EINRVARDUNIVERSEINZ IEBIEIAGEING OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLO@GY. a NIE SS ah ee 3 a OR rei ARCHEN FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETA, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZI 6, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1899. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1899. ARCHIV EHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1899. “MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND ACHT TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1899. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt. HEINRICH GERSTMANN, Ueber Irradiation. (Hierzu Taf. I.) LEHE, P. Meissner, Ueber Kataphorese und ihre Bedeutung für die Theranieh) (Hierzu Taranle) = RE RA WILHELM CONNSTEIN, ar: ehe von A Mekhenrinon ELLENBERGER, Die Eigenschaften der Eselinmilch . R. W. Raupnıtz, Zur Lehre von der Milchverdauung DENN RE, AngGELO PusLiese, Beiträge zur Lehre von der Milzfunction. Die Absonderung und Zusammensetzung der Galle nach Exstirpation der Milz . H. Krause, Zur Frage der „Posticuslähmung“ . N J. KATzenstein, Ueber die Degenerationsvorgänge im Neu gen superior, N. laryngeus inferior und N. vagus nach ee (Hierzu Taf. III.) 5 a G. MARINESCo, esherchess sur ik ll de I eeltule nerveuse. Mika Taf. IV.) EDwARD FLATAT, Ueber die Localisation der Rückenmarkscentren für die Muscu- latur des Vorderarmes und der Hand beim Menschen MAx RoTHMAnN, Ueber die secundären Degenerationen nach Ausschaltung des Sacral- und ee durch Rückenmarksembolie beim Hunde. (Hierzu Tat V.) . ; Ta. ZIEHEn, Ein Baier zur ehe von ln Berichungen mischen Ten and Function im Bereich der motorischen Region der Grosshirnrinde mit specieller Rücksicht auf das Rindenfeld des Orbicularis oculi 5 R. pu Boıs-Reymonn und P. SıLex, Ueber corticale Reizung der Aennealin E. Menper, Ein Fall von Worttaubheit 3 Max Dessoır, Die „Lebenskraft“ in der Piasiolosie, de 18. Tahehunder Ä J. OrscHansky, Die Thatsachen und die Gesetze der Vererbung BERNHARD Rawırz, Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse. (Hierzu Taf. v1) WALTHER MeEnKE, Ein Fall von Verdoppelung der Zeigefinger. Zugleich ein Beleg für den Werth der Röntgenstrahlen zur Beurtheilung angeborener Anomalien. (Hierzu Taf. VII.) Preusse, Zur Lehre von der Nana © A. Kuttner und J. KATzEnsTeın, Experimentelle Bee zur SER elogie ak Kehlkopfes . J. Teres, Ueber die et des kkikolen lenken kon Be standtheile des Thierkörpers von der Temperatur . Re 5 W. Cowr, Versuche über schwach-polarisirbare Metallelektroden . Ä : M. LEwAnDowsky, Der Contractionsverlauf eines glatten Muskels vom Warn blüter bei Reizung seines Nerven 112 120 158 174 185 195 214 236 245 255 274 288 326 352 VI INHALT. M. LEwAanpowsky, Ueber die Wirkung des Nebennierenextractes auf die glatten Muskeln, im Besonderen des Auges A. Kornınck, Versuche und Beobachtungen an ee nansen : WirLHeLm RörH, Ueber die Permeabilität der Capillarwand und deren Bedeninns für den Austausch zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit RiCHARD Von ZEYNEK, Neue Beobachtungen und Versuche über das Methämo- globin und seine Bildungsweise at G. Hürner, Nachträgliche Bemerkungen zu Dr. v. Dernelie Versuchen die die Bildung des Methämoglobins betreffen 5 W. v. BECHTEREw, Untersuchungsergebnisse betreffend die Kivegbankit des on teren Abschnittes des Stirnlappens 5 Hans Korrpe, Die Volumensänderungen rother Bletscheiben in "Salelosmısen R. NıkoLAıDEs, Ueber den Fettgehalt der Drüsen im Hungerzustande und über seine Bedeutung. (Hierzu Taf. VIIL) . Borıs BIRUKOFF, Ueber die Wirkung einer Ersehzötkiken era ver age! nerven auf das Athmungscentrum Ä en I ac H. FRIEDENTHAL und M. LEWANDOWSKY, Tieben das Verbalten des Hrbrischen Organismus gegen fremdes Blutserum . i Ostmann, Zur Function des Musculus stapedius Heim Hosen 2 M. LewAnpowsky, Mittheilungen zur Athmungslehre. I. Versuche zur Konmities der Wirkung des Diacetylmorphin (Heroin) Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1898—99. W. STERNBERG, Geschmack und Chemismus D. HAnssMmAnn, Bericht über das Gehirn von Be: von eier N. Zunzz, Zwei Apparate zur Dosirung und Messung menschlicher Arbeit (Brems- ergometer) . ; C. BenpA, Weitere Mittheilimben ber die Mitochonden e J. FRENTZEL, Ueber den Einfluss der Nährstoffe auf die Belebung erihideter Muskeln C. HAMBURGER, Weitere Beobachtlingen über an DAY STologizchen Papillenabschliäs SIEGMUND TÜRK, Untersuchungen über die Entstehung des physiologischen Netz- hautvenenpulses . : BENEDICT FRIEDLAENDER, Weber noch Wehe hekanılte Kodiiäche Einfllisse en physiologische Vorgänge . W.Cowr, Ueber die Lageänderung der ae va der Ahnung und deren Darstellung auf dem Röntgogram mittels eines Rheotomverfahrens . L. Brönt, Ueber Fremdkörper im Elfenbein E. Rost, Ueber das Schicksal des o-Oxychinolins ug zur "Kehninind der Als. scheidung der gepaarten Schwefelsäuren im Hundeharn . C. Benpa und F. Perurz, Ueber ein noch nicht beachtetes Strnefurverhältmiss des menschlichen Hodens . N. Zuntz, Ueber eine Methode zur Okukeatmldng un Kndybe von Bar. Uhl Gährungsgasen Seite 360 389 416 460 491 500 504 818 525 531 546 560 367 371 372 376 383 966 568 570 574 575 976 577 579 MAR 11 1899 Ueber Irradıatıon. 0 Von Dr. Heinrich Gerstmann in Charlottenburg. (Hierzu Taf. 1.) Man verstand seit langer Zeit unter Irradiation die Erscheinung, dass hell beleuchtete Gegenstände unserem Auge grösser erscheinen, als sie wirk- lich sind, während die benachbarten dunklen Flächen um den gleichen Betrag kleiner erscheinen. J. Plateau hat in seiner Litteraturzusammen- stellung für Irradiationserscheinungen! die ersten Spuren von aufgeschrie- benen Zeugnissen für Irradiationsbeoachtungen bis in die Mitte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung verfolgt, ja es ist sogar möglich, dass schon Epikur eine Bemerkung über die Irradiation uns hinterlassen hat. In neuerer Zeit hat man jedoch unter Irradiation auch die Er- scheinung verstanden, bei der dunkle Flächen grösser erscheinen, als be- nachbarte helle, also allgemein die scheinbare Vergrösserung einer Fläche auf Kosten der benachbarten; man hat jetzt also zwei ganz verschiedene Erscheinungen mit demselben Namen bezeichnet. Wenn v. Helmholtz einmal? sagt: „Daraus, dass die Empfindungsstärke der objeetiven Lichtstärke nicht proportional ist, erklärt sich nun weiter eine Reihe von Thatsachen, welche man bisher unter dem Namen der Irradiation zusammengefasst hat und welche das Gemeinsame haben, dass stark beleuchtete Flächen grösser erscheinen, als sie wirklich sind, während die benachbarten dunklen Flächen um ebenso viel kleiner erscheinen,“ und ein anderes Mal:? „Indessen ist vielfältig der Name der Irradiation auf die \ Memoires de l’academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique. T. XL. ” Physiologische Optik. 2. Aufl. S. 394. 2 .Ebenda. 8. 398. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 1 2 HEINRICH GERSTMANN: Bildung der Zerstreuungskreise überhaupt angewendet worden, auch wo man diese als lichtschwächere Theile des Bildes erkennt. ... Namentlich hat Volkmann gefunden, dass sehr feine schwarze Fäden auf weissem Grunde ebenso wie weisse auf dunklem Grunde für breiter gehalten werden, als sie sind, während die bisher betrachtete Art der Irradiation immer nur das Hellere vergrössert,“ so halte ich es für sicher, dass er zwei ganz ver- schiedenartige Erscheinungen beschreiben wollte und beschrieben hat, dass es ihm aber, nachdem nun einmal von Anderen für diese beiden ver- schiedenen Erscheinungen derselbe Name gewählt war, überflüssig erschien, verschiedene Namen dafür zu schaffen. Um es also ganz scharf zu sondern: Unter Irradiation versteht man erstens die Erscheinung, dass feine helle Fäden auf dunklem Hintergrund und feine dunkle Fäden auf hellem Hinter- grund breiter erscheinen, als sie wirklich sind, und der Hintergrund um ebenso viel schmäler; zweitens versteht man unter Irradiation die Er- scheinung, dass stark beleuchtete helle Gegenstände von beträchtlicher Oberfläche (also nicht Fäden) neben dunkleren Flächen grösser erscheinen, als sie sind, auf Kosten der um den gleichen Betrag verkleinert erscheinen- den dunkleren Flächen; das eine Mal handelt es sich um hellere oder dunklere Fäden, das andere Mal nur um hellere Flächen. Um diese letztere Art der Irradiation handelt es sich bei den bekannten Erscheinungen, dass die helle, von der Sonne beleuchtete Mondsichel einen grösseren Radius zu haben scheint, als das nur vom reflectirten Erdlicht ganz schwach be- leuchtete, das Supplement der Mondsichel bildende Stück der Mondober- fläche, dass Hände in weissen Handschuhen grösser erscheinen, als in schwarzen u. dergl. mehr. Fiele diese letztgeschilderte Art der Irradiation zusammen mit jener anderen — ich will sie einmal zur Unterscheidung als Fadenirradiation bezeichnen —, bei der helle Gegenstände auf dunklem Grund und dunkle Gegenstände auf hellem Grund vergrössert erscheinen, so wäre es unmöglich, dass ein weisses Quadrat von 1 Oberfläche auf schwarzem Papier grösser erscheint, als ein schwarzes Quadrat von 14m Oberfläche auf weissem Papier, denn in beiden Fällen müsste ja dann. auch hier, wie es bei der Fadenirradiation wirklich der Fall ist, der Quadrat- centimeter gegen die Umgebung vergrössert erscheinen. Auf Seite 395 führt aber v. Helmholtz in der physiologischen Optik das hier erörterte Beispiel an, und damit ist der Beweis erbracht, dass er, wie ich, zwei Arten der Irradiation unterscheidet. Andere Autoren dagegen gehen von der Ansicht aus, dass beide Arten der Irradiation identisch seien, und sie kommen auf diese Weise zu unlösbaren Widersprüchen. Volkmann z.B. sagt:! „Experimentirt man.z. B. mit verschiedenfarbigen aber gleich grossen I Physiologische Untersuchungen im Gebiete der Optik. Heft 1. 8.25. oc ÜBER IRRADIATION. Scheiben auf verschiedenfarbigem Grunde, so erscheint auf schwarzem Grunde eine weisse Scheibe grösser als eine graue, und auf weissem Grunde eine schwarze Scheibe kleiner als eine graue. Diese Erfahrungen widersprechen den unter Nr. 9, 10, 11 mitgetheilten“ (in diesen Versuchen werden schwarze Linien auf weissem Hintergrunde und weisse Linien auf schwarzem Hinter- grunde betrachtet) „und es hat mir nicht gelingen wollen, den Widerspruch aufzulösen.“ Was übrigens die Berechnung der quantitativen Verhältnisse der Faden- - Irradiation anlangt, so begeht Volkmann da einen prineipiellen Fehler. Er behandelt?! feine Parallellinien, die auf Kosten des zwischen denselben ge- legenen Raumes verbreitert erscheinen. Nun sagt er: „Bezeichnet man die Breite der Linien mit 3, die Breite ihrer gegenseitigen Distanz mit D und die von der Irradiation abhängige Verbreiterung der ersteren mit Z, so ist die Aufgabe, Parallellinien herzustellen, deren Distanz genau so breit als die Linien erscheint, gelöst, wenn B+Z= D-Z, und folglich Z = zei ist.“ Dabei wird nun aber übersehen, dass jede der parallelen Linien nicht nur auf Kosten des zwischen ihnen gelegenen Raumes verbreitert erscheint, sondern auch auf Kosten der Begrenzung nach der anderen Seite hin; denn dieselben Bedingungen, durch welche die Verbreiterung nach der der zweiten Linie zugewandten Seite veranlasst wird, herrschen auch auf der anderen Seite der Linie vor. Wenn also auch die Distanz zwischen den beiden Linien ebenso breit erscheint, wie die beiden Linien selbst, so ist die Verbreiterung, welche die beiden Linien erfahren haben, nicht so gross, wie der Verlust, den der dazwischen liegende Raum er- leidet, sondern jene Verbreiterung der Linien ist gleich der Summe dreier Verluste: erstens des Verlustes, den der zwischen den parallelen Linien liegende Raum erfuhr, zweitens des Verlustes, den der an die eine der Parallelen grenzende Raum erfuhr, und drittens des Verlustes, den der an die andere der beiden Parallelen grenzende Raum erlitt. Doch dies sei nur beiläufig erwähnt. In Bezug auf die Erklärung der Irradiation stellte man nun merk- würdiger Weise nur solche Theorien auf, die wohl! für die Faden-Irradiation passen, nicht aber für die Flächen-Irradiation. Von den beiden hauptsäch- lieh in Betracht kommenden Theorien, der physiologischen, welche die Irradiation durch Mitanklingen von Nerventheilchen erklärt, die denen be- nachbart sind, welche von Sehreizen getroffen werden, die von äusseren Gegenständen ausgehen, und der physikalischen, welche die Erscheinung auffasst als eine Wirkung der unvollständigen Accommodation, in Folge deren von dem gesehenen Gegenstande kein ganz scharfes Bild erscheint, aaO SE: ai 4 HEINRICH GERSTMANN: sondern sich auf der Netzhaut Zerstreuungskreise bilden, die das Object grösser erscheinen lassen, ist zur Zeit die letztere wohl allgemein als die richtige angenommen. Volkmann freilich erklärt die ganze Erscheinung lediglich für eine Urtheilstäuschung; er sagt:! „Ich behaupte also, der Vorgang der Irradiation beruht darauf, dass von zwei neben einander gelegenen und ungleich hellen Feldern dasjenige verbreitert werde, welches auf die Seele den vorwiegenden Eindruck macht. Was aber das Prä- dominiren des Eindrucks anlangt, so ist dies von zwei Bedingungen ab- hängie, von dem Hellen im Gegensatz zum Dunkeln, und von dem Objecte im Gegensatz zum Grunde. Von diesem Gesichtspunkte aus sind die meisten Erscheinungen der Irradiation vollkommen verständlich,“ und immerhin mögen solche rein psychischen Verhältnisse zum Entstehen der Erscheinung mitwirken, aber hauptsächlich kommt bei der Faden-Irradiation wohl die rein physikalische Thatsache der Dispersion mit den durch sie auf der Netzhaut hervorgerufenen Zerstreuungskreisen in Betracht. Diese Erklärung aber auch auf die Irradiation zer !&oynv, auf die Flächen- Irradiation anzuwenden, hindern zwei Erwägungen. Erstens verlangt die gedachte Erklärung, dass wir nie vollkommen accommodiren, niemals wirk- lich scharfe Bilder sehen. Die alltägliche Erfahrung aber lehrt uns, dass wir vielfach so feine Contureinzelheiten, so kleine Gegenstände sehen, dass, wenn auch die Abbildung eines Punktes auf der Netzhaut selbst bei best- möglicher Accommodation nicht in einem mathematischen Punkt erfolet, die Abweichungen jedenfalls zu vernachlässigen sind und nicht die Be- deutung haben, die nöthig wäre, um auch bei scharfer Accommodation die in der Irradiation liegende Vergrösserung der hellen Fläche entstehen zu lassen. Zweitens muss, wenn die Irradiation durch Zerstreuungskreise ver- anlasst wird, die durch diese Zerstreuungskreise beleuchtete Fläche dunkler, ‚als die objeetiv beleuchtete sein und heller, als die benachbarte objectiv dunkle, wir würden also nicht die helle Fläche vergrössert sehen, sondern zwischen der hellen und der dunklen Fläche einen Saum von mittlerer Helliskeit. Nun wird gesagt, wir seien nicht im Stande, den Helligkeits- unterschied zwischen der hellen Fläche und dem halbhellen Saum wahr- zunehmen, sondern die helle Fläche und der halbhelle Saum erscheinen uns gleichmässig hell und hierdurch erscheine uns eben die helle Fläche ver- grössert. Nun ist ja die Empfindlichkeit des Auges so begrenzt, dass bei sehr greller und bei sehr schwacher Beleuchtung kleinere Helligkeitsunterschiede nicht mehr wahrgenommen werden, aber bei der mittleren Beleuchtung, in der wir gewöhnlich sehen und in der wir auch die durch Irradiation ver- grösserten Flächen sehen, sind Helligkeitsunterschiede, wie der zwischen ıA.2.0. 8.41. ÜBER IRRADIATION. 5 einem direct beleuchteten Gegenstande und einem durch Zerstreuungskreise hervorgerufenen Saum, noch deutlich wahrnehmbar; solche Unterschiede nimmt zum Mindesten das geübte Auge des Physikers, des Malers, des Photographen wahr, und auch solche Augen sehen bei der Irradiation keinen halbhellen Saum um die helle Fläche, sondern eine gleichmässig helle, ver- grösserte Fläche. Darnach behaupte ich, dass die Flächen-Irradiation nicht durch die bisher erwähnten physikalischen, physiologischen und psychologischen Gründe — Zerstreuungskreis, Miterregung benachbarter Nerven, Urtheilstäuschung — erklärt werden kann; ich meine vielmehr, dass die Flächen-Irradiation durch Beugung des Lichtes hervorgerufen ist. Wenn sich das Licht nach allen Seiten ausbreitet, so ist nicht abzu- sehen, warum nun das seitlich ausgebreitete Licht nicht auch auf das Auge einen Reiz ausüben sollte, so dass die beleuchtete Fläche um das Raum- stück, in dem das seitlich ausgebreitete Licht noch intensiv genug ist, um vom Auge wahrgenommen zu werden, vergrössert erscheint. Um zu prüfen, ob diese Annahme richtig ist, ob also die Flächen- Irradiation auf Beugung des Lichtes beruht, kann man sich an die Photo- sraphie wenden. Macht sich die Beugung auf der Netzhaut des mensch- lichen Auges bemerklich, so lässt sich annehmen, dass sie sich auch auf der photographischen Platte zeigen wird; und umgekehrt: können wir photo- graphische Platten aufweisen, bei denen das Bild heller Flächen durch Beugung vergrössert, das Bild dunkler Flächen auf hellem Grund verkleinert erscheint, so ist mit aller hier zu erreichenden Sicherheit dargethan, dass auch im menschlichen Auge die Beugung es ist, welche solche subjective Vergrösserungen heller und Verkleinerungen dunkler Flächen veranlasst. Nun sieht man vielfach bei Photographien totaler Sonnenfinsternisse, bei denen neben der verfinsterten Sonne Protuberanzen auftreten, Spiegel- bilder dieser Protuberanzen auf der der verfinsterten Sonne entsprechenden dunklen Bildstelle. Nachstehende Figur ist die Reproduction einer photographischen Auf- nahme der totalen Sonnenfinsterniss vom 19. August 1887. Das Original- photogramm wurde mir zur Herstellung der Reproduction von Hrn. Prof. H. W. Vogel gütigst überlassen, wofür ich diesem meinen verbindlichsten Dank hier abstatte. Die Aufnahme wurde von dem Hrn. M. Sugiyama vom Observatorium in Tokio, in dem japanischen Orte Yomeiji-yama (138% 59” 23” östlicher Länge, 37° 31’ 15” nördlicher Breite, Seehöhe 115%) um 38 42° 6”.2 p. m. (34” vor dem Ende der Totalität) her- gestellt. In der Figur bedeutet a die verdunkelte Sonnenscheibe, 5 die Corona, c eine am SE-Rande der Sonne aufgetretene Protuberanz und d 6 HEINRICH GERSTMANN: eine Einbuchtung in die Sonnenscheibe, welche nach Lage und Contur das Spiegelbild der Protuberanz c darstellt. In „Astronomy and astrophysics“, T. XII, 1893, ist auf Taf. 39 eine Abbildung der Sonnencorona gegeben, wie sie sich während der totalen Sonnenfinsterniss vom 16. April 1893 zeigte; die von F. M. Schäbeler in Chili, 76° 19’ westlicher länge, 28° 27’ südlicher Breite, 6600 amerik. Fuss (also 2013”) Seehöhe hergestellte Abbildung zeigte eine grosse Zahl von kleineren und grösseren Protuberanzen mit Spiegelbildern auf der dunkeln Sonnenscheibe; ich zählte ihrer 20. [© d a b a = Verdunkelte Sonnenscheibe. c = Protuberanz. b = Corona. d = Einbuchtung in die Sonnenscheibe. Solche Beispiele von durch die Spiegelbilder der Protuberanzen charakterisirten Photographieen totaler Sonnenfinsternisse lassen sich leicht noch mehrfach beibringen; sicher sind diese Spiegelbilder entstanden durch nach der dunkeln Sonnenfläche hin gebeugtes Licht der Protuberanzen. Es ist den Photographen, wie auch Astronomen, die sich bei ihren Arbeiten der Photographie bedienen, längst bekannt, dass die Bildcontur durch Spiegelung an der Rückwand der Platte, durch Reflexion innerhalb der Platte und durch Reflexion vor der Oberfläche der lichtempfindlichen Schicht Veränderungen erfahren kann; aber diese Ursachen kommen bei den Spiegelbildern der Protuberanzen nicht in Frage. Durch die an den ÜBER IRRADIATION. A verschiedenen Flächen der photographischen Platte eintretende Spiegelung werden Lichthöfe um das Bild hervorgerufen, es können auch unter Um- ständen Verzerrungen der Contur dadurch entstehen, aber regelmässige Spiegelbilder, wie wir eines auf unserer Textfigur sehen, können auf diese Weise nicht erzeugt werden. Es ist zwar in verschiedenen Arbeiten auf die Beugung des Lichtes als auf die Ursache von Vergrösserungen heller Flächen in photographischen Aufnahmen hingewiesen,! aber ein stringenter Beweis für diese Wirkung des gebeugten Lichtes ist meines Wissens nirgends erbracht. Um hierüber Klarheit zu erlangen, stellte ich eine Reihe von photo- graphischen Aufnahmen her.? Ich schnitt zuvörderst aus einer Aluminiumplatte eine Kreisfläche von 40m Durchmesser heraus und klebte die übrige gebliebenene Platte auf mattschwarzes Papier, so dass eine schwarze Fläche in weisser Umgebung sichtbar war; dann klebte ich den herausgeschnittenen Aluminiumkreis auf mattschwarzes Papier, so dass ich einen weissen Kreis in schwarzer Um- gebung erhielt. Beide Kreise waren in Folge ihrer Herstellung einander gleich. Von beiden Kreisen hergestellte photographische Aufnahmen mit der Expositionszeit von 2 Minuten und einer Blende von 4” Oefinung bei der Linsenbrennweite von 350% ergaben die in Taf. I, Fige. 1 u. 2 wiedergegebenen Bilder: Fig. 1 ist der schwarze Papierkreis auf dem Aluminiumhintergrunde, Fig. 2 der Aluminiumkreis auf schwarzem Papier- hintergrunde. Beide Bilder erwiesen sich auch bei genauer Messung als gleich gross. Ich veränderte nun die Aufnahmebedingungen in einem wesentlichen Punkte. Ich entfernte nämlich die Objectivlinse aus der Camera und schloss die Oefinung mit einem dicht schliessenden Diaphragma, in dessen Mitte ich ein Loch von 4"m Durchmesser anbrachte. Der Versuch, mit einem kleineren Loche auszukommen, misslang: das mit einer so kleinen Oeffnung erhaltene Bild war zu lichtschwach, um irgend welche Messungen zu ge- statten. Bei einer grösseren Oeffnung ergab sich statt eines conturirten ! Ich erwähne: L. Weinek, Die Topographie in der messenden Astronomie, insbesondere bei Venusvorübergängen. Nov. Act. der kaiserl. Leop.-Carol. deutschen Akad. der Naturforscher. Halle 1879. Bd. XLI. Th. 1. Nr. 2. — Ferner: Hermann Krose, Lichthöfe, Lichtbeugung und Polarisation. Eder’s Jahrbuch für Photographie und Beproductionstechnik für das Jahr 1895. Halle 1895. 8. 76 ff. ® Die Photogramme sind hergestellt in dem photographischen Institut von Wenske und Salomon, einem von den wenigen, in denen noch das nasse Verfahren zur An- wendung gelangt; es ist mir ein besonderes Vergnügen, den genannten Herren dafür, dass sie mir ihr Institut zur Herstellung der Photogramme zur Verfügung stellten und mich dabei mit ihrer reichen technischen Erfahrung unterstütztcn, auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank aussprechen zu können. 8 HEINRICH GERSTMANN: Bildes nur eine verwaschen hell erscheinende Stelle. Ich liess es also stets bei der Diaphragmadurchlochung von 4% Durchmesser bewenden. Mit dieser Locheamera nun erhielt ich die auf Taf. I in Figg. 3 u. 4 abgebildeten Resultate. Fig. 3 ist das Photogramm des schwarzen Papier- kreises auf dem Aluminiumhintergrunde, Fig. 4 das Bild des Aluminium- kreises auf dem Papierhintergrunde. Bei gleicher Entfernung des Objects vom durchlochten Diaphragma (1235 ==) und des Diaphragmas von der photographischen Platte (485 =) und bei gleicher Grösse des Objects (40 ®®) hat der schwarze Kreis in Fig. 3 nur 10” Durchmesser, der weisse Kreis in Fig. 4 dagegen 21””. In Folge der einfachen Strahlen- kreuzung in der Diaphragmadurchbohrung hätte das Bild des Kreises mehr als 11!/, "m Durchmesser haben müssen. Es ist also eine Verkleinerung des schwarzen Kreises auf hellem Grunde, ganz besonders aber eine sehr bedeutende Vergrösserung des hellen Kreises auf dunklem Hintergrunde. Hier kann es sich nur um Beugungserscheinungen handeln. Wäre die Vergrösserung bezw. Verkleinerung des Bildes in Folge irgend welcher Vorgänge in der photographischen Platte erfolgt, so hätten sich diese Vor- gänge auch in den Figg. 1. u. 2 geltend machen müssen, weil bei Figg. 1u. 2 die Platten dieselben Bedingungen aufweisen wie bei Figg. 3 u.4. Der Unter- schied zwischen beiden Resultaten kann nur durch Unterschiede an der Vorderwand der Camera hervorgerufen sein, weil dies die einzigen Unter- schiede in der Versuchsanordnung waren. Und diese Unterschiede be- standen darin, dass Figg. 1 u. 2 mit einer Objectivlinse, Figg. 3 u. 4 ohne eine solche hergestellt sind. Die Beugungserscheinung muss freilich auch in den Versuchen der Figg. 1 u. 2 aufgetreten sein, aber hier war das seitlich gebeugte Licht zu schwach, um nicht von der Linse absorbirt zu werden, während es bei Figg. 3 u. 4 völlig zur Geltung gelangte. Das Licht der Protuberanzen ist viel intensiver, als das von der matten Aluminiumscheibe ausgesandte, es wird vom Objeetiv der photographischen Camera nicht absorbirt und darum kommen auch die früher erwähnten Beugungsspiegelbilder der Sonnenprotuberanzen, wie eines in der Textfigur wieder gegeben ist, zu Stande. Nach diesem Resultate ist also erwiesen, dass gebeugtes Licht eine Vergrösserung heller Flächen auf dunklem Grunde und eine Verkleinerung dunkler Flächen auf hellem Grunde in der photographischen Platte erzeugt, und ebenso wie es in der photographischen Platte der Fall ist, muss es auch auf der Netzhaut des menschlichen Auges erfolgen. Die Flächen-Irradiation wird also durch Beugung hervorgebracht, und ich möchte vorschlagen, diese Art der Irradiation, die ich bisher nur der Kürze halber mit dem noch eben gebrauchten Namen belegte, als Beugungs-Irradiation zu bezeichnen; diesen Namen halte ich darum für passend, weil er nicht nur ÜBER IRRADIATION. N) die Erscheinung, sondern auch ihre Entstehungsweise enthält. Die von mir der Kürze halber als Faden-Irradiation bezeichnete Art der Irradiation mag als Zerstreuungs-Irradiation bezeichnet werden. Eine grosse Reihe von mir angestellter Versuche und hergestellter Photogramme ergab stets und ausnahmslos dieselben Resultate wie die in den Figg. 1 bis 4, Taf. I, wiedergegebenen; ich halte es deshalb für über- Hüssig, diese Arbeit mit weiteren gleichen Figuren zu belasten. Nur ein Versuchsresultat halte ich noch für zu interessant, um es nicht anzuführen. Die bisher verwandten Aluminiumplatten waren mattweiss. Ich hatte den Platten jeden Glanz dadurch genommen, dass ich sie, nachdem ich sie mit Salzsäure abgewaschen hatte, mit Quecksilber einrieb. Dann ent- stehen bekanntlich auf der Aluminiumscheibe federförmige Gebilde aus Aluminiumoxyd. Wenn dieser Process einige Zeit vor sich gegangen ist und die entstandene Thonerde dann abgewischt wird, so erhält man eine mattweisse Aluminiumfläche. Nunmehr aber photographirte ich auch hochglänzend polirte Neusilber- platten, und zwar verwandte ich dabei als Hintergrund mattweisses Oarton- papier. Ich klebte also eine glänzend polirte Neusilberkreisfläche auf matt- weisses Cartonpapier und photographirte es in gewöhnlicher Weise mit einer Objectivlinse; das Bild ist in Fig. 5, Taf. I, abgebildet. Hier erscheint also die glänzende Metallfläche schwarz, die mattweisse Papierfläche hell. Das ist so zu erklären, dass — was übrigens auch lange bekannt ist — eine glänzende Fläche der lichtempfindlichen photographischen Platte gegenüber so umwirksam ist, wie eine mattschwarze Fläche. Dementsprechend er- scheint auch in Fig. 6, Taf. I, der mattweisse Papierkreis hell, die hoch- polirte Neusilberplatte schwarz. In beiden Fällen kommt die Beugungs- Irradiation so wenig zur Geltung, wie in den Figg. 1 u. 2, denn auch hier wird das schwache gebeugte Licht durch die Linse absorbiert. Um uns nun aber klar zu machen, wie die Beugungs-Irradiation sich da zeigt, wo sie bei hochglänzenden Metallplatten neben der mattweissen Papierfläche überhaupt auftritt, müssen wir bedenken, dass jede Platte, ob hell oder dunkel, ob glänzend oder matt, ja irgend welche Strahlen aus- sendet, und wenn irgend eine Art Strahlen von einer Fläche ausgesandt wird, von der benachbarten aber nicht, so wird diese Art Strahlen auch über die benachbarte Fläche, von der sie nicht ausgesandt sind, abgebeugt. Aber nicht alle diese gebeusten Strahlen kommen auf der photographischen Platte zur Geltung, sondern nur diejenigen, die überhaupt auf die licht- empfindliche Platte wirken können. Nehmen wir z. B. an, wir hätten bei der Herstellung der in Fisg. 1 u. 2, Taf. I, enthaltenen Bilder das mattschwarze Papier erwärmt, die Aluminiumplatte aber nicht, so würde das Papier Wärmestrahlen ausgesandt haben, die, da entsprechende Strahlen 10 HEINRICH GERSTMANN: ÜBER IRRADIATION. von dem Aluminium nicht ausgesendet wurden, auf das Aluminium gebeugt wurden. In der Photographie kommt aber diese gebeugte Wärme ebenso wenig zur Geltung, wie die Wärmestrahlen überhaupt, sondern es kommen nur die vom Aluminium ausgesandten Lichtstrahlen mit- ihrer über die schwarze Papierfläche hinaus ausgedehnten Beugung zur Wirksamkeit. Ebenso wenig, wie in diesem Falle die Wärmestrahlen, sind bei hochglänzend polirtem Metalle die von diesem ausgesandten Lichtstrahlen wirksam auf die photographische Platte, sie werden also ebenso wenig direct, wie gebeugt erscheinen. Dagegen ist das mattweisse Papier im Stande, auf die photo- graphische Platte zu wirken, und ebenso muss auch das vom weissen Papiere ausgehende, seitlich gebeugte Licht auf die photographiche Platte wirken. Es muss also die mattweisse Papierfläche vergrössert erscheinen und sich das Paradoxon ergeben, dass hochglänzendes Metall neben matt- weissem Papiere dunkel erscheint. Die Figg. 7 u. 8, Taf. I, zeigen, dass dies durch den Versuch bestätigt wird. Fig. 7 ist die Abbildung derselben hochglänzenden Neusilberplatte, die schon in Fig. 5 photo- graphirt ist, und Fig. 8 das Bild des unter die glänzende Neusilber- platte geklebten matten Papieres, wie in Fig. 6, also ein mattes Papier neben einer glänzenden Metallfläche. Die Neusilberfläche auf Papier ist ja, weil einfach aus der Platte geschnitten, ebenso gross wie die Papierkreis- fläche unter der Metallfläche, und so sind denn auch die beiden Kreis- Hächen in Fige. 5 u. 6, wo in Folge der Absorption durch die Linse das gebeugte Licht in der photographischen Camera nicht wirken kann, einander gleich. In Fieg. 7 u. S dagegen kommt die Beugungs-Irradiation zur Geltung; aber in Fig. 7 ist das Licht des matten Papieres über die helle, für die photographische Platte jedoch unwirksame Metallkreisfläche gebeugt, diese Metallkreisfläche in Folge davon also verkleinert; in Fig. 8 dagegen ist das Licht des mattweissen Papieres über das glänzende Metall ab- gebeugt, so dass die Papierkreisfläche vergrössert! ist. ! Eine Erklärung der Figuren auf Taf. I erübrigt, da sie im Text bereits ge- geben ist. Ueber Kataphorese und ihre Bedeutung für die Therapie. Von Dr. P. Meissner in Berlin. (Hierzu Taf. 11.) Angerest durch die im Jahre 1873 erschienenen Arbeiten von Her- mann Munk: „Ueber die kataphorischen Veränderungen der feucht-porösen Körper“! und „Ueber die galvanische Einführung differenter Flüssigkeiten in den unversehrten lebenden Organismus“ ? begann ich im Winter 1895/96 im Laboratorium des physiologischen Instituts der thierärztlichen Hochschule zu Berlin unter der gütigen Unterstützung meines hochverehrten Lehrers, Hrn. Prof. Hermann Munk, eine eingehende Nachprüfung aller bisher bekannten Thatsachen auf diesem Gebiet und eine genaue Untersuchung der Verwendbarkeit dieses höchst interessanten physikalischen Vorganges für die therapeutischen Bestrebungen der Medicin. Es erscheint zunächst zweckdienlich, eine genaue Definition des in Rede stehenden Vorganges zu geben, um über denselben volle Klarheit zu schaffen, und andererseits, um die bei den Untersuchungen sich ergebenden That- sachen besser deuten zu können. Wir bezeichnen mit dem Worte Kataphorese einen physikalischen Vor- gang, welcher, durch den constanten Strom bewirkt, in einem Elektrolyten zu Stande kommt und darin besteht, dass unzerlegte Molecüle des Elektrolyten oder einer etwa vorhandenen Elektrodenflüssigkeit vom positiven zum nega- tiven Pol fortbewegt werden. Um das volle Verständniss für diesen Vorgang zu gewinnen, ist es nöthig, alle durch den constanten Strom in feuchten Leitern zu Stande 1 Dies Archiv. 1873. Physiol. Abthlg. 2 Ebenda. 12 P. MEISsnER: kommenden physikalischen und chemischen Vorgänge, soweit sie mit der Kataphorese in Beziehung stehen, näher zu betrachten. Wir bezeichnen mit dem Namen „Elektrolyt“ diejenigen flüssigen, halb- flüssigen oder feucht-porösen Körper, deren Molecüle zu einem Theil in Ionen zerfallen sind. Das Wort Ionen ist schlecht gewählt, wie wir gleich sehen werden, wir würden viel richtiger von Ionten sprechen. Die That- sache also, dass die Molecüle des betreffenden Körpers in solche Ionen zer- fallen sind, ist zugleich der Beweis, dass dieser die Elektricität oder besser den galvanischen Strom zu leiten im Stande ist. Diese Thatsache ist aber von dem galvanischen Strom als solchem vollkommen unabhängie und kommt einer bestimmten Gruppe von Körpern als charakteristisches Merk- mal zu. Diese Körper haben neben der Fähigkeit, den galvanischen Strom zu leiten, auch noch andere physikalische Eigenschaften, z. B. die des hohen osmotischen Druckes. Ich führe das an, um besonders hervorzuheben, dass die Bildung der Ionen keine Wirkung des galvanischen Stromes ıst, sondern vielmehr die speeifische Eigenschaft einer Reihe von Körpern darstellt. Was geschieht nun, wenn ein solcher Körper, ein Elektrolyt, von einem constantem galvanischem Strom durchflossen wird? Es tritt eine Bewegung der Ionen ein und zwar eine zweifache, die negativ geladenen Ionen wandern zum positiven Pol, zur Stromeintrittsstelle und werden so zu Anionen (besser Anionten), die positiv geladenen Ionen streben dem negativen Pol, der Stromaustrittsstelle, zu und werden zu Kationen (Kat- ionten). Hiermit ist die erste Arbeitsleistung des galvanischen Stromes vollbracht und eine eingreifende Veränderung in der physikalischen Consti- tution des betreffenden Körpers eingeleitet. Diese Wanderung der Ionen ist gleichbedeutend mit der Thatsache, dass der Strom fortgeleitet wurde. Des Weiteren geht nun eine wesentliche Veränderung der an der Stromein- und -austrittsstelle angehäuften Ionen in der Weise vor sich, dass dieselben ihre Elektrieität abgeben, neutralisirt werden -und z. B. als Gase oder Me- talle zur Ausscheidung gelangen. Diese zweite Arbeitsleistung des galva- nischen Stromes bezeichnen wir als Elektrolyse. Es wird thatsächlich an jedem Pol ein gewisser Bestandtheil des Elektrolyten zur Ausscheidung ge- - bracht, der Name Elektrolyse ist daher durchaus berechtigt. Bekannter- maassen tritt diese elektrolytische Wirkung desto intensiver zu Tage, je verdünnter die Lösungen sind. Wir kommen jetzt zu der dritten Arbeits- leistung des galvanischen Stromes. In dem Augenblick, wo die Ionen zu wandern beginnen, tritt auch eine Ortsveränderung der nicht dissociirten Molecüle des Elektrolyten ein, und zwar in ganz bestimmter Richtung. Die nicht in Ionen zerfallenen Molecüle, wir sagten oben ausdrücklich, dass nicht alle Molecüle in Ionen zerlegt werden, wandern vom positiven Pol, von der Stromeintrittsstelle aus zum negativen Pol, zur Stromaustrittsstelle. ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 13 Mit anderen Worten, die Molecüle wandern in der Stromrichtung. Diesen Vorgang nennen wir Kataphorese, eine Bezeichnung, welche zuerst du Bois-Reymond einführte. Die Kataphorese ist also eine Arbeits- leistung des Stromes, welche neben der Elektrolyse bestehen kann, aber mit dieser durchaus keinen Zusammenhang hat. Wir können uns die eben hier besprochenen Vorgänge leicht graphisch durch die auf Taf. II, Fig. 1, dargestellten Schemata vergegenwärtigen. A sei die schematische Darstellung eines feuchten Leiters, und zwar mögen die weissen Kugeln die nicht zerfallenen Molecüle darstellen, wäh- rend die rothen die positiv geladenen, die blauen die negativ geladenen Ionen bezeichnen. Der Elektrolyt ist zwischen zwei Elektroden angebracht und befindet sich in Schema I in Ruhe ohne Strom; dieser Zustand ist durch die gleichmässige Vertheilung der weissen, rothen und blauen Kugeln gekennzeichnet. In Schema II beginnt die Wirkung des Stromes und wir sehen, wie die Ionen zu Anionen und Kationen werden. Wir finden alle blauen Kugeln, die negativ geladenen Ionen, am positiven Pol 3, alle rothen Kugeln, die positiven ‚Ionen, am negativen Pol C versammelt. Der Strom ist also fortgeleitet. In demselben Schema sehen wir aber dicht an den beiden Polen eine Reihe von schwarzen Kugeln, Kugeln, welche ihre Farbe verloren haben, Ionen, welche ihre Elektrieität verloren haben, neutral ge- worden sind, d. h. welche als Gase oder Metalle zur Ausscheidung gelangen und somit die zweite Arbeitsleistung des galvanischen Stromes, die Elek- trolyse, darstellen. Das dritte Schema endlich zeigt uns, wie unter der Wir- kung des Stromes die nicht in Ionen zerfallenen Molecüle vom positiven Pol nach dem negativen Pol gewandert sind, und giebt uns damit das Bild des als Kataphorese bezeichneten Vorganges. Auch hier im Schema ist an- gedeutet, dass neben der Kataphorese, ganz unabhängig von dieser, die Elektrolyse weiter bestehen kann. Schema II und III ist nun gleichzeitig zu denken, d. h. in dem Augenblick, wo der Strom etablirt wird, beginnt sowohl seine kataphorische, wie auch seine elektrolytische Wirkung. Es erscheint vielleicht überflüssig, alle diese Verhältnisse so genau zu besprechen, ich habe aber während der hierüber angestellten Unter- suchungen des Oefteren erfahren müssen, dass theilweise der Begriff der Kataphorese überhaupt nicht bekannt war, theilweise mit Elektrolyse gleich gesetzt wurde, und es erscheint mir für eine therapeutische Ausnützung eines physikalischen Vorganges die eingehendste Kenntniss desselben durch- aus erforderlich. Wie schon oben angedeutet, tritt nun eine solche Fortbewegung un- zerlegter Molecüle auch dann ein, wenn die positive Elektrode selbst aus einem feuchten Leiter besteht, und zwar kann unter bestimmten Verhält- nissen die fortführende Kraft des galvanischen Stromes so bedeutend sein, 14 P. MEISSNER: dass es gelingt, die Elektrodenflüssigkeit in einen anderen feuchten Leiter hineinzutreiben. Dieser Vorgang ist natürlich allein derjenige, welcher eine praktische Verwerthbarkeit ermöglicht; alle weiteren Speculationen in dieser Richtung beschäftigen sich nur mit der kataphorischen Einführung der Elektrodenflüssigkeit in einen anderen feuchten Leiter hinein. Es fragt sich nun, ob unter jeder Bedingung eine Einführung der Blektrodenflüssigkeit in den Körper (ich will der Einfachheit halber zunächst den feuchten Leiter, in welchen eingeführt wird, als „Körper“ bezeichnen) erfolgt oder nicht? Diese Frage wurde schon von Munk bei seinen damaligen Untersuchungen beantwortet, und zwar dahin, dass die Elek- trodenflüssigkeit nur dann in den Körper eingeführt werden kann, wenn sie selbst den Strom besser leitet als der Körper. Oder allgemein aus- gedrückt: die Aussenflüssigkeit muss besser leiten als die Binnenflüssigkeit. Diese Thatsache ist natürlich für die therapeutische Verwerthung von der grössten Bedeutung. Im engen Zusammenhang mit dem eben Besprochenen steht eine zweite Thatsache, welche uns später zur Erklärung einer wichtigen Er- scheinung dienen kann: in einem feucht-porösen Körper wird diejenige Flüssigkeit durch den galvanischen Strom schneller fortbewegt, welche den Strom schlechter leitet. Ist also die Elektrodenflüssigkeit, wie oben ge- fordert, besser leitend als die Körperflüssigkeit, so wird die letztere unter der Wirkung des Stromes schneller wandern, als die erstere. Diese That- sache erklärt sich vielleicht daraus, dass bei einer schlechter leitenden Flüssigkeit eine viel geringere Anzahl von Ionen vorhanden sind und in Folge dessen der Strom seine ganze Arbeitskraft so zu sagen auf die Kata- phorese verwenden kann. Wie verhält sich nun der Strom bei diesen Vorgängen? Wir können leicht feststellen, dass eine Abnahme der Stromintensität eintritt, welche mit der Dauer der Einwirkung in directem Zusammenhang steht. Mit anderen Worten: je länger ein Strom ein und derselben Richtung etablirt ist, desto mehr nimmt seine Intensität al) und desto geringer wird auch die kataphorische Wirkung. Diese Abnahme der Stromintensität steht in engem Zusammenhang mit dem Auftreten des sogenannten secundären inneren Widerstandes im Blektrolyten, und dieser wieder wird bewirkt dadurch, dass in Folge der ungleichmässigen Flüssigkeitswanderung eine Zone der Austrocknung im durchströmten Körper zu Stande kommt. Dieser letzte Umstand wird am leichtesten durch einen Versuch ver- ständlich gemacht: Wenn wir einen Cylinder aus geronnenem Hühner- eiweiss zwischen zwei mit Kupfersulfatlösungen getränkten Elektroden von seinen Querschnitten aus durchströmen lassen, so zeigt sich nach kurzer ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 15 Zeit in der Gegend des positiven Pols eine Einschnürung # (Fig. 1). Un- tersuchen wir dieselbe näher, so finden wir, dass das Eiweiss an dieser Stelle hornartig verändert erscheint, d. h. ausgetrocknet und daher ge- schrumpft ist. Nach dem oben Gesagten muss uns diese Thatsache leicht erklärlich erscheinen. Die schlechter leitende Flüssigkeit des Eiweisses hat sich schneller vom positiven Pol nach dem negativen Pol bewegt als die besser leitende Elektrodenflüssigkeit nachrücken konnte. Die schlechter leitende Flüssigkeit hat einen Bezirk bereits verlassen, den die besser lei- tende Flüssigkeit noch nicht erreicht hat, d. h. in dem Bezirk ist ein Mangel an Flüssiekeit überhaupt, der Bezirk trocknet aus. Nebenstehende schematische Darstellung wird den Vorgang verständlich machen. du Bois- Reymond und Munk be- zeichneten diesen Vorgang als „Würgung“ und verglichen dieselbe treffend mit der Ein- schnürung, welche wir bei Raketen kennen. Dass diese Zone der Austrocknung, welche beim Eiweisscylinder beispiels- weise so energisch zu Stande kommen kann, dass sich das Eiweiss mit dem Messer fast nicht mehr schneiden lässt, einen hohen Widerstand für den Strom darstellt, ist durch- aus verständlich. Es ist das also ein Widerstand, welchen sich der Strom selbst schafft. Du Bois-Reymond hat denselben als secundären Widerstand bezeichnet. Derselbe wächst mehr und mehr an, so dass schliesslich keine Leitung des Stromes mehr statt- findet, und natürlich auch keine Elektrodenflüssigkeit weiter eingeführt werden kann. Aus dieser Thatsache ergiebt sich für die therapeutische Verwerth- barkeit eine wichtige Regel, auf welche ich aber erst etwas weiter unten eingehen kann. Die Versuche, welche ich zunächst, um mich über alle Erscheinungen zu orientiren, anstellte, bestanden im Wesentlichen in einer Nachprüfung der bereits von Munk angestellten Experimente mit den nothwendigen Er- weiterungen. Zunächst diente das geronnene Eiweiss als Versuchsobject. Dies Ei- weiss muss unter besonderen Cautelen gewonnen werden, um jede Bildung von Luftblasen darin zu verhindern. Das Verfahren ist folgendes: Das Ei- weiss zweier frischer Hühnereier wurde durch vorsiehtiges Rühren möglichst 16 P. MEISSNER: flüssig und homogen gemacht, von den Hagelschnüren befreit und in ein weites, mit Olivenöl ausgeriebenes Reagensglas gefüllt, mit wenig Oel über- schichtet und auf 15 Minuten in siedendes Wasser gebracht; es resultirt dann ein vollkommen gleichmässiger fester Eiweisseylinder ohne jede Luft- blase. Von dieser Zubereitung hängt der Erfolg der anzustellenden Ver- suche ab, da jede grössere Höhle mit Wasser gefüllt oder jede Luftblase den kataphorischen Process beeinflusst. Diese Eiweisseylinder von etwa 1 bis 1.5 ®@® Durchmesser wurden entweder direct verwendet oder aber aus ihnen Prismen u. s. w. geschnitten. Natürlich muss vor der Ver- wendung das anhaftende Oel entfernt werden, dieses gelingt leicht durch Einlegen der Eiweissstücke in Schwefeläther nur auf wenige Minuten. Als Elektroden dienten, dem Vorgange Munk’s folgend, du Bois’sche Zuleitungsröhren, welche mit plastischem Thon armirt waren. Munk hatte seiner Zeit festgestellt, dass zur Herstellung der Elektroden am besten plastischer Thon verwandt werde, welchen man mit der ein- zuführenden Flüssigkeit durch- knetet. Im Laufe der Versuche stellte es sich heraus, dass diese einfachen Zuleitungsröhren nicht ausreichten, ich modifieirte da- her die Form und gelangte so zu sehr brauchbaren Zuleitungs- apparaten. Die Modification be- stand darin, dass ein T-Rohr ver- wandt wurde (Fig.2A),in dessen Fig. 2. horizontalem Schenkel 2 ein Zu- leitungsrohr Z mit Trichter 7 versehen verlief, durch welches jeder Zeit der Thonpropf P mit der ein- zuführenden Flüssigkeit neu getränkt werden konnte. Das senkrechte Rohr, welches einen angeschmolzenen Glasstab zur Befestigung am Stativ trägt, diente zur Aufnahme der Elektrode, 'd. h. eines Metallblechstreifens mit Klemmschraube. Als Stromquelle diente eine Batterie von 8 bis 10 Grove- Elementen, welche stets kurz vor dem Versuch zusammengesetzt einen recht kräftigen Strom lieferten. Die Anordnung der Versuche war folgende (Fig. 3): DD sind zwei du Bois’sche Stative zur Befestigung der eben beschriebenen Zuleitungsröhren 77. Diese sind mit den Thonpfröpfen PP versehen. Zwischen diesen ruht auf einer isolirenden Unterlage U der Eiweisseylinder &. In den Stromkreis ist ein Galvanometer @ und ein Stromwender $ einge- schaltet. Elektroden und Eiweisscylinder waren während des Versuches in ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 17 eine feuchte Kammer eingeschlossen, um jede Verdunstung von Wasser aus den Thonpfröpfen sowohl wie aus dem Eiweisscylinder zu verhindern. Der Thon wurde zunächst mit einer 10 procent. Kupfervitriollösung an- gerieben, die Zuleitungsröhren mit derselben Lösung gefüllt und Kupfer- streifen als Pole eingesetzt. Der Eiweisscylinder wurde so orientirt, dass beide Querschnitte von den Thonelektroden innig berührt wurden. Bemer- kenswerth war das Verhalten des Stromes. Zunächst zeigte sich ein An- steigen der Intensität in den ersten 30 Secunden, diesem folgte ein kurzes Fig. 3. Verweilen auf der erreichten Höhe etwa 40 bis 60 Secunden lang und dann ein langsamer Abfall, welcher bereits nach 3!/, Minuten den Nullpunkt erreichte. Zugleich zeigte sich die oben erwähnte Würgung in der Nähe des positiven Pols, während an der Kathode sich eine Aufquellung des Ei- weisscylinders bemerkbar machte, welche so stark war, dass z. B. der an- fängliche Umfang von 1.3 ® auf 1.5 ® anwuchs. Hier fühlte sich das Eiweiss im Gegensatz zu der Stelle der Würgung schwammig weich an. Nach etwa 3!/, Minuten war also der secundäre innere Widerstand so gross geworden, dass eine Stromleitung und Einführung von Elektrodenflüssigkeit nicht mehr statt hatte. Wurde jetzt die Richtung des Stromes geändert und der bisherige positive Pol zur Kathode, der negative zur Anode Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 2 18 P. MEIssnER: gemacht, so zeigte sich in überraschender Weise eine Veränderung am Ei- weisscylinder. Die Würgung begann zu schwinden und an Stelle der Auf- quellung trat eine neue Würgung auf; um dieses zu bewirken, war dieselbe Dauer der Stromeinwirkung nöthig. Durch diese Beobachtung ist uns eine wichtige Regel für die kata- phorische Anwendung des galvanischen Stromes gegeben; der Strom muss in bestimmten Zwischenräumen gewendet werden, wenn seine Wirksamkeit nicht durch den secundären inneren Widerstand annullirt werden soll, daraus folgt aber weiter die höchst wichtige Vorschrift, beide Elektroden müssen gleich und mit derselben Flüssigkeit armiert sein, da sie wechsel- weise in Action treten. Welche Zeiträume für die Wendung des Stromes die günstigen sind, muss für jede Körpersorte besonders bestimmt werden. Derselbe Erfolg, den wir durch Stromwendung erzielen, lässt sich, wenn auch in geringerem Maasse, durch Stromunterbrechung erreichen. Wenn wir in dem Moment, wo uns das Galvanometer eine Stromintensität gleich Null anzeigt, den Strom unterbrechen und einige Zeit, etwa 1 bis 1!/, Minuten, warten, können wir ebenfalls die Würgung abnehmen sehen und werden bei erneuter Schliessung des Stromes ein Ansteigen der Strom- intensität bewirken, allerdings erreicht dieselbe dann nicht ganz die ur- sprüngliche Höhe. Dieser Versuch misslingt, wenn die Würgung schon zu lange besteht. Diese Thatsache erklärt sich einfach dadurch, dass im Augenblick, wo der Strom unterbrochen wird, von allen Seiten Flüssigkeit in die ausgetrocknete Region zurückströmt und damit die Leitungsfähigkeit wieder herstellt. Die in Taf. II, Fig. 3 wiedergegebenen Curven zeigen die eben be- sprochenen Vorgänge auf das Deutlichste Es sei zum Verständniss der- selben gleich hier bemerkt, dass das Optimum der Stromdauer für den menschlichen Körper nicht 3!/, Minuten, sondern 5 Minuten beträgt. In den Curvenzeichnungen sind auf der horizontalen Axe die Minuten und Secunden, auf der verticalen die Galvanometergrade abgetragen. Die mit A bezeichnete Curve ist bei einem Eiweisscylinder von 1 ® Durchmesser und 4 m Länge gewonnen, Einführung vom Querschnitt aus; die drei übrigen Curven B, C, D stammen von Einführungen in den lebenden menschlichen Organismus, und zwar wurde bei Curve 3 und (die Wendung des Stromes, bei der Curve D eine Ruhepause von 1!/, Minuten in Anwendung gebracht. Der Umstand, dass die Curve A nicht so hoch ansteigt wie die übrigen, hat darin seinen Grund, dass der Widerstand des geronnenen Eiweisses von Anfang an grösser ist wie der lebender thierischer Gewebe. Untersuchen wir nun den so behandelten Eiweisseylinder bezüglich der eingeführten Elektrodenflüssigkeit, so finden wir diese in dem zwischen dem positiven Pol und der Würgung gelegenen Theil, ein Befund, welcher den ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 19 obigen Deduetionen vollkommen entspricht. Um nun, wenn irgend mög- lich, über die Art der Fortführung näher Aufschluss zu erhalten, wurde der Versuch in etwas veränderter Anordnung angestellt. Ein Eiweissprisma von rechteckigem Querschnitt wurde auf die beiden Thonelektroden so auf- gelegt, dass ihre Berührungsflächen an einer Längsseite des Prismas lagen (Fig. 4). Als einzuführende Flüssigkeit verwendete ich jetzt eine concen- trirte Lösung von Ferrocyannatrium, in der Absicht, durch nachherige Be- handlung des Eiweissprismas mit Eisenchlorid eine Berlinerblau-Reaction Fig. 4. zu erzielen, welche mir die Wege der eingeführten Flüssigkeit deutlich zeigen könnte. In die Zuleitungsröhren wurden jetzt Eisenblechstreifen als Pole ein- gesetzt. Zunächst wurde eine Stromrichtung beibehalten und nach völliger Ab- nahme der Stromintensität das Eiweissprisma abgenommen, von aussen anhän- sendem Ferrocyannatrium durch gründliches Spülen befreit und in eine ver- dünnte Eisenchloridlösung eingelegt. Nach Verlauf einiger Stunden zeigte sich folgendes interessante Bild: das Prisma hatte an der Stelle, welche zwischen beiden Elektroden frei lag, an Volumen eingebüsst und zeigte dort eine hornartige Beschaffenheit, die Würgung. An der Berührungsstelle der negativen Eiektrode war ein ganz schmaler ober- flächlicher Streifen blau gefärbt, dagegen zogen sich von der Berührungsfläche der positiven Elektrode curvenartige blaue Strei- fen in die Tiefe, wie sie Fig. 5 andeutet. Diese Streifen stellen offenbar den Weg der Fig. 5. Molecüle dar, und dieser wieder entspricht den Stromfäden. Wir wissen, dass der Strom durchaus nicht den kürzesten Weg zwischen den Elektroden wählt, sondern dass die sogenannten Strom- fäden häufig in Curven verlaufen. Der Befund überraschte mich zuerst so, dass ich einen Versuchsfehler vermuthete und an die Wirkung einer eventuellen Gerinnungsschichtung des Eiweisses dachte. Ich stellte daher Controlversuche an, indem ich dasselbe Eiweissprisma um seine Längsaxe gedreht durchströmen liess, immer wieder fanden sich die beschriebenen 3*# 20 P. MEISsNER: Curven auch dann, wenn die Prismen aus verschiedenen Quantitäten Ei- weiss hergestellt waren. Ich schritt nun zur Stromwendung und liess alle 3!/, Minuten den Strom in anderer Richtung den Eiweissblock passiren. Die Würgung verschwand, und nach erfolgter Behandlung mit Eisenchlorid zeigte sich, dass die blauen Curven von beiden Elektroden aus in die Tiefe verliefen und sich in der Mitte treffend einen etwa halbkugeligen Bezirk des Prismas als von der Flüssigkeit durchtränkt zeigten (Fig. 6). Es bleibt nun noch zu erklären übrig, wieso bei der Durchströmung in einer Rich- tung am negativen Pol auch ein schmaler oberfiächlicher Streifen blau ge- färbt erschien. Dieser Befund ist auf die naturgemäss sich an den Elek- trodenberührungsflächen etablirenden Diffusionsvorgänge zurückzuführen. Um diese Annahme zu bestätigen und zugleich zu beweisen, dass die soeben deutlich festgestellte tiefe Einführung von Ferrocyannatrium lediglich eine Fig. 6. Fig. 7. Stromwirkung bedeutet, wurde ein gleiches Eiweissprisma unter ganz gleichen Bedingungen auf die Elektroden aufgelegt, aber kein Strom hindurch- geschickt. Nach Verlauf einer doppelten Zeit zeigte sich der in Fig. 7 wiedergegebene Befund. An der Berührungsstelle beider Thonpfröpfe war die eben erwähnte oberflächliche Zone blau verfärbt, welches also offenbar nur auf Diffusionsvorgänge zurückzuführen ist. Es sei hier gleich erwähnt, dass sich diese Stromeurven auch bei anderen feucht-porösen Körpern fanden, z. B. bei der Haut, nur nahm hier die Deutlichkeit mit der Homogenität der Körper ab. Das geronnene Eiweiss stellt einen ideal homogenen feucht-porösen Körper dar, während die Haut mit ihren verschiedenen Arten von Geweben, Zellen, Gefässen, Haaren und Drüsen obige Eigenschaft kaum besitzt. Für die Form der Curven ist es nun, wie sich weiter zeigte, durchaus nicht gleichgültig, wie weit die Elektroden aus einander liegen; je näher dieselben gerückt sind, desto tiefer reichen die Stromfäden in den zu durch- strömenden Körper hinein, je weiter die Elektroden von einander entfernt sind, desto flacher und oberflächlicher verlaufen die Curven. Es war bisher der Länge der verwendeten Eiweisscylinder noch keine Erwähnung gethan. Dieselbe ist natürlich maassgebend für die Grösse des anfänglichen Widerstandes. Für die erwähnten Versuche wurden stets ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 21 Cylinder oder Prismen von 4 ®® Länge in Anwendung gebracht. Die Elektrodenentfernung betrug in dem letztbesprochenen Versuch in maximo 2 ®, Um sich eine Vorstellung der Bewegungsgeschwindigkeit der Flüssig- keit machen zu können, wurde folgender weiterer Versuch angestellt: In en 3 = langes, 1 °® Durchmesser haltendes dünnwandiges Glasrohr wurde in der Wärme gelöste Gelatine eingefüllt und zwar zunächst nur bis zur Hälfte in der Weise, dass das Rohr, in einen angebohrten Kork gesteckt, senkrecht aufgestellt wurde War dieses erste Quantum Gelatine erstarrt, so wurde darauf eine ganz dünne Schicht blau gefärbter Gelatine auf- gegossen und der bleibende Rest an Raum nach dem Erkalten der letzteren mit farbloser Gelatine aufgefüllt. War auch diese erkaltet, so stellte das Ganze einen Gelatinecylinder dar, in dessen Mitte sich eine blaue Scheibe befand (Fig. 8). Dieser Cylinder wurde nun zwischen die beiden Elek- troden, welche mit Ferrocyannatriumlösung ge- tränkt waren, der Durchströmung ausgesetzt, und Fie. 8. zwar bei einer Stromrichtung. Um keine Würgung auftreten zu lassen und andererseits doch eine Stromrichtung beibehalten zu können, wurde alle drei Minuten eine Pause von einer Minute ein- geschaltet. Der Effect war folgender: die blaue Scheibe begann in der Stromrichtung zu wandern und war bereits nach drei Mal 3 Minuten Durch- strömung um einen Centimeter dem negativen Pole näher gerückt. Der Versuch wurde jetzt unterbrochen und die Behandlung mit Eisenchlorid eingeleitet. Jetzt zeigte sich, dass in der Zeit, wo die blaue Scheibe den Raum von 1 °“ durchmessen hatte, die Ferrocyannatriumlösung kaum die Hälfte dieser Strecke zurückgelegt hatte. Ein deutlicher Beweis für die Richtigkeit der Angabe, dass die besser leitende Flüssigkeit langsamer wan- dert als die schlechter leitende. Bemerkenswerth war noch, dass die blaue Gelatineschicht oder besser gesagt der wandernde blaue Farbstoff so vollkommen fortgeführt wurde, dass in der von ihm verlassenen Partie des Gelatinecylinders nicht die Spur von Farbstoff bemerkbar war. Zur Färbung wurde Methylenblau verwendet. Eine an Stelle der blauen Gelatineschicht eingeschaltete Schicht von fein vertheiltem metallischen Kupfer wanderte, wenn gleichzeitig die Gela- tine sauer gemacht war, so dass sie den Strom gut leitete, viel langsamer als die blau gefärbte Schicht, eine Beobachtung, welche die eben erwähnte Anschauung ebenfalls stützt. Ich schritt jetzt zu Thierexperimenten. Auch hier wurde erst eine Nachprüfung der Munk’schen Versuche vorgenommen. Ich sah von vorne- herein von der Verwendung des plastischen Thons für die Elektroden ab DD P. MEISSNER: und bediente mich zum Thierexperiment zunächst der Elektroden bei- stehender Form (Fig. 9). Zwei gleich weite und lange Messingrohrstücke sind mit ihrem einen Ende in je eine Platte aus Hartgummi 74 ein- gelassen, so dass ihr Ende an der Unterseite der Platten eben zu Tage tritt. Jedes dieser Rohre trägt eine Klemmschraube XX. Die beiden Hart- gummiplatten sind durch eine von den Rohren isolirte dünne Feder 7 mit einander so verbunden, dass eine gewisse Beweglichkeit der Platten möglich ist. An diesen Platten sind seitlich Gurte angebracht. Die Höhlung der Rohre ist mit Watte so ausgefüllt, dass dieselbe an der Unterseite der Platten als fester Bausch sich hervorwölbt. Die Ent- fernung der beiden Wattebäusche betrug etwa 1.7 °%. Bei Verwen- dung der Elektroden wurden die Messinsrohre und die Wattebäusche mit der einzuführenden Flüssigkeit gefüllt, welche sich während des Versuches leicht nachfüllen liess. Je nach der Grösse der Versuchs- thiere war auch der Durchmesser der Rohre ein verschiedener, es kamen Rohre von 0°5 bis 1.2 = Querschnitt zur Verwendung. Da es mir darauf ankam, einen Indicator für die quantitative Leistung der Kataphorese zu besitzen, so wählte ich für diese Versuche als Elek- trodenflüssigkeit eine 4 procent. Lösung von Strychninum sulfuricum, welche deutlich sauer reagirte und den Strom sehr gut zu leiten im Stande war. Die Wirkungen des Giftes konnten sich leicht durch eine erhöhte Reflex- erregbarkeit, durch Krämpfe und schliesslich durch den Exitus bemerkbar machen. Die oben genannte Elektrode erhielt ihren Platz auf dem Rücken eines Kaninchens, und zwar derart, dass die beiden Wattebäusche seitlich der durch die Processus spinosi gebildeten Leiste zu liegen kamen. Vorher wurden die Haare gründlich entfernt, eine Arbeit, der grösste Sorgfalt zu- gewendet werden musste, denn die kleinste Verletzung der Haut machte jeden Versuch illusorisch. Um in dieser Hinsicht jede Täuschung aus- zuschliessen, wurde nach jedem beendeten Versuch eine genaue Inspection der behandelten Hautstelle vorgenommen und nur die Versuche als maass- gebend erachtet, bei denen das Integumnet durchaus unverletzt geblieben war. Ich gebe im Folgenden eine Reihe von Versuchen tabellarisch wieder: ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 23 Nr.| Strom Thier wicht en Element Erste Symptome | Ergebniss 1 1 | eonstant | Kaninchen | 1740 |Str. sulf.| 10 Groves Nach 414” schw. | Nach 15’ keine Krämpfe Vermehrung, das Thier er- holt sich 2 gew. a 1800... 5 ” Nach: | Nach 24' 8” 4’erhöhteReflexe, Exitus letalis 6° 18° deutliche, Krämpfe, | 12’ 6° heftige | Krämpfe, i 17 6° dauernder Tetanus 3 ® u 860| „ 5 Nach 1’ 12” die Tod nach 8 ersten Krämpfe | 4 | constant R BIO SEN H Nach: | Nach 8 keine 15’ ohnebemerk-| Veränderung bare Symptome, geg. d. Befund 1'30” erhöhte Re- nach 1’ 30" flexerregbarkeit 5 [ohne Strom ” 1310... Während 1Std. ohne jede Er- scheinung 6 gew. Hund |5760| , „ 2 Nach 7’ 18” die Tod nach 24° ersten Erschein.,| | erhöhte Reflexe | Ich habe nur eine kleine Zahl der angestellten Versuche hier wieder- gegeben, um nicht durch Wiederholungen zu ermüden, im Ganzen wurden 23 derartige Versuche ausgeführt. Bei Versuch 1 wurde der Strom nicht gewendet, d. h. es war also nur auf eine Einführungszeit von etwa 5 Minuten zu rechnen, da erfahrungsgemäss bei thierischen Geweben im Laufe von 5 Minuten der secundäre innere Widerstand derart anwächst, dass keine in Betracht kommenden Mengen mehr eingeführt werden. Der Versuch entsprach vollkommen dieser Annahme, das Thier zeigte nach 414” schwache Krämpfe, welche durch Aufklopfen auf die das Thier tragende Unterlage ausgelöst werden konnten (Reflexkrämpfe. Im Verlauf der weiteren Beeinflussung steigerten sich diese Symptome nicht mehr, so dass nach 15 Minuten das abgebundene Thier zwar noch Krämpfe zeigte, sich aber dann, wenn auch langsam, erholte. Hier hatte also die Ausscheidung des Giftes durch die Nieren gleichen Schritt gehalten mit der Einführung durch den Strom, ja zuletzt die Einführung sogar überwogen, so dass es zwar zu Vereiftungserscheinungen, nicht aber zu einer tödtlichen Wirkung 24 P. MEISsNER: kommen konnte. Bei einem anderen in gleicher Weise angestellten Ver- such Nr. 4 wurde dem Thier der Harn abgedrückt, 3°“, und dieser sub- cutan einem gesunden Thier von 570 8% Gewicht injicirt, dasselbe starb nach 2’3” an typischer Strychninvergiftung. Im Gegensatz hierzu steht Versuch Nr. 2. Hier wurde ein etwas schwereres Thier der Einwirkung eines alle 5 Minuten gewendeten Stromes unterworfen, bei sonst gleichen Versuchsbedingungen wie in Nr. 1. Es traten bereits nach 4 Minuten die ersten Zeichen erhöhter Reflexe ein, warum hier früher als bei dem Thier Nr. 1 ist schwer zu sagen und wohl auch belanglos.. Nach 5 Minuten wurde der Strom gewendet und sofort zeigte sich die erneute Einfuhr von Gift an dem deutlichen Auftreten von Krämpfen, 6°18”. Nach 10 Minuten abermalige Wendung mit dem Er- folg, dass nach 12’6” die Krämpfe an Intensität sehr zunahmen, um nach einer weiteren Aenderung der Stromrichtung in einen dauernden Tetanus überzugehen, welchem nach Verlauf von 2478” seit Beginn des Versuches der Exitus folgte. Bei diesem Versuch, wie bei dem zuerst besprochenen, fand sich die Haut unter den Elektroden vollkommen intact. Es ist also gelungen, ohne Verletzung der Haut, nur durch die kataphoretische Wirkung des Stromes und regelmässigen Wechsel seiner Richtung ein Thier zu tödten, während ohne Wechsel des Stromes dieses nicht gelang. Ein wich- tiger Beweis für die Richtigkeit der oben aufgestellten Sätze, welche bei der therapeutischen Verwerthbarkeit der Kataphorese durchaus beachtet werden muss. Diese beiden Versuche werden durch den Versuch Nr. 5 ergänzt, welcher zwar unter gleichen Bedingungen angestellt wurde, was die Elek- troden und die Strychninlösung betraf, dagegen wurde kein Strom ver- wendet, die Folge war, dass sich während einer Stunde auch nicht die geringste Giftwirkung constatiren liess. Auf die anderen angeführten Versuche näher einzugehen, erscheint nicht nothwendig, da sie immer das Gleiche zeigten. Dieselben Versuche wurden nun auch mit anderen Lösungen angestellt, Solutio Kalii jodati, Solutio Chinini muriatici und die bereits oben erwähnte Ferrocyannatriumlösung. Die letztere sollte mir vor Allem dazu dienen, die Wege kennen zu lernen, auf welchen die eingeführte Flüssigkeit im Körper weiter transportirt wird. Zu diesem Zweck wurde folgender Versuch an- gestellt: Auf einen zum Zweck anderer Untersuchungen mit einer Ductus thoracieus-Fistel versehenen Hund wurde eins der oben beschriebenen Elek- trodenpaare festgebunden, und zwar auf der Brust, in der Nähe des Ster- nums. Die Rohre und Wattebäusche wurden mit Ferrocyannatriumlösung getränkt und zunächst kein Strom hindurchgeschickt, zugleich tropfte die aus der Ductus thoracicus-Fistel ausfliessende Lymphe in ein Gefäss mit ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 25 verdünnter Eisenchloridlösung. Während 25 Minuten zeigte sich keine Reaction, jetzt wurde der Strom von 10 Groves-Elementen eingeschaltet, und bereits 7 Minuten später trat die Berlinerblau-keaction in der Lymphe auf. Die histologische Untersuchung der Hautpartie, welche von den Elek- troden bedeckt gewesen war, ergab, dass die ganze Epidermis und Cutis direct unter den Wattebäuschen von Ferrocyannatrium durchtränkt war und ausserdem zeigten sich alle Lymphgefässe in der Umgebung wie injicirt. Diese Thatsache, welche den gehegten Erwartungen vollkommen ent- sprach, ist sehr wichtig und widerlegt die oft publieirte falsche Anschauung, es gelänge mittels der Kataphorese, ein Medicament durch die Haut hin- durch in ein darunter liegendes Organ hineinzubringen, oder man könne durch eine Extremität hindurch eine Lösung treiben; davon ist: also keine Rede, wir sind nur in der Lage, das Medieament durch die gesunde Haut hindurch in das Bereich der Lymphbahn zu transportiren. Ein localer Erfolg kann also nur in der Haut selbst erwartet werden, im Uebrigen wird es zu einer Allgemeinwirkung durch die Resorption kommen. Ich schritt jetzt zu Versuchen an mir selbst. Ich kataphorirte mir mit Benutzung ganz ähnlicher Elektroden eine 10 procent. Jodkalilösung, und es war schon 41 Minuten nach begonnener Einführung Jod im Harne nachzuweisen. Dasselbe gelang mit Chinin, nur trat hier das Medicament erst 3 Stunden nach dem Beginn der Einführung im Nierensecret bemerk- bar auf. Diese Verzögerung ist, glaube ich, durch den verhältnissmässig schwierigen Nachweis des Chinins zu erklären, welcher erst eine ziemlich erhebliche Quantität des Medicaments voraussetzte. Irgend welche Be- schwerden waren bei der Einführung nicht zu bemerken, nur war ich gezwungen, mit der Stromstärke über 4 Milliampere im geschlossenen Kreis nicht hinauszugehen, da bei stärkeren Strömen ein sich bis zum Schmerz steigerndes Jucken auftrat und die Haut an der Stelle der Elektroden eine deutliche Reizung zeigte. Ferner stellte ich an mir selbst Versuche an mit einer sauren 2 procent. Cocainlösung, nach etwa 20 bis 25 Minuten war die von den Elektroden bedeckte Hautstelle so unempfindlich, dass ich, ohne Schmerz zu empfinden, eine Nadel bis zur Tiefe von 0.4“ ein- stechen konnte. Diese Unempfindlichkeit hielt etwa 30 bis 45 Minuten an, um dann allmählich abzunehmen. Versuche mit der Einführung von 1 bis 2 procent. Sublimatlösung liessen schon nach einer Stunde qualitativ Hs im Harne nachweisen. Alle diese Versuche liessen eine therapeutische Verwerthbarkeit durchaus aussichtsreich erscheinen und ich wandte mich daher der Ausbildung einer geeigneten Methode zu. Es hatte sich bei den Thierversuchen, wie bereits erwähnt, gezeigt, dass 5 Minuten das Optimum der Durchströmungsdauer einer Stromrichtung dar- stellen; es kam mir nun darauf an, einen Apparat zu construiren, welcher 26 P. MEISSNER: periodisch diese Arbeit, den Strom zu wenden, selbstthätig verrichten konnte, da erst dann eine praktische Verwerthbarkeit der Methode zu erwarten stand, wenn dem Arzt die zeitraubende und lästige Arbeit des Strom- wendens erspart wurde. Die Fig. 2 auf Taf. II wird den Apparat erläutern. Auf einer Hart- gummiplatte ist eine Reihe von Contactplatten aus Messing angebracht. Diese Platten haben die Form von Sectoren und stellen den zwölften Theil eines Kreises dar (AB4’B’ 4”). Diese 12 Sectoren sind in einem Kreis angeordnet und wechselweise unter einander leitend verbunden (4 mit 4, B mit 5’ u.s. w.). Hierdurch werden zwei Contactringe hergestellt, jeder mit 6 Sectoren. Von jedem Ring geht eine Ableitung zu einer Klemm- schraube M und P. Auf diesen Contactringen schleift, durch ein Uhr- werk bewegt, ein gabelförmiger Zeiger, welcher aus zwei von einander isolirtten Theilen besteht, Z und Z’. Der Theil Z schleift ausserdem mit einem zungenförmigen Fortsatz auf einem dritten Contactring O, welcher mit dem einen Pol der Batterie verbunden ist, während der Theil Z’, me- tallisch mit der Axe des Uhrwerks in Verbindung gebracht, die Ableitung des anderen Pols der Batterie darstellt. Der Stromverlauf ist nun fol- gender (Fig. 2, Taf. I). Der Strom tritt bei C ein, durchläuft Z’, geht auf 3 über und von da nach ?, kehrt zurück zu M. Von da durchläuft er 4 und Z, geht auf O über und kehrt zur Batterie zurück. Denken wir - uns jetzt 5 Minuten verstrichen, so hat der Zeiger die Stellung, welche durch punktirte Linien in derselben Figur angedeutet ist. Der Strom tritt, von C kommend, durch Z’ auf A’ über, von da durch a nach A und M zurück nach 2, von P über 3 nach Z’ und durch O zur Batterie zurück. Der Strom hat also den umgekehrten Weg durchlaufen, er ist gewendet worden, das geschieht nun automatisch alle 5 Minuten. Uhrwerk und Contactapparat sind in einen Holzkasten eingeschlossen, welcher auf seinem Deckel ein Zifferblatt trägt (Fig. 10). Auf diesem Zifferblatt bewegt sich ein mit der Axe des Uhrwerks fest verbundener Zeiger, welcher dem Contactzeiger entspricht, ausserdem lässt sich aber noch ein Markirzeiger beliebig verstellen. Der letztere hat den Zweck, ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE, 27 dem Patienten markiren zu können, bis wann die Sitzung dauert. Steht z. B. der Uhrwerkzeiger auf 1 Uhr, und der Patient soll eine halbe Stunde der Kataphorese ausgesetzt werden, so stelle ich den Markirzeiger auf die Zahl 7 und sage dem Patienten, er solle so lange sitzen, bis der schwarze Uhrwerkzeiger den rothen Markirzeiger erreicht hat. Diese letzte Einrichtung könnte als eine überflüssige Zuthat erscheinen, ist es aber in praxi nicht, denn die Erfahrung lehrt, dass gerade bei derartigen lang- wierigen Sitzungen der Patient in erwünschter Weise abgelenkt wird. Dieser Stromwender macht uns also von jeder lästigen Manipulation unabhängig. Des Weiteren musste an eine brauchbare Form der Elektroden gedacht werden. Plastischen Thon zu verwenden, erschien, wie schon bei den Thierversuchen angedeutet, nicht angängig, am besten eignete sich wohl die entfettete Watte oder Schwamm zur Aufnahme der einzuführenden Flüssig- keit. Es war oben bei der Z theoretischen Besprechung = betont, dass eine möglich- a ste Annäherung der Elek- troden an einander eine grössere Tiefenwirkung ga- rantire; da nun ferner in Folge des nothwendigen Fig. 11. Richtungswechsels des Stro- mes beide Elektroden mit der einzuführenden Flüssigkeit armirt sein müssen und daher auch beide auf der zu behandelnden Hautstelle placirt werden sollen, erschien es rathsam, den Elektroden folgende Form zu geben: Ein kurzer Hartgummicylinder von 3°® Durchmesser ist durch eine Scheidewand von gleichem Material in zwei gleiche Kammern ge- theilt und an dem einen Ende durch eine eben solche Platte verschlossen (Fig. 11b). Durch diese Deckplatte treten die Platindrähte x und y hin- durch, welche auf der Platte in den Klemmschrauben XX enden (Fig. 11a). Die Kammern werden mit Watte oder Schwamm ausgefüllt und diese dann mit der einzuführenden Flüssigkeit getränkt. Es wird genügend Flüssig- keit aufgesogen, um eine Sitzung von etwa einer Stunde zu ermöglichen, so dass ein Nachfüllen während der Behandlung nicht nöthig ist. Die Platindrähte sind nach Art einer Spiralfeder gebogen, um eine sichere innige Berührung mit der Watte oder dem Schwamm zu garantiren. Der Hartgummicylinder ist entweder mit einem Stiel versehen oder mit Gurten armirt und kann entweder vom Patienten oder Arzt gehalten oder auf dem zu behandelnden Körpertheil fixirt werden. 2 I A| (ine Ye 28 P. MEISSNER: Diese Form der Elektroden kann natürlich in der weitgehendsten Weise modifieirt werden, je nach Bedürfniss. Als Stromquelle kann jede Tauchbatterie dienen, welche einen Strom von 10 Milliampere zu liefern im Stande ist. Es erscheint durchaus rath- sam, ein Galvanometer in den Stromkreis mit einzuschalten, um jeder Zeit die Stromstärke und die Stromrichtung und damit das Functioniren des Stromwenders controliren zu können. Nachstehende Skizze zeigt die An- ordnung der Apparate zum klinischen Gebrauch (Fig. 12). Mit diesem Arsenal ausgerüstet, ist man im Stande, in der bequemsten Weise die Kataphorese anzuwenden. Es ist selbstverständlich, dass man für besondere Zwecke Modificationen anbringen muss; so werden sich die Fig. 12. Zahnärzte einer wesentlich anderen Form der Elektroden bedienen, es würde aber nicht in den Rahmen dieser Arbeit passen, auf alle (liese Fragen, , welche im Prineip nichts ändern, näher einzugehen. Zum Schluss möge nur andeutungsweise erwähnt sein, dass (die thera- peutischen Erfolge, wie das nach obigen Versuchen schon zu vermuthen war, überraschend günstige sind, vorausgesetzt, dass man bei der An- wendung stets im Auge behält, dass man entweder nur local in der Haut oder allgemein nur durch Resorption wirken kann. Fassen wir noch einmal die Hauptpunkte zusammen: 1. Kataphorese kommt nur vom positiven Pol aus zu Stande. 2. Die Elektrodenflüssiekeit muss besser leiten als die Binnenflüssigkeit. 3. Der Strom muss alle 5 Minuten gewendet werden. 4. Beide Elektroden müssen möglichst nahe bei einander liegen und beide mit der einzuführenden Flüssigkeit armirt sein. 5. Beide Elektroden müssen sich auf dem zu behandelnden Gebiet der Haut befinden. ÜBER KATAPHORESE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE THERAPIE. 29 Wird nach diesen Grundsätzen verfahren, so werden die Erfolge nicht ausbleiben. Ich will nur andeuten, dass die Einführung desinfieirender Lösungen bei allen septischen und parasitären Processen der Haut, die Ein- führung von differenten Medicamenten zur Resorption und Verwendung im ganzen Organismus die günstigsten Erfolge versprechen. Ich werde Ge- legenheit nehmen, an einer anderen Stelle über meine eigenen, sehr günstigen Erfahrungen in dieser Richtung eingehend zu berichten. Jedenfalls zeigen schon allein die besprochenen Versuche, dass wir in der Kataphorese eine elektrotherapeutische Methode haben, deren volle Be- deutung erst die im Laufe der Zeit zu gewinnenden Erfahrungen darlegen werden. Alle die zahlreichen Forscher auf diesem Gebiet haben sich aber auf die grundlegenden Untersuchungen Hermann Munk’s gestützt, welcher schon im Jahre 1873 den therapeutischen Werth dieses interessanten Vor- ganges erkannte und voraussagte. Zur Lehre von der Fettresorption. Von Dr. med. Wilhelm Connstein in Berlin. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diejenigen Factoren, welche die Resorption der Nahrungsfette bedingen, bis zum heutigen Tage noch nicht genügend klargestellt sind. Zwar kennt man bis zu einem gewissen Grade den Einfluss, welchen die Galle und der pankreatische Saft auf die Spaitung und Emulgirung der Fette ausüben: welcher von diesen letzt- genannten Vorgängen aber der eigentlich für die Resorption bedeutungs- volle ist, mit anderen Worten, ob die Resorption der Fette vorwiegend in gelöster (Seife) oder in corpusculärer Form (Fettkügelchen, Fettstaub) vor sich geht, ist noch nicht eindeutig festgestellt. Einer der besten Kenner der Lehre von der Fettresorption, Otto Frank, sagt noch in seiner neuesten diesbezüglichen Untersuchung,! „es ist noch nicht gelungen, die im Vorder- grund des Interesses stehende Frage zu beantworten, ob die Aufnahme der Fette in corpusculärer Form stattfindet oder ob sie, ehe sie aufgenommen werden können, vollständig gespalten werden müssen.“ Einen kleinen Beitrag zur Klärung der in Rede stehenden fundamental wichtigen Frage will die folgende Untersuchung liefern. Der derselben zu Grunde liegende Gedanke ist der folgende: Man kennt bekanntlich ausser den Fettsäureglycerinestern (Fetten) noch andere Fettsäureester, welche, mindestens in demselben Maasse wie die Glycerin- ester, die Fähigkeit haben, sich in wässerigen Lösungen zu emulgiren, welche aber, abweichend von den Glycerinestern, der Einwirkung spaltender Agentien (Alkalien, Fermente) einen erheblichen Widerstand entgegensetzen, so dass- sie als mehr oder minder „unverseifbar“ gelten. ı Zeitschrift für Biologie. 1898. Bd. XXXVI. Nr. 4. 8. 568. WILHELM ÜONNsTEIN: ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 31 Als solche Fettsäureester kennt man z. B. die Verbindungen der Fett- säuren mit Cholesterin, Isocholesterin und anderen höheren Alkoholen, wie sie in vielen thierischen Geweben, ganz besonders aber in den Epidermoidal- gebilden vorkommen. Die hauptsächlichste Fundstätte dieser eigenartigen und interessanten Verbindungen sind die Haare, insbesondere die Wollhaare des Schafes, und man bezeichnet bekanntlich nach Liebreich das Gemenge von Verbindungen der Fettsäuren mit Cholesterin, Isocholesterin u. s. w., wie man es aus der Wolle gewinnt, als Lanolin. Dieser Körper, oder besser, dieses Körpergemenge ist, wie oben er- wähnt, nahezu unverseifbar, besitzt aber bekanntlich die Fähigkeit, mit Wasser oder wässerigen Lösungen zusammengebracht, sich in reichlichstem Maasse und bis zu einer ausserordentlichen Feinheit zu emulgiren. Eine erhebliche mechanische Kraft ist zur Erzeugung einer solchen feinen Emulsion nicht erforderlieh. Wenn nun thatsächlich bei der Verdauung der Fette die feinste Ver- theilung, Emulgirung, derselben eine sehr wesentliche Rolle spielt, so muss man annehmen, dass auch verfüttertes Lanolin bis zu einem gewissen Grade von der Dünndarmschleimhaut aufgenommen werden könne. Diese Frage war experimentell zu prüfen. Ich verfütterte an einen Hund, welcher mit möglichst fettarmer Nahrung genährt wurde, und dessen tägliche Ausscheidung an ätherlöslichen Koth- bestandtheilen sorgfältig controlirt wurde, eine abgewogene Menge wasser- freies Lanolin und untersuchte, wie sich hiernach die Ausscheidung an ätherlöslichen Kothbestandtheilen änderte. Der Koth wurde hierzu sorg- fältig gesammelt, getrocknet und pulverisirt und ein aliquoter Theil des Kothpulvers im Soxhlet’schen Apparat 24 Stunden lang extrahirt. Eine längere Extraction förderte keine in Betracht kommenden Mengen an äther- löslichen Substanzen mehr zu Tage. Im Einzelnen gestaltete sich der Versuch wie folgt: | Feuchter | Getrock- | Trocken- | Aether- | Aether- Datum Nahrung Koth |neter Koth substanz | extract | extract grm grm Procent Procent grm 9.|V. 150 ©® Hundekuchen 75-0 23-3 31-1 0:63 0-47 10./V. | desgl.u. 20=® Lanolin 711-7 21-2 29-6 0-58 0-42 UWE 150 = Hundekuchen 61:5 17-7 28-8 0:44 0:27 12./V. desgl. 102-1 35-9 35-2 15*2 15°5 13./V. desgl. 2 3° 33 83 5-52 14.|V. desel, 195-4 53-4 27-3 2:8 5 15./V. desgl. | ° 31.3 . 4 0-51 16.V. deaıı nun eh 32 WILHELM ÜONNSTEIN: ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. Aus dieser Tabelle erkennt man, dass der Versuchshund, welcher bei annähernd fettfreier Nahrung durchschnittlich 0.55 Proc. ätherlösliche Sub- stanzen in seinem Koth zu entleeren pflegte, nach Darreichung von 20 8” wasserfreiem Lanolin innerhalb 48 Stunden 21.02 gm ätherlösliche Substanzen in 297.5e'm Koth entleerte; dann sank die Fettausscheidung wieder auf das Normalmaass zurück. Der Hund hat somit von den verfütterten 20 em Lanolin mehr als 19.58”% wieder unverdaut ausgeschieden, es hat somit eine irgendwie nennenswerthe Assimilation nicht stattgefunden, trotzdem das Lanolin — wie oben ausgeführt — eine ganz vortrefflich emulgirende, aber dabei allerdings annähernd unverseifbare Substanz darstellt. Es scheint also dieser Versuch, welcher übrigens mit dem gleichen Ergebniss noch ein zweites Mal wiederholt wurde, zu Gunsten der Annahme zu sprechen, dass für die Resorption der Fette in erster Linie deren Spaltbarkeit und vielleicht nur als adjuvirendes Moment deren Emulgirbarkeit in Betracht kommt. Dass andere Momente, insbesondere der Schmelzpunkt, für die mangelnde Resorption des verfütterten Lanolins nicht in Betracht kamen, geht daraus hervor, dass jenes Lanolin bei 40 bis 42° schmolz, also bei einer Temperatur, welche etwa dem Schmelzpunkt des Hammeltalges entspricht, welches Arn- schink! in seinen Fütterungsversuchen zu etwa 93 Proc. resorbirt werden sah. Dieses Moment war von I. Munk? bei den seiner Zeit von ihm an- gestellten Fütterungsversuchen mit Lanolin nicht mit berücksichtigt worden, da das von ihm verfütterte Lanolin erst bei etwa 56° schmolz, einer Tem- peratur, welehe nach Arnschink die Resorption auch leicht spaltbarer Fette fast unmöglich macht. Sah doch der letztgenannte Autor von einem bei 60° schmelzenden Stearingemenge nur noch etwa 10 Proc. resorbirt werden. Das aus den vorliegenden Versuchen sich ergebende Resultat lässt sich kurz dahin zusammenfassen: Aus der Thatsache, dass ein bei 40 bis 42° schmelzendes, leicht emul- girbares, aber nur sehr schwer spaltbares Fett im Darm eines Thieres so gut wie gar nicht resorbirt wird, lässt sich der Schluss ziehen, dass bei der Resorption der Nahrungsiette vorwiegend deren Spaltbarkeit und nur, wenn überhaupt, als adjuvirender Umstand deren Emulgirbarkeit in Betrach, kommt. 1 Zeitschrift für Biologie. 1890. Bd. XXVI. S. 434. ” Therapeutische Monatshefte. 1889. Die Eigenschaften der Eselinmilch.' Von Ellenberger in Dresden, Es ist allgemein bekannt, dass der Milch der Eselinnen schon im Alter- thum eine besondere Nähr- und Heilkraft zugeschrieben wurde. Man be- nutzte dieselbe als Nahrungsmittel bei Greisen mit geschwächten Ver- dauungsorganen, als Heilmittel bei phthisischen Leiden, bei Krankheiten der Geschlechts- und Verdauungsorgane, bei Dyspepsien u. s. w. In den Werken vieler römischen und griechischen Aerzte und Naturforscher, z. B. Euryphon, Hippocrates, Aristoteles, Galenus, Plinius, Celsus, Prosper Africanus, Trallianus u. A. wird die Milch der Eselinnen als Nahrungs- und Heilmittel gepriesen und werden Indicationen für ihren Gebrauch aufgestellt. Auch in der medieinischen Litteratur der neuen Zeit finden wir vom 16. Jahrhundert ab die Eselinmilch als diätetisches Heil- mittel erwähnt, und zwar als Mittel gegen allgemeinen, namentlich den in Folge von Ausschweifungen eingetretenen Kräfteverfall, gegen gichtische Erkrankungen und andere Diathesen, gegen Dyskrasien, Dysenterie, Tuber- culose, chronische Dyspepsie, Blutarmuth und andere Leiden aufgeführt. Als diätetisches Heilmittel bei kränklichen Säuglingen und als Ersatz der Muttermilch mag die Eselinmilch wohl vom Volke hier und da an- gewendet worden sein; systematisch und von ärztlicher Seite ist dies aber ! Die Milch der Eselin wird als Eselmilch, Eselsmilch, Eselinnenmilch, Esel- stutenmilch und Eselinmilch bezeichnet. Für jede dieser Bezeichnungen lassen sich Gründe angeben; man spricht von Frauenmilch, Kuhmilch, Hundemilch, Stutenmilch, Wolfsmileh, Schafmilch u. dgl., gebraucht also zur Bildung des betreffenden zusammen- gesetzten Wortes sowohl die Bezeichnung des männlichen als die des weiblichen Thieres, und letztere im Singular und Plural, und erstere im Nominativ und Genitiv. Mir erscheinen die Bezeichnungen Eselinmilch und Eselstutenmilch für die Milch der Eselin als die besten. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 3 34 ELLENBERGER: erst vom zweiten Drittel unseres Jahrhunderts ab geschehen. In Frank- reich ist die Milch besonders bei luetischen Kindern, ausserdem aber auch bei Verdauungsschwäche und Krankheiten der Verdauungsorgane der Säug- linge zur Anwendung gelangt. Sie hat sich dabei als ein vorzügliches Heil- mittel erwiesen, sie hat z. B. die Sterblichkeit der Kinder in einem Insti- tute, in welchem die Milch unter ärztlicher Aufsicht systematisch angewendet wurde, um 50 Proc. herabgesetzt.! Wenn trotz der ausserordentlich günstigen Erfolge, welche mit der Ernährung kränklicher Säuglinge mit Eselinmilch erzielt worden sind, diese Milch nicht allgemeiner als diätetisches Heilmittel und als Nahrungsmittel für Säuglinge in Gebrauch gezogen worden ist, so liegt dies wesentlich daran, dass diese Milch sehr theuer und in den meisten Culturstaaten schwer zu beschaffen ist. Dies findet wieder seinen Grund darin, dass sich in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern im Verhältniss zu anderen weiblichen, milchgebenden Thieren (Kühen und Ziegen) nur wenig Eselinnen befinden and dass man ausserdem von einer milchenden Eselin täglich nicht mehr als 1 bis 1!/, Liter Milch zur Verabreichung an Menschen gewinnen kann; die übrige Milch, welche die Eselin produeirt, wird für das saugende Fohlen gebraucht. Sobald das Fohlen von der Stute abgesetzt wird, um die ganze im Euter produeirte Milch durch Melken gewinnen zu können, wie dies bei Kühen, Ziegen u. s. w. geschieht, hört bei der Eselin die Milchproduction auf. Man muss deshalb das Eselfohlen während eines Theiles des Tages bei der Mutter lassen, damit dasselbe am Euter der Mutter saugen kann. Unter diesen Verhältnissen kann Niemand daran denken, die Eselinmileh als Ersatzmittel für Frauenmilch bei gesunden Säuglingen einzuführen. Im Hinblick aber auf die grosse Bedeutung, welche die Eselin- milch als diätetisches Heilmittel bei der Behandlung kränklicher und kranker Säuglinge und unter Umständen auch kranker erwachsener Menschen hat, muss es der Wunsch der Aerzte und vor Allem der Kinderärzte sein, einen gewissen Vorrath von Eselinmilch sowohl für die Behandlung und Ernährung kranker Kinder, insbesondere solcher, diean Verdauungsschwäche, Krankheiten der Verdauungsorgane u. dgl. leiden, als auch zur Behandlung sehr geschwächter, vor Allem solcher erwachsener Menschen, die an grosser Verdauungsschwäche oder grosser Irritabilität der Verdauungsorgane kranken und nur ganz leicht verdauliche Nahrungsmittel vertragen, zur Verfügung zu haben. Es werden heutzutage so grosse Summen für diäte- tische Heil- und Stärkungsmittel, Fleischsäfte, Somatose u. s. w. auf- ! Wer sich näher über diese Verhältnisse und die über die Eselinmilch existirende Litteratur, die bis heute bekannten Eselinmilchanalysen u. A. orientiren will, sei auf die vorzügliche Abhandlung von Dr. Richard Klemm, Ueber Eselmilch und Säug- lingsernährung im Jahrbuch für Kinderheilkunde. N.F. Bd. XLII. S. 369 verwiesen. Dre EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 35 gewendet, dass dem gegenüber die Eselinmilch nicht zu theuer, erscheint, wenn das Liter Milch auch 2 bis 4 Mark kosten sollte. Es ist ein grosses Verdienst des Oberarztes Dr. Richard Klemm in Dresden in selbstlosester Weise unter Aufwendung von viel Mühe und Arbeit, Zeit und Geld eine Gesellschaft gegründet zu haben, die sich die Gewinnung von Eselinmilch durch Anschaffung und Haltung von Eselinnen und durch Einrichten einer Eselzucht zum Ziele gesetzt hat. Die unter dem Protectorate Ihrer Majestät der Königin von Sachsen stehende und von Dr. Klemm geleitete Gesellschaft hat in den wenigen Jahren ihres Be- stehens bereits eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet. Zahlreiche kranke Kinder sind in dieser Zeit in erfolgreichster Weise mit Eselinmilch behandelt worden; die Erfolge, welehe mit der Ernährung und Behandlung kranker Säuglinge mit Eselinmilch erzielt werden konnten, sind zum Theil geradezu staunenerregende. Aber auch bei erwach- senen Personen, die an schweren Krankheiten der Verdauungs- und Harn- organe, an schweren Verdauungsstörungen und Störungen der Harnsecretion litten, hat die Milch Vorzügliches geleistet, und zwar offenbar wegen ihrer leichten Verdaulichkeit bei nicht unerheblichem Nährwerthe, ihrer starken alkalischen Beschaffenheit, wegen specifischer, noch unbekannter Eigen- schaften des Milchserums und wegen ihrer Armuth an Fett, welches bei seschwächten Verdauungsorganen bekanntlich nachtheilig auf die Kranken einwirkt. Auch tuberculöse Personen, welche wegen grosser Schwäche der Verdauungsorgane Kuhmilch nicht gut vertragen, verdauen die Eselin- ' milch gut und nutzen dieselbe hochgradig aus. Die praktischen Erfolge, welche bei kranken Kindern und Erwachsenen durch die Behandlung der- selben mit der Eselinmilch (als einem diätetischen Heilmittel) erzielt werden, sind durch gewissenhafte und hervorragende Aerzte aller Zeiten so sicher constatirt worden, dass ein Zweifel an der Richtigkeit dieser Beobachtungen nicht aufkommen kann. Es lag deshalb nahe, dass man vielfach versucht hat, die beobachteten Heilerfolge wissenschaftlich aus den Eigenschaften der Milch, aus ihrer chemischen Zusammensetzung u. dergl. zu erklären. Die Eselinmilch ist deshalb öfters auf ihre chemischen, physikalischen und physiologischen Eigenschaften, insbesondere auf ihre chemische Zusammen- setzung untersucht worden. Im Jahre 1740 hat Friedrich Hoffmann bereits den Trockengehalt der Eselinmilch festgestellt, 1816 bestimmte Brisson das specifische Ge- wicht derselben, 1836 lieferte P&ligot die erste chemische Analyse der Eselinmilch. Später ist dieselbe noch analysirt worden von Simon, Doyere, Bouchardat und Quevenne, v. Baumhauer, Gautier, Gorup-Be- sanez, Fery, I. Munk, Dechambre u. A. Die Eselinmilch ist sonach schon vielfachen Untersuchungen unterzogen worden. Trotzdem hielt ich 3*+ 36 ELLENBERGER: es im Hinblick auf die Wichtigkeit dieses diätetischen Heilmittels und in Anbetracht dessen, dass die meisten der vorliegenden Untersuchungen lückenhaft und wegen der angewandten unvollkommenen Untersuchungs- methoden als veraltet zu betrachten sind, für angezeigt, diese Milch noch- mals einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen. Ueber die Ergeb- nisse dieser Untersuchungen, die noch nicht vollständig zum Abschlusse gelangt sind, werde ich gemeinschaftlich mit meinem früheren chemischen Mitarbeiter und Assistenten Dr. Seeliger und meinem jetzigen Mitarbeiter Dr. Klimmer au anderer Stelle ausführlich berichten. Im Nachstehenden will ich nur einen Theil unserer Untersuchungsergebnisse vorläufig mit- theilen, indem ich bemerke, dass auch in dem citirten Artikel von Richard Klemm schon einige unserer Versuchsergebnisse zur Veröffentlichung ge- langt sind. Unsere Untersuchungen sind während langer Zeit (länger als ein Jahr) an der Milch trächtiger und nicht trächtiger, frischmelkender und güst stehender Eselstuten, wesentlich allerdings an der Milch einer Esel- stute, die ein Jahr lang in unserem Versuchsstalle stand, vorgenommen worden. Die Reaction der Eselinmilch ist stets, und zwar stark alkalisch, gleichgültig, ob sie von trächtigen oder nicht trächtigen Stuten stammt. Die alkalische Reaction erhält sich lange Zeit (mindestens einige Tage) beim Stehen der Milch bei Zimmertemperatur. Es ist dies eine sehr wichtige Eigenschaft der Eselinmilch, wodurch sie sich wesentlich und vortheilhaft von der Kuhmilch unterscheidet. Dabei ist die frisch dem Euter ent- nommene Milch stets keimfrei; das Milchserum der Eselinnen scheint, wie aus den mir darüber gemachten Angaben hervorgeht, ein schlechterer Nähr- und Zuchtboden für Mikroorganismen zu sein als das Milchserum anderer Thiere. Beim Stehen scheidet die Eselinmilch ebenso wie jede andere Milch- art eine Rahmschicht ab; die Rahmschicht ist aber stets sehr dünn und bildet häufig nicht einmal eine zusammenhängende, die ganze Oberfläche der Milch deckende Schicht. Nur die beim Melken zuletzt entleerte Milch- quantität bildet eine gut zusammenhängende Rahmschicht. Beim Kochen der Eselinmilch tritt in der Regel, namentlich bei der Milch trächtiger Stuten, die Gerinnung der Milch ein. Wird das Kochen nur kurze Zeit, z. B. nur während fünf Minuten, fortgesetzt, dann sind die Gerinnsel noch so locker, dass dieselben durch Schütteln so zertheilt werden können, dass die Milch noch durch einen Gummihut von dem Kinde durchgesaugt werden kann. Bei längerem Kochen werden die Gerinnsel so fest, dass die Zertheilung derselben durch Schütteln nicht mehr gelingt. Diese Beobachtungen (über die alkalische Beschaffenheit der Milch und ihr Verhalten beim Stehen an der Luft und beim Kochen) sind auch von Dıs EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 37 Klemm gemacht worden. Wir konnten gegenseitig unsere Beobachtungen nur bestätigen. Klemm fand z. B. bei 170 Versuchen, dass die Milch der trächtigen Eselin in 168 Fällen gerann, in zwei Fällen dagegen nicht. Die Milch einer nicht trächtigen Eselin gerann dagegen bei 20 Versuchen Klemms in keinem Falle. Später fanden wir allerdings beide (R. Klemm und ich), dass auch die Milch der nicht trächtigen Thiere in der Regel beim Kochen gerinnt. Wenn man der Eselinmilch 1 Proc. Kuhmilchrahm zusetzte, dann gerann dieselbe dagegen merkwürdiger Weise nicht. Das specifische Gewicht der Eselinmilch schwankt zwischen 1-014 bis 1-06, beträgt aber im Durchschnitt 1.032. Die Farbe der Milch ist bläulich grau, bezw. weiss, mit einem Stich in’s Blaugraue; sie deckt weniger als verdünnte und unverdünnte Kuh- und Frauenmilch. Sie schmeckt süsslich, der Mandelmilch ähnlich; dabei hat die Eselinmilch einen eigenthümlichen Geruch, der bei der Brunst der Stuten sich derartig steigern kann, dass die Milch für denjenigen, der die- selbe geniesst, geradezu widerwärtig wird. Auch in den späteren Perioden der Trächtigkeit steigert sich der eigenthümliche Geruch. Die Milch nimmt fremde Riechstoffe sehr leicht auf. Es ist deshalb Sorge für grösste Reinlich- keit im Stalle, für Öfteres Entfernen des Düngers (der Exeremente) u. dergl. zu tragen und dafür zu sorgen, dass die Thiere nicht in einem Raume stehen, in welchem sich Riechstoffe entwickeln, z. B. in einem Stalle, dessen Thüren und Fenster frisch mit Oelfarbe gestrichen sind u. dergl. Vor jedem Melken muss das Euter in der sorgfältigsten Weise gereinigt werden (z. B. durch Abwaschen mit Seife und warmem Wasser, unter Umständen sogar noch Waschen mit einer schwachen Sub- limatlösung). Geschmack und Geruch der Milch ändern sich einige Zeit nach dem Melken; die unmittelbar nach dem Melken wohlschmeckende Milch schmeckt oft nach einigen Stunden unangenehm und nimmt einen eisenthümlichen Geruch an. Beim Centrifugiren der Eselinmilch bildet sich nur eine ganz dünne Rahmschicht; die Trennung des Rahms von der übrigen Milch macht Schwierigkeiten. Beim Centrifugiren der Kuhmilch entsteht bekanntlich eine dicke, weisse Rahmschicht, die sich von der übrigen Milch leicht trennen lässt. Die entrahmte Kuhmilch sieht gelblich weiss, die entrahmte Eselinmilch dagegen bläulich weiss aus. Ein ganz besonderes Verhalten zeigt die Eselinmilch bei Zusatz von Säuren, bei Behandlung mit Lab, mit künstlichem Magensaft und mit neutralen Extracten der Fundusdrüsenschleimhaut des Magens. Sie unterscheidet sich in dieser Beziehung ganz wesentlich von der gewöhnlich als Ersatz für Frauenmilch bei Säuglingen zur Verwendung gelangenden Kuhmilch. 38 ELLENBERGER: Bei Zusatz von Säuren (was in der bekannten Art zu geschehen hat) scheidet die Eselinmilch zahlreiche zarte, feine Flöckchen aus; beim längeren Stehen der mit 5 procent. Essigsäure versetzten Eselinmilch, sei es im Zimmer, sei es im Thermostaten, bildet sich ein ganz dünner, fein flockiger, leicht aufschüttelbarer Bodensatz, während die Milch im Uebrigen dadurch, dass feine Flöckehen in ihr schweben, trübe und undurchsichtig erscheint. Das abweichende Verhalten der Kuhmilch ist bekannt und braucht des- halb nicht näher geschildert zu werden. Setzt man der Kuhmilch Essig- säure zu und stellt sie in den Thermostaten, dann entsteht ein starker zu- sammenhängender oder grobflockiger Niederschlag. Beim gleichen Verfahren bildet sich in der Eselinmilch ein ganz feinflockiger, durch Schütteln leicht zu zertheilender und erheblich geringerer Niederschlag. Bei Einstellen der Eselinmilch mit dem neutralen Extract der Fundusdrüsenregion des Magens in den Thermostaten bei Verdauungs- temperatur trat ein dünner (oft hautartig dünner), zarter, schneeweisser Niederschlag von in Flöckchen geronnenem Casein auf. Bei der geringsten Bewegung, bezw. ganz leichtem Schütteln theilte sich der Niederschlag der darüber stehenden Flüssigkeit mit, so dass die Flöckchen dann in der Flüssigkeit schwammen, um sich beim Stehen wieder als Niederschlag zu Boden zu senken. Das über dem Niederschlage befindliche Milchserum (Molke) war weisslich trübe in Folge einzelner feiner, zarter, in ihm schwim- mender Flöckchen, die sich nicht niedersenkten. In der unverdünnten oder verschiedengradig verdünnten Kuhmilch, gleichgültig ob dieselbe vorher entrahmt worden ist oder nicht, bildet sich unter gleichen Verhältnissen, in der Regel in den die Milch enthaltenden Kölbchen, ein fester, derber, elastischer, klebriger, grau oder gelblich-grau oder grünlich-grau erscheinender Käsekuchen, der meist am Boden des Gefässes so fest klebt, dass er sich beim Schütteln nicht ab- löst und dass das Serum vollständig abgegossen werden kann, während der Kuchen am Boden des Gefässes sitzen bleibt; öfters schwimmt der Käsekuchen auch frei in der Molke. Der Kuchen ist an der freien Ober- fläche meist uneben, grubig vertieft, oder er besitzt nur eine centrale, tellerartige Grube, so dass er von oben gesehen einem rothen Blutkörperchen gleicht. Zuweilen kommt es nicht zur Bildung eines einzigen Käsekuchens, sondern zur Bildung mehrerer festeren Klumpen und Klümpchen und eines dünneren, am Boden des Gefässes klebenden Niederschlages. In keinem Falle aber gelingt es, durch Schütteln den Kuchen oder die Klumpen in feine 'Flöckehen zu zertheilen. Bei nicht entrahmter Milch enthält der Käse- kuchen viel Fett und lässt dann oft zwei Schichten, eine obere hellere fettreichere und eine untere dunklere fettärmere Schicht, erkennen. Bei Dıkr EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 39 entrahmter Milch ist natürlich weniger Fett in dem Käsekuchen enthalten; es tritt auch keine Schichtung in demselben auf. Das Milchserum ist weniger trüb als das der Eselinmilch und unter Umständen fast ganz klar. Ich lasse die betreffenden, Flüssigkeiten (Milch + Fundusdrüsenextract) in der Regel über Nacht im Thermostaten ruhig stehen und stelle am nächsten Morgen das Resultat fest. Man kann aber auch schon nach wenigen Stunden das betreffende Ergebniss des Versuches constatiren. Bei Mischung des Fundusdrüsenextractes mit 5Sprocent. Essig- säure und Einstellen mit Milch in den Thermostaten findet man nach drei Stunden in der in Reagirgläsern enthaltenen Eselinmilch oben ein gallertiges, zartflockiges, weisses Coagulum; das darunter befindliche Milchserum ist trüb und undurchsichtig. In der Kuhmilch bildete sich ein viel diekeres und derberes gallertiges, gelbweisses Coagulum, unter dem sich ein fast klares Serum befand. Die Gallertschicht contrahirte sich später und presste Serum - aus und wurde dabei so dicht, dass man die Reagirgläser umdrehen konnte, ohne dass das Milchserum herausfloss. Versetzt man Kuh- und Eselinmilch mit künstlichem Magensaft (Fundusdrüsenextraet mit 0-2 procent. Salzsäure) und stellt dieselben in den T'hermostaten ein, dann treten zunächst dieselben Unterschiede hervor wie beim Ansetzen der beiden Milcharten mit neutralem Magenextracte, nur mit dem Unterschiede, dass hier gleich die Verdauung mit der Gerinnung der Milch einhergeht und ihr folgt, dass sich also Pepton bildet. In der Kuhmilch entstand allmählich der oben beschriebene Käsekuchen; zuerst gerann die Milch in bekannter Weise, das zunächst grosse Gerinnsel setzte sich bald, kleiner werdend, zu Boden; dann retrahirte es sich immer mehr, presste dabei Serum aus und bildete schliesslich einen kleinen, festen, schei- - benartigen, rundlichen, käseartig riechenden und bei nicht entrahmter Milch zweischichtigen Käsekuchen (s. oben). In Folge der vorschreitenden Ver- dauung wurde der Kuchen allmählich kleiner und lockerer und schliesslich so locker, dass er sich schon beim leichten Schütteln in Flocken auflöste, die in der Molke schwammen und später immer mehr durch den Magen- saft gelöst wurden. In der Eselinmilch trat ein reichlicher, aus lockeren Flöckehen bestehender, nach Käse riechender, leicht zu vertheilender Nieder- schlag auf; ein begrenzter klebriger Kuchen bildete sich nicht, die Flocken schwammen vielmehr in der Flüssigkeit. Nach !/, Stunde waren schon etwa 50, nach 1 Stunde etwa 60 Proc. des Caseins in Pepton übergeführt. In der 2. und 3. Verdauungsstunde schritt die Verdauung, wohl in Folge der Störung der Fermentwirkung durch Anhäufung der Verdauungsproducte, nur langsam vor, so dass nach 3 Stunden nur 70 Proc. des Caseins ver- daut waren. In der ersten Zeit schritt die Peptonisirung in der Eselinmilch rascher vor als in der Kuhmilch, wie colorimetrische Peptonbestimmungen 40 ELLENBERGER: zeigten, später glich sich dies aus und es bestand zwischen beiden Milch- arten kein erwähnenswerther Unterschied, mit Ausnahme dessen, dass sich bei der Verdauung des Kuhcaseins stets unlösliches Nuclein abschied, dass dagegen bei der Verdauung des Eselcaseins ein Nucleinrückstand niemals zu constatiren war. Zu diesen Versuchen sei noch hinzugefügt, dass Klemm und Wies den erbrochenen oder ausgeheberten Mageninhalt von Kindern, die mit Eselinmilch ernährt wurden, von genau derselben homo- genen, feinflockigen Beschaffenheit fanden wie den von Brustkindern. Die besprochenen Unterschiede zwischen Kuh- und Eselinmilch blieben auch dann bestehen, wenn die Eselinmilch ausnahmsweise in Folge beson- derer Fütterung der Stuten oder anderer Verhältnisse fettreicher als ge- wöhnlich und ärmer an Milchzucker war, wenn sie also in dieser Beziehung der Kuhmilch ähnlich wurde. Wir fanden z. B., dass eine Eselinmilch, - welehe 2-6 Proc. Fett, 2-9 Proc. Milchzucker und 2-14 Proc. Gesammt- eiweiss enthielt, ebenso in zarten, leichten Flöckchen gerann und keinen Käsekuchen bildete, wie die gewöhnliche Eselinmilch, während in der zu 25, 90, 40 und 50 Proc. mit Wasser verdünnten Kuhmilch die Bildung des besprochenen Käsekuchens beobachtet werden konnte. Nur bei der am vierten Tage nach der Geburt gewonnenen Colostralmilch haben wir einmal die Bildung eines Käsekuchens in der Eselinmilch beobachtet. Um festzustellen, wie sich die Eselinmilch: beim sogenannten künst- lichen Verkäsen mit käuflichem Labpulver (von Brunnengräber in Rostock bezogen) im Vergleiche mit der Kuhmilch verhalte, wurde folgender Versuch angestellt: Wir versetzten 250 &” Eselinmilch, welche 4 8m Ge- sammteiweiss (mit 3-0 s’” Casein) und 1 "= Asche (0-9 wasserunlösliche und 0-1 in Wasser lösliche Salze) enthielten, mit 10 °" einer aus Lab- pulver hergestellten Labflüssigkeit und stellten diese Mischung bei einer Temperatur von 40°C. in den Thermostaten. Nach einiger Zeit entstand ein schneeweisser, feinflockiger Niederschlag, der etwa !/, des Raumes der ganzen Milchmenge einnahm; die über diesem Niederschlage befindliche Molke war sehr trübe, weisslich, undurchsichtig, reagirte alkalisch und ent- hielt fast das gesammte Fett der Milch, da in dem Käse nur wenig Fett enthalten war. Man fand in der Molke 1-6 =” Eiweiss mit 0-21 = Casein und 0.55 2m Asche (0-1 &® in Wasser lösliche und 0-45 sm unlösliche Salze); der Käse enthielt 2-4 s’” Eiweiss und 0.45 sm Asche, und zwar 0.002 2’ in Wasser lösliche und 0-45 8m unlösliche Salze. Von dem Ge- sammteiweiss der Milch sind also 60 Proc. in dem Käse und 40 Proc. in der Molke enthalten; dagegen fanden sich 2-4 s’”= Casein im Käse und 0.6 s”® in der Molke. Es ist also !/, des Caseins (als Molkeneiweiss) beim Laben der Milch in Lösung geblieben, bezw. übergegangen. Man fand allerdings in der Molke nur 0-21 ®”® Casein; das fehlende Casein (etwa Diez EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 41 0.4 sm) ist beim Laben chemisch verändert worden und in einer neuen Modification (Paracasein) in der Molke vorhanden. Bei Behandlung von Kuhmilch mit derselben Labflüssiekeit bildet sich fester, derber, gelblich-grauer, etwas klebriger Käse von dem bekannten Käsegeruche. Aus den vorstehenden Angaben ergiebt sich, dass in dem Verhalten der Eselinmilch und der Kuhmilch bei Zusatz von Säuren und beim Behandeln derselben mit Lab, Magendrüsenextracten und künstlichem Magensaft erhebliche und charakteristische Unterschiede zwischen beiden Milcharten bestehen und dass sich in dieser Beziehung die Eselinmilch ganz ähnlich wie die Frauenmilch ver- hält, während die Kuhmilch ein in hohem Grade abweichendes Verhalten zeigt. Die Ursache dieses verschiedenen Verhaltens der genannten Milch- arten ist zur Zeit nicht bekannt; man kann dieselbe in einer besonderen Beschaffenheit des Caseins, in Verschiedenheiten bezüglich des Kalkgehaltes der Milch, in einer besonderen Beschaffenheit des Milchserums und in Anderem suchen. Praktisch ist es wichtig, dass die fragliche Verschieden- heit thatsächlich besteht und stets hervortritt. Die genannten Eigenthüm- lichkeiten der Kuhmilch treten auch dann hervor, wenn man dieselben mit Wasser verdünnt. Seit 20 Jahren verwende ich Kuhmilch in den verschiedensten Ver- dünnungen zu den genannten Versuchen, um den Studirenden zu demonstriren, wie sich dieselbe gegenüber neutralem Magensaft und Labpulver verhält und um zu zeigen, dass der sich bildende Käse verschieden ist von dem durch Säurezusatz geronnenen Casein. Stets constatirte ich dabei das gleiche Ver- halten der Kuhmilch (die Bildung des Käsekuchens u. s. w.), stets konnte ich constatiren, dass sich die Kuhmilch ganz anders verhält als Pferde- stuten-, Eselin- und Frauenmilch. Ich will nicht bestreiten, dass es möglich ist, auf umständliche Weise aus der Kuhmilch ein Gemenge von Casein, Albumin, Fett, Milchzucker und Salzen herzustellen, welches sich Säuren und Lab gegenüber ähnlich wie die Eselinmilch verhält. Es ist ja möglich, dass sich künstlich hergestellte Misehungen des Kuhcaseins, Eselcaseins, Pferdestutencaseins u. s. w. mit Fett, Albumin u. dergl., wenn man stets gleiche Mischungsverhältnisse wählt, bei Säure- und Labzusatz u. s. w. ähnlich unter einander oder gleich ver- halten. Aber, wenn dies thatsächlich auch der Fall wäre, was würde da- mit bewiesen? Damit kann nicht dargethan werden, dass die Eselinmilch bezüglich ihrer Verdaulichkeit, Assimilirbarkeit, Bekömmlichkeit u. s. w. von der normalen oder der durch Zusätze und Verdünnungen veränderten Kuh- milch nicht verschieden ist. Das künstlich hergestellte Gemenge ist keine Eselinmileh, es hat weder die specifischen Eigenschaften des Eselinmilch- serums (bezw. des Blutserums des Esels), noch den specifischen Geruch und 42 ELLENBERGER: Geschmack, noch den bestimmten Grad der Alkalität, noch die leichte Verdaulichkeit, noch die eigenthümlichen Heilwirkungen bei Magendarm- katarrhen der Säuglinge, noch die besonderen Wirkungen auf die Harn- und Gallensecretion u. s. w. Weder die Frauenmilch noch die Eselinmilch ist auf künstlichem Wege herstellbar. Die moderne Chemie muss zugeben, dass auf dem Wege der chemischen Analyse die unbedingt richtige che- mische moleculare und atomistische Constitution einer Körperflüssigkeit und dergl. zur Zeit nicht nachgewiesen werden kann. Findet man bei der Analyse zweier Flüssigkeiten (z. B. des Blutserums zweier Individuen derselben oder verschiedener Thierarten) in beiden dieselben Bestandtheile (z. B. Natrium, Kalium, Eiweiss, Kohlensäure u. s. w.) in ganz gleichen Mengenverhältnissen, so ist noch nicht gesagt, dass beide Flüssigkeiten thatsächlich chemisch gleich constituirt sind und physiologisch gleich wirken. Künstliches Karlsbader Wasser ist z. B. dem natürlichen in seinen Wir- kungen wahrscheinlich nicht gleich. Dazu ist noch zu bemerken, dass z. B. auch ein auf umständliche Weise chemisch rein hergestelltes, von Fett und allen Beimengungen befreites und dann wieder gelöstes Casein andere Eigenschaften zeigen kann als das Casein in der Milch, aus welcher das künstliche Casein hergestellt wurde. Uns kam es zunächst nur darauf an, die Eigenschaften der an Säug- linge und Kranke zu verabreichenden Eselininilch, d.h. des natürlichen Secretes der Milchdrüsen der Eselinnen, festzustellen. Vielleicht werden wir uns später auch mit dem Verhalten künstlicher Gemische des Caseins verschiedener Thierarten mit Albumin, Fett u. s. w. gegenüber Säuren, Labferment u. dergl. beschäftigen, wie wir schon jetzt das künstlich dargestellte Eselincasein mit dem in gleicher Weise darge- stellten Kuhcasein verglichen haben. Vorläufig genügt es uns, constatirt zu haben, dass sich die Eselinmilch gegen Säuren, Labferment und Magensaft ähnlich wie die Frauenmilch und ganz anders als die Kuhmilch verhält. Um die Diffusibilität der Eselinmilch, bezw. ihrer Bestandtheile, im Vergleich zur Diffusibilität der Kuhmilch zu prüfen, wurde folgender Ver- such gemacht: 10 °® Kuhmilch, die in eine Diffusionshülse von Schleicher & Schüll eingebracht waren, wurden in einem Thermostaten gegen 100 em auf 40°C. erwärmtes destillirtes Wasser zunächst 5 Stunden lange diffun- dirt. Nach dieser Zeit wurde das Wasser (die Aussenflüssigkeit) auf die diffundirten Bestandtheile untersucht; die in der Hülse verbliebene Milch wurde nochmals gegen 100 «cm destillirtes Wasser, und zwar weitere 19 Stunden diffundirt. Dann wurde die Aussenflüssigkeit wieder auf ihre Bestandtheile untersucht. Nunmehr wurde die Hülse entleert und gut gereinigt und dann zu einem gleichen Versuche mit Eselinmilch verwendet (es wurde deshalb zu DıEs EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 43 beiden Versuchen dieselbe Hülse genommen, weil die Hülsen in ihrer Durch- lässigkeit nicht ganz gleich sind). Die Versuchsergebnisse waren folgende: Man fand nach 5 Stunden in der bei der Kuhmilch klaren Aussenflüssigkeit (Diffusat): 0.21 am Milchzucker und 0-03 2m Asche und in dem trüben Diffusate der Eselinmilch: 0.266 s® Milchzucker und 0.014 sm Asche. Die Asche bestand im Wesentlichen aus in Wasser löslichen Bestand- theilen, namentlich Chlorsalzen; bei der Kuhmilch fand man auch Phosphor im Diffusate, der im Diffusate der Eselmilch fehlte, die dafür Schwefel in Spuren enthielt; das Diffusat der Kuhmilch enthielt keinen Schwefel. In dem zweiten, nach weiteren 19 Stunden erhaltenen Diffusate der- selben Milchportion wurden gefunden: a) bei der Kuhmilch, die ein nur wenig trübes Diffusat geliefert hatte: 0-18 stm Milchzucker und 0-02 sm Asche, b) bei der Eselinmilch, deren Diffusat sehr trübe war: 0.124 stm Milchzucker und 0.0138 2” Asche. Die Asche bestand grösstentheils aus in Wasser unlöslichen Salzen; man fand kein Chlor mehr, oder nur Spuren davon; Phosphor fehlte; Schwefel (Sulfate) war reichlich vorhanden. Die Milch in der Diffusions- hülse enthielt viel Caleciumphosphat, namentlich die Eselinmilch. Fett war in keinem Diffusate vorhanden. Eiweiss fand sich nur in Spuren in dem Diffusate, und zwar bei der Eselinmilch etwas mehr als bei der Kuhmilch, wie dies die qualitative Prüfung der Diffusate ergab. Ein erheblicher Unterschied zwischen beiden Milcharten besteht bezüg- lieh ihrer Diffusibilität nicht; die zu constatirenden Unterschiede ergeben sich aus der verschiedenen chemischen Zusammensetzung beider Milcharten. Die chemische Zusammensetzung der Eselinmilch. Nach meiner Anweisung ist von meinem Assistenten Hrn. Dr. Seeliger die Milch einer in unserem Versuchsstalle befindlichen und naturgemäss er- nährten Eselin während eines langen Zeitraumes häufig analysirt worden. Daneben wurde aber gelegentlich auch die Milch anderer Eselinnen auf ihre chemische Zusammensetzung geprüft. Das eigentliche Versuchsthier war, als die Untersuchungen begannen, trächtig, es befand sich im 7. bis 8. Monate der Schwangerschaft. Das Thier fohlte nach etwa 5 Monaten; die Milch wurde dann noch während einiger Monate weiter untersucht. 44 ELLENBERGER: Wir können sonach unterscheiden: 1. die Milch der trächtigen Stute, 2. die Milch in der letzten Zeit der Trächtigkeit, 3. die Colostralmilch, 4. die Milch der nicht trächtigen Stute. I. Die Milch der trächtigen Eselstute. Das specifische Gewicht der Milch der trächtigen Stute schwankte zwischen 1-014 bis 1.035; es betrug im Mittel 1-03 bis 1.035; selten sank es darunter und nur ausnahmsweise auf 1.014, und zwar bei starkem Steigen des Fettgehaltes und Sinken des Gehaltes an Milchzucker. Der Eiweissgehalt ist in 4 Monaten 25 Mal festgestellt worden; der Gesammteiweissgehalt schwankte von 1 bis 1-5 Proc. (0-21 bis 0-27 N), nur ausnahmsweise erhob sich derselbe einige Male für wenige Tage auf 2 und 2-14 Proc.; damit stieg natürlich auch das specifische Gewicht. Von dem Gesammteiweiss entfallen ?/, bis ?/, auf Casein, '/, bis !/, auf Albumin. Ein Theil des Stickstoffes ist nicht auf Eiweiss zu beziehen. und zwar etwa 10 bis 15 Proc. (Phosphorfleischsäure?). Man fand z. B. bei 1-44 Procent Eiweiss 0-96 Procent, bei 1-23 Pro- cent Eiweiss 0-7 Procent, bei 1-30 Procent Eiweiss 0-86 Procent, bei 1-3 Procent Eiweiss 0-96 Procent, bei 1-04 Procent Eiweiss 0-8 Procent und bei 1.2 Procent Eiweiss 0.82 Procent Casein u. s. w. Der Fettgehalt schwankte zwischen 0-55 und 1-6 Proc., betrug aber in der Regel ungefähr 1 Proc. (0-7 bis 1-2 Proc... Einmal stieg er aus- nahmsweise auf 2-51 Proc.; dieser hohe Fettgehalt hielt aber nur einige Tage an, dann sank er so, dass er am 8. Tage nur noch 1.64, am 9. 1.58 Proc. betrug. Es sei ausdrücklich betont, dass bei dieser Stute während der Trächtigkeit der Fettgehalt ungefähr bei 50 Proc. der Unter- suchungen über und bei 50 Proc. unter 1-0 Proc. betrug. Der Gehalt an Milchzucker betrug in den ersten Versuchsmonaten im Mittel 6 Proc. (5 bis 6-7 Proc.); später, und zwar von der 6. Woche vor der Geburt an, sank derselbe, so dass er 3 Wochen vor der Geburt nur noch 3 Proc. betrug. Der Aschengehalt betrug durchschnittlich 0-4 Proc. und bestand aus etwa !/, bis !/, in Wasser löslichen, etwa °/, bis ®/, in Wasser un- löslichen Bestandtheilen. Il. Die Milch in den letzten Wochen vor der Geburt. Von der 3. Woche vor der Geburt an stieg der Gesammteiweiss- gehalt der Milch (spec. Gewicht 1-024 bis 1.027) auf nahezu 2 Proc. (1-74 Proc. bei 1-11 Proc. Casein), der Fettgehalt auf etwa 1-5 Proc., während der Gehalt an Milchzucker auf 2 Proc. und 1-9 Proc. sank und der Aschengehalt sich verdoppelte; er stieg auf 0-73 Proc. In den DıE EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 45 letzten 5 Tagen vor der Geburt stieg das specifische Gewicht der alkalisch reagirenden, gelblichen, molkenartig erscheinenden, beim Erhitzen rasch und stark gerinnenden Milch auf 1.42 Proc., dabei sank der Fett- gehalt auf 0-3 bis 0-4 Proc., während der Eiweissgehalt auf 6-46 Proc. (bei 4-13 bis 4-16 Proc. Casein) stieg. Der Gehalt an Milchzucker betrug 6-48, der an Asche 0.6 Proc. Die Asche bestand zu ?/, aus in Wasser unlöslichen und zu !/, in Wasser löslichen Salzen. Die alkalische Re- action der Milch erhielt sich selbst bei tagelangem Stehen an der Luft; erst nach 8 Tagen trat deutlich saure Reaction hervor. Diese Milch wurde zu Verdauungsversuchen verwendet und dabei constatirt, dass kein Nucleinrückstand bezw. Niederschlag entstand. Die kurz (wenige Tage) vor der Geburt im Euter produeirte Milch ist also charakterisirt durch einen hohen Aschegehalt, einen sehr hohen Eiweiss-, einen ziemlich hohen Zucker- und einen geringen Fettgehalt, ein hohes specifisches Gewicht, eine starke alkalische Reaction und dadurch, dass bei ihrer Ver- dauung kein Nucleinrückstand entsteht. III. Colostrum. Die unmittelbar nach der Geburt im Euter enthaltene Milch wurde dem Neugeborenen überlassen. Da die Milch am Tage vor der Geburt untersucht worden war, indem man aus dem gefüllten Euter eine gewisse Menge Milch durch Melken entleerte, so ist anzunehmen, dass sich die bei der Geburt im Euter enthaltene Milch nicht wesentlich anders verhielt als die Milch am Abend vor der Geburt (s. oben unter II). Noch am Tage der Geburt gewannen wir, nachdem das Junge die erste Milch abgesaugt hatte, wieder eine Quantität Milch. Dieselbe zeigte dasselbe allgemeine Verhalten, wie die Milch aus den letzten Tagen vor der Geburt. Sie reagirte stark alkalisch, hatte ein gelbliches, molkenartiges Ansehen, gerann beim Erhitzen und hatte ein specifisches Gewicht von 1.039; der Eiweissgehalt war von 6-46 auf 3-8 Proc. (mit 2:97 Casein) gesunken. Von dem in der Milch bestimmten Stickstoff waren 5-54 Proc. nicht auf Eiweiss zu beziehen; ähnlich verhielt sich auch die in den letzten 8 Tagen vor der Geburt erhaltene Milch. Interessant ist, dass von dem Gesammteiweiss mehr als ?/, auf Casein entfiel, dass also der Casein- gehalt erheblicher gestiegen war als der Albumingehalt, dass sich in dieser Richtung also die Eselinmilch, bezw. das Colostrum der Eselstute anders verhält als das Colostrum der anderen Thiere und des Menschen. Der Fettgehalt betrug 2-8 Proc.;.den Milchzucker fand man zu 6-1 und die Asche zu 0.7 Proc. Die Colostralmilch war nicht besonders reich an Salzen, an Fett und Eiweiss. Auch der Zuckergehalt war verhältnissmässig hoch. 46 ELLENBERGER: Die 2 Tage nach der Geburt gewonnene Milch hatte ein speci- fisches Gewicht von 1-035; ihr Fettgehalt betrug 1,15, der Eiweiss- sehalt 2-50, der Zuckergehalt 6 Proc. Auffallend war, dass von den 2-50 Proe. Eiweiss 85 Proc. auf das Casein (nämlich 2.14 Proc. der Milch) entfielen, dass also der Caseingehalt: bedeutend gestiegen war. Der Ge- halt an Asche betrug 0.65 Proc. mit 80 Proc. in Wasser unlöslichen und 20 Proc. in Wasser löslichen Bestandtheilen; man fand viel Cl und wenig S. Die Reaction war stark alkalisch. Die 4 Tage nach der Geburt gewonnene, alkalisch reagirende Milch hatte ein specifisches Gewicht von 1-037 bei 1-05 Proc. Fett und 2.81 Proc. Eiweiss (bei 2-16 Proc. [77 Proc. des Eiweisses] Casein). Diese Milch bildete in Ausnahme der sonstigen Eselinmilch. im Thermo- staten mit Fundusdrüsenextract einen Käsekuchen in ähnlicher Weise wie . die Kuhmilch. Die am 7. und 8. Tage nach der Geburt gelieferte Milch hatte ein specifisches Gewicht von 1-035 bei einem Fettgehalt von 1-6 Proe. und einem Eiweissgehalt von 2-62 Proc., wovon 76 Proc., also 2 Proc. der Milch, Casein waren. Diese Milch verhielt sich mit Fundusdrüsen- extract wie die Eselinmilch überhaupt; es entstanden zarte Käseflöckchen, aber kein Käsekuchen. | Die Colostralmilch gerinnt beim Erhitzen sofort und zu festeren Kuchen. Beim Stehen geht die alkalische Reaction nach 4 Tagen in die amphore, bezw. neutrale, und nach 38 Tagen in die deutlich saure über. Einige Tage nach der Geburt beginnt eine deutliche Abnahme der Colostrumkörperchen in der Milch bis zum langsamen Verschwinden derselben, dabei nimmt die Milch allmählich wieder ihre gewöhnlichen Eigenschaften (Geruch, Geschmack, Farbe u. s. w.) an. Am 9. Tage nach der Geburt betrug das specifische Gewicht der öselinmilch 1-034 bei 1.20 Proc. Fett und 2-43 Proc. Eiweiss (1-82 Proc. Casein). Von jetzt ab sanken Fett- und Eiweissgehalt rapid, so dass am 13. Tage nur 0.2 Proc. Fett und 1-6 Proc. Eiweiss in der Milch gefunden wurden. Die Colostralmilch zeichnet sich also aus nicht nur durch ein besonderes Aussehen und ihre leichte Gerinnbarkeit beim Kochen, sondern auch durch ein hohes specifisches Gewicht, einen hohen Gehalt an Trockensubstanz, einen grossen Gehalt an Eiweiss, Fett, Zucker und Asche und besonders dadurch, dass der Caseingehalt gegen- über der Normalmilch mehr zugenommen hat als der Gehalt an Albumin. In den ersten 10 Tagen nach der Geburt verschwinden all- mählich die Besonderheiten des Colostrums; die Milch nimmt damit wieder ihre gewöhnlichen Eigenschaften an. Die EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 47 IV. Die Milch nicht trächtiger Eselstuten. Die Milch der Stute ist nach der Geburt des Fohlen, nachdem die Colustrumkörperchen in der Milch verschwunden waren, also etwa vom 10. Tage ab, während mehrerer Monate häufig analysirt worden. Es wurden sowohl vollständige, als auch Theil-Analysen, die sich nur auf einzelne Bestandtheile, z. B. Fett und Eiweiss, erstreckten, vorgenommen. Am häufigsten (mindestens 30 Mal) ist die Milch auf ihren Fettgehalt untersucht worden. Das specifische Gewicht schwankte zwischen 1-030 bis 1.050. Der Gehalt an Gesammteiweiss bewegte sich zwischen 1-08 und 2-00 Proc.; er betrug in der Regel 1-3 bis 1-6 Proc. Der Caseingehalt schwankte von 0-8 bis 1-5 Proe. (z. B. 1-48 Casein:1-97 Gesammteiweiss; 0-95:1-59; 0-.85:1-40; 0-8:1-46; 0-9:1-47; 1-19:1-6; 1-21:1-62; 0-98:1-.63 u. S. W.). Der Fettgehalt der Milch war in den ersten Monaten nach der Ge- burt, abgesehen von den ersten 11 Tagen, ein geradezu minimaler; er schwankte von 0-1 bis 0-6 Proc.; erst später stieg er wieder auf 1 bis 2 Proc. und zuweilen auch darüber. Worin der geringe Fettgehalt der Milch in den ersten Monaten bei der nicht trächtigen Stute seine Begründung findet,, ob dies damit zusammen- hängt, dass das Fohlen während der Hälfte der Tageszeit (von 24 Stunden) an der Stute saugte oder ob andere Gründe vorlagen, vermag ich nicht zu sagen. Durch eine entsprechende Ernährung lässt sich zweifellos der Fett- gehalt der Milch steigern. Constante Unterschiede zwischen Morgen- und Abendmilch liessen sich nicht nachweisen. Es sei in dieser Be- ziehung bemerkt, dass bezüglich der Gewinnung der Milch wie folgt ver- fahren wurde. Man liess entweder während der Nacht das Fohlen bei der Stute; am Morgen wurde dann das Fohlen von der Mutter getrennt und Abends wurde die im Euter angesammelte Milch abgemolken. Oder das Fohlen blieb am Tage bei der Mutter, um saugen zu können und wurde während der Nacht von der Mutter getrennt; des Morgens früh wurde dann gemolken. Manch- mal war die Morgenmilch, manchmal die Abendmilch fettreicher (z. B. 1-3:1-1 Procent oder 1-85:0-9 Procent oder 1-0:2-5 Procent oder 0-75:0-4 Procent oder 2-1:4-6 Procent oder 1-9:0-9 Procent u. Ss. w.). Stets waren die während des Melkens zuletzt aus dem Euter abgemol- kenen Milchportionen erheblich fettreicher als die zuerst gemolkenen Milch- portionen. Bei einer Erkrankung der Stute machten wir eine sehr merkwürdige Beobachtung. Im Frühjahre erkrankte das Thier an einem katarrhalischen, infiuenzaartigen Leiden; während dieser Krankheit stieg der Fett- gehalt der Milch rapid an, und zwar auf 9-0 bis 13 Proc.,, um nach der Krankheit wieder auf 0-8 und 0.4 Proc. herabzusinken. 48 ELLENBERGER: Der Gehalt an Milchzucker schwankte zwischen 5 und 6 Proc. Ausser der Milch des eigentlichen Versuchsthieres ist noch die Milch von 5 anderen Eselinnen untersucht worden. Das specifische Ge- wicht derselben schwankte zwischen 1.030 und 1.060; der Eiweissgehalt zwischen 1.24 bis 1.72 Proc.; der Zuckergehalt zwischen 5-9 und 6.4 Proc.; der des Fettes zwischen 0-15 und 1-7 Proc.; der Aschen- gehalt zwischen 0-3 und 0.4 Proc. Die Reaction war stets alkalisch. Die Milch einer Eselin, welche vor etwa 1 Woche abortirt hatte, zeigte nach der Untersuchung meines Assistenten, Dr. Klimmer, folgendes Ver- halten: specifisches Gewicht 1.024, Fett 1-35 Proc., Zucker 6-4 Proc., Gesammteiweiss 1-70 Proc., Asche 0.334 Proc. Vergleichsweise seien die Ergebnisse einiger Untersuchungen der Milch anderer Hausthiere, die in unserem Laboratorium neben den Unter- suchungen der Eselinmilch zufällig ausgeführt wurden, erwähnt. Die alkalisch reagirende Milch einer frisch melkenden Pferdestute enthielt 4-9 Procent Fett und 3-96 Procent Eiweiss bei 2-78 Procent Casein. Das specifische Gewicht betrug 1.025; die Milch gerann beim Kochen. Sie bildete bei Behandlung mit Labferment feine Flocken und keinen Käsekuchen. Der hohe Fett- und Eiweissgehalt dieser Milch erklärt sich daraus, dass die Stute erst vor Kurzem geboren hatte. Die Milch einer Hündin reagirte alkalisch und gerann nicht beim Kochen, auch dann nicht, wenn sie mit Wasser verdünnt wurde. Sie ent- hielt 6-5 Procent Gesammteiweiss (4-85 Procent Casein und 1-06 Procent Albumin), 5.7 Procent Fett, 9-65 Procent Milchzucker und 1-32 Procent Asche (7 Proc. der Asche entfielen auf P,O,, das ist 0.092 Proc. der Milch). Die Milch einer Ziege reagirte amphoter, manchmal schwach alkalisch, manchmal schwach sauer. Das specifische Gewicht betrug bei den verschiedenen Untersuchungen 1.027 bis 1.037. Der Fettgehalt schwankte bei 24 Be- stimmungen zwischen 4-7 bis 9-2 Procent und betrug in der Regel 6 bis 7 Procent. Der Gehalt an Milchzucker betrug im Mittel 4-45 und der des Gesammteiweisses 3-35 Procent (2-85 Procent Casein, 0-51 Procent Al- bumin). Der Aschengehalt war 0-395 Procent. Beim Laben verhielt sich die Ziegenmilch ähnlich wie die Kuh- milch und die Pferdestutenmilch ähnlich wie die Eselinmilch. Genaueres über die einzelnen Milcharten, insbesondere über die Eiweiss- körper derselben, über die Darstellung und die Eigenschaften des Caseins der Eselinmilch und über Anderes wird in einer ausführlicheren Ab- handlung von Dr. Seeliger und mir berichtet werden. Ebenso soll im Hinblick auf den mir für die vorliegende Abhandlung zugemessenen ge- ringen Raum erst in der späteren Abhandlung auf die Ergebnisse anderer Untersucher und auf den Vergleich der Eselinmilch mit der Milch anderer Thierarten und mit der Frauenmilch eingegangen werden. Die EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 49 Aus den von mir im vorstehenden Artikel gemachten vorläufigen Mittheilungen sind als Hauptergebnisse hervorzuheben, dass die Eselin- milch durch eine eigenartige chemische Zusammensetzung, durch eine stark alkalische Reaction, ein besonderes Aussehen, einen eigenthümlichen Geruch und Geschmack, durch ein ganz besonderes Verhalten gegen Säuren, Labferment und Magen- saft, durch das oft eintretende Gerinnen beim Kochen (nament- lich bei der Milch hochträchtiger Stuten), durch ihre leichte Ver- daulichkeit und endlich noch dadurch charakterisirt ist, dass bei ihrer Verdauung kein Rückstand von Nuclein, bezw. Para- nuclein entsteht, und dass sie von Kindern und Erwachsenen sehr gut vertragen und ausgenutzt wird. Ueber letzteren Punkt und die Ergebnisse der Untersuchungen der Exeremente solcher Kinder, die mit Eselinmilch genährt wurden, berichten wir später. Ueber die Be- sonderheiten der Milch der trächtigen Eselstuten in den letzten Wochen und Tagen vor der Geburt und die Eigenschaften des Colostrums s. S. 44 bis S. 47. In ihrem Verhalten gegen Säuren, gegen das Labferment und gegen Magensaft gleicht die Eselinmilch der Frauenmilch, weicht aber hochgradig von dem entsprechenden Verhalten der Kuh- und Ziegen- milch ab (s. 8.38 ff.). Bezüglich des chemischen Aufbaues der Eselin- milch fällt vor Allem auf: der geringe Gehalt an Fett, der dem Eiweissgehalte der Frauenmilch fast gleiche mittlere Gehalt an Gesammteiweiss, der verhältnissmässig grosse Gehalt an Milch- zucker und das Vorkommen von relativ viel Albumin beim voll- ständigen Fehlen des Nucleoalbumins. Es sei noch hinzugefügt, dass sich die Eselinmilch nach Klemm in Bezug auf das Binden antizymotischer Säure der Frauenmilch gleich verhält und dass sie den schädlichen Wirkungen der Enteromikroben der Säuglinge vor- beugt, das Eintreten von Magen- und Darmkatarrhen hindert bezw. heilende Eigenschaften beim Vorhandensein dieser Krankheiten entfaltet. Die Eselin- milch wirkt auch cholagog und diuretisch und setzt den Harnsäuregrad des Harns bei Individuen, welche dieselbe geniessen, herab. Ja, bei kranken Individuen, welche wenig oder keine andere Nahrung aufnehmen, nimmt der saure Harn nach dem Genusse von Eselinmilch sogar eine alkalische Be- schaffenheit an; die Harnsäureniederschläge verschwinden u. dergl. Die Thatsache, dass die Eselinmilch leicht verdaulich ist, dass sie von solchen Kranken mit Verdauungsstörungen und geschwächten Verdauungs- organen gut vertragen wird, welchen der Genuss von Kuhmilch nachtheilig ist, und dass sie bei an Magen- und Darmkatarrhen leidenden Kindern, bei denen diese Leiden beim Genusse von Kuhmilch aufgetreten sind, geradezu heilend wirkt (Klemm), erklärt sich wesentlich wohl aus dem geringen Fettgehalte der Milch, wahrscheinlich aber auch aus besonderen, uns Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 4 50 3 ELLENBERGER: noch unbekannten Eigenschaften des Serums und aus einer besonders leichten Verdaulichkeit des Oaseins der Eselinmilch. Fettreiche Kuh- milch wird, wie durch zahlreiche Beobachtungen von Aeızten und Laien festgestellt ist, und wie auch ich an mir selbst und an Anderen constatirt habe, von geschwächten Kranken ungemein schwer vertragen, während Eselinmilch genossen werden kann, ohne dass sich irgend welche Beschwerden geltend machen. Auf die leichte Verdaulichkeit des Caseins der Eselinmilch weisen die oben erwähnten Ergebnisse der mit Säuren, Labferment und Magensaft an- gestellten Versuche, wie auch die Thatsache hin, dass das Öolostrum der Eselstuten im Gegensatz zu dem Colostrum der anderen Thiere sehr reich an Casein ist. Ein an Casein reiches Colostrum kann aber von einem Neu- geborenen bezw. einem nur wenige Tage alten Thiere, dessen Verdauungs- organe selbstverständlich noch wenig geübt, also noch leistungsschwach sind, nur dann vertragen werden, wenn das Öasein sehr leicht verdaulich ist. Ich muss betonen, dass bei längerem Genuss von Eselinmilch bei Erwachsenen leicht ein Widerwille gegen diese Milch eintritt, namentlich, wenn die Stute öfters rossig wird oder hochgradig trächtig ist und wenn die Milch nicht direet nach dem Melken genossen wird, vielmehr einige Stunden steht. Der eigenthümliche Geruch und Geschmack, den die Milch dann hat und der besonders dann ganz stark und intensiv ist, wenn das Euter vor dem Melken nicht in der allersorgfältigsten und gründlichsten Weise gereinigt wird, kann beim Erwachsenen einen solchen Widerwillen gegen die Milch hervorrufen, dass eine Zeit lang mit dem Genuss derselben ausgesetzt werden muss. Ich selbst habe Monate lang Eselinmilch täglich getrunken, ohne aussetzen zu müssen, während bei einer Bekannten von mir nach etwa 3monatlichem Genusse von Eselinmilch ein grosser Wider- wille gegen dieselbe hervortrat. Auch bei einem mir bekannten Herrn trat dieser Widerwille, aber schon nach kurzer Zeit, hervor. Interessant ist es, dass Kinder, die bei der Verabreichung von Kuh- milch oder bei anderer kräftiger Ernährung an Magen- und Darmkatarrhen erkrankt waren und bei denen nach der Verabreichung von Eselinmilch eine sofortige Besserung und schliesslich Heilung der Krankheiten eintrat, die Kuhmilch wieder vertragen konnten, wenn sie auch nur kurze Zeit, z. B. 2 bis 3 Wochen lang, Eselinmilch erhalten hatten." Die Behandlung kranker Kinder mit Eselinmilch ist also keineswegs so theuer, wie wohl angenommen wird, weil in der Regel eine kurz dauernde Anwendung dieses diätetischen Heilmittels genügt, um die Genesung herbeizuführen und die Verdauungsorgane in einen derartigen Zustand zu versetzen, dass dieselben die Kuhmilch wieder vertragen können. Nach meiner Ansicht ist die Ursache der auffallenden Wirkung der Eselinmilch auf die kranken Verdauungsorgane in ganz besonderen Eigen- ! Siehe Klemm’s eitirten Artikel. Die EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. Si schaften des Eselinmilchserums zu suchen. Die Chemie vermag zur Zeit diese Besonderheiten noch nicht festzustellen. Dass das Blutserum ebenso wie das Milchserum je nach Thierart und Individualität ganz be-. sondere Eigenschaften besitzt, welche die chemische Analyse zur Zeit noch nicht genügend festzustellen vermag, die sich vielmehr nur in gewissen Wirkungen (z. B. gegen Mikroorganismen) äussern, wird wohl allgemein anerkannt. Ueber die Wirkungen der Eselinmilch bei Krankheiten der Erwachsenen, bei Tuberculose, bei harnsaurer Diathese, hei Krankheiten des Harnappa- rates, bei hochgradiger Schwäche und Irritabilität der Verdauungsorgane, bei Störungen der Gallensecretion u. dgl., sowie über die Indicationen für den Gebrauch der Eselinmilch als Heilmittel bei kranken Kindern habe ich mich nicht weiter auszulassen; das fällt in das Gebiet. der Therapeuten. Auf einen Punkt will ich nur nebenbei hinweisen: der Genuss von Kuhmilch ist bekanntlich mit Gefahren für Kinder und Erwachsene wegen des ungemein häufigen Vorkommens der Tuberculose bei Kühen verbunden. Diese Gefahren bestehen beim Genuss von Eselinmilch nicht. Beim Esel kommt die natürliche Tuberculose gegenwärtig ungemein selten vor.! Zum Schluss möchte ich die Frage wenigstens streifen, ob die Eselin- milch als Ersatz für Frauenmilch, d.h. als Säuglingsnahrung zu verwenden ist. Wie ich schon in der Einleitung hervorgehoben und begründet habe, ist an eine allgemeine Einführung der Eselinmilch an Stelle der Kuh- milch als Ersatz der Muttermilch bei Säuglingen niemals zu denken. Es handelt sich für mich nur um die Frage, ob in einzelnen Fällen die Eselinmilch einen guten Ersatz für Muttermilch, und zwar etwa in den ersten Lebenswochen oder -Monaten eines Kindes abgeben kann. Ob- wohl man weiss, dass die saugenden Eselfüllen bei dieser fettarmen Nahrung (der Muttermilch) prächtig gedeihen und wachsen, muss man doch vom theoretisch-wissenschaftlichen Standpunkte aus die gestellte Frage verneinen. Man muss annehmen, dass die volle Ernährung eines Säuglings auch während der ersten Lebensmonate mit Eselinmilch wegen des ge- ringen Fettgehaltes der Eselinmilch nicht möglich ist. Man weiss, welche Mengen Fett ein Kind von 6 Wochen, 2 Monaten u. s. w. zu seinem Wachs- thume und Gedeihen täglich unbedingt braucht. Wollte man diese Fett- mengen einem Kinde (etwa von 1!/, bis 3 Monaten) mit der Eselinmilch zuführen, so müsste man demselben so grosse Milchmengen verabfolgen, dass diese die Verdauungs-, Circulations- und Harnorgane schädigen müssten. Diesen theoretischen Erwägungen stehen aber thatsächliche Er- fahrungen von Determayer, de Rahnitz, Vinkhuizen, Richard ! Hierüber siehe meine Bemerkungen im Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gebiete der Veterinärmedicin. XVII. Jahrg. (Bericht über 1897.) 8. 50. 52 ELLENBERGER: DIE EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. Klemm gegenüber, welche beweisen, dass die Kinder in den ersten 2 bis 3 Lebensmonaten mit Eselinmilch sehr wohl ernährt werden können und dass dieselben dabei gut wachsen und gedeihen, ohne dass sie von dieser Milch Quantitäten aufnehmen mussten, welche die Mengen der von gleich- alterigen Brustkindern aufgenommenen Muttermilch nennenswerth über- steigen. Welche Rolle hierbei der höhere Zuckergehalt der Eselinmilch (gegenüber der Kuhmilch), ihre leichte Verdaulichkeit und Assimilirbarkeit spielt, lässt sich zur Zeit nicht übersehen. Praktisch ist die angeregte Frage ohne grosse Bedeutung, weil es nur ganz ausnahmsweise vorkommen wird, dass Säuglinge Monate lang mit Eselinmilch ernährt werden sollen. Die Eselinmilch wird vielmehr wegen ihres hohen Preises und wegen der Schwierigkeit, genügende Mengen derselben für die volle Ernährung der Säuglinge erhalten zu können, den Kindern nicht als dauerndes Nahrungs- mittel, bezw. als Ersatz der Mutter- oder Kuhmilch, sondern vielmehr nur als diätetisches Heilmittel bei Erkrankungen, und auch dann nur verhältnissmässig kure Zeit, verabreicht werden. Zur Lehre von der Milchverdauung. Von R. W. Raudnitz in Prag, Der Kinderarzt muss wissen, unter welchen Bedingungen Milch den Magen rascher verlässt. Zur Zeit des Beginnes meiner Versuche lagen darüber folgende Angaben vor. Jessen! hatte einem Manne den Magen nach verschieden langer Zeit mittels Sonde entleert und gefunden, dass sauere Milch rascher als rohe süsse, letztere wiederum rascher als gekochte aus dem Magen geschafft wird. Dagegen erschloss M. Reichmann? aus ähnlichen Versuchen an 21 Erwachsenen, dass rohe Milch den Magen später verlässt als gekochtee M. Einhorn? stellte in gleicher Weise Ver- suche mit Kindern an und fand, dass nach 1!/, Stunden von unverdünnter Milch gewöhnlich noch etwas, von verdünnter gewöhnlich nichts mehr im Magen vorhanden, dass dagegen mit Gerstenwasser verdünnte Milch nach 1!/, bis 1 Stunde 50 Minuten im Magen noch nachzuweisen war. Ich begann meine Untersuchungen mit dem Verfahren der Ausspü- lungen, um zu bestimmen, wieviel nach jedesmal gleicher Zeit im Magen zurückbleibt, verliess dasselbe jedoch nach folgenden Erfahrungen: Man ist niemals sicher, mittels der Ausspülung alle Käseklumpen aus dem Magen entleert zu haben. Gerade die festen, zusammenhängenden Massen bleiben zurück, wie mich z. B. der Leichenbefund an einem Säuglinge lehrte, welchem ich absichtlich kurz vor dem Tode den Magen ausge- waschen hatte. Endlich überzeugte ich mich, dass die blosse Abmessung oder Abwägung des ausgespülten Mageninhaltes ohne analytische Unter- - suchung desselben zu vollkommen irrigen Schlüssen führen kann, wie das noch weiter besprochen werden wird. Das zweite, das von den oben genannten Untersuchern gebrauchte Ver- fahren, durch wiederholte Probeentnahmen die Zeit zu bestimmen, wann der 1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XIX. 8. 129. ? Zeitschrift für klinische Mediein. Bd.IX. S. 565. ® New York med. Journ. 1889. 20. Juli. 54 R. W. RAuDNITZ: Magen leer ist, schien mir noch unverlässlicher, wie es ja auch zu wider- sprechenden Ergebnissen geführt hatte. Ist es schon unsicher, den Magen mittels Ausspülung bestimmt von allen Käseklumpen zu entleeren, so wird uns die Probeentnahme darüber noch weniger Gewissheit geben können. Ausserdem wird durch die Sondirungen die Fortschaffung aus dem Magen beeinflusst. Diese methodischen Bedenken habe ich unter Anführung einiger Ver- suchsergebnisse bereits in einer vorläufigen Mittheilung ! gegenüber Emil Schütz? hervorgehoben, welcher acht erwachsenen Personen einmal ge- wöhnliche Vollmilch, das andere Mal ebenso viel Gärtner’sche Fettmilch verabreichte, nach 1!/, (einmal nach 3) Stunden den Magen auswusch und die Menge des Rückstandes bestimmte. Nach 500 «= Vollmilch fand er 160 bis 260 «=, nach 500 «= Fettmilch 80 bis 120 «= Flüssigkeit wieder, nach 200 «= Vollmilch 40 bis 120 «=, nach 200 «= Fettmilch 15 bis 60 ° =, Nach Verlauf von 3 Stunden war bei 500 «= Vollmilch 140 «®, bei ebenso viel Fettmilch nichts mehr im Magen. Ich habe eine umständlichere Versuchsanordnung gewählt, welche aber zugleich ein sicheres Urtheil darüber gestattet, in wie weit einfachere Me- thoden zulässig sind. Katzen, welche 24 Stunden gehungert hatten, wurde sterilisirte, durch Leinensäckchen geseihte Milch mittelst Schlundsonde ein- gegossen.” Genau 2 bis 3 Stunden nach der Nahrungsaufnahme wurden die bis dahin unter Ueberwachung im Käfig gehaltenen Thiere mittelst Injection von Chloroform in das Herz getödtet, was nur wenige Secunden dauert. Sofort wurden bei verticaler Lagerung der Katze der Magen bezw. auch der Dünndarm abgebunden, jenseits der Abbindungsstellen durch- schnitten, äusserlich abgewaschen und das Fett abpräparirt. Der ausgiess- bare Mageninhalt wurde auf gewogene Schalen entleert, welche getrock- netes, entfettetes Bimssteinmehl enthielten, gewogen, hierauf die noch der Magenschleimhaut anhaftenden Gerinnsel in die Schale gebracht, unter Umrühren eingedampft und bis zur Gewichtsstetigkeit getrocknet. Der Gehalt des Rückstandes an Aetherextract wurde als Maass des Nahrungsrestes gewählt, da Trockengewicht und Stickstoffgehalt durch die Absonderung von Magensaft eher beeinflusst werden. Am meisten ist das bei der Menge des ausgiessbaren Rückstandes der Fall, und eben ein auf- fallendes Missverhältniss zwischen ersterer und dem Fettgehalte belehrt uns, dass hier mehr oder weniger Magensaft als im Parallelversuche abgesondert worden ist. Die Grösse dieser Secretion zu bestimmen, ist unmöglich, da ein Theil des Secretes oder das gesammte bis zum Tode des Thieres wieder 1 Prager medicinische Wochenschrift. 1896. Nr. 49. ? Wiener klinische Wochenschrift. 1896. Nr. 48. ® Das Seihen hat den Zweck, die Kochhaut und Fettklümpchen zurückzuhalten. Es wurde jedes Mal die geseihte Milch analysirt. Zußr LEHRE VON DER MILCHVERDAUUNG. 55) aus dem Magen geschafft wird. Wenn jedoch beinahe ebenso viel oder sogar noch mehr Flüssigkeit wiedergefunden wurde, als eingeführt worden, Trockensubstanz und Fett des Nahrungsrestes dagegen beträchtlich ab- genommen hatten, so ging daraus hervor, dass in diesem Falle sehr viel Magensaft producirt worden war. Nun beeinflusste offenbar die Grösse der Secretion die Fortschaffung der Milch aus dem Magen. Andererseits schien, wie aus den zahlenmässigen Ergebnissen hervorgehen wird, bei stärkerer Concentration des Caseins (also bei unverdünnter Milch gegenüber verdünnter, bei Vollmilch gegenüber Fett- milch) mehr Magensaft producirt zu werden. So arbeitete der Organismus förmlich den Bedingungen meiner Versuche entgegen, indem er seine Thätig- keit dem Bedürfnisse anpasste. Zuweilen überregulirt er, und dann kommt es zu widersprechenden Ergebnissen, welche man erst zu deuten weiss, wenn man aus dem Missverhältnisse zwischen ausgiessbarem Rückstande und dem Fettgehalte des Nahrungsrestes erfährt, dass in diesem Falle eine übermässige Secretion von Magensaft unsere Versuchsbedingungen verändert hat. Um einer solchen Störung der Versuchsanordnung nach Möglichkeit auszuweichen, mussten zu jedem Experimente gleich schwere Thiere aus- gesucht werden, was um so schwieriger ist, als selbst ursprünglich gleich schwere Katzen nach dem ersten Hungertage Gewichtsunterschiede auf- wiesen. Um aus den verschiedenen Versuchen untereinander vergleichbare Zahlen zu erhalten, wurden jedesmal 4 Proc. des Thiergewichtes an Milch eingeführt. Doch ist ein solcher Vergleich wiederum nur für ungefähr gleich schwere Thiere gestattet, nachdem das Nahrungsbedürfniss und dem entsprechend wohl auch die gesammte Function des Magens mit steigendem Körpergewichte relativ abnimmt. Verdünnung der Milch. Gewicht Gewicht des Trockensubstanz Fett der S ee Ei u R b SON 9 d a ER . d 3 Einseführt inge- jausgiessb.| ein wieder ein wieder „Katze " führten | Rückst. | geführt |gefunden geführt |gefunden In grm in grm | in Proc. | in grm | in Proc. | in grm | in Proc. Versuchsdauer 2 Stunden. 2650 106 = Vollmilch | 10918 58 13-13 67 4:7085 74 2650 106 , > 215.18 21 13-13 64 4:71085 72 +106 „ Wasser Versuchsdauer 3 Stunden. 2350 94 cm Vollmilch | 96-82 40 11:18 53 3.2994 65 2300 92 „ > 186.76 37 10-94 49 3.2292 48 +92 „ Wasser 2330 93.2 Vollmilch | 282-4 21 11:08 42 3.2713 45 +186-4 Wasser 56 R. W. RauDnıtz: Diese beiden Versuche ergeben wohl mit Sicherheit, dass im All- gemeinen mit Wasser verdünnte Milch den Magen rascher verlässt. Den Einfluss übermässiger Magensaftsecretion auf den Verlauf des Versuches zeigte ein gleichzeitig mit den beiden ersten Thieren durch 2 Stunden beobachtetes Thier, welches dieselbe Vollmilch bekommen hatte. Gewicht Gewicht des Trockensubstanz Fett der N a N! : o a il a Eineeführt Einge- |ausgiessb.| ein- | wieder ein wieder „Katze ; führten | Rückst. | geführt |gefunden geführt | gefunden In ac in grm | in Proe. | in grm | in Proc. | in grm |in Proe. | 2850 114 °@® Vollmilch | 117-42 | 97 14:12 55 5-05 47 Sucht man die zahlenmässigen Ergebnisse dieses Versuches auf Grund des Fettgehaltes mit jenen der vorherigen Versuche zu vergleichen, so kann man erschliessen, dass in diesem Falle etwa 60 Procent des aus- giessbaren Rückstandes und 10 Procent der wiedergefundenen Trocken- substanz auf Magensaft zu beziehen sind. Die nächste Versuchsreihe war der Fettmilch gewidmet, welche ich mir aus Centrifugenrahm, Magermilch und Wasser erzeugte. Die auf Grund analytischer Vorbestimmungen erzeugten Gemische, welche in keinem Falle Butterausscheidung zeigten, wurden analysirt. Die Versuchsdauer betrug in dieser wie in den folgenden Experimenten 3 Stunden. Gewicht Gewicht des Fett der \ A ; ® I NS 9 Eingeführt Einge- [ausgiessb.. ein- | wieder- Im Masen „Katze 7 führten | Rückst. | geführt gefunden > u gen in grm | in Proc. | in grm |in Proc. 2050 | 80cm Vollmilch mit | 82-72 77 2-8136 54 Recht feine Ge- 3-517 Proc. Fett rinnsel mit viel 0654 „ N Flüssigkeit. 2050 | 80. m Fettmilch Imit| 81-20 29 2.5152 79 Grobe Gerinnsel, 3-14 Proc. Fett wenig Flüssig- 0:308 „ N keit. 2100 | so: ®FettmilchIlmit| 80-72 0 2.5896 26 Nur einige der 3:237 Proc. Fett Schleimhaut an- 0.211, N haft. Gerinnsel. In den beiden folgenden Versuchen habe ich mittels Kjeldahl den Stiekstoffrückstand im Magen und für jene Fälle auch im Dünndarme be- stimmt, in welchen ein deutlicher Unterschied in der Fortschaffung des 57 ZUR LEHRE VON DER MILCHVERDAUUNG. N "02-0 "u 08T 9SurjuIed gay D0IT 9-E 'nıs0g-FyoImesusseN | — rr 6791-0 gg 866-3 Fr 196-7 01 2L-08 | IT Yo A no08 | OGLI N " 12.0 "u 06-T ASuejuieq 399] 001 9-8 'nıs80-FIyoImoSuasem | FIT or C8T3-0 9 18*6 FE er6-4 8 3-18 |AWJ YopLWwIgo HT 08 | 0861 -uodunjyjoseyy u9SeM N " 70 U] 'w0g- T 9duejuntee] ga "Dong L+E map FygaImasuoase | 99 8F 1757°0 99 796-8 88 661-6 6€ 9.38 | MW yopLmfoA u 08 | 3C6L -UOSSeTN AURBZ = uaseN uf'nCE- T9due] N 05:0 -ULIET 'wı378-G JyOIM aA Old 9-8 ‚oSuasen "SIYUOEIL, — 99 8083-0 62 660-7 79 816-9 08 80-8TT NULTT WTIUNIOHwooGIT | 008% "IISYULIOH) £ u9g013 Jury UaSeMN N 15-0 WI ‘w0G-T 9duejwae ya 9014 9-E "wa 9L-gYgoImasuoseN | SIT IE F108-0 2 0-7 = = OL SI-ETL |pu J yopLwgad wo SIT | 0C8% -psuunodosey "Suey -UHTIWESNZ UAIC] UT = "u0g-T SOuLIepuundg N 79:0 sop odug] "wa 19-9 pad 90ag L-8 sussep sep qaInen | TE 98 909-0 PS | e1l-F 8 L8- ol 28 79-STL | m YOTLWIIOA wo SIT | 0088 = wep | UOSeM was ur ‘oa ur | was ur ‘org ur was ur | ORG U wu8 ur 8 -uun(JwI wur S "Jsyony 5 = ULLS UI "ooIg ur JıynJoS3 a ganzo3 | uopunzos| yuunzos | To q usgayny ozyey uasunyıowag uopunpodıoperm | -UIO | -Toporm | -u0 | -1opeım | -um |.ssoräsne! "OSUIH Yıynzposug op ausser) YOIsJouS 3997 zuegsqnsusyo0a], | SOP 4y9LMaH 58 R. W. RauDnı1z: Mageninhaltes gefunden worden war. Natürlich entsprechen die im Darme gefundenen Stickstoffmengen nicht bloss dem Nahrungsreste, sondern auch einer unbekannten Menge an Galle und Verdauungssecreten. Eine Bei- mengung von Darmepithel wurde durch die rasche und dabei doch zarte Entleerung der Därme vermieden, die fast immer vorhandenen Taenien einzeln herausgeholt. Der mit Bimssteinmehi zu Pulver verriebene Magen- und Darminhalt wurde noch durch ein Haarsieb gepresst, um ihn von ver- schluekten Haaren zu befreien. Die gute Uebereinstimmung der Control- proben bürgt für die gleichmässige Vertheilung. Um allenfalls einen Anhaltspunkt für den Grund individueller Ver- hältnisse zu gewinnen, wog ich die rein präparirten, genau an Cardia und Pylorus abgeschnittenen, gleichmässig getrockneten Magen und verglich die Längen der Dünndärme. (Tabelle auf S. 57.) Sieht man von den durch übermässige Magensecretion gestörten Ver- suchen ab, so lässt sich erkennen, dass eine Milch bei gleichem Fett-, aber geringerem Stickstoffgehalte den Magen rascher verlässt. Aus den Stickstoffzahlen mag man schliessen, dass die Resorption im Dünndarme mit der Fortschaffung aus dem Magen nicht gleichen Schritt hält. Endlich erprobte ich die Zugabe solcher Stoffe zur Milch, welche wiederholt zu Zwecken der Kinderernährung empfohlen worden sind. Es war dies Natrium carbonicum, dasselbe mit Pankreatin (von Voltmer & Co. in Altona), blosses Pankreatin und Salzsäure. In diesem Versuche wurde die Milch mit 2°” reinem Wasser oder solchem, welches die betreffende Zugabe enthielt, vorher durch !/, Stunde bei 37°C. im Wasserbade ge- halten. Vielversprechend für eine raschere Fortschaffung aus dem Magen er- schien besonders die vorhergehende Andauung mit Pankreatin, nachdem durch dieselbe im Eprouvettenversuche die Bildung grober Käsegerinnsel bei nachträglicher Behandlung mit Labferment verhindert wird. Ich habe darüber schon bei anderer Gelegenheit! eine Bemerkung gemacht. Die günstige Wirkung der Salzsäurezugabe auf die Ausnutzung der Milch hatte ich? selbst experimentell für Thier und Mensch bewiesen. ! Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XXXI. S. 348 Anm. ® Ueber die Verdaulichkeit gekochter Milch. Zeitschrift für physiolog. Chemie. Bd. XIV. — Physiologisches und Therapeutisches über Kalksalze. Prager medieinische Wochenschrift. 1893. Nr. 29—31. ZUR LEHRE VON DER MILCHVERDAUUNG. 59 Gewicht | Gewicht d.aus-| Fett e | a: e giessb. Rückst.. wieder- 2 der Katze | Eingeführt in Proc. des, gefunden Bemerkungen SD: ° | Eingeführten in Proc. 2130 80 «m Vollmilch mit 132 66 Im Magen ganz feine 2 „ Wasser Gerinnsel. 2180 80 «m Vollmilch mit 36 54 Etwas grobe Gerinnsel. 2 „ Wasser und 0-05&m Na,CO, 2200 80 «m Vollmilch mit 76 76 Magen aufgebläht. 2 „ Wasser, 0-05: m Na,C0, u. Pankreatin 1730 70°®® Vollmilch mit 13 10 Im Magen wenig mil- DER\WIasSser chige Flüssigkeit. 1730 70 e® Vollmilch mit 34 47 Mehr Flüssigk. als beim 2, Yo HCl vor. Thier u.grobe Ger. 1800 70 = Vollmilch mit 33 49 Im Magen dicklicher 2 „ Wasser und Inhalt und kleine Ge- Pankreatin rinnsel. Eine Begünstigung der Fortschaffung von Milch aus dem Magen durch diese Zusätze lässt sich aus diesen Versuchen nicht erkennen, eher das Gegentheil, das kohlensaure Natron ausgenommen. Sicherlich hat die Zugabe von Salzsäure keine Beschleunigung bewirkt, obschon, entgegen Hammel,! eben für diese bei Mehl- und Fleischnahrung Eichenberg? und neuestens Roux und Balthazard? eine solche gefunden haben. Die vorliegenden Versuche wurden im pharmakologischen Institute der deutschen Prager Universität ausgeführt. ! Tmaug.-Diss. Erlangen 1882. ? Inaug.-Diss. Erlangen 1889. 3 Arch. d. physiol. 1898. Janv. Beiträge zur Lehre von der Milzfunetion. Die Absonderung und Zusammensetzung der Galle nach Exstirpation der Milz, Von Privatdoc. Dr. Angelo Pugliese in Bologna. Einleitung. _ In einer Reihe von Untersuchungen, die ich gemeinschaftlich mit Hrn. Dr. Luzzatti! im pharmakologischen Institute zu Bologna angestellt. habe, konnte ich feststellen, dass die gleiche Dose der die Blutkörperchen lösenden Substanz, die bei einem der Milz beraubten Hunde keine oder fast keine Wirkung hatte, bei demselben Thiere zur Zeit, als die Milz noch vorhanden war, das bekannte Bild der Vergiftung (Appetitlosigkeit, Albuminurie, im Harne Gallenfarbstoffe und in schweren Fällen Blut) hervorrief. Dieses Resultat ist nun nichts weiter als ein voller Beweis für die Richtigkeit dessen, was Prof. Bonti? schon im Jahre 1895 gefunden hat. Selbiger drang aber nicht weiter in dieses Studium ein und nahm an, dass die Gifte der rothen Blutkörperchen bei milzlosen Hunden viel weniger wirk- sam seien, weil die Milzexstirpation das hauptsächlichste Auflösungsorgan der rothen Blutkörperchen ausschaltee Ausserdem vermindere die Milz- entfernung den Untergang der rothen Blutkörperchen, weil deren Wider- standsfähigkeit nach Bottazzi® zunimmt. Die Leber erhalte also keine übermässigen Mengen von Blutfarbstoffen, liefere darum keine übermässige Menge von Galle und der Icterus in Folge von Polycholie könne nicht hervor- gerufen werden. Luzzatti und ich konnten zeigen, dass die Blutgifte (Toluylendiamin, Acetylphenylhydrazin, Pyrogallussäure) bei milzlosen Hunden eine 1 Die Veröffentlichung erfolgt demnächst. ? C. Bonti, La milza nelle itterizie 'pleioecromiche. Gazzeita degli ospedali. 1895. Anno XVI. Nr. 47. p. 489. 3 Bottazzi, Ricerche ematologiche. Lo sperimentale. 1894. Fasc. V—VI. ANGELO PusLiEsE: BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNGCTIoN. 61 Zerstörung der rothen Blutkörperchen in fast demselben Maasse wie bei normalen Thieren erzeugen. De Luca und Gatta! erhielten schon dasselbe Ergebniss durch Dar- reichen von Pyrodin, Glycerin und Toluylendiamin bei normalen, sowie später bei Hunden, die der Milz beraubt waren. Ausserdem konnten wir Bottazzi’s Behäuptung, dass die Wider- standsfähigkeit der rothen Blutkörperchen nach der Milzexstir- pation zunimmt, nicht bestätigen. Die maximale Widerstandsfähigkeit modifieirt sich nicht oder steigt nur sehr wenig nach Exstirpation der Milz. Bonti’s Theorie verlor so ihre wichtigste Stütze. Man kann das Nicht- erscheinen des Icterus, das Fehlen des Bilirubins im Harne u. s. w. nicht der verminderten Blutzerstörung zuschreiben, weil die Blutgifte ihre voll- ständige Wirkung auch bei milzlosen Hunden ausüben. Es war daher nöthig, nach einer anderen Ursache dieser Erscheinung zu suchen. Die Milz ist. ein höchst wichtiges Einschmelzungsorgan. Man discutirt noch darüber, ob die Blutkörperchenzerstörung in der Milz oder ausserhalb der- selben vor sich geht,? doch Alle erkennen an, dass der Blutfarbstoff be- sonders in der Milz abgelagert wird. In jenen Fällen, in welchen eine hochgradige Auflösung der Blutkörperchen stattfindet, ist die Pigment- anhäufung in der Milz so bedeutend, dass das ganze Organ sich auffallend vergrössert. Mya? beobachtete in der That bei Hunden, die mit Pyrodin vergiftet waren, einen Milztumor, welcher von sehr schneller und sehr reichlicher Pigmentablagerung herstammte. Da nun das Milzblut durch die Vena linealis in die Pfortader geht und von dieser in die Leber überführt wird, gelangt der in der Milz an- gehäufte Blutfarbstoff direct und schnell in letzteres Organ, woselbst er in Gallenfarbstoff umgewandelt wird. In normalen Zuständen erhalten die Leberzellen nur die geringen Mengen von Blutfarbstoff, welche durch Zersetzung der alten rothen Blut- körperchen frei werden. Dies erhellt daraus, dass die täeliche Menge des Gallenfarbstoffes sehr klein ist; der Procentgehalt des letzteren beträgt nach Stadelmann‘ im Durchschnitt 0-06 bis 0-07 Procent. In pathologischen Zuständen, wenn das Blut bei gewissen Infectionen oder Intoxicationen eine starke und schnelle Zersetzung erleidet, geht eine ! De Luca e Gatta, Sulla pretesa azione di alcuni veneni del sangue sulla milza. Rivista elinica e terapeutica. 1897. Anno XXI. Nr. 11. ® Bei der Malaria scheint es bewiesen, dass das Hämoglobin direct im Innern der rothen ceireulirenden Blutkörperchen sich in Pigment umwandelt. ® Mya, Sur la regeneration sanguin dans Panemie par destruction globulaire, Archiv. ital. de Biologie. 1891. Vol. XV. * Stadelmann, Der Iceterus. Stuttgart 1891. 62 ANGELO PUGLIESE: übermässige Menge des Blutfarbstoffes in die Leber über. Die Leberzellen erhöhen Anfangs ihre Thätigkeit, wodurch der Farbstoff in der Galle stark - vermehrt wird. Diese Vermehrung kann man bei einem Hunde mit Gallen- fistel, dem man eine genügende Dose der die Blutkörperchen lösenden Substanz darreicht, demonstriren. Die indireete Probe der mit dem Untergange der Blutkörperchen einhergehenden gesteigerten Bilirubinabsonderung besteht im erhöhten Auftreten von Stercobilin und Urobilin. Die Gallenfarbstofie können auch in den Harn übergehen, doch kann man aus ihrem Vor- handensein in diesem nicht ohne Weiteres auf die vermehrte Production schliessen, da häufig bei diesem Uebergange andere wichtige Factoren mit- spielen, wie z. B. die grössere oder geringere Gallenzähigkeit, welche eine mehr oder weniger bedeutende Gallenresorption mit sich bringt. Dauert aber die Blutkörperchenanhäufung lange an oder ist sie gar zu intensiv, so sind die Leberzellen nicht im Stande, den ganzen Blutfarbstoff umzuwandeln und das Hämoglobin geht in den Harn über. Diesen hier kurz skizzirten Vorgang konnten Luzzatti und ich wiederholt bei milz- losen Hunden nach Darreichung von Blutkörperchen lösenden Substanzen beobachten. Bei milzlosen Hunden verhält sich, wie ich schon erwähnte, die Sache ganz anders. Einem 7*® schweren Hunde, der die Milzexstirpation ohne weitere Folgen überstanden hatte, reichte ich z. B. in relativ kurzer Zeit eine Menge von Pyrodin, die 4 Mal stärker war als jene, welche bei nor- malem Zustande des Thieres schwere Erscheinungen hervorgerufen hatte: im Ganzen 1.448 Pyrodin, das ist 0.208" pro Kilogramm Thier. Also war die Dose gewiss eine ausserordentliche, die rothen Blutkörperchen ver- minderten sich von 6900000 auf 3008000 und das Hämoglobin von 95 auf 40. Trotzdem wies das Thier keine Krankheitszeichen auf, ab- gesehen von einer äusserst starken Blässe der sichtbaren Schleimhäute und einer Zunahme von Stercobilin.e Der Hund blieb gesund und munter und es zeigte sich keine Appetitlosigkeit, keine Schwäche, kein Erbrechen, wie bei der Vergiftung vor der Milzexstirpation, wobei er im Ganzen nur 0:35: Pyrodin, gleichlautend 0:05 pro Kilogramm Thier, erhalten hatte. Im Harne des milzlosen Hundes konnte man keine Gallenfarbstoffe oder Blut nachweisen, höchstens fand man manchmal etwas Urobilin oder Eiweiss. Diese Ergebnisse wiesen meinem Dafürhalten nach darauf hin, dass die schweren Erscheinungen, welche Blutkörperchen auflösende Gifte bei normalen Thieren hervorrufen, zum grössten Theile wenigstens weder auf die starke Zerstörung der Blutkörperchen noch auf das Gift selbst be- zogen werden dürfen. In den Leberzellen ist der Grund des Phänomens zu suchen. Sie . können das massige Pigment, das durch die Pfortader von der Milz aus in BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNCTION. 63 die Leber eindringt, nicht verarbeiten. Deshalb lässt die Leber Stoffe in den Kreislauf übergehen, die im normalen Zustande nicht vorhanden sind, wie Gallenfarbstoffe, Gallensäure, Hämoglobin u. s. w., welche Stoffe dann das oben beschriebene Bild der Vergiftung hervorrufen. Es handelt sich also um eine relative Verminderung der Thätigkeit der Leber. Nach der Milzexstirpation muss der Blutfarbstoff sich in anderen Organen ablagern; unter ihnen kommt das Knochenmark in erster Reihe in Betracht. Martinotti und Barbacci! sahen bei ihren Untersuchungen über den Milztumor bei Infeetionskrankheiten, dass im Knochenmarke milz- loser Thiere während des Infectionsprocesses die Zahl der Pigmentzellen sowie noch mehr das Pigment selbst ausserhalb der Zellen zunahm. Auch wir fanden eine reichlichere Anhäufung von Pigment im Knochenmarke der Hunde mit oder ohne Milz, die nach einer starken Auflösung der rothen Blutkörperchen getödtet wurden, doch diese Anhäufung war bedeutend mächtiger bei milzlosen als bei normalen Thieren. Wir fanden ferner eine beträchtliche Pigmentmenge in den Lebercapillaren bei den der Milz be- raubten wie bei normalen Hunden vor. In den Lymphdrüsen konnten wir keinen Blutfarbstoff nachweisen. Daraus geht hervor, dass der Blutfarbstoff nach der Milzexstirpation sich hauptsächlich im Knochenmarke ablagert. Wenn man bedenkt, dass das Knochenmark eine grosse Ausdehnung hat, versteht man ohne Weiteres, dass das Pigment, welches sich vordem in einem kleinen Organe, wie die Milz, ablagerte, nach der Entfernung dieses Organes sich auf ein viel grösseres Feld vertheilt. Wie wir schon bemerkt, wird das Blutpigment der Milz schnell und direct durch die Pfortader in die Leber geleitet. Nach Exstirpation der Milz kann der Blutfarbstoff vermittelst des grossen Kreislaufes in die Leberzellen gelangen; das Pigment ist also in einer bedeutend grösseren Menge Blut vertheilt und gelangt nur nach und nach in die Leber. Man kann deshalb sagen, dass bei milzlosen Hunden zwei sehr wichtige Er- scheinungen zu bemerken sind: a) Der von der Zerstörung der rothen Blutkörperchen her- rührende Blutfarbstoff kann sich nicht mehr in der Milz ab- lagern und wird fast gänzlich im Knochenmarke, d.h. auf einem - viel grösseren Felde deponirt; b) der besagte Blutfarbstoff wird nicht mehr durch die Pfortader in die Leber geleitet, sondern gelangt durch den grossen Kreislauf, also in einer viel schwächeren Lösung hierhin. ı Martinotti e Barbaceci, La tumefazione acuta della milza nelle malattie infettive. Morgagni. 1890. Anno XXXlII. 64 ANGELO PUGLIESE: Ausserdem muss man bedenken, dass die Pfortader das Blut in die Leber leitet, welches zur Ausübung ihrer Thätigkeit nöthig ist, während die Arteria hepatica die Nährstoffe des Organes herbeiführt. Man versteht also, dass Substanzen, die durch die Pfortadercapillaren in der Leber cir- culiren, einen ganz anderen Einfluss ausüben müssen, als wenn dieselben durch die Arteria hepatica gehen. Weiterhin muss man im Auge behalten, dass das Blut das Knochen- mark ausserordentlich langsam passirt, eine Thatsache, die ohne Zweifel dem Bildungsprocesse des Blutes zu Gute kommt, andererseits aber hemmt träge Circulation die schnelle Ausführung der im Knochenmarke verarbeiteten oder angehäuften Stoffe. Mit gutem Grunde kann man also sagen, dass bei milzlosen Hunden in der Zeiteinheit ceteris paribus kleinere Mengen Blutfarbstoffe in die Leberzellen gelangen müssen, was der Thatsache entsprechen muss, dass die Leberzellen in der Zeiteinheit kleinere Mengen Gallenfarbstoffe absondern. Verfolgt man nun die Gallenabsonderung vor wie nach der Milzexstirpation, so müsste man nach der Operation eine an Farbstoff ärmere Galle erhalten, wenn die oben beschriebenen Erscheinungen richtig erklärt worden sind. Es liegt mir sehr daran, gleich zu bemerken, dass ich ausdrücklich von dem in der Zeiteinheit producirten Pigment spreche, weil ich hier nicht untersuchen will, ob die gleiche Menge Blutfarbstoff nach der Milzexstirpation in die Leber gelangt wie vordem. Ich möchte also nur sagen, dass das Pigment in die Leber der milzlosen Hunde so allmählich gelangt, dass die Leberzellenthätigkeit immer im Stande ist, den ganzen Blutfarbstoff umzuwandeln. Untersuchungsmethode. Es handelt sich nun darum, zu sehen, ob der Versuch die vorgeführten Ansichten bestätigt. Zu diesen Experimenten wählte ich zwei jüngere Hunde, von denen der eine 14*® und der andere 15'® schwer war. Sie wurden mit abgewogenen Mengen Kaninchenfleisches und Brod genährt. Ich wählte Kaninchenfleisch, weil ich die Kaninchen, welche in dem In- stitute der Tollwuthbehandlung hier in Bologna täglich sterben, zur Ver- fügung hatte. Das Fleisch wurde den Hunden in Rationen von ungefähr 400 Sm pro Tag gegeben, wozu noch 400 2m Brod und ebenso viel Bouillon hinzugefügt wurden, so dass die Futtermenge etwa 1% erreichte. Das Futter wurde in zwei Rationen, eine Morgens um 6 Uhr und die andere Abends gegen 6 oder 7 Uhr, dargereicht. Diese Fütterung war genügend, auch nachdem den Hunden die Gallenfistel angelegt war. Die Thiere wurden in üblicher Weise operirt und heilten vollkommen. BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNCTION. 65 Am 55. Tage nach der Operation, als die Hunde ein constantes Gre- wicht erreicht hatten und sich bester Gesundheit erfreuten, fing ich an, die Galle nach der hier gebräuchlichen Methode zu sammeln; ich halte mich hier nicht damit auf, diese von Prof. Novi! schon auf's Genaueste ver- öffentlichte Methode zu beschreiben. — Die Galle wurde für Perioden von S bis 30 Stunden gesammelt. Das Gallengefäss entleerte man stündlich; doch war die nöthige Gallenmenge für die Analysen nicht ausreichend, deshalb wurde die gesammelte Galle in verschiedene Portionen zertheilt; jede von diesen enthielt die 3- oder 2stündlich abgeflossene Galle. Da ein grosser Theil meiner vorliegenden Untersuchungen während der letzten grossen Augusthitze ausgeführt wurde, legte ich, um die Fäulniss zu verhüten, die gesammelte Galle auf Eis. In den verschiedenen Gallenportionen unter- suchte ich den Gehalt an Farbstoften, festen Stoffen und Schleim; auch bestimmte ich das specifische Gewicht und die in Alkohol löslichen Stoffe. Sehr interessant wäre es gewesen, die Gallensäuren und das Cholestearin vor wie nach der Milzexstirpation zu bestimmen, aber leider hatte ich nicht die nöthige Zeit dazu und behalte mir vor, diese Fragen später zu be- antworten. Nachdem ich die normale Galle untersucht hatte, machte ich eine subeutane Pyrodininjection und suchte die Veränderungen der Galle nach der Vergiftung zu eruiren. Ich bestimmte natürlich die Zahl der rothen Blutkörperchen und den Hämoglobingehalt des Blutes vor und nach der Einspritzung des Giftes. Nachdem die Blutbeschaffenheit in den normalen Zustand zurückgekehrt war, entfernte ich die Milz. Die Thiere heilten in kurzer Zeit. 20 bis 21 Tage nach der Operation sammelte ich die Galle wieder und analysirte dieselbe ganz so, wie vor der Milzexstirpation. Da mir leider kein guter Spectralapparat zur Verfügung stand, musste ich zu anderen Methoden greifen. Ich versuchte erst die Bilirubinbestim- mung nach Jolles;? doch waren die Ergebnisse so wenig übereinstimmend, dass ich dieses analytische Verfahren als unrichtig betrachten muss. Es ist schon deshalb zu verwerfen, weil die alkoholische Jodlösung das Gallen- mucein ausfallen macht. Wenn man jetzt Stärkelösung hinzusetzt, erhält man eine trübe Flüssigkeit von unbestimmter Färbung, weil der Stärkekleister ı Novi, I ferro nella bile. Annali di Chimica e Farmacologia. 1890. Vol. XL. Serie V. — Derselbe, Sul decorso della secrezione biliare. Zo Sperimentale Giugno. 1889. — Derselbe, Sulla secrezione biliare. Bollettino delle scienze mediche di Bologna. Serie VII. Vol. 1. ® A. Jolles, Beiträge zur Kenntniss der Galle und über eine quantitative Methode zur Bestimmung des Bilirubins in der menschlichen und thierischen Galle. Pflüger’s Archiv. Bd. LVI. S. 1-57. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 5 66 ANGELO PUGLIESE: mit der Jodlösung die Blaufärbung annimmt und diese sich dann mit der Farbe des Schleimes und des Biliverdins mischt. Man versteht, dass es hier sehr schwer, um nicht zu sagen unmöglich ist, zu bestimmen, wann die Thiosulfatlösung die Blaufärbung zum Verschwinden bringt. Ich führte in derselben Galle verschiedene auf einander folgende Bilirubin- bestimmungen nach Jolles’ Methode aus, aber es gelang mir nie, auch nur annähernd gleiche Werthe zu erhalten. Ausserdem konnte ich sehen, dass nach dem Verschwinden der Blaufärbung durch die Thiosulfatlösung nur die Hinzufügung einer grossen Menge von Jodlösung zur Flüssigkeit die Blaufärbung zurückgehen lässt. Ferner versuchte ich die Galle mit Alkohol zu versetzen und den Farbstoff in filtrirter Galle nach Jolles zu bestimmen; doch auch hier erhielt ich schlechte Resultate. Ich benützte deshalb eine photometrische Methode, ähnlich der schon von Tarchanoff! im Hoppe-Seyler’schen Institute angewandten. Ich versetzte 5° Galle mit dem 4fachen Volumen 98procent. Alko- hols; der Mueinniederschlag wurde auf einem gewogenen Filter gesammelt, wiederholt mit kochendem Alkohol gewaschen, das Filter bis zum gleichen Gewicht getrocknet, so dass man das Gewicht des Mucins erhielt.” Die filtrirten Gallenportionen wurden auf gleiches Volumen gebracht, in be- stimmter Menge in Reagensgläschen von gleicher Höhe und Durchmesser gegossen; so wurde nach der Intensität der Färbung der Gallenfarbstoff- gehalt durch Vergleichung dieser Gläschen ermittelt. Anfangs fügte ich eine alkoholische Lösung von 5procent. Salpetersäure, im Verhältniss von 10 Tropfen der Säurelösung zu 20 °® filtrirter Galle, hinzu. Das Bilirubin setzte sich langsam in Biliverdin um. Als mir die grüne Färbung am stärk- sten erschien, verglich ich die Reagensgläschen unter einander; doch er- kannte ich sofort, dass der Augenblick nicht so leicht festzustellen war, in dem sich das ganze Bilirubin in Biliverdin umgesetzt hatte, ohne Um- wandlung des letzteren in die folgenden Stufen der Oxydation. Deshalb verglich ich ohne Weiteres die verschiedenen filtrirten Gallenportionen unter einander. Dieser Process, abgesehen davon, dass er kürzer und einfacher ! Tarchanoff, Ueber die Bildung von Gallenpigment aus Blutfarbstoff im Thier- körper. Pflüger’s Archiw. Bd. IX. 8.53. — Derselbe, Zur Kenntniss der Gallen- farbstoffbildung. Zbenda. Bd. IX. S. 329. ® Obgleich das Gallenmucin mit kochendem Alkohol gewaschen wurde, war es nicht möglich, den ganzen am Mucin haftenden Farbstoff zu extrahiren. Ich muss aber bemerken, dass die Gallenpigmentmenge, die am Schleim haftete, zu klein war, um die Resultate irgendwie zu ändern. Ausserdem ist hinsichtlich des Gallenpigments zu beachten, dass es sich um keine quantitative Bestimmung, sondern nur um eine vergleichende Untersuchung handelte. Auch von diesem Gesichtspunkte aus hat auf die Ergebnisse ein kleiner Verlust von Farbstoff keinen Einfluss. BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNCTION. 67 war, erwies sich auch als genauer. Ferner verglich ich, um mir ein an- näherndes Urtheil des Bilirubingehaltes der Galle bilden zu können, die Färbung des Inhaltes der Reagensgläschen mit jener einer Bilirubinlösung, welche ungefähr 00048 Bilirubin in 20 °® Chloroform enthielt. Dieses Bilirubin wurde von mir selbst aus einem sehr kleinen Gallensteine vom Ochsen dargestellt. Zur Controle untersuchte ich auch die nöthige Verdünnung der Galle, um die Absorption des violetten Endes zum Verschwinden zu bringen. Zu dieser Prüfung bediente ich mich eines kleinen Spectroskopes von Vierordt und eines parallelwandigen Gefässes von 13m Durchmesser und 30 m Inhalt. Die festgestellten Werthe sind in den Tabellen S. 68-—-73 zusammen- gestellt. Deutung der Versuche. Aus den Tabellen ergiebt sich Folgendes: Die Gallenabsonderung schien etwas gesteigert nach der Milzexstirpation. In dem ersten Versuche, der gewiss wegen der grossen Zahl der ausge- führten Bestimmungen der wichtigere ist, schwankte vor der Milzexstirpation die stündlich abgesonderte Galle im Durchschnitt zwischen einem Maximum von 9° und einem Minimum von 7°; nach der Entfernung der Milz dagegen zwischen 11-60 und 9.87 =, In dem anderen Versuche erreichte das Maximum beim normalen Hunde 7-36°®®, das Minimum 5-90 m, und beim Thiere, das der Milz beraubt war, das Maximum 10-66, das Minimum 6°“. Doch wenn man die einzelnen Analysen durchsieht, findet man, dass die stündlich abgesonderte Gallenmenge häufig nach der Milzexstirpation dieselbe oder geringer als vor der Entfernung derselben war. Deshalb bin ich sehr geneigt, zu denken, dass nur eine vergleichende Untersuchung zwischen Harn- und Gallenabsonderung das obige Ergebniss vielleicht erklären könnte. Das specifische Gewicht der Galle blieb im Verlauf des ersten Ver- suches fast unverändert und der Procentgehalt an festen Stoffen der Galle, mit und ohne Mucin berechnet, hielt sich in sehr beschränkten Grenzen. - Also stimmen die beiden Resultate überein. Im zweiten Versuche verminderte sich das specifische Gewicht der Galle nach der Milzexstirpation. Dieses Resultat ist nicht nur der Abnahme der Gallenmueinabsonderung, sondern auch dem geringeren Gehalt der Galle an festen Stoffen zuzuschreiben, weil der feste Rückstand, ohne Muein be- rechnet, nach der Milzexstirpation abnahm. Meiner Meinung nach kann man kein grosses Gewicht auf die Verminderung des Gallenmueins legen, 5*® 68 ANGELO PUGLIESE: Datum || 22 le 22338 EBE = 32 22 B5t o.. Zeit! sEeRas2| 22 | 2% = Ay Ba „SB 1898 ‚2a seon] o SS) | 1730. ,,.2073021 22127700 — 0:030 | 0-60 2-65 | 0-087 | 201.30) 5.110.302 07835 2212,0..0 — 0-0306 | 0-612 | 2-549 | 0-0844 21.Juli | 17 30.158830 20 5.0, — 0-03 0-60 5.125 | 0-165 - | 530 „ 9 — 25 | 7-14 —_ 0036 0.712 | 3-46 0-11 | 9I— „12 — 21 10 —_ 0-030 0-60 2-467 | 0-075 12 — „15 — 18 6-0 — 0-05 1-0 2-375 | 0.086 Durchsehn. 7:83 — [0.344 | 0.688 r ' Die Zeit wurde von 24 zu 24 Stunden angegeben, BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNGCTION. 69 Vor der Milzexstirpation. 1} | ) | Bes ER=e 88 35,38 389 Be as | 22 Eis 59.5 Dan 34 sa 338 ig Een CEERE Bemerkungen Em grm grm grm vol 4.455 | 2-851 | 0-149 1-95 DRS ne Die Galle für die Bestimmung des festen P* 9.862 | 0-126 1:93 Ar 2 Rückstandes wurde gewogen; die Galle 3-166 für die Gallenmueinbestimmung wurde 3.248 | 2.878 |0-152 | 1-96 =; = in Volumen berechnet. Das speeifische : _ —_ = — — Gewicht der Galle war sehr niedrig, 3089 | 2.868 EEROAGE deshalb konnte man 1°® Galle in 15°” ausgleichen. 3*65 2-73 |0-085 | 2-04 1.0 30 | Galle gelbröthlich. 4-11 3-01 0:038 1:92 2-0 50 4-37 3-15 0-096 2-02 2-0 50 3-41 2-51 0-095 1:88 2-0 50 3-37 2-41 0-091 1.76 2-0 55 3-30 2-50 0-092 1.76 2-0 55 3-16 2.46 0:109 1:64 2-0 50 3.44 | 2-64 |0-0998 | 1-76 2-0 50 3-46 2.56 0:109 1.72 2-0 50 3.612 | 2668 1.833 3-06 2.58 0:074 1.85 1-0 35 Roth. Blutkörp.5 400000. Hämoglobin70. 3.19 2-71 [0.1044 | 1-87 12 40 | Um 9#20' Injection von 0-50“ Pyrodin. 3:12 2.60 0-0884 | 1.44 2-5 70 3-43 2.85 0-0846 | 1-35 25 80 3-31 2.71 0-078 1.38 3-0 100 3-37 2.72 [0.085 | 1-36 3-0 100 | Roth.Blutkörp.4096 000. Hämoglobin 60. 3.27 2.64 0.087 1-21 3:0 ‚100 3-55 2.75 0-091 1-72 2-5 85 2257 | 0-080 | 1-99 2-5 90 | Die Galle nahm eine stark gelbrothe 3.341 | 2-71 1-574° Färbung an; nach Verdünnung mit Wasser wird sie stark gelb. 3.142 | 2-.734 | 0-126 1.93 2-0 65 3:25 2.722 | 0-128 1.974 2-5 80 3-71 2:978 | 0-°085 2-02 2-5 s0 Galle gelbröthlich. 3-367 | 2-811 1974 3-14 2.472 | 0087 1.72 1-8 50 Roth.Blutkrp.5.000000. Hämogl.65 bis70. 3-58 2-8 |0-.099 | 2-12 2-0 60 | Um 11* Injection von 0-5 =” Pyrodin. 3.56 2:86 0:065 2-01 2:0 70 3:28 | 2-68 |0-052 | 1-96 3-0 70 ‚3-30 2.688 | 0.038 1:50 3-5 90 3-21 2.61 0:057 111 3-5 110 Roth. Blutkörp. 6000000. Hämoglobin 50. 3-18 2:368 | 0.033 0.95 3°5 110 3:04 2.44 0-042 1:70 3.9 10) 3:62 2-62 0.046 1:90 3:0 90 | Galle stark gelbroth, nach Verdünnung 3:323 | 2-635 BEINGSEE | stark gelb. Spuren von Blut. ! Man nahm an, dass die Gallenportion, welche sich in der Versuchsperiode vor der Milz- entfernung am schwächsten gefärbt zeigte, eine Gallenpigmentmenge = 1 enthielt. 70 ANGELO PUGLIESE: Versuch I (Fortsetzung). 2 5. E82 a E 2 |233 Datum 38 3 =:2ä2© SS 2: 38 Fe E55 0 | Zi (man a5 2 | 20 | S3= saresR2 25 |53 38 | 907 vo 5 Sales > & < |5%2 kg | ccm ccm | grm grm grm gr 25. August | 13-5 |106— "bis 13”— | 36 |12-0 | 10062 0.0294 | 0.588 | 3-246 | 0-113 13 — „16 — | 36 |12-0 | 1-0067 | 0-0265 | 0-53 |6-078 | 0-20 16 — „19 | 30 |10:0 | 1.007 | 0-051 | 12027) 42927 70-0 %5 20 30 „2330 | 42 |14-0 1-007 |0-0608 | 1-216 | 4-717 | 0.185 26. August 24 — „ 6-| 60 |10-0 | 1-007 |0-055 | 1-10 | 4-246 | 0-17 Durchschn. "11-60 | 1-0068 | 0-0445 | 0-8908 | | 20. Oct. |) 13-8 | 930’ bis 1230| 54 18-0 1-007 | 0.021 | 0-42 5.34 0- 1764 | |12 30 , 16 30 50 12-5 1.0071 | 0-028 | 0-56 6-639 | 0-2208 | 16 30 ,„ 18 30 18 | 9-0 | 1-0076 | 0-033 | 0-66 4:456 | 0-1546 20 — „24 — | 40 |10-0 | 1-0073 | 0-0292 | 0-592 |5-879 | 0.20 21. Oct. 24 — „ 6 — | 60 |10-0 | 1-0076 | 0-0266 | 0-532 | 6-1078 | 0-2068 9 — „1230 | 35 |10-0 | 1-0072 | 0-0202 | 0-404 | 5-581 | 0-1824 12 30 „16 — | 28 | 8-5 | 1-0075 | 0-0256 | 0-512 | 4-70 | 0.158 16 30 „19 — |) 20 | 8-0 |1-008 | 0-0328 | 0-656 | 5.624 | 0.207 Durchschn. 10-75 1.0074 | 0-0271 | 0-547- 25. Oct. || 13-8 930’ bis 11"30°) 20 10-0 |1-007 | 0.0298 | 0-596 | 55996 | 0.188367 11 80 „1430 | 27 | 9-0 | 1.0068 | 0.024 | 0-48 |6-463 | 0.2048 | 14 30 „17 30 | 30 |10-0 | 1.0068 | 0-020 | 0-40 | 4617 | 0.1388 17 30 „20 30 | 30 [10-0 |1-0065 | 0-022 0-44 | 5.572 | 0-161 26. Oct. 9 — „12 — | 30 [10-0 |1-006 | 0-025 | 0-50 |4698 | 0.132 190207715. 736% [6919-02 1°006, 210204 0-80 | 4536 | 0.164 ie „19 — | 24 8-0 |1-007 | 0-052 „1-04 |5-489 | 0.20% 27. Oct. 1 7307 110>02112006 — — =. Durchschn. 9-875| 1-0066 | 0-304 0608 SuNoya | szene oo 10, en u en ES er 130 008 15,.2810720. 1510-0 ns 2 a or pe a 0 0 En A = Mr 12. Nov. "Laer ul > ae se 2 a SE 4 1a ee 790 m es > = IRaNov. | ascs 11 0 ea or er Ten en a 3 a | sa ac 2 an = a 2 Nora || ee a I y de Rz B. 19.15, 0 120159 20 0:0 Ri PR ae EB 11415 „1615| 16 | 80 EN #2 BE E_ 23. Nov. 7973025 12300 21500, 10:0, 0 N as &l n_ eigen | an — = — = BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNGTION. ze Nach der Exstirpation der Milz (Operation 4. August um 2 Uhr). Een TG TTT nn — =) 2 Sa ee Se ws: Mass das Su% 35% 38253 Beeren Bun Euas So |3a3 348 Bocce = EHER grm grm grm grm vol. 3.246 | 2658 | 0-0492 | 1-82 0-5 15 Galle sehr wenig zähe, färbtnnicht.d. Haut. 3-41 2:88 |0-1054 | 1-73 0-5 15 Die alkohol. Filtrate der Galle hellgelb. 3.82 2-80 0-09 1-82 0-5 15 Filter wie Gallenmucin nehmen keine gelbe Färb, an, 3.92 2.704 | 0-078 | 1-65 0-5 15 | Es genügt eine kleine Alkoholmenge, um 4-02 2-920 | 0-073 1-71 0-5 15 das Filter zu waschen. 3.683 | 2.792 T746 3-30 2:88 |0:108 | 2-02 0-4 s—10 | Die Galle zeigt die oben beschriebenen 3.52 9-76 0-13 1-95 0-4 SEEN Eigenschaften. 3-49 2-83 |0-088 | 1-98 0-5 15 Rothe Blutkörperchen 5600000. Hämo- 3.51 | 2-918 |0-118 | 2-0 0-5 15 globin 75. 3:38 2-848 | 0-128 2:09 0:5 15 3:24 | 2-856 | 0-11 1.97 0-5 15 3-36 2:848 | 0-09 1-91 0:6 20 3678 3-022 | 0-115 2:04 0:6 20 3.434 | 2.822 1.995 3-36 2.764 |0-115 | 2-06 0.4 10 | Um 11" 15’ Injection von 0-50 3 Py- 3.16 | 2.680 | 0-1272 | 1-96 0-5 15 rodin. 3.0 2-60 0092 1:99 0-8 20 2.89 2-45 0°1034 | 1-85 0-8 25 2.80 2:30 0-0734 | 1-56 1°5 50 Die ersten Port. wie oben, die anderen färben die 3.67 9.81 0-072 1-58 2.0 60 Haut, den Filter u. den Gallenmucinniederschlag. 3-55 2-51 | 0.097 1-76 2-0 60 | Rothe Blutkörperchen 4000000. Hämo- B. Ki. ei {ER 2:0 60 globin 6 bis 55. 3:20 | 2:60 23 ee — _ 1-5 50 Die Galle wie oben. die ee, = 4 1°5 50 E_ Le ee ze 1-5 50 _ — —_ = 1-5 40 Galle stark gelb und zähe. — — — er 1-5 45 Ex Mm en = 1-0 30 — nn a — 1:0 30 Galle gelbröthlich, etwas zähe. = _ — — 0-5 12 Galle hellgelb, färbt nicht dieHaut u.s. w. — — = == 0»5 15 — — u — 0:5 15 SER SER gr a 0:5 15 = Es Dr ER 0-5 15 12 ANGELO PUGLIESE: Versuch Il „JR NBETEIRNERESR 3.2 EBENEN Me © ne ET 3 ı® 5 E32la2 E > ® Pr 1898 |-35 heit Seslasal ss er ee Be Eu: 55 seen 258 o Ss lasa = S = Bu: © | kg ccm ccm grm grm grm grm 11. Juli \14-0| 8n30' bis 11830 | 21 | 7 1-0115 | 0-0926 , 1-852 | 5-404 | 0-30%2 1130 „1430 |24 |8 1-0104 00688 1.366 | 5-682 | 0-292 11 30 „ıi7 30 |19 |6-33 |1-010 |0-08 | 1-60 | 5-518 | 0.284 17 30 „20 30 |24 |8 1.011 0.072 | 1-44 | 5-898 | 0-315 2030 „ 030 |33 | 8-25 |1-0106 |0-66 1 5-68 | 0-277 12. Juli | VE. Bali 1-0103 | 0-0596 _ 1-192 | 5-542 | 0-278 623008 9,300 Paz 1-0106 | 0-089 | 1-78 | 4.937 | 0-28 Durchschn. 7-36 | 1-0107 | 0-0731 | 1-46 15. Juli ‚15-1 | 8r30’ bis 10880 | 10 |5 1-0104 0-079 | 1-58 | 1.789 | 0-09 io 50. ,.13,50, 1500 5 1-0104 | 0-082 1-64 | 1-991 | 0-10 er se de 1°0105 , 0-076 | 1-52 | 4-695 | 0-25% 11 — „20 — |22 |7-33 |1-0104 | 0-065 | 1-30 | 5-075 | 0-119 Dog oA 08 1-0096 | 0-085 1-1 3.196 | 0-196 16. Juli a ee | 1-010 10-075 | 1-5 | 5-44 | 0.254 5 1 62—2,,019° — 15 :010 | 0.080 1-6 3.843 Durchschn. 5:90 | 1-0102 | 0.076 1-46 Versuch II (Fortsetzung). Nach der Exstirpation 23. August ||15-6| 11"—bis15t— | 20 |5 1-007 | 0-06 1-2 3.583 | 0-16. 15 — „19 — 20. 5 1-009 | 0.078 | 1.56 | 5-89 | 0.298 19 — „23 — |25 |6-25 |1-008 |0-085 | 0-70 | 5-276 | 0-16% 24. August 234 — „9I—|42 6 1:007 | 0-054 | 1-08 | 4.241 | 0-18il a la is re 1-0062 | 0-04 | 0-80 | 3.703 | 0-148 12 — „16 — |25 |6-25 1.0062 0-042 | 0-84. | 5:05 | 0-2ll 16 — „19 — | 22-5 | 7-5 |1-0062 |0-038 | 0-76 .| 4.49 | 0-20 Durchschn. 6 1:0069 | 0:0495 | 0:977 - 27. August |15-5| 8"45’ bis 1145’ | 26 12 -0064 | 0-026 0-52 4.568 | 0-167 11 45 ,„ 14 45 | 30 10 | 1.0062 | 0-049 0.98 5.779 | 0-23 e 14745 7, 1u0$52]230 10 1-006 | 0-048 0.96 5-18 0-217 Durchschn. 10-66| 1:0062 | 0:041 0-82 Ki; BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNGTION. 13 Vor der Milzexstirpation. Baum sıal aaa 3825| „. |j3 ,-Söa sas | 2°. 55581l38;2° Bemerkunsen he ® ads Bad ao 57378 2 Bed Ss 3 35 S= ur) ae .ENN Er essS2 23 | 5.05% "5a 28535 (= BusH aaa |lısß are & j em grm grm grm vol, 5.58 3-76 0-146 | 2-70 1-5 40 Rothe Blutkörperchen 6 800000. Hämo- 3 376 | 0154| 21 | 165 40 Sa EN. 54 | 3-72 | 0.150 | 2-70 | 1-5 40 5.34 3-90 0.174 | 2-95 1°5 45 4-87 3-87 0-165 | 2-91 1-5 45 5-01 3818 | 0.162 | 2-97 2 50 5-67 3.89 0-152 | 3-07 2 50 Galle gelbroth. Die alkoholischen Fil- —— Fe trate der Galle färben stark das 5.277 | 3-674 2-857 Filter u. den Gallenmueinniederschlag. 5-58 3-97 0-049 | 2-73 2 50 Galle gelbroth. Um 10" 45° Injection 5-52 3-88 Bestimmung verl. 2 50 Konn One UT yzudin. 5.36 3.84 O-09R E2E232 13 80 5-08 3.78 0:119 | 2.34 3-5 120 Galle dunkelroth; nach Verdünnung mit 4:88 3.78 0-196 | 1-90 3.5 120 Wasser wird sie stark gelb. 5.22 3.72 0-072 | 1-71: 3-5 120 5-43 3-83 0-073 | 1.89 3-5 120 Rothe Blutkörperchen 500000. Hämo- _ i globin 70. 5.288 | 3-828 der Milz (Operation 4. August um 5 Uhr). 4.46 | 3-26 0.098 | 2.73 05 15 Rothe Blutkörperchen 5900000. Hämo- 4 pP 299 3-43 | o-168 | 2-85 | 0-5 15 alenın Bi Bl | 3-27 0-1388| 2-62 0-5 20 Galle sehr wenig zähe, färbt nicht die | Haut. Die alkoholischen Filtrate hell- .) | . . . o ns > ne > 15 gelb. Filter wie Gallenmucinnieder- 4:00 3.29 0-.106 | 2-86 | 0-5 15 schlag, nehmen keine gelbe Färbung AR ; H 2 . an. Es genügt eine kleine Alkohol- a ae u > menge, um das Filter zu waschen. 4.12 3:36 0-124 | 2-76 0»5 15 4:28 3:29 2-75 3.63 3-11 0-125 | 2-75 0-5 15 Die Galle zeigt die oben beschriebenen 403 | 3-05 | 0.456 | 2.70 | 0-5 15 IigenzcizEiene ag 3.23 0.242 | 2.72 0-5 15 en —— 3:95 3-13 2-72 74 ANGELO PUGLIESE: da die Schleimabsonderung bei Hunden mit Gallenfistel ganz unregelmässig geschieht, wie das von Novi schon im Jahre 1891 dargethan wurde.! Es war gerade diese unregelmässige Mucinabsonderung, welche mich veran- lasste, den festen Rückstand gesondert vom Mucin zu berechnen. Es scheint mir unrichtig, das Mucin als einen der Gallenbestandtheile zu berechnen. Auf die Angabe der Absonderung einer an festen Stoffen ärmeren Galle nach der Milzexstirpation möchte ich für jetzt keinen grossen Werth legen, weil diese Verminderung beim ersten Thiere gar nicht hervortrat. Uebrigens wäre es unmöglich, einen Schluss zu ziehen, da die Bestimmungen der einzelnen Gallenbestandtheile fehlen. Das Gewicht des alkoholischen Auszuges des festen Rückstandes zeigte während des Verlaufes der Versuche keine grossen Schwankungen. Dieses Resultat war im ersten Versuch viel klarer. Es versteht sich, dass ich hier von den erhaltenen Werthen nach den Pyrodininjectionen absehe. Unter diesem Verhältniss nahmen die Gallenpigmente zu und verminderte sich die Menge der in Alkohol löslichen Stoffe. Tarchanoff? spritzte Blutfarbstoff oder ‚Bilirubin in das Blut ein und kam zu demselben Ergebniss. Er gab keine Erklärung dieses sehr interessanten Resultates und ich selbst habe bis jetzt keine hinreichenden Anhaltspunkte, um sie geben zu können. Man kann also resumiren, dass die Absonderung, das speeifische Gewicht, der Procentgehaltan festem Rückstand und an in Alkohol löslichen Stoffen der Galle keine bedeutenden Veränderungen nach der Milzexstirpation erfährt. Das wichtigste Resultat der Versuche betrifit aber den Gehalt der Galle an Farbstoff vor und nach der Milzexstirpation. Bei beiden Thieren trat nach Entfernung der Milz eine auffallende Verminderung der Gallenpigmente, bis auf weniger als die Hälfte, ein. Die aus der Fistel abfliessende Galle nach der Milzexstirpation war sehr wenig zähe, viel weniger colorirt und vermochte die Haut nicht zu tingiren. Ein in die Galle eingetauchtes Stück Fliesspapier nahm nur eine leichte blassgelbe Färbung an. Diese Eigenschaften liessen die Galle der operirten Thiere mehr dem icterischen Harne als der normalen Galle gleichen. Die 15 fache Verdünnung der Galle brachte im Allgemeinen die Absorption des violetten Endes zum Verschwinden, manchmal genügte schon eine 10- oder 12 fache Verdünnung, selten musste man die Galle 20 Mal verdünnen. Die ! Novi, Sulla secrezione biliare. Bollettino delle scienze mediche di Bologna. 1891. Serie VII. Vol. LI. NAGER(ON BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNCTION. 75 mit Alkohol gefällte Galle gab eine sehr blassgelbe Flüssigkeit, welche weder das Filter noch das Mucin gelblich färbte. Die alkoholischen Aus- züge des festen Rückstandes hatten auch eine hellgelbe Färbung und tin- oirten das Filter nicht oder sehr wenig. Die Farbstoffbestimmung der verschiedenen Gallenfiltrate durch Ver- gleichung zeigte noch besser den geringen Gehalt an Farbstoff bei den milzlosen Hunden. Wenn man in der Tabelle die Zahlen, welche die relative Menge an Gallenpigment vor und nach der Exstirpation der Milz darstellen, vergleicht, so sieht man sogleich, dass die Werthe bei operirten Hunden um die Hälfte und manchmal um noch mehr niedriger sind als bei normalen Thieren. Wie ich schon angab, konnte ich mich keiner exacten quantitativen Methode zur Farbstoffbestimmung bedienen, ich konnte mich nur auf vergleichende Untersuchung stützen, ein Verfahren, bei dem sich, wie bei jedem sub- jeetiven, leicht Fehler einschleichen können. In der That geht aus den Tabellen hervor, dass die mit der photometrischen Methode erhaltenen Werthe nicht mit jenen durch den Verdünnungsprocess erzielten genau übereinstimmen. Aber das bedeutet nur, dass man auf die gefundenen Zahlen nur. einen relativen Werth legen kann. Man bemerkt aber auch, dass die nach der Exstirpation der Milz erhaltenen Zahlen im Vergleich mit jenen vor der Exstirpation dieses Organes gefundenen so niedrig waren, dass es unmöglich ist, hier von persönlichen Fehlern zu sprechen. Ich kann also mit gutem Grunde behaupten, dass meine Hunde nach der Entfernung der Milz eine an Farbstoffärmere Galle secernirten. Man könnte noch einwenden, dass die Verminderung der Gallen- pigmente einer herabgesetzten T’hätigkeit der Leberzellen in Folge der An- legung der Gallenfistel und der Entfernung der Milz zuzuschreiben sei. Der gute Gesundheitszustand der milzlosen Thiere sprach schon gegen diese Vermuthung. Um aber jeden Zweifel aufzuheben, injieirte ich dem ersten Hunde die gleiche Pyrodindose, wie vor der Milzexstirpation. Das Blut zer- setzte sich theilweise, die Absonderung der Gallenpigmente vermehrte sich ungefähr um das Vierfache und diese Zunahme dauerte lange Zeit an; nichtsdestoweniger blieb der Farbstoffgehalt der Galle bei weitem niedriger als nach der Vergiftung des normalen Hundes. Triftige, hier nicht zu erörternde Gründe verhinderten mich, die Wirkung der verschiedenen Dosen von Pyrodin und anderen Blutgiften weiter zu prüfen. Diese Untersuchungen, auf die ich grossen Werth lege, will ich, sobald es mir möglich ist, fortsetzen. Kann man nun die Verminderung der Galle an Farbstoff nach der Milzentfernung einer Abnahme der Blutzerstörung zuschreiben? Wie ich schon erwähnte, steigt die Widerstandsfähigkeit der rothen Blutkörperchen bei Hunden, denen die Milz exstirpirt ward, gar nicht oder nur sehr wenig. 76 ANGELO PUGLIESE: BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER MILZFUNCTION. Nimmt man aber Botazzi’s Behauptung als richtig an, so scheint es mir trotzdem unmöglich, dass die rothen Blutkörperchen bei milzlosen Thieren einer geringeren Zerstörung ausgesetzt seien. Dieses würde ja bedeuten, dass die Blutkörperchen ihre Lebensfrist ausserordentlich verlängern können, was sich offenbar nicht behaupten lässt. In der That giebt es viele Agentien, welche die Lebensfrist der Zellen verkürzen, aber, meines Wissens, keine, die dieselbe über die physiologischen Grenzen hinaus verlängern könnten. Andererseits ist hier von einer veränderten Thätigkeit der Leberzellen gar nicht zu sprechen, es bleibt also nur die Voraussetzung, welche ich früher schon darlegte. Die Milz hat die sehr wichtige Function, die Stoffe, welche die Leberzellen für die Erzeugung des Gallenfarbstoffes be- nutzen, abzulagern und durch die Pfortader in die Leber zu führen. Fehlt nun die Milz, so wird dieses Material in anderen Organen, besonders im Knochenmarke, deponirt und geht all- mählich durch den grossen Kreislauf in die Leber über. Die Leberzellen erhalten so eine kleinere Menge Blutfarbstoff und sondern auch eine kleinere Menge Gallenpigment ab. Wenn man bei einem der Milz beraubten Thiere die rothen Blut- körperchen durch ein Blutgift in ungefähr gleichen Verhältnissen wie beim normalen Hunde zerstört, vermehren sich die Gallenpigmente, aber die Zu- nahme ist nicht so bedeutend und dauert länger an. Dieses Resultat scheint mir eine gute Stütze meiner Voraussetzung zu sein. Die Ergebnisse meiner Versuche bei milzlosen Thieren bestätigen auch die Ansicht jener Forscher, welche die Milz für das wichtigste Auflösungs- organ rother Blutkörperchen halten, jedoch nicht in dem Sinne, dass die rothen Blutkörperchen sich in diesem Organ zersetzen, sondern dass in der Milz der Blutfarbstoff vorzugsweise ablagert. Diese Arbeit wurde im pharmakologischen Institute der Universität Bologna (Prof. Novi) ausgeführt. Zur Frage der „Posticuslähmung‘. Von Prof. Dr. H. Krause in Berlin. Die experimentelle Forschung über die bei Lähmung des N. laryng. inf. häufig auftretende eigenthümliche Stimmbandstellung, welche klinisch unter dem Namen „Posticuslähmung“ geführt wird, nahm ihren Anfang von Untersuchungen, welche im Jahre 1882 in dem Laboratorium des Hrn. Professor H. Munk von mir begonnen wurden. Auf Grund dieser Untersuchungen, bei welchen ich unter Nachahmung des natürlichen Vorganges den N. laryng. inf. einem allmählich zunehmen- den Drucke ausgesetzt hatte, kam ich zu dem Schlusse, dass die Unbeweg- lichkeit des Stimmbandes in Median- (Phonations- oder Adductions-) Stellung bei Druck auf den N. laryng. inf. als eine Reizcontractur der Stimmband- muskeln aufzufassen sei. Diese Deutung des Vorganges, von einigen Autoren gutgeheissen, ist von anderen angegriffen worden, und ich hatte wiederholt Veranlassung, auf den Gegenstand litterarisch zurückzukommen. Wenn ich nach langer Pause mich heute wieder mit der Frage beschäftige, so ge- schieht es, weil dieselbe durch eine sehr bemerkenswerthe Arbeit von M. Grossmann! in ein neues Stadium getreten ist. Grossmann stellt sich auf den Boden der von Wagner? gegebenen Erklärung, nach welcher - die Medianstellung des Stimmbandes bei Lähmung des N. laryng. inf. ver- ursacht werde durch die nach Ausschaltung aller übrigen Kehlkopfmuskeln allein erhaltene Function des M. cricothyreoideus. Er ergänzt diese Theorie nicht nur durch sorgfältige Messungen der Glottisweite, sondern vertieft und erweitert dieselbe durch sehr gründliche \ Archiv für Laryngologie. Bd. V1. ® Virchow’s Archiv. Bd. CXX u. CXXIV. 78 H. KRAUSE: kritische Ausführungen über die zur Zeit in mehr oder weniger beträcht- lichem Umfange gültigen Meinungen. Er beleuchtet das Semon’sche „Gesetz“ von dem früheren Erliegen des M. cricoarytaenoideus post. sowie die Theorie der Reizeontractur und erhebt gegen beide Deutungen den Vor- wurf, sie seien construirt worden ohne Rücksicht auf die bei der Lähmung des N. laryng. inf. zunächst nicht mitbetroffene, nicht geschwächte, sondern fortbestehende Thätigkeit des M. cricothyreoideus. Da ich den Einwand gegen meine Untersuchungen, ich hätte bei diesen und der Aufstellung meiner Schlussfolgerungen die Betheiligung dieses Muskels an den Bewegungen der Stimmbänder vernachlässigt, nicht von der Hand weisen konnte, so unterzog ich meine eigenen Experimente einer Revision und ergänzte sie einerseits durch die Wiederholung der Wagner’schen und Grossmann’schen Versuche, andererseits durch die unmittelbare Beobachtung der Function des M. cricothyreoideus. Die Untersuchungen sind wieder im Laboratorium des Hrn. Professor H. Munk und zwar in den Monaten Juni, Juli und August 1898 aus- geführt werden. Um eine eingehende Schilderung der einzelnen Versuche zu vermeiden, will ich aus der Zahl derselben einige auswählen, welche die Ergebnisse der Untersuchungen am besten darstellen. 1. An einem mittelgrossen jungen Hunde, bei welchem die Stimmband- bewegungen beiderseits normal sind, werden auf beide Nn. laryng. inf. Kork- stücke locker aufgelegt, welche in ihrer Lage erhalten werden durch Seiden- fäden, die durch die Korkstücke und um die Nerven herumgeführt sind. Bei der Besichtigung des Kehlkopfes nach der Operation zeigen sich die Stimmbandbewegungen ebenso ausgiebig nach innen und aussen wie vorher. (Ich will hier erwähnen, dass letzteres nicht immer der Fall ist, sondern dass zuweilen — besonders nach etwas brüsker Behandlung des Nerven — schon bald nach der Operation eine mässige Behinderung der Excursionen der Stimmbänder sowohl nach aussen als zur Mitte bemerkbar wird.) Am darauf folgenden Tage ist das rechte Stimmband weniger beweglich, das linke erscheint ganz frei in seiner Action. Dieser Status dauert 3 Tage lang ohne wesentliche Aenderung an. Am 4. Tage nach der Operation steht das rechte Stimmband nahe der Medianlinie fest, das linke zeigt keinerlei Abweichungen von seiner normalen Function. Es wird nun der rechte N. laryng. inf. aus seiner Umgebung vorsichtig gelockert und peripher durchschnitten: am Stimmbande er- folgt nicht die geringste Aenderung seiner bisher eingenom- menen Adductionsstellung. Hierauf wird auch der linke N. laryng. inf. durchschnitten; das linke Stimmband tritt nun in dieselbe Stellung wie das rechte, d. h. nahe der Mittellinie, und es erfolgt sofort dyspnoische Athmung; die Glottis zeigt einen kleinen klaffenden Spalt. Nunmehr werden die Rami externi der ZUR FRAGE DER „POSTICUSLÄHMUNG“. 19 Nn. laryng. sup., welche in die Mm. cericothyr. eintreten, durchschnitten, worauf beide Stimmbänder eine deutliche Abweichung nach aussen zeigen; der klaffende Glottisspalt hat sich erweitert. 2. Grösserer junger Hund. Der Kehlkopf zeigt ungewöhnliche Grössen- verhältnisse. Es werden beide Rami externi der Nn. laryng. sup. freigelegt und um sie Schlingen geführt. Es wird der linke N. laryng. inf. durch- schnitten. Das linke Stimmband erscheint jetzt in einer der Mittellinie nahen Stellung fixirt; trotzdem sieht man bei jeder Exspiration das linke Stimmband zwar nicht in seiner ganzen Ausdehnuns, aber doch in seinem grösseren, besonders dem mittleren Theile zur Medianlinie vorrücken, gleichzeitig mit dem rechten (dessen N. inf. nieht durchschnitten ist), dessen Bewegungen aber ausgiebiger (normal) sind. Ein wenig wird auch immer der linke Aryknorpel zur Mitte bewegt. Um die geschilderten, während der Exspirationsphase beobachteten Er- scheinungen in ihrem physiologischen Zusammenhange völlig klarzustellen, werden die Mm. ericothyr. und der Ringknorpel, soweit dies ohne Lostrennung von den umgebenden Muskeln möglich ist, freigelegt. Es fällt nunmehr eine mit jedem Exspirationsvorgange synchrone Bewegung des freigelegten vorderen Theiles des Ringknorpels auf, und zwar eine Aufwärtsbewegung um die horizontale Axe. Diese Bewegung wird, wie der Augenschein weiter lehrt, hervor- gerufen durch die mit jeder Exspirationsbewegung synchron auftretende Contraction beider Mm. ericothyr. Nunmehr wird der Ramus externus des N. laryng. sup. der verletzten (linken) Seite mit dem Inductionsstrome gereizt. Hierbei wird zunächst eine Drehung des Ring- und Aryknorpels nach hinten und zu der gegenüber liegenden Seite hin beobachtet. Gleichzeitig hiermit erfolgt ein Vorrücken des Stimmbandes dieser Seite (an welcher der N.laryng. inf. durehschnitten ist) zur Mittel- linie; dabei erscheint aber der Stimmbandrand etwas schlaff, exeavirt. — Jetzt wird der Ramus externus der rechten (nicht verletzten) Seite elektrisch gereizt. Hier ist die Drehbewegung der Knorpel nach hinten und zur Mitte kräftiger als auf der verletzten Seite, das Stimmband ist stärker gespannt, d. h. straffer in die Länge gezogen und näher zur Mitte gerückt. Es wird hierauf noch der rechte N. laryng. inf. durchschnitten. Eine deutliche Fixirung des rechten Stimmbandes, wie vorher des linken, in einer der Medianlinie nahen Stellung tritt ein. Um die bei elektrischer Reizung der Rami externi beobachteten, vor- stehend beschriebenen Erscheinungen noch deutlicher übersehen zu können, wird der Kehlkopf schnell herausgeschnitten und es werden die Mm. ericothyr. direct gereizt, wie dies u. A. erst neuerdigs Kuttner und Katzenstein! beschrieben haben. Hierbei wird der Ringknorpel vorn hochgezogen und gleichzeitig im Ganzen stark nach rückwärts bewegt, beide Aryknorpel rücken zur Mitte, der Aditus laryngis wird verengt, die Stimmbänder werden gespannt und einander bis zu einem etwa 2" klaffenden Spalt genähert. — \ Archiv für Laryngologie. Bd. VIL. 80 H. KRAUSE: Die hier geschilderten Verhältnisse werden constant bei mehreren anderen Versuchsthieren beobachtet. 3. An mehreren älteren Hunden werden die Erscheinungen nach Durch- schneidung des N. laryng. inf. beobachtet. Auch hier ist die Adductions- stellung des Stimmbandes nach Lähmung des Nerven deutlich, aber nicht so stark wie bei jüngeren Thieren. Auch die Abweichung des Stimmbandes nach aussen von dieser Stellung nach Durchschneidung der Rami externi der Nn. laryng. sup. ist bemerkbar; indessen ist die Differenz zwischen beiden Stellungen hier ebenfalls nicht so beträchtlich wie bei jüngeren Thieren. 4. In einer anderen Versuchsreihe werden zuerst beide Nn. inf. und dann beide Rami externi durchschnitten und hierauf wird der N. laryng. sup. an seinem Stamme elektrisch gereizt, behufs Antwort auf die Frage, ob die Kehlkopfmusculatur ihre motorische Innervation ausser vom N. laryng. inf. und dem Ramus externus auch noch vom übrigen Theile des N. laryng. sup. erhalte. Es ergiebt sich keinerlei Wirkung auf die Kehlkopfmuseulatur bei der so angeordneten elektrischen Reizung. 5. An einem älteren Hunde werden beide Nn. laryng. inf. vorsichtig aus ihrer Umgebung gelöst, um dieselben Schlingen gelegt und in diese zwei kleine Korkstücke eingebunden, links wie gewöhnlich derart, dass der Kork dem Nerv wenig beweglich aufliegt, rechts aber so, dass der Kork, in ganz lockerer Schlinge liegend, auf dem Nerv leicht verschieblich ist. Sofort nach der Operation zeigen beide Stimmbänder normale Exeursionen. Am folgenden Tage steht das linke Stimmband in Medianstellung fest, das rechte wird nach beiden Richtungen frei bewegt. Erst am 5. Tage nach der Operation ist deutlich eine geringere Ausgiebigkeit der Bewegung des rechten Stimmbandes nach aussen bemerkbar; nach innen wird dasselbe vielleicht etwas träger, aber ziemlich kräftig bis zur Medianlinie bewegt. Es wird jetzt der linke N. laryng. inf. peripher durchschnitten, worauf keinerlei Aenderung der Lage des in Medianstellung immobilisirten linken Stimmbandes erfolgt. Der linke Ramus externus wird durchschnitten. Das linke Stimmband zeigt sich hierauf nach aussen abgewichen, es bildet mit dem rechten Stimmbande, wenn letzteres adducirt wird, ein recehtwinkliges Dreieck, in welchem es die dem rechten Winkel gegenüberliegende Linie darstellt. Nunmehr wird der rechte N. laryng. inf. vorsichtig aus seiner stark sewucherten Umgebung herauspräparirt, wobei natürlich Zerrungen des Nerven nicht zu vermeiden sind. Bei der jetzt vorgenommenen laryngoskopischen Untersuchung zeigt sich das Bild gänzlich verändert: das rechte Stimmband ist in Medianstellung fixirt. Aber gleichzeitig ist ein beträchtlicher Unter- schied der Bewegungsphänomene auf dieser Seite im Vergleiche mit denen der gegenüberliegenden Kehlkopfhälfte wahrnehmbar, auf welcher N. inf. und Ramus externus durchschnitten sind. Während das letztere (linke) Stimmband mit Ausnahme ab und zu auftretender ganz schwacher Mit- bewegungen völlig bewegungslos ist, zeigt das rechte Stimmband bei jeder Exspiration eine rhythmisch auftretende Verlängerung, sowie eine Verbreiterung zur Mitte hin, derart, dass es der Mittellinie genähert, addueirt wird. ZuR FRAGE DER „POSTICUSLÄHMUNG“. s1 Die positiven Ergebnisse dieser Untersuchungen sind folgende: 1. Die Anwendung des Druckverfahrens auf den Nerv ruft Immobi- lisirung und Medianstellung des Stimmbandes hervor. 2. Diese Medianstellung ändert sich nicht, wenn der dem Druckver- fahren unterworfene Nerv peripher durchschnitten wird. 3. Nach Durchschneidung und völliger Lähmung des N. laryng. inf. nimmt das Stimmband eine Stellung ein, welche mit Recht Adductions- stellung genannt werden darf, da sie der Phonationsstellung nahe, in allen Fällen dieser wesentlich näher als der ruhigen Inspirationsstellung liegt. (Hierbei soll nicht unerwähnt bleiben, dass mir diejenige Medianstellung, die nach Anwendung des Druckes auf den Nerv eintrat und sich auch nach Durchschneidung des N. laryng. inf. erhielt, der vollendeten Phonations- stellung näher zu sein schien als diejenige, welche sofort nach einfacher Durchschneidung des Nerven erfolgte) Diese Adductionsstellung geht in eine solche über, welche näher der Inspirationsstellung als der Phona- tionsstellung des Stimmbandes gelegen ist, sobald der M. cricothyr. ge- lähmt wird. 4. Die laryngoskopische Untersuchung, sowie die unmittelbare Be- obachtung des M. cricothyr. hat ergeben, dass dieser ein auto- matisch arbeitender concomitirender Exspirationsmuskel ist. 5. Es ist nachgewiesen, dass trotz völliger Lähmung des N. laryng. inf. eine mit dem Exspirationsvorgange synchrone, das Stimm- band der Mittellinie nähernde Bewegung stattfindet. Diese Bewegung wird durch den M. cricothyr. bewirkt. 6. Elektrische Reizung des Ramus externus des N. laryng. sup., sowie des M. erieothyr. nach Durchschneidung des M. laryng. inf. ergiebt ein Vor- rücken des Stimmbandes bis zu einer der Medianlinie nahe kommenden Stellung, wobei jedoch das Stimmband etwas schlaf, excavirt, erscheint. Bei erhaltenem N. laryng. inf. wird das Stimmband stärker gespannt, straffer in die Länge gezogen und der Mitte näher gebracht. 7. Der N. laryng. sup. hat — ausgenommen die Innervation des M. cerieothyr. — mit der motorischen Innervation des Kehlkopfes nichts zu schaffen. 8. Es hat sich gezeigt, dass das Experiment auch einen Zu- stand beginnender, unvollständiger Lähmung des N. laryng. inf. zu erzeugen vermag. Hierbei ist die Aussenbewegung des Stimmbandes behindert, während die Adductions- (Phonations-) Bewegung erhalten ist. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 6 82 H. KRAUSE: Schlussfolgerungen. Der Einwand des Hrn. Grossmann gegen meine Deutung, dass die von mir durch Druck auf den N. laryng. inf. hervorgerufene Immobilisirung des Stimmbandes als Reizcontractur anzusehen sei, hat sich als berechtigt erwiesen. Die Stellung des Stimmbandes ist dieselbe, sei es dass der Nerv durch einen Fremdkörper comprimirt und immobilisirt oder einfach durch- schnitten wird. Ferner ist es evident geworden, dass es, wie Wagner und Grossmann dargethan haben, der M. cricothyr. ist, welcher die Adductions- stellung des Stimmbandes bei Lähmung des N. laryng. inf. hervorruft. Dieser Muskel ist ein wesentlich exspiratorischer, daher ist ihm die Einleitung des Actes der Phonation, welche nur während und mit der Exspiration aus- führbar ist, übertragen; er bringt unzweifelhaft das Stimmband aus der Inspirationsstellung der Mittellinie näher, er hilft es adduciren. Da diese Thätigkeit des Muskels andauert, auch wenn der N. laryng. inf. gelähmt ist, ja nunmehr die einzige ist, welche auf das Stimmband noch Einfluss übt, so muss nothwendiger Weise eine Adductionsstellung resultiren. Ist der N. laryng. inf. im Beginne des Processes unvollständig gelähmt, — jenes Stadium, in welchem man eine behinderte Auswärtsbewegung des Stimm- bandes bei erhaltener Bewegung zur Mitte, wie in Experiment 5, beob- achtet —, so wird der M. cricothyr. durch seine regelmässige automatische Thätigkeit diejenige durch die beginnende Lähmung geschwächte Muskel- gruppe unterstützen, deren Action mit der seinigen synergisch wirkt, deren Bewegungseffect durch die seinige gefördert wird. Würde er dies nicht thun, würde beispielsweise ein Lähmungsprocess im Beginne gleichzeitig den oberen und den unteren Kehlkopfnerv treffen, so würde die Exeursion des Stimmbandes in gleicher Weise wie bei der Auswärtsbewegung auch bei der Bewegung zur Mitte behindert sein, das Stimmband würde nach beiden Richtungen nur minimale Exeursionen machen. So lange aber der M. crieothyr. actionsfähig ist, zwingt er das Stimm- band in die Adductionsstellung. — Hr. Grossmann hat Unrecht, zu be- haupten, dass solche Befunde (von der gehemmten Auswärtsbewegung im Beginne der Lähmung) niemals gemacht seien. Sie sind im Gegentheil klinisch nicht selten, und — wie oben ausgeführt — hat nunmehr das Experiment einen solchen zu verzeichnen. Hr. Grossmann hat aber, wie ich glaube bewiesen zu haben, auch Unrecht, zuzugestehen, dass der Nach- weis einer solchen Stellung die Chancen der Theorie von der früheren Er- lahmung des M. posticus steigern würde. Denn gerade dieser Befund der gehemmten Abduction bei erhaltener Bewegung zur Mitte in meinem Ex- periment, welches das Fortbestehen der Bewegung zur Mitte auch nach ZUR FRAGE DER „POSTICUSLÄHMUNG“. 83 Durchschneidung, also völliger Lähmung des N. laryng. inf. gezeigt hat, lässt in überzeugender Weise erkennen, dass der M. cricothyr. dieselbe Wirkung, welche er bei völliger Lähmung hervorbringt, bereits im Stadium der unvollständigen Lähmung auszuüben beginnen muss. Dass schliesslich auch der M. crieothyr. erlahmen muss, weil seine Antagonisten und Synergisten ihre Arbeit eingestellt haben, das klar zu machen, ist Hrn. Grossmann besonders gut gelungen und bedarf keiner Ergänzungen. Es bliebe nur zu wünschen übrig, dass Hr. Grossmann bei Hervor- hebung der Synergie aller Kehlkopfmuskeln der verdienstlichen Arbeit von Hermann v. Meyer „die Wirkung der Stimmritzenmuskeln“! Erwähnung gethan hätte, in welcher v. Meyer den Gedanken der Synergie dieser Muskeln zu überzeugendem Ausdruck bringt. Zum Schlusse dieser Mittheilung fühle ich mich auf Grund meiner Versuche veranlasst, auszusprechen, dass wir alle Ursache haben, Hrn. Gross- mann für seine schöne und erfolgreiche Arbeit dankbar zu sein. 1 Dies Archiv, 1889. Anat. Abthlg. 6* Ueber die Degenerationsvorgänge im Nervus laryngeus superior, N. laryngeus inferior und N. vagus nach Schilddrüsenexstirpation. Von Dr. J. Katzenstein in Berlin. (Hierzu Taf. 111.) In einer früheren Arbeit! erbrachte ich den Nachweis, dass nach Durchschneidung des N. tlıyreoid. sup. und des N. thyreoid. inf. Degene- ration der Schilddrüse auftritt. Es lag nahe, nunmehr zu untersuchen, ob nach Exstirpation beider Schilddrüsen Veränderungen in denjenigen Nerven sich zeigen, aus welchen die Schilddrüsennerven entspringen, dem N. laryng. sup., N. laryng. inf. und auch dem N. vagus. Das dazu nöthige Nerven- material bot sich mir bei Gelegenheit anderweitig vorgenommener Versuche, und zwar entstammte es vier Hunden, die nach beiderseitiger Schilddrüsen- exstirpation je 197, 259, 492, 551 Tage gelebt hatten; die beiden ersten dieser Hunde gingen ein, die beiden letzten, denen es stets gut ergangen war, wurden getödtet. Des ferneren wurde bei einem Affen, dem von Edmunds beide Schilddrüsen entfernt waren und der wegen angeblichen Myxoedems Hrn. Prof. H. Munk zur weiteren Beobachtung übersandt wurde, beiderseits die N. laryng. sup., N. laryng. inf. und N. vagus unter- sucht. Der Affe starb 449 Tage nach der Operation. Untersuchungen peripherer Nerven wurden bei Kachexia thyreopriva des Menschen und Affen sowie bei Kretinismus von Langhans,? dann in den peripheren Nerven des Hundes nach Exstirpation der Schilddrüse von Kopp vorgenommen. Die Beobachtungen von Langhans bezogen ı J. Katzenstein, Ueber die Erscheinungen, die in der Schilddrüse nach Exstir- pation der sie versorgenden Nerven auftreten. Archiv für Laryngologie. Bd. \V. ® Virchow’s Archiv. Bd. CXXVII. 8.318, 322, 354. ® Ebenda. Bd. CXXVIIM. S. 290. J. KATZENSTEIN: ÜBER DEGENERATIONSVORGÄNGE U, $, W. 85 sich auf drei Fälle von Kachexia thyreopriva beim Menschen und fanden nur an Dauerpräparaten statt (Müller, Alkohol, Celloidin); die von ihm an den verschiedensten peripheren Nerven gefundenen Veränderungen bezogen sich auf die Blutgefässe, besonders die Capillaren, des ferneren auf die Lymph- spalten, in denen er eigenartio umgewandelte Zellen des Endoneuriums fand, für die er den Namen der ein- und mehrkammerigen Blasenzellen vorschlug, und endlich auf herdförmige Erkrankungen an der Innenfläche des Perineuriums.. Die Studien Kopp’s betreffen die oben erwähnten Blasenzellen. Meine Untersuchungen beziehen sich ausschliesslich auf die Nerven- substanz. Die Nerven wurden sofort nach Tödtung des betreffenden Thieres, oder falls dasselbe eingegangen war, so rasch als möglich, bevor die weitere Section stattfand, in grosser Ausdehnung freigelegt, excidirt und in Fixir- flüssigkeit gelest. Es wurden Zupf- und Dauerpräparate angefertist, Im ersteren Falle wurden 1 bis 1!/, "® lange Stücke nach Neumann 24 Stunden in 0-1 procent. Osmiumsäure, darauf 24 Stunden in destillirtes Wasser gelegt; die so behandelten Nerventheile lassen sich in der leich- testen Weise gut zerzupfen. Im zweiten Falle wurden die Nerven in ver- schiedener Weise behandelt: Ein Theil wurde in Flemming’scher Lösung fixirt, in Paraffin eingebettet, mit Eosin-Haematein, Triacid, Saffranin oder Ehrlich-Heidenhain-Biondi’schem Gemisch gefärbt; andere Partien wurden nach Marchi oder Weigert behandelt. Von den Dauerpräparaten wurden sowohl Quer- als Längsschnitte gemacht. Die beobachteten Ver- änderungen zeigten sich: 1. an der Sehwann’schen Scheide und den Kernen derselben, 2. hauptsächlich an der Markscheide, 3. an dem Axencylinder. Degenerirt sind stets nur eine gewisse Zahl von Nervenfasern; die grössere Menge derselben ist ohne wesentliche Veränderung. Zunächst füllt die degenerirende Nervenfaser die Schwann’sche Scheide noch völlig aus, man bemerkt aber, dass die Markscheide nicht mehr so prall die Schwann’- sche Scheide ausdehnt, die Schwann’sche Scheide nicht mehr so straff der Nervenfaser anliegt, vielmehr ein gewelltes Aussehen annimmt (Taf. III, Fig. 1. Wenn im weiteren Verlaufe die Markscheide der Nervenfaser an manchen Stellen völlig verschwunden, an anderen noch ganz oder zum Theil, z. B. in grossen zerklüfteten Schollen, vorhanden ist, zieht der Con- tour der ungefärbten Schwann’schen Scheide, ohne collabirt zu sein, über die leeren Stellen, aus denen die Markscheide verschwunden ist, fort (Taf. III, Fig. 2). Seltener wurde beobachtet, dass die Schwann’sche Scheide, nach- dem die Markscheide völlig oder ganz zu Grunde gegangen war, collabirte und in mehr oder weniger welligen Partien dem Axencylinder anlag. Die 86 J. KATZENSTEIN: Kerne der Schwann’schen Scheide waren häufig stark gekörnt und ver- orössert. Vielfach gesehen wurden blasige Auftreibungen der Schwann’- schen Scheide, wie sie zuerst Carl Sachs! beschrieben hat; zu beiden Seiten der varicösen Stelle ist die Schwann’sche Scheide völlig von Nerven- mark frei und faltig collabirt (Taf. III, Fig. 3). Die Markscheide zeigt Veränderungen in ihrer Substanz und ihrer Färbbarkeit. Was zunächst ihre Substanz betrifft, so hat sie im Anfange des Degenerationsprocesses wie beim normalen Nerven ein gleichmässiges, homogenes Aussehen, nur in gewissen Abständen ist sie völlig bis auf den .Axencylinder durchtrennt. Es ist dies besonders markant bei Osmium- präparaten; zwischen den schwarzen Theilen der Markscheide befinden sich helle, ungefärbte Einschnitte; dieselben sind nicht verursacht durch Brüchig- keit des Materials (Taf. III, Fig. 4). In vielen Fällen endet die Markscheide plötzlich; von dieser Stelle an erscheint der nackte Axencylinder ohne jede Markumhüllung auf eine weite Strecke. Oberhalb der ausgefallenen Mark- scheide bemerkt man die ungefärbte contourirte Schwann’sche Scheide (Taf. III, Fig. 4). Im weiteren Verlaufe hat die Markscheide nicht mehr wie in der Norm am gehärteten Nerven ein homogenes Aussehen, sondern sie erscheint aus unregelmässigen Schollen zusammengesetzt, die bald die sanze Breite des normalen Markscheidentheiles einnehmen, bald in knolligen Partien angehäuft liegen (Taf. III, Fig. 5). Der zweite sehr auffällige Degenerationsprocess am Nervenmark kenn- zeichnet sich durch mehr oder weniger stark verminderte Färbbarkeit in Osmiumsäure. Zunächst ist das Nervenmark noch gefärbt, aber verschieden gefärbt, es wechseln stark schwarz gefärbte Markpartien, welche zu Klumpen zusammengeballt liegen, mit weniger stark schwarz gefärkten. Dann sind verschiedene Phasen zu beobachten, in denen die Färbbarkeit des Nerven- marks allmählich abnimmt, bis es schliesslich gar keine Färbung mehr zeigt. Die ungefärbten Nervenmarktheile wechseln ab mit gefärbten; im ganzen Verlaufe ungefärbte Nervenfasern kamen nicht vor. Dort, wo die stark gefärbten Strecken in ungefärbte übergehen, verschmälert sich die Faser um die Hälfte der Breite oder noch mehr. Auffällig häufig sind die Nervenfasern in der Nähe der Ranvier’schen Einschnürung ungefärbt; dort, an der Eintrittsstelle der Farbflüssigkeit, würde die Färbung am Normalpräparat am stärksten sein; es ist demnach anzunehmen, dass die Degeneration der normalen Nervenfaser am Ranvier’schen Schnürring be- ginnt (Taf. III, Fig. 6). Die ungefärbten Nervenfasern zeigen dieselben Ver- änderungen der Markscheide wie die gefärbten: Verdiekungen und kolbige ! Sachs, Physiologische und anatomische Untersuchungen über die sensiblen Nerven und Muskeln. Dies Archiv. 1874. Physiol. Abthlg. 8. 507. Fig. 3 auf Taf. XII. ÜBER DEGENERATIONSVORGÄNGE NACH SCHILDDRÜSENEXSTIRPATION. 87 Aufwulstungen, dazwischen fast völligen Schwund derselben bis auf einen fast fadenförmigen Strang. An einzelnen ungefärbten Nervenfasern liegt auf weite Strecken der Axencylinder frei; dann folgen kurze Partien, in denen das schollige, ungefärbte Nervenmark die ganze Schwann’sche Scheide ausfüllt, meistens jedoch bildet das Nervenmark um den Axen- cylinder knollige Auftreibungen; der übrige Theil der Nervenfaser bildet einen leeren Schlauch (Taf. III, Fig. 7). Die Entwickelung des Bindegewebes ist an manchen Stellen sehr stark. In vielen Präparaten waren gar keine Nervenfasern zu sehen, sondern nur Bindegewebe; dasselbe wird durch Osmium nicht schwarz gefärbt, sondern nimmt einen gelblichen Ton an. Um die Unterschiede zwischen normalen und den vorliegenden dege- nerirten Nervenfasern festzustellen, wurden in grosser Anzahl Nervenzupf- präparate nach Neumann von normalen Hunde- und Affennerven an- gefertigt, sowohl vom Laryng. sup., inf. und Vagus wie von anderen peri- pheren Nerven, besonders vom Ischiadicus.. Veränderungen wie die oben beschriebenen wurden an keinem normalen Nervenzupfpräparat beobachtet; nur geringfügige Gerinnungen der Markscheide, die stets nach dem Tode auftreten, waren regelmässig zu sehen (Taf. III, Fig. 8, normales Nerven- zupfpräparat).! Am Nervenquerschnitt waren die Degenerationserscheinungen schwieriger festzustellen als am Zupfpräparat. Ueberblickt man, am besten mit schwacher Vergrösserung, einen solchen Nervenquerschnitt, so bemerkt man an den einzelnen Sonnenbildchen Folgendes: 1. Eine grosse Anzahl von Nervenfaserquerschnitten ist normal; Axen- cylinder und Markscheide sind gut gefärbt. 2. Die Markscheide ist gekörnt, zerfallen, aber der Axencylinder gut sichtbar. 3. Die Markscheide ist blasenförmig aufgetrieben, der Axencylinder gut sichtbar. 4. Die Markscheide und der Axencylinder sind als solche nicht mehr zu erkennen, das Gesammtsonnenbildchen ist blasenförmig aufgetrieben (Taf. III, Fig. 9). Das Endoneurium zeigt eine sehr starke Zunahme, die Kerne desselben sind vergrössert und, besonders nach Saffraninbehandlung, sehr stark gefärbt. ! Die Länge einer Nervenzelle, d.h. die Entfernung von einer Ranvier’schen Einschnürung bis zur anderen, wurde bisher auf 1 bis 1-5 “® geschätzt. Als ich die Länge einer solchen bei einer zu anderen Zwecken vorgenommenen Messung bestimmte, fand ich ein bei Weitem geringeres Maass. In einer Reihe von Messungen ergab sich z.B. die Länge von 0-0912, 0-1128, 0-059, 0-1028, 0-5520==, Diese Messungen wurden nur an Hundenerven vorgenommen. 88 J. KATZENSTEIN: ÜBER DEGENERATIONSVORGÄNGE U. S. W. Am normalen Nervenquerschnitt sind Veränderungen wie die soeben be- schriebenen nie zu bemerken (Taf. III, Fig. 10, normaler Nervenguerschnitt). Auf Nervenlängsschnitten erscheint die Markscheide an manchen Stellen stark verbreitert und gekörnt, die Kerne der Schwann’schen Scheide sind vergrössert und stark gefärbt. Das Endoneurium zeigt eine starke Zunahme, nimmt oft das ganze Gesichtsfeld ein. Die Bindegewebskerne sind ebenso wie die der Schwann’schen Scheide stark vergrössert und gut gefärbt. Was die Degeneration centraler Abschnitte peripherisch lädirter Nerven angeht, so fiel wohl zuerst Sigmund Mayer! am motorischen Nerven zu wiederholten Malen bei der mikroskopischen Untersuchung der cen- tralen Stümpfe längere Zeit vorher durchschnittener Nerven auf, dass in einer Entfernung von 2 °® und mehr vom Schnittende entfernt die Ver- änderungen der sogenannten paralytischen Degeneration ausserordentlich intensiv ausgeprägt waren. Es war ihm aber wahrscheinlich, dass bei Her- vorbringung der fraglichen Veränderungen im centralen Nervenstumpfe die Anwendung der Carbolsäure bei der Operation eine Rolle gespielt hatte. Dagegen fanden Darkewitsch und Pichonow ? in einem Falle von peripherischer Facialislähmung veränderte Zellen des Facialiskernes, beob- achtete Bickeles’ in einem Falle von halbseitiger Facialisdegeneration eine aufsteigende Degeneration des N. facialis, die sich bis zum Kerne verfolgen liess. Klippel und Durante* beschrieben ähnliche Fälle unter dem Namen der Degen6rescences retrogrades und E. Flatau° fand bei einer Läsion des peripherischen N. facialis durch Otitis media Degeneration des ganzen centralen Abschnittes dieses Nerven. Ferner ist durch Untersuchungen von Bregmann, Darkewitsch, Nissl, Marinesco, E. Flatau experimentell schon sehr kurze Zeit nach einer Läsion motorischer peripherischer Nerven Veränderung des ganzen centralen Nervenabschnittes nachgewiesen worden, Hierzu treten nunmehr die oben von mir angeführten Beobachtungen, aus denen hervorgeht, dass nach Ausschaltung von Drüsen (Schilddrüsen) die sie versorgenden secretorischen und vasomotorischen Nerven centripetal degeneriren. Vorliegende Arbeit ist in dem physiologischen Laboratorium der hiesigen thierärztlichen Hochschule angefertigt. Hın. Prof. Hermann Munk, der mich mit Rath und That unterstützte, bitte ich meinen ergebensten Dank abstatten zu dürfen. 1 Zeitschrift für Heilkunde. 1883. Bd. IV. ” Neurologisches COentralblatt. 1893. Nr. 10. 3 Ebenda. 1894. Nr. 3. * Revue de med. 1895. Janv. ° Zeitschrift für klinische Medicin. 1897. 8. 280. Recherches sur la biologie de la cellule nerveuse. Par Professeur G. Marinesco & Bucarest, (Hierzu Taf. IV.) Les grands progres qu’a realise pendant les dernieres annees Ecoulees ’histologie fine de la cellule nerveuse doivent interesser les physiologistes au meme titre que les histologistes, car l’anatomie est la base de la phy- siologie. C’est dans se but que j’ai cru utile d’exposer ici quelques points nouveaux de biologie et de morphologie de la cellule nerveuse avec quelques considerations physiologiques. Il me sera impossible de donner un apercu general des decouvertes accomplies dans le domaine de la biologie de la cellule et je serai oblige de me restreindre dans certains limits, imposes par la 'nature du travail actuel. Tout d’abord, je dois faire connaitre l’etat actuel de nos connaissances sur la morphologie dela cellule nerveuse etensuite je m’oceuperai de quelques questions concernant les differents phenomenes de la vie cellulaire. Avant les recherches remarquables de Flemming et Nissl, on ne savait presque rien de preeis sur l’architecture intime de la cellule, ou se deroulent les actes principaux de la vie. Ce qui a frappe les premiers observateurs, Flemming, Nissl, Benda etc., dans la structure de la cellule nerveuse, c’est la decouverte ‚d’un nouvel element jusqu’alors meconnu dans le prutoplasma de la cellule; l’element chromatophile, ainsi nomme parce qu’il se colore fortement par les couleurs basiques d’aniline. Ces el&ments sont disposes concentriguement autour du noyau et affeetent la forme polygonale (Pl. IV, Fig. 1). A mesure qu’on s’eloigne du centre, ils deviennent plus allonges, dans les prolongements protoplasmatiques ils prennent un aspect fusiforme, leur grand axe £etant parallele a celui de ces prolongements. Le cylindre-axe n’en possede pas. Ces elements chromatophiles donnent aux cellules de la corne anterieure 90 ‚.G. MARINEScCo: de la moelle un aspect tachete comme de la peau de tigre; examines a un trös fort grossissement, ils apparaissent composes de granulations elementaires agglutindes entre elles par une substance päle achromatique. Le cylindre-axe se degage de la cellule par une dilatation en cöne Evase. Toute cette region est aussi tres päle parce qu’elle ne contient pas de sub- stance chromatique. Au milieu de la cellule on voit le noyau et son nucleole. Dans une premiere phase des recherches sur cette structure interne (Nissl, Babes, Lenhossek, Lugaro, Marinesco ete.) la substance fondamentale ou achromatique de la cellule fut consideree comme une sub- stance amorphe. A cette epoque, on s’occupa surtout de la morphologie des el&ments chromatophiles. Je rappellerai brievement les opinions principales sur la structure de la substance achromatique. Il ya quelque temps, on avait admis que cette substance se presentait sous forme amorphe; mais les recherches de Flemming, confirmees depuis par Becker, Levi, Cajal, Lugaro, van Gehuchten et moi-m&me, ont montr6 que cette opinion est inexacte. O’est Flemming qui, pour la premiere fois, a vu dans le cytoplasma une structure fibrillaire, ou plutöt une espece de striation. Ces fibrilles ne sont pas paralleles et rectilignes, et il est impossible de les suivre sur un long trajet. Ici et la, on voit des rapports de continuite entre les corpuscules chromatiques et les stries du cytoplasma; mais Flemming ne peut affirmer avec certitude que les elö&ments chromatophiles soient dependants des fibrilles ou seulement interposes entre elles, toutefois, il assure qu’une grande partie des fibrilles des prolongements se ramifie dans le corps de la cellule. Flemming admet, en outre, que la structure du corps cellulaire vue par Schultze etait due aux fuseaux chromatiques. Nissl a soutenu que les corpuscules chromatiques sont reunis entre eux par une systeme de filaments tres päles qui ne se colorent pas par le bleu de möthylene. G. Levi, en faisant usage d’une methode &lective, a decrit egalement ces fibrilles dans le cytoplasma; suivant cet auteur, les fibrilles se continuent avec les corpuscules chromatiques. Becker s’est servi d’un procede de coloration &lective qu’il n’a pas publie encore. Il a constate que la substance achromatique, qui ne se colore pas par la methode de Nissl, a une structure fibrillaire. Les fibrilles primitives du cylindre-axe et des prolongements protoplasmatiques se continuent directement avec celles du cytoplasma. L’injeetion vitale de rouge neutral ui a montre que les elements chromatophiles sout composes de nombreuses granulations, qu'il compare aux granules d’Ehrlich et d’Altmann. La maniere dont ces granulations RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 9] se comportent a l’egard de cette couleur, prouve, quwelles jouent un röle actif dans les &changes nutritifs. Il pense que la substance intermediaire qui se trouve entre ses granulations est plutöt fluide. Niss], dans une communication quil a faite au Congres de la Societe de psychiatrie de Karlsruhe, a admis completement, avec Becker, la structure fibrillaire de la cellule nerveuse. Lugaro vient de publier un travail important sur cette question. Il decrit egalement des fibrilles ondulees qui s’anastomosent, entre elles a la peripherie de la cellule sous un angle ouvert, tandis que, dans les couches profondes, ces 'anastomoses ont lieu sous un angle aigu. Lenhossek, qui depuis le commencement s’est montre adversaire de la structure fibrillaire, a admis depuis, dans le cylindre-axe, l’existence de vraies fibrilles; mais il se refuse & admettre la m&me structure, en egard au cytoplasma. Les soi-disant fibrilles, comme il les denomme, ne seraient pour lui que des stries dependantes des corpuscules chromatiques. Ainsi, d’apres cet auteur, les corpuscules chromatiques ne constituent pas une masse de rem- plissage entre les interstices des soi-disant fibrilles, mais se continuent directement avec elles. Ou d’autres mots, les elements chromatophiles ne sont autre chose que des renflements fusiformes des stries achromatiques. Van Gehuchten a admis l’opinior de Cajal, en ce qui concerne la structure reticulde de la substance achromatique. A propos de cette sub- stance le professeur de Louvain a fait une tres juste remarque: il pense qu’elle n’est pas formee exclusivement de fibrilles, comme l’ont admıs Benda, Nissl, Becker; ellea une structure plus complexe et r&presente le veritable protoplasma cellulaire. En somme, la presence des fibrilles, des stries, dans le cytoplasma, a ete deerite par Flemming, Becker, Nissl, Levi, Lugaro, Len- hossck etc. etc.; mais la conception que se sont fait ces auteurs de leurs connexions varie de l’un a l’autre. En tout cas, jinsiste sur ce fait que la plupart ont admis une relation de continuite entre les fibrilles et les corpuscules chromatiques, fait qui, pour moi, presente de l’interet au point de vue de la physiologie des diverses parties constituantes de la cellule nerveuse. Voiei quelle est, d’apres moi, la structure de la cellule nerveuse. La cellule nerveuse quelle que soit sa morphologie, se compose en general de trois element essentiels; 1° un element chromatique que j’ai appel& el&ment chromatophile; 2° un element achromatique figure (ce sont ces deux derniers qui presentent une configuration et donnent ä la cellule sa morphologie speciale); 3° un el&ment amorphe achromatique, la substance fondamentale. 92 (+. MARINESCO: La disposition variable de ces trois elements et leur combinaison nous expliquent l’aspeet et les formes si diverses du neurone. Aussi une classi- fication de Nissl ayant pour base l’&l&öment chromatophile seul, est in- complete. Du reste, comme je m’efforcerai de le faire ressortir plus loin, ce qui regit la disposition et la distribution de l’elöment chromatophile est bien la substance achromatique figuree, et c’est par l’etude de cette derniere que je vais commencer. Cette substance achromatique figuree, dont la veritable nature a donne lieu, dans ces derniers temps, & de nombreuses discussions, affecte une disposition variable dans les prolongements de la cellule et dans le corps du cytoplasma. Me&me dans les pieces traitees par la methode de Nissl, on peut voir une vague striation qui est assez evidente dans les grandes cellules de la substance reticulde du bulbe du lapin, du chien, du singe etc. Mais pour voir, d’une facon indubitable, que cette striation depend en realite de l’existence de vraies fibrilles dans les prolongements de la cellule, il faut faire usage de l’hematoxyline diluee, ainsi que Flemming le premier, et ä sa suite Lugaro, l’ont recommande. Prenons comme exemple, pour l’etude de la substance achromatique organisee, une cellule des ganglions spinaux du chien. Ainsi, la Pl. IV Fig. 1 nous montre que le cylindre-axe est constitue par des faisceaux fibrillaires qui rayonnent dans le cytoplasma et par les ramifications late- rales des fibrilles donne naissance, tout au moins en apparence, & un reseau A mailles plus ou moins serrees, si dans cette cellule les fibrilles donnent des ramifications collaterales qui s’&panouissent dans le röseau du cytoplasma, dans d’autres, au contraire, les fibrilles gardent leur individualite sans constituer un reseau apparent. Qu’il me soit permis de reproduire ici une figure de mon rapport au Congres de Moscou! qui montre a la maniere plus nette l’existence de vraies fibrilles, longues, dans l’interieur de la cellule nerveuse (Pl. IV, Fig. 2). Dans les cellules radiculaires et sympathiques, j’ai vu que les fibrilles constituent un reseau tel quil a ete deerit egalement par Cajal et van Gehuchten dans les cellules des cornes anterieures. On eroyait apres ces travaux importants des differents auteurs, que la structure fine de la substance achromatique des cellules nerveuses etait entree dans sa phase definitive et qu’il ne restait a resoudre que des questions de detail; quand brusquement, les recherches toutes recentes de Bethe sont venues bouleverser, pour ainsi dire nos connaissances acquises. Ües deux auteurs ont repris les recherches de Becker, et apporte des donnees 1 G@. Marinesco, Pathologie de la cellule nervense. Rapport presente au congres international de Medecine, tenu a Moscou du 19—26 Aoüt. 1897. p. 9. Fig. 4. RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 93 nouvelles sur la structure fine de la cellule nerveuse. D’apres Bethe, il existe dans toutes les cellules nerveuses, des fibrilles bien individualisees, nettement colorees, fibrilles qui se reunissent en faisceaux et remplissent les espaces intercorpusculaires. La disposition des fibrilles varie avec les dif- ferentes especes cellulaires, mais nulle part cet auteur n’aurait vu un veritable reseau cellulaire dans le cytoplasma; il est vrai qwautour du noyau ces fibrilles s’entremelent et simulent un r&seau, mais en r6alite, il Sagirait d’un feutrage constitu& par des fibrilles ind&pendantes. Dans beaucoup de cellules, les faisceaux fibrillaires n’ont pas une direction rectiligne, mais ils forment des spirales. Il &tait interessant a faire remarquer, que les fibrilles qui constituent le cylindre-axe, ne representent pas la somme de toutes les fibrilles des prolongements protoplasmatiques, parce qu’une grande partie d’entre elles au lieu de traverser le corps cellulaire se recourbent & la base d’une dendride, pour penetrer dans le prolongement voisin; d’autres penetrent dans le corps cellulaire qu’elles traversent pour se jeter non pas dans le cylindre-axe, mais dans les prolongements proto- plasmatiques. On voit que theoriquement parlant, les donnees histologiques fournies par Bethe, sont susceptibles de modifier dans une certaine mesure, nos connaissances actuelles sur la transmission du courant nerveux dans la cellule. Nissl, partisan de la theorie purement fibrillaire de la cellule nerveuse est revenu plusieurs fois sur cette question sans avoir cependant apporte des documents personnels. J’eprouve une certaine difficulte pour m’expliquer la difference des resultats obtenus par Bethe, avec ceux de Lugaro, les miens et ceux de van Gehuchten. Mes recherches mont montre qu’il existe en effet des fibrilles dans le eytoplasma nerveux, fibrilles qui gardent une certaine idividualit6, comme cela arrive pour certaine cellules des ganglions spinaux, mais dans la plupart des especes des cellules, les fibrilles s’epuisent, en donnant des ramifications qui constituent un reseau, lequel reseau a et& vu aussi par Lugaro, van Ge- huchten et Auerbach. Comment donc pouvoir expliquer le fait que Bethe n’a vu que des fibrilles formant parfois un feutrage et jamais un ' reseau: Est ce que les faits n&gatifs avances par cet auteur, sont de nature ä infirmer le faits produits par d’autres? Je ne le pense pas. De sorte qu'il faut savoir attendre. C’est la meilleure opinion, que je puisse en donner pour le moment. Je crois ötre en mesure, gräce aux donnees precedentes de l’histologie normale de la cellule nerveuse d’aborder quelques points de la physiologie generale du neurone. Quelle est la fonction de la substance achromatique organisee, c’est a dire des fibrilles intracellulaires? Ayant etabli par mes recherches que les fibrilles des prolongements protoplasmatiques et du 94 G. MARINESCO: eylindre-axe se continuent anatomiquement avec les travees du reseau, on doit admettre que la substance achromatigue organisee, de meme que les fibrilles du eylindre-axe servent ala transmission de l’influx nerveux. Lugaro, Nissl, Becker, Ramon y Cajal, van Gehuchten et moi-möme avons soutenu cette opinion avec des documents d’ordre divers; aujourd’hui elle ne ren- contre plus qu’en de contradicteurs, il n’en est pas ainsi de sur ce qui regarde la fonction des elements chromatophiles et celle de la substance achromatigue amorphe. Des auteurs d’une grande competence comme Lu- garo, Cajal, van Gehuchten ont admis que la substance chromatique constitue une matiere de reserve alimentaire, une espece de grenier de nutrition, d’autre auteurs au contraire comme Colucei, lui ont denie cette fonction. Lugaro lui m&me dans un travail recent, attribue un röle fonc- tionnel & cette substance chromatique. Pour mon compte, je dois avouer, que le röle de magasin de nutrition, ne rend compte ni de la variabilit@ des elements chromatophiles, ni de la morphologie; enfin, elle s’accorde mal avec le fait de l’existence d’une classe de cellules depourvues de substance chromatique. Aussi j’ai ete oblige d’emettre une theorie nouvelle, ou plutöt une hypothese, sur la fonetion des elements chromatophiles.. Je pense que ces derniers constituent une sub- stance ä haute tension chimique qui est le siege de phenomenes d’inte- grations et de desintegrations continues. En imaginant cette hypothese, je suis parti du fait, bien connu par tous les physiologistes, que la cellule nerveuse est une source d’@nergie, et que par consequent la cellule nerveuse ne doit pas ätre consideree comme un simple conducteur. Je me suis imagine que le courant afferent, celui qui arrıive a la cellule nerveuse par les prolongements protoplasmatiques, subit des modifications d’intensite en traversant la cellule nerveuse gräce aux elements chromatophiles qui siegent dans les prolongements protoplasmatiques et dans le eytoplasma. L’onde nerveuse subit une augmentation d’enereie potentielle due a l’&branlement des elements chromatophiles; les vibrations nerveuses augmentent d’ampleur, d’intensite. Quant au mecanisme intime de cette augmentation d’energie potentielle je l’ai rapporte a des actes chi- miques, dans lesquel interviennent les el&ments chromatophiles. Cette conception mecanique des phenomenes nerveux m’avait semble etre en accord avec beaucoup de phenomenes physiologiques et pathologiques. Ainsi les combinaisons chimiques, disais-je autrefois, qui s’operent entre certains poisons, comme la strychnine le tetanus, et les elements chromato- philes donnent lieu a un dögagement considerable de force nerveuse et & un desintegration de ces derniers elöments. On sait du reste que Nissl, apres avoir compare les elöments chromatophiles dans le repos et dans Pactivite a admis differents etats qu’il appelle pycnormorphie, apyenomor- RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 95 phie ete.; Etats qui dependent justement de la densit6 des &löments chro- matophiles; par cela m&me je me suis eleve contre l’opinion de la plupart des auteurs qui voyaient dans les elöments chromatophiles des röserves alimen- taires sans aucune relation avec la fonction de la cellule nerveuse. Cela ne veut pas dire que ces elements ne jouent pas un röle considerable dans la nutrition de la cellule, car aujourd’hui nous savons que ce deux phöno- menes, la fonction et la nutrition sont connexes. La theorie que j’ai proposee a ete combattue par quelques auteurs, admise integralement ou avec quelques modifications par d’autres. Parmi les premiers, il faut citer surtout Ballet et Dutil, Goldscheider et Flatau etc. Ballet et Dutil ont invoqu& contre la theorie du kinetoplasma cer- taines experiences qu’ils avaient pratiquees sur la ligature de l’aorte abdo- minale. Ils ont constate que, dans ces experiences, la motilite 6tait revenue apres une ligature passagere de l’aorte abdominale, tandis que les elöments chromatophiles se trouvaient encore a l’etat de dissolution. Goldscheider et Flatau de leur cöte, on fait valoir que la motilite etait compatible avec des alterations profondes des elements chromatophiles. Qu’il me soit permis de faire remarquer qu’on doit faire une distinction principale entre la dis- solution des elements chromatophiles et leur disparition; ce sont deux pheno- menes difierents. En effet, la dissolution de ces &lements ne les fait pas disparaitre, de m&me qu’une solution de sucre ne fait pas disparaitre cette derniere substance. Il suffit que la reintögration des granulations el&men- taires chromatiques se produise pour que les corpuscules chromatiques reapparaissent, Par le fait de la persistance des granulations chromatiques dans la chromatolyse, leur foncetion n’est pas abolie et ne pourrait ätre que tout au plus amoindrie, et, dans ces conditions, ce que les auteurs pr&cedents auraient dü chercher dans leurs experiences, ce n’est pas autant la sup- pression des fonetions nerveuses que leur dimunition. Mais je pense que personne n’a fait de pareilles experiences qui aurait pu trancher la question. Il en est tout autrement avec l’alteration que j’ai designee du nom d’achromatose; ici si l’opinion que je professe est juste, il doit y avoir un abaissement considerable d’energie potentielle dans les cellules nerveuses. Parmi les auteurs qui ont soutenu tout dernierement que les elöments chromatophiles ne sont pas indifferents au point de vue de la fonction de la cellule nerveuse, il faut eiter: Charles-Amedee Pugnat et Lugaro. Le premier de ces auteurs, apres avoir combattu avec une logique serree 1 G. Marinesco, Nouvelles recherches sur les lesions des centres nerveux conse- eutives & l’arrachement des nerfs. Compies rendus de la Societe medicale des höpitaus de Paris. (Seance du 10 Juin 1898.) 96 @&. MARINESCO: les id6es de Ramon y Cajal, qui fait de la cellule nerveuse un segment de eonducteur, admet que la substance chromatique est intimement liee & la vie fonctionnelle du corps cellulaire. Il pense comme moi que le courant nerveux traverse la substance chromatique, et que l’abondance de cette substance chromatique dans le corps cellulaire est m@me une consequence de la fonction des cellules nerveuses. Le corps cellulaire ne conduit pas seulement le ondes nerveuses, mais encore il les transforme. Dans le corps cellulaire, il se manifeste d’abord une änergie qui est mise en liberte par l’influence des excitations apportees par les prolongements. Il est tres &vident, je crois, que par ses vues theoretiques tres interes- santes, du reste, l’auteur se rapproche de la theorie du kinetoplasma qui j’ai expos6ee plus haut. Je ne voudrais pas abandonner ce chapitre sans parler des quelques experiences recentes de Lugaro, dont les conclusions apportent un appui & ma maniere de voir. Le neurologiste de Florence a repete les experiences de Goldscheider et Flatau sur les modifications qu’exerce l’hyperthermie experimentale dans les centres nerveuses. Il ne s’est pas contente d’exa- miner seulement les cellules radiculaires, il a examine, en outre, le noyaux des nerfs cräniens et les cellules des cordons, des ganglions spinaux etc. Il a pu confirmer la description que Goldscheider et Flatau ont donnee des l&sions des cellules radiculaires. Cependant, il n’adopte pas les conclusions de ces auteurs en ce qui concerne l’importance de la substance chromatique. En effet, ces auteurs avaient conclu que cette substance n’est necessaire ni pour la vie de la cellule, ni pour sa fonetion. Lugaro emet une opinion differente et c’est justement cette opinion qui confirme mes vues anterieures sur le kinetoplasma. Lugaro est dispose a admettre que la faiblesse progressive des fonc- tions nerveuses, que l’on constate dans l’hypertermie experimentale, depend de la dissolution chromatique progressive. Cette diminution de l’activite fonetionnelle de la cellule nerveuse serait l’expression de la diminution quan- titative de la substance ehromatique, et non pas la consequence de la dispo- sition de la structure de cette substance. Elle joue, sans doute, un röle indispensable dans le metabolisme fonctionnel de la cellule nerveuse, Il y a sans doute, dans ces vues de Lugaro, une grande analogie avec la thöorie que j’ai formulee, il y a plus de trois ans, et que j’ai exposee dans un travail publie dans la Revue Neurologique. Je desirerais cependant faire une röserve ä propos du röle jou& par la substance chromatique dans les fonctions de la cellule nerveuse. Tout d’abord on doit tenir compte du nombre des cellules nerveuses dont la substance chromatique est alteree, deuxiemement on ne doit pas neglieer la qualite de cette alteration. En effet, la disparition de la substance chromatique, RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE, 97 ainsi que je l’ai soutenu plus haut, ne doit pas avoir la möme consequence, au point de vue des troubles fonctionnels, que la dissolution. Ce dernier processus peut diminuer plus ou moins certaines proprietes de la cellule nerveuse, mais l’absence de la substance chromatique, ou l’achromatose porte atteinte et a la fonction de la cellule et a sa nutrition. En effet, les cellules en &tat d’achromatose absolue sont vouees, dans la plupart des cas, & la mort. L’etude approfondie des lesions dues a l’hyperthermie expe@rimentale comporte un grand interet au double point de vue: theorique et pratique. On sait en effet, que Goldscheider et Flatau, qui ont decrit pour la premiere fois ces lesions, se sont empresses d’appliquer a la pathologie humaine les donnees de l’experimentation. Deux faits principaux ressortent des experiences de Goldscheider et Flatau. Premiörement, l’elevation de temperature a une influence sur l’apparition des lesions: ainsi, si la temperature de l’animal restait aux environs de 41-5°, la moelle ne pre- sentait pas des modifications histologiques appreciables, par contre si l’ele- vation thermique depasse 43°, les lesions de la moelle sont tr&s apparentes et affectent specialement la substance grise des centres nerveux. Deuxi&me- ment, la duree de l’hyperthermie est aussi un facteur tres important dans la production de ces lesions, de sorte que, si on maintient les animaux plus longtemps (pendant 3 heures & peu pres) & la temperature 41.9 jusqu’a 42°, on trouve des alterations et particulierement & la peripherie de la cellule. Lugaro a repete les experiences de Goldscheider et Flatau, et etudie avec soin les l&sions, non seulement des cellules radiculaires, mais aussi celles des cordons, des ganglions spinaux, des cellules de la substance re- tieulee et de la substance grise du cerveau. Les lesions qu’il a decrites dans ces difierents el&ments se rapprochent de celles qui ont et& vues par Goldscheider et Flatau. Lugaro admet entre autres faits que la substance achromatique reste intacte. Il n’accepte pas les conelusions de Goldscheider et Flatau, suivant lesquels la substance chromatique n’a d’importance ni pour la vie ‚de la cellule, ni pour sa fonction. J’ai repete moi-m&me les experiences de Goldscheider et Flatau, et j’ai constate en dehors des phenomenes decrits par ces auteurs, quelques faits nouveaux, qui meritent d’etre signales.. On peut, a mon avis, diviser les lesions de l’hyperthermie experimentale en trois groupes, suivant que la temperature a &te plus ou moins elevee et sa duree plus ou moins longue. Dans un premier groupe d’experiences, il s’agit d’animaux dont la temperature rectale monte pendant l’experience au-dessus de 45-5°, mais elle est d’une duree eourte: moins d’une heure.. Les animaux sacrifies Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 7 98 G. MARINEScCo: presentent des alterations des plus caraeteristiques sous la forme d’une desintegration ou d’une chromatolyse peripherique (Pl. IV, Fig. 3). Tantöt seulement une partie de la peripherie est alteree, tantöt cette altöration est eirculaire et interesse aussi la base des prolongements. Dans ce premier degre d’alteration les el&ments perinucleaires sont d’apparence normale ou a peu pres normale et les prolongements de la cellule ne sont pas color6s. Ces lesions sont r¶bles. Dans un second groupe de faits, la temperature de l’animal varie pendant l’experience entre 43 et 45° et la duree est plus longue que dans les experiences precedentes. Ici, le tableau change, ce sont surtout les lesions qui ont ete decrites par mes predecesseurs. La chose la plus frappante est la coloration diffuse du corps cellulaire et des prolongements de la cellule. Le corps cellulaire est tumefi6, ses elöments chromatophiles ne presentent plus leur aspect normal, & la peripherie ils font habituelle- ment defaut, & la partie centrale ils sont mal individualises (Pl. IV, Fie. 4), reduits a des granulations difficiles a definir. Il resulte de ceci: que la cellule a perdu son aspect sticochrome et prend une teinte plus ou moins fonc£e, opaque. Il faut remarquer que la cellule est plus päle & sa peripherie. Les prolongements cellulaires se montrent sous la forme de branches bien indiquees et qu’on peut suivre pendant un long trajet comme dans les pieces traitees par la methode de Golgi. Le troisieme groupe est represente par des animaux qui ont dte maintenus & une temperature au-dessus de 43.5° pendant plusieurs heures. Les lesions que nous trouvons dans ces cas sont beaucoup plus accentudes et plus graves que dans les experiences precedentes. L’aspect fonc& de la cellule est augmente, l’opacit@ du corps cellulaire est tellement grande, qu’il est presque impossible d’etudier la structure fine du cytoplasma. Cette opaecite n’atteint pas d’une maniere egale le corps cellulaire. Ordinairement elle est plus grande autour du noyau, de sorte qu’on voit parfois une cou- ronne dense, opagque, perinucl£aire. D’autres fois, les parties opaques constituent des especes de taches plus ou moins grandes dans la cellule; il n’y a plus trace des elements chro- matophiles. Plus rarement j’ai trouve une espece de fendillement d’une partie de la cellule, une autre lesion aussi rare est celle de la presence d’une sorte de bandes foncees, disposees parallelement ou en zigzag sur le trajet des prolongements de la cellule. Qu'il me soit permis de faire quelques remarques sur la sienification et le me&canisme des lesions produites par l’hyperthermie experimentale. Nous avons vu plus haut que si l’action de la chaleur de 45° et; au-dessus est de courte duree, il se produit une dissolution peripherique des el&ments RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 99 chromatophiles. Ceci peut s’expliquer de la maniere suivante: si on com- pare la cellule nerveuse a une sphere soumise a l’action d’une source de chaleur il est facile de comprendre que cette action va se faire sentir tout d’abord & la peripherie tandıs que les couches profondes seront plus abritees; si l’action de la chaleur se continue ces dernieres seront & leur tour chauffees, il en resulte une desintegration a peu pres generale des elements chromatophiles. Enfin, si l’action de la chaleur se prolonge, ses effets, en vertu du rayonnement, seront moins intenses & la p£ripherie qu’au centre. Ü’est precisement la persistance d’elevation de temperature dans le centre de la cellule qui nous explique les modifications profondes dans la construction des substances albuminoides, modifications que je rapporte pour la plupart de temps a la coagulation. Apres avoir etudie les lesions des cellules nerveuses dans l’hyperthermie experimentale, il est utile d’analyser les lesions du systeme nerveux chez les fehrieitants et les comparer & celles que produit l’elevation artificielle de temperature. Dans ce but j’ai examine le systeme nerveux de plusieurs individus, qui sont morts avec une temperature elevee. Dans aucun de mes cas le degre n’a depasse 42°; voici le resultat de mes examens. Les lesions que j’ai trouve dans ces cas ont &t& variables et ce n’est que dans un seul qu’elles peuvent etre comparables a celles de l’hyperthermie ex- perimentale Dans 5 cas ou bien la moelle offrait peu de lesions, celles ci pouvant &tre attribudes plutöt aux influences nocives anterieurs, les malades etant morts tres äges, ou bien des alterations n’offrant pas la moindre analogie avec celles que nous avons decrit chez les animaux. Je vais insister ici surtout sur les l&sions que j’ai trouvees dans la moelle d’une jeune fille morte a läge de 21 ans, a la suite d’une fievre typhoide La temperature a varie, pendant les deux jours quelle est restee & l’höpital, entre 40 et 41-7°. Les cellules radiculaires dans la region lombaire, comme dans la region cervicale, presentaient une legere tumefaction du corps cellulaire avec chromatolyse perinucleaire de plus caracteristique. Le noyau etait central, sa membrane pliee tres souvent, le nucleole forte- ment colore avec contour regulier. Je crois pouvoir conclure de cette etude que les lesions qu’on trouve dans le systeme nerveux des febrieitants ne sont pas toujours superposables a celles de l’hyperthermie experimentale. Deuxi&mement les lesions qu’on trouve chez les febrieitants reconnaissent des causes multiples parmi lesquelles il faut mettre en premiere ligne celle des infections ou intoxications qui ont provoque& la maladie et le reliquat des maladies anterieures. Neanmoins il existe des cas oü l’action de la fievre est certaine et les lesions ressemblent a celles de l’hyperthermie experimentale. 7* 100 G. MARINESco: Juliusburger et Meyer qui ont examine le systeme nerveux d’in- dividus qui avaient succombe & la suite de maladies febriles, n’ont trouve que peu de l&sions et en tout cas ils ne les considerent pas comme spe- ciales & la fievre. Les el&ments chromatophiles se trouvent dans un £quilibre instable ainsi que le montre l’action des agents nocifs sur la cellule nerveuse. Repe- tons par exemple l’experience de Nissl, c’est-a-dire pratiquons la section d’un nerf moteur quel qu’il soit, bulbaire ou spinal; et nous verrons au bout de 10 a 15 jours, des modifications notables dans l’apparence des cellules radiculaires. Celles-ci, au lieu de presenter l’aspect qu’a signale Nissl, con- tiennent dans leur corps des granulations de plus en plus fines a mesure que le processus pathologique avance.e En m&me temps la cellule est plus au moins tumefice et son noyau en a abandonne le centre. Üe sont ces trois phenomenes qui constituent la reaction de la cellule nerveuse apres la section de son cylindre-axe. Je montrerai plus tard, et le fait me semble aujourd’hui hors de doute que cette reaction differe dans ses traits essentiels de celle qui se manifeste, dans la cellule, alors quelle est directement attaqguee par des agents nocifs quelle qu’en soit la nature; c’est a la reduction des el&ments chromatophiles en des granulations primitives que jai donne le nom de chromatolyse, dont la signification a &te discutee par Henneguy et plus recemment encore par v. Lenhossek. La tumefaction ou lPaugmentation du volume de la cellule nerveuse, apres la section d’un nerf moteur, est tres variable, cependant elle existe dans presque toutes les cellules, et elle precede A coup sur la chromato- lyse et le deplacement du noyau. Cette tumefaction du corps cellulaire coincide avec la tumefaction des elements chromatophiles qui constituent pour ainsi dire le prelude de la chromatolyse. Dans mes premiers travaux sur cette question j’ai admis que la tumefaction de la cellule et des ele- ments chromatophiles est l’effet de /’imbibition de la substance chromatique et c’est pour cela que j’ai admis aussi que la reduction ou la desintegration des el&ments chromatophiles se fait par un processus de dissolution. Plus tard, j’ai cru pouvoir comprendre que ce mecanisme de dissolution n’est pas le seul, et c’est pour cela que j’ai employ& tantöt le terme de desinte- gration, tantöt celui de dissolution. Ces experiences ont ete confirmdes par Ballet et Dutil, Lugaro etc. La dissolution depend, ainsi que je l’ai soutenu, d’une imbibition, d’une hydratation des el&ments chromatophiles, ce qui nous explique ä mon avis, pourquoi la substance achromatique est teintee en bleu dans quelques l&sions de la cellule nerveuse. Quand la chromatolyse atteint son apogee, il se manifeste um phe- nomene en sens inverse, les granulations chromatiques desinteerees se RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 101 reunissent petit A petit et au bout d’un certain temps, gräce a l’attraction de ces granulations entre elles, les elements chromatophiles sont r&integr6s, et la cellule nerveuse reprend son aspect normal. Mais il n’en est pas tou- jours ainsi, et dans quelques cas comme il arrive dans les alterations des cellules nerveuses apres les amputations, ou bien apres les grandes r6sec- tions nerveuses, il n’y a pas de r&integration. Cette deuxieme phase pendant laquelle se fait le retour de la cellule a l’etat normal presente un grand interet au point de vue de la biologie cellulaire, car elle nous montre que les ph@nomenes reactionnels que pre- sente la cellule nerveuse apres la section du cylindre-axe sont passageres. (est pour cette raison que nous allons etudier a grands traits cette phase de reparation, ainsi que je l’ai appelee. Le premier auteur qui, a ma connaissance, s’etait occup& des pheno- menes de röparation aprös la section des nerfs est Nissl, qui, sur ce sujet S’exprime de la facon suivante. „Un petit nombre de cellules nerveuses apres la section du facial, dis- paraissent, mais la plupart reparent lentement leur perte, probablement par l’intermediaire de nouvelles communications nerveuses de sorte que cin- quante a soixante jours apres la solution de continuite il est difficile, pour un observateur non exerce, de les distinguer des cellules nerveuses nor- males.“ Comme on le voit, Nissl n’indique pas l’evolution du processus de reparation. Pour etudier les phenom£nes de reparation consecutive a la section d’un nerf, il faut de preference choisir un noyau bien circonscrit et ä topographie nettement determinee; je crois que le noyau de l’hypoglosse remplit ces deux conditions; c’est le contraire qui a lieu pour les nerfs spinaux, dont l’origine nous est peu connue.! En consequence j’ai sectionne le nerf hypoglosse chez cinq lapins, que j.ai conserves respectivement pendant 24, 46, 73, 90 et 111 jours. Les phenomenes de reparation, tres facilement constatables, m’ont donne quelques resultats completement inattendus. Deja, apres vingt-quatre jours, alors que la reunion des deux bouts _ commence & se faire, on constate nettement des phenomenes de reparation dont l’aspect differe de celui du processus de reaction. On peut constater, meme a un faible grossissement, deux phenomenes qui servent surtout & montrer cette difference. C’est d’une part la coloration foncee du corps ! Depuis que ce travail a &te termine, j’ai fait de nombreuses experiences qui m’ont permis de preeiser l’origine reelle des nerfs radial, median et cubital et plus r&cemment du phrenique. Zevue neurologigue. 1898. 30. Juillet. 102 G. MARINESsco: cellulaire, et d’autre part, l’augmentation de volume des cellules en voie de reparation. Pour faire connaissance plus amplement et surprendre en quelgue sorte les diverses 6tapes du processus de reparation, il faut employer un fort grossissement. On voit alors que l’aspeet fonc& de la cellule resulte de la densite et de l’augmentation de volume des @l&ments chromatophiles. Ceux-ci se presentent sous forme de filaments assez longs, fortement colores, et ils sont composes, comme on le voit tres facilement, d’une quan- tite assez considerable de granulations elömentaires agglutindes par une sub- stance fondamentale tres päle, que ne colore pas le bleu de methylene. Cette neoformation des elöments chromatophiles se fait tres souvent autour du noyau, quil soit au centre de la cellule ou eloign® de celui-ci. Le mode de formation de ces elements chromatophiles est, en quelgue sorte, l’inverse de celui de chromatolyse. En efiet, on voit des amas de granulations chromatiques qui se reunissent entre elles, pour donner nais- sance a des corpuscules d’inegal volume. Ainsi, on voit, a cöte de gros elements chromatophiles d’autres beaucoup plus petits. Cette neoformation n’est pas uniforme dans tout le corps de la cellule. Quelque fois, on voit qu’a la peripherie il existe encore de la chromato- lyse; d’antres fois, il existe un anneau perinucleaire et un autre peripheri- que, tandis que la zone intermediaire est plus claire et contient encore des granulations el&mentaires. Une chose essentielle qu’il faut remarquer, c’est que le phenomene de reparation n’est pas uniforme dans toutes les cellules du noyau de l’hypo- slosse, au bout de vingt-quatre jours. A cöte de cellules en voie de repa- ration tres active, il y en existent d’autres dans les quelles la reparation est moins accusee, ou qui se trouvent encore a la periode de reaction. Ües derniöres se distinguent par ’aspect clair de leur protoplasma et leur noyau excentrique. Au bout de quarante six jours, les ph@nomenes de reparation interes- sent un plus grand nombre d’elements. Les cellules qui ont augmente legerement de volume, presentent dans leur cytoplasma des el&ments chro- matophiles plus reguliers comme dimensions et comme topographie. Les prolongements protoplasmatiques deviennent egalement plus riches en ele- ments chromatophiles.. A cette periode, on trouve encore des cellules a noyau excentrique, mais il n’en existe pas presentant la phase de reaction. Par contre, on voit quelques rares cellules tres päles, peu visibles, reduites de volume et qui constituent ainsi des cellules degenerees. Je reviendrai, dans la suite, sur la signification de ces el&ments. RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 103 Chez l’animal qui a vecu 75 jours l’ensemble des lesions est reste sen- siblement le m&me, mais la pycnomorphie et le volume des cellules ont augmente de nouveau. Apres 90 jours, l’hypertrophie des cellules nerveuses a atteint son maximum. Quelques unes de celles-ci atteignent m&me des proportions con- siderables, qui justifient le nom de cellules geantes par lequel nous les de- signons. Apres 100 jours les cellules ont tendance a revenir a l’etat nor- mal; en effet chez un animal sacrifie 111 jours apres la section la difference entre les deux noyaux n’est plus aussi accusee que dans les cas precedents et chose importante, la soudure des deux bouts sectionnes £&tait tellement parfaite, que la trace de la section avait disparu completement. Apres avoir constat& cette reparation pour ainsi dire complete des cel- lules radiculaires motrices, il etait important a savoir si les cellules sensi- tives, reparent de la m&öme maniere leurs alterations apres la section de leur eylindre-axe. J’ai examine dans ce but le ganglion jugulaire du chien avec section du pneumogastrigue, quinze, cinquante et un, soixante-neuf jours apres operation, et j’ai gard& en vie un lapin avec la rösection du pneumo- gastrique pendant six mois apres l’operation. Chez le chien, quinze jours apres la section du pneumogastrique, on constate que la plupart des cellules du ganglion jugulaire se trouvent en 6tat de reaction caracterisee, comme on le sait, par la dissolution des el&ments chromatophiles, il n’en reste qu’une mince bordure a la peripherie, par l’&migration du noyau et par la tum6faction plus on moins accentuee du corps cellulaire. Si, aprös cinquante et un jours, on examine le ganglion jugulaire d’un chien avec la section du pneumogastrique, on voit un tableau different. Le corps cellulaire est encore tumefi6, arrondi ou allonge; le cytoplasma est par- seme d’un semis de fines granulations, un peu plus denses parfois autour du noyau (Pl. IV, Fig. 4), lequel est lui-m&me, & la peripherie, applique ou non & la parois cellulaire. Ces modifications varient, dans leur degre d’intensite, d’une cellule & P’autre. Au bout de soixante-neuf jours, le retour vers l’etat normal est encore un peu plus accentue (Pl. IV, Fig. 7); il n’y a plus de cellules päles, tumefiees et sans el&ments chromatophiles; presque toutes les cellules sont garnies d’une substance chromatique, laquelle n’affeete pas, comme & ’etat normal, la forme des elements chromatophiles bien caracterises; mais ils ne se presentent pas non plus comme chez le chien qui a vecu cin- quante et un jours; les granulations sont plus grosses et donnent par cela meme, parfois, l’impression d’une cellule qui a acheve sa reparation. Il est interessant de remarquer qu’un bon nombre de cellules presentent une reparation partielle tres active des elements chromatophiles localises autour 104 (G. MARINESCO: du noyau, et alors la cellule a l’aspect d’un pot, plus enflee a une Extremite, qui est päle, et plus retrecee a Yautre, qui loge le noyau, autour duquel, je le repete, il ya une couronne de substance chromatique. Mais la plupart de ces cellules en voie de reparation ont le noyau & la peripherie; par contre, les cellules a noyau central sont rares. Il est rare aussi de trouver des cellules en voie d’atrophie certainee On voit d’ou quwil resulte, de ce que nous venons de dire, que les cellules des ganglions spinaux, chez le chien, passent de la phase de reaction a la phase de reparation et ne s’atrophient pas, en general, pas plus qu’elles ne disparaissent, ainsi que l’a soutenu van Gehuchten pour le lapin. Pour contröler cette assertion, jai resequ6 le nerf pneumogastrique chez le lapin et j’ai laisse vivre l’animal six mois. Voici quel est l’etat des cellules du ganglion jugulaire dans ces conditions: on constate tout d’abord que les cellules ne presentent pas completement Taspect normal; il est vrai que le noyau de presque toutes les cellules est central, mais il est aussi exceptionnel de trouver une cellule dont les elements chromatophiles soient aussi nombreux aussi bien indigues quils le sont a l’etat normal. Habituellement, on trouve des cellules dent les &l&ments chromatophiles sont plus petits, un peu plus päles, & contour mal indigue, de sorte que ces corpuscules semblent fondus ensemble. Il y a une autre chose qui fait que les elements chro- matophiles ne sont pas aussi bien degages qu’a l’etat normal, c’est que la substanece achromatique amorphe, au lieu d’etre incolore, est teintee en bleu, de sorte que le fond de la cellule est un peu päle. En ce qui con- cerne la disposition de la substance chromatique, il est facile de voir que la plupart des cellules sont plus pauvres en &l&ments chromatophiles. Ceux-ci sont dispos6ees tantöt sous forme de croissant, de couronne peri- nucleaire plus ou moins large. Il est interessant de retenir ce fait, attendu qu’a l’etat normal il existe autour des cellules un espace clair depourrir d’elements chromatophiles sur lequel v. Lenhossek, van Gehuchten, moi-meme, Schaffer et Julius- burger, avons insiste. Il ne faut pas confondre cet espace peripherique normal avec la zone, tres large du reste, de chromatolyse, qui se produit dans la cellule nerveuse en voie de r¶tion, ou bien apres l’action des substances toxiques sur cette derniere. Il me reste, avant d’indiquer la nature et le mecanisme du processus de reparation des cellules nerveuses, & montrer l’harmonie qu’existe entre les modifications des cellules nerveuses et celles des bouts du nerf sectionne. L’etude approfondie de ces deux ordres de phenomönes m’a montre que la regen6rescence des nerfs peripheriques est l’expression fidele des phenomenes de r¶tion qui se passent dans les cellules nerveuses et vice-versa. Ainsi, RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 105 quand la regenerescence nerveuse suit sa marche normale, la reparation des cellules se fait de la m&me facon. Si, au contraire, la r&gen6rescence est entravee, leflort de r¶tion peut @tre plus ou moins aneanti. La rögenerescence des nerfs peripheriques est done la fonction de la reparation cellulaire, et celle ci depend de la premiere. Par quel mecanisme les el&ments chromatophiles r&apparaissent-ils au sein du protoplasma cellulaire? Il est assez difficile de se faire une opinion exacte sur ce sujet; mais il faut tenir compte avant tout du mode d’apres lequel se fait la reintegration des eranulations el&mentaires. Dans la phase de reaction, les &l&ments chromatophiles subissent une chromatolyse, parce que les granulations qui les composaient ont perdu leurs affinites r&ciproques. Mais comment arrivent- elles & se grouper de nouveau? Faut-il admettre la, une sorte d’attraction s’exergant entre eux, gräce a une substance intermediaire, ou bien sont-ils crees de toutes pieces par la substance fondamentale de la cellule? Je suis tente de croire que la reintegration des el&ments chromatophiles se fait par juxta-positions successives de petites particules autour d’un petit noyau de substance chromatique, noyau qui resulte lui m&me de l’attraction reciproque de quelques granulations elementaires. L’etude des modifications de la cellule dans la phase de r¶tion nous permet d’aborder une question execessivement interessante, qui a ete beau- coup agitee dans ces dernieres annees, c’est de savoir si, une cellule ner- veuse & l’6tat d’activit6 s’accompagne de changements morphologiques. A ce propos, je dois rappeler que, ainsi qu’il resulte de la description precedente, la cellule est a l’etat de pycnomorphie, c’est-ä-dire que les Elements chro- matophiles sont denses, et dans le cas special hypertrophies. Cela nous conduit a l’etude des modifications de la cellule pendant Vaetivite et le repos de la cellule nerveuse. Nissl, qui a fait un certain nombre de recherches sur ce sujet, est arrive a cette conclusion que la pycnomorphie ou la densite des elements chromatophiles correspond a Vactivite de la cellule nerveuse, tandis que l’apyenomorphie est l’expression de l’&tat de repos. Mann, d’Oxford, a constate, par contre, que pendant le repos, la substance chromatique est accumulee dans la cellule nerveuse qu’elle utilise pendant l’accomplissement ‘de ses fonctions. Lugaro a vu que la stimulation &leetrigue de la cellule nerveuse est accompagnee d’un etat de turgescence du corps cellulaire, turgescence que Pauteur fait. dependre d’une imbibition plus grande de suc plasmatique, et d’une ampliation des espaces intercellulaires.. Par contre, la fatigue deter- mine une diminution progressive de volume du corps cellulaire. Enfin, Pergens, qui a pris comme sujet d’etude la retine des animaux exposes & la lumiere a observe que la chromatine est diminuede dans toutes 106 G. MARINEScCO: les couches, & l’exception de l’epithelium retinien et de la couche mole- culaire. Il ne faut pas oublier que les recherches de la plupart de ces auteurs ont ete faites sur des neurones mis a nu, et excites a l’aide du courant electrique. Il est Evident que les modifications qui en resultent ne peuvent 6tre comparables & celles qu’y determine l’activite fonctionelle normale. Du reste, il existe des contradictions entre ces auteurs parce que les uns admettent qu’il a d&pense de la substance chromatique pendant l’activite, les autres ont vu un augmentation de cette substance. Sans entrer dans les details sur cette divergence d’opinions, je pense que le determinisme experimental n’a pas ete pris en assez grande consideration. Je passe maintenant a l’interpretation des phenomenes constates dans mes experiences. Nous avons vu en effet que pendant la phase de r&action les el&ments chromatophiles sont & l’&tat de desintegration et que la cellule nerveuse presente une apycnomorphie pour ainsi dire complete. Par contre dans la phase de r¶tion elle est a l’&tat de pycnomorphie, les elements chro- matophiles sont hypertrophies tres denses, et se colorent d’une maniere intense. Le corps de la cellule elle-meme est hypertrophie. Je vais essayer d’expliquer ces modifications de structure en faisant appel a la physiologie generale, et particulierement & l’opinion de Claude Bernard, opinion quil a emise dans ses lecons sur les „Phenomenes de la, vie.. L’illustre physiologiste admet, dans l’etre vivant, deux ordres de phenomenes: 1° Les phenomenes de desorganisation ou de destruction organique, qui correspondent aux phenomenes fonctionnels de l’tre vivant. Quand un or- gane fonctionne, tel que les nerfs, la moelle, le cerveau, les muscles, les glandes, etc, la substance de cet organe se consume; cette destruction est un phenomene physico-chimique, le plus souvent le resultat d’une com- bustion, d’une fermentation. Les manifestations fonctionnelles par lesquelles se traduisent ces phenomenes sont tres evidentes, telles que la contraction musculaire, la seeretion, etc. 2° Les phenomenes de creation organique ou d’organisation qui s’ac- complissent dans les organes au repos, et les regenerent. La synthöse assimilatrice rassemble les materiaux et les r&serves que le fonctionnement doit degenser. C’est un travail interieur, silencieux, sans expression phe- nomenale £vidente. Les deux op£erations de destruction et de r@novation, inverses l’une de ’autre, sont absolument connexes et inseparables, en ce sens que la de- struction est la condition necessaire de la r&novation: en d’autres termes, RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 107 les phenomenes plastiqgues ou de synthese sont subordonnes aux phenomenes fonetionnels ou de destruetion. Malgre& les objections tres serieuses qu’on a faites a la maniere de voir de Claude Bernard, nous verrons que la conception du grand physio- logiste est: confirmee par nos experiences. En effet, pendant le processus de reparation, la fonction essentielle du neurone moteur, a savoir la pro- duction d’energie dans la cellule nerveuse et sa conductibilite par les pro- longements nerveux, est abolie. A ce point de vue, on doit admettre que la cellule nerveuse se trouve a l’ötat de repos fonetionnel. Mais, dans le corps cellulaire, et probablement dans son noyau, il existe une activite d’un autre ordre, activite plastique, une activite de synthese organisatrice, qui a pour but la regenerescence du nerf degenere. La cellule dans ces conditions, est le siege d’un processus actif de nutrition; elle rassemble les materiaux, les assimile et les utilise en fin de compte, pour r&parer les modifications morphologiques du neurone, produites par la section nerveuse. Il s’agit d’une activite continuce, prolongee, essentiellement plastique, qui est toute differente de celle produite par la stimulation des neurones, soit a l’etat normal ou a l’aide des excitants artificiels. Apres avoir montre que la cellule nerveuse est une source d’energie, un centre qui preside a la nutrition des tissus; il nous reste a nous de- mander comment il se fait qu’a l’etat normal il existe une harmonie ad- mirable dans les phenomenes d’echange qui constituent la nutrition des tissus. Je m’explique: Il existe dans l’organisme animal, des elements tres- differeneies, comme c’est le cas pour la cellule nerveuse, et d’autres moins differeneies comme par exemple, la cellule neurogligque. Normalement ces deux especes d’elöments se developpent, et la nutrition des uns ne gene pas celle des autres; mais immediatement qu’il apparait une desorganisation du cytoplasma, et particulierement de la substance achromatique de la cellule nerveuse, il survient une proliferation des cellules neurogliques et une augmentation de leur volume. Elles ont pris la place des cellules nerveuses disparues; conformement & la theorie soutenue par Weigert. Des considerations de biomecanique suffisent & expliquer pourquoi un tissu moins d&velopp6 s’hypertrophie, alors que le tissu prineipal s’atrophie. Mais ce qui est beaucoup plus difficille & comprendre c’est preeisement V’equilibre nutritif dans lequel se trouvent les cellules nerveuses et n6&uro- gliques a l’etat normal. La nutrition des unes n’empiete pas sur la nutrition des autres. On doit admettre ce qui du reste avait ete deja avance par Claude Bernard, que le systeme nerveux central regularise, arrete au besoin les echanges nutritifs. En vertu de quel mecanisme? (est iei, je pense la place pour exprimer sous toutes reserves, une opinion que j’avais congue depuis deja plusieurs annees. Je m’imagine que l’equilibre de nutri- 108 (+. MARINESCO: tion entre les differents elements du systeme nerveux est maintenu par l’existence de certaines substances toxiques secretees par la cellule nerveuse; substances qui empechent le developpement excessif de cellules neurogliques qui possedent des forces nutritives tres considerables. C’est gueer a ces substances qui moderent la nutrition des tissus. La cellule nerveuse est un centre d’elaboration des sensations, une source vivante d’energie et m&me un transformateur des ondes successives qui traversent les different neurones. La pathologie nerveuse est riche en faits qui montrent avec la derniere evidence ces divers röles que joue la cellule nerveuse. Prenons comme exemple l’histoire clinique de la syringo- myelie. On sait que dans cette maladie il existe un processus de gliose qui detruit progressivement la substance grise anterieure et posterieure de la molle piniere. L’atrophie de la corne anterieure S’accompagne de la de- generescence des muscles, l’atrophie de la corne posterieure du tenue d’anesthesie. Comment expliquer la conservation de la sensibilite tactile, avec la disparition de la sensibilite thermique et douloureuse dans cette maladie? Voila l’explication que j’ai donne de ce syndrome si important connu sous le nom de dissoeiation syringomyelique. A /’6tat normal, les exeitations centripötes apportees par les racines posterieures sont en partie envoyees, gräce aux colla- terales a la corne posterieure. La sensation tactile est en quelque sorte :condensee dans certains neurones de la corne posterieure et transformee en sensation douloureuse. La douleur n’est autre chose que la sensation tactile renforcee par son passage & travers les neurones de la corne posterieure: Or ce phenomene d’addition, de renforcement n’a plus lieu, alors que la corne posterieure est detruite. Les professeurs Leyden et Goldscheider, avaient deja admis que des sensations tactiles additionnees peuvent engendrer une sensation douloureuse. A plusieurs reprises, je suis revenu sur ’importance de la cellule nerveuse dans la production de l’Energie et c’est a tort que Cajal a voulu la reduire la cellule a un segment de conducteur. Cette opinion est evidemment erronee. Depuis longtemps le professeur Gad a montre que l’onde nerveuse subit un retard en traversant la cellule du ganglion spinal; ce qui tend ä prouver quw'il se passe dans le corps du neurone des modi- fications speciales dont la nature nous &chappe. Nous avons envisage plus haut le systeme nerveux comme compose d’unites anatomiques, mais au point de vue fonctionnel ces elements sont etroitements associes et l’onde nerveuse se propage de proche en proche d’un neurone a l’autre. A l’etat de repos comme & l’&tat d’activite, il partent des surfaces sen- sitives (peau, articulations, &corce cer&brale et cErebelleuse etc.) des impres- RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. 109 sions qui entretiennent dans les cellules nerveuses des modifications perma- nentes, probablement d’ordre chimique, et constituant ce que j’appellerai le tonus normal trophique. Ce tonus normal est necessaire pour l’integrite anatomique des tissus et important pour l’accomplissement normal des phe- nomenes vegetatifs et psychiques. Par consequent, d’apres moi, les centres nerveux ne manifestent leur röle trophique que sous l’influence des exci- tations qu’ils regoivent de la p£ripherie, Que se passet-il par exemple, quand un interrompt le trajet d’un nerf sensitif rachidien? Dans ce cas, le trone nerveux est separe de termi- naisons sensitives dont les modifications nutritives, dues aux agents ex- terieurs, ne determinent plus dans la fibre nerveuse les mömes changements moleculaires qu’a l’&tat normal, changements qui se transmettaient pro- sressivement jusqu’au ganglion spinal. Celui iei, & son tour, ne reagit plus comme & l’&tat normal pour transformer les Impressions regues en ce qu’on appelle l’influx trophique, lequel est necessaire & la regularisation des echanges nutritifs qui s’accomplissent dans les prolongements cellulaires. Il s’ensuit un processus de denutrition lente dans tout le neurone sensitif direct, auquel j’ai donne, suivant les cas, le nom d’atrophie ou de degene- rescence neurale primaire. Mais le processus, ne s’arrete pas la; et la chose etait facile A prevoir d’apres ce que nous savons sur l’enchainement des neurones. En effet, une sensation apportee de la peripherie aux cellules du ganglion spinal est transmise, gräce aux collaterales du neurone sensitif indirect, c’est & dire aux cellules des cordons (cellules des cordons de Clarke ete.). Sitöt qu’il s’est produit une solution de continuite sur les trajets du premier neurone, ces cellules des cordons, ne recevant plus la somme d’ex- citations necessaires et suffisantes pour leur fonctionnements et pourtant necessaires pour leur integrite anatomique, s’atrophient ainsi que leurs pro- longements, apres un temps plus ou moins long. C’est & cette nouvelle serie de l&sions, sur lesquelles nous avons le premier attire l’attention pour la moelle, que nous avons donne le nom d’atrophie neurale secondaire. Ainsi s’expligque d’apres-moi, l’hemiatrophie de la moelle que l’on observe du cöte du membre ampute. Ou voit combien ces donnees nouvelles de l’observation et de l’experi- mentation different des anciennes connaissances sur l’action trophique des cellules nerveuses, et malgr& cela dans presque tous les traites de Physio- logie les anciennes donnees, erronees &videmment, persistent. Il m’est impossible d’entrer dans des details plus longs sur ce pheno- mene important de biologie cellulaire qu’on appelle action trophique, mais je ne puis me dispenser de resumer ici, les conclusions prises dans un de 110 " -@. MARINEScCo: mes travaux anterieurs! qui resume pour ainsi dire, ce que nous savons aujourd’hui sur la question du trophisme cellulaire. 1° Il y a solidarite etroite entre les diverses parties constituantes du neurone. Toutes ces parties jJouent un röle trophique les unes par rapport aux autres. Lorsque les prolongements protoplasmatiques ou le prolonge- ment: cylindre-axile sont detruits ou l&ses d’une fagon quelconque, toujours le corps de la cellule nerveuse est le siege d’alterations r&actionnelles con- stantes, qui ont &te meconnues jusqu’a ces dernieres annees. Il en rösulte que la theorie de Waller est manifestement incomplete et inexacte, puis- qu’elle concentre dans le corps cellulaire toute l’activite trophique du neurone. 2° Il y a solidarite entre les differents neurones. Toute perturbation dans la fonction d’un neurone retentit sur le fonctionnement du neurone suivant. Par exemple, les lesions du protoneurone sensitif, consecutives A des sections nerveuses ou aux amputations, determinent a la longue des alt6rations trophiques du deuxicme neurone ou neurone sensitif indirect. A la degenerescence ou a P’atrophie neurale primaire succede l’atrophie neurale secondaire. Le processus peut aller plus loin et atteindre le troisieme neu- rone: il-y a alors atrophie neurale tertiaire. Les lesions de la substance corticale donnent lieu & la m&me suite d’atrophies neurales, mais en sens inverse. 3° Ces faits ne peuvent se comprendre si l’on admet, d’apres les’ theories classiques, que l’influx trophique nait en quelgue sorte spontane- ment dans la cellule nerveuse. A cette conception de l’automatisme trophique du neurone nous substituons une theorie qui subordonne la vie du neurone aux excitations aflerentes (cellulipetes) et efferentes (cellulifuges) qui se transmettent d’un neurone au neurone suivant. L’integrite fonctionnelle et anatomique du neurone depend donc ä& la fois de l’integrite de toutes ses parties constituantes et de neurones qui lui apportent ses exeitations fonctionnelles. Le neurone vit de sa fonetion. ! @. Marinesco, Theorie des neurones. Application au processus de degene- rescence et d’atrophie dans le systeme nerveux. Presse medicale. 1895. RECHERCHES SUR LA BIOLOGIE DE LA CELLULE NERVEUSE. al: Explication des figures. (Taf. IV.) Fig. 1. Cellule d’un ganglion spinal du chien intoxique par Parsenie; elle montre nettement que le cylindre-axe est compose par un systeme de fibrilles, reunies en faisceaux, fibrilles qui en traversant le collet de la cellule, donnent des ramifications laterales qui prennent part a la formation du spongioplasma. Une partie de ces fibrilles rayonnantes se dirige vers le centre de la cellule et se perd dans le reseau perinucleaire. La disparition des elements chromatophiles a la peripherie de la cellule permet de tres-bien voir les mailles du reseau. La substance fondamentale amorphe est plus coloree a gauche qu’a droite, Fig. 2. Portion d’une cellule du ganglion spinal. L’existence des fibrilles bien individualisees est tres nette; sur le trajet des fibrilles, il existe des petits renflements chromatiques. Fig. 3. Cellule radieulaire de la corne anterieure du lapin; montrant le premier degre des lesions c’est a dire la dissolution des elements chromatophiles & la peripherie. Fig. 4. Cellule radieulaire motrice presentant le 2e degre de lesion c’est-a-dire dissolution des elements chromatophiles a la peripherie avec etat fonce de la substance achromatique. D’autre part, les elements chromatophiles perinuel&aires sont plus colores qu’a Petat normal et fondus ensemble. (Hyperthermie experimentale.) Fig. 5. Cette figure montre bien les deux phenomenes principaux qui caracte- risent les cellules nerveuses en voie de reparation. A gauche e’est le noyau normal (VI) de I’hypoglosse; a droite, celus qui correspond un nerf simplement sectionne. Les cellules de ce dernier sont toutes augmentees de volume, leur Etat chromatique tres augmente (hyperchromatose); quelques-unes ont encore le noyau un peu en dehors du centre. Fig. 6. Cellule du ganglion jugulaire du pneumogastrique 51 jours apres la section de ce nerf au-dessous du ganglion. La cellule est encore a l’etat de reaction; le cytoplasma est parseme d’un semis de fines granulations, un peu plus denses autour du noyau. j Fig. 7. Cellule du ganglion jugulaire 69 jours apres la section du pneumogastrique. La phase de reparation est tres accentuee, les elements chromatophiles sans avoir les dimensions normales se distinguent cependant assez bien et sont indiques aussi bien & la peripherie qu’autour du noyau. Dans cette derniere region ils sont plus denses. Ueber die Localisation der Rückenmarkscentren für die Musculatur des Vorderarmes und der Hand beim Menschen. Von Dr. Edward Flatau. Um die Localisation für verschiedene Muskeln und Muskelgruppen festzustellen, bediente man sich bisher fast ausschliesslich der klinischen Untersuchung derjenigen Fälle, in welchen eine traumatische Verletzung der. Wirbelsäule und der entsprechenden Rückenmarkssegmente in einer bestimmten Höhe stattgefunden hatte. Es sind die Veröffentlichungen von Ross, Thorburn, Allen Starr, Sherrington, Mills, Bruns, Trapp u. A., auf Grund deren man eine genauere Kenntniss der Be- ziehung zwischen den einzelnen Rückenmarkssegmenten einerseits und der topographisch abgegrenzten Läsion der motorischen, sensiblen und reflec- torischen Gebiete andererseits feststellen konnte. Ausser dieser sozusagen klinischen Methode giebt es aber seit der Ein- führung der feineren Untersuchungsmethoden, und speciell der Nissl’schen Methode, einen anderen Weg für die Entscheidung der hierher gehörigen Fragen. Die Nissl’sche Methode erlaubt uns, mit vollständiger Sicherheit Veränderungen in den motorischen Zellen und Kernen zu bestimmen, welche nach Durchschneidung der motorischen peripherischen Nerven event. nach Wegnahme von Muskeln und Muskelgruppen entstehen. Die Unter- suchungen von Nissl, Marinesco, v. Gehuchten, Ballet und Dutil, Lugaro, Biedl, Cohnstein, mir u. A. haben mit Bestimmtheit gezeigt, dass schon eine kurze Zeit nach Verletzung des peripherischen motorischen Nerven typische, wohl charakterisirte Veränderungen in entsprechenden Zellgruppen auftreten, wobei diese Thatsache sowohl die spinalen, wie auch die cerebralen Nerven betrifft. EpwArnp FLATAU: ÜBER DIE LOCALISATION UV. 8. w. 113 Diese sogenannte retrograde Degeneration, welche sich in einem Wider- spruch mit dem Waller’schen Gesetz befindet, wurde auch in den Ex- perimenten von Bach und Bernheimer festgestellt, welche nach Exstir- pation bestimmter Augenmuskeln Zellalterationen in verschiedenen Ab- schnitten der Augenmuskelkerne im Hirnstamme feststellen konnten. Diese experimentelle Methode dürfte zur Feststellung der Localisation der Centren für bestimmte Muskeln und physiologisch zusammengehörige Muskelgruppen in einem viel grösseren Maasse ausgenutzt werden, als es bis jetzt der Fall gewesen war. An diese experimentelle Methode reihen sich in der menschlichen Patho- logie erstens diejenigen Fälle an, wo durch Amputation eine Extremität, oder ein Theil derselben, entfernt wurde und zweitens die Fälle, in welchen von Geburt an eine der Extremitäten (oder ein Theil derselben) fehlte. Die Veränderungen in den Vorderhörnern bei Amputationsfällen wurden von Marinesco, mir, Sano u. A. studirt. Speciell hat Sano die Nissl’sche Methode benutzt, um die Lage der motorischen spinalen Nervenkerne im Lumbosaeralmark zu bestimmen. Wille! hatte Gelegenheit, das Rücken- mark in 3 Fällen von Öberarmexarticulation zu untersuchen. In einem dieser Fälle, wo der Tod 4 Jahre nach der Operation erfolgte, wurde auch die Nissl’sche Methode für die Zählung der Vorderhornzellen angewandt. Aus den Zahlen geht hervor, dass im Gebiete des I. Dorsalnerven keine nennenswerthen Unterschiede in der Zahl der Vorderhornzellen auf beiden Seiten zu constatiren waren. Vom III. bis zum IV. Cervicalnerv war die Zahl der Vorderhornzellen auf der der Amputation entsprechenden Seite geringer. Diese Verminderung der Zahl der Zellen war dabei eine von unten nach oben aufsteigende, hielt sich aber stets in kleinen Grenzen, und es schwankte die absolute Zabl der Vorderhornzellen in etwa 15 bis 20 Schnitten zwischen 45 und 90. Wir haben etwas ausführlicher über diese Arbeit von Wille berichtet, weil dieser Forscher unseres Wissens der einzige war, welcher in einem Amputationsfalle der oberen Extremität nieht nur die Nissl’sche Methode angewandt hat, sondern auch vorsichtig genug war, seine Schlüsse aus einer - ununterbrochenen Schnittserie zu ziehen. Es soll an dieser Stelle ein Amputationsfall aus der ersten medicinischen Klinik in Berlin beschrieben werden (Kranker Ohm, gestorben am 23. IV. 1897). Es handelte sich um eine Amputation der rechten oberen Extremität (im Brachioscapulargelenk), welche 16 Jahre vor dem Tode stattgefunden hat. Aus allen Halssegmenten und dem ersten Dorsalsegment wurden Stücke herausgeschnitten und nach der Nissl’schen Methode bearbeitet. Die für die Nissl’sche Methode ! Archiv für Psychiatrie. 1895. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. S 114 EDWARD FLATAUT: angewandten Stücke wurden serienweise geschnitten und gefärbt. Das Re- sultat der Zählung der motorischen Vorderhornzellen in den 8 Halssegmenten und dem I. Dorsalsegment war folgendes: Zahl der Vorderhornzellen in 40 u dicken Schnitten. III. Halssegment. I. Halssegment. II. Halssegment. De Rechts Links Rechts Links Rechts 20 24 20 16 10 16 24 22 19 17 18 18 23 25 19 13 27 25 20 21 15 16 17 20 21 20 17 12 20 13 15 23 16 16 18 20 20 21 24 14 22 25 19 20 15 14 25 17 162 176 20 21 13 24 20 19 24 15 17 16 21 17 9 10 15 19 2i1 184 15 15 14 19 19 15 NT 15 295 293 IV. Halssegment. V. Halssegment. Laterale Gruppe Mediale Gruppe Laterale Gruppe Mediale Gruppe Rechts Links Rechts Links Rechts Links Rechts Links 14 ST U are rs 34 32 6 6 25 40 4 6 25 34 2 3 24 29 7 8 25 26 4 5 29 33 ed 4 30 46 5 4 29 37 3 3 30 44 2 4 30 42 7 3 30 45 3 4 14 45 3 3 26 42 1 4 22 35 10 5 30 29 2 5 13 25 3 4 29 33 5 5 18 20 7 5 31 42 4 3 23 33 5 4 29 30 4 7 27 38 5 3 30 32 B) 6 27 33 9 3 25 28 3 + 30 42 4 3 15 28 3 5 32 42 | 4 5 21 30 Zi 5 19 35 | 6 5 27 40 5 4 376 564 | 55 69 440 595 61 74 ÜBER DIE LOCALISATION DER RÜCKENMARKSCENTREN U. 8, w. 115 VI. Halssegment. VII. Halssegment. _ Laterale Gruppe ' Mediale Gruppe Laterale Gruppe | Mediale Gruppe Rechts Links | Rechts | Links Rechts Links Rechts Links Te 43 6 5 Da as a Te 40 33 4 5 34 5 ...6 13 30 34 2 2 32 30 4 BT 20 34 3 3 21 31 5 6 33 34.0126 2 14 31 4 6 42 Aa 6 21 38 3 5 30 28 5 2 27 26 6 3 38 40, |, 8 3 18 38 5 3 33 Sole 6 3 28 29 4 6 22 2 2 25 24 2 4 29 AO 4 27 30 2 3 23 31 4 3 32 32 6 4 33 34 3 5 30 28 8 7 37 28 6 3 30 33 5 4 39 A 3 25 28 3 3 28 le 4 22 38 6 7 504 Ba 55 410 So | 87 VIII. Halssesment. I. Dorsalsegment. Laterale Gruppe | Mediale Gruppe ne B Des Rechts | Links Rechts Links h 5 1 ö 15 2 | 7 7 » n 22 14 14 8 | 7 12 18 28 | 7 4 23 22 8 3 10 12 25 24 5 6 11 8 25 24 | 5 12 7 6 15 23 7 4 12 | 7 22 23 I 8 5 17 17 9 9 REN 15 24 4 6 77 62 18 20 5 5 a le 7 9 Zi, 28 5 10 21 2 210 12 23 2a 8 6 19 Se 5 Ü 319 373 113 116 Der II. Fall betraf ein 7 Monate altes Mädchen, bei welchem man von der Geburt an einen Defeet des linken Vorderarmes und der linken Hand beobachten konnte. Der linke Arm hatte keine deutlichen Unter- 8*+ 116 EDWARD FLATAUT: schiede gegen den rechten gezeigt und es hing dem ersteren nur ein ganz winziger Appendix (aus Haut und Stückchen Knochen bestehend) an. Die Patientin starb im Krankenhause Moabit (Martha Kleememann + 6. VI. 1897) und das Rückenmark wurde mir freundlichst von Prof. Goldscheider zur weiteren Untersuchung überlassen. Die Bearbeitung erstreckte sich in diesem Falle vom III. Halssegment bis zum inel. III. Dorsalsegment. Die Bearbeitung nach der Nissl’schen Methode erfolgte in der oben geschil- derten Weise, wobei die Zählung der Vorderhornzellen in den Serien- schnitten folgende Resultate ergab: III. Halssegment. IV. Halssegment. V. Halssegment. ß Laterale@ruppe) MedialeGruppe LateraleGruppe Mediale Gruppe Rechts | Links REN! # | Rechts| Links || Rechts| Links Rechts Links | Rechts | Links 33 21 42 35 14 10 45 43 | 5 | 6 36 26 42 .39 6 7 63 44 8 12 26 26 40 ° 4 11 12 63 60 4 |°5 38 28 50 39 8 4 57 34 Ü 9 33 35 47 30 9 10 54 43 40.28 4 20 21 36 34 9 8 43 AN 6 3 28 27 49 41 15 9 55 327g 3 27 31 38 32 4 8 43 40 | 8 10 31 25 43 30 13 ) 52 35 11 7 25 21 36 37 5 5 50 36 9 10 297 261 423 | 358 34 82 525 | AA || 75 74 In denjenigen Schnitten, wo die Zahl der Zellen der lateralen Gruppen auf der linken Seite geringer ist, fehlen die mehr in den centralen Par- tien des Vorderhornes gelagerten Zellen. Sonst zeigt weder die vordere noch die hintere laterale Gruppe eine besondere Prädisposition in Bezug auf die Abnahme der Zahl der Zellen. VI. Halssegment. V1I. Halssegment. Laterale Gruppe Mediale Gruppe Laterale Gruppe | Mediale Gruppe Rechts | Links Rechts | Links Rechts | Links Rechts | Links 64 nl ae 65 22 11 8 59 47 4 8 os 23 12 10 60 43 4 7 54 22 5 6 62 As en BL...) 10 52 BA ns 5 60, 023 10 4 50 55 3 6 65 ie 9 56 50 8 3 59 N | 7 60 52 7 8 Da 5 3 56 35 2 6 43 14 6 10 56 See 5 66a R 6 575 4199 || 54 64 596 iso UT 13 ÜBER DIR LOCALISATION DER RÜCKENMARKSCENTREN U. 8. W. Die auf der linken Seite erhaltenen Vorderhornzellen der lateralen Gruppen sieht man fast ausschliesslich entlang des lateralen Vorderhorn- randes liegen; dagegen findet man nur vereinzelte Zellen in den tieferen Vorderhorngebieten derselben Seite. Diese erhaltenen Zellen liegen entweder einzeln oder haufenweise und zeigen keine deutlichen morphologischen oder structurellen Unterschiede von den Vorderhornzellen der rechten Seite. Man merkt keinen deutlichen Unterschied auf beiden Seiten, weder in VIII. Halssegment. Laterale Gruppe Mediale Gruppe Rechts Links Rechts Links 44 2 8 11 55 1 12 13 28 0 18 15 33 4 12 16 35 0 14 14 32 0 15 16 32 4 10 13 42 3 16 17 24 2 13 15 40 2 13 11 365 18 131 141 der Zahl der Seitenhornzellen, noch in derjenigen der Hinterhörner. I. Dorsalsegment. II. Dorsalsegment. III. Dorsalsegment. Rechts Links 26 15 19 14 14 28 18 15 20 18 17 25 21 15 21 10 13 18 19 14 188 172 Das Resume dieser Untersuchungen der beiden Fälle und die daraus Rechts Links Rechts Links 26 13 16 13 13 15 11 7 10 14 10 14 16 10 18 9 11 11 15 13 13 12 13 15 15 20 15 14 11 17 8 10 13 16 16 15 10 11 124 110 138 139 gezogenen Schlüsse sind folgende: In einem Falle, wo der Tod 16 Jahre nach einer Oberarmamputation eingetreten ist, konnte man bei Anwendung der Nissl’schen Methode 117 118 EDWARD FLATAU: eine deutliche Verminderung der Vorderhornzellen in den lateralen Gruppen auf der der Amputation entsprechenden Seite constatiren, und zwar war diese Thatsache vom IV. bis zum incl. VIII. Halssegment nachweisbar. Sowohl in den ersten drei Halssegmenten, wie auch im I. Dorsalsegment war kein nennenswerther Unterschied auf beiden Seiten zu constatiren. Auch ist besonders zu betonen, dass die Zellen der medialen Gruppe, d.h. diejenigen, welche entlang dem medialen Vorderhornrande liegen, keine Unter- schiede in der Zahl auf beiden Seiten gezeigt haben. Die Verminderung der Zahl war keine grosse, besonders im Hinblick auf die grossen Schwankungen, welche auch in normalen menschlichen Rücken- marken vorkommen (wovon man sich besonders an den Längsschnitten durch die Vorderhörner leicht überzeugen kann). Trotzdem fühlen wir uns berechtigt, die in unserem Falle constatirte Verminderung der Zahl der Vorder- hornzellen, welche auf 16 Präparaten einer ununterbrochenen Serie (von 40 u Dicke) zwischen 47 und 188 Zellen schwankte, als eine pathologische zu be- trachten. van Gehuchten hat neuerdings die Thatsache der Verminderung der Zahl der Zellen nach Beschädigung ihrer peripherischen (motorischen) Nerven angezweifelt und sie zum Theil auf die unvollständige Zählung der Zellen (auf den nicht serienweise angefertigten Schnitten) geschoben. Dieses Postulat van Gehuchten’s (serienartige Anfertigung von Schnitten) wurde in den vorliegenden Fällen beachtet, und das Ergebniss der Unter- suchungen zeigt wohl, dass nach einer Abnahme der peripherischen . motorischen Nerven die Zahl der entsprechenden Zellen ab- ‚nimmt. Wenn dieser Amputationsfall in Bezug auf die Localisationsfrage der motorischen Rückenmarkscentren nur insofern zu benutzen ist, dass man nach einer Abnahme der gesammten oberen Extremität eine Abnahme der Zahl der Vorderhornzellen nur im Gebiete vom IV. bis zum incl. VIII. Hals- segment nachweisen konnte, so ist der II. Fall gerade für diese Frage von einer sehr grossen Bedeutung. In dem I. Falle, wo die linke Hand und der linke Vorderarm von Geburt an gefehlt haben, war eine geringe, sich noch in physiologischen Grenzen be- wegende Abnahme der Zahl der Vorderhornzellen im III. Halssegment zu con- statiren. Eine pathologische Zellenabnahme in den lateralen Vorderhorngruppen der linken Seite war vom IV. bis zum VIII. Halssegment gefunden; im I. Dorsalsegment ist die Abnahme der Zahl eine zu geringe, als dass man berechtigt wäre, dieselbe als pathologisch zu betrachten. Im II. und III. Dorsalsegment war kein nennenswerther Unterschied auf beiden Seiten zu verzeichnen. Von einer besonderen Wichtigkeit ist aber die Thatsache, dass, während man {auf der linken Seite) im IV., V. und VI. Halssegment in 10 auf einander folgenden, 40. dieken Schnitten eine Abnahme der ÜBER DIE LOCALISATION DER RÜCKENMARKSCENTREN U. 8. w. 119 Vorderhornzellen constatiren konnte, welche nur 65 bis 111 betragen hat, die absolute Abnahme der Zahl der Zellen ceteris paribus im VII. Hals- segment 414 und im VIII. Halssesment 357 betrug, wobei das relative Verhältniss der Zahl der Vorderhornzellen der kranken und der gesunden Seite im VII. Halssegment 1:3, im VIII. Halssegment 1:20 ausmachte. Vergleicht man die neben einander stehenden Zahlen auf beiden Seiten in diesen 2 hinteren Halssegmenten, so wird man sich überzeugen, dass der Unterschied zu Ungunsten der der Amputation entsprechenden Seite, besonders im VIII. Halssegment, ein ganz enormer is. Während man hier auf der rechten Seite in den Schnitten 24 bis 55 Vorder- hornzellen zählt, beträgt die Zahl derselben auf der linken Seite 0 bis 4! Wir wollen sogleich bemerken, dass wir nicht geneigt sind, diese Thatsache in dem Sinne zu erklären, wie wir es in dem I. Amputationsfalle gemacht haben, dass nämlich auch in diesem II. Falle eine nach der Ab- nahme der peripherischen motorischen Nerven secundär erfolgte Zellen- abnahme zum Ausdruck kam. Es scheint uns vielmehr die Annahme be- rechtigt, dass die entsprechenden Vorderhornzellen ebenfalls von der Geburt an gefehlt haben, dass hier also eine sozusagen „Neuronagenesie“ Platz gegriffen hat. Es zeigt sich ferner auf das Evidenteste, dass der Sitz der mo- torischen Innervationen für die Muskulatur der Hand und des Vorderarmes hauptsächlich das Gebiet des VII. und VII. Hals- segmentes umfasst, dass dagegen das eigentliche I. Dorsal- segment dabei wenig, wenn überhaupt betheiligt wird. Auch möchten wir noch einmal auf die Thatsache hinweisen, dass auch in dem II. Falle, wo eine so hochgradige Differenz in der Zahl der motorischen Vorderhornzellen der lateralen Gruppen auf beiden Seiten nachzuweisen war, die Zellen der medialen Gruppe (welche sich entlang dem medialen Vorderhornrande hinzieht), keinen nennenswerthen Unter- schied zeigten. Auf diese Thatsache hat auch neuerdings v. Monakow! hingewiesen und diese Zellen als Commissurenzellen aufgefasst. Hrn. Prof. v. Leyden und Hrn. Prof. Goldscheider spreche ich für die Ueberlassung des Materials meinen besten Dank aus. 1 Neurologisches Centralblatt. 1898. Nr. 21. Ueber die secundären Degenerationen nach Ausschaltung des Sacral- und Lendenmarkgrau durch Rückenmarksembolie beim Hunde. Von Dr. Max Rothmann in Berlin. (Hierzu Taf. V.) Unsere Kenntnisse vom Aufbau des Rückenmarkes sind in den letzten Jahren, Dank der Auffindung besonders empfindlicher Untersuchungs- methoden und der vereinten unermüdlichen Arbeit zahlreicher Forscher, wesentlich bereichert worden. Vor Allem die Zusammensetzung der Hinter- stränge aus den hinteren Wurzelfasern ist in Folge ihrer Bedeutung für den Verlauf der Tabes dorsalis der Gegenstand zahlreicher pathologischer und experimenteller Untersuchungen gewesen. Aber auch die Anordnung der Bahnen in Vorder- und Seitensträngen ist immer genauer erforscht worden, und so konnte Flatau: 1897 das „Gesetz der excentrischen Lagerung der langen Bahnen im Rückenmark“ aufstellen. Dem gegenüber ist unsere Kenntniss von der Verbindung der grauen Substanz des Rücken- markes mit den in der weissen Substanz verlaufenden Bahnen nicht in gleichem Maasse fortgeschritten. Es liegt dies einerseits daran, dass isolirte Zerstörungen der grauen Substanz in der menschlichen Rückenmarkspatho- logie verhältnissmässig selten vorkommen, andererseits daran, dass es nicht möglich war, experimentell Läsionen der grauen Substanz ohne Zerstörung der weissen zu erzeugen. Man war daher auf die entwickelungsgeschichtlich an Föten und Neugeborenen mit noch unentwickeltem Rückenmark fest- gestellten Verbindungen der grauen Substanz mit der weissen angewiesen, die zu sehr widerspruchsvollen Ergebnissen führten und auf die Verhältnisse beim erwachsenen Individuum nur mit Vorsicht übertragen werden durften. ! Edward Flatau, Das Gesetz der excentrischen Lagerung der langen Bahnen im Rückenmark. Zeitschrift für klinische Mediein. 1897. Bd. XXXII. Max ROTHMANN: SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HunDe. 12] Allerdings zeigten Ehrlich und Brieger! beim Kaninchen einen sangbaren Weg, um die graue Substanz des Lendenmarks bei Erhalten- bleiben der weissen zu zerstören, durch temporären einstündigen Verschluss der Aorta unterhalb des Abgangs der Nierenarterien. Dieses Verfahren ergab, vor allem nach Anwendung der Marchi’schen Methode durch Singer und Münzer,? Münzer und Wiener? und Sarb6', bei einige Wochen am Leben erhaltenen Thieren werthvolle Aufschlüsse über die in den weissen Rückenmarkssträngen nach Zerstörung der grauen Substanz auftretenden secundären Degenerationen. Es ist aber misslich, von den beim Kaninchen obwaltenden Verhältnissen auf die des menschlichen Rückenmarkes Rückschlüsse zu machen. Wiederholte Versuche von Singer, Münzer und Wiener, Rothmann,° beim Hunde ähnliche Veränderungen durch Abklemmung der Bauchaorta unterhalb des Abganges der Nieren- arterien bis zu 1!/, Stunden Dauer zu erhalten, scheiterten. Es trat keine Lähmung der hinteren Extremitäten ein, und das Rückenmark erwies sich als normal. Wenn ältere Forscher, vor allem Schiff,” angeben, dass auch beim Hunde 10 Minuten nach der Abklemmung, bei stärkerer Muskel- anstrengung mit den Hinterbeinen sogar noch rascher, Lähmung der hinteren Extremitäten mit Aufhebung der Sensibilität auftritt, so ist die Ursache des abweichenden Resultates bisher nicht aufgeklärt; wahrscheinlich fand die Ab- klemmung oberhalb der Nierenarterie statt. Auch vermisse ich bei Schiff die Angabe, wie sich die hinteren Extremitäten nach Lösung der Ligatur verhielten.° Da es immerhin möglich erschien, dass gerade beim Hunde abnorm günstige Verhältnisse in Betreff der Versorgung des unteren Rückenmarks- ! Ehrlich und Brieger, Ueber die Ausschaltung des Lendenmarkgrau. Zeit- schrift für klinische Medicin. 1884. Bd. VII. Suppl. ° J. Singer und E. Münzer, Beiträge zur Anatomie des Centralnervensystems, insbesondere des Rückenmarkes. Wien 1890. ® Münzer und Wiener, Ueber die Ausschaltung des Lendenmarkgrau. Archiv für experimentelle Pathologie. 1895. Bd. XXXV. * Sarbö, Ueber die Rückenmarksveränderungen nach zeitweiser Verschliessung der Bauchaorta. MNeurologisches Centralblatt. 1895. 5 J. Singer, Ueber die Veränderungen am Rückenmark nach zeitweiser Ver- schliessung der Bauchaorta. Sitz.-Ber. der math.-naturw. Classe der kaiserl. Akad. d. Wiss. Wien 1887. Bd. XCV. 3. Abthlg. ° Max Rothmann, Die primären combinirten Strangerkrankungen des Rücken- markes (combinirte Systemerkrankungen). Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.Bd.VII.S.243. ” J.M. Schiff, Muskel- und Nervenphysiologie. Lahr 1858—59. 8. 162. ° Nach Abschluss dieser Arbeit habe ich selbst beim Hunde Abklemmungen der Bauchaorta oberhalb der Nierenarterien ausgeführt und Functionsstörungen der Hinter- beine, verbunden mit Rückenmarksveränderungen zu erzielen vermocht (vgl. Rothmann, Ueber Rückenmarksveränderungen nach Abklemmung der Aorta abdominalis beim Hunde. Neurologisches Centralblatt. 1899. Nr. 1 u. 2.) 122 Max RoTHMANnNN: abschnittes mit arteriellem Blut aus höheren Arterienzweigen existirten, so habe ich neuerdings dieselben Versuche an Katzen vorgenommen. Es wurde auch hier die Aorta intraperitoneal freigelegt und dicht unterhalb des Ab- ganges der Nierenarterie einmal 1 Stunde, ein zweites Mal 1'!/, Stunde lang comprimirt. Weder während der Abklemmung, noch nach derselben trat eine Lähmung der hinteren Extremitäten ein; es liess sich wiederholt bei den nur in Aethernarkose gehaltenen Thieren feststellen, dass sie wäh- rend der Abklemmung die Hinterbeine kräftig bewegten. Die Thiere wurden am Tage nach der Operation getödtet; das Rückenmark, nach Nissl untersucht, war normal. Allerdings ist es Albrecht von Haller! und Luchsinger? nach Anlegung der Aortenschlinge innerhalb des Brustkorbes auch bei Katzen gelungen, Lähmungen der Hinterbeine zu bewirken. Auf einem anderen Wege konnten auch Frederieg? und Colson* Anämie des Lendenmarkes mit Lähmung der hinteren Extremitäten beim Hunde erzeugen. Sie führten von der Carotis aus ein Messingrohr von 30 bis 40 m Länge und 3 bis 4 "m Durchmesser oder einen entsprechenden Gummikatheter mit einem kleinen Handschuhfinger aus Kautschuk am unteren Ende in den centralen Theil der rechten Carotis in der Richtung der absteigenden Aorta ein. Wird dann Wasser in das Rohr injieirt und oben abgeschlossen, so bläht sich der Handschuhfinger auf und schliesst die Aorta ab. Bereits nach 30 bis 40 Secunden tritt Lähmung der hinteren Extremitäten auf, die nach einer Compression von 5 bis 10 Minuten Dauer sich wieder zurückbildet. So interessant diese Versuche auch sind, so dürften sie für unsere Zwecke deshalb nicht geeignet sein, weil bei hin- reichend langer Compression zur Herbeiführung einer dauernden Lähmung es kaum gelingen dürfte, die Thiere längere Zeit am Leben zu erhalten. Es giebt nun aber noch einen anderen Weg, um die graue Substanz des Lendenmarkes zu zerstören, mit Hülfe experimenteller Embolien. Auf diese Weise gelang es zuerst Flourens,° dann Panum® und Vul- pian’, durch Einführung eines Katheters von der A. cruralis aus in die ! Albrecht v. Haller, Deux memoires sur le mouvement du sang. Lausanne 1756. ? Luchsinger, Zur Kenntniss der Functionen des Rückenmarkes. Archiv für die gesammte Physiologie. 1878. Bd. XVI. S. 510. ® Leon Fredericq, L’anemie experimentale comme procede de dissociation des proprietes motrices et sensitives de la moälle Epiniere. Arch. de Biologie. T.X. p. 131. * Colson, Recherches physiologiques sur l’ocelusion de P’aorte thoraeique. Arch. de Biol. 1890. T.X. p. 481. > Flourens, Comptes rendus de l’ Academie des sciences. 1847 u. 1849. ° 0.L. Panum, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Embolie. Virchow’s Archiw. 1862. Bd. XXV. S. 308. ” A. Vulpian, Maladies du systeme nerveux. Maladies de la moelle. Paris 1879. p. 98—110. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 123 Aorta und Injection von schwarzen Wachskügelchen oder Lycopodium- samen in Suspension völlige Lähmung und Empfindungslosigkeit der hin- teren Extremitäten durch Rückenmarksembolie zu erzeugen. Es trat rothe Erweichung des unteren Rückenmarkabschnittes ein. Die von Panum operirten Hunde lebten 5, 9!/, und 22 Stunden nach der Operation, Vulpian’s Thiere 15 bis 30 Stunden nach derselben. Dieselben Versuche nahm nun neuerdings H. Lamy! wieder auf. Da nach der einfachen Einführung der Sonde bis in die Nabelhöhe und Einspritzung von Lycopo- diumsamen stets nach 24 bis 48 Stunden der Tod durch viscerale Embolien eintrat, so klemmte er die Aorta zunächst unter den Nierenarterien, dann nach Einführung des Rohres über den Aa. spermaticae und der A. mesenterica inf. ab, injieirte in den freibleibenden Aortentheil zwischen beiden Klemmen ca. 2m einer Lycopodiumaufschwemmung und öffnete nun die obere Klemme, so dass der Blutstrom die I,ycopodiumsamen in die allein frei- sebliebenen Aa. lumbales hineintrieb. Alsdann kam es weder zu Nieren- noch zu intraperitonealen Embolien, und es gelang Lamy, die an den hinteren Extremitäten gelähmten Hunde längere Zeit, einmal 7 Tage einmal sogar 3 Wochen, am Leben zu erhalten. Da die Lycopodiumkörner vor allem in den Verzweigungen der A. spinalis ant. stecken blieben, so wurde vor- wiegend die graue Substanz des Lendenmarkes von der Erweichung betroffen, der ein initiales ischämisches und ein hämorrhagisches Stadium voraufgingen. Daneben fanden sich vereinzelt auch capilläre Embolien der weissen Substanz mit kleinen Nekroseherden. Nach 3 Wochen bestand starke Degeneration in der Umgebung der grauen Substanz, deren secundären Charakter Lamy allerdings bezweifelt. Da nach den von Lamy gegebenen Abbildungen that- sächlich die graue Substanz fast totale Erweichung zeigte, während die weisse Substanz direct wenig oder gar nicht betroffen war, so musste hier ein sangbarer Weg zu finden sein, um die nach Zerstörung der grauen Substanz auftretenden secundären Degenerationen der weissen Rückenmarksstränge beim Hunde zu studiren. Auch Singer? hat experimentelle Embolien der Rückenmarksarterien erzeugt, indem er von der A. vertebralis aus Farbstoffaufschwemmungen -injieirte. Alsdann kam es aber zu Embolien in den Verzweigungen der A. spinalis post. mit freibleibender grauer Substanz, so dass diese Versuche für uns hier nicht in Betracht kommen. ! H.Lamy, Sur les lesions medullaires d’origine vasculaire des embolies experi- mentales appliquees a leur etude. Archives de physiol. 1895. p. 77. — H. Lamy, Lesions medullaires experimentales produites par des embolies aseptiques. Arch. de physiol. 1897. p. 134. 2 Singer, Ueber experimentelle Embolien im Centralnervensystem. Zeitschrift für Heilkunde. 189%. Bd. XVIIL 8. 105. 124 MAx RoTHMANN: Bei meinen Versuchen wählte ich mittelgrosse Hündinnen. Es wurde in Morphiumäthernarkose zunächst die linke A. cruralis freigelegt und peripher unterbunden; alsdann wurde die Bauchhöhle durch einen Längs- schnitt vom untersten Rand des Proc. xiphoides bis zur Mitte zwischen Nabel und Symphyse eröffnet, die Därme wurden herausgewälzt und in warme Wattepackete eingeschlagen. Es wurde nun die Aorta zuerst unter der linken Nierenarterie, dann oberhalb der Aa. spermaticae freigelegt und dicht unter den Nierenarterien abgeklemmt. Von der linken A. cruralis aus wurde ein Messingrohr in die Aorta eingeführt, bis es mit seinem offenen Ende zwischen Aa. spermaticae und Abklemmungsstelle lag. Ein Assistent comprimirte die Aorta dicht oberhalb der Aa. spermaticae über dem Rohr mit den Fingern und es wurden nun 2 bis 3 «m einer sterili- sirten Aufschwemmung von Lycopodiumsamen in physiologischer Kochsalz- lösung mit etwas Gummi arabicum injieirtt. Alsdann wurde die obere Klammer geöffnet, nach 30 Secunden die untere Compression sistirt, das Rohr entfernt und die Cruralis geschlossen. Nun wurden die Därme zu- rückgebracht und Peritoneum und Haut sorgfältig vernäht. Im Ganzen wurden 14 Hunde derart operirt, von denen 12 nach 12 Stunden bis 10 Tagen nach der Operation starben, einer nach 3, ein anderer nach 4 Wochen getödtet wurden. Sämmtliche Hunde zeigten nach der ÖOpera- tion völlige Lähmung der hinteren Extremitäten, die länger am Leben gebliebenen mit Aufhebung der Sensibilität, Schmerzempfindung und Lähmung von Blase und Mastdarm. Nur 2 Hunde, bei denen absichtlich nur kleine Mengen einer sehr schwachen Lycopodiumaufschwemmung ein- gespritzt worden waren, boten keine Lähmungserscheinungen. Bei allen Hunden ergab die Untersuchung Rückenmarksembolien, die vorwiegend die graue Substanz betrafen. Jedoch war in einer Reihe der Fälle es auch zu nicht unbedeutenden directen Zerstörungen der weissen Substanz ge- kommen. Besonders bei dem Hunde, der am längsten — 4 Wochen — am Leben geblieben war, hatte sich eine völlige Querschnittsmyelitis im oberen Lenden- und unteren Brustmark ausgebildet. Doch bestanden in diesem Falle abnorme Circulationsverhältnisse, da es auch der einzige Hund war, bei dem die Embolien bis zum mittleren Brustmark hinauf- gegangen waren, während sie in allen anderen Fällen nur die zwei unteren Drittel des Lendenmarkes und das Sacralmark betrafen. Embolien in anderen Organen fanden sich nur bei ungenügender Abklemmung der Aorta. Indem ich mir vorbehalte, über die Befunde bei Rückenmarksembolien im Ganzen an anderer Stelle zu berichten, will ich hier genauer auf die bei dem 3 Wochen am Leben gebliebenen Hunde eingetretenen Verände- rungen eingehen. | SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 125 "Bei diesem Hund ist es in der That gelungen, ausschliesslich Em- bolien in den Verzweigungen der A. spinalis ant. in der grauen Substanz des Lenden- und Sakralmarkes bis zur untersten Spitze des Conus terminalis zu erzeugen, bei völligem Freibleiben der die weisse Substanz von der Peripherie her versorgenden Arterienästee Nur an einzelnen Stellen hat die der Arterienembolie folgende Erweichung, die fast den ganzen Quer- schnitt der grauen Substanz betroffen hat, über letztere hinaus auf die angrenzenden Gebiete der weissen Substanz übergegriffen, jedoch nur in so beschränktem Maasse, dass es trotzdem ausgezeichnet gelingt, mit Hülfe der Marchi’schen Methode die nach Ausscheidung der grauen Substanz in den weissen Rückenmarkssträngen auftretenden secundären Degenerationen festzustellen. Am 25./VIII. 1897 wird eine mittelgrosse schwarze Hündin in der oben geschilderten Weise operirt. Am nächsten Tage fast ganz aus der Narkose erwacht, erscheint das Thier an den hinteren Extremitäten völlig gelähmt, doch wird am 27./VIIl. bei dem munteren Thier am rechten Bein auf starkes Kneifen der Pfote Schmerzempfindung und leichte active Beuge- bewegung im Hüftgelenk constatirt. Dagegen hängt das linke Bein völlig gefühl- und bewegungslos herab. Das Thier schleppt sich auf den Vorder- beinen vorwärts, dabei werden die gelähmten hinteren Extremitäten nicht nachgeschleppt, sondern liegen gerade nach vorn gestreckt. Der Urin geht von selbst ab, ist klar und ohne Albumen. 3./IX. Die Wunden sind gut geheilt. Der Hund ist vollkommen munter. Die hinteren Extremitäten werden activ nicht bewegt; aufgehoben zeigt der Hund am rechten Bein noch immer eine deutliche Schmerzempfin- dung und Beugebewegung im Hüftgelenk bei starkem Druck auf die rechte Pfote, während der Berührungsreflex erloschen ist. Das linke Bein zeigt völlig erloschene Schmerzempfindung. Urin und Fäces gehen von selbst ab. 16./IX. Es hat sich ein leichter Decubitus am Kreuzbein entwickelt. Im Uebrigen ist der Zustand unverändert. Der Hund wird durch Aether- narkose getödtet. Lebensdauer 3 Wochen. Das Rückenmark bis herab zum oberen Lendenmark ist von normaler Consistenz; vom mittleren Lendenmark nach abwärts ist dasselbe etwas ge- schrumpft; auf dem Durchschnitt erscheint die graue Substanz röthlich verfärbt, etwas eingesunken, verschmälert.e. Die weisse Substanz scheint von normaler Farbe und Consistenz. Das Rückenmark wird m Müller’- scher Flüssigkeit gehärtet; nur 2 Stückchen aus dem oberen Lendenmark kommen in 96°/, Alkohol. Das Rückenmark wird nach der Marchi’schen Methode untersucht; daneben werden von den nur in Müller’scher Flüssig- keit gehärteten Stücken Schnitte mit Hämatoxylin-Eosin und der van Gie- son’schen Methode gefärbt. Die in Alkohol gehärteten Stücke werden nach ' Nissl behandelt. 126 Mıx RoTHMANN: I. Marchi-Präparate. a) Sacralmark. In den untersten Abschnitten desselben (Taf. V, Fig. 2) zeigt die graue Substanz vollständige Erweichung. Nur der Apex des rechten Hinterhornes und die Lissauer’sche Randzone beiderseits sind erhalten. Die übrigen Partieen zeigen nur noch ein Glianetz, in dessen Maschen zahllose tief schwarz gefärbte Fettkörnchenzellen liegen. In den: erweichten Partieen erkennt man zahlreiche Blutgefässe mit engem Lumen, gewucherter Intima und Adventitia, in der an vielen Stellen die eigenthüm- lich glänzenden, gekörnten, doppelt conturirten Lycopodiumkörner theils einzeln, theils in Gruppen liegen; auch im Glianetz ausserhalb der Gefässe sind vereinzelt Lycopodiumkörner erkennbar. Daneben sieht man zahlreiche, dünnwandige, prall mit Blut gefüllte Gefässe, um die herum Blutextra- vasate in dem erweichten Gewebe liegen. Ganglienzellen sind, selbst in verkümmerter Form, nirgends nachweisbar. Freie Fettkörnchen ausserhalb der Fettkörnchenzellen fehlen. Die Erweichung hält sich streng an die Grenzen der grauen Substanz, nur an der lateralen Peripherie des linken. Vorderhornes hat dieselbe einen kleinen Theil des angrenzenden Vorderseiten- stranges mitergriffen. Die weisse Substanz der Vorder- und Seitenstränge ist dicht gefüllt mit schwarzen Degenerationsschollen, welche über das ganze Areal ziemlich gleichmässig vertheilt sind. Nur an der hintersten Peripherie der Seiten- stränge, unmittelbar an die Lissauer’sche Zone angrenzend, hebt sich beiderseits ein kleiner Degenerationsbezirk mit wesentlich gröberen Degene- rationsschollen ab. Dagegen erscheint der zwischen diesem Strang und der grauen Substanz gelegene hinterste Seitenstrangsabschnitt schwächer degenerirt als der ganze übrige Seitenstrang. Die Hinterstränge zeigen gleichfalls eine diffuse Degeneration, die links stärker als rechts ist und in dem lateralen Drittel wesentlich schwächer wird, rechts sogar fast völlig ver- schwindet. Die hinteren Wurzeln sind völlig normal; in der Lissauer’schen Zone sind beiderseits, besonders links,- spärliche, feine, schwarze Körnchen erkennbar. Die vorderen Wurzeln sind stark degenerirt. Die (Grefässe der Pia mater sind stark mit Blut gefüllt, aber frei von Lycopodiumkörnern. Im mittleren Sacralmark (Taf. V, Fig. 3) ist die graue Substanz bis auf die hintere Hälfte des rechten Hinterhornes und beide Lissauer’- schen Randzonen völlig erweicht. Während die Erweichung rechts ungefähr die Grenzen der grauen Substanz innehält, greift sie links im Gebiet des Vorderseitenstranges auf die weisse Substanz über und reicht hier bis an die Pia mater heran. Vorder- und Seitenstränge sind stark degenerirt. Die Zone der groben degenerirten Fasern, unmittelbar an die Lissauer’- sche Randzone angrenzend, hebt sich deutlich ab. Die daneben liegende SECUNDÄRE DEGENERATIONEN -BEIM HUNDE. 127 rechte Py.S. ist nur sehr schwach degenerirt, während dieselbe links . ebenso stark degenerirtist, wie die anderen Abschnitte der Seitenstränge, wohl in Folge des leichten Uebergreifens der Erweichung auf die Grenz- schicht der weissen Substanz. Der linke Hinterstrang zeigt im ganzen Areal deutliche Degeneration, die jedoch in den lateralen Abschnitten wesentlich schwächer ist und hier vorwiegend die dem Hinterhorn benach- barten Partieen betrifft. Dagegen ist der mediane Abschnitt von der Peripherie bis zur hinteren Commissur und dem medianen Rande des Hinterhornes gleichmässig degenerirt. Diese Degenerationszone nimmt dorsal- wärts langsam an Breite zu. Der rechte Hinterstrang zeigt im lateralen Abschnitt nur ganz vereinzeite degenerirte, unregelmässig vertheilte Fasern. Der mediane Abschnitt zeigt eine dichte, feinkörnige Degeneration in der ventralen Hälfte bis heran zur hinteren Commissur; in der dorsalen Hälfte wird dieselbe schwächer, mit Ausnahme eines schmalen Streifens an der Fissura post. An der hinteren Peripherie sieht man eine spärliche, grob- körnige Degeneration das mediane Drittel derselben einnehmen. Das nicht erweichte rechte Hinterhorn ist auch frei von Degeneration. In der Lissauer’schen Randzone ist beiderseits eine Bestäubung mit allerfeinsten, schwarzen Körnchen erkennbar. Die hinteren Wurzeln sind beiderseits völlig frei von Degeneration, die vorderen stark degenerirt. Oberes Sacralmark. Von der grauen Substanz ist auch hier nur die hintere Hälfte des rechten Hinterhornes von der Erweichung verschont. Dagegen greift dieselbe jetzt auf beide Vorderseitenstränge über und er- reicht hier die Peripherie. Auch die dorsale Hälfte des rechten, ein Drittel des linken Vorderstranges sind von der Erweichung mit ergriffen und sind vollgestopft mit Fettkörnchenzellen. Endlich greift der Erweichungsprocess auf den linken Hinterstrang über und lässt von demselben nur einen schmalen Saum frei, der sich an der hinteren Fissur und der Peripherie entlang bis zur Lissauer’schen Zone hinzieht. Diese erhaltenen Theile des linken Hinterstranges zeigen in toto stärkste Degeneration, die bis an die Eintrittsstelle der hinteren Wurzel heranreicht, während die extrapialen hinteren Wurzelfasern frei von Degeneration sind. Der rechte Hinterstrang ist von der Erweichung freigeblieben, vielleicht mit Ausnahme der direct an die hintere Commissur angrenzenden obersten Kuppe. Derselbe zeigt stärkere Degeneration in dem ventralen, zwischen Hinterhorn und Fissura post. gelegenen Abschnitt, ferner in einem schmalen, zur Peripherie ziehen- den Streifen längs der Fissura post., der sich an der Peripherie selbst etwas verdickt und hier ein kleines, von einem lateralen Septum abgegrenztes, stark degenerirtes Areal einnimmt. In den übrigen Abschnitten des rechten Hinterstranges ganz diffus vertheilte spärliche Degenerationsschollen, die von degenerirten Fasersträngen im medialen Theile des erhaltenen Hinterhornes 128 MıAx ROTHMANN: abzustammen scheinen, die nach dieser Richtung in die weisse Substanz einstrahlen. Lissauer’sche Randzone und hintere Wurzeln rechts frei. b) Lendenmark. Im untersten Lendenmark (Taf. V, Fig. 4) ist die graue Substanz völlig von der Erweichung ergriffen, mit Ausnahme der hinteren zwei Drittel des rechten Hinterhornes und der lateralen Hälfte des hinteren Drittels des linken Hinterhornes. Die Erweichung greift noch immer links in beträchtlicher Ausdehnung auf die vorderen Partieen des Seitenstranges und die lateralen Abschnitte des Vorderstranges über und erreicht hier die Peripherie. Dagegen hält sich rechts die Erweichung in den Grenzen der grauen Substanz; dieselbe hat sogar einen ganz schmalen Streifen des vorderen Randes des Vorderhornes stehen gelassen, der aller- dings mit Degenerationskörnern übersät ist und keine Ganglienzellen er- kennen lässt. Noch stärker hat die Erweichung auf die ventral gelegenen Abschnitte des linken Hinterstranges übergegriffen, während der rechte Hinterstrang völlig intact ist. In den Wandungen der arteriellen Gefässe der grauen Substanz sind zahlreiche Lycopodiumkörner erkennbar, die auch in der Arterie des Suleus ant. nachweisbar sind. Die ganze graue Sub- stanz ist mit Fettkörnchenzellen übersät, die noch dichter in den er- weichten Partieen der weissen Substanz angeordnet sind. Der Centralcanal und die Commissuren sind völlig zerstört. Die Vorder- und Vorder- seitenstränge sind beiderseits in toto degenerirt, links stärker als rechts. Im hinteren Abschnitt des Seitenstranges ist beiderseits an der Peripherie neben der Lissauer’schen Zone das aus groben degenerirten Fasern zusammengesetzte Bündel (Kl.S.) deutlich erkennbar, etwas aus- oedehnter als im Sacralmark. Im Uebrigen zeigt der rechte Hinterseiten- strang nur in den Grenzgebieten der grauen Substanz etwas stärkere Degeneration, während das der Py.S. zuzuschreibende Areal bis zur Peri- pherie fast ganz degenerationsfrei ist. Links hebt sich dieses Gebiet zwar auch von den anderen Partieen des Vorder- und Seitenstranges durch schwächere Degeneration ab, die jedoch diffus das ganze Areal überzieht. Der linke Hinterstrang ist in toto degenerirt, am stärksten in der Umgebung der Erweichung, schwächer in den mediansten und lateralsten Partieen. Die Degeneration greift hier sogar auf die hintere Wurzel über, wenn auch nur in geringem Grade Der rechte Hinterstrang zeigt stärkere Degeneration nur in der cornu-commissuralen Zone und in einer schmalen Zone längs der Fissura post. von der Peripherie bis zum vor- deren Dritte. In den übrigen Gebieten des Hinterstranges besteht eine schwache Degeneration um das Hinterhorn herum. Das letztere durch- ziehen einige schwach degenerirte Fasern, die von der erweichten grauen Substanz zu den äusseren Partieen des Hinterstranges ziehen. Im der rechten hinteren Wurzel ein kleines Bündel von etwa 10 degenerirten SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 129 Fasern sichtbar, sonst die Wurzel intact. Vordere Wurzeln intra- und extramedullär stark degenerirt. In dem nächsthöheren Segment des unteren Betidäninekei (Taf. V, Fig. 5) ist das ganze rechte Hinterhorn und die äussere Spitze des en erhalten, ferner die äusserste Peripherie des rechten Seitenhornes. In letzterem sind einige völlig geschrumpfte Ganglienzellen erkennbar, die im erweiterten Lymphraum liegen; dieselben sind völlig frei von Fettkörnchen. Auch im rechten Hinterhorn erkennt man einige geschrumpfte Ganglien- zellen. Die Erweichung im linken Vorderseitenstrang reicht unverändert bis zur Peripherie; rechts greift die Erweichung noch einmal ein kleines Stück in den Vorderseitenstrang hinein. Auch die Erweichung des linken Hinterstranges ist nochmals stärker geworden und lässt nur das hintere Viertel an der Peripherie sowie einen schmalen Streifen an der Fissura post. und die Wurzeleintrittszone frei. Die Degeneration der weissen Sub- stanz ist im Uebrigen unverändert; nur die Degeneration der cornu-com- missuralen Zone des rechten Hinterstranges hat an Intensität zugenommen. Am hinteren Winkel der Peripherie mit der Fissura post. ist ein kleines Dreieck feinster degenerirter Fasern wahrzunehmen. Neben den zahlreichen arteriellen Lycopodiumembolieen der grauen Substanz ist an der Peripherie des linken Vorderseitenstranges ein Arteriendurchschnitt mit zwei Lyco- podiumkörnern erkennbar. Etwas höher herauf (Taf. V, Fig. 6) zeigt sich zum ersten Mal der Centralcanal erhalten. Vordere und hintere graue Commissur sind erhalten und frei von Degeneration, während die vordere weisse Commissur stark degenerirt ist. Die linke Hälfte der grauen Substanz ist im Uebrigen noch immer in toto erweicht, mit Ausnahme der äussersten Spitze des Hinter- hornes. Von der rechten Hälfte ist das Hinterhorn, die Basis und das äussere Drittel des Vorderhornes erhalten, der übrige Theil des Vorderhornes ist erweicht. In dem erhaltenen Theile des Vorderhornes, der von zahl- reichen schwarzen Körnern durchsetzt ist, sind eine Reihe leidlich gut er- haltener Ganglienzellen mit central gelegenem Kern erkennbar, die grössten- theils an einem Pol oder über die Mitte der Zelle hinweg eine Anhäufung ‚allerfeinster schwarzer Körnchen erkennen lassen. Die Erweichung hat von ' links her einen schmalen Streifen an der Kuppe der Hinterstränge er- - griffen, greift im Uebrigen nur noch am linken Vorderseitenstrang auf die weisse Substanz über, erreicht jedoch nicht mehr die Peripherie Die Vorderstränge sind mit den vorderen Wurzeln noch immer stark degenerirt, ebenso die vordere Hälfte des linken Seitenstranges. In der vorderen Hälfte des rechten beginnt die Peripherie etwas freier von der Degeneration zu werden, während die der grauen Substanz benachbarten Partieen noch immer starke Degeneration zeigen. An der hinteren Peripherie der Seiten- Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 9 130 Mıx RoTHMmAnKN: stränge liegen noch immer die grob degenerirten Faserstränge der Kl.S., links bis an die Wurzelzone reichend, rechts von derselben durch einige normale Nervenfasern getrennt. Die Py.S. ist rechts frei von Degeneration, links weist ihr Areal feinste Degeneration auf; die Grenzschicht der grauen Substanz ist beiderseits stark degenerirt. Am linken Hinterstrang ist die ganze mediane, Hälfte von der Peripherie bis zur hinteren Commissur stark degenerirt, mit etwas schwächerer Betheiligung eines schmalen Streifens unmittelbar an der Fissura post. Von der lateralen Hälfte ist nur die dem erweichten Hinterhorn unmittelbar benachbarte Partie und der innere Theil an der Peripherie stärker degene- rirt; der übrige Theil zeigt nur spärliche degenerirte Fasern. Vom rechten Hinterstrang ist das zwischen Hinterhorn und Fis- sura post. gelegene Gebiet von der hinteren Commissur bis zur Mitte der Fissur stark degenerirt. Dorsalwärts wird die Degeneration immer schwächer, an der hinteren Peripherie zeigt nur ein kleines Dreieck an der Fissur schwache Degeneration. Der laterale Abschnitt des rechten Hinterstranges zeigt nur ganz vereinzelte degenerirte Fasern, die nur am Wurzeleintritt etwas reichlicher sind. Durch das erhaltene Hinterhorn ziehen spärliche degenerirte Fasern zum medialen Theile des Hinterstranges. Die hinteren Wurzeln sind beiderseits intaect. Im unteren Theile des mittleren Lendenmarks ist von der linken Hälfte der grauen Substanz die Spitze des Hinterhornes, ein Kleiner medianer Abschnitt des Vorderhornes und mit diesem zusammenhängend der dem Centralcanal benachbarte Theil der Basis erhalten. In dem er- haltenen Theile des Vorderhornes sind theils geschrumpfte, theils geblähte Ganglienzellen erkennbar. Alles Uebrige ist der Erweichung verfallen, die median vom Hinterhorn etwas auf den linken Hinterstrang übergreift, während der linke Vorderseitenstrang hier zum ersten Mal von der Er- weichung freibleibkt. In der rechten Hälfte der grauen Substanz ist jetzt Alles erhalten, bis auf den medianen Abschnitt des Vorderhornes, an dem die Erweichung etwas in den lateralen Theil des rechten Vorderhornes hin- einreicht. Der etwas erweiterte Centralcanal und die Commissuren sind erhalten. Die vordere weisse Commissur ist stark degenerirt. Die erhaltene graue Substanz, mit Ausnahme der Hinterhörner, ist mit Degenerations- körnern übersät. Die Degeneration der Vorder- und Vorderseitenstränge - ist in der Umgebung der grauen Substanz noch sehr stark, beginnt in der Peripherie etwas schwächer zu werden. Die linke KI.S. zeigt compacte, starke Degeneration, während dieselbe rechts schwächer wird und von vielen gesunden Fasern durchsetzt ist. Die linke Py.S. zeigt sehr schwache Degene- ration; die rechte ist normal. Auch unmittelbar davor ist die Peripherie nur sehr schwach degenerirt, während das Grenzgebiet der grauen Sub- SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 131 stanz stark degenerirt ist. Der linke Hinterstrang ist fast in toto stark degenerirt, der rechte ungefähr in der Ausdehnung, wie in den direct darunter gelegenen Partieen. Doch ist die Degeneration in der cornu- commissuralen Zone etwas schwächer geworden, erstreckt sich dagegen weiter dorsalwärts, in den letzten Ausläufern fast bis zur Peripherie. Auch der kleine Degenerationsstreifen an dem Winkel von Fissur und Peripherie ist noch immer deutlich nachweisbar. Die hinteren Wurzeln sind frei, die vorderen zeigen nur noch Spuren von Degeneration. Im oberen Theile des mittleren Lendenmarks (Taf. V, Fig. 7) ist in der linken Hälfte der grauen Substanz nur noch ein schmaler Streifen, der sich von der Aussenseite des Vorderhornes bis in den äusseren Theil des Hinterhornes erstreckt, erweicht, in der rechten Hälfte ein noch kleinerer Abschnitt an der Basis und dem inneren Theile des Hinterhornes. Die erhaltene graue Substanz, vor allem der Vorderhörner, ist von zahlreichen degenerirten Fasern durchzogen. Die Degeneration der vorderen weissen Commissur ist entschieden schwächer geworden. Die vordere und hintere graue Commissur sind frei von Degeneration. Die Degeneration der Vorder- und Vorderseitenstränge ist etwas schwächer, besonders an der Peripherie. Beiderseits starke Degeneration der KI.S.; die Py.S. rechts ganz, links beinahe frei von Degeneration. Der linke Hinterstrang zeigt starke Degeneration der medialen Hälfte von der hinteren Commissur bis zur Peripherie. In der äusseren Hälfte lässt dieselbe langsam an Intensität nach, so dass die Wurzeleintrittszone beinahe degenerationsfrei ist. Man sieht aus der erweichten Partie des Hinterhornes degenerirte Fasern in die cornu-radiculäre Zone einstrahlen. Im rechten Hinterstrang ist die cornu-commissurale Zone stark degenerirt, von hier zieht die Degene- ration mit abnehmender Intensität in Keilform bis dieht an die Peripherie. Am Winkel von Peripherie und Fissur besteht noch immer das kleine Degenerationsdreieck, an dem sich ein schmaler Streifen degenerirter Fasern längs der Fissur ventralwärts bis in die andere Degenerationszone hinein erstreckt. Die laterale Partie des rechten Hinterstranges zeigt nur ver- einzelte degenerirte Fasern, die durch das Hinterhorn in dieselbe ein- strahlen. Die vorderen Wurzeln zeigen schwache Degeneration, die hin- ‘ teren sind normal. _ Im oberen Lendenmark (Taf. V, Fig. 8) ist die graue Substanz völlig erhalten. Nur das Gebiet der linken Clarke’schen Säule zeigt um die Ganglienzellen herum eine starke Uebersäung des ganzen Areals mit feinsten schwarzen Punkten. Auch die vordere weisse Commissur ist frei von Degeneration. In den Vordersträngen ist die Degeneration in den Grenzgebieten der grauen Substanz nur noch angedeutet, dagegen beider- seits am Suleus ant. in einer schmalen Zone deutlich ausgeprägt, die nur 9* 132 Max RoTHMmAnn: das dorsale Viertel des Sulcus freilässt. In den lateralen Partieen der Vorderstränge und in den Vorderseitensträngen besteht noch immer diffuse Degeneration, die nach hinten langsam an Intensität abnimmt. Die Py.S. sind beiderseits frei von Degeneration; der hintere Abschnitt der Kl.S. ist beiderseits stark degenerirt, links etwas stärker als rechts. Der linke Hinterstrang zeigt noch immer starke Degeneration der medialen Hälfte von der Peripherie bis zur hinteren Commissur, ist allerdings in den der letzteren angrenzenden Gebieten etwas schwächer geworden; die laterale Hälfte ist fast völlig degenerationsfrei. Im rechten Hinter- strang rückt die Degeneration langsam von der hinteren Commissur und dem Hinterhorn ab, erstreckt sich jetzt nach hinten bis fast zur Peripherie. Die Degeneratiin am Winkel von Peripherie und Fissur nimmt ein etwas grösseres Areal ein, ist jedoch mit zahlreichen nor- malen Fasern vermischt. Der von hier an der Fissur entlang ziehende Degerationsstreifen ist etwas stärker ausgeprägt. Vordere und hintere Wurzeln normal. Am Uebergang vom Lenden- zum Brustmark ist die Degeneration der Vorder- und Seitenstränge ziemlich unverändert, nur werden die Grenz- sebiete der grauen Substanz immer freier von der Degeneration. Im linken Hinterstrang ist die Kuppe an der hinteren Commissur jetzt frei von De- generation, die sonst noch unverändert ist. Vom lateralen ventralen Ende der degenerirten Zone sieht man einen degenerirten Faserstrang in die linke Clarke’sche Säule einstrahlen, welche besonders in ihrem dorsalen Abschnitt mit feinsten schwarzen Körnern übersät ist. Im rechten Hinterstrang ist der ganze cornu-commissurale Rand jetzt degenerationsfrei. Die ventral gelegene Degenerationszone zeigt jetzt zahlreiche normale Fasern, während eine neue starke Degenerationszone an der ventralen Hälfte des hinteren Drittels der Fissura post. auftritt. Der hinterste Abschnitt der Fissur zeigt degenerirte Fasern unter grösstentheils normalen Nervenfasern versprengt. Die rechte Clarke’sche Säule zeigt nur ganz spärlich schwarze Körnchen. Auch die übrige graue Substanz ist nur noch sehr schwach degenerirt. c) Brustmark. Unteres Brustmark (Taf. V, Fig. 9). Graue Substanz völlig intact. In den Vordersträngen sind die Randpartieen in dem vorderen ?/, des Suleus ant., sowie am vorderen Rande degenerirt; in den Vorderseitensträngen zieht die Degeneration am Rande entlang, um kurz vor der Mitte der lateralen Peripherie nach innen abzubiegen und bis in die Nähe der grauen Substanz zu gehen. Py.S. beiderseits frei. Die hin- teren Abschnitte der KI.S. beiderseits stark degenerirt, links etwas inten- siver. Die Degeneration des linken Hinterstranges zieht sich etwas von der hinteren Commissur und der vorderen Hälfte der Fissura post. zurück, ist im hinteren Abschnitt stark ausgeprägt, während die lateralen Ab- SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 133 schnitte des Hinterstranges frei sind. Der rechte Hinterstrang zeigt nur noch schwache, diffuse Degeneration der cornu-commissuralen Zone, während am hinteren Drittel der Fissura post. eine starke Degenerationszone liegt, die nur in dem direct der Peripherie anliegenden Theil schwächer wird. In den lateralen Abschnitten des rechten Hinterstranges nur ganz ver- einzelte Degenerationskörner. Etwas höher hinauf nehmen die degenerirten Fasern in der cornu- commissuralen Zone des rechten Hinterstranges immermehr an Zahl ab, während die Degenerationszone am hinteren Drittel der Fissura post. an Intensität und Breite zunimmt und sich allmählich immermehr der Peri- pherie nähert, obwohl das dieselbe unmittelbar begrenzende Gebiet nur einzelne degenerirte Fasern unter überwiegend normalen erkennen lässt. Der linke Hinterstrang zeigt im cornu-commissuralen Gebiet noch eine starke Degeneration, die aber von Commissur, Hinterhorn und Fissur durch nor- male Fasern getrennt ist. Die hintere Hälfte des Goll’schen Stranges ist in toto degenerirt; es beginnt hier bereits die bekannte Keilform mit der Basis an der Peripherie sich abzuheben. Mittleres Brustmark (Taf. V, Fig. 10). Graue Substanz normal. Die Randdegeneration der Vorderstränge sehr deutlich; dieselbe lässt nur das hintere Drittel des Sulcus ant. frei. Im Vorderseitenstrang deutliche Degeneration der Randpartieen, die etwa in der Mitte des Seitenstranges nach innen abbiegt und bis an die graue Substanz herangeht. Py.S. beiderseits frei. Die Degeneration der KI.S. beginnt etwas nach vorn zu rücken und die hintersten Abschnitte am Wurzeleintritt frei zu lassen. Die Degeneration des linken Hinterstranges in der hinteren Hälfte des Goll’schen Stranges in Keilform sehr intensiv. Von hier ziehen degene- rirte Fasern an der Fissura post. entlang bis zur hinteren Commissur. Die linke Clarke’sche Säule ist mit feinsten degenerirten Fasern übersät. Im rechten Hinterstrang rückt die Degeneration immer mehr nach hinten, beginnt gleichfalls allmählich Keilform mit der Basis an der Peripherie an- zunehmen, wenn auch die Degeneration des peripheren Abschnittes noch immer sehr schwach ist. Auch hier ziehen degenerirte Fasern längs der - Fissura post. zur hinteren Commissur, während im Uebrigen der vordere Abschnitt der Goll’schen Stränge nur ganz vereinzelte degenerirte Fasern aufweist. In der rechten Clarke’schen Säule spärliche schwarze Körnchen. Vordere und hintere Wurzeln normal. Etwas höher hinauf ist die Degeneration in beiden Hintersträngen in der hinteren Hälfte der Goll’schen Stränge in Keilform angeordnet, nimmt Hi in beiden das gleiche Areal ein, nur dass sie im linken Strange wesentlich dichter als rechts ist. Die Degeneration lässt sich dann beiderseits im schmalen Streifen dicht an der Fissur bis zur hinteren Commissur verfolgen. 134 MAx RoTHMARNK: Im Uebrigen sind die Hinterstränge frei von Degeneration. Auch in den Clarke’schen Säulen ist keine Degeneration mehr nachzuweisen. Sonst sind die Verhältnisse unverändert geblieben. Im oberen Brustmark wird die Degeneration an der Peripherie der Vorderstränge wesentlich schwächer, nimmt am Sulcus ant. nur noch die vordere Hälfte desselben ein. Im Vorderseitenstrang ist die Abbiegung der Degeneration an der Peripherie noch stärker ausgesprochen wie weiter unten. Py.S. beiderseits frei. Die Degeneration der KI.S. erstreckt sich weiter nach vorn, ist aber wesentlich schwächer geworden. In den Hintersträngen Degeneration in Keilform in der hinteren Hälfte der Goll’- schen Stränge an der Fissura post., links stärker als rechts. Von hier ziehen degenerirte Fasern an der Fissur ventralwärts, ohne die hintere Commissur zu erreichen. a) Im Halsmark (Taf. V, Fig. 11 u. 12) wird die Degeneration im Vorder- und Vorderseitenstrang immer schwächer, lässt sich jedoch bis zum Beginn der Pyramidenkreuzung verfolgen. Die Degeneration im Ge- biete der Kl.S. zieht immer weiter nach vorn, wird dabei immer schwächer, ist aber bei Beginn der Pyramidenkreuzung noch als deutlicher Faser- strang nachweisbar. In den Hintersträngen wird das Degenerationsdreieck an der hinteren Fissur immer schmäler und langgestreckter, nimmt die hintere Hälfte des Goll’schen Stranges ein und ist links wesentlich stärker als rechts. Doch ziehen einige degenerirte Fasern bis dicht an die hintere Commissur. Die Degeneration lässt sich bis zum Beginn des Goll’schen Kernes verfolgen. Höhere Partieen wurden nicht aufbewahrt. II. Hämatoxylin-Eosin— und van Gieson-Präparate. Die aus dem unteren Lendenmark stammenden Schnitte zeigen die graue Substanz, mit Ausnahme kleiner Abschnitte beider Vorder- und Hinterhörner, erweicht. Zum Theil sind grössere Lücken vorhanden (wahr- scheinlich bei der Härtung durch Einsinken der erweichten Massen ent- standen). Die das erweichte Gewebe ausfüllenden Fettkörnchenzellen be- sitzen fast sämmtlich nur einen: kleinen runden, peripher gelegenen Kern, sind im Uebrigen von sehr verschiedener Grösse. Das zwischen ihnen ausge- breitete Gliagewebe weist zahllose Capillargefässe auf, in deren Wandungen ebensolche Zellen zu finden sind. Die Venen sind zum grossen Theil stark mit Blut gefüllt. Ausserdem sieht man zahlreiche gut erhaltene rothe Blut- körperchen frei im erweichten Gewebe zwischen den Fettkörnchenzellen liegen. Die Arterien der grauen Substanz zeigen ein stark verengtes Lumen, SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 135 mit deutlicher Verdieckung der Intima und Muscularis, vor Allem aber be- trächtlicher Wucherung des adventitiellen Gewebes (Taf. V, Fig. 13). Die Lycopodiumkörner, die ihre Form vollständig bewahrt haben und theils einzeln, theils in grösseren Conglomeraten anzutreffen sind, finden sich nicht im Lumen der Arterien, sondern vorwiegend in der verdiekten ad- ventitiellen Scheide. Einzelne Lycopodiumkörner liegen auch bereits ausser- halb der Adventitia frei im erweichten Gewebe (Taf. V, Fig. 14). Während die meisten dieser Körner keine Umhüllung besitzen, erkennt man bei einzelnen einen schmalen, mit Eosin röthlich gefärbten Saum um die Doppelcontur der Lycopodiumkörner herum, der in seinem Innern einen, zwei, bisweilen auch mehrere Kerne wahrnehmen lässt. An einigen Stellen sind die Lycopodiumkörner auch zu solchen Mengen angehäuft, dass man hinter dem zuführenden verdickten Gefäss nur noch eine bindegewebige Masse mit kleinzelliger Wucherung erkennt, in der zahlreiche Lycopodium- körner eingebettet liegen. Die im Sulcus ant. gelegene Arterie lässt keine Embolien erkennen (an den Marchi-Präparaten an einzelnen Schnitten doch!); die Wandung derselben erscheint deutlich verdickt mit Wuche- rung der Adventitia. Von den oben nach Marchi-Präparaten ausführlich geschilderten Degenerationen ist nur die im hintersten Abschnitt der Seiten- stränge aus besonders groben Fasern bestehende mit der van Gieson- Färbung deutlich erkennbar. Die Markscheiden sind hier stark geschwollen, die Axencylinder in den meisten Nervenfasern noch erhalten, zum Theil stark vergrössert. Die Ganglienzellen in den erhaltenen Theilen der Vorder- hörner der grauen Substanz sind, soweit sich bei dieser Härtung und Färbung erkennen lässt, zum Theil geschrumpft, im Uebrigen verhältnissmässig gut erhalten mit deutlich erkennbarem Kern. III. Nissl-Färbung. Zur Ausführung derselben wurde nur ein Stückchen aus der Gegend des oberen Lendenmarkes in 96procent. Alkohol gehärtet, da bei der Er- weichung der tiefer gelegenen Partieen ein Herausnehmen frischer Stücke aus Sacral- und oberem Lendenmark ohne Zerstörung des Rückenmarkes nicht möglich erschien und die Formolhärtung, welche die Ausführung der Marchi’schen und Nissl’schen Methoden gestattet, damals von mir noch nicht angewandt wurde. In dieser Höhe ist nur noch eine kleine centrale Partie des linken Vorderhornes erweicht, ferner ein kleiner Theil des linken Vorderseiten- stranges. Im Uebrigen ist die graue Substanz erhalten, die Ganglienzellen der Vorderhörner zeigen normale Form, centrale Lage des Kernes, gut er- haltene Nissl’sche Körperchen und Fortsätze. Trotzdem sind zahlreiche 136 Max RoTHMAnNN: arterielle Gefässe mit Lycopodiumkörnern gefüllt, die auch hier grössten- theils das Lumen verlassen haben und in der Wandung der Arterien liegen. In unmittelbarer Nachbarschaft solcher Gefässe sind gut erhaltene Ganglien- zellen erkennbar (Taf. V, Fig. 15). Betrachten wir zunächst das nach der Rückenmarksembolie bei diesem Hunde aufgetretene Krankheitsbild, so weicht dasselbe von dem gewöhn- lich bei dieser Form der Rückenmarksembolie zu beobachtenden Bilde durch das Erhaltensein der Schmerzempfindung und Reflexerregbarkeit im rechten Hinterbein ab. Dasselbe findet eine Erklärung in dem Intactbleiben des rechten Hinterhornes vom unteren Lendenmark an und des rechten Vorder- hornes vom mittleren Lendenmark an, während links die Zerstörung dieser Partie bis in den oberen Theil des mittleren Lendenmarkes zu verfolgen ist. Auch Münzer und Wiener constatirten beim Kaninchen nach Abklem- mung der Aorta abdominalis, dass die Schmerzempfindung der hinteren Extremität erhalten blieb, wenn das Hinterhorn derselben Seite nicht zu Grunde gegangen war. Ebenso wie beim Kaninchen, scheint also auch beim Hunde die Schmerzempfindung der Extremität auf der Intactheit des entsprechenden Hinterhornes zu beruhen, Ferner war auffällig, dass der Hund die gelähmten, hinteren Extremi- täten nicht nachschleppte, sondern nach vorn ausgestreckt hielt. Dies Verhalten erklärt sich durch die normale Beschaffenheit der grauen Sub- stanz des oberen Lendenmarkes, die ein Intactsein der Hüft- und Becken- musculatur zur Folge haben musste. In der That war bei dem 4 Wochen nach der Embolie am Leben gebliebenen Hunde, bei dem sich eine (Quer- schnittmyelitis im unteren Brustmark ausgebildet hatte, das Verhalten ein ganz anderes; hier lagen die Hinterbeine stets schlaff nach hinten und schleppten bei den mühsamen Versuchen zum Laufen dem Thierkörper nach. Blase und Mastdarm entleerten sich bei unserem Hunde von selbst; die Blase war bei der Untersuchung fast stets leer, ohne dass starkes Harn- träufeln zu bemerken war. Wie dies Verhalten mit der völligen Zerstörung der grauen Substanz im Sacralmark in Einklang zu bringen ist, lässt sich nicht feststellen. Vielleicht spielen auch hier hirnwärts gelegene Öentren eine Rolle, da bei dem Hunde, der neben der Zerstörung der grauen Sub- stanz des Sacral- und Lendenmarkes eine Querschnittmyelitis im unteren Brustmark davongetragen hatte, die Harnverhaltung eine vollkommene war, so dass die Blase täglich mehrfach entleert werden musste. Gehen wir nun zur Betrachtung der Rückenmarksveränderungen über, so stehen an erster Stelle die Veränderungen der grauen Substanz. Dieselben sind die directe Folge der Arterienembolien. Die von der Aorta er rC: SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 137 aus mit dem Blutstrom in die Aa. lumbales getriebenen Lycopodiumkörner dringen in deren Spinaläste ein und müssen hier im Verlauf der vorderen, in den Sulcus ant. eindringenden Arterienkette einen günstigeren Ver- breitungsweg finden, als in den in die weisse Substanz eindringenden Rand- gefässen. Denn in allen derartigen Fällen von Rückenmarksembolie findet sich die Hauptmasse der Lycopodiumkörner in dem Verbreitungsbezirk der A. spinalis ant., d.h. vorwiegend in der grauen Substanz, wenn auch bei sehr reichlicher Injection von Lycopodiumkörnern solche auch in den Rand- gefässen anzutreffen sind. In unserem Falle haben sämmtliche Lycopodium- körner den Weg durch die A. spinalis ant. in das Innere der grauen Substanz gewählt; unter den vielen Hunderten von Schnitten fand sich nur einmal im unteren Sacralmark und einmal im mittleren Lendenmark ein einzelnes Lycopodiumkorn in einem arteriellen Gefäss der seitlichen Peri- pherie. Die Verbreitung der Lycopodiumkörner und die sich anschliessende secundäre Erweichung sind nun geeignet, die Untersuchungen Kadyi’s! voll zu bestätigen. Es versorgen die Centralarterien nicht nur die graue Substanz fast ausschliesslich, vielleicht in noch ausgedehnterem Maasse als dies Kadyi angiebt, sondern es dringen von hier auch Aestchen in radiärer Richtung in die Septen der weissen Substanz ein, besonders in die Vorder- seitenstränge und die Hinterstränge. Ebenso bestätigt die Ausdehnung der Erweichung, dass der hintere Theil des Hinterhornes vorwiegend von peri- pheren Gefässen versorgt wird, da er am leichtesten von Erweichung: ver- schont bleibt. Trotz aller dieser Abweichungen lässt sich doch im Wesent- lichen sagen, dass die aus der vorderen Arterienkette entspringenden Üen- tralarterien die graue Substanz fast allein versorgen und nur an wenigen Punkten auf die weisse Substanz übergreifen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, ausführlich auf die ver- schiedenen Stadien der der Arterienembolie des Rückenmarkes folgenden Veränderungen einzugehen. In Uebereinstimmung mit Lamy konnte ich ein etwa 24 Stunden dauerndes anämisches Stadium constatiren, dem dann starke Hämorrhagien nachfolgten, aus denen sich nach 3 bis 4 Tagen Er- weichungsherde entwickelten. Ueber die hierbei zu beobachtenden Verände- zungen der Ganglienzellen werde ich an anderer Stelle berichten, ebenso über die feineren Gefäss- und Gewebsveränderungen. Was das Schicksal der Lycopodiumkörner anbetrifft, so sind dieselben nach 3 Wochen und ebenso nach 4 Wochen völlig unverändert im Rücken- mark nachweisbar. Es ergiebt sich aber die überraschende Thatsache, dass dieselben nicht mehr im Lumen der Arterien liegen, sondern in der stark verdickten, adventitiellen Wand derselben. Man sieht sie hier theils frei 1 Kadyi, Ueber die Blutgefässe des menschlichen Rückenmarkes. Lemberg 1839. 138 MAx RoTHMANnNN: im Gewebe liegen, ohne dass eine besondere Kernwucherung um dieselben stattgefunden hätte, theils kann man um sie herum einen schmalen Proto- plasmasaum erkennen, an dessen einem Pole 1 bis 2 Kerne nachweisbar sind. Das Lumen der Arterien ist hier stark contrahirt und lässt keine Blutkörperchen in seinem Innern erkennen (Taf. V, Fig. 14). An anderen Stellen besteht eine starke Anhäufung der Körner mit reichlicher kleinzelliger Wucherung um dieselben herum, und man kann das Lumen der Arterie eine kurze Strecke davor aufhören sehen. Es handelt sich hier wahrscheinlich um einen organisirten Thrombus (Taf. V, Fig. 15). Endlich findet man Lyco- podiumkörner, welche die Arterienwand ganz durchwandert haben und nun theils frei, theils in ein- oder mehrkernigen Leucocyten eingebettet im er- weichten Gewebe der grauen Substanz liegen. Dieses Freiwerden des Arterienrohres von den dasselbe verstopfenden Lycopodiumkörnern dürfte auch erklären, weshalb in den obersten embolisirten Partieen des Rücken- markes, in denen nur noch wenige Gefässe spärliche Lycopodiumkörner auf- weisen, und keine nennenswerthe Erweichung entstanden ist, die um die embolisirten Gefässe liegenden Ganglienzellen völlig normale Structur auf- weisen (Taf. V, Fig. 15). Die Durchschleppung der Lycopodiumkörner durch die Arterienwand ist nur durch die Thätigkeit der Leukocyten verständlich. Es findet sich nun das ganze erweichte Gewebe vollgestopft mit Fettkörnchenzellen, welche sich, wie das alle Autoren, in .letzter Zeit vor Allem Goldscheider! und Senator? angeben, als einkernige Zellen von wechselnder Grösse darstellen, die bei der Marchi’schen Methode vollgestopft mit Fettkörnchen er- scheinen. Mehrkernige Zellen finden sich, mit Ausnahme derjenigen mit Lycopodiumeinschlüssen, deren Entstehung der der Tuberkelriesenzellen ent- sprechen dürfte, überhaupt nicht. Goldscheider will diese einkernigen Zellen von einer Proliferation adventitieller bezw. endothelialer Elemente der Gefässwände ableiten, zu der dann auch eine Proliferation der Neu- rogliazellen tritt, und lässt die Frage, inwieweit Wanderzellen im Spiel sind, offen. Senator leitet die eigentlichen Körnchenzellen von den fixen Bindegewebszellen des Rückenmarkes sowie von den Gliazellen ab. Auch in unserem Fall ist es unwahrscheinlich, dass diese Masse einkörniger Fett- körnchenzellen aus dem Blute stammt, zumal dieselben im Innern der Ge- fässe nicht nachweisbar sind. Aber auch die Abstammung von gewucherten Gliazellen ist bei der völligen Erweichung der grauen Substanz nicht wahr- scheinlich. Es bleibt also die Abstammung von Zellen der Gefässwandungen, ! A. Goldscheider, Ueber Poliomyelitis. Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. XXIL S. 510. ° H. Senator, Zwei Fälle von Querschnittserkrankung des Halsmarkes. Zeit- schrift für klinische Mediein. Bd. XXXV. S. 30. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 139 die auch durch die besonders starke Anhäufung solcher Zellen um die letz- teren herum wahrscheinlich gemacht wird. Alsdann ist es nur schwierig, das Herausschleppen der Lycopodiumkörner aus den Gefässen zu erklären, man müsste denn annehmen, dass dieselben von Leukocyten in die Adven- titia hineingebracht und abgelagert werden, um dann hier von den ge- wucherten Adventitiazellen aufgenommen und in das erweichte Gewebe herausbefördert zu werden. Ist nun in unserem Fall die graue Substanz von den untersten Ab- schnitten des Sacralmarkes bis zum mittleren Lendenmark mit Ausnahme kleiner Partieen der Hinterhörner in toto erweicht, so entsteht die Frage, inwieweit die in der weissen Substanz nachweisbaren Degenerationen als secundäre, von der Zerstörung der Ganglienzellen der grauen Substanz ab- hängige betrachtet werden können. Lamy, der bei einem 3 Wochen am Leben gebliebenen Hunde starke Degeneration um die graue Substanz herum ohne Anordnung in Systemen beobachten konnte, bezweifelt den secundären Charakter dieser Degenerationen der weissen Substanz und stellt sich auf denselben Standpunkt, den Herter! bei den nach Aortenabklem- mung beim Kaninchen auftretenden Degenerationen der weissen Substanz einnimmt, dass es sich um myelitische Veränderungen handele. Es ist nun gewiss richtig, dass die in die weisse Substanz übergreifenden Erweichungen auf directe Einwirkung der Arterienembolie zurückzuführen sind, und in einer Reihe der von mir beobachteten Fälle waren dieselben derart stark, dass es zur Ausbildung einer Querschnittserkrankung des Rückenmarkes kam. Solche Fälle sind zum Studium der endogenen, in der weissen Substanz verlaufenden Fasern gänzlich ungeeignet. In dem oben geschilderten Fall aber greift die Erweichung nur in kleinen Bezirken und auf kurze Strecken auf die weisse Substanz über, und zwar auf beide Vorderseitenstränge bis an die Peripherie heran im Gebiet des oberen Sacral- und des unteren Lendenmarkes, ferner auf den linken Hinterstrang im Gebiet des unteren Lendenmarkes. Diese Gebiete sind daher zum Studium der endogenen Fasern nicht zu verwerthen. Dagegen waren im ganzen Verlauf des Sacral- und Lendenmarkes völlig erhalten die hinteren °/, der Seitenstränge, der . rechte Hinterstrang und beide Vorderstränge bis auf ein kleines, der grauen Substanz unmittelbar benachbartes Gebiet. In diesen erhaltenen Abschnitten der weissen Substanz ist auch nicht die geringste Spur einer Entzündung nachweisbar. An den Hämatoxylin- Eosinpräparaten ist hier weder eine Anhäufung von Fettkörnchenzellen, noch eine Gliawucherung fest- zustellen; in den Marchi-Präparaten entsprechen die Degenerationen in ! Herter, A study of experimental myelitis. Journal of nervous and mental diseases. New York 1889. April. 140 Max RoTHMANN: ihrer Anordnung vollkommen dem Bilde der secundären Degenerationen und sind auch in gesetzmässig schwächer und stärker degenerirte oder sogar degenerationsfreie Fasergruppen einzutheilen. Vor Allem aber spricht gegen die Annahme einer primären Erkrankung der weissen Stränge die Thatsache, dass diese Degenerationen keineswegs kurz nach dem Auftreten der Arterienembolie vorhanden sind, sondern z. B. in den Kleinhirnseiten- strangbahnen erst nach dem 10. Tage ihre volle Intensität erreicht haben. Ebenso wie Singer und Münzer die Anschauung Herter’s mit Erfolg zurückgewiesen haben, und mit der Marchi’schen Methode am Kaninchen- rückenmark, nach Ausschaltung des Lendenmarkgraus durch Verschliessung der Bauchaorta, sehr bedeutsame secundäre Veränderungen der weissen Substanz feststellen konnten, so müssen wir auch hier bei der Arterien- embolie der grauen Substanz des Sacral- und Lendenmarks die von Lamy entwickelten Sätze zurückweisen und können unbedenklich an das Studium der secundären Degeneration der weissen Substanz herantreten. I. Was zunächst die Frage der secundären Degenerationen in den erhaltenen Abschnitten der grauen Substanz betrifft, so sind die- selben in Form geschlossener Faserstränge überhaupt nicht nachweisbar. Kleinere Markschollen finden sich im oberen Lendenmark über das ganze Areal zerstreut, dabei werden jedoch die Hinterhörner auffallend rasch degenerationsfrei, ebenso die vordere und hintere graue Commissur, während die vordere weisse Commissur im oberen Lendenmark starke Degeneration aufweist. Weiter aufwärts in Brust- und Halsmark ist die graue Substanz völlig frei von Degeneration, vor Allem findet sich nicht die leiseste An- deutung der von Ciaglinski! beim Hunde beschriebenen, aufsteigend degenerirenden Bahnen in der grauen Substanz hinter dem Centralcanal, deren Existenz darnach mindestens zweifelhaft erscheinen muss. II. Betrachten wir von der weissen Substanz zuerst die Hinter- stränge, so ist der linke Hinterstrang für das Studium der endogenen Fasern nicht verwerthbar, weil im unteren Lendenmark die Erweichung einen beträchtlichen Theil desselben ergriffen hat, und daher auch eine aufsteigende Degeneration hinterer Wurzelfasern eingetreten ist. Dagegen ist der rechte Hinterstrang im ganzen Verlauf vom untersten Sacralmark an völlig intact geblieben, höchstens dass in den Abschnitten, in denen auch die hintere Commissur von der Erweichung ergriffen ist, einzelne Fasern der oberen Kuppe der cornu-commissuralen Zone direct zerstört sind. Gerade der Vergleich der Degeneration des rechten Hinterstranges mit der weit stärkeren des linken erleichterte nun die Feststellung der endogenen ! Adam Ciaglinski, Lange sensible Bahnen in der grauen Substanz des Rücken- markes und ihre experimentelle Degeneration. Neurolog. Centralblati. 1896. Nr. 17. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 141 Degeneration ungemein. Im untersten Sacralmark erstreckte sich dieselbe über das ganze Areal mit stärkster Entwickelung in der cornu-commissu- ralen Zone (ventrales Hinterstrangsfeldl) und dem medialen Theil an der Peripherie und fast völligem Freibleiben der cornu-radieulären und der Wurzeleintritts-Zone. Das Intactsein dieser Abschnitte ist allerdings wohl zum Theil auf das Erhaltensein der hinteren Hälfte des Hinterhornes zu beziehen, die auf der anderen Seite erweicht und von starker Degeneration der äusseren Hinterstrangsabschnitte umgeben ist. Schon im oberen Sacral- mark ist nur die cornu-commissurale Zone und ein ganz schmaler Streifen längs der Fissura post. degenerirt, während der übrige Hinterstrang nur spärliche Degenerationskörner aufweist, zu denen degenerirte Fasern durch den erhaltenen Kopf des Hinterhornes hinziehen. Besonders hinweisen möchte ich auf einige etwas stärker degenerirte Fasern in der eintretenden hinteren Wurzel, die sich sogar etwas über die Rückenmarksperipherie hinaus ver- folgen lassen. Auch im untersten Lendenmark sind solche Fasern noch nachweisbar, während die extramedullären Wurzeln im Uebrigen völlig intact sind. Ob es sich hier um centrifugale, aus der grauen Rückenmarks- substanz stammende Fasern handelt, ob um zufällige, vielleicht bei der Herausnahme des Rückenmarkes durch Zerrung entstandene, lässt sich nicht entscheiden. Wirkliche, centripetal verlaufende hintere Wurzelfasern sind es jedenfalls nicht, wie die Degenerationsfiguren in den höher gelegenen Hinterstrangsabschnitten beweisen. Im unteren und mittleren Lendenmark ist die cornu-commissurale Zone von der erweichten hinteren Commissur bis zur Mitte der Fissura post. hin stark degenerirt. Doch lassen sich in mit van Gieson nachgefärbten Marchi-Präparaten auch in diesem Gebiet eine beträchtliche Anzahl erhaltener Nervenfasern nachweisen. Im peri- pheren Theil des medianen Hinterstrangsabschnittes lässt sich nur eine spärliche, nach dem mittleren Lendenmark zu langsam an Intensität zu- nehmende Degeneration constatiren, mit Ausnahme eines kleinen dreieckigen, stärker desenerirten Bezirkes am Winkel von Peripherie und Fissur. Das Hinterhorn ist in dieser Höhe vollständig erhalten; durch dasselbe hindurch strahlen degenerirte Faserzüge in die cornu-commissurale Zone ein, während die lateralen Hinterstrangsabschnitte nur spärliche Degenerationsschollen zeigen, im scharfen Gegensatz zu dem linken Hinterstrang, in welchem die dem erweichten Hinterhorn benachbarten lateralen Abschnitte starke Dege- neration erkennen lassen. Im oberen Lendenmark, in dem die graue Sub- stanz völlig frei von Erweichung ist, beginnt die Degeneration in der cornu- commissuralen Zone langsam von der hinteren Commissur und dem inneren Rande des Hinterhornes abzurücken; auch in dem degenerirten Abschnitt derselben sind die normalen Fasern entschieden reichlicher geworden. Da- gegen beginnt jetzt allmählich ein stärkerer Degenerationsstreifen am vorderen 142 Mıx RoTHMANN: Abschnitt der dorsalen Hälfte der Fissura post. aufzutreten, der ventral- wärts in die cornu-commissurale Degenerationszone übergeht. Das degene- rirte Dreieck am Winkel von Fissur und Peripherie lässt immer mehr gesunde Fasern erkennen, zwischen denen die Degenerationsschollen ver- theilt sind. Im unteren Brustmark sammelt sich dann die Hauptmasse der degenerirten Fasern in einem an die Fissura post. angrenzenden Bezirk im ventralen Theil der hinteren Hälfte des Goll’schen Stranges, während sowohl der peripherste Abschnitt als auch die ventrale Hälfte des Goll’- schen Stranges nur spärliche degenerirte Fasern aufweisen, die letztere unter Freilassung eines schmalen, völlig normalen Streifens an der hinteren Fissur. 3 Uebersichtsbild der endogenen Degeneration des rechten Hinterstranges. 1 Sacralmark, 2 unteres, 3 mittleres, 4 u. 5 oberes Lendenmark, 6 unteres, 7 mittleres, 8 oberes Brustmark, 9 Halsmark. a = Endogenes ventrales Hinterstrangsfeld. 5 = Endogenes dorsales Hinterstrangsfeld. ce = TractusZsepto-marginalis. (?) Dagegen zeigt der linke Hinterstrang eine compacte Degeneration im Goll’- schen Strang von der Peripherie bis herauf zur hinteren Commissur in der bekannten Keilform. Im mittleren Brustmark rückt die stark degenerirte Zone des rechten Hinterstranges immer mehr nach hinten und nimmt jetzt, ebenso wie die Degeneration des linken Hinterstranges, ein keilförmiges Ge- biet in der dorsalen Hälfte des Goll’schen Stranges ein, das jedoch in den periphersten Abschnitten nur sehr schwach degenerirt ist. Aber selbst in den am stärksten degenerirten Gebieten sind zahlreiche normale Nerven- fasern zwischen den Degenerationsschollen erkennbar. Die Degeneration ist dann weiter herauf im oberen Brust- und Halsmark in der dorsalen Hälfte des G@oll’schen Stranges bis zum Nucleus gracilis herauf zu verfolgen; sie SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 143 nimmt stets dasselbe Gebiet wie die des linken Hinterstranges ein, nur dass sie weit schwächer ausgebildet ist. Einzelne degenerirte Fasern sieht man die Fissura post. entlang zur hinteren Commissur hinziehen. Die endogenen Fasern der Hinterstränge haben in den letzten Jahren vielfach die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen. Die- selben sind vorwiegend beim Menschen an Rückenmarken mit Erkrankung der hinteren Wurzeln durch Compression derselben oder bei Tabes dorsalis untersucht worden, indem man die bei ausgedehnten Wurzelerkrankungen normal gebliebenen Fasergebiete als endogene ansprach. In einer 1897 erschienenen Monographie über die Tabes dorsalis hat Philippe! eine aus- führliche Auseinandersetzung der endogenen Fasersysteme der Hinterstränge gegeben. Er unterscheidet absteigende endogene Zonen, als welche er das Schultze’sche Comma in Hals- und Brustmark, ein peripheres Band in Brust- und Lendenmark, das Flechsig’sche Centrum ovale im Lenden- mark und den medianen dreieckigen Strang im unteren Sacralmark und Conus terminalis bezeichnet. Diese Zonen setzen einen Faserstrang zu- sammen, der in allen Abschnitten kurze, mittlere und lange Fasern ent- hält. Diese bereits 1894 von Gombault et Philippe? entwickelte An- schauung hat durch die Untersuchungen Flatau’s? einen Stoss erlitten, der mit Sicherheit die Zusammensetzung des Schultze’schen Bündels aus absteigenden Hinterwurzelfasern nachweisen konnte. Allerdings lässt er die Möglichkeit offen, dass spärliche Conjunctionsfasern (endogene Fasern) den- selben Verlauf nehmen. Als aufsteigende endogene Fasern schildert Phi- lippe die besonders in Hals- und Lendenauschwellung in der cornu-com- missuralen Zone verlaufenden Fasern, die mit den in die graue Substanz einstrahlenden Wurzelfasern vermischt sind. Gleichfalls auf das Studium der bei Tabes und Compression in der Cauda equina frei bleibenden Hinter- strangsfelder gestützt, unterscheidet Bruce‘ ein aufsteigendes, degeneri- rendes Bündel endogener Fasern in der cornu-commissuralen Zone vom Conus bis zum untersten Dorsalmark und eine absteigende Bahn (Tractus septo-marginalis), die nach Verletzung der oberen Lumbalsegmente ab- steigend degenerirt. Marie? betont auf Grund seiner Studien der Hinter- ı M. Philippe, Ze zabes dorsalis. Etude anatomo-clinique. Paris 1897. ® J. Gombault et Philippe, Contribution & l’etude des lesions systenatisees dans les cordons blancs de la mo&lle Epiniere. Arch. de medicine experim. 1894. T. VI. aleaitauen ara Oo: * Alexander Bruce, On the endogenous or intrinsic fibres in tke lumbo-sacral region of the cord. Brain. 1897. Vol. LXXIX. p. 261. 5 Pierre Marie, Etude comparative des lesions medullaires dans la paralysie generale et dans le tabes. Gazette des höpitaux. 1894. p.55. — Derselbe, De Porigine exogene ou endogene du cordon posterieur etudiees comparativement dans le tabes et dans la pellagre. La semaine medicale. 1894. p. 17. 144 MıAx RoTHMANN: strangserkrankungen bei Paralyse und Pellagra, denen er endogenen Ursprung zuschreibt, den endogenen Charakter der Zone cornu-commissurale und der Zone posterieure interne (hintere Wurzelzone, Flechsig). Die Goll’schen Stränge enthalten nach ihm endogene und exogene Fasern, von denen erstere gleichfalls nach aufwärts ziehen, jedoch wahrscheinlich mit kürzerem Verlauf als die exogenen. Sie kommen von den Cellules du cordon pos- terieur. Auch Pineles! findet bei der Tabes im Sacralmark das ventrale Hinterstrangsfeld und ein dorso-mediales Bündel frei von Degeneration. Dufour ° grenzt auf Grund der nicht degenerirten Partieen des Sacralmarkes in einem Fall von Compression der unteren Rückenmarkswurzeln von der dritten Jumbaren abwärts durch ein Endotheliom zwei Systeme absteigender endogener Fasern ab, ein vorderes kurzes, ein hinteres sehr langes, daneben kurze aufsteigende endogene Fasern in der cornu-commissuralen Zone. Auch Redlich ? constatirt das Freibleiben des ventralen Hinterstrangsfeldes bei der Tabes, selbst wenn alle hinteren Wurzeln erkrankt sind. Zu dem gleichen Resultat gelangt Sottas“ bei Läsionen der hinteren Wurzeln. Dagegen betonen Souques et Marinesco® ebenso Dejerine et Spiller,* dass die cornu-commissurale Zone zahlreiche Wurzelfasern ent- hält. Flatau’ fasst dieses ventrale Hinterstrangsfeld sogar hauptsächlich als Durchtrittsstelle für die auf- und absteigenden Hinterwurzelfasern auf, neben denen die Conjunctionsfasern (endogene Fasern) nur sehr gering an Zahl sein können. Er stützt sich hierbei noch besonders auf die entwicke- lungsgeschichtlichen Ergebnisse von Lenhossek,® der bei keiner Hinter- strangszelle den Fortsatz in das cornu-commissurale Gebiet eintreten sah. Dem gegenüber lässt v. Bechterew” aus den Zellen des Hinterhornes und der Clarke’schen Säulen zahlreiche Fasern in das Burdach’sche und ! F.Pineles, Die Veränderungen im Sacral- und Lendenmark bei Tabes dorsalis. Arbeiten aus dem Institut für Anatomie und Physiologie des Centralnervensystems. Wien 1896. ® Henri Dufour, Sur le groupement des fibres endogenes de la moelle dans les cordons posterieurs. Archives de neurolog. VIII. 1896. Vol. II. Nr. 8. 3 Emil Redlich, Die hinteren Wurzeln des Rückenmarkes und die pathologische Anatomie der Tabes dorsalis. Jahrbücher für Psychiatrie. 1896. Bd. XI. | * J. Sottas, Contributions a l’etude des degenerescences de la mo&lle consecutives aux lesions des racines posterieures. Zevue de medecine. 1893. T. XIll. p. 290. 5A, Souques et Marinesco, Degenerations ascendantes de la moelle. Presse medicale. 1895. $ J. Dejerine et W. G. Spiller, Contributions a l’etude de la texture des cordons posterieurs de la moölle epiniere. Comptes rendus de la Societe de Biologie. 1895. Nr. 27. " Flatau, 2.2.0. ® Lenhossek, Der feinere Bau des Nervensystems. 1895. ® v. Bechterew, Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark. Leipzig 1894. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUnDe. 145 Goll’sche Bündel eintreten, besonders im Lumbal- und Sacralmark. End- lich kommt Flechsig! bei seiner Eintheilung der Hinterstränge auf Grund der fötalen Zonen bei keiner derselben zu einer sicheren Verbindung mit Zellen der grauen Substanz; die von Bechterew aufgestellte endogene Entwiekelung der Goll’schen Stränge hält er für sehr unwahrscheinlich. Im Ganzen kann man sagen, dass bisher den endogenen Hinterstrangs- fasern nur ein sehr geringer Antheil an dem Aufbau der Hinterstränge eingeräumt worden ist, die man sich fast ausschliesslich aus hinteren \Wurzelfasern zusammengesetzt dachte. So kommen v. Leyden und Gold- scheider? zu dem Schluss, dass die Hinterstränge grösstentheils wahr- scheinlich fast lediglich aus den Fortsetzungen hinterer Wurzelfasern be- stehen, und die Beimischung solcher Fasern, welche aus Ganglienzellen des Rückenmarkes entspringen, jedenfalls äusserst geringfügig ist. Die endogenen Fasern werden von allen Forschern lediglich als Commissurenfasern, welche die verschiedenen Abschnitte des Rückenmarkes mit einander verbinden, bezeichnet. Nur beim Kaninchen, nach Ausschaltung des Lendenmarkgraus durch Aortenabklemmung, gelang es Singer und Münzer,? im Lendenmark eine diffuse Degeneration der Hinterstränge, die an der hinteren Commissur etwas dichter wird, zu constatiren und dieselbe am hinteren Rand der Goll’schen Stränge bis zum obersten Halsmark nachzuweisen. Sie betonen deshalb, dass in den Hintersträngen aus der grauen Substanz kommende Fasern den aus den hinteren Wurzeln stammenden beigemischt sind. Genauer haben dann Münzer und Wiener‘ diese endogenen Hinter- strangsdegenerationen beschrieben, die nur nach Zerstörung des gleich- seitigen Hinterhornes auftraten. „Diese Fasern liegen im Lendenmark ziemlich zerstreut über das Gebiet des Hinterstranges und treten längs der sanzen Peripherie des Hinterhornes in den Hinterstrang, allerdings in etwas diehterer Anordnung in der Gegend der hinteren Commissur, sammeln sich bei weiterem Verlauf nach aufwärts gegen die mediane Raphe hin, kommen im Cervicalmark ganz in den Goll’schen Strang zu liegen und sind bis in den Goll’schen Kern zu verfolgen. Sie stammen aus Hinterhornzellen - im Lendenmark.“ Mit diesen Ergebnissen stimmt auch Sarbö°? überein. Diesem Nachweis langer endogener Hinterstrangsbahnen beim Kanin- chen kann ich nun auf Grund obiger Untersuchung denselben Befund beim ! Paul Flechsig, Ist die Tabes dorsalis eine Systemerkrankung? Neurologisches Centralblatt. 1890. Nr. 2 u. 3. ? v. Leyden und Goldscheider, Die Erkrankungen des Rückenmarkes und der Medulla oblongata. I. Allgemeiner Theil. S. 23. ® Singer und Münzer, a.a O. * Münzer und Wiener, a.2. 0. 5 Sarbo, 2.2. 0. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 10 146 Max RoTHMANnNN: Rückenmark des Hundes anreihen. Die Degeneration ist hier noch wesent- lich intensiver als beim Kaninchen und dies ist um so bemerkenswerther, als der dorsale Abschnitt des Hinterhornes von der Erweichung fast frei geblieben war. Es ergiebt sich hieraus mit Sicherheit, dass diese endo- genen Fasern der cornu-commissuralen Zone, die allerdings ein grösseres Areal einnimmt, als die nach Tabespräparaten abgebildete, im Wesentlichen von der Basis des Hinterhornes abstammen und durch die hintere Com- missur und nur zum kleineren Theil durch das Hinterhorn in den Hinter- strang einstrahlen, während die Zerstörung des Hinterhornes selbst vor- wiegend die benachbarten lateralen Hinterstrangsabschnitte zur Degeneration bringt, aus denen lange endogene Fasern nicht abzustammen scheinen. Interessant ist die Ansammlung dieser endogenen Fasern am Uebergang vom Lenden- und Brustmark in einem an der hinteren Fissur gelegenen Bezirk in der dorsalen Hälfte des Goll’schen Stranges, der die Peripherie nicht erreicht; ein Feld, das ich vorschlagen möchte als dorsales endo- senes Hinterstrangsfeld zu bezeichnen, im Gegensatz zum ventralen endogenen Hinterstrangsfeld (Zone cornu-commissurale Marie’s) und das nicht mit dem Flechsig’schen Centrum ovale verwechselt werden darf. In beiden endogenen Hinterstrangsfeldern sind jedoch auch Fasern nicht endogenen Ursprunges erkennbar, die von den hinteren Wurzeln abstammen und daher im rechten Hinterstrange unseres Falles nicht degenerirt sind. Weiter aufwärts sind die hinteren Wurzelfasern und die langen endogenen Fasern des Lumbosacralmarkes im hinteren Drittel des Goll’schen Stranges innig gemischt; hieraus erklärt sich auch wohl, dass diese endogenen Fa- sern bisher nicht erkannt wurden. Denn wie bei der Weigert’schen Methode, welche die gesunden Fasern schwarz heraushebt, eine geringe zerstreute Degeneration leicht übersehen wird, so verdecken bei der Marchi’- schen Methode die schwarzen Schollen der degenerirten Fasern leicht die in geringer Zahl vorhandenen normalen Fasern. Der Unterschied im Ver- lauf der endogenen und exogenen Fasern tritt nun in unserer Beobachtung beim Vergleich beider Hinterstränge deutlich hervor. Während vom linken Hinterstrang, in dem endogene und exogene Fasern degenerirt sind, bis zum unteren Brustmark herauf die Einstrahlung degenerirter Faserzüge in die Clarke’sche Säule und feinkörnige Degeneration um die Ganglienzellen derselben herum constatirt werden kann, sind die entsprechenden Faserzüge des rechten Hinterstranges mit intacten Wurzelfasern normal, und die rechte Clarke’sche Säule zeigt kaum eine’Andeutung der feinkörnigen Degeneration. Nach der völligen Uebereinstimmung, welche der Aufbau des Hinter- stranges aus hinteren Wurzelfasern beim Hunde und Menschen zeigt, dürfte es nicht ailzu gewagt sein, auch beim Menschen die Existenz langer zu den Hinterstrangskernen aufsteigender endogener Fasern anzunehmen. Dass SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 147 damit der Rückenmarkspathologie, vor Allem der Entwickelung der Tabes dorsalis, neue Fragen gestellt werden, will ich an dieser Stelle nur an- deuten. Die von Philippe entwickelte Anschauung, dass bei der Tabes nicht nur die exogenen, sondern auch die endogenen Hinterstrangsfasern erkranken, erscheint hierdurch wesentlich gestützt, da der dorsale Theil des Goll’schen Stranges bei vorgeschrittener Tabes fast immer in toto degenerirt ist. Es zeigt sich nun im Lendenmark bei unserem Hunde noch ein kleines Dreieck am Winkel von Fissura post. und Peripherie degenerirt, das dem Tractus septo-marginalis (Bruce) entspricht. Eine derartige Zone fand auch Redlich! bei der Tabes im Lendenmark frei von Degeneration und suchte sie durch erhaltene Wurzelfasern des Sacralmarkes zu erklären. Da es in unserem Fall immerhin möglich schien, dass im Conus terminalis die Erweichung von der grauen Substanz auf die Hinterstränge übergegriffen hätte, und die Degeneration in Folge Läsion der Wurzelfasern der Nn. coccygei aufgetreten wäre, so zerlegte ich den nach Marchi behandelten Conus ter- minalis in Serienschnitte (Taf. V, Fig. 1). Es ergiebt sich nun in der That, dass etwa von der Mitte des Conus terminalis ab die Erweichung, welche die graue Substanz bis zum Filum terminale herab in toto ergriffen hat, beträchtlich auf die weisse, hier bereits zu einem schmalen Band gewordene Substanz übergreift, besonders auf Vorder- und Vorderseitenstränge bis an die Peripherie heran, aber auch auf die Hinterstränge. Dieselben zeigen im oberen Theil des Conus eine diffuse Degeneration, die nur die äusseren Abschnitte, die an den hier erhaltenen Kopf des Hinterhornes anstossen, verschont hat. In der Mitte des Conus sind die ventral gelegenen Partieen beider Hinterstränge in die Erweichung einbegriffen, während die erhalten gebliebenen peripheren Streifen stärkste Degeneration des ganzen Areals aufweisen. Dabei sind die eintretenden Wurzeln der Nn. coccygei frei von Degeneration. Diese starke Degeneration der Hinterstiänge, in den ven- tralen Partieen mit reichlichen Fettkörnchenzellen gemischt, lässt sich dann bis zur ersten Anlage der Hinterstränge im untersten Theil des Conus verfolgen. Nach diesen Ergebnissen muss man das kleine dreieckig degenerirte Feld im Lendenmark wohl auf Hinterwurzelfasern der Nn. coceygei be- ziehen; dabei bleibt allerdings die Frage offen, ob in diesem Areal auch endogene absteigende Fasern verlaufen. Dass im Conus terminalis kurze endogene Fasern über den ganzen Querschnitt des Hinterstranges vertheilt sind, darauf weist die Thatsache hin, dass in den Partieen, in welchen der Kopf des Hinterhornes erhalten ist, auch die Hinterstrangsdegeneration in den lateralen Partieen fast ganz verschwindet. Zrediichsa,a. 0. 148 Mıx ROTHMANnNN: Wir gelangen also in Bezug auf die endogenen Fasern der Hinter- stränge zu folgendem Schluss: Aus der grauen Substanz des Sacral- und Lendenmarks ziehen zahlreiche Fasern in die Hinterstränge hinein, die im Sacral- mark fast über das ganze Areal derselben verbreitet sind, im Lendenmark vorwiegend die cornu-commissurale Zone ein- nehmen (ventrales endogenes Hinterstrangsield). Diese auf- wärts degenerirenden Fasern ziehen zum grossen Theil bis zu dem Goll’schen Kern der Medulla oblongata herauf, indem sie am Uebergang von Brust- und Lendenmark, durch neue endo- oene und radiculäre Fasern dorsal- und medialwärts gedrängt, sich in einem Feld im vorderen Theil der dorsalen Hälfte des Goll’schen Stranges an der Fissura post. ansammeln (dorsales endogenes Hinterstrangsfeld) und vom mittleren Brustmark an im hinteren Abschnitt des Goll’schen Stranges, innig gemischt mit den aus denselben Rückenmarksabschnitten stammenden Wurzelfasern, bis herauf zum Goll’schen Kern ziehen. Diese Ergebnisse an den Hintersträngen sind geeignet, den Satz Fajerszhajn’s! zu bestätigen, dass es nach vollendeter Rückenmarks- entwickelung keine reinen, ausschliesslich einen Faserstrang führenden Systeme giebt. III. Die Vorder- und Seitenstränge. In diesen Strängen hat die Erweichung von den Vorderhörnern aus auf die Vorderseitenstränge im oberen Sacral- und unteren Lendenmark übergegriffen und ist hier bis an die Peripherie vorgedrungen. Dagegen sind die hinteren Abschnitte der Seitenstränge mit den wichtigen Stranggebieten der Py.S. und der Kl.S. im ganzen Verlauf des Rückenmarkes vom untersten Conus terminalis an durch das ganze Sacral- und Lendenmark völlig intact geblieben. a) Bereits im Conus terminalis ist beiderseits unmittelbar vor der Lissauer’schen Zone vom unteren Theil des mittleren Drittels desselben an eine kleine Gruppe grob degenerirter Fasern an der Peripherie sicht- bar, die sich deutlich von den feiner degenerirten Fasern der Umgebung abhebt. Diese Fasergruppe nimmt nach aufwärts etwas an Ausdehnung zu und behält dauernd ihren Platz am hintersten Abschnitt der Seiten- strangsperipherie, scharf von der nur sehr schwach degenerirten Umgebung sich abhebend. Erst im mittleren Lendenmark beginnen auf der rechten Seite, wo Hinterhorn, Basis und Theile des Vorderhornes der grauen Sub- 1 J. Fajerszhajn, Untersuchungen über Degenerationen nach doppelten Rücken- marksdurchschneidungen. Neurologisches Centralblatt. 1895. S. 339. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 149 stanz erhalten sind, normale grobe Nervenfasern in den nach innen ge- legenen Theilen dieses Faserstranges aufzutreten, während derselbe links noch vollständig degenerirt ist. Vom oberen Lendenmark an mischen sich beiderseits von innen und dorsalwärts normale Fasern dem Degenerations- bezirk bei, so dass derselbe etwas ventralwärts verschoben wird. Die De- generation lässt sich nun durch das ganze Brust- und Halsmark im hintersten Abschnitt der Kl.S. nach aufwärts verfolgen, ist links etwas inten- siver als rechts und nimmt nach oben langsam an Zahl der degenerirten Fasern ab. In der Höhe der Pyramidenkreuzung ist ‘kein geschlossener degenerirter Faserstrang vorhanden, sondern die degenerirten Fasern sind in spärlicher Zahl über das ganze Areal der Kl.S. vertheilt. Höher hinauf wurde die Bahn nicht verfolgt. Dass hier eine Degeneration im Gebiet der Kleinhirnseitenstrang- bahn vorliegt, das beweist die Lage derselben im Brust- und Halsmark, ferner die Form der einzelnen Nervenfaser, die an Umfang die Fasern der benachbarten Gebiete wesentlich übertrifft. Ueber den Beeinn der Klein- hirnseitenstrangbahn in den unteren Rückenmarksabschnitten sind bisher keine völlig sicheren Ergebnisse erzielt worden. In den meisten Lehr- büchern findet man die Angabe, dass dieselbe im unteren Brustmark oder im oberen Lendenmark zuerst auftritt. Kahler und Pick! geben die Höhe der 9. Dorsalwurzel an, Schultze? die der 10., Tooth? sogar die der 8., Singer und Münzer* betonen, dass die Kleinhirnseitenstrangbahn erst etwa von dem oberen Ende des Lendenmarkes vollständig formirt sei, zumal da dieselbe nach Ausschaltung des Lendenmarkgrau beim Kaninchen nicht degenerire. Flechsig,° der eigentliche Entdecker dieser Bahn, kommt auf Grund seiner Studien an menschlichen Föten zu dem Schluss, dass „von der Grenze des 2. bis 3. Lendennerven an sich an der Aussenseite der Py.S. nur noch einzelne Längsfasern finden, die auf Grund ihrer Ent- wickelung u. s. w. zur directen KI.S. zu stellen sind, allmählich ver- schwinden auch sie.“ Ferner sagt er: „In die Region des 2. Lenden- . nerven haben wir überhaupt die Formirung der directen Kleinhirnbahnen als selbständiges Bündel zu verlegen.“ | Es fehlen jedoch nicht vereinzelte Angaben, die einen tieferen Ursprung ! Kahler und Pick, Weitere Beiträge zur Pathologie und pathologischen Ana- tomie des Centralnervensystems. Archiv für Psychiatrie. Bd.X. ® Schultze, Archiv für Psychiatrie. Bd. XIV. ° Tooth, The Guldonian lectures on secondary degenerations of the spinal cord. British med. Journal. 1889. * Singer und Münzer, a.a. 0. ® Flechsig, Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark. Leipzig 1876. S291. 150 Max RoTauMaAnRN: der Kl.S. wahrscheinlich machen. Bereits Flechsig selbst bildet in der Gegend des 4. Lendennerven eine deutliche Kl.S. an der Peripherie ab, in den inneren Partieen mit Py.S.-Fasern vermischt und nicht bis an die hinteren Wurzeln heranreichend.” Auerbach? hat bei zwei Katzen die hinteren Rückenmarkspartieen experimentell entfernt, einmal vom 1. Sacral- nerven bis zum 2. Lendennerven, das andere Mal vom 2. bis 5. Lenden- nerven, und stellt beide Male Degenerationen der KI.S. fest, im ersten Fall vorwiegend im hinteren Abschnitt derselben. Barbacci? constatirt bei zwei Fällen von Druck auf das Rückenmark in Höhe der Lumbal- anschwellung aufsteigende Degeneration der Kl.S. und stellt bei Hunden und Katzen selbst nach Rückenmarksverletzung im Höhe des 26. Spinal- nervenpaares die aufsteigende Degeneration im Seitenstrang fest. Pellizzi*® bekommt sogar nach rechtsseitiger Hemisection des Rückenmarkes in Höhe der 2. Sacralwurzel eine aufsteigende Degeneration der Kl.S. durch das ganze Rückenmark. Auch Flatau? constatirt nach Querdurchtrennung des Rückenmarkes im 4. Lumbalsegment beim Hunde eine deutliche Degene- ration der K1.S., die bis in das Corpus restiforme verfolgt werden kann. Er betont ferner, dass bei absteigender Degeneration der Py.S. nach Quer- durchtrernung des Rückenmarkes, sei es im unteren Hals- oder im untersten Brustmark, der dorsale Abschnitt der Kl.S. bis in das Sacralmark degene- rationsfrei bleibt. „Es scheint also dieser hintere Abschnitt, wenigstens beim Hunde, der KI.S. dasjenige Gebiet darzustellen, wo die distalsten, damit auch die längsten Fasern der KI.S. (die von den lumbosacralen Stilling’schen Zellen event. von den Clarke’schen Säulen kommen) ihren Sitz haben.“ Geht es bereits nach diesen Ergebnissen nicht mehr an, die KI.S. beim Menschen und den höheren Säugethieren erst im oberen Lenden- mark oder gar im Brustmark ihren Anfang nehmen zu lassen, so weist die Ausschaltung des Sacral- und Lendenmarkgraus beim Hunde die Existenz dieser Bahn bis tief in den Conus terminalis hinein nach, so dass die- selbe in den ersten Anfängen noch tiefer herabzureichen scheint als die an (Ola RIO, hier 2 ® Leopold Auerbach, Beitrag zur Kenntniss der ascendirenden Degenerationen des Rückenmarkes und zur Anatomie der Kleinhirnseitenstrangbahn. Virchow’s Archiv. 1891. Bd. CXXIV. 8. 149. 3 Ottoue Barbacci, Die seeundären systematischen aufsteigenden Degenera- tionen des Rückenmarkes. Centralblatt für allgemeine Pathologie und pathologische Anatumie. 1891. Nr. 9. * Pellizzi, Sur les degenerescences secondaires dans le systeme nerveux central a la suite de lesions de la mo&lle et de la section de racines spinales. Arch. italiennes de Biologie. 1895. T.XXIV. > Flatau, a.a. 0. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 151 letzten Endigungen der Py.S. Der sacrolumbale Antheil der KI.S. liegt im hintersten Abschnitt dieser Bahn, nimmt im aufsteigenden Verlauf an- dauernd Fasern aus der grauen Substanz auf, giebt ‘aber auch solche wieder an die graue Substanz ab, wie die langsame Abnahme der Zahl der degenerirten Fasern im oberen Brust- und Halsmark beweist. In Fällen von Halb- und Ganzdurchtrennung des obersten Lendenmarkes beim Hunde konnte ich ferner im unteren Lenden- und Sacralmark, in Uebereinstimmung mit Flatau, diese Fasern als schmales undegenerirtes Bündel an der Peripherie der stark degenerirten Pyramidenseitenstrangbahn nachweisen. Es muss sich bei Fällen tiefer Rückenmarkscompression beim Menschen feststellen lassen, ob hier derselbe undegenerirte Streifen an dem dorsalen Theil der Peripherie der Pyramidenseitenstrangbahn existirt, oder ob wirk- lich, wie bisher allgemein gelehrt wird, auch hier die Py.S. bis an die Peripherie herangerückt sind. Wir können also in Bezug auf die Kleinhirnseitenstrangbahnen folgenden Satz aufstellen: Die Kleinhirnseitenstranebahn ist im Sacral- und Lenden- mark als compactes Bündel grober Nervenfasern an der hin- tersten Peripherie des Seitenstranges nachweisbar und in ihren letzten Ausläufern bis in die unteren Partieen des Conus ter- minalis zu verfolgen. Sie degenerirt nach Zerstörung der grauen Substanz des untersten Rückenmarksabschnittes (Sacral- und Lendenmark) aufsteigend bis herauf zum Corpus restiforme. b) Im ganzen Verlauf des Conus terminalis und im Sacralmark ist das Areal der Pyramidenseitenstrangbahnen von einer feinkörnigen Degeneration erfüllt, zwischen der vereinzelte grobkörnige, offenbar zur KI.S. hinziehende degenerirte Fasern erkennbar sind. Zwischen den degenerirten Fasern sind in allen Abschnitten zahlreiche, gut erhaltene Nervenfasern erkennbar. In dem oberen Sacralmark, in dem das rechte Hinterhorn erhalten ist, wird die Degeneration der rechten Py.S. entschieden schwächer. Dieselbe hebt sich im unteren Lendenmark als fast völlig degenerations- frei von der Umgebung ab, wiewohl auch hier nur das Hinterhorn von der Erweichung verschont ist; dagegen zeigt links das ganze Areal der Py.S. Degeneration, die allerdings hinter den anderen Gebieten des Seitenstranges an Intensität zurücksteht. Im mittleren Lendenmark ist auch die linke Py.S. bis auf wenige Fasern frei von Degeneration, die rechte völlig degene- Tationsfrei. Weiter aufwärts sind dann beide Py.S. bis herauf zur Pyramiden- kreuzung normal. Dass in dem Gebiet der Py.S. noch andere Fasern als die eigentliche von der Grosshirnrinde kommende Pyramidenbahn verlaufen, ist schon 152 MAx ROTHMANnNN: lange bekannt. Bouchard! betont bereits 1866, dass hier auch lange und kurze Commissuralfasern des Rückenmarkes verlaufen, die oleichfalls absteigend degeneriren; deshalb ist die Degeneration der Py.S. nach Rücken- marksverletzung wesentlich grösser als bei Hirnherden. Es gelang dann Biedl? der Nachweis einer centrifugalen, im Pyramidenseitenstrang ver- laufenden Bahn, die vom Kleinhirn kommt und mit der Pyramide in keiner Beziehung steht. Ebenso stellen Münzer und Wiener® fest, dass nach Zerstörung der Grosshirnhemisphäre bei neugeborenen Kaninchen mit secundärer Atrophie der cortico-musculären Pyramidenbahn eine Rücken- marksdurchschneidung dennoch starke Degeneration der gekreuzten Pyra- midenseitenstrangbahn zur Folge habe. Ueber die von der grauen Substanz des Rückenmarkes in die Pyramidenseitenstrangbahn einstrahlenden Fasern sind unsere Kenntnisse bisher sehr lückenhaft. Bekanntlich hat Marie? in letzter Zeit den Versuch gemacht, die bei der amyotrophischen Lateral- sclerose und bei Pellagra zu beobachtende Degeneration der Pyramidenbahn im Rückenmark auf eine Affection der Ganglienzellen des Seitenstranges zurückzuführen. Ferner sind in den letzten Jahren eine Reihe von Beobach- tungen bekannt geworden, bei denen nach Querschnittläsionen des Rücken- markes eine aufsteigende (retrograde) Degeneration im Gebiet der Pyramiden- seitenstrangbahn mehrere Rückenmarkssegmente herauf festzustellen war. Auf Grund dieser Beobachtungen habe ich? selbst mich bemüht, die bei den combinirten Strangerkrankungen des Rückenmarkes auftretende, auf das Rückenmark beschränkte Erkrankung der Pyramidenbahn in Verbin- dung mit der Degeneration der Kl.S. und H.Str. auf eine primäre Er- krankung der grauen Substanz zurückzuführen. Dem gegenüber ist bei der experimentellen Ausschaltung des Lendenmarkgraus beim Kaninchen die Pyramidenseitenstrangbahn nach den Zeichnungen Singer und Münzer’s und Münzer und Wiener’s im Wesentlichen auch im Sacral- und Lendenmark frei von Degeneration; Sarbö allerdings zeichnet auch hier Degeneration ein. Unsere Beobachtung beim Hunde zeigt nun, dass in der That zahl- reiche degenerirte Fasern im Areal der Py.S. nach Ausschaltung der grauen Substanz des Sacral- und Lendenmaıkes auftreten. Dieselben zeichnen sich ! Ch. Bouchard, Des degenerations secondaires de la moölle Epiniere. Arch. generales de med. 1866. ® Arthur Biedl, Absteigende Kleinhirnbahnen. Neurolog. Centralblati. 1895, ® E. Münzer und Hugo Wiener, Beiträge zur Anatomie des Centralnerven- systems. Prager medicinische Wochenschrift. 1895. Nr. 14. * P. Marie, Sur la localisation des lesions medullaires dans la sclerose laterale amyotrophique. Semaine medicale. 1893. p. 533. > M. Rothmann, a.a. 0. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 153 durch besonders feines Kaliber aus und lassen dazwischen viele erhaltene Fasern erkennen, die offenbar die cerebralen und cerebellaren Fasern des Pyramidenseitenstranges darstellen. Diese Conjunctionsfasern (Flatau) werden in den tieferen Abschnitten des Rückenmarkes mit Abnahme der langen centrifugalen Fasern immer reichlieher; es sind wahrscheinlich vorwiegend abwärts degenerirende Fasern. Jedenfalls lässt es sich mit Sicherheit aus- schliessen, dass hier aufwärts degenerirende Fasern mit längerem Verlauf ihren Weg nehmen, da die Py.S. bereits in den mittleren Abschnitten des Lendenmarkes, in denen noch immer partielle Erweichung besteht, frei von Degeneration sind. Da die rechte Py.S. bereits im untersten Lendenmark, wo nur das Hinterhorn dieser Seite erhalten ist, fast degenerationsfrei ist, so müssen die in der Py.S. verlaufenden Conjunctionsfasern zum Theil aus dem Hinterhorn stammen, zumal die Fasern der anderen Seite in dieser Höhe noch Degeneration zeigen. Fragen wir nun aber, ob diese endogene Degeneration genüst, um die Erkrankung der Pyramidenseitenstrangbahn bei amyotrophischer Lateral- selerose, bei der Pellagra oder bei der combinirten Strangerkrankung von der grauen Substanz abzuleiten, so müssen wir dies unbedingt verneinen. Denn selbst in den Gebieten stärkster Degeneration im Sacralmark hebt sich dies Gebiet als wesentlich schwächer degenerirt von den umgebenden Partieen des Seitenstranges ab. Da wir nun bei der wesentlich stärkeren Entwickelung der eigentlichen Pyramidenbahn beim Menschen dort noch weniger Conjunctionsfasern im Areal der Pyramidenseitenstranebahn zu er- warten haben, so muss, glaube ich, dieser Erklärungsversuch aufgegeben werden. Auch eine retrograde Degeneration in den eigentlichen Pyramiden- fasern im Anschluss an eine Zerstörung ihrer Endigungen in der grauen Substanz in so grosser Ausdehnung ist nicht festzustellen; selbst bei dem 4 Wochen nach der Arterienembolie am Leben gebliebenen Hunde, bei dem die graue Substanz vom Conus terminalis bis zum mittleren Brustmark ausgeschaltet war, fehlt jede Spur einer solchen aufsteigenden Degeneration in der Pyramidenbahn. c) Ueber die übrigen Partieen der Vorder- und Seiten- stränge kann ich mich kurz fassen. Da in die Vorderseitenstränge an verschiedenen Stellen die Erweichung von der grauen Substanz aus hinein- gedrungen ist, so kann man hier die durch Ausschaltung der grauen Sub- stanz bedingte secundäre Degeneration nicht ganz rein verfolgen. Dies gilt allerdings nur für die Degeneration in den untersten Rückenmarks- abschnitten, in denen die graue Substanz zerstört ist, während die oberhalb der Erweichung nach aufwärts zu verfolgenden degenerirten Faserbahnen sich in nichts von denen nach isolirter Zerstörung der grauen Substanz unterscheiden können; denn alle diese Fasern der Vorder- und Seiten- 154 MAx RoTHMANN: stränge stammen von der grauen Substanz ab, bezw. ziehen durch dieselbe hindurch. Im Conus terminalis und im Sacralmark ist daher das ganze Areal der Vorder- und Seitenstränge von gleichmässiger Degeneration befallen. Im unteren Lendenmark ist dieselbe entschieden in den @renzgebieten der grauen Substanz intensiver als in den peripheren Abschnitten, in denen zahlreiche normale Fasern erkennbar sind. Auch im mittleren Lenden- mark sind die Grenzgebiete der grauen Substanz noch am stärksten de- generirt; doch lässt sich am Sulcus ant. beiderseits ein schmaler Streifen stärker degenerirter Fasern constatiren. Vom oberen Lendenmark an rückt die Degeneration langsam nach der Peripherie zu und nimmt hier die ganze Peripherie des Vorderstranges und des Vorderseitenstranges ein, während im hinteren Gebiet des Gowers’schen Stranges die Peripherie fast de- generationsfrei wird und die Degeneration bis dicht an die graue Substanz heranreicht. Im Brustmark ist diese Abweichung des Gowers’schen Stranges von der Peripherie nach innen noch deutlicher ausgesprochen, während in den vorderen ?/, des Suleus ant. und an der Peripherie des Vorder: und Vorderseitenstranges eine schmale Randzone degenerirt ist. Nach dem Halsmark zu wird die Degeneration immer schwächer und ist nur noch als ein schmales Band längs der Peripherie des Seiten- und Vorderstranges nachweisbar, in letzterem auch an der vorderen Hälfte des Sulcus ant. Im obersten Halsmark endlich wird der Vorderstrang fast ganz degenerations- frei, während die Peripherie des Seitenstranges eine schwache, in die Kl.S.- Degeneration übergehende Degenerationszone aufweist. Die hier erhaltenen Resultate stimmen fast völlig mit den nach Aorten- abklemmung beim Kaninchen erhaltenen Degenerationen im Vorder- und Seitenstrang überein, ebenso mit den von Flatau nach Querdurchtrennung des Rückenmarkes im 12. Dorsalsegment festgestellten Degenerationen. Sie geben also auch eine neue Bestätigung des Gesetzes von der excentrischen Lagerung der langen Bahnen im Rückenmark. Dass der Gowers’sche Strang bereits in den untersten Partieen des Lendenmarkes aus der grauen Substanz entspringt, wird bereits von Marie! betont und lässt sich durch unsere Beobachtung nur bestätigen. Derselbe muss jedoch, ebenso wie alle anderen degenerirten Partieen der Vorder- und Seitenstränge, auf seinem Verlauf zur Medulla oblongata Fasern an die graue Substanz des Rückenmarkes wieder abgeben, da die Zahl der degenerirten Fasern sich nach oben hin andauernd vermindert. Ja die aus Sacral- und unterem Lendenmark entspringenden Fasern des von Marie als „faisceau sulco- marginal ascendant“ bezeichneten Stranges am Suleus ant. und dem medialen ! Pierre Marie, Zecons sur les maladies de la mwelle. Paris 1892. p. 60 u. 63. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE, 155 Theile der Vorderstrangsperipherie sind im obersten Halsmark fast ganz geschwunden. Auch Marie hat bereits auf den kürzeren Verlauf dieser Bahnen im Verhältniss zum Gowers’schen Strang hingewiesen. Zum Schluss wollen wir noch einmal die Ergebnisse unserer Beob- achtune zusammenfassen: 1. Die nach dem Verfahren von Lamy ausgeführte Embolie der Rückenmarksarterien des Lenden- und Sacralmarkes führt zur Ausschaltung der grauen Substanz dieser Rückenmarks- abschnittte und ist in geeigneten Fällen zum Studium der se- cundären Degeneration der endogenen Fasern der weissen Sub- stanz zu verwerthen. 2. Die zur Embolie verwandten Lycopodiumkörner werden im Verlauf von 3 Wochen aus dem Arterienlumen in die Ad- ventitia geschleppt, wahrscheinlich durch die Leukocyten, und gelangen von hier aus sogar in daserweichte Gewebe der grauen Substanz. 3. Die graue Substanz ist vom Conus terminalis bis zum mittleren Lendenmark fast völlig erweicht. Die Erweichung greift nur im linken Hinterstrang und in beiden Vorderseiten- strängen auf kurze Strecken auf die weisse Substanz über, welche im Uebrigen primär nicht erkrankt ist. Lange, auf- steigende Faserbahnen in der grauen Substanz selbst existiren nicht. 4. In den Hintersträngen ist 3 Wochen nach der Embolie eine endogene Degeneration nachweisbar. Dieselbe ist im Conus terminalis und unteren Sacralmark über das ganze Areal der Hinterstränge ausgebreitet, nimmt vom oberen Sacralmark an vorwiegend das ventrale endogene Hinterstrangfeld (Zone cornu- commissurale) ein. Diese aufwärts degenerirenden Fasern ziehen am Uebergang von Brust- und Lendenmark allmählich dorsal- und medialwärts zu einem Feld im vorderen Theil der dorsalen Hälfte des Goll’schen Stranges an der Fissura post. (dorsales endogenes Hinterstrangsfeld) und erreichen vom mittleren Brustmark an im hinteren Viertel des Goll’schen Stranges, innig semischt mit den hinteren Wurzelfasern verlaufend, den Nueleus gracilis der Medulla oblongata. 5. Die Kleinhirnseitenstrangbahn tritt bereits in der oberen Hälfte des Conus terminalis im hintersten Abschnitt des Seiten- stranges auf und ist nach Zerstörung der grauen Substanz der 156 MAx RoTHMANN: untersten Rückenmarksabschnitte von hier an aufwärts de- generirend nachweisbar. 6. Im Gebiet der Pyramidenseitenstrangbahn verlaufen zahlreiche endogene Fasern, unter denen sich jedoch aufwärts degenerirende von längerem Verlauf nicht befinden. Eine retro- grade Degeneration der eigentlichen Pyramidenbahn ist nicht nachweisbar. 1. Das übrige Areal der Vorder- und Seitenstränge zeigt im Gebiet der Zerstörung der grauen Substanz überall degene- rirte Fasern mit stärkster Betheiligung der Randpartieen der grauen Substanz. Nach aufwärts degeneriren der Gowers’sche Strang und der faisceau sulco-marginal ascendant (Marie), beide mit nach oben langsam abnehmender Intensität. Es ist mir ein Bedürfniss, Hrn. Prof. H. Munk, in dessen Laboratorium ich nun seit 4 Jahren thätig bin und auch diese Arbeit angefertigt habe, an dieser Stelle meinen innigen Dank auszusprechen für das nie ermüdende Interesse und die Förderung, die er mir während dieser ganzen Zeit hat zu Theil werden lassen. SECUNDÄRE DEGENERATIONEN BEIM HUNDE. 197 Erklärung der Abbildungen. (Taf. V.) Figg. 1 bis 12. Rückenmarksschnitte nach Marchi behandelt. Die erweichten Partieen sind mit groben schwarzen Körnern gefüllt gezeichnet, die erhaltenen Abschnitte der grauen Substanz weiss gelassen. Die secundären Degene- rationen sind mit feinen schwarzen Punkten gezeichnet. Fig. 1. Conus terminalis.. — Fig. 2. Unteres Sacralmark. — Fig. 3. Mittleres Sacralmark. — Figg. 4 bis 6. Unteres Lendenmark. — Fig.7. Mittleres Lendenmark. — Fig. 8. Oberes Lendenmark. — Fig. 9. Unteres Brustmark. — Fig. 10. Mittleres Brust- mark. — Fig. 11. Unteres Halsmark. — Fig. 12. Oberes Halsmark. Fig. 15. Aus der erweichten grauen Substanz des unteren Lendenmarkes. a = Arterielles Gefäss mit zwei Lycopodiumkörnern in der verdickten Adventitia. b = Haufen von Lycopodiumkörnern in der stark verdickten Wandung einer Arterie, deren freies Lumen kurz davor sichtbar ist (Hämatoxylin-Eosin). Fig. 14. Arterielles Gefäss aus der erweichten grauen Substanz des unteren Lendenmarkes. a = Freiliegende, b = in Zellen eingebettete Lycopodiumkörner in der Adventitia. ce = Lycopodiumkörner in grossen ein- und zweikernigen Zellen ausserhalb der Gefässwandungen. Fig. 15. Oberes Lendenmark. a = Lycopodiumkorn in einem Arteriolus. b = Normale Ganglienzellen des Vorderhornes (Nissl-Präparat). Ein Beitrag zur Lehre von den Beziehungen zwischen Lage und Function im Bereich der motorischen Region der Grosshirnrinde mit specieller Rücksicht auf das Rindenfeld des Orbieularis oculi. Von Prof. Th. Ziehen in Jena, Ob innerhalb der Säugethierreihe homologen Rindengebieten des Gross- hirns dieselbe Function zukommt, ist noch wenig untersucht worden. Nur Hitzig und neuerdings Mann haben sich mit dieser Frage in eingeschränktem Sinne besonders beschäftigt. Letzterer! beschränkt sich auf die Carnivoren und die fast glatthirnigen Nager und Insectenfresser. Ersterer hat der Feststellung äquivalenter Regionen am Gehirn des Hundes, des Affen und des Menschen eine besondere Abhandlung gewidmet”? Er setzt dabei allenthalben voraus, dass physiologisch homologe Gebiete auch anatomisch homolog liegen.” So gelangt er dazu, eine Homologie zwischen dem $. supra- sylvius + ansatus und dem 8. centralis anzunehmen (a. a. 0. S. 136), eine Annahme, welche mit der vergleichenden Anatomie der Grosshirnoberfläche schlechterdings unverträglich ist; die Communication zwischen S. suprasylvius und S. ansatus, wie sie Hitzig auf Fig. 3 abbildet, ist ganz exceptionell, beide Furchen haben im Uebrigen nicht das Geringste mit einander zu thun.* Gerade, weil Hitzig durch die erwähnte Voraussetzung zu anato- misch unhaltbaren Folgerungen gelangt ist, ist eine Prüfung der Voraus- setzung dringend geboten. Dass sie im Gröbsten zutrifft, dass z. B. bei ı Journ. of Anat. and Physiol. Vol. XXX. ” Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874. S. 126. ® Auch Ferrier (#unetions of the brain. 1886) und Turner (Zeport on the seals. 1888. Vol. XXVI) gehen von dieser unbewiesenen Voraussetzung aus. * Vgl. die eingehende Darstellung von Kükenthal und mir, Jenaische Denk- schriften. Bd. III. 1. 8.193. Ta. ZIEHEN: BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNcCTIoN U. 8S.w. 159 allen Säugern die Sehsphäre im Oceipitallappen liegt, kann ohne Weiteres zugegeben werden. Es frägt sich nur, ob sie auch für die einzelnen Centren und einzelnen Furchen bezw. Windungen zutrifft. Es ergiebt sich daher die Aufgabe, zunächst die anatomische und die physiologische Untersuchung getrennt durchzuführen und dann ihre Ergeb- nisse zu vergleichen. Die Durchführung der anatomischen Untersuchung glaube ich im Laufe der letzten 9 Jahre bis zu einem gewissen Abschlusse gebracht zu haben. Die physiologische Untersuchung ist noch sehr im Rückstande: Wir kennen die Localisation der Rindenfunctionen bis jetzt nur bei einigen Primaten und einigen Carnivoren sowie bei dem Kaninchen wenigstens einigermaassen. Die übrigen Säugethierordnungen sind noch sehr wenig untersucht. Ich versuche in dieser Arbeit diese Lücke etwas zu verkleinern. Die nachfolgenden Ermittelungen beschränken sich zunächst auf ein einziges motorisches Rindencentrum, das Centrum des Orbicularis oculi. Ich wählte gerade dieses, weil es in einer Gegend gelegen ist, für welche die anatomischen Homologien besonders sicher festgestellt sind. Ausserdem hat es den Vortheil, dass es im Allgemeinen, wie schon Hitzig bemerkt, bei den schwächsten Strömen anspricht und sich daher gut isolirt ab- grenzen lässt. Die anatomische Nomenclatur bezieht sich auf die in meinen anato- mischen Arbeiten gegebenen Abbildungen und Darstellungen. Für den Affen bitte ich namentlich Fig. 21 (Makak) und Fig. 31 (Orang) der Primaten- arbeit, für die Carnivoren die Darstellung in der Jenaischen Denkschrift (S. 164 ff.), für die übrigen Ordnungen die Darstellung in der Monographie über die Monotremen und Marsupialier (S. 150 ff.) zu vergleichen. Eine aus- führliche Darlegung der anatomischen Thatsachen würde hier zu weit führen. Die physiologische Litteratur über das Centrum des Orbieularis oculi ist noch sehr spärlich. In der Abhandlung von Fritsch und Hitzig? ist nur für den Facialis im Allgemeinen „der mittlere Theil des supersylvischen Gyrus“, richtiger nach der Figur der vordere Abschnitt dieses Mitteltheiles als Innervationsort angegeben. In einer zweiten Mittheilung giebt Hitzig® ! Kükenthal und Ziehen, Ueber das Centralnervensystem der Cetaceen nebst Untersuchungen über die vergleichende Anatomie des Gehirns bei Placentaliern. Jenaische Denkschriften. Bd. III. 1. — Dieselben, Untersuchungen über die Grosshirnfurchen der Primaten. Jenaische Zeitschr. für Naturwissensch. N. F. Bd. XXII. — Ziehen, Das Centralnervensystem der Monotremen und Marsupialier. Ein Beitrag zur ver- gleichenden Anatomie des Wirbelthiergehirns. Jena 1897. — Derselbe, Anatomischer Anzeiger. 1890. — Derselbe, Archiv für Psychiatrie. Bd. XXVII. ® Hitzig, Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874. 8.13. ®A.a.0. 8.43. Vgl. auch 8.78 und Fig. 5, ferner S. 89. 160 TH. ZIEHEN: an, dass das Centrum der Augenmuskeln mit einem Theile des Facialis- centrums zusammenfällt, und zwar mit dem Centrum des Orbieularis oculi. Für die Katze ergab sich die analoge Localisation.' Bei dem Affen? fand sich das Centrum des Augenfacialis unmittelbar unterhalb des Vorderbein- centrums (noch oberhalb der Furche g). Die Orbiculariscontraction schien stets nur gekreuzt gewesen zu sein. In den grundlegenden Arbeiten Munk’s ist das Centrum des Orbieu- laris oculi in der sog. Augenregion einbegriffen.? Ist letztere links exstirpirt, so löst eine mechanische Reizung der Conjunctiva des rechten Auges wohl noch Blinzeln, aber keine anderweitigen Abwehrbewegungen aus. Nähert man dem rechten Auge rasch den Finger oder die Faust, so bleibt das normale Blinzeln aus, wofern man eine Berührung der Wimpern oder der Lider vermeidet. Ausser diesem Ausfall der Orbieulariscontraction auf optische Reize beobachtet man auch eine Beeinträchtigung der Rechts- wendung der Augen. Auch andere Augenbewegungen erschienen Munk geschädigt. Manchmal, nicht regelmässig, trat auch eine leichte vorüber- gehende Ptosis und ein vorübergehendes Thränen des betroffenen Auges auf, letzteres beim Affen öfter als beim Hunde. Die Munk’sche Augen- region reicht bei dem Hunde frontalwärts etwa bis zum S. ansatus, medial- wärts bis zur F. splenialis, lateralwärts bis zum Scheitel des S. ectosylvius, oceipitalwärts etwa bis zu einer Frontalebene, welche man sich durch den hinteren Fusspunkt des S. suprasylvius gelegt denkt. Bei dem Affen nimmt sie nach Munk den Gyrus angularis ein. Darunter versteht er hier, wie Fig. 4 angiebt, das ganze Rindengebiet, welches von den Furchen /, e und m meiner mit Kükenthal verfassten Abhandlung eingeschlossen wird. Pupillen- veränderungen wurden nach Exstirpation niemals beobachtet. In einer späteren Mittheilung Munk’s,* in welcher die bei Reizung der Sehsphäre auftretenden Augenbewegungen näher beschrieben werden, erwähnt Munk kurz, dass sich vielfach mit den letzteren auch Bewegungen der oberen Augenlider und Erweiterungen der Pupillen verbinden. Auch giebt er ausdrücklich an, dass, wenn man mit der Reizung etwas über die vordere Grenze der Sehsphäre hinaus in die Augenregion geht, die Augen- bewegungen ausbleiven. Munk führt dann weiter aus, dass die Sehsphäre nur mit denjenigen Augenbewegungen zu thun hat, welche vom Sehen ab- hängig sind; denn bei T'hieren, denen die Sehsphäre beiderseits vollständig exstirpirt worden ist, sind die Augenbewegungen, soweit sie nicht gerade vom Sehen abhängig sind, ungeschädigt, und zwar sowohl „die sog. will- ı A.2.0. 8.99. US S 3 Ueber die Frunctionen der Grosshirnrinde. 2. Aufl. Berlin 1890. 4. Mittheilung (1878). 8. 50 ff. * A.a.0. 16. Mittheil. S. 301 ff. BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND Function U. S. w. 161 kürlichen, wie die unwillkürlichen“ Im Folgenden (S. 10) lässt Munk offen, ob ausser der Sehsphärenreizung die Reizung der Augenregion oder der Nackenregion Augenbewegungen hervorruft. Dass die bei Reizung der Sehsphäre auftretenden Augenbewegungen nicht durch associative Reizung der Augen- oder Nackenregion zu Stande kommen, schliesst Munk daraus, dass sie auch nach einem tiefen Querschnitt am vorderen Rande der Sehsphäre erhalten bleiben, während sie durch einen Horizontalschnitt am lateralen Rande der Sehsphäre beseitigt werden. Er nimmt daher an, dass in Folge des Sehens in der Sehsphäre selbst direct Augenbewegungen „mit zugehörigen Augenlid- u. dgl. Bewegungen“ entstehen. Das Blinzeln des Auges bei Annäherung der Hand rechnet er ausdrücklich zu denjenigen corticalen Sehreflexen, bei welchen eine associative Erregung motorischer Rindencentren stattfinden muss, also keine direete moterische Innervation von der Sehsphäre aus erfolst. Ferrier’s! Versuchsergebnisse gestalten sich nach der 2. Auflage seines Hauptwerkes folgendermaassen. Bei dem Affen ruft die Reizung des von den Furchen e, /und m eingeschlossenen Rindengebietes eine Augenwendung nach der gegenüberliegenden Seite und gewöhnlich eine Pupillenverengerung hervor; ausserdem zeigt sich „gelegentlich eine Tendenz zu Augenlidschluss“. Bei dem Hunde erzielte Ferrier Lidschluss des gekreuzten Auges bei Reizung des frontalen Abschnittes des G. suprasylvius (coronal convolution) zugleich mit divergirenden Augenbewegungen und Pupillenverengerung, Während also die Angaben bezüglich des Affen den Hitzig’schen vollständig widersprechen? und sich etwa mit den Munk’schen decken, stimmen sie bezüglich des Hundes leidlich mit den Hitzig’schen überein; nur würde nach Ferrier das Centrum des Orbicularis oculi etwas weiter frontal- und basalwärts reicher. Die Munk’sche Augenregion® des Hundes liest erheb- lich weiter hinten, als Hitzig und Ferrier angeben. Allerdings giebt Ferrier (a. a. O. S. 252) noch eine zweite Stelle an, welche Augen- bewegungen nach der entgegengesetzten Seite hervorruft, sowie gelegentlich Pupillenverengerung und Tendenz zu Augenlidschluss; diese zweite Stelle liest im Scheitelabschnitte* des Gyrus suprasylvius und deckt sich wenigstens _ mit dem untersten Theile der Munk’schen Augenregion. Seltsamer Weise ! The functions of the brain. London 1886. 8.235 ff. Vgl. auch Proceed. Royal Soc. 1875. ®2 Von der Hitzig’schen Stelle des Affen erzielte Ferrier theils noch Vorderbein- bewegungen, theils Verziehung des Mundwinkels nach hinten und oben (Mm. zygomatici). ® Die Kopfregion Munk’s, mit welcher die Ferrier- Hitzig’sche Stelle bei dem Hund zusammenfällt, hat mit dem Orbicularis oculi nichts zu thun. Vgl. z.B. 2.2.0. 8.53. * Im Text heisst es parietal and posterior division, nach der Figur kommt nur die parietal division in Betracht. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 11 102. TH. ZIEHEN: fügt Ferrier hinzu, dass bei Reizung dieser Stelle, wenn die Augen im Augenblicke der Reizung geschlossen sind, zuerst Augenöffnung erfolgen kann. Bei dem Schakal erhielt Ferrier speciell von einer Stelle Lid- schluss, welche mit der Hitzig’schen sich völlig deekt. Bei der Katze hat das vordere Lidschlusscentrum Ferrier’s dieselbe Lage wie bei dem Hunde. Vom Scheiteltheile des Gyrus suprasylvius aus wurden nur Augen- bewegungen und Pupillenverengerung hervorgerufen. Bei dem Kaninchen fand sich ein Centrum des Orbicularis oculi etwa senkrecht über der Flexur der Fissura rhinalis (Fig. 78), desgleichen bei der Ratte und dem Meer- schweinchen. In den Vorlesungen über Hirnlocalisation! finden sich keine weiteren Angaben. Luciani und Tamburini? haben bei dem Affen, Hund und Kaninchen Reizungsversuche angestellt. Ihr Facialiscentrum deckt sich im Wesent- lichen mit dem Hitzig’schen. Fürstner? erzielte bei dem Kaninchen Lidschluss an der von Ferrier angegebenen Stelle. Unverricht* verlegt bei dem Hunde das Centrum des Orbicularis oculi an die Hitzig’sche Stelle. Vom Scheiteltheile des Gyrus suprasylvius aus erzielte er im Gegen- satze zu Ferrier Oeffnung der Lidspalten neben Pupillenerweiterung und Drehung der Bulbi nach der gekreuzten Seite. Unter den Versuchen Paneth’s? beziehen sich Nr. 21 bis 26, 34 und 36 auf das Centrum des Orbicularis oculi des Hundes. Die Lage, die sich dabei ergiebt, stimmt mit der von Hitzig angegebenen gut überein (vergl. Taf. VI, Fig. 1. Neben den gekreuzten Zuckungen wurden öfters auch gleichseitige beobachtet. In einer späteren Arbeit von Paneth und Exner‘ wurde letzteres wesentlich berichtigt, insofern sich ergab, dass die gleichseitigen Contractionen wahrscheinlich vielfach reflectorisch durch Dura- reizung entstanden waren. Im Uebrigen ist aus dem zweiten Aufsatze hier nur die Bemerkung anzuführen, dass sich bei dem Kaninchen Lidschluss nicht mit Sicherheit durch Rindenreizung erzielen liess (S. 354). Die Arbeit Balogh’s’” über die motorische Region des Hundes war. ! Uebersetzt von M. Weiss. Leipzig 1892. ° Sui centri psicomotori corticali. Aiv. sper. di fren. 1878. Die Arbeit von Albertoni und Michaeli (Zo sperimentale. 1878) war mir nicht zugänglich. ® Experimenteller Beitrag zur elektrischen Reizung der Hirnrinde. Archiv für Psychiatrie. Bd. VI. 8. 727. * Experimentelle und klinische Untersuchungen über die Epilepsie. Archiv für Psychiatrie. 1883. Bd. XIV. 8.193. 5 Ueber Lage, Ausdehnung und Bedeutung der absoluten motorischen Felder auf der Hirnoberfläche des Hundes. Pflüger’s Archiv. 1885. Bd. XXXVL. ° Das Rindenfeld des Facialis und seine Verbindungen bei Hund und Kaninchen. Pflüger’s Archiv. 1887. Bd. XLI. ” Ungarische Akademie der Wissenschaften. Bd. VII. BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNCTION U. S. w. 163 mir im ungarischen Originale nicht zugänglich. Das Referat in dem Anat. Phys. Jahresbericht gestattet keine sicheren Schlüsse. Ebenso ist mir auch die russische Arbeit Tarchanow’s! über die Rindencentren des Meer- schweinchens unbekannt geblieben. Schäfer”? bestreitet (ebenso wie übrigens bereits Ferrier?’) gegen Munk, dass bei dem Affen der Gyrus angularis in Beziehung zur Sen- sibilität des gekreuzten Augapfels stehe oder bei der Regulirung seiner Bewegungen betheiligt sei, ein Ergebniss, welches in seinem letzteren Theile offenbar sich mit den Reizungsversuchen von Ferrier selbst kaum ver- einigen lässt. In seinen mit Horsley angestellten Reizversuchen‘ bei dem Affen fand Schäfer das Centrum des Orbieularis oculi vor dem S. centralis hinter g”. Nach anderen Angaben Schäfer’s liegt das Orbicularis-Centrum vor und hinter dem Suleus centralis.° Die Lidbewegungen, welche Schäfer bei Reizung der Sehsphäre beobachtete, waren nur einfache Mitbewegungen der Augenbewegungen.® Sehr werthvoll sind die Beobachtungen von Beevor und Horsley’ am ÖOrang-Utang. Beiderseitiger Lidschluss (gekreuzt stärker®) wurde er- zielt bei Reizung einer vor dem S. centralis und hinter dem Sulcus prae- . centralis gelegenen Stelle. Dieselben Autoren haben auch die motorische Resion von Macacus sinicus untersucht. Ihre ersten Untersuchungen stammen bereits aus den Jahren 1387 und 1888°, enthalten aber nichts über die corticale Vertretung des Orbicularis oculi. Diese wird erst in der letzten Arbeit vom Jahre 1894 behandelt.!? Die Verfasser beobachteten Schluss des gekreuzten Auges bei Reizung einer hinter dem Suleus centralis vor dem frontalen Ende der Furche / gelegenen Stelle. Nur ein ! Vgl. Anat. Physiol. Jahresbericht. 1878. ? Experiments on special sense localisations in the cortex cerebri of the monkey. Brain. 1888. Vol.X. p.366. Vgl. auch Brown und Schaefer, Philos. Transaect. 1888. Vol. CLXXIX B. p. 324. Die kurze Mittheilung in Brain. Vol. XI enthält nichts über den Orbicularis oculi. NW a0, 2853% * Philos. Pransact. 1888. Vol. CLXXIX B. A record of experiments upon the - fanetion of the cerebral cortex. p. 7. 5 Beitrag Schäfer’s zur Festschrift für ©. Ludwig, 1887, S. 280 u. Figg. 1 u. 2. $ Brain. Vol.XI. p.4. * A record of results obtained by electrical excitation of the so-called motor cortex and internal capsule in an Orang-Utang. Philos. Transact. 1890. B. ® Vgl. auch S. 149. ® Philos. Transact. Vol. CLXXVII B. p.153 u. Vol. CLXXIX B. p. 205. 10 A further minute analysis by electric stimulation of the so-called motor region (facial area) of the cortex cerebri in the monkey. Prilos. Transact. 1894. Vol. CLXXXVB. p. 39. Vgl. Taf. VIII, Fig. 3. 181 164 Ta. ZIEHEN: Mal wurde doppelseitiger Lidschluss beobachtet. In 3 Fällen trat ein beider- seitiges Blinzeln, d.h. wiederholtes ıhythmisches Schliessen und Oeffnen ein (8.47). Es ergab sich also zwischen dem Orang und Makak eine wesentliche Differenz. Mann! hat eigene Versuche bei der Katze angestellt. Von einer Gegend, welche der Ferrier’schen entspricht, also im mittleren Theile des Gyrus suprasylvius? liegt, erzielte er eine Aufwärtsbewegung des unteren Augenlides (Versuch 1). Schluss des gekreuzten Auges wurde in den weiteren Versuchen (2, 4, 5) vom vorderen Schenkel desselben Gyrus aus erhalten. Bei dem Igel hat Mann ebenso wenig wie ich? in einer früheren Arbeit Contraction des Orbicularis oculi durch Rindenreizung hervorgerufen. Auch bei dem Kaninchen schweigt er über Lidschlussbewegungen. Marcacci* fand, soweit ich aus Referaten entnehmen kann, bei seinen Reizungen der Grosshirnrinde des Lammes kein Orbiculariscentrum. Die übrigen Säuge- bezw. Wirbelthiere sind noch wenig untersucht. Steiner? beobachtete bei der Taube bei Reizung „etwa der Mitte der Hirn- rinde“ neben gekreuzter Pupillenverengerung und associrten Augen- und Kopfbewegungen auch beiderseitigen Lidschluss, dem allerdings sehr bald Oeffnung folgte. Analoge Effecte stellte er auch bei Reizung des medialen hinteren Abschnittes des Oceipitallappens des Kaninchens fest. Die klinischen Erfahrungen bei dem Menschen sind noch sehr zweilfel- haft. Schon Hitzig® selbst hat im Jahre 1872 über einen Hirnabscess berichtet, in welchem Anfälle eines fast isolirten clonischen linksseitigen Faecialis- und Zungenkrampfes auftraten. Nach dem Anfalle war der ganze linksseitige Facialis vorübergehend gelähmt. Zu einer dauernden aus- gesprochenen Lähmung im linken Augenfacialis kam es nicht, nur die Stirnwurzeln waren links weniger tief. Es ergab sich ein Herd in dem rechten Gyrus centralis ant. hinter dem Ursprunge des Sulcus frontalis inf. aus dem S. praecentralis inf. Man wird aus diesem Befunde schliessen, dass das Orbiculariscentrum nicht dieser Stelle selbst entspricht, aber nicht zu weit von ihr wegliegt. Viel Analogie bietet ein Fall von Wernher.” Der Herd lag hier unterhalb des unteren Endes des Sulcus centralis. Besser ! On the homoplasty of the brain of rodents, insectivores and curnivores. Journ. of Anat. and Phys. Vol. XXX. ®? Mann bezeichnet diese Windung als lateral convulution unter dem Einfluss einer von Turner aufgestellten Homologie, deren Unrichtigkeit ich ausführlich nach- gewiesen habe. Analomischer Anzeiger. 1888. ? Centralblatt für Physiologie. 1897. 16. October. Arch. per le malatt. nerv. 1877 und Zendiconti Gabin. di Siena. 1876. Sinnessphären und Bewegungen. Pflüger’s Archiv. Bd.L. S. 605. Archiv für Psychiatrie. Bd. Ill. Wernher, Virchow’s Archiv. Bd. LVI. 4 5 6 7 BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNCTION U. S. w. 165 verwerthbar ist ein Fall von Hervey,! in welchem neben rechtsseitiger Zungenlähmung und unvollständiger Aphasie eine rechtsseitige Facialis- lähmung bestand. Ausdrücklich wird angegeben, dass der Kranke das Auge nicht zu schliessen vermochte. Die Section ergab einen Erweichungs- herd am vorderen Rande des Suleus centralis in der Höhe des Gyrus frontalis inferior und einen zweiten im Gyrus front. inf. selbst an seiner Umbiegungsstelle in den Orbitaltheil. Offenbar kommt nur der erste Herd in Betracht. An derselben Stelle fand sich auch in einem Falle von Gold- hammer,’ welcher Klonus im ganzen rechten Facialisgebiete neben Par- ästhesien in den rechtsseitigen Extremitäten gezeigt hatte, eine kirschgrosse Geschwulst. Der Gliky’sche?® Fall ist wegen seiner ausgedehnten Zer- störung kaum zu verwerthen. Ausser den letztgenannten, schon von Exner* angeführten Fällen käme noch der neuere Fall Brissaud’s? in Betracht, in welchem rechts ausser dem Mundfacialis auch der Augenfacialis ge- lähmt war und die Section einen Herd im untersten Viertel der hinteren Centralwindung ergab. Rein ist auch dieser Fall nicht, da auch der Mund- facialis betheiligt war und zudem rechts auch Ptosis bestand. Auch ergab sich auf Schnitten, dass der Herd noch etwas auf die Insel und die vordere Centralwindung übergrif. Sehr wichtig wäre weiterhin ein Fall von Huguenin,® in welchem eine isolirte Lähmung des Augenfacialis vorlag und die Section einen Herd in dem Thalamus opticus und der Linsenkernschlinge ergab; indess ist der Zusammenhang zwischen der Orbi- cularislähmung und dem Herde nicht fraglos. Jedenfalls wird man es bei dieser Sachlage nicht ganz verständlich finden, dass Charcot und Pitres noch im Jahre 1894 das Centrum des Orbicularis oculi wenigstens ver- muthungsweise in den Gyrus angularis verlegten. Die zahlreichen Fälle, in welchen bei einer corticalen Lähmung aus- drücklich nur der Mundfacialis als betheiligt angegeben wird,” haben für unsere Frage keine Bedeutung, da bei dem Menschen entsprechend dem zunehmenden Zusammenfallen der Gesichtsfelder beider Augen jedenfalls der ! Bull. de la Soc. anat. 1874. 9. Jan. ? Berliner klinische Wochenschrift. 1879. S. 349. ® Deutsches Archiv für klinische Mediein. 1875. * Untersuchungen über die Localisation der Functionen in der Grosshirnrinde des Menschen. Wien 1381. 8. 37. ° Localisation corticale des mouvements de la face. Progr. med. 1393. Nr. 52. 30. Dez, p. 493. 6 Currespondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1872. ” Ein sehr klarer Fall ist namentlich der Knecht’sche, Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie. Bd. XXXIX. 8.255. Der Herd lag in der vorderen Hälfte des Gyrus centralis anterior hinter dem Abgang des Suleus frontalis inferior aus dem Sulcus praecentralis inferior. 166 TH. ZIEHEN: Orbicularis palp. von der Rinde meist doppelseitig innervirt wird und sonach bei einem einseitigen Herde sehr wohl eine merkliche Lähmung des Orbicularis palp. ganz oder fast ganz ausbleiben kann. Uebrigens haben sich neuerdings die Fälle gemehrt, in welchen bei corticaler oder kapsulärer Facialislähmung auch der Augenfacialis betheiligt war. Namentlich ist dies neuerdings von Mirallie, Revillod und Pugliese betont worden. Auch v. Monakow! giebt an, dass in seltenen Fällen centraler Lähmung sogar der obere Facialis in höherem Grade befallen sei als der untere. Auch ich habe solche Fälle beobachtet. Für die corticale Localisation des Orbieularis- centrums sind sie vorläufig nicht verwerthbar. Mehr Beachtung verdienen unter diesen Umständen die Fälle, in welchen klonische Krampfanfälle in Folge umschriebener Rindenerkrankungen reselmässig vom ÖOrbicularis oculi auseingen. Hierher gehört ausser dem schon erwähnten Goldhammer’schen z. B. der Fall von Maragliano und Seppilli,? in welchem sich eine oberflächliche Erweichung in der unteren Hälfte des Gyrus centralis ant. ergab, welche auf die angrenzenden Stirn- windungen übergriff; ferner ein Fall von Assagioli und Bonvecchiato,’ der eine etwa 4°® im Durchmesser messende, mit der Dura verwachsene Geschwulst ergab, welche auf die mittlere Stirnwindung auf der Grenze ihres mittleren und hinteren Drittels drückte, und ein Fall von Weiss,* in welchem ein Tuberkel von 2 Durchmesser den mittleren Theil des Gyrus centralis ant. einnahm. Desgleichen theilt v. Monakow° mit, dass die corticale facio-linguale Monoplegie nicht selten unter convulsivischen Zitter- bewegungen verläuft, bei welchen meist der Orbicualris palp. betheiligt ist. Alle diese Beobachtungen deuten darauf, dass das Orbiculariscentrum dem Mundfacialiscentrum sehr nahe liegt. Sehr schwer sind freilich andererseits Fälle zu erklären, wie derjenige Raymond’s,® welcher klonische Krämpfe in den rechtsseitigen Extremitäten und im rechten Mundfacialis unter Frei- lassung des Augenfacialis aufwies und einen oberflächlichen Herd im mittleren Abschnitte der beiden Gyri centrales ergab. Noch weniger ergiebig sind die spärlichen Mittheilungen über fara- dische Reizung der menschlichen Hirnrinde. Sciamanna’ erhielt Con- 1 Gehirnpathologie. Wien 1897. 8. 288. ® Riv. sper. di fren. 1878. 3 Ebenda. 1879. * Wiener med. Jahrb. 1882. Fall. > A.a. 0. 8.415. Vgl. auch Fig. 108, 8.381. Auch Allen Starr giebt eine ähn- liche Darstellung; desgl. Mills, The nervous system and its diseases. Fig. 228, p. 333. 6 Gaz. med. de Paris. 1882. 23. Dez. ” Gli avversarii delle localizzazioni cerebrali. Arch. di psich. 1882. p. 209 ft. Ich habe, namentlich durch diese Beobachtung und die Angaben von Chareot und Pitres bewogen, seiner Zeit im Bardeleben-Haeckel’schen Atlas der topographischen Anatomie das Orbiculariscentrum in den Gyrus supramarginalis verlegt. PZN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNCTION U. S. w. 167 tractionen des Orbieularis von dem Gyrus supramarginalis aus; doch ist die Sicherheit seiner Beobachtung zweifelhaft, da er die Dura nicht öffnete, Auch die Thatsache, dass er von derselben Gegend aus auch Zungen- bewegungen erhielt, beweist, dass die Reizung weit nach vorn übergriff. Bei den Reizungen von Bartholow, Keen, Lloyd und Deaver, Nancrede und Horsley! hat keine exacte Localisation des Reizortes stattgefunden, zum Theil hat es sich bei diesen Beobachtungen (z. B. der Lloyd-Deaver’- schen) nicht um local-beschränkte Reizung, sondern um Jackson’sche An- fälle gehandelt. Ueberblickt man alle bis jetzt angeführten Thatsachen und sieht man vom Menschen zunächst ab, so ergiebt sich Folgendes: Das Orbicularis- centrum des Affen kann als sicher festgestellt gelten: es ist, wie die übereinstimmenden Untersuchungen von Hitzig, Schäfer, Horsley und Beevor ergeben, im Gyrus centralis ant. und post. zu suchen. Zweifelhaft erscheint die Localisation bezüglich des Hundes. Den ziemlich überein- stimmenden Ergebnissen von Hitzig und Ferrier stehen hier die Angaben von Munk und Mann gegenüber, wonach das Orbieulariscentrum sich er- heblich weiter nach hinten, nach Munk auch medialwärts erstreckt. Ich habe daher meine zahlreichen, im Ganzen fast 50 Versuche umfassenden Protocolle über faradische Reizung der Grosshirnrinde des Hundes auf diese Frage sorgfältig durchgesehen und einige weitere Versuche eigens behufs Feststellung des Orbiculariscentrums neu angestellt. Darnach ist unzweifelhaft der erregbarste Punkt für den Orbicularis oculi im oberen Theile des vorderen Schenkels des Gyrus suprasylvius gelegen, also an der von Hitzig angegebenen Stelle. Munk’s Augenregion dürfte hier noch etwas weiter nach vorn sich erstrecken als seine Fig. 3 darstellt. Auch die obere Lippe des 8. coronalis gehört — wenigstens bei manchen Hunden — entschieden noch zum Orbieulariscentrum und noch nicht zum Vorder- beincentrum. Ebenso erstreckt sich das Örbiculariscentrum abwärts ent- schieden noch oft auf die untere Lippe des S. suprasylvius, wieauch Munk angiebt. Ein Hirabreichen bis auf den unteren (vorderen) Abschnitt des vorderen Schenkels des Gyrus suprasylvius, wie Ferrier es angiebt, habe ich niemals beobachtet. Schwieriger ist die Abgrenzung nach hinten. Ich habe noch recht häufig auch bei sehr schwachen Strömen vom hinteren Abschnitte des Scheitelstückes des Gyrus suprasylvius, also zwischen S. ecto- lateralis und S. suprasylvius, Orbiculariscontractionen erhalten. Ja mehrfach konnte ich letztere auch von Rindenabschnitten aus erhalten, welche un- zweifelhaft zur Sehsphäre zu rechnen sind. Ich habe bereits im Jahre 1885 ! Wie ich einer brieflichen Mittheilung Horsley’s entnehme, verlegt er das Orbieulariscentrum des Menschen in die vordere Oentralwinudung unterhalb des unteren Endpunkts des Sulcus praecentralis superior. 168 TH. ZIEHEN: in meiner ersten Arbeit zwei derartige Fälle erwähnt." Seitdem bin ich solehen Fällen noch öfter begegnet. Auf dieser unbestimmten Ausdehnung nach hinten beruht auch die grosse Schwierigkeit, den Orbicularis oculi aus den durch faradische Rindenreizung erzeugten Krampfanfällen durch corti- cale Fxstirpation auszuschalten. Ich möchte daher glauben, dass wenigstens beim Hunde der Orbieularis oculi ähnlich wie die Bulbusbewegungen auch in der Sehsphäre unmittelbar vertreten ist. Damit wäre zugleich die Frage aufgeworfen, ob der optische Blinzelreflex nicht meistens zum Theil doch ein Sehreflex niederster Ordnung im Sinne Munk’s? ist. Das neugeborene Kind? reagirt jedenfalls auf starke optische Reize bereits sehr frühe mit Orbiculariscontractionen. Andererseits erfolgt auf rasches Zufahren mit dem Finger bei dem Neugeborenen noch keine Orbieulariscontraction.* Der optische Blinzelreflex ist also theils angeboren, theils erworben. Soweit er angeboren ist, ist er wahrscheinlich unmittelbar an die Sehsphäre geknüpft; nur soweit er erworben ist, entsteht er durch Vermittelung der Associations- fasern und des Orbiculariscentrums der motorischen Region. Das Blinzeln bei greller Belichtung erscheint daher als ein Sehreflex niederer Ordnung im Sinne Munk’s,? das Blinzeln bei Zufahren der Hand, das Ausweichen vor Hindernissen als ein Sehreflex höherer Ordnung. Man könnte hiergegen vielleicht einwenden, dass die faradische Reizung der Sehsphäre doch auch Augenöffnung (Lidhebung) hervorruft. Diese Thatsache ist mir aus eigenen Versuchen wohlbekannt, verträgt sich aber mit der Thatsache, dass dieselbe Sehsphäre auch Augenschluss hervorruft, recht gut; man kann sich z. B. sehr wohl vorstellen, dass starke optische Reize in der Sehsphäre Orbicularis- contractionen, also Augenschluss, schwache hingegen Hebungen des oberen Lides, also Augenöffnung, hervorrufen. So wird auch folgender Versuch verständlich, welchen ich selbst angestellt habe: FExstirpirt man bei dem Hunde die Sehsphäre beiderseits, so fallen beide optische Blinzelreflexe weg; ® durchschneidet man aber beiderseits am vorderen Rande der Sehsphäre durch I Archiv für Psychiatrie. Bd. XVII. 8 6. ZA SONST 0 TASTE ® Vgl. auch Preyer, Die Seele des Kindes. 4. Aufl. 1895. 8.16 ff. * Vielmehr nach Preyer erst in der 9. Woche. Vgl. auch Raehlmann und Witkowski, Dies Archiv. 1877. Physiol. Abthlg; Raehlmann, Zeitschr. f. Psychol. Bd. II; Soltmann, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. IX. 8. 108. Uebrigens beschränkt sich dieser optische Blinzelreflex anfangs auf die Macula lutea. Seitliches Zufahren der Hand löst noch im 5. Monat nicht regelmässiges Blinzeln aus. Schend gewordene Blinde scheinen sich etwa wie drei- bis viermonatliche Kinder zu verhalten (Rachlmann). Ueber den Hund vgl. Mills, Trans. Royal Soc. Canada 1894. ° Preyer stellt ihn dem paläophyletischen Pupillarreflex als „neophyletisch“ gegen- über (a.2. 0. S. 21). ° Das Kaninchen verhält sich in dieser Beziehung anders, wie Eckhard’s Ver- suche ergeben. Centralblatt für Physiologie. Nr. 10. S. 358. BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNCTION U. S. w. 169 einen tiefen Schnitt die zur motorischen Region s. str. führenden Associations- bahnen, so bleibt der Blinzelreflex auf grelle Belichtung erhalten,! während der Blinzelreflex auf Zufahren der Hand u. s. w. verloren geht. Nach allen diesen Thatsachen scheint mir wahrscheinlich, dass bei dem Hunde der Orbiceularis oculi nicht nur in der motorischen Region s. str. an der ange- gebenen Stelle, sondern auch in der Sehsphäre vertreten ist. Auch bei dem Kaninchen habe ich die Localisation des corticalen Orbiecularisfeldes öfters nachgeprüft. Die Ergebnisse stimmen mit denjenigen Ferrier’s gut überein. Bei dem Igel habe ich erst kürzlich mit Sicherheit von der Rinde aus Orbiculariscontractionen erzeugen können, hingegen nicht bei dem phylo- genetisch nah verwandten Opossum.” Auch bei der Fledermaus bin ich ‚nicht zu sicheren Ergebnissen gelangt. | Am fühlbarsten schien mir die Lücke unserer bezüglichen Kenntnisse in der Ordnung der Ungulaten. Auch ich verfüge nur über einen an einem Schafe angestellten Versuch, den ich wegen seines klaren Ausfalles und der Spärlichkeit ähnlicher Versuche speciell mittheile. Hammel, 5jährig, Hornhauttrübungen auf dem linken Auge. Aether- narcose (ohne Morphium). Trepanation links. Freilegung fast der ganzen linken Grosshirnhemisphäre Eröffnung der Dura und vollständige Zurück- schlagung der Duralappen. Zunächst wird festgestellt, dass der Exner- Paneth’sche Durareflex auf den gleichseitigen Orbieularis oculi, welcher bei dem Hunde sehr lebhaft, bei dem Igel schwach ist, hingegen bei dem Kaninchen fehlt, auch mit stärksten Strömen nicht zu erzielen ist. Die Reizergebnisse gestalten sich folgendermaassen: Occipitallappen (Sehsphäre): schon bei schwachen faradischen Strömen tritt Nystagmus und eine extreme Augenwendung nach der gekreuzten Seite ! Immer vorausgesetzt, dass er bei dem intacten Thier prompt zu erhalten war, was nicht für alle Hunde gilt. Vgl. Eckhard, a.a. O. S. 359. Beidem Menschen scheint der optische Lidreflex bei Zerstörung der Sehsphäre durchweg erloschen zu sein. Allerdings hat man sich seither gewöhnlich begnügt, die Abwesenheit des Blinzel- reflexes bei raschem Zufabren mit dem Finger festzustellen und die Prüfung mit inten- sivem Licht unterlassen. In einem von Knies mitgetheilten Falle (Ueber centrale Störungen der willkürlichen Augenmuskeln. Arch. f. Augenheilk. Bd. XXII) erfolgte auf grelles Licht trotz totaler urämischer Blindheit noch Blinzeln; doch ist der Fall, da nur eine toxische Amaurose vorlag, nicht beweisend. Dass bei greller Beleuchtung nicht etwa der Trigeminus das Blinzeln auslöst, wie Brücke meinte, hat Eckhard nachgewiesen (a. a. O.). Vgl. auch Moeli, Virchow’s Archiv. Bd. LXXVI. S. 483. ” Vgl. meine Arbeit im Centralblatt für Physiologie. Bd. XI. Nr. 15. Das Orbi- eulariscentrum des Igels liegt lateralwärts vom Vorderbeincentrum. Cunningham (Journ. of Phys. 1898. Vol. XXII) fand das Orbieulariscentrum bei dem Opossum an der analogen Stelle. 170 TH. ZIEHEN: ein. Mehrmals gelang es auch leichte Contractionen des gekreuzten Orbi- cularis oculi zu erzielen. Rindengebiet medialwärts von dem Suleus coronalis! (auf der nach- stehenden Figur senkrecht schraffirt): Zuckungen des gekreuzten Vorder- beines. Dieselben sind am stärksten, bezw. bei den schwächsten Strömen (Rollenabstand 10°“) erhältlich unmittelbar vor und hinter dem Einschnitte der F. splenialis auf die laterale Convexität. Im hinteren Gebiete des ganzen schraffirten Feldes — bis zu dem „Bügel a“ hin — beobachtet man auch Hinterbeinbewegungen. Isolirt liessen sich letztere von keiner Rinden- stelle regelmässig erhalten (auch von der Medialfläche nicht). Auch bei stärkster Abschwächung des Stromes waren die Hinterbeinbewegungen fast stets auch von leichten Vorderbeinbewegungen begleitet, während bei Reizung des vorderen Gebietes des Feldes letztere isolirt auftraten. 7 x spl a SS el L ef l I | ER UN: / NN HH ı n TE | ) Y U —— | I J j Ra | | \ ai Pars esp | Laterale Convexität des Schafhirns. Linke Hemisphäre, von der Seite und oben gesehen. a = „Bügel a“, cf = Sulcus confinis, co = 8. coronalis, d = 8. diagonalis, el = 8. ecto- lateralis, esp = S. ectosylvius posticus, 2 = 8. lateralis, PaFS = Processus acuminis Fossae Sylvii, ps = Sulcus praesylvius, #a, Rp = Ramus anterior bezw. posterior der Fossa Sylvü, rhl = Fissurs rhinalis lateralis, sp2 = Einschnitt der Fissura splenialis, ss = Sulcus suprasylvius. Bei x zieht eine grosse Vene über die laterale Convexität. Die Bedeutung der Schraffirungen ist im Text nachzulesen. Rindengebiet unmittelbar lateralwärts vom Sulcus coronalis (schräg schraf- firt): Hebungen des Kopfes, gekreuzte Schulterbewegungen und Drehungen des Kopfes nach der gekreuzten Seite. Die Schulterbewegungen liessen sich am leichtesten in unmittelbarer Nähe des Sulcus coronalis hervorrufen. ! Bezüglich der Nomenclatur und Lage der Furchen verweise ich auf Krueg, Zeüschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XXXI (Taf. XXI); Rogner, Zbenda. Bd. XXXIX und Kükenthal’s und meine Monographie. Jenaische Denkschriften. Bass S135r: BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNCTIoN U. S. w. lat Rindengebiet im vorderen Bereiche des Sulcus suprasylvius hinter dem Suleus diagonalis (horizontal schraffirt): Contractionen der Mund-, Augen- und Ohrfacialismusculatur. Etwas hinter dem Sulcus diagonalis erhielt ich nur Contractionen im Bereiche des Mundfacialis. Anfangs waren dieselben fast ausschliesslich gekreuzt, später zuweilen auch gleichseitig. Hinter diesem Mundfaeialiscentrum erhielt ich ausgezeichnete schlagende Bewegungen des gekreuzten Ohrlöffels und Contractionen des gekreuzten Orbicularis oculi (Rollenabstand 11“); gleichseitige Contractionen wurden nicht beobachtet. Trotz vielfacher Versuche gelang es nicht, von einer Stelle innerhalb dieses Gebietes regelmässig nur Ohrbewegung oder nur Augenschluss zu erzielen. Oceipitalwärts reicht dies Gebiet fast bis zu einer Linie, welche man sich quer in der Verlängerung des Processus acuminis fossae Sylvii gezogen denken kann, bezw. bis zum Processus acuminis selbst. Nebenbei bemerke ich noch, dass eine auffällige Salivation sich schon sehr bald einstellte. Bei Reizung im Mundfacialisgebiete trat einige Male auch Mastication auf. Einige Male wurde im vordersten untersten Theile desselben Gebietes auch Zungenvorstrecken beobachtet. Im späteren Ver- laufe des Versuches kam es auch zu Nachzuckungen, welche jedoch nur auf ein benachbartes Centrum übergriffen und nicht zu einem vollen An- falle sich entwickelten. Die obigen Reizeffecte sind für jede Stelle 10 bis 12 Mal und mehr festgestellt worden. Zum Schluss wurden die erregbaren Bezirke durch eingestossene Nadeln, Methylenblau- und Tintenflecke markirt. Ausserdem wurden sie auf zwei sofort hergestellten Zeichnungen eingetragen. Jedenfalls ergiebt sich aus diesem Versuche, dass bei dem Schafe die Orbieulariscontractionen einerseits inconstant von den Sehsphären, anderer- seits sehr constant von einer bestimmten, weit frontalwärts gelegenen Stelle hervorzurufen sind. Im Anschlusse an diese Thierversuche theile ich kurz eine Beobach- tung am Menschen mit, welche wenigstens einen Wahrscheinlichkeits- schluss zulässt. Es handelt sich um eine traumatische Compressionsfractur im vordersten Theile des linken Scheitelbeines von etwa 5-Markstückgrösse. Eine anfängliche rechtsseitige Hemiparese ging rasch zurück und nach ope- rativer Entfernung des deprimirten Fragmentes blieben nur noch folgende Symptome zurück: Deviation der Zunge nach rechts, leichtes Zurückbleiben der rechten Mundhälfte beim Pfeifen und der rechten Hälfte des Gaumen- segels bei der Phonation, Erweiterung der rechten Pupille und des rechten Augenspaltes. Dynamometrisch war der rechte Arm noch etwas schwächer als der linke, doch war der Knabe schon vor dem Unfalle partieller Links- händer. Die Sprachstörung beschränkte sich fast ausschliesslich auf eine schwere Akataphasie. Dank der Operation und dank den genauen Messungen 172 TH. ZIEHEN: am Schädel lässt sich mit grosser Bestimmtheit sagen, dass die Depression auf das untere Drittel beider Centralwindungen gewirkt hat. Auch diese Beobachtung weist also für das Rindenfeld des M. orbieularis oculi auf die Centralwindungen hin.! Ob auch bei dem Menschen der Orbicularis oculi eine zweite Vertretung in der Sehsphäre hat (im Dienste des optischen Blinzelreflexes bei greller Belichtung), ist vorläufig klinisch noch nicht zu entscheiden. Das Gesammtergebniss der in der Litteratur enthaltenen und meiner eigenen T'hierversuche und der klinischen Beobachtungen ist in vielen Punkten noch zweifelhaft und ergänzungsbedürftige. Namentlich die hintere Grenze des Orbicularisfeldes ist aus den erörterten Gründen und Schwierigkeiten noch nicht festzustellen. Hingegen ist die vordere Grenze mit genügender Sicherheit bekannt. Sie liegt bei dem Menschen im Sulcus praecentralis, bei dem Orang in dem Sulcus praecentralis, bei dem Makak im Sulcus praecentralis oder centralis, bei dem Hunde in der oberen Lippe des Suleus coronalis, bei dem Schafe erheblich hinter, bezw. unter dem S. coronalis. Die lissencephalen Säuger bleiben hier füglich ausser Betracht, nur soviel lässt sich sagen, dass wenigstens bei den Nagern die vordere Grenze des Orbicularisfeldes — verglichen mit der F. Sylvii und den Stamm- ganglien — relativ weit hinten liegt. Was hat nun die vergleichende Anatomie bezüglich der Furchenhomo- logien ergeben?” Zunächst ist der Sulcus praecentralis der Primaten bei dem Hunde und dem Schafe im Wesentlichen durch den S. praesylvius ver- treten. Der Sulcus centralis der Primaten ist dem S. cruciatus des Hundes und dem Einschnitte der Fissura splenialis des Schafes homolog; dazu ist zu bemerken, dass auch bei vielen Carnivoren (Caniden, Musteliden u. s. w.) der S. eruciatus nichts Anderes ist als der Einschnitt der Fiss. splenialis in die laterale Convexität. Der S. postcentralis entspricht dem S. coro- nalis + ansatus des Hundes und dem Sulcus coronalis und dem Bügel a des Schafes. Der S. suprasylvius des Hundes und des Schafes ist, wie längst bekannt, bei den Primaten allmählich mehr und mehr auf seinen hinteren Schenkel reducirt worden. ! Interessant ist der Vergleich dieses Falles mit einem anderen von mir mit- getheilten Falle ( Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medicin. Bd. XIV. 1), in welchem der Angriffspunkt des Traumas nur etwas höher gelegen war: hier waren ausser dem Mundfacialis die Extremitäten, namentlich der Arm etwas mehr betheiligt, die Stirn- facialisinnervationen hingegen symmetrisch. Interessant ist in diesem Fall auch die bleibende Agraphie und die damit in Zusammenhang stehende schwere Störung des Rechnens; die anfängliche Aphasie hatte sich fast ganz zurückgebildet. ° Vgl. die oben 8.159 angeführten Arbeiten. BEZIEHUNGEN ZWISCHEN LAGE UND FUNCTION U. S. w. 173 Vergleicht man nun den physiologischen und anatomischen Thatbestand, so ereiebt sich unzweifelhaft, dass im Ganzen gegen die Primaten hin und noch innerhalb der Primaten gegen die-Anthrophomorphen und den Menschen hin die Lage des Centrums des Orbieularis oculi sich frontalwärts verschoben hat. Auch für die Extremitätencentren lässt sich eine analoge phylogene- tische Verschiebung nachweisen. Eine solche Verschiebung ist auch ohne Weiteres verständlich. Die functionelle Fortentwickelung in der Säugethier- reihe bezieht sich bis zum Menschen hinauf vorzugsweise auf drei Gebiete: die Sehsphäre, das Vorderbeincentrum und das sensorische und motorische Sprachgebiet. Bis zu den Anthropomorphen kommen nur die beiden ersten in Betracht. Speciell muss die fortschreitende, relativ überwiegende Ent- wiekelung der Sehsphäre den Einfluss haben, dass die übrigen Centren, speciell die motorischen, frontalwärts vorgeschoben werden. Die Furchen, bezw. Windungen haben diese Verschiebung nicht in gleichem Maasse mitgemacht, wie unsere Zusammenstellung direct ergiebt. Die Eingangs aufgeworfene Frage ist also dahin zu beantworten, dass Rinder- gebieten gleicher Function keineswegs genau die homologe Lage bezüglich Furchen und Windungen zukomint. Allerdings ist die Rindenfurchung eine Folge der Function. Man könnte sich also denken, dass die Furchen auch die Wanderung der Function mitmachen müssten. Die Thatsache, dass dem nicht so ist, lässt sich jedoch ‘recht gut erklären. Wenn die functionelle Thätiekeit mit ihren gesteigerten Ansprüchen an Blutzu- und -abfuhr und namentlich auch an Lymphabflussbahnen zur Bildung einer Furche führt, so entstehen damit auch Arterien, Venen und Lymphbahnen, kurz ein System von anatomischen Organisationen, welche sich gegenseitig tragen und fortbestehen, auch wenn die bezügliche Function an Bedeutung ver- loren hat und einer anderen gewichen ist. Dies System von anatomischen Organisationen (Furchung, Gefässe) wird von der neuen Function über- nommen, verwerthet und vielleicht im Kleinen umgeformt, bleibt aber im Wesentlichen intact. Beispiele für solche Functionswanderungen bei Er- haltenbleiben der gröber anatomischen Organisationen bietet gerade das Gehirn allenthalben. Ich erinnere nur z. B. an die fortschreitende Ver- lagerung der optischen Empfindungssphäre auf die Medialfiäche, welche in der Primatenreihe stattgefunden hat, oder an die Verlagerung der Loco- motion aus dem Rückenmarke in die Hirnrinde, welche stufenweise vom Frosche bis zum Menschen sich verfolgen lässt. Die parallele Arbeit der vergleichenden Gehirnanatomie und der vergleichenden Gehirnphysiologie verspricht auf diesem Gebiete noch viele bedeutsame Ergebnisse. Ueber corticale Reizung der Augenmuskeln. Von Dr. R. du Bois-Reymond und Prof. P. Silex in Berlin. Auf der Grosshirnrinde des Hundes sind drei Stellen bekannt, deren Reizung Augenbewegungen zur Folge hat, nämlich erstens die „Sehsphäre“, zweitens eine Stelle in der „Nackenregion“, drittens eine Stelle im „Facialis- gebiet“. Es wäre schon a priori kaum anzunehmen, dass diese drei ver- schiedenen Theile der Hirnrinde zu der Function des Auges in ganz gleicher Beziehung stünden. Da von den beiden erstgenannten Stellen aus immer associrte Bewegungen beider Augen, von der dritten Stelle aus einseitige Augenbewegungen ausgelöst werden, ist wenigstens in jedem dieser beiden Fälle der Zusammenhang zwischen Reizung und Bewegung sicher ein ver- schiedener. Ueber die Beziehungen der Sehsphäre zu den Augenbewegungen sagt Prof. Munk u. A.:! „Wie es Hrn. Schäfer’s sehr verdienstliche Ermitte- lung beim Affen? voraussehen liess, führt auch beim Hunde Reizung mit Inductionsströmen von der Sehsphäre aus associirte Augenbewegungen her- bei. — Die Stromstärken, deren man für die erfolgreiche Reizung bedarf, sind von gleicher Ordnung mit denjenigen, durch welche es von den be- kannten anderen Hirnrindenstellen aus zu Bewegungen der Extremitäten kommt. — Geht man mit der Reizung etwas über die vordere Grenze der Sehsphäre hinaus in die Region F hinein oder über die laterale Grenze der Sehsphäre hinaus in die Hörsphäre B hinein, so bleiben, wenn man nicht ungebührlich die Stromstärken vergrössert, die Augenbewegungen aus. Die Augenbewegungen, welche nach allem Angeführten unzweifelhaft die Folgen örtlich begrenzter Reizungen der Sehsphärenpartieen sind, haben keineswegs eine geringe Grösse und sind sogar oft gerade auch von der hinteren Seh- sphärenzone aus recht auffallend.“ Nach Totalexstirpation ist das Thier ! H.Munk, Sehsphäre und Augenbewegungen. Silzungsberichte der Akademie der Wissenschaften. 1890. 8. 61. ? Brain. Vol.XI. p. 1—6. R.pu Boıs-ReymonD unD P. Sınex: ÜBER CORTICALE REIZUNG v.8.w. 175 zwar „vollkommen blind; aber seine Augenbewegungen sind ungeschädigt, die sogenannten willkürlichen ebenso wie die unwillkürlichen, die natürlich gerade vom Sehen abhängigen Bewegungen ausgeschlossen, die ja am blinden Thiere fehlen müssen. — Mit den vom Sehen unabhängigen Augen- bewegungen hat also die Sehsphäre gar nichts zu schaffen, weder erfolot deren Anregung von der Sehsphäre aus, noch führt die Leitungs- bahn vom Ort ihrer Anregung zur Peripherie durch die Sehsphäre hindurch.“ Dagegen erklären sich die Bewegungen auf Sehsphärenreizung, nach Ana- logie der beim normalen Thier auf Gesichtseindrücke erfolgenden Augen- bewegungen, dadurch, „dass von den dem Sehen dienenden centralen Ele- menten der Sehsphäre aus die Erregung durch Associationsfasern zu anderen Rindengebieten und von hier aus zu niederen (subcorticalen) Hirntheilen "sich fortpflanzt.“ Nach Durchtrennung dieser Verbindungen bringt auch die Sehsphäre keine Bewegungen mehr hervor. Demnach sind die von der Sehsphäre her ausgelösten Augenbewegungen nicht unmittelbare, sondern erst secundäre Folge der Reizung. Von den anderen beiden Rindenstellen kann man das Gleiche mit | einem ziemlich hohen Grade von Wahrscheinlichkeit für die in der Nacken- region gelegene Reizstelle annehmen. Erstlich sind die von hier ausgelösten Bewegungen assocürte Be- wegungen beider Augen. Es ist klar, dass, wenn von zwei Centren das eine eine einseitige, das andere eine doppelseitige Bewegung hervorruft, das \ erste als das unmittelbar mit dem Organ zusammenhängende, das zweite dagegen als ein Centrum höherer Ordnung zu betrachten sein wird. Zweitens ist die Anordnung der „motorischen Punkte“ der Grosshirnrinde im All- gemeinen derart, dass sie der topographischen Anordnung der betreffenden Bewegungsorgane entspricht. So liest das Rindenfeld, von dem die Kehl- kopfmuskeln innervirt werden, in demjenigen Theile der „Nackenregion“, von der man Bewegungen der vorderen Halsmuskeln bekommt,! obschon die Function der Kehlkopfmuskeln von der der Halsmuskeln gänzlich getrennt ist. Es ıst also nieht wahrscheinlich, dass die Augenbewegungen ihr Rindengebiet , an einer Stelle haben sollten, die in Uebrigen den Nackenmuskeln gehört. ‘ Drittens erfolgt bei Reizung dieser Stelle fast nie Bewegung der Augen allein, sondern fast immer eine Bewegung des Kopfes und der Augen in gleichem Sinne. Dadurch erweist sich die Augenbewegung geradezu als , eine Mitbewegung, die der des Halses und Kopfes assocürt ist.” Viertens ‘ H. Krause, Grosshirnrinde und Kehlkopf. Dies Archiv. 1882. Physiol. Abthlg, ? Freilich erhielten wir in einigen Fällen auch reine Augenbewegung ohne Er- regung der Nackenmuskeln, und zwar bald von einer mehr lateral, bald von einer ı mehr medial gelegenen Stelle desjenigen Bezirkes, von dem aus Augenbewegungen , hervorzurufen waren. 176 R. pu Boıs-REeymonD UND P. SILEx: lässt sich für die oben gegebene Anschauung folgender Versuch verwerthen: Reizt man gleichzeitig die Nackenregion und die Stelle im Facialisgebiet, so überwiegt die Wirkung der letzteren. Reizt man zuerst in der Nacken- region und gleich nachher in dem Facialisgebiet, so kann die zuerst ein- getretene Bewegung geradezu umgekehrt werden. Es bleibt demnach als diejenige Stelle der Hirnrinde, die man als primäres, unmittelbar der „willkürlichen“ Augenbewegung übergeordnetes Centrum auffassen muss, die Stelle im Facialisgebiet übrig." Die eben mit Bezug auf die Nackenregion ausgeführte Betrachtung über die topographische Eintheilung der Hirnrinde führte Hitzig darauf,? gerade an dieser Stelle ein „Centrum für die Augenmuskeln“ zu suchen. Die ersten Versuche waren erfolglos: „Das Centrum für die Augenmuskeln fällt nämlich mit einem Theile des Facialiscentrums zusammen. Wir wurden also durch den Lidschluss, und bei Verhinderung desselben durch die dennoch stattfindende Con- traction des Orbicularis palpebrarum gestört. Ausserdem sind die Exeur- sionen des Bulbus bei dieser Form des Versuches manchmal selbst auf starke Ströme nur gering. Zur Beseitigung dieser Hindernisse machte ich, als ich sie erst einmal kannte, den Versuchsthieren die Neurotomie des Facialis und stach ausser- dem eine Carlsbader Nadel, an deren Kopf eine senkrechte Papierfahne be- festigt war, als Fühlhebel durch das Centrum der Cornea in den Glaskörper. Als ich nun die Centren so hergerichteter Thiere reizte, machte der Fühlhebel synchronisch eine Bewegung in der Regel nach einer Richtung, manchmal aber auch zwei ausserordentlich schnell auf einander folgende Bewegungen nach entgegengesetzten Richtungen, so dass der zweite "Theil der ersten Bewegung von der zweiten gleichsam verschlungen wurde. Ferner war sehr auffallend, dass man bei der einen Reihe von Versuchen immer dieselbe Muskel-, und zwar mit Vorliebe Superiorwirkung bekam und keine andere, und dass dann bei einer anderen Reihe ein anderer Muskel, ins- besondere der Abducens an die Stelle des Superior trat.“ Hieraus zog Hitzig den Schluss, dass „die Innervation der Augenmuskeln um einen relativ ! Kniess, Archiv für Augenheilkunde. 1891. 8. 19) äussert sich allerdings auf Grund eines Litteraturstudiums unter Verwerthung vieler Hypothesen, olme aber selbst experimentell gearbeitet zu haben, wie folgt: Für die willkürliche Iunervation der Augenmuskeln bestehen zwei getrennte corticale Gebiete: a) die sogenannte Selisphäre für die willkürliche Bewegung des Auges einschliesslich Convergenz und Accommo- dation, b) die bekannte Stelle in der motorischen Rinde für die Bewegung des Augen- lides, speciell für den Levator palpebrae superioris. Dass diese Sätze nicht richtig sind, erhellt aus den oben eitirten Arbeiten Prof. Munk’s, sowie auch aus Folgendem. ” Dies Archiv. 1873. Physiol. Abthlg. ÜBER CORTICALE REIZUNG DER AUGENMUSKELN. Kur kleinen Herd gruppirt sei,“ und erwies die Richtigkeit dieser Annahme durch den Versuch, indem er die einzelnen Augenmuskeln in der Reihenfolge, in der ihr Reizeffect zu Tage trat, durchschnitt, und so nach einander, bei unveränderter Stellung der Elektroden, die Wirkung sämmtlicher vier gerader Augenmuskeln erhielt. Ein Fall von einseitigem Nystagmus nach Stoss auf den Schädel wurde für uns zur Veranlassung, den Einfluss der Grosshirnrinde auf die Be- wegungen der Augen, ‚und insbesondere die Bedeutung des von Hitzig bezeichneten Centrums zu untersuchen, das einseitige Bewegung hervor- ruft. Der betreffende Fall ist anderweitig besprochen. Es sei hier nur angegeben, dass einseitiger Nystagmus nicht ganz selten bei Kindern vor- kommt, und von Raudnitz auf dauernden Aufenthalt in dunkler Wohnung bezogen worden ist.! Diese Erklärung passt aber für viele Fälle nicht. Silex hat auch bei einer 20jährigen Patientin einseitigen Nystagmus be- obachtet, bei der aus dem gleichzeitig bestehenden Sehnervenleiden auf eine cerebrale Erkrankung geschlossen werden konnte. Noch deutlicher trat dies Moment in dem ersterwähnten Fall hervor, wo ein directes Trauma (ein Stein war dem Patienten, einem Maurer, auf den Kopf gefallen; Ver- letzung nicht nachzuweisen) den Nystagmus erzeugt hatte. Das Leiden bestand noch nach 1!/, Jahren. Da seit: der ersten Untersuchung von Fritsch und Hitzig diejenigen Augenbewegungen, welche von der Sehsphäre aus erregt werden, fast. aus- schliesslich das Interesse der Untersucher in Anspruch genommen haben, wie aus der Arbeit von Grewer zu ersehen ist,? galt es zunächst die er- wähnten Versuche zu wiederholen. Unsere Versuche wurden ausschliesslich an Hunden gemacht, auf die sich die Angaben Hitzig’s beziehen, und die sich ausserdem für Morphium- narkose eignen, die für diese Art Untersuchungen fast unentbehrlich ist. Die Thiere erhielten einige Zeit vor der Operation etwa 0.028” Morphium pro Kilogramm subcutan. Dann wurde unter Aethernarkose das Grosshirn in der gewünschten Ausdehnung nach der von Hitzig beschriebenen Me- _thode? freigelegt. Wir liessen darauf die Aetherwirkung vorübergehen, und führten die Reizversuche aus, indem das Thier vollständig bewegungslos im Morphiumschlaf verharrte. 1 Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. XLV. ? Aerztlicher Verein der Petersburger Nerven- und Bun ear Klinik. 25. September 1897. 3 Ueber die elektrische Erregbarkeit des hun Dies ER 1870. Physiol, Abthlg. — Untersuchungen über das Gehirn. 1874. 8.9. — Demnächst erscheinend: Bericht der ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg vom Jahre 1898. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 123 178 R. pu Bosıs-Reymond und P. Sıuex: Der gesuchte Punkt liest an der Stelle, wo die zweite Hirnwindung sich dem Bogen anschliesst, mit dem die erste den Sulcus eruciatus um- zieht, also auf der zweiten Windung ungefähr auf gleicher Höhe mit dem lateralen Ende des Suleus eruciatus. Der Reizpunkt ist übrigens schon dadurch leicht aufzufinden, dass selbst sehr schwache Ströme (Rollenabstand 130 — 120) Zuckung des Lides oder Augenschluss, natürlich am gegenseitigen Auge, bewirken. War auf diese Weise der richtige Punkt ermittelt, so wurde das Lid hochgebunden, erforderlichenfalls die Lidspalte erweitert, und nun mit langsam steigender Stromstärke gereizt, bis sich Augenbewegungen einstellten. Abgesehen davon, dass sich das Thier nicht immer in den geeigneten Zustand der Narkose bringen lässt (Hund 17 erhielt im Laufe des Versuches fast 0-5s®® Morphium und blieb trotzdem zu unruhig für den Versuch), misslingen die Versuche leicht dadurch, dass die Reizung mit schwachen Strömen keine oder nur minimale Bewegungen, die Reizung mit stärkeren Strömen (Rollenabstand 80 — 50) aber epileptiforme allgemeine Krämpfe hervorruft. Diese beginnen mit nach der Reizung andauerndem Zucken des gegenseitigen Lides und gehen dann auf Vorderbein und Hinterbein der Gegenseite und der gleichen Seite über. Solche Anfälle verhindern oft die Fortsetzung des Versuches. Die gelingenden Versuche bestätigen Hitzig’s Angabe, indem bei Rollenabstand 120 — 100 auf Reiz Bewegung des gegenseitigen Auges eintritt. Fast ausnahmslos richtet sich dabei die Blicklinie noch ventral und lateral. Der Umfang der Bewegung war, wie auch Hitzig angiebt, oft nur gering. Indem wir die Richtigkeit der Hypothese voraussetzten, dass die Reiz- stellen für sämmtliche einzelne Augenmuskeln an der untersuchten Stelle eng zusammengedrängt sind, suchten wir innerhalb des betreffenden Ge- bietes die nähere Localisation festzustellen. In vielen Fällen war mit ge- ringen Verschiebungen der Knopfelektroden auch Veränderung der Bewegung verbunden. So erhielten wir im Versuche 4: In der Mitte des oben be- zeichneten Parallelogramms Bewegung nach oben, vor und hinter der Mitte Nichts, temporal Bewegung schräg nach unten lateral, parietal schräg nach lateral und unten. Im Versuche 5: Vom parietalen Theile der Reizungs- stelle Bewegung nach unten, vom hinteren Theile nach lateral und unten, vom temporalen nach lateral. Im Versuche 8: In der Mitte der Reizstelle Nichts, dagegen von parietal die gewöhnliche Bewegung nach unten lateral, oceipitalwärts Bewegung nach lateral. Versuch 19: Lidschluss nur an einer bestimmten Stelle, Augenbewegung in beschränktem Umkreise. Versuch 10: Augenbewegung nur von der Mittelstelle, Lidschluss in einem Umkreise von 5”m Durchmesser (Rollenabstand 100). Versuch 16: Bewegungen einzig von der Mittelstelle, die in diesem Falle ein isolirtes Furchenstück darstellte. ÜBER CORTICALE REIZUNG DER AUGENMUSKELN. 179 - Diese wechselnden und unbestimmten Ergebnisse, besonders aber der letzt angeführte Befund, legten es nahe, zu untersuchen, ob der Bau der zweiten Windung in allen Fällen so gleichartig sei, dass man die ver- schiedenen Thiere mit einander vergleichen, und von Localisationsversuchen gleiche Ergebnisse erwarten dürfe. Es stellte sich sogleich heraus, dass die Configuration des betreffenden Gebietes bei verschiedenen Individuen be- trächtlich verschieden ist. In 4 Fällen lag das Reizungsgebiet gerade in einer ausgeprägten Zweigfurche, die sich von der ersten Hauptfurche nach oceipitalwärts erstreckte. Dieser Querfurche entsprach bei solchen Gehirnen, die keine äusserlich sichtbare Furche aufwiesen, eine eben bemerkbare Ver- diekung der Rindensubstanz. .Wo dagegen die Furche vorhanden war, reichte die graue Substanz weit über den Furchenspalt hinaus und um mehr als das Vierfache der Dicke der benachbarten Rindenschicht in Form einer scharfwinkeligen Falte in das Innere der Hemisphäre hinein. In solchen Fällen, wo man eben nur beim Einsetzen der Elektroden in die Furche selbst überhaupt einen Reizerfolg erzielt, ist von vornherein klar, dass man keine genauere Localisation erkennen kann. In den anderen Fällen lässt sich zwar kein directer Zusammenhang zwischen dem Versuchs- erfolge und dem anatomischen Befunde nachweisen, doch ist durch das Vorkommen so grosser Unterschiede in der Vertheilung der Rindensubstanz die Annahme begründet, dass die oberflächliche Reizung bei verschiedenen Individuen ganz verschiedene Stellen trifft. Dass das reizbare Gebiet, so klein es mitunter an der Oberfläche er- scheint, doch eine ziemliche Ausbreitung hat, geht auch daraus hervor, dass man von der Oberfläche eine mehrere Millimeter dicke Schicht ab- tragen kann und durch Reizung der darunter liegenden Schicht noch un- veränderte Bewegung erhält. Geht man noch tiefer, so bleibt zuerst die Bewegung des Auges aus, doch erfolgt noch immer Lidschluss. Erst wenn man noch mehr abträgt, bleibt der Reiz ohne Erfole. Da auf diese Weise die Anschauung Hitzig’s sich nicht bestätigen liess, dass nämlich eine Anzahl einzelner Reizpunkte für die einzelnen Augenmuskeln, räumlich nur um sehr geringe Strecken von einander ge- - trennt, vorhanden seien, machten wir auch die Versuche mit Muskel- durchschneidungen nach. Der geringe Umfang der Bewegungen erklärt sich nach Hitzig daraus, dass sämmtliche Muskeln zugleich gereizt werden, so dass nur der Unterschied ihrer Wirkungen in Erscheinung tritt. ‘Während der hierbei resultirende Unterschied nach Hitzig in der Regel als Superior-Wirkung erscheint, also in einer Bewegung des Auges nach oben besteht, wog bei unseren Versuchen fast ausnahmslos die Wirkung des Externus vor, den Hitzig an zweiter Stelle nennt. An zweiter Stelle ‚stand bei uns der Inferior, Superior- Wirkung wurde nur einmal be- 102: 180 - BR, ou Bois-Reymonn uno P. Sivex: obachtet. Ebenso wenig passte in den allermeisten Fällen das Verhalten nach Durchschneidung einzelner Muskeln zu der Beschreibung von Hitzig. Wenn das Gleichgewicht des Muskelzuges aller Muskeln zusammen so voll- kommen ist, dass nur eine geringe Wirkung nach einer Seite erfolgt, so müsste die Durchschneidung eines der Muskeln eine sehr wesentliche Aen- derung zu Gunsten der anderen Seite hervorbringen. Man würde erwarten, dass, wenn auf Reizung aller Muskeln eine kleine Bewegung nach lateral erfolgt, nach Durchschneidung des Externus eine sehr viel stärkere Be- wegung nach medial folgen müsste. Das war aber nie der Fall. Wohl änderte sich die Richtung der vorhandenen Bewegung, und zwar meist im Sinne des unternommenen Eingriffes, aber der Umfang der Bewegung war höchstens derselbe wie vorher. So ergab unter Anderem Versuch 10: Bewegung nach lateral, nach Durchschneidung des In- ferior- nach lateral. Versuch 6: Bewegung nach unten lateral, nach Durchschneidung des Internus nach unten. Versuch 5: Bewegung nach unten lateral, nach Durchschneidung des Externus Bewegung nach unten, nach Durchschneidung des Superior nach unten ohne Verstärkung. Versuch 19: Bewegung nach lateral, nach Durchschneidung des Ex- ternus nach ohen, nach Durchschneidung des Inferior keine Bewegung mehr. Diese Ergebnisse sind schwer mit der Anschauung Hitzig’s zu ver- einigen, man müsste denn annehmen, dass durch die Manipulation bei der Durchschneidung, bei der ja eine gewisse Schädigung der Muskeln unver- meidlich ist, die Functionen der undurchschnittenen Muskeln beeinträchtigt würden. Andererseits muss bemerkt werden, dass eine Reibe von Versuchen wenigstens qualitativ den Angaben Hitzig’s entsprechend ausfielen. So war das Gesammtergebniss beim Versuch 5: Bewegung nach unten lateral. Nach Durchschneidung des Externus Bewegung nach unten. Nach Durchschneidung des Superior Bewegung nach unten ohne Verstärkung, nach Durchschneidung des In- ferior Bewegung nach medial, nach Durchschneidung des Internus keine Bewegung mehr. Versuch 8: Bewegung nach unten und lateral. Nach Durchschneidung des Internus stärker nach lateral, nach Durchschneidung des Inferior rein nach lateral, nach Durchschneidung des Externus keine Bewegung mehr. (Hier war Bewegung nach oben zu erwarten.) : Versuch 11: Bewegung nach unten und lateral. Nach Durchschnei- dung des Inferior nach oben und lateral. Es gelang also erst durch eine längere Reihe von Versuchen, die Wirkung aller Augenmuskeln zu erhalten. ÜBER CORTICALE REIZUNG DER AUGENMUSKELN. 181 Diese Scehwieriekeiten, zusammen mit der Kleinheit der Bewegungen, führen auf die Vorstellung, es seien an der betreffenden Rindenstelle nur Reizpunkte für einen Theil der Augenmuskeln, insbesondere vielleicht für die schiefen Muskeln, vertreten. Hitzig hat die schiefen Muskeln absicht- lich ganz ausser Betracht gelassen. Die Durchschneidung des Obliquus superior hatte aber nur sehr geringen Einfluss, indem die Bewegung nach unten eine Spur weniger ausgiebig wurde. Wurden nun auch Externus und Inferior durchschnitten, so war von der supponirten Wirkung des Obliqguus inferior nichts zu erkennen. Wiederholt stellte sich bei der Durchschneidung einzelner Muskeln das paradoxe Ergebniss heraus, dass die Bewegungen dennoch fast wie bei un- verletztem Muskel fortbestanden. Hierdurch wurden wir auf eine Beobachtung seführt, die für diese und ähnliche Untersuchungen nicht unwesentlich ist. Bekanntlich findet sich bei Thieren neben den auch beim Menschen vor- handenen Augenmuskeln noch der sogenannte „Retraetor bulbi“. Obschon ‚dieser durch seine Benennung und die gewöhnlichen Angaben als einheitlicher Muskel gekennzeichnet ist, beweist der Augenschein sehr deutlich, dass dieser Muskel aus vier besonderen Bündeln besteht, die den geraden Augenmuskeln entsprechen. Die drei medialen Bündel werden vom Oculomotorius; das laterale vom Abducens innervirt. Sowohl beim Hunde als auch bei der Katze und beim Kaninchen schickt der Abducens einen Zweig zum lateralen Bündel des Retraetor, während die übrigen Bündel vom Oculo- motorius innervirt werden." Die Durchschneidung der geraden Augen- muskeln schaltet demnach die Bewegungsfähigkeit des Auges nicht noth- wendiger Weise völlig aus.” Die Bewegungen, die durch die Retractorfasern hervorgebracht werden, können natürlich nicht sehr umfangreich sein, und es ist schwer, a priori zu sagen, welche Richtung sie haben werden. Denn da diese Muskelbündel ganz nahe am hinteren Pole des Bulbus inseriren, wäre es möglich, dass ihre Zusammenziehung gerade die entgegengesetzte Wirkung hätte, wie die des entsprechenden Augenmuskels. Endlich sei noch erwähnt, dass, sobald man genöthigt ist, etwas stärkere ! Die Angaben der Lehrbücher über diesen Punkt gehen aus einander. R. Owen (Comparative anatomy of vertebrates. London 1868. Vol. III. p. 258) sagt ganz kurz und allgemein, dass der „Suspensor oculi“ vom 6. Hirnnerven innervirt werde. Ebenso Wiedersheim (Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Jena 1888. S. 223). Dasselbe giebt W. Krause (Zeitschrift für rationelle Med. 1863. Bd. XVII. 8.136) von der Katze an. Vom Kaninchen sagt. derselbe Autor (Anatomie des Kanin- chens. Leipzig 1884. 8.132), dass der Retractor vom Oculomotorius versorgt werde. 2 Bei Versuchen über den Antagonismus der Augenmuskeln können hierdurch Fehler entstehen. Sherrington (Proc. Royal Soc. Vol. LIII. p. 407) hat dies ver- mieden, da er die Muskeln nicht durch Tenotomie ausschaltete, sondern die betreffenden Nerven oberhalb der Orbita durchschnitt, 182 R. pu Bois-REyMonD unD P. SILkx: Ströme zu verwenden (Rollenabstand 100 und darunter), fast ausnahmslos geringe, manchmal aber auch ganz erhebliche Bewegungen des gleichseitigen Auges eintreten. Diese Bewegungen sind, wie man sich durch Control- versuche an indifferenten Rindenstellen oder auch durch anderweitige sen- sible Reizung überzeugen kann, reflectorische Reactionen auf sensible Er- regung, Minimale Mitbewegung, die sich nicht ohne Weiteres als Reflex- bewegung zu erkennen giebt, kommt auch mitunter vor, aber nur bei Anwendung noch stärkerer Reize. Der weiter unten beschriebene Faser- verlauf macht es wahrscheinlich, dass in diesem Falle die Erregung that- sächlich in die gegenseitige Hemisphäre übergeht. Die Lidzuckungen, die einem epileptiformen Anfall vorauszugehen pflegen, sind dagegen immer auf das gegenseitige Auge beschränkt. Um festzustellen, dass bei diesen Versuchen die Bewegung thatsächlich von der Rinde aus unmittelbar zu den niederen Centren und nicht erst zu anderen Rindengebieten gelange, wurde noch folgender Versuch angestellt: Die Hemisphäre wurde in einiger Entfernung vor und hinter dem Reiz- punkte in frontalen Ebenen bis zur Eröffnung des Ventrikels eingeschnitten. Der Reizerfolg wurde dadurch nicht gestört. Verfolgt man die Degeneration, die nach Exstirpation der betreffenden Rindenstelle entsteht, mittels der Marchi’schen Methode an Schnitten, so kann man erkennen, dass nur wenige Faserzüge in der Richtung zu den benachbarten vorderen Rindengebieten verlaufen, viel stärkere Züge dagegen quer zum Balken und abwärts nach den Pyramidenbahnen, wo sie bis in den Hirnschenkelfuss zu verfolgen sind. Dieser Befund stimmt mit dem oben angegebenen Versuchsergebnisse, da bei der beschriebenen Schnitt- führung keine wesentliche Bahn getroffen wurde. | Unsere Versuche bestätigen also nur im Grossen und Ganzen die Hitzig’sche Lehre, dass der in Rede stehende Rindenpunkt die Bewegungen des gegenseitigen Auges beherrsche. In wie weit diese einseitige Innervation für die normalen Functionen des Auges in Betracht komme, sollte nun durch die Exstirpationsmethode ermittelt werden. Während wir hiermit beschäftigt waren, erschien eine Arbeit von Eckhard! über denselben Gegenstand, die ein vollständig negatives Ergebniss hat. Eckhard stellt zunächst fest, dass nach Exstirpation des betreffenden Theiles der Hirnrinde an den spontanen Lid- und Augenbewegungen keine Veränderung zu be- merken sei. Er geht dann zur Prüfung der Reflexbewegung über, und findet dasselbe negative Ergebniss in Bezug auf den Cornealreflex. Hieraus ı Centralblatt für Physiologie. 1898. Nr.1. ÜBER CORTICALE REIZUNG DER AUGENMUSKELN. 183 folgt, dass die Bahnen des Cornealreflexes, allgemein gesprochen, vollständig subcorticale sind. Wir dehnten deshalb die Prüfung auf eine Art des Reflexes aus, von dem wir annahmen, dass er den corticalen Reflexen näher stünde, nämlich auf den Lidschluss bei plötzlichem Gesichtseindrucke. Am besten liess sich die Prüfung an einseitig operirten Hunden vornehmen. Fährt man einem normalen Hunde plötzlich mit der Hand dicht vor das Auge (nachdem die Brauenhaare, um Fehler durch Tastreize zu vermeiden, abgeschoren sind), so erfolgt einseitiger, bei heftiger Handbewegung doppel- seitiger Lidschluss. Bei einseitig operirten Hunden blieb der Schluss auf der nicht operirten Seite (also an dem geschädigten Auge) in der Regel häufiger aus, als auf der anderen Seite. In einem Falle liess sich sogar feststellen, dass das Auge der nicht operirten Seite vor der heranfahrenden Hand nicht geschlossen wurde, während das normal gebliebene Auge, das nicht bedroht wurde, reagirte. An zweiseitig operirten Hunden konnten wir ebenso wenig wie Eck- hard deutliche Ausfallserscheinungen wahrnehmen. Die ceonjugirten Be- wegungen beider Augen, die von Kopfbewegungen begleitet sind, und die, durch die der Blick einem bewegten Gegenstande folgt, erschienen völlig ungestört. Wir. suchten aber hauptsächlich an denjenigen Bewegungen Abweichungen von der Norm zu entdecken, die man als „willkürliche“ oder rein spontane betrachten kann. Wenn der Hund ruhig auf einem Tische liest, und im Zimmer keine Bewegungen vor sich gehen, so ist kein äusserer Anlass zu Augenbewegungen zu erkennen. Das Thier pfleet aber, wenn es munter genug ist, um nicht einzuschlafen, seine Blicke in einem ge- wissen Umkreise schweifen zu lassen, um bald in dieser, bald in jener Richtung zu starren. Diese Bewegungen gingen bei den operirten Hunden nicht ruhig, sondern ruckweise von Statten, so dass mehrere Zuckungen erfolgten, bis das Auge auf einen neuen Fixationspunkt gerichtet war. Weder diese Erscheinung, noch die eben erwähnte Abnahme der Reflex- thätiekeit trat indessen so regelmässig ein, dass man daraus auf bestimmte Functionen der exstirpirten Hirntheile hätte schliessen können. Wir müssen also mit Eckhard zugestehen, dass Exstirpation des Hitzig’schen Rinden- - punktes die Function des Auges nicht merklich beeinflusst. Der experimentelle Beweis für das Vorhandensein eines jeden derartigen „Centrums“ wird in der Regel auf zwei Arten erbracht, erstens durch Reiz- versuche, zweitens durch Exstirpationsversuche. Der erste Theil des Beweises lässt sich, wie auch unsere Versuche lehren, wenn auch nicht ganz einwands- frei, doch ziemlich sicher führen. Der zweite Theil des Beweises steht gänzlich aus. Die beobachteten Bewegungen lassen sich aber nur durch ein solches „Centrum“ erklären, wenn man nicht annehmen will, dass sie, entgegen dem gemeinsamen Urtheile aller Beobachter, nicht unmittelbar von der Hirn- 184 R. pu Bo1s-ReymonD unD P. SILEx: ÜBER CORTICALE REIZUNG v.S.W. rinde aus, sondern auf reflectorischem Wege hervorgerufen werden. .Be- denkt man, dass sogar in denjenigen Rindengebieten, von denen aus Be- wegung der Extremität ausgelöst wird, umfangreiche Exstirpationen mitunter überraschend geringe Bewegungsstörungen zur Folge haben, so erscheint es nicht ausgeschlossen, dass bei dem sehr verwickelten Bewegungsmechanismus der Augen, die von verschiedenen Seiten her reflectorisch zur Bewegung angeregt werden, der Ausfall eines Theiles der Bewegungen der Beobachtung entginge. Dies könnte um so leichter geschehen, wenn die Eingangs ge- sebene Darstellung richtig ist, und es sich nur um die „rein willkürlichen“ Bewegungen handelt. Diese spielen schon beim Menschen eine sehr un- bedeutende Rolle, und beim Thiere gewiss eine noch viel geringere. Wenn ein Mensch bei völliger Dunkelheit oder mit geschlossenen Lidern die Augen auf Commando in beliebigem Sinne bewegt, so muss man annehmen, dass die Bewegung durch rein willkürliche, von der Hirnrinde stammende Inner- vationsimpulse hervorgerufen wird. Beim Thiere lassen sich die hierzu er- forderlichen Bedingungen nicht herstellen, und man weiss daher nie, in wie fern etwa beobachtete Bewegungen wirklich spontan zu nennen sind. | JUL 17 1899 Ein Fall von Worttaubheit. Von Prof. Dr. EB. Mendel in Berlin. In der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven- krankheiten vom 11. Juli 1898 stellte ich einen Mann vor, dessen Krank- heitsgeschichte folgende ist: C. O., 44 Jahre alt, Agent. Stammt aus gesunder Familie, ist seit 1!/, Jahren verheirathet und hat ein gesundes Kind. Er ist Soldat ge- wesen und hat irgend welche erhebliche Krankheiten in seinem Leben bisher nieht überstanden. Vor zehn bis fünfzehn Jahren soll ihm eine schwere Stange auf den Kopf gefallen sein, ohne dass irgend welche krankhafte Erscheinungen nachträglich zu Tage traten. Syphilis ist nicht vorhanden gewesen und im Genuss des Rauchens ist er immer mässig gewesen. Seit 15 Jahren besteht Stockschnupfen. Er ist rechtshändig. Der Beginn der jetzigen Krankheit war am 18. April 1898 mit Schwindel, Kopfschmerzen und Frösteln. Gleichzeitig waren ihm die Namen der Angehörigen entfallen und er verwechselte die Worte. So nannte er z. B. Doctor: Apotheker. Am selben Tage traten sehr lebhafte subjective Geruchsempfindungen auf. Dieselben kamen immer von rechts aus der Wand. Am 30. April untersuchte ihn Hr. Dr. Munter. Abgesehen von einer ‚ amnestischen und paraphatischen Sprachstörung fanden sich keinerlei Ver- änderungen im Nervensystem. Die Untersuchung des Nasenrachenraumes ' durch Hrn. Dr. Herzfeld ergab Gallertpolypen im rechten Nasenrachen- ' raum, welche entfernt wurden. Nach 14 Tagen wurde die Hishmorshöhle ‚ rechts geöffnet und eine geringe Menge mit Bröckeln vermischten Wassers entleert. Es trat geringes Fieber auf. Die Gehörfähigkeit war für Flüsterstimme beiderseits 7 bis S" und | das Sprachverständniss ein derartiges, dass er noch nachsprechen konnte und verstand, worauf es ankam; doch war die Paraphasie nicht völlig geschwunden. 186 E. MENDEL;: Patient reiste am 20. Mai nach Haus, hier merkten Ende dieses Monats die Angehörigen, dass Patient das linke Bein etwas nachschleppte und nach ein paar Tagen auch den linken Arm nicht genügend benutzen konnte. Der Zustand des linken Beines verschlimmerte sich, während der des linken Armes sich besserte. Dabei nahmen die Klagen über Kopfschmerzen und Schwindel zu. Patient wurde leicht erregt und fing wegen Kleinigkeiten | zu schimpfen an. Ferner zeigte sich, dass Patient alles falsch verstand und „durch einander sprach“. Er wurde sehr schläfrig und duselig. Auch einzelne verkehrte Handlungen zeigten sich, er urinirte in ein Wasserglas, bot Frauen Cigarren an u. s. w. Am 20. Juni 1898 wurde er in meine Klinik aufgenommen. Hier hat er bis jetzt ziemlich unverändert folgendes Bild geboten: In Bezug auf die Beschaffenheit der Sprache giebt die folgende Unter- redung einen Anhaltspunkt. Wie heissen Sie? — Ist immer noch egal. Wie alt sind Sie? — Gestern Abend war es schlecht. Wo wohnen Sie? — Ich hab es mächtig ins Herz (meint Schmerz) gekriegt. Thut Ihnen was weh? — Es war egal, es thut mir mächtig weh. Wo thut Ihnen was weh? — Er war immer egal den ganzen Abend. Zeigen Sie die Stelle! — Fasst rechts nach dem Hinterkopfe und sagt: gestern Abend. Haben Sie Appetit? — Fasst wieder nach dem Hinterkopf und sagt: ist immer egal. Wollen Sie nach Haus? (Er drängt sehr nach Haus.) — Esist immer egal. Wo sind Sie her? — Es war immer egal mit mir. „Mein Bruder war heute auch hier“ (gestern thatsächlich). Spontan spricht der Kranke sehr wenig, doch hat er wiederholt auch gesagt: „Ja, ja, mir ist immer so schnurrig, ich weiss gar nicht so schnurrig, schnurrig ist mir immer so,“ oder: „Ich weiss immer nicht recht, was ich sagen soll,“ oder: „Manchmal kriege ich einen ganz guten Sinn.“ Als ihm bei der Untersuchung etwas unwohl wurde, wies er auf das Fenster, „kann man da nicht etwas aufmachen?“ An einem Tage erzählte er: „Gestern Abend war meine Schwester hier und hat mich gefragt, ob nicht bald etwas gemacht würde“ (d. h. therapeutisch). Das Nachsprechen ist zuweilen gar nicht von ihm zu erzielen. An anderen Tagen geht es jedoch damit besser, wie der folgende Versuch zeigt (auf Befragen — nachsprechen): Sagen Sie mal „Schlüssel“ — Ja. Orth Arch. En, KanllOrthi — Ein Orth: " »” » „Neu Trebbin“ — Neu Trebbin. Eın FALL von WORTTAUBHEIT. 187 Sagen Sie mal „Orth“ — Neu Trebbin. i Behr Uhr ; » » „goldene Uhr“ — eine goldene Uhr. N » 9 „Bleistift“ — Bleistift. » „Messer“ — Messer. Y) , Als ihm verschiedene Gegenstände zur Auswahl und Bezeichnung vor- gelegt wurden, ergiebt sich Folgendes: Wie heisst das? (Vorzeigen eines Portemonnaies.) — Wird da so ein gewöhnliches Dings, was Sie da haben. (Zeigt auf seinen Kopf.) Beim Zeigen einer Mark — „Feiner Flieder“. (Zeigt immer aufden Kopf.) Beim Zeigen eines Groschen — Ist ein Groschen. 5 ; „ 50 Pfennigstückes — Ist ein 4 Groschenstück. n h, „ Markstückes erg h n ee „ 3 Markstückes — 0 4 hr h en „ 20 Markstückes — ,„ „ 4 ı; 5% R „» 9 Markscheines — „ „5 4 Dagegen erkennt er die ihn besuchenden Verwandten gleich, redet seinen Bruder mit dem richtigen Namen Fritz an, verwechselt jedoch die Namen seiner beiden Schwestern. Wenn die Aerzte kommen, äussert er wiederholt: „Jetzt kommen die Männer, es wäre doch ganz schön, wenn was gemacht würde, wenn sie was würden machen, dass das gut würde, mein Vater freut sich dann!“ Auch Hrn. Dr. Herzfeld, welchen er längere Zeit nicht gesehen hatte, erkennt er sofort. Er spielt auch durchaus ver- ständig Mühle mit einem anderen Patienten, verwechselt jedoch oft die weissen und schwarzen Steine. Beim Lesen von geschriebenen Worten und Zahlen wird Folgendes ermittelt: Karl Orth liest: Soll Neu Trebbin heissen. Neu Trebbin liest: Rubbin. I Liest: „r“. 3 liest: Soll Neu Trebbin heissen. 1898 liest: „1898“, 1 liest 5,1.” De Sun), DE zw uud. De Eine BB IE, „12“ 188 E. MENDEL: Die Leseprobe von Gedrucktem zeigt, dass er die Worte ver- wechselt, statt Canäle „Vermährung‘“ liest. Auf dem Kopfe einer Zeitung liest er statt Berlin „Berlen“, kommt aber nicht weiter. Aufgefordert, seinen Namen, Wohnort und Datum zu schreiben, schreibt er: Carl Orth. Neu Trebbin Amt 7 Uhhiel 1888 (soll heissen: am 7. Juli 1898). Am Besten giebt über die Art und Weise seines spontanen Schreibens folgender Brief Kunde: Neutrebbin Beine Liebe Wwester Weine liebe Wwester threinen dir dier heute meine . hemihände häute Wir gehets es dierst wenn ich dals womenst kann dan dwes ich bald kommen kann. Mein kneist in noch recht wrachts mreicht. Wenn du noch kasten hauften kostets, dan deisse me kost und helft reicht bald. Wenn ich du fauche, dann weist ich dicht gueuu wein ich werde zu guse komma göümmse Meine liebe marta mih mit ich immer ich noch dahr kniede. Wenn ich duhause kmeisse ich micher noch nicht nicht mein ich. Den Namen seiner Frau ist er nicht im Stande spontan zu schreiben. Vorgeschriebenes schreibt er in folgender Weise nach: Martha Orth? — Marlhe Orth. Berlin? — Lnbiin? 1898! — 1898. Gedrucktes kann er nicht nachschreiben, er versucht es nachzumalen, kommt aber damit nicht zu Stande. Bei einer zu anderer Zeit vorgenommenen Untersuchung wurde ihm aufgeschrieben, 5 plus 6 zu rechnen, er giebt zu verstehen, dass man dies machen kann, addirt jedoch nicht. An einem anderen Tag liest er süss, sauer, salzig, statt bitter liest er sützig. Nachdem ihm bei starker Chinin- application auf die Zunge, unter lebhaftem Verziehen des Gesichts, das Wort „Bitter“ entfahren ist, liest er auch jetzt richtig. Er empfindet dabei, dass er richtig gelesen hat und sagt: „Des freut mir sehr, dass es besser geworden ist.“ Nachdem der Geschmackseindruck geschwunden ist, liest er wieder „sützig“ statt „bitter“. Die geschilderten Störungen zeigen, dass der Kranke an sensorischer Aphasie, an amnestischer Aphasie, an Paraphasie, an Wortblindheit, an Alexie, Agraphie und Paragraphie leidet. Die weitere Untersuchung ergiebt: Es bestehen auch jetzt noch deut- liche Geruchshallucinationen, indem er wiederholt bei Darreichen von reinem Wasser, ohne es gekostet zu haben, ausrief: „Es stinkt!“ | } | Eın FALL von WORTTAUBHEIT. 189 Die Untersuchung des Sehapparates durch Hrn. Geheimrath Professor Dr. Hirschberg ergab normalen Augenhintergrund. Es besteht keine Hemianopsie Die linke Lidspalte ist ein wenig enger als die rechte, die Augenbewegungen sind frei. Die Pupillen sind von mittlerer Weite, gleich und von normaler Reaction auf Licht und Accommodation. Am Gehörapparat zeigten sich beiderseits verdickte und getrübte Trommelfelle. Es ist jedoch unzweifelhaft, dass der Kranke gut hört. So ruft er, wenn ein Kranker im oberen Stockwerk zu singen anfängt: „Der ist ja ganz und gar verrückt!“ und ebenso, wenn eine in einem anderen Flügel des Hauses befindliche Epileptische im Anfall schreit: „Die ist verrückt!“ Wiederholt bei den Untersuchungen und auch sonst klagt er über die rechte Seite des Kopfes. Die linke Nasenlippenfalte ist weniger ausgeprägt als die rechte. Der rechte Gaumenbogen ist flacher als der linke. Der Nasenbefund ergiebt keine wesentliche Abnormität. An der Zunge ist nichts Abnormes. Beim Erheben der Arme bleibt der linke Arm zurück. Es können alle Bewegungen mit dem linken Arm ausgeführt werden, doch erscheinen dieselben schwächer als rechts. Das linke Bein wird beim Gehen nachgeschleppt, indem die Fussspitze über dem Boden schleift. Die Bewegungen im linken Bein werden alle mit geringerer Kraft ausgeführt, als rechts. Die Kniescheibensehnenreflexe sind beiderseits lebhaft, beiderseits besteht Kniescheibenclonus und auf der linken Seite auch Fussclonus. Die Hautreflexe, auch die Cremasterreflexe sind vorhanden und beider- seits gleich. Die Untersuchung des Hautgefühls lässt keine sicheren Abnormitäten erkennen, doch scheint es, als ob bei Nadelstichen im rechten Arm der Patient mehr zuckt, als im linken. Die inneren Organe bieten nach keiner Richtung hin irgend eine nennenswerthe Veränderung. Die Herztöne sind dumpf, der Puls ist klein, aber regelmässig, die Arterienwände erscheinen weich, doch lässt sich an den Temporales eine Schlängelung bemerken. Am Penis findet sich keine Narbe. Es sind keine Drüsenschwellungen , vorhanden. Der Urin ist frei von Zucker und Eiweiss. DBemerkt mag dabei noch werden, dass Pat. einmal in das Bett urinirte und wiederholt in einen Speinapf. Er speit auch im Gegensatz zu seinen früheren Gewohn- ‚ heiten viel in die Stube. Die Temperaturmessungen ergaben subnormale Temperaturen, ohne ‚ Differenzen von Morgen- und Abendtemperaturen. Das Körpergewicht be- trägt 64.28, 190 E. MENDEL: Eine Untersuchung mittels Röntgenstrahlen ergab ein negatives Resultat. Als wesentlicher Befund aus diesem Ergebniss der Unter- suchung ist hervorzuheben: Linksseitige Hemiparese, mit be- sonderer Betheiligung des linken Beines und Geruchshallu- cinationen. Unter den psychischen Symptomen, welche der Kranke zeigt, ist als das hervorstechendste die Worttaubheit zu bezeichnen. Mit dieser Wort- taubheit in Verbindung steht die Veränderung in der Sprache. Hermann Munk! hat mit dem Namen „Seelentaubheit“ einen Zu- stand bezeichnet, welchen er in folgender Weise charakterisirte Hatte er bei einem Hunde auf beiden Seiten die Schläfenlappen an ihrer unteren Spitze exstirpirt, so hörte der Hund zwar noch — jedes ungewöhnliche Geräusch zog ein gleichmässiges Spitzen der Ohren nach sich —, allein er versteht nicht mehr, was er hört. Die Bedeutung des „pst“, „komm“, „horch“, „schön“, „Pfote“ und worauf er sonst noch früher eingeübt worden war, ist ihm vollkommen verloren gegangen, so dass nunmehr die Be- wegungen ausbleiben, welche er vorher fast maschinenmässig darnach vollführte. Bastian? macht die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Taubheit sehr gut an einem Beispiel klar. Beim Hören einer Glocke ist zu trennen: 1. Das Hören des Tones der Glocke; 2. Die Wahrnehmung, dass der Ton von einer Glocke herrührt; 3. Die Verbindung mit dem für den Begriff des tönenden Gegenstandes eingeführten Worte „Glocke“. Die Aufhebung der Function ad 1. heisst, soweit sie central bedingt ist, Rindentaubheit; die ad 2. Seelentaubheit und die ad 3. Worttaubheit. Die Pathologie des Menschen hat bei der Worttaubheit eine Reihe von Formen unterschieden: die corticale, die reine Worttaubheit oder sub- corticale sensorische Aphasie, ferner die transcorticale sensorische Aphasie. Ich kann aber aus eigener Erfahrung nicht finden, dass es in der That Fälle giebt, welche lediglich die Symptome dieser oder jener der aufgestellten Formen zeigen, und auch die in der Litteratur mitgetheilten Fälle bieten mir keinen Beweis dafür, dass die theoretisch eonstruirten Arten von Worttaubheit in der Wirklichkeit existiren. Selbst wenn man an einem Tage der Untersuchung eines derartigen Worttauben das Bild der reinen Worttaubheit oder der sogenannten transcorticalen Worttaubheit (das Wort „trans“-cortical scheint mir eine sehr unglückliche Bezeichnung, ! Ueber die Functionen der Grosshirnrinde Gesammelte Mittheilungen von Hermann Munk. Berlin 1890. Vortrag vom 15. März 1878. ; ® A treatise on aphasia and other speech defects. London 1898. p. 220. ie re Eım FAtLL von WORTTAUBHEIT. 191 da dadurch der Anschein erweckt wird, als ob jenseits des Cortex für den Gehirnpathologen noch etwas existirte), oder der „gewöhnlichen“ Worttaub- heit hat, so findet man bei der nächsten Untersuchung, dass die Reinheit des Bildes verschwunden ist. Der oben beschriebene Fall zeigte dement- sprechend auch an verschiedenen Tagen verschiedene Arten von Worttaub- heit. Auch der neueste, in sehr ausgezeichneter Weise von Liepmann! beschriebene Fall von reiner Sprachtaubheit lässt erkennen, dass bei der- selben auch Paragraphie vorhanden war, welche auf gewisse anderweitige aphatische Störungen schliessen lässt, als sie der „reinen“ Sprachtaubheit zukommen würden. 'Sichergestellt ist für den Menschen das, was das Thierexperiment von Munk beim Hunde zeigte, dass eine Störung im Verständniss der Sprache durch Verletzung der Schläfenlappen entsteht. Für den Hund ist nach den Experimenten von Munk zum Entstehen der Seelentaubheit die Entfernung der betreffenden Stellen auf beiden Seiten erforderlich. R | Beim Menschen wird nach den vorliegenden Erfahrungen angenommen, dass die Zerstörung der betreffenden Stelle auf der linken Seite bei Rechts- händern allein genügt, um die Worttaubheit hervorzurufen. So wenig be- zweifelt werden kann,? dass diese Stelle von hervorragender Bedeutung für - das Sprachverständniss ist, so scheinen mir die Acten darüber noch nicht geschlossen, ob das vollständige Bild einer andauernden Worttaubheit hervorgebracht werden kann lediglich durch die Affeetion eines Theiles der linken oberen Schläfenwindung. In dieser Beziehung möchte ich besonders hervorheben, wie die so häufig gerade den Schläfenlappen einnehmenden otitischen Hirnabscesse, welche ja in der Regel einseitig sind, so ungemein selten von Worttaub- _ heit begleitet werden. Von den sechs Fällen von Macewen,? welche einen Temporosphenoidalabscess zeigten und die für die vorliegende Frage in Betracht kommen, betrafen drei (Fall 25, 29, 30) den linken und drei (Fall 26, 27, 28) den rechten Schläfenlappen. In keinem dieser Fälle wird unter den ausführlich beschriebenen Symptomen Aphasie oder Worttaubheit erwähnt, und auch in dem Fall, in welchem bei einem 14jährigen Mädchen der ganze linke Schläfenlappen zerstört war (das Kind starb nach der Operation), war kein aphatisches ! Liepmann, Ein Fall von reiner Sprachtaubheit. Psychiatrische Abhandlungen von Wernicke. Breslau 1898. 2 Vgl. auch Mirallie, De l’aphasie sensorielle. Travail du laboratoire du Dr. Dejerine. Paris 1896. ! ® Macewen, Die infectiösen eitrigen Erkrankungen des Gehirns und Rücken- markes. Deutsch von Rudloff. 1898, 192 E. MENnDEL: Symptom wahrgenommen worden. Dagegen berichtet Macewen über einen Fall (Nr. 37), in welchem ein linksseitiger Kleinhirnabscess mit einem grossen subduralen, über dem Tentorium gelegenen Abscesse, welcher das hintere Drittel der oberen Schläfenwindungen, den Gyrus angularis und einen beträchtlichen Theil des angrenzenden Oeccipitallappens in Mitleiden- schaft gezogen hatte. Hier bestand bei dem 52 jährigen Mann Worttaub- heit und Seelenblindheit. In diesem Fall musste angenommen werden, dass auch der rechte Temporallappen in seiner Funetion gestört war. Oefter dagegen werden bei Hirmabscessen unentwickelte Sprach- störungen beobachtet. So berichtet Schmigelow,! dass er unter 54 Fällen linksseitiger otitischer Schläfenlappenabscesse 23 Mal Sprachstörungen gefunden: Kranke bedienten sich häufig falscher statt der richtigen Worte oder benannten die Gegenstände falsch. Nur einmal (Fall 2) wurde Worttaubheit bei einem otitischen Abscesse im Schläfenlappen gefunden. Auf diesen einen Fall bezieht sich auch Koerner,? ohne einen zweiten beibringen zu können. Steinbrügge? erwähnt einen Fall von otitischem Hirnabscess, wo ein grosser linksseitiger Schläfenlappenherd mit „par- tieller Worttaubheit“ einherging. Erscheint es nach diesen Beobachtungen über Abscesse im Schläfen- lappen auffallend, dass eine einseitige Zerstörung jenes Hirntheiles nie völlig ausgesprochene Worttaubheit hervorbringt, so ergiebt sich auf der anderen Seite, dass in einer Reihe von Fällen von sensorischer Aphasie die Obduction doppelseitige Erkrankung des Schläfenlappens zeigte. So war es in dem Fall Wernicke und Friedländer,* in den Fällen von Pick,° in dem Fall Mills,° in welchem bei einer 46jährigen Frau fast totale Worttaubheit 9 Jahre vor ihrem Tode eingetreten war, nachdem bereits 15 Jahre vor ihrem Tode nach einem apoplektischen Insult para- phasische Störungen sich gezeigt hatten. Die Obduction ergab die beiden hinteren Drittel der linken ersten Temporalwindung zu einem dünnen Streifen atrophirt, auch das hintere Viertel der zweiten Temporalwindung in derselben Weise. Auf der rechten Seite zeigte sich eine alte und aus- gedehnte hämorrhagische Cyste, welche die erste Temporalwindung völlig, die zweite fast völlig zerstört hatte. 1 Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVI. S. 265. 2 Die otitischen Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blutleiter Frankfurt a. M. 1896. 3 Deutsche medieinische Wochenschrift. 1897. Nr. 41. * Fortschritte der Medicin. 1883. 5 Archiv für Psychiatrie. Bd. XXI. 8. 909, und Beiträge zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Centralmervensystems Karger. 1898. S. 123. ° Citirt von Bastian, a.a.O. Fın FAuu von WORTTAUBHEIT. 193 In den beiden Fällen von Worttaubheit, welche Luciani und Seppilli beschreiben,! finden sich ebenfalls beiderseitige Affectionen der Schläfelappen, ebenso in dem Falle von Edgren.” Endlich hat auch der Fall von Dejerine-Serieux,? in welchem zuerst „reine Worttaubheit‘ bestanden, in dem sich dann nach und nach die innere Sprache verändert hatte und die klassischen Symptome der sensorischen Aphasie aufgetreten waren, bei der Section beide Temporallappen atrophisch gezeigt, auf die Hälfte in ihrem Umfang verringert, und traf die Läsion ausschliesslich die graue Substanz, in welcher die Tangentialfasern geschwunden waren. Auch in dem oben beschriebenen Fall ist eine solche doppelseitige Läsion anzunehmen. Der Anfall am 18 April 1898 brachte aphatische und paraphatische Störungen hervor, wahrscheinlich bestand auch damals Worttaubheit, welche aber von den Angehörigen nicht weiter beachtet und bei der ersten ärztlichen Untersuchung, 14 Tage später, nicht mehr deut- lich war. Es ist anzunehmen, dass damals ein Herd im linken Schläfen- lappen sich ausbildete; Ende Mai kam dann der zweite Anfall, welcher ausser der nun sich entwickelnden völligen und andauernden Worttaubheit eine Parese der linken Körperhälfte nach sich zog. Nähme man einen solchen doppelseitigen Herd nicht an, so könnte mit Rücksicht auf die linksseitigen motorischen Lähmungszustände nur ein Herd in dem rechten Schläfelappen existiren, und eine Worttaubheit bei einem Rechtshänder mit alleiniger Affection im rechten Schläfelappen würde im Widerspruch zu den bisherigen Erfahrungen stehen. Im Uebrigen zeigt sich auch, dass in Fällen von Worttaubheit, welche mit linksseitigen Paresen einhergehen und welche nicht zur Section kamen, der Verlauf der Krankheit die Annahme doppelseitiger Herde sehr wohl zulässt. Der berühmte Fall von Lichtheim* zeigt, dass zwei Schlag- anfälle der Worttaubheit vorangegangen; nach dem ersten war links- seitige Facialisparese aufgetreten und erst nach dem zweiten die Wort- taubheit. In dem Falle von Adler? waren mit linksseitiger Lähmung ebenfalls mehrere apoplektische Anfälle der sensorischen Aphasie voran- gegangen. Dass nur eine doppelseitige Affection im Stande ist, eine völlige und andauernde Worttaubheit hervorzubringen, würde auch mit unserer Auf- fassung der physiologischen Verhältnisse im Einklang stehen. Das Ver- stehen der Worte, die Verbindung des Klangbildes mit dem Wortbilde ist ! Deutsch von Fränkel. 1886. ? Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Bd. VI. 8.41. 3 Revue de Psychiatrie. 1898. Nr. 1. 4 Ueber Aphasie. Deutsches Archiv für klin. Medicin. 1885. Bd. XXXV, S. 204, 5 Neurologisches Centralblatt. 1891. S. 294, Archiv f, A, u, Ph, 1899, Physiol. Abthlg, 13 194 E. MEnDeEu: Eın FALL von WORTTAUBHEIT. ein sehr complexer Vorgang, welchen wir an ein einziges Centrum zu binden nicht im Stande sind. Dass die Klangbilder, deren richtige Wahr- nehmung die Voraussetzung der weiteren Associationsvorgänge ist, nur im linken Schläfelappen ihren Sitz haben sollen, ist mit Rücksicht auf die doppelseitige centrale Endigung des N. acusticus nicht recht begreiflich, verständlich wohl, dass bei dem unzweifelhaft einseitigen und zwar links- seitigen Sitz der Bewegungsvorstellungen der Sprache die linke Seite in Bezug auf die Verbindung des Klangbildes mit jenen eine bevorzugte Stellung einnimmt. So erscheint es nicht auffallend, dass bei einer acuten Schädigung des linken Schläfelappens Störungen im Verständniss der Worte mit paraphatischen Veränderungen auftreten; andauernd und ausgebildet werden jene Störungen aber erst dann hervortreten, wenn auch die Function des rechten Schläfelappens geschädigt ist. Dem entspricht auch die häufige klinische Beobachtung, dass nach ' einem plötzlich entstandenen Herde im linken Schläfelappen ! Worttaubheit eintritt, sich jedoch aber schnell wieder bessert, wie dies auch zuerst in unserem Falle angenommen wurde, als die rechte Seite intact war. Nicht ohne Interesse ist übrigens, wie vorübergehend hier auf dem Wege des Schmeckens das richtige Wort, das beim Lesen nicht zu Gebote stand, hervorgerufen werden konnte. Nachdem Pat. erst statt „bitter“ „sützig“ gelesen hatte, entfuhr ihm bei einer Chinin-Application auf die Zunge das richtige Wort: „bitter“. Die bestehende Agraphie bringe ich in directen Zusammenhang mit der Störung in der Sprache, während ich die Wortblindheit und die Alexie auf eine Ausdehnung des einen oder beider Herde auf den Gyrus angularis und den Hinterhauptslappen schiebe. Was die Art des Herdes bezw. der Herde betrifft, so ist bei Aus- schluss von Syphilis, für welche kein Anhaltspunkt vorhanden, und von Tumoren, für deren Diagnose sowohl die Stauungspapille wie Uebelkeit und Erbrechen fehlt und gegen deren Annahme der Verlauf spricht, nur an Erweichungsherde zu denken, mit deren Entwickelung die apoplectiforme Entstehung wie der klinische Yadaı in Uebereinstimmung steht. Gegen die Annahme eines oder mehrerer Abscesse im Hirn musste der Mangel jedes peripherischen Eiterherdes wie die klinische Beobachtung in Betracht kommen. ‘ Vgl. die neue Beobachtung von Bloch und Bielschowsky, Neurologisches Centralblatt. 1898. Nr. 16. Die „Lebenskraft“ in der Physiologie des 18. Jahrhunderts.’ Von Max Dessoir in Berlin. Physiologie meinte ursprünglich: Lehre vom Thätigen in der Natur. Als man später das Wort auf die Untersuchung des thierischen Körpers einschränkte, bezeichnete man damit den ersten Theil der Medicin, der vor der Pathologie abzuhandeln war. Allmählich traten die Gesichtspunkte der Heilkunst zurück, und die Physiologie wurde der Anatomie angenähert. Dies führte zu einer Verkürzung ihrer eigentlichen Leistung; man glaubte nämlich, mit der blossen Zergliederung und Beschreibung der Theile auch die physiologischen Aufgaben gelöst zu haben. So war die Physiologie zu einer anatome animata, das Hauptwort zu einem Beiwort geworden. Erst Haller griff auf den ursprünglichen Begriff der Physiologie zurück. Ob- gleich auch er noch die Physiologie eng an die Anatomie bindet, hat er doch mit der Zergliederung des Leichnams den Versuch am lebenden Körper vereinigt und die Physiologie zur Wissenschaft von den thierischen Funetionen gemacht. Schon 1747 sagt er und wiederholt es zehn Jahre später: In motu animati corporis interno et externo tota physiologia ver- satur. Diese Bewegungen und Verrichtungen hat er durch geschickt angestellte und bescheiden benutzte Experimente zu ergründen versucht. So energisch Haller als Experimentator war — er hat lebhaft die Vivi- section vertheidigt — so zurückhaltend war er gegenüber Theorien, z. B. gegenüber der Theorie der Entwickelung. Ein Arzneigelehrter, sagt er ! Dieser Aufsatz wird in veränderter Form in den demnächst erscheinenden zweiten Theil meiner „Geschichte der neueren deutschen Psychologie“ übergehen. Hier findet auch, wer sich für die Sinnesphysiologie des vorigen Jahrhunderts interessirt, die nöthigen Nachweise. 13% 196 MAx DessoIR: einmal!, brauche sich nicht in die Untersuchung letzter metaphysischer und erster physikalischer Ursachen einzulassen; an anderer Stelle? heisst es: „Ich habe keine Hypothesen angenommen, und ich wundre mich oft, dass man des Haller’schen Systems Erwähnung thut, da ich doch bloss gesagt, dass diejenigen Theile empfinden oder sich bewegen, die ich sie empfinden oder bewegen sah... .“ Eine Erfahrungswissenschaft von den Verrichtungen des thierischen Körpers im gesunden Zustand — das sollte nunmehr die Physiologie sein. Als ihr Feld galt der Organismus’, als ihr Gegenstand der usus (Nutzen, Gebrauch, Function) der Organe. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Trennung der „eigentlichen Physiologie“ von der anatomischen und von der chemischen Physiologie vollzogen.! 1: Die Physiologie hat es mit der Function der Organe, mit der Lebens- thätigkeit im Organismus zu thun. Noch im 18. Jahrhundert glaubten manche Forscher, dass die Lebensthätigkeit an das Vorhandensein eines bestimmten Stoffes geknüpft sei: Rauch, Luft, Blutwasser und ein den thierischen Körper durchströmendes, sinnlich wahrnehmbares Fluidum wurden genannt. Aber die Hypothese eines Lebensstoffes wurde bald aufgegeben, weil das Verhalten dieses Stoffes beim Tode nicht verständlich gemacht werden konnte Um so hartnäckiger erhielt sich die Vorstellung einer Lebenskraft, die freilich vielfach in Verbindung mit bestimmten Stoffen gedacht wurde. Hatte man sie früher nach dem Vorbild von Dämonen und Kobolden gebildet, so identificirte man sie jetzt mit der be- sonders in Krankheiten sich bethätigenden Naturheilkraft oder der Nerven- ! Hermann Boerhaave’s Vorlesungen über Physiologie. Herausgegeben und mit Zusätzen versehen von Haller. Deutsche Uebersetzung. Halle 1754. 8. 32. 2 In der Vorrede zum VIII. Bd. der gr. deutschen Physiologie. — Aehnliches in der Vorrede zu Unzer’s Physiologie: „Gestritten haben wir rüstig genug, ob die Seele Materie oder Gehirn... .“ ® Die geläufigsten Bestimmungen des Begriffes Organismus waren die folgenden. Organismus ist ein System von „festen Theilen, deren Structur, Anordnung und Spiel Bewegung ist, äusserlich und innerlich“ (Bonnet); ein Organismus wird durch das Prineip von Mischung, d. h. chemischer Zusammensetzung und Form bestimmt (Reil); „da wo Ordnung, Zweck und Absicht entdeckt wird, da ist auch Organisation“ (Platner); „in einem organischen Körper müssen sich alle Theile wechselseitig wie Mittel und Zweck gegen einander verhalten“ (Kant). Die genaueste Ausführung der Kantischen Definition bei Ehrhard Schmid, Die Physiologie, philosophisch bearbeitet. Jena 1798—--1801. Bd. Il. 8. 275. * Friedrich Hildebrandt, Zehrbuch der Physiologie. 2. Aufl. 1799. S.1—4. — Uebrigens stellte schon Haller die Sinnesphysiologie so dar, dass er anatomische, physikalische und physiologische Daten von einander trennte, Die „LEBENSKRAFT“ In DER PHysioLoGIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 197 kraft oder ähnlichen Kräften, die allesammt dadurch sich auszeichnen sollten, dass sie jenseit einer bloss physikalisch-chemischen Erklärung stehen. Der Durchschnittsmeinung des 18. Jahrhunderts verlieh die Schule von Montpellier den treffendsten Ausdruck, indem sie von einer force hyper- mecanique sprach; alle grösseren medicinischen Systeme nahmen Stellung zur Lebenskraft. Der mit Recht berühmte Arzt und Naturforscher Georg Ernst Stahl! hat die den Körper gegen Fäulniss schützende, belebende und aus- bildende Kraft mit der Seele gleichgesetzt. Diese Annahme hat für uns etwas Befremdendes, da wir beim Worte Seele lediglich an die Summe der Bewusstseinsvorgänge zu denken pflegen. - Ursprünglich aber umfasste der Begriff Seele in einer seiner verbreitetsten Anwendungen ausser den psy- chischen auch alle anderen Lebenserscheinungen. Für die ionische Natur- philosophie war die Psyche das Lebensprineip schlechthin, Psychologie nichts anderes als Biologie gewesen. Eine echt griechische Vorstellung ist der Gedanke eines stetigen Ueberganges in allem Seienden vom Kalten, Schweren zum Warmen, Beweglichen und die Hinaufleitung des letzten zum &uayvyor oder Lebendig-Seelischen. So hat auch Aristoteles gedacht und nur aus Gründen des Systems und um der grösseren Klarheit willen drei Seelen im Menschen unterschieden: die vegetative, die thierische und die geistige. Aus der anima vegetativa, aus dem der Ernährung und Fortpflanzung vorstehenden Foertıxov ist späterhin die Lebenskraft geworden. Auch Stahl lehrt, dass ohne dies Princip der Körper eine unselbständige und schnell zerfallende Maschine sei. Aber er erweitert den Begriff des bil- denden und belebenden Princips, indem er die animalische Seele hinein bezieht, die Stätte der Bewegungen und Empfindungen. Dass die Lebens- kraft mit dieser Seele identisch sei, folgert er aus den Bewegungen, die ja aus scheinbar seelenlosen zu bewussten oder umgekehrt aus willkürlichen zu unwillkürlichen werden können.? Schliesslich lässt er das Leben sogar von der Existenz der Vernunft abhängen und verwandelt dadurch einen nur im Menschen vorhandenen Thatbestand in einen allgemeinen, und ferner _ ein blosses Nebeneinander, nämlich das Nebeneinander von Leben und ‚ Vernunft, in einen Kausalzusammenhang, als dessen bedingendes Glied die | geistige Seele funeirt. | Ein Anhänger Stahl’s, Robert Whytt (1714 bis 1766), hat das | Lebendige auf die „bloss empfindende“ Seele beschränkt. Seele ist für ihn 1 T'heoria medica. 1708. | ® Haller hat hiergegen die Thatsache geltend gemacht, dass auch die Gewohn- ‚ heit die beiden Classen der Muskeln nicht zu ändern vermag, und er hat das methodo- | logische Bedenken geäussert: Stahl’s Theorie erkläre nicht, da sie keine körper- ‚ liche Ursache angiebt, die den Wirkungen gleich wäre. 198 Max Dessoir: die Station, in der Empfindungskraft in Bewegungskraft umgesetzt wird; da der ganze Körper empfindlich und beweglich ist, so muss die Seele ihn überall durchziehen. Man könnte die Voraussetzung angreifen und darauf hinweisen, dass beispielsweise die Sehnen unempfindlich sind; aber diese Unempfindlichkeit ist nur scheinbar und erklärt sich nach Whytt daraus, dass der Schmerz des voraufgehenden Hautschnittes den schwächeren der Sehnenverletzung übertönt. Manche möchten ferner die Bewegungen von einer Hirnthätigkeit abhängen lassen; indessen wie solle man sich dann erklären, dass enthauptete Frösche „mit Bewusstsein und planmässig“ sich bewegen? Sicherlich sei doch das Rückenmark mehr als ein unselbstän- diger Leitungsapparat;! wenn aber in ihm Seele und Leben enthalten sei, dann könnten sie auch überall sonst im thierischen Körper angenommen werden. dGleichviel was hieran richtig und was falsch sein mag — die Wissenschaft ist bis heute zu keinem völlig überzeugenden Abschluss ge- langt —, jedenfalls kamen durch Whytt’s Hypothesen die Untersuchungen zur Rückenmarksphysiologie und über Reflexmechanismen in Fluss. — Auch ein deutscher Stahlianer, Johann August Unzer (1727 bis 1799), hat mancherlei Experimente angestellt und schon als neunzehnjähriger Jüng- ling in einem „Sendschreiben“ folgenden Bericht geliefert, der wegen seiner culturgeschichtlichen Bedeutsamkeit wiedergegeben zu werden verdient.? „Ich habe neulich einen Hund lebendig aufgeschnitten, welche Mordthat ich Ihnen aus Liebe zur Verschwiegenheit gewiss nicht anvertraue. Ver- klagen Sie mich bei wem Sie wollen: hören Sie nur was ich dabei bemerket. Ich hatte diesem Candidaten den Unterleib zuerst eröffnet, um die Be- wegung der Gedärme zu beobachten. Nachdem ich mich genugsam damit belustiget, schnitte ich ihm auf der einen Seite dicht beim Ano und oben am Pyloro die Gedärme aus und legte sie bei Seite. Es währete einige Zeit, ehe ich mit Eröffnung der Brust fertig wurde, und nachdem dieses geschehen war, bekam ich von ohngefähr die Gedärme wieder in die Hand, und empfand sie nicht allein an denen Enden ihrer Krümmungen schon ganz kalt, sondern ich konnte auch fast gar keine Bewegung mehr an den- selben spüren. Wissen Sie was ich that? Ich nahm eine Nadel und stiess dieselbe in den einen Darm. Sogleich erfolete eine ziemlich starke Be- wegung derselben insgesamt, so dass jedermann dieselbe sehen und fühlen ! An Whytt kvüpft Pflüger’s Jugendarbeit über die „Rückenmarksseele“ an. Vgl. E. Pflüger, Die sensorischen Functionen des Rückenmarkes. 1853. 8. 132: „Aber auch so glaube ich... nachgewiesen zu haben, dass das Sensorium durch das ganze Cerebrospinalorgan verbreitet sei.“ ? Gedanken vom Schlafe und denen Träumen nebst einem Sendschreiben an Herrn N. N., dass man ohne Kopf empfinden könne, ausgefertiget von 8. C.J. 8. Halle 1746. 8.69. | ' meiner Weltgeist Alles in der Natur belebe. Besonders hat man dieses Die „LEBENSKRAFT“ IN DER PHYSIOLOGIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 199 konnte. Nun bedenken Sie einmal, was mit diesen Gedärmen vorgegangen ist. Ich stach hinein. Dadurch sind nothwendig die Nerven in Bewegung gesetzt worden. Wer sollteihnen auch so gleich allen Nervensaft entzogen haben? Mit einem Wort: Sie finden an diesem Experimente alles, was dazu erfordert wird, an einem gewissen Theile eine Empfindung zu erregen, Der Hund selbst hat ohnfehlbar nichts davon gefühlt. Wollen Sie deshalb sagen, dass in denen Gedärmen keine Empfindung erreget worden sei? Woher kam denn die Bewegung derselben? Von dem Nadelstiche? Machen Sie sich doch lederne Gedärme und stechen mit der Nadel hinein. Mein Herr, wenn diese anfangen sich zu bewegen, so will ich Ihnen erlauben, eben dieses Experiment an meinen eigenen Gedärmen zu wiederholen.“ Am auflälligsten an diesem Bericht ist die Annahme einer „Empfin- dung“ in den Därmen. Aber wir brauchen uns nur des früher Gesagten zu erinnern, um sie zu verstehen. Ausserdem meint Unzer mit Empfin- dung keineswegs eine bewusste Wahrnehmung, sondern eine durch peri- pherische Reizung erzeugte nervöse Erregung. Später nannte er einen ohne Bewusstsein erfolgenden Nerveneindruck „Gefühl“, im Gegensatz zur Em- pfindung, d. h. zur Vorstellung des Nerveneindrucks. — In anderen Dingen hat Unzer sich von seinem Meister Stahl entfernt. Er hat zwischen die Seele als Träger des Bewusstseins und die körperlichen Functionen eine Nervenkraft eingeschaltet, so dass die Abhängigkeit des Leibes von der Seele zu einer mittelbaren wird, und hat die Reflexbewegungen statt auf die Seele auf die Nervenkraft (als auf einen ‚„unintelligiblen Grund“) zu- rückgeführt. Hiermit war Stahl’s System so weit umgebildet, dass es seine Eigenthümlichkeit verlor. — Die nunmehr zu besprechenden Theorien schliessen sich der im 18. Jahrhundert vielfach vertretenen pandynamistischen Weltanschauung an. bei Hofmann — den wir sogleich kennen lernen werden — wird es noch nicht so deutlich wie bei den Späteren, unter denen hier nur Mesmer und Platner erwähnt werden können. Aber bei diesen ist der Zusammenhang mit der namentlich durch Herder vertretenen Natur- beseelungslehre ganz sicher. Schon ein Zeitgenosse! sagte: „Es ist eine alte Meinung, die Piatner und Herder erneuert haben, dass ein allge- ferne Wesen als Princip der Erscheinungen in der organischen Natur an- genommen. Aerzte haben wegen der vorzüglichen Wirksamkeit der Nerven dieses feine Wesen in die Nerven als Nervengeist versetzt.“ Nachweislich ist ein ähnlicher historischer und begrifflicher Zusammenhang in Hofmann’s System zum Ausdruck gelangt, während er bei Stahl zu fehlen scheint. ! Reil, Dies Archiv. Bd. I. Stück 1. 8. 29. 200 MAx DessoIk: Von Stahl’s psychischem Vitalismus unterscheidet sich der dynamische Vitalismus Friedrich Hofmann’s (1660 bis 1742) in zwei Punkten. Erstens erkennt Hofmann an, dass einige Lebensfunctionen (wie der Kreis- lauf) auf rein mechanischen Gesetzen beruhen. Hiermit nähert er sich den sogen. Iatromathematikern, die alle vom Willen unabhängigen Vorgänge nach Gesetzen der Mechanik und Hydraulik zu erklären versuchten. Frei von solchen mechanischen Bedingungen soll sein die vis vitalis solidi, die in den festen Körpertheilen, besonders in Muskeln und Nerven, wirkende Lebenskraft; in den Nervenröhrchen cireulire sie als Nervenäther ähnlich so wie das Blut in den Gefässen. Zweitens soll diese Kraft als Aether auch in der gesammten übrigen Natur sich finden, zum Theil auch von den organischen Körpern aus der Atmosphäre angezogen werden.! Dieser Gedanke ist dann — ich glaube mit Bewusstsein — von Mesmer (1779) aufgegriffen worden.” Nach Mesmer ist das ganze Weltall von einem ätherischen Fluidum durchströmt, das feiner ist als der Lichtäther. Die Bewegung dieses Fluidums oder der „Fluth“ — genauer: die nach Polari- tätsgesetzen sich vollziehende Schwingung — erzeugt sowohl den Einfluss der Himmelskörper auf einander und auf die Erde, als auch den in den bekannten Erscheinungen sich bekundenden Einfluss eines thierischen Körpers auf den andern. Das Fluidum universale kann sich nämlich in den einzelnen Wesen anhäufen oder in ihnen abnehmen, so dass ein mikro- kosmisches Analogon von Ebbe und Fluth entsteht. Wie man nun die magnetisch-elektrische Kraft, die jenem Fluidum nahe verwandt, vielleicht sogar mit ihm identisch ist, in Stahl und Eisen ansammeln kann, „so habe ich auch das Mittel gefunden, in meinem Individuum den Naturmagnetis- mus zu dem Grad zu verstärken, dass er Erscheinungen, welche denen des Magnets analog sind, hervorzubringen vermag.“?” Der maenetismus ani- malis, der also nur eine Spielart (ein „Ton“) des magnetismus naturalis, d. h. der Bewegung der Allfluth ist, beruht auf einer (der Stärke nach sehr wechselnden) Empfänglichkeit aller organischen Körper für das Huidum universale. Dieses wirkt zunächst auf die Nerven, und nun verläuft der Vorgang ähnlich so, wie die Vertheidiger der Lebenskraft ihn überhaupt sich dachten. In den gleichen Gedankenkreis gehört die sogen. „subtilere Physiologie“ Ernst Platner’s (1744 bis 1815). Hier ihre Grundzüge. Der allgemeine Weltgeist wird durch die Ernährung angeeignet und zum Nervengeist um- I De differentia organism. et mechanism. p. 48, 67. — Opp. ed. Genev. 1740. Vol.I. p. 83; Vol. II. p. 156. ” Bequemste Uebersicht: Mesmerismus oder System der Wechselwirkungen. Berlin 1814. SEA ATOF ES: 18: Die „LEBENSKRAFT“ IN DER PHysıoLocIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 201 gebildet. Als solcher ist er das Organ der Seele und hat zwei Theile, einen niederen und einen edleren. Der niedere, die eigentliche Lebenskraft, kann auch nach Aufhören aller Bewusstseinsthätigkeiten eine Zeit lang fortbe- stehen; das geistige Seelenorgan kann sich mit der Seele von der grüberen Organisation trennen und sie in andere Welten begleiten. — Man sieht, wie stark uralte mystische Vorstellungen in diese subtilere Physiologie hineinspielen. Schon im Alterthum war das Pneuma als Mittelglied zwischen Leib und Seele zu einem siderischen oder Astralleib gemacht worden und musste sowohl den physiologischen Erklärungsversuchen als auch den Speeulationen über Fortdauer und Wanderung der Seelen dienen. Uns sind jetzt solche Betrachtungen fremd geworden. Unsere Forschungen liegen in der Verlängerungslinie der Theorien, die man damals zusammenfassend als „chemische“ bezeichnete und von denen nunmehr Bericht abgelegt werden muss. 2. Die Entwickelung der Chemie im letzten Drittel des 18. Jahrhun- derts führte zu einer neuen Theorie des Lebens. Da man einerseits viele bis dahin für einfach gehaltene Körper als zusammengesetzt nachweisen konnte, andererseits manche Stoffe der unorganischen Körper in den organischen wiederfand, so zog man den Schluss, dass Organismen nichts Anderes seien, als Zusammensetzungen solcher Stoffe. Die besondere Art der Zusammen- setzung entzog sich freilich der Nachahmung durch künstliche Synthese, jedoch keineswegs der Hypothese. Die Anhänger solcher Hypothesen, zu denen merkwürdiger Weise auch Schelling zählte, sahen in ihnen ein durchaus zulässiges, wissenschaftliches Mittel und verwiesen darauf, „dass die Chemie unendlicher Erweiterung und Berichtigung fähig ist“; die Gegner lehnten blosse Theorien als „dogmatisch“ ab und verlangten die Synthese des Organismus als das unentbehrliche Beweismittel. ! Die sogen. „chemischen Erklärungen des Lebens“ lassen sich in drei Gruppen zerlegen. Die erste wird am besten durch Beil (1759 bis 1813) vertreten. Reil erklärt alle Lebensvorgänge chemisch-mechanistisch aus Bedingungen der Materie. Aber diese Erklärung im Sinne unserer heutigen Naturwissenschaft durchbricht er gerade an den beiden Hauptpunkten. Er meint nämlich, dass die Materie, sobald sie Keimform annimmt, bereits als „organisirbar‘ vorausgesetzt werden muss, und er behauptet ferner, dass die Lebenskraft die chemischen und physikalischen Wirkungen in den Or- ganismen zwar nicht aufhebt, aber doch besonderen Gesetzen unterwirft. — ! Ueber die erste Meinung vgl. Schmid, Physiologie, philosophisch bearbeitet. Bd.II. S.205. Ueber die andere Meinung ebenda. Bd. Il. S.199 und G. W. Becker, Neue Untersuchungen über die Lebenskraft. 1802. Bd. I. 8. 68, 202 Max Dessork: Folgerichtiger ist eine andere Theorie. Als Galvani entdeckt hatte, dass vom lebenden Thierkörper, bezw. von den Nerven Elektrieität erzeugt werde, folgerten Gelehrte, wie Alex. v. Humboldt und Prochaska, das bisher unbekannte Nervenfluidum, die Muskelreizbarkeit, ja der ganze Lebensprocess seien galvanische Vorgänge und der thierische Körper, in dem überall Muskel, Nerv und Flüssigkeit sich finden, stelle eine Batterie dar. Auf das Gesetz der galvanischen Polarität stützte sich dann die Naturphilosophie, indem sie lehrte, dass es zwischen den einzelnen Theilen und Thätigkeiten des Organismus wesentliche Gegensätze gebe, die zum Ausgangspunkt einer philosophischen Lebenserklärung geeignet seien. Hier- gegen ist bald eingewendet worden: es sei unzulässig, eine einzelne Gruppe von Erscheinungen zum Erklärungsgrund des Lebens überhaupt zu machen; ferner vermöge man so die psychischen Lebensvorgänge nicht zu erklären; endlich sei es noch nie gelungen, einen todten Körper durch elektrische Ladung wieder zu beleben. Die eigentlich chemischen Theorien haben das Gemeinsame, dass sie die sogen. „feinen“ Stoffe wie Wärme, Licht, Luft, Elektrieität, sowie die neu entdeckten chemischen Elemente (besonders den Sauerstoff) als unent- behrlich für den Lebensprocess hinstellen und in ihrer Wirksamkeit das Prineip der Lebenskraft finden. Der theoretische Grund für die Annahme, dass die grobe Materie erst durch Beimischung feiner Stoffe und Elemente fähig wird, den zureichenden Grund der Lebenserscheinungen zu enthalten, lag darin, dass bei Lähmungen und beim Scheintod keine sichtbaren Ver- änderungen an der Masse des Körpers zu entdecken sind, dass also das Stocken des Lebens aus den flüchtigesten Bestandtheilen des Leibes erklärt werden muss. Der praktische Grund aber lag in den Fortschritten der Chemie. Es war zu jener Zeit (etwa 1780), dass man den Kohlensäure- verbrauch der Pflanzen kennen lernte, und dass Lavoisier, im Combiniren und Zusammenfassen geübt, seine so einleuchtende und experimentell be- gründete Theorie des Lebens bekannt gab. Nach Lavoisier können die den Thierkörper zusammensetzenden Stoffe noch mehr Sauerstoff aufnehmen, als sie schon enthalten; der durch die Athmung zugeführte Sauerstoff ver- bindet sich daher mit den Bestandtheilen des Körpers und so entstehen Kohlensäure und Wasser, die in der Ausathmungsluft nachzuweisen sind. Diese fortwährende Oxydation ist eine Verbrennung, bei der ein Theil der Leibessubstanz verloren geht. Ersatz wird geschaffen durch Zufuhr von Lebensmitteln, die ebenso wie der Thierkörper letztlich aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff zusammengesetzt sind. Dies Schema des Lebensvorganges fand grossen Anklang, nur wurde leider das entscheidende Moment darin, der Stoffwechsel, nicht genügend berücksichtigt. Dagegen nutzte man die Vergleichung des Lebensprocesses Dir „LEBENSKRAFT“ IN DER PHYSIOLOGIE DES 18. JAHRHUNDERTS, 203 mit dem Vorgang der Verbrennung in einer Lampe weidlich aus! und fügte andere, theils richtige, theils falsche Einsichten hinzu. So wies Girtanner (1760 bis 1800) nach, dass das venöse Blut in den Lungen Sauerstoff aus der eingeathmeten Luft aufnimmt, und lehrte, dass die An- häufung des Sauerstoffles im Nerven und in der Muskelfaser im geraden Verhältniss zur Zunahme der Erregbarkeit stehe. Nach Girtanner ist der Sauerstoff das „Prineip der Reizbarkeit“, doch bleibt völlig unklar, wie dies „Princip“ die Lebensthätigkeit der Gewebe hervorrufen kann. Wegen dieser Unklarheit und auf Grund eigener Experimente hat sich schliesslich Alexander von Humboldt von jener Theorie losgesagt.”? Seine eigenen Worte lauten: „Mannigfaltige Versuche und Beobachtungen haben mich belehrt, sowohl dass die Erregbarkeit der Faser durch einen Zusatz von Stoffen erhöht werden kann, welche gar kein Oxygen enthalten, als auch, dass es wichtige Lebensprocesse giebt, die gar nicht als Oxydations-(phlo- gistische oder Verbrennungs-)Processe zu betrachten sind, weil der Sauerstoff gar keine oder eine unwichtige Rolle dabei spielt. Jene Vergleichung des Lebens und Brennens, der Zunahme an Erregbarkeit und Anhäufung von Oxygen führt auf eine Einseitigkeit der Ansicht thierischer Erscheinungen, welche den Fortschritten der Physiologie nothwendig hinderlich sein muss.“ ? Es ist ersichtlich geworden, dass der Begriff der Reizbarkeit oder Erregbarkeit ein Hauptpunkt in den chemischen Lebenstheorien war. Daher dürfte es zweckmässig sein, die geschichtliche Entwickelung dieses Begriffes zu verfolgen, bevor wir das abschliessende System der Biochemie kennen lernen. — Die ursprüngliche enge Fassung des Begriffes stammt aus zwei akademischen Reden Haller’s (1752). In ihnen sind drei Gruppen von Körpertheilen unterschieden: irritable, sensible und solche, die weder reizbar sind, noch Empfindung haben. Also nicht alle Körpertheile sind reizbar. Im Grunde genommen sei nur die Muskelfaser reizbar, denn nur sie ver- kürze sich auf Berührung, und zwar erfolge die Zusammenziehung unab- ! Brandis, Versuch über die Lebenskraft. 17195. S. 77, 80, 140. — Voigt, Versuch einer neuen Theorie des Feuers. 1193. 8.156. — Ebenda. 8.163: „Wir "können unser Leben mit nichts passender als dem Brennen einer Lampe vergleichen. Der Körper ist das Docht, und die Nahrungsmittel sind das Oel; je reiner das Oel ist, je mässiger es zugegossen wird, je offener und fester die Fäden des Dochtes sind, desto besser wird die Flamme und desto länger dauert sie; endlich aber verschlackt sich doch das Docht und die Flamme verlöscht, wenn es ihr auch nicht an Nahrung fehlt.“ ® Doch gab er die Beziehung der Lebenskraft zur chemischen Constitution des Leibes nicht preis. In seinen Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen. 17194. S.1—9 erklärte er die Lebenskraft als diejenige Kraft, die die Bande der ehemischen Verwandtschaft auflöst und die freie Verbindung der Elemente in den Körpern hindert. 3 Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser. 1797. Bd. II. S. 107. 204 Max Dessoik: hängig vom Nerveneinfluss." Die Irritabilität dürfe als organische Grund- kraft bezeichnet, aber nicht überall vermuthet werden: „ego quidem si quid queror quererer nimis late extensum fuisse usum huius potentiae“.? Irri- tabilität oder Bewegungsfähiekeit sei nur da vorhanden, wo Muskelfasern nachzuweisen seien; die Sensibilität hingegen sei an die Nerven gebunden, fehle also in nervenlosen Organen. „Was am schärfsten empfindet, ist nicht reizbar, wie die Nerven; was am reizbarsten ist, das hat keine lebhafte Empfindung, wie das Herz.“ Die Bewegungen des Herzmuskels denkt Haller sich durch den Reiz des Blutes ohne Vermittelung der Nerven entstanden. Diese Ansicht war damals ohne Zweifel begründet, da die Gangliengeflechte der Herzmusculatur noch nicht entdeckt waren, aber auch heutzutage glauben wiederum einige Physiologen, dass das Herz ohne Nerven zu schlagen vermöchte. Weit hinaus über diese Begriffsbestimmung gingen Brown’s Elementa medieinae (1780). Nach Brown ist Ursache der Lebenserscheinungen die Erregbarkeit, d. h. die Empfänglichkeit der Organismen für „erregende Potenzen“ oder Reize. Als äussere Reize gelten ihm alle Vorgänge, die auf die fünf Sinne wirken, als innere nicht nur die Veränderungen im Kreislauf, sondern auch geistige Thätigkeiten und besonders Affecte.®? Die Erregbarkeit ist gleichmässig auf den ganzen Körper vertheilt; jeder einzelne thierische Körper hat von Natur ein bestimmtes Maass der Erregbar- keit. Dies Maass kann gesteigert und erschöpft werden; es erhöht sich vornehmlich durch Mangel an Reizen. Der letzte Satz ist von Brown’s deutschen Erklärern erweitert und verändert worden. Ihnen zu Folge steigert sich die Erregbarkeit sowohl durch Zufuhr als auch durch Ent- ziehung von Reizen; in jenem Fall ist Empfindung, in diesem Fall Be- wegung das seelische Ergebniss. Aber im Grossen und Ganzen sind die deutschen Brownianer ihrem Meister treulich gefolgt: auch die „geläuterte Erregungstheorie“ fasste das Leben als ein quantitatives Erregungsverhält- niss auf, als einen Kampf der eigenthümlichen organischen Kraft mit der Aussenwelt. Aeussere Ursachen geben nur den Anstoss dazu, dass der ! Ob die Muskelkraft unabhängig oder abhängig vom Einfluss der Nerven sei, wurde nach Haller’s Eingreifen noch vielfach besprochen. Im Anfang des 19. Jahr- hunderts einigte man sich zu der vermittelnden Anschauung, dass die Nerven Be- dingungen der Muskelreizbarkeit seien, dass aber nicht alle Reize durch ihre Ver- mittelung auf die Muskeln wirken. ® Opp. minora. Vol.I. p. 495. 3 Ueber die Eintheilung der Reize, den Einfluss ihrer wechselnden Stärke und ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge vgl. Becker, Bd.I. 8.164ff., 17Sff.; Brandis, S. 136 ff.; Hufeland, Pathogenie. 1795. 8.143 (über die exeitirenden und depri- mirenden Reize); Prochaska, Bd.]J. S. 115fl.; Reil, Dies Archiv. 1795. Bd. 1. Stück 1. S. S2—99. ; \ Die „LEBENSKRAFT“ In DER PHysIioLocıE DES 18. JAHRHUNDERTS. 205 Organismus seinen augenblicklichen Zustand durch sich selbst verändert; stammen die Reize von innen, so finden die Veränderungen der Lebens- kraft in bestimmt abgemessenen Perioden (Wachen und Schlafen u. s. w.) statt. Auf die Reizbarkeit als auf die organische Grundkraft ist das scharf- sinnieste und ausführlichste System einer mechanischen Lebenserklärung zurückgekommen.! Der Ausgangspunkt dieses Versuches, „das organische Leben als einen Theil der Naturwissenschaften zu betrachten“, ist die Erreg- barkeit oder die Lebenskraft der Organismen. „Die Erreebarkeit ist die- jenige Kraft, welche der immer vor sich gehenden Zersetzung und der davon abhängenden Zerstörung der organischen Theile entgegenwirkt; nicht, indem dieselbe die Zersetzung des organischen Gewebes wirklich verhindert, sondern indem sie die zersetzten Theile aus den Grenzen des organischen Körpers entfernt und wieder neue unzerleste in beständiger und gleich- förmiger Ordnung an ihre Stelle bringt.“ Einfacher ausgedrückt: Acker- mann versteht unter Lebenskraft das beständige Bestreben organischer Körper, durch Ausführung der zersetzten und Einführung von unzer- setzten Stoffen ihre Gestalt und Eigenschaften zu erhalten (I, 17, 24). Einführung und Ausführung (Essen und Ausathmen) beruhen auf der „Reizbarkeit des Zellstoffes“ (31), und diese Contractibilität, dies „Ver- mögen, sich durch eigene innere Kräfte zu bewegen“, hänst von dem auf- genommenen Sauerstoff ab (37). Aber auch in anderer Rücksicht ist der Sauerstoff wesentlich. Der eingeathmete, mit Wärmestoff verbundene Sauer- stoff (die Lebensluft) verliert in der Lunge die Hälfte seines Wärmestoffes (93), dringt so verändert (als Lebensäther) aus dem Blut in die Häute der Gefässe und mit Hülfe der Nervenfäden in die Muskelzellen (165). Hier verbindet er sich mit dem Kohlenstoff der festen Theile und so ent- stehen die automatischen Gefäss- und Zellenbewegungen; wird der Lebens- ather im Gehirn und Nervensystem abgeändert, so ergeben sich die ani- malischen Bewegungen. Ackermann meint also: wenn der Sauerstoff seine latente Wärme verliert, nimmt seine Verbindungsfähigkeit zu und er kann nun, nach dem Verbrennungsprocess in der Lunge, als sehr feiner Aether ‚überall hindringen; im organischen Gewebe vereinigt er sich mit dem dort vorhandenen Kohlenstoff und bewirkt so eine Zusammenziehung der Zellen des Gewebes. „Der den Säften beigemischte Sauerstoff verbindet sich mit dem Kohlenstoff; dadurch trennt jener diesen aus dem organischen Gewebe, wodurch eine Annäherung der übrigen Theile dieses Gewebes, das ist eine Zusammenziehung der Zellen entsteht.“ (Bd. II, Schlussübersicht.) ! Ackermann, Versuch einer physischen Darstellung der Lebenskräfte orga- nisirter Körper, 17197 —1800. 206 Mıx Dessoir: In Ackermann’s System ist der Wechsel der den Organismus zu- sammensetzenden Stoffe zwar noch nicht völlig erkannt, jedoch in seiner Bedeutung gewürdigt. Hiermit war die alte Formel, dass der lebende Körper sich erhalte, der todte hingegen sich auflöse, als ungenau ver- worfen, und die Einsicht gewonnen, dass auch im lebenden Körper Ver- brauch (und gleichzeitiger Ersatz) stattfindet. Freilich vergingen noch bei- nahe drei Jahrzehnte, bis auf dieser Bahn der entscheidende Punkt erreicht, nämlich ein Bestandtheil des Organismus, der Harnstoff, aus unzweifelhaft unorganischen Körpern hergestellt wurde (1828). Aber bereits in dem hier behandelten Zeitraum ist der erste Ansatz zu der noch heute herrschenden Theorie gemacht worden, zu der Theorie, dass die Organismen sich nur durch gewisse hochcomplieirte chemische Verbindungen auszeichnen. Bei Ackermann und bei vielen seiner Zeitgenossen ist die „Lebenskraft“ schon stark verflüchtigt. Indessen auf einem Gebiet hat sie sich, wenngleich unter anderem Namen, ein wenig länger behauptet. Die Thatsache, dass aus dem Zeugungsstoffe ein dem Erzeuger gleichartiges Wesen wird, schien ohne besondere Lebenskraft nicht verständlich zu sein. Diese Kraft dachte man sich in doppelter Weise. Nach der Evolutionstheorie, der u. A. Haller und Bonnet anhingen, soll der Keim bereits alle Organe des späteren Lebewesens enthalten, aber in sehr kleiner und durchsichtiger Form, so dass wir auch mit den besten Vergrösserungsgläsern in den Eiern noch nicht die Knochen, das Nervensystem u. s. w. zu erkennen vermögen. Wie der Schmetterling in der Puppe oder die Pflanzenblüte in der Knospe voll- ständig vorgebildet ist, so auch jeder Organismus in seinem Keim. Die Bildungskraft des Organismus besteht alsdann lediglich darin, das bereits Vorgebildete zur Entfaltung (Evolution) zu bringen, ohne dass an irgend einem Punkt etwas Neues entstände. Die entgegengesetzte Theorie der Epigenesis leugnet, dass im Zeugungsstoff oder Keim Allerlei vorhanden sei, was wir nicht wahrnehmen können, und lehrt, dass aus dem unorga- nisirten und undifferencirten Keimstoff nach einander die einzelnen Organe entstehen. Hierbei wird klärlich der organisirenden Kraft eine grössere Bedeutung zugeschrieben. Daher war es ein Gegner der Präformations- theorie, [Blumenbach, der die Hypothese vom Bildungstrieb aufstellte.! Der Ausgangspunkt der Hypothese war die Frage: wie kommt es, dass aus einem unorganisirten Stoff in kurzer Zeit die Organe sich entwickeln? dass ausserdem das neue Lebewesen seinem Erzeuger ähnlich wird? Offenbar haben, so meint Blumenbach, die Organismen einen Bildungstrieb (nisus ! Die wichtigsten Belegstellen: Göftingisches Magazin. 17180. 5. Stück. S. 250; hieraus abgedruckt die Schrift: Ueber den Bildungstrieb. 17181. S. 27 (in den beiden ersten Auflagen). Vgl. Blumenbach’s Institut. physiol. 1787. (Viele Auflagen, bis 1821.) Deutsch in Wien 1789 (und 1795) erschienen. Dir „LEBENSKRAFT“ IN DER PHYSIOLOGIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 207 formativus), d. h. einen Trieb, eine bestimmte Gestalt anzunehmen, durch Ernährung lebenslänglich zu erhalten und auch gegen etwaige Verstümme- lungen zu vertheidigen. Beachtenswerth ist, dass Blumenbach diesen Trieb für die Grundlage des Bewusstseins zu halten und daher nicht ab- geneigt scheint, auch den Pflanzen eine Art rudimentären Bewusstseins zuzusprechen. Er legt deshalb grossen Werth auf eine saubere Trennung seines nisus formativus von der vis plastica und vis essentialis älterer Theoretiker. Ebenso wichtig ist ihm, hervorzuheben, dass der Bildungstrieb keine Ursache, sondern nur eine „beharrliche, aus der Erfahrung anerkannte Wirkung“ bezeichne. Doch werden wir, die wir an die Zellentheorie ge- wöhnt sind, dies schwerlich zugeben. 3. Wir lenken wieder in die Hauptrichtung unserer Darstellung ein und kehren zu der durchschnittlichen Vorstellung einer specifischen Lebenskraft (1) zurück. Die Frage bleibt nun noch zu beantworten: wo soll die Le- benskraft wirken? Meist wird der ganze Leib als ihr Sitz genannt, manch- mal die Gesammtheit der festen Theile, am seltensten das Nervensystem. Thatsächlich jedoch sprechen die Autoren im Zusammenhang mit der Le- benskraft immer nur vom Gehirn und den Nerven. Die ihnen überlieferte Ansicht war etwa die folgende: In den Hirnhöhlen sitzt wie in Behältern ein sehr feiner luftförmiger Spiritus, der als Nervengeist in die Nerven- canäle eindringt und dadurch den Körper belebt. Descartes hat diese Spirituslehre mit der Thatsache des Blutkreislaufes zu verschmelzen ver- sucht, und durch sein Ansehen die Lehre gestützt, dass die Nervenröhren mit Lebensgeistern, d. h. Blutdämpfen angefüllt seien. Von seinen Zeitgenossen hat am treffiendsten Honoratus Fabri! dagegen Einspruch erhoben; er meint, jene Vermuthung sei keine wirkliche Erklärung und stütze sich ausserdem nicht auf Thatsachen, denn die Nerven seien keine Hohlräume und noch kein Anatom habe je einen Dampf darin gefunden. Von späteren Gegnern der Theorie sind vornehmlich die Iatromathematiker zu nennen. Ihre Meinung ging dahin, dass der Vorgang im Nerven eine durch Er- schütterung bewirkte zitternde Bewegung sei und eine Zusammenziehung des Nerven zur Folge habe.? Als nun Haller gezeigt hatte, dass bei der ! Physica. Paris 1766. Vol. III. 2 Die Einzelheiten der Theorie sind von geringem Interesse. Man sprach von einer Zusammenziehung oder Dehnung der Nervenäste; beim Sehen z. B. sollten die concentrirt auf die Netzhaut fallenden Lichtstrahlen ihre Fasern zur Contraction reizen. Eberhard liess noch 1752 durch einen Schüler den Satz verfechten, dass die Empfin- dungen hervorgebracht werden durch das Zittern der kleinsten Theile des Nervenmarkes, 208 MAx Dessoir: Thätigkeit des Nerven eine Verkürzung nicht eintritt, da kam wieder die Spiritusiehre in etwas veränderter Form zu Ehren. Hiernach beruhen die Nervenprocesse auf einer Circulation des Nervenäthers, ähnlich dem Kreis- lauf des Blutes, und zwar beginnt die Ausscheidung des Aethers in dem als ein drüsiges Organ betrachteten Gehirn." Dieser Aether ist nicht mit jener merkbaren Flüssigkeit zu verwechseln, die zur Ernährung der Nerven dient, sondern ein von den Sinnen nicht wahrzunehmendes Etwas, das hypothetisch vorausgesetzt werden muss. Da es keine sinnlichen Eigen- schaften besitzt, so hat man es sich auf’s verschiedenartigste vorgestellt ?; für unsere Zwecke genügt es Haller’s Beschreibung kennen zu lernen. Nach Haller? sind die Lebensgeister äusserst beweglicb und so schnell, dass sie in einer Secunde einen Weg von 9000 Fuss zurücklegen, sie sind sehr fein und würden sich verflüchtigen, wenn sie nicht eine besondere Affinität (adhaesio) zur Nervensubstanz hätten, endlich sind sie unabhängig von der Herzbewegung, aber abhängig von Bewegung und Beschaffenheit des Blutes. Der Nervensaft bewegt sich bei der Empfindung centripetal, bei der Bewegung centrifugal; er kann sich an einzelnen Körperstellen übermässig anhäufen und dadurch die Function anderer, seiner nun be- raubter Theile verhindern. Endlich sei Reil genannt.* Er hat sich dahin entschieden, die Nerven als Leiter eines feinen, ausdehnungsfähigen Stoffes zu betrachten, der nicht nur Empfindung und Bewegung, sondern auch die Ernährung, Wärmeentwickelung und Absonderung im thierischen Körper vermittele. Da bald mehr bald weniger von diesem Stoff im Individuum vorhanden ist und die Vertheilung künstlich geändert werden kann, da ferner durch diesen Stoff eine beständige sensible Atmosphäre um die Nerven gebildet und ihnen dadurch eine gewisse fernwirkende Kraft verliehen wird, so lassen sich die verschiedensten Thatsachen, so z. B. die des thierischen Magnetismus, unschwer erklären. das dem elastischen Nervensaft mitgetheilt und so bis in’s Gehirn fortgepflanzt werde. Beim motorischen Vorgang soll es sich so verhalten: der seelische Impuls zur Bewegung setzt eine Zusammenziehung der Fasern im Gehirnmark voraus; da diese Fasern mit den Fasern eines peripheren Nerven in Verbindung stehen, so zieht auch dieser und schliesslich der mit ihm verbundene Muskel sich zusammen. ! Wenn nämlich das Gehirn nichts secernirte, so wäre unverständlich, weshalb ihm eine so grosse Menge Blut zuströmt; und wenn etwas secernirt wird, so muss es in die Nervencanäle gehen. ” Eine wegen ihrer Kürze empfehlenswerthe Uebersicht bei Ith, Versuch einer Anthropologie. Bern 1794. Bd.I. S. 202. ? Elementa physiol. Lausanne 1762. Vol. IV. p.371ff. — Eine spätere, recht gute Zusammenstellung in dem anonymen Versuch einer Menschenlehre, sich selbst und andere Leute kennen zu lernen. 17190. Bd. II. 8.413 ff. * Reil, Exerecitat. anat. 1797. Vol. I. p. 28. — Dies Archiv. 1195. Bd. I. Stück 1. 9. 89, 94. _ Die „LEBENSKRAFT“ In DER PHYSIOLOGIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 209 Die Theorie vom Nervensafte blieb natürlich nicht unangefochten.! Der bedeutendste Hauptbeweis gegen ein feineres oder gröberes Fluidum in den Nerven war die Unmöglichkeit, auch nur eine einzige sinnliche Erfahrung dafür anzuführen. Ein anderes Bedenken war, dass durch jene Theorie die vermeintliche Gleichzeitiekeit von Reizeinwirkung und Empfin- dung nicht völlig erklärt werde, da ein Saft zu seiner Bewegung doch immerhin einige Zeit brauche. Man nahm daher vielfach au, die Nerven- röhrehen seien mit elektrischem Fluidum gefüllt, das ja nach physikalischen Erfahrungen einer ungemein schnellen Ausbreitung fähig ist. Auch an chemische Processe dachte man.” Hildebrandt? gab dieser neuen Modi- fieation die abschliessende Formel, indem er lehrte: „In dem ganzen Nerven- system wird jene feine flüssige Materie, der Nervengeist, durch einen, übrigens uns unbekannten chemischen Process aus dem Blute durch die Blutgefässe des Nervensystems abgesondert. Sie bewegt sich in den Nerven bei der Empfindung vom Gehirn ab, bei der Gegenwirkung zum Gehirn hin. Diese Bewegung wird jedesmal durch chemische Processe gewirkt, welche durch die erregenden Kräfte bewirkt werden.“ Also nicht eine eigentliche Kraftübertragung, sondern bloss eine Anregung liegt vor. Ueber das Verhältniss der Nerven zu Empfindung und Bewegung herrschten seltsame Vorstellungen, bevor (1826) der functionelle Unterschied der vorderen und hinteren Rückenmarkswurzeln entdeckt wurde. Vor Haller sah man die Ursache des Muskeltonus in der Anfüllung des Mus- kels mit Nervensaft*, Haller aber wies darauf hin, dass auch nach Durch- schneidung des Nerven ein Muskel des lebenden Thieres fortfährt, auf äussere Reize hin sich zusammenzuziehen. Dann tauchte die Hypothese auf, dass der sensible Vorgang vom Nervenmark, der motorische von den Nervenhüllen fortgeleitet werde.° Jedenfalls meinte man, dass in einem und demselben Nerven „Empfindungskraft“ und „Bewegungskraft“ („Spann- ! Gute Zusammenstellung in: Johann Gardiner’s Untersuchungen über die Natur thierischer Körper. Aus dem Englischen. Nebst einem Aufsatz über die Be- stimmung unserer Begriffe von der Lebenskraft durch die Erfahrung von ©. B.G.Heben- streit. 1786. S. 252. (Verfasser dieser Zusammenstellung ist Hebenstreit.) ®2 Dies Archiv. Bd.I. Stück 1. S. 68. ® Lehrbuch der Physiologie. 2. Aufl. 1799. 8. 87—88. * Samuel Schaarschmidt’s... Physiologie ... mit Zusätzen vermehrt von Ernst Anton Nicolai. 1751. Bd.I. 8.885 (vgl. S. 866). 5 Treviranus, Biologie. 1518. Bd. V. 8. 346: „Die Fortpflanzung der Willens- reize zu den Muskeln ist ein einfacher Act, der sich bloss aus einer gewissen Spannung - der Nervenhäute erklären lässt. Die Ueberbringung der verschiedenen Sinneseindrücke zum Sensorium hingegen kann nur durch eine höchst zusammengesetzte, der mannig- faltigsten Mischungsveränderungen fähige Materie, von welcher Art das Nervenmark ist, geschehen.“ Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 14 210 MAX DESSOIR: kraft“) wohnen oder, einfacher gesagt, eine doppelte Thätigkeit stattfinden könne.! Ueber das Gehirn galten bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Durchschnitt folgende anatomische Vorstellungen. Das Gehirn gehört zu den drüsenartigen Organen und besteht aus einem System von Canälen: theils aus Blut- und Lymphgefässen, die sich zur Grosshirnrinde vereinigen und nichts oder wenig mit der Seele zu thun haben, theils aus dünneren, fadenartigen Fortsetzungen dieser Gefässe, die zu einem Netz von kleinen Canälen vereinigt, das Gehirnmark ausmachen. In diesen ganz zarten köhrchen hat nur noch der feinste Theil des Blutes Platz, nämlich der Blutdampf oder der Nervensaft (Spiritus, Lebensgeist), und in seiner Aus- scheidung und Fortbewegung besteht das physiologische Substrat der Seelen- thätigkeit. Als dies Substrat erschien anderen Physiologen eine natürliche Eigenbewegung des Gehirns, die nach Unzer in einem Aufblähen und Zu- sammenfallen besteht und durch die Athmung bedingt wird. Bei weitem moderner drückt sich Humboldt in seinen „Versuchen über die gereizte Muskel- und Nervenfaser“ (1797) aus: „Wenn aber auch das Denken selbst weder ein chemischer Process noch Folge mechanischer Erschütterung ist, so scheint es doch keineswegs unphilosophisch, fibröse Bewegung oder che- mische Zersetzungen im Seelenorgane gleichzeitig mit dem Denken an- zunehmen.“ (I, 297.) Wie schon aus diesen Angaben hervorgeht, ist damals die Bedeutung der grauen Rinde völlig verkannt worden. Wenn man nach dem Sitz der Seele?, als des Trägers der Bewusstseinsfunctionen, fragte, so wurde ent- weder mit einem Hinweis auf das Gehirnmark oder auf die Ventrikel- flüssigkeit geantwortet. Die Grundlage jener ersten Anschauung ist bereits von Varoli (1570) gelegt worden. Varoli meinte, dass die feste Masse des Gehirns die Unterlage der seelischen Vorgänge bilde und dass das Wasser in den Hirnhöhlen nur dazu da sei, die durch die Gehirnthätigkeit erzeugten Zersetzungsproducte fortzuspülen. Die entgegengesetzte Theorie ist am bekanntesten durch Sömmering (1796) geworden. Dieser vortrefi- liche Anatom hatte beobachtet, dass die meisten Gehirnnerven in der Nähe der Ventrikel entspringen, und vermuthet, dass ihre Wirksamkeiten durch den wässerigen Inhalt der Hirnhöhlen zu jener Einheit verbunden werden, die wir seelisch erleben. „Soll ferner“, so sagt er, „das gemeinschaftliche ' Die elassische Darstellung bei Gaubius, Instit. Pathologiae. 1759. p. 73. Alles Spätere ist mehr oder minder Wiederholung. ” Da man seit Kant’s Eingreifen die Frage nach einem „Sitz der Seele“ oft als ungereimt abwies, wurde sie dahin formulirt: „Welche sichtbaren Theile des Körpers stehen mit dem Empfinden, Denken und Wollen in der unmittelbarsten Verbindung? “ (Werdermann, Darstellung der Philosophie in ihrer neuesten Gestalt. 1193. 8.151.) lie „LEBENSKRAFT“ IN DER PHYSIOLOGIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 211 Sensorium im Hirn da sich finden, wo alle Nerven zusammenkommen, so sind es die Wände der Hirnhöhlen, wo wirklich die Nerven mit ihren wahren Endigungen zusammenkommen und mittels der hier befindlichen Flüssigkeit als eines einfachen, zusammenhängenden, ihnen gemeinschaft- lichen Mitteldinges wirklich verbunden oder vereinigt werden.“ Aus dem gleichen, psychologisch begründeten Verlangen nach einem Medium uniens war die Lehre des Descartes hervorgegangen, und sind sämmtliche un- paarige Theile des Gehirns im steten Wechsel als der eigentliche Sitz der Seele angesprochen worden. Von dieser Vorstellung eines einheitlichen Organes oder einer be- stimmten Flüssigkeit als des Correlates zur seelischen Synthesis unterscheiden sich eründlich die Ansichten, wonach die verschiedenen Functionen der Seele an verschiedene Hirntheile geknüpft seien und diese durch Fasern, jene durch Associationen zusammenhängen. Haller hat zwischen beiden Anschauungen geschwankt und daher hier nicht die nöthige Klarheit erreicht. Versuche mit unterbundenen und zerschnittenen Nerven einer- seits, Gehirnkrankheiten andererseits beweisen ihm, dass in der weissen Sub- stanz das sensorium und motorium commune zu finden sei, d.h. der Ort, wo alle Empändung zu Stande kommt und von wo alle Bewegung letzten Endes ausgeht; die unwillkürlichen Lebensvorgänge scheinen ihm vom übrigen Centralnervensystem, Herzthätigkeit und Athmung vielleicht vom Kleinhirn geregelt zu werden.” Dem entsprechend bestreitet er, was man von der functionellen Verschiedenheit der Gehirntheile erzählte. Und trotzdem wagt er gelegentlich ? die bildliche Wendung, dass „allen ver- wandten Ideen gleichsam ihre Bezirke im Gehirn angewiesen worden“ und verzichtet auf Grenzbestimmungen bloss deshalb, weil für kranke Theile ge- sunde die betreffende Function übernehmen können. — Um die Darstellung abzurunden, muss ein Vorblick auf Gall’s Lehre geworfen werden. Denn Gall hat als Erster (1808) in den Hirnwindungen das Organ der Seele entdeckt, hat erkannt, dass die Windungen functionell nicht gleichwerthig sind, und hat die durchgängige Faserung des Gehirnmarkes nachgewiesen. Solehen Leistungen gegenüber verschlägt es nicht allzu viel, wenn Gall ' Die Folgezeit ist nach zwei Richtungen von jenem Standpunkt abgewichen. Vertreter des Vitalismus und des Mesmerismus haben die Quelle der vegetativen Funetionen im Gangliensystem und vornehmlich im Sonnengeflecht (Cerebrum abdomi- nale) gesucht; andere Physiologen entthronten das Gehirn zu Gunsten der Oblongata, die nunmehr als Brennpunkt aller Nerventhätigkeit galt. Vom verlängerten Mark als vom Sitze des Sensorium commune entspringen die Nerven der „äusseren und inneren‘‘ Sinne; die einen gehen durch den Schädel an die Körperperipherie, die anderen rollen sich zur Gehirnmasse zusammen. " Gr. deutsche Physiol. Bd.\V. S. 1065. 14* 22 MAx DessoIr: für die zusammengesetztesten Seelenfähigkeiten einzelne Stellen und Faser- bündel des Gehirns in Anspruch nahm. Was ihn dabei leitete, war die soeben schon erwähnte Vorstellung, dass das Gehirn Organ der vielen inneren Sinne sei, durch die unsere seelischen Erscheinungen ähnlich so vermittelt werden wie die Erscheinungen der Aussenwelt durch die Organe der äusseren Sinne dem Bewusstsein zugeführt werden. Der Hauptfehler liest nicht darin, dass so viele (27, später 35) innere Sinne oder im Gehirn localisirte Functionen unterschieden werden, sondern vielmehr im psycho- logischen Begriff des inneren Sinnes. Die Phrenologie ist jedenfalls auf richtigerem Wege gewesen als ihr Ueberwinder Flourens (1824). Denn Flourens meinte, dass jedes Stück des Grosshirns an allen seelischen Vorgängen, an jeder beliebigen Wahrnehmung und jeder Willensregung den gleichen Antheil habe, dass demnach mit der Exstirpation eines be- liebigen Theiles alle Seelenthätigkeiten in gleichem Maasse geschwächt werden.! Nachdem wir die Auffassung der Lebenserscheinungen bis an die Grenze der Psychologie verfolgt haben, erübrigen nur noch wenige Worte über die Begriffsbestimmung des Lebens. Die allgemeine Definition der Lebenskraft war, wie nicht anders zu erwarten, schwankend und unklar. Doch lässt sich beobachten, dass im Laufe des Jahrhunderts der Begriff der Lebenskraft immer mehr den anderen Naturkräften angenähert wird. Prochaska’s „Lehrsätze“ (1797, I, 84) bestreiten, dass die Lebenskraft eine von einem „besonderen Princip abhängende Selbstkraft“ sei und beschreiben sie als „ein Aggregat von allen den theils als Ursache theils als Wirkung erscheinenden Naturkräften“; Hildebrandt’s „Lehrbuch“ (1799, S. 41 bis 46) bezeichnet die Lebenskraft als eine Eigenschaft der Materie und geht schon so weit, ihre Aufstellung „fast unnöthie“ zu nennen, da man sich zur Noth „das Leben im Ganzen denken könne ohne andere als me- chanische und chemische Kräfte“. Aber auch die Vertheidiger der Lebens- ‘kraft erkennen an, dass sie nur eine vorläufige Hypothese ? sei, um die Erscheinungen der Empfindung und Bewegung, der thierischen Wärme, der Abhaltung von Fäulniss u. s. w. verständlich zu machen. Typisch ist die Darstellung bei Becker (I, 142), der die Ursache der Lebenserschei- ! Man vergleiche die etwa gleichzeitige Darstellung von Gottfried Reinhold Treviranus in seiner Biologie oder Philosophie der lebenden Natur. 1822. Bd. VI. 8. 110—170: Versuch einer Bestimmung des Verhältnisses der verschiedenen Hirnorgane zu den verschiedenen Aeusserungen des geistigen Lebens. 'J. D. Brandis, Versuch über die Lebenskraft. 1795. 8.15. — Wie dieser Standpunkt allmählich wieder verlassen und der der Schelling’schen Naturphilosophie eingenommen wurde, ist am besten zu ersehen aus: Dömling, Kritik der vorzüy- tichsten Vorstellungsarten über Organisation. 1802. Die „LEBENSKRAFT“ IN DER PHYSIOLOGIE DES 18. JAHRHUNDERTS. 213 nungen als unbekannt ansetzt und sie „also“ mit dem Namen Kraft! belegt. Der Fehler, der in diesen einschränkenden Bestimmungen immer noch enthalten ist, ist die Annahme einer einheitlichen Ursache alles Lebens. Wirklich aber sind nur gewisse Erscheinungen (Lebenserscheinungen), die sich an einer bestimmten Gruppe von Naturkörpern (Organismen) finden; der naturwissenschaftliche Begriff des Juebens bedeutet eine Abstraction, abgezogen aus wirklichen Vorgängen (Ermüdung, Ernährung, Wachsthum, Zeugung) und aus einem thatsächlichen Missverhältniss zwischen Einwirkung und Rückwirkung, einer besonderen Art der Kraftansammlung. Die in’s Einzelne gehende Erklärung jedes dieser Thatbestände ist die Aufgabe des 19. Jahrhunderts gewesen. Hierin hat die Physiologie unseres nunmehr ablaufenden Jahrhunderts Grosses geleistet. Aber in den allgemeinen Be- griffen und Theorieen sind auch wir nicht wesentlich weiter gekommen; unsere hervorragendsten Forscher haben theils noch die Sprache der alten Zeit geführt?, theils in ihren Erklärungen der Muskel- und Nerventhätig- keit auf eine mechanistische Zurückführung der chemischen Processe, deren Ausdruck die neu beobachteten elektrischen Erscheinungen sind, verzichten müssen.? Alles Andere aber, d.h. Alles, was dem Lebendigen mit dem Todten gemeinsam ist, hat man auch schon in den Tagen des Vitalismus physikalisch erklärt. Der geschichtliche Rückblick wird gezeigt haben, wie fest wir noch heute in alten Anschauungen stecken und wie langsam jede neue Einsicht erworben wird; der nachweisbare Fortschritt der Wissen- schaft ist — wenigstens für kürzere Zeiträume — an die immer tiefer in’s Einzelne dringende Analysis geknüpft. ! Reil hat folgende beiden Definitionen: „Das Verbältniss der Erscheinungen zu den Eigenschaften der Materie, durch welche sie erzeugt werden, nenne ich Kraft.“ „Lebenskraft deutet das Verhältniss mehr individualisirter Erscheinungen zu einer be- sonderen Art von Materie an, die wir nur in der belebten Natur, bei Pflanzen und Thieren, antreffen.“ Dies Archiv. Bd.I. Stück 1. 8.45 u. 48. ® C. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Aufl. 1858. Bd. I. S. 145, spricht von „der richtigen Ansicht, dass der Nerv seiner Mischung und Form seine Kräfte, und einer Umänderung jener eine Umwandlung der Kräfte ver- danke“. ® E.Mach, Die Principien der Wärmelehre. S. 351. — E. Hering, Zur Theorie der Nerventhätigkeit. 8.7. Die Thatsachen und die Gesetze der Vererbung. Von Prof. Dr. J. Orschansky in Charkow, I. Gebiet der Erblichkeit. Erblichkeit heisst das biologische Gesetz, nach welchem alle lebenden Geschöpfe bestrebt sind, sich in ihren Nachkommen zu reprodueiren; sie ist für die Gattung das, was persönliche Identität für das Individuum (Ribot). Es ist die Kraft, welche die einander folgenden Generationen mit einander verbindet, die Kraft, durch welche Familien, Arten, Gattungen u. s. w. ent- stehen. Das Gebiet der Erblichkeit ist jedoch umfassender und geht über die Grenzen der Aehnlichkeit zwischen Nachkommen und Erzeugern hinaus, denn dieselbe Tendenz offenbart sich im individuellen Leben aller Geschöpfe, . sei es Pflanze, Thier oder Mensch. Das Leben ist untrennbar verbunden mit dem in allen Zellen des Organismus vor sich 'gehenden Stoffwechsel; alle lebenden Organismen zeigen die Erscheinungen der Zerstörung und Regeneration der Grund- elemente. Einheit und Beständigkeit des Organismus sind deshalb nur eine Fietion; in Wirklichkeit erscheint jeder Organismus als Schauplatz ent- gegengesetzter Processe: des Absterbens alter Zellen und Ersatz derselben durch junge. Die Fähigkeit der jungen Elemente, sich den alten zu assi- miliren, ist somit eine allgemeine, jeder lebenden Materie, sei es Zelle, Organ oder Organismus, innewohnende Eigenschaft. Die Uebertragung des Typus vom Erzeuger auf die Nachkommen ist also nur ein specieller Fall des Erblichkeitsgesetzes. Dieselben Gesetze kann man bei allen Arten von Zellen, Geweben, Organen verfolgen, welche während des ganzen Lebens des Individuums, ungeachtet aller physiologischen Metamorphosen, ihren Typus beibehalten. Bei den höheren, mit speciellen Zeugungsorganen aus- ! Resume aus dem Werke desselben Verfassers: „Etude sur Pheredite“. Memosres de l’Academie Imperiale de St. Petersbourg. 1894. J. ÖRSCHANSKY: DIE THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 215 gestatteten Organismen sind diese beiden Arten der Erblichkeit — der individuellen und der elementaren — getrennt. Die embryonalen Zellen der Geschlechtsorgane dienen dabei der individuellen und allgemeinen Erb- lichkeit, während die übrigen Zellen und Gewebe des Organismus nur mit specieller Erblichkeit begabt sind, d. h. sie vermögen nur ihren eigenen Typus zu übertragen. Bei den niederen Organismen sind diese beiden Erblichkeitsarten nicht getrennt, denn jede Zelle kann sowohl irgend ein Organ als auch ein ganzes Individuum erzeugen. Das ist die erste Cor- rectur der herrschenden Definition der Erblichkeit. Latente Erblichkeit. So oft uns die Aehnlichkeit zwischen Eltern und Kindern auffällt, be- haupten wir, dass es sich im gegebenen Falle um eine Aeusserung der Erblichkeit handelt. In gewissen Fällen liegt keine Aehnlichkeit vor, wes- halb wir aber keineswegs berechtigt sind, deren Vorhandensein in Abrede zu stellen, obgleich sie nicht in die Erscheinung tritt. Eine Menge ver- schiedener Thatsachen spricht dafür, dass die Erblichkeit lange Zeit hindurch latent bleiben kann, bis günstige Umstände es ihr ermöglichen, sichtbar zu werden. An die Analyse der Erscheinungen der Erblichkeit muss man aber auch noch von einem anderen Gesichtspunkte aus herantreten. Genügend zahlreiche Momente sprechen für die Wahrscheinlichkeit, dass die Erblich- keit der Structur oder die morphologische Erblichkeit unabhängig von der functionellen auftreten kann. Wir können noch auf einen fundamentalen Unterschied zwischen den constanten und den variablen Symptomen hin- weisen; die ersteren sind der Organisation der Eltern eigenthümlich, die anderen stellen diejenigen Veränderungen dar, welche während des Lebens unter dem Einflusse äusserer Einwirkungen oder pathologischer Processe eingetreten sind. Die erbliche Uebertragung von durch das äussere Medium und durch Lebensbedingungen gesetzten a EL und Gewohnheiten liest im Wesen der Anpassung. Andererseits werden durch viele Krankheiten Structurveränderungen in den Organen hervorgerufen, welche die Tendenz haben, entweder direct als Krankheit oder als Prädisposition zu Krankheiten auf die Nachkommen- schaft überzugehen. Wenn auch Weismann und seine Anhänger in ' letzter Zeit die erbliche Uebertragung der erworbenen Veränderungen in Abrede stellen, so bleiben dennoch einige Thatsachen unwiderlegt und die Weismann’schen Einwände beziehen sich eher auf die Erklärungen dieser Thatsachen als auf die letzteren selbst. Die Uebertragung der erworbenen , Veränderungen (dynamische Erblichkeit) ist eine weit complicirtere Frage, | als die Vererbung von constanten Symptomen (statische Erblichkeit). 216 J. ORSCHANSKY: II. Einfiuss der Erblichkeit auf die Bildung des Geschlechts und auf den Körperbau der Kinder. Dieser Arbeit war folgender Gedanke zu Grunde gelest: Die als eine Function des elterlichen Organismus aufzufassende Erblichkeit entspricht in jeder Lebensperiode der Energie der übrigen Functionen des elterlichen Organismus oder dem allgemeinen Zustand desselben. In gleicher Weise wie alle Functionen des Organismus regelmässigen Veränderungen unterworfen sind und im Laufe des Lebens drei verschie- dene Stadien — das der progressiven Energie in der Jugend, eine stationäre Periode im Zustand der Reife und endlich eine Epoche des allmählichen Abfalls im Alter — durchlaufen, muss auch die Erblichkeit demselben Ver- lauf der individuellen Evolution folgen, Der Verlauf der Erblichkeit kann deshalb durch eine Curve graphisch dargestellt werden, welche mit einer anderen, die allgemeine Evolution des Individuums darstellenden parallel verläuft. Diese Hypothese kann durch eine neue Untersuchungsmethode der Erblichkeitserscheinungen geprüft werden. Die Methode besteht in dem Studium der allmählichen Veränderungen, welche in Bezug auf Erblichkeit in den verschiedenen Lebensabschnitten der Eltern zur Beobachtung ge- langen. Der Einfluss der Erblichkeit, d.h. der Zusammenhang zwischen Eltern und Kindern, äussert sich nach drei verschiedenen Richtungen hin: in der Entstehung des Geschlechts der Kinder, in der zwischen Kindern und Eltern bestehenden Aehnlichkeit im Körperbau und in der .Uebertraeung pathologischer Veränderungen von den Eltern auf die Kinder. Als Gegenstand der Untersuchung erscheint somit die aus Eltern und Kindern bestehende anthropologische Gruppe, d. h. die Familie im engeren Sinne; die Erblichkeit wird in allen Entwickelungsphasen des Lebens der Eltern studirt und dadurch entsteht eine Naturgeschichte der Fa- milienerblichkeit. Zum Zwecke der Untersuchung der Erblichkeit geht der Verfasser von der Familie als Einheit aus und stellt zwei Typen von Familien auf: zum ersten Typus gehören die Familien, deren Erstgeborenes ein Knabe ist, beim zweiten ist es ein Mädchen. Beim ersten Typus kommen vorwiegend Knaben, im zweiten Mädchen zur Welt. Diese auffallende Thatsache ist für alle Gruppen des vom Ver- fasser untersuchten Materiales (mehr als 8000 Familien) statistisch fest- gestellt. Das Durchschnittsalter der Eltern bietet keinen merklichen Unter- schied in den beiden T'ypen. Bei einer geringen Kinderzahl in einer Familie könnte das Vorwiegen von Knaben oder Mädchen wohl von dem Geschlecht des erstgeborenen DE En en u Se RE er GE Le VE Die THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 27 Kindes abhängen, aber dieselbe Eintheilung der Familien in zwei Typen besteht auch für fruchtbare Familien: das sieht man aus der Tafel, in welcher Familien mit mindestens 8 Kindern verzeichnet sind. Nachdem er diese zwei Typen von Familien aufgestellt hat, unter- sucht Verf. die Bedingungen, welche auf das Entstehen derselben von Ein- fluss sein können. In Bezug auf das Alter wurde festgestellt, dass die jüngsten Mütter bis zu 19 Jahren am häufigsten beim zweiten Familientypus vorkommen; ferner ist die grösste Zahl Knaben von den reiferen Müttern geboren. Zwischen den Müttern der beiden Typen besteht in anderer Beziehung ein bedeutender Unterschied, so z. B. sind die Mütter aus dem ersten Typus durchschnittlich grösser und die einzelnen Skeletttheile sind bei ihnen eben- falls grösser. Der Verf. hat genaue Untersuchungen über die Grösse des Zeitraumes von der ersten Menstruation bis zur ersten Geburt angestellt und dabei ermittelt, dass ein Intervall von mehr als 5 Jahren öfter in den Familien des ersten Typus vorkommt. Ferner fand er, dass auch das absolute Alter zur Zeit der ersten Menstruation für das Entstehen des Typus von Bedeutung ist: Mütter, welche vor dem 14. Lebensjahre zum ersten Male menstruirt sind, geben öfter Familien des zweiten Typus. Beim ersten Typus sind die Mütter zur Zeit der ersten Geburt durchschnittlich älter. Da zwischen der functionellen Thätigkeit des Genitalapparates und der Eintheilung in Typen ein bestimmtes Verhältniss besteht, so hat Verf. die Maasse des Beckens als desjenigen Skelettheiles untersucht, welcher mit dem Geschlechtsapparat in näherer Beziehung steht. Er hat dabei ge- funden, dass geringere Beckenmaasse bei den Müttern des zweiten Typus, grosse Maasse beim ersten Typus öfter vorkommen. Stellt man den Zeitpunkt des Auftretens der Menstruation den Skelett- maassen gegenüber, so zeigt sich, dass das frühzeitige Auftreten derselben mit grossem Körperwuchs, mit grossem Umfang des Kopfes und Brust- kastens einhergeht; Weiber von 15 bis 19 Jahren haben eine um so grössere Körperlänge, je früher sich bei ihnen die Menstruation eingestellt hat. In etwas höherem Alter wird dieser Unterschied dadurch compensirt, ‚dass die später Menstruirten rascher wachsen. Die obigen Ausführungen sprechen zwar dafür, dass manche Faetoren augenscheinlich einen Einfluss auf die Eintheilüng der Typen ausüben, allein die Gesammtheit aller der- jenigen Erscheinungen, welche den sogenannten allgemeinen Zustand des Organismus ausmachen, haben einen solchen entscheidenden Einfluss nicht. Das ersieht man daraus, dass in Familien, in welchen einer von den beiden 218 J. OÜRSCHANSKY: Eltern gesund, der andere krank ist, d. h. wo der grösste Unterschied zwischen den Allgemeinzuständen besteht, dennoch eine ähnliche Eintheilung in Typen beobachtet wird; das Entstehen des Typus wird also nicht aus- schliesslich durch den Allgemeinzustand und Körperbau der Eltern bedingt. Jede Familie liefert abwechselnde Serien von Knaben und Mädchen, und diese Periodieität existirt unter allen Bedingungen des Alters, der Gesundheit, der Reife der Eltern und ist anscheinend von ihnen ganz un- abhängig. Der Verf. sucht eine Erklärung für diese Periodieität in den Eigenthümlichkeiten der weiblichen Organisation. Die geschlechtliche Function des Weibes weist überhaupt einen rhythmischen Charakter auf (Men- struation u. s. w.). Ausserdem ist es höchst wahrscheinlich, dass die Pro- duction eines Knaben bezw. eines Mädchens nicht in gleicher Weise die Kräfte der Mutter in Anspruch nimmt. So z. B. hat Verf. gefunden, dass die als Frühgeburten zur Welt gekommenen weiblichen Föten grösser sind als die männlichen (dies bezieht sich nur auf Früchte bis zum 5. Monat). Weiter haben wir gesehen, dass bei Erstgebärenden die Geburt eines Mädchens mit einer früheren Entwickelung der geschlechtlichen Functionen der Mutter zusammenfällt und dass bei Erstgebärenden die relative Zahl der von ihnen geborenen Knaben grösser zu sein pflegt, d.h. dass der Organismus der Mutter nicht im Stande ist, sogleich das zur Production eines Mädchens erforderliche Maximum der Energie zu entfalten. Mit Hülfe des oben Gesagten wird es möglich, die Erscheinung der Periodieität in folgender Weise zu erklären: Eine Mutter ist nach der Geburt einer Tochter durch die an physiologischer Energie erlittene Einbusse stark er- schöpft und hat deshalb bei der folgenden Befruchtung weniger Aussichten, ein weibliches Individuum zu produeiren. Nach der Geburt eines Knaben ist sie relativ weniger erschöpft und ist deshalb mehr geeignet, einem Mädchen das Leben zu geben. Die Periodicität ist also das Product der Schwankungen im Allgeemeinzustand des mütterlichen Organismus und in der Energie ihrer sexuellen Functionen. Nach dieser Ansicht beharrt der Fötus einige Zeit in einem geschlecht- lich indifferenten Zustande und erst später wird das Geschlecht bestimmt hauptsächlich durch den Ernährungszustand der Mutter. Bekanntlich beobachtet man bei einigen Culturvölkern ein Gleichgewicht in der Zahl der Männer und Weiber: es werden in Europa auf je 100 Mädchen 105 Knaben geboren. Dieses relative Gleichgewicht, sowie das unbedeu- - tende Uebergewicht der Männer ist nicht, wie Düring behauptet, das Resultat einer physiologischen Anpassung, sondern vielmehr ist es als Product der Civilisation, der Religion, der Gesetzgebung und überhaupt der socialen Anpassung aufzufassen. Dieses historisch geschaffene Gleich- DIE THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG, 219 gewicht hat die Tendenz, stationär zu bleiben, weil das numerische Ver- hältniss zwischen der Zahl der Männer und Weiber nach dem Vererbungs- gesetz die Tendenz hat, sich in dem Verhältniss der erzeugten Knaben und Mädchen zu reproduciren. Sonderbar ist es, dass man bisher noch nicht darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Zahl der Producteure in einer gegebenen Anzahl von Familien grösser sein kann als die Zahl der Mütter. A. Die Erblichkeit des Körperbaues. Das Skelet der Neugeborenen. In der geburtshülflichen Klinik hat Verf. Messungen an 500 Neu- geborenen und deren Müttern, sowie an 200 frühgeborenen Früchten aus- geführt. In den Archiven derselben Klinik fand er Notizen über 2000 Fälle, in welchen Angaben über einige Skeletmaasse von Neugeborenen und deren Müttern, sowie die Menstruationsverhältnisse, Beckenmaasse u. s. w. ent- halten waren. Bei seinen Messungen hat sich Verf. stets der Broca’schen Angaben bedient; die Beobachtungen und Messungen hat er nach folgendem Pro- gramm angestellt: 1. Alter der Mutter und Geschlecht des Kindes, 2. Ge- sichtsfarbe und Aehnlichkeit des Kindes, 3. Körperbau, 4. Grösse, 5. Becken- breite, 6. Schulterdistanz, 7. Brustumfang, 8. Länge des Beins, 9. Länge des Armes, 10. Umfang des Kopfes, 11. Ant.-post. Schädeldurchmesser, 12. Schädelhöhe, 13. Querdurchmesser des Schädels, 14. Frontaldurchmesser des Schädels, 15. Länge der Wirbelsäule = Körperlänge minus Beinlänge. Esreroleende, 9 Indiees: "R, — 13.2111; RK, — 1221127 B, 12.43: er 21032 D—= 12:6°. Einfluss des Alters der Mutter auf das Skelet des Neu- geborenen. Alle Skelettheile haben ihr Minimum bei Kindern junger Mütter von 17 bis 20 Jahren (z. B. Länge der Knaben 47, der Mädchen 46 ®); von diesem Alter an werden die Maasse der Neugeborenen mit dem Alter der Mütter immer grösser und erreichen ihr Maximum, wenn die Mutter 27 bis 30 Jahre alt ist (Knaben 50-5, Mädchen 49.0 ®); bis zum 36. Lebens- ‘ Verhältniss des Querdurchmessers zum Diam. ant.-post. (Index cephalique). ” Höhenindex des Schädels. ® Verhältniss der Schädelhöhe zur Körperlänge. “ Verhältniss des Schädelumfanges zur Körperlänge. ° Verhältniss des Querdurchmessers des Schädels zur Schulterdistanz. 220 J. ÖÜRSCHANSKY: jahre der Mutter bleiben sie auf einer Höhe, um dann wieder kleiner zu werden. Hier offenbart sich auch das Prineip der individuellen Reife und die Curve der Skeletentwickelung verläuft parallel mit dieser. Was den Einfluss des Alters des Vaters auf das Skelet anbelangt, so haben wir uns damit begnügt, das Alter in drei Gruppen einzutheilen: bis zum 27., bis zum 36. Jahre und über 36 Jahre. Das Alter des Vaters übt auf die Körperlänge der Neugeborenen denselben Einfluss aus wie das Alter der Mutter, d.h. dem höchsten Reifestadium des Vaters entspricht die grösste Körperlänge des Neugeborenen. Aeussere Aehnlichkeit der Neugeborenen mit ihren Eltern und Körperbau der ersteren. Kinder, welche in Bezug auf Hautfarbe, Haarfarbe und im Gesichte Aehnlichkeit mit dem Vater haben, zeichnen sich durch grössere Körperlänge, breitere Schultern aus und weisen überhanpt grössere Körpermaasse auf. Da auch bei den Vätern alle Skeletmaasse grösser sind, so sind wir. be- rechtigt anzunehmen, dass Kinder, deren Gesichtsfarbe der des Vaters ähn- lich ist, auch hinsichtlich ihres Körperbaues mit dem Vater Aehnlichkeit haben. Körperbau der Mütter und der Neugeborenen. Grosse Mütter bringen durchschnittlich auch Kinder von grösserer Länge und mit grösseren Skeletmaassen zur Welt, was besonders deutlich bei sehr grossen und sehr kleinen Müttern zutrifft. Der Einfluss des mütter- lichen Körperbaues ist auffälliger bei Töchtern; die Körperlänge schwankt bei ihnen unter dem Einflusse des mütterlichen Körperbaues zwischen 47 und 49, bei Knaben nur zwischen 49 und 50”. Dieser mütterliche Einfluss offenbart sich bei den Neugeborenen am deutlichsten in den extremen Zahlen — die kleinsten Mädchen von 47 = stammen von kleinen Müttern, während die grössten Knaben von 50 °“ von grossen Müttern produeirt werden. B. Grenzen der Erblichkeit. Beständigkeit (Stabilität) und Veränderlichkeit (Variabilität) des Skelets. Grenzen der Erblichkeit. Die Schwankungen in der Grösse der Neugeborenen sind, wie wir ge- sehen haben, unbedeutend, sie betragen nicht mehr als 1 bis 2°“ und über- schreiten nicht die Grenzen der durchschnittlichen Grösse der Neugeborenen; es kommen hier keine Extreme, weder maximale noch minimale Grössen vor. Die Grössenscala der Mutter ist bedeutend ausgedehnter als die der Dıe THATSACHEN UND DIE ÜKSETZE DER VERERBUNG. 22 Kinder; bei ersteren umfasst sie 144 bis 163, bei letzteren 49 bis 50 für Knaben und 48 bis 49 für Mädchen. Es scheint daher, dass die extremen Abweichungen in der Länge von der Erblichkeit nicht abhängige sind. Um diese Thatsache ausser Zweifel zu stellen, hat Verf. das Verhältniss zwischen der Grösse der Neugeborenen und der der Mütter auf umgekehrtem Wege untersucht, indem er die Kinder nach der Grösse gruppirt und die diesen Gruppen entsprechende durchsehnittliche Grösse der Mütter ihnen gegen- übergestellt hat. Wenden wir beim Studium der Grösse diese umgekehrte Methode an, so bemerken wir, dass das Steigen der Körpergrösse der Mutter der Grösse der Kinder nicht proportional ist: während letztere von 44 auf 52 “ steigt, nimmt die Grösse der Mutter nur von 147 auf 155°“ zu. Auf diese Weise beobachtet man die früher festgestellte Thatsache, jedoch im umgekehrten Sinne. Hier sieht man keine Extreme im Wuchse der Mutter, weder grosse, noch kleine Maasse. Augenscheinlich übt die Mutter keinen erblichen Einfluss aus auf das Entstehen von extremen Körpergrössen der Kinder. Bei der Untersuchung der einzelnen Skelettheile stossen wir auf die- selben Erscheinungen. Extreme Grössen des Kopfumfanges der Kinder stehen in keinem Verhältnisse zu den entsprechenden Maassen der Mutter. Die extremen Maasse des Brustumfanges weisen denselben Charakter auf. Beim Becken besteht im Gegentheil ein ziemlich constantes Verhält- niss zwischen den Maassen der Mütter und der Neugeborenen. Augenscheinlich erstreckt sich der erbliche Einfluss der mütterlichen Constitution selbst auf die extremen Grössen des Beckens. Der erbliche Einfluss der Mutter kommt bei den verschiedenen Skelet- theilen des Neugeborenen nicht in gleicher Weise zur Geltung. So z.B. stehen die Beckenmaasse der Mütter und Kinder in einem sehr constanten Verhältniss zu einander. Für die allgemeine Körpergrösse hingegen ent- sprechen die extremen Maasse der Kinder den mittleren der Mütter; das- selbe bezieht sich auch auf den Kopfumfang. Es giebt aber Maasse, bezüg- lich welcher die extremen Grössen bei den Kindern gar kein Verhältniss zu denen der Mütter aufweisen — Schulterdistanz. Auf Grund dieser Thatsachen sind wir berechtigt, die Existenz einer speciellen Erblichkeit für jeden Skelettheil der Neugeborenen anzunehmen. Stabilität und Veränderlichkeit des Skelettypus. Jeder Theil des mütterlichen Skelets hat die Tendenz, bei den Nach- kommen sich zu reprodueiren nur innerhalb gewisser Grenzen oberhalb und unterhalb der mittleren Grösse; die extremen Maasse werden nicht über- tragen und stellen als erbliche Factoren unthätige Elemente dar. 222 J. ÖRSCHANSKY: Antagonismus zwischen der Stabilität und Vererbung des Skelets. Bei der Untersuchung der Veränderungen für die verschiedenen Skelet- theile sehen wir, dass das Becken und die Beine die Scala der stärksten individuellen Schwankungen darbieten. Wir haben auch gefunden, dass die relative Grösse der Vererbung sehr gering ist für Arm, Brust und Körpergrösse der Mutter, bei Neugeborenen für Arme und Schultern; bei ersteren steht die Scala dieser Grössen unter dem Minimum; es besteht ein nahes Verhältniss zwischen der Grösse der Erblichkeit und der Ver- änderlichkeit oder Variabilität des durchschnittlichen Skelettypus. Je grösser die letztere für einen bestimmten Skelettheil, um so mehr ist dieser Theil dem Einflusse der Erblichkeit unterworfen. Die Stabilität des Skelet- typus ist im Gegentheil der entgengesetzte Pol der Erblichkeit. Je be- ständiger der Typus, um so geringer ist die Scala der individuellen Ver- änderungen und das Wirkungsfeld der Erblichkeit wird enger und beherrscht einen kleineren Theil dieser Scala. Es giebt zwei Gruppen von Skelettheilen: Solche, bei welchen die Vererbungsenergie stärker ausgeprägt ist (Bein und Becken), und welchen zugleich eine maximale Wachsthumsenergie innewohnt und die deshalb früher die vollständige Reife erreichen, und andererseits solche, deren Ver- erbungsenergie bei Neugeborenen am geringsten ist (Schultern und Arme); sie haben eine minimale Wachsthumsenergie sowohl im Anfangs- als auch im Endstadium und erreichen später ihre volle Entwickelung. Es ist folglich die Beziehung zwischen Erblichkeits- und Wachsthums- energie eine augenscheinliche. Ein solches Verhältniss war auch zu erwarten, besonders wenn man den Umstand in Betracht zieht, dass der grösseren Wachsthumsenergie stets eine grössere Variabilität entspricht und das schwache Wachsthum im Gegentheil durch Stabilität charakterisirt ist. Da die Veränderlichkeit mit grösserer Vererbungsenergie einhergeht, so ist: es klar, dass die Wachs- thumsenergie und die Intensität der Erblichkeit parallel verlaufen müssen. Erinnern wir uns an die bekannte Thatsache, dass die Wachsthums- energie für das ganze Skelet eine absteigende Grösse darstellt; wir sind deshalb berechtigt anzunehmen, dass die Energie, mit welcher die Erblich- keit auftritt, bei Neugeborenen eine maximale, und im reifen Alter eine minimale sein muss. Da dann die Wachsthumseurve für alle Sielettheile periodische” Schwankungen aufweist und während der Pubertätsjahre steigt, so kann man erwarten, dass die Erblichkeitscurve diese Schwankungen wiedergiebt und dass der Einfluss der Erblichkeit in der Pubertätszeit beim Skelet DIE THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 223 der Kinder energischer zum Vorschein kommt. Da ferner das männliche und das weibliche Skelet verschiedene Entwiekelungstypen darstellen, so kann man annehmen, dass die Erblichkeitscurven für Männer und für Weiber verschieden sind. ©. Erblichkeit in kranken Familien. Bei den von mir in kranken Familien gesammelten Beobachtungen habe ich mir das Studium folgender Erscheinungen zur Aufgabe gemacht: 1. Vertheilung der Geschlechter in kranken Familien, 2. Uebertragung der Krankheiten von den Eltern auf die Kinder oder die pathologische Vererbung im engeren Sinne. Meine Beobachtungen habe ich in Familien gesammelt, in welchen der Vater oder die Mutter an Tuberculose, an Syphilis, Alkoholismus, an einer Psychose oder an irgend einer Nervenkrankheit leidet. Ich habe 159 Fälle, in welchen die Mutter, 190 Fälle, in welchen der Vater, und 42 Fälle, in welchen beide Eltern krank waren, gesammelt. Auch hier giebt es zwei Typen von Familien, und zweifellos sind diese Typen vom allgemeinen Zustand und Körperbau der Eltern ganz unab- hängige Erscheinungen. In Familien, in welchen die Väter krank sind, überwiegt im All- ‚ gemeinen die Zahl der Knaben (125:100), kranke Mütter liefern ein Ver- hältniss von 101-5: 100, in Familien, wo beide Eltern krank sind, stellt sich das Verhältniss wie 98: 100. Erinnern wir uns an die Thatsache, dass das mittlere Verhältniss in Familien, in welchen die Eltern gesund sind, 106 bis 110:100 beträgt, so sehen wir aus obigen Zahlen, dass durch Krankheit des einen Erzeugers das Entstehen von Kindern seines Ge- schlechtes begünstigt wird. Diese Wirkung der Krankheit tritt noch deut- licher zu Tage, wenn wir die kranken Kinder von den gesunden trennen; wir finden also, dass gerade bei kranken Kindern der Einfluss des kranken Erzeugers am auffälligsten ausgesprochen ist. Bei diesen ist der Einfluss des Typus und des kranken Erzeugers ein sehr deutlicher, und zwar: bei kranken Vätern im Typus I beobachtet man ein besonders bedeutendes Ueberwiegen kranker Knaben, bei kranken Müttern im Typus II überwiegen ebenso bedeutend kranke Mädchen. Sind jedoch beide Eltern krank, so bieten die kranken Kinder gleichzeitig ein besonderes Vorwiegen der kranken Knaben im Typus I und der kranken Mädchen im Typus II dar. Der erbliche Einfluss des kranken Vaters äussert sich bei den kranken Kindern im Typus I in Bezug auf die Vertheilung der Geschlechter viel deutlicher als der Einfluss der Mutter im Typus Il. Wir sind deshalb berechtigt, hieraus zu schliessen, dass überhaupt jeder kranke Erzeuger, 224 J. ÜRSCHANSKY: besonders aber der kranke Vater ein stärkeres Bestreben hat als im nor- malen Zustande, sein Geschlecht auf die Kinder, besonders auf kranke, d.h. auf solche Kinder zu übertragen, welche die Constitution des kranken Er- zeugers geerbt haben. Bezüglich der Vertheilung der Geschlechter besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den Familien, in welchen die Eltern an Nervenkrank- heiten und denjenigen, wo die Eltern an Krankheiten der Brustergane (Herz, Lunge) leiden. Die an Nervenkrankheiten leidenden Eltern haben . eine besonders grosse Neigung, ihr Geschlecht und ihren Typus auf die Kinder, und zwar auf die kranken Kinder zu übertragen. In Familien hingegen, in welchen die Eltern brustleidend sind, beobachtet man die ent- gegengesetzte Erscheinung: die Vertheilung nach Geschlecht und Typus zeigt den vorwiegenden Einfluss des gesunden Erzeugers. Es herrschen somit, wenn der Vater brustleidend ist, der Typus II und Töchter vor, ist hingegen die Mutter brustkrank, so kommen mehr Knaben zur Welt und es überwiegt der Typus I. Sowohl in dem einen als in dem anderen Fall ist dieses Verhältniss bei kranken Kindern weniger stark ausgeprägt. Pathologische Vererbung. 1. Ist der Vater krank, so ist die Anzahl der gesunden und kranken Kinder gleich. 2. Ist die Mutter krank, so kommen mehr gesunde Kinder zur Welt; wir können deshalb sagen, dass der Vater eine grössere Tendenz hat, seinen pathologischen Zustand zu übertragen, als die Mutter. In Familien, in welchen beide Eltern krank sind, kommen verhältnissmässig noch mehr kranke Kinder vor. Die Väter äussern die Neigung, ihren pathologischen Zustand bei ihren Nachkommen progressiv zu verschlimmern, indem sie functionell Kranke in organisch Kranke verwandeln. Indem die Mütter eine gewisse Anzahl organischer Krankheiten in functionelle umwandeln, schwächen sie im Gegentheil bei ihren Nachkommen die Intensität ihrer Krankheit und das Gebiet der pathologischen Verände- rungen ab. Es ist auch klar, dass die Töchter wiederum eine ähnliche Neigung zur Stabilität zeigen, sie leisten dem krankmachenden Einfluss der Eltern Widerstand, während die Knaben bestrebt sind, den von den Eltern ge- erbten pathologischen Zustand zu steigern. Man kann deshalb sagen, dass die Gefahr der progressiven Degene- ration seitens eines kranken Vaters grösser ist als seitens einer kranken Mutter — grösser für Knaben als für Mädchen, — grösser seitens organisch kranker, als seitens functionell kranker Eltern. Dis THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 225 Die pathologische Vererbung seitens des Vaters weist progressiven, seitens der Mutter regressiven Charakter auf. Die Thatsachen stehen in voller Uebereinstimmung mit den Resultaten unserer Untersuchungen über normale Vererbung und zeigen nochmals, dass der männliche Typus die Tendenz zur individuellen und progressiven Entwickelung hat, während der weibliche Typus im Gegentheil einen Stillstand der Evolution erstrebt. Erscheinungen der pathologischen Vererbung, vom Gesichts- punkte des Einflusses der Reife der Eltern betrachtet. Es ist, bereits früher bewiesen worden, dass die Energie der normalen Vererbung des Geschiechts und des normalen Körperbaues dem Verlauf der allgemeinen Entwickelung des elterlichen Organismus folgt. Sie er- reicht ihre Höhe zur Zeit der höchsten physischen Entwickelung, verharrt nur ziemlich kurze Zeit auf dieser Höhe, um dann successive abzunehmen. Um von diesem Standpunkte aus die Thatsachen der pathologischen Vererbung untersuchen zu können, muss man sowohl die gesunden als auch die kranken Kinder nach den Lebensjahren der Eltern und nach der Reihenfolge der Geburt gruppiren. Die Zahlen und die entsprechenden Curven zeigen bei Knaben und bei Mädchen eine gewisse Gesetzmässigkeit in der Gruppirung der Kinder nach der Reihenfolge ihrer Geburt, und zwar: die Erstgeborenen liefern eine relativ grössere Zahl kranker Kinder im Verhält- niss zu den gesunden. Selbst in der Gruppe der kranken Mütter, wo die Gesammtzahl der gesunden grösser ist, beobachtet man dieselbe Er- scheinung. Vergleicht man die Curven der gesunden und der kranken Kinder mit einander, so finden wir in allen Gruppen unseres Materials einen merk- lichen Unterschied. Die gesunden Kinder liefern im weiteren Verlauf nach der Reihenfolge der Geburt eine nahezu gerade Linie, während die kranken Kinder im Gegentheil eine absteigende Curve liefern. Das Ueberwiegen kranker Erstgeborener tritt deutlicher in denjenigen Familien auf, wo beide Eltern krank sind; zieht man den Umstand in Betracht, dass kranke Mütter im Allgemeinen mehr gesunde als kranke Kinder zur Welt bringen, so kann man behaupten, dass das Vorwiegen kranker Erstgeborener relativ grösser ist bei kranken Müttern, als bei kranken Vätern; bei ersteren fällt die Curve stärker und steiler ab, bei letzteren ist die Neigung derselben langsamer und weniger stark. In Familien mit kranken Vätern fällt das Vorwiegen kranker Eıst- geborener mehr auf bei Knaben, während bei kranken Müttern die Mädchen vorwiegend kranke Erstgeborene liefern. In Familien, in welchen beide Eltern krank sind, herrschen kranke . Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 15 226 J. ÖRSCHANSKY: Erstgeborene unter den Knaben bedeutend vor. Es muss hier hinzugefügt werden, dass das Wort „Erstgeborener“ hier nicht ganz dem Sinne ent- spricht; es wäre richtiger, von einer Prävalenz der kranken unter den ersten Kindern zu sprechen. Der Verlauf der pathologischen Vererbung hat einen regelmässigen Charakter; die Vererbung ist bei Krankheit des einen Erzeugers im All- gemeinen intensiver für die ersten Kinder, unter welchen sie die meisten Opfer findet und die schwersten Erkrankungsformen hervorruft; im weiteren Verlaufe des ehelichen Lebens sinkt dann die Energie der pathologischen Vererbung. In der Aeusserung ihres Einflusses auf die Nachkommen zeigt also die Energie der pathologischen Vererbung einen der allgemeinen Curve der individuellen Energie und der Curve der normalen Erbhlichkeit analogen Verlauf. Man muss unterscheiden zwischen der Prädisposition, d. h. der patho- logischen Constitution und Krankheit einer-, und den pathologischen Modi- ficationen andererseits, welche im Organismus unter dem Einfluss von Krankheiten entstehen. Nur die pathologische Constitution kann man als Bestandtheil der Individualität ansehen und die Erblichkeit dieser Constitution steht, ausser Zweifel. Was die erworbenen Veränderungen anbetrifft, so haben wir keine directen Beweise für den erblichen Charakter derselben. Das ganze eheliche oder produetive Leben der kranken Eltern muss zwei Perioden darbieten: 1. bis zur Offenbarung der Krankheit bei ihnen, bis zu welcher Zeit nur die pathologische Constitution übertragen werden kann, und 2. zweite Periode vom Augenblicke der Offenbarung der Krank- heit, in welcher schon beide Factoren, d. h. sowohl die pathologische Con- stitution als auch die pathologische Veränderung zugleich einen erblichen Einfluss auf die Nachkommen ausüben können. Es ist klar, dass man, wenn die pathologische Modification eine auffallende Rolle spielt, annehmen muss, dass die pathologische Vererbung in der zweiten Periode intensiver auftreten wird. Wir sehen aber das Gegentheil davon, nämlich dass die ersten Kinder im Vergleich mit den später geborenen Kindern eine grössere Zahl kranker, und zwar schwerkranker liefern. Wir gelangen so zur. Aufstellung folgender Thesen: 1. Die pathologische Vererbung sinkt mit dem Alter des kranken Er- zeugers, mit der Abschwächung seiner Individualität. Hierdurch wird die Existenz von Grenzen der Erblichkeit erklärt. 2. Die pathologische Vererbung wird abgeschwächt in Folge des progres- siven Charakters des krankhaften Zustandes, welcher die extremsten Grenzen erreicht, wenn die Uebertragung des pathologischen Zustandes unmöglich wird. Dıe THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 227 Wahrscheinlich hat die pathologische Individualität eben- falls ihre Grenzen, über welche hinaus sie erblich nicht mehr übertragen wird. Diese Hypothese stützt sich auf die oben festgestellte Thatsache, dass die maximalen Veränderungen des Skelets nicht erblich sind. Dasselbe kann man auch von der pathologischen Vererbung mit um so grösserem Recht annehmen, als diese stets als eine viel bedeutendere Abweichung vom normalen Typus erscheint, als die äusserstem Verände- rungen des Skeletes. Wenn eine deutliche Abweichung vom normalen Skelettypus erblich nicht übertragen wird, so ist es’ noch wahrscheinlicher, dass eine so extreme Deviation wie die pathologische Constitution noch schwieriger erblich übertragen wird. D. Allgemeine Principien der Erblichkeit. Die Entstehung der beiden Geschlechter ist ebenso eine Erscheinung erblichen Charakters wie die Constitution der Kinder. Die Erblichkeit wird gewöhnlich nur als eine Function der Eltern selbst angesehen, während in Wirklichkeit in ihren Aeusserungen auch die Kinder eine ziemlich bedeutende Rolle spielen. Wenn die Eltern ihre Eigen- heiten erblich übertragen, so übernehmen die Kinder activ den Einfluss der Eltern und erscheinen nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, als passive Faetoren. Die Erblichkeit wird nicht ganz in einem bestimmten Moment für das ganze Leben realisirt. Durch das Moment der Befruchtung und selbst durch das: intrauterine Leben wird der Einfluss: der Erblichkeit noch nicht für immer bestimmt. Sie befindet sich meistens in latentem: Zustande und tritt nur allmählich im Laufe der ganzen Entwickelung in Erscheinung. Verschiedene innere und äussere Umstände bleiben nicht ohne Einfluss auf die Realisirung der Erblichkeit. Und dies bezieht sich in gleicher Weise auf Eltern und Kinder. Jeder der beiden Erzeuger spielt bei der Erblichkeit seine bestimmte, specielle Rolle: durch den Einfluss des Vaters wird die Variabilität oder Individualität begünstigt, die Mutter ist bestrebt, ihren mittleren Typus zu erhalten. Diesen Antagonismus bemerkt man auch bei der Entstehung des Geschlechts, wo der Einfluss der Mutter in Gestalt der Erscheinungen der Periodicität des Geschlechts bestrebt ist, die Vertheilung der Geschlechter auszugleichen. Dieselbe Tendenz äussert die Mutter auch bei der Uebertragung des Körperbaues und der Krankheiten; sie reducirt ihre eigene pathologische Vererbung auf ein Minimum, sie leistet dem krankmachenden Einfluss des Vaters energischen Widerstand und transformirt schliesslich eine schwere Vererbung in eine weniger bedrohliche Form. 15* 228 J. ÖRSCHANSKY: Einen ähnlichen Antagonismus beobachtet man auch zwischen Knaben und Mädchen. Die Kinder verhalten sich in Bezug auf die Erblichkeit ebenso wie die Erzeuger des entsprechenden Geschlechts. Es geht daraus hervor, dass die Vererbung in einer inneren Beziehung steht zu der Constitution der Eltern. Schon die embryonalen Zellen zeigen bei beiden Geschlechtern einen ganz anderen Charakter. Der plastische Charakter des Eies und der func- tionelle des Spermatozoons ist eine unbestreitbare Thatsache und kommt auch den erwachsenen Individuen beider Geschlechter zu. Deshalb haben auch Stabilität und Variabilität, durch welche der männliche und der weibliche Typus sich auszeichnen, ihren Grund in der Verschiedenheit der entsprechenden embryonalen Zellen. Hierdurch wird die Weismann’sche Hypothese überflüssig, wonach die Variabilität das Resultat der Verschmelzung der Geschlechtszellen darstellt. Wäre die Variabilität, wie Weismann annimmt, von der Ver- schmelzung der Zellen abhängig, so müsste sie eine zufällige und unregel- mässige sein, während wir für das Skelet des Neugeborenen finden, dass die Variabilität eine regelmässige und beständige und, was das Wichtigste, eine erbliche Erscheinung ist. Man muss daher die Variabilität sowie die Stabilität in den embryogenen Zellen selbst suchen. Die Bedeutung der Verschmelzung der Zellen hingegen besteht darin, dass sie erstens alle in beiden Zellen in latentem Zustande befindlichen Kräfte und Fähiskeiten in’s Leben ruft. Ausserdem übt sie auf die Varia- bilität einen dem von Weismann behaupteten ganz entgegengesetzten Einfluss aus, indem nämlich die Variabilität des Spermatozoons und die Stabilität des Eies sich unter dem Einfluss der Verschmelzung beider Zellen gegenseitig neutralisiren. Erblichkeitstheorie. Das Problem der Erblichkeit involvirt drei Grundfragen: die Befruch- tungstheorie, die Theorie der individuellen Entwickelung und die Theorie der Beziehungen zwischen den Eltern und deren Nachkommen. Man pflegt das Gebiet der Erblichkeit oft einzuengen, indem man sie nur auf die letztere Frage beschränkt, während in Wirklichkeit die Ge- sammtheit dieser drei Lehren die Erblichkeitstheorie ausmacht. Befruchtungstheorie. Welcher Art die unbekannte Natur der Befruchtung auch sein mag, jeden- falls besitzt das Ei sowie das Spermatozoon, deren Verschmelzung die Befruch- tung darstellt, eine bestimmte specifische Energie, welche mit der chemischen DiE THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 229 Affinität verglichen werden kann. Es entsteht der Gedanke, dass diese Zellen als biologische Einheiten bezüglich ihrer Energie einander entweder äquivalent oder ungleich sein können. Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie erscheint die vollkommene Aequi- valenz des Eies und des Spermatozoons unmöglich; man muss deshalb die Annahme zulassen, dass in der biologischen Energie beider embryonalen Zellen ein wenn auch nur unbedeutender Unterschied besteht. Erreicht diese Ungleichheit einen bestimmten Grad, so wird die Befruchtung un- möglich; andererseits ist die Befruchtung in den seltenen Fällen ebenfalls unmöglich, in welchen die Ungleichheit oder Divergenz allzu klein ist, z. B. unter den Mitgliedern einer Familie. Erkennen wir diese Hypothese an, so müssen wir a priori erwarten, dass das Product der Verbindung solcher zwei Zellen mit ungleicher Energie stets als nicht ganz neutralisirt er- scheinen muss und dass die eine oder die andere Zelle ein wenig über- wiegen muss, woraus sich auch die Existenz von zwei, deutlich ausgespro- chenen Geschlechtstypen erklären lässt; bestände jedoch volles Gleichgewicht in der biologischen Energie dieser beiden Zellen, so wäre das Product ein mehr neutralisirtes und der Hermaphroditismus müsste eine alltägliche Rr- scheinung sein. Nehmen wir aber die Existenz von verschiedenen biologischen Energieen beider Zellen an, so muss man schon a priori annehmen, dass die Ver- schmelzung keine vollkommene für die ganze Materie der beiden Zellen sein kann. Man muss annehmen, dass das Verschmelzungsproduct aus zwei verschiedenen Theilen besteht: in dem einen haben sich die Zellen- elemente gegenseitig vollkommen neutralisirt, in dem anderen hat keine vollständige Neutralisirung stattgefunden; da aber die vollständige Ver- schmelzung oder Neutralisirung als nothwendige Bedingung der Entwicke- lung erscheint, so ist es klar, dass der zweite Theil nicht mit der zur individuellen Entwickelung ausreichenden Energie ausgestattet sein kann und dass die plastische Energie sich in latentem Zustande befinden muss. Wir können annehmen, dass diese nicht neutralisirte Zellsub- stanz den Keim der zukünftigen Geschlechtszellen des Indi- viduums darstellt; dann wird sich die von uns ermittelte Thatsache er- klären lassen, dass die Vererbung des Körperbaues, Geschlechts, sowie der Krankheiten in derselben Richtung sich äussert. Unsere Hypothese, nach welcher die Geschlechtsorgane aus demjenigen Theil des Keimprotoplasmas sich entwickeln, welcher am wenigsten neu- tralisirt oder befruchtet ist, erscheint folglich als logische Entwickelung der geistreichen Theorie Weismann’s. Unsere Hypothese führt in den Mechanismus der Wechselwirkung beider embryogenen Zellen noch das Prineip der Abstufung ein. 230 J. OÖRSCHANSKY: Individuelle Entwickelung. Der Befruchtungsmechanismus besteht aus zwei Factoren: Summation und Interferenz der ‚Energie der kleinsten Elemente, aus welchen jede embryonale Zelle besteht. Die Summation überwiegt in der Verschmelzung der Elemente des Typus, während die Interferenz im Gegentheil bei der Cooperation der individuellen Elemente vorwiegt. Es ist zu erwarten, dass die kleinsten, nach dem Summationsprineip sich vereinigenden Elemente in den ersten Momenten des embryonalen Lebens sich in für die plastische Evolution günstigeren Bedingungen be- finden werden als die.mittels Interferenz vereinigten Elemente, von welchen einige der Entwickelungstendenz der anderen Elemente einen gewissen Widerstand leisten. | Wir.können deshalb ‚erwarten, dass die primären Elemente des Typus im ‚Verlaufe der durch die Befruchtung angeresten plastischen Evolution zuerst ‚eine bedeutende ‚Entwickelungsenergie zeigen müssen, während die individuellen Elemente die letzten sein werden, hei welchen die plastische Evolution in Erscheinung treten wird. Von diesem Gesichtspunkte aus kann man sich leicht die bekannte Thatsache erklären, dass die Wachsthumsenergie allmählich sinkt, so dass der äusserste Grad der Individualität erst zu einer Zeit in Erscheinung tritt, in welcher die allgemeine Entwickelungsenergie auf die niedrigste Grenzstufe herabsinkt. Die Energie der individuellen Elemente ist schwächer als die Energie des Typus, man kann also voraussagen, dass die indivi- duelle Entwickelung eines bestimmten Skelettheiles erst von dem Augen- blick an möglich wird, wenn die allgemeine Energie des Typus bis zum Niveau der individuellen Energie fällt. Bekanntlich stehen alle Theile des Organismus in einem constanten Verhältniss zu einander, und dieses Verhältniss bleibt auch während der Entwickelungszeit bestehen. Wir wollen dieses Verhältniss mit dem Ter- minus „Consensus“ bezeichnen. Es ist schwer anzunehmen, dass die Ge- schlechtszellen oder Geschlechtsorgane eine Ausnahme bilden und ausser- halb dieses Consensus stehen und somit so zu sagen einen fremden Körper im Organismus bilden. Wenn wir sogar mit Weismann annehmen, dass die erworbenen Eigenschaften erblich nicht übertragen werden, so lassen doch die Erschei- nungen der Vererbung und der Evolution das Vorhandensein eines Con- sensus zwischen den Geschlechtszellen und dem ‚ganzen Organismus als zweifellos erscheinen. | Die THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 231 Es fragt sich nur: welcher Art ist dieser Consensus und wo sind seine Grenzen und ob zwischen den Geschlechtszellen und dem Keim während des ganzen Lebens irgend eine constante Verbindung besteht. Da die Geschlechtszellen von demselben Blastoderm abstammen wie der ganze Keim, so müssen sie in einem bestimmten Verhältniss zu dem Organismus stehen, in welchem sie enthalten sind, was man mit dem Terminus „sta- tischer Consensus“ bezeichnen kann. Die plastische Energie dieser Zellen äussert sich als Proliferation, deren Resultat die Geschlechtsorgane sind. Zur Zeit ihrer geschlechtlichen Reife machen diese Zellen unter dem Ein- fluss der Befruchtung ihre plastische Energie frei; letztere muss natürlich den Typus desjenigen Organismus übertragen, dessen Theil diese Zellen bildeten. Weismann, welcher nur die Existenz des statischen Consensus an- nimmt, behauptet, dass die Geschlechtszellen nur den Typus des väter- lichen Keims, nicht aber den der Individualität des Vaters darstellen, d. h. dass die ganze, in der embryonalen Constitution nicht enthaltene Indi- vidualität des Vaters auch im Keim der folgenden Generation nicht er- scheinen wird. Die oben angeführten Thatsachen erlauben uns eine andere Ansicht auszusprechen und anzunehmen, dass zwischen den Geschlechtszellen und dem ganzen Organismus ein ununterbrochenes Verhältniss während des sanzen individuellen Lebens, sowohl während des embryonalen Zustandes als auch während der Reifeperiode besteht. Und thatsächlich ist constatirt worden, dass der erbliche Einfluss der Eltern sich mit dem Alter derselben, ihrem Reifezustande entsprechend, verändert. Die Erblichkeit oder die Activität der Geschlechtszellen hat einen der Evolution des Individuums parallelen Verlauf; es folgt daraus, dass die Geschlechtszellen nicht als stabiles unveränderliches Organ angesehen werden können; sie sind im Gegentheil von der allgemeinen Entwickelung des Indi- viduums nicht ausgeschlossen und ihre plastische Energie entspricht in jedem gegebenen Moment derjenigen Entwickelungsform, in welcher sich der ganze Organismus befindet. Die erste logische Folge eines solchen Verhältnisses besteht in der Annahme einer verborgenen latenten Evolution _ der Geschlechtszellen, welche denselben Entwickelungsgang hat wie die reale Entwickelung des Individuums. Diese Idee der verborgenen Evolution ist eine logische Deduction aus der verborgenen biologischen Energie, welche wir als Grundeigenschaft der Geschlechtszellen anerkennen. Die ver- borgene Evolution der Geschlechtszellen ist keine Hypothese, sondern eine unzweifelhafte Thatsache, oder richtiger, eine eine Serie positiver That- sachen umfassende allgemeine Formel. 232 J. ÜRSCHANSKY: Wenig wahrscheinlich ist es a priori, dass die Geschlechtszellen vom väterlichen Organismus unabhängig und in demselben als Fremdkörper enthalten sein sollen. Wären die Geschlechtszellen im Organismus isolirt und von den Schwankungen im allgemeinen Zustand der Eltern unabhängig, dann müsste man in dem Bau einer jeden Zelle mehr Stabilität beobachten und folglich auch eine grössere Stabilität im Typus aller Kinder einer Familie. Eine grössere Verschiedenheit der Kinder derselben Eltern würde dann, ebenso wie der Atavismus, ganz unerklärt bleiben. Die unbestreitbare Thatsache der Periodicität in der Entstehung der Geschlechter wäre schwer zu begreifen, wenn man nicht annimmt, dass die Schwankungen des Allgemeinzustandes der Mutter nicht ohne Einfluss auf die Function der Geschlechtszellen bleiben. Ferner weisen die Erscheinungen des Vorhandenseins von Grenzen der Erblichkeit mit Sicherheit darauf hin, dass das Verhältniss zwischen der verborgenen Constitution der Zellen und dem realen Typus der Eltern nicht ein- für allemal festgesetzt ist, sondern dass es einen gewissen regu- latorischen Mechanismus giebt, von welchen dieses Verhältniss abhängt. Die Erscheinungen der pathologischen Vererbung beweisen noch deut- licher, dass ein solcher Mechanismus existirt. Wie könnte man sonst die Thatsache erklären, dass die pathologische Erblichkeit in einem bestimmten Alter der Eltern abgeschwächt wird, so dass die Geschlechtszellen bei jungen Eltern sich zu kranken, bei reiferen Eltern zu gesunden Kindern ent- wickeln! Die enge Beziehung zwischen den Geschlechtsorganen und dem Orga- nismus der Eltern tritt in verschiedenen Formen, besonders bei Weibern, zu Tage; man kann hierbei an den bekannten Einfluss des Nervensystems auf die geschlechtlichen Functionen erinnern. Jede Depression in der psychischen Sphäre, sei es melancholischer Zustand oder depressive Emotion, stimmt die Thätigkeit dieser Functionen herab. Eine deutlich ausgesprochene, degenerative Form der Psychosen geht oftmals mit Sterilität einher. Und umgekehrt übt die Thätigkeit, wie auch die Atonie der geschlechtlichen Functionen des Weibes einen deutlichen Einfluss auf ihr Nervensystem aus und die Existenz eines geschlechtlichen Reflexes von den Geschlechtsorganen aus auf das Nervensystem und umgekehrt ist eine unbestreitbare Thatsache. Schliesslich muss auch noch auf den Einfluss der Castration, auf den Still- stand in der physischen Entwickelung der secundären Geschlechtsattribute (Bart, Kehlkopf, Brüste) hingewiesen werden; hierher gehört auch der Ein- fluss des Klimakteriums. Auf Grund dieser Thatsachen sind wir berechtigt, die Existenz einer ununterbrochenen Beziehung zwischen dem ganzen Organismus und den n Dıe THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 233 Geschlechtszellen anzunehmen, wobei jede Geschlechtszelle gewissermaassen einen Mikrokosmos im elterlichen Makrokosmos darstellt. Dieser Consensus hat eine doppelte Natur: vor allen Dingen ist er plastischen Charakters, d. h. die Ernährungsvorgänge, welche im Organismus vor sich gehen, äussern einen wenn auch verborgenen, nutritiven Einfluss auf die Geschlechtszellen. Sodann existirt noch eine functionelle oder dynamische Beziehung zwischen dem Gesammtorganismus ‚und den Ge- schlechtszellen und diese Beziehung wird offenbar durch Vermittelung des Nervensystems unterhalten. Man kann a priori die Grundprincipien feststellen, welchen der Con- sensus unterworfen sein muss.) Vor allen Dingen ist es klar, dass das Gebiet des Consensus je nach dem Geschlecht des Keimes verschieden sein kann. Für Knaben hat er einen mehr functionellen Charakter, d.h. die im Organismus sich abspie- lenden, functionellen Processe üben einen grösseren Einfluss auf die Sperma- tozoen aus. Die plastischen Erscheinungen im Organismus der Mutter hingegen wirken stärker auf das Ovulum ein. Der Consensus hat, mit anderen Worten gesagt, für jedes Geschlecht einen speciellen, der speci- fischen Natur der Geschlechtszellen entsprechenden Charakter. Man kann ferner voraussehen, dass der Consensus durch bestimmte Grenzen eingeschränkt wird. Die Beziehung zwischen den Geschlechts- zellen und dem Organismus ist gerade bei den dem mittleren Typus ent- sprechenden biologischen Processen am engsten. Was die individuellen Variationen anbetrifft, so kann man erwarten, dass, je weiter sie vom mitt- leren Typus entiernt sind, um so geringer ihr Bestreben, sich auch an den Geschlechtszellen zu äussern. Man kann sagen, dass der Consensus die Stabilität des Typus aufrecht erhält, und dass die Individualität, wenigstens in Bezug auf die äussersten Schwankungen, ausserhalb dieses Consensus- steht. Man muss annehmen, dass die Grenzen des Consensus vor allen Dingen von der Umgebung abhängen, mit deren Hülfe er unterhalten wird, d. h. vom Nervensystem, welches in Folge seiner Organisation nur zur Ueber- trasung minimaler Impulse befähigt ist, so dass jede individuelle Modification, welche diese minimale Grösse offenbar überschreitet, auf die Zellen nicht mehr übertragen werden kann. Es ist ferner wahrscheinlich, dass die Ge- schlechtszellen auch nur die ihrer Structur entsprechenden Modificationen aufnehmen und dass merkbare Abweichungen vom mittleren Typus von ihnen nicht mehr aufgenommen werden. Man kann auch voraussehen, dass die Intensität des Consensus den Grad der Energie der im Organismus sich abspielenden plastischen und auch der functionellen Processe entspricht. 234 J. ÜRSCHANSKY: Je grösser die Energie, um so grösser sind auch die Impulse oder die von den Geschlechtszellen empfangenen secundären Wellen. Man muss deshalb erwarten, dass auch die Energie des Consensus parallel der Curve der allgemeinen Energie und der individuellen Entwickelung allmählich sinkt. Der Consensus ist am grössten beim Embryo und zur Zeit der Ge- burt, er sinkt dann allmählich während der Entwickelung und erreicht beim Erwachsenen sein Minimum. Die Energie, mit welcher die Geschlechtszelle den Einfluss des Orga- nismus empfängt, muss in gleicher Weise mit dem Alter und der Entwicke- lung sinken. Die Leitungsbahnen, durch welche dieser Consensus erhalten wird, besonders die Bahnen des Nervensystems, küssen im Laufe ihrer Entwickelung an Erregbarkeit ein und ihre Leitungsfähigkeit vermindert sich. Es ist schliesslich wahrscheinlich, dass die Geschlechtsorgane zur Zeit ihrer Entwickelung und die Geschlechtszellen, während sie mit interstitiellem Gewebe umgeben sind, vom übrigen Organismus mehr isolirt und vor seinem Einfluss so zu sagen besser geschützt sind. Der mehr oder weniger regelmässige Verlauf der Entwickelung des Organismus bleibt nicht ohne Einfluss auf den Consensus. Je regelmässiger die Entwickelung, um so dauerhafter ist wahrscheinlich auch der Consensus; je unregelmässiger hingegen die Entwickelung, um so schwieriger kann sich der Consensus den Entwickelungsschwankungen anpassen und wird in Folge dessen ebenfalls schwächer. Die Theorie des Consensus führt aber auch noch zu einem anderen logischen Schluss. In den Fällen nämlich, in welchen im Organismus eine Reihe Variationen in derselben Richtung vor sich geht und wo schliess- lich eine Aenderung des ganzen Typus eintritt, muss der Consensus seine grösste Intensität erreichen, weil eine Art von Summation der Energie des Consensus stattfindet. Haben hingegen die in den verschiedenen Theilen des Organismus vor sich gehenden Veränderungen verschiedene Richtungen, so wird die Energie des Consensus in Folge der Interferenz dieser Schwan- kungen geringer. Resumiren wir die obigen Ausführungen, so können wir sagen, dass der Consensus einen synthetischen und evolutionären Charakter aufweist und dass er hauptsächlich zur Erhaltung der Stabilität des Typus dient; jede unter dem Einfluss der Ernährung, der functionellen Thätigkeit und anderer Momente im Organismus sich entwickelnde individuelle Modification hat um so weniger Aussichten, auf die Geschlechtszellen übertragen zu werden, je weiter diese Modificationen sich vom normalen Constitutions- typus entfernen und je später sie sich entwickeln und je mehr partieller Natur sie sind. or Die THATSACHEN UND DIE GESETZE DER VERERBUNG. 23 In Folge dieses Consensus ist der Organismus der Schauplatz zweier Arten von Erscheinungen: der realen Evolution des Embryo und der den Geschlechtszellen entsprechenden verborgenen Evolution. Vererbungstheorie. Weismann unterscheidet zwei Factoren: den Einfluss der Consti- tution der Eltern und die Rolle der Geschlechtsorgane oder richtiger der Geschlechtszellen. Nach Weismann ist die Erblichkeit nur eine Function der Ge- schlechtszellen; der ganze Organismus und dessen Constitution spielen nach Weismann keine Rolle bei den Erscheinungen der erblichen Uebertragung, woraus der logische Schluss zu ziehen ist, dass die individuelle Entwicke- lung des elterlichen Organismus und die während der Entwickelung er- worbenen Veränderungen auf den Organismus der Nachkommen keinen Einfluss ausüben. Nach den hier angeführten T'hatsachen ist diese Vor- stellung zu dogmatisch. Die zwischen dem Organismus und den Geschlechtszellen bestehenden Beziehungen erscheinen zugleich als Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Die Zellen spielen nur die Rolle einer Uebertragungsstation. Die Grenzen des Consensus "bilden zugleich auch die Grenze der erblichen Uebertragung von den Eltern auf die Nachkommen. Die Theorie der Vererbung lässt sich somit auf folgende Thesen zurückführen. 1. Die Erblichkeit ist eine directe Function der Geschlechtszellen und eine indirecte Function des ganzen Organismus; erstere ist die Grundlage der Stabilität des Typus, ‚die letztere erklärt die Individualität oder Varia- bilität. Die Erblichkeit 'hat evolutionären und synthetischen Charakter. 2. Die direete Vererbung ist mächtiger als ‚die indirecte. 3. Der Charakter der Vererbung ist verschieden für die beiden Arten der Geschlechtszellen und entspricht dem Charakter ihrer Structur. 4. Die Energie, mit welcher die indirecte Vererbung sich zu übertragen bestrebt ist, ist um so ‘grösser, je kleiner «die individuellen Veränderungen sind, je mehr sie «allgemeinen Charakter aufweisen und je frühzeitiger sie auftreten. Und umgekehrt: je bedeutender die im Organismus des Er- zeugers stattgehabte Veränderung, je deutlicher die Abweichungen vom mittleren Typus, und je später sie sich entwickeln, um so weniger Aus- sichten haben diese Veränderungen, auf die Kinder übertragen zu werden. 5. Die bereits im reiferen Alter im Organismus eingetretenen Modi- ficationen, besonders aber zufällige pathologische Veränderungen, können auf die Nachkommen nicht übertragen werden. Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse. Von Bernhard Rawitz in Berlin. (Hierzu Taf. V1.) Seit einigen Jahren wird eine Mäusevarietät unter dem Namen „Japanischer“ oder „chinesischer Tanzmäuse“! in den Handel gebracht, deren Eigenthümlichkeiten die Beachtung der Biologen im höchsten Maasse verdienen. Die Thiere sind sehr viel kleiner und graciler als die gewöhn- liche Hausmaus und deren albinotische Spielart. Ihre Färbung ist entweder fast völlig weiss mit wenigen und kleinen grauen Flecken an Nase, Stirn und Ohren, oder es sind schwarze Flecken vorhanden, die, bei einigen Exemplaren zuweilen nach braun abtönend, gross sind und dann fast die ganze Kopfhaut, die Ohrmuscheln und das Hintertheil einnehmen, während der Rumpf stets weiss bleibt. : Die Farbe der Iris ist immer dunkelbraun. Die auffälligste Eigenschaft, welche diesen Thieren den Namen „Tanzmäuse“ verschafft hat, sind die drehenden, „tanzenden“ Bewegungen, welche sie fast unablässig ausführen. Nur während des Schlafes verhalten sie sich vollkommen ruhig, beim Fressen und Saufen sind sie nur relativ ruhig, sowie sie sich aber bewegen, zeigen sie die folgenden Erscheinungen: Beim Versuche, geradeaus zu laufen, können sie niemals die gerade Linie innehalten, sondern bewegen sich stets im Zickzack vorwärts, wobei sie von Zeit zu Zeit den Kopf erheben und nach der Gegend, nach der sie hin wollen, schnüffeln. Plötzlich unterbrechen sie ihren Lauf und fangen an, sich im Kreise herum zu drehen. Ist ein feststehender Gegen- ! Die Möglichkeit zu einem ausgedehnten Studium dieser interessanten Thiere wurde mir durch ein Stipendium gewährt, das ich vor mehreren Jahren aus der Gräfin Luise Bose-Stiftung der Berliner medieinischen Facultät erhielt. Hierfür erlaube ich mir an dieser Stelle zu danken. BERNH. RAwıtz: DAs GEHÖRORGAN DER JAPANISCHEN TANnzMÄUSsE. 237 stand im Wege, etwa ein im Käfig aufgerichteter Pfahl oder der Futter- napf, so bildet dieser das Centrum der Drehbewegung. Fehlt ein solcher Gegenstand, so drehen sie sich um sich selbst. Die Drehbewegungen, bei welchen der Schwanz stets aufrecht gehalten wird, sind, namentlich wenn sie längere Zeit andauern, meist so schnell, dass man kaum im Stande ist, die einzelnen Theile des sich drehenden Thieres zu unterscheiden; findet die Bewegung um die eigene Axe statt, so ist der Kreis stets so eng, dass es fast scheint, als ob die Schnauzenspitze dicht am After läge. Zuweilen drehen 2 oder 3 Thiere — mehr auf einmal in einem Käfige zu halten, ist nicht rathsam — gleichzeitig und dann halten sie so dicht Vordermann, dass die Schnauzenspitze des hinteren Thieres dem After des vorderen an- liest. Die Kreisbewegungen sind meist so schnell, dass den Zuschauer fast ein Gefühl des Schwindels anwandelt. Plötzlich unterbrechen die Thiere, mögen sie nun einzeln oder zu mehreren gedreht haben, die Bewegungen und fangen sofort an, sich mit unverminderter Schnelligkeit nach der ent- gegengesetzten Seite zu drehen. Es wurde vorhin erwähnt, dass die Thiere beim Fressen und Saufen nur relativ ruhig seien. Thatsächlich verhalten sie sich nur secundenlang ruhig, denn sie sind von einer so „nervösen“ Unruhe, dass empfindsame Zuschauer durch ihr Verhalten ebenfalls „nervös“ werden können. Sie beissen ein Stück von ihrer Nahrung ab, machen einige Kaubewegungen, halten dann plötzlich inne, stecken die Nase in die Luft und „winden“, wenn der Jägerausdruck hier gestattet ist, mit hastigen Kopfbewegungen nach allen Seiten. Dann kauen sie wieder ein paar Secunden, „winden“ von Neuem, lassen das Futter liegen, laufen fort, drehen sich ein paar Mal um sich selbst, laufen wieder zum Futternapf und sind so in dauernder Aufreeung und Unruhe. Dadurch aber unter- scheiden sie sich, ebenso wie durch die Drehbewegungen, von den gewöhn- lichen Mäusen, die meistens träge in ihrem Käfig dasitzen oder sich ruhig und gleichmässig fortbewegen. Diese Unruhe haben die Thiere vom Augenblicke der Geburt an, ihre Drehbewegungen sind ihnen angeboren, werden nicht etwa erst im extra- uterinen Leben durch Nachahmung erworben. Es ist dieser Umstand von besonderem Nachtheil für die Züchtung. Denn da die Neugeborenen ‚ m ihrem Neste bereits drehen, so kommt es immer vor, dass die jungen ! Thiere, während die Mutter das Nest einmal verlassen hat, aus dem Neste ‚ sich herausdrehen und dann durch Abkühlung eingehen. Von einem Wurfe " von 6 Jungen — mehr sind es nach meinen Erfahrungen nie — kann | man nur bei grosser Aufmerksamkeit 2 am Leben erhalten; häufig genug geht trotz grösster Sorgfalt der ganze Wurf ein. | Vorwärtsbewegung im Zickzack und Drehbewegung einerseits, die ge- ‚schilderte nervöse Unruhe, das häufige „Winden“, andererseits haben offenbar te I Pen 238 BERNHARD Rawıtz: nichts mit einander zu thun, denn ich hatte rein weisse, also albino- tische, Mäuse, welche ebenfalls drehten, aber von jener Unruhe auch nicht eine Spur zeigten.” Meines Erachtens hängt die Unruhe zusammen mit der Taubheit der japanischen Tanzmäuse. Man prüft nach den Angaben von Hermann Munk das Hörvermögen der Mäuse dadurch, dass man vor ihrem Käfige hohe Töne oder, noch besser, kreischende hohe Geräusche hervorbringt, z. B. indem man einen Glasstöpsel in seiner zu- gehörigen Flasche schnell dreht. Mäuse mit normalem Gehör schrecken bei solchen Geräuschen immer heftig zusammen und schliessen dabei die Augen. Die japanischen Tanzmäuse dagegen verhalten sich vollkommen indifferent, gleichgültig, ob man die Hörprüfung vornimmt während die Thiere drehen oder während sie relativ still beim Futter sitzen. Nur muss man sich vor Fehlschlüssen hüten, darf nicht z. B. ein auf ein Geräusch folgendes plötzliches Aufspringen der Thiere mit dem Geräusche in ursäch- lichen Zusammenhang bringen. Sorgfältige Abstufung und wiederholte Vornahme der Untersuchung zeigt dann mit Evidenz die Taubheit. Die weissen (albinotischen) Tanzmäuse, welche keine nervöse Unruhe erkennen liessen, waren auch nicht taub. Denn prüfte man sie in der erwähnten Weise, während sie still sassen, so reagirten sie genau so, wie nicht tanzende Mäuse; Hörprüfungen, die während des Drehens der Thiere vor- genommen wurden, blieben dagegen erfolglos. Indessen ist diese Taubheit wohl kaum mit der der japanischen Tanzmäuse in Parallele zu bringen, sondern zu analogisiren mit der Taubheit des schleifenden Auerhahnes, der bekanntlich auch nur während des Schleifens taub ist. Durch die Taubheit wird die nervöse Unruhe der japanischen Tanz- mäuse erklärt. Den Thieren fehlt ein Sinn zur Orientirung in der Um- gebung, sie sind nur auf Gesicht und Geruch angewiesen und bewegen daher den Kopf nach allen Richtungen, um mehr sehen und riechen zu können. Etwas Aehnliches habe ich von jenem weissen Hunde mit blauen Augen berichten können, dessen Gehörorgan und Gehirn ich an anderer Stelle beschrieben habe.? Auch dieses taube Thier war ausgezeichnet durch seine nervöse Unruhe, seine raschen und brüsken Kopfbewegungen, durch welche es sich von hörfähigen Hunden deutlich unterschied. Welche morphologischen. Anomalien, so müssen wir fragen, liegen den Drehbewegungen der japanischen Tanzmäuse zu Grunde und worauf. beruht die Taubheit. ! Diese Thiere sind mir leider alle eingegangen; ihre Gehörorgane zu untersuchen. war wegen der schlechten Erhaltung, des Materiales unmöglich. ® Rawitz, Gehörorgan und Gehirn eines weissen Hundes mit blauen Augen. Morphologische Arbeiten. Herausgegeben von G. Schwalbe. Bd. VI. Heft 3. DAS GEHÖRORGAN DER JAPANISCHEN TANZMÄUSE. 239 Von hervorragenden Zoologen wurde mir mitgetheilt, dass Haacke bereits. auf Veränderungen im Gehörorgan aufmerksam gemacht habe. In- dessen in denjenigen seiner mir zugänglich gewesenen Mittheilungen, in der er der Tanzmäuse gedenkt,! habe ich keinerlei genaue Angabe über die Ursache des Drehens dieser Mäuse gefunden und ebenso wenig darüber etwas gelesen, dass das Drehen ursprünglich durch Stichverletzung des Labyrinthes hervorgerufen sei. Mir schien es daher angezeigt, zunächst einmal das Gehörorgan dieser Thiere einer genaueren Untersuchung zu unterziehen, um so die Ursachen des Drehens, die offenbar im Labyrinth zu suchen waren, genau festzustellen. Das vom eben getödteten Thiere entnommene Felsenbein wurde fixirt, nach dem Entkalken und nach dem Färben mit Hämacalcium in Paraffin eingeschmolzen und dann geschnitten; die Schnitte (15 u dick) wurden parallel zur Längsaxe des Felsenbeins angelest. Um ein Bild von der Ge- staltung der Bogengänge zu erlangen, wurde die plastische Reconstruction mittels der Born’schen Plattenmodellirmethode vorgenommen. Das Wachsmodell habe ich dann in Blastolin vergrössert dargestellt und dieses Blastolinmodell so photographiren lassen,” dass die Photogramme das natür- liche Objeet etwa in 25- bis 30facher Vergrösserung wiedergeben. Von den 5 Felsenbeinen, die 5 verschiedenen Thieren entstammten, zeigten 4 - übereinstimmendes Verhalten, während das fünfte hinsichtlich der Bogen- - gänge einige Abweichungen erkennen liess, die später besonders erwähnt werden sollen. Als Resultat der Untersuchungen stellt sich dar eine hochgradige Veränderung in den Bogengängen und in den ihnen zugehörigen Ab- ' schnitten des Labyrinths.. Normaler Weise sind bei Mensch und Säuge- thier (wenigstens bei den höheren Mammalia) oberer und hinterer Bogen- gang an einer Stelle mit einander verwachsen, während der äussere voll- kommen frei ist; dieser ist der kürzeste, der hintere der längste, der obere Bogengang hat ein mittleres Maass.. Hier nun, bei den japanischen Tanz- mäusen, ist überhaupt nur ein normaler Bogengang vorhanden, der obere (Taf. VI, Figg. 1 u. 2, C.s.), und dieser ist nicht mit dem hinteren verwachsen. Der hintere und äussere Bogengang erscheinen re- dueirt, man könnte sagen: verkrüppelt. Die Stelle, wo hinterer und oberer Bogengang in den Utrieulus einmünden, zeigt, abgesehen von dem er- wähnten Mangel der Verwachsung, eine sehr beträchtliche Abweichung von der Norm, denn der hintere Bogengang. stösst mit seinem Ende recht- ı! Haacke, Ueber Wesen, Ursache und Vererbung, von Albinismus u. s. w. Biologisches Centralblatt. Bd. XV. 8. 44 ff. ® Ich bin Herrn Hänsel, dem Berliner Vertreter der Firma Car] Zeiss, für die Anfertigung der Photogramme zu grösstem Danke verpflichtet. | 240 BERNHARD RAwITZ: winkelig gegen die Einmündungsstelle des oberen Bogenganges (Taf. VI, Figg. 1 u. 2 bei **). Eine kurze Strecke geht der hintere Bogengang in gerader Linie von der Einmündungsstelle ab, biegt dann, wie Taf. VI, Fig. 1C.p. klar zeigt, rechtwinkelig nach unten und vorn, um mit leichter Wölbung nach vorn sehr bald in seine Ampulle überzugehen. Man findet an dieser Stelle (Taf. VI, Figg. 1 u. 2 A,) das Sinnesepithel der Crista acustica, darum ist dieselbe als die Ampulle zu bezeichnen, wofür auch ihre, wenn auch geringe, Aufbauchung spricht. Auf diesem seinem Ver- laufe hat der Bogen kaum noch die Gestalt eines Canalis semicircularis, er gleicht vielmehr, wie man durch Vergleichung von Taf. VI Figg. 1 und 2 erkennt, nur dem Segmente eines solchen. An der Grenze seines mittleren und äusseren Drittels (Taf. VI, Figg. 1 u. 2 bei *) wird er vom äusseren Bogengange gekreuzt, der an dieser Stelle mit ihm ver- wachsen ist. Auch dieser Bogengang gleicht nur dem Segmente eines normalen, er ist nach vorn ein wenig convex gebogen (Taf. VI, Fige. 1 und 2C.e.), geht in rechtem Winkel auf der einen Seite in seine Ampulle über (Taf. VI, Fig. 1A,), während er auf der anderen Seite, unmittelbar nach seinem Austritte aus dem hinteren Bogengange, scharf umbiegt und sich in den gemeinsamen, den Utriculus darstellenden Hohlraum ebenfalls unter rechtem Winkel einsenkt. Taf. VI Fig. 2 zeigt dies Verhalten auf das Klarste. Normal sind 3 Ampullen vorhanden; auch hier kann man 3 unter- scheiden, die in den beiden Figuren auf Taf. VI mit 4, 4, und A, be- zeichnet sind. 4A, gehört zum oberen Bogengange, ist aber, obwohl in ihr ein Nervenendapparat vorlıanden ist, äusserlich nur wenig gekennzeichnet. A,, die zweite unterscheidbare Ampulle, die ebenfalls eine Crista acustica beherbergt, gehört dem hinteren Bogengange an; der äussere Bogengang hat eine Ampulle (4,), die in der Nähe der Ampulle des vorderen Bogen- ganges gelegen ist. Während normaler Weise den 3 Ampullen, also den drei Eintritts- stellen des Ramus vestibularis, nur zwei Ausmündungsstellen entsprechen, da hinterer und oberer Bogengang gemeinsam münden, zeigen sich hier, wie ein Blick auf Taf. VI, Fig. 1 lehrt, drei Ausmündungen, da oberer und hinterer Bogengang hier nicht vereint sind und die Verwachsung des hinteren mit dem äusseren zu keiner Verminderung der Mündungs- stellen führt. Die Gestalt des Utriculus (Taf. VI, Figg. 1 u. 2U) ist eine ganz unregelmässige. Alle Theile desselben — und diese Angaben beziehen sich selbstverständlich sowohl auf die knöchernen wie auf die häutigen Partieen, hier wie bei den Bogengängen — sind so durch einander gewürfelt und so verzogen, dass eine Unterscheidung von Recessus hemisphaericus, DAs GEHÖRORGAN DER JAPANISCHEN TANZMÄUSE. 241 hemiellipticus und Aquaeductus vestibuli unmöglich ist. Es sind aber diese Unregelmässigkeiten nicht etwa zurückzuführen auf die Unvollkommen- heiten, welche mehr oder minder jeder plastischen Reconstruction anhaften, sondern sind, wie die genauere mikroskopische Analyse lehrt, im Objecte begründet. Der ganze Utriculus erscheint als ein dreigetheilter Sack, dessen einzelne Theile in keiner Weise die normale Form mehr erkennen lassen. Es ist ferner unmöglich, eine Unterscheidung von Saceulus und Utri- culus vorzunehmen, um so mehr, da beide, wie das mikroskopische Bild lehrt, weit mit einander communieiren, und da ferner der Canalis reuniens hier vollkommen vom Saceulus aufgesogen ist, als solcher nicht mehr existirt. Während nämlich normal zwischen Schnecke und Bogengängen nur eine indirecte Verbindung vorhanden ist, indem der Ductus cochlearis durch den Canalis reuniens mit dem Sacculus, dieser durch den Aquae- duetus vestibuli mit dem Utriculus communicirt, auf so complieirtem Wege also eine Verbindung zwischen Schnecke und Bogengängen bewirkt wird, treten hier Utriculus und Schnecke in weite und directe Com- munication mit einander. Es öffnet sich der Utriculus weit in - die mittlere Windung der Scala tympani, ja es setzt sich der häutige Canal des Utrieulus direct in den häutigen Belag der Scala tympani fort. Taf. VI, Figg. 1 u. 2, namentlich Fig. 2 zeigen bei Co. einen Theil der mittleren Windung der Scala tympani und machen dadurch die weite Ver- bindung mit derselben kenntlich. Hinsichtlich der Schnecke sei noch erwähnt, dass das Corti’sche Orsan zwar in allen Windungen erhalten ist, doch erscheinen die Hör- zellen hochgradig entartet. Und ebenso sind die Zellen des Ganglion spirale, sowie die zu denselben tretenden und von ihnen abgehenden Nerven- fasern degenerirt. Ganz besonders tritt die Degeneration an den Ganglien- zellen hervor, die an Zahl sehr vermindert und an Gestalt sehr stark ge- schrumpft sind. Während hinsichtlich der Communication der Schnecke mit dem Utri- culus und der Degeneration der einzelnen Schneckenelemente das fünfte der untersuchten Felsenbeine ein übereinstimmendes Verhalten mit den- jenigen Felsenbeinen zeigte, von welchen die obige Schilderung entnommen ist, bot es bezüglich der Bogengänge einige Abweichungen dar. Der ‚äussere Bogengang war hier nicht mit dem hinteren verwachsen, sondern glich einem kurzen, an zwei Stellen winkelig geknickten Stabe. Der obere Bogengang war auch hier normal. In denjenigen seiner beiden Schenkel, der aus der Ampulle entsteht — und dies ist eine sehr interessante Ab- weichung von der Norm — senkte sich genau an der Umbiegungsstelle der hier sehr kurze Schenkel des hinteren Bogenganges ein, welch letzterer zwar weit gewölbt war, aber kaum die halbe Länge des oberen Bogen- Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 16 242 BERNHARD RAwızz: ganges besass. Die einzelnen Theile des Utriculus waren ebenfalls nicht zu unterscheiden, zeigten aber hier nicht sowohl eine Auseinanderzerrung als vielmehr eine Ineinanderschiebung, so dass bei der plastischen Re- construction eine unkennbare, verklumpte Figur herauskam. Aus allem vorstehend Angeführten ergiebt sich also: Die japanischen Tanzmäuse haben nur einen normalen Bogengang, und zwar den oberen, während der äussere und der hintere Bogengang verkrüppelt und häufig sogar mit einander verwachsen sind. Der Utriculus ist ein verzerrter, un- regelmässig gestalteter Schlauch, dessen Abschnitte unkennbar geworden sind. Utrieulus und Saceulus stehen in weiter Communication mit einander, sind fast eins geworden, der Utriculus öffnet sich weit in die Scala tympani, die nervösen Elemente der Schnecke sind entartet. Diese zuletzt erwähnte Entartung erklärt die Taubheit der Tanzmäuse, aber sie dürfte meiner Ansicht nach nur secundärer Natur sein. Das Primäre ist die weite Verbindung von Utrieulus und Scala tympani und das dadurch veranlasste Ueberströmen der Endolymphe aus den Bogen- gängen in die Schnecke. Wenn in Folge der hastigen Drehbewegungen ein grosser Theil der Endolymphe in die Scala tympani geschleudert ist, dann ist auch das Corti’sche Organ in der Scala vestibuli festgestellt, seine Theile sind schwingungsunfähig gemacht. Die Atrophie, die in den Sinnes- und Nervenelementen zu beobachten ist, wäre demnach veranlasst durch die vorhandene Funetionsunmöglichkeit, also eine Atrophie durch Nichtgebrauch. Die neugeborenen Tanzmäuse haben anscheinend durch- aus die Möglichkeit, zu hören — ob dies der Fall, konnte ich bisher leider nicht feststellen —, was schon aus dem Umstande hervorgeht, dass über- haupt das Corti’sche Organ zur Ausbildung gelangt. Denn es brauchte, wären die Thiere von Geburt an taub, gar nicht vorhanden zu sein, wie dies bei dem weiter oben erwähnten weissen Hunde mit blauen Augen thatsächlich der Fall war. Die Möglichkeit aber wird darum nicht zur Wirklichkeit, weil die von Anfang an ausgeübten a un das Infunctiontreten verhindern. Dass die Drehbewegungen, das „Tanzen“, auf die Veränderungen in den Bogengängen zurückzuführen sind, unterliegt wohl keinem Zweifel. Es handelt sich hier meines Erachtens nicht um Zwangsbewegungen, denn die Thiere können das „Tanzen“ jeder Zeit offenbar willkürlich unterbrechen. Ob sie willkürlich zu tanzen anfangen, ist eine andere Frage; hier scheint mir das veranlassende Moment in der Unruhe bei den Ortsbewegungen überhaupt und in der Unfähiskeit, geradeaus zu gehen im Besonderen, zu liegen. Diese Unfähigkeit, die eingenommene Beweounssrichtung dauernd inne zu halten, dürfte der einzige Zwang sein, dem die Thiere unterliegen, und sie ist begründet in den Anomalien der Bogengänge. nn DAS GEHÖRORGAN DER JAPANISCHEN TANZMÄUSE. 243 Das, was an letzteren gefunden wurde, ist geeignet, auf die Function der normalen Bogengänge ein helles Licht zu werfen. Während von den einen Autoren behauptet wird, dass die Bogengänge die Organe des Gleich- sewichtes seien, in ihnen gewissermaassen ein sechster Sinn, der statische Sinn, seinen Sitz habe, behaupten andere, dass diese Auffassung eine irrige sei. Die Versuche, auf deren Resultate die ersteren sich stützten, könnten darum nicht im Interesse eines statischen Sinnes verwendet werden, weil bei den Experimenten ausnahmslos das Kleinhirn verletzt würde und die Gleichgewichtsstörungen auf diesen letzteren Umstand zurückgeführt werden müssten. Dazu komme noch, dass die Bewahrung des Gleichgewichtes niemals auf einen Sinn sich ausschliesslich zurückführen lasse, sondern das Resultat der gleichzeitigen Wirkung aller Sinne sei. Mich dünkt, die Thatsachen, welche an den Tanzmäusen zu constatiren ‚sind, sprechen mit Evidenz gegen die Annahme eines statischen Sinnes. Denn wir haben hier jederseits nur einen normalen Bogengang, während die anderen beiden verkrüppelt sind. Und trotzdem bewahren die Thiere das Gleichgewicht sowohl in der Ruhe, wie in der Bewegung, denn ohne Gleichgewicht könnte solches „Tanzen“ niemals ausgeführt werden. Aber Eines fehlt den Thieren: sie sind nicht im Stande, eine angenommene seradlinige Bewegungsrichtung dauernd festzuhalten, gehen vielmehr immer im Zickzack. Diese Unfähigkeit, geradeaus zu gehen, ist aber meines Er- achtens der Ausdruck für die Unmöglichkeit, richtig zu orien- _ tiren. Und da wir bei solchen Thieren Verkrüppelungen von Bogengängen antreffen, so haben die letzten im normalen Thiere die Function, die Orien- tirung zu ermöglichen, die Beibehaltung der einmal eingeschlagenen Be- wegungsrichtung zu ermöglichen. Sie sind, um es kurz zu bezeichnen, der Sitz des Orientirungsvermögens. 16* 244 DBERNH. Rawırz: DAs GEHÖRORGAN DER JAPANISCHEN TANZMÄUSE. Erklärung der Abbildungen. (Taf. VL) Fig. 1. Photogramm eines Blastolinmodells der Bogengänge einer Tanzmaus: von vorn. Fig. 2. Dasselbe Modell von hinten photographirt. Bezeichnungen: Oberer Bogengang. Hinterer Bogengang. Aeusserer Bogengang. Ampulle des oberen Bogenganges. Ampulle des hinteren Bogenganges. Ampulle des äusseren Bogenganges. Kreuzung und Vereinigung von hinterem und äusserem Bogengange. Einmündungsstelle des oberen und hinteren Bogenganges. Utrieulus. Scala tympani cochleae. nn Ein Fall von Verdoppelung der Zeigefinger. Zugleich ein Beleg für den Werth der Röntgenstrahlen zur Beurtheilung angeborener Anomalien. Von Dr. Walther Menke in Berlin, (Hierzu Taf, V1l.) Seit ältesten Zeiten ist der Hand die Beachtung geschenkt, welche ihr bei der mannigfachen Befähigung zur gröbsten Arbeit, feinster Hantirung und höchster Kunstfertigkeit, als Symbolum possessionis, potestatis, juris, voluntatis, fidei, promissi, violentiae, artis et dexteritatis zukommt. „Die tausendfältigen Verrichtungen der Hände, welche die Nothwendigkeit dic- tirt und der Verstand raffinirt, und welche ein ausschliessliches Prärogativ der Menschen sind, werden nur durch den weise berechneten Bau dieses Werkzeuges ausführbar.“ (Hyrtl, 1.) Ist dieser Bau fehlerhaft angelegt oder der Aufbau von aussen gestört, dann treten die Defecte, Ver- und Missbildungen in Erscheinung, die unser Interesse ihrer Wichtigkeit ent- sprechend in Anspruch nehmen. Einen hierher gehörigen Fall von angeborener Handanomalie verdanke ich der grossen Güte meines Freundes, des Hrn. Dr. Joachimsthal, Privatdocenten an der Universität Berlin, dem ich gleich an dieser Stelle für die selbstlose Ueberlassung der kleinen Patientin aufrichtigen Dank abstatte. 1. Grete F., 5!/, Jahre alt, stammt aus Berlin. Der Vater des Kindes ist normal gebildet. Die Mutter hat beiderseits angeborene dorsale Luxa- tionen bezw. Subluxationen der Daumen in den Gelenken mit den dazu gehörigen Metacarpalknochen. Der älteste Bruder, 14 Jahre alt, hat rechts vier wohlgeformte Finger, statt des Daumens sieht man an der Radialseite des Zeigefingers die Narbe eines in irünester Kinaneit entfernten rudimen- tären Fingers. Links fehlt der Radius völlig, ebenso Daumen und dessen 246 WALTHER MEnKE: Metacarpus und vielleicht auch Os multangulum majus und naviculare, Dem zweitältesten Bruder, 12 Jahre alt, fehlt rechts der Daumen; an der Radialseite der Grundphalange des Zeigefingers sitzt ein rudimentärer zweigliedriger Finger. Links sind sämmtliche Knochen vom Schulterblatt bis zu den Fingern kürzer und dünner wie rechts, der obere Theil des Radius sowie der Daumen mit seinem Metacarpus fehlen. Angeblich war auch das nächstfolgende, früh verstorbene Kind an der rechten oberen Extremität missbildet, und zwar war wahrscheinlich totaler Radiusdefect vorhanden. Eine jetzt Yjährige Schwester zeigt Deviation der Endphalange des linken Daumens. Dann kommt unsere kleine 51/, jährige Patientin. Das jüngste, jetzt einjährige Kind ist ohne jegliche Anomalie. Grete F., die wie ihre oben beschriebenen, missbildeten Angehörigen, von Joachims- thal in seinen Schriften mehrfach erwähnt ist (2 und 3),! hat an beiden Händen 5 dreigliedrige Finger. An der linken Hand ist der radialste Finger mit gut ausgebildetem Metacarpus und drei Phalangen ausgestattet. Dieser Metacarpus hat gleich den anderen vier am meisten radialwärts gelegenen Mittelhandknochen eine gut ausgebildete distale und ausserdem eine offenbar im Verschwinden begriffene proximale Epiphyse. Es ist dieser auffällige Befund eine Bestätigung der Angabe Thomson’s, dass der Metacarpus II, der ja unserem Metacarpus I gleichwerthig ist, auch eine proximale Epiphyse besitzt. Behrendsen (4) wies eine solche auch für Metacarpus V nach und schloss sich Schwegel (5) an, der behauptet, dass alle Mittelhandknochen auch einen proximalen Epiphysenkern besitzen, eine Ansicht, die auf Grund von Skiagrammen v. Ranke (6) neuerdings ablehnt. Auf Grund des Befundes eines gut ausgebildeten distalen und eines im Verschwinden begriffenen proximalen Epiphysenkernes am Meta- carpus des radialen Zeigefingers unserer kleinen Patientin, schliesse auch ich mich der Ansicht Schwegel’s an, entgegen der Kölliker’schen (7) Auffassung, dass die Ossa metacarpi und Phalangen bei der Geburt knorplige Epiphysen tragen, und zwar erstere distal, letztere proximal. Es handelt sich bei der absoluten Gleichwerthigkeit der Diaphysen und distalen Epi- physen von Dieit. 1 und II um doppelte Zeigefinger, von denen der radiale etwas schwächer entwickelt ist und seine proximale Metacarpusepiphyse ungewöhnlich lange behalten hat. Der Thenar fehlt beiderseits und sind daher die Hände auffallend flach gestellt, der Hypothenar ist normal aus- gebildet. Die Finger links können normal gespreizt werden und zeigen ausgiebige Flexions- und Extensionsbewegung, der radiale Finger hat kein Oppositionsvermögen. ‘ Die Zahlen in Klammern weisen auf das am Schlusse folgende Litteraturver- verzeichniss hin. Eın FALL vVoN VERDOPPELUNG DER ZEIGEFINGER. 247 Auch rechts ist ein ganz analoges Verhalten zu constatiren; nur ist der radial gelegene Finger hier weniger entwickelt und in der Ausgiebigkeit seiner Bewegungen gegen links gehemmt. Auch er weist Os metacarpi mit distaler Epiphyse und drei Phalangen auf, deren mittlere verkümmert ist, dagegen ist hier die proximale Epiphyse, wie sie Os metacarpi I rechts zeit, nicht vorhanden. Die erste Phalange zeigt eine Deviation radialwärts; sie bildet mit dem Os metacarpi einen Winkel von 160°; die zweite und Endphalange deviirt ulnar und bildet ihrerseits mit der Grundphalange einen Winkel von 145°. Opposition ist unmöglich. In beiden Handflächen be- findet sich eine tiefe Furche von der Ulnarseite bis auf den ulnar ge- legenen Zeigefinger, auf dessen Mitte sie ausläuft; dieselbe schickt seichte Rinnen nach der radialen Seite der Hand. Die der Figur (Taf. VII) ent- sprechende Aufnahme, von der zur sicheren Constatirung der Epiphysen- verhältnisse Controlaufnahmen gemacht sind, wurde bei einer Entfernung von 60 @ der Röhre vom Öbjecte vorgenommen, und können daher die Maasse des Skiagramms bei der sehr geringen Differenz unbesorgt genommen werden. Die Maasse betragen: Meta- Phalange carpus 1 2 3 Am radialen Zeigefinger rechts. . . 25 16 7 bon Am radialen Zeigefinger links . . . 23 15 4 (Br n An beiden ulnaren Zeigefingern je . 30 18 10 bIR; Von Handwurzelknochen sind Os capitatum und hamatum vorhanden, dagegen ist Os triguetrum, das nach Behrendsen im 4. Lebensjahre zu erscheinen pflegt, im Röntgenbilde nicht nachweisbar, mithin noch nicht verknöchert. Ausserdem sind sämmtliche Diaphysen und die Epiphysen des Radius und aller Metacarpi und Phalangen ausgebildet. Also ist die Hand, mit den Resultaten der verdienstvollen Behrendsen’schen Arbeit ver- glichen, in Bezug auf ihre Handwurzel in der Entwickelung zurückgeblieben, in Bezug auf Mittelhand- und Fingerknochen durchaus normal weit vor- geschritten, wenn man von der persistirenden rmelan Epiphyse des linken I. Metacarpus absieht. Bei der ausserordentlichen Schwierigkeit, in vielen Fällen Unmöglich- keit, klinisch zu entscheiden, ob dreiphalangige Daumen oder doppelte Zeigefinger bestehen, wird aus der nicht sehr grossen Beobachtungsreihe einschlägiger Fälle, die ich gesammelt hier kurz folgen lasse, manch’ einer anders zu deuten sein, wie es seinem Autor ohne das werthvolle Hülis- mittel der Röntgenstrahlen möglich war. 2 bis 4. Foltz (8) berichtet über drei anatomische Präparate aus der Lyoner Sammlung; citirt bei Fort (50). 248 WALTHER MENKE: 2. Eine Hand mit 2 Daumen, dessen innerer 3 Phalangen hat. Dieser innere Daumen (?) wurde von Rouby und Dolore (9) als Index supple- mentaire beschrieben. 3. Eine Hand mit doppeltem Daumen, dessen äusserer 3, dessen innerer 2 Phalangen trägt. Letzterer ist etwas kleiner. Beide Daumen articuliren mit demselben Os metacarpi. 4. Zwei Hände derselben Person. An einer Hand haben beide Daumen 3 Phalangen und stehen auf demselben Mittelhandknochen. An der anderen hat der Daumen 3 Phalangen und ein kleiner Daumen, der nur die Nagel- phalanx hat, geht von der 1. Phalanx des vorigen ab. 5. P. Dubois (10) beschreibt einen Fall von 6 Fingern an jeder Hand mit Syndactylie. Der Daumen (?) hatte 3 Phalangen und eine gleiche Länge, wie die anderen Finger. Der Vater hatte 6 Finger und 6 Zehen. 6. Bertram €. A. Windle (11) berichtet über einen Mann, dessen linke Hand 6 Finger trug. Der Daumen ist fast so lang wie Index und hat Os metacarpi mit 3 Phalangen; an der Radialseite des Os metacarpi sitzt ein überzähliger Finger mit 2 Phalangen. Die rechte Hand ist fünf- fingerig, doch hat der Daumen 3 Phalangen. 7. C. Struthers (12) beobachtete beiderseits 6 Finger und Zehen. Die doppelten Daumen sassen beiderseits auf demselben Mittelhandknochen. Der innere Daumen hat jederseits 3, der äussere 2 Phalangen. Der grosse Daumen war rechts 2°/, Zoll lang, sein Umfang 2!/, Zoll, links 2; „ ” ” ” 2, DE) der kleinere Daumen war rechts wie links 2 Zoll laug und sein Umfang 2 Zoll. 8. Derselbe Autor beschreibt einen Fall, in dem an beiden Händen die Daumen ungewöhnlich lang und dreiphalangig waren. Eine Tante mütterlicherseits hatte ebensolchen Daumen an der rechten Hand. 9 und 10. H. Salger (13) giebt uns zwei weitere Berichte über drei- gliedrige Daumen. Es handelt sich um zwei Geschwister, deren Mutter angeblich ebenfalls dreiphalangige Daumen gehabt hat. Die Daumen sind ungewöhnlich lang und schlank, besonders bei dem Bruder. Adducirt reichen sie bei ihm bis zur Mitte der 2. Zeigefingerphalange. Der Thenar ist bei ihm nur angedeutet, die motorische Kraft reducirt, die Beweglich- keit der einzelnen Daumenglieder stark beeinträchtigt, da die Mittelphalanx ulnarwärts abgeknickt ist. Die Schwester weist äusserlich nur die langen Daumen auf. Diese Verlängerung beruht auf der Grösse der Nagelphalanx (2.5 =), welche durch eine leichte Einkerbung in einen proximalen 0.7 und in einen distalen 1.8 ® langen Abschnitt zerfällt. Die Beugung ist wie beim Bruder erheblich beschränkt. Eın FALL VON VERDOPPELUNG DER ZEIGEFINGER. 249 11. Rüdinger (14). Der erste Finger an jeder Hand ist doppelt und alle dreiphalangie. Der ulnare Daumen ist besser ausgebildet wie der radiale. Die 3 Phalangen dieser 4 Finger zeigen keine Aehnlichkeit mit Daumerphalangen. Das radiale Os metacarpi ist etwas kräftiger wie das ulnare. In der rechten Hand des Mannes sind drei überzählige Carpalknochen mit den anderen articu- lirend. Zwei von ihnen liegen distal und dorsal vom Os scaphoideum und trapezoides und zwischen diesem und Os lunatum. Der dritte, der zwischen Os trapezium und trapezoides liegt, war nur an der Dorsalfläche sichtbar. - Die linke Handwurzel hat zwei überzählige Knochen, den einen zwischen Os scaphoideum und lunaturi, den anderen zwischen Trapez- und Trapezoidbein. 12. Rüdinger. Die Tjährige Tochter des vorigen zeigt dieselbe Missbildung, aber ausserdem noch an der linken Hand einen 7. Finger. Dieser letztere ist ein stumpfförmiges Anhängsel an einem der Daumen, zweigliedrig mit gut- gebildetem Nagel. 13. Otto (15). Bei einem 24jährigen Manne sind Zeige-, Mittel- und Ringfinger beiderseits verwachsen. Der Zeigefinger ist nur ein kleiner Stumpf, links deutlicher wie rechts. Jede Hand hat 6 oder Rudimente von 6 Fingern. Jede Hand hat 2 Trapezbeine Rechts hat der radiale Daumen 3 Pha- langen und ein Os metacarpi, das mit dem radialen und. kleineren Trapez- beine und mit dem Ulnardaumen articulirt. Der Ulnardaumen hat ein Os metacarpi, das mit beiden Trapezbeinen, Zeigefinger und Radialdaumen articulirt. Der ulnare Daumen hat nur eine lange Phalange. Die 2. Radial- daumenphalange ist erheblich kleiner als eine der anderen. Der Zeige- finger hat ein Os metacarpi und eine Phalange An der linken Hand ‚ besteht der Radialdaumen nur aus einem Os metacarpi, das ebenso wie | rechts articulirt. Der Ulnardaumen hat ein Os metacarpi mit ähnlicher Artieulation wie rechts und 3 Phalangen; die 2. ist die kleinste, wenn auch nicht so merklich wie rechts. Der Zeigefinger hat ein Os metacarpi und eine Phalanx. Ueber die Musculatur siehe Windle (10). 14. Gegenbaur (16) berichtet über 4 normale und 2 abnorme Finger. Die beiden letzteren waren mit einander verwachsen und sassen an der Radialseite. Der ulnare war grösser als der andere (Praepollex) und lag an der Dorsalfläche. Der radiale war im Verhältniss zu den anderen Fingern sehr schlank. Beide abnorme Finger besassen grössere Ossa metacarpi \ wie: die übrigen. Der radiale war zweiphalaneig, sein Mittelhandknochen ', artieulirte mit dem Os metacarpi des ulnaren Daumens. Der radiale lag am ', Trapezbeine, ohne mit ihm zu articuliren. Der stärkere ulnare hatte ein Os metacarpi und 3 Phalangen, opponirbar nach den anderen 4 Fingern, | | ) N | ) A . \ 250 WALTHER MENKE: aber amphiarthrotisch mit dem Carpus vereinigt, ohne ein Sattelgelenk zu haben. Der Mittelfinger allein artieulirte mit dem Os multangulum majus. Das Os centrale war vorhanden. 15. Wenzel Gruber (17) beschreibt einen überzähligen Daumen an jeder Hand. kechts besassen beide Daumen 2, links hatte der radiale 3 Phalangen, deren letzte einen stachelartigen Fortsatz an ihrer radialen Seite hatte, welche scheinbar eine zweite mit ihr verschmolzene Phalanx vorstellte. 16. Von demselben Autor (18) wird über einen Fall berichtet, in dem die linke Hand 6 Ossa metacarpi mit 7 Fingern, einen dreiphalangigen Daumen und 5 dreiphalangige Finger besass (cit. bei Windle). 17. Annandale (19). Ein 13jähriges Mädchen hatte einen dreiphalangigen Daumen, der ein langer Zeigefinger zu sein schien. 18 bis 22. Farge (20) berichtet über eine erblich belastete Familie Cady. Die Grossmutter väterlicherseits hatte 4 Daumen. Der Vater (Fall 18) hatte statt der Daumen dreiphalangige Finger. Er hatte 6 Kinder, von denen der älteste Knabe normal war. Der zweite Sohn hatte einen über- zähligen Daumen an der linken Hand. Zwei dann folgende Knaben und eine Tochter (Fall 19, 21) besassen statt der Daumen dreiphalangige Finger. Das 6. Kind, ein Sohn (Fall 22), hatte 5 Ossa metacarpi mit 5 drei- phalangigen Fingern und ausserdem einen 6. Finger, der eine Hervorragung unter der Haut bildete und einen radialen Daumen repräsentirte, 23. Staderini (21). Mir leider nicht zugänglich, eitirt bei Pfitzner (22). 24. H. Rasch (23). Ein 22jähriger Mann mit Syndactylie aller Finger bis zum Nagel- gliede. Der Daumen jederseits besitzt 2 Metacarpalknochen, auf jedem der letzteren 3 Phalangen, von welchen die letzte durch Längsspaltung in 3 Theile zerlegt war, deren jeder einen Nagel trug. An der Ulnarseite der Hand war beiderseits ein zweiphalangiger Finger mit Nagel, also an beiden Händen die Anlage zu 16 Fingern. Auch am rechten Fusse waren Missbildungen (Eetro- und Syndactylie). 25. Kümmel (24) beschreibt ein 6wöchiges Mädchen mit Defect beider Tibiae. Ausserdem sind links 6, rechts 5 dreiphalangige Finger vor- handen. Daumenballen fehlen völlig. Die Ulnarseite beider Hände zeigen die Bildung eines Hypothenars. Der radiale Finger entspricht dem >., der 2. dem 4. der anderen Hand in seiner Bildung. . Die 5 Hauptfinger erscheinen somit gleichwerthig neben einander gestellt. Die ganze Mittelhand Eın FALL VON VERDOPPELUNG DER ZEIGEFINGER. 251 ist, da ein opponirbarer Daumen fehlt, auffallend flach. Ossa metacarpi sind regelrecht entwickelt, Die Beweglichkeit der Finger, ihre motorische Kraft wie Spreizbarkeit gegen einander entsprechen der Norm. 26. Pfitzner (22). Es handelt sich um ein Bänderpräparat eines etwa 20 jährigen Mannes. Die radiale Spalthälfte des Zeigefingers ist syndactyl mit dem Daumen ver- bunden. Der monströse Daumen hatte «doppelten Nagel. Metacarpus II ist in dem Mittelstück verdünnt, am Capitulum aufgetrieben, seine Länge etwa 4” zu gering. Das Capitulum ist nur in dem Theile, der die Grund- phalange IIb trägt, kuglig, für Aufnahme der Grundphalange Ila ist eine Hohlkugelfläche eingeschliffen. Die Grundphalangen IIa und b haben normale Länge, aber nur etwa die halbe Dicke. Die Mittelphalangen Ila und b sind an Länge um 5 bis 6 ®® zu kurz, IIb ist über die Hälfte zu dünn, IIa um das zwei- bis dreifache verbreitert. An IIa sind accesso- rische Gelenkflächen für Grundphalange I und Endphalange I. Bei den Endphalangen IIa und b ist die Länge von IIa 2 == über die Norm, IIb 6 wm unter der Norm, die Dicke bedeutend unter der halben normalen. Die Länge der Grundphalange I ist normal, ihr distales Ende dorso-volar abgeflacht. Die Mittelphalanx Ila lagert sich dort an. Die Endphalange I ist an Länge 3 "m zu gering, ihre Basis ist vergrössert und trägt Gelenk- _ flächen für Mittelphalanx IIa und Endphalanx IIa. Das Mittelstück und die Endschaufel dieser Phalange ist schwächer als normal. 27 und 28. Zwei weitere Beobachtungen von Polaillon (25) und Bamberger (26) eitirt Kirmisson (27). In Bamberger’s Falle war die Affection gleichzeitig bei der Mutter vorhanden. Eine ganze Reihe obiger Fälle würde vielleicht in anderer Beleuch- tung erscheinen, wenn den Autoren die Hülfe der Röntgenstrahlen schon zur Verfügung gestanden hätte Ebenso wie in unserem Falle vor 2!/, Jahren der doppelte Zeigefinger als doppelter Daumen gedeutet wurde, und erst das Skiagramm darthat, dass die Metacarpalepiphysen, mit Aus- nahme der im Verschwinden begriffenen linken proximalen Epiphyse des Metacarpus I, alle distal lagen, folglich Zeigefingern, nicht Daumen an- ' gehörten, wird wohl auch manch’ einer der oben beschriebenen Fälle von ' doppeltem Daumen ein Analogon unseres Falles sein. Nur anatomische ‚ Untersuchungen oder Röntgogramme sind im Stande, auf dem überaus ‚ schwer zu deutenden Gebiete der Hand- und Fingeranomalien Klarheit zu ‚ schaffen. So finde ich als werthvoll zur Erforschung und Beurtheilung ', dieser Vorgänge eine Reihe von Fällen durch Röntgenbilder veranschaulicht, ! die ich in Kürze folgen lasse, da ich eine derartige Zusammenstellung in | 252 WALTHER MENKE: der Litteratur bisher noch vermisse, und diese doch vielleicht bei Arbeiten auf dem gleichen Gebiete dienlich sein dürften. Ankylosen hat Kirmisson in 2 Fällen (28 und 29) beschrieben. Ueber Spalthand berichten Riedinger (30), Mayer (31) in 4 Fällen und Vulpius (32). Oligo- oder Eetrodactylie ist von Souques und Mari- nesco (33), Kirmisson (27), v. Stubenrauch (34), Müller (35), Burmeister (36), Guerrini und Martinelli (37), Menciere (38) in 2 Fällen und Guery (39) beschrieben. Eetrodactylie mit Syndactylie einhergehend fanden ihre Bearbeitung durch Londe und Meige (40), Joachimsthal (41), Mazzitelli (42) und Boinet (43). Brachydactylie beschreibt Roughton (44) und Joachimsthal (45), letzterer in 3 Fällen; Brachydactylie mit Hyperphalangie einhergehend Joachimsthal (45) in 2 Fällen, Polydactylie Londe und Meige (40), Morgnan (46), Joachims- thal (51), Boinet (43) in 4 Fällen und Seldowitsch (53) in 5 Fällen. Ein Fall von Syndactylie, bei dem erst die Durchleuchtung zwischen dem verwachsenen Ring- und Mittelfinger einen von einem Zweige des III. Metacarpus ausgehenden überzähligen Finger erkennen liess, wird von Joachimsthal (52) beschrieben. Lund (47) bringt einen Fall von Pha- langenmissbildung, Ankylose und Syndactylie, Vulpius (32) einen solchen von rudimentärer Entwickelung der Handwurzel, Mittelhand und Finger. Endlich ist über Macrodactylie von Londe und Meige (40)und Planchu (48) berichtet. Ich habe, wie erwähnt, nur die Arbeiten namhaft gemacht, bei denen die Fälle durch beigefügte Skiagramme erläutert sind. Ich habe mich bemüht, alle Schlussfolgerungen zu vermeiden, von philosophischen Speculationen zu abstrahiren. „Letztere kommen immer noch früh genug; und wenn erst die Thatsachen selbst genügend gründlich und in genügendem Umfange klargestellt sind, so ergiebt sich ihr innerer Zusammenhang von selbst“ (Pfitzner 49). Bei der geringen Anzahl gut untersuchter anatomischer Präparate und dem noch jugendlichen Verfahren der Untersuchung mittels Röntgenstrahlen, ist es jedenfalls gerathen, vor- läufig die Frage noch nicht zu ventiliren, ob in dem einzelnen Falle eine fehlerhafte primäre Keimanlage oder ob eine secundäre Einwirkung auf den normal angelegten Keim die Anomalie verursacht hat. Eine genügende Anzahl von Skiagrammen wird in der Zukunft diese Frage besser und sicherer entscheiden, als zur Zeit die gewichtigsten Gründe der einen Partei, denen die andere gleich gewichtige entgegenstellt. Eın FALL voN VERDOPPELUNG DER ZEIGEFINGER. 253 Litteraturverzeichniss. 1. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1884. 8. 395. 2. Joachimsthal, Ueber angeborene Anomalien der oberen Extremitäten. Gleich- zeitig ein Beitrag zur Vererbungslehre. Archiv für klinische Chirurgie. Bd.L. H.3. 3. Joachimsthal, Ueber angeborene Handanomalien. Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft vom 25. Januar 1896. 4. Behrendsen, Studien über die Ossifieation der menschlichen Hand ver- mittelst des Röntgen’schen Verfahrens. Deutsche med. Wochenschrift. 1897. Nr. 27. 5. Schwegel, Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Bd. XXX. 8.337. 6. H. v. Ranke, Die Ossification der Hand unter Röntgenbeleuchtung. Mün- chener medicinische Wochenschrift. 1898. Nr. 43. S. 1365. 7. Kölliker, Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. 2. Aufl. 8. 499. 8. Foltz, Gazette medicale de Lyon. 1869. p. 201 u. 338. 9. Dolore et Rouby, Gazette medicale de Lyon. 1863. 10. P.Dubois, Acad. de medecine. .1826. — Arch. de med. 1826. Aoüt. 11. Bertram C. A. Windle, The oceurence of an additional phalanx in the human pollex. Journal of anatomy. 1891. Vol. XXVI. p. 100. 12. C. Struthers, New Phil. Journ. 1863. p. 83. Citirt bei Windle (10). 13. H.Salger, 2 Fälle von dreigliedrigen Daumen, 2 Röntgenaufnahmen in natürlicher Grösse. Anatomischer Anzeiger. 1897. Bd. XIV. Nr. 5. 14. Rüdinger, Beiträge zur Anatomie des Gehörorgans, der venösen Blut- bahnen der Schädelhöhle, sowie der überzähligen Finger. München 1876. 15. Otto, Monstrorum sexcentorum descript. anatomie.Tabl. Breslau 1841. Nr. 256. 16. Gegenbaur, Morphologische Jahrbücher. Bd. XIV. 8. 394. 17. W. Gruber, Virchow’s Archiv. Bd. XXXVL S. 495. 18. W. Gruber, Bull. del’ Acad. Imp. des sc. de Petersbourg. T.XVI. p. 359—368. 19. Annandale, Malformations of the fingers and the toes. p.29. Citirt bei Windle (10). 20. Farge, Gaz. hebd. de med. et de chir. 1886. Nr.4. p. 61. 21. Staderini, Un pollice con tre falangi. Monitore zool. italiano. 1894. Biol. V. Nr. 6. 22. Pfitzner, Ein Fall von Verdoppelung des Zeigefingers. Morphologische Arbeiten. Bd. VII. H.2. 23. H.Rasch, Ein Fall von congenitaler completer Syndactylie und Polydactylie. Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. XVII. S. 537. 24. Kümmel, Die Missbildungen der Extremitäten durch Defect, Verwachsung und Ueberzahl. Cassel 1895. S. 13. 25. Polaillon, Affections chirurgicales des membres. Paris 1895. p. 637. 26. Bamberger, Wiener klinische Rundschau. 1896. Nr. 45. 8. 773. 27. Kirmisson, Traite des maladies chirurgie. d’origine congenitale. Paris 1898. 28. Kirmisson, Nanisme, deformations multiples du squelette, Ankyloses con- genitales des doigts et des orteils, tortieolis. Revue d’orthopedie. 1898. Nr.5. p. 392. 29. Kirmisson, Revue d’orthopedie. 1898. Nr. 4. p. 270. 954 WALTHER MENKE: Eın FALL VON VERDOPPELUNG DER ZEIGEFINGER. 30. Riedinger, Ein Fall von Spalthand. Internat. photogr. Monatschrift für Medicin und Naturwissenschaften. 1896. III. Jahrgang. 31. C. Mayer, Zur Casuistik der Spalthand und des Spaltfusses. Beiträge zur pathologischen Anatomie und allgemeinen Pathologie. Bd. XXIII. S. 20. 32. O. Vulpius, Zur Casuistik der Röntgen’schen Schattenbilder. Münchener medicinische Wochenschrift. 1896. Nr. 26. S. 609. 33. A. Souques et G. Marinesco, Lesions de la moelle Eepiniere dans un cas d’amputation congenitale des doigts de la main. La sem. med. 1897. p. 171. 34. v. Stubenrauch, Münchener med. Wochenschrift. 1897. Nr.25. S. 696. 35. C. Müller, Missbildung eines Händchens in Röntgen’scher Beleuchtung. Deutsche medicinische Wochenschrift. 1896. Nr. 12. S. 184. 36. Th. Burmeister, Ein Fall von sogenannter intrauteriner Unterschenkel- fractur verbunden mit verschiedenen Knochendefecten. Arbeiten aus dem Gebiete der Geburtshülfe und Gynäkologie (Buge-Festschrift). Berlin 1896. S. 215. 37. Guerrini und Martinelli, Ueber einen Fall von angeborenen Anomalien der Extremitäten. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 1898. Bd. VI. S. 67. 38. Louis Menciere, 1. Serie d’arröts de developpement. Arevue d’orthopedie. 1897. 8. I. T.VIH. p.352. — 2. Arrets de developpement au niveau de la main. Gaz. hebd. de med. et de chir. 1898. Nr. 26. p. 301. 39. A. Guery, Malformations cong£nitales des membres inf. Revue d’orthopedie. 1898. Nr.3. p. 219. 40. Londe et Meige, Applications de la radiographie a !’etude des malformations digitales. Comptes rendus hebd. des seances de l’academie des sciences. T. CXXVI. Nr. 12. p. 921. 41. Joachimsthal, Ueber einen Fall von angeborenem Defect an der rechten Thoraxhälfte und der entsprechenden Hand. Berliner klin. Wochenschr. 1896. Nr. 36. 42. P. Mazzitelli, Sopra un raro caso di assenza congenita bilaterale del perone. Archivio di orthopedia. 1898. Nr. 5. 43. Boinet, Polydactylie et atavisme. Revue de med. 1898. Nr. 4. p. 316. 44. C.W.Roughton, A case of congenital shortness of metacarpal and ımeta- tarsal bones. Zancet. 1897. II. p. 19. 45. Joachimsthal, Ueber Brachydactylie und Hyperphalangie. Virchow’s Archiv. 1898. Bd. CLI. 46. G. Morgnan, Skiagrams of a case of polydactylie. Zancet. 1896. II. p. 1599. 47. F.B. Lund, A case of web-fingers associated with curious anomalies of the phalanges, metacarpal bones and finger-nails; with skiagram. Boston Journ. 1897. Nr.?. p. 157. 48. C.Planchu, Un cas de macrodactylie. Zyon med. 1897. Nr. 11. p. 371. 49. Pfitzner, Ueber Brachyphalangie und Verwandtes. Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft in Kiel vom 17. bis 20. April 1898. 50. J. A. Fort, Les difformites congenitales et acquises des doigts et des moyens d’y remedier. Paris 1869. 51. Joachimsthal, Ueber den Werth der Röntgenbilder für die Chirurgie. Therapeutische Monatshefte. 1897. Nr. 2. 52. Joachimsthal, Eine ungewöhnliche Form von Syndactylie. Archiv für klinische Chirurgie. 1898. Bd. LVl. Nr. 2. 53. J.B.Seldowitseh, Ueber die Gelenke der überzähligen Finger. Annalen der russischen Chirurgie. 1898. H. 4. Zur Lehre von der Aktinomykosis. Von Preusse, Departementsthierarzt und Veterinärassessor in Danzig. Zu ‘den bisher noch nicht ausreichend erforschten, den Menschen und Thieren gemeinsamen Krankheiten gehört auch die Aktinomykose. Obgleich die Ursache derselben bekannt ist, so sind gerade bezüglich der Entwicke- lungsgeschichte des diese Krankheit bedingenden Parasiten, des Aktinomyces bovis Harz, und der Art der Uebertragung desselben auf Menschen und Thiere noch eine Reihe von Fragen zu lösen. Die Kenntniss des hier in Rede stehenden Leidens ist auch noch eine verhältnissmässig junge. Vor der durch Bollinger erfolgten Entdeckung des Parasiten als Krankheits- ursache war die Aktinomykose als einheitliche Krankheit nicht bekannt. Die von demselben an den verschiedensten Organen und Körpertheilen hervor- gerufenen krankhaften Veränderungen sind in der älteren thierärztlichen Litteratur als verschiedene Krankheiten beschrieben worden. So bezeichnete man die Auftreibungen der Kieferknochen als Winddorn, Spina ventosa. Die Knoten in und unter der Haut beschreibt Spinola als Hautwurm des Rindes, die aktinomykotische Zungenerkrankung war längst unter dem Namen „Holzzunge“ oder „Zungentuberculose“ bekannt, ebenso die Ge- schwülste im Rachen unter der Bezeichnung „Lymphome“ Hering nannte die letzteren „Drüsenkrebs“, Lafosse „Druse beim Rind“. Auch bezüglich der Ursachen dieser Erkrankungen sind eine Anzahl Angaben in der älteren Litteratur vorhanden. Spinola hielt die Ursachen des Hautwurmes gleich- bedeutend mit denen der Serophulosis. Eine ähnliche Ansicht sprach Gurlt betreffs der Knochenerkrankung, des „Winddorns“, aus. Derselbe‘ nahm auch an, dass das Anstossen des Unterkiefers an scharfkantige und hohe Krippen eine häufige Gelegenheitsursache hierfür abgebe. ! I Pathologisch-anatomische Nachträge. 8. 54. 256 PREUSSE: Nachdem bereits 1863 Perroncito, 1868 Rivolta und 1870 Hahn in sarcomatösen Geschwülsten des Rindes und in der Zunge bei chronischen Erkrankungen derselben eigenthümliche Gebilde kryptogamischer Natur ge- funden hatten, welche Hahn als eine Art Pinselschimmel bezeichnete, machte Bollinger! zuerst auf das constante Vorkommen charakteristischer, pilzlicher Gebilde bei den genannten Krankheiten aufmerksam und brachte dieselben ursächlich mit diesen in Verbindung. Harz? untersuchte diese Gebilde näher. Er zählte sie auf Grund seiner Untersuchungen der Classe der Schimmelpilze zu und gab ihnen den Namen „Aktinomyces bovis“, Strahlenpilz. Die durch diesen Parasiten erzeugte Krankheit nannte Bol- linger „Aktinomykosis“ und Johne bezeichnete die hierbei vorkommenden specifischen Geschwülste als „Aktinomykome“. Der Harz’schen Ansicht in Betreff der botanischen Stellung des Strahlenpilzes schlossen sich auch F. Cohn, de Bary und Pringsheim an. | Beim Menschen fand Langenbeck bereits 1345 im Eiter einer prä- vertebralen, zur Wirbelcaries führenden Phiegmone kleine, gelbe Körnchen, die er für Pilzrasen hielt und als solche beschrieb. Später hat auch Lebert (1857) diese Pilzrasen beschrieben und abgebildet. Bei diesen vereinzelten Beobachtungen blieb es nun lange Zeit. Erst 1878 veröffentlichte James Israel zwei Erkrankungsfälle, bei denen er die hier in Rede stehenden, von ihm für Pilze erklärten Gebilde fand, welche er in ursächliche Beziehungen zu der Krankheit brachte.” Ponfick machte zuerst auf die Identität der menschlichen und der thierischen Aktinomykose aufmerksam.* Seitdem ist die Krankheit auch beim Menschen vielfach Gegenstand eingehender Studien gewesen. Ausser beim Menschen und beim Rind ist die Aktinomykose beob- achtet worden beim Pferd, Schwein, Schaf, ferner beim Hirsch und selbst beim Elephanten. Sie ist besonders häufig in Europa, ferner in Amerika und Afrika. In Europa sollen besonders Deutschland, Schottland und Italien hiervon betroffen sein, in ersterem Lande steht wiederum Bayern obenan. Imminger‘ will hier jährlich über 100 Fälle beobachtet haben; es gäbe hRinderbestände von 12 bis 16 Haupt, in denen 4 bis 5 Thiere krank seien. In Ober-Pfalz und Ober-Franken soll die Aktinomykosis be- sonders häufig sein. Nach Rasmussen’ und Jensen® ist dieses Leiden ı Centralblatt für die medieinische Wissenschaft. 1877. Nr. 27. * Jahresbericht der Münchener Thierarzneischule. 1877/78. ® Virchow’s Archiw. Bd. LXXIV u. LXXVII. * Berliner klinische Wochenschrift. 1879. 5 Sächsischer Jahresbericht. 1896. 8. 73. 6 Wochenschrift für Thierheilkunde. 1888. 8. 149. 7 8 Deutsche Zeitschrift für Thiermediein. Bd. XVII. Monatsschrift für Thierheilkunde. Bad. IV. ZuR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIE. 257 auch in Dänemark sehr häufig. Auch Russland zeichnet sich durch Häufig- keit der Strahlenpilzerkrankungen aus. Mari! hat unter 151272 in Moskau geschlachteten Rindern 541 kranke beobachtet. Ivanoff will innerhalb 2 Jahren 2000 Fälle gesehen haben. Von Nord-Amerika ist Canada her- vorzuheben (nach Barrel 2 Procent). Seltener soll die Aktinomykose in Frankreich vorkommen. Aus Afrika berichten Krantz und Tribout über Krankheitsfälle bei Ochsen.” Kaufmann beschreibt einen Krankheitsfall bei einem Fellah in Cairo.” Crookshank erwähnt, dass die Aktinomy- kose in Norfolk in England bei 8 Procent der Rinder vorkäme. Etwas ge- nauere statistische Angaben sind in den Berichten der öffentlichen Schlacht- häuser in Deutschland gemacht. Bezüglich der einzelnen Schlachthäuser schwanken die Zahlen zwischen 0-01 bis 0-1 Procent. Diese Zahlen sind jedoch nicht im Stande, die wirkliche Ausbreitung der Strahlenpilzkrankheit wiederzugeben. Nach alledem ist die Aktinomykose der Thiere als eine keineswegs seltene, sondern weit verbreitete Krankheit anzusehen. Bezüg- lich der Aktinomykose des Menschen sind die Angaben spärlicher, bei diesem ist die Krankheit viel seltener; in den letzten Jahren sind aber immerhin eine grosse Reihe von Fällen veröffentlicht worden. Unter den Thieren ist das Rind als der eigentliche Träger des Akti- nomycespilzes zu bezeichnen. Im Uebrigen werden nur Herbivoren und Omnivoren von dieser Krankheit ergriffen; ein Beweis, dass der Krankheits- erreger nur in Verbindung mit pflanzlichen Nahrungsmitteln aufgenommen werden kann. Imminger° giebt an, dass besonders solche Thiere von der Krankheit ergriffen werden, welche noch dem Zahnwechsel unterworfen sind. Bei Rindern unter 3 Monaten wird sie nur selten beobachtet. Nach meinen eigenen Beobachtungen ist die Aktinomykose auch bei älteren Thieren nicht selten. Dass dieselbe bei jüngeren Thieren häufiger beobachtet wird, hat wohi darin mit seinen Grund, dass Thiere, welche damit behaftet sind, in der Regel nicht alt werden, sondern frühzeitig zur Schlachtbank gelangen. Ausser beim Rinde wird die Aktinomykose beob- achtet beim Schwein und zwar hier besonders in Form der Euteraktinomy- kose. In der Litteratur sind verschiedene diesbezügliche Fälle beschrieben worden. Fälle von allgemeiner Aktinomykose beim Schwein werden mit- getheilt von Knoll® und Carl.” Rasmussen will innerhalb 3 Monaten ! Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1890. S. 406. ? Recueil de med. veier. 1895. ® Fortschritte der Medicin. 1894. Nr. 12. * Verhandlungen des VII. internat. hygien. Congr. 5 Wochenschrift für Thierheilkunde. 1888. 6 Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1891. 8. 213. "7 Deutsche thierärztliche Wochenschrift. 1898. 3. 40. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 17 258 PREUSSE: 52 Fälle von Euteraktinomykose beim Schwein festgestellt haben. Derselbe hat auch Aktinomykome in Castrationsnarben bei Schweinen beobachtet. Ein Gleiches wird auch vom Pferd berichtet (Johne). Das als Samenstrang- fistel bezeichnete Leiden des Pferdes wird allerdings zum grössten Theil durch Microeoceus botryogenes erzeugt. Fälle von Zungenaktinomykose bei Pferden werden beschrieben von Truelsen,! Eberhardt? und Struve.? Knochenerkrankungen beobachtete Hamburger,‘ am Unterkiefer Piltz,° an der Oberlippe Haltander.° Ueber Aktinomykose beim Schaf liegen Beobachtungen vor von Beck,’ Grips,° und Berg.’ Bei Fleischfressern sind einwandsfreie Fälle von Aktinomykose noch nicht beobachtet worden. Das Vorkommen der Strahlenpilzkrankheit ist in der Regel nur ein sporadisches. Sie ist keine Infectionskrankheit im engeren Sinne des Wortes, da eine Uebertragung des Krankheitserregers von Thier auf Thier oder von Thier auf Mensch oder umgekehrt gewöhnlich nicht vorkommt. Der Erreger muss mit dem Futter oder durch Einathmung infieirter staubiger Luft oder durch zufällige Impfung aufgenommen werden. Es schliesst dies allerdings nicht aus, dass auch einmal eine grössere Anzahl Thiere eines Stalles oder einer Gegend erkranken können. In diesem Falle ist eine grössere Verbreitung der Strahlenpilze ausserhalb des Thierkörpers anzu- nehmen. Ein seuchenartiges Auftreten der Aktinomykose wird freilich nicht oft beobachtet. Bang!? referirt über das enzootische Auftreten einer Krankheit im Jahre 1858 in Schleswig, welche damals von dem Thierarzt Jebsen in Bredstedt als Drüsenkrebs bezeichnet wurde, die aber unzweifelhaft als Aktinomykosis angesehen werden muss. Jensen sah diese Krankheit in Seeland und Falster auf eingedeichten trocken gelegten Arealen in den Jahren 1880 bis 1882 seuchenartig auftreten. Er nimmt an, dass die Pilze durch Fütterung von Gerste, welche auf dem neugewonnenen Boden gewachsen war, aufgenommen worden sind. Auf einzelnen Gehöften ist hier fast der ganze Viehbestand betroffen worden. In der Litteratur sind dann noch verschiedene Fälle beschrieben worden, in denen die Aktinomykose in einzelnen Rindviehbeständen seuchen- ! Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1893. 8. 39. °” Schweizer Archiv für Thierheilkunde. 1896. Nr. 2. ® Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene. Bd. VI. 8. 29. * Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1889. S. 399. > Zeitschrift für Veterinärkunde. 1893. Nr. 1. 6 Svensk Vet. tidesskrift. Vol. I. p. 144. ” Wochenschrift für Thierheilkunde. 1894. ® Hamburger Mittheilungen für Thierärzte. U. Jahrg. H.1. ° Maanedsskrift f. Dyrlaeger. 1898. April. 10 Deutsche Zeitschrift für Thhiermedicin. Bd. X. S. 249. ZUR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. 259 artig auftrat. Stienon! hat 5 Jahre hindurch in einem Rinderbestande ein vermehrtes Auftreten der Strahlenpilzkrankheit gesehen. Die Desinfection des Stalles soll die Abnahme der Erkrankungen zur Folge gehabt haben. Neuwirth ? berichtet, dass von 46 Rindern eines Bestandes sämmtliche Kühe und Kalbinnen und 12 Ochsen 6 Wochen nach dem Ueberstehen der Maul- und Klauenseuche an Aktinomykose erkrankten. Gefüttert wurden Gerste und Sommerweizenkesott. Neuwirth bringt die Massen- erkrankungen mit den durch die vorangegangene Maul- und Klauenseuche entstandenen Schleimhautläsionen in Verbindung. Nyström beobachtete ein seuchenartiges Auftreten der Strahlenpilz- krankheit bei Jungrindern, die auf einer bestimmten Wiese geweidet hatten. Die meisten Fälle traten im April und Mai auf.” Nethiebel beschreibt ein seuchenartiges Auftreten der Aktinomykose in einem Rinderbestande, in dem im Verlauf von 14 Tagen 14 Erkrankungen auftraten. * Eine von mir näher untersuchte Strahlenpilzenzootie habe ich früher? beschrieben. Ich möchte auf dieselbe hier noch etwas näher eingehen. Im Frühjahr 1888 brach beim Eisgang der rechtsseitige Damm der Nogat bei Jonasdorf. Das Nogatwasser ergoss sich in Folge dessen in die zwischen der Nogat und der Elbinger Höhe bezw. dem Höhenzuge des Stuhmer Kreises bis zum Drausensee reichende fruchtbare Niederung, dieselbe in der Ausdehnung mehrerer Quadratmeilen meterhoch unter Wasser setzend. Da diese Niederung sehr tief, theilweise unter dem Wasserspiegel des Haffes gelegen ist, konnte das Wasser nicht wieder so schnell ablaufen, es blieb ‚Wochen, selbst Monate lang stehen und musste zum grössten Theile künst- lich durch Mühlen entfernt werden. Die unter Wasser gesetzte Niederung, welche den Kreisen Elbing und Marienburg angehört, besteht zum über- wiegenden Theile aus Weideländereien und Wiesen. Hier geht das Vieh den ganzen Sommer hindurch frei umher. Die Weiden liefern ein vor- zügliches Futter. Im Winter sind die Besitzer meistens auf das von den Wiesen gewonnene Heu angewiesen. Im Jahre 1888 konnte nun der Ueberschwemmung wegen ein Weide- ' gang nicht stattfinden, es musste in Folge dessen viel Vieh fortgegeben werden. Das Zurückgebliebene wurde später mit dem von den im Spät- sommer und Herbst wieder trocken gewordenen Wiesen gewonnenen Heu ernährt. Da das Gras lange Zeit unter Wasser gestanden hatte, war das 1 Ann. de med. veter. 1890. Nr. 9. ? Wochenschrift für Thierheilkunde. 1894. ® Tidesskrift f. Vet. Med. Vol. XIV. p. 174. * Thierärztliches Centralblatt. 1895. 8. 221. ° Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1890. 8.17. 260 PREUSSE: Heu durchweg schlecht, verdorben. Die Besitzer waren aber in Ermangelung anderen Futters dennoch genöthigt, das Vieh damit zu füttern. Schon während des Winters 1888/89, noch mehr aber gegen das Frühjahr 1889 entwickelten sich bei zahlreichen Rindern Geschwülste am Kopf und Halse, welche die Thiere sehr belästigten und ihre wirthschaft- liche Ausnützung oft erheblich beeinträchtigten. Kreisthierarzt Olden- dorf in Elbing fand in 29 Gehöften unter 329 Rindern 76 kranke, also 23-2 Procent. Kreisthierarzt Nouvel in Marienburg in 12 Gehöften unter 92 Rindern 20 kranke, 21-8 Procent. Ober-Rossarzt a. D. Schmidt in Elbing ermittelte in 57 Gehöften unter 749 Stück Vieh 102 kranke, 13.6 Procent. Es mögen also demnach in der betroffenen Niederung etwa 20 Procent des gesammten Viehbestandes erkrankt gewesen sein. Wie die Untersuchung ergeben hat, handelte es sich hier um eine ausgebreitete Aktinomykosis. In : Folge der Erheblichkeit und Verbreitung des betr. Leidens wurde ich mit einer genauen Untersuchung beauftragt. Ich unternahm dieselbe in der ersten Hälfte des Monats Mai 1859. Es wurden diejenigen Ortschaften und Gehöfte von mir besucht, in denen die Krankheit am ausgebreitetsten war. Hierbei ermittelte ich im Kreise Elbing unter 256 Stück Vieh 59 aktinomykosekranke Thiere, also 23-2 Procent, im Kreise Marienburg unter 244 Rindern 44 kranke, also 18 Procent. Im letzteren Kreise schien demnach die Krankheit etwas weniger verbreitet zu sein. Die Aktinomy- kome traten in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle in der Haut und Unterhaut des Kopfes auf. Hier stellten sie derbe, umschriebene Geschwülste von verschiedener Grösse dar. So lange sie klein waren, belästigten sie die damit behafteten Thiere nur wenig. Später wurden sie sehr schmerz- haft, fluctuirten stellenweise, brachen auf und entleerten einen zähen, gelben, schleimigen Eiter, in dem sich die Aktinomycespilze schon makro- skopisch als gelbliche sandkorngrosse Körnchen hervorthaten. Nach dem Aufbrechen heilten einzelne Geschwülste von selbst, andere wieder wuchsen pilzartig durch die Haut hindurch und nahmen allmählich immer grössere Dimensionen an. In der Umgebung entwickelten sich neue Knoten, von welchen wurmartige, harte Stränge ausgingen, welche Erscheinung wohl früher zu der Bezeichnung „Hautwurm‘“ geführt hatte. Die Geschwülste bestanden aus einem graurothen, festweichem Gewebe, in welchem sehr zahlreiche eitrige Herde eingelagert waren, in denen die Strahlenpilze leicht ermittelt werden konnten. Ausser in der Haut und Unterhaut am Kopfe habe ich Aktinomykome beobachtet in den Lymphdrüsen, die hinter dem Schlundkopfe und unter der Ohrspeicheldrüse gelegen sind. Diese waren für die damit behafteten Thiere von Anfang an sehr lästig, sie veranlassten | Schluckbeschwerden und behinderten die Respiration. ZUR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS,. 261 Seltener fand ich die Ober- und Unterkieferknochen und die Zunge ergriffen. In einem Falle beobachtete ich ein Aktinomykom am Nasen- eingang; in einem anderen Falle eine flache, durch die Haut pilzförmig hindurch gewachsene Strahlenpilzgeschwulst an der inneren Fläche des rechten Hinterschenkels. Auch Ober-Rossarzt a. D. Schmidt fand die Mehr- zahl der Erkrankungen (92 Procent) am Kopfe. Einmal sah er ein Akti- nomykom an der linken Rippenwand und einmal an der linken oberen Halsseite. Was nun die Ursachen dieser ausgebreiteten Aktinomykoseenzootie anbetrifft, so sind dieselben zweifellos in erster Linie in dem schlechten Futter zu suchen, welches im Herbst 1888 von den Wochen lang über- schwemmt gewesenen Wiesen und Weiden geerntet worden war. Die Krankheitsfälle traten dort am häufigsten auf, wo ausschliesslich das verdorbene Heu und Stroh gefüttert wurde. Hier waren bis zu 50 Pro- cent des vorhandenen Viehbestandes erkrankt. Dort, wo das Vieh neben dem verdorbenen Heu und Stroh noch anderes gesundes Futter, nament- lich Kraftfutter, erhielt, traten weniger Erkrankungen auf. Von zwei be- nachbarten Besitzern, Vater und Sohn, konnte der Erstere noch viel altes Heu aus dem Jahre 1837 dem Vieh verabreichen, Letzterer verfütterte nur Ueberschwemmungsheu. Das Vieh des Vaters blieb gesund, unter dem Vieh des Sohnes traten 5 Erkrankungen an Aktinomykosis auf. Das verdorbene Heu und Stroh habe ich in zahlreichen Proben ein- gehender untersucht. Dasselbe war staubig, stark mit Schimmelpilzen be- setzt, von grauer, brauner, selbst schwarzer Farbe und unangenehmem, multrisem Geruch. Es bestand ausser aus Wiesengräsern zum grossen Theil aus Unkraut, namentlich Disteln. Die mikroskopische Untersuchung ergab das Vorhandensein zahlreicher Pilzformen. Hiervon sind besonders zu nennen Mucor mucedo, Penicillium Slaucum und Cladosporium herbarum, ausserdem befanden sich darin zahl- reiche Milben, Acarus siro und Acarus foenarius. Pilzformen, welche dem Aktinomyces bovis Harz entsprachen, konnte ich nicht auffinden. Dieser negative Befund ist jedoch kein Beweis, dass sie in dem Heu nicht vor- handen waren. Die ausserhalb des Thierkörpers frei vegetirende Form des Strahlenpilzes ist bis jetzt noch nicht bekannt. Aus dem ganzen Verlaufe der hier geschilderten Enzootie geht un- zweifelhaft hervor, dass die Krankheitserreger mit dem Futter aufgenommen worden sind. Wie ich später noch näher ausführen werde, dringen die Strahlenpilze bezw. ihre ausserthierischen Entwickelungsformen in Verletzungen der Schleimhäute oder der äusseren Haut ein, von wo dann die Infection ihren Anfang nimmt. Eine Uebertragung der Parasiten von Thier auf Thier ist bisher nur in wenigen Fällen beobachtet worden. So erwähnt 262 PREUSSE: Nocord einen von Perroncito beobachteten Fall, in welchem ein Pferd, welches mit an Aktinomykosis leidenden Rindern zusammenstand, nach einiger Zeit selbst daran erkrankte.! Lüpke beschreibt einen Fall von Uebertragung der Aktinomykose von einem Jungrind auf einen daneben stehenden einjährigen Ochsen, welcher eine Strahlenpilzgeschwulst des ersteren Thieres benagt und beleckt hatte. Der Ochse bekam nach 6 Wochen aktinomykotische Abscesse am Kopf, am Kehl- und Schlundkopf und an der Zungenspitze.”? Gooch hat eine Strahlenpilzinfection von Haarseilwunden ausgehend beobachtet, er nimmt an, dass eine Uebertragung von dem zuerst geimpften, zur Zeit der Impfung bereits kranken Thiere stattgefunden hat.’ Auch Uebertragungen von Thier auf Mensch und von Mensch auf Mensch sind beobachtet worden. Meyer“ beschreibt einen Fall von Ueber- tragung der Aktinomykose von zwei Rindern auf einen Menschen, welcher dieselben längere Zeit hindurch gepflegt hatte. Aehnliche Fälle von Uebertragung der Strablenpilze von kranken Rindern auf ihre Wärter werden berichtet von Striemer und Häcker. Baracz in Lemberg? hat eine Uebertragung von Mensch auf Mensch durch den Kuss beschrieben. Alle die vorgenannten Fälle sind nicht einwandsfrei, da nicht feststeht, ob nicht überall die gleiche Ursache eingewirkt hat. Gegen die Möglichkeit einer directen Uebertragung der Strahlenpilze von einem Individuum auf ein anderes spricht nachfolgender Versuch von Sal- mon.® Derselbe stellte 21 gesunde Rinder zwischen strahlenpilzkranke Thiere und zwar derartig, dass sie durch Lecken und durch Aufnahme von mit Eiter besudeltem Futter reichlich Gelegenheit fanden, den Krankheits- stoff aufzunehmen. Trotzdem war nach 4 Monaten bei keinem Thier auch nur eine Spur einer Erkrankung zu bemerken. Da die bei weitem meisten Erkrankungen in dem oberen Theile des Verdauungscanals zur Beobachtung kommen, so ist auch dieser als der hauptsächlichste Infectionsweg anzunehmen. Nach Imminger’ kommen 80 bis 90 Procent aller Fälle am Kopf und Hals vor. Claus°® sah unter 100 Fällen 51 Kiefererkrankungen. Die Parasiten können aber auch auf anderem Wege primär in den Körper eindringen. Sie können mit der ein- 1 Archiv veterin. T. IX. Nr. T. 2 Deutsche thierärztliche Wochenschrift. 1897. 8. 223. 3 Journal of compar. pathol. and therapie. Vol. VII. p. 59. * Repertorium der Thierheilkunde. Bd.L. H.2. 5 Rundschau für Thiermedicin. 1888. S. 235. 6 Bureau of animal industry. 1893. Nr. 2. p. 30. ” Wochenschrift für Thierheilleunde. 1888. ° Deutsche Zeitschrift für Thiermedicin. Bd. XIII. S. 290. ZUR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. 263 geathmeten Luft direct in die Lungen gelangen. Primäre Lungenaktinomy- kose ist allerdings selten. Zuerst machte Pflug auf dieselbe aufmerksam.! Ponfiek vermochte einmal durch intravenöse Injection von Geschwulst- theilchen eine disseminirte Lungenaktinomykose bei einem Kalbe zu er- zeugen, ein Beweis, dass die Strahlenpilze auch auf dem Blutwege in die Lunge gelangen können. Weitere Fälle von Lungenaktinomykose werden beschrieben von Pusch, Hink, Rasmussen, Rieck, Rogener u. A. Diese Erkrankung kommt auch beim Menschen vor, diesbezügliche Fälle theilen mit Ponfick, Israel, Moosdorf und Birch-Hirschfeld, Ca- nali, Hodenpyl u. A. Pusch beobachtete dieselbe auch beim Schwein. Es kann ferner durch zufällige Verwundungen und Impfungen eine In- fection entstehen. Hierher gehört der bereits erwähnte Fall von Gooch. Ich selbst sah primäre Aktinomykose am Nasenflügel und einmal in der Haut am Sprunggelenk. Auch Rasmussen, Kitt, Jensen beschreiben derartige Fälle. Ersterer hat mehrfach in den sogenannten Knieschwämmen beim Rinde Strahlen- pilze gefunden. Die Infection in die Haut erfolgt beim Lagern in in- fieirter Streu. In gleicher Weise entsteht die Euteraktinomykose, wie sie häufig beim Schwein beobachtet wird, seltener beim Rind; ebenso die aktinomykotische Erkrankung der Castrationsnarben beim Pferd (Samenstrangfistel, Auch nenn von den Geschlechtswegen aus kann eine Infection erfolgen, wie eine Be- obachtung von Goldbeck lehrt.? In der Regel bleiben die Erkrankungen local; sie können zu umfangreichen Geschwülsten und Zerstörungsprocessen Veranlassung geben. Zuweilen findet aber auch eine Generalisirung der Aktinomykose statt. Ostertag erwähnt in seinem Handbuch der Fleisch- beschau drei derartige Fälle, einen beim Schwein und zwei bei Ochsen. Ferner beschreibt Messner generalisirte Aktinomykose bei einem Rind, ? ferner Prietsch‘ und Remy,? Struve bei einem Pferde,° Carl” und Knoll°® bei Schweinen. Der Struve’sche Fall ist insofern noch bemerkens- werth, als hierbei noch aktinomykotische Veränderungen an der gesammten Skeletmusculatur vorhanden waren. Bemerkenswerthe Organerkrankungen werden noch berichtet von Bollinger im Gehirn des Menschen,” von Bang ı Oesterreichische Vierteljahrsschrift für Thierheilkunde. 1882. ? Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1893. S. 182. ® Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene. Bd. VI. S. 31. * Säüchs. Vet.-Ber. 1895. S. 96. > Archiv für Thierheilkunde. Bd. XXIV. 8. 295. ® Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene. Bd.11I. 8.29. ” Deutsche thierärztliche Wochenschrift. 1898. 8. 40. ® Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1891. S. 313. ® Münchener medicinische Wochenschrift. 1887. Nr. 41. 264 PREUSSE: in den Nieren,’ von Rasmussen und Jensen in der Leber und von Koorevar im Rückenmarkscanal.? Von besonderem Interesse ist die aktinomykotische Erkrankung der Zunge des Rindes, welche wohl als Prädilectionssitz für die Aktinomykosis angesehen werden kann. Die Art, wie hier die Infection erfolgt, lässt darauf schliessen, dass der Strahlenpilz niemals direct in den Körper eindringt, sondern dass derselbe bei seinem Eindringen an Pflanzenpartikelchen gebunden ist, welche dem Pilz durch Verwundung der Weichtheile den Weg bahnen oder mit ihm in zufällige Verwundungen eindringen. Dass dieses zutrifft, dafür sprechen die Beobachtungen von Brazzola, Johne, Piana, Boström und meine eigenen Untersuchungen. Ersterer® sah wiederholt die Aktinomycesdrusen an im Zahnfleisch steckenden Bruch- theilen der Mauergerste (Hordeum murinum). Johne fand Strahlenpilze an Getreidegrannen in den Mandeln des Schweines.* Boström?° giebt als Entwickelungsstätte für den Aktinomyces die Lufträume der Getreidegrannen an, er konnte sie in den in aktinomykotischen Neubildungen gefundenen Grannen mikroskopisch nachweisen. Da nach seinen Beobachtungen die Mehrzahl der Erkrankungen in die Herbst- und Wintermonate fällt, so nimmt er an, dass die getrocknete Granne die Infection mit dem Strahlen- pilz vermittelt. Auch Imminger® führt die Entstehung der Erkrankungen an Aktinomykose nur auf Trockenfütterung zurück. Meine eigenen vorhin beschriebenen Beobachtungen sprechen ebenfalls dafür. Nur Claus’ kommt zu einem anderen Resultat. Derselbe nimmt auf Grund seiner Unter- suchungen an, dass die Imfection in den meisten Fällen während der Sommermonate, vielleicht auf der Weide stattfindet. Da, wie schon erwähnt, die Zunge einen besonders wichtigen Ort für die Strahlenpilzinfection darstellt, unterzog ich die an derselben vorkom- menden Erkrankungen einer genaueren Untersuchung. Aktinomykotische Zungenerkrankungen sind in der Litteratur vielfach beschrieben worden von Boliinger, Hahn, Johne, Stockfleth, Bang, Pflug u. A. Es betraf dies jedoch immer die umfangreicheren Erkrankungen dieses Organs, welche in Folge der hierbei entstehenden bindegewebigen Induration mit dem Namen „Holzzunge“ bezeichnet werden. Sehr häufige finden sich jedoch auch in der 1 Deutsche Zeitschrift für Thiermediecin. Bd. XVII. 8. 458. * Tidsskr. f. Veeartsenijkunde. 1897. ® Giornale di medic. veterin. 1888. * Deutsche Zeitschrift für Thiermediein. 1881. 8. 158. 5 Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. Bd. IX. H.1. 240 60 (0b ” Deutsche Zeitschrift für Thiermedicin. Bd. XIll. ZUR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. 265 Rinderzunge kleinere, hirsekorn- bis erbsengrosse vereinzelte Knötchen, meist dicht unter der Schleimhaut, die gleichfalls ihre Entstehung einer Strahlen- pilzinfection verdanken. Diese Knötchen haben ihren Lieblingssitz dicht vor der Zungenrückenwulst. Hier sieht man auch häufig mehr oder weniger grosse und tiefe Defecte in der Schleimhaut, die zuweilen Geschwüre dar- stellen, in welchen zahlreiche Haare und Pflanzenpartikelchen sitzen. Unter diesen Defeeten liegen nun in der Regel ein oder auch mehrere Aktino- mycesknötchen. Auf diese Veränderungen an den Rinderzungen haben bereits Henschel und Falk! aufmerksam gemacht. Dieselben fanden bei 9.1 Proc. der von ihnen untersuchten Rinder Excoriationen an den Zungen, bei ®/, derselben waren deutliche Aktinomycesknötchen vorhanden. Unter 2000 auf dem hiesigen Schlachthof in den Sommermonaten 1898 geschlach- teten Rindern wurden von den Schlachthofthierärzten Herren Turski und Fortenbacher bei 182 Defecte und Knötchen an den Zungen ermittelt. Hierbei sind ganz kleine Defecte, die bei der Untersuchung der Schlacht- thiere leicht übersehen werden können, nicht mitgezählt. Die genannten Veränderungen kommen daher bei 9 bis 10 Proc. der geschlachteten Rinder vor. Ich habe nun nicht alle vorgefundenen defecten Stellen an den Rinder- zungen untersuchen können. Einen grossen Theil derselben habe ich jedoch einer genauen makro- und mikroskopischen Untersuchung unterzogen. Strahlenpilzinfectionen hatten nun nicht in allen Fällen stattgefunden. Zum kleinen Theil fanden sich auch oberflächliche Defecte, selbst umfangreichere Schleimhautgeschwüre vor, ohne dass ich gleichzeitig aktinomykotische Neu- bildungen, selbst der kleinsten Art, beobachten konnte. Diese Verände- rungen mussten daher nur auf eine einfache Verwundung ohne nach- folgende Strahlenpilzinfection zurückgeführt werden. Nach den Mittheilungen der Herren Schlachthofthierärzte sollen die Zungendefecte im Winter noch viel häufiger sein, wie im Sommer, die Zahl derselben soll sich dann bis zu 30 Proc. steigern. Bei älteren Thieren sind sie häufiger, wie bei jüngeren. Bei männlichen Rindern über 4 Jahre wurden unter 153 Thieren 19 Zungen- defeete gefunden (12-5 Proc.), bei weiblichen Rindern über 4 Jahre unter 597: 76 (13-3 Proc.), insgesammt also bei 750 Thieren über 4 Jahre 95 Zungendefecte (12.6 Proc... Bei 1073 männlichen Rindern unter 4 Jahren fanden sich die fraglichen Veränderungen 69 Mal (6-3 Proc.) und bei 177 ebensolchen weiblichen 18Mal (10-2 Proc.), insgesammt bei 1250 Thieren unter 4 Jahren 87 Mal (7 Proc.). Aus dieser Statistik geht hervor, dass die weiblichen Rinder etwas mehr mit den hier in Rede ste- henden Veränderungen an der Zunge behaftet sind, wie die männlichen. Die Zungendefeete und Kuötchen liegen durchweg dicht vor der auf dem 1 Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene. Bd.1l. 8. 167. 266 PREUSSE: Zungenrücken gelegenen wulstartigen Erhöhung. Sie bilden entweder mehr oder weniger tiefe Einziehungen der Schleimhaut ohne erhebliche Epithel- verluste, oder oberflächliche Excoriationen, oder mehr oder weniger um- fangreiche Geschwüre. Letztere sind zumeist länglich und können die Grösse eines Zehnpfennigstückes erreichen. Der Querdurchmesser ist stets grösser wie der Längendurchmesser. Die Einziehungen stellen grubenartige Ver- tiefungen der Zungenoberfläche dar, in denen stets kleine Büschel aus Haaren und Pflanzenfasern stecken. Letztere reichen oft tief in die Zungen- substanz hinein und sind an ihrem Grunde von eitrigen Detritusmassen umgeben. Am Grunde der Vertiefungen fehlt das Epithel stellenweise. In dem die Vertiefungen ausfüllenden Detritus liegen Eiter- und Epithelzellen. Die Excoriationen und Geschwüre sind flache Vertiefungen mit unebenem Grunde, in welchem gleichfalls in der Regel Haare und Pflanzenfasern stecken. Die Haare sind Rinderhaare, die vermuthlich durch Belecken der Haut auf die Zunge gelangt sind. Die Pflanzenfasern sind Grannen und kleine Pflanzentheilchen von Gräsern, oft sind dieselben mit kleinen Häk- chen besetzt. Ich habe nun zahlreiche dieser Haare und Pflanzentheilchen und den sie umgebenden Detritus untersucht. In letzterem fand ich nie Aktinomyces oder ähnliche Gebilde Dagegen fand ich das untere Ende von Pflanzenfasern mehrfach mit drusigen Gebilden besetzt, die sich bei genauerer mikroskopischer Untersuchung genau so wie feinstrahlige Aktino- myces darstellten und auch als solche angesprochen werden müssen. Zur Färbung der Pilze benutzte ich zumeist das von Baranski empfohlene Pikrocarmin oder die Weigert’sche Orseillelösung. Ersteres färbt die Strah- lenpilzdrusen schön goldgelb, letztere rubinroth. Die an den Pflanzen- theilchen haftenden Pilzrasen sind dichter wie die im Abscesseiter vorhandenen, auch sind die Keulen feiner und kürzer. Es handelt sich hier offenbar um Jüngere Formen des Aktinomyces. Die Pilzrasen sind rundlich, !/,, bis !/,, =” im Durchmesser, bei stärkerer Vergrösserung ist der vom Centrum nach der Peripherie ausstrahlende, radiär gestreifte Bau derselben deutlich zu er- kennen. Die einzelnen Rasen lagern sich zu unregelmässig höckrigen brom- beerartigen Conglomeraten zusammen. Das Centrum der Rasen besteht aus einem undeutlichen faserig körnigen Gefüge Am Rande sieht man die gegen die Peripherie etwas kolbenartig verdickten Fäden, welche so dicht stehen, dass bei Einstellung des Mikroskops auf die Oberfläche des Rasens eine mosaikartige Zeichnung erscheint. Die Fäden sind sämmtlich von gleicher Länge. Die Kolben sind an den Enden bis 2-5 u diek. Die Pilz- rasen sitzen vornehmlich an den Enden abgebrochener Getreidegrannen oder an verletzten Stellen derselben. An unverletzten Grannen mit intacter Spitze habe ich sie nicht angetroffen. Die Angabe von Boström, dass die Lufträume der Grannen die Entwickelungsstätten für den Strahlenpilz ZuR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. 267 bilden, scheint hierdurch ihre Bestätigung zu finden. Nur durch Eröffnung dieser Lufträume können anscheinend die Aktinomyceskeime ihren Weg in das thierische Gewebe finden. An feinen Schnitten der defecten Schleimhautpartien des Zungenrückens lässt sich zunächst eine bindegewebige Verdickung der Mucosa der Schleim- haut feststellen, der Epithelbelag ist stellenweise verloren gegangen. Das neugebildete Bindegewebe ist stark mit Rundzellen infiltrirt, ausserdem ist es mehr oder weniger mit kleinen Pflanzenpartikelchen durchsetzt, an denen sich mehrfach Pilze, wie sie den Aktinomyces entsprechen, wahrnehmen - lassen (Fig. 1). Dieselben sind hier weniger zu Drusen vereinigt, sondern sitzen dicht aneinandergereiht auf einer körnig faserigen Grundlage, welche das betreffende Pflanzentheilchen überzieht. Bei Anwendung von Pikro- carmin sind die kolbenförmigen Fädchen gelb, die Grundlage röthlich ge- färbt. Die Kolben haben eine Länge von 4 bis 6« und eine Dicke an ihrer Spitze von etwa 2 «, am Grunde erscheinen sie halb so dick. Auch hier sind wieder besonders die Enden der Pflanzentheilchen mit Pilzen be- setzt. Zuweilen sind dieselben von einer bindegewebigen, concentrischen Kapsel umgeben (Fig. 2). In der verdickten Mucosa befinden sich dann kleine, ledielich aus Granulationszeilen bestehende Herde, die eigentlichen Aktinomycesknötchen. Diese Herde, welche oft mikroskopisch klein sind, liegen manchmal nur im Stratum epitheliale, grössere Herde reichen auch über die Mucosa hinaus und sind im Innern zerfallen. In diesen Herden ‚sind nun stets mehr oder weniger zahlreiche Rasen von Aktinomyces wahr- zunehmen. Dieselben liegen hier meist einzeln, seltener in Conglomeraten zusammenhängend. Sie sind unregelmässig rundlich, ”/,,o bis !/, "” im Durchmesser messend. Die Peripherie zeigt eine sehr schöne strahlige 268 PREUSSE: Anordnung der kolbenförmig verdickten Pilzfäden, diese sind nicht alle gleich lang, einzelne ragen über die Peripherielinie ein wenig hinaus, sie stehen sehr dicht an einander, an den gefärbten Präparaten lässt sich die Länge der Kolben auf etwa 10 « bestimmen, an dem kolbenförmig ver- diekten Ende sind sie bis 4 « breit. Die Fäden und die daraus gebildeten Pilzrasen sind demnach grösser wie die an den Grannen beobachteten. Sie liegen theils frei zwischen den Rundzellen, theils auch in Riesenzellen (Fig. 3) eingeschlossen. Mit Weigert’scher Orseille färben sie sich rubin- roth, mit Pikrocarmin goldgelb. Die faserige Grundlage der Pilzrasen er- scheint bei letzterer Färbung röthlich. In den grösseren Aktinomycesherden lassen sich auch zuweilen Spuren von Verkalkung im Centrum der Pilz- rasen wahrnehmen. Die von mir näher beschriebenen Veränderungen auf dem Zungen- rücken vieler Rinder sind zweifellos die ersten Anfänge einer Aktinomyces- infection. In den bei weitem meisten Fällen bleibt es bei diesen Anfängen. Die Pilze gehen zu Grunde und die Knötchen verheilen unter Neubildung von Bindegewebe. Es bleibt dann an der betreffenden Stelle des Zungen- rückens nur eine Narbe übrig. Derartige Narben habe ich vielfach an Rinderzungen bemerken können. Eine Weiterverbreitung der Parasiten im Körper, dureh welche umfangreichere Erkrankungen herbeigeführt werden, findet nur in wenigen Fällen statt. Die Lymphdrüsen sind an den be- sinnenden aktinomykotischen Erkrankungen der Zunge nicht betheiligt; ich habe in keinem Falle irgend welche Veränderungen an denselben bemerken können. Ebenso wenig fand ich in den Mandeln Veränderungen aktino- mykotischer Natur, obgleich dieselben stets mit zahlreichen Pflanzenpar- tikelchen durchsetzt waren. Nach meinen Beobachtungen bestätigt sich die -Annahme, dass die Aktinomyceskeime der Hauptsache nach nur in Ver- bindung mit Pflanzentheilen in den Körper gelangen, vollkommen. Auch beim Menschen erfolgt die Infection mit Strahlenpilzen hauptsächlich nur durch Uebertragung mit Pflanzentheilchen, durch directe Uebertragung vom Thier, wie bereits erwähnt, nur sehr selten. Die Erkrankung an Aktinomykose ist beim Menschen auf dieselbe Quelle zurückzuführen, wie beim Thier. Nach einer Statistik von Moosbrugger, welche 75 Fälle umfasst, hatte der grössere Theil der Kranken keine Berührung mit Vieh gehabt, 20 Erkrankungen traten bei Landleuten auf, 33 Kranke hatten nichts mit Thieren zu thun gehabt, bei den übrigen war dies zweifelhaft. Auch bei Menschen sind in aktinomykotischen Abscessen vielfach Pflanzen- theilchen gefunden worden, so von Ponfick, Soltmann,! Ammentorp,? 1 Jahrbuch für Kinderheilkunde. N.F. Bd. XXX. S. 129. ? Wiener klinische Wochenschrift. 1874. ZuR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. 269 Hummel, Jurnika u. A. v. Bernstorff hat Ohraktinomykose im An- schluss an die Einsteckung einer Gerstenähre in das Ohr gesehen. Roger warnt mit Recht vor der Unsitte, Stroh- oder Heuhalme in den Mund zu nehmen und zu kauen. Ein cariöser Zahn kann sehr leicht zum Eingangs- thor für den Strahlenpilz werden. Da eine directe Uebertragung der Krankheit vom Thier auf den Menschen jedenfalls nur höchst selten beobachtet wird, erscheint es über- flüssig, hier noch näher darauf einzugehen, dass die Krankheit auch durch Genuss von Fleisch aktinomykotischer Rinder übertragen werden könne. Dieses ist wohl so gut wie ausgeschlossen, jedenfalls liegen diesbezügliche einwandsfreie Beobachtungen nicht vor. Der von Dr. Below veröffentlichte Appell „die Strahlenpilzseuche beim amerikanischen Rindvieh“? erscheint durchaus unbegründet. Ebenso schwer wie eine natürliche Uebertragung der Aktinomykose von einem Individuum auf das andere zu Stande kommt, so schwierig ist es auch eine künstliche Uebertragung herbeizuführen. Die meisten derartigen Versuche verliefen negativ. Bollinger, Harz, Perroncito, denen das Hauptverdienst für die Auffindung des Strahlenpilzes als Krankheitserreger bei den Thieren zukommt, hatten es bereits versucht, Uebertragungen der Krankheit auf andere Thiere herbeizuführen. Sämmtliche Versuche waren jedoch erfolglos. Johne? gelang es zuerst durch Einspritzung von mit Wasser ver- riebenen Pilzmassen aus einem frischen Aktinomykom in die Subeutis von Kaninchen und Schafen, in die Bauchhöhle von 2 Kälbern und in das Euter einer Kuh dieselben Geschwülste zu erzeugen, wie sie bei der Aktino- mykose vorkommen. Auch Ponfick* konnte durch Uebertragung von Strahlenpilzeiter vom Rind auf 7 Kälber Aktinomykose erzeugen. J. Israel? vermochte durch peritoneale Impfung vom Menschen auf Kaninchen Strah- lenpilzgeschwülste hervorzurufen. Fütterungsversuche verliefen in allen Fällen negativ. Auch meine eigenen Uebertragungsversuche mit den kleinen Aktino- mycesknötchen von der Rinderzunge auf Meerschweinchen verliefen ebenfalls negativ. Bei den positiven Versuchen blieb die Geschwulst, welche durch die Impfung erzeugt wurde, local, die Parasiten verbreiteten sich nicht über die Impfstelle hinaus, man kann daher hier mehr von einer Implan- tation, als von einer Infeetion reden. Nur Wolf ist es gelungen, in einem \ Aerztliches Intelligenzblatt. 1884. Nr. 50. ? Berliner Neueste Nachrichten. 1898. Nr. 422. ® Deutsche Zeitschrift für Thiermedicin. 1881. 8. 141. * Die Aktinomykose des Menschen. 1882. ? Centralblatt für die medicinische Wissenschaft. 1883. 270 PREUSSE: Falle auch eine generalisirte Aktinomykose bei einem geimpften Thier zu erzeugen,! jedoch nicht mit natürlichem Material, sondern mit Reincultur. Dieser, in Gemeinschaft mit J. Israel, war der Erste, dem die Rein- züchtung des Strahlenpilzes auf künstlichem Nährboden gelungen ist.? Durch Uebertragung von Reinculturen in die Bauchhöhle konnten sie bei 18 Kaninchen und 3 Meerschweinchen nach 25 bis 35 Tagen haselnuss- grosse Tumoren erzeugen, welche die in den natürlichen Aktinomykomen vorkommenden Strahlenpilzdrusen enthielten. Von den genannten Forschern wird der unter .anaöroben Bedingungen besser als bei Luftzutritt und nur bei Körperwärme gedeihende Mikroorganismus zu der höher organisirten Gruppe der pleomorphen Bakterien gerechnet. Dieselben vermögen in ihrer Entwickelung einen weiteren Formenkreis durchzumachen. Die Züchtung gelang am besten auf Agar-Agar und in rohen und gekochten Eiern. Auf Agar entwickeln sich nach 3 bis 5 Tagen kleine knötchenförmige Colonieen, die selten zusammenfliessen, kuppenförmig abgedacht sind und einen aus- gebuchteten Rand besitzen, sie treiben in den Nährboden förmlich Wurzeln. Die Colonieen bestehen aus Pilzformen sehr verschiedener Gestalt. Anfangs sieht man nur kürzere, gerade oder gekrümmte, an den Enden oft knopf- förmig angeschwollene Stäbchen. Späterhin bemerkt man viele längere, einfache oder dichotomisch getheilte Fäden, ausserdem schraubenartige Formen und kokkenähnliche Gebilde. Diese Fäden sind besonders schön in den Eierculturen. Die kokkenartigen Elemente sind nach Wolf und Israel weder Kokken, noch Sporen, noch Evolutionsformen. Sie sind vielmehr als eine Entwickelungsstufe des Pilzes aufzufassen. Die in den natürlichen Geschwülsten vorkommenden Strahlenpilzdrusen werden in den Colonieen nicht beobachtet. Boström? hat bezüglich der Aetiologie der Aktino- mykose sehr eingehende Untersuchungen angestellt. Nach einer genauen Beschreibung der in den Aktinomykomen vorkommenden Pilze giebt er eine eingehende Schilderung seiner Culturversuche. Unter 16 Versuchen erhielt er 10 Mal Reinculturen. Nach Verreiben der Aktinomycesdrusen zwischen sterilen Glasplatten und Bestreichen der Gelatine- und Agarplatten wuchsen nach 5 bis 6 Tagen kleine, inmitten gelblich, am Rande grau- gefärbte Colonieen, welche aus längeren verzweigten Fäden zusammengesetzt erschienen. Auf erstarrtem Blutserum bildet sich bei 37°C. bereits nach 24 Stunden ein dünner, gallertiger, körniger Belag, der aus feinen ver- zweigten, glashellen Fäden besteht. Späterhin erhält die Cultur durch Auftreten weisser erhabener Pünktchen ein wie mit Kalk besprengtes Aus- \ Deutsche medieinische Wochenschrift. 1894. Nr. 9. ® Virchow’s Archiv. 1892 u. 1894. — Deutsche med. Zeitung. Bd. XI. Nr. 23. ° Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anatomie und allgem. Pathologie. Bd. IX. ZUR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. Zach sehen. In diesen sind mikroskopisch zahlreiche Kokken und Fäden zu be- obachten. Später confluiren diese Pünktchen und erhalten nuch etwa 14 Tagen im Centrum ein gelbliches, rothes oder ziegelrothes Aussehen. Von den Knötchen der Cultur geht ein feines Wurzelwerk in die Tiefe. Boström will auch in den Knötchen strahlige, den natürlichen Aktinomyces ähnliche Gebilde gesehen haben. Auch auf Glycerinagar, Gelatine und Kar- toffeln wächst der Strahlenpilz. Gelatine wird erst nach vielen Wochen verflüssigt. Der Pilz ist facultativ anaörob und wächst nur bei Körper- temperatur. Uebertragungsversuche der Oulturen auf Thiere waren stets erfolelos. Boström hält die in den natürlichen Aktinomycesdrusen vor- kommenden strahlenförmig angeordneten Kolben für Degenerationsformen des Pilzes, sie sind seiner Ansicht nach nichts anderes, als eine gallertige Entartung der Scheide der peripheren Fadenenden. Diesem vermag ich auf Grund meiner Untersuchungen nicht zuzustimmen, da man doch sonst in den jüngeren und jüngsten Aktinomycesherden, wie ich sie an der Zunge beschrieben habe, gewiss auch Pilzformen ohne diese Kolben finden würde, was aber nicht der Fall ist. Selbst die an Pflanzentheilchen sitzenden Pilzrasen haben bereits dieselben strahlig angeordneten, kolbenförmigen Fädchen. Ä Die botanische Stellung des Strahlenpilzes ist noch nicht sicher fest- gestellt. Er wurde bisher theils zu den Schimmelpilzen, theils zu den Spaltpilzen und speciell zur Cladothrixgruppe derselben gerechnet. Zweifel- los gehört er zu den pleomorphen Schizomyceten, wie dies schon sein Ver- halten in den Culturen beweist. Ob und inwieweit der Aktinomyces auch noch mit anderen, gleichfalls pleomorphen Spaltpilzen in Beziehung zu bringen ist, muss zur Zeit noch dahingestellt bleiben. In erster Linie käme hier der Tuberkelbacillus in Betracht. Auch dieser gehört nach den neueren Untersuchungen zu den pleomorphen Schizomyceten. Derselbe zeigt sich sowohl im Thierkörper als auch in der Cultur nicht immer in der von Koch beschriebenen Form. Bei niederen Temperaturen und auch auf sauren Nährböden wächst der Tuberkelbaeillus in Fadenform aus. Nach Semmer bilden sich an denselben kolbige und blasige An- schwellungen.! Gleiche Beobachtungen sind auch von Friebel, Coppen Jones und Lubinski gemacht worden.’ Es sind selbst den Aktinomycesdrusen ähnliche Wuchsformen im Thier- körper beobachtet worden. ® Coppen Jones hat fadenförmige Tuberkelbacillen auch häufig im ! Deutsche Zeitschrift für Thiermediein. Bd. XXI. 8. 212. ?® Centralblatt für Bakteriologie. ® Friedrich, Deutsche medicinische Wochenschrift. 1897. Nr. 41. 202 PREUSSE: Sputum beobachtet. Dieser und Friebel halten die Tuberkelbaeillen sogar für Uebergangsformen höherer saprophytischer Pilze. Andererseits sind auch an Pflanzen Mikroorganismen beobachtet worden, die sich mor- phologisch und tinctoriell wie die Tuberkelbaeillen verhielten.! Die Tuberkel- bacillen haben aber nicht nur hinsichtlich ihrer botanischen Stellung, sondern auch in ihrer Wirkung auf den Organismus viel Aehnlichkeit mit den Strahlenpilzen. Auch letztere verursachen die Bildung von Granulations- geschwülsten, die Neigung zum Zerfall zeigen. Ein wesentlicher Unterschied besteht nur darin, dass bei der Aktinomykose eine Miterkrankung der zu den betroffenen Organen gehörigen Lymphdrüsen in der Regel nicht vor- handen ist. Bei der Zungenaktinomykose habe ich sie nie gefunden. Es schliesst dies allerdings derartige Erkrankungen nicht aus, wie die in den subparotidealen und retropharyngealen Drüsen vorkommenden Aktinomykome dies beweisen. Von einigen Seiten wurde behauptet, dass aktinomykotisch erkrankte Thiere auch auf Tuberculin reagiren. Billroth nimmt eine solche Wirkung des Tuberculins als unzweifelhaft an, er will sogar Heilungs- vorgänge bei einem Aktinomykosefall in Folge Injection mit Tuberc. Kochii gesehen haben. Ich habe die thierärztliche Litteratur speciell bezüglich dieser Frage durchgesehen. In einigen Fällen sind zwar Reactionen bei aktinomyko- tischen, nicht tuberculösen Rindern beobachtet worden (Ujhelji, Kaiser. Gesundheitsamt, Hoffmann und Lüpke, Hess u. A.). Dies ist aber auch bei anderen Krankheiten vorgekommen (Bang). Andere wieder (z. B. Buch) haben eine Tuberculinreaetion bei Aktinomykose nicht gesehen. Ein näheres Verhältniss besteht demnach zwischen Aktinomyces und Tuberkelbaeillus nicht. Zum Schluss noch einige Worte über die Behandlung der Aktinomy- kose. Da, wo es angängig ist, ist die Dissection der Aktinomykome die rationellste und beste Behandlungsweise. Bei unvollständiger Operation sind allerdings Recidive nicht ausgeschlossen. Schmidt hat auf diese Weise im Jahre 1889 in der Elbinger Niederung 48 Thiere behandelt. Diese sind bis auf eine Kuh, bei der ein Recidiv auftrat, dadurch völlig geheilt worden. Von Medicamenten scheinen die Jodpräparate eine spe- eifische Wirkung auf die Aktinomykose auszuüben. Ueber Behandlung derselben mit Jod sind in der thierärztlichen Litteratur sehr zahlreiche Mittheilungen enthalten, die fast sämmtlich die günstige Wirkung dieses Präparates hervorheben. Dasselbe wird sowohl örtlich, als auch innerlich in der Form des Jodkali verabreicht. Zuerst wandte Thomassen? Jod ! Möller, Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1898. S. 100. ° Mittheilungen des Vereins der T'hierärzte in Oesterreich. 1886. ZuR LEHRE VON DER AKTINOMYKOSIS. 273 an. Ueber günstige Erfolge berichten sodann Klemm,! Nocard,? Sal-- mon.’ Esser‘ will keine besonderen Erfolge von der Jodbehandlung ge- sehen haben, auch Frick’? hat Misserfolge beobachtet. Letzterer macht auch auf die in neuerer Zeit von Schulze, Liphardt, Heine wieder an- gewendete Arsenbehandlungsmethode aufmerksam. Iterson berichtet auch über erfolgreiche Behandlung der Aktinomykose des Menschen mit Jodkali, Schliesslich möchte ich noch die erfolgreiche Behandlung eines mit Aktinomykose behafteten Menschen mit einem aus Staphylococcus her- gestellten Protein von Dr. Ziegler® und die bereits erwähnte, durch Billroth ausgeführte Tuberculinbehandlung erwähnen. I Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1889. S. 389. ? Societe centr. de med. veterin. 1892. ® Schweizer Archiv für Thierheilkunde. 1895. * Berliner thierärztliche Wochenschrift. 1889. 8. 307. 5 Deutsche thierärztliche Wochenschrift. 1896. 8. 407. ® Münchener medicinische Wochenschrift. 1892. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 18 Experimentelle Beiträge zur Physiologie des Kehlkopfes. Von A. Kuttner und J. Katzenstein in Berlin. Schaltet man bei Hunden ein- oder beiderseitig den M. crico-arytae- noideus posticus aus, so erhält man Kehlkopfbilder, die uns mit den zur Zeit herrschenden, auf Arbeiten von Krause! und Semon? begrün- deten Anschauungen über die Innervation des Kehlkopfes während der ruhigen Athmung in Widerspruch zu stehen scheinen. Beide Autoren haben auf Grund der Beobachtung, dass beim ruhig athmenden Menschen die gar keine oder nur geringfügige rhythmische Schwankungen zeigende Glottis eine grössere Weite zeigt als post mortem, zu gleicher Zeit, aber unabhängig von einander, die Lehre aufgestellt, dass während der ruhigen Athmung die Abductoren in Folge einer permanenten Innervation in dauernder Thätigkeit seien, während die Adductoren in vollkommener Un- thätigkeit verharren. In einer späteren Arbeit hat Semon’° diese Ansicht ausführlich zu begründen versucht. Er berichtet hier, dass er seine Be- obachtungen an 50 an die Manipulationen der Kehlkopfuntersuchung ge- wöhnten Individuen vorgenommen habe. Von diesen zeigten 8, i. e. 16 Proc., Schwankungen der Stimmlippen, die über je 2 wm hinausgingen, d.h. eine jedesmalige Glottisverengerung von wenigstens 4 "=, Bei 42 Individuen standen entweder die Stimmlippen ganz still oder die Schwankungen be- trugen weniger als je 2 ==. Semon hebt ausdrücklich hervor, dass das Prineip, das er aufstellte, nur für die ruhige Athmung beim Menschen begründet sei, beim Hunde lägen die Dinge anders, weil es hier auch bei ruhiger Athnung nie zu einem Stillstande der Stimmlippen kommt. Wir ! H.Krause, Experimentelle Untersuchungen und Studien über Contracturen der Stimmbandmuskeln. Virchow’s Archiv. 1884. Bd. XCVIII. Sep.-Abdr. 8. 37. ®: F.Semon, Compte rendu du congres period. internat. Copenhague 1884. ® F.Semon, On the position of the vocal cords in quiet respiration in man etc. Proceed. of the Royal Soc. 1890. Vol. XLVII. ee nn A. KuUTTNER UND J. KATZENSTEIN: EXPERIMENT. BEITRÄGE U.8.w. 25 geben diese thatsächliche Differenz zwischen Mensch und Hund ohne Weiteres zu, und doch glauben wir, dass das Princip der Innervation für beide das gleiche sei. Semon selbst giebt an, dass bei 16 Proc. seiner Fälle die Ausschläge der Stimmlippen mehr als je 2 =” betrugen, die Zahl derer, bei denen die Schwankungen geringer waren, ist nicht angegeben; aber man vergesse nicht, dass jede auch noch so geringe Schwan- kung das Prineip der gleichmässigen, permanenten Innervation der Abductoren bei vollkommener Unthätigkeit der Adduc- toren unterbricht. Hierdurch wird aber, und damit stimmt auch unsere eigene Erfahrung überein, das Gesetzmässige dieser Erscheinung so in Frage gestellt, dass es uns gerechtfertigt scheint, zu prüfen, ob nicht eine andere Deutung der während der Athmung zu beobachtenden Kehlkopf- bilder der Wahrheit näher kommt. Nun ist aber, wie Semon richtig angiebt, ausser der bereits discutirten nur noch eine einzige Möglichkeit vorhanden, und diese lautet dahin, dass bei der Athmung Abductoren wie Adductoren innervirt sind und dass das jedesmalige Kehlkopfbild das Resultat der einander beeinflussenden Wirkungen beider Muskelgruppen darstellt. Diese Auffassung, die nach unserer Meinung die einzig richtige ist und Geltung hat für Hund und Mensch, für die ruhige wie für die angestrengte Athmung, sucht Semon' durch sechs Argumente zu entkräften. Es will uns jedoch scheinen, als ob die Beweiskraft dieser keine entscheidende sei. Hier Semon’s Gründe und unsere Gegengründe. 1. Semon hält, im Gegensatz zu O. Rosenbach, die Gesammtmasse der Adductoren für stärker als die Abduetoren. Selbst wenn wir keinen Anstand nehmen, diese Frage im Sinne Semon’s zu beantworten, so ist damit für seinen Standpunkt nichts gewonnen, denn auch der schwächere Muskel kann eine notorisch grössere Arbeitsleistung zu Wege bringen, sobald seine Innervation entsprechend wächst. 2. Semon bestreitet, wieder im Gegensatz zu OÖ. Rosenbach, dass die Abduetoren und Adductoren sich so antagonistisch gegenüberständen, wie Beuger und Strecker der Extremitäten. Unseres Erachtens ist dieser Einwand von keiner wesentlichen Bedeutung für die vorliegende Frage. Jedenfalls bewegen doch die genannten Muskeleruppen die Stimmlippe in entgegengesetztem Sinne; ob es sich dabei um einen im anatomischen Sinne ganz präcisen Antagonismus handelt oder nicht, scheint uns belanglos. 3. Semon behauptet, dass, wenn die Annahme von der Innervation beider Muskelgruppen richtig wäre, bei der Lähmung der Adductoren eine Erweiterung der Stimmritze eintreten müsste. Da diese Erweiterung aber bei der functionellen Aphonie, wo es sich doch um eine Lähmung der ı A. 2.0. p. 427—429. 276 A. KUTTNER UND J. KATZENSTEIN: Adductoren handelt, nicht eintritt, so folgert er, dass die Adductoren während der ruhigen Athmung nicht innervirt seien. Diese Schlussfolgerung können wir nicht anerkennen, denn die Schädigung, die die Adductoren bei der functionellen Aphonie erfahren, beeinträchtigen nur die willkürliche Lautgebung, während, wie Semon! selbst erklärt, die Möglichkeit des vollständigen Grlottisschlusses auf reflectorische Reize hin in keiner Weise geschädigt ist. Es tritt also bei der functionellen Aphonie keine Erwei- terung der Glottis ein, weil für die Respirationsbewegungen der Stimm- lippen, die doch auch nur reflectorische Vorgänge darstellen, gar keine Beeinträchtigung der Adductoren stattgefunden hat. 4. und 5. Semon ist der Meinung, dass die grössere Vulnerabilität der Abductoren und die centralen Bedingungen der Innervation beider Muskelgruppen gegen das physiologische Uebergewicht der Verengerer über die Erweiterer sprechen. Unseres Erachtens kommt das physiologische Uebergewicht dieser oder jener Muskelgruppe für die Entscheidung dieser Frage ebenso wenig in Betracht, als das anatomische, denn nicht dieses, sondern die augenblicklichen Innervationsbedingungen sind es, die bald die Abductoren, bald die Adductoren zu stärkerer Leistung anregen. 6. Als letzten und gewichtigsten Grund gegen die Annahme von der Innervation beider Muskelgruppen führt Semon an: „Reizt man das peri- phere Ende des durchschnittenen N. recurrens, so wird das betreffende Stimmband gegen die Mittellinie hin geführt, d. h. die Adductoren über- wiegen die Abductoren, obgleich beide Muskelgruppen gleich stark gereizt wurden.“ — Diese Verhältnisse, die Semon hier nachahmt, liegen ja aber in Wirklichkeit gar nicht vor. Bei der Athmung werden ja eben die Nervenfäden, die zu Adductoren und den Abductoren gehen, gar nicht gleich stark erregt, sondern die einen stärker, die anderen schwächer und gerade aus diesem wechselvollen Gegeneinander der Kräfte, aus dem abwechselnden An- und Abschwellen des erregenden Reizes resul- tiren die verschiedenen Bilder, die wir während der wechselnden Zustände der Athmung im Kehlkopf beobachten. Gegen die Krause-Semon’sche Theorie, dass während der ruhigen Athmung beim Menschen die Abductoren in permanenter und gleich- mässiger Innervation, die Adductoren in vollkommener Unthätigkeit sich befinden, sprechen also zwei schwerwiegende Gründe: 1. Dasjenige Verhalten der Glottis, auf das sich die ganze Beweis- führung stützt — vollkommene Unbeweglichkeit der Stimmlippen —, wird auch unter den günstigsten Bedingungen nicht in so ununterbrochener Reihenfolge beobachtet, dass man darauf ein Prineip aufbauen könnte. " P.Heymann, Handbuch der Laryngologie. Bd.I. S. 716. EXPERIMENTELLE BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES KEHLKOPFES. 277 2. Die Gründe, die Semon gegen die zweite, allein noch in Betracht kommende Möglichkeit anführt, sind unseres Erachtens nicht stichhaltig. Wir können nun einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Respirationsbewegungen der Stimmlippen beim Menschen und beim Hund nicht finden. Wohl geben wir gerne zu, dass man beim wachen Hunde die Unbeweglichkeit der Stimmlippen, die man unter Anwendung von geeigneten Vorsichtsmaassregeln beim Menschen zwar nicht regelmässig, aber doch häufig beobachten kann und die nach unserem Dafürhalten nur einem Ausgleich der Kräfte zwischen beiden Muskelgruppen entspricht, nicht zu Gesicht bekommt. Aber man darf doch nicht vergessen, dass man es bei dem durch die Untersuchung verängstigten und aufgeregten Thier mit anderen Bedingungen zu thun hat, als bei einem Menschen, der an all’ die Manipulationen der Kehlkopfspiegelung gewöhnt ist. In der Narkose sieht man auch beim Hunde den Ausschlag der Respirationsbewe- gungen an den Stimmlippen geringer werden und gelegentlich ganz auf- hören, auch ohne dass es zu einer ganz tiefen Narkose kommt. Wir haben des Oefteren einen Versuch unterbrechen müssen, weil in einer Art von Eupnoö die Stimmlippen vollkommen oder nahezu vollkommen stillstanden. Deshalb glauben wir, dass die principiellen Bedingungen der Innervation während der Athmung beim Hund dieselben sind wie beim Menschen und dass der ganze Unterschied darin besteht, dass das Gleichgewicht beim Hunde ein labileres ist als beim Menschen. Demgemäss halten wir uns berechtigt, gewisse Ergebnisse unserer Thierversuche auf den Menschen zu übertragen, zumal da, wo patholo- gische Vorgänge diese Schlussfolgerungen bestätigen. Bei unseren Experi- menten haben wir den Hunden den M. posticus entweder von der Seite her nach Durchtrennung des unteren Pharynxconstrietors oder von unten her nach querer Durchschneidung der Trachea und Umklappen des Kehl- kopfes entfernt. Für den Entscheid der vorliegenden Fragen waren beide Methoden gleichwerthig. Bei jedem Versuche wurden die angegebenen Entfernungen und Bewegungsausschläge durch das graduirte Musehold’sche Vergrösserungsfernrohr gemessen. Durch den faradischen Strom und die Section wurde festgestellt, dass keinerlei Nebenverletzungen stattgefunden hatten und dass die zu entfernenden Theile einwandsfrei ausgeschaltet waren. Aus der grossen Zahl unserer Versuche seien folgende typische Protocolle gegeben, die sich in allen wesentlichen Punkten mit den übrigen decken. I. (Versuch 72.) Schwarzer Hofhund von 7®®, etwa 6 Monate alt. Narkose: Morph. (sube.) 0-075. Aether. Vor dem Beginne der Operation zeigt die Glottis bei ruhiger Athmung in ganz leichter Narkose eine Weite von 10”®. Die Stimmlippen machen nur ganz geringfügige Bewegungen, 1 bis 1-5” jederseits. 278 A. KUTTNER UND J. KATZENSTEIN: Es wird die Trachea freigelegt und dann zwischen 4. und 5. Tracheal- ring quer durchschnitten; das obere Ende der Trachea und der Kehlkopf werden von dem Oesophagus freipräparirt und nach oben umgeklappt. Jetzt wird der rechte Recurrens durchschnitten, sofort steht die rechte Stimmlippe in Schrägstellung mit freiem, scharfem Rande still, 1-6%® von der Mittel- . linie entfernt. Die linke Stimmlippe setzt mittlerweile ihre rhythmischen Respirationsbewegungen fort; sie kommt bei der Exspiration bis auf 1" an die Mittellinie heran und entfernt sich bei der Inspiration 4 bis 5 wu von derselben. Nunmehr wird der linke M. posticus abgetragen; auch jetzt. noch werden die rhythmischen Respirationsbewegungen fortgesetzt, aber die Stimmlippe wird auch bei tiefer Inspiration nicht weiter als 2-.8"= von der Mittellinie entfernt. Nun wird der rechte N. laryng. sup. durchschnitten; es rückt der ligamentöse Theil der Stimmlippe um 0-4"" nach aussen, der Aryknorpel bleibt an derselben Stelle. Die Glottis zeigt jetzt bei tiefen Inspirationen eine Weite von 4:7%®, Die rechte Stimmlippe, deren Zu- sammenhang mit beiden Nn. laryngei (inf. und sup.) gelöst ist, steht 1.9 wm von der Mittellinie ab, die linke wird bei tiefer Inspiration bis zu 2.8" nach aussen geführt und überschreitet damit die von der anderen Seite ge- gebene Cadaverstellung um fast 1m, Hr. Prof.H.Munk hatte die Freundlichkeit, diesen Befund zu bestätigen. Der Hund zeigte am 5. Tage nach der Operation dasselbe Bild. Die Athmung war in der Ruhe nicht dyspnoisch, wurde es aber bei jeder noch so geringen Anstrengung. Am 7. Tage nach der Operation erkrankte der Hund, am 10. Tage starb er. Die Section ergab als Todesursache eine doppelseitige Pneumonie; der linke Posticus war total entfernt. I. (Versuch 84.) Brauner Spitz, 7 bis 8 Jahre alt; 7.5'= schwer. Narkose: Morph. (sube.) 0:128%, Aether. Glottisweite bei ruhiger Athmung 10 ”"; Stimmlippenbewegungen normal. Linke N. laryng. sup. und inf. durchschnitten; die linke Stimmlippe steht still in Schrägstellung, 2%® von der Mittellinie entfernt. Rechter M. posticus von der Seite her freigelegt und herausgenommen; die rhythmischen Respirationsbewegungen dieser Seite bestehen fort, ihre Abduction aber ist wesentlich eingeschränkt. Bei ruhiger Athmung wird die rechte Stimmlippe während der Exspiration bis auf 0-5" an die Mittel- linie herangeführt, bei der Inspiration weicht sie um 1 bis 2” nach aussen, so dass sie bis oder nahezu bis in die von der anderen Seite gekenn- zeichnete Cadaverstellung tritt, dabei wird der ganze Aryknorpel wie eine Coulisse von innen nach aussen geschoben. Sobald aber die Athmung leb- hafter wird, wird die rechte Stimmlippe deutlich weiter nach aussen abdueirt, und zwar um reichlich !/,"®, so dass. die Entfernung von der rechten Stimmlippe bis zur Mittellinie jetzt grösser ist als die auf der anderen Seite. Es macht den Eindruck, als ob zu der früheren Seitwärtsschiebung des Ary- knorpels noch eine eigenartige Drehung oder Verschiebung im Ürico-Ary- taenoidgelenk hinzukäme. Hr. Prof. H. Munk hatte die Freundlichkeit, diese durch das graduirte Vergrösserungsfernrohr aufgenommene Beobachtung zu bestätigen. nn EXPERIMENTELLE BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES KsHLKoPpFres. 279 II. (Versuch 70.) Schwarzer Ziehhund, 10 bis 12 Jahre alt, 20 schwer. Narkose: Morph. (sube.) 0-12. Aether. Die Glottis zeigt im Beginn der Narkose eine Weite von 12 bis 14” bei ruhiger Athmung; die Stimmlippen bewegen sich normal. Die Trachea wird freigelegt, quer durchschnitten und in die Höhe geklappt. Beide Mm. postici werden freigelegt, quer durchschnitten und abgetragen. Darnach zeigt die Glottis bei ruhiger Athmung eine (In- spirations-)Weite von 4 bis 4.5"; bei tiefen Inspirationen erweitert sie sich bis auf 5%%. Bei jeder exspiratorischen Adduction, auch wenn die Athmung ganz ruhig ist, sieht man eine deutliche Contraction beider Mm. erico-thyreoidei. Die durchschnittene und nach oben geklappte Trachea wirkt dabei wie ein Schreibhebel und zeigt jede Contraction durch einen Stoss nach oben an. — Der Hund ist fast wach und macht Anstrengungen, sich seiner Fesseln zu entledigen. Die beiden Enden der Trachea werden ver- näht und die Hautwunde geschlossen, das Kehlkopfbild bleibt unverändert. 8 Stunden später. Der Hund ist zwar noch etwas schlaftrunken, sonst aber munter; folgt auf Anrufen durch’s Zimmer u. s. w. Die Respiration, in der Ruhe lautlos, 24 Mal in der Minute, wird bei Bewegungen schnell, dyspnoisch und tönend. Der Hund wird jetzt wieder aufgebunden und leicht ätherisirt. Die Athmung ist ruhig, die Glottis zeigt eine Weite von 4-5 wm, Die Stimmlippen zeigen nur geringfügige respiratorische Schwankungen; die Adductionsbewegungen erfolgen ziemlich energisch, leicht oseillirend; die Abduetionsbewegungen erfolgen etwas mühsam in 2 bis 3 Phasen; es macht den Eindruck, als ob der diese Arbeit verrichtende Muskel zu schwach wäre für seine Aufgabe. Um zu prüfen, ob die Operationsmethode, die von der Seite her den Zugang zu den Postiei eröffnet, einen Einfluss auf die Bewegungen der Stimmlippen ausübt, werden jetzt von beiden Seiten die Pharynxconstrietoren und die Fasceie durchschnitten, so dass die hintere Fläche des seiner Postiei beraubten Ringknorpels frei liegt. Die Stimmlippenbewegungen und die Glottisweite bleiben unverändert. Jetzt werden beiderseits die Nn. laryngei sup. und inf. eingeschlungen; alle vier Nerven lösen bei Reizung mit dem faradischen Strome (200 "" Rollenabstand) typische Muskelreactionen aus. Jetzt werden alle vier Nerven durehsehnitten, die Glottis zeigt nun eine Weite von 4%, d.h. sie ist 0-5 "m enger als die Inspirationsstellung bei ruhiger, und 1-0 "= enger als die Inspirationsstellung bei lebhafter Athmung nach Ausschaltung beider Mm, postiei. Hiernach wird der Hund durch Herzstich getödtet. Die Section zeigt, dass beide Mm. postiei mit ihren zugehörigen Nerven entfernt und ausserdem beide Nn. laryngei sup. und inf. durchschnitten sind. Aus diesen Protocollen geht hervor, dass nach Ausschaltung des M. posticus die betreffende Stimmlippe nahe an die Mittellinie herangeführt wird und dass die rhythmischen Respirationsbewegungen zwar erhalten bleiben, dass aber die Form der Bewegung und vor allem die Grenze der Abductionsmöglichkeit beeinträchtigt werden. Die Stellung, welche die ihres M. postieus beraubte Stimmlippe einnimmt, ist verschieden; gewöhn- lich steht dieselbe bei ruhiger Athmung in Schrägstellung ziemlich dicht 280 A. KUTTNER UND J. KATZENSTEIN: an der Mittellinie, etwa 1-0 bis 2.0" von derselben entfernt, d. h. innerhalb der Breite der sogenannten Cadaverstellung; das Maximum der bei tiefen Inspirationen erreichten Abductionsstellung pflegt aber über diese Position hinauszugehen. Die grösste Entfernung, die wir hier gemessen, betrug 3®®, meist entfernte sich jedoch die Stimmlippe nicht weiter als 2.5 bis 2.0 "m von der Mittellinie. Dieses ganze Verhalten erscheint uns mit der Lehre von der alleinigen und gleichmässigen Innervation der Abductoren unvereinbar. Bestände diese zu Recht, so müsste in dem Augenblicke, wo der M. posticus und mit diesem der einzige während der ruhigen Athmung innervirte Muskel aus- geschaltet wird, eine Art von Ruhestellung eintreten, wie sie nach dem Schwinden jeder Muskelinnervation aus den herrschenden Elasticitätsver- hältnisse allein resultirt. Das Bild aber, das sich uns und allen anderen Beobachtern nach der Posticusausschaltung darbot, sah ganz anders aus. Wohl rückt die Stimmlippe in dem Augenblicke, wo die Kraft des Abductors ausgeschaltet wird, nahe an die Mittellinie, sie rückt aber meist über die durch die Cadaverstellung gekennzeichnete, innervationslose Ruhestellung hinaus und dieses Plus kann nur eine Wirkung der Adductoren sein, ein Beweis, dass diese zur Zeit nicht unthätig sind. In dieser Stellung setzt sich das bekannte rhythmische Spiel der Respirationsbewegungen fort und auch das kann wieder nur unter Bethätigung der Adductoren erfolgen. Diese Beobachtungen am Hunde lehren uns — wir haben oben bereits auseinandergesetzt, aus welchen Gründen wir uns berechtigt glauben, diese Resultate auch auf den Menschen zu übertragen —, dass nicht nur die Abductoren, sondern auch die Adductoren während der ruhigen Athmung innervirt sind. Und zwar ist diese Innervation keine gleichmässige, sondern höchstens eine ausgleichende. Während der Inspiration erfahren die Er- weiterer einen Innervationszuwachs, während der Exspiration die Verengerer. In dem Augenblicke, wo die eine Muskelgruppe zu einer verstärkten Thätig- keit angeregt wird, giebt die andere nach, und durch dieses passive Zurück- weichen der einen wird der durch die active Kraft der anderen bedingte Ausschlag erhöht. Diesem experimentellen Ergebnisse entspricht die klinische Beobachtung bei denjenigen Fällen, die wir auch heute noch als einfache Posticus- lähmungen (ohne Contractur) aufzufassen gewöhnt sind. Auch bei diesen rückt die geschädigte Stimmlippe nahe an die Mittellinie, ihre Abductions- bewegungen werden erheblich eingeschränkt. Aber die rhythmischen Re- spirationsbewegungen werden auch bei ruhiger Athmung auf der kranken Seite mit derselben Regelmässigkeit — wenn auch nicht in derselben Breite — wie auf der gesunden Seite ausgeführt. Nun ist es ja in allen solchen Fällen gewiss recht schwer zu entscheiden, ob der Posticus nur geschwächt — EXPERIMENTELLE BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES KEHLKOPFES. 281 oder vollkommen gelähmt ist; aber der Umstand, dass die kranke Stimm- lippe die Athmungsbewegungen im selben Augenblicke aufnimmt, wie die gesunde, spricht doch recht lebhaft dafür, dass hier auch die Adduetoren nicht unthätig sind. In einer jüngst erschienenen Arbeit hat Grossmann zur Erklärung des nach Ausschaltung des Posticus erhaltenen Kehlkopfbildes dieselbe Annahme (an- und abschwellende Innervation der Adductoren) verwendet. | Er hat aber für diese seine Annahme, die doch den zur Zeit herrschenden | physiologischen Anschauungen widerspricht und die wir eben erst in längerer Auseinandersetzung zu begründen suchten, kein Wort des Beweises erbracht oder auch nur zu erbringen versucht. Aber die Hypothese, die er bringt, reicht in der von ihm gewählten Fassung zur Erklärung nicht aus. Er sagt (S. 208): „Es bleibt also für die Inspirationsbewegungen der Stimm- bänder nach totaler Lähmung der Abductoren wohl kaum noch eine andere Deutung übrig, als dass bei der Athmungsinnervation im Stadium der In- spiration zum Kehlkopfe Impulse abgegeben werden, welche nicht allein den Muskeltonus der Stimmritzenerweiterer erhöhen, sondern gleichzeitig auch ‚den der Adductoren herabsetzen. Ich sage, es bleibt kaum eine andere Deutung übrig, denn für ausgeschlossen kann ich es nicht halten, dass eine Combination von Herabsetzung und wohl auch Steigerung des Tonus in einzelnen Faserbündeln der vom „Adductorenast‘“ des N. recurrens ver- sorgten Muskeln jene Abductionsbewegungen hervorruft.“ Trotz der im letzten Satze enthaltenen Reservation ist Grossmann hier ein Fehler untergelaufen. Wenn die Auswärtsbewegungen im Stadium der Inspiration nur durch eine Herabsetzung des Adductorentonus erzielt werden sollen, dann würde das Maximum der nach Ausschaltung des Posticus noch - möglichen Auswärtsbewegung sich mit der nach Durchschneidung beider Kehl- kopfnerven gegebenen Cadaverstellung decken müssen. Denn hier ist jeder Adductorentonus vollkommen vernichtet und ein Nachlass über die voll- ständige Aufhebung hinaus ist undenkbar. Nun kann aber die ihres Postieus beraubte Stimmlippe über die Cadaverstellung, d. h. über die nach Ausschaltung beider Kehlkopfnerven eintretende Position hinaus, abdueirt werden und das ist nur möglich, wenn irgend eine active Kraft sie über diese, wenn wir sosagen dürfen, Gleichgewichtslage hinauszieht. - Grossmann hat nun, soviel aus seiner letzten Arbeit hervorgeht, die Posticus- ausschaltung mit der Recurrenslähmuhg verglichen; er giebt (S. 218) aus- drücklich zu, dass in dem ersteren Falle die Stimmlippe nach der Posticus- ausschaltung weiter nach aussen geführt werden kann, als der Stellung bei der Recurrenslähmung entspricht. Wie sich die Sache stellt, wenn zur Lähmung des N. laryng. inf. noch diejenige des Superior kommt, darüber hat er sich nicht ausdrücklich ausgelassen. Aber nach seinen wiederholentlichen 282 A. KuUTTNER UND J. KATZENSTEIN: Angaben, dass nach der Postieusausschaltung in der Abductionsfähigkeit der geschädigten Stimmlippe „ein auffallender Unterschied nicht zu sehen ist“ (8. 199), dass „die Stimmbänder mit jeder Inspiration so weit aus- einander gehen, dass man es kaum glauben würde, dass die Function der Stimmritzenerweiterer aufgehoben ist“ (S. 194) u.s. w., glauben wir, dass Grossmann unseren thatsächlichen Befunden nicht widersprechen wird. Zur Erklärung dieses Befundes genügt, wir wiederholen es, der Nachlass der Adductoreninnervation allein nicht; wir werden vielmehr mit logischer Nothwendigkeit zur Annahme einer hier in Wirksamkeit tretenden activen Kraft gedrängt.! Wo aber ist diese Kraft zu suchen? Einen Fingerzeig hierfür giebt uns die Beobachtung, dass im Augenblicke der Recurrensdurchschneidung jede Abductionsbewegung aufhört. Wir werden also hierdurch im Gegen- satze zu der Aeusserung von Grossmann? (S. 208), darauf hingewiesen, dass die nach Ausschaltung des Posticus übrig bleibenden, vom Recurrens versorgten Muskeln unter Umständen auch eine active abductorische Wir- kung auslösen können. Die Frage, ob das Amt, die Stimmritze zu Öffnen und offen zu halten, dem Posticus allein zukommt, steht schon lange auf der Tagesordnung. Einmal waren es teleologische Bedenken; man meinte, die fürsorgliche Mutter Natur würde diese lebenswichtige Function doch nicht einem einzigen Muskel anvertraut haben, ohne für den Nothfall irgend welchen Ersatz zu schaffen. Dann wurde im Laufe der Zeiten auf Grund anatomischer Betrachtung diese Rolle den verschiedensten Muskeln vindicirt. O. Rosenbach? ist der ! Noch ein zweiter Grund macht die Grossmann’sche Hypothese unwahrschein- lich. Wenn nach Ausschaltung des Posticus nur noch Adductoren übrig blieben, wenn diese Adductoren während jeder Exspiration kräftig innervirt würden und nur während der Inspiration einen Nachlass ihrer Innervation erfahren, ohne dass ihnen irgend welche active Kraft gegenübersteht, sollte man nicht glauben, dass es unter solchen Umständen gar bald zu einer immer zunehmenden Verkürzung in den Adductoren kommen müsste, deren endliches Resultat Stillstand in der Medianlinie sein müsste? Diese Folge tritt aber nicht ein — wir haben jetzt zwei Hunde mit einseitiger Posticusausschaltung 11 bis 12 Monate am Leben, ohne dass es zu einer Contractur gekommen wäre —, liegt es da nicht nahe, anzunehmen, dass irgend welche active Kraft dem hindernd entgegensteht? ® „Die Contractionen dieser Muskeln (Adductoren) werden aber zu einer Erweite- rung der Stimmritze sicherlich nicht beitragen. Da es sich um lauter Adductoren handelt, so können sie durch ihr func{ionelles Eingreifen ein Auseinandergehen der Stimmbänder wohl verhindern, aber nicht fördern. Zu einer Erweiterung der Stimm- ritze kann demnach diese Muskelgruppe nur dann beitragen, wenn sie ihre Function einstellt. Je vollständiger dies geschieht, um so ausgiebiger wird auch der abducirende Effect sein.“ ® O.Rosenbach, Zur Lehre von der doppelseitigen totalen Lähmung des Nervus laryngeus inferior. Breslauer ärztliche Zeitschrift. 1880. Nr.2 u. 3, EXPERIMENTELLE BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES KEHLKOPFES. 2853 Meinung, dass der M. crico-thyreoideus eine Erweiterung der Stimmritze bewirken könne. Neuerdings hat Jurasz,! wie er uns auf eine briefliche Anfrage freundlichst mittheilte, auf Grund einer Angabe von Merkel? die Ansicht ausgesprochen, dass auch der M. cerico-arytaenoideus lateralis ge- legentlich mit zur Abduction der Stimmlippe beizutragen im Stande sei, eine Ansicht, die bereits von Haller,? von Harless,“ später von v. Rühl- mann? und kürzlich wieder von J. Ewald‘ vertreten wurde. Alle diese Autoren stützen ihre Angaben auf rein anatomische Erwägungen und glauben, dass der Lateralis den Giessbeckenknorpel nicht nur zu drehen, sondern allein oder unter Beihülfe anderer Muskeln in toto nach vorn zu ziehen vermag, wodurch eine Erschlaffung der Stimmlippe und dadurch eine Er- weiterung der Glottis gegeben sei. Eine ähnliche Rolle wird endlich dem M. arytaenoideus transversus von verschiedenen Autoren zugeschrieben. Der Erste, der dieser Meinung Ausdruck gab, war Cruveilhier;” später wurde dieselbe von H. v. Meyer’ wieder aufgenommen und warb durch dessen vielgelesene und vielgeschätzte Arbeit zahlreiche Anhänger, unter denen sich auch J. R. Ewald? be- findet. Diese genannten Autoren sind der Ansicht, dass die an den late- ralen Kanten der Aryknorpel inserirenden Muskelfasern die beiden Knorpel, wenn sie einander genähert sind, so umzukippen vermögen, dass die Proc. musculares nach aussen rotirt werden. Longet!‘ und Rühlmann!! haben allerdings gegen diese Auffassung von der Wirksamkeit des M. transversus einige theoretische Bedenken erhoben, ein bündiger Beweis pro oder contra ! Jurasz, Discussion über den Vortrag von F. Klemperer: Ueber die Stellung der Stimmbänder nach Recurrens- und Posticusdurchschneidung. Münchener medice. Wochenschrift. 1898. 8. 904—905. ?2 Merkel, Anatomie ‚und Physiologie des Stimm- und Sprachorgans. Leipzig 1857. 8. 139. ® Haller, Zlement. physiol. T. Il. Lib. 9. p. 387. * Harless, Handwörterbuch der Physiologie von Wagner. München 1853. Bd. IV. 5 Rühlmann, Untersuchungen über das Zusammenwirken der Muskeln bei einigen häufiger vorkommenden Kehlkopfstellungen. Sitzungsber. der mathem.-naturwissensch. Classe d. Wiener Acad. Bd. LXIX. III. Abthlg. 8. 282. 6 J.R. Ewald, P. Heymann’s Handbuch der Laryngologie und Bhinologie. Wien 1896. Bd.I. S. 204—205. ” Cruveilhier, Anatomie descriptive. Paris 1834. T. Il. p. 672—673. ® H.v. Meyer, Die Wirkung der Stimmritzenmuskeln. Dies Archiv. 1889. Anat. Abthlg. S. 438. ® A.a.0. S. 205. 10 Longet, Recherches experimentales sur les fonctions des nerfs, des muscles du larynx ete. Gaz. med. de Paris. 1841. p. 471. aN9a02 13.285. 284 A. KuTTnER UND J. KATZENSTEIN: ist aber noch von keiner Seite erbracht worden. Von Interesse ist noch eine Beobachtung, über die H. Munk! berichtet. Derselbe beobachtete bei Pferden, die an acuten Krankheiten zu Grunde gingen und vorher niemals an „Kehlkopfpfeifen“ gelitten hatten, dass bei der Section „sogleich eine deutliche Atrophie und selbst Verfärbung des M. crico-arytaenoideus posticus und M. arytaenoideus transversus der linken Seite auffiel“. H. Munk ist der Meinung, dass es sich hier um anatomische Veränderungen handelte, die dem latenten Anfange der mit dem Namen „Kehlkopipfeifen“ belegten Erkrankung entsprachen, und es ist bemerkenswerth, dass die Degenerations- vorgänge sich im Posticus und im Transversus gleichzeitig entwickelt hatten. Trotz der, wie man sieht, recht zahlreichen Anläufe, die zur Lösung dieser Frage von den verschiedensten Seiten und zu den verschiedensten Zeiten unternommen wurden, ist man aber über das Stadium der Ver- muthungen und Wahrscheinlichkeiten nicht hinausgekommen, und das hat wohl seinen Grund darin, dass eine präcise Erledigung dieses Themas mit überaus grossen Schwierigkeiten verknüpft ist. Die Hauptschwierigkeit be- steht darin, dass beim Kehlkopfe eben Alles beweglich ist. Deshalb wird die jedesmalige Wirkung eines Muskels davon abhängen, ob und in welcher Weise sein Ursprung oder sein Ansatzpunkt fixirt ist, ob er allein oder gemeinschaftlich mit anderen Muskeln in Thätigkeit tritt, ob seine Wirk- samkeit durch dieses oder jenes Widerlager beeinflusst wird, und nur unter gleichen Bedingungen wird der gleiche Effect erzielt werden. Von diesem Gesichtspunkte aus wird man es verstehen, dass alle die theoretischen Er- wägungen über die Thätigkeit der genannten drei Muskeln nur einen theore- tischen Werth besitzen: gewiss, nach Grundlage ihres Ursprunges und ihres Ansatzes können sie die gemuthmaasste Wirkung hervorbringen — ob sie es wirklich thun, ist eine andere Frage, die bisher noch ganz und gar der Lösung harrt. Auch die anderen beiden Methoden, die sonst über die physiologische Wirkung eines Muskels schnell und sicher Auskunft geben, die elektrische Reizung und die Ausschaltung, sind hier schwer zu verwenden und können leicht die Quelle unangenehmer Irrthümer werden. Da kann man, ab- gesehen vom M. crico-thyreoideus, an keinen der eigentlichen Kehlkopf- muskeln heran, bevor man nicht das ganze Organ in bedenklicher Weise aus seiner natürlichen Lage und seinem. natürlichen Zusammenhange mit der Nachbarschaft gelöst hat. Ganz besonders complicirt wird aber die Deutung der Kehlkopfbilder während der Inspiration nach der Ausschaltung dieses oder jenes der genannten drei Muskeln. Denn, wie man sich er- ‘ H.Munk, Verhandlungen der physiolog. Gesellschaft zu Berlin. 1890—91. 19. December. Sep.-Abdr. S. 6. EXPERIMENTELLE BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES KEHLKOPFES. 285 innert, ist nach unserer Auffassung jede inspiratorische Abduction aus zwei Factoren zusammengesetzt: 1. aus der activen Thätigkeit der Erweiterer, 2. aus dem passiven Nachlasse der exspiratorischen Adduction; demgemäss muss der Ausfall jedes Adductors das Gesammtbild schon deshalb ver- ändern, weil er den Factor II beeinträchtist. Nun sind zweifellos die ge- nannten Muskeln bei der Adduction activ engagirt, ist nun der eine oder andere von ihnen ausserdem gar noch im Stande, als activer Erweiterer zu wirken, so wird jeder der beiden die Abduction bewirkenden Factoren beeinträchtigt, aber es wird schwer sein festzustellen, was auf Rechnung des einen, was auf Rechnung des anderen Factors kommt. Diese Schwierigkeiten, diese Veränderlichkeit aller Vorbedingungen waren Schuld daran, dass wir bei unseren immer und immer wiederholten Versuchen vielfach keine einwandsfreien und übereinstimmenden Resultate er- zielen konnten und dass die Veröffentlichung unserer Ergebnisse um Monate verzögert wurde. Dass der M. crico-thyreoideus einen wesentlichen Einfluss auf die Ab- duction ausüben könne, war von vornherein nicht recht wahrscheinlich, da nach Durchschneidung des Recurrens bei erhaltenem N. laryng. superior eine active Abduction der betreffenden Stimmlippe nicht mehr beobachtet wird. . Und doch haben wir hin und wieder Beobachtungen zu verzeichnen gehabt, die dafür sprechen, dass dieser Muskel unter Umständen, wenn auch nicht viel, so doch ein wenig zur Erweiterung der Stimmritze bei- tragen kann. So sahen wir einmal an einem frisch ausgeschnittenen, auf seiner Unterlage festgenagelten Kehlkopf bei faradischer Reizung der seit- lichen unteren Partieen des M. crieo-thyreoideus, dass unter Verlängerung des ganzen Kehlkopfes die betreffende Hälfte mitsammt der Stimmlippe nach aussen geführt wurde — also eine deutliche Abduction. In anderen Fällen, die wir zur Controle untersuchten, konnten wir diese Bewegung nicht wieder hervorrufen. Des ferneren sehen wir beim lebenden Hunde, wenn der rechte N. laryng. sup. bei Glottisschluss gereizt wurde, dass unter Schrägstellung und Streckung des ganzen Kehlkopfes die rechte Stimmlippe in der Mittellinie festgehalten wurde, während die linke deutlich ein wenig abducirt wurde. Bei Durchschneidung des N. laryngeus sup. konnten wir eine Veränderung in der Abduction nicht erkennen. Bei Reizung der seitlichen Partieen des M. arytaenoideus transversus sahen wir beim herausgeschnittenen Kehlkopfe die obere Umrandung des Kehlkopfes ein wenig nach aussen rücken, die Stimmlippe selbst wurde dabei aber adducirt. Die Reizung des Transversusastes beim lebenden Thiere gab immer nur Adduction; die Durchschneidung desselben liess auch durch das Vergrösserungsfernrohr eine Aenderung in der Abduction nicht erkennen, gleichgültig, ob der Posticus vorher entfernt war oder nicht. Die 286 A. KuUTTNER UND J. KATZENSTEIN: von Cruveilhier und H. v. Meyer gemuthmaasste Wirkung des Trans- versus konnten wir bisher praktisch nicht bestätigen. Deutlicher lässt sich der Antheil, den der M. crico-arytaenoideus late- ralis an der Abduction nimmt, demonstriren; zum Belege diene folgendes Protocoll. IV. (Versuch 87.) Schwarzer Hofhund, etwa 2 Jahre alt, 9%® schwer. Narkose: Morph. (sube.) 0-15 2%. Aether. Glottisöffnung bei ruhiger Athmung 12%”; Stimmlippenbewegungen normal. Beide Nn. laryngei super. werden freigelegt und angeschlungen; dann wird von der Seite her der rechte Postieus freigelegt und abgetragen. Darauf zeigt die Glottis bei ruhiger Athmung in der Inspiration eine Weite von 6.35%, und zwar beträgt die Entfernung der rechten Stimmlippe 2-2”, die der linken 4.1%®% von der Mittellinie. Die Durchschneidung beider Nn. laryng. sup. macht die Stimmlippen etwas schlaffer, lässt aber in dem Bewegungsmodus keinen Unterschied erkennen. Jetzt wird der linke Re- currens durchschnitten; sofort steht die linke Stimmlippe still (1.3”"” von der Mittellinie entfernt), die rechte wird nach wie vor bis auf 2.2" ab- dueirt, so dass im Augenblicke der Inspiration die Glottis 4” weit ist. Jetzt wird der rechte M. crico-arytaenoideus lateralis durchschnitten; sofort verengert sich die Glottis auf 3-2 "m; beide Stimmlippen stehen jetzt an- nähernd symmetrisch. Die rhythmischen Bewegungen der rechten Stimm- lippe sind minimal geworden, der Ausschlag beträgt etwa noch 0-5 W®. Bei Reizung des rechten Recurrens tritt die gleichseitige Stimmlippe bis dieht an die Mittellinie. Der Hund wird durch Herzstich getödtet. Bei der Section zeigt sich, dass der rechte Posticus ganz herausgenommen und der rechte Lateralis bis auf wenige Fasern durchschnitten ist. Beide Nn. laryngei sup. und der linke Recurrens durchtrennt. Die Ausschaltung des M. lateralis hat also in diesem wie in anderen Fällen die Adduction und die Abduction geschädigt — die Abduction, denn die Stimmlippe trat nicht mehr so weit nach aussen wie vorher, die Ad- duction, denn obgleich, mit Ausnahme der Mm. posticus, lateralis und crico- thyreoideus, noch alle anderen Muskeln in normaler Weise von ihren Nerven versorgt wurden, wurden die doch vorher noch recht lebhaften respirato- rischen Schwankungen im Augenblicke des Durchschneidens des M. lateralis sehr wesentlich abgeschwächt. Dass also hier der Factor II, d.h. die Aus- wärtsbewegung, die durch den Nachlass der exspiratorischen Abduction be- dingt ist, eine lebhafte Schädigung erfahren hat, ist zweifelsohne. Dass aber ausser diesem passiven noch ein activer Factor für die Abduetion vorhanden war, lehrte nicht nur die Logik der Thatsachen, die wir mit dem Millimeter- maasse constatirt hatten, sondern auch die ganze Art und Form der Ab- ductionsbewegung. Wenn man den Kehlkopf durch das Vergrösserungsglas beobachtete, so sah man unzweifelhaft, besonders bei tiefen Inspirationen, EXPERIMENTELLE BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES KEHLKOPFES. 287 dass die Abduction mühsam und schleppend in 2 bis 3 Phasen vor sich ging; es machte nicht den Eindruck, als ob es sich um ein glattes, passives Zurückweichen der Stimmlippe handelte, sondern als ob ein schwacher Muskel eine für seine Kraft allzu grosse Last schleppen müsste. — Die noch resti- renden Muskeln besassen offenbar unter dem Einflusse der Innervation bei der ruhigen Athmung nicht genügende Kraft, um die Stimmlippe in die Mittellinie zu ziehen, was bei Reizung des Recurrens prompt geschah. Auf Grund dieser Beobachtungen sind wir zu folgenden Resultaten gekommen: 1. Beim Menschen ebenso wie beim Hunde sind während der Athmung (bei der ruhigen wie bei der lebhaften) Adduetoren und Abductoren innervirt. Während der Inspiration wächst die Innervationsenergie der Abductoren, während der Exspiration diejenige der Adductoren. Die Bewegung, die durch die Zunahme der activen Kraft der einen Muskelgruppe ausgelöst wird, wird unterstützt durch den passiven Nachlass der Contraction der anderen Muskelgruppe. Alle Kehlkopfbilder, die wir bei der Athmung beobachten, von dem Stillstande der Stimmlippen bei ruhigster Athmung des Menschen bis zur krampfhaften tödtlichen Medianstellung, beruhen auf demselben Principe; die Verschiedenheit der Kehlkopfbilder wird nur be- wirkt durch die Verschiedenheit der Energie, mit der die eine oder andere Muskelgruppe zur Thätigkeit angeregt wird. 2. Ausser dem M. crico-arytaenoideus posticus können noch andere Muskeln eine active Abduction der Stimmlippe bewirken, als sicher müssen wir das annehmen vom M. crico-arytaenoideus lateralis; wahrscheinlich ist es, dass auch der M. arytaenoideus transversus und crico-thyreoideus zur Oeffnung und Offenhaltung der Stimmritze bezw. des Larynxeinganges bei- tragen. Ob diese Muskeln auch unter normalen Verhältnissen den Posticus unterstützen, oder ob sie nur als Reserve nach Schädigung des Haupt- erweiterers für diesen eintreten, müssen wir dahingestellt sein lassen. Möchte die vorliegende Arbeit ein geringes Zeichen der Dankbarkeit sein, die wir unserem hochverehrten Meister, Hrn. Prof. H. Munk, für die uns während unserer langjährigen Thätigkeit in seinem Institute stets in _ liebenswürdigster Weise erwiesene Theilnahme und Förderung entgegen- bringen. Ueber die Abhängiskeit des elektrischen Leitungswiderstandes der Bestandtheile des Thierkörpers von der Temperatur. Von J. Tereg in Hannover. Der Organismus des Menschen und der Thiere bietet häufig genug Gelegenheit für die Passage elektrischer Ströme, sei es unfreiwillig als ein Medium, durch welches die hochgespannte Elektricität der Atmosphäre sich in der Form des Blitzes ihren zerstörenden Weg bahnt, sei es als ein Ob- ject, auf welches man in wohlbedachter Absicht geregelte, nach Art und (Quantität bekannte Ströme einwirken lässt, um mit diesen gewisse Effecte bezw. Reactionen an den vitalen Substanzen zu erzielen. In jedem Falle findet sich, selbst bei sogen. unipolaren Wirkungen, je eine Eintritts- und eine Austrittsstelle für den Strom an der Peripherie des Körpers vor, zwischen welchen Punkten die Elektricität die Gewebe durchsetzt. Der genaue Weg der Strombahn im lebenden Organismus ist un- bekannt. Voraussichtlich wird es gelingen diese Lücke auszufüllen, und zwar dann, wenn die Gesetzmässigkeiten genauer ermittelt sein werden, die sich aus der gegenseitigen Beeinflussung des Stromes und der Einzelgewebe ergeben. Dem Bestreben, in einer bestimmten Beziehung diesem Ziele näher zu kommen, verdanken die nachstehenden Untersuchungen ihre Entstehung. Vor Mittheilung der eigentlichen - Untersuchungsresultate erscheinen jedoch noch einige weitere orientirende Bemerkungen am Platze. Bekanntlich erfolgt die Elektrieitätsbewegung in den Körpern, welche eine solche überhaupt gestatten, in zweierlei Weise, je nachdem sie aus Leitern erster oder zweiter Classe bestehen. Zu den ersteren zählen ausser der Kohle hauptsächlich die Metalle und ihre Legirungen. Die Leiter erster Classe ermöglichen den Ausgleich der ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss. w. 289 elektrischen Energie ohne materielle Aenderung ihrer eigenen Masse, wobei lediglich eine Erwärmung nach dem Joule’schen Gesetze erfolgt. Die Leiter der zweiten Classe vermögen eine Elektricitätsbewegung nur unter eigenartiger Verschiebung gewisser Theilchen ihrer Substanz zu ver- mitteln. Zu diesen Leitern gehören vorzugsweise die Salze in gelöstem und geschmolzenem Zustande, ferner die wässerigen Lösungen von sauren und basischen Substanzen. In solchen Leitern zweiter Classe oder Elektrolyten erfolgt bei einem stetigen, in einer bestimmten Richtung des elektrischen Stromes unter- haltenen Druckgefälle die Bewegung der Elektricität derart, dass von der Stelle des höheren Druckes (der höheren Spannung), d. h. von der positiven "Seite des Stromkreises nach der negativen Seite, bestimmte in der Lösung dissocüirt enthaltene Theile der Elektrolyte (die positiven Ionen) abgestossen werden und mit bestimmter Geschwindigkeit (der Wanderungsgeschwindig- keit der Ionen) nach dem Orte der geringeren elektrischen Spannung, unter gleichzeitiger Anziehung von dieser Stelle aus, hinwandern. Umgekehrt werden aber auch andere Gruppen von Ionen, der Richtung des elektrischen Stromes entgegengesetzt, von dem Orte der geringeren Spannung nach jenem höherer Spannung hingetrieben (die negativen Ionen), wobei ebenfalls eine anziehende Kraft der Eintrittsstelle des elektrischen Stromes mitwirkt. Da man nun diejenigen Leiter erster Classe, durch welche man die -Elektrieität in den Elektrolyten ein- und aus ihm heraustreten lässt, als Elektroden bezeichnet, und zwar den stromaufwärts für den Strom der posi- tiven Elektrieität gelegenen Leiter als Anode, den stromabwärts gelegenen als Kathode, so werden auch die Ionen, die Träger der Elektricität im feuchten Leiter, nach den Elektroden benannt, speciell nach derjenigen Elektrode, nach welcher sich die Ionen hin bewegen. Der negativen Elektrode, der Kathode, strömen demnach die Kationen, d. h. die mit positiver Elektrieität beladenen Dissoeiationsproducte der Elektrolyte (Wasserstoff, Metalle, basische Spalt- producte), der Anode die Anionen, d. h. die mit negativer elektrischer Spannung versehenen Dissociationsproducte (Halogene, Hydroxyle der Basen, Säurereste) zu. Ohne die weiteren an den Elektroden in Folge der Anhäufung der gleichnamigen Ionen vor sich gehenden Veränderungen und deren Con- - sequenzen (Polarisationsströme) zu berücksichtigen, wenden wir uns der Betrachtung des Weges zu, welchen die Ionen in einem aus homogenem Material bestehenden Leiter zweiter Classe zurücklegen. Hierbei ist zunächst die Art des elektrischen Stromes in’s Auge zu fassen. Bei den sogen. faradischen Strömen haben wir es im Wesentlichen mit inducirten Wechselströmen, ausgehend von den Elektroden der secundären Spirale eines Inductoriums zu thun, in welchen der Inductionsstrom bei der Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 19 2390 J. TEree: Unterbrechung des primären Stromkreises mit dem Hauptstrom gleich- gerichtet verläuft, bei der Schliessung des Hauptstromes dagegen diesem entgegengesetzt. Diese Art Ströme besitzen trotz ihres hohen elektrischen Potentials doch nur eine geringe Stromstärke und ihr bewegender Effect auf die Ionen eines Elektrolyten ist so gering, dass gerade derartige Ströme für solche Untersuchungen benutzt werden, bei denen Polarisationsströme wegen ihrer, z. B. bei Widerstandsmessungen. störenden Wirkung vermieden werden sollen. In dem Leiter zweiter Olasse befinden sich während der Einwirkung eines faradischen Stromes die Ionen in einer während der Stromesdauer anhaltenden Pendelbewegung zwischen den Elektroden. Da die Stromstärke an derjenigen Elektrode etwas überwiegt, von welcher der Oefinungsinductionsschlag ausgeht, so ist der Ausschlag dieser Pendelbewe- gung nach der einen Richtung etwas stärker als nach der andern. Es findet daher auch eine mässiee dauernde Verschiebung der Kationen nach der einen, der Anionen nach der anderen Elektrode hin statt. Die Wande- rung der Ionen gestaltet sich etwas ausgiebiger, wenn der Hauptstrom verstärkt wird. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, zu Widerstands- untersuchungen mit faradischen Strömen die Stromquelle möglichst schwach zu wählen. In Berührung mit contractilen bezw. nervenführenden lebenden Organen kommt natürlich die Reizwirkung noch in Betracht, die seitens dieser Stromart eine bedeutend heftigere ist, als sie ein constanter Strom verursacht, weil eben jede Aenderung in der Geschwindigkeit der Ionen, also jede Stromentstehung und Unterbrechung bezw. Verstärkung und Ver- minderung des Stromes auf das lebende Gewebe als Reiz wirkt. Schematisch übersichtlicher gestaltet sich die Stromvertheilung in homogenen feuchten Leitern, gleichviel ob es sich um eine einfache Lösung oder ein Lösungsgemisch von Elektrolyten handelt, wenn ein constanter Strom einen derartigen Leiter durchsetzt. Berücksichtigen wir unter Ignorirung der Grösse der Wanderungs- geschwindigkeit der Ionen die Richtung, in welcher sich dieselben bewegen, so kann man, wie F. Frankenhäuser ! auseinandersetzt, als feststehend erachten, dass zwischen denjenigen Theilen eines feuchten Leiters, welche die geradlinige Verbindung zwischen den beiden Elektroden bilden, sich die Ionen ebenfalls geradlinig und mit gleichmässiger, aber für die verschieden- artigen Ionen differirender Geschwindigkeit nach ihren Elektroden bewegen. Auf jedes Ion wirken anziehende und abstossende Kräfte, welche eine für jeden Punkt des Elektrodenabstandes veränderliche Intensität besitzen nüssen, da die elektrische Energie, gerade wie diejenige des Lichtäthers in Bezug auf die Leuchtkraft, sich umgekehrt proportional dem Quadrat der \ Die Leitung der Elektrieität im lebenden Gewebe. Berlin 1898. S. 35. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss.w. 291 Entfernung verhält. Für alle gleich weit von einer Elektrode befindlichen Punkte sind jedoch die vor den Elektroden ausgehenden elektrischen Wir- kungsintensitäten die gleichen, oder mit anderen Worten: diejenigen Punkte, welche von einer Elektrode gleich stark beeinflusst werden, bilden um diese Elektrode eine Kugelfläche, auf dem Durchschnitt eine Kreislinie. Denken wir uns die Elektroden einem umfangreichen feuchten Leiter, z. B. der Seitenfläche des Rumpfes vom Pferde anliegend, so wird jede Blektrode auf alle Ionen radiär anziehend bezw. abstossend wirken, und zwar desto stärker, je näher ihr die Ionen sind. Unter der Voraussetzung, dass der Thierkörper aus einer homogenen feuchten Masse besteht, welche ‚an allen Stellen dieselben Elektrolyte in gleicher Dichtigkeit besitzt, würde die Vertheilung der von den Elektroden ausgehenden Kräfte, der Kraft- linien, durch folgendes Schema dargestellt werden können (Fig. 1). Verfolgen wir nun den Weg, welchen die Ionen in Folge des Anstosses durch die elektrischen Kräfte erhalten, so ist klar, dass diejenigen Ionen, welche in der geradlinigen Verbindung der Mittelpunkte der Elektroden liegen, auch in dieser Richtung aneinander vorbei wandern werden. Denken wir uns ein Anion zwischen den Elektroden, so summirt sich die abstossende Kraft der Kathode mit der anziehenden der Anode Je mehr sich das Anion der Anode nähert, desto stärker wird die Anziehungskraft der Anode, desto schwächer die abstossende Wirkung der Kathode. Die Summe der treibenden Kräfte bleibt unverändert die gleiche, weshalb das Anion mit “ constanter Geschwindigkeit geradlinig nach der Anode wandert. Andere Verhältnisse greifen Platz für Anionen, welche ausserhalb der eben erwähnten Verbindungsgeraden der Elektroden gelegen sind. Nehmen wir an, ein Anion CZ liege gleichweit von beiden Elektroden entfernt, aber nicht auf der Verbindungsgeraden (Fig. 2). In diesem Falle werden sich die Kräfte beider Elektroden nicht ein- fach summiren, sondern die Anode sucht das Anion geradlinig an sich 19* 292 J. TEREG: heranzuziehen, die Kathode mit derselben Energie geradlinig von sich ab- zustossen. Da die Richtungsprojection der Kathodenabstossung ab und die Anodenanziehung an mit einander einen Winkel bilden und bei der Klein- heit der Ionen C/ ebenso weit von der Kathode als von der Anode entfernt anzunehmen ist, ab und an demnach als einander gleich angesehen werden müssen, ergiebt sich aus dem zugehörigen Kräfteparallelogramm als Rich- tung für die Bewegung des Anions C/ im Beginn des Stromes die Resul- tante a, für das Kation die Resultante Ak. Diese Resultante wird für die auf der Mittelstrecke m befindlichen Ionen in der Richtung nach / abnehmen, in der Richtung nach m, bei der Annäherung an die Verbindungsgerade der Elektroden, aber wachsen. Nun ist aber ferner zu berücksichtigen, dass die durch die ursprüng- liche Resultante angegebene Bewegungsrichtung in dem nächsten Zeit- differential eine Richtungsänderung erfahren wird, weil die von den Elek- troden her auf die Ionen wirkenden Kraftcomponenten nicht mehr einander sleich sind, sondern verschiedene Grössen angenommen haben. "Anion, „Nath.Abstoss f N - Tr | >> Beweg.res. AB r ‚Anod. Anzier. Gesetzt den Fall, das Anion C/ sei, wie Fig. 3 verdeutlicht, in dem ersten Zeitmoment um die Strecke m? in der ursprünglichen Richtung ge- wandert, so wird es nunmehr der Anode näher stehen als der Kathode. Die Anodenanziehung an‘ ist gewachsen, die Kathodenabstossung ab’ hat sich vermindert, die Resultante a’ erscheint ihrer Richtung nach der Anode zugeneigt und hat gleichzeitig an Grösse zugenommen. Das Gleiche gilt vice versa auch für die Resultante %’ des Kations Na. Verfolgt man nun den weiteren Weg der Ionen nach den Elektroden zu, so wird ersichtlich, dass die Krümmung nach der zugehörigen Elektrode hin fortgesetzt stärker wird und die Grösse der Resultirenden immer mehr zunimmt. Die nicht in der Verbindungsgeraden der Elektroden gelegenen Ionen werden demnach durch den constanten Strom aus ihrer Ruhelage in einer Bogenlinie mit stetig wachsender Geschwindigkeit den Elektroden zugeführt. Die Bahnen, welche die Ionen beschreiben, die Stromeurven oder die Strömungseurven, ähneln in ihrer Anordnung ausserordentlich dem Kraftliniensystem eines Magneten. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. S. w. 293 In Fig. 4 sind diese bogenförmigen Stromeurven der Ionen aus den ursprünglichen radiären Kraftlinien der Elektroden nach dem Verfahren von Frankenhäuser construirt. Man legt sich zunächst ein der Fig. 1 conformes, von den Elektroden radienförmig ausgehendes Netzwerk an und verbindet die in der Richtung der Diagonale der kleinen Vierecke liegenden Ecken durch die Curve der Resultanten. Diese bei genügender Kleinheit der Felder stetigen Curven- scharen entsprechen alsdann den Stromeurven in dem homogenen Leiter. Die in der Richtung der Verbindungslinie wirksamen extrapolaren Kräfte werden einfach durch geradlinige Verlängerung der Verbindungslinie dar- gestellt. Dass solche in der angedeuteten Richtung wirksam sein müssen, geht aus folgender Ueberlegung hervor: Denkt man sich ein extrapolares, in der Richtung der Elektrodenverbindungslinie gelegenes Anion CZ nahe der Kathode, so werden in der angedeuteten Richtung die abstossende Kraft der Kathode und die anziehende der Anode, da sie sich umgekehrt proportional dem Quadrate der Entfernung der Elektroden von dem Ion verhalten, eine höchst ungleichartige Wirkung auf dasselbe ausüben. Die abstossende Kraft der Kathode überwiegt bedeutend, weshalb das Anion, da eine seitlich wirkende, eine Deviation bedingende sonstige Kraft nicht vorhanden ist, sich in der Verlängerung der Verbindungslinie mit abnehmender Wan- derungsgeschwindigkeit entfernt. Es bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass der Thierkörper kein homo- - gener Leiter ist, sondern Elektrolyte und Nichtelektrolyte in verschiedener Dichtiekeit und Vertheilung enthält. Da nun jede Abweichung in der Be- schaffenheit des Leiters auf die Strombahn insofern von Einfluss sein wird, als die Stromfäden gerade so wie bei den Leitern der ersten Classe sich in den Bahnen des geringsten Widerstandes bewegen werden, so erscheint es nothwendige, um den thatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, die Widerstände der verschiedenen Gewebe empirisch zu bestimmen. 294 J. TEREG: Derartige Bestimmungen sind von verschiedenen Seiten an der Hand mannigfacher Methoden ausgeführt worden. Obwohl die bisher erhaltenen Untersuchungsresultate in Bezug: auf die absoluten Werthe erheblich differiren, so befinden wir uns doch über die relativen Widerstände thierischer Organe nicht ganz im Unklaren. K. Alt und K. E. F. Schmidt! benutzten zur Messung des Wider- standes möglichst lebensfrischer Organe Franklin’sche Ströme, wie sie die Holtz’sche Influenzmaschine liefert. Aus der Länge der Funken- strecken, welche die Maschine nach geeigneter Einschaltung der in Glas- röhren eingeschlossenen Gewebsmassen u. s. w. gab, erhielt man einen Anhalt zur Beurtheilung der Widerstände. Als Vergleichswiderstand wurde die Muskelsubstanz gewählt und W=1 gesetzt. Der Grösse der Wider- stände nach geordnet fulgen einander in aufsteigender Reihe nachstehende Mittelwerthe (meist von drei Präparaten derselben Gewebsart): Nerv vom Kaninchen 0-16, vom Frosch 0.18, Herz 0-86, Milz 0-96, Muskel 1-0, Blut 1-0, Haut 1-25, Leber 1-38, Gehirn 1-57, Lunge 2.5, Sehne 3.25, Fett 3-92, Muskelscheide 4-41, Knochen 14-1. Ausser der eben erwähnten Methode wurden auch constante und fara- dische Ströme zu Widerstandsbestimmungen verwendet. Beide Stromarten gestatten die Messung der Widerstände unter Benutzung einer geeigneten Brückencombination in dem allgemein acceptirten Einheitsmaass des elek- trischen Widerstandes, im Ohm (2).? Bei einem Vergleich der beiden letztgenannten Methoden fallen die mit dem constanten Strom gewonnenen Resultate dadurch auf, dass die z. B. an der Haut des Menschen gemessenen Widerstände ungleich höher sind als die bei Anwendung faradischer Ströme gefundenen. Ostwald® führt diese Differenz auf Polarisationsvorgänge zurück, welche namentlich an der Haut zu Stande kommen. Dieselbe fungirt als semipermeable Membran, die nur für gewisse Ionen durchlässig ist. Wird die Haut entfernt, dann nähert sich der Widerstand bei constantem Strom gemessen demjenigen, den man bei Benutzung faradischer Ströme erhält. Der relativ geringe Widerstand nach Entfernung der Haut zwingt zu dem Schluss, dass die Stromfäden wesentlich den Bahnen der circulirenden Flüssiekeiten folgen, die Gewebe dagegen weniger vom Strome durchsetzt werden. ! Pflüger’s Archiv. 1893. 8. 575. ® 10% ist gleich dem Widerstande eines Quccksilberfadens von 106-3 m Länge und 14mm Querschnitt bei 0° (oder einem Kuplerdraht von 63% Länge bei gleichem Querschnitt). Die ältere Siemens-Einheit (2) bezieht sich auf den Widerstand eines Quecksilberfadens von 100 ®® Länge. ® Zeitschrift für physikalische Chemie. Bd.VI. 8.71. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. 8. w. 295 Der Widerstand ist aber auch bei faradischen Wechselströmen variabel, in Abhängigkeit zunächst von der Elektrodengrösse. M. v. Frey! er- mittelte am lebenden Menschen mit abnehmender Grösse der Elektroden einen allerdings nur sehr allmählich zunehmenden Widerstand. In der Ellenbogenbeuge (von einem Arm zum anderen abgeleitet) constatirte er mit 100 4m orossen Hlektroden einen Widerstand von 350 Ohm, bei 50 am von 462 und bei 25 «m von 686 Ohm. Diese Unterschiede sind wahr- scheinlich auch durch eine wenn auch geringe Polarisation an der Haut bedingt,” welche bei verkleinerter Elektrodenfläche, proportional der zu- nehmenden Stromdichte, zunimmt.” Immerhin gehören die Zahlen in diesen Fällen noch ein und derselben Ordnung an. Viel erheblichere Differenzen ergeben Widerstandsmessungen mit dem constanten Strom. v. Frey vergleicht die an verschiedenen Stellen der Körperoberfläche bei symmetrischer Anordnung von 25 «m-Elektroden ge- fundenen Widerstandswerthe mit denen, welche Jolly mit 12-5 «"-Rlek- troden an den gleichnamigen Körperstellen, unter Anwendung des con- stanten Stromes, erhielt, wobei sich folgende Parallelwerthe herausstellten: v. Frey Jolly Hohlhande aan ERST 41300 & Handrücken: . lan. „ul. 595 304 000 Unterarm RR 705 375 000 Schläfenetus 22.000 sel 4589 92 500 Wanventes. 2.0... llan.2114:513 42 300 Oberschenkel . . . . ....829 275 000 Unterschenkel" 7» . ... 2.462 331 000 Hussrückene un ur 2.42 94l 236 000 iinsssonlenean 7 2201400 23 000 Ueber die Frage, welcher Methode bei Widerstandsbestimmungen der Vorzug einzuräumen ist, kann man nicht zweifelhaft sein. Es lässt sich nämlich nachweisen, dass die hohen von Jolly erzielten Werthe inconstant sind und von Nebenumständen abhängen, welche bei der Wechselstrom- methode vermieden werden. Dieser Beweis ist durch Versuche von F. Jolly° selbst, von Martius,® 1 Verhandlungen des Congresses für innere Mediein. 1891. Bd. X. 8. 377. ?® Selbst Wechselströme von !/;;g, Sec. Dauer gestatten bei Muskeln und Nerven den Nachweis schwacher polarisatorischer Wirkung (L. Hermann). ® Bei schwachen Strömen wächst die Polarisation proportional der Intensität. * Streckseite. 5 HKestschrift. Strassburg 1884. — Deutsche med. Wochenschrift. 1885. S. 545. 6 Deutsche med. Wochenschrift. 1887. S. 608. 296 J. TEREG: L. Hermann! u. A. erbracht. Die extremen Werthe in Jolly’s Versuchen schwankten zwischen 20000 bis 400 000 2, übereinstimmend mit den Re- sultaten G. Gärtner’s. Letzterer constatirte, dass der Anfangswiderstand mit der Zahl der Elemente abnimmt,? z. B. von 39000 & bei 4 Elementen auf 4200 2 bei 30 Elementen. Jolly hatte bereits die Beobachtung ge- macht, dass die Widerstände bei unveränderter Stärke der Stromquelle nach längerer Frist erheblich sinken, an den Schläfen von 160000 auf 50000 8. An der Fusssohle und der Hohlhand war die Widerstands- verminderung bei längerer Stromesdauer geringer (von 30000 auf 28 000). Als Ursache der Widerstandsabnahme bezeichnet Jolly die grössere Durch- feuchtung der an sich schlecht leitenden Epidermis,’ die erhöhte Gefäss- füllung der Cutis und die gesteigerte Drüsenthätigkeit. Die Widerstandsver- minderung erreicht jedoch in allen Fällen eine gewisse Grenze (absolutes Widerstandsminimum, Martius). Die Grenzwerthe, welche an den ver- schiedenen Körpertheilen immerhin noch verschieden und höher als die durchschnittlichen mit faradischen Strömen bestimmten Widerstände sind, wurden von Gärtner zu etwa 1300 ® festgestellt. Ist diese Grenze erreicht, so bringt eine fortgesetzte Steigerung der Stromstärke oder länger währende Durchströmung keine weitere Verminderung hervor. Eine neue, erhebliche Verminderung des Widerstandes erfolgt jedoch sofort, wenn die Epidermis entfernt wird. An der Streckseite des Unterarmes maass Jolly unter dieser Bedingung mit 4 1” grossen Elektroden 640 2, während bei intacter Haut der Widerstand 340 000 2 betragen hatte. Aber selbst nach Entfernung der gesammten Haut würden wir mit dem constanten Strom keine einheitlichen Werthe für die Widerstände der frei- gelegten Organe erhalten, da die Lagerung und der Zustand der Gewebe für die Widerstandsmessungen eine gewisse Rolle spielen. Bereits 1871 hatte L. Hermann nachgewiesen, dass der Widerstand des lebenden Muskels in der Querrichtung gemessen den Widerstand der Längsrichtung 4-4 bis 9.2 mal übertrifft. Bei der späteren Wiederholung der Versuche ® ergab z. B. der Sartorius vom Frosch 2928 ® Längswiderstand und 26575 $ Querwiderstand, also ein Verhältniss von 1: 9.07. Dieser Unterschied ver- schwand beim Absterben des Muskels. So zeigte ein wärmestarr gemachter und nachträglich abgekühlter Sartorius 3881 & Längswiderstand und 3906 F ı Pflüger’s Archiv. Bd. XLII. 8. 278. 2 Medicinisches Centralblatt. 1887. S. 235. ® An der Anode herrührend von der Elektrodenflüssigkeit, an der Kathode von der Flüssigkeit des Gewebes herstammend (W. Pascheles, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1895. Bd. XXXVI. S8. 101). * Pflüger’s Archw. 1871. Bd.V. 8. 223. 5 Ebenda. 1886. Bd. XXXIX. S. 490. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss. w. 297 Querwiderstand, ein gekochter Sartorius 2968 % Längswiderstand und 3090 2 Querwiderstand. Die Differenz der Widerstände des lebenden Muskels fand Hermann durch Polarisationsprocesse bedingt, deren Betrag auch dann, wenn der Widerstand nur in einer Richtung, aber bei verschieden langer Dauer des durch den Muskel geleiteten constanten Stromes gemessen wurde, varürte. Der Gesammtwiderstand nahm proportional der Schliessungs- dauer des Messstromes zu; unter Benutzung der Brückenmethode stieg der Widerstand bei Zuleitung vom natürlichen Längsschnitt („laterale“ Längs- durchströmung) in dem einen Fall! von 11012 2 nach 2 Min. auf 11908, nach 8 auf 13370, nach 14 auf 13981, nach 24 auf 14711 2%. Durch Umlegen der Wippe und Compensiren des Polarisationsstromes wurden die mit wachsender Zeit zunehmenden Antheile des Polarisationswiderstandes gemessen und aus diesen, sowie dem Gesammtwiderstand, der wahre Wider- stand berechnet und im vorliegenden Beispiel zu 9397 gefunden. Gegenüber den auf diese Weise berechneten „wahren“ Widerständen ergaben sich mit der Wechselstrommethode unter Benutzung des Telephons nach F. Kohlrausch Werthe, welche durchschnittlich Kleiner waren, aber derselben Ordnung angehörten. Der Grund, weshalb man am lebenden Muskel den wahren Widerstand selbst mit Wechselströmen noch nicht genau zu ermitteln im Stande ist, liest nach Hermann in der mit der An- wendung der Wechselströme verbundenen Erregung, welche den Wider- stand des Muskels herabsetzt. Bei nicht lebendem Körpergewebe fallen jedoch diese die Widerstands- messung beeinflussenden Umstände zum grössten Theil fort. Beim Muskel, um bei diesem am besten untersuchten Material zu bleiben, lässt sich durch Abtödten (Ueberführen in Starre) grösstentheils, durch Kochen die Polarisir- barkeit völlig beseitigen, so dass die Untersuchung mit dem constanten Strom annähernd oder genau dieselben Werthe ergiebt wie die mit Wechselströmen. Nun bleibt nur noch ein Umstand zu berücksichtigen, welcher eine Veränderlichkeit der Widerstände der Gewebsbestandtheile bedingt, nämlich die Temperatur. Auf Hermann’s Veranlassung untersuchte Fr. Boll? den Einfluss, welchen die Temperatur auf den Widerstand der Muskeln und Nerven ausübt, und fand derselbe, dass der Widerstand der erwähnten Organe durch Wärme vermindert und durch Kälte gesteigert wird, ganz im Gegensatz zu der Einwirkung der Temperatur auf die Leiter erster Classe. Berücksichtigen wir weiterhin, dass der einen lebenden Warmblüter durchsetzende elektrische Strom nicht auf Gewebe von Zimmertemperatur angewiesen ist, sondern auf solche von!durchschnittlich 37 bis 40°, so 1 Pflüger’s Archiv. 1888. Bd. XLII. S. 57. ® Imaug.- Dissert. Königsberg 1887. 298 J. TEREG: wird die Frage gerechtfertigt erscheinen, in welchem Verhältniss stehen die bei niederer Temperatur gemessenen Widerstände zu denen, welche bei höherer Temperatur zu erwarten sind? Der Analogie nach wird man wie für den Muskel und Nerven bei der Eigentemperatur des Körpers auch für andere Organe und Gewebstheile eine Widerstandsverminderung an- nehmen dürfen, aber man ist ohne Versuch nicht in der Lage, den Betrag dieser Verminderung zu ermessen. Aus diesem Grunde erschien es wünschenswerth, die Aenderung der Widerstände thierischer Organe und Flüssigkeiten mit der Temperatur inner- halb des Intervalls von Zimmertemperatur bis etwas über Körpertemperatur experimentell zu untersuchen. Zu diesem Zwecke benutzte ich ausschliesslich die F. Kohlrausch’- sche Methode und zwar in folgender Weise: 700 50 Fig.5. Telephonbrücke Zwei kleine Daniells (D, und D, in Fig. 5) mit einem inneren Wider- stande von 1 © standen mit der primären Rolle eines Kohlrausch’schen Induetoriums in Verbindung (Schlüssel im primären Stromkreis); von der secundären Rolle führten kurze Leitungsdrähte nach den Enden eines Brückenrheostaten, dessen gleiche Seitentheile « und d je 1000 © enthielten. In die weitere Verzweigung wurden von a ausgehend ein von 0-1 bis 5000 © enthaltender Rheostat A, in die von 5 ausgehende Leitung der zu bestimmende Widerstand W eingeschaltet. Die Stirnseite des Brücken- rheostaten (c) und die Verbindung zwischen #% und W (bei d) bildeten die Ausgangspunkte für die Telephonverbindung (Siemens-Telephon). Für die Widerstandsmessungen wählte ich zuförderst thierische Flüssig- keiten. Die jeweils auf ihren Widerstand zu untersuchende Flüssigkeit wurde in einem Paar communieirender Röhren so weit aufgeschichtet, dass ‚sie die mit Platinmoor überzogenen Platinelektroden von 2.8 m Diameter eben überdeckt. Das jedesmalige Quantum der Flüssiekeit, von Elektrode zu Elektrode reichend, entsprach in jedem einzelnen ‘ ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss. w. 299 Falle dem Volumen von 42.5 «=, Um die Temperatur der Flüssigkeit variiren zu können, wurde das Kohlrausch’sche Glasgefäss in ein Bad versenkt, dessen Inhalt aus verschieden temperirtem Wasser bestand. Die Durchwärmung der in dem Röhrensystem befindlichen Flüssigkeit ging leicht von statten, da die horizontale Verbindungsröhre des Widerstands- gefässes ein verhältnissmässig kleines Kaliber (1 “ Diameter) besass. Zur Ermittelung des Widerstandes von W fand nun in # so lange eine Ver- änderung der Stöpsel statt, bis das Telephon nach Schliessung des primären zuleitenden Stromkreises nicht mehr tönte oder wenigstens auf ein Ton- minimum eingestellt war. Da nun a:#=R:W, so ergab sich alsdann aus W=R —, da — =1, W= R.! Um die Versuche eventuell auch zur Ermittelung der Leitfähigkeit verwendbar zu machen, wurde auch die Wider- standscapacität 7 des benutzten Röhrensystems ermittelt, wozu wässerige Schwefelsäure von 30-4 Proc. (spec. Gewicht 1-224) diente. Bekanntlich ist „= WK. Aus der Gleichung X = 0.00006914 + 0-000 001 13 (£—18) ergab sich bei sommerlicher Zimmertemperatur =20 aus t—18=2 der Werth X=0:000 07140. Der Widerstand W für Schwefelsäure betrug im Mittel aus mehreren Bestimmungen 23 @, demnach ist = 23.0°000 0714 —=0:001 6422. Besitzt nun eine andere Flüssigkeit in dem gleichen Gefäss den Widerstand W’, so ist ihr speeifisches (auf Quecksilber von 0° be- zogenes) Leitungsvermögen k = = Der reciproke Werth dieser Grösse würde alsdann den speeifischen Leitungswiderstand der untersuchten Flüssig- keit darstellen. Da es sich jedoch in den vorliegenden Versuchen nicht um die Ermittelung absoluter Werthe handelte, sondern nur um die Festlegung von unter sich vergleichbaren Zahlen, benutzte ich zur Construction der- jenigen Curven, welche den Gang der Widerstandsänderung mit der Tempe- ratur graphisch darzustellen geeignet sind, die direct ermittelten relativen Leitungswiderstände. In den Curven beziehen sich die Ordinaten auf die Tem- peraturen, die Abseissen auf die dazu gehörigen Widerstände, und zwar ent- spricht in der Mehrzahl der Diagramme 1"" der Abseisse 10 Q, 1% der Ordinate 1°C. Einzelne Versuche, welche hier nicht weiter berücksichtigt worden sind, erstreckten sich nur auf Widerstandsmessungen an wechseln- den Substraten bei gleichen Temperaturen. In den meisten Untersuchungen controlirte ich die durch das Telephon festgestellten Werthe mittels eines Bellati’schen Elektrodynamometers, indem ich die von c und d (Fig. 5) ausgehenden Drähte mit einer einfachen ! Gelegentlich war es zweckmässig oder nothwendig, die Zweige a und 5 in bekanntem Verhältniss (meist 1:10) ungleich zu wählen, wonach selbstverständlich der alsdann von 1 differirende Quotient 2 mit in Rechnung gesetzt wurde. 300 J. TEREG: Wippe verband, aus welcher die sich kreuzenden Verbindungsstücke herausgenommen wurden. Diese Versuchsanordnung lässt sich aus Fig. 6 ersehen. Das Dynamometer wurde empirisch für Widerstandsbestimmungen geaicht, indem nach Bestimmung des Nullpunktes die Ausschläge bei be- kanntem und verschiedentlich variirtem W, dessen Werthe in der Nähe jener 9 Fıg.6. Telephonbrucke mit 5000 Ilectro d ynamometer der zu erwartenden Flüssigkeitswiderstände lagen, durch Interpolation er- mittelt wurden. Eine directe Ablesung des Ausschlages war wegen mangeln- der Astasirung des Instrumentes ausgeschlossen. Die Ablenkung um einen Scalentheil entsprach durchschnittlich einer Widerstandsänderung um 20 ®. Ich bemerke noch, dass besonders darauf geachtet wurde, in dem Widerstandsgefäss etwaige zwischen Elektrode und Flüssigkeit befindliche Luftblasen zu entfernen. Einzelne Aenderungen in der Methodik sollen bei Besprechung der nunmehr folgenden Messungsergebnisse Erwähnung finden. Widerstandsbestimmungen. A. Flüssigkeiten. I. Blutflüssigkeiten. 1. Defibrinirtes Blut. a) Vom Rind (Fig. 7). Specifisches Gewicht des defibrinirten Blutes frisch 1049, nach Ab- kühlung auf Zimmertemperatur 1051. Im DBrückenrheostat a = 100, 5 = 1000. In der hierunter befindlichen Zahlenreihe bedeuten die links- stehenden Ziffern die Temperatur des Wasserbades, in welches das Wider- ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. S. w. 301 | — Lee _ = —— IL lo — A 1010 | 5 - Wm.L10 KM 40° an 2220 } WEISEN 2800 3000 Fig.7. Defibrün. Rürderblut, —_ ee Ab m be nn A an = em mul leo — al standsgefäss versenkt wurde; die rechtsseitigen Ziffern entsprechen den Resultaten der Widerstandsmessung für die zugehörige Temperatur. Bestimmungen bis auf 10 Q genau. In der graphischen Darstellung des Verlaufes der Wider- standsänderung mit der Temperatur entspricht 1 der Abseisse 10 @. Mit A soll die Differenz der bei höchstem und niedrigstem Temperaturgrad gemessenen Widerstände bezeichnet werden. 4500 t W A 30° 3000 & 1010 35 2800 30 3450 35 2220 37-5 2120 s 40 1990 b) Vom Schwein (Fig. 8). Speeifisches Gewicht bei 34-2° 1055, bei 18° 1060. In dem Blut finden sich noch einige Fibrin- flocken vor. a=100, 5= 1000. Schweineblut t Ww IN : 20 4500 0 1300 55 25 4000 R 30 3650 S 35 3450 37-5 3330 . 40 3200 S 2. Blutserum vom Pferd (Fig. 9). Das Thier war nach vorhergegangener Chloroform- narkose durch Bruststich getödtet worden. Das in einem Glascylinder aufgefangene Blut wurde der Ge- rinnung überlassen und das nach 24 Stunden aus der % % 3% 302 J. TEREG: Placenta sanguinis ausgetretene Blutserum von bernsteingelber Farbe und einem specifischen Gewicht von 1024 bei 18° abgehebert. «= 100, b = 1000. 20° — t W A 950 | | N 20° 1670 © 550 Don 25 1500 3 Ban a N 1370 72 ee | | 7Mm -/0.22 35 1250 20 7250 ER 7500 Er Se) 1170 Fig. 9. Bhuserum vom Pferd 40 1120 3. Cruor sanguinis vom Pferd (Fig. 10). Nach der Entfernung des Serums von dem vorher erwähnten Blut- präparat durch Decantiren wurde der untere fast vollständig fibrinfreie breiige Abschnitt der Placenta sanguinis auf ein Filter gebracht.' Nachdem das Abtropfen von Flüssigkeit nach einigen Minuten aufgehört hatte, ge- langte der mittlere Theil der auf dem Filter befindlichen Masse zur Unter- suchung. Specifisches Gewicht 1088 bei 22°. Während bisher die Beob- achtungen bei steigender Temperatur stattgefunden hatten, schlug ich jetzt das umgekehrte Verfahren ein, d. h. ich brachte das Wasserbad sofort auf das beabsichtigte Temperaturmaximum und liess die Flüssigkeiten nach der jedesmaligen Widerstandsbestimmung bis auf das nächste Temperatur- intervall abkühlen. Der hohen Widerstandsziffern wegen sind die Abscissen um das 10fache verkürzt wiedergegeben, d.h. 1 mm Abseisse entspricht in Fig. 10 einem Widerstande von 100 ®. ea SI Be | | 416204 < Zt T Ta | # | |. [am=00.2 40° 1 u an: l L | | 13000 73700 14200, 14900 77000 79200 Fig.10. Cruor vom. Pferd. t W A 40° 13 000 © 6200 37-8 13 700 39 14 200 30 14 900 25 17 000 20 19 200 ! Eine Centrifuge stand mir nicht zur Verfügung. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss. w. 305 II. Speichelhaltige Flüssigkeiten. 1. Speichel vom Pferd (Fig. 11). »Speeifisches Gewicht 1003. Der Speichel war nach einer Pilocarpin- injection von einem an einer chirurgischen Krankheit leidenden Pferde secer- nirt und aufgefangen worden. Ansteigende Temperatur. 1 "m Abseisse = 10 0. Il 1900 1950 2000 710 2700 2200 ‚25 Fig.11. Speichel vom. Pferd. ? W N 20° 2700 © 800 25 2510 30 2200 3) 2000 31-5 1950 40 1900 2. Panseninhalt vom Rind (Fie. 12). Die zum grossen Theil ebenfalls aus Speichel bestehende, mit Trink- wasser und Pflanzensaft vermischte Flüssigkeit des Futterbreies des Pansens wurde von den gröberen Beimengungen durch ein Gazefilter getrennt und die grünliche Masse vom specifischen Gewicht 1013 bei 205° in das Widerstandsgefäss gebracht. t W JAN 20° 7 7 =B 20° 1250 © 400 A Aa 35 1150 . | Mes 30 1050 er 11100) 35 I40 an | nenn 37-5 900 le TEE EEE 40 850 Fig. 12. Panseninkalt vom Rind L 20° 25 30 3) 37-5 40 III. Gallenflüssigkeit. 1. Galle vom Rind (Fig. 13). Speeifisches Gewicht 1020 bei 18°. a = 100, 5 = 1000. W 1450 & 1320 1170 1070 1010 ITO A 480 Keimen] Nee] | or, L 5 . | 304 J. TEREG: 2. Galle vom Schwein (Fig. 14). Specifisches Gewicht 10275 bei 21-5°. In der stark fadenziehenden braunen Galle sind flockige Trübungen vorhanden. Absteigende Temperatur. o / N z 0 40° 1000 2 520 2 37.5 1050 I 35 1080 Eu 30 1180 2 I. | | j 25 1320 MORRNN jig.14. Galle vom Schwein. 20 1520 IV. Harn vom Pferd (Fig. 15). Der klare, von einem gesunden, reichlich mit Hafer gefütterten Pferd stammende Urin reagirte sauer und zeigte ein specifisches Gewicht von 1022 bei 19°. t W A | 20° 1520 0 470 25 1400 | 30 1270 A 35 1160 =; mo 7270 7400 7520 31.5 1120 Fig. 15. Harn von. Pferd 40 1050 Um den Einfluss zu ermitteln, welchen die Richtung der Temperatur- änderungen auf die Widerstandsbestimmungen ausübt, fand eine Wieder- holung der Beobachtungen bei absteigendem Temperaturverhältniss statt, mit folgendem Ergebniss: t Ww 40° 1050 & 37-5 1120 39 1160 30 1260 Der bei 30° gegenüber der ersten Reıhe nach den Originalnotizen vor- handene Fehlbetrag liest innerhalb der Fehlergrenzen des Verfahrens; es ist demnach zulässig, die betreffenden bei verschiedenem Gange der Tempe- raturänderungen gewonnenen Resultate unter sich zu vergleichen. v. Milchflüssigkeiten. 1. Kuhmilch (Vollmilch, Fig. 16). Mischmilch aus einer Molkerei. Specifisches Gewicht 1033 bei 22°. t 14 A| t &, 20° 3000 & 1200 SHE 2100 25 2600 | 37-5 1940 30 3350 | 40 1800 305 ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. S. W. Yopumobopy gu Pur ONE un 7 @anos 21 Dig 008% Yyorrumoy gu Dir Amy ap uoa 0887 001% OrbL 00SL 20 Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 306 J. TEREG: 2. Sahne (Fig. 17). Das specifische Gewicht war aräometrisch nicht zu bestimmen, da das Material bei Zimmertemperatur eine pastose Beschaffenheit besass. i W A 40° 4100 © 1450 37°5 4220 3) 4310 30 4800 25 5040 20 9990 3. Magermilch (Fig. 18). Specifisches Gewicht 1035 bei 22°. t W A 20% 3300 © 1160 25 2950 30 2700 3) 2500 37.5 2300 40 2140 4. Molke (Fie. 19). Speeifisches Gewicht 1025 bei 22°. Reaction sauer. Das specifische Gewicht der Molke variirt unter normalen Verhältnissen zwischen 1028 bis 1030. Ein specifisches Gewicht unter 1027 lässt den Schluss auf eine Ver- wässerung zu. 0 207 376 N | | 1m. 70.22 40 ET En | Be | | ul | | 71450 1520 1000 1700 1890 2150 Fig.19. Scawre Mo lke t Ww A 20° 2150 2 700 25 1590 30 1700 3) 1600 BYE) 1520 40 1450 ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. S. w. 307 > VI. Corpus vitreum vom Rind (Fig. 20). Das aus Augäpfeln frisch geschlachteter Rinder gewonnene Material zeigte bei 18° ein specifisches Gewicht von 1007. t W A on \ 40° STOR 430 950 | 37-5 920 i 35 950 ie | 35 0 430 30 1030 375° _ Mm. -70.2 25 1150 DE 20 = 20 1300 Fig. 20. Glaskörper vom. Rind Die bisher mitgetheilten Untersuchungsergebnisse lassen sich zur For- mulirung weiterer Schlüsse verwerthen, welche zunächst in umstehender Zu- sammenstellung als Tabelle wiedergegeben werden, wobei die Flüssigkeiten nach ihrem Widerstand bei 37.5° in aufsteigender Columne geordnet sind. Die jeder Reihe linksseitig beigegebene Ziffer bezieht sich auf die zugehörige Curvenfigur. Bezüglich der letzteren ist zu bemerken, dass die Curven der- jenigen Flüssigkeiten, welche eine lineare Widerstandsänderung bei wechseln- der Temperatur aufweisen, in vollkommenem Einklang mit den Zahlen der Tabelle stehen. Für die Pansenflüssigkeit z. B. ist für 1° Temperatur- unterschied eine Widerstandsänderung von 209 angegeben. Benutzen wir den bei 20° gefundenen Widerstand von 12502, um den bei 25° vor- handenen Widerstand zu berechnen, so finden wir 1250 — 5.20 = 1150. Dieselbe Zahl ergiebt die Curve Fig. 12 als den bei 25° gefundenen Werth. Zu denjenigen Flüssigkeiten, deren Widerstandscurve sich mit der Temperatur — immer natürlich innerhalb des untersuchten Intervalls von 20 bis 40° — linear ändert, zählen die Pansenflüssigkeit, die Rindergalle, der Pferdeharn, das Pferdeserum, die Kuhmilch, das defibrinirte Rinderblut, die Magermilch und die Sahne. Die übrigen Substanzen (Glaskörper, Schweinegalle, saure Molke, Pferde- speichel, defibrinirtes Schweineblut, Cruor vom Pferd) weisen Curven auf, welche sämmtlich von der Verbindungsgeraden zwischen Anfangs- und End- punkt der Curve nach links gewendet liegen. Diese Abweichung der Curve - bedingt einen Fehler derjenigen Werthe, welche in der Tabelle von Co- lumne 2 bis 6 für die concaven Curven angegeben sind, da sich die Werthe nur auf die Verbindungsgerade beziehen. Die Grösse des Fehlers lässt sich für jeden Curvenpunkt berechnen. Für die Schweinegalle (Fig. 14) z. B. ist in Columne 4 die Widerstandsänderung pro 1° zu 26 © angegeben. Daraus würde sich gegenüber dem Widerstand bei 20° für den zu 25° ge- hörigen Curvenpunkt eine Widerstandsabnahme um 26.5 = 130.2 ergeben, 20* J. TEREG 308 1 2 3 5 6 7 Lineare Widerstand aderstendss ent 3 nee one Widerstände ai luns der Sal au änderung pro | Abkühlung in ee bei 375° © ezlans: Bro gentemla> 1° Temveratur- | Procenten des Bemerkungen curve zwischen | Widerstandes emp Aiderstandes Sr 40 bis 20° von 40° Differenz nmunsai400 War 20° Proc. Q Proc. 12. Panseninhalt 900 2 an 68-0 20-0 2-35 131. 10-8 Linear 20. Glaskörper 920 En) 67:0 21-5 2-47 126.108 Concav 13. Rindergalle 1010, a hl 66-8 24-0 2.48 113.108 Linear 14. Schweinegalle 1050 Ze) 65-8 26-0 2-60 108. 10-8 Concav 15. Pferdeharn 1120 ‚ SE 69-0 23+5 2.24 108 . 10-8 Linear 9. Pferdeserum UNN0E> Be 67:0 27-5 2-45 98.108 55 19. Saure Molke 152055 Beh 67-5 35.0 2-41 AO Concav 16. Kuhmilch 1940 „ Be) 60-0 60-0 3:33 55.108 Linear 11. Pferdespeichel 1950 „ ne) 70-4 40-0 2.10 8103 Concav-linear 7. Defibrin. Rinderblut 2120 „ = 1, Y 66:83 50°5 2-53 55.10-8 Linear 18. Magermilch 2300 „ Be 67:0 58-0 2-71 50.108 re 8. Defibr. Schweineblut 3330 „, Beh 64-0 65.0 2-15 37.108 Concav 17. Sahne 4220 , ae 14.0 72-5 1:77 30.108 Linear 20. Cruor vom Pferd 13700 „ Be N) 67-7 310-0 2.34 9,10—8 Convex-linear ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss. w. 309 d. h. 1520 — 130 = 1390 ©. In Wirklichkeit beträgt aber der bei 25" gefundene Widerstand nur 1320. Der berechnete Widerstand ist dem- nach gegen den gefundenen um 70% oder um 5-3 Proc. zu gross. In einem anderen Falle, für die Molke (Fig. 19), berechnen wir für 25° aus der Tabelle einen Widerstand von 1975. Gefunden wurde 1890 0, also haben wir für diesen Curvenpunkt einen um 4-5 Proc. zu grossen Werth berechnet. Da in beiden angeführten Beispielen die betreffenden Punkte nur wenig: von dem Maximum der Deviation der Curve liegen, so lässt sich der Fehler für das mittlere Curvendrittel auf rund 5 Proc. in Ansatz bringen. Es sind demnach auch die berechneten Zahlen der Tabelle für die gekrümmt verlaufenden Curven verwendbar. Andererseits lassen sich auch, in einzelnen Fällen wenigstens, die direct erhaltenen Werthe verificiren durch Vergleich mit inzwischen bekannt ge- wordenen Daten. So ermittelten St. Bugarszky und F. Tangl! für die specifische Leitfähigkeit des Pferdeblutplasmas bei 18° Werthe, welche, auf 2 bezogen, von 96.7.1038 bis 99.1.10-® bei den 3 Versuchsthieren varlirten.? Corrigirt man an der Hand des in der vorstehenden Tabelle für Pferde- serum enthaltenen Temperaturfactors 2-45, den von mir gefundenen Werth für das speeifische Leitvermögen des Serums, so erhält man, da mit der Temperaturabnahme das Leitvermögen sich ebenfalls verringert, den für 18° corrigirten Werth 93.108. Dies Leitvermögen bezieht sich aber auf die Widerstandseinheit &, während sich die Zahlen der ungarischen Forscher auf 2 beziehen. Da @ >>, so ist die Zahl 98.103 im Vergleich zu den oben erwähnten Ziffern in dem Verhältniss 106-3:100 zu klein. Nach Ausführung dieser erneuten Correctur ergiebt sich als vergleichbarer Werth für das untersuchte Serum 98°8.10-®. Immerhin bleibt noch zu berück- sichtigen, dass Plasma und Serum Unterschiede im Eiweissgehalt bieten. Ersteres enthält mehr Eiweiss als das letztere. Nach weiteren Beobachtungen der oben erwähnten Autoren verringert das Eiweiss die Leitfähigkeit, und zwar setzt je 1®’® Eiweiss in 100° Serum das Leitungsvermögen um 2.5 Proc. herab. Da Bugarszky und Tang] Flüssigkeiten untersuchten, welche eiweissreicher waren als Serum, müsste, das Plus an Eiweiss im Plasma zu 05 Proc. gerechnet, dem Serumquantum von 42-5‘ noch 0.2180 Eiweiss zugezählt werden, dessen Rinfluss auf die Verringerung - des Leitvermögens mit 0-5 zu beziffern wäre. Hiernach würde die Cor- rection von Serum auf Plasma den Werth 98-3.10-® ergeben, welcher durchaus innerhalb der von Bugarszky und Tangl ermittelten Grenzen liest. Wir sind aber zur Gewinnung von Vergleichsdaten nicht einmal auf ı Centralblatt für Physiologie. 1897. Bd. XI. S. 297. ” Das Plasma vom Hund (8 Versuchsthiere) ergab die Grenzwerthe 100-1. 10-8 bis 106-2.10-8, das von der Katze (2 Versuchsthiere) 118.10-8 und 122.10-8, 310 J. TEREG: die letzte Correction angewiesen, weil das Serum von Pferden im normalen Zustand und nach ihrer Immunisirung gegen Diphtherie von F. v. Szontagh und O0. Wellmann! auf seine Leitfähigkeit einer vergleichenden Unter- suchung unterzogen worden ist. Die Leitfähigkeit (A,, bez. auf 2) des Serums von 10 nicht immunisirten. Pferden schwankte zwischen 93.34. 10-8 (specifisches Gewicht des Serums 1029) und 98-39.10-3 (specifisches Ge- wicht 1025). Berücksichtigen wir das geringe specifische Gewicht des von mir untersuchten Serums (1024), welches noch unter dem Minimum der Sera von Bugarszky und Tangl gelegen ist und auf einen verminderten Eiweissgehalt hinweist, so wird auch in dieser Beziehung der Anschluss des corrigirten Werthes 988.10 an die von anderer Seite gefundenen Zahlen evident. In sinngemässer Uebereinstimmung hiermit stehen die beachtens- werthen, von v. Szontagh und Wellmann eruirten Thatsachen von dem Connex des zunehmenden Hiweissgehalts bei vorschreitender Diphtherie- immunität und der Abnahme der Leitfähigkeit. Ein Pferd lieferte vor Be- ginn der Immunisirung ein Serum mit dem speeifischen Gewicht 1027 und folgenden Constanten: 1. Gefrierpunktserniedrigung in Graden Cels.” = 0.584; 2. Eiweissgehalt (N x 6°25) = 7-407; 3. beobachtete specifische elektrische Leitfähigkeit in Siemens-Einheiten bei 18° multiplieirt mit 10°, im Be- trage von 97-71. Die angeführten Werthe wiesen nach 24tägiger, bezw. Tötägiger Immunisirung nachstehende Veränderungen auf: je 2. 3. 0.564 7.681 94-74 0.551 7.740 92-49. Weitere Veranlassung zu Erläuterungen bietet der Blutkörperchenbrei des Pferdeblutes (Fig. 20). Die Curve zeichnet sich vor allen übrigen durch eine Unstetigkeit bei der Temperatur von 30° aus. Bis dahin verläuft die Curve von 40° beginnend flach convex, von 30 bis 20° genau linear. Eine Handhabe zur Erklärung dieser Eigenthümlichkeit findet sich gleichfalls in der Arbeit von Bugarszky und Tangl. Bei der Bestimmung der Leit- fähigkeit des mit Kaliumoxalat ungerinnbar gemachten Blutes vom Pferd, Hund und Katze wurde constatirt, dass die Leitfähigkeit des Blutes sich während der Bestimmung derselben fortwährend ändert und besonders beim 1 Deutsche medicinische Wochenschrift. 1898. Nr. 27. 8.422. ® Die Feststellung der Beziehungen zwischen dem osmotischen Druck (durch Ermittelung der Gefrierpunktserniedrigung) des Serums und seiner Leitfähigkeit führte Bugarszky und Tangl (Centralblatt für Physiologie. 1897. Bd. XI. 8.301) auf Untersuchungen über die molecularen Concentrationsverhältnisse des Blutserums. In der Gefrierpunktserniedrigung hatte man ein Maass für die Gesammt-Molen (Gramm- moleculargewicht), in der elektrischen Leitfähigkeit ein Maass für den Gehalt an an- organischen Molen. Die Differenz ergab die Zahl für die organischen Molen. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U.8.w. 5311 Pferdeblute sehr rasch zunimmt. Als die genannten Autoren die Leitfähigkeit der sedimentirten Blutkörperchenschicht feststellten, erwies sich diese als er- heblich geringer als diejenige des Blutes. Die durchschnittlich geringere Leit- fähigkeit des Blutes gegenüber derjenigen des Plasmas musste demnach durch die Gegenwart der Blutkörperchen bedingt sein. Diese Ermittelungen legten den Gedanken nahe, dass das Verhältniss zwischen den Leitfähigkeiten des Blutes und des Plasmas eine Function der Zahl, bezw. des relativen Volumens der Blutkörperchen sei, mithin diese Function zur Bestimmung des relativen Volumens der Blutkörperchen benutzt werden könne, eine Idee, deren praktische Verwirklichung für den genannten Zweck mit gutem Erfolge sofort in Angriff genommen wurde. Im Laufe der diesbezüglichen Untersuchungen centrifugirten Bugarszky und Tangl das Oxalatblut und bestimmten von Zeit zu Zeit die elektrische Leitfähigkeit der untersten Blutschicht. Hierbei wurde die Leitfähigkeit immer geringer, bis sie schliesslich nach einer gewissen Dauer des Centri- fugirens constant blieb. Diese Constanz trat beim Pferde- und Katzenblute in etwa 4 bis 8 Stunden ein, während sie beim Hundeblute erst nach etwa 48stündigem Centrifugiren erreicht wurde. Die auf dem beschriebenen Wege erlangten Constanten für die Leitfähigkeit der plasmafreien Blut- körperchen bewegten sich für den „gereinigten“ Cruor von Pferden zwischen 1:53.10-8 und 2-3.10-3.1 Hiervon weicht die von mir gefundene Zahl für Agooo so weit ab, dass auch eine Correctur für Aısos hieran wenig ändern würde. Dieses Ergebniss war auch von vornherein zu erwarten, da es keinenfalls gelingen konnte, durch Filtriren? das Serum völlig zu ent- fernen. Da nun die Widerstandsbestimmungen bei abnehmender Temperatur erfolgen, die Blutkörperchen aber bei Ausschluss der Öoncurrenz von Ge- rinnungsvorgängen®? in höherer Temperatur rascher sedimentiren werden als bei Zimmertemperatur, so lässt sich ein derartiger Vorgang im Anfang der Bestimmung auch im vorliegenden Fall voraussetzen. Das dichtere Blut- körperchensediment lagerte sich in dem Horizontalrohr des Widerstands- sefässes ab, die Passage für den elektrischen Strom wird erschwert, während vor der Sedimentirung die Möglichkeit geboten war, die leichter leitenden Serumbahnen in ausgiebigerer Weise zu benutzen. Der lineare Theil der Curve würde sich somit vorwiegend auf den eigentlichen Blutkörperchen- _ widerstand beziehen. Diese Vermuthung lässt sich durch Vermittelung der ! Die Werthe für den Cruor je eines Hundes betrugen 1-6.10-8 und 2-04.1078; Katze (1 Versuchsthier) 2-07.10-8. ? Selbst durch Absaugen im Thonfilter gelang es Bugarszky und Tangl nicht, das Plasma so vollständig vom Serum zu befreien, dass eine Constanz der Leitfähig- keit erzielt wurde. ® E,Biernacki, Zeitschrift für physiologische Chemie. 1894. Bd. XIX. H.2. 312 J. TEREG: Curvengleichung controliren. Die Gleichung für das Serum des Pferdes lautet z= ?/,,y. Berechnen wir den linearen Theil der Ourvengleichung für den Cruor, so finden wir 2='/,,y. Betrachten wir auch den ersten Curvenabschnitt als linear, so erhält man hierfür = !/,,y, ein Werth, welcher sich dem Ansteigungsverhältniss der Serumgleichung viel mehr nähert als der Betrag des zweiten Curvenabschnittes. Bezüglich des Harns ist eine Mittheilung von Bugarszky! zu berück- sichtigen, wonach der Temperaturcoöfficient des Harns zu 0°02 ermittelt wurde, d. h. 1° Temperaturzuwachs erhöht die Leitfähigkeit um durch- schnittlich 2 Proc. Demnach ist die Leitfähigkeit bei 18° A,,, wenn der Temperatur 2 die Leitfähigkeit A, entspricht, %,, = X — 0-02.(£—18)},. Da die in der Tabelle (S. 308) Columne 5 angegebenen Zahlen den Temperatur- coöffieienten entsprechen und der für den Harn berechnete 2-24 Proc. pro 1° beträgt, so herrscht auch in diesem Punkte befriedigende Ueberein- stimmung. — D. Turner? beobachtete verschiedene Einflüsse, welche sich bei Bestimmung der Grösse des Widerstandes des normalen und patho- logischen menschlichen Urins geltend machten. Der Widerstand änderte sich je nach dem speecifischen Gewicht des Harns. Ist dieses hoch, enthält der Harn viele Salze, speciell Natriumchlorid, so ist der Widerstand niedrig; umgekehrt wächst der Widerstand beim Sinken des specifischen Gewichts. Harnstoff übt auf den Widerstand nur einen geringen Einfluss aus und macht sich derselbe nur bei starker Verminderung oder Fehlen der Salze bemerklich. Bei Lungenentzündung wächst der Widerstand, da der Harn wenig Chlornatrium enthält, ebenso bei Zuckerharnruhr. Bei Diabetes findet sich demnach trotz des durch den Zuckergehalt erhöhten specifischen Ge- wichts eine Widerstandszunahme. Auch bei acuter oder chronischer Bright’- scher Krankheit, anämischen Zuständen, namentlich pernieiöser Anämie, ist der Widerstand ein hoher. Eine Widerstandsabnahme des Harns ist in solchen Fällen als prognostisch günstiges Symptom zu betrachten. Der Widerstandsbestimmung in Milchpräparaten kommt auch noch eine bestimmte Bedeutung zu in Hinsicht auf die Controle der Milch- beschaffenheit.e Dohrmann? beschreibt ein ebenfalls auf dem Prineip der Brückenmethode beruhendes Verfahren, welches die Säuerung und Ver- - wässerung der Milch zu constatiren gestattet. Ansäuerung vermindert den Widerstand, durch Verwässerung steigt derselbe Das gleiche Ergebniss trifft für die von mir untersuchten Milchpräparate zu. Der Widerstand der ı Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVIII. S. 396. ?2 Lancet. 1892. Juli. Ref. Medieinisches Centralblatt. 1892. 8. 767. ® Molkerei-Zeitung. 1891. Nr.2. Ref. Jahresbericht für Thierchemie. 1891. Bd. XXI. S. 107. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U.S. w. 313 sauren Molke ist geringer (das Leitungsvermögen grösser) als das der Voll- milch. Die Magermilch zeigt grössere Widerstände Da aber auch eine Zunahme des Fettgehaltes den Widerstand zu erhöhen im Stande ist und in einer gesäuerten Milch Wasserzusatz die Widerstandsverminderung zu compensiren vermag, bietet diese Prüfungsmethode der Milch, deren prak- tische Anwendung sich bei grösseren Anforderungen an Genauigkeit nur in Laboratorien ermöglichen liesse, keine Gewähr für sichere Entscheidungen. Betrachten wir nun schliesslich die Widerstände der vorgeführten Flüssigkeiten bei Bluttemperatur, so ersehen wir schon aus der Zusammen- stellung, welche von ihnen der elektrische Strom auf seinem Wege durch den Körper bevorzugen wird. Hierbei ist noch zu bemerken, dass der Grad der Widerstandszunahme sich nicht immer mit der Abnahme von As00 deckt. Kuhmilch und (defibrinirtes) Rinderblut haben für Aso gleiche Werthe, ob- wohl die Widerstände bei 37.5° verschiedene sind. Andererseits differiren die Grössen As» für Kuhmilch und Pferdespeichel, obwohl die Widerstands- werthe fast übereinstimmen. Die Ursachen für diese Differenzen sind in dem Procentsatz der Widerstandszunahme bei der Abkühlung zu suchen, welche bei Kuhmilch 60:0 Proc., bei Pferdespeichel 70-4 Proc. beträgt; daher die Unterschiede im Widerstand bei 20° (bezw. A»), bei Gleichheit des Widerstandes in der Höhe der Körpertemperatur. Zur Vervollständigung des Bildes von der Stromverzweigung im lebenden Körper gehört nun weiterhin auch die Kenntniss der Widerstände der festen Körperbestandtheile. Die Untersuchungen in dieser Richtung wurden gleichfalls in der früher angegebenen Weise (Telephonbrücke u. s. w.) ausgeführt, nur mit dem Unterschiede, dass an die Stelle desF. Kohlrausch’schen Widerstandsgefässes ein gerades Rohr aus Hartglas mit 12" Jichter Weite zur Aufnahme der Untersuchungsobjecte trat. Die Stromzuführung erfolgte durch Kupferdrähte, welche eine Guttapercha-Isolirung besassen. Die Drähte waren in kreis- föormige, 7-5 "m dicke Zinkplatten von 12m Durchmesser eingeschmolzen. Das Zink wurde vor jeder Beobachtungsreihe frisch amalgamirt. Durch die Dieke der Elektroden wurde eine Verbiegung derselben im Rohre und ‘ein hierdurch mögliches Eindringen von Flüssigkeit, ebenso auch eine gleich- mässige Anlagerung an die Querschnitte der den Cylinder auf eine ver- schieden lange Strecke ausfüllenden Untersuchungsobjecte garantirt. Die Abstände der Elektroden gaben das Längenmaass des Objects an. Letztere wurden, so weit es ausführbar war, mit einem passenden Korkbohrer aus dem möglichst frischen, ausschliesslich von Pferden stammenden Material herausgebohrt. Die Zeit, welche seit der Tödtung der Thiere verflossen war, varlirte zwischen 6 bis 12 Stunden. Das mit dem Material beschickte Rohr (W') 314 J. TEREG: wurde in ein Wasserbad versenkt, dessen Temperatur in ähnlicher Weise verändert wurde wie bei Bestimmung des Widerstandes der Flüssigkeiten. Die Resultate dieser Beobachtungen sind folgende: B. Organtheile. I. Parenchymatöse Organe. 1. Lunge (Fig. 21). Länge des untersuchten (12®m im Durchmesser haltenden) Organ- cylinders: 64 “m, t W IN 19 3400 © 1260 25 3100 30 2800 35 2700 37.5 2500 40 2430 45 3200 2. Leber (Fig. 22a u. 225). Länge 35". In diesem Falle fand auch eine Widerstandsbestimmung bei 0° statt. ‘Die hierauf bezügliche Curve ist mit Fig. 225 bezeichnet, während sich Fig. 224 auf die Bestimmungen in dem gewöhnlichen Tem- raturintervall bezieht. Z W 0° 30002 A als Gesammtdifferenz 20 1700 1960 25 1500 A als Differenz der 30 1350 Widerstände von 35 1250 45 bis 20° 660 97-5 1200 40 1140 45 1040 3. Milz (Fig. 23). Länge 45"". Serosa beiderseits intact. t Ww A 20° 1200 © 450 25 1050 30 950 39 860 37-5 830 40 Ss00 45 750 0008 SPOILJUDL ce PUT 0025 OLES 001% 086L 0781 008L 00ZL 0051 rB ae 19T 566 DAY zum. € 0SoL 086 "Duf 098028 008 084 ERAA 2777 Ofıl OHOL 05% oh 0OZL 10907 160 DAT 00SL 0gEl 0821 005. Oh obumny ic Dig 0085 V0LG 0082 VShe 316 J. TEREG: 4. Pankreas (Fig. 24). Lanser te ya oa ! w A 150 3000 & 1300 20 2700 25 2370 30 2100 3) 1950 37.) 1870 40 1800 45 1700 5. Niere (Fig. 25). Länge 100". Dorso-ventrale Ausbohrung. Capsula fibrosa beider- seits vorhanden. 20° Frame m 30° ==: Al 2 35° ib + = Bra - 375° beit 11 40° = a 450 re — = 1160 1260 1300 1370 1500 1730 1800 7 "1q. 25.NVtere t j W AN 20° 1900 © 740 25 1730 80 1500 35 1370 319 1300 40 1260 45 1160 II. Musculatur. l. Rumpfmuskel; Längsdurchströmung (Fig. 26). Ausbohrung des Pectoralis minor. Hintere Portion. Länge 40". a=db=1., t W N 209 1000 © 500° 25 900 | | 80 800 u 25% 45°1 300 35 700 De | 1m 1052 37-5 660 en 600 660 100 un 800 900 1000 40 600 Fig.26.Pectoralis Längsstrom 45 500 ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES UT. Ss.w. 317 Einige Bestimmungen wurden als Stichproben wiederholt, und zwar bei absteigender Richtung der Temperatur: = 35°, R = 7000, t= 25°, R= WON. {r 2. Rumpfmuskel; Querdurchströmung (Fig. 27). Ausbohrung des Pectoralis minor, hintere Portion, in der Querrichtung seines Faserverlaufs. Länge 40m, a=5b=1. t W A 20° 3000 & 1300 25 2400 30 2000 35 1800 37-5 1750 40 1700 Als Stichprobe die Widerstandsbestimmung bei 30° wiederholt, bei {= 30°, R = 20009. 3. Herzmuskel; Längsdurehströmung (Fig. 28). Länge 32==. Epi- und Endocard fehlt. 2400 Fig, 27. Pectoralis Querstrom 7400 1590 7700 7800 7900 2000 Jig.28. Herzmuskel Langssir: 2000 t 114 A 90.6° 2000 © 600 25 1800) 30 1800 S 35 1700 3 40 1590 45 1400 \ Wiederholung von i= 30°, R = 1800. 318 J. TEREG: 4. Herzmuskel; Querdurchströmung (Fig. 29). Länge 16". Epicard vorhanden, Endocard fehlt. t W A 20° 1500 2 60 26 1300 30 1200 35 1100 37.5 1050 "900 1000 1050 7100 7200 1300 71500 40 1000 45 900 Fig.29 Herzmuskel Querstr. Wiederholung der Bestimmung bei = 26° ergab sowohl mit 2 als mit 3 kleinen Daniells 1300 2, die bei = 20° gleichfalls abwechselnd mit 2 bezw. 3 Daniells denselben Werth wie zu Beginn: R = 15008. 5. Schlundmuseularis; Querdurchströmung (Fig. 30). 20° Länge un g=p=1. 25° t w N ü 20° 400 © 25 350 => 30 290 „° 35 270 15,50065200 350 700 Sn i 265 Fig 30.5. chlundmuscul- 40 260 arıis Querstronv 45 250 Stichprobe bei z= 25°, R= 340%. Dieser Werth, in die Curve ein- getragen, würde dieselbe regelmässiger gestalten als es die Benutzung des ursprünglichen Werthes gestattete. III. Nervöse Organe. 1. Rückenmark; Längsdurchströmung (Fig. 31). Länge 25 "m, 20° NleaenlEn ee | i W A % 200 1100 © 330 “ 25 1040 I AN 30 990 3: 37,5° 999 45° ) 230 3 900 40° > r Mn. 105 37.5 850 270 800.850 900 SW7390N70n08T7100 40 S00 Fig. SUR uckenmark Längsstr. 45 770 Stichproben: = 20%, W= 11008; 1= 25%, W = 10409; t= 30°, W= 9909. ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. S. w. 319 2. Rückenmark; Querdurehströmung (Fig. 32). Länge 6", t Ww 15° 700 & 20 630 25 600 30 570 3) 500 37-5 440 40 420 45 390 35° 375 40° 45 °- 390 440 500 570 630 700 2 6 420 2 00 Fig.32. Rückenzn., Querstr. 3. Nerv; Längsdurchströmung (Fig. 33). 3 Nervenbündel (vom Ischiadieus) in der Längsrichtung über einander gelegt. Länge 345m, t W 20 700 2 25 670 32 600 35 570 39 530 45 460 240 o 400 530 600 670 700 570 F Lg .30.Nerv L ängsst: 4, Nerv; Querdurchströmung (Fig. 34). 3 Nervenbündel vom Querdurchmesser der Glasröhre (12 =") neben einander gelegt. Länge 11m, i W 20° 900 © 25 S00 30 700 35 620 37-5 580 40 550 45 500 A 400 40 ua 7 30° 1 mm == r | 8 = | HL: 375°. -—. 2 400 o T | | e) La% | 45° Enz ı J l > 500 550580620 100 800 Fig.34.Verv Querstr. 300 320 I: DEREE: IV. Bindegewebssubstanzen. 1. Schlundschleimhaut (Fig. 35). Länge 24.5 wm, 990 i [7 W Di Me 200 2000 © iR ee 25 1900 20° 4 0 1800 IMm = 3 1600 Konz 1510 1600 1800 1000 2000 2.8 1540 Fig. 35 Schlundschleimkaut 40 1500 2. Sehne; Längsdurchströmung (Fig. 36). Sehne von Flexor digitorum profundus s. perforans links. Länge 32 wm, ee zen t W A Ai Bars 4A 16° 75000 350 IL eu on BG | 25° 20 710 a 7 | 25 640 En an | 80 560 rt Di 2350| 35 490 40° 7 —- ee 37.5 450 200, 450 430 560 640 710 750 40 430 Fig.36, Sehne Langsstr 45 400 3. Sehne; Querdurchströmung (Fig. 37). Sehne vom Perforans des linken Hinterfusses. Länge 12-5 m, AN NUN Babnrıke [A W A A 16° 6002 300 le Ben 20 540 25 [ a = we 25 470 A A 30 400 r“ se KT] 2230 36 350 SO L lie 110.52 38 330 = 300 330 00 170 5 10 600 4 0 3 2 0 320 350 R F 19.32. Sehne Querstr. 45 300 ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. Ss. w. 321] Länge 19 mm, E 20° 25 30 3) 39 4l 4. Nackenband; Längsdurchströmun w 630 2 70 500 450 400 390 5. Aortenwand; Querdurchströmung (Fig. 39). Länge 10 m. W 350 2 300 270 240 230 224 220 il 6. Knorpel; Querdurchströmung (Fig. 40). ı 630 Lig. 38. Nackenband 1 350 Fig. 39. Aorta. Querst: 2 Platten der Nasenscheidewand ohne Schleimhaut und Perichondrium neben einander. e 20° 25 30 3) 37-5 40 Länge 5m. W 27082 240 200 170 140 100 7. Frischer Knochen (Fig. 41). HG 7 — 20° 2 170 en LUm_-5.22| | Bet 230 270 Jig.10. Nasenknorpel Aus der Substantia compacta eines Röhrenknochens wurde ein vom Periost befreites prismatisches Stück von 5 mm Grundfläche und 10 == Länge herausgesägt und in einer mit Deckel versehenen Hartgummirinne von 5 mm Querschnitt mit passenden Elektroden armirt in das Wasserbad ver- senkt. a= 10, 5= 1000. 2 Rheostaten bei AR. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 322 J. TEREG: 20 | 26° L a | | [ & en 299 16°, 79000 | 40 212 er ienn | ler 1Mm= 100 2 2 000028000 500000 E70000 830000 110000 Fig. 21. Knochen. (Frisch J Z W AN 20% 110 000 & 79000 26 83 000 3l 64 000 35 50 000 40 38 000 46 31000 8. Trockener Knochen (Fig. 42). Aus einem lufttrockenen Knochenpräparat ein Prisma von 20 "m Länge und 5m Grundfläche herausgesägt und im Hartgummitrog die Enden mit verdünnter Salzsäure angefeuchtet, nach Anlegung der Elektroden in das Wasserbad gebracht. a, B= 000. | | | So | 5% 050 Al ee a = | % SE En 30° a er] | a 202. 40° 2 374000 | | | Ba | | | 1 i 2 Sn: | Aaml-500%2 400 Se ein | | | 165000 207000 320000 939000 187000 Fig. 42. Knochen. (trocken) t W A 20° 559000 2 374000 25 320 000 30 207 000 35 187 000 40 165 000 9. Knochenmark (Fig. 43). Das gelbe Knochenmark aus der Tibia eines getödteten Pferdes in Cylinderform ausgebohrt und in der Glasröhre untersucht. a=b — 100. Länge 41 "m, ABHÄNGIGKEIT DES ELEKTRISCHEN LEITUNGSWIDERSTANDES U. S. w. 393 45° za Nele! u 7100 7900 9000 10000 700 800 Fig. /13. Knochenmark (gelbes) t W A 21° 14 000 & 6900 25 12 500 30 10 000 5) 9000 31-5 8 400 40 7 900 43 7400 45 7100 V, Integument. 1. Haut, einfach; Querstrom (Fig. 44). Haut von der Halsseite mit Haaren in der Glasröhre untersucht. Länge 3.5 mm, 5 | ö Ww A 235° 4 209 3500 180 " Z 25 300 EZ | 30 250 ei 30 200 40 gr 7 HB Bi 1 eier 45 170 180 re 2. Haut, doppelt (Fig. 45). Haut vom Rücken in doppelter Lage mit Haaren ausgebohrt. Länge NE ur 57 21:.000: £ R A DL 5000 © 3200 25 4000 30 3100 3D 2400 310) 2000 NE a Mm:-1005 | | 40 1900 2 De a Een 45 1800 Fig.15 Haut (doppelt) 21* 324 J. TEREE: 3. Haut, doppelt; rasirt (Fig. 46). Von demselben Rückenstück der Haut, von welchem das vorhergehende Präparat herstammte, eine Fläche rasirt und von dem von Haaren befreiten Abschnitt eine Doppelplatte ausgebohrt. Länge Sm, 20° 25° el L — Zu | 20° er = a & | 35° \ —— ä ee 325° „AL zaal 1 20%. 4514670 30° | IL a 11m_1052 | 50 a Lu Ju l Al u „uud! 390 160 500 540 600 700 1000 Fig.46. Haut (rasiert,doppelt) t R AN 20° 1000 & 610 25 700 30 600 3) 540 37-5 900 40 460 45 390 4. Haut ohne Epidermis (Fig. 47). Von der rasirten Rückenhaut durch Abschaben die Epidermis entfernt und die Haut in 4facher Lage ausgebohrt. Länge Im. a=db=1. + t W A 20° 400 2 18 5 25 940 | 3 00 50° 43°1180 35 260 AV Be 37.5 240 "220 270200 300 340 400 40 230 Fig. Haut (ep idermislos) 45 220 5. Wandhorn vom Huf; Längsstrom (Fig. 48). Aus einer frischen Hufkapsel aus dem Zehentheil der Wand ein Prisma von 5@mm Grundfläche und 10 "m Länge herausgesägt und im Hartgummi- trog untersucht. a= 10, 5 = 1000. _ı- | Dt 22°_ 49° 2 De = 1Mm.=1000 —: - — re 45. «= Zt dl — ll en ea db An nl 700000 _ 220000 350000 750000 980000 155000 Fig.48.Wandhorn vom Pferdehuf (I ängsstrom) v W A 22° 980000 2 880 000 25 750 000 30 350 000 3) 220 000 40 155 000 45 100 000 Die in dem zweiten Abschnitt der Widerstandsuntersuchungen mit- getheilten Einzelheiten gewähren ebenfalls die Möglichkeit, die Resultate unter gemeinsamen Gesichtspunkten zusammenzufassen. Das Resume hierüber muss einer späteren Zeit vorbehalten bleiben. Das vorläufige Ergebniss der Beobachtungen ist in den folgenden Sätzen zusammenzufassen: 1. Es lassen sich die Widerstände thierischer Flüssigkeiten als Func- tionen veränderlicher Temperaturen graphisch darstellen. 2. Die Mehrzahl derartiger Curven entsprechen linearen Functionen. 3. Auch die nicht linear verlaufenden Curven getatten mit genügender Genauigkeit die Bestimmung der Temperaturcoöffieienten der Widerstands- curve und der specifischen Leitfähigkeit. 4. Die erwähnten Curven bieten die Möglichkeit eines Rückschlusses auf diejenigen Bahnen, welche von einem den lebenden Thierkörper durch- setzenden elektrischen Strom eingeschlagen werden. Versuche über schwach-polarisirbare Metallelektroden. Von Dr. med. W. Cowl in Berlin, (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Die überlegene Methode, die es E. du Bois-Reymond ermöglichte, Matteucci’s Behauptung auf das Aeusserste zu prüfen und zu bestätigen, dass Elektrodenpaare von amalgamirtem Zink in neutraler gesättigter schwefelsaurer Zinklösung unpolarisirbar seien, scheint seit jener Zeit nicht wieder benutzt worden zu sein.! Die durch diese Combination erzielte Unabhängigkeit von Platinelek- troden, welche zuverlässige Bestimmungen der Stromstärke bei der Ablei- tung von Muskel und Nerv fast unmöglich machten, war eine so grosse und vollständige, dass man sich viele Jahre mit den Vorkehrungen zum Gebrauch der „unpolarisirbaren“ Elektroden zufrieden gab. Diese Mittel bestanden zuerst aus ableitenden Flächen von Eihaut mit frischem Eiweiss überzogen, doch nach einigen Jahren benutzte du Bois-Reymond auf Veranlassung Rosenthal’s als indifferente Flüssigkeit 0-75 procent. Koch- salzlösung und als Deckmantel damit befeuchteten Thon.? So. blieben die du Bois’schen Elektroden im Wesentlichen, bis D’Arsonval die Unpolarisirbarkeit von Silber mit einer Deckschicht von angeschmolzenem Chlorsilber behauptete.’ Nachdem nun diese Combination seitens einer Reihe von Forschern zur Ableitung von organischer Elektrieität unbedenklich benutzt worden war, stellte auf Veranlassung Hermann’s zuerst v. Pirquet Versuche ! Ueber nicht polarisirbare Elektroden. Monatsber. d. kgl. Akad. d. Wissensch. zu Berlin. 1859. 30. Juni. 8. 445. — Vgl. Ges. Abhandlungen. 1876. S. 42, 2 Ebenda. 1861. 30. Mai. — Vgl. Ges. Abh. 8. 161. ° Archiv. d. physiologie norm. et path. 1889. p. 423. W.Cowu: VERS. ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 327 an, dieselbe zu prüfen. Bei einfacher Beobachtung am Galvanometer nach Verbindung desselben mit den in 0-6 procent. Kochsalzlösung stehenden Elektroden, die ein constanter Strom soeben durchflossen hatte, zeigte sich ein Polarisationsstrom, der 8 Proc. des polarisirenden betrug. Amberger, der dann mit denselben wie auch mit Originalelektroden eine noch etwas grössere Polarisation fand, verwirft die D’Arsonval’sche Combination,! die der du Bois’schen gegenüber den weiteren Nachtheil eines viel grösseren Widerstandes hat. Da Chlorsilber, wie er anführt, eine bei Zimmertemperatur nicht leitende Substanz ist, kann auch die Stromleitung nur durch Risse in der angeschmolzenen Chlorsilberschicht, also unmittelbar vom Metall aus, stattfinden. Die Elektroden vor der Durchströmung waren auch „ungleichartie“ im Sinne du Bois-Reymond’s, im Gegensatz zu den Thonstiefelelektroden, welche keinen Strom gaben. Es bestand also eine Potentialdifferenz, indem die beiderseitigen Potentialunterschiede zwischen Silber und Kochsalzlösung aus irgend einem Umstande ungleich waren, wogegen bei amalgamirten Zinkelektroden in gesättigter Zinklösung sie immer gleich blieben. ? Aus den Versuchsresultaten von v. Pirquet und Amberger darf man jedenfalls den Schluss ziehen, dass in Versuchen, wo unpolarisirbare Elektroden? als ein Bedürfniss gelten sollen, Silberchlorsilberelektroden verwerflich sind. Es lässt sich jedoch in anderen Fällen denken, dass in naher Anwesen- heit von Chlorsilber bei dem in Folge vermehrten Widerstandes minimalen Strom diese Elektroden für Vorgänge von kurzer Dauer gut qualitativ brauch- bar sein können, und ganz besonders aus dem Grunde, dass die Polarisation immer eine sich entwickelnde Erscheinung ist. Sich ebenfalls an das Princip der du Bois-Rosenthal’schen Com- bination anschliessend ist eine von Ostwald“ für Messungen ständiger wie veränderlicher (auch polarisatorischer) Potentialunterschiede angegebene „Normalelektrode“, die aus Quecksilber, Calomel und Chlorkaliumlösung be- steht und als constantes Vergleichspotential im Messkreise verwendet wird. Es ist bisher kein Vergleichsversuch mit dem Prototyp angestellt worden, doch in neueren, in seinem Laboratorium unternommenen Untersuchungen wurde ! v.Pirquet, Amberger. Pflüger’s Archiv. Bd. LXV. S. 606. ® Bei der Prüfung der Matteucci’schen Combination hatte du Bois-Reymond auch amalgamirtes Zink in gesättigter Chlorzinklösung gleichartig und unpolarisirbar gefunden, doch zog er das schwefelsaure Salz wegen der grösseren Leitfähigkeit seiner gesättigten Lösung vor. (Vgl. a.a. 0. S. 470 u. 485.) ® D. h. durch das benutzte Potential unmerklich polarisirbar. * Hand- und Hülfshuch zur Ausführung physiko-chemischer Messungen. Leipzig 1893. 8. 257 —258. 328 W. Cowr: festgestellt 1.: dass ein Paar solcher Electroden mit einem Kapillarelek- trometer in einen Kreis gebracht, erst nach zwei Stunden vollkommen gleiche Potentialunterschiede gegen den Elektrolyt aufweisen, — bis dahin verschwand eine zu Anfang beobachtete kleine Potentialdifferenz. 2.” Dass sowohl ohne als mit Durchgang eines Stromes das Calomel nach der Gleichung Hg + 2(HgCl) = 2Hg + HgCl, sich zum Theil zersetzt. Die Com- bination kann in Folge dessen im strengen Sinne weder als unpolarisirbar, noch als ohne Potentialdifferenz gelten. Bemerkenswerth ist aber, dass beim Gebrauch einer verdünnteren als der Normal-Chlorkaliumlösung, nämlich 7.4 statt 74-0 pro Mille, die Spaltung des Calomels beträchtlich kleiner wird. Eine Methode zur Verminderung der Polarisation, und zwar durch Vergrösserung der leitenden Flächen, wird in dem Kohlrausch’schen Verfahren für Widerstandsbestimmungen von Elektrolyten durch Wechsel- ströme angewandt.” Hierzu überzieht man Platin, neuerdings auch Silber elektrolytisch mit Platinschwarz. Der Betrag dieser Verminderung ist je nach den Umständen ein wech- selnder, doch wird für den genannten Zweck (wohl unter Voraussetzung einer Proportionalität der Polarisation) der Polarisationsrest mittels Doppel- bestimmungen bei verschiedener Stromstärke (nach Paalzow) und eine hierdurch ermöglichte Elimination unschädlich gemacht. Ferner kommen auch Elektroden aus Neusilber in Betracht. Die- selben sind von Asher und Lüscher bei einer vorläufigen Untersuchung der Stromschwankungen am ÖOesophagus während der Schluckbewegung durch Zufall als werthvoller Ersatz für unpolarisirbare Elektroden gefunden worden, die ihnen keine ausreichenden Beobachtungen am Kapillarelektro- meter gestattet hatten. Sie sehen die Neusilberelektroden als wenig pola- risirbar an.? Von R. du Bois-Reymond wurden hierauf auch solche bei orien- tirenden Versuchen über negative Schwankungen für die Ableitung vom Froschmuskel zum Kapillarelektrometer benutzt, doch betrefis Polarisir- barkeit galvanometrisch geprüft.” Hierzu schaltete er die Bussole in den Kreis mit den Neusilber- bezw. mit Platinelektroden, die in physiologischer Kochsalzlösung standen, ein, und zwar an die Stelle einer schon !/, Minute lang wirkenden schwachen Stromquelle, und erhielt mit beiden Metallen 10. Coggeshall, Ueber die Constanz der Calomelelektrode. Zeitschrift für physikalische Chemie. 1895. Bd. XVII. 3. 62. ° T. Richards, Zeitschrift für physikalische Chemie. 1897. Bd. XXIV. 8.39. ® Wiedemann’s Annalen. Bd. IV, IX, XLIX, LX, LXIV. * Dies Archiv. 1896. Physiol. Abthlg. > Ebenda. 1897. VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 329 eine gleich starke, sowie auch gleich lang dauernde Polarisation von be- deutendem Betrage. Die Thatsache nun, dass eine beträchtliche Polarisirbarkeit erst bei der gesonderten Prüfung der Silberchlorsilber-, wie der Neusilberelektroden zu Tage trat, und zwar nach einer viel grösseren Dauer der zur Polarisation benutzten, als die eines Actions-Stromes, lässt die Frage aufkommen, ob nicht in vielen Fällen für die Beobachtung dieser am häufigsten vorkommenden Stromsehwankung auch polarisirbare Elektroden zweckmässig sein könnten, wie sie schon in den Versuchen bezw. Vorversuchen mehrerer Beobachter erscheinen. Die Frage ist um so mehr berechtigt, als nach den Untersuchungen Hermann’s sowohl der Muskel wie noch viel mehr der Nerv durch schwache Ströme — beim Muskel bis zu 0.0044 Milliampere! herunter — polarisirbar ist, wie aus dem folgenden Citat erhellt.? „Weiter kann die Vergleichung der thierischen Polarisation mit der- jenigen der Metalle in Flüssigkeiten in Betracht kommen. Was zu- nächst die Polarisationsmaxima betrifft, so geht aus allem Vorstehenden hervor, dass beim Muskel und Nerv in meinen Versuchen kein Maximum erreicht worden ist. Die höchsten überhaupt von mir beobachten abso- luten Werthe waren: „Beispiel 60. 23./VII. 1884. Nerv. 18 Elem. 16 Min. 429.1 Millivolt. er 61.2720.,1. 1884. Muskel. 18, see 83-3 ” „Das Polarisationsmaximum des Platins in verdünnter Schwefelsäure beträgt ca. 2330, das des Kupfers ca. 790 Milli-Volt. Die Polarisation eines Nerven kann also eine Kraft erreichen, welche derjenigen der Metalle einigermaassen nahe kommt.“ Wenn nun ein im geschlossenen Kreise befindlicher Muskel bezw. Nerv in ähnlicher Weise wie andere Stromerreger sich selbst polarisirt, so ist es klar, dass es sich bei der Anwendung von polarisirbaren Elektroden nur noch um eine Erhöhung der Entstellung bezw. Veränderung des Verlaufs des Actionsstromes handelt, welcher die polare Ableitung überhaupt be- dinst, ja es könnte sich ereienen, dass man den wahren Verlauf einer - elektrischen Schwankunge im Muskel oder Nerv mit unvollkommenen Mit- teln richtiger zu sehen bekäme, als mit unpolarisirbaren Elektroden bei unnöthiger Polarisation des Präparates durch den eigenen Strom. In Bezug auf die oben aufgeworfene Frage ist ferner hervorzuheben, dass ! Untersuchungen über die Polarisation der Muskeln und Nerven. Pflüger’s Archiv. Bd. XL. 8.13. ? Ebenda. 8. 35. 330 W. Cown: viele Versuche nur den Nachweis, das zeitliche Eintreffen bezw. den orien- tirenden Vergleich von ähnlich verlaufenden Schwankungen betreffen. Für diese Zwecke bieten Metallelektroden beachtenswerthe Vortheile wegen ihrer Handlichkeit, ihres sicheren Contacts und verschwindend kleinen Widerstandes. Erheblich dürfte ihr Werth sein, wenn das Metall noch dazu nur eine kleine Polarisirbarkeit besitzt. Es erschien deshalb wünschenswerth, nach Metallen zu suchen, die auch sonst zum Gebrauch als Elektroden geeignet, in einer für lebendes Gewebe wenig differenten Flüssigkeit möglichst geringe Polarisirbarkeit bezw. Potentialdifferenz aufweisen. Zu diesem Behufe prüfte ich eine Reihe von Metallen, die in- an- nähernd reinem Zustande leicht erhältlich sind, sowie gewisse zum Theil neu hergestellte, zum Theil überall erhältliche Legirungen in chemisch reiner CINa-Lösung von 6 pro Mille Salzgehalt, welche einer '!/,, Normal- lösung wie auch einer Isotonie mit dem Froschmuskel annähernd entspricht.! Hierzu gebrauchte ich im Wesentlichen die alsSummationsverfahren zu bezeichnende Methode du Bois-Reymond’s mit Benutzung des Engel- mann’schen Polyrheotoms,? anstatt der Siemens’schen Wippe.” Es hatte dies letztere Instrument das Summationsverfahren seiner Zeit ermöglicht, aber des unregelmässigen Ganges wegen einer ständigen Controle mittels complieirter Versuchsanordnung und einer Verdoppelung der Ablesungen an der Bussole bedurft. Vermittelst seines Verfahrens konnte E. du Bois- Reymond für eine Reihe zum Theil als unpolarisirbar empfohlene Combinationen, die fast aus- schliesslich aus Metallen (Zink, Kupfer, Platin, Silber, Eisen) in starken Säuren bezw. in gesättigten Salzlösungen bestanden,‘ eine meist grosse Pola- risirbarkeit feststellen, um dann mit einer weitgetriebenen Empfindlichkeit der dazu fähigen Methode die ihm zuerst verdächtig erschienene Unpola- risirbarkeit der Matteucci’schen Combination für Daran bezw. wahrnehmbare Ströme über alle Zweifel zu erheben. Das Verfahren, wie es von ihm benutzt wurde, bestand in der Be- obachtung der beständigen Ablenkungen am Galvanometer bei Einschaltung desselben (vielemals in der Secunde und während je */,, des Zeitintegrals ı An Chlornatrium ist das Froschblut, wie zu erwarten ist, noch ärmer .als die übliche isosmotische Kochsalzlösung. Bei einigen Bestimmungen fand ich 0-4 Proe. ° Th. W. Engelmann, Das rhythmische Polyrheotom. Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LII. Nr. 11 u. 12. S. 603— 622. ® W. Siemens, Poggendorff’s Annalen. 1857. Bd. CII. 8.70. * Ein wegen äusserst unbeständiger „Ungleichartigkeit“ der Combinationen un- günstig ausfallender Versuch betraf amalgamirtes Zink in Pferdeblutserum und in Brunnen- bezw. destillirtem Wasser, VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 331 der spielenden Siemens’schen Wippe), erstens in den Kreis mit den Elektroden, dem Elektrolyt und einer abstufbaren Nebenschliessung zu einem constanten Element, zweitens durch eine Umlegewippe in den Kreis mit Elektroden und Elektrolyt allein. Hierbei bestand während ?!/, der genannten Zeit zweimal kein ge- schlossener Kreis. Damit die Stromwerthe in beiden Kreisen, primären wie secundären, durch die Umschaltungen der Bussole unbeeinflusst bleiben sollten, waren die Widerstände in der Weise gleich gehalten, dass ein dem der Galvanometerrollen gleich grosser Widerstand bei jeder Umschaltung gegen die Rollen vertauscht wurde, und zwar durch eine zweite Umlege- wippe Pohl’scher Art, die mit der oben genannten zur Doppelwippe mecha- nisch verbunden war. Ein Pohl’scher Stromwender zwischen Rheochord und Electroden ge- stattete es, das polarisirende Potential mit der sich jeweilige darbietenden „Ungleichartigkeit“ bezw. Potentialdifferenz der Elektroden in Ueberein- stimmung zu bringen oder entgegengesetzt. zu richten. Da der Beschrei- bung eine schematische Abbildung der ganzen Versuchsanordnung (S. 453) beigegeben ist, erübriet es an dieser Stelle dieselbe zu wiederholen. Das unmittelbar verfolgte Ziel der Beobachtungen erhellt aus dem fol- genden Satz der Abhandlung.! „Das Verhältniss beider (auf ein und dieselbe Einheit zurückgeführten) Ablenkungen S: P= « kann man als den Polarisationscoöffieienten der be- treffenden Combination für die durch den Mechanismus der Siemens’schen Wippe bedingten Zeitverhältnisse bezeichnen und aus der Vergleichung der Polarisationscoöfficienten verschiedener Combinationen einen Schluss auf deren vergleichsweise Ladungsfähigkeit ziehen“. Die Gestaltung der Beobachtungen schliesst sich (S. 456) der Beschrei- bung der oben erwähnten Versuchsanordnung zur anfänglichen Controle der elektromagnetisch getriebenen Siemens’schen Wippe an und heisst: „Ausserdem wurden zu grösserer Sicherheit die Versuche so an- gestellt, dass jede Contactstelle einmal in den primären und einmal in den secundären Kreis eingeschaltet wurde. Dies gab zwei Paar Ablesungen. Da aber auch noch die Richtung des primären Stromes durch das Elektroden- _ paar umgekehrt wurde, so setzte sich schliesslich jede Bestimmung des Polarisationscoeöfficienten in dem oben (S. 451) angegebenen Sinne aus acht Ablesungen zusammen, welche den acht möglichen Combinationen der beiden Lagen der Doppelwippe, der Wippe C, (zum Austausch der Contacte der Siemens’schen Wippe bezw. zur stetigen Controle derselben) und der C, (zum Richten des polarisirenden Stromes) entsprachen.“ ErORSTAHTE 3a W. Cowr: Der Zweck der mit der Anwendung der Wippe ©, verknüpften Doppel- ablesungen, welche, sobald eine Potentialdifferenz vorlag, auseinander ge- lesen haben mussten, sowie auch das eigentliche Verfahren bei der Ver- werthung der beobachteten Ablenkungen ist nicht angegeben, doch handelte es sich jedenfalls einfach um das Ausrechnen von Durschschnittswerthen. Dies würde erstens die zufälligen Abweichungen in Folge ungleichmässiger Contaetdauer seitens der spielenden Wippe eliminiren, zweitens in Fällen, wo eine Potentialdifferenz schon bestand, unter der Annahme, dass die- selbe während der Polarisation wie der Depolarisation in beiden Richtungen gleich stark wirkt, auch dieses Moment eliminiren, da die Umlegewippe vor dem Rheochord dem Kettenstrom einmal die gleiche, das andere Mal eine entgegengesetzte Richtung zur Potentialdifierenz giebt; indessen ist es eine Frage, wie die Potentialdifferenzen von scheinbar gleichen Elektroden, die auf bestimmte Ursachen noch nicht zurückgeführt worden sind, sich während einer hinzukommenden Polarisation gleicher oder entgegengesetzter Richtung verhalten. In Betreff der Entwiekelung von Potentialdifferenzen ohne Polarisation durch eine äussere Stromquelle erscheinen die von E. du Bois Reymond veranlassten, doch von anderem Gesichtspunkt aus unternommenen Unter- suchungen Christiani’s über „Irreciproke Leitung elektrischer Ströme“! einen Grund für deren Entstehen darin zu geben, dass, wie er feststellte, bei ungleich grossen Rlektroden der Widerstand im Elektrolyt je nach der Stromesrichtung verschieden gross ist, und zwar bei Spitze und Platte in beträchtlichem Grade. Zur Bestimmung der Polarisation während des Fortbestehens eines polarisirenden Stromes steht eine Methode zur Verfügung, die allerdings nicht die Gesammtpolarisation, sondern die der einen oder der anderen Elektrode eines Paares misst, nämlich das von Fromme auch zur Unter- suchung der Polarisation mit kleinen elektromotorischen Kräften angewandte Fuchs’sche Verfahren, welches darin besteht, eine mit einem Quadranten- paar eines Blektrometers verbundene, im Elektrolyt frei schwebende Elek- trode hinter die untersuchte Elektrode zu stellen, während diese mit dem anderen, zur Erde abgeleiteten Quadrantenpaar in Verbindung steht.? In den genannten Versuchen wurden vermittelst Nebenschliessung zu einem Daniell’schen Elemente „Kräfte von möglichst verschiedener Grösse“ angewandt,? doch nur bis zu einer unteren Grenze von 0-44 Dan., woraus zu schliessen ist, dass die Methode wohl nicht für Kräfte unter 0-1 Volt ! Berlin 1876. Vel. 8. 64 u. 84. ® Wiedemann’s Annalen. 1886. Bd. XXIX. Nr. 12. 8.497 u. 537. 3 Ebenda. VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 333 anzuwenden ist. Wie fast immer bei der Untersuchung der Polarisation ist sowohl Platin, als auch ein gut leitender Elektrolyt (verdünnte Schwefel- säure) hier verwandt worden. Für die erste Zeit nach der Unterbrechung des polarisirenden Stromes hat Bernstein mit dem Differentialrheotom den Verlauf der Depolari- sation bei geschlossenem Stromkreis bestimmt." Hierzu benutzte er Platin in 5procent. Schwefelsäure und Ströme von der Kraft zweier Groves’scher Elemente bis. zu kleinen Bruchtheilen eines Daniells und fand eine Abnahme der Polarisation während der ersten 0-002 bezw. 0-01 Sec. von 40 Procent bezw. 90 Procent. Bei der Vornahme der vorliegenden Versuche zur Ermittelung von Metallen, die ohne eine Deckschicht eines ihrer Salze, — unter Umgehung also des für die Unpolarisirbarkeit geltenden Prineips, — als Elektroden mit Vortheil verwandt werden könnten, kam es darauf an, nicht nur die Pola- risirbarkeit, sondern auch die Potentialdifferenz eines jeden Elektroden- paares zu bestimmen, indem diese bei der Ableitung organischer Elektri- eität ebenso wichtig erscheint, wie die Polarisirbarkeit durch ein äusseres Potential und zwar aus dem Grunde, dass, wie schon oben hervorgehoben, ein durch Potentialdifferenz bedingter Dauerstrom im Stande ist, eine Polarisation im Präparate selbst herbeizuführen, die je nach dem Betrag und der Dauer beträchtlich werden kann. Zu dieser Untersuchung war das Summationsverfahren allein geeignet, da es die Möglichkeit bietet, in sicherer Weise während der ersten, wenn auch nicht der allerersten Zeit nach der Unterbrechung des polarisirenden Stromes die Polarisation zu beobachten sowie ergiebige Resultate mit po- larisirenden Kräften liefert, die bei Einzelwirkung keine Strommessung zu- lassen. Vermittelst des Engelmann’schen Polyrheotoms ist es leicht möglich, die Zeit zwischen der Unterbrechung des polarisirenden und Herstellung des Depolarisationsstromes bis 0.001 Sec. zu vermindern. Während dieser kurzen Zeit (beim offenen Kreise) findet allerdings eine Depolarisation durch Diffusion der angehäuften Ionen im Elektrolyt statt, welche mit der von Bernstein beim geschlossenen Kreise gefundenen Abnahme der an- - fänglichen Polarisation, die für diese Zeit etwa 20 Proc. betrug, verglichen werden könnte. In Folge dessen versuchte ich mit unserer sonstigen Versuchsanord- nung den allgemeinen Verlauf der Depolarisation beim offenen Kreise zu bestimmen, indem vermittelst einer Wippe vor dem Rheotom die Schluss- ! Ueber den zeitlichen Verlauf des Polarisationsstromes. Poggendorff’s Annalen. 1875. Bd. CLV. Nr. 2.8. 177211. 334 W. Cowr: zeiten des polarisirenden und des Polarisationsstromes so umgetauscht wurden, dass der Depolarisationsstrom erst 0-024 Sec. statt 0-001 Sec. nach Unter- brechung des polarisirenden anfing. Es stellte sich in einer Reihe von Fällen in der Zeit von 0-023 Sec. eine Abnahme der Polarisation von rund 50 Proc. des Stromwerthes, der bei der sonst benutzten Anordnung beobachtet wurde, heraus. Hiernach hat man eine kaum in Betracht kommende Abnahme der Polarisation in den ersten 0-001 Sec. ohne Stromlauf von 2 Proc. zu gewärtigen. Zu be- merken ist, dass die nach Erreichung des Gleichgewichts zur Beobachtung kommende Polarisation sich zum Theil aus summirten Polarisationsresten zusammensetzt, auf denen die Polarisationsschwankungen superponirt sind. Den Antheil der Polarisationsreste an der Polarisation in den vorliegenden Untersuchungen habe ich nieht zu bestimmen versucht, derselbe ist aber sichtlich beträchtlich. Der Gebrauch des oben erwähnten Polyrheotoms, welches einer ge- nauen und bleibenden Einstellung fähig ist, erlaubte es ferner, bei den nicht mehr erforderlichen Verdoppelungen der Ablesungen zahlreiche Be- stimmungen unter verschiedenen Bedingungen auszuführen. Da ein 20 Mal in der Secunde gegebener Stromstoss eine ganz ruhige Bussolenablenkung gab, liess ich das Rheotom, von einem Baltzar’schen Uhrwerk getrieben, den polarisirenden Strom mit dieser Frequenz durch die Elektroden schicken. Die kupfernen Contactbacken des Instrumentes wurden so gestellt, dass, wie schon oben erwähnt, der Depolarisationsstrom schon innerhalb 0-001 Sec. nach der Unterbrechung. des polarisirenden Stromes anfing. Die Schluss- zeiten dauerten für jeden Kreis !/, des benutzten Zeitintegrals, nämlich 0.0125 Sec. In der übrigen Zeit von 0-025 Sec. standen beide Kreise offen. Der Widerstand der Galvanometerrollen des Wiedemann’schen In- strumentes betrug 11006 Ohm, der des Elektrolyten schwankte erheblich um diesen Werth, je nachdem Blech- bezw. Drahtelektroden zur Anwen- dung kamen. Die Blechelektroden kehrten einander im Elektrolyt je eine Fläche von annähernd 35 @"® zu, und wie die Drahtelektroden standen sie 0.75” tief in der Flüssigkeit, die in der Menge von 15°“ in einer Glas- dose von 5°" Durchmesser offen stand. Für den Tauschwiderstand fand ich die Engelmann’sche Kohlen- rheostate, die den Vortheil der sicheren Inductionslosigkeit haben, sowohl constant wie bequem. Die zur Polarisation angewandte elektromotorische Kraft wurde durch Rheochordnebenschliessung einem Becquerel-Daniell’schen Element bezw. einem Accumulator im Betrage von 0-1 Volt entnommen. VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 335 In Folge des Umfanges der benutzten Elektrodenflächen dürfte die polarisirende Stromstärke immer grösser als diejenige bei der Ableitung vom Nerven und unter Umständen als ein Muskelstrom gewesen sein, somit die Polarisation begünstigt haben; absolut war die Intensität, wie aus den oben angegebenen Daten erhellt, immerhin gering, z. B. in einem Falle betrug die aus dem nach Kohlrausch’schem Verfahren gemessenen Widerstand und dem bekannten Potential bestimmte Stromstärke 0-00378 Milliampere. Um den Bedingungen eines Muskelversuches noch näher zu kommen, sind bei einer Reihe von Bestimmungen die Drahtelektroden bezw. die Enden der Blechelektroden auf reines Cellulosepapier, das mit der Koch- salzlösung getränkt war, im Abstand von 3 bis 5m gestellt worden. Dem Umstand entsprechend, dass bei edlen Metallen (Silber aus- genommen) im Elektrolyt ein polarisirender Strom keine chemische Bindung zu Stande zu bringen scheint, sondern die gehäuften Ionen zum beträcht- lichen Theil aufnimmt bezw. oceludiren lässt, bei den anderen Metallen dagegen deutliche chemische Reactionen zwischen Metall und Elektrolyten- inhalt veranlasst, sind die Metalle dem Zweck entsprechend in indifferente und oxydirbare zu theilen. Zu den letzteren muss mit Rücksicht auf die Bildung von Schwefel- bezw. Chlor-Silber auch dieses Metall gezählt werden. Zur Untersuchung wurden herangezogen Platin, Palladium, Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, Zink, Cadmium und Quecksilber, von Legirungen Messing, „prima“ Neusilber, Nickelin und käufliches Aluminium, welches Kupfer und auch Eisen enthält, ausserdem 14 karätiges (1%/,,) Silber- und Kupfergold, sowie neu hergestellte Legirungen im Verhältniss des atomischen Gewichts von Cadmium-Gold (112 : 196), Zink-Cadmium (65 : 112) und (kupferhaltigem) Aluminium-Cadmium (27 : 112). Zink und Cadmium wurden sowohl mit oxydirter als mit frischer Oberfläche verwendet. Diese wie auch edle Metalle liess ich bei einigen Versuchsreihen 20—60 Secunden in 30 procent. bezw. 1 procent. Kochsalz- lösung oder auch in einer Lösung des Chlorsalzes des betrefienden Metalls vorher stark erhitzen. Die Zimmertemperatur schwankte um 17° C. In einer Reihe von Vorversuchen über verschiedene Metalle ergab sich als bemerkenswerthestes Resultat ein constantes Verhalten der mitbeobach- teten Potentialdifferenzen, die an oxydirbaren Elektroden in ganz verschie- denem Grade auftraten. War ein solches Potential dem polarisirenden Kettenstrom entgegen, dem Polarisationsstrom also gleich gerichtet, so ver- grösserte sich immer die Bussolenablenkung beim Uebergang (mit stän- digem Spiel des Rheotoms) von der Beobachtung der Potentialdifferenz zu der des Depolarisationsstromes, dagegen bei gleicher Richtung des Ketten- 336 W. Cown: stromes und der Potentialdifferenz, bezw. conträrer Richtung dieser mit dem Polarisationsstrom trat ausnahmslos eine Verminderung der Ab- lenkung ein, die manchmal eine Stromumkehr zur Folge hatte. Es kam also keine „positive“ bezw. „anomale“ Polarisation zur Beobachtung. Ferner stimmten die mehrmals beobachteten Stromwerthe des durch Polarisation beeinflussten Kettenstromes in jedem der beiden .Fälle unter einander, doch nicht gegenseitig mit einander überein. Sie waren grösser, wenn die Potentialdifferenz mit dem Kettenstrome zusammenfiel, kleiner aber bei dem Gegenlauf. Es ist somit klar, dass die Potentialdiffe- renzen während der Polarisation wie der Depolarisation mehr oder weniger fortbestanden. Dies macht es in erster Reihe nothwendig, um das Verhältniss zwischen der Polarisation und der wirksamen polari- sirenden Kraft feststellen zu können, die Betheiligung der Potentialdiffe- renzen zu bestimmen. Um Aufschluss hierüber zu erhalten, nahm ich drei Versuchsreihen mit Cadmiumelektroden vor, die sich schon durch geringe Polarisirbarkeit und kleine Potentialdifferenz ausgezeichnet hatten. Jede Versuchsreihe bestand aus 6 bis 9 Gruppen mit je drei Einzel- bestimmungen. Durch die Umlegewippe vor dem Rheochord wurde die polarisirende Hauptkraft einmal der Potentialdifferenz gleich, das andere Mal entgegen gerichtet. Hierdurch konnte einer der zwei Fälle nach Be- lieben herbeigeführt werden, die in den folgenden Protocollen! mit M. und P. bezeichnet sind. | Die Bussolenablesungen wurden in der Reihenfolge der steigenden Anzahl der an den Ablenkungen betheiligten Kräfte vorgenommen, nämlich a) die Potentialdifferenz, b) diese plus bezw. minus der Polari- sation, c) die benutzte Kettenspannung minus der Polarisation, plus bezw. minus der Potentialdifferenz. Der Werth von 100 Scalentheilen glich wie auch in den übrigen Versuchen einer Ablenkung von 1° 15° und einer Stromintensität von an- nähernd ein Mikroampere. In Folge der geringen Polarisation fanden alle Bussolenablenkungen ausser der in der nachfolgenden Tabelle unterstrichenen in einer Richtung statt. Im Uebrigen fielen in günstiger Weise für die Stichhaltigkeit der Probe die Potentialdifferenzen in den ersten zwei.der drei ohne alle Be- rührung der Elektroden hinter einander vorgenommenen Versuchsreihen recht verschieden aus. Die Durchschnittswerthe wie die Einzelbestimmungen dieser Tabelle zeigen ohne weiteres, dass die Potential-Differenzen ihre Kraft durchgehends stark behaupten; es bleibt also festzustellen in wie grossem Maasse. Hierbei sind die zwei Momente zu vergegenwärtigen, erstens, dass bei Elektroden, a De fh nn bonn VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 337 die eine Potentialdifferenz aufweisen, diese die polarisirende Kraft verstärkt bezw. abschwächt und in Folge dessen einen entsprechenden Unterschied in dem Betrag der Polarisation bewirkt; zweitens, dass die Potentialdifferenz auch während der Zeit des Depolarisationsstromes einwirkt. Sie stärkt bezw. schwächt je nach ihrer Richtung die Hauptpolarisation (d. h. verlangsamt bezw. beschleunigt die Depolarisation), und zwar in Uebereinstimmung mit der vorhergehenden Wirkung bei der Polarisation. A. Versuche über die Mitwirkung der Potentialdifferenz. Bussolenablenkungen nebst Durchschnittswerthen. Cadmiumelektroden in /\ "normal CINa-Lösung.! I | u. | IR. Fall a b-ı 6 | Fall | a b C | Fall ach | R 2 M. | 33 | 33 | sıo IL ı 2» | ® 320 | M. 50 | 50 | soo ma 20, 305 | PL | 5 | 35 | 350. p. a1) 05. | 343 Eon 355 Km se) ao 500 | m. | a1) a6 17304 EB er ep | 50 | 3 855 pP | 39: |. 20 | 345 Eee ee 2 6350 | ne war | a4 805 || Mm | 22 0 20-*310 Bess np a0 32 | 3a PL | 32 | 050 390 I a2 | “00 25 | 205 | 1 18. eve) ol || az IM. | 835 | 40 | 300 || | Ds 8 | 332 | 2. ee a ee a nee a ai | 25 | 320 Mm | 35 | 30 | 50 ee 305 In den Werthen der Rubrik c) der obigen Tabelle ist der Einfluss des ersten Moments unmittelbar ausgedrückt. Die Wirkung beider Momente erhellt aus dem Vergleich der Polarisationswerthe der beiden Fälle in Tabelle D. Die Regelmässigkeit der Hauptkraft in den 3 Versuchsreihen ergiebt -sich durch eine Elimination der Potentialdifferenzen aus den Werthen der Rubrik c) vermittelst Summirung der Werthe für beide Fälle nebst darauf- folgender Halbirung. Es resultiren die untenstehenden Zahlen, die den Betrag des durch die bewirkte Polarisation abgeschwächten Kettenstromes bedeuten. ! Es bestanden die Elektroden aus einem hierzu zu Blech gewalzten, sodann entzwei geschnittenen Stück Metall. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 22 335 W. Cowr: B. Betrag des durch Polarisation abgeschwächten Kettenstromes. Ealll | 1. | 11. IIT, P. n 2332 348 842 M. | 320 | 304 305 2.652 652 647 326 3,6 393-5 Im Mittel 325-2. In Betreff der Betheiligung der Potentialdifferenz an den gewonnenen Werthen ist zunächst unter der Annahme, dass der Polarisationsbetrag in den Werthen unter b streng reciprok sei, die Frage, wie weit dieselbe in dieser Rubrik vertreten ist, in ähnlicher Weise zu prüfen wie folet: C. Betrag der Potentialdifferenz bei der Depolarisation. | I | HR | I. Kal E |- = —— | a ba .c u au c a b € De ner 33a | 37 31 348 32 95 342 Me 25 | 320 35 39 304 34 38 305 | asa | 2:70 2:63 | BE | 35 | 31-5 Von den beobachteten Werthen der Potentialdifferenz zeigen die in annähernder Weise berechneten wenig Unterschied, ausser in der ersten Versuchsreihe, auf die wir weiter unten zurückkommen. Bei allen Ver- suchsreihen ist der Unterschied in einer Richtung. | Nimmt man, abgesehen zunächst von der ersten Versuchsreihe, ! ! Protocolle, die in gleicher Weise kleinere Potentialdifferenzen in den ersten Bestimmungen bezw. Versuchsreihen aufweisen, finden sich 8. 345 für Zink in ge- sättigtev Zinkvitriollösung bezw. in isosmotischer Kochsalzlösung. Durch die nachber zu beschreibende Behandlung der Elektroden wurde ein solcher Anstieg der Werthe, wie z. B. in folgendem Protocoll, vermieden. Versuch XLI. Cadmium-Zink (112:65) amalgamitt. au Eh C | a | b c a b c 5 218 19) 19 212 20 25 210 3 6 218 ana, 20 212 2a 2025 207 10 13 218 Lama 21 213 20 24 206 9 14 218 N 22 25 207 en lien 213 20. | 205 | | VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 339 ein ungeschmälertes Fortbestehen der Potentialdifferenz bei den Werthen der Rubrik b an, so stellen die Unterschiede zwischen den Werthen der Rubriken a und b für beide Fälle den Betrag der Polarisation wie in Folgendem dar. D. Betrag der bewirkten Polarisation. Fall M. | Fall P. Anker m.) ng: ae aus b) 25 | sa Be na ar se aus a) a1 35 | See | aus b) 8 | Se E25 4 | 4 | 4 | | 10 | 6 7 Der bedeutend grössere Betrag der Polarisation im Fall P wie im Fall M lässt sich durch die zwei oben angegebenen ' Momente erklären, nämlich erstens für den anfänglichen Polarisationsbetrag bei der Depolari- sation durch den im Durchschnitt um 11 Procent stärkeren polarisirenden Strom, zweitens für den Depolarisationsstrom durch die polarisirende Wirkung der Potentialdifferenz, welche nunmehr als eine depolarisations- hemmende fortgesetzt wird. Im Falle M dagegen wirkt die mit dem de- polarisirenden Strom übereinstimmende Potentialdifferenz depolarisirend ein, beschleunigt also die Depolarisation, welche der Stromlauf bewirkt. Hier- durch verringert sich der Antheil der Diffusion der angehäuften Ionen bei dem Vorgang und erklärt somit das Gleichmaass der Polarisation im Falle M den grossen Unregelmässigkeiten im Falle P gegenüber, welche mit dem verschiedenen Betrag der Potentialdifferenz in den 3 Versuchsreihen un- zweifelhaft, doch in nicht übersehbarer Weise zusammenhängen. Für die vorliegenden Untersuchungen ist allenfalls der Fall M allein zu verwenden. Vermittelst der in Tabelle D erzielten Zahlen lässt sich durch Sum- mirung mit den beobachteten Werthen des durch die Polarisation abge- schwächten polarisirenden Stromes der Betrag des ungeschwächten erhalten. E. Betrag des anfänglichen polarisirenden. Stromes. Fall M. | Fall P. I a a AIRTRINENEN mm EEE 390 304 305 32 | 348 349 4 4 4 10 | 5 7 324 308 309 342 | 353 349 | 22* 340 W. Cowr: Aus diesem lässt sich dann der Betrag des nicht abgeschwächten Kettenstromes herausziehen, und zwar durch Elimination der Potential- differenzen unter der nicht ganz zutreffenden Annahme der gleichen Ab- weichung in beiden Fällen von dem gesuchten Werth. F. Betrag des Kettenstromes. Fall | I. DL | III. Mittel P. 342 353 349 oa M. 324 308 309 2:666_ 661 658 _ | 333 330.5 329 Die Abweichungen in den Versuchsreihen betragen nur + 0-6 Proc. Aus den Werthen der Tabelle E lässt sich auch der Mittelwerth der in beiden Fällen am polarisirenden Strom betheilisten Potentialdifferenz herausziehen, wie folgt. Zur Bestimmung seines Betrages ist der Mittel- werth der beobachteten Potentialdifferenzen beider Fälle in gleicher Weise daneben berechnet. Mit diesem bezw. mit dem Werth des Kettenstromes werden dann durch Gleichung der am polarisirenden Strom betheiligte Bruchtheil der Potentialdifferenz bezw. das Verhältniss dieses zum Ketten- strom erhalten. G. Betrag der Potentialdifferenz am polarisirenden Strom. Fall I. IT. II. | Mittel | Fall | 1 IT. II. | Mittel P. ec) | 342 oe | ro | ao | | 8 37 32 29 M. c) | 324 308 309 | 8312-7 || M. a) 21 35 34 30 2:18 45 40 | 35-3 | 2:39 12 RN Q 22.5) 20 | 17-65) 1952| 236 33 | Does; 29-5:17-65 = 100: 59-8 330-8:17-65 = 100: 5-3 Die anfängliche Kraft der Potentialdifferenz fand also im Durchschnitt während der Zeit des Hauptstromes nur zu $/,, ihres Betrages im Gesammt- strom Ausdruck. Dieser Bruch ermöglicht es, den Gesammtbetrag der Kräfte zu be- stimmen, indem in beiden Fällen nach Hinzufügen des gefundenen Polari- sationswerthes zu dem beobachtete: Werth des Hauptstromes (der im Falle P schon den Betrag des Kettenstromes + Potentialdifferenz giebt) in dem Falle M zweimal 59-8 Procent = 100 Procent + 19-6 Procent von der beobachteten Potentialdifferenz noch hinzugesetzt wird, wie folgt. VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 941 H. Gesammtbetrag der betheiligten Kräfte. Nm } Fall M. | Fall P. L. Ta N m za 3027 l F5osnnu ass? | Ey NE 4 N 2 10 5 7 324 sad | see. ee ee 2) 21 35 34 BR ne 6:8 a Im Mittel 348. 349-1 349-8 | 349-5 Im Mittel 349-5. Die Uebereinstimmung ist eine sehr vollkommene, nicht nurin den Mittel- werthen für die zwei Fälle M und P, sondern vielmehr auch zwischen den drei, namentlich aber zwischen den ersten zwei Versuchsreihen im Falle M, die bisher sowohl in den Werthen der Potentialdifferenz wie in denen des abgeschwächten Kettenstromes gefehlt hat. Die Ungleichheit im Einzelnen und die Uebereinstimmung im Ganzen zeigen, dass eine Wechselwirkung zwischen der Potentialdifferenz eines Elektrodenpaares und dessen Polarisation in Folge eines hinzukommenden Stromes stattfindet. Es steht somit ausser Zweifel, dass das anfängliche Potential eine Selbstpolarisation bedeutet, die sich immer ins Gleichgewicht mit der Umgebung setzt. Auf die einzelnen Abweichungen in den benutzten Versuchen erübrigt es nunmehr näher einzugehen; zur Vermeidung ihres Einflusses wird immer nur nöthig sein, eine genügende Anzahl Beobachtungen anzustellen. Für die weiteren Untersuchungen erscheint es wie bisher zweckmässig, ausser dem polarisirenden Strom und der Gesammtpolarisation inneren und äusseren Ursprungs, die anfängliche Potentialdifferenz allein in jeder Be- stimmungsgruppe zu beobachten. Den Verhältnissen, wie sie sich bei der Anwendung von Metallelektroden zur Ableitung schwacher Ströme vom Ge- webe darbieten, wird wohl in dieser Weise am besten entsprochen. Bezüglich der im Folgenden wiedergegebenen Versuchsergehnisse ist zu bemerken, dass dem Verhalten von Cadmiumelektroden ein grosser Theil - der Versuche gewidmet wurde. Es hatte die besondere Ausdehnung dieser Versuchsreihen z. Th. seinen Grund in der grossen Biegsamkeit des Metalles, die es für difficile Applicationen oder auch für einfachere Zwecke als Elek- trode einen Vortheil sowohl anderen Metallen, als unter Umständen auch unpolarisirbaren Elektroden gegenüber gewährt. Im Vergleich mit Zink, dem es im Ganzen überlegen ist, in der Klein- heit der Polarisirbarkeit aber ein wenig nachsteht, besitzt es eine gleich- mässigere Structur und eine in Zimmerluft geringere Oxydirbarkeit. 342 W. Cowu: Es lag nun nahe, mit Benutzung der beschriebenen Versuchsanordnung und gewissermaassen als Controle derselben die Stromlosigkeit und Un- polarisirbarkeit von amalgamirten Zinkelektroden in gesättigter schwefel- saurer Zinklösung zu constatiren, sodann zu sehen, wie die verwandten Metalle Zink und Cadmium ohne Amalgamirung in derselben, sowie in ge- sättigter Lösung ihrer Chlorsalze sich verhielten. Die Versuche zeigten auch weder Potentialdifferenzen, noch Polarisirbarkeit der genannten Combinationen und können nun zum Vergleich dienen, erstens mit den Versuchen über oxydirte Metalle in gesättigter Salzlösung, zweitens mit dem Haupttheil der Versuchsreihen, bei denen nur dissociirte Kochsalzlösung benutzt wurde. In den folgenden Tabellen sind zunächst die Protokolle einiger typischen Versuchsreihen über Cadmium und Zink zusammengestellt. Hierauf folgen die Ergebnisse sämmtlicher übrigen Versuchsreihen über diese Metalle wie auch über eine Legirung der beiden im Verhältniss der Atomgewichte Es finden sich in den Tabellen unter x die Zahl der Beobachtungsreihen und unter a, b bezw. c, ganz so wie am Schluss der Protokolle, in einer Reihe die Durchschnitts- werthe der Bussolenablenkungen, in einer zweiten die aus diesen berechneten Werthe der Polarisation und der ganzen polarisirenden Kraft, schliesslich in dritter Linie, in Hundertstel von dieser letzteren ausgedrückt, die mit ein- ander vergleichbaren Werthe der Potentialdifferenzen und der Polarisation. Gleichfalls in Parallele gestellt sind die Ergebnisse über Gold, Platin, Palladium und einige Goldlegirungen mit denen über Silber und Kupfer nebst Neusilber (Kupfer-Nickel-Zink), Niekelin (Nickel-Kupfer) und Messing (Kupfer-Zink), die eine mittlere Oxydirbarkeit besitzen. Alsdann folgen einige Versuchsresultate über Magnesium und Quecksilber, Zinn und Blei, kupferhaltiges Aluminium und eine mit diesem hergestellte Aluminium- Cadmium-Legirung. Besondere Berücksichtigung fand das äusserst biegsame Gold. Eine zur Prüfung hergestellte Legirung dieses mit Cadmium im Verhältniss der Atomgewichte war aber von einer Sprödigkeit, die eine weitere Brauchbarkeit derselben wohl völlig ausschliessen dürfte; ein nicht harter Hammerschlag brach einen Theil davon zu Pulver. Die untersuchten Gold- legirungen mit Silber und mit Kupfer waren die wegen ihrer Zähigkeit und Härte allgemein gebräuchlichen 14karätigen Mischungen. Die Verhältnisse der Bestandtheile zu einander in dem „prima“ Neu- silber, sowie im Messing und im Nickelin, wie dieses zur Herstellung von elektrischen Widerständen u. a. m. verwendet wird, wurden in Folge ihrer beträchtlichen bezw. hohen Polarisirbarkeit nicht untersucht. Das von der Schweizer Industrie herrührende Aluminium, welches kleine Mengen Kupfer aufweist, war das reinste zur Zeit erhältliche. Es gelang leicht, mit diesem eine oxydfreie Cadmium-Legirung im Verhältniss der Atomgewichte mittels VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 343 Zugabe von Chlorcadmium zur Schmelze zu erhalten. Dieselbe war in Aussehen und Consistenz ihren Componenten ähnlich. Durch starke Er- hitzung eines Stückes schienen die beiden sich zum Theil zu trennen. Das Magnesium war das gewöhnliche in Bandform käufliche; beim Gebrauch sammelten sich Glasblasen an beiden Elektroden. Das Zinn und das Blei wurden wie die anderen oxydirbaren Metalle mit einem harten Messer abgeschabt und mit weissem Sandpapier abgerieben. Das Quecksilber kam in zwei grossen Tropfen, vermittelst isolirter Platindrähte abgeleitet, zur Verwendung. Die Tropfen lagen in zwei gleich grossen Bohrungen einer Korkplatte, wurden aber nicht abgewogen. In den Versuchen mit gesättigten Salzlösungen zeigte sich, wie aus der Tabelle ersichtlich ist, Cadmium mit Zink ebenbürtig, bei oxydirter Metalloberfläche sogar überlegen. In allen Fällen bestand eine Strom- losigkeit der Cadmiumelektroden nach wie vor dem Stromdurchlauf. Bemerkenswerth ist das Resultat mit blankem Zink in neutraler gesättigter, schwefelsaurer Zinklösung, da du Bois-Reymond trotz ungewöhnlicher Cautelen die diesbezügliche zweite Angabe Matteucci’s nicht hat bestätigen können." Die von uns beobachtete Polarisation der oxydirten Zinkelek- troden und ihre grössere Potentialdifferenz lassen hiergegen den praktischen Vortheil des amalgamirten Zinkes zur Herstellung von unpolarisirbaren Elektroden deutlich erkennen. _ In den Versuchen mit dissociirter Chlornatriumlösung als Elektrolyt zeigte Cadmium unter günstigen Bedingungen den fast gleich kleinen Betrag der Potentialdifferenz und der Polarisation von rund 2 Procent der ganzen polarisirenden Kraft, nämlich, wenn vor der Bestimmung die Elektroden während einer Minute oder auch noch kürzerer Zeit in gesättigter Koch- salzlösung erhitzt wurden. Bei nicht so behandelten Elektroden waren die Beträge 3.7 Procent bezw. 6-4 Procent, die Polarisation also in diesem Falle bedeutend grösser als bei den behandelten Elektroden. Da die Durchschnittswerthe der Versuche mit den an der Luft oxydirten Elektroden ein umgekehrtes Verhältniss zeigen, nämlich 6-4 Procent bezw. 3-0 Procent und das Erhitzen des Metalles in der siedenden Lösung schon eine wahrnehmbare Oxydschicht erzeugt, so lässt sich daraus folgern, dass das Oxydiren nebst der Erhitzung das günstige Resultat herbeiführte. 1 A.2.0. 8.463 wird angegeben: „Diese möglichst reine Zinkoberfläche tauchte ich in gesättigte reine schwefelsaure Zinkoxydlösung, die ich Hın. Heinrich Rose verdankte. Auch so liess die Gleichartigkeit viel zu wünschen übrig, jedoch war sie genügend, um gute Beobachtungen an der Siemens’schen Wippe zu gestatten. Es zeigte sich aber mit Strömen von der Ordnung des Muskelstromes negative Polarisation ebenso stark wie beim käuflicher Zinkdraht, welche ebenso schnell als dort mit der wachsenden Stärke der Ströme abnalım.“ 9344 W. Cowu: In den 31 Versuchen mit Zink, die eine durchschnittliche Potential- differenz von 9-7 Procent und eine Polarisation von 1-6 Procent aufweisen, konnte durch vorheriges Erhitzen in 1 procent. Sublimat- bezw. Natrium- carbonatlösung in allen 3 bezw. 4 Fällen die Polarisation auf Null gebracht werden, doch betrug dabei die durchschnittliche Potentialdifferenz 6 Procent bezw. 8 Procent. Das Factum, dass der angewendete Strom keine Polari- sation bewirkte, ist jedenfalls nicht nur an und für sich bemerkenswerth, sondern auch wohl praktisch verwerthbar, und wird mit der sonst beob- achteten Verminderung der Polarisation bei leicht oxydirbaren Metallen weiter unten besprochen werden. In den Ergebnissen mit der Zink-Cadmium-Legirung zeigt sich der Einfluss des letzteren Metalls in prägnanter Weise. Während die Polarisation fast dieselbe ist wie bei dem behandelten Cadmium und Zink, beträgt die Potentialdifferenz durchschnittlich wenig mehr als die Hälfte der bei diesem Metall gefundenen. Auch kleiner sind die Unterschiede in den Resultaten der Ver- suchsreihen, als. dies bei Zink der Fall ist. Amalgamirte Drahtstücke aus der Lesirung zeigten eine unbeständige Potentialdifferenz, welche den Polarisationsstrom ins Schwanken brachte. Im Gegensatz zu Cadmium und Zink stehen die Metalle Gold, Platin, Palladium, amalgamirtes Gold und die Legirungen Gold-Silber und Gold- Cadmium. Es zeigten sich einerseits, wie wohl zu erwarten war, keine oder nur minimale Potentialdifferenzen und eine grosse, fast immer gleiche Polarisation. Kupfer-Gold wies dagegen bei ebenso starker Polarisirbarkeit eine kleine Potentialdifferenz in einer Versuchsreihe auf. Die Polarisirbarkeit der in derselben Tabelle parallel gestellten Metalle und Legirungen von mittlerer Oxydirbarkeit vermindert sich in der Reihe Nickelin, Silber, Neusilber bis zum Kupfer allmählich um !/, des höchsten Betrages der bei edlen Metallen gefundenen Polarisation. Das Messing zeigt den Einfluss seines grossen Zinkgehaltes und dürfte wohl unter den härteren Metallen als blanke Elektrode den Vorrang einnehmen. Seine kleine Potentialdifferenz, welche auch Neusilber aufweist, macht es in besonderem Grade für Stromableitungen empfehlenswerth in allen Fällen, wo bis zum beobachteten Vorgang wenig Strom wünschens- werth ist. Im höchsten Grade besitzen die edlen Metalle diesen Vortheil, doch in Folge ihrer Polarisirbarkeit verlieren sie denselben, sobald sie vom Strom durchflossen werden, und zwar bis die Polarisation wieder abgeklungen ist. Zur Untersuchung kurz dauernder bezw. einmaliger Vorgänge sind sie bei Stromlosigkeit des Präparates ein beachtenswerthes Hülfesmittel. Gegen Gewebe sind sie jedenfalls nur in polarisirtem Zustande different. VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. 345 Versuche mit Zink- und Cadmiumelektroden. I. In homogener gesättigter Salzlösung II. In heterogener dissociirter Salzlösung. ('/ıo normal ClNa.) Blechstücke vorher !/, Min. in 1proc. NaCO,;- vorher in 30proc. NaCl-Lösung ed | c a b oe | Zink. Zink. 0 0 500 | Amalgamirte DBlech- | 25 |40 | 480 | Amalgamirte Blech- il 0 500 | stücke in ZnSO,-Lö- | 380 | 46 | 500 | stücke. 0 1 497 | sung bis zur Krystalli- | 35 | 50 | 460 0 0 | 499 | sation eingedickt. 40 ,55 | 460 32 45 475 18 | 488 0 0 340 | Blanke Blechstücke in | 7%, 3% 1 0 | 340 | gesättigter ZnSO,-Lö- 0 0 | 342 | sung. 12 19 | 440 Blanke Blechstücke. 0 2 339 12 20 440 nl 21 445 13 22 438 15 |25 | 320 | Durch 1 Min. Kochen | 12 | 20 | 441 20 | 20 | 325 | in 30procent. NaCl- 8 | 449 10 20 | 320 | Lösung leicht oxydirte Sl ls20n 30 |ı35 | 310 | Blechstücke in gesät- 32 39 340 tister ZnSO,- Lösung. s0 30 400 91 98 323 35 35 400 7 | 330 35 | 36 | 400 | Lösung gekocht. 7% 2° 8%] 0% Cadmium. Cadmium. 0 0 | 310 | Blanke Blechstücke in | 23 | 47 | 190 | Amalgamirte Blech- 0 1 | 310 | gesättigter CdSO,-Lö- | 25 | 49 | 200 | stücke. 0 0 | 307 | sung. 28 | 49 | 203 | 0 0 308 14 48 | 200 28 49 159 24 48 190 0 0 | 325 | Durch 1 Min. Kochen 24 | 214 0 5 | 325 | in 30procent. NaCl- | 12°, 12%, 6 7 | 335 | Lösung leicht oxydirte | 5 5 | 325 | Blechstücke in gesät- | 15 | 15 | 310 Blanke Blechstücke. 5 0 | 310 | tigter CdSO,-Lösung. 8 |55 | 370 0 0 315 7 55 355 Ü 55 350 9 45 346 0) 0 | 300 | Blanke Blechstücke in 36 | 382 0 0 300 | gesättigter CdCl,-Lö- Un oh) 0 0 | 300 sung. 2 2 | 302 20 | 29 | 340 Dieselben 0 0 305 17 23 350 13 27 | 355 1 Minute gekocht. 10 14 370 6 | 6 |370| 5 Bis s70r 5 12 370 5 12 370 10 1 379 7 386 x 2 | W. CowL 346 € er: . ° 9 ons . 28€ " G GL 9), 1HSH Ur AoyaoA 94 IE Ah) SlE Seen s SAT SUN N = 9 RZ 2 ‘yypos 2 <1 ä | N Sn Di U & nuy, ur ou 0 N] ur uoq[oesotc] = 6 "08 ar Sun ui log 109 -oB or DEN 1 BE q sıq sı 0 E ale 05 8 ‘9190403 008 Gr Add UPEET | WE "o& ı aorjtoA “[3SOp -9yongsyyeIdg 09 01,08 IDeN uU 019.0 Um) | 01 s 2 R eig | oe | 998 OL % 1 00 “amdoyo3 "ulm IT 98 91 : 0 Um: DaN a 0 or “ 818 nn 13 ® 008 FI & © 018 ee - onouysy2sjazenuuiel nz rusgqpssetg | OL 01 lo8 0% 0 ur Tr oT IDeN U 2: : e e a) ya 108 \ | 98 218 Ge F8 ad Dre | 223 Ohr 8 "Oyongsyaajg SyupAxO | 0 ar euonsion £ BU wu)® ch a T : | 698 wen SD LEE FERN ELERNEE! ey pw eyonsıon | 3 | 2 E JUSpS-I> STSWUTTER — | 5 | — It q 347 VERSUCHE ÜBER SCHWACH-POLARISIRBARE METALLELEKTRODEN. | 'og-0 F | e3-TF Sunpuegag-IyeN '/o08 yoru T-2 %o 6-1 cl 0-1 F | bo 0-FF Sunpurpg-IyeN "oT yazu 100-F %o 3-E 12 le F | % G-8F IeJo2IN uoNUup4xo uıroq 00-8 "ho 9-9 co 00-01 F | a &-9F lego uoyuerg wog o#-9 Yo 2-8 U De Glyeocoll IR: E02 C] | : Pflanze IV. LE, Js | Thier \ | RE LEO Die Hauptmasse des C, welcher den thierischen Organismus verlässt, wird durch die Lungen als CO, zugleich mit dem H,O ausgeschieden. Die Pflanze ist nun befähigt, diese beiden Molecüle unter Abgabe von O an den thierischen Organismus zu Zucker zu vereinen. Der Rest des C ver- lässt zugleich mit dem N den Körper durch die Nieren als Harnstoff, Amid der Carbaminsäure. Dem Harnstoff der Carnivoren entspricht Glycocoll der Herbivoren, das, wie sein Name sagt, süss schmeckt. Alle «-Aminosäuren bis zur VI. Reihe schmecken süss, es giebt selbst ein Glycoleuein. Selbst Harnstoff wird zu einem Süssstoff von eminenter Intensität, wenn man ihn mit Phenetol in der p-Stellung verkuppelt, es ensteht Dulcin, NH—(C,H,-0-C,H, NNH, Hierhin gehört auch das süss schmeckende Asparagin. o- und m-Amidobenzoösäure schmecken süss, o-Sulfamidobenzoesäure jedoch nicht, um nach Herausnahme von OH zu dem eminenten Süssstoff Sacecharin, co zen GH go, /NH, zu werden. Hierher gehört auch Glucin, Monosulfosäure eines Amidotriazins, N und Glyeyrhizinsäure. Den N-haltigen Süssstoffen stehen die N-haltigen Bitterstoffe, die Al- kaloide, gegenüber. Am intensivsten bitter schmeckt Chinin, es verliert seinen bitteren Ge- schmack, wenn man den Aethylkohlensäureester im Chininmoleeül substituirt; AD x C,H, cos o es entsteht das geschmacklose Euchinin. Auch das Mineralreich betheiligt sich an der Fähigkeit, seine Ver- bindungen mit der Gabe des Geschmackes auszustatten. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 24 Chininrest 370 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Vor 10 Jahren untersuchte Haycraft die löslichen salzsauren und schwefelsauren Salze der I., II. und VII. Mendelejeff’schen Gruppe; er fand, dass sie salzig, bitterlich salzig und salzig bitter schmeckten. Ab- strahiren wir einmal vom salzigen Geschmack und erkennen wir nur den bitteren an, so ergiebt sich Folgendes: Der bittere Geschmack in der I. Gruppe war nur schwach, stieg aber mit dem Atomgewicht der Elemente; in der II. Gruppe, in der Beryll mit seinen süssen Salzen Schwierigkeiten macht, war der bittere Geschmack stärker und wuchs wiederum mit dem Atom- gewicht, in der VII. Gruppe war er wiederum nur schwach entwickelt, wuchs aber auch mit der Schwere des Elementes. Nun, Beryli, als typisches Element der II. Gruppe, gehört in die III. Gruppe, welche ausnahmslos eine duleigene ist; von der IV. Gruppe schmecken süss CO,, alle Cer- und Blei- salze, von der V. Gruppe schmecken süss N,O, As,O,, von Antimon sind die meisten Salze schwer löslich, Brechweinstein schmeekt aber süsslich, alle Didym-, Erbium- und Terbiumsalze. ale > Eos IE 10% I. IV. WG v1. v1. | Be—1>B 00, N,0 Al N | Y | As,0, La Ce Sb We Yb Di Y Pb Er N EN Ey Amaragene Zone Duleigene Zone Amaragene Zone Süss schmecken also die Salze der Elemente, die im natürlichen System in der Mitte stehen, die weder einen ausgesprochen positiven oder negativen Charakter haben, sondern einen doppelten Charakter zeigen, indem ihre Oxyde ebenso als Säuren und auch als Basen auftreten. Und diese Doppel- natur ist es, welche allen süss schmeckenden Verbindungen eigen ist. Die amaragene Zone liegt aussen, es ist der positive oder der negative Charakter im Molecül ausgeprägt. Die mehrsäurigen Alkohole und die «-Aminosäuren zeigen ebenfalls diese Doppelnatur; freilich thun dies sämmtliche Alkohole und sämmtliche Aminosäuren; zum Zustandekommen des süssen Geschmackes ist es aber nöthig, dass die diese Doppelnatur, diese Harmonie bedingenden Gruppen möglichst harmonisch — sowohl in Bezug auf Anzahl in den Alkoholen als auch in Bezug auf Stellung in den Aminosäuren — verknüpft sind. Ist dem so, so ist es ein Postulat, dass eine Störung der Harmonie im Molecül den süssen Geschmack benehmen muss; ja noch mehr, ist es wirk- lich so, dass die im Molecül herrschende Harmonie der süssenden Eigen- ‚schaft zu Grunde liegt, so muss eine Störung derselben nicht nur den süssen Geschmack nehmen, sondern sogar den bitteren zunächst herbeiführen, wenn anders die Störung nicht so erheblich ist, dass Geschmacklosigkeit eintritt. Mit diesen theoretischen Erwägungen stehen die Thatsachen im besten Ein- klang. Denn die bitter schmeckenden Verbindungen bestehen ebenfalls nur aus drei Gruppen, und zwar stehen dieselben in den intimsten Beziehungen zu den süss schmeckenden drei Gruppen. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — W. STERNBERG. — D. HANSEMAnNN. 371 Siiss schmeckende Verbindungen. Bitter schmeckende Verbindungen. I. Organische Verbindungen: | (+ | Baccharate — 1. N-lose: Alkohole, Zucker N Glucoside = ı Bitterstoffe = = er | ie 2. N-haltige: «Aminosäuren | 7 | Alkaloide + „L2n 2 VRABBERE EBENE ZEN e er II. Anorganische Verbindungen: | Ki ea N + 3. III—V Duleigene Zone a Amaragene Zone 2 In der Hörsphäre fällt die psychische Lustempfindung zusammen mit einer gewissen Einfachheit im Zahlensystem der physikalischen Ursachen der Empfindungen; im Gebiete des Geschmacksinnes fällt die psychische Lustempfindung zusammen mit der Einfachheit der chemikalischen Ursachen der Empfindungen. Freilich, sollen diese Deductionen Beweiskraft erlangen, so müssen doch nunmehr Untersuchungen der Intensitäten, wie solche noch niemals gemacht sind, folgen, und das ist mit ausserordentlichen Schwierigkeiten verknüpft; das ist auch der Grund für die Eingangs erwähnte auffallende Erscheinung, dass die physikalische Chemie bisher niemals der Eigenschaft des Geschmackes gedenkt. Die rein physikalischen Eigenschaften der Materie sind eben eminent quantitative Eigenschaften, die sich genau abmessen lassen; Farbe, Geruch hingegen, und Geschmack vollends, also die Eigenschaften der Materie, einen adäquaten Sinnesreiz auf ein Sinnesorgan auszuüben, sind ausserordentlich qualitative Eigenschaften; daher das Problem, diese physiologisch-physika- lische Qualität auf eine chemikalische Quantität als Einheit zurückzuführen, wie eine solche für den Geschmack die im Molecül herrschende Positivität und Negativität sein dürfte. VI. Sitzung am 13. Januar 1899. 1. Hr. D. HAnsemann hält den angekündigten Vortrag: Bericht über das Gehirn von Hermann von Helmholtz. Das Gehirn selbst ist nicht aufbewahrt, es existirt nur der Gypsabguss der linken Hemisphäre. Die rechte war durch eine ausgedehnte Blutung - zerstört. An der Hand dieses Abgusses und im Vergleich mit einer Anzahl gewöhnlicher Gehirne demonstrirt der Vortr. die reiche Gliederung des Helmholtz’schen Gehirnes. Besonders sind diejenigen Partien gut ent- wickelt, die man als Associationssphären bezeichnet, und hiervon wieder hauptsächlich die Terminalgebiete Flechsig’s. Ein Vergleich mit zahlreichen anderen Gehirnen ergiebt jedoch, dass eine solche Gliederung der Gyri theilweise oder ganz auch bei Menschen mit mässigem Verstande vorkommt. Hieraus und aus dem Vergleich mit Gehirnen anderer berühmter Männer ergiebt sich das Resultat, dass man zwar bei intelligenten Menschen eine reiche Gliederung des Gehirnes zu 24* 312 VERHANDLUNGEN DER BERLINER finden erwarten kann, dass aber umgekehrt der Befund einer solehen Glie- derung nicht auf eine hohe Intelligenz schliessen lässt. Es genügt nicht, dass die Associationssphären gut entwickelt sind, sie müssen auch funetioniren. Dazu bedarf es besonderer Reizzustände im weitesten Sinne des Wortes. Um die möglichen Reize näher zu charakterisiren, theilt der Vortr. die Intelligenzen in vier Gruppen: die acut gesteigerte Intelligenz, die abnehmende Intelligenz, die pathologische Intelligenz und die dauernde Intelligenz. Zu der letzten Gruppe gehörte Helmholtz. Einen gleich- artigen Reizzustand bei allen Individuen dieser vierten Gruppe zu vermuthen, geht nicht an, man muss vielmehr von Fall zu Fall urtheilen. Es ist be- kannt, dass Helmholtz, ebenso wie Cuvier, in der Jugend einen leichten Hydrocephalus gehabt hat und dass er später gelegentlich leichte Reiz- zustände des Gehirnes erkennen liess. Bei der Section fanden sich die Reste dieses ausgeheilten Hydrocephalus. Vortr. glaubt daher, dass aus der Combination dieses Reizzustandes mit der ungewöhnlichen Gliederung des Gehirnes die hohe Intelligenz des Verstorbenen zu erklären sei. Der Vortrag wird ausführlich in der Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. XX, veröffentlicht werden. 2. Hr. N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Zwei Apparate zur Dosirung und Messung menschlicher Arbeit (Bremsergometer). Bei meinen Untersuchungen über den Stoffverbrauch des arbeitenden Menschen war es nöthig, einerseits die Grösse der geleisteten Arbeit genau zu messen, andererseits dieselbe innerhalb weiter Grenzen sicher abstufen zu können. Für die mit Locomotion verbundenen Arbeiten, Gehen, Bergaufsteigen, Ziehen, ist diese Aufgabe in vollkommen befriedigender Weise durch das von mir und vielen Mitarbeitern bei Menschen und Thieren erprobte Tret- werk erfüllt! Für die mit den oberen Extremitäten zu leistenden Arbeiten benutzten wir gelegentlich Heben von Gewichten, mussten uns aber bald überzeugen, dass dabei .so viel störende Momente durch die Intervention sog. „statischer“ Arbeit, durch Theilnahme von Muskeln, welche mit un- günstigem Kraftmoment arbeiten, und durch die Nothwendigkeit, den Arm unbelastet wieder in die Ausgangsstellung zurückzuführen, entstehen, dass genaue Messungen auf diesem Wege ausgeschlossen sind. Im Princip sehr geeignet erwies sich das Raddrehen, doch hatte der bis jetzt von uns dazu benutzte Apparat, das von Gärtner unter dem Namen „Ergostat‘“ empfoh- lene Bremsrad, dessen Bremsband durch einen mit Laufgewicht versehenen Hebel mehr oder weniger stark gespannt werden kann, erhebliche Unvoll- kommenheiten. Fick? sagt nicht ganz mit Unrecht, der Ergostat sei mehr ein Turngeräth, als ein zu wissenschaftlichen Zwecken geeignetes Mess- instrument. — In der That wechselt die Wirkung des Bremsbandes bei unveränderter Stellung des Laufgewichtes sehr erheblich mit der Schmierung der Radperipherie, mit der durch die Reibungswärme zunehmenden Ver- flüssigung des Schmiermittels. Bei den Arbeiten von Lehmann und mir,’ von Katzenstein, Loewy ! Siehe die Beschreibung und Abbildung desselben Zandw. Jahrbücher. 1889. S.1. ®? Fick, Ein zu physiologischen Untersuchungen verwendbares Dynamometer. Pflüger’s Archiv. Bd.L. S. 189. % Untersuchungen an zwei hungernden Menschen. Virchow’s Archiv. Bd. CXXXI. Suppl. 8.71. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. 375 und Heineman gelang es, diesen Unsicherheiten dadurch zu begegnen, dass vor und nach jedem Versuche eine Aichung des Apparates vor- genommen wurde. Immer bleibt dies Verfahren recht lästig und zeitraubend und giebt auch nur dann vollkommen brauchbare Resultate, wenn mit grösster Umsicht dafür gesorgt wird, alle Bedingungen bei der Aichung mit dem eigentlichen Versuche gleich zu halten. Fick hat einen Weg vorgeschlagen, welcher tadellose Messung der Arbeit beim Raddrehen gestattet: Das Bremsband soll durch eine elastische Feder gespannt werden und der Dehnungszustand dieser Feder fortlaufend auf einen bewegten Papierstreifen aufgeschrieben werden. Tigerstedt hat nach Fick’s Idee einen Apparat bauen lassen und denselben bei Messungen des Kohlensäureverbrauches für die Arbeit benutzt. Wenn ich glaubte von dieser Einrichtung absehen zu sollen, so ver- anlasste mich dazu einmal die Mühseligkeit, bei jedem Versuche eine lange, vielzackige Curve planimetriren zu müssen, das andere Mal der Umstand, dass eine genaue Vorausbestimmung der zu leistenden Arbeit nicht möglich ist, da dieselbe von der wechselnden Reibung zwischen Bremsband und Rad abhängt. Unter Benutzung des in der Technik zur Messung der Arbeitsleistung von Maschinen viel angewandten Prony’schen Zaumes gelang es mir, einen Arbeitsapparat herzustellen, welcher die für jede Umdrehung des Rades auf- zuwendende Arbeit scharf zu regeln gestattet, so dass man am Schlusse des Versuches nur die Zahl der Umdrehungen an einem Tourenzähler abzulesen braucht, um die Grösse der geleisteten Arbeit genau zu kennen. Der erste nach meinen Angaben von dem Mechaniker Hrn. Voigt, hier, Neuenburgerstrasse 12, gebaute Apparat ist von Hrn. Stabsarzt Schum- burg zu seinen Untersuchungen über den Werth des Zuckers als Erfrischungs- mittel bei anstrengenden Arbeiten benutzt worden." (Der Apparat wird demonstrirt.) Das mit einer Kurbel zu drehende gebremste Rad ist in einem kräftigen Eisengestell montirt. Der Handgriff wird in eines der vier an der Kurbelstange angebrachten Löcher eingeschraubt und dadurch stets der für die Armlänge des Individuums bequemste Radius des Umdrehungskreises hergestellt. Die kleine Ungleichheit in der Vertheilung der Massen um die Radaxe, welche aus der wechselnden Lage des Handgriffes resultirt, wird durch passende Gegengewichte an der gegenüberliegenden Seite des Rades ausgeglichen. Die Reibung der Axen des Rades ist durch Einbettung der- selben in Kugellager auf ein Minimum gebracht, so dass die Arbeit fast ausschliesslich durch die zur Messung dienende Bremse aufgebraucht wird. Das Bremsband beginnt und endet in zwei horizontal abzweigenden Eisenstangen, welche durch eine Schraube mit einander verbunden sind. “ Durch Anziehen oder Lockern dieser Schraube wird das Bremsband mehr oder weniger fest an das Rad angepresst. Das Bremsband würde nun von dem rotirenden Rade mitgenommen werden, wenn nicht eine an der Ver- längerung der eben erwähnten horizontalen Eisenstangen aufgehängte Wag- schale so stark belastet wäre, dass sie dies verhindert. Wenn das Verhältniss der Spannung des Bremsbandes und der Belastung der Wagschale richtig getroffen ist, bleibt die Eisenstange in genau horizontaler Stellung in der \ Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. Bd. Il. Heft 3. 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Schwebe, so lange das Rad gedreht wird. Die für eine Umdrehung auf- sewendete Arbeit ist dann gleich dem Product aus dem Gewicht der Wag- schale mit Belastung sammt dem Moment des Hebelarmes und dem Umfange des Kreises, welchen die Aufhängestelle der Wagschale beschreiben würde, wenn sie die Drehung des Rades mitmachen würde. Da die Reibung im Laufe der Arbeit sich ändert, müsste der Experi- mentator beständig an der Schraube manipuliren und dieselbe bald loser, bald fester drehen, je nachdem der Hebelarm nach oben oder unten aus der horizontalen Lage abweicht. Diese Regulation der Bremsung wird nun auf automatischem Wege bewirkt und dadurch die genaue Innehaltung der durch die Belastung der Wagschale bestimmten Arbeitsleistung gesichert. Bei dem einen der Apparate, welche Sie hier vor sich sehen, ist ein kräftiger Elektromagnet an dem Stativ des Apparates befestigt. Der Anker desselben trägt einen Eisenstab, welcher in ein Frietionsröllchen endet. Sobald der Elektromagnet thätig wird, drückt er durch Vermittelung dieses Röllchens eine der Bremsbacken fester gegen die Peripherie des Rades und verstärkt dadurch die Reibung. Der den Elektromagneten umkreisende Strom zweier Accumulatorelemente wird nun jedes Mal geschlossen, wenn der Hebelarm ein wenig aus der horizontalen Lage nach unten sinkt. Man braucht nur zu Anfang der Arbeit die Schraube so einzustellen, dass ihre Spannung nicht ganz ausreicht, um das Gewicht in der Schwebe zu halten, dann sorgt der Elektromagnet für die Ergänzung der fehlenden Reibung, indem er in kurzen Intervallen thätig wird. Nur wenn diese Thätiekeit eine zu an- haltende wird, hat der Experimentator die Schraube ein wenig anzuziehen; zeigt der Hebel die Neigung, nach oben über die Gleichgewichtslage hinaus zu gehen, ist also die Reibung zu stark, so muss die Schraube gelockert werden. \ Der zweite von mir mitgebrachte Apparat (vgl. Abbildung) ist in der Idee dem eben beschriebenen gleich, nur dass an Stelle der elektromagne- tischen Regulirung der Bremswirkung eine sehr sinnreiche, von Hrn. Voigt ausgedachte mechanische Regulirung tritt. Dieselbe wirkt in der Art, dass die beiden Eisenstangen, welche die Regulirschraube s tragen, peripher von dieser aus einander gespreizt werden, sobald sie aus der horizontalen Lage nach unten abweichen und einander genähert werden, wenn sie nach oben mitgenommen werden. Da nun die Regulirschraube das Hypomochlion dar- stellt, um welches die Stangen diese kleinen Excursionen ausführen, wird das Bremsband im ersteren Falle stärker angespannt, im zweiten gelockert. Diese Bewegung wird durch das spitzwinklige Scharnier 4 vermittelt, dessen Enden gelenkig mit je einer der beiden Stangen verbunden sind. Die Spitze des Winkels ist mit dem Führungsstabe » verbunden, dessen anderes Ende am Gestelle des Apparates excentrisch oberhalb der Drehaxe eingelenkt ist. Dadurch wird der Winkel bei jedem Herabsinken des Brems- bandes stumpfer und so die Bremswirkung verstärkt, und umgekehrt. Dieser zuletzt beschriebene Apparat hat sich bei den Versuchen, über welche Ihnen Prof. Frentzel in der nächsten Sitzung berichten wird, als ebenso bequem wie zuverlässig bewährt. Ich hielt eine genauere Beschreibung des Apparates, den ich Brems- ergometer nennen möchte, darum für angezeigt, weil eine genaue Zu- messung der zu leistenden Arbeit für viele physiologische und klinische Untersuchungen unerlässlich ist. An die durch die Hrrn. Schumburg und PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZunNTz. (St) _ı DT Frentzel unternommenen Untersuchungen der belebenden Wirkung der Nährstoffe auf den ermüdeten Muskel werden sich solche über die Wirkung des Alkohols, der Alkaloide und verschiedener Arzneimittel anreihen. Der Apparat ermöglicht ferner die Untersuchung des Einflusses der Arbeit auf Athmung, Herzthätigkeit, Verdauung, psychische Processe und andere Körper- functionen des gesunden und kranken Menschen. Die Bedeutung dieser letzteren Untersuchungen für den Kliniker hat Fr. Kraus in einer an Gedanken und Experimenten reichen Abhandlung! überzeugend dargethan. ı Die Ermüdung als ein Maass der Constitution. Bibliotheca medica. D 1. Heft 3. 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER V1l. Sitzung am 10. Februar 1899. 1. Hr. C. Benpa hält den angekündigten Vortrag: Weitere Mit- theilungen über die Mitochondria. Meine heutigen Ausführungen schliessen sich den im Juli vorigen Jahres erbrachten an. Ich erinnere, dass ich Ihnen damals die Verwendung von eigenthümlich färbbaren Körnern des Spermatidenleibes für bleibende Organe der Spermie bei einer grösseren Anzahl von Wirbelthieren und einigen Evertebraten demonstrirte. Ich hatte für die Körner vorläufig den Namen Mitochondria vorgeschlagen, und habe nunmehr die Obliegenheit, über das Wesen dieser Körner und ihre Stellung zu den übrigen bekannten Gebilden des Zellleibes Beobachtungen beizubringen. Ich möchte zuerst über die Methode, die ich in einigen Einzelheiten noch geheim halte, jetzt so viel mittheilen, dass es sich vor allem um eine intensive Härtung mit Flemming’scher Lösung handelt. Diese Operation richtig abzu- passen ist die Hauptschwierigkeit, da man auch, wie ich leider am Material erfuhr, welches ich im vergangenen Sommer in Rovigno gesammelt habe, eine Ueberhärtung vermeiden muss. Wenn das Material aber einmal den rich- tigen Conservirungsgrad zeigt, ist eine Färbung nach verschiedenen Methoden mit Sicherheit zu erreichen. Ich erwähne, dass man, um die Anordnung der Körner zu studiren, schon mit Färbung mit Eisenhämatoxylinlacken nach meiner oder M. Heidenhain’s Methode, besonders auch mit der von Tellyesnitzki für den Hoden empfohlenen (von mir übrigens ebenfalls schon lange angewandten) Weigert’schen Markscheidenfärbung, die ich ebenfalls mit Eisenbeizung benutze, zum Ziel gelangt. Das Gleiche gelinst mit Eisen-Brasilin, mit Eisengallein. Meine Hauptmethode, die die Körner in Contrast gegen das übrige Protoplasma, das Archiplasma und die Kern- substanzen, nur ähnlich den Centralkörperchen und den Zwischenkörperchen färbt, beruht auf Combination des Eisen-Alizarins mit basischen Anilin- farben, besonders Krystallviolett oder Methylenblau. Ich habe im Gegensatz zu neuerlichen Angriffen, die das von Rawitz empfohlene Alizarin erfahren hat, darauf hinzuweisen, dass ich es — allerdings mit einigen Abweichungen von den Vorschriften Rawitz’ — für eins der leistungsfähigsten und aus- sichtsvollsten Färbemittel der Histologie erachte. Meine Beschreibungen stützen sich ausschliesslich auf letzterwähnte Färbung, durch die ich vor allem die Unterscheidung der Körnchen von osmirten Fetttropfen erreiche.! Das Auftreten der Körnchen in den Spermatiden und Umwandlungs- formen der Spermien könnte in erster Linie auf einer Zerfallserscheinung des Protoplasmas bezogen werden, und hiermit könnten meine Körner mit‘ den vielfach beobachteten, mit basischen Anilinfarben intensiv färbbaren körnigen Klumpen im und am Lumen der Samencanälchen identisch sein. Ich habe daher ihr Verhalten in den übrigen germinativen Hodenzellen, den Vorformen der Spermatiden studirt. Sie sind in äusserst typischen Anord- nungen in Spermatogonien und Spermatocyten in Ruhe und Theilungsstadien nachweisbar. Bei den Säugern (Mensch [Material s. Mewes], Hund, Maus, Ratte, Beutelfuchs) liegen sie in den Spermatocyten durch den ganzen Zell- ! Die Präparate wurden mit 10 vortrefflichen, mir von Hrn. Bergmann (Ver- treter von E. Leitz) freundlichst geliehenen Oel-Immersionen !/,;, Ocular III demon- strirt. Für die Beobachtung sind starke Vergrösserungen (mindestens 1000 fach) und intensive Beleuchtungen, am besten Auerlicht, anzuwenden. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. ade. leib vertheilt, mit nur geringer Ansammlung um das Archiplasma. Häufig bilden sie geschlängelte, streptokokkenähnliche Kettchen; bei der Maus vielfach kleine, kugelige Häufchen. In den Spermatogonien (bisher nur im funetion- nirenden Hoden studirt) liegen sie In einem lockeren Häufchen, bisweilen deutlich radiär angeordnet um das Archiplasma. Bei anderen Wirbelthier- elassen zeigt die Körnermasse in Spermatocyten und Spermatogonen eine viel erheblichere Entfaltung. Bei Sauropsiden (Fringilla, Columba, Lacerta) stellen sie sich — wie übrigens auch innerhalb der Spermatiden — also in allen germinativen Zellen als ein massiges, fast halbkugeliges Polster dar, welches dem Kern anliegt und das Archiplasma so einschliesst, dass es nur an äusserst dünnen Schnitten darin erkennbar wird. Der übrige Zellleib enthält nur ganz vereinzelte Körnchen. Von Amphibien habe ich besonders von Bombinator und Salamandra treffliche Bilder erhalten. Die Spermato- sonien zeigen bei ersteren einen dichten, ungefähr kugeligen Körnerklumpen, der sich, das Archiplasma einschliessend, der bekannten Kerndelle anschmiegt, oder wo solche nicht vorhanden ist, einen unregelmässigen scheiben- oder kegelförmigen Haufen bildet. Bei den Spermatocyten liegt eine dichtere Körnerkugel um das Archiplasma, aus dieser entwickeln sich allseitig zierlich ‚geschlängelte Körnerkettchen, die sich weit in den Zellleib ausbreiten; die MNauptanhäufung erhält dadurch oft den Anblick des Medusenhauptes. Bei Salamandra, in deren Spermatocyten ich die Körner überhaupt zuerst sah und auf der Anatomenversammlung (1896) verschiedenen Herren demonstrirte, liegen sie in äusserst feinen, geschlängelten Ketten durch den ganzen Zell- leib, mit nur wenig erheblicher Ansammlung um das Archiplasma. In den Spermatogonien bilden sie unregelmässige Haufen um das Archiplasma. Bei Selachiern konnte ich bisher nur an einzelnen gelungenen Färbungen des Torpedohoden das Vorhandensein von Körnerkettchen in den Spermatocyten feststellen. Die Anordnung scheint der der Urodelen zu gleichen, auch hier liegt eine mässige Ansammlung um das Archiplasma. Bei Mollusken (unter- sucht Helix hortensis, H. pomatia, Planorbis) ist die Anordnung um das Archiplasma deutlich ausgesprochen. Die Körnermenge ist eine sehr grosse. Die Körner bei Helix pomatia sind zu kurzen, leicht gekrümmten Stäbehen confluirt, nb. wohl unterscheidbar von den bekannten Archiplasma- körperchen, die Hermann, Platner, Bolles Lee u. A. gesehen baben, und die in der Mitte der Körnerhaufen als eine kleine, völlig anders gefärbte Gruppe in meinen Präparaten der Spermatogonien sehr klar liegen. In den Spermatocyten sind kleine Körnerkettchen durch den ganzen Zellleib ver- theilt mit allmählicher Verdichtung gegen das Archiplasma. Von Arthropoden habe ich die Spermatogonien in einem nicht functio- nirenden Hoden des Flusskrebses untersucht. Sie enthalten eine ziemlich kleine Körnchenanhäufung um das Archiplasma. In einem funetionirenden Hoden von Blaps sind die Körnerhaufen in den Spermatogonien ohne be- sondere Eigenthümlichkeiten als kleine Kettchen erkennbar. Auffällig ist dagegen das Bild in den Spermatoeyten und Spermatiden. Hier umfasst ein dichtes, längliches Bündel von nahezu parallelen, ziemlich derben Fasern in einem Halbbogen den Kern, zwischen Kern und Archiplasma gelegen. Die Fasern färben sich fast homogen in der Körnchenfarbe, lassen aber nur durch geringe Varicosität eine Zusammensetzung aus Körnchen vermuthen. Da sonst keine Körnchen im Zellleib zu finden sind, müssen sie als Reprä- sentanten der Mitochondria angesehen werden. 318 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Meine Untersuchungen über niedere Evertebraten sind noch im Gange. Das Verhalten der Körner während der Zelltheilung wurde in allen genannten Abtheilungen an den häufig auftretenden mitotischen Theilungen besonders bei Salamandra studirt. Aus diesem Kapitel, welches für das Wesen der Fadenkörner besondere Bedeutung beansprucht und gesondert behandelt werden soll, hebe ich vorläufig nur einige Punkte hervor: Die Körner bleiben stets während der Theilungen erhalten. Sie werden bei der Bildung der Centralspindel vom Archiplasma aus ungefähr radiär besonders nach der dem Kern abgewandten Seite abgedränst, und bleiben von den Centralkörperchen siets durch Ärchiplasmasubstanz getrennt. Nie finden sieh innerhalb der Fasern der Centralspindel oder innerhalb der zu den Öhromosomen strahlenden Fasern Mitochondria. Dagegen besteht die Hauptmasse der Polstrahlungen aus Körner- fäden, die bis an die Zellmembran verlaufen. Von der Metakinese an umgeben sie auch reichlicher die Seiten der Theilungsfigur. Letzteres ist namentlich bei Blaps in sehr merkwürdiger Weise ausgesprochen. Die dort beschriebenen . stäbehenförmigen Körner- bildungen umgeben in einer zweiten äusseren Spindel- oder Tonnenfigur die eigentliche Mitose so dicht, dass sie auf den ersten Blick innerhalb der- selben zu liegen scheinen. Ihr Verhalten in den Teleophasen (wie ich an Stelle des barbarisch gebildeten Telophasen lieber sagen möchte) habe ich noch nicht sicher erkennen können; es scheint, dass die Körnerketten durch die vorwachsende Membran der Tochterzellen getheilt werden. Ich kann also meine Ergebnisse dahin zusammenfassen, dass die Faden- körner in allen Generationen den germinativen Hodenzellen in charakte- ristischer Anordnung vorhanden sind und bei den Theilungen von den Mutterzellen auf die Tochterzellen übertragen werden. Gegenüber den Vor- formen (Spermatogonien, Spermatocyten) erscheint ihr in meinen vorigen Arbeiten beschriebenes Verhalten in den Spermatiden als eine Umordnung, verbunden mit einer erheblichen Vermehrung ihrer Menge. Ich schliesse hier die Bemerkung an, dass auch die einzigen bisher von mir untersuchten Eizellen, die der Zwitterdrüsen der Pulmonaten, äusserst reich an Fadenkörnern sind. Ein zweiter Theil meiner Untersuchungen erstreckte sich auf das Ver- halten der Fadenkörner in anderen Gewebszellen. Es handelte sich einmal für mich nur darum, einen vorläufigen Ueberblick über ihre Verbreitung zu gewinnen, dann aber richtete ich mein Hauptaugenmerk auf die Zellen mit anerkannt contractilen Funetionen, um an ihnen die Berechtigung der Hypothese zu prüfen, die ich betreffs der Bedeutung des chondriogenen Spermienabschnittes aufgestellt hatte. Hinsichtlich des ersten Punktes habe ich den Eindruck gewonnen, dass alle protoplasmareichen Zellen die entsprechend färbbaren und entsprechend angeordneten Körner wenigstens spurenweise enthalten. Nur inden Ganglien- zellen (untersucht Rückenmark einer Kaulquappe) habe ich bisher nichts Entsprechendes gesehen. Ich berühre hier nur diejenigen Zellen, in denen ich grössere Mengen und charakteristische Anordnungen fand. Weitaus das merk- würdigste Bild erhielt ich in den Sarkoblasten des Schwanzes einer jungen, wenig über 1°“ langen Kaulquappe von Rana fusca. Auf Längsschnitten fand ich an der Schwanzwurzel und in der Umgebung der Wirbel Muskel- segmente mit fast ausgebildeter quergestreifter Substanz, die nur unter dem PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. 379 Sarkolemma einen schmalen Mantel von Sarkoplasma mit Kernen enthalten. An diesen Fasern ist von der quergestreiften Substanz ausschliesslich das dem dunklen Querstreifen entsprechende Segment jeder Primitivfibrille in- tensiv in der Farbe der Körnchen gefärbt, lässt aber keine Zusammensetzung aus Körnchen erkennen, wie ich gegenüber der Angabe Arnold’s feststellen muss. Auch der Hensen’sche Streifen ist nur als Verschmälerung, nicht als deutliche Unterbrechung des gefärbten Stäbchens erkennbar. Ueberall ist das Sarkoplasma mit feinsten geschlängelten und verzweigten Körner- kettehen durchsetzt, die an diesen Fasern nicht deutlich in Beziehung zur ausgebildeten, quergestreiften Substanz treten. Anders an solchen Sarko- blasten, die erst wenige quergestreifte Substanz enthalten. Hier erkennt man stellenweise alle Uebergänge zwischen den feinen Körner- kettehen des Sarkoplasmas, gröberen Kurzstäbchen, die sich in Reihen stellen und den schon ausgebildeten Primitivfibrillen anlagern, und den ausgebildeten, gefärbten Quergliedern der Fibrillen, so dass, wie Th. W. Engelmann bei Besichtigung meines Prä- parates äusserte, hier die sarcous elements in statu nascenti vor uns zu liegen scheinen. Ich habe stellenweise auch Sarkolyse in meinen Präparaten, trotz der Jugend der Larven gefunden. Dieselbe stellt sich jedoch ganz anders, mit Verklumpung der quergestreiften Substanz dar, und ich halte es für aus- geschlossen, dass die erst beschriebenen Vorgänge der Sarkogenese damit verwechselt werden können. Glatte Muskelfasern studirte ich bisher in den Organen der Mol- lusken, an Gefäss-, Darm-, Nebenhodenschnitten der Wirbelthiere. Die Fibrillen, die mein verehrter Freund Paul Schultz neuerlich so schön durch Macerationen dargestellt hat, sind an Schnitten am besten im Nebenhoden der Säugethiere und in den Organen der Mollusken darzustellen, doch ist ihre Farbreaction bei meinen Methoden nicht ganz ausgesprochen, so dass ich ihre Verwandtschaft mit den Körnern noch nicht behaupten möchte. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass diese Beziehung zu Tage tritt, wenn jugendliche glatte Muskelzellen studirt werden können, wie ja auch an dem Spermienmantel die Körnerfärbung nur während der Genese ausgesprochen hervortritt. Sichere Mitochondria liegen zwischen den Fibrillen der glatten Muskelzellen besonders in der Umgebung des Kerns, aber ohne charakte- ristische Anordnung. Ich behalte mir noch weitere Untersuchungen über dieses Objekt vor. Meine Präparate von Flimmerzellen (die ich vor einigen Tagen auch in der hiesigen laryngologischen Gesellschaft demonstrirte) stammen aus den Lebergängen von Helix hortensis, dem Pharynx von Rana esculenta, einem Nasenpolypen vom Menschen, der mir von der Universitätspoliklinik für Hals- - und Nasenkrankheiten unmittelbar nach Exstirpation conservirt wurde. Die Struetur und Function der Flimmerzellen ist gerade letzthin mehrfach be- arbeitet. Ich nenne Apathy, v. Lenhossek, Henneguy, Peter. Meine Untersuchungen greifen verschiedentlich in die Befunde dieser Forscher ein. 1. Die sog. Cuticula der Flimmerzellen, die übrigens nicht an jeder Zelle sichtbar ist, kann ich bei Helix und beim Menschen, weniger deutlich beim Frosch als Borstensaum demonstiren. Die sämmtlich gleich kurzen, starren Borsten sind einer scharf gegen den Zellleib abgegrenzten Membran ein- gepflanzt. Zwischen ihnen dringen durch Löcher der Membran die Cilien hervor, deren Basalkörperchen bald auf der Höhe der Borstenbasis oder 380 VRRHANDLUNGEN DER BERLINER zwischen deren Spitzen liegen. Bisweilen fehlen die Borsten, alsdann treten die Cilien direct aus der Grenzmembran hervor. Die Verbindung der Cilien mit den Basalkörpern, sowie dieser mit den Wimperwurzeln tritt an meinen Präparaten klar hervor. 2. Der Charakter der Basalkörperchen, die v. Lenhossek und Henne- guy als Centralkörperchen auffassen, ist an meinen Präparaten nicht direet zu entscheiden, da die Färbbarkeit der Centralkörperchen mit der des Chon- driomitoms fast identisch ist, und die Basalkörperchen sich in fast eben derselben Farbe darstellen. Indess spricht die Färbbarkeit der Basalkörper- chen auch in solchen Präparaten, in denen die Färbung des Chondriomitoms nicht gelingt, für die Heterogenität beider Theile, also für die centrosomale Natur der Basalkörperchen. 3. Die Wimperwurzeln erscheinen bei Helix in derselben Weise wie an dem klassischen Object Engelmann’s, dem Mitteldarm von Anodonta, als scharf gegen den Zellleib abgegrenzte, leicht varicöse Stäbchen, die von jedem Basalkörperchen leicht geschwungen und convergirend in die Tiefe des Zellleibes dringen. Ihre scheinbare Confluenz zu einer Faser halte ich nur für eine Zusammenlagerung. Ich glaube, dass sie noch an dem Kern vor- bei zur Zellbasis veriaufen, doch wird hier die Verfolgung unsicher. Die 'Wimperwurzeln färben sich scharf in der Farbe des Chondriomitoms. Häufig findet man auch bei Helix an ihrer Stelle Reihen feinster, gefärbter Körn- chen. In dieser letzteren Gestalt habe ich nun bei Rana wie beim Menschen die Wimperwurzeln nachweisen können. Bei Rana ist der ganze distale Zellabsehnitt von feinsten Körnchen dicht erfüllt, so dass man nur stellen- weise ihre parallele reihenuförmige Anordnung erkennt. Bei meinem mensch- lichen Material dagegen. ist die Verlängerung der Wimpern in parallele Körnerfäden des Zellleibes oft bis in die Nähe des Kernes zu verfolgen. Hier wird die Abgrenzung schwer, stellenweise scheinen Verschmelzungen der Körnerfäden vorzukommen, doch setzen sich die Fäden auch hier bis zur Zellbasis fort. Im Gegensatz zu den Cilien stehen Borstensäume (Darmepithel, Nierencanälchen) in keiner Beziehung zu Körnerfäden. Dagegen finde ich am Darmepithel von Salamandra stellenweise zwischen den Borsten feine Reihen von gefärbten Körnern, die vielleicht den Protoplasmafortsätzen R. Heidenhain’s zuzurechnen sind. In polynucleären Leukocyten des Menschen finde ich auf Schnitten des Nasenpolypen kleine Gruppen von Körnchen, die eine etwas.längliche, fast stäbchenförmige Gestalt zeigen. Dieselben liegen radiär gegen das Centralkörperchen in der Peripherie der von Flemming bei den Leuko- cyten gesehenen Strahlung. In den Zellen eines leukämischen Knochenmarks liegen viele Zellen mit kleinen Gruppen oder abgerundeten Haufen von Fadenkörnern. An den Ehrlich’schen Körnungen färbt sich einiges, wahr- scheinlich die eosinophilen Granula in ähnlicher Weise. Ihre gleichmässige Vertheilung im Zellleib unterscheidet sie aber deutlich von dem Chondrio- mitom. Ich komme unten noch einmal auf diesen Punkt zurück. In den Fusszellen des funetionirenden Hodens liegen, wie ich schon in meiner vorigen Mittheilung erwähnte, die Körnchenreihen innerhalb der Protoplasmafäden, die ich als Copulationsfäden bezeichnet habe. Von Säuge- thieren habe ich sie mit Sicherheit, häufig in kurzen, stäbchenartigen Gliedern, beim Menschen und Hunde gesehen; feine Körnchenreihen bekommt PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. 38l man bei Ratte und Maus zu Gesicht. Auch in den anderen Wirbelthier- elassen liegen sie an diesen Elementen, häufig selbständige, fast homogene Fibrillen bildend, d. h. besonders schön bei Triton, ähnlich bei Torpedo, bei Pulmonaten (Planorbis).. Fast gegliedert erscheinen die Protoplasmafäden der Fusszellen durch die eingelagerte Mitochondria bei Sauropsiden. Die Körnchen der Säuger reichen nicht völlig bis an die copulirten Spermien heran, während ich die Fäden — entgegen der Angabe Lenhossek’s — häufig bis zu ihnen verfolgen kann. Die Körnerfäden inferiren bei Triton deutlich am Spiess der Spermien. In nicht funetionirenden Hoden, bezw. Hodenabschnitten sah ich bei Salamandra und Bombinator schöne Reihen von Fadenkörnern innerhalb der vegitativen Zellen. Auch die interstitiellen Hodenzellen enthalten zahlreiche Mito- chondria. Vielleicht wird die Behauptung nicht ausbleiben, dass die Mito- ehondria aus diesen durch die Fusszellen zu den Spermatiden wandern. In Hinsicht hierauf betone ich noch einmal, dass auch die Spermatogonien und Spermatocyten längst vor der Copulation mit gleichartigen Körnern aus- gerüstet sind. Vorläufig als Curiosum erwähne ich endlich, dass die Pallisadenstäbchen der Nierenepithelien bei Bombinator sich in prachtvoller Schärfe mit der Körnchenfarbe tingirten. Ebenso enthielten die kuppelförmigen Zellen der postglomerulären secretorischen Nierencanälchen bei Bombinator zahlreiche Körnerfäden, die etwas unregelmässig ungefähr parallel von der Zellbasis zur Oberfläche verlaufen und in niedrigen Zellen dichter, mehr fadenförmig liegen als in den höheren, wo sie lockere Reihen bilden. Ich erinnere, dass hohe und niederige Zellen als verschiedene Functionsstadien der gleichen Zellart anzusehen sind (Sauer). Ich will nunmehr versuchen, aus meinen bisherigen Beobachtungen einige Schlüsse für die morphologische und functionelle Bedeutung der von mir dargestellten Körner zu ziehen. Wir haben sie als einen weit verbreiteten Bestandtheil ruhender und sich theilender, indifferenter und hoch differen- zirter Zellen gefunden. Mit den Ehrlich’schen Körnungen haben sie, wie ich an directen Vergleichungen an den in den Schnitten vorkommenden Blutelementen, so- wie an Schnitten blutbildender Organe feststellen konnte, nichts zu thun. Die Vergleichung ist insofern unvollkommen, als die Darstellung meiner Körner an Ehrlich’schen Trockenpräparaten etwa gleichzeitig mit den Ehrlich’schen Körnungen nicht gelingt. Aber die Vergleichung ist insofern ausreichend, als die einzigen bei wandernden Leukocyten in Frage kom- menden Ehrlich’schen Granula, die neutrophilen und acidophilen, eine völlig abweichende Anordnung haben, als die von mir in den gleichen Ele- menten dargestellten. Was die Altmann’schen Körnungen betrifft, so unterscheiden sich diese durch ihre Beziehungen zu dem Mitom ruhender und sich theilender Zellen handgreiflich von den meinigen. Bekanntlich umlagern die Altmann’schen Körner die Protoplasmafäden allseitig in derartiger Anhäufung, dass Alt- mann die Fäden nur als Negativ der Körnungen ansah. Allerdings halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass Altmann auch bisweilen meine Körner vor Augen hatte; so erinnern die von ihm beschriebenen Körneranordnungen der Leberzellen cffenbar an die Fadenkörner. Die scharfe Unterscheidung der von mir gesehenen Körner gegen die Altmann’schen liegt eben in 382 VERHANDLUNGEN DER BERLINER ihren Beziehungen zu dem Fadenwerk des Zellleibes, welches auch nach meiner Auffassung (in Uebereinstimmung mit Flemming) die Grundlage der Zellleibstrucetur bildet. Ich sehe meine Körner theils deutlich den Plasmafäden eingefügt, theils ergiebt sich aus der Anordnung der Körner ihre Zugehörigkeit zu den Plasmafäden, die in denselben Präparaten nach Auswaschung der Körnerfärbung in voller Deutlichkeit erscheinen. Hierdurch ergiebt sich nunmehr eine annähernde Identität meiner Körner mit den bisher als Zellmikrosomen bezeichneten Bildungen, von denen nach den bisherigen Methoden nur sehr unsichere Darstellungen zu erreichen waren. Die Fadenkörner entsprechen den Mikrosomen, soweit diese bisher durch irgend welche Methoden deutlicher zur Anschauung gebracht wurden; ich erinnere an die Darstellungen v. Brunn’s über Spermatiden, Reinke’s, Flemming’s über Inoblasten und besonders an die bedeutungsvollen Er- gebnisse der Macerationsmethoden J. Arnold’s, mit denen ich meine Be- obachtungen vielfach in Einklang setzen kann. Trotz dieses Zugeständnisses meine ich, dass meine Färbungen die Auffassung des erwähnten Zellbestand- theiles so weit beeinflussen und verändern werden, dass eine neue Benennung nicht nur berechtigt, sondern auch erwünscht sein muss. Den Mikrosomen wurde, soweit sie bisher berücksichtigt wurden, wie mir scheinen will, eine einerseits zu allgemeine, andererseits doch nur acci- dentelle Verbreitung in dem Fädenwerk des Zellleibes zugeschrieben. Ich finde durch elective Färbungen, dass sie ein wohlcharakterisirter Bestandthoil eines beschränkten Theiles der Fäden sind, und dass sie das Baumaterial zu einem grossen Theil bekannter intracellularer Faden- und Faserstructuren geben. In letzterer Hinsicht scheinen meine Untersuchungen mit einer Anzahl neueren Arbeiten, die ich in Flemming’s letztem Jahresbericht besprochen finde (Bouin, Garnier, Zimmermann, Arnold) viele Berührungspunkte zu bieten. Ich zweifle nicht, dass die erstgenannten Autoren in ihren „Ergastoplasma“ ähnliche Verhältnisse wie ich vor Augen gehabt haben. Ich hoffe, dass der von mir schon bei meinen vorigen Mittheilungen vor- geschlagene Name Mitochondria dem bisher Erkannten ohne weitere Vor- wegnahme am besten entsprechen wird, zumal er übereinstimmend mit der Veränderlichkeit der bezeichneten Gebilde Umformungen gestattet. Die aus den Fadenkörnern (Mitochondria) hervorgehenden Körnerfäden wären Chondriomiten zu benennen. Was nun ihre physiologische Bedeutung betrifft, so habe ich erstens hervorzuheben, dass sie in der ruhenden Zelle (allerdings nur an Samen- zellen und Leukocyten festgestellt) einen Theil der Sphäre neben Central- körperchen und Archiplasma (Idiozoma Mewes’) bilden, und dass sie bei der Mitose einen besonderen Abschnitt, die Polstrahlung einnehmen. Nach dem, was.ich bei den verschiedenen Thierclassen bisher gesehen — besonders die höchst eigenartigen Bilder von Blaps und Pulmonaten gegenüber denen der Wirbelthiere — scheint sich die wechselnde Menge und Anordnung der Mitochondria gegenüber dem Archiplasma als wesentlicher Factor für die mannigfaltige Gestaltung der Sphäre bei verschiedenen Öbjeeten und bei verschiedenen Methoden zu ergeben. Ihre weite Verbreitung lässt anderer- seits schon die Vermuthung zu, dass wir es mit einem eigenen Zellorgan zu tbun haben. Meine besondere Aufmerksamkeit war bisher der Verwendung der Fadenkörner für Zellstructuren und Differenzirungen zugewandt. Ihre Be- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. — J. FrENTZEL. 383 theiligung an den Wimperorganen, ihre Bedeutung für die Histiogenese der quergestreiften Muskelfasern und der Spermiengeissel unterstützen meine bei dem letztgenannten Objeet angedeutete Hypothese, dass sie mit den motorischen Leistungen der Zelle in einem prinzipiellen Zusammenhange stehen. Auch die Befunde während der Mitose sowie an Drüsenzellen (Nierenepithel, Fusszellen) stehen in keinem Widerspruch zu jener Deutung. Ich muss hierbei meine Stellungnahme gegenüber v. Lenhossek und Peter erötern, die in liebenswürdiger Bezugnahme auf ein von mir aus- gesprochenes Postultat das motorische Organ der Zelle in den Central- körperchen oder deren Derivaten gefunden zu haben glauben. Ich bin mit den genannten Autoren insofern einverstanden, als sie offenbar ein anderes motorisches Organ meinen, als ich damals suchte, nämlich das motorische Erregungscentrum der Zelle, welches auch nach meiner Meinung sehr wohl im Centralkörperchen gelegen sein könnte. Was ich aber zunächst im Auge habe, ist nicht der Sitz der Erregung, sondern der Sitz der motorischen Kraftleistung für Wimper- und Geisselbewegung, also derjenigen Vorrichtung, die im Muskel sicherlich in der quergestreiften Fibrille und wahrscheinlich in der dunklen Querscheibe gelegen ist, also kurzum ein in Bau und Lagerung der motorischen Leistung entsprechendes contractiles Organ. Im Gegensatz zu Ballowitz, der den Sitz der Contraction in den Axenfaden der Geissel, in das Wimperhaar selbst verlegte, suchte ich in erster Linie den Motor für die Geissel im Mittelstück, den Motor für die Wimpern an deren Basis. Ich habe meine damalige Forderung hinsichtlich der Spermie schon in meiner vorigen Mittheilung so weit verlassen, dass ich entsprechend der Mannig- faltigkeit der Spermienbewegungen sehr verschieden gelegene und verschieden gebaute Mantelbildungen zulasse. Auch bei den Wimpern dürfte ein grösserer Spielraum für die Lage des contractilen Elementes möglich sein. Ich lege jetzt den Hauptwerth auf den Nachweis der identischen Herkunft der con- traetilen Elemente von einem Primitivorgan der Zelle. In diesem Sinne würden die Centralkörperchen und ihre Derivate wohl kaum in Frage kommen, sie könnten das Erregungs- oder das Insertionscentrum der Bewegungen sein, aber bis auf wenige Ausnahmen keine derartigen molekularen Umlagerungen zulassen, die die motorischen Leistungen, erklären. Dagegen halte ich es für denkbar, dass die Fadenkörner das Zellorgan darstellen, welches im primi- tiven Zustand die interne Verlagerung der Protoplasmafäden (Zelltheilung, amöboide Bewegung) bedingt, andererseits aber das Bildungsmaterial für die Differenzirung sämmtlicher contraetiler Organe abgiebt. 2. Hr. J. FRentzeu hält den angekündigten Vortrag: Ueber den Ein- fluss der Nährstoffe auf die Belebung ermüdeter Muskeln. Im Jahre 1890 hat A. Mosso in Turin einen neuen Apparat construirt, um beim Menschen die Ermüdung der Muskeln und der Nervencentren zu studiren, den Ergograph." Mit dem Ergographen sind von Mosso selbst, von vielen seiner Schüler, A. Maggiora, U. Mosso, Lombard u. A., dann von Langemeyer, Schumburg und Frey Versuche angestellt worden. Hier interessiren zunächst die Untersuchungen U. Mosso’s, Langemeyer’s ! Dieser Apparat, welcher in der Sitzung noch einmal demonstrirt wurde, ist in der Litteratur mehrfach ausführlich beschrieben worden; vgl. u. A. A. Mosso, Archives italiennes de Biologie. 1890. p. 123. — Schumburg, Deuztsche militärärztliche Zeit- schrift. 1896. 384 VERHANDLUNGEN DER BERLINER und Schumburg’s über den Einfluss des Zuckers auf die Belebung er- müdeter Muskeln, welche besonders nach den mit allen denkbaren Cautelen angestellten Versuchen Sehumburg’s unzweifelhaft ergaben, dass schon kleine Mengen Zucker (308%) im Stande sind, die in Folge körperlicher Anstrengung eingetretene Ermüdung der Muskeln !/, bis ?/| Stunde nach der Aufnahme des Zuckers aufzuheben und die Muskeln mit neuen Kräften auszu- statten. Frey beschäftigte sich mit der analogen Wirkung des Alkoholgenusses, der ja aber nicht zu den Nährstoffen im eigentlichen Sinne gerechnet wird. Ich hatte mir vorgenommen, auch den Einfluss der bisher nicht in dieser Richtung untersuchten Nährstoffgruppen, des Eiweisses und des Fettes, auf die Belebung ermüdeter Muskeln zu studiren und will heute die Resultate über die Wirkung des Eiweisses mittheilen. Bis der für meine Versuche bestimmte Ergograph aus Turin eintraf, hatte Hr. Generalarzt Dr. Grasnick die grosse Liebenswürdigkeit, mir die Benutzung des gleichen Apparates in der Kaiser Wilhelm-Akademie zu ge- statten, und ein Theil meiner Versuche ist also in dem dortigen Laboratorium angestellt worden. - Meine Versuchsanordnung schloss sich eng an die von Schumburg als zweckmässig erkannte an; ich stellte die Versuche an Personen an, die von dem Versuchsplan nichts wussten, unter möglichster Ausschliessung aller psychischen Momente. Die Versuchspersonen hatten spätestens um 8 Uhr Morgens ein kleines Frühstück zu geniessen und kamen nicht vor 11 oder 12 Uhr in den Versuch, so dass man annehmen konnte, dass der Magen bis dahin entleert war. Zunächst machte der Mann, in den Ergographen eingespannt, in regelmässigen Intervallen (30 Mal in der Minute) Beugungen des mit 2 bis 443 — je nach der Leistungsfähigkeit der verschiedenen Personen — beschwerten Mittelgliedes des dritten Fingers bis zur voll- ständigen Erschlaffung; die Summe der Hubhöhen in Centimetern wurde notirt und genau 3 Minuten, während welcher Zeit der Arm aus .dem Apparat entfernt wurde, bis zum Beginn der nächsten Reihe gewartet. Durch eine Anzahl solcher Versuche gewann man ein Bild von der Leistungs- fähigkeit des Mannes an dem betreffenden Tage. Hieran schloss sich eine Arbeit an dem von Zuntz in der Sitzung vom 13. Januar demonstrirten Zuntz’schen Ergometer; die Arbeitsleistung betrug in meinen Versuchen 18000»%8; das Drehen des Rades wurde mit zwei Pausen von je 5 Minuten ausgeführt: entweder vor oder nach der Arbeit oder in einer der Pausen erhielt der Mann 200 &% Wasser entweder allein, oder mit Dulein, Zucker, verschiedenen Eiweisspräparaten u.s.w. Nach Schluss der Arbeit wurde sofort wieder am Ergographen die Leistung der Beugemuskeln des Mittel- fingers festgestellt, und mit Pausen zwischen den einzelnen Leistungen von genau 3 Minuten, 8, 10 und mehr solche Versuche ausgeführt, um den Effect des an dem Tage genommenen Nährstoffes u. s. w. auf die Leistungs- fähigkeit der Muskeln ermitteln zu können. Im der nachstehenden Tabelle sind eine Anzahl solcher Versuchsprotocolle niedergelegt. Gleich beim ersten Versuche mit Eiweiss (in der 302% Zucker ent- sprechenden Menge verabreicht) zeigte sich 1. dass Eiweiss in annähernd derselben Zeit, wie der Zucker, eine die Leistungsfähigkeit des ermüdeten Muskels erhöhende Wirkung ausübt, 2. dass diese erhöhende Wirkung die des Zuckers quantitativ übertrifft. Dieses Resultat wurde jedes Mal bei Gabe von Eiweiss wieder gefunden. PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. — J. FRENTZEL. 385 Wenn wir die in den Versuchsprotocollen in der zweiten Reihe notirten Procentzahlen (die letzte Leistung vor der Arbeit = 100 gesetzt) vergleichen, so finden wir in einem Falle bei 4%® Ergographbelastung beim Zucker Erhöhungen 120, 132, 157, 195, 211, beim Eiweiss 130712001927 720850295, oder bei dem anderen Manne, der nur mit 2-23 Ergographbelastung arbeitet, beim Zucker 10553124.727139,5 2140,72156, beim Eiweiss dagegen 116, 122, 137, 277, 296, 307 u.s. w. Es ist wohl kaum nöthig, zu erwähnen, dass ich diese Resultate durch ‚eine grosse Anzahl von Versuchen an verschiedenen Versuchspersonen, unter Gabe der verschiedenen Eiweisspräparate bestätigt habe, so dass ich zu dem Schlusse berechtigt bin, dass bei Ergometer-Ergograph-Versuchen, wie sie Sehumburg mit Zucker anstellte, die entsprechende Eiweissmenge in an- nähernd derselben Zeit nicht nur dasselbe, sondern sogar nicht unerheblich mehr für die belebende Wirkung der ermüdeten Muskeln leistet als Zucker. Die möglichen Erklärungen für diesen Effect sind wohl die folgenden: 1. Der Magen der Versuchsperson war nahezu leer; es konnte also durch die Gabe des Wassers mit oder ohne Zusatz eines Nährstoffes ein gewisses flaues Gefühl im Magen aufgehoben und dadurch reflectorisch eine grössere Leistungsfähigkeit der Muskeln erzielt werden. Diese Annahme würde niemals genügend die quantitativ so verschiedene Wirkung von Zucker und Eiweiss erklären. 2. Man könnte eine Suggestion verantwortlich machen; den Mann glaubte, etwas zu geniessen, was seine Muskelkraft hob, und deshalb war dann seine Kraft eine grössere. Abgesehen davon, dass sich dieser Effect erst recht in den zwei Ver- suchen mit Speck (vgl. Tabelle) hätte äussern müssen, weil Speck dem Manne aus dem Volke als Nahrungsmittel bekannt ist und ihm im Versuche auch nicht verheimlicht werden konnte, dass er Speck zu sich nahm, habe ich bei einem Versuche mit Wasser allein ihm direct zu suggeriren ver- sucht, dass er etwas seine Kräfte ausserordentlich Hebendes erhalte, und dieser Versuch hat genau denselben Abfall ergeben, wie alle anderen Ver- suche ohne Nährstoffe. 3. Man könnte daran denken, dass durch Secretion des Magensaftes in Folge der Einführung von Substanzen in den Magen das Blut alkalischer und dadurch eine, vielleicht die wesentlichste Ursache der Ermüdung behoben wurde; denn wir wissen ja, dass die in den arbeitenden Muskeln erzeugten Säuren die Alkalescenz des Blutes herabsetzen, dadurch ermüdend, schliess- lich sogar lähmend — wie beim zu Tode gehetzten Thiere — auf die Muskeln wirken. Die stattfindende Secretion des Magensaftes u. s. w. als Grund an- genommen, musste der gleiche Effect nach Einführung von Alkali in den Magen stattfinden. Dies war allerdings nach Gabe von 4®'% Natrium bi- carbonicum (vgl. Tabelle) der Fall; jedoch war die Wirkung dieses Mittels etwa die des Zuckers, erreichte indess nicht die Wirkung des Eiweisses; sie hätte aber, wenn die Secretion des Magensaftes u. s. w. die zureichende Erklärung für die beobachteten Thatsachen gewesen wäre, mindestens die Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 25 386 VERHANDLUNGEN DER BERLINER R. F., Schneider, 22 Jahre alt; Ergograph | Arbeit 1200 Umdrehungen Datum belastet | am Ergometer — 18 000 "ke mit kg | jedes Mal 200 Wasser 13./XII. 1898 2.2 307 | 230 || Dulein; 15 Min. nach Beginn | 77 | 176 134 | 100 der Arbeit \ 34 | 76 16./XII. 1898 5 347 | 241 | Zucker; 15 Min. nach Beginn 201 | 412 144 | 100 der Arbeit 84 | 190 22./XII. 1898 = 402 300 | Zucker; 15 Min. nach Beginn | 144 | 210 134 | 100 der Arbeit | 48 | SB 15./XII. 1898 ; 388 | 273 | Tropon; 15 Min. nach Beginn | 271 | 322 | 141 , 100 der Arbeit | 99 | 116 20./XII. 1898 % | 356 | 272 | Tropon; 20 bis 25 Min. nach \ 249 185. 130 | 100 Beginn der Arbeit I 92°) 268 21./XII. 1898 R 372 | 298 | Tropon; 10 Min. nach Beginn | 735 1831 124 | 100 der Arbeit 245 | 610 23./XII. 1898 ie 387 | 302 || Nutrose; 15 Min. nach Be- | 492 | 230 129 | 100 ginn der Arbeit 164 | 7 28./XIl. 1898 ® ı 397 | 278 | Speck; 15 Min. nach Beginn | 580 | 680 142 | 100 der Arbeit | 209 244 30./XII. 1898 g 378 | 300 || Natr. bicarbon.; 15 Min. nach | 307 | 482 123 | 100 Beginn der Arbeit 102 | 161 F. K., Schuhmacher, 31 Jahre alt; 25./1. 1899 4 136 | 100 |, 124 | Wasser; vor der Arbeit | 109 100 109 80 100 | ‚88. | 80 31./1. 1899 R 162 | 100 92 | 96 | Wasser; vor der Arbeit | 102 | 118 168 | 104 96 | 100 ' 106 117 28./1. 1899 5 dal 295210593 Zucker; vor der Arbeit | 107 110 125 102 100 115 | 118 23./I. 1899 5 170 , 110 | 115 Tropon; vor der Arbeit | 120 110 145 | 95 | 100 “| 105 | 8 26./1. 1899 h 161 | 150 | 171 | 96 | Tropon; vor der Arbeit | 108 69 167 | 156 | 178 | 100 | 112 192 21./I. 1899 ” 134 | 140 | 135 || Tropon; 15 Min. nach Beginn || 131 103 99 | 105 | 100 der Arbeit 97 | % 3./II. 1899 In 166 | 127 | 86 | 104 Speck; vor der Arbeit 109 | 127 160 | 122 | 82 | 100 ı 105 | 122 1./II. 1899 2 161 | 162 | 220 | 146 Tropon; vor der Arbeit 209 | 220 110 110 | 150 | 100 ı 143 | 150 1./1. 1899 R 248 403 | 248 | 215 ) Natr. biearbon.; vor der | 378 | 248 110 | 187 | 110 | 100 Arbeit | 157 | 113 (r I Gewöhnliche Zahlen: Summe der Hubhöhen in Centimetern. | PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — J. FRENTZEL. 387 - wiegt 58*® bekleidet. | | @ ae i | | | 160 163 | 152 | 154 | 152 | 158 | 147 | | | 66) E85 65 | 655 6 | — —— + rei ee | en | gu 338 | 332 297 | 251 | 194 | 169 | 155 | | 16 140 | 139 194 1656| sı 0 6 | | mo ıe8 | 155 | 167 | 150 | 138 | 286 | 368 | 275 | 52: 56 | 50| a 95|1|92 | 336 374 | 757 | 810 | 839 | 645 | 442 | 332 | ais7 | 277 | 296 307 | 233 | 162 | 122 | | 0133 | 127 | 120 | 114 | 104 | 162 | 158 | 270 | 315 | 557 1018 | Ga a6, 4| 42 | 38| 59 | 58 | 99 | 116 205 | 374 306 162 | 158 | 188 | 144 | 133 | | | ms 551 46 | 48 | 44 | 3a | 27T | 267 1073 539 | 318 | 167 | | BE | 89 | 358 | 179 | 106 . 56 | | 424 | 316 | 304 293 | 272 | 266 | | 152/114 | 109 105 | 98 | 9 | ‚alT| 386 | 302 | 518 | 323 | 268 180 |.200 | | | wesies | 101 | 173 | 107 70o| 60| 66 | | | | wiegt 62-5 *5 bekleidet Be 95 | 70) 81] 98 | 89 | Tı]| 96 | 98 Ben 55a al 56| 7) m AB | 10 75| 89 66 69 | 81|ı180) A 5 | 00 | 104 78 | 92| e9| 72 84|ı135| 48) 78 | Bam2 | 146 | 112 | 127 | 182 | 158 | 197 | 155 | 132/120 | 157 | 120 | 136 | 195 | 169 | 211 | 166 | 106) 85 | 130 | 150 | 160 | 166 | 175 | 165 | 180 | 274 113 | 130 | 189 | 141 | 152 | 140 | 156 0) 78 | 80 | 110 | 110 | 140 | 200 | 130 | 145 | 167 | 245 | 173 Bl 81) 83 | 115 115 | 146 | 208 136 | 151 | 173 | 255 180 BEno | 127 | 68 | 75 | 1386 | 60 | 120 | 104 | 158 | 7A | 215 | 200 | 165 | 200 Se | 9| 50 | 56 100 | 44 88 | 75 | 117 | 55| 159 | 148 | 122 148 BEE 113 | 122 | 122 | 98 | 117 | 96 | s6 | 81 | 119 | 109 | 17 | 1ıı | “| 1a) | 82 | 79115 | BE im 180 188 | 179 | 202 | 193 | 214 | 167 | 219 240 | 179 | 506 | 260.| 195 273 1121 | 122 128 | 122 | 159 | 132 | 148 | 114 | 149 | 164 122 | 343 | 177 | 133 | 187 067205 | 138 | 233 | 108 | 128 | 130 | DE | 64 |108| 50 | 57 | 60 | Unterstrichene Zahlen: Procentzahlen (letzte Summe der Hubhöhen vor der Arb 25* eit = 100 gesetzt). 388 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOLOG. GESELLSCH. — J. FRENTZEL. Wirkung des Eiweisses erreichen, ja dieselbe übertreffen müssen, weil ja Alkali auch direct in’s Blut übertritt, und also nicht nur durch Anregung der Secretion des Magensaftes hätte wirken müssen. Es bleibt schliesslich nichts übrig, als anzunehmen, dass die Zeit von der Gabe bis zur Wirkung des Eiweisses genügt, um das Eiweiss in die Blutbahn überzuführen und so als Kraftquelle für die ermüdeten Muskeln zu verwerthen. Versuche über den zeitlichen Verlauf der Eiweisszersetzung im Körper wurden mit Fleisch u. s. w. an Menschen und Thieren mehrfach angestellt; ich erinnere nur an die Versuche von Voit, Becher, Feder, Oppenheim, Munk u. A. Diese Versuche führen zu dem Schlusse, dass in der That . in der ersten Stunde nach der Nahrungsaufnahme bereits ein Theil des Eiweisses sich in der Circulation befindet. Ich habe diese Versuche mit den von mir benutzten Eiweisspräparaten wiederholt. Nach einer wesentlich aus Kohlehydraten bestehenden Abend- mah!zeit wurde am nächsten Morgen um 7 Uhr nur eine kleine Tasse Kaffee genossen, und der Urin jeder folgenden Stunde für sich aufgefangen und analysirtt. Um 9 Uhr nahm ich 338% Tropon in Wasser zu mir. Die Stickstoffausscheidung der an diesem Tage in Betracht kommenden Stunden ergab: 7—8 Uhr: 0.526 2% N. 8—9 Uhr: 0.4748 N, also ein Absinken des N-Gehaltes. 9 Uhr: Eiweissaufnahme. 9—10 Uhr: 0:5388"% N, also schon in der ersten Stunde nach der Aufnahme ein kleines Plus der N- Ausaeheidung.“ 10—11 Uhr: 0.9238%@ N. 11—12 Uhr: 0:.7308®@ N. Wenn aber schon in der ersten Stunde nach der Aufnahme eine ver- mehrte N-Ausscheidung im Harne nachweisbar ist, so muss sich das Eiweiss zeitlich früher, also etwa !/, bis ?/, Stunden nach der Aufnahme schon in der Circulation befunden haben und konnte die Effecte auf die ermüdeten Muskeln hervorbringen, die meine Versuche am Ergographen ergeben haben. Da nach meinen Versuchen das Eiweiss für die Belebung ermüdeter Muskeln dasselbe, ja noch mehr leistet in derselben Zeit, wie der Zucker, so fordert dies Ergebniss zu praktischen Versuchen auf in all’ den Fällen, in welchen in kurzer Zeit ermüdeten Muskeln neues Kraftmaterial zugeführt werden soll, d.h. beim Radfahren, Rudern, Bergsteigen u. s. f., vor allem auch in der Armee bei foreirten, lang dauernden Märschen, um so mehr, als Eiweiss ja ausser seiner Eigenschaft als Kraftspender auch noch zer- fallendes Zellmaterial regeneriren kann. Uebrigens soll dieser Vortrag nur eine erste Mittheilung sein; es inter- essirt u. A. auch, vielleicht bestehende Unterschiede zwischen vegetabilischem und animalischem Eiweiss zu ermitteln; ferner festzustellen, ob die Dauer der Wirkung von Eiweiss und Zucker erhebliche Differenzen aufweist, schliess- lich will ich natürlich auch die Versuche mit Fett, deren bisher nur wenige vorliegen, weiter verfolgen. Ich hoffe, seiner Zeit der Gesellschaft hierüber weitere Mittheilungen machen zu können. | Versuche und Beobachtungen an Fledermäusen. Von A. Koeninck. (Aus dem pharmakologischen Institut zu Marburg.) Die Veranlassung zu den vorliegenden Untersuchungen gab der Wunsch, ‚ unsere bisher noch ziemlich mangelhaften Kenntnisse von dem physiologischen und pharmakologischen Verhalten winterschlafender Thiere in einigen Rich- tungen zu ergänzen. Als Versuchsthiere dienten uns Fledermäuse, die während der Winter- monate verhältnissmässig leicht, wenn auch nicht immer in grosser Menge zu beschaffen sind. Im Herbst süchen sich die Fledermäuse, wie Koch! berichtet, für den Winterschlaf die verschiedenartigsten Schlupfwinkel aus, hohle Bäume, Grotten, Höhlen, Ritzen und Spalten alter Mauern, in denen sie, vor Frost und ihren sonstigen Feinden geschützt, oft recht schwer zu finden sind. Wir haben die Thiere (Nannugo Pipistrellus), die wir zu unseren Versuchen verwendeten, zum grössten Theile in alten Kellern des Marburger Schlosses und eines hiesigen alten Gebäudes gefunden. Die Keller waren trocken und hatten weite Oeffnungen, die in’s Freie führten. Die Thiere sassen in Nestern zu 5, 10, 20 Stück, tief in den Mauern versteckt. Wir fanden sie in ihrem Lager, indem wir mit einem Draht vorsichtig die Ritzen und Löcher absuchten. Sobald wir eine Fledermaus berührten, fing sie in eigenthümlicher Weise an zu zirpen. Diejenigen Thiere, welche ziem- lich vorn sassen, wurden mit einer langen Pincette gefasst und hervor- gezogen, die tiefer sitzenden mussten erst mit einem Häkchen der Oefinung genähert werden, wobei es einige Male vorkam, dass die Flügelarme sich einklemmten und brachen. Wir konnten also bei unserem Fang nicht so 1 C.Koch, Das Wesentliche der Chiropteren mit besonderer Beschreibung der in dem Herzogthum Nassau und den angrenzenden l,.andestheilen vorkommenden Fleder- mäuse. Jahrbücher des Vereins für Naturheilkunde im Herzogthum Nassau. Wies- baden 1862 u. 1863. Heft 17 u. 18. S. 329 ff. 390 A. KOENINCK: schonend verfahren, wie E. Delsaux,! der seine Thiere an der Decke grosser Höhlen bei Mastricht in grossen Haufen beisammen fand und sie, ohne sie anzufassen, einzeln auf ein lose ausgespanntes Tuch fallen lies. Er be- hauptet, dass die Thiere nicht erweckt werden dürften, da sie sonst ihre Reservenahrung aufzehrten und stürben. Unsere Thiere wurden, als wir sie in einem Tuche forttrugen, alle wach und das Tuch wurde ganz warm; trotzdem versanken sie, zu je 5 Stück in mit Fliesspapier ausgelegte Glas- gefässe gesetzt und in ein ganz dunkles Zimmer mit einer Temperatur von 5 bis 7° gebracht, in kurzer Zeit wieder vollständig in den Winterschlaf, wobei sie sich immer dicht an und über einander legten. Später mussten wir die Thiere wieder in ihrem Schlafe stören, als wir sie in die zu unseren Versuchen bestimmten Gläser setzten und an’s Licht brachten. Nachdem sie aber einen Tage darin verweilt hatten, waren sie wieder vollständig in den früheren Zustand zurückgefallen. Selbst die Thiere mit zerbrochenen Ober- und Unterarmknochen machten hiervon keine Ausnahme. Erst gegen Ende März (die Versuche erstreckten sich auf die Zeit von Ende Februar bis Anfang April 1898) schliefen die Thiere nicht mehr so leicht ein und wurden bei der geringsten Bewegung des Gefässes wieder wach. Bei unseren Nachforschungen haben wir nur eine langohrige Fleder- maus (Plecotus auritus) selbst gefangen. Sie sass allein ganz vorn in einer Mauerritze an einer Stelle, an der sie sicher ein starker Frost erreicht haben würde. Zwei andere Thiere dieser Gattung, die uns gebracht wurden, waren ebenfalls einzeln gefangen worden. Der Schlaf dieser drei Thiere war in der Gefangenschaft nicht so fest, wie der der übrigen. Zwei davon sind wahrscheinlich auch in Folge dessen nach einigen Tagen gestorben, nachdem sie allerdings schon zu Beobachtungen verwendet und ziemlich lange wach gewesen waren. 1. Verhalten der winterschlafenden Fledermäuse gegenüber verschiedenen Vergiftungen. Da die Körpertemperatur und die Blutcireulation der Fledermäuse während des Winterschlafes bedeutend herabgesetzt ist, so lag die Ver- muthung nahe, dass diese Thiere sich den sonst rasch und energisch wir- kenden Giften gegenüber ähnlich verhalten würden, wie abgekühlte Frösche, die selbst auf grössere Dosen unserer stärksten Nervengifte gar nicht oder nur sehr langsam und träge reagiren. Um dies zu entscheiden, wurden ‘E.Delsaux, Sur la respiration des chauves-souris pendant leur sommeil hibernal. Bulletins de l’academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique. Bruxelles 1884. 2. Serie. T. VIII. p. 88. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 391 die folgenden Versuche angestellt. Es wurde dabei den Thieren das Gift subcutan injieirt, und zwar bei allen Versuchen auf folgende Weise: Das Thier wurde schnell aus dem Behälter, in dem es schlummerte, hervor- geholt, mit Daumen und den beiden letzten Fingern der linken Hand ge- fasst und mit den übrigen beiden Fingern der linke Flügel vom Körper abgezogen. Dadurch wurde die Haut des Rumpfes etwas von den Rippen abgehoben und es konnte dann in der Nähe der Ansatzstelle der Flughaut die Canüle der Pravaz’schen Spritze bequem eingeführt werden, ohne Gefahr zu laufen, edlere Theile zu verletzen. Leider liess sich bei diesem Verfahren nicht vermeiden, dass die Thiere wach wurden. Waren sie schon sonst beim Anblasen und bei der leisesten Berührung zusammengeschreckt, so fingen sie beim Einstechen der Canüle erst recht an zu zirpen, sich zu krümmen und den Kopf der Einstichstelle zuzu- wenden. Bald wurde die Athmung beschleunigt, die Herzthätigkeit folgte ihr nach, das Thier wurde wärmer und in kurzer Zeit ganz wach. Bei einigen schnell wirkenden Giften konnten die Thiere indessen nicht mehr vollständig in den wachen Zustand zurückkehren. Die Versuche wurden, wo nichts bemerkt ist, bei einer Zimmertemperatur von 6 bis 7° angestellt. Bei Angabe der Dosis ist zu berücksichtigen, dass die Versuchsthierchen zu unseren kleinsten Fledermäusen gehören und ihr Gewicht nicht mehr als 4 bis 58” betrug. Unser beschränktes Material erlaubte uns nicht, lange Versuchsreihen aufzustellen, wir mussten uns vielmehr damit be- gnügen, die Wirkung nur einiger wenigen Gifte festzustellen; wir wählten zu unseren Versuchen solche Gifte, die zugleich als Vertreter ganzer Gruppen aufgefasst werden können. Als Krampfgifte wurden Strychnin und Pikrotoxin, als Muskelgift Coffein, als secretorisch wirkende Gifte Muskarin und Pilocarpin verwendet. Die Resultate dieser Versuche sind in folgenden Protocollen kurz zusammengestellt. Versuch mit Stryehninum nitricum. Versuch Nr. 1. Injection von 0-0001 Strychninum nitrie. Nach 5 Min. Auftreten tetanischer Krämpfe, die durch Aethernarcose beseitigt werden. Die Flügel sind während der Krämpfe zusammengeschlagen. Nach 15 Min., nach 3 kurzen Narcosen, lassen die Krämpfe und die Reflexerregbarkeit etwas nach, von Zeit zu Zeit treten geringe Contractionen des Körpers auf. Nach 30 Min. jede halbe Minute eine dyspnoische Athmung. Nach 3 Stunden Reaction auf Anblasen und Berührung noch vorhanden; das Thier fühlt sich kalt an; 1 bis 2 Athemzüge in der Minute. Nach 3!/, Stunden ist das Thier todt. 392 A. KoENINCK: Versuch mit Pikrotoxin. Versuch Nr. 2. Injeetion von 0-0002 Pikrotoxin. Nach einigen Minuten sehr beschleunigte Athmung. Nach 15 Min. plötzliches Aufflattern, grosse Lebhaftigkeit. Nach 30 Min. clonische Zuckungen der weit ausgebreiteten Flügel. Die Zuckungen hören plötzlich auf, die Flügel werden an den Leib gezogen, das Thier liegt vollständig ruhig da und stirbt nach einiger Zeit. Versuch mit Fliegenpilzextract (Muscarin). Versuch Nr. 3. Injection von ca. 0-1 dieses Fıxtractes. Nach 17 Min. Harnentleerung, Speichelfluss; beschleunigte Athmung. Nach 30 Min., Athmung wird langsamer und dyspnoisch. Injection von 0.004 Atropini sulfurici als Gegengift ohne Erfolg. Nach 1 Stde. Thier todt. Versuch mit Pilocarpinum hydrochloricum. Versuch Nr. 4. Injection von 0.0001 Pilocarpinum hydrochloricum. Nach 10 Min. beschleunigte Athmung, geringer Speichelfluss. Nach 25 Min. starke dyspnoische Athmung; Harnsecretion. Nach 35 Min. lebhaftes Kratzen von Bauch und Brust mit den Hinter- füssen, wahrscheinlich wegen Juckens in Folge des Schweissausbruches. Nach 4 Stdn. Thier sehr lebhaft, der Boden unter der Glasglocke ist ganz feucht und mit mehreren Kothpartikelchen bedeckt. Nach 18 Tagen lebt das Thier noch, nachdem es täglich besichtigt und in seinem Schlafe gestört worden ist und stirbt dann offenbar in Folge von Inanition. Versuche mit Coffein. Versuch Nr. 5. Injection von 0-00025 Coffein. Nach 25 Min. Das Thier kriecht mit den Vorderfüssen weiter und schleppt den Hinterleib nach. Nach 27 Min. Beim Anblasen und beim Anstossen an die Unterlage hebt sich das Thier etwas mit den Flügelarmen, wobei ganz leichte Zuckungen bemerkbar sind. Nach 50 Min. schwerfällige Bewegungen, geringe Steigerung der Reflexe. Nach 55 Min. nicht sehr ausgiebige spontane Zuckungen, die nur kurze Zeit andauern; Harnsecretion. Beim Ausbreiten der Flügel tritt ein Spasmus der Strecker ein, so dass sie nur schwer wieder zusammen gelegt werden können. | Nach 1 Stde. 5 Min. Zuckungen mit dem linken Flügel, in dessen Nähe die Injection vorgenommen war. Nach 1 Stde. 15 Min. ist das Thier todt. Versuche Nr. 6 und 7 wurden an zwei sehr entkräfteten Thieren vorgenommen. Bei dem einen zeigte sich ein continuirlicher Krampf des ganzen Körpers, der 1 Stde. 20 Min. dauerte und mit dem Tode endete. Bei dem anderen Thiere entstand nach Injection in die Oberarm- musculatur eine Coffeinmuskelstarre, indem der Unterarm sich nicht mehr so leicht strecken liess wie vorher. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 393 Aus diesen Versuchen ist ersichtlich, dass bei den Fledermäusen, wenn sie direct aus dem Winterschlafe kommen, die ersten Vergiftungs- erscheinungen verhältnissmässig spät auftreten, dass sie aber im Uebrigen auf die angewandten Gifte nicht wesentlich anders reagiren, wie die übrigen Säugethiere; wobei man aber berücksichtigen muss, dass sie durch die Ein- spritzung völlig aufgeweckt wurden. Nur von Pilocarpin wird eine ziemlich hohe Dosis gut überstanden und bei den Versuchen mit Coffein sehen wir, was in gleicher Weise sonst nur bei Kaltblütern zu beobachten ist, dass auf Injection in den Muskel eine Starre desselben eintritt. Beiläufig haben wir dabei auch das Verhalten der winterschlafenden Fledermäuse Brechmitteln gegenüber durch folgende Versuche festzustellen gesucht. | Versuche mit Apomorphinum hydrochloricum. Versuch Nr. 8. Injection von 0-0001 Apomorphinum hydrochlorieum. Nach 1 Stde. athmet das Thier noch recht langsam und ruhig und zeigt keine besonderen Erscheinungen. Erneute Injection von 0-0002. Nach 1 Stde. 16 Min. Injection von 0-0002. Nach 1 Stde. 20 Min. Injection von 0.0004. Darnach zeigen sich einige geringe Bewegungen, die Brechbewegungen ähnlich sehen. Nach 1 Stde. 30 Min. lebt das Thier noch, es hat aber bis dahin keine besonderen Erscheinungen gezeigt. Am anderen Tage ist das Thier todt. Versuch Nr. 9. Injection von 0:-0025 Apom. hydrochl. Nach 20 Min. wird der Schwanz auffallend in die Höhe gebogen und das Thier legt sich von einer Seite auf die andere. Nach 40 Min. tetanische Krämpfe des ganzen Körpers, besonders der Flügel, die vornehmlich bei Erschütterung der Unterlage auftreten. In Rückenlage werden die Flügel dabei nur halb ausgestreckt. Nach 3 Stdn. sind die Reflexkrämpfe noch vorhanden. Nach 24 Stdn. sind dieselben ebenfalls noch vorhanden. Nach 2 Tagen ist das Thier todt. Versuch Nr. 10. Injection von 0-0075 Apom. hydrochl. bei einem ziemlich kraftlosen Thiere. Nach 6 Min. sperrt das Thier wiederholt das Maul auf und beugt den Kopf unter die Brust, man sieht aber keine eigentlichen Brech- bewegungen. Nach 1 Stde. 10 Min. ist das Thier todt, ohne dass Reflexkrämpfe aufgetreten wären. 394 A. KoEnNINcK: Es liegt in diesen Versuchen also eine Bestätigung der Angaben Mellingers,! der die Fledermaus gleich dem Pferde, den Wiederkäuern und Nagern zu den Thieren rechnet, die nicht erbrechen.? Bei allen bisherigen Versuchen ist ein etwas langsamer Verlauf der Vergiftung trotz verhältnissmässig hoher Dosis wahrzunehmen. Es war dies von vornherein zu erwarten, weil, in Folge der während des Winterschlafes bedeutend herabgesetzten Lebensprocesse des Organismus, der verminderten Thätigkeit der Zellen und der verminderten Bluteireulation, die erst lang- sam wieder in den normalen Zustand zurückkehren, durch die allmähliche Wirkung des Giftes aber oft auch noch daran gehindert werden, ein rasches Uebergreifen der Vergiftung auf den ganzen Körper und besonders auf das Centralnervensystem erschwert wird. Viel deutlicher jedoch tritt diese abschwächende Wirkung des Winter- schlafes in den folgenden Versuchen mit einem langsamer wirkenden, fermen- tativen Gifte, dem Tetanotoxin, hervor. Es wurde zur Injection die frische wässerige Lösung eines von Knorr im December 1895 dargestellten und getrockneten Tetanotoxins benutzt. Ein Milligoramm der Substanz tödtete 1000 8m Kaninchen, 1000 000 &®m Meerschweinchen, 150 000 sm Maus. In den Versuchen ist die für 1.8” Maus tödtliche Dosis nach der von Behring eingeführten Bezeichnung mit 1 + Ms. angegeben und als Einheit zu Grunde gelegt worden. — Die Injection erfolgte, wie bei den übrigen Thieren, in der Nähe des linken Flügels. Die Thiere kamen unmittelbar aus dem Winterschlafe und wurden nach der Injection unter eine Glasglocke gesetzt, die mit einem Tuche überdeckt war. Die Versuche fanden, ebenso wie die vorigen, wo nichts Näheres angegeben, bei einer Zimmertemperatur von 6 bis 7° statt. Versuch Nr. 11. Injection von 8000 + Ms. Tetan. Nach der Injection wird das Thier vollständig wach und recht unruhig; am folgenden Tage ist es aber schon wieder in seine frühere Lethargie zurückgesunken, ein Verhalten, welches sich auch bei den folgenden Ver- suchen immer wiederholte. Es zeigten sich weder an diesem noch an den folgenden Tagen irgend welche für Tetanus charakteristischen Symptome. Nach 20 Tagen trat der Tod ein. Die Zimmertemperatur war unterdessen allmählich bis auf 10° gestiegen. Das todte Thier ist etwas steif. ı Pflüger’s Archiv. 1881. Bd. XXIV. 8.232. Vgl. auch Thumas, Virchow’s Archiv. 1891. Bd. CXXIH. S. 44. ® Bei Ratten, die auf Tartarus stibiatus und Apomorphin nicht reagirten, sahen wir übrigens nach subeutaner Injection von Veratrin einige rudimentäre Brechbewegungen, ähnlich wie bei der Fledermaus nach Apomorphin-Injection in Versuch Nr. 8. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 395 Versuch Nr. 12. Injeetion von 16 000 + Ms. Tetan. Das Thier zeigt während der 13 Tage, die es noch nach der Injection lebt, keine auffallenden Veränderungen. Nach dem Tode ist es steif. Zimmer- temperatur gegen Ende des Versuches 10°. Versuch Nr. 13. Injection von 25000 + Ms. Tetan. Das Thier stirbt bei denselben Temperaturverhältnissen ebenfalls nach 13 Tagen. Sein Verhalten ist von dem der vorigen nicht abgewichen. Versuch Nr. 14. Injection von 8000 + Ms. Tetan. Das Thier wird nach der Injection in's warme Zimmer gebracht mit einer Temperatur von 16°. Am zweiten Tage ist das Thier scheinbar etwas matt, der linke Flügel, in dessen Nähe injieirt wurde, etwas steif und an den Leib gezogen. Das Thier scheint während der Nacht sehr unruhig gewesen zu sein. Am folgenden Tage ist die Steifheit des linken Flügels deutlicher ge- worden, das Thier kann sich nur noch mit dem rechten Flügelarm fort- bewegen. Am vierten Tage wird. die Athmung dyspnoisch. Das Thier wird in ein kühleres Zimmer (6-5°) gebracht, stirbt aber trotzdem am 5. Tage. Versuch Nr. 15. Injection von 800 000 + Ms. Tetan. Das Thier lebt bei einer Zimmertemperatur von 6 bis 7° 8 Tage lang und zeigt während dieser Zeit keine Veränderungen. Versuch Nr. 16. Injeetion von 2500000 + Ms. Tetan. Das Thier ist am folgenden Tage todt und steif. Zimmertemperatur 6 bis 7°. Charakteristische Krankheitserscheinungen wurden nicht beob- achtet. Versuch Nr. 17. Injeetion von 800 000 + Ms. Tetan. Das Thier wird nach der Injeetion in ein dunkles Zimmer und auf Eiswasser gesetzt. Am 5. und den folgenden Tagen ist der linke Flügel etwas mehr an den Leib gezogen als der rechte. Nach 11 Tagen erfolgt der Tod. Das todte Thier ist etwas steif. Konnten wir bei den vorigen Versuchen noch zweifelhaft sein, ob die tiefe Temperatur während des Winterschlafes irgend welchen Einfluss auf die Vergiftungen dieser Thiere ausübe, so dürfen wir diese Annahme wohl durch diese letzten Versuche als bewiesen ansehen. Wenn in Versuch 11 die Fledermaus nach einer Einspritzung von 8000 + Ms. Tetanotoxin erst nach 20 Tagen stirbt, so kann der Tod ebensowohl auf die eingetretene Inanition, da das Thier täglich besichtigt und in seinem Schlafe gestört wurde, als auf die Folgen der Vergiftung zurückgeführt werden. Dieselbe Dosis genügt 396 A. KoENINCK: aber nach den Angaben Knorr’s, um über 200 mittelgrosse Meerschweinchen zu tödten. Versuch Nr. 14 lässt erkennen, um wieviel schneller dieselbe Quantität des Giftes auf eine Fledermaus einwirkt, die sich im warmen Zimmer befindet und daher wohl nicht vollständig wieder eingeschlafen ist, da ihre Körpertemperatur ja nur bis auf 16° sinken kann. Schon am 2. Tage treten die charakteristischen Zeichen der Vergiftung deutlich hervor, während sie bei Versuch Nr. 11 überhaupt nicht wahrzu- nehmen waren. Auch aus den Versuchen Nr, 15 und 17 ist der Einfluss der Aussen- temperatur auf den Verlauf der Vergiftung deutlich ersichtlich. Dieselbe hohe Dosis wirkt bei dem auf Eiswasser gesetzten Thiere langsamer als bei dem im kühlen Zimmer (6 bis 7° befindlichen. Unsere Bemühungen, während des Sommers Thiere zu fangen, waren gänzlich ohne Erfolg, und so war es leider nicht möglich, die Empfind- lichkeit der lebensfrischen Sommerthiere für das Tetanusgift festzustellen. Schon Barkow hat darauf aufmerksam gemacht und durch Versuche an Igeln bewiesen, dass die Winterschläfer „bei Abmagerung und sonstiger Krankheit“ grosse Neigung zum Sinken der Lebenswärme zeigen. Es war auch bereits bei den vorhergehenden Versuchen zu erkennen, dass die Lebensprocesse der Fledermäuse nach Einwirkung des Giftes im Allgemeinen, nachdem sie zuerst warm und wach geworden waren, wieder bedeutend an Intensität abnahmen. Dies trat nun aber ganz besonders deutlich bei den Tetaninthieren hervor. In den späteren Stadien der Ver- giftung liessen sie sich durch die verschiedensten Reize nicht vollständig wieder in den wachen Zustand zurück versetzen. Eine grosse Mattigkeit hatte sich augenscheinlich des ganzen Körpers bemächtigt und auch das die Wärme regulirende Centrum mit ergriffen. Die Eigenwärme des Thieres sank deshalb ganz auf die Temperatur der Umgebung herab. Die winterschlafenden Fledermäuse verhalten sich demnach ähnlich wie Kaltblüter, die selbst gegen grössere Dosen des Tetanusgiftes wie auch gegen Tetanusbacilleninfection unempfindlich sind und erst, wie Courmont und Doyon! gezeigt haben, bei einer Erwärmung auf 22 bis 25° C. für diese Vergiftung empfänglich werden. Bei einer Kröte wirkte übrigens, wie aus einem mir von Prof. Hans Meyer mitgetheilten Versuche hervor- geht, das am 19. Mai 1897 beigebrachte Tetanotoxin nach einmonatlicher Frist und führte zu einem 4 Wochen lang anhaltenden, mit dem Tode endigenden Tetanus, obschon die Temperatur in jener Zeit sich nicht über 19 bis 20° C. erhob. 1 Archives de physiologie. 1893 u. fl. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 397 2. Wie verhalten sich die Oxydationsvorgänge bei winter- schlafenden Fledermäusen? a) Wie gross ist die Kohlensäureproduction im Winterschlafe? Die starke Verminderung der Athemfrequenz (bei unseren Fledermäusen zeigte sich alle 10 bis 15 Minuten eine Athmung) lässt von vornherein auf eine sehr erhebliche Einschränkung des Sauerstoffverbrauches und der .Kohlensäureabgabe schliessen. Dies ist auch experimentell festgestellt worden. BRegnault und Reiset! fanden bei einem schlafenden Murmelthiere, dessen Sauerstoffver- brauch 0-048 und 0.040 betrug, dementsprechend eine Kohlensäureaus- scheidung von 0-037 und 0.022. E. Delsaux? stellte bei 11 schlafenden Fledermäusen zugleich (Plecotus auritus und Vespertilio murinus) bei einer Temperatur von 7-5° eine Kohlensäureausscheidung von 57.3 m = etwa 0.110 pro Kilogramm und Stunde fest. Ziesel producirten nach Hor- vath? 0.015 CO, während des Winterschlafes, und Hamster, die nach E. Mares im wachen Zustande 2.335 bis 5-038 O aufgenommen und 2.757 bis 5-231 CO, ausgeschieden hatten, brauchten im Winterschlafe nur 0-026 bis 0.157 O und schieden auch nur 0.014 bis 0-155 CO, pro Kilogramm und Stunde aus. Wir haben nun auch versucht, die CO,-Ausscheidung unserer Thiere festzustellen und verfuhren dabei folgendermaassen: Je eine Fledermaus befand sich in einem luftdicht verschlossenen eylindrischen Glasgefässe von 380 °® Inhalt. Die Luft trat durch zwei gebohrte Löcher von oben in das Gefäss ein und unten wieder heraus. Die von aussen zuströmende Luft hatte zuvor 4 Flaschen mit concentrirter Kali- lauge und eine Barytflasche zu passiren. Letztere diente zum Nachweis, dass die Luft vollständig von Kohlensäure frei war. Die von dem Thiere pro- ducirte Kohlensäure gelangte mit der ausströmenden Luft durch zwei hinter einander geschaltete, U-förmig gekrümmte Absorptionsröhren, an deren auf- steigendem Schenkel mehrere Kugeln angeblasen waren (de Koninck’s Kaliröhren), und wurde von dem in diesen Röhren enthaltenen Barytwasser ‚absorbirt. Das zweite Rohr trübte sich meist gar nicht und diente zugleich zur Controle, ob die Kohlensäure vollständig absorbirt wurde. Drei solcher ! Nach Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. IV. Th. II. S. 133. ZENS220. 8.93. : Oentralblatt für die medie. Wissensch. 18712. 8.438, und Würzburger Ver- handlungen. 1880. Bd. XIV. * Mem. soc. biolog. 1892. S. 313—320. Citirt nach Jahresbericht der Thier- chemie. Bd. XXI. S. 396. 398 "A. KoEnISck: Systeme wurden neben einander geschaltet. Die Luft wurde durch eine Wassersaugpumpe mit nur geringem Druck gleichmässig durchgesogen. Die Barytröhren wurden erst eingeschaltet, nachdem der Apparat eine Stunde lang im Gange gewesen und so sämmtliche Kohlensäure, die sich in den Gläsern angesammelt haben konnte, weggeführt worden war. Der Versuch dauerte 3 Tage lang. Nur ein Thier schlief ununterbrochen während der ganzen Dauer des Versuches; die beiden anderen wurden einige Male wach, da der Versuch erst gegen Ende März angestellt wurde, zu einer Zeit, wo die Thiere nicht mehr ganz fest schliefen. Sobald die Thiere wieder einge- schlafen waren, wurden sie ausgeschaltet und frische Barytröhren eingesetzt. Die Resultate dieses Versuches sind in der Tabelle I zusammengestellt. Das Thier Nr. I wog nach der Herausnahme 4.097 em, Nr. III 4.215 8m. Das Gewicht von Nr. II konnte leider nicht genau festgestellt werden, da das Thier nass geworden war; in der folgenden Tabelle ist bei der Berechnung deshalb sein Gewicht zu rund 4-0 &®® angenommen. Die Versuche fanden bei einer Zimmertemperatur von 7° statt. Tabelle 1. Nummer Dauer Gefundene | Pro kgund, Datum des der Co, Stunde CO, Bemerkungen Thieres | Durchleitung | in Milligr. | in Milligr. 30./III. 98 I 24 Std. 8:3924 85-3 II 2A", 8-17537 85-16 III, 80 Min. 30-853 146394 bewegt sich. Die Röhre | trübt sich schnell. | [* Thier wird wach und 1, | 24 Std: | 13-688 135 REDE | er Sg 8-4727 86-2 5 ‚Fehler beim Titriren. Die 11 24 „ 27.356 (?) \ Zahl ist deshalb zu hoch. | h | '/DasThier hatte während der ah 112519.50Min: Br | 1080 '\ Nacht seine Lage veränd. IL: 180,050, |" 5.8187 156 1JIV.98| I | 24 Ska. 8-05454 81-97 | | E Thier war bei Beginn nn Aa ; 5 \J} Vers.wach,schlief aber bal II, |158td.45Min., 10-2948 168-4 | wiederein.Die Absorptions- | ‚N röhre trübte sich bald. ee Ace | So) II ‚| .24 Std. 10-7224 104 Unserem nächsten Zweck, Bestimmung der Kohlensäureproduction unserer Thiere während des festen Winterschlafes, entsprechen wohl nur die bei dem Thiere Nr. I erhaltenen Zahlen. Sie sind niedriger als die VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 399 von Delsaux angegebenen, die sich eher mit der Kohlensäureausscheidung bei unseren weniger fest schlafenden Thieren vergleichen lassen, was sich vielleicht ganz gut mit den Angaben Delsaux’ in Uebereinstimmung bringen lässt, nach denen seine Fledermäuse einen viel leichteren Schlaf gehabt haben müssen als die unseren. Dass die CO,-Production der Fledermäuse grösser ist als die der Murmelthiere, Ziesel und Hamster, hängt natürlich mit der relativ viel grösseren Körperoberfläche dieser kleinen Thierchen zusammen. | Thier Nr. III wacht gleich am ersten Tage bei Beginn des Versuches auf. Wir sehen, wie dabei die Kohlensäureproduction ganz gewaltig steigt; es ist dies nur dann verständlich, wenn man bedenkt, dass unsere Fleder- mäuse in etwa 15 Minuten aus dem tiefsten Schlafe vollständig erwachen konnten, während die Murmelthiere z. B. nach übereinstimmenden Angaben aller Beobachter ! 5 bis 6 Stunden gebrauchen. Horvath kann sich die rasche Erwärmung seiner Ziesel beim Er- wachen nicht erklären. Er glaubt, dass, da die Zahl der Athemzüge, die oft nicht mehr, ja sogar noch weniger betrage als während des wachen Zu- standes, nicht genüge, um dem Thiere den dazu nöthigen Sauerstoff zuzu- führen, durch die Thatsache der raschen Erwärmung der Ziesel die Lehre von der thierischen Wärme stark in’s Schwanken gebracht sei, ja dass man nach neuen Quellen der thierischen Wärme ausser den schon bekannten suchen müsse, wenn sich nicht noch die letzte Möglichkeit der starken Er- wärmung durch starken und plötzlichen Blutandrang bestätige. Ein solcher war nun bei unseren Fledermäusen thatsächlich mit im Spiele. Der Blutdruck, der während des Winterschlafes bei der allgemeinen Erschlaffung des ganzen Organismus bedeutend gesunken war, stieg beim Erwachen sehr rasch, wodurch in kurzer Zeit selbst die entlegensten Gefäss- partieen der Flughaut, die während des Winterschlafes leer waren, wieder mit Blut gefüllt wurden. Die erhöhte Blutecirculation an sich kann aber natürlich die Temperatur- steigerung nicht erklären, sondern die in Folge der vermehrten Circulation in den Muskeln und Drüsen plötzlich gesteigerten chemischen Processe. Dass diese aber, so weit sie sich aus der CO,-Production und dem O,- - Verbrauch beurtheilen lassen, völlig ausreichen, um die beobachtete rapide Erwärmung hervorzubringen, hat Mares ? mit Sicherheit nachgewiesen. Aus Pflüger’s und anderer Autoren und auch aus unseren gleich anzuführenden Versuchen geht übrigens hervor, dass dazu der freie Sauerstoff nicht ! Rosenthal, Die Physiologie der thierischen Wärme. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. IV. Th.Il. 8. 450. 2, 8% (0) 400 A. KoENINCK: unbedingt nöthig ist; es handelt sich nebenbei wahrscheinlich um Spaltungen und Synthesen und zum Theil wohl um Oxydationen durch fixirten Sauer- stoff im Sinne von Kühne.! b) Wie gross ist die Resistenz der Fledermäuse gegenüber der Sauerstoffentziehung? Entziehung des Sauerstoffes auf mechanischem Wege. Es ist schon oben auf die Versuche von Regnault und Reiset und von E. Mares hingewiesen worden, die zeigen, dass die Abnahme des Sauer- stoffverbrauches gleichen Schritt hält mit der der CO,-Ausscheidung während des Winterschlafes. Angesichts dieser Thatsache wurden auch bereits von verschiedenen Seiten Versuche angestellt, wie weit sich bei diesen Thieren die Sauerstoffentziehung treiben lässt. Regnault und Reiset? setzten zwei schlafende Murmelthiere in ein luftdicht verschlossenes Gefäss. In der Nacht des 8. Tages wachte das eine Murmelthier auf, verzehrte den Sauerstoff im Gefäss und starb. Das- andere Thier, welches weiter geschlafen hatte, konnte am anderen Morgen lebend herausgenommen werden. Einen ähnlichen Versuch machten wir mit den schlafenden Fleder- mäusen. Ein Thier wurde in ein cylindrisches Glasgefäss von 140 Inhalt gesetzt und das Gefäss am folgenden Tage, nachdem das Thier fest eingeschlafen war, luftdicht verschlossen. Versuch Nr. 18. Das Thier wird nach 4 Tagen todt dem Behälter entnommen. Versuch Nr. 19. Das Thier athmet 8 Stunden nach Verschluss des Gefässes sehr frequent und ist am folgenden Tage todt. Versuch Nr. 20. Nach 3 Tagen sind noch Lebenszeichen wahrzu- nehmen, am 4. Tage ist das Thier aber todt. Versuch Nr. 21. Das Thier lebt noch nach 3 Tagen. Aus diesen Versuchen lässt sich entnehmen, dass die Thiere 3 Tage lang von 140° gewöhnlicher Luft, die also etwa 28°" Sauerstoff ent- hält, leben können, wenn sie schlafen, dass sie aber wachend schon innerhalb eines Tages darin zu Grunde gehen. Schon Spallanzani berichtet, dass zwei Fledermäuse, die bei — 9° in eine Stickstoffatmosphäre gebracht wurden, nach 2 Stunden noch deut- liche Lebenszeichen hätten erkennen lassen. Bock? bezweifelt aber die ı W. Kühne, Ueber die Bedeutung des Sauerstoffls für die vitale Bewegung. Zeitschrift für Biologie. 1898. 11. Mittheilung. S. 92. ® Nach J. Bock, Experimentelle Underssgelser over Kulilteintoxikationer. Keben- havn 1895. 8. 131. Ara 0. Salsıle VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 401 Richtigkeit dieses Versuches, da Niemand denselben bisher wiederholen konnte. Er glaubt, dass die Luftart, die Spallanzani verwendete, nicht rein gewesen sei. Wir bedienten uns zur Herstellung einer von Sauerstoff freien At- mosphäre des Wasserstoffes, der in einem Kipp’schen Apparat entwickelt wurde. Die Fledermaus, welche zu dem Versuche benutzt wurde, befand sich in einem der schon oben beschriebenen cylindrischen Glasgefässe. Der Wasserstoff trat oben in das Gefäss ein und wurde unten wieder heraus- geführt. Bevor der Wasserstoff aber in das Gefäss gelangte, hatte er eine Waschflasche mit ausgekochtem Wasser, um Verunreinigungen, besonders Säuredämpfe, zu entfernen, und ein Gefäss mit pyrogallussaurem Kali, welches etwa noch vorhandenen Sauerstoff absorbiren sollte, zu passiren. Die Zuleitung des Wasserstoffes wurde während des ganzen Versuches gleich- mässig und so stark fortgesetzt, dass am Ausflussrohr eine kleine Wasser- stofflamme am Brennen erhalten wurde. Die Zimmertemperatur betrug 6-5°. Versuch Nr. 22. Nach 3 Min.. langer Durchleitung brennt der Wasser- stoff am Ausflussrohr. Nach 12 Min. fängt das Thier in kurzen Pausen an zu athmen und ist weiterhin unruhig. Nach 30 Min. wird das Thier lebend herausgenommen. Versuch Nr. 23. Das Thier bewegt sich wieder in den ersten 30 Min. ziemlich viel. Nach 2 Stdn. 15 Min. war die letzte Athmung zu constatiren. Nach 2 Stdn. 28 Min. Schluss. Thier todt. Versuch Nr. 24. Nach 12 Min. langer Durchleitung fängt das Thier an sich zu bewegen, nach etwa 25 Min. hören die Bewegungen auf; von Zeit zu Zeit athmet das Thier. Nach 1 Stde. 52 Min. wird der Versuch ab- gebrochen. Thier lebt. Man kann ja auch gegen diese Versuche einwenden, dass immer noch etwas Sauerstoff im Gefäss zurückgeblieben sei, von dem das Thier noch so lange hätte leben können. Es ist aber doch wohl anzunehmen, dass schon nach 3 Minuten, als der Wasserstoff an dem Ausführungsrohr brannte, fast alle Luft durch den bedeutend leichteren Wasserstoff nach uuten und aus dem Gefässe herausgedrängt war. Die wenigen Reste Sauerstoffes, die viel- leicht noch zurückgeblieben waren, mussten sehr bald entweder von dem Thiere aufgezehrt oder von dem Wasserstoffstrome vollends hinausbefördert werden. Dies wurde auch durch eine Probe bestätigt. Es wurde der Wasser- stoff in der eben beschriebenen Weise durch ein leeres Gefäss geleitet und nach 5 Minuten vor das Ausflussrohr ein Resorptionskölbehen mit pyro- sallussaurem Kali vorgelest, welches sich während einer 10 Minuten langen Durchleitung allerdings stark bräunte Nach 15 Minuten stellte sich aber Archiv £. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 26 402 A. KoEnINcK: nun während eines 15 Minuten dauernden Durchströmens von H, nur eine ganz geringe Bräunung ein. Die Thiere fingen auch in den Versuchen Nr. 22 und 24 erst: nach 12 Minuten an zu athmen, also zu einer Zeit, wo der Sauerstoff sicherlich nur noch in Spuren im Gefäss vorhanden war. Bedenkt man nun, dass unsere Thiere nicht mehr fest schliefen, da diese Versuche ganz am Ende des Winterschlafes angestellt wurden, und dass Spallanzani seine Versuche bei — 9° anstellte, während die vor- liegenden bei + 6-5° vor sich gingen und nach Versuchen von E. Delsaux! je tiefer die Temperatur, desto geringer die Kohlensäureausscheidung, also wohl auch das Sauerstoffbedürfniss ist, so gewinnen die Angaben Spallan- zani’s doch sehr an Wahrscheinlichkeit. E. Delsaux! berichtet auch von Versuchen, die er mit Fledermäusen im luftverdünnten Raume angestellt hat. Er verminderte in weniger als einer Minute den Luftdruck im Gefäss auf 50”"m Hg und konnte nach einer halben Stunde die Thiere noch lebend herausnehmen. Auch diese Versuche haben wir mit unseren Thieren wiederholt und gefunden, dass sie noch längere Zeit einen viel niedrigeren Luftdruck aushalten. Die Thiere befanden sich in den auch zu den Wasserstoffver- suchen benutzten Gläsern, in die sie Tags vorher hineingesetzt waren. Sie wurden aus dem kalten in’s warme Zimmer gebracht, eine Erwärmung aber bei den meisten Versuchen durch Auflegung von Eis möglichst verhindert. Die Evacuation erfolgte mittels einer Wassersaugpumpe. Unsere Versuche ergaben folgende Resultate: Versuch Nr. 25. 4 Min. nach Beginn des Versuches Stand des Queck- silbers auf 17.5"m, Nach 6 Min. Schluss, Stand des Quecksilbers auf IS sueinTerslebt Versuch Nr. 26. Das Thier vom vorigen Versuche wird sogleich wieder benutzt. Nach 4 Min. Stand des Quecksilbers auf 15 m, „ 1057, „ „ „ Er . „ 15 „ Schluss. Stand des Quecksilbers auf 14”®. Thier lebt. Versuch Nr. 27. Dasselbe Thier wie in den Versuchen Nr. 25 und 26. Es ist aber jetzt, nach einer halben Stunde, sehr lebhaft und athmet frequent. Sobald die Verdünnung beginnt, wird die Athmung dyspnoisch und hört nach etwa 2 Min. ganz auf. Nach 10 Min. Schluss; Thier ist todt. Stand des Quecksilbers auf 14 m, Versuch Nr. 28. Nach 4 Min. Stand des Quecksilbers auf 105 "%; ein weiteres Sinken findet nicht statt, da die Pumpe nicht genügend functionirt. Das Thier athmet während des ganzen Versuches ziemlich oft und ist etwas lebhaft. Nach 46 Min. Schluss. Thier lebt. ıA.a.0. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 403 Versuch Nr. 29. Nach 2 Min. Stand des Quecksilbers auf 30 m, 2) 7 2) ” „ „ a2 nn ” 40 2) ” „ ) u ae Nach 1 Stde. Stand des Quecksilbers auf 17.5, Nach 1 Stde. 6 Min. Schluss. Das Thier ist scheinbar todt. Nach einigen Wiederbelebungsversuchen fängt es aber wieder kräftig an zu athmen und ist auch am anderen Tage noch ganz munter. Versuch Nr. 30. Nach 1 Min. Stand des Quecksilbers auf 50 vm, 2) 22], iR) ” „ ur „. 200m, „ ” ” „ 2) ”„ Lan: Nach 9 Min. Schluss; Thier lebt; es athmete zu Beginn des Versuches und bewegte sich später etwas. Versuch Nr. 31. Dasselbe Thier wie im vorigen Versuche Nach 4 Min. Stand des Quecksilbers auf 16%®%. Das Thier athmet bei Beginn des Versuches und auch später noch ziemlich oft. Nach 30 Min. wird die Ath- mung dyspnoisch; nach 45 Min. wird die letzte Athmung constatirt; nach 80 Min. Schluss. Thier todt. Versuch Nr. 32. Fledermaus, junge Ratte und Frosch werden zu gleicher Zeit in verschiedenen Gefässen derselben Luftverdünnung ausgesetzt. Nach 4!/, Min. bei 114” Quecksilberstand wird die scheintodte Ratte herausgenommen und künstlich Luft eingeblasen. Sie kommt wieder zu sich, ist aber am anderen Morgen todt. Das Quecksilber sinkt in den ersten 30 Min. auf 22" und bleibt auf diesem Stand. Nach 10 Min. bewegt sich die Fledermaus, athmet in Pausen von 10 bis 15 Minuten; erst nach Ablauf einer Stunde wird sie lebhafter und athmet öfter. Nach 1 Stde. 36 Min. Schluss. Die Fledermaus macht nach der Herausnahme noch einige Zuckungen, kommt aber nicht völlig wieder zum Leben zurück. Das blossgelegte Herz des Frosches war schon nach 10 Min. dunkel- roth geworden und pulsirte langsamer: 12 Mal in der Minute. Die sicht- bare Athmung hörte lange Zeit ganz auf. Nach Unterbrechung des Ver- suches erholte sich der Frosch bald wieder. Versuch Nr. 33. Die Luftverdünnung wird bei diesem Versuche durch die Krafft-Babo’sche Quecksilbersaugpumpe vorgenommen, über Eis. Nach 15 Min. Stand des Quecksilbers auf 16 "", 2) 25 „ 2) „ ) ” 12 „9, ” 2) 2) 2 Sub Die Fledermaus athmet anfangs, wird dann aber ganz ruhig. Nach 22 Min. sind in Pausen von 2 bis 3 Minuten dyspnoische Athemzüge wahr- zunehmen. Bewegung konnte noch nach 41 Min. constatirt werden. Stand des Quecksilbers auf 8-6”. Nach 56 Min. Unterbrechung des Versuchs. Thier jetzt todt. Wenn wir nun noch berücksichtigen, dass die Tension des Wasser- dampfes im Glase in Abrechnung zu bringen ist, die bei einer Temperatur von 10° im Innern des Gefässes etwa Sm beträgt, so dürfte aus diesen 26* 404 A. KoENINCK: Versuchen hervorgehen, dass unsere Fledermäuse ungefähr 1 Stunde lang in einer Luft leben können, deren Verdünnung etwa !/, bis !/,, der normalen Atmosphäre beträgt und dass sie für kürzere Zeit eine noch viel weitergehende Luftverdünnung ertragen. Dass dieses aber nur im festen Winterschlafe möglich ist, geht aus Versuch Nr. 27 hervor, bei welchem das Thier, welches im vorhergehenden Versuche die Luftverdünnung 15 Minuten lang sehr gut ertragen hat, nach einer halben Stunde, wach geworden, in derselben Atmosphäre schon nach wenigen Minuten stirbt. Horvath! hat auch bei Zieseln, die einen sehr unruhigen Winterschlaf haben, wahrgenommen, dass schon eine unbedeutende (rasch ausgeführte) Verminderung des Luftdruckes sofort eine bedeutende Vermehrung (Ver- doppelung und Vervielfachung) der Athemzüge nach sich zog. Murmelthiere, die doch oft ihren Winterschlaf in Höhen von über 6000 = halten und recht fest schliefen, zeigten sich nach Valentin? sehr empfind- lich gegen starke, wenn auch allmählich bewirkte Luftverdünnung; sank bei einer Temperatur von 7-4° C. der Druck im Reecipienten der Luft- pumpe auf etwa !/,, der äusseren Atmosphäre, so traten schon innerhalb 6 Minuten so bedrohliche Erscheinungen ein, dass der Versuch abgebrochen werden musste. Zur Vergleichung der Widerstandskraft der Fledermäuse der Luftver- dünnung gegenüber mit der anderer Thiere sei erwähnt, dass nach Ver- suchen von P. Bert? Warmblüter in Glocken, in denen die Luft sehr schnell verdünnt wird, bei 150 bis 180 ®® Hg-Druck sterben, dass bei langsamer Druckverminderung der Druck für Vögel bis auf 180%”, für Säugethiere bis auf 120°", für Kaltblüter und neugeborene Säugethiere bis auf 60 mm sinken kann, ehe der Tod eintritt. Um zu erfahren, ob lediglich der Sauerstoffmangel oder dabei auch der niedere Luftdruck an sich tödtlich wirke, modifieirten wir die vorigen Versuche so, dass wir durch eine feine Capillarröhre während der Evacuation immer wieder etwas Luft in das Gefäss eindringen liessen. Dabei erzielten wir folgende Resultate: Versuch Nr. 34. Das Quecksilber sinkt langsam auf 28", Der Ver- such dauert 1 Stunde. Das Thier lebt am Ende desselben. ! Horvath, Beiträge zur Lehre über den Winterschlaf. Verhandlungen der phys.-med. Gesellschaft in Würzburg. 1880. N.F. Bd. XIV. 8.55 ff. ® Valentin, Beiträge zur Kenntniss des Winterschlafes der Murmelthiere. Mole- schott’s Untersuchungen. 1856. Bd.I. S. 210. 3 P. Bert, Recherches exper. sur l’influence, que les changements dans la pression barom. exercent sur les phenom. de la vie. Compt. rend. T. UXXIll. p. 213—216. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 405 Versuch Nr. 35. Das Quecksilber sinkt bis auf 28", Dauer 1 Stunde 50 Minuten. Thier lebt. Versuch Nr. 36. Das Quecksilber sinkt auf 28 und später auf 19 "". Dauer: 3 Stunden. Thier todt. Diese Versuche liefern wohl kaum einen Beweis für die obige Annahme. Wenn es auch scheint, als ob durch die Zuleitung frischer Luft dem Thiere der Aufenthalt in dem Gefässe erträglicher gemacht worden wäre, so muss man doch auch berücksichtigen, dass bei diesen Versuchen die Luftver- dünnung keine so starke war wie bei den meisten vorigen. Aus den obigen Versuchen verdient noch die Thatsache besonders hervorgehoben zu werden, dass die Thiere den Aufenthalt in einer fast ganz von Sauerstoff freien Atmosphäre länger aushalten können, als den im stark luftverdünnten Raume, woraus wohl hervorgeht, dass sie im luftverdünnten Raume entweder nicht ganz allein aus Mangel an Sauerstoff zu Grunde sehen oder dass durch starke Verdünnung der umgebenden Luft dem Körper der in ihm noch vorhandene oder etwa frei werdende Sauerstoff entzogen wird. Wahrscheinlich lebten in Versuch Nr. 34 und 35 die Thiere auch nur deswegen länger, weil ihnen bei der geringeren Luftverdünnung weniger Sauerstoff entzogen wurde. Entziehung des Sauerstoffes auf chemischem Wege. Es war nach den obigen Versuchen zu erwarten, dass die Fledermäuse auch den hauptsächlich durch Sauerstoffentziehung tödtlich wirkenden Giften gegenüber sehr widerstandsfähig sein würden, und dies finden wir auch durch die beiden folgenden Versuche bestätigt. Versuch Nr. 37. Imhalation von Leuchtgas. (9 Procent CO-Gehalt.) Es wird das Gas zunächst durch reine Schwefelsäure und Kaliumper- manganat geleitet und auf diese Weise fast geruchlos gemacht, in ein eylindrisches Glasgefäss geführt, in dem das schon Tags zuvor hineingesetzte Thier ruhig schläft. Während der ersten 4 Minuten athmet das Thier wiederholt, dann tritt eine Pause von 12 Minuten ein. Nachdem sodann einige Athemzüge erfolgt sind, wird das Thier unruhig und macht Bewegungen mit Kopf und Ex- tremitäten. Es beruhigt sich aber bald wieder und wird schliesslich ganz bewegungslos, so dass während einer halben Stunde keine deutliche Athmung zu bemerken ist. 50 Minuten nach Beginn des Versuches kehrt sie wieder und wird lebhafter, bleibt aber ziemlich oberflächlich. Nach 1 Stde. 10 Min. hört sie wieder auf. Nach 1 Stde. 20 Min. wird der Versuch unterbrochen. Das Thier wird aus dem Gefäss genommen und, da es sich nicht bewegt, 10 Minuten lang künstliche Athmung vorgenommen, worauf einige Zuckungen erfolgen. Das Thier völlig zum Leben zurückzuführen gelingt nicht. Es zeigt deutliche Symptome der Kohlenoxydvergiftung. Zunge, Gaumen, Penis, Serotum und die sichtbaren Blutgefässe sind alle hellroth gefärbt. 406 A. KoENINcK: Versuch Nr. 38. Vergiftung mit Blausäure. In ein verschliessbares Glas, in dem das Thier schläft, wird mit einer Pipette etwa 0-06 “” einer 12 procent. Blausäurelösung gebracht und darauf das Gefäss dicht verschlossen. Das Thier athmet einige Male; da sich aber keine Wirkung zeigt, werden nach 9 Minuten noch etwa 0-1°” und nach 17 Minuten noch etwa 0.3 °® eingeträufelt. 19 Minuten nach Beginn des Versuches ist noch Athmung zu constatiren. Als das Thier nach 30 Minuten herausgenommen wurde, war es todt. Krämpfe oder Zeichen von Athemnoth wurden vorher nicht bemerkt. Zur selben Zeit wird auch an einem Meerschweinchen und einem Erosch dieselbe Vergiftung vorgenommen. Sie werden ebenfalls in je ein verschliess- bares Glas gebracht, und in jedes Glas wird ein Tropfen obiger Flüssigkeit eingeträufelt. Nach 1!/, Minuten bekommt das Meerschweinchen heftige Krämpfe; es wird schnell herausgenommen und durch künstliche Athmung ge- rettet. — Der Frosch ist nach 15 Minuten stark narkotisirt, sperrt mehrere Male das Maul auf und reagirt nach 1!/, Stunden nur noch auf sehr starke Reize. Entsprechend den verschiedenen Wirkungen dieser Gifte ist die Dauer der Vergiftungen natürlich auch eine verschiedene. In beiden Fällen ist aber der abschwächende Einfluss des Winterschlafes unverkennbar. Bei der Leuchtgasvergiftung scheint, soweit überhaupt der eine Ver- such einen Schluss zu ziehen erlaubt, auch nicht die Behinderung der Sauerstoffaufnahme die einzige Todesursache gewesen zu sein. Das Thier ging darin offenbar früher zu Grunde als die anderen in der Wasserstoff- atmosphäre. Es wird wahrscheinlich durch das Kohlenoxyd in ähnlicher Weise wie bei den Thieren im luftverdünnten Raume der Sauerstoff aus den Geweben ausgetrieben. Zum besseren Verständniss der grossen Resistenz der Fledermäuse gegen- über der Sauerstoffentziehung dürfte vielleicht auch die Beobachtung dienen, dass das Herz im Winterschlaf befindlicher Fledermäuse noch längere Zeit nach dem Tode weiterschlägt. Bei einem Thiere wurde dies genauer verfolgt. Versuch Nr. 39. Einer direct aus dem Winterschlaf genommenen Fledermaus wurde der Hals mit einem Bindfaden fest zugeschnürt, wobei es zu einer Durchtrennung der Wirbelsäule kam, und darauf der Thorax eröffnet. Die Zimmertemperatur betrug 5°. Von Zeit zu Zeit wurde das Herz mit einem Tropfen physiologischer Kochsalzlösung befeuchtet. Nach 30 Min. 26 regelmässige Herzschläge in der Minute. Nach 45 Min. schwächere Pulsation; 16 Herzschläge in der Minute. Auf Berührung erfolgen noch Reflexbewegungen der Körpermusculatur. Nach 1 Stde. 10 Min. schwache Pulsation. Berührungsreflexe erloschen. Nach 1 Stde. 15 Min. 8 schwache und unregelmässige Pulsationen in der Minute. Nach 1 Stde. 25 Min. 10 Pulsationen, ebenfalls schwach und unregelmässig. Nach 1 Stde. 35 Min. Aufträufeln von 2 Tropfen Ol. camphorat. (10 Proc.) auf das Herz; danach 14 schwache Pulsationen in der Minute. Nach. 1 Stde. 45 Min. Die Contraetionen haben aufgehört und sind auch durch mechanische Reize nicht mehr hervorzurufen. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 407 Versuch Nr. 40. Eine andere Fledermaus wurde ebenfalls, bevor sie aufwachen konnte, strangulirt, aber erst nach 2 Stunden der Thorax eröffnet. Es waren da aber weder spontane noch reflectorische Contractionen des Herzens mehr zu bemerken. ‘c) Wie verhalten sich die Fledermäuse in sauerstofffreier Luft, so lange sie am Leben sind? Nachdem durch eine Reihe von Versuchen übereinstimmend nach- gewiesen ist, dass die Fledermäuse während des Winterschlafes nicht nur eine sehr geringe Menge Sauerstofl bedürfen, sondern sogar fast 2 Stunden lang so gut wie gänzlich ohne Sauerstoff leben können, drängt sich uns die Frage auf, wie diese Thiere sich denn nun in der von Sauerstoff freien Atmosphäre verhalten. Sollten ihre Lebensprocesse dann noch weiter herab- gesetzt sein als im gewöhnlichen Winterschlafe oder sollte während des Winterschlafes das Blut so mit Sauerstoff gesättigt sein, dass das Thier ganz gut so lange davon leben kann? Die letztere Frage muss nach den Unter- suchungen von Raphael Dubois! verneint werden, der fand, dass der Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes bei Murmelthieren während des Winterschlafes keine bestimmte Veränderung erleidet, das venöse Blut nicht sauerstoffreicher als sonst, eher noch ärmer ist, da es beim Erwachen etwas an Sauerstoff zunimmt. Horvath? ist auch der Ansicht, dass die sehr schwache Respiration während des Winterschlafes die Ansammluug von Sauerstoff wenig begünstige. Bei unseren Thieren stellte sich selbst im tiefsten Schlafe alle 10 bis 15 Minuten eine Athmung ein, offenbar ausgelöst durch einen zu grossen Kohlensäure- und dementsprechend zu geringen Sauerstoffgehalt des Blutes. Wir dürfen demnach wohl annehmen, dass, auch wenn wir den in den Lungen etwa noch vorhandenen Sauerstoff mit hinzurechnen, das winter- schlafende Thier nicht so viel freien Sauerstoff im Körper aufgespeichert hat, um davon fast 2 Stunden leben zu können; es müsste denn sein, dass die erste Frage im bejahenden Sinne zu beantworten ist, dass also die Oxydationspro- cesse bei gänzlicher Abwesenheit von Sauerstoff noch mehr herabgesetzt sind. Um dies zu entscheiden, haben wir zu bestimmen versucht, ob und wie viel Kohlensäure die Thiere während ihres Aufenthaltes in der Wasser- _‚stoffatmosphäre ausscheiden. Zu diesem Zwecke wurde in der schon früher angegebenen Weise wiederum Wasserstoff in ein Gefäss geleitet, in dem sich eine Fledermaus befand. Nachdem die Durchleitung 5 Minuten gedauert hatte, wurde die ausströmende Luft durch die schon früher beschriebenen Barytröhren geführt 1 Dubois, Zortschritte der Thierchemie. Bd. XXV. S. 398. ZEN ON 408 A. KoENINcK: und durch Titrirung die von derselben absorhirte Kohlensäure bestimmt. Die Resultate sind in folgender Tabelle zusammengestellt. Tabelle I. Nr. des|Nr. der| Dauer der Gefundene | Gewicht Pro kg und Ver- ‚Baryt-| Durch- CO, des Thieres Stunde CO, Bemerkungen suches | röhre | leitung | in Milligr. | in grm | in Milligr. al 2 Std. 2.35 4.40 267 Thier am Ende des Vers. | ' todt. Letzte Athmung ' 40 Min. nach Beginn der ı Durchleit. bemerkt. Das | Leben scheint aber erst | vielspät.erlosch. zu sein. elle 45 Min. | 1-75 | 1.92 | 554 Thier am Ende des Vers. li 2 bares 1-87 I | 406-6 todt. Letzte Athm. 1 St. | | | | ' 30 Min. nach Beginn der | | | | Durchleitung bemerkt. IH j| :1. |- 45 Min. 0.829 || 4.39 32718 ı Thier lebt am Ende des ı 2 20 0.549 | IN 378 ı Versuches. 1 290, Mn ' 3083? | Letzte Athm. 1St. 15Min. IV Das 1-88 |1.83-84 4 838 nach Beginn der Durchl. SE ED 1:066 300 bemerkt. Thier aın Ende des Versuches todt. Dem Versuch Nr. I konnte man den Einwurf machen, dass die pro- ducirte Kohlensäure aus der ersten Zeit des Versuches stamme, also aus einer Zeit, wo sicher noch etwas O im Gefässe vorhanden gewesen sein musste. Um diesem Einwurfe zu begegnen, wurde in Versuch II und III ein zweites und in Versuch IV noch ein drittes Barytrohr vorgelegt. Nament- lich bei IV, hat wohl die Annahme einige Berechtigung, dass während der vorher gegangenen 60 Minuten langen Durchleitung sämmtlicher Sauerstoff fortgeführt oder von dem Thiere aufgezehrt worden war. Jedenfalls geht beim Vergleich mit Tabelle I aus diesen Versuchen hervor, dass in der Wasserstoffatmosphäre der Lebensprocess dieser Thiere nicht nur nicht ver- mindert, sondern sogar erhöht ist. Es wäre ja möglich, dass die Er- höhung der Kohlensäureproduction zum Theil vorgetäuscht worden ist durch Fehler beim Titriren, die sich ja bei der so kurzen Durchleitungszeit und den gefundenen kleinen Werthen trotz Anwendung der nöthigen Vorsichts- maassregeln leicht einschleichen können; sie lässt sich aber auch dadurch erklären, dass die Thiere, welche sichtlich unruhig wurden, sobald die Luft sich verschlechterte, wenn auch vergeblich, aus dem Schlafe sich aufzurütteln suchten. Dieses Bestreben dauerte höchst wahrscheinlich bis kurz vor ihrem Tode fort und es wurde dadurch ein grösserer Reiz auf den Organismus ausgeübt und dieser zu vermehrter Thätiskeit und Kohlensäureproduction angeregt. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 409 Wir haben also in diesen Versuchen wiederum eine Bestätigung des von Pflüger aufgestellten Satzes, der da lautet: „Die thierische Verbrennung der Zelle setzt nicht bloss keinen activen oder nur neutralen Sauerstoff voraus, sondern ist auch innerhalb weiter Grenzen vollkommen unabhängig von dem Partiardruck des neutralen Sauerstoffes.“! Pflüger hat bekannt- lich die Richtigkeit dieses Satzes durch Versuche an Fröschen bewiesen, von denen er feststellte, dass sie in 5!/, Stunden in reinem Stickstoff ebenso viel Kohlensäure ausschieden, wie sie abgegeben haben würden, wenn sie selbst in reinem Sauerstoff gelebt hätten. ? Aubert? hat diese Versuche wiederholt und bestätigt; er präcisirt den obigen Satz auf Grund seiner Versuche noch etwas, indem er sagt, dass „die Kohlensäureproduction im lebenden Organismus ein Process ist, welcher unabhängig von der Aufnahme von Sauerstoff vor sich geht.“ Obige Ver- suche beweisen, dass dies nicht allein für kaltblütige Frösche gilt, sondern ebensowohl für unsere Winterschläfer, die auch während des Winterschlafes ihre Zugehörigkeit zu den Warmblütern nicht ganz verleugnen können. Leider ist es nicht möglich, diese Thiere, wie die Frösche, sofort in einen schon vorher von Sauerstoff befreiten Raum zu bringen, ohne sie aufzu- wecken, und deshalb werden die Ungenauigkeiten, die diesen Versuchen anhaften, wohl kaum jemals gänzlich beseitigt werden können. Pflüger* und Aubert? berichten auch, dass constant bei den Fröschen nach einer gewissen Zeit eine gänzliche Bewegungslosigkeit eingetreten sei, und die Frösche wie gelähmt dagelegen hätten. Ein Analogon fand sich auch bei diesen Versuchen, ebenso wie bei der Leuchtgasvergiftung und im luft- verdünnten Raume. In den ersten 30 Minuten machten die Thiere noch öfters Bewegungen mit Kopf und Extremitäten. Später aber lagen sie ganz regungslos da, nur die Athembewegungen verriethen, dass die Lebensflamme noch nicht erloschen war. Aubert schliesst aus seinen Untersuchungen an den Fröschen, dass dieser Mangel jeglicher Bewegung nicht auf Be- wegungsunfähigkeit beruht, sondern, dass der Mangel der vom Gehirn aus- gehenden Bewegungsimpulse diesen Zustand der Ruhe zur Folge hat. ! Pflüger, Beiträge zur Lehre von der Respiration. Archiv für Physiologie. Els75. Ba.x. S. 251. 2A.a.0. 8.315. ® H. Aubert, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Kohlensäureausscheidung und die Lebensfähigkeit der Frösche in sauerstoffloser Luft. Pflüger’s Archiv für Physiologie. 1881. Bd. XXVI. 8.293 ff. * A.a.0. 8. 324 ff. > 0, Karae 410 A. KoENINCK: Einige Bemerkungen über den Winterschlaf. Ueber das Wesen des Winterschlafes, über seine Entstehung und die Ursache seiner rechtzeitigen Beendigung sind im Laufe der Zeit die ver- schiedensten Hypothesen aufgestellt worden. Gegen die Behauptung, dass eine starke Abkühlung den Winterschlaf herbeiführe, wenden sich Mares, Bock und Prunelle. Ersterer meint,! dass der Verlust der Empfindlichkeit des Nervensystems gegen Abkühlung die Ursache sei, wodurch die zur Erhaltung der Homoeothermie nöthigen Regulationen fortfallen. Bock? begründet seine Ausicht damit, dass zahme Murmelthiere in der Schweiz nicht in den Winterschlaf verfallen. Prunelle® hat beobachtet, dass zahme Igel im Winter ebenfalls nicht einschliefen; er nimmt an, dass Circulations- und Respirationsherabsetzung eine sehr grosse Rolle bei der Entstehung des Winterschlafes spielen. Er fand die ganze Haut der Winterschläfer mit Fett überzogen und unter derselben eine dicke Fettschicht. Die Lungen waren an die hintere Thoraxwand gedrückt und der ganze übrige Thoraxraum mit Fett gefüllt. Starke Fettmassen hatten sich am Sternum unter dem Diaphragma und um die grossen Gefässe an- gesammelt. Valentin* glaubt, dass sich die Angabe Prunelle’s nicht in allen Fällen bestätigen dürfte und macht darauf aufmerksam, dass die Thiere, welche in Gefangenschaft gehalten werden, weniger Fett ansetzen und daher die Bedingungen zum Zustandekommen des Winterschlafes nicht so günstige seien als in der Freiheit. Nach Koch? ist bei den Fleder- mäusen, namentlich bei den Istiophoren, die Fettmasse oft so bedeutend, dass sie die Fleischtheile an Volumen und Gewicht übertrifft; sie zeigt aber gegen Anfang Januar schon eine bedeutende Abnahme. Bei unseren Fleder- mäusen war gegen Ende des Winterschlafes ebenfalls noch eine reichliche Fettansammlung unter dem Peritoneum und im Mesenterium zu constatiren, dagegen war die Haut nicht besonders fett. Trotz dieses starken Fettgehaltes der Thiere während des Winterschlafes dürfen wir der Aussentemperatur nicht allen Einfluss auf die Entstehung und Dauer desselben absprechen. Wie sollen wir uns sonst das Verhalten der mit Unterbrechung schlummernden Thiere erklären, zu denen Bär, Dachs, Igel, Fuchs, Eichhörnchen, Wasserratte und einige Mäusearten ge- hören, die nur bei grösserer Kälte einschlafen und durch jeden warmen Sonnentag wieder aufgeweckt werden. In nördlichen Gegenden, in Schott- land, Skandinavien und Sibirien soll ihre Winterruhe eine tiefere und dauerndere sein. Man hat auch beobachtet, dass ein milder Herbst, ein IA.:a. 0: ® Bock, Experiment. Undersegelser over Kulilteintoxikationen. Kebenhavn 1895. > Bock, 8.139. ZN222032206: SEA 2220 8.340. VERSUCHE UND BEOBACHTUNGEN AN FLEDERMÄUSEN. 411 harter März den Eintritt und das Aufhören des Winterschlafes sehr lange hinausschieben können; so sahen auch wir während der ungewöhnlich milden Monate December 1598 und Januar 1899 Fledermäuse im Freien umher- fliegen. Es stimmt dies mit den Berichten Koch’s überein, nach denen der Winterschlaf bei den nördlichen Formen der Fledermäuse viel länger ist als bei den in südlicheren Gegenden oder gar in den Tropen sich auf- haltenden, wo er nur in einer kurz dauernden Zurückgezogenheit besteht. Sicherlich wird auch ein Moment, welches Valentin mit Recht besonders hervorhebt, die Ruhe, für die Thiere unbedingt nöthig sein, um in den Winterschlaf verfallen zu können. Die Hypothese Errera’s, dass der Winterschlaf das Resultat einer physiologischen Autointoxication sei, glaubt Raphael Dubois! dadurch zu widerlegen, dass weder der Urin, noch der alkoholische Extract der Fäces winterschlafender Murmelthiere auf Kaninchen oder Meerschweinchen nar- kotisch wirkt, Dieses spricht natürlich keineswegs unbedingt gegen die obige Hypothese, denn es können doch auch in den Geweben narkotisch wirkende Substanzen vorhanden sein, die als solche nicht zur Ausscheidung gelangen. Nach der Untersuchung Raph. Dubois’s werden bei Murmelthieren während des Winterschlafes Blut und Gewebe um 61.103°/,, ärmer an Wasser. Dieser Wasserverlust wird aber wahrscheinlich eine Folge und nicht, wie Dubois meint, die Ursache des Winterschlafes sein. Dubois vergleicht auf Grund seiner Versuche den Winterschlaf mit dem durch Wasserentziehung hervorgerufenen Zustande der Ermattung bei Cholera und bei Vergiftungen, die reichliche Entleerungen verursachen. Diesem Vergleich gegenüber darf wohl darauf hingewiesen werden, dass eine Parallele zwischen dem Winterschlafe und dem physiologischen Schlafe bei Mensch und Thieren zu ziehen viel näher liegt, worauf auch schon von Marshall Hall aufmerksam gemacht worden ist. Bei den ‚Winterschläfern ist dieser Schlaf nur bedeutend vertieft. Auch beim Menschen ist bekanntlich während des Schlafes die Athmung etwas verlangsamt, die Pulsfreguenz und eine Anzahl von Secretionen, darunter die Harnsecretion, ‚vermindert. Ebenso ist, physiologisch in der Nacht ein Sinken der Temperatur zu > 35 i= nasla8 | SeS| eg > 2888| 88 [352 Seas lo Se Saas a a5 | le, on ee 5 Ft ee es ale |. = —_ =} R ben] ® .- 2322 al SEcle (| ae 59 | 8 A$ Ho 5® SE® =) an —| As 1. Harnstoff, Infundirte Flüssigkeit 0-27 0:146 0:88 0:146 — — _ 0:115| 0:0168 1:01) 0°0168 — — — = Nach 10 Min. entfernte | Flüssigkeit 0-37 0:200 0:53 0-088| 0-175/) 0055 0:057J 0.077) 0-0154 0-41 0.0068) 0.135, 00-0042 0.004410.918 Differenz +0:10 +0:054 | —0-38 —0:058| +0: 175) +0:055| +0 :0571—0-038 —0-0014 | — 0-60 —0:0100| +0°:135 0°0042|+0:0044 2. Trauben- Trauben-, Trauben- Trauben-, Trauben- | zucker. zucker /,| zucker m zucker gr| zucker M | Infundirte | Flüssigkeit 0:25 0:135 2:4| 0.133 — _ 0:002| 0:122, 0.0164 2:89 0:-0161 — | _ 0:0003 Nach 10 Min. | entfernte | Flüssigkeit 0:37 0:200 1:6, 0.088] 0-20 0:062, 0:050| 0:086) 0.0172 1:38 0:0076 0.172 0:0053) 0:0043/0:568 Differenz +0:12 +0:065 — 0:8 —0:045|+0:20 |+0:062) +0:0481—0-036| +0-0008 1-51/—0°0085| +0-172 +0-0053| +0°0040 3. Kochsalz. | Infundirte | Flüssigkeit 0-22 0.119 _ _ 0:351| 0:110) 0:009| 0:148 0:0176 _ — 0.519) 0:0163/) 0:0013 Nach 10 Min. | | entfernte, | | Flüssigkeit | 0:27 0:146 — — 0.374 0:118| 0.028] 00-131, 0-0191 — — 0:490, 0:0155) 0.0036 0-437 Differenz \+0-05, +0:027 _- = +0-023),+0-008, +0:019| — 0-017 |+0-0015 — _ —0:029,—0:0008|+0°0023 PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 4353 welche unter einander „äquinormal‘“ sind, jede von ihnen enthält 3.07 Moleculargewichte auf den Liter Wasser gelöst. Doch bedeutet das in diesem Falle nicht eine gleiche moleculäre Concentration, also eine gleich- wertige osmotische Spannung; eine dieser Substanzen — das Kochsalz — ist nämlich eleetrolytisch, also grösstentheils dissocirt in Ol- und Na-Ionen gespalten in der Lösung vorhanden. Die Ionen erhöhen aber die mole- euläre Concentration und osmotische Spannung nicht minder als die un- gespaltenen Molecüle, und ist dadurch die Concentration der äquinormalen, aber dissociirten Lösung fast verdoppelt; daraus ist zu ersehen, dass Lazarus Barlow durch die Injection einer mit der Zucker- und Harnstoff- lösung äquinormalen Kochsalzlösung die osmotische Spannung des Blutes fast doppelt so hoch trieb wie mit den beiden ersten; dass damit auch eine entsprechend vergrösserte osmotische Wirkung einhergehen muss, liest ohne weiteres klar. Wenn wir aber diese Action auf die moleculäre Con- centration der beiden anderen Substanzen reduciren, so nimmt das Koch- salz mit grosser Wahrscheinlichkeit wiederum denselben Platz in der Rang- liste der Durchdringungsfähigkeit der Capillarwand ein, wie ich es in meinen Experimenten fand. Die Capillarwand zeigt nach all dem eine beschränkte Permeabilität gegen krystalloide Substanzen im Allgemeinen, und eine charakteristische Abstufung der Permeabililät gegen einzelne Krystalloide. Wenn ich auf das Verhalten der hypertonischen Lösungen, in An- betracht der principiellen Schlüsse, welche ich aus diesem Verhalten ab- leiten wollte, des Näheren einging, so können die Veränderungen, die hypotonische (dem Blutserum gegenüber hyperosmotische) Lösungen ein- gehen, kurz erledigt werden. 2. Hypotonische Lösungen (s. Tab. II) nehmen in ihrer mole- culären Concentration zu, indem sie sich der Concentration des Blutserums nähern, bei entsprechender Versuchsdauer werden sie auch thatsächlich isotonisch, wie dies schon seit Hamburger bekannt ist.! Dabei ver- ändern sie sich in ihrer Zusammensetzung; die Concentration an dem ur- sprünglichen Lösungsbestandtheile — an Harnstoff und Zucker — erfährt ‚eine Abnahme; ? diese Abnahme wird aber durch Eindringen von Moleeülen ! Hamburger, 2.2. 0. * Die hypotonische Kochsalzlösung nimmt eine besondere Stellung ein, da das Blutserum dieselbe nicht nur in Bezug auf die gesammte moleculare Concentration. sondern auch in seinem Kochsalzgehalt überragt. Daher wird die Concentration an dem ursprünglichen Lösungsbestandtheil — an Kochsalz — nicht ab-, sondern zu- nehmen. Wenn dieser Concentrationsanstieg über die Concentration des Blutserums geht (was in Folge des Wasserverlustes der intraperitonealen Flüssigkeit wohl möglich ist), so kann eine kleine Menge Kochsalz aus der Bauchhöhle in die Blutbahn gerathen, Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. - 238 434 WILHELM RörTe: aus dem Blute übercompensirt, so dass trotz des verminderten Gehaltes an der ursprünglich gelösten Substanz die gesammte moleculäre Con- centration zugenommen hat. Diese Veränderungen sind durch die folgenden Einzelprocesse bedingt: a) vollzieht sich eine Wasserströomung aus der minder concentrirten Intraperitoneal-Flüssigkeit in das concentrirtere Blut. Dass dieser Wasserstrom ein osmotischer ist, eine Folge des osmotischen Ueberdruckes im Blute, ist wohl ohne Weiteres verständlich, und ist er also principiell desselben Ursprungs wie der Wasserstrom entgegengesetzter Richtung bei Anwendung von hypertonischen Lösungen, b) entsteht ein Diffusionstrom der Zucker- bezw. Harnstoffmolecüle in das Blut als Folge der höheren Partiarspannung derselben in der infundirten Lösung, c) ein entgegengesetzter Diffusionstrom aus dem Blute transportiert wieder solche Molecüle in die Bauchhöhle, welche diese vorher nicht beherbergte. ! Dieselben Processe also wie bei den hypertonischen Lösungen, nur hat die Richtung und auch die Intensität derselben den veränderten Be- dingungen entsprechend eine Umwandlung erfahren. Nun die isotonischen Lösungen, welche dieselbe moleculäre Con- centration wie das Blutserum aufweisen. 3. Isotonische Lösungen (s. Tab. Ill) bleiben während ihres Aufenthaltes in den serösen Höhlen isotonisch, das ist eine schon wiederholt festgestellte Thatsache. Nur soll nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass diese Festhaltung an der ursprünglichen moleculären Concentration nicht das Bestehen der ursprünglichen speciellen chemischen Zusammen- setzung bedeutet. Das ist keineswegs der Fall. Die isotonischen Lösungen büssen ebenso ihren Gehalt an den ursprünglichen Lösungsbestandtheilen ein, wie die hyper- und hypotonischen, dagegen erfahren sie ebenso wie diese einen Zuwachs an solchen Moleeülen, welche in der infundierten Flüssigkeit ursprünglich nicht zugegen waren und Bestandtheile des Blutes sind.? ' Welcher der sub a und b erwähnten Diffusionsströme einen grösseren Effect erzielt, d. h. mehr Molecüle transportirt, hängt unter Anderem von der Permeabilität der Membran für die betreffenden Substanzen ab. In Folge dessen ist es möglich, dass trotz der geringeren osmotischen Spannung der Intraperitonealflüssigkeit mehr Molecüle aus derselben in die Blutbahn wandern als in umgekehrter Richtung. Das ist in Tab. II für den Harnstoff zu ersehen. Die Harnstoffmolecüle durchdringen leichter die Endothelialscheidewand als die eigentlichen Serumbestandtheile, diese be- wirken dagegen einen intensiven osmotischen Wasserstrom in die Blutbahn, daher wird auch aus der Harnstofflösung mehr Wasser resorbirt als aus den beiden anderen, wie denn überhaupt aus der Berechnung der Tab. II sich dieselbe Abstufung der Per- meabilität der Capillarwand für die angewandten Stoffe ergiebt, wie bei den hyper- tonischen Lösungen. * Den Uebertritt von Serumbestandtheilen in die intraperitoneale Lösung hat schon Orlow kurz berührt (a. a. ©... — Hamburger ist dieser Umstand schon mehr auf- gefallen: „Während ihres Aufenthaltes in der Bauchhöhle wechselt die intraperitoneale PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 435 Dieses Uebertreten der gelösten Serumbestandtheile findet also bei jeder der drei untersuchten Gruppen statt, aber insofern in verschiedenem Maasse, als bei den hypertonischen Lösungen der dadurch entstandene Zuwachs den Abfall der gesammten moleculären Goncentration, welcher aus dem Verluste an dem ursprünglichen Lösungsbestandtheile entspringt, nicht zu compensiren vermag, bei den hypotonischen übercompensirt, bei den isotonischen aber streng compensirt, so dass keine Aenderung der ursprünglichen moleculären Concentration stattfindet. Das letzterwähnte eigenthümliche Verhalten ähnelt dem, welches Hamburger für die rothen Blutkörperchen bei CO,-Be- handlung festgestellt hat. Diese bewirkt nämlich, dass gewisse Substanzen die Blutkörperchen verlassen, andere aus dem Serum in dieselben ein- dringen, ohne dass eine Aenderung des osmotischen Druckes in den Blut- körperchen erfolgt wäre. „Es muss also,“ sagt Hamburger, „ein Aus- tausch in isotonischen Verhältnissen stattgefunden haben.“ A.v. Koranyi, der einen ähnlichen in den Harncanälchen zwischen Blut- und Harnflüssig- keit verlaufenden Vorgang annimmt, um gewisse Eigenthümlichkeiten der moleculären Concentrationsverhältnisse des Harnes zu erklären, weist auf die prineipielle Bedeutung derartiger Vorgänge, die er als „Molecularaustausch“ bezeichnet, hin.! Diese Art des Austausches liefert nämlich einen Beweis dafür, dass der beide Flüssigkeitsschichten trennende Zellcomplex keine vitale Energie einsetzt, um eine Arbeit, welche sich in der Aenderung des nach physikalischen Gesetzen verlaufenden osmotischen Ausgleichvorganges sich kundgeben möchte, also eine „osmotische Arbeit“ zu leisten. Wenn sich dieser Ausgleich auch sonst an die bekannten Difiusionsgesetze hält, und keine elective Thätigkeit der Zellen an den Tag tritt, wie in dem eben untersuchten Falle, so ist auch jede sog. vitale Action auszuschliessen. Bei kurzer Versuchsdauer von 10 Minuten erfährt die infundirte isotonische Lösung überhaupt keine anderen Veränderungen als solche, die diesem durch einfache Diffusion bedingten Molecularaustausche mit dem Blutserum zuzuschreiben sind. Insbesondere ist eine Verschiebung der Wasserquantität kaum klar zu constatiren bezw. ist dieselbe so unbedeutend, dass sie nicht über die Versuchsfehlergrenzen hinauskommt.” Dagegen ist in Versuchen mit !/, Stunde Aufenthalt in der Bauchhöhle (s. Tab. III) Flüssigkeit Bestandtheile mit dem Blutplasma aus. So findet man z. B. nach Injection einer mit dem Blutplasma isotonischen Na,SO,-Lösung eine bedeutende Menge Chlor- natrium, weiter Natriumphosphat und Eiweiss in der isotonisch bleibenden Intraperi- tonealtlüssigkeit“ (a. a. Ö. 8.359). Ich glaubte, dass diesem Process eingehendere Würdigung zukommen muss, ist er doch ein unerlässlicher integrirender Factor in dem Ausgleiche zwischen Blut und Intraperitonealtlüssigkeit. ! A.v.Koranyi, Zeitschrift für klin. Medvein. 1895. Bd. XXAIII. Heft 1 u. 2. ” Vgl. Tab. VIl im Anhang. 28 WILHELM RöTH Ne) ap) = Tabelle III. Isotonische Lösungen !/, Stunde in der Bauchhöhle (Ductus thoracicus unterbunden). NaCl gr 0-405 +0-405 ES Grommiorernitirraitironlerne SE Absolute Mengen o) & = | 5 u = | | a = & f : Dr en aa 3.8 Se OU = Si SQ s3_-|ı FIZE-| As SE (ZesaN-ı as ae 2338| -, des, #5 sen S) S -| ) — ‘2 =! = © Seren 230 = eis zZ = ER ooR + = Bar Org © S 2 aus Q Seele 522 = 2.0) 2502 | 8 28 I nel Se-e- 8 | = so 250: & 33 2 Bess 2° = ac 3 EEE) Erz Pe Se on leer 1. Harnstoff. | | Infundirte | Flüssigkeit | 0-56 0:303 1:82 0-308 — — — 0.145 0-0439 2-64 0:0439 Nach 10 Min. | | entfernte | | Flüssigkeit 0-56 0:303 0.92 0.153 0-30 0-095| 0-055]| 0-135 0-0409 1-24 0.0206 Differenz 1%) 1) | — 0:90 /—0-150 +0-30 +0+095| + 0-0551—0-010 —0-0030, — 1-40 —0:0233 2. Trauben- | Trauben- Tranbenz Trauben-, Trauben- zucker. | zucker %% zucker m zucker gr| zucker M Infundirte | | | Flüssigkeit 0-56 0-303 5-45 0-308 — — — 0:140 0:0424 7-63 0:0424 Nach 10 Min. ' entfernte | Flüssigkeit \ 0:56 0:303 4-00 0.222 0-22 0-069 0.012] 0-134) 0-0406 5-36| 60-0297 Differenz 8 [%) | —1.-45 — 0.081 +0.22 +0:069| +0:0121— 0-006 | — 0-0018 — 2:27 | —0:0127 3. Kochsalz. | | | Infundirte | | | Flüssigkeit | 0:56 0.3083 — — | 0-92) 0.303 —_ 0:140 0:0424 — — Nach 10 Min. | | | entfernte | | Flüssigkeit 0-56 | 0.303 | — — | 0:62 0-195| 0:108| 0-132) 0-940 — — Differenz 17) 1%) | _ — | —0:30)—0.108) +0:108/— 0-008|—0:0024 — — | | M NaCl M R moleculargewichten| Der Rest in Grm- 0-01283 0-0074 +0.0128 +0:0074 | 0-0092 0-0016 +0-0092 +0-0016 | 0-0424 0:0257 0.0142 —0:0167 +0:0142 PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 437 constant eine Abnahme der ursprünglichen Flüssigkeitsmenge um 6 bis 10°”, d. h. 4 bis 7 Procent zu constatiren. In diesen Versuchen war der D. thorac. unterbunden, doch ist dadurch die Resorption durch die Dybkowky’schen Lymphbahnen, wie Cohnstein seiner Zeit Hamburger gegenüber einwendete,! nicht ausgeschlossen, dagegen nach allem, was wir über die geringe Ergiebigkeit der Resorption auf diesem Wege wissen, kann sie wahrscheinlich nicht in’s Gewicht fallen. Es muss also jedenfalls die direete Resorption in die Blutbahn mit Passirung der Capillarwand in Betracht gezogen und physikalisch erklärt werden. Dabei muss be- rücksichtigt werden, dass mit der resorbirten Wassermenge auch die in dieser gelöst enthaltene Anzahl von festen Molecülen abhanden kommt, dass also die isotonische Lösung als solche — isotonisch — resorbirt wird. Auf eine Möglichkeit der physikalischen Erklärung der directen Resorption isotonischer Lösungen haben Cohnstein und Starling? hin- gewiesen. „In dem Eiweissüberschuss im Blutplasma ist,“ wie Cohnstein sagt, „die Ursache dafür zu sehen, dass eine Resorption von wässerigen - Lösungen durch die Blutcapillaren erfolgen kann und erfolgen muss.“® Für das Biweiss ist nämlich die Capillarwand impermeabel, es üben also die Eiweissmolecüle einen nennenswerten osmotischen Druck aus und be- wirken eine Wasserströmung aus einer eiweissireien oder eiweissarımen Flüssigkeit in das an Albuminaten reiche Serum. Dass das gelöste Eiweiss thatsächlich eine osmotische Wasserströmung durch eine thierische Membran bewirken kann, haben Cohnstein und Starling auch durch physikalische Experimente demonstrirt. Theoretisch ist es auch leicht, einzusehen, dass von zwei durch eine thierische Membran geschiedenen isotonischen Lösungen diejenige der anderen Wasser entziehen wird, für deren Molecüle die Membran schwerer oder gar nicht permeabel ist. Solche Molecüle diffundiren nicht durch die Scheidewand, folglich kommt ihre Lösungstension ungeschmälert einer os- motischen Wasserströmung zu Gute. Diese Action beschränkt sich also auf den Wassertransport, und nun taucht die weitere Frage auf, wie wird dabei der Transport der parallel resorbirten Salzmenge bewirkt? Die Antwort ist: durch eine nebenher verlaufende Diffusion. Wenn das eiweiss- - reiche Serum einer isotonischen Lösung Wasser entzieht, so steigt die moleculäre Concentration der letzteren über die des Serums, womit der osmotische Wasserstrom sofort aufhören würde bezw. sich umkehren möchte, also muss dieser Ueberschuss durch einen ständigen Diffusionstrom fort- ı Oentralblatt für Physiologie. 1895. ® Starling, On the absorption of fluids from the connective tissue spaces. Journal of Physiology. 1896. Vol. XIX. p. 313. ® Cohnstein, Oedem et Hydrops. A.a. 0. p. 594. 438 WILHELM RöTH: geschafft werden. Daraus ist zu ersehen, dass der osmotische Wasserstrom und die Diffusion der gelösten Molecüle nothwendiger Weise einander Gleichgewicht halten müssen, also der osmotische Wasserstrom nicht schneller erfolgen kann, als es die durch die beschränkte Permeabilität der Membran verlangsamte Diffusion erlaubt. Daraus wird eine sehr auffallende That- sache erklärlich, nämlich die sehr langsame Resorption der isotonischen Lösungen gegenüber der rapiden Aufnahme des destillirten Wassers seitens der Gefässe, und gegenüber der ebenfalls erstaunlich schnellen Einbusse, die das Volumen von hypotonischen Lösungen in der Bauchhöhle erfährt. 2. B. wiegt die letztere bei 0-25 Gefrierspunkterniedrigung der infundirten Lösung nach 10 Minuten des Versuches im Mittel 30 “=, während in demselben Zeitraume isotonische Lösungen nur eine uncontrollirbare kleine Verringerung erfahren. Die Cohnstein’sche Hypothese ist nach all’ dem zur Erklärung der fraglichen Resorption sehr wohl anwendhar. Umsomehr schien es mir wünschenswerth, die Voraussetzung, worauf sie beruht, nämlich das osmo- tische Wasseranziehungsvermögen des Eiweisses direct im Organismus zur Anschauung zu bringen. Versuche ähnlicher Tendenz-Injectionen von colloiden Substanzen in die Blutbahn — sind wohl schon von Czerny! und später von Spiro? ausgeführt worden, doch beziehen sie sich mehr auf heterogene colloide Substanzen (Gelatine, Gumi arab.), als für das Serum- eiweiss, welch’ letzteres sich sogar in den Spiro’schen Versuchen als un- wirksam erwies. B. Versuche mit Eiweisslösungen. Die benutzten Eiweisslösungen wurden durch langdauernde Dialyse und nachträgliche Einengung von Pferdeserum hergestellt. Diese sozusagen „natürliche Eiweisslösung‘“ bevorzugte ich, weil es mir eben daran lag, die dem organischen Serumeiweiss inhärenten Eigenschaften zu eruiren. Es gelang auch, auf diesem Wege tadellose Eiweisslösungen herzustellen, so dass der procentuale Werth des festen Rückstandes und des aus dem Stick stoff berechneten Eiweissgehaltes nur ungefähr 0-02 differirten. Der Eiweiss- gehalt betrug 7 bis 11 Proc., während das Serum des Versuchsthieres meist einen Eiweissgehalt unter 6 Proc. hatte, so dass das Uebergewicht an Eiweiss in der infundirten Lösung 1 bis 5 Proc. betrug. Es sei noch erwähnt, dass die Gefrier- punkterniedrigung dieser Lösungen den kleinen Werth 0-01 bis0.02°C. zeigte, "A. Czerny, Ueber Eindiekung des Blutes, Archiv für experim. Pathologie und Pharmaklogie. Bd. XXXIV. 8. 278. ° Spiro, Die Wirkung artefieieller Bluteindickung u. s.w. Ebenda. Bd. XL]. 3. 148. PERMEABILITÄT DER ÜCAPILLARWAND U, S. W. 439 also mit dem Werthe übereinstimmte, den Dreser durch Ausfällen für das Serumeiweiss feststellte! Diese Uebereinstimmung scheint umsomehr von Bedeutung zu sein, als das Moleculargewicht des Eiweisses, welches sich aus diesem Gefrierpunkterniedrigungswerthe durch einfache Berechnung er- giebt, ungefähr in der Höhe liegt, wie das Moleceulargewicht des Eiweisses, wie es Jendrässik aus sehr präcisen Untersuchungen über die Jodver- bindung des Albumens feststellte.” Dass das Eiweiss eine seiner Molecular- grösse entsprechende Erniedrigung des Gefrierpunktes bewirkt, dass es weiter, wie es neuerdings Cohnstein und Starling demonstrirten, im physikalischen Experiment, wenn auch geringe, osmotische Actionen ent- falten kann, spricht ganz entschieden gegen die weitverbreitete Annahme, dass das Eiweiss nicht wirklich in Lösung geräth, nur im Wasser einiger- maassen aufquillt und dadurch einen lösungsähnlichen Zustand vortäuscht. Wenn eine solche dem Serum des Versuchsthieres gegenüber eiweiss- reichere, dagegen von anderen Bestandtheilen freie Lösung !/, Stunde in der Bauchhöhle' verweilt, so ist sie folgende Veränderungen eingegangen (s. Tabelle IV): 1. wird die schon an und für sich eiweissreichere Lösung noch concentrirter an Albumen, z. B. steigt die Eiweiss- concentration derselben von 8-6 auf 9.8 oder auch von 7-1 auf 9.4 Proc. Diese Thatsache, dass eine ohnehin grössere Partiärconcentration während des osmotischen Ausgleiches noch eine weitere Zunahme erfährt, scheint auf den ersten Moment unerklärlich zu sein, doch soll sie bald klargelegt werden; 2. die andere Veränderung ist, dass in die zuvor reine Eiweiss- lösung die Blutbestandtheile in einer solchen Menge eingetreten sind, dass die normale verschwindend geringe Gefrierpunkterniedrigung (0-02 bis 0-01) fast jene des Blutes erreicht hat (0-40). Nun sind diese Concentrations- änderungen theilweise dadurch bedingt, dass ungefähr !/, des ursprünglich dagewesenen Wassers (18 bis 20°") verschwunden ist, d. h. aus der an Eiweiss concentrirteren Intraperitonealflüssigkeit in das eiweissärmere Blut- serum resorbirt wurde Da an Eiweiss hingegen kaum etwas verloren ge- sangen ist, so muss die Concentration aus gelöstem Eiweiss in der Intra- peritonealflüssigkeit der Volumenabnahme entsprechend zugenommen haben. Das ist auch thatsächlich der Fall. Wodurch wird nun die Wasserresorption - bewirkt? Zweifellos durch die höhere osmotische Spannkraft, die höhere moleculäre Concentration des Blutserums. Dass diese höhere moleculäre Concentration durch Salze bewirkt wird, für welche die Capillarwand nicht durchweg impermeabel ist, dass sie also nur theilweise der osmotischen ! Dreser, Ueber Diurese u. 8. w. Archiv für experim. Pathologie u. Pharma- kologie. 1893. 8. 383. ® Jendrassik, Ueber das Jodalbuminat u. s. w. Ungarisches Archiv f. Medicin. 1891. Heft 2. WILHELM RöTtH 440 A) Duct. thorac. frei. Das Serum des Ver- suchthieres enthält 6°41 Proc. Eiweiss. Infundirte Flüssigkeit Nach 10 Min. ent- fernte Flüssigkeit Differenz B) Duct. thorac. unterbunden. Das Serum des Ver- suchthieres enthält 5-90 Proc. Eiweiss. Infundirte Flüssigkeit Nach 15 Min. ent- fernte Flüssigkeit Differenz A= die Gefrier- punkt- erniedrigung 0-01, 0-44 +0.42, f Tabelle IV. Reine Eiweisslösungen 15 Minuten in der Bauchhöhle. OHosneereenkteiwastesoenzeen Gesammte moleculäre Concentration 0:008 0238 +0:230 Eiweiss in Proe. 3.687 9.875 +1.188 Absolute Mengen Aw Gesammte Nacıl ‚Wasser gelöste Grm miweiss Nacıl in Proe. in Liter Molecular- in Gramm | in Gramm W gewichte M | ee 0-085 | 0-00068 7-32 > 0.292 0:064 0:01523 6:32 0:187 +0:292 —(0:021 +0:01455 | —1:06 (?) +0:187 | | —_ 0:080 0:00064 5-7 | — | 0257 0-062 ? 5-7 | 0.159 +0:257 —0:018 — [) | +0+-159 | PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S$. W. 441 Wasserströmung, theilweise aber der Diffusion zu Gute kommt, ist irre- levant; so lange der osmotische Ueberdruck eben da ist, besteht auch die Wasserströmung, unabhängig davon, dass das Wasser einer an impermeanten Eiweissmolecülen reicheren Flüssigkeit entzogen wird. Die Eiweissmolecüle kommen dabei gar nicht zur Geltung, werden sozusagen als nicht anwesend betrachtet, und der fragliche Process vollzieht sich Anfangs so, wie wenn 1,77=1106 1,75 eE09008 000000090009 00c0000 2 i Zeition#7| - 118 Reine Eiweisslösung 2 Stunden in der Bauchhöhle. Veränderungen der Eiweiss- und NaCl-Concentration. (Eiweissgehalt des Blutserums des Versuchsthieres = 6-70 Proc.) destillirtes Wasser oder eine ganz dünne hypotonische Lösung — eine solche ist ja die 1Oprocent. Eiweisslösung thatsächlich — in der Bauchhöhle zu- gegen wäre. Aus alledem ist klar zu ersehen, dass es nicht das Eiweiss ist, welchem eine specifische wasseranziehende Action im Organismus zu- kommt, sondern in erster Reihe der Unterschied der gesammten moleculären Concentration das Maassgebende ist. Nur wenn dieser Unterschied schon ‚ verschwunden ist, können auch andere Momente: so die Difiusionsunfähig- 442 WILHELM RörTH: keit des Eiweisses durch die Capillarwand und seine dadurch bedingte Wasseranziehung in Action treten. Dass unter diesen Umständen dieselbe sich thatsächlich geltend macht, ist aus den Veränderungen zu ersehen, welche bei dem längeren Verweilen der concentrirten Eiweisslösung in der Bauchhöhle eintreten. Wenn wir nämlich den eben besprochenen Versuch auf 2 Stunden aus- dehnen, dabei je 20 Minuten eine kleine Probe zur Analyse aus der Bauch- höhle entnehmen, so constatiren wir, dass die Concentration an Fiweiss in der ersten Stunde constant wächst. Dieses ganz beträchtliche Wachsthum beruht, wie schon erörtert wurde, auf der Wasserentziehung, welche die intraperitoneale Flüssigkeit durch die höhere osmotische Spannung des Blutes constant erfährt. Nach ungefähr 1 Stunde ändert sich aber dieses Verhalten in dem Sinne, dass die Eiweissconcentration von jetzt an zu steigen aufhört und zu sinken beginnt. Ebenso wie die eben erwähnte Steigung einer Wasserströmung aus der Bauchhöhle in die Blutbahn zu- geschrieben wurde, ist für die Abnahme der Concentration eine Wasser- strömung in entgegengesetzter Richtung aus der Blutbahn in die Bauch- höhle verantwortlich. Nun setzt die Abnahme der Eiweissconcentration, also der conträre Wasserstrom, genau in dem Zeitmomente ein, wo der Salzgehalt der Intraperitonealflüssiekeit die höchste Concentration, die des Blutserums erreicht hat, also mit demselben isotonisch wurde (s. in der graphischen Darstellung die Curven der Eiweiss- und der NaCl-Concentration). Von diesem Zeitmomente an fährt das langsame Sinken constant fort, bis die Eiweissconcentration der Aussenflüssigkeit durch ständigen Wasserzuwachs der des Blutserums gleich geworden ist, und da während dieser Zeit die Isotonie ebenfalls aufrecht bleibt, ist der Ausgleich vollständig und der Process beendet. Der Process ist also in zwei Phasen verlaufen. I. Phase: Der intraperitonealen Eiweisslösung steht das eiweissärmere, aber an krystalloiden Molecülen concentrirte Blutserum gegenüber. Das- selbe entzieht der infundirten Flüssigkeit so lange Wasser und lässt in die- selbe so lange feste Molecüle wandern, bis die Concentration an den letzteren beiderseits gleich geworden ist, die intraperitoneale Flüssigkeit also isotonisch wurde. II. Phase: Der intraperitonealen Flüssigkeit steht das in der ge- sammten moleculären Concentration gleichwerthige, dagegen eiweissärmere Blutserum gegenüber. Aus demselben muss so lange Wasser in die Intra- peritonealflüssigkeit strömen, bis dieselbe nicht mehr Eiweiss in der Volumen- einheit enthält als das Blutserum. Neben dem Wasser muss eine ent- sprechende Anzahl von festen Molecülen in die Bauchhöhle gelangen, um deren Inhalt isotonisch zu erhalten. N PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 443 Diese zweite Phase können wir übrigens in der Weise isolirt zur An- schauung bringen, dass wir die concentrirte Eiweisslösung durch Zusatz der entsprechenden Kochsalzmenge schon isotonisch infundiren;! in diesem Falle richtet sich die Wasserströmung von vornherein in die Bauchhöhle, und die Eiweissconcentration in der letzteren sinkt, ohne eine vorherige Steigerung erfahren zu haben. Dieser Vorgang ist lediglich identisch mit der Resorption einer isotonischen Salzlösung in das Blut und nur der Strömungsrichtung nach verschieden. Bei der Re- sorption von isotonischen Salzlösungen zieht das an Albuminaten reiche Blutserum eine eiweissfreie Flüssigkeit an sich, in meinem Experimente die eiweissreichere Intraperitonealflüssigkeit das eiweissarme Serum. Wenn der erste Vorgang als „Resorption in die Blutbahn‘“ benannt wird, so kann der zweite mit Recht als „Resorption“ in die Peritonealhöhle gelten. „Resorption“ bedeutet dabei hier wie dort einen einfachen osmotischen Vorgang, wobei die endotheliale Scheidewand nur in Folge ihrer physikalischen Beschaffenheit, ihrer Permeabilität eine Rolle spielt, und nicht activ vital mit eingreift; die Action fällt der Lösungstension der auf der einen oder anderen Seite über- schüssigen Hiweissmolecüle zu, wobei noch einmal nachdrücklichst darauf hingewiesen werden soll, dass diese Wirkungsfähigkeit des Eiweisses nur in dem Falle in Geltung tritt, wenn die beiderseitigen Flüssigkeitsschichten die gleiche moleculäre Concentration aufweisen. Die Resorption von isotonischen Lösungen erscheint hier- mit als ein zwischen entsprechenden Bedingungen umkehrbar — rever- sibel — gestaltbarer physikalischer Vorgang. Schlussfolgerungen. Aus den vorgelegten Versuchen ergiebt sich: I. In Bezug auf die Permeabilität der lebenden Capillar- wand, dass dieselbe weder für krystalloide, noch für colloide Substanzen völlig permeabel oder impermeabel ist; sie bietet dem Durchdringen beider Art gelöster Molecüle erhebliche Hindernisse entgegen, die aber in keinem Falle vollständig sind. Dagegen existiren sehr ausgesprochene Abstufungen der Permeabilität; vor allem sind Colloide speciell Eiweiss viel schwerer durchgängig als krystalloide Stoffe; weiter besteht auch in Bezug der Vertreter der letzteren Gruppe eine deut- liche Abstufung von kleinen Distanzen. ! Ein solcher Versuch ist im Anhang dieser Abhandlung mitgetheilt. 444 WILHELM Rörtn: ll. ergiebt sich bezüglich der Ausgleichsprocesse, welche durch eine solche Membran stattfinden, dass sie bewirkt werden: 1. Durch einen osmotischen Wasserstrom, welcher a) in dem Falle, wenn ein Unterschied der gesammten molecularen Concentration besteht, immer von der minder concentrirten Seite zu der höher concentrirten verläuft, unabhängig von der partiären Zusammensetzung der beiden Flüssigkeiten, b)in dem Falle, wenn die moleculare Gesammtconcentration beiderseits gleich ist, nach der Seite sich richtet, wo ein Ueberschuss an ° solehen Molecülen vorhanden ist, für welche sich die Capillar- wand im Vergleiche zu den anderen schwerer permeabel zeigt. Als solches ist im Organismus im Wesentlichen das Eiweiss zu nennen. 2. Vollzieht sich der Ausgleich durch eine gleichzeitig ver- laufende Diffusion der gelösten Molecüle, welche stets bestrebt ist, sowohl die Unterschiede der Gesammtconcentration wie der partiären Zusammensetzung auszugleichen. Aus der Anwendung dieser Thesen auf den Austausch zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit geht eine Erweiterung der Cohnstein-Starling’- schen physikalischen Lymphbildungstheorie hervor, und ich glaube, dass dieselbe eben nur in dieser Erweiterung die physiologischen Funetionen der Lymphbildung genügendermaassen erklären kann. Wie bekannt, sind die von Cohnstein angeführten Factoren des er- wähnten Austausches: 1. die Filtration aus den Blutecapillaren, 2. eine Dit- fusion der im Blute gelösten Krystalloide in die Gewebsflüssigkeit, 3. ein osmotischer Wasserstrom, welcher durch das eiweissreichere Blutserum aus der Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn unterhalten wird. Wenn wir die Filtration unverändert bestehen lassen, so lässt sich der osmotische und Diffusionsaustausch zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit auf Grund des Erörterten folgendermaassen verfolgen. Wir müssen von einem theoretisch wohl denkbaren Initialzustande aus- gehen, in welchem die osmotische Gesammtspannung des Blutes und der Lymphe dieselbe ist, ebenso der Gehalt an einzelnen krystalloiden Lösungs- bestandtheilen; der einzige Unterschied zwischen den beiden wäre also der grössere Eiweissgehalt des Serums. Durch denselben würde constant eine Resorption (im oben gedeuteten Sinne) der Gewebsflüssigkeit von Statten gehen, sonst wären die Concentrationsverhältnisse constant und ein relatives (rleichgewicht erzielt. Nun wird dieses Gleichgewicht sofort eine Störung erfahren, wenn die (rewebszellen ihre organische Function beginnen. Dieselbe geht mit einem PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. $. w. 445 Stoffverbrauch einher, welcher durch die gelösten Molecüle der Gewebs- flüssigkeit gedeckt wird. Dadurch wırd die Concentration derselben an ge- lösten Molecülen, also ihre osmotische Spannung vermindert, d. h. die Ge- websflüssigkeit hat jetzt eine geringere osmotische Spannung als das Blut- serum. Die Differenz muss sich in der Weise ausgleichen, dass aus dem Blute eine entsprechende Anzahl von festen Molecülen nachdiffundirt, parallel aber ein entgegengesetzter osmotischer Wasserstrom in das concentrirtere Blut Platz greift. Nun ist aber die Action der Gewebszellen und ihr Stoff- verbrauch ein ständiger, unaufhörlicher; „dadurch wird — wie Cohnstein sagt — der Anstoss gegeben zu einem (dauernden Diffusionsstrom aus den (refässen in die (rewebsflüssigkeit“, wir wollen noch hinzufügen: auch zu einem constanten osmotischen Wasserstrom in die (efässe; nur sind beide Vorgänge keineswegs intensiv, aus dem Grunde, weil die Absorption der Blutbestandtheile durch die Gewebszellen sich meistens auf die complexen ‘organischen Moleeüle, welche das eigentliche Nährmaterial abgeben, bezieht, ihr Salzbedürfniss dagegen — abgesehen von einigen Ausnahmefällen — ein sehr geringes ist. Der Abfall dieser hoch molecularen Bestandtheile bewirkt nun nur eine unscheinbare Concentrationsänderung, dadurch ist die Intensität der Ausgleichsvorgänge auch eine geringe, allerdings dem physio- logischen Bedarf entsprechende. Das bisher Ausgeführte stimmt mit den Cohnstein-Starling’schen Principien überein bezw. differirt von den- selben nur insofern, als nach meiner Meinung durch die Abnahme der gelösten Molecüle in der Gewebstlüssigkeit nicht nur ein Diffusionsstrom in die Gewebsflüssigkeit, sondern auch ein entgegengesetzter osmotischer Wasser- strom in die Gefässe angeregt wird. Uebrigens kommt dieser Wasserstrom, wie gleich ausgeführt wird, gar nicht zur Geltung. Nun ist aber die Absorption von Nährmaterial keineswegs die einzige Veränderung, welche die Gewebsflüssigkeit durch die activen Gewebszellen erleidet. Die Gewebszellen verarbeiten nämlich die einverleibte Substanz und lassen die Abfallsproducte in die Gewebsflüssigkeit treten. Gegenüber den Kohlehydraten und dem Fett, welche einer völligen Verbrennung zu Wasser und Kohlensäure anheimfallen, liefert ein Eiweissmolecül bei seinem Zerfall eine grosse Anzahl von festen Molecülen, welche in die Gewebs- flüssigkeit gelangen und deren osmotischen Druck erhöhen. Der Eiweiss- zerfall, oder allgemeiner gefasst, der Stoffwechsel der Gewebszellen wird dadurch zu einer nie versiegenden Quelle, aus welcher die Gewebstlüssigkeit ständig einen Ueberschuss an gelösten Molecülen, also einen Ueberschuss an osmotischer Spannung schöpft. Auf diese, wie ich glaube, ergiebigste und bedeutendste Kraftquelle für osmotische \Vasserströmung zwischen Blut: und Gewebsflüssigkeit, welche sonst merkwürdiver Weise unberücksichtigt blieb, wies auf Grund eines 446 WILHELM RöTH: ausgedehnten Studiums der osmotischen Vorgänge im Organismus vor un- gefähr 3 Jahren Prof. Alexander v. Koränyi.! Auf Grund der v. Koranyi’schen Ausführungen lässt sich der Ein- fluss des Eiweissstoffwechsels auf den Austausch zwischen Blut und Ge- websflüssigkeit folgendermaassen darstellen: Die Körperzellen müssen, um ihre Function auszuüben, sich Eiweiss einverleiben. Die complexen grossen Eiweissmolecüle haben bei ihrer relativ geringen Zahl auf die osmotische Gesammtspannung der Gewebsilüssigkeit keinen nennenswerthen Einfluss, es ist also auch der Verlust an solchen für die osmotische Gesammtspannung der letzteren kaum von Belang. Nun wiıd das Eiweiss in der Zelle verarbeitet, gespalten, und aus einem grossen Eiweissmolecül geht eine grosse Anzahl von kleinen Molecülen, wie Harnstoff u. s. w., hervor. Diese werden in die Gewebsilüssigkeit entleert, wodurch die letztere wesentlich reicher an gelösten Molecülen wird, und ein bedeutendes Wachsthum an osmotischer Spannung erfährt. Nun muss sich diese höhere Spannung gegenüber dem niedrigeren osmotischen Drucke im Blutserum geltend machen. Das geschieht einerseits durch Diffusion der Zerfallsproducte in das Blut, andererseits durch eine osmotische \Vasser- strömung aus dem Blute in die Gewebsflüssigkeit. Dadurch muss die Con- centration des Blutes steigen, die der Gewebsflüssigkeit sinken, bis beide gleich geworden sind, allerdings beide auch concentrirter sind als sie ur- sprünglich waren, da doch zu ihren eigentlichen Bestandtheilen noch die Eiweisszerfallsproducte hinzugekommen sind. Ein solch’ vollständiger Ausgleich zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit kann aber aus dem Grunde nicht stattfinden, weil die Körperzellen ihre Function nie sistiren, nie aufhören, grosse Eiweissmolecüle in kleine zahl- reiche Zerfallsproducte zu spalten und dieselben in die Gewebsflüssiekeit zu entleeren. Dieselbe erfährt also in ununterbrochener Weise wieder und wieder eine Concentrationserhöhung und trachtet, dieselbe in der oben an- gedeuteten Weise durch Diffusion und Ösmose dem Blute mitzutheilen, welch’ letzteres dadurch nun ebenfalls eine weitere Concentrationserhöhung erfährt. Der Eiweisszerfaill müsste also zu einer gewaltigen Erhöhung der moleculären Concentration, des osmotischen Druckes, der Gewerbsilüssigkeit und des Blutes führen. Mit diesem höheren und stetig steigenden osmo- tischen Drucke ist aber das Fortbestehen des Organismus, das Leben der Zellen unvereinbar, und ist auch ein Moment da, welches verhütend eingreift: das ıst die Nierenthätigkeit. Den Nieren kommt nämlich keineswegs | ‘ Die bezüglichen ungarischen Publicationen sind in den Jahren 1894 bis 1596 erschienen; eine ausführliche deutsche Publication in der Zeitschrift für klinische Mediein. 1898. Bd. XXXIll. Heft 1 u. 2. ne RE TEE EHER 2 PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. 8. W. 447 die einzige Function zu, speeifische, durch ihre Qualität schädliche Zerfalls- producte auszuräumen; sie haben die nicht minder wichtige Aufgabe, das Plus an festen Molecülen, welches aus der Eiweisszersetzung hervorgeht und welche den osmotischen Druck im Organismus in deletärer Weise in die Höhe treiben möchte, ständig fortzuschaffen. Dieser Function werden die Nieren dadurch gerecht, dass sie eine Flüssigkeit von bedeutend höherer moleculärer Concentration, wie sie das Blutserum darstellt, ausscheiden. Der Harn enthält nämlich in dem gleichen Volumen im Mittel ungefähr dreimal so viel feste Molecüle als das Blut.’ Dass dadurch ein Concen- trationsanstieg des Blutes erfolgreich bekämpft wird, liegt klar, dass weiter die Abscheidung eines so concentrirten Secretes eine Arbeitsleistung von ungefähr 100 bis 300 »*® in 24 Stunden bedeutet, lehrt uns eine einfache physikalische Ueberlegung, indem wir uns vorstellen, dass das Einengen einer Flüssigkeit auf die dreifache Concentration, d. h. auf ein Drittel Volumen, nur durch einen grossen Energieaufwand, gewöhnlich in Form der Wärme, vor sich gehen kann.? Dass aber diese bedeutende Arbeitsleistung der Niere für den Organis- mus unumwendlich nothwendig ist, dass ohne dieselbe der osmotische Druck des Blutes u. s. w. thatsächlich in deletärer Weise ansteigt, zeigt ein ein- facher Versuch der Unterbindung beider Nieren beim Kaninchen. In Folge dieser Ausschaltung der Nierenthätigkeit stieg nämlich die Gefrier- punkterniedrigung des Blutes in einem von v. Koranyi mitgetheilten Ver- suche in einigen Stunden von 0-56 auf 0-73°, was doch eine Erhöhung der moleculären Concentration des osmotischen Druckes um ein Viertel des normalen Werthes bedeutet. Nebenbei bemerkt, kommt diese Steigerung nicht nur durch die experimentelle Ausschaltung der Nieren, sondern auch durch pathologische Veränderungen derselben zu Stande und ist ein sehr bedeutungsvolles klinisches Merkmal der Niereninsufficienz.? Unter normalen Verhältnissen sorgen also die Nieren ständig für eine constante moleculäre Concentration für den constanten osmotischen Druck des Blutserums. In Bezug auf den eben besprochenen Ausgleichsprocess ist das aber von eminenter Bedeutung. Es ist nämlich gezeigt worden, dass der Stoffwechsel der Körper- zellen einen ständigen Concentrationszuwachs in der Gewebs- flüssigkeit bewirkt, diese sich aber durch Wasserströmung aus dem Blutserum und Ditfusion in dasselbe ständig auf das ! Die Gefrierpunkterniedrigung des 24stündl. Harnes beträgt im Mittel 1-50°C., die des Blutes 0-56° C. ? Eine genaue Berechnung der Arbeitsleistung der Niere hat zuerst Dreser, a. a. Ü. gegeben. ® Vgl. v. Koranyi, 2.2. 0. 448 WILHELM Rote: letztere überträgt. Nun machen aber die Nieren diese Con- centrationszunahme in dem Blutserum zu Nichte, während der Öoncentrationsüberschuss in der Gewebsflüssigkeit durch die Gewebszellen immer auf demselben Niveau erhalten wird. Das bedeutet soviel, dass eine ständige osmotische Druckdifferenz zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit zu Gunsten der letzteren existirt.e Diese Druckdifferenz unterhält, abgesehen von der mit einhergehenden Diffusion, eine constante osmotische Wasserströmung aus den Blutgefässen in die Gewebsflüssigkeit, sesellt sich dabei der Filtration zu, und aus der Addirung der Effecte beider Processe ergiebt sich die Wassermenge, welche in einer gegebenen Zeit aus den Gapillaren in die Gewebs- flüssigkeit transsudirt. Welcher dieser beiden Factoren ist nun der bedeutendere? Das lässt sich schwer bemessen. Ein ungefährer Vergleich lässt sich aber folgendermaassen anstellen. Der Filtrationsdruck, welcher der Differenz von Capillardruck und Gewebedruck gleichkommt, ist nach Landerer ungefähr 100" Wasser, also 7m Hg.! Derselbe Druck wird als osmotischer ausgeübt von einer Lösung, welche bezüglich ihrer Gefrierpunkts- erniedrigung mit weniger als 0-001° eine andere überwiegt, welche also z. B. ausser den Componenten, welche sie mit der arderseitigen Flüssigkeit in gleicher Concentration gemeinsam hat, noch 0-003 Proc. Harnstoff enthält. Nun ist allerdings zu bemerken, dass dies für eine für den Harnstoff völlig impermeable Membran gilt; bei einer in dem Maasse permeablen Membran, wie es die Capillarwand ist, mag ungefähr die Hälfte der genannten osmo- tischen Spannkraft der Wasserströmung, der Rest aber der Diffusion zu Gute kommen. Um einen ähnlichen Effect, wie ihn der Filtrationsdruck hat, zu bewirken, ist also nöthig, dass die Gewebsflüssigkeit das Blutserum in ihrer Gefrierpunktserniedrigung mit ungefähr 0-002° überragt, oder einen Ueber- schuss von 0.006 Procent Harnstoff enthält. Aus dieser ganz ungefähren Berechnung geht jedenfalls hervor, dass schon ganz minimale Concentrations- unterschiede genügen, um einen solchen osmotischen Ueberdruck hervor- zurufen, welcher dem normalen Filtrationsdruck gleichkommt bezw. denselben überragt. Diese enorme Wirksamkeit der Concentrationsunterschiede ist nun keine den Vorgängen im Organismus theoretisch zugesprochene Anschauungs- weise, sondern eine solche, die sich praktisch leicht demonstriren lässt. Wenn eine hypertonische Lösung von Zucker oder Salzen in die Blutbahn injieirt ist, so bewirkt der daraus hervorgehende osmotische Ueberdruck eine Wasserströmung, welche die Blutmenge im Verlauf von wenigen Minuten verdoppelt oder verdreifacht, das ist doch ein gegenüber den ' Landerer, Die Gewebsspannung. Leipzig 1834. 8.9. PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND UT. S. W. 449 mechanischen Verhältnissen des Blutreservoirs ausgeübter ganz enormer mechanischer Eiffeet, welcher wohl die Möglichkeit zur Evidenz er- hebt, dass schon ganz minimale Concentrationsunterschiede zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit einen im Vergleich zu dem erwähnten Versuch hydromechanisch so unbedeutenden Process, wie es die Transsudation der Gewebsflüssigkeit ist, zu unterhalten vermögen. Dass dazu noch die ähn- liche Wirksamkeit der intermediären Stoffwechselproducte begünstigend hinzutritt, soll später erörtert werden. Wir sind also berechtigt, zu den von Cohnstein angeführten Mo- menten, welche den Austausch zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit re- guliren sollen, noch das von v. Koranyi betonte Moment des osmotischen Effectes der Eiweisszerfallsproducte beizusetzen, welches auf Grund der un- vollkommenen Permeabilität der Capillarwand für dieselben in Action tritt. Dadurch ergiebt sich die folgende Reihe der maassgebenden Factoren: 1. Filtration, welche Wasser und feste Bestandtheile aus dem Blute in die Gewebsflüssigkeit befördert. 2. Diffusion der festen Molecüle des Blutserums in die Gewebs- flüssigkeit, regulirt durch das Bedürfniss der Gewebszellen. 3. Diffusion der Eiweissstoffwechselproducte aus der Gewebsflüssig- keit in die Blutbahn. 4. Ein osmotischer Wasserstrom aus der Blutbahn in die Gewebs- flüssigkeit, welchen der ständige Ueberschuss von festen Molecülen in der Gewebsflüssigkeit aufrecht erhält. Dieser Ueberschuss verdankt seinen Ur- sprung dem Umstande, dass die Gewebszellen naturgemäss mehr feste Molecüle in Form von Zerfallsproducten in die Gewebsflüssigkeit entleeren, als die Anzahl beträgt, welchen sie sich als Nährmaterial einverleibt haben. 5. Ein osmotischer Wasserstrom aus der Gewebsflüssigkeit in das Blutserum bewirkt durch dessen grösseren Eiweissgehalt, welcher in Geltung tritt, wenn der durch die Zerfallsproducte bedingte Concentrations- unterschied schon ausgeglichen ist, also in dem distalen, venösen Abschnitte der Capillaren, während die Filtration und der die letztere unterstützende osmotische Wasserstrom aus dem Blute in die Gewebsflüssigkeit doch vor- zugsweise in dem proximalen arteriellen Theil der Capillaren die grössere - Wirksamkeit entfalten, wo der Filtrationsdruck des Blutes und der osmotische Ueberdruck der Gewebsflüssigkeit naturgemäss am grössten sind. Mit dem osmotischen Wasserstrom, welchen die Thätigkeit der Körper- zellen aus dem Blute in die Gewebe ständig unterhält, erfährt nun die physi- kalische Theorie der Lymphbildung nicht nur eine quantitative Ergänzung, sondern eine solche, durch welche sie den Ansprüchen, welche wir an eine derartige Theorie stellen, die physiologischen Eigenthümlichkeiten und Schwan- kungen des Vorganges zu erklären, gerecht werden kann. Das ergiebt Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 29 450 WILHELM Rörtp: sich aus einer einfachen Ueberlegung. Wenn der Stoffwechsel der Gewebs- . zellen sozusagen eine Kraftquelle für die Transsudation aus dem Blute in die Gewebe abgiebt, so muss diese Transsudation in dem Maasse zunehmen, als der Stoffwechsel, also die organische Action der Gewebszellen, an Inten- sität zunimmt. „Somit würde der Stoffwechsel, wie sich v. Koränyi ausdrückt, mit der Transsudation auf rein physikalischem Wege zusammenhängen.“! Ein physiologischer Zusammenhang zwischen Transsudation und organischer Thätigkeit ist nun thatsächlich vorhanden; denselben physikalisch zu erklären, sind wir auch auf Grund des Erörterten im Stande. Die physiologischen Thatsachen, welche diesen Zusammenhang sozu- sagen als den Kernpunkt der Physiologie der Lymphbildung erscheinen lassen, finden wir in einer vor einigen Monaten publicirten Mittheilung des Berner Physiologischen Institutes zusammengestellt.” Die Verfasser, Asher und Barbera, summiren das Faeit ihrer Untersuchungen folgender- maassen: a) „Bei den Speicheldrüsen kann gezeigt werden, dass nicht die Ver- änderung am Blutgefässapparat, sondern der Eintritt der Speichelsecretion die Lymphvermehrung bedingt. b) Vermehrte Arbeit der Schilddrüse bewirkt vermehrten Lymphabfluss aus derselben. c) Bei reiner Eiweissnahrung tritt, entgegen der bisher herrschenden Anschauung, vermehrter Lymphstrom aus dem Brustgange ein. Die Curve des Verlaufes der gesteigerten Lymphabscheidung ist congruent mit dem Verlauf der Stickstoffabscheidung im Harn. Hieraus ergiebt sich, dass die Stärke des Lymphstromes parallel geht mit der Stärke der Resorptionsarbeit. d) Intravenöse Injection von krystalloiden Substanzen ist nur dann von Lymphbeschleunigung befolgt, wenn gleichzeitig Drüsensecretion ein- tritt; die blosse Gegenwart von concentrirter Zuckerlösung im Blute ruft keine gesteigerte Lymphbildung hervor, wie sie auch keine vermehrte Drüsensecretion erzeugt. e) Intravenöse Injection von Lymphagogis (Pepton), welche nach Star- ling nur eine vermehrte Lymphbildung aus der Leber hervorrufen, bewirkt eine vielfache (achtfache) Vergrösserung der Gallenabscheidung, d.h. Pepton bewirkt deshalb vermehrte Lymphbildung, weil die Leber vermehrt arbeitet. f) Auch für die Lymphvermehrung, nach Anstauung der Vena cava inferior, ist es wahrscheinlich, dass sie mit vermehrter Arbeit der Leber zusammenhängt. TINO: ® Asher und Barb£era, Untersuchungen über die Eigenschaften und die Ent- stehung der Lymphe. Zeitschrift für Biologie. 1898. PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 451 Den Schluss, den Asher und Barbera aus diesen Daten ziehen, ist der aphoristische Satz: „Die Lymphe ist ein Product der Arbeit der Organe.“ Die Erklärung des Zusammenhanges zwischen Organarbeit und Lymph- bildung versuchen die Verfasser, welche die v. Koranyi’sche Arbeit augen- scheinlich nicht kennen, folgendermaassen: „Durch die Arbeit der Organ- zellen entstehen Dissimulationsproducte, welche die osmotischen Verhältnisse zwischen Blut und Lymphe ändern.“ An einer anderen Stelle heisst es deutlicher: „unzweifelhaft fördern sie eine stark vermehrte Wasserabfuhr in die Lymphgefässe.“ Was nun Asher und Barbera ahnen und andeutungsweise aus- sprechen, tritt in den v. Koränyi’schen Erörterungen, ergänzt durch meine eben mitgetheilten Untersuchungen über die Permeabilitätsverhältnisse der Capillarwand, physikalisch klar hervor. Die Arbeit der Organe erhöht durch den Eiweisszerfall den osmotischen Druck in der Gewebsflüssigkeit und erregt dadurch einen osmotischen Transsudationsstrom; sie producirt also Ge- websflüssigkeit bezw. Lymphe. Hier soll noch eine kleine Erläuterung eingeschoben werden. In dem Bisherigen wurde schematischer Weise angenommen, dass die Zerfalls- producte des Stoffwechsels durch die Gewebszellen unmittelbar in die Gewebsflüssigkeit entleert werden. Nun ist das für die letzten Spaltungs- produete, so für Harnstoff, wohl ohne Weiteres anzunehmen. Dagegen nicht für die intermediären Stoffwechselproducte, die in den Gewebszellen noch einer weiteren Verarbeitung harren, welche also die Gevwebszelle zurückhält, für welche sie, wie wir annehmen müssen, impermeabel ist. Solche können nicht in die Gewebsflüssigkeit dringen, dagegen werden sie in dem Maasse, als sie den osmotischen Druck im Zellinneren erhöhen, eine 'Wasserströmung aus der Gewebsflüssigkeit in die Zelle bewirken; durch diese Wasserentziehung wird nun die Gewebsflüssigkeit eine Concentrations- erhöhung erfahren, die der osmotischen Wasserströmung aus dem Blute, also der Transsudation zu Gute kommt. Die intermediären Stoffwechsel- - producte begünstigen also nicht weniger den Transsudationsvorgang als die letzten Spaltungsproducte, eigentlich sogar mehr. Für solche ist nämlich die Gewebszelle impermeabel, dadurch erleidet der durch ihre Anhäufung bewirkte osmotische Druck durch Diffusion keine Einbusse und bewirkt einen ungeschmälerten primären osmotischen Wasserstrom aus der Gewebs-. Nüssigkeit in die Zelle, und aus dem Blute in die Gewebsflüssigkeit. Die intermediären Stoffwechselproducte begünstigen also in hervorragender Weise den Transsudationsvorgang. 292 452 WILHELM RöTH: Diese physikalische Erwägung wird durch physiologische Beobachtungen unterstützt. Schon vor Jahrzehnten hatte Ranke constatirt, dass der thätige, insbesondere tetanisirte Muskel einen erheblichen Wasserzuwachs erfährt, und leitete daraus sogar einen allgemeinen Schluss in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Organfunction und Säftezufluss ab. „Wir sehen“, sagt Ranke, „dass gerade dann, wenn das Organ, die Zelle, eines grösseren Säftezuflusses bedarf, um einen anormalen chemischen Zustand auszugleichen, auch durch diesen anormalen Zustand selbst, die Anhäufung irgend eines schädlichen, leicht diffundirbaren (?) Stoffes, der Säftestrom im stärkeren Grade zu der bedürftigen Zelle hingelenkt wird.“! Neuerdings hat J. Loeb durch einwandsfreie Versuche bewiesen, dass der lebende Muskel ständig eine Wasseranziehung auf die umgebende Flüssigkeit aus- übt,? und es ist nicht zu weit gegriffen, zu behaupten, dass jede Zellen- function mit einer Erhöhung des osmotischen Druckes zuförderst in der Zelle, dann in der Umgebung der Zelle einhergeht, was den Anlass zu einer ständigen osmotischen Wasserströmung nach der Zelle hin abeiebt. Es soll nur kurz darauf hingewiesen werden, dass die osmotische Actionsfähigkeit der Eiweisszerfallproducte, welche auf Grund der relativen Impermeabilität der Capillarwand in Erscheinung tritt, auch in der Analyse von pathologischen Erscheinungen von Bedeutung erscheint. Als Beispiel dafür kann die folgende Auseinandersetzung v. Koranyi’s dienen. „Der Stoffwechsel der Gewebszellen bildet jene Kraftquelle, durch welche die Gewebe sich an der Transsudation activ betheiligen. Nimmt der Stoff- wechsel zu, dann muss auch die Transsudation zunehmen. Wir sehen in der That, dass bei dem krankhaft erhöhten Stoffwechsel der Gewebe, bei der Entzündung, die Transsudation zunimmt.“ Virchow sagte im Jahre 1854 von der entzündlichen Exsudation: „In letzter Instanz stammt also das Exsudat immer aus dem Blute, allein es ist nicht die Action des Herzens — der Blutdruck —, welche es hinaustreibt, sondern die Action der Gewebselemente, welche es herauszieht.“ Diesem Schlusse, den Virchow aus seinen Beobachtungen zieht, scheint die Berücksichtigung der osmotischen Vorgänge eine physikalische Basis zu verleihen... .3 % Von eingreifender Wichtigkeit sind ferner die osmotischen Vorgänge für die Pathogenese der verschiedenen Arten des Oedemes. Ebenso wie die Bedeutung des einen Factors der Transsudation, des Filtrationsdruckes, für die Entstehung des Oedems von den ersten Versuchen von Lower, ! Ranke, Physiologie. Leipzig 1868. S. 89. ? Jacques Loeb, Physiolog. Untersuchungen über Ionenwirkungen. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXXI. > v. Koranyi, 2.2.0. PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 453 Magendie, Broussais bis zu den eingehenden Untersuchungen Senator’s allmählich klargelegt wurde,!' muss auch die Rolle des anderen, nicht minderwerthigen Factors, des osmotischen Druckes, in der Gewebsflüssigkeit eine genaue Berücksichtigung erfahren! Dies ist von Alexander v.Koränyi auf klinischer Basis thatsächlich angebahnt worden.? Die consequente Anwendung der neueren Errungenschaften der phy- sikalischen Chemie, deren hervorragendsten Punkt zweifelsohne die Lehre vom osmotischen Drucke bildet, wird augenscheinlich manches Dunkele in physiologischen und pathologischen Vorgängen aufklären. Zum Schluss bitte ich Hrn. Geheimrath Prof. Dr. Senator, in dessen Laboratorium diese Versuche angestellt wurden, den Ausdruck meines auf- richtigen Dankes entgegenzunehmen. Anhang zu der vorliegenden Abhandlung. Versuchsmethodik und weitere Versuchsbelege. Die Infusion einer körperwarmen Flüssigkeit in die Bauchhöhle bietet keine Schwierigkeiten, dagegen ist die vollkommene Wiederentleerung der- selben nach verstrichener Versuchsdauer durch einfaches Ablassen mit einem Troicar oder einem canüleartigen Instrument, in ähnlicher Ausführung wie es Hamburger in einer seiner neueren Arbeiten angiebt! und wie ich es in meinen Versuchen benützte, keineswegs zu erreichen. Davon habe ich mich wiederholt und entschieden überzeugt. Darum geben auch die Hamburger’schen Versuche, welche über die Concentrationsänderungen so genau unterrichten, über die absoluten Mengen keinen Aufschlus. Um diesen Punkt klar zu stellen — und darum handelte es sich mir eben —, musste ich eine Auswaschung der Bauchhöhle unternehmen, nachdem die aus derselben unmittelbar erreichbare Flüssigkeitsmenge (I) abgelassen war. Als Waschwasser diente eine isotonische Kochsalz-, Traubenzucker- oder Na,SO,-Lösung, dieselbe wurde in bekannter Menge körperwarm in die Bauchhöhle infundirt und, nachdem der Unterleib des Thieres, um voll- ständige Durchmischung zu erreichen, kräftig geschüttelt wurde, sofort ab- gelassen (II. Wenn die Menge der zur Auswaschung dienenden Lösung = M ist, die Concentration von Portion I am ursprünglichen Lösungs- bestandtheil = U, Proc., die Concentration von Portion II an demselben 1 Senator, Ueber Transsudation u.s.w. Virchow’s Archiv. Bd. CXI. S. 219. ?A.2.0. ® Dies Archiv. 1896. Physiol. Abthlg. S. 302. WILHELM RöTH 454 LL00-0+16180-°0— , #8-I— Fa — 18080-.0— 8£0-0+|130-0+ 838-0+ 58-1 - Cum = vorkaal) RO zuoaayIq SIE0-0— 1680-0 | 81-7 — — [6901-0 881-0 |err-o | c9Hr-0 zeı 0 9—- | — |rse-0 80-7 || Mogsıseng 9y7u1974u9 “um 06 WeN IF10-0 0831-0 | 21-r = — |TLET-0 |EFT-0 [860-0 | 8r8-0 8-2 = — 956-0 |eL-T || Noysıssnng ayırpunyu] "zjesyooy 'E 9100-0 + |8910-0+ |LIE-0+ |7080-:0—|9F-G —|9900-0—|680-0+|ET0-0 |C690-0+ 23-0+|197 -0— | F-8 —| 11IF-0— |91L-0— ZU9.TOHIT 950-0 189T0-0 LIG-O 18601-0 |FL-6T1 | 85%T-0 |GEL-0 JEIT-O |4690-°0 86:0 |995:0 7-8 879-0 06-1 OySıssug 97u.1974u9 "um 08 UDeN 6810-0 == — 16681-0 6’C6 8861-0 10691:0 |981-0 == — 18860 ,8-9T !6%0-T [96-1 NONSISSUIT | | oyaıpunzup Mm ı9y0nz |.ıB ıoyonz | u aoyonz |), aoyonz "ıayanz -usqneaı], | -usqneıL | -usqneı], -USqunBıL -uagneu] *Z 6600-0 |8F20-0+ #91-0+ |8160-0—|09-C — 9190-0—| 180-0+|170-0+ F3I-0+ 68-04 33L-0— | E8-F— | LEC-0— |80-T— zus.ToypIq FFGO/TE10-0 |8720-0 |F9L-0 9670-0 186-3 0680:0 1961-0 [210°0 | F51-0 68:0 18%3-°0 |8%G-1L ,F%7-0 78-0 NONSISSULA 94U197J4Uu9 “um 08 UDeN 6T00-0 EI — (F171-0 |89-8 997T-0 |SFI-O 1980-0 FE — 1616°0 |68-G IT0-T L8-1 NOYSISSULA | 99A1punyu] "yojsuseH | | Ed em | ug SS CH 2cole =y B Egon © © o HE B 7 SB Q Q SEE: S no * [RF®8 Q = ea .S | Eiern Bu = 55 See Seele sea SS ler esse Seen SER SEE See else u) 8® sans | Bee | se Se sel u Slelele 5 = ee 2 | © 5 |8E5 S Sal, 8 to|>& S als ae E ? as Ber 2 | vu gar Ta r E uoumorgeıyueouon -(uapungasyun sNoTWEIOUJ SnIong) Afyoyyaneg op ur opung °/, uadunsoT oyastuogrudif "A PTloqeL PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. | 900.07 8810-0 rl 5 — 9200-0 —9200-0-+|890-:0+ 481-0, 37 -.0— = — | 280-0: |9T-0— zu91ayIdl 3880) 010-0 FC950-0 | 06-1 == — 19960-0 |G231-0 |8L0-0 1<98-0 | 8T-T = — |8rr.0 |388-0 | Norsısennd | 94U19JJU9 "um OT Den 700:0 | 090-0 66° 1 =; == 790-0 051:0 |080-0 [004-0 09-1 > Ir 084-0 186-0 NONSISSULT | oyaıpunjuf "zjesyJoy "& LOTO-0+ F10-0+ 9#7-0+|170-0— 8F7-L— | Z10-0— 9700-0+[380-0+ 0TT-0+ 480-0 + 1998-0 — 9-8 — | 8L1-0— 188-°0—- zus1oypld 1180 1810-0 #F10-0 977-0 |880-:0 108-9 690-0 1,9L31-0 ILOL-O O0IT-O [G80-0 1966:0 8-4 814-0 66-0 NONSISSHLT 94U19J4Uu9 a "um OT WEN 800-0 = — 1620-0 |83-#1l 80:0 061:0 |E30-0 TE — N Wo! 989-0 |L6%-1 NONSISSUNT oyırpunzu] mw ıoyonz |.b 1oyonz w a9yonz |%/, aayonz "ıayanz -UIANEIL -UOgnBıL -uoqneı]L -usqneıL -uoqneal "2 6L0°0+ |TC00:0+|T9T-0+,080:0— 08-T— | L00-0—| 900-0 +1|690:0+ F70-0+| FL-0F|861-0— 61 -T— | G80-0— |GT-0— ZUu9.ToId 18:0) 620-0 |TG00-°0O |T91:-0 170-0 199-6 710-0 GIL-O |690-0 1770-0 71-0 1198-0 #1-6 0L7-0 18-0 NONSISSUIT 94U197JJU9 ‚am oT ypeN =; =; — 190-0 199-8 190-0 OTL-O = Ir — 1,66G:0 88-8 GEg-0 160-1 SunsoT oJıTpunJu] | -J0JSuJeH '| REE eG SIE | B| 28 SE ee 3 [E85 een Kal i | 3, =.) 2 | Saal 2 |e8 = SEE we ellien er un we & ee le ISde| & 2 I+58|+5 |) Seas | Sn ro 2 || aa |keS5| yo |BR% © es ee | Reo- D.n- = ge B 225 BE 7) eBE 8# Il ar = Q ga’ SH =BS SEB S [me] Sen BB oNB FR 1HS Fo -_:- S B* S e# cr m | Ir } - o [>11 er fee! >| zo Ba | ade = 5 S sei ® Sa|BB = SS Ede 4 © ©, er DB> = =.o, @ ES oK e | 86 Sen; © |es$ se) 8 sals‘ -Olgoyyaneg I9p ur uegnumm QI WaSunsoT oyostuogtdAf "TA TIOAEL LE0-0+ LE0-0— 10:0 = | = [) [ 0) zuo1oyId 180-0 993-0 G8-0 — 2% 808-0 99-0 001 u19334u9 uagnurmy OT YoeN _ E0E:0 36:0 E — 808°0 99-0 007 yIlpunzu] | "JIEN 'E 260.04 >wwug m | 260-.0+ 890-0+ 08-0+ 260.07 99.0 0 v 1 ZUSTSHTGT 680-0 890-0 08:0 115°0 | L6*1 808-0 99:0 66 u19373u9 | uoynuım OT YoeN 2 = ka = 808-0 | 88T 808-0 96-0 001 yAIpunzu] = yojsumey uw | org ul -yojsuleH 'Z 2 : uomeijue9u0,) | YogsureH = yE0.0+ ouung " 91eIn99ToN tal 100-0 G80-0+ 11-04 rE0-0— 09-.0— ) 6 + zus1oytd a 200-0 80:0 T1-0 193-0 IL’ 808-0 99-0 sol yu1973u9 iz uonurm OT UPeN = oo”. 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S. w. 913-0 84-0 1100 :.0— &10-0+ 866-0 gc9-I— 780-0- 01.0 ZUSMOHIGE 769-0 1 220 LLEO-O 607-0 EL9.0 016-8 IFE-0 r9-0 HNO RULO | “uoynum GT UDeN | | 078-0 6-01 ' 8880-0 160-0 998-0 c89-01 007-0 1200) YATDUM UT | ‘(uopunq.oyun) | sn919e4oyF Snyang 'Z 971-0 80-0 2000:0— 870-.0+ 693-0 969-1 010-0 81.0 ZusTOyILA 8990 66-6 6980-0 sIl-0 164-0 180-6 088-0 19-0 yu1ojyud usmmumm GT U9eN F18-0 86-6 9180-0 960-0 998-0 G59-01 00#-0 FL.0 AUDUM UT 1 ayy9LMao | Sn) ZUnSLIparLIe UNS ul wıS ur -1e[N99] ON Joy ul og ul volg ur |, ah a a -yund IIeN SSIIMIM -W.Ir) 9950[03 Josse M IIeN SSIOMIY 4 8. ıP -1911J0) 9Ip 9WWLESaL) ms Sy uasaoaowo>ynjosqay aeuorgeıyuoa9auon -OIyoyyoneg Iop UL UMIHSHPLOJT SOLLLSUHPUON "IIIA 9T124®eL 458 WILHELM RöTH: = U, Proc. ist, so ist der nach der ersten Ablassung in der Bauchhöhle gebliebene Rückstand: Mx U, Proc. | U, — DO, Proc. Dieses Ergebniss kann man auf zweierlei Art controliren, erstens durch eine ähnliche Berechnung auf Grund des Kochsalzgehaltes von Portion I und II, zweitens dadurch, dass wir auf das Experiment sofort die Tödtung des Thieres und die Section folgen lassen und dann das noch in der Bauchhöhle vorhandene Flüssigkeitsvolumen möglichst genau bestimmen (Portion III); es muss nämlich I+lI=M+R R= sein. Natürlich wurde meistens nur die vorerwähnte Controlmethode an- gewandt. Diese Auswaschmethode giebt bei genauer Ausführung bis auf 2m genaue Resultate. Die Bauchhöhle des normalen Thieres kann als annähernd leer be- trachtet werden. Wenn bei einem Thiere eine wiederholte Infusion statt- fand, wie in den meisten der angeführten Versuche, so liess ich eine Pause von !/, bis 1!/, Stunden verstreichen, während welcher das in der Bauchhöhle zurückgebliebene Waschwasser vollkommen resorbirt wird. Die Berechnung der Daten auf Molecularwerthe geschieht folgender- maassen: 1. Die gesammte moleculäre Concentration (m) ergiebt sich aus der Gefrierpunktserniedrigung (4), welche mit dem Beckmann’schen Apparate bestimmt wurde: A = we. da die Einheit der „Molconcentration“ (Ostwald), eine Lösung, welche ein Grammmoleeulargewicht der gelösten Substanz im Liter enthält, die Gefrier- punktserniedrigung = 1-85 hat, und Molconcentration und Gefrierpunkts- _ erniedrigung direct proportionale Werthe sind; z. B. hat eine Lösung von der Gefrierpunktserniedrigung 1.80, eine Molconcentration 1-80 2. Die Molconeentration an Harnstoff bezw. Traubenzucker erhalten wir durch einfache Division der auf Volumen berechneten Procente dieser Substanzen mit dem zehnten Theil des betreffenden Grammmolecular- gewichtes (für Harnstoff = 60, für Traubenzucker = 180). Z. B. ist die Molconcentration einer 17 procentig. Traubenzuckerlösung = — — 0.944. ee — PERMEABILITÄT DER ÜAPILLARWAND U. S. W. 459 3. Bei Berechnung der Molconcentration an Kochsalz muss nach der Division mit dem !/,„-Moleeulargewicht (5-85) noch eine Multiplication mit dem Dissociationscoefficienten für die betreffende NaCl-Concentration vor- genommen werden. Der Dissociationscoefhicient istaus den Kohlrausch’schen Tabellen durch Interpolation zu ermitteln. 4. Wenn die sub 2 und 3 erwähnten Werthe aus der gesammten * Moleoncentration subtrahirt werden, so erhalten wir die Concentration an anderen unbestimmten Molen — den Rest. 5. Diese Concentrationswerthe mit dem Volumen der Lösung, in Liter multiplieirt, geben die absolute Zahl der betreffenden gelösten Gramm- moleculargewichte. Die noch angefügte Tabelle V zeigt die Veränderungen von hyper- tonischen Lösungen während halbstündiger Versuchsdauer bei demselben Versuchsthiere; leider waren die angewandten Lösungen in diesem Falle nicht chemisch rein, nichtsdestoweniger tritt in dieser Reihe sehr frappant die verschiedene Permeabilität der Capillarwand für den Harnstoff, Trauben- zucker, Kochsalz vor. Tabelle VI bezieht sich auf verschiedene Versuchs- thiere und zeigt die Veränderungen von nicht überhoch concentrirten hyper- tonischen Lösungen. Hier soll noch ein Eiweissversuch, auf welchen ich mich im Text be- ziehe, angefügt werden. Dialysirtes, eingeengtes Pferdeserum wird mit 0.89 Procent NaCl versetzt. Eiweissprocent der Flüssigkeit = 9-5, A = 0-55. Also eine dem Blutserum des Versuchsthieres gegenüber eiweissreichere (Eiweiss in diesem 6.87 Procent) isotonische Lösung. Dieselbe bleibt während des "Aufenthaltes in der Bauchhöhle isotonisch; dagegen sinkt ihr Eiweissgehalt seradehin bis zu dem des Blutserums; die je 20 Minuten nach einander ‚abgenommenen Proben zeigen Eiweissprocente von 9-37, 9.25, 9-18, 9, 8.18, 7-56, 6-90. Eiweiss geht während der zweistündigen Versuchsdauer nur in unbedeutendem Maasse verloren, Das Sinken der Concentration ist einem Wasserstrome aus dem Blute zuzuschreiben. Neue Beobachtungen und Versuche über das Methämoglobin und seine Bildungsweise. Von Dr. Richard von Zeynek. (Aus dem physiologisch-chemischen Institute zu Tübingen.) Trotzdem durch zahlreiche Beobachtungen bewiesen ist, dass das zuerst von Hoppe-Seyler! entdeckte Methämoglobin ein wohlcharakterisirter Körper ist, ein Stoff, der sich ebenso leicht krystallinisch gewinnen und isoliren lässt wie der sauerstoffhaltige Blutfarbstoff, den man nament- lich auch ebenso leicht wie jenen umkrystallisiren und reinigen kann, tauchen doch immer noch hin und wieder Zweifel darüber auf, ob das Met- hämoglobin denn auch stets die gleiche Zusammensetzung habe und .ob es nicht mehrere Methämoglobine gebe, ähnlich wie es verschiedene Dextrine oiebt als ungleich grosse Reste des ursprünglichen Stärkemoleeüls. Dass derartige Zweifel noch heute geäussert werden, dürfte haupt- sächlich durch zweierlei Ursachen bedingt sein: erstens durch die einander widersprechenden Angaben, die immer wieder über das spectrale Verhalten des Methämoglobins gemacht werden; sodann aber wohl besonders durch unsere völlige Unkenntniss der festeren Form, in welcher der Sauerstoff in dem Körper gebunden ist, sowie der ganzen Art des chemischen Vorganges, .t Centralblatt für die medic. Wissensch. 1864. Nr. 53. — Dass Hoppe-Seyler später an der wirklichen Existenz eines solehen Körpers selbst wieder zu zweifeln begann, lehrt eine Stelle in seinen ‚„‚Medic.-chemischen Untersuchungen“, 1868, S. 378, in der es heisst: „Neben den fetten flüchtigen Säuren glaubte ich früher einen Körper als Product spontaner Zerlegung des Hämoglobins annehmen zu müssen, den ich Methämoglobin nannte, doch haben mich weitere Untersuchungen überzeugt“ u. s. W. — Wiederum später (Zeitschrift für physiolog. Chemie. 1873—1879. Bd. II. S. 150) theilt er über die Zusammensetzung, sowie über Bildung und Umwandlung des Körpers allerlei wichtige Beobachtungen mit; er kennt ihn indessen nur amorph. | R. v. ZEYNEK: ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 461 der sich bei der Bildung des Methämoglobins aus normalem Blutfarbstoff vollzieht. Die im Folgenden mitgetheilten Untersuchungen hatten den Zweck, unsere Kenntnisse über das Methämoglobin nach diesen beiden Richtungen hin zu erweitern, bezw. zu sichern. I. Photometrie des Methämoglobinspeetrums. Meine ersten Versuche galten der Beantwortung der Frage: Giebt es in der That ein charakteristisches Methämoglobinspeetrum, d. h. ein solches, das nur von einem Körper von stets der gleichen Zusammensetzung hervor- gerufen wird? Da die Umwandlung einer Lösung von Oxyhämoglobin in eine solche des Methämoglobins mit einem Umschlage der rothen Farbe in Braun und demzufolge auch mit einer Aenderung ihres Spectrums verknüpft ist, so musste vor allen Dingen auf spectrophotometrischem Wege festgestellt werden, ob nach Zerstörung des sämmtlichen Oxyhämoglobins die Vertheilung der Liehtintensitäten im Spectrum der braunen Lösung eine constante und bleibende geworden, oder ob sie sich, der Bildung immer neuer Methämo- globine im obigen Sinne entsprechend, fortdauernd und gewissermaassen fliessend weiter verändert. Zwar haben frühere Versuche dieser Art, die hier schon vor einer längeren Reihe von Jahren ausgeführt wurden, die gestellte Frage schon so gut wie bejaht; um indessen alle Zweifel dauernd zu beseitigen, habe ich die erforderlichen Messungen an Lösungen reiner Methämoglobinkrystalle vom Pferd und vom Schwein wiederholt, und auch an Lösungen von Rinderhämoglobin, deren Farbstoff durch Zusatz von Ferricyankalium voll- ständig in Methämoglobin umgewandelt war, wurden vergleichende Versuche angestellt. Die zu den Versuchen nöthigen Methämoglobinkrystalle gewann ich nach dem von Hüfner und Otto! angegebenen Verfahren aus Oxyhämo- globin. Ich versetzte also eine möglichst concentrirte Lösung frisch dar- gestellten und ein bis zwei Mal umkrystallisirten rothen Blutfarbstoffes in ausgekochtem Wasser so lange mit einer 10 procentigen Lösung von rothem Blutlaugensalz, bis die rothe Farbe der ersteren vollständig verschwunden und in ein tiefes Braun übergegangen war, und fügte am Ende, um etwaige Reste unveränderten Oxyhämoglobins ganz sicher auszuschliessen, sogar noch einen geringen Ueberschuss vom selben Reagens hinzu. Die Gewinnung Zeitschrift für physiologische Chemie. 1882. Bd. VII. 8.65. 462 RICHARD VON ZEYNEK: von Methämoglobinkrystallen aus diesen Lösungen gelingt bekanntlich ebenso wie diejenige von Oxyhämoglobinkrystallen, wenn man die Lösung erst bis auf 0° abkühlt, dann mit dem vierten Theile ihres Volumens eben- soweit abgekühlten Alkohols von 90 Procent versestzt und das Gemisch hierauf einige Tage im Eise oder besser in einer Kältemischung stehen lässt. Es scheiden sich dann bald reichliche Mengen rehbrauner, sehr feiner Kryställchen aus, die, wenn in der Flüssigkeit suspendirt, ihr einen eigenthümlichen Atlasglanz verleihen. Methämoglobin vom Pferd gelang mir in einigen Fällen auch ohne Alkoholzusatz, einfach durch andauernde Kälte aus stark concentrirter Lösung zur Krystallisation zu bringen. Nur Methämoglobin vom Rinde vermochte ich bisher noch auf keine Weise aus seinen Lösungen Krystallinisch zu erhalten. Die Methämoglobinkrystalle vom Pferd und vom Schwein erscheinen unter dem Mikroskope als vollkommen einheitliche Gebilde. Beide stellen feine Nadeln dar. In einem Falle indessen erhielt ich Pferdemethämo- globin in schön ausgebildeten ma- kroskopischen Krystallen, und zwar in einer Grösse und Form, wie sie das nebenstehende Bild (Fig. 1) wiedergiebt. Man sieht hier eine Anzahl 6 seitiger Tafeln, auf die in der Regel noch mehrere Krystalle der gleichen Form, aber von ab- nehmender Grösse regelmässig auf- geschichtet sind. Es erinnert dieses Bild an die vor einer Reihe von Jahren von Jäderholm gegebene Fig. 1. Zeichnung! einiger Methämoglobin- krystalle, die Hammarsten aus einer ziemlich schwachen Lösung von Oxyhämoglobinkrystallen des Pferdes nach Alkoholzusatz und längerem Stehen der Mischung an einem kalten Orte erhalten und seinem Landsmann Jäderholm abzubilden gestattet hatte, und es erinnert ferner an die dunkelrothen 6seitigen Tafeln, in denen, wie später Nencki? gezeigt hat, der venöse Farbstoff, das redueirte Hämoglobin, des Pferdeblutes zu krystallisiren pflegt. Die Farbe der bei Zimmertemperatur im Vacuum getrockneten Krystalle, \ Zeitschrift für Biologie. 1884. Bd. XX. S. 419. ” Berliner chem. Berichte. 1886. Bd. XIX. 8.128. — Vergl. ferner Hüfner, Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. 8. 130. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 463 sowohl der vom Schwein wie vom Pferd, ist derjenigen des Oxyhämoglobins nicht unähnlich; auch geben die Methämoglobinkrystalle zerrieben ein roth- braunes Pulver; im Wasser dagegen lösen sie sich wieder mit der charak- teristischen braunen Farbe, die Jäderholm sehr passend derjenigen des englischen Porter verglichen hat.! Wurde das lufttrockene Pulver im Strome des trocknen Wasserstoffes bei der Temperatur des siedenden Toluols bis zur Gewichtsconstanz erwärmt, so erlitten 1. 2.1874 stm Methämoglobin vom Schwein eine Gewichtsabnahme von 0.2470 zu —= 11.29 Procent; und 2. 1'93867 2% Methämoglobin vom Pferd eine solche von 0.2206 sm = 11.39 Procent. Hüfner und Otto? fanden unter nahezu gleichen Bedingungen für das Methämoglobin des Schweines eine solche von „gegen 12 Procent“. Für die vergleichende photometrische Untersuchung ihrer Spectren pfegten die gewonnenen Präparate erst noch ein oder zwei Mal umkrystalli- sirt zu werden. . In Betreff des Verfahrens, nach dem man die Concentration der Lösungen ermittelt, die zur Feststellung der optischen Constanten dienen, darf auf frühere Untersuchungen verwiesen werden.” Es sei hier nur daran erinnert, dass die für die Photometrie nöthige Verdünnung dieser Lösungen stets mit einer Lauge von 0-1 Procent Soda geschah, und dass als charakte- ristische Spectralregionen immer die gleichen zwei Gegenden ausgewählt wurden, für welche auch die Absorptionsverhältnisse des Hämoglobins, des Oxyhämoglobins und des Kohlenoxydhämoglobins bestimmt worden sind, nämlich: 1. das Intervall zwischen den Wellenlängen 554 uu und 565 uu, ent- sprechend derselben Region, die zwischen den beiden Absorptionsbändern des Oxyhämoglobins liegt, und 2. das Intervall zwischen 531-5 uu und 542.5 uu, entsprechend der dunkelsten Stelle des zweiten Absorptionsbandes des Oxyhämoglobins. Das benutzte Photometer war das gleiche, das Hrn. Prof. Hüfner bei allen seinen neueren spectrophotometrischen Untersuchungen gedient hatte und das schon früher‘ beschrieben ist. Als Lichtquelle fungirte ein Auer’- scher Gasbrenner; die Weite des Collimatorspaltes betrug !/,"”. "A.a.0. 8.420. ® Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. VII. 8.65. ® Ebenda. Bd. IV. 8.17 und Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 134 ff. * Zeitschrift für physikalische Chemie. 1889. Bd. III. S. 562. 464 RICHARD VON ZEYNEK: Da ich die Verdünnung der concentrirten Lösungen, wie soeben be- ınerkt, immer durch Zusatz einer schwachen Sodalösung bewirkte, so kam stets nur das Spectrum der schwach alkalischen Methämoglobin- lösung zur Untersuchung, von dem ebenso wie von dem der neutralen zuerst Jäderholm! eine zutreffende Abbildung gegeben hat. Dass man aber die optischen Constanten ihrer Spectra überhaupt immer an schwach alkalischen Lösungen der reinen Blutfarbstoffe bestimmen muss, ist begreif- licher Weise deshalb nothwendig, weil man auch das Blut selbst, wenn es gilt, es photometrisch zu analysiren, um die häufig vorhandenen Trübungen zu beseitigen, zweckmässig stets mit schwacher Sodalösung verdünnen wird. Ich lasse nun ohne Weiteres 2 Tabellen folgen, in denen die Ergeb- nisse meiner photometrischen Bestimmungen an Präparaten aus Pferde- und Schweineblut niedergelegt sind. Darin bedeutet das Zeichen c wie früher die Concentration, d. h. den Gehalt eines Cubikcentimeters von fester Sub- stanz in Grammen, &„ und &„ die in den oben bezeichneten Spectralregionen gefundenen Extinctionscoefficienten, A„ und A, die entsprechenden Absorp- tionsverhältnisse. Tabelle 1. Methämoglobin vom Pferde. | ) | r | L e En = Em | AR Al Bemerkungen 69972 | 0-81910 -69610 |0-81696. 69108 0-81838 | 06516 | 1-28538 ı 06318 1.-28022 03844 | 122478 | 0:00146 ie .174 J0-00200 0:001785 f Lösung makroskopi- scher Krystalle | | 0-00222 | 904 |10-002086 | 0-001730 \ Bestimmung des 01910 |1-22840 | 1-205 j9 002022 ı 0.001696 Trockenrückstandes von Lösungen 97076 | 1-14948 | 1-184 n Losunge 0- 1 0- 1 0. 1 1: 1 1- 1 jj1- 1 0-00208 | “4 i 0- 1 | 0-00200 | Vest on Lrstasser tg. \o-002060 . 0.001733 0. 1 0- 1 1: 1 1: 1 0. 1 0- 1 0. 1 : 002005 | -98402 | 1-16278 | 1-183 No. N | rielstandar nes 98134 1.15610 | 1.178 feucht. Krystallkuchens naın | -04372 | 1-23326 | 1-182 | Trockenrückstand 7 .04132 | 1-23408.| 1.185 |j0 001984 | 0.001678 einer Lösung Concentra- -41610 1 0-49552 |1-191 | 0» "0-002052 | 0-0017 0-001729 |= Mittel aus 13 Vers. tionen nicht) 36316 0-42618 | 1-174 | | bestimmt 76722 0-91338 |1-191 1-187 = Mittel aus 16 Vers. | I ı A.a.0. 8.425. = ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 465 Tabelle II. Methämoglobin vom Schweine. ’ Er A A r e SR ei . ‚x = Bemerkungen Em 0 .16222 0-90128 | 1-182 Es wurde bestimmt: 0-00157 ee N 0-002080 , 0-001754 an Eder uB feuchten Krystallmasse 0-75168 | 0-89768 | 1-194 0-75594 | 0-89174 | 1-180 0-93274 | i-11196 || 0-00199 | 0-93692 | 1-11826 | 1-194 | 0-002129 | 0-001868 | desgl. 0-93482 | 1-12038 1.198) h 113266 ,1-32660 | 1-171 0-00248 || 1.413104 | 1-33002 | 1.176 |j 0002191 | 0-001868 desgl. 0:96552 | 1:12944 | 1-170 a mad Trockenrückstand einer 000200 || 0.96466 | 1-13858 | ı-ıs0 |j 9002072 | 000176 Lösung 0-60442 | 0-70858 | 1-172 |] : 000125 | y.60602 | 0-71136 | 1-174 | 0-002965 | 0-001761 esgl. 1-183 | 0-002103 0.001779 |= Mittel aus 14 Vers. Wie man sieht, weichen weder die in den Stäben 4, 5 und 6 beider Tabellen verzeichneten Zahlen auffallend von den zugehörigen Mittelwerthen, noch weichen die correspondirenden Mittelwerthe beider Tabellen wesentlich von einander ab. Die Uebereinstimmung ist von gleichem Grade wie in Hüfner’s Bestimmungen der optischen Constanten der beiden normalen Blutfarbstoffe.! Dieses Verhalten ist um so bemerkenswerther, als bei der Darstellung der einzelnen Methämoglobinpräparate das Ferricyankalium ab- sichtlich in wechselndem Ueberschusse zugefügt wurde und man leicht hätte erwarten können, dass das Reagens um so tiefer und weiter zerstörend wirken werde, je grössere Mengen davon im einzelnen Falle verwandt wurden. Man sieht daraus, dass, wenn erst einmal das braune Methämo- globin fertig gebildet ist, die Reaction zunächst ein Ende hat. Dieselbe geht überhaupt nicht weiter, als bis zur Bildung eines Methämoglobins, des Methämosglobins, d. i. eben desselben Körpers, dessen optische Constanten im Vorstehenden gegeben sind. Es wurde oben bemerkt, dass es mir bisher noch nicht gelungen ist, auch das Methämoglobin des Rindes zur Krystallisation zu bringen. Um so wichtiger war es, festzustellen, ob der betreffende Körper nicht wenigstens in optischer Beziehung den beiden anderen Methämoglobinen, dem Methä- moglobin vom Pferd und vom Schwein, -sich gleich verhält. ! Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthl. 3. 130 ff. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 30 466 RICHARD VON ZEYNEK: Dem Versuche, diese Frage vor dem Photumeter zu entscheiden, stellte sich scheinbar ein wichtiges Bedenken entgegen. Da der Körper nicht krystal- lisiren will, so bleibt er mit dem Blutlaugensalz zusammen in einer Lösung, also mit einem Stoffe, der selber auch Licht absorbirt. Ich habe mich in- dessen überzeugt, dass das Extinetionsvermögen des letzteren in solcher Verdünnung, in der es mit dem Methämoglobin zugleich vor das Photo- meter gelangt, ohne beachtenswerthen Einfluss ist. Ich fand denn auch ’ Mm im Mittel aus für das Methämoglobin des Rindes den Quotienten 3 Versuchen = 1:176, ferner A„ = 0-00208 und 4A„' 2 0:00177; woraus also hervorgeht, dass das Methämoglobin der Rindes mit jenen beiden anderen optisch so gut wie identisch ist. Vor 3 Jahren hat J. Bock! die höchst interessante Mittheilung gemacht, dass schwache Lösungen von Methämoglobin in verhältnissmässig kurzer Zeit unter dem Einflusse des directen Sonnenlichtes, langsamer bei zer- streutem Tageslichte, eine eigenthümliche Veränderung ihrer Farbe und ihres Lichtschwächungsvermögens erleiden, derart, dass ihr Spectrum dem- jenigen des reducirten Hämoglobins ähnlich wird. Es gelang Bock sogar, den neugebildeten Körper, den er mit dem Namen „Photomethämoglobin“ bezeichnet, rein und krystallinisch zu gewinnen. Da ich, um Methämoglobin im Grossen darzustellen, immer im Winter und mit Kältemischungen arbeitete, da ferner die Gefässe, in denen sich die Lösungen befanden, stets im Eis- schranke gehalten und die herausgenommenen Proben nur während so kurzer Zeit dem diffusen Tageslichte ausgesetzt wurden, als nöthig war, um aus ihnen verdünntere Lösungen für die Speetrophotometrie zu bereiten, so sind die von Bock beobachteten Veränderungen an meinen Normalpräparaten niemals hervorgetreten. Nur einmal, als ich den Versuch gemacht hatte, Methämoglobin durch Zusatz von Ferrieyankalium zu redueirtem Hämoglobin zu erzeugen, und zwar ohne besondere Fürsorge im zerstreuten Tageslichte, fand ich nachher bei der Speetrophotometrie für den Quotienten = einen Werth, ähnlich dem, der sich aus Bock’s Curve für Photomethämoglobin ? .. . .. .. E Se, annäherungsweise berechnen lässt. Nach Bock wäre — — e und & immer € . auf unsere obigen Speetralregionen bezogen — etwa = 1-29. Ich selber fand in jenem Falle Werthe, die zwischen 1-24 und 1-27 schwankten. Aus dem bedeutenden Werthe des Absorptionsverhältnisses 4,„’=0.-00177 (für Methämoglobin vom Rind) gegenüber dem viel geringeren Werthe von Ao = 0-001312 (für Oxyhämoglobin vom Rind),? d.h. also, aus dem auf- fallend geringen Lichtextinetionsvermögen der Methämoglobinlösung gegen- über demjenigen einer Oxyhämoglobinlösung von gleicher Concentration I Skandinavisches Archiv für Physiologie. Bd. VI. S. 299 fi. 2aN72.10.8.5304. 3 Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 137. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 467 erklärt es sich, weshalb bei einem deutlich bemerkbaren Methämoglobingehalt eines Thierblutes (z. B. in Folge Vergiftung des Thieres mit Antifebrin) der mittels des Fleischl’schen Hämometers bestimmte Gesammtfarbstoffgehalt vermindert erscheinen kann, trotz unveränderter Blutkörperchenzahl;! — ein neuer Beweis für die Unzulänglichkeit der Hämometrie, bei der das Licht nicht zerlegt, sondern bei der nur dessen Farbe und Helligkeit im Ganzen geschätzt und verglichen wird, gegenüber der Spectrophotometrie, die, basirend auf der Kenntniss der Absorptionsverhältnisse, es gestattet, 2 Farb- stoffe gleichzeitig quantitativ neben einander zu bestimmen. Eine genaue graphische Darstellung der Lichtvertheilung im Spectrum der schwach alkalischen Methämoglobinlösung wird in einer besonderen Abhandlung gegeben werden. Zum Vergleiche werden dann auch die Lichtverhältnisse in den Spectren des Hämoglobins, Oxyhämoglobins und Kohlenoxydhämoglobins, alle auf gleiche Concentration der Lösungen bezogen, graphisch versinnlicht werden. II. Wie unterscheidet sich das Methämoglobin in seiner Zu- sammensetzung vom Oxyhämoglobin und von welcher Art ist der chemische Vorgang bei seiner Bildung aus diesem letzteren? Ueber diese Frage ist schon viel experimentirt und geschrieben worden. Aus der klaren und übersichtlichen Zusammenstellung des bisher darüber Bekannten, die in der vor einer Reihe von Jahren erschienenen Abhandlung Dittrich’s „Ueber methämoglobinbildende Gifte“? enthalten ist, lässt sich ersehen, dass der Schleier des Geheimnisses, der über der Entstehungsweise des merkwürdigen Körpers ruht, bisher noch kaum gelüftet ist. Wir wissen bloss, dass der Körper etwa ebenso viel Sauerstoff enthält, wie das Oxy- hämoglobin, nur nicht in der gleichen locker gebundenen Form; so dass weder das Vacuum noch das Kohlenoxyd ihn auszutreiben vermag; und wir wissen ferner, dass sich seine Lösung beim Zutritt von Stickoxydgas rosenroth färbt, ebenso wie die Lösung der Stickoxydverbindung, die man durch Verdrängung des Kohlenoxyds aus dem Kohlenoxydhämoglobin be- ‚reitet, und wir wissen endlich, dass Schwefelammonium ihn zu venösem Hämoglobin reducirt: Die Zusammensetzung und Bildungsweise des Körpers bleibt trotz alledem dunkel, und der Versuch einer Erklärung ist um so schwieriger, als Stoffe der verschiedensten Art, ebenso oxydirende wie re- dueirende, ja selbst indifferente, seine Entstehung veranlassen sollen. 1 Oentralblatt für die medie. Wissensch. 1887. 8. 547. — Vergl. auch Dittrich, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1892. Bd. XXIX. 3. 270. ? Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXIX. 8. 247 ff. 30* 468 RICHARD VON ZEYNEK: Dieses Dunkel ein wenig zu erhellen, dazu dürfte indessen eine Be- obachtung beitragen, die wir öfters bei der Anwendung des rothen Blut- laugensalzes zur Bereitung von Methämoglobin gemacht haben. Schüttelt man nämlich eine Lösung, sei es von ausgeschleuderten Blutkörperchen, sei es von fertigen Oxyhämoglobinkrystallen, mit diesem Reagens in einem zugestopften Cylinder, so bemerkt man neben der Verfärbung nicht bloss ein eigentbümliches kleinblasiges Schäumen, sondern man verspürt auch so deutlich eine Erhöhung des Gasdruckes im Inneren des Cylinders, dass man entschieden auf die Entwickelung eines Gases während der Einwirkung des Ferricyankaliums schliessen darf. Unser erster Gedanke war bei dieser Beobachtung der, dass das Gas ein Oxydationsproduct, am wahrscheinlichsten also Kohlensäure sei. Als indessen der Versuch in einem wohlverschlossenen Gefässe derart wiederholt wurde, dass am Ende des Schüttelns und, nachdem der Schaum sich gesetzt hatte, ein kleiner Theil des über der Flüssigkeit befindlichen Gases in ein Messrohr übergedrängt und analysirt werden konnte, zeigte es sich, dass das entwickelte Gas Sauerstoff war. Wahrscheinlich war es der locker gebundene Sauerstoff des Oxyhämoglobins, der sich unter dem Einflusse des Ferrieyankaliums losgelöst hatte und gasföürmig aus der Lösung entwichen war. Es kam, um dies bestimmt zu beweisen, nur noch darauf an, den Versuch unter solchen Bedingungen anzustellen, dass eine genaue Messung des ausgetriebenen Gases, — ausgetrieben aus einem bestimmten Volumen einer Oxyhämoglobinlösung von bestimmter Concentration durch ein be- stimmtes Volumen einer Ferricyankaliumlösung von gleichfalls bekanntem Gehalte — möglich ward. Zu diesem Zwecke konnte ich den gleichen Apparat benutzen, der in unserem Institute bereits mehrfach, erst zur Messung der Sauerstofftension des Blutes,! sodann zur absorptiometrischen Bestimmung der Sauerstoft- capaeität des Blutfarbstoffes? gedient hatte. Um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden, sei auf die schon früher, namentlich aber in der letzterwähnten Arbeit gegebene ausführliche Beschreibung desselben verwiesen. Hier sei nur daran erinnert, dass der ganze, in einem grossen Wasserbehälter be- findliche, Apparat im Wesentlichen aus 2 Theilen, einem ein für alle Male im Boden und an den Wänden des Behälters befestigten Kegnault’schen Manometer und einem gläsernen Kugelapparat besteht, der sich nach Be- lieben bald luftdieht mit dem einen Schenkel des Manometers verbinden, bald wieder, zum Behufe des Schüttelns, von ihm trennen lässt. Der gläserne Kugelapparat bestand in meinen Versuchen aus 3 durch ı Zeitschrift für physiologische Chemie. 1888. Bd. XII. 8. 568. ? Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthl. S. 130 ff. ——— ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 469 Hähne mit einander verbundenen, verschieden grossen Kugeln (Fig. 2).! Die unterste und kleinste, die beiderseits durch Hähne verschliessbar war, fasste 28.85 m und diente zur Aufnahme der Ferricyankaltumlösung oder eines anderen Reagens. Die mittlere, deren Volumen nebst demjenigen der benachbarten unteren Hahnbohrung genau 108.862 «“ betrug, wurde mit der Lösung der Blutkörperchen, bezw. der Oxyhämoglobinkrystalle beschickt, und die obere, die ein dem der vorigen ziemlich gleiches, ebenfalls genau bekanntes Volumen besass, lief in das rechtwinklig gebogene Rohr r aus, dessen metallener Ansatz die exacte Verbindung mit dem einen Schenkel des Manometers und die Communication von dessen Binnenraum mit demjenigen der Kugel selber ermög- lichte. Diese 3. Kugel war in allen meinen Versuchen zu Anfang mit atmosphärischer Luft erfüllt. Der Gebrauch des ganzen Apparates ist nach dem früheren leicht zu verstehen. Hat man die unteren Kugeln mit ihrem flüssigen Inhalt beschickt und von einander abgesperrt, so befestigt man das Ganze zu- nächst am kürzeren Schenkel des Manometers, der bis zur Verbindungsstelle völlig mit Quecksilber gefüllt ist, öffnet die metallischen Verschlüsse (siehe die a. a. O. gegebene Beschreibung) und stellt die Communication zwischen dem Manometer und der die Luft enthaltenden oberen Kugel her. Alsdann lässt man noch etwas Queck- silber aus diesem Schenkel nach aussen abfliessen und Fig. 2. saugt dadurch ein entsprechendes Volumen Luft aus der Kugel nach, so viel, dass eine genaue Ablesung des Quecksilberstandes auf der Scala des Manometerrohres und damit die Messung von Druck und Volumen des Gases möglich wird. Die für die Messung und Reduction auf 0° und 760" Quecksilberdruck nöthigen Beobachtungsdaten sind, wie früher: 1. Die Temperatur des im Ständer befindlichen Wassers, von welchem der ganze Apparat umgeben ist und unter welchem sämmtliche Operationen, - wie Schütteln und Verbindung des Kugelapparates mit dem Manometer, vorgenommen werden müssen. 2. Stand des Quecksilberniveaus im offenen Manometerschenkel. 3. Stand des Quecksilberniveaus im geschlossenen Schenkel, beide ab- gelesen an der Theilung des Kathetometers. ! Derselbe war in der Werkstätte von Dr. Geissler’s Nachfolger, Hrn. Franz Müller, in Bonn mit bekannter Exactheit angefertigt. AT0 RICHARD VON ZEYNEK: 4. Stand desselben Niveaus wie in 3., abgelesen an der Theilung des Manometerrohres selbst. 5. Barometerstand. 6. Temperatur am Barometer. Sind alle Ablesungen beendet, so trennt man den Kugelapparat vom Manometer, Öffnet die die verschiedenen Lösungen von einander und von dem Gase absperrenden Hähne und schüttelt den vermischten Inhalt mit Hülfe der Schüttelvorrichtung mehrere Minuten lang unter Wasser aufs Tüchtigste. Hierauf verbindet man den Apparat von Neuem mit dem Manometer und misst Druck und Volumen des Gases abermals. Redueirt man die abgelesenen und in Cubikcentimeter gemessenen Volumina jedes Mal auf 0° und 760 "m Druck, so ergiebt die Differenz zwischen Anfangs- und Endvolumen genau diejenige Menge Gas, die während des Durchein- anderschüttelns der Lösungen entweder verschluckt oder frei geworden ist. In meinen Versuchen mit Ferricyankalium fand sich in der That am Ende jedesmal ein Plus. Die Analyse musste zeigen, in welchem Verhältnisse der Sauerstoff an der Hervorbringung dieses Plus betheiligt war. Ich will hier die Procedur! nicht nochmals beschreiben, durch die eine zur Analyse genügende Probe des Gases aus dem Apparate geschöpft wird. Lieber möge sogleich an einem wirklichen Beispiele ausführlich gezeigt werden, in welcher Weise ein ganzer Versuch durchgeführt und welches Ergebniss durch ihn gewonnen ward. Versuch 1. Angewandt wurden Blutkörperchen vom Rind und Ferrieyankalium. Die Blutkörperchen waren mit Hülfe der Centrifuge isolirt und in aus- gekochtem \Vasser gelöst worden. “Die Untersuchung einer 100 fach mit !i,, procent. Sodalösung verdünnten Probe mit dem Spectrophotometer lieferte folgende Daten: $ = 61.09° 'p' = T1-48° Daraus erhält man —= 0.63132 € = 0-99614 = — 1:.578 Gleichung c= Asen siebt c = 0-002070.0-63132.100 = (0): 13068 ! Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XII. S. 577. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. Zyal nach Gleichung Bee Acuein:, dagegen wird c= 0.001312.0-99614. 100 = 0.1307. Die Gleichheit beider Werthe für c, ebenso wie der Werth des Quo- tienten = = 1.5781 beweisen, dass das in Lösung befindliche Oxyhämo- globin noch völlig unverdorben und nicht etwa bereits mit Methämoglobin gemengt war.? Das Volumen der Blutlösung betrug (s. oben S. 469) 108.862 m, die angewandte Oxyhämoglobinmenge daher H, = 108.862.0-1307 = 14-23 8m. Die Ferricyankaliumlösung war 10 procentig; das Salz vor der Auf- lösung durch mehrmaliges Umkrystallisiren gereinigt. Da die kleine Kugel, ‚die damit gefüllt wurde, 28.85 °m fasste, so betrug die angewandte Menge des Salzes 2.885 sm, Beobachtungsdaten und davon abgeleitete Werthe vor dem Schütteln. Temperatur des Wassers im Ständer . 205 316.90 Harometerstand Sur man. ana Data, 6 lemperatursam- Barometer „N: . 2... 2 am = 15.82 Barometerstand reducirt auf 0°. ii = (ae Quecksilberniveau im linken, Seschlaseanen Schonkel a 9s0r3dEr „ „ rechten, offenen Schenkel . = —:950-652% Diieren ai ne Ne ni = 29.70: „ Dieselbe redueirt auf 0° . . . . see oe Quecksilberniveau links, an der nme enca]k a 900 Messerdampttension bei & . ........ 0.057 = 14.33, Druckrdes Gases (#5 5, db) „ren... .D = 691,66, Volumen des Gases nach Calibrirtabele. . . . . 79 = 119.17eem Dasselbesredueirtzaufr 0%Sund 760 2m nr Pr. 102- 142, ı Vergl. Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 137. ® Es muss wieder und immer wieder daran erinnert werden, dass die Messung der Lichtstärke nicht bloss in einer, sondern stets in zwei verschiedenen, und zwar in den oben bezeichneten beiden Spectral- ‚regionen vorzunehmen ist. Namentlich darf niemals die Prüfung des © . € . e “ . "Quotienten — auf seinen richtigen Werth unterlassen werden.. Ein Ver- € säumniss dieser Art kann zu den schwersten Irrthümern Veranlassung geben. ®? Die Gase wurden jederzeit feucht gemessen. * Die Bezeichnung V,, soll immer das auf 0° und den Normalbarometerstand, d = 760 "m, reducirte Volumen bedeuten. 472 RICHARD VON ZEYNEK: Nach dem Schütteln. Temperatur des Wassers im Ständer SR, let Barometerstand-red2 auf 00. oe ae Quecksilberniveau links MINE I13283u8 5 rechts . aa ,. Differenz (=D) .sE era ee Are near ee De 53 red: sau Op ee in = ao, (Quecksilberniveau links, Manometerscla . . . . m = 562.60 „, Wasserdampftension bei # 2... 20... 2 00 eb AT Druck des/Gases (ds +5. u). 2... 0.0290 154 lo Volumen des Gases nach Calibrirtabelle. . . . . 7, = 125.39 cm Dasselbe, redueirt, auf 0, und np 0 mu Sr CI Nach Beendigung der Ablesungen wurde dem Apparate eine Probe des Gases für die Analyse entnommen, a pP 2 Don Gas im Absorptionsrohr. . . .. 173.28 718.9 16-.2° 117.60 Nach Absorption der Kohlensäure 172.08 720-2 15-.6° 117.20 Nach Ueberfüllung ins Eudiometer 156-10 299.7 16-.5° 44-12 Nach Zusatz von Wasserstoff . . 251.60 393.8 16-.4° 93.47 Nach der Explosion . . . . . 178.40 321.7 16.2° 54.18 Resultat. Sauerstolee 3 20 2002.98 2029:5 I Broeent Stickstoff a SORGE Kohlensäurer . 2.2.7.2 200.B2p 100-00 Procent. Vor dem Schütteln vorhandener Sauerstoff = 102-14.0.2096 = 21.41 a Nach „, ” 3 5 = 116-98.0-2959 = 34-61 „, Sauerstoflzuwachs er 1352 0jcm Rührt dieser Zuwachs von einer Dissociation des Oxyhämoglobins her, so lieferte, da im Ganzen 14.238” von diesem vorhanden waren, 1:m 13-20 _ R oe 7 0.93 ccm Sauerstoff. Soleher Versuche mit Lösungen von Blutkörperchen und Ferricyankalium wurden mehrere ausgeführt. Es galt herauszufinden, ob irgend welche klare stöchiometrische Beziehungen beständen zwischen der Menge des ange- wandten Oxyhämoglobins und derjenigen des ausgetriebenen Sauerstoffes. Oxyhämoglobin ' 7 m bedeutet hier und künftig das auf 0° und 1” Druck redueirte Gasvolumen. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 473 Versuch I. Es folgte zunächst ein Versuch mit einer Lösung von Rinderblut- körperchen, die schon einen Tag lang unbenutzt im Eisschranke gestanden hatte. Die spectrophotometrische Untersuchung einer hundertfach ver- dünnten Probe ergab für & und &’ die Werthe 0°77156, bezw. 1-19416. Der Quotient = = 1.548 zeigte, dass die Lösung nicht mehr bloss reines Oxyhämo- globin enthielt, und machte es eher wahrscheinlich, dass sich während des eintägigen Stehens, wenn auch bei niederer Temperatur, bereits etwas Methämo- elobin in derselben gebildet hatte. Wendet man auf unsern Fall die be- kannte Vierordt’sche Formel an, wonach unter dieser Voraussetzung p,, d. i. der Procentgehalt der unverdünnten Lösung an Oxyhämoglobin, Ro? A, (EAn— E'A,) Ze Werthe für &, €, A, Ao, Am und A„', für p. die Zahl 15-03. Da nun das Volumen der Lösung 108-862 °®” betrug, so waren im Ganzen 16.36 Em Oxyhämoglobin vorhanden. Die Ferricyankaliumbildung war abermals 10procent. und die absolute Menge des vorhandenen Salzes 2.885 sm, , so erhält man, nach Einsetzung der bekannten Wan p ? Wer Luftvolumen vor dem Schütteln. . 127.16 712-9 15.4° 112.92 cm 52 nach „, 15 .... 131.04 750.0 16.2° 122.08 „ Analyse einer Probe des letzteren. Ve BD ? Ve Gas im Absorptionsrohre . . 167.5 700.7 15-.8° 111-0 Nach Behandlung mit 7proc. lange 164-7 714-6 15-.7° 111.3 Nach Ueberfüllung in’s Eudiometer . 267.62 409-5 15.6° 103.67 Nach Zusatz von Wasserstoff . . . 372.80 516-6 15-4° 182.31 Nach Explosion . . . . 2.2... 261.35 405-8 15-6° 100.33 Resultat. Sauerstoff . . . 26.36 Procent Stickstoff . . . 73.64 en 100:00 Procent. enmtauersiok vorher . = 112-.92.0:2096 = 23.67 ° m h; nachher = 122.08.0°2636 = 32-18 „, Sauerstoffzuwvachs = 8-51 m Angewandtes Oxyhämoglobiin = 16.36 8m Sauerstoffabgabe pro Gramm = — 1 — 0.520 cm, 16-36 AT4 RICHARD VON ZEYNEK: Versuch II. In diesem Versuche wurde die Lösung der Rinderblutkörperchen un- mittelbar vor der Verwendung frisch bereitet. Sie war ziemlich concentrirt; die Gesammtmenge des vorhandenen Oxyhämoglobins betrug 17.78 5m, Die 9procentige Ferrieyankaliumlösung hatte ich auf Grund der von Gaethgens! mitgetheilten Erfahrung, wonach „die Entziehung des Sauer- stoffes aus frischem Blute durch Sauerstoff verdrängende Mittel bei Gegenwart von Blausäure erschwert scheint“, mit 0-013 Procent Blausäure versetzt, in der Erwartung, dass entweder gar kein Sauerstoff auftreten oder dass umgekehrt etwaige Oxydationen, die auf Kosten desselben erfolgen können, durch die Blausäure verhindert und damit die Menge des frei werdenden Sauerstoffes gerade erhöht werden möchte. Von p ? Vor Luftvolumen vor dem Schütteln 120.11 585-5 18.20 86.75 m 3, nach „ e 126.40 648-8 18.2° 101-17 „ Analyse einer Probe des letzteren. Vin p t Vv Gas im Absorptionsrohr . . . 161.2 700.1 16.3° 106.50 Nach Absorption der CO, . . 157.5 710-2 16.3° 105.56 Gas im Eudiometer . . . . .. 167-8 308-0 15:0° 49.14 Nach Zusatz von Wasserstoff. . 253-5 393-3 15-3%° 94.42. Nach Explosion . . . . ....175-0 315-4 15.3° 52.27 Resultat der Analyse. Sauersiole an er e2swanrErocent Stickstoff ne a RSZEQ 5 Kohlensäure 2. 22.020.20202.0°88 ” 100.00 Procent Gesammtsauerstoff vor dem Schütteln . = 86-75.0-2096 = 18.18 m ;; nache > N . = 101 -17:0-2835 = 23268% Sauerstoffzuwachs i ENTE Sauerstoffabgabe pro Gramm Farbstoff . = . — RE Die braune Flüssigkeit gab am Ende, nach geeigneter Verdünnung mit !/,„ procentiger Sodalösung, bei der spectrophotometrischen Untersuchung den Quotienten = 1.16, — also einen Werth, der sich von dem geforderten, ! Vergl. Hoppe-Seyler, Medicinisch-chemische Untersuchungen. Berlin 1868. Heft 3. 8.325 f. ee ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 475 bezw. oben festgestellten (1-18) nicht wesentlich unterscheidet. Man sieht aber auch, dass die geringe Menge beigemischter Blausäure auf unseren Process der Methämoglobinbildung ohne auffallenden Einfluss ist. Versuch IV. Frisch bereitete Lösung von Schweineblutkörperchen und 10 pro- centige Lösung von Ferricyankalium. Die spectroskopische Untersuchung einer 100fach verdünnten Probe gab & = 0-.53364 & = 0-84130 90 € Die ursprüngliche Lösung enthielt also nur unverändertes Oxyhämo- globin, und zwar 11.045 Procent davon. Die Gesammtmenge des vorhandenen Farbstoffes betrug 108-862.0.1104 = 12:03 3m, Var p ? er ‘Gasvolumen vor dem Schütteln. . 120.11 605-3 19.20 89.37 cm 2 nach „, 5 2 21252.149265622 2195327510029 Analyse einer zum Schlusse entnommenen Gasprobe. | & Bes 1, 12 Uroes ‘Gas im Absorptionsrohre . . . . 139.27 685-6 14:0° 95-48. Nach Behandlung mit Lauge. . . 137.38 695.2 140° 95-51 Gas im Eudiometer . . . . . . 168.87 314-3 14-0° 50.49 ‘Nach Zusatz von Wasserstoff . . . 306°98 450-5 14-0° 1831-55 Nach Explosion . . . . 2 ....249.0 39-4 14-.0° 93.18 Das Gas bestand also aus Sauerstoff . . 25-33 Procent Stickstofieurs .. 14.60. , 100.00 Procent. Ursprünglich vorhandener Sauerstoff = 89.37.0.2096 = 18.73 com - - Am Ende gefundener 2 —= 100-91.0.2533 = 25-56 „, Sauerstofflzuwachs — u HB 3IccE Vorhandenes Oxyhämoglobin IE 2=0 922 Sauerstoffabgabe pro Gramm — 0 Wenn in der That, wie wir annehmen, der in den beschriebenen Versuchen frei werdende Sauerstoff dem Oxyhämoglobin entstammt, so muss es auffallen, dass die pro Gramm Hämoglobin gefundene Sauerstoffabgabe 476 RICHARD VON ZEYNEK: immer nur ein wechselnder Bruchtheil, oft kaum die Hälfte derjenigen Menge darstellt, die normaler Weise mit 18”% des Farbstoffes lose verbunden ist; denn diese beträgt, wie bekannt, 1-34 °°m.! Sollte der bedeutende Ver- lust vielleicht die Folge vom Auftreten einer Säure während der Reaction sein? Seit Lothar Meyer’s Arbeit über die Blutgase ist ja bekannt, dass Säurezusatz zum Blute die Menge des auspumpbaren Sauerstoffes sehr er- heblich vermindert. Ich löste deshalb im folgenden Versuch V eine neue Portion frisch ausgeschleuderter Schweineblutkörperchen in aus- sekochtem Wasser, dem ich vorher ?/,, Procent Natriumcarbonat zugefügt hatte. Bei der spectrophotometrischen Untersuchung einer 100fach ver- dünnten Probe der Lösung ergab sich & = 0:.68918 & = 1:09794 2593, & Hiernach war das Oxyhämoglobin unverändert und der Gehalt der unverdünnten Lösung = 14-336 Procent. Die Kugel enthielt demnach im Ganzen 108-.862.0-1434 = 15-61 5”. Die Ferrieyankaliumslösung war wiederum 10 procentig. 2 D, ? V,;» Gasvolumen vor dem Schütteln . . 119.84 650.8 18.6° 96.08 m Me nach „, „m 02... 124.96 2702=52 18207108 108 Analyse einer Probe des letzteren. Kr D ? Vor Gas im Absorptionsrohre . . . . 171.37 710-0 14-6° 121-7 Nach Behandlung mit Lauge . . . 169.27 719.6 14-7° 121.8 Gas im Eudiometer . . . .» ....168-.66 313-2 14-0° 50-25 ° Nach Zusatz von Wasserstoff . . . 291-31 434-2 14-0° 120.32 Nach Explosion... . . „.... 2.223.572 366-.9714.0277 78203 Resultat der Analyse. Sauerstoff . . . 28-06 Procent Stickstofi no. u: 2194 100 -00 Procent ! Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 176. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 47T Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . 96-08.0-.2096 = 20-14 m Am Ende gefundener Sauerstoff . . . 108-10.0.2806 = 30-33 „, BeerSsauwachsan 2 N a 0:19, Angewandtes Oxyhämoglobin . . 2. 2. 2 2200. — 15.61 2m Sauerstoffabgabe pro Gramm 0.653 com Der Zusatz der schwachen Sodalösung ist also auf die gedachte Grösse ohne wesentlich erhöhenden Einfluss geblieben. Es wäre zu viel verlangt, wenn man erwarten wollte, auf dem einge- schlagenen Wege sämmtlichen durch Dissociation frei werdenden Sauerstoff in der über dem Flüssigkeitsgemische befindlichen Atmosphäre wiederzu- finden. Ich meine dies nicht etwa deshalb, weil dem am Ende des Schüttelns erhöhten Partiardrucke des Sauerstofies entsprechend auch ein grösserer Bruchtheil des Gases in der Flüssigkeit absorbirt zurückbleiben müsste; denn wir wissen ja andererseits noch nicht, in welchem Maasse durch die Zumischung der concentrirten Salzlösung zur Blutflüssigkeit der Absorptions- coefficient des Gemisches für Sauerstoff verändert und zwar wahrscheinlich vermindert ist. Dieser Wirkung des erhöhten Partiardruckes liesse sich übrigens auch durch Verminderung des Druckes im Manometer sehr leicht begegnen. Viel wichtiger ist jedenfalls der Einfluss der manniefaltigen, in dem Gemisch enthaltenen, oxydabelen Stoffe, mit denen der eben frei - werdende Sauerstoff während des Schüttelns in innige Berührung kommt. Von ihnen dürfte gewiss ein grosser Theil dieses Körpers sofort gebunden und verbraucht werden, in ähnlicher Weise, wie in den bekannten Versuchen Alexander Schmidt’s,' wo dieser Forscher Erstickungsblut oder das Blut der Nierenvene mit gemessenen Mengen von Sauerstoff zusammen- schüttelte. Der Einfluss dieser Sauerstofizehrung konnte sich aber auch noch weiter bemerklich machen, wenn, wie beispielsweise in Versuch IV, das Gas nach Beendigung des Schüttelns und der Ablesungen erst noch längere Zeit, etwa während der Mittagspause, mit der Flüssigkeit in Berührung blieb, ehe eine Probe davon für die Analyse geschöpft wurde. i Bisher wurde nicht mit Lösungen reiner Blutkrystalle operirt, sondern sogleich mit solehen der ganzen Blutkörperchen, so dass der Vorgang, der ja möglichst quantitativ verfolgt werden sollte, eben durch die Gegenwart und den chemischen Einfluss der mannigfachen organischen Stoffe compli- eirt sein musste, die neben dem Farbstoffe in den Blutkörperchen enthalten 1 Ber. der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, mathem.- physik. Classe. Bd. XIX. S. 99 ff. 478 RICHARD VON ZEYNEK: sind. Um deren Einfluss zu vermeiden, habe ich nun auch noch einige Versuche mit Lösungen frisch dargestellter Oxyhämoglobinkrystalle ausge- führt, und zwar sowohl mit solchen vom Rind, wie vom Schwein und vom Pferd. Versuch VI. Frisch gewonnene Oxyhämoglobinkrystalle vom Rind, gelöst in Wasser unter gleichzeitigem Zusatz von !/,, Procent Soda. Eine 100fach verdünnte Probe ergab & = 0-46324 d = 0:73266 2058 E Die Farbstofflösung war also 9-6 procentig und, wie der Werth des Quotienten — beweist, frei von jeglicher Beimischung irgend eines seiner farbigen Zersetzungsproducte Die Gesammtmenge des vorhandenen Oxy- hämoglobins war = 108.86.0.96 = 10-458”. Die Ferrieyankaliumlösung war abermals 10 procentig. 5 p ß 7; Gasvolumen vor dem Schütteln . . 11964 659.2 18.79 97.12 cm 5 nach „, ee 3124-79 Te 18-10 109,00 Analyse einer Gasprobe aus letzterem. Vin pP t Ve Gas im Absorptionsrohre . . . . 184:0 718-4 14:2° 125.68 Nach Behandlung mit Lauge . . 183.8 720.4 14-.2° 125.87 Gas im Eudiometerr . . . . . 159-038 8309-1 14.4° 46.70 Nach Zusatz von Wasserstoff . . 268.83 415.1 14-6° 105.93 Nach Explosion . . . 2. .2..2...203-63 343-7 14-6° 66-44 Nach Behandlung mit Lauge! . . 198.47 353-2 147° 66-52 Resultat der Analyse. Sauerstoff. . 2. 28.20 Procent Stickstofie ie rule S0mer> 100-00 Procent ! Dies geschah deshalb, um zu prüfen, ob dem Gase etwa Alkoholdämpfe bei- gemischt gewesen und mit verbrannt worden seien, die von dem Alkohol herrühren konnten, der der feuchten Krystallmasse von der Darstellung her anhaftete. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 479 Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . 97.12.0-.2096 = 20-36 m Am Ende gefundener Sauerstoff. . . .. 109.60.0.2820 = 30-91 ,, ET SIOHZUWACHSEN HN ee ale = 10-55 „ Angewandtes Oxyhämoglobin. . . . 2 2 22020. — 10-45 5m Sauerstoffabgabe pro Gramm. . . . . 2202020200 = 1-0096 cm Zum Schlusse wurde eine Probe des im Kugelapparate verbliebenen Flüssigkeitsgemisches mit !/,, procentiger Sodalösung auf’s 110 fache verdünnt und spectrophotometrisch untersucht. Es ergaben sich & = 0:33210 & = 0:38950 = 1.178, & Nimmt man 4A„ = 0-00208 und An = 0-00177 (s. o. S. 466), so erhält man für c, d.i. also die Concentration des unverdünnten Gemisches, aus c= 110:4A,„ den Werth 0-07598, und aus c= 110. A„ den Werth 0:0758, im Mittel also 0.0759, oder 7.59 Procent. Aus der im Versuche _ angewandten Oxyhämoglobinmenge, = 10.452”, berechnet sich, da man die Moleculargewichte des Oxyhämoglobins und des Methämoglobins ohne ‚Weiteres einander gleich setzen darf, der Procentgehalt des Gemisches (108.86 «= Oxyhämoglobinlösung + 28.85 °w Ferrieyankaliumlösung) zu 10-45 ..100 me 7.58 Procent. Das Resultat des Versuches ist, was die pro Gramm Blutfärbstoff be- rechnete Sauerstoffabgabe betrifft, bemerkenswerth genug: Die gesuchte Grösse ist hier nahezu doppelt so gross wie in den bisherigen Versuchen.! Um dieses Resultat aber völlig sicher zu stellen, wurden noch mehrere Versuche mit Lösungen krystallinischen Oxyhämoglobins durchgeführt. ! Man könnte hier und ebenso bei den folgenden Versuchen mit Krystalllösungen den Einwand erheben, dass durch den den Krystallen anhaftenden und mit in die Lösung gelangenden Alkohol wahrscheinlich die Tension im Gasraume erhöht und doch trotzdem bei der Berechnung des Gasdruckes nur die Tension des reinen Wasser- dampfes in Ansatz gebracht worden sei. In Folge hiervon müsse der Druck des Gases selbst überschätzt und die Menge des Gases zu gross gefunden sein. Eine einfache Rechnung vermag indess zu zeigen, dass selbst unter der extremen Annahme, dass in diesen Versuchen die Tension des reinen Alkohols geherrscht habe, die Sauer- stoffabgabe pro Gramm diejenige der früheren Versuche noch immer sehr bedeutend übersteigt. 480 RICHARD VON ZEYNEK: Versuch VI. Oxyhämoglobinkrystalle vom Rind, gelöst in Wasser mit 0-2 Procent Soda. Die 100fach verdünnte Probe giebt & = 051416 & = 0:80808 re € Hiernach ist der Blutfarbstoff unzersetzt und beträgt die Gesammt- menge, /, desselben berechnet aus 7 = 100.108.86. 2A, = 11-593, „ »„ „= 100.108.86..°4,' = 11-54 „, im Mittel also 11-56", Die Ferricyankaliumlösung war wiederum 10 procentig. an (2 ? Ver Gasvolumen vor dem Schütteln. . 119:75 591.9 16-.4° 87.98: ns nach „, & .....126-04 655-4 16-5° 104.89 „ Analyse der zum Schlusse entnommenen Gasprobe. \ Ve pP ? Ver Gas im Absorptionsrohre . . . . . 156.21 696-5 14.4° 103.35 Nach Behandlung mit Lauge . . . 154.21 702.1 14.0° 103.00 Gas im Eudiometer . . . . . .....156:00 301.5 14.00 . 44.74 Nach Zusatz von Wasserstoff. . . . 273-40 417:9 14-0° 108-69 Nach der Explosion . . . ....202-82 354-0 13.6° 68.39 Nach Behandlung mit De . .2..207:59 347.2 13-807 168561 Lässt man die geringe Menge gefundener Kohlensäure, als an der Grenze der Versuchsfehler stehend, unberücksichtigt, so besteht das Gas aus Sauerstoff. . . . 830.02 Procent Stickstotiean 699 10000 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . . 87:98.0.2096 = 18.44 m Am Ende gefundener Sauerstoff . . . .. 104-89.0:3002 = 31-49 „, Sauerstoffzuwachsue 02... Se. a ee SE Angewandtes Oxyhämoglobin .. . ». 2... eos Sauerstoffabgabe pro Gramm? 2 Er nr ea ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 481 Versuch VII. Blutfarbstofflösung vom gleichen Gehalte wie im vorigen Versuche. Farbstoff rein. Ferrieyankaliumlösung nur 2-5 procentig. 6: p t Kr Gasvolumen vor dem Schütteln. . 119.59 587-3 16-7° 87.09 cm nach „, * 21258077649. 97716280 7101-36, ” Analyse von letzterem Gas. Py pP 2 Von Gas im Absorptionsrohre . . . . . 156°91 681-5 14.0° 101-72 Nach Behandlung mit Lauge. . . . 154.10 693-4 140° 101.65 Gassimakudiometer . . . 2... . % »161-507281-47°13.8%: 43-26 Nach Zusatz von Wasserstoff. . . . 294-30 413-2 13:99 45-72 Dachebxplosiom 2... ne... 230-80,347:2°13.9072776-26 Resultat der Analyse. Sauerstoff . . . . 830°41 Procent Stiekstole 2 0.1.2.69.5977,, 100.00 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . . 87-.09.0-.2096 = 18-25 cm Am Ende gefundener Sauerstoff . . . . 101-.36.0-3041 = 30:72 „ Pauersollzuwschee nam a, el, Poivewandtes-Oxyhamoglobin . ». ». „2... 2.0... = 11.h6em terstotabseaberpro Gramm. . » . 2. 2... 2. er Versuch IX. Blutkrystalle vom Rind in O-2procent. Sodalösung. Die 100fach ver- dünnte Probe giebt & = 0-34764 € = 0-55134 © BE, & Der Blutfarbstoff ist hiernach unzersetzt und die absolut vorhandene Menge, H, desselben ist nach 7 = 100.108:86.24, = 7.834 sm nach 7 = 100.108.86.24A, =7-874 „ im Mittel 7.854 sm, Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 31 482 RICHARD VON ZEYNEK: Um die Grösse des Einflusses noch weiter zu prüfen, den die Concentration des Reagens auf unseren Vorgang ausübt, wurde der Gehalt des letzteren in diesem Versuche auf 0-5 Procent herabgesetzt. Es waren also im Ganzen nur noch an = 0.148" Ferrieyankalium zugegen. Yan pP ? 1, Gasvolumen vor dem Schütteln . . 125.68 562.5 16-.3° 87.78cm 55 nach „, A er 1212952585232 10-302 209 Die am Schlusse für die Analyse entnommene Probe wurde wegen des bisher constatirten Mangels an Kohlensäure im geschüttelten Gase sofort in das Eudiometer übergefüllt. Pop p ! Vom Gassim EKudiometer. 72°. 2.12.00 ..2..16428 278207 19992 743290 Nach Zusatz von Wasserstoff . . . . 290.3 403-5 12.1° 112.17 NachsBxplosion Zune en 75 0239-705932102 12.25 7050293 Resultat der Analyse. Sauerstoff. . . . 23-67 Procent Stickstollgn a lbn3sn nr 100.00 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . .. . 87.78.0-.2096 = 18.40 «u Am Ende gefundener Sauerstoff . . . . ..93-09.0.2367 = 22-04 „, Sauersioffzuwachs 2 newes.a ee a ee wa Angewandtes Oxyhämoglobin . N age — oe Sauerstoffabgabe. pro Gramm... I een 0-6 Die bis unter die Hälfte der bisherigen verringerte Sauerstoffabgabe machte es wahrscheinlich, dsss in diesem Versuche nicht sämmtliches Oxy- hämoglobin zersetzt worden war. Diese Vermuthung wurde in der That durch die spectrophotometrische Untersuchung des Lösungsgemisches bestätigt; denn eine Probe desselben gab nach 100facher Verdünnung & = 0:26280 € = 0:37954 € r —— 1.444 statt 1-18. {e>} Nach der Formel AnAn (EA, — eA H n V MM (e o & 2) ABA AA o Mm worin Z, die absolute Menge des vorhandenen Methämoglobins, n den Grad der Verdünnung und / das Volumen des unverdünnten Gemisches bedeutet, ÜBer MErTHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 483 berechnet sich mit Hülfe obiger Zahlen und der bekannten Werthe von A,„, Am; Ao, 40, n und V die Grösse 7, zu 2.5598m, also etwa nur zu 33 Procent des angewandten Oxyhämoglobins. Jedenfalls geht aus diesem Versuche hervor, dass 28.85 em einer 0.5procent. Lösung von Ferrieyankalium (= 0-14:"" trockenen Salzes) zur völligen Umwandlung von 7.868" Oxyhämoglobin (in etwa 7procent. Lösung) in Methämoglobin durchaus nicht genügen. Versuch X. Krystallinisches Oxyhämoglobin vom Schwein in schwach alkalischer, 0-2 Procent Soda haltender Lösung. Die photometrische Untersuchung liefert bei 100facher Verdünnung mit O.1procent. Sodalösung folgende Werthe Wenngleich der Quotient — zu gross gefunden wurde, darf man doch an der Reinheit des Präparates deshalb nicht zweifeln, weil eine Beimengung der in Frage kommenden Zersetzungsproducte den Werth dieses Quotienten niemals vergrössern, sondern immer nur verkleinern kann. Dagegen ist es eine dem Geübten bekannte Erfahrung, dass die Vergleichung zweier Licht- stärken mit dem Polarisationsphotometer weniger scharf gelingt, sobald der Drehungswinkel des Nicols kleiner als 50° wird. Die Lösung war demnach zu stark verdünnt. i Unter Benutzung von s berechnet sich das in der Kugel vorhandene Oxyhämoglobinguantum zu 5-089 em, unter Benutzung von €’ zu 5.377 em, im Mittel also zu 5233 sm, Die Ferricyankaliumlösung war wiederum 10procentig. Von 72 ? er Gasvolumen vor dem Schütteln . . 12420 571.6 14-19 88-82 cm 5 nach „, E . . 126.93 599.9 14.20 95-24 , Analyse des geschüttelten Gases. Ve 12 2 Yon Gas im Absorptionsrohre . . . . . 154.5 687.53 11-.1° 101-95 Nach Behandlung mit Lauge . . . . 152°0 698-7 11°4° 101.95 GassımHudiometer 2. sus . :-189.308255 11.50 59.13 Nach Zusatz von Wasserstoff > . . . 301.7 443.4 110° 128.60 Nacheßxplosion, .sgosesg 03: = 281-5 374.4 11-197 783-29 3le 484 RICHARD VoN ZEYNEK: Resultat. Sauerstoff. . . . 25-54 Procent Stiekstälf . 274.46 , 100.00 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . . 88.82.0-2096 = 18.62 «m Am Ende gefundener Sauerstoff . . . . . 95.24.0-2554 = 24-32 „ Sauerstoffzuwachsa.ie. 2 u a 2 ee Vorhandenes Oxyhämoglobin — 5.93 gm Sauerstoffabgabe pro. Gramm .. 7. 1.7.0. I. 2 zrane enne= 0 Versuch XI. Oxyhämogelobinkrystalle vom Pferd, gelöst in 0-2 Procent Soda halten- dem Wasser. Die spectrophotometrische Untersuchung giebt & = 0-38894 e = 062152 2 = 1.598. IE ‘Die Lösung ist demnach frei von farbigen Zersetzungsproducten und die vorhandene Menge Oxyhämoglobins, Z, ist, mit Hülfe von & berechnet, = 8.76°°%, mit Hülfe von g dagegen = 8.88, im Mittel = 8.82 8m. 3 Yy p t Vs Gasvolumen vor dem Schütteln. . 124-.83 565-0 13-49 88.47 cm H nach „ ” . ...129.16 6196 13-.5° 100.34 „ Analyse der dem letzteren entnommenen Gasprobe. Dis D ? ö Dr Gas im Absorptionsrohre . . . . . 152-8 693-1 11-2° 101.74 Nach Behandlung mit Lauge . . . . 1501 699-8 11.2° 100.90 Gas, im Budiometer nn. 2 222222. 185237295: 2 ERS Se 2 Nach Zusatz von Wasserstoff . . . . 8307-0 415-9 11-.4° 122-57 Nach Explosion ‚an2Sa8 1a) 7 741072 06.902322912343.3, HIESIZ76 Resultat. Sauerstoff. . . . 28-82 Procent Stickstoff a2 2 72 00235, Kohlensäure . . . 0.83 „ 100°00 Procent ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 485 Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . . 88.47.0-.2096 = 18-54 m Am Ende gefundener Sauerstoff . . . . 100:34.0-2882 = 28:91 „ Saerstozulwachs; ku an ud Berne eh en ee 10, Vorhandenes Oxyhämoglobin . — od en Sauerstoffabgabo pro Gramm — ale Versuch XII Oxyhämoglobin vom Rind, 2 Mal umkrystallisirt, in 0-2 Procent Soda enthaltendem Wasser gelöst. Die spectrophotometrischen Werthe der 100fach verdünnten Probe sind & = 0°44714 € = 070246 = 1:571. & Auch dieser Farbstoff war also rein, und die absolute Menge desselben, die sich in der Kugel befand, betrug, wenn berechnet mit e: H = 10.07, wenn mit e’ berechnet: A= 10-098", im Mittel also 10.08 sm, Ferrieyankalium, wie auch im vorigen Versuche, 10 procentig. | [4R p 2 De Gasvolumen vor dem Schütteln . . 12723 551-4 12.0° 88-43 cm S nach „, = A200 re er ee Analyse der zuletzt entnommenen Gasprobe. : Vo P ? Wer Gas im Absorptionsrohre . . . 155-2 684-4 11.3° 102.0 Nach Behandlung mit Lauge . 151.6 696.2 11.2° 101.49 Gas im Hudiometer. . . . . 221.5 359.1 11.20 76.41 Nach Zusatz von Wasserstoff. . 354-4 491-1 11-.2° 167.19 Nach der Explosion. . . . . 268-9 404.3 11-1° 104.47 Resultat. Sauerstolle ea 0727-23 Procent Sbickstol se 1207 cn IKohlensaurep ar m... 0550 2 100.00 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . 88-43 .0-.2096 = 18:53 Am Ende gefundener Sauerstoff . . . 97.28.0.2723 = 26.49 ,„° Sauerstoffzuwachs ro a 2 te er Te90 Borhandenes Oxyhamoslobn . . „2... Dr nesssale arm 10-0 Sauerstoffabgabe pro Gramm . . . 2.2 22.200. = 0.790 m 486 RICHARD VON ZEYNEK: In der Annahme, dass der Farbstoff nach zweimaligem Umkrystalli- siren so rein, d. h. so frei von leicht oxydabelen Stoffen sei, dass man um ihretwillen keine Zehrung des Sauerstoffes mehr zu befürchten habe, hatte ich in diesem Versuche die Flüssigkeit nach Beendigung des Schüttelns mehrere Stunden hindurch mit dem Gase in Berührung gelassen, ehe die letzten Ablesungen gemacht und eine Gasprobe für die Analyse geschöpft wurde. Das schliessliche Ergebniss lehrt, dass meine Annahme doch eine irrige war. Nach allem Bisherigen kann es in der That keinem Zweifel unter- liegen, dass der sauerstoffhaltige Blutfarbstoff unter dem Einflusse des Ferrieyankaliums sich zunächst in Hämoglobin und freien Sauerstoff dissocürt und dass dieser letztere um so vollständiger in die überstehende Atmosphäre entweicht, je weniger Stoffe in Lösung befindlich sind, die ihn augenblicklich ergreifen, von ihm oxydirt werden. Nun sollte man freilich erwarten, dass die Lösung in dem Augenblicke, wo die Dissociation ein- tritt, sich purpurroth färben müsste. Dass dies nicht geschieht, beweist, dass zur selben Zeit an Stelle des Sauerstoffmolecüls andere Atome oder Atomgruppen einrücken, die dem Körper nunmehr eine ganz andere Farbe, zugleich aber offenbar den Charakter einer schwachen Säure ver- leihen; einer schwachen Säure insofern, als Zusatz von ein wenig Alkali zu seiner wässerigen Lösung Farbe und Spectrum derselben abermals verändert.! Der schwach saure Charakter des Methämoglobins ist es auch, der uns Veranlassung zu der Vermuthung giebt, dass die Atomgruppen, die an Stelle des lose gebundenen Sauerstoffmolecüls sich an den Hämoelobinkern anhängen, vielleicht 2 Hydroxylgruppen sein möchten. Hoppe-Seyler hat schon vor einer längeren Reihe von Jahren? einen Versuch beschrieben, den er selbst als Beweis für seine Ansicht ansah, dass das Methämoglobin weniger Sauerstoff enthalte als das Oxyhämoglobin; den man aber jetzt ebenso gut in unserem Sinne deuten darf. Er sagt: „Bringt man in eine verdünnte Lösung von Oxyhämoglobin in. einer ganz damit gefüllten Flasche ein mit Wasserstoff stark beladenes Palladiumblech, so bildet sich sehr schnell Methämoglobin und der ganze Farbstoff wird allmählich in Methämoglobin umgewandelt, wenn die Menge des Farbstoffes nicht relativ zu gross ist; Hämoglobin habe ich daneben zunächst nicht entstehen gesehen.“ Der active Wasserstoff kann leicht die beiden einfach mit einander verbundenen Sauer- ! Ich habe versucht, mir durch Titrirung der wässerigen Methämoglobinlösung mit sehr verdünnter (!/,,-normaler) Natronlauge einen Begriff .von dem Grade der Acidität des Körpers zu verschaffen; bisher jedoch deswegen ohne entscheidenden Erfolg, weil das ursprüngliche Spectrum nicht mit einem Schlage, sondern zu all- mählich in das neue übergeht. ? Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. 1. S. 149 ff. ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 487 stoffatome trennen und nun selbst die an diesen frei gewordenen Affinitäten befriedigen, etwa im Sinne folgenden Bildes: 07H OH L en om m R bedeutet den Hämoglobinkern, das redueirte Hämoglobin. Die Bildung des Körpers unter dem Einflusse des Ferrieyankaliums aber liesse sich vielleicht so vorstellen, dass 2 Molecüle dieses Salzes zu- nächst mit 2 Moleeülen Wasser 2 Molecüle eines schwach sauren Salzes der Ferrocyanwasserstofflsäure neben 2 Wasserresten geben und dass diese letzteren hierauf aus 1 Molecül Oxyhämoglobin das lose gebundene Sauer- stoffmolecül austreiben, etwa im Sinne folgender 2 Gleichungen: u HOH Mi OH 2 | CN, Pea,| + non 2 [Ns Fena, | + OH (1) 0 OH OH HbX | 27 ) (2 No oH Soma 2 Ich habe die Zulässigkeit dieser Vorstellung durch das Experiment geprüft und in der That eine während des Processes erfolgende Reduction der Ferri- zu einer Ferroverbindung nachweisen können. Ich habe nämlich eine Oxyhämoglobinlösung vom Rind durch eine unzureichende Menge von Ferrieyankalium theilweise in Methämoglobin übergeführt, hierauf das Gemisch der Dialyse unterworfen, das Dialysat nach Zusatz eines 'Tropfens Kalilauge eingedampft und mit rauchender Salzsäure ausgefällt. Der weisse Niederschlag, der hierbei entstand, gab in der That, in Wasser gelöst, mit einer frisch bereiteten Lösung von Eisenvitriol einen hellblauen Niederschlag, der an der Luft dunkelblau wurde. — ‚Was am Ende die Wirkung anderer sogenannter Methämoglobinbildner auf Lösungen von Oxyhämoglobinkrystallen anlangt, so haben mir nur die Versuche mit übermangansaurem Kalium und mit Natriumnitrit unzweideutige Resultate geliefert. Die Wirkung des ersteren ist ganz der- jenigen des Ferricyankaliums analog: es wird während derselben zunächst Sauerstoff in gasförmigem Zustande frei. Man vergleiche den folgenden - Versuch. Versuch XIIl Oxyhämoglobinkrystalle vom Rind, gelöst in 0-2 Procent Soda haltendem Wasser. Die 100 fach verdünnte Probe giebt e = 0-34164 € = 0.55136 _=]1 8 488 RICHARD VON ZEYNEK: Der Farbstoff ist demnach unzersetzt und seine Menge beträgt, mit . berechnet, 7834 8", mit € dagegen 7.875, im Mittel also 7-85 ==. Hin- zugefügt wird eine Kaliumpermanganatlösung von 2 Procent. 7 BD) 1% Ver Gasvolumen vor dem Schütteln. 121-59 590-4 16-5° 89.07 s nach „, BR 124.77 622-2 16-5° 96.34 „ Die zum Schlusse aus dem Apparate geschöpfte Gasprobe wurde, nach- dem sie mit Lauge behandelt worden, ohne vorherige Ablesung in das Eudiometer übergedrängt. Da es nur auf den eventuellen Nachweis von frei gewordenem Sauerstoff ankam, durfte die quantitative Bestimmung etwa vorhandener geringer Kohlensäuremengen unterbleiben. Wen D ? Von Gas im Eudiometer . .".:. . 180-5 295.3 .12-4° 50.99 Nach Zusatz von Wasserstoff . . 280-8 395-4 12.2° 106.28 Nach) Explosion . 2. 2... 2.20219.40232820 2192 80782672100 Resultat. Sauerstot Sana, sone Procent Stickstoftan sn 2, DIENEN ETAVSgE 5 100.00 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff. . 89.07.0-.2096 = 18.67 cm Am Ende gefundener Sauerstoff . . . 96.34.0-2567 = 24-73 „ Sauerstofzuwachs' .e a. en. CE Vorhandenes Oxyhamoslobine 0: ya an Sauerstoffabgabe, pro Gramm. 2 N ne age Das braune Reactionsgemisch zeigte nach kurzer Einwirkung von etwas Schwefelammonium das reine Spectrum des Hämoglobins, gab namentlich keinen Streifen mehr im Roth. Es war demnach bei dem Vorgange kein Hämatin gebildet worden und ich durfte sicher sein, dass das Reagens keine tiefer greifende Zerstörung des Hämoglobinmolecüls bewirkt hatte.! ! Die vorherige Methämoglobinbildung ist der Entstehung von Hämatin aus Blutfarbstoff durchaus nicht hinderlich. Reibt man getrocknetes Methämoglobin mit physiologischer Kochsalzlösung zu einem dünnen Brei an, so kann man aus diesem nach Schalfejew’s Methode sehr leicht Hämin in guter Ausbeute gewinnen. — Wie indess die Wirkung des Permanganats zu erklären sei, diese Frage ist ebenso schwierig zu beantworten, wie die nach der besonderen Wirkung des Ferriceyankaliums. Sollten wirklich im Methämoglobin an Stelle des früheren Sauerstoffmolecüls 2 Hydroxyle hängen, so dürfte man sich vielleicht denken, dass der vom Permanganat gelieferte Sauerstoff aus 2 Molecülen Wasser 2 Wasserreste frei machte, im Sinne der Gleichung: H|OH OH ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. 489 Bei 2 Versuchen mit 10 procentiger Natriumnitritlösung an Stelle des Ferrieyankaliums konnte ich eine Entwickelung gasförmigen Sauerstoffs nicht beobachten. In einem derselben fand sich nach dem Schütteln sogar ein sehr merkliches Sauerstoffdefieit vor; dagegen enthielt das Flüssigkeits- gemisch entschieden Methämoglobin. Ob auch hier erst der locker gebundene Sauerstoff losgerissen, im Moment seines Freiwerdens aber von der Nitrosogruppe gefasst und zur Bildung der Nitrogruppe verwandt wird? Es ist nicht unwahrscheinlich. Ich führe zum Schlusse noch einen Versuch an, den ich in der Ab- sicht unternahm, zu erfahren, ob auch andere chemische Umwandlungen des Oxyhämoglobins, auch solche, die mit einer tiefer greifenden Zerstörung enden, immer erst mit einer Loslösung des locker gebundenen Sauerstofis beginnen. Zu diesem Zwecke wählte ich als Zersetzungsmittel Salzsäure und zwar solche von 0.95 Procent, so dass der Procentgehalt des Gesammt- semisches (1038-86 Vol. der Farbstofflösung und 28-85 Vol. der Säure) daran 0-2 Procent betrug. Die Lösung des Oxyhämoglobins war 6-25 pro- centig, dessen Gesammtmenge = 6-804 8m, Ve p ? Po Gasvolumen vor dem Schütteln . 124.59 568.9 15.8 87.84 m “ nach „, Br 1262.01.5905622152.812.3321087, Analyse des letzteren Gases. N pP ? Vom Gas im Absorptionsrohre . . . 147.48 688-2 10-.9° 97.62 Nach Behandlung mit Lauge. . 143.38 699-1 11:0° 96-37 Gas im Eudiometer . . . . . 187.10 330.2 10-.6° 59.47 Nach Zusatz von Wasserstoff . . 328.30 469.7. 10.8° 148.34 Nach der Explosion . . . . . 269-60 411-4 11.0° 106.62 Resultat. SAUerstong re 23809 Brocent Diickstoll rg wen... 32 118:630 00:5, Kohlensaunesure 2272027212287 2, 100.00 Procent Ursprünglich vorhandener Sauerstoff. . 87.84.0.2096 = 18.41 m Am Ende gefundener Sauerstoff . . . 93-08.0-2309 = 21-49 ,, Sawerstolzuwachse u nee 3.0875, Ansewandtes Oxyhamoglobn . - . . . „. „nn = 6.807 Sauerstoffabgabe pro Gramm , » » » 2 2 nn. = 0.453 m 490 R.v. ZEYNER: ÜBER METHÄMOGLOBIN UND SEINE BILDUNGSWEISE. Man sieht, dass in der That auch hier der Zersetzungsprocess mit einer Loslösung des lockeren Sauerstofis beginnt. Dass aber gerade hier der gas- förmig entweichende Antheil ein beträchtlicher sein würde, war um so weniger zu erwarten, als man ja — woran schon weiter oben einmal er- innert wurde — seit Lothar Meyer’s Versuchen weiss, dass Zusatz von Säure zum Blute den mittels des Vacuums austreibbaren Sauerstoff sehr wesentlich vermindert. Seitdem wir nunmehr wissen, dass die Bildung von Methämoglobin aus Oxyhämoglobin gewöhnlich erst dann zu Stande kommt, nachdem der locker gebundene Sauerstoff beseitigt ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn dieselben Oxydationsmittel, die auf das Oxyhämoglobin in solcher Weise wirken, das Hämoglobin in gleicher Weise umwandeln; denn hier ist die Austreibung des Sauerstoffs gar nicht erst von Nöthen. Ich habe mich selbst überzeugt, dass die betreffende Angabe! auf Wahrheit beruht. Sowohl mit Ferricyankalium wie mit Permanganat ist mir diese Umwandlung gelungen, dagegen nicht mit Natriumnitrit. Die wesentlichen Resultate vorliegender Arbeit lassen sich kurz in folgende zwei Sätze zusammenfassen: 1. Das Methämoglobin ist in der That ein bestimmtes, abgeschlossenes, optisch gut charakterisirtes Individuum. 2. Bei der Bildung des Methämoglobins aus Oxyhämoglobin, sowohl unter dem Einflusse des Ferricyankaliums wie des Kaliumpermanganats, tritt als erste Phase des Umwandlungsprocesses eine völlige Loslösung des locker gebundenen Sauerstofis ein. ! „Henninger verfolgte mit dem Spectroskop die Bildung von Methämoglobin aus Hämoglobin mittels Ferricyankalium.“ Jahresberichte für Tihierchemie. 1883. Ba. XII S. 121. Nachträgliche Bemerkungen zu Dr. v. Zeynek’s Ver- suchen, die die Bildung des Methämoglobins betreffen. Von G. Hüfner., Vor einer Reihe von Jahren habe ich in Gemeinschaft mit R. Külz die Mittheilung! gemacht, dass, wenn man eine braune Methämoglobin- lösung, der man vorher etwas Harnstoff zugefügt hat, mit Stickoxydgas schüttelt, die Lösung sich augenblicklich verfärbt, und zwar dass sie den- selben prächtig rosenrothen Ton annimmt, der den Lösungen des Stickoxyd- hämoglobins eigenthümlich ist, ja dass auch die Spectren der beiden so gefärbten Lösungen identisch sind. Wir haben damals weiter mitgetheilt, dass während der Bildung dieser Stickoxydverbindung in Folge einer gleich- zeitigen Zersetzung des Harnstoffes Stickgas frei wird und dass die Menge des letzteren bei Gegenwart von überschüssigem Harnstoff wächst mit der Concentration der Methämoglobinlösung, wie sie auch wächst mit der Con- centration einer Oxyhämoglobinlösung, wenn diese eben so behandelt wird. Wir glaubten uns den letzteren Vorgang durch Aufstellung folgender Reactionsgleichungen versinnlichen zu dürfen: 1. 6NO +2(Hb — 0,) =4NO, + 2(Hb — NO). 2. ANO,+2H,0 =2N0,+2NO,H. . 3. 2NO,H +CH,N,O =3H,0 +C0, + 2N,. Da bei diesen Versuchen gleich concentrirte Lösungen beider Blutfarb- stoffe, des Oxyhämoglobins und des Methämoglobins, unter sonst gleichen Bedingungen gleichviel Stickgas lieferten, so zogen wir den Schluss, dass beide Farbstoffe auch gleichviel austreibbaren Sauerstoff besitzen müssten; nur scheine, wie aus der Wirkungslosigkeit des Vacuums und auch des Kohlenoxyds auf das Methämoglobin hervorgehe, dieser austreibbare Antheil ı Zeitschrift für physiologische Chemie. 1883. Bd, VII. S. 366. 492 G. Hürner: im letzteren Körper fester gebunden zu sein. „Wie wir uns freilich“, so schlossen wir unsere Mittheilung, „diese festere Bindung zu denken haben, bleibt auch für ferner noch eine offene Frage.“ Die zuerst von Dr. von Zeynek beobachtete und in seiner soeben! erschienenen Arbeit über Methämoglobin genauer untersuchte Thatsache, dass die durch Schütteln einer Lösung von Blutkörperchen oder auch von Oxyhämoglobinkrystallen mit rothem Blutlaugensalz bewirkte Methämoglobin- bildung unter Austritt von gasförmigem Sauerstoff erfolgt, ist in der That geeignet, die ganze Frage in einem neuen Lichte erscheinen zu lassen. Darnach wird also bei der Methämoglobinbildung unter dem Einflusse des genannten Reagens Sauerstoff in gasfürmigem Zustande hinausgeworfen, damit etwas Neues an seine Stelle treten kann. Wird denn aber auch wirklich das ganze locker gebundene Sauerstoff- molecül losgerissen und ausgetrieben, oder nur die Hälfte davon, — ein einzelnes Atom, — so dass Hoppe-Seyler” Recht behielte, der das Met- hämoglobin für ein Suboxyd erklärte, für eine Zwischenstufe zwischen dem Hämoglobin und dem Oxyhämoglobin? Nach den entscheidenden, vor etwa 5 Jahren veröffentlichten, absorptio- metrischen Versuchen über die Sauerstoffeapacität des Blutfarbstoffes? bindet 1: m des letzteren 1.34 °m Sauerstoff von 0° und 760 m Quecksilberdruck. Würde daher beim Schütteln mit Ferrieyankalium nur 1 Atom Sauerstoff frei gemacht, so hätte 13” Blutfarbstoff niemals mehr als 0.67 «m dieses Gases (red. auf 0° und 760" Druck) verlieren dürfen. Betrachtet man nun die Zeynek’schen Versuchsresultate, so möchte es scheinen, als sei diese Forderung in 4 von 5 derjenigen Fälle erfüllt, wo nicht mit Lösungen vorher dargestellter Blutkrystalle, sondern direct mit den wässerigen oder schwach alkalischen Lösungen centrifugirter Blutkörper- chen experimentirt worden war; so z. B. gerade in den Versuchen II bis V. Es wurde aber bereits in der Zeynek’schen Abhandlung darauf hingewiesen, dass die in diesen Versuchen erhaltenen Zahlen wenig beweiskräftig sind, insofern jedenfalls beim Schütteln des Gases mit einer Lösung von Blut- körperchen, die ihrerseits von einem aus dem Schlachthause bezogenen Blute stammten und gewiss nicht frei von allerlei leicht oxydablen Stoffen waren, stets ein Theil des gasförmigen Sauerstoffes in der Flüssigkeit zurückgehalten und fester gebunden werden musste. Ein solcher Verlust konnte, wie die abgegebener Sauerstoff angewandter Blutfarbstoff baid grösser, bald kleiner werden. Er mochte unter Umständen, wie in den Schwankungen im Werthe des Quotienten zeigen, ! Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 460. ?- Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd.II. S. 149 ff. 3 Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 130 ff. — Die BILDUNG DES METHÄMOGLOBINS. 493 Versuchen II bis V, so gross oder noch grösser ausfallen, als der gasförmig austretende Antheil; er konnte aber auch wesentlich kleiner sein als dieser, und deswegen spricht gerade das Ergebniss von Versuch I direct dafür, dass während der Wirkung des Ferrisalzes nicht bloss das halbe, sondern vielmehr das ganze Sauerstoffmolecül vom Farbstoff losgerissen wird; denn der gasförmig austretende Rest ist in diesem Versuche wesentlich grösser als die geforderte Hälfte: 0.940 statt 0-67 cm, Wirklich entschieden wird nun aber die obige Frage durch die Ergeb- nisse derjenigen Versuche, in denen nicht Lösungen von Blutkörperchen, sondern solche von Blutkrystallen angewandt wurden. Hier findet man meist Werthe, die nicht dem Austritt von bloss 1 Atom, sondern von nahezu 1 Molecül Sauerstoff entsprechen. Zwar habe ich selbst bei früherer Gelegenheit! darauf aufmerksam gemacht, dass die Anwendung feuchten, krystallisirten Blutfarbstoffes zur Bestimmung der Sauerstoffeapacität deshalb sehr leicht zu fehlerhaften, und zwar fehlerhaft grossen Resultaten führt, weil diesem Präparate von der Darstellung her stets noch reichliche Mengen Alkohols anhaften, die in schwer controlirbarer Weise nicht nur den Absorptionscoöfficienten der Lösung für Sauerstoff, sondern vielleicht auch die Dampftension über der Flüssigkeit erhöhen werden. Man musste sich jedenfalls die Frage vorlegen, ob derartige Einflüsse sich nicht auch bei den in Rede stehenden Versuchen haben geltend machen können. Das war nun aber keineswegs der Fall. In Betreff des Absorptions- coöfficienten namentlich deshalb nicht, weil die Flüssigkeit nach dem Schütteln ja nicht in ein Vacuum, sondern sogar noch unter einen höheren Sauerstoffdruck kam; und was die Tension anlangt, so konnte die Erhöhung derselben deshalb nur äusserst gering sein, weil in dem über der Flüssig- keit befindlichen Gase, auch nach langem Schütteln, doch kein Alkohol- dampf durch die Gasanalyse nachzuweisen war. Die Vermuthung Hoppe-Seyler’s, dass das Methämoglobin nur durch Entziehung eines Theiles des locker gebundenen Sauerstoffes aus dem Oxy- hämoglobin entstehe, schien mir damit zwar schon genügend widerlegt; allein trotzdem habe ich es nicht unterlassen mögen, selbst noch einige Versuche über die Wirkung des Ferrieyankaliums auf den rothen Blutfarb- stoff anzustellen, und zwar mit dem gleichen Apparate, den Dr. v. Zeynek benutzt hatte. Ich theile die Ergebnisse hier mit, da sie die Zeyneck’schen Resultate in gewissem Sinne zu ergänzen geeignet sind. 1 Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 153. 494 G. Hürner: Versuch I. Zunächst stellte ich einen Versuch mit gelösten Blutkörperchen an. Dieselben waren aus Rinderblut gewonnen, das unmittelbar, nachdem es aus dem Schlachthaus gekommen, mit einer 2 procent. Kochsalzlösung versetzt und centrifugirt worden war. Sie wurden in !/„procent. Soda- lösung in solchem Verhältnisse gelöst, dass das Volumen der Lösung dem ursprünglichen Blutvolumen, dem die Körperchen entstammten, gleich kam, wobei ihr Gehalt an Hämoglobin 11-8 Procent betrug. Die Ferricyankalium- lösung war, wie in Zeyneck’s Versuchen, 10 procentig. Gasvolumen vor dem Schütteln . . . „. 88.32 cm 55 nach „, Be en, Gesammtgaszuwachs e: Bine Dun 3 ns y ya er Zusammensetzung des Gases nach dem Schütteln: Sauerstoff. . . . 831.55 Procent Stickstoff . . . . 68-45 „ 100.00 Procent. Ursprünglich vorhandener Sauerstoff . . . 88°32.0:.2096 = 18-51 m Am Ende gefundener Sauerstoff . . . . 103-77.0-.3155 = 32-74 „ Sauerstoffzuwachsila 21041 Hl, up 13 „BIER ZUDNEE UT Ne Angewandtes Oxyhamoglobine 2 2. 72 2. nu Sen Sauerstoffabgabe pro Gramm . . . 2. 2.2... ne Se Versuch L. Zur Verwendung kamen frische Blutkrystalle.. Sie wurden zunächst gut zwischen Fliesspapier abgepresst und hierauf unter Zusatz von !/,, Procent Soda in solehem Verhältniss in Wasser gelöst, dass die Lösung genau 14 Procent Oxyhämoglobin enthielt. Die Ferrieyankaliumlösung war aber- mals 10 procentig. Gasvolumen vor dem Schütteln . . . „86.95 cm r nach „, x It .09. ei 05-319 Gesammtzuwachs 1 „la. el sol. a Be, Zusammensetzung des Gases nach dem Schütteln: Sauerstoff. . . . 33-10 Procent Stickstofl . . ... 66.90 > 100-00 Procent. Dıe BiLpungG DES METHÄMOGLOBINS. 495 ürsprünglich‘ vorhandener Sauerstoff .... .. 2 2.0 2.02 ...18.22 m AumEindesoeiundener Sauerstoff: >... clan net 118480 ,, ANERSTORUWCHSE ee el tree el imsaneen 00 A Pincevandtes Oxyhamoglobin... u. 1 ».3 21..-10ealsenenı send Dr Sauerstoflabgabe pro Gramm — 1.09 em, Wie man sieht, ist die Grösse der Sauerstoffabgabe pro Gramm Oxy- hämoglobin in beiden Fällen die gleiche. Vielleicht dass im ersten Falle die Vermischung des Blutes mit Kochsalzlösung die reichlichere Bildung redueirender Stoffe verhindert hatte. Jedenfalls gab das Oxyhämoelobin, auch wenn es nicht vorher krystallinisch dargestellt worden, ebenso viel wie ın diesem Falle, und zwar nicht bloss 1 Atom seines locker gebundenen Sauerstoffes in Gasgestalt ab. In der bekannten umfassenden Arbeit Dittrich’s! „Ueber methämo- globinbildende Gifte“ ist unter den Stoffen, die „sehr rasch, fast sofort wirk- sam“ sein sollen, nächst dem Ferrieyankalium auch das Ferrocyankalium aufgeführt. Wenngleich wir von diesem Reagens die erwähnte Wirkung selber noch niemals beobachtet hatten, habe ich doch einen Versuch in meinem Apparate damit ausgeführt, und zwar unter Anwendung einer Oxyhämoglobinlösung von 14 Procent und einer Lösung des Reagens von 10 Procent, bei einer Temperatur von 17.5°. Das Ergebniss war ein negatives. Doch war mir bei dem Versuche eine Erscheinung interessant, die auf einen Umstand ein aufklärendes Licht wirft, der sowohl in Zeynek’s wie in meinen eigenen Versuchen stetig wiederkehrt. Dieser Umstand ist die Differenz zwischen der am Ende be- merkbaren Zunahme des Gesammtgases und derjenigen des Sauerstofles allin. Das Plus an Gesammtgas beträgt in Zeynek’s Versuchen — wenn man von Versuch IV seiner Reihe absieht, wo sich vielleicht ein gröberer Fehler eingeschlichen — im Durchschnitt etwa 1-8 °®. In meinem Versuch II], wo ich Ferrocyankalium anwandte, betrug die - Gesammtmenge des vorhandenen Gases vor dem Schütteln. . 87.95 m ” ” „ ” nach „ ” . 89.43 ” Beueaszumahme alsom an. ee en red, Ich habe das Gas am Ende dieses Versuches gar nicht analysirt, da ich befürchten musste, dass etwaige Abweichungen des zu findenden Procent- gehaltes an Sauerstoff vom normalen innerhalb der Grenzen der analytischen 1 Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXIX. S. 247. 496 G. Hürner: Fehler liegen oder wenigstens nahe an die Grenzen derselben streifen würden. Wir dürfen annehmen, dass die im vorliegenden Falle beobachtete Gaszunahme dieselbe Bedeutung hat, wie das Plus der Gesammtgaszunahme über die Sauerstoffzunahme allein in den Ferricyankaliumversuchen; denn in den obigen beiden Versuchen betrug dieses Plus das eine Mal 1.22 m, das andere Mal 1.72°®, im Mittel also 1:47 m. Es ist hervorgerufen hauptsächlich durch die Menge des Stickgases, die beim Mischen und Durch- einanderschütteln der beiden Lösungen unter vermindertem Drucke und bei etwas erhöhter Temperatur frei wird. Diese Menge entspricht nämlich der Differenz der beiden Gasmengen, die vor und nach dem Schütteln in den Lösungen, bezw. dem Gemische der beiden absorbirt enthalten sind, und deren jede durch Absorptionscoifficient und Volumen der Lösung, sowie durch die jeweiligen Werthe von Druck und Temperatur, bei denen die Sättigung geschah, bestimmt ist. Bedeuten: / die Summe der Volumina beider Lösungen, p und « Partiardruck und Absorptionscoöfficient des Stiekstoffes im Moment der Be- reitung der Lösungen, p, und «, die entsprechenden Werthe nach dem Durcheinanderschütteln der Lösungen, so ist also die vor dem Schütteln in den Lösungen enthaltene Gasmenge ACER, 271602 die nach dem Schütteln darin verbleibende Gasmenge Vo = Die einzigen unsicheren Factoren in diesen Ausdrücken sind die Ab- sorptionscoöfficienten. Wir wollen indessen der Einfachheit wegen annehmen, dass Blutlösung und 10 procentige Lösung des Reagens, beide den gleichen Absorptionscoefficienten für Stickstoff besitzen wie reines Wasser. Es sei ferner der Partiardruck des Stickstoffes in der Atmosphäre beim Sättigen der Lösungen vor dem Schütteln = 730.0.79 = 577 "m, der Partiardruck desselben nach dem Schütteln im Apparate = 655.0-.68 = 445 "m ,1 die Temperatur vorher O°,? nachher 16°, und das Gesammtvolumen beider Lösungen? = 137 em, ! Der Druck im Apparate war immer erniedrigt, im Mittel 655 “® nach dem Schütteln. Da nun der Procentgehalt an Sauerstoff in den Ferrieyankaliumversuchen durchschnittlich auf 32 Procent anwuchs, so ergiebt sich als mittlerer Partiardruck des Stickstoffes nach dem Schütteln obiges Product: 655 (1 — 0-32) = 655..0-68 = 445. ” Die Lösungen wurden in der Kälte bereitet und bisweilen 1 Tag lang im Eise aufbewahrt. 8 Vgl. Zeynek, a.a. 0. S. 469. Die BILDUNG DES METHÄMOGLOBINS. 497 Wir erhalten dann 137.0-0235 .577 a MENON cem. 3 160 nz __ 137. 0-0170. 445 R\ = — . ccm. 1 160 I 0 daher vv, =1-1°. Wenn dieser Werth auch etwas geringer als der im Durchschnitte thatsächlich gefundene ist, so erklärt er doch, weshalb in den mit Ferri- cyankalium angestellten Versuchen die Gesammtgaszunahme stets grösser gefunden werden konnte, als die Zunahme an Sauerstoffgas allein.! Unter der gerechtfertigten Annahme‘, dass das gedachte Plus beim Arbeiten mit dem gleichen Apparate und den gleichen Lösungen, ferner unter den gleichen Bedingungen des Druckes und der Temperatur im Durchschnitte denselben Werth behalten werde, den ich oben gefunden, nämlich etwa 1.5°%, habe ich noch einige Versuche über die Wirkung des Ferrieyankaliums auf Lösungen von Rinderblutkrystailen ausgeführt, bei denen die Concentration des Reagens immer 10 procentig blieb und nur der Procentgehalt der Farbstoiflösung etwas varlirte. Ich führe kurz die wichtigsten Daten der einzelnen Versuche und ihre Ergebnisse an. Versuch IV. Temperatur während des Schüttelns — 11-4°. Gesammtgasvolumen vor dem Schütteln. . . 2» 2 2... 90.54 m = nach „, 4 a Ra A ee LRTELULO.F, Gesammtgaszunahme . . . ONE LUN 12 Vermuthlicher mentiliiehrrehns EN “0. 46 —1.50=110 „ PinsewandtesOxyhamoslobin. . „2... ...... losen Sauerstoffabgabe pro Gramm. . . :» 2 2 2.0 a — Kl Versuch V. Versuchstemperatur = 137°. nessammteas vor dem Schütten'. 2... 2 20. 0. 90.I4em el nach „ RE REEL al LETTERS Aal MODE; Gesammtgaszunahme . . . De arbaun A560, Vermuthlicher Sauerstoffzuw aha LBBROEE DR a 56 — 1-50 = 13-06 „ Pinsewandtes Oxyhämoglobin ı. 2... 22 20 wen. EL.3918 nerstorrabeabe) pro, Gramm. em 1.155 com i In meinem Ferrocyankaliumversuche mochte das Plus auch noch durch den Austritt von etwas absorbirtem Sauerstoff bedingt sein. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abtulg. 32 498 G. HÜrNER: Versuch VI. Versuchstemperatur = 15.6°. Gesammtgasmenge vor dem Schütten . . . 2. 2.......,87.77eem s nach 5 a 2 102 On Gesammtsaszunanhme 0: Me le rel >. Vermuthlicher Sauerstoffzuwachs . . . . 1 81 — 1-50 = 13-30 „ Angewandtes (Oxyyhamoglobin en 2 eo Sauerstoffabeabe, pro Gramm sn 1.152 m Versuch VI. Versuchstemperatur = 15-9. Gesammtgasmenge vor dem Schütteln . . 2... .22...2...86.96 cm u nach „, " N ÜRHENS) ., Gesammtgaszunahme . . . . Anal. ee ., Muthmaasslicher Sauerstorumach. ee 21: 62 — 1:50 = 20-10 „ Angewandtes/Oxyhämoglobin 1.2.2.3 3. 0.. vu an14glenn Sauerstoffabgabe pro Gramm 0. se 1.150 m Die befriedigende Uebereinstimmung zwischen den Ergebnissen der 4 letzten und denen meiner 2 ersten Versuche zeigt, dass die Schätzung des gedachten Plus so ziemlich das Richtige getroffen hat. Es ist bemerkenswerth, dass ein Stoff, wie das Antifebrin (Acetanilid), der, in reichlicher Menge (203””) einem Hunde beigebracht, — sei es per 08, sei es direct in die Bauchhöhle eingespritzı — das Blut des Thieres nach mehreren Stunden entschieden chocoladenfarbig machen soll, in verdünnter Dosis (1 “® einer 0.5 procentigen Lösung) zu etwa 10m einer Lösung von Oxyhämoglobin gefügt, deren Procentgehalt nur 0-14 beträgt, bei gewöhnlicher Teniperatur auch nach 12- und mehrstündigem Stehen keine Methämoglobinbildung zu Stande bringt. Dagegen tritt auf Zusatz weniger Tropfen einer 10 procentigen Lösung von salzsaurem Hydroxyl- amin, also eines entschiedenen Reductionsmittels, die Methämoglobinbildung schon nach kurzer Zeit bei der nämlichen Temperatur recht deutlich ein. Ob wohl die bei Zerstörung des Hydroxylamins (in Folge Oxydation der Ammoniakwasserstoffatome durch den Sauerstoff des Oxyhämoglobins) etwa frei werdende Salzsäure dabei eine Rolle spielt? Jedenfalls kann man sich leicht davon überzeugen, dass ein so energisches Reductionsmittel, wie das freie Hydrazinhydrat, durchaus kein Methämoglobin zu bilden vermag. Ich habe in einer früheren Arbeit! gezeigt, dass man durch Zusatz kaum ! Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 156 ft. Dıe BILDUNG DES METHÄMOGLOBINS. 499 eines halben Cubikcentimeters käuflichen (etwa 25 procentigen) Hyarazin- hydrats ein halbes Liter einer concentrirten, etwa 25 =" Oxyhämoglobin enthaltenden Lösung arteriell rother Blutkörperchen bei öfterem Umschütteln in einem verschlossenen, sauerstofffreien Raume sehr bald vollkommen venös machen kann. Setzt man aber ebenso viel Hydrazinhydrat (0-3 bis 0.4° m der käuflichen Lösung) zu 10%” der oben genannten, nur etwa 0.14 Procent enthaltenden Oxyhämoglobinlösung, so nimmt die letztere zwar nahezu augenblicklich eine dunkel purpurrotbe Färbung an; allein bei der spectroskopischen Untersuchung bemerkt man durchaus nicht etwa das Spectrum des reducirten Hämoglobins, sondern dasjenige des Hämo- chromogens. Die Wirkung des überschüssigen Hydrazinhydrates auf das Molecül des Oxyhämoglobins ist also eine viel weitergehende, das Molecül ganz zerstörende. Das Reductionsmittel bemächtigt sich olfenbar nicht bloss des lose gebundenen Sauerstoffes: es trennt weiter auch den grossen, eiweiss- artigen Atomcomplex von dem eisenhaltigen Farbstofikern (dem Hämatin- kern), und es reducirt zuletzt sogar noch diesen. Die Thatsache, dass das grosse Hämoglobinmolecül gerade unter dem Einfluss eines solchen Reductionsmittels in seine beiden kleineren Complexe zerfällt, macht es nicht unwahrscheinlich, dass diese beiden selber durch das Band eines oder mehrerer Sauerstoffatome im Hämoglobin zusammen- gehalten sind. Untersuchungsergebnisse betreffend die Erregbarkeit des hinteren Abschnittes des Stirnlappens. Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. Nach den Angaben von Ferrier ergiebt der Lobus praefrontalis, welcher nach vorne von einer Linie seine Lage hat, die man sich senkrecht zu dem vorderen Ende des Sulcus praecentralis gezogen denkt, auf Reizung seiner Oberfläche keinerlei Bewegungserscheinungen. Dies wird in der Folge von Horsley, Beevor und anderen Autoren bestätigt gefunden. Zwischen dieser Gegend einerseits und dem Sulcus praecentralis und seiner gedachten Fortsetzung zum Suleus longitudinalis andererseits befindet sich eine Region, deren Reizung nach Ferrier Oeffnung der Augen, Pupillenerweiterung und Bewegungen der Augen und des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite auslöst. Beevor und Horsley haben durch Anwendung schwacher, mini- maler Reize diese Region in drei verschiedene Centra gegliedert. Das obere derselben, näher zu der Medianspalte des Gehirns gelegen, bewirkt Kopf- bewegungen nach der entgegengesetzten Seite, das mittlere bewegt Kopf und Augen nach der entgegengesetzten Seite, das untere erzeugt nur contra- laterale Bulbusablenkung. Doch ist zu beachten, dass diese Centra in ihrer (Gesammtheit einen viel grösseren Raum einnehmen, als jenem Ferrier’schen Centrum entspricht. Mott! befürwortet eine noch detaillirtere Eintheilung des Stirnlappen- centrums für die Seitwärtsbewegungen des Kopfes und der Bulbi. Nach seinen Befunden löst dieses Centrum bei den Afien folgende Bewegungen aus: a) Drehung des Auges in horizontaler Richtung; b) Drehung des Auges. nach der entgegengesetzten Seite und nach oben, und ce) Drehung des Auges nach der entgegengesetzten Seite und nach unten. Diese Oentra liegen nach einander in der Richtung von oben nach unten oder von innen nach 1 Brain. 1890. W. v. BECHTEREW: ERREGBARKEIT D. HINT. ABSCHN. D. STIRNLAPPENS. 501 aussen, so zwar, dass das Centrum für die Drehungen des Auges nach der entgegengesetzten Seite und nach unten mehr nach oben bezw. nach innen seine Lage hat, unmittelbar darunter das Centrum für die horizontalen Bulbusdrehungen folgt und am meisten nach unten oder lateralwärts das Centrum für die Abweichungen der Bulbi nach der contralateralen Seite und nach oben sich anschliessen. Nach der Ermittelung des gleichen Autors hat eine ganz ähnliche Differenzirung auch für das Centrum der Kopfbewegungen Geltung. Das Vorhandensein eines Centrums für die Bulbusbewegungen in der hinteren Abtheilung des Stirnlappens ist auch beim Orang durch die Unter- suchungen von Beevor und Horsley nachgewiesen, welche zudem fanden, dass Reizung des mittleren Abschnittes der vorderen Oentralwindung associirte Augen- und Kopfbewegungen nach der entgegengesetzten Seite zur Folge hat. Ich wende mich nun zu meinen eigenen Untersuchungen über die Erregbarkeit der Hirnrinde. Hervorheben muss ich zuvörderst, dass diese meine Untersuchungen noch auf den Anfang der 80er Jahre zurückdatiren und dass die ersten derselben in der im Jahre 1883 erschienenen Doctor- dissertation von P. J. Rosenbach veröffentlicht wurden. In ausführlicherer Weise sind dann sowohl die Ergebnisse meiner ersten, im Verein mit Dr. Rosenbach ausgeführten Experimente, als auch diejenigen meiner spä- teren Untersuchungen im Jahre 1886 und 1887 in dem Archiv für Psyehiatrie (russisch) unter dem Titel „Physiologie des motorischen Feldes der Gehirn- zinde“ (auch als besondere Ausgabe erschienen) und in den Arch. slaves de biologie 1887 mitgetheilt worden. Ueber meine bereits in Kasan im Jahre 1888 begonnenen und in dem Laboratorium der Psychiatrischen Klinik in St. Petersburg weiter fortgesetzten Studien über die Centra der Gehirnrinde habe ich schliesslich in einer der wissenschaftlichen Versammlungen der Aerzte der St. Petersburger Klinik für Geistes- und Nervenkrankheiten kurz Bericht erstattet. Diese meine Versuche sind an verschiedenen Thieren angestellt worden, von niederen Säugethieren — Kaninchen und Meerschweinchen — bis hinauf zu den Primaten — indischen Affen und Macacus. Jedoch will ich mich hier auf die Befunde an höheren Thieren und vorzugsweise auf die an Affen gewonnenen beschränken. Meine hierauf bezüglichen Erhebungen nöthigen mich zu dem Schlusse, dass der erregbare Theil der Gehirnrinde sich nach vorne weit über die vordere Centralwindung hinaus ausdehnt. Die gesammte hintere Hälfte des Stirnlappens erscheint zweifellos gleich den beiden Centralwindungen stromerregbar. Von diesem Theile des Stirn- lappens aus vermag man, wie sogleich gezeigt werden soll, sehr mannig- faltige Bewegungen auszulösen, und nicht allein, wie von dem Autoren 502 W. v. BECHTEREW: angenommen wird, Drehungen des Kopfes und der Augen. Ausser Centren für Kopf und Augen findet man hier solche für die Aufwärtsbewegung der Augenbrauen und der oberen Lider, Centra für die Bewegungen der Ohr- muschel, Centra für die Erweiterung der Pupillen und Centra der Athem- bewegungen. Nur ist zu bemerken, dass eine scharfe Differenzirung aller der genannten Bewegungen, wie dies ja auch in der sog. motorischen Zone der Fall ist, auf gewisse Schwierigkeiten stösst, da nicht selten mit einer Bewegung gleichzeitig eine zweite zur Auslösung kommt. Was die contralateralen seitlichen Ablenkungen von Kopf und Augen und das Oeffnen der letzteren betrifft, so werden diese Bewegungen von einer ziemlich umfangreichen Rindenfläche aus in der Mehrzahl der Fälle gemeinschaftlich ausgelöst. Doch erhält man an gewissen Orten die eine, an anderen die andere Bewegung. So können von den obersten oder me- dialsten Abschnitten der in Rede stehenden Rindengegend manchmal Ab- lenkungen des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite hervorgerufen werden. Dagegen löst Reizung der mehr nach unten befindlichen Theile dieser Gegend isolirte Ablenkung des Augapfels nach der entgegengesetzten Seite aus. Die mittleren Theile desselben Gebietes schliesslich ergeben auf Reizung gewöhnlich contralaterale Ablenkung von Kopf und Augen. Bezüglich der sonstigen Bewegungen der Augäpfel, die Mott erwähnt, muss ich betonen, dass es mir ausser horizontalen Augenbewegungen ge- lungen ist Abweichungen nach aussen und oben zu erzielen, und zwar annähernd von dem hinteren Theile des oben näher bezeichneten Rinden- feldes aus. Nun können aber durch Reizung der hinteren Stirnlappengegend ausser Bewegungen des Kopfes und der Augen zweifellos noch andere Bewegungs- erscheinungen hervorgerufen werden. Als solche können zunächst verschiedenartige Bewegungen an den Ohrmuscheln genannt werden. Dieselben treten sehr oft in Gemeinschaft mit den Kopf- und Augenbewegungen auf. Doch können sie in einigen Fällen auch isolirt erhalten werden. Sie bestehen entweder in Zuckungen der contralateralen oder beider Ohrmuscheln, oder in Bewegung derselben nach vorne, Emporhebung, Rückwärtswendung der entgegengesetzten Ohr- ınuschel, Drehung derselben nach der entgegengesetzten Seite und nach oben. Alle diese Bewegungsphänomene an den Öhrmuscheln treten ge- wöhnlich zu Tage bei Reizung unmittelbar nach vorne von einer Linie, die man sich von dem oberen Ende des Sulcus praecentralis senkrecht zu der Längsspalte des Gehirns gezogen denkt. ' Eine zweite Bewegung, die von der hinteren Stirnlappengegend aus erzielt werden kann, besteht in Emporhebung der Augenbrauen, Runzelung der Stirn und Contraction des Musculus epicranius. Diese Bewegungen ERREGBARKEIT DES HINTEREN ÄBSCHNITTES DES STIRNLAPPENS. 503 liessen sich hervorrufen durch Reizung der Punkte in den mittleren und theilweise in den oberen Abschnitten der erregbaren Zone des Stirnhirns. Reizung eines der Punkte in dem mittleren Theil der genannten Gegend, in der Nachbarschaft der Centra für die Bewegungen der Ohr- . und Stirnmuskeln, hatte starkes Zusammenkneifen der Lider, ja völligen Lidschluss im Gefolge. Aus alledem erhellt die Nothwendigkeit, in der in Rede stehenden Hirnregion die Gegenwart verschiedener Centra für die Innervation des oberen Facialisastes anzunehmen. Bei den Affen sind als getrennte solche Centra anzusehen: ein Centrum für die Contracturen der Stirnmuskeln und des Musc. epieranius, ein Centrum für die Bewegungen der Ohrmuscheln und ein Centrum für den Lidschluss.. Alle diese Centra sind in erheb- lichem Grade durch bilaterale Innervation ausgezeichnet, was auch durch klinische Erfahrungen gestützt werden kann. Ferner gelingt es durch Reizung bestimmter Punkte einer etwas nach aussen bezw. nach unten von den vorhin genannten Centren befindlichen Gegend, weite Eröffnung der Lidspalte mit Hervortreten der Bulbi und starker Pupillenerweiterung hervorzurufen. Manchmal richten sich dabei die Augenaxen parallel zu einander und der Blick wendet sich gewisser- maassen in die Ferne. Diese Erscheinungen waren von einigen Punkten aus darstellbar, die vor dem oberen Ende des Sulcus praecentralis ihre Lage hatten. Sie sind völlig analog jenen Bewegungen, welche bei Reizung des Halstheiles des Sympathicusstammes auftreten. Man muss die Gegend jener Rindenpunkte daher als eine centrale Endstätte des Sympathicus betrachten. Reizung gewisser Punkte nach vorne von dem oberen Theile des Sulcus praecentralis endlich hat auch eine unverkennbare Wirkung auf die Athmung, und zwar hält Reizung eines höher oben gelegenen Punktes die Athmung während der Inspiration auf, setzt also den Nervus phrenicus in Action, Reizung tiefer befindlicher Punkte macht die Athmung oberflächlicher; weniger ausgiebig und frequenter, hat also gewissermaassen einen hemmenden Einfluss auf die Athmung. Meine Reizungs-Versuche an Affenhirnen bringen demgemäss den Nach- weis, dass in der distalen Hälfte des Stirnhirnes nicht allein Centra für die Bewegungen des Kopfes und der Augäpfel vorkommen, sondern dass ausser diesen hier eine grosse Zahl anderer Centra beherbergt wird, und zwar Centra für die Contractionen der Stirnmusculatur, für den Lidschluss, mehrere Centra für die Bewegungen der Ohrmuscheln, pupillenerweiternde Centra und endlich respiratorische Centra, von welch’ letzteren eines tiefere Inspirationen, ein anderes Beschleunigung und Abflachung der Athmung auszulösen vermag. Die Volumensänderungen rother Blutscheiben in Salzlösungen. Von Hans Koeppe in Giessen. In seiner Abhandlung „Ueber den Einfluss von Salzlösungen auf das Volum thierischer Zellen“! geht H. J. Hamburger von der Beobachtung aus, dass die Quellung und Schrumpfung thierischer Zellen nicht in der Weise erfolgt, als unter gewissen theoretischen Annahmen nach den Gesetzen des osmotischen Druckes zu erwarten wäre. Auf denselben Punkt habe ich schon 1896 in meiner Arbeit? „Ueber den osmotischen Druck des Blutplasmas und die Bildung der Salzsäure im Magen“ aufmerksam ge- macht, indem ich zeigte und hervorhob, dass die Volumensänderung der Concentrationsänderung der Salzlösung nicht proportional ist. Dieselbe Beobachtung war auch der Grund, weshalb ich mich von Anfang an vor- sichtig ausdrückte:3 dass „es thatsächlich der osmotische Druck ist, welcher das Volumen der rothen Blutscheiben beeinflusst, (ohne damit zu behaupten, dass er allein verantwortlich für das Volumen zu machen ist)“. In diesen und noch zwei anderen? Arbeiten über den gleichen Gegenstand habe ich versucht, das Verhalten der rothen Blutscheiben in Salzlösungen, das Quellen und Schrumpfen und Lackfarbenwerden derselben mit den Gesetzen des osmotischen Druckes in Einklang zu bringen. Diese Arbeiten sind 1 Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. S. 317 u. f. ? Archiv für die gesammte Physiologie. 1896. Bd. LXII. ® H. Koeppe, Ueber den Quellungsgrad der rothen Blutscheiben u.s. w. Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg. * H. Koeppe, Physiologische Kochsalzlösung — Isotonie — osmotischer Druck. Archiv für die gesammte Physiologie. 1897. Bd. LXV. — Derselbe, Der osmotische Druck als Ursache des Stoffaustausches zwischen rothen Blutkörperchen und. Salz- lösungen. Zbenda. 1897. Bd. LXVII. I EEE Hıns KoEPPpE: VOLUMENSÄNDER. ROTHER BLUTSCHEIBEN U. 8. w. 505 anscheinend Hamburger unbekannt, da er die in denselben beschriebenen Versuche und daraus gezogenen Schlüsse, sowie mehrfach betonte Hinweise auf die denselben als Grundlage dienenden Gesetze des osmotischen Druckes nicht berücksichtigt. In Folge dessen sind in Hamburger’s oben citirter Abhandlung einige prineipielle Fehler untergelaufen, die zu berichtigen ich mich für verpflichtet halte. Im Anschluss daran sollen an der Hand der eigenen Versuche die betr. Verhältnisse besprochen werden. 1e Besprechung der Hamburger’schen Abhandlung. Aus der Einleitung Hamburger’s geht hervor, dass zwar nicht mehr die „Gesetze der isotonischen Coöffieienten“, sondern die Lehre vom osmo- tischen Druck, d.h. die Theorien van’t Hoff’s und von Arrhenius als Grundlage der Betrachtungen genommen werden, weiterhin aber zeigt sich, dass diese Anschauungen nicht consequent festgehalten werden, ja direct die Dissociationstheorie vollkommen ausser Acht gelassen wird, wodurch die Ergebnisse der Untersuchungen, insbesondere was die Zahlenwerthe anbetrifft, wesentlich erschüttert werden. Hamburger beginnt seine Rechnungen mit der. Frage: „Was wird geschehen müssen, wenn man z. DB. ein kernloses, rothes Blutkörperchen, dessen homogener Inhalt in wasseranziehender Rail einer 0.9 procentigen NaCl-Solution entspricht, in eine 1-8 procentige Lösung bringt? Es wird die Masse bis zu der Hälfte schrumpfen. Wird dasselbe in eine NaCl- Lösung von 1!/, Procent gebracht, so wird die Schrumpfung betragen: ae. 100 = 66 Procent“ u. s. w. Der Schluss Hamburger’s ist nicht in aller Strenge zutreffend, da hierbei die Dissociation der NaCl-Molecüle in wässeriger Lösung nicht be- = zücksichtigt ist. Hamburger schliesst, da eine 1°8 procentige NaCl-Lösung die doppelte Concentration hat von einer O’9procentigen, so hat die 1-8- procentige Lösung auch eine doppelt so grosse wasseranziehende Kraft als _ die 0-9 procentige. Das ist nicht richtig. Die „wasseranziehende Kraft“ oder der „osmotische Druck“ einer Lösung ist abhängig von der en der gelösten Molecüle. Eine 1-8 procentige ne enthält nur . .1:8 Molen, dagegen eine 0-9 procentige Lösung > ——.1'9 Molen, weil der Dissociationscoöfficient einer 1-8 procentigen m: 1:8, einer 0-9 procen- tigen dagegen 19 ist. Von 0.9 Procent bis 1°8 Procent NaÜl-Lösung hat der osmotische Druck sich nicht verdoppelt, er hat nicht um 100 Pro- cent zugenommen, sondern nur um 89.4 Procent. Hamburger lässt 506 Hans KoEpPpE: demnach in seiner Rechnung einen wichtigen Punkt der Lehre vom os- motischen Drucke ausser Acht. Dass er aber thatsächlich den osmotischen Druck als die Ursache der Volumensänderung der rothen Blutscheiben annimmt, geht daraus hervor, dass er als die Folge der Aenderung des osmotischen Druckes auf den (vermeintlich) doppelten Druck die Körperchen auf die Hälfte schrumpfen lässt. Da nach van’t Hoff’s Theorie der Lösungen für die Lösungen die Gasgesetze gelten, ist eben der Druck um- gekehrt proportional dem Volumen. — Sollen aber die Gesetze des osmotischen Druckes in aller Strenge gelten, so muss die Wand der Blutkörperchen für alle in den Blutscheiben gelösten, osmotisch wirksamen Molecüle (Molen) undurchgängig sein. (Bedingung, die sich aus der Definition des os- motischen Druckes ergiebt.) Hamburger verwendet Kochsalzlösungen zu seinen Versuchen, und gerade für Kochsalz ist diese Bedingung ungenügend . erfüllt. Wie ich dargelegt habe,! wechseln sich Kohlensäure der Blutscheiben und Cl-Ionen der Kochsalzlösung aus, und die Folge davon ist eine Druckänderung in den Blutscheiben.” Neben diesen beiden theoretischen Einwendungen möchte ich noch eine dritte erheben; dieselbe betrifft die Uebereinstimmung der für das Volumen des Protoplasmagerüstes berechneten Werthe. Ham- burger bestimmt das Volumen rother Blutkörperchen in 4 verschieden concentrirten NaUl-Lösungen und berechnet aus je 2 Resultaten das Volumen des Protoplasmagerüstes; hierbei sind 6 Werthe zu erhalten, von denen Hamburger nur 3 anführt. Die folgende Tabelle zeigt, dass die von Hamburger ausgewählten 3 Werthe gut übereinstimmen, dagegen nicht alle 6, die sich aus denselben Zahlen berechnen lassen. Tabelle I. | | Volumen des Protoplasmagerüstes p Grösste | NaCı- | Boden- Avedon Unterschiede bei Versuch | Lösung satz- a die 6 berechnet Hamburger Berechnung von möglichen Procai| re = en Werthe 3 Werthen 6 Werthen | | Pferdeblut | a) 0-7 | 40-0 | aundb — | 18-45 | Saa95 )0-92 03400 ae er | eo) 1-2 | 81-0 |a „id 18-2 |. 18-9 0-7 | 01-4 a een 11908) 18-3 | b ss d | — | 19-1 Bd 19-1. | 19-75 ı Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVII. ? Vergl. auch J. Willerding, Hamburger’s Blutkörperchenmethode in ihren Beziehungen zu den Gesetzen des osmotischen Druckes. JInaug.-Diss. Giessen 1897. | VOLUMENSÄNDERUNGEN ROTHER BLU'’TSCHEIBEN IN SALZLÖSUNGEN. 507 Tabelle I. (Fortsetzung.) Volumen des Protoplasmagerüstes p Grösste Ban von Unterschiede bei Wersuchi2 Aprosung | Satz berechnet Hamburger ‚dieg6 Berechnung von volumen aus | angegeb. möglichen | Droe, Wehen Werthe |3 Werthen 6 Werthen Pferdeblut | a) 0-7 | 43:0 a und b _ 105.221:0 | 8.331 |b) 0-98] 37-0 | a „ e | 20-1 20-8 | 4. Versuch | ce) 1-2 33:75 ak d 20-96 20-5 0-86 | 2.8 a) de ee 19-2 | dr Gi 20-4 IT | Bd = 077200 | | Kaninchen- | a) 0-7 | 43-0 a und b — I 2008) | blut b) 0-85 | 39-0 ie 20.2! 25-0! | 8. 332 c) 1.2 35-5 Ad 19-6 19-5 0-9 | 16-5 1. Versuch | d) 1-5 30°5 u @ _ 27-0 been rd 19-3 1923 Cd — 10-5 Kaninchen- a) 0-7 | 44:25 | a und b — 22-3 blut b) 0-87 | 40-0 EEE 19-6 1a 8.332 |c)1-2 | 34-0 ad 19-9 19-9 0-8 4-2 Zeversuchasd)ete5, | 31-25: | b „,c — iso ber a RI VO ed — 20-3 Wir sehen aus dieser Zusammenstellung, dass für das „Volum des Proto- plasmagerüstes“ die Werthe doch nicht so gut übereinstimmen, wie man nach den von Hamburger angegebenen Zahlen annehmen muss. Die Uebereinstim- mung; wird noch mangelhafter, wenn mehr als 4 Lösungen verwendet werden, wie bei den Versuchen mit weissen Blutkörperchen (z. B. S. 328) mit 6 Lösungen. NaCl- Bodensatz- Volumen des Protoplasmagerüstes Lösung volumen berechnet aus berechnet aus a). 0925 59.75 a und b 39.7 b und f 21-6 b)20-5 49.75 Ehre @ 33.7 ad 22-0 OR E0LT 43-0 a 29.2 Gone 20-8 220298 37.0 aan. ce 26°9 ara ae 20°5 ei 33-75 ER 25-2 dire 19.3 f) 1-5 31-0 DELL RC 26-1 desmı ah 19.7 based 21-6 Er 20.0 b e 22-3 Der Mangel an Uebereinstimmung ist bei allen Versuchen zu finden und die Unterschiede der einzelnen Werthe sind so erheblich, dass man viel eher berechtigt sein dürfte, hieraus den entgegengesetzten Schluss zu ziehen, nämlich, dass Hamburger’s Annahmen nicht zutreffen, dass es 508 Hans KoEpPpE: einen bestimmten Theil der Zellen, welcher an dem Process des Quellens oder Schrumpfens nicht theilnimmt, in Wirklichkeit nicht giebt; oder wenigstens, dass Hamburger’s supponirtes Protoplasmagerüst ein con- stantes Volumen nicht hat. Durch die drei Einwände: 1. dass Hamburger die Dissociation der Salze vollkommen ausser Acht lässt, 2. dass er Kochsalzlösungen verwendet, für welche die rothen Blutscheiben nicht absolut undurchgängig sind, und 3. dass die berechneten Werthe mangelhaft übereinstimmen, erfahren Hamburger’s Erörterungen wesentliche Einschränkungen und die Zahlen- werthe können keinesfalls als richtig angesehen werden. Wie wichtig die Berücksichtigung der Dissociation der Salze ist, ergiebt sich beim Vergleich der Versuchsresultate bei Verwendung von Lösungen verschieden stark dissociirender Salze und Zuckerlösungen, bei welch’ letzteren der Einfluss der Dissociation und damit verbundene Aenderungen des os- motischen Druckes nicht störend wirken kann, da Zucker nicht dissocirt, der osmotische Druck der Concentration proportional bleibt. Ich wähle hierzu zwei veröffentlichte Versuche Nr. 28 u. 29.2 In Tabelle II steht in der 4. Spalte das Volumen der Blutscheiben, welches dieselben sowohl in einer bestimmten Zuckerlösung, deren Concentration in der 2. Spalte in gleicher Höhe steht, wie auch in einer bestimmten K,SO,-Lösung (bezw. NaCl-Lösung) haben, deren Ooncentration die 3. Spalte enthält. Spalte 6 u. 7 geben die aus Volumen und Concentration nach Hamburger berechneten Werthe vom Volumen des „Protoplasmagerüstes“ der Blutscheiben. Tabelle Il. 1 N, 3 4 ai 8 1 Zucker- K,S0,- Volumen Volumen des Protoplasmagerüstes yazı 23| , Bamis Dunn ger Blut, berechnet | der Zucker- der K,S0,- Proc. grm Proe, grm körperchen aus lösung lösung a 7:01 1-31 59-2 a und b 24-0 65.9 b 7:69 1.57 56-1 Br 23-4 49-8 C 8-21 1:74 54-0 El 22-4 35.9 d 8-55 1-83 52-6 Bone 19:00 70273257 ee 9:40 2.13 49:0 Wo © 22-7 | 34-4 dal 21-2 31-4 bir sshile 17.0 29-1 Bd 19-0 25-5 CHSSIRE 14»5 26-7 dk, ste 128 ae Mittel | 19-6 35-8 ! Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg. 8. 175. VOLUMENSÄNDERUNGEN ROTHER BLUTSCHEIBEN IN SALZLÖSUNGEN. 509 Tabelle II. (Fortsetzung.) 1 2 3 a RER, Zucker- NaCl- Volumen Volumen des Protoplasmagerüstes Vers. 28 lösung Lösung der Blut- net der Zucker- | der Nall- Proc. grm Proe. grm körperchen aus lösung | Lösung a 6-84 0-608 58-6 a und b 30-8 38-4 b 7-69 0-719 55-5 BL 30-0 37-4 c T-8 0-73 55-1 | 28-0 34-3 d 8-55 0-813 52-5 De 28-9 32.2 e 9-40 0-877 50-5 ba EC 23-3 29-1 be. .d 25-2 29-5 busen 7280 27-8 CA 25-4 29-6 Gere 28-3 27-6 dem re 30-8 25-1 Mittel 27-9 31-1 Aus Tabelle II geht deutlich hervor: 1. Die nach Hamburger be- rechneten Werthe des Volumens vom Protoplasmagerüste der rothen Blutscheiben sind verschieden, je nach den verschiedenen Salzen, welche zur Bereitung der verschieden concentrirten Lösungen verwendet wurden. 2. Das Volumen des Protoplasmagerüstes ist in Zuckerlösung kleiner als in Salzlösungen, in denen doch die Blutscheiben das gleiche Volumen haben wie in den Zuckerlösungen. 3. Der Unterschied des Volumens des Protoplasmagerüstes in den K,SO,-Lösungen gegen das in Zuckerlösungen ist grösser als der Unterschied des Volumens in NaCl-Lösungen gegen die Zuckerlösungen. K,SO, dissocirt stärker als NaCl. Der Einfluss der Dissociation sei an einem Beispiel ausführlicher dar- gelegt: In der Kochsalzlösung von 0-813 Procent haben die Blutscheiben dasselbe Volumen (52:5) wie in der Zuckerlösung von 8-55 Procent, in der NaCl-Lösung von 0.608 Procent dasselbe Volumen 58-6 wie in der Zuckerlösung von 6-84 Procent. Die Zunahme des Volumens der Blut- scheiben ist bei beiden Lösungen die gleiche, dagegen der Abfall der Concentration der Lösungen ist verschieden: Der Abfall der Concen- tration der NaCl-Lösung von 0-813 Procent auf 0-608 Procent beträgt 25 Procent, der Abfall der Concentration bei Zuckerlösungen von 8-55 auf 6-84 Procent beträgt nur 20 Procent. Gleichwohl ist der Abfall der Concentration der Moleküle der gleiche in der Kochsalzlösung wie in der Zuckerlösung, denn der stärkere Abfall der NaCl-Lösung ist nur scheinbar, da eben durch Dissociation eine Vermehrung der Moleküle bei der Verdünnung eintritt und dadurch der Concentrationsunterschied (in 510 Hans KoEPpPE: Gramm Procent) zwischen Kochsalzlösung gegen die Zuckerlösung ausgeglichen wird. Die gleiche Ueberlegung gilt auch für die K,SO,-Lösungen und Lösungen anderer Salze, die dissociren. Aus diesen Gründen können Hamburger’s Zahlen nicht als die richtigen Werthe für das Volumen der Gerüstsubstanz rother Blutscheiben angesehen werden, und es stimmt nicht, wenn Hamburger sagt: „In der quantitativen Bestimmung der Quellung und Schrumpfung der Zellen unter dem Einfluss von NaÜl-Lösungen verschiedener Concentrationen oder von mit diversen Wassermengen verdünntem Serum hat man ein Mittel, um ‚das procentische Verhältniss zwischen den beiden Zellenbestandtheilen (Gerüst und intracelluläre Flüssigkeit) festzustellen.“ Lösungen von Salzen, die dissociiren, könnten überhaupt nur zu den besprochenen Versuchen und Rechnungen benutzt werden, wenn hierbei der für die jeweilige Concentration der Lösung gehörige Dissociationscoöfficient (mit welchem die Concentration multiplieirt werden muss) berücksichtigt wird. Bei Verwendung von Zuckerlösungen fällt diese Forderung weg, da bei diesen für alle Concentrationen der Dissociationscoöfficient ©—= 1 ist. Bei den Zuckerlösungen hatten wir im obigen Beispiel beim Fall der Concentration von 8-55 auf 6-34 Procent eine Abnahme von 20 Procent, das Volumen der Körperchen dagegen hatte in diesen Lösungen von 52-5 auf 58-6 nur eine Zunahme von 11-6 Procent erfahren. Diese von Hamburger als Ausgangspunkt genommene Thatsache, welche, wie schon erwähnt, schon früher beobachtet wurde, bleibt also übrig; und sie ist von neuem an der Hand anderer Versuche mit Vermeidung der gegen Ham- burger’s Erörterungen erhobenen Einwände zu besprechen. IT. Warum ist die Volumensänderung rother Blutscheiben in ver- schieden concentrirten Lösungen der Concentrationsänderung nicht proportional? Die Volumensänderung rother Blutkörperchen in verschiedenen Lösungen zeigte ein vollkommen gesetzmässiges Verhalten: das Volumen war abhängig von der Concentration der Lösung, in welche die Blutscheiben versetzt wurden; in Lösungen von gleicher Concentration der Molecüle, also in Lösungen gleichen osmotischen Druckes hatten die Blutkörperchen das gleiche Volumen, in Lösungen geringeren osmotischen Druckes ein grösseres Volumen, in solchen erhöhten osmotischen Druckes ein kleineres Volumen. Durchgängig zeigte sich aber weiter, dass die Volumensänderung der Blutscheiben nicht der Concentrationsänderung proportional VOLUMENSÄNDERUNGEN ROTHER BLUTSCHEIBEN IN SALZLÖSUNGEN. 511 war. Diese Beobachtung an sich, absolut genommen, widerspricht den Gesetzen des osmotischen Druckes; es fragt sich, ob hierin eine Abweichung von unserer bisherigen Annahme zu sehen ist, dass das Volumen der rothen Blutscheiben vom osmotischen Druck der dieselben umgebenden Lösung abhängig ist, oder ob hier Einflüsse in’s Spiel kommen, welche den Gesetzen des osmotischen Druckes nicht unterliegen, aber doch die Versuchsresultate modifieiren. Sehen wir zuerst zu, inwiefern diese Beobachtung, dass die Volumens- änderung nicht proportional der Concentrationsänderung erfolgt, den Ge- setzen des osmotischen Druckes widerspricht. Wie müsste es denn sein, wenn die Volumenänderungen allein nach den Gesetzen des osmotischen Druckes erfolgen würden? Von den rothen Blutkörperchen hatten wir angenommen, dass ihre Wand undurchgängig ist für die Salze in den Körperchen. Die Salze in den Körperchen sind in Folge des Wassergehaltes der Körperchen gelöst, der Inhalt der Blutscheiben demnach eine wässerige Lösung, umgeben von einer halbdurchlässigen Wand, von welcher wir uns vorläufig keine physi- kalische Vorstellung zu machen brauchen, die wir also auch ohne Dicke, volumenlos uns vorstellen können; dadurch wird das Volumen des Inhalts der Körperchen mit dem Volumen der Körperchen selbst gleich gesetzt. Lässt nun die „Wand‘ keine osmotisch wirksamen Molecüle aus den Körperchen hinaus und erfährt die absolute Zahl dieser Molecüle keine Aenderung, so muss nothwendiger Weise auch die Gesammtenergie O, der osmotische Druck des Zelleninhaltes, derselbe bleiben. Der osmotische Druck als Volumensenergie setzt sich zusammen aus den Factoren Druck (p) und Volumen (v), demnach ist O=p.v. Da der Druck bei constanter Temperatur der Concentration (c) proportional ist (entsprechend dem Gesetz von Boyle-Mariotte für die Gase), so ist auch O=c.v. Ist nun O, wie oben angenommen wurde, constant, so muss, bei Grösserwerden von c, » abnehmen und umgekehrt, ganz wie wir es in der That an den Blutkörperchen beobachteten. Da wir das Volumen des Inhaltes der Körperchen mit dem Volumen _ der Körperchen selbst identisch angenommen haben, so erhalten wir den Zahlenwerth für den Factor » direct aus den Messungen mit dem Häma- tokrit. Haben die Blutkörperchen in einer bestimmten Lösung das dieser Lösung entsprechende Volumen angenommen, ist also Gleichgewicht zwischen Inhalt und Umgebung der Blutscheiben in Bezug auf den osmotischen Druck eingetreten, d.h. drücken auf eine Flächeneinheit der Wand der Körperchen gleich viel Molecüle von aussen wie von innen, dann ist die Concentration der Molecüle innen die gleiche wie aussen, der Werth des Factors e ist die bekannte Concentration der verwendeten Lösung, in 512 Hans KorpPpE: welcher wir die Blutkörperchen centrifugirten. v und c sind also bekannt und wir können an unseren Versuchsresultaten prüfen, ob bei denselben die Forderung v.c = constans zutrifft. Selbstverständlich können hierzu nur die Versuche mit Zuckerlösungen herangezogen werden, bei denen in den verschiedenen Verdünnungen die Con- centration an osmotisch wirksamen Molecülen nicht durch Dissociation ver- ändert wird, die Concentration der Zuckerlösung in grm-Mol. also auch zugleich die Concentration der thatsächlich in der Lösung vorhandenen osmotisch wirksamen Moleeüle — Molen — angiebt. Die Versuchsanordnung ist in den oben erwähnten Arbeiten ausführlich besprochen. Von dem aus einer Stichwunde von dem Mittelfinger der linken Hand quellenden Blutstropfen wurden in 4 bis 8 Pipetten bestimmte Volumina Blut mit den Zuckerlösungen verschiedener Concentration gemischt und gleichzeitig und gleich lange centrifugirt. Versuch 1.! Pipette Nr. I I III IV V VI VII e= 0-175 0-2 0-225 0-25 0-275 0-3 0:325 grm-Mol.O/go v = 62.5 56°0 51.0 50:0 48.8 46:0 43-0 ce 10297 1127 11057701257 73-20 13285 At Versuch 2. Pipette Nr. I 181 II IV @ =... (el 0:-225 0-3 0-45 v = 68-0 51-5 43-9 37-7 c.v = 10-2 11-6 13-2 17-0 Versuch 3. Pipette Nr. I II III IV V VI VI VIU ce. —. 10.1125 20-157 210-875 10.222 770-.9255 1052572.0227098. 085 v =79:0 70-0 61-0 56-6 54-5 51-5 50-0 46-0 CO — I IE VEID 10777111322 12:82 712291857 13-8 Aus diesen Versuchen (25 an der Zahl) geht schlagend hervor, dass nicht wie wir erwarteten und unter den angegebenen Annahmen nach der Theorie zu verlangen war, das Product c.v ein constantes ist. Gleichwohl ebenso können die Versuche 1 bis 5 ebenda 8. 579 u.f., sowie die Versuche 22 bis 39 dies Archiv. 1895. Physiol, Abthlg. 8. 172 u.f. in diesem Sinne verwendet werden. Sie geben alle dasselbe Resultat. VOLUMENSÄNDERUNGEN ROTHER BLUTSCHEIBEN IN SALZLÖSUNGEN. 913 nicht verkennen. In sämmtlichen Versuchen wächst der Werth für c-v mit der Concentration. Diese in’s Auge fallende Gesetzmässigkeit lässt darauf schliessen, dass ein bestimmter einheitlicher Grund dafür vorhanden ist, dass unsere theoretischen Schlüsse sich mit dem Versuch nicht deeken. Wie können wir diesen Grund ausfindig machen? Unsere Annahme liegt in der Gleichung O= c.v = const. Die Ver- suche ergeben c.v nicht constant, also ist unsere Annahme in toto oder in einem oder dem anderen Punkte nicht stichhaltig. Die Inconstanz von O könnte dadurch bedingt sein, dass nicht, wie wir annahmen, die Zahl der in den Blutkörperchen enthaltenen Molen dieselbe bleibt. Eine Zunahme der Zahl der in den Blutkörperchen enthaltenen ge- lösten Molecüle kann durch Dissociation der Molecüle bedingt sein. Bringen wir Blutscheiben in Lösungen geringerer Concentration, so tritt eine Vo- lumensvergrösserung der Scheiben ein durch Wasseraufnahme. Durch diese sinkt die Concentration der Lösung in den Blutscheiben, damit wird eine stärkere Dissociation eintreten: die absolute Zahl der osmotisch wirksamen Molecüle im den Blutscheiben wächst mit der Erniedrigung der Concen- tration, folglich wird auch c.v nicht constant sein, sondern wachsen; statt dessen finden wir, dass c.v abnimmt. Der Widerspruch zwischen Theorie und Versuch ist also statt gehoben noch verschärft. Eine Abnahme der absoluten Zahl der Molen in den Blutscheiben liesse sich dadurch erklären, dass die „Wand“ der Blutscheiben zwar für die neutralen Molecüle undurchgängig sei, dagegen nicht für die durch Dissoeiation aus denselben entstehenden Ionen. Erfährt also ein Theil der Molecüle in den Blutkörperchen eine Spaltung und die Spaltungsproducte treten aus denselben durch die „Wand“ hindurch, üben also auf diese keinen Druck mehr aus, so muss sich in der That mit der Gesammtzahl der Molen auch der osmotische Druck in den Blutscheiben verringern, c.v muss mit zunehmender Verdünnung kleiner werden, wie die Versuche er- geben. Diese Erklärung liesse sich durch verschiedene Beobachtungen, z.B. - das Verhalten der Kohlensäure u. A. stützen, allein sie passt doch nur für die Vorgänge beim Quellen, nicht beim Schrumpfen der Blutscheiben. Es ist mit Sicherheit (den Beweis siehe weiter unten) anzunehmen, dass in den Blutscheiben, bei dem Volumen, welches sie im Plasma haben, alle Molecüle in neutraler Form vorhanden sind. Dringt nun Wasser in die Scheiben ein, so dissociiren eine Zahl neu- traler Molecüle, und wenn die Spaltungsproduete austreten können, so wird allerdings die Gesammtzahl der Molecüle in den Blutscheiben sinken, in diesem Falle also Theorie und Versuch in Einklang zu bringen sein. Entziehen Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 33 514 Hans KorpPpe: wir dagegen den Blutscheiben Wasser, so kann dadurch, wenn überhaupt eine Aenderung der Zahl, so nur eine Abnahme durch Ausfallen von Molecülen aus der Lösung oder Bildung von Molecülecomplexen eintreten, keinesfalls aber eine Zunahme, wie den Versuchen entsprechen würde. Die Inconstanz der für O erhaltenen Werthe kann aber zweitens be- dingt sein dadurch, dass die Annahme für den zweiten Factor, das Volumen v, nicht zutrifft, dass das mit dem Hämatokrit gemessene Volumen nicht mit dem Volumen des Zellinhaltes identisch ist. Dass unser mit dem Hämatokrit gemessenes » nicht das wirkliche ist, welches in die Gleichung gehört, dafür liesse sich mit Hamburger der Grund darin finden, dass durch den Hämatokrit in dem v auch das Volumen mit bestimmt wird, welches die „Wand“, die nicht, wie wir annahmen, volumenlos zu sein braucht, oder das „Protoplasmagerüst“ Hamburger’s einnimmt. Das wahre Volumen des osmotisch wirkenden Zellinhaltes wäre demnach nicht das mit dem Hämatokrit gemessene Volumen v, sondern ein anderes, um einen gewissen constanten Werth x (das Volumen der „Wand‘“) kleineres Volumen, so dass unsere (sleichung lauten muss O=(v - z)ce = const. Für zwei verschiedene Concentrationen c, und c, mit dem Volumen v, und v, muss dann die Beziehung bestehen ee -)a = —- 26%, also DE N Ge 6, 6 i Wenn x in der That constant ist, so müssen alle Werthe von x, die ' aus je zwei Volumenbestimmungen in zwei verschiedenen Concentrationen berechnet werden, übereinstimmen. Bei Versuch I müssen wir 21, bei Versuch 3 28 übereinstimmende Werthe für x erhalten. Versuch i. A a b e d e f g e.= 0'175 0-2 0-225 0-25 0.275 0-3 0:325 c.v =. 10-9 11-2 11-5 19225 13-4 13-8 14-0 me GR aus: «= aus: x = aus: = aus: a = aundb 10-5 bunde 11-0 eundd 41-0 dunde 36-8 ar HNONTEH) b „ d 26-0 GC „ren. 38-9) d 72265 a7,,.d272028 bern 6702956 Ca d. „2 2lge6 a0... 0.024.8 bon 12 2620 Ce 25 Be TE 76 a0 22 be 22102 ei, g 7-4 an 5, 202 f „8 7-0 a wi VOLUMENSÄNDERUNGEN ROTHER BLUTSCHEIBEN IN SALZLÖSUNGEN. 515 Versuch 2. a b Aue. EN d e f N E05 ar 30227 207225 2052507 08275: 72.093 BR 339 INSEL 11-3 12-3 12:97 013-7 13-8 ER U SCHE BENEIT G1-6% aus: = aus: = aus: = aus: = aundb 24-0 bunde 58-0 eundd 20.0 dunde 40-0 ae 16-0 bawrd216,70 On Bent dia BLENS2EN za. alkaal bDeezer 2A) ea 9 den..222 3220 a „ e 24-0 banal 24.0 Be de 2290 et ‚24:0 b „g 25-4 Ce 2A9 endet) Bo 1 25%0 bee 2,2220) I ee) e „.8£ 28-0 Beh 1122.53 RES) & 22 122200 Ss’ sch 4.0 Wir sehen, dass bei Bestimmung der Volumina in einer grossen Zahl von Lösungen die für x berechneten Werthe stark von einander abweichen und die von Hamburger behauptete Constanz, die schon bei Berechnung aller Werthe aus Hamburger’s eigenen Versuchen nicht mehr zutreffend war, mit Recht angezweifelt wurde. Wir sind meines Erachtens nicht be- rechtigt, die extremen Werthe bei dieser Berechnung auszuschliessen, und deshalb sind auch die Zahlen Hamburger’s für das Volumen der Gerüst- substanz der rothen Blutscheiben willkürliche und brauchen den wirklichen Verhältnissen nicht zu entsprechen. Wenn aber die Berechnung der Gerüstsubstanz x noch keine über- einstimmenden Resultate ergab, so ist damit noch nicht bewiesen, dass es nun in Wirklichkeit nicht doch ein Gerüst in den rothen Blutscheiben giebt, das ein constantes Volumen hat. Unsere Annahmen können ja von den wirklichen Verhältnissen abweichen, es kann in Wirklichkeit der osmotische Druck des Zellinhaltes nicht der gleiche bleiben, und das haben wir in einem Falle schon erkannt, nämlich wenn die Körperchen quellen. Die Molecüle in den rothen Blutscheiben sind neutrale, die Salze sind organisch gebunden; das geht daraus hervor, dass die rothen Blutscheiben _ den elektrischen Strom nicht leiten.‘ Bujarszky und Tangl bestimmten für centrifugirte, also von Serum isolirte Blutkörperchen vom Pferde die Leit- fähigkeit mit 1-62 bis2-44.10-® reciproke Ohm. Für zwei Proben einfach sedimentirte Pferdeblutkörperchen fand ich eine Leitfähigkeit 6-2 und 6-8.10-8. (Dieselben waren durch wiederholtes Gefrieren und Aufthauen lackfarben gemacht worden.) Die in meinen Versuchen gefundene bessere ! Bujarszky-Tangl, Centralblatt für Physiologie. 1897. 33* 516 Hans KorppE: Leitfähigkeit rührt vielleicht davon her, dass bei denselben sich etwas mehr Serum befand als zwischen den centrifugirten Blutscheiben in Bujarszky und Tangl’s Versuchen. Wurde dieser Blutkörperchenbrei mit der Leit- fähigkeit 6-8.10-® zur Hälfte mit destillirtem Wasser verdünnt (dessen Leitfähigkeit 0-048.10-® betrug), so hatte diese Lösung jetzt nicht die halbe Leitfähigkeit, sondern eine viel grössere, nämlich 17-28.10-®. Es muss also eine sehr erhebliche Dissociation stattgefunden haben. Ganz ebenso liegen die Verhältnisse, wenn wir Blutscheiben aus dem Plasına in weniger concentrirte Lösungen bringen, in welchen die Blutscheiben durch Wasseraufnahme quellen. Der Blutkörpercheninhalt wird also durch das Quellen ebenso verdünnt wie vorhin durch den Wasserzusatz und eben- so wird dadurch die Molecülzahl des Zellinhaltes durch Disso- ciation vergrössert, und damit auch der durch die Molecülzahl bedingte osmotische Druck. Es ist also von vornherein nicht statthaft, wie wir es thaten, O = const. zu setzen. Wenn aber diese Annahme fallen gelassen werden muss, so hat auch Hamburger’s Berechnung des supponirten Protoplasmagerüstes seine Grundlage verloren. Jetzt bleibt uns nur aus den Versuchen die schon im Anfang erwähnte beobachtete Thatsache übrig, dass die rothen Blutscheiben weder der Con- centrationsänderung proportional quellen, noch schrumpfen. Wollen wir unsere erste Annahme, dass die „Wand“ der Blutscheiben undurchgängig ist für die Molecüle des Inhaltes derselben, nicht fallen lassen, und wir haben gewichtige Beweise, dass die Annahme berechtigt ist, so müssen wir einen anderen Grund für die beobachteten Vorgänge zu finden suchen. Ver- suchen wir uns nochmals die Verhältnisse klar zu legen: Rothe Blutscheiben, deren Inhalt durch seine gelösten Molecüle einen bestimmten osmotischen Druck hat, haben ein durch denselben bestimmtes Volumen im Plasma. Bringen wir diese Zellen in eine Lösung von geringerer Concentration, als das Plasma ist, so erwarten wir, dass die Zellen durch Wasseraufnahme quellen, bis innen und aussen die gleiche Concentration ist und das Volumen sich im gleichen Verhältniss vergrössert. Diese proportionale Vergrösserung trifft nun nicht zu, sondern das Volumen entspricht einer höheren Con- centration innen. Der Druckunterschied zwischen innerem und äusserem Druck ist also nicht vollkommen ausgeglichen, es besteht eine gewisse andere Kraft in den Körperchen, welche der weiteren Ausdehnung sich ent- gegen setzt, also in der Richtung des Aussendruckes wirkt und dadurch Gleichgewicht herstellt. Diese Kraft könnte man in der Elasticität der Körperchen suchen. Ebenso liegen die Verhältnisse, wenn wir Blutscheiben in concentrirtere Lösungen bringen als das Plasma ist. Die Schrumpfung entspricht nicht der Öoncentrationsänderung; dieser entspricht ein kleineres Volumen; es ist, VOLUMENSÄNDERUNGEN ROTHER BLUTSCHEIBEN IN SALZLÖSUNGEN. HT als ob wieder ausser dem osmotischen Druck noch eine andere Kraft von innen her dem Zusammendrücken sich widersetzte, so dass also draussen ein grösserer osmotischer Druck nöthig ist, um dem Innendruck plus der unbekannten Kraft, welche dem Aussendruck noch entgegenwirkt, das Gleich- gewicht zu halten. Auch hier könnte in der Elastieität der Körperchen diese Kraft zu finden sein. Wie ein Kautschukball in Folge seiner elas- tischen Wandung bei gewöhnlichem Drucke seine Form behält und dem Zusammendrücken wie dem Aufblasen einen gewissen, wenn auch geringen Widerstand entgegensetzt, so dass zwar bei gewöhnlichem Luftdruck innen wie aussen der gleiche Druck herrscht, jedoch bei vermindertem wie auch erhöhtem Aussendruck trotz der Möglichkeit einer Volumensänderung doch ein vollkommener Ausgleich des Druckes aussen und innen nicht stattfindet, ebenso können wir uns die Verhältnisse bei den rothen Blutscheiben denken, deren Elastieität und Widerstandskraft gegen Formveränderungen durch mechanische Gewalt ja allbekannt sind. Natürlich kann diese Elasticität durch die „Wand“ oder das Protoplasmagerüst oder dergl., kurz durch einen gewissen festen, nicht gelösten, also demnach auch nicht osmotisch wirksamen Bestandtheil der rothen Blutscheiben bedingt sein. Dass jedoch die Berechnung des Volumens dieses Bestandtheiles nach Hamburger’s Vorschlag eine sehr problematische ist, dürfte aus den gegebenen Ueber- legsungen und Versuchen zur Genüge hervorgehen. Ueber den Fettgehalt der Drüsen im Hungerzustande und über seine Bedeutung. Von Prof. Dr. R. Nikolaides. (Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Athen.) (Hierzu Taf. V11l.) Vor einigen Jahren wurden von mir die unter meiner Leitung von Dr. Savas ausgeführten Untersuchungen über Fettgranula in den Pylorus- drüsen des Magens und in den Brunner’schen Drüsen mitgetheilt.! Nach diesen Untersuchungen findet sich während des Hungers eine grosse Menge von Fett in den genannten Drüsen. Je länger das Thier im Hunger- zustande bleibt, desto zahlreicher sind die Fettgranula, welche in den Drüsen- zellen immer in zwei Reihen geordnet sind, eine Reihe nimmt den Theil der Zelle ein, welcher gegen die Membrana propria der Drüse gewendet ist, eine andere Reihe findet sich in demjenigen Theile der Zelle, welcher gegen das Lumen des Acinus sieht. Bei weiterer Untersuchung mit derselben Methode, d. h. mit der Me- thode von Altmann, hat sich herausgestellt, dass während des Hungers auch in anderen Drüsen viel Fett zum Vorschein kommt. So haben wir viele kleine und grosse Fettgranula in den Leberzellen und in den Zellen der Gallenigänge gesehen (Taf. VIII, Fig. 1). Auch im Pankreas sieht man in den Secretionszellen, sowie in den Zellen der Ausführungsgänge kleine und grosse Fettgranula, welche letztere aus dem Zusammenfluss der kleinen Fettkörnchen sich zu bilden scheinen. In der Glandula submaxillaris kommen ebenfalls viele Fettgranula vor. Sie liegen in den Giannuzzi’schen Halb- ı R. Nikolaides, Ueber Fettgranula in den Pylorusdrüsen des Magens und in den Brunner’schen Drüsen. Centralblatt für Physiologie. 1895. Heft 7. u m m ne R. NIKOLAIDES: ÜBER DEN FETTGEHALT DER DRÜSEN. 519 monden, deren ganzer Körper von ihnen eingenommen ist, während die Schleimzellen fast ganz frei von Fettkörnchen sind (Taf. VIII, Fig. 2). In den Pylorusdrüsen des Magens sieht man viel Fett. Die Fettgranula sind hier vertheilt wie in den Drüsen des Duodenums (Taf. VIII, Fig. 3). In den Fundusdrüsen des Magens sind hauptsächlich die delomorphen Zellen, welche viele Fettgranula zeigen, dagegen in den Hauptzellen kommen wenige zum Vorschein. Im Hoden sieht man endlich auch zahlreiche Fettgranula sowohl in den Drüsenkanälchen wie in der Zwischensubstanz, welche in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit der Histologen in Anspruch genommen hat und in deren Zellen einige Autoren! Fett finden, welches zu der Sper- matogenese in Beziehung stehen soll, was aber von anderen bezweifelt wird? (Taf. VII, Fig. 4). Während nun in den Drüsen, welche im Hunger bekanntlich nur wenig oder gar nicht in Anspruch genommen werden, viel Fett auftritt, sieht man in den Organen, in welchen die grösste Arbeit stattfindet, kein Fett. So zeigen die Muskeln des im Hungerzustande befindlichen Thieres, dessen Drüsenzellen voll von Fettkörnchen sind, keine Fettgranula. In den Nervenzellen kommen ebenfalls keine Fettgranula vor. Die oben beschriebenen Erscheinungen von der Fettmetamorphose in den Drüsenzellen habe ich immer an Hunden beobachtet, welche ich an verschiedenen Hungertagen (am 2.—30.) getödtet habe. Hunde, welche nach langem Hunger bald früher, bald später, je nach dem Ernährungszustande, in welchem sie bei Beginn des Hungers sich befanden, dem Tode unter- liegen, zeigen in den Drüsen entweder gar nicht oder sehr wenig Fett. Statt dessen sieht man in den Drüsenzellen leere Räume. Dasselbe beob- achtet man an denjenigen Hunden, welche in den letzten Stunden des Lebens, wenn sie ganz mager und stark heruntergekommen sind, getödtet werden. Das sind die Thatsachen, welche man bei Hunden im Hunger beob- achtet. Es fragt sich jetzt, ob das Fett, welches in den Drüsen zum Vorschein kommt, von der Ablagerungsstelle, dem subeutanen Gewebe, in die Drüsen wandert oder in loco durch Verwandlung des Protoplasmas der Zellen in Fett sich bildet? Dass Fett beim Hunger aus der Ablagerungsstelle wandert, lässt sich - aus der unter Pflüger’s Leitung ausgeführten Arbeit von Schulz? schliessen, nach welcher das Fett des Blutes beim Hunger sich vermehrt. ! Plato, Zur Kenntniss der Anatomie und Physiologie der Geschlechtsorgane. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1897. Bd. L. ?2 Hans Beissner, Die Zwischensubstanz des Hodens und ihre Bedeutung. Ebenda. Bd. LI. S. 794. ® Fr. N. Schulz, Ueber den Fettgehalt des Blutes beim Hunger. Pflüger’s Archiv für die gesammie Physiologie. Bd. LXV. S. 299. 520 R. NIKOLAIDES: Aus dieser Vermehrung des Fettes schliesst Schulz, dass das Körperfett, durch dessen Oxydation der thierische Organismus im Hungerzustande, wie durch zahlreiche Untersuchungen bewiesen ist, den grössten Theil seines Bedarfes deckt, nicht an den Stellen verbraucht wird, wo es als Reservefett abgelagert ist, sondern in denjenigen Zellen, wo die Lebensvorgänge sich abspielen. In diese Organe wandert das Fett durch das kreisende Blut oder mittelbar durch die Lymphgefässe. Dieser Meinung Schulz’s zufolge könnte man also das Fett der Drüsen als von aussen (vom subcutanen Gewebe) in dieselben gewandertes und nicht in loco entstandenes Fett durch Umwandlung des Eiweisses des Protoplasmas der Drüsenzellen in Fett ansehen. Aber es fragt sich, warum das Fett beim Hunger nur in den Drüsen erscheint und nicht auch in den anderen Organen, z. B. in den Muskeln? Diese Frage könnte man folgender Weise beantworten. Das Fett im Hunger wandert aus dem subcutanen Gewebe in alle Organe, aber während es in den Muskeln zerstört wird, bleibt es in den Drüsen, da es dort nichts nützt. Aus diesem Grunde finden wir in den Drüsen Fett und in den Muskeln nicht. Mit dieser Erklärung stimmt auch die Thatsache überein, nach welcher die Organe, in welchen die grösste Arbeit stattfindet, die ge- ringsten Verluste an Substanz erleiden, weil diese Organe ihre Arbeit nicht auf Kosten ihrer eigenen Substanz ausführen, sondern auf Kosten der übrigen Organe. Ihre Ernährung leidet weniger und sie nehmen daher wenig an Gewicht ab. In den Muskeln also finden wir kein Fett, weil es von denselben zu ihren Leistungen benutzt wird. Doch bin ich der Meinung, dass das Fett, welches in den Drüsen vor- kommt, nicht aus dem subceutanen Gewebe in die Drüsen wan- dert, sondern in den Drüsen selbst produeirt wird durch Ver- wandlung des Eiweisses des Protoplasmas in Fett und aus den Drüsen ebenso wie aus dem subcutanen Gewebe in die Organe wandert, in welchen die Lebensprocesse sich abspielen. Die Gründe, auf welche sich meine Meinung stützt, sind kurz folgende: Erstens: Die Fettgranula haben in einigen Drüsen, wie ganz besonders in den Drüsen des Duodenums und in denjenigen des Pylorus des Magens eine ganz bestimmte Ordnung, sie sind nämlich in zwei Reihen vertheilt, deren eine gegen das Lumen und die andere gegen die Membrana propria des Acinus sieht (Taf. VIII, Fig. 3). Eine solche stets nach derselben Weise auftretende Ordnung der Fettgranula spricht gegen die Meinung, dass das Fett im Hunger von ausserhalb in die Drüsen wandert. Im Gegentheil, diese typische Vertheilung der Fettgranula im Körper der Zellen spricht | dafür, dass die Fettgranula aus Bestandtheilen des Protoplasmas der Drüsen- zellen produeirt werden. ÜBER DEN FETTGEHALT DER DRÜsEn. 521 Zweitens: Die Fettgranula kommen in einigen Drüsen, welche zwei Arten von Zellen, Eiweiss- und Schleimzellen enthalten, wie die Glandula submaxillaris des Hundes, nur in den Eiweisszellen zum Vorschein. In der Glandula submaxillaris des Hundes ist im Hunger der Körper der Giannuzzi’schen Zellen voll von Fettkörnchen. Wenn die Fettgranula in die Giannuzzi’schen Zellen von aussen wandern, kann man nicht be- greifen, warum die Fettgranula nur in die Giannuzzi’schen Zellen wandern und nicht auch in die anderen Zellen der Drüse. Wenn man aber annimmt, dass das Fett in loco entsteht, so ist die Sache ganz be- greiflich. Das Fett entsteht in loco durch Verwandlung des Eiweisses in Fett. Da nur die Giannuzzi’schen Zellen Eiweisszellen sind, so entsteht das Fett nur in diesen. Drittens: An den Thieren, welche in Folge von lange dauerndem Hunger aus Erschöpfung zu Grunde gehen, bemerkt man gar nicht oder sehr wenig Fett in den Drüsenzellen, statt dessen sieht man sehr viele leere Räume. Aus diesem Befunde schliessen wir, dass das in den Drüsenzellen entstandene Fett aus diesen ebenso wie aus dem subeutanen Gewebe in die Organe wandert, wo die Lebensprocesse sich abspielen. Wenn wir annehmen, dass das Fett der Drüsenzellen aus dem subcutanen Gewebe in dieselben wandert, dann müssen wir die Drüsen für die erste Station halten, aus welcher nachträglich das Fett in die Organe, in welchen es nützlich ist, wandert. Das ist aber durchaus nicht plausibel. Aus diesen Gründen nehmen wir an, dass das Fett, welches in den Drüsen im Hunger sich findet, nicht aus dem subcutanen Gewebe in die- selben wandert, sondern in loco entsteht durch Verwandlung des Eiweisses in Fett und aus den Drüsen im Bedarfsfalle von dem Blute oder mittelbar von den Lymphgefässen aufgenommen und in die Organe transportirt wird, in welchen im Hunger die grösste Arbeit stattfindet. Neben den anderen Thatsachen,! welche dafür sprechen, dass Fett aus Eiweiss entsteht, ist auch die Thatsache des Fettes, welches in den Drüsen des Hundes im Hungerzustande stets erscheint. Die Bedeutung des Fettes der Drüsenzellen beim Hunger ist nun klar. Im Zellenstaate, wie einen solchen der Organismus darstellt, opfern einige Zellen, welche geringe oder keine Bedeutung haben, ihren Körper dem ! Vergl. die Arbeit von O. Polimanti, Ueber die Bildung von Fett im Organismus nach Phosphorvergiftung. Pflüger’s Archiv. Bd. LXX. 8.349. — Vergl. auch die Arbeit von M. Cremer, welche in Voit’s Laboratorium ausgeführt ist und welche von Pflüger in seinem Aufsatze „Neue Begründung der Lehre von der Entstehung des Fettes aus Eiweiss“ beurtheilt wird. Pflüger’s Archiv. Bd. LXVII. S. 176. 522 R. NIKOLAIDES: Wohle der Zellen, welche für den ganzen Organismus arbeiten. Im Zellen- staate des zusammengesetzten Organismus zerstören während des Hungers die Drüsenzellen, welche geringe oder keine Function haben, ihren Körper, indem sie ihr Eiweiss in Fett verwandeln, welches nachträglich aus den Drüsen, wie das Fett aus dem Panniculus adiposus, in die Organe wandert, welche dessen bedürfen und welche für das Leben des ganzen Organismus arbeiten. So haben wir das Beispiel des Opfers einiger Mitglieder des Staates für die Existenz des Gesammtorganismus. Beim Hunger arbeiten also die Organe, deren Thätigkeit für die Er- haltung des Lebens vor Allem maassgebend ist, auf Kosten der übrigen Organe. So erklärt sich, warum ihr Nahrungszustand weniger leidet und warum sie daher verhältnissmässig wenig an Gewicht abnehmen. Für diese Auffassung existiren gewisse sehr interessante Erfahrungen. Erwin Voit! fütterte Tauben mit kalkarmem aber sonst genügendem Futter. Die Ver- suchsthiere befanden sich sehr gut dabei und wurden nach einiger Zeit getödtet. Die Section ergab, dass diejenigen Knochen, welche bei den Bewegungen der Thiere benutzt wurden, normal waren und kaum an Ge- wicht verloren hatten, während dagegen andere Knochen, welche minder thätig bei den Bewegungen waren, wie z. B. das Brustbein und der Schädel, spröde und zum Theil sogar durchlöchert waren. Da die Kost die zum Unterhalt der Knochen nöthige Kalkmasse nicht enthielt, wurde Kalk von den ruhenden an die thätigen Knochen abgegeben. Nicht weniger interessant sind Miescher’s Untersuchungen am Rheinlachs.” Dieser kommt in dem besten Nahrungszustande aus dem Meere, lebt dann aber 6 bis 7 Monate lang im süssen Wasser, ohne irgend welche Nahrung zu geniessen. Wäh- rend dieser Zeit magert er natürlich ungeheuer ab, seine Muskelmasse verschwindet in hohem Grade, aber die Geschlechtsorgane, Hoden und Eier- stock, werden zu einem enormen Umfang auf Kosten der abnehmenden Rumfpmuskeln entwickelt. Diese Beispiele sprechen deutlich dafür, dass im Nothfalle im Zellen- staate Nährstoffe von den ruhenden zu den thätigen Organen abgegeben werden. Die Verwandlung des Eiweisses der Drüsen in Fett und die nach- trägliche Zerstörung des Fettes im Organismus erklärt eine andere That- sache. Bekanntlich sind an dem Gewichtsverluste des Körpers die verschie- denen Organe in ganz verschiedenem Maasse betheiligt. Während die Zellen 1 C. Voit, Stoffwechsel und Ernährung. Hermann’s Handbuch der Physiologie. Ba. VI. 1. 8. 98. ?2 Miescher, Schweizer. Litteratursammlung zur internationalen Fischerei-Aus- stellung in Berlin 1890. Citirt von C. Voit in Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. VI. 1. S. 98, ÜBER DEN FETTGEHALT DER DRÜSsEN. 523 mancher Gewebe sehr schnell und in hohem Grade beeinträchtigt werden, erleiden diejenigen anderer Gewebe nur geringfügige Veränderungen. Diese Verschiedenheit der Gewichtsabnahme der einzelnen Zellenarten beruht nicht einfach auf einer verschieden schnellen Abnahme jeder Zellengattung durch die Entziehung der Zufuhr von Nährstoffen. Vielmehr sind wir mit Luciani! der Ansicht, dass unter den verschiedenen Gewebezellen ein Kampf um die Nahrung in der Weise besteht, dass die einen, deren Thätigkeit für die Erhaltung des Lebens vor Allem maassgebend ist, die im Körper vorhandenen Reservestoffe gieriger an sich reissen als die anderen, welche nicht thätig beim Hunger sind und schliesslich nach Verbrauch der Reservestoffe sich auch das Stoffmaterial der anderen selbst aneignen, um ihren Stoffwechsel zu unterhalten. Wie dies alles im Innersten sich verhält, wissen wir nicht, es ist, aber gewiss, dass den grössten — über 90 Procent — Verlust. beim Hunger das Fettgewebe erleidet, darnach den grössten — über 50 bis 70 Procent — die Drüsen. Die grosse Fettmetamorphose der Drüsenzellen und der nach- trägliche Verbrauch des entstandenen Fettes im Stoffwechsel erklärt ge- nügend die Thatsache, nach welcher die Drüsen nach dem Fettgewebe den grössten Verlust beim Hunger erleiden. ! Luciani, Das Hungern. Studien und Experimente am Menschen. Deutsch von M. OÖ. Fränkel. 1890. 524 R. NIKOLAIDES: ÜBER DEN FETTGEHALT DER DRüsEn. Erklärung der Abbildungen. (Taf. VIIL) Fig. 1. Ein grosser Gallengang, in dessen Zellen viele Fettgranula enthalten und welche in zwei Reihen geordnet sind. Fig. 2. Glandula submaxillaris. Die Fettgranula liegen nur in den Giannuzzi’- schen Zellen. Fig. 3. Brunner’sche Drüsen, in deren Zellen die zahlreichen Fettgranula in zwei Reihen vertheilt sind. - Fig. 4. Hoden, in dessen Samencanälchen, sowie in dem zwischen den Samen- canälchen liegenden Gewebe man viel Fett sieht. Ueber die Wirkung einer gleichzeitigen Reizung beider Vagusnerven auf das Athmungscentrum. Von Boris Birukofi. (Aus dem physiologischen Laboratorium der Kaiserlichen Universität zu St. Petersburg.) I. Die Untersuchung des Einflusses des Vagusnerven auf das Athmungs- centrum nahm immer bei Studien über Innervation der Athmung die erste Stelle ein. Trotz der vielen Arbeiten, welche in dieser Richtung ausgeführt worden sind, ist die Frage bis jetzt noch nicht endgültig entschieden, welchen Antheil diese Nerven an der Bildung des Athmungsrhythmus nehmen. Rosenthal,! einer der frühesten Forscher auf diesem Gebiete, glaubte, dass im Vagusstamme nur Inspirationsfasern vorhanden seien. Dagegen behauptete die Mehrzahl der übrigen Autoren, dass im Stamme dieses Nerven zweierlei Fasern vorkommen: Inspirations- und Exspirations- fasern. Auf dieser Annahme bauten Hering und Breuer,’ wie bekannt, eine Theorie der Selbstregulirung der Athmung auf, nach welcher bei jeder Inspiration in den Lungen die Endigungen der Exspirationsfasern, bei jeder Exspiration die Endigungen der Inspirationsfasern des Vagus gereizt werden. Weiterhin glaubt Fredericq,? dass bei elektrischer Reizung des Vagus die Thätigkeit der Inspirationsfasern gewöhnlich die Thätigkeit der Exspirationsfasern maskirt, da die letzten nach seiner Annahme weniger stark und zahlreich sind. Umgekehrt herrscht, nach der Meinung des genannten Autors, bei starker, durch Chloralhydrat. hervorgerufener Nar- kose die Thätigkeit der Exspirationsfasern vor. Endlich nehmen die neuesten ! Rosenthal, Physiologie der Athembewegungen und der Innervation derselben. Hermann’s Handbuch der Physiologie. 1882. Bd. IV. ?2 Breuer, Die Selbststeuerung der Athmung durch den Nervus vagus. Silzungs- berichte der Wiener Akademie. 1868. Bd. LVII. ® Frederieg, Experiences sur l’innervation respiratoire. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abthlg. Suppl. 8.51. 526 Borıs BIRUKOFF: Autoren (Boruttau,! Lewandowsky?) an, dass im Vagusstamme nur eine Art Fasern vorhanden sei, deren Reizung unter einen Bedingungen In- spirations-, unter anderen Exspirationserscheinungen hervorrufe. 10€ Ich stellte mir zur Aufgabe, den Einfluss einer gleichzeitigen Reizung beider Vagusnerven auf das Athmungscentrum zu untersuchen. In dieser Richtung waren, so weit mir bekannt ist, noch keine Arbeiten erschienen. Zu meinen Experimenten dienten mir Katzen. Die Thiere wurden schwach mit Chloralhydrat narkotisirt (in die Jugularvene wurden 2 bis 4 “= der Lösung injieirt). Beide Vagusnerven wurden am Halse präparirt, durch- schnitten und ihre centralen Enden mit Inductionsströmen gereizt. Der NÄANNAASIRARNSNSINIINNNNIINNISH Fig. 1. Beschleunigung der Athmung in dem Niveau der Exspiration.® Strom wurde ungefähr 100 Mal in der Secunde unterbrochen (Halske’scher Hammer). Zur Reizung dienten Platinelektroden, welche in eine besondere T-förmige Glasröhre eingeschlossen waren. Der Nerv wurde durch das obere Knie dieser Röhre durch die Oesen der Elektroden gezogen und die Oeffnungen durch kleine Pfropfen verschlossen. Dank diesem Umstande traten sogar bei sehr starken Strömen nie Stromschleifen auf. Die Athmungs- ! Boruttau, Untersuchungen über den Lungenvagus. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LXI. — Derselbe, Weitere Erfahrungen des N. vagus zur Athmung und Ver- dauung. Ebenda. 1896. Bd. LXV. ”-Lewandowsky, Die Regulirung der Athmung. Dies Archiv. 1896. Physiol. Abthlg. 8.195 u. 483. 3 Alle Zeichnungen sind von links nach rechts zu lesen. Y Inspiration. A Ex- spiration. Die Hebung der oberen Linie bedeutet den Beginn der Reizung des linken Vagus, die Hebung der mittleren Linie den Beginn der Reizung des rechten Vagus. Die untere Linie zeigt die Zeit in Seeunden. Die Zahlen bei den Linien zeigen die Entfernung (in Centimetern) der zweiten Spirale des du Bois-Reymond’schen In- duetionsapparates von der ersten, wenn diese mit 2 Daniell’schen Elementen ver- bunden war. — Beide Vagi durchschnitten. WIRKUNG EINER REIZUNG BEIDER VAGUSNERVEN. 527 bewegungen wurden mittels der Druckveränderungen in dem Pleuralraum aufgeschrieben. In den Oesophagus wurde eine Glasröhre geschoben, welche durch einen Gummischlauch mit einem luftgefüllten Re- servoir verbunden war. Von diesem letzteren ging ein anderer Gummischlauch zu einer Marey’schen Kapsel hin, deren Hebel Aufzeich- nungen auf einem Baltzar’- schen Cylinder machte. Die Oeffnung des Reservoirs ver- Teheran mn mennen geleert mes Fig. 2. Stillstand im Stadium der Exspiration. grössernd und verkleinernd, konnte man die Schwankungen des Hebels gleichfalls vergrössern und verkleinern. Die Kapsel wurde so aufgestellt, dass die Exspiration nach oben, die Inspiration nach unten an- gemerkt wurde. An einem oder dem anderen Vagus(wasgleich- gültig ist) waren bei verschie- dener Stromstärke folgende Erscheinungen zu bemerken: A. Schwache Ströme (bei welchen der erste Effect am Nerven zu bemerken ist) er- zeugen eine Beschleunigung % FAN An aan nSsınnanhin An Omen Fig. 3. Beschleunigung der Athmung im Niveau der Inspiration. der Athmung in dem Niveau der Exspiration (Fig. 1) und bei schwacher Verstärkung einen Stillstand im Stadium der Exspiration (Fig. 2). 20 SI IT STEIN ne NE EEE INNERN Fig. 4. Stillstand im Stadium der Inspiration. B. Ströme mittlerer Stärke beschleunigen die Athmung im Niveau der Inspiration (Fig. 3). 528 -uomeudsxq Top wnıpegg wı purgspmg arspu® op pun uoryerdsuy ‘ -uorgeardsup Jop wmıpegg wu pwegsyg yoT]Sog 19p NeeAIN mm Zunmmgy dep ZunStunajgosag auto Jop :uASurLIqIoAIag 9999,M oyorajsun ayfpM ‘u9sunziey IHIHMZ UOIBUTAUO,) Borıs BIRUKOFF: C. Starke Ströme rufen einen Stillstand im Stadium der Inspiration "SI | i ' e | L 2 @ Ä | i | i SEITE e\ KrimaMmemmmnmmT hervor (Fig. 4). Alle diese Effecte werden nur kurze Zeit nach Beginn der Reizung erzielt (nur einige Secunden); bei fortgesetzter Reizung geht die Athmung allmählich in die normale über. Bei gleichzeitiger Reizung beider Vagus- nerven konnte man entweder zwei Reizungen combiniren, von welchen jede denselben Effect wie die andere hervorrief (Exspiration oder Inspiration), oder zwei Reizungen, welche ungleiche Effecte hervorbringen (der eine Ex- spiration, der andere Inspiration). Im ersten Falle ruft die Hinzufügung der zweiten Rei- zung in gleicher Richtung den Effect der einen Reizung hervor, wobei immer zwei gleichnamige Verstärkungen vereint den Still- stand der Athmung in derselben Athmungs- phase verursachen. So geht z. B. die bei Reizung eines Nerven erzielte Beschleuni- gung im Niveau der Exspiration nach der Hinzufügung der Reizung des zweiten Ner- ven, der eine ebensolche Beschleunigung im Niveau der Exspiration hervorruft, in einen exspiratorischen Stillstand über. Ferner ist, ‘bei Combination zweier Reizungen, von wel- chen jede einen gleichnamigen Stillstand hervorruft, der Stillstand anhaltender, als bei Wirkung nur einer Reizung. Viel inter- essanter sind die Erscheinungen, die wir im zweiten Falle beobachten, wenn zwei Reizungen combinirt werden, welche keinen gleichnamigen Einfluss auf die Athmung hervorrufen. Dabei schwächt immer die eine Exspiration hervorrufende Reizung bei Sum- mirung mit einer anderen Inspiration er- zeugenden den letzteren. Effect nicht ab, sondern verstärkt ihn im Gegentheil. So erhalten wir, wenn wir zur Reizung, welche eine Beschleunigung im Niveau der Inspi- ration hervorruft, eine Reizung hinzufügen, WIRKUNG EINER REIZUNG BEIDER VAGUSNERVEN. 529 welche einen Stillstand im Stadium der Exspiration erzeugt, sogleich einen Stillstand im Stadium der Inspiration und keinen zwischen diesen beiden Thätigkeiten liegenden mittleren Effect (Fig. 5). Wenn wir gleichfalls zu einer Reizung, welche einen Stillstand im Stadium der Exspiration hervor- ruft, eine Reizung hinzufügen, welche eine Beschleunigung im Niveau der Inspiration erzeugt, so erhalten wir sogleich einen Stillstand im Stadium der Inspiration. Il. Indem ich mich enthalte, alle die Erscheinungen zu erklären, welche wir bei Reizung des centralen Endes der Vagusnerven beobachten, führe ich meine Experimente hauptsächlich an, um die Aufmerksamkeit der Forscher im Gebiete der Athmung auf ein ganzes Gebiet unerforschter Erscheinungen zu lenken, welche wir bei gleichzeitiger Reizung beider Vagusnerven erhalten. Wir können ja nur bei vollem und allseitigem Studium der Innervation der Athmung die Frage lösen, wie der Vagus normal auf die Athmung wirkt und welcher Art Fasern in seinem Stamme vorhanden sind. In dieser Beziehung geben die Experimente über gleich- zeitige Reizung beider Vagusnerven die Möglichkeit, näher an die Frage heranzutreten, ob im Vagusstamme zweierlei Fasern (Inspirations- und Ex- spirationsfasern) vorhanden sind, oder nur eine Art Fasern. Ist die von der Mehrzahl angenommene Behauptung, dass im Vagusstamme zweierlei Fasern vorhanden sind, richtig, so müssen wir bei Summirung zweier Reizungen, welche ungleiche Effeete im rechten und linken Vagus hervor- rufen, einen mittleren Effect zwischen diesen beiden Erscheinungen erwarten (die Athmungsbewegungen wurden, wie erwähnt, nach den Druckver- änderungen in dem Pleuralraum angeschrieben). Statt dessen erhalten wir (siehe Fig 5) bei Combination zweier, entgegengesetzte Effecte hervor- rufender Reizungen (Inspiration bei Reizung eines Vagus und Exspiration bei Reizung des anderen) eine Verstärkung einer Thätigkeit (immer der Inspiration). Dieses weist darauf hin, dass im Centrum selbst, in welchem sich die Fasern des Vagus hinziehen, unbekannte Ursachen liegen, welche - bei elektrischer Reizung des Nerven bald die Erscheinung exspiratorischer, bald inspiratorischer Effeete hervorrufen. Mit anderen Worten: es befinden sich im Vagusstamme nur Fasern einer Art, welche indifferent die Reizung zum Centrum leiten, wo die Ursachen gebildet werden, welche zur Hervor- rufung des einen oder anderen Effectes nöthig sind. Wie erklären wir nun aber, warum schwache Ströme bei Reizung der centralen Enden des Vagus Exspiration, stärkere Ströme Inspiration hervorrufen? Darauf kann man für’s erste, wie es mir scheint, nur durch die folgende Annahme antworten, welche nicht die Prätension hat Alles, was die Innervation der Athmung Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 34 530 Borıs BIRUKOFF: WIRKUNG EINER REIZUNG BEIDER VAGUSNERVEN. betrifft, zu erklären und als Hypothese zu gelten. Vielleicht gehen die Fasern des Vagus zu einem besonderen, die Athmung zurückhaltenden Centrum, welches unter normalen Bedingungen und bei Reizung durch schwache Ströme die Thätiekeit des Inspirationscentrums hemmt, aber bei starken Strömen gelähmt ist und die Fähigkeit der Einwirkung aufs In- spirationscentrum verliert, wodurch das letztere seine volle Thätigkeit ent- falten kann. Eine solche Annahme scheint um so wahrscheinlicher, da einige andere Forscher (Gad,! Lewandowsky?) auf Grund ihrer Experi- mente zu dem Schlusse gelangen, dass der Vagus normal die Thätigkeit des Inspirationscentrums hemmt, dasselbe von der Hervorrufung nutzloser tiefer Athemzüge abhaltend. Nachsechrift. Soeben lese ich im 73. Bande von Pflügers Archiv die interessante Arbeit von Lewandowsky: „Ueber die Schwankungen des Vagusstromes bei Volumänderungen der Lunge“, in welcher er nach einer anderen Methode ls ich mit Sicherheit nachweist, dass im Vagusstamme sich nur Fasern einer Art befinden. Meine Arbeit war schon im März 1895 beendet und am 25. April der Kaiserlichen St. Petersburger Naturforschergesellschaft vorgetragen,? verliess aber erst Ende 1898 die Presse.* ! Gad, Die Regulirung der normalen Athmung. Dies Archiv. 1880. Physiol. Abthlg. 8.1. ® Lewandowsky, Die Regulirung der Athmung. Kbenda. 1896. Physiol. Abthlg. 8.195 u. 483. 3 Siehe Compt. rend d. Seances. 1898. Nr. 5. * Travaus de la Soc. imper. des Naturalistes de St. Petersburg. 1898. Vol. XXIX. livr. 1. pag..204. Ueber das Verhalten des thierischen Organismus gegen fremdes Blutserum. Von H.Friedenthal und M. Lewandowsky in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Zahlreiche, nicht nur am Thier, sondern auch am Menschen angestellte Versuche haben die Thatsache sichergestellt, dass der thierische Organismus auf die intravenöse Einverleibung von fremdem Blut, d. h. von Blut einer anderen Species, mit einer Reaction antwortet, welche zur baldigen Zer- störung der eingeführten Blutkörperchen führt, wenn nicht der Tod direct durch Embolie, Herzlähmung oder Athemstörungen bedingt wird. _ Zweifelhaft dagegen ist noch immer das Schicksal fremden Blutserums, das, frei von allen körperlichen Bestandtheilen, in erheblicher Menge in die Gefässbahn eingeführt wird. In Bezug auf diese Frage haben die Ex- perimente verschiedener Forscher zu ganz entgegengesetzten Resultaten geführt. Während Cl. Bernard (1), Mairet u. Bose(12), Rummo und Bordoni(18) u. A. schon bei Einverleibung ganz geringer Serummengen charakteristische Vergiftungserscheinungen beobachteten, haben Creite (4) und Favoret (8) nur bei einigen Serumarten Albuminurie und Haemo- 'globinurie als Folgen der Injection erhalten. Stokvis (19), Ponfick (17), Neumeister (14), Forster (10), Ott(15) haben geradezu erstaunlich grosse Mengen fremder Sera intravenös injicirt, ohne die geringsten schädlichen Folgen konstatiren zu können. Das eingeführte Serum wurde vielmehr vom Körper leicht verwendet und die eingeführten Eiweisskörper als Harn- stoff binnen 2 Tagen (in den Versuchen von Forster) wieder ausgeschieden. Vor Kurzem beschrieb nun wieder OÖ. Weiss (22a, b) in seiner Arbeit „Ueber die Wirkung von Blutseruminjectionen in’s Blut“ die Gift- wirkungen, welche er bei der Injection recht unbedeutender Serummengen 34* 532 H. FRIEDENTHAL UND M. LEWANDOWSKY: in die Blutbahn erhalten hatte. Seine Untersuchungen hatten als Resultat ergeben, dass nicht nur das Serum einer fremden Species, sondern sogar das Serum derselben Art gleichsam als Fremdkörper grösstentheils durch die Nieren ausgeschieden wird, wenn das Serum von einem andersgeschlechtlichen Individuum entnommen worden war. So sollte das Serum vom Kater bei der Katze, das der Katze beim Kater langdauernde Albuminurie verursachen, während Injectionen von Serum einer andern Species in den Dosen von 5 bis 40 «m beim Kaninchen den Tod zur Folge hatten. Ganz unschädlich sollte schliesslich Injection von Serum derselben Art sein, wenn nur das Blut einem Thier von gleichem Geschlecht entnommen würde. Vergleicht man mit diesen Angaben die Befunde von Ott (15), welcher bei Hunden zwei Drittel der gesammten Blutmenge durch Pferdeserum ersetzte, ohne die geringste Störung im Allgemeinbefinden zu beobachten, und innerhalb zweier Tage die eingespritzte Eiweissmenge quantitativ als Harnstoff wieder- fand, so lässt sich eine solche Differenz der Resultate wohl nur unter der Annahme erklären, dass bisher nach unbekannte Factoren dem Verhalten des Organismus gegen körperfremdes Blutserum zu Grunde liegen. Zunächst galt es festzustellen, welche Serumarten denn als körper- fremd anzusehen sind, ob wirklich, wie aus den Weiss’schen Resultaten sefolgert werden muss, der Geschlechtsunterschied so tiefgreifende Unter- schiede in der Blutzusammensetzung bedingt, dass das andersgeschlechtliche Serum! von den Nieren als Fremdkörper wieder ausgeschieden wird. Um zu erkennen, ob ein Serum zerstörend auf das Blut eines Ver- suchsthieres wirken könne, bedienten wir uns der von Buchner (2) aus- gearbeiteten Methode der Untersuchung der globulieiden Action im Reagens- glase. 10 °m Serum werden mit 3 Tropfen defibrinirten Blutes 15 Minuten lang einer Temperatur von 38° ausgesetzt. Wirkt das Serum globulieid, so hat es in dieser Zeit die hineingebrachten Blutkörperchen aufgelöst, so dass aller Blutfarbstoff ausgetreten ist. Bei keinem der angestellten Ver- suche wirkte das Serum eines andersgeschlechtlichen Thieres globulicid. Versuch 41. 10 frisches Katzenserum werden mit 3 Tropfen Kater- blut 75 Minuten lang einer Temperatur von 38° ausgesetzt. Nach Ab- centrifugiren der suspendirten Blutkörperchen war das Serum hellgelb ge- blieben, also kein Blutfarbstoff gelöst. Ein Controlversuch mit Kaninchen- blut ergab Lösung des Blutes in 10 Minuten, also war das benutzte Katzen- serum wirksam (activ). Versuch 42. 10° frisches Katzenserum mit 3 Tropfen Katerblut werden 50 Minuten bei 38° gehalten. Kein Austritt von Blutfarbstoff in dieser Zeit. Ein Controlversuch mit Kaninchenblut ergab die Activität des benutzten Katzenserums. ı Sit venia verbo. VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. S. w. 533 Versuche mit Serum von männlichen und weiblichen Kaninchen ergaben stets die gleichen negativen Resultate. Das Serum der Thiere anderen Ge- schlechts conservirte die Blutkörperchen genau so gut wie das eigene Serum. In Uebereinstimmung mit diesen Reagensglasversuchen konnten wir keine nennenswerthe Eiweissausscheidung im Harn bei intravenöser Ein- verleibung andersgeschlechtlichen Serums erhalten. Wir benutzten als Eiweissproben Zusatz von Essigsäure und Ferrocyankalium und die Ueber- schichtung über concentrirte Salpetersäure nach Zusatz von Kochsalzlösung. In manchen Fällen zeigte der zu untersuchende Kaninchenharn eine Trü- bung, die sich selbst durch mehrfaches Filtriren nicht beseitigen liess. Auf Anrathen von Prof. J. Munk halfen wir uns in diesen Fällen durch Erzeugen eines voluminösen Niederschlages durch Zusatz von Natrium- carbonat und Magnesiumsulfat. In diesem Falle halten die Alkalien die Eiweisskörper in Lösung, während die trübenden Substanzen durch den Niederschlag niedergerissen werden, so dass stets ein klares Filtrat resultirt. Nie trafen wir auf die merkwürdigen Eiweisskörper, welche O. Weiss (22) in den von ihm untersuchten Harnen fand und die erst nach stundenlangem Stehen zur Ausfällung zu bringen waren. Versuch 51. Kaninchenweibchen von 1500 8’”% Gewicht erhält 12 actives Kaninchenbockserum in die Ohrvene mittels Pravaz-Spritze. Der Harn enthält 48 Stunden lang nicht einmal Spuren von Eiweiss nach beiden Proben. Versuch 50. Kaninchenbock von 1300 8”® erhält 5 *” actives Kaninchen- serum vom Weibchen in die rechte Vena jugularis. Der Harn zeigt 48 Stunden lang keine Spuren von Eiweiss. In beiden Fällen war die Activität des benutzten Serums an Katzen- blut geprüft worden. Bei einigen Versuchen erhielten wir Eiweiss in eben nachweisbaren Spuren, aber nie in quantitativ bestimmbaren Mengen, bei Einspritzung von andersgeschlechtlichem Serum, aber das gleiche Resultat wurde erhalten bei Serum eines Thieres von gleichem Geschlecht, so dass auch hiernach kein Einfluss der Geschlechtsdifferenz constatirt werden konnte. Versuch 48. Kaninchenweibehen von 1300 8% erhielt 15 m actives - Kaninchenbockserum in die rechte Vena jugularıs. Nach 24 Stunden war der Harn eiweissfrei. Nach 48 Stunden zeigten sich eben nachweisbare Spuren. Nach 72 Stunden war der Harn wieder eiweissfrei. Versuch 52. Kaninchenweibchen, 1500 8% schwer, erhält 5 °® Serum eines weiblichen Kaninchens in die rechte Ohrvene. Nach 24 Stunden Harn eiweissfrei. Nach 50 Stunden enthält der Harn Spuren von Eiweiss. Versuch 49. Kleine weibliche Katze erhält 13°" actives Kater- serum in die rechte Vena jugularis. Der Harn enthält nach 24 Stunden kein Eiweiss. Nach 48 Stunden Spuren von Eiweiss. Nach 72 Stunden Harn wieder eiweissfrei. 534 H. FRIEDENTHAL UND M. LEWANDOWSKY: In keinem Falle hatte sich das Serum eines andersgeschlechtlichen Thieres als körperfremd erwiesen. Um aber ganz sicher die Identität des Blutes von Thieren derselben Species auch bei Geschlechtsdifferenz nachzu- weisen und um dem Einwande zu begegnen, dass das Plasma im kreisenden Blute sich vielleicht anders verhalten könne wie das nach der Gerinnung abgepresste Serum, kreuzten wir nach einem zuerst von E. H. Hering an- gegebenen Verfahren die Blutgefässe zweier Thiere von verschiedenem Ge- schlecht in der Weise, dass das Blut aus der Carotis des einen Thieres direct in die Vena jugularis des anderen strömte, und umgekehrt. An dem Pulsiren der die Canülen verbindenden Gummischläuche konnte das Ueberströmen controlirt und eine etwaige Gerinnung, die aber wegen der Schnelligkeit der Blutströmung in keinem Versuche eintrat, sofort bemerkt werden. In keinem Versuche trat eine quantitativ bestimmbare Eiweiss- ausscheidung im Harne nach dieser gründlichen Blutvermischung ein. Versuch 37. Männliches Kaninchen, 15008'% schwer. Weibliches Kaninchen, 1650 ®'" schwer. Das centrale Ende der rechten Carotis ver- bunden mit dem centralen Erde der rechten Jugularis des anderen Thieres. Durchströmungsdauer 3 Minuten. Der Harn des Männchens zeigte sich eiweissfrei 72 Stunden lang. Der Harn des weiblichen Kaninchens nach 24 Stunden eiweissfrei. Nach 48 und 72 Stunden zeigten sich eben nach- weisbare Spuren von Eiweiss. Nach 96 Stunden war der Harn eiweissfrei. Versuch 38. Kaninchenbock, 1300 8%. Kaninchenweibchen, 1320 2%, Kreuzung der Gefässe in oben angegebener Weise. Durchblutungsdauer 4 Minuten. Das Weibchen zeigt innerhalb 72 Stunden keine Spur von Eiweiss im Harn. Der des Männchens zeigt nach 24 Stunden mit Essig- säure und Ferrieyankalium eine Trübung, während die Salpetersäureprobe mit Kochsalzzusatz negativ ausfällt. Da auf Essigsäurezusatz keine Trübung entstand, muss es sich um einen besonderen Eiweisskörper handeln. Nach 48 und 72 Stunden zeigte sich der Harn nach beiden Proben eiweissfrei. Die Versuche hatten das Resultat ergeben, dass eben nachweisbare Spuren von Eiweiss für kurze Zeit bei Blutvermischung von Thieren differenten Geschlechtes auftreten können, und zwar zeigte bei dem einen Versuch das Männchen, bei dem anderen Versuch das Weibchen Spuren von Eiweiss im Harn. Weitere Versuche belehrten uns aber, dass eine so geringfügige Eiweissausscheidung auch beobachtet wird, wenn die. Blut- vermischung an Thieren desselben Geschlechtes durchgeführt wird. Versuch 40. Zwei Kaninchenweibehen von je 1500 5% Gewicht werden auf obige Weise verbunden. Der Urin des einen Thieres zeigt sich dauernd eiweissfrei, der des anderen zeigt nach 24 Stunden Spuren von Eiweiss. Nach 48 Stunden ist der Harn wieder eiweissfrei. Da also Blutserum derselben Species weder im Reagensglas bei 38° die Blutkörperchen eines andersgeschlechtlichen Thieres auflöst, noch bei intravenöser Injection irgend welche Ver- VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. $S. W. 535 eiftungserscheinungen hervorruft, noch in quantitativ bestimm- baren Mengen in den Harn übergeht, scheint es sicher, dass Blutserum derselben Species im fremden Organismus dieselbe Verwerthung findet, wie dessen eigene entsprechende Blut- bestandtheile. Ganz anders verhält sich Blutserum einer fremden Species. Hier kann man nach der Buchner’schen Methode im Reagensglas in allen Fällen die Auflösung der fremden Blutkörperchen bei 35° beobachten; selbst das sehr wenig toxische Pferdeserum löst bei den angegebenen Mengenverhält- nissen die fremden Blutkörperchen auf. Entsprechend diesem Verhalten haben auch alle Versuche die Giftigkeit frischen Serums einer anderen Art bei intravenöser Injection ergeben. Das Pferdeserum ist nur sehr wenig giftig und wird entsprechend den Angaben anderer Autoren (Weiss) in recht grossen Dosen vertragen. Erst 70°" frischen activen Pferdeserums tödteten ein Kaninchen von 13008" Gewicht. Das frische Pferdeserum wurde aus einer Bürette ganz langsam in die Vena jugularis der Versuchs- kaninchen geleitet, ohne dass sich gewöhnlich Vergiftungserscheinungen be- merken liessen. In einem Fall trat für wenige Minuten periodische Athmung ein. Der Harn enthielt in den nächsten Tagen nie quantitativ bestimm- bare Mengen von Eiweiss. Versuch 10. Kaninchen von 11502” Gewicht erhält innerhalb 15 Minuten 22m actives Pferdeserum in die rechte Vena jugularis. Nach 24 und 48 Stunden Harn eiweissfrei. Versuch 15. Junge Katze, 8002” schwer, erhält 30°” actives Pferdeserum in die rechte Vena jugularis.. Keine Wirkung der Injection. Harn nach 6 Stunden eiweissfrei. Nach 24 Stunden, 48 Stunden und 72 Stunden erhält er Spuren von Eiweiss. Versuch 14. Kaninchen, 1000 8% schwer, erhält 45 *® actives Pferde- serum in die rechte Vena jugularis. Keine Wirkung der Injection. Der Harn zeigt 48 Stunden lang Spuren von Eiweiss. Nach 72 Stunden ist er eiweissfrei. Versuch 8. Kaninchen, 2150 E”" schwer, erhält 50 °“® actives Pferde- serum in die rechte Vena jugularis. Keine sichtbare Injectionswirkung. Harn nach 24 und 48 Stunden eiweissfrei. Versuch 9. Kaninchen von 1300 ®”” erhält 70°" actives Pferde- serum in die rechte Vena jugularis.. Nach 5 Minuten erfolgen Krämpfe. _ Tod unter Athemstillstand. Das Herz schlägt. weiter. Diese Versuche beweisen, dass Pferdeserum in sehr grossen Mengen in die Blutbahn eingeführt werden kann, ohne dass die eingeführten Eiweisskörper im Harn wieder erscheinen. Allerdings lehrt der letzte Ver- such, dass auch dem Pferdeserum eine gewisse Giftigkeit zukommt, denn in Controlversuchen konnten gleiche und grössere Mengen indifferenter Flüssig- keit ohne jeden Nachtheil in die Blutbahn der Kaninchen eingeführt werden. 536 H. FRIEDENTHAL UND M. LEWANDOWSKY: Beschleunigung und Vertiefung der Athmung, Auftreten activer Exspi- ration, endlich Athemstillstand, Krämpfe, Veränderungen in der Gerinn- barkeit des Blutes waren die gewöhnlichen Wirkungen der Einspritzung der übrigen körperfremden Sera in die Blutbahn in zahlreichen Ver- suchen, unabhängig von der Art des eingespritzten Serums.. In den meisten Fällen kam Hunde-, Katzen- oder Kalbsserum zur Verwen- dung, wovon 7 bis 14 «= genügten, um ein Kaninchen von 1500 sm in wenigen Minuten zu tödten unter den oben angeführten Symptomen, welche denen bei Erstickung durchaus ähnlich sind. Ueber die Art der Vergiftung durch körperfremdes Serum weichen die Angaben verschiedener Forscher erheblich von einander ab. Cl. Bernard (1b) beobachtete bei Kaninchen nach Einspritzung von 10 °= Hunde- oder Menschenserum Haematurie, Lähmungen, allgemeine Prostration und Tod. Creite (4) be- obachtete vor Allem Albuminurie nach Seruminjection, auch sah er zuerst die Auflösung der rothen Blutzellen unter dem Mikroskop bei Contact mit körperfremdem Serum. Auch Favoret (8) beschreibt Albuminurie als Folge der Seruminjectionen. Mairet und Bose (12) dagegen glauben, dass fremdes Serum stets durch Erzeugung intravasculärer Gerinnung den Tod herbeiführe. Sie erkannten allerdings, dass das Serum nicht nur coagu- lierend, sondern auch giftig wirken könne, und geben sogar an, durch fractionirte Fällung mit schwachem Alkohol die giftigen und die coaguli- renden Stoffe im Blutserum getrennt zu haben. Genauer erforscht wurde die Wirkung des ganz besonders giftigen Aalserums von Mosso (13). Aal- serum tötet schon in einer Dosis von 0-04 °® ein Kaninchen. Die In- jection bewirkt erst Reizung, dann Lähmung des Vaguscentrums, in grossen Dosen starke Blutdrucksteigerung, während geringe Gaben den Blutdruck herabsetzen. Besondere Wirkung auf das Froschherz konnte nicht wahr- genommen werden, obwohl in den Geweben das Aalserum locale Entzündung hervorruft. Das Blut der vergifteten Thiere gerinnt nicht mehr. Der Tod soll durch Rückenmarkslähmung und Asphyxie erfolgen. Nach Rummo und Bordoni (18) sind die Vergiftungssymptone mit fremdem Serum speciell beim Kaninchen recht mannigfaltig. Sie beobachteten Dyspno6, Mydriasis, Exophtalmie, Herzschwäche, Krämpfe, motorische und sensible Paralyse, Reitbahnbewegungen, Zittern, Koma und Tod. Wehrmann (21) fügt als neue Symptome bei abgeschwächten Serum noch Hypothermie und Somnolenz hinzu. O. Weiss (22) endlich beobachtete die für Erstickung charakteristischen Symptome: Dyspno&, Krämpfe, Stillstand der Athmung bei weiterschlagendem Herzen, schwere Gerinnbarkeit des Blutes als Folgeerscheinung der Injection jedes beliebigen körperfremden Serums bei genügender Dosis, keine Haematurie. Die genannten Forscher sind also einig in der Annahme, dass körperfremdes Serum in der Blutbahn VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. S$. w. 537 ein heftiges Gift darstelle, welches bei geringen Dosen grösstentheils durch die Nieren ausgeschieden würde, in grösseren den Tod des Versuchs- thieres herbeiführe. In keinem unserer Versuche nun trat ein nennens- werther Bruchtheil der eingespritzten Eiweisskörper der Sera in den Harn über, selbst dann nicht, wenn der Tod nach Stunden die Folge der In- jeetion gewesen war; in keinem Falle ferner liess sich Blutfarbstoff, noch Blut im Urin nachweisen. In Dosen von 3 bis 5 °", Kaninchen intravenös injieirt, liessen Kälber-, Hunde- und Katzenserum überhaupt keine schädliche Wirkung erkennen, mit Ausnahme vielleicht von schnell vorübergehenden Veränderungen des Rhythmus der Athmung. Versuch 13. Kaninchen von 2000 8%, erhält 4°® actives Hunde- serum in die rechte Vena jugularis.. Keine Wirkung der Injection. Harn dauernd eiweissfrei, kein Blutfarbstoft. Versuch 12. Kaninchen, 1000 &” schwer, erhält 5 °% actives Kälber- serum in die rechte Vena jugularis.. Keine Wirkung. Harn enthält nach 24 Stunden und nach 48 Stunden Spuren von Eiweiss, ist nach 72 Stunden eiweissfrei, kein Blutfarbstoff. Versuch 2. Kaninchen von 12008" erhält 5°” actives Kalbsserum in die Ohrvene. Keine Wirkung der Injection. Harn nach 24 Stunden, nach 48 Stunden und 72 Stunden eiweissfrei, kein Blutfarbstoff. Versuch 16. Kleine Katze erhält 10°“ aectives Kaninchenserum in die linke Vena jugularis. Keine Wirkung der Injection. Der Harn enthält nach 24 Stunden und 48 Stunden Spuren von Eiweiss, quantitativ nicht bestimmbar, keinen Blutfarbstoff. Bei intraperitonealer oder subeutaner Einführung liegt die letale Dosis natürlich viel höher, als bei intravenöser. Versuch 10. Kaninchen, 850 3% schwer, erhält 25 m actives Katzen- serum in die Bauchhöhle.. Nach 24 Stunden und 48 Stunden zeigt der Urin Spuren von Eiweiss. Nach 72 Stunden ist der Harn wieder eiweiss- frei. Thier ist munter, zeigt keine Vergiftungssymptome. Ganz indifferent ist das active körperfremde Serum selbst in kleinen Dosen nicht gegen die Gewebe, denn bei subceutaner Injection bewirkt es starke Infiltration, eine Erscheinung die für verschiedene Sera schon von Anderen genauer untersucht worden ist (Uhlenhut 20). e Versuch 11. Kaninchen von 9008” erhält unter die Ohrhaut 3 actives Kalbsserum. Der Harn ist nach 24 Stunden und 48 Stunden eiweiss- frei. An den injieirten Stellen bilden sich Indurationen, über denen die Haare ausfallen. Versuch 3. Kaninchen, 9008”% schwer, erhält 20° actives Kalbs- serum unter die Rückenhaut. Der Harn ist dauernd eiweissfrei. Unter der Bauchhaut sind harte Knoten fühlbar, welche wochenlang nicht verschwinden. In dem letzten Versuch wurden recht erhebliche Mengen körper- fremden Serums einverleibt, ohne dass der Harn eine Veränderung er- 538 H. FRIEDENTHAL UND M. l,EWANDOWSKY: kennen liess, man kann daher schliessen, dass die eingeführten Eiweiss- körper vom Thierkörper verbrannt worden sind. Bei der Injection grösserer Mengen in die Blutbahn fanden wir dagegen stets in Uebereinstimmung mit den oben angeführten Autoren den Tod des Thieres als Folge der Injection beliebiger fremder Sera. Eine gewisse Ausnahme machte, wie schon oben angegeben, nur das Pferdeserum, dessen giftige Wirkung eben erst bei recht grossen Dosen zu Tage tritt. Die von uns beobachteten Vergiftungssymptome waren wenig charakteristisch. Gewöhnlich trat schon während der Injection Dyspnoö ein, dann folgte langsame angestrengte Athmung. Nach einigen krampfartigen Athemzügen stand die Athmung still, während das Herz gewöhnlich auch bei der Section noch schlagend gefunden wurde. Klonische Krämpfe wurden meist, doch nicht immer be- obachtet. Das Blut der Versuchsthiere gerann meist erst nach Stunden. Der Blutkuchen retrahirte sich meist wenig, auch nach Ablösung von der Glaswand, so dass nur ganz geringe Serummengen abgeschieden wurden. Zerstörung zahlreicher rother Blutkörperchen mit Hämoglobinaustritt konnte nicht konstatirt werden. In einem Falle war dagegen das Blut so rasch innerhalb der Gefässbahn geronnen, dass bei der sofort vorgenommenen Section das Blut aus den Gefässen nicht mehr ausfloss. Die Beeinflussung der Gerinnbarkeit des Blutes ist für Aalserum und Schlangenserum seit lange bekannt, so dass die Sera aller Wirbelthiere nur dem Grade nach in ihrer Giftwirkung verschieden zu sein scheinen, hier. EP in grm Menge | Ort der in ccm | Serumart Injection Wirkung Kaninchen® | 1300 | Katzenserum | 10-0 r.V.jugul. | Tod nach 3 Minuten. Blut sofort geronnen. „ © | 860 a3 12-0 |,» » | Tod nach 2 Minuten unter | | | Krämpfen. Urin eiweissfrei. u & | 900 | Hundeserum On nl Tod nach 15 Minuten. bs © | 1600 | EB 12-0 |r.„ „| Tod nach 20 Stunden unter | | ' Krämpfen. Dyspno&. Harn | | zeigt Spuren von Eiweiss. 2 2 | 1500 | z | 10°O |» ss Tod nach 4 Minuten. Harn | eiweissfrei. 2 9 | 1300 | Kalbsserum | 7-0 |» » » | Tod nach wenigen Minuten unter Krämpfen. “ N) 900 | " VNSLOTONE Tod nach 5 Min. Krämpfe. N 780 | “ 10-0 |» » | Tod nach 7 Min. Dyspno&. | | Klonische Krämpfe. % 2 | 1250 R% N l830@ ll. © Tod nach 5 Minuten. Athem- | stillstand. Die in obiger Tabelle dargestellten Resultate weichen insofern von den früher bekannten Befunden ab, als in keinem Fall ein Anzeichen von VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. S. W. 539 Nierenreizung oder Hämoglobinurie gefunden wurde. Weiss (22) fand in allen Fällen starke Albuminurie aber keinen Blutfarbstofl und erklärt diesen Befund mit der Annahme, dass die übrigen Autoren durch Wasserverlust eingedicktes, also hypertonisches Serum verwendet haben könnten und dass so der Blutfarbstoffaustritt künstlich hervorgerufen werden könne. Ja er glaubt die gifiige Wirkung körperfremden Serums auf mangelnde Isosmie zurückführen zu können. Ganz abgesehen von der Unrichtigkeit der An- nahme, dass hypertonische Lösungen den Austritt von Blutfarbstoff aus den Erytrocyten hervorrufen, haben vergleichende Gefrierpunktsbestim- mungen ergeben, dass alle Säugethiere fast genau die gleiche osmotische Spannung des Blutes besitzen, während die der anderen Klassen der Wirbel- thiere nur wenig von dieser abweicht. Man kann ferner dem Serum seine toxischen Eigenschaften nehmen, ohne seine osmotische Spannnug irgendwie zu ändern. Buchner (2d) hatte gezeigt, dass halbständiges Erwärmen zwischen 53 und 55°C. die globulicide Wirkung des Serums im Reagenzglas aufhebt. In der gleichen Weise ist es uns nun gelungen, bei etwas höherer Temperatur und länger dauerndem Erhitzen auch jede Giftwirkung körperfremden Serums vollkommen aufzuheben. In der Regel genügte ein einstün- diges Erwärmen auf 58 bis 60° um diesen Zweck zu erreichen, so dass es nun gelang, körperfremdes Serum in Mengen in die Blutbahn einzuführen, welche die gesammte Blutmenge des Versuchsthieres übertrafen, ohne dass mehr als Spuren von Eiweiss im Urin beobachtet werden konnten. Durch dieses Erwärmen wird die Gefrierpunktserniedrigsung des benutzten Serums weder im Geringsten herabgesetzt, noch erhöht, wie zwei Versuche an Pferde- und Kälberserum ergaben. Daraus geht wohl mit Sicherheit hervor, dass die Giftwirkung fremder Sera nicht etwa auf mangelnde Isotonie bezogen werden kann. Das erhitzte, gewissermaassen pasteurisirte, Serum zeigte sich völlig indifferent bei intravenöser und subcutaner Einverleibung; bei Ein- spritzung sehr grosser Mengen in die Bauchhöhle gingen uns einige Thiere jedoch unter Peritonitis zu Grunde, was auf eine Infection bei der Injection zurückzuführen war. Zu beachten ist allerdings, dass bei Verwendung grosser Mengen die meisten Eiweisskörper in den Körperhöhlen positiv chemotactisch auf _ die Leukocyten wirken können. (Bei intravenöser Einführung des anscheinend ganz indifferenten inactivirten Serums hat man natürlich eine Ansammlung von Leukocyten nicht zu befürchten.) Selbst in den letzterwähnten Fällen war jedoch eine nennenswerthe Ausscheidung von Eiweiss durch den Harn nicht zu constatiren. Der Zeitpunkt, an dem durch Erhitzen jede Giftwirkung geschwunden ist, scheint bei verschiedenen Sera verschieden früh einzutreten. Makroskopisch zeichnet sich das „inactivirte“ Serum durch eine starke Opalescenz aus, ohne dass sich mit dem Mikroskop ein Niederschlag 540 H. FRIEDENTHAL UND M. LEWANDOWSKY: erkennen liesse. Durch Filtriren lässt sich die Opalescenz nicht vermindern, da wir es wahrscheinlich nur mit der beginnenden Auscheidung minimaler Eiweissmengen zu thun haben. Die eigentlichen Serumeiweisskörper ge- rinnen ja erst bei 64°, da aber die Untersuchungen von Starke! auf die Empfindlichkeit der Coagulationstemperatur gegen Alkalescenz und Salz- gehalt der Lösungen schon hingewiesen haben, ist es nöthig, zur Vermeidung von Giftwirkung bei der Injection grosser Mengen körperfremder Sera die Hitze einwirken zu lassen bis zu beginnender Opalescenz. Lehrreich war für uns in dieser Beziehung ein Versuch, bei welchem ein Kaninchen nach intravenöser Injection von 67 “= Kalbsserum unter den gewöhnlichen Vergiftungssymptonen nach einer Stunde zu Grunde ging, trotzdem das Serum eine Stunde lang auf 55 bis 56° erhitzt worden war. Das Serum hatte in dieser Zeit seine Klarheit und Durchsichtigkeit nicht ver- ändert. Erst nachdem das Serum bis zur Opalescenz erhitzt worden war, hatte es jede toxische Wirkung verloren, so dass ein gleichschweres Thier 70 «m intravenös injieirt bekommen konnte ohne jeden Nachtheil. Der Urin dieses Thieres zeigte nicht einmal Spuren von Eiweiss. Abgesehen von diesem einen Fall haben wir nie eine schädliche Wirkung von erhitztem Serum weder bei subcutaner noch bei intravenöser Injection erhalten. Ge- : ß Menge Ort der . Thier ‚wicht Serumart in com| Injeotion Wirkung BEN PER BIRBRLNTLN ELCH] 9,5. IWE LEN IRRE BER USDE RING RRNELER COM IEN BEST TR EFTELAN AN URL NR > x Kaninchen $ | 1520 |inact. Katzenser. 9 r.V.jugul. | Keine. Harn dauernd eiweiss- frei. % | 30 » Hundeseruım 10 |„„ » Keine. Harn nach 24 Std. kein Eiweiss, nach 48 Std. Spuren, nach 72 Std. kein Eiweiss. e DEN I er ELDER NIE: Keine. Harn dauernd eiweiss- = ® | 1400 | „ Kalbsserum| 12 Ohrvene Keine. Harn dauernd eiweiss- ss 2|/130| „ ». | 830 Ir.V.jugul. Keine. Harn dauernd eiweiss- % ® ' 1200 | „ Pferdeserum 50 Ih. EINE Re: Harn nach 24 Std. Spuren von Eiweiss, nach | 48 Std. eiweissfrei. 1% 9| 990 = 5 DO Ary re Keine. Harn enthält 4 Tage ; Spuren von Eiweiss. Quan- titativ nicht bestimmbar. »uKalbsserum ins Ines Keine. 0-1:m Eiweiss er- | | scheinen im Ganzen im Harn. | Nach !/, Std. Harn eiweiss- | frei. - ! Starke, Ueber die Beziehung der Neutralsalze zur Hitzegerinnung des Albumins. Sitzungsber. der Morph. Gesellsch. zu München. 1897. Heft 1. 8. 42. VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. 8. W. 541 , Ge. | ‘ Menge Ort der n Thier wicht Serumart Mn a Inisetion | Wirkung mn in grm , EN RS 7 J Kae ee Kaninchen © | 990 iinact.Kalbsserum 13 |Bauchhöhle Keine. Urin dauernd eiweiss- | frei. » 9! 890 | „ Pferdeserum 40 | . ,„ |Keine. Urin eiweissfrei. = Sar13500 7, ER: 50 | 5 | Keine. Harn eiweissfrei. Ka- (200) pinchen erhält noch 50 «= nach 24 Std. in die Bauch- höhle. Urin nach 48 Std. eiweissfri. T'hier erhält noch 100 °® in die Bauch- höhle. Urin eiweissfrei. Thier gehtanPeritonitis zuGrunde | nach 72 Std. Es 9272000217 d 85 5 Keine. Harn eiweissfrei. Kaninchen ® 1010 \inact.Kalbsserum 20 subcutan | Keine. Harn dauernd eiweiss- frei. „ 2. TED En | 80 = Keine. Harn dauernd eiweiss- | frei. Thier zeigt Infiltration der Bauchhaut. Aus den oben angeführten Versuchen geht wohl mit Sicherheit hervor, dass die Eiweisskörper körperfremder Sera nicht von den Nieren als Fremd- körper ausgeschieden werden, sondern dass sie im Körper gleich den mit der Nahrung aufgenommenen Eiweissarten verbrannt werden. So hatten ja auch Ott, Ponfick und Forster in ihren Versuchen die m Form von Serum injieirte Eiweissmenge quantitativ als Harnstoff wiederfinden können. Die giftigen Körper des Blutserums zeigen eine solche Aehnlichkeit in ihrem Verhalten gegen höhere Wärmegrade, gegen Sonnenlicht und gegen längere Aufbewahrung mit den Körpern, welche in’s Blut gelangte Bakterien ver- nichten und fremde Blutkörperchen auflösen, also mit den Alexinen, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit dieser „Alexine“ die giftige Wir- kung körperfremden Serums zuschreiben dürfen. Bei ungefähr den gleichen Hitzegraden erlischt die toxische, globulicide und baktericide Action des Serums, das Pferdeserum zeichnet sich in gleicher Weise durch seine geringe Giftigkeit und durch seine geringe baktericide Kraft anderen Sera gegen- - über aus; durch längere Aufbewahrung, sowie durch beginnende Fäulniss wird das Serum von selber in jeder Hinsicht unwirksam. So erklären sich die oben erwähnten Differenzen in den Ansichten der Forscher über das Schicksal intravenös eingeführter Sera fremder Thiere. Je sorgfältiger das Serum liefernde Blut aufgefangen wurde unter allen aseptischen Cautelen und je frischer es zur Verwendung kam, desto sicherer entfaltete es seine toxische Wirkung und führte die Forscher zu der Ansicht von der Unver- wendbarkeit der Bluteiweissstoffe im fremden Organismus. Diejenigen 542 H. FRIEDENTHAL und M. LEWANDOWSKY: Forscher dagegen, welche in der gewöhlich üblichen Weise das Serum ge- wannen oder zufällig das Pferdeserum benutzten, dessen Giftigkeit erst in sehr grossen Dosen zu Tage tritt, konnten auch ohne Serumerhitzung die Verwendbarkeit der eingeführten Eiweissstoffe im Haushalt des thierischen Organismus konstatiren, da die Alexine nur geringe Mengen in’s Blut ge- langender Bakterien vernichten können, durch grössere Mengen dagegen ihrerseits zerstört werden. | In neuester Zeit sind nun einige Arbeiten erschienen, welche auf die Natur dieser globuliciden, baktericiden, toxischen Körper des Blutserums einiges Licht zu werfen geeignet erschienen. Bordet (23) fand, dass nor- males Meerschweinchenserum Kaninchenblut nicht auflöst, dass aber das Serum von Thieren, die mit wiederholten subeutanen Injectionen von Kanin- chenserum behandelt waren, globulicide Eigenschaften gegenüber dem Kaninchenblut gewinnt. Halbstündiges Erwärmen auf 55° beraubt das Meerschweinchenblut seiner hämolytischen Kraft. Dieselbe kann aber durch Zufügung von normalem Meerschweinchenserum oder Kaninchenserum wieder regenerirt werden. Wir können hier aber zunächst die absolute In- activität normalen Meerschweinchenserums gegen Kaninchenblut nicht zu- geben. Wir haben in einer ganzen Reihe von Fällen übereinstimmend die Beobachtung gemacht, dass bei einer Temperatur von 36 bis 40° sowohl Meerschweinchenserum Kaninchenblut als auch Kaninchenserum Meer- schweinchenblut mit Leichtigkeit löst. Ferner haben Ehrlich und Morgenroth (24) beobachtet, dass das Serum einer 8 Monate mit In- jeetionen von Hammelserum behandelten Ziege Hammelblutkörperchen löst, diese Fähigkeit durch eine Temperatur von 56° verliert, sie aber durch Zusatz von normalem Ziegenserum oder Hammelserum wieder erlangte. Es ist nicht recht verständlich, wie Hammelserum die Activität des Ziegen- serums gegen Hammelblut regeneriren kann, da schliesslich doch in jedem Hammelblut Hammelserum enthalten ist, es also darnach eigentlich gar keine vollständige Inaetivität dem Hammelblut gegenüber geben könnte. Wie dem auch sei, so berühren nach unseren Erfahrungen diese Experi- mente am pathologischen Material die physiologische, specifische globulieide Wirkung fremder Sera nicht. Deren Activität ist, wie wir feststellen konnten, wenn sie einmal vernichtet ist, nie mehr durch Zusatz von Serum zu regeneriren in einem Grade, der über die globulicide Wirkung des betreffenden Zusatzes hinausgeht. Worauf im chemischen Sinne die toxische. Wirkung fremden Serums beruht, kann nach den vorliegenden Untersuchungen nicht entschieden werden, sicher ist nur, dass das Serumalbumin sowohl wie das Serumglobulin nicht bei dieser Wirkung betheiliet sind. Ihre Verwendbarkeit im Stoffwechsel des fremden Organismus spricht vielmehr VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. 8. w. 543 für eine sehr ähnliche chemische Zusammensetzung bei allen untersuchten Säugethierarten. Die hauptsächlichen Resultate der vorliegenden Untersuchung sind folgende: 1. Die Sera verschieden geschlechtlicher Thiere zeigen in keiner Beziehung irgendwelche Differenzen von einander, können vielmehr vollständig für einander eintreten (entgegen den Angaben von 0. Weiss). 2. Das Serum eines Thieres wirkt in der Blutbahn eines Thieres von anderer Species giftig; der Grad der Giftigkeit ist ein verschiedener. 3. Durch längeres Erhitzen des Serums auf 58 bis 60° wird seine Giftigkeit vollständig beseitigt. 4. Entgiftetes Serum wird von dem thierischen Organismus selbst in grossen Mengen ohne jede Reaction aufgenommen und seine Eiweissstoffe werden vollständig verbrannt. Herrn Prof. J. Munk sprechen wir für die liebenswürdige Unter- stützung bei unseren Versuchen unseren ergebenen Dank aus. 544 H. FRIEDENTHAL UND M. LEWANDOWSKY: Litteraturverzeichniss. 1a. A. Albu, Untersuchungen über die Toxieität normaler und pathologischer Serumflüssigkeiten. Virchow’s Archiv. Bd. CIL. S. 405. 1b. Cl. Bernard, Legons sur les proprietes physiologiques et les alterations pathologiques des liquides de l’organisme. T. 11. p. 459. 2a. Hans Buchner, Untersuchungen über die bakterienfeindlichen Wirkungen des Blutes und Blutserums. Archiv für Hygiene. 1890. Bd.X. S. 84. 2b. H. Buchner und Fr. Voit, Zbenda. Bd.X. S. 101. 2c. H. Buchner und Littmann, Zbenda. Bd.X. 8. 121. 2d. Hans Buchner, Zur Physiologie des Blutserums und der Blutzellen. Centralblatt für Physiologie. Bd. VI. S. 97. 2e. Hans Buchner, Ueber die bakterientödtende Wirkung des Blutserums. Centralblatt für Bakt. Bd. XU. S. 855. 3. A. Charrin, Toxieite du serum. Compt. rend. de la soc. de Biol. Serie IX. 1.2112220269%. 4. A. Creite, Versuche über die Wirkung des Serumeiweisses nach Injection in das Blut. Zeitschr. f. ration. Medie. XXXVI. 5. Emmerich, J. Tsuboi und Steinmetz, Ist die bakterientödtende Kraft des Blutserums eine Lebensäusserung oder ein rein chemischer Vorgang? Centralblatt für Bakt. 1892. Bd. XI. S. 367. 6. R. Emmerich und J. Tsuboi, Ueber die Erhöhung und Regenerirung der mikrobieiden Wirkung des Blutserums. Zbenda. 1893. Bd. XIH. 8. 575. 7. A. Estelle, Contribution a l’etude des matieres albuminoides contenues dans l’urine albumineuse. Zevue mensuelle de medecine et chir. T.IV. p. 704. 8. Favoret, Contribution a l’etude des albuminuries experimentales dyscrasiques. Revue de med. T.1II. p. 958. 9. Fodor, Centralblatt für Bakt. Bd. VI. S. 753. 10. Forster, Beiträge zur Lehre von der Eiweisszersetzung im Thierkörper. Zeitschrift für Biologie. Bd. IX. S. 496. 11. Leclainche et Remond, Note sur la toxieite du sang et de ses elements a l’etat normal et ä& P’etat pathologique. Compt. rend. de la soc. de Biol. 1893. p. 1037. 12. Mairet et Bose, Recherches sur les causes de la toxieite du serum du sang. Compt. rend. T. CXIX. p. 292. 13. A. Mosso, Die giftige Wirkung des Serums der Muräniden. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXV. 8.111. 14a. R. Neumeister, Zur Frage nach dem Schicksal der Eiweissnahrung im Organismus. Sitzungsberichte der phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg. 1889. S. 64. 14b. R. Neumeister, Zur Physiologie der Eiweissresorption und zur Lehre von den Peptonen. Zeitschrift für Biologie. Bd. XXVII. S. 309. VERHALTEN DES THIERISCHEN ÜRGANISMUS U. S. W. 545 15. Ott, Einfluss der Kochsalzinfusion auf den verbluteten Organismus. Vir- chow’s Archiw. Bd. XCII. 8. 114. 16. G. Pagano, Etude comparative sur.la toxieit6 du sang maternel et du sang foetal. Arch. ital. de Biol. Vol. XXVII. 3. p. 446. 17. Ponfick, Virchow’s Archiv. Bd. LXIL 8. 278. 18. G.Rummo et L. Bordoni, Toxieite du serum du sang de ’homme et des animaux a l’etat normal et dans les maladies par infection. Arch. ital. de Biol. Vol. XII. p. 46. 19a. B. J. Stokvis, Hühnereiweiss und Serumeiweiss und ihr Verhalten zum thierischen Organismus. Centralblatt für die medie. Wissensch. 1864. 8.596. 19b. B.J. Stokvis, Bijdragen tot de kennis der albuminurie. Ned. Tijdschr. voor Geneesk. 1862. 20. Uhlenhut, Zur Kenntniss der giftigen Eigenschaften des Blutserums. Zeit- schrift für Hygiene. 1897. Bd. XXVI. S. 384. 21. Wehrmann, Recherches sur les proprietes toxiques et antitoxiques du sang et de la bile des anguilles et des viperes. Annal. de l’instit. Pasteur. T. XI. p. 810. 22a. O. Weiss, Ueber die Wirkung von Blutserum-Injectionen in’s Blut. Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXV. S. 215. 22b. O. Weiss, Ein Nachtrag zu den Untersuchungen über die Wirkung von Blutserum-Injectionen in’s Blut. Zbenda. Bd. LXVII. 8. 348, 23. Bordet, Annal. de linstit. Pasteur. T. XII. Nr. 10. 24. Ehrlich und Morgenroth, Berliner klin. Wochenschrift. 1899. Nr. 1. Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abtulg. 35 Zur Funetion des Musculus stapedius beim Hören. Von Prof. Ostmann in Marburg. Bei dem Suchen nach der physiologischen Function der Binnenmuskeln des Ohres hat sich bisher das Interesse vorwiegend dem Musculus tensor tympani zugewandt. Es hat langer Zeit und vielfacher Bemühungen be- durft, um zu dem sicheren Resultat zu gelangen, dass dieser Muskel ein Schutzmuskel des Ohres ist. Es bleibt nun die weitere Frage zu lösen, welchen Zwecken der Muse. stapedius dient. Bezüglich dieses Muskels haben sich die Anschauungen bisher nicht in derselben Weise verdichtet, wie dies hinsichtlich des Musc. tensor im Laufe der Zeit geschehen war. Man hat nicht recht gewusst, was man mit diesem Muskel anfangen sollte und ist zu keiner klaren Vorstellung seiner Function gekommen. Durchliest man die Litteratur, welche sich auf die Binnen- muskeln des Ohres bezieht, so findet man eine Reihe von Beobachtungen, die wohl geeignet sind, Licht über seine Wirkung zu verbreiten und den Weg anzudeuten, der zur endgültigen Lösung auch dieser Frage führt. Um ein möglichst überzeugendes Bild von der Function des Stapedius zu gewinnen, wollen wir besprechen: 1. die Wölbung des Trommelfelles in ihrer Beziehung zur Schall- aufnahme; 2. die mechanische Wirkung des Muse. stapedius auf das Trommelfell; 3. die Bedeutung des antagonistischen Verhältnisses zwischen Muse. tensor und stapedius für die Wirkung jedes derselben beim Höract; 4. die Einwände gegen die Annahme, dass der Muse. stapedius ein Accommodationsmittel des Ohres ist; 5. die körperlichen Vorgänge beim Lauschen; OSTMANN: ZUR FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 547 6. die Aufmerksamkeit als psychischer Reflex; 7. den experimentellen Nachweis einer Mitbetheiligung des Muse. stapedius beim Aufhorchen durch reflectorische Zuckung — beim Hunde. 8. Die willkürliche Aufmerksamkeit als seelische Function in ihrer Einwirkung auf die centralen Neurone. 1. Die Wölbung' des Trommelfelles in ihrer Beziehung zur Schallaufnahme. Neigung wie Wölbung des Trommelfelles unterliegen gewissen indivi- duellen Schwankungen. Je geringer die erstere und je weniger gekrümmt die einzelne Radiärfaser ist, um so günstiger werden im Allgemeinen die Bedingungen für die Schallaufnahme sein. Helmholtz! hat berechnet, dass die durch gleich starke Luftdruck- schwankungen in einer Radiärfaser hervorgebrachte Spannungsänderung um so grösser ist, je weniger die Faser gekrümmt ist; durch diese Spannungs- änderungen werden aber die Schallerschütterungen auf den Hammergriff übertragen. Man hat mehrfach die Beobachtung gemacht, und ich kann dieselbe nur bestätigen, dass musikalisch begabte Personen ein auffallend senkrecht sestelltes und wenig gewölbtes Trommelfell besitzen. Da eingehende Untersuchungen hierüber m. W. bisher nicht vorliegen, so kann es sich um Zufälligkeiten handeln, aber man wird dem jeweiligen Einzelbefunde wohl kaum jede Bedeutung für die Feinheit der Klangauffassung absprechen können. Die Berechnung von Helmholtz fordert, dass ein Trommelfell, sobald es eine Abflachung erfährt, besser mitschwingt. Dies kann jedoch nur in dem Umfange gelten, als durch die Abflachung nicht gleichzeitig eine Entspannung der Faser hervorgerufen wird, was bei dem Trommelfell offenbar sehr schnell der Fall ist. Hensen” hat darauf aufmerksam ge- macht, dass, sobald man den Hammergriff nur um ein Minimum lateral- wärts drückt, Radiärfalten am Trommelfell auftreten, womit schon die Stellung überschritten ist, in welcher die Membran gespannt ist. Bei der Entspannung werden wir nur verminderte Schwingbarkeit und demgemäss -Tondämpfung erwarten können. In der Litteratur finden sich nun einige Versuche beschrieben, welche deutlich zeigen, dass bei initialer Abspannung des Trommelfelles thatsächlich verbessertes Mitschwingen und demgemäss im akustischen Versuch Ton- verstärkung beobachtet worden ist. ı Pflüger’s Archw. Bd.I. 1869. Separatabdruck. 8. 48. °” Physiologie des Gehörs. Herrmann’s Handbuch d. Physiologie. Theil II. S. 42. 35* 548 OSTMANN: Zunächst ein Versuch Politzer’s. Politzer! befestigte am Hammerkopf einen Fühlhebel und leitete einen tiefen Orgelpfeifenton durch einen Resonator zum Präparat; wurde nun durch Compression eines in die Tube luftdicht eingesetzten Ballons der Luftdruck in der Paukenhöhle allmählich gesteigert, so beobachtete er im ersten Zeitraum eine etwas stärkere Excursion des Federchens; bei weiter zunehmendem Druck trat bedeutende Verminderung der Schwin- gungen ein. Ein weiterer Versuch Politzer’s? zeigt, dass mit der erhöhten Schwingbarkeit des Trommelfelles im ersten Moment der Auswärtswölbung Tonverstärkung verbunden ist. In die Tube eines Ohrpräparates wurde ein Gummiballon luftdicht eingesetzt, während in den äusseren Gehörgang ein Auscultationsschlauch eingefügt und eine tönende Stimmgabel auf den Knochen aufgesetzt wurde. Bei Compression der Luft in der Paukenhöhle hörte Politzer den Ton dumpfer, „bei allmählicher Compression zuweilen im Beginn des Versuches stärker“ Diese Tonverstärkung konnte allein durch ein besseres Mitschwingen des Trommelfelles im ersten Beginn der Auswärtsbewegung bedingt sein; dass sie nur zuweilen be- obachtet wurde, dürfte dadurch ungezwungen erklärt werden, dass bei einzelnen Versuchen dieser erste Beginn so schnell durchlaufen wurde, dass eine Tonverstärkung nicht zur Perception gelangte. Ein ganz gleicher Versuch wie dieser zweite Politzer’s ist von Lucae? mit demselben Ergebniss angestellt worden. Er zeigt insbe- sondere, wie äusserst gering die Aussenbewegung des Trommelfelles nur sein darf, um verbesserte Schwingbarkeit desselben zur Folge zu haben; denn es genügte die Compression des freien Endes eines in die Tuba Eustachü eingesetzten Schlauches, um einen vom Knochen zugeleiteten Stimmgabelton mittels des Auskultationsschlauches vom äusseren Gehörgang aus stärker zu hören. Des Weiteren berichtet Lucae,* dass, wenn er seinen Interferenz- apparat mit dem Öhre eines Anderen verband und diesen den positiven Vasalva ausführen liess, bei verschiedenen Versuchspersonen der Dämpfung nicht selten eine Verstärkung des Grundtones vorausging, und als er Helmholtz den Apparat demonstrirte, constatirte dieser bei ihm, dass beim + E. V. der Dämpfung eine kurze Verstärkung des be- treffenden Stimmgabeltones vorausging; also im ersten Moment ı Archiv für Ohrenheilkunde. Bd.1l. 8. 72 u.f. ? Ebenda. Bd.1. 8. 327. 6. Versuch. ® Ebenda. Bd.I. 8.313. * Ebenda. Bd. III. 8.186 u.f. u. Bd. XLII. 8. 182, ZUR FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 549 der Auswärtswölbung des Trommelfelles verminderte Reflexion, oder, was dasselbe sagt, verbesserte Aufnahme der Schallwellen durch dasselbe stattfand. Die Tonverstärkung bei minimaler Auswärtswölbung des Trommelfelles wird weiter erhärtet durch folgende Wahrnehmung. Bei Personen mit atrophischen, nicht adhärirenden Trommelfellen oder mit grösseren, frei beweglichen Narben in demselben habe ich mich mehrfach mit Sicherheit überzeugen können, dass beim Schluckact das Trommelfell zunächst nach aussen und sofort wieder nach innen springt. Setzt man nun einem normal Hörenden eine schwingende c-Gabel auf die Mitte des Scheitels, so hört derselbe im Beginn des Schluckactes den Ton deutlich verstärkt; wenigstens ist dies bei mir und anderen normal hörenden Personen, die ich daraufhin untersucht habe, der Fall. Vorbe- dingung für das Auftreten der momentanen Tonverstärkung wird eine regelrechte Oefinung der Tube beim Schluckact sein; denn die Tonver- stärkung dürfte allein darauf zurückgeführt werden können, dass das Trommelfell bei der Eröffnung der Tube um ein Minimum entspannt wird, wie dies an atrophischen Trommelfellen gelegentlich so deutlich sichtbar ist. Auf Grund dieser Beobachtungen können wir demnach sagen, dass in Uebereinstimmung mit der Forderung der Mechanik der akustische Effect einer minimalen Abspannung des Trommelfelles Tonver- stärkung ist. Verfügt das Ohr nun über einen Muskel, welcher das Trommelfell in minimalem Umfange abzuspannen vermag, so werden wir nicht umhin können, ihm die Wirkung zuzuschreiben, durch seine Action die Aufnahme von Schallwellen zu erleichtern, also hörverbessernd zu wirken. Wir würden in ihm einen Accommodationsapparat besitzen, welcher zunächst nach seiner mechanischen Leistung das Ohr für Schallwellen jeder Art, aber von geringerer Schwingungsweite, noch reizbar zu machen ver- möchte, als sie von dem nicht accommodirten Sinnesorgan noch als Reiz empfunden werden. Diese Leistung entspräche der Accommodationsleistung des Auges, welches für Wellen verschiedener Schwingungsdauer auch keinen Accommodationsapparat besitzt. 2. Die mechanische Wirkung des Musc. stapedius auf das Trommelfell. Der Muse. stap. vermag nach der Verlaufsrichtung seiner Sehne den Steigbügel nur so zu bewegen, dass der vordere obere Abschnitt der Fussplatte aus dem ovalen Fenster herausgehebelt wird, wobei der hintere untere Theil mit seinem erheblich verstärkten Ligamentum annulare als Drehpunkt dient. 550 OSTMANN: Diese Wirkung des Muskels ist die einzige anatomisch ableitbare (Schwalbe!) und zur Zeit die durchaus vorwiegend, wenn nicht allgemein angenommene (Gruber,? Siebenmann,? Bezold,* Hensen,? Politzer‘). Der Muskel ertheilt somit dem Steigbügel eine Bewegung, welche derjenigen gerade entgegengesetzt ist, die derselbe ausführt, sobald man durch Verdichtung der Luft im äusseren Gehörgang das Trommelfell nach innen treibt.” Man sollte somit von vornherein mit einem gewissen Recht annehmen können, dass die Rückwirkung der dem Steigbügel vom Stapedius ertheilten Bewegung auf das Trommelfell eine Abflachung desselben ist. Dass es sich hierbei nur um minimalste Bewegungsgrössen handeln wird, lässt einerseits die Beschaffenheit des Muskels, andererseits die natürliche, engbegrenzte Beweglichkeit der Steigbügelplatte vermuthen. Helmholtz fand als grösste ‚Werthe für/dieselber}/,, und 2 auBezold 2, u. Angenommen, der Stapedius vermöchte den Steigbügel um diese Grössen zu bewegen, so wird seine Einwirkung auf das Trommelfell im Sipne der Abflachung in Folge der mechanischen Leistung des Schall- leitungsapparates doch eine nicht unerheblich grössere sein; denn die Grösse der Bewegung wächst in Folge der Hebelwirkung zwischen langem Ambosschenkel und Hammergriff einerseits und zwischen diesem und den Radiärfasern des Trommelfelles andererseits. Die experimentellen Untersuchungen Politzer’s® am eben getödteten Hunde haben gezeigt, dass bei Contraction des Muse. stapedius das Trommelfell sich thatsächlich nach aussen bewegt und der Labyrinthdruck vermindert wird. Somit schien auch die Möglichkeit gegeben, beim lebenden Hunde diese Trommelfellbewegung direct zu beobachten, wenn sie durch Contraction des Muse. stapedius zu irgend einer Zeit des Höractes überhaupt ausgelöst würde Es kam nur darauf an, die Bedingungen näher zu studiren, unter denen das Auftreten einer unwillkürlichen oder willkürlichen Stapedius- Contraction am sichersten vermuthet werden konnte. Auch beim lebenden Menschen wird durch willkürliche tetanische Con- traction des Steigbügelmuskels eine deutliche Aussenbewegung des Trommel- ! Lehrbuch der Anatomie des Ohres. Erlangen 1887. S. 509. ® Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 2. Aufl. Wien 1888. S. 92. ® Handbuch der Anatomie des Menschen von v. Bardeleben. Jena 1897. S. 286. * Archiv für Ohrenheilkunde. 1880. Bd. XVI. 8. 27. ® Physiologie des Gehörs. Herrmann’s Handbuch der Physiologie. Leipzig 1880. 8. 60. ® Wiener Sitzungsberichte. 1861. — Archiv für Ohrenheilkunde. 1875. Bd. IX. 8.158 u. f. ” Ostmann, Experimentelle Untersuchungen zur Massage des Ohres. II. Theil. Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XLV. ® Archiv für Ohrenheilkunde. 1875. Bd.IX. S. 163. ZuR FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 551 felles hervorgerufen und ist von Lucae! mit unzweifelhafter Sicherheit gesehen worden. „In Fällen“, schreibt Lucae, „wo die Innervation des Muse. stapedius erhöht, oder die des Muse. tensor tympani herabgesetzt ist, erfolet diese Aussenbewegung so deutlich, dass sie ohne jede weiteren Hülfs- mittel mit dem Öhrenspiegel sofort zu erkennen ist.“ 38. Die Bedeutung des antagonistischen Verhältnisses der Binnenmuskeln des Öhres. Wir wissen jetzt durch die Versuche von Sherrington und Hering, dass der Gegenzug des sehr viel kräftigeren, antagonistischen Musc. tensor tympani stets völlig ausfällt, sobald der Musc. stapedius sich contrahirt. Durch diese Erkenntniss ist die hinderliche Vorstellung beseitigt, dass der Musc. stapedius den natürlichen Gegenzug seines kräftigeren Antagonisten zu überwinden haben würde, wenn er den Hammergriff nach aussen be- wegen will. Es wird somit, wie Lucae voraussetzte, in keinem Falle einer besonderen Herabsetzung der Innervation des Tensors bedürfen, um die Trommelfellbewegung deutlich hervortreten zu lassen, und auch die Fr- höhung der Innervation des Stapedius, deren sicherer Nachweis wohl die erheblichsten Schwierigkeiten haben dürfte, möchte ich aus naheliegenden Gründen nicht für wesentlich halten. Durch die völlig ausfallende tonische Spannung des Tensor bei Sta- pedius-Wirkung vermag auch die den Labyrinthdruck herabsetzende Wirkung der Letzteren erst zur vollen Geltung zu kommen, die, wie wir bisher an- nehmen mussten, am Lebenden doch wesentlich durch die Gegenwirkung des Tensor beeinträchtigt werden musste. Wenn diese Wirkung bei den Experimenten Politzer’s so deutlich hervortrat, so lag dies eben daran, dass er am eben getödteten Hunde ex- perimentirte, wo also auch die tonische Spannung des Tensor ausgeschaltet war; aber wir konnten diese Erfahrungen vor der durch die Sherrington- Hering’schen Versuche geschaffenen Erkenntniss nicht ohne Weiteres auf den lebenden Organismus übertragen, wie dies immer geschehen ist. Erst jetzt können wir dies mit klarer Einsicht in die Sachlage thun. Eine während des Höractes auftretende Stapediuszuckung — denn um eine solche kann es sich allein handeln — wird somit durch den stärkeren Antagonisten völlig ungehindert auf Trommelfell und Labyrinth wirken können, und durch die mechanische Leistung des Schallleitungsapparates wird die dem Steigbügel mitgetheilte Bewegung bei ihrer Uebertragung auf das Trommelfell ebenso vergrössert, wie die durch Tensorzuckung ver- ! Berliner klinische Wochenschrift. 1874. Nr. 14. 552 OSTMANN: anlasste Bewegung des Hammergriffes bei der Uebertragung auf den Sta- pedius sich verkleinert. Stapediuszuckung kann somit auf Labyrinth und Trommelfell wirken, und zwar nur im Sinne der Hörverbesserung, indem der Labyrinthdruck vermindert und das Trommelfell um ein Minimum abgeflacht wird. 4. Die Einwände gegen eine solehe Annahme. Einer solchen Annahme stehen nun anscheinend Beobachtungen von Lucae! entgegen. Derselbe beobachtete während willkürlicher teta- nischer Contraction des Stapedius Abschwächung der musikalischen Töne, dagegen Verstärkung von Tönen von mehr als 10000 Schwingungen. Die Annahme der vollen Richtigkeit dieser Beobachtungen spricht gegen die der Hörverbesserung durch Stapediuszuckung nicht; denn eine tetanische Contraction des Muskels zu irgend einer Zeit des Höractes können wir mit Sicherheit deshalb ausschliessen, weil wir niemals das den Tetanus begleitende Muskelgeräusch wahrnehmen. Der Muskel kann, wenn überhaupt, sich nur durch Zuckung am Höract betheiligen. Diese erscheint ebenso zweckmässig, wie die tetanische Contraction zum Zweck der Hörverbesserung unzweckmässig erscheinen müsste; denn durch letztere muss der Schallleitungsapparat bis zu einem gewissen Grade fixirt und dadurch seine Leistungsfähigkeit für tiefere Töne mehr, für hohe und höchste weniger oder gar nicht beeinträchtigt werden, wie dies that- sächlich bei den Lucae’schen Versuchen der Fall war. Eine Zuckung dagegen versetzt zwar nur einen Augenblick das Trommel- fell in den für die Schallaufnahme günstigsten Zustand, vermindert nur einen Augenblick den Labyrinthdruck, würde aber trotzdem nach ihrem Ablauf noch hörverbessernd wirken, weil das einmal in Schwingungen versetzte Trommelfell leichter mitschwingt und der einmal erregte Hörnerv leichter pereipirt. Ein weiterer Einwand könnte den Untersuchungsergebnissen von Schapringer? sowie von Mach und Kessel? entnommen werden. Die- selben haben sich vergeblich bemüht, beim Lauschen Bewegungen des Trommelfelles nachzuweisen. Ein vollgültiger Beweis gegen die Möglichkeit einer Mitwirkung - des ee hierbei liegt jedoch in dem negativen Resultat keineswegs. Die Versuchsanordnung von Schapringer, der mit dem einen Ohr lauschte, während er gleichzeitig den Stand eines in den anderen ! Berliner klinische Wochenschrift. 1874. Nr. 14. ? Wiener Sitzungsberichte. 1870. Bd. LXII. 2. Abth. S. 571 u.£. ° Ebenda. 1872. — Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. VII. 8.121 u.£, ZuR FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 553 Gehörgang eingesetzten Manometers im Spiegel beobachtete, trägt schon den Keim der Beobachtungsstörung in sich; denn es dürfte kaum möglich sein, angestrengt zu lauschen und zugleich im Spiegelbild äusserst feine, aller Wahrscheinlichkeit ausserordentlich schnell ablaufende Niveauverände- rungen scharf zu beobachten. Negative wie positive Versuchsergebnisse sind bei solcher Versuchsanordnung m. E. wenig beweiskräftig. Zudem kommt, dass es vorläufig nicht ausgemacht ist, ob in dem nicht lauschenden Ohr dieselben Muskelwirkungen ausgelöst werden wie in dem lauschenden Ohr, wenn solche thatsächlich ausgelöst werden sollten, nament- lich dann nicht, wenn das Lauschen, wie bei Schapringer, einen willkür- lichen Act darstellt; würde der Stapedius reflectorisch erregt, wie dies im ersten Moment der unwillkürlich erresten Aufmerksamkeit möglich wäre, und nach meinen Beobachtungen am Hunde thatsächlich der Fall ist, so werden wir allerdings eine doppelseitige Action voraussetzen dürfen. Der negative Ausfall der Mach-Kessel’schen Versuche könnte entweder darauf beruhen, dass der Muskel sich beim willkürlichen Lauschen überhaupt nicht contrahirt, oder dass, wenn dies doch der Fall ist, die Bedingungen nicht getroffen sind, unter denen die Muskelzuckung auftritt; denn immer wird es sich nur um eine solche handeln können. Auch ein Uebersehen der äusserst feinen Bewesungsvorgänge muss zugegeben werden. Es spricht demnach kein bisher vorliegender Versuch gegen die An- nahme, dass der Stapedius sich im hörverbessernden Sinne durch Zuckung am Höract betheiligt. Wann wird nun das Auftreten einer Stapediuszuckung zum Zwecke der Hörverbesserung am wahrscheinlichsten sein? Man sollte annehmen dann, wenn uns vor Allem eine Hörverbesserung erwünscht ist; also beim Lauschen. 5. Die körperlichen Vorgänge beim Lauschen. Der Muse. stapedius wird vom Nerv. facialis innervirt; er tritt dadurch in enge Beziehung zu den übrigen vom Facialis versorgten Muskeln. Die Mitbewegungen, die wir beim Lauschen im Facialisgebiet be- " obachten können, machen nun einerseits die Mitbetheiligung auch des Stapedius wahrscheinlich, andererseits schaffen sie Bedingungen, welche die Uebertragung der Schallwellen auf das Labyrinth begünstigen und somit eine ev. Zuckung des Stapedius wohl zu unterstützen vermöchten. Lucae hat zuerst auf die Leichtigkeit der Mitbewegung des Stapedius bei kräftiger Contraction des Musc. orbieularis palpebrarum aufmerksam gemacht. Auch in pathologischen Fällen kommt die enge Beziehung dieser beiden Muskeln zur Geltung. 554 OSTMANN: Habermann! berichtet von einer Öhrenkranken, die seit einigen Wochen an Lidkrampf litt, „mit welchem jedes Mal ein Dröhnen im rechten Ohr (4 bis 5 Mal bei jedem Lidschluss) verbunden war“. Seine Ver- muthung, das Geräusch werde durch klonische Spasmen des Stapedius herbeigeführt, wurde durch das Verschwinden desselben nach Tenotomie der Sehne des Stapedius bestätigt. Analysiren wir die körperlichen Vorgänge beim Lauschen, so finden wir mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Mitbewegungen im ge- sammten Facialisgebiet, der Gesichtsmuseulatur wie des Gaumensegels. Bezüglich der Mitbewegungen in der ersteren will ich zweier mir aus der Litteratur bekannt gewordener Beobachtungen Erwähnung thun. Gottstein? begann das Aufhorchen mit einer Verengerung der dem lauschenden Ohr entsprechenden Lidspalte; gleichzeitig hatte er im Ohr eine eigenthümlich spannende, nahezu schmerzhafte Empfindung; er schloss hieraus, dass der Muse. stapedius beim scharfen Aufhorchen contrahirt wird. Stumpf? bemerkte, dass sein Sohn Rudolf bei Versuchen im Ana- lysiren und Heraushören von Tönen vor Abgabe des Urtheils meistens mehrere Male hinter einander kräftig blinzelte. Auf Befragen meinte R., „es gehe so leichter.“ Es ist eine nicht selten zu machende Wahrnehmung, dass beim willkürlichen Lauschen das Auge der Lauschseite etwas gekniffen und der Mund leicht verzogen wird. Es wäre interessant, über diese Mit- bewegungen genauere Untersuchungen anzustellen. Die Muskeln des Gaumensegels gerathen gleichfalls sowohl bei der reflectorisch wie willkürlich erregten Aufmerksamkeit uns unbewusst in Bewegung. Die Verbindung dieser Muskeln mit dem Facialgebiet wird herge- stellt durch den Nervus petrosus superficialis major, der motorische Fasern zum Ganglion spheno-palatinum führt; von diesem gehen die Nervi palatini zum Gaumensegel. Ueberrascht uns plötzlich ein Geräusch, welches unwillkürlich unsere ganze Aufmerksamkeit fesselt, oder wollen wir durch unmittelbar nach- folgende willkürliche Aufmerksamkeit die Art und Bedeutung des Geräusches analysiren, so halten wir unbewusst während der Inspiration den Athem an, wobei .das Gaumensegel gehoben wird. Diese Mitbewegung erscheint an sich wohl geeignet, die Feinheit des Höractes in mehrfacher Weise zu fördern. Der Blutdruck steigt unmittelbar nach dem Beginn der Ausathmung auf sein Maximum, fällt dann langsam im Verlaufe der Exspiration, sowie ! Prager medie. Wochenschrift. 1884. Nr.44. — Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XXII. 8. 274. ” Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XVI. 8. 62. ? Tonphysiologie. Bd. Il. S. 304. Zur FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 555 während der ersten Zeit der Inspiration, um schon während dieser langsam wieder anzusteigen. Indem wir also während des Lauschens die Athmung im Beginn einer Inspiration unwillkürlich unterbrechen, fixiren wir einen Moment geringsten arteriellen Blutdrucks. Diesem entspricht ein Druckminimum im Liquor cerebrospinalis und, wie wir wohl annehmen können, auch im Labyrinth. Das physiologische Druckminimum im letzteren wird aber für den Ueber- sang der Schallwellen vom Schallleitungs- auf den schallempfindenden Apparat der günstigste Moment sein. Des Weiteren wird durch die Unterbrechung der Athmung die Möglich- keit jedes störenden Athmungsgeräusches ausgeschaltet. Wir sehen somit, dass beim aufmerksamen Lauschen bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger ausgeprägte Mitbewegungen im Facialis- gebiete auftreten; sollte da nicht auch der Muskel des Mittelohres, der gleichfalls vom Facialis versorgt wird, und von dem wir nach seiner mechanischen Leistung annehmen müssen, dass seine Zuckung das Gehör verbessert, innervirt werden? Es wäre fast unnatürlich, wenn dies nicht der Fall sein sollte. Wir werden allerdings keineswegs annehmen können, wie sich dies aus früher Gesagtem ergiebt, dass sich der Muskel während der ganzen Zeit des Lauschens im Zustande der Contraction befindet, sondern, da es sich nur um eine Zuckung handeln kann, so wird diese vermuthlich an gewisse Momente des Lauschens geknüpft sein. Welches könnten nun diese Mo- mente sein? 6. Die Aufmerksamkeit als psychischer Reflex. Wenn wir aus einem Klange die Theiltöne heraushören wollen und demgemäss unsere Aufmerksamkeit diesen zuwenden, so ist dies ein rein willkürlicher Act. Wenn wir dagegen in der Nacht plötzlich von einem leisen Geräusch aufgeschreckt werden, so wird unsere Seele durch den sensoriellen Reiz un- willkürlich in eine Verfassung versetzt, welche für das Bemerken weiterer Geräusche günstig ist. Dieser Seelenzustand ist durch psychischen Reflex gewonnen und wird durch einen unmittelbar folgenden, nunmehr freien Willensentschluss so lange festgehalten, bis die Natur des Geräusches ge- klärt ist. Die Aufmerksamkeit kann somit von vornherein ein freier Willensact sein, oder sie wird eingeleitet durch psychischen Reflex, um sofort in den freien Willensact überzugehen. 556 OSTMANN: Der erste Moment des Aufhorchens — als psychischer Reflex — pflegt von motorischen und vasomotorischen Reflexen begleitet zu sein. Der unwillkürlich Aufhorchende fährt zusammen, er stutzt; der Athem stockt; die Herzthätigkeit sistirt auf Augenblicke, um dann um so kräftiger einzusetzen. Dieser Moment des Aufhorchens schien mir ganz besonders geeignet, nach einer refleetorischen Zuckung des Stapedius zu suchen; denn Alles schien mir darauf hinzudeuten, dass sie, wenn überhaupt, hier auftreten würde. Die anatomischen Bedingungen für die Auslösung der reflectorischen Zuckung sind sehr günstig; denn der Nervus acust. und Facialis stehen im Centralorgan in engster Beziehung. Von Held wurde bei der Katze und Ratte ein dem centralen Acusticus- kern entspringendes Faserbündel nachgewiesen, welches sich mit Fasern des Nerv. cochleae verbindet, die sensible Quintuswurzel und ihren Endkern durchquert und im Facialiskern wie in der kleinen Olive endet. Kölliker hat diese Faserverbindung ausserdem beim Kaninchen nachgewiesen und er glaubt, für die Anwesenheit derselben auch beim Menschen einstehen zu können; doch ist dieselbe bei diesem anscheinend weniger entwickelt.! Was aber im ÜÖentralnervensystem räumlich dicht bei einander liegt und in engster, directer Beziehung zu einander steht, wird im Allgemeinen unter der Voraussetzung normaler Erregbarkeit der centralen Neurone auch am leichtesten der gegenseitigen Beeinflussung unterworfen sein. Wir dürfen annehmen, dass die anatomischen Verhältnisse beim Hunde denen der Katze im Wesentlichen gleichen, dass somit auch bei ihm die Bedingungen zur Auslösung einer reflectorischen Stapediuszuckung beim Aufhorchen günstig liegen. 7. Der experimentale Nachweis der reflectorischen Stapedius- . zuckung beim Aufhorchen. Wenn man der experimentellen I,ösung der Frage näher treten will, so kommt es vor Allem darauf an, den Moment des Aufhorchens willkürlich herbeizuführen. Beim Menschen dürfte dies sehr schwer gelingen, sofern dabei die Möglichkeit der schärfsten Beobachtung des Trommelfelles gewahrt bleiben soll. Leichter kommt man zum Ziel, wenn man die alte Feindschaft zwischen Hund und Katze verwerthet; das unvermuthete Miauen der letzteren pflegt ersteren durch eine Art psychischen Reflexes in die ge- spannteste Aufmerksamkeit zu versetzen. ! Nach Kölliker, Gewebelehre des Menschen. Leipzig 1896. Zur FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 557 Es wurde deshalb eine besonders ruhige Hündin, die nach Gewöhnung an die untersuchenden Personen eine ungestörte Beobachtpung erwarten liess, folgendem Versuch unterworfen. Am Vormittage wurde in Aethernarkose die Ohrmuschel umschnitten, und das Trommelfell in der von mir früher beschriebenen Weise für die direete Beobachtung freigelegt. Am Nachmittag desselben Tages, nachdem die Wirkung des Aethers völlig geschwunden war, wurde der Hund auf dem bei meinen Untersuchungen über die Reflexerregbarkeit des Tensor gebrauchten Gestell lose fixirt, so dass er, zumal wenn der Wärter die Hand auf seinen Kopf hielt, völlig ruhig lag. Durch einen zweiten Wärter war eine Katze im Zimmer versteckt gehalten, welche nach Einstellung des Auges auf das blossgelegte Trommelfell durch Kneifen in den Schwanz zum Miauen gebracht wurde. Sofort zeigte sich am Trommelfell eine Bewegung, indem der hintere Abschnitt vor- und zurück- sprang; ich hatte diesen in’s Auge gefasst, weil ich aus früheren Unter- suchungen wusste, dass er die relativ grössten Excursionen auszuführen vermag. Die Bewegung war so deutlich, dass ich sie sofort beim ersten Mal erkannte, somit eine Täuschung weniger zu befürchten war, als bei der m. E. noch schwieriger zu beobachtenden Tensorzuckung beim Menschen. Trotzdem wünschte ich, dass ein zweiter, völlig unbeeinflusster Beobachter die Bewegung auch sehe, und bat ich deshalb Herrn Dr. Noll, s. Z. Assi- stent am physiologischen Institut, das Trommelfell gleichfalls zu beobachten. Er äusserte sofort, das Trommelfell bewege sich in umgekehrter Richtung, d. h. gegenüber der Bewegung, welche auch er bei meinen Versuchen am Strychninhund am Trommelfell bei Tensorzuckung gesehen hatte.! Ich habe dann zu wiederholten Malen an demselben Hunde das Experiment mit dem gleichen Erfolg wiederholt. Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, dass der Muse. sta- pedius beim Hunde im ersten Moment des reflectorischen Auf- horehens zuckt und diese Zuckung kann nach seiner mecha- nischen Leistung keinen anderen Sinn haben, als dass das Trommelfell momentan in eine für die Schallaufnahme mög- liehst günstige Lage versetzt und das Labyrinth durch Ver- minderung des intralabyrinthären Druckes zur Aufnahme von Schallschwingungen geeigneter gemacht wird. Hierbei kommen sehr wahrscheinlich Hülfsmomente in Betracht, wie sie durch das Anhalten der Athmung im Beginn der Inspiration, bei Thieren auch durch das Spitzen der Ohren gegeben sind. Der lang gesuchte Accommodations- ! Ostmann, Ueber die Reflexerregbarkeit des Muse. tensor tympani durch Schall- wellen u.s. w. Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. 558 OSTMANN: muskel des Ohres ist somit der Muse. stapedius in dem Sinne und Umfange, dass durch seine Zuckung ganz allgemein die Schallaufnahme wie Uebertragung auf das Labyrinth erleichtert wird; die Zuckung wirkt auch nach ihrem Ablauf hörverbessernd fort und wird beim Hunde im Moment des Aufhorchens durch Reflex hervorgerufen. Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, dass beim Menschen Zuckung des Muskels unter wesentlich gleichen Bedingungen ausgelöst wird und gleichem Zwecke dient. Es blieb die zweite Frage zu lösen, ob bezw. inwieweit der Muse. stapedius, welcher als quergestreifter Muskel der Einwirkung des Willens unterliegt, bei der willkürlichen Aufmerksamkeit mitwirkt. Ich habe diese Frage bisher in dem gewünschten Umfange experimentell nicht in Angriff nehmen können, trotzdem möchte ich hier die allgemeinen Gesichtspunkte hervorheben, welche bei der Inangriffnahme der experimentellen Lösung m. E. in Frage kommen. 8. Die willkürliche Aufmerksamkeit als seelische Function in ihrer Einwirkung auf die centralen Neurone. Die Aufmerksamkeit als seelische Function steht in enger Wechsel- beziehung zu körperlichen Vorgängen. Ein Schmerz erregt unsere Aufmerksamkeit, aber er wird auch durch die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit verstärkt; es sei denn, dass die Lust am Beobachten des schmerzhaften Vorganges als solchen so bedeutend ist, dass dadurch der Schmerz an sich bis zum völligen Verschwinden an In- tensität verliert. Die Aufmerksamkeit vermag auch erhöhte Spannung der motorischen centralen Neurone herbeizuführen, so dass der Reflexreiz eine gesteigerte motorische Leistung hervorbringt (Exner’s Reactionszeitversuche).! Ebenso werden wir annehmen können, dass die Aufmerksamkeit nicht ohne Ein- wirkung auf die centralen sensoriellen Neurone bleibt. Die Aufmerksamkeit vermag unzweifelhaft die Feinheit der Sinnes- wahrnehmung zu erhöhen, und zwar im Allgemeinen um so mehr, je mehr sie geübt ist. Beobachten zwei Personen den gleichen complicirten Bewegungsvorgang, so brauchen sie keineswegs dasselbe zu sehen, wenngleich Beide in gleicher Weise accommodiren. Die intensivere und geübtere Aufmerksamkeit des Einen wird diesen die Bewegungsvorgänge im Einzelnen, ihre Beziehungen zu einander wie ‘ Nach Goldscheider, Die Bedeutung der Reize u. s. w. Leipzig 1898. S. 23. ZuR FUNCTION DES MUSCULUS STAPEDIUS BEIM HÖREN. 559 zur Gesammtbewegung schärfer erfassen lassen als den Anderen. Die bessere Erkenntniss beruht auf einer gesteigerten seelischen Function. Ebenso ist die Fähigkeit, aus einem Farbengemisch die in ihm ent- haltenen einfachen Farben herauszusehen, nicht an die Accommodations- fähigkeit des Auges geknüpft, sondern neben der natürlichen Beanlagung für feine Farbenempfindung an die Aufmerksamkeit. Auch das Heraushören der Obertöne aus einem Klange und die ab- wechselnde Verstärkung bald des einen, bald des anderen derselben, die Verstärkung eines von mehreren verschiedenen, gleichzeitig erklingenden schwachen Tönen hat offenbar nichts mit Muskelthätigkeit zu thun, wie Stumpf! dies des Weiteren ausgeführt hat, sondern es bleibt nur übrig, diese Fähigkeit als Folge eines durch gespannteste Aufmerksamkeit ‚im sensiblen Nervenganglion central erregten Processes anzusehen“. Natürliche musikalische Beanlagung wie Kenntniss der Lage der gesuchten Töne spielen neben der Uebung bei diesen und ähnlichen Vorgängen offenbar eine mehr oder weniger bedeutende Rolle. Während aller dieser Vorgänge werden wir m. E. ebenso vergeblich nach einer Mitbetheiligung des Musc. stapedius suchen, wie während der ganzen Dauer des Lauschens auf irgend ein Geräusch. Beobachtungen, die ich bei Hörprüfungen mit der continuirlichen Tonreihe, besonders an Schwerhörigen, gemacht habe, legen dagegen die Vermuthung nahe, dass dann, wenn ein Stimmgabelton bei andauerndem Tönen vor dem Ohr schon unter die Reizschwelle gesunken ist, er möglicher Weise durch Wirkung des Stapedius auf Augenblicke zum Wiederauftauchen gebracht wird. Diese Frage werde ich einer weiteren Prüfung unterziehen. ! Tonphysiologie. Bd. II. S. 305. Mittheilungen zur Athmungslehre. I. Versuche zur Kenntniss der Wirkung des Diacetylmorphin (Heroin). Von Dr. M. Lewandowsky, Volontärarzt der I. medicinischen Klinik der Charite, (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Das unter dem Namen Heroin in den Handel gebrachte Diacetyl- morphin besitzt nach Dreser! eine specifische Wirkung auf die Athmung, eine Wirkung, welche nur durch eine Beeinflussung des Athemcentrums zu erklären ist, während die übrigen Theile des Centralnervensystems, ins- besondere das Grosshirn, durch das Mittel wenig afficirt werden. Eine experimentelle Nachprüfung der Wirkung des Heroins auf die Athmung hat nun im Einzelnen zu Resultaten geführt, welche von denen Dreser’s nicht unwesentlich abweichen. Versuchsthiere waren Kaninchen, welche auch Dreser fast ausschliess- lich benutzt hat. Es wurden nur Thiere gewählt, welche eine Athmung von normaler Frequenz, d. h. etwa von 60 bis 90 in der Minute zeigten. Dieser Punkt ist besonders zu betonen, weil Dreser ihn nicht beachtet hat, wir in seinen Versuchen vielmehr Athmungszahlen lesen (140, 142, 146), welche mit Sicherheit darauf schliessen lassen, dass seine T'hiere diejenige Athemform zeigten, welche wir Polypno& zu nennen gewohnt sind. Dieselbe charakterisirt sich bekanntlich neben der im Namen gegebenen Schnelligkeit . durch ausserordentliche Flachheit des einzelnen Athemzuges, wird vielfach, aber nicht immer durch die Wärme des umgebenden Raumes bedingt (Wärmedyspno£), und ist sicherlich centralen Ursprunges. So häufig die Polypnoö beim Thier, so selten ist sie beim Menschen, und jedenfalls muss es das Bild der Wirkung eines Mittels vollständig trüben, wenn man bei seiner ı Pflüger’s Archiv. 1898. LXXIL 8. 485. MITTHEILUNGEN ZUR ATHMUNGSLEHRE. 561 Prüfung von einer ganz abnorm verflachten und beschleunigten Athmung ausgeht. Die Versuche wurden am aufgespannten tracheotomirten Thiere vor- genommen. Die Aufzeichnung der Athmung geschah auf die übliche Weise mit Hülfe des Gad’schen Aeropletysmögraphen. Das Thier athmete durch eine ganz kurze Verbindung, noch kürzer als der Weg von der Tracheal- canüle zum Naseneingang, aus einem Luftraum von 5 Litern, aber immer nur für ganz kurze Zeit, höchstens einige Minuten, so lange als nöthig, um eine brauchbare Curve der gerade bestehenden Athmungsform zu erhalten. Diese beiden Maassregeln — kurze Verbindungen und kurze Versuchszeit — sind absolut nothwendig, um Dyspno& zu vermeiden. Was nun zunächst die Form der Athmung nach Heroin betrifft, so beschreibt Dreser als specifisch die Aenderungen der Inspiration, und zwar treten eine Verlängerung der Dauer und eine Vertiefung der In- spiration auf. Die Verlängerung der Inspiration zunächst habe ich in meinen Versuchen (mehr als 20) öfter vermisst, als gesehen, und wenn sie da war, war sie recht unbedeutend. Das letztere geht übrigens auch aus der zum Belege von Dreser gegebenen Ourve hervor. Aber diese Ver- längerung der Inspiration ist auch keineswegs etwas Speeifisches für das Heroin, sie ist vielmehr auch nach Morphium, Chloral und anderen Mitteln zu beobachten. Die Ansicht Dreser’s über den Nutzen der verlängerten Inspiration bei Krankheiten ist hypothetisch und berücksichtigt nicht die quantitativen Verhältnisse. Die erhebliche Vertiefung der Inspiration nach Heroin, welche Dreser angiebt, muss ich bestreiten. Nach meinen Erfahrungen bleibt die Tiefe der Inspiration gewöhnlich unverändert (vgl. Fig. 1 bis 3), oft wird sie um etwas, aber nicht erheblich, vermindert. Nur in zwei Fällen habe ich eine ganz geringe Vertiefung constatiren können. Ich glaube, dass sich dieses den Ergebnissen Dreser’s entgegenstehende Resultat aus der Verschiedenheit der Bedingungen erklärt, unter denen wir gearbeitet haben, d.h. aus der oben schon erwähnten Polypno&, welche Dreser’s Thiere zeigten, und in der That ist es bezeichnend, dass die beiden Versuche, welche Dreser zum Belege der Vertiefung der Athemzahl mittheilt, vor dem Versuch eine - Athemfrequenz von 142 und 146, mit einer Athemtiefe von 4-7 und 4.5, zeigen. Die eine von ihm gegebene Curve zeigt kaum eine Vertiefung, und in einem Falle, in welchem eine Athemzahl von 60 bestand, hat er eine Verflachung der Athmung beobachtet, was er auf die grössere Dosis schiebt (0.002 statt der sonst angewandten 0-001). Man darf behaupten, dass Dreser das gleiche Resultat hier auch schon bei einer Dose von 0001 bekommen hätte. Ueberhaupt ist die Dosis von 0-001 subeutan für ein Kaninchen von 1 bis 2*%s Gewicht eine recht erhebliche gegenüber den beim Archiv f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 36 562 M. LEwANDOwSsKY: Menschen angewandten Gaben und genügt unter allen Umständen, die aus- gesprochene Wirkung, oft eine fast beängstigende Verlangsamung der Athmung, zu bewirken. Dass die Athmung bei Polypno& durch Heroin vertieft wird, ist freilich eine Thatsache, die auch ich oft genug habe be- obachten können, aber das ist gar kein Wunder, die Athmung ist hier eben von vornherein so flach, dass sie anders als tiefer kaum werden kann, und diese Vertiefung der Polypno& ist wiederum nichts dem Heroin Specifisches, sondern etwas allen den oben genannten Mitteln Eigenthüm- liches. Ich habe fast regelmässig gesehen, dass durch Chloral unter solchen Umständen die Athmung vertieft wurde. Dreser behauptet nun weiter, dass durch Heroin die Arbeitsleistung des einzelnen Athemzuges vergrössert würde. Abgesehen davon, dass bei den mitgetheilten Versuchen die Frequenz der Athmung nicht angegeben ist, ist es nicht ganz verständlich, in welcher Hinsicht die von Dreser vorgeschlagene Methode der Ermittelung der „maximalen Arbeitsleistung“ unsere Kenntniss der Athmung erweitern soll. Keinesfalls können wir die absolute Arbeitsleistung der Inspirationsmuskeln damit messen, sondern, da die Inspirationsmuskeln auch auf der Höhe der Exspiration in ver- schiedenem uns im Einzelfalle unbekanntem Grade noch contrahirt bleiben, nur den Zuwachs, den die dauernd geleistete Arbeit während einer In- spiration erfährt. Abgesehen ferner davon, dass Dreser die möglicher Weise durch sein Verfahren bedingten Fehlerquellen (Ventile, Wider- stand der Wassersäule) nicht angiebt, und davon, dass die Athmunugs- zahlen sind angegeben sind, entziehen sich die Dreser’schen Angaben über die maximale Arbeitsleistung jeder Beurtheilung so lange, als man nicht weiss, was das ist, in welchem Sinne von allem hier „maximal“ gebraucht ist. Dass, wie etwa nach dem Sprachgebrauch zu verstehen wäre, das Maximum der Athemarbeit, welche ein Thier unter irgend welchen Um- ständen, also etwa bei höchstgradiger Dyspno&, überhaupt leisten kann, dass dieses Maass durch irgend ein Mittel vergrössert werden könnte, ist doch wohl ausgeschlossen. Während also Dreser die Veränderung der Inspi- ration als die Hauptentwickelung des Heroins betrachtet, glaube ich, dass die Inspiration durch Heroin nicht wesentlich, sicherlich nicht specifisch geändert wird. Vielmehr besteht die Wirkung des Heroins in der Verlangsamung der Athmung, und diese ist bedingt nicht durch Aenderung der Inspiration, sondern der Exspiration, und zwar durch eine Verlängerung der ex- spiratorischen Pause. Diese Veränderung ist ausnahmslos sehr erheblich und ihre allmähliche Entwickelung nach der Injection immer deutlich zu beobachten. Fig. 1 stellt eine normale Athmung, Fig. 2 die Athmung 5 Minuten, Fig. 3 dieselbe 15 Minuten nach 0-001 Heroin dar. Fig. 1 MITTHEILUNGEN ZUR ATHMUNGSLEHRE. 563 entspricht einer Frequenz von 60, Fig. 2 von 42, Fig. 3 von 25 Athmungen in der Minute. Die ausserordentliche Verlangsamung der Athmung nach Heroin — auch Dreser macht seine Schlüsse z. B. aus Athemzahlen von 29, 44 in der Minute — kommt fast allein auf Rechnung der Exspiration. Bisher ist kein Mittel bekannt, welches in solcher Weise die Athmung ver- langsamen und die exspiratorische Pause verlängern kann. Eine Verlänge- rung der Exspiration findet sich zwar als allgemeine Wirkung der Narcotica auf das Athemcentrum und wird zum Theil dadurch erklärt, dass die durch die Narkose bewirkte Muskelruhe eine Verminderung der Ventilation des Blutes gestattet. Das Merkwürdige bei der Heroinwirkung ist aber, dass die exspiratorische Pause so enorm verlängert ist, ohne dass eine wesentliche Allgemeinnarkose besteht, und man kann ein Thier mit jedem Narcoticum zu Tode narkotisiren, ohne dass die Ex- spiration jemals derart ausgedehnt wird, wie das durch Heroin möglich ist. Die Wirkung des Heroins ist also, dass in der Zeiteinheit weniger Athemzüge gemacht werden, d. h. dass die Athem- grösse, das Maass der in der Zeiteinheit aufgenommenen Luftmenge, sinkt. In diesem Punkt befinde ich mich in Ueber- einstimmung mit Dreser, der in zwei Fällen eine Abnahme des Minutenvolums von 700 auf 400 verzeichnet. Das würde heissen, dass ein Thier sich unter dem Einfluss des Heroins mit /, seiner nor- malen Athemluft begnügt, °/, entbehren Fig. 3. kann. Kann es das aber, so giebt es da- für nur die eine Erklärung, dass die Erregbarkeit seines Athem- centrums dem 0Q,-Reiz des Blutes gegenüber ganz ausserordent- lich gesunken ist. Denn es ist doch selbstverständlich, dass bei einer beträchtlichen Abnahme der Athemgrösse, d. i. einer Verringerung der Venti- lation, der CO,-Gehalt des Blutes steigen muss. Dieser Schlussfolgerung stehen nun allerdings Beobachtungen Dreser’s entgegen. Dreser behauptet nämlich, dass durch Heroin zwar die Reflex- erregbarkeit des Athemcentrums, nicht aber die Erregbarkeit gegenüber dem CO,-Reiz des Blutes herabgesetzt würde. Das Erstere sei ohne Weiteres zugegeben, das Zweite muss bestritten werden. Das Ergebniss von Dreser erklärt sich aus den Fehlern seiner Methode. Zuerst will Dreser feststellen, wann nach Athmung aus einem geschlossenen Luftraum ein bestimmter Grad von Dyspno& erreicht ist, und nimmt als Maass die 36 * Fig. 2. 564 M. LEWANDOWSKY: Tiefe der einzelnen Athemzüge. Die Fehler dieses Verfahrens springen in die Augen. Denn zwischen den gleich tiefen Athemzügen können ja ganz verschieden lange Exspirationen lieeen. Für die in der Zeiteinheit auf- genommene Luftmenge, die Athemgrösse, das einzige Maass, worauf es hier ankommen kann, bietet das Dreser’sche Verfahren gar keinen Anhalts- punkt. Ich selbst habe die Versuche so angestellt, dass ich das Thier aus einem Behälter mit dem gleichen O- und CO,-Gehalt gleiche Zeit: einmal vor, einmal nach Heroininjection athmen liess, und hier zeigt es sich in der That ausnahmslos, dass zwischen den zwar oft gleich tiefen Athem- zügen nach Heroin noch exspiratorische Pausen liegen zu einer Zeit, wo beim normalen Thier überhaupt keine Pausen mehr bestanden, dass also wie bei der eupnoischen, so auch bei der dyspnoischen Athmung die Athemgrösse durch Heroin erheblich geringer geworden, die Erregbarkeit des Athemeentrums gesunken ist. Figg. 4 und 5 zeigen diese Verhältnisse. Sie stammen aus dem gleichen Versuch, wie Figg. 1 bis 3, Fig. 4 zeigt die Dyspnoö des normalen Thieres (Fig. 1) nach 15minutiger Athmung aus einer 5 Liter-Flasche, Fig. 5 die desselben Thieres unter denselben Be- dingungen nach 0-001 Heroin (nach Aufnahme von Fig. 3). van Fig. 5. Die Deutung der Wirkung des Heroins von Seiten Dreser’s ist nur erklärlich durch die Vernachlässieung des Maasses und der Bedeutung der Athemgrösse. Dreser selbst giebt, wie erwähnt, Versuche, in denen durch Heroin die Athemgrösse um !/, und mehr des ursprünglichen Werthes gesunken ist, und trotzdem soll die Sauerstoffsättigung des Blutes nach Heroin nicht merklich abnehmen. Aber diesen Beweis, der von funda- mentaler Wichtiekeit wäre, dass nämlich trotz erheblicher Verminderung der Athemgrösse der Sauerstoffgehalt des Blutes der gleiche bleiben kann, hat Dreser eben nicht geführt. Denn gerade in dem einzigen Versuche, in welchem er den Sauerstoffgehalt des Blutes nach Heroin bestimmt hat, ist die Athemgrösse nicht angegeben, wohl aber die Athemzahl, und diese liegt gerade in diesem Versuch noch in der Breite der Normalen bei 60, während in jenen Versuchen, aus denen Dreser seine Schlüsse über die Form der Athmung zieht, die Zahl 30 und 40 beträgt. Hätte Dreser in diesen Fällen Blutgasbestimmungen gemacht, so würde er erhebliche MITTHEILUNGEN ZUR ATHMUNGSLEHRE. 565 Differenzen des Sauerstoffgehaltes zu Ungunsten der Heroinzeit bekommen haben. Das ergiebt die Athemeurve mit vollständiger Sicherheit. Fassen wir zusammen, so setzt also nach unseren Versuchen das Heroin die Erregbarkeit des Athemcentrums in specifischer Weise herab, sowohl reflectorischen, wie ganz besonders den sogenannten automatischen (Blut-) Reizen gegenüber. Man könnte das Mittel gleichsam als ein specifisches Narcoticum für den Athemapparat bezeichnen, wenn man unter Narkose einmal nicht nur die allgemeine Erregbarkeitsverminderung des Centralnervensystems verstehen will. Für die therapeutische Anwendung des Heroins ergiebt sich, dass man es da geben wird, wo es in erster Linie darauf ankommt, dem Patienten subjective Erleichterung zu verschaffen, gegenüber reflectorischen Reizen — bei Husten, gegenüber automatischen — bei Dyspno&. Inwieweit dieser subjectiven Indication die objective eigent- liche indieatio morbi entspricht oder entgegensteht, ist eine zweite Frage, welche von Fall zu Fall entschieden werden muss. Darüber werden wir uns aber nach dem Gesagten klar sein müssen, dass wir die Besserung des subjectiven Befindens sehr oft nur durch eine Verschlechterung des objectiven Zustandes werden erkaufen können, insofern wir durch das Heroin — sowohl im Husten, wie ganz besonders in der dyspnoisch ge- steigerten Ventilation — nur Reactionen und zwar ausgleichende und heilsame Reactionen des Organismus beseitigen. Die bisherigen therapeutischen Erfolge (bei Katarrhen, Phthisis u. s. w.) sprechen nicht gegen die entwickelte Auffassung. Die Wirkung des. Heroins ist schliesslich nichts anderes als die alte Morphium- und Codeinwirkung, nur gleichsam concentriert auf die Athmung, und ohne die oft unerwünschte Grosshirnwirkung, besonders des Morphiums, wenngleich auch diese nicht ganz verschwunden ist. Ein besonderer Vorzug des Mittels — und hierin kann ich die Angaben Dreser’s vollständig bestätigen — ist der weite Ab- stand zwischen wirksamer und letaler Dosis. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1898 —1899. VIII. Sitzung am 24. Februar 1898." 1. Hr. Dr. C. HAMBURGER (a.G.) hält den angekündigten Vortrag: Weitere Beobachtungen über den physiologischen Pupillenabschluss. Hamburger berichtet über eine Versuchsreihe, die Einwände betreffend, welche gegen seine Versuche über die physiologische Undurchgängigkeit der Pupille erhoben worden sind.” — Den Einwand, dass es nicht möglich sei, mit Sicherheit auszusagen, ob der Farbstoff in die hintere Kammer ein- gebracht sei, oder etwa versehentlich in den Glaskörper, weist er dadurch zurück, dass er mit demselben Injectionsmodus wie bei seinen Fluorescein- versuchen (Mikrospritze u. s. w.) Berliner Blau einspritzt, die Augen sofort enucleirt und den Farbstoff mikroskopisch zwischen Iris und Linse findet, also in der hinteren Augenkammer. — Ferner wurde entgegnet, dass selbst bei richtiger Application in der hinteren Kammer der Farbstoff schon deshalb nicht sofort in die vordere überzutreten brauche, weil beim Herausziehen der Spritze Flüssigkeit aus der hinteren Kammer verloren gehe, mithin der Druck in ihr herabgesetzt werde; Hamburger liess daher nach der Injection die Spritze im Auge stecken, wodurch nicht nur jeder Flüssigkeitsverlust unmöglich gemacht, sondern sogar der Rauminhalt in der hinteren Kammer offenbar stark vergrössert wird; wenn also die Leber’sche Anschauung richtig ist, dass Iris und Linse sich lediglich berühren und durch keine Kraft an einander gehalten werden, so dass die geringste Be- wegung genügen müsse, sie etwas von einander zu entfernen, so steht offen- bar gerade bei diesem Versuche zu erwarten, dass fast gleichzeitig mit ‘dem Einbringen des Farbstoffes in die hintere Kammer derselbe auch in die vordere überfliessen werde, denn hier wird ja durch ein zwischen- geschobenes Instrument die Iris noch geflissentlich von der Linse partiell abgedrängt; dazu kommt, dass bei diesen Versuchen das Auge luxirt ge- halten werden muss, was nach Hamburger’s früheren Versuchen das Ueberlaufen der hinteren Kammer an und für sich schon be- günstigt; trotzdem gelang es selbst in dieser Stellung, auch am nicht eserinisirten Thier, den Farbstoffübertritt fünf Minuten lang hintanzuhalten. Benutzt man zu diesen Versuchen (zu denen nur die grössten Thiere [3000 2% und darüber] geeignet sind) Albinos, so sieht man, dass der Farbstoff ! Ausgegeben am 20. März 1899. ° Vgl. Lewinsohn, Ueber die Communication zwischen der Hinter- und Vorder- kammer des Auges. . Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. 8. 547 fi. VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — 0. HAMBURGER. 567 schliesslich keineswegs an derjenigen Stelle in’s Pupillarbereich tritt, welche der Nadel am nächsten liegt, sondern an irgend einer ganz entfernt lie- genden, nachdem er sich kreis- oder halbkreisförmig in der hinteren Kammer ausgebreitet hat (die Iris des Albinos ist so durchsichtig wie angefeuchtetes Florpapier). — Auch das physiologische Pupillenspiel braucht nach Ham- burger keine freie Communication hervorzurufen; denn selbst die Belichtung mit direetem Sonnenlicht und fünf Minuten lang fortgesetztes abwechselndes Beleuchten und Beschatten des Versuchsauges lockte den Farbstoff nicht herbei, obwohl die Pupille zuerst S"” weit gewesen war und sich während des Versuches bis auf 3”” verengt hatte — also recht beträchtliche Ex- ceursionen. Der Nachweis, dass der Farbstoff aber wirklich an Ort und Stelle, d. h. in der hinteren Kammer sich befunden hatte, wurde bei diesen Versuchen nicht durch Punctiren der Hornhaut geführt — es war erwidert worden, dass dieser Eingriff zu roh sei —, sondern einfach durch anhal- tendes Luxiren des Auges (s. o.), eventuell unter Anwendung eines Mydriati- cums (5 Procent Cocain). Dagegen genügt es nicht in allen Fällen, das Thier einfach in’s Dunkle zu setzen, und zwar deshalb, weil die durch den Eingriff etwas hyperämisch gewordene Iris sich nicht immer ausgiebig genug retrahirt. Als ursächliches Moment, welches den physiologischen Abschluss der vorderen von der hinteren Augenkammer garantirt, führt Hamburger den Schliessmuskel der Pupille in’s Feld, welcher wie jeder Sphineter einen Tonus besitzt und die Iris beständig gegen die frei vorragende Linsenconvexität angepresst erhält, so dass Irisrückseite und Linsenvorderwand zwei wasser- dieht auf einander adaptirte Flächen bilden. Als Experimentum crucis dienen Versuche an sechs irideetomirten Augen: hier erfolgte sofort der Farbstoffübertritt, und zwar ausnahmslos zuerst an einem der Colobomschenkel, also dort, wo die trennende Membran eine Lücke zeigte. Hamburger weist darauf hin, dass nur die Annahme eines physiologischen Pupillenabschlusses den bisher ungelösten Widerspruch verständlich mache, dass die Glaskörperflüssigkeit Eiweiss in concentrirtester Menge enthält, während das Vorderkammerwasser eine eiweissfreie Salzlösung bildet: es sei ohne Beispiel in der Physiologie, wenn dem Ciliarkörper zugemuthet werde, nach hinten ein eiweissreiches, nach vorn ein eiweisfreies Secret zu entsenden; das Kammerwasser stamme eben unter physiolo- gischen Bedingungen und seiner Hauptmenge nach nicht aus dem Ciliarkörper, sondern aus der Vorderwand der Iris, wie dies Ehrlich schon 1882 ausgesprochen — womit es auf’s Beste übereinstimme, dass die ungemein diehten Capillarschlingen der Iris der Irisvorderwand unver- gleichlich viel näher liegen als der Irisrückseite. Hamburger verwahrt sich dagegen, dass er etwa diesen Pupillenab- schluss für einen hermetischen und absolut constanten halte: er könne durchbrochen werden bei maximaler Mydriasis, bei Entzündungen der Iris und des Ciliarkörpers, beim Menschen vielleicht auch bei jeder stärkeren Hyperämie des Auges — bestehe aber überall zu Recht, wo eine mittlere Pupillenweite oder gar Miosis garantirt sei. — Im Anschluss hieran demonstrirt Hamburger ein Differentialmano- meter, mit welchem die Druckhöhen in beiden Augen eines Thieres diffe- rentiell verglichen werden können. Das Instrument ist dem Ehrlich- 568 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Zuntz’schen Differentialmanometer nachgebildet (welches dazu gedient hatte, den Druck in der vorderen Kammer mit demjenigen im Glaskörper des- selben Auges zu vergleichen), nur dass bei der jetzt vorliegenden Modi- fieation die Stellung der Stahlcanülen etwas verändert ist: hierdurch wird es ermöglicht, die Einführung in beide Augen (vordere Kammern) vorzu- nehmen. Nach den bisher angestellten Versuchen besteht zwischen den beiden Augen eines Thieres eine deutliche Druckdifferenz. Offenbar ist das Instrument auch geeignet, über diejenigen Druckveränderungen differentiell Auskunft zu geben, welche durch Eserin, Atropin u. s. w. hervorgerufen werden. Diese Versuche sind noch nicht abgeschlossen. 2. Hr. Dr. Sıeemunn Türk (a. G.) hält den angekündigten Vortrag: Untersuchungen über die Entstehung des physiologischen Netz- hautvenenpulses. In den über die Entstehung des physiologischen Netzhautvenenpulses aufgestellten Theorien kommen im Wesentlichen zwei von einander abwei- chende Anschauungen zum Ausdruck. Nach der einen bewirkt die Herz- systole durch rhythmische Steigerung des intraocularen Druckes die pulsa- torische Verengerung der Venenenden, nach der anderen Anschauung da- gegen verursacht die Herzsystole die pulsatorische Erweiterung dieser Ge- fässstücke. — Für die Feststellung der Beziehungen, welche zwischen den Phasen der Herzthätigkeit einerseits und des Netzhautvenenpulses anderer- seits bestehen, muss das Verhalten des letzteren bei der unter dem Namen des aussetzenden Pulses bekannten Arythmie der Herzaction von ausschlag- gebender Bedeutung sein. Bei einer Anzahl von Personen, welche diese Anomalie der Herzthätigkeit zeigten, beobachtete nun Vortragender, dass beim Ausbleiben einer arteriellen Pulswelle die pulsirenden papillaren Netz- hautvenenenden nach ihrer dem letzten regelmässigen Radialpulse folgenden Erweiterung sich wie sonst, nur meistens etwas stärker als gewöhnlich, ver- engten. Während des ganzen Zeitabschnittes, welcher der ausfallenden ar- teriellen Pulswelle entsprach, blieben die Venenenden verengt. Erst dem nächsten Radialpulse folgte wieder unmittelbar ihre Erweiterung. In dieser Beobachtung, durch welche die Entstehung der Verengerung beim Netzhaut- venenpulse sich als unabhängig von dem Eintritt der arteriellen Pulswelle in das Auge erweist, sieht Vortragender eine neue Stütze der Auffassung, dass die Herzsystole bei der Pulsation der Netzhautvenen nicht die Ver- ‘ engerung, sondern die Erweiterung bewirke. Eine von der Herzsystole abhängige pulsatorische Steigerung des intra- venösen Druckes, die dieser Erweiterung zu Grunde liegen muss, könnte auf zwei Wegen erfolgen: entweder durch rhythmische Erschwerung des Blut- abflusses aus der Vena centralis retinae, oder durch rhythmische Steigerung des Blutzuflusses zu den Netzhautvenen. Durch Erschwerung des Blutabflusses, wie Helfreich, Schön und auch Holz! es annehmen, kann jedoch in Wirklichkeit diese Erweite- rung nicht bedingt sein. Denn, wie sich experimentell nachweisen lässt, breitet sich die durch Behinderung des Abflusses in einem elastischen Strö- mungsrohre entstehende Erweiterung immer der Stromrichtung entgegen aus — auch wenn es sich nur, wie Helfreich für den Netzhautvenenpuls ! Holz glaubt, dass Verengerung und Erweiterung der Netzhautvenenenden durch Diastole und Systole nicht des linken Ventrikels, sondern des rechten Herzvorhofs bewirkt werde. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — SIEGMUND Türk. 569 annimmt, um das Eintreten des gewöhnlichen Strömungswiderstandes nach vorhergehender Aspiration handelt. Die pulsatorische Erweiterung der Netz- hautvenenenden aber erfolgt normaler Weise in der Stromrichtung. Demnach bleibt nur die andere (schon vor Jahren von van Trigt ge- äusserte) Annahme möglich, dass diese Erweiterung durch Steigerung des peripheren Blutzuflusses zu den Venen entsteht, d. h. dass die arterielle Pulswelle sich physiologischer Weise durch die Capillaren bis in die Venen der Netzhaut ausbreitet. Die zwischen den pulsatorischen Erweiterungen bestehende Verengerung der Venenenden ist eine Erscheinung, die, wie sich aus Versuchen von Koerner und von Klemensiewicz ergiebt, in jedem dünnwandigen, nach- giebigen Strömungsrohre am Ende eines unter äusserem Drucke stehenden Bezirkes auftreten kann. Unter geeigneten Bedingungen kann eine solche Verengerung, ohne eine Unterbrechung der Strömung zu bewirken, als dauernder Gleichgewichtszustand bestehen bleiben. Sie würde auch in den Enden der Netzhautvenen eine dauernde sein können, wenn der Blutzufluss zu ihnen nicht einer pulsatorischen Steigerung unterläge. Der Grund für die besonders weite Fortpflanzung der Pulswellen in den Netzhautgefässen liegt in der relativen Höhe des extravasculären Druckes — des intraocularen — der normaler Weise auf diesen Gefässen lastet. Denn dieser Druck lässt zwei Factoren wirksam werden, die erfahrungsgemäss einer weiten Ausbreitung der Pulswellen förderlich sind: es ist dies in erster Linie die Abnahme des Stromgefälles zwischen Netzhautarterien und Netz- hautvenen in Folge der nach den Venenenden hin zunehmenden und in diesen am stärksten ausgesprochenen Verengerung, in zweiter Linie die Ab- nahme der Spannung der Gefässwände. Diese Anschauung von der die Ausbreitung der Pulswellen begün- stigenden Wirkung eines hohen extravasculären Druckes findet eine Stütze in Beobachtungen von Roy und Brown über das Auftreten von Capillar- und Venenpuls in der Froschschwimmhaut bei Anwendung äusseren Druckes auf dieselbe. Vortragender hat die Untersuchungen der genannten Autoren unter Benutzung einer anderen Methode wiederholt und ihre Beobachtungen bestätigt gefunden. Dass die Pulswelle bei ihrem Gange durch die Netzhautgefässe erst an den Enden der Venen in deutlichere Erscheinung tritt, ist durch die zwischen den Pulsen bestehende starke Verengerung dieser Enden bedingt. Denn an verengten Abschnitten einer Strombahn muss derselbe pulsatorische Flüssigkeitszuwachs eine relativ stärkere Ausdehnung hervorbringen als an weiteren Stellen. Sehr geringe Zeichen einer Pulsation aber sind bei auf- - merksamster Untersuchung auch an den Netzhautarterien Gesunder häufig nachweisbar, und ganz schwach wohl manchmal auch an Venenabschnitten ausserhalb der Papille zu sehen. Die Thatsache, dass die Aderhautvenenenden nicht pulsiren, ist, worauf schon Birnbacher und Czermak hindeuteten, auf die von Fuchs fest- gestellte starke anatomische Verengerung zurückzuführen, welche die Wirbel- venen bei dem Durchtritt durch die Sclera erfahren. In Folge dieser Ver- engerung müssen die davor gelegenen intraocularen Enden der Aderhaut- venen wegen ihres höheren Innendruckes einer Compression — und damit auch einer relativ starken pulsatorischen Erweiterung — in viel geringerem Grade zugänglich sein, als es die Netzhautvenenenden sind. 570 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Wenn es der hohe extravasculäre Druck ist, der im Netzhautgefäss- system physiologischer Weise die Ausbreitung der arteriellen Pulswellen bis in die Venen bewirkt, so darf man vermuthen, dass vielleicht noch in an- deren Organen mit alarm Gewebsdruck ein Temmrieez „progressiver“ Venen- puls unter physiologischen Verhältnissen besteht. Eine ausführlichere Veröffentlichung der Arbeit wird an anderer Stelle erfolgen. IX. Sitzung am 10. März 1899. Hr. BEneDIcT FRIEDLAENDER hält den angekündigten Vortrag: Ueber noch wenig bekannte kosmische Einflüsse auf physiologische Vorgänge. Es kann hier nur ein kurzer Auszug des Vortrages wiedergegeben werden; eine ausführlichere Darstellung erscheint demnächst im „Biologischen Centralblatt“. Da es sich um eine Reihe ziemlich heterogener Dinge handelt, die aber alle auf einen Punkt hinzielen, so empfiehlt sich eine historische Anordnung des Stoffes in der Reihenfolge, wie er bekannt geworden ist. Vorher aber muss zur Vermeidung von Missverständnissen hervorgehoben werden, dass in den Worten der Ueberschrift der Ton auf den Worten: „wenig bekannt“ liegt. Hierdurch wird der Sache dann sogleich der sonst etwa vorhandene mystische Anstrich genommen. Denn es giebt ja eine ganze Reihe unbestreitbarer „kosmischer Einwirkungen auf physiologische onen der scheinbare tägliche Umlauf der Sonne, der in einem Jahre durchlaufene Cyclus der Declinationen der Sonne mit den allbekannten, denkbarst weittragenden Folgen für die gesammte belebte Natur gehört hierhin. — Diejenige der hier zu behandelnden Erscheinungen, die am längsten bekannt ist, ja die sich schon in prähistorischen Zeiten der Menschheit aufgedrängt haben muss, ist die Menstruation. Schon der Name für diese Erscheinung in den verschiedenen Sprachen deutet dar- auf hin, dass die mehr oder minder genaue Uebereinstimmung dieses physio- logischen Vorganges mit dem Bewegungscyklus unseres Trabanten dem Volke aufgefallen war. Schon hier mag aber daran erinnert sein, dass die Mond- bewegung, je nachdem wir sie betrachten, verschieden definirt werden kann. ‘ Am auffallendsten ist der sogenannte synodische oder Phasenmonat; durch ihn werden nicht nur die Lichtgestalten des Mondes definirt, sondern auch je im Wesentlichen die Gezeiten, indem die Springfluthen wiederkehren nach einem halben synodischen Monat. Gerade hierin aber liegt auch, wie zu vermuthen steht und später ersichtlich werden wird, derjenige Fehler, der es bewirkt hat, dass die strenge Wissenschaft einem causalen Zusammen- hange der Menstruation mit der Mondbewegung auf irgend einem Wege skeptisch gegenübergestanden hat und steht. Der einzige frühere Erklä- rungsversuch jenes Zusammenhanges, der mir bekannt wurde, rührt von Darwin her.! Unsere Vorfahren lebten angeblich im Gezeitengebiete in der Gestalt von Aseidien und waren als solche natürlich von Ebbe und Fluth in hohem Grade abhängig. Zu jener Zeit hat sich dann, offenbar durch die natürliche Zuchtwahl, jene Periodieität gebildet; nachdem sie aber einmal bestand, lag auch nach Aufgabe des Lebens im Gezeitengebiete kein ! Descent of man. London 1871. Vol. I. p. 212. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — BENEDICT FRIEDLAENDER. 571 Grund zur Aenderung vor; „consequently it (d. h. die monatliche Periode) might be thus transmitted during almost any number of generations“. Es ist dies das Muster einer „Erklärung“, wie sie nicht sein soll. Die gegen- wärtige Erscheinung muss in gewissem Sinne eine gegenwärtige Ur- sache haben. Es ist richtig, dass ausserdem auch noch weit zurückliegende Dinge mit in’s Spiel kommen können. Es ist aber dies Beispiel sehr lehrreich, die Unfruchtbarkeit der vagen Speculation über das möglicherweise Gewesene und der ganzen zugehörigen Betrachtungsweise gegenüber einer methodischen Erforschung der gegenwärtig (und vermuthlich immer) herrschenden Ab- hängiskeitsverhältnisse zu illustriren. Während es sich bei der Menstruation, wenigstens unter unseren Cul- turverhältnissen, nur um eine ungefähre und durchschnittliche Ueberein- stimmung einer physiologischen Erscheinung mit dem monatlichen Umlaufe unseres Trabanten handelt, so liegt bei dem zweiten hier zu berührenden Falle ein so genaues Zusammentreffen vor, ferner ein Zusammentreffen unter solchen Umständen, dass ein Zufall vollständig ausgeschlossen erscheint. Die zahlreichen Volksmeinungen über Mondeinflüsse sind mir einstweilen zu wenig bekannt, als dass ich auf sie eingehen könnte, aber sie verdienen einmal vorurtheilsfrei auf ihre Richtigkeit geprüft zu werden; sie als Aber- glauben von der Hand zu weisen, dazu ist nachher immer noch Zeit genug. Handelt es sich doch in Folgendem auch nur um eine Volksmeinung, und sogar um die Meinung eines Naturvolkes, das oft genug von übel berathener oder von interessirter Seite womöglich als „wild“ ausgegeben wird, ob- wohl es freilich in Wahrheit ebenso wenig, ja weniger wild ist, als unsere eigene Rasse, ich meine die Weissen ganz im Allgemeinen. Die Kenntniss des blossen Vorhandenseins eines gewissen Wurms, des Palolo (Eunice viridis), verdanken wir den Samoanern und einigen anderen Südseeinsulanern; ebenso die Bekanntschaft mit seinen biologischen Eigenthümlichkeiten; und auch bei der Entdeckung der wahren Natur jenes Lebewesens spielte der Umstand eine entscheidende Hauptrolle, dass der Urheber jener Entdeckung mit den Eingeborenen als mit gleichberechtigten Menschen verkehrte und den in der Brust des weissen Mannes den „Farbigen“ gegenüber fast immer schlummernden und oft genug zu Gräuelthaten erwachenden Rassendünkel nicht aufkommen liess.! Wenn das Palolophänomen nicht nachgerade von einer ganzen Zahl durchaus glaubwürdiger Europäer unabhängig von einander, und in den Hauptpunkten übereinstimmend beobachtet, d. h. also die Angaben des samoanischen Volkes bestätigt worden wären, so würde wohl fast Jedermann die ganze Sache für ein wunderliches Südsee-Reisemärchen halten. Während nun aber die Thatsache der Abhängigkeit der Palolo vom Mondesstande als wissenschaftlich durchaus gesichert gelten kann, so treten wir nunmehr, bei der Discussion über die Art des denkbaren Zu- sammenhanges, in das Gebiet der Hypothesen ein. Schon in meiner ersten Notiz wurde der Nachweis versucht, dass die Gezeiten das Phänomen nicht erklären können. Dieser naheliegende, aber hoffnungslos unhaltbare Ge- danke einer Erklärung durch die Gezeiten wurde seitdem trotzdem von Neuem vorgebracht; die Widerlegung dieser Vermuthung findet sich, wie ! Das Nähere über den Palolo findet man in den Schriften desselben Verfassers im Biologischen COentralblatt, Bd. XVILI. Nr. 10. S. 337ff., ausgegeben am- 15. Mai 1898 und Bd. XIX. 572 VERHANDLUNGEN DER BERLINER gesagt, schon in meiner ersten Schrift, und wird, des grösseren Nachdruckes wegen, in meiner zweiten noch genauer ausgeführt werden. Als „vollkommen räthselhaft* musste ich demnach das Ganze bezeich- nen, bis Ende 1898 im „Skandinavischen Archiv für Physiologie“ eine Arbeit von Svante Arrhenius erschien, die mit einem Male ein helles und wohl den Meisten recht unerwartetes Licht auf jene Erscheinung, zugleich aber auch auf die Menstruation und auf manches Andere warf. Vor Allem aber gebührt Arrhenius, von der rein physikalischen, kosmologischen und meteorologischen Bedeutsamkeit seiner Entdeckungen abgesehen, das Ver- dienst, zum ersten Male einen Weg gezeigt zu haben, auf dem wir einen Zusammenhang zwischen Mondstellung und physiologischen Erscheinungen verstehen können; „verstehen“ wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Bevor ich aber auf die Arrhenius’schen Schriften eingehe, sei noch ein anderer Volksglaube der Samoaner erwähnt, der in Bezug auf „Un- glaublichkeit“ auf derselben Stufe steht, wie die Angaben der Samoaner über den Palolo, mit dem Unterschiede jedoch, dass letztere vollkommen be- stätigt worden sind, während ersterer der Bestätigung oder vielleicht auch Widerlegung noch harrt. Die Samoaner behaupten nämlich, dass „die Kinder zu denjenigen Stunden geboren werden, wenn die Fluth zu steigen beginnt“. In’s Astronomische übersetzt würde das bedeuten, dass die Nativität (Ge- burtenfrequenz) kurze Zeit nach den unteren und den oberen Culminationen des Mondes ein Maximum erreicht.! Dies hatte ich schon in meiner ersten Notiz (erschienen am 15. Mai 1898) als samoanischen Volksglauben mitgetheilt und dabei hervorgehoben, dass mir die Sache, Angesichts der feststehenden Thatsachen des Palolo- phänomens, eine nähere Prüfung zu verdienen scheine Unmittelbar nach meiner Rückkehr nach Berlin habe ich dann etwa 1700 Geburten des Cha- ritökrankenhauses nach Mondesstunden ordnen lassen und dabei anscheinend eine Bestätigung des „samoanischen Nativitätsgesetzes“ erhalten. Ja, die Nativitätseurve während eines Mondestages war so regelmässig und die beiden Maxima und Minima so schön gleichmässig und im Einklang mit den Behauptungen der Samoaner vertheilt, dass ich die Sache bereits als sichere Thatsache bekannt geben wollte. Endlich entschloss ich mich jedoch zu einer nochmaligen Prüfung, und diese, ausgeführt an etwa 4500 Fällen ‘ des Berliner Statistischen Amtes, fiel wider Erwarten sehr ungünstig aus. Die erste Statistik war bereits im Sommer 1898 fertig geordnet, die zweite, ungünstige, im Herbste.e Da erschien die erwähnte Abhandlung von Arrhenius. Es sind Arrhenius zwei Entdeckungen gelungen, die im Verein mit gewissen, schon seit 1879 bekannten, aber nicht hinreichend beachteten, hochwichtigen Forschungsergebnissen Berthelot’s nicht nur die Erklärung so mancher bisher dunkler Dinge anbahnen, wie der Palolo- erscheinung und der Menstruation, sondern auch, wenn nicht Alles täuscht, bei systematischer und besonders experimenteller Verfolgung ein neues wichtiges Kapitel der allgemeinen Physiologie bilden werden. Krrhesins hat Edecke 1. im Verein mit Ekholm, dass die Te eleetrieität eine Periode im tropischen Monat durchläuft: 2. dass sich diese Periode widerspiegelt a) in der Menstruation, b) in der Nativität, c) in der Zahl der epileptischen Anfälle Es ist sehr wahrscheinlich, dass ! Die Hafenzeit Apias beträgt etwas über sechs Stunden. | | PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — BENEDICT FRIEDLAENDER 573 auch andere physiologische wie pathologische Erscheinungen gleichfalls diese Periode zeigen werden. Ferner aber hat Arrhenius im Verein mit Ek- holm auch eine Periode der Luftelektrieität während eines Mondestages nachgewiesen, die wenigstens an einigen Orten zwei deutlich ausgesprochene Maxima und Minima zeigt. Dies würde natürlich geeignet sein, das samoa- nische Geburtengesetz (im Falle seiner definitiven Bestätigung) in ähnlicher Weise aufzufassen, wie die von Arrhenius entdeckte tropisch- monatliche Periode der Nativität. Nach den neueren Forschungen gewinnt die Anschauung an Wahr- scheinlichkeit, dass die unmittelbaren Ursachen der physiologischen Er- scheinungen in Thatsachen zu suchen sind, die entweder der Chemie oder dem Grenzgebiete der Ohemie und der Physik zugerechnet werden, beson- ders den osmotischen Verhältnissen. So verdanken wir Loeb den Nachweis, dass es wahrscheinlich keine specifisch elektrophysiologischen Erscheinungen giebt, sondern dass sich jene Thatsachengruppe zurückführen lässt auf elektro- lytische, d. h. also chemische Ursachen. Dass ferner unter Umständen äusserst geringe Mengen gewisser chemischer Stoffe eine sehr bedeutsame Rolle in der lebenden Natur spielen können, das ist in gewissen Richtungen be- reits durch Gustav Jäger und Andere nachgewiesen worden. Wer aber etwa eine allgemeiner anerkannte Bestätigung dieser Thatsache wünscht, der mag an die physiologische Entdeckung der Wirksamkeit der Thy- reoidea denken, oder auch an die pathologische der von Bakterien er- zeugten Toxine, oder endlich an die therapeutische der Organtherapie und der Serumbehandlung. Es wird wohl hier allgemein zugegeben werden, dass es sich in allen diesen Fällen um die Wirksamkeit sehr geringer Mengen specifisch wirkender, wahrscheinlich chemisch hocheonstituirter Sub- stanzen handelt. Durch einige Arbeiten, unter denen wohl diejenigen von Curt Herbst in erster Linie zu erwähnen sind, wird es ferner wahrschein- lich, dass auch bei der Organbildung „formative Reize“, die von speeifischen Chemikalien ausgehen, eine hervorragende Rolle spielen. Die Kette der logischen Schlussfolgerungen wird endlich geschlossen durch die Berthelot’schen Entdeckungen über die chemische Wirksamkeit des elektrischen Effluviums, d. h. variirender oder auch ceonstanter Potential- differenzen, bei denen ein eigentlicher electrischer Strom nicht vor- handen ist und bei denen in vielen Fällen ganz geringe Spannungen hin- reichen. Spannungen einer (nicht geschlossenen!) Kette von fünf Leclanch6- Elementen (d. h. von bedeutend unter zehn Volt!) genügen bereits, um die Fixirung von freiem Stickstoff durch Kohlehydrate, beispielsweise Papier oder Dextrin, hervorzurufen. Ja, schon Berthelot hat diese Wirkung - dureh alleinige Benutzung der atmosphärischen Elektrieität selbst hervor- bringen können und die physiologische Wichtigkeit seiner Entdeckungen hervorgehoben. Das Nähere aber muss der sich dafür interessirende Leser in den Schriften Berthelot’s,' Arrhenius’? und des Verfassers? nachlesen. . 1 Essai de mecanique chimique. Paris. Bd. II. p. 362 ff. ” „Ueber den Einfluss des Mondes auf den elektrischen Zustand der Erde“; ( Bihang till K. Svenska Akad. Handlingar, Bd. 19 u. 20, 1894 u. 1895; „Die Einwirkung kosmischer Einflüsse auf physiologische Verhältnisse“ im Skand. Arch. f. Phys. 1898). ® „Ueber den sogenannten Palolowurm“ im Biologisches Centralblatt 1898, und „Nochmals der Palolo und die Frage nach unbekannten kosmischen Einflüssen auf physiologische Vorgänge“. Fbenda. 1899. 574 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Es ist nicht unmöglich, dass sich hier ein neues Öapitel der allgemeinen Physiologie eröffnet, das vielleicht den Untersuchungen über Thermotropis- mus, Heliotropismus, Geotropismus und Elektrophysiologie an Wichtigkeit nicht nachsteht. Hier wie dort dienten die Erscheinungen der freien Natur nur als heuristisches Mittel; die eigentliche Forschung aber geschah durch das Experiment; die Ergebnisse des Experimentes machten dann wiederum ganze Erscheinungsgruppen der freien Natur verständlich und förderten die moderne Civilisation, indem sie die Herrschaft des Menschen über die Natur- kräfte ausdehnten. Eine aus dem Laboratorium des Hrn. Professor Zuntz hervorgegangene Arbeit! bildet den Anfang zur experimentellen Forschung. Denn es wurde hier gezeigt, dass die blosse elektrische Spannung eine zweifellos physio- logisch erhebliche Sauerstoffzehrung im Wasser hervorruft; veranlasst wurde diese Arbeit durch die Wahrnehmung, dass bei Gewittern häufig Fische todt an der Oberfläche des Wassers mit Zeichen der Erstickung erscheinen. Die Experimente, die im Anschluss an die erwähnten Entdeckungen erforderlich werden, lassen sich erst zum Theil auch nur absehen; die Per- speetive scheint eine ganz ausserordentlich weite zu sein. Die „kosmischen Einwirkungen auf physiologische Vorgänge“, die von der scheinbaren Bewegung der Sonne, sowohl der täglichen, wie der jähr- lichen, ausgehen, sind sehr vielgestaltig und Jedermann geläufig; wenigstens diejenigen, die auf Wärme- und Liehtwirkung? beruhen. Nunmehr will es aber scheinen, als ob die entsprechenden Bewegungen unseres kleinen, uns aber um so viel näheren Trabanten, d. h. der Mondestag und der tropische Monat, gleichfalls eine physiologische Bedeutung besitzen, bei der die verbindenden Glieder dank den Entdeckungen von Arrhenius und Ekholm, die Wirkung des Mondes auf die Luftelektrieität und deren che- mische Consequenzen sein dürften. X. Sitzung am 14. April 1899. 1. Hr. W. Cowr hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Lage- änderung der Thoraxorgane bei der Athmung und deren Dar- stellung auf dem Röntgogram mittels eines Rheotomverfahrens. Durch Benutzung der rhythmischen Vorwölbungen der Abdominalwand bei der Athmung zusammen mit einem besonderen, hierzu passenden Apparat liess sich eine Röntgenröhre in automatischer Weise allein während der ex- spiratorischen bezw. inspiratorischen Umkehr oder Pause bethätigen, wodurch Bilder der Thoraxorgane in ihren zwei Hauptlagen leicht gewonnen wurden. Die projieirten Aufnahmen, die bei ausgiebiger Athmung in der Rücken- lage erzielt waren, zeigen sowohl bei der Exspiration wie bei der Inspiration ! Otto Berg und Karl Knauthe: „Ueber den Einfluss der Elektrieität auf den Sauerstoffgehalt unserer Gewässer“. Naturwiss. Rundschau 1998. XIil. Nr. 51 u. 52. ? Diese Einschränkung ist nothwendig mit Rücksicht auf eine andere, wahr- scheinlich gleichfalls mit der Sonne zusammenhängende Periode. Arrhenius giebt sie auf 25-929 Tage an (die tropisch-monatliche beträgt 27-322 Tage). Sie hängt vielleicht mit der in so vielen Dingen in räthselhafter Weise auftretenden Sonnenfleckenperiode zusammen, oder ist identisch mit dieser. ® Ausgegeben am 15. Mai 1899. PHYSIOL. GESELLSCH. — B. FRIEDLAENDER. — W.Cowr. — L. Brünn. 575 scharfe Umrisse sämmtlicher abgebildeten Theile. Das Zwerchfell bietet auf beiden Seiten eine Kuppe mit einer dazwischen liegenden Depression, die, im Inspirationsbild ganz seicht, von dem Zug der Örura diaphragmatica wohl herrührt, im Exspirationsbild, gleich der Höhe eines Wirbels. von der kleineren Dehnbarkeit der Schenkel als der Pars costalis, wie auch von der Anheftung der durchgehenden Gefässe am Zwerchfell abhängt. Die Lage- änderung der Kuppen bei der Athmung glich der Strecke von der Mitte des 10. bis zum Anfang des 12. Wirbelkörpers. Der Schwertfortsatz lag senkrecht über dem 11. Brustwirbel. In einem Niveau mit diesem kreuzt sich seitlich am Bilde der Exspirationsstellung das Vorderende der 5., in der Inspirationsstellung das Ende der 6. mit dem Verlaufe der 9. Rippe. Die Ansicht, dass der keilförmige (Traube’sche) Raum zwischen Rippen und Zwerchfell sich auch beim Menschen breiter bei der Inspirations- als bei der Exspirationsstellung gestaltet, welche, wie R du Bois Reymond früher an dieser Stelle berichtete, am Leuchtbilde des Thorax zu constatiren ist, zeigt sich auch deutlich in unseren Photogrammen. Der nun messbare Unterschied ist aber nur klein, ganz in Uebereinstimmung mit der That- sache, die das Litten’sche Phänomen in präciser Weise zu Tage gefördert hat, dass der untere Lungenrand sich bei der Ausathmung im Schritt mit den benachbarten Partieen der Lunge zurückzieht. In Betreff des Herzens liest die Längsaxe der Ventrikel beträchtlich weniger von der sagittalen Körperebene abgewendet bei gesenktem als bei hohem, erschlafftem Zwerchfell. Der sich deutlich zeigende Aortenbogen reicht bei der Ausathmung bis zum Anfang des 4. Brustwirbelkörpers hinauf und senkt sich um eine halbe Wirbelhöhe bei der Ausathmung. Ein nahe- liegender Theil der linken Lunge, erkennbar an einer gewissen Theilungs- stelle des Bronchialbaumes, macht dabei den doppelten Weg durch. Da das Herz sich im Ganzen bei der Inspiration senkt, doch aber nicht so viel wie das Zwerchfell, kommt bei dieser Athmungslage die linke Kuppe des letzteren deutlich zum Vorschein. Dies kann allein dadurch stattfinden, dass sich der linke untere Lungenlappen unter den rechten Ventrikel, wie auch in vergrössertem Maasse unter den linken schiebt. Da die vorderen Partien des Pericardium parietale fest am Zwerchfell angeheftet sind, dürfte auch bei tiefer Athmung der vordere untere Rand des rechten Ventrikels am Zwerchfell bleiben. Eine Beschreibung des benutzten Apparates, welcher nach Angaben des Vortragenden von der Firma W. A. Hirschmann in Berlin hergestellt wurde, erscheint demnächst in der Zeitschrift „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen“ Bd. II, H.5 und eine ausführliche Darlegung der bisher - erzielten Resultate in Betreff des normalen Thoraxinhaltes in dem von dieser Zeitschrift (Bd. II, Heft 3) angekündigten Atlas der normalen und patho- logischen Anatomie des menschlichen Körpers nach typischen Röntgenbildern. Zur Feststellung von Lageänderungen in abdomine in Folge der Athem- bewegungen lässt sich der Apparat in ebenso bequemer und sicherer Weise wie zur Abbildung der Brustorgane verwenden. 2. Hr. L. Brünn hält den angekündigten Vortrag: Ueber Fremd- körper im Elfenbein und demonstrirt eine grössere Sammlung von Elfen- beinstücken mit eingeheilten Geschossen. Als solehe Geschosse kommen Blei-, Eisen- und Kupferkugeln, Stücke von gehacktem Eisen, zusammengebogene Nägel und Speerspitzen in Betracht. 576 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Diese Körper können in die Pulpa nur eindringen, wenn sie den noch in der Alveole steckenden Theil des Stosszahnes treffen. Schlägt das Geschoss auf den freien Theil des Zahnes auf, so prallt es in der Regel ab oder es dringt nur ein wenig in die Substanz des Elfenbeins ein. Auf diese Weise verursachte Substanzverluste können nicht durch Reaction des umgebenden (todten) Gewebes ersetzt werden, sie verschwinden nur im Laufe der Zeit dadurch, dass sich die Oberfläche des Zahnes abnutzt und glättet. Hingegen hat das Eindringen in die Pulpa und die hierbei stattfindende Zerstörung des Odontoblastenlagers verschiedenartige Wachsthumsstörungen zur Folge. Diese sowie die verschiedenen Möglichkeiten des Sitzes der Kugel, welchen dieselbe nach Eindringen in den Zahn einnehmen kann, besprach der Vortr. an der Hand der aufgestellten Präparate. Die ausführliche Veröffentlichung wird demnächst in den „Verhandlungen der Gesellschaft naturforschender Freunde“ erfolgen. Eine Anzahl pathologischer Elfenbeinstücke waren dem Vortr. in dankenswerther Weise vom Kgl. Museum für Naturkunde zu Berlin und von Hrn. Prof. W. D. Miller aus dessen reichhaltiger Sammlung bereitwilligst überlassen worden. 3. Hr. E. Rost hält den angekündigten Vortrag: Ueber das Schicksal des o-Oxychinolins und zur Kenntniss der Ausscheidung der sepaarten Schwefelsäuren im Hundeharn.! Die Menge der gepaarten Schwefelsäuren im Harn hängt bekanntlich einmal von der Grösse der Darmfäulniss und zweitens von der Menge der- jenigen in den Magen eingeführten, zur Resorption gelangenden Substanzen ab, die in Form von Aetherschwefelsäuren ausgeschieden werden. Zu Ver- suchen also, die den Zweck haben, die Beeinflussung der Darmfäulniss durch gewisse Substanzen an der Menge der im Harn eliminirten gepaarten Schwefelsäuren zu messen, dürfen nur solche Substanzen herangezogen werden, die nicht selbst den aromatischen Paarling für die Aetherschwefelsäuren bei ihrer Ausscheidung abgeben. Andererseits sind Versuche über die Aus- scheidung von Substanzen als gepaarte Schwefelsäuren stets bei möglichst gleicher Darmfäulniss anzustellen, im Stoffwechselgleichgewicht. Da es nun wohl leicht ist, Nahrung von der gleichen Zusammensetzung, aber schwer hält, solche von gleicher Fäulnissfähigkeit zu geben, so müssen die stets auftretenden Schwankungen einzelner Tage durch eine längere Versuchs- dauer corrigirt werden und die Werthe derselben mit den Zahlen einer Vor- und einer Nachperiode verglichen werden. Eine genaue Abgrenzung der Tagesmengen Harn durch sorgfältiges Auffangen derselben und Katheterisiren des T'hieres am Schlusse jeder 24stündigen Periode versteht sich von selbst. 1. Als gepaarte Schwefelsäuren werden ausgeschieden: das 0o-Oxychinolin, | | INES OH N , das Oxychinolinsulfat und wahrscheinlich auch das Chinolin selbst. ' Der Vortrag erscheint ausführlich in den Arbeiten aus dem Kais. Gesundheitsamt Bd. XV, Heft 2. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — L. BrüHL. — E. Rost. — C. BEenva. 577 Nach den Erfahrungen, dass wohl Benzol, Phenol und Naphthalin, nicht aber Pyridin (His) sich im Organismus paaren, darf die Anlagerung der Schwefelsäuregruppe an den Benzol-, nicht aber an den Pyridinring des Oxycehinolins verlegt werden, sei es, dass der Doppelring bestehen bleibt oder gesprengt wird und einer vorhergehenden Oxydation unterliegt (wie Benzol, Naphthalin u. s. w.) oder nicht. Die Kenntniss der Ausscheidungsproducte dieser Substanzen ist geeignet, Licht auf das Schicksal der Alkaloide zu werfen, so weit sie Chinolinderivate, wie Chinin, Morphin, Strychnin, sind: ein Gesichtspunkt, der in der Litteratur noch nicht berücksichtigt worden ist. Eine andere Ausscheidungsform für das Oxychinolin scheint die Carbon- säure zu sein, wie unter Anderem das Vorkommen der Oxychinolincarbon- säure (= Kynurensäure) im Hundeharn beweist. 2. Beim Hunde gelingt es ebenso wie beim Menschen (Kast), durch grössere Gaben Alkali (12 bis 308” Kreide) die Aetherschwefelsäuren im Harn zu steigern; die Abhängigkeit der Darmfäulniss von der Einwirkung der Magensalzsäure ist auch dadurch beim Hunde wahrscheinlich gemacht. 3. Bei vollkommener Entziehung von Nahrung und Wasser sinkt im Laufe von 12 Tagen die Quantität der Aetherschwefelsäuren beträchtlich, erreicht aber niemals den Werth = 0. Auch darin ist ein Beweis zu sehen, dass der Darm beim Hungern sich wohl der Nahrungsreste entledigt, nicht aber vollständig leer von Secreten u. s. w. wird. Die Fortsetzung des Ver- suches bis zum Hungertode des Hundes ergab das gleiche Resultat. XII. Sitzung am 12. Mai 1899. 1. Hr. ©. BenpA (zusammen mit Hrn. F. Prrurz) hält den angekündigten Vortrag: Ueber ein noch nicht beachtetes Structurverhältniss des menschlichen Hodens. Als wir bei der Untersuchung syphilitisch erkrankter Hoden zum Studium der Gefässveränderungen die modernen Färbungen der elastischen Fasern, das Unna-Taenzer’sche und das Weigert’sche Verfahren anwandten, ent- hüllten diese Methoden ein überraschendes Verhalten der Samencanälchen: Ihre sogenannte Membrana propria liess eine fast ausschliessliche Zusammen- setzung aus elastischem Gewebe erkennen. Wir haben diesen Befund vorläufig bei normalen menschlichen Hoden weiter verfolgt. Verwendet wurden für diese Untersuchung mehrere zumeist unmittelbar nach dem Tode entnommene, normale Hoden aus verschiedenen Lebensaltern; ferner ein durch Castration gewonnener, kräftig funetionirender Hoden eines 60jährigen Mannes (seiner Zeit von Hrn. E. Hahn, Kranken- haus Friedrichshain, geschenkt und von Benda mehrfach beschrieben und abgebildet). Letzterer war nach Benda’s Salpetersäure-Kalibichromatmethode gehärtet; das neue Material wurde mit 10 procent. Formalinlösung, dann mit Alkohol behandelt. Als Färbung wurde im Allgemeinen die Weigert’sche wegen der Schnelligkeit des Verfahrens und der Schärfe der Bilder bevorzugt. Die Kerne wurden mit Toluidinblau oder mit Safranin gefärbt. Nur bei dem Salpetersäurematerial versagte die Weigert’sche Färbung, dagegen lieferte Archiy f. A. u. Ph. 1899. Physiol. Abthlg. 37 578 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Orcein scharfe Bilder. Hier wurde als Nachfärbung, da Toluidinblau gleich- falls versagte, Vietoriablau angewandt. Von grosser Wichtigkeit ist auch die Färbung des Bindegewebes. Diese erreieht man nach Ausführung der Weigert’schen Färbung durch die van Gieson’sche Methode bei Kernfärbung mit Hämatoxylin. Noch elegantere Bilder liefert mit der Weigert’schen Elastieafärbung eine früher von Benda angegebene Färbung mit Safranin und Lichtgrün. Die Thatsache ist längst bekannt, dass man aus dem geschlechtsreifen menschlichen Hoden die Samencanälchen auf weite Strecken einfach heraus- ziehen kann. Das musste auf einer besonderen Resistenz ihrer Wandung beruhen; durch welche Elemente diese Resistenz aber bewirkt wird, ist, soweit wir die Litteratur verfolgen konnten, keiner eingehenderen Unter- suchung gewürdigt worden. Henle isolirte mit Kalilauge ein structurloses Häutchen, welches er als Intima einer lamellösen Umhüllungshaut ansieht, ohne es als elastisches Ge- webe anzusprechen. Am meisten Verbreitung hat die Beschreibung v. Mi- hälkoviez’ gefunden, der die Membrana propria der Hodencanälchen aus Schichten von platten Zellen zusammengesetzt erklärt. Benda hat im histologischen Handatlas und in Zuelzer’s klinischem Handbuch der Krank- heiten der Harn- und Geschlechtsorgane die erhebliche Dieke der Membrana propria zur Darstellung gebracht, sie aber als lamellös bindegewebig an- gesehen. Rawitz schliesst sich der Beschreibung Henle’s ungefähr an. Der Einzige, der bisher wenigstens einzelne elastische Fasern in der Canälchen- wand gesehen hat, ist Kölliker. Das Ergebniss unserer Untersuchungen ist in Kurzem folgendes: Im Hoden des ausgewachsenen Menschen besteht die 3 bis 6u dicke Membrana propria der Tubuli contorti in ihrer Hauptmasse aus elastischen Fasern, die sich in mehrfacher Lage innig durchflechten und namentlich bei etwas dickeren Schnitten auf den ersten Blick eine ganz einheitliche elastische Haut vortäuschen. Auf feinsten Schnitten gewahrt man aber bei stärkeren Vergrösserungen feine spaltartige, concentrisch angeordnete Lücken, die die platten Zellen v. Mihälkoviez’ einschliessen. (Dagegen lässt sich nichts von jenen radiären Canälen entdecken, die angeblich die Verbindung der interstitiellen Hodenzellen mit dem Canälchenepithel vermitteln sollen, und die, wenn sie existirten, bei der Rlasticafärbung wohl scharf hervorgehoben werden müssten.!) Ebenso verhalten sich die Tubuli recti. Die Canälchen des Rete testis, die bei gewöhnlichen Färbungen als unregelmässige, vielfach ecommunicirende, mit Epithel ausgekleidete Spalten des bindegewebigen Mediastinum testis. erscheinen, lassen auch mit der Elasticafärbung keine eigentliche Membrana propria erkennen. Das Binde- gewebe enthält aber reichliche, sie umkreisende Netze elastischer Fasern. Im Nebenhoden liegt in der Wand der Vasa efferentia ein dichteres elastisches Geflecht innerhalb der glatten Muskelschicht, aber dasselbe bildet keine zusammenhängende Membran. Die Albuginea ist, ebenso wie die Bindegewebssepten des Hodens, reich an elastischen Elementen. Ganz abweichend ist das Verhalten kindlicher Hoden. Die elastischen Fasern sind in unseren Präparaten in der Albuginea und vereinzelt auch ! Zusatz in Folge einer betreffenden Anfrage in der Discussion. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — 0. BENDA. — N. Zuntz. 579 im Bindegewebe mit aller Schärfe dargestellt. Sie fehlen aber völlig in der Wanda der Samencanälchen. Es ist von grossem Interesse, dass der Hoden eines 38jährigen Zwerges, der bereits bei einer früheren Gelegenheit hier von Benda besprochen und demonstrirt wurde, auch durch das völlige Fehlen einer elastischen Menıbrana propria das infantile Verhältniss zeigte, welches Benda bei erwähnter Gelegenheit schon hinsichtlich des Canälchen- epithels hervorgehoben hat. Es scheint darnach, als ob neben den schon früher (Zuelzer’s Hand- buch von Benda) hervorgehobenen Merkmalen (Auftreten eines weiten Lumens, Umwandlung der vegetativen Hodenzellen in Fusszellen) auch das Auftreten der Elastica in der Membrana propria ein sicheres Kriterium der Pubertät abgiebt. Das Studium der Uebergangsveränderungen beim Beginn der Pubertät ist noch nicht abgeschlossen, ebenso erübrigt uns noch eine vergleichende Untersuchung von T'hierhoden hinsichtlich der Elastica. Beim Studium der pathologischen Processe des Hodens bietet die Elastica- färbung, wie wir uns schon an mehreren Öbjeceten überzeugen konnten, dieselben Vortheile, die sie beim Studium der Gefässerkrankungen bereits mehrfach (Goldmann, Rieder, Benda) gewährt hat, auch um die Be- theiligung der Hodencanälchen bei krankhaften Veränderungen zu erkennen. Auch hier zeigt sich nämlich ebenso wie an der Elastica der Gefässe, dass die elastischen Fasern selbst noch bei hochgradigen Zerstörungen des Ge- webes Stand halten. Ihr Nachweis bietet hierdurch eine Handhabe, um die ursprüngliche Begrenzung des Canälchenrohres festzustellen, und ermöglicht so eine genaue Orientirung in den krankhaft veränderten Schichten zu einer Zeit, wo bei gewöhnlichen Färbungen schon scheinbar das gesammte Canäl- chen in das Krankheitsproduct aufgegangen ist. Wir haben bis jetzt in mehreren Präparaten von gummösen Veränderungen des Hodens diesen Untersuchungsweg benutzt. Der von Malassez und Reclus vertretenen Anschauung, dass bei Syphilis die Samencanälchen unter Verdickung der Membrana propria veröden, steht‘ die Beobachtung Langhans’ gegenüber, dass selbständige intracanali- euläre Processe dabei mitspielen. Unsere Präparate bestätigen handgreiflich die letztere Ansicht. Bei Beginn der Erkrankung findet sich deutlich zwischen Elastica und Epithel eine ganz neue bindegewebige Wucherungsschicht mit hyalinartig gequollener Zwischensubstanz. Dieselbe verdickt sich beim Fort- schreiten des Processes und bewirkt eine Zusammendrängung und Degene- ration des Epithels, während die Elastica lange Zeit ohne wesentliche Ver- änderung in fast normaler Dicke und Weite beharrt. i 2. Hr. N. Zunzz hält den angekündigten Vortrag: Ueber eine Methode zur Aufsammlung und Analyse von Darm- und Gährungsgasen. Die Gährungen des Darminhaltes und ihre gasigen Producte haben in jüngster Zeit das Interesse des Klinikers in erhöhtem Maasse erregt. Hier- durch ist das Bedürfniss nach einer handlichen und bequemen Methode zum Aufsammeln und Analysiren dieser Gase ein dringendes geworden. Unter Mitwirkung von Hrn. Dr. Seymour Basch aus New-York habe ich mich bemüht, einen hierzu geeigneten, möglichst bequemen Apparat zusammen- zustellen. Wir haben auch gemeinschaftlich die Prüfung der Genauigkeit des Apparates durch Analysiren von Gasgemischen bekannter Zusammen- setzung vorgenommen. Seine praktische Brauchbarkeit hat Dr. Basch bei 37“ 580 VERHANDLUNGEN DER BERLINER einer Untersuchung der gasförmigen Gährproducte des menschlichen Kothes, über welche er demnächst berichten wird, erprobt. Eine grosse Schwierigkeit bei allen derartigen Untersuchungen liegt in dem Umstande, dass man die Art und Menge der in dem Gasgemisch ent- haltenen brennbaren Gase auch nicht annähernd im Voraus abschätzen kann. Man muss deshalb, wenn man die Menge dieser Gase durch Explosion bestimmen will, stets sehr grosse Ueberschüsse von Sauerstoff zusetzen und dann nachträglich tastend Knallgas zufügen, bis die Grenze der Verbrenn- lichkeit erreicht ist. Dadurch werden solche Analysen nicht nur sehr müh- selig und zeitraubend, sondern verlieren auch an Genauigkeit. Bei Aus- führung derartiger Arbeiten haben ich und meine Mitarbeiter vielfach Gelegenheit gehabt, die Unzuverlässigkeit des elektrolytisch erzeugten Knall- gases, sowie die grossen Fehler, welche bei etwas zu hohem Knallgasgehalt durch Verbrennung von Stickstoff entstehen, kennen zu lernen.! Wir entschieden uns deshalb dafür, die Verbrennungen nach der von Orsat stammenden, von Drehschmidt? vervollkommneten und erprobten Methode in einer zur Rothgluth erhitzten Platincapillare vorzunehmen. Wie auf der Figur ersichtlich, ist die Verbrennungscapillare f dauernd mit dem Gasmessapparate durch einen diekwandigen capillaren Gummischlauch derart verbunden, dass Glas und Metall ohne Zwischenraum an einander grenzen. In dem Gasmessapparate dient fast concentrirte, mit Salzsäure schwach an- gesäuerte und durch Rosolsäure gefärbte Kochsalzlösung als Sperrflüssigkeit. Der Messapparat kann auch ohne Weiteres mit Quecksilber gefüllt werden, was bei Analyse sehr kohlensäurereicher Gasmischungen die Genauigkeit erhöht. Am anderen Ende der Platincapillare befindet sich zur Aufnahme des Gasgemisches die Kugel y, welche auf alle Fälle mit Quecksilber gefüllt sein muss, da ein ziemlich hoher Druck dazu gehört, das Gas durch die Platincapillare f, deren Lumen durch einen eingelegten Platindraht stark verengt ist, hindurch zu treiben. Die Messung der Gasvolumina, welche stets bei dem gerade herrschenden Atmosphärendruck ausgeführt wird, geschieht nach dem von O. Bleier? empfohlenen Prineip durch Combination einer Messröhre mit Reserveräumen. Die eigentliche Messröhre 5 fasst 12°” und trägt eine Theilung, deren kleinste Intervalle 0-05 °“® abgrenzen, so dass 0-01 °”® ziemlich sicher ab- geschätzt werden können. Die Reserveröhre a communieirt oben mit 5 durch eine gebogene Glasröhre von 4"%% Durchmesser, deren Scheitel einen senk- rechtz um Hahn o aufsteigenden Ansatz trägt. Rohr a hat vier elliptische Erweiterungen und trägt an den engen Theilen oberhalb der ersten Erweite- rung, zwischen jeder derselben und unter der letzten je einen aufgeätzten ! Vgl. Zuntz, Ist Kohlenoxydhämoglobin eine feste Verbindung? Pflüger’s Archiv. Bd.V. 8.584. — Zuntz, Lehmann und Hagemann, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Pferdes. Zandw. Jahrb. 1889. 8.39 ff. und 1894. 8. 147 ff. — Tacke, Ueber die Bedeutung der brennbaren Gase im thierischen Organismus. Jnaug.- Dissert. Berlin 1884. : s ® Drehschmidt, Beiträge zur Gasanalyse. 2. Chem. Ber. 1888. Bd. XXI. 3. 3245. 3 O. Bleier, Gasmessröhren mit Reserveräumen. CO'hem. Ber. 1897. Bd. XXXc. 8.2758. Die ebenda S. 2753 angegebene Modification der Petterson’schen Methode ist schon Jahre vorher von Tigerstedt und Sonden angewendet und beschrieben worden, s. deren Untersuchungen über die Respiration und den Gesammtstoffwechsel des Menschen. Skandinavisches Archiv für Physiologie. 1895. Bd. VI. S. 17 ff. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. Zuntz. 581 Strich. Der oberste derselben ist der Nullpunkt der Graduirung von Rohr b. Der Raum zwischen zwei Strichen misst je 10%”, so das das ganze System, einschliesslieh der gebogenen oberen Glasröhre und der Bohrung des Hahnes o 52 °® fasst. Die Richtigkeit der Maasse muss natürlich durch u RN Nachcalibrirung controlirt und die Fehler auf Grund der anzulegenden Calibrir- tabelle in Rechnung gestellt werden. Die Calibrirung muss in genau derselben Weise, wie die späteren Abmessungen der Gasvolumina, und zwar in der Art erfolgen, dass man den Abflussschlauch durch eine Schraubklemme so weit verengt, dass etwa 3 Minuten zur Entleerung der Röhre beansprucht werden. Dann findet kein nachträgliches Zusammenfliessen der Messflüssig- 582 VERHANDLUNGEN DER BERLINER keit statt und es bleiben keine Flüssigkeitstropfen an den Wänden haften. Nur wenn die Röhre unrein, etwa mit Spuren von Hahnfett verschmiert ist, können trotz vorsichtigen Ablassens der Flüssigkeit Tropfen. hängen bleiben. Meist genügt dann einmaliges Durchspülen mit Kalilauge, um die Wand wieder in normalen Zustand zu versetzen. Um Fehler durch Temperatur- schwankungen auszuschliessen, befinden sich die zwei Messröhren in einem 40°® hohen, mit Wasser gefüllten, parallelepipedischen Glaskasten, dessen Boden sie wasserdicht durchsetzen. Unterhalb tragen die Enden der Mess- röhren je einen mit Quetschhahn versehenen Kautschukschlauch. Beide Schläuche sind. durch ein Y-förmiges Glasstück mit einander und mit dem Schlauche des zweischenkeligen Niveaugefässes ce verbunden. Der Schrauben- quetschhahn n ermöglicht die Regulirung der Geschwindigkeit der aus- fliessenden Sperrflüssigkeit beim Einlassen des Gases in die Messröhren. Zur Controle und ÜÖorreetion des Einflusses von Temperatur- und Luftdruck- schwankungen auf das Volumen des in den Messröhren befindlichen Gases dient das Thermobarometer %. Dasselbe besteht aus einer 50 °@ fassenden Glas- röhre, welche so weit mit Quecksilber beschwert ist, dass sie keinen Auf- trieb hat. Oben ist sie durch einen Hahn verschlossen und trägt unterhalb desselben eine horizontal abzweigende, mit einer Theilung von 0-01 °® ver- sehene enge Glasröhre /. In dieser befindet sich ein leicht beweglicher Petroleumtropfen, dessen jeweiliger Stand zur Berichtigung der durch Wärme- und Luftdruckschwankungen bewirkten Volumenänderungen des Gases benutzt wird. Natürlich muss die am Röhrchen / abgelesene Volumenänderung der 50°°W Gas auf den der in a und 5 befindlichen Gasmenge entsprechenden Werth reducirt werden, was mit genügender Genauigkeit durch Kopfrechnung geschehen kann. Von dem die Messröhren oben abschliessenden Hahn o zweigen hori- zontal vier fast capillare Röhren ab. Der Hahnstopfen besitzt eine einzige, ihn von der Mitte seimer Unterfläche schräg nach oben und zur Peripherie durchsetzende Bohrung. Er bringt daher bei einer Drehung um 360° die Messsröhren nach einander mit allen vier Abzweigungen in Verbindung und dazwischen giebt es vier Stellungen, in denen die Messröhren vollkommen abgeschlossen sind. Von den vier Abzweigungen führt eine zu der schon besprochenen Verbrennungscapillare f, eine zweite zu einer Kalipipette d, die dritte zu der Pipette e, welche zur Absorption des Sauerstoffes bestimmt ist und zu diesem Behufe mit Röllchen aus feinem Kupferdrahtnetz voll- gestopft und mit einer Mischung aus 4 Volumen concentrirter Ammon- carbonatlösung und 1 Volumen Aetzammoniaklösung von 0-91 specifischem Gewicht gefüllt ist. Die vierte Oeffnung dient zum Einlassen der Gasproben. Dieses. erfolgt etwa aus dem noch zu besprechenden Gährgefäss, dessen Aus- flussrohr man durch einen capillaren, mit Wasser gefüllten Gummischlauch anfügt. Der untere Quetschhahn von Rohr 5 ist zunächst geschlossen, der von a geöffnet und man saugt nun bei stark verengtem Quetschhahn n das Gas langsam in Rohr a, und zwar je nach seiner Menge bis zur obersten oder einer der folgenden Marken. Unter genauer Einstellung auf eine der Marken wird dann a unten abgesperrt, und der Rest des Gases in Rohr 5 untergebracht. Sofort kann nach Mischung des Kühlwassers und Notirung des Standes des Thermobarometers die Ablesung des Gasvolumens an der Theilung von d erfolgen, indem man das U-förmige Niveaugefäss ce in gleiche Höhe mit der Flüssigkeitssäule in 5 bringt. Die richtige Einstellung des PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. 583 Auges ist gegeben, sobald die drei Flüssigkeitsmenisken in den beiden Schenkeln von ce und in d eine gerade Linie bilden. Falls der Apparat lange nicht gebraucht war, muss übrigens, was sonst am Schlusse jeder Analyse ohne Zeitverlust geschieht, eine Füllung der Ver- brennungscapillare und der übrigen capillaren Lufträume des Apparates mit Stickstoff bewirkt werden. Zu diesem Behufe wird ein Quantum Luft in a und 5 eingesaugt und in der Kupferpipette von Sauerstoff und Kohlensäure befreit. Das ist in 3 Minuten sicher geschehen. Mit dem resultirenden Stickstoff wäscht man die Verbrennungsröhre f und die Kalipipette aus und stellt dann die Flüssigkeit in allen Pipetten auf den Nullpunkt ein. Hierauf “ wird der Stickstoff verjagt und das zu analysirende Gas, wie vorher be- schrieben, in die Messröhre genommen. Die Analyse eines complieirten, etwa Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure, Methan und Wasserstoff enthaltenden Gasgemisches gestaltet sich nun fol- sendermassen. Nach Ablesung des Gasvolumens wird dasselbe in die Kali- pipette getrieben und bei bedeutendem CO,-Gehalt diese Procedur wieder- holt, um auch den Inhalt des capillaren schädlichen Raumes von CO, zu befreien. Dann nimmt man das Gas in die Messröhren zurück, und zwar, indem man zunächst die Kugelröhre # bis zu der geeigneten Marke füllt, dann lässt man den Rest des Gases in 5 eintreten und liest hier das Volumen ab. Nun folgt Absorption des Sauerstoffes, welche in der ammoniakalischen Kupferlösung kaum 3 Minuten beansprucht, und Ablesung des Restes. Diesen Rest treibt man in die Kalipipette und nimmt dann in die Messröhren a und 5 eine zur vollständigen Verbrennung des Gasgemisches mehr als aus- reichende Menge Luft oder reinen Sauerstoffes. Man kann auch den Sauer- stoffvorrath aus einer Elkan’schen Bombe benutzen, falls dessen Verunrei- nigung mit Stickstoff durch vorgängige Analysen sicher bekannt ist. Nachdem der Zusatz gemessen und mit dem Gasrest in der Kalipipette gemischt ist, wird der Gasbrenner » unter der Verbrennungscapillare angezündet und so eingestellt, dass der mittlere Theil der Platincapillare in helle Rothgluth geräth. Die die Enden der Capillare umschliessenden Kupfereylinder sind vorher mit Kühlwasser gefüllt worden. Nun wird die Füllkugel A in Saug- stellung gebracht, die Hähne unter 9 und bei o geöffnet; das Gas strömt durch f nach 9; zum Schluss wird der Uebertritt verlangsamt, indem man % annähernd im Niveau von g in der Hand hält; sobald die Sperrflüssigkeit die Bohrung des Hahnes o passirt hat, beginnt das Rücktreiben des Gases durch die glühende Röhre nach a und 5, bis das Quecksilber wieder die Kugel g ganz erfüllt. In diesem Moment wird der Hahn unter y geschlossen und der Brenner p entfernt. Sehr bald ist das Gas erkaltet und wird in a und 5b abgelesen, dann von der gebildeten Kohlensäure befreit und wieder abgelesen. Es ist empfehlenswerth, sich von der Vollständigkeit der Verbrennung durch Wiederholung der Procedur zu überzeugen; dabei gelangen auch die kleinen Reste von CO,, welche in der Verbrennungscapillare verblieben waren, zur Absorption und Bestimmung. — In vielen Fällen kann man hiermit die Analyse als beendet betrachten; oft ist es wünschenswerth, die Richtigkeit der aus der Volumenabnahme bei der Verbrennung und aus der gebildeten CO, berechneten Zusammensetzung des Gasgemisches dadurch zu prüfen, dass man die Menge des übrig gebliebenen Sauerstoffes durch Absorption be- stimmt und daraus die Menge des zur Verbrennung gebrauchten berechnet. 584 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Thut man dies, so hinterlässt man auch den Apparat nach Durchspülung der Verbrennungsröhre und Kalipipette mit dem Stickstoffreste vollkommen vorbereitet für eine neue Analyse. Zur Prüfung der Leistungen des Apparates habe ich in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Basch eine Anzahl Analysen bekannter Gasgemische ausgeführt. Zu verschiedenen Zeiten wurden dem Freien entnommene Proben atmo- sphärischer Luft analysirt. Dieselben ergaben folgende Resultate: 1. 0.00 Procent CO, 20-75 Procent OÖ 79.25 Procent N % 0 . ö 30. DNA ET 0. R 90"oBl N eg Se UE AERO g 30.70 ai ENT 9. 0:04 ” ” 20.87 ” ” 79-09 ” „ Eee „ N. N \ a ., Mittel: 0-05 Procent 09, 20-77 Procent OÖ 79.20 Procent N. 4 Das Mittel weicht nur sehr wenig ab von der auf Grund der besten Analysen angenommenen Zusammensetzung der Luft: 0-03 Procent 00, ° 20-92 Procent OÖ 79.05 Procent N. Die grösseren Abweichungen, namentlich in Versuch 2, überschreiten noch nicht die bei Darmgasanalysen aus anderen Gründen unvermeidlichen Fehler- grenzen. Nie sind übrigens dadurch entstanden, dass man bei Versuch 2 und 3 den Schraubenquetschhahn an dem Ausflussschlauche nicht benutzte und das Wasser in raschem Strome aus der Bürette ausfliessen liess, wobei Wassertropfen hängen blieben. Grössere Fehler durch Absorption von Gas in der Sperrflüssigkeit und spätere Abgabe desselben sind bei kohlensäurereichen Gasgemischen zu be- fürchten. Um die hier zu erwartende Grenze der Fehler zu bestimmen, brachten wir reine Kohlensäure in die Messröhren, welche vorher mit Stick- stoff gefüllt gewesen waren. Das Gas wurde sofort abgelesen; es waren 29.073°®%, Dann wurde von Zeit zu Zeit durch Heben und Senken des Niveaurohres und indem man etwas Gas aus Rohr « in 5 und umgekehrt presste, bewirkt, dass das Gas in recht ausgiebige Berührung mit der Sperr- flüssigkeit kam. Nach einer halben Stunde ergab die Ablesung 28.746 °“"; es waren also 0.327 °“® oder 1-1 Procent des Gases von der Sperrflüssigkeit absorbirt worden. Das dürfte der grösste Fehler durch Absorption sein, welcher bei den kohlensäurereichsten Darmgasen zu befürchten ist, wenn man ohne unnöthigen Zeitverlust arbeitet. Um die Genauigkeit der Verbrennungsanalyse. festzustellen, wurde eine grössere Menge Kohlenoxydgas durch Erhitzen von Oxalsäure mit concen- trirter Schwefelsäure hergestellt und in einem Quecksilbergasometer auf- bewahrt. Dem Gase war etwas atmosphärische Luft und Kohlensäure bei- gemengt. Eine eudiometrische, mit allen Cautelen ausgeführte Analyse er- gab einen Kohlensäuregehalt von 3-80 Procent. Im CO,-freien Gasgemisch wurden durch Verpuffung mit überschüssigem Sauerstoff und Absorption der gebildeten Kohlensäure 91-04 Procent CO und 8-96 Procent Luft gefunden. In unserem Apparate wurden fünf Ana- lysen dieses Gasgemisches vorgenommen, wobei aus dem Freien geschöpfte atmosphärische Luft zur Verbrennung diente. In Folge dessen konnten nur PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuNTZ. 585 etwa 10 “m Gas zu jeder Analyse verwendet werden, was natürlich die Fehler vergrösserte. Die Menge des vorhandenen Kohlenoxyds konnte bei diesen Analysen aus drei von einander unabhängigen Beobachtungen ermittelt werden. Nach der Gleichung: CO7 07 00, (2 Vol) (1Vol.) (2 Vol.) ist die Volumenabnahme bei der Verbrennung halb so gross, wie das Volumen des Kohlenoxyds; die gebildete Kohlensäure hat das gleiche Volumen wie dieses; der verbrauchte Sauerstoff endlich, welcher sich durch Absorption des nach der Verbrennung gebliebenen Restes bestimmen lässt, muss dem halben Volumen des Kohlenoxyds gleich sein. Die Ergebnisse waren im Mittel: Kohlensäure im ursprünglichen Gase 3-4-Procent. Im kohlensäurefreien Gasrest berechnete sich der Gehalt an Kohlenoxyd aus der Contraction zu. . . . 92.4 Procent aus der gebildeten Kohlensäure zu 89-9 A, aus dem verbrauchten Sauerstoff zu 91-9 ,, Die Einzelwerthe zeigen, wie bei der Kleinheit der zur Analyse benutzten Gasmengen zu erwarten war, grössere Abweichungen. Die Mittelwerthe kommen dem Ergebniss der endiometrischen Analyse (91-04 Procent CO) nahe genug, um zu zeigen, dass der Methode kein prineipieller Fehler anhaftet. Das Mittel der auf Grund der drei ver- schiedenen Beobachtungsdaten gewonnenen Werthe beträgt 91.4 Procent, stimmt also mit dem Ergebniss der Endiometer-Analyse fast genau überein. Dass die Beobachtung der Contraction einen etwas zu hohen, die der ge- bildeten CO, einen etwas zu niedrigen Werth ergiebt, liegt in der Natur der Sache. Nach der Verbrennung ist das Gasgemisch sehr reich an Kohlen- säure. Ehe es zur Ablesung kommt, wird davon ein wenig durch das Sperr- . wasser absorbirt, die Verbrennungscontraction erscheint deshalb zu gross, die in der Kalipipette absorbirte Kohlensäure wird zu gering. Der ver- brauchte Sauerstoff wird annähernd richtig gefunden. Wenn wir statt mit Luft mit reinem Sauerstoff verbrannt hätten, wobei wir die dreifache Gasmenge hätten anwenden können, wären die Fehler natürlich entsprechend kleiner ausgefallen. Für das Auffangen der Gasproben aus dem Magen, bezw. Darm hat Georg Hoppe-Seyler eine recht bequeme Methode angegeben, bei der das Schlundrohr mit einer dreifach tubulirten, mit den Oeffnungen nach unten aufgestellten Wulff’schen Flasche verbunden ist. Es soll in der Art manipulirt werden, dass erst ein grosser Theil des Wassers in der Flasche durch Mageninhalt ersetzt wird, dann über diesem das Gas sich ansammelt. Dadurch, dass man das Wasser in der Flasche vor dem Eintritt der Gase möglichst durch Mageninhalt ersetzt, wird der Fehler der Gasabsorption durch dies Wasser sehr vermindert; aber der Ersatz ist nicht immer und wohl nie vollständig möglich — man wird daher fast regelmässig auf 00,- Veriust rechnen müssen. — Noch grösser werden die Verluste kei den Gährungsversuchen, wenn man dieselben, wie Schmidt und Strassburger, in offenen Gährröhrchen ansetzt, wobei das entwickelte Gas einen Theil der 586 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. Flüssigkeit vor vollendeter Gährung herausdrängt. Hierbei ist natürlich, da die Gährungsgase in sehr ungleichem Verhältnisse von Wasser absorbirt werden, anzunehmen, dass das am stärksten absorbirte Gas, die CO,, in der zur Analyse kommenden Probe in geringerem Verhältnisse gefunden wird. Im Anschlusse an eine von Dr. Loewy und mir bei Absorptionsver- suchen mit Blut benutzte Einrichtung hat Hr. Dr. Basch auf meinen Rath folgenden einfachen Apparat zum Auffangen der mit der Sonde dem Magen, bezw. dem Mastdarme zu entnehmenden Gase benutzt. Ein birnförmiges Glasgefäss von etwa 300 °“% Inhalt ist mit einem doppelt durchbohrten Gummistopfen verschlossen. In beiden Bohrungen stecken aussen recht- winkelig abgebogene Glasröhren, deren eine scharf unter dem Kork endet, während die andere 5" tief in die Flasche hineinragt. Auf letztere Röhre ist ein dünnwandiger Gummiball aufgebunden, welcher in aufgeblähtem Zu- stande den Innenraum der Flasche vollkommen erfüllt. Soll Gas aus dem Darme oder Magen aufgesammelt werden, so bringt man in die Flasche etwas Wasser und setzt dann den Gummistopfen auf, dessen freies Glasrohr mit einem T-Stück von Glas und durch dieses mit dem Magen-, bezw. Mast- darmrohr verbunden ist. Nun bläht man den Gummiballon, indem man mittels einer Spritze Wasser in ihn hineinpresst, so auf, dass er die Flasche ganz erfüllt, dass also die im Ballon enthaltene Luft und nach ihr das hinein- gebrachte Wasser durch die angebrachte Sonde entweichen. Die jetzt mit Wasser gefüllte Sonde wird in den Magen, bezw. den Mastdarm eingebracht und deren Inhalt dadurch aspirirt, dass man das Wasser aus dem Gummi- ballon mittels der Spritze oder eines Hebers entleert. Das T-Rohr ermög- licht es, die ersten Portionen des Gases, event. auch, wenn man die Flasche umkehrt, so dass der Stopfen nach unten gerichtet ist, angesaugte Flüssig- keit zu entfernen, indem man nochmals den Ballon mit Wasser aufbläht. Die Art der Ueberführung des aufgesammelten Gases in den Analysen- apparat ergiebt sich ohne Weiteres. Derselbe Ballon dient zum Ansetzen von Gährproben des Darminhaltes, bezw. Kothes. Die mit Wasser nach der Vorschrift von Schmitt ver- dünnten Proben des letzteren werden in den offenen Ballon eingefüllt, hier- auf der Stopfen gut aufgesetzt und Wasser in den Ballon gespritzt, bis alle Luft verdrängt ist und der Kothbrei den übrig gebliebenen Raum des Ballons inel. der im Stopfen sitzenden Röhre erfüllt. Ein letzterer aufgebundenes Stück Schlauch wird mittels Quetschhahnes verschlossen. Die so zugerüstete Flasche kommt in den Brütofen; die bei der Gährung gebildeten Gase sammeln sich in der Flasche, indem sie eine entsprechende Menge Wasser aus dem Gummiballon verdrängen. So oft man will, kann man das an- gesammelte Gas durch erneutes Aufblähen des Gummiballons verdrängen, bezw. in den Analysenapparat überführen. Die Ergebnisse der Gährungsversuche wird Hr. Dr. Basch an anderer Stelle veröffentlichen. Die Firma Paul Altmann in Berlin, Luisenstr. 47, hat die Ausführung der Apparate zu unserer Zufriedenheit bewirkt. Archiv f. Anat. u. Phys. 1899. Phys. Abthly. Hay, JE Verlag von Veit & Cone. in Leipzig. rel 30 SO 20 © 70 Oo vi £-Anat.u.Phys.1899 Phys. Abthlg. = IT N 30 ag Veit & Gomp. Leipzig. Tin Anst.v. E-AFunke,Leipzig Irchi £Anat.n Phys.1899.Phys. Abthlg. Taf IT. Verlag Veit & Comp. Leipzig. Er [al Bi Ss ern #2 ER Archiv "AnatuP’hys.1899. Phys. Abtilg. Tat IV. Fig.2. De iR NN I \\ | N} \ ı\) }, N h in IH) =YW / GG Fig. 5. ef en, a & RN N WR ” Int & « Fig.7. Fig. 6 4 1,347? 14 ‚B» 5 Pi ar = Q Ri‘ » SL FR | „. HB a7, TV“ ” 4% eg ».B , Al: .,? r} Anna 2' Nr 2 ; vrre i 2 > s «pe ; Zr ) % ® “a & 4 as a IST WFT EN 2 5 1° y e2 Pr » & A AP Me RR TTS ” N N Ru 2a se Big Sn, E- Ay Verlag Veit'& Comp. Leipzig. SE Ei 3 ArchiwfAnaku.PNyys.1899. Phys Abtlilg. Fig1. Eise Fr iedeberg del Verlag Veit& Comp. Leipzig. . a TakV b Taf. VI. ipzig. Verlag von Veır & Comp. in Le xx Archiv f. Anat. u. Phys. 1899. Phys. Abthlg. SE Archiv f. Anat. u. Phys. 1899. Phys. Abthlg. Taf. VI. Verlag von VEır & Coup. in Leipzig. SQ S Ei N : Mi Ei = ra fe = 4 a hie = SE S | =4 ES S [9] 3; 21 > Sl = = (SP) SI» = a S r N. = I = S t \ z N NO” SQ SS x 5 ID I® SI S : E {op | 5 m i S = S 4 S ve ag [al _ Physiologische Abtheilung. 1899. I. u. II. Heft. EEE ETF UT en 1 MAR 14 1099 | ARCHIV ., aN ATOMIE UND PHYSIOLOGIE. nn nun. are. ann dm mn FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN voN E De. WILHELM HIS, | She PRONESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1899. unBraB PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG, —— ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT FÜNFZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND FÜNF TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1899. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. ä (Ausgegeben am 17. Februar 1899.) Inh a 1%. Seite HEINRICH GERSTMANN, Ueber Irradiation. (Hierzu Taf.l) . ». .. 2... 1 P. Meıssner, Ueber Kataphorese und ihre Bedeutung für die Therapie. (Hierzu DATE ee Re Dee ee RR WILHELM CoNNsTEIn, Zur Lehre von der Fettresorption ... -. . 2.2... .80 ELLENBERGER, Die Eigenschaften der Eselinmilch. . . .. . ... 2.2. 2....3 R. W. Rauoseız, Zur Lehre von der Milchverdauung RE 2 DAR ANGELO PusLiese, Beiträge zur Lehre von der Milzfunetion. Die Absonderung und Zusammensetzung der Galle nach Exstirpation der Milz. . . .... 60 H. Krause, Zur Frage der „Bostieuslahmung®, min. 2,2 we rt J. KATZENSTEINn, Ueber die Degenerätionsvorgänge im Nervus laryngeus superior, N. laryngeus inferior und N. vagus nach Schilddrüsenexstirpation. (Hierzu = Taf: 1El.) N IE ER a REES LEEREN AENWERDA. G. MaArıneseo, Recherches sur la biologie de la cellule nerveuse. (Hierzu Taf. IV.) 89 EDWARD FLATAU, Ueber die Loealisation der Rückenmarkscentren für die Muscu- . latur des Vorderarmes und der Hand beim Menschen . . .. ...... 112 MAx RorHmann, Ueber die secundären Degenerationen nach Ausschaltung des Sacral- und Lendenmarkgrau durch Rückenmarksembolie beim Hunde. (Hierzu _ MaRNE SS a ee a RN ee TH. ZIEHEN, Ein Beitrag; zur Lehre von den Beziehungen zwischen Lage und Function im Bereich der motorischen Region der Grosshirnrinde mit specieller Rücksicht auf das Rindenfeld des Orbieularis oculi . . . . 2.2 2.....158 R. pu Boıs-Reymono und P. SıLex, Ueber corticale Reizung der Augenmuskeln 174 \ Die Herren Mitarbeiter erhalten wierzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. | Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an | Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September jedoch an die . Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manusecript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithograpken als Vorlage dienen kann, beizufügen. Physiologische Abtheilung. 1899. TIL. u. IV. Heft. VUL 17 Luyy at, ARCHIV FÜR ANATOMIR UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, | REICHERT v. DU BOIS-REYMOND BERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. Br HERAUSGEGEBEN 922 "VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND | Dr. TH. W. ENGELMANN,. PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1899. — PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — DRITTES UND VIERTES HEFT. | MIT ACHTUNDFÜNFZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZWEI TAFELN. | LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1899. Zu DEREN durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 18. Mai 1899.) Tnhalt Seite E. MENDEL, Fin Fall.von Worttaubheit . . . . NS Dede 1185 Max Dessoir, Die „Lebenskraft“ in der Physinlonte/ des 18. han mE th) J. ORSCHANSKY, Die Thatsachen und die Gesetze der Vererbung . . . ... . 214 BERNHARD RAwırz, Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse. (Hierzu Taf.VI.) 236 WALTHER Menke, Ein Fall von Verdoppelung der Zeigefinger. Zugleich ein Beleg für den Werth der Röntgenstrahlen zur Beurtheilung angeborener Anomalien. = NEE ZU Taf N IE N ee er a REDE Preusse, Zur Lehre von der Aktinomykosis DD ER RT BR Let. = u RE 285 A. Kurtner und J. KATZENSUEIN, a Sn zur Piss des Kehlkopfes 3... 274 J. Tereg, Ueber die een des ken lesen der Be- standtheile des Thierkörpers von der Temperatur . . . . ........2...288: W. Cowr, Versuche über-schwach-polarisirbare Metallelektroden . . . . . .. 326 M. LEwAnDowsky, Der Contractionsverlauf eines glatten Muskels vom Warm- bilütexfben Keizung-seines Nerven nam. 0 352 M. L£wAannowsky, Ueber die Wirkung des Nebennierenextractes auf die en Muskeln, im Besonderen des Auges . . .. ; el, ° Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berkn 1898—1899 . . . 367 W. STERNBERG, Geschmack und Chemismus. — D. HanskmAnn, Bericht über das Gehirn von Hermann von Helmholtz. — N. Zuntz, Zwei Apparate zur Dosirung und Messung menschlicher Arbeit (Bremsergometer). — C. BenDa, Weitere Mittheilungen über die Mitochondria. — J. FRENTZEL, Ueber den Einfluss der Nährstoffe auf die Belebung ermüdeter Muskeln. Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat- Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 6% Honorar für den Druckbogen. . Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, { Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 85 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithograpl.en als Vorlage dienen kann, beizufügen. Ban oeisene Abtkeitüng. 1899. V. u. VI. Heft. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN voN Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1899. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —— FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT VIERZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL. . LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMEP. 1899. nn „ ARCHIV | ANATOMIE. UND PHYSIOLOGIE Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 23. Juli 1899.) 10h 1%, “ Seite A. KoEninck, Versuche und Beobachtungen an Fledermäusen , . . 389 WırHerm Rörtu, Ueber die Permeabilität der Capillarwand und dlren Beiden. tung für den Austausch zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit . . . . 416 RICHARD VON ZEYNEK, Neue Beobachtungen und Versuche über des Methämo- globin und seine Rildungsweise . . . 460 G. Hürser, Nachträgliche Bemerkungen zu Dr. v. Zemelas lee de ne Bildung .des Methämoglobins betreffen. . . - 491 W.v. BECHTEREw, Untersuchungsergebnisse betreffend eis Brregbarkei des hin- teren Abschnittes des Stirnlappens . . . . 500 Hans KoerPpeE, Die Volumensänderungen rother Blutscheiben in Ealzlökunsen .. 504 R. 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Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. " Or x hi ER HDaEN RE Tıte RT 4 [I N war ee," Dur BoN A GE - INIUINUUNNNINUNIN 3 2044 093 332 500