliessungswirkungen des absteigenden Stromes nie beobachten können. Auch bei Anwendung von sehr starken Strömen (4 Chromsäureelemente, 3 Grove) waren dieselben absolut inconstant und nur in einem ganz geringen Procentsatz der Fälle zu beobachten. Was die von den Autoren angegebene Form dieser angeblichen Wirkung betrifft, so sieht Boruttau „die Durchströmung des centralen Nervenstumpfes durch einen absteigenden Strom oft ohne Wirkung.“ „Tritt eine solche ein, so besteht sie in einer vertieften, bezw. verlängerten Inspiration im Augenblicke der Schliessung.“! Aus den von Boruttau mitgetheilten Curven ist ersichtlich, dass es sich hier um diejenige Form der Athem- beeinflussung handelt, welche gewöhnlich als Seufzer bezeichnet wird. Diese Benennung lässt sehr gut die Möglichkeit durchblicken, dass diese eine vertiefte Inspiration eine psychische Reaction darstellen kann, was wohl auch für eine Anzahl der hier in Betracht kommenden Fälle zutrifft. Wenigstens kommen diese Seufzer als Folgen jedweder sensibler Reizung (8. auch Taf. VII, Fig. 4) hauptsächlich zur Beobachtung an Thieren, bei denen sie auch spontan häufig auftreten. Auch Stromschleifen auf den Phrenicus kommen hier in Betracht. Dass auf jeden Fall aber dieser Seufzer, der ja auch nach Boruttau nicht einmal constant ist, nieht die direete Wirkung einer ıA.2.0. S. 47. 208 MAıx LEWANDOWSKY: Reizung der athmungbeeinflussenden Vagusfasern ist, geht am besten daraus hervor, dass der unzweifelhaft exspiratorische Erfolg der Durchströmung mit dem aufsteigenden Strom durch einen solchen Seufzer eingeleitet oder unterbrochen werden kann (Taf. VIII, Figg. 42, 43.). Andere Formen der Wirkung der Schliessung des absteigenden Stromes scheint Boruttau nicht beobachtet zu haben, während Langendorff und Oldag! als solche noch angeben: „kurze Einathmungskrämpfe,? mit Tiefstand des Zwerchfells einher- gehende Beschleunigung, Verkleinerung und beschleunigter Ablauf der Exspiration.“ Diesen letzten Athemformen ist gemeinsam, dass sie bei keiner anderen Art der Vagusreizung vorkommen. Mit Tiefstand des Zwerchfells einhergehende Beschleunigung halte ich mit Gad für ein sicheres Zeichen von Stromschleifen auf den Phrenieus. Auch durch die sensiblen Fasern des Plexus brachialis und cervicalis könnte diese Er- scheinung vermittelt werden (vgl. S. 198). Ebenso habe ich die Verklei- nerung der Exspiration einige Male (durch Abschnürung des Nerven unter- halb der Elektroden) als durch Stromschleifen veranlasst nachweisen können. Unter Berücksichtigung der Thatsache, dass ich diese sehr zweifelhaften Erfolge nur äusserst selten eintreten sah (wie sie ja auch die oben genannten Beobachter nicht constant gefunden haben), kann ich also nicht anstehen, die Schliessung des constanten absteigenden Stromes als wir- kungslos zu bezeichnen. Etwas anders steht es mit dem inspiratorischen Erfolge der Oeffnung des aufsteigenden Stromes. Vorab muss bemerkt werden, dass auch er keineswegs constant zu beobachten ist, sondern als sehr selten bezeichnet werden muss. Wenn auch von diesen wenigen Fällen noch eine Anzahl auf Rechnung von Stromschleifen gesetzt werden müssen, so ist es doch Thatsache, dass die Oeffnung des aufsteigenden Stromes in einigen Fällen von einem kurzen inspiratorischen Tetanus gefolst ist (Taf. VIII. Fig. 41, 41a). Aber dieser kurze inspiratorische Stillstand tritt nur dann ein, wenn die Wirkung der Durchströmung eine nicht allzuschwache gewesen ist und besonders bei den Thieren, bei denen jede reflectorisch hervorgerufene Hemmung der Athmung eine inspiratorische Nachwirkung hat, eine Erscheinung, welche nach unserer später zu entwickelnden Auffassung eine Reaction der centralen Athemazelle darstellt. Ich betrachte daher auch den inspiratorischen Stillstand nach Oeffnung des aufsteigenden Stromes als Nachwirkung der Durchströmung und nicht als Effeet eines neuen durch die Stromöffnung gesetzten Reizes. Gestützt wird diese Auf- IA. 2. 0. 8.209. 2 Was dieser Ausdruck bedeuten soll, ist nicht klar ersichtlich; ist er gleich- bedeutend mit Inspirationstetanus (Inspirationsstillstand) ? Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 209 fassung (die sich übrigens auch bei der Betrachtung der von Langen- dorff und Oldag gegebenen Curven aufdrängt) durch die Unmöglichkeit, den Reiz abzustufen. Nie gelingt es, die eigenthümlichen Mittelstellungen, wie sie bei Reizung mit dem Inductionsstrom oben beschrieben worden sind, zu erzielen, sondern stets ist die — um diesen incorrecten Ausdruck noch einmal zu gebrauchen — Oefinungswirkung des aufsteigenden Stromes ein mehr oder weniger langer inspiratorischer Stillstand. Die Oeffnung des aufsteigenden Stromes als solche muss als wirkungslos be- zeichnet werden. Wir kommen zu den rhythmisch unterbrochenen gleich- gerichteten Kettenströmen. Langendorff und Oldag constituiren hier einen principiellen Gegensatz zwischen aufsteigenden und absteigenden Strömen. Der unterbrochene absteigende Strom soll immer inspiratorisch, der unterbrochene aufsteigende immer exspiratorisch wirken. Dieser Gegensatz scheint mir in doppelter Hinsicht nicht haltbar. Erstens wirkt der unterbrochene absteigende Strom nicht immer inspiratorisch. Wählt man nämlich im Anfang entweder den Strom schwach oder die Unterbrechung langsam genug, so kann man genau dieselbe Stufen- leiter der Athmungswirkungen, vor Allem die Inspirationshemmung (Taf. VIII, Fig. 50) beobachten, wie sie beim Inductionsstrom geschildert ‚worden sind. Da wir freilich für die Unterbrechung gleichgerichteter Ströme (ich benutzte ein Neef’sches Blitzrad) nicht über so bequeme und leicht regulirbare Apparate verfügen, wie der Inductionsapparat einer für Wechsel- ströme ist, so empfiehlt es sich, für diese Versuche nur Thiere zu wählen, welche die verschiedenen Typen der Vaguswirkung auch bei Anwendung ‘von Induetionsströmen in ausgesprochener Weise gezeigt haben. Davon, dass auch unterbrochenen absteigenden Strömen keine inspiratorische Wir- kung zukommt, kann man sich aber sehr leicht überzeugen, indem man den Versuch unter jenen später zu beschreibenden Bedingungen anstellt, unter denen sich überhaupt nur noch exspiratorische Erfolge erzielen lassen. Unterbrochene absteigende Ströme bleiben hier nicht etwa wirkungslos, sondern man bekommt ausgesprochene exspiratorische Erfolge, auch bei Anwendung schnell unterbrochener Ströme beliebiger Stärke (Taf. VIII, Fig. 50a). Was nun zweitens die Wirkung aufsteigender unterbrochener Kettenströme anlangt, so erscheint es nicht ganz erklärlich, wie auf Grund ihrer eigenen Versuchsergebnisse Langendorff und Oldag zu dem allgemeinen Satze kommen konnten, dass die Wirkung aufsteigender unterbrochener Ströme im Gegensatz zu der der absteigenden als eine ex- spiratorische bezeichnet werden könne. Langendorff und Oldag sahen Archiy f. A.u,. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 14 210 Mıx LEWANDOWSsKY: unzweideutige Erfolge nur dann mit Sicherheit eintreten, wenn das Ver- suchsthier gut betäubt war. Es ist das kein Wunder, da, wie wir es später beschreiben werden, die Narkose überhaupt die exspiratorischen Wirkungen der Vagusreizung in ausgesprochener Weise befördert. Bei „ungenügend“ betäubten Thieren verhält sich auch nach Langendorff und Oldag der Athemapparat bei Applicirung von aufsteigenden unterbrochenen Strömen auf den Halsvagusstumpf „nicht selten ebenso wie gegenüber dem ab- steigenden, und das Resultat der Reizung war inspiratorischer Stillstand.“ ! Das heisst doch schliesslich nichts anderes, als dass man bei intacten Thieren durch unterbrochene aufsteigende Ströme ebensogut inspiratorische Wir- kungen erzielen kann, wie durch absteigende oder Wechselströme. Für Athmungsversuche giebt es keine genügend oder ungenügend betäubten Thiere, sondern die Betäubung bleibt eine Fehlerquelle, die wir nur ein- führen, um entweder den Experimentator störende Nebenwirkungen der Reizung zu beseitigen oder um dem Versuchsthier unnöthige Qualen zu ersparen. Das letzte bedeutet eben, dass wir uns vorher überzeugt haben müssen, ob und wie die Narkose die Resultate beeinflusst. In einem besonderen Abschnitte wird gezeigt werden, dass sie die Erfolge der Vagus- reizung geradezu auf den Kopf stellen kann. Es verhalten sich in der That nun aufsteigende unterbrochene Kettenströme nicht anders wie ab- steigende (Taf. VIII, Figg. 46 bis 49) und es erübrigt daher, die Stufen- leiter der Wirkungen hier abermals zu wiederholen. Schon wenn man den Schlüssel mit der Hand rasch öffnet und schliesst, gelingt es sehr häufig, ein Sinken der Exspirationskuppen herbeizuführen und bei schneller Unter- brechung mittelst des Blitzrades kann man in der Mehrzahl der Fälle voll- kommenen Inspirationsstillstand erzielen. Zuzugeben ist aber, dass bei gleicher Stromstärke und gleicher Unterbrechungszahl absteigende Ströme allerdings meistens energischer inspiratorisch wirken als aufsteigende (Taf. VIII, Figg. 47, 47a). Ich schreibe diesen Unterschied der stark exspiratorischen Dauerwirkung des aufsteigenden Stromes zu. Daraus erklärt sich auch die von Langendorff und Oldag angegebene Thatsache, dass die exspira- torische Wirkung aufsteigender unterbrochener Ströme befördert wird, wenn man die Unterbrechungszahl klein, die jedesmalige Schliessungsdauer lang wählt. Aber diese kleinen Differenzen genügen doch nicht, um einen fundamentalen Gegensatz zwischen aufsteigendem und absteigendem Strom zu begründen. Da nun nachgewiesen wurde, dass bei Dauerdurchströmung nur wirk- sam ist, und zwar in exspiratoriıschem (inspirationshemmendem) Sinne, ent- weder Schliessung des aufsteigenden oder Oefinung des absteigenden Stromes, as oil Dis REGULIRUNG DER ATHMUNG. >11 unterbrochene Ströme beider Richtung aber inspiratorisch wirken können, so ergiebt sich schon daraus mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass die in- spiratorische Wirksamkeit der unterbrochenen Ströme eine Summations- erscheinung ist von Reizen, das eine Mal der Schliessungen des auf- steigenden, das andere Mal der Oeffnungen des absteigenden Stromes, die bei einmaliger Anwendung inspirationshemmenden Erfolg haben. Ob die graduelle Verschiedenheit in der Stärke dieser inspiratorischen Summations- erscheinungen — wenn man diese Auffassung gelten lassen will (vel. S. 223) — nicht gerade beruhen kann auf dem umgekehrten Verhältniss der Stärke der inspirationshemmenden Einzelwirkung, mag dahingestellt bleiben. Was aber die Thatsachen betrifft, so ergiebt sich für die Reizung des centralen Vagusstumpfes mit constanten Strömen Folgendes: Bei Dauer- durchströmung ist nur wirksam und zwar in inspirations- hemmendem Sinne: die Schliessung (und Dauer) des aufsteigen- den und die Oeffnung des absteigenden Stromes. Unterbrochene gleichgerichtete Ströme aufsteigender und absteigender Rich- tung sind principiell nicht von einander verschieden. Beide wirken nicht anders als die Wechselströme des Inductions- apparates. 3. Mechanische und chemische Reizung. Mechanische und chemische Reizung haben zwei unangenehme Eigen- ‚thümlichkeiten miteinander gemein, die ihren Werth besonders da, wo es sich um eine Reihe vergleichender Versuche handelt, sehr vermindern, erstens die Unmöglichkeit, sie auch nur einigermaassen genau abzustufen, zweitens die Eigenschaft, den Nerven, wenigstens an der Stelle, wo sie ihn treffen, mehr oder weniger anzugreifen und für weitere Versuche ungeeignet zu machen. Beim Vagus ist die mechanische Reizung angewandt worden von Langendorff,! Gad,? die nur exspiratorische und Knoll,’ der im Gegensatz dazu nur inspiratorische Wirkungen gesehen hat. Neuer- dings hat Boruttau* über die mechanische Reizung des Vagus Versuche angestellt. Er stellt einen Unterschied auf zwischen der raschen Durch- ! Langendorff, Der Einfluss des N. vagus und der sensibeln Nerven auf die Athmung. Königsberg 1878. 8. 50. 2 Gad, Regulirung der normalen Athmung. Dies Archiv. 1880. S. 11. ® Knoll, Beiträge u. s. w., Il. S. 11. (8.-A.) 4 A.a.0. S. 44. 14* 212 Mıx LEWANDOWwSKY: schneidung mit scharfer Scheere, die inspiratorisch, und langsamer Durch- schneidung und Quetschung, die exspiratorisch wirksam sein sollen. Ich kann das nicht bestätigen; sondern finde öfter auch Quetschung des natür- lich vorher peripher durchschnittenen Nerven inspiratorisch wirksam. Durch- schneidet man den intacten Nerven sehr rasch mit scharfer Scheere und lässt die Nervenstümpfe auf eine isolirende Unterlage fallen, so be- kommt man unter Umständen die typischen, später zu beschreibenden Ausfallserscheinungen, das heisst, es findet gar keine Reizung, sondern nur eine Unterbrechung der Leitung im Nervenstamm statt. Sonst habe ich bei Anwendung von verschiedenen mechanischen Reizen — (uetschen, Reiben, Zerren (den Tetanomotor habe ich nicht angewandt!) — alle die Wirkungen gesehen, die ich für die Reizung mit Inductionsströmen be- schrieben habe, natürlich nicht, wie bei der Rohheit der Methode nicht zu verwundern, in so schöner Regelmässigkeit. Ich glaube daher weder dass der mechanischen Reizung des centralen Vagusstumpfes (nicht zu verwechseln mit der mechanischen Erregung der Vagusendigungen in der Lunge) eine specifische Wirksamkeit zukommt, noch, dass sie im Stande ist, neue Aufschlüsse über die Vaguswirkung zu geben. Ueber die chemische Reizung des Vagus liegen Erfahrungen vor von Grützner,? Langendorff,? Knoll.* Uebereinstimmend wird die exspi- ratorische Wirksamkeit chemischer Reize angegeben. Durch einige Versuche überzeugte ich mich von der Thatsache Nur ist es ganz un- möglich, bei chemischer Reizung die Störungen durch Aenderungen des Eigenstroms (Knoll) auszuschliessen. Oft eintretende Schmerzäusserungen machen die Resultate noch unsicherer. Die oben besprochenen Resultate der künstlichen Reizung des centralen Vagusstumpfes beim normal athmenden, nicht ! Wenn übrigens Boruttau von seinen Versuchen mit dem Tetanomotor berichtet und unter Verweisung auf eine Curve sagt „dass durch Controlversuche ausgeschlossen war, dass eine derartige ausgesprochene Athemveränderung lediglich auf psychische Erregung des Thieres durch den Lärm des spielenden Instrumentes zurückzuführen gewesen wäre“, so sollen natürlich die Angaben Boruttau’s für den vorliegenden Fall nicht in Zweifel gezogen werden. Trotzdem muss aber vor der Benutzung dieser lärmmachenden Tetanomotoren gewarnt werden. Ich habe nie eine so kolossale Aufregung und dementsprechende Athembeeinflussung beim Kaninchen gesehen, als da ich den im hiesigen Institut befindlichen Tetanomotor in einer Entfernung .von 1” von dem gut aufgebundenen Thier in Thätigkeit setzte, worauf ich auf die Anwendung dieses Instru- mentes verzichtete. 2A! 20.8! 251. 31.2. .0:1878. * Knoll, Beiträge u. s. w., II. S. 13. (S.-A.) Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 213 narkotisirten Thier, sind zusammengefasst folgende: Schwächste Reizungen aller Art, in so weit sie überhaupt wirksam sind, be- wirken Inspirationshemmung. Mit der Verstärkung des Reizes seht diese Wirkung über in eine inspiratorische, welche ihren Abschluss findet in einem inspiratorischen Stillstand. Wird der Reiz noch weiter verstärkt, so tritt Schmerz und ent- sprechende Athembeeinflussung ein. Diese Verhältnisse sind festgestellt für unterbrochene Kettenströme aufsteigender und absteigender Richtung und Wechselströme, höchst wahrschein- lich für mechanische Reizung. Eine specifische Wirksamkeit kommt dem aufsteigenden Dauerstrom zu, der nur inspirations- hemmend wirkt. Dasselbe gilt wahrscheinlich für die che- mische Reizung. Nachdem gezeigt worden ist, dass die Wirkungen der Reizung des centralen Halsvagusstumpfes beim normalen Thier im Allgemeinen einheit- liche Erscheinungen darstellen, nachdem weiter die Form dieser Wirkungen festgestellt worden ist, soll nun die Beeinflussung derselben durch die Ein- führung anormaler Thätigkeitsbedingungen des centralen Athemapparates behandelt werden. 4. Reizung während Dyspno&. Ueber Vagusreizung während Dyspno& finde ich in der Litteratur nur eine gelegentliche Bemerkung von Gad,! dass Inductionsströme, welche bei normalen Athembewegungen Inspirationsstillstand herbeizuführen ver- mögen, dazu bei Dyspno& nieht mehr ausreichen, und die kurze Angabe Knoll’s,” dass vorher deutlich wirksame Inductionsreize sich unwirksam erwiesen, wenn inzwischen Dyspno& eingetreten war, Die Kohlensäuredyspno&, von welcher allein hier die Rede ist, äussert sich bekanntlich in einer Beschleunigung und Vertiefung der Athmung. Zu ihrer Erzeugung genügt es, das Versuchsthier längere oder kürzere Zeit aus einem beschränkten Luftraum athmen zu lassen. Die Erhöhung der Reizschwelle durch die Dyspno& ist die erste in die Augen fallende Erscheinung. Sie ist oft sehr beträchtlich ! Gad, Abhängigkeit u. s. w. Dies Archiv. 1881. S. 546. ®? Knoll, Beiträge u. s. w, U. 8. 11. (8.-A.) 214 Max LEWANDOWSKY: gegenüber der normalen Athmung (100®= und mehr Rollenabstand bei Verwendung von Inductionsströmen), so dass sie ausserhalb der Fehler- grenzen liegt. Ich habe diese Thatsache experimentell controlirt, indem ich zuerst bei normaler, dann bei dyspnoischer und zuletzt wieder bei nor- maler Athmung immer an ungefähr derselben Nervenstelle Reizungen an- stellte; wenn, wie gewöhnlich, 1 und 3 miteinander stimmten, war eine Täuschung durch Unerregbarwerden des Nerven ausgeschlossen. Es lassen sich nun weiter bei Dyspno& die ersten inspirationshemmenden Wirkungen schwächster Reizung — ich beschränkte mich hier meistens auf die bequeme Reizung mit Inductionsströmen — meist nur schwer durch ganz vorsichtige Abstufung des Reizes, manchmal gar nicht erzielen (Taf. VII, Figg. 20 bis 22). Auch die Wirkung constanter Dauerströme ist sehr ab- geschwächt, ein längerer Exspirationsstillstand bei Anwendung von Strömen beliebiger Stärke meist nicht zu bekommen, sondern nur eine mehr oder minder grosse Verkleinerung der Inspirationstiefe. Eine dritte ganz constante Beeinflussung der Wirkung der Vagus- reizung durch Dyspnoö besteht darin, dass (wenn die Dyspnoö einiger- maassen ausgesprochen ist) auf keine Weise mehr ein absoluter Inspirationsstillstand zu erreichen ist. Die Athembewegungen können nicht mehr vollständig inhibirt werden (Taf. VII, Figg. 18, 22). Die Grösse der übrigbleibenden Schwankungen wächst im Allgemeinen mit dem Grade der Dyspnoe. Sehr häufig ist dabei der beim normalen Thiere sehr selten vorkommende Fall, dass die exspiratorischen Excursionen von vornherein in der Höhe der normalen Inspiration ansetzen, so dass eigentliche Mittel- stellungen gar nicht zur Beobachtung kommen. Schmerzäusserungen treten in gewöhnlicher Weise bei Anwendung stärkster Ströme auf (Figg. 19, 23). Auch bei der sogenannten Wärmedyspno& (Tachypnoö Gad), die ja mit der eigentlichen Kohlensäuredyspnoö gar nichts zu thun hat, habe ich in einigen Fällen Vagusreizungen angestellt (Taf. VIII, Figg. 35 bis 38). Ich fand die inspirationshemmende Wirkung schwächster Reizung im Verhältniss zu der überaus flachen Athmung recht ausgesprochen. Der leicht zu er- zielende Inspirationsstillstand scheint hier gewöhnlich beträchtlich unter dem Niveau der während der \Wärmedyspno@ innegehaltenen Inspirationstiefe stattzufinden. Es kann hier auch, was bei normaler Athmung nach meinen Beobachtungen nie der Fall ist, eine Beschleunigung der Athmung bei Tiefstand des Zwerchfells eine directe Folge der Vagusreizung sein, da mit dem Inspirationsstillstand auch die Mittellagen in inspiratorischem Sinne verschoben erscheinen (Taf. VIII, Fig. 36). DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 215 5. Reizung während der Narkose. Von Fredericg! und von Wagner?” war behauptet worden, dass während tiefer Chloralnarkose durch Vagusreizung nur exspiratorischer Still- stand hervorzurufen sei. Als dagegen von Burkart? und Rosenthal Widerspruch erhoben wurde, suchte Frederiecg° in einer zweiten Arbeit seine Ansicht mit denen dieser Forscher dadurch zusammenzubringen, dass er drei Stadien der Chloralnarkose annimmt, im ersten sollte Vagusreizung nur inspiratorischen Erfolg haben (Burkart), im zweiten ganz unwirksam sein (Rosenthal) und im dritten exspiratorischen Stillstand bewirken (Fredericg). Wie Fredericq zur Aufstellung seines ersten Stadiums gekommen ist, erscheint erklärlich, da ja weder er noch Burkart die Formen der Inspi- rationshemmung gesehen hat, wie ich sie als Wirkung schwächster Reizung überhaupt beschrieben habe, sondern bei beiden Forschern immer nur von Exspirationsstillständen die Rede ist. Solche kommen aber auch bei schwacher Narkose nicht zur Beobachtung. Ungenügende Chloraldosen scheinen im Gegentheil bei manchen Thieren eine gewisse (vielleicht psy- chische) Erregung hervorzurufen, welche (ebenso wie Dyspno&ö) die Beob- achtung der anfänglichen geringen Inspirationshemmung erschwert; von Exspirationsstillständen ist dann allerdings keine Rede. Nicht erklären kann ich aber, dass Rosenthal die Wirkungslosigkeit der elektrischen Vagusreizung bei Chloralnarkose angiebt, und ebensowenig, dass Fredericgq . das für ein mittleres Stadium derselben zugiebt, für das Endstadium aber wieder die Wirksamkeit behauptet. Obwohl sich die einzelnen Individuen gegen Chloral sehr verschieden ver- halten, so kann man doch die Anfangsdose, d. h. die Dose, bei der die für Chloral- narkose charakteristischen exspiratorischen Pausen auftreten oder, wenn sie schon normaler Weise bestanden haben (in diesen Fällen muss man vorsichtig sein), um etwas verlängert werden, für ein mittelgrosses Kaninchen (1300 bis 1800: m) auf 0-58” subcutan festsetzen. Gegen allmählich gesteigerte Dosen verhalten sich Kaninchen oft sehr resistent (ich habe oft über 1®m ! Frederieq, Sur la theorie de P’innervation respiratoire. Bull. de !’ Acad. royale de Belgique. XLVIL. ®? J. Wagner, Beiträge zur Kenntniss der respiratorischen Leistungen der N. vagus. Berichte der Wiener Akademie. Math.-naturw. Classe. Bd. LXXX. 3 Burkart, Studien über die automatische Thätigkeit des Athemcentrums Pflüger’s Archw. Bd. XVI 8. 427. * Rosenthal, a. a. O. 1881. S. 59. 5 Fredericg, Experiences sur P’innervation respiratoire. Dies Archiv. Suppl. Band. 1883. S. 51. 216 Max LEWANDOWSKY: pro Kilo Körpergewicht geben können), so dass sich darüber keine Normen aufstellen lassen. Der Grundzug der Veränderung der Wirkungen der Vagusreizung durch Chloralnarkose (Taf. VII u. VIII, Figg. 24 bis 34) ist die Hervorhebung der exspiratorischen und die Zurückdrängung der inspiratorischen Effecte. Die zeitliche Reihenfolge, in der die einzelnen Erscheinungen auftreten, ist nicht immer die gleiche; doch wird das folgende Bild in den meisten Fällen das Richtige treffen. Zunächst wird die inspirationshem- mende Wirkung schwächster Ströme sehr viel deutlicher. Sie kann sich bis zu einem längeren Stillstand in Exspiration steigern. Eine Nachwirkung ist auch hier bei Anwendung schwacher Reize gewöhnlich nicht zu beob- achten. Nur selten sieht man als solche einen kurzen inspiratorischen Still- stand. Entsprechend der Steigerung der inspirationshemmenden Effecte wird die Reizbreite, wenn man diesen Ausdruck brauchen darf, grösser, d. h. bei Benutzung des Inductionsapparates, als die Differenz der Rollenabstände, innerhalb welcher dieselben eintreten. Alle übrigen Erscheinungen können Schema 5. noch wie normal verlaufen; doch sieht man einen Stillstand schon häufig über der normalen Inspirationslinie auftreten und erst bei Verstärkung des ‘Stromes sich allmählich senken. Verstärkt man die Narkose, so beobachtet man, dass bei Anwendung stärkerer Ströme, als sie zur Erzielung des In- spirationsstillstandes nothwendig sind, die Stilllstandslinie wieder etwas nach oben geht, d.h. sich der Exspiration nähert. Schon hier können sich ausgesprochene inspiratorische Nachwirkungen zeigen. Schmerzathmung ist noch nicht ausgeschlossen. Giebt man noch mehr Chloral, so kann es bei Anwendung stärkerer Ströme zu einem reinen Exspirationstillstande kommen (Schema 5). Die Reihenfolge der Athmungswirkungen bei wachsendem Reiz ist jetzt also: Inspirationshemmung — Inspiration — Inspirations- hemmung (Figg.29—31). Ich habe mich natürlich vielfach überzeugt, dass die Wirkung stärkster Ströme, durch die übrigens trotzdem natürlich der Nerv nicht unbeträchtlich geschädigt werden kann, nicht etwa auf ein Unerregbar- werden des Nerven zurückzuführen ist. Auch ist es, wie schon oben hervor- gehoben wurde, besonders durch die Meltzer’schen Interferenzversuche, nach- gewiesen, dass Stromschleifen auf den Lar. sup. auch für den Erfolg stärkster Eee En Dıe REGULIRUNG DER ÄTHMUNG. 217 Reizung nicht verantwortlich gemacht werden können. Wir besitzen ausser- dem, wenigstens für dieses Stadium der Narkose, ein ziemlich sicheres Kri- terium in der bei Anwendung stärkster Ströme fast nie fehlenden starken inspiratorischen Nachwirkung (Schema 5 u. Taf. VIII, Fig. 29), auf die Meltzer! zuerst aufmerksam gemacht hat. Während sie bei Anwendung schwächster Ströme entweder gar nicht oder nur wenig ausgesprochen vor- handen ist, besteht sie bei Anwendung stärkster Stıöme fast ausnahmslos in einem längeren, von der Dauer der exspiratorischen Wirkung unabhängigem Inspirationstetanus. Es folgt jetzt ein Stadium der Narkose, in dem es nicht mehr gelingt, Inspirationstetanus zu erzeugen. Man kann den Strom nun ändern wie man will, man bekommt entweder Exspirations- oder Mittelstellungen. Und nun geht die Stillstandslinie immer mehr herauf, bis endlich die Anfangs- wirkung in die Endwirkung übergeht, und nur noch inspirationshemmende Wirkungen von der blossen Verkleinerung der Inspirationstiefe bis zum exspiratorischen Stillstand zu erzielen sind. In diesem Stadium pflegen dann auch die inspiratorischen Nachwirkungen stärkster Ströme wegzufallen oder sich sogar in exspiratorische zu verkehren (Taf. VII, Figg. 33. 34). Man sieht leicht, dass die zuletzt beschriebenen Erscheinungen dem dritten Stadium Fredericq’s entsprechen. Im Uebrigen sind es nicht nur die letzten Athemzüge vor dem Tode, wie Fredericg will, in denen die Vagus- reizung ausschliesslich exspiratorisch wirksam ist; das Thier kann sich wieder vollständig erholen. Ja, war nur ein Vagus durchschnitten, und wird nun in dem zuletzt besprochenen Stadium der Narkose auch noch der zweite ausgeschaltet, was das Auftreten von spontanen inspiratorischen Athmungs- pausen zur Folge hat, so lassen sich oft jetzt sogar wieder inspiratorische Reizwirkungen hervorrufen und es bedarf zu ihrer Beseitigung weiterer Mengen Chlorals. Ich habe die Wirkung künstlicher Vagusreizung noch bei einigen anderen Athemformen erprobt, welche schon äusserlich durch die Ver- längerung der exspiratorischen Pause, ähnlich wie das Chloral, eine Schwächung oder Schädigung des Athemcentrums anzeigten. So bekam ich nur ex- spiratorische Wirkungen nach starkem Aderlass, ebenso bei zwei jungen Hunden, die in Folge von Morphiuminjection periodische Athmung mit erheb- lichen exspiratorischen Pausen zeigten. Auch während der später zu be- schreibenden Spätwirkungen der doppelseitigen Vagusdurchschneidung sind die inspiratorischen Erfolge meist wenig ausgeprägt. Wegen dieser Gefahr halte ich es auch für praktisch überflüssig, wie das z. B. Langendorff . verlangt, vor Vagusreizung beide Vagi zu durchschneiden, und auch theo- ua, 04082 308. 218 Max LEWANDOWSKY: retisch ist es ja ganz gleichgültig, ob dem Athemcentrum, dem ja — un- beschadet seiner automatischen Thätigkeit — auch von anderen Seiten an- dauernd Impulse zugeführt werden, nun gerade die durch den zweiten Vagus zugeleiteten abgeschnitten werden. Im Allgemeinen wird man schon aus der Betrachtung der Athemcurve mit einiger Sicherheit die möglichen Erfolge der Vagusreizung bei einer bestimmten Athemform vorhersagen können. 6. Theorie der künstlichen Vagusreizung. Die Erklärung der Verschiedenheit der durch Vagusreizung zu er- zielenden Athmungsbeeinflussungen wird allgemein in der Annahme gesucht, dass im Lungenvagus! inspiratorische und exspiratorische Fasern verlaufen, das heisst Fasern, welche kraft ihrer intracentralen Verknüpfung nur in einer oder der anderen Weise zu wirken im Stande sind. Durch quantitative Differenzen in der Erregbarkeit dieser verschiedenen hypothe- tischen Faserarten glaubt man, ohne Weiteres alles erklären zu können, wenngleich bestimmte Aeusserungen über das Wie wegen des bisherigen Mangels an bestimmten Resultaten nicht vorliegen. Beer und Kreidl haben nach solchen specifisch wirkenden Fasern im Wurzelgebiet des Vagus gesucht: ohne Erfolg. Neuerdings hat Boruttau? versucht, die Sache anders zu erklären. Er glaubt, die verschiedenen Erfolge der Vagusreizung auf „in der all- gemeinen Natur der Nervenfaser begründete Thatsachen“ zurückführen zu können. Abgesehen davon, dass die Boruttau’sche Theorie der Nerven- erregung bis jetzt keineswegs allgemeine Anerkennung gefunden hat, möchte ich geltend machen, dass man von einer „allgemeinen Natur der Nerven- faser‘“ so lange nicht das Recht hat, zu reden, als man eben nicht alle Arten von Nervenfasern durchgeprüft hat. Am energischsten hat Grützner darauf hingewiesen, dass man zu einfach falschen Ergebnissen kommen könne, wenn man die am motorischen Froschnerven gewonnenen Ergebnisse ohne Weiteres auf den sensiblen Warmblüternerven überträgt. Drittens ! Für unsere Betrachtung ist abzusehen von den wenigen, sich wie gewöhnliche sensible Nerven verhaltenden Fasern, welche im Hilus der Lunge und den Haupt- bronchien vertheilt (Gad-Zagari) besonders für chemische Reizungen empfindlich sind, unter Anderem auch den Berns’schen Athemreflex vermitteln. Da sie aus der Lunge stammen, ist ihre Bedeutung als Fehlerquelle an früherer Stelle nicht erörtert worden. Jedoch ist der Einfluss ihrer Mitreizung auf den Erfolg der Reizung des Lungenvagus aus denselben Gründen, wie den beim Recurrens entwickelten, von vorneherein gleich Null zu setzen. 2A. 8.0. DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 219 greift Boruttau auf eine Thatsache zurück, die von ihm selbst nicht con- stant gefunden wurde und von mir geleugnet wird, nämlich die exspira- torische Wirkung der Schliessung des absteigenden Stromes. Zuletzt end- lich finde ich in der Boruttau’schen Arbeit keine Andeutung darüber, wie er sich denn die Vorgänge in den centralen Ganglienzellen denkt, die durch das „Entstehen des Katelektrotonus“ und den „katelektrotonischen Strom“ angeregt werden sollen. Er sagt nur, „dass die während der ganzen Dauer der Durchströmung von der Kathode ausgehenden Wirkungen es sind, welche bis zum Centralorgan reichend, die exspiratorischen Effecte veran- lassen.“ Abgesehen davon, dass mit diesem Satz ganz stillschweigend die Vorstellungen über die allgemeine Natur der Nervenfaser nun plötzlich gar auf die Nervenzelle übertragen werden, wie weit sollen denn diese Wirkungen reichen? Doch höchstens bis zur centralen Vaguszelle. Hier muss nach unserer jetzigen Anschauung über das Zustandekommen von Reflexen, ein neuer Vorgung einsetzen, durch den secundär erst das Öentral- organ der Athmung beeinflusst werden würde. Daran scheitert die Hypothese Boruttau’s, selbst wenn wir ihm alles Uebrige zugeben wollten. Eine klare, wenn auch natürlich hypothetische Darstellung der Vorgänge im Centralorgan muss von dem, der die inspiratorischen und exspiratorischen Wirkungen der Vagusreizung nur auf die Thätigkeit einer Faserart beziehen will, gefordert werden. Ich habe keinen Weg finden können, die mannigfaltigen Ergebnisse künstlicher Vagusreizung aus der gleichzeitigen Erregung verschiedener Faserarten zu begreifen und zu erklären. Man vergegenwärtige sich wie viel unbewiesene, unwahrscheinliche und unbeweisbare Hypothesen über die Verschiedenheit der Erregbarkeit bei verschiedenen Stromstärken und Aehnliches nur dazu nöthig wären, das Stadium der Chloralnarkose zu erklären, in dem man mit wachsendem Reiz nacheinander Inspirations- hemmung — Inspiration — Inspirationshemmung bekommt. Und alle diese Hypothesen würden wieder umgestossen werden durch die ganz un- bestrittene Thatsache, dass der constante aufsteigende Strom immer in- spirationshemmende Wirkungen hat. Eine speeifische Erregbarkeit einer Faserart gerade für den aufsteigenden Strom wäre doch ohne jede Analogie. Wie will man weiter den unter Umständen (bei tiefster Narkose) ein- tretenden Ausfall aller inspiratorischen Wirkungen verständlich machen? Es ist ferner eine ganz bekannte Erscheinung (Burkart, Langendorff, Knoll), dass durch Schädigung des Nerven die exspiratorischen Erfolge begünstigt werden. Sollten von einer solchen Schädigung immer nur die inspiratorischen Fasern — deren Reizwirkungen beim normalen Thier ja immer viel ausgesprochener wären als die der exspiratorischen — betroffen werden? Alles weist darauf hin, den Grund und die Erklärung 220 MaAx LEWANDOWSKY: für die verschiedenartige Wirkung künstlicher Vagusreizung im Centralorgan und nur im Centralorgan zu suchen. Obwohl (Genaueres über die bei der Vermittelung von Reflexen in Betracht kommenden Vorgänge noch nicht bekannt ist, so dürfte es doch der herrschenden, durch die neuesten Ergebnisse der anatomischen Forschung (Neuronenlehre) gestützten Anschauung entsprechen, wenn man annimmt, dass ein die centripetale Nervenfaser treffender Reiz durch diese bis zu der ihr zugehörigen centralen Nervenzelle for tgeleitet wird, in letzterer einen speci- fischen Vorgang auslöst, dass dieser Vorgang einen neuen Reiz setzt für andere Fasern oder Zellfortsätze derselben Nervenzelle. Durch die Erregung der Fortsätze dieser sensiblen Zelle würde nun ein Reiz ausgeübt werden auf die mit ihnen in irgend einer Weise, wahrscheinlich durch Contact, in Verbindung stehenden Fortsätze der motorischen Zelle, oder kurz auf die motorische Zelle selbst, und erst dadurch wiederum würde der zweite specifische Thätigkeitsvorgang in der motorischen Ganglienzelle ausgelöst werden, welcher sich nun endlich nach aussen kund giebt in einer Ver- änderung des Contractionszustandes der von diesen centralen motorischen Zellen aus innervirten Muskeln. In unserem Falle geht der Weg von der centralen Vaguszelle zur coordinirenden Athemzelle. Dass die centrale sensible Zelle erregt wird, ist zur Uebertragung des Reflexes nothwendig. Eine gelähmte Zelle unterbricht die Reflexbahn. Man wird daher nicht daran denken dürfen, dass bei schwacher Reizung die centrale Vaguszelle etwa erregt, bei starker aber gelähmt und nun etwa als Leitungsstück benutzt würde, der am Vagusstumpf angebrachte Reiz also gleichsam unmittelbar auf die coordinirende Zelle wirken könnte. Ferner wäre die Vorstellung denkbar, dass zwar bei stärkerer Reizung der Reiz von der sensibeln Zelle nicht weiter geleitet, dass diese aber viel- leicht gelähmt würde, so dass nun die Wirkung der anderweitig erregten motorischen Zelle ungehindert zum Ausdruck kommen könnte. Die Effecte stärkerer Reizung könnten also Ausfallserscheinungen darstellen. Auch diese Vorstellung ist in unserem Falle unzulässig; denn wir können die Ausfalls- erscheinungen auf andere Weise studiren (vergl. S. 232); sie sind principiell anderer Natur. Wir werden also mit Nothwendigkeit dazu gedrängt, den Versuch zu machen, die verschiedenen Effecte künstlicher Vagusreizung aus einer sich in verschiedener Weise äussernden Beeinflussung der coordinirenden centralen Athemzellen durch dieselbe Ner- venfaser zu erklären. Bei einer Reizung des Athemcentrums unter normalen Verhältnissen sind wir darum in so unglücklicher Lage, weil wir dasselbe nicht wie andere Centren (etwa der Grosshirnrinde oder des Rückenmarks) während EEE £ Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 221 seiner Unthätiekeit reizen können. Auf das Athemcentrum wirkt fort- während inspiratorisch der Blutreiz, auch hemmende Impulse fliessen ihm wahrscheinlich fortdauernd auf dem Wege anderer Bahnen zu. Es sind also sehr complicirte Interferenzversuche, die wir anstellen, wenn wir noch einen neuen Reiz hinzufügen. Es wird sofort die Mög- lichkeit klar, die bestehende Erregung der centralen Athem- zellen entweder zu steigern oder zu vermindern. Diese Auf- fassung scheint mir der Schlüssel zu sein für die Erklärung der verschiedenen Erfolge der Vagussreizung. Während die Theorie bis hierher nur nothwendige Folgerungen aus den gefundenen Thatsachen zog, werden die folgenden speeiellen Erörterungen mit aller Reserve nur als hypothetische Vorstellungen gegeben. Aber schliesslich muss doch einmal der Versuch der Erklärung gemacht werden, um so mehr, als in der Hauptsache nicht auf allgemeine Vorstellungen über die Thätigkeit der Ganglienzellen, sondern auf die besonderen Verhältnisse der centralen Athemzellen verwiesen werden kann. Es soll im zweiten Capitel dieser Arbeit gezeigt werden, dass kein anderer sensibler Nerv in gleicher Weise auf die Athmung wirkt, wie der Vagus, dass vor Allem die Wirkung schwächster Vagusreizung eine ganz specifische ist. Warum dem so ist, warum nicht jede sensible Reizung in gleicher Weise wirksam ist, das wissen wir nicht, und darüber zu speculiren wäre unfruchtbar. Zur Voraussetzung muss gemacht werden, dass die Wirkung schwächster Vagusreizung eine specifische ist. Sie besteht in einer Hem- mung der Inspiration. Die Grösse und Energie der Inspirationsbewegungen ist für uns das Maass der Erregung des Inspirationscentrums.! Wir werden also annehmen müssen, dass durch schwächste Vagusreizung der normale Ablauf der automatischen Erregung durch den Blutreiz in irgend einer Weise gestört wird. Dabei kann der Vorgang, welcher durch die Vaeus- reizung in der centralen Athemzelle ausgelöst wird, ein dem durch den Blutreiz ausgelösten und unterhaltenen vollständig gleicher sein. Zu fordern ist nur, dass diese beiden Vorgänge sich gegenseitig stören, hemmen, und dementsprechend auch die Erregung der centrifugalen Nervenfaser unter die Norm sinkt. Nur in seltenen Fällen, in einem gewissen Stadium der Narkose, sind wir im Stande, durch den künstlich erzeugten Vorgang dem natürlichen ganz die Wage zu halten, so dass gar keine Inspirations- bewegung mehr zu Stande kommt. Wenn die Hemmung der natürlichen Erregung durch Vagusreizung mit rasch unterbrochenen Reizen gewöhnlich ! Da die normalen Athembewegungen ja ohne Betheiligung der Exspiration vor sich gehen, kann ich die Frage nach dem Vorhandensein einer oder zweier Centra vor- läufig ganz unerörtert lassen und das coordinirende automatisch erregte Centrum als ein inspiratorisches betrachten, wie das auch Gad für sein Athemcentrum annimmt. 222 Max LEWANDOWSKY: nur in geringer Weise gelingt, so muss der Grund dafür in der Unvoll- kommenheit des Reizmittels gesucht werden. Warum sind wir nun aber immer im Stande, durch den constanten aufsteigenden Strom, wie stark wir ihn auch wählen, diese Hemmung des natürlichen Vorganges herbeizuführen? Die Eigenthümlichkeit dieser Reizart ist ihre Dauerwirkung, wie sie von Grützner in exacter Weise für die sensiblen Nerven im Allgemeinen festgestellt und von Langendorff und Oldag durch besondere Versuche für den Lungenvagus bestätigt wurde. Nun haben aber Kronecker und Marckwald! nachgewiesen, dass die Zwerchfelleontraction keine einfache Muskelzuckung, sondern ein Tetanus sei, zu dessen Zustandekommen mindestens 20 Erregungen in der Secunde nothwendig seien. Soviel Erregungen mindestens muss sich die centrale Athemzelle unter dem Einfluss des Blutreizes bereiten. Wir machen hier die Annahme, dass diese Erregungen in der coordinirenden Athemzelle ihre Entstehung finden und auf die Athemmuskelzelle übertragen werden. Ich sehe nicht, was den möglichen Einwand, dass eine in der coordinirenden Athemzelle stetig erzeugte Erregung erst in der Athemmuskelzelle in der zur Erzeugung von Athembewegungen nothwendigen Weise umgearbeitet wird, begründen könnte. Wie in der coordinirenden Zelle normaler Weise die nöthige Anzahl von Erregungen entsteht, kann uns hier nicht beschäf- tigen. Wenn wir aber die natürliche Erregung künstlich nachahmen wollen, so können wir das offenbar nur thun, indem wir eine Reihe von Erregungen zuführen. Durch den aufsteigenden constanten Strom erzeugen wir aber einen gleichmässig ablaufenden Vorgang, und von einem solchen können wir uns in der That vorstellen, dass er nur eine hemmende, d. i. den Ablauf der natürlichen Erregungen schwächende und hindernde Wirkung ausüben kann. Die Einwirkung chemischer Reize auf die sensiblen Nerven ist bisher wenig studirt worden. Ich will daher zur möglichen Erklärung der, wie es scheint, gleichfalls exspiratorischen Wirkung chemischer Reize auf eine Bemerkung von Grützner? hinweisen, die dahin geht, dass mindestens eine grosse Gruppe von chemischen Reizen sich nicht summiren, weil sie nicht dieselben Ganglienzellen hintereinander erregen, sondern unstät ihren Ort wechseln. Und wenn vorhin gesagt wurde, dass 20 Impulse in der Secunde nöthig wären, um die centralen Athemzellen in die zur Erzeugung von Athembewegungen erforderliche Art der Erregung zu versetzen, so heisst ! Kronecker, dies Archw. 1879. S.592; — Marckwald, Atheminnervation beim Kaninchen. Zeitschrift für Biologie. 1887. Bd. XXII. S. 171. Zu a. 10, 1520252: Dıs REGULIRUNG DER ATHMUNG. 223 das doch eben nichts Anderes, als dass eine Sunmation von Reizen im Öentralorgan statthaben muss, wenn wir inspiratorische Effeete sehen wollen. Diese Summation können wir aber künstlich nur hervorbringen durch eine rasche (vielleicht genügt zur Unterstützung der automatischen Erregung auch eine in bestimmtem Tempo erfolgende) Unterbrechung des angewandten Reizes. Entsprechend dieser Theorie haben wir bei allen unterbrochenen Reizen die Möglichkeit gesehen, inspiratorische Effecte zu bekommen: bei frequent unterbrochenen Kettenströmen und Wechselströmen.! Unter diesen Bedinsungen wird der künstliche Reiz sich zu dem Biutreiz addiren oder selbst in wachsendem Grade an dessen Stelle treten können. Dass eine gewisse Stärke des Einzelreizes für das Zustandekommen inspirato- torischer Wirkungen nothwendig ist und dass, wie oben besprochen, die schwächsten, wenn auch schnell unterbrochenen Reize, Hemmung be- wirken können, steht damit nicht im Widerspruch. Dass wir bei einer Schädigung des Athemcentrums, wie sie sich äusser- lich in exspiratorischen Pausen kundgiebt, nicht mehr, oder nur mehr in geringem Grade, im Stande sind mit unseren unoekonomischen und groben Reizmitteln die Thätigkeit der Zelle anzuregen, sondern nur sie weiter zu schädigen, hat nichts Verwunderliches an sich. In dieser Hinsicht ist es interessant, dass Langendorff ? bei directer Reizung des verlängerten Markes gewöhnlich ganz wechselnde, bei tiefer Chloralnarkose aber nur exspira- torische Wirkungen beobachtet hat. Zu berücksichtigen bleibt zuletzt noch die exspiratorische Wirkung stärkster Ströme in einem gewissen Stadium der Narkose und die Athem- unruhe. Beides halte ich für im Grunde zusammengehörige Erscheinungen und erkläre beides aus einer gewaltsamen Beeinflussung und Störung der Zellthätiekeit. Auf einen Zusammenhang der beiden Erscheinungen deuten auch die erheblichen inspiratorischen Nachwirkungen hin, welche auftreten können. Eine eingehendere Erklärung dieser inspiratorischen Nach- wirkung wage ich nicht zu geben. Eine Folge von Dyspno& ist sie nicht, denn sie ist in ihrer Intensität fast unabhängig von der Dauer der Wirkung. Ich fasse sie als eine Reaction der Zelle gegen die Hemmung und Störung ihrer Thätigkeit auf. Auf jeden Fall liegt nicht der geringste Anlass vor, der inspiratorischen Nachwirkung zu Liebe wieder auf die alte ı Was wir mit unseren rohen Methoden der mechanischen Reizung im Einzelfall eigentlich für Vorgänge im Nerven einleiten, das können wir auch am Froschmuskel- praeparat gewöhnlich erst aus dem Erfolg beurtheilen. ? Langendorff, Ueber Reizung des verlängerten Markes. Dies Archiv. 1881. S. 527. 224 MAx LEWANDOWSKY: Fasertheorie zurückzukommen (vgl. auch S. 230). Die Meltzer’sche Er- klärung von der längeren Nachwirkung der inspiratorischen Fasern, die er in Analogie setzt mit dem Accelerans cordis, ist gleichfalls gänzlich hypo- thetischh Wenn schon die Analogie des Accelerans mit den eventuellen inspiratorischen Fasern ganz unsicher ist, so erscheint die Uebertragung einer so speciellen Eigenschaft, wie der langen Nachwirkung, doch sehr gewagt, und vor Allem hat Baxt, der diese Nachwirkung des Accelerans am genauesten geprüft hat, und auf dessen Experimente sich Meltzer’s Theorien ausschliesslich stützen, das, was Meltzer als nervöse Nachwirkung ansieht, unter ausdrücklicher Zurückweisung dieser Anschauung als Folge einer Veränderung des Zustandes des Herzens erklärt. Ich glaube daher, dass die „verkehrte Nachwirkung“ auf dem Boden der oben entwickelten Theorie mindestens ebenso feststeht, wie auf dem der Fasertheorie. B. Die natürliche Erregung der Vagusendigungen in der Lunge. Im dem vörhergehenden Abschnitt habe ich mich bemüht nachzuweisen, dass die Manniefaltigskeit der Wirkungen künstlicher Vagusreizung zurückgeführt werden muss auf die Einleitung verschiedener Vorgänge im Centralorgan durch (an Quantität oder Qualität) verschiedene Reize. Es könnten ja aber auch durch die natürliche Erregung der Vagusendigungen die Bedingungen gegeben sein, durch die das eine Mal die Inspiration an- gerest, das andere Mal gehemmt würde. Neben einer Prüfung dieser Be- dingungen werden zur Entscheidung der vorliegenden Frage neue Methoden nothwendig sein. Hering und Breuer! haben das Verdienst, durch ihre Methode der „natürlichen Reizung“ die Thatsache klargestellt zu haben, dass die natür- liche Erregung der Vagusendigungen eine mechanische ist, abhängig von dem Ausdehnungszustand der Lunge. Sie fanden, dass die durch die In- spiration oder künstliches Aufblasen stärker ausgedehnte Lunge hemmend auf die Inspiration einwirkt und dass die Verkleinerung der Lunge die Athmung in entgegengesetztem Sinne beeinflusst. Sie schlossen daraus auf die Existenz besonderer inspiratorischer und exspiratorischer Fasern und sründeten auf diese Annahme ihre bekannte Lehre von der Selbst- steuerung der Athmung, das heisst die Lehre, dass sowohl In- als Exspiration reflectorisch durch die Erregung der Vagusendigungen in der Lunge angeregt würden. Die von ihnen gefundenen Thatsachen sind ! Breuer, Die Selbststeuerung der Athmung durch den Nervus vagus. Sitzungs- berichte der Wiener Akademie. 1868. Bd. LVIII. Vorgelegt von E. Hering.’ Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 225 im Wesentlichen von allen Seiten bestätigt worden (Lockenberg,! Gutt- mann,? Gad,°? Head‘). Gad unterscheidet sich aber dadurch von Hering und Breuer, dass er zwar die Bedeutung der durch die Inspiration erregten Vagusfasern anerkennt, auch „die Deutung, welche diese Forscher dem inspiratorischen Effect des Lungencollapses gegeben haben, nicht anzweifelt“, aber der Reizung inspiratorischer Vagusfasern durch die Exspiration beim Zustande- kommen des Rhythmus in der normalen Athmung „entweder keine oder jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle“ beimisst. Gad begründet diesen Standpunkt durch die Deutung der von ihm geprüften „reinen Ausfalls- erscheinungen“ am Vagus. Die Rosenthal’sche Hypothese von der ausschliesslich inspiratorischen Rolle des Lungenvagus ist wohl, vor Allem auf Grund der Hering- Breuer’schen Versuche, allgemein verlassen. Nach Marckwald° soll der Einfluss des Vagus auf die Athmung darin bestehen, die sonst arhythmische Athmung in eine rhythmische zu verwandeln. Abgesehen davon, dass nach Loewy, der die Resultate Marckwald’s nachgeprüft hat, die Thätigkeit des isolirten Athemeentrums eine rhythmische sein kann und damit diese Theorie ihrer thatsächlichen Grundlage beraubt wäre, erscheint es nicht recht ersichtlich, warum Marckwald nur an Thieren experimentirt, denen die oberen Hirnbabnen durchschnitten waren. Wenn es auch nöthig ist, das Grosshirn auszuschalten oder wenigstens seinen Einfluss auf die in Betracht kommenden Erscheinungen festzustellen, so erscheint es doch bedenklich, die Bedingungen der Thätigkeit des Athemcentrums so eingreifend zu stören, wie es durch die Abtrennung der im Hirnstamm verlaufenden Fasern geschieht. Hätte aber Marckwald dann wenigstens die Vagi intact gelassen und nun die Hering-Breuer’schen Versuche wiederholt, so wäre er wahrscheinlich zu ähnlichen Resultaten ge- kommen, wie diese Forscher. Anstatt dessen durchschneidet er die Vagi, und baut auf den, wie aus seiner Darstellung hervorgeht, recht schwan- kenden Resultaten, die er bei elektrischer Reizung des centralen Vagus- stumpfes unter diesen Bedingungen bekommt, eine keineswegs klare Theorie auf. Die Resultate der oben genannten Autoren thut er, ohne sie nach- ! Lockenberg, Ein Beitrag zur Lehre von den Athembewegungen. Verhand- lungen der Würzburger physik.-medie. Gesellschaft. Bd. IV. 8. 239. ? Guttmann, Zur Lehre von den Athembewegungen. Dies Archiv. 1875. 3.500. 3 Gad, Die Regulirung der normalen Athnung, Zbenda. 1880. 8.1. * Head, On the regulation of respiration. Journal of physiology. X. S. 1. SEA. a. 0. Archiv f. A.u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 15 226: , Max LEWANDOWSKY: geprüft zu haben, mit den Worten ab: „Die Hering-Breuer’sche Selbst- regulirungstheorie der Lunge, sowie die Gad’sche Hemmungstheorie sind nicht. im Stande, die Schwierigkeit in der Deutung der Erscheinungen zu beseitigen“! Damit werden die Arbeiten dieser Forscher aber doch nicht aus der Welt geschafft. Auf die Grundlagen einer Entladungshypothese überhaupt werde ich in einer späteren Mittheilung über die Athemcentren zurückkommen. 1. Die natürliche Reizung des Lungenvagus. Die von Hering und Breuer gefundenen Thatsachen muss ich ebenso, wie alle oben genannten Forscher, vollständig bestätigen: Lungenaufblasung hat exspiratorischen (inspirationshemmenden), Lungencollaps hat inspira- torischen Effect. Beide Erscheinungen fallen nach Vagusdurchschneidung aus. Unsere Aufgabe beschränkt sich daher darauf, zu prüfen, ob die von diesen Forschern gegebene Theorie, dass nämlich Inspiration uud Exspiration durch die Erregung von inspiratorischen und exspiratorischen Vagusfasern reflectorisch eingeleitet würde, aufrecht erhalten werden kann. Est ist sehr wohl denkbar, dass bestimmte Nervenendigungen nur mechanisch erregt werden können. Aber es ist fast unmöglich, sich eine Anordnung der Nervenendigungen der Art vorzustellen, dass die einen durch eine Verkleinerung, die andern durch die Vergrösserung des Lungen- volumens gereizt werden sollten. Wo sollte vor Allem die Grenze zwischen diesen beiden Erregungsbezirken liegen? Bei welchem Ausdehnungszustand der Lunge fängt die Erregung der inspiratorischen, bei welchem die der exspiratorischen Fasern an? Wo hört sie auf? Werden die betreffenden Fasern nur erregt bei stärkerer Dehnung und bei Lungencollaps, findet in dem mittleren Ausdehnungsstadium eine Aufhebung der entgegen- gesetzten Wirkungen durcheinander statt oder giebt es da i Uberlaum, keine Nervenerregung? Sehr wahrscheinlich setzt die Erregung der betreffenden Fasern nicht plötzlich bei einem bestimmten Ausdehnungszustand der Lunge in voller Stärke ein, sondern es wird ein gewisser Spielraum gegeben sein, innerhalb dessen die Erregung gleichmässig an- und abschwill. Man sieht leicht, dass diese natürliche Erregung Aehnlichkeit haben würde mit der künst- lichen Reizung durch die Dauer des constanten Stromes, nur dass ein gleichmässiges und, wie später gezeigt werden wird, zweckmässiges An- steigen und Abnehmen des Reizes statthätte. Es würde also unseren Vor- 2A. 2. 0:58.5247, Dıe REGULIRUNG DER ATHMUNG. 227 stellungen durchaus entsprechen, wenn wir als Folge der natürlichen Er- regung eine Inspirationshemmung zu sehen bekämen. Es ist aber weiter sofort klar, dass, wenn es Vagusfasern gäbe, welche durch die Inspiration, und andere, welche durch die Exspiration erregt würden, für beide Nerven- arten dieselbe Bedingung der (gleichmässig an- und abschwellenden) Erregung bestehen würde. Kann also die inspiratorische Wirkung des Lungencollapses nicht anders erklärt werden, ais durch Vagusreizung, so erleidet auch die im vorigen Capitel entwickelte Theorie der künstlichen Vagusreizung einen schweren Stoss.. Denn, um sie aufrecht zu erhalten, wären wir zu der nicht unbedenklich erscheinenden Annahme einer specifischen Art der ‚Erregung verschiedener Nervenendigungen gezwungen. Kann und muss die Wir- kung des Lungencollapses anders begründet werden, als durch Nervenreizung, so würde daraus eine Stütze für die oben gegebene Theorie der künstlichen Vagusreizung erwachsen. A. Loewy! hat nachgewiesen, dass eine stetige Erregung der Vagus- fasern durch den Ausdehnungszustand der Lunge statt hat. Diese Erregung, welche er Vagustonus nennt, tritt ein, sobald die Lunge aus dem atelekta- tischen in den lufthaltigen Zustand übergeht, und wächst in gleichsinniger Weise mit der Ausdehnung der Lunge. Loewy glaubt in diesem Vagustonus besondere, von Hering und Breuer schon vermuthete, stetig wirkende Erregungen, welche dem Athemcentrum auf der Bahn der Vagi zugeführt werden sollten, gefunden zu haben. Nun liegt aber gar kein Grund vor, in diesem sogenannten Vagustonus etwas anderes zu erblicken, als die natürliche Erregung des Vagus durch die Athembe- wegungen. (Loewy erwähnt diese Möglichkeit nicht.) Denn da der Aus- dehnungszustand der Lunge stetig wechselt, so muss auch die Grösse des Vagustonus stetig wechseln, oder soll derselbe nur in Function treten, wenn die Lunge verhindert wird, ihr Volum zu ändern? Das erscheint unmöglich, und da es auch ganz unnöthig und unbewiesen ist, dass zwei Arten von Erregungen, beide durch den Ausdehnungszustand der Lunge hervor- gerufen und beeinflusst, neben einander hergehen, so bleibt meiner Ansicht nach gar nichts übrig, als den „Vagustonus“ mit der Erregung der Vagus- endigungen durch die Athembewegungen zu identificiren. Wenn der Vagus- tonus am stärksten ist bei Aufblasung der Lunge, abnimmt mit der Ver- minderung ihres Volums und gleich Null wird erst bei der Atelektase, die Wirkung der Lungenaufblasung aber eine inspirationshemmende ist, so würde daraus folgen, dass die Inspirationshemmung: durch Vermittelung des Lungenvagus wächst mit der Inspiration, abnimmt mit der Exspi- ration, und erst bei Lungencollaps fast gleich Null wird. Auch bei nor- ı A. Loewy, Ueber den Tonus des Lungenvagus. Pflüger’s Archiv. Bd. XL. 15* 228 Max LEWANDOWSKY: maler Athmung würde also die Inspirationshemmung nie ganz fort- fallen, sondern nur in ihrer Intensität je nach der Tiefe der Athemzüge schwanken. Wie begreift sich die inspiratorische Wirkung des Lungen- collapses? Sie ist eine nothwendige Consequenz der soeben ent- wickelten Wirkungsweise der inspirationshemmenden Fasern. Durch den Lungencollaps wird nämlich die auch im Moment der normalen Exspiration noch ziemlich beträchtliche Inspirationshemmung plötzlich fast ganz hinweggeräumt. Es wird also die im Athemcentrum unter dem Ein- fluss des Blutreizes stetig entwickelte inspiratorische Energie (nur ge- mildert durch etwaige andere hemmende Einflüsse) plötzlich mit Macht ungehindert zum Ausdruck kommen können. Das heisst: Die inspira- torische Wirkung des Lungencollapses ist eine Ausfallserschei- nung. Sie beruht nicht auf Erregung von inspiratorischen, sondern auf dem Fortfall der Erregung der inspirationshem- menden Vagusfasern. Wenn dem so ist, so müssen die durch Lungencollaps erzeugten Er- scheinungen denen gleich sein, welche eintreten, wenn wir im Vagusstamm die Leitung reizlos unterbrechen und so dem Centrum die von den Lungen zugeleiteten Impulse abschneiden. Die Wirkungen der reizlosen Unter- brechung der Leitung im Vagusstamm sind zuerst von Gad unter Einführung seiner Methode der plötzlichen Abkühlung des Vagus studirt und beschrieben und von anderen Forschern bestätigt worden (vgl. S. 232). Diese Untersuchungen beziehen sich sämmtlich auf die Ausschaltung eines Vagus nach Durchschneidung des zweiten. Die so hervorgebrachten Aus- fallserscheinungen mussten also, wenn anders die oben entwickelte An- schauung richtig ist, denen ähnlich sein, die nach Durchschneidung eines Vagus durch anderseitigen Lungencollaps verursacht werden. Dieses Ver- fahren bietet zugleich den Vortheil, dass die Störung der Erscheinungen durch die Unterbrechung des Gaswechsels — da ja die in Folge Lungen- collapses eintretende Inspirationsbewegung ihren Zweck, Sauerstofl in das Blut zu schaffen, nicht mehr erfüllen kann — sehr vermindert wird. Das Hauptmerkmal des Vagusausfalles ist, dass der sofort eintretende Inspi- rationstetanus in einer tieferen Gleichgewichtslage des Thorax stattfindet (Figg. 53, 54, 55, 56, 67), dass das Zwerchfell beträchtlich tiefer hinab- steigt, als bei normaler Inspiration, im Gegensatz zu dem Erfolg der künstlichen Vagusreizung, wo der inspiratorische Stillstand gewöhnlich gerade im Niveau der normalen Inspiration eintritt (vgl. S. 203). Dieser Gegen- satz ist so charakteristisch, dass das Niveau der Inspiration geradezu als Kriterium bei der Unterscheidung zwischen Ausfallserscheinung und Reiz- Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 229 wirkung dienen kann, wenn anders, woran wohl nicht zu zweifeln ist, eine eventuelle natürliche inspiratorische Erregung sich ebenso äussern würde wie eine künstliche inspivatorische Reizung. Der Inspirationstetanus nach Lungencollaps findet nun ausnahmslosin erheblich tieferer Inspirationsstellung als normal statt (Taf. VIII, Figg. 51, 52) und damit erscheint die Auffassung der inspiratorischen Wirkung des Lungen- collapses als Ausfallserscheinung gesichert. Die Dauer dieses inspiratorischen Stillstandes, der ja nur die Ueber- leitung zu der nach beiderseitigem Vagusausfall eintretenden Athemform und ‚als solche eigentlich nur eine inspiratorische Pause darstellt, kann eine verschiedene sein. Sowohl nach Lungencollaps (Taf. VIII, Fig. 52), wie nach Vagusdurchschneidung (Taf. IX, Fig. 55), kann er nur den Werth einer kurzen inspiratorischen Pause haben, und andererseits wird z. B. von Head und Lindhagen ein besonders langer Stillstand als unmittelbare Folge künstlicher Vagusausschaltung, wie er auch bei Lungencollaps häufig, aber keineswegs regelmässig zur Erscheinung kommt, als ganz gewöhnlich be- schrieben. Die Theorie verlangt nun weiter, dass die Athmung nach einseitiger Vagusdurchschneidung und anderseitigem Pneumothorax denselben Typus, wie nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung annimmt. Auch das ist immer während längerer oder kürzerer Zeit der Fall: die Athmung zeigt die nach Ausfall der Vagi typischen inspiratorischen Pausen (Taf. VIII, Figg. 51, 52). Dieselben können sich längere Zeit halten, können aber auch schon nach wenigen Athemzügen wieder verschwinden. Doch ist auf die nicht unmittelbar dem Eingriff folgenden Erscheinungen um so weniger Werth zu legen, als erstens, wie später gezeigt werden soll, auch nach künstlicher Ausschaltung des Vagus durch Gefrieren des Nerven sich diese Erscheinungen bald ändern können, zweitens wir auch bei nur einseitigem Pneumothorax die Gefahr der Dyspno& nicht ganz vermeiden, und drittens es nicht ausgeschlossen erscheint, dass da ja auch durch den Lungen- collaps die Hemmung noch nicht ganz hinweggeräumt ist, die Thätigkeit des Centrums sich wieder bis zu einem gewissen Grade der verminderten Hemmung anpasst. Die Uebereinsimmung der Erscheinungen, die hervorgerufen werden durch reizlose Unterbrechung der Leitung im Vagusstamm und durch Pneumothorax ist also eine fast vollständige, und ich glaube mich daher berechtigt, den inspiratorischen Lungencollaps als eine reine Ausfallserschei- nung in Folge des Fortfalls einer Hemmung der Inspiration zu erklären. Wenn nun auch die Erregung von inspiratorischen Vagusfasern beim Lungencollaps und bei der Exspiration mit Bestimmtheit geleugnet werden 230 MAx LEWANDOWSKY: muss, so muss doch noch kurz die Ansicht Meltzer’s! erwähnt werden, der annimmt, dass sowohl inspiratorische, wie exspiratorische Fasern gleich- zeitig bei der Inspiration erregt würden, dass aber die Wirkung der ersten erst am Ende der Exspiration in Folge ihrer längeren Nachwirkung zur Geltung kämen. Er gründet diese Hypothese auf die von Head ge- fundene negative oder verkehrte, d. h. inspiratorische Nachwirkung stärkster Lungendehnung. Zunächst kann nun entgegen der Meltzer’schen An- schauung mit aller Bestimmtheit bewiesen werden, dass es sich hier nicht um eine Nachwirkung von inspiratorischen Fasern, d. h. um ein spätes Wirksamwerden der Erregung in den Vagusendigungen handelt, sondern dass diese Nachwirkung, die identisch erscheint mit der stärkster künst- licher Reizung des centralen Vagusstumpfes, im Centrum ihren Sitz hat. Unterbricht man nämlich während dieser, oft sehr erheblichen inspira- torischen Nachwirkung reizlos durch Gefrieren des Nerven die Leitung im Vagusstamm, wird dadurch die Nachwirkung nicht unterbrochen. Abgesehen weiter davon, dass die verkehrte Nachwirkung nur bei stärkster Lungendehnung und auch nur bei einer beschränkten Anzahl von Thieren zu beobachten ist, es also unzulässig erscheint, darauf eine Theorie der normalen Athmung zu begründen, ist die hypothetische Annahme Meltzer’s, dass die in- spiratorische Nachwirkung erst ‚wirksam werden soll im Moment der Exspi- rationsstellung des Zwerchfells, keineswegs begründet. Es zeigt sich im Gegentheil, dass nach starker Lungenaufblasung das Zwerchfell fast regel- mässig, ohne vorher in die Exspirationsstellung zurückgegangen zu sein, den Inspirationstetanus, welcher die verkehrte Nachwirkung darstellt, beginnt. Durch die hier angeführten Versuche und Ueberlegungen bin ich also zu der Ansicht gekommen, dass es weder besondere inspiratorische und exspiratorische (inspirationshemmende) Vagusfasern giebt, welche durch die Athembewegungen erregt werden (Hering-Breuer, Meltzer), noch dass zwar Fasern beider Art vorhanden sind, normaler Weise aber nur die inspi- rationshemmenden in Erregung versetzt werden (Gad). Eine Erregung der Vagusendigungen in der Lunge kann sich nur äussern in einer Hemmung der Inspiration. Inspiratorische Effecte, die durch Aenderungen im Ausdehnungszustand der Lunge zur Erschei- nung kommen, sind entweder bedingt durch den Ausfall der be- stehenden Hemmung (Lungencollaps) oder durch eine central entstehende Nachwirkung. Inspiratorische Vagusfasern sind nicht anzunehmen. Ehe eine Erklärung der Betheiligung des Vagus bei der normalen Athmung gegeben werden kann, muss hier eine vorläufige Mittheilung ein- geschaltet werden über Versuche betreffend die Thätigkeit der Athemcentren, BT, Dis REGULIRUNG DER ATHMUNG. 231 deren ausführliche Erörterung in anderem Zusammenhange ich mir vor- behalte. Man kann die Athmung (durch Abtrennung der oberen Bahnen und doppelseitige Vagusdurchschneidung) in der Weise verändern, dass lange inspiratorische mit langen exspiratorischen Pausen abwechseln. Es zeigt sich dann, dass einerseits die Wirksamkeit während der Exspirations- pause angebrachter gleich starker Reize (es hat sich bei diesen Versuchen bisher ausschliesslich um Vagusreizungen gehandelt) abhängig ist von der Dauer der Exspirationspause, derart, dass Reize, welche, im Anfange der- selben angebracht, noch keine Wirkung haben (refractäre Phase), nachdem die Exspiration eine gewisse Zeit bestanden hat, inspiratorische Wirkung entfalten können, und dass diese inspiratorische Wirkung sowohl was Stärke, wie zeitliche Dauer betrifft, in dem Maasse zunimmt, als die exspiratorische Pause vorschreite. Die inspiratorische Wirkung gleichstarker Reize wächst mit der Zeit, welche seit der Beendigung der letzten Inspiration bis zum Momente der Anbringung des Reizes verflossen ist. Andererseits hat sich. herausgestellt, dass die Latenz- zeit von gleich starken, während der Inspirationspause an- gebrachten inspirationshemmenden Reizen sinkt mit der Zeit, welche seit Beginn der Inspiration bis zum Augenblicke der Anbringung des Reizes verflossen ist, derart, dass derselbe Reiz, welcher, im Anfange der Inspiration angebracht, einige Zeit (es handelt sich hier um ganz grobe, schon bei flüchtiger Besichtigung der Curve sichtbare Differenzen) braucht, um wirksam zu werden, gegen das Ende der voraussichtlichen Inspirationspause sofort die Inspirationshemmung be- wirkt. Diese Thatsachen festzustellen ist nur möglich bei einer Athmung, deren einzelne Phasen auf die oben angegebene Weise künstlich protrahirt werden; die aus ihnen zu ziehenden Schlüsse sind aber ohne Bedenken auf die normale Athmung zu übertragen. Es ergiebt sich daraus, dass die inspiratorische Energie des Centrums während der Exspiration zunimmt und während der Inspiration abnimmt, dass während der Exspiration inspiratorische Energie im Centrum aufgespeichert wird, die durch die Inspiration (bei normaler Athmung natürlich nur in geringem Maasse) verbraucht wird. Von den weiteren theoretischen Folgerungen soll hier nur die hervorgehoben werden, dass die Thätigkeit des isolirten Athem- centrums nicht nur abhängig ist vom Blutreize, sondern auch von anderen centralen Vorgängen. Für den Vorgang bei der normalen Athmung ergiebt sich nun folgende Vorstellung: Die Inspiration wird bewirkt durch die auto- matische Thätigkeit des Athemcentrums. Es liegt weder die Nothwendigkeit, noch ein Beweis für die Annahme vor, dass eine reflectorische Reizung des Cen- trums durch die Erregung inspiratorischer Lungenvagusfasern ausgeübt 232 Max LEWANDOWSKY: wird oder ausgeübt werden kann. Durch die Inspiration selbst tritt eine Verminderung der inspiratorischen Energie, das heisst gewissermaassen eine Erschöpfung des Athemcentrums ein. Mit der Inspiration erzeugt das Inspirationscentrum aber selbst sich noch eine reflectorische Hemmung durch die Erregung von inspirationshemmenden Vagusfasern in der Lunge. Diese Hemmung wächst in dem Grade, als die Energie des Inspirationscentrums sinkt. Bei einer gewissen Inspirationsstellung wird also eine Ueberwindung der inspiratorischen Thätigkeit des Athemcentrums durch die Vagushemmung eintreten; dann beginnt die Exspiration." Während der Exspiration nun wird erstens die reflectorische Vagushemmung vermindert, zweitens auch im Centrum selber wieder inspiratorische Energie regenerirt. Es wird also wieder der Punkt kommen, wo die vermehrte inspiratorische 'Thätigkeit des Centrums die Oberhand gewinnt über die verminderte Hemmung, wo also wieder die Inspiration beginnt. 2. Folgen des Vagusausfalls. Gad war auf Grund der Ergebnisse der von ihm erdachten Methode der reizlosen Vagusausschaltung zu der Anschauung gelangt, dass bei nor- maler Athmung nur inspirationshemmende Impulse vor der Lunge dem Athemcentrum zugeführt werden. Von Head? und Lindhagen? sind die von Gad gefundenen Thatsachen bestätigt, von Boruttau bestritten worden. Da schon bei der Analyse der bei Lungencollaps auftretenden Erscheinungen die Richtigkeit der von Gad angegebenen Thatsachen voraus- gesetzt wurde, da auf der Möglichkeit einer Vergleichung mit den durch diese Methode gewonnenen Ergebnissen die oben gegebene Theorie beruht, so ist eine Aufklärung des Widerspruches zwischen Gad und Boruttau nothwendig. Der reine Fortfall der durch Vermittelung der Vagi auf die Athmung ausgeübten Einflüsse (bewirkt durch plötzliche starke Abkühlung des Nerven) giebt sich nach Gad „durch den Uebergang des Thorax in eine beträcht- lich grössere mittlere Entfernung von der Gleichgewichtslage — wenn man darunter die Lage versteht, in welche der Thorax nach Fortfall aller auf ihn wirkenden Muskelkräfte übergeht — zu erkennen und durch eine ! Die Trägheit der Massen ist, wie @ad hervorgehoben hat, und wie sich auch hier zeigt, für das Zustandekommen jedes Rhythmus unumgängliche Voraussetzung, sonst müsste ein fortdauernder Kampf der Inspiration und der Inspirationsheminung, und eine mittlere tonische Contraction der Athemmuskeln statthaben. A.a. 0: ® Lindhagen, Ueber den Einfluss der N. vagi auf die Athmung. Skandinavisches Archw, Bd. IV. 8. 296. Dıe REGULIRUNG DER ATHMUNG. 233 Athmung, die beträchtlich dadurch verlangsamt ist, dass die Exspiration zwar kürzere, die Inspiration aber um so erheblich längere Zeit dauert.“! Boruttau? bestätigt zwar im Allgemeinen diese Thatsachen, behauptet aber, dass nach längerer oder kürzerer Zeit die exspiratorischen Pausen sich wiederherstellen und schliesst daraus auf den Ausfall exspiratorischer und inspiratorischer Functionen des Vagus. Dass nach Vagusdurchschneidung exspiratorische Pausen auftreten können, ist eine ganz bekannte Erscheinung. Ja sie werden von den älteren Autoren (Rosenthal) geradezu als charak- teristisch für die Athmung nach Vagussection bezeichnet. Aber die Deu- tung dieser „längere oder kürzere Zeit“ nach der Vagusausschaltung auf- tretenden Veränderung der Athmung als Ausfallserscheinung scheint doch nicht haltbar. Als Ausfallserscheinung sind nur aufzufassen diejenigen Veränderungen der Athmung, welche die unmittelbare Folge der reizlosen Vagusaus- schaltung sind. Dieselben äussern sich aber in allen Fällen nur in in- spiratorischem Sinne. Um zunächst nur die Veränderung der Athemform zu berücksichtigen, so sind die unmittelbaren Folgen der reizlosen Vagus- ausschaltung immer die von Gad angegebenen: Das Auftreten von In- spirationspausen und eine Verkürzung oder Beseitigung der normalen ex- spiratorischen Pause (Taf. IX, Figg. 54, 55, 67; vergl. auch Taf. VIII, Figg. 51, 52, 53). Dabei ist die Athmung wohl immer etwas, aber nie beträchtlich vertieft. Diese Athemform kann sich bei manchen Thieren sehr lange halten (Figg. 64, 65), 8 bis 10 Stunden und darüber. Durch mässige Chloralnarkose scheint diese Zeit erheblich verlängert werden zu können. Der oft ganz frappante beruhigende Einfluss des Chlorals auf die Athmung nach Vagusdurchschneidung liess an eine wesentliche Betheiligung des Grosshirns denken. Jedoch werden die in Betracht kommenden Erscheinungen durch Grosshirnexstirpation nicht geändert, so dass der Grund der Chloralwirkung in einer Beeinflussung der Athemcentren selbst zu suchen ist. Aber nach längerer oder kürzerer Zeit ändert sich die Form der Athem- curve, und wenn Gad die unmittelbaren Folgen doppelseitiger reizloser Vagusausschaltung als eine Umkehrung des normalen Verhältnisses zwischen Inspiration und Exspiration charakterisirt hat, so verschiebt sich doch dieses Verhältniss allmählich wieder zu Gunsten der Exspiration, das heisst im Sinne der normalen Athmung. Diese Spätfolgen der Vagusausschal- tung, wie ich sie bezeichnen möchte, können nun auch sehr bald nach Vagusausschaltung zur Beobachtung kommen. Besonders bei Thieren, die durch langes Experimentiren, womöglich gar durch Reizungen des einen DA.2: 0, 8.19 2ER 8.0. 18.87 234 Max LEWANDOWSKY: Vagus schon erschöpft sind, treten sie schon nach wenigen Athemzügen in dem oben beschriebenen Anfangstypus (Taf. IX, Figg. 54, 55), manch- mal sogar schon nach einer vertieften und verlängerten Inspiration auf (Taf. IX, Fig. 56). Aber das sind seltene Fälle, die sich durch bestehende Ermüdung oder vorangegangene Schädigung des Versuchsthieres genügend erklären, und die uns auch werthvoll sind für die Deutung dieser Spätfolgen der Vagusdurchschneidung überhaupt. Beim. normalen Thier sind die in- spiratorischen Erfolge des Vagusausfalls ganz evident, und wir sind daher nur berechtigt, auf den Ausfall inspirationshemmender Impulse zu schliessen. Die Spätfolgen des Vagusausfalls (Taf. IX, Figg. 54, 55, 59, 66, 68 u. s. w.) zeigen sich in einer Veränderung im Sinne der Ex- spiration. Der exspiratorische Schenkel der Curve wird besonders in seinem letzten Theil wieder stärker gebogen, so dass die Exspiration wäh- rend einer gewissen Zeit wieder fast das Bild des Normalen darbieten kann (Taf. IX, Fig. 68). Aber bald kommt es zu absoluten exspiratorischen Pausen (Taf. IX, Figg. 59, 69), die an Dauer immer mehr zunehmen. Nicht selten wird die Exspiration in diesem Stadium activ, oft in der von Langendorff als „saccadirte Exspiration“ bezeichneten Form: Erst am Ende der passiven Exspiration contrahiren sich die Bauchmuskeln, das Dia- phragma wird dadurch noch ein kleines Stück nach oben geworfen, und daran schliesst sich sofort die Inspiration. Während dessen wird die Dauer der Inspiration vermindert. Allmäh- lich können die inspiratorischen Pausen vollständig verschwinden (Taf. IX, Fig. 66). Dann ist der Ablauf der Inspiration häufig verlangsamt, oft aus- gesprochen saccadirt. Dabei ist die Inspiration ausserordentlich vertieft. Sie kann die Normale um fast das Dreifache übertreffen, so dass man fast den Eindruck gewinnt, also ob bei jedem Athemzug das volle Maass der Vitalcapacität in die Lunge aufgenommen würde. Erst kurze Zeit vor dem Tode scheint die Inspirationstiefe rapide abzusinken. Für die Deutung der eben beschriebenen Folge der Erscheinungen nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung ist ihre Analyse noch nach einer anderen Richtung hin nothwendie. Rosenthal! hat als wahrscheinlich angenommen, „dass die Vagi zunächst und unmittelbar mit dem Grade der Thätigkeit, welche die Medulla oblongata ausübt, beim Säugethier nichts zu thun haben“. Der Einfluss der Vagi würde sich nur geltend machen in der Art und Weise, wie ein bestimmter Grad von Thätigkeit (der abhängt vom Sauerstoffgehalt des Blutes) sich auf eine bestimmte Zahl von Athem- ' Rosenthal, Die Athembewegungen. 1862. 8. 11. Dis REGULIRUNG DER ATHMUNG. 235 bewegungen vertheilt. Gad! hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Arbeitsleistung? des Athemeentrums keineswegs allein gemessen werden kann durch Zahl und Tiefe der Athemzüge, sondern dass sie zum grossen Theil bestimmt wird durch das Maass der mittleren Entfernung des Thorax aus seiner Gleichgewichtslage. Da nun die unmittelbare Folge reizloser Vagusausschaltung beim nor- malen Thier eine Verschiebung der Athemeurve in inspiratorischem Sinne ist, so kommt Gad zu der Anschauung, dass die Folge der Vagusausschal- tung eine vermehrte Arbeitsleistung des Athemcentrums sei. Das ist aber ganz zutreffend nur bis zum Eintritt der oben beschriebenen Spätfolgen des Vagusausfalls. Sobald wieder exspiratorische Pausen auftreten, steigt die Exspirationslinie wieder allmählich bis zur normalen und darüber hinaus (Taf. IX, Figg. 54, 55), so dass, wenn auch die Inspiration vertieft bleibt, die mittlere Entfernung des Thorax aus der Gleichgewichtslage sogar in exspiratorischem Sinne gegenüber der normalen Athmung verschoben er- scheinen kann. Zur Feststellung dieser Thatsachen eignen sich natürlich nur die Fälle, in denen die Spätwirkungen bald nach der Vagusausschaltung auftreten. Zur Messung der Veränderungen der Thoraxlage, welche erst nach Stunden und langsam zur Erscheinung kommen, fehlen uns Methoden. Der innere Zusammenhang der eben beschriebenen Folgen des Vagus- ausfalls scheint mir nun folgender zu sein. Die unmittelbare Folge des Vagusausfalls ist die oben beschriebene Vermehrung der Arbeitsleistung des Athemcentrums. Während einer gewissen Zeit nun kann das Athem- centrum den in Folge des Ausfalls der Vagushemmung vermehr- ten Ansprüchen an seine Leistungsfähigkeit genügen. Während dieser Zeit bemerken wir auch an dem Thiere keine subjectiven Athem- anstrengungen. Die Nasenbewegungen sind nicht stärker, als gewöhnlich, das Thier athmet ruhig und (mit Ausnahme der in grösserem oder ge- ringerem Maasse immer vorhandenen inspiratorischen Pause) fast normal, nur das Abdomen wird durch das tiefere Herabsteigen des Zwerchfells stärker als gewöhnlich gewölbt.e. Aber auf die Dauer ist das Inspira- tionscentrum der grösseren Arbeit doch nicht gewachsen. Wie überall, so ist auch hier die Folge der erhöhten Arbeit, des erhöhten Kraft- verbrauches eine Ermüdung. Der mögliche Fall, dass das Athemcentrum sich den gesteigerten Anforderungen anpasst, scheint hier nur in ausser- 1 Gad, Abhängigkeit u. s. w. Dies Archiv. 1881. ® Gad braucht synonym mit Arbeitsleistung das Wort Anstrengung. Anstrengung ist aber immer etwas Subjectives, nicht das objective Maass einer Arbeitsleistung, so dass man wohl gut thun wird, auf den Gebrauch des Wortes Anstrengung in diesem Zusammenhang zu verziehten und es für die Form der Athmung zu reserviren, bei der eine äusserlich sichtbare subjective Athemanstrengung zu Tage tritt. 236 Max LEWANDOWSKY: ordentlich seltenen Fällen einzutreten.’ Die Ermüdung des Inspirations- centrums äussert sich nun in dem Auftreten von exspiratorischen Pausen — Ruhepausen — zwischen den einzelnen Inspirationen. Dass überhaupt .das Auftreten oder die Verlängerung der exspiratorischen Pause ein Zeichen der Ermüdung, Schädigung oder, wie man sich auszudrücken pflegt, der ver- minderten Erregbarkeit des Inspirationscentrums ist, geht ja aus der Form der Athmung während der Narkose, nach grossen Blutverlusten u. s. w. ge- nügend hervor. Auch die Thatsache, dass die Inspirationspausen abgekürzt werden, und dass während der Exspiration jetzt die Inspirationsmuskeln nicht mehr in demselben Maasse der tetanischen Contraction gehalten werden können, wie unmittelbar nach dem Vagusausfall, sondern der Thorax während der Inspiration der Gleichgewichtslage (s. oben) näher rückt, beweist die Erschöpfung des Inspirationscentrums. Und darin liegt die Bedeutung der Vagi für die Oekonomie der Athmung, dass durch die von ihnen zugeführte Hemmung die Arbeitsleistung des Athemcentrums der Art ge- regelt wird, dass es im Stande ist, dauernd ohne Ermüdung zu arbeiten. Je früher die Spätfolgen des Vagusausfalls eintreten, desto weniger leistungs- fähig war von vornherein das Athemcentrum. Diese Erschöpfung des Athemcentrums erfährt nun aber eine Compli- cation. Haben nämlich die exspiratorischen Pausen eine gewisse Länge erreicht, so ist es klar, dass, da die Inspirationen jetzt seltener erfolgen, weniger Sauerstoff dem Blut zugeführt wird, als früher. Diese Verände- rung im Gasgehalt des Blutes steigert die Erregung des Athemcentrums, bewirkt Dyspno& In Folge der bestehenden Erschöpfung äussert sich die Dyspno& während der Spätfolgen des Vagus- ausfalls aber anders, als vor oder unmittelbar nach Vagus- section. Die Athmung erscheint durch die Dyspnoö wohl noch vertieft, aber nicht mehr beschleunigt, sondern verlangsamt (Taf. IX, Figg. 63, 69). Die Athmungsgrösse ist nicht erhöht, son- dern hält sich nur ungefähr auf der früheren Höhe. Diese Deutung der Thatsachen ist nicht etwa eine hypothetische, sondern es gelingt oft, den experimentellen Beweis dafür zu führen. Künstlich erzeugte Rohr- dyspno& kann nach Vagussection die exspiratorischen Pausen verlängern, Zufuhr von frischer Luft sie wieder beseitigen. Selbst wenn die (spontane) Veränderung der Athmung in exspiratorischem Sinne schon hohe Grade erreicht hat, kann man nicht selten durch Zuführung von reinem Sauer- stoff eine einigermaassen erträgliche Athemform wiederherstellen (Taf. IX, Figg. 59 bis 61). Andererseits ist es manchmal möglich, selbst wenn exspi- ! Fälle, wo Thiere (Hunde) längere Zeit nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung am Leben blieben, sind berichtet von Schiff, Herzen u. A. Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 237 ratorische Pausen noch nicht in ausgesprochener Weise bestehen, durch künstlich erzeugte Dyspno& solche hervorzurufen. Die äusseren Anzeichen der Dyspno&, bestehend in dem Auftreten von auxiliären Athembewegungen (reflectorische Oeffnung der Schnauze bei der Inspiration u. s. w.), sind vor und nach Vagusdurchschneidung dieselben. Doch ist ausdrücklich zu betonen, dass sie eben nicht unmittelbare Folge des Vagusausfalls, sondern der später eintretenden Kohlensäuredyspno& dar- stellen. Zu erklären ist die Form der Dyspnoö nach Vagusdurchschneidung dadurch, dass zwar das Athemcentrum durch die Vermehrung des Blut- reizes noch immer zu aussergewöhnlich tiefen Inspirationen angeregt wird, dass es aber eben in Folge der bestehenden Erschöpfung längere Zeit braucht, um die durch die übermässig vertiefte Inspiration verbrauchte Energie zu ersetzen. So wird also wechselseitig durch die Dyspno& die Erschöpfung des centralen Athemapparates, und durch diese Erschöpfung wieder die Dyspno& mehr und mehr gesteigert. Der Kohlensäuregehalt des Blutes muss all- mählich immer weiter wachsen, so dass nun die Kohlensäure nicht mehr als Reiz, sondern als Gift auf das Athemcentrum wirkt, und der Tod unter den Zeichen der Erstickung eintritt.! Ich habe diese Art des Todes bei einigen Thieren beobachten können, bei denen sich bei der Section kaum eine Spur einer pathologischen Lungenverärderung fand, und für diese wenigen Fälle, in denen der Tod gewöhnlich bald (einige Stunden) nach der Vagotomie eintritt, glaube ich die Erschöpfung des centralen Athem- apparates und die in ihrer Folge auftretende Kohlensäuredyspno&ö als Todes- ursache in Anspruch nehmen zu müssen. Dass diese Erscheinungen sich complieiren mit der nach Vagussestion — aus welchen Ursachen, kann uns hier nicht beschäftigen — eintretenden Pneumonie, und dass auch durch diese Pneumonie allein der Tod nach Vagusdurchschneidung herbeigeführt werden kann, ist ganz sicher. Aber diese beiden Folgen der Vagusdurch- schneidung, die Beeinflussung der Thätigkeit des centralen Athemapparates in der oben geschilderten Weise und die Vaguspneumonie erklären auch ! In derselben Weise wie die Verschiedenheit der Wirkung des Kohlensäure- reizes vor und nach Vagusdurchschneidung dürften sich auch andere bisher unver- ständliche Thatsachen erklären lassen. So hat vor kurzem Knoll (Archiv für exper. Pathologie. Bd. XXXVI. S. 305) angegeben, dass die Infusion kalter Kochsalzlösung beim normalen Thier zunächst eine Verflachung und Beschleunigung der Atlımung zur Folge habe und dass erst bei zunehmender Abkühlung ein Seltenerwerden der Athmung eintritt. Das Zustandekommen des ersten Stadiums wäre aber an die Inte- grität der Vagi gebunden. Sind die Vagi vorher durchschnitten, so tritt alsbald eine beträchtliche, zuweilen die höchsten Grade erreichende Vertiefung und Ver- langsamung der Athmung ein. Also auch hier bringt derselbe Reiz vor und nach Vagusdurchschneidung typisch verschiedene Erscheinungen hervor. 238 Max LEWANDOWSKY: den Tod nach Vagusausfall vollständig, und ich glaube daher, dass man nicht weiter nöthig hat, ein noch dunkles Moment (O. Frey,' Steiner?) anzunehmen, das in der Vagusdurchschneidung verborgen liege und den Tod bewirken solle. Als Hauptsätze über die Wirkung und Bedeutung des Vagus für die Athmung ergeben sich folgende: Die directe Wirkung der natürlichen Vaguserregung in der Lunge besteht in einer rhythmisch erfolgenden und durch die Athembewegungen selbst abgestuften Hemmung der Inspiration. Die Bedeutung dieser Hemmungswirkung für die Athmung liegt darin, dass nur durch sie der centrale Athemapparat dauernd leistungsfähig erhalten wird. II. Die sensiblen Nerven. A. Die Wirkung der Reizung sensibler Nerven. Ueber den Einfluss sensibler Nerven auf die Athmung liegt eine nicht unbeträchtliche Litteratur vor. Zusammenfassende Angaben über dieses Capitel finden sich bei fulgenden Autoren: P. Bert? schliesst aus seinen Versuchen, dass jede schwache Reizung centripetaler Nerven einschliesslich des Vagus und des Laryng. sup. die Zahl der Athemzüge vermehrt, dass jede starke Reizung sie vermindert. Langendorff* kommt zu dem gleichen Ergebniss. Auch er betont, dass kein principieller Unterschied zwischen sensiblen Nerven und Vagus bestehe. Knoll’ theilt die sensiblen Nerven in drei Classen ein, solche, deren Erregung nur inspiratorische, solche, deren Erregung nur exspiratorische, und solche, deren Erregung sowohl inspirato- rische als exspiratorische Wirkungen bedingt. Im Gegensatz zu diesen Autoren muss behauptet werden, dass kein sensibler Nerv die Athmung in der für den Vagus typischen Weise beeinflussen kann. Für die Vagusreizung typisch ist, wie ge- zeigt wurde, die Verkleinerung der Inspirationstiefe bei schwächster Reizung, die allmähliche Veränderung der Reizerfolge bei wachsendem Reiz, und die 10. Frey, Die pathologischen Lungenveränderungen nach Lähmung der Nervi vagi. Leipzig 1877. S. 137. ? J. Steiner, Ueber partielle Nervendurchschneidung und die Ursachen der Lungenaffeetion nach beiderseitiger Vagustrennung am Halse. Dies Archiv. 1878. ® Archives de physiologie. 11. p. 178, 322. zu. a0, Beiträge u. s. w. V. Wiener Sitzungsbericht. 1885. XCH. DıE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 239 Thatsache, dass die Reizung der Vagusendigungen nur inspirationshemmenden Erfolg hat. Auch unter den sensiblen Nerven giebt es einige, die die Athmung in specifischer Weise beeinflussen können. Das sind einerseits die beiden Laryngei und andererseits der Splanchnieus. Aber auch sie sind mit dem Vagus keineswegs in Parallele zu stellen. Was zunächst die beiden Laryngei betrifft, so hat bekanntlich Ro- senthal die specifische Wirkung des Laryngeus superior entdeckt. Er hat ihn als Hemmungsnerv der Athmung bezeichnet im Gegensatz zum Vagus. Obwohl nun nach den im ersten Capitel dieser Arbeit mitgetheilten Er- fahrungen der Vagus auch als Hemmungsnery der Athmung in Anspruch genommen werden muss, unterscheidet sich doch seine Reizwirkung wesent- lich von der des Laryngeus. . Zuerst fällt die Möglichkeit, durch Reizung des centralen Laryngeus- stumpfes inspiratorische Erfolge zu erzielen, vollständig aus. Die von einigen Forschern (Bert, v. Anrep und Oybulski!) ausgesprochene Ansicht, dass man vom Lar. sup. auch inspiratorische Effecte erzielen könne, scheint mir auf einer unrichtigen Deutung zu beruhen. Auch ich habe auf der Athemeurve einigemale bei Laryngeusreizung scheinbar deutliche inspira- torische Veränderungen gesehen. Aber bei genauerer Beobachtung. des Thieres stellte es sich heraus, dass die inspiratorische Wirkung vorgetäuscht wurde durch eine Reihe sehr schnell einander folgender, abortiv verlau- fender Schluckbewegungen, wie auch Meltzer ähnliches schon vermuthet hatte. Gewöhnlich stören die Schluckmarken den Erfolg nur in unerheb- licher Weise (Taf. IX, Fig. 70). Rosenthal een die Wirkung der Laryngeusreizung (Taf. IX, Figg. 70, 71) als eine Verlangsamung, oder bei stärkerer Reizung als einen Stillstand in Exspiration. Die Verlangsamung der Athmung ist in der That das eine Merkmal der Laryngeusreizung. Sie beruht auf einer Verlängerung der exspiratorischen Pausen. Einen längeren exspira- torischen Stillstand, wie etwa bei Trigeminusreizung, habe ich nie beobachten können. Jedoch ist die erste exspiratorische Pause nach Beginn der Reizung zuweilen erheblich länger als die folgenden. Das alles würde aber noch keinen Gegensatz zwischen Laryngeus und Vagus bedingen. Der durch- ereifende Unterschied in der Reizwirkung dieser beiden Nerven beruht darauf, dass bei Laryngeusreizung die Inspirationstiefe immer ungeändert, gewöhnlich aber vergrössert ist, während bei Vagus- ! v. Anrep und Cybulski, Physiologische Untersuchungen im Gebiete der Athmung und der vasomotorischen Nerven. Referat in Hoffmann und Schwalbe’s Jahresbericht für 1884. S. 66. 340 Max LEwANDowskY: reizung mit einer Verlangsamung der Athmung — wenn überhaupt die Stromstärke so gewählt wird, dass eine solche eintritt — immer eine Ver- kleinerung der Inspirationstiefe einhergeht. Die Wirkungen der Laryngeusreizung sind von der Art des Reizes ganz unabhängig. Inductionsstrom, constanter Strom, mechanische Reizung verhalten sich ganz übereinstimmend. Auch habe ich die Beobachtung gemacht, dass in Analogie mit dem Vagus (Knoll) auch der Laryngeus durch Schwankungen seines Eigenstromes (hervorgebracht durch Heraus- heben oder Hineinsenken in die \Wunde) in Erregung versetzt werden kann. Ueber die Wirkung der Reizung des Laryngeus inferior (Taf. IX, Fig. 72) lässt sich nur sagen, dass sie mit der des superior vollständig übereinstimmt. Wenigstens ist das beim Kaninchen der Fall. Bei Hunden und Katzen soll nach Rosenthal die Recurrensreizung gar keinen Erfolg haben. Das erklärt sich durchaus be- friedigend aus der Thatsache, dass bei Hunden und Katzen die sensible Innervation des Kehlkopfes ausschliesslich durch den Laryngeus superior _ Schema der Laryngeuswirkung (die Schluckmarken sind fortgelassen). bewirkt wird, bei Kaninchen aber der Recurrens erheblich dabei betheiligt ist (Knoll). Der Grad der Wirkung der beiden Nerven ist wohl verschieden, und zwar wirkt der Superior stärker als der Inferior. Aber ein prineipieller Unterschied, wie ihn Rosenthal anzunehmen scheint, existirt nicht. Die Laryngei verlangsamen also die Athmung; ich glaube, dass der Aus- druck „Verlangsamung“ die Sache mehr trifft, wie der von Rosenthal an- gewandte „Hemmung“, der ausserdem zu Verwechselungen mit dem Vagus Veranlassung geben könnte, welcher letztere ein Hemmungsnerv nicht der Athmung, sondern der Inspiration ist. Eine speeifische Wirkung auf die Athmung kommt zweitens dem Splanchnicus (Taf. IX, Figg. 73, 74) zu. Sie besteht immer in einer absoluten Hemmung der Inspiration, das heisst in einem exspira- torischen Stillstand, der längere oder kürzere Zeit andauert, und dessen Dauer abhängig ist von der Stärke des angewandten Reizes. Ein allmählicher Uebergang zu normaler Athmung scheint nie stattzufinden, sondern nach- dem der exspiratorische Stillstand eine Zeit lang bestanden hat, setzt die DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 241 normale Athmung sofort wieder ein. Der Grund hierfür ist wohl in dem schnellen Unerregbarwerden des Nerven dem angewandten Reiz gegenüber zu suchen. Denn verschiebt man die Elektrode centralwärts, so gelingt es gewöhnlich wieder Exspirationsstillstand zu bekommen. Die Angabe Gra- ham’s,! der die Splanchnicuswirkung entdeckt hat, dass die Folge schwächerer Splanchnieusreizung eine Verlangsamung der Athmung sei, womit eine Aehnlichkeit mit den Laryngeis gegeben wäre, kann ich nicht bestätigen. Alle übrigen sensiblen Nerven wirken bei schwacher Rei- zung inspiratorisch, im Gegensatz zum Vagus, dessen schwächste Reizung die Athmung inspirationshemmend beeinflusst. Die Form dieser Wirkung ist aus den Untersuchungen der oben genannten Autoren bekannt. Sie besteht in einer Beschleunigung und Verflachung der Athmung (Taf. IX, Fig. 76), das heisst in einer Verkleinerung der Inspirationstiefe, die sich ın ganz seltenen Fällen bis zum Inspirationstetanus steigern kann (Taf. IX, Fig. 75). Dabei ist es ganz gleichgültig, ob man den Nervenstamm oder die Nervenendigungen reizt. Schema der Wirkung sensibler Nerven. Vom Glossopharyngeus hat Marckwald? eine specifische Hem- mungswirkung behauptet. Meine Experimente bestätigen aber die Beob- achtung von Knoll,? dass schwächste Reizung des Glossopharyngeus wie die der übrigen sensiblen Nerven wirkt. Bei stärkerer Reizung wird der Erfolg gewöhnlich durch die schon von Knoll ausführlich geschilderten Reflexe auf die Rumpf- und Halsmusculatur erheblich gestört. Jedoch habe ich im Unterschied von Knoll auch zweifellose active Exspirationen beobachtet. Vom Nasentrigeminus hat man bisher immer angenommen, dass er nur exspiratorischen Stillstand bewirken könne (Holmgren, Kratschmer,* Knoll’). Es gelingt aber, nachzuweisen, dass durch 'J. C. Graham, Ein neues specifisch regulatorisches Nervensystem des Ath- mungscentrums. Pflüger’s Archiv. Bd. XXV. 8. 379. ZUR. a. ©. ® Beiträge u. s. w. VII. Wiener Sitzungsberichte. XCV. 1887. * Kratschmer, Ueber Reflexe von der Nasenschleimhaut auf Athmung und Kreislauf. Wiener Sitzungsberichte. 1870. 5 Beiträge u. s. w. V. Wiener Sitzungsberichte. 1870. Archiv f. A.u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 16 242 MAx LEWANDOWwSsKY: milde mechanische Reizung der Nasenschleimhaut, das heisst des Trigeminus, auch inspiratorische Wirkungen zu erhalten sind. Fast regelmässig sind sie hervorzurufen durch Anblasen der Nase mit Luft (Taf. IX, Figg. 77, 78). Einige Male gelang es mir auch, durch ganz.allmähliche Zufuhr von Chloroformdämpfen (Oeffnung eines mit wenigen Tropfen Chloroform gefüllten Reagensglases) dieselbe Wirkung zu erzielen, und zwar erst nach Ööfterer, in kurzen Zwischenräumen vorgenommener Wiederholung des Versuchs. Im Anfang der Versuche hatte derselbe Reiz, der später inspiratorisch wirkte, exspiratorische Wirkung. Es ist anzunehmen, dass durch die oft wiederholte Reizung die Erregbarkeit der Nervenendigungen in der Nasenschleimhaut vermindert war,! und es beweist dies. Experiment den allerdings selbstverständlichen Satz, dass es auch hier nur auf das Verhältniss von Erregbarkeit und Reiz ankommt und dass der Unter- schied zwischen Trigeminus und den übrigen sensibeln Nerven in Bezug auf die inspiratorische Wirkung schwächster Reize nur ein gradueller, das heisst ein Unterschied der Erregbar- keit ist. Der Erfolg stärkerer Reizung jedes sensiblen Nerven ohne Ausnahme — besonders wirksam ist bekanntlich die Erregung der Nerven- endigungen — ist Schmerz und Athemunruhe, das heisst vor Allem das Auftreten von activer Exspiration, welche aber eine genuine Hemmung der Inspiration zu verdecken scheint. Von den meisten Autoren ist als Erfolg starker sensibler Reizung nur beobachtet worden die active Exspiration oder das Schreien. Ein Exspirationsstillstand ist beim normalen Thier auch nur bei Trigeminusreizung zu beobachten. Aber auch hier besteht meiner Auffassung nach kein principieller Gegensatz zwischen Trigeminus und anderen sensibeln Nerven. Denn einerseits sieht man auch bei Trigeminusreiz die eigentliche Hemmung durch heftige an- gestrengte In- und Exspirationen gestört und zuweilen ganz verdeckt (Taf. IX, Fig. 80), andererseits besitzen wir in der Schwächung des Athemcentrums ein Mittel, um sowohl die active Exspiration wie die in- spiratorische Wirkung schwächerer Reize zu beseitigen und nur die Hemmung hervortreten zu lassen. Schiff? sieht bei jedweder sensiblen Reizung nur noch exspiratorischen Stillstand, wenn er das Thier vorker so lange aetheri- ! Durch besondere Versuche konnte die auch vielleicht praktisch (Chloroform- narkose) nicht unwichtige Thatsache festgestellt werden, dass die Nasenschleimhaut sich sehr bald an mässige, mit der Athmungsluft zugeführte Chloroformmengen ge- wöhnt und dass die Anfangs so stürmischen Reflexe schon zu einer Zeit erlöschen, wo von einer Aufnahme nennenswerther Mengen des Narkoticums in das Blut noch nicht die Rede sein kann. 2 M. Schiff’s gesammelte Beiträge zur Physiologie, I. 1894. 8. 94. DıE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 243 sirt hat, bis alle Athembewegungen aufhören, dann künstliche Respiration einleitet und nun, sobald das Thier anfängt, wieder selbständige Athem- bewegungen zu machen, einen schwachen tactilen Reiz auf Rücken, Bauch oder Hals applieirt. Ich selber wurde zufällig darauf aufmerksam, dass:man bei Kaninchen in jenem Stadium der Verblutung, wo die Athmung zwar noch regelmässig, aber schon von langen exspiratorischen Pausen unter- brochen ist, öfter schon durch leichtes Berühren der Haut exspiratorische Stillstände auslösen kann (Taf. IX, Fig. 79). Es ist ferner eine, soweit ich sehe, noch nirgends erwähnte Thatsache, dass man im Anschluss an die exspiratorischen oder inspirationshemmenden Wirkungen starker sensibler Reize in nicht allzu seltenen Fällen eine in- spiratorische (verkehrte) Nachwirkung beobachten kann (Taf. IX, :Figg. 74, 81). Dass diese inspiratorische Nachwirkung nicht nur eine Folge der durch längeren Exspirationsstillstand bewirkten Dyspno& ist, beweist der Umstand, dass sie auch nach einer Reihe von activen Exspi- rationen, wo also die Lüftung der Lunge eine aussergewöhnlich gute war, beobachtet werden kann (Taf. IX, Fig. 80. Wir haben also unter den sensibeln Nerven drei Gruppen zu unter- scheiden: 1. die beiden Laryngei, 2. den Splanchnicus, 3. alle übrigen sen- siblen Nerven. Jede dieser drei Gruppen übt auf das Athemeentrum eine speeifische Wirkung aus. Allen sensiblen Nerven (auch die Wirkung stärkster Vagusreizung scheint mir nur graduell von der stärkster sen- sibler Reizung verschieden zu sein) gemeinsam ist als Wirkung stärkster Reizung die Athemunruhe, welche in Folge einer Schädigung des centralen Athemapparates in eine absolute Hemmung der Athmung übergehen kann. B. Der Einfluss der sensibeln Nerven auf die normale Athmung. Das- Problem, welches eine Zeit lang die Lehre von der Athmung be- herrsehte, ob nämlich die Athmung ein automatischer oder reflectorischer Act sei, ist angesichts der fast entscheidenden Versuche von Rosenthal, Langendorff, Knoll u.A.inden Hintergrund getreten. Auf Grund höchster Wahrscheinlichkeit nimmt man an, dass das Athemcentrum in der Medulla unter dem Einflusse des Blutreizes thätig ist. Schiff! allein scheint noch an der alten Lehre Marshall Hall’s festzuhalten, dass die Athembewegung „reflectirt wird von Empfindungen, die im ganzen Körper entstehen, so dass alle sensiblen Nerven, die direct oder indirect mit dem verlängerten Marke in Communication stehen, die Athmung anregen können“. Da nun Schiff weiter der Ansicht ist, dass der kleinste, mit blossem Auge kaum ı M. Schiff, Ges. Abhandlungen. 1894. I. 8. 42. 16* 244 MAx LEWANDOWSKY: sichtbare Nervenfaden .allein im Stande wäre, die Athmung zu unterhalten, so dürfte es auch, selbst wenn es möglich wäre, das Athemcentrum von allen sensiblen Verbindungen zu lösen, nicht gelingen, ihn von der automa- tischen Thätigkeit ‚des Athemcentrums beim Warmblüter zu überzeugen, .da nach v. Anrep und Cybulski! auch in den Nervi phrenici, wie in den meisten anderen Muskelnerven centripetale Fasern verlaufen und es ja un- möglich ist, dieselben isolirt zu durchschneiden. Wenn wir also auch von der Behandlung der Frage absehen könn; ob die sensibeln Nerven nothwendig sind für die Thätigkeit des Athem- centrums, so könnte man ihnen vielleicht doch einen dauernden Einfluss auf die Athmung zuschreiben wollen. Aber auch dafür liegen keinerlei Beweise vor. Die Wirkungen der Durchschneidungen einer grossen Anzahl von sensiblen Nerven erklären sich nach den Autoren befriedigend aus der Schädigung des Thieres durch so eingreifende Operationen. Dass die Athmung während des Wachens ein wenig anders aussieht, wie während des Schlafes, dass also dem Athemcentrum während des Wachens continuir- lich inspiratorische Impulse von den Sinnesthoren?), Auge und Ohr, zu- geleitet werden (Christiani?), ist ganz nebensächlich und beruht eben darauf, dass Auge und Ohr ja thatsächlich immer mehr oder weniger äussere Reizungen aufnehmen und fortleiten. Einen dauernden tonischen Einfluss der sensiblen Nerven auf die normale Athmung anzunehmen, dafür liegt weder ein Grund, noch ein Beweis vor. Nun sind manche Forscher, vor Allem Schiff*, der Ansicht, dass nach Lähmung der Nn. vagi andere centripetale Nerven ae Rolle übernehmen, dass die Vagi durch andere sensible Nerven gleichsam vertreten werden könnten. Für diejenigen Nerven, welche durch die Respirationsbewegungen selbst nicht gereizt werden, erledigt sich diese Frage durch das oben Ge- sagte. Aber wie die Vagi durch die Bewegungen der Lunge, so könnten ja sensible Nerven durch die Bewegungen anderer mit der Athmung in Verbindung stehender Organe und der Athemmuskeln in Erregung ver- setzt werden. Das nimmt Schiff von den Intercostalnerven an, sieht aber keine Methoden der experimentellen Behandlung dieser Hypothese. Die ! v. Anrep und Cybulski, Beitrag zur Physiologie der N. phrenici. Pflü- ger’s Archiv. Bd. XXXIU. S. 243. ? Ueber die Reizung der sensoriellen Nerven stehen mir keine eigenen Versuche zu Gebote. Nach den vorliegenden Angaben scheinen Opticus und Acusticus ebenso zu wirken, wie die sensiblen Nerven. Der Olfactorius soll nach Arnheim (dies Archiv. 1894. S. 1) nur die Nasenbewegungen und zwar in exspiratorischem Sinne beeinflussen. ® Christiani, Berliner akad. Sitzungsberichte. 1881. 17. Februar. ABA OEST I: DıE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 245- Intercostalnerven wirken nun, wovon ich mich durch direete Reizung über- zeugt habe, genau so, wie andere sensible Muskelnerven, nämlich bei schwacher Reizung inspiratorisch. Nach Klarstellung der Vaguswirkung ist es ersichtlich, dass ein Nerv, der für den Vagus vicariirend eintreten sollte, inspirationshemmend wirken müsste Es kann also nicht zugegeben wer- den, dass die Intercostalnerven ebenso wie alle anderen durch die Respi- rationsbewegungen möglicher Weise in Erregung versetzten Muskelnerven den Vagus ersetzen können. Aber den Laryngeis und dem Splanchnicus, die die Athmung, wenn auch in anderer Weise als der Vagus, aber doch in exspiratorischem Sinne zu beeinflussen im Stande sind, könnte man eine solche Rolle zuschieben wollen. So merkwürdig es nun auch ist, dass ge- rade diesen Nerven, welche möglicher Weise ja durch die Respirationsbe- wegungen gereizt werden könnten, eine specifische Wirkung auf die Athmung in exspiratorischem Sinne zukommt, so lässt es sich doch nachweisen — die in Betracht kommenden Experimente sind auch in den Versuchen, das Athemcentrum zu isoliren (Rosenthal, Marckwald u. A.), schon ent- halten —, dass die Durchschneidung dieser Nerven die Folgen des Vagus- ausfalls nicht beeinflusst. Wenn also wirklich andere Bahnen für die Vagi eintreten können, so sind das sicher keine centripetalen Nerven. - Den sensiblen Nerven des Warmblüters kommt weder vor noch nach Vagusdurchschneidung ein dauernder tonischer Ein- fluss auf die Athmung zu. 246 MAx LEWANDOWwSsKY: Erklärung der Abbildungen. (Taf. VII-IX.) Die Curven sind, wenn nicht anders bemerkt, mit dem Aöropletysmograph ge- zeichnet. Sie sind von links nach rechts zu lesen; die Inspiration geht nach unten, die Exspiration nach oben. Die Reizungen mit Inductionsströmen sind sämmtlich ausgeführt mit einem du Bois-Reymond’schen Schlitteninductorium, das mit einem Daniell arınirt war. (Taf. VII.) Figg. 1—7. Mittelgrosses Kaninchen. Reizungen des rechten Vagus (der linke intact) mit Inductionsströmen wachsender Stärke. Fig.1: Rollenabstand 440; Fig.2: Rollenabstand 420; Fig. 3: Rollenabstand 380; Fig. 4: Rollenabstand 850; Fig. 5: Rollenabstand 280; Fig. 6: Rollenabstand 280 (längere Reizdauer); Fig. 7: Rollenabstand 150. Figg. S—11. Mittelgrosses Kaninchen, nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung. Reizungen des linken Vagus wie oben. Fig. 8: Rollenabstand 390; Fig. 9: Rollenabstand 330; Fig. 10: Rollenabstand 300; Fig. 11: Rollenabstand 130. Figg. 12—34. Kleines Kaninchen. Reizungen des durchschnittenen linken Vagus (der rechte intact). Figg. 12—16. Normale Athmung. Fig. 12: Rollenabstand 400; Fig. 13: Rollen- abstand 390; Fig. 14: Rollenabstand 300; Fig. 15: Rollenabstand 280; Fig. 16: Rollen- abstand 250. Figg. 17—19. Beginnende Dyspno&. Fig. 17: Rollenabstand 330; Fig. 18 Rollenabstand 280; Fig. 19: Rollenabstand 200. Figg. 20—23. Ausgesprochene Dyspno&. Fig. 20: Rollenabstand 300; Fig. 21: Rollenabstand 280; Fig. 22: Rollenabstand 250; Fig. 23: Rollenabstand 230. Figg. 24—28. Chloralnarkose (0-5 Chloral). Fig. 24: Rollenabstan 380; (Taf. VIII.) Fig. 25: Rollenabstand 360; Fig. 26: Rollenabstand 320; Fig. 27: Rollen- abstand 290; Fig. 28: Rollenabstand 250. Figg. 29—31 (0-9 Chloral). Fig. 29: Rollenabstand 310; Fig. 30: Rollenabstand 250; Fig. 31: Rollenabstand 180. Dre REGULIRUNG DER ATHMUNG. 247 Figg. 32—34 (1-2 Chloral). Fig. 32: Rollenabstand 340; Fig. 33: Rollenabstand 300; Fig. 34: Rollenabstand 150. Figg. 35—38. Mittelgrosses Kaninchen. Reizungen des durchschnittenen linken Vagus während Wärmedyspnoe&. Fig. 35: Rollenabstand 400; Fig. 36: Rollenabstand 320; Fig. 37: Rollenabstand 280; Fig. 38: Rollenabstand 260. Fisg. 39—42. Grosses Kaninchen. Keizungen des durchschnittenen rechten Vagus mit dem constanten Strom (1 Daniell. Fig. 41a deutliche inspiratorische Nachwirkung der Durchströmung mit dem constanten aufsteigenden Strom bei einem anderen Versuchsthier. Fig. 44. Oeffnung des absteigenden Stromes. Figg. 45—49. Mittelgrosses Kaninchen. Reizungen des durchschnittenen linken Vagus mit unterbrochenen aufsteigenden Strömen wachsender Unterbrechungszahl. Fig. 45: Dauerdurchströmung. Fig. 46: Unterbrechung durch rasches Oeffnen und Schliessen des Schlüssels mit der Hand. Figg. 47—49: Neef’sches Blitzrad. Fig. 47a: Absteigender Strom ebenso oft unterbrochen wie der aufsteigende in 47. Fig. 50. Langsam (mit der Hand) unterbrochener absteigender Strom (1 Daniell mit 2000 Ohm in Nebenschliessung). Fig. 50a. Rasch unterbrochener absteigender Strom (1 Daniell, Neef’sches Blitz- rad) bei Athmung mit langen exspiratorischen Pausen. Figg. 51—53 sind mit dem Zwerchfellhebel gezeichnet. Figg. 51 und 52. Beispiele von anderseitigen Pneumothorax (bei *) nach ein- seitiger Vagusdurchschneidung. Fig. 53. Reizlose Ausschaltung des zweiten Vagus (bei *) nach Durchschneidung des ersten. Bei A Unruhe des Thieres. (Taf. IX.) Figg. 54-56. Beispiele von reizloser Ausschaltung des zweiten Vagus durch Gefrieren (bei *). Figg. 57-63. Mittelgrosses Kaninchen. Folgen des Vagusausfalls. Fig. 57: Normale Athmung. Fig. 58: Nach Ausfall beider Vagi. Fig. 59: Nach 4 Stunden. Fig. 60: Athmung aus sehr sauerstoffreicher Atmosphäre. Fig. 61: Ath- mung aus reinem Sauerstoff. Figg. 62 und 63: nach Einleitung von Rohrdyspno&. Figg. 64—66. Mittelgrosses Kaninchen. Fig. 64: Normale Athmung. Fig. 65: Athmung 5 Stunden nach Vagussection. Fig. 66: Athmung 24 Stunden nach Vagussection. Figg. 67—69. Mittelgrosses Kaninchen. Fig. 67: Normale Athmung, bei * Ausfall des zweiten Vagus. Fig. 68: 1 Stunde, Fig. 69: 4 Stunden nachher. Figg. 70, 71. Reizungen des Laryngeus superior. Fig. 72. Recurrensreizung. 248 MAx LEWANDOWSKY: DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. Figg. 73, 74. Splanchnicusreizungen (Fig. 74 inspiratorische Nachwirkung). Fig. 75. Streicheln der Bauchhant. Fig. 76. Reizung des N. cruralis mit dem Inductionsstrom. Figg. 77, 78. Anblasen der Nasenschleimhaut mit Luft. Fig. 79. Tactile Reizung der Bauchhaut nach starkem Aderlass. Fig. S0. Inspiratorische Nachwirkung einer Trigeminusreizung; die Nasen- schleimhaut wurde mit Chloroformdämpfen angeblasen. Fig. 81. Dasselbe (der eigentliche Exspirationsstillstand ist, um Platz zu sparen, aus der Curve weggelassen). Ueber die Wärmecapacität des Blutes. Von St. med. S. Hillersohn und St. med. Stein-Bernstein. (Aus dem Laboratorium von Dr. Louguinine in Moskau.) Die nächste Veranlassung zu der vorliegenden Untersuchung gaben die in dem Lehrbuche der Physiologie von Landois befindlichen Angaben über die specifische Wärme des menschlichen arteriellen und venösen Blutes,! wonach dem ersteren eine viel grössere Wärmecapacität, als dem letzteren zukomme. Die entsprechende Zahl für das arterielle Blut sieht allerdings sonderbar hoch aus (ist auch in dem Buche mit einem Frage- zeichen versehen); möglicherweise ist doch ein solcher Unterschied vor- handen, und dann würde derselbe für die Wärmeregulirung des thierischen Körpers durch das Blut von Bedeutung sein. Dem entsprechend hatten wir nach dem Vorschlage des Hrn. Prof. Setschenow die bezeichneten Angaben am Thierblute zu prüfen und nebst diesem noch die Wärmecapacität des Serums und der Blutkörperchen zu bestimmen. Versuche in dieser Richtung schienen uns noch aus dem Grunde erforderlich, weil man in der physiologischen Litteratur eigentlich nur eine einzige zuverlässige Zahl von Rosenthal? für die specifische Wärme des Blutes besitzt. Unsere am Kalbsblute mit dem Eiscalorimeter angestellten Versuche wurden im Laboratorium des Hrn, Dr. Louguinine und unter seiner gütigen Leitung ausgeführt, wofür wir ihm hiermit unseren herzlichsten Dank aus- sprechen. 1 Landois, Lehrbuch der Physiologie. 1889. 8. 406. 2 Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1878. S. 215. 250 S. HILLERSOHN UND STEIN-BERNSTEIN: Die Aufstellung des Eiscalorimeters geschah nach den Vorschriften von Schuller und Wartha,! und zu den Messungen bedienten wir uns eines im Pariser Bureau International des poids et mesures calibrirten Capillarrohres, dessen Werthe in Calorien von uns sowohl theoretisch nach der Formel von Bunsen, als empirisch durch das Einführen einer be- stimmten, nahe bis zu 100° C. erwärmten Wassermenge, ermittelt wurden. Die Unterschiede zwischen den auf beiden Wegen erhaltenen Zahlenwerthen betrugen weniger als 0-25 Procent. Das Blut wurde in allen unseren Versuchen auf die Temperatur von 38.26° bis 38.51°C. erwärmt, und zwar in einem von Hrn. Dr. Lougui- nine construirten Apparate, welcher uns gestattete, die zu untersuchenden Flüssigkeiten stundenlang bei der beabsichtigten Temperatur zu erhalten. Die Schwankungen derselben übertrafen nicht einmal 0-01°. Der Apparat stellt ein doppelwandiges cylindrisches Gefäss (4A) aus Messing mit einem oben und unten durch Deckel verschliessbaren centralen Canal (2) dar. In dem ringförmigen, mit Olivenöl gefüllten Raume des Gefässes ist eine Platindrahtspirale C (der Draht derselben ist 1” lang und 0.5 "m dick) befestigt, durch welche vermittelst der Klemmen NN der erwärmende Strom geleitet wird.” Letzteren lieferten uns vier Accumulatoren von Tudor (2/ und 104 jeder); und in dem Leitungskreise befanden sich zum Zwecke der Regulirung des Stromes ein Galvanometer mit Spiegelablesung und ein Rheostat. Nebst diesem ist in der Figur unter AK KK die ununterbrochen arbeitende, durch einen elektro- magnetischen Motor bewegte Mischvorrichtung dargestellt. Der zu unter- suchende, bezw. zu erwärmende Körper wird innerhalb des centralen Canals durch den Mechanismus 79 zweier zusammenklappenden konischen Löffel (/F) gehalten, welche, sowie die unteren Deckel 7 des centralen Canals,® durch einen Druck auf das Knöpfchen g sich Öffnen und den erwärmten Körper in das Calorimeter fallen lassen. Dank dieser Vorrichtung erleidet der erwärmte Körper offenbar keine merklichen Wärmeverluste beim Herabfallen aus dem Erwärmungsapparate in das Calorimeter. Zu dem Erwärmungsapparate gehört endlich die den- ! Wiedemann’s Annalen. 1877. Bd. 1I. 8. 359. 2 Hr. Dr. Louguinine hat den galvanischen Strom zu calorimetrischen Zwecken selbständig angewandt, ohne die Arbeit seines Vorgängers, des englischen Physikers Henry Crew (Phil. Magaz. V. Serie. T. XXXIII. p. 89) gekannt zu haben. ® Dieser ebenfalls von Hrn. Luginin construirte Mechanismus ist unter dem Titel „Nouvelle etuve pour calorimetre a glace‘‘ Ann.de Ch.et de Ph. 718. 1 v. p.423, beschrieben und unterscheidet sich von dem entsprechenden Mechanismus von Schuller und Wartha darin, dass durch den Druck auf das Knöpfehen zugleich mit den Löffeln auch der untere Deckel des centralen Canals sich öffnet. ÜBER DIE WÄRMECAPACITÄT DES BLUTES. 251 selben umgebende wasserhaltige Hülle in Form eines doppelwandigen cylin- drischen Gefässes (dddd), dessen ringförmiger Raum etwa 5 Liter Wasser enthält. Letzteres wurde von uns stets auf 30°C. erwärmt. mm H ı| I | | N | | | LM UIN ıl ul RHINE m | j || ll huplanıl 1m] IR it Mn ! l HMI mil un! | | I I | | l ‚ui! | "(| ı [I In | | j Nil ll) iM | vl = hl) | — a Hin iR ——N s Ze [Eee] a I I Im ——NN\ el DEE en ne) a = Sı @ = I = SE ar [ee] ZH, GG RUE, RELGEEEGEEEGEEEGGKGIEIEE VRR FELGE ZT 0 1 —. I 1 4 1 Die beiden Thermometer (von Baudin, aus hartem französischen Glas mit so gut wie unverrückbarem Nullpunkt) des Erwärmungsapparates, das eine im Olivenöl, das andere in dem centralen Canal, wurden für jeden Grad mit einem normalen Thermometer aus dem Pariser Bureau des 252 S. HILLERSOHN UND STEIN-BERNSTEIN: poids u. s. w. verglichen und gestatteten die Ablesung von 0-01°. Letztere geschah stets durch das Fernrohr. Die Quecksilbersäulen der Thermometer ragten aus den zugehörigen Recipienten so wenig hervor, dass eine Correction ihrer Angaben nicht nöthig war. Das Blut zu den Versuchen wurde in kleine dünnwandige Glasfläsch- chen mit eingeschliffenen Glasstöpseln eingeschlossen. Die Wärmecapacität dieser Fläschchen haben wir direct bestimmt, und zwar für dieselbe Temperatur, auf welche das Blut in allen unseren Versuchen erwärmt wurde Eine Reihe solcher Bestimmungen ergab für 38°—0° C. im Mittel0.1827. Uebrigens haben wir nicht unterlassen, diese Bestimmungen auch für 100°—0° zu machen. Jetzt bekamen wir, wie zu erwarten war, eine grössere Zahl, 0-1930. Bezüglich des Versuchsganges haben wir zu bemerken, dass die zu untersuchenden Flüssigkeiten 21/, bis 3 Stunden bei der beabsichtigten Temperatur gehalten wurden, wobei eine beinahe unaufhörliche Beobach- tung des Thermometers im Oel unentbehrlich war. Nebst diesem musste vor dem Schlusse der Erwärmung auch der Stand des Quecksilbers i in dem Capillarrohre beobachtet werden. In der ersten Versuchsreihe haben wir Bestimmungen am defibrinirten Blute mit normalem und mit (durch stundenlanges Centrifugiren des Blutes) vermehrtem Blutkörperchengehalt, ebenso wie am Serum, gemacht. Zu allen diesen ‚Versuchen diente das Blut eines und desselben Thieres. I. Blut mit normalem Körperchengehalt. Gewicht des Blutes: 0.62738m; Gewicht des Glases: 0.9498 sm; specifische Wärme des Glases: 0.1827. = Berechnete Wärme- | Berechnete Wärme- Snecifische Wär 3 Temperatur menge in Calor. _ menge in Calor. = Es t Arne E für Blut und Glas für das Blut ee h,. 38.480 27-7507 21-0733 | 0.8731 2: 38-38 ° 27-4795 20.8376 08655 | | Im Mittel 0-8693. ÜBER DIE WÄRMECAPACITÄT DES BLUTES. 259 I. Blut mit vermehrtem Körperchengehalt. Gewicht des Blutes: 0.6287 sw; specifische Wärme des Glases: 0.1827. Gewicht des Glases: 1-0033 sm; s Berechnete Wärme- Berechnete Wärme- Si r = Temperatur menge in Calor. | menge in Calor. peeifische Wärme = für Blut und Glas, für das Blut des’ Blutes: 1 38.38 27.3350 20-2999 0.8413 » 38.51 27-6066 20-5476 0-8487 Im Mittel 0-8450 II. Serum. Gewicht des Serums: 0.6657 &@; Gewicht des Glases: 0.9498 gm; specifische Wärme des Glases: 0-1827. s Berechnete Wärme- | Berechnete Wärme- fische Wä s Temperatur menge in Calor. | menge in Calor. nn ea = für Serum und Glas | für das Serum ums 1 38.360 30-6655 |: 2108 | 0-9403 2 38-32 30-6291 23-9794 0.9400 | | Im Mittel 0-9401 In der zweiten Versuchsreihe, beim Vergleichen des arteriellen Blutes mit dem venösen, hatten wir mit folgender Complication zu thun gehabt. Beim stundenlangen Erwärmen auf die Temperatur des thierischen Körpers, welches in unseren Versuchen unvermeidlich ist, wandelt sich bekanntlich das arterielle Blut mehr oder weniger in das venöse, wodurch auch der vorausgesetzte calorimetrische Unterschied zwischen beiden Blutarten sich mehr oder weniger verwischen könnte. Um dieser Complication möglichst zu entgehen, verfuhren wir auf folgende Weise: eine Portion des Blutes wurde vor dem Einführen in das Glasfläschchen stark mit Luft geschüttelt, und durch die andere ein Strom von CO, bis zur Sättigung geleitet, wodurch der venöse Charakter dieser Portion sowohl in Bezug auf den O- als auf den CO,-Gehalt offenbar bedeutend verstärkt wurde. I. Arterielles Blut. Gewicht des Blutes: 0-6108 em; Gewicht des Glases: 0.9498 "=; speeifische Wärme des Glases: 0.1827. s Berechnete Wärme- | Berechnete Wärme- Specifische Wä 3 Temperatur | menge in Calor. | menge in Calor. P = oe t re 5 für Blut und Glas| für das Blut Er 1 ‚38.399 27:1000 20-4380 08716 2 38.48 27.2031 20-5257 0.8733 Im Mittel 0-8724 254 S. HILLERSOHN U. STEIN-BERNSTEIN: WÄRMECAPACITÄT DES BLUTES. II. Venöses Blut. Gewicht des Blutes: 0.5864 sm; Gewicht des Glases: 0:9345 sm; specifische Wärme des Glases: 0-1827, = | Berechnete Wärme- Berechnete Wärme- Specifische Wä 5 Temperatur menge in Calor. menge in Calor. En; er B a 2 | für Blut und Glas| für das But: | 98 @uies 1 38.480 26-1448 | 19-5750 0-8675 2 38-26° 26-1448 | 19-6127 0.8742 | | Im Mittel 0-8708 Die angeführten Versuche zeigen ohne Weiteres: 1. dass die Wärmecapacität des Blutes in einem umgekehrten Ver- hältnisse zu dem Gehalt des Blutes an Blutkörperchen steht; und 2. dass in calorimetrischer Beziehung kein Unterschied zwischen arteriellem und venösem Blute existirt. Ueber die Alkoholausscheidung durch die Lungen. Von Dr. A, Benedicenti. (Aus den physiologischen Instituten zu Turin und Erlangen.) I. In einer früheren Abhandlung habe ich schon die Wirkung der ver- dünnten Luft auf die Chloroformausscheidung durch die Lungen besprochen. Später habe ich ähnliche Versuche über die Alkoholausscheidung angestellt. Zweck dieser Abhandlung ist es die Resultate derselben darzulegen. Magendie! und Tiedemann? hatten schon die Beobachtung ge- macht, dass Alkohol durch die Lungen ausgeschieden wird. Aehnliches haben bereits Royer-Collard,® Klencke,* Percy,’ Wöhler,® Bou- chardat und Sandras”? und Liebig® beobachte. Duchek? aber war der erste, welcher die Alkoholausscheidung zum Gegenstande eines genauen Studiums gemacht hatte. Er behauptete, dass sich der Alkohol im Blute zu Aldehyd umbilde, sich dann durch den ganzen Körper vertheile und endlich durch die Lungen ausgeschieden werde. Er hat auch die Mög- ! Magendie, Preeis elementaire de Physiologie. 4”° Edit. p. 187. ? Tiedemann, Zeitschrift für Physiologie. Bd.I. 8. 2. ® Royer-Collard, De l’usage et de l’abus des boissons fermentees. Paris 1838. * Klencke, Untersuchungen über die Wirkung des Branntweingenusses auf den lebenden Organismus. 1838. ® Percy, Experim. Besearches. London 1839. ® Wöhler, Journal des Progres. 1827. T. II. S. 109. ” Bouchardat und Sandras, Ann. de Chimie et de Physique. TI. Ser. T. XXI. p. 448. ® Liebig, Thierchemie. III. Aufl. S. 88—89. ® Duchek, Prager Vierteljahresschrift. Bd. XXXIX. S. 102. 256 A. BENEDICENTI: lichkeit ausgesprochen, das Aldehyd im Blute als Essigsäure oder Oxalsäure nachzuweisen. Buchheim,! Setschenow,? Masing,’ Duroy,* Lallemand und Perrin? sind dieser Meinung entgegengetreten und behaupten, dass der Alkohol sich ohne Oxydation aus der Lunge ausscheidet. Thudichum® hat zwar diese Alkoholausscheidung angenommen, aber nur in einer sehr geringen Menge. Die ersten genauen Untersuchungen über diesen Gegenstand wurden von Subbotin’” in München gemacht. Er hat den Alkohol durch Chrom- säure oxydirt und in Essigsäure umgebildet. Diese Analyse kann beliebig mit reiner Chromsäure oder mit Kaliumbichromat und Schwefelsäure ge- macht werden: 3C,H,0 + 4Cı0, = 3C,H,0, + 2Cr,0, + 3H,0. Um eine vollständige Oxydation zu erzielen, muss zuerst die alkoholische Lösung während 24 Stunden mässig erhitzt werden, bis die Lösung dunkelgrün geworden ist. Hierauf muss eine mehrmalige Destillation folgen, um die Essigsäure von der Schwefelsäure zu trennen. In dem Destillat kann später durch Natronlauge die Essigsäure titrirt werden. Jeder Cubik- centimeter Natronlauge entspricht 0-0072 Alkohol. Die folgenden Resul- tate zeigen die Genauigkeit der Subbotin’schen Methode: Alkohol berechnet Alkohol gefunden 1151 1.231 1-151 1.224 1.151 1.220 Die Versuche Subbotin’s wurden an Kaninchen gemacht. Er hat die Alkohollösung in den Oesophagus eingeführt und hierauf das Thier unter eine Glocke gesetzt. Die durch die Glocke gehende Luft wurde mit Hülfe eines Gasometers bestimmt. Um den ausgeschiedenen ! Buchheim, Deutsche Zeitschrift für Staatsarzneikunde. 1854. ® J. Setschenow, Beitrag zu einer künftigen Physiologie der Alkoholver- giftung. St. Petersburg 1870. ® Masing, Ueber die Veränderungen, welche mit genossenem Weingeist im Thierkörper vorgehen. Dorpat 1854. * Duroy, Gazette hebdomad. de medecine et de chirurgie. 1859. 8. 698—99. ° Lallemand und Perrin, Du röle de l’alcool. BRecherch. experim. 1860. ° Thudichum, Tenth Report of the medical officers of the privy couneil. 1868. p. 288. ” Subbotin, Physiologische Bedeutung des Alkohols. Zeitschrift für Biologie. 18712232361: ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. 257 Alkohol zu bestimmen, hat Subbotin Flaschen angewendet, welche mit abgekühltem Wasser gefüllt waren. In anderen Experimenten hat er versucht den Alkohol sofort zu oxydiren und hat die Luft durch Chromsäure und Natronlauge geleitet. Später hat Subbotin diese beiden Methoden miteinander verbunden. Aber es ist sehr schwer eine genügende Ventilation in der Glocke herzustellen und gleichzeitig die wünschenswerthe Langsamkeit des Luft- stromes durch die Chromsäure zu erreichen; folglich ist es, wie Subbotin selbst bemerkt hat, unsicher festzustellen, ob der ganze Alkohol fixirt ist. Ferner hat diese Methode noch zwei andere Schwierigkeiten, nämlich die genaue Trennung von Schwefelsäure und Essigsäure und die genaue Be- stimmung kleiner Mengen von Alkohol in grossen Quantitäten von Flüssigkeit. Subbotin kommt zu dem Schluss, dass in einem Versuche (während 5 Stunden) 5-35 Procent des aufgenommenen Alkohols durch die Athmung ausgeschieden wird. Dupre! hat ähnliche Versuche an sich selbst ge- macht, indem er die ausgeathmete Luft durch einen Blasebalg und Chlor- caleciumrohr gehen liess, um dann den Alkohol in einer, mit abgekühltem Wasser gefüllten Flasche zu fixiren. Dupre hat gefunden, dass der grössere Theil des Alkohols im Organismus oxydirt wird, wogegen nur ein geringerer Theil sich durch die Lungen ausscheidet. Er schliesst ferner, dass die (Juantität des ausgeschiedenen Alkohols nicht zunimmt, selbst wenn Alkohol in wiederholten Dosen dem Organismus zugeführt wird. Aehnlich sind die Versuche, welche D’Anstie,?- Heubach,? Aug. Schmidt,‘ Albertoni° u. s. w. gemacht haben. Aber ich will hier nur kurz die Versuche von Bodländer und Strassmann besprechen. Bodländer‘ hat die Gesammtausscheidung des aufgenommenen Wein- geistes aus dem Organismus bestimmt; zur Bestimmung dienten einerseits ! Dupre, Ueber die Ausscheidung des Alkohols. Proceedings of the Royal Society. Vol. XX. 8. 268. — Auch in Maly’s Jahresbericht für Thierchemie. Bd. 1. S. 232; oder in The Practitioner. Vol. IX. S. 28. ® D’Anstie, The Praetitioner. Vol. XII. p.15 und Maly’s Jahresb. Bd. IV. S. 395. ® Heubach, Archiv von Schmiedeberg. Bd.VI. 8.287 u. Maly’s Jahresb. Bd. VII. S. 326. — S. auch quant. Bestimmung des Alkohols in Harn. Archiv f. exp. Pathol. und Pharm. Bd. VIII. S. 446 und Jnaug. Dissert. Bonn 1875. * Aug. Schmidt, Ausscheidung des Weingeistes durch Respiration. Central- blatt für medie. Wissenschaften. 1875. 5 Albertoni, Formazione e contegno dell’ alcool e aldeide ete. Ann. chim. e farm. 1887. Vol. VI. Serie IV. p. 250. ® Bodländer, Ausscheidung aufgenommenen Weingeistes. Pflüger’s Archiv. Bd. XXXIH. S. 398, 426. Archiv f. A, u. Ph. 1896, Physiol, Abthlg, 17 258 A, BENEDICENTI: das Vaporimeter von Geissler, andererseits eine Lösung von 1 = CrO, im 300 em concentrirter Schwefelsäure, für welche Controlversuche ergeben hatten, dass 1 °® durch 0.4105 ”& Alkohol reducirt wird. Er hat die Ausscheidung in der Weise untersucht, dass sich der Hund in einem Kasten befand, aus welchem die Luft durch Vorlagen mit Chrom- säurelösung, oder mit Wasser gesogen wurde, um durch diese etwa vor- handenen Alkohol nachzuweisen. Er hat auch an sich selbst Experimente gemacht. Er trank 60 «m Alkohol mit 180 «= Wasser und athmete durch zwei hintereinander auf- gestellte Vorlagen, deren jede 20 ° m Chromsäurelösung enthielt, so lange aus, bis die erste grün geworden war; dies dauerte 5!/, Minuten. Nach einer Stunde athmete er wieder durch die Vorlagen, deren erste frisch ge- füllt war; wieder vergingen 5!/, Minuten bis sie grün geworden war, u. Ss. w. Bodländer sagt, dass man so aus der Menge der reducirten Lösung auf die Menge der Alkoholausscheidung schliessen kann. Nun sagt Bodländer selbst, dass die quantitative Bestimmung des Alkohols durch die Luftwege auf bedeutende Schwierigkeiten stiess, und ich glaube, dass die grösste in der zu grossen Raschheit des Luftstromes zu suchen ist. Erfahrungen, die von Prof. Zuntz bei Gelegenheit anderweitiger Respi- rationsversuche gemacht worden waren, liessen es auch ihm sehr möglich erscheinen, dass bei einer derartigen Versuchsanordnung ein Theil des aus- geschiedenen Alkohols die Vorlageflasche unverändert passiren und sich so der Bestimmung entziehen kann. Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, hat Strassmann! neuerdings Versuche angestellt, welche ich hier in Kürze erwähnen will. Die Ver- suchspersonen athmeten, nachdem sie den Alkohol zu sich genommen hatten, unter Zuklemmung der Nase, durch ein Mundstück, das mit einem Inspi- rations- und Exspirationsventil in Zusammenhang stand. Die Inspirations- luft trat aus dem Zimmer frei ein, die Exspirationsluft wurde durch eine Gasuhr getrieben und ihre Menge bestimmt. In den exspiratorischen Schenkel des Apparates wurde eine 1°/, Liter haltende trockene Flasche eingeschaltet, so dass die gesammte Exspirations- luft, bevor sie in die Gasuhr eintrat, diese passiren musste. Die Bestimmung der in der Flasche enthaltenen Menge von Alkohol geschah derart, dass 10 °® der gleichen Chromsäurelösung, wie sie auch Bodländer verwendet, eingegossen wurden und ?/, Stunde in der Flasche umgeschüttelt wurden. ! Fritz Strassmann, Untersuchungen über den Nährwerth und die Aus- scheidung des Alkohols. Pflüger’s Archiw. Bd. IL. S. 315. ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. 259 Während dieser Zeit wurde zu einer Anzahl mit gleichfalls 10 derselben Lösung gefüllten Reagensgläsern 1, 2, 3, 4, 5 m u. s. w. eines zumeist 0-1 procent. wässerigen Alkohols hinzugefügt und dann die eben- falls in ein Reagensglas umgefüllte Chromsäure der Flasche mit jenen ver- glichen und nach ihrer Färbung an die passende Stelle der Scala ein- raneirt. Bei meinen später zu besprechenden Versuchen habe ich die Wahr- nehmung gemacht, dass der Unterschied in den Farbentönen nur bei den ersten Graden der Scala genügend hervortritt. Ein fernerer Uebelstand ergiebt sich, wenn man direct in die Flasche ausathmen lässt, weil sich darin der Wasserdampf der gesammten Aus- athmung sammelt, so dass die Alkoholbestimmung ungenau wird. Dieser Uebelstand wird natürlich noch grösser, wenn die ausgeathmete Luft durch einen Chlorcaleiumthurm geht. Il. Meine ersten Versuche über den Einfluss verdünnter Luft auf die Alkoholausscheidung durch die Lungen wurden nach Subbotin an Kanin- chen und kleinen Hunden angestellt. Mein Verfahren, um das Tbier abwechselnd unter normalem und ver- mindertem Luftdruck zu halten, war genau dasselbe, wie ich es bei meinen Studien über die Chloroformausscheidung angewendet habe, auf welche ich hier zurückweisen möchte.! In den gegenwärtigen mit Alkohol gemachten Versuchen ging die Luft der Glocke, worin sich das Thier befand, zuerst durch einen mit destil- lirtem und erwärmtem Wasser gefüllten Ballon, dann durch drei Glas- röhren, wovon die erste Chromsäure und Glasperlen, die beiden anderen Natronlauge enthielten. Die Titration des Alkohols wurde nach der Me- thode von Subbotin ausgeführt. Wegen der grossen Schwierigkeit einer genügenden Ventilation, besonders wenn das Thier unter vermindertem Drucke sich befindet, konnte ich fast immer nur einen Theil der aus- geathmeten Luft analysiren, während der andere Theil auf einem anderen Wege entfernt wurde. Mit Hülfe zweier Gasometer habe ich die analysirte sowohl als die nichtanalysirte Luft genau berechnen können. Die von mir angewendete Alkohollösung war, wie bei Subbotin, 29 procent., und habe ich davon 15 °= durch den Oesophagus in den Magen des Thieres eingeführt. Ich halte diese Quantität für durchaus nöthig, ! Sul’ eliminazione del cloroformio per la via dei polmoni. Atti della r. acca- demia medica di Torino. 1895. — S. auch in Arch. italiennes de Biologie. Bd. XXIV. ef 260 A. BENEDICENTI: obgleich Dupr® sie für zu gross erachtet. Nach der Alkoholeinführung wurde der Oesophagus zugebunden. Subbotin und die anderen Beobachter haben gefunden, dass die Alkoholausscheidung durch die Lungen während mehrerer Stunden constant bleibt und erst später abnimmt. Ich habe meine Versuche in der Zeit der constanten Ausscheidung gemacht und habe das Thier eine Stunde unter normalem Druck, hierauf wieder eine Stunde unter vermindertem Druck gehalten, und um ganz sicher zu gehen, habe ich zuerst den verminderten und dann den normalen Druck auf dasselbe wirken lassen. Meine Resultate blieben immer gleich und stimmen mit denjenigen meiner Untersuchungen über die Chloroform- ausscheidung überein; das heisst: die Ausscheidung ist bei vermindertem Drucke grösser und schneller. Ich lasse hier eines meiner Versuchsproto- colle folgen: Kleines Kaninchen 0-970 8 schwer. Alkohol durch Oesophagus ein- . geführt 15 °®. 29 procent. Lösung. Zeitpunkt der Einführung 9 Uhr 15 Min. 9 Uhr 20 Min. wird das Thier unter die Glocke gesetzt. Bei diesem Versuche geht die ganze Luft durch den Apparat, welcher den Alkohol zu bestimmen hat. Das Thier ist normal: athmet ruhig und regelmässig. 10 Uhr 20 Min. unterbreche ich den Versuch. Ich wechsle die mit Chromsäure und Natronlauge gefüllten Flaschen und vermindere den Druck in der Glocke (18 ® Hg). 10 Uhr 530 Min. beginnt der zweite Versuch. Anfangs ist das Thier etwas unruhig und erregt, aber bald wird es wieder normal. 11 Uhr 30 Min. ist der Versuch beendigt. Ergebniss der Analyse: Unter dem normalen Druck braucht man, um das saure Destillat zu neutralisen 1-65 °® normale Natronlauge; demnach hat man: 1.65 x 0-0072 = 0.0118 Alkohol in einer Stunde ausgeschieden. Unter vermindertem Druck braucht man 2.18 “m Natronlauge: 2-18 x 0.0072 = 0.0156 Alkohol in einer Stunde ausgeschieden. Subbotin hat gefunden, dass in 5 Stunden der ausgeschiedene Alkohol 0.0547 beträgt, das heisst 0-0109 in der Stunde. Meine Versuche stimmen demnach mit den Versuchen Subbotin’s überein, und zeigen, dass der verminderte Druck eine vermehrte Alkoholausscheidung durch die Lungen zur Folge hat. ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. 261 II. Die Versuche, die ich nach Strassmann’s Methode an Menschen gemacht habe, führen zu demselben Resultate Prof. Mosso in Turin hat für seine Studien über die Wirkung des verminderten Luftdruckes eine eiserne Glocke herstellen lassen, in welcher ein Mensch bequem (mit den nöthigen physiologischen Apparaten) Platz finden kann. In dieser Glocke habe ich an mir selbst Versuche über die Alkohol- ausscheidung vorgenommen. Ich nahm 50°” absoluten Alkohol in 200 sm Wasser gelöst und dann athmete ich durch eine Zweiliterflasche, in welcher hernach mittelst Chromsäure der Alkoholgehalt der ausgeathmeten Luft bestimmt werden konnte. Ich will mich über diese mannigfachen Versuche hier nicht länger verbreiten, sondern nur constatiren, dass dieselben mit denen, welche an Kaninchen gemacht wurden, völlig übereinstimmen. Der Unterschied in der Farbe bei normalem oder vermindertem Druck ist sehr bedeutend. Der Farbenton liegt nach der Scala Strassmann’s bei mormalem Druck zwischen 2 und 3, bei vermindertem Druck zwischen 3 und 4. Daraus lässt sich schliessen, dass auch beim Menschen der verminderte Druck eine erhöhte Alkoholausscheidung bedingt. Und diese erhöhte Alkoholausscheidung scheint auch der Grund zu sein, weshalb Bergsteiger ziemlich viel Alkohol ohne Schaden vertragen können. Aber hier kommt allerdings nicht allein der verminderte Luftdruck in Betracht, sondern auch der beschleunigte Stoffwechsel und die erniedrigte Temperatur, welche, wie wir später sehen werden, einen nicht geringeren Einfluss auf die Alkoholausscheidung hat. IV. In der bibliographischen Einleitung habe ich bemerkt, dass die bisher befolgten Methoden mehr oder weniger mangelhaft waren. Des- halb habe ich im physiologischen Institut zu Erlangen diese Studien noch- mals aufgenommen, um diese Methoden nach Möglichkeit zu verbessern. Man kann die Methode, die ich benutzt habe, als eine Modification der Strassmann’schen betrachten. Das Versuchsthier trägt eine Maske. Diese steht in Verbindung mit zwei Gummiklappenventilen nach Prof. Rosenthal, von welchen das eine ($, Fig. 1) nur die eingeathmete Luft, das andere (7, Fig. 1) nur die aus- geathmete Luft durchlässt. Das letztere communieirt durch einen Gummi- schlauch mit der 2.700 Literflasche oder Ballon P (Fig. 1). Diese Flasche hat drei Röhren. Zwei davon, % und Z (Fig. 1), dienen der Lufteirculation, die dritte 7 trägt einen Trichter, durch welchen die Chromsäure ein- gegossen wird. 262 A. BENEDICENTI: Während des ersten Theiles des Experimentes, d. h. während die Luft durch die Flasche eirculirt, wird die Temperatur durch einen Thermostat auf 35 bis 36 Grad gebracht, um die Condensation von Wasserdampf in der Flasche zu verhindern. Auf diese Weise ist die Alkoholdampfspannung in der Flasche ganz gleich derjenigen in der Lunge des Thieres. Die Versuche haben gewöhnlich 1!/, Stunde gedauert. Der zweite Theil des Versuches besteht in der quantitativen Unter- suchung des in der Flasche enthaltenen Alkohols. Zu diesem Zwecke schliesse ich die Röhren # und Z und nehme dann den Ballon weg. Ich lasse ihn abkühlen und giesse durch den Trichter 10 °® Chromsäurelösung hinein. Der Ballon wird geschüttelt und verbleibt mehrere Stunden unter der Einwirkung einer Temperatur von 38 bis 40 Grad, um eine voll- ständige Oxydation des Alkohols herbeizuführen. Die Lösung färbt sich schwach grün und wird alsdann in eine Glasröhre eingegossen be- hufs einer Vergleichung mit einem gleich grossen Quantum normaler Lö- sung, welche sich in einer ganz ähnlichen Glasröhre befindet. Diese Fig. 1. beiden Röhren / und Z (Fig.2) werden von einem eisernen Stativ M gehalten innerhalb des Blechkastens A. Dieser Kasten hat vorn und hinten eine Glaswand, durch seinen Deckel D ist ein Thermometer # durchgeführt. Die beiden Glaswände ermöglichen eine genaue Beobachtung der Farben- unterschiede; durch einen unter dem Kasten angebrachten Gasbrenner 7 (Fig. 2) kann die Temperatur auf etwa 40 Grad erhalten werden. In demselben Kasten ruht auf einem eisernen Stativ M’ ein kleiner Glaskolben 7, weleher eine minimale Quantität Alkohol enthält und vorher ganz genau (bis auf !/„”2) gewogen wurde Mit Hülfe eines Aspirators 0 (Fig. 2) saugen wir Luft durch den Kolben 7/ und durch die Normal- lösung in der Röhre / so lange aus, bis diese Lösung denselben Farben- ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. 263 ton zeigt, den wir in der Glasröhre Z sehen. Um zu verhindern, dass die circulirende Luft Wasserdampf mit sich führt, wird dieselbe vorher in einem Chlorcaleiumthurm @ getrocknet. Ein Manometer N zeigt die Stärke der Aspiration an. Die Röhrchen, mittelst welcher die getrocknete Luft durch die Normallösung geführt wird, sind dieselben wie sie Hr. Prof. Rosenthal! bei seinen Kohlensäurebestimmungen gebraucht hat. Ver- möge dieser Röhren werden die Luftbläschen in der Normallösung so fein, dass man einer vollständigen Absorption des Alkohols sicher sein kann. Wenn die Farbentöne in den Röhren Z und 7 gleich sind, ist das Experiment zu Ende. Fig. 2. Man nimmt den kleinen Kolben 7 heraus, lässt ihn abkühlen, wägt ihn wieder; die Gewichtsdifferenz entspricht genau der Quantität des Al- kohols, welcher in der Luft der Flasche ? enthalten war. Wenn wir die Quantität des ausgeschiedenen Alkohols mit x be- zeichnen, so ergiebt sich: SD Sp wo $S = Gewichtsdifferenz des kleinen Kolbens, D = Gesammtausathmung, P = Capacität der Flasche ist. ! Rosenthal, Ueber die Bestimmung der Kohlensäure u. s. w. Physik.-med. Societät zu Erlangen. Sitzung vom 8. Juli 1895; und Dissert.-Arbeit von Mar- quardsen. Erlangen 1890. 264 A. BENEDICENTI: Und wir können den Procentsatz x’ sogleich auch so bestimmen: ‚ _ 2100 Fer 2) IE wo /= Quantität des eingeführten Alkohols ist. V. Um den Zweifeln zu begegnen, welche sich gegen die Methode er- heben könnten, habe ich Vorversuche gemacht, um zu bestimmen, ob der Alkohol, welcher durch die Normallösung ging, auch vollständig fixirt wurde und ob sich ein Unterschied in der Reaction mit Chromsäure er- gäbe, wenn der Alkohol dampfförmig oder flüssig ist. Um die erste dieser Fragen zu beantworten habe ich die Luft nicht nur durch eine Röhre mit Normallösung geleitet, sondern durch zwei, und habe gesehen, dass die Lösung in der zweiten Röhre völlig unverändert blieb. In einem anderen Falle habe ich in der zweiten Röhre die Normal- chromsäurelösung durch abgekühltes destillirtes Wasser ersetzt. Die Re- actionen nach. Lieben und Legal zeigten, dass keine Spur von Alkohol in diesem Wasser enthalten war. Um zu untersuchen, ob der Alkohol in dampfförmiger oder in flüssiger Gestalt gleiche Reaetionen hervorruft, habe ich auch verschiedene Experi- mente gemacht, wovon ich hier eines als Beispiel folgen lasse. 28. August 1895. Ich bringe in den kleinen Kolben einen Tropfen absoluten Alkohols, wäge ihn hierauf und leite die Luft des Kolbens, wie gewöhnlich, durch 10°" Chromsäurelösung, bis dieselbe sich ganz grün färbt. Temperatur 38°. Ergebniss der Wäguns. Nach dem Versuche: 50 2n-Kolben 7. 22 sel er. a2 Vor dem Versuche: 508m -Kolben I. re. E26 Alkohol 0-0118 Dann wäge ich in einer Flasche eine beliebige Menge Alkohol: 50sm_-Kolben . . . N) 50 erm-Kolben + Beayholk. 20.2... -6.28.3590 Alkohol gewogen . . . 0 en, = 02 Ich verdünne diesen Alkohol in 12 cm Wasser. So hat man: VIELEN NE na. —= 0:010012 = Alkohol enthalten in jedem Cubikcentimeter der Lösung. ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. 265 Um dieselbe Quantität Alkohol, welche im vorstehenden Versuch durch die Chromsäurelösung gegangen war, zu erhalten, muss 1.2°®% dieser Alkohollösung genommen werden. Wenn wir diese Quantität der Alkohol- lösung mit 10°m Chromsäurelösung mischen, so ist der Farbenton der gleiche wie im vorstehenden Versuch. Daraus erhellt, dass die Chrom- säurereduction bei flüssigem oder dampfförmigem Alkohol die gleiche bleibt. IV Mit dieser eben beschriebenen Methode habe ich viele Versuche an Kaninchen gemacht. Diese waren tracheotomirt oder mit einem Mund- stück versehen. Injieirt wurden meistens 7 °@® Alkohol in 50m Wasser gelöst, aber ich habe auch grössere Quantitäten in mehr oder weniger concentrirten Lösungen gebraucht. Die Injection wurde mit einer Pravaz’schen Spritze in die Bauchhöhle gemacht. Auf diese Weise wird das Thier nicht beschädigt und kann zu wiederholten Versuchen benutzt werden. . Ich will hier alle diese Versuche nicht umständlich beschreiben, sondern ich beschränke mich darauf, deren Resultate in tabellarischer Form zu geben. Die Versuchsanordnung war immer dieselbe. Wenn man die Daten nachstehender Tabelle ansieht und ferner die gesammte exspirirte Luft kennt, so kann man gleich den Procentsatz des ausgeschiedenen Alkohols berechnen. Dieser Procentsatz ist in verschiedener Weise berechnet worden, nämlich auf: 0-5 bis 0-8 Proc. (Thudichum) in toto, 1-6 bis 1.8 Proc. (Bodländer) in toto, 5-35 Proc. (in fünf Stunden) (Subbotin), 1-50 oder 1-47 oder 1-21 Proc. stündlich (Strass- mann). Die Resultate meiner Versuche führen zu Daten, welche etwas kleiner als diejenigen von Strassmann sind und nähern sich mehr denjenigen von Subbotin. In der That ergiebt sich, dass der ausgeschiedene Alkohol in der ersten Stunde ungefähr 0-96 Proc. oder 1 Proc. beträgt. Die Aus- scheidung bleibt mehrere Stunden lang constant und nimmt dann rasch ab. Später aber ist es nach dieser Methode unmöglich, noch Alkohol zu finden. Vo. Ich liess die anderen Bedingungen der Versuche unverändert und studirte nur den Einfluss der Quantität des injieirten Alkohols und der umgebenden Temperatur auf die Alkoholausscheidung. . . A. BENEDICENTI 266 ; e = un ei {eb} = an 8 Bi la ne | Sa Sea Sn on Ec | Gewicht des Kolbens ; B B=iC= => us Bas S@ ee EBS:5 E25 Ausgesch. Datum | Thier |Gewicht| 3 2 eu = EIS = | 8 sis San N - a4 as) 88 a = n a nac vor grm com , Vorm. | Stunden , Grad cem | Stunden | Grad | Grad 19. XI. Kan. A 750 7 9:30 11), 35 10 3 40 40 17-8511 17.8440 0-0071 20. XT. on 750 7 9 HR 35 10 21, 35 35 17-7510 17.7440 0.0070 21. XI.|Kan. B | 1-900 7 10 14, 35 10 23), 35 35 17-7576 | 17-7510 | 0-0066 22. XI: 53 1:900 « 10 1), 35 10 3 35 35 17-7625 | 17-7550 0:0075 23. XI. B 1:900 1 10:15 Eh 35 10 3 35 35 17.7778 | 17-7710 0:0068 25. XI. Kan. C | 1850 7 9-5 1-1, 35 10 3 33 33 17.7406 | 17.7341 0-0065 SER KT. | 1.850 7 8-45 1%, 37 10 31), 35 35 17-7448 | 17-7380 | 0-0068 27. XL |Kan.D | 0.950 7 8-45 |1St.35 M.|. 36 10 4 36 36 17-7514 17-7445 | 0:0066 Stunden 12. XI. | Kan. H | 1:300 7 9 12% 35 10 3 40 40 17-7510 17.7440 0-0070 15. XIl.| Kan. I | 1500 7 8:10 13/3 37 10 3 40 40 17.7602 17-7530 0-0072 16. XL. ss 1:500 7 9:5 Us 36 10 3 40 40 17.7610 17-7546 0-0064 17. XIL 5 1.500 7 8-15 12/5 37 10 4 40 40 17.7790 ITe7735 0-0065 18. XI. | Kan. L | 1.140 7 10 1), 37 10 3 40 40 17.7899 17.7829 0.0070 20. XI. 2 1:140 7 10:15 13); 37 10 4 40 40 17.7910 17-7842 0:0068 ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. 267 In der folgenden Tabelle theile ich die Daten in Bezug auf den Ein- fluss der Quantität des injieirten Alkohols mit. = ; er 3 Ei ER & = 35 = | Gew. des Kolbens E < = BiSsana|l..5 | 98:2 3 .d Datum , Thier | Gewicht a B 23 es = S = = E 3 B x S< &8 ars se nach vor En grm | cem |. St. | Grad St. | Grad ART Kan.G| 11-3200) 127 171%, | 36 228 35 17-7386 17-7320 0°0066 5. XI. ch 1.320 Da), 1.35) 112 35 17-7452| 17:7389) 0-0068 OSX]E 7° ', 123201, 10 E1 2/0 300012 35 17:7634| 17:7563, 0:0071 9. XI.| Kan. H| 1-300 | 10 | 1"), | 35. |12 35 17.7316| 17: 7244| 0°0072 11. XH. 5 1:300 | 14 | 1!), | 85 4 37 17:7518/ 17°7441, 0°0069 12. XII. b 1.300 0 a 35 3 40 17.7510\ 17°7440| 0.0070 Aus den Daten dieser Tabelle ersieht man, dass die Quantität des aufgenommenen Alkohols innerhalb gewisser Grenzen keine bedeutende Einwirkung auf die Ausscheidung hat. Anders waren die Resultate meiner Versuche über den Einfluss der Temperatur. Da ich meine Versuche im Winter gemacht habe, war es leicht, die Thiere einer verschiedenen Temperatur auszusetzen, indem ich sie während der Versuche entweder vor das Fenster hinaus oder in die Nähe des Ofens brachte. Die Resultate dieser Versuche sind in folgender Tabelle niedergelegt. a = 2 Bel ı SE _ S = Be = | Gew. des Kolbens ® = Br BilnS Hual.:alac:e SER=| Datum| Thier |SS 33 [5835| 235|33 3538 8.2 a s3 SE an EIS Ber nach vor 2 Bee DE < ccm St. IGrad| Grad) St. | Grad 15. XII. Kan.]I 7 il, | +18| 37 3 40 17.7602 | 17:7530 | 0°0072 9. XI. > U rn | Bu 3 38 17.7244 | 17:7209 | 0-0035 2ER NN 25; en, | 3 39 | 17-7534 | 17-7514 | 0-0020 ZIERT. Kan. | 27 1er 50 87 3 39 17.7570 | 17-7534 | 0-0036 2.XI1. Kan.G, 7 1%, | +45 | 37 3 40 17.7266 | 17-7181 | 0:0085 3. XII. es 7 11), | +38| 37 3 40 17-7334 | 177266 | 0:0068 7.XO.| Kan. F| 7 ah ei) Bl 3 40 17-7520 | 17-7452 | 0-°0068 8. XI. ED 7 11, | +38 | 37 3 40 17-7601 | 17-7531 | 0-0070 13. XIIL.|Kan.O| 7 1), | +37| 37 3 40 17.7682 | 17-7615 | 0-0067 14. XII. * Ü 14, |— 2| 37 3 40 17.7720 | 17-7685 | 0-0035 18. XIL| Kan. L| 7 11, 1320| 37 3 40 17.7899 | 17-7829 | 0-0070 j j S, 268 BENEDICENTI: ÜBER DIE ALKOHOLAUSSCHEIDUNG DURCH DIE LUNGEN. Man sieht hieraus, dass bei Temperaturen von 35 bis 40° nicht wesentlich mehr ausgeschieden wird wie bei normaler Zimmertemperatur. Nur in einem einzigen Falle, bei einer Temperatur von + 45, war die Alkoholausscheidung vermehrt, aber die Temperatur des Thieres war bis + 42:5 gestiegen und es fand eine beschleunigte Athmung statt (Polypne&e par chaleur, von Richet). Hingegen bei niedrigeren Temperaturen nimmt auch die Ausscheidung ab. Dieses liesse sich so deuten, dass man annimmt, der Alkohol werde im Organismus verbrannt und dieser Verbrennungsprocess verlaufe schneller und grösser, um die Wärme zu ersetzen, welche das Thier verloren hat. Doch darf man nicht vergessen, dass bei Temperaturen der Einathmungs- luft von +5° und darunter auch die Athmungsluft niedriger temperirt ist als normal, also auch weniger Alkohol in Dampfform aufnehmen kann. VII. Bei der Zusammenfassung meiner Untersuchungen glaube ich zu fol- genden Schlüssen kommen zu dürfen: 1. Der in den Körper eingeführte Alkohol wird zum Theil unver- ändert durch die Lungen ausgeschieden ; 2. Die Alkoholausscheidung überschreitet nie 0-90 bis 1.2 Procent in einer Stunde, selbst wenn sie sehr lebhaft ist; 3. Der verminderte Luftdruck begünstigt die Alkoholausscheidung durch die Lungen; 4. Die Quantität des aufgenommenen Alkohols beeinflusst die Aus- scheidung nicht erheblich; 5. Die Erniedrigung der Temperatur hat eine verminderte Ausschei- dung zur Folge, wahrscheinlich weil durch niedrigere Temperatur der Ex- spirationsluft weniger Alkohol in Dampfform übergehen kann. Zweiter Beitrag zur Granulafrage. Von Max Münden in Hambnrg. Ich habe in einer früheren Arbeit gezeigt,! dass Granula, unzweifelhaft: thierischen Ursprungs, selbständige Ortsbewegung besitzen und sich unter gegebenen Bedingungen in sogen. grüne einzellige Algen verwandeln können. Um nun festzustellen, ob derartige kieine grüne einzellige Algen in irgend einer Weise durch die Granula aus der Chorioidea des Frosches in ihrer Färbung beeinflusst würden, wurde eine mir zugängige Cultur derartiger Algen, welche den Formen, zu welchen sich die Granula in den früheren Versuchen entwickelten, ungemein glichen, während 14 Tage in einem Vaselinepraeparat beobachtet. Der Cultur wurde ein wenig Liebig’s Fleisch- extract hinzugesetzt, da es sich gezeigt hatte, dass dieses Mättel die Granula sehr lange in Bewegung erhielt. Aber weder in der Zeit, wo die Granula noch schwärmten, noch als sie sich sämmtlich gelagert hatten, zeigte sich an den kleinen grünen Algen eine Veränderung, welche der früher bei der Verwandlung der Granula entsprochen hätte. Zwei gleichzeitig in alter Weise angefertigte Praeparate zeigten dagegen ein massenhaftes Anwachsen der Granula zu den am meisten schwarz erscheinenden Formen. Helle grüne Zellen entstanden nicht, und es scheinen hier noch in der Jahreszeit gesetzte unbekannte Factoren mitzuwirken. Die beiden Culturen bewahre ich als Dauerpraeparate. In vielen Praeparaten zeigte sich die Erscheinung, dass die Granula sich oft fadenförmig anordneten. In nur zwei Fällen gelang es mir, am frischen Praeparat einen hyalinen Faden nachzuweisen, der nicht dicker 1 Dies Archiw. S. oben S. 22. 270 Max Münden: wie die Granula selbst war. Sonst war weder am frischen noch an einem mit Alkohol behandelten und in Canadabalsam aufbewahrtem Praeparat die geringste Spur einer Verbindung zu sehen. Und doch besteht in jedem Fall eine Verbindung, da bei zufälligem Anstossen eines Protozoon oder selbst Granulum die ganze Reihe schwankte, ganz als ob sie an einem Faden aufgeriehen wäre. Die Lagerung der Granula zum Faden ist viel- fach eine unregelmässige, doch giebt es auch Formen von einer ebenso regelmässigen Anordnung, wie bei einer Perlenschnur. Die fadenförmige Anordnung selbst ist gerade oder gebogen oder gewellt und in einzelnen Fällen auch schleifenförmig. In einem in feuchter Kammer gehaltenen, mit Liebig-Extract ver- setzten Praeparat, waren in einer Ecke massenhaft hyaline Bakterien auf- getreten, welche in Form, Grösse und charakteristischer Bewegurg voll- kommen den dort nur in einzeinen Exemplaren vorhandenen Froschgranula elichen, bis auf den Umstand, dass sie keinen Farbstoff aufwiesen. Ob es sich hier um eine Umwandlung der Granula handelt, lasse ich offen. Wie die Granula aus der Chorioidea des Frosches verhalten sich die- jenigen aus der der Kröte. Hier fand ich häufig kugelförmige Chorioidea- zellen mit nur verhältnissmässig wenigen gefärbten Granula und desto mehr hyalinen, welche erstere dann auf der Oberfläche der Zelle eine ganz regel- mässige Anordnung aufwiesen. Man erhält so das Bild eines gefärbten Bacillenpraeparates, und ich muss betonen, dass ich Dauerpraeparate freier Granula aus der Froschchorioidea besitze, die ein Jeder, welchem ich sie bisher zeigte, für Kommabacillen oder Aehnliches hielt. Morphologisch sind diese Granula gar nicht von Letzteren zu unterscheiden und ich werde weiter unten berichten, inwiefern sie ihnen auch biologisch gleichstehen. An einer solchen Zelle bemerkte ich am zweiten Tage der Beobach- tung, dass die Granula im Inneren der Zelle in lebhafter, bienenschwarm- ähnlicher Bewegung waren, aber keines derselben während der Dauer der zehn Minuten währenden andauernden Beobachtung die Grenzen der Zelle überschritt. Offenbar war die Membran noch intact, im Inneren der Zelle jedoch ein Zustand eingetreten, der es den Granula erlaubte, sich so frei zu bewegen, als ob sie in Wasser wären. Dieser Erscheinung analog. ist die vielfach von mir besonders an ganz matt das Licht brechenden und deshalb schwer wahrnehmbaren Amoeben gemachte, dass die dort befind- lichen Granula unzweifelhaft in lebhaft schwärmender Bewegung sind. Auch bei Vallisneria, welche eine gute Beobachtung des Lebens der intacten Zellen gestattet, habe ich wiederholt bei ruhender Strömung Erscheinungen angetroffen, welche mir keinen Zweifel daran liessen, dass grünliche kleine (Granula, junge Chlorophylikörner, so lange sie klein sind, ganz genau die- ZWEITER BEITRAG ZUR (FRANULAFRAGE. Dill selbe eigene Bewesung besitzen, wie Granula aus der Chorioidea des Frosches. Ich beobachtete einmal stundenlang einen förmlichen Bienenschwarm, der sich um einen Punkt der Zelle, der offenbar irgend eine Anziehung bot, lebhaft herumtummelte. An den Staubfäden von Tradescantia vermag man schon im Protoplasmastrome selbst an den Granula eine eigene, von der Strömung unabhängige Bewegung zu erkennen. In nicht von der Strömung erfassten todten Ecken ist dieselbe unzweifelhaft. Sehr deutlich zeigte es sich, dass es sich hier um eine eigene, von der Protoplasmaströmung un- abhängigen -Bewegung der Granula handelt, in folgendem Fall. Beobachtet wurde an einem Tradescantiahaar die scheinbar unverletzte Zelle, welche der durchgerissenen letzten Zelle des Haares folgte. Es durchzogen keine Protoplasmafäden das Zelllumen mehr; nur vom wandständigen Kern ragte ein kleiner, während der Beobachtung noch mehr abnehmender Protoplasma- klumpen hinein. Während die Granula aber an den den Nachbarzellen anliegenden Seiten ruhig dalagen, waren sie in der Nähe des Kernes noch in lebhafter Bewegung. Häufig jagte ein Granulum in die Lage der wie todt daliegenden hinein, umkreiste sie und jagte bald wieder hinaus. Die todten Granula rührten sich nie, was doch hätte geschehen müssen, wenn es sich um irgend eine Strömung im Zellsaft gehandelt hätte. Häufig blieb ein Granulum längere Zeit in der todten Zone, seine Bewegungen wurden schwächer und schliesslich lag es selbst ruhig da. Im Fig, Laufe der zwei Stunden anhaltenden Beobachtung dieser Zelle, vergrösserte sich die Region der todten Körner sicht- bar, während der Protoplasmarest sehr undeutlich wurde. In der nächstliesenden intacten Zelle war die Bewegung der Granula überall stets im schönsten Gang. Aehnliche deutlich eine Eigenbewegung der Granula kundgebende Beobachtungen kann man in den Zellen der Dattel wahrnehmen. Die auf- fallendsten, nur mit dem Schwärmen eines Bienenstockes vergleichbaren und jeden Zweifler sofort bekehrenden Erscheinungen zeigen sich aber in folgenden Fällen. In einer meiner Algenculturen findet sich eine grosse Anzahl ver- schiedener Oysten. Fig. 1 zeigt eine derselben. Sie hat eine dicke, durch- sichtige Membran, welche von grossen, regelmässig angeordneten leicht grünlichen Granula gebildet wird, die zwischen sich verhältnissmässig viel durchsichtige Substanz ausgeschieden haben. Der Inhalt der Cysten besteht aus grossen grünen Chromatophoren und bei sämmtlichen sich im Thei- lungsstadium befindlichen Doppeleysten aus einer Unzahl kleinster leicht grünlicher oder rothbräunlich violetter runder Granula. Einfache Cysten und solche, bei welchen die zweite eben aus der ersten hervorknospet, be- sitzen dieselben meiner Beobachtung nach nicht. Diese Granula befinden 212 MAx Münden: sich in einer starken, bienenschwarmähnlichen Bewegung, sie gehen von einer Theilungshälfte in die andere, sie lagern sich vielfach auf die Chro- matophorenplatten, und trotz des dichten Gewimmels beträgt die Ortsver- änderung eines Granulum in einem Zug oft ein Viertheil der Längsaxe der Cyste. Bei tagelanger Beobachtung solcher Cysten sieht man, wie sich immer mehr Granula auf die Chromatophorenplatten und neben sie lagern, bis alle Bewegung erloschen ist, während sie gleichzeitig ihre Farbe verändern, theilweise zu bedeutend vergrösserten Formen heranwachsen und theilweise sich derart mit den Chromatophoren verbinden, dass diese im Anfang glatt aussehenden Platten erst ein gekörntes und dann ein gross- scholliges Aussehen erhalten, während sich gleichzeitig an ihrer Gesammt- masse die bekannten Theilungsvorgänge vollziehen. Ein näheres Eingehen auf diese hochwichtige Erscheinung muss ich mir für später vorbehalten. Dieselbe bienenschwarmähnliche Bewegung brauner Granula zeigt sich vielfach in gelben oder braunen, bohnenförmigen oder runden Einzelcysten und in Theilung befindlichen sogenannten grünen einzelligen Algen der- selben Cultur, bei Closterium und Penium. Sie zeigt sich auch, wie ich weiter unten zu berichten haben werde, in sehr vielen Chorioideazellen der von mir untersuchten Fische. 2 Beobachtet man ein weisses Blutkörperchen, welches bei schwacher Vergrösserung die sogenannte Molecularbewegung zeigt, mit 1000facher Vergrösserung, so erkennt man sofort dieselbe active bienenschwarmähn- liche Bewegung der Granula. Aehnliche wimmelnde Durcheinanderbewegung der Granula im. Entoplasma der Gregarinen sind von vielen Autoren be- obachtet worden.! Hält man nun alle diese Beobachtungen zusammen mit meinen im ersten Aufsatz veröffentlichten Experimenten und den vielfachen Angaben der Autoren, die ich nur bestätigen kann, dass ausgebildete Chlorophyll- körner eine selbständige Bewegung, wenn auch in schwachem Grade, zeigen, so bleibt gar kein Zweifel darüber bestehen, dass die Granula im Pflanzen- und Thierreich mit selbständiger Bewegung be- gabte Wesen sind, die diese Beweceung überall da zeigen, wo das Medium, in dem sie sich befinden, dieselbe gestattet. Denn abgesehen davon, dass zu Fäden vereinigte Granula in ihrer Bewegungs- fähigkeit gehemmt sein müssen, wird die Dichtigkeit des Mediums darüber entscheiden, ob die verhältnissmässig geringe Eigenkraft des Granulum dem Beobachter eine Bewegung vor Augen führen kann. Denn wir selbst fügen ja einem Tropfen sıch lebhaft bewegender Protozoen, die wir in Ruhe lebend beobachten wollen, etwas Gelatine hinzu und erreichen damit, dass das ! Siehe Bronn’s Thierreich. Protozoa I. 8. 517. ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. Zuie\ dichtere Mittel jetzt die Infusorien zu langsameren Bewegungen oder zur völligen Einstellung derselben zwingt. Allen diesen Granula scheint meiner bisherigen Erfahrung nach eigen zu sein, dass sie nur bei einer gewissen Kleinheit eine auffallende Eigenbewegung zeigen. Werden sie grösser, so verliert sich dieselbe oder wird so schwach, dass wie bei den Chlorophyll- körnern es einer jahrzehntelangen immer wieder bestätigten Beobachtung bedarf, um festzustellen, dass es sich thatsächlich um eine Eigenbewegung handelt. Unter der Annahme, dass das bewegende Organ sich nicht in gleichem Maasse wie das ganze Granulum vergrössere, wäre ein solches Verhalten auch verständlich. Zur Untersuchung der Granula im Fischreich benutzte ich zuerst die hier bequem lebend zu erhaltende Glattbutte, Rhombus laevis Cuv., welche unmittelbar vor der Untersuchung getödtet wurde. In den verschiedenen von mir gebrauchten Exemplaren, welche äusserlich ganz gleich erschienen, fand ich scheinbar verschiedene Arten von Chorioideazellen. Bei dem einen Thier fand ich kleine gedrungene runde Zellen, bei dem andern dreieckige, deren Ecken durch Fortsätze mit den Nachbarfortsätzen in Verbindung standen. Die Granula waren in beiden Fällen gerade Stäbchen von der Farbe der Granula aus der Froschchorioidea und verhielten sich auch gleicherweise. Bei anderen Thieren waren es grosse blasenartige Zellen, welche von lebhaft schwingenden geraden, roth- bis rostbräunlichen Stäb- chen von oft sehr bedeutender Länge erfüllt waren. Das Gewimmel in fast der Hälfte der Zellen der Praeparate glich einem Bienenschwarm und gewährt eine solche Zelle bei guter Beleuchtung einen herrlichen Anblick. In der anderen Hälfte der Zellen lagen diese Stäbchen wie gewöhnlich ruhig da. Die Haut der Zellen, deren Granula in dieser rasenden Be- wegung begriffen sind, muss sehr dünn sein, denn oft genügte ein durch zufällige Strömung gesetzter Druck, um sie zum Bersten zu bringen und die Stäbchen nach allen Richtungen hin zu zerstreuen. An diesen Zellen war es zum ersten Male, dass ich in aller Deutlich- keit eine wichtige Erscheinung beobachtete, die dann später auch bei anderen Granula constatirt wurde. Diese Granula zeigen zahlreich Fort- pflanzungsformen der Art, wie wir sie sonst an Spaltpilzen kennen. Man findet vielfach sich gerade oder winkelig abschnürende Doppelstäbchen, Stäbchen mit kolbigen Anschwellungen verschiedener Grösse, die offenbar auswachsen und sich dann abschnüren (Hutpilzformen) und Körner, die den Eindruck von Sporen machen. Ich werde kei der Plötze zu berichten haben, dass ich dort sicher mit Sporen erfüllte Stäbchen con- statiren konnte und ist kein Zweifel übrig, dass wir es bei diesen Granula mit ausgesprochenen Formen von Spaltpilzen zu thun haben. Archiv f, A, u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 18 274 MAx MÜNDEN: Zur Untersuchung der Haut der Butte reinigt man ein Stück der- selben gut und schabt es auf der Oberfläche mit einem feinen Messer in wenig Wasser so lange, bis das Wasser dunkel gefärbt erscheint. Bei selbst 1500facher Vergrösserung! sieht man die Granula nur als nicht ganz rund- liche, vielfach ausgesprochen ovale Kokken mit deutlichen zahlreichen Spal- tungsformen. Vielfach findet man von einer hyalinen Hülle umgebene Diplo- und Triplokokken und zeigen Hautfetzen eine Zusammensetzung der Zellen aus gefärbten und ungefärbten Granula. Die Bewegung der Letz- teren im Wasser ist die bekannte lebhaft peitschende. Zerquetscht man die graue Substanz des Gehirnes der Butte im Wasser, so sieht man, dass die hyalin grünlichen Elemente, die man bisher unter dem Namen Neuroglia als Ausscheidungsproducte der „Stützzellen“ ansah, ebenfalls lebhaft peitschende Bakterien sind, und die Neuroglia daher morphologisch dem sogenannten Detritus gleichzusetzen ist. Da diese Gra- nula schätzungsweise nur ein Drittel so gross wie die Granula aus der Froschchorioidea, nicht gefärbt und hyalin sind, so ist ihre Beobachtung nur bei sehr guter Beleuchtung und mindestens 1500facher Vergrösserung vorzunehmen. Man findet dann, dass es sich um ähnlich gekrümmte Formen wie bei der Froschchorioidea handelt, einzelne sind dicker und bilden so den Uebergang zu grösseren hyalınen, blaugrünlichen Kugeln. Man findet Doppelformen vor der Abschnürung, Hutpilzformen und kann, wenn man Geduld und Glück hat, das Losreissen einzelner und zu Packetchen verbundener von einem grösseren Gehirnfetzen beobachten. Die Ortsbewe- gung ist durchgehends eine viel ausgiebigere, wie bei den Granula der Chorioidea von Frosch und Butte. Besondere Beachtung verdient, dass diese Granula im frischen Prae- parat Formen zeigen, die anschwellen und so den Uebergang zu hyalinen zellartigen Gebilden mit wallartigem, stark lichtbrechendem Rand ver- schiedener Dicke und Gestalt bilden. Häufig scheinen diese Gebilde voll- ständig homogen zu sein, häufig sieht man auch eine sozusagen schaum- artige Differenzirung des Inneren. In den meisten Fällen ist das Innere von stark glänzenden, vielfach gestalteten Körpern erfüllt. Es bildet diese Entwickelungsreihe ein Analogon zu der in meinem ersten Beitrag zur Granulafrage geschilderten Entwickelung der Granula der Froschchorioidea zu Zellen. So lange jene hyalinen Zellen eine gewisse Grösse nicht über- schreiten, bemerkt man an ihnen noch eine geringe Eigenbewegung. ! Ich möchte hier ein- für allemal bemerken, dass alle diese Beobachtungen sich für Apochromat 2==, homogene Immersion und gute künstliche Beleuchtung verstehen. ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 275 Zerquetscht man den rein praeparirten Opticusstrang der Butte, so erhält man ganz genau dieselben Elemente. Abgerissene Fetzen des Nerven zeigen, dass er aus einer Masse von Granula und wallrandigen Zellen be- steht, was ja auch in Bezug auf Granula die bekannten histologischen Praeparate gezeigt haben. Man findet hier vielfach rostbraun gefärbte direct zum Nerven gehörige Stücke und sieht, dass hier die Granula eben rostbraun gefärbt sind und in grosse rothbraune Körner übergehen. Der dem Gehirn der Butte und des Frosches aufgelagerte Plexus chorioideus liefert dunkle gerade Stäbchen, bei der Butte mit braunem Ton, und zeigen sich die sogenannten Pigmentzellen desselben auch aus solchen zusammengesetzt. Zerquetscht man ein Stückchen der gelben sogenannten Fütterungs- leber der Butte in Wasser, so findet man in der Flüssigkeit eine sehr „grosse Anzahl stark liehtbrechender, hyaliner Körper, vom kleinsten eben bei 1500facher Vergrösserung wahrnehmbaren Punkt bis zu oft sehr grossen Scheiben mit scharfem Rand. Betrachtet man einen kleinen Leberfetzen, so sieht man, dass diese Körper die einzelnen Leberzellen derart bilden, dass die grossen Körner in den kleinen eingebettet den ziemlich grossen :Kern von allen Seiten umgeben. Der Kern selbst besteht aus kleinsten derartigen Elementen und tritt fast stets erst bei Anwendung von Essig- säure, die die Granula selbst unverändert lässt, als solcher hervor. Es drängt sich die Vermuthung auf, dass zwischen den Elementen des Kernes und „der umgebenden Masse ein genetischer Zusammenhang der Art existire, dass die Elemente des Kernes nur an der Peripherie desselben sich zu grösseren Formen entwickeln können und so dann dem Beobachter das Bild der Zelle vorführen. Man sieht in einer solchen Leberzelle nichts weiter wie Granula und erhält so vielfach Bilder, die vollkommen den bekannten ‚Altmann’schen Bildern der Leber entsprechen. Bis diese Lebergranula eine gewisse Grösse erreicht haben, bewegen sie sich, im Wasser rütielnd, in einer sehr ausgiebigen Weise. Häufig beträgt ihre sozusagen schnellende Ortsbewegung das schätzungsweise zehn- bis zwanzigfache ihrer Länge. Die Granula mittlerer Grösse bewegen sich leicht, etwa wie Chlorophylikörner; die grossen pflegen ganz still zu liegen. Selten findet man in den homogenen Scheiben ein Körnchen eingebettet oder eine sonstige Differenzirung leicht angedeutet, dagegen zeigt sich sehr häufig eine andere auffallende Erscheinung. Sehr viele Granula weisen einen oder viele rothe Pünktchen auf, welche an grossen Exemplaren eine derartige Grösse annehmen, dass ich mit aller Sicherheit constatiren konnte, dass es sich hier um das Auftreten rosa scheinender Vacuolen mit deutlich wulstigen Rändern handelt. In einem Falle zeigte sich in der Vacuole ein bläulicher 18* DO Max MünDen: Körper. In zwei Fällen, in welchen gleichzeitig die Form der Lebergranula, die auch sonst nicht stets rund ist, abgeändert war, konnte ich sicher das Vorhandensein unzweifelhafter Geisseln feststellen. In einem Falle — Fig. 24 — handelte es sich um einen eiförmigen Körper mit sechs kleinen seitlichen rosa und einer centralen, schmal und langgestreckten Vacuole. In der Verlängerung dieser Vacuole sass am Rande des Körpers die reichlich gedrungene Geissel mit breiter Basis, deren Länge etwa die Hälfte der Länge des Körpers betrug. Im andern Fall — Fig. 22 — trug ein halbkreisförmiges, mit einer rosa Vacuole versehenes Lebergranulum an seiner einen Kante zwei lange starre Geisseln, die leicht zitterten. Im angefertigten Dauerpraeparat konnte ich diese beiden Formen leider nicht wiederfinden. Es gab viele Granulaformen, die derartig von Vacuolen durch- setzt waren, dass sie, wenn man von dem specifischen Glanz des Leber- granulum absieht, das Bild eines Malariaplasmodium darboten. Es besitzt also auch das Lebergranulum die Fähigkeit, sich zu verschiedenartigen Formen zu gestalten. Die Lebergranula zeigen sowohl im Wasser suspendirt, wie in der Zelle selbst, dass sie vielfach aneinander haften. Wenn es nicht eine optische Täuschung ist, die durch das Uebergreifen zweier Kugelflächen übereinander hervorgerufen wird, so befindet sich an der Berührungsstelle eine breite hyaline Zwischensubstanz. Es entstehen so häufig Bilder, welche beim Aneinanderlagern von grossen und kleinen Granula nicht erkennen lassen ob es sich nur um ein einfaches Aneinander- legen oder um Abschnürungen vom Muttergranulum handelt. Im letzteren Falle hätten wir also auch hier ‘ Fortpflanzungsformen. Spärlich zwischen den Lebergranula und in vielen Leberzellen garnicht finden sich gelbe Körper, die nie die mittlere Grösse der Lebergranula über- schreiten und stets bewegungslos sind. Das den Werth eines homogenen Granulums habende Innere zeigt vielfach ausgeprägte Zwei- und Dreitheilung sowie eine deutliche Membran, so dass es keinem Zweifel unterliegt, dass es sich hier um ähnliche Symbiose sogenannter einzelliger gelber Algen wie bei den Radiolarien handelt. Die bindegewebige Zwischensubstanz der Leber ist aus allerkleinsten, ungemein glänzenden Granula zusammengesetzt und gewährt bei heller künstlicher Beleuchtung das prachtvolle Bild eines nur aus Brillanten zusammengesetzten duftigen Schleiers. Ein braunrothes Gallensteinchen bestand aus einer Anzahl grosser braunrother Granula. Die Granula aus der Chorioidea des Schellfisches ähneln der des Frosches. Die Fische, die ich hier bekommen konnte, waren leider schon einige Tage todt, so dass die Chorioidea in Auflösung begriffen war und sich im Inneren des Auges nur eine schmierige schwarze Masse vorfand. ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. DAL Bemerkenswerth ist aber, dass die in dieser Masse suspendirten Pigment- granula noch durchwegs ihre bekannte Bewegung zeigten. Der Tod des Organismus und die dadurch bedingte Auflösung der Zellen lässt also auch hier die vitale Fähigkeit der die Zelle constituirenden Granula vorerst noch intact. ! Die Zellen der Chorioidea der Plötze, Leuciscus rutilus L., waren in den von mir untersuchten Fischen rund, grosse und kleine, von brauner Farbe und wiesen eine auffallend grosse Anzahl mit beweglichem Inhalt auf. Ich hatte die Chorioidea in diesem Falle kaum eine Minute nach dem Tode zur Besichtigung unter dem Mikroskop. Die im Wasser suspendirten, sich lebhaft bewegenden Granula sind grösstentheils plumpe Kurzstäbchen, zwischen welchen man hier und da lange Stäbchen sowie ovale und runde Kokken findet. Die Fortpflanzungsformen sind hier äusserst charakte- ristische und zeigt Fig. 3 wie jedes Stäbchen in entweder höchstens vier „Sporen“ oder zwei „Sporen“ und spindelförmige Anschwellungen des Mutter- körpers zerfällt. In einem grösseren Stäbchen konnte ich mit jeder wün- schenswerthen Sicherheit feststellen, dass dasselbe ganz wie Spaltpilze bei erhaltener Membran und äusserer Form von „Sporen“ erfüllt war. Offenbar sind die freien kleinen Kokken derartigen Ursprungs. Einzelne Granula waren zu grösseren „Zellen“ im früher dargelegten Sinne herangewachsen und zwei der letzteren wiederum zeigten ihrerseits eine Körnelung. Die Pigmentzellen der Schuppe der Plötze sind Granulahaufen, wie solche auf’s Schönste Taf. I der Altmann’schen „Elementarorganismen“: darstellt. Der Kern besteht aus einer Anhäufung nicht gefärbter und wenig gefärbter Granula. Die Kernkörperchen zeigen sich als ein aus Granula gebildeter Ring, dessen heller Inhalt der durch die unterliegende Schuppe ungünstigen Beleuchtung wegen mit meinem Instrument nicht auflösbar ist. Unter der Schuppe be- findet sich auf der Haut des Fisches eine Schicht von Zellen mit stark licehtbrechenden hellen Granula, die sich, im Wasser suspendirt, lebhaft bewegen und Spaltungsformen zeigen. In diesen Zellen eingebettet liegen „Pigmentzellen, welche aus grösseren blauschwarzen Granula zusammen- gesetzt sind, und einen derartig wirren Wald von Fortsätzen zeigen, dass man unwillkürlich an irgend eine Bacilleneultur auf Nährboden denken muss. Diese Aehnlichkeit wird noch dadurch gesteigert, dass man an geeigneten Stellen, besonders den Fortsätzen, die bekannten Fortpflanzungs- formen innerhalb der intacten Zelle feststellen kann. Sieht man sich dann Bacilleneulturen, wie etwa im Fränkel und Pfeiffer’schen „Atlas der Bakterienkunde“ in Figg. 55 und 57 (Tetanusbacillus), Fig. 64 (Tuberkel- bacillus) und Figg. 149 und 150 (Actinomyces) an, so muss man zugeben, dass morphologisch gar kein prineipieller Unterschied zwischen derartigen FigS — 0 278 Max MüÜnDen: Culturen und einer solchen Pigmentzelle ist. Bei beiden entstehen auf be- stimmtem Nährboden durch Vermehrung von Spaltpilzen-Granula charakte- ristische Figuren, die man bisher bei den Einen „Cultur“ und bei den Anderen „Zelle“ benannte. Und ob biologisch die Zelltheilung einen prinei- piellen Unterschied begründet, möchte ich doch noch sehr in Frage stellen. Denn wer solches behaupten würde, wäre sich meiner Meinung nach nicht genügend darüber klar, wie wenig, wir auf beiden Gebieten über das Wesent- liche der Vorgänge orientirt sind und würde so seine eigene Unkenntniss zum Dogma vorgeblichen Wissens erheben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch noch darauf hinweisen, dass der- jenige, welcher sich im beregten Atlas die Fig. 83 (Diphtheriebacillus), Figg. 83—92 (Choleravibrio), Fig. 101 (Finkler-Prior’sche Vibrio), Fig. 111 (Typhusbacillus) ansieht, zugestehen muss, dass hier Bilder vorliegen, die morphologisch der „Zelle mit Kern“ entsprechen. Und dass diese „Culturen“ ebenso wie die „Zellen“ durch Wachsthum und Spaltung ihres Inhaltes — Bacillen und Granula — wachsen, brauche ich wohl kaum hinzuzufügen. Einen gleichen Eindruck machen übrigens auch in Gustav Hauser’s „Ueber Fäulnissbakterien u. s. w.“ die Figg. 7, 8, 9 und 10. TAHRL Einer ganz besonderen Beachtung werth erscheint vorstehende Be-- trachtung, wenn man sich die die Bauchhöhle der Plötze auskleidende, dünne, silberweiss glänzende Haut ansieht. Man wird erstaunt sein, hier nichts weiter wie einen dichten Filz wirr durcheinandersteckender, ziemlich langer Stäbchen hyalingrünen Aussehens anzutreffen. Viele dieser Stäbchen tragen Sporen, welche letztere auch sonst neben ihren Uebergangsförmen zu grossen Stäbchen im Filzlager zerstreut sind und sich im Wasser suspendirt leicht zitternd bewegen, während Sporen und kleine junge Stäb- . chen heftig peitschende Bewegungen ausführen. Hin und wieder sah ich in einem solchen Stäbchen rosa scheinende Vacuolen (?) und dass ein aus- gewachsenes Stäbchen aus zwei deutlich geschiedenen Kammern bestand (Fig. 3ae). Wir haben hier also eine Haut, welche als Peritoneum dem Zoologen und Anatomen die Erwartung nahe lest, eine aus Zellen gebildete Anordnung zu finden, und welche doch nichts weiter wie ein wirrer Filz von Schizomyceten ist, die, wie es scheint, noch nicht einmal die Form der Zoogloea angenommen haben, da ich nichts von einer Zwischensubstanz’ finden konnte. Letztere wäre auch überflüssig, da die Consistenz des Ganzen ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 279 eben durch das dichte Geflechte der Stäbchen erlangt wird. In Krasser Deutlichkeit zeigt aber dieses im Fischreich unzweifelhaft häufig vor- kommende Gewebe das, worauf auch die übrigen hier mitzutheilenden Thatsachen hinauslaufen, dass nämlich die Zelle als kleine und die Gewebe bezw. das Metazoon als sehr grosse Schizomycetenrasen aufzufassen sind. Mitten in diesem Filz findet man sehr viele abgeänderte Formen von Stäbchen, welche die Bakteriologen bisher unter dem Namen Involutions- formen nur als Curiosa und aus wer weiss welchen Gründen als „degene- rirte“ Stäbchen ansehen. Fig. 3a« zeigt, dass diese Formen derart ent- stehen, dass seitlich an irgend einer Stelle des Stäbchens eine Wucherung eintritt, die immer grösser wird und manchmal schon im Anfang kleine rosa Vaeuolen (?) aufweist. Diese Wucherung wird immer grösser und ergiebt so eine Reihe auffallender Formen, wie Fig. 3a sie des Weiteren vorführt. Schliesslich wird das Ding immer runder, bis wir endlich jenen bekannten hyalinen, mattglänzenden, bläulichen, kreisrunden oder ovalen oder sonstwie bizarr geformten Körper vor uns sehen, wie wir ihn schon als grosses Granulum der Leber und des Gehirnes kennen gelernt haben. Es zeigt vielfach zahlreiche rosa Vacuolen, eine schaumartige Differenzirung und einzelne solide, scharf roth glänzende Körner, die im Wasser suspen- dirt eine lebhafte Bewegung- aufweisen. Diese grossen Körper sind ebenso wie die ersten Stadien ihres Wachsthums zahlreich im Filze zerstreut und würden in der landläufigen Bezeichnung- der Mikroskopiker einfach als Fett- oder Oeltropfen abgethan werden. Dass sie solches nicht einfach, sondern organisirte Gebilde sind, glaube ich hinlänglich in diesen Darlegungen und in Anlehnung an die Resultate Altmann’s klargelegt zu haben. Bemerken will ich noch, dass nach den Angaben Hauser’s auch die so- genannten Involutionsformen des Proteus vulgaris, mirabilis und Zenkeri zu solchen: Tropfen auswachsen,! also auch hierin das Gewebe des Metazoon dem in künstlicher Cultur erzeugten Schizomycetenrasen gleich steht. Aber nicht nur dieses Fischperitoneum, sondern auch beide dünnen Häute des Hühnereies sind ein Schizomycetenfilz und es ist ganz auffallend, dass dieses noch Niemandem bei letzteren, die doch häufig genug mikro- skopirt wurden, aufgefallen ist. Hier handelt es sich aber nicht um Stäbchen, sondern um sehr lange Fäden, Leptöthrixformen, welche in mächtigen Verzweigungen wirr durcheinander wuchernd, jene Häute erzeugen. In den Fäden sieht man Sporen in allen Grössen, dieselben liegen auch sonst im Filzwerk frei zerstreut und zeigen im Wasser suspendirt die be- kannte Bewegung. Die der Kalkschale unmittelbar und fest anliegende 1 Gustav Hauser, Ueber Fäulnissbakterien u. s. w. 1885. 250 MAx MÜNDEN: Haut zeigt aber noch eine sehr interessante und wichtige Beziehung. Löst man sie vorsichtig ab und legt sie so auf den Öbjectträger, dass die der Schale zugewandte Fläche oben liegt, so sieht man im Filz sehr viele so- genannte Involutionsformen der Fäden. Diese Anschwellungen werden grösser, lösen sich ab und lagern sich mit ihresgleichen zusammen, wobei sie bald ein weissliches Aussehen ergeben, welches zeigt, dass wir es hier schon mit einer Schicht der Kalkschale zu thun haben. Die Kalkschale ist also ein Product lebendiger Umwandlung der Leptothrix- formen in die lebendigen Involutionsformen und aus letzteren zusammengesetzt. Das Hühnerei zeigt uns sehr deutlich den thatsäch- lichen Vorgang. des mystischen „Ausscheidens“ der Schalensubstanzen. Auch die den Dottersack des Hühnereies umkleidende sehr feine Haut besteht aus einem Geflecht einer hier aber viel schmäleren Leptothrixform, welche Sporen und Involutionsformen aufweist. Diese Letzteren wachsen auch hier zu den bekannten blaugrünlichen Scheiben heran und diese bieten in diesem Object ein classisches Beispiel der thatsächlichen inneren Diffe- renzirung dieser scheinbar so homogenen Körper. Hier sieht man an einem Exemplar auch bei gespanntester Aufmerksamkeit und unter gün- stigsten Bedingungen nichts wie eine glatte Scheibe, dort meint man an einem anderen in der Mitte kleinste trübe Punkte zu bemerken. Am Nachbar sieht man dann, dass man sich nicht geirrt hat und bei diesem; stets in. der Mitte zuerst, feine Körnchen auftreten, die bei anderen immer grösser und grösser werden, bis wir das Bild einer mit Körnern voll- gepfropften und häufig einen besonderen kernartigen Ballen besitzenden „Zelle“ erhalten. Diese blaugrünen körnerhaltigen Körper erscheinen, wo sie dicht beinander liegen, im durchscheinenden Licht gelb und machen in der Hauptsache das aus, was wir den gelben Dotter nennen. Im Dotter befinden sich ausserdem noch ‚viele kleinste, sich lebhaft bewegende Gra- nula, die alle möglichen Uebergangsformen sowohl zu den grossen Scheiben wie zu den Leptothrixfäden darbieten, und Körper, die auf ein Haar rothen Blutkörperchen gleichen. Es ist keine Frage, dass diese wichtigen und bis jetzt übersehenen Verhältnisse eine Anzahl Streitfragen der Entwickelungsgeschichte lösen und letztere selbst stark beeinflussen werden. Aehnliche Körper, wie die vorstehend geschilderten Granula, findet man überall im Süss- und Meerwasser. Sie sind entweder hyalin und blaugrünlich wie Stäbchenbakterien oder dunkel und zeigen dann, wo sie in Haufen liegen, bei Lichtüberschwemmung durch vollständiges Oeffnen der Blendung einen rotn-violetten oder braun-gelblichen Ton. Theils be- wegen sie sich activ, theils lagern sie ruhig. Man kann in fast jedem ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 281 Tropfen einer frischen Oultur alle Uebergänge von den kleinsten bei 1500facher Vergrösserung eben sichtbaren Pünktchen bis zu der Grösse von Chlorophylikörnern beobachten. Theils besitzen sie eine Membran, theils eine Gallertkapsel, theils scheinen sie membranlos zu sein. Von einer gewissen Grösse an pflegen die Autoren sie zu den Protophyten zu zählen, trotzdem hier nicht die Spur einer „Zelle“, sondern nichts weiter wie oft nur ein einziges, solides Granulum vorliegt. Diese frei umherschwimmenden Granula, welche nach Häckel mächtige Massen des Plankton bilden sollen, könnte man vielleicht für irgend welche Sporen halten, wenngleich der Beweis hierfür in jedem einzelnen Fall durch den Nachweis der Abkunft von Zellen zu erbringen wäre. Denn dass alle Granula sich zu Zellen und zellenähnlichen Gebilden entwickeln können, habe ich schon früher dargelegt. Es wäre auch nicht ausgeschlossen, dass es sich hier um eine Art von Generationswechsel zwischen Algen und Granula handelte. Etwas anders liest die Sache, wenn man sieht, wie sie in mässigen Mengen symbiontisch in Radiolarien auftreten. „Die verschieden geformten Pigmentzellen in der Kapsel vieler Radiolarien sind übrigens durch so zahlreiche Zwischenformen mit gleichartig gefärbten Pigmenttheilchen, die bloss den Werth von Körnern oder Bläschen haben, verbunden, dass es in vielen Fällen sehr schwer hält, die Grenze zu bestimmen und von conereten Elementen zu sagen, ob man eine Zelle, ein Körnchen, oder ein Bläschen vor sich hat.“! Also auch hier entwickeln sich Pigmentgranula zu Zellen und die Sache bleibt ganz dieselbe, ob man diese Dinge Granula oder Sporen nennt und dem einen oder dem anderen unbekannte metaphysische Qualitäten der Entwickelung u. s. w. zuschreibt. Neben frei lebenden Granula findet man bekanntlich auch überall ausgesprochene Stäbchenbakterien, die, wie ich schon früher ausführte, den Ersteren morphologisch und in gewissen Beziehungen auch biologisch gleich- werthig sind. Die nachfolgenden Beobachtungen, welche im Laufe von zwei Jahren ungemein oft gemacht wurden, werden zeigen, dass auch von ihnen aus eine Genese der Zelle stattfindet. Lässt man irgend eine Cultur in einem Glas längere Zeit hindurch ruhig stehen, so zeigt sich ein Allen bekanntes Bild. Die Oberfläche des Wassers ist von einem Häutchen bedeckt, die Wand des Glases zeigt einen grünlichen Belag. Unter dem Mikroskop entpuppen sie sich als Stäbchen- lager in der bekannten Anordnung oder als. dichte Haufen einzelliger oder mehrzelliger Algen, die in eine Masse von Körnchen und Stäbchen ein- gebettet sind, welche durch eine Zwischensubstanz mehr oder weniger fest 1! Ernst Häckel, Radiolarien. 1862. 8. 77. 282 MAx MÜNDEN: miteinander verbunden sind. Die massenhaft auftretenden Körnchen zeigen vom kleinsten eben bei stärkster Vergrösserung wahrnehmbaren Pünktchen an bis zu den grössten, welche die Grösse eines Chlorophylikornes der da- neben liegenden Algen erreichen und übertreffen, jene auch den ) f [ Stäbchenbakterien eigene matt | | j 2 - blaugrünliche Färbung, welche je mehr in den ausgesprochen grünen Ton übergeht, je grösser G 603 das Ding ist. Von einer ge- wissen Grösse an, kann man U:,@le vielfach deutlich eine Sonderung I in zwei oder mehrere verschieden = 2 stark brechbare Theile unter- f) scheiden. Man findet aber auch vielfach runde oder ovale Exem- plare, welche vollkommen homo- ee 9 gen erscheinen und den Anblick / einer mattglänzend, geschliffenen « ß F Scheibe darbieten. Mustert man nun die Stäb-- chenbakterienaufmerksamdurch, so findet man schon in frischen ds Lagern, dass bald hier, bald dort, allein oder zu mehreren, Stäbchen eine markante Ab- @) © ®) ©. wejchung sowohl in Grösse wie in Form von ihren im gleichen AR) Lager befindlichen Genossen Oo 9 Ri h zeigen, wie Fig. 4a aufweist. Man kennt derartige Erschei- nungen schon lange an älteren Culturen pathogener Bakterien, ohne diese dem Dogma vonder Constanz auch der Bakterien widersprechenden sogenannten Involutionsformen anders als Curiosa zu betrachten. Hier in frischen Culturen und unter auch sonstwie normalen Bedingungen gewinnt diese Erscheinung ein ganz anderes Gewicht. Verfolgt man die rundlich gekrümmten Formen: weiter, ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 283 so sieht man, dass sie sich, wie Fig. 45 und c darstellt, durch alle Zwischen- stufen hindurch zu einem Kreis (Fig. 4d) auswachsen, wobei die Enden grösstentheils eine kolbige Anschwellung zeigen. Von derartigen, genau wie Stäbchen matt blaugrünen und nicht breiteren Ringen, die vollkommen leer sind, pflegt ein derartiges Praeparat zahlreiche Exemplare aufzuweisen. Es liegt am nächsten, derartige leere Gebilde als die Hüllen leerer grüner einzelliger Algen, deren Inhalt ausgeschlüpft ist, aufzufassen, trotzdem keine Oeffnung sichtbar ist, welche dem Inhalt einen Weg geboten hätte, wenn nicht die weitere Beobachtung zeigte, dass diese „todten“ vermuthlichen Membranen sich sehr lebendig benehmen. Aus diesem Ring brechen Sprossen hervor, welche weiter wachsen, verschieden gestaltete „Zellen‘“ er- geben und so, wie Fig. 4d«, P, y, d, zeigen, einen regelrechten „Zellen- complex“ bilden. Diese „Zellen“ sind aber vollständig leer; sie bestehen nur aus ihrer Wand, die im Aussehen genau den dabei liegenden Stäbchen- bakterien gleicht. Aber auch die Wand einer schon mit Chlorophylikörnern gefüllten einzelligen Alge kann, wie Fig. 4d, und f zeigen, der Ausgangs- punkt für eine derartige Bildung werden, so dass ein Complex wie Fig. 4d 0 häufig in der Mitte eine einzige grüne Alge enthält. Die Bedeutung dieser Thatsachen rückt erst dann in’s volle Licht, wenn wir die Schicksale eines leeren Ringes, der keine Sprossen treibt, verfolgen. Hier finden wir in ihm ein einziges bei 1500facher Ver- grösserung eben sichtbares hyalin-grünliches Körnchen eingebettet, hier zwei, drei u. s. w. Dort werden die Körnchen grösser, immer zahlreicher, bis wir schliesslich das Bild einer mit Chlorophylikörnern vollgepfropften einzelligen runden oder länglichen Alge vor uns haben (Fig. 4e). Die Zellwand dieser Alge besitzt aber noch, wie Fig. 4d, und f zeigen, die ursprüngliche Eigenschaft der Stäbchenbakterien, aus denen sie hervorging, selbständig zu wachsen. Die Körner erscheinen als Einwanderer, welche durch eine von ihnen ganz wie im freien Haufen ausgeschiedene Zwischen- substanz unter sich und mit der Wand zusammenhängen. Die Zellwand äussert die ihr eigene Fähigkeit des Wachsthums aber noch in einer anderen und viel wichtigeren Weise wie in Fig. 4 fundd,. Sie wächst nicht nach aussen, sondern nach innen hin (Fig. 4g), und so entsteht das Vorbild der einfachen Zelltheilung, die allemal da, wo sie auf- tritt, wie alle Autoren angeben, durch das Einwachsen der Zellhaut eim- geleitet wird. Das Schicksal einer so getheilten Alge kann ein verschie- denes sein. Entweder trennen sich die Algen vollkommen und bilden einzelne Individuen ohne: jede Verbindung, oder sie bleiben mehr oder minder verbunden. Im letzteren Falle bilden sie einmal ohne Ausscheidung beträchtlicher Kittsubstanz epithelartige Anlagen oder Fäden (Fig. +7), oder sie vereinigen sich in der Form der Zoogloea (Fig. 4). Die Bedingungen 284 - Max MÜnDEn: unter welchen offenbar gleiche Anlagen sich verschieden entwickeln, sind ohne Zweifel zufällige des Druckes, der Ernährung u. s. w., wie sie ein so wirrer Haufen, wie ihn die Culturen darbieten, ja auf’s Schönste in der allerverschiedensten Weise darbieten muss. Ein so kleiner Raum, wie das Gesichtsfeld einer tausendfachen Vergrösserung ihn darbietet, zeigt oft sämmtliche Stadien bei einander. Bei diesen einfachen Wesen müssen wir unsere dogmatischen Glaubensansichten von der relativen Constanz der Art in der Jetztzeit hübsch beiseite lassen, wenn wir vorurtheilslos erkennen wollen. Es wäre im Gegentheil ein vollendetes Wunder, wenn hier Gleiches unter verschiedenen Bedingungen dennoch Gleiches ergeben sollte. Schon seit langem haben bedeutende Botaniker die Ansicht ausge- sprochen, dass die bisher als todtes Product betrachtete Zellhaut lebendiges FigS. „Protoplasma“ sei und Wiesner hat diesen Standpunkt auf’s Schärfste in seiner „Ele- / J AN | U D $ ei mentarstructur und Wachsthum der lebenden % Substanz‘ betont. Wir sehen jetzt, dass die Zellhaut der Pflanzenzelle genetisch aus le- bendigem Eiweiss, den Stäbchenbakterien, entsteht und die wichtigste Eigenschaft le- bendiger Substanz, zu wachsen, dauernd be- hält. Bei den höheren Formen verdecken die massenhaft angehäuften „todten“ Sub- stanzen das lebendige Eiweiss nur, wie Wiesner treffend ausführt. Die Zellwand zeigt ihre Abstammung von Stäbchenbakterien aber. nicht nur durch ihr selbständiges Wachsthum, sondern auch dadurch, dass in der Zellwand selbst Sporen auftreten, ganz in der Art und Weise wie bei Stäbchen. Ich besitze sowohl Dauerpraeparate wie zur Zeit der Niederschrift auch noch eine. grössere frische Cultur soge- nannter einzelliger Algen, worin sich zahlreiche Exemplare befinden, die mit aller wünschenswerthen Sicherheit zeigen, . dass es sich, wie Fig. 4k« darstellt, thatsächlich um in der Zellwandung selbst gelegene Sporen han- delt. Ich werde von ähnlichen Erscheinungen weiter unten bei der Genese der .Diatomeen zu berichten haben, die dadurch ausgezeichnet sind, dass die beobachteten Thatsachen in einzelnen Fällen (Fig. 5d) den Schluss unabweisbar machen, dass die Sporen aus der Zellwand in das Innere treten und hier als Granula weiter heranwachsen, um schliesslich das bekannte Bild der fertigen Diatomee zu ergeben. Auch hier kann ich berichten, dass ich wiederholt Exemplare wie Fig. 4%, fand, wo nur in einem Theil der ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 285 Zellwand Sporen lagen, während sich im Inneren des Ringes grössere und kleinere Granula zeigten, so dass auch hier die Vermuthung unabweisbar ist, dass diese Granula eben die schon ausgetretenen und herangewachsenen Sporen der Zellwand sind. Andererseits traf ich Formen wie Fig. 4ky, welche mit Granula angefüllt waren und deren Zellwand total in grosse Sporen sozusagen zerfallen war, welche aber noch durch eine Zwischen- substanz, wohl die ursprüngliche Membran, zusammenhingen. Auch hiervon besitze ich Dauerpraeparate und zur Zeit noch eine grössere frische Cultur. Wir haben bisher das Werden der Zelle aus Bakterienstäbchen ver- folgt, insofern dieselben zur grünen Alge wurden. Unsere Cultur zeigt uns aber auch den Uebergang zu den verschiedensten Formen der Diatomeen. Fig. 5 ist nach dem Voranstehenden wohl ohne Weiteres verständlich. Auch hier liegt die Frage nahe, ob wir es nicht mit Hüllen abgestorbener Zellen zu thun haben. Aber auch hier sehen wir dann und wann die leeren Zellen in ausgesprochenen Zelltheilungsstadien, wir bemerken die knötchenartigen Verdickungen der wachsenden Enden und wir verfolgen das Auftreten des farbigen Inhaltes vom kleinsten einzelnen Körnchen an bis zur ausgebildeten Zelle. Und da wir die Gestaltungsfähigkeit des Stäbchens schon im Vorhergehenden in ausgesprochenster Weise kennen gelernt haben, können wir nicht umhin, die in Fig. 5 dargestellten Phasen, die nicht nur zu Diatomeen, sondern bei Fig. 5c auch zu anderen Ge- stalten führen, in demselben Sinne aufzufassen. Wir können es umsomehr, als hier ein Umstand in die Augen springt, den ich vordem vernachlässigt habe. Die frei im Wasser lebenden Körnchen sind nämlich nicht nur grünlich, sondern auch braun-schwärzlich, roth-violett. Bei Algen und Diatomeen tritt nun neben grünem, auch braungelber und roth-violetter Inhalt auf. Formen wie Fig. 5a + dba legen dem Skeptiker die Anschauung sehr nahe, als ob es sich bei ihnen um abgestorbene und zerfallende Dia- tomeenschalen handelt. Dagegen sprechen aber die Knötchen an den wachsenden Enden, für welche an der lebenden Diatomee bei 1500facher Vergrösserung und Anwendung eines „Apochromaten 2 wn homogene Immer- sion“ nichts Entsprechendes zu sehen ist und die sonst überall da auftreten, wo Zellwände einander bei der Zelltheilung entgegenwachsen. Dass sich derartige Gebilde auf einander zu richten, um schliesslich zu verschmelzen, darf uns auch nicht als wunderbar vorkommen, denn genau dasselbe nehmen wir bei der einfachen Zelltheilung als selbstverständlich hin. Die von zwei verschiedenen Punkten der Zellhaut aus einwachsenden Theilungshäute richten sich so aufeinander, dass sie sich in geradester Linie treffen, ver- schmelzen und so die Zelltheilung herbeiführen. Die Kräfte, die hier wirk- 286 Max Münden: sam sind, kennen wir nicht, die Thatsache selbst steht aber schon seit Langem fest. Besonders instructiv sind Fälle, wie sie Fig. 5d darstellt. Man findet nämlich ebenso oft Diatomeenhüllen, welche ein ganz glattes hyalines Aus- sehen zeigen, wie solche, welche genau den mit sogenannten Sporen er- füllten Stäbeben gleichen. Man sıeht besonders an grossen Exemplaren deutlich die in regelmässigen Abständen von einander angeordneten Körn- chen in der Wand (Fig. 5d«). Hat man nun auch Exemplare, welche schon die streifige Structur der oberen Schale zeigen, so sieht man deutlich, dass bei ihnen die Einsatzstellen der einzelnen Streifen am Rande jenen Körnchen entsprechen. Auch hier sind offenbar die Streifen, welche die obere Schale bilden, aus einem Entgegenwachsen der in den Körnchen ge- gebenen Sprossen entstanden. Und nun ist es sehr bemerkenswerth, das gute optische Hülfsmittel und die Anwendung der Mikrophotographie! ge- zeigt haben, dass diese Streifen selbst aus einzelnen kokken- oder kurz- stäbchenartigen Elementen zusammengesetzt sind. Eine leere Diatomeen- schale ist also morphologisch und biologisch einem Baeillenlager gleich- werthig, dessen einzelne Stäbchen, in häufig sehr charakteristischer Weise angeordnet, vermittelst einer Zwischensubstanz verbunden sind und ohne active Bewegung zu zeigen, als Häutchen die Oberfläche stehenden Wassers bedecken. Wenn nun unter gegebenen Druckverhältnissen, die hier bei Annahme gleichzeitiger Spaltung der in der Wandung liegenden Sporen und dann stets wiederum gleichzeitiger Spaltung ihrer Abkömmlinge sehr ein- fach liegen, eine im Grossen und Ganzen bestimmte Schale entsteht, so liegt biologisch genau dasselbe wie beim Wachsthum pathogener Bacillen- culturen zu charakteristischen Figuren vor, wie ich schon 8. 277 ausführte, Da an den doch verhältnissmässig grossen Diatomeen auch die sorgsamsten Beobachtungen hinsichtlich der Motoren bisher keinerlei Resultat geliefert haben, so liegt jetzt die Vermuthung nahe, dass die bewegende Kraft von den einzelnen Elementen der Schale, als sehr feinen Geisseln der Granula oder sonstwie, ausgehe, oder gar Eigenbewegung der vom Stäbchen ab- stammenden Membran sei. Auch die Cystenhüllen vieler Protozoen, wie auch die 8. 271 er- wähnte, zeigen sich morphologisch und vielfach biologisch einem Bakterienhäutchen gleichwerthig, da sie aus regelmässig angeord- neten Granula mit Zwischensustanz bestehen. Für die äussere Schicht vieler Protozoen ist eine derartige Zusammensetzung schon seit Langem bekannt, wie z. B. für Bursaria, Condylostoma, Stentor coeruleus, Lagynus ' Siebe das Titelbild im Mikrophotogr. Atlas von Fränkel und Pfeiffer, Amphipleura pellueida. ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 287 crassicollis, Vorticellinen, Euplotes Charon, und für die Cuticula der Eugle- niden.! Aeusserst wahrscheinlich ist sie mir nach den allerdings unbe- stimmten Angaben der Autoren für die Schale der Radiolarien, für deren gesetzmässiges Wachsthum dann hiermit fester lebendiger Grund gewonnen wäre. Die Cystenmembran wird als gekörnt oder gestrichelt bei Nassula ambigua, Epistylis umbilicata und branchiophila, Prorodon niveus, Tricho- rhynchus, Euplos Charon und Nassula ornata angegeben." Bemerkenswerth ist die Beobachtung, dass bei Stylonichia pustulata die Oystenbildung mit der Abscheidung gallertartiger Tropfen (!also wohl hyaliner Granula) auf der Oberfläche des encystirten Körpers beginnt, die dann allmählich zu einer continuirlichen Schicht zusammenfliessen sollen, welehe von Anfang an eine höckerige (!also wohl granulirte) Oberfläche besitzt.! Gekörnte Pigmente verschiedener Farbe! werden bei einer sehr grossen Anzahl von Protozoen angegeben. Ich bin der Meinung, dass wir unter: Beachtung dieser hier dargelegten Verhältnisse ein wirkliches Verständniss für die Art und Weise des Wachsthums von Schalen und Membranen gewinnen können, während wir bisher doch eigentlich nur auf Speculation angewiesen waren. Für Denjenigen nun, der trotz aller vorstehend angeführten Thatsachen doch noch meinen sollte, dass in Fig. 5d« eine abgestorbene Diatomee vorliegt, der eben unterer und oberer Deckel herausgebrochen sei, ınüsste es. doch sehr auffallend sein, dass dieses Herausbrechen so vollständig regel- mässig angeordnete Gebilde hinterlässt. Nun findet man aber auch viel- fach Formen wie Fig. 5df. Hier zeigt die Zellwand nur.noch theilweise Körnung. Wo sie glatt.ist, liegen in oft ganz charakteristischer Weise, junge, grüne Elemente. von verschiedener Gestalt im Lumen der Zelle. Die Annahme, dass es sich hier um einen Austritt der Körnchen in das Lumen und um die erste Anlage des Zellinhaltes handelt, drängt sich förmlich auf, wenn man dieses immer stärkere Zunehmen des Inhaltes bis zur ausgebil- deten Diatomee hin an den Bildern der verschiedenen Exemplare verfolst und sich an die gleichen Erscheinungen bei der Genese der Algen erinnert. Allen denjenigen aber, welche etwa einwenden, dass diese verschiedenen Bilder des Zellinhaltes eben verschiedene Phasen einer immer ‚mehr ab- sterbenden Diatomee vorstellen, ist ausdrücklich entgegenzuhalten, dass die einzelnen Theile des Zellinhaltes durchaus frische scharfe Contouren besitzen und durchaus nicht das dem geübten Mikroskopiker sofort erkennbare Bild einer absterbenden Zelle darbieten. Gestützt wird diese Annahme durch folgende beachtenswerthe Beob- achtung. In einem Vaselinepraeparat befanden sich Granula aus der Cho- rioidea der Kröte, Algen und Diatomeen. Nach 14tägiger Cultur zeigten ! Bronn’s Tierreich. Protozoa I. Ciliata und Flagellata. 285 Mıx MÜnDeEn: sich zahlreiche Diatomeen mit grossen Chromatophorenplatten, deren tief gesättigte Farbe vollständig der der Granula glich, während die der sonstigen Diatomeen das gewöhnliche Gelbbraun aufwies. Es gab Platten, welche auch jenen helleren, grüulichen Randstreifen zeigten, wie er für sehr gross gewordene runde dunkle Granula der Chorioidea charakteristisch ist. Es zeigte sich diese Erscheinung sowohl an einzelnen, wie an in Theilung be- griffenen Exemplaren. Eine Diatomee wies vier granulafarbene Platten auf, von welchen zwei im Inneren eine Art von Kern zeigten. Was aber be- sonders beachtenswerth ist, ist der Umstand, dass die eine Platte einer einzelnen Diatomee granulafarben, die andere dagegen, wie gewöhnlich, gelbbraun war. Es handelt sich hier offenbar um die Einwanderung zweier verschiedener Granula in eine leere Hülle, da von einer irgend wie gearteten verschiedenen „Färbung“ vorhandener gleicher Platten hier gar nicht die Rede sein kann. Hervorheben muss ich auch noch, dass der mittlere ring- förmige Körper der Diatomeen, den man vielfach als Vacuole aufzufassen geneigt ist, in sehr vielen Fällen mit grösster Bestimmtheit als ein solider, mattglänzend, perlmutterartig schillernder Körper zu erkennen ist, wie sich solche in allen Grössen und Formen, einzeln und in Nestern, vielfach frei im Wasser vorfinden, so dass auch hier an eine Einwanderung gedacht werden muss. Ausser diesem Körper und den ÜChromatophorenplatten finden sich auch häufig ın kleineren Diatomeen grünliche und bläuliche Körper, die offenbar ganz anderen Ursprungs wie erstere sind und ihre Analoga in den betreffenden freien Granula im Wasser haben. Wenn mich meine Beobachtungen nicht täuschten, so habe ich sehr oft in der Wand der weissen Blutkörperchen der von mir untersuchten Fische sowie in der Kernwand derselben und der rothen Blutkörper Sporen gesehen. Ich muss überhaupt darauf hinweisen, wie ungemein diese zarten Leukocyten jenen blassen Gebilden in den Culturen gleichen, welche etwa Fig. 4% zeigt, wofern man sich die Granula dieser Figuren als blasse, hyaline Körper vorstellt. Aber nicht nur bei der werdenden, sondern auch bei der schon völlig ausgebildeten und beweglichen Diatomee kann ich zeigen, dass in der Zell- wand Sporen entstehen und sogar auswachsen. Ich hatte nämlich zu anderen Zwecken eine Cultur, in welcher sich auch Diatomeen befanden, viele Wochen lang unter Deckgläschen und mit Canadabalsamverschluss beobachtet. Gleich nach der Anfertigung des Praeparates stellten Protozoen und auch die Diatomeen ihre Bewegungen ein, sei es des Sauerstoflmangels oder des aus dem Balsam übertretenden Alkohols wegen. Schon nach 14 Tagen traten in der Wand unregelmässig gelagerte dunklere Körper auf, die anschwollen, schliesslich schuppenartig über den Rand herausragten, so dass in Folge der auch im Inneren der Diatomee stattfindenden Ver- ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 289 änderungen die Dinge nach acht Wochen wie kleine Krokodile aussahen. Fig. 5e stellt eine dieser in verschiedenartigster Weise ausgewachsenen Diatomeen dar, und die Grössenverhältnisse bei diesen ja ohnehin relativ grossen Individuen zeigen, dass ein Irrthum über den Ort der Entstehung gar nicht möglich ist. ‘Wer nun aber trotz alledem meint, es müsse bei dem in den letzten Zeilen Vorgebrachten ein Irrthum stecken und vielleicht gar seinen eigenen Augen :nicht traut, den verweise ich auf das Hühnerei. An dieser mäch- tigen Zelle, welche uns ja im Anfang als Vorbild der in der Zelle zu er- forschenden Zustände so oft mit Erfolg galt, tritt mit nicht abzuläugnender Deutlichkeit zu Tage, dass die Zell- und Kernmembranen Schizomyceten- charakter tragen und dass in ihrer Wandung Sporen und Involutionsformen entstehen, die austreten und den Inhalt der Zelle bilden helfen. “Nicht nur, dass diese Thatsache zeigt, dass die von mir oben gegebene Darstellung der Genese von Algen und Diatomeen auf Thatsachen beruht, welche noch heute für das doch so hoch differenzirte Hühnerei Geltung besitzen — gerade dieser Umstand selbst in Verbindung mit der von mir beobachteten Genese der Algen und Diatomeen — macht jetzt jede Zell- und Kernmem- bran verdächtig eine gleiche Structur zu zeigen und dieselbe biologische und physiologische Rolle zu spielen. Dadurch wird aber die bisherige Ansicht vom Verhältniss zwischen Membran und Sarkode geradezu umgekehrt. Die Membran ist phylogenetisch und onto- senetisch die Hauptsache; sie ist der Mutterboden für die Sarkode. Da aber viele Schizomyceten einen Entwickelungskreis zwischen Spore, Stäbchen und Faden durchlaufen, so wird solches auch der Schizo- mycet der betreffenden Membran thun. Wenn daher bei der Entwickelung der Eizelle die Fäden der Kernmembran wieder vollständig in Sporen zer- fallen, so dass zu einem gewissen Zeitpunkt jede Grenze zwischen Kern und Sarkode der Zelle fehlt, so wird uns jetzt dieser so oft und verschieden gedeutete Vorgang ganz verständlich sein. Und wenn sich vor und nach der Befruchtung der Inhalt der Eizelle hier als Körnchen oder Stäbchen, dort als oft eigenthümlich geschlungene und gesporte Fäden zeigen, so werden wir jetzt wissen, dass alle jene sonderbaren und dunklen Kern- theilungsfiguren u. s. w. nur Entwickelungsformen eines Schizomycetenrasens bilden, dessen Analoga der Bakteriologe an frei lebenden gleichen Wesen schon längst beschrieben hat. Selbst die Kerntheilungsfigur der auseinander- weichenden Schleifen fehlt hier nicht.! Ich komme jetzt dazu, Erscheinungen zu berichten, welche schon jetzt vorzubringen mir nicht statthaft erschienen wäre, wenn ich nicht jüngst in ı W. Zopf, Die Spaltpilze. 1884. Fig. 11D, h Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol, Abthlg, 19 290 Max Münpen: Gustav Hauser’s „Ueber Fäulnissbakterien u. s. w.“ analoge Vorgänge geschildert gefunden hätte, welche den Vorzug besitzen, als Thatsachen anerkannt zu sein und mit verhältnissmässig geringer Mühe jederzeit re- produeirt werden zu können. Hauser schildert hier nämlich an drei in Reinculturen gewonnenen Bakterien, Proteus vulgaris, mirabilis und Zenkeri, wie zur Zeit, wo dieselben auf der festen Nährgelatine das bekannte Stäb- chenhäutchen bilden, sich unter gewissen Bedingungen der Temperatur und Nährlösung von jenem grossen zusammenhängenden Häutchen, kleinere und grössere Fetzen activ ablösen und weiter kriechen. Er beschreibt ausführ- lich, wie es die active Bewegung der einzelnen Stäbchen ist, welche das Fortkriechen des gesammten Fetzen zum Resultat hat, wie diese Fetzen in Folge der activen Bewegung der Stäbehen ihre Form verändern, Fortsätze aussenden und zurückziehen, sich theilen, zusammenfliessen, aneinander ohne Veränderung vorübergleiten u. s. w. Nun, ganz dasselbe habe ich an jenen Kokken- oder Kurzstäbchenlagern beobachtet, welche die Glas- wände unserer Culturgefässe bedecken, in welchen zahlreiche Algen einge- bettet sind und die man Detritus zu nennen pflegt. Ich habe in dein ge- schlossenen Lager dasselbe Wogen beobachtet, welches Hauser so schön schildert; ich habe gesehen, wie längere Stäbchen aneinander rückten, runde oder vieleckige Figuren bildeten, wie plötzlich eine Seite einer solchen Figur auf die andere zurückte, scheinbar mit ihr verschmolz, so dass ich den Eindruck sich eontrahirender Vacuolen erhielt (Fig. 6) und ich habe einen ganzen Sommer hindurch stets ungemein zahlreiche und schnell kriechende Fetzen zu Gesicht bekommen, die sich ganz, wie Hauser es schildert, be- nahmen. Seine „Kigg.3,.4, 5, 6, 11,12, 15,517, 18, 199207 29922 stellen auch die Form der von mir beobachteten Er- scheinungen dar, nur dass ich es mit Kokken und Kurzstäbchen zu thun hatte und keine langen Fäden und rotirenden Inseln bemerkte. Letztere beiden Um- stände können mir übrigens früher entgangen sein und erinnere ich mich eines Falles, wo im geschlossenen EN Prase 1 *“ Lager eine sehr lebhafte rotirende Bewegung mir ein Er LS noch bis heute unauslöschbares Bild hinterliess. Ich wünschte damals, im Sommer 1894, jene so auffallenden, wunderbaren Erscheinungen als Thatsachen festgestellt zu sehen durch die Kenntnissnahme derselben seitens eines bekannten jüngeren Physioiogen. Derselbe weigerte sich aber in meine Wohnung zu kommen „um Amoeben kriechen zu sehen“. Nun, so ganz Unrecht hatte derselbe nicht. Denn dass, was wir gemeiniglich Amoeben, mit oder ohne Kern, zu nennen pflegen, sind eben wandernde Fetzen eines Schizomycetenrasens. Wir finden Amoeben auch ausschliesslich _ ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 291 nur, wo sich solche Schizomycetenhäutchen entwickeln, in stehendem Wasser. Die in ihnen befindlichen, den Kokken und Kurzstäbchen des betreffenden Schizomycetenlagers gleichenden Granula sind, wie schon früher bemerkt, sehr häufig in lebhafter Bewegung und veranlassen hierdurch Formver- änderung und Pseudopodien ganz so wie Hauser es für seine Proteusfetzen beschreibt. Die hyaline Randzone ist nach dem Stande unserer jetzigen Kenntnisse überhaupt verdächtig aus granulären Elementen zu bestehen und nur relativ hyalin zu erscheinen. Ich habe häufig genug ein für ge- wöhnliche Trockensysteme hyalines Protoplasma nur durch einfache Be- trachtung mit Apochromat 2 == Oelimmersion sich vollkommen in Granula auflösen gesehen. In einem Falle, in welchem es mir im Sommer 1894 gelang, einen und denselben kriechenden Fetzen, der im Anfang nicht die geringste Spur einer hyalinen Randzone zeigte, während sechs Stunden zu verfolgen, trat in der fünften Stunde an nur einer Seite ein hyaliner Streif auf, der sich in der nächsten Stunde noch verbreiterte. In den Streit um Worte, wann wir einen Zoogloeaballen Kern zu nennen haben oder nicht, lasse ich mich nicht ein. Hier genügt es klargelegt zu haben, welchen Ursprungs der bewegliche Rhizopodenkörper ist und wie seiner Bewegung die active Bewegung der ihn zusammensetzenden Granula und nicht irgend eine mystische physikalische Ursache zu Grunde liegt. Hauser schildert, wie zu einer gewissen Zeit sämmtliche wandernden Spaltpilzinseln zusammenfliessen und einen fortwährend in wogender und kräuselnder Bewegung befindlichen Rasen bilden, welcher nach aussen hin allmählich in ein dichtes Netzwerk vielfach anastomosirender und conflui- render, sich beständig verschiebender Stäbchenschwärme übergeht und in der äussersten Peripherie sich schliesslich in eine nur noch schmale Zone isolirt umherwandelnder Inseln auflöst. Endlich fliessen auch diese zu- sammen und es ist dann die ganze Gelatineoberfläche von einem dichten wogenden, an zahlreichen Stellen zwei- bis dreischichtig erscheinenden Pilz- rasen bedeckt. Diese Schilderung passt aber vollkommen auf die Lohblüthe und Verwandte. Die in wenigen Stunden im Inneren eines Lohehaufens im Sommer, also auch bei höherer Temperatur, sich entwickelnden Schizo- myzeteninseln kriechen Nachts an die Oberfläche und vereinigen sich hier zu den bekannten grossen Rasen, die sich ganz analog den Rasen des Proteus verhalten. Hauser beschreibt bei Letzterem sehr häufig vorhan- dene Zoogloeaballen; bei der Lohblüthe pflegt man diese Dinge „Kerne“ zu nennen. Insofern nun auch beim Proteus sich diese Zuogloeaballen durch Losreissen einzelner Theile u. s. w. theilen, haben wir hier den Ur- typus der sogenannten Kerntheilung vor uns, der dann beim hoch diffe- renzirten Metazoon, wo schliesslich ganz bestimmt differenzirte Schizomy- 19* 292 Max MÜnDEn: ceten-Granula in ganz bestimmter Nährlösung wuchern, auch ein ganz bestimmt charakterisirtes Entwickelungsbild dieses Zoogloeaballen-Kernes in den bekannten Bildern der sogenannten Kerntheilung ergiebt. Wenn man die Kerntheilung, die von ihr abhängende Zelltheilung, die Copulation und das Problem der Vererbung aus dem berechtigten Gesichtswinkel auffasst, dass es sich hier um geschlossene Entwickelungskreise jeweilig be- stimmter Schizomyceten handelt, die den Entwickelungskreisen z. B. des Proteus vulgaris gleichwerthig sind, so wird man meines Erachtens die darin gesetzten Räthsel lösen und jene Erscheinungen verständlich machen. Die Beobachtungen Hauser’s ergeben noch eine biologisch wichtige Thatsache. Die Stäbchen der Proteusarten wachsen nämlich vielfach zu langen Fäden aus, welche die enorme Grösse von 0-1 == und darüber er- langen, gerade gestreckt, gewunden, schleifenförmig und haarzopfartig sind. Alle diese Fäden zeigen eine ganz bedeutende active Bewegung, sie eilen hin und her und vollführen oft die eigenthümlichsten Bewegungen. Der erste Blick schon, den man auf die Photogramme der Hauser’schen Arbeit wirft, vorzüglich Figg. 4, 6, 11, 17, 18 und 19 belehrt uns, dass wir es hier mit Elementen zu thun haben, welchen morphologisch die Geisseln entsprechen. Nicht nur, dass beide äusserlich gleich aussehen, auch die Geissel ist ja nur fortgewachsene Zellhaut, das heisst lebendes Stäbchen und selbst wo Geisseln oder Cilien ihren Ursprung von den Granula des Innenkörpers aus nehmen, ist ihre lebendige Individualität und damit die ihr wie den Fäden des Proteus innewahnende Fähigheit der Eigenbewegung eben durch diesen Ursprung festgestellt. Diesem Verhältniss entspricht auch der Umstand, dass die mächtige Geissel der meisten Flagellaten, wie der Augenschein sofort lehrt, das eigentlich suchende, führende, sich be- wegende Element ist, welches den übrigen Körper nur nachschleppt. Ich brauche wohl kaum noch hinzuzufügen, dass ich die Chlorophyll- körner den Granula hinzuzähle und ihre sattsam bekannten Erscheinungen der Eigenbewegung, Vermehrung durch Theilung und innerer Differenzirung als in den Rahmen der hier. gebotenen Darstellung fallend betrachte. Fassen wir die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zusammen, so kann gar kein Zweifel darüber bestehen, dass die Zelle ein Staat von Granula oder, wie Altmann sagt, von Cytoblasten ist. Diese Cytoblasten stehen der Zelle genau so gegenüber, wie die Zelle — das Protozoon — den Metazoen. Als Metacytoblasten bilden sie die Zelle, als Protocyto- blasten leben sie einzeln und kennen wir sie hier unter der Bezeichnung Bakterien, Vibrillen, Kokken u. s. w. Die Cytoblasten besitzen alle jene Eigenschaften, welche wir der Bezeichnung „belebt“ subsummiren. Sie wachsen, vermehren sich, besitzen Eigenbewegung und sterben auf lebens- feindliche Mittel hin ab. Die Summe der Lebenserscheinungen ihres Ver- ZWEITER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 293 bandes bildet das Leben der Zelle. Wird der Verband durch mechanische, chemische oder sonstige Einflüsse gelöst, so hört diese Gesammtäusserung, das Leben der Zelle, auf. Der Cytoblast kann aber noch lange weiter leben und sich weiter entwickeln; er ist ein selbständiges organisirtes Indi- viduum, an dem wir vielfach schon mannigfaltige Theile — Farbkörper, hyaliner Körper, Kern, Hülle, Geissel — kennen und der sich besseren optischen Mitteln wohl als noch viel zusammengesetzter entpuppen wird. Der Cytoblast ist aber nicht die tiefste Stufe lebendiger Substanz! und deutet alles darauf hin, dass bessere Mittel immer weiter in das Gebiet des unendlich Kleinen hinabführen und uns so vielleicht in gerader Linie zum Molecül der Elemente und über dieses hinaus zu der jetzt von den Che- mikern so eifrig gesuchten Einheit dieser Elemente selbst leiten werden. Und dass. das Räthsel des Lebendigen in nuce enthaltende Problem der Eigenbewegung der lebendigen Substanz, welches Vervorn auf Grund voll- ständig beweisloser mechanischer Analogien jüngst gelöst wähnte, wurzelt viel, viel tiefer wie an der Gestaltung der Zelle. Es dürfte wohl mit dem Problem der Bewegung, wie die Physik es versteht, zusammenfallen und eines der Welträthsel im Sinne du Bois-Reymond’s sein. ! Deshalb verwerfe ich den irreführenden Namen Bioblast. Die longitudinale Attraction während der isotonischen Muskelzuckung. Von Robert Allen, Med. Bace., Late Demonstrator of Anatomy, Qneen’s College, Galway, Ireland. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des Berliner physiologischen Institutes.) (Hierzu Taf. X.) Die Entwickelung der Anziehungskraft zwischen den Muskelelementen in der Längsrichtung der Fasern, hier bezeichnet als longitudinale At- traction,! ist für die isotonische Muskelzuckung bisher nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen. In den isometrischen Zuekungscurven, wie sie zuerst von Marey? und Fick? gewonnen wurden, hat man einen vollkommen reinen Ausdruck der lognitudinalen Attraction in der Form von Spannung ohne Verkürzung des Muskels aufgezeichnet. Ein dieser Spannungsentwickelung entsprechender Ausdruck der longi- tudinalen Attraction bei der isotonischen Zuckung, vermöge welcher die /usammenziehung der Muskelmasse zu Stande kommt, ist bisher nicht Gegenstand der Erörterung gewesen und lässt sich ferner nicht aus isoto- nischen Zuckungscurven ableiten, da bei der Verkürzung eines Muskels ein unberechenbarer Theil der entwickelten mechanischen Energie durch innere Reibung und Gewebsdehnung in der Querrichtung in Wärme übergeht, ohne im Hub seinen Ausdruck zu finden. ı Vgl. dies Archiv. 1894. S. 389. 2 E. Marey, Methode graphique. Paris 1878. p. 511—513. » A. Fick, Ueber die Aenderungen der Elastieität des Muskels während der Zuckung. Pflüger’s Archiv. 1871. Bd. IV. S. 301. — Mechanische Arbeit und Wüärmeentwickelung bei der Muskelthätigkeit. Leipzig 1882. 8. 110. ALLEN: ATTRACTION WÄHREND DER ISOTONISCHEN MUSKELZUCKUNG. 295 Dass die Bestimmung von Betrag und Verlauf der longitudinalen At- traction innerhalb des isotonisch sich contrahirenden Muskels eine wichtige Bereicherung unserer Kenntnisse der Muskelthätigkeit abgeben würde, ist ohne Weiteres ersichtlich, denn hierin allein erhalten wir ein principielles Gegenstück zu der isometrischen Zuckungscurve. Um eine Curve, welche den Verlauf und Betrag der longitudinalen Attraction im Muskel bei der isotonischen Zuckung darstellt, construiren zu können, ist es in erster Reihe nothwendig, die zu verschiedenen nach ein- ander folgenden Zeitpunkten in Form mechanischer Spannkraft darstellbare Energie zu bestimmen, was dadurch geschehen kann, dass man während der Zuckung plötzlich den Muskel auf seine Anfangs- oder Ruhelänge zurück- bringt und die dabei in der Form von Spannung zum Ausdruck kommende Energie von diesem Punkte an aufzeichnet. Einer solchen neuen Art, den Muskel zuerst isotonisch und dann unter isometrischem Regime zucken zu lassen, haben wir uns auf Veranlassung des Prof. Gad für den Zweck der vorliegenden Untersuchung bedient, und wir möchten dieselbe mit ihm als eine archimetrische bezeichnen. Die Auf- zeichnung der ganzen archimetrischen Zuckung wird im Anfangstheil durch den isotonischen, im Endtheil durch den isometrischen Schreibhebel geliefert; zu einer archimetrischen Zuckung gehört also ein archimetrisches Curven- paar. Für die weitere Bestimmung ist es zweckmässig, einer jeden archi- metrischen Zuckung eine einfache isometrische und eine einfache isotonische Zuckung nachfolgen bezw. vorangehen zu lassen. Die Bedingungen, unter denen Isotonie bezw. Isometrie des Muskels während der Dauer der Zuckung in genügender Reinheit zu erhalten sind, wie sie bereits früher von Fick angegeben und von ihm und Gad und deren Schülern beobachtet worden sind, bestehen für die isotonische Zuckung in der Verlegung des im Interesse der Gleichmässigkeit der Zuckungscurven zur Erreichung einer gewissen Anfangsspannung nothwendigen Gewichtes von dem beweglichen Ende des Muskels an einen Punkt in ganz geringer Entfernung von der Achse des Schreibhebels: hierdurch wird die Bewegung des Gewichtes und folglich der Einfluss seiner Trägheit auf den Zuckungs- bezw. Curven-Verlauf in erwünschter Weise unmerklich, oder in anderen Worten, die Zuckung findet unter vollauf genügender Isotonie des Muskels statt. Für Reinheit der isometrischen Zuckung genügt es, den Muskel an einer so starken Feder ziehen zu lassen, dass seine Verkürzung unbeträcht- lich bleibt. Zur getreuen Aufzeichnung der Zuckung ist ferner eine Form der Feder nothwendig, bei der die durch einen entsprechenden Schreibhebel stark vergrösserten minimalen Bewegungen der Feder emtzlRermm proportional mit den entwickelten Spannungen wachsen. 296 ROBERT ALLEN: Um hintereinander eine einfache isotonische, eine einfache isometrische und eine archimetrische Zuckung aufnehmen zu können, habe ich mich des Myographions von Prof. Gad! bedient, an welchem derselbe zu diesem Zweck einige Modificationen angebracht hatte. Vergl. Taf. X Fig. 1. Der Muskel wird an dem isometrischen Schreibhebel in geringer Entfernung von der durch eine Torsionsfeder gebildeten Achse (nach Blix)? aufgehängt und an seinem unteren Ende mit einem einfachen isotonischen Schreibhebel Fick’- scher Art in 5 °® Entfernung von der Achse verbunden. Die Torsionsfeder aus Stahl ist mit ihren beiden Enden.in einen starken Messingbügel gespannt und misst 40-0 x 25-0 x 0-15 ""; die empirisch ermittelten Spannungswerthe der vom isometrischen Hebel gezeichneten Ordi- naten gehen aus Fig. 2 der Taf. X hervor, deren Zahlen Gramme bedeuten. Der isotonische Hebel ruht in horizontaler Lage auf einem Holzblock a. Die Achse trägt zwei fest mit ihr verbundene Wirtel, von denen der eine mit einem Radius von 2.5 ”m das spannende Gewicht von 120 &’® (= 6 Sm am Muskelende) trägt, der andere mit einem Radius von 10”” einen nach hinten oben geführten Faden aufnimmt. Dieser starke und kaum dehnbare Faden endet oben in einer länglichen Oese 5, welche ihrerseits mittelst eines dünnen Kautschukfadens an einem hohen mit dem Stativ fest verbundenen starken eisernen Galgen hängt, so dass bei der Ruhelage des isotonischen Hebels die Fäden leicht gespannt sind. Das obere Ende der Oese befindet sich dann gerade so nahe über dem dieselbe durchsetzenden und am Galgen eingelenkten Arm c, dass bei der höchsten isotonischen Zuckung die Oese noch nicht den Arm berührt. An dem Arm zieht die sehr starke Feder d nach oben, doch wird der Arm zunächst dadurch daran verhindert, dem Federzuge zu folgen, dass eine kurze Nase des verticalen bei ee drehbaren Armes f über eine Nase des Armes c übergreift. In dieser arretirenden Stellung wird der Arm f durch den Elektromagnet g festgehalten,. dessen Drehungsmoment auf f grösser ist als das der Feder 4. Wird der Stromkreis des Elektro- magnetes geöffnet, so hebt die: Feder ; die Arretirung auf und die Feder d wirkt durch Vermittelung des Armes c, der Oese 5 und des Fadens am Wirtel des isotonischen Hebels, mit überschüssiger Kraft so auf letzteren, dass er unter allen Umständen schnell gegen die hölzerne Unterlage ge- presst wird, gleichviel ob bei ruhendem Muskel dieser sammt dem isotonischem Hebel: mittelst der Schraube ? um die maximale Hubhöhe vorher gehoben ! J. Gad und J. F. Heymann, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähigkeit der Muskelsubstanz. Dies Archiv. 1890: Suppl. 8. 59. — O0. Kohnstamm, Experimentelle Untersuchungen zur Analyse des Tetanus. Zbenda. 1893. S. 125. ® M. Blix, Die Länge und die Spannung des Muskels. Skandinavisches Archiv für Physiologie. 1891. Bd. III. S. 295, ATTRACTION WÄHREND DER ISOTONISCHEN MUSKELZUCKUNG. 297 war, oder ob der Muskel sich nach horizontaler Anfangslage des isotonischen Hebels gerade in einer beliebigen Phase isotonischer Zuckung befand. Die Muskelreizung geschah stets mittelst einzelner übermaximaler Oeff- nungs-Induetionsschläge. Die Oefinung des primären Stromkreises besorgte die rotirende Zeichentrommel, welche durch fallendes Gewicht (nach Fick’- scher Art) für jede Aufzeichnung in einmaligen Umlauf versetzt wurde. Die Geschwindigkeit der Rotation zeigte von Aufzeichnung zu Aufzeichnung und innerhalb jeder Aufzeichnung absolute Constanz und betrug Im in 0-01 Sec. Die Trommel trug an ihrer unteren Fläche, nahe der Peripherie, einen Stift, welcher durch Schlag gegen den, den Contact unterhaltenden Arm eines Tschiriew-Gad’schen Stromunterbrechers! den Reizschlag aus- löste; dieser Stromunterbrecher war in den primären Kreis eines, von einem Daniell gespeisten du Bois-Reymond’schen Schlitten-Inductoriums ein- geschaltet. Da dieser Stromunterbrecher und das Myographion in ihrer Stellung zur Trommel constant gehalten wurden, so erfolgte der Reizschlag stets dann, wenn die Zeichenspitzen genau derselben Verticallinie auf der Zeichenfläche gegenüberstanden. Ein zweiter Stromunterbrecher gleicher Construction war in den Strom- kreis des Elektromagnetes eingeschaltet und dieser wurde gegen den ersten Stromunterbrecher so verstellt, dass die archimetrische Zurückführung des zuckenden Muskels auf seine Ruhelänge in verschiedenen Phasen des Zuckungsverlaufes erfolgte. Vor Aufnahme jeder einzelnen isotonischen oder archimetrischen Zuckung wurde dafür gesorgt, dass der isotonische Hebel dicht über dem Holzklotz, ohne diesen zu berühren, frei am Muskel hing. Das Versuchsmaterial wurde von frischen Sommerfröschen (Rana es- culenta) von 40 bis 802% genommen und bestand hauptsächlich aus dem M. gastroenemius. Zu Anfang der Versuche wurden daneben die Adductoren des Oberschenkels und zwar im Ganzen in einem Sechstel der Fälle aus dem Grunde gebraucht, weil sie — im Gegensatz zum Gastrocnemius, welcher einen kurzen Zug mit grosser Kraft ausübt — wegen ihres parallelfaserigen Baues einen längeren Hub von geringerer Kraft liefern. Diese Verschieden- heit im Praeparat zeigte sich aber ohne wesentlichen Einfluss auf das Resul- tat. Die Muskeln wurden direct gereizt und waren nicht curarisirt. Control- versuche hatten keinen Einfluss des Curare erkennen lassen, Wie zu erwarten war, zeigen die Schreibhebel bei dem archimetrischen Verfahren vom Momente des Regimewechsels an erhebliche Eigenschwin- gungen (siehe Figg. 1 u. 2. im Text), die Folge des plötzlichen Zuges und des Stosses. Die Eigenschwingungen des isotonischen: Hebels sind für unsere ı 3. Tschiriew, Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen Vorgänge der Nerven. Dies Archiv. 1879: 8. 531. 295 ROBERT ALLEN: Zwecke ganz irrelevant und für diejenigen des isometrischen Hebels lässt sich der Nachweis führen, dass sie reine Elasticitätsschwingungen sind, aus deren Interpolation sich in exacter Weise der wahre Verlauf der Spannungs- änderung construiren lässt. Der Nachweis wird so erbracht, dass der isotonische Schreibhebel durch Hebung des Muskels mittelst der Schraube © bis zur Höhe einer maximalen isotonischen Zuckung über den Holzblock erhoben und dass dann durch die rotirende Trommel (bei dauernd geöff- netem primären Kreise des Schlitten-Inductoriums) nur der Strom des Elektro- magnetes unterbrochen wird. Der isometrische Hebel zeichnet dann eine Curve von der Form a in Fig. 3 auf Taf. X. Hierauf wird nach Wiederfreigabe des unteren Muskelendes, und nachdem dieses sammt isotonischer Zeichen- spitze auf die frühere Höhe zurückkam, bei feststehender Trommel der Muskel langsam um denselben Betrag wie vorher gedehnt, dadurch, dass ATTRACTION WÄHREND DER ISOTONISCHEN MUSKELZUCKUNG. 299 der isotonische Hebel durch den Finger bis zur Hemmung auf dem Holz- klotz niedergedrückt wird. So entstand die Verticale 5 in Fig. 3. Der Schwingungstheil der Curve 3a ist, abgesehen von dem regelmässigen Decrement, symmetrisch zu einer durch das Ende der Linie 5 gezogenen Horizontalen, welche das Maass der Muskelspannung nach erreichtem Gleich- gewicht ist. Hieraus folgt, dass es sich bei dem plötzlich gedehnten, nicht elektrisch gereizten Muskel um reine Elastieitätsschwingungen des iso- metrischen Hebelwerkes handelt und dass speciell die plötzliche Dehnung nicht als Reiz auf den Muskel wirkt. Zur Controle wurde dasselbe Ver- suchspaar an Muskeln angestellt, welche durch vielfach wiederholte Zuckungen bis zur Erschöpfung ermüdet waren und es zeigte sich, dass jetzt die Span- nungscurve bei plötzlicher Dehnung in derselben Form um dieselbe Gleich- gewichtslage schwankte, wie vorher. Da nun der Spannungsschreiber bei plötzlicher Wiederausdehnung des bis dahin isotonisch zuckenden Muskels auf seine Ruhelänge stets Curven von ganz analoger Form aufschrieb, so waren wir berechtigt, die Elastieitätsschwingungen aus diesen Curven durch einfache Interpolation zu eliminiren. Die auf diese Weise aus den Curven C der Figg. 1 u. 2 des Textes gebildeten redueirten Curven E sehen wir also als den genügend treuen Ausdruck des Spannungsverlaufes bei dem Regime- wechsel und während des späteren Theiles des Erregungsvorganges an. Zu jeder: eigentlichen Versuchsgruppe gehörte: 1. eine einfache isometrische Zuckungscurve aufgenommen bei Fest- halten des isotonischen Schreibhebels an der Holzunterlage (A in den Figg. 1 u. 2 des Textes). 2. eine einfache isotonische Zuckungscurve (2 in Figg. 1 u. 2), welche in den früheren Versuchsreihen bei Fixation des isometrischen Hebels, später ohne diese Fixation, aufgenommen wurde. Von dem Verzichten auf letztere Fixation rühren die geringen Verbiegungen in der isometrischen Abscissen- axe her, welche absichtlich nicht vermieden, sondern als Controle für den erreichten Grad der Isotonie betrachtet wurden. 3. ein archimetrisches Curvenpaar C und D. 4. die durch spätere Construction ermittelte redueirte Curve des archi- metrischen Spannungsverlaufes 2. Eine solche Versuchsgruppe liefert das Material, um zu beurtheilen, wie sich zu einer bestimmten — nach Bruchtheilen der Gesammtdauer der iso- tonischen Zuckung — angebbaren Zeit nach dem Zuckungsbeginn, die bei Isotonie entwickelte Längsattraction zu der bei Isometrie entwickelten ver- hält. Zur Ermittelung dieses Verhältnisses für alle Zuckungsphasen ist also die Anstellung einer grösseren Anzahl solcher Versuchsgruppen zunächst . mit demselben Muskel, bei Variation der gegenseitigen Stellungen der beiden Stromunterbrecher, d.h. bei Verlegung des archimetrischen Regimewechsels 300 ROBERT ALLEN: in verschiedene Theile des Zuckungslaufes erforderlich. Ausser aus derartigen Versuchsgruppen bestand jede mit demselben Muskel angestellte Versuchs- reihe noch aus den zu Anfang und zu Ende ausgeführten Controlversuchen in Bezug auf die Schwingungen des isometrischen Hebels bezw. deren Eliminirung bei der Curveninterpolation, d. h. es erfolgte 1. Aufnahme der Curve, welche vom isometrischen Hebel gezeichnet wird, wenn der in die Höhe einer maximalen isotonischen Zuckung über den Holzklotz gebrachte isotonische Hebel unter Dehnung des ruhenden Muskels durch den plötz- lichen Federzug zum Anschlag auf den Holzklotz gebracht wird, (a, Fig. 3). 2. Ermittelung des Spannungswerthes, welcher bei der im Uebrigen gleichen, aber langsam durch Zug mit der Hand erfolgenden Dehnung des Muskels erreicht wird (5, Fig. 3). Eine typische Zuckungsgruppe aus einer reichhaltigen Versuchsreihe geben wir in Fig. 1 des Textes wieder. In dem archimetrischen Curven- paar C, D, fand der Uebergang aus dem isotonischen Regime während des Stadiums der steigenden Energie statt. ‘Schon aus € der Figur und noch deutlicher aus # ist ersichtlich, dass die Curve des: isometrischen Hebels nach dem archimetrischen Regimewechsel der Hauptsache nach mit dem Verlauf der einfachen isometrischen Zuckung übereinstimmt. Dasselbe gilt auch für alle archimetrischen Zuckungscurven, bei denen der Regimewechsel während des ersten Drittheils der Periode zunehmender isotonischer Ver- kürzung stattfand. Bis zu diesem Punkte ist hiernach kein erheblicher Unterschied in dem Betrag der entwickelten mechanischen Energie zwischen isometrischen und isotonischen Zuckungen bemerkbar. Für den weiteren Verlauf der isotonischen Zuckung ist aber ein Abfall der entwickelten Energie der iso- metrischen Zuckung:' gegenüber zu constatiren. Den Erfolg des Uebergangs zu: archimetrischen Bedingungen im: Stadium der fallenden Energie der isotonischen Zuckung veranschaulicht in’ typischer Weise Fig. 2 des Textes, welche aus derselben Versuchsreihe wie Fig. 1 entnommen ist. In den übrigen Zuckungsgruppen dieser Versuchsreihe entwickelte sich der Unter- schied in dem Spannungs-Verlauf und -Betrag zwischen der archimetrischen und der einfachen isometrischen Zuckung: im’ vollkommen: regelmässiger, zuerst, schnell zunehmender, dann langsam abnehmender Weise. Der gleiche Unterschied in der Spannungsentwickelung gilt für alle anderen Versuchs- reihen und: berechtigt zu dem Versuch, aus dem: Studium archimetrischer Muskelzuckungen den allgemeinen: Entwickelungsverlauf der longitudinalen Attraction im Muskel während der isotonischen Zuckung darzustellen. Zu diesem Behufe sind wir auf Vorschlag des Prof. Gad folgendermaassen vor-. gegangen: Für jede Versuchsgruppe wurde der zeitliche Abstand des: eben been- ATTRACTION WÄHREND DER ISOTONISCHEN MUSKELZUCKUNG. 301 deten Regimewechsels vom Anfangspunkt der Zuckung in Bruchtheilen der ganzen isotonischen Zuckungsdauer (exclusive Contractur) bestimmt, so wie die als unmittelbare Folge des archimetrischen Regimewechsels zu Tage getretene (reducirte) Spannung als Bruchtheil des derselben Erregungsphase entsprechenden Spanunungswerthes der zugehörigen isometrischen Curve. Diese zusammengehörigen Werthe wurden in quadrirtes Curvenpapier einge- tragen, dessen Abscissen die Bedeutung von Bruchtheilen der isotonischen Zuckungsdauer, dessen Ordinaten die Bedeutung von Bruchtheilen der iso- metrischen Spannung in der zugehörigen Erregungsphase beigelegt wurde. Durch Interpolation aus den eingetragenen Werthen entstand die Curve Z’ der Fig. 5 Taf. X. Nun wurden zwei als typisch betrachtete Zuckungs- curven, die isometrische 4’ und die isotonische 2’ benutzt, um aus diesen die Curve Z’ der Fig. 4 unter Benutzung der Werthe der Curve E” zu construiren. Der Vergleich der auf diese Weise zum ersten Male gewonnenen Curve Z’ der longitudinalen Attraction während der isotonischen Muskel- zuckung mit der Curve 4’ der longitudinalen Attraction während der iso- metrischen Zuckung einerseits und der Curve B’ der isotonischen Längen- änderung andererseits berechtigt zu nachstehenden Schlussfolgerungen: I. Der Betrag der im Muskel während der isotonischen Zuckung ent- wickelten mechanischen Energie ist bedeutend kleiner als der während der isometrischen Zuckung entwickelte. Dieser Satz darf als Gegenstück zu der Entdeckung Heidenhain’s gelten, derzu Folge weniger Wärme während der isotonischen als während der isometrischen Zuckung des Muskels gebildet wird. II. Der Minderbetrag mechanischer Energie während der isotonischen ‘ Zuckung wird dargestellt durch den spindelförmigen Flächenraum zwischen den beiden allgemeinen Curven A und Z’ der longitudinalen Attraction, welche die Entwickelung derselben hei der isotonischen bezw. iscmetrischen Zuckung veranschaulichen. III. Die Entwickelung der longitudinalen Attraction während der iso- tonischen Zuckung erreicht ihren Höhepunkt noch eine beträchtliche Zeit vor dem Moment der grössten Muskelverkürzung IV. Nach dem Maximum der longitudinalen Attraction beim isotonischen Regime sinkt dieselbe allmählich bis zum Ende der Zuckung. V. Das Maximum der longitudinalen Attraction wird bei Isotonie nicht später erreicht als bei Isometrie. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Hrn. Prof. Gad, auf dessen Veran- lassung und mit dessen gütiger Beihülfe ich diese Arbeit im Sommersemester vorigen Jahres ausgeführt habe, wie auch Hrn. Dr. Cowl für dessen that- . kräftige Unterstützung bei Fertigstellung derselben ergebenst zu danken, Ueber den Einfluss des intraabdominalen Druckes auf die Resorption in der Bauchhöhle. III. Beitrag zur Lehre von der Resorption.! Von H. J. Hamburger in Utrecht. Einleitung. In unserem Aufsatze über die Resorption von Flüssigkeiten in Bauch- und Pericardialhöhle versuchten wir eine Vorstellung zu geben von der Weise, auf welche dieser Process zu Stande kommt und gelangten dann zu der folgenden Ansicht. Alle Gewebe, sowohl lebende wie todte, haben das Vermögen mehr Flüssigkeit im sich aufzunehmen als in normalen Umständen darin vor- handen ist. Diese Aufnahme geschieht mittelst Imbibition. Mit Ad. Fick kann man nun zwei Formen von Imbibition unterscheiden: 1. moleculäre Imbibition, d. i. Aufsaugung von Flüssigkeiten in homogene Massen (Gelatine, Agar-Agar u. s. w.); 2. capilläre Imbibition, d. i. Aufsaugung von Flüssig- keiten in die Poren poröser Massen (Bindegewebe, Porcellanerde u. s. w.). Stellt man sich nun vor, dass Flüssigkeit in die Abdominalhöhle ge- bracht wird, so wird durch moleculäre Imbibition bald ein Theil auf- genommen werden in die zwischen den Endothelzellen des Peritoneums gelegene Kittsubstanz, vielleicht auch in die Endothelzellen selbst. Dann ! Die zwei ersten Beiträge sind: Ueber die Resorption von Flüssigkeiten in Bauch- und Pericardialhöhle. Ein Beitrag zur Kenntniss der Resorption. Dies Archiv. 1895. S. 2831. — Ein Apparat, welcher gestattet, die Gesetze von Filtration und Osmose strömender Flüssigkeiten an künstlichen homogenen Membranen zu studiren. Zbenda. 1896. S. oben 8. 36. H. J. HAMBURGER: BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 303 setzt die Flüssigkeit durch capilläre Imbibition ihren Weg in die Binde- gewebsspalten fort und wird für einen kleinen Theil mit dem Lymphstrom mitgeführt. Grösstentheils aber wird dieselbe mittelst moleculärer Imbi- bition in die Kittsubstanz des Capillarendothels oder auch in die Zellen selbst aufgenommen, um durch capilläre Imbibition in die Blutgefässe hinüberzutreten. Nun ist das Imbibitionsvermögen der Gewebe beschränkt; ein be- stimmtes Gewebsvolum kann nur eine beschränkte Flüssigkeitsmenge in sich aufnehmen und nach einiger Zeit würde also eine maximale Quellung erreicht sein und die Imbibition aufhören, wenn nicht die in die Blut- capillaren aufgesogene Flüssigkeit fortwährend mit dem Blutstrom davon- geführt wurde. Im Mantelraum zwischen 7 ‚Glasrohr u. Gelatinerohr | | | | Ä 0) l Nickelgazerohr (Gelatinecylinder) Glasrohr Fig. 1. Diese Vorstellung stützte sich auf Versuche an lebenden und an todten Thieren und wurde später bestätigt durch die Thatsache, dass die bei lebenden Thieren beobachteten Resorptionserscheinungen auch bei künst- lichen homogenen Membranen nachgeahmt werden konnten.! Wir ersetzten namentlich das capillare Blutgefäss durch eine cylin- :drische Membran von Gelatine, und die Gewebsspalte, in welcher sich das capillare Blutgefäss befindet, durch einen Mantelraum, welcher dadurch ge- 1 S. oben 8. 36. 304 H. J. HAMBURGER: bildet wurde, dass der Gelatinecylinder derart in ein weiteres Glasrohr gestellt wurde, dass die Längsaxen beider Rohre zusammenfielen. Das beider- seits verschlossene Glasrohr gestattete nur den beiden Enden des Gelatine- cylinders den Durchgang. Werden nun Gelatinerohr und Mantelraum beide mit Flüssigkeit, z. B. mit Blutserum, angefüllt, dann Halın k geschlossen, aber Hahn A’ geöffnet, so sah man bald aus A’ Flüssigkeit abtröpfeln, während gleichzeitig die Flüssigkeitsmenge im Mantelraum abnahm und ersetzt wurde durch Luft, welche in das offene Röhrchen f hereintrat. Offenbar war also Serum aus dem Mantelraum durch die Gelatinemembran hindurch weggesogen und zwar durch eine Flüssigkeitssäule, welche um so zu sagen an dem Inhalt des Gelatinerohres hing. Wurde nun aber der Versuch derart modificirt, dass Hahn A nicht ver- schlossen blieb, sondern einem Serumstrom, welcher durch k’ hinabfliessen konnte, den Durchgang gestattete, auch dann sah man das Serum aus dem Mantelraum verschwinden, aber nun bedeutend viel schneller als beim soeben erwähnten Experiment. Die Ursache des genannten Unterschiedes kann nur darin gelegen sein, dass im zweiten Fall der von A nach A’ sich bewegende Serumstrom Flüssigkeitaus dem Mantelraum durch die Gelatinemembran hin mitschleppt. Je schneller dieser Strom, desto schneller verschwindet dann auch die Flüssigkeit aus dem Mantelraum. Nun ist es, um die Erscheinung hervorzurufen, nothwendig, dass der den Serumstrom hinabführende Hahn A’ weiter geöffnet ist als der den Serumstrom anführende Hahn A. Das kann eigentlich nicht befremden, weil durch A’ nicht nur das durch A hineintretende Serum hinabfliessen muss, sondern auch dasjenige, weiches aus dem Mantelraum hinzukommt, Im Körper wird diese Bedingung erfüllt; ist ja der Gesammtdurch- schnitt der abführenden Venae grösser als der der entsprechenden an- führenden Arterie. Weiter beobachtet man, dass der Höhestand von A’ einen bedeutenden Einfluss hat auf den Uebergang von Flüssigkeit aus dem Mantelraum. Dieser Uebergang findet desto schneller statt, je nachdem am Inhalt des Gelatinerohres ein längeres Flüssigkeitssäulchen hielt. Je länger diese Flüssigkeitssäule, desto mehr wird der im Mantelraum herrschende Druck den im Gelatinerohr übertreffen. Letztere Betrachtung ist der Ausgangspunkt jetziger Arbeit geworden. Sie hat mir namentlich die Frage vorgelegt, ob auch beim le- benden Individuum durch Drucksteigerung die Aufnahme der zur Resorption dargebotenen Flüsigkeit in die Blutbahn würde gefördert werden. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 305 Für die bestätigende Beantwortung dieser Frage schien bereits die klinische Erfahrung zu sprechen. Gebrauchen ja schon seit längerer Zeit die praktischen Aerzte Druckverbände, wenn sie die Resorption von Flüssig- keiten zu beschleunigen wünschen. Andererseits aber wurde, soweit mir bekannt ist, noch niemals der Zusammenhang zwischen Druck und Resorption einer experimentellen Unter- suchung unterzogen. Nun findet man bei Wegner! die Bemerkung, dass von einer grossen intraperitonealen Flüssigkeitsmenge innerhalb einer gewissen Zeit mehr resorbirt wird als von einer kleineren Quantität. Als einzigen Versuch, um diese Ansicht zu unterstützen, giebt er an, dass bei einem Kaninchen nach intraperitonealer Injection von 200 em Flüssigkeit in einer Stunde 134 °®, aber von 100 °® nur 50 bis 60 em resorbirt wurden. Erstens ist es bedenklich aus einem einzelnen Experiment eine Schluss- folgerung zu ziehen; aber wenn auch Wegner viele Experimente aus- geführt hätte immer mit demselben Resultat, so hätte er damit noch nicht bewiesen, dass die Resorptionsschnelligkeit durch den Druck beeinflusst wird. Es wäre doch möglich, dass von einer bedeutenden Flüssigkeitsmenge darum mehr resorbirt wurde als von einer geringeren, weil im ersten Fall die Flüssigkeit über eine grössere Oberfläche mit den Baucheingeweiden in Berührung gewesen war. Aber wenn auch Wegner vollständig nachgewiesen hätte, dass Stei- gerung des intraabdominalen Druckes Beschleunigung der Resorption her- beiführte, so hätten wir uns einer näheren experimentellen Untersuchung nicht entziehen können, weil noch niemals die Frage beantwortet war, ob die durch Drucksteigerung herbeigeführte Beschleunigung der Resorption den Lymphbahnen oder den Blutgefässen zu verdanken sei. Wie sich aus dem oben Erwähnten entnehmen lässt, interessirte uns hier insbesondere die Resorption seitens der Blutgefässe. In diesem Auf- satz sprechen wir über die Resorption in der Bauchhöhle, in einem folgenden wird der Darm untersucht werden. I. Ueber den Einfluss des intraabdominalen Druckes auf die Resorption von Flüssigkeiten in der Bauchhöhle. 1. Methode. Eine befriedigende Antwort zu bekommen auf die Frage ob die Re- sorption von Flüssigkeiten in der Bauchhöhle von dem auf die Flüssigkeit ! Chirurgische Bemerkungen über die Peritonealhöhle mit besonderer Berück- sichtigung der Ovariotomie. Archiv für klin. Chirurgie. 1857. Bd. XX. S. 51. Archiv f. A.u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 20 306 H. J. HAMBURGER: ausgeübten Druck beeinflusst wird, hat uns mehr Arbeit gekostet als sich anfänglich erwarten liess. Es erscheint uns empfehlenswerth, bei der Beschreibung der Unter- suchungen dem befolgten Weg, wenigstens in der Hauptsache, zu folgen. Wir hatten uns die Aufgabe gestellt zu untersuchen, wie viel eine gewisse, unter constantem Druck stehende Flüssigkeit brauchte, um aus der Bauchhöhle zu verschwinden und diese Zeit für verschiedene Druckgrössen zu vergleichen. Hierzu experimentirten wir in folgender Weise: Das Thier — wir gebrauchten gewöhnlich Kaninchen — wird auf den Rücken gelegt. Es wird eine runde Oefinung in die Bauchwand gemacht, indem die von Haaren beizeite, Haut mittelst einer Pincette in der Linea alba aufgehoben und mit einer krummen Scheere ein Stück- chen entfernt wird. Dasselbe geschieht mit den darunter liegenden Mus- keln und dem Peritoneum. In die auf diese Weise praepa- . rirte Oeffnung wird ein kleines Instrument eingeführt, welches in folgender Weise zusammen- gesetzt ist: Es besteht aus Tarehwena ner runden kupfernen Platte (eritoneum, p Von 2.5 ® Durchmesser. «nd-Nuskel! In der Mitte befindet sich Fig. 2. eine Oeffnung, auf welche ein mit einem Schrauben- draht versehenes kupfernes Röhrchen 5 aufgelöthet ist. Auf der Platte p liegt ein gleich grosses Gummiplättchen c. Dieses hat nämlich auch eine Oeffnung in der Mitte. Man hat Sorge dafür getragen, dass die Oeffnung in der Bauchwand kleiner ist als Plättchen p, so dass wenn letzteres durch die elastischen Schichten vorsichtig hindurchgeschoben ist, die Oeffnung ab- geschlossen war. Dies wird schon erreicht mittelst p, aber es findet immer statt mittelst des gleich grossen Gummiplättchens c. Lässt man nun ein zweites ebenso von einer centralen Oeffnung ver- sehenes Gummiplättchen c’ auf die Muskeln fallen und auf dieses Plättchen c’ wieder ein kupfernes p’, um schliesslich letzteres mit Hülfe einer Mutter m auf die Muskelschichte zu drücken, so hat man eine Einrichtung construirt, wodurch ein Röhrchen 5 luft- und wasserdicht in der Bauchwand be- festigt ist. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 307 Aus der vorhergehenden Figur ist das Beschriebene ersichtlich. Um sich davon zu überzeugen, ob das Röhrchen 5 luftdicht in der Bauchwand befestigt ist, kann man auf die folgende Weise handeln. Man bedeckt die Mutter und das Plättchen p’ mit Flüssigkeit, bläst dann durch d-Luft in die Bauchhöhle, schliesst 5 und drückt die Bauchwand. Die kleinste Oeffnung verräth sich, indem seitlich von p’ oder bei m’ Luftbläschen zum Vorschein treten. Ist nun 5 luftdicht und deshalb auch wasserdicht in der Bauchwand befestigt, so kann es in Verbindung gebracht werden mit dem Flüssigkeit einführenden Reservoir. Letzteres ist ein grosser Trichter mit engem Halse. Gerade an der Grenze zwischen diesem Halse und dem conischen Theil ist ein horizontaler, kreisförmiger, rother Tintestreifen angebracht. Der Stand des Trichters wird bestimmt durch Messung der Distanz zwischen dieser Linie und der Aussenseite der Bauchwand. Ist dieser Abstand z. B. 20 ® und entspricht der Meniscus der Flüssigkeit der rothen Linie, so sagen wir, dass der Flüssigkeitsdruck in der Bauchhöhle 20 = beträgt. Ganz richtig ist das nicht, denn der Druck ist in den verschiedenen Niveau’s der Bauchhöhle ungleich. Am grössten wird derselbe natürlich sein in der gegen die Wirbelsäule liegenden horizontalen Fläche. Wünscht man nun zu wissen, in wie viel Zeit eine gewisse Quantität Flüssigkeit bei einem bekannten Druck in die Bauchhöhle aufgenommen wird, so hat man dieses Quantum nur in den Trichter zu bringen und aufzuzeichnen, in welcher Zeit das Flüssigkeitsniveau wieder bis an den Streifen hinabgefallen ist. Da die Flüssigkeit während des Versuches ein wenig oberhalb der rothen Linie steht, ist der Druck natürlich einiger- maassen gesteigert, aber der conische Theil, in welchem die Flüssigkeit sich befindet ist so breit, dass die Vermehrung der Druckhöhe relativ ohne Bedeutung ist. Auch die Veränderungen im Volum der Bauchhöhle, welche durch Bauchpresse und Athmung herbeigeführt werden, haben gleichfalls nur einen beschränkten Einfluss auf den Druck der intraabdominalen Flüssigkeit. Versuch. Der Versuch wird ausgeführt auf die oben beschriebene Weise. Der Duetus thoracieus ist unterbunden. Der Trichter ist derart gestellt, dass die rothe Linie sich 10 °® oberhalb der Bauchwand des Kaninchens be- findet. Nun wird so lange eine lauwarme 0-9 proc. NaCl-Lösung in den Triehter gegossen, bis das Flüssigkeitsniveau einige Secunden bei der rothen Linie stehen bleibt. Die Bauchwand ist bedeutend ausgedehnt; der Bauch ist gespannt. Nachher werden 10 °= Flüssigkeit auf’s Neue in den Trichter 20* 308 H. J. HAMBURGER: gebracht und wird die Zeit aufgezeichnet, welche das Niveau braucht, wieder zu der rothen Linie hinabzufallen. Dieser Versuch wird noch fünfmal wiederholt. Die für die Resorption von 10 °m gebrauchten Zeiten sind: 4420 bis 426 = 6 Min. Au o6: area 169... An 39 Sana in: >, BAR AR eo. Mittel 5 bis 6 Minuten. en N Ze Au Aal, = 6 Jetzt wird der Druck gesteigert bis auf 20 em, 4455 bis 4% 591/,= 4Y,Min. 4 591, ER B) B 041, = 5 > | BEA04 >.) 39..090, 008 | la E ( Mittel 5 Minuten. 52 091, „ 514-5 „ 5h 141), „ 5820 = 5, „ | Ba... on Bei 20 “= Druck sind die 10 «= also ein wenig schneller resorbirt als bei 10 ® Druck. Inzwischen ist bei genauer Betrachtung der Unterschied grösser als sich aus den Zahlen herausstellt. | Man kann sich namentlich die Frage stellen, ob in der ersten Hälfte des Versuches die ganzen 10°” wirklich in den 5 bis 6 Minuten resorbirt sind, oder ob ein Theil vielleicht verbraucht ist zur Anfüllung der immer sich noch ausdehnenden Bauchhöhle. Die Richtigkeit letzterer Voraussetzung geht hervor aus der Thatsache, dass, wenn man durch Senkung des Trichters von einem höheren zu einem niedrigeren intraperitonealen Druck hinübergeht, die Flüssigkeit im Trichter länger als eine halbe Stunde im Steigen begriffen bleibt. Offenbar braucht die Bauchwand lange Zeit, um die dem niedrigeren Druck entsprechende Spannung wieder anzunehmen. Umgekehrt ist es nun auch leicht zu begreifen, dass, wenn der Druck einmal auf 10 °® gebracht ist, die Bauchdecken noch lange Zeit fortfahren, sich auszudehnen. Aber dann ist auch leicht verständlich, dass, je grösser die Spannung der Bauchwand schon ist, desto weniger die Ausdehnung bei Steigerung des intraobdominalen Druckes zunehmen wird. Mit anderen Worten steigert sich also der intraobdominale Druck von 10°® bis 20 m, so werden die Bauchdecken sich weniger ausdehnen, als bei einer Steigerung von O0 bis 10, In der zweiten Hälfte des Versuches muss also die zunehmende Ver- grösserung der Bauchhöhle einen geringeren Antheil an der Senkung der Flüssigkeit im Trichter gehabt haben als in der ersten Hälfte. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 309 Hieraus folgt, dass die Schnelligkeit der eigentlichen Resorption im zweiten Theil des Versuches die im ersten Theil in bedeutenderem Maasse übertroffen haben muss, was aus den erhaltenen Zahlen hervorgeht. Man ist also berechtigt, obgleich auf indirectem Grund, zu schliessen, dass die Resorption vom Druck beeinflusst wird, oder, genauer gesagt, mit dem Druck zunimmt; für quantitave Bestimmungen lässt die Methode im Stich, weil die Ausdehnung der Bauchwand die Experimente in einem nicht berechenbaren Maasse complicirt. Wir haben darum versucht, diesen Factor zu eliminiren, und zwar durch Anlegen eines Gypsverbandes um das Abdomen. Der Verband reichte vom Processus xiphoideus bis an die hinteren Extremitäten, und gestattete dem Röhrchen 5 (vergl. Fig. 2) den Durchgang. Auch mit Bezug auf diesen kleinen Apparat wurde eine Modification angebracht. Bei einem der Versuche mit niedrigem Druck (wobei noch kein Gypsverband angelegt war) wollte die Flüssigkeit nicht in die Bauch- höhle hinabfliessen; die Ursache konnte nur darin liegen, dass ein Stück Darm die Öffnung von p unwegsam machte: Um dieser Schwierigkeit entgegen zu kommen wurde ein rundes Zink- plättchen angefertigt, und daran wurden drei Stäbe gelöthet. Das so ge- bildete Tischehen wurde nun mit den drei Stäbchen gegen die Kupferplatte p ‘“ angedrückt. Auf diese Weise konnten die Därme nicht mehr in die Öff- nung von » hineinschlüpfen. Das Tischehen wurde derart gegen p an- gedrückt, dass durch die Mitte der Zinkplatte eine kleine Öffnung gebohrt wurde, welche einem dünnen Faden den Durchgang gestattete. Letzterer war mit einem Knoten versehen, welcher grösser war als die Öffnung im Zink. Von den jetzt ausgeführten Experimenten werden wir einige mittheilen. Versuch. - Mit diesem Experiment beabsichtigten wir zur untersuchen, ob bei constantem Druck die Schnelligkeit der Resorption unverändert bleibt, oder ob sich dieselbe mit der Zeit ändert. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass eine derartige Untersuchung unerlässlich ist, wenn es darauf ankommt zu wissen, ob, und wenn ja, in wie weit eine Druckänderung für eine eventuell zu beobachtende Modification der Resorptionsschnelligkeit ver- antwortlich gemacht werden darf. Die folgende Zahlenreihe giebt die für die Resorption von je 2 “® einer 0,9 procentigen Na0l-Lösung verwendeten Minuten an. Der Druck ist 5°®. (Abstand von der rothen Linie im Trichter bis an die obere Oberfläche des Bauches.) 310 H. J. HAMBURGER: 1 5. bis 1810 = 5 Minuten 2b 6 bis 214 = 8 Minuten 5 1.7100... 18 149, 4 ” ee 35 ns, 1eiTı, Ben 25 17 , oWooı 2 ee Re ee ae AN, h) DEE BEN 5 2b 264, , 2m 31 = A, 1n 281, ,„- 1B 80,= 2 - , 2b ’gj. 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B. eine tiefe Ausathmung statt und dann sieht man die Flüssigkeit plötz- lich bis oder unterhalb des Streifens herabsinken, und das kann schon ge- schehen unmittelbar nachdem aufs Neue 2°" in den Trichter gebracht waren. Wir fügten dann in einem derartigen Falle consequent wieder auf’s Neue 2° m hinzu und zeichneten die Zeit auf. Natürlich ist die zur Resorption der vorletzteren 2 °” Flüssigkeit nöthige Zeit zu klein gefunden. Aber dieser Fehler wird bei den folgenden Beob- achtungen wohl wieder compensirt; dann dauert die Resorption zu lange. Es liegt auf der Hand, dass derartige Schwankungen nicht hervor- getreten wären, wenn wir bei jedem Versuch nicht 2°” sondern mehr in den Trichter gebracht hätten. Betrachtet man dann auch die Tabelle und berechnet die zur Resorp- tion von 8 oder 10° verwendeten Zeitintervallen, so zeigt sich eine gute Uebereinstimmung. Der befolgten Methode zur Bestimmung der Resorptionsschnelligkeit ist also unzweifelhaft zu vertrauen, wenn man nur die Zeit nicht allzu kurz nimmt. Man sieht, dass bei den ersten 14 Beobachtungen für die Resorption von 2 «= nöthig waren, Mittel „ — 4.3 Min, während die zweiten 14 Be- obachtungen - = 4.6 Min. erforderten. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. all Die Resorptionsschnelligkeit bleibt also, in den ersten zwei Stunden wenigstens, constant. Erwähnen wir jetzt noch einen derartigen, mit einem Flüssigkeitsdruck von 9 °® ausgeführten Versuch. Für die Resorption von 2 °= waren erforderlich: 3—2- 21, —31),—21/,—1—5— 21, -3—211,—3—3—2—4—2—3—3— 21, 21,21, — 3, —1,—5—2—3—3—3—3—3—23-2—3—21),— 3-21), —5—3—-3—21,—3—3— 24, — 3—2!/, Minuten. Die bei einem Druck von 9 °® zur Resorption von 2 «m erforderliche „mittlere Zeit war also 122 ZT —= 2:8 Min.; u: 60 für die ersten 22 Beobachtungen —, = 2-7 „ ; 62 ».,„. zweiten 22 on on Zuge, Auch dieser Versuch zeigt das Constantsein der Resorp- tionsschnelligkeit. Jetzt konnte der Einfluss des Druckes studirt werden. Versuch. Halberwachsenes Kaninchen; Apparat und Bauchwand; Gypsverband; 0.9 proc. NaCl-Lösung. f 11 III | IV V BEE u. = un Zu resor- | 1887 Sl | es) eg e II Deuek birende | Zeit erforderlich für die in Spalte II » Bike ZIR=F- = BE ruc Flüssickei N Naar ei üssigkeit genannte Flüssigkeitsmenge E55 85E1253,5 in cem ERERE 238= a f 5 au 3 Bis 2" 11° = 8 Minuten | 2 ze AR 2 Zn 20:, 3 6 2 25904, , ah 3-3 „ | 2 De), „a | | 2 Zum 281), ER 2h ll; = 3 > - 0 ccm 9 9 9ıh 31 15 % oh san 3 & 3:25 Min. 35 2 A, en R 2 Ds one =ual, | 2 area, DI > | | 2 a I | | L 2 22 are »» ) 312 H. J. HAMBURGER: (Fortsetzung. I U II IV v -_ 1.® FE un AI os Zu resor- CE arsad_ Druck birende | Zeit erforderlich für die in Spalte II | » Er== 2 38382 . N 2 A m 2:3 Petuhs Flüssigkeit genannte Flüssigkeitsmenge 283856 8;3.2 . = = [=) I} In cem s338: #32> [ 2 35 74,bis 38 9 = 1-5 Min. |) | 2 Bug CB To | 2 anal. Suals | 2 BEST SU ve BELTeE ls es | 2 3a 17 sn 2 3b 181, , 3:20 = 1, „ IRyS D) 3h’90: 12, .9h.9955 — 9 = 1-66 Min. Togccm 2 3m 22 Er) gu 241, = 21, 2 | | E 3 24, » 3726 = 2 ee ne 5 | 2 wu. L 2 SraDe je 32er 2 ) | | | | | Das Resultat dieses Versuches lässt keinen Zweifel übrig. Eine re- lativ geringe Steigerung des intraabdominalen Druckes führt eine bedeutende Beschleunigung der Resorption herbei. Der folgende Versuch ist auf gleiche Weise ausgeführt wie der vorige, I II UI | IV V MER ıogm u = Bm o © {eb} S 2 Zu resor- er m 3°8, Drsck birende | Zeit erforderlich für die in Spalte II | » „#.3 2 Haas Flüssigkeit genannte Flüssigkeitsmenge =s3 As s 58 ML, in ccm Base: Bs3° au — 2 35 51 bis 3455 = 4 Minuten | 2 u eh ” 2 Ang eh Mn h h en 5m 2 a a 4-5 Min. | 26-6 ccm 2 4u 10 „ Abya= Ali, DARAN. Aus ae 2 I ep 2 | 42093 AN = 4 BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 313 (Fortsetzung. I U IT IV V reemorre u ass 2 &%833 Zu resor- gan a8. Fe ra birende | Zeit erforderlich für die in Spalte II » 3#3 2 3% 2558 Flüssigkeit genannte Flüssigkeitsmenge 33356 18 #3 eo in ccm SEIERE 2588 .— au —_ [ 2 44 321), bis 4b 341/,= 2 Minuten | | 2 SEE 2 2 a el | 2 45 404, , Ab 4l,=3 „ 2 an dena Bee » i Oben J 2 5h 1), E e 5h n = 1%, R 13-15 Min. Bgicem | 2 may. 2 4,2, | | 2 BIER RE DET USE | 2 De | 2 5E 10, BElN—=3 „ [ 2 55h 194), bis 5& 211,= 2 Minuten 2 56 21"), 2 5% 23 2 ” | 2 5h 231), er 5h 25 = 18 „ 2 Bas, | 2 52228 DEE 02 } R den > „ 2-05 Min. 58-8 m | 2 Deus: = | 2 Den. ee | 2 Saar DEse = 4, | 2 Se DE | le Dass ae. |) Dieser Versuch bestätigt vollkommen das Resultat des vorigen. Versuch. Folgender Versuch ist angestellt worden bei einem ziemlich grossen Hunde. Die hierbei befolgte Methode ist genau die bei den Kaninchen gebrauchte. Nun haben wir den Hund narkotisirt (Morphium, Chloroform- Aether). Auch hier wurde die Höhe der drückenden Flüssigkeit wieder gemessen von der oberen Oberfläche des Gypsverbandes und zwar von der Stelle, wo das Röhrchen 5 den Gypsverband verlässt. Bei dem hier gebrauchten Versuchsthier steigt die Bauchwand aber bedeutend von hinten nach vorn; der Processus xiphoideus liegt 6 ©“ höher als die Stelle wo das Röhrchen 5 aus dem Gypsverband hervortritt; die drückende Flüssigkeitssäule ist also, gerechnet vom Processus xiphoideus, 314 'H J. HAMBURGER: 6 «n kleiner. Die gegenüber dem Processus gemessenen Werthe sind zwischen zwei Klammern gesetzt. Noch sei bemerkt, dass der Abstand zwischen der oberen Oberfläche des Gypsverbandes und der Wirbelsäule 13 m beträgt. Erwähnen wir jetzt die Resultate des Versuches. Druck su (25m) Für die Resorption von 4 “m 0-9 proc. NaCl-Lösung waren erforderlich: 22219, 1°, —2— 1), —2— 19,21, —4—19, 1,1, 1, 12), —12, — 1,11, 11, 1°, — 11), 11, —121,— 32, —2—2—3—2—3—4—5— 21), 2 —2— 2—2—3—3—1—3—3—4!/, Minuten, Dale 2-23 Minuten für 4 em, das ist im Mittel 7: Druekı19 Su (92), Die Resorption von 4 m 0.9 proc. NaCl-Lösung erforderte: ee I! Ja} ee! oil? 11,1, 1, —1—1—1—1—2—2— 271,311, -1—1—1—1—2-5—1—-1—11,1— 11, —1—11,—1—1—11/,—2—1 Minuten, a _ 1.61 Minuten für 4 em, das ist im Mittel u5 Druck 20 ea (14 m), Die Resorption von 4 em 0.9 proc. NaCl-Lösung erforderte: Zar ae 1—1 Minuten, das ist im Mittel —_- = 1:07 Minuten für 4 m, Die Zeitdauer für die Resorption von je 4°m ist ziemlich ungleich. Das rührt her von der Unruhe des Hundes während der Narkose. Fügt man die Resultate in einer Tabelle zusammen und zeichnet noch die pro Stunde resorbirten Flüssigkeitsmengen darin auf, so kann man genau dasselbe constatiren, was bei Kaninchen beobachtet wurde. Mittlere Zahl Minuten, erforderlich h Druck für die Resorption von 4°® 0.9 proc. Besorbinsspzo Stunde (bereelinet NaCl-Lösung aus der vorigen Spalte) Eich 2-23 Min. 1032 15 „ Lee, 149 „ 200% 1:07 7, 233 „ ! Die Vena cava erfährt also einen Druck von 8+13=21°%® (das Gewicht der Eingeweide nicht mitgerechnet). BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 3l5 Obgleich wir jetzt unseren Zweck erreicht hatten, namentlich eine Antwort zu erhalten auf die Frage, ob die Resorption in der Bauchhöhle wirk- lich durch den hydrostatischen Druck beeinflusst wird, wünschten wir unsere Untersuchung auch auf höhere Drucke auszudehnen; aber hier stiessen wir auf die Thatsache, dass die Kaninchen — Hunde hatten wir nicht zur Verfügung — erlagen. Wir meinten das der Ermüdung des Zwerchfells zuschreiben zu müssen, welches sich gegen den hohen intraperitonealen Druck zusammenziehen musste. Darum wurde künstliche Athmung versucht; und in der That konnte nun das Thier am Leben erhalten werden, wenigstens so lange der Druck den von etwa 45m Wasser nicht übertraf. Man würde hier nun regelmässige Athmung erwarten, synchron mit den Blasebalgbewegungen; aber ausser diesen Bewegungen sah man auch noch spontane Athembewegungen dazwischen. Es schien darum erwünscht, Curare zu injiciren, umsomehr, weil doch schon künstliche Athmung geübt wurde, Versuch. Kaninchen; Unterbindung des D. thoracicus; Apparat in der Bauch- wand; Gypsverband; künstliche Athmung; Curare; Druck 9 .! Für die Resorption von 1°® 0.9 proc. NaCl-Lösung werden gebraucht: 1—1—1— 11,11, —2—21/, 21,22), —3 -3—3—3— 31), —4—34,—31/,—3"/, Min., das ist im Mittel — = 2.5 Minuten für 1 cm, 31,31], 31], 4441, —a1/, —42, 44, —41, 417,43], 43], 48], 42], —5— 5—5 Minuten, das ist im Mittel © = 4-3 Minuten für 1 em. Aus diesen Zahlen geht hervor, dass die für die Resorption erforder- liche Zeit zunimmt: für die Resorption der ersten 18m wurden verbraucht 45 Minuten und für die zweiten 18° m 77 Minuten. Bei Drucken von mehr als 9°“ wurde ein derartiges Resultat erhalten. Es liegt auf der Hand, dass die Methode, wenigstens in der be- schriebenen Form, für unseren Zweck nicht geeignet war. Aber um die- selbe zu verbessern, sollte nach der Ursache der gefundenen Verlangsamung gesucht werden. War hier vielleicht Erschlaffung des Zwerchfells durch Curarisirung im Spiel? Durch eine derartige Erschlaffung wäre die Erscheinung zu er- ! Wir wiederholen, dass die Höhe der drückenden Flüssigkeitssäule immer gemessen wurde von der Stelle, wo das Röhrchen 5 den Gypsverband verliess. Der Abstand von dieser Stelle bis zur Wirbelsäule war bei unserem Kaninchen + 10, 316 H. J. HAMBURGER: klären. Wird ja doch im Anfang unter dem Einfluss des Druckes das Zwerchfell und folglich auch die Bauchhöhle sich ausdehnen; aber diese Ausdehnung nimmt allmählich ab und schliesslich wird keine Flüssigkeit mehr verbraucht werden, um die Vergrösserung der Bauchhöhle, aber nur um das Resorbirte, anzufüllen. War diese Auffassung richtig, so sollte, wenn das Diaphragma be- hindert wurde sich auszudehnen, die für die Resorption von 1m Flüssig- keit erforderliche Zeit constant sein. Um dieser Ausdehnung vorzubeugen, wurde die thoracale Seite des durch Oeffnung des Brustkastens blossgelegten Zwerchfells durch eine in der geeigneten Form gebogene Platte unbeweglich festgehalten. Letzteres geschah mittelst eines starken Kupferstabes, welcher mit einem Schrauben- draht in eine hohe ungefähr auf die Mitte der Platte gelöthete Mutter passte. Wurde nun dieser Stab mittelst einer am verticalen Stativ des Ozer- mak’schen Brettes befestigten Klemme fixirt, so konnte die Platte unbe- weglich gegen das Diaphragma gestellt den. Noch sei bemerkt, dass mit Hinsicht auf die durch das Zserchtell verlaufenden grossen Gefässe eine breite Spalte ausgehackt war; weiter, dass die Platte mit sämischem Leder umkleidet war, um dem nachhaltigen Einfluss der scharfen Kupferränder vorzubeugen. Dass für diesen Versuch ein Fenster aus dem Brustkasten genommen werden musste, liest auf der Hand. Versuch. Kaninchen; Unterbindung des D. thoracieus; Apparat in der Bauch- wand; Gypsverband; Morphium; künstliche Athmung; Curare; Oeffnung des Brustkastens; Platte gegen das Diaphragma. Druck I 2 eem werden aufgenommen in: 3524 bis 2529 = 5 Min. 26h 44 bis 2649 = 5 Min. 29 ,„ 24-5 „ 249 „ 2hd4=5, Din /34 I ....0;5 39 5.0, Dh 54)... 91E59, Buggy. Dhuf Bi, Druck 142, 2 em werden resorbirt in: 3b 2 bis 36 4 = 2 Min. 3b 14 bis 3616 = 2 Min gihu 24... 5, Manier 0, gu je .,„ Shjer won 38, 16. >... Same ua. 318 „3200 2er ON 5 8b: 20, 1,1, Bih122, 5-2 31.410.1,0683 nel E09. „u 3 oA 3: any, 3214542 BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 3lu Durch besondere Umstände musste dieser Versuch beendigt werden. Aus den erhaltenen Zahlen geht aber deutlich hervor: 1. dass bei regelmässiger Athmung, wie dieselbe herbei- seführt werden kann nach Curarisirung, die Resorptions- schnelligkeit bei unverändertem Druck sehr constant ist; 2. dass bei geringfügiger Steigerung des intraabdominalen Drucks die Resorption bedeutend gefördert wird. (Hier, bei einer Drucksteigerung von nur 5 °* ist eine zwei- bis dreifache Beschleunigung der Resorption zu beobachten.) Versuch. Dieser Versuch wird auf gleicher Weise ausgeführt wie der vorige. Druck 14, 2 cm (0.9 proc. NaCl-Lösung werden resorbirt in: 25 40 bis 2% 421,= 2'/, Minuten DR AD WARAHEr = 2 Mittel 2?/, Minuten. De a A Sr Druck 30 =.1 Anz bısenone54 523% Minuten a5 ,„ ayıy=äl, „ 2a 57, 38 1 4 5 3b 11,, 83h Bi, 4 Sn Br he > Br 13 A Druck 14, SL ale biss sn 32/5, Minuten 3% 21 „ 38 24'1,= 3", 2) Mittel 3%, Minuten. BR 941 ano, Mittel 2-9 Minuten. Sa swoginarol, sn 29, sus 2a, Druck 30 m, 3b 34 bis 38386 = 2 Minuten Su ao Pos 3 » Sr Saar 09 Saas M Sue a a: gas Da A b. Mittel 3!/, Minuten. ! Bei Druckveränderung wurde immer dafür gesorgt, dass im Anfang des eigent- lichen Versuches das Flüssigkeitsniveau der bekannten rothen Linie entsprach. 318 . H. J. HAMBURGER: Druck 45 m, Das Thier stirbt. Aus dieser Versuchsreihe lehrt man, dass bei einem Druck von 30 weniger schnell resorbirt wird, als bei einem Druck von 14 "., Ob der Druck von 40 °® die Todesursache ist, muss sich noch später herausstellen. Versuch. Wiederholung des vorigen Versuches. Druck-14: 2 em werden aufgenommen in: 3% _ bis 8424, = 24), Min. i i rs 2%, Minuten. 3m 2,» 3° Eh = Als ah 4°], E2 SHeT > 221g ER Druck 30 u, 35 10 bis 3512 = 2 Minuten ' BE a a 35h 15 er 8 19 4!, > { B . NE ea Mittel 3-7 Minuten. Be ee el se 3 28 > 32 321, = 41, > Druck 14, 3h 371), bis 3841 = 4 Minuten sh 41, „865 = 3, „ gauusı 5 Bmane ol, i Sal » Sn ago | Mittel 2-7 Minuten 3n 4927, „ 8b 52y,- 2, „ su 52, „Bde 2, 5 Bu 544, „3:57 = 2 5 BT By N, , Druck 30 =, Auer Ebis Are A Ninuten Aa EIG ze. 1 AO wa 4b 94, 4b 131, 4 3 ahslalı.. Ari, ER Mittel 4 Minuten. 41T „ AD =4, „ 422 „ Ab Dell= Al, „ 4 96Y,, 4b 301,= 4 s Druck 45 , Das Thier stirbt. Dieser Versuch giebt also genau dasselbe Resultat wie der vorige. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 319 Aus der Thatsache, dass das Thier auch jetzt wieder einige Minuten nach Einstellung eines Druckes von 45 °® stirbt, darf man mit Wahrschein- lichkeit schliessen, dass dieser Druck den Tod verursacht hat. Wir kommen auf die Erklärung der hier erhaltenen Resultate noch näher zurück. Erst wünschen wir eine Reihe neuer Experimente zu besprechen, welche beabsichtigten, mittelst einer anderen einfacheren Methode den Ein- fluss des Druckes auf die Resorption zu untersuchen. Da es hier eine Frage galt, welche mit der Auffassung des Wesens der Resorption in engem Zusammenhang steht, konnte eine Wiederholung _ nach einer anderen Methode ausgeführter Experimente nicht als nutzlos betrachtet werden. II. Einfluss des intraabdominalen Drucks auf die Resorption. 2. Methode. Bei der hier angewandten Methode wurde die Flüssigkeit während einer Stunde unter constantem Druck in der Bauchhöhle gehalten. Was ührig blieb, wurde entfernt und gemessen und endlich wurde mittelst Subtraction bestimmt, wieviel Flüssigkeit resorbirt war. Zur Ausführung dieses Prineips experimentirten wir auf folgende Weise: Ebenso wie bei den oben beschriebenen Versuchen wurde auch hier der als Fig. 2 beschriebene Apparat iu die Bauchwand eingeführt; nachher wurde ein Gypsverband angelegt. Die Anfüllung der Bauchhöhle geschah wieder aus einem Trichter, dessen Höhestand den in der Bauchhöhle her- vortretenden Flüssigkeitsdruck bestimmte. Während des Versuches führte natürlich die Resorption eine fortwährende Hinabsteigung des Flüssigkeits- niveau’s im Trichter herbei, aber durch Hinzutröpfeln von Flüssigkeit aus einer Bürette wurde das Niveau auf constanter Höhe gehalten. Dasselbe hätte auf automatischem Wege erreicht werden können mittelst einer um- gekehrten Flasche; dies wäre bequemer gewesen bei der Ausführung; aber wir zogen es vor, den Gang des Versuchs vom Anfang bis zum Ende zu beobachten; ausserdem sollte für eine genaue Messung die Flasche so schmal sein wie eine Bürette. Nachdem seit dem Anfange der Füllung der Bauch- höhle eine Stunde vergangen war, wurde aufgezeichnet, wieviel Flüssigkeit im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht worden war. Um nun zu wissen, wieviel von dieser Flüssigkeit nach einer Stunde noch übrig geblieben war, wurde das Brett, auf welchem das Thier gefesselt war, derart umgekehıt, dass der Bauch nach unten gerichtet war; das Kopfende war höher ge- lagert als die hinteren Extremitäten. 320 H. J. HAMBURGER: Während das Brett in die erwähnte Lage gebracht wird, hält der Finger das Röhrchen 5 geschlossen. Steht das Brett richtig, so wird der Finger weggenommen und die Flüssigkeit fliesst mit einem Strahl aus dem Röhrchen 5 in ein darunter gestelltes Porcellanschälchen. Später sieht man die Flüssigkeit tropfenweise abfliessen. Innerhalb 15 Minuten wird, wie wiederholte Controlversuche gelehrt haben bei Thieren, welche nachher geöffnet wurden, alle Flüssigkeit auf diese Weise entfernt. Dass immer noch ein wenig Flüssigkeit an den Eingeweiden hängen bleibt, liegt auf der Hand und in der That muss dies, wenn man keine Rechnung damit trägt, zu Fehlern Veranlassung geben. ° Wenn weniger Flüssigkeit aus der Bauchhöhle entfernt wird, als darin vorhanden war, so scheint ja mehr absorbirt zu sein, als wirklich der Fall ist. Man kann diesen Fehler vermeiden, indem man vor dem Anfang des eigentlichen Versuches erst die Bauchhöhle mit Flüssigkeit anfüllt und letztere unmittelbar nachher entfernt. Die Baucheingeweide sind dann be- feuchtet und wenn nun beim eigentlichen Versuch die Bauchhöhle unter einem bestimmten Druck gefüllt wird, so braucht von der jetzt hinzugefügten Flüssigkeit nichts für die Befeuchtung der Baucheingeweide gebraucht zu werden. Erstens wurde nun wieder untersucht, ob auch beim vor- liegenden Versuchsverfahren die Schnelligkeit der Resorption unverändert bleiben würde bei constantem Druck. Versuch. In die Bauchhöhle werden 100 m Flüssigkeit gebracht. Die Bauch- höhle ist damit ganz ausgefüllt; was daraus hervorgeht, dass die Flüssig- keit im Trichter stehen bleibt. Unmittelbar nachher wird die Flüssigkeit auf die beschriebene Weise entfernt. Nach 8 Minuten sieht man keinen Tropfen mehr hervortreten; dessen ungeachtet wartet man noch 7 Minuten, um für alle Versuche die zur Entfernung verwendete Zeitdauer gleich zu machen. Druck29= Von 11* 28 bis 12® 28 im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht 135.5 = Nach) 1259877 aentfernen Pa N EEE RBEI REG is In einer Stunde resorbirt 29.5 ccm, Von 12# 50 bis 1” 50 im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht 150 «m Nach" 1.""50 zu tentternen 7. a a aan Re EEE SEE In einer Stunde resorbirt Soma sen BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 321 Von 25 18 bis 35 18 im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht 141-5 cm INAChW a alSGzuN entiernene a enteo In einer Stunde resorbirt 31-5 cm, Ex) Aus diesen Versuchen geht hervor, dass wenigstens innerhalb einer Zeitdauer von #5 Stunden, bei constantem Druck, die Resorption gleich- mässig ist. In diesem Sinne sprechen aber nicht alle Versuche, wie sich aus den foleenden Beispielen herausstellt. Von 1:30 bis 25 30 im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht 209-5 ccm INnch# 212. 30% zu&entternenen A Eh neh enlresn TO Ex) In einer Stunde resorbirt 39.5 ccm, Von 2.55 bis 3% 55 im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht 198 cm INach731255. Zu entiernene ya en ee 158 In einer Stunde resorbirt 40 ccm Von 4:20 bis 5" 20 im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht 171 m INach#5,2220 zu@entferneneree Rs In einer Stunde resorbirt Bo a ccmN Von 6* bis 7® im Ganzen in die Bauchhöhle gebracht . . . 172 cm Nach TE zu arten BR EN REEL) SIR REIS SUN. 2 02 N En AAN] In einer Stunde resorbirt BL scan In dieser Versuchsreihe ist die Resorption in den ersten zwei Stunden constant. Später nimmt dieselbe ab. Ich lasse hier noch die Versuchsreihen folgen, welche auf gleicher Weise wie die vorangehenden ausgeführt wurden. Der Druck ist I, In einer Stunde werden hintereinander resorbirtt 42—43!/,—40— 34—29 ccm DR 4 fi 2 R 31-30 —32—30-33 „, Eee 5 ö a 34—33 —33—27—24---19 cm, Bei allen drei Borken ist die Resorption in den ersten zwei bis nn Stunden gleichmässig. In der mittleren bleibt sie es nach dieser Zeit; i der ersten und dritten aber nimmt sie ab. Die nämlichen Versuche werden wiederholt bei Anwendung eines höheren Druckes, nämlich bei 14", Für jede Versuchsreihe wird ein anderes Thier gebraucht, und, wie gesagt, wird zur Befeuchtung von Bauch- wand und Eingeweiden vor dem Anfange jeder Versuchsreihe die Bauch- höhle mit Kochsalzlösung gefüllt und unmittelbar nachher davon entledigt. Druck 14 m, In einer Stunde resorbirt . . . . 48—49—47—43—391/, ke: 5 E nn. 58—53—54—47—41 a n 1 202. 46—44—41— 36 — 30 a 4 2.0. 55—56-54-57—52 „ „ F} ” . . . E 66— 64—60 — 52 — 47 Cr) Archiv f. A, u. Ph, 1896. Physiol, Abthle. 21 322 H. J. HAMBURGER: Hier wird vollkommen dasselbe Resultat erhalten wie bei einem Druck von 9°”; die ersten zwei bis drei Stunden namentlich ist die Resorption gleichmässig, nachher nimmt sie früher oder später ab. Das Constantsein der Resorptionsschnelligkeit in den ersten zwei Stunden wurde auch beim ersten Versuchsverfahren beobachtet. | | Wir hätten jetzt fortschreiten können zum Einfluss des Druckes auf die Resorption, aber hätten daun im Zusammenhang mit dem soeben Ge- fundenen unsere vergleichenden Versuche nur über zwei Stunden aus- dehnen können, aber es verdiente den Vorzug, erst zu untersuchen, was von der beobachteten Abnahme der Resorption die Ursache sein könnte. Wir hatten einige Zeit vor der Frage gestanden, als neue Experimente über die Resorption im Dünndarm uns auf den guten Weg brachten. Wir hatten nämlich bemerkt, dass, wenn bei einem lebenden Hund eine Darmschlinge hervorgeholt wird und nach Füllung mit einer iso- torischen Kochsalzlösung in die Bauchhöhle zurückgebracht wird, die Re- sorption zwar schnell vor sich geht, aber nach einigen Wiederholungen des Versuchs mit der nämlichen Darmschlinge jedesmal eine nicht unbedeu- tende Abnahme erfährt. Letzteres war auch schon beobachtet von Funke, von Becker, Tappeiner und noch im Jahre 1886 sah auch Leubuscher in Heidenhain’s Laboratorium den Darm fortwährend in resorbirendem Vermögen abnehmen; aber vergeblich sucht man eine Erklärung. Indessen bemerkten wir noch etwas Anderes. Nachdem nämlich im Ganzen während zwei bis drei Stunden eine Kochsalzlösung in einer Darmschlinge verweilt hatte, sah ich Flüssigkeit in der Bauchhöhle sich ansammeln. Anfänglich meinten wir, die unerwartete Erscheinung einem ungenügenden Verschluss der Darmschlinge zuschreiben zu müssen; aber auch als bezüglich der Vollkommenheit des Verschlusses nicht der mindeste Zweifel mehr bestehen konnte, wiederholte sich die Erscheinung. Die Ursache haben wir gefunden in dem Umstand, dass durch eine lange An- wesenheit von NaCl in den Gewebsspalten und eine gleich lange Durch- strömung der Capillaren und Venen des Darmes mit verdünntem Blute, diese Gefässe wie länger, so mehr permeabel werden; hierdurch geben die Venae einen Theil der von den Capillaren resorbirten Flüssigkeit wieder in das Darmlumen ab und scheint also die Resorption abzunehmen. Interessant war es, zu sehen, wie durch diese grössere Permeabilität unter der Darmserosa scharf umschriebene Haematome gebildet. wurden, in desto grösserer Anzahl, je nachdem der Versuch länger dauerte. Diese am Darm beobachteten Erscheinungen brachten uns auf die Idee, dass auch bei der Bauchhöhle der Abnahme der Resorption eine der- artige Ursache zu Grunde liegen konnte. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 323 Und wirklich stellte sich denn auch heraus, dass, wenn man Kaninchen, in deren Bauchhöhle eine Kochsalzlösung einige Stunden verweilt hat, tödtet, das subseröse Gewebe von Bauchwand und Bauchorganen mit Flüssigkeit getränkt ist; auch der Darminhalt ist weicher als in normalen Umständen. Die an muss wohl darin liegen, dass die grösseren Gefässe, welche normaliter keine Blutflüssigkeit durchlassen, dies wohl thun, nach einer lang- währenden Einwirkung von stark verdünntem Blute und von bedeutend verdünnter Lymphe um die Gefässe. Die Folge ist, dass ein Theil der in die Capillaren durch Resorption aufgenommenen Na0Cl-Lösung wieder durch die kleinen Venen im die Bauchhöhle zurückkehrt. Auf Grund dieser Vorstellung schien es uns rationell, die Resorptions- versuche bei einem und demselben Thiere künftig nicht mehr hinter- einander, sondern mit ziemlich grossen Zeitintervallen anzustellen, so dass die Venen nicht zu lange Zeit hintereinander in- und auswendig mit Salz- lösung in Berührung blieben. In der That stellte sich das auch heraus, dass wenn das Thier jedes Mal zwischen zwei Versuchen ein paar Stunden freigelassen wurde, am Ende einer Versuchsreihe niemals etwas von einer subserösen Quellung zu beobachten war; aber was noch mehr sagt: die Resorptionsschnelligkeit wurde constant. Dass bei diesem Versuchsverfahren die Zahl der an einem Tage mit einem Thiere auszuführenden Experimente nur gering sein konnte, liegt auf der Hand. Wir lassen jetzt einige Versuchsreihen folgen. Die erstere wird etwas ausführlich beschrieben; von den us werden nur die Resultate mit- getheilt. Versuch. Kaninchen; Unterbindung D. thoracieus; Apparat in Bauchwand; Gyps- verband. Druck 9. 8 Uhr 40 Min. wird die Bauchhöhle gefüllt mit 100 = 0.9 procent. NaCl-Lösung. Unmittelbar nachher wird die Flüssigkeit entfernt. Um 9 Uhr findet die definitive Füllung statt; um 9 Uhr 3 Min. ist der Druck von 9°® erreicht. Um 10 Uhr Entfernung der noch in der Bauchhöhle vorhandenen Flüssigkeit. Von der im Ganzen in die Bauchhöhle eingeführten 131 ® Flüssig- keit sind 103 °® zu entfernen; folglich sind resorbirt 20 m, Von 10 Uhr 15 Min. bis 1 Uhr ist das Thier sich selbst überlassen; es ist in seinem Gypsverband auf dem Brett geblieben, gehörig geschützt vor Abkühlung. Die Bauchhöhle wird at auf die beschriebene Weise mit NaCl befeuchtet; denn es ist nicht unmöglich, dass die dünne Flüssigkeitsschicht, au 324 H. J. HAMBURGER: welche um 10 Uhr 15 Min. zurückgeblieben war, um 1 Uhr ganz resor- birt ist. In der That ist das auch ganz oder beinahe ganz der Fall; denn von den 100 ° m abermals zur Befeuchtung eingeführten NaCl-Lösung können nur 92 °® entfernt werden. Wir haben darum immer jedem Experimente einer Versuchsreihe eine derartige Befeuchtung vorangehen lassen, im Gegen- satz zu dem, was geschah bei früheren Experimenten; wobei eine derartige Befeuchtung nur nothwendig war vor dem Anfang einer ganzen continuellen Versuchsreihe. Der Kürze wegen werden wir bei der Beschreibung der jetzt folgen- den Experimente nicht mehr erwähnen, dass jedem Versuche Befeuchtung voranging. Um 1 Uhr 20 Min. definitive Füllung der Bauchhöhle bei 9 = Druck. Um 2 Uhr 20 Min. Entfernung des in der Bauchhöhle zurückgebliebenen. Von den 152 «m in die Abdominalhöhle eingeführten Flüssigkeiten sind 122 ec ® zu entfernen. Es sind also resorbirt worden 80 em, Um 5 Uhr werden die Versuche auf gleicher Weise wiederholt. Die in einer Tabelle zusammengefassten Resultate sind: Resorbirt. von 9% — bis? 1027 ==, 9,77. 7.29.20 22,009 SfceizE A 200 ei 2 20T. ne oe ” ” Du ER) 6, — EN IR En 2A) 43 9 ” I, — PR) 10% Zei . c - > e 5 29 PR Am Ende der Versuchsreihe wurde das Thier getödtet. Von sub- seröser Quellung ist nichts zu beobachten; auch nicht am Ende der fünf folgenden Versuchsreihen. Besorbirt, von 9 HI3H bis 10, 2237.72. ne oder > 30 el N ea 2 BE a N an u A 5 . ee ee EN KRZR 2 53 Resorbirb,von( 10,27 Disease — ONncem "> ee Be ei 3 ie a ee BE o Resorbirt, von, 9 EI15 bis7 1ORE DE 5 ccm ; r EN I GE LE). cn = a Dias hats, Or 2 Ve > = 9.7 ERROR en IE, BERREREEN IE Weiter werden noch zwei Reihen von Versuchen bei einem hydrosta- tischen Druck von 2 °® angestellt. Besorbirtsvon@ gr 5Eb1s 1022 Sr 2 5 sa 1208; 2 DO RER EU Ne ns ” b) Fi ar ’ 6 Do De . . . . . 11-5 ” „ ER] 9 ” GL EE) 10 ” EI . . . . . . 12 ” BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 325 Resorbirt von 9# 20 bis 10P 20. » a A 2,020... ” Ba, > De BIER ER} ” 9I,:— Er) 10 DEE 10 ccm I EE) 10 i 10.52, Aus diesen Experimenten erhellt, dass, wenn man eine stundenlange, continuelle Einwirkung von NaCl-Lösung auf die Gefässe vermeidet, indem man zwischen jedem Versuch die Bauchhöhle ein Paar Stunden frei lässt, die Resorption con- stant ist. Jetzt konnte der Einfluss des hydrostatischen Druckes auf die Resorption untersucht werden. Hier folgen die Experimente mit den erhaltenen Resultaten: | BR: Resorbirte Druck | Resorptionszeit Flüssigkeitsmenge 2, cm 9E27302bisr 10,230 2 a U DEN 20, 20.2.0 11 ns g >» 5 ya er ss 6 Er are 22-5 Er) 9 ER) 9 SS ARER » 10 EEFNERTITE 24 3 Zu 9927 508 bis! 110 3730 13. Hrcem I RR 21.29 25 un 2 > 5 DH: RE Er) 6 ELTNRRETT 11 E£) Oye el KO 23 o8 hen 9E240,.bis; 10% 40 DD ccm 9% In EN 2.0190 21 9 14 3 DON ER Er Ro) ’ IE 33 E) In 9527502,Disz. 10 2730 Zul g com 10 30 00,59 405, 9 Er) 8 DO ag s 6 Jah. Nhepee 25-5 9 1, er RICH. rn 4 902305%bis? 10/2730 Salpyccım 20 29 1 » 20 3 2 Er 20 27 5) 14 ER) b) PEST TE Er) 6 Co Nor 31 ’ 20,25, Yin. —ı 0 Ad 25-5 ,„ leben 9% 30 bis 10 #30 BE 14 „ A 220 34 „» 20 ” 5 ONE TEE ” 6 IT 36 ” 20 Er) 9 eur > 10 OLE TEEiE 35 Er) 14 OASDise 10RA5 33 ccm 202%, E30 230 33-3 14 ” 5 DO EEE ER 6 93017, Sun) 32 ED 20. ‚, 9. — 10, — 39 5 326 H. J. HAMBURGER: (Fortsetzung. ae i ; Resorbirte Druck | ! ee Flüssi gkeitsmenge 4a 9h 30 bis 10h 30 | Pe 12:2, 19, 2300375 2130 DI Ip 20 ” | B) OR e ” 6 FERSE EN | 24 „ 20 ” 9 u 9 10 39 ER 22 2 20gen IM=30= bis 1030 | jean 20 „ 10H... KR | SO 30 > 5 E I: ’ 6 Dan Du | 19 30% VE I | 18 R 20 m 9b 35 bis 10h 35 | 28 cm sole) 1, 200 a 20 I a9 20 ER) 5 PO . 6 33, = | 27-5 > 30 ee 10... — 16 u Mit Bezug auf das Versuchsverfahren zwei Bemerkungen: Versuche mit einem Druck niedriger als 2 °® sind schwierig anzustellen. Wünscht man sicher zu sein, dass die Bauchhöhle völlig gefüllt ist, so ist es nothwendig, das Flüssigkeitsniveau im Röhrchen 5 sehen zu können, und das war nur möglich, wenn das Niveau ungefähr 2m oberhalb des Gypsverbandes hinausragte. Die zweite Bemerkung gilt den Experimenten mit höherem Druck. In den vier letzteren Versuchsreihen ist künstliche Athmung angewandt, weil die Thiere bei einem Druck von 20 *® sich zuweilen sehr dyspnoisch zeigten, offenbar durch Ermüdung des Diaphragma, welches bei der Zu- sammenziehung jedesmal den hohen intraperitonealen Druck überwinden muss. Um nicht bloss in einem Theil einer Versuchsreihe einen neuen Factor einzuführen, wandten wir die künstliche Athmung bei allen Ver- suchen an, folglich auch wenn der Druck ein niedriger war. Was nun die Resultate betrifft, so sprechen dieselben sehr deutlich. Es stellt sich heraus: 1. dass, wenn der intraabdominale Druck steigt von 2 bis 9m, die Resorption zuweilen biszum Doppelten zunimmt. 2. Weniger stark, aber jedenfalls noch bedeutend, steigt die Resorption bei einer Druckerhöhung von 9 bis 14 =, 3. Bei einer Druckzunahme von 14 bis 20 ®® ist nun ein- mal die Resorption unzweifelhaft ein wenig vermehrt, dann wieder unverändert geblieben, aber zuweilen auch deutlich vermindert. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 327 4. Bei einer Drucksteigerung von 20 bis 30 m ist immer eine bedeutende Abnahme der Resorption zu beobachten.! Zwischen 1 und 2 einerseits und 2 und 3 andererseits besteht ein Widerspruch; aber dieser ist, wie wir bald auseinandersetzen werden, nur scheinbar. Jedenfalls dürfen wir hier mit Sicherheit constatiren, dass die Resorp- tion von Flüssigkeit aus der Bauchhöhle bedeutend beeinflusst wird von dem auf die Flüssigkeit ausgeübten Druck. Und da nun dies Alles beobachtet wird bei Ausschliessung der Lymph- bahnen (Unterbindung des Ductus thoracicus), darf man einen Schritt weiter- gehen und sagen, dass die Resorption von Flüssigkeiten seitens der Blutgefässe in hohem Maasse abhängig ist vom hydrostatischen Druck, unter welchem die Flüssigkeiten sich befinden. Das stimmt vollkommen überein mit unseren Versuchsresultaten an künstlichen homogenen Membranen: je mehr der Druck der Flüssigkeit im Mantelraum (Gewebespalt) den im Gelatinerohr (capilläres Blutgefäss) über- traf, desto schneller ging die Flüssiekeit aus dem Mantelraum in die das Gelatinrohr durchströmende Flüssigkeit hinüber. Aber mit dieser Analogie im Widerspruch scheint wieder die Beobach- tung, dass, nachdem der intraabdominale Druck eine gewisse Höhe erreicht hat, Vermehrung dieses Drucks keine Steigerung, sondern Abnahme der Resorption zur Folge hat. Wir meinen, dass dieser Widerspruch auf secun- därem Grund beruht und sich folgender Weise erklären lässt. Bei Steigerung des intraabdominalen Drucks wirken zwei Factoren in entgegengesetzter Linie; der eine Factor drückt die Flüssigkeit mit grösserer Kraft durch den Capillarwand hindurch und fördert also die Resorption; der andere Factor drückt die intraabdominalen Blutgefässe im All- gemeinen, verengt ihre Lumen und beeinträchtigt also die Resorption. Diese Zusammendrückung muss am meisten die Venen treffen; mehr als die Arterien, weil die letzteren eine dicekere Wand besitzen; und mehr als die Capillaren, weil bei diesen der auswendige Druck, wenigstens für einen grossen Theil, für die Compression verloren geht, indem da die Steigerung des auswendigen Drucks mit einem mehr ausgiebigen Ueber- gang von Flüssigkeiten in das Lumen des Capillargefässes beantwortet werden kann. . ! Wir legen noch einmal den Nachdruck darauf, dass die angegebenen Grössen des intraabdominalen Druckes gemessen worden sind von der oberen Oberfläche des Gypsverbandes. Für jedes Niveau in der Bauchhöhle ist die Grösse natürlich eine andere. Für alle Versuche sind kleine Kaninchen gebraucht. 328 H. J. HAMBURGER: Dass nun bei einem immer ansteigenden intraabdominalen Druck der zweite Factor der dominirende werden muss, liegt auf der Hand; wenn so die Venen stark comprimirt werden, kann schliesslich die zu resorbirende Flüssig- keit nicht mehr abfliessen. Doch auf welche Weise war diese Vorstellung durch das Experiment zu prüfen? Die Bestimmung der Stromesschnelligkeit des Blutes in der Vena cava bei verschiedenem intraabdominalen Druck verdiente wohl am meisten den Vorzug; aber die gegenwärtig bekannten Methoden zur Verhinderung der Stromesschnelligkeit erlauben uns nicht, bei geschlossener Bauchhöhle zu arbeiten. Es giebt aber noch ein anderes Mittel, das zwar die Bestimmung der Stromesgeschwindigkeit nicht vertreten kann, aber doch, und insbesondere in unserem Fall, eine Vorstellung davon zu geben im Stande ist, und das ist die Bestimmung des arteriellen Blutdrucks. Wenn der auf die intraabdominalen Gefässe ausgeübte Druck eine so bedeutende Grösse erreicht, dass der Blutstrom in der Vena cava ab- geschwächt wird und also das Herz weniger Blut empfängt, als unter nor- malen Umständen, so wird dies zu einer Senkung des allgemeinen arte- riellen Blutdrucks führen müssen. Insoweit mir bekannt, ist der Einfluss des intraabdominalen Drucks auf den allgemeinen arteriellen Blutdruck noch niemals studirt worden. Ich war deshalb genöthigt, selbst einige Experimente anzustellen. Dieselben werden beschrieben auf S. 332 „Ueber den Einfluss des intraabdominalen Drucks auf den allgemeinen arteriellen Blut- druck.“ Hier erwähne ich nur das gewonnene Resultat, wobei sich herausstellte, dass bei Steigerung des durch Flüssigkeit herbeigeführten intraabdominalen Drucks erst der arterielle Blutdruck zunimmt, bei weiterer Steigerung aber abnimmt. Nun zeigt sich eine frappante Coincidenz zwischen dem intraperitonealen Druck, bei welchem der Blutdruck abzunehmen anfängt und dem, bei welchem dasselbe mit der Resorption ge- schieht. Wie sich oben herausstellte, fängt bei den von uns gebrauchten kleinen Kaninchen die Resorption abzunehmen an bei einem intraperitonealen Druck, welcher gelegen ist zwischen 14 und 20°”, oder zwischen 20 und 30%; für den Blutdruck finden wir bei derselben Thierart von ungefähr gleicher (Grösse derartige Grenzen (schwankend um 20”), Es würde empfehlenswerth gewesen sein, diese Grenzen für Resorption und Blutdruck noch einmal bei einem und demselben Versuchsthier genau zu BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 329 bestimmen; aber eine so grosse Reihe von Experimenten, welche hierzu er- forderlich sein würden, kann man bei einem Thiere nicht anstellen. Ob jedoch die Coincidenz der Grenzen vollkommen ausfallen würde, ist nicht voraus zu sagen; wahrscheinlioh ist es nicht. Das geht schon hervor aus folgender Betrachtung. Bei einer mässigen Steigerung des intraperitonealen Drucks, nimmt, wie wir beobachteten, auch der arterielle Blutdruck zu, und hiermit wird auch wohl zusammengehen eine Zunahme des Blutdrucks in den Capillaren der Baucheingeweide. Solch eine Steigerung (ohne Stromesbeschleunigung) muss, wenn dieselbe auch in absolutem Sinne gering ist, doch die Resorption beeinträchtigen. Und so wäre es nicht unmöglich, dass sich eine Abnahme der Resorption bereits einstellte, bevor der Blutdruck hinabzusteigen anfing. Inzwischen rechtfertigen die bei verschiedenen Thieren erhaltenen Resul- tate die erwähnte Auffassung unseres Erachtens sehr genügend. Noch eine einzige Bemerkung mit Rücksicht auf die praktische Mediein. Die Kliniker wissen schon lange, dass theilweise Entfernung einer unter hoher Spannung sich befindenden pathologischen Flüssigkeit oft ge- folgt wird von einer beschleunigten Resorption der zurückgebliebenen Flüssig- keit. Diese Erfahrung wird durch die oben erwähnten Versuche auf experi- mentellem Wege erklärt. Ist namentlich der hydrostatische Druck, unter welchem sich eine pathologische Flüssigkeit befindet, hoch, so wird die Resorption schwach sein; es wird sogar scheinen können, als ob gar nichts resorbirt wurde; aber in der That kann wohl ein Gleichgewicht bestehen zwischen der Bildung und der Aufnahme von Flüssigkeit. Entfernt man nun aber einen Theil der Flüssigkeit, so wird der hydrostatische Druck ab- nehmen und hierdurch kann gerade die Bedingung für eine schnelle Resorp- tion geschaffen sein. Entfernung einer sogar kleinen Flüssigkeitsmenge kann plötzlich den für die Resorption vortheilhaftesten hydrostatischen Druck hervorrufen. Das unseres Erachtens wichtigste Resultat aber, welches die vorliegende Arbeit aufgeliefert hat, ist, dass die Resorption von Flüssigkeiten seitens der Blutgefässe in hohem Maasse beeinflusst wird vom hydrostatischen Druck. Dies bestätigte nicht nur die von uns gegebene Vorstellung, dass man bei der Resorption zu schaffen habe mit einem rein physikalischen Process, aber es kann auch selbständig gelten als ein Wahrscheinlichkeitsargument gegen die Vorstellung von Heidenhain-Orlow, dass die Resorption in der Bauch- höhle als ein Lebensprocess aufzufassen sei. 330 H. J. HAMBURGER: Resume. Die Resorption von Flüssigkeit in der Bauchhöhle wird befördert durch Steigerung des intraabdominalen Druckes. Da diese Erscheinung auch beobachtet wird nach Unterbindung des Ductus thoracicus, darf man einen Schritt weiter gehen und sagen, dass die Re- sorption von Flüssigkeiten seitens der Blutgefässe durch Steigerung des intraabdominalen Druckes be- günstigt wird. . Die Beschleunigung der Resorption durch Steigerung des intraabdominalen Druckes ist bedeutend. So findet man, dass in der Bauchhöhle eines kleinen Kaninchens, nach Unterbindung des Ductus thoracicus, bei einem Druck von 9°® resorbirt werden 35 = 0.9 procentige NaCl-Lösung (isotonisch mit dem Blutserum); während bei einem Druck von 14 °® resorbirt werden 72 cm, Ueberschreitet der intraabdominale Druck eine gewisse Grenze, so nimmt die Resorption ab. Die sub 1 und 2 erwähnte Thatsache, gefunden auf Veranlassung von Versuchen an künstlichen homogenen Membranen und mit den dabei erhaltenen Resultaten in Uebereinstimmung, bestätigt die von mir gegebene Vorstellung, dass die Resorption seitens der Blut- gefässe ein rein physikalischer Process sei.! Es kann auch selbständig als ein Wahrscheinlich- keitsargument gelten gegen die von Heidenhain-Orlow ausgesprochene Meinung, dass die Resorption als ein Lebensprocess aufzufassen sei. . Die sub 3 erwähnte Thatsache ist nur scheinbar mit 2 in Widerspruch. Scheinbar, weil bei bedeutender Stei- gserung des intraabdominalen Druckes der Blutstrom in den Venen verringert wird und also die zu resor- birende Flüssigkeit weniger schnell abgeführt werden kann. Dass in der That der Blutstrom durch intra- peritonealen Druck beeinflusst wird, lehren die Be- stimmungen des allgemeinen arteriellen Blutdruckes. ! Dies Archiw. 1895. S. 363. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER RESORPTION. 33l Bei mässiger Steigerung des intraabdominalen Druckes beantwortet das Herz die Hemmung des Blut- stroms mit einer kräftigeren Wirkung; demgemäss sieht man den arteriellen Blutdruck steigen. Bei einer bedeutenden Steigerung des intraabdo- minalen Druckes aber ist das Herz nicht mehr zur Com- pensation im Stande Es empfängt nun auch selbst weniger Blut als unter normalen Umständen; der all- gemeine arterielle Blutdruck sinkt. ). Dass Entfernung sogar eines kleinen Bruchtheiles einer unter hoher Spannung sich befindenden pathologischen Flüssigkeit gefolgt wird von einer beschleunigten Re- sorption der zurückgebliebenen Flüssigkeitist eine den Klinikern wohlbekannte Erfahrung, welche hier auf experimentellem Wege erklärt worden ist. Ueber den Einfluss des intraabdominalen Druckes auf den allgemeinen arteriellen Blutdruck. Von H. J. Hamburger in Utrecht. Die Veranlassung zu den hier zu beschreibenden Versuchen findet man auf S. 328 des vorangehenden Aufsatzes: „Ueber den Einfluss des intraab- dominalen Druckes auf den allgemeinen arteriellen Blutdruck.“ Das Versuchsverfahren war folgendes: In der Bauchwand eines auf dem Rücken liegenden kleinen Kaninchens wird das auf S. 306 beschriebene und abgebildete Klemmröhrchen applicirt. Dann wird ein nicht zu eng anschliessender Gypsverband angelegt. Die Carotis wird frei praeparirt, und der Blutdruck in der Arterie auf Lud- wig’s Kymographion aufgeschrieben. Nachdem dies bei trockener Bauch- höhle geschehen ist, wird durch das Klemmrohr so lange eine 0-9 procentige lauwarme Kochsalzlösung gegossen, bis der erwünschte Druck erreicht ist. Dies wurde wie früher geregelt durch den Höhestand des mit dem Klemm- rohr in Verbindung stehenden Trichters. Der auf diese Weise herbeigeführte intraabdominale Druck wurde ge- messen durch den Abstand von der Stelle, wo das Röhrchen den Gyps- verband verliess bis zum Flüssigkeitsniveau im Trichter. Der Abstand des erstgenannten Punktes bis an die Wirbelsäule betrug im Mittel 10 m. Wir hatten früher schon bemerkt, dass unsere Kaninchen einen an- haltenden intraabdominalen Druck von 20°® Kochsalzlösung nicht lange ertragen ohne dyspnoötisch zu werden, offenbar weil das Diaphragma nicht im Stande ist diesen relativ hohen intraperitonealen Druck zu überwinden. Daher wandten wir künstliche Athmung an und zwar nicht nur bei einem Druck von 20°® und höher, sondern auch bei niedrigerem Druck. Obgleich sich durch vergleichende Versuche herausgestellt hatte, dass die von uns geübte künstliche Athmung keinen Einfluss hatte auf die Grösse des arte- riellen Blutdrucks, haben wir, um keinen neuen Factor, in einen Theil ÜBER DEN EINFLUSS DES INTRAABDOMINALEN DRUCKES U. Ss. w. 5833 der vergleichenden Versuche einzuführen, die künstliche Athmung durch die ganze Versuchsreihe hin angewandt. Inzwischen, wie der Leser bemerken wird, starb das Thier, trotz künst- licher Athmung, bei sehr gesteigertem intraabdominalen Druck doch. Aber das hatte einen anderen Grund. Schliesslich verdient noch bemerkt zu Keine Flüssigkeit in der Bauchhöhle Ä DEREN: U Höhe der Herzcurve 2mM. Hohe der Herzcurve 24m. M. Druck 10 c.M. Druck 20 ceM. Ad VAyaı Höhe der Herzcurve Höhe der Herzcurve 2.75 m.M. 3m.M Druck 35 cM. Druck 45 c.M. NM NV NV NNIN TEE NE NEE Höhe derHerzcurve ImM. Fig. 1. werden, dass wir nicht eher zur Einstellung eines anderen intraabdominalen Druckes übergingen, als nachdem der Blutdruck während drei Minuten constant geblieben war. Gewöhnlich brauchte der intraabdominale Druck nicht länger als 6 Minuten im Ganzen beibehalten zu werden, wenigstens wenn die Unterschiede zwischen je zwei Druckhöhen nicht zu gross waren. Intraabdominaler Druck, gemessen in Blutdruck gemessen | Palnen cm NaCl-Lösung von| in mm Quecksilber = 0-9 Procent | DE 83.5 mm Noch keine Flüssigkeit in der Bauchhöhle. Du 90-5 „ 10 „ 94-5 ,, 20 ‚ 96-5 „ 35 „ LERNENS 45 „ 40-5 „, Das Thier ist unruhig. 35% 76-5 „ 20 ‚ OH 192 95-5 Da 90.525 Dun, 87-5 „ Das Flüssigkeitsreservoir (Trichter) ist weggenommen; das Flüssigkeitsniveau ist im Klemmrohr 5 sichtbar. 334 H. J. HAMBURGER: Um die Resultate übersichtlich darzustellen, bringen wir dieselben in eine Curve (Fig. 2). Auf der Abscisse ist der intraperitoneale Druck ab- mM. Quecksilber 700 | | 85 EEE | a | | | Als | ' | ER | IN Ri | | 7 N | | | | | | N | | ee 70, [2 12 ai a BE RE 65, | | | | 5 | aa | 50 —— | | | Ba —— —— —— | 40 | 0582 1027, 7570200 1257 3000950700245 eMXNall_L OSUng gemessen; auf der Ordinate der Blutdruck in der Carotis. Der Nullpunkt entspricht einem Druck von 40 wu, Auffallend ist es, dass beim Uebergang von einem höheren zu einem niedrigen intraperitonealen Druck genau dieselben Zahlen für die bezw. Blutdruckwerthe gefunden werden wie wenn man den umgekehrten Weg folgt. Dies erregt Vertrauen in die Ge- nauigkeit der beobachteten Zahlen. Wiederholung des vorigen Versuches. Die folgenden Experi- mente werden auf vollkommen dieselbe Weise angestellt wie Fig. 2. ; S die vorigen. Intraabdominaler Druck, gemessen in | Blutdruck gemessen B 3 emerkungen em 0-9 proc. NaCl- in mm Quecksilber S Lösung 0), == la Noch keine Flüssigkeit in d. Bauchhöhle. 4-5 „ no) 5 Ka) 120 > Tora | 124-5 „, 15, 8 | a 2 PURE: | 113 “ 25 PR) | 59 ” Nachdem der einem intraabdominalen Druck von 25 °= entsprechende Blutdruck sieh aufgezeichnet hatte, machte das Thier solche heftige Bewe- gungen, dass eine Oeffnung in der Oarotis entstand. Hierdurch wurde ein schwerer Blutverlust veranlasst; der Versuch wurde beendigt. ÜBER DEN EINFLUSS DES INTRAABDOMINALEN DRUCKES U. S. W. 335 Uebrigens ist das Resultat dem des vorigen Versuches gleich, nur mit dem Unterschied, dass hier die Abnahme des Blutdruckes anfängt bei einem zwischen 15 und 20°“ gelegenen intraperitonealen Druck, während beim vorigen Versuch der Uebergang zwischen 20 und 35” lag. Folgender Versuch giebt dasselbe Resultat wie die beiden vorigen. Hier liest die bewusste Grenze zwischen 20 und 25 °® intraperitonealem Druck. Blutdruck in der Intraperitonealer Di ne Carotis, gemessen in Bemerkungen Lösung mm Quecksilber Open gen Keine Flüssigkeit in der Bauchhöhle. 3 | 102-5 ., 108 | oO | v5, | 109 20 | 123 I 25 ,, 0052 302, | 85 » 45 | 44 ZA) oo 113 10% | 106... Ber | 022 ,,; Dora | 1000: Das Flüssigkeitsniveau steht im Röhr- chen b. Intraabdominaler Blutdruck in der ee Mad. Carotis, gemessen in Bemerkungen Lösung mm Quecksilber 0x2 S0r mm Keine Flüssigkeit in der Bauchhöhle. 10 .. Se» 20. 90 30 ., 4. 40 5 AB, 307% U 10 .., Son Zu 82-5, Das Flüssigkeitsniveau steht im Röhr- chen b. In der folgenden Figur (3) sind die Curven der vier Versuche zu- sammengebracht. Noch ein Versuch wurde ausgeführt bei einem grossen Hunde und zwar auf dieselbe Weise, wie die vorigen Experimente, mit dem Unterschied 336 H. J. HAMBURGER: aber, dass hier nicht die A. carotis sondern die Femoralis genommen wurde. Obgleich sich a priori kein Unterschied in den Resultaten beim Gebrauch beider Arterien erwarten liess, wünschte ich es doch experimentell zu prüfen Unmöselich wäre es ja nicht, dass die A. femoralis, welche ihr Blut durch die V. cruralis in die V. cava entlastet, ein etwas anderes Resultat geben würde wie die A. carotis. Die A. femoralis der von uns gebrauchten Kanin- chen war für unseren Zweck m|M. Quecksilber | Be viel zu klein. 125 [ZEN ! USE Et ; ir za Be Der Hund war narkotisirt 120 2 \ [| | | mittelst Morphium. 53 .: ” = 22:0 | =& 2 3 Z32%83 PR: er 2 ._m 3233 5 SSEe | 25:7 E Bis” se a & u = oO m 154 um |Keine Flüssig- keit in der Bauchhöhle Tun 168 „, 10-5 .. 17695 AU 160 „. 2. 1505 30,2% 148, AO N 144 „. 45 7, 135 „. 10-5 .. 167 er 168 „. PER Mr) 40 En 144 „, Nachher wurde der intra- peritoneale Druck auf 110 ® gebracht. Das Thier wurde sehr unruhig; der Blutdruck sank bedeutend. Ich versuchte durch Senkung des Trichters 20, 5 1015 2 25 30.35 40 45 schnell den hohen Blutdruck cMNaCLlösung aufzuheben, aber vergeblich. Fig. 3. Der Hund sterb. Bei der Section stellte sich heraus, dass die Senkung des Trichters darum keinen Erfolg hatte, weil ein Stück Omentum in das Röhrchen d hineingeschlüpft war. | Inzwischen hat der Versuch doch den Zweck erreicht. Derselbe hat ÜBER DEN EINFLUSS DES INTRAABDOMINALEN DRUCKES U. S. w. 337 eine deutliche Antwort gegeben auf die Frage, ob bei gesteigertem intra- abdominalem Druck der Verlauf des Blutdruckes in der A. eruralis derselbe ist als in der Carotis. Die Antwort ist vollkommen bestätigend ausgefallen. Unserer Meinung nach können die beobachteten Thatsachen auf die folgende Weise interpretirt werden. Wenn in der Bauchhöhle ein Druck ausgeübt wird, erfährt der Blut- strom, insbesondere in den Venen, einen vermehrten Widerstand; das Herz antwortet hierauf mit einer kräftigeren Wirkung, welche sich offenbart in einer Steigerung des allgemeinen arteriellen Blutdruckes. Letzteres ist nicht nur wahrzunehmen am mittleren Stand des Manometers (mittlerer Blut- druck) beim Unterdrücken der Schwankungen, sondern auch an den Schwankungen selbst, wenn man dieselben frei zu Stande kommen lässt. Man liest dann in der Curve eine der Blutdrucksteigerung entsprechende Verstärkung der Herzwirkung. Fährt man aber mit der Steigerung des intraperitonealen Druckes fort, so zeigt sich die Herzwirkung nicht mehr im Stande den also herbei- geführten Widerstand in den Abdominalgefässen zu compensiren. Die Füllung des Herzens nimmt ab; der Blutdruck sinkt. Und auch die Contractionen des Herzens werden schwächer. Und dies alles äussert sich um so stärker, je nachdem der intraabdominale Druck höher ansteigt, Archiv f. A. u. Ph. 1896, Physiol, Abthlg. 393 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1895 —1896. VI Sitzung am 10. Januar 1896." 1. Hr. Dr. G. JoACHIMSTHAL (als Gast) hält den angekündigten Vortrag: Ueber selbstregulatorische Vorgänge am Muskel. Nach den Untersuchungen über die Zweckmässigkeit in der Anordnung der Spongiosabälkchen des Knochens und dem durch Julius Wolff er- brachten Nachweis der Anpassungsfähigkeit nicht nur der inneren Archi- teetur, sondern damit auch der äusseren Form der Knochen unter functionell neuen Verhältnissen, lag es nahe, auch andere Gewebe und Organe des Körpers sowohl auf die Frage der Zweckmässigkeit in der Anordnung ihrer Elemente zu prüfen, als ganz besonders nach Ermittelung eines derartigen ursächlichen Zusammenhanges zwischen Form und Function den Nachweis morphologischer, durch etwaige Aenderungen der Function bedingter Structur- veränderungen zu erbringen. Ein der Function entsprechender Bau ist bisher bereits für eine Reihe von bindegewebigen Organen erwiesen worden. So wurde durch Roux in der Schwanzflosse des Delphins eine „functionelle Struetur“ aufgefunden, welche in einer Weise das Mannigfaltigste und Zweck- mässigste mit den einfachsten Mitteln darstellt, die ohne ein bekanntes Bei- spiel in der Lebewelt dasteht. Die Structurverhältnisse der Fascien (Bar- deleben), die Faserung des Trommelfelles (Roux), der Semilunarklappen des Herzens ergaben der Function angepasste Structurverhältnisse. Die Gestaltung des Lumens der Blutgefässe wurde gleichfalls durch Roux als eine feinste functionelle Anpassung der lebenden Wandung an die haemo- dynamischen Kräfte des Blutstrahles erkannt. Bei diesen Nachforschungen war man umsomehr veranlasst, auch. den Muskeln eine diesbezügliche Aufmerksamkeit zuzuwenden, als anatomische und vergleichend anatomische Betrachtungen auf eine Zweckmässigkeit in der Anordnung der einzelnen Körpermuskeln, und überdies vielfache Er- * Ausgegeben am 20. März 1896. VERHANDL. D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — G. JOACHIMSTHAL. 339 fahrungen des täglichen Lebens auf das Eintreten zweekmässiger Umwand- lungen unter der Einwirkung einer veränderten Function der Muskeln hin- weisen. Unter dem Einfluss einer vermehrten Thätigkeit und Uebung nimmt die Dicke der Skeletmuskeln in einer schon bei oberflächlicher Untersuchung deutlichst nachweisbaren Weise zu, während eine Durchschneidung, bezw. Lähmung des dazu gehörigen Nerven oder dauernder Nichtgebrauch, bei- spielsweise bei Feststeifung der benachbarten Gelenke, zu einer beträcht- lichen Verminderung der Muskeldicke führt. Zwei in dieser Beziehung höchst belehrende Beispiele hatte ich nacheinander Gelegenheit, der hiesigen medi- einischen Gesellschaft zu demonstriren. Es handelte sich beide Male um Patienten, die in ihrer frühesten Kindheit durch eine Erkrankung an spinaler Kinderlähmung eine fast vollkommene Paralyse der unteren Gliedmaassen erworben hatten und bei dem Unvermögen des Gebrauches dieser Extremi- täten zur Fortbewegung, es durch langjährige Uebung zu einer wunderbaren Fertigkeit in dem Gehen, Laufen, Klettern und Springen auf den Händen gebracht hatten. In Folge der vermehrten Beanspruchung hatte bei beiden Kranken die Musculatur der oberen Extremitäten und des Rumpfes eine geradezu athletisch zu nennende Entwickelung angenommen, während der fast vollkommene Schwund der Muskeln an den gelähmten Theilen einen überaus frappirenden Contrast beider Körperhälften hervortreten liess. War somit die Selbstregulation des Muskels in Bezug auf seinen Diekendurch- messer schon ohne Weiteres anzunehmen und bedurfte keines weiteren Nach- weises, so war es ebenso durch vielfache klinische Erfahrungen festgestellt, dass der Muskel sich selbst grösseren Aenderungen in der Entfernung der Insertionspunkte von einander allmählich anzupassen vermag. Ich erinnere in dieser Beziehung nur an die Verhältnisse bei der angeborenen Hüft- luxation, bei der die mit der Axe des nach hinten oben disloeirten Schen- kels parallel laufenden pelvifemoralen und pelvieruralen Muskeln sieh ver- kürzt erweisen, während die pelvitrochanteren Muskeln keine Verkürzung, sondern eine Verlängerung aufweisen, Veränderungen, die sich nach ge- lungener Reposition des Schenkelkopfes von selbst zur Norm zurückbilden. Indess liegen in Bezug auf die Muskellänge die Verhältnisse nicht so ein- fach, als für die Muskeldicke; denn es bedurfte hier für die Feststellung der Uebereinstimmung von Form und Function einmal des Nachweises der Abhängigkeit der Muskellänge von der Excursionsgrösse des durch den Muskel unmittelbar bewegten Theiles, sowie weiterhin des Nachweises der Fähigkeit des Muskels, bei etwaigen Aenderungen der Excursionsgrösse selbst- regulatorisch seine Länge zu variiren. Schon Borelli hatte erkannt, dass ein Muskel eine Last um so höher zu heben im Stande ist, je länger er selber ist. Ueberzeugender haben dann Ed. Friedr. Weber und nach ihm Fick und Gubler erwiesen, dass die Länge des Muskels überall am thierischen Körper in einem. direeten Abhängigkeitsverhältniss zu der Function, nämlich zu der Hubhöhe, stehe. Einige Beispiele aus der vergleichenden Anatomie mögen ein derartiges Ver- halten illustriren. Bei den mit gebeugtem Kniegelenk einhergehenden Vier- füsslern inseriren sich die den Unterschenkel zum Obersehenkel beugenden Muskeln an der Tibia und Fibula weit vom Kniegelenk entfernt, beim Menschen dagegen, beim Affen und gewissen Quadrupeden, wie den Elefanten, die das Knie beim Laufen streeken, liegen die Insertionsstellen in der Nähe 22* 340 VERHANDLUNGEN DER BERLINER des Gelenkes. Da der Biceps, Semitendinosus und Semimembranosus um so ausgiebigere Bewegungen auszuführen vermögen, je weiter vom Gelenk ihre Ansatzpunkte entfernt sind, so nimmt die Muskellänge im Verhältniss zur Sehne bis zum vollkommenen Schwinden derselben zu, während die Muskeln dort, wo sie in der Nähe des Gelenkes inseriren, eine lange Sehne aufweisen. Wie Marey zeigte, haben die Vögel mit kleinen Flügeln, welche für die gleiche Leistung grössere Exeursionen als breite Flügel zu machen haben, einen dieselben bewegenden Pectoralis, der durch Aenderung seiner Inser- tionsstelle länger geworden ist und so grössere Exceursionen: gestattet, als der gleiche Muskel bei Vögeln mit breiten Flügeln. Um hier gleich auf ein Beispiel einzugehen, auf das ich später zurückkomme, so war es von jeher den Forschern aufgefallen, dass gewisse Formen von Negern, trotz der grossen Leistungsfähigkeit im Gebrauch ihrer unteren Extremitäten, überaus wenig hervortretende Wadenmuskeln besitzen, während bei der weissen Race die Gastroenemii als Muskelmasse deutlich nach hinten prominiren. is ergab sich als Ursache dieser Erscheinung beim Neger ein stärkeres Hervortreten des hinteren Fortsatzes des Fersenbeines derart, dass der Waden- muskel an einem längeren Hebelarm arbeitet als der Muskel des Weissen. Der in Folge dessen grösseren Exeursion beim Neger entsprechend, gestaltet sich der Wadenmuskel so, dass an einen langen schmalen Muskelbauch sich eine kurze Sehne ansetzt, während für die Verhältnisse des Weissen, der geringeren Excursion und der bei dem kurzen Hebelarm erforderlichen srösseren Kraft entsprechend, ein kurzer dieker Muskel mit einer langen Sehne als am vortheilhaftesten sich erweist und dementsprechend findet. Den Nachweis der schon vorher von Fick und Henke vermutheten Fähigkeit desselben Individuums bei einer Veränderung der Inanspruch- nahme selbstthätig seine Muskellänge zu ändern, hat zuerst Roux erbracht. Seine Beweise für die Selbstregulation der Muskellänge waren mehrfacher Art. Den ersten lieferte die Betrachtung der sogenannten Muskelvarietäten. Es zeigte sich, dass bei diesen regellosen Aberrationen von Muskelsubstanz auf ganz verschieden bewegliche Nachbargebilde die Muskellänge der neuen Anheftungsstelle entsprechend regulirt ist, in Folge dessen sie auch die Länge des normalen Muskels bald übertrifft, bald hinter derselben zurück- bleibt. Weiterhin wurde das Verhalten der Muskellänge bei Alterationen der Exeursionsgrösse der Gelenke beobachtet. Die Untersuchung von 51 Mus- euli pronatores quadrati erwies deutlich die Thatsache der Muskelverkürzung bei Beschränkung der Supination derart, dass im extremsten Falle bei Ver- ringerung der Supination und Pronation von 160° auf 20° der Muskel statt ?/, bloss !/, der Breite des Unterarms einnahm. Die Sehne ergänzte den Defect der Muskellänge gewöhnlich in der Weise, dass sie den ganzen übrigen, also ulnarwärts liegenden Raum der Breite der Vorderarmknochen bedeckte, ein Verhalten, das vor Kurzem von Riviere bestätigt worden. Die Verlängerung der Sehne auf Kosten des verkürzten Muskels trat dann in einem Falle hochgradiger Kyphose an den langen Rückenmuskeln, welche sonst bei dem als Arbeiter fungirenden Patienten vollkommen normal und eher hypertrophisch als atrophisch waren, auf das evidenteste hervor; denn es liess sich sicher feststellen, dass an denjenigen Muskelbündeln, welche über beweglichere Streeken verliefen, welche die Lenden- oder Halswirbel- säule mitbewegten, die Muskeln weniger durch die sehnige Veränderung PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. JOACHIMSTHAL. 341 verkürzt waren, als an anderen Stellen, welche in höherem Grade durch die kyphotische Fixation der Wirbel der Beweglichkeit beraubt waren. Strasser hat dann bei einer seit acht Jahren bestehenden Ankylose des Ellbogengelenkes Gelegenheit gefunden, die Verhältnisse der Musculatur zu untersuchen und in Bezug auf die erwähnte Frage zu prüfen. Auch die von ihm gefundenen Unterschiede der Faserlänge waren neue Belege für die Thatsache, dass sich im fertigen normalen Organismus eine Anpassung der Faserlänge an die Beanspruchung bis ins Einzelne hinein manifestirt. Es hatte sich die Länge der einzelnen Fasern, es hatten sich aber auch die ganzen Querschnitte in Uebereinstimmung mit der Functionsänderung an allen Muskeln des Schultergelenks vermindert. Bei dem M. deltoides, dem Teres major, Coracobrachialis, Biceps . longus und brevis und beim langen Kopf des Triceps war der Unterschied durch Messung nachzuweisen. Einen Schritt weiter als Roux und Strasser ging alsdann Marey, indem er, von dem schon erwähnten Verhalten der Negerwade ausgehend, schloss, dass, wenn wirklich der Muskel am lebenden Organismus eine selbst- regulatorische Thätigkeit entfalte, nothwendigerweise bei einer experimentell herbeigeführten Verkürzung des Hackenfortsatzes und damit des Hebelarms für die angreifenden Gastrocnemii die Verhältnisse sich in der Weise ge- stalten müssten, dass aus dem beim Thier dem Verhalten des Negers ent- sprechenden Zustande des langen Muskelbauches mit kurzer Sehne sich das Verhalten der Wade der weissen Race, d. h. ein kurzer dieker Muskel mit langer Sehne, entwickeln müsse. Den ersten diesbezüglichen Versuch liess Marey an den beiden Hinterbeinen eines ausgewachsenen Kaninchen durch einen französischen Chirurgen Qu&önu in der Weise ausführen, dass der nach hinten vorspringende Theil des Fersenbeins resecirt wurde. Nach Ab- lauf eines Jahres, während welcher Zeit sich das Thier frei herumbewegen konnte, wurde es getödtet, und nun ergab sich in der That das erwartete Resultat, indem das durch Vergleich mit einem normalen Kaninchen fest- gestellte Verhältniss zwischen Muskel und Sehne von einer etwa gleichen Länge beider sich dahin geändert hatte, dass die Länge des Muskels nun- mehr nur noch die Hälfte derjenigen der Sehne betrug. Der zweite an einer jungen Ziege vorgenommene Versuch ergab ein negatives Resultat. Hier wurden dem Thier 12%% von dem hinteren Fersenbeinfortsatz fort- genommen. Als dann nach zwei Jahren die Ziege getödtet wurde, zeigte es sich, dass, während bei dem eben erwähnten Kaninchenversuch die ein- getretene Verkürzung des Muskels beinahe !/, betrug, hier, wie ein Ver- gleich mit einem Zwillingsthier ergab, der Muskel sich kaum um !/, ver- kürzt hatte. Marey versucht die Resultatlosigkeit seines zweiten Versuchs aus der Art und Weise der Fortbewegung der Ziege zu erklären, die beim Gehen auf allen Vieren nur einen geringen Ausschlag des hinteren Fersen- beinfortsatzes bewirkt, während die sprungweise Fortbewegung des Kaninchens zu recht beträchtlichen Ausschlägen dieses Knochentheiles, in Folge dessen zu stärkerer Beanspruchung des inserirenden Muskels, Veranlassung giebt. Zumal nun:-Marey, dessen Arbeiten übrigens in Deutschland wenig bekannt geworden zu sein scheinen, selbst zu Nachprüfungen auffordert, unternahm ich es, in dem hiesigen physiologischen Institut auf Anregung des Hrn. Prof. Dr. Gad das Experiment an einer anderen Thierspecies zu wiederholen, und zwar glaubte ich in einer möglichst einwurfsfreien Weise 342 VERHANDLUNGEN DER BERLINER derart vorzugehen, dass ich die Operation nur an der einen Seite ausführte, Während Marey bei seinem doppelseitigen Vorgehen für die Beurtheilung der eintretenden Veränderungen auf Controlthiere angewiesen war, konnte hier der Vergleich mit der anderen Seite für die Beurtheilung der eintre- tenden Veränderungen maassgebend werden. Ich wählte wiederum ein im Springen gewandtes Thier, die Katze, und vollführte den Versuch in der Weise, dass ich an einem ausgewachsenen Thier zunächst denjenigen Theil des Calcaneusfortsatzes absägte, an dem die Achillessehne inserirt, und nach Resection eines 1°% langen Stückes aus dem erwähnten Fortsatz den mit der Sehne in Verbindung stehenden knöchernen Theil mit Silberdraht an die Schnittfläche des Fersenbeines befestigte. Auf diese Weise war eine feste Vereinigung der beiden Sägeflächen zu erwarten, ohne dass der mus- culöse bezw. sehnige Apparat selbst berührt war. Nach Vernähung der Haut wurde in plantarflectirter Stellung des Fusses ein Gypsverband ange- legt, der fünf Wochen liegen blieb. Die Wunde war nach dieser Zeit ge- heilt, die knöcherne Anheilung vollendet. Es wurde dem Thier überlassen, durch im Anfang vorsichtige Bewegungen selbst die noch bestehende Steifig- keit im Fussgelenk zu beseitigen. Nach kurzer Zeit war jede Spur des Ein- griffes verschwunden und das Thier in alter Weise im Stande, seine Fähig- keit im Springen an den Tag zu legen. Neun Monate nach Beginn des Versuches wurde die Katze getödtet, und das hier vorliegende Praeparat zeigt die an dem Wadenmuskel ein- getretene Veränderung. Auf der gesunden rechten Seite setzt sich eine schlanke, kaum !/, m breite, mit dem stark nach hinten vortretenden Hackenfortsatz in Ver- bindung stehende Sehne an einen langgestreckten Muskel. Das Verhältniss zwischen Muskel und Sehne ist ein derartiges, dass die Muskellänge etwa das Doppelte derjenigen der Sehne beträgt. Im Genaueren sind die Maasse folgende: Die Muskelfasern treten an der medialen Seite weiter distalwärts herab und endigen in einer Entfernung von 3-5 “% von dem Hackenfortsatz. Aussen beträgt die Entfernung der untersten Muskelstränge von der Inser- tionsstelle 3-8 °%. Der Soleus, ein gesonderter länglicher Strang, tritt noch vollkommen museulös in einer Entfernung von 2-4 “® vom Hackenfortsatz mit der Achillessehne in Verbindung. Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse auf der operirten Seite. Die mit dem Calcaneus in Verbindung tretende Achillessehne ist nicht nur verlängert, derart, dass das Längenver- hältniss zwischen Muskel und Sehne ungefähr das Gleiche geworden ist, sondern die Sehne hat auch beträchtlich an Breite zugenommen, so dass sich hier statt der schlanken Achillessehne der gesunden Seite ein über 1°” breiter sehniger Strang von den untersten Muskelfasern bis zur Inser- tionsstelle erstreckt. Der Soleus geht an dieser Seite nicht direet in die Achillessehne über, sondern bildet, 4 *® vom Calcaneusfortsatz entfernt, eine eigene rundliche Sehne, die sich gesondert an den Knochen ansetzt. Im Einzelnen sind die Maassverhältnisse von Muskel und Sehne auf der linken Seite derart, dass die Muskelfasern medialwärts 4-9 ® und aussen 6.7 m vom Calcaneus entfernt bleiben. Die erwartete Vergrösserung des Diekendurchmessers des Muskels auf der operirten Seite ist vorläufig nicht eingetreten, im Gegentheil gewährt die Betrachtung des Muskels eher gegenüber der gesunden Seite den Ein- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. JOACHIMSTHAL. 343 druck einer geringen Atrophie, offenbar deshalb, weil die Dauer des Ver- suches eine immerhin kurze war, und das Thier das operirte Bein trotz der anscheinend vollkommenen Function gegenüber der anderen Seite geschont hat. Es bleibt weiteren Versuchen, deren Ausführung ich mir für die Zu- kunft vorbehalte, überlassen, den Nachweis zu erbringen, dass bei längerer Dauer des Versuches auch dieses letzte Postulat erfolgter Anpassung er- füllt wird. Während also der eben geschilderte Versuch für die Anpassungsver- hältnisse in Bezug auf die Länge des Muskels eine Bestätigung für das von Marey zuerst ausgeführte Experiment darstellt, liefert er gleichzeitig, was aus Marey’s Beschreibung nicht hervorgeht, durch die eingetretenen Ver- änderungen in Bezug auf die Breite der Sehne den Beweis, dass die unter dem „Reiz der Function“ eintretenden selbstregulatorischen Vorgänge sich nicht etwa nur auf die Verbindungsstelle zwischen Sehne und Muskel be- schränken, sondern den ganzen locomotorischen Apparat, Muskel und Sehne, in gleichmässiger Weise tangiren. Die Verbreiterung der Sehne ist gleichzeitig das wichtigste Argument gegen den Einwand, als handele es sich an dem Praeparat wesentlich um eine Atrophie des Muskels mit stärkerem Hervortreten der Sehne, da in diesem Falle in gleicher Weise wie der Muskel auch die Sehne hätte atro- phiren müssen. Dass die Atrophie der Sehne als Begleiterscheinung einer Muskelatrophie auftritt, zeigt neben vielfachen sonstigen klinischen That- sachen am evidentesten die Thatsache, dass bei einer erheblichen Atrophie des Quadriceps cruris sogar das in die Sehne eingelagerte Sesambein, die Patella, messbar an Breite abnimmt.! Der Zufall brachte mir die Gelegenheit, in einem klinischen Falle ein dem geschilderten ähnliches, von der Natur vollführtes Experiment zu be- obachten. Es handelte sich um eine 18jährige Patientin, die in ihrer frühesten Kindheit von Hrn. Prof. Julius Wolff wegen angeborenen Klump- fusses mit redressirenden Verbänden behandelt worden war. Diese Therapie hatte zu einem so vollkommenen Resultat geführt, dass in der Function des Fusses keinerlei Unterschiede von dem normalen mehr nachweisbar waren, indem die Patientin die volle Beweglichkeit des Fusses erlangt hatte. Trotzdem machte sich eine auffallende „Atrophie“ der Wade bemerkbar, die mit der so vollkommenen Functionsfähigkeit des Fusses nicht in Einklang gebracht werden konnte. Die weitere Untersuchung ergab mir, dass bei der Patientin unter einer lediglich aus Fett bestehenden Hauttasche sich eine nur knopfförmige Andeutung des Hackenfortsatzes fand, an dem die Achillessehne angriff. Einem so kurzen Hebelarm entsprechend hatte sich das Verhältniss zwischen dem Wadenmuskel und der Sehne in der Weise umgewandelt, dass entgegengesetzt dem normalen Verhalten die Muskel- masse sich auf das oberste Drittel bezw. Viertel des Unterschenkels zu- sammendrängte und hier eine starke Vorwölbung bildete, während der ganze untere Theil aus sehniger Substanz bestand und bei der oberflächlichen Be- trachtung den Eindruck einer extremen Atrophie des Muskels gewährte. ! Vergl. J. Wolff, Ueber trophische Störungen bei primären Gelenkleiden. Berliner klinische Wochenschrift. 344 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Man wird nach dem Mitgetheilten periphere Muskelatrophien einer erneuten Prüfung zu unterziehen haben und bei Veränderungen der Function der beweglichen Körpertheile nicht nur die unter den neuen Verhältnissen verminderte Gebrauchsfähigkeit des betreffenden Theiles, sondern auch die veränderte Inanspruchnahme seiner Musculatur mit in Rechnung zu ziehen haben. (Der Vortrag ist ausführlich mit Abbildungen der Praeparate in der Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, Bd. IV, erschienen.) 2. Hr. N. Zuntz hält im Namen des Hrn. Dr. Isaac Levin (New York) den angekündigten Vortrag: Ueber die Bedeutung der Galle und des Pankreassecretes für die Resorption der Fette. Hr. Levin demonstrirt seine Praeparate, aus welchen hervorgeht, dass nach Ausschluss auch nur eines der beiden Secrete emulgirtes Fett als solehes nicht mehr in die Epithelien eintritt. (Die mit Abbildungen be- gleitete ausführliche Publication erscheint in Pflüger’s Archiv.) VII. Sitzung am 24. Januar 1896. Hr. Hveo Arorant hält den angekündigten Vortrag: Ueber das Ganglion ciliare. Bei keinem anderen peripheren Ganglion haben sich die Ansichten über die Natur und Bedeutung so spät geklärt wie bei dem Ganglion ciliare. Erst in den letzten Jahren gewann hauptsächlich auf Grund des physiolo- gischen Experimentes und der mit der Golgi’schen Methode erzielten Resultate die Vorstellung an Boden, dass das Ciliarganglion sympathisch ist und functionell dem Oculomotorius angehört. Um den bisher noch nicht erbrachten einwandsfreien anatomischen Beweis für die functionelle Zugehörigkeit zum Oculomotorius zu liefern, bediente ich mich der Marchi- schen Degenerationsmethode. Gestützt auf die Erfahrungen, welche Hr. Pro- fessor Gad bei den von Marinescu geübten Hypophysisexstirpationen ge- sammelt hat, versuchte ich den Oculomotorius von der Schädelbasis her isolirt zu durehschneiden. Junge, zwei bis vier Monate alte Katzen werden auf das Cowl’sche Bett gespannt und tracheotomirt. Nach Einlegen einer möglichst weiten Maulsperre wird entsprechend den Processus pterygoidei des Keilbeins ein Schlitz in den weichen Gaumen gemacht, durch den hin- durch es gelingt, die Schädelbasis und zwar speciell den Boden der Sella tureica zu trepaniren. Der Oculomotorius kann dann mit einem durch die Hypophysis über den hinteren, seitlichen Rand der Sattelgrube geführten, geeignet construirten Tenotom isolirt, d. h. unter Vermeidung des Trigeminus und Sympathicus durchschnitten werden. Die Thiere wurden nach 8 bis 14 Tagen getödtet und die mit dem Ganglion eiliare in Verbindung stehenden Nerven nach der Marchi’schen Methode untersucht. Die Degeneration der in das Ganglion sich einsenkenden Oculomotoriusfasern konnte stets nur bis zu den Zellen des Ganglions, nie darüber hinaus verfolgt werden. Dies Resultat ist nur dadurch zu erklären, dass die dem Oculomotorius ange- hörenden Wurzelfasern im Ganglion enden, wie es Michel auf Grund von Golgi-Praeparaten vermuthet hat, und dass mit den Zellen des Ciliarknotens PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. GOLDSTEIN. — G. ABELSDORF. 345 ein neues Neuron für die zum Ciliarmuskel und zum Sphinkter pupillae ziehenden Fasern beginnt. (Der Vortrag wird ausführlich im Archiv für mikroskopische Anatomie erscheinen.) VIII. Sitzung am 7. Februar 1896. 1. Hr. Prof. E. GoLpstein (als Gast) zeigte einige Bilder, die er nach dem Röntgen’schen Verfahren auf photographischen Platten aufgenommen hatte. Auf dem Bilde einer Hand waren die Glieder eines Kettenringes auch hinter der betreffenden Fingerphalanx erkennbar. Dadurch wird eine Durchlässigkeit auch der Knochensubstanz für die Röntgen’schen Strahlen bewiesen und die Möglichkeit eröffnet, bei der Aufnahme von zwei einander perspectivisch deckenden Knochen den einen durch den andern hindurch wahrzunehmen. An einer andern: Handaufnahme, die auf Veranlassung des hiesigen Arztes Hrn. Dr. Wiener bewirkt wurde, sind ausser den Hand- knochen zwei kleine runde und eine grössere unregelmässig geformte dunkle Fläche erkennbar. Die ersteren entsprechen zwei seit längerer Zeit in der Hand lagernden Schrotkörnern, die letztere, wie sich bei der späteren, von Hrn. Geh. Rath v. Bergmann vorgenommenen Operation ergab, einer dünnen Bleihaut, die sich bei der Schussverletzung auf den Knochen abge- lagert hatte. — Im Interesse des naturwissenschaftlichen Unterrichts waren die Aufnahmen einer Kreuzotter, einer Blindschleiche und eines Feuermolchs gefertigt. Die Aufnahmen zeigen innerhalb des Körperumrisses sehr scharf das Kopfskelet sowie die zahlreichen Wirbel und Rippen der Schlangen, ebenso das theilweise äusserst zarte Skelet des Molches. . Dem Gedanken, dass die verschiedene Absorption der Röntgen’chen Strahlen durch ver- schiedene Substanzen ein Unterscheidungsmittel zwischen echten und imi- tirten Materialien abgeben könnte, entsprang die Aufnahme einer gemischten Reihe von echten und unechten Perlen, die im Original für den Augen- schein einander gleichen, in der Röntgen-Photographie aber mit Leichtig- keit durch ihre verschiedene Durchlässigkeit unterschieden werden können. — Auf Veranlassung des Hrn. Dr. L. Brühl war ein Knochendurchschnitt (Spongiosa) aufgenommen; die Aufnahme bietet gegen die gewöhnliche photographische Abbildung den Vortheil, dass die störenden optischen Schatten auf dem Bilde wegfallen. Endlich wurde eine von Hrn. Schultz- Hencke, der auch bei den erwähnten Aufnahmen den Vortragenden freundlichst unterstützt hatte, bewirkte Aufnahme gezeigt, welche ergiebt, dass von den vier Holzarten: Elsen-, Nussbaum-, Mahagony-, Kienholz, das erste Holz sich am besten für Kassetten zu Röntgen-Aufnahmen eignet. Die Bilder der vier Holzplatten zeigen zugleich Structurverhältnisse des Holzes, und erwecken damit die Hoffnung, dass auch Differenzirungen thie- rischer Gewebe auf diese Weise darstellbar sein werden. 2. Hr. Dr. G. ABELsporrr (als Gast) hält den angekündigten Vortrag: Ueber Sehpurpur und Augenhintergrund bei den Fischen. Die den lichtempfindlichen Organen im ganzen Thierreiche gemeinsame Eigenschaft, durch den Besitz von Farbstoffen ausgezeichnet zu sein, kommt auch dem Sinnesepithel des Auges der Wirbelthiere zu, indem in den Stäbchen und Zapfen der Retina besondere Farbstoffe nachgewiesen sind. 346 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Hannover lehrte zuerst in Untersuchungen über die Retina der Vögel und Reptilien die farbigen Oelkugeln in den Zapfen kennen, bis mehrere Jahr- zehnte später Boll die purpurne Eigenfarbe der Netzhaut beschrieb, als deren Grundlage eine in den Aussengliedern der Stäbchen befindliche Sub- stanz, der Sehpurpur von Hrn. Kühne nachgewiesen wurde. Ist auch ein gewisser Grad von Lichtempfindlichkeit allen retinalen Farbstoffen eigen, so ist doch der Sehpurpur vor den übrigen durch seine grosse Lichtzersetzlich- keit, die seine charakteristischste Eigenschaft bildet, ausgezeichnet. Die be- merkenswerthe Entdeckung, in demjenigen Organe, dessen adaequater Reiz die Lichtstrahlen sind, auch eine Substanz zu kennen, welche auf denselben Reiz auf das empfindlichste reagirt, schien eine teleologische Erklärung der Bedeutung dieser Substanz nahezulegen. Trotzdem sind die Ansichten hier- über noch keineswegs zu allgemeiner Uebereinstimmung gelangt. Es schien daher geboten, den Weg für das Verständniss durch weiteren Ausbau der thatsächlichen Grundlagen anzubahnen und die wichtigste Eigenschaft des Sehpurpurs, seine physikalische Absorption genau zu bestimmen. Vor- tragender hat sich gemeinsam mit Frl. E. Köttgen dieser Aufgabe unter- zogen und zugleich durch vergleichend physiologische Studien zu entscheiden versucht, ob, wie bereits Hrn. Kühne’s Beobachtungen vermuthen liessen, die in den Stäbehen vorhandenen purpurnen Substanzen bei verschiedenen Thieren verschieden sind. Vortragender verzichtet auf Mittheilung des durch zahl- reiche photometrische Messungen gewonnenen Zahlenmaterials und hebt nur hervor, dass man thatsächlich zwei Arten von Sehpurpur zu unterscheiden hat. Dem Sehpurpur der Amphibien, Vögel und Säugethiere einschliesslich des Menschen steht der der Fische gegenüber, ersterer hat das Maximum der Absorption bei der Wellenlänge 500 uu, zwischen den Fraunhofer’- schen Linien E und F, letztere bei 540 uu zwischen den Linien D und E. Vortragender demonstirt den Sehpurpur der Fische in Lösung und in situ. Zur Lösung wurden die Netzhäute eines Weissfisches, Leueiscus Idus ver- wendet. Extrahirt wurde nach einer kürzlich von Kühne in der Zeitschrift für Biologie angegebenen Methode. Ein mit planparallelen Wänden versehenes Gläschen mit diesem Extraet gefüllt, und ein Bild des gefüllten Gläschens auf die Wand projieirt zeigte die purpurne ins Violette spielende Farbe der Lösung. Den Fischsehpurpur in situ zeigt Vortragender an den Augen des Bley (Abramis brama), Zander (Lucioperca sandra) und Kaulbarsch (Acerina cernua). Die Augen dieser Fische wurden vom Vortragenden gewählt, weil bei ihnen der Sehpurpur von vorn ohne Abhebung der Netzhaut erkennbar. Diese Eigenschaft verdanken dieselben, wie zuerst von Hrn. Kühne bei Abramis b. gezeigt, dem Besitze eines retinalen Tapetum, einer dicht hinter den Stäbchen gelegenen kalkigen reflectirenden, die Aderhautröthe vollkom- men verdeckenden Schicht. Hierdurch sind auch die Bedingungen zur ophthalmoskopischen Erkennbarkeit des Sehpurpurs gegeben. Vortragender hat in einer früheren Publication (Sitzungsber. d. königl. Preuss. Akademie d. Wissensch. 4. April 1895) gezeigt, dass man mit grösster Deutlichkeit beim Bley den Sehpurpur mit dem Augenspiegel wahrnehmen kann, er er- läutert dasselbe durch Zeichnungen, welche von Hın. Dr. Greef nach dem Augenspiegelbild eines im Dunkeln gehaltenen und eines belichteten Fisches angefertigt wurden, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. ABELSDORFF, — Ü, BENDA. 347 Für die Demonstration solcher Augen empfiehlt Vortragender eine Härtung in 5 procentig. Formalinlösung. Die Gewebe behalten hierbei ihre Durchsichtigkeit, so dass in der That auch nach der Härtung des eröffneten Auges der Sehpurpur von vorn erkennbar ist, bei Alaunhärtung wird dieses durch die Trübung der vor den Stäbehen gelegenen Netzhautschichten ver- hindert. Gleichzeitig wird durch die Formalinhärtung die Lichtzersetzlich- keit des Sehpurpurs stark herabgesetzt. 3. Hr. C. BenpaA hält den angekündigten Vortrag: Ueber den Bau der blutbildenden Organe und die Regeneration der Blutele- mente beim Menschen. Die Herkunft polymorphkerniger Leukoeyten aus den Lymphknoten wird von verschiedenen Seiten in Frage gestellt. Meiner Anschauung nach ist der wichtigste Beweis für diese Thatsache durch die Untersuchungen Ph. Stöhr’s erbracht, die ich durchaus bestätigen kann. Danach findet eine Auswanderung von Leukocyten aus den Lymphknötchen des Rachens und des Darmcanals in und durch die Schleimhaut statt. Diese Thatsache ist nicht so umzudeuteln, dass hier Wanderzellen der Blutgefässe, die die Knötchen durchwandern, vorliegen könnten, denn wir sehen bei den reich- lichsten Auswanderungen an der Oberfläche der Knötchen nichts von Leuko- eytenanhäufungen und Auswanderungen an den in Frage kommenden Blut- gefässen. Vielmehr gehen die Leukocyten aus der ganzen Oberfläche der Lymphknötchen hervor. Gleichzeitig ermöglicht das Object Stöhr’s un- mittelbar noch eine Beobachtung: zwischen den Leukocyten und den Lympho- eyten der Knötchen giebt es keine besonderen Zwischenformen, besonders brauchen hier keine sogenannten einkernigen Leukocyten vorzukommen, wenigstens soweit hierunter grosskernige chromatinarme Formen verstanden werden. Vielmehr kann sowohl an dem chromatinreichen Kern der Lympho- cyten eine Kerneinschnürung auftreten, ehe der Zellleib sich vergrössert oder der Zellleib kann sich vorher vergrössern, ohne dass der allerdings einfach bleibende Kern seinen Chromatinreichthum einbüsst. Gerade den directen Uebergang der chromatinreichen Lymphocytenkerne in den chro- matinreichen Kern des polymorphkernigen Leukocyten halte ich für eine gewichtige Erscheinung. Neutrophile Granula erkenne ich nicht in den Leibern der aus den Lymphocyten hervorgehenden Leukocyten. Der gleiche Vorgang wie in der Peripherie der solitären Schleimhautknötchen spielt sich in den conglomerirten Lymphknötchen, den sog. Lymphdrüsen an der Grenze zwischen Keimlager und Lymphsinus ab. Es ist zu beachten, dass in allen, nicht in besonderem Reizzustande befindlichen Lymphknoten die retieuläre Stützsubstanz an der Grenze des Keimlagers ein vollkommenes Septum bildet, welches die Lymphocyten gegen den Lymphstrom abschliesst; das Keimlager wird nicht, wie das gelegentlich behauptet wird, von der Lymphe frei durchspült. Jene Anordnung bedingt vielmehr, dass die Lymphocyten nur durch active Bewegungen in den Lymphstrom gelangen, also vorher im Keimlager schon zu Leukocyten ausgereift sein müssen; eine Anschauung, zu der auch Ranvier gelangt ist. In der That habe ich in der Peripherie der Keimlager schnürkernige Lymphocyten vorgefunden, die ich als solche Uebergangsbilder ansehe. In gewissen pathologischen Zuständen, besonders 348 VERHANDLUNGEN DER BERLINER bei Streptokokkeninfeetion und bei Typhus ist die Auswanderung von Zellen aus den Keimlagern derartig gesteigert, dass es zur vollständigen Auflösung der Keimlager kommt. Ich glaube, dass die Beobachtung der Gefässe die Sicherheit gewährt, dass man hier nicht eine entzündliche Ein- wanderung mit Auswanderung verwechseln kann. Meines Wissens ist diese Erscheinung bisher noch nicht genügend gewürdigt worden. Sie betrifft also einen vermehrten Eintritt von Leukoeyten zunächst in die Lymphsinus unabhängig von eigentlichen Vermehrungsvorgängen. Die Fälle, in denen ich diese Erscheinung fand, gehörten Typhus und Scharlach an. Beim Typhus schoppen sich die ausgewanderten Zellen in den Lymphsinus an und tragen vorwiegend zu den Schwellungen der Lymphknoten bei. Bei Scharlach jedoch dürfen wir eine Weiterführung der Zellen in die Blut- bahn annehmen, und damit in jenem Phaenomen einen Factor der Leuko- cytose erblicken. Ueber die Herkunft der Lymphocyten giebt nun das Studium der Keim- lager Aufklärung. Die Keimlager befinden sich in den Lymphknoten in sehr mannichfachem Aussehen je nach dem Functionszustande der Drüse. Die Form, die Flemming’s classischen Studien zu Grunde gelegen hat, zeigt den Entwickelungsvorgang am klarsten. Ich möchte diesen Zustand als den geschichteten bezeichnen. Hier finden wir die äussere Zone vorwiegend von Lymphocyten gebildet. Sie sind in scheinbar concentrischen Reihen, die zuerst Armauer Hansen beschrieb, angeordnet. Diese Lympho- eytenlager grenzen sich nach innen scheinbar ziemlich scharf gegen ein rundliches Knötchen ab, welches zuerst von His bemerkt, von Flemming als Secundärknötchen oder Keimcentrum beschrieben und in seiner Bedeutung erkannt wurde. Hier ist der Hauptsitz, ja gemeinhin der einzige Sitz von indireeten Zelltheilungen von der Lymphdrüse. Auf diesen Befund gestützt nahm Flemming an, dass die Keimcentren die Bildungsstätte der Lympho- cyten und damit der Leukocyten seien. Diese Auffassung hat mannichfache Angriffe erfahren. Am weitesten entfernt sich Löwit von ihr. Derselbe giebt zwar eine Beschreibung der „Leukoblasten“, die sich mit den der Keimcentrumszellen deckt, lässt sich aber die Leukoblasten. nicht durch Mitosen theilen, so dass nicht recht klar wird, wohin er die Mitosen des Keimcentrums rechnet. Das, was wir als Lymphocyten beschrieben, deckt sich mit seinen „Erythroblasten“, die sich nach ihm durch Mitosen ver- mehren sollen. Gerade die Reaction aber, die er für die Kerne seiner Erythroblasten als charakteristisch angiebt, trifft nach seiner eigenen Angabe auch für die polymorphkernigen Leukocyten zu. Daher muss ich auch aus seinen Beobachtungen folgern, dass seine „Erythroblasten“ keine Vorformen von rothen, sondern von polymorphkernigen Blutkörperchen sind. Czermak hält die Keimeentren für die Entstehungsorte der Blutplättehen. Rawitz lässt die Leukocyten aus Riesenzellen entstehen. Beide Autoren haben Formen von Phagocyten, die ich noch erwähnen werde, vor sich gehabt. Weniger in der Beobachtung als in der Deutung weichen Ribbert und Baumgarten von Flemming ab. Sie haben beide offenbar dieselben Zellen wie Flemming als Stammelemente der Leukocyten erkannt, halten sie aber der Eine für Endothelien-, der Andere für Retieulumzellen. Diese Auffassungen lassen sich weniger durch Beobachtungen als durch allgemeine Gründe bekämpfen. Es ist gar nicht zu leugnen, dass die Vorformen der PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 349 Leukoeyten, Endothelien und Reticulumzellen sich sehr ähnlich sehen können, so dass man sicher nicht an jeder einzelnen Zelle diagnostieiren kann, welcher Classe sie zugehört. Dennoch treten nach bestimmten Me- thoden auch Unterschiede dieser Zellen hervor, die doch gewisse Anhalts- punkte für eine ausgeprägte Specifieität dieser Zellarten geben. Die Reti- eulumzellen haben stärker contourirte eckige Kerne, und sind überhaupt recht spärlich. Die Endothelzellen haben meist einen sehr dichtfädigen Zellleib, der sich mit sauren Anilinfarben (Eosin, Rubin S.) lebhaft färbt. Die Vorformen der Lymphocyten zeichnen sich durch häufiges Vorkommen von basophilen Einlagerungen des Zellleibs aus, die ich für die ö Granula Ehrlich’s halte. Die Körnchen sind in den gehärteten Praeparaten oft zu spindel- oder halbmondförmigen Schollen verklebt und unterscheiden sich dadurch von den Mastzellengranulis, die immer als feinste scharf abge- gsrenzte Körnchen erkennbar sind. Das, was die Autoren von einer Identifi- eirung derselben mit Vorformen der Lymphocyten abhielt, ist offenbar die Schwierigkeit, Uebergänge zu finden. In der That sind diese Keimcentrums- zellen stark von den Lymphocyten verschieden. Sie sind oft von erheb- licher Grösse, wohl doppelt so gross wie die Lymphocyten. Wenn auch der Zellleib oft ziemlich schmal ist, kann er doch auch grössere Masse erreichen. Das Hauptunterscheidungsmerkmal bildet der Kern, derselbe ist bei den Lymphocyten klein, von äusserst dichtem Chromatingerüst, in dem ein Nuceleolus allerdings meist auch nachweisbar ist. Bei den Keimcentrumzellen ist er gross, bläschenförmig mit einem sehr deutlichen Kernkörperchen, das durch ziemlich zarte, oft speichenförmige Chromatinfädchen mit der Aussen- schicht des Kerns verbunden ist. Bisweilen erscheinen die Kerne gelappt oder zwerchsackförmig. Meist findet man nun auch im Keimcentrum einzelne Lymphocyten; ein deutlicher Zusammenhang zeigt sich aber nur auf be- stimmten glücklich gerichteten Schnitten. Hier erkennt man, dass die Lymphocytenreihen des Keimlagers nicht eigentlich concentrisch, sondern spiralig verlaufen, und innen direet in das Keimcentrum einmünden. An solchen Stellen sieht man, wie sich in der äusseren Zone des Keimceentrums die Keimcentrumszellen mit Lymphocyten untermengt zu Strängen ordnen und schliesslich am äusseren Rand in den Strängen durch Lymphocyten ersetzt werden. Uebergangsformen sind eigentlich nicht zu sehen. Man könnte dieses Bild so deuten, dass hier zwei Zellarten gemischt sind, von denen die kleinere Art die grössere aussen überwuchert. Ich kann aller- dings Flemming’s Angabe bestätigen, dass sich bisweilen auffallend kleine Mitosen finden, die als Theilungen der kleinen Zellen anzusehen wären. Sie sind aber in gewöhnlichen Lymphdrüsen so selten, dass sie kaum den normalen Vermehrungsmodus der Lymphocyten darstellen dürften, wie dies Hansemann anzunehmen scheint. Reichlicher habe ich sie nur in einem meiner Fälle von acuter Leukaemie in den Lymphdrüsen gefunden. Sonst gehören die Kerntheilungsfiguren, wie auch Flemming aufs klarste angiebt, ausschliesslich der grossen Zellart an. Besonders schön fand ich dies in den adenoiden Wucherungen der Rachentonsille, wo der rein Iymphoide Charakter der Zellneubildungen nicht in Frage gestellt werden kann. Das veranlasst mich zu dem vor mir auch von Flemming und H. F. Müller gezogenen Schluss, dass die Lymphocyten den aus den Mitosen der grossen Zellen hervorgegangenen Tochterzellen entsprechen, 350 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Sie stellen eben die für die Umwandlung in polymorphkernige Leukoeyten bestimmten Abkömmlinge der Keimcentrumszelle dar. Dass die Tochterzellen andererseits auch die Fähigkeit besitzen müssen, sich in Keimeentrumszellen zurückzuverwandeln, ist eine nothwendige Folgerung. Dies muss in den geschichteten Keimlagern im Inneren des Keimcentrums geschehen, während in seiner Peripherie der Vorschub der Lymphocyten stattfindet. Eine be- sondere Form der geschichteten Keimlager kommt bei der kleinzelligen Hyperplasie der Lymphdrüsen zur Beobachtung. Hier häufen sich die Lymphoeytenstränge in der Umgebung der einzelnen Keimcentren und füllen selbst die Lymphsinus aus, indem sie die Abgrenzung der Keimlager durch- brechen. Ich kann auch in diesen Fällen keine besonderen Vermehrungs- symptome gerade an den kleinen Lymphocyten finden und deute daher diese pathologische Form als eine Anschoppung von Lymphocyten, die mit einem Ausbleiben ihrer Umwandlung in Leukocyten verbunden und vielleicht da- durch bedingt ist. Ich bezweifele, dass diese Form zu erheblich vermehrter Einfuhr von Lymphocyten in die Blutbahn (Lymphaemie) führen kann. Ausser dem geschichteten Keimlager finden wir noch zwei Formen, die beide als ungeordnete Keimlager zu bezeichnen sind. Die eine ist das kleine, eircumsceripte Keimlager, wie es den kleinsten Lymphknötchen zu- kommt. Hier finden wir Keimcentrumszellen und Lymphocyten ziemlich untermischt; Mitosen fehlen völlig. Bisweilen sah ich viele Mastzellen in solchen Drüsen. Man wird diese Form als die dem völligen Ruhezustande entsprechende deuten müssen. Dass hier vereinzelte zu Leukocyten umge- wandelte Lymphocyten durch Auswanderung in die Lymphsinus gelangen können und dann gelegentlich durch eine Theilung Ersatz geschafft wird, ist nicht ausgeschlossen. Im Gegensatz hierzu steht das grosse, diffuse, ungeordnete Keimlager. Hier liegen grosse und kleine Zellen bunt durcheinander, eine Abgrenzung der Keimcentren gegen die Lymphocytenstränge, die Abgrenzung dieser gegen die Lymphsinus ist völlig verstrichen. In allen Punkten kommen Kerntheilungsfiguren vor, bisweilen auch solche der kleineren Zellen. Ich fand diese Form in geringem Grade bei bacillärer (Löffler’scher) Diph- therie in den Tonsillen und submaxillaren Lymphdrüsen, besonders ausgeprägt aber in den meisten Lymphdrüsen bei Fällen von acuter Leukaemie. Den gleichen Bau zeigen die metastatischen Lymphome bei acuter Leukaemie, ferner aleukaemische Lymphome und maligne Lymphosarkome. Man wird nicht fehlgehen, diese Form als den höchsten formativen Reizungszustand der Lymphknoten aufzufassen. Die Intensität der Wucherung verhindert hier in erster Linie die reguläre Ablagerung und Vorschiebung der Tochter- zellen, und damit deren Umwandlung zu Leukocyten. Sie bewirkt zweitens durch Durchbrechung der Keimlagergrenze ein Eindringen der Keimlager- zellen in die Lymphsinus und damit in den Lymphstrom, soweit nicht etwa durch die Wucherung der Lymphstrom unterbrochen ist, wie das bei Pseudoleukaemie und Lymphosarkom wahrscheinlich der Fall ist. So sehen wir bej acuter Leukaemie Lymphocyten und grosse Iymphoide Zellen, die mit den Keimcentrumszellen identisch sind in der Cireulation, wie das besonders A. Fränkel als typisch erkannt hat. Unter welchen Umständen auch sonst vereinzelte Lymphocyten und grössere Zellen (Keimeentrumszellen?) in die Blutbahn gelangen, ob namentlich letztere durch Entwickelung der Lympho- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (Ü. BENDA. 351 eyten gebildet werden können, ist noch nicht zu entscheiden. Dass eine solche Einfuhr von Seiten ganz normaler Lymphdrüsen erfolgen kann, halte ich nach deren Aufbau für ausgeschlossen, erwähne aber, dass Ribbert den Austritt derartiger, Zellen schon bei regenerativen Wucherungen der Lymphknoten beobachtete. Jedenfalls scheint mir, dass eine Scheidung der grossen Lymphocyten und einkernigen Leukoeyten nicht streng durchzuführen ist, sondern dass beide den Keimcentrumszellen, oder wie H. F. Müller sie bezeichnet, den theilungsreifen Zellen entsprechen. In allen Lymphdrüsenzuständen findet man gelegentlich grosse Zellen, die Lympho- oder Leukoeyten in verschiedenen Stadien der Rückbildung enthalten, als deren letztere ich Flemming’s tingible Körper (mit Hin- denburg) betrachte. Diese Phagoeyten haben im ganzen den Charakter von Endothelien, doch habe ich Genaueres darüber nicht ergründet. Ich würde, wie erwähnt, Rawitz’ Riesenzellen dahin rechnen. Die Milz, wenigstens die menschliche, fasse ich als venöses Cavernen- system auf, in dessen Wänden Iymphadenoides Gewebe gelegen ist. Die cavernösen Pulparäume gehören einer durchaus geschlossenen Blutbahn an. Sie sind mit Endothel ausgekleidet, welches den bekannten spindelförmigen Pulpazellen entspricht. Diese Verhältnisse sind am klarsten in anaemischen Milzen zu übersehen, wie Böhm und v. Davidoff mit Recht hervorhoben. Das, was sie aber als „gestricheltes Epithel“ dieser Räume abbilden, ist nichts weiter, als die auf den collabirten Wänden etwas gefalteten Endothelzellen. Das lymphadenoide Gewebe in den ÜCavernenwänden ist nach dem funetionellen Zustand der Milz sehr verschieden zellreich, bisweilen vorwiegend bindegewebig (besonders bei indurativer Stauungsmilz). Es erhält gegen die Arterienscheiden hin eine vorwiegend Iymphoide Zusammensetzung, wo es dann in normalen Milzen und in einigen Reizzuständen in gewisser knötchen- förmiger Begrenzung als Malpighi’sches Körperchen oder Follikel erscheint. Dieses Gebilde gleicht in seinem Bau und seinem functionellen Verhalten völlig dem Keimlager eines Lymphknotens; nur dass die aus ihm hervor- gehenden Leukocyten direct in die Blutbahn einwandern. Aehnlich, wie bei den Lymphdrüsen, kommt eine pathologische Steige- rung der Auswanderung selbst bis zur Erschöpfung der Follikel vor, so beim pulpösen Milztumor, besonders bei Typhus abdominalis. Vermehrte Wuche- rung mit Auftreten von Keimcentren sah ich bei follieulären Milzschwel- lungen, besonders Diphtherie. Mächtige ungeordnete Wucherung der Lmpho- eyten mit Durchsetzung der Pulparäume bei acuter Leukaemie. Das rothe Knochenmark bildet das schwierigste Objeet der blutbereiten- den Organe. Es lässt sich indess wohl mit den Lymphknoten vergleichen. Den Keimcentrumszellen analog stehen die Markzellen. Sie sind jenen ähn- lich gebaut, haben aber grössere Zellleiber. Basophile Granula kommen auch vor, vorwiegend aber neutrophile (e) Ehrlich’s. Die kernhaltigen rothen Blutkörperchen (Erythroblasten) zeigen im normalen rothen Knochen- mark keine Mitosen. Diese gehören ausschliesslich den Markzellen an. Ich schliesse mich danach den Autoren an, die die Vermehrung der Erythro- blasten aus haemoglobinfreien Vorformen vertreten. Dem entspricht auch die Anordnung. Um die Anfänge der kleinen Venen, die als die Secretions- bahn des Knochenmarks aufzufassen sind, liegen Inselchen von Erythroblasten, die sich nach innen allmählich in die Markzellenlager verlieren. Die Mark- 352 -VERHANDLUNGEN DER BERLINER zellen stellen hier also die theilungsreifen Zellen (H. F. Müller) dar. Ihre Tochterzellen wandeln sich in haemoglobinhaltige Zellen um. Letztere wieder machen die Metamorphosen in die kernlose Form in der Weise durch, wie dies neuerdings von A. Pappenheim und OÖ. Israel trefflich dargestellt ist. Für eine eigentliche Leukocytenproduetion von Seiten des Knochen- markes finde ich in den Schnittpraeparaten keinen positiven Anhalt. In Frage kämen besonders die eosinophilen Zellen, diesich reichlichst in manchen Prae- paraten zeigen. Ihre Anordnung ist aber eine durchaus regellose, vor Allem fehlen sie in den Venenanfängen, so dass sie wohl nur eine locale Bedeu- tung besitzen. Sie gleichen in der Grösse bald Markzellen, bald Erythro- blasten. Trotz vieler Gegengründe ist man doch stets verführt, sie mit der Bildung des Blutfarbstoffes in Beziehung zu bringen. Wenn auch Ehrlich den schlagenden Beweis geführt hat, dass die eosinephilen Granula mit Haemoglobin nicht identisch sind, ist doch nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein Vorstadium, ein abortives oder ein Zersetzungsproduct dieses Körpers handelt. Jedenfalls sind solche Vermuthungen gestattet, so lange über ihre Function nichts Gegentheiliges erkannt ist, zumal auch H. F. Müller der Ansicht ist, dass die eosinophilen Zellen des Knochenmarkes mit denen des normalen eirculirenden Blutes nicht identisch sind. Pathologische Wucherungszustände habe ich bei perniciösen Anaemieen und acuter Leukaemie studirt. Eine chronische Leukaemie hatte ich noch nieht zur Verfügung. Die Bilder sind einförmiger als bei den Lymphknoten. Man kann vor Allem Unregelmässigkeiten in der Vertheilung der Formen feststellen, derart, dass sich Markzellen und Erythroblasten ohne deutliche Anordnung vermischen. Gelegentlich treten Mitosen der Erythroblasten in Beobachtung. Mitosen der Markzellen und eosinophilen Zellen finden sich im pathologischen rothen und Iymphomatösen Mark stets reichlichst. Bei einem Leukaemiefall fehlten stellenweise Erythroblasten gänzlich, während auch kleinere haemoglobinfreie Formen, die den Lymphocyten ähneln, auf- treten; und andererseits die theilungsreifen Zellen kleinere Formen als im normalen Mark annehmen. Obgleich die letzteren Bilder mit den Blut- befunden wohl übereinstimmen, ist ihre Deutung doch nicht leicht. Es fragt sich, ob hier metastatische Lymphome oder Metaplasien des Knochenmarkes vorliegen. Letztere Auffassung stimmte mit den Anschauungen H. F. Müller’s, die er in einer früheren Arbeit ausgesprochen, später aber an- scheinend wieder verlassen hat, überein, dass nämlich die Markzellen mit den theilungsreifen Zellen der Lymphknoten identisch sind. Auch ich muss jedenfalls die grosse Aehnlichkeit beider Zellarten hervorheben, aber will mich eines abschliessenden Urtheiles enthalten. Hervorzuheben ist, dass die Markzellen, wo sie pathologisch in die Blutbahn eintreten, bisweilen aber auch im Knochenmark Kerneinschnürungen zeigen können, durch die sie den Iymphogenen Leukocyten sehr ähnlich werden, aber durch geringeren Chromatingehalt und hervorragende Grösse ausgezeichnet bleiben. Dass sie aber auch in der Norm als Stammform der neutrophilen Leukocyten an- zusehen wären, worauf Ehrlich’s Beobachtungen allerdings hinweisen, wird durch meine Praeparate nicht gerade bestätigt. Ich glaube auch in dieser Beziehung mit H. F. Müller übereinzustimmen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LEON ASHER v. FrıTz LÜscHeEr. 353 IX. Sitzung am 21. Februar 1896. Hr. J. Frentzen demonstrirt von ihm mit Hülfe der Röntgen-Strahlen angefertigte Photographien. Er hat, statt der bisher benutzten Platten, Brom- silberpapier von Dr. Hesekiel verwendet, dessen Durchlässigkeit für die Strahlen es gestattet, ein Dutzend und mehr Blätter übereinander gleichzeitig zu exponiren und dann die Bilder ohne Weiteres auf dem Papier zu fixiren. X. Sitzung am 6. März 1896. 1. Der Schriftführer verliest folgende Mittheilung der HH. Leon Asmer und Frırz LüscHhzr (Bern): Ueber die elektrischen Vorgänge im Oesophagus während des Schluckactes. Die Frage nach den elektrischen Veränderungen, welche während der Thätigkeit im Muskel auftreten, ist seit den Tagen, da E. du Bois-Rey- mond die Physiologie durch die Kenntniss von der negativen Schwankung des Ruhestromes bereichert hat, ein Lieblingsgegenstand der Forschung ge- worden. Besondere Bemühungen wurden der Erforschung jener Vorgänge bei der willkürlichen und der refleetorischen Muskelaction zugewandt. Das leicht begreifliche Interesse hieran ist um so grösser, als man den secun- dären Tetanus zwar sehr deutlich vom künstlich gereizten Muskel erhält, aber nicht vom reflectorisch oder willkürlich gereizten. Zwar hegt Niemand deshalb den leisesten Zweifel, dass auch in letzterem Falle Potentialände- rungen discontinuirlicher Art vorkommen. Zudem hat Wedensky im will- kürlich zuckenden Muskel den elektrischen Muskelton gehört. Aber so wenig einer, der von der Ferne den Kanonendonner der Schlacht hat rollen hören, als ein Zeuge für die Ereignisse in derselben gelten kann, so wenig kann jener an und für sich vollgültige Beweis als eine befriedigende Aus- kunft angenommen werden. Die elektrischen Vorgänge dem Auge sichtbar zu machen, womöglich graphisch sichtbar zu machen, wie es bis jetzt von physiologischen Muskelbewegungen allein beim Herzen gelungen ist, bleibt das dringlichste Verlangen. Wir haben auf Vorschlag von Hrn. Prof. Kroneceker versucht, die elektrischen Vorgänge, die sich beim Schluckacte abspielen, zu Gesicht zu bekommen. Dem Schluckacte, der durch die Forschungen Kronecker’s und seiner Schüler wohl zu den best erkannten und am sichersten zu be- herrschenden Reflexvorgängen gehört, wandten wir uns aus mehrfachen Gründen zu. An dieser Stelle wollen wir nur folgende nennen: Der Schluck- act ist ein reiner Reflex und in seinem Verlaufe vom Willen völlig unab- hängis. Er wird durch Reiz eines sensiblen Nerven in gesetzmässiger, normaler Weise ausgelöst. Die zeitlichen Verhältnisse desselben liessen die Hoffnung nicht unberechtigt erscheinen, dass die elektrischen Veränderungen sich vielleicht weniger schwer als an anderen Orten beobachten lassen würden. Eine besondere Förderung unseres Unternehmens glaubten wir in der von dem einen von uns (Fr. Lüscher) entdeckten und von demselben auf dem III. internationalen Physiologeneongresse demonstrirten, wichtigen Thatsache zu erblieken, dass der N. reeurrens einerseits motorische Fasern für die einzelnen Abschnitte des Oesophagus mit sich führt, andererseits Fasern enthält, deren Reizung refleetorisch den Schluckaet auslöst. Der Archiv f. A,u, Ph. 1896, Physiol. Abthlg. 23 354 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Oesorhagus konnte uns daher sowohl als ein refleetorisch thätiger Muskel, wie auch als Nerymuskelpraeparat gleicher Art wie der herkömmliche Frosch- schenkel dienen. Wir bedienten uns des Capillarelektrometers in der Form, welche dem- selben v. Vexküll in Kühne’s Laboratorium gegeben hat. Unser Ver- suchsthier war das Kaninchen, dessen Oesophagus animalische Contraction besitzt. Zunächst leiteten wir mit unpolarisirbaren Elektroden vom Hals- theile des Oesophagus ab und lösten den Schluckact durch Tetanisiren des N. laryngeus sup. aus. Der Erfolg der Reizung dieses Nerven ist bekannt: Der erste Schluckact, von dem Mylohyoideus und Hyoglossus verursacht, äussert sich in Hebung des Kehlkopfs; der Oesophagus erleidet dabei einen passiven Zug. Darauf sieht man am freigelegten Oesophagus die Contraetion desselben, die Welle, ablaufen. Eine ganze Reihe von Schwierigkeiten hemmte anfänglich ganz erheblich unser Unternehmen. Wir beschränken uns in dieser vorläufigen Mittheilung auf eine Besprechung derjenigen Punkte, die bei der Anordnung unserer elektrischen Apparate in Betracht kamen. Thonstiefel- und Pinselelektroden konnten wir nicht verwenden, da wir uns nicht vor der Gefahr der Abhebung zu sichern wussten. Darauf schlangen wir um den Oesophagus Seilelektroden. Nothwendiger Weise mussten die Elektroden vor dem Hereinbrechen der Ströme der benachbarten Muskeln, sowie vor Kurzschluss durch anliegendes Gewebe geschützt werden. Unsere anfänglichen Vorrichtungen bedingten immerhin Eingriffe am Oesophagus, die derselbe offenbar nicht vertrug; denn danach konnte der Schluck zwar ausgeführt werden, die Welle blieb aber aus oder war unmerklich. Alle diese Schwierigkeiten gelang es zu überwinden als wir uns eine Art „Schürzenelektroden“ verfertigten, Seilelektroden, mit einer schmalen Gummi- schürze. Doch führte die Beseitigung dieser Fehlerquellen noch nicht zum gewünschten Ziele. Zahlreiche Versuche und allmähliche Uebung im Deuten der Bewegungen des Öapillarelektrometers lehrten uns mit ziemlicher Sicher- heit anzugeben, was auf Rechnung eines passiven Zuges und was auf Rechnung einer activen Contraction zu setzen sei. Die Beobachtung geschah immer so, dass der eine von uns die Vorgänge am Thiere, der andere die Bewegungen des Meniscus betrachtete. Aber die Ausschläge des Elektrometers waren so geringfügig, dass wiran eine Photographie derselben gar nicht denken durften; ja es war schwer, einen nur gelegentlichen Beobachter zu überzeugen, dass die sehr kleinen Verschiebungen nicht von anderen Zufälligkeiten herrührten. Dasselbe Capillarelektrometer gab mit denselben Elektroden mit dem Frosch- herzen verbunden Ausschläge über das halbe oder gar ganze Gesichtsfeld (bei Anwendung von Leitz Obj. 4). Aus Gründen, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen, musste daher unser unbefriedigendes Ergebniss an den Verhältnissen des thierischen Gebildes liegen. Versuchsweise und nur ungern verwandten wir dann Nadelelektroden, von denen wir sofort wieder absehen mussten, da die sprunghaft wechselnden Polarisationswirkungen durch du Bois-Reymond’s runden Compensator nicht auszugleichen waren. Als wir anstatt der Nähnadeln feine Neusilbernadeln in Häkchenform als Elektroden verwendeten, wollte es dieser glückliche Zufall, dass unsere schon sehr herabgestimmten Erwartungen übertroffen wurden. Die Polari- sirbarkeit derselben erwies sich als sehr gering. Es machte kaum einen Unterschied, ob wir z. B. das Froschherz mit diesen Häkchen oder mit PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LEON ASHER U. FRITZ LÜSCHER. 355 unpolarisirbaren Pinselelektroden nach dem Elektrometer ableiteten. Die Erscheinungen, die wir seit Benutzung dieser Elektroden zu Gesicht bekamen, waren überaus deutlich und liessen keinen Zweifel über ihre Natur ent- stehen. Einige Vorsichtsmaassregeln, deren Beschreibung wir künftiger, ausführlicher Mittheilung vorbehalten, waren allerdings nicht ausser Acht zu lassen. Dem passiven Zuge des Oesophagus entsprach jetzt nur ein ge- ringer Ausschlag, dagegen trat stets, wenn eine schöne Welle im Oesophagus ablief, eine Bewegung des Menisceus ein, die um ein vielfaches grösser war als die voraufgegangene. Zerrungen am abgeleiteten Stücke riefen niemals so grosse Bewegungen hervor wie die activen Contractionen. Der am Capillarelektrometer Ablesende gab mit aller Sicherheit an, was der Beob- achter sah. Um den Dingen noch grössere Anschaulichkeit zu verleihen, haben wir mit Hülfe einer lichtstarken Projectionslampe ein sehr ver- grössertes Bild der Quecksilbersäule auf eine Scala projieirt._Um den Stand des Meniscus zu beherrschen, haben wir öfters den Compensator benutzt, bedurften desselben jedoch nicht immer. An einem besonders günstigen Tage entsprachen dem passiven Zuge z. B. je 10 Scalentheile, der Welle aber je 30, 40, 50 Scalentheile und mehr. Nicht allein der durch Laryngeus- reizung ausgelöste Schluckaet that sich auf diese Weise kund, sondern auch die durch Willkür des Kaninchens ausgelöste Schluckwelle. Es kommt vor, dass der Welle mehrfache „Züge“ vorausgehen und dann erst die Welle abläuft: dieses Verhalten wird vom Ableser des Projectionsbildes stets richtig angegeben. Was bisher nur beim Herzen geschehen konnte — die mittel- bare Beobachtung seiner Thätigkeit im Oapillarelektrometer —, darf jetzt auch für den Schluckact als möglich bezeichnet werden. Bei besonders kräftigen Wellen und, wie es scheint, beim unermüdeten Thiere, geht die Bewegung des Meniscus der Contraction des Oesophagus stets voraus. Es scheint, dass der Ermüdungszustand sich früher im elek- trischen Verhalten offenbart als im mechanischen. Denn bei länger dauernden Versuchen nimmt zuerst die Grösse der Bewegung des Quecksilbermeniscus ab. Unsere Versuche sind noch nicht zahlreich genug, um diese Erschei- nung eine gesetzmässige nennen zu dürfen. Die nähere Analyse der im Capillarelektrometer beobachteten Potential- schwankungen beschäftigt uns noch. Wir erwarten von der photographischen Aufzeichnung Aufschluss über die Richtung der Ströme und deren zeitliche Verhältnisse. Die Erscheinungen, soweit sie dem blossen Auge sich dar- bieten, sind so verwickelt, dass bestimmtere Aussagen uns verfrüht erscheinen. In solchen Fällen, wo das Thier unermüdet, die Welle kräftig und die obere Elektrode (d. h. die dem Kopfe näher gelegene) mit der Schwefelsäure im Gefässe des Capillarelektrometers verbunden war, beobachteten wir in der überwiegenden Mehrzahl eine Bewegung des Meniscus gegen die Schwefel- säure, d. h. die obere Ableitungsstelle war negativ gegen die untere. Wenn, wie es sehr häufig geschah, die durch den passiven Zug hervorgerufene Bewegung der Schluckschwankung entgegen gerichtet war, so hob sich der active Antheil des Vorganges um so bestimmter und klarer von dem ersteren ab. Doch sahen wir auch bei der Welle nicht selten die untere Ableitungs- stelle negativ werden. Von der Lage der Elektroden hängt dieser Wechsel nieht ab, sondern vermuthlich von der Beschaffenheit der Contraetion an den beiden Ableitungsstellen. In dem Falle, wo zunächst die obere Stelle 23* 356 VERHANDLUNGEN DER BERLINER negativ gegen die untere war, hätte man erwarten sollen, dass die zweite Phase des Vorganges, das Negativwerden der unteren Stelle, sich gleichfalls kund thun würde. Thatsächlich sahen wir auch einige Male, dass die Bewegung des Meniscus keine einfache war. Aber auch hier wollen wir lieber vorläufig der unmittelbaren Beobachtung misstrauen, als bestimmtere Angaben machen. Stets sahen wir, dass die Rückkehr des Meniscus in die Ruhelage eine viel langsamere war als der Ausschlag. Wir glauben, dass hierbei sowohl physikalische Eigenschaften des Elektrometers wie auch physiologische Gründe mit im Spiele sind. Der graphischen Darstellung sei auch ferner der Entscheid übertragen, ob die Bewegung des Oesophagus als Zuckung oder als Tetanus zu deuten sei. Wie zu erwarten war, giebt die Welle weder secundäre Zuckung noch secundären Tetanus. Wir möchten zum Schlusse noch darauf hinweisen, dass zur feineren Analyse der elektrischen Vorgänge im Oesophagus Kenntniss der Nerven- vertheilung in demselben als eine nothwendige Vorbedingung zu bezeichnen ist, deren Erfüllung jedenfalls den Einblick wesentlich erleichtern wird. Wir hoffen der Thatsache, dass der Schluckact im Oesophagus auch durch elektrische Vorgänge, die im Capillarelektrometer beobachtet werden, sich kund thut, in nicht allzu langer Zeit weitere Mittheilungen folgen zu lassen. 2. Hr. Dr. Max RoTHmaAnn (als Gast) hält den angekündigten Vortrag: Ueber die secundäre Degeneration der Pyramidenbahn nach ein- seitiger Exstirpation der Extremitätencentren der Hirnrinde. Bei Hirnapoplexien wird neben der typischen Hemiplegie der ge- kreuzten Körperhälfte mitunter auch eine leichte Affeetion der Extremitäten der angeblich gesunden Seite beobachtet (Westphal, Dejerine, Brissaud, Pitres, Dignat). Es gelang zuerst Pitres, in solchen Fällen neben der starken Degeneration der gekreuzten Py. S.! eine schwächere der gleich- seitigen Py. S. nachzuweisen; er nahm an, dass jede Pyramide zu beiden Py.S. Fasern sende. Pitres und Franck wiesen dann 1880 auch experi- mentell beim Hunde nach, dass auf einseitige Exstirpation der Centren der Hirnrinde doppelseitige Py. S. Degeneration folgen kann. Dieser Befund wurde weiterhin von zahlreichen Forschern bei Hunden und Affen, wenn auch nicht regelmässig, so doch häufig erhoben, jedoch sehr verschieden zu erklären versucht. Die gegebenen Erklärungsversuche lassen sich in drei Hauptgruppen zusammenfassen: I. Aus jeder Pyramide zieht zwar der grösste Theil der Pyramiden- fasern in die gekreuzte Py. S., jedoch biegen einige Fasern auch direet in die gleichseitige Py. S. um (Pitres, Muratoff, Mott, Sherrington, Dejerine und Thomas). II. Die degenerirten Fasern der gleichseitigen Py. S. stammen aus der gekreuzten Pyramide, indem diese selbst geringe Degeneration zeigt (Sherrington), oder, indem die bis zur Pyramidenkreuzung intacten Fasern hier von dem auf sie überspringenden Entzündungsreiz der degene- rirten Fasern der anderen Seite geschädigt werden (Hallopeau). III. Die degenerirten Fasern gelangen erst im Rückenmark aus der gekreuzten in die gleichseitige Py. S. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Max RoTHMAnNN. 357 a) durch Vermittelung der vorderen weissen Commissur (Charcot und neuerdings Dejerine und Thomas). b) indem sie im Rückenmark in verschiedenen Höhen die graue Sub- stanz ohne Vermittelung von Ganglienzellen durchkreuzen (Sherrington, Unverricht und seine Schüler Kusick und Vierhuff). c) durch tertiäre Degeneration, indem die graue Substanz beider Rückenmarkshältften affieirt wird, und von hier aus die Degeneration der gleichseitigen Py. S. zu Stande kommt (Langley?). Sandmeyer endlich enthält sich jeder Erklärung, während Fürstner und Knoblauch beim Hunde zu einem negativen Ergebniss gelangen. Die neuesten, mit der Marchi’schen Methode gemachten Arbeiten ge- langen sämmtlich zu der unter No. I gegebenen Erklärung, dass die Hirn- rindencentren jeder Seite mit beiden Rückenmarkshälften direct in Ver- bindung stehen. Verf. hat seine Untersuchungen in dem Laboratorium von Hrn. Prof. H. Munk an einem Thiermaterial von 11 Hunden und 2 Affen angestellt. Sämmtlichen Thieren wurden auf der linken Seite die Rindencentren für vordere und hintere Extremität total, jedoch ohne Verletzung benachbarter Theile, entfernt. Die Hunde blieben 9 Tage, 2, 3, 4 Wochen, 2, 5!/,, 61/,, 8 Monate und 2°/, Jahre am Leben, die Affen 4 Monate und 1!/, Jahr. Die Untersuchung der Medulla oblongata, des Rückenmarks und vor allem der Pyramidenkreuzung in Serienschnitten ergab in allen frischen mit der Marchi’schen Methode untersuchten Fällen (9 Tage bis 4 Wochen) eine schwache Degeneration der gleichseitigen Py. S. von der Pyramidenkreuzung bis zum Dorsal- oder oberen Lumbarmark neben starker Degeneration der 'gekreuzten Py. S. In allen älteren Fällen dagegen, die theils mit der Marchi’schen Methode, theils mit der Weigert’schen und van Guison’- schen Färbung behandelt wurden, war die gleichseitige Py. S. völlig intact. Da nun auch in den Fällen mit doppelseitiger Py. S. die gekreuzte Pyra- mide völlig normal war, und aus der degenerirten Pyramide keine degene- rirten Fasern direct in die gleichseitige Py. S. sich verfolgen liessen, so kommt der Vortragende zu der Anschauung, dass die degenerirten Fa- sern der gleichseitigen Py.S. von der gekreuzten intacten Pyra- mide stammen und erst in der Pyramidenkreuzung durch Druck von den erkrankten Pyramidenfasern der anderen Seite zur Degeneration gebracht werden. In einigen Fällen ist es auch gelungen, wie an Zeichnungen und Praeparaten demonstrirt wird, eine schiefwinklige Kreuzung der zu den beiden Py. S. ziehenden degenerirten Fasern mit einander nachzuweisen. Der Druck kommt zu Stande, indem die Nerven- fasern im ersten Stadium der Degeneration durch Quellung des Marks eine Volumenvermehrung erfahren und so bei enger Verflechtung mit anderen Fasern die letzteren comprimiren müssen. Geht im weiteren Vorschreiten der Degeneration die Volumenvermehrung der Nervenfasern in Atrophie über, so fällt die Compression fort, und die gedrückten, in der gleichseitigen Py. S. verlaufenden Fasern können sich regeneriren. Dieses Prineip der Compression, das wahrscheinlich bei der Ausbildung der Degenerationen auch in der menschlichen Pathologie des Centralnerven- systems eine grössere Rolle spielt, sucht Vortragender in weiterer Ausfüh- rung auf das Chiasma nervorum opticorum zu übertragen. Dasselbe ist 358 VERHANDLUNGEN DER BERLINER geeignet, Widersprüche zwischen Gudden einerseits und Singer und Münzer andererseits in Betreff der Degeneration im gleichseitigen Traetus opticus nach Enucleation eines Bulbus befriedigend zu erklären. Zum Schluss geht Vortragender auf abnorme degenerirte Faserbündel ein, die in drei der frischen Fälle von der degenerirten Pyramide in die Interolivarschicht und die untere Olive der anderen Seite sich verfolgen lassen, und die als Fibrae arcuatae externae aufzufassen sind, welche gleich- falls durch Druck zur Degeneration gebracht sind. Auch in die Pyramide der anderen Seite ziehen einige transversal verlaufende degenerirte Fasern. Endlich ist in einem der Fälle ein anomaler Verlauf einiger degenerirter Fasern in der Pyramidenkreuzung zu constatiren, die statt ventral erst dorsal vom Centralcanal zur Py. S. der anderen Seite herüberkreuzen. (Der Vortrag erscheint demnächst in ausführlicherer Form im „Neuro- logischen Centralblatt“). 3. Hr. N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Ueber Prüfung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie im Thierkörper. Bemerkungen zu den bezüglichen Versuchen des Hrn. Chauveau in Paris. Ich habe an dieser Stelle bereits mehrfach über Versuche berichtet, welche Aufschluss über die Beziehungen zwischen Muskelthätigkeit und Stoff- verbrauch lieferten. Zunächst hatte ich in Gemeinschaft mit den HH. Leh- mann und Hagemann derartige Versuchsreihen am Pferde, später mit Hrn. Katzenstein und dann mit Hrn. Schumburg am Menschen gemacht. Ich verfüge ausserdem über eine grössere, noch nicht publieirte Versuchs- reihe am Hunde. In allen diesen Versuchen hat sich ein sehr constantes Verhältniss zwischen Stoffverbrauch und Muskelleistung herausgesteilt. Wenn man zu- nächst die Grösse des Verbrauchs bei horizontalem Marsche ermittelt hat, und dann die Bahn derartig neigt, dass das Versuchs-Individuum eine mässige Steigung auszuführen hat, wobei es eine aus seinem Gewicht und der er- stiegenen Höhe genau zu berechnende Mehrarbeit leistet, ohne dass andere, als die beim horizontalen Schritt bereits beanspruchten Muskeln in Thätig- keit treten, so lässt sich der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäureaus- scheidung für die Arbeitseinheit genau ermitteln. Wenn man dann hieraus nach bekannten Principien das calorische Aequivalent der umgesetzten Nähr- stoffe berechnet, findet man in allen Fällen einen nur sehr wenig verschie- denen Werth; im Mittel der neuesten noch nicht publieirten, mit Hagemann ausgeführten Versuche am Pferde fanden wir für 1®” geleistete Arbeit einen Energieumsatz im Betrage von 6-6727 Cal. = 2.836 kem, Sehr verschieden hiervon lautet das Ergebniss, welches Chauveau in einer in den Comptes rendus vom Januar 1896 veröffentlichten Untersuchung gefunden hat. Er giebt an, dass, wenn man alle Nebenausgaben für Fixation der Last, für gesteigerte Herz- und Athemarbeit, ferner für Bildung des eigent- lichen Muskelnährstoffes (Zucker) aus den anderen Nährstoffen in Abrech- nung bringt, die ganze übrig bleibende Energie als nutzbare Arbeit zu Tage tritt. Er ging bei diesen Versuchen von folgender Ueberlegung aus: Wenn ich dureh Contraction des Muse. biceps mit der Hand eine Last hebe, so hat der Muskel zunächst, um in jeder Lage, welche die Hand successive einnimmt, das Fallen des Gewichts zu verhindern, eine gewisse Spannung PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuNT2z. 359 anzunehmen, zu deren Erzeugung chemische Energie nöthig ist, welche natürlich ganz und gar in Wärme umgesetzt wird. Dazu kommt eine zweite Leistung, durch welche der gespannte Muskel die Last der Schwere ent- gegen bewegt. Wenn man dieselbe Last in gleichem Tempo mit der Hand aus der erreichten Stellung wieder in die ursprüngliche zurück abwärts be- wegt, ist der Aufwand an Muskelspannung derselbe, dagegen braucht der Muskel die vorher für Hebung aufgewendete Arbeit nicht zu leisten, und ausserdem leistet die Schwere am Muskel eine Arbeit, deren Betrag der vorher von ihm zur Hebung geleisteten gleich ist. In Folge dessen wird beim Senken des Gewichts gegenüber dem Heben, nach Chauveau’s An- ‘sicht, eine Energiemenge gespart, welche gleich ist der doppelten Arbeit des Hebens. Zur praktischen Ausführung des Versuches bedient sich Chauveau statt der schwachen Vorderarmbeuger der Streckmuskeln des Schenkels, durch welche er die Last des Körpers eine Treppe hinaufheben lässt. Er führt darauf, indem er ebenso wie beim Treppeaufsteigen immer nur ein Bein zum Tragen der Last des Körpers verwendet, rückwärts gehend die Abwärtsbewegung aus. Hierbei hat sich herausgestellt, dass das mechanische Aequivalent des im ersten Fall mehr als im zweiten gebrauchten Nährstoffes gerade den doppelten Werth der geleisteten Arbeit repraesentirt. Es würden also in diesem Falle umgesetzte chemische Energie und daraus resultirende Arbeit einander aequivalent sein oder mit anderen Worten, es wäre Chauveau gelungen, wie er sich ausdrückt, das Aequivalentgesetz für die Arbeiten, welche ihre Quelle in der Activität der Gewebe des thierischen Organismus haben, nachzuweisen. Ich glaube nicht, dass die von Chauveau aus seinen Versuchen ge- zogenen theoretischen Folgerungen berechtigt sind. Es sind zunächst erheb- liche Bedenken gegen die Rechnungsart, welche er angewendet hat, zu erheben. Die mechanische Grundlage derselben hat bereits Fick in einem in Pflüger’s Archiv, Band 51, S. 541, veröffentlichten Aufsatze einer Experi- mentalkritik unterzogen und ist dabei wenigstens für den Froschmuskel zu dem Schluss gekommen, dass der einer bestimmten mittleren Spannung ent- sprechende Energieumsatz nicht derselbe ist, wenn das Maximum der Ver- kürzung das eine Mal am Anfang, das andere Mal am Ende der Con- traction liegt. | Weiterhin ist gegen die Art, wie Chauveau den Energieumsatz im Muskel berechnet, mehreres einzuwenden. Er nimmt auf Grund seiner früheren Versuche, in welchen er, durch Untersuchung des aus dem thätigen Muskel hervorströmenden Blutes, festgestellt hatte, dass dieses Blut einen erheblichen Verlust an Zucker erleidet, an, nur der Zucker könne als Quelle der Muskelkraft dienen. Es ist aber in dem erwähnten Versuche Chauveau’s die Uebereinstimmung zwischen verbrauchtem Zucker einerseits und ver- brauchtem Sauerstoff beziehungsweise gebildeter Kohlensäure andererseits keineswegs so gross, um diesen Schluss rechtfertigen zu können. Seegen, der bekanntlich die gleiche Anschauung, wie Chauveau über die Quelle der Muskelkraft hat, und der auf Grund seiner Zuckerbestimmungen im zu- und abführenden Leberblute die Lehre aufgestellt hat, dass fast der ge- sammte, im Körper umgesetzte Nährstoff vor seiner endgültigen Oxydation in der Leber in Zucker übergeführt werde, hat dennoch die Beweiskraft der 360 VERHANDLUNGEN DER BERLINER für seine Anschauung so sehr günstigen Versuche Chauveau’s nicht aner- kennen können. Eine ältere Versuchsreihe von mir und Dr. Loeb, von welcher ich in der Sitzung dieser Gesellschaft vom 22. Juni 1894 kurz Mitthei- lung gemacht habe, spricht ganz direct gegen die Hypothese von Chauveau. Wenn nämlich das Fett, ehe es der Muskelthätigkeit dienen kann, erst in Zucker umgewandelt werden müsste, würde bei dieser Umwandlung ein erheblicher Theil der chemischen Spannkraft des Fettes in Wärme über- gehen. Diese Wärme käme natürlich der Muskelthätigkeit nicht zu gute, und es müsste deshalb, wenn dem Thierkörper nur Fett zur Verfügung steht, dieselbe Muskelthätigkeit mit einem grösseren Aufwand an chemischer Energie ausgeführt werden, als bei genügender Gegenwart von Kohle- hydraten. Wie gross dieser durch Chauveau’s Hypothese. geforderte Mehr- verbrauch bei Fettnahrung ist, geht aus folgenden Zahlen hervor: 100 8% Fett = 76-58M C, 11.95” H, 11-629 O = 942.3 Cal. 1008" Zucker = 40.08% 0, 6.78% H, 53.381 0 = 369-2 Cal. Nimmt man nun mit Chauveau an, dass der ganze Wasserstoff des Fettes in das Zuckermolekül übergehe, dass so viel Sauerstoff wie nöthig durch Einathmung aufgenommen werde, und dass der überschüssige Kohlen- stoff ebenfalls mit Hülfe von eingeathmetem Sauerstoff als Kohlensäure aus- geschieden werde, so ergiebt sich, dass aus Fett entstehen könne: 180.380 2 = 72.122720, 11.98 H, 96-10.3770,665,Cal. Zur Oxydirung der überschüssigen 4-382m 0 sind 35-048 O nöthig. Ferner zur Bildung des Zuckermoleküls . . . 84-50 ,„ „ Im Ganzen also 119.54 8m O. Das Verhältniss des Volumens der Athemgase (CO, und OÖ) bei diesem Process ist 35.04 119.54 = 0.29 (Chauveau giebt 0-27 an). Mit Hülfe dieses Quotienten berechnet Chauveau, welcher Antheil der Athemgase zur Oxydirung von Zucker und demgemäss nach seiner Hypo- these allein zur Erzeugung von Muskelkraft gedient habe. Von den 942.3 Cal. des Fettes würden bei diesem Process der Zucker- bildung 276-6 = 29-4 Procent für die Muskelthätigkeit verloren gehen. Ein so bedeutender Mehraufwand von Energie müsste sich bei starker Muskelarbeit deutlich bemerkbar machen, wenn man die Ernährung des Versuchsthieres so einrichtet, dass es im einen Falle vorwiegend Kohlehydrate, im anderen vorwiegend Fett zur Verfügung habe. Von einer derartigen Wirkung ist aber in meinen oben eitirten Versuchen nichts zu bemerken. Im Mittel derselben fand ich vielmehr: I. Bei ausschliessl. Eiweissernährung R. Q.! = 0°78; Energie- verbrauch per Meter Weg (bei starkem Bergaufsteigen) 2.58 Cal. II. Vorwiegend Fettzersetzung R. Q. = 0.74; Energiever- brauehi per. Meter E.W m nn. or eu III. Vorwiegend Fettzersetzung R.Q. = 0-71 (Kohlehydrate durch Phlorhizin möglichst vollständig beseitigt). . . 2-71 „ "R.-Q. bedeutet lespirationsquotient. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZunTz. 361 IV. Viel Zucker beim eiweissreichgenährten Thier, RO — 1.0) Sa a el a an unse: V. Viel Zucker bei eiweissarmer Kost; R.Q. = 0-88 . . 2.63 „ Wenn wir für die einzelnen Ernährungsweisen die Mittel nehmen, haben wir: Vorwiegend Eiweiss . . 2-58 Cal. 3; Rettl.. sn 211,298 u, N Zucker u. 2.12.6022, Wenn Chauveau’s Hypothese zu Recht bestände, hätte der Energie- verbrauch, falls er 2-60 Cal. bei ausschliesslicher Kohlenhydratverwendung betragen hätte, auf 3-68 Cal. bei ausschliesslicher Fettzersetzung steigen müssen. Ein solcher Unterschied liegt wohl ausser der Grösse der Beob- achtungsfehler in meinen obigen Versuchen. Ich kann also auf Grund der- selben die Correetur, welche Chauveau mit Hülfe der R. @. in seinen Re- spirationszahlen anbringt, nicht anerkennen. Ich möchte übrigens an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass man eben in meinem Laboratorium damit beschäftigt ist, die so wichtigen Ver- tretungswerthe der Nährstoffe bei der Muskelarbeit durch neue Versuche am Menschen sicher zu stellen. Ein zweites Bedenken richtet sich gegen den Abzug, welchen Chau- veau für „autres travaux connexes“ macht. Er versteht darunter die in Begleitung der Muskelthätigkeit gesteigerte Herz- und Athemarbeit. Er macht dafür einen Abzug von 18 bis 21 Procent. Im Verein mit Hagemann habe ich in Versuchen, welche wir in den landwirthschaftlichen Jahrbüchern specieller veröffentlichen werden, den Stoffverbrauch für Herz- und Athem- arbeit am Pferde gemessen. Wir fanden für erstere im Mittel 4-02 Procent, fursletzierene an ua. 018 4 im Ganzen 11-2 Procent. der gleichzeitig für die Arbeit aufgewendeten Sauerstoffmenge. Beim Menschen dürfte zwar die Athemarbeit etwas mehr Stoff erfordern als beim Pferde, aber immerhin ist Chauveau’s Correctur etwas hoch bemessen. Die von Chauveau berechnete strenge Aequivalenz erleidet durch die mitgetheilten Bedenken schon eine erhebliche Einbusse. Immerhin ist die von ihm gefundene Verwerthung der Energie bei der Arbeit eine auffallend günstigere als in unseren Versuchen. Glücklicher Weise bin ich in der Lage, auf Grund von Versuchen, welche Hagemann und ich am bergab steigenden Pferde gemacht haben, die wahrscheinliche Ursache der Differenz aufzuklären. Wir fanden, dass das Pferd beim Bergabsteigen weniger Sauer- stoff braucht als bei horizontalem Gange. Wenn man die Ersparniss mit der fördernden Wirkung der Schwere, letztere ausgedrückt in Kilogrammmetern in Beziehung bringt, so zeigt sich, dass die Schwerwirkung um so mehr Energie spart, je geringer die Neigung der Bahn ist. Wenn man die Ergebnisse der Versuche derart in ein Ooordinatennetz einträgt, dass man die pro Kilogramm- meter Schwerwirkung ersparte Energie als Ordinate, die procentische Neigung der Bahn als Abseisse nimmt, so ordnen sich sämmtliche Versuche, wie 362 VERHANDLUNGEN DER BERLINER beistehendes Diagramm zeigt, sehr annähernd in eine gerade Linie. Durch Ausgleichsrechnung, nach der Methode der kleinsten Quadrate, wurde die wahrscheinlichste Gleichung dieser Linie gefunden zuy=6-2207+0-06085 z. Aus dieser Gleichung ergiebt sich, dass bei minimalem Gefälle ein Kilogramm- meter 6.2207 Cal. erspart, während, wie wir oben gesehen © » =» © ® haben, beim Steigen 13” 6.6727 Cal. erfordert. Nur | für den Grenzfall ist hier also die von Chauveau als allgemein gültig angenommene Regel bestätigt, dass 1%8m negativer Arbeit annähernd ebenso viel Energie spart, wie 18% positiver Arbeit verbraucht. Aber die ersparte bezw. verbrauchte chemische Energie | ist pro Kilogrammmeter nicht aequivalent 1 #3”, sondern OL 08 62207 .425 ” u kg = 1000 ee während die im andern Fall verbrauchte x 6:62.42. 85) En = oe 2.8359 beträgt. Da nun, wie wir sehen, mit wachsender Neigung der Bahn die Energieersparniss pro Kilogrammmeter immer kleiner, bei einer Neigung von 104 auf 1000=0, und bei noch grösserer Neigung negativ wird, lässt sich sehr leicht die Neigung der Bahn berechnen, bei der man das von Chauveau als allgemeiu gültig angenommene Ergebniss erhält. Chauveau verlangt, dass bei Ver- gleichung gleich grosser negativer und positiver Arbeit die Differenz des Energieaufwandes pro Kilogrammmeter 2ksm betrage. Das ist bei unserem Pferde, welches für 1% positiver Arbeit, 2.8359 em chemische Energie braucht, nur dann der Fall, wenn 1 "3" negativer Arbeit 0.8359 kam mehr erfordert als die horizontale Bewegung. 0.8359 Km entsprechen 1-967 Cal. Wir haben also in obige Gleichung einzusetzen y„=—1-967 und finden dann x = 134-5; d. h. bei einem Gefälle von 134.5 vm pro Meter Weg ist der Unterschied des Verbrauches bei positiver und negativer Arbeit pro Kilogrammmeter genau gleich dem chemischen Aequivalent von 2 kam, Beim Menschen wird wohl die Neigung der Bahn, bei welcher die Differenz des Verbrauches bei positiver und negativer Arbeit dem doppelten Werthe der Arbeit gleich ist, eine andere sein. Während aber Chauveau diese Beziehung für allgemein gültig erklärt und als einen Beweis für die Gültigkeit des Prineips von der Erhaltung der Energie im Thierkörper be- trachtet, konnten wir zeigen, dass dies Ergebniss nur unter ganz bestimmten 3edingungen eintritt und eine Folge der besonderen Arbeitsleistung, welche zur Hemmung des Gefälles bei stärkerem Bergabsteigen erforderlich wird, ist. Die früher von uns festgestellte Thhatsache, dass nur !/, der im Dienst ® 09 02 06 07T on I 0% 081 PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. — NUTTALL U. THIERFELDER. 363 der Muskelarbeit verbrauchten Energie als nutzbare Arbeit zu Tage tritt, bleibt nach wie vor bestehen. Die Leistungsfähigkeit des Muskels erscheint jedoch in noch etwas günstigerem Licht, wenn man, wie dies Chauveau versucht, einen Abzug für Herz und Athemarbeit macht. Gerade wegen des Interesses, das dieser Abzug bietet, haben Hagemann und ich, wie oben schon erwähnt, eine grosse Anzahl von Messungen der Herz und Athem- arbeit beim Pferde ausgeführt, welche wir demnächst in den landwirthschaft- lichen Jahrbüchern veröffentlichen werden. Auch wenn man diesen Arbeiten Rechnung trägt, wird die Ausnutzung der Energie im Muskel im günstig- sten Falle 40 Procent kaum erreichen. XI. Sitzung am 20. März 1896. Hr. G. H. F. Nurrarn und Hr. H. Tuıerreiper: Weitere Unter- suchungen über bakterienfreie Thiere (vorgetragen von Hrn. H. Thier- felder). Im weiteren Verfolg unserer seiner Zeit an dieser Stelle (Jahrgang 1894—1895, Nr. 13, 14, 15) mitgetheilten Versuche über thierisches Leben ohne Anwesenheit von Bakterien im Verdauungscanal haben wir geprüft, ob auch die Verdauung vegetabilischer Nahrung ohne Mithülfe von Bakterien vor sich gehe, und ob der Harn bakterienfreier Thiere aromatische Sub- stanzen enthalte. Als vegetabilisches Futter, welches neben Milch gegeben werden sollte, wählten wir Cakes. Dieselben enthalten über die Hälfte ihres Gewichtes Stärkemehl und nur sehr wenig Holzfaser. Die .Cakes befanden sich, in einer mit luftdicht schliessendem Deckel versehenen Blechbüchse eingeschlossen, in dem Gummisack. Die Büchse liess sich von aussen durch den dünnen Gummi hinuurch bequem öffnen, eines Theils ihres Inhaltes ent- ledigen und wieder schliessen. Die Cakes blieben auf diese Weise während der Sterilisation und während des ganzen Versuches völlig trocken. Von den fünf inzwischen ausgeführten Versuchen sind zwei vollständig gelungen. Die Anordnung war im Allgemeinen dieselbe wie sie früher be- schrieben wurde. Die Meerschweinchen tranken und frassen sehr gut und waren ununterbrochen ganz trocken. Am Ende des zehnten Tages brachen wir beide Versuche ab. Das eine Thier hatte 7108”®% Milch getrunken und (bezogen auf das Anfangsgewicht des gleich grossen Geschwister- [Control-] thieres) 238"” zugenommen, das andere 422 8"% bezw. 118'""- Darminhalt, Milch und Excremente waren in beiden Versuchen ganz bakterienfrei. Die vereinigten Harnmengen beider Thiere wurden auf aromatische Oxysäuren untersucht, welche nach Baumann auch dann noch im Harn erscheinen, wenn in Folge energischer Darmdesinfeetion sämmtliche anderen aromatischen Stoffe verschwunden sind. Es gelang uns, durch entsprechende Behandlung in geringer Menge eine Substanz zu isoliren, welche, in Wasser gelöst, die Reaction auf aromatische Oxysäuren (Rothfärbung beim gelinden Erwärmen mit Millon’s Reagens) sehr scharf und deutlich gab. Die Angabe von Baumann, dass die aromatischen Oxysäuren (oder vielleicht nur eine derselben) auch unabhängig von der Darmfäulniss ent- 364 VERHANDLUNGEN DER BERLINER stehen, ist durch unsere Untersuchung in einer, wie uns scheint, einwands- freien Weise bestätigt worden. Die Geldmittel für diese Experimente, deren eingehende Beschreibung in der Zeitschrift für physiol. Chemie erfolgen wird, stellte die medieinische Facultät der Universität Berlin aus den Mitteln der Gräfin-Bose-Stiftung zur Verfügung. XI. Sitzung am 24. April 1896." 1. Hr. Cowr hält den angekündigten Vortrag: Ueber Röntgen’sche Diehtigkeitsbilder mit Demonstration, nach Versuchen im hiesigen physio- logischen Institut. Die Entdeckung einer uns ganz neuen Form von Energie, deren Strahlen in verschiedener Menge geradlinig durch alle Körper hin- durehdringen, um dann kraft einer Verwandlung entweder in Licht auf fluo- rescirenden Schirmen oder in chemischer Energie auf der photographischen Platte sich bildlich kund zu geben, bietet der Forschung ein Mittel, dessen Tragweite noch kaum zu übersehen ist. Der Befund Röntgen’s, gewonnen durch Entladung hochgespannter Elektrieität in dem annähernd luftleeren Hittorf’schen Fluorescenzrohre, darf wohl in Anbetracht der erwähnten Eigenschaften dieser neuerkannten Energieform, sowie der früheren Versuchsergebnisse über Kathoden- strahlen seitens Goldstein, Hertz, Lenard, Hittorf, Crookes und Anderer, in erster Reihe zur Erweiterung unserer Kenntnisse im Gebiete der theoretischen Physik beitragen, doch hat zunächst, dank der Bei- hülfe namhafter Physiker, die klinische Mediein einen grösseren Nutzen davongetragen; denn, wie Röntgen selbst gezeigt hat, kann man durch die hervorragende Fähigkeit fester schwerer Körper, die Röntgen’schen X-Strahlen zu absorbiren, markante Schattenbilder lebender, mit Weichtheilen bedeckter Knochen auf einem mit Platinbariumeyanür belegten Schirme, sowie auf gewöhnlichen lichtempfindlichen Bromsilber-Gelatineplatten ge- winnen. In Verbindung hiermit hat der Nachweis, bezw. die Ortsbestimmung eingeheilter Fremdkörper, welche ebenfalls wegen ihrer grossen Dichtigkeit zum Vorschein kommen, zu der Beseitigung einer empfindlichen Lücke in der chirurgischen Praxis, namentlich in Betreff der Hand, geführt. Die gegenseitige Lagerung der Knochen in lebenden Gebilden, welche Röntgen’sche Aufnahmen klarlegen, zeigt mit einem Male die grosse Be- deutung, welche diese Forschungsmethode für das Studium der Anatomie, der Physiologie und der Pathologie des Körpergerüstes und seiner einzelnen Theile in viwo haben muss. Diese und auch andere Anwendungen des Röntgen’schen Verfahrens sind zwar schon in Angriff genommen, aber noch nicht praeeisirt worden. ! Ausgegeben am 5. Juni 1896. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜOWL. 365 Der Verschwommenheit und Undeutlichkeit vieler der bisher erzielten Bilder ist es wohl zuzuschreiben, dass weitgehende Aufschlüsse über Struetur und Funetion, sowie über Veränderungen der darstellbaren Körpertheile im Or- ganismus noch nicht haben gewonnen werden können. | Die Lösung soleher Aufgaben erscheint nur möglich unter ausdrück- licher Berücksichtigung der geometrischen Bedingungen schattenartiger Pro- > Se or > 5 jeetion. Zwei solche Bedingungen möchten wir nun hervorheben. Erstens, um scharfe Schattenbilder zu geben, müssen bekanntermaassen Strahlen, ob Licht, Elektrieität oder X-Strahlen, von einer Quelle ausgehen, deren Durchmesser unbeträchtlich klein gegenüber dem des schattengebenden Objectes oder seiner darzustellenden Theile ist, falls letztere nicht von ver- schwindend kleiner Dieke sind und unmittelbar auf der Projectionsfläche liegen, oder mit anderen Worten, es müssen Halbschatten vermieden werden. Als Beispiel solcher Wirkung dürfte der verwischende Einfluss von den durch die Breite der Sonnenoberfläche bedingten Halbschatten im Sonnenschattenbilde eines Objectes bezw. Gewebes dienen, sobald dasselbe auch nur in geringem Maasse von der Projeetionsfläche entfernt wird. Die bisher gangbaren Modelle des Hittorf-Röntgen’schen Ent- ladungsrohres genügen dieser Bedingung nur zum Theile: denn die wirk- samen Strahlen gehen von einer Oberfläche aus, welche beträchtliche Aus- dehnung besitzt. Diese Ausstrahlungsfläche besteht entweder in einem Theil der Glaswand des Rohres oder in einem, in den Verlauf der Kathodenstrahlen eingeschobenen Stück Aluminiumblech. Da nun jeder Punkt dieser Fläche X-Strahlen nach allen Richtungen aussendet, entstehen auf Platinbariumeyanürschirmen, hinter vorgehaltenen Gegenständen, Halbschatten, welche die Contouren der Objecte mehr oder weniger undeutlich machen. Wenn ich einen Finger in der verlängerten Hauptaxe der Kathoden- strahlen dicht an der Glaswand des einen oder des anderen der er- wähnten Modelle halte und einen Platinbariumeyanürschirm dagegen bringe, sind die Umrisse des Fingers trotz der vollauf genügend hellen Fluoresceenz am Schirme kaum wahrnehmbar und ebenso verschwommen in Halbschatten zeigen sich die Phalanxknochen. Ganz Entsprechendes ereignet sich auch auf der vorgelegten photographischen Platte. Sobald letztere aber sammt dem aufgelegten Finger beträchtlich von dem Rohre entfernt wird, gewinnt man ein scharfes Bild vom Finger wie von dessen Knochen, doch trifft in diesem Falle wegen der weit grösseren Ent- fernung nur ein ganz kleiner Bruchtheil der erzeugten Strahlen auf die Platte. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass Röntgen’sche Schattenbilder nicht lothrechte Parallelprojeetionen eines Gegenstandes, wie solche vermittelst Sonnenlichts zu gewinnen sind, sondern centrale Projeetionen desselben darstellen, die bei einem genügenden Abstand von einer kleinen Strahlen- quelle in Betreff ihrer Umrisse vollauf dem Bilde entsprechen, welches das Auge bei derselben Entfernung von dem sichtbaren Objeete zu sehen be- kommt, 366 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Aus diesen beiden Bedingungen ist ersichtlich, dass, um recht scharfe Bilder zu geben, die Ausgangsfläche der X-Strahlen im Verhältniss zum ab- zubildenden Objeet möglichst klein bezw. entfernt sein muss. Mit den bisher hauptsächlich in Gebrauch befindlichen Röntgen’schen Röhren war für nicht sehr grosse Objeete ein solches Verhältniss zu er- reichen durch Abblendung des ganz überwiegenden Theiles der Ausstrahlungs- fläche oder durch grosse Entfernung des abzubildenden Objectes vom Ent- ladungsrohr. Beides bedingt einen grossen Verlust an Energie, welcher mit Rücksicht auf die Aufnahme lebender, nicht immer ruhig zu haltender Objeete nur durch gewaltige Steigerung der elektrischen Ströme nebst ent- sprechenden Funkeninductoren u. a. m. auszugleichen ist. In den Versuchen vermittelst des Röntgen’schen Verfahrens, worüber ich hier kurz berichten will, habe ich ein Modell des Entladungsrohres be- nutzt, welches alle wesentlichen Bedingungen für die vorliegenden Zwecke zu erfüllen schien. Dasselbe besteht aus einer Glashohlkugel mit zwei gleichen stark concaven Aluminiumelektroden an beiden Polen und einem Stück Platinblech in der Mitte der Kugel, welches um 45° zur Hauptaxe geneigt ist und ungefähr 10xX15”” misst. Dieses Modell ist schon früher von Hrn. Dr. Kaufmann, dessen Liebenswürdigkeit ich dasselbe verdanke, wie von Anderen benutzt worden. Die Reihe von Röhren dieses Modells, welche für mich von der Firma C. Richter (Berlin, Thurmstrasse 4) in ganz ausgezeichneter Qualität und in dauerhaft luftleerem Zustande nach folgenden weiteren Angaben hergestellt wurden, hat mir ohne Ausnahme die besten Dienste geleistet. Von der Erwägung ausgehend, dass Glas einen schwer durchlässigen Körper für X-Strahlen bildet, habe ich mit Rücksicht auf die grosse Halt- barkeit sehr dünnwandiger Glaskugeln solche von Anfang an benutzt und finde die Helligkeit der an denselben hervorgerufenen Fluorescenz im Vergleich mit derjenigen diekwandiger Exemplare ganz beträchtlich grösser. Einen unmittelbaren Beweis des Einflusses der Glasdieke auf die Menge der ausgehenden X-Strahlen führe ich jetzt hier vermittelst eines Entladungs- rohres vor, welches die Firma Richter auf meinen Wunsch dazu fertig- stellen liess. Wir sehen hier am vorgehaltenen Platinbariumeyanürschirm breite dunklere Streifen im hellen Felde der Fluorescenz, die bei genauerer Be- trachtung der Kugel, betreffs ihrer Lage, in genauer Uebereinstimmung mit dickeren Streifen in der Glaswand zu constatiren sind. An allen anderen der von mir geprüften Röhren dieses Modelles habe ich die Fluorescenz des vorgehaltenen Schirmes und die Dicke des Glases von vollkommener Gleichmässigkeit gefunden. Wir sehen auch an diesem zweiten Exemplar des kugelförmigen Rohres, dem ich Inductionsschläge nur mässiger Stärke zuführe, die eine Hälfte der Glaswand, scharf begrenzt durch die Ebene des Platinblechs, in heller, gelbgrünlicher, sleichmäkkicl vertheilter Fluorescenz aufleuchten, während die andere Hälfte ausser einem bläulichen Schimmer im Innern dunkel bleibt; an dieser Seite, nahe der Anode, er- scheinen etwas vergrössert die projieirten Umrisse des Platinstücks begrenzt durch einen schmalen Streifen heller Fluorescenz, welcher da breiter ist, wo PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (OWL. 367 der Rand des Platins sich weniger weit von der genauen Kugelmitte be- findet. Halte ich nun concentrisch mit der Kugelwand einen an und für sich gleichmässig fluoreseirenden Schirm, so sehen wir, dass die von der einen Platinoberfläche radiär ausgehenden X-Strahlen eine vollkommen gleich- mässig vertheilte Fluoresceenz am Schirme hervorrufen. Ausgenommen sind hierbei diejenigen Stellen, wo das Glas verdickt ist oder nicht mehr con- centrisch mit der Kugelwand verläuft. Schiebe ich einen Finger zwischen das Entladungsrohr und den Fluorescenzschirm, so kommen sowohl die Um- risse des Fingers, wie die seiner Knochen und zwar vollkommen scharf und deutlich. zum Vorschein. Bei näherer Betrachtung zeigen sich sogar zwischen den Enden der Phalanxknochen Lücken, welche im Object mit dem für X- Strahlen sehr durchlässigem Gelenkknorpel ausgefüllt sind. Hierdurch gewinnen wir ein Bild der Umrisse wie der gegenseitigen Lagerung der Knochen, wie es zu bekommen wäre, wenn man sie mit einer entsprechenden Sammellinse aus einer Entfernung vom halben Kugeldurch- messer, also von 50 ®® ansähe. Bei einem Abstand hingegen von 250 "m zwischen dem Ausstrahlungskern des Entladungsrohres und der auf eine ver- hüllte Bromsilbergelatineplatte gelegten Hand erhält man ein Röntgen’- sches Schattenbild der Handknochen, dessen Umrisse einem bei normaler Sehweite gesehenen Bild entsprechen. Solche Bilder von einer ganzen Reihe Gegenständen, namentlich aber der Hand, habe ich mit dem oben beschriebenen Entladungsrohre auf- genommen und überreiche ich der Gesellschaft zur näheren Ansicht. Es sind dies photographische Positive, welche von den vermittelst X-Strahlen gewonnenen Negativen ohne alle Retouche auf Chlorsilbercelloidinpapier ab- gedruckt worden sind, und zwar: a) Die rechte Hand eines 11 jähr. Kindes (s. Figur, S. 370), in welcher die Epiphysen an sämmtlichen Langknochen, in Folge der grossen Durchlässig- keit des Knorpels für X-Strahlen, von den Diaphysen sowohl wie an den Gelenkflächen von einander durch bedeutende Lücken getrennt erscheinen; ferner ist die Spongiosa deutlich von der compacten Substanz im Bilde zu unterscheiden. Obwohl es sich hier im grossen Ganzen rein um eine Wirkung der Masse der Knochensubstanz in der Bahn jedes Bündelchens X-Strahlen handelt, bekommt man ein ganz ähnliches Bild wie das eines Längsschnittes des Knochens und zwar aus dem Grunde, weil die Dicke derjenigen senk- recht zur Strahlenrichtung liegenden Schichten des Knochens, welche in ihrer Mitte spongiöse, an ihren Rändern compacte Substanz aufweisen, ganz be- deutend grösser ist als die der oberen und unteren Knochenschichten, die wenig oder gar keine Spongiosa enthalten. Ausserdem sind im Bilde die inneren Ränder der Sehnen der Mm. interossei und ihre Anheftungen an den Basen der ersten Phalangen wahrzunehmen. b) Eine Lederbörse mit einem 20 Pfennigstück und einem alten Friedrichsthaler, dessen geringfügige Randerhabenheiten leicht zu erkennen sind, daneben in einem Pappfutteral ein Paar Prismen von 4° Winkel im Brillengestell, dessen Branchen sich durch die Gläser hindurch zeigen. Am Futteral heben sich die Ränder der verschiedenen Papplagen scharf ah. 368 VERHANDLUNGEN DER BERLINER c) Linke Hand eines 20 jähr., sonst gesunden ‘Mannes, mit einer am Knochen festsitzenden derben Geschwulst des Mittelfingers an der Stelle einer vor vier Jahren durch Explosion eines kupfernen Zündhütchens verur- sachten, geheilten Wunde. In der Mitte des geschwollenen Fingertheiles, hart am Knochen, ist ein ganz kleiner, spitzer, schwarzer Fleck im Bilde zu sehen, welcher wohl ein Stückehen Kupfer darstellen dürfte. d) Ein Gewichtssatz in einer mit Deckel versehenen dieken Holzbüchse. Ein beiderseits scharf begrenzter, schmaler, kreisförmiger, heller Streifen rings um die Gewichte, deutet auf einen Luftraum, verursacht durch gering- fügige Schrumpfung des Holzes an den ausgebohrten Löchern. e) Eine Pravazspritze im Etui, welche im Bilde das Schloss, die Charniere mit Befestigungsnägeln und die Holzklötzchen nebst den für die Canülen bestimmten Spalten zeigt; an einer der Canülenspitzen ist die bekannte Ab- schrägung genau zu erkennen. Der der Länge nach mit Schraubengewinde versehene Stempel der Spritze ist durch die Glaswand hindurch abgebildet. Daneben zwei Bleistifte, in welchen der Graphit sich als ziemlich undurch- lässig für X-Strahlen erweist, aber weniger als der gleich dieke Radirgummi. f) Stückchen von Glas, hartem Gummi, Celluloid und reinem Kautschuk, deren Durchlässigkeit in dieser Reihenfolge so ansteigt, dass die zwei letzt- genannten ein grosses Maass derselben besitzen. q9) Neben Fett-, Muskel- und Knochen-Gewebe, Holz und Glas eine Reihe Metallstücke verschiedener Dicke, welche in folgenden Abstufungen die gleiche Durchlässigkeit für one on’äche X-Strahlen aufweisen. . Spec. | Dicke in Spec. Dicke in Substanz | ent ‚Millimetern Substanz ne Millimetern Elsenholz ...,...|| 0:70 30:00. | Glas. . ..... |, 2.60.0090 Bett get. me 0-99 14:00 Kupfer 2 200: 9:00 0:05 Muskel 1-05 7-00 Silber mer 10-40 0-03 Knochen. en zo 1:90 0-70 Golden Here 19:30 0-01 Aluminium . . .|| 2-60 0-50 Ein Haufen Goldblatt und ein 10%® dickes Stück Hollundermark gaben nur Andeutungen einer Strahlenabsorption auf dem Bilde. Ferner zwei menschliche Zähne, welche an der einfachen Wurzel etwas von der Mark- höhle zeigen und ein Stück von einem trockenen, praeparirten Jochbein, dessen feine Erhabenheiten sowohl, wie gröbere Diekenunterschiede und dessen feinzackiger Rand vollkommen wiedergegeben sind. /h) Stücke von Fett-, Muskel- und Knochen-Gewebe, welche eine gleiche Durchlässigkeit bei 1°%, 2°%, bezw. 1%” Dicke aufweisen. ‘) Eine Reihe fester und flüssiger Substanzen in gleich dieker Schicht von 3%" nach ihrem speecifischen Gawich angeordnet, endlich Elsen-, Hirn- und Längsholz von specifischen Gewicht 0-5 5, Aethylaether von 0.7, Ammoniak von 0-93, weisses Wachs von 0-96, Wasser von 1-0, Ebenholz von 1-3, Kochsalzlösung von 1-3, Elfenbein von 1-9, fester Schweiz 2-0, Aluminium, hart und weich, von 2-6 und Glas von 2-6 specifischem Gewicht. Das Negativ dieser Gesammtaufnahme weist für jede Verminderung im speeifischen Gewicht einen Zuwachs der Durchlässigkeit für X-Strahlen PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜOWL. 369 nach, mit Ausnahme von Schwefel, der sich als noch undurchlässiger wie Glas und Aluminium erwies. Die Durchlässigkeit dieser verschiedenen Sub- stanzen, wie auch der festen Körper in Aufnahme g, folgt im grossen Ganzen in umgekehrter Reihe ihrer relativen Dichtigkeit. Ganz genaue Be- stimmungen dieser Verhältnisse lassen sich auch in Folge der Zuverlässig- keit der Bromsilbergelatineplatten bei sachgemässer Behandlung ausführen. rk) Die rechte Hand eines Gelehrten, welche die Knochenbälkchen der Spongiosa, der Carpal-, der Metacarpalknochen und der Phalangen zeigt, wie ferner den Unterschied zwischen Muskel- und Fettgewebe. Bemerkenswerth ausserdem sind die deutlichen Umrisse des Hamulus am Os hamatum. Die Contouren dieser auf Chlorsilbercelloidinpapier abgebildeten Gegen- stände sind durchweg als scharf und deutlich zu bezeichnen; im Besonderen aber sind die metallenen: und anderen weniger dieken bezw. nahe an der Bromsilberplatte liegenden Objecte haarscharf abgebildet, wobei mannigfache Abstufungen in der Schattentiefe hervortreten als Ausdruck der verschie- denen Absorption bezw. Durchlässigkeit der Objecte für X-Strahlen. | Aus den verschiedenen Einzelheiten in den demonstrirten Bildern, welche auf den oben nachgewiesenen Abstufungen der Durchlässigkeit für X-Strahlen seitens verschiedener organischer Gewebe beruhen, ist es ersicht- lich, dass beim zweckentsprechenden Gebrauch des Röntgen’schen Ver- fahrens Fragen der inneren Structur und der mechanischen Functionen verschiedener Körpertheile, welche sonst nicht der genauen Beobachtung in vivo zugänglich sind, sich entscheiden lassen müssen; doch in Anbetracht der Thatsachen, dass die Absorption von X-Strahlen vornehmlich von der Dieke eines Körpers sowohl wie von dessen Dichtigkeit abhängt, werden kleine Gebilde, die in Bezug auf letztere Eigenschaft wenig von ihrer Um- gebung differiren, sich immerhin nur in kleineren Körpertheilen, z. B. der Hand, darstellen lassen. Hierbei muss auch Sorge für sachkundige Bilderentwiekelung, sowohl in dem Negative wie beim photvgraphischen Abdruck des Positivs getragen werden, um das Bild vollständig herauszubekommen. Zu den hier gezeigten Aufnahmen wurden gewöhnliche Schleussner’sche Platten mit Rodinal als Bildentwickler in üblicher Weise verwendet. Bekanntlich enthalten die ge- nannten, wie andere für gewöhnliche photographische Aufnahmen gangbare Bromsilbergelatineplatten, um sehr. lichtempfindlich zu sein, das Silbersalz in verhältnissmässig groben, mit einer Lupe leicht zu sehenden Körnern zertheilt. Es fragt sich nun, wie feinkörnige und deshalb für Licht sehr unempfindliche Platten sich hiergegen verhalten würden. Durch die Liebenswürdigkeit des Hrn. Photographen Carl Günther konnte ich von ihm einige seiner für specielle Zwecke hergestellte Brom- silberplatten benutzen, dessen sogenanntes Korn erst bei 200facher Ver- grösserung deutlich zu sehen ist und deren Unempfindlichkeit für Licht ‚durch eine 100mal grössere Expositionszeit als gewöhnlich gekennzeichnet ist. Mit diesen Platten habe ich bei denselben Expositionszeiten ebenso praegnante Röntgen’sche Aufnahmen, wie mit den üblichen sehr licht- empfindlichen Platten bekommen. Die rein physikalische Bedeutung dieser Thatsache lasse ich an dieser Stelle dahingestellt sein, begnüge mich viel- mehr mit dem Hinweis auf den gewaltigen Unterschied in der Feinheit der Bilder auf feinkörnigen Platten, welche namentlich bei Vergrösserungen zum Archiv f. A, u. Ph, 1896. Physiol, Abthlg. 24 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 370 zu a ne =} DS zu / PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (OWL. 371 Ausdruck kommt. Im Betreff der Ausnutzung dieses Vorzuges möchte ich noch einmal auf die grosse, hier eine Feinheit der ae nenanatlern Projeetion einfach radiärer Röntgen’ scher X-Strahlen hinweisen. Ein Umstand, auf dessen grundlegende Bedeutung für genaue Beob- achtung bisher nicht besonders aufmerksam gemacht worden ist, besteht in dem geradlinigen Verlauf, bezw. der Nichtbreehbarkeit dieser Strahlen dem nahe und ernennen Strahlen gegenüber. Hierdurch ist eine vollkommene Genauigkeit bei Bestimmungen der gegenseitigen Lage abgebildeter, verdeckter Gegenstände gesichert, welche nur entsprechende Vorkehrungen betreffs der Strahlenquelle und ihrer Lage erfordert. Die . Stärke der in diesen Versuchen angewendeten Inductionsschläge war eine bedeutend kleinere, als sie bisher gewöhnlich bei Röntgen’- schen Aufnahmen zur. Anwendung kam. Die zwei Ruhmkorff’schen Funkeninductoren, deren ich mich bediente, der eine von Kaiser und Schmidt mit Wagner’schen Hammer am Eisen- drahtkern, der andere von Siemens und Halske mit selbständigem Queck- ) oO silberunterbrecher, hatten je eine Spule von 25°® Länge und 12°% Durch- messer. Der elektrische Widerstand für einen constanten Strom in der primären Spirale beider Spulen betrug 0-3, in der secundären 5000 Ohm. Die Strom- unterbrechung hatte in beiden Fällen eine Frequenz von 40 bis 50 pro Sec. Als Stromquelle wurden zuerst grosse Daniell’sche Elemente mit je 6000 “em stromleitender Kupferfläche benutzt, später aber die vortrefflichen Accumulatorelemente der Neuen Berliner Elektrieitätswerke (Berlin, Mittel- strasse 21) und zwar der Nummer C4, welche im geladenen Ruhezustand 2-2 Volt Spannung aufweisen und einen verschwindend kleinen inneren Widerstand besitzen. Die gemessene mittlere Stärke des Stromes in der primären Spirale des thätigen Ruhmkorff’schen Inductors betrug im ersten Falle 2:5, im zweiten 5 Ampere. Erklärung der Figuren, Aufnahme a) Rechte Hand eines Kindes mit Epiphysen, daneben der Zeigefinger desselben. Theil von Aufnahme %) Metacarpus und erste Phalanx der erwachsenen Hand; Distalende der Mittelfinger. (Knochenbälkchen nicht wiedergegeben.) Aufnahme /) Humerus mit M. biceps und einem kleinen Theil des M. dettorden: eines Kindes. Aufnahme ») Kniegelenk eines 12jähr. Kindes mit Epiphyse der Tibia. 24* 372 VERHANDLUNGEN DER BERLINER XIII. Sitzung am 8. Mai 1896. 1. Hr. ImMAnvEL Munk hält den angekündigten Vortrag: Muskel- arbeit und Eiweisszerfalll. Bemerkungen zu den neuesten Ver- suchen von Chauveau. Vor sechs Jahren hatte ich bereits die Ehre, in diesem Kreise die nämliche Frage! zur Sprache zu bringen. Damals hatte Pflüger die, wie uns schien, gut fundirte Lehre zu erschüttern versucht, der zu Folge die Quelle für die Muskelkraft in der Regel N-freie, C-haltige Bestandtheile des Thierkörpers bezw. der von aussen aufgenommenen Nahrung abgeben und nur unter ganz besonderen ungünstigen Bedingungen das Körper- oder Nahrungseiweiss zur Bestreitung eines erheblichen Bruchtheiles von dem geleisteten Kraftaufwand herangezogen wird. Er berief sich dabei auf einen von ihm durchgeführten Versuch am Hunde, der bei ausschliesslicher Fütte- rung mit magerstem Fleisch durch Wochen hindurch sehr beträchtliche Arbeit leistete, ohne dabei an Körpergewicht oder an seinem Eiweissstande Einbusse zu erleiden. Da damals für diesen Versuch Beläge zunächst nicht mitgetheilt worden sind, war eine Discussion darüber nicht möglich. Da- gegen verwies Pflüger auf ausführlich mitgetheilte Selbstversuche seines Schülers Argutinsky,? in denen die N-Bilanz genau durchgeführt, die in Form von Bergsteigen geleistete Arbeit jedes Mal bestimmt war, und aus denen hervorging, dass der Mehrverbrauch von Eiweiss im Stande war, nach des Autors Berechnung 25—70— 100 Procent des geleisteten Kraftaufwandes zu decken. Bei der kritischen Zergliederung dieser Untersuchung konnte ich zeigen, dass die durch die Arbeit hervorgerufene Steigerung des Ei- weisszerfalles der Hauptsache nach dahin zu deuten sei, dass die genossene Nahrung ihrem Brennwerth nach selbst für den Bedarf des ruhenden Körpers durchaus unzureichend, vollends also weit entfernt war, dem gesteigerten Stoffverbrauch bei der Arbeit zu genügen, dass daher, da weder in der Nahrung noch im Körper des mageren (fettarmen) Versuchsindividuums N- freie, C-haltige Stoffe (Fett, Glykogen) in ausreichender Menge zur Verfügung standen, für den Arbeitsmehrverbrauch eben das Eiweiss herangezogen werden musste. Auch konnte ich zeigen, dass die beim Bergsteigen geleistete Arbeit einen etwa doppelt so grossen Stoffzerfall erforderte, als nach Argutinsky’s Berechnung, so dass damit die Quote des Antheils vom Eiweiss an der Be- streitung der Arbeitsleistung schon auf 10—35—50 Procent herabsank, und dies unter der ganz unmöglichen Annahme, dass die potentielle Energie des Eiweiss voll und ganz in kinetische Energie übergehen könne, während dies doch nach Fiek und Zuntz nur zu 30, allerhöchstens 40 Procent der Fall ist. Endlich wies ich darauf hin, dass bei ungenügender Ernährung und fettarmen Individuen (Dauerläufern, Pferden) genau die gleichen Ergebnisse ! Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1889/90. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1890. 8.557. — Eine kritische Zusammenfassung der Litteratur bis Ende 1894 findet sich in J. Munk (und Uffelmann-Ewald), Krnährung des gesunden und kranken Menschen. 1895. 3. Aufl. S. 61. ” Archiv für die gesammte Physiologie. 1890. Bd. XLVI. 8. 552. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. 313 wie von Argutinsky zu wiederholten Malen erzielt worden sind. Ich schloss daher mit dem Satze: Es bleibt bis auf Weiteres dabei, dass die Muskelarbeit vorherrschend und zunächst auf Kosten N- freier Substanzen erfolgt und erst, wenn solche weder am Körper noch in der Nahrung zur Verfügung stehen oder wenn Dyspno& bei der Arbeit mitspielt, das Eiweiss in erheblichem Umfange angegriffen wird. Wenige Monate danach hat F. Hirschfeld! Selbstversuche mitgetheilt, die, je nachdem die Nahrung ausreichend war, insbesondere genügend N- freie Stoffe bot, keinen wesentlichen Mehrzerfall von Eiweiss selbst bei starker Arbeitsleistung erkennen liessen, bei unzureichender Nahrung aber gleich wie bei Argutinsky ausfielen; danach hat Hirschfeld voll und ganz sich meiner Deutung der Argutinsky’schen Versuche und meiner Auffassung über die in der Regel erst secundäre Heranziehung des Eiweiss bei der Muskelarbeit angeschlossen. Ungefähr zu gleicher Zeit erschien eine zweite Reihe von Selbstver- suchen, unter Pflüger’s Leitung von Krummacher? ausgeführt. Auch in diesen wurde das Eiweiss bei der Arbeit nachweislich in beträchtlicher Menge in Zerstörung gezogen, allerdings nicht mehr so reichlich als bei Argutinsky. Aber auch für diese Versuche konnte ich zeigen,? dass die- selben Bedenken zutreffen, wie bei denen von Argutinsky; die Nahrung war zwar etwas reichlicher als bei Letzterem, aber ihrem Brennwerth nach selbst für die Ruhe kaum genügeud, geschweige denn für die Arbeit. Es gereicht mir zur besonderen Befriedigung, dass vor Kurzem Krummacher* selbst zugegeben hat, seine früheren Versuche seien mit (den von mir hervor- gehobenen) Fehlerquellen behaftet; erneute im Voit’schen Laboratorium an ihm selbst und an einer zweiten Person ausgeführte Versuche liessen bei einer an N-freien Stoffen (Fett, Kohlehydrate) sehr reichen, an Eiweiss nur eben genügenden Nahrung einen erheblichen Mehrverbrauch von Eiweiss bei der Arbeit nicht erkennen. Inzwischen hat Pflüger? seine Versuchsreihen am Hunde ausführlich mitgetheilt. Aus diesen geht unzweifelhaft hervor, dass ein Hund bei reiner Fleischnahrung (darin nur 128” Fett pro Tag) mit einer entsprechenden Zulage von Fleisch andauernd stärkste Arbeit leistete und dabei sowohl seinen Eiweissbestand, wie sein Körpergewicht behauptete. So fundamental der Versuch ist, so beweist er doch nur die (ich weiss nicht, von wem bezweifelte) höchst wichtige Thatsache, dass der Fleischfresser auch mit Eiweiss allein seinen Stoff- und Kraftaufwand bestreiten kann. Damit ist aber, wie ich schon früher betont habe,° durchaus nicht gesagt, dass das Eiweiss die ! Virchow’s Archiv. 1890. Bd. CXII. S. 501. ® Archiv für der gesammten Physiologie. 1890. Bd. XLVII. S. 454. 3 Virchow-Hirsch’s Jahresberichte über die Fortschritte der Medicin für 1890. Bd. I. S. 185. * Zeitschrift für Biologie. 1896. Bd. XXXIlI. S. 108. 5 Archiv für die gesammte Physiologie. 1891. Bd. L. S. 98. 6 Vergl. meine Ausführungen im Archiv für die gesammte Physiologie. 1894. Bd. LVIH. 3. 380. 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER alleinige Quelle der Muskelkraft ist, wissen wir doch, dass Eiweiss und Fette bezw. Kohlehydrate einander vertreten können, und hat doch neuerdings Hr. Zuntz! in Versuchen am Hunde, die er im Verein mit Hın. J. Frentzel und J. Loeb ausgeführt hat, direet zeigen können, dass diese drei Nähr- stoffe sich annähernd im Verhältnisse ihres O-Verbrauches und ihrer Ver- brennungswärmen für die Arbeitsleistung vertreten. Für unsere Auffassung von der, so zu sagen, secundären Bedeutung des Eiweiss für die Muskelarbeit spricht endlich die statistische Thatsache, dass in der Nahrung der arbeitenden Classe (im Mittel 100 bis 110 3m Eiweiss, 60 8"” Fett, 500 bis 600 8”® Kohlehydrate) das Eiweiss nur !/, bis !/„ des calorischen Werthes ausmacht, und dass dabei der Kraftaufwand nicht nur bestritten, sondern der Körper eher noch musculöser, also eiweiss- reicher wird. In den angezogenen Versuchen des Hrn. Zuntz zeigte es sich, dass bei reichlicher Mastkost zur Bestreitung schwerer Arbeit nur !/,, derjenigen Eiweissmenge mehr verbraucht wurde, die zur Bestreitung der Arbeit durch Eiweiss allein erforderlich gewesen wäre, und dass auch im Hungerzustande der durch starke Muskelarbeit bedingte stoffliche Mehrverbrauch fast aus- schliesslich das Körperfett und nur zum verschwindenden Bruchtheile das Körpereiweiss betraf. Endlich erhellt aus den Versuchen der HH. Zuntz und Schumburg” an marschirenden Soldaten, die unter einer genau ge- regelten, den Bedarf deckenden Diät standen, dass nicht sowohl die Grösse der Arbeitsleistung an sich, als ungünstige äussere Umstände, wie über- mässige Belastung (mit 308), drückende Hitze bei schwüler Luft u. a., den Eiweissverbrauch mässig in die Höhe treiben. Auch die kritische Zusammenstellung von Speck? aus jüngster Zeit schliesst sich, obwohl ein Theil der neueren Veröffentlichungen Speck offen- bar entgangen ist, den hier dargelegten Anschauungen grösstentheils an. Erscheint es nunmehr als gesichert, dass vorzugsweise die N-freien Stoffe als Kraftquelle für die Arbeitsleistung herangezogen werden, dass aber auch das Eiweiss dafür verwerthet werden kann, nur dass dies in erheblichem Umfange erst unter ganz besonderen Bedingungen und gewisser- maassen erst secundär geschieht, so soll diese mühsam errungene Erkennt- niss wieder in Frage gestellt werden durch Versuche am Hunde, welche der um die genaue Feststellung des Stoffverbrauches bei der Muskelthätig- keit so verdiente Chauveau* neuerdings veröffentlicht. Die These, die er aufstellen zu können glaubt, spricht sich in der Ueberschrift aus, die er seinen beiden Berichten giebt: Le travail musculaire n’emprunte rien de l’energie quil depense aux matieres albuminoides des humeurs et des @el&ments anatomiques de l’organisme. Ferner: Le travail musculaire emprunte-t-il directement de l’önergie aux albuminoides des aliments? Bei der autoritativen Stellung des Autors steht zu befürchten, dass ein von ihm ausgehender Ein- spruch gegen die herrschende Lehre hier und da ohne Weiteres Eingang Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1894. S. 541. Ebenda. 1895. 8. 378, Ebenda. Physiol. Abthlg. 1895. S. 463. Compt. rend. Tome CXXIl. 8/9. p. 429 und 504. » @ vo - PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL Munk. au finden könnte. Deshalb erscheint es von Bedeutung, zu prüfen, in wie weit seine Behauptung, dass das Eiweiss niemals (vergl. a. a. O., S. 430) zur Bestreitung des Kraftaufwandes herangezogen wird, durch die vor- geführten Versuche gestützt wird. Wir sehen von der Einleitung ab, in der Chauveau, gleichsam als neu, vorträgt, dass bei Versuchen über den Eiweissumsatz man nur den Zustand der gleichmässigen N-Ausscheidung an den späteren Hungertagen oder den Zustand des N-Gleichgewichtes bei Fütterung benutzen kann. Noch ein zweiter Punkt könnte in Folge der Ausführlichkeit, mit der er aus- einandergesetzt wird, den Eindruck der Neuheit machen. Wer, wie wir, schon vor rund 20 Jahren das Catheterisiren von Hündinnen! zur sicheren Gewinnung des Tagesharns (auf Salkowski’s Laboratorium) hat üben sehen und selber seitdem stets geübt hat, den muthet es seltsam an, von Herrn Chauveau alle diese bekannten Dinge umständlich geschildert zu hören. Im Gegensatz zum Münchener Laboratorium, in dem noch in den 80er Jahren Hunde verwendet wurden, die darauf abgerichtet waren, den Harn in eine untergehaltene Schale zu entleeren, schien es uns schon damals sicherer, den Harn durch den Catheter zu entleeren und eventuell noch eine Auswaschung der Blase mit Wasser anzuschliessen; kann man sich doch überzeugen, dass selbst bei Benutzung solch dressirter Hunde, nach schein- bar vollständiger spontaner Entleerung des Harns, mittels des danach appli- eirten Catheters manchmal noch nicht unbeträchtliche Harnmengen gewonnen werden können, deren Vernachlässigung für die 24stündige N-Bilanz einen merklichen Fehler bedingt. Was an Chauveau’s und seines Mitarbeiters Contejean’s Methodik als neu gelten darf, das ist die Vergleichung kurzer, 2stündiger Ruhe- und Arbeitsperioden im Hungerzustande; es wird der Harn von 2 Ruhestunden mit dem Catheter gewonnen, in der nächsten Stunde arbeitet der Hund und von dieser und der folgenden wird der Harn aber- mals mit dem Catheter entzogen, beide Harnportionen auf ihren N-Gehalt (nach Kjeldahl) bestimmt. Dabei wird aber die Voraussetzung gemacht, dass die durch die Arbeit gesetzten Zerfallsproducte vollständig innerhalb 1 bis 2 Stunden durch den Harn zur Ausfuhr gelangen. Diese Voraus- setzung ist durch keine irgendwie sichere Erfahrung gestützt, ja sie ist nach dem, was über die Ausscheidung der (nicht gasförmigen) N-haltigen Producte bekannt ist, geradezu als willkürlich und unrichtig zu bezeichnen. Aber selbst wenn diese Voraussetzung zuträfe, würde es seine grossen Schwierig- keiten haben, auf diesem Wege zu zuverlässigen Ergebnissen zu gelangen. Im Durchschnitt wurden von Chauveau beim hungernden Hunde für je eine 2stündige Periode nur 4 bis 9°® Harn gewonnen. Selbst der geübteste Experimentator könnte sich wohl kaum anheischig machen, einen so winzigen Blaseninhalt durch den Catheter und selbst nachfolgende Blasenspülung vollständig zu gewinnen. Die Zurücklassung von nur 1°” Harn in der Blase bedingt hier schon einen zwischen 11 und 25 Procent schwankenden 1 Vergl. hierüber z. B. die Mittheilung von Salkowski und J. Munk, Vir- chow’s Archiw. 1817. Bd. LXXI. S. 500. — So weit uns bekannt, ist von A. Fraenkel auf diesem Laboratorium zuerst das Catheterisiren von Hündinnen, ohne die vorgängige Ph. Falck’sche Operation (Aufschlitzen der unteren Vaginalwand bis zur Urethralmündung), ausgeführt worden. 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Fehler. Wenn nun noch dazu kommt, dass selbst in den 2stündigen Ruhe- perioden der Harn-N zwischen 0-25 und 0-312"”, also um 24 Procent schwankt, so dürfte dem Ergebniss von im Ganzen nur 2 Versuchen, dass in je 2 Arbeitsstunden die N-Werthe nicht grössere Differenzen aufweisen, kein Gewicht zuzuschreiben sein, vollends nicht, weil eben die N-haltigen Zerfallsproducte nicht proportional ihrer gesteigerten Bildung auch sofort zur Ausfuhr gelangen. Somit können die Versuche von Chauveau am hungernden Hunde für die Frage, ob die Arbeit einen Mehrzerfall von Eiweiss bewirkt oder nicht, durchaus keinen Entscheid liefern, um so weniger, als auch die Arbeitsleistung an sich, 3000 "%, so geringfügig war, dass, selbst wenn sie nur durch Eiweiss! geleistet würde, dazu knapp 1-88" Eiweiss, entsprechend 0-29 8'M Eiweiss-N erforderlich gewesen wäre Wenn nun die Ausscheidung eines so geringen Plus von N sich auf viele Stunden hinzieht, dann braucht natürlich bei der Untersuchung des auf die Arbeits- und nächstfolgende Stunde treffenden Harns ein deutlicher, über die N- Schwankungen der Ruheperioden hinausgehender Ausschlag nicht zur Erscheinung kommen. Ganz eigenartig ist übrigens auch in allen Versuchen die Arbeitsleistung und deren Messung. Während man sonst zu diesem Zwecke die Versuchs- thiere im Tretrade laufen oder an einer Vorrichtung nach Art eines Brems- göpels arbeiten lässt, macht es Chauveau auf viel einfachere Art: ein Ge- hülfe steht am Fusse, ein zweiter auf der oberen Plattform der Treppe und nun wird der Hund durch Anruf abwechselnd zum Hinauf- und Hinunter- laufen angelockt. Kennt man die Höhe der Treppe, die Zahl der Auf- und Abstiege und das Körpergewicht des Hundes, so lässt sich daraus — nur mit einer gewissen Annäherung, wie hier nicht erst hervorgehoben zu werden braucht — die Arbeitsleistung bemessen. Doch dürfte diese zwar einfache, aber primitive Methode wohl kaum Nachahmung finden. Sehen wir uns nun den zweiten, grösseren Theil der Versuche, nämlich die am gefütterten Hunde, auf ihren Werth an. In der ersten Reihe erhielt ein Hund von rund 11% mit Beginn jedes Versuchstages, nachdem zuvor seine Blase entleert war, 650 8% rohes Fleisch und 2008”% Wasser. Dann wurde der Harn in 2stündigen Perioden entzogen und nun in der einen Ver- suchsgruppe die Arbeit in die 2. bis 3. Verdauungsstunde verlegt, also in eine Zeit, wo die Eiweissresorption schon im Gange und dem entsprechend auch der Eiweisszerfall und die N-Ausfuhr durch den Harn im starken An- steigen begriffen ist; in der zweiten Versuchsgruppe fiel die Arbeitsleistung in die 12. bis 13. Stunde nach der Fleisch-(Eiweiss-)Fütterung, also in eine Zeit, wo allen Erfahrungen zu Folge die Eiweissresorption fast beendet und dem entsprechend die Curve der N-Ausscheidung durch den Harn bereits so stark gesenkt ist, dass sie sich nur noch wenig über den Hungerwerth erhebt. Wie ungleichmässig die N-Ausscheidung 2stündiger Perioden trotz gleich- mässiger Fütterung abläuft, das erhellt aus den in der Tabelle der ersten Gruppe aufgeführten N-Werthen. Es finden sich nämlich an drei einzelnen Tagen für dieselben 2stündigen Perioden z. B.: ı Der Zerfall des Eiweiss bis zum Harnstoff liefert für je 1 &®” Eiweiss etwa 4-1 Calorien, entsprechend einer Arbeitsleistung von 4-1x425=1742 uk, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNK. Sen 1. und 2. Stunde: 1-41N, 1-03N, 1°'37 N 28. N DAN 0-77N, 1-08N, — ! d. h. unter den gleichen Bedingungen Schwankungen um + 40 bis 60 Procent. Wie sollen da eindeutige Ausschläge zu Tage treten, zumal wenn die Arbeits- leistung ebenfalls wieder nur 1000 bis 2000”, entsprechend einem Mehr- verbrauch von 0-1 bis 0-19 Eiweiss-N, beträgt? Ausserdem sind die in der Tabelle verzeichneten N-Werthe für die 7. und 8., bezw. 9. und 10. Verdauungsstunde oder für 4. und 5., bezw. 6. und 7. Stunde nach der Arbeit thatsächlich höher, als an den Ruhetagen. In den Versuchsreihen an gefütterten Hunden sind zwar ausser den N-Werthen für je 2stündige Perioden auch die Werthe für die 24stündige Ausscheidung des Harn-N an- gegeben, und zwar für den 1. Arbeitstag (1009 "k) mit 20-2N, für den 2. Arbeitstag (2000 ”®) sogar mit nur 19-6N; allein ein Vergleich des 24stün- digen Ruhe-N und Arbeits-N ist deshalb nicht möglich, weil gerade am Ruhetage nur von den ersten 10 Stunden Harn gewonnen werden konnte, der übrige Harn dieses Tages aber leider zu Verlust gegangen ist. Wäre wenigstens die Beobachtung über den, den 2 Arbeitstagen folgenden Ruhe- tag fortgesetzt worden, so hätte dieser bei der Berechnung für den der Arbeit voraufgegangenen, mit der Harnaufsammlung verunglückten Ruhetag eintreten können. Die 2. Versuchsgruppe an demselben Hunde, bei der die Arbeit in die 12. bis 13. Stunde nach der Fütterung fiel, figurirt nur mit einem Ruhe- tage und einem Arbeitstage (3000 ”%). Der gesammte Harn-N des Ruhe- tages ist mit 21-682, der des Arbeitstages mit 22-98" angegeben; d. h. bei der Arbeit findet sich ein Plus von 1-38" N im Harn. Wäre für diese Arbeitsleistung nur die potentielle Energie des Eiweisses verbraucht worden, so hätte dazu ein Zerfall von 1-738% Eiweiss genügt, und diese hätten eine Steigerung des N-Umsatzes von nur 0-29N bewirkt. Es ist also die thatsächliche beobachtete Steigerung des N-Umsatzes am Arbeitstage von 1-3#”@ rund 4'/, mal grösser, als sie hätte zu sein brauchen unter der An- nahme, dass die Arbeit nur auf Kosten des Eiweiss geleistet wäre. Der Mehrzerfall von N würde selbst eine Arbeitsleistung von 13000”% deeken können. Was an .dieser dürftigen Reihe, wenn man die 2 Versuchstage überhaupt so nennen darf, noch besonders vermisst wird, ist das Fehlen eines auf die Arbeit folgenden Ruhetages. Wäre an letzterem der N-Um- satz auf denselben Werth wie am vorhergehenden Ruhetage heruntergegangen, so wäre darin ein weiterer Beweis geliefert, dass in der That der höhere N-Werth am Arbeitstage auf die Arbeit als solche zu beziehen ist und nicht etwa auf innere Ursachen, wie Folgen des bei nicht ganz ausreichender Nahrung schon längere Zeit zu Stande gekommenen Fettverlustes vom Körper u.a. Uebrigens ist auch hier hervorzuheben, dass die N-Werthe je 2stündiger Harnportionen, und zwar in der 7. und 8., sowie in der 9. und 10. Stunde nach der Arbeitsleistung höher sind, als die entsprechenden des Ruhetages; es sind nämlich verzeichnet für diese 2stündigen Perioden 1-73 bezw. 1-498’% N, während die correspondirenden Werthe des Ruhetages nur 1-48 bezw. 1-368'M N sind. ' Die betreffende Harnportion ging verloren. 378 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Es bleiben dann nur noch Versuchsreihen übrig, in denen die Hunde nur 17058"m Gelatine und 500 8m Wasser bekamen. Zunächst werden zwei Ruhetage mitgetheilt, an denen die N-Ausscheidung durch den Harn 23-57 bezw. 23.688" beträgt; da die N-Einfuhr mit dem Leim rund 22-89 be- trägt und auf die N-Ausstossung durch den Koth bei dem grossen Hunde pro Tag mindestens 0-833'% zu rechnen sind, setzte der Hund 1-7 N = 10.98" Eiweiss oder 558'”® Körperfleisch zu. Trotz gleich hoher N-Ausscheidung für 24 Stunden finden sich in den correspondirenden 2stündigen Harn- portionen grosse Schwankungen in den bezw. N-Werthen, z.B. 1-78 gegenüber 1-48; 2.33 gegenüber 1-99; 2.49 gegenüber 2-63; 2-72 gegenüber 2-9. Der einzige Arbeitsversuch, der bei Gelatinefütterung mitgetheilt ist (er bezieht sich auf eine junge Hündin von fast 20 ®®), ist als verunglückt zu bezeichnen. Er besteht nur aus 1 Ruhetag und 4 auf einander folgenden Arbeitstagen, von denen der 1. und 3. Tag ganz auszuscheiden sind, weil an diesen, wie nicht selten nach grossen Leimgaben, der Hund erbrach, sodass eine unbekannte Menge der N-Einfuhr zu Verlust ging. Während am Ruhetage die N-Aus- fuhr durch den Harn 26.38 betrug, ist sie für den 2. Arbeitstag bei einer Arbeitsleistung von 5800 %& mit 27 8" N verzeichnet. Also haben wir auch hier, wofern der Vergleich des 2. Arbeitstages mit dem Ruhetage zulässig wäre, ein Plus von 0.78" N, entsprechend einem Mehrzerfall von 4.58" Eiweiss, und damit hätten nicht nur 5800, sondern 7840 "k geleistet werden können. Allein dieser Vergleich ist, streng genommen, nicht möglich, weil eben am 1. Arbeitstage ein beträchtlicher Theil der N-Ein- fuhr der Resorption durch Erbrechen entzogen worden ist, sodass der Hund nicht als unter gleichmässiger Fütterung stehend anzusehen war; dasselbe gilt für den 4. Arbeitstag, weil am 3. Arbeitstage gleichfalls Erbrechen erfolgt ist. Welche Unregelmässigkeiten im Stoffumsatze übrigens durch diese in Folge des Erbrechens ungleichmässige N-Zufuhr hervorgerufen werden, erhellt daraus, dass am 4. Arbeitstage bei einer Leistung von 6400"* nur 23.58'm Harn-N verzeichnet sind, d. h. sogar 2-8?" N weniger als am Ruhetage.!' Allen Erfahrungen zu Folge musste gerade das Gegentheil er- wartet werden, selbst wenn es sich um einen Ruhetag gehandelt hätte. Da 170?"% Gelatine (mit etwa 145 "= trockenem Leim), selbst wenn wir für die Gelatine die Verbrennungswärme des Eiweisses ansetzen, allerhöchstens 590 Calorien liefern könnten, d. h. 29 Calorien per Körperkilo, während erfahrungsgemäss für einen Hund von 208 das Erhaltungsfutter mindestens 45 Calorien zu bieten hat, musste der Hund nicht nur Eiweiss, wie bei reiner Leimfütterung selbstverständlich, sondern in Folge der durchaus unzu- reichenden Nahrung noch sehr viel mehr Fett von seinem Körper einbüssen. Stetiger Fettverlust vom Körper hat aber, wie bekannt, ein entsprechendes Ansteigen des Eiweissumsatzes zur Folge, daher hätte am 4. Tage, selbst wenn er nicht unter dem Einflusse der Arbeit gestanden hätte, zum mindesten kein Absinken der N-Ausfuhr durch den Harn erfolgen dürfen. Und da endlich auch bei diesem Versuche wieder ein der Arbeit nachfolgender Ruhetag fehlt, muss der Versuch als verunglückt gelten; er ist nach keiner Richtung hin für irgend welche Folgerungen verwerthbar. ! Wofern hier nicht, was wahrscheinlich ist, ein Verlust bei der Harnaufsamm- lung vorgekommen ist. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MUNKk. — W. CoHNsTEIN 379 Wir kommen somit zu dem Resultate, dass die Versuche der Herren Chauveau und Contejean weit davon entfernt sind, etwas für oder gegen die Beeinflussung des Eiweissverbrauches durch mässige Arbeitsleistung zu beweisen. 2. Hr. W. Consstein hält den angekündigten Vortrag: Kritik einiger neueren Arbeiten über die Theorie der Lymphbildung. Die alte, durch C. Ludwig und seine Schüler begründete physikalische Theorie der Lymphbildung ist in neuerer Zeit von Heidenhain durch eine neue Hypothese ersetzt worden. Die Letztere, welche kurzweg als Secre- tionshypothese bezeichnet werden mag, läugnet die Möglichkeit, alle That- sachen und Erscheinungen ausschliesslich durch die Wirksamkeit physika- lischer Kräfte zu erklären und will die Letzteren durch eine von den Capillarendothelien ausgehende physiologische Kraft ergänzen. Die Hauptgründe, welche Heidenhain zum Verlassen der alten Theorie und zur Aufstellung der neuen Hypothese veranlassten, waren folgende: 1. Die Filtrationstheorie verlangt, dass bei dem Transport von ge- lösten Substanzen aus dem Capillarinhalt in die Gewebeflüssigkeit aequi- valente Mengen Flüssigkeit aus dem Capillarinhalt als Vehikel mit heraus- wandern. — Diese Forderung der Filtrationshypothese führt zu unmöglichen Consequenzen, denn die Flüssigkeitsmengen, welche hier in Betracht kommen, sind weit bedeutender als die Lymphmenge, welche nach den vorliegenden experimentellen Erfahrungen in 24 Stunden den Ductus thoracicus passirt. 2. Es besteht keine Proportionalität zwischen arteriellem Blutdruck und Lymphmenge, was doch der Fall sein müsste, wenn wirklich bei der Lymphbildung nur Filtrationskräfte von Bedeutung wären. 3. Es giebt gewisse Substanzen, Lymphagoga, welche ohne den arteriellen Blutdruck — Filtrationsdruck —- zu steigern, Iymphtreibend wirken. 4. Nach der intravenösen Infusion einer gelösten erystalloiden Substanz (Zucker, NaCl) findet man die Concentration dieser Substanz in der Lymphe grösser als im Blutserum. E. H. Starling und ich haben uns, unabhängig von einander, bemüht nachzuweisen, dass die angeführten vier Punkte keineswegs im Widerspruch zu der physikalischen Theorie der Lymphbildung stehen und dass jene alle bisher beobachteten Erscheinungen ohne Schwierigkeit erklärt. Was Starling’s bezw. meine Ausführungen anlangt, so sind dieselben hinsichtlich Punkt 2 und 3 von Heidenhain bisher noch nicht angegriffen worden; die Arbeiten aber, welche sich auf Punkt 1 und 4 bezogen, sind von Heidenhain selbst und einem seiner Schüler, L. B. Mendel, zum Gegenstand des Angriffes gemacht worden. Was zunächst Punkt 1 anlangt, so habe ich Heidenhain gegenüber durchaus zugegeben, dass die Annahme eines einfachen Filtrationsvorganges bei der Lymphbildung zu unmöglichen Consequenzen führt. Ich erweiterte daher die Filtrationshypothese, indem ich den Filtrationskräften Diffusions- kräfte sich beigesellen liess. Ich wies darauf hin, dass die Capillaren nicht von 380 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Luft, sondern von einer Flüssigkeit (Gewebeflüssigkeit) umgeben sind, welche in der Zusammensetzung dem Capillarinhalt nicht gleich ist, und ich schloss hieraus, dass ein Diffusionsaustausch zwischen Gewebeflüssigkeit und Capillarinhalt sich etabliren muss. Das eigenthümliche Ineinandergreifen von Filtrations- und Diflusionsprocessen bezeichnete ich als Transsudation und ich zeigte in schematischen Versuchen, dass bei einem derartigen Transsudationsvorgang zum Transport einer bestimmten Menge fester Sub- stanz durch eine Membran hindurch nicht aequivalente Mengen Lösungs- mittel als Vehikel mit auszuwandern brauchen. Ich leitete somit die von Hın. Heidenhain geforderte Dispropor- tionalität zwischen transportirter Menge fester Substanz und transportirter Menge Lösungsmittel aus einfachen physikalischen Vorgängen ab, ohne In- anspruchnahme einer secretorischen Function der Endothelien. Heidenhain hat nun eine Reihe von Einwänden sowohl gegen meine Experimente wie gegen meine Schlussfolgerungen geltend gemacht; ich habe auf dieselben bereits früher ausführlich erwidert und kann auch bei der Be- antwortung der von L. B. Mendel gegen mich geltend gemachten Punkte auf jene frühere Untersuchung verweisen. An dieser Stelle möchte ich nur hervorheben, dass Niemand anders als Heidenhain selbst die meiner Transsudationshypothese zu Grunde liegenden Ideen ausgesprochen und ausführlich begründet hat. Heiden- aim selbst spricht in seiner ersten Arbeit von der Möglichkeit, dass Diffu- sionsvorgänge bei der Lymphbildung von Wichtigkeit sein mögen und noch in der letzten Arbeit von Mendel wird wiederholt die Bedeutung der Diffu- sion bei der Lymphbildung hervorgehoben. Sobald aber die Wichtigkeit der Diffusion zugegeben wird, so ist damit die meine anerkannt. Nur eines Punktes ist noch gesondert zu gedenken, nämlich der Trans- sudation colloider Körper. Ich hatte darauf aufmerksam gemacht, dass auch bei dem Transport von colloiden Körpern durch thierische Membranen hin- durch Diffusionsprocesse von Bedeutung sein können, dann nämlich, wenn die Lösung der colloidalen Substanz durch eine thierische Membran ge- trennt wird von einer wässerigen Flüssigkeit, welche ärmer an colloidaler Substanz ist als jene Lösung. In diesem Falle findet nämlich, so behaup- tete ich, eine Wanderung von Wasser durch die Membran hindurch zu der colloidalen Lösung statt, obgleich letztere selbst nicht diffundirt. Diese Behauptung bekämpfte Heidenhain als einen „alten physika- lischen Irrthum‘“. Eine grosse Anzahl von neuen Versuchen hat mich nun gelehrt, dass meine Behauptung vollständig der Wahrheit entspricht, während Heiden- hain’s Versuch, mich zu widerlegen, als gescheitert angesehen werden muss. Ich stehe daher nicht an zu erklären, dass der erste der oben erwähnten vier Punkte mit der physikalischen Theorie der Lymphbildung keineswegs in Widerspruch steht. Die Annahme einer secretorischen Function der Capillarendothelien erscheint überflüssig. Was nun den vierten der von Heidenhain angeführten Punkte an- langt, so habe ich schon früher auseinandergesetzt, dass die Versuche, welche Heidenhain zur Begründung seiner Behauptung anführte, die PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. COHNSTEIN. sl Letztere nicht rechtfertigen. Einerseits nämlich waren seine Zahlen irr- thümlich berechnet und andererseits waren solche Blut- und Lymphproben hinsichtlich ihrer Concentration verglichen worden, welche als zusammen- gehörig nicht bezeichnet werden konnten. Ich habe Heidenhain’s Versuche wiederholt und bin zu dem Re- sultat gekommen, dass nach Infusion einer Lösung erystalloider Substanz das Concentrationsmaximum in der Lymphe nicht höher gefunden wird als das Ooncentrationsmaximum im Blutserum. Mendel hat meinen Befund zwar bestätigt, aber nur für den Fall, dass die Infusion der Lösung sehr schnell erfolgt. Nach langsamem Ein- strömenlassen der Lösung fand Mendel das Concentrationsmaximum im Serum nicht so hoch wie in der Lymphe. Eine Wiederholung der Mendel’schen Versuche führte mich zum entgegengesetzten Resultat: ich fand die Concentrationsmaxima in beiden Flüssigkeiten gleich. Der Unterschied in der Versuchsanordnung von Mendel und mir bestand nur in der Zeit, wann die zu analysirenden Proben entnommen wurden. Während nämlich Mendel stets eine Minute nach Beendigung der Infusion verstreichen liess, ehe er die erste Blutprobe entnahm, so gewann ich diese unmittelbar bei Beendigung der Infusion. Mendel sieht hierin einen Fehler, denn er meint, die infundirte Lösung habe sich zu dieser Zeit noch nicht gleichmässig im Blute vertheilt und die zur Analyse genommene Probe arteriellen Blutes gäbe daher keinen Maassstab ab für die Zusammensetzung des Capillarblutes. Trotzdem ich diesen Einwand schon aus theoretischen Gründen als stichhaltig nicht an- erkennen kann, so habe ich dennoch einige Versuche angestellt, welche eine directe Widerlegung des Mendel’schen Einwurfs bezweckten. Ich infundirte nämlich die Lösung in den peripherischen Stumpf einer Arterie und entnahm die zur Analyse bestimmten Proben aus dem centralen Stumpfe derselben. — Ich fand, dass auch in diesen Versuchen das Concentrations- maximum in der Lymphe nicht höher lag als im Serum. Schliesslich hat Mendel gegen die physikalische Theorie der Lymph- bildung geltend gemacht, dass nach Infusion einer Lösung einer cerystal- loiden Substanz der Gehalt der Lymphe an dieser Substanz lange Zeit hin- durch (30 Minuten und länger) höher gefunden werden kann als der Gehalt des Serums vor mehr als einer halben Stunde. Meinen Versuch, diese Thatsache aus dem langsamen Strömen der Lymphe zu erklären, weist Mendel zurück, indem er meint, die hier in Betracht kommenden Zeiten seien zu gross. Ich habe es mir angelegen sein lassen, die Geschwindigkeit des Lymphstroms direet zu messen. Ich that dies auf doppelte Weise. Erstens bestimmte ich die Zeit, welche vergeht, ehe eine durch die Lymphgefässe des Beines (nach Unterbindung der Venen) resorbirte Substanz im Ductus thoraeicus nachweisbar ist. Zweitens stellte ich Vergiftungsversuche mittelst subeutaner Injectionen von Strychnin oder Cyankali an Thieren mit ununterbundenen bezw. unter- bundenen Beinvenen an. — Die Zeitdifferenz in dem Eintritt der Vergiftungs- symptome bei beiden Thieren giebt einen Maassstab für die Geschwindigkeit des Lymphstromes. 382 VERHANDLUEGEN D. BERL. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — W. ÜoHNSTEIN. Es zeigte sich in beiden Versuchsreihen, dass die Fortbewegung der Lymphe eine ausserordentlich langsame ist, so dass die Zeit zwischen der Bildung der Lymphe in irgend einem Organ und dem Ausfliessen aus dem Ductus thoracieus eine halbe Stunde und länger dauern kann. Auf diese Weise glaube ich auch den letzten Einwand Mendel’s gegen die Transsudationshypothese widerlegt zu haben und ich bin der Ansicht, dass zur Zeit in der Lymphphysiologie keine Phaenomene bekannt sind, welche physikalisch nieht erklärt werden können und die Annahme einer secretorischen Thätigkeit der Capillarendothelien nöthig machen. (Die ausführliche Mittheilung erscheint in Pflüger’s Archiv.) EEB 16 1997 Muskelarbeit und Glykogenverbrauch. Von J. Seegen in Wien, 1. Ich habe unter dieser Ueberschrift in diesem Archive im Jahre 1895 Versuche veröffentlicht, welche ich an Hunden angestellt habe, um zu ermitteln, ob eine Beziehung zwischen genau gemessener Muskelarbeit und Glykogenverbrauch stattfindet. Ich hatte in früheren Versuchen an Hunden gefunden, dass bei tetanischer Reizung eines Muskels, entweder direct, oder durch Reizung des ihn versorgenden Nerven eine Glykogenabnahme nach- zuweisen ist, wenn man den Glykogenbestand des tetanisirten Muskels mit dem des gleichen Muskels der. Gegenseite vergleicht. Weiss hat bereits früher nach Reizung von Froschmuskeln einen Glykogenschwund von 25 bis 50 Procent nachgewiesen. Ich fand nach einer 30 bis 40 Minuten dauernden Reizung in fünf Versuchen einen Glykogenschwund von 30 bis 45 Procent; einmal war das gesammte Glykogen nahezu geschwunden. In fünf anderen Versuchen mit zweistündiger Reizung des N. cruralis betrug einmal der Glykogenschwund 23 Procent, in den vier anderen Versuchen war er 71 bis 89 Procent. Es war also im Allgemeinen mit der Dauer der Reizung, also mit der Dauer der durch dieselbe veranlassten Muskelcontrac- tion ein grösserer Glykogenverbrauch nachzuweisen. Die Muskelcontraction bedingt die Arbeitsleistung des Muskels, sowohl die moleculare Arbeit, die Wärmebildung, wie die mechanische Arbeitsleistung. Es lag also nahe, daran zu denken, dass in dem Glykogen dem Muskel die Energie für diese duppelte Arbeitsleistung zugeführt werde, und es war nun angezeigt, durch Versuche zu ermitteln, ob sich ein Verhältniss zwischen der in dem ver- schwundenen Glykogen zugeführten Energie- und der vom Muskel geleisteten 384 J. SEEGEN: Arbeit ermitteln lasse. Da es an dem vom Blute durchflutheten Muskel nicht leicht möglich sein dürfte, die Summe der innerhalb einer gewissen Zeit gebildeten Wärme ziffermässig nachzuweisen, habe ich meine Versuche darauf beschränkt, die innerhalb der Zeit der Reizung durch die Muskel- contraction geleistete mechanische Arbeit zu ermitteln und den Glykogen- verlust festzustellen. Ich habe den M. quadriceps des Hundes als Versuchs- object gewählt. Ich habe den diesen Muskel innervirenden N. cruralis, nach- dem er durchschnitten war, peripher gereizt. Mit jeder Reizung folgte eine Muskelcontraction und durch diese wurde ein Gewicht auf eine bestimmte Höhe gehoben. Die Hubhöhe wurde nach zwei verschiedenen Methoden gemessen und das Product der Hubhöhe mit dem gehobenen Gewicht ergab die Arbeits- leistung in Kilogrammmetern. Der nach Tödtung des Thieres herauspraeparirte M. quadriceps wurde gewogen und in demselben, wie in dem gleichen Muskel der anderen Seite der Glykogengehalt bestimmt. Aus der Differenz konnte die Ziffer des verschwundenen Glykogens genau festgestellt werden. Ich hatte elf Versuche angestellt; in fünf Versuchen war das gehobene Gewicht während der Erschlaffung des Muskels wieder herabgefallen, während bei der zweiten Versuchsanordnung mittelst eines eigens construirten Arbeits- sammlers das gehobene Gewicht auf der Höhe, bis zu welcher es empor- gehoben war, erhalten wurde. Bei der ersten Versuchsanordnung wurde die Arbeitsleistung dadurch festgestellt, dass die mit jeder Contraction er- folgende Hebung mit Hülfe eines Kymographions aufgezeichnet wurde. Die im Myogramm verzeichneten Einzelhebungen wurden gezählt und ge- messen und so die Gesammtgrösse der Erhebung ermittelt; bei der anderen Methode kommt die Hubhöhe am Arbeitsammler einfach zur Erscheinung. Für die Feststellung der Arbeitsgrösse, welche durch die Muskelcontraction geleistet wird, ist es ganz gleichgiltig, ob das gehobene Gewicht wieder zu Boden gefallen war, oder ob dasselbe durch eine Vorrichtung auf der ge- hobenen Höhe erhalten wurde. Im ersten Falle ist durch das Herabfallen des gehobenen Gewichtes die geleistete Arbeit in Wärme umgesetzt worden, sie kommt also nicht als mechanische Arbeitsleistung zur Erscheinung. Das Festhalten des gehobenen Gewichtes mittelst Arbeitsammlers ist dann unerlässlich, wenn beide Formen der Muskelarbeit, oder wenn zum Min- desten die durch die Contraction bewirkte Erwärmung gemessen werden soll, da beim Herabsinken des gehobenen Gewichtes zweifellos ein Theil der geleisteten mechanischen Arbeit in Erwärmung des Muskels umgesetzt wird. Die Ergebnisse meiner Versuche liessen sich in folgenden Punkten zu- samenfassen: 1. Es hat ausnahmslos in dem gereizten Muskel ein hOLTORRLAUHR Glykogensehwund stattgefunden. MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH, 385 2. Der Glykogenschwund ist ein so bedeutender, dass schon ein kleiner Bruchtheil der in dem verschwundenen Glykogen enthalten gewesenen Energie ausgereicht hätte für die Vollbringung der geleisteten mechanischen Arbeit. In sieben von elf Versuchen sind nur 3 bis 6 Procent, in drei Versuchen 9 bis 11 Procent des Energiewerthes des verschwundenen Gly- kogens in der mechanischen Arbeitsleistung zur Erscheinung gekommen. 3. Es zeigte sich, dass der Glykogenschwund in gar keinem bestimmten Verhältnisse zur geleisteten Arbeit steht, dass er vielmehr in den weitesten Grenzen schwankt, dass z. B. bei einer Arbeitsleistung von 74 ksrm M. einmal der Glykogenverbrauch 0-69, ein andermal bei fast gleicher Arbeitsleistung der Glykogenschwund nahezu doppelt so gross war, nämlich 1-2 sm, Ich habe auf Grundlage dieser Thatsachen geschlossen, dass das Glykogen, unter der Voraussetzung dass sein Verbrauch zu der Arbeitsleistung in einem so argen Missverhältnisse steht, nicht die Kraftquelle für die Arbeits- leistung des Thierkörpers sein könne. Es lag nahe, dass meine Versuche, welche in so eclatanter Weise den Glykogenschwund bei tetanischer Con- traction nachweisen, zu dem Schlusse führen konnten, dass die durch die Contraction veranlasste Arbeitsleistung auf Kosten des Glykogens stattge- funden habe, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass das ver- schwundene Glykogen, und selbst nur ein Bruchtheil desselben, als Kraft- quelle für die durch die tetanische Contraction erzielte Arbeit ausgereicht hätte. Aber gerade dieser übermässige Glykogenverbrauch wies darauf hin, dass der normale Bestand des Thierkörpers an Muskelglykogen auch nicht für einen kleinen Theil der täglichen Arbeitsleistung ausreichen könne. Meine Versuche sollten nicht Aufschluss geben über die Quelle der Muskel- arbeit bei tetanischer Reizung, sie waren angestellt zur Entscheidung der Frage, ob das Muskelglykogen ausreichend sei für die normale Arbeits- leistung des Thieres, und nach dieser Richtung fiel die Antwort entschieden negativ aus. Die meisten Versuche weisen einen sehr bedeutenden Glykogen- verbrauch nach. „Wenn“, so drückte ich mich bei Besprechung dieser Ver- suche aus, „die Arbeitsleistung auf Kosten des Glykogenverbrauchs statt- gehabt hätte, wäre dadurch bis zur Evidenz erwiesen, dass das im Körper angehäufte Glykogen auch nicht für einen Bruchtheil der mechanischen Ar- beitsleistung des Thieres ausreicht.“ Die Analyse einiger Versuche diente zur Bestätigung dieses Satzes. Da die im verbrauchten Glykogen zugeführte Energie für die mecha- nische Arbeitsleistung nur zum kleinsten Theile verwendet war und man nicht an eine nutzlose Luxusconsumption denken konnte, so lag es nahe, ‚anzunehmen, dass entweder die für mechanische Arbeit nicht ausgenützte Energie, oder dass die gesammte in dem Glykogen enthaltene Energie in anderer Weise verwerthet wird, und ich meinte, es sei vielleicht nicht un- Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol, Abthlg. 25 386 J. SEEGRn: gerechtfertigt, anzunehmen, dass das Muskelglykogen ganz andere Zwecke zu erfüllen habe, dass es vielleicht die Aufgabe habe, für erhöhte Wärme- bildung bei stärkerer Arbeitsleistung als Kraftquelle zu dienen. Es war dies natürlich nur eine Hypothese. Die eigentliche Bedeutung meiner Ver- suche lag in der durch dieselben festgestellten Thatsache des immensen Glykogenverbrauchs bei ganz geringer mechanischer Arbeitsleistung. Die Voraussetzung für den an diese Thatsachen geknüpften Schluss, dass das Muskelglykogen auch nicht für einen Bruchtheil der normalen Körper- arbeit ausreichen könne, war die, dass die jede Arbeit bedingenden Muskel- contractionen von den durch elektrische Reizung veranlassten Contractionen nicht verschieden seien. Ich hatte in der Litteratur über diesen Punkt keinen directen Aufschluss gefunden; aber vieles scheint darauf hinzu- weisen, dass die Vorgänge bei tetanischer Reizung jenen parallel gestellt werden, die sich im Muskel abspielen bei den durch Willenseinfluss veran- lassten Contraetionen. So ist speciell bei den von hervorragenden Physio- logen ausgeführten Versuchen über Wärmebildung bei tetanischer Reizung und über das Verhältniss des Stoffverbrauches für Wärmebildung und Muskelarbeit nirgends darauf hingewiesen, dass die Versuchsresultate nur für Contractionen in Folge von tetanischer Reizung Geltung haben und auf willkürliche Muskelcontraetionen keine Anwendung finden. Der einzige, aber freilich sehr gewichtige Einwurf, welcher meinen Versuchsresultaten begeg- nete, war der, dass durch nicht entsprechende Versuchsanordnung die volle Arbeitsleistung nicht zur Erscheinung gekommen war. Es heisst dies mit anderen Worten, dass, wenn die gesammte, durch die Muskelcontraction er- möglichte Arbeit wirklich geleistet worden, und nicht latent geblieben wäre, auch das Missverhältniss zwischen Arbeitsleistung und Glykogenverbrauch zu bestehen aufgehört hätte. Um die Berechtigung dieser Einwendungen zu prüfen, um aber auch der mir wichtiger erscheinenden Lösung der Frage näher zu kommen, ob nicht andere, bei der tetanischen Reizung betheiligte Vorgänge den Glykogenverbrauch mit veranlassten, habe ich noch eine weitere Reihe von Versuchen über diesen Gegenstand angestellt, die ich hier zunächst folgen lasse. Bei einem grossen Theile dieser neuen Versuche habe ich, wie ich es in der früheren Arbeit (S. 256) in Aussicht stellte, die Einrichtung ge- troffen, den Sperrhaken vor der Reizung auszuheben, damit das vom Muskel während der Reizung zu hebende Gewicht denselben schon vor der Reizung entsprechend spanne. Fick hat bei seinen Versuchen an Froschschenkeln, in denen es sich um eine geringe Anzahl von Reizen handelte, dieses Ab- heben mit der Hand vorgenommen. Bei meinen Versuchen, in welchen ‘der Muskel durch längere Zeit in bestimmten Intervallen gereizt wurde MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 387 und das zu hebende Gewicht überdies mehrere Kilogramm betrug, musste an Stelle dieser einfachen Manipulation eine Vorrichtung gesetzt werden, welche automatisch in bestimmten Zeitintervallen das Abheben des Sperr- hakens zu besorgen hatte. Diese Vorrichtung bestand in Folgendem. Hinter dem Apparate war in zwei Achsenlagern eine bewegliche Achse (a) befestigt, auf welcher zwei Excenter angebracht waren; der eine von diesen (e) war dazu bestimmt, den Sperrzahn für eine Weile abzuheben ; während dieser Zeit konnte das Gewicht frei herabfallen, aber nur so lange, bis der Sperr- zahn wieder in das Sperrrad einfiel. Der zweite Excenter (e,) besorgte den Schluss eines elektrischen Contactes (C) für die Reizvorrichtung. Diese beiden Excenter waren so gestellt, dass bei ihrer Umdrehung zuerst der Sperrzahn abgehoben und dadurch dem Muskel die Spannung, die dem grösseren Ge- wichte entsprach, gegeben wurde. Erst nachdem der Sperrzahn wieder in das Sperrrad eingrifi, erfolgte durch den zweiten Excenter der Contact, Sat, Fig. 1. welcher die Reizung bewirkte. Die Umdrehung der Excentren wurde durch eine kleine Dampfmaschine: besorgt, an welcher eine Transmissionsscheibe angebracht war, die durch eine Schnur mit einer zweiten Transmissions- scheibe (7) in Verbiae gebracht war. Diese letztere war mit den beiden ‚Excentern auf der gleichen Achse befestigt; auf diese Weise war es mög- lich, automatisch die Dehnung des Muskels durch das grosse Gewicht zu bewerkstelligen, und mit Einbrechen des Reizes wurde der Muskel ent- sprechend der früheren grossen Spannung auch stärker contrahirt. Bei dieser Anordnung brauchte man nur ein kleineres Gewicht, um den Muskel "nach vollendeter Zuckung auszudehnen, und wurde das Gewicht der Schrot- "büchse von 810 auf 320 sm redueirt. Unter diese Grenze konnte man njcht herabgehen ohne die Contractionen wesentlich zu beeinträchtigen. Die Um- drehungsgeschwindigkeit wurde so regulirt, dass etwa alle 3” eine Reizung ‚stattfand. Um die Zahl der Reize, die Reizintervalle und zugleich die 388 J. SEEGEN: Reizdauer in jedem Versuche zu kennen, wurden auf dem fortlaufenden Papier eines Kymographions mittelst eines Elektromagnetes durch Ein- schaltung einer Uhr, die alle zwei Secunden einen Contact schloss und unter- brach, Zeitmarken registrirt. Ein zweiter Elektromagnet war in den primären Strom eingeschaltet, welcher durch den früher erwähnten Contact-Excenter geschlossen und geöffnet wurde, und dieser registrirte die Zahl der Reize und die Intervalle zwischen denselben. Die Dauer der Einzelreize konnte an den genau notirten Zeitmarken gemessen werden. Um die Messung zu erleichtern und sicherer zu machen, liess man zeitweilig das Papier des Kymographions rasch abrollen. Vorstehende Figur illustrirt die eben be- schriebene Vorrichtung, die an dem Arbeitssammler angebracht wurde.! Ich will nun nachstehend die Versuche folgen lassen. Versuche mit Reizung des Muskels. Versuch I. Thier 23 Kilo schwer. Die Sehne des Quadrie. fem. wird lospraeparirt, Haken eingesetzt und wie in den Versuchen ohne Arbeitssammler (S. 257 bis 259, Abh. I) vorgegangen. Die Nerven bleiben intact, es werden zwei Nadeln in den Muskel eingestochen und dieser tetanisch gereizt. Anfangs wird nur ein Gewicht von 439 8%. aufgelegt und auch dieses wird nur 1 “ hoch gehoben. Später wurden die beiden Nadeln von einander entfernt und es werden jetzt vier Gewichte mit 1.7488 2°m hoch gehoben. Bei diesen Gewichten liegt nach mehreren Proben das Optimum. Der Versuch wird aus äusseren Gründen nach °/, Stunden abgebrochen. Summe der geleisteten Arbeit 15 #8M. Zahl der Reizungen 1159. Nach Tödtung des Thieres werden die beiden Quadriceps herauspraeparirt, gewogen und ihr Glykogengehalt bestimmt. Glykogengehalt: a) gereizte DSete male. 20.0.0. On2oaen b) nicht gereizte- Seite... .... 2.023427, Der gereizte Muskel wog ohne Fett und Sehne 275 8%; es wurden also verbraucht 0.267 8m Glykogen. Versuch I. Thiergewicht 18-5®#. Das Verfahren ganz wie in Versuch I. Nur wurde der Muskel durch fast zwei Stunden gereizt. Die Arbeitsleistung betrug * An der Idee dieser Construction und an den Details der Ausführung hat mein werther College Prof. v. Basch den Löwenantheil. Ich bin ihm für seine Mitarbeit wie für seine werkthätige Hülfe bei dem vivisectorischen Theile aller meiner Arbeiten zu wärmsten Danke verpflichtet. MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 389 70.2 #e.M.. Zahl der Reizungen 2564. Die beiden Muskel wurden auf ihren Glykogengehalt untersucht. Glykogengehalt: oO): gereizteinelo an. a. nme... 0.034 gm b) nicht gereizte Seite . . . '. .. 0.052 „ Die kleinen Differenzen im Glykogengehalte, die noch fast in die Fehler- grenze fallen, gestatten keine berechtigten Schlüsse. Versuch HI. Thier 21-5 ®, hat einen Tag reichlich Brot und Fett erhalten. Der Versuch wurde wie die beiden vorhergehenden ausgeführt. Zahl der Reizungen 2277. Die Hubhöhen waren sehr schön und gleichmässig. Das beifolgende Photogramm giebt einen Theil der Curve. I) IN I I) ll INMIN Die geleistete Arbeit betrug 52.8 Ks. M., Glykogengehalt: a), gereizte, Seite a u, nm n2.020.8 04211" d) nicht gereizte Seite . . . . . ..0-.570 „ Der gereizte Muskel wog 212 8%, der Glykogenschwund betrug 0.744. Versuch IV. Thier 15!/,%. Zwei Tage mit Brot und Fett gefüttert. Die Muskeln wie in den früheren Versuchen gereizt. Die Muskelcontractionen waren schwach; die jeweilige Hubhöhe kaum 1 “%, während in dem früheren Ver- suche bei grösserem Gewicht (1-7 gegen 1-2) und gleicher Stromstärke die Hubhöhe oft 2” betrug. Es wurde zwei Stunden gereizt. Zahl der Reizungen 2934; geleistete Arbeit 31-7 E, Glykogengehalt: a) gereizte, Seien 2. 2. 212,70. 289, rn b) nicht gereizte Seite . . -. . . . 0.362 „ Der gereizte Muskel wog 196 3’”. Glykogenschwund 0.143 gm, 390 J. SEEGEN: Versuch V. Thier 17-8®8; durch drei Tage reichlich mit je 500 &"” Brot und 100 EB” Fett gefüttert, am dritten Tage 2008” Fett, 600 8% Fleisch. Die Muskel- contractionen waren sehr ungleichmässig, die Hubhöhen sehr ungleich, die Arbeitsleistung betrug An Glykogengehalt: a)agereizte, Seite . .. . a... .... 0228705 b) nieht gereizte Selte ;. +47. ». - 0.3907, Das Muskelgewicht war 231 ®"%. Glykogenverbrauch 0.231 3”. Versuch VI. Thier 21-5 8, wurde nur einen Tag vor dem Versuche im Hause ge- füttert, erhielt 1 %® Brod, 200 8” Fett; die Hubhöhen waren nicht sehr be- deutend, aber schön geichmässig; zuweilen wurde die Trommel des Kymo- graphions rascher bewegt, um die Dauer der tetanischen Reizung genauer messen zu können. Das nachfolgende Photogramm giebt das Bild dieses Vorganges. H Il HRNMTHITTIEN Die geleistete Arbeit betrug 30.15 Ke. M., il Glykogengehalt: a) gereizte Beiter "en rar... 2.0... 20,4122e2m b) nicht ‚gereizte Seite . . . . »..! 0.500 ,„ Der gereizte Muskel .wog 276 arm, der Glykogenverbrauch betrug 0.242 Brm, MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 391 Die nächsten Versuche wurden mit Reizung des N. cruralis ausgeführt und die Arbeit wurde mittelst des modifieirten Ar- beitssammlers gemessen. Versuch VI. Thier 15 ®&® schwer. Es wurden die N. cerurales beider Seiten durch- schnitten, der rechte N. cruralis gereizt. Der Versuch wurde theils mit Ein- hängung des zu hebenden Gewichtes von 1-7 Y® an den Muskel ausgeführt, die Schrotbüchse war dann auf 320 8"® reducirt; theils wurde der Versuch in früherer Weise, ohne Anhängung des Gewichtes mit gefüllter Schrot- büchse von 810 S’® Gewicht ausgeführt. Nach der ersten Methode ist die Hubhöhe eine viel grössere und es bedurfte zur Hebung des Gewichtes auf 1-5 ” etwa 5 Minuten, während bei der Hebung nach der früheren Me- thode für die gleiche Hubhöhe etwa 7 Minuten erforderlich sind. Die Ar- beitsleistung betrug 24 Ks. M. Glykogengehalt: a)l gereiztegseitennt,. ua a sin... 0 LH 5) nicht gereizte Seite . . . 2. ....0.247 „ Der gereizte Muskel wog 153 8'"; es wurden also verbraucht 0.136 sr Glykogen. Versuch VI. Thier 19%; die N. erurales beiderseits durchschnitten; der linke Nerv gereizt. Die Reizintervalle betrug 3-2 Secunden und die Reizdauer selbst war sehr kurz. Die Erhebung geht sehr langsam von statten; trotzdem das Gewicht immer vor der Reizung an den Muskel angehängt wird. Um 1-.7'8 auf 1-5” zu heben, bedarf es 16 Minuten. Erst wenn die Versuchsanord- nung dahin geändert wird, dass die Reizdauer wieder eine längere ist, werden die Contraetionen viel energischer und die Hubhöhe eine viel be- deutendere. Die Arbeitsleistung betrug 24.5 Ks M., Glykogengehalt: a)ngereizterSeiten a > 2.0.0. 0.2.000.04 8m b)önichtsgereizteliseiter KINN „20% 1655; Der gereizte Muskel wog 2188”; der Glykogenverbrauch war also 0-261 8”, Ich hatte in den beiden Versuchen die Nerven beiderseits durch- schnitten, um die Versuchsbedingungen gleich zu machen. Es war mir nun aufgefallen, dass, trotzdem die zu den zwei Versuchen verwendeten Thiere einen Tag vor dem Versuche zu ihrem Futter noch 200 8°= Zucker erhalten hatten, der Glykogengehalt des nicht gereizten Quadriceps auch ein verhältnissmässig kleiner war und ich musste daran denken, dass vielleicht schon die blosse Nervendurchschneidung eine Glykogenabnahme 392 J. SEEGEN: veranlasste und es wurde darum in den folgenden Versuchen noch ein dritter Muskel, der von einem anderen Nerven innervirt war, auf seinen Glykogengehalt untersucht. Versuch IX. Das Thier, 208 schwer, wurde drei Tage vor dem Versuche täglich mit 1000 Sm Brot und 200 8% Zucker gefüttert. Es wurden die N. erurales beiderseits durchschnitten, links gereizt. In diesem Versuche wurde die Sehne des Quadriceps nicht lospraeparirt und der Haken wurde in ein unter- halb des Knies befestigtes Band eingehängt. Der Oberschenkel war über dem Knie fixirt, der Unterschenkel diente als Hebel; die Wirkung dieser Methode war eine sehr grosse; 2-5 bis 3"& wurden in 1!/, Minuten 1.5” hoch ge- hoben. Ich hatte bei diesem Versuche auch Gelegenheit, den Unterschied des Einhängens des Gewichtes vor der Reizung ziffermässig zu ermitteln, indem ich diesen Versuch theils mit eingehängtem Gewicht, d. h. mit der neuen automatisch wirkenden Einrichtung, theils in früherer Weise aus- führte. Bei eingehängtem Gewichte waren 19 bis 21 Reizungen nöthig, um das Gewicht 1-5” hoch zu heben. Ohne Auslösung des Sperrrades, also ohne eingehängtes Gewicht, waren 24 bis 25 Reizungen erforderlich um das gleiche Gewicht auf.dieselbe Höhe von 1-5” zu heben. Die Ar- beitsleistung betrug 69 K&- M. Es wurden die beiden Quadriceps, ferner die M. glutei beider Seiten genommen, letztere gemeinschaftlich auf Glykogen verarbeitet. Glykogengehalt: a)agereizi . na u.a.) b)znichtigereizt u... Ka OA OHM: veluteit nn. a0: LER EOSIE Der gereizte Muskel wog 1898”, der Glykogenschwund beträgt im Muskel der gereizten Seite im Vergleiche zu dem der nicht gereizten Seite 0.48%, und wenn man den Glykogengehalt mit jenem der M. glutei ver- gleicht, ist die Differenz 1-28 ®'M, Dieser Versuch zeigt, dass die Nervendurchschneidung allein ohne Reizung einen bedeutenden Glykogenschwund zur Folge hat, vorausgesetzt, dass Quadriceps und Gluteus unter gleichen und nor- malen Verhältnissen einen annähernd gleichen Glykogengehalt haben, was durch spätere Versuche bewiesen wurde. Versuch X. Thier 22 8 schwer, wurde einen Tag mit 1000 E’" Brot und 200 gm Zucker gefüttert. N. crurales beiderseits durchschnitten; eine Seite gereizt. Im Uebrigen wurde der Versuch wie der frühere ausgeführt, meist mit an- gehängtem Gewichte; nur zuweilen versuchsweise ohne Einhängen des Ge- wichtes, Mit eingehängtem Gewicht waren 19 bis 20 Reize nöthig, um 3-4%8 1.5" hoch zu heben; ohne Einhängen des Gewichtes waren 24 bis MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 393 25 Reize erforderlich für dieselbe Wirkung. Die geleistete Arbeit betrug 82.2Ks.M. ohne, und 89.9 Ke-M. mit Hinzurechnung des Gewichtes der Schrotbüchse. Glykogengehalt: OU Gere Zehen 21,6. 0: 100 Dnichtgsereizurger nee. 0A, oO) MS Sluteg se ner ln 2 0468 Der gereizte Quadriceps wog 2698", Der Glykogenschwund im Ver- gleiche zum M. glut. betrug 0.990 ern, Versuch XI. Hund 22*®8; durch 2 Tage mit je 10008” Fleisch und 240 8”% Zucker gefüttert. Wieder beide Nerven durchschnitten, der eine gereizt. Es wurde zuerst versuchsweise wieder mit sehr kurzen Reizen gearbeitet; es konnten dabei 1-78 nur sehr mässig gehoben werden; es bedurfte 130 bis 140 Reize, um diese Gewichte 1-5" hoch zu heben. Darauf wurden längere Reize angewendet, die Reizdauer bei nachträglicher Messung war !/, Secunde; mit diesen Reizen wurden 3-43 durch 30 Reizungen 1-5" hoch gehoben. Glykogengehalt: a) gereizt an. 0277er D)knicht zereizier 2... 2... 0:01.02.0%092,, c) M. glutei 0.752 „ Geleistete Arbeit 67.8 M, Mit Schrotbüchse 74-5 M., Gewicht des gereizten Quadriceps 249 8%, Glykogenverbrauch 1.1188", Versuch XI. Thier 23®8; drei Tage mit je 1000 8m Brot und 240 #"M Zucker gefüttert. Wie früher, beide Nerven durchschnitten, der eine gereizt. Der Versuch war kurz, es wurden gehoben 3-48*® 15" hoch. Geleistete Arbeit 52.2 Ks M. Mit Schrotbüchse 57 #8. M., Glykogengehalt: a): gereizt wa... Sue: 1,0230. 870 D)enichiszerezteeg mar 2 222,0.0:286,5 ON Slutegpara anne ...0:688, , Der gereizte Quadriceps wog 338®”%, Der Glykogenschwund im Ver- gleiche zum M. glut. beträgt 1-3798=. Die Differenz zwischen 5 und c ist in diesem Versuche sehr gross; sie beträgt mehr als 50 Procent. Versuch XII. Thier 26-7*® schwer, wurde zu anderen Arbeitsversuchen verwendet. Nach dem letzten Arbeitstage erhielt es durch zwei Tage je 1% Fleisch und 394 A. SEEGEN: 2008" Fett und wurde dann zu nachstehendem Versuche benutzt. Beide N. erur. wurden durchschnitten, der rechte gereizt. Die übrige Versuchs- anordnung war genau wie im zuletzt genannten Versuch. Die Hubhöhen waren sehr bedeutend. Die Arbeitsleistung betrug mit Schrotbüchse 89.2 Ke. M., Es wurde auf dem sich rasch abrollenden Papier des Kymographions die Zahl der Reize verzeichnet: und die Reizdauer gemessen; letztere betrug !/, Secunde. Die Zahl der Reize war 346. Mit Hülfe dieser Faetoren (Zahl der Reizungen, Dauer der Einzelreizungen, gesammte Hubhöhe, Ge- wicht in Kilogramm) hatte Prof. Mach die grosse Freundlichkeit, die leben- dige Kraft zu berechnen; sie betrug 11-141 *& M Der Glykogengehalt wurde in den beiden Quadriceps, in den beiden M. gluteis (gemeinschaftlich) und aus nicht hieher gehörigen Gründen in den Rücken- und Brustmuskeln (gemeinschaftlich) bestimmt. Glykogengehalt: a) gereizter Quadriceps, -....». ..:...,0.214.8 b) nicht gereizteri a. 2... : „10a E) ML. gluter ante re Zst ne OK d) Brust-Rückenmuskel . . . . . ...0.730 „ Der gereizte Muskel wog 326 &"®, Der Glykogenschwund betrug 1.1639 8m, Versuch XIV. Ich habe um die Wirkung der Nervendurchschneidung noch weiter zu studiren einen Versuch ausgeführt, bei welchem ein N. eruralis durchschnitten war und der andere intaet blieb. Das 128 schwere Thier hatte drei Tage Brot und Zucker bekommen. Eine Stunde nach Durchschneidung der Nerven wurde das Thier getödtet. Glykogengehalt: a) Muskel mit intacten Nerven . . .„ 0.408 gm 5b) Muskel mit durchschnittenen Nerven 0-302 „ 6). M.. gluterau 2 sn. 20 URS a) Herz Nr ee nn 2 OE Ich habe noch schliesslich zwei Versuche mit Muskelreizung und Ar- beitssammler ausgeführt. Die N. crurales blieben in diesen Versuchen, wie natürlich, beiderseits intact. Versuch XV. Hund 15*8 schwer; der rechte M. quadriceps direet gereizt. Wie bei den früheren Nervenreizversuchen wurde die Sehne nicht praeparirt, sondern der Haken an das den Unterschenkel umschlingende Band gehängt, ebenso wurde in dieses vor jeder Reizung das zu hebende Gewicht eingehängt. Die Contractionen waren gut aber lange nicht so energisch wie bei der Nervenreizung; die Arbeitsleistung war nicht einmal so bedeutend wie bei MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 395 den früheren Muskelreizungen, wenn die Sehne frei praeparirt und der Haken in diese eingehängt war. Es konnte in diesem Versuche nur ein Gewicht gleich 0-423%8 „ehoben werden. Beim Auflegen von zwei Ge- wichten, also von 0.8468, waren die Hebungen minimal. Das Thier hatte einen Tag 5008'® Fleisch und 2508” Zucker be- kommen; es war beim Aufbinden durch einen unglücklichen Zufall fast er- stickt; es musste tracheotomirt werden, worauf ‚rasch Erholung eintrat; aber die Leistungsfähigkeit blieb gering, das Thier ermüdete rasch. Die Arbeitsleistung betrug 12.7 #8 M- Mit Schrotbüchse 15.9 Ke M. Glykogengehalt: O)ESELEIZUEE N keanae ei 39 0 200 d)rnichisgerezt en 2. 4.202 0200002024097, O)LMS olutere 2. EU EEITS NIE, Der gereizte Quadriceps wog 175 8"”, der Glykogenverbrauch 0.234 8, Dieser Versuch lehrte, dass der intacte Quadriceps sogar etwas Gly- kogenreicher war als der Gluteus. Versuch XVL Hund 21# schwer; hat durch drei Tage je 500 &"” Fleisch, 300 "m Brot und 2408'" Zucker gefressen. Es wird nur ein sehr mässiges Gewicht von 0-423*8 und sehr langsam emporgehoben. In diesem, wie im vorigen Ver- suche war der Haken. nicht an der Sehne, sondern an dem den Unterschenkel umschlingenden Bande befestigt. Die geleistete Arbeit betrug 13.3 Ks M., mit Schrotbüchse 17.3 Ks M., Gykogengehalt: a) gereizter Quadriceps . . . ... . 0.4748m Dienichtwsereizie eo 2. 2.00. 23.087085, ©) M. site. a 0.504608, Der gereizte Muskel wog 2008", Der Glykogenschwund betrug 0.468 E"", Ich habe schliesslich eine Reihe Versuche mit Muskel- reizung an curarisirten Thieren angestellt, die ich nachfolgend mittheile. Versuch XVII. Thier 14*®, hat durch drei Tage je 3008" Zucker und 500” Brot er- halten. Der rechte Quadriceps wurde blossgelegst und direet gereizt. Die Contractionen waren minimal, trotz der grossen Stärke der Reizung (6—0 Rollenabstand). Es bewegen sich nur die Nadeln ganz leise und die Bewegung wird etwas deutlicher, wenn die Einstichstellen oft gewechselt werden. Der linke N. crur. wurde durchschnitten, nicht gereizt. Zahl der Muskelreizungen war 2100. Es wurde der Blutdruck gemessen und die Pulsfrequenz; beides wurde geschrieben. Blutdruck war im Durchschnitte 50", Pulsfrequenz 192 in der Minute. Das Gewicht der Ventrikel war 79 sm, 396 J. SEEGEN: Glykogengehalt: a) gereizter Quadricepp . . . . ... 0.349 gm b) nicht gereizt . . a 20203600 Leider war beim Einfüllen in die Röhre ein kleiner Nor daher das Resultat nicht ganz verlässlich. 0), M.eglutegsye ee Re 0er A). Herzen ee al OO Versuch XVII Hund 14®8, hat nur am Abend vor dem Versuche 1000 8m Brot, 300 gm Zucker bekommen. Linker Quadriceps durch Nadeln gereizt; Rollenabstand 5 bis 4. Keine Contraetionen; nur leises, aber deutliches Erzittern der Nadeln und deren Umgebung. Gereizt wurde 1 Stunde und 10 Minuten. Zahl der Reizungen 2100. N. cruralis der anderen Seite durchschnitten. Blutdruck schwankte zwischen 80 und 76". Pulsfrequenz 120 bis 150 in der Minute. Gewicht des Herzens (Ventrikel) 1098"%. Glykogengehalt der beiden Quadriceps, der Glutei und des Herzens bestimmt, Glykogengehalt: a)ugereizt! 0 een... En b)änichtögereizt res ee 02H &)«.M.. ;glutei. I... nn. a OB d) Herz . 0 mega). 2er Versuch XRX. Hund 23®8, hat durch vier Tage täglich 500 8” Brot, 300 8°” Zucker genossen. Bei intacten Nerven wurde der linke Quadriceps durch eine Stunde gereizt. Anfangs sind minimale oberflächliche Zuckungen, später merkt man die leisen Zuckungen nur an der Bewegung der Nadeln. eh a) gereizter Muskel . . 02 0 20m A2DLEEn b) nicht gereizter Muskel . . . . . 0.473, Versuch XX. Thier 13-.6*8, durch vier Tage 500 8"m Brot, 100 8m Fett, 300 8m Zucker. Bei intacten Nerven wurde der linke Quadriceps durch eine Stunde gereizt. Rollenabstand 7—5-5. Es bewegen sich nur die Nadeln ganz leise. Herz arbeitet kräftig. Blutdruck, anfangs 116"", sinkt allmählich auf 60 "m, Puls steigt von 108 auf 126 in der Minute. Gewicht der Ventrikel 94 em, Glykogengehalt: a) gereizteraMuskel >» . . „ . 27220-330820 d) nicht gereizter Muskel . . . . . 0.463 „ c)E Herz E . . . minimale Spuren. Nachstehend sind die besten br each tabellarisch zusammen- gefasst. MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 397 Tabelle A. #8|,= 8398| ,=_ | ==22 9.438 au = = Sn Glykogengehalt in Proc. <= 3 ad Bee Se E58 258 lee ae EEE Bas, San 59 25 |&%2 2 | im nicht im [322 |253| 2328 |82#823 z = ei >, | gereizten | gereizten ae Eh) 2 >»o = | 5 02 24 = 58 Muskel Muskel |D 2 > 48 = > S «38 Tetanisirung des Muskels I CE I 0342 | 0.254 275 | 0.242 411 43 II 18-5 |70-2 In beiden Muskeln nur kleine Mengen von Glykogen III |21-5 52-8 0-570 0-219 212 0744 1265 4°1 IV |15-5 |31-7 0:362 0-289 196 0-143 243 13:0 V [17-8] 46-0 0:390 0-287 231 0:238 384 11°9 VI /21:5 30-1 0:500 0-412 276 0-242 411 7-3 apa 15-9 0°409 0275 175 0:234 398 3-9 VII? 21 17-3 0:708 0.474 200 0.468 7195 2-1 Tabelle 2. s3l.Jd „a a sad 3 E=| = ’ . € om en = a = S “as = a < „| Glykogengehalt in Procent SS 3 2-85 3 Ss! 35 E 58 SE salse|, _ i SEIEN EEE 253 ?%2|@2 =| im nicht im aM ea .as38T2% Sees S E 34 [@ | gereizten | gereizten | Auteus SE 5352 >O „5 02 86 S.o® Quadriceps; Quadriceps u >38 = 8 a) mass Nervus eruralis gereizt I (vI)15 |24 0-247 0.158 —— 153 |0-136 231 10-3 II(VIII) 19 24-5 0.160 0:040 — 218 |0-261 443 5+5 III (IX)]20 169-0) 0.274 0:060 0-739°| 189 | 1283) 2181 3-1 IV (X) 122 189-9] 0-431 0-100 0-463 | 269 |0-990 ı 1683 5-3 V (XD22 174-5) 0.592 0.277 0-752 | 249 1.113). 2006 3-7 VI (XI,23 157 0-286 0.230 0-638 | 338 |1-379| 2344 2.4 VIL(XII) 26-789-4 0.574 0:214 0-717 | 326 |1-639| 2786 32203 Tabelle C. Tetanische Muskelreizung bei eurarisirten Thieren Versuchs- | Thiergewicht Glykogengehalt in Procent nummer lin Kilogramm| im nicht _ 2 im e gereizten gereizten | yy, gluteus | m Herzen Quadriceps | Quadriceps Ss I (XVII) 14 0605 0-349 0:646 0121 II (XVID) 14 0-258 0:203 0-335 0-132 III (XIX) 23 0-475 0-425 — 2 IV AX 13-6 0°463 0-335 —_ Spuren 1 Versuch XV im Text. ? Versuch XVI im Text. Glykogengehalt des M. gluteus 0-398 Procent. Glykogengehalt des M. gluteus 0-600 Procent. ® Bei Einrechnung der von Prof. Mach berechneten Grösse der lebendigen Kraft erhöht sich diese Ziffer auf 3-6, 398 J. SEEGEN: Es handelt sich nun darum, zu ermitteln, wie weit die Ergebnisse der neuen Versuche mit denen der früheren übereinstimmen und wie weit die an jene geknüpften Folgerungen gestützt oder modifieirt wurden. Ich will zuerst auf die Einwendungen antworten, welche Schenck! meinen Veruchen gegenüberstellt. Meine Versuche waren bekanntlich darauf gerichtet, den Glykogenverbrauch bei genau festgestellter Arbeitsleistung zu ermitteln. Es stellte sich mit Ausnahme eines einzigen Versuches, bei welchem überhaupt nur sehr geringe Glykogenmengen vorhanden waren, heraus, dass der Glykogenverbrauch ein so grosser war, dass nur ein kleiner Theil, wenige Procente, der in dem verschwundenen Glykogen enthalten gewesenen chemischen Spannkraft für die Arbeitsleistung genügt hätte. Daraus folgerte ich, dass das verbrauchte Glykogen für andere Zwecke als für mechanische Arbeitsleistung gedient haben müsse, und ich sprach die Vermuthung aus, dass es vielleicht für die mit dem Tetanus einhergehende höhere Wärmebildung gedient haben könne. Sichenk sagt nun, „die Beob- achtungen werden richtig sein, aber sie sind thatsächlich von Seegen falsch aufgefasst worden.“ Die Einwürfe Schenck’s werden in zwei Punkte zusammengefasst: 1. Dass in meinen Versuchen die der Muskelthätigkeit entsprechende Arbeitsleistung nicht voll zur Erscheinung kam, und dass 2. das als verbraucht angenommene Glykogen nicht vollständig verbrannt sei. Die Arbeitsleistung kam dadurch nicht zum vollen Ausdruck, so meint Schenck, a) weil nicht das der höchstmöglichen Arbeitsleistung ent- sprechende Gewicht gewählt worden sei. Diese Annahme ist eine ganz willkürliche. Ich habe natürlich, weil dies eine bekannte Thatsache ist, solange mit Auflegen und Abnehmen von Gewichten herumprobirt, bis ich das Arbeits-Optimum gefunden hatte, d. h. jene Zahl von Gewichten, welche durch die gleiche Reizung am höchsten gehoben wurden. b) Die Arbeits- leistung konnte nicht voll zum Ausdruck kommen, weil das zu hebende Gewicht nicht vor der Reizung an dem Muskel angehängt worden war. Nach dieser Richtung hat Schenck vollkommen Recht, der Muskel leistet nicht durch einfaches Erheben des Gewichtes die grösstmögliche Arbeit. Ich habe selbst in meiner ersten Abhandlung auf diesen Umstand hin- gewiesen (Seite 256). Ich sagte: „Da in meinen Versuchen während 1 bis 1!/, Stunden alle 2 Secunden gereizt wurde, war es schwer thun- lich, kurz vor jeder Reizung vermittelst Abhebung der Sperrvorrichtung die Spannung des Muskels durch das herabsinkende grosse Gewicht mit zu er- zeugen, wie dies Fick bei seinen Versuchen mit Arbeit gethan hat; ich musste darum, um eine solche Spannung des Muskels zu bewirken, dass bei der Contraction eine-genügende Verkürzung, resp. Hubhöhe erzielt werde, die 1 Pr.Sch enck, Kritische Bemerkungen zu Seegen’s Abhandlung „Muskelarbeit und Glykogenverbrauch“. Pflüger’s Archw. Bd. LXI. MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 399 Belastung des an der beweglichen Welle befindlichen Fadens entsprechend erhöhen. Man könnte, was ich bei späteren Vorsuchen zu thun beabsichtige, das Abheben der Sperrvorrichtung vor der Reizung durch eine auto- matisch wirkende Vorrichtung besorgen lassen.“ Ich habe, wie ich dies bei Schilderung des jetzigen Arbeitssammlers dargelegt habe, diese Vorrich- tung wirklich ausführen lassen und dadurch, wie es zu erwarten war, grössere Hubhöhen erzielt. Ich habe, wie ich dies bei einigen Versuchen ausführlich mitgetheilt habe, Gelegenheit genommen, den Unterschied zwischen den Arbeitsleistungen mit eingehängtem und nicht eingehängtem Gewichte zu ermitteln und es stellte sich heraus, dass bei Einhängung des Gewichtes die Hubhöhen ungefähr um !/, grösser wurden. Es ist also bei den früheren Versuchen ungefähr !/,, d. h. 20 Procent der in Folge der Reizung möglichen Arbeitsleistung nicht zur Erscheinung gekommen. Die Arbeitsleistung bei angehängtem Gewicht wird auch noch dadurch erhöht, dass das gehobene Gewicht nach Ablauf der Reizwirkung immer etwas zurück- sinkt. Ich habe in zwei Versuchen dieses Zurücksinken gemessen. Während bei jeder Reizung das Gewicht 7 bis 8°® emporgehoben wurde, sank es nach dem Aufheben der Reizwirkung wieder um 2 bis 2.5°® zurück, diese Strecke musste das Gewicht wiederum emporgehoben werden. Statt der geraden Linie der Emporhebung bei nicht eingehängtem Gewichte stellt sich die Linie des Emporhebens bei eingehängtem Gewichte stuffenförmig dar. Es wird dadurch die Leistung des Muskels beträchtlich vergrössert, ungefähr um !/,. Ich habe in einem Versuche die Bedeutung dieser Factoren im Ver- hältniss zur verwendeten Spannkraft berechnet. Es wäre z. B. im Versuch III mit Arbeitssammler (S. 262, Abh. I) das Gewicht angehängt gewesen, es würden dann statt 55-48: M Arbeit noch weitere Arbeit von 11-5+19-1 Ks: M., bezw. in Summa 88&e- M. geleistet worden sein. Von der in dem verbrauchten Glykogen enthaltenen Spannkraft würden statt der berechneten 2-8 Procent nach der Correctur 3-9 Procent, verwerthet worden sein. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass der grösseren Arbeitsleistung eine weit grössere Muskelcontraction vorangeht; die Contraction ist aber der Ausdruck für die Thätigkeit des Muskels und dieser entspricht natürlich ein grösserer Stoffumsatz. In den Versuchen, wie ich sie früher ausführte, ist weniger mechanische Arbeit geleistet worden, weil der Muskel sich weniger con- trahirte, aber für diese geringere Contraction ist auch, wie man denken muss geringere Spannkraft, also geringerer Stoffverbrauch erforderlich. c) Ich soll nach Schenck dadurch einen so geringen Nutzeffect beim Tetanisiren erzielt haben, weil in meinen Versuchen die Reizdauer eine zu lange war. In einem von mir (S. 253, Abhandlung I) mitgetheilten Curvenfragment stellte sich die Arbeitsleistung beim Tetanus nur etwa doppelt so gross heraus, wie bei der Einzelzuckung; während Schenck 400 J. SEEGEN: bei Versuchen über Wärmebildung gefunden hat, dass bei einem Tetanus von 1 Secunde 12 bis 20 mal mehr Wärme gebildet wird, als bei einer Einzelzuckung. Da nun, wie Schenck berechnet, die Zuckungsdauer in meinen Versuchen !/, Secunde betragen haben soll, müsste der Kraft- umsatz während derselben 6 bis 10 fach grösser gewesen sein, als bei der Einzelzuckung. Durch meine „unzweckmässige“ Art des „Tetanisirens“ habe ich nur etwa !/, bis !/, des möglichen Nutzeffectes erhalten, also 5 bis 8 Procent, statt der von Fick angegebenen 25 Procent. Ich will davon absehen, dass es nicht ganz gerechtfertigt ist, aus den Temperaturdifferenzen zwischen Tetanus und Einzelzuckung schliessen zu wollen, dass die gleiche Differenz auch in Bezug auf mechanische Arbeitsleistung bestehe; aber die Thatsache, dass die Reizdauer, d. h. der Tetanus, in meinen Versuchen !/, Sec. betragen hätte, ist irrig und der Irrthum leicht zu begreifen, weil es kaum ausführbar ist, aus diesen bei langsamer Drehung der Trommel registrirten Myogrammen die Dauer der Zuckung genau zu messen. Ich habe, um dieses zu ermöglichen, in Einzelversuchen durch rascheres Ab- rollen des Papieres die Curve verlängert, es war dadurch ein correctes Abmessen ermöglicht und es konnte festgestellt werden, dass die Zuckungs- dauer !/, bis !/, Sec. betragen habe. Ich versuchte auch mit kürzeren Reizen zu arbeiten, kam aber zu keinem Resultate, weil die Contractionen nur sehr gering waren und diesen entsprechend die Arbeitsleistung sehr gering ausfiel. Wenn Schenck glaubt, „bewiesen zu haben“, dass das Missverhältniss zwischen Glykogenverbrauch und Arbeitsleistung darauf zurückzuführen sei, dass Letztere nicht dem maximalen Nutzeffeet entspricht, ist, wie ich glaube, dieser Beweis durch die vorangehende Erörterung zum grössten Theile hin- fällig geworden. Das Missverhältniss zwischen Arbeitsleistung und Glykogen- schwund kann aber auch, wie Schenk meint, darauf zurückzuführen sein, dass das Glykogen nicht ganz verbrannt, sondern in anderer Weise dem Muskel entführt worden sei und Seegen hatte eine solche Form der Aus- fuhr selbst angeführt, „ohne sich aber, wie es scheint, bewusst zu werden, dass er sich damit selbst widerlegt.“ Ich habe nämlich mitgetheilt, dass ich zuweilen beobachtet habe, dass das aus dem Muskel ausströmende Blut etwas zuckerreicher sei als das einströmende, und ich sagte, man könnte dieses eigenthümliche Verhalten vielleicht so deuten, dass zu einer Zeit eine beträchtliche Menge Glykogen in Zucker umgewandelt werde, und dass etwas von jenem Zucker mit dem ausströmenden Blute ausgeführt werde. Diese vermehrte Zuckerausfuhr war ein sehr seltener Befund. In 7 (S. 262, Abh. I) mitgetheilten Versuchen wurde dieselbe zweimal beobachtet, und das Plus war ein sehr mässiges, und in 4 Versuchen, (S. 256) in welchen der Nerv durch zwei Stunden ununterbrochen gereizt und das MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 401 Glykogen zum allergrössten Theile verschwunden war, zeigte sich der Zucker- gehalt des venösen Blutes beträchtlich geringer als der des arteriellen. Und endlich bei Muskelreizung wurde trotz beträchtlicher Glykogenabnahme eine Vermehrung der Zuckerausfuhr nie beobachtet. Und doch sollte dieses sehr vereinzelte Vorkommen der vermehrten Zuckerausfuhr den Glykogen- schwund erklären, und Schenck gefällt sich in einem kleinen ironischen Excurs und sagt: „Ich möchte gerne wissen, woran nun die Muskelfaser eigentlich erkennt, welcher Zucker dem Glykogen, welcher dem Blute ent- stammt, welchen sie zur Heizung, welchen sie zur Arbeitsleistung benutzen darf u. s. w.“ Ich kann Schenck versichern, dass ich nicht einen Moment glaubte, die beiden Zuckerarten werden mit Verbrauchsanweisungen aus- _ gestattet. Der Blutzucker, d. h. der von der Leber in’s Blut geführte Zucker, ist die ausschliessliche Kraftquelle für die normale Arbeitsleistung und ist auch für diese normale Leistung ausreichend. Das Glykogen liegt nach meiner Meinung im Muskel als Reservestoff; wenn eine ungewöhnliche Kratt- ausgabe erforderlich ist, wird wie ich mir denke dieser Reservestoff heran- gezogen, er wird in Zucker umgeprägt und verrichtet dann in Gemeinschaft mit dem anderen Zucker die zu leistende Arbeit. Dabei kann, wenn momentan ein zu grosser Zuckervorrath vorhanden ist, oder wenn die Blutströmung eine übermässig rasche ist, oder wenn sonst eine kleine Störung der Oekonomie entsteht, etwas von dem neu gebildeten Zucker in’s Blut übergehen, dann ist er in die Circulation untergetaucht und findet wie der übrige Blutzucker seine Verwendung. Doch das ist eine ganz individuelle Anschauung, die ich nur dargelegt habe, um Schenck’s Wissensdrang zu befriedigen. ! Nach Widerlegung der Einwürfe von Schenck will ich nun an die ! Ich möchte auf die wenig verbindliche Form, in welcher Schenck seine Ein- würfe vorbringt, nicht näher eingehen. Die berechtigten werden durch dieselbe nicht eindringlicher und die unberechtigten gewinnen nicht an Beweiskraft. Nur auf eine Bemerkung will ich noch antworten. In einer Anmerkung sagt Schenck, er möchte den Beobachtungen über den Zuckergehalt des Blutes keinen grossen Werth beilegen, weil die Methoden der Zuckerbestimmung im Blute so unsicher sind. In diesem Punkte ist Schenck im Irrthum, ein Irrthum der ihn schon früher zu eigenthüm- lichen Folgerungen veranlasste. Die Methoden der Zuckerbestimmung sind leider nicht vollkommen zu nennen, weil uns der Indicator fehlt um für Jedermann nachzuweisen, dass die Grenze wirklich erreicht sei, es wird immer von der Individualität des Ana- -lytikers bezw. von seiner Empfindlichkeit für Farbennüancen abhängen, ob die Be- stimmung mehr oder weniger genau ist; es können darum, wenn es sich um Zucker- differenzen in zwei verschiedenen Flüssigkeiten handelt, nur die Untersuchungen desselben Analytikers verglichen werden. Diese Mangelhaftigkeit der Zuckerbestim- mungsmethode überhaupt tritt aber bei Bestimmung des Blutzuckers durchaus nicht stärker hervor, vorausgesetzt, dass man mit kleinen Blutportionen arbeitet und dass man im Stande war, die bei der Enteiweissung gebildeten Coagula gründlich auszuwaschen. Archiv f. A.u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 26 402 J. SEEGEN: Analyse der durch die neuen Versuche gewonnenen Thatsachen gehen. Es ergiebt sich aus denselben: 1. Es besteht vollste Uebereinstimmung in dem wichtigsten Resultate meiner früheren Versuche mit dem der jetzigen, dass nämlich der Glykogen- verbrauch mit Rücksicht auf die geleistete Arbeit ein ausserordentlich grosser ist, und dass nur ein sehr mässiger Bruchtheil der in dem verbrauchten Glykogen zugeführten Spannkraft in der mechanischen Arbeitsleistung zum Ausdruck kommt. Dieses Resultat findet sich sowohl in jenen Versuchen, bei welchen die Muskeleontraction durch Reizung des Muskels, wie in jenen, bei welchen dieselbe durch Reizung des Nerven, welcher den Muskel ver- sorgt, veranlasst wird. Nur dreimal in 15 Versuchen entspricht die ge- leistete Arbeit etwas über 10 Procent der in dem verschwundenen Glykogen vorhandenen Spannkraft. In allen anderen Versuchen sind nur 2 bis 6 Pro- cent jener Spannkraft in der geleisteten Arbeit zur Erscheinung gekommen. Es ist ganz gleichgültig, wie die Arbeitsleistung zu Stande kommt. Bei Reizung des Muskels sind die Contractionen viel geringer als bei Nerven- reizung, die Zahl der Reizungen muss für die gleiche Arbeitsleistung eine sehr viel grössere sein und doch hat das auf den Glykogenverbrauch, respective auf die Glykogenverwerthung keinen Einfluss. Die stärksten Muskelcontractionen finden statt, wenn das zu hebende Gewicht vor der Reizung in den Muskel eingehängt wird, und die volle Wirkung der da- durch verursachten ausgiebigen Contractionen wird erst dann erkannt, wenn man die Sehne des Quadriceps nicht durch Praeparation, bei welcher auch Fascien zerstört werden müssen, loslöst, und den Haken, resp. das Gewicht, nicht in die Sehne des Muskels, sondern an den Unterschenkel unterhalb des Knies einhänst.e. Die Hubhöhen werden dann sehr viel grösser und es genügen 20 bis 25 Reizungen für eine Arbeitsleistung, für welche 4 bis 5 mal so viele Reizungen erforderlich waren, wenn das Ge- wicht in die Sehne eingehänst war. Die letzten 5 Versuche, welche die Tabelle 5 verzeichnet, sind in dieser Weise ausgeführt. Es kamen in diesen Versuchen auch die grössten Arbeitsleistungen mit verhältnissmässig wenig teizungen zu Stande und doch wird das überreich verbrauchte Glykogen nur in sehr geringem Maasse nach seinem Kraftwerthe ausgenützt. 2. Ein sehr merkwürdiges Ergebniss der neuen Versuche besteht darin, dass die blosse Nervendurchschneidung ohne tetanische Rei- zung auch schon einen beträchtlichen Glykogenschwund veran- lasst. Als ich die zwei ersten Versuche mit Nervenreizung (I und I Tabelle B) ausführte, habe ich beide Nerven durchschnitten, durch den Gedanken geleitet, auf beiden Seiten die gleichen Operationsbedingungen herbeizuführen. Es war mir auffallend, dass der Glykogengehalt des nicht gereizten Muskels auch bei Thieren, welche mit Zucker gefüttert waren, ein MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 405 verhältnissmässig geringer war, aber ich konnte, da es mir an einem Ver- gleichsobjecte fehlte, noch nieht mit Bestimmtheit sagen, ob wirklich ein Glykogenschwund auch in diesem nicht gereizten Muskel stattgefunden habe, und wie gross derselbe ungefähr sei. Ich habe darum in den späteren Versuchen noch einen dritten Muskel untersucht, der von einem anderen nieht durchschnittenen Nerven innervirt wird. Ich untersuchte zu diesem Zwecke die beiden M. glutei major und minor gemeinschaftlich auf ihren Glykogengehalt. Alle diese Versuche lehrten, dass der Glykogengehalt jenes Muskels, dessen Nerven durchschnitten war, ohne gereizt zu werden, beträchtlich geringer ist, als der Glykogengehalt des Muskels mit intacten Nerven. Durch mehrfache Untersuchungen habe ich ermittelt, dass der Glykogen- gehalt der M. glutei im Allgemeinen geringer ist, als der Glykogengehalt des M. quadriceps. Zu diesem Resultate gelangte ich z. B. in den Ver- suchen VII und VIII, Tabelle 4, bei welchen die Nerven aller unter- suchten Muskel unverletzt waren. Zu denselben Resultaten gelangte ich auch bei mehreren zu anderen Zwecken angestellten Versuchen. In den früher erwähnten 5 Versuchen mit Durchschneidung des Nerv. crur. ohne Reizung zeigt sich nur im Versuche X ein geringes Glykogenminus im Vergleiche zu dem Glykogengehalt des Gluteus; während in den vier anderen Versuchen diese Differenz eine sehr beträchtliche ist und in einzelnen Ver- suchen, wie in IX und XII, beträgt diese Differenz 50 Procent und darüber. Die Thatsache dieses Glykogenverlustes durch die blosse Nervendurch- schneidung ist in hohem Grade interessant; leider bin ich nicht im Stande, eine Erklärung für dieselbe zu geben. Es wäre an die Beobachtung von W. Gaskell! zu denken, dass bei Durchschneidung eines. Nerven die Cireulation in Folge von vasomotorischen Einflüssen in dem von dem Nerven versorgten Muskel wesentlich gesteigert ist. Doch ist diese Steigerung des Blutstromes, wie Gaskell angiebt, nur sehr kurz, zuweilen kaum mehr als 60 bis 70 Sec. dauernd und es wäre durch dieselbe, wenn überhaupt, ein so weit gehender Stoffverbrauch nicht gut zu erklären. Wenn man diese merk- würdige Wirkung der Durchschneidung weder auf die im Stamme des N. cru- ralis verlaufenden motorischen Nerven noch auf vasomotorische Nerven be- ziehen kann, wird man dazu gedrängt, an trophische Nerven zu denken, deren Vorhandensein für den Glykogenbestand wichtig wäre. Wir stossen hier auf eine Frage, die von weittragender Bedeutung zu sein scheint und weiterer eingehender Untersuchungen bedarf. Zunächst ist die Thatsache von Interesse, dass ein grosser Glykogenverbrauch statt- ı W. Gaskell, Ueber die Aenderungen des Blutstromes u. s. w. Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1877. 11. Jahrg. 26* 404 J. SEEGEN: findet, ohne dass Contractionen ausgelöst wurden, also ohne dass Arbeit geleistet wurde. 3. Der Glykogenschwund in Folge von Durchschneidung des Nerven kann aber nicht zur Erklärung herbeigezogen werden für jene Versuche, bei welchen der Muskel gereizt wurde und die Nerven vollständig intact blieben. Wir sehen auch in diesen Versuchen, dass nur ein geringes Procent jener Spannkraft, welche in dem verbrauchten Glykogen enthalten war, in der Muskelleistung zum Ausdruck kam. In 7 Versuchen beträgt das Verhältniss der geleisteten Arbeit zum Arbeitswerth des verschwundenen Glykogens unter 5 Procent. Will man nicht an eine Luxus-Consumption des Glykogens denken, muss man an- nehmen, dass auch hier ein Theil des Glykogens in anderer Weise ver- werthet wurde, als für die mechanische Arbeitsleistung. 4. Um der Antwort auf diese Frage über die Art der Verwerthung des Glykogens etwas näher zu kommen, machte ich eine Reihe von Ver- suchen an curarisirten Thieren und ich will hier nur jene anführen, die sich auf tetanische Reizung eines Musculus quadriceps bei unverletztem Nerv beziehen. Ich habe 4 solche Versuche ausgeführt und in allen 4 Ver- suchen hatte das Glykogen in dem gereizten Quadriceps abgenommen. In zwei Versuchen (II und III, Tabelle C) war die Abnahme nur eine mässige, während sie in den zwei anderen Versuchen, insbesondere im Versuche I, eine sehr beträchtliche war. Es hatten in allen vier Versuchen, da sie mit In- ductionsströmen ausgeführt waren, so minimale Contractionen stattgefunden, dass dieselben nur durch leise Schwingungen der eingesteckten Nadel be- merkbar waren. Die Arbeitsleistung des Muskels, welche den Glykogen- verbrauch veranlasst hatte, war, ich möchte sagen eine innere, die nicht in mechanischen Effeeten sich äusserte. 5. Eine interessante, wenn auch nicht hierher gehörige Beobachtung, war die, dass im Herzen der Glykogengehalt ein ganz geringer war. In einem von den vier mitgetheilten Versuchen war das Glykogen im Herzen nur in Spuren vorhanden und dasselbe Ergebniss fand ich auch in anderen Ver- suchen an curarisirten Thieren, die ich, weil sie andere Fragen zum Ge- genstande hatten, hier nicht mittheile. Controlversuche an normalen Thieren ergaben zwar auch in Uebereinstimmung mit A. Cramer,! dass der Gly- kogengehalt im Herzen geringer war, als in den anderen untersuchten Muskeln, aber niemals beobachtete ich so geringe Glykogenmengen wie ich dies im Herzen curarisirter Thiere zu sehen Gelegenheit hatte. 6. Die sub 4 mitgetheilte Beobachtung, dass im tetanisirten Muskel des curarisirten Thieres eine beträchtliche Glykogenabnahme stattgefunden ı A. Cramer, Beiträge zur Kenntniss des Glykogens. Zeitschrift für Biologie. Bd. XXIV. MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 405 hat, giebt vielleicht den Fingerzeig dafür, wie man den grossen der Arbeits- leistung nicht entsprechenden Glykogenschwund im tetanisirten Muskel zu deuten hätte. Es tritt der Gedanke nahe, dass auch dieser Glykogenver- brauch auf eine gleichsam innere Muskelarbeit, die nicht in mechanischen Wirkungen zum Ausdruck kommt, zu beziehen sei. 7. Die Resultate der in dieser Arbeit mitgetheilten Versuche stimmen insofern mit den früheren vollständig überein, dass bei der Muskelcontraction ein arges Missverhältniss zwischen mechanischer Arbeitsleistung und Glykogen- verbrauch besteht und dass nur ein geringer Procentsatz der Spannkräfte, welche in dem verbrauchten Glykogen enthalten waren, zur Verwerthung kommt. Während ich auf Grundlage der früheren Versuche zu der Ver- muthung gelangte, dass das im Uebermaass verbrauchte Glykogen oder bezw. dessen chemische Energie in Wärme umgesetzt wurde, haben die neuen Versuche über den Glykogenverbrauch einige bestimmtere An- haltspunkte gegeben. Sie lehrten, dass einerseits die Nerven- durchschneidung, andererseits eine gewisse latente innere Muskelarbeit, die sich nichtin Contractionen äussert, Glykogen- verbrauch veranlassen kann. 8. Ich hatte auf Grundlage der im Vorjahre mitgetheilten Versuche ausgesprochen, dass das Glykogen nicht als Arbeitsmaterial für die normalen Leistungen des Körpers dienen könne. Diese Folgerung stützte sieh auf den enormen Glykogenverbrauch bei geringer Arbeitsleistung. Jene Ver- suche waren ausnahmslos mit tetanischer Reizung der Nerven ausgeführt, und seitdem ich ermittelt habe, dass die blosse Durchschneidung der Nerven einen Glykogenverlust bewirkt, ist die Folgerung, die ich an jene Versuche knüpfte, hinfällig geworden. Anders ist es mit den Versuchen, welehe mit Muskelreizung bei intacten Nerven ausgeführt wurden (Tabelle 4). Bei all diesen Versuchen ist gleichfalls ein sehr grosser Glykogenverbrauch bei sehr mässiger Arbeitsleistung nachzuweisen und wenn das Resultat dieser Versuche, selbst jener, bei welchen das Glykogen anscheinend am besten ausgenützt wurde, als Ausgangspunkt genommen wird, muss es sich her- ausstellen, dass das Muskelglykogen auch nicht für einen beträchtlichen Bruchtheil der Körperarbeit aufzukommen vermag. Die Versuche bei Reizung der Muskel beweisen unzweifelhaft, dass bei denselben das Glykogen für andere Zwecke verwerthet wird und die That- sache, dass auch Muskelbewegung bei curarisirten Thieren mit einem Glykogenschwund einhergehen weisen darauf hin, dass das Glykogen für andere bei der Contraction der Muskel im Muskel vor sich gehende Pro- cesse verwendet wird. Es lässt sich immerhin einwenden, dass solche Processe nur im tetanisirten Muskel stattfinden und Schlüsse auf normale Muskelcontractionen nicht voll berechtigt sind. Gegen diesen Einwurf lässt 406 J. SEEGEN: sich Nichts sagen, ich bin nicht im Stande, ihn durch einen Beweis zu widerlegen, aber eben so wenig wären jene, welche diesen Einwurf erheben wollten, im Stande eine auf Versuche gegründete Stütze für dessen Berech- tigung zu erbringen. Im Anhange zu seinen kritischen Bemerkungen wendet sich Schenck dagegen, dass ich Pflüger’s Theorie bei Seite thue. „So lange Seegen die Theorie Pflüger’s nicht durch eine bessere zu ersetzen vermag, ist er nicht berechtigt, sie bei Seite zu thun, er selbst giebt keine Vorstellung von der Art, wie sein Blutzucker im Muskel zerlegt wird.... Wenn Seegen gegen Pflüger vorbringt, dass die mechanische Arbeitsleistung des Muskels durch Oxydation von Kohlehydraten zu Stande kommen kann, so übersieht er dabei ganz, dass dies mit der Pflüger’schen Theorie nicht im Widerspruch steht, dass vielmehr die Pflüger’sche Theorie die Erklärung dieses Vorganges giebt, die Seegen selbst zu geben sich nicht bemüht.“ Schenck hat vollkommen recht, ich habe nie eine Er- klärung erbracht über die Art und Weise wie bei der Muskelaction die chemische Spannkraft sich in lebendige Kraft umsetzt, ich habe aber auch diese Erklärung nie angestrebt. Es war durch die Arbeiten von Smith, von Voit und insbesondere durch den Versuch von Fick und Wislicenus festgestellt worden, dass nur die Kohlehydrate die Kraftquelle für die Arbeitsleistung des Körpers sein können. Ich habe, ohne dieser Frage näher zu treten, meine Arbeiten über Zuckerbildung im Thierkörper aus- geführt. Ich hatte durch eine ganze Reihe von Versuchen Bernard’s Entdeckung, dass die Leber Zucker bilde, so gekräftigt, dass diese Function der Leber, die in Folge der Arbeiten von Pavy und Ritter von fast allen deutschen Physiologen geleugnet war, heute unerschütterlich feststeht. Ich habe aber auch den grossen Umfang dieser Function, der selbst von Bernard nicht geahnt war, kenuen gelehrt und ich gelangte durch an- nähernde Feststellung der Grösse der Zuckerbildung dahin, zu ermitteln, dass, mindestens bei ausschliesslich Fleischkost, ein Thier nahezu den ge- sammten Kohlenstoff des für den Beharrungszustand nöthigen Fleischfutters für die Bildung von Zucker verwendet. Daraus ergab sich mit zwingender Nothwendigkeit, dass in dem gebildeten Blutzucker dem Thiere die Spann- kräfte für seine Arbeitsleistung zugeführt werden. Es war das keine „Blut- zuckerhypothese“, wie Schenck sich ausdrückt, sondern das sich von selbst ergebende Corolar der ermittelten Thatsachen. Wie der Muskel diese Spannkräfte verwerthet, ob „die Molecüle, die direct als Quelle der Muskel- kraft dienen“, organisirt sein müssen und wie diese Organisation zu Stande MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 407 kommt, darüber habe ich kein Urtheil, und es ist das ausschliessliche Ver- dienst Pflüger’s, für die Art der Verwerthung der dem Muskel zuge- führten Spannkräfte eine geistreiche Hypothese erdacht zu haben. In seiner Arbeit „die Quelle der Muskelkraft“! eing Pflüger ebenfalls von durch viele Monate fortgesetzten Fütterungsversuchen mit magerem Fleisch aus, er erörterte den Arbeitswerth des im Fleische zugeführten Stickstoffs, und gelangte zu dem Resultate, dass für die grosse Ar- beitsleistung, welche das Thier ausgeführt hatte, 42.9 Procent, des im Stickstoff vorhandenen Kraftvorrathes in mechanische Arbeit umgesetzt worden! Für das „Wie“ der Verwerthung von Fett und Kohlehydraten hat Pflüger in jener Arbeit mehrere „Möglichkeiten“ auf- gestellt, und erst später trat die interessante Hypothese über die Art der Verwerthung der zugeführten Spannkraft in klareren Umrissen hervor, und wurde diese in den Vordergrund gestellt. Vor längerer Zeit schrieb mir ein befreundeter Physiolog: „Ich habe nie begriffen, warum die These: Kraft- quelle der Muskelarbeit ist der Zucker, und die Vorstellung Pflüger’s sich ausschliessen sollen. Es sind Aussagen über ganz verschiedene Fragen. Ihre These sagt gar nichts aus über den Vorgang, durch welchen der Zucker ver- brannt und seine Spannkraft zu kinetischer Energie wird. Die Vorstellung Pflüger’s betrifft nur diesen Vorgang. Wenn Pflüger Recht hat und wirk- lich, um es grob) zu formuliren, eine chemische Verbindung von Eiweiss und Zucker bei der Contraction immer verbrannt wird, um sich alsbald wieder zu restituiren, so steht das mit ihrem Satze in gar keinem Wider- spruche, denn es betrifft nicht die Quelle der Energie, das Material, son- dern nur den Modus der Verbrennung des Materials... .“ Ich freue mich, dass Schenck, der ehemalige Assistent Pflüger’s, diese Anschauung fast mit denselben (von mir durch gesperrten Satz hervorgehobenen) Worten ausspricht. ! Pflüger’s Archiv. Bd. L. Die Wirkung der Kohlensäure auf die Athmung. Von Dr. A. Benedicenti, Assistent am physiologischen Institut zu Erlangen. (Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen.) (Hierzu Taf. XI u. XII,) T. Es ist seit langer Zeit bekannt, dass ein Uebermaass von Kohlensäure und eine ungenügende Menge von Sauerstoff in der eingeathmeten Luft die Athembewegungen in hohem Grade zu modificiren im Stande ist. Zweifel- haft ist aber bis heute geblieben, welchen Antheil an diesen Veränderungen man jedem dieser beiden Gase zuzuschreiben habe. Schon im vorigen Jahrhundert hat der Graf von Morozzo! Versuche über die Wirkung der Kohlensäure gemacht und ebenso sind die Versuche bekannt, welche Seguin? an sich selbst, sowie jene, welche Humboldt und Provengal? an Fischen angestellt haben. Claude Bernard! war der erste, welcher beobachtet hat, dass Thiere eine grosse Menge CO, und einen sehr bedeutenden Mangel an Sauerstoff ertragen können. Seitdem aber bekannt wurde, dass das Blut in seinem normalen Zu- stande eine gewisse Menge CO, enthält, hat sich den Forschungen über CO-,Wirkung ein viel weiteres Feld eröffnet. Man nahm an, dass die CO, der natürliche Erreger des peripherischen Nervensystems und des Athmungs- ! Graf von Morozzo. Citirt in Enceyelop. method. de Chimie. 1786. T.I. p. 98. ” Seguin, M&moire sur la salubrite de l’air atmospherique. Ann. de Chimie. 1814. ° Humboldt und Provengal, Schweigger’s Archiv f. Physik. 1811. Bd. I. * Claude Bernard, Lecons sur les effets des subst. toxiques et med. Paris 1857. A. BENEDICENTI: Die WIRKUNG D. KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 409 centrums sei, und man schrieb der Kohlensäure die Krämpfe und Convul- sionen zu, welche die Erscheinungen der Erstickung zu begleiten pflegen. Lothar Meyer! gab bekannt, dass, wenn ein Thier in reinem Sauer- stoff athmet, sich trotzdem keine Vermehrung des Sauerstoffs im Blute er- giebt, und dass, wenn das Thier länger leben soll, die ganze ausgeathmete CO, entfernt werden müsse. Davy? glaubte, dass nur der Sauerstoff allein die Tiefe und die Zahl der Athembewegungen zu vermehren im Stande ist, aber nur indirect, indem er den Stoffwechsel vermehrt und dieser wieder die CO,-Production in den Geweben erhöht. Später hat W. Müller? in seinen Versuchen an Kaninchen gefunden, dass bei CO,-Verhältnissen zwischen 26 und 68 Procent der Tod eintritt, obwohl dieser ziemlich starke OO,-Gehalt die nöthige O-Aufnahme nicht hindert. Er deutet zugleich an, dass die CO, in grösserer Menge narkotisch wirkt. Noch schärfer als W. Müller hob den Unterschied zwischen O-Mangel und CO,-Ueberfluss in ihren physiologischen Wirkungen I. Rosenthal hervor. Er hat der Lehre widersprochen, nach welcher die CO, der Erreger des Athmungscentrums sein soll, und hat erwiesen, dass die Veränderungen der Athembewegungen in der Dyspno& dem Sauerstoffmangel zugeschrieben werden müssen. Er hat ferner die Aufmerksamkeit auf die Apnoö gelenkt, welche nach wiederholten starken Einathmungen eintritt und erklärt dieselbe durch die Annahme, dass in Folge dieser tiefen Einathmungen das Blut mehr Sauer- stoff aufgenommen hat. In seinem Buche über die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus sagt er, dass die 00, frei- lich allgemein in dem Rufe stehe, ein Reiz zu sein, doch sei noch kein einziges Factum bekannt, das diesen Ruf rechtfertige. Später hat er diese Frage noch weiter erörtert.* Valentin schliesst sich der Meinung Rosenthal’s an; andere Physio- logen hingegen sind bei der Annahme geblieben, dass die CO, die Ursache der Dyspnoö bei der Erstickung sei. In gleicher Weise haben sich Mar- shall-Hall, Volkmann, Miescher und Traube? ausgesprochen. ! Lothar Meyer. Citirt von Rosenthal im Buch: Die Athembewegungen. 8.4. 2 Davy, Ebenda. ‘3 W. Müller, Beiträge zur Theorie der Respiration. Ann. der Chemie und Phar- macie. 1858. Bd. CVII. * I. Rosenthal, Dies Archiv. 1864 u. 1865, und auch im Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften.. Bd. II u. III. — Siehe auch das Buch: Die Athembewegungen u. s. w. Berlin 1862. 5 Traube, Gesammte Beiträge. 1871. Bd.I. S. 282—332 und auch Allgemeine medic. Zeitung. 1863. Nr. 97—98. 410 A. BENEDICENTI: Dagegen haben Dohmen,! Thiry? und Pflüger? behauptet, dass sowohl der CO,-Ueberfluss als auch der Sauerstoffmangel Dyspnoö hervor- rufen können. Pflüger liess die Thiere Mischungen von Kohlensäure und Sauerstoff einathmen und kam dabei zu dem Resultate, dass die Dyspno& ganz ent- schieden durch die Kohlensäure und nicht durch Sauerstoffmangel bedingt sei. Der Sauerstoffmangel erzeugt auch Dyspno&, aber die Kohlensäure sei die Hauptsache. Die Anhäufung grosser Kohlensäuremengen im Blute wird ausser- ordentlich viel länger ertragen als der Sauerstoffmangel, aber man müsste den normalen CO,-Gehalt des Blutes als normalen Medulla-oblongata- Erreger betrachten. Auch Lossen* und Richardson’ studirten die physiologische Wir- kung der CO,. Letzterer liess Kaninchen aus einem Fasse einathmen, welches bald mit reiner CO,, bald mit einer Mischung von CO, und gewöhnlicher Luft zu gleichen Theilen gefüllt war. Im ersten Falle starb das Thier sehr rasch unter Krämpfen und Zuekungen, im anderen Falle verfiel das Thier in narkotischen Zustand und starb ruhig einige Zeit darauf. Ueber die lähmende Wirkung der CO, auf das Gehirn, das Rücken- mark und die peripherischen Nerven haben auch Ranke® und Demarquay” gesprochen. Dieser sagt auch, dass eine ziemlich grosse Menge CO, ver- tragen werden kann, wenn sie mit viel Sauerstoff gemischt ist, und er hat sie in dieser Form, wie später auch Le Play,° als Anaesteticum in Vor- schlag gebracht. Interessant sind die Versuche, welche Speck’? an sich selbst gemacht hat. Er hat beobachtet, dass das Athmen von Luft mit geringeren CO,-Pro- centen noch bis 5 und 6 Procent minutenlang ohne besondere Belästigung fortgesetzt werden kann. Bei 11-51 Procent ist schon der erste Athemzug unangenehm, bald trat benommener Kopf, Schweiss, undeutliches Sehen u.s. w.ein. Vermehrung des CO,-Gehaltes (schon bei 7 Procent) vermehrt die Zahl und die Tiefe der Athemzüge. ! Dohmen, Untersuchungen aus dem physiol. Laboratorium zu Bonn. 1864. ? Thiry, Recueil des travaux de la Societe allemande de Paris. 1864. 3 Pflüger’s Archiv. 1868. Bd. I. S. 96. * Lossen, Zeitschrift für Biologie. 1866. Hft. 2. S. 244. 5 Richardson, British u. for. med. cher, Rewiew. 1863. p. 478. 503. 6 Ranke, Dies Archiv. 1864. 8. 320—348. ’ Demarquay, Compt. rend. Acad. des Sciences. T. LXI. p. 166—68. ® Le Play, Acad. des Seiene. — Siehe in Gazette medicale. 1866. Nr. 3. ? Speck, Pflüger’s Archiw. Bd. XIX. S. 171, Die WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 411 Weitere Versuche verdanken wir Raoult.! Er hat Kaninchen mittelst Mundstück durch Müller’sche Ventile aus einem Gasometer athmen lassen, worin bei normalem Sauerstoffverhältniss mehr oder weniger CO, enthalten war. Die eine halbe Stunde währenden Versuche haben ergeben, dass grosse Quantitäten von CO, den Thieren schädlich sind. Da er gefunden hatte, dass die CO,-Ausscheidung und die O-Aufnahme vermindert waren, so schloss er, dass die Oxydationsprocesse langsamer geworden sein mussten. Dasselbe berichtet auch P. Bert? in seinem Buche „La pression baro- metrique.“ Er fand, dass Sperlinge bei 26 Procent und Mäuse bei 30 Pro- cent CO,-Gehalt sterben. Er erinnert auch an die Beobachtung Leblanc’s,? dass in den Pyrit- bergwerken, wo viel O durch den Pyrit absorbirt wird, während die CO, normal bleibt, die Bergleute noch bei 15 Procent Sauerstoff! ohne gestörte Athmung arbeiten können. Aber unter einem verminderten Luftdruck von 260°" beträgt der Sauerstoffgehalt nur noch 7-2 Procent und der Mensch stirbt, wie es bei Öroce-Spinelli und Sivel der Fall war. P, Bert sagt, dass in Folge eines grösseren CO,-Gehaltes die Athmung langsamer und schwächer wird, und fügt hinzu, dass die CO,-Narkose einige Aehnlichkeit mit dem Winterschlaf hat. Auch er empfiehlt die CO, zu praktischer Ver- wendung. Gleichzeitig hat Nasse* eine Arbeit veröffentlicht, in welcher er an- nimmt, dass Sauerstoffmangel kein Reiz für die Nervencentren sei. Die bei Anaemie der Nervencentren beobachteten Erscheinungen sind nach Nasse auf Reizung durch nicht mehr fortgeschaffte Stoffwechselproducte, insbesondere durch die CO,, zurückzuführen. Aber es. fragt sich noch, wie die That- sache des Aufhebens der Dyspno&ö bei O-Mangel des Blutes ohne gleich- zeitige CO,-Anhäufung zu erklären ist. Rosenthal hat demonstrirt, dass bei geringerem O-Gehalt die Reflexerregbarkeit erhöht ist. Es ist also möglich, dass dieselbe CO,-Menge, die bei normalem O-Gehalt des Blutes einen nur ganz schwachen Reiz ausübt, bei vermindertem O-Gehalt die Er- scheinungen der Dyspno& hervorzurufen im Stande ist. Friedländer und Herter® haben gefunden, dass man bei kleinen CO,-Dosen niemals etwas anderes als die mehrfach erwähnten Reizungs- erscheinungen constatiren kann. Die CO, übe bis 20 Procent, während " Raoult, Compt. rendus de l’ Acad. des Sciences. T. LXXXI. Nr. 19. ” Paul Bert, Ta pression barometrique. Paris 1878. — Siehe auch Zegons sur la physiol. comparee de la respiration. 1870. ® Felix Leblanc, Annales de Chimie et de Physique. T. XV. p. 744. * Otto Nasse, Pflüger’s Archiv. Bd. XV. 1877. S. 479. ° Friedländer und Herter, Sauerstoffmangel. Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. Ill. S. 19. — Kohlensäurewirkung. Ebenda. 1879. Bd. II. S. 98, 412 A. BENEDICENTT: einer Stunde eingeathmet, keine eigentlich giftigen Wirkungen aus, sondern bewirke lediglich eine Erregung der Athmung und eine Steigerung der Arbeit des Herzens. Lasse man die Thiere dagegen Gasgemische mit etwas höherem CO,-Gehalt (etwa 30 Procent) einathmen, so gesellen sich zu diesen Reizungserscheinungen nach kurzer Zeit Depressionszustände; die Athmung wurde langsamer und schwächer, indem die Athempausen sich verlängern und die Ausgiebigkeit der einzelnen Athemzüge abnehme; die willkürlichen und Reflexbewegungen wurden schwächer und hörten später ganz auf, die Thiere sinken um. Die Temperatur geht schnell herunter bis auf sehr niedrige Grade. Die Thiere gehen in diesem Zustande allmählich, etwa im Laufe mehrerer Stunden, zu Grunde. Bei maximalen CO,-Dosen ist die Dauer der Reizerscheinungen auf wenige Minuten beschränkt, die Depressions- erscheinungen treten sehr früh ein; die willkürlichen und Reflexbewegungen hören sogar schon innerhalb einer Minute vollständig auf und der Tod des Thieres tritt unter zunehmender Lähmung der Athmung oft schon inner- halb einer halben Stunde ein. Auf diese Arbeiten folgten noch zahlreiche andere, welche ähnliche Fragen behandeln; nämlich wie sich die O-Aufnahme verhält, wenn die Luft viel Sauerstoff und wenig Kohlensäure enthält; wie die 0O,-Ausschei- dung vor sich gehe, wenn die eingeathmete Luft reich an CO, ist; welchen Einfluss der Druck auf diesen Gaswechsel ausübt. Holmgren hat erwiesen, dass der Sauerstoff die CO,-Ausscheidung in den Lungen stark zu beeinflussen vermag. Bohr und Torup behaupten, dass zwischen Haemoglobin und CO, eine merkbare Affinität vorhanden sei. Aehnliche Fragen sind später auch von Hoppe Seyler! Voit,? Speck,° Kempner,* Gaule,? Werigo® beantwortet worden. Aber ich will auf diese Fragen in der folgenden Arbeit nicht eingehen, da sie den von mir zu behandelnden Gegenstand nicht näher berühren. Dagegen muss ich etwas genauer von solchen Untersuchungen sprechen, welche unmittelbar von den Beziehungen der CO, zu den Athembewegungen handeln. I. Roseuthal” hat mit Hülfe seines Quecksilber-Spirometers Versuche über die Sauerstoff und CO,-Dyspnoö gemacht. ! Hoppe-Seyler, Zeitschrift für Biologie. 1879. 2 Voit, Ebenda. Bd. XIV. S. 59. 3 Speck, Pflüger’s Archiv. Bd. XIX. 8.171, und Centralblatt für die med. Wissenschaften. 1876. * Kempner, Dies Archiv. 1882. 8. 396. ’> Gaule, Zbenda. 1878. 8. 46. 6 Werigo, Pflüger’s Archw. Bd. LI. 8. 321. ’]. Rosenthal, Dies Archiv. 1864 und Supplmtbd. 1886. Siehe auch Her- mann’s Handbuch der Physiologie. 1880. Bd. IV, II. Th. 8. 265. Die WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 413 Das Spirometer war mit reinem Sauerstoff gefüllt. Das Thier athmete vorher reinen Sauerstoff und nachdem auch die Lungen mit Sauerstofl ge- füllt waren, begann die Athmung durch das Spirometer. Dieses war so construirt, dass aus demselben eingeathmet und in dasselbe ausgeathmet werden konnte, oder dass die ausgeathmete Luft auf anderem Wege ent- fernt wurde. Im ersten Falle kann man die Wirkung der CO,, welche sich allmählich in dem Spirometer ansammelt, beobachten. Ob zugleich Ö-Mangel eintritt, oder nicht, hängt von der Menge des im Spirometer zu Anfang des Versuches vorhandenen O und von dessen Druck ab. Ist die O-Menge gering, so tritt nach einiger Zeit Dyspno& ein, welche sich jedoch vermindert, sobald der Druck im Spirometer durch Auflegen von Gewichten vermehrt wird. Da dieser höhere Druck ebenso die CO,-Aufnahme wie die Sauerstofl-Aufnahme begünstigt, so kann die Dyspno& nicht von dem CO, Ueberschuss herrühren. Aus den Versuchen von Bernstein! geht auch hervor, dass starke CO,-Dosen keine Krämpfe oder Zuckungen erzeugen. Er hat die Athmung mit einer Oesophaguscanüle, deren sich bereits Ceradini und Rosenthal bedient haben, aufgeschrieben. Zuweilen hat Bernstein das Thier in einen Glascylinder gebracht, während es durch eine die Wand durchbohrende Röhre von aussen zugeführte Luft athmete. Die durch die Athmung er- zeugten Druckveränderungen im Cylinder wurden durch eine Marey’sche Trommel aufgezeichnet. Die Thiere athmeten Luft mit 17 bis 18 Procent CO,-Gehalt, entweder mit O oder mit H gemischt. Er fand, dass das O-arme Blut hauptsächlich als Reiz auf das In- spirationscentrum, das CO,-reiche Blut als Reiz auf das Exspirationscentrum einwirkt. Die CO,-Athmung führte eine Verstärkung der Exspiration herbei, welche zum Theil in einer Erhöhung des Exspirationsmaximums, zum Theil in einer tetanischen Verlängerung derselben bestand. Klug? studirte die CO,-Wirkung auf das Herz, das Blut, den Blut- druck und den Puls. Er experimentirte mit Luft von 10 nis 20 Procent CO,-Gehalt. Loewy° lenkte die Aufmerksamkeit auf die Thatsache, dass CO, die Athemgrösse vermehrt. Bei 5 bis 6 Procent CO,-Gehalt der Luft hat man keine bedeutenden Erscheinungen; bei 6 Procent beginnt die Dyspno@ und wird bei 8 Procent sehr erheblich. Bei seinen Versuchen an sich selbst hat er gefunden, dass über eine gewisse Grenze hinaus die Athmungsgrösse constant bleibt. ! Bernstein, Dies Archiv. 1882. 2 Klug, Dies Archiv. 1887. ® Loewy, Pflüger’s Archiv. 1890. 414 A. BENEDICENTI: I. Auf Anregung des Hrn. Prof. Rosenthal habe ich von Neuem Ver- suche an Kaninchen und Hunden gemacht, und zwar zunächst nur in der Art, dass die Thiere Gemenge von 20 bis 25 Procent OÖ und wechselndem CO,-Gehalt athmeten. Die Zuleitung der Gasgemenge geschah durch ein geeignetes Mundstück, eine Art von luftdicht über der Schnauze aufgesetztem Maulkorb. Es muss genau darauf geachtet werden, dass sich das Mund- stück möglichst vollkommen der Schnauze des Thieres anpasst, weil sonst ein Theil der ausgeathmeten Luft in dem Raum zwischen der Schnauze und dem Mundstück zurückbleibt und das Thier ein O-ärmeres und CO,- reicheres Lnftgemenge athımet, als beabsichtigt ist. Ja, es kann sogar vor- kommen, dass in solchem Falle der Tod unter Erscheinungen von O-Mangel eintritt. Später werde ich hierauf noch mehr eingehen. In meinen Versuchen athmete das Thier aus einem Gasometer (von 40 Liter) oder aus einem grossen Fass (von 200 Liter). Eine Schwierig- keit ergab sich aus dem Umstande, dass die im Gasometer enthaltene Flüssigkeit kein Wasser sein durfte, in dem dasselbe wechselnde Mengen von CO, absorbirt. Die Analysen, die ich gemacht habe, haben ergeben, dass die Luft mit 50 Procent. CO,-Gehalt, innerhalb 48 Stunden, 20 Procent oder mehr CO, verliert, wenn sie mit viel Wasser in Berührung kommt. Friedländer und Herter haben statt Wasser Kochsalzlösung als Sperrflüssigkeit benutzt; ich habe Oel vorgezogen, welches in einer Schicht von 3m Dicke auf das Wasser gegossen wurde. Ich habe durch genaue Analysen festgestellt, dass der CO,-Gehalt der Luft anf diese Weise lange Zeit constant bleibt. Die Zusammensetzung der von mir verwendeten Luft war immer in Bezug auf Sauerstoff normal; während die CO, zwischen 10 und 65 Procent schwankte. In einzelnen Versuchen habe ich auch den O-Gehalt etwas höher als in der atmosphaerischen Luft genommen. Um diese Mischungen zu erzielen, habe ich den Sauerstoff, die CO, und die atmo- sphaerische Luft nach dem aus dem Fasse abfliessenden Wasser gemessen. Mit folgender Mischung kann man z. B. ganz leicht eine Luft herstellen, welche einen normalen Sauerstofigehalt und 50 Procent CO, enthält: Liter Sauerstoff«/ are Wa. .„.daldsılal dar dss0 Atmosphaerische Luft . ... ...20.2....86:70 Kohlensäure Bea un ee 100 .-—. Das Thier athmete durch zwei Ventile. Das Inspirations- Ventil war ein Gummiklappen-Ventil (nach Prof. vosenthal) welches keinen merklichen Widerstand leistet. DIE WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 415 Das Expirations-Ventil war ein Müller-Ventil, in welchem auf das Quecksilber eine Schicht Wasser gegossen war. Gewöhnlich ging die Luft durch das Wasser; nur bei starker Inspiration konnte das Quecksilber ein zu starkes Aufsteigen des Wassers in der Röhre verhindern. Es war ferner von Wichtigkeit, dass das Thier die Luft aus dem Fasse unter normalen oder etwas höherem Drucke einathmete. Deswegen habe ich das Expirations-Ventil und das Fass mittels eines T-Rohres in Ver- bindung mit einem Manometer gesetzt. In dem Manometer waren auch die Schwankungen der Athmung deutlich sichtbar. Durch Zuleitung von Wasser in das Fass konnte ich den Druck nach Belieben modifieiren. Auf diese Weise konnte unter riehtigem Drucke die Athmung des Thieres lange ruhig erhalten werden. Die zahlreichen Athmungscurven habe ich nach zwei Methoden geschrieben, nämlich mit einer Marey’schen Trommel, welche am Thorax des Thieres befestigt war oder mit einer Oesophagus- canüle nach Ceradini-Rosenthal. Während meiner Versuche musste ich Luftanalysen vornehmen und habe mich dabei eines Apparates von Hempel bedient, in einer von Prof. Rosenthal in praktischer Hinsicht verbesserten Form. Il. Will man die CO,-Wirkung ganz rein beobachten, so ist es nöthig, dass der Sauerstoff in genügender Menge vorhanden sei, da sonst der Sauer- stoffmangel die Erscheinungen der CO,-Wirkung mehr oder weniger zu complieiren im Stande ist. Die meisten Experimentatoren haben bei ihren Versuchen fast immer zu wenig Sauerstoff gebraucht. Friedländer und Herter sind der Meinung, dass bei einer Luft- mischung von 26 Procent CO, und 14 Procent Sauerstoff die Erscheinungen immer noch diejenigen des Sauerstoffmangels sind. Später, bei den Ver- suchen, welche sie mit langsam zunehmendem CO,-Gehalt gemacht haben, beobachteten sie anfänglich eine Reizung und dann eine Verlangsamung und grössere Schwäche der Athmung. Schliesslich trat Narkose und Tod ein und zwar ohne Krämpfe und Zuckungen. Bei meinen Versuchen, welche ich mit dem Rosenthal’schen Spiro- meter gemacht habe, stellten sich einige Abweichungen von den soeben erwähnten Resultaten Friedländer’s und Herter’s heraus. Die Periode der Athmungsreizung konnte ich nämlich nicht deutlich wahrnehmen. Ich constatirte zwar ein Langsamwerden, nicht aber eine so grosse Abschwächung der Athmung, wie Friedländer und andere Beobachter gesagt haben. Die Athmung bleibt lange Zeit hindurch regelmässig; wird aber langsamer und das Thier stirbt ohne Krämpfe, wenn der Versuch lange dauert (Fig. 1). 416 A. BENEDICENTI: Auch in diesen Fällen, in denen die CO, langsam zunimmt, ist zu- weilen eine Veränderung in der Athmungscurve zu sehen, bei welcher die Respiration langsamer wird und die Exspiration tetanische Verlängerung zeigt, wie sie schon von Bernstein beschrieben wurde (Fig. 2). Complieirter sind die Erscheinungen, wenn sich mit CO,-Wirkung auch Sauerstoffmangel verbindet, z. B. bei Anwendung einer zu grossen Maske, wobei wegen des ungenügenden Gaswechsels in dem Raum vor Mund- und Nasenöffnungen die CO, langsam zu- und der Sauerstoff langsam abnimmt. In diesem Falle sind die Erscheinungen, so zu sagen, gemischt. Das Thier athmet regelmässig und ruhig, es tritt keine Dyspno& ein, das heisst, keine beschleunigte oder vertiefte Athmung, aber sie wird lang- samer, wohl auch etwas schwächer, und das Thier stirbt in mehr oder weniger kurzer Zeit (40 bis 60 Minuten) mit Krämpfen, welche ausschliess- lich dem Sauerstoffmangel zuzuschreiben sind. Wenn dem Thiere recht- zeitig normale Luft zugeführt wird, erholt es sich: Die Athmung wird schneller und flüchtig, später aber wird sie wieder vollständig normal. (Fig. 3). Die Athmungseurve bleibt gewöhnlich unverändert; manchmal aber ist eine Verstärkung der Inspirationsphase zu sehen, welche nach Bernstein’s Ansicht charakteristisch für Sauerstoffmangel ist. Dieselben Erscheinungen treten auf, wenn das Thier z. B. Luft von 15 Procent CO,-Gehalt athmet, welcher bald genügende, bald ungenügende Mengen von Sauerstoff hinzugefügt werden. Ich lasse hier einige meiner Versuchsprotocolle folgen: I. 19. December 1895. Grosses Kaninchen. Athmung aus einem Gasometer durch zu grosse Maske. Luft mit 15 Procent CO,. Sauerstoff normal. Die Athmung wird langsamer. und schwächer. Keine Dyspno&. Form der Athmungscurve unverändert. Nach 20 Minuten Krämpfe. Das Thier wird frei gemacht. Die Athmungstiefe wird wieder normal, aber die Athembewegungen sind schneller. Der Versuch wird wiederholt mit den- selben Resultaten. II. 20. December 1895. Grosses weisses Kaninchen. Dieselbe Ver- suchsanordnung wie vorhin. Keine Reizungsperiode Die Athmung wird langsamer und schwächer. Nach 25 Minuten sehr schwach. Das Thier zeigt Krämpfe und Athmungsstockungen. Man leitet künstliche Athmung ein. Das Thier erholt sich, athmet wieder normal aber schneller. Zweimalige Wiederholung des Versuches mit gleichem Ergebniss. II. 21. December 1895. Dasselbe Thier. Derselbe Versuch nur mit Maske, ohne Gasometer. Das Thier athmet Zimmerluft. Auch in diesem Falle treten dieselben Erscheinungen auf. Man sieht (in Fig. 4), dass die Athmung langsamer und schwächer wird. Nach 30 Minuten wird eine deut- liche Verstärkung der Inspirationsphase merkbar. Nach 20 Minuten ist die Athmung ganz verändert, aber sobald das Thier normale Luft athmet, wird Dis WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ÄTHMUNG. 417 sie wieder regelmässig und flüchtig. Das Thier stirbt ohne Dyspnoö, aber mit Krampferscheinungen. IV. 22. December 1895. Kleines Kaninchen tracheotomirt. Kein Sauerstoffmangel. Luft im Gasometer 15 Procent CO, und 21 Procent Sauer- stoff. Das Thier athmet unter normalem Druck. Keine Veränderung der Luft während des Experiments. Keine deutliche Reizungsperiode. Die Ath- mung wird langsamer im Verhältniss von 15 zu 13. Die Tiefe bleibt normal. Keine Krämpfe. Nach 20 Minuten ist das Experiment beendigt (Fig. 5). VW. 8. Januar 1896. Kleines Kaninchen mit völlig anpassender Maske, wie ich sie bei all meinen Versuchen angewendet habe. Die Maske er- möglicht eine beliebig lange und ungestörte Athmung des Thieres. Luft mit 21 Procent Sauerstoff und 15 Procent CO,. Deutlich erkennbare Reiz- periode. Die Athmungsfrequenz steigt im Verhältniss von 8 zu 11, aber dann nimmt sie langsam ab, nämlich im Verhältniss von 11 wieder zu 8. Die Athmungstiefe nimmt ab und bleibt während des ganzen Versuches (zwei Stunden) ganz gleich. Auch in diesem Falle ruft die CO, keine andauernde Dyspnoö hervor (Fig. 6). Aus diesen und vielen anderen mit 10 Procent (Fig. 7), 12 Procent und 15 Procent CO,-Gehalt gemachten Versuchen geht hervor, dass die Symptome, welche durch die OO,-Wirkung hervortreten, stark durch Sauer- stoffmangel modificirt werden können. Die Reizperiode oder die Dyspno& welche Friedländer und Herter und andere Beobachter bei kleinen 0O,- Dosen gefunden haben, wurde von mir nicht immer deutlich wahrgenommen. Wenn jedoch eine gewisse Reizwirkung überhaupt constatirt werden konnte, so dauerte dieselbe nicht unmodificirt während des ganzen Versuches. Mit anderen Worten, die CO, in kleinen Dosen ruft nicht immer eine andauernde Vermehrung der Tiefe und der Zahl der Athembewegungen hervor. Die Athmungstiefe, welche anfänglich zunimmt, wird dann geringer oder bleibt meistentheils der normalen gleich: die Frequenz kann während der Reizperiode kurze Zeit zunehmen, dann aber nimmt sie sichtlich ab. An diese eben besprochenen Versuche liessen sich noch viele andere anreihen, welche klar dasselbe bewiesen. Ich lasse hier noch einen Versuch folgen, um zu zeigen, dass die CO, in den meisten Fällen nicht nur keine Dyspno& hervorruft, sondern sogar bei schon vorhandener Dyspnoö durch O-Mangel eine hemmende Wirkung ausübt. 10. Januar 1896. Grosses Kaninchen. Ist tracheotomirt und man macht die Oesophagotomie, um die Athmung mit einer Oesophaguscanüle zu schreiben. Einige Blutstropfen dringen in die Trachea ein. Das Thier verfällt plötzlich in äusserst starke Dyspno&. Athmung sehr schnell und tief. Das Thier wird unruhig, die Pupille erweitert sich. Nach 5 Minuten, als die Athmung den höchsten Grad der Schnelligkeit erreicht hatte, lasse ich CO, einathmen (21 Procent Sauerstoff, 40 Procent CO,). Die Athmungs- tiefe bleibt unverändert; die Frequenz aber nimmt erheblich ab. Das Thier Archiv f. A. u. Ph, 1896, Physiol, Abthlg. 27T 418 A. BENEDICENTI: liegt in tiefer Narkose; Cornealreflex verschwunden. Nach 2 Minuten ist die Athmung regelmässig, nach 10 Minuten wird sie schwach. Ich unterbreche die CO,-Athmung: es tritt neuerdings tiefe und schnelle Athmung ein; das Thier verendet unter Krämpfen (Fig. 8). IV. Wir wollen nun sehen, welcher Art die Resultate sind, wenn, bei Ver- meidung des Sauerstoffmangels, die CO, in grösseren Dosen allein wirkt. Der Unterschied ist nicht gross, wenn der CO,-Gehalt von 15 auf 20 Procent steigt. Man beobachtet anfänglich auch oft eine Reizperiode, aber sie ist nicht immer ganz deutlich. Später nimmt die Zahl der Athembewegungen ab. Auch die Athmungstiefe, welche anfangs vermehrt war, nimmt wieder ab und bleibt dann constant. Schliesslich ist sie wenig grösser oder nur wenig kleiner als bei normaler Athmung. Auch die Exspirationsverlängerung ist nicht immer deutlich und con- stant. Bei 25 oder 30 Procent CO,-Gehalt ergeben sich dieselben Er- scheinungen, das heisst, gewöhnlich keine sehr vermehrte Arbeit der Athmungsmuskeln, oder keine Dyspnoö (Fig. 9). Nach 35 bis 45 Minuten beginnt die Narkose: die Pupille erweitert sich, der Cornealreflex verschwindet. Die Narkose wird aber bei dieser Dosis nie vollkommen. Sobald das Thier normale Luft athmet, erholt es sich rasch wieder, und die Athmung wird schnell und flüchtig. V. Anders verhält sich die Athmung und der allgemeine Zustand des Thieres, wenn man noch stärkere CO,-Dosen anwendet. Ich lasse hier jetzt, als Beispiel, einige meiner Versuchs-Protocolle folgen; dann werde ich ein- gehender über die verschiedenen Eigenthümlichkeiten der CO,-Wirkung sprechen. I. 8. Februar 1896. Grosses graues Kaninchen. Luft mit normalem Sauerstoffgehalt und 50 Procent CO,. Athmung unter normalem Druck. Sobald das Thier CO, athmet, tritt ein langer Athmungsstillstand ein. Es folgt eine Reizperiode, aber mehr mit Vermehrung der Athmungstiefe, nicht der Zahl. Dauer der Reizperiode 3 Minuten, dann Abnahme der Athmungs- tiefe und Zahl. Nach 40 Minuten ist die Athmung regelmässig, später wird sie lang- samer mit langen Respirationspausen. Tiefe Narkose. Keine Schmerz- empfindung. Dauer des Versuches 1'/, Stunden. 150 Liter Luft sind durch die Maske gegangen (Fig. 10). II. 10. Februar 1896. Kleines weisses Kaninchen. Luft mit 25 Proc. Sauerstoff und 40 Proc. Kohlensäure Athmung unter normalem Druck. Die WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 419 Athmungsstillstand und dann Reizperiode mit vermehrter Zahl und Tiefe, worauf eine rasche Verlangsamung der Athmung folgt. Von da ab wird die Respiration etwas schneller und dann nimmt sie langsam ab. Das Thier ist tiefer narkotisirt. Der Versuch dauert 2 Stunden. Ath- mung ist immer regelmässig und langsamer. Die Tiefe ist nicht wesent- lich geändert (Fig. 11). UI. 18. Februar 1896. Kleines weisses Kaninchen. Luft mit nor- malem Sauerstoffgehalt und 40 Procent Kohlensäure. Athmung unter etwas erhöhtem Druck. Aeusserst kurze Reizperiode. Die Athmung wird tiefer und zugleich etwas langsamer, im Verhältniss von 13 zu 11. Das Thier ist tief narkotisirt. In normaler Luft erholt es sich wieder rasch. Die Ath- mung wird flüchtig und schneller (Fig. 12). IV. 19. Februar 1896. Grosses weisses Kaninchen. Das Thier kann beliebig unter gleichem Druck bald aus dem Fasse mit 40 Procent Kohlen- säure und normalem Sauerstoff, bald aus einem Gasometer mit reiner atmo- sphaerischer Luft athmen. In diesem Falle zeigt sich, dass die Kohlensäure eine plötzliche Ver- langsamung und kleine Vertiefung der Athmung erzeugt, der Uebergang zu reiner atmosphaerischer Luft hingegen eine sehr bedeutende Beschleu- nigung der Athmung hervorruft (Fig. 13). Aus diesem sowie aus anderen ähnlichen Versuchen ergiebt sich, dass die Kohlensäure, wenn sie sorgfältig mit genügendem Sauerstoff vermischt ist, nicht als Reiz für das Athmungscentum in dem Sinne betrachtet werden kann, dass durch sie eine erhebliche Vermehrung der Thätigkeit des Athmungssapparates bewirkt werde. Die Reizperiode, welche meistens als Beweis für die Reizwirkung der CO, gilt, ist, wie durch die beschriebenen Versuche erwiesen ist, nicht immer vorhanden und immer nur kurzdauernd. Sie entspricht vollkommen der Reizperiode, welche auch andere Narkotika im Anfangsstadium vor dem Eintritt der eigentlichen Narkose hervorrufen. Die Zahl der Athmungsbewegungen kann in der Anfangsperiode unver- ändert bleiben, manchmal sogar sofort abnehmen (Fig.13 bis u. 12). Die Athmungstiefe, welche anfänglich zunimmt, wird später wieder geringer und ist bei langer Dauer des Versuches nur wenig verändert gegen die normale. Folglich wird die gesammte Thätigkeit der Athmungsmuskeln durch die CO,-Wirkung nicht erheblich vermehrt, so dass von einer Dyspnoö im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht die Rede sein kann. Ausserdem kann man auch bemerken, dass die Reizperiode in gewissen Fällen äusserst kurz sein kann, so dass fast plötzlich die CO,-Wirkung sich in einer Verlangsamung der Athmungsthätigkeit kund giebt. Wie Friedländer und Herter beobachtet hatten, ist die Reizperiode um so kürzer, je grösser der CO,-Gehalt in der eingeathmeten Luft ist. Aber ich möchte noch hinzufügen, dass auch der Druck der inspirirten 2% 420 A. BENEDICENTI: Luft die Länge dieser Reizperiode beeinflussen kann. Denn sie wird kürzer, wenn der Druck übernormal ist, so dass, wenn beide Bedingungen ver- einist sind, nämlich viel CO, und erhöhter Druck, die Reizperiode fast auf Null redueirt wird. Ausser den eben besprochenen Eigenthümlichkeiten treten bei genauer Ansicht der Athmungscurven noch andere Umstände hervor, welche ich bereits flüchtig angedeutet habe, worüber ich aber hier noch einige Worte sagen will. Wenn wir das Verhältniss zwischen der Athmungstiefe und der Zahl der Athmungsbewegungen durch zwei Curven darstellen, so ergiebt sich die schematische Fig. 14, wo man sieht, dass die Athmungstiefe unter dem Einflusse der CO, zunimmt, dann aber constant bleibt oder allmählich geringer wird. Aus der Curve, welche die Athmungszahl darstellt, wenn die Reizungs- periode ziemlich lang gewesen ist, wird ausser der starken Verminderung der Zahl, eine andere Eigenthümlichkeit ersichtlich. Ehe nämlich das Thier in Narkose verfällt, kann man eine starke Verlangsamung, dann eine rasch vorübergehende Vermehrung der Athembewegungen constatiren, auf welche die regelmässige Abnahme der Athmungszahl folgt. Diese Thatsache ist in fast allen Versuchen erkennbar, wie z. B. Fig. 15 zeigt. Aber diese Eigenthümlichkeit kann auch wegfallen, wenn, wie oft der Fall ist, die Reizperiode sehr kurz oder nicht deutlich gewesen ist. Aber ein anderer besonderer Umstand tritt bei Einathmung starker CO,-Dosen hervor, nämlich der Athmungsstillstand im Beginn der CO,-Ath- mung (Fig. 16). Dieser ist wohl, wie bereits Brown-S&quard angenommen hat, einem Hemmungsprocess zuzuschreiben. Eure Brown-Söquard! nimmt an, dass die CO, auf die Fasern des Nervus vagus wirkt. Filehne? aber hat gefunden, dass die CO, nicht auf die Fasern des Vagus, sondern auf die Fasern des Trigeminüs in der Nase wirkt. Die späteren Arbeiten von Kratschmer,® Francois Frank,* Sandmann,’ Lazarus, Zagari, Kayser® haben die Wichtigkeit der Reizung der Nasenschleimhaut in Bezug auf die Athembewegung gezeigt. ! Brown-Sequard, Arch. de physiol. 1872. Nr. 2. p. 204—206. 2 Filehne, Dies Archiv. 1873. 8. 861—381. ® Kratschmer, Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1870. Bd. LXII. Hft. 3. * Francois Frank, Travauxs du Labor. Marey. 1876. T. II. p. 221. ° Arbeiten von Sandmann, Lazarus und Zagari in diesem Archiw. 1817. Suppimtbd. und 1891. ® Kayser, Pflüger’s Archiv. 1887. DIE WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 421 Ich habe thatsächlich den Athmungsstillstand bei tracheotomirten Thieren nicht bemerkt, wohl aber bei solchen, welche durch eine Maske athmeten. Ich habe auch gesehen, dass der Stillstand länger andauert, wenn der Druck der inspirirten Luft höher ist. Hinsichtlich der Form der Respirationseurve ist zu bemerken, dass dieselbe ohne erhebliche Modificationen bleiben kann; aber in den meisten Fällen zeigt sich, wie gesagt, eine Verlängerung der Exspiration. Nur bei sehr hohen CO,-Dosen lässt sich zuweilen ein deutliches Absetzen in der Inspiration beobachten, so dass die Respirationscurve eine gewisse Aehnlich- keit mit einer Pulscurve aufweist (Fie. 17). Aber diese Thatsache findet man nicht immer und deshalb bezweifle ich, ob sie erklärt werden kann, indem man annimmt, wie Bernstein, Schmidt, Zuntz u. A. es thun, dass das CO,-reiche Blut theilweise die Fähigkeit verliert, aus der Luft den nöthigen Sauerstoff aufzunehmen. Eine Modification hingegen, die man stets beobachten kann, wenn das Thier lange Zeit eine sehr CO,-reiche Luft einathmet, ist die Periodieität der Athmung. Anfänglich treten lange und regelmässige Perioden auf (Fig. 18a, langsame Umdrehung der Trommel); später aber werden die Perioden einfacher, indem zwei oder drei kleine Athembewegungen auf je eine tiefere Athmung zu folgen pflegen. (Fig. 18). Diese letztere Athmungsform, welche einen höheren Grad von C0O,- Vergiftung zeigt, kann lange dauern, 45 bis 60 Minuten, nur werden die Respirationspausen immer länger. Uebrigens kann ein erhöhter Druck der eingeathmeten Luft die Athmung in Bezug auf Frequenz und Tiefe etwas regelmässiger gestalten, offenbar, weil dieser höhere Druck die O-Aufnahme begünstigt, wie dies in ähnlicher Weise Rosenthal mit seinem Spiro- meter beobachtet hat, wie ich bereits früher erwähnte. Auch Liebig! sagt, dass die O-Aufnahme unter grösserem Druck der eingeathmeten Luft begünstigt wird. Bert? hat gefunden, dass der aueaionbehelt des Blutes bei höherem Druck grösser ist. VI. Die geschilderten Erscheinungen sind sicherlich nicht geeignet, denen zur Stütze zu dienen, welche die alleinige oder die hauptsächlichste Ursache der normalen Athembewegungen in dem CO,-Gehalt des normalen Blutes suchen. Wenn wir sehen, dass jede Verminderung des O-Gehaltes die Athmung verstärkt, auch dann, wenn gleichzeitig der CO,-Gehalt vermindert wird, während andererseits selbst starke Vermehrung des CO,-Gehalts dies nicht thut, wenn nur der O-Gehalt normal bleibt, so können wir zu keinem 1 G. v. Liebig, Siehe in Pflüger’s Archw. Bd. X. 8. 479, ? Bert, eitirt von Liebig. 422 A. BENEDICENTI: anderen Schlusse kommen als Rosenthal, nämlich, dass die Stärke der Thätigkeit des automatischen Athemcentrums einzig allein von dem O-Gehalt des Blutes abhängt. Dagegen erkennen wir aus unseren Versuchen aller- dings, dass die Art und Weise, wie jenes nervöse Centrum auf die normale Athemreize reagirt, durch einen erhöhten CO,-Gehalt des Blutes modifieirt wird, indem dieselbe wie ein Narkoticum wirkt. Ich habe die Narkose sorgfältig an den Thieren studirt, und im Wesentlichen dasselbe gesehen, was auch andere Beobachter bereits darüber geschrieben haben. In einer Luft von 40 bis 50 Procent CO,-Gehalt ist die Narkose vollkommen. Der Augapfel tritt hervor, die Cornea wird ganz unempfindlich. Die Gefässe in den Ohren sind gewöhnlich erweitert. Das Thier macht keine spontanen Bewegungen mehr: die Reflexe nehmen ab und verschwinden endlich voll- ständig, sowie auch die Schmerzempfindung. Man kann die Carotis frei praepariren, um den Blutdruck zu studiren, ohne dass das Thier irgendwie reagirt. Der Blutdruck nimmt zu, während der Reizperiode und nimmt bei starker Narkose rasch ab (Fig. 19). Der Puls wird dann langsamer und intermittirend beschleunigt. Bei tiefer Narkose sinkt die Körpertemperatur sehr bedeutend, zu- weilen bis auf 31°. Trotz dieser niedrigen Temperatur vermag das Thier noch lange zu leben. — Und ich will noch hinzufügen, dass ich bei meinen . Versuchen eine weniger starke CO,-Vergiftung wahrgenommen habe, als sie von anderen Beobachtern constatirt wurde, indem das Thier noch bei ziemlich starken CO,-Dosen (48 bis 50 Procent) eine und eine halbe Stunde fortleben kann. Während der Narkose bleibt die Muskelcontractilität unverändert. Eine Reizung der gemischten Nerven erzeugt noch eine motorische Reaction, nicht aber eine sensible. Die Fig. 20 zeigt den Unterschied, welchen die Reizung des Nervus ischiadieus bei einem normalen und einem narko- tisirten Thier in der Athmungscurve erzeugt. Wie ich in der Einleitung bereits sagte, haben einige die CO, als Narkoticum empfohlen. Friedländer und Herter haben zwar gesagt, dass die CO, dazu unbrauchbar ist, da sie eine zu grosse Schwäche der Athmung erzeugt, aber auf Grund meiner Versuche ist wohl anzunehmen, dass dieses nicht zu fürchten ist. Seguin, Speck und Loewy, welche die CO,-Wirkung an sich selbst studirt haben, sprechen sich dahin aus, dass sie die Athmung unangenehm macht und überdies Kopfweh und Schwindel zur Folge hat, was eine praktische Verwendung derselben unmöglich machen würde. Vieles hat zu diesem Ergebniss wohl der bei den Versuchen dieser Forscher gleichzeitig vorhandene, wenn auch geringe Sauerstoffmangel bei- getragen. Ich glaube, dass die CO, etwa in der zahnärztlichen Praxis Verwendung finden könnte Wenn auch die dadurch rasch erzeugte Nar- Die WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. : 493 kose, nach Entfernung der Maske nur von kurzer Dauer ist (meine Ver- suche haben gezeigt, dass die narkotische Nachwirkung der CO, in höchstem Falle 1!/, bis 2 Minuten dauert), so würde dies doch für kurzdauernde Operationen genügen. Wenn das Thier wieder normale Luft athmet, wacht es schnell auf und erholt sich schnell wieder. Es macht dann ataktische Bewegungen, welche aber wohl eine Folge der Fesselung sind. Diese Ataxie verschwindet nach 8 bis 10 Minuten und das Thier wird vollkommen normal. VI. Wenn das Thier lange Zeit eine sehr CO,-reiche Luft einathmet, so wird die Athmung periodisch, die Temperatur sinkt bedeutend und das Thier stirbt ohne Krämpfe. Raoult, Friedländer, Bert u. A. haben ge- sagt, dass die Todesursache in einer Verminderung des Oxydationsprocesses im Blute zu suchen sei. Vielleicht aber sind die den Tod begleitenden Umstände auch sehr complieirt, wie bei anderen Gasen schon nachgewiesen ist.! Es ist sicher, dass an solchen Thieren, welche an CO,-Vergiftung starben, keine grösseren Verletzungen wahrgenommen werden können, welche die Ursache des Todes allein erklären könnten. Die charakteristische Er- scheinung ist ein Lungenoedem und manchmal eine Absorptionspneumonie., Stellenweise finden sich im Lungenparenchym haemorrhagische Flächen. In allen Organen zeigt sich eine hochgradige, venöse Hyperaemie. Das Blut ist dunkelroth gefärbt. Ausserdem findet man oft die Bronchien und die Trachea mit Speichel uud Schleim angefüllt. Diese zuweilen äusserst reichliche Schleim- und Speichelbildung dürfte ihren Grund in einer starken Reizung der Schleim- und Speicheldrüsen durch die CO, haben. Diese An- sicht wird auch von den Resultaten neuerer Forschungen bestätigt, welche dahin gehen, dass die CO, auch einen localen Reiz auf die Haut ausübt. Aber nicht immer stirbt das Thier während des Versuches; es kann auch später während der Athmung bei normaler Luft sterben. Wenn man bei unregelmässiger und periodischer Athmung und bei einem Temperatur- rückgang bis auf 31°, die CO,-Athmung unterbricht, so sieht man, dass die Athmung regelmässiger und schneller wird. Die Empfindung kehrt zurück; das Thier macht spontane, aber ataktische Bewegungen, der Corneal- reflex tritt wieder auf und das Thier scheint sich erholen zu wollen. Nach 8 bis 15 Minuten wird die Athmung wieder langsamer; die Pupille er- weitert sich, die Schmerzempfindung verschwindet, sowie der Cornealreflex. Die Inspiration wird sehr stark; das Thier schnappt nach Luft; die Herz- thätigkeit, anfangs stärker, nimmt rasch ab und das Thier stirbt in kurzer Zeit, zuweilen unter leichten Krämpfen. | ! Marcacci, Sul meccanismo della morte per ossido di carbonio. Arch. ital. Biologie. Turin 1890. 424 A. BENEDICENTI: Zuerst glaubte ich, dass Schleimüberfüllung in der Trachea und den Bronchien einen Erstickungstod des Thieres zur Folge habe; allein diese Annahme erwies sich als irrthümlich, indem die Athmung wieder regel- mässig und schneller wurde und durch Einleitung der künstlichen Athmung eine vollständige Erholung des Thieres herbeigeführt werden konnte. Vielleicht geht bei sehr hohem CO,-Gehalt eine Veränderung im Blut vor sich, wie dies von manchen Autoren angenommen wird. Fraenkel und Geppe'rt haben gefunden, dass bei geringerer O-Spannung im Blute eine Trennung des Oxyhaemoglobins in Haemoglobin und Sauerstoff sich vollzieht, so dass alsdann die Sauerstoffaufnahme unmöglich gemacht wird. Kempner kommt zu demselben Schluss, indem er sagt, dass das O-arme Blut zu der nöthigen Aufnahme von Sauerstoff angeeignet wird. Speck hat gefunden, dass unter diesen Bedingungen die CO,-Aus- scheidung ungenügend ist, weil das CO,-reiche Blut den intermolecularen Sauer- stoff in den Geweben nicht aufnehmen kann, so dass die CO,-Bildung ver- hindert wird. Auch Werigo hat den Einfluss des Sauerstoffs auf die CO,- Ausscheidung demonstrirt, sowie auch nach ihm andere Beobachter gethan haben. Wir müssen demnach annehmen, dass mit künstlicher Athmung mehr Sauerstoff in Berührung mit dem Blute gebracht wird, so dass die CO,-Ausscheidung sehr begünstigt wird. Im gegentheiligen Falle, wenn das Thier sich selbst überlassen bleibt, wird die Athmung schneller; aber die Sauerstoflspannung im Blute erhöht sich nicht rasch. Folglich ist die CO,-Ausscheidung unvollkommen und das Thier stirbt bald unter Sym- ptomen, welche zum Theil auf CO,-Wirkung und O-Mangel hindeuten. VIH. Nach all diesem glaube ich schliessen zu dürfen: _ 1. Wenn das Thier bei O-Mangel CO, athmet, sind die‚Symptome ge- mischt. Die Athmung wird langsamer und schwächer und das Thier stirbt, ohne deutliche Dyspno®, unter Krämpfen; 2. Bei normalem O- und 10 bis 15 bis 20 Procent ÖO,-Gehalt zeigt sich keine andauernde Vertiefung der Athmung und Vermehrung der Zahl; 3. Bei 30 Procent tritt Narkose ein, ohne Schwächung der Athmung; bei 40 bis 60 Procent tritt nach ganz kurzer Reizperiode tiefe Narkose ein; die Athmung ändert sich nicht viel in der Tiefe, wird aber viel langsamer, ähnlich wie es bei tiefem Schlaf der Fall ist. 4. Auch bei starken Dosen von 00, (40 bis 60 Procent) vermag das Thier verhältnissmässig lange zu leben (1!/, bis 2 Stunden). | 5. Es lässt sich auch eine Nachwirkung starker CO,-Dosen constatiren, indem das Thier zuweilen erst nach dem Versuche stirbt, vielleicht weil die im Blute enthaltene CO, die nöthige Sauerstoffaufnahme verhindert. Dıe WIRKUNG DER KOHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 425 Erklärung der Abbildungen. (Taf. XI— XII.) (Sämmtliche Figuren sind stark verkleinert.) Fig. 1. Tracheotom. Kaninchen. — Athmung aus dem Spirometer. — Die Reiz - periode ist deutlich sichtbar. a) Normale Athmung. b) Seit 5 Minuten Athmung von CO,. c) » 30 „ „ ” „ Fig. 2. Tetanische Verlängerung der Expirationsphase. a) Seit 10 Minuten Athmung von CO,. b) E} 30 9 39 Ei} „ Fig. 3. Athmüng aus dem Spirometer durch nicht passende Maske. Krämpfe nach 40 Minuten wegen O-Mangel. Keine Dyspno£. a) Normale Athmung. b) Seit 20 Minuten Athmung aus dem Spirometer. 6) „ 30 „ ” DO > d) » 3 ” „» ” ” „ e) Normale Athmung nach Krämpfen. Fig. 4. Wirkung von CO, und O-Mangel. Athmung durch unpassende Maske. Athmung wird langsamer und schwächer. Das Thier stirbt unter Krämpfen. a) Normale Athmung. b) Seit 30 Minuten. Man sieht die Verstärkung der Inspirationsphase (O-Mangel). c) Seit 40 Minuten CO,-Athmung. d) Wieder normale Luft. Fig. 5. Tracheot. Kaninchen. Athmung von 15°, CO,, 21°, Sauerstoff. Man sieht, dass die CO, nicht als Reiz auf die Athmung wirkt. a) Normale Athmung. b) Seit 15 und 20 Minuten Athmung von 15°, CO,. 426 A. BENEDICENTI: Fig. 6. Athmung mit normalem Sauerstoff und 15°%, CO,. — Deutliche, aber sehr kurze Reizperiode. — Später wird die Athmung ruhig und regelmässig. a) Normale Athmung. b) Athmung während der Reizperiode. c) Seit 1 Stunde CO,-Athmung. d) ” 2 ” Er) ” Fig. 7. Athmung mit 10°%, CO, und normalem Sauerstoff. Die Athmung wird immer langsamer. Die CO, wirkt nicht als Reizung. Keine Dyspno&£. a) Normale Athınung. b) Seit 1 Stunde CO,-Athmung. c) Wieder normale Luft. Fig. Ss. Wirkung der CO, auf die dispnoische Athmung. a) Dispnoische Athmung. b) Dieselbe unmitttelbar nach Athmung von 40%, CO;. Fig. 9. Athmung mit 30°, CO,. Nach 25 Minuten wird die Athmung etwas schneller, dann wird sie wieder langsamer und etwas schwächer. a) Normale Athinung. b) Seit 20 Minuten CO,-Athmung. oe 25 55 » Fig. 10. Athmung mit normalem Sauerstoff und 50%, CO,. Athmung wird langsamer und schwächer. a) Normale Athmung. b) Reizperiode. Dauert 3 Minuten. Die Athmung wird tiefer, aber nicht schneller. c) Seit 40 Minuten CO,-Athmung. d) Seit 1), Stunden 0) Fig. 11. Athmung mit 40%, CO, und 25°, Sauerstoff. Die Athmung wird langsamer. Die Tiefe ist nicht wesentlich geändert. a) Normale Athmung. b) Verlangsamung der Athmung nach der Reizperiode. c) Seit 15 Minuten CO,-Athmung. = d) Seit 1'/, Stunden Es Fig. 12. Athmung mit normalem Sauerstoff und 40%, CO,. Aeusserst kurze Reizperiode mit tiefer und zugleich langsamer Athmung. a) Normale Athmung. b) Seit 20 Minuten CO,-Athmung. c) Athmung in normaler Luft, plötzlich nach dem Versuche. Die Athmung wird schneller und flüchtig. Fig. 13. Athmung abwechselnd in normaler Luft und in 40%, CO, unter dem- selben Druck. Man sieht, dass die CO, die Athmung verlangsamt. Keine deutliche Reizperiode. a) Normale Athmung. b) Seit 3 Minuten CO,-Athmung. c) „ 30 „ „ d) Athmung in normaler Luft unter demselben Druck. e) Athmung in CO, (I. Seit 3 Minuten. — II. Seit 10 Minuten.) ‚f) Athmung wieder in normaler Luft. DıiE WIRKUNG DER KCHLENSÄURE AUF DIE ATHMUNG. 427 Fig. 15 bis. Athmung 45%), CO, und normal. Sauerstoff. In der Reizperiode nimmt die Zahl der Athembewegungen ab. Die Athmung wird langsamer. Die Tiefe ist nicht bedeutend modifieirt. a) Normale Athmung. b) Athmung während der Reizperiode. c) Seit 1:30 Stunde Athmung 25°, CO,. Fig. 14. Schematische Darstellung der Zahl und Tiefe der Athmung unter der Einwirkung der CO,. Die ausgezogene Linie stellt die Tiefe, die punktirte die Zahl dar. Fig. 15. Athmung mit 25°/, Sauerstoff und 40°, CO,. Die Athmung wird langsamer. a) Normale Athmung. b) Starke Verlangsamung der Athmung sogleich nach der Reizperiode. c) Seit 15 Minuten CO,-Athmung. d) Seit 1 Stunde ” en. 2 D) D Fig. 16. Athmungsstillstand bei Beginn der CO,-Athmung. Fig. 17. Verstärkung der Inspirationsphase bei der Athmung von 60°, CO,. Fig. 18. Periodicität der Athembewegung in Folge der CO,-Athmung. a) Periodische Athmung mit langen und regelmässigen Perioden. b) Letzte Athmungsform in starker CO,-Vergiftung. Fig. 19. Erniedrigung des Blutdruckes und des Pulses im Anfang der CO,- Narkose. Fig. 20. Athmungscurve während der Reizung des Nervus ischiadicus. a) Reizung des Ischiadicus bei normalem Thier. | b) Reizung des Ischiadicus nach 15 Minuten Einathınung von 45°), CO,. c) Reizung des Ischiadicus in vollkommener CO,-Narkose. Ueber den Einfluss des intraintestinalen Druckes auf die Resorption im Dünndarme. IV. Beitrag zur Kenntniss der Resorption. Von H. J. Hamburger in Utrecht. Einleitung. In meinem vorigen Aufsatz! untersuchte ich den Einfluss des hydro- statischen Druckes auf die Resorption in der Bauchhöhle. Die vorliegende Abhandlung enthält eine derartige Arbeit mit Bezug auf den Darm, ein Organ also, welches nicht wie die Bauchhöhle mit Endothel, sondern mit Epithel bekleidet ist. Die Frage, inwieweit der intraintestinale Druck auf die Resorption im Darmeanale Einfluss ausüben kann, ist nicht neu. Dieselbe wurde schon im Jahre 1757 gestellt und ausgearbeitet von Lieberkühn in dessen Dissertation: „De fabrica et actione villorum“. Lieberkühn nahm prae- formirte Oeffnungen in den Zotten an und nach ihm war es nun die Peri- staltik, welche die zur Resorption dargebotenen Stoffe (feste und flüssige) in die Oeffnungen presste. Einmal in die Zotte angelangt, wurden sie dann von den Blutgefässen aufgenommen, um weiter in den Chylusgefässen ihren Weg zu verfolgen. Lange Zeit blieb diese Auffassung gelten und fand mit Bezug auf feste Partikelchen sogar eine Stütze in neuen Experimenten von Mole- schott und Marfells;? Experimente aber, welche Donders und nach ihm auch andere Forscher nicht bestätigen konnten. Eine kräftige Bekämpfung empfand diese physikalische Auffassung der Aufsaugung im Darm seitens Hoppe-Seyler,’ der nicht nur mit Bezug auf die Aufnahme fester Partikelchen, sondern auch mit Bezug mp2 Ark 1896. 8. 294. ” Der Uebergang kleiner fester Theilchen aus dem Dameonale in den Milchsaft und das Blut. Wiener medieinische Wochenschrift. 1854. Nr. 52. ® Hoppe-Seyler, Physiologische Chemie, S. 35. H. J. HAMBURGER: BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 429 auf die Resorption von Flüssigkeiten, die Epithelzellen der Darmschleimhaut eine active Rolle spielen zu lassen wünschte. Erstens bemerkt Hoppe-Seyler, dass der durch die Contraetion der Darmmusculatur auf den Darminhalt ausgeübte Druck nur geringfügig sein kann, weil den Inhalt ausweicht. Zweitens ist nach ihm das Filtrum nicht fest genug; das Protoplasma würde nach ihm zusammengedrückt werden. Drittens genügt schon ein einfacher Reiz um dem Flüssigkeitsstrom eine andere Richtung zu geben. Weiter weist er darauf hin, dass nach Zerstörung oder bei hochgradiger Krankheit des Epithels, die Resorption ganz aufgehoben sein kann (profuse Diarrhoe bei Cholera). Später beobachtete Spina auch Veränderungen in der Form der Epi- thelzellen, nachdem dieselben Farbstoff aufgenommen hatten; aber diese Thatsache betraf nur die Epithelzellen des Darmes von Distoma cygnoides, ein Entozoon des Froschdarmes; bei höheren Thieren wurde keine Form- veränderung gesehen. Wenn auch die Bemerkungen Hoppe-Seyler’s den Glauben an eine rein physikalische Auffassung erschüttert haben möchten, zufrieden waren . die Physiologen nicht. Das lässt sich schon daraus entnehmen, dass, wo in den Lehrbüchern von der Darmresorption die Rede ist, die Verfasser sich betreffs der Triebkräfte auf unsichere Weise äussern. Neulich aber schien eine Aufklärung zu kommen, als Heidenhain im Lichte der neueren Isotunielehre den Resorptionsprocess zu studiren anfing. Mir will es aber vorkommen, dass weder die Argumente Hoppe- Seyler’s noch diejenigen Heidenhain’s die Annahme von Lebenskräften nothwendig gemacht haben. Wenn ja — um mit der ersten Bemerkung Hoppe-Seyler’s an- zufangen — durch die Contraction des Darms der Inhalt ausweicht, muss der Darm sich da ausdehnen. Nun liest derselbe nicht isolirt, sondern ist umgeben von anderen Därmen, welche natürlich beim Wegdrücken einen Gegendruck ausüben. Mit anderen Worten: nicht an der Contractionsstelle braucht man sich mit Hoppe-Seyler den auf den Inhalt ausgeübten Druck zu denken; vielmehr liegt es auf der Hand, denselben in den an- grenzenden peripheren Theil zu verlegen. Ob das Epithel plattgedrückt werden wird, hängt nur ab von der (Grösse des Druckes und von der Schnelligkeit mit welcher eine Flüssigkeit hindurchgehen kann. Und was endlich die Einschränkung oder das Aufhören der Resorption 'bei Zerstörung oder bei Krankheit des Darmepithels betrifft, dieses Argu- ment kann nur dann Bedeutung haben, wenn die Blutgefässe dabei voll- kommen normal geblieben sind. Ist das nicht der Fall, so ist man be- 430 H. J. HAMBURGER: rechtigt zu denken an eine seröse Exsudation, welche die Aufsaugung ganz oder theilweise bedeckt. Ausserdem wird durch Krankheit der Blutgefässe die Resorption nicht nur scheinbar, sondern auch wesentlich verlangsamt, weil bekanntlich bei Entzündung der Blutstrom in den Venen abgeschwächt und dadurch auch die Abfuhr der resorbirten Flüssigkeit beeinträchtigt ist. Und nun die Untersuchungen Heidenhain’s.- Dieser Forscher wies hin auf die Thatsache, dass eiweissfreie und ei- weisshaltende, isotonische und hyperisotonische Flüssigkeiten in Darm- schlingen resorbirt werden. Mit Recht hob Heidenhain hervor, dass diese Erscheinung sich durch Osmose nicht erklären lässt. Bringt man ja z. B. in eine Darmschlinge 100° m einer 1.5-procentigen NaCl-Lösung, so erfordert das osmotische Gesetz, dass das Volum mindestens zu 150 «= steigt, weil das Blutplasma (Blutflüssigkeit) isotonisch ist mit einer 1-proc, NaCl-Lösung. Das Experiment aber lehrt, dass 25 Minuten nachher nicht etwa 159m vorhanden sind, sondern nur 65°“ einer ungefähr 1-proc. Na0l-Lösung. Es waren also theoretisch resorbirt 35 = einer 2-4-proc. NaQl-Lösung.! Hier lässt in der That der Begriff Osmose im Stich und aus diesem Grunde sah Heidenhain sich genöthigt, die Erscheinung als eine Lebens- function aufzufassen. Es scheint, dass er sich dieselbe in den Epithelzellen gelegen denkt; denn wenn er das Darmepithel mittelst NaFl misshandelt hat, ändert sich nach ihm auch das Verhalten des Darmes gegenüber isotonischen und hyperisotonischen Flüssigkeiten. Aber dann bleibt immer noch die Frage unbeantwortet, wie die Flüssig- keit, nachdem dieselbe in die nach dem Darmlumen zugekehrte Seite durch active Thätigkeit der Epithelzellen abgeschieden ist, in den Blutgefässen zur Resorption gelangt. Und dass es hauptsächlich die Blutgefässe sind, welche wenigstens Zucker- und Eiweisslösungen aus dem Darmlumen ab- führen, ist durch Untersuchungen in Ludwig’s Laboratorium nachgewiesen. ! Heidenhain, Neue Versuche über die Aufsaugung im Dünndarm. Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVI. S. 609. ?2 Nach den Untersuchungen von W. S. Lazarus-Barlow (The Journal of Physiology. 1895. Vol. XIX. Nr. 1 u. 2. p. 140) wäre es möglich, dass, im Wider- spruch mit der jetzt allgemein herrschenden Athmung, hyperisotonische Flüssigkeiten, ınittelst einer Membran von isotonischen Flüssigkeiten geschieden, an letztere Wasser abgeben, statt Wasser daran zu entziehen. Nach dieser Auffassung wäre es dann er- klärlich, wie hyperisotonische Salzlösungen aus dem Darmcanale verschwinden können. Ich glaube, dass hier ein Irrthum vorliegt; denn was der Verfasser ‚initial rate of osmosis“ nennt, ist nicht bloss ein Ausdruck für die Osmose, sondern enthält auch den Factor Diffusion. Dadurch lässt sich der absolute Mangel an Uebereinstimmung zwischen den von ihm für die „initial rate of osmosis“ und für die ‚final osmotic pressure“ erhaltenen Zahlenwerthen genügend erklären. In einem nächstfolgenden Aufsatz komme ich hierauf ausführlich zurück. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 431 Nach Heidenhain wird man dann auch wohl für die Aufnahme von Flüssigkeiten in die Blutgefässe eine Lebenskraft annehmen müssen. In meinem vorigen Aufsatz! zeigte ich, dass seröse und nicht-seröse Flüssigkeiten auch aufgenommen werden in der Bauch- und Pericardial- höhle von Thieren, welche seit 1 bis 24 Stunden und länger todt sind und theilte mit, dass ich ähnliches für den Darm gefunden hatte. Ich lasse hier nun einige der diesbezüglichen Versuche folgen. Vor dem eigentlichen Resorptionsversuche wurde der Darm immer erst mit der betreffenden Lösung ausgespült. 1!/,- procentige (hyperisotonische) NaCl-Lösung in einer Dünn- darmschlinge eines 15 Minuten todten Kaninchens. Darmschlinge 92 °®. Eingeführt 45 °® NaCl-Lösung von 1!/, Procent. 2 Stunden. nachher sind noch 33.3 °® vorhanden. Diese zurückgebliebene Lösung hat eine osmotische Spannkraft, welche einer NaCl-Lösung von 1-35 Procent entspricht. Theoretisch sind also resorbirt 11.7 °@ einer 1-9-procentigen NaCl- Lösung. Ein gleichartiges Resultat erhielt Heidenhain (e S. 601 und 607). 1!/,-procentige (hyperisotonische) NaCl-Lösung in einer Dünn- darmschlinge eines 24 Stunden todten Hundes. Darmsehlinge 80°. Eingeführt 120°” der 1!/,-procentigen NaCl- Lösung. 2 Stunden nachher sind noch 99° ® vorhanden. Diese besitzen eine osmotische Spannkraft, welche übereinstimmt mit der einer 1-3-proc. Na0l-Lösung. Theoretisch sind also resorbirt 21 °” einer 2-5-procentigen Na0l-Lösung. Ein Resultat, welches mittelst des Begriffes „osmotische Triebkraft‘“ nicht erklärt werden kann; andererseits steht es aber auch mit dem Begriff Lebenseigenschaft (Heidenhain) in Widerspruch. 0.5-procentige (hyperisotonische) NaCl-Lösung in einer Dünn- darmschlinge eines !/, Stunde todten Kaninchens. Darmschlinge 96°%. Eingeführt 45 m 0-5-procentige NaÜl-Lösung. 2 Stunden nachher sind noch 28.8°® vorhanden. Diese zurückgebliebene Lösung hat eine osmotische Spannkraft, welche der einer NaCl-Lösung von 0.59 Procent entspricht. Theoretisch sind also resorbirt 16.2 m einer 0-34-procentigen Na0l- Lösung. ! Ueber die Regelung der osmotischen Spannkraft van Flüssigkeiten in Bauch- und Pericardialhöhle. Dies Archiw. 1895. 8. 281. 432 H. J. HAMBURGER: 0-5-procentige (hypisotonische) NaCl-Lösung in einer Dünn- darmschlinge eines 24 Stunden todten Hundes. Darmschlinge 80%, HEingeführt 1-20 der O-5-procentigen NaCl- Lösung. 5 Stunden nachher sind noch 95°” vorhanden. Diese Flüssigkeit besitzt eine osmotische Spannkraft, welche mit der einer 0.6-procentigen NaCl-Lösung übereinstimmt. Die osmotische Spannkraft ist deshalb gestiegen. Theoretisch sind also 25m einer O-12-procentigen NaCl-Lösung resorbirt. Pferdeserum in einer Dünndarmschlinge eines 4 Stunden todten Hundes. 20 vom Pylorus entfernt wird nach Perforation des Mesenteriums ein Bändehen um den Darm gelegt und 29°” weiter ein zweites Bändchen. Jetzt wird die augenscheinlich leere Schlinge ausgespült mit dem später zu injieirenden Serum. Zu diesem Zweck wird beim ersten Bändchen die Nadel einer das Serum enthaltenden Spritze eingestochen. Nachdem die Darmschlinge auf diese Weise angefüllt ist, wird ein Löchelchen vor dem zweiten Bändchen gemacht; so dass das injieirte Serum abfliessen kann. Letzteres wird unterstützt durch sehr leichten Druck auf die Darmober- fläche. Dieses Verfahren wird ein paar Male wiederholt, so dass jetzt das Serum klar abfliesst. Endlich wird das letztgenannte Bändchen durch ein neues ersetzt, mehr in der Nähe des ersten gelegen, so dass die definitiv in die Schlinge einzuspritzende Flüssigkeit nicht mehr durch das Löchelchen abfliessen kann. Indem die Darmschlinge nun ein wenig vertical gehalten wird, werden beim ersten Bändchen 36 °® Serum eingespritzt. Die Flüssigkeitsoberfläche hat nach dieser Injection die Einstichstelle noch nicht erreicht. Letztere wird nun durch ein neues Bändchen von der Versuchsfläche ausgeschlossen. Auf diese Weise kann kein Tropfen der injieirten Flüssigkeit die Schlinge verlassen. Dieselbe wird in die Bauchhöhle zurückgelegt und die Bauch- höhle selbst verschlossen. 2 Stunden nachher sind 28.8” Serum zu entfernen. Mit einem zweiten Darmstück, neben dem vorigen gelegen und von derselben Länge, wird gleichzeitig genau derselbe Versuch angestellt. Auch hier konnten 28.8 m entfernt werden. 20 °® des ursprünglichen Pferdeserums enthalten an festen Be- standtheilen * %° . N. nam... RR re ER So 20 "2 der nach 2 Stunden aus der ersten Darmschlinge ent- fernten Flüssigkeit enthalten an festen Bestandtheilen . 2-090 „ 20 °® der nach 2 Stunden aus der zweiten Darmschlinge ent- fernten Flüssigkeit enthalten an festen Bestandtheilen . 2-141 , BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 433 20 em Serum des Versuchsthieres enthalten an festen Bestand- nheilemss se. ee Eee : a nn Ho Hierbei sei noch bemerkt, dass das aus der Daxmschin en entfernte Serum in beiden Fällen ein wenig trübe war, durch Öentrifugiren aber ebenso klar wurde wie das ursprüngliche Serum. Im Darm des vier Stunden todten Hundes hat also Resorption von Pferdeserum stattgefunden. Der Eiweissgehalt des in der Schlinge vor- handenen Serums ist gestiegen. Heidenhain fand dasselbe beim lebenden Thiere. Die osmotische Spannkraft, welche für das Versuchsthierserum und das Pferdeserum gleich war, ist während: dieser Resorption unverändert ge- blieben.! Gefrierpunkt- erniedrigung 0.548 1. Serum des Versuchsthieres . 0.548 | 0.549 0.551 0.555 \ 2. Ursprüngliches injieirtes Pferdeserum 0.553 | 0.554 0.554 | 0-550 3. Serum nach einem zweistündigen Aufenthalte in der ersten Darmschlinge 0202 Fl 5 0.549 18 : BE EEE 0.552 | . Serum nach einem zweistündigem Aufenthalte : 2 S 0.556 | 0.553 in der zweiten Darmschlinge . 0-551 | Hundeserum in einer Dünndarmschlinge eines 25 Stunden todten Hundes. Die angewandte Darmschlinge wird wieder auf dieselbe Weise mittelst der zu injicirenden Flüssigkeit gereinigt wie im vorigen Versuch. 20 ®® vom Pylorus wird ein Darmstück von 59 *% abgeschnürt. Ein- gespritzt 40 ° m; zu entfernen 5 Stunden nachher 26 °", 25 °m des ursprünglich Bet Serums enthalten an festen Bestandthelen . . . ba, anal 25 °m des nach 5 Stunden aus der Schlinge "entfernten Serums enthalten an festen Bestandtheillen . . . . . ...2...2-667 „ Das Versuchsresultat beim 25 Stunden todten Hunde stimmt also vollkommen überein mit dem beim 4 Stunden todten Thiere gefundenen. Letzterer Versuch war nicht überflüssig, weil die Bemerkung gemacht 1 Erst wurde das Serum gebraucht für die Gefrierpunktbestimmung und dann für die Dosirung der festen Bestandtheile. Archiv f. A, u. Ph, 1896. Physiol. Abthlg, 28 434 H. J. HAMBURGER: werden könnte, die Darmwand sei innerhalb 4 Stunden vielleicht nicht ab- gestorben. Gefrierpunkt- erniedrigung : ee £ 0.561 AZ % nn ee Be niedrigung des Versuchs- 0-560 0-560 SR 0.559 i 5 NE BE 0560 2. Die Gefrierpunkterniedrigung des injieirten Hundeserums betrug A ns ; 0.558 E ; : NER 0.558 3. Die Gefrierpunkterniedrigung des aus der Darm- : 0.558 0.558 schlinge entfernten Serums betrug 0.558 Auch in der Darmwand eines 25 Stunden todten Thieres ist also Serum aufgenommen. Hierbei ist der Gehalt an festen Bestandtheilen des in der Darmhöhle zurückbleibenden Serums gestiegen. Die osmotische Spannkraft, welche anfangs der des Versuchsthierserums gleich war, ist unverändert geblieben. Genau dasselbe fand Heidenhain beim lebenden Thiere. War also die Resorption im todten Darm nicht zu bezweifeln, so konnte es noch die Frage sein, inwieweit die postmortal noch bestehende Structur der Darmschleimhaut verantwortlich gemacht werden musste. Darum habe ich versucht, die Resorption bei künstlichen homogenen Mem- bramen nachzuahmen und das ist vollkommen gelungen. Das Capillar- gefäss wurde ersetzt von einem Gelatinerohr, die Gewebespalt von einem Mantelraum, welche dadurch entstand, dass das Gelatinerohr in ein weiteres Glasrohr hineingeschoben wurde. Bei den Versuchen stellte sich nun heraus: 1. dass, wenn Gelatinerohr und Mantelraum beide Serum enthielten und es wurde ein Serumstrom durch das Gelatinerohr hindurchgeführt, Serum aus dem Mantelraum mit dem Serumstrom mitgeschleppt wurde und zwar desto schneller, je nachdem der Serumstrom im Gelatinerohr schneller war; | 2. dass der im Mantelraum zurückbleibende Serum an Eiweissgehalt zunahm; 3. dass der Uebergang von Serum aus dem Mantelraum in das Ge- latinerohr zunahm, je nachdem der Druck im Mantelraum den im Gelatine- rohr übertraf. Die unter 2. genannte Erscheinung wurde, wie gesagt, auch von Heidenhain am lebenden Darm beobachtet und von mir am todten. Was die soeben unter 3. erwähnte Erscheinung betrifft, dass nament- lich der Uebergang von Flüssigkeit aus dem Mantelraum in das Gelatine- rohr zunahm, je nachdem der Druck im Mantelraum den im Gelatinerohr BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 435 mehr übertraf; diese Beobachtung machte es erwüuscht, nun auch beim lebenden Individuum den Einfluss des Druckes auf den Flüssigkeitsüber- gang in die Blutgefässe zu studiren. Für die Bauchhöhle ist das schon geschehen; ! die folgenden Seiten enthalten ein ähnliches Studium mit Bezug auf den Darm. Ausser den schon genannten Experimenten von Lieberkühn, habe ich über den Einfluss des Druckes auf die Darmresorption nur gefunden eine im Jahre 1885 in Heidenhain’s Laboratorium ausgeführte Arbeit von Leubuscher.? Leubuscher holte beim lebenden Hunde eine Darmschlinge hervor, band dieselbe an einer Seite ab und brachte dieselbe an der anderen Seite in Verbindung mit einem auf verschiedenen Höhen verstellbaren Reservoir. Dann wurde die Schlinge wieder in die Bauchhöhle zurückgebracht. Eine Stunde später konnte durch Entleerung und Messung berechnet werden, wie viel Flüssigkeit resorbirt war. Es stellte sich nun heraus, dass anfänglich die Resorption mit dem intraintestinalen Druck zunahm, dass aber, als der intraintestinale Druck eine gewisse Höhe erreicht hatte, die Resorptionsschnelligkeit abnahm. Der für die Resorption günstigste intra- intestinale Druck entsprach einem Druck von 80 bis 140 "m Quecksilber. Dass im Anfange die Resorption mit dem Drucke steigt, schreibt der Verfasser der Ausdehnung des Darmes zu; hierdurch vergrössert sich namentlich die resorbirende Oberfläche. Die bei fortgesetzter Drucksteigerung beobachtete Abnahme schreibt Leubuscher der Verlangsamung des Blut- stromes zu. Zu dem Aufsatz Leubuscher’s muss ich zwei Bemerkungen machen. Erstens ist es mir nicht recht verständlich, wie Leubuscher den intraintestinalen Druck bis auf Millimeter gemessen hat, während ja der Darm keineswegs flach in der Bauchhöhle liest. Diese Bemerkung ist aber untergeordneter Bedeutung. Die zweite ist von grösserem Interesse; denn dieselbe betrifft mehr den Grund der Sache. Leubuscher nimmt ohne Weiteres an, dass die durch Druck hervorgebrachte Ausdehnung des Darmes die Ursache der von ihm beobachteten Resorptionssteigerung ist. An die Möglichkeit einer anderweitigen Erklärung scheint er gar nicht zu denken; ebenso wenig Heidenhain, in dessen Laboratorium die Versuche angestellt wurden, und der auch später noch in seiner bekannten Abhand- lung ? die Arbeit eitirt. 1 Dies Archiv. 1896. S. 294. ° Leubuscher, Studien über Resorption seitens des Darmcanals. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. 1885. ® Neue Versuche über die Aufsaugung im Dünndarm. Pflüger’s Archiv. Bd. LVI. 8. 602. 98 * oO 436 H. J. HAMBURGER: Und doch muss a priori die Erklärung sofort ungenügend erscheinen, wenn man bedenkt, dass die Darmschleimhaut bei einer Drucksteigerung von 30 bis 100 "m Quecksilber doch nicht eine so bedeutende Ausdehnung erfährt, dass allein hierdurch eine SO starke Resorptionsbeschleunigung er- klärt werden kann, als dieselbe von Leubuscher beobachtet wurde, nament- lich von 94 zu 165 em pro Stunde. Bei meinen Versuchen, welche wie gesagt, beabsichtigten den Einfluss des Drucks auf den Resorptionsprocess zu untersuchen, wurde die Er- weiterung des Darmes ausgeschlossen. Ich habe Letzteres auf zwei Weisen erreicht. 1. Indem die Darmschlinge in ein festes Rohr gelegt wurde, welches ungefähr dieselbe Krümmung hatte wie die Schlinge. 2. Indem die mit Flüssigkeit versehene, beiderseits verschlossene Darm- schlinge, nachdem dieselbe in die Bauchhöhle zurückgebracht war, dem Einfluss eines äusseren Druckes ausgestellt wurde. Dieser Druck wurde hervorgebracht durch Lufteinblasung in das Abdomen. Nach beiden Methoden sind Versuche angestellt. I. Einfluss des intraintestinalen Druckes auf die Darmresorption. 1. Methode. Der mittelst Morphium und Chloroformäther narkotisirte Hund wird auf die Seite gelegt. Durch einen Schnitt in der Linea alba wird die Bauch- höhle geöffnet und dann eine Darmschlinge zum Vorschein geholt. Die Schlinge wird in einen Apparat gelegt, welcher folgender Weise construirt ist (s. Fig. 1). Man denke sich ein ziemlich dickes Stück Brett, in welchem ein Canal ausgehackt ist. Der Canal ist derart gekrümmt, dass die Schlinge bequem darin liegen kann, ohne dass das 5 Mesenterium gezerrt wird. Natür- lich ist die Krümmung für jedes c AN Thier nicht. dieselbe. a KL b ö stellt den Querschnitt des - a Darmes vor. Mittelst eines Scheerenschnittes in schräger Richtung wird die Schlinge an einem der beiden Enden geöffnet und die Oefinung versehen mit einem Kork, in welchen ein Glasröhrehen genau passt. Der Kork, an dessen Oberfläche sich eine circuläre Rinne befindet, wird im Darme be- festigt mittelst eines durch das Mesenterium durchgestochenes und um den Darm geknüpften Bändchens,. Fig. 1. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 437 Weiter wird auch am anderen Ende der Schlinge schräg mit der Scheere eingeschnitten und dann wird aus einem mit dem eben genannten Glasröhrchen verbundenen Reservoir der Darm mit 0-9-procentiger NaÜl- Lösung durchgespült. Diese Durchspülung ist nicht überflüssig, sogar wenn der Hund 24 Stunden gehungert hat; denn oft sieht man mehrere Stücke Bandwurm zum Vorschein treten. Nach der Durchspülung wird auch das offen gebliebene Ende der Schlinge mit Kork und höhrchen versehen. Mit letzteren ist noch ein Stückchen Gummirohr verbunden, das mittelst einer Klemme abgeschlossen werden kann. Die an beiden Enden der Schlinge gemachten Oeffnungen an dem angrenzenden Darm werden mittelst Bändchen verschlossen. Jetzt wird Brett cd auf ab gelegt. Wie aus der Figur ersichtlich, ist auch in cd ein Canal gemacht, welcher genau dem gegenüber liegenden entspricht. Wenn die Brettehen ad und cd mittelst drei Schrauben (in der Figur ist nur eine, ss’, sichtbar) aufeinander gedrückt sind, bleibt bei m noch eine Spalte für den Durchgang des Mesenteriums übrig. Ich muss hierbei noch bemerken, dass der Darm nicht unmittelbar begrenzt wird von Holz, denn die beiden Canäle sind ausgekleidet mit je einer Hälfte eines in der Länge durchschnittenen festen Gummirohres. Unmittelbar nachdem die Schlinge aus der Bauchhöhle entfernt war, bedeckten wir, um Austrocknen und Abkühlung möglichst vorzubeugen, dieselbe und auch das entsprechende Mesenterium mit einem grossen Stück dünnen Kautschuks. Während des ganzen Versuches wurde auf das Ver- meiden von Austrocknen und Abkühlen geachtet. Jetzt kann die Schlinge definitiv gefüllt werden. Das Reservoir ist ein Trichter mit weiter Oeffnung und engem Halse. Die Druckhöhe wird gemessen von der mittelst Tinte angegebenen Grenze zwischen Oefinung und Hals bis an die obere Seite des Brettchens «ab. Jedesmal werden 2 cm Flüssigkeit in den Trichter gebracht, und man wartet bis das Niveau wieder zu der genannten Grenze hinabgestiegen ist. Zuweilen findet dies sehr schnell statt, viel schneller als die Resorp- tionsschnelligkeit entspricht. Anderemale findet die Senkung wieder zu langsam statt. Die Ursache ist gelegen in den nicht immer regelmässigen Darmeontractionen. Consequent wurde aber stets die Zeit aufgezeichnet, wo die Flüssigkeit sich zum ersten Male bis an die Grenzlinie gesenkt hatte. Durch eine plötzlich auftretende kräftige peristaltische Bewegung wurde zuweilen relativ viel Flüssigkeit aus der Darmschlinge in den Trichter zurückgetrieben. Aber da letzterer eine weite Oefinung besass, konnte die Flüssigkeit dadurch nicht bedeutend über die Grenzlinie hinaus aufsteigen und konnte dadurch also der intraintestinale Druck keine zeitweise Stei- gerung von einiger Bedeutung erfahren. 438 H. J. HAMBURGER: Es sollte nun untersucht werden, inwieweit bei unserem Versuchsverfahren die Resorption unverändert bleiben würde, so lange der intraintestinale Druck constant- war. Nun erwähnt Funke schon, dass die Resorption von Peptonlösungen seitens des Darmes mit der Zeit abnimmt,! von Becker theilt, dasselbe mit bezüglich Zuckerlösungen,? Tappeiner für gallensaure Salze,’ Leu- buscher für destillirtes Wasser.“ Keiner dieser Forscher gebrauchte aber Flüssigkeiten, welche mit dem Blutserum des Versuchsthieres isotonäsch waren, was natürlich zu Complicationen durch Osmose Veranlassung geben musste. Destillirtes Wasser hat ausserdem .den Nachtheil, schädlich auf die Schleimhaut zu wirken. Diese schädliche Wirkung nimmt zwar mit der Zeit ab, weil durch die osmotische Wirkung das Wasser Salze aus dem Blute aufnimmt, aber in Leubuscher’s Versuchen wird, während die also sich bildende Salzlösung resorbirt wird, immer wieder neues Wasser aus dem Reservoir angeführt. Wenn ich hier insbesondere über Leubuscher’s Experimente spreche, so ist es, weil nur dieser Forscher ein paar Versuche in dieser Richtung ausgeführt hat, während die vor ihm genannten Autoren die Abnahme der Resorption mit der Zeit nur vorübergehend erwähnen. Wirft man einen Blick auf die Zahlen Leubuscher’s, so scheint die Abnahme der Resorption, wenigstens im Anfang, sehr bedeutend zu sein. Auf S. 826 findet man, dass bei einem intraintestinalen Druck von 100 mm Wasser aus einer Darmschlinge resorbirt wurden: in der ersten Stunde . . . .....55 em Wasser N Zweiten ne Rn EB „ „e,92.dritten#t 5 Dt la Y Bedenkt man aber, auf welche Weise der Verfasser die erste Zahl er- halten hat, so erleidet es keinen Zweifel, dass dieselbe zu gross angeschlagen ist. Leubuscher füllte namentlich die Darmschlinge mit einer bekannten Wassermenge und untersuchte wie viel Wasser nöthig war um den intra- intestinalen Druck constant zu halten. Nachdem der Versuch eine Stunde gedauert hatte, wurde der Darm entleert, die entfernte Flüssigkeit gemessen und die gemessene (Juantität von der total verbrauchten substrahirt. Und so fand er dann, dass in der ersten Stunde 55 «m Wasser resorbirt waren. Leubuscher hat aber zu bedenken vergessen, dass bei der Entleerung des Darmes immer noch Flüssigkeit an der Wand haften bleibt und dass diese Flüssigkeit nicht als resorbirte in Rechnung gebracht werden darf. Er ! Lehrbuch der Physiologie. Bd. I. S. 354. ? Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1854. ® Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. 1878. 8. 288. * Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. 1885. 8. 824. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 439 hätte dem Fehler vorbeugen können, wenn er vor dem eigentlichen Versuch den Darm mit Wasser ausgespült hätte. Die beiden anderen Versuche enthielten natürlich diesen Fehler nicht, und in der That stellt sich dann auch heraus, dass die Resultate nicht so viel von einander abweichen als die des ersten und zweiten Experimentes.. Und dies wäre sonst wohl zu erwarten gewesen. ® Nach der oben gegebenen Auseinandersetzung meines Versuchsver- fahrens kann die blosse Erwähnung der Resultate jetzt genügen. Versuch. Kleiner Hund = 6*®; Darmschlinge 17 °“; intraintestinaler Druck 4 m, . 2 em (.9-procentige NaCl-Lösung werden resorbirt in 3—3—1-5—2-.5—5.5—2—3—4—3—3.5—2-5——3-5—3—3-5—2—3—3 — 3—3—4 5 — 2—3—2.5—8—4—3—3—3—2—4—3—4—3—3-5—2-5—2—4-5—3-5—3—4 Minuten. Diese Zahlen weichen von einander ab, was, wie schon bemerkt wurde, der Peristaltik des Darmes zugeschrieben werden muss. Nimmt man die Beobachtungen dann auch über einen grösseren Zeitverlauf, so fallen die Schwankungen fort. Berechnet man z. B. aus den Zahlen, wie viel Zeit die Resorption von je 10 «m erfordert, so findet man 15-5—15—14-5—16-5—14-5—15—16—16 Minuten. Aus diesen Zahlen geht hervor, dass bei unserem Versuchsverfahren die Resorption während zwei Stunden constant bleibt. Der folgende Versuch ist auf dieselbe Weise ausgeführt wie der voran- gehende. Hund #10*8; Darmschlinge 17°“; intraintestinaler Druck 4. 2m der 0.9-procentigen NaUl-Lösung werden resorbirt in 3—4—3-5—4—4—4—4—4-—4—8 -2-—4—5—3.5—45—4:5—5—2—3—3—4— 5 4— 3-5—3-5—4—4—2—8-5—3—5—3-5—4—4-5—4— 3:5 Minuten. Berechnet man auch aus dieser Versuchsreihe, wie viel Zeit die Re- sorption von je 10° erforderte, so findet man 18-5—19—18-5—17-5—19-5—17— 19-5 Minuten. Eine andere Darmschlinge desselben Hundes und auf dieselbe Weise gebraucht wie die erste, ergab folgende Zahlen: 4—4—4—4—5—3—6—2-5—4—5—4—4—5—4—5— 4.5456 —3—4—4—4—1— 6—4—4—5— 4:5 —4—4—4—5—2—6—5 Minuten. Die Resorption von 10a findet statt in 21—20-5—22—22—19—21.5—22 Minuten. Aus diesen Experimenten geht hervor, dass bei unserem Versuchsverfahren die Resorptionsschnelligkeit sich in den ersten zwei Stunden constant zeigt. Und das wird von späteren Versuchen noch bestätigt. 440 H. J. HAMBURGER: Darm und Mesenterium sahen nach diesem Zeitverlauf noch normal aus. Nur ein einzelnes rothes Pünktchen war am Ende im Mesenterium zu beobachten. Jede Ziehung oder Zerrung war sorgfältig vermieden. Jetzt konnten wir schreiten zur Behandlung der eigentlichen Fragen, namentlich ob der intraintestinale Druck Einfluss auf die Re- sorption ausübt. : Die folgenden Beobachtungen geben auf diese Frage eine Antwort. Versuch. Hund + 6*®; Darmschlinge 17 m. Intraintestinaler Druck 2 m der 0-9-procentigen | 10 = der 0-9-procentigen gemessen in em NaCl- |NaCl-Lösung werden resor- | NaCl-Lösung werden resor- Lösung von 0-9 Procent birt in birt in 4-5 Minuten em Sum 5 5 24 Minuten ce .. 4-5 > 6 B 1 » 3525 5 % Da al, 5 > 5 » 3 » 1 > 3 5 > es 4-5 cH 4 » 4 ep ı 8 4 = 19.005 | 3 > 2 ” 2-5 oo | 14 „, 2-5 > 13-5 „ a 3-5 > 2 »» 2 » NEN 3-5 5) | 14 > 3-5 3 3 „ BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 441 Aus diesem Versuch ergiebt sich deutlich eine Zunahme der Resorption bei Steigerung des intraintestinalen Druckes. Und diese Zunahme entsteht gewiss nicht durch Ausdehnung des Darms. Dies geht daraus hervor, dass, als dem Reservoir ein erhöhter Stand gegeben wurde, um den intraintesti- nalen Druck von 3 auf S" und von 8 auf 14°” zu bringen, das Flüssig- keitsniveau im Trichter kaum sank. Wiederholung des Versuchs bei demselben Hund an einer auf 5 m der ersteren gelegenen anderen Darmschlinge. Intraintestinaler Druck, gemessen in cm 0.9-proc. 20 der 0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- 10 «m der O0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- NaCl-Lösung birt in birt in 2. Minuten | | ie am 2 BA 12 Minuten De 2 > 1 E2) 3 3 14 „ 3 bo lo DD 2 > 5 > ei, 3% 5 es DDeDe nn | 6 >> 2 > 8 >> 3% Del: 26-5 5 5 6 » Dieser Versuch giebt dasselbe Resultat wie der erste. Derselbe wird auf gleiche Weise wiederholt bei einem anderen Hund. Intraintestinaler Druck, gemessen in cm 0+-9-proc. NaCl-Lösung 2 ccm der 0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- birt in 10 °® der O0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- birt in Minuten 4 4 4 & 4 3 19 Minuten 449 H. J. HAMBURGER: (Fortsetzung.) Intraintestinaler Druck, es der 0-9-procentigen | 10m der 0-9-procentigen gemessen in cm 0-9-proc. | NaCl-Lösung werden resor- | NaCl-Lösung werden resor- NaCl-Lösung birt in birt in 4 Minuten 2 > ua 5 a | 19 Minuten 4 »» z » 2 > 1-5 ee 14 „, 1-5 5 9 > 2 » 2 > 2 u | 2°5 > 14 „, | 3 5 1029 2 = ® 1 > 4 » 4 > 38, 4 > 20 >> 4 » 4 » 6 » 1 > 3 5 e 22 > 5 » 5 » Versuch mit einer anderen Darmschlinge des für das vorige Experi- ment gebrauchten Hundes. Intraintestinaler Druck, 2° der 0-9 procentigen 10 °= der 0-9-procentigen gemessen in cm 0-9-proc. | NaÖl-Lösung werden resor- | NaCl-Lösung werden resor- NaCl-Lösung | birt in birt in 2 Minuten 2-5 5 j4 m 3 5 11 Minuten 1°5 35 2 BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 443 (Fortsetzung.) Intraintestinaler Druck, 2 cm der 0-9-procentigen 10 «= der 0-9-procentigen gemessen in cm 0-9-proc. | NaCl-Lösung werden resor- | NaCl-Lösung werden resor- NaCl-Lösung birt in birt in 2 Minuten 2 £2 ago 3 Fi 13 Minuten 3 » 3 > 4 » 4 » 305 4-5 5; UHR 4 „> 4 £2} 1 3 6 »» 35 5 35 2G°3, A »» 4-5 3 3 » 3 » 14 „ 2-5 » 12 er 2 ” 1:5 55 2 er) 4 2) 14 3 5, 11 3 1 E22 1 Hund # 58; Darmschlinge 17". Intraintestinaler Druck, gemessen in cm 0+9-proc. NaCl-Lösung 2 der 0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- birt in 10 «= der 0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- birt in Minuten 26 Minuten 444 H. J. HAMBURGER: (Fortsetzung.) Intraintestinaler Druck, gemessen in cm 0-9-proc. 2m der 0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- 10 ° = der 0-9-procentigen IN aCl-Lösung werden resor- NaCl-Lösung birt in birt in 3-5 Minuten 3-5 35 Scm 4 : 18 Minuten We | 4 & ) 6 ER | 30% 4 5 f PRO) 10 2 | 765) er 4 3 3 & 8 4 r 19 3 3-5 55 | 4-5 5 5 E2} 5-5 7 3 5 55 Dede 5 9 5 E} , 5 Er en Ss 3 R 19 ” N 4 Versuch mit einer anderen Darmschlinge; derselbe Hund des vorigen Experiments. Intraintestinaler Druck, gemessen in cm 0+-9-proc. 15200 der 0-9-procentigen NaCl-Lösung werden resor- 10 em der 0-9-procentigen NaCl-Lösang werden resor- NaCl-Lösung birt in birt in 2 Minuten we | 14 cm 3 5 12-5 Minuten | 2-5 r BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 445 (Fortsetzung.) Intraintestinaler Druck, 2» der 0-9-procentigen 10 °°® der 0-9-procentigen gemessen in cın O-9-proc. | NaCl-Lösung werden resor- | NaCl-Lösung werden resor- NaCl-Lösung birt in birt in 4 Minuten 4 » Span 4 5 21 Minuten B) S 4 ” 1 „ 3 &) e 1a, 1 S IK TS 3 » 3 hs 5 ” 4 ” 3 „ 3 B) >} 20 Er) | 4 „ 2 3 2 2) 1A, DEINEN 10-5 „ 2 ” 2 2 4 29 4 te 3 5 » asp, 2. | 200, Vergleicht man die Resorptionsschnelligkeit beider Darmschlingen des letzteren Hundes bei einem intraintestinalen Druck von 3", so ergiebt sich, dass in der letztgebrauchten Darmschlinge die Resorptionsschnelligkeit bedeutender ist als in der ersteren. Aber seit den Untersuchungen Tap- peiner’s! und von Launois und Lepine? weiss man, dass das resor- birende Vermögen der verschiedenen Abtheilungen des Dünndarmes sehr 1 Ueber die Aufsaugung gallensaurer Alkalien im Dünndarm. A. a. O. ? Sur la maniere differente dout se comportent les parties superieures et infe- rieures de lintestin grele au point de vue de l’absorption et de la transsudation, Archives de Physiologie. 1883, Tome I. p. 92. 446 H. J. HAMBURGER: ungleich ist, eine Erscheinung, für welche Leubuscher eine annehmbare Erklärung gegeben hat. Er zeigte namentlich,! dass ein auffallender Unter- schied besteht zwischen der Anzahl Becherzellen im Duodenum, Jejunum und Ileum. Jedenfalls ergiebt sich einstimmig aus den von uns be- schriebenen Versuchen, dass bei Erhöhung des intraintesti- nalen Druckes die Resorption im Darme steigt. II. Einfluss des intraintestinalen Druckes auf die Resorption im Darme. Zweite Methode. Wurde bei der ersten Methode der intraintestinale Druck erhalten, indem die in der Darmschlinge sich befindende Flüssigkeit in Verbindung gesetzt wurde mit einem auf verschiedene Höhen verstellbaren Reservoir; so wurde bei der zweiten Methode der Druck hervorgebracht und geregelt durch Lufteinblasung in die übrigens hermetisch geschlossene Bauchhöhle mit oder ohne künstliche Aufblasung des Rectums. Ich experimentirte in folgender Weise: Bei einem tief narkotisirten Hunde wird in der Bauchwand derselbe kleine Apparat applicirt, welcher früher bei den Untersuchungen über den Einfluss des intraabdominalen Druckes auf die Resorption in der Bauch- höhle gebraucht wurde,” und welcher dazu diente die intraabdominale Flüssigkeit unter einem willkürlichen Druck zu halten. Dann wird 3°® vom Apparat entfernt ein Schnitt in die Linea alba gemacht und eine Darmschlinge hervorgeholt. Die Schlinge wird ausgespült mit einer lauwarmen Kochsalzlösung und dann wird vorsichtig die überflüssige Flüssigkeit entfernt. Die Ausspülung hat einen doppelten Zweck: erstens wird hierdurch die Darmmucosa ge- reinigt, zweitens vermeidet man hierdurch einen groben Fehler beim ersten Versuch.? Nach der genannten Ausspülung wird die Schlinge an einer Seite ver- schlossen und an der anderen Seite gefüllt mit 100° einer lauwarmen 0-9-procentigen NaCl-Lösung. Die Schlinge ist so lang, dass durch diese Füllung gar keine Spannung besteht. Jetzt wird auch das zweite Ende 1A: O0 HS.n8l: ?2 Dies Archiv. 1896. 8. 298. ® Vergl. hierzu S. 412. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 447 verschlossen. Anfangs gebrauchte ich hierzu Bleidraht; bald aber, um eines guten Verschlusses sicher zu sein, nahm ich ein Bändchen. Alle Manipulationen werden möglichst schnell ausgeführt; Abkühlung und Austrocknung möglichst vermieden. Die Schlinge wird nun in die Bauchhöhle zurückgebracht; die Bauchwand wird mittelst einer Reihe starker Klemmpincetten hermetisch geschlossen. Jetzt muss Luft in die Bauchhöhle geblasen werden. Hierzu wird das in der Bauchwand befestigte Klemmrohr mit einem Gummischlauch ver- sehen, welcher selbst wieder einen Seitenast zum Wassermanometer sendet. Wurde nun mittelst eines Dieulafoy’schen Aspirators Luft in den Gummi- schlauch geblasen, so füllte sich die Bauchhöhle mit Luft und gab der Manometer den in derselben herrschenden Luftdruck an. Der Stand des Manometers wurde während des Versuches überwacht und wo nöthig, auf die ursprüngliche Höhe zurückgebracht. Nachdem die Flüssigkeit während einer bestimmten Zeit in der Darm- schlinge verweilt hat, wird letztere aus der Bauchhöhle zum Vorschein geholt und vorsichtig entleert. Eine einfache Subtraction lehrt, wie viel von der 100 em Flüssigkeit resorbirt worden ist. Bevor nun angefangen werden konnte den Einfluss des intraintestinalen Druckes auf die Resorption zu untersuchen, wünschte ich zu wissen, in wie weit auch bei dem jetzt anzuwendenden Versuchsverfahren die Resorption bei constantem Druck constant sein würde. Versuch. In eine 30°@ lange, ausgespülte Darmschlinge werden 100 ® einer lauwarmen isotonischen Kochsalzlösung gebracht. Die Darmschlinge wird in die Bauchhöhle zurückgelegt und letztere nachher geschlossen. Es wird keine Luft eingeblasen. 1!/, Stunde nachher sind noch 52 m übrig. Der Versuch wird mit derselben Schlinge auf vollkommen dieselbe Weise wiederholt und zwar mit folgendem Resultate: In einer halben Stunde aus der Darmschlinge ver- schwunden Die Kochsalzlösung verweilt in der Darmschlinge 95 15 bis 96 45 Min. 48, ccm 105 1080, A 10545, Ka 49-5, ua, a 46 „ 12h 15 ,„ 12545 „ 44, mer. ne, 40-5 ,, ro 36 DEZ EEE In EHI! 33-5, 448 H. J. HAMBURGER: Aus dieser Tabelle erhellt, dass in den ersten 4 bis 5 Versuchen die Resorption constant ist, dass dieselbe aber in Abnahme begriffen ist. Nun zeigte sich die Bauchhöhle bei den letzteren Experimenten auf- fallend feucht; die Flüssigkeit war sogar blutig. Handelte es sich hier um eine Blutung aus dem angeschnittenen Darm oder um eine haemorrhagische Entzündung? Von Entzündung war hier nicht die Rede, denn die mikro- skopische Untersuchung der rothen Flüssigkeit zeigte nur rothe Blutkörper- chen, keine Leukocyten. Für eine Blutung war die Flüssigkeit aber viel zu dünn; aber vielleicht bestand eine Combination von Blutung und un- vollkommener Abschliessung der Schlinge durch den Bleidraht. Auch im Darme zurückgebliebene Flüssigkeit war bei den letzteren Versuchen etwas roth. Der Versuch wurde wiederholt bei demselben Hund, aber mit einer anderen Darmschlinge. Die Bauchhöhle wurde mittelst fettfreier Watte genau ausgetupft und eine neue Schlinge zum Vorschein geholt. Jetzt wurde statt Bleidraht ein Bändchen gebraucht. Bevor die Schlinge in die Bauchhöhle zurückgebracht wurde, constatirte man, dass der Darm gut verschlossen war. Die Koi an in der au ne ATIIScH les schwunden 3h 30 bis 4& — Minuten Aneecm An NA Aa: Hurt Pr 39.5, HuAH cs 5 40 , Gh Sue, Amer Ele Ta na, Su nr u gan Ay 31-5, Auf’s Neue dasselbe Resultat; wieder nach dem 5. Versuch blutige Flüssigkeit in der Bauchhöhle. Dass die Schlinge vollkommen geschlossen hatte, davon konnte ich mich auch vor der Entleerung der Darmschlingen jedesmal überzeugen. Auffallend war, dass sich in der Serosa der Schlinge kleine Haematome befanden, und dass dieselben zu meinem nicht geringen Erstaunen nach jedem Versuch in Anzahl zunahmen. Letzteres war auch der Fall bei den im entsprechenden Mesenterium der Schlinge vorkommenden kleinen Blutergüssen. Die Haematome fehlten ganz in den nicht gebrauchten Darmtheilen. Weiter zeigte sich, dass die Schlinge nach jedem Versuch sich mehr ver- längerte. Wiederholung des Versuches bei einem anderen Hunde. Länge der Schlinge 30°®. Eingeführte Flüssigkeit 100 «m, BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 449 2 e: a. In einer halben Die ra injder aus der De 5 ‚schwunden 9b - Dis 9% 30 Minuten HAlskccm en ale DA „ 108300, 524 ee a Den, a ee | 53-5, al N EEE. Damen ee an 50), een: AA CH 445, a0 Al T,, aus an, 10 a a ee Sa In den ersten Versuchen ist die Resorption constant. Die Darmober- fläche sieht vollkommen normal aus; ebenso die aus den Schlingen ent- fernte Flüssigkeit; in der Bauchhöhle keine Spur von Flüssigkeit, Beim 6. Versuch findet man ein wenig rothe Flüssigkeit auf der Darmschlinge und auf dem Mesenterium; die Resorption ist, wenn man will, ein wenig gesunken. Bei jedem der folgenden Versuche nimmt die Menge der in der Bauchhöhle zum Vorschein tretenden rothen Flüssigkeit zu. Die intraintestinale Flüssigkeit selbst ist leicht roth gefärbt; aber die rothe Farbe nimmt bei Fortsetzung der Versuche nicht zu; was wohl der Fall ist mit der Zahl der Haematome. Wiederholung des vorigen Versuches. Die a en in der ar ee. an 36> schwunden 9b 30 bis 10% — Minuten 60. com OR 5 NORA 62, a en) 59-5 ,, az, are Ba Wan 60, LER Re. Bern on oe) Bone Sn ee, 49 ,„ Sargon a, 0) A Au, 55 AT, Auch hier fängt die Resorption an abzunehmen, nachdem die isotonische NaCl-Lösung während 2 bis 3 Stunden in der Darmschlinge verweilt hat. Das stimmt überein mit den Angaben von Funke, von v. Becker, Tap- peiner und Leubuscher. Nun mag es fremd erscheinen, dass keiner Archiv f. A. u. Ph. 1896, Physiol. Abthlg. 29 450 H. J. HAMBURGER: von Allen über die anderen hierbei stattfindenden Erscheinungen spricht (Auftreten von blutgefärbter Flüssigkeit in der Bauchhöhle, von Haematomen in Darmserosa und Mesenterium und von Verlängerung des Darmes). Und doch — ich habe mich bei vielen Versuchen wiederholte Male davon über- zeugt — fehlen die Erscheinungen niemals. Dieselben fallen immer mit der Abnahme der Resorption zusammen. Letzteres hat mich auf den Gedanken gebracht, zwischen den ge- nannten Erscheinungen einen ursächlichen Zusammenhang zu suchen. Man kann sich denselben in folgender Weise vorstellen: bei langwährendem Aufent- halt der NaCl-Lösung in der Darmschlinge bleiben die Gewebe nicht normal; das muss insbesondere der Fall sein bei den Capillaren und Venen, welche nicht nur von aussen von einer Salzlösung umspült sind, sondern auch das mit NaCl-Lösung verdünnte Blut abführen. Diese Permeabilitätsänderung hat das Austreten einer mit Blutkörperchen reich versetzten Flüssigkeit zur Folge; welcher Austritt örtlich sogar zu Haematomen an der Oberfläche des Darmes Veranlassung gab. Auch die abführenden Mesenterialgefässe werden durch das wässerige Blut mehr permeabel und lassen blutige Flüssig- keit hindurchtreten. Weiter erschlaffen die Muskeln, so dass Lumen und Länge des Darmes sich bedeutend vergrössern. Es leuchtet ein, dass von der bei der Resorption seitens der Blutgefässe mitgeführten Flüssigkeit ein Theil wieder aus den Venen in das Darm- lumen zurückkehren können wird, so dass hierdurch die Resorption ab- zunehmen scheint. Doch hierüber können wir sofort eingehender sprechen. Jetzt constatiren wir nur, dass die Resorption während zwei Stunden constant bleibt und dass also die Versuche, welche über den Einfluss des Druckes auf die Resorption entscheiden müssen,! innerhalb dieses Zeitraums fallen müssen. Jetzt noch die Frage, welchen Einfluss hat der intraabdo- minale Druck auf die Darmresorption? Versuch. In eine ausgespülte Darmschlinge von 30°® Länge werden 100 ccm 0-9-procentiger NaCl-Lösung eingeführt. Die Schlinge wird in die Bauch- ! Es liegt auf der Hand, dass dieser Zeitraum für verschiedene Thiere caeferis paribus nicht ganz derselbe und auch für verschiedene Stoffe verschieden sein wird. So liest man bei Tappeiner (a. a. O., S. 288), der mit Lösungen gallensaurer Salze arbeitete, „dass die in den aufeinander folgenden Zeiten resorbirten Flüssigkeitsmengen eine, wenn auch geringe, so doch namentlich von der dritten bis vierten Stunde an deutlich wahrnehmbare Abnahme erfahren. Es tritt in dieser Zeit eine Ermüdung der Darmschleimhaut ein“. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 451 höhle zurückgebracht und letztere verschlossen. Eine halbe Stunde nachher wird der Darm entleert: und der Versuch wiederholt, doch jetzt mit Auf- blasung der Abdominalhöhle. Die folgende Tabelle giebt eine Uebersicht der erhaltenen Resultate. Künstlicher Druck in der | . En Lee Bauchbähe dar Lat la onfit Sachen kn, Bemerkungen Keine Lufteinblasung. .| 1007-2 Holkee | OK Wasser: 0.2.7. 2] 100 „, GR | Or Wasser u. :..| 100 „ He | Keine Lufteinblasung. . 100 „ | 50-5 „, Rosa Wasser 00.2. 100 „, or Keine Lufteinblasung. . | 100 „ | AU 10@ Waser ... .| 100 „ Bean Rothe Flüssigkeit in | der Bauchhöhle | Aus dieser Tabelle geht hervor, dass bei künstlicher Steigerung des intraabdominalen Druckes die Resorption zunimmt, erst von 52 bis 67 und 65 °m, dann weniger (von 50-5 bis 60 °®) um später abzunehmen (von 40 bis 36 m), Die Steigerung ist noch zu beobachten beim 5, Versuch. Bei der letzten Oeffnung der Bauchhöhle zeigt sich blutige Flüssigkeit. Wiederholung des Versuches mit einem anderen Hund. Künstlicher Druck in der Bauchhöhle durch Luft- A nefährt en Bemerkungen einblasung = O (keine Lufteinblasung) | 1O0.SEm | 44.5 cm 10x Wasser ... | 100 ‚, | a Ne | OÖ (keine Tafteiublasung) | 100.5, | 468); | 10 m Wasser . . 100 „, 6225 O (keine ten) 100 Aa Die Darmschlinge | ‚ist von aussen roth | und feucht 10m Wasser? .. . | 100 „, BSR, | O (keine Infteinblasanen] 100 ‚, 40, I; Viel rothe Flüssig- | keit in d. Bauchhöhle 10m Wasser . . | 100 „ gm, a 2 O (keine In temblesung) 100 „, Al en ” TOD Wasser'; =. us 0% 100 „, 23 ” 2 Auch dieser Versuch giebt anfänglich eine Resorptionssteigerung bei Druckerhöhung; aber später nimmt bei Zunahme des Druckes die Resorption in nicht geringem Maasse ab. Die folgenden Versuche bilden eine Wiederholung der vorangehenden. 29* 452 H. J. HAMBURGER: Künstlicher D ruck In die Darm- Resorbirt während en schlinge eingeführt | einer halben Stunde Bemerkungen 0) 100rSm Hoscem 6 100 „ 68. „, 14 100 „ 79, ) 100 „ Bd0r 6 100 „, 67, 14 100 „, 66 „, ) 100 „, Bro 6 100 „ 42, 14 100 „, BA, 6 100 „, 43 „ 14 100 „ 33-,, 6 100 „, Ai, Anderer Hund: 0 100 «m 40 com 6 100 „, 52-5, 14 100 „, BASERN, 14 100 „ 65° 6 100 „, 50 „ 0 100 „, 3937, In der Bauchhöhle ein wenig rothe Flüssigkeit 0 100 „, 36, 6 100 „ Br, 14 100 ‚, 22m N) 100 „, Bone 14 100 „ DE 0 100 „, 30-5, Anderer Hund: 0 100 „, Sn 12 100 „, Bo. 12 100 „, 8620, 12 100 „ BAHR, ) 100 „, BO, | 0 100 „, Dass), In der Bauchhöhle ein wenig rothe Flüssigkeit 12 100 „, A) 12 100 „ 40 ,„ 0 100 „, DOW 0 100 „, Ag ie 12 100 „ a 6 100 „, A 0 100 „, ZDuRe,, BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 453 Alle diese Versuche lehren einstimmig, dass so lange der Darm in normalen Umständen sich befindet, die Resorption mit dem intraintestinalen Druck zunimmt. Wird aber der Darm abnormal, so findet gerade das Umgekehrte statt: je höher der intraabdominale (intraintestinale) Druck, desto langsamer verschwindet die Flüssigkeit aus dem Darm. Der Gegensatz lässt sich nicht schwer erklären. Durch Lufteinblasung in die Abdominalhöhle wird die Darmwand gegen den flüssigen Inhalt angedrückt; hierdurch entsteht ein kräftigeres Eindringen der Flüssigkeit in die resorbirenden Blutgefässe der Wand, also eine Vermehrung der Resorption bei Steigerung des intraabdominalen Druckes. Befindet sich nun auch Flüssigkeit aussen auf dem Darm, so wird die Lufteinblasung auch auf diese Flüssigkeit ihren Einfluss geltend machen; dieselbe wird durch den intraabdominalen Druck von aussen nach innen getrieben, theilweise in die Blutgefässe, theilweise in das Darmlumen, und zwar in desto grösserer Quantität, je nachdem der Druck höher ist. Und so stellt sich dann heraus, dass auf diese Weise mit der Steigerung des intraabdominalen Druckes die Darmresorption abnehmen muss. Wir lassen hier noch einige Versuche folgen, wobei die Steigerung des intraintestinalen Druckes in einer Schlinge ganz oder theilweise erzielt wird durch Füllung eines anderen Theiles des Darmcanals, bezw. des Dick- darmes. Im ersten Fall wird der Druck ausschliesslich dadurch gesteigert, dass in das Rectum ein cylindrischer Gummiballon eingeführt wird und in aufgeblasenem Zustand darin gehalten wird. Im zweiten Fall wird erst Luft in die Bauchhöhle eingeblasen, dann der jetzt auftretende Gasdruck be- stimmt und durch künstliche Ausdehnung des Dickdarmes erhöht. Versuch. Eine 30 ®@ lange Darmschlinge wird, nachdem dieselbe auf die ge- wöhnliche Weise ausgespült ist, mit 100 «® einer O.9-procentigen NaUl- Lösung versehen. Es werden in der ersten halben Stunde resorbirt 42 «m, Nachdem wird das Colon descendens ausgedehnt mittelst eines dünnen Gummiballons, der um ein Bleirohr befestigt ist; das Bleirohr ist an dem durch den Ballon umschlossenen Ende mit Löchelchen versehen. Es werden in einer halben Stunde resorbirt 48.5 em, Nachher wird die Luft aus dem Ballon freigelassen und der Versuch wiederholt. Die jetzt in einer halben Stunde resorbirte Flüssigkeit beträgt 41 m. 454 H. J. HAMBURGER: Nun wieder ein Versuch mit Aufblasung des Ballons; resorbirte Flüssig- keitsmenge 47 m, Man sieht, dass bei vermehrter Füllung der Bauchhöhle die Resorption zunimmt. Wie man sich das zu erklären hat, wird in Abschnitt IV näher aus- einandergesetzt werden. Bei einer anderen Darmschlinge desselben Thieres werden die Ver- suche wiederholt, aber mit dem Unterschied, dass jetzt der intraintestinale Druck erst gesteigert wird durch Lufteinblasung in die Bauchhöhle und dann eine zweite Steigerung erfährt durch Aufblasung des Colons. Die in die Bauchhöhle eingeblasene Luft hat einen mittleren Druck von 8 em Wasser; durch Aufblasung des Colons steigt der Druck zu 11.5 m. Mit beiden Druckgrössen werden Versuche angestellt. Der Aufenthalt der Flüssigkeit in der Darmschlinge dauert ebenso wie in den vorigen Ver- suchen eine halbe Stunde. Bei einem intraabdominalen Druck von 8® (ohne Aufblasung des Colons) werden resorbirt . . . . Dissen Bei einem intraabdominalen Dach von la 5. m nt Aue de Core) werden@resornbirt See 60-5 , Bei einem intraabdominalen Druck von os em (ohne Aufblaeane ne ons) werden resorbirtt . . . . . DE Bei einem intraabdominalen Dineläy von ai: 5. en nit Aufblasune, des een) werden resorbirt „en are Bee netnals ea luee Me EG > In allen vier Versuchen war, wie gesagt, Luft in die Bauchhöhle ge- blasen. Ohne Lufteinblasung und ohne Ausdehnung des Colons betrug die Resorption 42 m in der halben Stunde. Wiederholung des vorigen Versuches bei einem anderen Hund. Hierbei wurde experimentirt mit zwei Darmschlingen a und 2. Die folgende Tabelle giebt die Resultate. Resorbirt in einer Versuchsverfahren halben tstae i k Keine Aufblasung des Colons 43 „Sem Darmschlinge Keine Lu 5 . | Aufblasung des Colons Hilmar a einblasung in die | Keine Aufblasung des Colons AN Bauchhöble Aufblasung des Colons 49-5, Durch Luft- Keine Aufblasung des Colons DER Darmschlinge | einblasung in die ) Aufblasung des Colons 63,7, b ' Bauchhöhle Druck | Keine Aufblasung des Colons DIN 8m Wasser Aufblasung des Colons 64 BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 455 Auch diese Versuche zeigen, dass durch Vergrösserung des Bauchinhaltes die Resorption steigt. Dieses Resultat bestätigt den auf den vorigen Seiten ausgesprochenen Satz, dass die Darmresorption zunimmt mit der Steigerung des intraintesti- nalen Druckes. Ein ähnliches Resultat wurde bei der Resorption in der Bauchhöhle erhalten. 1Il. Die Darmresorption, wenn der intraintestinale Druck Null oder negativ ist. Wir sind hier noch einen Schritt weiter gegangen als bei der Re- sorption in der Bauchhöhle und haben uns die Frage vorgelegt, ob im Darm noch Resorption stattfindet, wenn der intraintestinale Druck Null oder negativ wird, mit anderen Worten, wenn der intraintestinale Druck hinab- gestiegen ist zu einem Werth, welcher kleiner ist als der Blutdruck in den Capillaren. Zu dieser Fragestellung fand ich auch Veranlassung in einem Experiment mit meinem Apparat für homogene Membranen, wobei sich Fig. 2. herausgestellt hatte, dass keine Flüssigkeit aus dem Manielraum mit dem Flüssigkeitsstrom im Gelatinerohr mitgeschleppt wird, wenn der Druck im Mantelraum kleiner ist als der im Gelatinerohr.! Es liegt auf der Hand, dass für die geplanten Versuche eine Ein- richtung getroffen werden musste, um dem Zusammenfallen des Darmes vorzubeugen. Hierzu wurden sechs parallel gebogene Aluminiumdrähte mit dem einen Ende in ein conisch zulaufendes Röhrchen von Aluminium und mit dem anderen Ende in einen Aluminiumring gelöthet, welcher in ein Metall- röhrchen endigte. Dieser Apparat wurde in eine Darmschlinge geschoben und darin da- durch befestigt, dass an den beiden Endstücken 4 und D der Darm bei 1 Kleine Druckdifferenzen von einem oder mehreren Millimetern können bei einem derartigen Apparat natürlich nicht gemessen werden.‘ 456 H. J. HAMBURGER: d und e umschnürt wurde, Hierzu mussten natürlich die beiden Bändchen durch das an den Darm grenzende Mesenterium hindurchgezogen werden. Schlinge mit Apparat befanden sich auf festem, horizontalem Unter- grund. Austrocknung und Abkühlung waren möglichst vorgebeugt. Um die Schlinge mit Flüssigkeit zu füllen, wurde das theilweise hinausragende conische Endstück A mit einem Gummischlauch versehen und letzterer wieder in Verbindung gebracht mit einem auf verschiedene Höhen ver- stellbaren Trichter. An das andere Ende 3 des Apparates wurde ein kurzes, durch eine Klemme verschliessbares Gummiröhrchen befestist. Bei der Füllung wurde der Trichter oberhalb des Darmes gestellt und die Luft genau aus der Schlinge getrieben. Nachher wurde die eben er- wähnte Klemme geschlossen. Bei allen Versuchen ist der intraintestinale Druck gemessen vom Unter- grund der Schlinge bis zu der mittelst Tinte angegebenen Grenze zwischen Oefinung und Hals des Trichters. Jetzt folgen einige Versuchsreihen, angestellt bei vier verschiedenen Hunden. Iintraintestinaler Cubikcentimeter | Intraintestinaler Cubikeentimeter Druck, gemessen in | 0-9-procent. NaCl- | Druck, gemessen in | 0-9-procent. NaCl- em 0-9-proc. NaCl- | Lösung, resorbirt in | cm 0+-9-proc. NaCl- | Lösung, resorbirt in Lösung 4 Minuten | Lösung 4 Minuten Erster Hund: 0: ) +6 lol Al 0-3 +10, 1-9 21, 0-7 | +14 2-1 61, 1-1 | +23 | 2-9 101/, 1-8 +14 | 2 u 0 m © | 0-9 — 1 0 +0 0 — 1 0 + 0 0 + 0-3 70 () + 21, 0-6 + 0-4 Zweiter Hund: 0 0 | + 1, 0-3 1 0-4 +10 1-7 3 0-7 | el 1-2 B) 1 | ro 1-1 Ü 1-2 el 0 0 0 —.l 0 0 0 | = ıl 0 0 0 | — 1 0 —1 0 | + 1% 0-4 BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 457 Intraintestinaler Cubikcentimeter Intraintestinaler Cubikcentimeter Druck, gemessen in | 0+9-procent. NaCl- | Druck, gemessen in | 0-9-procent. NaCl- cm 0-9-proc. NaCl- | Lösung, resorbirt a cm 0-9-proc. NaCl- | Lösung, resorbirt in Lösung 4 Minuten Lösung 4 Minuten DitterHrund: 5 13 | +14 | 2-2 0 0 | 0 0 | 0 | 0 0 0 | 0 5 1-3 5 1-4 | en 0 N] | 0 | es ) ze | ) | a), | 0-4 — il | 0 | +, | 0-5 ia0s 1 Be 0-4 +10 1-9 ln 0+5 +14 2.2 | Vierter Hund: 0 0 an 0-3 1 0-5 | + Ys 0-3 3 0-9 | +10 1-7 5 on | 5 1-2 Mi 1-3 a 0 10 1-8 St 0 0 ) el ) 0 0 + ih 0-4 0) 0 | 2 el, 0-3 —1 0 | EU, 0-3 | Das Resultat der Experimente lässt keinen Zweifel übrig, Wenn der intraintestinale Druck !/,‘“ beträgt, wird, obgleich langsam, doch noch resorbirt,. Ist aber der Druck Null oder schwach negativ, so ist die Resorption Null.! ! Der oben gefundene Zusammenhang zwischen intraintestinalem Druck und Re- sorption gab das Recht zu erwarten, dass bei einem negativen intraintestinalen Druck Flüssigkeit aus der Darmwand in das Darmlumen hinübertreten würde, sichtbar an der Flüssigkeitsvermehrung im Reservoir. Zu meinem Befremden konnte ich dies aber nicht constatiren, auch nicht wenn der intraintestinale Druck —8 em war. Es scheint also auch keine nennenswerthe Secretion von Darmsaft bei unseren Versuchen aufzutreten. Nun ist es eine bekannte Thatsache, dass man durch künst- liche mechanische Reizung der Darmschleimhaut kaum eine sichtbare Secretion hervor- zurufen im Stande ist. Auch wir konnten keine Flüssigkeitsabscheidung constatiren nachdem der Apparat in eine trockene Schlinge gelegt war, auch selbst nicht, wenn ausserdem ein negativer Druck darin hervorgerufen wurde, was den Reiz der Metall- drähte gegen die Darmwand selbstverständlich verstärken musste. Vielleicht hat auch nur das Hineinbringen des Apparätchens in die Schlinge einen kurzweilig reizenden Effect, aber das Ruhigliegen des Apparates nicht mehr. 458 H. J. HAMBURGER: Dieses Resultat scheint mir interessant. Darf ja schon die Thatsache, dass sowohl in der Bauchhöhle wie im Dünndarm die Resorption zunimmt mit dem hydrostatischen Druck als ein Wahrscheinlichkeitsargument gelten gegen die Vorstellung Hoppe- Seyler’s und Heidenhain’s, dass die Resorption als ein Lebensprocess zu betrachten sei; die Thatsache, dass gar keine Resorption stattfindet, wenn der Flüssigkeitsdruck Null oder negativ wird, erhöht den Werth dieses Argumentes in nicht geringem Maasse. Fügt man hierbei hinzu meine zahlreichen Versuche, welche zeigten, dass die bis jetzt an lebenden Indivi- duen beobachteten Resorptionserscheinungen an todten Thieren,! ja selbst an künstlichen homogenen Membranen nachgeahmt werden können, so be- steht, so lange noch keine neuen Thatsachen aufgefunden sind, welche mit meiner rein physikalischen Erklärung unvereinbar sind, meines Erachtens kein Grund, die Resorption als einen Lebensprocess zu betrachten. Ich denke aber nicht daran, behaupten zu wollen, dass das Leben auf den Resorptionsprocess keinen Einfluss ausüben kann und es wirklich nicht thut. Unter physiologischen und pathologischen Bedingungen können un- zweifelhaft in lebendigen Membranen fein nüancirte Veränderungen her- vortreten, welche auf die darin statthabenden physikalischen Processe einen nicht geringen Einfluss haben, aber wodurch die Processe selbst ja nicht aufhören rein physikalische Processe zu sein. Der arterielle Blutdruck wird herbeigeführt durch Zusammenziehung des linken Ventrikels; das ist eine Thatsache, welche aus einem rein physi- kalischen Gesichtspunkte für einen jeden verständlich ist. Aber wenn irgend eine Ursache auf das Leben des Herzmuskels derart einwirkt, dass dieser fettig degenerirt, so ändert sich der Blutdruck. In dieser Thatsache jedoch kann kein Grund vorliegen, den Zusammenhang zwischen Herzcontrac- tion und Blutdruck nun nicht mehr als einen rein physikalischen auf- zufassen. Diese Bemerkungen gelten sowohl für die Resorption in der Bauch- höhle wie für die im Darme.? Für die Resorption im Darme haben die erhaltenen Resultate noch eine besondere Bedeutung. ! In einem jüngst erschienenen Aufsatze: Bemerkungen und Versuche betreffs der Resorption in der Bauchhöhle (Pflüger’s Archw. Bd. LXII. 8. 631) theilt Heidenhain mit, dass er die von mir gefundene 'Thatsache, dass isotonische, selbst hyperisotonische Flüssigkeiten auch beim todten Thiere selbst noch 24 Stunden wach dem Tode aus der Bauchhöhle verschwinden, hat bestätigen können. ® ich möchte hier noch hervorheben, dass ich angesichts der Lymphbildung das Capillargefäss noch immer als actives secernirendes Organ betrachte (auf die Be- denken von Starling und Leathes hoffe ich bald zu antworten) und das ist, meiner BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 459 IV. Anwendung der gefundenen Thatsachen für die Erklärung der Darmresorption im normalen Leben. Bedeutung von Ath- mung und Peristaltik. Die in dem letzten Abschnitt beschriebenen Thatsachen geben wie von selbst Veranlassung zu der Frage: wie kommt im normalen Leben der für die Resorption nothwendige intraintestinale Druck zu Stande? Und dann sind es drei Factoren, welche hier unzweifelhaft eine Rolle spielen: 1. die Athmung, 2. die Peristaltik, 3. das Gewicht der Därme. Bei jeder Einathmung wird ja das Diaphragma, bei jeder Ausathmung werden die Bauchmuskeln auf die Eingeweide drücken. Dieser Druck wird sich allen Eingeweiden mittheilen, obgleich nicht in allen Richtungen in gleich starkem Maasse. Inzwischen braucht dieser Druck nicht gross zu sein; denn wie sich oben herausgestellt hat, kann bei Hunden ein Druck von }/,°® schon Resorption herbeiführen. Ich habe einige Versuche angestellt, um einen Eindruck von der Grösse zu bekommen. Hierzu habe ich bei Hunden und Kaninchen in das Rectum und bei Pferden auch in die Vagina einen cylindrischen elastischen Ballon ein- geführt, welcher um ein dünnes Bleirohr gebunden war. Dieses hohr war, damit dasselbe, nachdem es in das Rectum oder in die Vagina gebracht, leicht aufgeblasen werden konnte, innerhalb des Ballons mit Löchelchen ver- sehen. Der Druck wurde gemessen mittelst eines Manometers, welcher seitlich mit dem Bleiröhrchen in Zusammenhang stand. Man konnte nun deutlich die mit der Athmung coincidirende Steigerung und Senkung am Manometer beobachten. Der Luftdruck im Ballon, bei welchem noch Ath- mungsschwankungen gesehen werden, giebt einen Eindruck von dem gegen- seitigen Druck der Eingeweide. Bei Kaninchen wurden noch deutliche, obgleich schwache Athmungs- schwankungen gesehen, wenn der Luftdruck des im Rectum sich befin- denden Ballons 16°m Wasser betrug. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass die Messung nicht geschah, während eine peristaltische Bewegung im Rectum stattfand. Meinung nach, sehr wohl vereinbar mit der Vorstellung, dass dasselbe Capillargefäss sich mit Bezug auf den Resorptionsprocess als eine genau passive Membran verhält. Man könnte sich z.B. vorstellen, dass nur bestimmte Theile der Endothelzelle secerniren, während die dazwischen gelegenen Theile und die Kittsubstanz das nicht thun. Diese Bemerkung möge auch Hrn. Dr. Starke, dem Referenten meiner Arbeit: Zur Lehre der Lymph- bildung im Centralblatt für Physiologie (1896, S. 760) als Antwort dienen, 460 H. J. HAMBURGER: Bei einem Hunde waren noch Athmungsschwankungen zu beobachten, wenn der Druck im Ballon 21" betrug. Bei Ausathmung zeigte sich jedesmal eine Abnahme des Druckes im Ballon, bei Einathmung eine Stei- gerung. Wenn der Hund bei unruhiger Athmung presste, konnte der Luft- druck im Ballon bis zu 30"=m Hg = 40.8.” Wasser aufgetrieben sein, ohne dass Athmungsschwankungen im Manometer verschwanden. Bei einem Pferde waren noch Athmungsschwankungen zu beobachten, wenn der Luftdruck des sich in der Vagina befindenden Ballons 51 °” Wasser betrug. Vielleicht wären die Athmungsschwankungen auch noch bei einem höheren Druck im Ballon zu beobachten gewesen, aber aus Furcht vor Zerspringen des Ballons wurde der Druck nicht gesteigert. Die Schwankungen im Manometer wurden registrirt mittelst eines Treibers und zu gleicher Zeit wurden oberhalb der also erhaltenen Curve Brust- und Bauchathmung mittelst Luftkissen angeschrieben. In der durch das Manometer aufgeschriebenen Curve war sowohl der Druck zu erkennen welchen das Diaphragma, als der, welchen die Bauchmuskeln auf die Vagina ausübten. Inzwischen, wie gesagt, geben diese Zahlen nur einen Eindruck, denn der Druck, welchen die Baucheingeweide aufeinander ausüben, hängt in hohem Maasse von der Füllung der Därme ab und ist sehr wechselnd. Dabei arbeiten Zwerchfell und Bauchmuskeln nach Bedürfniss.. Dieselben werden desto mehr Kraft entwickeln, je grösser der Widerstand ist, welchen sie bei der Contraetion zu überwinden haben. Ein paar Versuche, welche beabsichtigten zu messen, mit welcher Kraft ein sehr mässig mit Flüssigkeit gefüllter Darm in der Bauchhöhle gedrückt wird, wurde angestellt bei Hunden, welche 24 Stunden gehungert hatten, deren Darmeanal also leer war. Zu diesem Zweck wurde ein todtes Darm- stück, welches also durch eigene peristaltische Bewegung die Messung nicht erschweren konnte, auf die Därme eines auf dem Rücken liegenden Hundes gelegt; das eine Ende war verschlossen, das andere mit einem offenen Manometer verbunden. Durch das Manometer hin wurde das Darmstück mit einer mässigen Menge Kochsalzlösung gefüllt und dann der Bauch um das Verbindungsrohr von Darm und Manometer genau geschlossen. Die im Manometer beobachteten Schwankungen betrugen etwa 6“. Dieser Versuch wurde bei drei anderen Hunden, welche zu anderen Zwecken gedient hatten, wiederholt; die Schwankungen betrugen 10, bezw. 5 und Tem. Diese Zahlen haben, wie gesagt, nur eine relative Bedeutung; dieselben ändern sich mit der Füllung des Darmeanals, mit der Tiefe der Atmung und werden auch, caeteris paribus, an verschiedenen Stellen des Darm- canals wohl verschieden sein. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 461 Inzwischen geben dieselben einen experimentellen Beweis für den Satz, dass durch die Athmung ein Druck auf die Eingeweide ausgeübt wird. Und dieser Druck ist gross genug, um allein schon einen kräftigen Resorp- tionsstrom zu sichern. Aber nicht nur die Athmung, auch die Peristaltik tritt hier als ein neuer Factor beim Resorptionsprocess hervor. An jeder Stelle des Darmes, wo eine kleine Flüssigkeitswelle ankommt, wird dieser sich ausdehnen; aber da die Därme überall gegeneinander liegen, wird der angrenzende Darm weggedrückt werden müssen. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch der intraintestinale Druck an dieser Stelle einen Augenblick gesteigert wird, während beim Weitergehen der peristaltischen Bewegung dieselbe Erscheinung sich ein wenig weiter wiederholt. Dass auch das Gewicht der Därme zum intraintestinalen Druck beiträgt, bedarf keiner näheren Auseinandersetzung. Aus dem Obigen geht hervor, wie im normalen Leben der zur Resorp- tion erforderliche intraintestinale Druck zu Stande kommt. War die gegebene Vorstellung richtig, so liess sich erwarten, dass wenn man bei einem in der Bauchhöhle gelegenen Darm den normalen intraintestinalen Druck beschränkte, auch die Resorption behindert sein würde. Um nun den normalen intraintestinalen Druck zu beschränken, wurde in die Schlinge ein Apparat gelegt, welcher den Darm behinderte zusammen- zufallen. Der Apparat war construirt wie der in Fig. 2 dargestellte, mit dem Unterschied, dass jetzt der conische Theil A verschlossen war, während an B kein Röhrchen vorhanden war. Der Ring 2 war offen und konnte mittelst eines kleinen Korkes geschlossen werden. Weiter hatte der Apparat nur eine Länge von 9 m, Nachdem die Darmschlinge bei d und e um den Apparat befestigt und die Schlinge mit 10m NaCl-Lösung gefüllt war, wurde 2 mittelst eines Korkes verschlossen. Auf die also eingeschlossene Salzlösung nun konnte der auswendige Druck (Athmung und Gewicht der umgebenden Därme) nur so lange ihren Einfluss gelten lassen, bis der Darm bis auf die Aluminiumdrähte des Appa- rates zusammengefallen war. Nachher konnte auch die peristaltische Con- traetion auf die innerhalb der Aluminiumdrähte gelegene Flüssigkeitssäule keinen Einfluss mehr ausüben. Es war also nach unserer Vorstellung zu erwarten, dass diese Flüssig- keitssäule zurückbleiben würde; vielleicht würde etwas weniger zurückbleiben, weil der Durchmesser des Querschnittes der Säule möglicher Weise ein wenig 462 H. J. HAMBURGER: mehr betrug als die Minimum-Druckhöhe, bei welcher noch Resorption im unteren Theil der Schlinge stattfand. Nebst genannter Schlinge, aber 3°” von dieser entfernt, wurde eine andere Schlinge von gleicher Länge versehen mit 10°" der NaCl-Lösung. Hier wurde aber kein Apparat applieirt. Und was stellte sich nun heraus, nachdem die zwei Schlingen in der geschlossenen Bauchhöhle verweilt hatten ? Dass die erste Darmschlinge noch 5 °"® Flüssigkeit enthielt, die zweite keine Spur; diese Schlinge war trocken. Der Versuch wurde bei drei Hunden wiederholt auf vollkommen gleiche Weise. Stets zeigte sich, dass nach einer halben Stunde die Schlingen, in welchen kein Aluminiumdrahtnetz verweilt hatte, vollkommen leer war, während die anderen, mit dem Apparat versehenen Schlingen, bezw. noch 6, 4-5 und 5 °m enthielten. Zusammenfassung. 1. Durch Steigerung des intraintestinalen Druckes wird die Resorption von Flüssigkeiten seitens des Darmcanals befördert. Das geschieht nicht bloss dadurch, dass der Darm sich bei Steigerung des intraintestinalen Druckes entfaltet und also der zu resorbirenden Flüssig- keit eine vergrösserte Oberfläche darbietet (Leubuscher). Denn wenn man die Entfaltung des Darmes dadurch behindert, dass die Schlinge in ein festes gebogenes Rohr gelegt wird, so findet die Erscheinung doch statt. Das ist auch der Fall, wenn man eine Darmschlinge mit Flüssigkeit füllt und dann den intraintestinalen Druck erhöht durch Lufteinblasung in die übrigens geschlossene Bauchhöble, oder durch Ausdehnung des Colons mittelst eines Ballons. 2. Lässt man den intraintestinalen Druck sinken zu Null oder zu einem negativen Werth, so hört die Darmresorption auf. Diese Erscheinung hat eine zweifache Bedeutung: a) Bildet dieselbe ein kräftiges Wahrscheinlichkeitsargument gegen die Vorstellung von Hoppe-Seyler und Heidenhain, die Darmresorption sei als ein Lebensprocess aufzufassen. b) Wirft dieselbe ein neues Licht auf den Resorptionsprocess im Darm- canale insbesondere. c) Unmittelbar drängt sich die Frage auf, in welcher Weise dann im normalen Leben der für die Resorption erforderliche intraintestinale Druck zu Stande kommt. Und dann sind es drei Factoren, welche dabei eine Rolle spielen: 1. die Athmung, 2. die peristaltische Bewegung, 3. das Gewicht des Darmeanales. BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. 463 Eliminirt man die Wirkung dieser drei Factoren dadurch, dass man eine in der geschlossenen Bauchhöhle gelegene Schlinge mittelst eines Aluminiumdrahtnetzes offen hält, so dass der auswendige Druck die Darmwand nicht gegen die intra- intestinale Flüssigkeit pressen kann, so bleibt die Resorption beschränkt. Fassen wir schliesslich in Kurzem zusammen, wie wir uns die Resorption von Flüssigkeit im Darmcanale vorstellen. Durch moleculäre Imbibition wird bald ein Theil der Flüssigkeit in die Epithelzellen aufgenommen; dann setzt die Flüssigkeit durch capilläre Imbibition ihren Weg durch die Bindegewebsspalten der Mucosa fort und wird zu einem kleinen Theile mit dem Lymphstrome mitgeführt. Grössten- theils aber wird sie durch moleculäre Imbibition in die Kittsubstanz des Capillarendothels oder auch in die Zellen selbst aufgenommen, um durch capilläre Imbibition in die Haargefässe hinüberzugehen. Nun ist das Imbibitionsvermögen der Gewebe beschränkt: ein be- stimmtes Volum eines Gewebes kann nur eine beschränkte Flüssigkeits- “menge in sich aufnehmen, und nach einiger Zeit würde eine maximale Quellung der Schleimhaut erreicht sein und die Imbibition aufhören, wenn nicht die in die Bluteapillaren hinübergetretene Flüssigkeit mit dem Blut- strome hinweggeführt würde. Bei dem Uebergange von Flüssigkeit aus den Capillaren nun sind ausser der Imbibition noch zwei andere Factoren thätig: 1. Eine Kraft, welche die Flüssigkeit aus den Gewebsspalten mit dem capillären Blutstrom mitschleppt und welche mit der Stromschnelligkeit des Blutes wächst.! 2. Der intraintestinale Druck. Von diesen beiden Factoren hat der intraintestinale Druck eine über- ragende Bedeutung. Denn nicht nur führt eine kleine Erhöhung dieses Druckes eine bedeutende Vermehrung der Resorption herbei, aber die Grösse des intraintestinalen Druckes ist sogar für das Wohl- und Nichtzustande kommen der Resorption entscheidend. Lässt man den Druck künstlich unter einen gewissen Werth hinab- sinken, so hört der Resorptionsstrom auf. Bei den von mir untersuchten Hunden ist dieser Werth gelegen zwischen einem Drucke von Null und !/, em NaCl-Lösung. Im normalen Leben kommt aber ein derartiger niedriger ! Vergl. Ein Apparat, welcher gestattet die Gesetze von Filtration und Osmose strömender Flüssigkeiten an künstlichen homogenen Membranen zu studiren. Dies Archiv. 1895. S. 47. 464 H. J. HAMBURGER: BEITRAG ZUR KENNTNISS DER RESORPTION. intraintestinaler Druck nicht vor. Denn erstens erfahren bei jeder Ath- mung die Eingeweide einen Druck seitens des Zwerchfells und der Bauch- muskeln, welcher schon viel grösser ist als !/, ®, und zweitens üben die Eingeweide durch ihre eigene Schwere einen Druck aufeinander aus, welcher bei der peristaltischen Bewegung jedesmal noch stellenweise gesteigert wird. Es ist bei dieser Vorstellung leicht einzusehen, dass der intraintestinale Druck, bei welchem der Resorptionsstrom aufhört, unter dem Blutdruck in den Capillaren gelesen sein muss. Wie weit derselbe darunter liegt, hängt ab von der Kraft, welche die Imbibition und die mitschleppende Wirkung des Blutstromes repraesentiren. Ueber die Regulation der Athemthätigkeit. Von Dr. C. Speck in Dillenburg. Parallel mit der Grösse der Muskelthätigkeit wachsen die Mengen der geathmeten Luft, der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäureausscheidung. Wenn kleine Abweichungen von diesem Gesetze vorkommen, so lassen sie sich, wenn man die Grösse der Muskelleistung nach ihrem äusseren Erfolge misst, leicht erklären durch mehr oder weniger geschickte Verwendung der Muskelkraft, durch die Körperstellung und vielleicht einige sonstige wenig in’s Gewicht fallende Zufälligkeiten, welche das freie Athmen hemmen oder begünstigen und bei hohen Leistungen durch die beginnende Unzuläng- lichkeit der Athem- oder Herzthätigkeit. Der Mechanismus, welcher hier, durch die Muskelthätigkeit hervorgerufen, in’s Leben tritt, um die Ver- änderungen des Blutes auszugleichen, welche eine Folge der Muskel- zusammenziehung sind, arbeitet mit so merkwürdiger Pünktlichkeit, dass die Procentzusammensetzung der ausgeathmeten Luft kaum geändert wird. Dank der angepassten Ventilation und Herzthätigkeit wird also die über dem Lungenblut stehende und mit ihm in dem capillären Kreislauf reich- lich in Berührung kommende Lungenluft stets in annähernd gleicher Mischung gehalten. So erfährt der arterielle Blutstrom kaum etwas von den Aenderungen, die das Blut in den Haargefässen der thätigen Muskeln erlitten hat; mag es hier noch so sehr mit Kohlensäure beladen und seines Sauerstoffes beraubt worden sein, sobald es die Lunge passirt hat, ist es wieder in seiner arteriellen Verfassung wie vorher, ja es kann sogar über seinen gewöhnlichen Bestand hinaus arterialisirt werden, wie die Blutgas- analysen von Geppert und Zuntz direct nachgewiesen haben. Was diesen wunderbaren Vorgang veranlasst und auf welchem Wege er geregelt wird, ist heute noch eine Streitfrage, über die das Wort zu er- greifen einige Untersuchungen mich veranlassen, die seit meiner letzten Archiv f. A.u. Ph, 1896. Physiol. Abthlg. 30 466 Ü©. SPECK: Aeusserung darüber! veröffentlicht worden sind. So sehr ich mich be- streben werde, kurz zu sein, so wird es sich doch kaum vermeiden lassen, Dinge zu wiederholen, die bereits gesagt waren, wenn ich im Allgemeinen und nicht bloss den wenigen Specialforschern, die darüber geschrieben haben, verständlich werden soll. Folge ich zunächst meinen eigenen Untersuchungen über den mensch- lichen Athemprocess, so lassen sich daraus folgende Thatsachen ableiten: 1. Selbst die kleinste und unscheinbarste Muskelthätigkeit, wie z. B. das zwei- bis dreimalige Heben eines Armes in einer Minute Zeit veran- lasst eine deutliche Vermehrung der Kohlensäureausfuhr, des Sauerstoff- verbrauches und eine diesen entsprechende Steigerung der Lungenventilation. 2. Wird durch eine kohlenstoffreiche Nahrung (Zucker) die Kohlen- säureproduction im Körper vermehrt, während der Sauerstofiverbrauch gleich bleibt, so stellt sich sofort eine Athemthätigkeit ein, die gegenüber der, wie sie bei anderer weniger kohlenstoffreicher Ernährung auftritt, deutlich vermehrt ist, wie das aus nachstehender Tabelle als einem schönen Bei- spiele der Abhängigkeit der Lungenventilation von der Kohlensäurepro- duction im Körper ersichtlich wird.? Ausgeathmet Proc. O Proc. CO Nahrung Aufgenommen Bee, Luft Co, 0 der ausgeathmeten Luft | ccm ccm ccm R Hettfiesi.f ame: 7263 237 314 16-79 3-26 Fleisch 1938 267 322 17:02 3:36 Zuckenili.um: - Sale 18298 305 315 17-39 3-40 II) 3. Wird den Körpersäften von aussen durch Einathmen einer kohlen- säurereichen Luft Kohlensäure zugeführt, so steigt die Lungenventilation in dem Maasse, als der Kohlensäuregehalt der Einathmungsluft steigt.? 4. Vermehrt man den Kohlensäuregehalt des Körpers dadurch, dass man ihre Ausfuhr durch willkürliche Beschränkung des Athmens (spar- sames Athmen) erschwert, so wird die Athemthätigkeit unwillkürlich über die Norm hinaus verstärkt, sobald man den Einfluss des Willens auf- hören lässt. 5. Vermindert man aber den Kohlensäurevorrath im Körper dadurch, dass man durch willkürlich foreirtes Athmen die Ausfuhr so begünstigt, dass mehr Kohlensäure entfernt als gleichzeitig gebildet wird, so tritt so- ! Speck, Physiologie des menschlichen Athmens nach eigenen Untersuchungen. F. C. W. Vogel. Leipzig 1892. Cap. 18. ? Physiologie des menschlichen Athmens. 8. 32. ® A. a. 0. Cap. 10. 8. 128. ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. 467 fort eine Einschränkung der Athemthätigkeit unter die Norm auf, sobald man die willkürliche Steigerung aufgiebt. ! Diese bis jetzt unbestrittenen und unwiderlegsten Sätze lassen eine andere Deutung, als dass die Kohlensäure in den Körpersäften einen Athemreiz bilde, gar nicht zu. Denn wenn auch in dem ersten Satze bei der Muskelthätigkeit das gesteigerte Sauerstoffbedürfniss als mit- bestimmend für die Grösse der Ventilation nicht ausgeschlossen werden kann, so ist doch in den anderen Sätzen nichts anderes in Wirkung ge- treten, als der veränderte Kohlensäuregehalt der Körpersäfte, deren Sauer- stoffgehalt ganz bestimmt eine Aenderung nicht erfahren hat, die einen Einfluss auf die Athmung hätte ausüben können. Denn bezüglich des Einflusses des Sauerstoffgehaltes der Einathmungsluft und der Säfte haben meine Untersuchungen weiter festgestellt: 6. Vermehrt man den Sauerstoffgehalt der Einathmungsluft ganz be- deutend, so tritt zwar gemäss des Henry-Dalton’schen Gesetzes eine _ geringe Bereicherung der Körpersäfte an aufgelöstem Sauerstoff ein, die Athemmechanik aber bleibt ganz unverändert.? 7. Vermindert man den Sauerstoffgehalt der einzuathmenden Luft, so nimmt dem angeführten Gesetze gemäss auch der Sauerstoffgehalt der Säfte etwas ab. In Folge des eigenthümlichen: Verhaltens der Blutkörperchen zur Sauerstoffaufnahme macht sich aber eine Verminderung des O-Ver- prauches erst bemerklich, wenn der Sauerstoffsehalt der Athemluft auf 10 Procent und darunter und der der ausgeathmeten Luft auf etwa 7 Procent und darunter gesunken ist. Von diesem Punkte an tritt auch erst eine Beeinflussung der Athemmechanik in verstärkter Ventilation auf.? 8. War die Sauerstoffaufnahme, d. h. die Sättigung der Körpersäfte mit Sauerstoff durch sparsames Athmen und so auch der Sauerstoffgehalt der Lungenluft herabgesetzt, so erreichte diese Herabsetzung auch während des sparsamsten Athmens in diesen Versuchen niemals auch nur annähernd die Grenze, wo ein eigentlicher Sauerstoffmangel und eine dadurch hervor- gerufene Anregung der Athemthätigkeit auftritt. 9. Beim Einathmen einer kohlensäurereichen Luft wird die Lungen- ventilation so verstärkt, dass die Lungenluft und damit auch die Sauerstoff lösenden Säfte einen höheren Sauerstoffgehalt haben, als beim gewöhnlichen Athmen atmosphärischer Luft.? Auch diese Sätze sind, so viel ich weiss, unangefochten. Wenn auch bezüglich der Grenze, wo Sauerstoffmangel der eingeathmeten Luft anfängt IR.a. 0. Cap 3 29A.n2. 04 Soll SINN 2210282 129% 30* 468 C. SPECK: die Athemthätigkeit zu beeinflussen, kleine und unerhebliche Differenzen herrschen, es stimmen alle früheren und späteren Beobachtungen (Dohmen, Friedländer und Herter, Fränkel und Geppert etc.) dahin überein, dass die Herabsetzung der Sauerstoffzufuhr erst dann zum Athemreiz wird, wenn sie sehr tief sinkt, so tief, dass die Blut- körperchen nicht mehr ausreichen einen wirklichen Sauerstoff- mangel zu verhüten. Es entsteht nun die Frage, welcher dieser Athemreize tritt bei Muskel- thätigkeit in Wirksamkeit, oder sind sie beide betheiligt ? Bezüglich der Betheiligung der Kohlensäure wird nach dem Voraus- gegangenen wohl nicht mehr zu zweifeln sein; weniger sicher aber möchte es erscheinen, ob bei Muskelthätigkeit unter normalen Verhältnissen ein Sauerstoffmangel auftreten kann, wie er sonst nur durch eine sehr bedeutende Herabminderung des Sauerstoffgehaltes der atmosphärischen Luft zu er- reichen ist. - Die Vorgänge, welche hier in Betracht kommen, spielen sich in den Muskeln in beschränktem Raume ab und die Veränderungen, welche sie hervorbringen, kommen in dem Haargefässsystem der Venen am Concen- trirtesten zum Ausdruck und verwischen sich um so mehr, je mehr sie in den Strom der grösseren Venen gelangen. Vergegenwärtigt man sich nun weiter, dass die Thätigkeit der Muskeln eines Armes, wie das in meinen Versuchen vorkommt, die Kohlensäureproduction und die Sauerstoffaufnahme so steigert, dass sie das Dreifache und mehr von der erreicht, die dem ganzen ruhigen Körper zukommt, dann wird es einleuchten, dass in dem thätigen Gebiete eine locale Sauerstoffverarmung, wenn auch nur auf kurze Dauer, entstehen kann, wie sie dem Erstickungsblute zukommt, denn einem Arme steht doch höchstens ein Zehntel der ganzen Blutmasse zur Ver- fügung und in diesem spielt sich das Doppelte und mehr von den Ver- änderungen ab, die sonst in der ganzen Blutmasse vor sich gehen. Dass hier bei hohen Leistungen in der That Spaltungsproducte sich anhäufen können, deren Sauerstoffbedürfniss nicht befriedigt ist, geht aus meinen Untersuchungen deutlich hervor. Mit steigendem Kraftaufwande genügte der aufgenommene Sauerstoff immer weniger zur vollständigen Oxydation, der respiratorische Quotient wurde immer grösser, d. h. im Verhältniss zu der erzeugten Kohlensäure trat die Sauerstoffaufnahme immer mehr zurück, er stieg sogar bis über eins, so dass mehr Kohlensäure ausgeathmet wurde, als mit Hülfe des aufgenommenen Sauerstoffes konnte gebildet sein.! Die vermehrte Sauerstoffaufnahme dauerte dann auch über die Muskelthätigkeit Aa 0 Sale ÜBER vIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT, 469 hinaus, um das Sauerstoffbedürfniss der gebildeten Spaltproducte zu befriedigen. Es scheint mir hiernach also gar nicht mehr zweifelhaft, dass in dem thätigen Muskel Sauerstoffmangel in mehr oder weniger hohem Grade auf- tritt, der wohl geeignet ist, als localer Athemreiz zu wirken, der um so eindringlicher sich bemerklich macht, als er sich mit dem Reiz der Kohlen- säure combinirt. Aus einigen meiner Versuche! geht nämlich hervor, dass wenn zu einer an Sauerstoff so weit verarmten Einathmungsluft, dass sie die Ventilation eben zu steigern beginnt, ein geringer Kohlensäurezusatz kommt, dann eine Vermehrung der Lungenventilation hervorgebracht wird, welche die Summe der Wirkung übersteigt, welche beide Reize für sich allein würden hervorgebracht haben. Die Combination beider Reize wirk also besonders stark. Sind nun in der That die produeirte Kohlensäure und der Sauerstoff- mangel die Anreger der Athemthätigkeit — und ich muss das nach dem Vorgetragenen für ausreichend sicher gestellt halten — so bleibt, da, wie Eingangs bemerkt wurde, von diesen Anregern nichts in das arterielle System und somit auch nichts zu dem Athemcentrum im verlängerten Mark dringt, gar kein anderer Schluss übrig als der, dass sie ihre Wirk- samkeit entfaltet hatten, ehe sie in den arteriellen Blutstrom gelangten. Sie können also bloss auf nervösen Bahnen eine Einwirkung auf das Athemcentrum ausgeübt haben und es liegt am nächsten, den Ort dieser Einwirkung da zu suchen, wo die durch die Muskelthätigkeit gesetzten Veränderungen am concentrirtesten sich vorfinden, in den Anfängen der Muskelvenen. Denn hier wird selbst bei der Zusammenziehung weniger Fasern schon eine wahrnehmbare Bereicherung des wenigen mit ihnen in Verkehr stehenden Blutes an Kohlensäure und eine Herabsetzung des Sauerstoffgehaltes auftreten, die eine kurze Strecke weiter nach der Bei- mischung von viel unverändertem Blut aus unthätigen Muskeln nicht mehr wahrnehmbar ist. Nur so, glaube ich, lässt sich die ungemein feine und sichere Reaction der Athemthätigkeit auf höchst unbedeutende Muskel- action erklären. Diesen bisher erörterten Vorgängen und Verhältnissen stellen sich nun Versuche von Geppert und Zuntz? entgegen, welche nicht bloss die _nervöse Uebertragung der Athemreize und die reflectorische Natur der Athemregulation, sondern auch die Befähigung der Kohlensäurevermehrung und der Sauerstoffverminderung im Blute als Athemreize zu wirken in Ab- 10Aar 057 8..133. ® Ueber die Regulation der Athmung. Archiv für die gesammte a 1888. Bd, XLII, S. 189. 470 Ü. SPECK: rede stellten. An Thieren, deren Rückenmark an der neunten Rippe durch- schnitten war, tetanisirten sie vom Ischiadicus aus einen oder beide Schenkel. Während des Tetanus stellte sich dann neben erheblicher Vermehrung des Sauerstoffverbrauches und der Kohlensäureausscheidung eine Steigerung der Athemthätigkeit ein. Da sie nun im arteriellen Blute weder eine Ver- mehrung der Kohlensäure, noch eine Verminderung des Sauerstoffgehaltes, sondern das Gegentheil fanden, so schlossen sie ganz richtig, Kohlensäure- reichthum und Sauerstoffarmuth könnten das Athemcentrum, welches sie auf dem Wege der Blutbahn nicht erreichten, nicht erregt haben, da sie auch eine Erregung auf nervösem Wege durch die Durchschneidung des Rückenmarkes glaubten unmöglich gemacht zu haben. Es gab dann keinen anderen Ausweg, als die Annahme eines anderen, bis jetzt unbekannten Stoffes, der sich bei Muskelthätigkeit bildete, auf der Bluthahn dem Athem- centrum zugeführt wurde und dieses als Reiz zu verstärkter Athemthätig- keit anregte. | Gegen diese Untersuchungen hatte ich den Einwand erhoben und durch verschiedene Angaben in der Literatur zu begründen gesucht, dass die Durchschneidung des Rückenmarkes an besagter Stelle die nervösen Verbindungen der Schenkel mit dem Athemcentrum nicht aufgehoben habe. Wegen des Näheren muss ich hier auf meine früheren Ausführungen! ver- weisen. Später haben Filehne und Kionka, auf deren Untersuchungen ich noch zu sprechen komme, diesem Einwande sich angeschlossen. In einer zweiten Serie von Versuchen unterbrachen Geppert’ und Zuntz durch Druck auf die Bauchaorta die Circulation zu den tetanisirten Schenkeln. Es blieb dann jede Beschleunigung der Athemthätigkeit aus; sie trat erst ein, wenn nach dem Aufhören des Tetanus die Circulation wieder frei gegeben wurde. Diese Versuche habe ich durch den Einwand zu entkräften versucht, dass als Folge der Blutstagnation auch die ge- bildeten Athemreize in den Geweben wirkungslos liegen bleiben und erst dann in die Anfänge der Venen, wo die centripetalen Nervenendigungen zu suchen seien, gelangten, wenn die Circulation wieder frei war. Ich möchte heute noch zufügen, dass der Druck auf die Aorta, der die Cireu- lation unterbrach, wahrscheinlich auch die nervöse Leitung unterbrochen hat, ein Umstand, auf den ich später noch einmal zurückkomme. Die Vorstellung, welche Geppert und Zuntz glauben durch ihre Untersuchungen begründet zu haben, dass ein bis jetzt unbekannter Stoff der Athemerreger bei Muskelthätigkeit sei, hat sehr viel Unwahrscheinliches. Früher schon habe ich dagegen vorgebracht, dass es sich doch wohl nur um einen Stoff handeln könne, der in geringem Maasse producirt werde ıA.a.0. Cap.ı18. ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. 471 und dass er dann mit dem Gesammtblute gemischt wenigstens bei sehr geringer Muskelthätigkeit in einer Verdünnung an das Athemcentrum ge- ‚langen müsse, von der eine Wirkung nicht mehr zu erwarten ist. Jeden- falls muss dieser Stoff, dessen Anhäufung ja ein Uebermaass von Ventilation erzeugen müsste, in dem Maasse, wie er gebildet wird, auch wieder aus- geschieden werden. Dass er durch den Urin nicht weggeführt wird, hat Löwy erwiesen. Sollte er durch die Lungen entfernt werden, dann wäre es äusserst auffallend, wenn er bei der Unzahl von quantitativen Bestim- mungen der Bestandtheile der Athemluft sich nicht durch irgend etwas verrathen hätte. — Zuntz und Geppert machen in einer vor Kurzem er- schienenen Entgegnung auf die Untersuchungen von Filehne und Kionka, auf die ich noch zurückkomme, aufmerksam auf Versuche von Mosso, der venöses Blut von ruhenden und von stark angestrengten Thieren durch Schütteln arterialisirte und anderen Thieren mit dem Erfolge einspritzte, dass nach der Injection des Blutes des Arbeitsthieres die Athembewegungen bei dem Versuchsthiere angeregt wurden, was bei der Injection des Ruhe- blutes nicht der Fall war. Das Nähere dieser Versuche ist mir nicht be- kannt, aber bei einem Forscher von der Bedeutung Mosso’s wird an der Richtigkeit der Thatsache nicht zu zweifeln sein. Die Versuche Löwy’s, der in dem Urin angestrengter Thiere einen athemanregenden Stoff nicht fand, sind jedenfalls nicht damit in Einklang zu bringen; denn sollte der unbekannte Stoff flüchtig sein, dann hätte man wohl erwarten sollen, dass er beim Schütteln des Blutes, wie auch die Kohlensäure, wegging. Bei diesem Schütteln des überlebenden und absterbenden Blutes als einem Experimente in vitro sind die Verhältnisse dem Leben gegenüber immer etwas verändert, es können Producte sich entwickeln, die im Leben sich nicht bilden. Auch daran möchte ich noch erinnern, dass diese Blutein- spritzungen, die so leicht Gerinnung hervorrufen, Zufälligkeiten und Un- sicherheiten ausgesetzt sind. So giebt Japelli! an, dass Hunde auf In- jectionen von Pferdeblut sehr verschieden reagirten, je nach der voraus- gegangenen Fütterung. — Aber selbst auch dann, wenn Mosso’s Versuch und seine Deutung, dass bei Muskelthätigkeit sich ein das Athemcentrum erregender Stoff, der nicht Kohlensäure ist, bilde, richtig ist, so ist da- mit nicht bewiesen, dass Kohlensäure nicht erregend auf das Athem- centrum wirkt. In einer neueren Arbeit wendet sich F. Schenk? gegen meine Unter- suchungen und Ausführungen. Er leitete das arterielle Blut der Art. femo- 1 Fortschritte der Medicin. 1895. 8. 871. ®” Ueber den Ort der Einwirkung der normalen Athemreize. Sitzungsberichte der Würzburger phys.-medic. Gesellschaft. November 1892. 472 0. SPECK: ralis eines Hundes A in die Art. femoralis eines Hundes B und aus dessen Vena femoralis wieder in die Vena femoralis des Hundes A zurück. Wurde nun durch Verschluss der Luftwege des Hundes A die Kohlensäure im Blute zurückgehalten und der verbrauchte Sauerstoff nicht erneuert, so sah man, wie das Blut in der Glasröhre, welche die beiden Arterien verband, dunkel und venös wurde. Dieses kohlensäurereiche und sauerstoffarme Blut musste, wenn es durch die Capillarien getrieben wurde, dieselbe Wirkung üben, wie ein Blut, welches durch Muskelthätigkeit verändert war, wenn überhaupt von den Gefässwänden der Capillarien aus die ver- mittelnden Nerven zum Athemcentrum ausgingen; es musste bei Hund B ein verstärktes Athmen erzeugt werden, wenn A am Athmen gehindert wurde. Das geschah aber keineswegs und Schenk folgerte daraus, dass eine nervöse Verbindung zwischen Gefässwandungen und dem Athem- centrum nicht bestehe. Die Beweiskraft dieser Versuche wurde von Filehne und Kionka an- gefochten.” Sie meinten die Morphium-Narkose, die in Schenk’s Ver- suchen in Anwendung kam, sei wohl im Stande, die Reizbarkeit des Athemcentrums so weit herabzusetzen, dass der Kohlensäurereiz nicht mehr zur Wirkung komme, wenngleich der Hund noch auf den viel gewaltigeren Reiz, den die Verblutung auf das Athemcentrum ausübt, noch durch Dys- pnoö reagirte. Die starke Einwirkung von Morphium auf die Athemthätig- keit ist von verschiedenen Forschern vollständig sicher gestellt, ich selbst habe Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie erheblich schon geringe Gaben von Morphium beim Menschen die Lungenveniilation herabsetzen.” Ich möchte aber weiter hier noch darauf aufmerksam machen, dass bei diesen Durchströmungsversuchen sehr bald Gerinnung eintritt, ein Missstand, der sie unsicher macht und schon zu mancherlei Irrthümern Veranlassung ge- geben hat. In dem Versuche A bei Schenk ist schon nach 5!/, Minuten die Circulation vollständig durch Gerinnung unterbrochen; man darf des- halb wohl annehmen, dass auch schon nach 1!/, Minuten, wo die Athem- unterbrechung in dem Versuche begann, ein nicht unerheblicher Theil der Haargefässe, in welchen doch die Gerinnung beginnen muss, unpassirbar war und von dem Blutstrome in den weiteren Anastomosen umgangen wurde und dass das Blut selbst mit den durch die Gerinnung veränderten Gefässwandungen höchst ungenügend in Berührung kam. Auf diese Weise ist eine regelrechte Einwirkung des Blutes auf die Nervenendigungen nicht ! Deber die Blutgase u. s. w. Archiv für die gesammte Physiologie. 189. Bd. LXIL S. 201. ? Ueber pneumatische Behandlung u. s. w Deutsches Archiv für klinische Medici. Bd. XXXIV. 8. 571. ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. 473 zu erwarten. Man sieht deshalb auch wohl als eine Folge fortscheitender Gerinnung nach und nach in diesen Versuchen die Athmung, die von dem Zustande des Schenkels doch immer nur zum Theil abhängig ist, etwas abnehmen. Es ist auch die Menge der hier in Wirkung tretenden Kohlensäure nach einer Suspension der Athmung von höchstens einer Minute nicht einmal eine sehr erhebliche, denn sie vertheilt sich, da sie zuerst in das arterielle Blut eintreten muss durch die Capillarien wie alle Körpersäfte, ehe ein geringer Theil von ihr sehr abgeschwächt in der Wirkung in die Anfänge der Venen gelangt. Durch alle diese hemmenden Einflüsse könnte wohl eine völlige Verwischung und Verdunkelung der Vorgänge bewirkt werden. Das am schwersten wiegende Bedenken aber gegen die Versuche Schenk’s liegt mir in der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass bei der Durchschneidung der aufgebundenen Blutgefässe die nervöse Verbindung derselben mit dem Athemcentrum unterbrochen wurde. Denn vom Plexus cardiacus an bis tief in das Becken hinein umspannen mächtige Nerven- plexus, die durch zahlreiche Fäden in Verbindung stehen, Arterien und Venen und senden mit ihnen in Nieren, Leber und alle Gewebe Ge- fässnerven, welche die Gefässe weite Strecken begleiten und bis in die Haargefässe wahrgenommen wurden. Leider ist unsere mikroskopische Kenntniss von den Nervenendigungen in den Gefässwänden noch eine gar mangelhafte. Da wir aber allen Grund haben ein Gefässnervensystem anzunehmen, welches lange Strecken den Gefässen folgt, dann von Plexus zu Plexus emporsteigend erst hoch oben am Halse zum Eintritt in’s Rücken- mark und zur Verbindung mit dem Athemcentrum gelangt, so hat mein Bedenken seine Berechtigung. Untersuchungen von Fred&rieg, welche Schenk erwähnt als für seine Ansicht, dass die Athmung durch Erregung des Centrums durch das Blut direet regulirt werde, sprechend, habe ich mir nicht verschaffen können. Sie sind jedenfalls zu complicirt, als dass sie ohne näheres Studium be- urtheilt werden könnten. Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, wie wandelbar die Athembewegungen bei Thieren sind und wie sehr sie von einer Menge oft ganz verborgener Einwirkungen abhängen. Indessen wenn es auch richtig ist, dass der Effect des durch den Kopf und also auch durch die Centra der Athembewegung geleiteten kohlensäurereichen Blutes auf die Zahl der Athemzüge die des durch die Extremitäten geleiteten über- wiegt und sie vermehrt, wie das die Untersuchungen Fredericg’s behaupten, so ist das noch kein Beweis gegen die Existenz der reflectorischen Erregung, die sehr wohl neben der directen bestehen kann, 474 Ü. SPECK: Die neuesten Untersuchungen auf diesem Gebiete sind von Filehne und Kionka.! Sie versuchten die Unterbrechung der nervösen Leitung von der Peripherie zum Athemcentrum dadurch zu bewerkstelligen, dass sie den N. ischiadicus und den Cruralis, so wie auch die Haut des Schenkels hoch oben durchschnitten. Sie fanden auch nach diesen Durchschneidungen bei Kaninchen Ventilationsgrösse, Sauerstoffverbrauch und Kohlensäure- ausscheidung merklich erhöht, wenn der Schenkel, dessen nervöse Ver- bindung mit dem Centrum sie für unterbrochen hielten, tetanisirt wurde, gerade wie das auch beim unversehrten Thiere und Thieren mit durch- schnittenem Rückenmark in den Versuchen von Geppert und Zuntz sich verhielt. Als sie aber die Blutgase dieser so operirten Thiere untersuchten, fanden sie entgegen den Versuchsresultaten von Geppert und’Zuntz, dass der Sauerstofigehalt von 15.7 Procent auf 13.7 Procent im Mittel ge- sunken war und die Kohlensäure nur eine sehr geringe Abnahme, einmal sogar eine geringe Zunahme erfahren hatte. Da diese Blutbeschaffenheit sich wesentlich von der unterschied, die Geppert und Zuntz bei Thieren mit durchsehnittenem Rückenmark gefunden hatten, nämlich deutlich er- höhter Sauerstoff- und deutlich herabgesetzter Kohlensäuregehalt, so fanden sie hierin den thatsächlichen Beweis, dass bei Geppert und Zuntz eine Unterbrechung der nervösen Leitung nicht stattgefunden habe. Da sie nun der Meinung waren diese Unterbrechung in ihren eigenen Versuchen sicher ausgeführt zu haben, so musste die veränderte Blutbeschaffenheit daraus erklärt werden, dass die normalen centripetalen Reize wirkungslos gemacht worden waren und nun auf anderem Wege die Erregung der Athemthätigkeit besorgten. Die Regulation sollte jetzt zu Stande kommen durch Erregung der Vagusendigungen in der Lunge durch die zurück- gehaltene Kohlensäure und des Centrums direct durch die Verarmung des Blutes an Sauerstoff. Denn sie fanden, wenn der Vagus durchschnitten war, bei Tetanus des in ihrer Weise nervös isolirten Schenkels eine starke Anhäufung von Kohlensäure im Aortenblute, welche jetzt also nicht mehr ausgeschieden wurde, da der Vagus nicht mehr functionirte. Sie dachten also, bei intacten Vagis führe die durch den Tetanus des nervös isolirten Schenkels vermehrte Kohlensäure im Blute zu einer Reizung der Vagus- endigungen in der Lunge; dadurch sollte eine Steigerung der Athmung veranlasst werden, welche der Kohlensäuregehalt nahezu zu dem Ruhegehalt zurückhringe. Dabei werde das Blut auch an Sauerstoff bereichert, aber nicht ausreichend, denn der Sauerstoffgehalt des Carotisblutes bei Tetanus nervös isolirter Muskeln war geringer gefunden worden als in der Ruhe; ' Deber Blutgase u. s. w. Archiv für die gesammte Physiologie. 1895. Bd. LXI. S. 201. ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. 475 der verminderte O-Gehalt des Blutes wirke nun weiter auf das Centrum direct, verursacht eine neue Anregung der Ventilation, wodurch der Kohlen- säuregehalt des Blutes nun unter den Ruhegehalt gebracht werde, wie das bei der Analyse gefunden wurde, ohne dass doch der Sauerstoffgehalt völlig zu dem Ruhegehalt gehoben wurde, so dass stets dabei ein gewisser Grad von Dyspnoö bestehen bleibe. Dass aber Sauerstoffmangel in der That einen Athemreiz abgebe, führten sie weiter aus, das geht aus Unter- suchungen Filehne’s hervor, in welchen bei Vergiftungen mit Nitrobenzol das Haemoglobin in einer Weise verändert wurde, dass es die Fähigkeit Sauerstoff aufzunehmen verlor, so dass dann der Gehalt des Aortenblutes an Sauerstoff auf 1 Procent herabgehe. Es entstehe dabei eine erhebliche Dyspnoö mit reichlicher Ventilation, wofür die Kohlensäure richt verant- wortlich zu machen sei. Da durch die nervöse Isolirung des tetanisirten Schenkels die Blut- beschaffenheit nach den Versuchen von Filehne und Kionka eine andere geworden war, als ohne sie, so schlossen sie, dass auch die normale Art der Athemregulirung durch centripetale Nerven weggefallen sei und es müsse angenommen werden, dass in normalem Zustande die Kohlensäure am Orte ihrer Entstehung, in der Muskelsubstanz selbst und auf ihrem Wege zu den Gefässen, ihre Wirkung auf die centripetalen Nerven ausübe, da durch Schenk nachgewiesen sei, dass innerhalb der Gefässe die nor- malen Athemreize nicht wirksam seien. Es lassen sich gegen diese Versuche sehr erhebliche Bedenken erheben. Mir scheint es, dass in denselben die nervöse Isolirung des Schenkels ebenso wenig gelungen ist, wie in den Untersuchungen von Geppert und Zuntz, denn wie ich früher ausgeführt habe, liegt Grund zu der Annahme vor, dass die Gefässnerven ihren eigenen Weg in den Gefässwänden gehen. Die Veränderungen, welche Filehne und Kionka in dem Gasgehalte des Blutes bei Vagusdurchschneidung fanden, lassen sich wohl erklären durch den Einfluss, den diese Durchschneidung direct auf die Thätigkeit der Athemorgane und des Herzens übt. Vollkommen erkannt ist dieser Ein- fluss bei Weitem nicht, aber sicher scheint es mir, dass die Harmonie dieser beiden Thätigkeiten dadurch gestört wird. Würde bei Muskelthätigkeit das Herz lahm, so dass es seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen bliebe, so würde zweifellos der Sauerstoffgehalt des Blutes sinken trotz aller Thätig- keit der Athemorgane. Denn es ist für diesen Sauerstoffgehalt nicht gleich- gültig, ob die Blutkörperchen, die selbst einer recht sauerstoffarmen Luft ihren vollen Sauerstoffbedarf noch entziehen, aber auch in der sauerstoff- reichsten Luft sich nicht mehr als sättigen können und von dem Sauer- stoffdruck kaum abhängig sind, in der Minute 50 mal oder 100 mal den kleinen Kreislauf passiren. Ebenso wird es schwachen Athemorganen keines- 476 C©. SPECK: wegs gelingen, trotz regelrecht functionirenden Regulirapparates bei gewissen Leistungen das Blut völlig vor Kohlensäurebereicherung zu schützen, selbst wenn der Kreislauf ausreichend die Sauerstoffversorgung ausführt. Ich habe in meinen Untersuchungen darauf aufmerksam gemacht,' dass bei höherer Muskelleistung, wo Athem- und Herzthätigkeit die Grenze ihrer Fähigkeit erreicht haben, so wie auch bei mechanisch gehemmtem Athem der Kohlensäuregehalt der ausgeathmeten Luft etwas steigt und der Sauer- stoffgehalt etwas abnimmt; dass dem entsprechend sich auch die Blutgase verhalten müssen, ist natürlich. Ich kann mich der Vorstellung nicht entschlagen, dass in so schwierigen und complieirten Thierversuchen zu viele Einwirkungen thätig sind, als dass sie richtig alle abgeschätzt werden könnten, wie das bei den einfacheren Versuchen am Menschen sehr viel leichter ist. Die mannigfachen Operationen, Nervendurchschneidungen, der Schmerz, die unbehagliche Stellung, die Angst, das alles sind Momente, die auf so bewegliche Vorgänge, wie Athem- und Herzthätigkeit, die sicher nicht bloss auf einem Wege oder nur von einem Centrum aus erreebar sind, nicht ohne Wirkung, deren Grösse nicht messbar ist, bleiben können. Filehne und Kionka haben selbst in sehr schönen Versuchen gezeigt, wie bedeutend und unerwartet der Gasgehalt des Blutes sich in den verschiedenen Phasen eines Athemzuges ändert, so dass man argwöhnisch werden muss, dass auch die genannten unbe- rechenbaren Eingriffe darauf ihre Wirkung deutlich zum Ausdruck bringen mussten. Im Uebrigen kann ich mich den Einwendungen, die vor Kurzem Zuntz und Geppert? gegen Filehne und Kionka erhoben haben, an- schliessen. Sie erklären den verminderten Sauerstoffgehalt des Blutes bei Tetanus des nervös isolirten Schenkels aus herabgesetztem Haemoglobin- gehalte des Blutes in Folge eines vorausgegangenen Aderlasses und halten es für unzulässig, die Herabsetzung des Sauerstoffgehaltes in Filehne’s und Kionka’s Versuchen als Athemreiz in Anspruch zu nehmen, da sie nie den Grad erreicht habe, bei dem nach dem Ergebniss aller Versuche eine Verstärkung der Lungenventilation eintritt. — Es kann auch die Heran- ziehung der Versuche Filehne’s über die Nitrobenzol-Vergiftung daran nichts ändern, denn in ihnen sinkt der Sauerstoffgehalt von 4 Procent bis 1 Procent herab, wo allerdings der Einfluss der Sauerstoffarmuth auf die Athembewegungen unbestritten ist. Von den beiden Factoren, welche bei der Regelung der Blutreinigung bei Muskelthätigkeit wirksam sind, der Athemmechanik und der Herzthätig- ! Physiologie des menschlichen Athmens. Cap. 6. ? Zur Frage von der Athemregulation bei Muskelthätigkeit. Archiv für die gesammte Physiologie. 1895. Bd. LXIH. S. 295. ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. 477 keit, hat man der letzteren wenig Aufmerksamkeit zugewandt, obwohl sie an Wichtigkeit und Wirksamkeit der ersteren gewiss nicht nachsteht. Man wusste wohl, dass beide Factoren gleich empfindlich auf Muskelthätigkeit reagirten und dass schon eine recht unerhebliche Muskelaction genügte, um den Puls um einige Schläge zu vermehren. Aber erst vor Kurzem stellte Christ! fest, was ja wohl zu vermuthen, aber experimentell nicht geprüft war, dass die Pulsfreguenz mit der Grösse der Arbeit wächst, dass aber (ähnlich wie auch bei der Athemthätigkeit) auf einer gewissen Höhe der Leistung der Parallelismus aufhört. Bei meinen vielen Versuchen über den Einfluss der Muskelthätigkeit habe ich immer den Eindruck gehabt, als erfolge der Eintritt der Athem- verstärkung darauf so rasch, dass eine Uebertragung der dabei gebildeten Athemreize von den capillären Anfängen der Venen an durch den ganzen kleinen Kreislauf hindurch und bis zum verlängerten Mark in der kurzen Zeit gar nicht stattfinden könne. So einfach es scheint, den Zeitraum fest- zustellen, der zwischen dem Beginn einer Muskelcontraction und dem Be- ginn einer Aenderung der Athemthätigkeit liegt, so schwierig ist das doch bei einer Thätigkeit, die in so langsamem Tempo vor sich geht und bei der ausserdem der Wille eine grosse Rolle spielt. Bei dem Kreislauf ist man in dieser Hinsicht besser daran. An dem viel rascheren Pulse ist eine Aenderung an der Schnelligkeit leichter be- merkbar, er ist auch vom Willen ganz unabhängig. Ich habe eine Anzahl Pulszählungen in der Art vorgenommen, dass ich im Sitzen mit der linken Hand die Carotis fühlte und mit der rechten je 10 Secunden die Zahl der Pulse aufschrieb. Waren diese ganz regelmässig geworden, so stand ich auf, machte 5 bis 6 Secunden lang mit Heftigkeit die Bewegung der Knie- beugung und Streckung mit gleichzeitiger Beugung und Streckung der Arme und zählte dann im Sitzen weiter. Ich gebe hier ein Beispiel: 12, 10, 11, 11010510,710,.105 914710512, 12,12, 171,,112,,11, 115, || 14, 183.) Bei dem Zeichen | wurde 6 Secunden lang die bezeichnete Muskelthätigkeit eingeschaltet. Unmittelbar nach derselben erscheint die Pulsbeschleunigung am ausgesprochensten und im allerungünstigsten Falle würde sie 10 Sec. nach Beendigung und 16 Sec. nach Beginn der Muskelthätigkeit auf- getreten sein. Das scheint mir doch sehr erheblich dafür zu sprechen, dass die Reize für die Herzthätigkeit, die aus der Muskelzusammenziehung herzu- leiten sind, auf reflectorischem Wege gewirkt haben. Es sind das freilich unbehülfliche Versuche bei welchen Täuschungen vorkommen können. Ich habe sie oft wiederholt und auch von Anderen anstellen lassen mit 1 Deutsches Archiv für Iclinische Medicin. Bd. LIII. 8. 102. 4718 Ü. SPECK: demselben Erfolge. Ein Sphygmograph stand mir nicht zu Gebote, der Versuch würde damit sicherer anzustellen sein. Für das reflectorische Zustandekommen der beschleunigten Herzthätig- keit bei Muskelzusammenziehung sprechen sich aber auch eine Anzahl neuerer Arbeiten aus. So fand Jacob,! wenn er durch Curarevergiftung alle Thätigkeit der willkürlichen Muskeln aufgehoben und die der Muskel- arbeit zukommende Steigerung des Stoffwechsels vermieden hatte, bei Reizung der centralen Stümpfe des Ischiadicus Vermehrung der Pulsfreguenz und kommt auf Grund seiner Versuche zu dem Schluss, dass die Steigerung der Herzthätigkeit nur dadurch entstanden sein könne, dass die Erregung centripetaler Muskelnerven durch die Herznerven auf das Herz übertragen werde und dass die Producte des Stoffwechsels vermehrter Muskelthätigkeit durch das Blut den Centris oder dem Herzen zugeführt, dazu nichts bei- tragen. — Zu gleichen Anschauungen haben ähnliche Untersuchungen schon viel früher (1866) Asp geführt. Hering?” giebt an, dass er gleichzeitig Puls, Athmung und den Moment der Hebung eines schweren Gewichts verzeichnet habe; dabei habe der Herzschlag so schnell nach der Hebung des Gewichts eine Beschleunigung erfahren, dass diese nur auf nervösem Wege erfolgt sein könne. Hering führt in seiner Abhandlung eine norwegische Arbeit von Johansson „über Einwirkung der Muskelthätigkeit auf Athmung und Herzthätigkeit“ an, deren Versuche ebenfalls dahin führen, die gesteigerte Herzthätigkeit bei Muskel- zusammenziehung als einen Reflexvorgang aufzufassen. Für die Herzthätigkeit scheint mir hiernach die reflectorische Vermitt- lung der durch die Muskelthätigkeit hervorgebrachten Reize gar nicht mehr zweifelhaft zu sein. Dass aber eine Thätigkeit, wie das Athmen, die so vollständig parallel mit der Herzthätigkeit geht und so, vollständig dem gleichen Zweck bei Muskelthätigkeit dient, auf andere Weise reguliert werden sollte, das erscheint doch höchst unwahrscheinlich. Das Verhalten der Herz- bewegung spricht jedenfalls sehr stark gegen eine Erregung des Athemcen- trums auf chemischem Wege direct. Wenn ich aus meinen Athemuntersuchungen Beispiele gegenüberstelle, bei welcher eine gleich hohe Lungenventilation ein Mal durch Muskelthätig- keit, das andere Mal durch Einathmung einer kohlensäurereichen Luft her- vorgerufen wurde, so gewinnt man alsbald den Eindruck, dass die Kohlen- säure in diesen beiden Fällen eine höchst ungleiche Wirkung auf die ! Deber die Beziehungen der Thätigkeit willkürlicher Muskeln auf die Frequenz und Energie des Herzschlages. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1893. S. 305. ? Ueber die Beziehungen der extracardialen Herznerven zur Steigerung der Herz- schlagszahl bei Muskelthätigkeit. Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. LXVI. S. 429. ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. 479 Athemthätigkeit entfaltet hat. In der beigefügten Tabelle gebe ich dafür ein Beispiel. ! = o CO, 7, 0 2 228 = ge 1% 00% | % Co, 0 Sie jene ee SUR sone ı 8 der ausgeath- aus auf Sa SOr-ENS 5 meten Luft = O8388 <{ == a) ccm ccm ccm 1. Norm, Ruhe . . . 6158 3:56 17:00 218 240 5.4 DRENTbEIt Nee 16191 3:65 17:29 593 587 10-9 3. Stärkere Arbeit . . 24323 4-08 16-96 993 964 12-2 en a eresastsı | 1.09 236 | Nos7 5:5 | 5. 5-4 Procent Co, 5 16191 6-64 17:89 965 344 10-5 90 6. 7-22 Procent Cor 25297 7:35 | 17:89 1824 470 12:5 —2 Der erste Theil derselben giebt neben der unter sonst gleichen Be- dingungen gewonnenen Normalzahl (1) die Veränderungen an, welche durch mässige (2) und durch stärkere Muskelarbeit (3) hervorgebracht wurden; 2 und 3 sind Mittelzahlen aus je einer Reihe von Versuchen. Der zweite Theil giebt neben der Norm (4) die Veränderungen an, welche durch die Einathmung einer Luft mit 5.4 Procent (5) und 7.22 Procent (6) Kohlen- säuregehalt verursacht werden für 1 Minute Zeit. — Bei den Arbeitsver- suchen 2 wurde die Kohlensäureausathmung um 375 °® in 1 Minute ver- mehrt, d.i. annähernd die ganze in der Zeit mehrproducirte Menge, da der Procentgehalt der ausgeathmeten Luft an Kohlensäure der Norm gegen- über sich kaum verändert hat und somit der Kohlensäuregehalt des Körpers unverändert geblieben ist. Da in 1 Minute 10.9 Athemzüge gemacht wurden, so müssen 34° Kohlensäure, die sich vor jedem Athemzug über das normale Maass hinaus angesammelt hatten und entfernt wurden, ge- nügt haben, um die Zahl der Athemzüge von 5-4 auf 10-9 und die Grösse der Lungenventilation von 6158 = auf 16191 m zu steigern. Bei den Arbeitsversuchen 3 steigt die Menge der sich vor jedem Athemzug über die Norm hinaus ansammelnden Kohlensäure auf 64”, welche die viel ener- gischere Anregung der Ventilation auf 24 325 ° m verursacht. Die Zahl 64 ist jedenfalls wohl etwas zu klein, da in diesen Versuchen nicht alle pro- dueirte Kohlensäure ausgeschieden wurde, wie aus der Vermehrung des Procentgehalts der ausgeathmeten Luft an Kohlensäure zu schliessen ist. Eine ganz gleiche Vermehrung der Lungenthätigkeit wie in 2 wird auch in 5 durch Einathmung einer Luft mit 5-4 Procent Kohlensäure und ! Physiologie des menschlichen Athmens. S. 70, T1 und 129. 480 C. SPECK: eine ähnliche wie in 3 in 6 durch Einathmung einer solchen mit 7-22 Procent Kohlensäure hervorgebracht. Berechnet man in diesen Versuchen, indem man die eingeathmete von der ausgeathmeten Kohlensäure abzieht, wie viel davon wirklich ausgeathmet und wie viel im Körper zurückgehalten wurde, so wurden in 5 von den normal mindestens produeirten 236 «m (wegen der verstärkten Athemthätigkeit wird jedenfalls mehr produeirt) nur 90 em ausgeschieden und 146° m im Körper zurückgehalten. Für jeden Athemzug bleiben also 14m Kohlensäure zurück und in weniger als drei Athemzügen müsste schon die Kohlensäuremenge erreicht sein, die, wenn sie im Körper produeirt worden wäre, die Ventilation auf 16191 °® würde gehoben haben. Bei 6 bleiben bei jedem Athemzug 19°" zurück und in drei Athemzügen würde ein Kohlensäuregehalt im Blut erreicht worden sein, der in den Arbeitsversuchen zu einer Einathmung von 24 000 °°® führte. Und nun sammelt mit jedem Athemzug die Kohlensäure sich weiter an zu der verhältnissmässig ausserordentlichen Menge von 487m bei 5, bei einer Versuchsdauer von 3 Min. 20 Sec., und von 516°e® bei 6, bei 2 Min. 10 Sec. Dauer. Es sticht hier seltsam ab die winzige Kohlensäuremenge, welche stets entfernt so stark die Athemthätigkeit anregt und die grosse Masse, welche eingeathmet und als ständiges Reizmittel im Körper ver- weilend, nicht mehr leistet. Mir scheint es, dass dieses verschiedene Verhalten der eingeathmeten oder im Körper zurückgehaltenen und der im Körper durch Muskelthätig- keit gebildeten Kohlensäure die Erklärung liefert zu einem Theil der Ver- suche von Geppert und Zuntz. Ich habe darauf früher! schon aufmerksam gemacht, dass in denjenigen Versuchen der genannten Autoren, wo die Durchschneidung des Rückenmarks hoch oben am 7. Halswirbel ausgeführt wurde, das Athmen bei Tetanus ein ganz anderes Verhalten zeigte, als in den Versuchen mit tiefer Markdurchschneidung am 12. Brustwirbel. Während bei den letzteren die verstärkte Athemthätigkeit alsbald mit dem Beginnen des Tetanus auftritt und mit dessen Aufhören langsam schwächer wird, so tritt bei ersteren die Steigerung langsam auf, sie ist nicht so er- heblich, wie man erwarten sollte, sie überdauert den Tetanus lange und ist oft nach dem Tetanus, was unter normalen Verhältnissen bei Muskelthätig- keit nie vorkommt, stärker als während desselben. — Die hohe Durch- schneidung hat hier wohl eine mehr oder weniger vollständige Durchtrennung der centripetalen Nervenfasern, welche den Schenkel mit dem Athemcentrum verbinden, herbeigeführt, der bei der tiefen Durchschneidung nicht erreicht wurde; die normale Erregung auf nervösem Weg ist hier also wirklich unter- brochen; die Kohlensäure gelangt desshalb in das arterielle System und zu ı Physiologie des menschlichen Athmens. S. 238. ÜBER DIE REGULATION DER ÄTHEMTHÄTIGKEIT. 481 dem Athemcentrum selbst und veranlasst so die weniger präcise und lang- samere Regulation der Athemthätigkeit. Dass an dieser weniger präcisen und langsameren Regulation die Ab- schwächung der Wirkung der Kohlensäure durch ihre Vertheilung an die Flüssigkeiten des ganzen Körpers und die nach und nach erfolgende Wieder- aufnahme derselben ins Blut die Hauptschuld trägt, habe ich bereits erwähnt. Aber auch der Sauerstoffimangel muss seinen Einfluss auf die Athem- regulation verlieren, wenn das sauerstoffarme Blut aus den Haargefässen in den allgemeinen Kreislauf gelangte und nur ein Mal die Lungen durch- strömte, während im arbeitenden Muskel der Reiz für Athem- und Herz- thätigkeit fortwährend neu erzeugt, anhaltend in Wirksamkeit bleibt. So wird es auch erklärlich, wie trotz einer Uebercompensation, trotz einer über das normale Maass hinausgehenden Arterialisation des Blutes, wie sie Geppert und Zuntz bei Muskelthätigkeit fanden, doch die Erregung deı Athem- und Herzthätigkeit fortbesteht. Denn das beschränkte Capillargebiet des arbeitenden Muskels wird davon nicht betroffen; hier kann es sich wohl ereienen, dass die bei Uebermaass der Thätigkeit gebildeten Reize nicht exact genug durch den Kreislauf entfernt werden und dass sie dann selbst über die Arbeitsdauer hinaus Athem- und Herzbewegung in beschleunigtem Tempo halten. Die besprochenen Untersuchungen sind meines Erachtens nicht im Stande, die Bedeutung der bei Muskelthätigkeit vermehrten Kohlensäurebildung und des vermehrten Sauerstoffverbrauches (bezw. der dabei auftretenden Sauer- stoff bedürftigen Verbindungen) als Regulatoren der Athem- und Herz- thätigkeit in Frage zu stellen und ebenso wenig an die Stelle der reflec- torischen Erregung die directe Erregung der Centren dieser Thätigkeiten zu setzen. Die directe Erregung tritt erst ein, wenn der normale reflectorische Vorgang gestört oder aufgehoben ist und ist dafür nur ein unvollkommener Ersatz. Auch scheint es mir nach diesen Untersuchungen nicht geboten, den Ort der reflectorischen Reizung aus dem venösen Capillargebiet der “ Muskeln zu verlegen. Ich benutze die Gelegenheit, da ich nicht weiss, wann eine solche sich mir wieder bieten wird, um eine Bemerkung richtig zu stellen, die zu einer unrichtigen Auffassung Veranlassung gegeben hat. In diesem Archiv (1895, S. 484) in einer Arbeit „über die Quelle der Muskelkraft“ habe ich gesagt: „Die Wasserbestimmungen in dem Pettenkofer’schen Apparat aus jener Zeit sind, wie sich später gezeigt hat, mit grossen Fehlern behaftet.“ Diese Aeusserung sollte sich blos auf das von mir benutzte Beispiel der Versuche Archiv f. A.u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 31 482 C. SpECcK: ÜBER DIE REGULATION DER ATHEMTHÄTIGKEIT. von Pettenkofer und Voit vom 4. bis 17. April 1862 beziehen, da Voit (über Bestimmung des Wassers im Pettenkofer’schen Apparat. Zeitschrift für Biologie. Bd. IX. S. 126) selbst darüber sagt, dass diese Ver- suche durch einen hygroskopischen gefirnissten Holzboden unrichtig wurden, nach dessen Entfernung so grosse Fehler nicht mehr vorgekommen seien. — Ich habe keineswegs daran gedacht, die Richtigkeit der späteren Wasser- bestimmungen in Zweifel zu ziehen, nachdem durch Voit in dem vor- erwähnten Aufsatz der Nachweis geliefert wurde, dass die grossen Differenzen in den Centralbestimmungen durch eine unvollständige Verbrennung der in diesen Versuchen verwandten Körper entstanden waren. Die Regulirung der Athmung von Max Lewandowsky in Berlin. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) (Hierzu Taf. Xlll ua. XIV.) Ill. Zur Lehre von den Athemsentren und ihrer Thätigkeit. A. Begriff und Function der Athemcentren. Aufgabe, Eine einwandfreie experimentelle Entscheidung des Problems, ob die Athmung ein automatischer oder ein reflectorischer Act sei, ob die Üentral- organe der Athmung thätig sind unter dem Einfluss von in ihrem Bereich und sie selbst unmittelbar angreifenden, oder von in der Peripherie des Körpers wirkenden und durch centripetale Nervenfasern fortgeleiteten Er- regungen ist bisher nicht gegeben worden. Jedoch sind die Versuche, das thätige Athemcentrum von allen centripetalen Bahnen zu isoliren, zuerst vor Allem von Rosenthal,! später von Langendorff,” Marckwald?° u. A. so weit geführt worden, dass die Forschung heute wohl fast allgemein auf dem Boden der Automatie der centralen Athemorgane steht und weiter annimmt, dass der Träger des Athemreizes das Blut sei. Eine solche For- mulirung schliesst nun einen irgendwie gearteten Einfluss der sensiblen 1 Rosenthal, Dies Archw. 1865. ? Langendorff, Studien u. s. w., VIII. Zbenda. 1887. 8.285 u.IX. Hbenda. 1888. 8. 286. 3 Marckwald, Atheminnervation. Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. 3lEs 484 MıAx LEWANDOWSKY: Nerven auf die automatischen Athembewegungen noch nicht aus. Im vorigen Capitel dieser Arbeit war gezeigt worden, welche Wirkung auf die Athmung die Reizung der sensiblen Nerven haben kann. Ein dauernder, tonischer Einfluss von sensiblen Nerven mit alleiniger Ausnahme des Vagus aber auf die Athmung konnte nicht nachgewiesen werden. Daraus folgt aber unmittelbar, dass diejenige Athemform, welche nach Durch- schneidung der Vagi bestehen bleibt, ausschliesslich auf die automatische Thätigkeit der CGentralorgane zurückgeführt werden muss. Die Forschung hat sich bisher hauptsächlich damit beschäftigt, den ana- tomischen Ort des Athemcentrums zu bestimmen, indem sie darunter die Stelle im Centralnervensystem verstand, deren Zerstörung auch den Athem- bewegungen ein Ende setzt. Um nur einige der bezüglichen Feststellungen, auf deren Prüfung sich die vorliegende Arbeit nicht erstreckt, zu erwähnen, so hat Flourens bekanntlich als Athemcentrum seinen Noeud vital ange- sprochen. Schiff! verlegt es in die Ala cinerea und Gad?, gestützt auf neuerdachte Methoden des Experimentes, in die Formatio reticularis grisea. Grossmann? nimmt 3 Centren in der Medulla oblongata an, je eins für die Thorax-Stimmband- und Nasenbewegungen, eine Aufstellung welche von Arnheim* widerlegt erscheint. Immerhin müsste man auch nach der Grossmann’schen Lehre wohl eine nervöse Verbindung der drei Centren untereinander annehmen und die Coordination der Athembewe- gungen in die Med. oblongata verlegen. Nur Langendorff? will ein Athemcentrum im verlängerten Mark überhaupt nicht anerkennen, sondern behauptet, auf Grund des Befundes, dass besonders bei jungen Thieren auch nach Abtrennung der Medulla vom Rückenmark gewisse Athembewegungen noch vorkommen können, die Exi- stenz von spinalen Athemcentren. Wertheimer‘® ist dieser Anschauung zwar beigetreten, über die Form der spinalen Athmung stehen seine An- gaben in diametralem Gegensatz zu den Langendorff’schen Ergeb- nissen. ! Schiff, Ges. Beiträge zur Physiologie. Lausanne 1894. Bd. I. 8. 31. ® Gad, Ueber das Athmungscentrum in der Medulla oblongata. Dies Archiv. 1893 und Gad et Marinescu, Comptes rend. de U’ Acad. des sciences. 1892. OXV. ® Grossmann, Ueber die Athembewegungen des Kehlkopfes. Wiener Sitzungs- berichte. Mathem. nat. Classe. Bd. XCIIl. * Arnheim, Beiträge zur Theorie der Athmung. Dies Archiv. 1894. 8.1. > Langendorff, Studien über die Innervation der Athembewegungen. I. Dies Archiv. 1880. S. 518. ® Wertheimer, Recherches experimentales sur les centres respiratoires de 1a moelle Epiniere. Journal de V’anat. et de la physiol. 1886. Vol. XXL. DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 485 Die Langendorff’sche Anschauung ist von Gad und seinen Schülern, auch von Marckwald genugsam erörtert und widerlegt worden. Die in seinen letzten Arbeiten! von Langendorff hauptsächlich als Stütze für seine Anschauung hervorgehobene Thatsache, dass nämlich nach einseitiger Durchschneidung der Medulla die Athembewegungen derselben Seite wieder aufgenommen werden können, hat durch Schiff? eine Erklärung gefunden. Umfangreiche experimentelle Beweis gegen die Langendorff’sche An- schauung hat dann Porter? geliefert. Was die Ursache der sogenannten spinalen Athmung betrifft, so liegen verschiedene Möglichkeiten vor. Es können Reizungen von der Schnittfläche her der Grund sein. Sie können auch reflectorisch hervorgerufen sein. Wurde doch in den meisten Versuchen die Reflexerregbarkeit durch Strychnin künstlich gesteigert, und kann doch ein mässiger Druck, wie er auf Rücken oder Pfote des aufgebundenen Thieres ausgeübt wird, eine Reihe von Ath- mungen auslösen, wie man das auch bei Thieren beobachten kann, deren verlängertes Mark so schwer geschädigt ist, dass selbstständige Athembe- wegungen nicht mehr gemacht werden. Dass es sich hier um rein mus- culäre Zuckungen, wie sie von Schiff* an ausgeschnittenen Rippenmuskeln und neuerdings wieder von Goltz und Ewald° am Zwerchfell beobachtet worden sind, handelt, ist vielleicht wenig wahrscheinlich. Endlich kann es sich aber auch um eine automatische Erregung der im Rückenmark gelegenen Centren der Athemmuskeln — sei es durch Aenderungen im Gasgehalt des Blutes oder durch langsames Absterben der Zellsubstanz — handeln. Denn die Möglichkeit einer automatischen Erregung wird für keine Ganglien- zelle von vornherein zu leugnen sein. Um nur ein Beispiel anzuführen, so sind wohl auch die Kussmaul-Tenner’schen Krämpfe auf die Er- regung aller möglichen motorischen Centren in Folge der plötzlichen Ver- änderung der Ernährungsbedingungen zurückzuführen. Wenn aber auch, was ja keineswegs bewiesen ist, die Möglichkeit der automatischen Erregung der Athemmuskelcentren (eine von Gad eingeführte Bezeichnung, deren Bedeutung ohne Weiteres klar ist) Thatsache wäre, so muss doch daran festgehalten werden, dass Alles dafür spricht, dass normalerweise die Athem- impulse ihre Entstehung finden in der Medulla oblongata, und dass sie von ! Langendorff, Studien u.s.w., IX. Dies Archiv. 1887. 8. 289. 1893, 8. 397. ?A. 2.0. 8.19 und 100. 3 Porter, .dies Archiv. 1894. 8.547. — Centralblatt für Physiologie. 1894. Heft 19. — Journal of Physiology. 1895. 8. 455. INA 0808 > Goltz und Ewald, Der Hund mit verkürztem Rückenmark, Pflüger’s Archiv, Bu. LXITM. S. 383. 486 MAx LEWANDOWSKY: dort erst den einzelnen spinalen Centren der Athemmuskeln zugeleitet werden.! Der Mechanismus einer solchen „Coordination“ — einer Vorstellung, der sich für die Athmung auch Schiff ausdrücklich angeschlossen hat — ist von Gad in befriedigender Weise erklärt worden. Wenn diese Arbeit nun die Existenz eines coordinirenden Athemcen- trums in der Medulla oblongata zur Voraussetzung macht, so stellt sie sich die Aufgabe zu untersuchen, ob und wie eine rhythmische Athmung, d.h. ein regelmässiger Wechsel von In- und Exspiration aus der Thätigkeit dieses Centrums zu erklären ist, oder ob die An- nahme weiterer Öentren für die Erklärung des Rhythmus über- haupt oder eventuell des Athemrythmus, wie er nach Vagus- section noch bestehen bleibt, nothwendig, und wie die Wirkung dieser Gentren auf einander zu erklären ist. Wenn in dem Folgenden von Athemecentren gesprochen wird, so wird darunter, ohne über den anatomischen Bau dieser Centren etwas zu präju- dieiren, verstanden eine physiologisch, d. h. functionell einheitliche Gruppe von Ganglienzellen, welche unter dem Einfluss automatischer Erregung der Athmung vorstehen oder dieselbe in irgend einer — zu bestimmenden — Weise beeinflussen kann. ! Es ist hier vielleicht angebracht, eine Beobachtung wiederzugeben, welche be- weist, dass rhythmische Bewegungen von Muskeln oder Muskelgruppen, von denen normaler Weise keine Andeutung vorhanden ist, unter Umständen wohl vor- kommen können: Während ich an einem Thier, dem ich das ganze Hirn bis hinter die Vierhügel weggenommen und die Vagi durchschnitten hatte, Athemversuche machte, bemerkte ich, wie dasselbe mit den Hinterfüssen Bewegungen machte. Ich band es sofort los und es zeigte sich, dass während das Thier auf dem Rücken lag, beide Hinterbeine (gleichzeitig) vollständig rhythmisch etwa 50 mal in der Minute gehoben und gesenkt wurden. Ich konnte diese Erscheinung über eine Stunde beobachten. Auf geringe Berührungen der einen Pfote wurden die Bewegungen der anderen schneller und kräftiger. Wurde die eine Pfote aber sehr stark gedrückt, so kamen die Bewe- gungen der anderen zum Stillstand, um sofort, und zwar im Anfang etwas lebhafter, wieder zu beginnen, wenn die erste Pfote wieder freigegeben wurde. Merkwürdiger Weise konnte ich am nächsten Tage an einem Thier, das auf die gleiche Weise operirt war, die Beobachtung wiederholen. Hier machte mich Hr. Dr. Cowl, dem ich die Erscheinung beide Male demonstriren konnte, darauf aufmerksam, dass die rhyth- mischen Bewegungen der Hinterbeine eine Art Periode innezuhalten schienen, indem immer nach drei in gleichem Tempo erfolgenden Hebungen und Senkungen eine etwas längere Pause eintrat. Ueber die Ursache der ganzen Erscheinung kann ich nichts aussagen. Alle die für die spinale Athmung angeführten Erklärungsmöglichkeiten liegen vor, und deshalb habe ich sie angeführt, um zu zeigen, wie wenig Werth für die Beurtheilung normaler Verhältnisse auf solche unregelmässige Beobachtungen zu legen ist. Dre REGULIRUNG DER ATHMUNG. 487 B. Centrum der activen Exspiration. Insofern die Athmung, wie gewöhnlich, einen Wechsel von Inspiration und passiver Exspiration, d. h. von Spannung und Erschaffung derselben Muskelgruppe, der sogenannten Inspiratoren darstellt, liegt ja sicher die Möglichkeit vor, dass dieser Wechsel in dem Contractionszustand einer Muskelgruppe durch entsprechende Vorgänge in einem, dem Athemcentrum in der Medulla oblongata bedingt ist. Für die active Exspiration aber, d. h. für die Form der Exspiration, bei welcher besondere und den Inspi- ratoren entgegengesetzt wirkende Muskeln in Thätiekeit treten, muss unbe- dingt ein besonderes Centrum angenommen werden.! Die Vorstellung, dass zwei Muskelgruppen, die entgegengesetzt und nie gleichzeitig wirken, von einem Üentrum aus beherrscht oder beeinflusst werden könnten, erscheint völlig unhaltbar. Ueber den anatomischen Ort dieses Centrums kann ich nichts Be- stimmtes aussagen. Es ist möglich, dass die Ganglienzellen, welche die active Exspiration beherrschen, in dem sogenannten Athemcentrum in der Medulla verstreut liegen, wie das Gad und Arnheim? annehmen. Jeden- falls liegen sie nicht an der von Christiani angegebenen Stelle in den vorderen Vierhügeln, durch deren elektrische Reizung derselbe schnell folgende active Exspirationsstösse erhalten hat. Denn auch nach Abtrennung der vorderen Vierhügel vom verlängerten Mark kann noch active Exspiration zu Stande kommen.? Von Gad* ist nun die Ansicht aufgestellt und von Arnheim weiter ausgeführt worden, dass nur die Inspiration automatisch erfolgt, dass aber die Exspiration immer reflectorisch ausgelöst werde. Was hier zunächst die active Exspiration betrifft, so ist es richtig, dass eine ganze Gruppe der activen Exspiration immer reflectorisch erregt wird; es ist das diejenige Form, welche nur in einem oder nur in einigen wenigen ausser- ordentlich energischen und rasch auf einander folgenden Exspirationsstössen besteht. Sie äussert sich bei Intactheit der oberen Luftwege als Schreien (Husten, Bellen u. s. w.), wird gewöhnlich und ist meist als Ausdruck des ! Viele Lehrbücher erwähnen und berücksichtigen den fundamentalen Unterschied zwischen activer und passiver Exspiration gar nicht, sondern sprechen kurzweg von zwei „in abwechselnder Thätigkeit begriffenen“ Centren für In- und Exspiration. 2A. 20. 183434: 3 Auch von Arnheim (a. a. O., S. 42) und Girard (Recherches sur lappareil respiratoire central. Mem. de la societe de physique et d’hist. nat. de Geneve. Vol. suppl. 1890. p. 112) wird dieses Christiani’sche Centrum auf Grund von Reiz- versuchen nur als ein Punkt einer sensiblen Bahn angesprochen. * Gad, Ueber das Athemcentrum in der Medulla oblongata. Dies Archiv. 1893. 8. 183. — Ueber automatische und refleetorische Athemcentren. Dies Archiv. 1886. 488 MAx LEWANDOWSKY: Schmerzes aufzufassen, wenngleich sie auch noch nach Grosshirnexstirpation als reiner Reflex hervorgerufen werden kann. Man erhält diese Form der activen Exspiration durch starke Reizung jedwedes sensiblen Nerven. Aber andererseits giebt es eine Form der activen Exspiration, für welche die Möglichkeit einer reflectorischen Auslösung, so weit ich sehen kann, nicht vorliegt, und für die man daher eine automatische Erregung anzu- nehmen hat. Sie tritt auf bei Dyspno&, und die Athmung gestaltet sich dann so, dass regelmässig mit einer Inspiration eine active Exspiration ab- wechselt. Man kann sie daher als rhythmische oder dyspno&ische active Exspiration bezeichnen. Die Erscheinung ist ausserordentlich charakteristisch, und man kann sich durch Freilesung der Bauchmuskeln leicht überzeugen, dass sie nicht durch ein besonders schnelles Einsinken der Bauchdecken, wie es nach sehr tiefen Inspirationen die Regel ist, sondern durch Contraction der Bauchmuskeln bedingt ist. Freilich ist diese rhythmische active Exspi- ration sehr verschieden leicht bei den einzelnen Individuen hervorzurufen,' beim Hunde wohl am leichtesten, beim Kaninchen sehr oft überhaupt nicht. Die rhythmische active Exspiration wird durch Grosshirnexstirpation nicht beeinflusst. Sie tritt auf vor und nach Vagusdurchschneidung, besonders schön oft in den Spätstadien der Athemveränderungen nach Vagusdurch- schneidung, wie sie als Folgen der Dyspno& im ersten Capitel dieser Ab- handlung beschrieben und. erklärt worden sind. Hier kann man sie oft Stunden lang, bis zum Tode beobachten. Man könnte nun einwenden, dass die active Exspiration veranlasst sei durch eine starke Reizung sensibler Nerven durch die foreirte und vertiefte Inspiration, wie sie bei Dyspno& und nach Vagussection besteht. Ein Mal erscheint es einfach undenkbar, dass durch die Inspirationsbewegung eine so starke Reizung sensibler Nerven zu Stande kommt, dass active Exspiration eintritt, sodann ist es ja auch noch nicht gelungen, selbst durch sehr foreirte Athembewegungen, überhaupt eine Reizung von sensiblen Nerven hervorzurufen. Direct widerlegt wird dieser Einwand endlich durch die von Langendorff so genannte saccadirte Ex- spiration, eine Form der activen Exspiration, welche auch rhythmisch und zwar hauptsächlich nach Vagusdurchschneidung auftreten kann. Sie besteht darin, dass active und passive Exspiration deutlich von einander getrennt sind, derart, dass die Contraction der Exspiratoren erst eintritt, wenn die Erschlaffung der Inspiratoren schon eine geraume Zeit (mehrere Secunden) bestanden hat,? so dass ein durch die Inspiration gesetzter Reiz als aus- I Vgl. dies Archiv. 1896. 8. 242. ® Auf der aeropletysmographischen Curve kann sich dann diese Contraction der Bauchmuskeln mehr oder weniger deutlich durch eine am Schlusse der Exspirations- linie befindliche, nach oben gerichtete kleine Zacke kenntlich machen (vgl. Taf. IX, Fig. 59 u. 63). DIE REGULIRUNG DER ÄTHMUNG. 489 lösendes Moment nicht mehr in Betracht kommen kann. Auch unterscheidet sich die rhythmische active Exspiration sehr wesentlich von der durch Nervenreizung hervorgerufenen dadurch, dass sie nie in der für diese typischen Form des Schreiens auftritt. Diese rhythmische Form der activen Exspi- ration zwingt also dazu, eine automatische Erregbarkeit auch des Exspirations- centrums anzunehmen. Da die rhythmische active Exspiration nun haupt- sächlich bei Dyspno& auftritt, so scheint derselbe Reiz, der das coordinirende Centrum der Medulla anregt, auch die Erregung des Oentrums der activen Exspiration zu besorgen, womit eine gleiche Wirkung anderer Reize natür- lich nicht ausgeschlossen ist." Nur muss die Annahme gemacht werden, dass das letztere schwerer erregbar ist, als das Centrum der Medulla, da ja der normale Gasgehalt des Blutes nicht genügt, um active Exspiration hervorzurufen, sondern es dazu einer stärkeren venösen Beschaffenheit des Blutes bedarf. Dafür spricht auch die oben angeführte Erscheinung der saccadirten rhythmischen Exspiration, welche so zu deuten wäre, dass erst während und durch das Bestehen der Erschlaffung der Inspiratoren, d.h. durch die zeitweilige Unterbrechung des Gaswechsels, zu einer Zeit auch, wo die Inspiration noch nicht wieder einsetzen kann, die Athemreize sich bis zu dem Grade im Blute ansammelten, dass eine Erregung des Exspi- rationscentrums stattfindet. Für die active Exspiration muss ein besonderes Centrum ‘angenommen werden. Das Centrum der activen Exspiration ist sowohl reflectorisch als automatisch (durch den Blutreiz) erregbar. Die auto- matische Erregbarkeit wird bewiesen durch die rhythmische active Exspiration. Sie ist jedoch geringer anzunehmen als die des die Inspiratoren coordinirenden Athemcentrums in der Medulla oblongata. C. Die Thätigkeit des coordinirenden Athemcentrums in der Medulla. Ein Inspirationshemmungscentrum in den hinteren Vierhügeln. Die normale Athmung, der regelmässige Wechsel von Spannung und Erschlaffung einer Muskelgruppe, der sogenannten Inspiratoren, muss auf die Thätigkeit eines Centrums bezogen werden. Dem Wechsel in der 1 So beobachtet man rhythmische active Exspiration in der Narkose beim Menschen sowohl als auch bei Thieren, besonders bei der Katze, wobei aber ohne Weiteres nicht zu entscheiden ist, ob die Reizung des Exspirationscentrums durch das Narcoticum selbst oder durch eine Veränderung in der Aufnahme oder Bindung der normalen Blut- gase durch die Aufnahme des Narcoticums in das Blut bewirkt wird. 490 Max LEWANDOoWwSKY: Spannung dieser einen Muskelsruppe muss ein Wechsel in dem Grade der vom Centrum entwickelten Energie oder mindestens in dem Grade der Erregung der motorischen Nervenfasern durch die Thätigkeit dieses einen Centrums entsprechen und parallel gehen. So lange die Exspiration in der Erschlaffung von Muskeln besteht, ist die Möglichkeit der Annahme eines besonderen Öentrums dafür in dem Sinne, wie es für die active Exspiration gefordert werden musste, ausgeschlossen, in dem Sinne nämlich, dass die Erregung besonderer Nervenzellen und Nervenfasern die Exspiration be- dingte. Denn es ist uns kein Nerv, folelich auch kein Gentram bekannt, dessen Erregung oder Reizung ohne Vermittelung von anderen Centren oder Ganglienzellen (centrale oder genuine Hemmung) nur die Wirkung haben könnte, einen quergestreiften Muskel zur Erschlaffung zu bringen. Eine Wechselwirkung zwischen einem Centrum, das die Öontraction, und einem anderen, das durch Vermittelung besonderer, direct zum Muskel ziehender Nervenfasern die Erschlaffung der Inspiratoren anregen würde,! ist also nicht möglich, sondern es muss angenommen werden, dass unter dem Einflusse eines dauernden constanten Reizes, des Blutreizes, sowohl eine Erregung wie eine Hemmung der Thätig- keit eines Centrums statthaben kann und muss. Die Erklärung eines solchen Vorganges, d. h. einer automatischen rhythmischen Thätigkeit überhaupt, soll später versucht werden. Hier ist zunächst die Frage nach der Form des Athemrhythmus zu behandeln. Im Vorhergehenden sind zwei Behauptungen aufgestellt worden: 1. dass diejenige Athemform, welche nach Durchschneidung der Vagi bestehen bleibt, ausschliesslich auf die automatische Thätigkeit der Centralorgane zurückgeführt werden muss, 2. dass das coordinirende Centrum der Inspi- ratoren in der Medulla oblongata rhythmisch thätig ist und zwar in der Weise, dass einem gewissen Grade der Thätigkeit dieses Centrums ein ge- wisser Grad der Thätigkeit (Contraction) der von ihm aus innervirten Muskeln entspricht, so dass wir also in der Form der Athemcurve den Ausdruck sehen für die Form der Thätigkeit des Centrums. Daraus folgt nun aber keineswegs, dass die Form der Athmung nach Vagusdurchschneidung be- dingt ist durch die directe automatische Erregung dieses coordinirenden Centrums der Inspiratoren. Es liegt vielmehr die Möglichkeit vor, dass die Thätigkeit des coordinirenden Centrums beeinflusst wird durch Impulse, welche ihm von anderen automatisch erregten Zelleomplexen, Centren, aus zugehen. Darüber kann nur die Isolirung des coordinirenden Athem- centrums von den übrigen Gehirntneilen Aufschluss geben. ! Die Schwierigkeiten für die Erklärung des Rhythmus würden durch eine solche Annahme, wie sie z. B. Rosenthal (Athembewegungen, S. 247) zu machen geneigt ist, auch nur verdoppelt werden. Dis REGULIRUNG DER ATHMUNG. 491 Wenn nun planmässig die verschiedenen Hirntheile nach einander ent- fernt werden, so zeigt sich zunächst, dass die Wegnahme des Grosshirns ohne alle Folge für die Athmung ist. Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, dass vom Grosshirn aus die Athmung beeinflusst werden kann. Durch den Willen ist die Athmung ja in beliebiger Weise bis zu einem gewissen Grade zu verändern. Auch die Reflexe von den Sinnesnerven auf die Athmunge mögen zum Theil unter Vermittelung des Grosshirns zu Stande kommen. Aber einen dauernden tonischen Einfluss auf die Athmung hat das Grosshirn sicherlich nicht. Dasselbe gilt vom Kleinhirn. Auch die Abtragung der Thalami optiei ist, wie gegen Christiani und Arnheim! hervorgehoben werden muss, vor und nach Vagusdurchschneidung ohne alle Folge für die Gestaltung der Athmung, ebenso die Fortnahme der Corpora quadrigemina anteriora. Erst wenn der Schnitt so gelegt wird, dass die Verbindung der Cor- pora quadrigemina posteriora mit der Medulla aufgehoben wird, treten mit absoluter Constanz sehr erhebliche sogleich zu beschreibende Veränderungen der Athmung auf. Ob man den Schnitt nun noch tiefer legt, so weit man - sich mit dem Messer, ohne die feineren Methoden von Gad, überhaupt dem Athemcentrum nähern kann, auch das ändert an dem Erfolge nichts mehr. Insbesondere ist es ganz gleichgültig, ob man die Trigeminuskerne mit hinwegenimmt, wie gegenüber Marckwald? behauptet werden muss. Es ist ja ausserordentlich schwer, bei einem Thier nach der Medulla zu fortschreitend eine Serie von Schnitten auszuführen. Wenigstens ist auf kleine Differenzen, die nach solchen wiederholten Operationen die Athem- curve etwa zeigt, wegen der unvermeidlichen Blutungen, Quetschungen der umliegenden Gehirnmasse u. s. w. kein Werth zu legen. Mit Bestimmtheit kann aber behauptet werden, dass alle die Erscheinungen, welche nach Fortnahme der Vierhügel eintreten können, auch zur Beobachtung kommen nach den tiefsten Schnitten und umgekehrt (30 Versuche), so dass also als allein wirksam nur der Schnitt post corpora quadrigemina angesehen werden kann. Die zur Ermittelung dieser Verhältnisse angewandte Operationsmethode war verschieden. Entweder wurde die \lembrana obturatoria freigelegt, gespalten, der Knochen nach oben und seitwärts weggebrochen und darn der Schnitt in beliebiger erreichbarer Höhe geführt, oder es wurde von oben her das Schädeldach in möglichst grosser Ausdehnung entfernt und dann Grosshirn und Mittelhirn, so weit erreichbar mit dem Messer, in der Tiefe N 230.839: ” Marckwald, Die Bedeutung des Mittelhirns für die Athmung. Zeitschrift für Biologie. Bd. XXVI. 3. 259, 492 Max LEWANDOwSKY: medullarwärts mittelst Absaugens weggenommen. Die letztere Art des Vorgehens gestattet eine bessere Beherrschung der Blutung. Eine besonders gute Uebersicht über das ganze in Frage kommende Gebiet bekommt man, wenn man die beiden Methoden mit einander verbindet. Man nimmt zuerst das Schädeldach fort und geht dann von der Membrana obturatoria aus so weit als möglich nach oben. Nur eine schmale quere Knochenbrücke, vom unteren Rand des Oceiput gebildet, muss wegen der dort gelegenen grossen Sinus erhalten werden. Durch die Section wurde in allen Fällen der Er- folg der Operation controlirt. /n vivo diente der Ausfall des Nasen- und Lidreflexes als Beweis für den Ausfall der Trigemini. Die Abtrennung der Medulla nun von den höher gelegenen Gehirn- theilen, d. h. also, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, von den hinteren Vierhügeln, soll bei Integrität der Vagi nach den bisherigen Unter- suchungen ganz wirkungslos sein. Marckwald,! Loewy,? Langendorff? heben das ausdrücklich hervor. Es kann das aber nicht zugegeben werden, es hat sich vielmehr herausgestellt, dass die Isolirung der Medulla nach oben in fast allen Fällen einen sehr wohl erkennbaren und gut charakte- risirten Einfluss auf die Athmung auch bei intacten Vagis hat, obwohl es möglich erscheint, dass die exacte Beobachtung der sogleich zu beschrei- benden Veränderungen des Athemmodus nur mit einem so empfindlichen Apparat, wie dem Gad’schen Aeropletysmograph möglich ist. Es sind diese Veränderungen, um es kurz zu sagen, genau dieselben, welche bei einem intacten Thier die doppelseitige Vagusdurchschneidung hervorruft.“ Sie bestehen in dem Auftreten von deutlichen inspirato- rischen Pausen (Taf. XIII, Figg. 15, 25; 35). Die exspiratorischen Pausen, welche die normale und noch mehr die Chloralathmung charakterisiren, können dabei bestehen bleiben oder auch verkürzt erscheinen und ganz verschwinden. Dabei kann die Athmung in mehr oder weniger erheblichem Grade vertieft sein (Taf. XIII, Figg. 2, 3). Die Aenderung in der Frequenz richtet sich natürlich ganz nach dem Verhältniss von In- und Exspiration vor und nach der Operation. Dementsprechend kann die Athmung sowohl beschleunigt als verlangsamt werden, gewöhnlich ist das letztere der Fall (Taf. XIII, Fig. 25, 35). Ob die Operation in derselben Weise wie doppelseitige Vagussection auch eine Veränderung der Athemlage des Thorax im inspiratorischen Sinne zur Folge hat, konnte ich direct nicht feststellen, weil die exacte Aufzeichnung der Athemcurve während Zeitschrift für Biologie. Bd. XXVI. 8. 260. ? A. Loewy, Experimentelle Studien über das Athemecentrum in der Medulla oblongata u. s. w. Pflüger’s Archiw. Bd. XLII. S. 249. ® Langendorff, Studien u. s. w. 11. Mitth. Dies Archiv. 1888, + Vgl. dies Archiw. 1896. 8. 232. Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 493 der Operation immer durch das Auftreten von Reiz- und Unruheerschei- nungen gestört wurde. Jedoch wird die Uebereinstimmung auch in diesem Punkte sehr wahrscheinlich gemacht durch die Beobachtung, dass die Ver- schiebung der Athemlage im inspiratorischen Sinne nach Vagusausschaltung, auf der aeroplethysmographischen Curve wiedergegeben durch die Ver- schiebung der inspiratorischen Curvengipfel, welche beim intacten Thier immer sehr deutlich und beträchtlich ist, bei dem Thier ohne Vierhügel meist nur sehr gering, oft gar nicht mehr vorhanden ist (Taf. XIll, Fige. 30 und 3c). Es deutet das darauf hin, dass durch die Gehirnoperation sogar eine maximale inspiratorische Verschiebung der Athemlage bedingt werden kann. Es kann also die Uebereinstimmung der Erscheinungen, welche durch Trennung des Athemcentrums von den hinteren Vierhügeln hervorgebracht werden, mit denen, welche durch doppelseitige Vagusdurchschneidung bedingt werden, als eine vollkommene bezeichnet werden. Wenn das richtig ist, so wird eine Verbindung der beiden Operationen wohl nur eine Steigerung der beobachteten Erscheinungen zur Folge haben können. Und in der That ist nichts anderes der Fall. Nur kann man sagen, dass durch die Verbindung der beiden Operationen die Intensität der Symptome nicht nur verdoppelt, sondern vervielfacht wird. Ein Blick auf die Curven wird die Verhältnisse viel klarer und eindrucksvoller er- scheinen lassen, als die detaillirteste Beschreibung. Uebergangsformen werden bewirkt durch die Durchschneidung nur eines Vagus (Taf. XIII, Fig. 2c, Taf. XIV, Fig. 32). E Die bedeutenden Veränderungen der Athmung, welche die Isolirung der Medulla mit gleichzeitiger doppelseitiger Vagusdurchschneidung hat, sind wiederholt Gegenstand des Studiums gewesen. Als Erster beschrieb Marckwald die Folgen dieser Eingriffe unter dem Namen der Athem- krämpfe: „Das Zwerchfell steigt dabei in seine tiefste Einathmungsstellung herab und verharrt in derselben während der ganzen Dauer des Krampfes. — Aus dieser äussersten Zusammenziehung geht das Zwerchfell ebenso plötzlich, wie es angestiegen war, in vollkommene Erschlaffung über, um sogleich in einem zweiten, meist minder langen Krampf von gleicher Tiefe einzutreten. Längere und kürzere Krämpfe folgen dann und wechseln ohne bestimmten Rhythmus mit einander ab.“ Nachuntersuchungen sind von Loewy! und Langendorff? ausgeführt worden. Beide bestätigen die Angaben Marckwald’s mit der, allerdings wichtigen Einschränkung, dass die sogenannten Athemkrämpfe nicht regellos, sondern durchaus rhythmisch sein können. In seiner zweiten Arbeit hält jedoch Marckwald seine INSEBKOR 2, 0 494 MıAx LEWANDOWSKY: früheren Angaben im ganzen Umfange aufrecht. Er localisirt weiter die eintretenden Störungen der Athmung als durch Entfernung der hinteren Vierhügel und der Trigeminuskerne hervorgerufen. Er findet nämlich, wenn er nur die hinteren Vierhügel fortgenommen hat, noch „regelmässige Zwerchfellkrämpfe“, sieht jedoch immer unregelmässige Krämpfe nach Ent- fernung der Trigeminuskerne. Während ich die Angaben über die Wirkung der Vierhügel vollständig bestätigen kann, muss ich jedoch, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, die Fortnahme der Trigeminuskerne als vollständig bedeutungslos bezeichnen. Auch nach diesem Eingriff kann die Athmung durchaus rhythmisch bleiben. Ueberhaupt ist es nicht erkennbar was Marckwald’ unter unregelmässigen Athemkrämpfen versteht, da seine Beschreibung mit seinen Curven nicht übereinstimmt. Im Text bezeichnet er als solche, wie aus dem oben an- geführten Citat hervorgeht, einen ohne bestimmten Rhythmus erfolgenden Wechsel von längeren und kürzeren Inspirationstetani. Taf. XII, Fig. 105! soll ein Beispiel dafür bieten. Diese Curve wird aber gebildet von zwei ganz genau gleich langen Inspirationskrämpfen, durch zwei ebenfalls fast gleiche Exspirationspausen getrennt. Zwischen dieser Curve und der als regelmässige Athemkrämpfe bezeichneten Fig. 75, Taf. X kann ich nur einen Unterschied im Tact erblicken, aber rhythmisch sind sie beide. In Taf. XIII, Fig. 9a (soll wohl 95 heissen) findet sich dann ferner eine Curve, bei welcher garnicht zu beurtheilen ist, ob die Athmung rhyth- misch war oder nicht, da sie nur eine Inspiration und eine Exspiration ganz wiedergiebt, dagegen die Inspiration am Anfange und die Exspiration am Schlusse gar nicht vollständig ist. Zwar habe auch ich wirkliche un- regelmässige Athemkrämpfe gesehen, aber entschieden als Ausnahme. Sie traten auf, wenn die Üperation mit grossem Blutverlust verbunden war, so dass es nahe liegt, sie, zum Theil wenigstens, als durch den Druck der Blutcoagula auf die Medulla bedingt anzusehen. Es waren dann auch immer die einzelnen Athemkrämpfe ausserordentlich lang, wodurch es auch wahrscheinlich gemacht wird, dass in diesen Fällen besondere, accessorische Reize auf das Athemcentrum eingewirkt haben. Die Art der rhythmischen Athmung nach Medullaisolirung und doppelseitiger Vagussection (Taf. XIII, Figge. lc und 2d, 3ec) ist nicht immer ganz die gleiche. Typisch ist die maximale Vertiefung der Inspiration. Nicht so constant, aber doch in der grossen Mehrzahl der Fälle vorhanden, ist die vollständige Erschlaffung der Inspiratoren während der Exspiration. Immer wird sie gefunden, wenn exspiratorische Pausen bestehen. Das Volum des einzelnen Athemzuges ist in Folge dessen immer " Zeitschrift, für Biologie. Bd. XXVl. DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 495 ausserordentlich der Norm gegenüber vermehrt. Ganz constant ist ferner das Auftreten von sehr langer inspiratorischer Pause. Gewöhnlich sind neben diesen inspiratorischen Pausen auch noch exspiratorische vorhanden (Taf. XILI, Fig.2d,3c). Jedoch fehlen die letzteren in nicht seltenen Fällen (Taf. XIII, Fig. 1c), sie sind nur eine secundäre Erscheinung, keine nothwendige Folge des Eingriffes. Der Rhythmus der Athmung richtet sich natürlich durchaus nach dem Verhältniss von Inspiration zu Exspiration. Dieses bleibt auch bei ein und demselben Thier nicht immer constant, sondern ändert sich nach der Operation allmählich immer mehr zu Gunsten der Exspiration. Die letzten Athemzüge vor dem Tode, welche auch erheblich verflacht sind, bestehen dann nur noch aus sehr langen exspiratorischen Pausen, welche durch ganz kurze Inspirationen unterbrochen werden (Taf. XIII, Figg. 3d und 3e). Was nun die Deutung der beschriebenen Erscheinungen anlangt, so ist zunächst hervorzuheben, dass die durch Wegnahme der hinteren Vier- hügel bewirkten Athemveränderungen wahre Ausfallserscheinungen und nicht etwa Reizwirkungen von der Schnittfläche her sind. Die durch die Gehirnoperation gesetzte Reizung geht gewöhnlich ausserordentlich rasch vorüber. Ich habe immer beobachtet, dass entweder schon wenige Secunden nach der Operation die Athmung den oben geschilderten Typus annahm und dass diese Athemform dann stundenlang unverändert erhalten blieb,! oder dass die Thiere der Operation selbst erlagen, sei es der damit ver- bundenen Blutung, insofern bei reichlicher Blutung die Gerinnsel einen Druck ausüben können auf die Medulla und die zu derselben ziehenden Nervenstämme, sei es auch vielleicht dem Shoc. Im Allgemeinen vertragen grosse ausgewachsene Thiere die Operation besser, als kleine und junge. Also schon die Constanz und Dauer der Erscheinungen macht es sehr un- wahrscheinlich, dass sie Folge einer Reizung sein sollten. Es wäre ferner auch gar nicht einzusehen, durch welche Gebilde diese Reizung vermittelt werden sollte. Es könnte sich doch wohl nur um irgend welche centripetale Nervenbahnen handeln. Wir kennen aber keinen einzigen Nerv, dessen Reizung die typischen inspiratorischen Pausen hervorrufen könnte. Auch die ungeheuren Veränderungen der Athmung, welche die Durchschneidung der Vagi dann so regelmässig hervorruft, weist doch wohl darauf hin, dass es sich hier um etwas anderes handelt, als um eine blosse Reizung. Der eine Fall von Langendorff,? in dem trotz Gehirnoperation und Durch- schneidung beider Vagi die Athmung der normalen noch ähnlich blieb, ! Von Zeit zu Zeit ist künstliche Athmung nothwendig, um den durch die Ver- langsamung_ der Athmung entstehenden Sauerstoffverlust zu decken. 2 Nor bb 496 Mıx LEWANDOWwSKY: beweist durchaus nicht, wie das auch Schiff! will, dass die sonst ein- tretenden Athemveränderungen nur auf einer zufälligen Reizung umliegender Gehirntheile beruhen; es kann hier nur die Majorität entscheiden, und wenn unter der grossen Anzahl der von verschiedenen Autoren ausgeführten Ver- suche ein einziger ein abweichendes Ergebniss hat, so weist das doch darauf hin, dass in diesem einen Fall durch die Operation abnorme Bedingungen gesetzt wurden. Es ist nur ein Eingriff bekannt, der in gleicher Weise wirkt, wie die Vierhügelabtrennung und das ist die doppelseitige Vagussection. Man wird also vielleicht daran denken können, ob nicht durch die Operation eine Schädigung der Vaguskerne herbeigeführt werden kann. Schon wegen der grossen räumlichen Entfernung der fraglichen Gebilde erscheint das aber gänzlich ausgeschlossen. Auch dass die nachfolgende Vagusdurchschneidung so auffallende Erfolge hat, wie nie beim intacten Thier, spricht mit Ent- schiedenheit dagegen. Was nun die Art der durch die Wegnahme der hinteren Vierhügel ausgefallenen und also normaler Weise von ihnen dem Athemcentrum zu- geleiteten Erregung betrifft, so muss dieselbe eine automatische sein. Eine reflectorische Erregung ist vollständig ausgeschlossen, da man ja die vier ersten Gehirnnerven und, wie Loewy und Marckwald schon betonen, auch die Trigemini, sowie überhaupt sämmtliche Gehirnnerven, mit alleiniger Ausnahme der Vagi, centripetal durchschneiden kann, ohne überhaupt eine Beeinflussung der Atımung zu bekommen. Wir werden also in die hinteren Vierhügel ein automatisches Centrum zu verlegen haben. Auch Marckwald steht dieser Anschauung offenbar sehr nahe, wenn er auch höhere, d. h. oberhalb der Medulla gelegene Athemcentren leugnet, aber doch einen natürlichen Tonus der Ganglienzellen der hinteren Vierhügel annimmt, der die Athmung dauernd zu beherrschen im Stande ist, nachdem die Nn. vagi ausgeschaltet sind. Es wird ferner durch meine Experimente der Nachweis erbracht, dass die auto- matischen Centra in den hinteren Vierhügeln auch bei Integrität der Vagi einen deutlich erkennbaren Einfluss auf die Athmung besitzen. Die Ausfallserscheinungen nach Entfernung der hinteren Vierhügel und die nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung sind vollständig gleich. Es wird also auch der Einfluss der hinteren Vierhügel und der Vagi auf die normale Athmung ein gleicher sein müssen. Im vorigen Capitel ist aus- führlich gezeigt worden, dass die Vagi inspirationshemmend wirken und dasselbe wird also auch für unser Centrum in den hinteren ZA O): DIE REGULIRUNG DER AÄTHMUNG. 497 Vierhügeln anzunehmen sein, das dementsprechend als Inspira- tionshemmungscentrum zu bezeichnen ist. Anschauungen über den Mechanismus einer solchen Hemmung sind im ersten Capitel ausführlich ent- wickelt worden. Unter Hemmung der Inspiration ist zu verstehen die Einleitung eines Vorganges in den automatisch thätigen Zellen des eoordinirenden Athem- centrums in der Medulla oblongata, durch welchen der Ablauf der inspiratorischen Erregung und deren Uebertragung auf die centrifugalen Nervenfasern ge- stört wird. Sie ist eine specifische Eigenschaft der natürlichen Erregung gewisser Nervenbahnen, ohne dass wir uns im Einzelnen eine Vorstellung darüber zu bilden vermöchten, worauf dieselbe beruht. Aber es wird zu- gegeben werden müssen, dass die Entstehung dieser Erregung entweder reflectorisch oder automatisch geschehen kann, und diese beiden Möglich- keiten sehen wir realisirt in der Erregung des Vagus durch die Ausdehnung der Lunge und die Erregung des oben besprochenen Centrums in den hinteren Vierhügeln. Es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob nun die Thätigkeit des Inspirationshemmungscentrums in gleicher Weise wie die der Vagi eine rhythmische ist. Die Möglichkeit, vielleicht sogar Wahrscheinlichkeit, ist jedenfalls gegeben, insofern ein Centrum unter dem Einfluss eines constanten Reizes überhaupt rhythmisch thätig sein kann. Es ist eine rhythmische Thätigkeit jedoch keineswegs Bedingung einer zweckmässigen Hemmungs- wirkung, da früher gezeigt wurde,! dass durch die künstliche, nicht rhyth- mische Reizung des centripetalen Vagusstumpfes eine solche Hemmung während einer ganzen Reihe von Athemzügen aufrecht erhalten werden kann. Bis hierher gründete sich die Beweisführung auf die Deutung der That- sachen, welche für das Thier mit intacten Vagis ermittelt wurden. Da- durch aber werden nun auch die Veränderungen verständlich, welche die nachfolgende Vagussection verursacht. . Die Verbindung der beiden Ein- griffe bringt, wie natürlich, nur eine Steigerung der einzelnen Erscheinungen, d. h. der Vertiefung und Verlängerung der Inspiration hervor. Die unter Umständen auftretenden, oft sehr langen, aber keineswegs constanten exspi- ratorischen Pausen sind nur als eine accessorische Folge der ausserordent- lich vertieften Inspiration oder als eine Ermüdungserscheinung aufzufassen, wie das auch Marckwald ausdrücklich betont. Da aber diese Steigerung nicht nur eine Verdoppelung, sondern eine Vervielfachung darstellt, wird die Annahme wahrscheinlich, dass die beiden Hemmungserregungen, die auto- matische und die reflectorische, in gewisser Weise für einander eintreten können, dass die Wirkung der einen durch den Ausfall der anderen verstärkt wird, jedoch selten in dem Grade, dass dieser Ausfall ganz verdeekt und ersetzt wird. 1 Dies Archiv. 1896. 8. 203, vergl. auch S. 201. Archiv f, A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 32 498 Max LEWANDOWSKT: Nun hat Marckwald sowohl für die Form der Athmung, welche nach Abtrennung der „oberen Bahnen“ und Vagusdurchschneidung eintritt, wie auch für die Function dieser beiden Factoren zwei neue Ausdrücke erfunden: „Athemkrämpfe“ und „Entladung“. Die Athemkrämpfe hält er für ein von der normalen Athmung vollständig abweichendes Phaenomen, und ver- sucht auch nicht, einen genetischen Zusammenhang zwischen normaler Athmung und Athemkrämpfen herzustellen. Schon Loewy hat da- rauf hingewiesen, dass ja Kronecker und Marckwald! selbst ge- funden haben, dass die normale Zwerchfellbewegung ein Tetanus_ sei, und dass sich also der Inspirationskrampf dann nur durch seine längere Dauer von einer solchen unterscheiden würde Darauf hat Marckwald spöttisch geantwortet, ob denn eine Gehbewegung nicht von einem Waden- krampf zu unterscheiden wäre. Darauf ist zu erwidern, dass, wenn man annehmen will, eine Gehbewegung käme durch eine Contraction der Wadenmusculatur zu Stande, sich ein Wadenkrampf von dieser Geh- bewegung nur durch seine längere Dauer und Intensität unterscheiden würde. Beides würde vermindert werden, der Wadenkrampf in eine solche Gehbewegung übergehen durch eine Hemmung der centralen Innervation, wie es denn überhaupt wahrscheinlich sein dürfte, dass jede abgestufte und gemessene Bewegung durch das kunstvolle Ineinandergreifen von Erregung: und Hemmung zu Stande kommt. Im Falle der Athemkrämpfe ist ja auch der Uebergang von der normalen Athmung zu den Athemkrämpfen mit ihren ausserordentlich langen Inspirationstetani deutlich genug gegeben durch die Ausfallserscheinungen nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung. Diese, von Gad.1880 schon sehr genau beschrieben, ignorirt nun allerdings Marck- wald vollständig. Der Name Athemkrämpfe oder Krampfathmung kann ja der Bequemlichkeit des Ausdrucks wegen bleiben, nur ist daran fest- zuhalten, dass im Folgenden darunter eine Athemform verstanden wird welche durch die beschriebenen Eingriffe hervorgerufen, sich von der nor- malen im Wesentlichen eben nur durch die ausserordentliche Vertiefung und Verlängerung der Inspiration unterscheidet. Das Wort „Entladung“ soll einen Vorgang bezeichnen, durch den die sonst arhythmischen Athemkrämpfe in regelmässige Athmung umgewandelt würden, durch den die im Athemcentrum in abnormer Weise angehäufte Spannung in regelmässigen Zwischenräumen entladen werden sollte. Ab- gesehen davon, dass nach den hier berichteten Untersuchungen auch die Thätiekeit des isolirten Athemcentrums noch eine rhythmische ist, wohin. soll denn diese Spannung entladen werden? Doch offenbar nur in die ! Kronecker, dies Archiv. 1879. 5.592. — Marckwald, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXIII. 8. 171. Dıe REGULIRUNG DER ATHMUNG. 499 centrifugale Nervenfaser, da sie einen anderen Ausweg ja nicht hat. Und wenn eine „Entladung“ in die centrifugale Nervenfaser erfolgt, so kann doch dadurch wohl nur eine Inspiration hervorgerufen werden, da die (passive) Exspiration ja auf einer verminderten Erregung der centrifugalen Nervenfaser beruhen muss. Daraus würde also, so weit ich sehen kann, nur eine Verlängerung der Inspiration resultiren: Marckwald will aber erklären, wie ein langer Inspiratorenkrampf in eine kürzere Athembewegung umgewandelt wird. Es bliebe zu diesem Zweck nur übrig anzunehmen, dass die Entladung der Spannung nicht in die centrifugale Nervenfaser, sondern in irgend einer anderen Richtung erfolgen sollte, in welcher, er- scheint allerdings nicht erklärbar. Jedenfalls würde der Erfolg einer solehen Entladung die Verminderung der Erregung in der centrifugalen Nervenfaser sein, d. h. das, was wir mit dem Ausdruck Hemmung zu be- zeichnen gewohnt sind. Das aber kann Marckwald nicht unter Entladung verstehen, denn eine Hemmungstheorie ist nach ihm „nicht im Stande die Schwierigkeiten in der Deutung zu beseitigen“.! Um nun auch bei der Betrachtung der normalen Athmung auf die von Gad gegebene Aufstellung, dass die Exspiration immer reflectorisch erfolge, zurückzukommen, so erscheint dieselbe nach dem Gesagten nicht wohl haltbar. Denn erstens verlangt die Theorie eine rhythmische Thätig- keit des Centrums, die Möglichkeit also, dass auch die Exspiration automatisch erfolgen kann. Es hat sich aber weiter ergeben, dass schon die Exspiration nach doppelseitiger Vagussection auf das Eingreifen einer automatisch erzeugten Hemmung zurückgeführt werden muss. Dürfen wir nun in jener Form der Athmung, welche nach Abtrennung der hinteren Vierhügel vom verlängerten Mark zu Stande kommt, die Form der Thätigkeit erblicken, welche das von allen automatisch und reflectorisch entstehenden, beeinflussenden Erregungen befreite, nur der eigenen unmittel- baren Erregung durch den Blutreiz gehorchende coordinirende Athem- centrum in der Medulla oblongata entwickelt? Obwohl das ausserordentlich wahrscheinlich sein dürfte, kann diese Frage mit#Sicherheit doch nicht beantwortet werden. Denn die Möglichkeit liest immer vor, dass in der Medulla selbst noch Zellen und Centren gelegen sind, welche, in ähnlicher Weise wie das Centrum in den hinteren Vierhügeln, die Thätigkeit des coordinirenden Athemcentrums noch beeinflussen, experimenteller Unter- suchung aber unzugänglich sein würden. Man wird aber sagen können, dass die Thätigkeit des von allen Verbindungen möglichst getrennten coordinirenden Athemcentrums sich äussert in 1 Vergl. dies Archiv. S. 226. 32 * 500 MıAx LEWANDOWSKY: einer Form der Athmung, welche rhythmisch ist, und deren wesentliche Kennzeichen eine ausserordentliche Vertiefung und Verlängerung der Inspiration sind. Diese Form der auto- matischen Thätigkeit des coordinirenden Athemcentrums in der Medulla oblongata wird geändert durch Hemmungen, welche ihm (vor und nach Vagusdurchschneidung) von einem gleichfalls automatisch thätigen Inspirationshemmungscentrum in den hinteren Vierhügeln aus zugehen. D. Die rhythmische Thätigkeit des Athemcentrums. Es ist, "wie weiter oben schon hervorgehoben wurde, nothwendig, an- zunehmen, dass unter dem Einflusse eines steten Reizes, des Blutreizes, das coordinirende Athemcentrum rhythmisch thätig ist. Der gleiche Reiz muss im Stande sein, in verschiedener Weise auf das Athemcentrum ein- zuwirken. Eine experimentelle Feststellung dieser Vorgänge schien er- wünscht. Da wir den Blutreiz selbst nicht nach Belieben ändern können, müssen wir künstliche Reize einführen. Das Nächstliegende wäre es, das Athem- centrum selbst mit dem elektrischen Strom zu reizen. Darauf habe ich verzichtet, weil die Schwierigkeit dieses an sich schon nicht leichten Experi- mentes unter den in gleich zu beschreibender Weise künstlich veränderten Verhältnissen recht erheblich gewesen wäre und sich ein einfacherer Weg bot, um zum Ziele zu kommen: die Reizung des centripetalen Vagusstumpfes mit Inductionsströmen. Während der normalen Athmung lassen sich nun freilich aus Vagus- reizungen keine Schlüsse ziehen über die. Vorgänge, welche während der einzelnen Phasen der Athmung im Centrum statthaben. Es musste sich darum handeln, die Athmung möglichst zu verlangsamen, die einzelnen Phasen derselben möglichst zu protrahiren. Ein Mittel dazu haben wir im vorigen Capitel kennen gelernt, das ist die Abtrennung des coordinirenden Athemcentrums von den hinteren Vierhügeln unter gleichzeitiger Vagus- section. Am geeignetsten für unseren Zweck sind jene Fälle, wo neben der typischen ausserordentlich vertieften und verlangsamten Inspiration auch eine sehr lange Exspiration zur Erscheinung kommt. Das Experiment lässt sich in dieser Beziehung nicht beherrschen, da diese exspiratorischen Pausen nur secundäre, nicht unmittelbare Folgen der oben genannten Eingriffe dar- stellen. Das ist hier aber ganz gleichgültig, da die Bedingungen der rhyth- mischen Thätigkeit überhaupt, nicht quantitativ die einer bestimmten Form derselben, zu untersuchen sind. Die REGULIRUNG DER ÄTHMUNG. 501 Ich habe Versuche dieser Art an 25 Thieren (Kaninchen) angestellt. Die Ergebnisse waren folgende: Wie schon beim intacten Thier, ist auch beim Thier mit isolirtem Athemceentrum (wie das Thier ohne Vaei und Vierhügel kurz bezeichnet werden kann) die Stromstärke bei’ Reizung des centralen Vagusstumpfes für den Erfolg nicht gleichgültig. Bei Anwendung schwächster, eben noch wirksamer Ströme, bekommt man in vielen Fällen nichts als eine Aenderung der bestehenden Athemkrämpfe! (Taf. XIII, Figg. 4a, 5,5). Und zwar sind zunächst immer die inspiratorischen Tetani verkürzt. Daneben können auch die exspiratorischen Pausen verkürzt sein. Gerade jedoch in den Fällen, wo solche von Anfang an nicht bestanden, können exspiratorische Pausen durch die Reizung hervorgerufen” werden. Die Verkürzung der inspiratorischen Pausen ist jedoch in allen Fällen so bedeutend, dass immer eine Beschleunigung der Gesammtathmung resultirt. Bei vorsichtiger Steigerung der Stromstärke ändern sich die Erscheinungen, wenn überhaupt, immer mehr zu Gunsten der Exspiration. Auch die Tiefe der Inspiration kann so vermindert werden, so dass wir durch dauernde Reizung eines Vagus im Stande sein können, aus jener von der normalen Athmung so ausserordentlich verschiedenen Krampfathmung eine nach Form, Tiefe und Frequenz mit der normalen Athmung fast übereinstimmende Athemform herzustellen (Taf. XII, Fig. 45). Bei manchen Thieren ist nur eine Andeutung der Umwandlung des Rhythmus in exspiratorischem Sinne hervorzurufen, indem nach einigen in exspiratorischem Sinne veränderten Athemzügen die Athmung bei Fortdauer des Reizes in Exspirationsstellung verharrt. Trotzdem halte ich es für wahr- scheinlich, dass die beschriebene Veränderung der Athemform und des Athem- rhythmus die Regel ist bei Anwendung schwächster Ströme und dass es nur an der Unvollkommenheit der künstlichen Reizung liegt (man muss oft sehr lange und vorsichtig herumprobiren, ehe man die passende Strom- stärke findet), wenn sie nicht in allen Fällen nachzuweisen ist. Die letzterwähnten Fälle bilden nun den Uebergang zu denen, wo es, wenn wir zunächst die Erscheinungen betrachten, die bei Reizung während der exspiratorischen Pause eintreten, überhaupt nur noch gelingt eine Inspiration hervorzurufen, worauf dann bei Fortdauer des Reizes die Ath- mung in Exspiration stehen bleibt. Dieselbe Erscheinung tritt bei allen Thieren ein, wenn wir den Strom verstärken. In diesem Stadium gelingt es nun in der That Aenderungen im Ver- halten des Centrums während der einzelnen Athemphase nachzuweisen. ı Es scheint mir das diejenige Erscheinung zu sein, welche Marekwald, der gleichfalls Vagusreizungen am Thier mit isolirtem Athemeentrum angestellt hat, als Umwandlung der unregelmässigen Athemkrämpfe in regelmässige beschreibt. 502 Max LEWANDOWSKY: Es wächst die Wirksamkeit eines gleich starken Reizes mit dem Fortschreiten der exspiratorischen Pause.! Wird der Vagus im Beginn derselben gereizt, so antwortet das Zwerchfell nur mit einer kurzen und flachen Contraction. Ja der Fall ist nicht selten, dass im Anfange der exspiratorischen Pause der Vagusreiz noch vollständig wirkungslos bleibt, oder vielmehr von vornherein eine dauernde Hemmung verursacht (Taf. XIV, Figg. 8a, 9a). Je weiter man jedoch die Anbringung des Vagusreizes an das Ende der exspiratorischen Pause verlegt, um so energischer wird die inspiratorische Wirkung des Vagusreizes (Taf. XIV, Figg. 7, 8, 9). Die einmalige Contraction der Inspirationen wird stärker und ist von längerer Dauer. Es kann das Zwerchfell bis zum Niveau der Inspirationstetani der bestehenden Krampfathmung herabsteigen, dort eine Zeit lang verbleiben, dann wieder erschlaffen und nun in Exspiration verharren, so lange der Reiz andauert.e Eine durch künstliche Vagusreizung hervorgerufene und beendete Inspiration bleibt an Dauer jedoch immer erheblich gegen die auf automatischem Wege zu Stande kommenden Inspirationstetani der be- stehenden Krampfathmung zurück. Die durch den künstlichen Reiz hervorgebrachte Exspiration kann in seltenen Fällen activ sein. In den Fällen, wo im Anfange der exspira- torischen Pause noch keine Inspiration erzeugt werden kann, kann der Effect künstlicher Vagusreizung dann nicht nur sofortige Hemmung, sondern active Exspiration sein. Steigert man nun in dem Stadium, wo die Vagusreizung also nur noch eine einmalige Inspiration bewirkt, den Strom noch weiter, so bleiben zwar die Erfolge qualitativ dieselben, d. h. die Wirkung des Reizes wächst mit der Dauer der exspiratorischen Pause, aber die inspiratorischen Erfolge werden überhaupt geringer. Einmalig inspiratorisch wirksame Reize in demselben Reizmomente, vom Eintritt der Exspiration an gerechnet, an- gebracht, wirken um so stärker, je schwächer sie selbst sind (Taf. XIV, Figg. 7 und 8). Es kann also ein schwacher Reiz im Beginne der exspi- ratorischen Pause noch inspiratorisch wirksam sein, während ein stärkerer schon nicht mehr wirksam ist (Taf. XIV, Figg. 7a und Sa) u.s.w. Bei ganz starken Reizungen endlich tritt, wann man auch reizen mag, gar keine Inspiration, sondern sogleich Hemmung ein. Es ist der Wechsel in der inspiratorischen Wirksamkeit der Reizung des centripetalen Vagusstumpfes mit Inductionsströmen nur dann mit ! Auf eine Vergleichung der hier mitgetheilten Ergebnisse mit der von Marey entdeckten wechselnden Erregbarkeit des Herzens verzichte ich absichtlich, insbesondere weil der Wechsel der Erregbarkeit von Marey und seinen Schülern als eine Eigen- schaft des Herzmuskels selbst angesprochen worden ist. DIE REGULIRUNG DER ÄTHMUNG. 503 Sicherheit zu beobachten, wenn die Reizung über die Inspiration hinweg so lange andauert, bis das Zwerchfell seine inspiratorische Excursion völlig vollendet, bis es ganz in Erschlaffung wieder zurtickgekehrt ist. Unter- bricht man nämlich den Reiz noch während der Inspiration, so bleibt — und zwar ist diese Erscheinung absolut constant — die In- spiration bestehen und die auf diese Weise erhaltenen Inspirationstetani sind dann so lang, dass sich Unterschiede scharf gar nicht mehr constatiren lassen (Taf. XIV, Fig. 12). Höchstens kann man dann noch beobachten, dass ein Reiz, der im Beginne der exspiratorischen Pause noch wirkungslos ist, später eine Inspiration auslösen kann. Bricht man nun aber den Reiz erst nach vollendeter Inspiration ab, so tritt in weitaus der Mehrzahl der Fälle dann sofort eine spontane Inspi- ration ein. Nur in seltenen Fällen bleibt auch nach beendeter Reizung das Zwerchfell noch einige Zeit in Erschlaffung. Gewöhnlich geht sogar das Zwerchfell, wenn während des Ueberganges von Inspiration zur Exspi- ration die Reizung beendigt wird, ohne sich Zeit zu nehmen die Erschlaffung zu vollenden, sofort zur Inspirationsstellung und in einen längeren Inspi- rationstetanus zurück (Taf. XIV, Fig. 11). Wird die Vagusreizung nun während der Inspiration vorgenommen, so gelingt es, wie nach dem Vorhergehenden nicht anders zu erwarten, die bestehende Inspiration zu hemmen. Auch hier wieder lassen sich Er- scheinungen beobachten, welche auf eine Veränderung des Verhaltens des Centrums auch während der Inspiration schliessen lassen. Es hat sich herausgestellt, dass die Latenzzeit des Reizes, wenn darunter verstanden wird die Zeit vom Einbruch des Reizes bis zum Eintreten der Hemmungs- wirkung, abhängig ist von der Phase der Inspiration einerseits und der Stärke des angewandten Reizes andererseits. Die Latenzzeit des während der Inspiration angebrachten Reizes sinkt mit dem Fortschreiten der Inspiration und mit der Stärke des angewandten Reizes. Die stärksten Reize bringen auch hier wieder sofort eine Hemmung hervor. Es handelt sich hier um durchaus — wenn man so sagen darf — makroskopische Differenzen. Auf Fig. 9 beträgt die Differenz der Latenz- zeit von 9d einerseits und 9e (starker Reiz am Anfang der inspiratorischen ! Man kann diese Eigenschaft stärkster Reize dazu benutzen, auf reflectorischem Wege eine sehr zweckmässige und der normalen ähnliche Athmung von Zeit zu Zeit herzustellen, um so den durch die übermässig verlangsamte Athmung hervorgerufenen Sauerstoffmangel zu compensiren. Wenn die Inspiration begonnen hat, schliesst man den Strom; das Zwerchfell erschlafft; der Strom wird unterbrochen; das Zwerchfell beginnt automatisch sofort wieder die Inspiration (wenigstens in den meisten Fällen), der Strom wird wieder geschlossen u. s. w. (Taf. XIII, Fig. 6). 504 Max LEWANDOWSKY: Pause) und 99 (schwacher Reiz am Ende der inspiratorischen Pause) andererseits etwa 2-25 Secunden. So grosse Latenzzeiten dürfen offenbar nur auf Vorgänge in den centralen Ganglienzellen zurückgeführt werden. Man kann daher die mit- getheilten Thatsachen auch so auffassen, dass durch den Reiz das Athem- centrum zunächst im inspiratorischen Sinne beeinflusst wird, und dass erst später die Hemmungswirkung eintritt, genau so wie bei Reizung während der Exspiration zuerst Inspiration, dann Inspirationshemmung erfolgt, und dass so die inspiratorische Wirksamkeit von während der Inspiration an- gebrachten Reizen sinkt mit der Dauer der Inspiration. Oder man wird annehmen können, dass das inspiratorisch thätige Athemeentrum der künst- lichen Hemmung einen gewissen Widerstand entgegengesetzt, einen Wider- stand, der mit der Dauer der Inspiration abnimmt. Ich komme zur Deutung der ganzen Gruppe der mitgetheilten That- sachen. Wenn zunächst einmal von der Natur und Stärke des an- gewandten Reizes abgesehen wird, so ergiebt sich aus der Thatsache, dass die Wirksamkeit eines gleich starken inspiratorischen Reizes mit der Dauer der Exspiration zunimmt, sofort die Folgerung, dass die Fähigkeit des Centrums, thätig (d. h. inspiratorisch wirksam) zu sein, während der Ex- spiration steigt oder, wie das kurz ausgedrückt werden soll, dass die in- spiratorische Energie des Öentrums während der Exspiration steigt. Im Parallele hiermit folst aus der Thatsache, dass die auf Vor- gänge im Üentralorgan zu beziehende Latenzzeit von während der Inspira- tion angebrachten inspirationshemmenden Reizen abnimmt mit der Dauer der Inspiration, dass, welche von den beiden vorgeschlagenen speciellen Erklärungen man auch wählen will, die Fähigkeit des Athemcentrums, thätig zu sein, während der Inspiration sinkt, dass die inspiratorische Energie des Centrums während der Inspiration abnimmt. Was nun die Art des angewandten Reizes betrifft, so konnte zu- nächst für die Reizung des centripetalen Vagusstumpfes die doppelte Wirkung festgestellt werden, welche von theoretischen Gesichtspunkten aus für den Blutreiz angenommen werden musste, nämlich die Fähigkeit, sowohl Erregung wie Hemmung zu bewirken.! Erstens war es möglich während der Inspiration die Ex- spiration, zweitens während der Exspiration die Inspiration zu bewirken. Auch wurde die während der Exspiration ausgelöste Inspiration durch den ı Es sei hier darauf hingewiesen, dass Bubnoff und Heidenhain (Pflüger’s Archiv. Bd. XXVI. S. 137) gefunden haben, dass elektrische Reizung der motorischen Grosshirncentren sowohl Erregung, wie Hemmung bewirken kann. Die REG@ULIRUNG DER ATHMUNG. 505 künstlichen Reiz selbst wieder beendet, gehemmt, nicht etwa durch die automatische Thätigkeit des Centrums. Das wird dadurch bewiesen, dass wenn während der Inspiration der künstliche Reiz unterbrochen wurde, unter dem Einfluss des nunmehr allein wirkenden Blutreizes die Inspira- tion ganz erheblich länger unterhalten wurde, als bei Fortdauer des künst- lichen Reizes. Der künstliche Vagusreiz wirkt also sowohl inspiratorisch wie inspira- tionshemmend. Dabei wurde aber festgestellt, dass je stärker der künst- liche Reiz gewählt wurde, umsomehr die Inspirationshemmung überwog, bis bei Anwendung stärkerer Reize nur noch die letztere zum Ausdruck kam und die inspiratorische Wirkung ganz ausfiel. Es stimmt diese That- sache durchaus überein mit den beim intacten Thier gewonnenen Ergeb- nissen, dass nämlich bei Anwendung stärkster sensibler Reize aller Art eine absolute Hemmung der Inspiration stattfindet. Je mehr nun der Reiz verringert wurde, um so deutlicher wurde die inspiratorische Wirkung. Zuerst nur eine Inspiration vor der Hemmung, dann bei weiterer Ver- minderung der Reizstärke ein rhythmischer Wechsel von Inspiration und Exspiration.e. Der Rhythmus der bestehenden Krampfathmung wurde be- schleunigt, die Athmung jedoch im Ganzen genommen immer in expira- torischem Sinne verändert. Längere inspiratorische Pausen als die bestehenden konnten beim Thier mit isolirtem Athemeentrum nicht mehr hervorgerufen werden, während beim intacten Thier durch Vagusreizung mit Inductions- strömen inspiratorische Stillstände von der Dauer vieler normaler Athmungen sich erzielen lassen. Es erklärt sich das dadurch, dass das isolirte Athem- centrum, ohne alle Hemmungen arbeitend, seine inspiratorische Energie bei jeder Inspiration vollständig verbraucht, so dass durch eine stärkere Reizung wohl eine andere Vertheilung derselben, aber keine vermehrte Entladung mehr hervorgerufen werden kann, während beim intacten Thier auch nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung das Athemcentrum unter dem Ein- fluss der Hemmungen von den hinteren Vierhügeln aus arbeitet, nicht alle Energie verbraucht, so dass wir durch geeignete! künstliche Reizung wohl eine Vermehrung seiner Thätigkeit bewirken können. Denn durch den künstlichen Reiz, den wir einführen, konnten wir wohl den natürlichen Reiz ersetzen, welcher an die chemische Beschaffenheit des Baues (Aen- ! Man wird leicht sehen, wie gut die Ergebnisse der Vagusreizung beim Thier mit isolirtem Athemcentrum zu der von mir früher (vergl. dies Archiv. 1896. S. 223) gegebenen Theorie stimmen, dass Vagusreizung mit Inductionsströmen dieselben Vor- gänge im Centrum bewirken wie der Blutreiz. Es sei hier auch nochmals bemerkt, dass wir aus den Ergebnissen der künst- lichen Reizung des Vagusstumpfes unter keinen Umständen auf die Function der Vagi für die normale Athmung schliessen dürfen (vergl. dies Archiv, 1896. 8. 224), 506 MAx LEWANDOWSKY: derung des Gasgehaltes) gebunden ist, nicht aber die andere Fähigkeit, welche das Blut besitzt, die allgemeine Function der Ernährung. In dieser zweifachen und gegensätzlichen Beziehung steht das Blut zum Athem- centrum. Die Ernährung wird, von den Nährstoffen des Plasmas (Wasser, Eiweiss, Fett, Mineralsalze) abgesehen, hauptsächlich gewährleistet durch den Sauerstoffgehalt, der Reiz wird ausgeübt durch die Kohlensäure des Blutes (oder relativen Sauerstoffmangel). Insofern nun, wie soeben bewiesen, während der Exspiration inspiratorische (potentielle) Energie aufgehäuft wird, welche während der Inspiration sich in Arbeit umsetzt, werden wir die Herstellung dieses Zustandes der ernährenden und künstlich nicht er- setzbaren Function des Blutes zuschreiben dürfen. Diese inspiratorische Energie wächst aber während der Exspiration und sinkt während der In- spiration, wie durch Einführung des künstlichen Vagusreizes ermittelt wurde, und insofern durch das Blut diese Energie sowohl bereitet als ausgelöst wird, darf man sagen, dass auch durch die automatisch erfolgende Inspi- ration die inspiratorische Energie verbraucht wird, welche während der Exspiration im Centrum gebildet wurde. Nun entsteht aber eine andere, für die Erklärung des Rhythmus prin- cipielle Frage, nämlich, wie ist es möglich, dass sich inspiratorische Energie überhaupt ansammelt. Dass eine solche Ansammlung stattfindet, ist: noth- wendig, weil unter dem Finflusse des constanten Reizes ja sonst offenbar tonisch die sich bildende Energie entladen werden musste. Rosenthal! hat bekanntlich einen Widerstand zwischen Ganglienzelle und Nervenfaser angenommen, durch welchen die Entladung der Energie in die centripetale Nervenfaser verhindert würde. Ohne auf diese rein hypothetische Annahme hier eingehen zu wollen, glaube ich die Vorgänge während der rhyth- mischen Thätigkeit des Centrums experimentell noch etwas weiter ver- folgen zu können. Insofern während der Exspiration (Unthätigkeit des Centrums) eine Ansammlung von Energie stattfinden kann und muss, wird anzunehmen sein, dass während dieses Vorganges sich die Erregbarkeit des Centrums so weit steigert, dass nun der constante Reiz im Stande ist die Inspiration auszulösen. Ist das aber einmal geschehen, so reicht trotz der dadurch erfolgenden Verminderung der Energie der gleiche Reiz aus, um die einma] ausgelöste Erregung aufrecht zu erhalten. Dass Auslösung und Unter- haltung der Thätigkeit zwei ganz verschiedene Processe sind, beweist das oben berichtete Experiment, wonach durch einen starken künstlichen Reiz die Exspiration vor ihrem normalen Ende unterbrochen und die Inspiration ' Rosenthal, Athembewegungen. 8. 242. DIE REGULIRUNG DER ATHMUNG. 507 eingeleitet werden konnte. Wurde nun während der Inspiration die künst- liche Reizung abgebrochen, so dauerte die Inspiration unter dem Einflusse des nunmehr allein wirksamen Blutreizes weiter fort und zwar sogar länger, als sie unter dem des starken künstlichen Reizes fortgedauert hätte. Die Inspiration musste also ausgelöst werden durch einen starken Reiz,! eben weil die Erregbarkeit noch gering war. War das aber einmal geschehen, so genügte der schwache Reiz des Blutes, um sie aufrecht zu erhalten. Normalerweise muss die Erregbarkeit des Centrums so weit gesteigert werden, bis auch zur Auslösung der Inspiration schon der schwache Blutreiz genügt. Somit kann gesagt werden, dass erst mit der allmäh- lichen Ansammlung von Energie im Centrum die Erregbarkeit desselben bis zu einem bestimmten Grade so weit steigt, dass der constante schwache Blutreiz genügt, um die Thätigkeit desselben (Inspiration) auszulösen, dass aber trotz der damit erfolgenden Verminderung der inspiratorischen Energie der- selbe Reiz ausreicht den einmal eingeleiteten Thätigkeitsvor- gang (Inspiration) aufrecht zu erhalten, welcher nun so lange andauert, bis alle (inspiratorische) Energie verbraucht ist (oder eine Hemmung eintritt). Damit ist der Zustand der Un- thätigkeit (Exspiration) wieder hergestellt und der Vorgang kann von Neuem beginnen. Ueber die centrale Atheminnervation würden sich folgende Hauptsätze aufstellen lassen: 1. Nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung wird die Athmung nicht mehr dauernd refleetorisch beeinflusst, sondern geschieht allein durch die automatische Thätigkeit der Centralorgane. 2. Die normale Athmung, das ist der rhythmische Wechsel von Spannung und Erschlaffung der Inspiratoren wird geleitet durch die rhyth- mische Thätigkeit eines, des coordinirenden Athemcentrums in der Medulla. ! Warum jener starke Reiz dann auch sogleich wieder eine Hemmung hervor- ruft, ist nicht leicht zu sagen. Jedenfalls beweist die Thatsache, dass nach Beseitigung des künstlichen Reizes während der Hemmung meist auf automatischem Wege sofort eine Inspiration eintritt, nichts gegen die oben gegebene Theorie. Denn durch eine Hemmung wird ja die Ansammlung von Energie keineswegs verhindert. Es giebt uns sogar die früher beschriebene Erscheinung der inspiratorischen „verkehrten Nach- wirkung“ einen Hinweis darauf, dass während der Dauer der Hemmung eine erheb- liche Ansammlung von Energie im Centrum statthat, welche nach dem Aufhören der Hemmung dann mit einem Mal zur Entwickelung kommt (vergl. dies Archiv. 1896. S. 223). 508 Mıx LEwWANDOWwSKY: 3. Durch das Experiment können die Vorgänge, welche im Centrum während der rhythmischen Thätigkeit statthaben, in der oben beschriebenen Weise festgestellt werden. 4. Die automatische Thätigkeit des Athemcentrums in der Medulla oblongata wird beeinflusst durch hemmende Impulse, welche ihm von einem gleichfalls automatisch thätigen Inspirationshemmungscentrum in den hinteren Vierhügeln zugeleitet werden. 5. Für die active Exspiration ist ein besonderes, sowohl automatisch als auch reflectorisch erregbares Centrum anzunehmen. Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. 509 Erklärung der Abbildungen. (Taf. XIII-XIV.!) Taf. XIII Fig. 1. Grosses Kaninchen. Fig. 1a. Athmung nach 1-5 Chloral. Fig. 15. Athmung nach Isolirung des coordinirenden Athemcentrums (Fortnahme der Vierhügel und der Trigeminuskerne). Fig. 1c. Athmung nach Durchschneidung beider Vagi. Fig. 2. Mittelgrosses Kaninchen. Fig. 2a. Athmung nach 0-5 Chloral. Fig. 25. Athmung nach Abtrennung der hinteren Vierhügel. Fig. 2c. Athmung nach Durchschneidung eines Vagus. Fig. 2d. Athmung nach Durchschneidung beider Vagi. Fig. 3. Mittelgrosses Kaninchen. Fig. 3a. Normale Athmung. Fig. 35. Nach Isolirung des coordinirenden Athemcentrums (Zerstörung der Trige- minuskerne). Bei * Ausschaltung des linken Vagus durch Gefrieren. Fig. 3c.. 5 Minuten nach Fig. 35 aufgenommen. Bei * Ausschaltung des zweiten Vagus. Figg. 3d und e. Nach Oeffnung der Carotis. Fig. 4. Mittelgrosses Kaninchen nach Fortnahme der hinteren Vierhügel und doppelseitiger Vagussection. Reizungen des linken Vagus mit Inductionsströmen. Fig. 4a. Rollenabstand 400 w», -Fig. 45. Rollenabstand 300 “m, Fig. 5. Anderes Thier, sonst wie Fig. 4. Rollenabstand 350 “m, Fig. 6. Künstliche reflectorische Athmung durch Vagusreizung mit Inductions- strömen (vergl. S. 503. Anm.). ! Ueber Herstellung und Bedeutung der Curven vergl. dies Archiv, 1896, S. 246 and S. 198. 1°® Curvenlänge = etwa 3 Secunden. 510 MAx LEWANDOWSKY: Die REGULIRUNG DER ATHMUNG. Taf. XIV. Fig. 7. Grosses Kaninchen nach Isolirung des coordinirenden Athemcentrums. Figg. Ta bis e. Rollenabstand 100”=. Reizungen des linken Vagus mit Induc- tionsströmen während verschiedener Phasen der exspiratorischen Pause. Fig. S. Dasselbe. Figg. Sa bis e. Rollenabstand 70". Reizungen ungefähr während der gleichen Phasen wie in Fig. 7. Fig. 9. Mittelgrosses Kaninchen nach Isolirung des coordinirenden Athem- centrums. Figg. 9a bis c. Reizungen des centralen linken Vagusstumpfes mit Inductions- strömen während verschiedener Phasen der exspiratorischen Pause. Rollenabstand 100. Figg. 9d bis g. Dasselbe während verschiedener Phasen der Inspiration. d,f, g Rollenabstand 130, e Rollenabstand 70 =, Fig. 10. Kleines Kaninchen nach Isolirung des Athemcentrums. Kurz auf. einander folgende Reizungen des centripetalen rechten Vagusstumpfes während ver- schiedener”Phasen der Inspiration. Rollenabstand 140 ==, Fig. 11. Unterbrechung einer Vagusreizung während der Exspiration (aus dem gleichen Versuch wie Figg. 7 und 8). Figg. 12. Grosses Kaninchen nach Isolirung des Athemcentrums (die kleinen Schwankungen der Curve sind der Ausdruck cardiopneumatischer Bewegungen). Reizung des linken Vagusstumpfes mit Inductionsströmen (Rollenabstand 120 ==) während der- selben Phase der Exspiration. Fig. 12a. Reiz die Inspiration überdauernd. Fig. 125. Reiz während der Inspiration abgebrochen. Muskelarbeit und Glykogenverbrauch. Von J. Seegen in Wien, I. Die zahlreichen Versuche, die ich über den Glykogenverbrauch bei tetanischer Nerven- oder Muskelreizung angestellt habe, gestatten es nicht, wie ich gehofft hatte, in unzweifelhafter Weise die Frage zu beantworten, ob und inwieweit die in dem Muskelglykogen enthaltene chemische Energie für die normale Körperarbeit auszureichen im Stande sei. Es ergab sich in allen Versuchen als unzweifelhafte Thatsache, dass schon bei mässiger Arbeitsleistung ein grosser Glykogenverbrauch stattfindet, und dass in der geleisteten Arbeit im Durchschnitte kaum 5 Procent der in dem verbrauchten Glykogen enthaltenen Spannkraft verwerthet werden. Wenn bei der nor- malen Arbeitsleistung ein ähnlicher Glykogenverbrauch stattfände, wäre es zweifellos entschieden, dass das Muskelglykogen nicht die Kraftquelle für die normale Arbeitsleistung des Thierkörpers sein könne. Es haben diese Versuche auch gelehrt, dass dieser Glykogenverbrauch zum Theil nicht bloss auf Rechnung der in mechanischer Leistung zum Ausdruck kommenden Muskelarbeit zu beziehen sei. Bei den Versuchen mit Nervenreizung kommt ein Theil des Glykogenverlustes schon auf Rechnung der Nervendurch- schneidung, und auch bei der directen Muskelreizung, bei welcher die Nerven intact blieben, dürfte ein Theil des Glykogenverbrauches durch eine im Muskel vor sich gehende, von der Grösse der Contractionen ganz unab- hängige Arbeit veranlasst sein. Für diese Deutung spricht der Glykogen- verlust, welcher bei tetanischer Reizung der Muskel an curarisirten Thieren beobachtet wurde. Bei diesen war kaum eine Contraction wahrzunehmen, es muss also eine andere im Muskel vor sich gehende Veränderung auf 512 J. SEEGEN: Kosten des Glykogenverbrauches stattgefunden haben. Es ist nun sehr denkbar, dass auch bei der normalen Muskelthätigkeit die gleiche nicht näher gekannte innere Arbeit stattfindet, welche so grosse Glykogenmengen in Anspruch nehmen kann, und damit wäre es entschieden, dass das vor- handene Glykogen nicht im Stande ist, als Kraftquelle für die Muskel- leistung zu dienen. Aber es fehlt an jedem Beweise für die Feststellung der Identität der normalen Muskelarbeit mit jener, die durch tetanische Reizung bewirkt ist, und Schlüsse von letzterer auf erstere könnten daher nicht als einwandsfrei gelten. Ich habe darum einen anderen Weg ein- geschlagen, um die Frage zu beantworten, ob das im Körper vorhandene Muskelglykogen für normale Körperarbeit ausreichen könne. E. Külz! hat eine Reihe werthvoller Versuche über den Einfluss an- gestrengter Bewegung auf Glykogenverbrauch angestellt. Er kam zu dem Resultate, dass das Muskelglykogen durch angestrengte Muskelthätigkeit sehr beträchtlich abnehme Külz hat im Ganzen vier Versuche ausgeführt an vier Hunden. Zwei dieser Hunde zogen durch eine genau festgestellte Zeit einen Wagen, dessen Gewicht bekannt war, mit oder ohne Belastung. Die zwei anderen ganz kleinen Hunde liefen durch eine bekannte Zeit im Tret- rade. Nach Ablauf der Arbeit wurden die Hunde getödtet, gewogen und in der Leber, im Herzen (bei zwei Hunden), wie in einer Körperhälfte der Gly- kogengehalt bestimmt. In der Leber wurden bei allen Thieren nur kleine Glykogenmengen gefunden, nämlich; 0.16 — 0.05 — 0:67 Procent Spuren Das Herz enthielt beim ersten Thiere 0-6, beim zweiten Thiere 0-14 Procent. Als absoluter Glykogenbestand wurde gefunden beim Thiere I 52em, beim Thiere II 3-48”, beim Thiere III 8-2s’m und beim Thiere IV 4-06: m, Daraus berechnet Külz den Glykogengehalt pro Kilo Thier für das Thier I mit 1-168m — 0.11 Procent; für das Thier II mit 0.2 =°% = 0.02 Procent; für das Thier III mit 1-6e'® = 0.16 Procent und für das Thier IV mit 0.6680 — 0.06 Procent. Bei genauer Analyse der gewonnenen Resultate kann man nur sagen, dass das Leber-Glykogen sehr beträchtlich schwindet, da es in drei von vier Fällen auf sehr kleine Mengen und selbst auf - Spuren gesunken ist. Anders gestaltet sich die Anschauung über den Gesammt-Glykogenbestand, wenn man diesen auf den Muskelbestand der Thiere zurückführt. Da der Glykogengehalt in verschiedenen Muskelpartien ein verschiedener sein kann, hat Külz die grosse Mühe nicht gescheut, und das macht seine Arbeit besonders werthvoll, den Glykogengehalt einer ganzen Körperhälfte des enthäuteten und ausgeweideten Thieres durch directe Untersuchung festzustellen. Er hat aber dann die gefundene Gly- kogenzahl auf das Gesammtgewicht dieser Körperhälfte mit Abzug der 1 Carl Ludwig-Festschrift. 1890. MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 513 Knochen vertheilt und kam so in Bezug auf das Muskelelykogen zu einem Procentsatz, der unter der Wirklichkeit steht. Das Resultat wird wesent- lieh modifieirt, wenn man die gefundene Glykogenmenge auf den Fleisch- gehalt des Thieres, auf die Muskeln, vertheilt. So fand Külz z. B. im Versuche I in den beiden Körperhälften 49 ®"® Glykogen. Er vertheilte diese Menge auf das Gewicht dieser zwei Hälften von 28-9%s und berechnete als Glykogengehalt 0-17 Procent. Wird aber dieser Glykogengehalt auf die Muskeln allein berechnet, nämlich auf 40 Procent des Gesammtkörper- gewichtes, erhält man als Glykogengehalt 0.26 Procent; und diese Berech- nung ist unzweifelhaft die richtige, den Thatsachen entsprechende. Ich hatte oft Gelegenheit, den genau herauspraeparirten M. quadriceps des Hundes zu wägen, und nach sorgfältigem Abpraepariren von Fett und Sehnen abermals zu wägen. Es stellte sich heraus, dass nahezu 15 Procent des ursprünglichen Gewichtes auf Rechnung von Fett und Sehnen kommen. In anderen Körperpartien dürften Fett und andere Gewebselemente einen noch grösseren Bruchtheil bilden. Wenn aber durch diese Berechnung die Zahlen etwas modifieirt sind, bleibt es immerhin feststehend, dass das Muskelglykogen in Folge der angestrengten Arbeit abgenommen hat, und diese Abnahme bei normaler Arbeitsleistung findet sich in voller Ueberein- stimmung mit jener, welche S. Weiss und ich bei tetanischer Muskel- reizung gefunden haben. Die Versuchsresultate von Külz werden nicht selten als Beweis an- geführt, dass die Arbeitsleistung auf Kosten des Glykogens stattgefunden hat. Külz selbst hat die gefundenen Resultate nie so gedeutet, und es besteht auch für diese Deutung keine Grundlage, da in den Versuchen von Külz kein Anhaltspunkt vorhanden ist, der über das Verhältniss zwischen geleisteter Arbeit und Glykogenverbrauch einen Aufschluss geben könnte. Die geleistete Arbeit wird bekanntlich in Kilogrammmeter gemessen, und dazu müssen zwei Factoren festgestellt sein, nämlich der zurückgeleste Weg und das gehobene bezw. gezogene Gewicht. Külz hat mit grosser Genauig- keit angegeben, wie schwer das Thier, der Wagen und dessen Belastung war und wie lange, d. h. wie viel Stunden und Minuten, derselbe gezogen wurde. Ueber die Länge des Weges, welchen das Thier gemacht, ob der- selbe horizontal oder ansteigend war, findet sich keine Angabe, und das Gewicht des Wagens und seiner Belastung genügt nicht, um zu erfahren, wie viel von diesem Gewichte das Thier wirklich gezogen hat. So werth- voll also auch die Versuche von Külz sind, so können sie doch für die Beantwortung der Frage, ob und wie weit das Glykogen als Kraftquelle benutzt wird, nicht herbeigezogen werden. Ich habe für meine Versuche folgenden Weg eingeschlagen. Ich liess meine Versuchsthiere sehr grosse gemessene Arbeitsleistungen ausführen, Archiv f. A. u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 33 514 J. SEEGERN: ermittelte die Glykogenmenge, welche für diese Arbeitsleistung nöthig wäre, und verglich die so gefundene Zahl mit der erfahrungsgemäss in den Ge- sammtmuskeln vorhandenen Glykogenmenge. Diese letzte Ziffer ist keine feststehende, sie ist sogar bei einzelnen Thieren grossen Schwankungen unterworfen. Es waren darum nur jene Schlüsse berechtigt, welche ein arges Missverhältniss zwischen dem durch Rechnung gefundenen Glykogen- bedarf und dem durch die Erfahrung ermittelten Maximum des Glykogen- sehaltes der Muskel ergaben. Die Arbeitsleistung geschah in folgender Weise. Ein kräftiger Hund wurde durch einige Tage mit Fleisch und Fett gefüttert, genau gewogen, und Morgens an einen belasteten Wagen gespannt, dessen Gewicht, wie das der Belastung genau bekannt war. Da das Thier, wenn der Wagen erst in’s Rollen kommt, durchaus nicht dessen ganzes Gewicht zieht, sondern nur einen überraschend mässigen Bruchtheil desselben, und dieser Bruch- theil auch sehr wechselnd ist nach der Beschaffenheit des Weges, habe ich nach allerlei Irrwegen auf den Rath von Prof. Zuntz, für den ich ihm sehr dankbar bin, das Thier an den Ring einer Federwaage gespannt, welche mit dem Wagen eng verbunden war. Der Zeiger der Waage gab die Grösse des Gewichtes, welches das Thier wirklich gezogen hat. \Vie bereits er- wähnt, wechselt diese Grösse nach Beschaffenheit des Weges, cb derselbe trocken und glatt, oder ob er kothig, vom Regen aufgeweicht und schlüpfrig ist. Es muss daher die Ziffer, auf welcher der Zeiger steht, oft abgelesen werden; es geschah in meinen Versuchen dreimal, während das Thier 1m Weg zurückleste, und es wird aus der Summe der gefundenen Ziffern das Mittel genommen. Es entspricht dieses Mittel gewiss nicht genau der wirklich gezogenen (ewichtsmenge, aber es dürfte doch der Wahrheit nahe kommen. Das Thier ging von zwei Menschen geleitet, der eine derselben war mein sehr verlässlicher intelligenter Laboratoriumsdiener, längs der Chaussee, an welcher der Weg in Kilometern durch Kilometer- steine bezeichnet war; bei jedem solcher Steine wurde die Kilometerzahl und die Zeit, welche zur Zurücklegung des Kilometers gedient hatte, in ein mitgenommenes Register eingetragen. Die Endstation bildete immer ein Ort mit einem Bürgermeisteramt, und von dort hatte der Diener eine amtliche Bestätigung mitzubringen, dass und um welche Stunde er mit dem Hundegespann dahin gelangt war. Damit waren die beiden Elemente, die für die Berechnung der Arbeitsleistung nöthig waren, gefunden. Wäre das Thier emporgestiegen, konnte durch Multiplication des Weges in Meter mit dem gehobenen Gewicht die Grösse der Arbeitsleistung in Kilogrammmeter ausgedrückt werden. Aber der Weg, den das Thier zurückgelegt hat, war ein nahezu horizontaler, und es fehlte bis vor einiger Zeit an einer sicheren Methode, die Arbeitsleistung auf horizontalem Wege zu messen. Diese Lücke ist jetzt MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 515 durch Zuntz! und seine Schüler ausgefüllt worden. Zuntz berechnete nämlich im Mittel aus acht Versuchen bei horizontalem Gange und fünf Ver- suchen beim Bergaufsteigen an einem 27ks wiegenden Hunde die Sauer- stoffmenge, welche das Thier verbraucht für 1 Horizontalbewegung per Kilo Körpergewicht, und in anderen Versuchen den Sauerstoffverbrauch für 1 Ke-M. Arbeit durch Heben des eigenen Körpers; jener betrug 0.2518”, dieser 1.5704eem,. Unter der berechtigten Annahme, dass dieselbe Arbeit von unseren Muskeln unter normalen Verhältnissen immer mit gleichem Sauerstoffverbrauch einhergeht, folgt aus diesen Zahlen, dass die horizon- tale Fortbewegung von 1*° Gewicht um 1” einer Arbeitsleistung von 0-2518 1.5704 die Ziffer des Weges mit der Ziffer der gezogenen Last und weiter mit 0.1603 zu multiplieiren und erhalten damit die Arbeitsleistung des Thieres in Kilogrammmeter. Um zu ermitteln, wie gross der Glykogenverbrauch sein müsste, um diese Arbeit zu leisten, können wir zwei Wege einschlagen, 1. wenn wir mit Fick? annehmen, dass bei Muskelarbeit „reichlich der vierte Theil der Arbeit chemischer Kräfte für äussere mechanische Wirkungen verwendet werde.“ Die bei vollständiger Verbrennung des Glykogens entstehende mechanische Spannkraft können wir in runder Zabl mit 4 Calorien für 1g’m ansetzen. Für mechanische Arbeitsleistung käme also der vierte Theil des Energievorrathes, also 1 Calorie zur Verwendung, und diese würde im Stande sein 425 Ks. M. Arbeit zu leisten. Der zweite Weg wäre der, dass auf Grundlage der durch die Versuche von Zuntz und seiner Schüler er- mittelten Ziffer über den Mehrverbrauch von Sauerstoff bei der Steigarbeit über jenen in der Ruhe, der Sauerstoffverbrauch bei der geleisteten Arbeit festgestellt würde Mit Hülfe der genau gekannten Ziffer für die Menge von Sauerstoff, welche für Verbrennung von 13” Glykogen erforderlich ist, liesse sich die Menge des Glykogens berechnen, welche erforderlich gewesen wäre, um die ermittelte Arbeit zu leisten. Die Sauerstoffmenge, welche ein Thier bei Leistung von 1*8-M. mehr verbraucht als in der Ruhe, beträgt 1.57 em und für die Verbrennung von 18% Stärke bezw. Glykogen sind er- forderlich 1.1857 sm O0. Durch Multiplication der gefundenen Arbeits- ziffer in Kilogrammmeter mit 1-57 erhält man die verbrauchte Sauerstoffziffer in Cubikcentimeter. Da 1000 em — 1.43sm Q, könnte man die Ziffer der Cubikcentimeter in Gramme umwandeln und diese durch 1185 (die Ziffer — 0.1603 Ks-M. entspricht. Wir haben also in unseren Versuchen ! Zuntz u. Lehmann, Zandwirthschaftliche Jahrbücher. 1889. — G. Katzen- stein, Ueber die Einwirkung der Muskelthätigkeit auf den Stoffverbrauch. Pflüger’s Archw. Bd. I. ® A. Fick, Compendium der Physiologie. 1891. 8. 36. 4. Aufl. 335 516 - J. SEEGEN: der Sauerstoffmenge in Grammen, welche nöthig ist zur Verbrennung von 1em Stärke) getheilt, giebt die Menge des verbrauchten Glykogens. Bei dieser Methode steht ein Factor, der Sauerstoffverbrauch, unzweifelhaft fest und bildet einen sicheren Ausgangspunkt für die Berechnung. Ich theile nun nachfolgend die gemachten Versuche mit. Versuch I. Hund 26-8'8 schwer, hat in drei vorausgehenden Tagen in zwei Portionen je 4008’® Fleisch und 100?" Fett erhalten. Letzte Fütterung am Vor- abend des Versuches. Am 29./II. 1896 um 8 Uhr früh wurde der Hund an die an einem Wagen befestigte Federwaage gespannt. Das Gewicht des Wagens war 29.5*® und auf dem Wagen lagen 45°5*®€ Eisenstücke. Der Hund ging 10!/,%®; nach 7=” wurde 10 Minuten Rast gehalten. Die ein- zelnen Kilometer wurden zurückgelegt in 22°—14—15’—16 — 15 — 18 — 20 —17; im Durchschnitte 17° per Kilometer. Mittags wurde Rast ge- halten durch 1 Stunde 45. Während der Rast hatte das Thier einen Thee- löffel Fleischextraet, in Wasser gelöst, bekommen. Auf dem Rückwege hatte das Thier für die Zurücklegung eines Kilometers durchschnittlich 19’ gebraucht. Das Thier war bei der Heimkehr nicht erschöpft, der Gewichtsverlust betrug 2508, ‘Während des ganzen Weges wurde der Zeiger auf der Federwaage dreimal per Kilometer abgelesen und die Ziffern aufgeschrieben. Auf dem ersten, Wien naheliegenden Theile des Weges war die Zuggrösse 14, 22, 15, 12, 20, 13, 158; der letzte Theil des Weges war sehr kothig und das gezogene Gewicht stieg auf 40, 32, 45, 49, 52, 55, 53%®. Während der 2stündigen Rast hatte der feine Regen aufgehört, es wurde sonnig und das gezogene Gewicht wechselte zwischen 41, 20, 36, 17, 19, 12, 7, 98. Als Mittel aus 63 Ablesungen ergiebt sich 19%8 als gezogenes Gewicht. Dazu kommt das Thiergewicht von 26.6*8. Die Summe der Arbeit ist = 21000” x 45.6 x 0-1603 = 153 503 Ke- M., Wenn wir mit Fick annehmen, dass etwa in 25 Procent des wirklichen Energiewerthes des verbrauchten Glykogens Arbeit geleistet wird, so erhalten wir als Summe des verbrauchten Glykogens 361 &”% und diese, auf den Gly- kogenbestand von 10.68” Muskel vertheilt, ergiebt als Glykogengehalt von 1'3 Muskel 35.2" = 3.5 Procent. Wenn wir mit Zuntz aus dem Sauerstoffverbrauche den Glykogenverbrauch des Thieres ermitteln wollen, ergiebt sich folgende Berechnung: für 1X8 M- Steigarbeit ist verbraucht 1.572 Sauerstoff, also 153503 x 1.57 = 240 II TI e SOUND ee = 78750 168966 Ks: M- statt 153503. 1.926277 9%5270007% 0521603. — 110560 SI IX 200 0 = 101250 216810 Ks M. statt 217250. 1226-87 X72170009%20.16037 = 89880 3 3 pres EAN are = 78750 168630 Es: M- statt 237 997. IV. 39:5 x 27000 x 0-1603 = 170959 ee FERN — 147690 318649 Ks: M. statt 248865. 1. Tag. V. 38:3 x 27000 x 0.1603 = 165766 II XD UN Be = 315900 481666 2. Tag. 37.5 X 27000 x 0.1603 = 162303 El 70 21000 —2 31.5.9300 478203 Arbeitsleistung in beiden Tagen 959869 #8 M- statt 940.479. Die corrigirten Werthe der Arbeitsleistung entsprechen also sehr an- nähernd den früher gefundenen, was so viel sagt, dass die beiden Fehler sich ungefähr die Waage halten, dass wahrscheinlich die Zugleistung un- gefähr um so viel zu gross als der Arbeitswerth der Zugleistung zu klein angenommen wurde. Nur im Versuche III ist der corrigirte Werth der Arbeitsleistung kleiner als der früher gefundene, während er im Versuch IV grösser ist. Es hängt dies vielleicht damit zusammen, dass Versuch III bei sehr schlechtem Wetter, und in Folge dessen auf sehr kothiger Strasse 1,2, #5 Procent des gezogenen Gewichtes von 75 **. * 5 Procent des gezogenen Gewichtes von 109-5 "®. °, ® 5 Procent des gezogenen Gewichtes von 234-5 "*, MUSKELARBEIT UND GLYKOGENVERBRAUCH. 523 ausgeführt wurde und die Zugleistung wahrscheinlich mehr als 5 Procent der Belastung betrug, während im Versuche IV bei sehr schönem Wetter, daher auf sehr trockener Strasse, die Zugleistung wahrscheinlich weniger als 5 Procent der Belastung betragen hat. Es war nicht meine Aufgabe, die exacte Grösse der Zugleistung eines Hundes zu ermitteln. Meine Versuche haben den einzigen Zweck, die Frage zu beantworten ob der Energiewerth des in den Muskeln vorhandenen Gly- kogens auch nur annähernd für eine grössere Arbeit ausreichen könne. Nach der von mir gemachten Erfahrung, dass die Zugleistung des Hundes auf der Landstrasse sich zwischen 5 bis 15 Procent der Belastung bewegt, ist die für die Berechnung angenommene Zugleistung von 5 Procent gewiss eher zu klein als zu gross, und da ferner der Arbeitswerth dieser Leistung geringer angenommen wurde als der Wirklichkeit entspricht, stehen die gefundenen Ziffern der Arbeitsleistung wahrscheinlich nicht unbeträchtlich unter den Werthen der von den Thieren geleisteten Arbeit, und da der Glykogenbedarf für diese Leistungen, falls dieselben auf Kosten seines Energiewerthes ausgeführt werden sollten, im argen Missverhältnisse steht zu dem wirklich in den Muskeln vorhandenen Glykogenvorrath, bleibt die nothwendige Folgerung: dass das Muskelelykogen entweder gar nicht oder nur zum kleinsten Theile die Energiequelle für Muskelarbeit sei, im vollsten Umfange aüfrecht stehen. Berichtigung. In meiner S. 383 flg. dieses Archives 1896 veröffentlichten Abhandlung „Muskelarbeit und Glykogenverbrauch“ ist in den Protocollen bei Angabe des Glykogengehaltes zu setzen: Procent statt grm. In der die Analysen zusammenfassenden Tabelle ist dieses Versehen vermieden und der Glykogen- gehalt in Procenten angesetzt. Im Versuch I, S. 388, letzte Zeile, muss es heissen: 0.242 statt 0-267. In der Tabelle ist die richtige Ziffer an- gegeben. Seegen. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1895 —1896. XIV. Sitzung am 12. Juni 1896.: 1. Hr. Dr. Levy, Ingenieur der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (als Gast), hält den angekündigten Vortrag: Ueber Durchleuchtung des Thorax mittelst Röntgen-Strahlen. Die Röntgen’sche Entdeckung theilt mit einer Reihe anderer ähnlich hervorragender und bedeutender Errungenschaften das Schicksal, dass sie zuerst auf Grund der Perspectiven, die sich zu eröffnen schienen, mit dem allergrössten Enthusiasmus aufgenommen, nachher aber, als der praktischen Anwendung sich Schwierigkeiten entgegen stellten, als weit weniger wichtig und belangreich angesehen wurde Dem kühlen Beurtheiler war es von Anfang an klar, dass die Entdeckung thatsächlich weitgehendste praktische Verwendung finden könnte, dass diese Verwerthung jedoch nur dann ein- treten würde, wenn wesentliche Verbesserungen und Vervollkommnungen zu Tage gefördert würden. Die Hauptschwierigkeiten, die sich den verschiedenen Experimentatoren auf dem Gebiete der Röntgen-Strahlen entgegenstellten, beruhten im Wesentlichen auf der Construction der Röhren. Wir wollen uns daher zu- nächst mit diesen beschäftigen: Die ersten nach der Veröffentlichung Röntgen’s angewandten Röhren schlossen sich im Allgemeinen an die bisher bekannte Form der Hittorff’schen an. Die Kathodenstrahlen gingen von einer ebenen oder schwach gewölbten Elektrode aus; der erste von ihnen getroffene feste Körper war die gegenüberliegende Stelle der Glas- wand, hier wurde ein grünlicher Fluorescenzfleck erzeugt, der den Aus- gangspunkt der Röntgen-Strahlen bildete. Diese Röhren hatten indess zwei wesentliche Nachtheile, indem sie weder wirksam noch scharf genug waren. Die Erfüllung dieser beiden Anforderungen setzt voraus, dass es zulässig ist, die Kathodenstrahlen in grosser Menge auf eine möglichst kleine Fläche zu concentriren. Dies ist jedoch, so lange Glas den Ausgangspunkt der X-Strahlen bildet, ausgeschlossen, da in Folge der starken Wärme- wirkung der Kathodenstrahlen ein Schmelzen oder Springen an der ge- troffenen Stelle zu befürchten ist. Es war daher ein wesentlicher Fort- schritt, als man, wahrscheinlich in Erinnerung an die Röhre, welche bereits Urookes zur Demonstration der Wärmewirkung der Kathodenstrahlen ver- " Ausgegeben am 27. Juli 1896. VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — Levy. 525 wandte, zu einer Form überging, bei welcher in der Mitte der Kugel sich ein Platinblech befindet. Auf diesem werden die Kathodenstrahlen concentrirt und erzeugen hier die Röntgen-Strahlen. Die ursprüngliche Anschauung, wonach die X-Strahlen nur an der inneren Stelle der Glaswand entstehen können, wurde durch diese Versuche sofort als irrig erwiesen; thatsächlich ist man wohl jetzt allgemein der Ansicht, dass sie an jedem in den Gang der Kathodenstrahlen eingeschalteten Körper gebildet werden. Meines Er- achtens gehen Röntgen-Strahlen überall von da aus, wo Kathodenstrahlen auf einen Körper treffen, der eine elektrische Spannungsdifferenz gegenüber der Kathode selbst aufweist. Dies ist aber bei allen innerhalb der Röhren befindlichen Körpern der Fall, weil fast die ganze Röhrenwand, ausgenommen die der Kathode sehr nahe gelegenen Theile derselben, mehr oder weniger auf dem Spannungszustande der Anode sich befindet, demnach auch jeder an der Glaswand befestigte und in die Röhre hineinragende Körper an- nähernd Anodenspannung hat. Da hiernach die Röntgen-Strahlen nur von anodisch geladenen Körpern, wenn auch nicht immer von der eigent- lichen Anode ausgehen, so sind sie mit Recht als Anodenstrahlen anzusehen, welche natürlich in vielen Beziehungen mit den Kathodenstrahlen verwandt sein mögen. Jener erste feste Körper, auf den die Kathodenstrahlen trafen, war bei den früheren Röhrenformen eben die innere Glaswand, deswegen wurde diese zum Ausgangspunkte der Röntgen-Strahlen; bei den letzteren Formen ist es, wie bemerkt, fast durchgängig ein Platinblech, welches in der Mitte der Röhre sich befindet. Alle nach diesem letzterwähnten Principe hergestellten Röhren haben nun zunächst den Vorzug, dass die der Erhitzung ausgesetzte Stelle nicht mehr das leicht schmelzbare Glas, sondern das schwer schmelzbare Platin ist, so dass durch stärkere Concentration der Kathodenstrahlen grössere Wirksamkeit und Schärfe bei vermehrter Haltbarkeit sich erzielen lassen. Der zweite Vortheil beruht darauf, dass anscheinend die erzeugten Röntgen- Strahlen um so intensiver sind, je stärker das Material des Körpers, an dem sie erzeugt werden, die Strahlen selbst absorbirt. Glas absorbirt ver- hältnissmässig weit weniger die X-Strahlen als Platin, dadurch wird die Verwendung dieses Materials wesentlich vortheilhafter. Eine solche Röhre der eben beschriebenen Art mit zwei Elektroden, von denen die eine, die Kathode, aus Aluminium, die andere aus Platin ge- bildet sein mag, liefert unter Umständen gute Ergebnisse, dennoch hat die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, in deren Auftrag und Laboratorium die Untersuchungen, über die ich Ihnen heute berichte, angestellt worden sind, eine andere Gestalt gewählt, die ich Ihnen in Kurzem beschreiben möchte. | : Die Röntgen-Röhren der Allgemeinen Elektrieitäts-Gesellschaft haben drei Elektroden, von denen die eine in der Mitte zwischen den beiden an- deren gelegene, aus den oben erwähnten Gründen aus Platinblech besteht, während die beiden anderen durch einen Aluminium-Hohlspiegel gebildet sind. Die Verwendung zweier äusserer Elektroden und eines isolirten Platin- bleches in der Mitte zum Auffangen der Kathodenstrahlen ist bereits be- kannt.! Diese Röhre hatte den Vorzug, dass man in der Lage war, ent- ' Vgl. den Vortrag des Hrn. Dr. Cowl, dies Archiv. 1896. S. 364. 526 VERHANDLUNGEN DER BERLINER weder die eine oder die andere der beiden äusseren Elektroden als Kathode zu benutzen und somit die vortheilhaftere sich auszuwählen. Der Grund, der uns veranlasste, auch das mittlere Blech zur Elektrode zu machen, und zwar zur Anode, geht aus der oben mitgetheilten Auffassung der X-Strahlen deutlich hervor. Ist diese richtig, so wird auch die Folgerung berechtigt sein, dass man eine um so wirksamere X-Strahlung erzielt, je höher die Spannungsdifferenz ist, welche an der Auftreffstelle der Kathodenstrahlen ausgeglichen werden muss. Dies ist aber dann der Fall, wenn diese Auf- fangstelle direet die Spannung der Anode besitzt. Die Röhren werden nun in ihrem Vacuum den Inductorien der ver- schiedensten Funkenlängen angepasst, zunächst solehen von 5 bis 20 ".! Man erzielt mit ihnen selbst bei den kleineren Inductorien gute Wirkungen. In dieser Hinsicht bemerke ich nur, dass wir mit einem Apparate von 31/, ” Funkenlänge innerhalb zwei Minuten das Bild einer Hand erhalten haben, auf welchem schon Knochenbälkchen zu sehen sind. Der Abstand war allerdings gering und betrug 10 ““. Weit grösseren Werth legten wir je- doch auf die Möglichkeit, durch Vergrösserung der Intensität der Röhren direet Bilder des Körperinneren an einem Fluorescenzschirme hervorzurufen, und es ist uns thatsächlich gelungen, mittelst eines Inductoriums von 15 bis 20 *® Funkenlänge, unseren Röntgen-Röhren sowie einem guten Barium- platineyanürschirme alle Theile des menschlichen Körpers, selbst bei Er- wachsenen beliebiger Statur, sofern sie nicht zu fettleibig sind, und vor allen Dingen auch viele innere Theile des Körpers der Beobachtung zu- gänglich zu machen. Ich bemerke hierzu von vornherein einmal, dass zur Erzeugung eines den thatsächlichen Verhältnissen entsprechenden, nicht perspectivisch ver- zeichneten Bildes eine richtige Lage von Lichtquelle, Object und Schirm zu einander nöthig, sodann, dass zur Erkennung von Einzelheiten theilweise einige Uebung erforderlich ist, die man sich jedoch unschwer aneignen kann. Ferner erwähne ich, dass nicht etwa alles, was ich Ihnen als am Fluorescenz- schirme siehtbar bezeichnen werde, neu gefunden ist. Es ist vielmehr bereits in englischen, amerikanischen und deutschen Zeitschriften angegeben, dass die Knochen der oberen Extremitäten, Schlüsselbein, Wirbelsäule, Rippen und Kniegelenk direct erkannt worden sind. Buka hat auch mitgetheilt, dass er bereits die Bewegung von Zwerchfell und Rippen bei der Athmung und auch die Umrisse des Herzens, jedoch nicht dessen Bewegung er- kannt habe. Ich erwähne daher nur kurz, dass die Knochen der oberen wie der unteren Extremitäten und die Thätigkeit in den Gelenken mit unseren Röhren leicht erkennbar sind und gehe sodann gleich zur Betrachtung des Durch- leuchtungsbildes des Kopfes über. Hier verschwinden zunächst die Haare vollständig, dagegen treten die Kopfhaut in ihrer Dicke, sowie die Höhlen der Schädel- und Gesichtsknochen, so die Stirnhöhle und Highmorshöhle deutlich hervor. Ferner können Stirnbein, Nasenbein, Oberkiefer- und Unter- kieferknochen unterschieden werden. Am Halse sind die Luftröhre, das Zungenbein, der Kehlkopf, auch die Bewegung dieser Theile beim Schlucken, ! Nach den bisherigen Erfahrungen erreicht man mit Röhren für grössere Funken- längen keine merklich grössere Intensität. 7 PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LEvY. 52 sowie endlich die Wirbel zu erkennen, bei letzteren kann man mit be- sonders guten Röhren auch die einzelnen Wirbel unterscheiden. Bezüglich der Knochen des Rumpfes erwähne ich, dass das Knochen- gerüst des Brustkastens, das Schulterblatt mit seinen Fortsätzen, die vorderen wie die hinteren Theile der Rippen und die Wirbelsäule klar hervortreten, dagegen ist das Becken, so wie das Hüftgelenk schwieriger zu unterscheiden, wenn auch die Umrisse bei guten Röhren erkennbar sind. Bei Durchstrahlung des Brustkorbes sieht man zunächst in der Mitte des Schirmes einen breiten dunklen Streifen senkrecht von oben nach unten verlaufen, es stellt dieser die Wirbelsäule dar. Unten erscheint eine ebenfalls dunkle nach oben gewölbte Kuppe, deren obere Grenze durch das Zwerchfell gebildet ist. An der linken Seite des Bildes erscheint unter dem Zwerchfell die Leber, während rechts je nach dem Luftfüllungszustande kleinere oder grössere Theile des Magens sichtbar sind. Bei der Athmung bewegen sich Zwerchfell und mit diesem die Leber senkrecht auf und nieder in einer Ausdehnung, welche bei Tief- athmung des gesunden Menschen 5 bis 7 *” beträgt und jedenfalls mit Leichtigkeit zu messen ist. Oberhalb der Zwerchfellkuppe erkennt man deutlich ein Schattenbild, welches der bekannten Form des Herzens ent- spricht und im Wesentlichen aus einem dunklen centralen und einem helleren umgebenden Theile besteht. Man beobachtet auch alsbald rhyth- mische Bewegungen, die man unschwer als Zusammenziehungen und Er- weiterungen erkennen kann. Die Erscheinung wird um so leichter wahr- nehmbar, wenn man die Herzspitze aufsucht und von hier aus die Bewegungen den Umrissen entlang weiter verfolgt. Bezüglich der Bauchorgane sind wir noch mit Untersuchungen be- schäftigt, es liegt hier die Schwierigkeit vor, an dem Gesammtschattenbilde die Einzeltheile zu erkennen, da sieh ihre Durchlässigkeit für die X-Strahlen nicht wesentlich von einander unterscheidet. -Man wendet daher folgerichtig Methoden an, durch welche die Durchlässigkeit der einzelnen zu erkennen- den Organe künstlich durch Einführung geeigneter Mittel gegen ihre Um- gebung verändert werden kann. Dieses allgemeine Verfahren habe ich in Ver- bindung mit Hrn. Prof. Grunmach und Hrn. Dr. Rene du Bois-Reymond, welche die Güte hatten, mir in der letzten Zeit bei meinen Untersuchungen zur Seite zu stehen, auf Anregung des letzteren Herrn zunächst mit sehr schönem Erfolge auf die Erkennung der Magengrenze angewandt. Es handelte sich hierbei um ein junges Mädchen von 15 Jahren, das nach Einfuhr einer geeigneten Brausemischung ein klares Bild der Zwerchfell- kuppe und des Fundus des Magens bot, und zwar hob sich dieser sehr hell gegenüber Leber, Herz und Zwerchfell ab. Zweifellos ist mit diesem Ver- suche der Beobachtung des Magens ein weiterer wichtiger Schritt in der Erkennung der inneren Organe gethan. Durch diesen Erfolg ermuthigt, sind wir zur Zeit mit Versuchen beschäftigt, durch Entleerung des Darmeanales und Einfuhr von geeigneten Mitteln in denselben auch weitere Unterleibs- organe bezüglich Lage und Ausdehnung erkennbar zu machen.! ! Diese Versuche haben inzwischen ergeben, dass bei Anfüllung des vorher ent- leerten Darmes mit Luft deutlich als helle Partien die Conturen des Colon descendens und ascendens und Einschnürungen derselben sowie undeutlich das Colon transversum sichtbar wurden. Colon ascendens wird aın besten bei Durchleuchtung von vorn nach 528 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Für die weitere Verwerthung der X-Strahlen dürfte vielleicht ein Apparat Bedeutung besitzen, der von mir construirt wurde, um Dimensionen von inneren Organen auf Grund der directen Beobachtung am Fluorescenz- schirme messend festzustellen. Der Apparat besteht im Wesentlichen aus einem an einem Stativ befestigten, mit einer Theilung versehenen Stab, an dem einerseits der Fluorescenzschirm, andererseits mittelst eines Gleit- stückes die Röhre so angebracht ist, dass sie in der Strahlenrichtung ver- schoben und ihre jedesmalige Entfernung von dem Schirme abgelesen werden kann. Die zu untersuchende Person wird zwischen Schirm und Röhre ge- bracht. Das Princip des Apparates ist ausserordentlich einfach. Wenn die Herren sich einen Schnitt durch den Körper in einer beliebigen Ebene so gelegt denken, dass diese die gesuchte Dimension sowie die Strahlenquelle enthält, so wird an dem vor die andere Seite des Körpers gehaltenen Fluorescenzschirme jene gesuchte Strecke in einer bestimmten Länge er- scheinen, die direet durch Messung abgelesen werden kann. Wird nun die Lichtquelle um ein bestimmtes Stück zurückgeschoben, so wird sich das Bild auf dem Fluorescenzschirme entsprechend verkleinern. Die Grösse des verkleinerten Bildes wird wiederum mit einem Maassstabe festgestellt; aus den beiden Messungen kann man dann zwei Unbekannte auf Grund der einfachen Sätze der Aehnlichkeit ausrechnen: die gesuchte Ausdehnung des Organes und die Entfernung von der Körperoberfläche. Hierbei ist zunächst vorausgesetzt, dass die Schirmebene parallel zu der gesuchten Dimension liegt. Eine genaue Beschreibung des Apparates unter Angabe der Berech- nung und sonstiger Einzelheiten muss ich mir für eine andere Stelle vor- behalten. — Eine weitere Construction möchte ich noch kurz erwähnen, die sich bei unseren Demonstrationen ebenfalls als Bedürfniss herausgestellt hat, um die einzelnen Theile des menschlichen Körpers kurz hintereinander zu durchleuchten, ohne dass-das langwierige Verschieben der Lichtquelle an einem Stativ erforderlich ist. Wie bereits oben bemerkt, müssen näm- lich Lichtquelle, das zu untersuchende Öbjeet und der Schirm sich immer in bestimmter Stellung zu einander befinden, und zwar ist dieselbe abhängig von der topographischen Lage des Organes. In der Erwägung, dass es in sehr vielen Fällen günstig sein wird, wenn die zu untersuchende Persön- lichkeit eine liegende Stellung einnehmen kann, haben wir die Construction derart getroffen, dass diese auf einem mit Segeltuch überspannten tisch- artigen Gestell zu liegen kommt, unterhalb dessen die Röhre durch Ver- schiebung in der Längs- und Querrichtung jede beliebige Lage erhalten kann. Natürlich ist Vorsorge getroffen, dass die Röhre in Contact bleibt mit den Stromzuführungsdrähten, so dass sie auch während der Verschiebung immer im Betriebe ist. Dieser oder ein ähnlich construirter „Durchleuch- tungstisch“ dürfte vielleicht in vielen Fällen, besonders in Krankenhäusern, Lazarethen ete. Verwendung finden können. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass sich unsere Verbesserungen auch für die photographische Aufnahme bewähren. Wir verdanken der Güte des hinten, descendens bei umgekehrter Richtung erkennbar. Durch die Anfüllung dieser Organe treten ferner die Darmbeinschaufeln, besonders scharf die linksseitige, hervor. Zunächst genüge hier diese vorläufige Mittheilung, da die Versuche noch nicht ab- geschlossen sind. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LEvY. 529 Hrn. Prof. Goldstein, eines der verdienstvollsten Pioniere auf diesem Ge- biete, eine Anzahl Bilder von Händen und Füssen, die mit Röhren der Allgemeinen Elektrieitäts-Gesellschaft aufgenommen wurden, und sich durch ungewöhnliche Schärfe und Feinheit des Details auszeichnen; die Expositions- dauer betrug 1 bis 2 Minuten. Ich bemerke hierzu nur kurz, dass sich die- selbe Feinheit der Zeichnung bei Anwendung der Mittel, die man vorgeschlagen hat, um die Expositionszeit abzukürzen (Verstärkungsschirme aus fluores- eirenden Substanzen) nach dem heutigen Stande der Technik nicht erreichen lässt. 2. Hr. Ren& pu Boıs-Reymonp theilt im Anschluss an vorstehenden Vortrag mit: Während es einer gewissen Einübung bedarf, die pulsirenden Umrisse des Herzens auf dem Fluorescenzschirme zu unterscheiden, ist die dem Zwerchfell entsprechende Grenze zwischen dem hellen Gebiete der Lunge und dem dunklen der Bauchorgane beim ersten Blick zu erkennen. Ueber- raschend schön zeigtsich die Gestaltveränderung der Zwerchfellkuppe beim Athmen. Während des Expiriums zeigt das erschlaffte Zwerchfell eine gleichmässige Rundung, deren unterer Verlauf sich der Thoraxwand asymp- totisch anschliesst. Beim Inspirium dagegen macht sich eine deutliche Ecke zwischen dem horizontalen annähernd ebenen Centrum tendineum und der geradlinig angespannten Musculatur bemerkbar, die sich von der Brustwand so weit abhebt, dass eine breite helle Fläche, die Projeetion des Traube’- schen Raumes, in dem Winkel zwischen Zwerchfell und Brustwand sichtbar wird. Man kann also hier am lebenden unversehrten Menschen eine That- sache unmittelbar beobachten, die bisher nur auf Grund theoretischer Er- wägung, der Beobachtung am Thiere und der Ergebnisse der Percussion angenommen worden war. 3. Hr. GrunmAcH berichtet über die Ergebnisse seiner Unter- suchung bei mehreren Krankheitsfällen mit Hülfe der Röntgen- Strahlen, um die Bedeutung der neuen Untersuchungsmethode auch für die Diagnostik innerer Erkrankungen hervorzuheben. In einem Falle von Arterio sclerosis, der einen Mann von 56 Jahren betraf, der über Beschwerden in der Herzgegend klagte, ergab die Unter- suchung der Arteria radialis und ulnaris mit dem Fluorescenzschirme ent- sprechend der durch die Palpation nachweisbaren Verkalkung des ersteren Gefässes deutlich schmale Schattenstreifen neben den breiten Schattenbildern des Radius und der Ulna. Ferner präsentirte sich das Schattenbild des Zwerchfelles tiefer untenstehend als in der Norm und machte bei tiefster Inspiration nur Exeursionen von etwa 1!/, ®%, während dieselben unter normalen Verhältnissen 5 bis 6 % betragen. Bei der Betrachtung der Herz- gegend durch den Schirm zeigte sich der Herzschatten gegenüber dem normalen nicht vergrössert, nur war derselbe etwas dunkler. Etwa in der Gegend der Coronararterien zeigten sich sowohl in ihrem horizontalen als auch in dem senkrechten Verlaufe, aber hier spärlicher, intensiv dunkle, feine, kleine Streifen. Endlich war vom Herzschatten nach oben aufsteigend ein stark dunkel contourirter breiter, sich bewegender Schatten bemerkbar, der die doppelte Breite des sich dort sonst bewegenden, normalen Schatten- bildes hatte. — Es ergab sich also aus der Untersuchung dieses Falles mit den Röntgen-Strahlen ein Tiefstand des Zwerchfelles, verbunden mit auf- Archiv f. A. u. Ph, 1896, Physiol, Abthlg. 34 530 VERHANDLUNGEN DER BERLINER fallend verminderter Exeursionsfähigkeit desselben. Ferner liessen sich die Schattenbilder der Aorta ascendens und die der Arteriae coronariae cordis, abgesehen von denen der Arteria radialis und ulnaris als Verkalkungen dieser Gefässe schon zu einer Zeit diagnostieiren, in der die Erkenntniss dieser Veränderungen mit unseren bisherigen Untersuchungsmethoden noch nicht möglich war. — Der zweite Fall betraf einen jungen Mann von 26 Jahren, der vor 1!/, Jahren an Lungenblutungen von mir behandelt wurde, dessen Mutter seit Jahren an Phthisis pulmonom leidet, und in dessen Lungen sich trotz Klagen über Athembeschwerden zuletzt sich nichts beson- deres nachweisen liess. Bei der Durchstrahlung seiner Lungen zeigten sich rechterseits drei bis vier dunklere Partien, während die normalen Lungen bei Durchleuchtung mit Röntgen-Strahlen hell und durchsichtig erscheinen müssen, wie dies auch bei der linken Lunge des Patienten der Fall war. Es folgt aus diesem Befunde, dass die Entzündung in den früher affieirten Theilen der rechten Lunge zu Verkalkungen geführt hat, die mit Hülfe der Röntgen-Strahlen sichtbar waren. Dass die neue Untersuchungsmethode sich aber auch für die Aetio- logie von inneren Erkrankungen verwerthen lassen könne, zum Be- weise dafür ging Hr. Grunmach noch auf zwei Fälle von Insufficientia valvulae mitralis näher ein, die beide etwa die gleiche Vergrösserung des Herzens durch die Percussion nachweisen liessen. Entsprechend dem Ergebniss der Percurssion fielen auch in beiden Fällen die Schattenbilder des Herzens bedeutend vergrössert aus. Während aber in dem einen Falle eine starke Hypertrophie des linken Ventrikels und zugleich damit ein stark gespannter Radialpuls auffälliger Weise festgestellt wurde, fehlten diese beiden Symptome bei dem zweiten Falle. In dem ersteren Falle zeigte sich bei der Durchleuchtung der oberen Brustpartie oberhalb des vergrösserten Herzschattens wieder ein breiter, tief dunkel contourirter, sich bewegender Schatten, während derselbe in dem zweiten Falle kaum halb so gross und viel heller erschien. — Jener breitere, dunkle Schatten hatte die grösste Aehnlichkeit mit dem entsprechenden Bilde des zuerst beschriebenen Krankheitsfalles von Arteriosclerosis und liess sich auch hier durch Verkalkung der Aorta ascendens erklären. — Demnach war Arterio selerosis als aetiologisches Moment für den ersteren Herzklappenfehler an- zunehmen, während bei dem zweiten Vitium cordis aus dem Fehlen jenes abnormen Schattenbildes die Aetiologie eine andere sein musste. Der letz- tere Herzfehler liess sich, wie so häufig, einfach auf einen Gelenkrheuma- tismus zurückführen. — Aus der Durchleuchtung der Körperhöhlen bei Gesunden und Kranken mit Hülfe der Röntgen-Strahlen hat sich ergeben, dass man aus den so gewonnenen Bildern der inneren Organe unter pathologischen Bedingungen maassgebende, diagnostische Schlüsse ziehen kann. Unter Anwendung der Röntgen-Strahlen können bei der Kranken- untersuchung- nicht allein die durch unsere jetzigen Untersuchungsmethoden erzielten Resultate bestätigt, sondern auch pathologische Zustände schon zu einer Zeit erkannt werden, in der unsere bisherigen Methoden zur Erkennt- niss jener Zustände noch nicht ausreichen. Mit Hülfe der Röntgenröhre und des Fluorescenzschirmes lassen sich sogar Organveränderungen sichtbar machen, die mit den bis jetzt üblichen Untersuchungsmitteln überhaupt nicht erkennbar sind. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — J. HIRSCHBERG. 531 XV. Sitzung am 26. Juni 1896. 1. Hr. J. Hırscugere hält den angekündigten Vortrag: Ueber Blut- sefässe der Hornhaut (mit Vorweisung von Praeparaten des Hrn. Prof. Schöb]). Die Frage nach Blutgefässen der durchsichtigen Hornhaut hat eine dreifache Wurzel: erstlich die ärztliche Betrachtung lebender er- krankter Menschenaugen; zweitens die anatomische Untersuchung der herausgenommenen, hauptsächlich der künstlich eingespritzten Augen, sowohl des Menschen als auch, zum Vergleich, der anderen Wirbelthiere, natürlich auch mit Berücksichtigung der embryonalen Verhältnisse; drittens die Untersuchung jenes durchsichtigen Lichtfensters mit Hülfe des Augen- spiegels. Die Reihenfolge, welche ich erwähnt habe, entspricht auch dem zeit- liehen Auftreten in der Geschichte der Wissenschaft, nur dass die einmal gewonnene Untersuchungsart auch für die späteren Zeitabschnitte erhalten blieb, so dass zuletzt in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts alle drei in gegenseitiger Ergänzung uns entgegentreten. Also der erste Forscher auch auf diesem Gebiet war der Arzt. Allerdings finde ich bei den alten Griechen, wenigstens in den uns hinter- lassenen Resten, keinen recht deutlichen Hinweis auf die Blutgefässe der Hornhaut. Aber die Araber haben zum mindesten eine Art, nämlich die im Gefolge der aegyptischen Augenentzündung über die Hornhautvorderfläche des Menschen verlaufenden Blutgefässe, die ja dem unbewaffneten Auge ganz bequem sichtbar werden, durchaus klar und unzweideutig geschildert. Kein Wunder, dass in der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts, als nach den Kriegen von Napoleon Bonaparte die Aufmerksamkeit der Aerzte wieder auf die aegyptische oder militärische Augenentzündung hingelenkt worden, man auch die sogenannten pannösen (d. h. wörtlich Jumpigen) Blutgefässe der Hornhaut genauer zu betrachten anfing. Joseph Beer in Wien hat in seinem klassischen Lehrbuch (1813 bis 1817) gelungene Abbildungen des diehten Pannus geliefert und auch der mit Gefässneubildung verbundenen serofulösen Hornhautentzündung. Aber die krankhaften Verhältnisse kann ich in dieser physio- logischen Gesellschaft nur kurz berühren. Ich wende mich sofort zu der anatomischen Untersuchung. Brauchbare Ergebnisse konnte diese natür- lich erst liefern seit der Einspritzung der feinen Blutgefässe mit flüssigen, nachträglich erstarrenden Massen, wie sie wohl zuerst Friedrich Ruysch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einer besonderen Kunst aus- gebildet hat. Man sah nun an sonst gut und vollkommen eingespritzten Augen die bis in den Rand der durchsichtigen Hornhaut hineinragenden Blutgefässe der Augapfelbindehaut wie abgeschnitten endigen und gab sich demgemäss der Vermuthung hin, dass diese Blutgefässe durch die gesammte Ausdehnung der Hornhaut hindurch in sogenannte seröse Gefässe sich fort- setzen, deren Feinheit nur der Blutflüssigkeit, nicht aber zugleich den 34* 532 VERHANDLUNGEN DER BERLINER _ Blutkörperchen den Eintritt verstatte, während bei entzündlicher Erweiterung dieser Gefässe auch Blutkörperchen eindringen könnten. Eine gewichtige Stütze erhielt diese Lehre durch das berühmte In- jeetionspraeparat von Römer in Wien (1835), welches die angeblich normale Hornhaut eines zweimonatlichen Kindes durch und durch von baum- förmig verästelten Blutgefässen durchsetzt zeigt. Sogar der Altmeister Hyrtl hat diese serösen Gefässe zuerst auch angenommen,! später allerdings sanz entschieden bestritten. Dieser Forscher injieirte 1869? den Kopf eines achttägigen, an Lungenentzündung verstorbenen Kindes und fand an beiden anscheinend gesunden Augen ein der oberflächlichsten Hornhautschicht an- gehörendes, praecorneales Gefässnetz, das von allen Seiten her bis in den Mittelpunkt der Hornhaut vordrinst; und spricht die Ueberzeugung aus, dass es sich hier um Persistenz der embryonalen Hornhautgefässe handle.’ In voller Uebereinstimmung mit Hyrtl befindet sich Waldeyer in seiner klassischen Darstellung der mikroskopischen Anatomie des Auges und Gegenbauer in der neuesten Auflage seines vortrefflichen Lehrbuches (1896). Auf diesem Gebiet hat erst Prof. Schöbl in Prag, einer der ersten Meister der Einspritzungskunst, sichere Grundlagen geschaffen durch eine Arbeit, die von ihm in meinem Centralblatt für praktische Augenheilkunde Nov. 1886 veröffentlicht ist, die aber selbst in den neuesten Lehrbüchern der Anatomie, z. B. dem von Gegenbauer (1896), die gebührende Beachtung noch nicht gefunden hat. Schöbl erklärte das berühmte Römer’sche Praeparat, das schon Hyrtl als Pannus corneae aufgefasst, für pathologisch und zwar für Kera- titis profunda; er erklärte das schöne Hyrtl’sche Praeparat gleichfalls für pathologisch und zwar für Keratitis superficialis vasculosa. So regelmässig in beiden Fällen die Gefässbildung der Hornhaut erschien, so sehr sie ge- eignet war, den Eindruck eines angeborenen Zustandes bei den ausgezeich- netsten Anatomen hervorzurufen, — die klinische Beobachtung am lebenden Auge hat uns so häufig Gelegenheit gegeben, das Entstehen, die Neubildung ebenso regelmässiger Blutgefässe durch Krankheit in der von Geburt ge- fässlosen Hornhaut unmittelbar und Schritt für Schritt zu beobachten, dass ein Zweifel an dem pathologischen Zustand beider Praeparate nicht mehr zulässig erscheint. Schöbl kam nun auf Grund seiner zahlreichen Einspritzungspraeparate zu folgenden Sätzen: 1. Ein praecorneales Gefässnetz, wie es bis heute allgemein für das foetale Auge des Menschen und der Säugethiere angenommen wird, existirt nicht. ! Lehrbuch der Anatomie. 1859. VI. Aufl. S. 123. 2 Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften. Wien 1870. Bd. LX, IV. 8. 770. — Vergl. auch J. Hyrtl, Persistenz der embryonischen Blutgefässe der Hornhaut. Topographische Anatomie. 1871. Bd. I. VI. Aufl. S. 243. ® „Die Hornhaut des menschlichen Embryon führe Blutgefässe: wenn der „Integumental-Ueberzug“ des embryonischen Auges sich zurückbilde, könne das Blut- gefässnetz auf der Hornhaut abnormer Weise sich erhalten.“ PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — J. HIRSCHBERG. 535 2. Ausser dem oberflächlichen bekannten Randschlingennetz existirt bei Menschen und Thieren, bald mehr, bald weniger entwickelt, ein zweites System tiefer Randgefässschlingen.! 3. Die pathologischen Blutgefässe bei oberflächlichen (eutanen oder conjunetivalen) Hornhautentzündungen entspringen aus dem ober- flächlichen Randschlingennetz, welches mit den conjunctivalen und episcleralen Blutgefässen in Verbindung steht; die pathologischen Blutgefässe bei tiefen (scleralen) Hornhautentzündungen hingegen entstehen von den tiefen Randgefässschlingen, welche mit scleralen Blutgefässen zusammen- hängen. | 4. Die oberflächlichen, neugebildeten Blutgefässe der Hornhaut verästeln sich baumförmig, die tiefen hingegen besenreiserförmig, die Arterie stets von der entsprechenden Vene begleitet. Durch die Güte des Hrn. Prof. Schöbl, dem ich auch an dieser Stelle meinen besten Dank ausspreche, bin ich in Stand gesetzt, Ihnen seine kost- bare Sammlung von zahlreichen, zum Theil unersetzlichen Einspritzungs- praeparaten vorzulegen, damit denjenigen, die, wie ich selber, nicht in der Lage waren, selbständige anatomische Untersuchungen hierüber anzustellen, Gelegenheit geboten werde, durch eigene Anschauung sich ein Urtheil über die in Betracht kommenden Fragen zu bilden. Ich komme nun zu der dritten Untersuchungsart, der mit dem Augenspiegel. Schöbl hatte bereits die Entwicklung der neugebildeten Blutgefässe der Hornhaut mit der Lupe am Lebenden verfolgt. Ich selber hatte schon seit Jahren die neugebildeten Blutgefässe der Hornhaut mit der Lupe studirt und zwar nicht bloss bei dem auffallenden Licht der seitlichen Beleuch- tung, sondern auch, was in den meisten Fällen weit lehrreicher und er- giebiger ist, bei durchfallendem Licht, d. h. mit dem Lupenglas hinter dem Augenspiegel; und hatte in demselben Heft des Centralblatts für Augen- heilkunde (Nov. 15386) die besenreiserähnliche Vertheilung der tiefen neu- gebildeten Gefässe nach klinischer Beobachtung eines Falles von sogenannter diffuser Hornhautentzündung abgebildet. Wie die sternkundigen Araber einen Stern fünfter Grösse im Schwanz des grossen Bären als Prüfer bezeichneten, weil sie ihn zur Prüfung der Sehkraft benutzten; ? so hatte ich? auf meinem kleinen Gebiet hierzu seit langer Zeit die neugebildeten Blutgefässe benutzt, welche nach der soge- nannten diffusen Hornhautentzündung zurückbleiben. In einzelnen Fällen sind sie mit blossem Auge sichtbar, meistens ist aber Vergrösserung des Bildes nothwendig. Ich benutze, bei auffallendem Licht, also bei seitlicher Beleuchtung, die kleine Hartnack’sche Lupe, die von Farbenzerstreuung und Strahlen- abirrung (Bildverzerrung) ganz frei ist und eine genügende, etwa zehnfache ! Gerlach hat dieselben auch schon gesehen. ° Der kleine Stern Alkor, unser „Reuterchen“, fünfter Grösse, der im Schwanz des grossen Bären 11 Minuten entfernt steht von Mizar, dem mittleren Stern zweiter - Grösse, wurde von den Arabern Saidak, der Prüfer, genannt, weil man an ihm die Schkraft zu prüfen pflegte. Humboldt, Kosmos, Bd. II, IL, S. 43. ® Deutsche medic. Wochenschrift. 1888, Nr. 25 und Eulenburg’s Realencycl. Bd. I), Ophthalmoscopie. 534 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Vergrösserung gestattet. Aber weit mehr ist bei durchfallendem Licht zu sehen. Das Auge bietet uns den Vortheil der Durchsichtigkeit. Wir haben nur hinter dem Augenspiegel ein starkes Sammelglas von zwei oder drei Zoll Brennweite (von 20 bezw. 13 Dioptrien, also von vier oder drei- facher Vergrösserung) anzubringen und uns dem zu untersuchenden Auge, dessen Pupille vorher durch Atropineinträuflung erweitert worden, genügend anzunähern. Die durch Lues bedingte diffuse Hornhautentzündung verläuft immer mit Neubildung von Blutgefässen. Diese neugebildeten Blutgefässe schwinden niemals wieder vollständig. Wenigstens habe ich sie ebenso wohl nach 6 Monaten, wie nach 1 Jahr, nach 2, 3, 4 Jahren, ja selbst 6, 8, 13, 20 Jahren nach dem Beginn der Hornhautentzündung sicher vor- gefunden. Mag die Hornhaut auch dem unbewaffneten Auge wieder voll- kommen durchsichtig erscheinen, mag das vorher getrübte Auge auch wieder die feinste Schrift zu lesen im Stande sein; die Lupe hinter dem Augen- spiegel enthüllt uns, dass viele Dutzende von besenförmigen, tiefen Gefäss- chen aus dem Randtheil gegen die Mitte der Hornhaut vordringen und hier mit den von der entgegengesetzten Seite kommenden sich vereinigen. Also diese optische Untersuchung ist berufen, in so manchem Falle das Bestehen einer wichtigen Allgemeinkrankheit, der angeborenen Lues, festzustellen. Doch mehr als diese klinische Thatsache wird die physiologische Sie interessiren, dass ein immerhin grösserer und wichtiger Theil eines Gliedes vom menschlichen Körper, wie des Auges Hornhaut, von Natur gefässlos und nur durch Saftströmung ernährt, durch Krankheit eine ganz vollständige und so regelmässige Gefässneubildung erhalten kann, dass die berühmtesten Anatomen dadurch getäuscht wurden; und dass dieser Theil bei der neuen Ernährung durch Blutgefässe ruhig fortlebt und seine wichtige Thätiskeit, als durchsichtiges Lichtfenster, nahezu ungestört, weiter entfaltet bis zum natürlichen Ende des Lebens. Es ist schon schwierig, ähnliche Fälle von gleicher Klarheit aufzufinden, noch schwieriger aber das Gegenstück dazu, dass ein von Natur auf Blutgefässernährung angewiesener Theil, nach voll- ständigem Verlust der Blutgefässe ruhig weiterlebt und seine angestammte Thätigkeit weiter entfaltet. Natürlich giebt es noch andere Vorgänge, namentlich Entzündungen, in der Hornhaut, nach denen Blutgefässe dauernd zurückbleiben. Ueberhaupt ist die Meinung irrig, dass die neugebildeten Blutgefässe der Hornhaut wieder verschwinden, wie der Mohr, der seine Schuldigkeit gethan. Tiefere Geschwüre der Hornhaut heilen unter Neubildung von Blutgefässen, die von dem Rande der Hornhaut zu dem Geschwürsboden hinziehen und offen- bar den Ernährungsstoff herbeischaffen. Untersucht man nun einen solehen weissen Narbenfleck, der von einem tiefen Hornhautgeschwür zurückgeblieben ist, nach Jahren mit der Lupe hinter dem Augenspiegel, so findet man zu seiner Ueberraschung, dass das Narbengewebe ganz und gar durchsetzt ist von Blutgefässen, deren Haupt- stämme- bis zum Horn und darüber hinaus bis zu den vorderen Bindehautgefässen oberhalb der Lederhaut sich verfolgen lassen, während das ganze gewölbbogenartige Randschlingennetz rings herum in den an- grenzenden Theil der Hornhaut hinein vorgeschoben ist. Aber die von dem Narbenfleck freien Theile der eigentlichen Hornhaut sind gefässlos. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — J. HIRSCHBERG. — S. ROSENBERG. 535 Auch das gewöhnliche Fell der körnigen Bindehautentzündung, der sogenannte Pannus trachomatosus, ist ganz eigenartig. Zuerst werden die (aus den vorderen Bindehautgefässen entstehenden) oberflächlichen Rand- schlingen in die eigentliche Hornhaut hinein, gemeinhin von ihrem oberen Rande her, vorgeschoben. Allmählich rückt das Gefässnetz von oben her weiter vor, bis zur Mitte der Hornhaut. Schliesslich ist die ganze Horn- ‘hautvorderfläche von einem oberflächlichen Gefässnetz überzogen, dessen breite venöse Stämme einerseits am Hornhautrande in die der Bindehaut übergehen, andererseits vor der Pupille durch Schlingen aus feineren arte- riellen Gefässen ihren Ursprung nehmen oder durch Bögen in benachbarte Venen übergehen. Noch viele Jahre nach scheinbarer Ausheilung kann man diese Blutgefässe nachweisen. Die neugebildeten Blutgefässe der Hornhaut sind nicht bloss ge- eignet, zur besseren Erkenntniss, sei es von örtlichen Augenkrankheiten, sei es von Allgemeinleiden, beizutragen, sondern auch berufen, einige schwie- rigere Fragen der allgemeinen Krankheitslehre mit aufklären zu helfen. Trotzdem würde ich nicht gewagt haben über den klinischen Theil der Sache vor dieser auserwählten Gesellschaft zu sprechen, wenn ich nicht wieder die Gelegenheit benutzen wollte, auch den Hrn. Physiologen die Augen- spiegel-Untersuchung des lebenden Thieres anzuempfehlen. Dass das Lamm keine :Hornhautgefässe besitzt ausser den Randschlingen, dazu bedarf es keiner Einspritzung des todten Thieres. Ich nahm das lebende Lämmchen, erweiterte die Pupille durch Atropineinträuflung und konnte, ohne dem Thier den geringsten Schmerz zu verursachen, mit der Lupe hinter dem Augenspiegel ganz sicher feststellen, dass die eigentliche Hornhaut von Blut- gefässen vollständig frei erscheint. 2. Hr. S. Rosengere hält den angekündigten Vortrag: Ueber den Einfluss des Pankreas auf die Ausnützung der Nahrung. Der Vortragende bewirkte beim Hunde durch doppelte Unterbindung und Durchschneidung der pankreatischen Gänge sowie der ein- und aus- tretenden Gefässe eine langsame Verödung des Drüsengewebes und studirte das Verhalten von Harn und Koth nach Absperrung des pankreatischen Saftes vom Darme. — Der Harn wurde in sehr wechselnder Menge entleert und war — soweit nicht eine alimentäre Glukosurie in Frage kam — stets frei von Zucker. Auch auf das Vorhandensein von Pentose wurde unter- sucht, jedoch regelmässig mit negativem Erfolge. — Die Prüfung der aus- geschiedenen Aetherschwefelsäuremengen ergab, dass bei Anwesenheit von wirksamem Pankreas etwa 3-7 bis 3-8 mal soviel davon gebildet wurde, als bei fehlendem, was auf die in letzterem Falle sich häufenden Darment- leerungen, die eine intensive Darmfäulniss nicht zu Stande kommen lassen, zurückgeführt wird. Der Koth wurde häufig und in grossen Mengen entleert, sah in Folge seines abnorm hohen Fettgehaltes letteartig aus und enthielt oft unverdaute Fleischstückehen. — Die Ausnutzung der eingeführten Nahrung war anfangs relativ gut; sie betrug für Kohlehydrate 94-77 bis 96-75 Procent, für Fett 90.1 bis 95-31 Procent und nur für N war sie von Anfang an nicht höher als 83 Procent. Im Laufe der Zeit sank sie jedoch immer mehr, so dass die niedrigsten Werthe für Kohlehydrate 73-37 Proc., für Fett 73.09 Proc. 536 VERHANDLUNGEN DER BERLINER und für N 64.9 Procent (bei einem aus Reis, Schmalz und Fleisch oder Fleischmehl bestehenden Futter) betrugen. Die allmähliche Abnahme der Resorptionsgrösse wird erklärt durch die Annahme, dass anfänglich no ch Fermente in der Drüse gebildet werden, die in die allgemeine Cireulat!on und von da wahrscheinlich wieder in den Darm gelangen. Das Gewicht des Hundes sank im Verlaufe von sechs Monaten von etwa 20 Kilo auf etwa 14 Kilo und hielt sich dann weitere vier Monate constant’ auf dieser Höhe. Dann erkrankte das bis dahin muntere Thier an einer acuten pleuro-pneumonischen Affeetion, der es 10'/, Monat nach der Ope- ration erlag. Bei der Autopsie erschien das Pankreas makroskopisch total sclerosirt und wesentlich verkleinert; der erweiterte Hauptgang enthielt etwas Secret, das jedoch wirksame Fermente nicht mehr aufwies. Mikroskopisch wurde festgestellt, dass das Pankreas wesentlich in lockiges Bindegewebe umge- wandelt war; doch waren in dasselbe Nester eingesprengt, die theils aus freigewordenen Kernen bestanden, theils aus Zellen, die der Form nach normalen Pankreaszellen glichen, jedoch keine Kernfärbung mehr erkennen liessen, theils endlich noch aus unveränderten, normalen Drüsenzellen bestanden. Die Untersuchung wird noch weiter fortgeführt und die Resultate nach Abschluss derselben ausführlich publieirt werden. 3.Hr. Meissner hält den angekündigten Vortrag: Zur Photographie des Augenhintergrundes. Im Maiheft der „Comptes rendus“ findet sich ein kurzer Artikel über einen Fortschritt auf dem Gebiete der Photographie des Augenhintergrundes von v. Guinkoff; in diesem Artikel spricht Verfasser aus, er habe beim Studium der Augenkrankheiten die Ueberzeugung gewonnen, dass eine photographische Fixirung der beobachteten Retinabilder von der grössten Wichtigkeit für das Stadium der Augenheilkunde sein würde; es sei zwar möglich, mit dem Helmholtz’schen Augenspiegel den Hintergrund des Auges genügend zu erleuchten und zu inspieiren, aber es sei unmöglich hiermit ein photographisches Bild zu erzeugen. Im Verein mit Dr. Gerloff (Göt- tingen) habe ich bereits vor fünf Jahren eingehende Versuche über die Photographie des Augenhintergrundes angestellt, deren Resultate von Hrn. Dr. Gerloff seiner Zeit in den Zehender’schen Monatsheften veröffentlicht wurden. Wir sind bei diesen Versuchen zu relativ befriedigenden Resultaten gelangt und ich gestatte mir Ihnen hier einige Bilder, welche nach der damals von uns angewandten Methode gefertigt wurden, vorzulegen. Die Anordnung unserer Versuche war ganz dem Prineipe des Helmholtz’schen Augenspiegels entsprechend, nur trat an Stelle des beobachtenden Auges der photographische Apparat. Die Eigenschaft der Cornea in Folge ihrer Krümmung Lichtreflexe zu liefern wurde durch eine vorgesetzte Wasserkammer, wie sie dieselben hier sehen, beseitigt. Mit dieser vor das als Object dienende Auge gebrachten Wasserschicht (0-75 Procent NaCl- Lösung) gewannen wir noch den Vortheil, dass das zum Photographiren nöthige Licht derart diffus in das atropinisirte Auge fällt, dass eine Blen- dung auch bei stärkstem Lichte ausgeschlossen war. Der von uns damals verwendete Hohlspiegelrefleetor wurde neuerdings in vortheilhafter Weise PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — SCHUMBURG. 537 durch ein Prisma, welches fest mit der Wasserkammer verbunden ist, ersetzt. Als Lichtquelle diente zum Einstellen Zirkonlicht, zur Aufnahme Blitzlicht- mischung nach Gädeke und Miethe. Ein Grund, welcher veranlassen könnte, das Prineip des Helmholtz’- schen Augenspiegels zu verlassen, liegt durchaus nicht vor, bedauerlicher Weise theilt der oben eitirte Autor das von ihm erfundene neue Verfahren nicht mit. Jedenfalls aber haben wir in Deutschland schon vor fünf Jahren den Nutzen der Photographie des Augenhintergrundes vollkommen erkannt und die damals gewonnenen Bilder erweisen zur Genüge die praktische Ver- werthung des Helmholtz’schen Principes. XVI. Sitzung am 10. Juli 1896. 1. Hr. Schumgure erstattete Bericht über seine im Laboratorium und mit Unterstützung des Hrn. Prof. Zuntz über den Einfluss des Zucker- genusses auf die Leistungsfähigkeit der Museulatur angestellten Experimente mit dem Mosso’schen Ergographen.! Auf Veranlassung der Medieinalabtheilung des Kriegsministeriums sollte festgestellt werden, ob den Versuchen Ugolino Mosso’s entsprechend der Genuss selbst kleiner Dosen Zuckers dazu ausreiche, den ermüdeten Muskel zu neuen Leistungen zu befähigen. Die Versuchsanordnung Mosso’s litt unter dem Einwurfe, dass, da er an sich selbst oder an Collegen experimentirte, selbst gegen den Willen der Experimentatoren sich das psychische Moment an denjenigen Tagen, an welehen er bei seinen ergographischen Arbeitsperioden Zucker nahm, geltend machte und die Arbeitszahl erhöhte. Dies hat auch Langemeyer, der unter Stockvis in Amsterdam arbeitete, erkannt und deshalb sehr weit- gehende Cautelen (Trennung der Arbeitsperson vom Zeichenapparat ete.) bei seinen Versuchen angebracht. Schumburg liess — abweichend von Mosso — seine mit den Ver- suchen völlig unbekannte Versuchsperson in der Mitte zwischen den 24 ergo- graphischen Arbeitsperioden, die mit Intervallen von 5 Minuten auf ein- ander folgten, an jedem Versuchstage 200 °® einer süssen Flüssigkeit trinken; nur enthielt diese an dem einen Tage 30 8"” Zucker, an dem nächsten eine die genau gleiche Süsse hervorbringende Menge Dulein (0-25 8%), welches in dieser Menge indifferent für den Stoffwechsel ist. Das Ergebniss dieser Versuche war dem der Mosso’schen Versuche entgegengesetzt: Bald war an den Zuckertagen, bald an den Duleintagen die Arbeitszahl der späteren Arbeitsperioden eine höhere. Erst wenn vor Beginn der Ergographenarbeit die Versuchsperson ganz gewaltige körperliche Leistungen (in 45 Minuten 45000 ”K8 Dreharbeit am Gärtner’schen Ergostaten) vollbrachte, sank an den Zuckertagen die Kilo- grammmeterzahl der nach dem Drehen folgenden ergographischen Arbeits- ! Der ausführliche Vortrag wird in der Augustnummer der Deutschen militär- ärztlichen Zeitschrift veröffentlicht. 538 VERHANDLUNGEN DER BERLINER perioden weniger stark ab, als an den Duleintagen. Verringerte man die Arbeit am Drehrade, so trat auch wieder die höhere Leistung bald an Zuckertagen, bald an Duleintagen auf; verstärkte man die Ergostatenarbeit wieder, so war auch der Effect des Zuckergenusses wieder ein augenfälliger. Sehumburg erklärte diese auffällige Thatsache folgendermaassen: Die Leistung des zu den Versuchen benutzten M. flexor digiti tertii bei einer Arbeitsperiode beträgt etwa 5 bis 6 "8, eine Leistung, welche von dem im Blute kreisenden Traubenzucker so wenig verbraucht, dass es ganz gleich- gültig ist, ob noch mehr Zucker in den Magen und das Blut eingeführt wird. Anders ist dies, wenn durch eine ganz gewaltige Arbeit aller im Blute vorhandener Zucker verbraucht ist; dann erst kann der eingeführte Zucker seine Wirkung entfalten, während an den Duleintagen die Leber das Blut doch nicht so schnell versorgen kann. Eine zweite Versuchsreihe an einer anderen, muskelschwachen Versuchsperson führte zu demselben Er- gebniss. Schumburg zieht ein zweifaches Ergebniss aus seinen Versuchen. Das eine ist ein wissenschaftlich technisches, indem die von ihm ausgebildete Methode geeignet sei, alle Arten von Nahrungsstoffen und Arzneimitteln vielleicht auch durch Darreichung in Kapseln zu prüfen auf ihre Einwirkung auf die Thätigkeit der Muskeln. Das zweite Ergebniss betrifft die speecielle Fragestellung und besagt, dass Zucker selbst in kleineren Mengen (30 &%) wohl geeignet sei, den stark erschöpften Muskel schnell zu neuen Kraft- leistungen zu befähigen. 2. Hr. N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Rolle des Zuckers im thierischen Stoffwechsel. Die eben gehörte Mittheilung von Hrn. Schumburg hat uns gezeigt, dass der Zucker im Stande ist, dem erschöpften Muskel neue Kraft zuzu- führen. Man könnte nun versucht sein, mit Seegen, Chauveau u. A. hieraus zu folgern, der Zucker sei die einzige directe Energiequelle des thätigen Muskels, denn Eiweiss und Fett seien ja auch nach angestrengtester Arbeit noch in unerschöpflichen Mengen im Körper vorhanden; hierauf ist zu erwidern, dass die Hauptmasse des Eiweisses als Baumaterial der Zellen und Gewebe in diesen festgelegt ist und dass nur nach reichlicher Zufuhr mit der Nahrung ein gewisser Vorrath leicht zersetzlichen, also für die Arbeit ohne weiteres disponibeln Eiweisses in den Muskeln vorhanden ist, wie die schönen Untersuchungen von Schöndorff! gezeigt haben. Mit der Nahrung neu aufgenommenes Eiweiss dürfte keinesfalls so schnell als der leicht diffusible Zucker an die Orte des Verbrauches gelangen; immerhin erscheint es aber als eine lohnende Aufgabe, die Wirkung von Eiweiss- nahrung auf die Recreation der ermüdeten Muskeln in ähnlicher Weise festzustellen, wie dies Hr. Schumburg für den Zucker gethan hat. Für (das Fett endlich ist es ohne Weiteres klar, dass seine Ueberführung aus den Depöts des Körpers zu der Verbrauchsstelle in den thätigen Muskeln nicht ohne Ueberwindung gewisser Schwierigkeiten erfolgen kann. Seegen nimmt bekanntlich an, es werde nach vorgängiger Ueberführung in die ! Schöndorff, Pflüger’s Archw. Bd. LIV. S. 420. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZunTz. 539 Leber dort in Zucker umgewandelt und als solcher erst den Arbeitsleistungen dienstbar. Theoretisch wäre ja eine Bildung von Kohlenhydrat aus Fett ebenso gut denkbar wie der entgegengesetzte Process, dessen Ablauf im thierischen Körper jetzt über alle Zweifel feststeht. Bei Pflanzen scheint eine Um- wandlung des als Reserve aufgespeicherten Fettes in Zucker erwiesen zu sein. Für ihr Vorkommen bei Thieren führt Seegen eine Anzahl von Ver- suchen an, in welchen er Leberbrei mit Blut und Fett bezw. Fettsäuren oder Glycerin digerirte und eine Zunahme der gesammten Kohlenhydrate bezw. eine Zunahme des Zuckers ohne Abnahme des Glykogen fand. Gleiche Ergebnisse erzielte er bei Behandlung überlebender Leberstücke mit Peptonlösungen und vindieirt deshalb der Leber die Fähigkeit sowohl aus Fett wie aus Eiweiss Kohlenhydrate zu bilden. Da die Leber an sich reich an Fett und Eiweiss ist, muss die Zuckerbildung aus ihnen auch ohne besonderen Zusatz erfolgen, wie dies Seegen in einer Reihe von Versuchen gefunden hat.! Dieser Befund konnte aber von Girard? nicht bestätigt werden. Derselbe fand vielmehr, dass Zunahme des Zuckers und Abnahme des Glykogens streng parallel gingen, und dass glykogenfreie Lebern weder für sich noch mit Pepton Zucker bildeten, wohl aber bei Zusatz von Gly- kogen. Ebenso fand Panormow,? dass Neubildung von Zucker und Schwund des Glykogen einander parallel gingen. In ähnlichem Sinne haben die Versuche der Gebrüder Cavazzani* und die von Butte* dahin geführt, das Glykogen als einzige Quelle des in der Leber gebildeten Zuckers anzusehen. Wenn dies richtig ist, muss aber die in der Leber gebildete Zuckermenge sehr viel kleiner sein, als Seegen auf Grund seiner Vergleichsanalysen des Pfortader- und Lebervenen- blutes annimmt. Die physiologische Bedeutung der grossen von Seegen gefundenen Differenzen ist ja schon mehrfach, am eingehendsten von Abeles bestritten worden. Seegen aber hat den gegen seine Versuche erhobenen Einwand, dass die schweren zur Blutgewinnung von ihm ausgeführten Eingriffe die Zuckerbildung in der Leber weit über die normalen Grenzen gesteigert hätten, bis jetzt nicht anerkannt. Es schien deshalb nothwendig, weitere Controlversuche anzustellen und dabei namentlich die neueren Erfahrungen von Cavazzani, Butte, Morat und Dufourt,? wonach Reizung der in der Porta eintretenden Nerven die Zuckerbildung in der Leber steigert, zu berücksichtigen. Hr. Cand. med. Mosse hat auf meine Veranlassung derartige Controlversuche ausgeführt und darüber in Pflüger’s Archiv, Bd. LXIII. S. 613 berichtet. Um die nervöse Reizung auf ein Minimum zu redueiren, wurden die nüchternen Versuchshunde leicht mit Morphin narco- tisirt, das Lebervenenblut wurde durch einen von der Jugularvene vor- geschobenen Katheter, dessen richtige Lage stets die Section controlirte, das Vergleichsblut, um die Eröffnung der Bauchhöhle zu vermeiden, aus ı Seegen, Zuckerbildung im Thierkörper. S. 120 fl. ° H. Girard, Ueber die postmortale Zuckerbildung in der Leber. Pflüger’s Archiv. Bd. XLI. S. 294. ® Maly’s Jahresbericht. Bd. XVII. S. 304. * Fbenda. 1894. S. 391 ff. ® Morat et Dufourt, Comptes rendus. Vol. CXVII. p. 659. 540 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Art. eruralis entnommen.! Im Mittel lieferte die Lebervene 0.014 Pro- cent Zucker mehr als die Arterie. Es wurden meist zwei Doppeladerlässe mit einem Zwischenraume von etwa 10 Minuten gemacht; der zweite lieferte fast regelmässig, entsprechend den Befunden von Schenk u. A., ein zucker- reicheres Blut. Die Zunahme war aber in der Lebervene grösser als in der Arterie. Während, wie oben erwähnt, der mittlere Unterschied beider Blut- arten 0-014 Procent betrug, war er im Mittel der ersten Aderlässe nur 0.004 Procent; im Mittel der zweiten 0-025 Procent. — Hierdurch wird es wahrscheinlich, dass auch unsere Versuchsanordnung noch die Zucker- bildung in der Leber ein wenig über die Norm erhöhte, woraus wir keines- wegs schliessen wollen, dass unter physiologischen Verhältnissen kein Zucker in der Leber gebildet werde, sondern nur, dass dessen Menge lange nicht so gross ist, wie Seegen annimmt, und daher nicht zu der An- nahme zwingt, dass das Fett, ehe es den Oxydalon pa = anheimfällt, in der Teber in Zucker verwandelt werde. Der andere Theil der Seegen’schen Lehre, dass aus Tiweiks Kohlen- hydrat entstehen könne, wird, wie ich mit Curt Lehmann? früher ausgeführt habe, durch eine Reihe von Erfahrungen über Glykogenbildung, Koma ferner durch das Verhalten der respiratorischen Quotienten bei hungernden Men- schen gestützt. Wir fanden, dass der respiratorische Quotient des Hungernden in absoluter Ruhe unter die der Verbrennung des Fettes entsprechende Zahl sinkt, um bei der Arbeit erheblich anzusteigen. Dies Verhalten schien uns ! Bei der Discussion wurde gegen diese Versuchsanordnung das Bedenken er- hoben, dass das Pfortaderblut vielleicht weniger Zucker als das arterielle enthalte und deshalb bei seiner Verwendung sich analog den Versuchen Secgen’s eine reichlichere Zuckerbildung in der Leber herausgestellt haben könnte. Demgegenüber ist zu sagen, dass gar nicht abzusehen ist, wodurch in den Capillaren des ruhenden Darmes ein nennenswerther Zuckerverbrauch zu Stande kommen könnte, vor allem aber, dass eine grosse Anzahl von Analysen vorliegen, welche zeigen, dass bei nüchternen Thieren Pfortader- und Arterienblut fast denselben Zuckergehalt haben. Ich eitire als Beleg nur folgende Mittelwerthe: 5 Doppelanalysen von Seegen, Zuckerbildung im Thierkörper. Berlin 1890. 8. 81: Carotis 0159 Procent, Pfortader 0-146 Procent. 8 Doppelanalysen desselben Forschers. Ehenda. 8.160, bei längere Zeit hungernden Thieren: Carotis 0-157 Procent, Pfortader 0-147 Procent. 8 ebensolche Versuche bei Fleischfütterung: Carotis 0-155 Procent, Pfortader 0-141 Procent. 8 ebensolche Versuche bei Fettfütterung: Carotis 0-128 Procent, Pfortader 0-114 Procent. 5 ebensolche von Seegen. Pflüge'r’s Archiv. Bd. XLI. S. 524: Carotis 0-152 Procent, Pfortader 0-152 Procent. 2 ebensolche von Abeles, Wiener medic. Jahrbücher. 1887: Carotis 0-131 Procent, Pfortader 0-121 Procent. Das Serum beider Blutarten untersuchte von Mering (dies Archiw. 1877. S. 410) und fand im Mittel: Carotis 0-192 Procent, Pfortader 0-172 Procent. Wenn man, wie dies der Autor für nothwendig erklärt, einen abnorm hohen Carotiswerth, der von einem fast verbluteten Thiere gewonnen wurde, ausschliesst, besteht kein Unterschied zwischen beiden Blutarten. win man auf Grund dieser Ver- suche dem Pfortaderblute einen um 0-01 Procent niedrigeren Zuckergehalt zuschreiben, so würde der von Hrn. Mosse gefundene Zuckerzuwachs im Blute der Lebervene immerhin nur !/, des von Seegen für normal erklärten betragen. ? Versuche an zwei hungernden Menschen. Virchow’s Archiv. Bd. OXXXI. Suppl. 8. 176 ff. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. 541 am einfachsten durch die Annahme erklärbar, dass der Hungernde einen Theil des in der Ruhe umgesetzten Eiweisses in Kohlenhydrat verwandelt, um dieses bei der Muskelthätigkeit zu verbrauchen. Eine Kohlenhydrat- bildung aus Fett anzunehmen, was ja die Erniedrigung des respiratorischen Quotienten ebenso gut erklären würde, schien uns deshalb nicht zulässig, weil die Indifferenz der Diabetiker gegen Fettzufuhr, wie die Unmöglichkeit durch solche Glykogenbildung herbeizuführen, dagegen zu sprechen schien, dass der Thierkörper die Fähigkeit besitze, Fett in Kohlenhydrat zu ver- wandeln. In jüngster Zeit ist nun Chauveau,! im Verfolg seiner Studien über die Quelle der Muskelkraft ebenfalls dazu übergegangen, aus den respirato- rischen Quotienten Schlüsse auf die Natur der im ruhenden und im arbeiten- den Körper stattfindenden Umsetzungen zu ziehen. Als besonders charak- teristisches Beispiel theilt er einen Versuch an einem seit 16 Stunden hungernden Manne mit, der durch Treppensteigen in 70 Minuten die erheb- liche Arbeit von 29000 ®“® Jeistet. Der respiratorische Quotient, welcher vor der Arbeit 0-75 beträgt, steigt während derselben allmählich: in den ersten 5 Minuten auf . . 0-84, zwischen 10. und 15. Minute auf 0-87, zwischen 40. „ 45. „ 20-95, um dann zwischen2694 10.000, „01.84 wieder zu fallen. Den Maximalwerth 0-95 findet Chauveau in genauer Uebereinstim- mung mit der Annahme, dass die Kohlenhydrate allein das Material für die Muskelarbeit darstellen; da nämlich der Gaswechsel während der Arbeit etwa aufs Afache gestiegen ist, rechnet er so, dass zu dem Ruhegaswechsel mit dem Quotient 0-75 als Arbeitsaequivalent der 3fache Umsatz mit dem Quotient 1-0, der Kohlenhydratverbrennung entsprechend, hinzugekommen sei: OST 3x1 7 = 0:94. Das Sinken des Quotienten in der letzten Versuchsperiode erklärt Chau- veau daraus, dass die vorausgegangene Arbeit den Vorrath an Kohlen- hydraten nahezu aufgebraucht habe, so dass jetzt eine lebhafte Neubildung derselben aus Fett, die natürlich den Quotienten herabdrücken müsse, Platz greife. Vollkommen unerklärt lässt aber Chauveau, warum denn anfäng- lich, wo doch der Vorrath des Körpers an Kohlenhydraten am grössten war, der respiratorische Quotient nur 0-84 betrug; nach seiner Auffassung hätte die Arbeit sofort mit dem Quotient 0-94 einsetzen und erst allmählich ab- sinken dürfen. Die Quotienten der ersten 15 Arbeitsminuten passen durch- aus zu der von mir und meinen Mitarbeitern stets vertretenen Ansicht, dass bei der Arbeit wesentlich dieselben Stoffe wie in der Ruhe umgesetzt wer- den, allenfalls der Verbrauch an Kohlenhydraten relativ ein wenig zunehme, weil sie als die beweglichste unter den im Blute eireulirenden Nährstoff- gruppen am schnellsten an den Ort starken Verbrauches nachgeliefert wer- den können. Solche starke Erhöhungen des respiratorischen Quotienten, wie sie Chauveau in der 40. bis 45. Arbeitsminute seines besprochenen ! Chauveau, Comptes rendus. T. 122. p. 1098 et 1163, 542 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Versuches fand, haben wir nur dann beobachtet, wenn in Folge der Er- müdung die Cireulation und Respiration nicht mehr ganz ausreichten zur Deekung des Sauerstoffbedarfs der thätigen Muskeln,! oder einzelner Theile derselben. | In diesem Falle kommt es zu einer Art Anaörobiose der Muskeln, wie sie in voller Reinheit zu Tage tritt in den bekannten Versuchen von Pflüger, in welchen Frösche bei vollständigem Fehlen des Sauerstoffs unter Kohlensäurebildung Arbeit leisteten. In diesen Versuchen war der respi- ratorische Quotient = ©. In Chauveau’s Versuch kann also aus der allmählichen Steigerung des Quotienten nicht gefolgert werden, dass die Arbeit unter ausschliess- licher Verwendung von Kohlenhydraten erfolgte. Wo wirklich so viel Kohlen- hydrate vorhanden sind, dass sie die Bestreitung der Arbeit fast ausschliess- lich übernehmen, und das war z. B. in der Mehrzahl unserer Versuche am Pferde der Fall, da ist der respiratorische Quotient gleich bei Beginn der Arbeit am höchsten; bei schwerer Arbeit wird dann aber im Laufe derselben mehr Kohlenhydrat verbraucht, als gleichzeitig aus dem Darme und eventuell aus der Leber dem Blute zufliesst. In Folge dessen sinkt der respiratorische Quotient während der Arbeit, um nicht selten nach Beendigung derselben wieder etwas emporzusteigen. Es wird also während der Arbeit mehr Fett zur Oxydation herangezogen und bei der nachfolgenden Ruhe bestreiten wieder die Kohlenhydrate einen zwar nicht absolut aber doch procentisch grösseren Antheil des Stoffwechsels.” Berechnet man in den Arbeitsperioden, in welchen der respiratorische Quotient niedrig ist, also relativ viel Fett verbraucht wird, wie viel Energie zur Bestreitung einer bestimmten Menge Arbeit aufgewendet wird, so findet man dieselbe Zahl, wie in den Perioden der vorwiegenden Kohlenhydratumsetzung. Dieses Verhalten ist, wie ich schon früher hervorhob, mit Chauveau’s und Seegen’s Theorie unverträglich. Wenn, wie diese Forscher annehmen, das Fett erst in der Leber in Kohlenhydrat umgewandelt werden müsste ehe es in den Muskeln zur Arbeit dienen kaun, müsste bei Fettnahrung dieselbe Kraftleistung etwa 30 Procent Energie mehr erfordern als bei Kohlenhydratzufuhr.” Da dies nach meinen bisherigen Versuchen nicht der Fall ist, muss ich an der Ansicht festhalten, dass alle Nährstoffe gleich befähigt sind, dem Muskel Arbeitsmaterial zu liefern, ohne vor- her in Zucker umgewandelt zu werden. ! Vgl. meine Mittheilung über die Versuche von Katzenstein, dies Archiv, 1890, 8. 367 und A. Löwy, Die Wirkung ermüdender Muskelarbeit. Pflüger’s Archiv. Bd. IL. S. 405. ® Die Belege hierfür erscheinen demnächst in einer Arbeit von mir und Hage- mann, Ueber Stoffwechselversuche an Arbeitspferden. ® Vergl. Chauveau, Comptes rendus. Jan. 1896 und dies Archiv, 1896, 8. 358. * Eben ist in meinem Laboratorium eine Versuchsreihe von Prof. Newton Heyne- man (New-York) abgeschlossen worden, welche am Menschen den früher von mir beim Hunde geführten Nachweis erbringt, dass der Energieverbrauch für die Einheit der Arbeitsleistung derselbe bleibt, wenn man den Menschen einmal möglichst eiweiss- reich, dann vorwiegend mit Fett, endlich vorwiegend mit Kohlenhydraten ernährt. Der respiratorische Quotient zeigt in diesen Versuchen, dass in der That die vorwiegend zugeführte Nährstoffeategorie auch jeweils während der Arbeit am reichlichsten um- gesetzt wird, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — P. SCHULTZ. 543 XVI. Sitzung am 24. Juli 1896. 1. Hr. I. Munk verliest folgende vorläufige Mittheilung des Hın. P. SCHULTZ: Zur Physiologie der längsgestreiften Muskeln. Die längsgestreiften Muskeln werden, wie die quergestreiften, durch gewisse Reize zur Zusammenziehung gebracht. Zuvörderst durch mechanische: Jeder hinreichend starke mechanische Insult von genügender Dauer bewirkt eine Contraction. Durch mehrere aufeinander folgende Insulte wird die Dauer und die Stärke der Zusammen- ziehung vergrössert. Zweitens durch chemische Reize: Feste Substanzen wurden in physio- logischer Kochsalzlösung gelöst und so auf das Praeparat gebracht, dass das Entstehen eines Eigenstromes der Muskeln ausgeschlossen erschien. Gase wurden in einer feuchten Kammer zugeleitet. Eine etwaige Veränderung der Erregbarkeit der Muskelzellen wurde mit dem Inductionsstrome geprüft. Ag. destill. wirkt als schwacher Reiz, Eintrocknung bringt die Elemente sehr bald zum Absterben. Von einigen Agentien wissen wir seit langem, dass sie in besonderer Beziehung zu „glattmuskeligen Organen“ oder zu den Muskeln selbst stehen. Von diesen ruft Extr. sec. cornut. eine energische Contraction hervor, weniger stark wirkt Extr. Hydr. fluid., ähnlich Extr. Aloös, Podophyllin, Oleum Rieini, während Ol. Olivarum, Glycerin (concentrirt und verdünnt) und Ol. Crotonis keinen Einfluss ausüben. Atropin. sulf. Jähmt bei localer Application die motorischen Nerven- endigungen in den längsgestreiften Muskeln, es hebt Tonus und Peristaltik auf. Physostygm. salieyl. (2procent. Lösung) hat keinen Einfluss. Durch beide wird die Erregbarkeit der Muskeln selbst merklich gar nicht verändert. Bei localer Application zeigen ferner keine Einwirkung: 0-1 Procent Pikrotoxin, 0-1 Procent Muscarin, 1 Procent Pilocarpin hydrochl., 1 Procent. Stryehn. nitrie., 1 Procent Chin. sulf., 5 Procent Chloralhydrat. Concentrirte H,SO, bewirkt bisweilen geringe Verkürzung; dies kann auf der schnellen Wasserentziehung beruhen. Sonst bringen concentrirte Säuren (HNO,, HCl und C,H,O,) die Elemente ohne Erregung schnell zum Absterben. Die- selben Säuren verdünnt rufen ebenfalls keine Zusammenziehung hervor. Alkalien concentrirt und verdünnt bilden einen heftigen Reiz. Es er- folgt energische Contraetion und danach Absterben der Muskeln. Alkohol bewirkt geringe Contraction, Aetherdämpfe Dehnung, die Reiz- barkeit der Muskelelemente gegen den elektrischen Strom bleibt erhalten. Ammoniak als Gas in geringer Menge wirkt reizend, bei grösserer Zufuhr tritt sofort Dehnung und Absterben ein. Amylnitrit ist ohne Einwirkung, ebenso wie Eisenchlorid. Chloroformdämpfe wirken sofort lähmend auf die nervösen Elemente und bei längerer Einwirkung reizend auf die Muskeln, bis völlige Starre eintritt. Letzteres tritt bei Zufuhr von HClI-Gas sofort ein. CO, in reichlicher Menge zugeleitet bewirkt Dehnung, dabei bleibt die Reizbarkeit mittelst des elektrischen Stromes erhalten. Wäscht man danach mit H aus, so tritt energische Contraetion ein. Führt man statt dessen immer weiter das Gas zu, so tritt schliesslich ebenfalls eine Contraction ein. 544 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Thermische Reizung: Die Curven, welche man bei der fortschrei- tenden Erwärmung erhält, sind die Resultante aus zwei Componenten. Die eine dieser Componenten stellt die Einwirkung auf die nervösen Elemente dar, welche gegen Temperaturveränderung äusserst empfindlich sind, und welche bei Kaltblütermuskeln selbst bei sehr langsamer Erhöhung bei etwa 30°, bei Warmblütermuskeln etwas höher plötzlich und heftig erregt werden und dadurch energische Contractionen auslösen. Die andere Componente zeigt den Einfluss auf die Muskelzellen selbst. Diese werden bei Warm- blütern, wie bei Kaltblütern durch die Wärme sehr allmählich gedehnt, durch die Kälte, bei jenen etwas energischer als bei diesen, zur Zusammen- ziehung gebracht. Die prompte Reaction auf Temperaturveränderungen, welche man bisher den glatten Muskeln selbst als eine ihnen wesentliche KEigenthümlichkeit zuschrieb, kommt ihnen also durchaus nicht zu. Sie ist vielmehr auf die Wirkung der darin enthaltenen Nerven zurückzuführen in der Weise, dass durch Erregung der sensiblen Nerven reflectorisch die Muskeln erregt werden. Auch der bisher angenommene Unterschied zwischen Warm- und Kaltblütermuskeln gegenüber der Temperaturveränderung be- steht nicht. 2. Hr. Ren& ou Boıs-Reymonp macht zwei Mittheilungen zur Mechanik der unteren Extremität. 1. Ueber die Rotation des Unterschenkels. Die Arbeiten von Braune und Fischer sind, soweit sie sich erstrecken, für die Lehre von den Gelenkbewegungen epochemachend gewesen. Durch eine vollendete Methodik wurde an die Stelle theoretischer Betrachtungen über die anatomischen Data exacte Beobachtung der thatsächlichen Be- wegungen lebender Gelenke gesetzt. Daher müssen diese Arbeiten fortan als erste und höchste Autorität betrachtet werden. Um so mehr ist es zu bedauern, dass sich die beiden Forscher in einem Punkte durch einen schlimmen Zufall haben täuschen lassen, nämlich im Bezug auf die Rotation des Unterschenkels. Im Gegensatz zu der bekannten Lehre der Gebrüder Weber wird in der Arbeit von Braune und Fischer! über das Kniegelenk angegeben, „dass am Lebenden eine willkürliche Rollung, d. h. eine willkürliche Rotation des Unterschenkels um seine Längsaxe bei jeder beliebigen Beugestellung fast ganz ausgeschlossen ist“. Dieselbe Bemerkung wird von Fischer an anderer Stelle folgendermaassen wiedergegeben: „Wir sind nicht in der Lage bei festgehaltenem Oberschenkel von irgend welcher Beugestellung im Knie- gelenk aus den Unterschenkel seitlich zu bewegen, oder, was bei der eigen- thümliehen Construction des Kniegelenks um so merkwürdiger erscheint, denselben um seine Längsaxe durch unseren eigenen Willen zu rotiren. Man kann sich von dieser Thatsache leicht an seinem eigenen Körper über- zeugen, wenn man das eine Bein über das andere schlägt, um dadurch den Oberschenkel festzulegen, und nun bei etwa rechtwinkliger Beugestellung ' Braune und Fischer, Die Bewegungen des Kniegelenkes. Abhandlungen der malh.-physik. Classe der k. sächs. Akademie der Wissenschaften. 1891. Bd. XVL. Nr. 2. 8. 149. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Renk pu Boıs-REYMmonD. 545 des Unterschenkels den Fuss um die Längsaxe des Unterschenkels rotirt. Man fühlt dann an dem medianwärts und vorn direet unter der Haut liegenden Knochen der Tibia, dass dieselbe dabei in Ruhe bleibt, so lange man nicht in die extremsten gezwungenen Stellungen übergeht, und dass in Folge dessen die Rotation ausschliesslich in den Fussgelenken stattfindet. Will man den Versuch ganz einwurfsfrei anstellen, so ist es zweckmässig, den Fuss gegen den Unterschenkel durch einen fest anliegenden Gypsver- band festzustellen. Man ist dann überhaupt nicht mehr in der Lage, den Fuss bei festgehaltenem Oberschenkel seitlich zu bewegen, was doch offen- bar möglich sein müsste, wenn wir den Unterschenkel im Kniegelenk will- kürlich um seine Längsaxe rotiren könnten“.! Der an diesen beiden Stellen ausgesprochene Irrthum hat seiner Zeit von mehreren Seiten, insbesondere von Prof. R. Fick lebhaften Widerspruch erfahren und ist längst von Fischer selbst erkannt worden. Soviel ich weiss, ist aber weder das Eine noch das Andere in gedruckter Form ge- schehen. Als mir die genannten Arbeiten bekannt wurden, machte ich mich sogleich daran, die Frage wenigstens zu meiner eigenen Befriedigung aufzuklären.” Dabei bemerkte ich zugleich, dass der von den Gebrüdern Weber angegebene Umfang der Rotationsbewegung übermässig gross ist. Neulich wurde ich darauf hingewiesen, dass diese Zahl noch heutzutage als maassgebend silt, und es wurde mir nahe gelegt, meine Messungen, trotz- dem sie nur wenige Individuen betreffen, zu veröffentlichen. Meine Untersuchung betraf zunächst den von Braune und Fischer beschriebenen Fall, dass das Fussgelenk durch Gypsverband immobilisirt ist. In den Gyps wurde, ehe er vollständig erhärtete, ein Holzzeiger eingesteckt. Das Versuchsindividuum sass auf einem hohen Tisch, der Unterschenkel hing frei herab. Unter die Kniekehle wurde eine Holzunterlage geschoben, so dass sich das Knie in etwas weniger als 90° Beugestellung befand. Die Ruhestellung des Zeigers wurde zuerst markirt, und dann der Umfang der Rotation nach beiden Richtungen festgestellt, wobei darauf geachtet wurde, dass die Axe des Unterschenkels ihre Lage nicht ändere. Es ergaben sich für zwei Versuche an verschiedenen Individuen fol- gende Zahlen: Pronation Supination Summe A. das 20° a R. 18 13° 3 Es besteht also auch bei durch Gyps fixirtem Fuss Rotationsfreiheit im Knie Braune und Fischer’s Versuche waren unglücklicher Weise an in dieser Beziehung ungeschiekten Individuen gemacht. Auffallender Weise sind die angegebenen Zahlen erheblich grösser, als die, die ich bei freiem Fussgelenk erhielt. Wahrscheinlich beruht dies darauf, dass die Dreh- ! Otto Fischer, Der menschliche Körper vom Standpunkte der Kinematik aus betrachtet. Dies Archiv. Anat. Abth. 1893. 8. 195. ® Die erforderlichen Versuche stellte ich als Assistent im Anatomischen Institut zu Königsberg an, dessen Director, Hın. Geh.-R. Stieda, ich zu Dank verpflichtet bin, sowie auch den Hrn. Collegen, die sich mir gütigst als Versuchsobjecte zur Verfügung stellten. Archiv f.A.u. Ph. 1896. Physiol. Abthlg. 35 546 VERHANDLUNGEN DER BERLINER bewegung, die der Fuss gegen den Unterschenkel auszuführen strebt, auf den Gypsverband mitwirkt. Um den Bewegungsumfang unter normalen Bedingungen zu bestimmen, befestigte ieh mittelst einer Binde, die fest um das obere oder untere Drittel des Unterschenkels gelegt wurde, ein Holzplättehen mit einem Zeiger. Ich erhielt an den obigen beiden Individuen und noch vier anderen folgende Zahlen für das obere Drittel (die Zahlen bedeuten Winkelgrade): Pronation Supination Summe R. hl 13 24 A. 12 15 27 S. I 12 21 Sy. 14 11 25 H. 7 bat 18 i B. 18 7 25 Summe 71 69 140 Mittelwerth 12 11 23 Dieselbe Messung wiederholte ich, indem ich die Binde im unteren Drittel anlegte, und erhielt theils dieselben, theils höhere Zahlen. Ich führe nur die letzteren an: Pronation Supination Summe >. 9 19 28 H. 21 15 26 B. 14 23 37 Der Supinationswerth scheint also im unteren Drittel grösser zu sein, als im oberen. Der Gesammtumfang der Rotation stellt sich nach diesen Messungen im Mittel auf wenig über 20°, während Weber nach Messungen an Leichen 39° angiebt. Um in dieser Hinsicht ein Urtheil zu gewinnen, maass ich an zwei conservirten Oadavern des Königsberger Praeparirsaales die Beweg- lichkeit, indem ich absichtlich ein schlaffes und ein starr gewordenes Gelenk auswählte. Ersteres ergab 50°, letzteres nur 20°. 2. Die Winkelbewegung des Beines beim Gehen. Vor Kurzem ist der Pariser Akademie eine Arbeit! vorgelegt worden, die einen ganz neuen Gesichtspunkt in die Lehre vom Gehen hineinbringt. Der Verfasser, Le Hello, der unter Marey’s Leitung gearbeitet hat, zeigt, dass die hintere Extremität des Pferdes nicht, wie bisher allgemein gelehrt wurde, durch Streckung der Gelenke den Körper vorwärts stemmt, sondern ausserdem durch Winkelbewegung bei annähernd gleichbleibender Länge vorwärtstreibend wirkt. Ich habe mich überzeugt, dass man an den Muy- bridge’schen Serienbildern von laufenden Pferden eine Periode findet, während deren die Länge des Beines, vom Rücken zum Huf gemessen, nicht zunimmt, während das Hüftgelenk um schätzungsweise 20 °® vorwärts rückt. Die Anschauung Le Hello’s lässt sich ohne Weiteres auf den Gang des ! Le Hello, Du röle des membres posterieurs dans la locomotion du cheval. Comptes rendus. 1896. T. CXXU. Nr. 23. p. 1356. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — RENk Du Boıs Reymond. — Brünn. 547 Menschen übertragen, und es wird’ dadurch Klarheit in einen Theil der Lehre vom Gehen gebracht, der bisher meist übergangen oder nur an- deutungsweise besprochen wurde. Man pflegt in der Beschreibung des Gehens den Körper schon in der Bewegung begriffen zu denken, die man dann von einer beliebigen Phase an bis zur Wiederkehr derselben Phase ver- folgte. Hier blieb die Frage offen: Wie beginnt das Gehen, wenn der Körper anfänglich ruhig stand? Ferner war immer vom Vorschwingen des Schwungbeines und Stemmen des Stossbeines die Rede, so dass man sich das Hüftgelenk fast ohne jeden Muskel thätig vorstellen musste. Dies ent- spricht zwar wahrscheinlich der Auffassung der Gebrüder Weber, die über- all das Prineip minimaler Muskelwirkung betonten, dürfte aber keine voll- ständige Anschauung von den wirklichen Vorgängen gewähren. Vielmehr scheint mir klar, dass die Winkelbewegung, die das Stützbein ausführt, in- dem der Körper vorwärtsrückt, ebensowohl durch active Muskelanstrengung hervorgerufen sein kann, als rein passiv durch die Thätigkeit des Stoss- beines bedingt. Beim Beginn des Gehens oder bei plötzlicher Steigerung der Geschwindigkeit, ist die active Thätigkeit der Muskeln zum Rückwärts- schieben der Füsse besonders deutlich. Auf glatter Bahn rutscht ebensowohl das Stützbein rückwärts aus, wie das Stossbein. Ein Mensch auf Stelzfüssen vermag durch active Winkelbewegung zu gehen, ohne dass eine Stemm- wirkung überhaupt stattfindet. 3. Hr. Dr. Brünn (als Gast) spricht: Ueber Verwendung von Röntgen’schen X-Strahlen zu palaeontologisch-diagnostischen Zwecken. In den wenigen Monaten, welche seit Röntgen’s Entdeckung verflossen sind, ist es in erfolgreichster Weise geglückt, die grössere oder geringere Durchdringbarkeit der Körper für X-Strahlen zu diagnostischen Zwecken in den verschiedenen Zweigen der Mediein sowie in der Zoologie und Botanik zu benutzen. Die wenigen Aufnahmen, welche ich Ihnen heut vorzulegen die Ehre habe, dürften wohl beweisen, dass man sich auch bei der palaeon- tologischen Forschung dieser neuen Strahlen mit Nutzen bedienen kann. Die Aufnahmen stammen fast sämmtlich aus den ersten drei Monaten nach Prof. Röntgen’s Entdeckung. In Folge der bevorstehenden grösseren Ferien- pause sehe ich mich veranlasst, nunmehr die bislang gewonnenen Resultate und Erfahrungen zu veröffentlichen, obgleich es mir aus Mangel an Zeit nicht möglich gewesen ist, die Untersuchungen zu einem gewissen Abschluss zu bringen. Ich gedenke vielmehr, weitere Versuche in dieser Hinsicht im Herbst wieder aufzunehmen. Anlässlich einer Aufnahme, welche gelegentlich eines Vortrages über Röntgen-Strahlen von Hın. Prof. E. Goldstein im „Deutschen Verein von Freunden der Photographie“ gemacht wurde, fiel es mir auf, dass zwei goldene, den einen Finger der dargestellten Hand umschliessende Ringe auch hinter dem Knochen des betreffenden Fingers deutlich sichtbar waren. Besonders markant trat dies an dem einen aus einzelnen Kettengliedern zusammengesetzten Ringe hervor. Ich kam in Folge dieser Beobachtung auf die Vermuthung, dass es möglich sein müsste, einen jeglichen irgendwie eingehüllten Gegenstand, wofern nur eine hinreichende Differenz in der 35* 548 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Dichte des einschliessenden und des eingeschlossenen Mediums bestand, zur Darstellung zu bringen. Freilich musste man dazu bei so dichten Substanzen, wie Gesteinsarten, einer langen Exposition bedürfen, um eine Art Summation auf der photographischen Platte zu erzielen. Hr. Prof. E. Goldstein, an den ich mich in dieser Angelegenheit wandte, theilte mir mit, dass auch er auf Grund oben erwähnter Handaufnahme zu der Annahme gelangt sei, es müsse auf diese Weise möglich sein, einen Knochen hinter dem anderen zur Abbildung zu bringen.! Mit ausserordentlichem Entgegenkommen und vielen Opfern an Zeit und Mühe fertigte darauf Hr. Prof. Goldstein unter meiner Assistenz die Ihnen vorliegenden Bilder an. Zunächst kam es darauf an, Versteinerungen, welche in einem möglichst leicht durchdringbaren Medium eingebettet waren, zur Darstellung zu bringen. Ein Brillant in dem oben erwähnten Ringe hatte sich als fast vollständig durchlässig erwiesen. Von diesem Gesichtspunkte aus gelang es, einen Selachierzahn (Diplodus) aus Permischer Kohle von Linton in Ohio leicht zu photographiren. Der Zahn selbst war schwefelkieshaltig; die Dicke der Kohlenplatte betrug 11 bis 13 ®®, die Expositionszeit für die gewöhnliche Schleussner-Platte 5 Minuten bei einem Röhrenabstand von etwa 30. Ueber die Röhren und den zur Verwendung kommenden Strom werde ich weiter unten genauere Angaben machen. Sämmtliche Objeete wurden zur photographischen Platte so orientirt, dass die X-Strahlen stets erst die ganze Dicke des Gesteins vor ihrem Auftreffen auf die eingeschlossene Versteinerung durchdringen mussten. Bei der erstgenannten Aufnahme zeigten sich auf dem Negativ noch einige helle, dem Auge am Versuchsobjeete nicht sichtbare Flecke, welche als kleine Schuppen oder eingesprengte Schwefelkiespartikelchen zu deuten sind. Ein in ebendasselbe Material eingebetteter Stegocephalenschädel trat mit seiner Bezahnung bei gleicher Exposition und Plattendicke von 6 bis 7 "® ebenfalls deutlich hervor. Hier war wegen der gleichmässig schwarzen Farbe von Schädel und einhüllender Kohle auf dem Stück für das Auge sehr wenig erkennbar gewesen. Um nun auch Versuche an einem von allen Seiten eingeschlossenen Objecte zu machen, bettete ich einen Schlüssel in einen Gypsbrei ein, den ich alsdann zu einer gleich- mässigen, etwa 2!/,°® dicken Platte, erstarren liess. Auch hier gelang es zunächst, wie in allen voraufgehenden und folgenden Fällen, den ein- geschlossenen Gegenstand mittelst Durchstrahlung auf einem (Kahlbaum’- schen) Baryumplatineyanürschirme zur Anschauung zu bringen. Immerhin verdient für die vorliegenden Zwecke die Photographie den Vorzug vor der direeten Durchstrahlung, weil — wie schon oben angedeutet — bei ersterem Verfahren durch eine Art Summation die Gegenstände bei genügend langer Exposition weit schärfer erscheinen als bei der Betrachtung auf dem Fluorescenz- schirme. Eine Photographirung des Schlüssels gelang bei Anwendung ge- wöhnlicher Platten nicht, vielmehr bedurfte es hierzu der um diese Zeit von Hrn. Reman& (von der Firma Siemens & Halske) hergestellten, für X-Strahlen ausserordentlich empfindlichen Ferrotyp-Platten. Die Exposition betrug 100 Secunden. Der Nachtheil dieser sonst sehr nützlichen Platten ! Dies Archiv, 1896. 8. 345. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — BRÜHL. 549 besteht einmal in dem sehr complieirten Entwickelungsverfahren und ferner darin, dass sie die Anfertigung von Copien nicht gestatten.! Nunmehr wurden Versuche an noch dichteren Objeeten gemacht. Es gelang durch Exposition von 5 Minuten mit Reman6-Platte ein auf unterem Devonischen Dachschiefer (Thonschiefer) von Bundenbach (im Nahethal) liegendes Aspidosoma Tischbeinianum in vollster Deutlichkeit mit allen Elementen des Hauptskelettes darzustellen. Das Petrefact selbst war stark schwefelkieshaltig, die Dicke der Schieferplatte schwankte zwischen 6 und 10”=m,. Mittelst Durchstrahlung konnten einige in ebendemselben Material eingeschlossene Trilobiten gut erkannt werden. Auch die Aufnahme einer Bundenbacher Schieferplatte von 6%” mittlerer Dieke, welche zahlreiche Crinoiden und deren Stiele enthielt, gelang gut. Das Bild zeigte (auf empfindlicher Glasplatte) bei weitem mehr Individuen und Stielfragmente als auf dem Gestein sichtbar waren, so dass es sich ‚hier zweifellos um Dar- stellung von gänzlich eingeschlossenen Petrefaceten handelt. Der Strom wurde von einem Accumulator von 8 Zellen geliefert. Es kam ein Inductor von 25°“ maximaler Funkenlänge und ein Harfen- widerstand zur Verwendung, die Stromstärke betrug etwa 4 Ampere. Als Röhre diente fast nur die von Hrn. Prof. Goldstein (a. a. O.) angegebene Form. Dieselbe befand sich während der Exposition an der Quecksilber- Luftpumpe und wurde ab und zu stärker evacuirt. Die Crinoidenaufnahme geschah mittelst einer der in letzter Zeit von der Allgemeinen Elektricitäts- Gesellschaft in den Handel gebrachten Röhre mit zwei Hohlspiegelpolen und einem unter 45° schräg gestellten, als Anode verwendbaren Platinspiegel ohne Benutzung der Luftpumpe. Die photographische Platte musste in diesem Falle mit Kupferbromür und salpetersaurem Silber verstärkt werden. Schon die geringen vorliegenden Resultate zeigen, dass es möglich ist, weit dichtere Körper mit X-Strahlen zu durchdringen, als man bisher für angängig gehalten hat. Eine während dieser Untersuchungen von Prof. Dölter in Graz veröffentlichte mineralogische Untersuchung bestätigt unsere Befunde auch für dieses Gebiet. Wie es auch, nachdem sich anfänglich die Aufnahmen auf Hände und Füsse beschränkt hatten, in kurzer Zeit durch Verbesserungen der Technik gelungen ist, den ganzen menschlichen Körper zu durchstrahlen, so muss von weiteren Verbesserungen der Röhren und der Empfindlichkeit der photographischen Platten im Verein mit sehr langen Expositionszeiten eine wesentlich allgemeinere Anwendung für palaeontologische Zwecke erhofft werden. Auf diese Weise dürfte es gelingen, prineipiell wichtige, bislang unentschiedene Fragen zu klären. So z. B. ist das Brustbein der im hie- sigen Museum für Naturkunde befindlichen berühmten Archaeopteryx unbe- kannt. Dasselbe wird von Hrn. Prof. Dames noch im Gestein liegend ver- muthet, doch ist eine Praeparation wegen der Dünne der Platte und der Kostbarkeit des Objectes nicht recht thunlich. Durch Anwendung obiger ! In neuerer Zeit werden ebenfalls von der Firma Schüler und Günther, hier, Lindenstrasse, etwas weniger empfindliche, aber immerhin noch für Röntgen-Photo- graphien vortheilhaft zu verwendende Platten auf Glas in den Handel gebracht. Letztere gestatten auch die Anfertigung von Abzügen. 550 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Methode würde man nunmehr über die für die systematische Stellung des Thieres sehr wichtige Gestalt des Brustbeines Aufschlüsse erhalten können. Zum Schlusse sei es mir gestattet, Hrn. Prof. E. Goldstein für sein ausserordentlich bereitwilliges Entgegenkommen und die Anfertigung der Bilder, den HH. Prof. Dames und Jäckel für Ueberlassung einer grossen Anzahl von Versuchsobjecten aus der Sammlung des hiesigen geologischen Institutes auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank auszusprechen. 4. Hr. N. Zuntz und Hr. Schumgurg berichten über physiologische Versuche mit Hülfe der Röntgen-Strahlen. a) Ueber die Volumschwankungen des Herzens. Die Versuche sind angeregt durch die Arbeitsversuche an marschirenden Soldaten, über welche wir Ihnen vor einiger Zeit berichtet haben." Unter den Ergebnissen jener Versuche war auffallend die in der Mehrzahl der Fälle perkutorisch und durch die Verschiebung des Spitzenstosses nachweis- bare Vergrösserung des Herzens. Die Ausdehnung betrug häufig nach rechts und links mehrere Centimeter; ausser der Volumvergrösserung des Herzens fand sich eine solche der Leber. Es wurde gegen dies Resultat der Herz- vergrösserung eingewendet, dass eine Verschiebung der Lungen nicht ausgeschlossen sei und dies liess es uns wünschenswerth erscheinen, die Ver- grösserung mit der neuen Methode, der Durchleuchtung mittelst Röntgen- Strahlen zu verfolgen. Die Möglichkeit hierzu verdanken wir der Liebens- würdigkeit des Hrn. Stabsarzt Dr. Behrendsen, welcher uns die schönen Instrumente der Kaiser-Wilhelms-Akademie zur Verfügung stellte und selbst bei Ausführung der Versuche wesentliche Hülfe leistete. Als Röhren benützten wir vorwiegend die von der hiesigen Firma Richter gelieferten, welche bessere Resultate als die von der allgemeinen Elektrieitätsgesellschaft gaben. Wenn wir uns fragen, eine wie grosse Er- weiterung des Herzens man bei Arbeit erwarten kann, so ergiebt ein ein- facher Ueberschlag, dass bei einigermaassen angestrengter Muskelthätigkeit die Menge des bei jeder Systole ausgeworfenen und umgekehrt des bei jeder Diastole einströmenden Blutes sich etwa verdoppeln dürfte Es kann nämlich ohne Zunahme der umlaufenden Blutmenge der Sauerstoff- verbrauch auf das Doppelte steigen, weil in der Norm das Blut mit mehr als der Hälfte des arteriellen Sauerstoffgehaltes in die Venen eintritt. Weiter ist ein grösserer Blutumlauf möglich durch die Zunahme der Pulszahl. Da- durch ist ein Sauerstoffverbrauch, der dreimal so gross ist, als der in der Ruhe ohne grössere Füllung des Herzens denkbar. In unseren Fällen aber war er etwa fünfmal so gross wie in der Ruhe. Nun wissen wir, dass die von jedem Ventrikel ausgeworfene Blutmenge etwa 60 °M beträgt, bei der Arbeit aber würde sie, da es nie, wie unsere Versuche am Pferde gelehrt haben, zu vollständigem Aufbrauchen des Sauerstoffes in den Capillaren kommt, mindestens 120 °" betragen. Wenn wir nun annehmen, dass die Ventrikel annähernd Kugelform haben, so muss der Durchmesser bei normaler Systole und Diastole etwa wechseln zwischen 8-9 und 9.9, während er durch die grössere Blutmenge ' Siehe Deutsche militärärztliche Zeitschrift. 1895. STEH TE EHEN ED 3. et = hl a 3 PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. Zuntz v. Schumgurg. 551 bis auf 10.7, also um 8 WM wachsen würde. So kann man nicht erwarten, eine grosse Veränderung zu finden. Dementsprechend sind die Volum- schwankungen bei der Durchleuchtung nur geringe. Es schien uns deshalb unsere erste Aufgabe, nachzuweisen, ob über- haupt derartig weitgehende Dehnungen des Herzens, wie sie bei unseren marschirenden Soldaten auftraten, möglich seien. Dieser Nachweis gelang uns leicht, indem wir den bekannten Müller’schen Versuch ausführten. Dabei erwies sich nur als eine gewisse Schwierigkeit die leicht wechselnde Stellung des Zwerchfelles, und das Individuum musste erst lernen, die Zwerchfell- linien vor und nach dem Versuch auf dasselbe Niveau zu bringen. Ich selbst konnte so eine sehr erhebliche Dilatation meines Herzens zu Stande bringen. Die Aufnahmen geschahen in der Weise, dass auf den Baryum- platineyanürschirm eine Glasplatte aufgelegt wurde und auf diese die Con- touren mit Fettstift aufgetragen wurden. Dabei wurden stets die Wirbel- säule, die Clavicula und die obersten Rippen als Fixpunkte genommen und weiter ausser den Umrissen des Herzens rechts und links der mittlere oder der höchste und tiefste Stand des Zwerchfelles aufgetragen. Durch Pausen gewonnene Copien werden demonstrirt und zeigen, dass ohne Aenderung des Zwerchfellstandes bei der forcirten Inspirationsanstrengung Zunahmen der Herzdurchmesser um 2 bis 3 *% auftreten. Wir haben uns dann weiter dazu gewandt, bei Arbeitsleistungen ver- schiedener Art das Volumen des Herzens zu messen und dabei fanden wir denn auch, was wir erwarten mussten, dass mässige Arbeit, die keine Ueber- anstrengung des Herzens zur Folge hatte, keine deutliche Erweiterung bewirkte. Die vorgelegten Pausen zeigen in einigen Fällen überhaupt keine, in anderen eine nur minimale, in wenigen doch eine erheblichere Erweiterung des Herzens. Nur bei einem leicht herzkranken Patienten haben wir eine ganz bedeutende, etwa unseren früheren Perkussionsbefunden entsprechende Aenderung gesehen. Einen Arbeiter, der das Raddrehen gewöhnt war, liessen wir in einer halben Stunde 15 000 "® am Ergostaten arbeiten und es fand sich gar keine Veränderung des Herzumfangs. Die Pulszahl war auf 128 gestiegen, es bestand starker Schweiss, aber keine Athemnoth. Wenn nun bei Fortsetzung der Arbeit bis zur Ermüdung und sogar bei leichterer Arbeit, falls das Individuum ein geschwächtes Herz hat, so erhebliche Dilatationen auftreten, wie wir sie aus der Vermehrung der umlaufenden Blutmenge nicht erklären können, dann unterliegt es keinem Zweifel, dass diese Erweiterung nur so zu Stande kommen kann, dass die Ventrikel nicht ganz ihr Blut entleeren. Wir wissen ja aus den plethysmographischen -Versuchen von Tigerstedt, dass das Herz sich nach Schädigungen nicht vollständig entleert, indem nach Beendigung der Systole noch ein erheblicher Theil des Inhaltes zurückbleibt. Den früheren Befund der Herzveränderung nach vielstündigen Märschen mit starker Belastung hoffen wir in nächster Zeit auf dem Wege der Durch- leuchtung controliren zu können, und glauben annehmen zu dürfen, dass sich, ähnlich wie bei unserem Herzkranken, dann die Arbeit emige Zeit ‚ überdauernde Erweiterungen nachweisen lassen. Wir haben dann noch auf einen Punkt Werth gelegt. In den Ver- öffentliehungen von Schott wird betont, dass das krankhaft erweiterte Herz in seinem Volumen durch leichte gymnastische Uebungen redueirt werden 552 VERHANDLUNGEN DER BERLINER könne. Davon haben wir uns dann auch überzeugen können. Aber die Effecte waren in der Mehrzahl der Fälle derart gering, dass man sie auch auf geringe Aenderungen des Zwerchfellstandes beziehen könnte, so dass beim gesunden Menschen der Nachweis, dass das Herz in der Ruhe über- dehnt sei und durch gymnastische Uebungen auf sein normales Volumen zurückgeführt werden könne, nicht sicher zu führen war. b) Wirken die Röntgen-Strahlen erregend auf nervöse Centren? Auch negative Resultate verdienen wenigstens eine kurze Erwähnung. Bekanntlich sind in allerletzter Zeit einige Mittheilungen erschienen, wonach die Röntgen-Strahlen bei langer Einwirkung erhebliche Reizung der Haut bewirkt haben. Bei den an mir angestellten Versuchen glaube ich einen leichten Hautreiz gespürt zu haben, der aber mit der Sonnenwirkung, wie man sie im Hochgebirge erfährt, an Intensität nicht zu vergleichen ist. Aber es lag der Versuch nahe, innere empfindliche Organe auf ihre Reiz- barkeit hin zu prüfen. Wir wandten uns an die Medulla oblongata. Reizung ihrer Centren musste an einer Aenderung der Pulsfrequenz leicht erkannt werden. Eine solche trat aber weder durch dauernde, noch durch oft unter- brochene, gleichsam tetanisirende Bestrahlung ein. Um bei diesen Ver- suchen die Wirkung der vom Funkeninductor erzeugten Geräusche aus- zuschliessen, ging der Apparat während der ganzen Dauer des Versuches und wurden nur die Röntgen-Strahlen zeitweise durch eine Bleiplatte von der Medulla oblongata abgehalten, ohne dass die Versuchsperson erkennen konnte, ob die Strahlen von ihr abgeblendet waren oder nicht. 5. Hr. Prof. Newton Hreynemann aus New-York (als Gast) erläutert an der Hand von Mikrophotographien die Art der Blutgefässverthei- lung im Herzen; neben der sehr grossen Dichte des Capillarnetzes er- scheint ihm besonders bemerkenswerth, dass vielfach kleinste Gefässe (Capillaren) direet aus relativ grossen Stämmen hervorgehen. Ferner macht Vortragender darauf aufmerksam, dass namentlich dort, wo mehrere Muskel- fasern aneinanderstossen, sich spiralig gewundene Gefässe finden, welche geeignet scheinen die Blutversorgung auch bei Verschiebungen und Ge- staltsveränderungen zu sichern. Die mikroskopischen Praeparate werden nach der Sitzung demonstrirt. 6. Hr. W. Cowu demonstrirt ein Röntgenbild, welches in Gemeinschaft mit Hrn. Stabsarzt Behrendsen in der Kaiser Wilhelms Akademie, hier, aufgenommen wurde. Dasselbe, dessen Object ein 9jähriger gesunder Knabe war, zeigt in sehr vollkommener Weise die Knochen des Skelets vom sechsten Halswirbel bis zu den Diaphysen der beiden Femora wie auch die seitlichen Umrisse der Lungen und des Herzens. In Bezug auf letztere, auf die allein die Aufmerksamkeit gelenkt wurde, ist der Schatten, welcher das Herz, unzweifelhaft in der diastolischen Phase, darstellt, wegen seiner Breite besonders auffallend. Die Breite beträgt mehr als den halben Querdurchmesser des Brustkorbes. In diesem Punkte, wie auch in Betreff eines augenscheinlichen Tiefstandes des Herzens, stimmt PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. ÜowL. 5553 dieses Bild mit früheren vom Vortragenden aufgenommenen Röntgenbildern des Brustkastens jugendlicher Individuen überein.! Deutlicher, als dies bisher geschehen, erscheinen auch auf dem vor- gelegten Bilde, in Folge der Durchlässigkeit der Weichtheile des Versuchs- individuums, die grösseren Gefässe der rechten Lunge, welche, worauf schon früher ! aufmerksam gemacht, in Röntgenbildern des Brustkastens, die das Herz zeigen, zu erkennen sind. Die demonstrirte Aufnahme erfolgte mittelst eines grossen Funken- inductors, der Kaiser Wilhelms Akademie gehörig, und eines Richter’schen Entladungsrohres, welches aus früher ? von mir in dieser Gesellschaft her- vorgehobenen Gründen so weit von der empfindlichen Platte aufgestellt wurde, dass das Herz und die vorderen Enden der Rippen auch deutlicher zum Vorschein kamen. ! Eine solche Aufnahme ist zum Theil abgebildet und zugleich mit anderen Auf- nahmen besprochen in der Nr. 30 der Berliner klinischen Wochenschrift, erschienen am 24. Juli. 2 Dies Archiv. 1896. S. 364. En, a Fu Br ES OR Y Archiv KAnat.u.Piys.189b. Phys. Abthlg. WERT: gq Fig.3. Tig.6. HJ Harcburger del Verlag Veitg ( omap. Leipzig Archiv 1-Anad u Py5.1896. Phys, Ahthlg. A: Halldel Verlag Veit& Comp. Leipzir Archww fAnatu.Phys.1896. Phys. Abthilg. Tarll nal AIUN! re Le Iailt ie te dr NN TR Au } j auSaaE I R . ei eh er ciebiei ei rhieich u 5 BIENEN DEN N I NAFNNNI NASE Ar WEN 7 De Dres, N Rechter Phrenicus durchschnilten. ıq Veit& Comp. Leipzig Ki hehirockocentcke ArchwI_Anaku. Phys: /896. Phys. bihlg. Taf N. Archiv f. Anat. u. Phys. 1896. Phys. Ahthlg. Zend 3c.ud. 6 Fig. 4b, Fig. 2a, Fig. 2) Fig. 5a. Fig. 4a. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Taf. V7. Archiv f. Anat. u. Phys. 1896. Phys. Abthlg. Fig. 6. \6b Fig. 8b. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. a er se Re Na Archiv 1 AnatuPhys.18%. Phys Abthlg. InkUH Fig.d Ran ANIMAL I vmM Veil & Comp hut. ‚Phıys.1896.Phys.- 2 Archiv Anal u. Phyys.1896.Phys.Abthlg TafU Fig 38. 7 mM Mt. m ET Fuhhichhhhiähhhächhhhtt ih ; Veit 8:Comp. Try 07 Archw I Anaku Phys.1836. Phys. Ihthig. Y wVVYVYvVvavovvv \mnmIYNN * * Veıl& Comp Arco AnatuPhys1896 Phys Abthly TafX. 100 090 080 070 060 050 040 030 ORO 010 o 010 020 030 040 050 060 070 080 090 100 Veit & Comp ALLEN, N AN Archin (Anal. Bhy5.1896. Phırs. Abthlg. b nnnnzannnnnn NANNNNNN h! A Vaw WININNNMNNMANNNN Fig. 2. EETEEEERERENE EV U IT TU 2 ANNNNNNNNNNNINNNV 2 A N y y ji K N ma at unnman 1 Rn n vun Nm a Y DIV DNININNN VUN AUT N MN II N IM IUNWAZUN AN EN Fig.o III NITINAA IN AN N Fig. NN NENS IIINIRINLALNININEN UN EN Verlag Veit &Comp. I b TarAT . /K Lg. Ö. IIND PANNE F 17 I: IAAAMAMNMUAA AM UM MAMA MAMA d UA ÄUNINNNAAAN NN DENN ZINN ANNANNAM NN NN LNIn INNEN lg. /O0 122 ALLA NAAATANAAT AAN = ns Archiv f-Anatıu.Phy5.1896. Phys. bthlg. Fig.12. Fig.It. ee Ja£A, +— -- “ 1 Luft ee ——! ms) | | I} a ee nella Athmung, co ZN = 7 | ee er LT “. e | 1 ser re a en | Fig 16. \iı vl \ IUITTREERITIERN Ay un N Fe Fa nl” LAT a F ig /6 1 JUDEN FTIR erlag Veit &Comp. Leipzig De see n ae a Archiv FAnat.u.Phyy5.1896 Phys Abthlg TuEXIN, Figl“ Fig.1d SINE TEN EIN N 0 Fig.Ie An vVvNV Fig3E Fig3d Fig.6 ZE IN / WIN WW VVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVU/UYVVVVVVVVYVVYVV WVVVVWV Veit &Comp Archivt-Anat.u.Ph1y51396. Phys Ablhlg TuakXIE Fig. Fig.8 € Verlag Veit &Comp. Leipzi SER nsartet “ Re u 1 el Se A ae TE { By = dl Zah Fe u nl u a 7 = 1 0 Physiologische Abtheiluns. / 1896. I u. II. Heft. ' FORTSETZUNG DES VON REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, mvyı3136 ARCHIV or oa | ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. f REICHERT v. DU-BOIS-REYMÖND HERAUSGEGEBENEN. ARCHIVES. ; HERAUSGEGEBEN voN = Dr. WILHELM HIS, K “ PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT. LEIPZIG, UND ; > - De EMIL DU BOIS-REYMOND. JAHRGANG 1896. eo. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — ERSTES UND ZWEITES HEFT. 3 MIT NEUNZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND SECHS TAFELN. LEIPZIG, 'YERLAG VON VEIT & COMP. ; SI. FE In u 7 ie Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des Iı- und Auslandes. (Ausgegeben am 26. März 1896.) In h al b a Varel a Seite WVERNER hKOsENTHAL, Hat aan: des Luftdruckes einen Einfluss auf die Muskeln und das Nervensystem des Frosches? . 1 M.x-Mönpen, Ein Beitrag zur Granulafrage - . - eh 22 H. J. Hamsurger, Ein Apparat, welcher gestattet, die ek von Wiltration und Ösmose strömender Flüssigkeiten bei Kamen Membranen zu studiren. (Hierzu "Taf. 1.) . ; 36: Wıin®..S. Harz, Ueber das Verhalten des Eigen: im "phterigohen Gans. (Hierzu Taf. II.) 3 9 Pıusr MaAsoin und Ren£ Du Boıs- ne ur ns: von dr Function’ A Museuli intercostales interni. (Hierzu Taf. IH) . .. . r 85 N. A. Mıstawsky und A. E. SmIrnow, Weitere Untersuchungen über & 2 Speichelseeretion. -(Hierzu-Fal> IV.) > 2... ungen en 93: 73 W. v. BECHTEREw, Ueber die Empfindungen, "welche vermitteldt der. sog. Gleich. gewichtsorgane wahrgenommen werden, und über die Bedeutung dieser Empfindungen in Bezug auf die Entwickelung unserer kaumvorstellungen 1052-8 Wine. 8. Hass, Einige Bemerkungen über die Herstellung eines künstliehen - Futters -. FR Ba 142 Ren# Du Bois- Hesntonp, Hehe, de sion ROSS = 154. 9 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1895— 96 . 3, Lo : Cr. vu Bois-Reymonn zeigte mit dem Kalklicht-Apparat Photographien des Dr. J. Joly in Dublin. — D. Hansumann. Ueber die grossen Zwischen- zellen der Hoden. — Rawırz, Ueber den Einfluss verdünnten Seewassers auf die Furchungsfähigkeit der Seeigeleier. — Pauu Schurrz, Demonstration . der Knochenathmung der Vögel am Humerus der Ente. — IMMANUEL Mung, 2 Ueber das zur Erzielung von Stickstoffgleichgewicht nöthige Minimum von = -. Nahrungseiweiss. — Cowr, Ein allgemeiner Thierhalter und ‚Operations- “brett. (Hierzu Taf. V u. VI.) — $. Rosensere. Zur a, der angeblichen - Regeneration des Duetus choledochus. RE TE Die Herren Mitarbeiter erhalten wserzig Separat-Abzüge ihrer Bei träge gratis. ee Kae Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Reymond. ; in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. _ Bestehen die Zeich- ” nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. - Physiologische Abtheilung. 1896. III. u. IV. Heft. AUG 12 1896 79° ARC HIV ANATOMIE UND. PIIYSIOLOGIE, Ponserzuke DES von REIL, REIL v. AUTEN RIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, - REICHERT vu. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, 2 UND Dr. EMIL DU OS BE Non PROFESSOR DER PNYSIOLOGIE AN DER. UNIVERSITÄT BERLIN. I KERGANG 1896. _—— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT SIRBENUNDZWANZIG ABBILDUN GEN IM TEXT UND VIER TARELN .. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1896. | Zu beziehen dur ch. alte Buchhandlungen. des In- und Auslandes. (Ausgegeben. am 2. Juli Inhalt. — = R. NicoLAıpes, Ueber eine einfache Vorrichtung, die Dehnungscurve des Mus- 32 kels darzustellen .°. .. a ER ee BEE Mıx LEwAnDowsKY, Die Begaliung der Mihmnne, (Hierzu Taf. VII—IX.) .. 195. S, Hınnersoun und StEin-BErNsTein, Ueber die Wärmecapaeität des Blutes . 249 A. BEnepicentı, Ueber die Alkoholausscheidung durch die Tungen 2. %.%,..255) Max Münoen, Zweiter Beitrag zur Granulafrage . . . 269 RoBERT Arren, Die longitudinale Attraction Wanzent der isötonikahen Muskel- gi zuckung. (Hierzu Taf. X)... . . er 994 H. J. HAMBURGER, Ueber den Einfluss des Hiiraahdonnalen Dale auf die > Resorption in der Bauchhöhle. II. Beitrag zur Lehre von der Resorption 302 H: J. HAMBURGER, Ueber den Einfluss des intraabdominalen Druckes auf den allgemeinen arteriellen Blutdruck . . .. HERE NETEIST Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft. zu Berlin 1895 96 ae 338 G. JoACHIMSTHAL, Ueber selbstregulatorische Vorgänge am Muskel.- N. Zuntz, Ueber die Bedeutung der Galle und des Pankreassecretes für die Resorption -der Fette. — Huco Aroranr, Ueber das Ganelion ciliare. — E. GorpstEin zeigte einige Bilder, die er nach dem Röntgen’ schen Ver- - fahren auf photographischen Platten aufgenommen hatte. — G. ABELSDORFE, Ueber Sehpurpur und Augenhintergrund bei den Fischen. — €. BEnDA, Ueber den Bau der blutbildenden Organe und die Regeneration der Blut- elemente bein Menschen. — J. FRENTZEL demonstrirt von ihm mit Hülfe der Röntgen-Strahlen angelertigte Photographien. — Leon Asser und Fritz Lüscher, Ueber die elektrischen Vorgänge im Öesophagus während des Schluckactes. — Max RoTHmAnn, Ueber die seeundäre Degeneration der Pyramidenbahn nach einseitiger Exstirpation der Extremitätencentren der Hirnrinde. — N. Zunsz, Ueber Prüfung des Gesetzes von der Erhal- tung der Energie im Thierkörper. — G. H. F. Nurraus und H. THIERFELDER, Weitere Untersuchungen über bakterienfreie Thiere. — Cow, Ueber Rönt- gen’sehe Dichtigkeitsbilder. — ImmAnueL Munk, Muskelarbeit und Eiweiss- zerfall. — W. CoHNsTEin, Kritik einiger neueren Arbeiten über es NE der Lymphbildung. - > Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge Bei- träge gratis, Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an MN Professor Dr. E. du Bois- Reymond in Berlin, N.W.; Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzsehnitten sind- auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupfersteeher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Physiologische Abtheilung. 1896. V. u. VI. Heft. AR cHl v iss : “ -FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, "FORTSETZUNG Des von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH, MÜLLER, . REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBE N . PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND "Da. EMIL DU BOIS-REYMOND, _ PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. J AHRGANG 1896. = PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. Sure, FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT FÜNF ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIER TAFELN. | En Dr. WILHELM HIS, a LEIPZIG VERLAG VON VEIT & COMP. | 1896. | - Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. z “ (Ausgegeben am 28. Da: 1896.) Inhalt. ; , Seite J. SEEGEn, Muskelarbeit und Glykogenverbraueh. I. . . Rs SB A. BENEDICENTI, Die - Wirkung der Kohlensäure auf die ne (Hierzu Tal RUUSXI Ey Bee ren re peren er er AS H..J. Hamgurser, Ueber den Einfluss des intraintestinalen Druckes auf die Resorption im Dünndarme. IV. Beitrag zur Kenntniss der Resorption . . 428 Ü. SPECK, Ueber die Regulation der Athemthätigkeit . : . . 465 Max LEwAnDowsKy, Die Regulirung der Athmung. (Hierzu Tat. xım u. xıv) 483 J. SEEGEN, Muskelarbeit und Glykogenverbrauch. III. . . rat Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1895—96 . ... . 524 Levy, Ueber Durchleuchtung des Thorax mittelst Röntgen-Strahlen. — Ren£ pu Boıs-Reymonn, Mittheilung zu Vorstehendem. — GEUNMACH, Ueber die Ergebnisse seiner Untersuchung bei mehreren Krankheitsfällen mit Hülfe der Röntgen-Strahlen. — J. HırscHBErg, Ueber Blutgefässe der Hornhaut. — S. RosEnBERG, Ueber den Einfluss des Pankreas auf die Ausnützung der Nahrung. — Meissner, Zur Photographie des Augenhintergrundes. — SCHUMBURG, Ueber den Einfluss des Zuckergenusses auf die Leistungsfähigkeit der Musculatur. — N. Zuntz, Ueber die Rolle des Zuckers im thierischen Stoffwechsel. — P.SCHYLTZ, Zur Physiologie der längsgestreiften Muskeln. — REx£ Du Boıs-Reymond, Mittheiiungen zur Mechanik ‘der unteren Ex- tremität. — Brünr, Ueber Verwendung von Röntgen’schen X-Strahlen zu palaeontologisch -diagnostischen Zwecken. — N. Zuntz und ScHUMBURG, Ueber physiologische Versuche mit Hülfe der Röntgen-Strahlen. — NEwToN HEYNEMANN erläutert die Art der Blutes Eyerike une im Herzen. — Cowu demonstrirt ein Röntgenbild. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis. x Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern. beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Acme Bookhinging Co., Inc. 306: Summer Street Bostar Mass. 02210 INN 3 2044 III I 332 534 ® * r Fe) ® FE et er we N © 2X 5.084 ur “ RO) Ua % Br v% ä u 4 ar Br f Ki DER) RT IR f En wen urn ® NT DAN; Pd tr AREA dt E27, £ £rt 253 e74 e IN w/iıha, . ER BI FER, LE B ERBE Pe ERERN r EB) Fr, rent 2.03 198 4 Br 5) 5 dere (ar) PR ü D go“ ‚ lan N SC HR ! ur yi ots 5 \® .‘ j « . BPRL ni ar ‘ \ '