HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. ER a Io, 1104 — Übeamtber Ib,1908, | I iur ’ 7 Y f Bid, LI, N (EN N ARM / n N } Jan Wiandiga: : F- N r Are, Hs ’ (plan Inu EsEah DT ui 4 v dr J ne Alm IRRUGERE AR PEN Haar f Hut KR uroragh, N and, A i ER u ige i 1, uns! I j j E ; . ni ? 4 N f i * I ee ae ? ARCHIV ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL u. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. SUPPLEMENT-BAND ZUR PHYSIOLOGISCHEN ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1902. ARCHIV FIYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. SUPPLEMENT-BAND. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND SIEBEN TAFELN, “ LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1902. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt. Tu. W. EneeLmann, Ueber die bathmotropen Wirkungen der Herznerven R. pu Bois-Reymonn, Ueber das angebliche Gesetz der reciproken Innervation antagonistischer Muskeln SE RER FORSN EST E- Camizru LHoTAk von LHoTA, Untersuchungen über die Veränderungen der Muskelfunction in einer Kohlendioxydatmosphäre. (Hierzu Taf. I—IV.) KoNRAD GREGOR, Untersuchungen über die Athmungsgrösse des Kindes H. J. HAMBURGER und H. J. VAN DER SCHROEFF, Die Permeabilität von Leuko- cyten und Lymphdrüsenzellen für die Anionen von Natriumsalzen AurkeD Norr, Das Verhalten der Drüsengranula bei der Secretion der Schleim- zelle und die Bedeutung der Gianuzzi’schen Halbmonde. (Hierzu Taf. V.) HERMANN Beyer, Narkotische Wirkungen von Riechstoffen und ihr Einfluss auf die motorischen Nerven des Frosches. (Hierzu Taf. VI.). 7. ÖPPENHEIMER, Die Hautsinnesempfindungen Mary Whnıton CauKkıns, Theorien über die Empfindung farbiger und farbloser Lichter BE an) 5 EA EFERERTREN GE SREng 72 Be BR SEPP De ZEN Pre W. CronHEIM, Conservirung des Harns für analytische und calorimetrische Zwecke : ? W. A. Nacer und E. Roos, Versuche über experimentelle Beeintlussbarkeit des Jodgehaltes der Schilddrüse 5 > ß eR: J. ROSENTHAL, Untersuchungen über den respiratorischen Stoffwechsel WILHELM TRENDELENBURG, Ueber die Summationserscheinungen bei chrono- troper und inotroper Hemmungswirkung des Herzvagus a ELLENBERGER, Die Zusammensetzung und die Eigenschaften der Eselinmilch P. Scauwtz, Ueber einen Fall von willkürlichem laryngealen Pfeifen beim Menschen : ; See TH. W. ENnGELMANN, Ueber experimentelle Erzeugung zweckmässiger Aende- rungen der Färbung pflanzlicher Chromophylle durch farbiges Licht. Bericht über Versuche von Herrn N. Gaidukow a L. MicHaeLıs und CARL ÖPPENHEIMER, Ueber Immunität gegen Eiweisskörper H. ZWAARDEMAKER und F. H. Quix, Schwellenwerth und Tonhöhe. (Hierzu Taf. VII.) A ; H. ZWAARDEMAKER, Die Luftbrücke A H. ZwWAARDEMAKER, Die Empfindung der Geruchlosigkeit VI INHALT. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1901—1902. J. ROSENTHAL, Zweite Mittheilung betreffend den respiratorischen Stoffwechsel der nase 1 W. Cowr, Ueber Luft- und or nung ch Hupnde Ana De Franz MÜLLER, Demonstration von Blutpräparaten 6 st. R. pu Boıs-Ruymonp und J. KATzenstEein, Weitere enlienihimasen über die Coordination der Athembewegungen R. pu Boıs-Reymonn und J. KATZENSTEIN, Dogserainnille Medianktellung det Stimmlippe . . 2.% o N. Zuntz, Bericht aber zwei Balldnthafenn Dr oralen te Emma keit dem Studium der Athmung gewidmet war ’ CARL ÖPPENHEIMER und L. MicHAeLıs, Mittheilungen den ha rape Max RoTHMmann, Ueber hohe Durchschneidung des Seitenstranges und Vorder- stranges beim Affen Sehen durch Schleier ». WErzEeL, Das Vorkommen von Kernen dei Guanılosszellen in lan ana eiern von Pelias berus . . . le Pırer, Zeitlicher Verlauf der DunkeladanteLon er der I Dankelausnehalı sich vollziehenden Empfindlichkeitssteigerung der Netzhaut . 6 H. FrIEDENTHAL, Demonstration von Präparaten, welche die Nichtdiffusibilität von Seifen aus wässeriger Lösung zeigten bei Abwesenheit jeder trennenden Substanz Seite 449 | P 16 1902. N 'Physiolog. Abtheilung. 1902. Supplement-Band. 1. Hälfte. I AL ARCHIV FÜR | ANATOMIB UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTEN RIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. ‚HERAUSGEGEBEN | voN Dr. WILHELM HIS, PRORESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. ——= | SUPPLEMENT-BAND. RER = ERSTE HÄLFTE = MIT DREISSIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND SECHS TAFELN. - LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1902. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 28. August 1902.) Enhalt Seite Ta. W. EngELmAnN, Ueber die bathmotropen Wirkungen der Herznerven . . 1 R. pu Boss-Reymonp, Ueber das angebliche Gesetz der reciproken Innervation aatagömısLischer Muskeln mc 2.2 or 2 ee ah CamıLLn LHoTAk von LHOTA, Untersuchungen über die Veränderungen‘ der Muskelfunetion in einer Kohlendioxydatmosphäre. (Hierzu Taf. I-IV.) . KoNRAD GREGOR, Untersuchungen über die Athmungsgrösse des Kindes . . . 59 H. J. HAMBURGER und H. J. VAN DER SCHROEFF, Die Permeabilität von Leuko- cyten und Lymphdrüsenzellen für die Anionen von Natriumsalzen . . . 119 ALFRED Not, Das Verhalten der Drüsengranula bei der Seeretion der Schleim- ' zelle und die Bedeutung der Gianuzzi’sehen Halbmonde. (Hierzu Taf. V.) 166 HERMANN Beyer, Narkotische Wirkungen von Riechstoffen und ihr Einfluss auf die motorischen Nerven des Frosches. (Hierzu Taf. VL). . .. ,„ ... . 203 Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat- Abzüge ihr er Bei- träge gratis und 80 ‚Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September a an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem ‚Lithographen als Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizufügen. Ueber die bathmotropen Wirkungen der Herznerven. Von Th. W. Engelmann. 1. Einleitung. Als bathmotrope Wirkungen bezeichne ich, im Anschluss an einen früheren Vorschlag, die durch beliebige Einflüsse hervorgerufenen Aenderungen der Anspruchsfähigkeit erregbarer Gebilde für natürliche oder künstliche Reize. Maass der Anspruchsfähigkeit ist der reeiproke Werth des schwächsten wirk- samen Reizes, der „Reizschwelle“. Positiv-bathmotrop nenne ich die Wirkungen, welche sich in einer Steigerung der Anspruchsfähigkeit, also in Herabsetzung der Reizschwelle äussern, negativ-bathmotrop die entgegengesetzten. Es ist wünschenswerth, für diese Wirkungen eine unzweideutige, kurze sprachliche Bezeichnung einzuführen, da der bisherige Sprachgebrauch eine solche nicht kennt und doch jeder scharf bestimmbare, eigenartige Begriff ein eigenes Wort beanspruchen darf. Der Begriff der Anspruchsfähigkeit wird von vielen Physiologen mehr oder weniger consequent mit dem Worte „Reizbarkeit“, von vielen auch mit dem Wort „Erregbarkeit“ verbunden, während andererseits mit diesen Worten, insbesondere mit „Erregbarkeit“, auch die „Leistungsfähigkeit“ reizbarer Gebilde bezeichnet wird, also die- jenige Function, deren Grösse, dem üblichen Sinn des Wortes entsprechend, durch das mögliche Maximum des Reizerfolges gemessen wird. Aenderungen der letzteren Function habe ich als inotrope bezeichnet. Um der Unklar- heit ein Ende zu machen, die in Folge des willkürlichen und wechselnden Gebrauchs der Worte „Reizbarkeit‘‘ und „Erregbarkeit“ in der Physiologie herrscht, ist es durchaus nöthig, nach dem Vorgange Ad. Fick’s, die eben definirten Begriffe der Anspruchsfähigkeit und Leistungsfähigkeit streng zu trennen. Denn es handelt sich hier, wie die folgenden Mittheilungen an einem neuen Beispiel zeigen werden, und wie ich im Gegensatz zu den Archiv f.A.u,Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 1 2 Ta. W. ENGELMANN: unlängst von H. E. Hering (1) vertheidigten Anschauungen besonders nach- drücklich betonen möchte, um specifisch verschiedene Vermögen, um physio- logische Eigenschaften der erregbaren organischen Gebilde, die innerhalb weiter Grenzen unabhängig von einander variiren können, und die deshalb auch jede für sich in ihren Abhängigkeiten untersucht werden müssen. Wie es musikalische Instrumente giebt, die leicht ansprechen, aber auch bei stärkster Beanspruchung nur wenig Ton geben, andere, die schwer ansprechen und doch grossen Ton besitzen, wiederum andere die leicht an- sprechen und grosser Tonentfaltung fähig sind, und andererseits schwer ansprechende von nur geringer Tonfülle, so auch bei den reizbaren orga- nischen Gebilden: alle möglichen Combinationen der verschiedenen Grade beider Functionen kommen vor, und zwar, was besonders wichtig ist, gleich - zeitig bei demselben Gebilde. Bei normaler Beschaffenheit der Lebensbedingungen, also der Temperatur, des Stoffwechsels, der mechanischen Verhältnisse, der nervösen Einwirkungen u. Ss. w., pflegen jene beiden, wie ja überhaupt alle physiologischen Fähig- keiten, auf einer gewissen mittleren Höhe zu stehen und bei Schwankungen der normalen Bedingungen sich meist gleichsinnig zu ändern, so lange wenigstens jene Schwankungen nicht ein gewisses Maass überschreiten oder so lange nicht ganz besondere neue Bedingungen eintreten. Beispiele hier- von liefert in Bezug auf Anspruchsfähigkeit und Leistungsvermögen der Einfluss hoher und tiefer Temperaturen auf motorische und sensibele Nerven und auf Muskelfasern, der des apnoischen und des asphyktischen Blutes auf das Athemcentrum der Warmblüter, der des Wassers auf die willkür- liche, quergestreifte Musculatur und die Muskelzellen des Herzens, und namentlich sehr auffällig der jetzt näher zu schildernde Einfluss der Vagus- reizung auf das Herz, speciell auf Sinus und Vorkammern. Wenn man mit H.E. Hering das Gesammtvermögen eines erregbaren Gebildes, auf Reizung in Thätigkeit zu gerathen, als „Reactionsfähigkeit“ bezeichnen will, so ist das durchaus zulässig und und zweckmässig, insofern man dabei nur eine kurze Bezeichnung eines verwickelten Complexes von physiologischen Vorgängen beabsichtigt, ohne näher an die einzelnen Vorgänge zu denken, aus welchen dieser Complex sich zusammensetzt. Wenn es sich aber um die Erforschung der Reactionsfähigkeit, um das causale Ver- ständniss handelt, ist man in jedem Falle gezwungen, den verwickelten Process in seine einzelnen Glieder aufzulösen und jede einzelne physiologische Componente möglichst zu isoliren. Dies gilt für die Reactionsfähigkeit einer einzelnen Muskelfibrille so gut wie für die jedes Organes oder jedes be- liebig hoch differenzirten Gesammtorganismus. Ich würde deshalb in dem Vorschlage von H. E. Hering, Reizbarkeit, Contractilität und Leitungsver- mögen in dem Ausdruck „Reactionsfähigkeit“ zu verschmelzen, alle drei ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 3 Functionen somit als ein einheitliches Ganzes aufzufassen, nur einen Rück- schritt zu sehen vermögen, sobald es sich um mehr handeln sollte, als um eine nur der Kürze wegen zu empfehlende Bezeichnung eines verwickelten Erscheinungscomplexes. Es ist nun einmal eine unmittelbare, auch von Hering nicht zu bestreitende Beobachtungsthatsache, dass Anspruchsfähigkeit für Reize und mechanische Leistungsfähigkeit, wie ebenso auch das Reizleitungsvermögen, unter Umständen sich unabhängig von einander, selbst gleichzeitig in ent- gegengesetztem Sinne ändern können, Diese Thatsache ist theoretisch viel wichtiger als die des gleichzeitigen Vorkommens und des der Regel nach gleichsinnigen Varürens jener Functionen, denn sie beweist eben, dass der letztere Zusammenhang nicht nothwendig besteht und somit die drei Vorgänge der Reizung, Leitung und Contraction nicht einen einzigen Vor- gang bilden, sondern räumlich und — wie ja auch z. Th. auf anderem Wege nachgewiesen — zeitlich getrennte Processe sind. Nachdem ich in früheren Abhandlungen (2, 3, 4) für das Herz das Bestehen primär-chronotroper und primär-inotroper Nervenwirkungen und im Besonderen auch deren Unabhängigkeit, von einander sowohl wie von dromotropen Einflüssen sichergestellt zu haben glaube, soll jetzt geprüft werden, inwiefern durch Reizung der Herznerven, insbesondere des Vagus, die Anspruchsfähigkeit der Herzmuskelwände für natürliche und künst- liche Reize abgeändert werden kann. Es liegen über diesen Punkt zwar eine Reihe von Mittheilungen aus älterer und neuerer Zeit vor, indessen genügen dieselben nicht, da keine derselben sich eine systematische Prüfung der Aenderungen der Reizschwelle zur Aufgabe gesetzt hat. Die weitverbreitete Meinung, dass während eines Vagus-Stillstandes auch die directe Reizung des Herzens erfolglos sei, oder dass es doch viel stärkerer Reize als sonst bedürfe, um eine Systole auszulösen, hat ihren Ursprung wohl in der alten Angabe von M. Schiff (5), dass nicht selten während starker Vaguserregung Reizung der Ventrikeloberfläche des Frosch- herzens keine Pulsationen auslöse. Dieselbe Beobachtung hatte auch C. Eckhard (6) schon gemacht und später, bei Frosch und Schildkröte (Testudo europaea und graeca), weiter verfolgt. Er hebt hervor, dass sich die Herabsetzung der „Erregbarkeit‘“ viel leichter an den Vorhöfen, als an der Kammer bemerklich macht, dass bei starker Vagusreizung weder mechanische noch galvanische Reize, noch auch der natürliche von einer anderen Abtheilung des Herzens kommende Reizungsvorgang eine nennens- werthe oder nur überhaupt merkbare Pulsation auslöst, während an dem durch Abtrennung vom Sinus zum Stillstand gebrachten Herzen das Gegentheil der Fall ist und auch schon viel schwächere galvanische Reize zur Auslösung kräftiger Systolen genügen. 1* 4 Ta. W. ENGELMANN: Aus Eckhard’s Beschreibung seiner Versuche geht deutlich hervor, dass er nicht sowohl die Aenderungen der Anspruchsfähigkeit des Herzens für Reize, als vielmehr die Contractilität, also nicht die bathmotropen, sondern die inotropen Wirkungen geprüft und im Wesentlichen nur con- statirt hat, dass das durch den Vagus in den hypodynamen Zustand ver- setzte Herz, im Besonderen die Vorhöfe, wie auf die natürlichen so auch auf künstliche Reize nur mit geschwächten Systolen — wenn überhaupt — antworte. Er nennt dies eine „Herabsetzung der Erregungsfähigkeit“ (a.a. 0. 8.28) oder eine „Erschwerung der Auslösung‘ von Pulsationen (8. 33), was offenbar den Gedanken an ein Steigen der Reizschwelle er- weckt. Inzwischen hat er selbst gefühlt, dass es sich wesentlich um die jetzt als inotrope bezeichneten Effecte handelt, denn er sagt am Schlusse seiner Abhandlung: „Da nach den Versuchen von Gaskell! angenommen werden kann, dass in den Vagi zwei Arten von Fasern liegen, von denen die eine, wenn gereizt, den Rhythmus ändert, die andere, wenn erregt, die Stärke der Pulsation mindert; so dürfen wir mit einer gewissen Wahr- scheinlichkeit voraussetzen, dass der erregte Vagus die beschriebene Er- scheinung durch Erregung der zweiten Classe von Fasern zu Stande bringt.“ Ueber das Verhalten der Anspruchsfähigkeit geben die Eckhard’schen Versuche also keinen sicheren Aufschluss. Ebensowenig ist das der Fall mit den zwei Jahre später erschienenen Untersuchungen von J. A. McWilliam (7) über das Verhalten des Aal- herzens bei Vaguserregung. Es findet sich hier die Angabe, dass der Ven- trikel in keinerlei Weise durch den Vagus direct beeinflusst wird: weder Contractilität noch Reizbarkeit ändern sich (S. 220, 224). Sinus und Vor- kammer dagegen sind während starker Vaguserregung für natürliche, wie für künstliche Reize vorübergehend vollkommen unempfänglich (S. 222, 225), ihre Contractilität annullirt. „After a time, when the inhibitory influence is passing off, a powerful stimulus directly applied to the auricle causes a localised contraction around the stimulated point; and as the muscular tissue further recovers from the inhibitory condition, the area of contraction (in response to a certain stimulus) becomes wider and wider; very soon the whole auricle participates“. Bei Tropidonotus und Lacerta sollen nach Me William sämmtliche Herzabtheilungen der directen Reizbarkeit (excitability) bei starker Vaguserregung verlustig gehen. Wesley Mills (8) giebt für Menobranchus an, dass „the ventricle is the part of the heart most readily and most profoundly affected by stimu- ! Gaskell, Preliminary observations on the innervation of the heart of the tor- toise. Journ. of physiol. Vol. III. p. 369. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 5 lation of the vagus and that during such stimulus the ventriele is quite inexcitable“. Bei Tropidonotus sind nach demselben Autor (9, S. 8) Sinus und Atrien während Vagusreizung gleichfalls nicht künstlich erregbar. Auch hier ist es nicht klar, ob es sich um Erhöhung der Reizschwelle oder Herabsetzung der mechanischen Leistungsfähigkeit handelt. Wichtiger schon sind die auf das Herz von Säugern bezüglichen An- gaben von McWilliam (10). Zwar kann auch hier (Hund, Katze) durch starke Vagusreizung die Empfänglichkeit für directe Reize aufgehoben werden, aber (S. 351) „during slight vagus stimulation the auricles responsi- veness is often not markedly altered“. Sehr starke directe Reizung der Vorkammern kann wie beim Aalherzen locale Contraction veranlassen, scheint also das’ Leitungsvermögen innerhalb der Wand der Atrien herab- zusetzen. Was den Ventrikel betrifft, dessen Systolen durch den Vagus sehr geschwächt werden können, obschon im Allgemeinen weniger leicht, als die der Atrien, so sagt der Autor (10, S. 367): „as regard the responi- veness of the ventricle to direct stimuli applied to the ventrieular surface during a period of inhibition, I have only to say that if there is any change, it is a slight one, not at all comparable to the pronounced and important change in the auricles“. Es scheint hiernach, als ob trotz negativ-inotroper Wirkung die Anspruchsfähigkeit nicht merklich verändert zu sein brauche. Inzwischen fehlt es auch hier an genaueren Bestimmungen und unzwei- deutiger Auskunft über die Beziehungen beider Arten von Nervenwirkungen zu einander. 2. Methodik. Die Untersuchung der bathmotropen Nervenwirkungen hat denn auch besondere Schwierigkeiten, von denen die bedeutendste in dem beständigen, durch den Einfluss von Systole und Diastole erzeugten Schwanken der Reiz- schwelle liegt. Diese Schwankungen gehen einerseits — im Stadium der Latenz und der Systole — bis zur anscheinend völligen Annullirung der Anspruchsfähigkeit, andererseits in positiver Richtung bis zu einem Maxi- mum, das mit der seit der Systole verflossenen Zeit anfangs wächst, bei sehr langer Ruhe des Herzens aber geringeren Werthen Platz macht. Die Bestimmung der Reizschwelle während eines langen Vagusstill- standes hat natürlich relativ wenig Schwierigkeit, aber beim spontan klopfenden Herzen. ist ihre Messung in den verschiedenen Momenten der Herzperiode keine leichte Aufgabe, um so schwieriger namentlich, je grösser die Pulsfrequenz. Letzterer Umstand ist einer der Gründe, weshalb ich mich bei Prüfung des bathmotropen Nerveneinflusses bisher auf das langsam schlagende Froschherz beschränkt habe. Ich durfte dies um so 6 Ta. W. ENGELMANN: eher, als es-sich hierbei um Wirkungen handelt, die bei allen Wirbelthieren unzweifelhaft auf gleichem Princip beruhen. Es wurden zur Prüfung zweierlei Methoden benutzt. Einmal (Methode A) wurde der grösste Rollenabstand des Schlittenapparates aufgesucht, bei dem in einem bestimmten Moment nach Ablauf einer Systole eine Extrasystole durch directe momentane Reizung der Herzwand ausgelöst werden konnte. Dies Verfahren ist namentlich bei langen Pausen ganz gut verwendbar, bleibt aber wegen der Schwierigkeit, den künstlichen Reiz stets genau in dem erforderlichen Moment einfallen zu lassen und je nach Eintritt oder Ausbleiben einer Extrasystole den Rollenabstand zu erhöhen oder zu ernied- rigen, weniger vollkommen als das zweite (Methode B). Letzteres gewährt auch über den zeitlichen Verlauf der bathmotropen Effeete sicherere und bequemere Auskunft und wurde deshalb am meisten verwendet. Bei den Versuchen nach Methode B wurde das Herz durch regel- mässig periodische directe Reizung mit einzelnen Inductionsströmen zeit- weilig — vor, während und nach der Nervenreizung — in ein künstliches Tempo versetzt, das etwas schneller als das spontane war. In verschiedenen zusammengehörigen Versuchen wurde dann, je nach dem beobachteten Erfolg, entweder das Intervall der künstlichen Reize oder, bei constantem Reizintervall, die Reizstärke geändert. Hierdurch war es möglich, sowohl negativ- wie positiv-bathmotrope Wirkungen zu erkennen und in ihrem Grade zu beurtheilen. Negativ-bathmotrope Wirkungen äusserten sich darin, dass Inductions- ströme, die vor der Vaguserregung bei einer bestimmten constanten Frequenz als „unfehlbare‘“ Reize wirkten, nach der Vagusreizung theilweise oder völlig versagten, so dass dann entweder die spontanen Perioden rein zur Geltung kamen oder eine aus spontanen und Extrasystolen combinirte Frequenz sich einstellte, eventuell auch — bei relativ langer Dauer der spontanen und kurzer Dauer der künstlichen Reizperioden — die Schlagfrequenz plötzlich auf die Hälfte oder ein Drittel der vorher vorhandenen künstlichen Frequenz herab- fiel, oder endlich jede sichtbare Wirkung der Extrareize überhaupt ausblieb. Positiv-bathmotrope Wirkungen mussten sich beim selben Verfahren da- durch verrathen, dass künstliche, in regelmässigem und etwas schnellerem als dem spontanen Tempo sich folgende Reize von solcher Stärke und solcher Frequenz, dass sie vor der Vaguserregung überhaupt nicht, oder doch nicht sicher wirkten, nachher in gleicher Phase Erfolg hatten oder gar unfehlbar wurden. Waren Reizstärke und -Tempo zuvor so gewählt worden, dass jeder zweite Reiz unfehlbar wirkte, so konnte es geschehen, dass nun jeder einzelne Reiz unfehlbar ward, die künstliche Pulsfrequenz sich also plötzlich verdoppelte. Alle die hier genannten Fälle kamen thatsächlich zur Beobachtung. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 7 Erste Bedingung in allen nach beiden Methoden anzustellenden Ver- suchen ist, dass nur Aenderungen der Anspruchsfähigkeit, nicht solche der Reizstärke den zu beobachtenden Erfolg verursachen können. Bei Anwendung von elektrischen Reizen am klopfenden Herzen — den einzigen, die für messende Versuche in Betracht kommen — sind die aus letzterer Quelle entspringenden Gefahren gross, da Ein- und Austrittsstellen der erregenden Ströme während jedes Herzschlages, sowohl direct durch Contraction und Erschlaffung der Muskelwand, wie indirect durch Wechsel der Blutfüllung, Ort und Ausdehnung ändern können. Hiervon können zunächst störende Aenderungen in der Intensität der reizenden Ströme die Folge sein. Doch lässt sich dieser Einfluss dadurch neutralisiren, dass man in den Reizkreis einen so grossen Widerstand einschaltet, dass gegen denselben der Widerstand des Herzpräparates verschwindet. Ich benutze constante Wider- stände von 10000 bis 50000 Ohm. Da es aber bei den elektrischen Reiz- versuchen nicht sowohl auf die Intensität als auf die Dichte der Ströme im Präparat und besonders an den Ein- und Austrittsstellen ankommt, genügt dieses Mittel nicht, sondern muss ausserdem und vor Allem dafür gesorgt werden, dass die Berührungsfläche zwischen Elektroden und Präparat nicht nur ihre Lage, sondern auch ihre Ausdehnung nicht merklich ändert. Dazu ist es am besten, diese Berührungsfläche sehr gross zu wählen, also sehr breite Elektroden (Pinsel, Lungen, Wattebäusche) zu verwenden. Es würde hierbei das unipolare Verfahren (Kathode an der Herzwand, Anode ein möglichst grosser Theil Körperoberfläche) mit in Betracht kommen, wenn dabei nicht Muskelzuckungen zu fürchten wären, welche die Suspensions- cardiogramme verunstalten und ihre Deutung erschweren oder ganz ver- eiteln können. Die Benutzung sehr breiter Elektrodenflächen hat noch den Vortheil, eine dritte Fehlerquelle einzuschränken, die in der verschiedenen specifischen Reizbarkeit verschiedener Stellen der Herzwand — auch der nämlichen Herzabtheilung — beruht. Solche locale Unterschiede der Reizbarkeit würden namentlich bei langer Dauer der Versuche bei mangelhafter Circulation und Ventilation, bei partiellem Austrocknen der Oberfläche und dergleichen sehr auffällig werden und die gröbsten Täuschungen veranlassen können. In jedem Falle muss man sich vor Beginn der Nervenreizung überzeugen, dass der Schwellenwerth der künstlichen Reize längere Zeit constant bleibt. In vielen meiner Versuche blieb er, bei unveränderter Lage der Elektroden stunden- lang merklich gleich, wie auch das Tempo und die Grösse der spontanen bezw. der künstlich erzeugten Pulsationen. | Meine Versuche, die sich über mehrere Jahre erstrecken, sind alle an R. esculenta unter Anwendung der Suspensionsmethode, meist an dem in situ befindlichen blutdurchströmten Herzen angestellt. Ich beschränkte 8 Ta. W. ENGELMANN: mich meist auf die Beobachtung der Atrien und des Sinus, namentlich der ersteren, da hier ‚gleichzeitig die primär-inotropen Wirkungen der Vagus- reizung in grösster Stärke und Gleichmässigkeit zu erhalten sind. Meist waren die Frösche ganz schwach curarisirt. Wie in vielen früheren Ver- suchen wurde der Vagus entweder reflectorisch, von den Baucheingeweiden oder der äusseren Haut aus, oder direct, vor seinem Eintritt ins Herz — nach Durchschneidung, eventuell nach Zerstörung der grossen Nerven- centren — kurz tetanisch gereizt. Als directe Reize der Herzwand dienten in den Versuchen nach Methode B einzelne Oeffnungsinductionsströme oder der durch momentane Schliessung des primären Kreises in der secundären Rolle inducirte Strömungsvorgang, der wesentlich als Oeffnungsinductions- reiz wirkt. Schliessung und Oeffnung des primären Kreises erfolgten dabei mittels der Kupferfedercontacte des Polyrheotoms, gelegentlich auch mittels Quecksilberschlusses durch das Metronom. In den Versuchen nach Methode A wurden auch sehr kurz dauernde tetanisirende Reize verwendet und die Schliessung und Oeffnung mittels Hg-Schlüssels durch die Hand bewirkt. Reizmomente und Zeit wurden in der üblichen Weise elektromagnetisch registrirt. Das Herz und die Elektroden wurden vor Verdunstung geschützt durch mit halbprocentiger Kochsalzlösung getränkte Wattebäusche Der Frosch lag gewöhnlich in einer platten, !/,°® hoch mit Wasser gefüllten Porzellanschale und war ausserdem mit nassen Schwämmen bedeckt. 3. Versuche. a) Nach Methode A. Diese Versuche wurden zunächst zur ÖOrientirung über die etwa vor- kommenden gröberen bathmotropen Wirkungen angestellt. Dabei ergab sich sofort die mit den herrschenden Ansichten streitende Thatsache, dass während kräftigen negativ-inotropen Effectes der Vagusreizung die directe Anspruchs- fähigkeit der Vorkammer ungeschwächt fortbestehen, ja sogar gesteigert sein kann. Derselbe Reiz, der vor der Vagusreizung in einem bestimmten Moment während Diastole oder Pause eben wirksam war, blieb in der gleichen Phase wirksam, obschon gleichzeitig die Hubhöhen der Vorkammer- systolen (As) bis fast zum Verschwinden erniedrigt waren, ja er konnte ge- legentlich noch wirksam sein, wenn er kürzer als vorher nach der Systole einfiel, oder wenn seine Stärke durch Vergrösserung des Rollenabstandes ge- schwächt wurde. Auch kam es vor, dass vorher unwirksame, etwas unter der Schwelle liegende Reize während der Vaguswirkung wirksam wurden. Beispiele dieser Art geben Figg. 1 bis3. Alle drei zeigen bei bedeutender negativ-inotroper eine deutliche positiv-bathmotrope Wirkung. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. Fig. 1. Versuch vom 4. November 1899. Schwach ceu- rarisirte Eseulenta. Y (erste Curve v. ob.) und 4 (zweite v. ob.) registrirt. Directe Reizung des A und reflectorische Vagusreizung (vom Darm aus) auf der dritten, die Zeit in halben Secunden (Stimm- gabel mit Lufttransport) auf der untersten Curve aufgeschrieben. Die Prüfung der directen Reizbarkeit von A geschah durch kurzes Tetanisiren. Zunächst war durch tastende Versuche der Schwellenwerth auf- gesucht und danach die Reizstärke durch Vergrösse- rung des Rollenabstandes (von 20 auf 21°”) bis zur Unwirksamkeit verringert. Selbst wenn die Reizung gegen das Ende der Pause fiel (2. Reizung in der Figur), blieb sie ohne Erfolg, Nach der Darmreizung (Vagus), welche starke Schwächung der A, und geringe Verlängerung der spontanen Perioden zur Folge hat, werden mehrere künstliche A-Reize wirksam, trotzdem sie kürzer dauerten und in den Anfang der A-Pause fielen. Die Extra- systolen von A sind gerade so geschwächt wie die spontanen. Jeder folgt eine compensatorische Pause und nach der gewöhnlichen Latenz eine Extra- systole von Y, gleichfalls mit nachträglicher com- pensatorischer Pause. Weder die spontanen noch die Extrasystolen von V sind geschwächt. Die Er- höhung der Anspruchsfähigkeit von 4A tritt, was besonders hervorgehoben sei, bereits ein, ehe ein chronotroper Effect sich bemerklich macht. Fig. 2. Versuch vom 28. November 1901. Herz fast blutleer. Grosse Centra zerstört. Linker Vagus in !/, ® Entfernung vom 5 direet gereizt. — Es zeigt die erste Curve von ob. die A,, die zweite die directen Reizungen von A, die dritte die Reizung des Vagus, die vierte die Zeit in 0-1”. Von den vier Reizungen vor der Vaguserregung wirkt keine, obschon wenigstens die dritte und vierte in die zweite Hälfte einer Pause fallen. Nach der Vaguserregung sind der erste bis vierte Reiz wirksam, obschon sie, wenigstens der zweite, dritte und vierte in den Anfang einer A-Pause fallen. Schon der erste dieser Reize, der merklich vor dem zu erwartenden Ende der letzten spontanen Periode einsetzt, wirkt. Die negativ-inotrope Wirkung ist hier schon sehr bedeutend und nimmt weiterhin = =) f / ER, (NY L a y 0 L | U VERSTzLZAR ZZ Sg ||‘ =) a | 1%) rn f ee Bit [ } IM m Br IN = } a Fi | KRios 1. 10 Ta. W. ENGELMANN: den üblichen Verlauf. Der letzten Extrasystole folgt eine compensatorische Pause, danach eine Reihe spontaner Perioden von normaler Dauer, mit allmählich wachsender Hubhöhe. Hier ist also die positiv- bathmotrope Fig. 2. Wirkung nur mit negativ-inotropem, nicht auch, wie im vorigen Versuch, mit negativ-chronotropem Effect vergesellschaftet. Fast genau dasselbe zeigt: Fig. 3. Versuch vom 29. November 1901. Dieser Versuch wurde am blut- leeren, ausgeschnittenen Herzen angestellt und der rechte Vagus in etwa e.. I) An ee rat N I, u on nen nn Fig. 3. 1/,°® Entfernung vom Sinus direct tetanisirt. Vor der Vaguswirkung waren alle Reize, auch wenn sie wie der dritte fast ans Ende einer Pause fielen, wirkungslos, nachher alle wirksam, trotz viel früheren Einfallens. Nach derselben Methode, bei noch stärkerer Vagusreizung angestellte Versuche ergaben während vollständiger inotroper Unterdrückung der spon- tanen A, vorübergehende Wirkungslosigkeit directer, und zwar auch der stärksten Reizung des A, also scheinbar stark negativ-bathmotropen Effect. Später konnte eine gesteigerte Anspruchsfähigkeit folgen und zwar lange bevor die Systolen wieder ihre frühere Grösse erreicht hatten. Diese Wirkungen, wie auch alle weiteren, werden aber besser im Zu- sammenhang mit den nach der zweiten Methode (B) angestellten Ver- suchen besprochen. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 11 b) Versuche nach Methode B. Ueber die allgemeine Einrichtung dieser Versuche ist bereits oben das Erforderliche gesagt. Bei der grossen Mannigfaltigkeit der Ergebnisse empfiehlt es sich an typischen Beispielen die verschiedenen vorkommenden Fälle zu behandeln. a) Negativ-bathmotrope gleichzeitig mit negativ-inotroper Vaguswirkung (Figg. 4 bis 8). Fig. 4. Versuch vom 8. December 1901. Schwach eurarisirte Esceulenta. Vor- kammer (obere Curve) direct metronomisch gereizt in Intervallen von genau 1 Secunde (untere Curve) mit einzelnen Inductionsschlägen von solcher Stärke, dass nur jeder zweite, dieser aber auch unfehlbar eine A, auslöste. Zu der auf der mittleren Linie markirten Zeit wurde der Vagus durch schwaches Tetanisieren der Magenwand reflectorisch erregt. Bereits der erste, Fig. 4. zwei Secunden nach Beginn der Magenreizung einfallende Reiz bleibt wirkungs- los, ebenso die folgenden zwei. Nach einer A-Pause von etwa vier Secunden, die wesentlich compensatorischer Natur ist, da negativ-chronotroper Effect nicht vorhanden, fangen spontane A, in regelmässigen Intervallen von 2°85” an, genau entsprechend der vor Einleitung der künstlichen A-Reizung vor- handen gewesenen spontanen Frequenz. Etwa 40 Secunden nach der Vagus- erregung gab (in der Figur nicht mehr ersichtlich) wieder jeder zweite Reiz eine A, Höhe und Dauer der A, zeigen in typischem Verlauf einen mässig starken negativ-inotropen Vaguseffect. Figg. 5 und 6. Versuch vom 6. December 1901. Alles wie im vorigen Versuch, doch wird hier der Sinus periodisch gereizt, dessen Systolen, in der ersten Curve von oben, vor den steilen Erhebungen der A, sehr deutlich sichtbar sind. Vor der (reflectorischen) Vaguserregung löst jeder zweite Reiz eine Extra- systole des Sinus und diese eine der Atrien aus. Zur directen Erregung der 12 Ta. W. ENGELMANN: letzteren reichte, wie sich aus der langen Latenz für A, ergiebt, die Reiz- stärke nicht aus. Nach Anfang der Vagusreizung (reflectorisch vom Magen aus) kommen in Fig. 5 noch drei, in Fig. 6 noch vier Extrasystolen in Intervallen von 2 Secunden. Die $:, werden dabei nicht, die A, wie ge- wöhnlich kleiner. Nach der dritten bezw. vierten ‚Si, folgt keine A, mehr. Danach werden die direeten Reize unwirksam, es treten spontane, verlängerte Herzperioden (in Fig. 5 vier, in Fig. 6 drei) in abnehmenden Intervallen auf, unter Steigen der Zuckungshöhe von A, darauf werden die künstlichen Si-Reize wieder wirksam und zwar, wie zuvor, jeder zweite Reiz unfehlbar. Il N) MEI SR EN EA Fig. 6. Vorübergehend wird, in der achten und neunten Periode nach Anfang der Vagusreizung, auch A anspruchsfähig: dies verräth sich dadurch, dass die A, sich gleichzeitig mit der 8, erhebt und letztere dadurch im Cardio- gramm maskirt. Ein ähnliches Beispiel zeigt Fig. 7. Versuch vom 6. December 1901. Hier wurde der Magen stärker ge- reizt und es trat deshalb ein stärkerer negativ-inotroper und negativ-chrono- troper Reflex auf. Wiederum ward in Intervallen ven 1” und bei solchem Rollenabstand gereizt, dass jeder zweite Reiz unfehlbar den Sinus erregte, der dann seinerseits jedes Mal eine A, auslöste. Auf die zweite $, nach Anfang der Vagusreizung folgt bereits eine stark geschwächte A, auf die: ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 13 dritte eine kaum merkliche, auf die vierte 8, überhaupt keine merkliche A, mehr. Die $&, bleiben gleichgross.. Nach einer etwa 9 bezw. 7 Secunden währenden Pause, in der weder 8: noch A, ausgelöst werden, folgen mehrere spontane Perioden von weit übernormaler, allmählich abnehmender Dauer, danach werden die Reize wie zuvor wirksam, wobei auch hier Anfangs vorübergehend A direct anspruchsfähig wird. Eine noch bedeutendere Herabsetzung der Anspruchsfähigkeit von Sinus und Vorkammer scheint ersichtlich zu sein in Fig. 8. Versuch II vom 6. December 1901. Hier wurden $ und A in Inter- vallen von 1” mit so starken Strömen (16°” Rollenabstand) gereizt, dass nach einem kurzen, durch die refraktäre Phase bedingten Uebergangsstadium, jeder Einzelreiz & und A unfehlbar direct erregte. Auf kurze kräftige Fig. 8. Magenreizung folgt, mit starker negativ-inotroper Wirkung auf A, eine voll- ständige Unwirksamkeit der directen Reize. Nach längerer Pause wird erst Jeder zweite, bald jeder einzelne Reiz wieder wirksam. Die Zuckungen von A .steigen allmählich zur anfänglichen Höhe empor und zeigen dabei, wie 2. Th. schon vor der Vagusreizung, den Typus des Pulsus alternans. Nach ‘Aufhören der künstlichen Reizung folgt zunächst eine spontane $;,, die aber — jedenfalls wegen der durch die vorausgegangene rapide Pulsfolge ein- ‚getretenen Ermüdung — keine A,auslöst. Die A,treten erst von der nächsten 14 Ta. W. ENGELMANKN: Periode an wieder in gewohnter Weise auf. Dabei haben die Perioden dieselbe Dauer (2-5”) wie vor dem Versuch. Wegen der längeren Pausen- dauer sind nun auch alsbald die Hubhöhen bedeutend grösser als während der künstlichen Reizung. Der Anschein eines zeitweiligen Schwindens der Anspruchsfähigkeit von Sinus und Atrien, wie im vorstehenden Versuch, tritt jedes Mal ein, wenn die Vagusreizung gleichzeitig sehr stark negativ-inotrop wirkt. Es geht aber nicht an, hieraus auf eine merkliche Abnahme der Reizbarkeit zu schliessen, da dieser Erfolg ja auch eintreten muss, wenn die Muskel- fasern bloss ihres mechanischen Leistungsvermögens beraubt werden. Eine bis zur Annullirung der Contractionsfähigkeit gesteigerte negativ-inotrope Vaguswirkung wird nicht nur eine negativ-bathmotrope Wirkung vor- täuschen, sondern sogar eine gegensinnige, positiv-bathmotrope maskiren können. Von dieser pseudo-bathmotropen Art sind vermuthlich die meisten Fälle der Autoren gewesen, in denen das Herz während Vaguserregung nicht künstlich reizbar war. An der Kammer des Froschherzens können, wenn der Stillstand, wie beim bluthaltigen Herzen die Regel, auf Leitungs- unterbrechung zwischen A und 7, oder zwischen & und A, oder auf primär negativ-chronotroper Wirkung auf 8: beruht, nach meinen Er- fahrungen immer schon durch ganz schwache direete Reize Extrasystolen ausgelöst werden, anscheinend normal von Grösse und Verlauf. Es lässt sich nun in der That experimentell nachweisen, dass unter Um- ständen — und diese bildeten in meinen Versuchen sogar die Mehrzahl — die Anspruchsfähigkeit der Herzwand, speciell der Atrien für directe Reize merklich gesteigert sein kann, während gleichzeitig eine starke Schwächung der Contractilität besteht. Natürlich darf die letztere nicht bis zu völliger Unterdrückung der Systolen gehen. b) Positiv-bathmotrope zugleich mit negativ-inotropen Nervenwirkungen. Typische Beispiele für diese Combination liefern die in Figg. 9 bis 11 theilweise abgebildeten Versuche. Figg. 9 und 10. Versuch vom 30. November 1901. Schwach curarisirte Esculenta. Reflectorische Reizung des Vagus durch kurzes Tetanisiren des Dünndarmes. Atrien direct gereizt in Intervallen von 1” bei so grossem Rollenabstand, dass, auch wenn der Reiz unmittelbar vor dem Ende einer normalen Pause einfiel, eben keine Systolen mehr ausgelöst wurden. Die vor der Vagus- reizung gezeichneten A, sind also sämmtlich spontane, vom 8; her angeregte. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 15 Schon etwa 5” nach Anfang der Darmreizung werden, nachdem die Schwächung der Systolen bereits das Maximum überschritten hat, die directen Reize wirksam und zwar nicht nur jeder zweite, sondern jeder einzelne. Die Grösse dieser Extrasystolen wächst allmählich, sogar etwas über die frühere Fig. 9. der spontanen A, hinaus. In Fig. 9 nach der zehnten, in Fig. 10 nach der achten Extrasystole nimmt die Reizbarkeit wieder ab. Es folgt nun in Fig. 9 jedem zweiten Reiz eine Contraction. In Fig. 10 ist einmal noch der zweite Reiz wirksam, darauf versagt auch dieser und nach einer Pause, A na Fig. 10, wesentlich compensatorischer Natur, setzen spontane Pulse ein. Auf den zweiten von diesen folgt noch eine Extrasystole, da hier der Reiz nahe dem Ende einer spontanen Pause einfiel. Weiterhin erfolgten dann dauernd nur wieder spontane Pulsationen, es waren also die Reize wie vor der Erregung wieder sämmtlich unwirksam geworden. Fig. 11. Versuch vom 8. December 1901. Alles wie im vorigen Versuch. Dauer der spontanen Perioden vor Anfang der Reizung 2-85”. Vor und in den ersten acht Secunden nach der Darmreizung giebt jeder zweite Reiz der Vorkammer eine Extrasystole. Nachdem aber mit der vierten Systole nach Beginn der Darmreizung eine sehr beträchtliche Schwächung der 4, eingetreten, wird jeder einzelne Reiz wirksam, die Frequenz verdoppelt sich plötzlich, und bleibt so, während zunächst die Hubhöhen noch weiter, bis fast zum Verschwinden abnehmen, nachher allmählich über die anfängliche Höhe etwas hinauswachsen. Dabei zeigt sich sehr schön der Typus des 16 Tu. W. ENGELMANN: Pulsus alternans. Mit Aufhören der directen Reizung des A setzen nach einer compensatorischen Pause die spontanen Pulsationen im anfänglichen Tempo wieder ein. U THÄLERLILLLLLLULERLLENBLRLLLLLBLELLLEELLLLLOLLULL ELLI LLL ULF Fig. 11. Häufig combiniren sich negative und positive bathmotrope Wirkungen in der Weise, dass zunächst eine wirkliche oder scheinbare Abnahme, bald aber, nach Ausbildung des hypodynamen Zustandes, eine Zunahme der directen Reizbarkeit eintritt. Ein derartiger Fall ist abgebildet in Fig. 12. Versuch vom 6. December 1901. Reflectorische Reizung vom Magen aus. Direete Reizung von $ und A in Intervallen von 1” bei solchem Rollenabstand, dass eben nur durch jeden zweiten Reiz eine &, aber nicht eine A, ausgelöst wurde. Nach der Magenreizung folgen noch in je 2” Intervall drei &, von normaler Beschaffenheit, deren zweiter eine bereits Fig. 12. enorm geschwächte, deren dritter keine merkbare A, mehr folgt. Danach bleiben auch einige Si-Reize unwirksam. Nun aber kehrt nicht nur die An- spruchsfähigkeit des 8; wieder, sondern während 4 Secunden wird auch A direet reizbar, und zwar in dem Grade, dass auf jeden Reiz eine A, folst. Die Anspruchsfähigkeit sinkt dann, zunächst für A, der noch eine Extraperiode von 2” Dauer ausführt, weiterhin aber nur mehr secundär, vom Si aus, erregt wird. Dieser seinerseits beantwortet nun wieder wie vor der Vagus- wirkung jeden zweiten Reiz mit einer Systole. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 17 Die Vermuthung liegt nahe, dass die vorstehend beschriebene Erreg- barkeitssteigerung im Gefolge der Vaguserregung ihre Ursache haben könne in der gleichzeitigen Schwächung der Contractionen, insofern nämlich die Annahme erlaubt ist, dass eine Systole um so stärker herabsetzend auf die Anspruchsfähigkeit wirken wird, je grösser und energischer sie ist. Diese Annahme erscheint aber durchaus zulässig, da ja bei einer energischeren Zu- sammenziehung auch ein grösserer Verbrauch und Umsatz chemischer Energie stattfinden wird. Wenn nun, was gleichfalls Zustimmung finden wird, die negativ-bathmotrope Wirkung der systolischen Erregung, die sich in der „refractären Phase“ äussert, in diesem Chemismus ihre Quelle hat — sei es nun, dass dabei die reizbaren Moleeüle verbraucht (Erschöpfung) oder dass schädliche Dissimilationsproduete angehäuft werden (Ermüdung im engeren Sinne), oder dass beides geschieht —, so muss notwendig die durch eine wirksame Systole erzeugte Erregbarkeitsabnahme um so kleiner und von um so kürzerer Dauer sein, je schwächer die Systole war. Es wird also ceteris paribus der gleiche Reiz um so früher nach Ablauf einer Systole wieder wirksam werden, bezüglich zur selben Zeit nach einer Systole ein um so schwächerer Reiz zur Erregung genügen, je schwächer die voraus- gegangene Contraction war. In Fällen, wie den obigen (Figg. 9 bis 12), würde es also gar nicht der Annahme primär-bathmotroper Nervenwirkungen zur Erklärung der Reiz- barkeitssteigerung bedürfen, sondern sich nur um secundäre Wirkungen inotropen, also zunächst myogenen Ursprungs handeln. Inzwischen lehrten schon die in Figg. 4 bis 7 beschriebenen Fälle, dass die Verhältnisse com- plieirter liegen, insofern nach Aussage dieser Versuche trotz starker negativ- inotroper Wirkung die Reizbarkeit nicht nur nicht erhöht, sondern sogar merklich herabgesetzt sein kann. Hier scheint man also ohne die Annahme einer primären negativ-bathmotropen Wirkung des Vagus nicht auskommen zu können. In den Fällen, wo, wie in Fig. 12, zuerst Herabsetzung, dann Steigerung der Anspruchsfähigkeit folgte, würde erst der primäre, neurogene, dann, infolge der anhaltenden Schwächung der Systolen, der secundäre, myogene Einfluss das Uebergewicht erhalten haben. Die überzeugendsten Belege für die Existenz primärer, positiv-bathmo- troper Wirkungen der Nerven liefern die Fälle, in denen, wie in den jetzt zu beschreibenden, eine starke positiv-inotrope Wirkung gleichzeitig mit einer Steigerung der Anspruchsfähigkeit zu Tage tritt. c) Positiv-bathmotrope zugleich mit positiv-inotropen Nervenwirkungen. Wie ich bereits gelegentlich hervorgehoben habe, lassen sich beim Frosch durch Reizung der Haut, z. B. der Extremitäten, leicht positiv- Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. Suppl. 2 18 Ta. W. ENGELMANKN: inotrope Reflexe erzeugen. Sie treten, wie die negativ-inotropen, oft sehr rein, ohne chronotrope Wirkungen auf. Bei stärkerer Reizung combiniren sie sich häufig mit negativ-inotropen, welche letzteren dann, in Ueber- einstimmung mit den bekannten Erfahrungen über den zeitlichen Verlauf beider Wirkungen beim Warmblüterherzen, früher auftreten und früher schwinden als die ersteren. Auch negativ-chronotrope Effecte sind dann nicht selten gleichzeitig sehr ausgeprägt. Um den Einfluss von Frequenzänderungen auf die Anspruchsfähigkeit auszuschliessen, wurde das Herz wiederum durch directe Reizung, mittels Metronoms oder Polyrheotoms in eine künstliche Schlagfolge von etwas geringerer als die spontane Periodendauer versetzt und die Reizstärke so gewählt, dass nur jeder zweite Reiz, dieser aber unfehlbar wirkte. Wenn nun die Haut kurz und mässig stark tetanisirt wurde, trat, wie Figg. 13 bis 15 zeigen, mit einer bedeutenden Steigerung der Hubhöhen eine Verdoppelung der Frequenz ein, indem nun jeder einzelne Reiz Erfolg hatte. Diese Steigerung der Anspruchsfähigkeit und Zuckungsgrösse hielt eine Reihe von Secunden, gelegentlich über eine halbe Minute, an und schwand dann all- mählich, die positiv-bathmotrope früher als die positiv-inotrope. Figg. 13, 14, 15. Versuche vom 7. December 1901. Sehr schwach curarisirte Esculenta. Si und A direct gereizt in Intervallen von 1”. Vor Reizung der Haut aut I | Fig. 13. (Zehen des rechten Hinterfusses) löst jeder zweite Reiz eine Si, aus, der eine A, folgt. Für direete Erregung von A reichte die Stromstärke nicht Fig. 14. aus. Zwei bis drei Seeunden nach Anfang der Hautreizung tritt mit erheb- licher Steigerung der Grösse und Dauer der A, eine Verdoppelung der ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 19 Frequenz auf, während zugleich, wie das steile Ansteigen der Curven zeigt, A direct, und zwar für jeden einzelnen Reiz, empfänglich wurde. | AAN 1000000100120 Ka L | Bi hl l u Fig. 15. Hier übercompensirte also der neurogene positiv-bathmotrope den myogenen negativ-bathmotropen Einfluss. Doch macht sich der letztere vorübergehend bemerklich, indem nach der ersten Reihe stark vergrösserter und aufs Doppelte beschleunigter Systolen jedes Mal eine Pause von 3” in den A-Pulsationen eintritt. Die &,, deren Grösse sich unter Einfluss der Hautreizung nicht merklich verändert hatte, kamen (sicher wenigstens in den Versuchen Figg. 13 und 14) währenddem schon auf jeden einzelnen Reiz. d) Scheinbares Fehlen bathmotroper bei gleichzeitig vor- handenen inotropen Wirkungen, und umgekehrt. Es ist nach den mitgetheilten Erfahrungen nicht zu verwundern, dass unter Umständen bathmotrope Effecte trotz gleichzeitig sehr deutlich aus- geprägten positiv- bezüglich negativ-inotropen Wirkungen, sich nicht bemerk- lich machen, sowie dass auch andererseits positiv- wie negativ-bathmotrope Reflexe zur Beobachtung kommen, ohne dass gleichzeitig eine irgend erheb- liche inotrope Wirkung erfolgt. — So liefert ein Beispiel von negativ- inotroper ohne merkliche bathmotrope Wirkung Fig. 16. Versuch vom 19. December 1901. Reflectorische Vagusreizung vom Magen aus. Directe Reizung des Atriums in Pausen von 1’ bei 133 "= Rollenabstand. I H | | 4 ’ | N | N IB I: ; ! I "Ni N} | | jReit 1 ll i ! | in m NN Lin —\ N IN v Fig. 16. Jeder zweite Reiz wirkt. Spontane Perioden 2-17”. Bei 135 "" Rollenabstand wurden die Reize unwirksam und setzten die spontanen Pulsationen ein. 2* 20 Ta. W. ENGELMANN: Positiv-inotrope ohne merkliche bathmotrope Wirkung ver- anschaulicht Fig. 17. Versuch vom 7. December 1901. Vagusreflex von der Bauchhaut aus mit positiv-inotroper Wirkung. Künstliche Reizung von 8 (und A) in Intervallen von 1”. Jeder zweite Reiz wirkt, jedoch direct nur auf &. Nach der Hautreizung wächst trotz des erheblichen positiv-inotropen Reflexes, EN \ Unnlhlicouien Fig. 17. weder die Anspruchsfähigkeit so weit, dass jeder einzelne künstliche Reiz Erfolg gehabt hätte, noch sinkt sie so weit, dass die spontane Periodik zu Tage getreten wäre. Bei etwas grösserer Reizstärke trat bei demselben Präparat vorübergehend nach Vaguserregung der in Figg. 13 bis 15 abge- bildete Erfolg, Verdoppelung der Frequenz, ein. Ein Beispiel von positiv-bathmotropen ohne nennenswerthen inotropen Effect giebt Fig. 18. Versuch vom 4. Dec. 1901. Herz nebst Vagis ausgeschnitten, auf Korkplatte mit Nadeln fixirt. A nicht weit von der V-Grenze suspendirt, daher schwache, flache Y, hinter den A, in dem Cardiogramm sichtbar. Direete Reizung von & und A in Intervallen von 1”, vor der Vagusreizung (1% vom &) unwirksam auf A, nachher zuerst um die zweite Secunde, alsbald aber jede MH Fig. 18. Secunde durch direete Erregung von A wirksam. Die Höhe der 4A, ist Anfangs nicht nennenswerth verändert, nachher treten mit der auf 1” ver- kürzten Periodendauer Gruppen vom Typus des Pulsus trigeminus auf. Von der 14. Secunde nach der Reizung folgten dann wieder nur spontane Pulse von gleicher Grösse und Periodendauer (2°57”) wie vor der Vagusreizung. ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 21 4. Deutung und Bedeutung der Ergebnisse. Die thatsächlichen Ergebnisse unserer Versuche sind schon in den Ueberschriften des vorigen Abschnittes kurz zusammengefasst. Es bleibt nur noch, soweit dies nicht bereits geschehen, ihre Deutung und Bedeutung zu besprechen. Die Deutung anlangend, ist zunächst noch zurückzukommen auf die wichtigste Frage: inwiefern sind die beobachteten Veränderungen der Anspruchsfähigkeit der Herzmuskelwände primärer Art, d.h. direct durch die Nerven verursacht, oder secundären Ursprungs, Folge etwaiger inotroper, chronotroper oder dromotroper Nervenwirkungen? Ueber den secundär bathmotropen Einfluss, welchen inotrope Nerven- wirkungen zur Folge haben können und höchstwahrscheinlich auch immer haben, ist bereits oben (S. 17) gehandelt. Eine Schwächung der Systolen — oder besser des ihnen zu Grunde liegenden chemischen Processes — wird nur positiv-, eine Verstärkung desselben über die Norm nur negativ-bathmo- trop wirken können. Da aber Zunahme der Reizbarkeit auch bei gleich- zeitiger bedeutender Verstärkung der Systolen, Abnahme bei Schwächung der Contractionen, beide auch ohne jede inotrope Aenderung beobachtet werden, müssen noch andere, von den Nerven ausgehende Wirkungen im Spiele sein. Hier wäre dann zunächst an die chronotropen Eiffecte zu denken. Wie schon aus Bowditch’s und Kronecker’s grundlegenden Unter- suchungen hervorging, hat eine Verkürzung der Perioden unter die normale Dauer im Allgemeinen einen negativ-bathmotropen, eine mässige Verlänge- rung über die Norm einen positiv-bathmotropen Einfluss. Nach sehr langem Stillstand, vor einer „Treppe“, ist mit der Contractilität auch die Anspruchs- fähigkeit merklich gesunken. Sie wächst dann gleichfalls treppenartig, wenn nun in nicht zu langen und nicht zu kurzen Intervallen weiter ge- reizt wird. Doch reicht dieser Umstand gleichfalls nicht zur Erklärung aus, denn häufig zeigte sich (Figg. 13 bis 15) trotz bedeutend, auf mehr als das Doppelte der normalen, gesteigerter Frequenz eine Erhöhung der Reizbar- keit und zwar bei gleichzeitig erheblich gesteigerter Zuckungsgrösse. Ebenso konnte (Fig. 4) bei erheblicher Verlängerung der Perioden die Reizbarkeit gesunken sein und zwar trotz gleichzeitiger, in positiv-bathmotropem Sinne wirksamer Abnahme der Zuckungshöhen. Der Beweis für die Unzuläng- lichkeit der chronotropen Effecte zur Erklärung der Reizbarkeitsänderungen ist also a fortiori geliefert. Ebensowenig endlich reichen zur Erklärung secundäre Effecte dromo- troper Nervenwirkungen aus. Durch jede Systole wird bekanntlich das motorische Leitungsvermögen vorübergehend annullirt. Es wächst dann, wie .ich gezeigt habe, innerhalb sehr weiter Grenzen mit der Dauer der Pause. 22 Tu. W. ENGELMANN: Nach minutenlanger Ruhe des Herzens, am Anfang einer „Treppe“, also bei gleichzeitig geschwächter Reizbarkeit und Contractilität, wird es über- normal gefunden. Da aber trotz Verminderung des Leitungsvermögens durch Frequenzbeschleunigung und Steigerung der Zuckungsgrösse die Reiz- empfänglichkeit häufig erhöht gefunden wurde (Figg. 13 bis 15), kann es sich — und wiederum a fortiori — nicht um secundäre Effecte dromo- tropen Ursprungs handeln. Es bleibt demnach nichts Anderes übrig als die Annahme, dass es primär-bathmotrope Nervenwirkungen positiver und negativer Art giebt, mit anderen Worten Nerven, deren Erregung die Anspruchsfähigkeit der Herzmusculatur für Reize unmittelbar, direct, beeinflusst. Da Vagusreizung beim Frosche im Allgemeinen gleichzeitig primäre und secundäre bathmotrope Wirkungen giebt, die nicht nur quantitativ unabhängig von einander variiren, sondern sogar gleichzeitig verschiedenen Vorzeichens sein können, so versteht es sich, dass der resultirende bathmotrope Einfluss der Vagus- erregung, wie er bei den Messungen zu Tage tritt, so sehr viel wechselnder und scheinbar regelloser ist, als beispielsweise und namentlich der negativ- inotrope oder chronotrope. Es kommt dazu, dass die genaue Constatirung sehr geringer Schwankungen der Anspruchsfähigkeit schwer ausführbar ist, schwache bathmotrope Wirkungen also häufig sich der Beobachtung ent- ziehen werden. Nur eine grosse Zahl von Versuchen, welche die Berück- sichtigung aller möglichen Combinationen primärer und secundärer, positiver und negativer, chronotroper, ino- und dromotroper Wirkungen neben den bathmotropen gestattet, wird hier zu einem Urtheil berechtigen können. Die Bedeutung unserer Ergebnisse darf einmal auf Seiten der: all- gemeinen Nerven- und Muskelphysiologie, dann auf der der speciellen Physiologie des Herzens als Motors des Blutes gesucht werden. In ersterer Beziehung scheint mir am wichtigsten der Nachweis einer selbständigen Beeinflussung der Anspruchsfähigkeit seitens der Nerven, in- sofern damit ein neuer Grund geliefert wird für die Trennung der Reiz- barkeit als eines von Contractilität, Leitungsvermögen und Automatie zu unterscheidenden, an besondere räumliche und stoffliche Bedingungen ge- knüpften functionellen Vermögens. Der Vorgang, der in den Muskel- elementen zuerst durch den Reiz veranlasst wird und seinerseits sich unter normalen Bedingungen durch Leitung weiter verbreitet, secundär dann den zur mechanischen Kraftentwickelung führenden Chemismus auslöst, muss an besondere, von den kraftentwickelnden räumlich getrennte und materiell ver- schiedene Theilchen gebunden sein. Man kann sich das Verhältniss ähnlich denken wie bei einer Schuss- waffe. Wie das Pulver auf der Pfanne, durch Stoss oder Funken entzündet, ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 23 oder wie der Schlagstift, durch Druck auf den Hahn in das Zündhütchen der Patrone getrieben, nicht auch schon selbst die Kraft des Schusses liefert, sondern erst indireet, durch Auslösung der im Innern des Geschütz- rohres schlummernden chemischen Spannkräfte, so liefert im Muskel die reizbare Substanz, durch den äusseren Reiz veranlasst, nicht selbst schon die in der Zuckung und Wärmebildung zu Tage tretende actuelle Energie, sondern veranlasst erst secundär, durch Auslösung der im Innern der Muskelemente, an besonderen Stellen, in besonderen Molecülen angehäuften chemischen Spannkräfte, den Process der eigentlichen Erregung, die „Contraction“. Es handelt sich danach also bei der Muskelerregung um eine wenigstens doppelte successive Auslösung und man hätte hiernach, theoretisch wenigstens, zwei verschiedene Reizbarkeiten zu unterscheiden: die der primär gereizten und die der secundär gereizten Substanz. Bereits in meiner Arbeit über Contractilität und Doppelbrechung (11) und in meiner Schrift über den Ursprung der Muskelkraft (12) habe ich die Gründe entwickelt, die zu der Annahme drängen, dass die Theilchen, welche durch den von aussen kommenden Reiz zunächst in Thätigkeit ver- setzt werden, dieselben sind, welche die „negative Schwankung“, wenigstens wesentlich den ins mechanische Latenzstadium fallenden Anfangstheil der- selben hervorbringen, und dass sie jedenfalls in der isotropen Substanz, ausserhalb und innerhalb der Fibrillen, wohl auch im isotropen Stroma der doppelbrechenden Abschnitte der Fibrillen, gesucht werden müssen. Ich schlug vor, sie als „elektrogene“ zu beichnen und damit auch sprach- lich zu unterscheiden von den „thermogenen“ und „inogenen“, deren Sitz wesentlich die doppelbrechenden Glieder der Fibrillen sein müssen. Damit soll nicht gesagt sein, dass letztere beiden Arten von Theilchen nicht gleichfalls sich productiv an den elektrischen Wirkungen betheiligen, welche die Erregung des Muskels begleiten. Im Gegentheil halte ich dies nieht nur für a priori sehr wahrscheinlich, sondern auch thatsächlich für bereits so gut wie bewiesen (13). Doch treten hier die thermischen, bezüglich mechanischen Vorgänge so sehr in den Vordergrund, dass allein sie einer kurzen sprachlichen Bezeichnung zu Grunde gelegt werden können, während andererseits bei den „elektrogenen“ Wärmebildung, bezüglich mechanische Effecte, fehlen oder doch nicht nachgewiesen sind. Nach meiner Vorstellung würde also eine Muskelfaser (bezüglich eine Muskelfibrille), wenn man sich die thermogenen und inogenen Theilchen aus ihr entfernt denkt, noch Reizbarkeit besitzen und vermuthlich auch den Reiz leiten können, aber ihre Thätigkeit würde sich, wenigstens bei dem jetzigen Zustand unserer experimentellen Hülfsmittel, nur in elektrischen Wirkungen zu erkennen geben, sie würde sich also wesentlich wie eine Nervenfaser verhalten. Man könnte demnach diese hypothetischen, reiz- 24 Ta. W. ENGELMANKN: baren, „elektrogenen‘“ Muskeltheilchen, meinem . älteren Vorschlag ent- sprechend, als „nervöse“ (besser vielleicht neuroide) den „motorischen“ Theilchen in den Muskelelementen gegenüberstellen. Für die specielle Physiologie des Herzens als Motor des Blut- kreislaufes scheint die von uns nachgewiesene Existenz directer, von anderen gleichzeitigen Reizerfolgen unabhängiger bathmotroper Nervenwirkungen insofern von grosser Bedeutung zu sein, als darin offenbar dem Organismus ein neues mächtiges Hülfsmittel zur zweckmässigen Anpassung und Regu- lirung der functionellen Thätigkeit des Herzens zur Verfügung steht. In der That scheint von diesem Mittel ausgiebig Gebrauch gemacht zu werden. Wir haben oben an verschiedenen Beispielen gesehen, wie der schäd- liche Einfluss, den über die Norm gesteigerte Pulsfregquenz und ebenso Steigerung der Energie der Pulsationen secundär auf die Anspruchsfähigkeit der Herzmuskelwand ausüben, durch directe, positiv-bathmotrope Wirkung des Vagus unschädlich gemacht, sogar übercompensirt werden kann. So werden auch andererseits die Gefahren, welche unter Umständen von zu grosser Schwäche der spontanen automatischen Reize oder von Erschwerungen der Reizleitung, also von negativ-chronotropen und dromotropen Wirkungen, gleichviel welchen Ursprungs, drohen, durch primäre positiv-bathmotrope Nerveneinflüsse beseitigt oder doch abgeschwächt werden können. Es liegt die Vermuthung nahe, dass die Ursprünge der bathmotropen Nervenfasern im Gehirn mit den Centren der übrigen centripetalen und centrifugalen Herznerven in zweckmässiger Weise functionell verbunden sind, derart, dass beispielsweise bei gesteigerter Action des Herzens zugleich eine gesteigerte Erregung der positiv-bathmotropen, bezüglich Lähmung der negativ-bathmotropen Fasern erfolgt. Hier mögen dann namentlich die von allen Herzabtheilungen zum Gehirn ziehenden, centripetalen Fasern eine wichtige Rolle spielen, indem sie zweckmässige bathmotrope Reflexe auslösen. Da, wie wir jetzt, Dank der Anwendung der Suspensionsmethode wissen, jede Abtheilung des Herzens, von den grossen Venen bis zum Bulbus arteriosus, für sich von dem Gehirne aus bathmotrop, inotrop u. s. w. beeinflusst werden kann, so ergiebt sich die Möglichkeit zahlloser, auch den weitesten und manniefaltigsten Anforderungen genügender Combinationen. Die Zahl dieser Combinationen steigert sich noch für diejenigen Thiere, die, wie die Warmblüter, ein eigenes unter Nerveneinfluss stehendes Blut- gefässsystem in der Herzwand besitzen. Die vollständige Analyse der Er- scheinungen dürfte hier ein fast aussichtsloses Unterfangen sein. Auch aus diesem Grunde, schien es mir und scheint es mir noch gerathen, die ohnehin schwierigen und verwickelten Untersuchungen über die functionelle „Abhängigkeit des Herzens als Ganzes und die seiner einzelnen Abtheilungen, ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 25 vom Nervensystem zunächst an verhältnissmässig weniger complicirten Objecten, wie dem Froschherzen, möglichst weit fortzuführen. Zudem hat sich in allen allgemeineren Eigenschaften und Beziehungen der Musculatur mehr und mehr eine so weitgehende Uebereinstimmung zwischen dem Herzen der niederen und der höheren Vertebraten herausgestellt, dass wir Recht haben zu vermuthen, dass auch in Bezug auf die Wirkungen der Herznerven, speciell der bathmotropen, unsere am Frosch erhaltenen Ergeb- nisse in allen principiellen Punkten für die höchsten Wirbelthiere gelten werden. Die prineipielle Uebereinstimmung zwischen den functionellen Eigen- schaften der Kammer- und der Vorkammermuskeln hat mich vorläufig davon abgehalten, die vorstehende Untersuchung auch bei der Kammer durchzuführen. Es kam dazu, dass hier wenigstens am blutdurchströmten Herzen inotrope Wirkungen schwer zu erzielen sind und somit auch die Prüfung von deren Beziehungen zu den bathmotropen Nervenwirkungen weniger aussichtsvoll erschien. Bei der regen Thätigkeit, die allerwärts auf dem Gebiete der Herzphysiologie herrscht, darf erwartet werden, dass die hier gelassenen Lücken sich bald zu schliessen anfangen werden. 26 Tua.W. ENGELMANN: ÜBER DIE BATHMOTROPEN WIRKUNGEN U. S. w. Litteraturverzeichniss. 1. H. E. Hering, Ueber die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit, der Contracetilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern und ihre Bedeutung für die Theorie der Herzthätigkeit und ihrer Störungen. Pflüger’s Archiv für die ges. Physiol. 1901. Bd. LXXXVI. S. 533—585. 2. Th. W. Engelmann, Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 315—361. Taf. III—VI. 3. Derselbe, Die Unabhängigkeit der inotropen Nervenwirkungen von dem Leitungsvermögen des Herzens. Zbenda. 1902. Physiol. Abthlg. S. 103—133. 4. Derselbe, Weitere Beiträge zur näheren Kenntniss der inotropen Wirkungen der Herznerven. Zbenda. 1902. Physiol. Abthlg. S. 443—471. 5. M.Schiff, Ueber den Modus der Herzbewegung. Vierordt’s Archiv für physiol. Heilkunde. 1850. IX. Jahrg. S. 63—64. 6. C. Eckhard, Erregung des durch Vagusreizung zum Stillstand gebrachten Herzens. Eckhard, Beiträge zur Anatomie u. Physiologie. 1883. Bd.X. S. 22—33. 7. J.A.MeWilliam, On the structure and rhythm of the heart in fishes etc. Journ. of physiol. 1885. Vol. VI. p. 192—245. 8. T. Wesley Mills, The heart of the fish compared with that of Meno- branchus etc. Journ. of physiol. 1886. Vol. VII. p. 81—95. 9. Derselbe, On the physiology of the heart of the snake. Ebenda. 1887. Vol. XXI. p. 1—8. 10. J. A.MeWilliam, On the phenomena of inhibition in the mammalian heart. Journ. of physiol. 1888. Vol. IX. p. 345—395. Pl. VIII—-IX. 11. Th. W. Engelmann, Contractilität und Doppelbrechung. Pflüger’s Archiv für Physiologie. 1814. Bd. XI. S. 461 fig. 12. Derselbe, Ueber den Ursprung der Muskelkraft. 2. Aufl. Leipzig 1893. S. 48 fig. 13. J. Bernstein und A. Tschermak, Ueber die Beziehung der negativen Schwankung des Muskelstromes zur Arbeitsleistung des Muskels. Pflüger’s Archiv. 1902. Bd. LXXXIX. S. 289—331. Daselbst weitere Litteraturangaben. Ueber das angebliche Gesetz der reciproken Innervation antagonistischer Muskeln. Von Dr. R. du Bois-Reymond, Privatdocent in Berlin. 1. Besteht gesetzmässige Beziehung zwischen der Innervation antagonistischer Muskeln? In vielen neueren Arbeiten ist von einer gesetzmässigen Verknüpfung der Thätigkeit antagonistischer Muskelgruppen die Rede. Es wird ange- nommen, dass mit der Erregung einer der antagonistischen Gruppen eine „Hemmung“ der anderen Gruppe verbunden sei. So schreibt Gold- scheider!: Es „tritt bei Reizung der Hirnrinde gleichzeitig mit der Con- traction der betreffenden Muskeln eine Erschlaffung ihrer Antagonisten ein, offenbar auf gleichzeitiger Hemmung ihrer Antagonisten beruhend“. Noch schärfer und allgemeiner findet sich dasselbe bei Verworn? ausgesprochen: „dass die Antagonisten unter den Skeletmuskeln in der Weise mit einander durch das Centralorgan verknüpft sind, dass die Contraction des einen stets mit der Expansion des anderen verbunden ist. Niemals kommt unter normalen Verhältnissen eine gleichzeitige Contraction von antagonistisch wirkenden Muskeln vor.“ Dass die angeführten Sätze ohne jede Ein- schränkung als allgemein gültiges „Gesetz“ betrachtet werden, ergiebt sich aus einer Abhandlung von Semon?’, in der eine diesem Gesetze wider- sprechende Anschauung bloss deswegen für unannehmbar erklärt wird. ı Handbuch der physikalischen T’herapie, herausgegeben von Goldscheider und Jacob. Leipzig 1901. Th. I. Bd.I. 8.512. ®? M. Verworn, Zur Physiologie der nervösen Hemmungserscheinungen. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. 8. 114. ® Heymann’s Handbuch der Laryngologie. Th.I. 8. 261. 28 R. vu Boıs-ReyYMmonD: Als Gewährsmann für die angeführten Sätze wird an jeder der drei Stellen Sherrington genannt.! Sherrington selbst hat aber, soweit mir bekannt, die in den erwähnten Sätzen enthaltenen Behauptungen nie in so bestimmter und umfassender Form ausgesprochen. Seine Beobachtungen gingen ursprünglich von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus, näm- lich von der Vertheilung der einzelnen Spinalnervenfasern, und führten nur nebenbei auf die Frage nach der Innervation antagonistischer Muskel- gruppen. In seinen späteren einzelnen Mittheilungen, die sich mit dieser Frage insbesondere beschäftigen, handelt es sich fast ausschliesslich um . einzelne Beobachtungen, und wo eine Folgerung gezogen wird, geschieht es immer auf die vorsichtigste Weise in Form angedeuteter Hypothesen. Es ist mir in Sherrington’s Schriften keine Stelle bekannt, die der Formulirung eines allgemeinen Gesetzes näher käme als etwa der Satz: „Diese Art der Coordination mag eine häufige und an vielen Stellen des Bewegungsapparates wiederkehrende sein.“? Vielleicht könnte man eine weitergehende Andeutung, dass Sherrington selbst ein allgemeines Gesetz aussprechen wollte, darin finden, dass er? die Verknüpfung als eine „ele- mentare“ bezeichnet. Man könnte dies ferner aus dem Umstande ableiten wollen, dass Sherrington eine besondere Bezeichnung für diese Art der Coordination einführt, nämlich „reciproke Innervation“. Man pflegt aller- dings für ein Verhalten, das sich nur in einzelnen Fällen nachweisen lässt, gewöhnlich keine besondere Benennung zu erfinden. Aber „reciproke In- nervation“, und selbst der Ausdruck „Gesetz der reciproken Innervation“ ist bei Sherrington durchaus nicht ein Kunstausdruck, der allein für das Verhalten antagonistischer Muskeln gebraucht wird. Im Gegentheil dienen dieselben Worte an anderen Stellen zur Bezeichnung des Verhaltens der Extre- mitäten beider Körperhälften‘, wie es nach Rückenmarksdurchschneidungen beobachtet wird. Daher halte ich es nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich, dass Sherrington selbst die Verantwortung für die Eingangs aufgeführten Sätze und deren Darstellung als allgemein gültiges Gesetz ablehnen würde. Gleichviel aber, wer als Urheber dieses sogenannten ! Auch in dem Referat über Bielschowsky, „Ueber Divergenzlähmung u. s. w.“ in der Zeitschrift für Psych. und Physiol. der Sinnesorgane findet sich der Ausdruck: „das von Sherrington ausgesprochene Prineip der reeiproken Innervation“. ° C.8. Sherrington, On reeiprocal innervation of antagonistic museles. Third note. Proc. of the Royal Society. Vol.LX. p.414. „It seemed probable that the kind of cooperative coordination demonstrated for the ocular muscles might be of extended application and oceurrent in various motile regions of the body.“ ° Ebenda p.416 „this reciprocal and, as I believe, elementary ceoordination“. * C.8. Sherrington, Experiments in examination of the peripheral distribution of the fibres of the posterior roots of some spinal nerves. Part II. Philos. Transact. of the Royal Society of London. 1898. Series B. Vol. CXC. p. 45—186. INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 29 Gesetzes gelten kann, so beweisen die oben angeführten Stellen, dass die Vorstellung von einer derartigen Verbindung der antagonistischen Muskel- gruppen in weiten Kreisen Anerkennung gefunden hat. In diesem Zusammenhange sei daran erinnert, dass v. Basch schon vor langer Zeit ein „Gesetz der gekreuzten Innervation“ aufgestellt hat, das den oben angegebenen Sätzen fast vollständig entspricht.! Es soll nun im Nachfolgenden untersucht werden, ob die Annahme eines solchen Gesetzes berechtigt ist oder nicht. Ich will versuchen, zu zeigen: Erstens, dass die Beobachtungen, auf die sich angeblich das Ge- setz gründet, das Vorhandensein des Gesetzes durchaus nicht erweisen, zweitens, dass eine Reihe von Thatsachen dem angeblichen Gesetze ent- gegenstehen, drittens, dass die Annahme eines solchen Gesetzes auf a priori unhaltbaren Vorstellungen beruht. 2. Die bisher bekannten Beobachtungen lassen nicht auf ein allgemeines Gesetz schliessen. Unter den zahlreichen Beobachtungen, die Sherrington mittheilt und aus denen die Eingangs angeführten Sätze abgeleitet sein sollen, mögen vier verschiedene Versuche ausgewählt werden, um als Beispiel dafür zu dienen, dass die Versuche die aus ihnen gezogenen Schlüsse nicht recht- fertigen. Diese vier Versuche stellen gewissermaassen die Haupttypen dar, deren mannigfache Modification die Gesammtheit der Sherrington’schen Versuche umfasst. Als erster dieser Versuche mag der angeführt werden, den Sherrington auf dem vierten internationalen Physiologencongress zu Cambridge öffentlich vorgeführt hat. Bei einer Katze wurde durch Klopfen auf die Patellarsehne in regel- mässigen Zeitabständen der Kniereflex hervorgerufen. Die Beugemuskeln des betreffenden Oberschenkels waren an ihrem Ansatze abgelöst, aber mit dem Nerven in Zusammenhang belassen. Wurden die Muskeln mechanisch oder elektrisch gereizt, oder wurde der Muskelnerv centripetal gereizt, so blieb im Moment des Reizes der Kniereflex aus. Dieser Versuch wird aufgefasst als Hemmung eines Agonisten durch Reizung seines Antagonisten. ! Vgl. M.v. Zeissl, Ueber die Innervation der Blase. Pflüger’s Archiv. 1893. Bd. LIII. S. 574. „Dies Gesetz lautet: In einem Nervenstamm, welcher ein bestimmtes System von Muskelfasern motorisch innervirt, sind zugleich Nervenfasern vorhanden, welche die zu diesem System antagonistischen Muskelfasern hemmend innerviren.“ Aus dem Zusammenhang scheint hervorzugehen, dass dies „Gesetz‘“ nur für glatte Muskeln gelten soll. 30 R. pu Boıs-REymonp: Der zweite Versuch wurde ebenfalls in Cambridge gezeigt: Bei einem gewissen Stadium der Narkose treten bei verschiedenen Thieren mitunter mässige Streck- oder Beugekrämpfe der Extremitäten ein. Bei Katzen und Hunden sind Streckkrämpfe der hinteren Extremität häufig. Wenn in diesem Zustande in derselben Weise wie beim vorigen Versuche die Beugemuskeln gereizt werden, so erschlafft der Strecker. Dieser Vorgang wird wiederum als Hemmung des Agonisten durch den Antagonisten gedeutet. Als dritter der vier Haupttypen der Sherrington’schen Versuche sei folgender angeführt: Bei Katzen oder Affen wird entweder Oculomotorius und Trochlearis, oder Abducens intracraniell durchschnitten. Ruft man nun durch Hirnreizung (oder durch eine dem wachen Thiere vorgehaltene Lockspeise) Augenbewegungen hervor, so kann der Augapfel, dessen Muskeln auf einer Seite gelähmt sind, sich dennoch nach dieser Seite hin bewegen. Die Bewegung beschränkt sich darauf, dass die Blicklinie aus beliebig nach der gesunden Seite abgelenkter Stellung zur Primärstellung zurück kehrt. Es kann also z. B. ein Hund, dem Oculomotorius und Trochlearis linker- seits durchschnitten sind, einem Stück Fleisch mit dem linken Auge von links bis in die Mittelstellung folgen. Da hier die inneren Augenmuskeln gelähmt sind, kann die Augenbewegung nur auf der Erschlaffung des vor- her contrahirten Abducens beruhen, und diese wird bezeichnet als Hemmung des Antagonisten bei der Innervation des (gelähmten) Agonisten. Als vierter Hauptversuch endlich sei folgender erwähnt: Bei einem Affen in demjenigen Stadium der Narkose, in dem sich Streck- oder Beuge- krämpfe der Extremitäten zeigen, wird durch Rindenreizung Beugung oder Streckung hervorgerufen, das Glied aber durch kräftige Fixation an der Bewegung gehindert. Im Augenblicke der Reizung fühlt man, wenn Streckung hervorgerufen wird, die contrahirten Beuger, wenn Beugung hervorgerufen wird, die contrahirten Strecker erschlaffen. Der Versuch wird gedeutet als Hemmung des Antagonisten bei Innervation des Ago- nisten. Ausser den hier erwähnten vier verschiedenen Versuchen, die übrigens in mannigfachen Modificationen ausgeführt worden sind, liegen noch eine Reihe entsprechender Versuche an anderen Regionen des Körpers vor. Die vier vorstehenden Beispiele dürften aber für die Erörterung der vor- liegenden Frage ausreichen. Drei von diesen vier Versuchen habe ich wiederholt nachgeprüft! und bin dabei zu folgenden Ergebnissen gekommen: ! Die Versuche sind im physiologischen Laboratorium des Hrn. Geh.-Rath Prof. Dr. Hermann Munk in der Kgl. Thierärztlichen Hochschule zu Berlin angestellt worden. INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 31 Was zunächst den Versuch über das Kniephänomen betrifft, so ist zwar die angegebene Beobachtung vollkommen richtig, der Versuch verliert aber alle Beziehung zu den daraus abgeleiteten Schlüssen, wenn man die Probe macht, ob es sich denn dabei um eine specifische Wirkung der sensibeln Nerven der Beugemuskeln auf die Innervation der Strecker handelt. Diese Probe kann man dadurch anstellen, dass man einen Augenblick vor dem Kniephänomen einen beliebigen sensibeln Reiz von einer anderen Stelle, nicht von den Beugemuskeln aus, auf das Thier einwirken lässt. Man reize z. B., statt der Beugemuskeln oder ihrer Nerven, die darüber- liegende Haut durch Kneifen, oder man bringe einen elektrischen oder mechanischen Reiz an dem Fusse an, und man wird ganz ebenso wie bei dem Sherrington’schen Versuch den Kniereflex ausbleiben oder nur in stark abgeschwächtem Maasse auftreten sehen. Zum sicheren Beweise, dass es sich nicht um eine specifische Beziehung zwischen den Muskeln handelt, kann man den Reiz auch an der Schwanzspitze ausüben und er- hält auch dadurch Unterdrückung des Kniestosses. Somit lässt sich die Erscheinung zurückführen auf die allgemein be- kannte Thatsache, dass Reflexe durch die gleichzeitige Einwirkung starker sensibler Reize aufgehoben werden können. Es ist nämlich zu bemerken, dass die angewendeten Reize ziemlich stark sein müssen, damit die Wirkung eintritt. Macht man den Versuch in der Form, dass man bei der Katze oder beim Hund den Ischiadicus freilegt und durchschneidet, dann an dem Beine in bestimmten Perioden den Kniereflex hervorruft und ihn durch Reizung des centralen Ischiadicusstumpfes zum Versagen bringt, so erhält man bei schwachen Reizen keinen merklichen Erfolg, erst bei einer mittleren Reizstärke fällt das Kniephänomen aus, bei sehr starkem Reiz wird der Versuch durch grobe Bewegungen des ganzen Beines gestört. Die Wirkung - ist in gewissem Grade von der Narkose abhängig, indem anscheinend bei zu tiefer Narkose die Breite der passenden Reizstärke eingeschränkt ist, so dass man entweder gar keine Wirkung oder nur grobe Reflexbewegungen erhält. Viel bequemer kann man sich am unversehrten Thier ohne Narkose davon überzeugen, dass das Kniephänomen ausbleibt, wenn gleichzeitig ein hinreichend starker sensibler Reiz das Thier trifft. Der Sherrington’sche Kniestossversuch ist demnach nur ein besonderes Beispiel für die allgemeine Erfahung, dass die Reflexerregbarkeit durch die Einwirkung starker sensibler Reize herabgesetzt wird. Nur dadurch, dass als Ort der sensibeln Reizung die Nerven der Beugemuskeln, und als Indicator der Erregbarkeit die Streckmuskeln des Unterschenkels ge- wählt worden sind, erhält der Versuch scheinbar eine Beziehung zur Lehre von der Innervation antagonistischer Muskelgruppen. Als Stütze 32 R. pu Boıs-REYMoND: des Satzes von der reciproken Innervation ist also der Versuch vollständig werthlos. Man wird sich fragen, wie es dazu gekommen ist, dass dieser Versuch überhaupt in dem erwähnten Zusammenhange angeführt werden kann. Es scheint nach Sherrington’s Ausdrucksweise!, dass für ihn die Be- deutung des Versuches vornehmlich darin bestanden habe, dass überhaupt eine reflectorische Wirkung von sensibeln Muskelnerven aus nachgewiesen wird. Was die Erzeugung desselben Erfolges von anderen Stellen aus be- trifft, so hebt Sherrington hervor, dass die Reizung der Beugemuskeln besonders stark wirke.? Dieser Vergleich ist aber nur unter der Annahme zulässig, dass die sensible Erregung bei Reizung der Beugemuskeln nicht stärker ausfällt, als bei Reizung der anderen Stellen. Ganz ähnlich steht es mit dem zweiten Versuche. Hier hat die Narkose in der untersuchten Hinterextremität mässigen Reflexkrampf der Strecker hervorgebracht. Bei Reizung der Beuger lässt dieser Krampf nach. Er lässt aber ebenso nach, wenn, statt der Beuger oder ihrer Nerven, die Haut über den Beugern oder irgendwo am Schenkel durch Kneifen gereizt wird, oder wenn eine Zehe des anderen Beines, oder die Schwanzspitze ge- kniffen wird. Ferner erstreckt sich die Erschlaffung bei Reizung der Unter- schenkelbeuger durchaus nicht allein auf ihren Antagonisten, den Quadriceps, sondern auch auf andere Muskelgruppen. Ausser dem Streckkrampf der Extensoren besteht nämlich bei dem auf der Seite liegenden Versuchsthiere, dessen eines Bein aufgehoben wird, um den Unterschenkel als Indicator des Streckkrampfes zu beobachten, gewöhnlich eine merkliche Spannung der Adductoren. Auch diese lässt plötzlich nach, wenn nach Sherrington’s Verfahren die Beugemuskeln gereizt werden. Es wird also durch die Reizung der Beuger nicht nur eine Erschlaffung der Strecker, sondern eine Erschlaffung aller unter der Einwirkung des Reflexkrampfes stehender Muskeln hervorgerufen. Man kann hier, ebenso wie beim Kniestossversuch, eine allgemeine Herabsetzung der reflectorischen Thätigkeit durch den sen- sibeln Reiz annehmen. Man könnte aber auch diese Erschlaffung, die bei der Rückenlage des Thieres zur Beugung des Beines führt, als Vorstufe einer Beugebewegung ansehen, die als reflectorische Fluchtbewegung ge- deutet werden könnte. In beiden Fällen steht der Versuch nur dadurch, dass als Ort des sensibeln Reizes die Nerven der Beugemuskeln gewählt werden, und bei der Beurtheilung des Reizerfolges ausschliesslich die Streck- 'C.S. Sherrington, Inhibition of the tonus of a voluntary muscle by exeitation of its antagonist. Journ. of physiol. 1899. Vol. XIIl. Suppl. p. [26]: „in this way a reflex of pure muscular initiation may be started“. ° Sherrington in E.A. Schäfer, Textbook of physiology. Vol. II. p. 873. INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 33 muskeln beachtet werden, scheinbar in Beziehung zur Lehre von der Innervation antagonistischer Muskelgruppen. Als Stütze des Satzes von der „reciproken Innervation“ ist also auch dieser Versuch werthlos. Der dritte Versuch nimmt deswegen eine besondere Stellung ein, weil er die Augenmuskeln, also einen Bewegungsapparat betrifft, wie er nur an einer Stelle des Körpers ausgebildet worden ist. Schon aus diesem Grunde ist der Versuch ungeeignet, allgemeine Schlüsse auf das Verhalten der Skeletmuskulatur begründen zu helfen. Bekanntlich ist die Bewegung beider Augen eine derartig assoeiirte, dass sich die beiden Blickaxen im Allgemeinen parallel bewegen. Wenn also die Augen nach rechts gewendet werden, werden der rechte Rectus externus und der linke Rectus internus innervirt, und umgekehrt, wenn die Augen nach links gewendet werden, der linke Externus und der rechte Internus. Es mag nun der Fall betrachtet werden, dass, wie es bei Sherrington beschrieben ist, einem Thiere ! der linke Oculomotorius und Trochlearis durch- schnitten worden sind, und dass darauf das Thier geheilt worden ist. Dem Thiere werde eine Lockspeise zunächst von der linken Seite genähert. Es wendet die Augen nach links, also innervirt es den rechten Internus und den linken Externus. Nun werde die Lockspeise nach rechts bewegt und zunächst das rechte Auge betrachtet, an dem kein Eingriff stattgefunden hat. Der Internus dieses Auges befindet sich im Contractionszustand. Das Thier wird, um der Lockspeise mit den Augen zu folgen, nun das Auge nach rechts drehen wollen und zu diesem Zwecke den rechten Externus innerviren. Findet nun eine Erschlaffung des Antagonisten statt oder nicht? Am rechten Auge wird dies nicht zu erkennen sein, weil die Contraction des Rectus externus jedenfalls eine Bewegung nach rechts hervorrufen kann. Deshalb ist nun das linke Auge zu betrachten, an dem durch die Nerven- durchschneidung der Internus, dessen Contraction die Bewegung nach rechts hervorrufen könnte, gelähmt ist. Das linke Auge bewegt sich nun thatsächlich ebenfalls nach rechts. Dies gilt als Beweis der Henımung des linken Rectus externus. Es werde nun der Zustand des linken Auges bei diesem Versuche sorgfältig erwogen: Es besteht eine Abductionsstellung des Auges, denn die Lockspeise war zuerst von links genähert worden. Der Rectus externus befindet sich also zu Beginn des Versuches in Contraction. Der Internus ist gelähmt, besitzt aber, wie jeder Muskel, noch einen gewissen Grad elasti- ! Sherrington machte den Versuch an Katzen und Affen. Ich habe ihn nur am Hunde nachgemacht. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 3 34 R. pu Boıs-Reymonp: scher Spannung. Diese ist durch die bestehende Abductionsstellung er- höht. Würde der Abducens ebenfalls durchschnitten, so dass der Rectus externus auch gelähmt wäre, so würde' der Bulbus durch die vorhandene Spannung des Internus in die Primärstellung zurückschnellen, und in dieser, bei der Gleichgewicht zwischen der Spannung des Externus und Internus besteht, verharren. Ebenso, sollte man meinen, müsste die angebliche Hemmung des Reetus externus wirken. Statt solchen Zurückschnellens des Bulbus sieht man aber den Blick langsam der Lockspeise folgen und in jeder beliebigen Zwischen- stellung anhalten, wenn die Lockspeise still gehalten wird. Also nimmt die vorhandene Contraction des Externus ganz langsam ab, nach Maassgabe des bei der Bewegung beabsichtigten Zweckes. Man sieht keineswegs, dass im Augenblicke der Öontraction des rechten Externus und der vergeblichen Innervation des gelähmten linken Internus der linke Externus erschlafft, sondern seine Contraction besteht offenbar fort. Freilich bleibt sie nicht in voller Stärke bestehen, aber um dies nachzuweisen, bedurfte es nicht erst mühsamer Versuche, da es schon genugsam aus der Thatsache hervorgeht, dass wir im Stande sind, unsere Augen mehrmals hin und wider gehen zu lassen. Statt für die Hemmung des Antagonisten bei der Innervation des Agonisten zu sprechen, zeigt also dieser Versuch vielmehr, dass der Ant- agonist unzweifelhaft zugleich mit dem Agonisten thätig ist, allerdings mit abnehmender Stärke. Diese Verminderung der Thätigkeit des Antagonisten, die eigentlich selbstverständlich ist, könnte aber doch noch als eine Hemmungserscheinung im Sinne des „Gesetzes der gekreuzten Innervation“ angesehen werden. Selbst unter dieser Annahme würde aber der Versuch, wie oben an- gedeutet, nur für die Innervation der Augenmuskeln gelten und keine allgemeinen Folgerungen zulassen. Denn die vier seitlichen Augenmuskeln sind für die associirten Bewegungen bekanntlich so coordinirt, dass je ein innerer und ein äusserer zugleich thätig werden. Mithin ist der rechte Rectus externus ebenso sehr Antagonist des linken Externus wie des rechten Internus. Es vermindert sich also hier bei der Contraction eines Muskels zugleich die Contraction zweier anderer Muskeln, und ausserdem tritt Con- traction eines vierten Muskels ein. Es ist logisch kein Grund, warum die eine dieser Thatsachen, dass nämlich die Contraction des unmittelbaren Ant- agonisten nachlässt, als Beispiel eines allgemein gültigen Gesetzes hingestellt werden dürfte, da dies doch für die anderen unzulässig ist. Mit anderen Worten: der Versuch kann schon deshalb nicht für ein „allgemeines Gesetz der gekreuzten Innervation“ sprechen, weil er das Innervationssystem der Augenmuskeln, also einen besonderen Apparat betrifft. Dagegen wird weiter INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 35 unten gezeigt werden, dass dieser Versuch einen triftigen Gegengrund gegen die Annahme eines solehen Gesetzes bildet. (Vergl. 8. 38. 5.) Der vierte Versuch, der an den Extensoren und Flexoren des Affen, scheint am besten der daraus gezogenen Folgerung zu entsprechen. Es liegen aber auch hier in der Versuchsanordnung zwei Bedingungen, die sonst im Allgemeinen nicht erfüllt sein werden und daher den Schluss von dem Versuchsergebniss auf das allgemeine Verhalten illusorisch machen. Es möge der Fall betrachtet werden, dass in Folge der Rindenreizung der gebeugte Arm gestreckt wird und dass dabei Erschlaffung der Beuge- muskeln stattfindet. Hier ist nun in erster Linie hervorzuheben, dass der Anfangszustand, gerade wie beim vorigen Versuche, ein Contractionszustand des Beugers ist. Was man beobachtet, ist also die Verminderung dieser Contraction, nicht eine Hemmung des in normalem Zustande befindlichen Muskels." Folglich kann diese Beobachtung auch nur für solche Fälle gelten, in denen vorher eine ÜContraction bestand, und kann daher nicht zu den allgemeinen, elementaren Coordinationen? gehören. Allerdings werden die Beuger, so wenig wie irgend welche andere Muskeln, normaler Weise jemals vollständig erschlafit sein. Aber der Versuch gewährt durchaus keinen Anhalt dafür, dass auch eine bestehende Contraction von geringerem Grade, ein blosser Muskeltonus, verringert werden würde. Ferner aber kann man, selbst wenn man den Zustand des Beugers zu Anfang des Versuches als blossen „Tonus“ auffasst, für das Verhalten unter nor- malen Bedingungen aus dem Versuche nichts schliessen, weil ja durch die Fixation der Extremität der Streckbewegung schon ein äusserer Wider- stand entgegengesetzt ist. Es ist wohl möglich, dass gerade in dem Falle, in dem die Bewegung gegen einen starken äusseren Widerstand erfolgt, die antagonistische Muskulatur erschlafit, um den inneren Widerstand auf ein Minimum zu bringen. Aber man kann von diesem Falle nicht auf die- jenigen Bewegungen schliessen, die bei freier Extremität oder gegen leicht nachgebende Widerstände ausgeführt werden.’ Dieser Versuch endlich zeigt also, dass unter Umständen gleichzeitig mit der Countraction von Agonisten vorher contrahirte Antagonisten er- ! In dieser Beziehung ist bemerkenswerth, dass Sherrington den Zustand krampfhafter Contraction während der Halbnarkose mehrfach einfach als „Tonus“ be- zeichnet. Dadurch wird allerdings das Missverständniss nahegelegt, als handle es sich um eine Erschlaffung des in seinem normalen Ruhezustande befindlichen Muskels, aus der man allerdings auf einen besonderen „Hemmungs“-Vorgang schliessen müsste. Aber alle die erwähnten Versuche gehen von Contractionszuständen aus. 2 C.8.Sherrington, On reeiprocal innervation of antagonistic muscles. Third note. Proc. of the Royal Society. Vol. LX. p. 416. ® E.v. Brücke, Ueber willkürliche und krampfhafte Bewegungen. Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss., math.-nat. Olasse, in Wien. 1877. Bd. LXXV. IL S8. 261. 3* 36 R. pu Bors-REYmoxD: schlaffen. Er beweist aber nicht im Entferntesten, dass dies in Folge einer gesetzmässigen Coordination geschieht und immer geschicht. Auch unter den übrigen von Sherrington und Anderen! veröffent- liehten Beobachtungen auf diesem Gebiete ist meines Wissens keine einzige, die die oben angeführten, angeblich auf die erwähnten Versuche gegründeten allgemeinen Sätze besser als die besprochenen zu stützen vermöchte. Im Gegentheil lassen sich eine Reihe von Thatsachen anführen, die diesen Sätzen widersprechen, und insbesondere darthun, dass die Antago- nisten ebensowohl gleichzeitig wie wechselweise thätig sein können. 3. Zahlreiche Beobachtungen widersprechen dem angeblichen Gesetze. Gälte das sogenannte „Gesetz der gekreuzten Innervation“, so müsste man an jeder Beuger- oder Streckergruppe bei Reizung des Antagonisten Erschlaffung erhalten. Besonders deutlich müsste dies sein, wo die beiden Muskelgruppen an Kraft sehr verschieden sind. Z. B. müsste, dem schwachen Tibialis anticus gegenüber, die Wadenmuskulatur ihren Tonus merklich vermindern. Trotz wiederholter Versuche ist es mir aber nie gelungen, durch Reizung der vor dem Schienbein gelegenen Muskeln bei Hund und Katze eine Erschlaffung des Gastrocnemius zu erreichen. Dies negative Ergebniss ist sehr verständlich auf Grund der oben gegebenen Erklärung des Sherrington’schen Versuches: Ein Reflexkrampf der Strecker lässt auf Reiz nach, aber der natürliche Tonus der Wadenmuskeln bleibt un- beeinflusst. Ebenso wenig ist es mir gelungen, bei analogen Versuchen am decapitirten Frosch auch nur die leiseste Andeutung der nach dem Gesetze der gekreuzten Innervation zu erwartenden Hemmungen zu finden. 1. Dass dies „Gesetz“ nicht allgemein gilt, kurz also, kein Gesetz ist, und nicht auf einer gesetzmässigen Coordination beruht, ist schon daraus ersichtlich, dass alle Menschen, ja schon Kinder im ersten Lebensjahre bei ihren Bewegungsübungen im Stande sind, Antagonisten, etwa Beuger und Strecker des Armes, willkürlich gleichzeitig zu innerviren. Diese gleich- zeitige Innervation, die ein Starrwerden und Erzittern der betreffenden Ex- tremitäten zur Folge hat, ist eines der natürlichen Ausdrucksmittel ver- haltener Erregung. Auf diesen Vorgang bezieht sich die gebräuchliche Redewendung ‚vor Wuth zittern“. Aehnliches kann man an Thieren sehen. In diesem Falle handelt es sich um möglichst gleiche, sehr starke Innervation der Antagonisten, durch die die Extremität fixirt wird. Soll ‘ H.E. Hering und C. S. Sherrington, Ueber Hemmung der Contraction will- kürlicher Muskeln bei elektrischer Reizung der Grosshirnrinde. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVIM. 78.221. INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. Bu dagegen eine Bewegung gemacht werden, so können natürlich die Ant- agonisten nicht beide gleich stark innervirt werden. Es ist aber auch weder erforderlich, noch nachweisbar, dass einer von beiden vollständig erschlaffe. Im Gegentheil wird es unter gewöhnlichen Bedingungen vortheilhaft sein, wenn beide Muskelgruppen innervirt werden, der Agonist aber stärker. Denn nur dadurch, dass der Agonist bei der Contraction einen gewissen Widerstand findet, kann die Bewegung ihren gleichmässigen Gang erhalten. Es ist bekannt, dass Bewegungsapparate an Maschinen häufig zur Sicherung ihres Ganges mit Federn oder Gewichten versehen werden, die einen ge- eigneten Gegendruck ausüben. 2. Bei heftigen Bewegungen, bei denen grössere Kräfte im Spiel sind, kann kein Zweifel sein, dass eine Anspannung der Antagonisten erfordert wird, um den nöthigen Zusammenhalt der Gelenke herzustellen. Gegenüber der Vorstellung, als könne es eine allgemeine Einrichtung im Nervensystem geben, durch die fortwährend die Thätigkeit einzelner Muskeln ganz und gar ausgeschaltet würde, ist es vielleicht nützlich, auf die Angaben Duchenne’s über Reizung einzelner Muskeln zu verweisen. Wenn ein einzelner Muskel, z. B. der Deltoideus, für sich allein künst- lich gereizt wird, so wird damit ein Zustand hervorgerufen, der normaler Weise unmöglich ist, und der, wie Duchenne wiederholt betont, die Gefahr der Luxation nahelegt. Das Knochengerüst ist nicht, wie man in Folge des systematischen anatomischen Unterrichts geneigt ist anzunehmen, eine feste Bewegungsmaschine, die von den Muskeln bedient wird, sondern jedes Gelenk bedarf mehr oder weniger der es umgebenden und stützenden Muskulatur, um normal zu functioniren. Ebenso wie bei normalen Be- wegungen eine Menge von Muskeln zur Fixirung der Gelenke thätig sind, von deren Eingreifen wir erst eine Vorstellung erhalten, wenn wir nach dem Verfahren von Duchenne die Bewegung ohne Beihülfe dieser Muskeln hervorrufen, ebenso dürfte für die meisten normalen Bewegungen schon zur sicheren Führung im Gelenk die Innervation der Antagonisten erforder- lich sein. 3. In der Lehre von den Gelenken ist die Vorstellung von der Knochen- und Bänderhemmung, die ursprünglich allein beachtet wurden, mit der Zeit immer mehr eingeschränkt worden. An ihre Stelle ist die Lehre von der Hemmung der Gelenkbewegungen durch die Muskeln getreten. Diese Lehre “ besagt aber, dass der extremen Bewegung durch Contraction der Antago- nisten eine Grenze gesetzt wird. Wenigstens am Schlusse einer Bewegung ist hiernach eine gleichzeitige Contraction der Antagonisten nicht zu bezweifeln. 4. Aber auch während der Bewegung ist in vielen Fällen die Contraction der Antagonisten, auch abgesehen von den angeführten Gründen, unum- gänglich. Sobald eine Bewegung mit einiger Feinheit oder Genauigkeit 38 R. pu Boıs-Reymonp: ausgeführt werden soll, muss die Stellung der betreffenden Gliedmaassen dauernd nach beiden Richtungen hin corrigirt werden. Wäre der eine Agonist jedes Muskelpaares jedes Mal erschlafft, so würde die Bewegung von der Grösse der zufällig dem Zuge entgegenstehenden Widerstände ab- hängen. Beispielsweise, wenn die Hand durch Beugung des Ellenbogen- gelenkes bei wagerechter Haltung des Oberarmes gehoben werden soll, würde, nach dem angeblichen Gesetz von der gekreuzten Innervation, der Triceps gehemmt sein. Die Beuger des Ellenbogens würden Anfangs einen grossen Widerstand in der Schwere des Unterarmes finden, dann aber, so- bald sie ihn bis nahe an die Senkrechte gehoben haben, würde er nach der Schulter zu überkippen, oder der Zug der Beuger müsste mit der grössten Geschicklichkeit gerade im richtigen Maasse vermindert werden, um den Arm im Ellenbogengelenke gegenüber der Schwere in der Waage zu halten. Man versuche doch einmal, eine derartige Bewegung am Cadaver durch blossen Zug an einem Agonisten auszuführen, und vergleiche, wie leicht und sicher dem gegenüber die Bewegung abläuft, wenn gleichzeitig ein geeigneter Gegenzug am Antagonisten ausgeübt wird. 5. Will man aber einen experimentellen Beweis, dass für die normale gleichmässige Bewegung die gleichzeitige Thätigkeit der Antagonisten er- forderlich ist, so lässt sich dieser aus dem oben besprochenen Versuch am Auge ableiten. Oculomotorius und Trochlearis sind linkerseits durchschnitten. Das linke Auge ist durch Contraction des Externus nach links gewendet. Nun will das Thier nach rechts sehen. Die Contraction des Externus lässt nach, und unter dem Einfluss der Spannung des Internus dreht sich das Auge bis in die Mittelstellung zurück. Diese Bewegung unterscheidet sich von der normalen dadurch, dass sie langsam und unsicher, ja stockend vor sich geht. Offenbar ist also die bewegende Kraft unzureichend. Die bewegende Kraft unterscheidet sich aber von der normalen nur dadurch, dass an Stelle der activen Con- traction des Internus dessen elastische Spannung wirkt. Die Contraction des Externus muss also, ehe Bewegung eintritt, so weit nachlassen, dass die Spannung des Internus sie überwindet. Bei dem geringen Kraftüberschuss, der unter diesen Verhältnissen zu Gunsten des Internus vorhanden ist, sind die Widerstände des Bulbus gegen die Bewegung gross genug, Ungleich- mässigkeit zu erzeugen. Normaler Weise würde die Contraction des In- ternus eine viel grössere bewegende Kraft entfalten und all’ die kleinen Widerstände leicht und sicher überwinden. Mit der Entfaltung dieser grösseren Kraft muss aber eine entsprechend stärkere Innervation oder vielmehr eine geringere Abnahme der vorhandenen Innervation des Antagonisten Hand in Hand gehen. Denn die Bewegung INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 39 erfolgt in beiden Fällen gleich schnell, nämlich so schnell, wie die Lock- speise vor dem Auge vorbeigeführt wird. Beim operirten Hund ist die be- wegende Kraft nur die elastische Spannung des Internus. Beim normalen Hund ist es die ganze Kraft des contrahirten Internus. Soll diese aber eine kräftigere Bewegung hervorbringen, ohne den Bulbus schneller zu drehen, so kann das nur geschehen, indem der Externus seinerseits einen hin- reichend kräftigen Gegenzug ausübt. Der durch diesen Gegenzug stark gespannte Internus kann dann nicht, wie der des operirten Hundes, durch jedes kleine Hinderniss gedehnt werden. Die Thatsache also, dass sich das normale Auge glatt, das des operirten Thieres stockend bewegt, ist dar- ‚auf zurückzuführen, dass das normale Thier beide Antagonisten inner- viren und folglich mit starker Muskelspannung arbeiten kann, während das operirte darauf angewiesen ist, mit einem so geringen Grade von Muskel- spannung auszukommen, dass die elastische Spannung der gelähmten Ant- agonisten sie zu überwinden vermag. Die eben angestellte Betrachtung gilt aber nicht nur für diesen Fall, sondern für die allermeisten Bewegungen, die mit Hülfe von Skeletmuskeln ausgeführt werden. Wie Brücke bemerkt!, vermag man die Bewegungen der Glieder nach Belieben „mit sehr grosser Energie, so dass bedeutende Hindernisse leicht hinweggeräumt werden“, auszuführen. Das heisst so viel, als die Bewegung wird mit grösserer Kraft ausgeführt. Die Bewegung braucht aber deswegen nicht etwa schneller zu erfolgen, im Gegentheil kann dieselbe Bewegung mit der gleichen Geschwindigkeit entweder mit geringer oder mit grosser Kraft gemacht werden. Wenn dieselbe Bewegung mit gleicher Geschwindigkeit, aber grösserer Kraft ausgeführt werden soll, dann müssen grössere Widerstände vorhanden sein. Diese Widerstände werden, wo es auf langsame kraftvolle Bewegung ankommt, durch die Innervation der Antagonisten geliefert. ? t E.v. Brücke, Ueber willkürliche und krampfhafte Bewegungen. Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss., math.-nat. Classe, in Wien. 1877. Bd. LXXV. II. S. 237. ® Es würde leicht sein, hierfür einen experimentellen Nachweis zu erbringen, wenn es sich lohnte, eine aus mechanischen Gründen einleuchtende Thatsache noch besonders augenscheinlich zu machen. Eine geeignete Versuchsperson sei mit dem Oberarm in einem Stützapparat fixirt, und werde aufgefordert, den Unterarm mit einer bestimmten Geschwindigkeit zu beugen. Die Bewegung des Unterarmes werde, etwa durch einen in der Hand gehaltenen Faden, auf einen Curvenschreiber übertragen. Man setze nun der Bewegung an irgend einer Stelle einen Widerstand von bestimmter geringer Stärke entgegen, ohne dass die Versuchsperson dies bemerken kann, so wird in der Bewegungscurve an der Stelle, wo der Widerstand die Bewegung aufhält, eine Zacke entstehen. Man fordere nun die Versuchsperson auf, die Bewegung mit so grosser Kraft auszuführen, dass der Widerstand überwunden wird, ohne dass eine merkliche Zacke in der Curve entsteht. Die Versuchsperson wird dazu im Stande sein, 40 R. pu Bois-REymoxp: 6. Aus den angeführten Beispielen geht wohl deutlich genug hervor, dass es viele Fälle giebt, in denen antagonistische Muskeln gleichzeitig thätig sind. Es kann daher auch nicht fehlen, dass bei der Untersuchung be- liebiger Muskelbewegungen hier und da gleichzeitige Thätigkeit von Ant- agonisten beobachtet worden ist. Als Beispiel hierfür seien Beobachtungen von Sherrington selbst angeführt. An einem decapitirten Frosche werden Oberschenkel und Unterschenkel vermittelst geeigneter Klammern absolut unbeweglich festgestellt und die Sehnen antagonistischer Muskelpaare mit je einem Schreibhebel verbunden. Wird nun durch mechanische oder chemische Reizung der Haut des Rückens oder Perineums eine Reflex- bewegung angeregt, so schreiben die betreffenden Muskeln bei ihrer Zu- sammenziehung Curven. Diese Curven „zeigten, dass häufig die antago- nistischen Muskeln während des grössten Theiles der Bewegung gleichzeitig thätig waren, obschon sie während der verschiedenen Bewegungsphasen nicht gegenseitig gleich stark wirkten. Die Stärke der Zusammenziehung schwankte von einem Augenblick zum anderen sowohl relativ wie absolut, und thatsächlich kam es ziemlich oft vor, dass die Bewegung damit anfing, noch häufiger aber, dass sie damit endete, dass nur ein Theil des Antago- nistenpaares allein wirksam war.“ ! In Bezug auf den letzten Satz, in dem man geneigt sein könnte, eine Stütze des „Gesetzes der gekreuzten Innervation“ zu suchen, ist zu bemerken, dass die Anfangs- und Endstellungen häufig solche sind, in denen schon an sich, ohne Innervation des Antagonisten, der Agonist be- deutenden Gegenzug erfährt. Dies lässt sich für einzelne Fälle leicht nach- weisen, indem theils die ungünstige Zugwirkung der Muskeln, theils die an sich bedeutende elastische Spannung der Antagonisten in Betracht kommt. Im Uebrigen kommt diesem Versuch deswegen offenbar eine allgemeinere Bedeutung zu als den sämmtlichen oben beschriebenen Versuchen, weil durch die Art der Reizung, nämlich Auslösen einer Reflexbewegung, die Muskeln höchst wahrscheinlich in ihrer gewohnten Coordination betroffen werden, während dies bei den anderen Versuchen nicht der Fall zu sein braucht. selbst wenn sie nicht weiss, an welcher Stelle der Bewegung der Widerstand ein- geschaltet wird. Dabei kann die Geschwindigkeit der Bewegung die gleiche bleiben. Die glatte Ueberwindung des Widerstandes geschieht durch stärkere Spannung der Beuger, die durch entsprechende Spannung der Strecker bewirkt wird. ! C.8. Sherrington, Journ. of physiol. 1892. Vol. XIII. ». 722. „The records shewed that frequently the antagonistic muscles were during the greater part of the movement in eontemporaneous activity, though not mutually active to equal extent in the various phases of the movement. The extent of their contraction varied from moment to moment both relatively and absolutely, indeed it was quite frequent for the movement to begin, and especially frequent for it to end with isolated activity of one member only of the antagonistic pair.“ INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 41 4. Das angebliche Gesetz der reciproken Innervation beruht auf der unhaltbaren Voraussetzung des absoluten Antagonismus. Bei jeder coordinirten Thätigkeit müssen einzelne Muskeln und Muskel- gruppen in bestimmter Reihenfolge in Thätigkeit treten. Wenn ihre Thätig- keit für die betreffende Bewegung nicht mehr nothwendig, vielleicht sogar geradezu hinderlich ist, müssen die betreffenden Muskeln aufhören, thätig zu sein. Wenn man, wie dies zu wiederholten Malen für verschiedene Be- wegungen versucht worden ist, die Reihenfolge der Zusammenziehung der einzelnen Muskeln in einer Uebersicht vereinigt, wird man immer sehen, dass einige Muskeln nur vorübergehend arbeiten und dann wieder erschlaffen, während andere eben erst in Thätigkeit treten. Welcher Unterschied be- steht nun zwischen der Erschlaffung der Beuger, wenn Streckung intendirt ist, und der Erschlaffung beliebiger Muskeln einer grösseren Gruppe, die sich an einer Bewegung nach Maassgabe ihrer Leistungsfähigkeit für den bestimmten Zweck betheiligt haben ? Offenbar besteht hier nur der Unter- schied, dass man in dem ersten Falle, wo es sich um Beuger und Strecker handelt, an die Möglichkeit eines ausnahmslos antagonistischen Verhaltens glauben und demnach eine gesetzmässige Verknüpfung der Innervationen vermuthen kann. Nur durch diese Vermuthung erhalten die Beobachtungen Sherrington’s die ihnen zugeschriebene Bedeutung. Dass aber diese Vermuthung täuscht, geht schon aus Sherrington’s eigenen Beobachtungen! hervor, da er angiebt, dass bei seinen Versuchen auch an anderen, nicht im unmittelbar antagonistischen Verhältnisszu den er- resten Muskeln stehenden Muskeln Erschlaffung beobachtet wurde. Offenbar standen diese Muskeln zu den erregten Muskeln in einer complicirteren mecha- nischen Beziehung, die man als eine mittelbar antagonistische bezeichnen könnte. Sie erschlafften daher, um der Thätigkeit der erregten Muskeln Spielraum zu geben. Aber bei diesen mittelbaren Antagonisten wird Niemand auf die Vermuthung kommen, dass sie mit den betreffenden Agonisten in einem dauernden Verhältniss der „reciproken Innervation“ stehen, weil man nicht wissen kann, ob sie nicht bei anderen Bewegungen mittelbare Syner- gisten derselben Muskeln sind. Unmöglich kann das ganze Heer der mittel- baren Synergisten und Antagonisten durch eine centrale Verknüpfung „ele- ı H. E. Hering und C. S. Sherrington, Ueber Hemmung der Contraction willkürlicher Muskeln u.s. w. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVII. 3.226. „Er- schlaffung von einer Gruppe war nicht nur mit Contraction ihrer wahren Antagonisten verknüpft, ... sondern es trat auch Erschlaffung einiger Muskeln und Contraction anderer ein, wobei der physiologische Zusammenhang zwischen diesen zwei verschiedenen Thätigkeiten nicht sogleich zu verstehen war.“ 42 R. pu Boıs-REYmoxp: mentarer‘“ Art dauernd in einem bestimmten Verhältniss stehen. Denn bei der geringsten Abweichung der betreffenden Bewegungsform muss wieder eine ganz andere Verknüpfung derselben Muskeln unter einander stattfinden. Die Möglichkeit, ein „Gesetz der reciproken Innervation“ anzunehmen, beruht eben nur darauf, dass man die Körperbewegungen als auf der Wir- kung einzelner, zu Antagonistenpaaren zusammengefasster Muskeln beruhend schematisirt. Unter Antagonismus muss aber dann verstanden werden, dass die betreffenden Muskeln unter allen Umständen die entgegengesetzte Wirkung ausüben und nie, zu irgend einem Zwecke gemeinsam, also synergistisch thätig sind. Es ist a priori klar, dass diese Voraussetzung für kein einziges Muskel- paar in Wirklichkeit zutreffen wird. Denn wenn zwei Muskeln die ent- gegengesetzte Wirkung haben, werden diese Wirkungen einander gegen- seitig beeinflussen, und zur Fixirung oder langsamen sicheren Bewegung des betreffenden Körpertheiles wird die gleichzeitige Innervation beider Muskeln eintreten, wie es oben für die Augenmuskeln beschrieben ist. Mit der unmöglichen Voraussetzung eines absoluten Antagonismus zweier Muskeln oder Muskelgruppen wäre freilich das „Gesetz der reciproken Innervation“ schon gegeben. Da es aber solchen absoluten Antagonismus nicht giebt, lässt sich auch kein allgemeines Gesetz auf die Vorstellung vom Antagonismus und Synergismus gründen. Im Gegentheil kann nicht stark genug hervorgehoben werden, dass die Begriffe Antagonismus und Synergie gegenüber der unermesslichen Verwickelung der mechanischen Beziehungen der einzelnen Muskeln unter einander eine völlig willkürliche und unbestimmte Abgrenzung darstellen. Um von dieser Verwickelung der mechanischen Beziehungen der Skeletmuskeln unter einander eine Anschauung zu geben, pflege ich in meiner Vorlesung über „Physik und Physiologie der Leibesübungen“ eine einfache und wohl allgemein bekannte Turnübung, das „Klimmziehen“, als Beispiel aufzustellen. Ueber diese Uebung sagt ein fachmännischer Leitfaden! Folgendes: „Der ‚Klimmzug‘ ist eine Steigerung der Arbeit des Langhanges, welche ausschliesslich den Unterarmbeuger betrifft. Dieser nähert den Oberarm dem in seiner Hangstellung verbleibenden Unterarm und hebt dadurch die ganze Körperlast etwa 50°” hoch. Die ganze Bewegung spielt sich im Charnier des Ellenbogengelenkes ab, alle anderen Gelenke bleiben unbeweglich, wie sie es beim Jaanghang waren.“ In Wirklichkeit tritt an die Stelle dieser einfachen Bewegung eines einzigen Gelenkes durch einen einzigen Muskel folgender Vorgang: ! Leitenstorfer, Das militärische Training. Stuttgart 1897. S. 62. INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. 43 Der Ellenbogen wird nicht „ausschliesslich“ durch „den Unterarm- beuger“ gebeugt, sondern auch durch den Brachialis internus und auch durch alle die auf der Beugeseite des Unterarmes gelegenen Muskeln, die über den Ellenbogen hinwegziehen, insbesondere den Brachioradialis und die Flexoren des Handgelenkes und der Finger. Ferner wird nicht allein der Ellenbogen gebeugt, sondern auch der Oberarm wird aus seiner senkrecht emporgestreckten Stellung herabgezogen. Diese Bewegung des Oberarmes im Schultergelenk ist nicht etwa passiv, sondern activ und trägt sehr wesentlich zu der Bewegung bei. Denn man kann sich ebenso gut denken, dass ein vollständiger Klimmzug bei passivem Ellenbogengelenk durch all- einige Bewegung des Oberarmes zu Stande kommt, wie umgekehrt durch blosse Bewegung im Ellenbogengelenk bei passivem Schultergelenk. Ueber- dies ist es subjectiv und objectiv wahrzunehmen, dass jeder Klimmzug durch eine kräftige Contraction der Schultermuskulatur eingeleitet wird. Es kommen also zu den erwähnten Muskeln hinzu sämmtliche Muskeln, die den Ober- arm aus der nach oben gestreckten Lage nach unten zu ziehen vermögen, namentlich Pectoralis major, Deltoideus, Latissimus dorsi, Teres major u. a. m. Gleichzeitig muss das Schulterblatt fixirt werden, damit es nicht nach oben ausweicht. Dazu dienen vornehmlich Serratus anticus, Rhomboideus und Trapezius. Wenn nun der Körper ohne weitere Bewegung gehoben würde, würde er mit dem Kopf an die Stange stossen. Daher muss der Kopf zurückgenommen werden, und dies kann im Hange nur geschehen, wenn gleichzeitig die Beine nach vorn gebracht werden. Hierzu ist eine Krüm- mung und Fixirung der Wirbelsäule, ein Vorheben des Beckens und eine leichte Vorhebung der Beine nothwendig, die einen sehr grossen Theil der übrigen Körpermuskulatur merklich beanspruchen. Namentlich ist die Arbeit, die der Rectus abdominis leistet, bei mehrmaligsem Klimmzuge deutlich fühlbar. Es ergiebt sich also, dass bei einer Bewegung, die dem oberflächlichen Beobachter als eine einfache Charnierbewegung eines einzigen Gelenkes er- scheint, ein grosser Theil der gesammten Körpermuskulatur betheiligt ist. Können nun alle diese Muskeln, die wenigstens bei dem Geübten prompt und sicher zusammen arbeiten, als eigentliche Synergisten angesehen werden, oder wo ist die Grenze zu ziehen? Und können gesetzmässige „elementare“ Nervenverbindungen angenommen werden, die bei der gemeinsamen T'hätig- keit aller dieser Muskeln deren sämmtliche Antagonisten hemmen ? Oder, um einen einzelnen Fall herauszugreifen: beim gewöhnlichen Klimm- ziehen ist, wie eben gezeigt wurde, der Latissimus dorsi ein unzweifelhafter Synergist der Ellenbogenbeuger. Beim Klimmziehen im Sturzhang (Kopf nach unten, Füsse in die Höhe gestreckt) ist der Latissimus (wie die ganze entsprechende Gruppe der Schultermuskulatur) ebenso unzweifelhafter Ant- 44 NR. pu Boıs-ReyMmonD: INNERVATION ANTAGONISTISCHER MUSKELN. agonist der Ellenbogenbeuger. Wie kann dabei von einer gesetzmässigen Verknüpfung die Rede sein? Aus diesem und ähnlichen Beispielen ist zu ersehen, dass die Begriffe des Antagonismus und der Synergie nur bei einer ganz schematischen ein- seitigen Auffassung der Bewegungsvorgänge beibehalten werden können. Vielleicht muss hier noch ausdrücklich dem Einwande begegnet werden, als sei die eben gegebene Anschauung von der Verwickelung der Coordi- nationen übertrieben und als gebe es zahlreiche Fälle einfacheren antago- nistischen oder synergistischen Verhaltens von Muskeln. ' Das oben gewählte Beispiel des Klimmzuges ist aber keineswegs ein ausgesuchter Fall. Man bedenke nur, dass nur, um im Stehen eine be- liebige Bewegung der Hand kraftvoll auszuführen, die zum Feststehen er- forderliche Fixation sämmtlicher Gelenke modificirt werden muss. Ob sich irgend zwei wirkliche Antagonisten im Muskelsystem finden, ist sehr zu bezweifeln. Die Fingerbeuger und -Strecker, die man geneigt sein könnte als solche anzusehen, wirken zugleich auf das Handgelenk und sogar auf das Ellenbogengelenk. Wenn für ihre Function ein antagonistisches Gesetz gelten sollte, so dürfte dies sich daher auch nur auf Beugung und Streckung der Finger beziehen. Selbst bei den Augenmuskeln ist das rein antagonistische Verhalten, abgesehen von den weiter oben erhobenen Ein- wendungen, dadurch gestört, dass bei Convergenz- und Divergenzbewegung eine ganz andere Coordination, und zwar unter Umständen gleichzeitig mit der Seitwärtsbewegung auftritt. Das Gesagte erscheint mir hinlänglich zum Nachweise, dass von einer elementaren centralen Verknüpfung der Innervationsvorgänge in dem Sinne, dass mit der Erregung bestimmter Muskeln nothwendig und ausnahmslos die Erschlaffung anderer Muskeln verbunden ist, als von einer allgemeinen Erscheinung keine Rede sein kann. Dies schliesst nicht aus, dass für eine gegebene Bewegung, besonders wenn man von einer durch Contraction be- stimmter Muskelgruppen hervorgerufenen Anfangsstellung ausgeht, die Er- schlaffung solcher Muskeln erforderlich sein kann. Selbst in diesem Falle wird aber die Erschlaffung nicht als eine gesetzmässige Erscheinung ange- sehen werden dürfen, da sie offenbar nach Maassgabe äusserer und innerer Widerstände und je nach der Art der beabsichtigten Bewegung in beliebig veränderlichem Maasse auftreten wird. Statt ein unmögliches „Gesetz der reciproken Innervation“ zu begründen, deuten Sherrington’s Versuche vielmehr den Mechanismus an, durch den sich die Innervation der gesammten Muskulatur in jedem Augenblicke, zwar völlig regellos, aber mit um so vollkommenerer Zweckmässigkeit, dem bestehenden Bedürfniss anpasst. Untersuchungen über die Veränderungen der Muskelfunction in einer Kohlendioxydatmosphäre. Von Dr. Camill Lhotak von Lhota. (Aus dem physiologischen Institute der böhm. Universität zu Prag.) (Hierzu Taf. I—-IV.) Aus den durch die Beobachtung der Muskelthätigkeit während der Asphyxie sich ergebenden Thatsachen (1) habe ich mir, gemäss der Theorie von Hering (2), gewisse Muthmassungen zusammengestellt von der mög- lichen Wirkung des Kohlendioxyds, welche besonders bei einigen noch un- genügend determinirten Veränderungen der Muskelfunction (wie Ermüdung und Erholung) hervortreten könnte. Auf Grund dieser Muthmassungen hat sich mir während der Arbeit mancher Zusammenhang der Erscheinungen der Muskelthätigkeit klarge- legt, manche neue Aussichten haben sich mir eröffnet, so dass ich einige Thatsachen nur zur Vollendung des conecipirten Ganzen ausforschte. Trotzdem erhebt dieser Concept keinen Anspruch, eine wissenschaft- liche Theorie zu sein, so lange das Thatsachenmaterial noch lückenhaft ist, und ich glaube, dass es besser sein wird, wenn ich nur gelegentlich irgend eine zur Ausfüllung der Lücken der Erfahrung passende Idee anführe. Einrichtung der Versuche. In der Litteratur fand ich eine einzige Angabe, welche die Verände- rung der Muskelcurve unter dem Einflusse des Kohlendioxyds betrifft, und zwar die von Waller (3). Da aber diese Abhandlung sehr allgemein 46 CAMILL LHOTAK von LHOoTA: gehalten ist, habe ich diese Prüfung selbst in dem nöthigen Detail vor- genommen. Ich untersuchte die isotonische Zuckung beider isolirten Gastrocnaemii eines curarinisirten Frosches bei maximaler direeter Reizung durch In- ductionsöffnungsschläge. Die directe Belastung (insofern ich nichts Anderes angebe) betrug 13 sm, Die Muskeln (von welchen einer zur Controle diente) befanden sich in Glasröhren, von denen durch die eine reine Kohlensäure, durch die andere (mit dem Controlmuskel) reine Luft getrieben wurde. Durch eine kleine Oefinung am Boden der Röhre, durch welche das betreffende Gas entwich, ging ein Faden, welcher mit dem Hebel des Myo- graphen verbunden war. I. Ueber die Veränderlichkeit des Zuckungsverlaufes. Sämmtliche durch die Einwirkung des Kohlendioxyds hervorgerufenen Veränderungen der normalen Reactionsart des isolirten Muskels werden durch das fortschreitende Schwinden der elastischen Nachschwingungen ein- geleitet (Textfig. 1, Taf. I, Figg.2 u. 3). Den Moment des vollständigen Ver- schwindens der elastischen Nachschwingungen kann man nicht allgemein bestimmen, weil das Fortschreiten dieses Schwindens auch bei normalen Umständen ungleich schnell ist und sich ungefähr nach der anfänglichen Erregbarkeit des Muskels richtet. Fast zu gleicher Zeit mit dem Verschwinden der elastischen Na ch- schwingungen beginnt die Deerescente (Stadium der sinkenden Energie) sich zu dehnen (Fig. 1), und dies besonders in ihrer zweiten Hälfte, so dass nach längerer Einwirkung der Kohlensäure immer ein grösserer Verkürzungs- rückstand bleibt (Fig. 2). Die Crescente (Stadium der wachsenden Energie) und die Latenzdauer ändert sich Anfangs gar nicht, und erst dann, wenn die Veränderungen in Decrescente stark ausgeprägt sind, verlängert sich auch die Crescente und die Latenzdauer (Taf. I, Fig. 1); während sich aber die Deerescente durch die fortschreitende Einwirkung des Kohlendioxyds auch auf das Zehnfache und noch mehr verlängert, dehnt sich die Crescente und die Latenzdauer nur um die Hälfte oder höchstens doppelt aus. Diesen ersten am meisten auffallenden Complex der durch die Kohlen- säure bewirkten Veränderungen können wir also mit Waller als eine Ver- längerung der Zuckungsdauer charakterisiren. Der zweite Complex bezieht sich auf die Zuckungshöhe. Wir wissen schon aus der Abhandlung Waller’s, dass die Zuckungshöhe in einer Serie von Zuckungen unter dem Einflusse des Kohlendioxyds wächst. "9ıgydsowmgeaınesas]ygoyy Aop Ur UOLIBAYO,) U94819 TOP I0A uomurm ST Uoyds JONSNM Pyyansıayun op uaJunN TENSNWLOINNUoN) A9p uage) "U9AINIJOYSNM UOA 9119 Um ‘Ss ad VOpunaas T Ide19q [ITAISJuLZIOY ([OISUWUOLUO/) AP) FU Aop ur usa orggdsowguamgsuspyoy op aı SAID) U9YIOTA "TI 19pP UOA UOIO UOAINIJINSNM UOA 9LIIS 9UIM VERÄND. D. MUSKELFUNCTION IN EINER KOHLENDIOXYDATMOSPHÄRE. 47 MRS 48 CAMILL LHOTAK von LH0TA: Ich habe weiter constatirt, dass sich die Dauer des Wachsens der Zuckungshöhen nach der anfänglichen Erregbarkeit des Muskels, besonders aber nach dem Reizintervalle richtet, und zwar so, dass bei längerem Inter- valle das Wachsen länger dauert, bei einem kürzeren kürzer, ja bei einem sehr kurzen Intervalle kann unter dem Einflusse der Kohlensäure gleich die Verminderug der Zuckungshöhe erfolgen. Aus der Combination einer solchen Verminderung der Zuckungshöhe und der Verlängerung der Zuckungsdauer resultirt dann eine grössere oder geringere Ausdehnung des Curvengipfels. In jedem Falle aber vermindert sich endlich unter dem Einflusse der Kohlensäure die Zuckungshöhe bis zur Null. Mit der blossen Entfernung der Kohlensäure durch die Luft oder durch ein indifferentes Gas kehrt der Muskel wieder ad normam zurück, sowohl in seiner Zuckungsdauer als auch in seiner Zuckungshöhe (Taf. I, Figg. 4 u. 5). Diese Erholung erfolgt desto schneller, je kürzer die Kohlensäure einwirkte, bei sonst gleichem. Effecte, oder je unvollkommener sie einwirkte, bei gleicher Wirkungsdauer. Im Ganzen können wir die eben beschriebenen Veränderungen als eine blosse Modification, nicht aber als eine Schädigung der Muskelfunetion begreifen. Diese Modification könnte die Aeusserung eines wachsenden Wider- standes sein, welcher die normale Erschlaffung des Muskels hemmt (nach stofflichen Hypothesen vielleicht Verminderung der Reserven (4) oder bei sonst unveränderter Menge der Reserven die Unmöglichkeit ihrer Benutzung). Erst durch längere Einwirkung der Kohlensäure würde auch die Ver- zögerung der Auslösung des eigentlichen physiologischen Potentials erfolgen (stofflich verzögerter Zerfall der kraftliefernden Substanz). Diese Veränderung der normalen Reactionsart des Muskels vergrössert sich durch die fortschreitende Einwirkung der Kohlensäure bis zur voll- ständigen Unmöglichkeit der Auslösung des Potentials (Unerregbarkeit) und verschwindet durch blosse Entfernung der Kohlensäure so vollständig, dass der Muskel wieder normal fungirt. II. Erhebung der Fusslinie. Schon aus diesen eben beschriebenen Veränderungen der normalen Reactionsart des Muskels lassen sich einige weitere Irregularitäten der Muskelfunction voraussagen. Man kann in einer Serie von Muskelzuckungen erwarten, dass bei einem kleinen Reizintervalle (von der Dauer einer Secunde oder von einem noch kleineren Zeitraume) schon in Folge der blossen Ausdehnung der De- crescente eine Erhebung der Fusslinie (Verbindungslinie der Fusspunkte VERÄND. D. MUSKELFUNCTION IN EINER KOHLENDIOXYDATMOSPHÄRE. 49 der sämmtlichen Crescenten) über die Abseisse eintreten muss, wie es that- sächlich der Fall ist (Taf. II, Figg. 1 u. 2). Diese Erhebung der Fusslinie vergrössert sich bei weiteren Contractionen in der Kohlensäureatmosphäre, aber die Hubhöhe der Einzelzuckungen nimmt zugleich ab, bis endlich bei einer stark verminderten Hubhöhe auch eine Verminderung der Erhebung der Fusslinie eintritt (Taf. II, Fig. 2). Wenn wir das Reizen wann immer einstellen, so verschwindet die Er- hebung der Fusslinie. Die Schlusslinie der ganzen Reihe ist dann stark gedehnt und entspricht der gedehnten Decrescente der Einzelzuckung. Wir sehen weiter, dass mit der Verlängerung des Reizintervalles die Fusspunkte sich senken und auf diese Weise die Erhebung der Fusslinie sich vermindert, so dass bei einem Intervalle von 5 bis 60 Secunden die Erhebung der Fusslinie sehr selten ist. Aus den Arbeiten von Kronecker und Anderer ist es bekannt, dass sich diese Erhebung der Fusslinie regelmässig in den späteren Stadien der Muskelermüdung entwickelt, und es ist auch bekannt (5), dass sie vom Reizintervalle abhängt. Hiernach würde dieses Phänomen hauptsächlich auf zwei Factoren be- ruhen — auf der durch Wirkung der Kohlensäure oder der Ermüdung veränderten Reactionsart des Muskels, und auf dem kurzen Reizintervalle. Die normale Muskelfunction ändert sich durch die Combination dieser zwei Factoren so, als ob eine Art von Selbstunterstützung des Muskels ein- träte, so dass der Muskel bis zu gewissem Maasse die Form der Ver- kürzung bewahrt. 11I. Contractur. Etwas anders verhält sich der Muskel in dem Falle, wenn die Kohlen- säure schon während der Ruhe 3—40 Minuten vor der ersten Contraction einwirkt. Da stellt sich bei einer gewissen Reizfrequenz (Intervall von 1 Secunde) eine Zuckung terrassenförmig auf die andere und es entwickelt sich so nebst der Erhebung der Fusslinie auch eine convexe Krümmung der Er- müdungslinie, in Folge der Superposition (Taf. II, Fig. 3). Zugleich vermindert sich schnell der Abstand zwischen dem Fuss- und dem Gipfelpunkte einzelner Contractionen so, dass das ganze Resultat ein mehr oder weniger rascher Uebergang von einer Reihe der Zuckungen zu einem tief eingeschnittenen, — weiter zu einem feinzackigen, ja zu einem glatten Tetanus ist (Taf. II, Figg. 4 u. 7). Je länger (bis zu gewissen Grenzen) die Kohlensäure einwirkte, desto dauerhafter ist diese Erscheinung. Bei kurzer Einwirkung der Kohlen- säure, oder wenn wir sie im Verlaufe des Reizens entfernen, vertiefen sich Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 4 50 CAMILL LHOTAK von LHOTA: die Contractionen und es vermindert sich auch die Erhebung der Fusslinie und die Superposition (Taf. II, Figg. 5 u. 6). Nach Einstellung des Reizens sehen wir Anfangs einen steilen und erst dann einen verzögerten Abfall der Schlusslinie (Taf. II, Fig. 5). Es ist bisher noch nicht gelungen, die Bedingungen dieses ganzen Complexes von Erscheinungen, welcher in der Physiologie unter dem Namen der Öontractur bekannt ist, auch nur annähernd zu bestimmen (Taf. II, Figg. 6, 7, 8, 9 und 10). Nach diesen Untersuchungen können wir wenigstens so viel sagen, dass es eine Veränderung der Muskelfunction ist, in Folge deren der Muskel in einer Reihe von Contractionen unverhältnissmässig schneller die Er- schlaffungsfähigkeit, als die Verkürzungsfähigkeit verliert, ja in einigen Fällen ist die Frschlaffungsfähigkeit vollständig unterdrückt, wobei die Ver- kürzungsfähigkeit vielleicht auch erhöht sein kann, so, dass der Muskel in der Reihe der Irritationen sich nur mehr und mehr verkürzt (Taf. II, Figge. 7 u. 8). Was die Bedingungen der Contractur anbelangt, ist uns jetzt wenigstens so viel bekannt, dass es in der Einwirkung der Kohlensäure im Zustande der Muskelruhe Factoren giebt, durch welche man die Contractur ganz be- stimmt hervorrufen und auch die vorausbestehende, so zu sagen normale Con- tractur verstärken kann (Taf. II, Fig. 8). Was dies für Factoren sind, ist allerdings schwer zu bestimmen; wir können bisher von ihnen nur mehr oder weniger wahrscheinliche Ver- muthungen haben. Wir wissen aus dem Vorausgehenden, dass die Kohlensäure vor Allem die Erschlaffungsfähigkeit des Muskels beherrscht; weiter können wir ver- muthen, dass von den Factoren, welche durch die Muskelruhe sich ver- wirklichen, hauptsächlich das erhaltene physiologische Potential des Muskels (stofflich die kraftliefernde Substanz) es ist, welches hier mitwirkt. Diese Vermuthung findet eine Unterstützung in der Thatsache, dass auch die normale Contractur (ohne CO,) nur bei einem frischen Muskel entsteht. Eben durch diese erhaltene Leistungsfähigkeit würde sich dieser Com- plex der Erscheinungen von der blossen Erhebung der Fusslinie unter- scheiden, wenn es überhaupt möglich und nöthig wäre, diese beiden Phäno- mene streng zu trennen. Inwieweit bei dieser Contractur der totale energetische Effect der einzelnen Contractionen sich ändert, und ob überhaupt bei tetanischer Contractur Wärme frei wird, wie es bei einem in gewöhnlicher Weise tetanisirten belasteten Muskel der Fall ist, liesse sich durch myothermische Experimente bestimmen, und auf diese Art wäre es auch möglich, etwas von der Zweckmässigkeit der Contractur zu erfahren. VERÄND. D. MUSKELFUNCTION IN EINER KOHLENDIOXYDATMOSPHÄRE. 51 IV. Verlauf der Ermüdung in der Kohlensäureatmosphäre. 1. Einfluss des Reizintervalles auf die Schnelligkeit der Ein- wirkung der Kohlensäure. Die Erforschung der in dem Fortschreiten der Ermüdung entstehen- den Veränderungen ist zeitgemäss auf eine durchschnittliche Dauer in allen den Fällen beschränkt, in welchen es sich um den Einfluss solcher Stoffe handelt, deren Wirkungsresultat die totale Unerregbarkeit des Muskels ist (Aether, Chloroform u. s. w.).. Diese durchschnittliche Dauer beträgt bei der Einwirkung reiner Kohlensäure auf den isolirten Gastrocnaemius während der Ruhe ungefähr 3 Stunden. Es liesse sich also erwarten, dass es in der Zeit von ungefähr 3 Stunden möglich sein würde, durch Aenderung des Reizintervalles eine verschiedene Anzahl von Contractionen des Muskels zu erzielen; so, dass die Zahl der Contractionen desto grösser wäre, je kürzer das Reizintervall, wenn that- sächlich der Muskel volle 3 Stunden reagiren würde. Es zeigt sich aber, dass sich die Sache in der That ganz anders ver- hält. Die Anzahl der Contractionen ist nicht durch eine bestimmte durch- schnittliche Dauer beschränkt, sondern im Gegentheil die Schnelligkeit der Einwirkung der Kohlensäure ändert sich ganz regelmässig nach der Reiz- frequenz. Diese Regelmässigkeit ist ganz unerwartet, wenn wir uns erinnern, wie gross die individuellen Unterschiede in der Resistenzfähigkeit des Muskels gegen die Ermüdung sind. Anzahl der Anzahl der | Verlust Contraetionen in Intervall Contractionen bis | der Erregbarkeit einer Minute zur Erschöpfung | 60 1: 510 in SAL 15 4" 320 ä 2: 4 15" 158 E 40 30" 140 % 70' 1 60” 102 m 102’ Aus dieser Tabelle erhellt, dass die Kohlensäure desto langsamer ein- wirkt, je kleiner die Anzahl der Contraetionen in der Zeiteinheit ist, oder wir können diese Thatsache auch so ausdrücken, dass die Einwirkung der Kohlensäure desto schneller, ist je intensiver die Thätigkeit (grössere Reiz- frequenz) des Muskels ist. Die Muskelthätigkeit greift in die Einwirkung der Kohlensäure ein, indem sie dieselbe beschleunigt. 4* 52 ÖCAMILL LHOTAK von LHOTA: Daraus ist auch die, aus der Untersuchung von Broca und Richet bekannte Thatsache begreiflich, dass die Asphyxie allein das Arbeitspotential des Muskels nicht erschöpft, sondern, dass dazu noch die Thätigkeit des Muskels nöthig ist. Es bliebe übrig nur noch zu bestimmen, wie sich die Schnelligkeit des Erschöpfens während der Asphyxie nach dem Reiz- intervalle ändert. 2. Ermüdungslinie. In dem Verlaufe der Ermüdung sind gewisse Gesetzlichkeiten bekannt, in deren Veränderungen alle Abweichungen vom normalen Verlaufe zum Vorschein kommen (11). i Durch die Einwirkung der Kohlensäure verändert sich eine von den wichtigsten Gesetzlichkeiten der Ermüdung und zwar die sogenannte Er- müdungsdifferenz. Die Ermüdungsdifferenz, welche nach den Untersuchungen von Kronecker (11) für denselben Muskel eine constante Grösse (in gewissen Grenzen) ist, wächst in der Zeit des Ermüdungsabfalles so, dass dieser sehr steil wird (Taf. IV). Aus der anfänglichen, in Folge des Zunehmens der Zuckungshöhe entstehenden Erhebung der Ermüdungslinie und aus dem eben beschriebenen endlichen Abfalle derselben, resultirt regelmässig eine convexe Verkrümmung dieser Linie und zwar wird sie desto convexer je länger der Intervall ist, so dass sie bei einem langen Intervalle fast einen Halbkreis bildet (Taf. II, Fig. 6). V. Erholung. Die Zeit ist von grosser Bedeutung für die Erholung in norma, wie es schon aus dem Einflusse des Reizintervalles auf die Schnelligkeit des Fortschreitens der Ermüdung ersichtlich ist. Aber bei der Muskelthätigkeit in der Kohlensäureatmosphäre steht die Zeit in der Reihe der Erholungsfactoren erst auf zweiter Stelle; da ist vor Allem die Entfernung der Kohlensäure nöthig, denn durch die Ruhe in der Kohlensäureatmosphäre ermüdet der Muskel nur noch mehr, erholt sich aber auch bei der ununterbrochenen Thätigkeit, wenn wir die Kohlen- säure durch ein indifferentes Gas, durch Luft oder durch reinen Sauerstoff entfernen (Taf. III, Fig. 1 bei Z). Wenn wir die Kohlensäure in einem früheren Stadium der Ermüdung entfernen, so ist die Erholung sehr schnell und vollkommen, im späteren Stadium ist sie allmählich, in beiden Fällen aber nur von kurzer Dauer. Erst nach der Entfernung der Kohlensäure kommt die Zeit und die Qualität des die Kohlensäure ersetzenden Gases zur Geltung und zwar so, VERÄND. D. MUSKELFUNCTION IN EINER KOHLENDIOXYDATMOSPHÄRE. 53 dass, je länger (bis zu einer gewissen Grenze) wir den Muskel in Ruhe belassen, desto mehr er sich erholt, und weiter, dass diese Erholung voll- kommener und grösser in der Luft als in einem indifferenten Gase ist (Taf. II, Figg. 2 und 3), was mit den Untersuchungen von Loeb über die Thätigkeit des Herzens in der Atmosphäre der Kohlensäure und des Wasser- stoffes übereinstimmt (12, 13). VI. Conservirender Einfluss der Kohlensäure. In unseren bisherigen Untersuchungen über den Verlauf der Ermüdung und Erholung haben wir bloss den in der Kohlensäureatmosphäre arbeitenden Muskel mit Rücksicht auf eine gewisse Norm in Betracht genommen, ohne den Verlauf der Ermüdung und Erholung des analogen Controlmuskels zu berücksichtigen. Der Controlmuskel verbleibt in jedem Falle eine weit längere Zeit arbeitsfähig als der in der Kohlensäureatmosphöre thätige Muskel (bei gleicher Belastung und gleichem Reizintervalle). Das kann man auch so ausdrücken, dass die Kohlensäure die Arbeits- fähigkeit sistirt, während der Controlmuskel weiter arbeitet und so nach und nach sein Arbeitspotential erschöpft. Wenn wir das Reizen im vorgeschrittenen Stadium der Ermüdung der beiden Muskeln unterbrechen, in der Zeit, wo der Controlmuskel bereits mehr Arbeit geleistet hatte, als der in der Atmosphäre der Kohlensäure thätige, und wenn wir nach der Entfernung der Kohlensäure die beiden Muskeln gleiche Zeit in Ruhe belassen, so beobachten wir, dass sich der in der Kohlensäureatmosphäre thätig gewesene Muskel regelmässig mehr erholt und auch längere Zeit reactionsfähig bleibt als der Controlmuskel (Taf. I, Fig.5 und Taf. IV). Das können wir nur so begreifen, dass in der Erholung das noch er- haltene Arbeitspotential zur Geltung kommt, und weil der in der Kohlen- säureatmosphäre ermüdete Muskel weniger Arbeit geleistet und sein Arbeits- potential erhalten hatte, kann er eben deshalb nach der Entfernung der . Kohlensäure und nach der Erholung mehr Arbeit leisten als der Control- muskel. Die conservirende Wirkung der Kohlensäure erweckt die Idee, als ob die Kohlensäureproduction während der Muskelthätigkeit! nicht bloss ein Ausdruck der Stoffzersetzung, sondern auch eine zweckmässige regulatorische Einrichtung wäre, durch welche die völlige Erschöpfung des Muskels ver- hindert wird. ! Wobei allerdings von den Angaben abgesehen werden müsste, nach welchen bei der Thätigkeit des isolirten Muskels nicht immer eine Vermehrung der Kohlen- säureproduction eintritt (14). 54 CAMILL LHOTAK von LHO0TA: Man wird dabei auch an die Theorie des Winterschlafes von R. Dubois erinnert, nach welcher dieser Zustand durch Anhäufung der Kohlensäure im Organismus hervorgerufen wird (15). VII. Einige theoretische Bemerkungen. Schon im Anfange dieser Untersuchungen war mir die Ueberein- stimmung zwischen den durch die Kohlensäure verursachten Veränderungen und den Ermüdungsveränderungen der Reactionsart des Muskels auffallend. Diese Uebereinstimmung geht bis in das kleinste Detail, so dass z. B. die myographischen Curven des Muskels in der Kohlensäure und die des ermüdeten Muskels nicht zu unterscheiden sind (16, 17, 18, 19). Ich will auf Grund dieser Uebereinstimmung nicht behaupten, dass die Ermüdung des Muskels durch Anhäufung der Kohlensäure verursacht ist, und es war auch nicht die Aufgabe dieser Arbeit, Beweise für diese Ver- muthung ausfindig zu machen, sicher ist es aber, dass die Einwirkung der Kohlensäure mit der Muskelthätigkeit zusammenhängt, was aus dem Einflusse der Reizfrequenz auf die Schnelligkeit der Einwirkung der Kohlensäure am ersichtlichsten ist. Von der stofflichen Unterlage dieses Zusammenhanges kann man sehr verschiedene Vorstellungen haben, wie aus dem von Rollett (18) con- struirten Schema über die stofflichen Verwandlungen bei der Muskelthätig- keit evident ist. Nebst dem können wir aber alle Veränderungen und Zusammenhänge rein energetisch ohne Rücksicht auf die Hypothese der stofflichen Ver- wandlungen ausdrücken. Wir können uns denken, dass die Ermüdungsveränderungen theilweise durch die Hemmung der Auslösung des physiologischen Potentials ver- ursacht sind und dass auch die Wirkung der Kohlensäure auf den Muskel darin besteht, dass sich der Widerstand der Auslösung vergrössert (20). Oder aber wir können uns nach der Hypothese zweier Potentiale (21, 22) vorstellen, dass die Ermüdung durch die Erschöpfung des physiologi- schen Potentials in Folge seiner ungenügenden Wiederherstellung aus dem vorräthigen Potentiale erfolgt. Die Kohlensäure hindert diese Wiederherstellung so, dass ein grosses vorräthiges Potential übrig bleibt, welches nach der Entfernung der Kohlen- säure vom Muskel benutzt wird. Am vortheilhaftesten wäre vielleicht eine Vereinigung beider dieser Hypothesen in dem Sinne, dass man zum Concepte zweier Potentiale noch die Vorstellung der möglichen Veränderungen der Auslösungsfähigkeit des physiologischen Potentials hinzufügen könnte (23). VERÄND. D. MUSKELFUNCTION IN EINER KOHLENDIOXYDATMOSPHÄRE. 55 Nachtrag. In den Archives italiennes de biologie! veröffentlicht Hr. Dr. G. Spada ein Referat über seine Untersuchungen von der Wirkung der Kohlensäure auf die Muskelermüdung. (Das mir unzugängliche Original wurde im Archivio di farmacologia e terapeutica ‚publicirt.) Die Resultate dieser Untersuchungen stimmen, soweit es bei einer ver- schiedenen Methode möglich ist, mit einigen von Waller und von mir ge- fundenen Thatsachen überein. Hr. Dr. Spada constatirt die Verzögerung der Muskelerschlaffung als eine specifische Wirkung der Kohlensäure; nennt aber diese Erscheinung Contractur, ob zwar der Begriff der Contractur für ein anderes Phänomen angewendet wird (Kronecker, Frey u. A). Im vorgeschrittenen Stadium der Ermüdung entsteht zwar eine Verzögerung des Erschlaffungsprocesses, niemals aber Contractur. Weitere Ergebnisse des Hrn. Dr. Spada beziehen sich auf die ver- schiedene Wirkungsweise der Kohlensäure in verschiedenen Stadien der Muskelermüdung (nach Novi) und sind theils mit Waller’s und meinen Beobachtungen übereinstimmend, theils neu und abweichend, was durch den abweichenden Gesichtspunkt und die abweichende Untersuchungs- methode erklärlich ist. \ Archives italiennes de biologie. 31. März 1902. Vol. XXXVII. p. 129. 56 CAMILL LHOTAK von LHOoTA: Litteraturverzeichniss. 1. Broca et Ch. Richet, De la contraction. musculaire. Archives de Physio- logie. 1896. 2. E. Hering, Lotos. Prag 1888. Bd. IX. 3. A. D. Waller and S. C. M. Sowton, Action of carbonie dioxide on volun- tary and on cardiae muscle. The Journal of Physiology. 1896. Vol. XX. 4. F.Schenck, Ueber den Erschlaffungsprocess des Muskels. Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LII. 5. M. J. Rossbach und H. Hartneck, Ermüdung und Erholung des lebenden Warmblütermuskels. Zbenda. 1877. Bd. XV. 6. E. Tiegel, Ueber Muskelcontractur im Gegensatz zu Contraction. Zbenda. 1876. Bd. XII. 7. L. Hermann, Notizen zur Muskelphysiologie. Zbenda. 1876. Bd. XIII. 8. M. v. Frey, Reizungsversuche am unbelasteten Muskel. Dies Archiv, 1887. 9. H. Kronecker u.G. Stanley Hall, Die willkürliche Muskelaction. K'benda. 1879. Physiol. Abthlg. Suppl. 10. A. Mosso, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Zbenda. 1890. 11. H. Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der quergestreiften Muskeln. Berichte der math.-phys. Classe der königl. sächs. Gesellschaft. d. Wissen- schaften. 1871. 12. J. Loeb, Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen des Sauerstoff- mangels. Pflüger’s Archiw. 1896. Bd. LXH. 13. J. Joteyko, La fatigue et la respiration elementaire du muscle. Paris 1896. 14. W. M. Fletcher, The survival respiration of muscle. The Journal of Physiology. Vol. XXII. 15. R. Dubois, Physiologie comparee de la marmotte. dit. Masson. Paris 1898. 16. A. W. Volkmann, Die Ermüdungsverhältnisse der Muskeln. Pflüger’s Archiw. 1870. Bd. II. 17. O. Funke, Ueber den Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf der Muskelthätigkeit. Zbenda. 1874. Bd. VII. 18. A. Rollett, Ueber die Veränderlichkeit des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln bei fortgesetzter periodischer Erregung und bei der Erholung nach derselben. Ebenda. 1896. Bd. LXIV. 19. P. Jensen, Zur Analyse d. Muskelcontraction. Zbenda. 1901. Bd. LXXXVI. 20. J. Ranke, Tetanus. Leipzig 1865. 21. J. Carvallo et G. Weiss, Influence de la temperature sur la disparition et la reapparition de la contraction musculaire. Journal de Physiologie. 189. 22. F. Mares, Bespirometrie et calorimetrie animales I. Bulletin international de !’ Academie des Sciences de Boheme. 1900. 23. M. Verworn, Ermüdung, Erschöpfung und Erholung der nervösen Centra des Rückenmarkes. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. VERÄND. D. MUSKELFUNCTION IN EINER KOHLENDIOXYDATMOSPHÄRE. 57 Erklärung der Abbildungen. (Taf. I-IV.) Tafel I. Fig. 1. Eine Serie von Muskelecurven. Von der dritten Contraction in der Kohlensäureatmosphäre. (Ohne Controlmuskel.) Reizintervall beträgt 1 Min. Bei a Moment der Reizung. a—b ist die anfängliche Latenzdauer. (Fortschreitende Ver- längerung der Latenzdauer.) Fig. 2. Eine Serie von Muskelzuckungen. Unten (von CO,) in der Kohlen- säureatmosphäre, dann (von O) in der Luft. Reizpause von 5 Minuten (bei 5). Oben in der Luft dann in der Kohlensäureatmosphäre. (Das Schwinden und Wiedererscheinen der elastischen Nachschwingungen.) Reizintervall von 4”. Fig. 3. Eine Serie von Muskelcurven. Unten von der siebenten Curve in der Kohlensäureatmosphäre. Oben der Controlmuskel in der Luft. Nach dieser Serie wurde die Trommel eingestellt und die beiden Muskeln wurden im Intervalle von 1 Secunde 300Mal gereizt. Fig. 4. Fortsetzung desselben Experimentes. Unten wurde bei Z die Kohlen- säure durch die Luft entfernt. (Fortschreitende Erholung bei ununterbrochener Thätig- keit.) Ermüdungserscheinungen am Controlmuskel. Fig. 5. Dieselben Muskeln nach einer Pause von 20 Minuten. (Conservirender Einfluss der Kohlensäure. Fig. 6. Eine Serie von Muskelzuckungen (von CO,) in der Kohlensäureatmosphäre. Reizintervall von 60 Secunden. Tafel II. Fig. 1. Erhebung der Fusslinie bei der Thätigkeit in der Kohlensäureatmosphäre (unten). Reizintervall von 1 Secunde. Fig. 2. Endliches Stadium dieser Erhebung (auch beim Controlmuskel erscheint eine Erhebung). Fig. 3. Eine Serie von Muskelzuckungen in der Luft nach dem Einwirken der Kohlensäure während 3 Minuten vor der ersten Contraction. Unten Controlmuskel. Intervall von 1 Secunde. Fig. 4. Eine Serie von Muskelzuckungen. In der Reizpause (%) von 4 Minuten wurde oben die Luft durch die Kohlensäure entfernt (unten der Controlmuskel). Reiz- intervall von 1 Secunde. Fig. 5. Fortsetzung desselben Experimentes (ohne Controlmuskel). Bei a nach Unterbrechung des Reizens gedehnte Schlusslinie. Bei O wurde die Kohlensäure durch den Sauerstoff entfernt. (Die Contractionen vertiefen sich.) Fig. 6. Fortsetzung desselben Experimentes. (Fortschreitendes Vertiefen der Contractionen.) Bei P Pause von 15 Minuten, 58 CAMILL LHOTAK Von LHOTA: VERÄNDERUNGEN U. S. W. Fig. 7. Eine Serie von Contractionen ohne Controlmuskel. In der Reizpause von 30 Minuten wurde ein Strom von Kohlensäure eingeleitet. Dann bei « Anfang des Reizens; bei 5 Unterbrechung des Reizens; Reizintervall von 1 Secunde. Belastung betrug 38 8m. Fig. 8. Schildkrötenmuskeln. a normale Contractur, # Pause von 6 Minuten, während welcher oben die Kohlensäure, unten die Luft durchgeleitet wurde. Bei e Anfang des Reizens. Fig. 9. Contractur in der Luft nach vorhergehender Einwirkung der Kohlen- säure im Ruhezustande. Fig. 10. Derselbe Muskel nach der Pause von 24 Stunden. Tafel III. Fig. 1. Endliches Stadium der Ermüdung. Oben in der Luft-, unten in der Kohlensäureatmosphäre. Bei # Pause von 3 Minuten. Bei Z wurde die Kohlensäure durch Wasserstoff entfernt. Fig. 2. Fortsetzung desselben Experimentes. Der untere Muskel wurde in der Wasserstoffatmosphäre ermüdet, dann bei # Reizpause von 3 Minuten. Fig. 3. Fortsetzung desselben Experimentes. Das endliche Stadium in der Luft (durch welche der Wasserstoff bei der Thätigkeit entfernt Be): Bei & Reizpause von 3 Minuten. Tafel IV. Ermüdungsreihe von Muskelzuckungen, unten in der Kohlensäure-, oben in der Luftatmosphäre. Bei « Buckmaster’s „einleitende Zuckungen“, bei 5 „Treppe“, bei e Ermüdungsabfall. Bei 7 wurde die Kohlensäure durch Wasserstoff entfernt. Bei 5° O Reizpause von 5 Minuten in der Luftatmosphäre. Der untersuchte Muskel erholt sich mehr als der Controlmuskel (conservirender Einfluss der Kohlensäure). Untersuchungen über die Athmungsgrösse des Kindes. Von Dr. Konrad Gregor, Assistenten der Klinik, (Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Breslau.) Die Bestimmung der Respirationsgrösse bei Kindern. H. v. Recklinghausen (1 u.2) hat mit einer der Grösse des kindlichen Lungengaswechsels angepassten Methodik Bestimmungen der Respirations- grösse von Neugeborenen der ersten zehn Lebenstage ausgeführt. Bei der Anordnung des zu diesem Zwecke erheblich modifieirten früher gebräuch- lichen Apparates ist besonders dem Umstande Rechnung getragen worden, dass In- und Exspirationsluft möglichst früh getrennt und dass der durch die Leitung der Exspirationsluft in das Spirometer entstehende abnorme Ueberdruck auf ein Minimum reducirt wurde. Der ersten Forderung entsprechend brachte er die Ventilvorrichtung unmittelbar über dem Gesicht des Kindes an; der zweiten Forderung suchte er dadurch gerecht zu werden, dass er Ventile und Spirometerglocke von geringem specifischen Gewicht anfertigen liess und den Apparat vor dem Beginn des Versuches auf’s Exacteste in’s Gleichgewicht brachte. Die sehr leicht arbeitenden Ventile und eine genaue Adjustirung der Calibergrösse der angewendeten Rohrleitung, sowie des Spirometers setzten den abnormen Ueberdruck soweit herab, dass er durch ein Gegengewicht von 0-5 8”% aus- geglichen wurde, was unter Zugrundelegung der Grössenverhältnisse seines Apparates einem exspiratorischen Luftdruck von 0.005 °“ Wasser entspricht. Ein weiter gehendes Aequilibriren bis zu einem noch restirenden Ueber- druck von 0-001 m Wasser lag im Bereich der Möglichkeit, war aber zeit- raubend und erwies sich für die Zwecke der Untersuchung an den Neu- geborenen nicht für nothwendig. 60 KONRAD GREGOR: Grosse Vorzüge des von v. Recklinghausen nach langen, mühevollen Vorversuchen und auf Grund genauer Berechnung und Kritik seiner Leistungen modifieirten Apparates waren geringer Ventilverlust (bei 1400 «m pro Minute ausgeathmeter Luft im Mittel bei ruhiger Athmung 0-446 Proc.) und vor Allem die Möglichkeit, die Messungen an wachenden und schlafen- den Kindern vorzunehmen, ohne dass der Typus der Athmung während der Untersuchung beeinflusst wurde. Gegen die Bestimmung der Respirationsgrösse mit Hülfe eines direct am (esicht des Menschen befestigten Ventilapparates ist der Einwand erhoben worden, dass eine Belästigung der Versuchsperson dabei unvermeidlich sei. Hierdurch können uncontrolirbare Aenderungen im Athmungstypus gesetzt werden, selbst wenn die Versuchsperson den guten Willen hat, sich dem ihr auferlegten Zwange zu unterwerfen. F. Hoppe-Seyler (3) hat die Untersuchung der respiratorischen gasförmigen Aufnahmen und Aus- scheidungen durch solche Apparate nicht für unbedingt zulässig erklärt, weil nach seinen Erfahrungen bei länger fortgesetzter Untersuchung eine Ermüdung der Versuchsperson dadurch eintritt, dass die bei jeder Athmung hier und da bemerkbaren Aenderungen im Respirationsrhythmus, Räuspern und dergl. fühlbare Widerstände überwinden müssen. Nachdem aber für die Messung der Respirationsgrösse die Anwendung des Pettenkofer’schen bezw. des von Regnault modificirten Verfahrens nieht geeignet ist, weil dabei jene oben erwähnten mannigfachen Modifi- cationen im Typus der Athmung wie überhaupt die Einzelinspirationen nicht graphisch registrirt werden können und deshalb der Beobachtung entgehen, so erscheint es indieirt, die Kritik der bei Weitem handlicheren Untersuchungsmethode, wie sie von Dohrn und v. Recklinghausen! bei Neugeborenen angewandt worden ist, auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen und zu versuchen, ob sich auf dem angegebenen Wege nicht doch brauch- bare Daten gewinnen lassen. Der einfachste Weg hierzu ist der, nach exacter Prüfung des Apparates auf seine Dichtigkeit, Aequilibrirung u.s. w. und unter Beobachtung gleicher Versuchsbedingungen, wie Temperatur und Barometerdruck der Athmungsluft, an einem und demselben Individuum Parallelversuche von längerer Zeitdauer ohne Unterbrechung anzustellen. Findet man auf diese Weise, beispielsweise während eines mässig tiefen Schlafes, bei einer und derselben Versuchsperson an verschiedenen Tagen annähernd gleiche Respirationsgrössen pro Minute oder ein sich gleich- bleibendes Absinken dieser Grösse bei dem Uebergang von leichtem zu tiefem Schlaf u.s.w., so lässt sich hieraus der Schluss ziehen, dass der Apparat zur Entscheidung dieser Fragen geeignet ist. ! Litteratur und Kritik der bisher vorliegenden Untersuchungen bei v. Reck- linghausen (1). UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 61 Der Einwand Hoppe-Seyler’s richtet sich übrigens gegen jene Ver- suchsanordnung, wie sie wohl nur bei Erwachsenen möglich ist, bei der die Nasenathmung durch eine Klemme ausgeschaltet und der Mund der Versuchsperson durch ein luftdicht angesetztes Mundstück mit dem Spiro- meter in Verbindung gebracht wird. Nach meinen Erfahrungen eignen sich Kinder besonders gut zu spiro- metrischen Untersuchungen, weil sie im Allgemeinen leicht suggestibel sind und den im Anfang noch ungewohnten Zwang, der durch die Anlegung der Maske bedingt ist, überraschend leicht überwinden. Ich bin zu dieser An- nahme, die Manchem gewagt erscheinen mag, berechtigt, weil es mir nicht bekannt ist, dass es bisher überhaupt je gelungen ist, eine Untersuchung der Respirationsgrösse derart vorzunehmen, dass dieselbe beispielsweise im wachen Zustande der Versuchsperson begonnen und beliebig lange bis zum Eintritt des Schlafes ohne Unterbrechung fortgesetzt wurde, oder dass der Wechsel des Athmungstypus bei zufälligem Erwachen oder unterbrochenem Schlafe beobachtet werden konnte. Ein Nachtheil der Methode ist es, dass die Versuchsperson die horizon- tale Lage einhalten muss, dass also der Einfluss der Action der körperlichen Bewegung auf die Athmungsgrösse mit diesem Apparat nicht untersucht werden kann. Andererseits lassen sich grobe Irrthümer durch willkürliche Modificationen der Athmung nur dann vermeiden, wenn die Untersuchung über eine längere Zeitdauer ohne Unterbrechung fortgeführt wird. Viele Untersuchungen werden aber dadurch plötzlich gestört, dass die Versuchs- person — z. B. im Schlaf — eine Drehung des Kopfes vornimmt. Obwohl durch derartige Störungen ein grosser Theil von angefangenen Untersuchungen eine frühzeitige Unterbrechung erlitt, bleiben mir doch eine genügend grosse Anzahl völlig ungestörter Beobachtungen, deren Resultate dadurch an Werth gewinnen, dass sie mit genau gleicher Versuchsanordnung bei Kindern vom frühesten Säuglingsalter bis zu 14 Jahren angestellt sind und auf diese Weise einen exacten Vergleich der beobachteten Athmungsleistungen ermöglichen. Die Untersuchung gelang übrigens auch im wachen Zustande selbst bei sehr widerspenstigen Kindern, z. B. solchen mit florider Rhachitis, ver- hältnissmässig leichter, als ich erwartet hatte. Allerdings habe ich die Versuchstechnik, wie sie v. Recklinghausen angewandt hat, meinen Zwecken in einigen nicht sehr wesentlichen Punkten adaptiren müssen. Hrn. Dr. Heinrich v. Recklinghausen spreche ich für die leihweise Ueberlassung einiger seiner Modelle, nach deren Muster ich meinen eigenen Apparat anfertigen liess, meinen besten Dank aus. 62 KoNRAD GREGOR: Die Frage, wie gross die Ventilation der Lunge des heranwachsenden Kindes ist, hat für uns nicht allein Interesse als Beitrag zur Semiotik des Kindesalters, welcher uns Anhaltspunkte für die Beurtheilung und Be- handlung von Störungen im Bereiche der Respiration giebt, sondern sie ist auch zugleich der Ausgangspunkt für das Studium der Entwickelung der Athmungsmechanik in ähnlicher Weise, wie wir bei der Untersuchung des Stoffwechsels von exacten Bestimmungen der Function einzelner Organe ausgehen und an ihnen die Normen für die Physiologie der Ernährung feststellen. Spirometrische Messungen der Athmungsgrösse des heranwachsen- den Kindes liegen indessen bisher noch nicht vor. Die Möglichkeit, die Athmungsgrösse zu messen, wurde überhaupt bezweifelt, da gelegentliche Untersuchungen so von einander abweichende Resultate ergaben, dass Fehler der Methode angenommen wurden. Gelingt es, feststehende Daten für die Grösse des respiratorischen Gas- wechsels in den verschiedenen Entwickelungsphasen des Kindesalters auf- zustellen, so ergeben diese eine Grundlage für die Würdigung der ja schon hinreichend bekannten Thatsache, dass der Typus der Athembewegungen bei jedem Kinde im Laufe der fortschreitenden Entwickelung bis zur Pubertät einem fortwährenden Wechsel unterworfen ist. Dass Athmungs- grösse und -mechanik in diesem Sinne in einem causalen Verhältnisse zu einander stehen, dürfte wohl kaum angezweifelt werden; allerdings ist die Athmungsgrösse von der Menge des für die Gewichtseinheit eines Indivi- duums nothwendigen Sauerstoffzufuhr nieht direet abhängig, sondern wird ausserdem noch durch die Intensität des Gasaustausches zwischen Inspirations- luft und Körpergewebe regulirt. Inwieweit dieser Factor bei verschiedenen Individuen sowie beim einzelnen Individuum zu verschiedenen Zeiten der Entwickelung für die Grösse des Lungengaswechsels von Bedeutung ist, dies ist eine Frage, welche mehr für das Studium des Stoffwechsels als für dasjenige der Leistungen der Respirationsmechanik von Interesse ist. Für die letztere ist die vollendete Thatsache, dass ein bestimmtes Luftvolumen der athmenden Lungenoberfläche zugeführt werden muss, allein ausschlag- gebend, und dieses Athmungsbedürfniss bedingt im Verein mit der indivi- duellen Ausbildung der zum Zustandekommen der Athembewegungen dienenden Museculatur den Gang der Entwickelung der Athmungsmechanik, letzterer bedingt wieder in zweiter Linie erst die Aenderungen in der Con- figuration der zur Respiration in Beziehung stehenden Skelettheile. Es muss besonders daraufhin gerichteten Untersuchungen überlassen bleiben, festzustellen, ob eine individuelle Verschiedenheit in der Intensität des Gasaustausches in der Lunge als ein integrirender Factor der Athmungs- thätigkeit angesehen werden kann. Ich habe in meinen Untersuchungen diesem Umstande dadurch Rechnung getragen, dass ich als Untersuchungs- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 63 objeete Kinder im mittleren Ernährungszustande aussuchte und wenn möglich an Gruppen gleichalteriger und gleichmässig entwickelter Individuen die Athmungsgrösse für die verschiedenen Lebensjahre feststellte. Während für das ältere Kind und für den Erwachsenen der Begriff des „Gesund“ oder „Normal“ ein annähernd feststehender ist, d. h. sich mit dem Fehlen von Constitutionserkrankungen bei guter oder mittlerer körper- licher Entwickelung deckt, ist es für das Säuglingsalter bisher noch von keiner Seite unternommen worden, präcis eine Grenze anzugeben, bis zu welcher die körperliche Entwickelung des heranwachsenden Kindes als eine normale oder physiologische zu gelten habe. Im Gegentheil herrscht über diese Frage die denkbar grösste Differenz der Meinungen, so dass nament- lich auf dem Gebiete der Physiologie des Stoffwechsels kaum zwei Kliniken über den Begriff einer Meinung sind, was ein gesundes Kind ist und was nicht. Von der Breslauer Kinderklinik ist auf Grund der in der Litteratur vorhandenen Daten und eigener Beobachtungen ein Versuch gemacht worden, wenigstens für das frühe Säuglingsalter Normen aufzustellen, die für ein ge- meinsames Studium auf dem Gebiete der Physiologie des Kindes wünschens- werth sind. Czerny und Keller (4) stellen als Vorbedingung dafür, dass sich ein Kind in normaler Weise entwickelt und als Paradigma des gesunden Kindes angesehen werden kann, zunächst die Forderung, dass es „von gesunden Eltern in mittleren Lebensjahren abstammt, ausgetragen und frei von wesentlichen Missbildungen zur Welt kommt und im Stande ist, unter dem Schutze schlechter Wärmeleiter sich auf normaler Körper- temperatur zu erhalten“. Wenn sich mit dieser Basis bei natürlicher oder künstlicher Ernährung ein gleichmässiges, nicht durch manifeste Erkran- kungen des Magendarmcanals gestörtes Wachsthum aller Körpergewebe erzielen lässt, die Hautdecke des Kindes ihren charakteristischen rothen Farbenton behält und Constitutionsanomalien wie Scrophulose und Rhachitis nicht zur Entwickelung kommen, so darf ein solches Kind als ein gesundes bezeichnet werden, d. h. die Leistungen seines Organismus, wenigstens soweit sie mit der Ernährung zusammenhängen, dürfen als Norm für die Physio- logie dienen und den Erscheinungen bei kranken Kindern gegenübergestellt werden. Wenn Özerny und Keller eine gleichmässige ungestörte Ent- wickelung aller Körpergewebe und Functionen des Organismus verlangen, so nimmt doch nach meinen bisherigen Beobachtungen das Verhalten der Athmungsgrösse des Kindes, wie überhaupt die Technik der Athmung insofern eine gesonderte Stellung ein, als bei Kindern, welche in Folge von Magendarmstörungen erkranken und dabei in ihrem Wachsthum zurück- bleiben, die Athmungsthätigkeit weder durch die Ernährungsstörung erheblich beeinflusst zu werden, noch in Combination mit der letzteren zu weiteren Schädigungen des Organismus zu führen scheint. Die Versorgung der 64 KONRAD GREGOR: kindlichen Lunge mit Luft ist im Vergleich mit dem späteren Alter eine so abundante, dass selbst eine Steigerung des Stoffumsatzes, welche Rubner und Heubner (5) bei der Atrophie der Kinder nachgewiesen haben, und welche in geringerem Grade nach den eben genannten Autoren schon beim gesunden, künstlich genährten Säugling gegenüber dem Brustkinde besteht, ohne Schwierigkeit und ohne Veränderung des Athemtypus bestritten wird. Meine Untersuchungen an Säuglingen, welche in Folge von Störungen der Ernährung hinter gleichalterigen normalen Kindern zurückgeblieben waren, betreffen künstlich genährte Kinder, die zur Zeit und schon längere Zeit vor dem Tage, an welchem die Athmungsgrösse bestimmt wurde, keine acuten Krankheitserscheinungen mehr zeigten und hin- sichtlich der Athmungsorgane bis dahin und auch später frei von Er- krankungen blieben. Nach meinen Beobachtungen besteht bei ruhiger Athmung im Wachen und im Schlafe kein Unterschied in der Athem- frequenz und in der Athmungsgrösse zwischen wohlgenährten Säuglingen, die seit Geburt überhaupt noch nie eine Ernährungsstörung durchgemacht haben !, und solchen, die in Folge früherer Ernährungsstörungen in ihrer körperlichen Entwickelung erheblich zurückgeblieben sind, ohne dass sich indessen in Folge der Erkrankung ein augenscheinliches Missverhältniss zwischen einzelnen Körperfunetionen gebildet hat. Wir haben allerdings keinen Maassstab dafür, um entscheiden zu können, ob die Athmung in allen Fällen, die nicht das Bild einer Dyspnoe darbieten, eine sufficiente ist. Bei der Auswahl der Fälle achtete ich, abgesehen von dem Stande der Ernährung, auf den Bau des Thorax und die Entwickelung der Bauch- und Brustmusculatur und liess mich im Uebrigen bezüglich der Frage, ob das betreffende Kind bezüglich seiner Athmungsfunction als „normal“ an- zusehen Sei, nur durch eine während längerer Zeit fortgesetzte klinische Beobachtung des Kindes leiten. Was den ersteren Punkt anlangt, so verweise ich auf meine Unter- suchungen über die Athmungsbewegungen des Kindes (6). Die klinische Beobachtung des zu meinen Versuchen dienenden Materials erstreckte sich bei den Säuglingen mindestens bis zum Ende des Säuglingsalters; bei den älteren Kindern ging der Zeit, in welcher ich die Untersuchung der Athmungsgrösse vornahm, bereits eine längere poliklinische Beobachtung voran. In allen Fällen handelte es sich demnach um genau bezüglich ihrer Respirationsorgane beobachtete Fälle; den nachfolgenden Daten liest nur dasjenige Material zu Grunde, welches mir in Bezug auf Mechanik der Respirationsbewegungen einwandsfrei erschien und bei welchem sieh eine ! Zu diesen Beobachtungen dienen uns die Kinder unserer Ammen, die aus der hiesigen Frauenklinik Ende der zweiten Woche post partum auf unsere Klinik trans- ferirt werden. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 65 Disposition für Erkrankungen der Luftwege durch die klinische Beobachtung ausschliessen liess. Eine kurze Erwähnung finden an einigen Stellen dieser Arbeit auch meine Untersuchungen bei gestörter Athmungsfunction, die an anderer Stelle veröffentlicht werden. Das Material zu diesen Beobachtungen bilden im Gegensatz zu den eben erwähnten solche Patienten unserer Klinik, die wegen chronischer Erkrankung der tieferen Luftwege in unserer Beobachtung waren. Von beiden Kategorien von Kindern untersuchte ich eine annähernd gleiche Zahl in gleichem Alter und in gleichem Ernährungszustand be- findlicher Kinder und konnte auf diese Weise den Gang der Entwickelung der Athmungsmechanik an normalen und pathologischen Fällen vergleichen und die Grenzen sowie die charakteristischen Momente der normalen Ent- wickelung bestimmen. Untersuchungstechnik. Die genaue Beschreibung des v. Recklinghausen’schen Apparates und die eingehende Kritik der Leistungen desselben (1 u.2) ermöglichen es mir, ohne eine nochmalige Schilderung der Details, in kurzen Umrissen die Versuchsanordnung zu skizziren, die ich so wählte, dass sie in allen Punkten sowohl für erwachsene Kinder wie für Neugeborene, für gesunde und kranke, wachende und schlafende, anwendbar war. Dadurch, dass ich die Grösse des Spirometers, die Weite der Leitungsrohre, Anordnung der Ventile und Form der Maske dieser Forderung anpasste, erreichte ich, dass die mit dieser Methode gefundenen Resultate einwandsfreie Vergleichsdaten lieferten.! 1. Die Maske. Die Form der Maske wurde so gewählt, dass sie sowohl für das Gesicht eines l4jährigen Kindes wie auch für dasjenige eines Säuglings passte. Dies liess sich nur dadurch erreichen, dass mit Rücksicht auf die viel grössere Gesichtsoberfläche des älteren Kindes ein kleinerer Theil des Gesichtes von der Maske überdeckt wurde als bei den Kindern der ersten Lebensjahre. Diese Anordnung erwies sich auch in anderer Hinsicht als praktisch, denn mit Rücksicht auf die Configuration des Säuglingsgesichtes ’ Der bei der v. Recklinghausen’schen Versuchsanordnung sehr geringe Fehler durch Ventilverlust und durch undichten Verschluss des Inspirationsventils bei der Exspiration, wie auch vice versa des Exspirationsventils bei der Inspiration wurde vernachlässigt. Er beträgt bei einem in der Minute geathmeten Luftvolumen von etwa 1500 ee ® weniger als 1 Procent und verringert sich noch sehr erheblich, wenn so grosse Volumina geathmet werden, wie es in der Mehrzahl meiner Versuche der Fall war. Archiv f. A.u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 5) 66 KONRAD GREGOR: ist es zweckmässig, Augen und Stirn mit unter die Maske zu nehmen, weil sich auf diese Weise leichter ein luftdichter Abschluss erzielen lässt. Dies ist aber bei älteren Kindern nicht immer angängig, denn die Bedeckung des ganzen Gesichtes mit der undurchsichtigen Maske führte in der Regel schon nach kurzer Zeit Unruhe und deutliche Aeusserungen des Unbehagens herbei, welches zum Theil durch die behinderte Verdunstung des Schweisses, zum Theil schon durch den Lichtabschluss bedingt war. Die Maske wurde Fig. 1. daher bei den älteren Kindern so angelegt, dass die Berührungslinie beider- seits symmetrisch vom Nasenrücken quer über die Nasenflügel zur Wange und zum Kinn lief. Wie aus der Abbildung der von innen gesehenen Maske (Fig. 1) zu ersehen ist, sind in dem Rande der Maske, welche genau auf die Form einer Kugelcalotte von 5!/,°” Radius gearbeitet ist, zwei Incisuren angebracht, von denen die kleinere (obere) für den Nasen- rücken, die andere flachere zum Aufstützen des unteren Maskenrandes auf das Kinn bezw. den Unterkiefer dient. Der Abstand des oberen und unteren Maskenrandes, von der Mitte der beiden Incisuren aus gemessen, beträgt 8!/,°“, der Abstand der seit- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 67. lichen Ränder 9°. Die Maske ist aus mehreren Lagen starker Para- gummiplatte hergestellt, hat eine Stärke von 0-6°® und besitzt gerade die nothwendige Steifigkeit, dass beim Aufdrücken derselben auf das Gesicht keine Deformation der Maske auftritt. Indess giebt sie doch bei stärkerem oder schwächerem Aufdrücken je nach der Configuration des betreffenden Gesichtes soweit nach, dass die oben genannten Distanzen der Ränder nach beiden Richtungen hin um etwa 1°” varürt werden können, d.h. durch einen Zug an den seitlichen Rändern lässt sich der Abstand der oberen und unteren Incisur auf 7!/,°® verringern und ebenso durch entgegen- gesetzten Zug etwas erweitern. Den luftdichten Abschluss der Maske nach dem Gesicht suchte ich Anfangs nach dem Vorgange v. Recklinghausen’s durch das Aufkleben Fig. 2. dünner, mit Glycerin bestrichener Streifen von Gummiplatte über den Maskenrand und die von demselben berührten Theile des Gesichtes zu er- reichen. Diese Maassregel erwies sich jedoch für Versuche von längerer Zeitdauer als undurchführbar, da sich die Anfangs vollkommen adhärente Gummiplatte unter dem Einflusse der Körperwärme nach einiger Zeit auf- rollte oder faltete.e Ausserdem war das zufällige Benetzen des Auges mit einer Spur Glycerin äusserst schmerzhaft. Ich liess daher entlang dem Maskenrande einen dünnwandigen Gummischlauch (lichte Weite 0.5”) anbringen, der durch Aufblasen auf das Zwei- bis Dreifache seines Volumens erweitert werden konnte. Zur Dichtung benutzte ich Unguent. boricum flavum, welches auf das Gesicht und diesen Gummischlauch in dünner Schicht aufgetragen wurde. Die Maske wurde dann durch zwei um den 5 * 68 KONRAD GREGOR: Kopf des Kindes gelegte Gummibänder, deren Anbringung vorn an der Maske aus Fig. 2 u. 3 ersichtlich ist, befestigt. Fig. 2 zeigt einen 13 jährigen Knaben mit der Maske (ohne Ventilhäuschen); Fig. 3 zeigt dieselbe Maske, welche dem Gesicht (Moulage) eines etwa 2 Monate alten Kindes aufge- passt ist. Während bei der Anlegung der Maske bei grösseren Kindern die kleinere obere Incisur dem Nasenrücken aufsitzt, legte ich die Maske bei Säuglingen umgekehrt an, so dass sich die kleinere Incisur auf das Kinn aufstützt, während die flachere (untere) Ineisur zwischen die Arcus super- ciliares und die Tubera frontalia zu liegen kommt. Es ist ohne Weiteres klar, dass, wenn man Kinder jedes Alters und jeder Grösse unter- sucht, es Gesichter giebt, für welche die oben beschriebene Maske in der einen oder anderen Anwendung zu klein oder noch zu gross ist, oder bei welchen die Configuration der Nase für die zur Aufnahme des Nasen- rückens dienende Incisur nicht passt. Für solche Fälle hatte ich eine zweite, etwas anders gebaute Maske in Reserve, deren Grössen- Du ee maasse nur insofern von der oben beschriebenen abweichen, als sie einen grösseren Abschnitt einer Kugelcalotte von demselben Radius (5!/,°®) darstellt und an ihrem Rande nur eine flache Incisur zur Aufnahme des Kinns hat. Die Berührungslinie zwischen Gesicht und aufgesetzter Maske geht vom Kinn über die Wange zum äusseren Augen- winkel und umgreift einen Theil der Stirnhöcker. Sie fand meist bei Kindern im Alter von 1 bis 3 Jahren Anwendung. Fig. 3. Die Anlegung der die Augen bedeckenden Maske hatte bei diesen Kindern gewöhnlich zur Folge — was für meine Untersuchungen sehr er- wünscht war —, dass die Kinder sehr bald fest einschliefen. Die Säuglinge der ersten Lebensmonate waren ebenfalls sehr leicht — wenn dies nöthig erschien — im Schlafe zu untersuchen, wenn die Zeit von !/, Stunde nach dem Trinken ihrer gewöhnlichen Mahlzeit zum Ver- such gewählt wurde. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 69 2. Ventilapparat und Rohrleitung. Bezüglich des Calibers der Leitungsrohre zum Spirometer hielt ich mich genau an die von v. Recklinghausen für seine Versuche ange- gebenen Grössen. Der Ventilapparat wurde nach dem ursprünglichen Modell! von Mechaniker J. u. A. Bosch-Strassburg hergestellt, und erwies sich ohne jede Modifieation als für meine Zwecke brauchbar, so dass sich eine weitere Notiz über diesen Theil des Apparates erübrigt. Bei einer Reihe von Kindern, besonders bei bestehender Dyspnoe, war die Lufttrockenvorrichtung insufficient, so dass sich das als Exspirations- ventil dienende Glimmerplättchen mit feinen Tropfen beschlug und schliess- lich an dem Ventilsitze festklebte. Sobald diese Störung eintrat, markirte sie sich sofort dadurch, dass die emporsteigende Spirometerglocke auf der berussten Trommel nicht mehr wie vorher eine sich gegen die vorher- gehende Inspiration scharf abhebende Ordinate zeichnet, sondern eine sich an die Abscisse der Inspiration anschliessende, mässig nach abwärts ge- richtete Curve. Für diese Störungen, die nur in den ersten Minuten bei längere Zeit dauernden Untersuchungen eintraten, hielt ich mir mehrere genau gleich gearbeitete Ventile, auf Ventilsitzen mit Coconfäden fertig armirt, in Bereitschaft. Die Störung wurde, um ein durch Behinderung der Exspiration bedingtes Unruhigwerden des Kindes zu vermeiden, sofort dadurch beseitigt, dass das Dach des Ventilhäuschens abgenommen und das feuchte Exspirationsventil ausgewechselt wurde. Diese Manipulation er- forderte bei einiger Geschicklichkeit nur wenige Secunden. Die Beobachtung wurde hierdurch nicht immer unterbrochen, weil die Athmung noch ausser- dem, wie weiter unten hervorgehoben werden wird, auf andere Weise registrirt wurde. Auf dem berussten Papier zeichnete sich die Vornahme des Aus- wechselns des Ventils bis zum Wiederaufsetzen der Deckplatte auf das Ventilhäuschen in Form einer Abscisse ab, deren Länge mit Hülfe des gleich- zeitig registrirenden Chronometers in Rechnung gesetzt werden konnte. 3. Das Spirometer und die Registrirung. Die Grösse des Spirometers wurde so gewählt, dass das kleinste beim Kinde zu erwartende Exspirationsluftvolumen, d.h. eine Vermehrung der Spirometerluft um 20°", noch eine leicht messbare Ordinate auf der be- russten rotirenden Trommel ergab, während andererseits bei vertiefter Athmung, wobei mit Respirationen von 500 bis 700°" im Durchschnitt zu rechnen ist, das Spirometer wenigstens ausreichend sein musste, um mehrere ı Pflüger’s Archiv. Bd. LXII. S. 459. 70 KONRAD GREGOR: Exspirationen nach einander ohne Unterbrechung zu registriren. Ich liess mir daher nach dem v. Recklinghausen’schen Modell ein Spirometer von genau doppelt so grossem Cubikinhalt anfertigen, dessen (cylindrische) Glocke bei einer Bodenfläche von 200.4 eine Exspiration von 20°" in der Form einer Ordinate von 1" Länge, einen Athemzug von 1 Liter Volumen als eine Ordinate von 5“ u.s. w. zeichnete. Steht ein grösseres Kymographion zur Verfügung, so lässt sich mit diesem Spirometer eine ununterbrochene Respirationsmessung während der Dauer einer Minute auch beim Erwachsenen bequem ausführen. Für meine Untersuchungen an Kindern erwies sich das im Besitz der Klinik befindliche Kymographion als ausreichend gross, dessen rotirende Trommel das Beschreiben einer Papierfläche von 18°” Höhe und 180°” Länge gestattet. Ich liess die Trommel gewöhnlich so langsam gehen, dass das berusste Papier in einer Minute eine Distanz von etwa 10°® durchlief; auf diese Weise konnte ich die Untersuchungszeit auf etwa 20 Minuten ausdehnen, ohne den Versuch wegen Wechsels des beschriebenen Papierstreifens unterbrechen zu müssen. Das Uhrwerk lief zwar bei dieser langsamen Gangart nicht ganz gleich- mässig, doch war dieser Umstand für mich belanglos, da ich die Zeit mit einer Präcisionsuhr! registrirte. Der das Emporsteigen der Spirometerglocke in Form von Ordinaten anzeichnende Schreibhebel konnte vom oberen Rande des Papieres nach unten einen Raum von etwa 150 bis 170 ”m durchlaufen, da ein schmaler Streifen des Papieres oben für die Registrirung von Zeit und Athmungs- frequenz reservirt werden musste. Sobald sich der Schreibhebel dem unteren Papierrande näherte, wurde für einige Secunden die Exspirationsluft mit Umgehung des Spirometers direct nach aussen geleitet und die Spirometer- glocke durch ein sich von selbst aufsetzendes Uebergewicht herabgedrückt und dadurch gleichzeitig ihres Luftgehaltes entledigt. Während des Herunter- sinkens der Glocke verflossen höchstens 3 Secunden; unmittelbar darauf wurde das Spirometer durch eine Drehung am Dreiweghahn wieder in den Exspirationsluftstrom eingeschaltet und die Registrirung fortgesetzt. Diesen zum Zwecke der Entleerung des Spirometers unvermeidlichen Unterbrechungen in der Messung der Exspirationen suchte ich dadurch zu begegnen, dass ich gleichzeitig auch die Frequenz der Athmung aufschrieb. Dies wurde in der üblichen Weise durch Uebertragung der Thoraxerweiterung bezw. -Verengerung — in besonderen Fällen derjenigen der Bauchdecken oder auch beider in zwei getrennten Curven — auf elastische, an den Körper durch Gurte befestigte, Kautschukbälle bewerkstelligt, deren Compressionen durch Vermittelung Marey’scher Trommeln oder Hürthle’scher Recorder ! Von Universitätsmechaniker Runne in Heidelberg. | | UNTERSUCHUNGEN ÜBER DiE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 71 auf der berussten Trommel mit der Registrirung der Athmungsgrösse isochrone Curven aufzeichneten. Nach beendeter Untersuchung wurde die Curve fixirt und jede einzelne Respiration mit Zuhülfenahme eines Millimetermaasses exact gemessen, ferner die Zeitdauer des Versuches bestimmt und die Frequenz der Athmung aus den betreffenden Curven festgestellt. Bezüglich der Aequilibrirung der Spirometerglocke und der Maass- regeln zur Verminderung der Reibungswiderstände hielt ich mich an die von v. Recklinghausen in extenso mitgetheilte Technik, mit Hülfe deren es mir nach einiger Uebung leicht gelang, auch bei diesem Spirometer trotz des grösseren Cubusgehaltes der Glocke einen gleichmässigen und leichten Gang der Glocke zu erzielen. Natürlich war es nothwendig, wenn der Apparat einige Tage unbenutzt gestanden hatte, sich vor dem Beginn des Versuches erst von dem tadellosen Functioniren und der Höhe des Steige- druckes des Spirometers zu überzeugen. v. Recklinghausen fand bei wiederholten Prüfungen seines Apparates diesbezüglich folgende Werthe: Steigedruck des Spirometers. Bei einer entsprechend betrug die das in die | Belastung des | einem Drucke der | Steighöhe Glocke | Zahl der Gegengewichtes ' Exspirationsluft in der aufgenommene Beobachtungen mit von | Minute Luftvolumen | 0.5 em 0-005 m Wasser | 17m 1-7 Liter 1 1.02, 120-0102 er 29; | 2 4 2-0 „ OD le I 6 5 3=0N ME0N032 0% 15 69 „ 69 3 4:0 „ ORG a RE | 2 7:0 „ DOT OR | 120 1 Ich erhielt bei meinem grösseren Apparat bei Controluntersuchungen fast übereinstimmend folgende Resultate: Bei einer Belastung | entsprechend einem | betrug die das in die Glocke des Gegengewichtes Drucke der | Steighöhe in der aufgenommene Luft- mit Exspirationsluft von | Minute volumen 1.00 | 0-01 ©© Wasser 21-4m 4-3 Liter 1 5 PN) | 0:015 PN Fr | 33-9 er) 6-8 ” 2208, 0-02 „ R 43-0 „ Sem 2233 VB 56-0 „ | 2 3-0 iM 0-03 GBR | ass; 712 KONRAD GREGOR: Es erwies sich also als zutreffend, was v. Recklinghausen bei der Mittheilung seiner Controlversuche hervorhob, dass, wenn man einen Cylinder von grösserem Radius wählt, die Verhältnisse günstiger werden, d. h. dass der exspiratorische Luftdruck, welcher bei möglichst sorgfältiger Justirung nöthig ist, um die Glocke durch die ganze Bahn zu treiben, geringer wird. Das Spirometer ist von dem Mechaniker H. Kleinert-Breslau in exacter Ausführung nach meinen Angaben hergestellt worden. Das für die Spiro- meterglocke verwendete Material zeichnete sich vor dem von v. Reckling- hausen benutzten in vortheilhafter Weise durch grössere Leichtigkeit und gleichmässige Wanddicke und in Folge dessen auch durch gleichmässigere Schwere in allen Theilen aus. Die Glocke ist 21°” hoch, das Dach hat einen Radius von 7-95 ®; sie wiegt 111.58” (die v. Recklinghausen’sche halb so grosse wiegt 76-58"). Die Weite der Glocke wurde von mir in allen Höhenabschnitten exact durch Einleiten abgemessener Luftvolumina nachcontrolirt und als völlig gleichmässig gefunden. Sie vermochte, wie sich aus den obigen Maassen ergiebt, gerade 4 Liter zu fassen. Auf die Angabe weiterer Details glaube ich verzichten zu können, weil wohl Jeder, der sich mit einer etwas complieirteren Versuchstechnik einarbeitet, nach einigem Probiren eigene kleine Modificationen an dem betreffenden Apparate anbringt, die ihm zweckmässig erscheinen, die aber in mannigfacher Weise variren können. Ausserdem hat v. Recklinghausen alle Mittel und Wege, wie man mit dem oben geschilderten Apparate am besten zu befriedigenden Leistungen gelangen kann, in erschöpfender Weise behandelt, so dass aus seinen An- gaben leicht das bei meiner kurzen Beschreibung etwa Fehlende ergänzt werden kann. 4. Gang des Versuches. Das Versuchskind — gleichgültig welchen Alters — wurde stets in Rückenlage untersucht. Diese Stellung war gegeben durch die Anordnung der Ventile. Da dieselben nicht durch Federdruck oder dergl. schlossen, sondern nur durch ihre eigene Schwere auf den Ventilsitzen niedergehalten wurden, so musste die auf dem Gesicht befestigte Maske mit dem Ventil- häuschen in wagerechter Stellung gehalten werden. Die unten mitgetheilten Untersuchungsergebnisse beziehen sich also sämmtlich auf die Athmung bei Einnahme der liegenden Körperhaltung, und zwar wurde der Gleichmässigkeit halber die Anordnung getroffen, dass die Versuchsperson schon !/, Stunde vor dem Versuchsbeginn in absoluter Ruhestellung die Rückenlage einnahm. Das Anlegen der Maske erfolgte sodann in der oben angegebenen und aus den Abbildungen ersichtlichen Weise dadurch, dass die Enden der UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDes. 74 KONRAD GREGOR: durch die Oesen an der Maske geführten Gummibänder um den Kopf des Kindes gelegt, angezogen und entweder geknotet oder durch Klemmpincetten (Peans) befestigt wurden. Nachdem darauf der den Rand der Maske bildende Gummischlauch aufgeblasen worden war, überzeugte ich mich von der Dichtigkeit des Anschliessens aller Randpartien der Maske an das Gesicht und befestigte endlich das Ventilhäuschen, von welchem vorläufig die Deck- platte abgenommen war, auf der Maske. Das Bett, in welchem die Versuchs- person lag, stand mit dem Kopfende neben dem Tische, auf dem der Apparat montirt war (vergl. Fig. 4). Ich selbst hatte meinen Platz hinter dem Kopfende des Bettes, da ich meine Aufmerksamkeit fortgesetzt auf den genau horizontalen Stand des Ventilhäuschens zu richten hatte. Der ganze Apparat nebst allen Registrirvorrichtungen erforderte während des Versuches keine weitere Bedienung als das einmalige Ingangsetzen des Kymographions und das jeweilige Ein- und Ausschalten! des Spirometers durch Drehung eines Dreiweghahnes. Ich hatte demnach die eine Hand frei, um eventuell die Stellung der Versuchsperson oder des Ventilhäuschens zu corrigiren u. S. w. Während der eben geschilderten Vorbereitungen wurde bereits die Athmung des zu untersuchenden Kindes controlirt, indem zunächst die Frequenz mit Hülfe des Kymographions registrirt wurde, um festzustellen, ob die Installa- tion des Versuches einen Einfluss auf den Typus der Respiration ausgeübt hatte, was häufig im Sinne einer Beschleunigung der Athemzüge der Fall war. In solchen Fällen wurde so lange mit dem Beginn des Versuches gewartet, bis die Veränderungen im Athmungstypus sich wieder ausgeglichen hatten. Die Registrirung der Respirationsgrösse begann erst mit dem Auf- setzen der Deckplatte auf das Ventilhäuschen, wobei gleichzeitig das Spiro- meter eingeschaltet wurde. In derselben Weise wie vor dem Versuche wurde auch nach Be- endigung desselben der Athmungstypus daraufhin controlirt, ob er sich nach Beseitigung der Registrirungsvorrichtung in auffallender Weise änderte oder nicht; successive wurde erst das Spirometer ausgeschaltet, dann die Deck- _ platte des Ventilhäuschens gelüftet und endlich die Maske abgenommen unter fortgesetzter Registrirung der Athmungsfrequenz durch das Kymographion. Ich theile an dieser Stelle folgende interessante Beobachtung mit, die mir wichtig erscheint, weil sie beweist, dass zur Messung der Athmungs- grösse unbedingt wiederholte Untersuchungen von längerer Zeitdauer an einer und derselben Versuchsperson erforderlich sind, wenn man von groben Irrthümern gesichert sein will. Einige Kinder mit Symptomen neuropathischer Veranlagung im Alter von 4 bis 12 Jahren liessen sich auffallend leicht und willig den unge- ! Vgl. oben 8. 70. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 75 wohnten Zwang bei der erstmaligen Installation des Versuches gefallen; die Untersuchung verlief glatt ohne Störung, die Resultate wurden registrirt und die Kinder wieder entlassen. Da ich bei jedem der älteren Kinder mehrere zeitlich aus einander liegende Untersuchungen vornahm, fiel mir auf, dass, selbst wenn die erste und zweite Untersuchung annähernd über- einstimmende Resultate ergaben, die späteren sehr erheblich von diesen differirten und zwar in dem Grade, dass ich mir den Unterschied nicht anders als durch einen Versuchsfehler — etwa durch mangelhaften Schluss der Maske oder der Ventile — erklären konnte. Erst als sich bei einigen Kindern in gesetzmässiger Weise dasselbe wiederholte, konnte ich mit Sicherheit feststellen, dass bei diesen Kindern immer bei den ersten Ver- suchen — offenbar als Folge einer psychischen Alteration, die sich sonst im Verhalten des Kindes nicht bemerkbar machte — eine Abflachung der Athmung ohne Steigerung der Frequenz auftrat. Wenn das Kind beim Versuche einschlief, kehrte die frühere Tiefe der Athmung wieder. Der in den späteren Untersuchungen erhaltene Werth, der in einigen Fällen um 100 Procent höher war, blieb constant. Ich führe als Beispiel mehrere an auf einander folgenden Tagen bei einem Kinde vorgenommene Untersuchungen an, in denen das oben beschriebene Verhalten deutlich erkennbar ist. | Name, | eh 185 | 2@ Athmungsgrösse in cem Alter, | S 5 18° |s®3 | Körper- | = 3 Athmungs- u 1325| Einzelne Inspiration | B : usa | Bemerkungen gewicht 8 2 typs 7238 m pro ds | s2 s3 SAr| in | Im3 | || Kindes | 75 53 | 58] max. | Durch | min, |1 Min. Bi Salz “ schnitt | 2 1901 | | | | Kusche, 21.II. Athmetwie S , 16 380 | 174 90 | 2801 | Athmet ganz 12 Jahre, gewöhnlich | | | ruhig, giebt 39 Ks | | am Schluss zu, | | etwasaufgeregt | | |gewesen zu sein 23... desgl. 2 | ı9 | 450 | 308 || 180 | 5848 |\nässt sich wie Koae e c 7 |. 15 | 640 || 270 | 140 | 4055 (das erste Mal N 7 |, 17 | 310 | 259 | 180 | 4408 |( willig unter- Athmung | 11 | 13 | 910 | 343 | 180 | 4593 || suchen auf Wunsch | | verlangs. | | I | Ein derartiges Flacherwerden der Respiration durch Verminderung der mittleren Grösse der einzelnen Inspiration um fast 100 Procent ohne Be- schleunigung der Athmung, wie ich es hier bei der ersten Untersuchung fand, kann in Anbetracht des Umstandes, dass es sich um Versuche von längerer Dauer handelt, nur als eine willkürliche Alteration der Athmung aufgefasst werden. Denn dass eine solche Aenderung im Athemtypus 76 IKONRAD GREGOR: durch Ueberdruck des Spirometers oder dergl. bedingt sein könnte, ist deswegen auszuschliessen, weil weder während des Versuches noch nach Beendigung desselben bei den Kindern eine Dyspnoe nachweisbar war. Das Verhalten dieser neuropathischen Patienten steht auch im auffallenden Gegensatz zu demjenigen normaler Kinder; denn diese athmeten in der Regel bei den ersten Versuchen ängstlich, stark beschleunigt und unregel- mässig, so dass vielmehr eine erhebliche Steigerung der Respirations- grösse pro 1 Minute gegenüber späteren Untersuchungen resultirte, in denen die Athmung eine ruhige und gleichmässige war. Zu der Aufführung meiner Untersuchungsergebnisse ist noch zu be- merken, dass sich die Werthe der für die Exspiration gemessenen Athmungs- grösse auf einen Temperaturgrad von 22° Celsius beziehen. Die Unter- suchungen fanden in einem zweifensterigen 5-01 x 5-30 = grossen Krankenzimmer von 3-90 ® Höhe statt, in welchem während der Dauer des Versuches für gewöhnlich nur noch ein oder höchstens zwei Kinder schliefen. Die oben angegebene Lufttemperatur wurde jedes Mal entweder durch entsprechendes Heizen des ÖOfens und eventuelles Lüften oder in eiligen Fällen durch Verbrennen von reinem Alkohol im Zimmer hergestellt. Der mittlere Barometerstand betrug zur Zeit, als ich meine Untersuchungen anstellte, 750 bis 760”, die grössten Schwankungen an einzelnen Tagen er- reichten 742"® und 770"”, Ich habe daher darauf verzichtet, sämmtliche Werthe auf einen bestimmten Barometerstand umzurechnen, da die daraus resultirenden Differenzen viel zu klein sind, als dass sie für die in Rede stehenden Fragen in Betracht kommen könnten. Endlich möchte ich nach der oben beschriebenen Anordnung des Apparates noch kurz daran erinnern, dass ich die Grösse der Exspirationsluft gemessen habe. Wenn ich diesen Werth im Folgenden der Grösse der Inspirationsluft in meinen Fällen gleichstelle, so bin ich hierzu berechtigt, weil ich in dieser Arbeit nur die Ergebnisse von Untersuchungen von mindestens 5 Minuten Dauer benütze und aus diesen den Mittelwerth für die Athmungsgrösse pro 1 Minute und für den einzelnen Athemzug berechne. Selbst wenn zwischen den Volumina einzelner In- und Exspirationen grosse Differenzen bestehen, werden diese sich bei einer mehrere Minuten dauernden Untersuchung völlig ausgleichen. Einen Ueberblick über die zunehmende Grösse der Athmung im späteren Alter gewähren die Figg. 5 und 6, in denen ich je drei Aus- schnitte aus Beobachtungen an Säuglingen und älteren Kindern zusammen- gestellt habe. Die Verkleinerung nach den Originaleurven ist 1:2 linear. Auf jedem der sechs Curvenausschnitte ist neben der Zeitschreibung, deren einzelne Theilstriche je 1 Secunde angeben, eine obere Curve, welche horizontal von links nach rechts verläuft, und eine untere schräg von UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 17 links oben nach rechts unten gezeichnete zu erkennen. In der oberen Curve wird die Frequenz der Athmung fortlaufend registrirt, auch wenn die N = ! @ o© 3 ei: <=) Er AS Lea} zZ an 3 TR 31 a == Be =} = ns = 2 == Kind M., 7 Mon. alt. Prot. Nr. 10 Q, {=} Athmung im tiefen Schlafe. Prot. Nr. 1. Kind St., 1 Monat alt. spirometrische Messung aus irgend einem der angegebenen Gründe sistirt werden muss. Die untere Curve, die eine rechtwinkelig gebrochene Linie darstellt, ist durch den am Gegengewicht der Spirometerglocke 78 KONRAD GREGOR: angebrachten Schreibhebel gezeichnet. Jede Abscisse entspricht daher einem Stillstand der Glocke bei geschlossenem Exspirationsventil, d. h. einer Inspiration, deren Dauer demnach aus der Länge der Abseissen ab- gelesen werden kann. Die Grösse. des Exspirationsluftvolumens wird da- gegen durch die Ordinate der abwärts gerichteten, sich in einem Winkel von wenig über 90° an die Abscisse ansetzenden Curven gemessen. Kind N., 4 Jahre alt. Kind W., 7 Jahre alt. Kind H., 12 Jahre alt. Prot. Nr. 21. Prot. Nr. 33. Prot. Nr. 66. Athmung im wachen Zustande. Fig. 6. Da jede der unten mitgetheilten Untersuchungen über eine Zeitdauer von mindestens 5 Minuten, viele über 20 Minuten durchgeführt sind, so beträgt die Zahl der im einzelnen Falle registrirten Athemzüge je nach der Frequenz der Athmung 100 bis 1000. Die Messung eines jeden Athem- zuges auf der Curve hätte demnach mehrere Stunden Zeit erfordert. Das exacte Functioniren der Ventile erleichtert indessen die nachträgliche Aus- rechnung der Länge der Ordinaten dadurch sehr wesentlich, dass anstatt jeder einzelnen Ordinate eine Anzahl derselben auf einmal gemessen werden konnte, weil die dazwischen liegenden Inspirationen sich in der Form von Abscissen abzeichneten. FE rn a Tu u UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ÄTHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 19 Uebersicht über das Material. Bei der Mittheilung meiner Untersuchungsergebnisse will ich so vor- gehen, dass ich zunächst sämmtliche Untersuchungsprotokolle in Tabellen- form aufführe, daran anschliessend den wechselnden Athemtypus und die Athmungsgrösse des heranwachsenden Kindes feststelle und auf Grund der Aenderungen der Athemfrequenz und der Athemmechanik in zunehmendem Alter, die sich aus meinen Untersuchungen der Athmungsgrösse ergeben, verschiedene Entwickelungsphasen der kindlichen Athmung vom Säuglings- alter bis zum 14. Lebensjahre in extenso bespreche. Mit Rücksicht auf den principiellen Unterschied im Athemtypus der Säuglinge gegenüber dem älterer Kinder, auf den schon oft hingewiesen worden ist und welcher seinen Grund in dem Ueberwiegen der abdominellen Athmung beim Säugling hat, ist es zweckmässig, bei der Aufführung der Untersuchungsprotokolle auch äusserlich eine solche Trennung durchzu- führen, da die Untersuchungsergebnisse bei älteren Kindern sich bezüg- lich der Athmungsgrösse nicht ohne eingehende Würdigung des veränderten Athemtypus mit der bei Säuglingen gefundenen Athmungsgrösse vergleichen lassen. Bei der Bestimmung der Altersgrenze für das „Säuglingsalter‘“ ist für gewöhnlich der durchgreifende Wechsel in der Art der Ernährung massgebend gewesen, welcher in der Regel gegen Ende des ersten Lebensjahres durch- geführt wird. Mit Rücksicht hierauf bezeichnen einzelne Autoren als das Ende des. Säuglingsalters die Periode des Abstillens oder des Eintrittes der Dentition. Dieser Zeitpunkt (etwa der Anfang des vierten Quartals des ersten Jahres) ist für das gesunde Kind — auch bei künstlicher Ernäh- rung — insofern von Bedeutung, als mit dem allmählichen Uebergang von der eigentlichen Säuglingsernährung zu gemischter Kost die Zahl der Mahlzeiten eingeschränkt wird. Dieser Umstand ist für die Entwickelung des Athmungsmechanismus von Wichtigkeit, da der gewöhnlich im An- schluss an die Nahrungsaufnahme eintretende mehrstündige Schlaf ein wichtiger Regulator der Athmung ist. Immerhin kommt aber diesem Wechsel im Regime in Bezug auf die Respirationsthätigkeit nicht ein solcher prävalirender Einfluss zu, wie einer zweiten Aenderung in den äusseren Lebensbedingungen des heranwachsenden Säuglings, nämlich dem allmählichen Uebergang von der vorwiegend horizontalen Lage zur auf- rechten Körperhaltung. Hierdurch wird im späteren Kindesalter neben einer Steigerung der Muskelthätigkeit, die an sich schon nicht ohne Einfluss auf die Athmungsgrösse ist, das Verhalten der Zwerchfellsathmung und die Combination der letzteren mit der thorakalen Athmung in einer schon durch die Inspection kenntlichen Weise verändert. Es ist daher mit Rücksicht s0 KONRAD GREGOR: darauf, dass nicht selten die Lebensgewohnheiten des ersten Säuglingsalters bezüglich der Zeiteintheilung in körperliche Bewegung und Schlaf, besonders bei schwächlichen Kindern und solchen, die in der Entwickelungäzder statischen Functionen zurückgeblieben sind, oft bis zum Ende des zweiten Jahres beibehalten werden, gerechtfertigt, die Periode des Säuglingsalters für die Athmungsthätigkeit erst mit dem Beginn des dritten Lebensjahres abzuschliessen, da das Kind erst von diesem Zeitpunkt an im Allgemeinen an die Einhaltung der für den Erwachsenen geltenden Zeitordnung für Schlafen, Nahrungsaufnahme, körperliche Bewegung u. s. w. gewöhnt wird. Meine Untersuchungsprotokolle sind in einer Tabelle am Schlusse dieser Arbeit zusammengestellt. Der erste Abschnitt derselben umfasst die Beobachtungen an Säuglingen, der zweite diejenigen an Kindern über zwei Jahren. Unter der Rubrik „Säuglinge“ sind 19 Untersuchungen an 10 Kindern aufgeführt. Die künstlich genährten Säuglinge sind solche, die zur Beob- achtung des Ernährungsverlaufes auf die Klinik aufgenommen worden waren, ohne dass sie zu jener Zeit eine äusserlich wahrnehmbare krank- hafte Störung aufwiesen; die natürlich genährten Säuglinge sind die Kinder unserer Ammen, die sich mit der Mutter zugleich von der Geburt des Kindes an in ununterbrochener klinischer Beobachtung befinden, später nach der Entlassung aus der Klinik weiter poliklinisch beobachtet werden und daher, sofern sie nicht erkranken, einwandsfreie Paradigmen der nor- malen körperlichen Entwickelung darstellen. Sämmtliche Säuglinge, auch die künstlich genährten, befanden sich zur Zeit der Untersuchungen der Athmungsgrösse in einem ihrem Alter und der angewandten Ernährung entsprechenden günstigen Entwickelungszustande. Die Untersuchung wurde bei den Säuglingen der ersten Lebensmonate unter Benützung des nach den Mahlzeiten gewöhnlich eintretenden festen Schlafes vorgenommen. bei den älteren Kindern, welche am Tage nur wenig schliefen, während der Nacht. Auch wenn die Athmung im wachen Zustande gemessen werden sollte, war es bei jüngeren Kindern nothwendig, den Versuch zu einer Zeit zu beginnen, in welcher das Kind in festem Schlafe lag und das letztere, wenn nöthig, später vorsichtig zu wecken. Denn bei Säuglingen, welche wach liegen, ist es selten ohne erhebliche Störung des Athemtypus möglich, den Ventilapparat auf der Maske zu befestigen, da sie, selbst wenn dies gelungen ist, in der Regel noch nachträglich zu schreien anfangen. Ebenso, wie bei den Säuglingen, suchte ich auch bei den älteren Kindern die Athmung sowohl im wachen Zustande wie auch im Schlaf zu messen. Indessen sind mir, wie aus den Protokollen der unter der Rubrik „Kinder über 2 Jahre“ aufgeführten 71 Untersuchungen hervorgeht, längere ununterbrochene Untersuchungen der Athmung während des Schlafes UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. sl bei älteren Kindern nur 5 gelungen. Alle übrigen beziehen sich auf die Athmung in wachem Zustande in Rückenlage, wie ich dies oben unter „Gang des Versuches“, Seite 58 näher angegeben habe. Diese Unter- suchungen sind an 11 Kindern ausgeführt. Es waren eigens zum Zwecke der Messung der Athmung auf die Klinik aufgenommene Patienten der - Poliklinik, die wegen Erkrankungen wie Ekzem, Enuresis, Epilepsie in unsere Behandlung gekommen waren und von mir längere Zeit hindurch in regelmässigen Pausen untersucht wurden. Ich wählte Kinder in mitt- lerem Ernährungszustande mit gut entwickelter Musculatur und gesunder Hautfärbung aus, welche nach den anmamnestischen Angaben noch keine schwerere Respirationserkrankung durchgemacht hatten und bei denen auch während der Dauer der regelmässigen Beobachtung, die in jedem Falle mindestens 1 Jahr betrug, trotz gelegentlich auftretender Infectionen des Nasenrachenraumes keine Weiterverbreitung der Katarrhe der obersten Luft- wege auf die Lungen und Bronchien nachweisbar gewesen war. Meine Annahme, dass es sich in solchen Fällen um Individuen handele, die eine grössere Resistenz gegen Respirationskrankheiten haben, wurde durch die klinische Beobachtung und durch spirometrische Untersuchungen von Kin- dern gestützt, welche an recidivirender Bronchitis litten und auch in den anfallsfreien Zeiten ständig sehr erhebliche subjective Krankheitssymptome aufwiesen, für die eine bestimmte Organerkrankung nicht als Ursache zu finden war.! Bei der Feststellung der Athmungsgrösse wiesen diese Kranken gegen- über den Gesunden abweichende Befunde auf, so dass es gerechtfertigt er- scheint, die Resultate über Athmungsgrösse an den von mir als normal bezeichneten Fällen, die unter einander gut übereinstimmende Werthe er- geben, als Maassstab für Aenderungen im Athemtypus bei Anomalien der Respiration zu benützen. Die Untersuchungsprotokolle am Schluss der Arbeit sind, nach dem Alter der Kinder geordnet, zusammengestellt. Jede Zeile dieser Tabelle ent- hält das Ergebniss einer abgeschlossenen und berechneten Untersuchung, welche ungestört mindestens 5 Minuten gedauert hatte. Der grösste und kleinste Werth für den einzelnen Athemzug ist durch directe Messung auf der betreffenden Curve bestimmt (Columne 5 und 7), die pro 1 Minute festgestellte Athmungsgrösse (Columne 8) ist das Resultat ! Die Ergebnisse der Untersuchungen der pathologischen Fälle werden demnächst veröffentlicht werden. Die Anordnung in den Tabellen und die Gruppirung der er- haltenen Werthe ist in allen Einzelheiten analog derjenigen der weiter unten folgenden Besprechung der normalen Werthe gewählt, so dass es leicht ist, normale und patho- logische Befunde in den Versuchsprotokollen mit einander zu vergleichen. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 6 82 KONRAD GREGOR: der Division der während der ganzen Versuchsdauer geathmeten Luftmenge durch die Zahl der Minuten. Die mittlere Grösse der Einzelinspiration (Columne 6) ist durch Division der Athmungsgrösse pro 1 Minute durch die Zahl der Athemzüge pro 1 Minute erhalten. | Veränderungen im Athemtypus des Kindes. Da der Typus der Athmung nicht nur beim Gesunden und Kranken verschieden ist, sondern auch während der Entwickelung im Kindesalter fast in jedem Lebensjahr sich in charakteristischer Weise ändert, ist es nicht angängig, die Athmunesgrösse des heranwachsenden Kindes einfach in Form der pro Minute und pro Einzelinspiration gefundenen Werthe anzugeben. Ein kräftiger Säugling hat eine annähernd so hohe Athmungsgrösse wie unter Umständen ein Kind von 10 bis 14 Jahren, dessen Körpergewicht fünf Mal so gross ist, wie das des Säuglings. Liefert auch in beiden Fällen die Athmungsthätiekeit gleiche Luftmengen für den Gasaustausch in den Lungen, so ist doch weder die Arbeitsleistung der Athemmechanik noch auch die Ausnützung des geathmeten Luftvolumens in den beiden ange- führten Fällen die gleiche. Der Unterschied beruht darin, dass beim Er- wachsenen die mit jedem Athemzuge eingeathmete Luftmenge sich mit einem verhältnissmässig viel kleineren Theile der bei der Exspiration in der Lunge zurückgebliebenen Complementär- und Residualluft menst, als bei der frequenten Athmung des Säuglingsalters. Je frequenter die Athmung ist, um so höher nach den oberen Luftwegen hin findet im Beginn der In- spiration das Zasammentrefien der restirenden Exspirationsluft mit der ein- geathmeten Luftsäule statt und ein um so grösseres Quantum der letzteren wird mit der folgenden Exspiration wieder unverändert ausgeathmet. Es ist darnach wohl ohne Weiteres klar, dass ein Werth für die von einem Individuum in der Zeiteinheit ein- oder ausgeathmete Luftmenge allein für sich nicht als Maassstab der Athmungsthätigkeit gelten kann, sondern nur eine Relation der beiden Factoren, welche sich gegenseitig reguliren und dadurch das wechselnde Bild der Athemmechanik bedingen, der Athmungs- erösse und Athemtiefe. Das scheinbar ganz regellose Schwanken des Werthes der Athmungs- grösse beim Kinde hat offenbar, nach den spärlichen hierüber in der Litteratur auffindbaren Notizen, die bisherigen Untersucher abgehalten, die Thätigkeit der Athemmechanik auf diesem Wege weiter zu untersuchen. Da es zur Beurtheilung der Athmungsleistungen des wachsenden Kindes nothwendig ist, die jeweilige Athmungsgrösse und Athemtiefe in Beziehung zum Körperwachsthum zu setzen, so müssen einige Bezeich- nungen in die Nomenclatur der Athmungsphysiologie eingeführt werden, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 83 die zum Theil schon in einschlägigen Arbeiten, aber nicht allgemein in dem entsprechenden Sinne gebraucht wurden, zum Theil nach anderen analogen Verhältnissen gewählt sind. Ich bezeichne die pro 1 Minute aus den Ergebnissen einer mindestens 5 Minuten dauernden Untersuchung berechnete durchschnittliche Ath- mungsgrösse als die absolute Athmungsgrösse, die auf 1®# Körper- gewicht redueirte absolute Athmungsgrösse eines Falles als die relative Athmungsgrösse. Der aus sämmtlichen Untersuchungen an einem Kinde oder für ein bestimmtes Alter ermittelte höchste und niedrigste Werth für die absolute und die relative Athmungsgrösse grenzt den Spiel- raum ab, innerhalb dessen sich die Athmungsgrösse unter gegebenen Ver- hältnissen bewegen kann; ich bezeichne diesen Abstand -als Excursions- weite der Athmung. Der aus sämmtlichen Untersuchungen eines Falles oder eines bestimmten Alters berechnete Durchschnittswerth der relativen Athmungsgrösse repräsentirt das mittlere Niveau der Ath- mung, dem entsprechend der niedrigste Werth das untere Niveau, der höchste das obere Niveau der Athmung. Ich verstehe endlich unter der bei einer Untersuchung gefundenen Athemtiefe die berechnete durchschnittliche Grösse der Einzelinspiration; die aus sämmtlichen Unter- suchungen für einen Fall oder für ein bestimmtes Alter ermittelten nied- rigsten und höchsten Werthe der Athemtiefe sind die Grenzen für die Excursionsweite der Athemtiefe; den entsprechenden Mittelwerth be- zeichne ich als mittlere Athemtiefe. In demselben Sinne wende ich auf die Grenzen, innerhalb deren die Athemfrequenz schwankt, die Bezeich- nungen mittlere Athemfrequenz und Exeursionsweite der Athem- frequenz an. Alle diese Werthe sind die Ergebnisse von Berechnungen aus der während der ganzen Untersuchungszeit durch direste Messung bestimmten Grösse der Einzelinspirationen und der Zahl der Athemzüge. Es sind da- her Durchschnittswerthe, die aber dadurch charakterisirt sind, dass die Dauer der Untersuchung, deren Ergebniss sie darstellen, im Minimum ohne Unter- brechung 5 Minuten betrug. Die durch Messung gefundene Grösse des einzelnen Athemzuges sowie die Excursionsweite, innerhalb deren bei längeren oder kürzeren Untersuchungen die Grösse der Athmung pro eine Minute oder pro Einzelinspiration schwanken kann, kommt für das Studium der Athmungsgrösse der Kinder erst in zweiter Linie in Betracht und wird bei meinen Untersuchungen über die Athemmechanik Erwähnung finden. Die mit der allmählichen Entwickelung gleichzeitig fortschreitende Ver- langsamung und Vertiefung der Athmung bildet nicht das einzige Charakte- risticum des späteren Athemtypus gegenüber dem des Säuglings. Letzterer verbringt, wenigstens so lange als er gesund ist, den grössten Theil der 6* 34 KONRAD GREGOR: Zeit in ruhigem Schlafe, der nur in ziemlich regelmässigen Abständen durch ein- oder mehrstündige Pausen wachen Zustandes unterbrochen wird. Das ältere Kind dagegen schläft wie der Erwachsene in der Regel nur ein Mal in 24 Stunden. Da ich den Einfluss des Schlafes auf die Athemmechanik an anderer Stelle bespreche, so erwähne ich diese Thatsachen hier nur des- halb, um darauf hinzuweisen, dass die Athmungsgrösse und Athemtiefe des Säuglingsalters sowohl für den Schlaf, wie auch für den wachen Zu. stand angegeben werden muss, Auch für das ältere Kind wäre es wünschenswerth, Daten der Ath- mungsgrösse während des Schlafes zu erhalten, indessen ist es mir, wie ich oben bereits erwähnte, nicht gelungen, genügend zahlreiche Beobachtungen zur Aufstellung der entsprechenden Werthe anzustellen, wohl aber eine grössere Reihe von Untersuchungen der Athmung beim Uebergang vom wachen Zustand zum Schlaf und umgekehrt, welche die dadurch bedingte Aenderung im Athemtypus erkennen lassen. Die Athmung während des Schlafes scheint mir wegen des Wegfalles äusserer Reize, die den Athemtypus beeinflussen können, besonders geeignet, einen Maassstab für die Leistungen der Respirationsorgane in den verschie- denen Stadien der Entwickelung des wachsenden Kindes abzugeben. Meine Untersuchungen über die Athemmechanik machen es wahr- scheinlich, dass die durch den regelmässigen Schlaf beim Säugling bedingte periodische Einschränkung der Atbemthätigkeit, welche abweichend von der Athmung des älteren Kindes mit einer Vertiefung der Athemzüge ver- bunden ist, einen wesentlichen regulatorischen Einfluss auf die Entwicke- lung der Athemtechnik ausübt. Dies ist beim älteren Kinde, dessen Ath- mungsthätigkeit ohnedies durch die vermehrte körperliche Bewegung in andere Bahnen gelenkt ist, nicht mehr der Fall. Indessen sind auch im späteren Alter regulatorische Einflüsse, die der Willkür nicht unterworfen sind, auf die Entwiekelung der Athmungsthätigkeit nachweisbar. Ich ‘fand nämlich bei wiederholten Messungen der Respirationsgrösse bei gewöhnlicher Athmung im Wachen bei einem und demselben Kinde häufig an verschiedenen Tagen eine verschieden hohe Frequenz der Ath- mung. Während eines Tages blieb indessen die Frequenz, wenn ich die Athmung völlig unbeeinflusst liess, selbst bei länger dauernden Unter- suchungen constant. Es handelt sich hierbei nicht um einzelne exceptio- nelle Fälle, wie ich solche oben beim Capitel „Versuchstechnik“ kritisirt habe, sondern um ein von mir durch oft wiederholte übereinstimmende Versuche sichergestelltes gesetzmässiges Verhalten. Kranke Kinder zeigen dasselbe übrigens, wie ich hier gelegentlich hervorheben will, in noch deutlicher ausgesprochenem Grade wie gesunde von gleichem Alter, gleicher mittlerer Athmungsgrösse und Athemtiefe. | UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 85 Die athmungsregulatorischen Einflüsse, welche die Aenderung be- dingen, entziehen sich unserer Kenntniss. Sowohl die Athemtiefe, wie auch die absolute Athmungsgrösse zeigen bei diesem wechselvollen Ver- halten der Athemfrequenz charakteristische Veränderungen. Es ist daher nicht nur mit Rücksicht auf den durchgreifenden Wechsel im Athem- typus beim Heranwachsen des Kindes, sondern auch aus dem eben ange- führten Grunde nothwendig, bei der Aufstellung normaler oder pathologischer Zahlen für die Athmungsgrösse eines Individuums von bestimmtem Alter eine Relation zwischen der in der Zeiteinheit eingeathmeten Luftmenge und der Zahl der Athemzüge anzugeben. Es ergiebt sich ferner die Indication, zu untersuchen, inwieweit sich beim einzelnen Individuum diese unwill- kürlichen Aenderungen im Athemtypus zu gegebener Zeit willkürlich hervorrufen lassen und ob sich die einzelnen Factoren, welche hierbei mitwirken, in besonderen Fällen in charakteristischer Weise an der Regu- lirung der Athmung betheiligen. Ich führte eine willkürliche Aenderung im Athemtypus in der Weise herbei, dass ich im Anschluss an eine Messung der Respirationsgrösse bei gewöhnlicher Athmung die Versuchsperson aufforderte, langsamer zu athmen und, nachdem von derselben eine bestimmte Athemfrequenz einige Minuten ohne merkliche Beschwerden eingehalten worden war, diesen Athemtypus dadurch fixirte, dass ich ein Metronom auf eine doppelt so grosse Schlag- zahl! pro Minute einstellte, so dass jeder Schlag die Zeit für den Beginn einer In- oder Exspiration angab. Die Kinder setzten sich zwar nicht in völlige Uebereinstimmung mit dem regelmässigen Rhythmus des Uhr- werkes, vielmehr blieb der Athmung völlig der Charakter der regellosen continuirlichen Schwankungen der Athemtiefe erhalten, welcher einen mar- kanten Unterschied zwischen der Säuglingsathmung und dem Athemtypus älterer Kinder darstellt. In den meisten Fällen war es aber auf diese Weise leicht, dieselben Differenzen in der Athemfrequenz, die das Kind un- willkürlich an verschiedenen Tagen zeigte, und sogar noch darüber hinaus- gehende Schwankungen willkürlich an demselben Tage nach einander zu erzielen. Der bei der willkürlich beeinflussten Athmung hinsichtlich der Athmungsgrösse erzielte Effect war jedoch ein anderer, als bei den unwill- kürlichen Schwankungen. Zur leichteren Controle führe ich in Tabelle I ' sämmtliche derart erhaltenen Werthe für Athemtiefe und absolute Athmungs- grösse, nach der Frequenz der Athmung geordnet, auf; die Zahlen in ! In den Versuchsprotokollen am Schlusse der Arbeit habe ich in Columne 3, um Missverständnisse zu vermeiden, an den entsprechenden Stellen als Schlagzahl des Metronoms die Athemfrequenz angegeben, auf welche ich das Metronom eingestellt hatte, die jedoch nicht immer völlig eingehalten wurde. 86 KONRAD GREGOR: gewöhnlichem Druck beziehen sich auf Untersuchungen im wachen Zustande des Kindes, bei denen der Athmungstypus nicht willkürlich beeinflusst worden war; die in Cursivschrift gedruckten Zahlen geben die Athmungs- grösse an, die durch die präcis gegebene und vom Kinde richtig aufgefasste Aufforderung, die Athmung zu verlangsamen, erzielt wurde. Tabelle 1. Unwillkürlicher und willkürlich hervorgerufener Wechsel in der Athem- frequenz. 1 2 4 ıl 3 4 Lfd. Nr. | Athem- Absolute | Lfd. Nr. | Athem- \ Absolute der Unter- frequenz 0 Athmungs-|der Unter- frequenz „uns Athmungs- suchung |pro 1 Min. tiefe grösse suchung |pro 1 Min. tiefe grösse 25 29 4251 54 22 177 3360 22 26 3936 61 21 201 4221 26 25 3692 65 19 239 4469 23 174 4057 63 17 187 3143 24 245 5335 7 16 230 3721 27. 194 3841 62 15 294 4492 26 258 4378 64 13 344 | 4472 26 262 4323 6 Ton 417 4457 60 9 580 5494 32 28 4623 98 9 770 6910 31 27 4525 59 8—9I 799 6792 33 24 3989 16) 25 225 5635 43 26 5544 81 23 252 5805 42 21 5332 13 22 218 4861 38 19 5152 69 20 245 4955 40 19 4458 gen! 19 248 4712 37 15 4441 74 18 241 4262 39 14 4515 02, 17 DAT 4230 76 17 191 3249 45 29 47102 85 17 250 4750 46 28 4353 18 16 262 4127 48 25 4512 79 16 404 6617 49 382 6379 86 13 318 4107 80 12 411 5294 50 24 4991 83 10 475 | 4235 53 23 4449 82 10 530 | 5194 52 276 4959 84 6 on 4542 66 17 4914 90 25 | 181 4525 67 16 4992 87 24 125 | 4118 68 608 5411 | 89 17 | 225 3825 88 6 | 611, 3727 UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 87 Die verschiedenen Beobachtungen bei unwillkürlichen Schwan- kungen der Athemfrequenz ergeben, dass eine zeitweilige Verminderung des Athmungsbedürfnisses zu einer Einschränkung der Zahl der Athemzüge geführt hat. Denn die Athemtiefe bleibt dieselbe wie bei der frequenteren Athmung oder wird nur unwesentlich gesteigert. Dagegen ist in allen 28 Beobachtungen bei willkürlich hervorgerufener Aenderung des Athem- typus die Retardation der Athmung mit einer starken Zunahme der Athem- tiefe verbunden. Diese ist nur in 5 Fällen nicht hinreichend, um den durch Herabsetzen der Frequenz drohenden Verlust an Athemluft auszu- gleichen; in den meisten Fällen wird er durch die Vergrösserung der Einzelinspiration erheblich überecompensirt. Das gesunde Kind setzt also, obwohl es ihm möglich ist, seine Athemtiefe sehr erheblich zu variiren, bei einer Einschränkung des Athmungsbedürfnisses nur die Athemfrequenz, nicht die Athemtiefe herab. Bei starken Steigerungen des Athmungs- bedürfnisses dagegen macht es von einer grossen Excursionsweite der Athem- tiefe Gebrauch, ohne zunächst die Frequenz zu erhöhen. Bei kranken! Kindern fehlt einerseits die oben beschriebene unwillkürliche, d. h. durch das Athmungsbedürfniss regulirte Einschränkung der Athemfrequenz, anderer- seits führt fast jeder Versuch einer willkürlichen Retardation beim Kranken zu einer starken Verminderung der absoluten Athmungsgrösse. Ebenso ändern nach erhaltener Aufforderung, tiefer zu athmen, gesunde und kranke! Kinder ihren Athemtypus in verschiedener Weise. Erstere verbinden damit unwillkürlich eine Retardation der Athmung, so dass es nur bei sehr aufmerksamen Versuchspersonen gelingt, bei gleichbleibender Athemfrequenz nach einander Perioden gewöhnlicher und vertiefter Ath- mung zu registriren. Der Kranke dagegen reagirt auf das Commando: „Athme tiefer“ bei Untersuchungen von mindestens 5 Minuten Dauer regel- mässig mit einer Beschleunigung der Athmung. Mittlere Athemfrequenz. Wenn auch das zeitweilige unwillkürliche Schwanken der Athem- freguenz bei den älteren Kindern die Aufstellung allgemein gültiger Werthe für die Frequenz der Athmung in den verschiedenen Lebensjahren ein- schränkt, so ergiebt sich doch, dass mit zunehmendem Alter die Beobach- tungen bei niedrigerer Frequenz der Athmung im Allgemeinen vorherrschen. Tabelle II veranschaulicht diese Verschiebung. ! Wenn ich im Folgenden, um Wiederholungen zu vermeiden, die einfache Be- zeichnung „kranke Kinder“ gegenüber den normalen Fällen anwende, so bezieht sich dieser Ausdruck auf jene Kinder, deren Athmungsthätigkeit sich sowohl nach der klinischen Beobachtung als insuffieient erweist, wie auch nach der spirometrischen 88 KONRAD GREGOR: Tabelle II. Mittlere Athemfrequenz. 1 Teer» Bei einer Zahl der Beobachtungen im Frequenz der Sa ‚ Athmung TB on 4 5 7 8 9 120013 ; in 1 Minute Halbjahr Jahr über 60 BT ORTE TO Tot Too er 41 bis 60 | 8 4 1 0 0 0 0 0 0 0 13 31 bis 40 | 2 1 1 0 0 1 0 0 0 0 5 210bis,30 001 3 1 2 6 | 17 3 2 3 2 40 15 bs 0 | 0 0 0 0 3 4 1 Aa 12 1 25 unter 15 |] 0 0 0 0 OT 0 6 | 6 1 14 Sa. || 13 8 3 2 9 1238 A 4 99 Ich halte die Zahl meiner Einzelbeobachtungen für genügend gross, um aus obiger Zusammenstellung den Satz ableiten zu können: Bei ruhiger Athmung in Rückenlage — im wachen oder im schlafenden Zustande — kommt im Säuglingsalter eine mittlere Athemfrequenz unter 20 in der Minute in der Regel nicht zur Beobachtung. Die ge- wöhnliche Athmung des Säuglings hat eine Frequenz von 20 bis 60, die des älteren Kindes bis zum 6. Jahre eine solche von 20 bis 30, während später vorwiegend noch niedrigere Werthe vorkommen. Bei Kindern jenseits des Säuglingsalters ist eine Athemfrequenz von über 30 bei ruhiger Athmung als pathologisch anzusehen. Die mit abnehmender Frequenz der Athmung zunehmende Vertiefung derselben befähigt einerseits die Athemmechanik, auch grösseren und uner- wartet gesteigerten Ansprüchen an die Athmungsthätigkeit in prompter und ökonomischer Weise zu entsprechen, und bewirkt andererseits eine continuir- liche Verminderung der relativen Athmungsgröse und damit auch der Arbeitsleistung, welche die Athemmechanik zu verrichten hat. Wir haben daher der Beobachtung der Zahl der Athemzüge schon unter normalen Verhältnissen für die Beurtheilung der Athmungsleistung eines Individu- ums oder eines bestimmten Lebensalters besonderes Gewicht beizumessen; dieselbe gewinnt indessen noch an Bedeutung bei einem Vergleich der Leistungen der Respiration unter pathologischen Verhältnissen. Ich habe im Vorstehenden kurz die Gesichtspunkte angegeben, nach Untersuchung ihrer Athmungsgrösse in verschiedener Beziehung im Gegensatz zu der normalen steht; die weiter unten angeführten Abweichungen im Athemtypus und der Athmungsgrösse sind jedoch an den Kindern zu solchen Zeiten beobachtet worden, an denen sie frei von Katarrhen der Luftwege und überhaupt ohne nachweisbare sonstige Krankheitserscheinungen waren. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 89 denen ich die Untersuchungen der Athmungsgrösse bei Kindern verschie- denen Alters angestellt habe und die uns bei der Verwerthung der Unter- suchungsergebnisse für das Studium der Athmungsgrösse, wie auch der Athemmechanik leiten müssen. Die Athmungsgrösse des Säuglings. Zur besseren Uebersicht über den Stand der Athmungsgrösse in den verschiedenen Lebensmonaten stelle ich aus den Versuchsprotokollen sämmt- liche an gesunden Säuglingen erhaltenen Werthe für Athemtiefe, absolute und relative Athmungsgrösse, nach der Athemfrequenz und nach Lebens- monaten geordnet, in Tabelle III für die Athmung während des Schlafes und in Tabelle IV für die Athmung im wachen Zustande zusammen. In Tabelle III (Respirationsgrösse bei schlafenden Säuglingen) habe ich neben meinen eigenen Werthen die von v. Recklinghausen! an vier Neugeborenen festgestellten Zahlen für Athmungsgrösse und Athemtiefe, die sich allerdings nicht auf so lange fortgesetzte ununterbrochene Unter- suchungen beziehen, mit aufgenommen. Tabelle II. Respirationsgrösse von schlafenden Säuglingen. 2 A a EST ee se ee nr = Ei ae ie der Athmung in 1 Minute Ba4|d8 go 30 | 20 [über| 20 | 30 | 20 jüber| 40 | 30 A: 58 bis 0) bis 40)bis 30| 60 |bis 60) bis 40, bis 30| 60 bis 60)bis Mi bis 30 oe2| 08 se| == Athmungsgrösse in ccm Ei 88 EEE pro 1 Minute pro 1%* Körpergewicht Ei = DES Einzelinspiration (absolute Athmungs- und 1 Minute (Athemtiefe) grösse) | relat. Athmungsgrösse) ss. L| | 28 1311| | 400 | Sch I| 19 1416 451 E 0. I || 22 1495 | 500 | „6. I 15 837 | 266 | 1 I 33 1486 410 2 I| 27 1153 | 330 | 3 II | 42 1734 377 AN N 40 l17s8 | 390 | 9 vI 51 1836 406 ı0 | vu 89 2030 | 263 | vu 87 2293 | 298 128 ev) 86 2226 | 290 16 | XII) 76 3172 453 | I ıDxır. 80 | 2870 | 410 18 XXIV 136 3985 | | 328 90 KONRAD GREGOR: Tabelle IV. Respirationsgrösse von Säuglingen im wachen Zustande. | era je Re So 8 Erequenz’der Athmung in 1 Minute 52| 88 |über| 40 | 30 | 20 über | 40 | 30 | 20 |über| 40 | 30 | 20 23 | 5 | 60 bis60bis40bis 30] 60 bis 60 bis 40|bis 30] 60 |bis 60)bis 40/bis 30 23|se|e [Ele Pe = alerts aeeeae Eye) o > © >» S > o >> I, | 25-2 © Isa sa) 8 28a else en e I. I. Lebenshalb- ( 13 x nieht [2510 nicht 500 nicht jahr | 35 aa untersucht| 837 |?00 untersucht | 266 19 untersucht II. II.Lebenshalb-(| 136 65 5087 5814 533 800 Y D 951 Ä 9 F 2 jahr bis nf 58 789 | 37 709] 2030 |"?1| 1506 712] 263 [208] 9,4378 III. 3.bisT. Lebens-(| 382 421 7088 10946 430 730 jahr 91 [20 717 2609| o7e0 | 29° 3017 | 3631 153 | 281] 9095| 224 IV. 8. bis 14. Le-[(|| 790 ı 581 6910 6699 314 304 5) > 5) = bensjahr | 177 Er 173 33 3143 220 9151 || 140 za 6200 Aus den Zahlen vorstehender Tabelle geht mit genügender Deutlichkeit hervor, dass der Weg, den die Entwickelung der Athmung unter pathologi- schen Verhältnissen nimmt, in charakteristischer Weise vom normalen ab- weicht. Wenn wir vom ersten Lebenshalbjahre absehen, für welches keine vergleichenden Untersuchungen vorliegen, so ist die Excursionsweite der Athmungsgrösse — der absoluten wie der relativen — bei gestörter Ent- wickelung der Respiration dauernd viel grösser als beim gesunden Kinde. Dagegen bleibt die mittlere Athemtiefe erheblich an Excursionsweite hinter der normalen zurück. Ja es ergiebt sich sogar mit zunehmendem Alter eine deutliche Verschärfung dieses Missverhältnisses. Die Excursions- weite der pathologischen Athmung übersteigt diejenige der normalen bezüglich der absoluten Athmungsgrösse Anfangs um 68, später um 106, zuletzt um 89, bezüglich der relativen Athmungsgrösse Anfangs um 125, später um 70, zuletzt um 276. Die Excursionsweite der Athemtiefe aber vermindert sich bei gestörter Athmungsentwickelung im umgekehrten Sinne eben- falls continuirlich. Der Abstand von den normalen Werthen beträgt Anfangs —26, später —60, zuletzt —117. Mit anderen Worten eine zunehmende Einengung der Excursionsweite der Athemtiefe geht Hand in Hand mit einer enormen Vergrösserung. der Excursionsweite UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES Kınpes. 107 der Athmungsgrösse, welehe, wie weiter unten ausgeführt werden wird, zum Theil auf Kosten vermehrter .Muskelthätigkeit, zum Theil auf Kosten einer Herabsetzung des bei eingeschränkter Athmung noch nothwendigen Luft- verbrauches bestritten wird. Ich habe oben Seite 83 für die mittlere Höhe der relativen Athmungs- grösse in einem bestimmter: Alter die Bezeichnung „mittleres Athmungs- niveau“ gewählt; dementsprechend repräsentiren der höchste und niedrigste Werth das obere und uatere Athmungsniveau des betreffenden Alters. Wenden wir diese Bezeichnungen auf die in Tabelle VII und VIII zu- sammengestellten Daten an, so ergiebt sich bei pathologischer Entwickelung der Athmung ein viel rascheres Sinken des unteren Athmungsniveaus als normaler Weise. Beim Kranken vermindert sich dasselbe von 244 bis auf 61, d.h. um 75 Procent, beim Gesunden in demselben Zeitraume von 263 bis auf 140, d. h. um 46 Procent des ursprünglichen Werthes. Das mittlere Athmungsniveau ist dagegen bei pathologischer Entwickelung der Athmung namentlich im Anfang erheblich höher als unter normalen Verhältnissen, während sich dieser Werth später dem normalen nähert. In demselben Sinne ändert sich das obere Athmungsniveau. Das Bedürfniss einer gesteigerten Excursionsweite führt also bei ge- störter Athmungsentwickelung dazu, dass das Kind die untere Grenze seines Luftverbrauches bei eingeschränkter Athmung malgr& lui herabsetzt. Leistungen der Athmungsthätigkeit in den verschiedenen Entwickelungsphasen der Athmung. Wir können aus der klinischen Beobachtung gesunder Kinder und solcher, wie ich sie zum Studium der pathologischen Entwickelung der Athmung heranzog, den Schluss ableiten, dass der Entwickelungsgang, welchen die Mechanik der Respiration bei ersteren nimmt, in viel höherem Grade geeignet ist, sich nicht allein den im Laufe der Zeit allmählich gesteigerten Anforderungen an die Athmungsthätigkeit, sondern auch einer plötzlich eintretenden stärkeren Inanspruchnahme derselben anzupassen als jener Athmungstypus, welcher den Endeffect einer gestörten Entwicke- lung der Respiration darstell. Denn der letztere erweist sich schon bei einer nothwendig werdenden geringen Steigerung der Athmungsgrösse als insufficient. Die oben erwähnten Abweichungen in der Entwickelung der pathologischen Athmungsthätigkeit weisen daher einzelnen, die normale Ent- wickelung charakterisirenden Momenten eine besondere Bedeutung zu. Präecisiren wir zum Zwecke einer Kritik der Leistungsfähigkeit der Re- spiration den Athmungstypus in den vier Entwickelungsstadien, so erhalten 108 KONRAD GREGOR: wir den normalen Entwickelungsgang der Athmungsmechanik von Geburt bis zum 14. Jahre in folgender Form: ‚I. Erstes Lebenshalbjahr.! Die Athmung setzt mit einer hohen? Excursionsweite ein; das mittlere und das untere Athmungsniveau ist dabei ein relativ hohes, ersteres über- haupt das höchste, welches wir beobachten. Il. Zweites Lebenshalbjahr und zweites Lebensjahr. Die Exeursionsweite erfährt eine geringe Einschränkung; das Athmungs- niveau bleibt annähernd auf gleicher Höhe. III. Drittes bis siebentes Lebensjahr. Steigerung der Excursionsweite bei Verminderung des Athmungs- niveaus. IV. Achtes bis 14. Lebensjahr. Mässige Einengung der Exeursionsweite; weiteres sehr erhebliches Sinken des mittleren Athmungsniveaus, hauptsächlich bedingt durch eine starke Verminderung des oberen Niveaus der Athmung am Ende dieser Periode. Wir erkennen bei dieser resumirenden Kritik der vier Entwickelungs- phasen der Athmung eine engere Zusammengehörigkeit der I. und II, sowie der III. und IV. Phase, insofern als sowohl in der I. als auch in der III. Phase eine hohe Excursionsweite erreicht wird, die bei gleich- bleibendem oder sich verminderndem Athmungsniveau allmählich einge- schränkt wird. Zwischen beiden Entwickelungsabschnitten, d.h. zwischen der II. und III. Phase, liegt jener schon wiederholt hervorgehobene jähe Wechsel in der Athmungsthätigkeit, welcher in einer erheblichen Reduction der Athemfrequenz äusserlich erkennbar ist und sich bei spirometrischer Messung der Respirationsgrösse als ein Anfangs rasches, später langsamer fortgesetztes Sinken des Athmungsniveaus charakterisirt. Wir haben bei diesem Resume vorläufig nur das Verhalten der Athmungsgrösse und nicht dasjenige der mittleren Athemtiefe berücksichtigt. Letztere ist zwar für die Grösse der erzielten Leistungen jeder Entwicke- lungsphase nicht ausschlaggebend; sie ist dagegen ein Kriterium dafür, auf welche Weise und mit welchen Mitteln eine Steigerung der Leistungs- fähigkeit erreicht wird. ! Für die nachstehenden Ausführungen von mehr allgemeiner Natur ist die scharfe Abgrenzung nach Lebensjahren nur deshalb beibehalten, weil hier die in den Tabellen VII und VIII aufgeführten Untersuchungsergebnisse, welche diese Abgrenzung ergaben, kurz resumirt werden. ® Die Excursionsweite der relativen Athmungsgrösse ist allerdings niedrig. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KInDes. 109 Die Exeursionsweite und der mittlere Stand der absoluten und relativen Athmungsgrösse ist unter normalen Verhältnissen für ein Individuum eine unveränderliche physiologische Grösse und wird in den einzelnen Phasen durch gesteigerte Ansprüche an die Athmungsthätigkeit und durch ver- änderte äussere Lebensbedingungen normirt. Dagegen kann die mittlere Athemtiefe, d.h. die durchschnittliche Grösse der Einzelinspiration und mit ihr die Athemfrequenz, auch unter normalen Verhältnissen grosse indivi- duelle Verschiedenheiten zeigen. Trotzdem lässt sich aus einer vergleichen- den Gegenüberstellung wie bei den anderen Daten eine gesetzmässige Ver- schiebung der Werthe für die Maximal-, Minimal- und Durchschnittsleistung erkennen, welche dem Wachsthum nicht immer parallel geht. Dieser Um- stand beweist, dass wir die Athemtiefe zu Zeiten willkürlich modificiren, um bei vermehrten Anforderungen an die Athmung oder geänderten äusseren Bedingungen für die Athemthätigkeit die Erreichung des nothwendigen Athmungsniveaus auf dem für den Organismus zweckmässigsten Wege zu ermöglichen. Die Veränderungen der Athemtiefe in dem Entwickelungs- gange der Athmungsmechanik sind daher nicht gleichgültig für die Be- urtheilung der jeweiligen Leistungsfähigkeit der normalen Athmung, wie es nach der bisher vorliegenden Litteratur angenommen werden muss. Die Verminderung des Athmungsniveaus im späteren Kindesalter kann an sich mit den wachsenden Ansprüchen an die Athemthätigkeit nicht in Einklang gebracht werden. Sie weist auf Aenderungen in der Athmungsmechanik hin, deren Bedeutung wir nicht durch die Messung des geathmeten Luft- volumens finden können, da sie in einer durch Uebung erlernten spar- sameren Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Muskelaction der Ath- mung besteht. Während die Athmungsgrösse ein Maassstab für die zur Athmung nöthige Muskelthätigkeit ist, stellt die Athemtiefe ein Kriterium für die praktische Ausnutzung der Muskelaction dar; beide Factoren ergeben in ihrem Zusammenwirken das Maass der Leistungsfähigkeit für ein bestimmtes Stadium der Entwickelung. Legen wir diesen Maassstab an die Athmungsleistung der verschiedenen Entwickelungsphasen der Athmung an, so ergiebt sich, dass zwar, wie ich oben S. 104 hervorhob, mit zunehmendem Alter eine continuirliche Ver- tiefung der Athmung, d. h. Zunahme der mittleren Grösse der Einzel- inspiration mit Retardation der Athemzüge, eintritt, dass diese Zunahme der Athemtiefe aber nicht dem allgemeinen Wachsthum des Körpers parallel geht. Ferner beobachteten wir, worauf ich oben S. 106 bereits hinwies, ein starkes Zurückbleiben der Athemtiefe bei der pathologischen Entwicke- lung der Athmung, welches sich besonders markant in einer ungenügenden Entwickelung der Excursionsweite kennzeichnet und welches eine Beobach- 110 KONRAD GREGOR: tung (vgl. 8. ST), die ich bei der Athmung der kranken Kinder machte, erklärt, nämlich die Tendenz des letzteren, bei Steigerung der Athmungs- grösse die Athemfrequenz zu steigern, anstatt, wie es der Norm entspricht, die Athmung zu verlangsamen. Die Athmungsleistung bei normaler und bei gestörter Entwickelung wird durch die beiden eben erwähnten Momente im Verhalten der Athem- tiefe in folgender Weise beeinflusst: Tabelle Leistungen der Respiration bei Normale Athmungsentwickelung Absolute Relative Lebensalter |, Athmungsgrösse | Athmungsgrösse Sulkeumulale Mittlere) Exeur- | Mittleres | Excur- Mittlere | Bxeur- Atkmungsleistung Hole; | || EnIe| SE Rchemicte) 208 weite niveau weite weite Erstes hoch hoch hoch niedrig hoch | Frequente, mit Auf- Lebenshalb- aan wand grosser Ar- jahr = beitsleistung über > eine grosse Actions- “ freiheit verfügende 2 Athmung S Zweites Halb-| hoch hoch = , Anstieg | starke | Frequente Athmung jahr bis F | auf mehr |Vermin-| von relativ geringer zweites ® als das | derung | Actionsfreiheit. Die Lebensjahr f=\ Doppelte Vertiefang der Ath- | e= mung hält mit dem Wachsthum nicht gleichen Schritt Drittes keine Vermin- | starker | weiterer Verlangsamte, ver- bis siebentes | weitere derung um | Anstieg ‚Anstieg auf tiefte Athmung. Ver- Lebensjahr | Steige- die Hälfte etwa das | minderung der Ar- rung Doppelte beitsleistung durch Herabsetzen des unteren Athmungs- niveaus. Entwicke- lung einer grossen Exceursionsweite Achtes bis keine vierzehntes | weitere Lebensjahr | Steige- rung allmäh- | mässige| weiterer liche Ver- | Ein- Anstieg minderung | schrän- um nahezu um ein kung | das Drittel Doppelte Geringere Exceur- sionsweite. Weitere erhebliche Vermin- derung der Arbeits- leistung haupsäch- lich durch Vertiefung der Athmung allmähliche Verminderung um ein Viertel hoch wie im ersten Halbjahr UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES Kmpes. 111 In dieser Zusammenstellung sind die subjectiven Angaben: hoch, niedrig, frequent u. s. w. vom Stande der Entwickelung des Athmungstypus im 14. Lebensjahre aus angewendet. Eine Vergleichung dieser kritischen Uebersicht mit den objectiven Befunden, wie ich sie in Tabelle VII und VIII zusammengestellt habe, giebt uns einen Einblick in die regulatorische Einwirkung der stetig zunehmenden Athemtiefe auf die Athemmechanik. IX. normaler und gestörter Entwickelung. Gestörte Athmungsentwickelung Absolute Relative : Athmungsgrösse Athmungsgrösse Aulcemn mas Mittlere Excur- Mittleres Exeur- Afiktere Excur- Athmungsleistung one u Bonn en Aunange > 105 3 Armemtierete | Sions- weite niveau weite weite nTehtjeuntersucht hoch hoch doppelt hoch halb so niedrig Frequente Athmung. so hoch hoch wie Starke Steigerung des wie normal | normal Athmungsniveaus und | der Exeursionsweite auf | | Kosten von vermehrter | | | Arbeitsleistung | hoch hoch fast doppelt! hoch höher als | hoch Trotz erheblicher Ver- so hoch normal | tiefung der Athmung wie normal | ı keine Einschränkung | der Arbeitsleistung erhebliche hoch erheblich | Maximum keine niedrig | Grosse Excursions- Abnahme tiefer als ' weitere weite. Einschränkung normal | Zunahme; der Arbeitsleistung erheblich durch Erniedrigung des niedriger | Athmungsniveaus, je- als normal doch ohne weitere Ver- ' tiefung der Athmung 12 KONRAD GREGOR: Während des ganzen Säuglingsalters steigt das Niveau der Athmung in gleichem Maasse wie das Körperwachsthum. Der Uebergang vom Säug- lingsalter zum ersten Kindesalter markirt sich durch ein Sinken des Niveaus auf die Hälfte des ursprünglichen Werthes; die Tendenz zur weiteren Ver- minderung des Niveaus ist auch im späteren Kindesalter zu erkennen. Die mittlere Athemtiefe nimmt mit zunehmendem Wachsthum der Lungen und des ganzen Körpers eontinuirlich zu, indessen nicht immer gleichmässig, wie die Gegenüberstellung der Athemtiefe und des Körper- gewichtes in den verschiedenen Entwickelungsphasen der Athmung er- kennen lässt. Körper- : Ansteigen der Athemtiefe Lesen: gewicht alemaan im Verhältniss zum Körperwachsthum I. Lebenshalbjahr 3770 m 48 _ im Mittel | im Mittel II. Lebenshalbjahr | 7700 bis | 85 bis 129 | Athemtiefe steigt um 179 bis 270 Proc. bis 2. Lebensjahr 12000 gm Körpergewicht „ ,„ 204 „ 318 „ 3. bis 7. Lebensjahr | 14300 bis |124 bis 221 Athemtiefe steigt um 146 bis 171 Proc. 19 000 grm Körpergewicht „. .. 15822.:1862:7% 8. bis 14. Lebensjahr | 22000 bis 221 bis 395 Athemtiefe steigt um 179 Proc. 29000 erm Körpergewicht 2 2021545 Die Ausbildung der Athemtiefe bleibt demnach schon normaler Weise im Säuglingsalter zurück und erst in der IV. Entwickelungsphase der Athmung wird dieser Defect wieder ausgeglichen; das kranke Kind ver- tieft zwar ebenfalls seine Athmung, es gelingt ihm aber nicht, wie bei der normalen Entwickelung, hierbei gleichzeitig die Arbeitsleistung durch Verminderung des Athmungsniveaus herabzusetzen. Die später trotzdem nothwendig werdende Einschränkung der Arbeitsleistung muss auf Kosten einer starken Erniedrieung des Athmungsniveaus bestritten werden; eine weiter gehende Vertiefung der Athmung wie beim Gesunden wird dadurch unmöglich gemacht, dass es bei foreirter Athmung die Athemfrequenz nicht herabzusetzen vermag. Die letzten Ausführungen zeigen, dass die Untersuchung der Athmungs- grösse uns auf das Studium der Athemmechanik führt. Wir dürfen von der Untersuchung der Athembewegungen des Kindes Aufklärung über einige charakteristische Veränderungen in der Athemtechnik des heranwachsenden Kindes erwarten, ebenso von speciellen Beobachtungen über die Antheil- nahme des Schlafes, der liegenden, sitzenden und aufrechten Stellung, an der Entwickelung der Athmungsthätigkeit. a ——— UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES Kınpes. 113 Geben alle diese Untersuchungen ein sich gegenseitig ergänzendes Bild von der Entwickelung der Athmung des heranwachsenden Kindes, so dürfen sie als die Basis für das Studium der Respirationsthätigkeit beim kranken Kinde dienen und für die Aufstellung eines bis jetzt nur vermuthungsweise, nicht auf Grund objectiver Untersuchung angenommenen Krankheitsbegriffes, nämlich desjenigen einer Prädisposition für Respirationserkrankungen. Litteraturverzeichniss. 1. H.v. Reeklinghausen, Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXII. 8. 451. 2. Derselbe, Ebenda. 1897. Bd. LXIH. S. 120. 3. Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiologische Chemie. 1894. Bd. XIX. S. 574. 4. Czerny und Keller, Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. Leipzig und Wien 1801. 8.1. 5. Rubner und Heubner, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXVI u. XXXVIN und Berliner klinische Wochenschrift. 1899. Nr. 1. 6. Gregor, Untersuchungen über die Athembewegungen des Kindes. Archiv f. A. u. Ph, 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 114 KoNRAD GREGOR: Untersuchungsprotokolle. I. Rubrik: Säuglinge. 1 2 j 3 AS S 8 Es Grösse der Athmung 42 d5 25 in ccm 3 S-3 Name, Alter, 5 : SEE ES Ir f ä „.3 | Einzelinspiration 2) le SH Körpergewicht, Athmungstypuss | 8 ol : = = ER 2 lee se 55 | Ernährungszustand = = ae else las AR = sa|ls5 | 2E8|s5 Fi = is 23 se Si Sol 2 S = As An ED Aa = = NN 1 Margarethe St., Ruhige Athmung 92. — 73377 714867 745 1 Mon., 3600 sm. im tiefen Schlaf Gesundes Brustkind Hermann Z., Ruhige Athmung 7 oe 1153 | 43 1 Mon., 3500 &, im tiefen Schlaf Künstlich genährtes, blasses, mässig ab- gemagertes Kind Marie B., Ruhige Athmung a | A 2 3A A 3 Mon., 4600 EL im tiefen Schlaf Gesundes Brustkind desgl. Bao se As Ruhige Athmung, 7 — | — || — — 57 bisweilen durch Bewegungen beein- flusst, wachend Walther K., Ruhige Athmung 61 — | 6% | — | 2470 1737 5 Mon., 5200 em, wachend Ziemlich gut . a ante Könd Unruhige Athmung | 13 | 200 | 61 — | 2510 | 41 © wachend Georg L., Ruhige Athmung | 10 | — || 73 | — | 1985 | 27 6 Mon., 4350 em, wachend Ziemlich mageres, muskelkräft. Kind Erich F., Ruhige Athmung 8 60 || 51 30 | 1836 | 36 6 Mon., 4520 &=., im tiefen Schlaf Künstlich genährtes, blasses, muskel- schwaches Kind Gertrud M., Ruhige Athmung 7 | 220 | 89 | 70 | 20380 | 23 7 Mon., 7700 Eu: im festen Schlaf Gesundes Brustkind Ruhige Athmung, 7 | 220 | 87 | 40 | 2298 | 26 obwohl das Kind mehrere Male aus dem Schlaf erwacht Unruhige Athmung | 10 | 220 | 86 || 60 | 2226 | 26 bei leichtem Schlaf, einmal durch Er- wachen unter- brochen UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ÄTHMMNGSGRÖSSE DES Kınpks. 115 1 2 3 A 9 Sa „8 | Grösse der Athmung 8 SB 25 in cem 5 ee Name, Alter, 5 Sa SER TREE s5 Ze : „= | Einzelinspiration : «>= ss Körpergewicht, Athmungstypus | 8, e = u a A ri A 3 5 Ernährungszustand 553 2 3|38 2 = = Ba De Strelle = ee ) = se Is | ss. | 52 o a8 se AREISPlas|ce| 2 |IS®E 13 | Reinhold W, | Ruhige Athmung | 5 | 80 | 58 | 40 | 3162 | 58 7 Mon., 6750 sm, wachend 14 er Unruhige, durch 51, 70 || 66 || 40 | 3520 | 53 nährungszustande KorperDawegunzen beeinflusste Ath- mung, wachend 15 Ruhige Athmung 5 80 | 75 ||. 60 | 3600 | 48 wachend 16 Luise Sch., Ruhige Athmung 5 - 76.||.,—. |.3172 || 42 1 Jahr, 7000 erm, im festen Schlaf | Künstlich genährtes, 17 gesundes Kind desgl. 9 —_ 80 | — 2370 36 18 Gustav T., Ruhige Athmung | 11 | 400 | 136 | 60 | 3935 | 29 2 Jahre, 12.000 em, im tiefen Schlaf en Ruhige Athmung , — | 126 | — 5087 | 41 nd 5 unmittelbar nach | dem Erwachen. | | 2 Einige Minuten — || 124 | — | 4783 | 39 nachher leichter | | Schlaf II. Rubrik: Kinder über 2 Jahre. 20 Ida N., Ruhige Athmung | ıT | — || 125 | — | soss | 35 4°), Jahre, 15-3. im festen Schlaf 21 a Ruhige Athmung | 8 | — |122 | — | 3709 | 30 8 wachend 22 Anna J., Ruhige Athmung | 11 | 540 || 149 | 70 | 3986 | 26 51, Jahre, 19 8 wachend 23 Ir a Ruhige Athmung (| 6 | 540 | 174 | 70 | 4057 | 23 nach Aufforderung, 24 langsam zu athmen 5 400 || 245 || 100 | 5335 22 25 Ruhige Athmung 5 — || 148 | — | 4251 | 29 wachend | desgl. — 147 || — | 3692 | 25 | Abwechselnd 410 | 258 || 120 | 4378 17 | aa in 160 | 135 | 40 | 3740 | 28 ewöhnliche Ath- | 5 nahe, 460 262 1140 | 4823 | 17 27 Verlangsamte 6 — | 194 | — | 3841 | 20 ruhige Athmung 116 KoNRAD GREGOR: 1 2 ai 5 &n 2,8 Grösse der Athmung as a5 235 in cem 3 ee Name, Alter, 37 — 35 zn ! „.& | Einzelinspiration Ei ie 8 Körpergewicht, Athmungstypus | „, — —- = 5 = kein o || ve 55 Ernährungszustand 5 #3 |3# 3. = 3 D= salas>|2 325 En SION MS 2 | 3.4 "© = 2 = en Se Eile SE = Si a |SH 28 Georg K., Ruhige Athmung 5 | 420 |) 214 || 150 | 5671 | 27 7 Jahre, 14°], *. wachend Sehr magerer, aber £ 2a, mnskelirkftiger desgl. 5 | 360 | 211 || 160 | 5808 | 28 K 30 Led desgl. 12 | 580 | 247 | 80 | 6447 | 26 nach: Aufforderung, langsamer zu athmen 31 Rosa W., Ruhige Athmung | 15 | 260 | 167 ' 120 ! 4525 | 27 7 Jahre, 19 ke, wachend Gesundes Kind mit 32 gut entwickelter desgl. 10 | 190 || 168 ıı 130 | 4623 28 Museculatur und | a desel. 5 | 340 || 164 | 100 | 3989 | 24 polster 2 34 Ruhige Athmung 9 | 300 || 168 || 120 | 3535 21 im Schlaf 35 Tiefe. Athmung 5 | 660 | 270 || 150 | 7088 | 26 nach dem Er- wachen 36 Ruhige Athmung 5 | 280 | 200 || 100 | 5400 | 27 beim Uebergang ea = Bilaa |28 vom wachen in schlafenden Zu- stand 37 Martha M., Ruhige Athmung | 21 | 400 || 252 || 150 | 4441 | 18 7 Jahre, 17 ke, wachend Gesundes Kind. Br 38 | gutes Fettpolster, desgl. 7 | 340 || 277 | 150 | 5152 | 19 gut entwickelte 39 Museulatur desgl. 6 | 500 || 316 | 240 | 4515 14 40 desgl. 13 | 600 | 231 80 | 4458 19 41 Ruhige Athmung 5 | — [189 || — | 6048 | 23 bei Uebergang in Schlaf 42 Ruhige Athmung 6 | 340 | 258 | 70 | 5332 | 21 wachend 43 Ruhige Athmung | 11 | — | 217 | — | 5544 | 26 bei Uebergang von leichtem in tiefen Schlaf UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ÄTHMUNGSGRÖSSE DES KInDeEs. 117 Dlfenı wies 9 1 2 3, 4 5% a: Grösse der Athmung ı® =: ss in cem 5 = 53 Name, Alter, D BE RESTE : er 27 3 | .& | Einzelinspiration : «a Dun Körpergewicht, Athmungstypus | 3 i = ä ‚= Se rg = ‚“ | ED Sa long z =. 35 | Ernährungszustand 5 238 2 = De sajlaales lH ZauD = - & 3 2 © S3.g = © = = 2 58 Sin SE AZ ei 2 |S®S 44 Erich G., Ruhige Athmung | 17 | 1355 | 91 | 75 | 2760 | 31 7 Jahre, 18 ®. wachend | | Graeil gebauter, (erste Untersuch.) | | 45 u Ruhige Athmung | 19 | — |163 | — | 4702 | 29 | 8 wachend | 6 desgl. 12 | 200 | 154 | 90 | 4853 | 28 47 | desgl. nach Auf- | 7 | 230 | 165 || 130 | 4249 | 26 | forderung, lang- | | | samer zu athmen | | | 48 Ruhige Athmung 9 | 510 || 181 | 160 | 4512 | 25 49 | desgl. nach Aufford., | 6 | 700 || 382 | 160 | 6379 | 17 | tiefer zu athmen | 50 Else W., Ruhige Athmung 7 | — [211 || — | 4991 | 124 8 Jahre, 23-3 Es, wachend | Ziemlich mageres, | Ik: | | 51 ziemlich muskel. | desgl. nach Aufford.,| 7 | 450 | 200 | 120 | 5400 | 27 tiefer zu athmen | schwaches Mädchen | | 52 Ruhige, willkürlich | 5 | 800 || 276 || 180 | 4959 18 verlangsamte Athm. | 53 Ruhige Athmung | 5 | 240 | 196 | 180 | 4449 | 23 wie gewöhnlich | | | 54 Hedwig M., Ruhige Athmung | 13 | 370 | 177 | 70 | 3860 | 22 9 Jahre, 22 ke. wachend | Gesundes Kind, | Yertiefte Athmung | 5 | 740 | 501 | 156 | 5708 | 11 55 Kae ze kräftig, gut genährt, 56 nicht fett Ruhige Athmung 5 | 700 || 417 || 100 | 4457 | 11 nach Metronom 10 57 desgl. nach Metr. 15 | 6 | 400 || 230 ı 80 | 3721 | 16 58 Langsame, tiefe 5 [1000 || 770 || 250 | 6910 | 9 Athmung nach Auf- forder., so langsam wie mög]. zu athmen 59 desg]. 5 |1080 ||) 799 || 730 | 6792| |8—9 60 desgl. 7 | 900 || 580 || 220 | 5494 b) 61 Ruhige Athmung, 5 | — [201 | — | 221 | 21 allmählich verlang- samt. Metronom 20 62 Metronom 15 8 | 560 || 294 || 200 | 4492 15 63 Metronom 15 6 | 370 || 187 || 180 | 3143 17 . 64 Metronom 13 5 | 880 || 344 | 300 | 4472 13 65 Metronom 16 7 , 440 | 239 | 150 | 4469 19 118 KOoNRAD GREGOR: ÜBER DIE ATHMUNGSGRÖSSE DES KINDES. 3 — | 1 2 3 rare & 8 u: Grösse der Athmung 48 a5 25 in ccm os ga, Name, Alter, ar ‚a. E a | Körpergewicht, = = | Einzelinspiration 5 <> aa Athmungstypus Sie = = a Be Ernährungs- "a|8 2 |2 04 = = 5D tand Se FE 23 2 3 = Ze En zustan 32 SE 35 a = Eu a = 7) ja] Aa | gm m NN 66 Frieda H., Rubige Athmung 9 | 850 || 285. | 80 | 4914 | 17 12 Jahre, 29 Es, wachend Gesundes, 3 desgl. 8 | 900 || 320 | 190 | 4992 | 16 68 |nährtes Mädchen | Willkürlich verlang- 5 | 890 || 608 || 290 | 5411 9 samte Athmung 69 Richard K., Ruhige Athmung 5 | 440 || 245 || 130 | 4955 230 12 Jahre, 24 Leer wachend 70 , Gesunder, ziem- desgl. 5 | 350 || 215 || 170 | 3698 | 17 lich kräftiger, gut 71 | genährter Junge desgl. 9 | 570 || 248 | 100 | 4712 | 19 12 desgl. 5 | 430 |) 247 | 140 | 4250 17 13 desgl. T | 630 | 218 || 160 4861 | 22 74 desgl. 12 | 520 || 241 | 150 | 4262 18 75 desgl. T | 420 | 225 || 150 | 56835 25 76 desgl. 10 | 700 || 191 110 | 3249 17 Ba Athmet auf Verlangen 5 | 480 || 250 || 160 | 4028 | 17 tiefer, aber im glei- chen Rhythmus wie in Beob. 147 78 Athmet wie gewöhn- 5 | 730 | 262 || 130 ı 4127 16 lich, aber im gleichen Rhythmus wie in Beob. 147 und 148 79 Mässige Verlang- 5 | 630 | 404 |) 150 | 6617 | 16 samung der Athmung durch Metronom 15 80 Metronom 10 6 |, 580 |) 411 | 150 | 5294 | -12 81 Metronom 20 5 | 380 || 252 || 130 | 5805 | 23 82 Ruhige Athmung, will-| 6 1000 || 530 | 250 , 5194 | 10 kürlich stark verlangs. 83 desgl. 5 ! 600 | 415 || 220 ' 4235 10 84 desgl. 6 | 970 | 721 | 190 | 4542 6 85 desgl. 5 | 550 || 250 || 130 | 4750 1L% 86 desgl. | 7 | 410 || 318 || 240 | 4107 13 87 Marie A., Ruhige Athmung 11 | 930 || 175 | 80 | 4113 | 24 13 Jahre, 24-758. wachend 83 | Mageres, blasses, | Ruhige Athmung nach | 6 | 900 | 611 | 340 | 3727 | 6 muskelkräftiges | Aufforder., so langsam | Mädchen wie möglich zu athmen | 89 Uebergang zum ge- 6 | 650 | 225 || 100 | 3825 | 17 wöhnlichen Rhythmus 90 der Athmung | 5 | 360 || 181 60 | 4525 25 Die Permeabilität von Leukocyten und Lymphdrüsen- zellen für die Anionen von Natriumsalzen. Von H. J. Hamburger und H. J. van der Schroeff. Einleitung. Die Frage, ob und wie weit thierische Zellen permeabel sind für be- stimmte Substanzen, wurde zuerst an rothen Blutkörperchen studirt, und was bis jetzt dabei gefunden wurde, lässt sich folgender Weise zusammen- fassen. Es giebt Substanzen, für welche die Blutkörperchen leicht permeabel sind und die, zu dem Blute hinzugefügt, sich gleichmässig über Blut- körperchen und Umgebung vertheilen. Diese Stoffe selbst kann man wieder in zwei Gruppen eintheilen: eine, welche beim Eindringen in die Blut- körperchen dieselben zerstört, wie (NH,)Cl, Gallensäuresalze u. s. w.; eine zweite Gruppe, welche die Blutkörperchen vollkommen unversehrt lässt, wie Ureum. Ueber das Verhalten dieser beiden Gruppen hat nur wenig Meinungs- verschiedenheit geherrscht; wohl aber über eine Kategorie von Substanzen, zu welcher die Alkalisalze gehören. Die Litteratur über diesen Gegenstand ist im Aufsatz von Hamburger und van Lier! eingehend besprochen worden. Was die Permeabilität von anderen thierischen Zellarten anbelangt, so ist das Studium derselben ebenso von dem Einen von uns? in Angriff genommen worden. Die betreffenden Untersuchungen beziehen sich auf Leukocyten, Lymphzellen, verschiedene Epithelarten und behandeln theil- weise den Einfluss von Kohlensäure und von Spuren Alkali und Säure auf 1 Hamburger und van Lier, Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 492. ® Hamburger, Zbenda. 1897. Physiol. Abthlg. 8. 189, 120 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: die weissen Blutkörperchen, und weiter den Einfluss von Salzlösungen auf das Volumen sämmtlicher genannten Zellen.! Im Allgemeinen hat sich bei den Untersuchungen über die weissen Blut- körperchen herausgestellt, dass dieselben sich gegenüber Kohlensäure, Spuren von Alkali und Säure vollkommen analog wie die rothen Blutkörperchen ver- halten. Sie schrumpfen durch hyperisotonische und quellen durch hypiso- tonische Lösungen. Leitet man durch eine Suspension von Leukocyten in Serum oder in Lymphe Kohlensäure, so quellen die Zellen, während in der umgebenden Flüssigkeit der Alkaligehalt steigt. Genau dasselbe wird herbei- geführt durch Zufügung von Spuren Schwefelsäure oder Salzsäure zu dieser Aufschwemmung, während Spuren von Alkali das Entgegengesetzte ver- anlassen. Genau dieselben Erscheinungen also, welche auch die rothen Blutkörperchen zeigen. Bei dieser grossen Uebereinstimmung zwischen rothen und weissen Blutkörperchen, eine Uebereinstimmung, welche sich selbst so weit erstreckte, dass die procentische Volumenverminderung durch hyperisotonische Flüssig- keiten bei beiden Zellarten desselben Thieres sich vollkommen gleich zeigte, lag es auf der Hand, die neuen Untersuchungen, welche über die Permeabilität der rothen Blutkörperchen ausgeführt wurden, zu gleicher Zeit für die weissen anzustellen. Es galt namentlich die Frage, ob, ebenso wie sich das für die rothen Blutkörperchen durch vorläufige Versuche bereits heraus- gestellt hatte, auch die weissen und die Lymphdrüsenzellen für Cl, SO, und NO, permeabel sein würden. Was das Chlor betrifft, war für diese Substanz schon lange von dem Einen von uns? festgestellt; dass sie in die rothen Blutkörperchen eindringen konnte. Hier galt es nun, dieselben Erscheinungen womöglich auch an den weissen Blutkörperchen und den Lymphdrüsenzellen festzustellen. Diese Aufgabe, an weissen Blutkörperchen zu untersuchen, was sich bei den rothen herausgestellt hatte, bezweckte nicht nur, bei eventueller Ueber- einstimmung, den Erscheinungen eine allgemeinere Deutung beilegen zu können, sondern auch controliren zu können, in’ wie weit die bei den Erythrocyten und bei den Lymphdrüsenzellen gefundenen Thatsachen auch für das Leben Gültigkeit besitzen; denn führte man dieselben Versuche, welche bei den rothen Blutkörperchen und den Lymphdrüsenzellen an- gestellt waren, auch bei den weissen aus, und zeigte es sich am Ende, dass die letzteren noch Kohlenstoffpartikelchen aufzunehmen im Stande waren, so war man berechtigt, daraus zu schliessen, dass die Manipula- tionen das Leben der Zellen nicht vernichtet hatten. " Hamburger, Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. 8. 317; 1899. Suppl. S. 9; 1900. 8.431. ® Derselbe, Zeitschrift für Biologie. 1891. 8. 405. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 121 Bei unseren Betrachtungen haben wir uns, ebenso wie Koeppe das auf Grund von Gürber’s! Versuchen für rothe Blutkörperchen gethan hat, auf den Standpunkt gestellt, dass unsere Zellen nicht permeabel sind für Metalle, so dass es sich hier nur um die Frage handelte, ob sie permeabel waren für die Säureradicale, oder besser gesagt, für die Säureionen. Bekanntlich ist nach der Theorie der elektrolytischen Dissoeiation jedes Salz in wässeriger Lösung ganz oder theilweise gespalten in seine Ionen; in elektropositive und elektronegative. Der elektropositive Theil des Salzes (Kation) wird in den gewöhnlichen Fällen durch das Metall gebildet, während der elektronegative Theil dem Säureradical zugehört und Anion genannt wird. So ist NaCl in wässeriger Lösung gespalten in das Kation Na und das Anion Cl; in K,CO, sind K, die zwei Kationen, während CO, das Anion darstellt. Na und K sind einwerthige positive Ionen, Cl ist ein einwerthiges elektronegatives Ion; CO, dagegen ist ein zweiwerthiges elektronegatives Ion. Denkt man sich nun eine Zelle, welche in ihrer intracellulären Flüssig- keit K,CO, enthält, mit einer NaCl-Lösung umgeben, so wird, wenn das Protoplasma für die electronegativen CO,- und Cl-Ionen permeabel ist, eine Auswechselung zwischen diesen beiden negativen Ionen auftreten können. Es werden CO,-Ionen das Blutkörperchen verlassen und die doppelte Quantität C]-Ionen wird eintreten. Die ursprüngliche neutrale NaCl-Lösung wird alkalisch werden durch Bildung von Na,CO,, während der Gehalt an Cl abnehmen wird. Nimmt man statt NaCl Na,SO,, so wird, wenn das Zellprotoplasma permeabel ist für SO,, ebenfalls ein Austausch stattfinden können. CO, wird die Blutkörperchen verlassen und SO, wird eindringen, so dass die um- gebende Na,SO,-Lösung alkalisch wird und SO,-ärmer. Ist endlich das Protoplasma permeabel für NO,, so wird, wenn man eine Zelle mit einer neutralen NaNO,-Lösung umgiebt, diese alkalisch werden und an NO,- Gehalt abnehmen. Nach der Vorstellung, welche Koeppe bei den rothen Blutkörperchen gegeben hat, wird ein elektronegatives Ion nicht in den Leukocyt eindringen können, wenn nicht eine äquivalente Quantität anderer elektronegativer Ionen austreten kann. Der Umfang des Ein- und Aus- trittes ist beschränkt durch die Partiarspannung des einzelnen Ions inner- halb und ausserhalb der Blutzelle. Umgiebt man also ein weisses Blut- körperchen mit einer isotonischen NaCl-Lösung, so wird eine Tendenz der Chlorionen ausserhalb und innerhalb der Zelle bestehen, ihre Concentration auszugleichen. Da diese Concentration ausserhalb der Zelle grösser ist als innerhalb, werden neue Ül-Ionen versuchen in die Zellen einzuwandern. Dies kann aber nur geschehen, wenn eine gewisse Menge ÜO,-Ionen die ! Gürber, Verhandl. der physik.-mediec. Gesellschaft zu Würzburg. 1895. 8. 28. 122 H. J. HAMBURGER und H. J. van DER SCHROEFF: Zelle verlässt, und auch dazu wird eine Neigung bestehen, weil ausserhalb der Zelle die Concentration dieser Ionen Null ist. In den normalen weissen Blutkörperchen ist aber die Öoncentration der CO,-Ionen geringfügig, so dass auch der Austausch mit C]-Ionen nicht ausgiebig sein kann. Um eine bedeutendere Auswechselung zu erzielen, muss man nach dieser Vorstellung den ÖO,-Gehalt in den Leukocyten vergrössern, und das ist nun sehr leicht. Man hat dieselben nur mit CO, zu schütteln. Es wird dann ein Theil ' des darin vorhandenen Alkalialbuminats gespalten unter Bildung von Albumen und Alkalicarbonat, hauptsächlich K,CO,. Auf diese Weise ist es uns in der That gelungen die Auswechselungen in so grossem Umfange stattfinden zu lassen, dass dieselben durch quanti- tativ chemische Analysen mit vollkommener Sicherheit nachzuweisen waren. Obgleich wir uns bei unseren Experimenten durch hypothetische An- schauungen haben leiten lassen, so sei hier doch mit Nachdruck hervor- gehoben, dass die Versuchsresultate davon ganz unabhängig sind und ihren thatsächlichen Werth vollkommen beibehalten werden, wenn die auf der Ionenlehre begründeten Vorstellungen hinfällig werden möchten; denn wenn sich aus quantitativ chemischen Analysen herausstellt, dass Chlor, SO, und NO, in die Zellen eindringen, so wird darin nichts geändert, ob sie das thun als Ionen oder als Säureradicale, oder selbst als Salze. Wir schreiten jetzt zu unseren Untersuchungen. Erst behandeln wir die weissen Blutkörperchen und dann die Lymphdrüsenzellen. Von beiden Zellarten besprechen wir die Art der Gewinnung und die Permeabilität für Cl, SO, und NO,, um dann endlich noch kurz die Versuchsergebnisse über Permeabilität für andere Ionen mitzutheilen. | : Eine zusammenfassende Uebersicht wird die Arbeit schliessen. A. Weisse Blutkörperchen. Methode der Gewinnung. Die weissen Blutkörperchen können nach verschiedenen Methoden ge- wonnen werden. 1. Indem man defibrinirtes Pferdeblut sich selbst überlässt, die rothen Blutkörperchen sich zu Boden senken lässt und die weisse, trübe Flüssig- keit abhebt. Dieselbe enthält fast alle weissen Blutkörperchen und einige rothe. Sie wird centrifugirt und die klare Flüssigkeit bis auf einen kleinen Theil abgehoben. Vermischt man nun den Bodensatz mit dem zurück- gebliebenen Serum, so senken sich nach einiger Zeit die darin vorhandenen rothen Blutkörperchen zu Boden. Wieder hebt man nun die weisse, stark trübe Flüssigkeit ab, centrifugirt dieselbe wieder u. s. w., bis man endlich nach zwei- oder dreimaliger Wiederholung eine Aufschwemmung von lauter PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 123 weissen Blutkörperchen bekommt. Diese Methode ist etwas umständlich und hat auch den Nachtheil, dass man sehr grosse Quantitäten Blut be- arbeiten muss, um eine relativ geringe Menge weisser Blutkörperchen zu bekommen. 2. Eine wohl bekannte Methode ist auch die, wobei man eine steri- lisirte Aufschwemmung von Aleuronat in die Pleurahöhle einspritzt; dieses ‘ Verfahren ist, soweit uns bekannt ist, bis jetzt nur bei kleinen Thieren, wie Kaninchen und Hunden, ausgeführt worden. Für unseren Zweck war aber die dabei erhaltene Quantität zu gering. Daher haben wir dieselbe Methode bei Pferden in Anwendung gebracht. Von einem flüssigen Exsudat war hier aber nicht die Rede, man fand nur einen Belag auf der Pleura, welcher ausserdem mit Aleuronatkörnerchen vermischt war. Versuche, bessere Resultate zu bekommen, haben wir nicht angestellt, zumal weil sich die dritte Methode viel bequemer zeigte. 3. Nach dieser Methode gewinnt man die weissen Blutkörperchen einfach durch Entleerung von Exsudat bei einem Patienten; als solcher ist ein grosses Hausthier, z. B. Pferd oder Rind, am besten geeignet. Ge- wöhnlich benutzten wir Exsudat des Pferdes. I. Die Permeabilität der weissen Blutkörperchen für Cl. Um die Durchgängigkeit der weissen Blutkörperchen für Cl-Ionen zu untersuchen, haben wir uns, wie gesagt, der von Koeppe für die Permea- bilität rother Blutkörperchen aufgestellten Hypothese angeschlossen, dass diese negativen Ionen nur dann in die Zelle eindringen können, wenn eine äquivalente Quantität anderer negativer Ionen die Zelle verlässt. In der Hauptsache kommen dafür die CO,-Ionen in Betracht. Je mehr von diesen CO,-Ionen in den weissen Blutkörperchen vorhanden ist, in desto aus- gieberigem Maasse kann, wenn eine gewisse Concentration von Cl-Ionen in der die Leukocyten umgebenden Flüssigkeit vorhanden ist, der Austausch stattfinden. Nun hat man es in der Hand, die Quantität der in den Leukoeyten vorhandenen CO,-Ionen bis zu einem gewissen Grade nach Willkür zu regeln. Man hat nur die Zellen dem Einfluss von CO, zu unterwerfen. Es wird dann darin das vorhandene Alkalialbuminat zersetzt . unter Bildung von Alkalicarbonat und Albumen. Dieses Alkalicarbonat ist nun jedenfalls theilweise gespalten in freie Metallionen und freie ÖO,-Ionen. Wir stellen uns nun den Gang des Processes so vor, dass, wenn weisse Blutkörperchen, nachdem dieselben mit Traubenzuckerlösung aus- gewaschen sind, mit einer isotonischen NaCl-Lösung vermischt werden, Cl-Ionen in die weissen Blutkörperchen einwandern, CO,-Ionen dagegen aus denselben austreten. 124 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: Es lässt sich also nach dieser Vorstellung erwarten: 1. Eine Abnahme des Chlorgehaltes. 2. Alkalisch werden der NaCl-Lösung. Wir wollen jetzt ein Experiment ausführlich beschreiben, über die anderen können wir dann kurz sein. Versuch 1. Zellenreiches Exsudat wird, vermischt mit einer zehnfachen Quantität einer mit dem Blutserum etwa isotonischen Traubenzuckerlösung (4-15 Proc.), centrifugirt, die obere Flüssigkeit wird entfernt und auf’s Neue ersetzt durch dieselbe Quantität Traubenzuckerlösung, und diese Manipulation noch zwei Mal wiederholt. Auf diese Weise sind die Zellen vollkommen von Bestand- theilen ihres ursprünglichen Mediums befreit, denn die Traubenzuckerlösung reagirt neutral, enthält kein Chlor und kein Eiweiss. Jetzt wird die nach Centrifugirung abgeschiedene Traubenzuckerlösung entfernt und ersetzt durch Na0l-Lösung. Das Volumen der Zellen betrug 5“"; die hinzugefügte NaCl-Lösung 16°". Beide werden sorgfältig vermischt und von der Sus- pension 10 °® gebracht in eine diekwandige, 20 °” fassende und mit Kohlen- säure gefüllte Eprouvette und 10° in ein anderes gleich grosses Röhrchen, welches nieht mit CO, gefüllt ist. Von beiden Aufschwemmungen A und 5 werden 0-08" abgemessen und übergebracht in trichterförmige Capillar- röhrchen. Nach Centrifugirung wird festgestellt, dass das Volumen der Zellen aus der mit CO, behandelten Suspension A 00104 «m betrug, das Flüssigkeits- volumen also 0-0696 ®. Die Zellen aus der nicht mit CO, behandelten Suspension B besitzen ein Volumen von 0-012 «®, die Flüssigkeit also ein Volumen von 0-068 m, Was die Röhrchen selbst betrifft, so findet man diese beschrieben im „Journal de Physiologie et Pathologie generale. ! Hier sei nur erwähnt, dass dieselben aus einem unten zugeschmolzenen, diekwandigen Capillarrohr bestehen, welches 0.04 °® enthält und in 100 Theile genau kalibrirt ist. An dieses Capillarrohr ist ein 3°" fassender, trichterförmiger Theil angeschmolzen. Die Reinigung dieser Röhrchen macht keine Schwierigkeit. Der Inhalt des capillaren Theiles nämlich wird nach dem Versuche mit destillirtem Wasser mit Hülfe eines dünnen Fisch- beins vermischt, dann wird der Inhalt des Trichters ausgegossen, weiter von Neuem destillirtes Wasser in den trichterförmigen Theil gebracht, u. s. w. Die Entfernung des destillirten Wassers aus dem trichterförmigen Theile ist sehr leicht; man braucht nur das Röhrchen umzukehren, in die ' Hamburger, Journal de Physiol. et de Pathol. generale. 1900. p. 889. PERMEABILITÄT von LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 125 Centrifuge zu setzen und innerhalb einiger Minuten ist dasselbe vollkommen trocken. Inzwischen ist die Hauptmasse der Suspensionen A und 2 centrifugirt worden, und bald lässt sich die klare Flüssigkeit abheben und für die Alkalibestimmung sowie für die Chlorbestimmung verwenden. Alkaligehalt. .Die Alkalibestimmung geschieht so, dass man 5°“ der beiden abcentri- fugirten Flüssigkeiten mittels Pipette abmisst und so lange !/,,normal HNO, zutropfen lässt, bis durch einen Tropfen des Gemisches Lacmoidpapier sich zu röthen anfängt. Im vorliegenden Fall brauchen 5°" der Suspension A 04m !/, normal HNO, und 5° der Suspension 3 0-15 m !/, normal HNO,. Um jedoch ein Urtheil aussprechen zu können betrefls eines quantitativen Unterschiedes zwischen dem Alkaligehalt in den beiden Fällen, hat man zwei Sachen Rechnung zu tragen. 1. Dass, um die Reaction auf Lakmoidpapier hervorzurufen, immer ein gewisses Uebermaass von Salpetersäure nothwendig ist. Wie gross dieses Uebermaass sein musste, war leicht zu ermitteln. Hierzu haben wir 5°” einer Chlornatriumlösung abgemessen und nur so viel einer !/,„normal HNO,-Lösung zutropfen lassen, bis die erste Röthung des Lakmoidpapieres auftrat. Hierfür brauchen wir 0-1”. Folglich betrug der Alkaligehalt von 5°® Flüssigkeit 4 0-5 °w 1/, normal HNO, und der Alkaligehalt von 5 “= Flüssigkeit Z 0-05", 2. Hat man zu bedenken, dass, wie aus den soeben erwähnten Ver- suchen in den Capillarröhrchen hervorgeht, in den beiden Suspensionen das Volumen der Flüssigkeiten nicht dasselbe geblieben ist, und dass bereits diese Ungleichheit einen Unterschied im Alkaligehalt herbeiführt. Um genannten Einfluss zu eliminiren, hat man die für den Alkali- gehalt von 5°” Flüssigkeit A gewonnene Zahl (0-3) mit einem Factor zu multipliciren. Dieser Factor beträgt hier ee Thut man das, so ergiebt sich, dass der Alkaligehalt in der Flüssigkeit von der mit CO, behandelten Suspension A beträgt 0°307, und von der nicht mit CO, behandelten Suspension 3 0.05 = 1, normal HNO,. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die normalen nicht, mit CO, behandelten Leukocyten die NaCl-Lösung schwach alkalisch machen; die mit CO, behandelten führen eine starke alkalische Reaction herbei. 126 H. J. HAMBURGER uNnD H. J. VAN DER SCHROEFF: Chlorgehalt. Für die Bestimmung des Chlorgehaltes benutzen wir dieselbe Flüssigkeit, welche wir für den Alkaligehalt anwandten. Zu den betreffenden Flüssig- keiten werden 10°” einer gesättigten, chlorfreien Ammoniumsulfatlösung hinzugefügt (um eventuelle Spuren von Eiweiss zu entfernen); dann wird, während die Flasche geschlossen ist, in einem Wasserbade erhitzt, abgekühlt und filtrirt. 10°°m des Filtrates werden mit 10 = !/ normal AgNO, und 5 em concentrirter Salpetersäure versetzt, der Niederschlag abfltrirt und 20 «m von diesem Filtrat nach Hinzufügung von 5 °" concentrirter Sal- petersäure und drei Tropfen Ferrinitrat mit !/,, normal KCNS titrirt (nach Volhard). Im vorliegenden Fall brauchen 20°» des Filtrates von A 5.4 m / „normal KCNS. Berechnen wir dasauf die ursprüngliche Flüssigkeit von Aufschwemmung 4A, so ergiebt sich, dass 5°” davon entsprechen 4-875 cm !/. normal AgNO,. 20 °°® des Filtrates von 5 brauchen 5-1" !/ , normal KCNS, 5 cm der ursprünglichen Flüssigkeit von Aufschwemmung 2 stimmen also mit 5.438 m 1/ , normal AgNO,. Natürlich hat man auch für diese Zahlen die soeben besprochene Cor- rection mit Rücksicht auf die Volumenverhältnisse anzubringen. Somit wird die Zahl für die Flüssigkeit von Aufschwemmung A 4-875 x —_ — ee) En !/ normal AgNO,, und unterliegt es also keinem Zweifel, dass die Flüssig- keit der mit CO, behandelten Suspension A weniger Chlor enthält als die Flüssigkeit der nicht mit CO, behandelten Sus- pension B; dass also unter dem Einfluss von CO, Chlor in die Blutkörperchen eingedrungen ist. Auf gleichartige Weise sind nun noch andere Versuche ausgeführt worden, von denen wir hier die Resultate kurz mittheilen wollen. Versuch 2. Eiter, wiederholte Male ausgewaschen mit Pferdeserum, bis alle Körnchen entfernt sind und eine reine Aufschwemmung von Zellen in Serum erhalten ist; das Serum abcentrifugirt und ersetzt durch eine 1 procentige NaCl- Lösung. In 15°" der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 3°°m Zellen vorhanden. 7m Aufschwemmnng werden geschüttelt mit 14 = CO, und 7 “® nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5 °“® genommen; von diesen wird erst der Alkaligehalt bestimmt mittels einer !/,, normal HNO,-Lösung und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Chlorgehalt. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 127 Aus der folgenden Tabelle ist das Versuchsresultat zu ersehen. Spalte I giebt die Suspension” an. Spalte II erwähnt, wie viel Cubikcentimeter !/,, normal HNO, nöthig waren, um 5°m Flüssigkeit der in Spalte I genannten Suspension zu sättigen, oder besser gesagt, um die Reaction auf Lakmoidpapier herbeizuführen. Spalte III enthält die Quantität !/,, normal AgNO,, welche erforderlich war, um das Chlor von der unter II gesättigten Flüssigkeit zu binden. Spalte IV giebt das relative Volumen der Flüssigkeit in den beiden Sus- pensionen an. I II | II IV Flüssigkeit in 5 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-16 «m !/,,n. HNO, | 7-64 m1/ ‚n.AgNO, 62-25 der mit CO, geschüt- telten Zellen 0:28 „ hs 5 ea nes © 62-5 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, werden diese Ergeb- nisse folgende: 5 cm Flüssigkeit | "Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen 0-06 m ı/,,n. HNO, | T-64cm on. AgNO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0-18, ER) En 730, ER) DB Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure Chlor in die Leukocyten eingedrungen ist, und Alkali dieselbe'n verlassen hat. Versuch 3. ° Eiter, aus einem frischen Abscesse eines Pferdes, wiederholte Male aus- gewaschen mit einer mit Serum isotonischen Traubenzuckerlösung, also 4.15 Procent, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in Glykose er- halten ist; die Traubenzuckerlösung abcentrifugirt und ersetzt durch eine 1 procentige NaCl-Lösung. In 15°® der auf diese Weise erhaltenen Auf- schwemmung sind etwa 4 “” Zellen vorhanden. 7 m Aufschwemmung werden geschüttelt mit 14 “® CO, und 7 nicht; beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5 “" genommen, von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,, normal HNO, bestimmt und von der also er- haltenen neutralen Flüssigkeit der Chlorgehalt. 128 H. J. HAMBURGER uNnD H. J. VAN DER SCHROEFF: Das Resultat ist: a! a NEFAD NY Mm HOREN hü Fi Ei: £ IVoaR | Flüssigkeit in 5 «m Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt ı gleichen Volumina | der Suspensionen der normalen Zellen | 0-12 !/,n. HNO, 7.9geem 1) .n.AgNO, 55-6 der mit CO, geschüttelten Zellen 02 „ » Vo »» 56 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 ccm Flüssigkeit Alkaligehalt | Chlorgehalt der normalen Zellen 0-02 = !/,,n. HNO, 7.93 cn WANN, der mit CO, geschüttelten Zellen 0-10 » „ Er) | 7-49 ER) ER) ER) Aus diesen Versuchen geht hervor, dass unter dem Einfluss von CO, Chlor in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali die- selben verlassen hat. Versuch 4. Eiter, aus demselben Abscesse genommen, wie voriges Mal, ausgewaschen mit 4-15 procent. Traubenzucker, bis eine reine Aufschwemmung von weissen Blutzellen in Glykose erhalten ist; die Traubenzuckerlösung centrifugirt und durch eine 1 procentige NaCl-Lösung ersetzt. In 21 °” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 5 ” Zellen vorhanden. 10° Aufschwemmung werden geschüttelt mit 15° CO, und 10 m nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5 genommen, von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,, normal HNO, bestimmt und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Chlor- gehalt. . Das Resultat ist: I Dear IH Iv | Flüssigkeit in 5 m Flüssigkeit Alkaligehalt | Chlorgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-1 «= 1, n. HNO, | 7.73 m 1/ ,n.AgNO, 17-5 der mit CO, geschüttelten Zellen |0-18, TAB Un 5 17-75 PERMEABILITÄT von LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 129 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte II, sind die Ergebnisse folgende: 5 m Flüssigkeit | Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen 0 TTS DA AENO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0.08 cm 15, n. HNO, 7.58 9 ” ” Auch aus diesen Versuchen geht hervor, dass unter dem Einfluss von CO, Chlor in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Wir wünschen jetzt zu untersuchen, in wie weit die in den kohlensäure- reichen weissen Blutkörperchen herbeigeführten Veränderungen wieder auf- gehoben werden können durch Vertreibung von CO,, also inwieweit der Process ein umkehrbarer ist. Umkehrbarkeit des Processes. Versuch 5. Eiter, verschiedene Male ausgewaschen mit 4-15 Procent Traubenzucker, bis eine reine Aufschwemmung von weissen Blutkörperchen in Traubenzucker erhalten ist; diese Lösung abcentrifugirt und durch eine 1 procentige NaCl- Lösung ersetzt. In 31°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 7°” Zellen vorhanden. 10 °” Aufschwemmung werden ge- schüttelt mit 7 m CO,; 10°” erst mit 7°® CO, geschüttelt und darnach mit Luft, indem man von Zeit zu Zeit den Stöpsel von dem Glasrohr ab- nimmt und die Luft zutreten lässt, wodurch das CO, entfernt wird. 10° Aufschwemmung werden nicht mit CO, geschüttelt. Die drei Röhren jetzt centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 7 “" genommen; von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels '/,, normal HNO, bestimmt und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Chlorgehalt. Das Resultat ist: I Bar | ac IV Flüssigkeit in 7m Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-1 = Y/,,n. HNO, | 9.28 m 1, ,n.HNO, 88 der mit CO, geschüt- Ä telten Zellen 0-17, 5 45 8-72 ss re 89-5 der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen |0-11, , »» 9.19,» El 83-9 Archiv f, A. u, Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 9 130 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumenver- änderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 m Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen N 0 9.28 ccm Ion: AgN 0, der mit CO, | geschüttelten Zellen 0-0712 m 1/ on. HNO, 8-87 „ 2 „ der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen 0-0101 „ en M 9.28 „ 2 2 Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter dem Einfluss von CO, Chlor in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat; und dass umgekehrt nach Einwirkung von Luft Cl wieder in die Flüssigkeit zurückkehrt, während Alkali daraus verschwindet. Esist also ein umkehrbarer Process. Conelusion. Aus den vorangehenden Versuchen geht unzweifelhaft hervor, dass, wenn man CO,-reiche Leukocyten mit NaCl-Lösung in Berührung bringt, Chlor in die Zellen eintritt und CO, dieselben verlässt, so dass die vorher . neutrale. NaCl-Lösung durch Bildung von Na,CO, alkalisch wird. Weiter stellt sich heraus, dass, wenn der genannte Austausch statt- gefunden hat, Vertreibung von CO, aus der Suspension mittels Luftschüt- telung den ursprünglichen Zustand nahezu vollständig wieder herstellt; der Process ist demnach ein umkehrbarer. Es weist dies darauf hin, dass bei der Einwirkung von Kohlensäure auf die weissen Blutkörperchen keine Zerstörung stattgefunden hat, was noch weiter dadurch bestätigt wird, dass die Zellen das Ver- mögen beibehalten haben, Knochenkohlenpartikelchen bei Körpertemperatur aufzunehmen. II. Permeabilität für SO,. Um die Permeabilität für SO,-Ionen zu untersuchen, wurden ebenso wie für die betreffenden Untersuchungen über die Permeabilität für Chlor, die Zellen ausgewaschen und die Suspension in zwei Theile getheilt; der eine wurde mit CO, behandelt, der andere nicht. Nachdem beide Portionen centrifugirt waren, wurde die Flüssigkeit abgehoben und auf den Gehalt an Alkali und SO, untersucht. Ebenso wie bei den Untersuchungen über die Permeabilität des Chlors, wurde auch hier der Einfluss von etwaigen Volumenveränderungen der Zellen und auch der Einfluss der Empfindlich- PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LyMmPHDrü SENZELLEN. 131 keit des Lakmoides in Rechnung gebracht. Was übrigens die Methoden quantitativer Analysen betrifft, so können wir betreffs der Alkalibestimmung auf das vorige Capitel verweisen. Hier haben wir mitzutheilen, auf welche Weise das SO, bestimmt wurde. Hierzu wurde die Methode von Wilden- stein benutzt, jedoch mit einer kleinen Abänderung. Das Prineip des Verfahrens beruht darin, dass man die Sulfatlösung mit einem Uebermaass einer bekannten Chlorbariumlösung versetzt. Das Sulfat wird präcipitirt als BaSO,, und ein gewisses Uebermaass von freiem BaCl, bleibt zurück. Es handelt sich nun darum, die Grösse dieses Ueber- maasses festzustellen. Hierzu wird die Flüssigkeit mit einem VUebermaass von einer bekannten Kaliumchromatlösung (K,CrO,) versetzt. Alles Barium verwandelt sich dabei in chromsaures Baryt. Das übrig gebliebene chrom- saure Kali wird dann mit der bekannten BaCl,-Lösung zurücktitrirt und zwar so, dass man so lange von der bekannten BaCl,-Lösung hinzufügt, bis die gelbe Farbe verschwunden ist. Die Methode ist sehr scharf. Die Abänderung, welche angebracht worden ist, besteht darin, dass wir nicht wie Wildenstein das Bariumchromat sich freiwillig senken lassen, sondern abfiltriren. Nach unserer Erfahrung nämlich geht die Senkung zu langsam vor sich und oft sehr unvollkommen. Erwähnen wir noch, dass für die SO,-Bestimmungen die Flüssigkeit stets gebraucht wurde, nachdem das darin vorhandene Carbonat mittels Salpetersäure neutralisirt war. Damit erreichten wir einen doppelten Zweck, erstens konnten wir dieselbe Flüssig- keit, welche für die Alkalibestimmung benutzt war, auch für die SO,- Bestimmung anwenden; zweitens musste doch das Carbonat entfernt werden, weil sonst ein Theil der BaCl, für die Bindung des CO, gebraucht und auf Rechnung der SO, gestellt würde. Versuch 1. Wir wollen diesen ersten Versuch wieder etwas ausführlicher beschreiben; das braucht indessen nur zu gelten für die SO,-Bestimmung; in Anbetracht der folgenden Versuche können wir dann wieder kurz sein. Eiter wird mit 4-15 procentiger Traubenzuckerlösung wiederholte Male ausgewaschen, die letzte vollkommen neutrale Flüssigkeit nach Centrifugiren abgenommen und 1-68 procentige Na,SO,-Lösung hinzugefügt. Die Suspen- sion enthält auf 11” etwa 3°°m weisse Zellen. Von diesen 11" werden 5cem geschüttelt mit 11°” CO, und 5°" nicht; von diesen Aufschwem- mungen werden die Zellen centrifugirt. Es zeigt sich kein Volumen- unterschied. Weiter werden von den entsprechenden Flüssigkeiten Alkali- und SO,- Bestimmungen ausgeführt. 9 * 132 H. J. HAMBURGER uUnD H. J. VAN DER SCHROREFEF: Alkalibestimmung. 3.5 em Normal-Flüssigkeit von Suspension B erfordern 0.1" !/,,n. HNO.. 3.5 m der CO,-Flüssigkeit von Suspension A erfordern 0.18 Y/,,normal HNO,. Sulfatbestimmung. a) Flüssigkeit der nieht mit CO, behandelten Suspension (BD). Die nach Sättigung des Alkali erhaltene Flüssigkeit (siehe die vorige Alkali- bestimmung) wird mit 50° Wasser versetzt und gekocht; dann werden 6 °m 2.38 procentige BaCl,-Lösung hinzugefügt und wieder gekocht. Um das Uebermaass von BaCl, zu ermitteln, werden 7°” einer 2-23 procentigen K,CrO,-Lösung hinzugefügt, von der 10°" genau 10°" der BaCl,-Lösung entsprechen. Das nunmehrige Uebermaass von K,CrO, wird zurücktitirt mit BaCl,-Lösung, bis die gelbe Farbe verschwunden ist. Hierzu wird der entstehende Niederschlag von BaCrO, jedes Mal abfiltrirt durch dasselbe Filter. Um das Uebermaass von K,CrO, zu sättigen, braucht man 3.28°em BaCl,. Die Berechnung ergiebt, dass die 3.5“ Lösung 2-28 «m der BaCl,-Lösung verbraucht hat. b) Die Flüssigkeit der mit CO, behandelten Suspension (4). Diese wird auf genau dieselbe Weise titrirt mit BaCl, und K,CrO, und erfordert 2.1°® BaQl-Lösung. Aus diesen Versuchen erhellt, dass unter dem Einfluss von CO, SO, in die Zellen eingedrungen ist, während aus den Alkalibestimmungen her- vorgeht, dass unter dem Einfluss von CO, Alkali, oder anders gesagt, CO,- Ionen die Zellen verlassen haben. Eine Correction für das Volumen braucht hier nicht angebracht zu werden, weil, wie soeben hervorgehoben wurde, die Zellen unter dem Ein- fluss von CO, ihr Volumen nicht änderten. Versuch 2. Eiter von einer purulenten Entzündung beim Pferde, wiederholte Male ausgewaschen mit einer mit Blutserum isotonischen Natriumsulfatlösung, also 1-63 Procent (ohne Krystallwasser), bis alle Körnchen entfernt sind und eine reine Aufschwemmung von Zellen in Na,SO, enthalten ist; die letzte Lösung abcentrifugirt und durch neue Na,SO,-Lösung ersetzt. In 15°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 3 ““" Zellen vorhanden; 7° Aufschwemmung werden geschüttelt mit 12°” CO, und 7°" nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 4 °°® genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal HNO, bestimmt, und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Sulfatgehalt. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 133 Das Resultat ist: I Id ms mt | IV Flüssigkeit in 4m Flüssigkeit | Alkaligehalt Sulfatgehalt gleichen Volumina | der Suspensionen der normalen Zellen | 0-15 em !/,,n. HNO, 3.3 em Ball, 46-8 der mit CO, geschüttelten Zellen 0-3 „, R 5 Zelda 48-3 1 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 4 m Flüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt der normalen Zellen 0:00, em!) ,n.; HNO; 3.370 BaCl, der mit CO, | geschüttelten Zellen PEN Hr 3.26, , Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure Sulfat in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Versuch 3. Eiter, wiederholte Male ausgewaschen mit einer mit dem Blutserum isotonischen Traubenzuckerlösung, bis eine reine Aufschwemmung von weissen Blutzellen in Glykose erhalten ist; die neutrale Traubenzuckerlösung abcentri- fugirt und durch eine isotonische Na,SO,-Lösung ersetzt. In 21°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 5°” Zellen vorhanden. 10 °® Aufschwemmung werden geschüttelt mit 12 “= CO, und 10 °® nicht. Beide centrifugirt nnd von der obenstehenden Flüssigkeit je 5°” genommen. = N Sn Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal HNO, bestimmt, und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Sulfatgehalt. Das Resultat ist: I u FRE TEE SEN IV Flüssigkeit in 5 ccm Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt | gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-1 cm !/,,n. HNO, | 4-62 m Ball, 15-75 der mit CO, geschüttelten Zellen | 0-18 „ „ % 3:95 „ 4 15-9 134 H. J. HAMBURGER unD H. J. VAN DER SCHROEFF: Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: dem Flüssigkeit | Alkaligehalt Sulfatgehalt der normalen Zellen 0 4.62 m BaCl, der mit CO, geschüttelten Zellen 0.0808 cm 1/,,n. HNO, 3.99, pr Aus diesen Versuchen geht hervor, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure Sulfat in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Umkehrbarkeit des Processes. Versuch 4. Eiter einer purulenten Endometritis beim Rinde, wiederholte Male aus- gewaschen mit einer mit dem Serum isotonischen Na,SO,-Lösung, bis alle Körnchen entfernt und eine reine Aufschwemmung von Leukocyten in Na,SO,- Lösung erhalten ist; die Flüssigkeit abcentrifugirt und durch eine neue Na,SO,-Lösung ersetzt. In 31°” der auf diese Weise erhaltenen Auf- schwemmung sind etwa 6°” Zellen vorhanden. 10°” Aufschwemmung werden geschüttelt mit 7°" CO, und 10 °” ebenfalls geschüttelt mit 7°” CO,, aber dann weiter mit Luft, so dass Kohlensäure entweicht. 10°” werden nieht mit CO, geschüttelt. Die drei Aufschwemmungen centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 3°" genommen. Von .diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal HNO, bestimmt, und von der also er- haltenen neutralisirten Flüssigkeit der Sulfatgehalt. Das Resultat ist: I Mi re ER Flüssigkeit in 3 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-10 m !/, n.HNO,| 2-45 m BaCl, 64 der mit CO, geschüttelten Zellen [0-18 „ , > 220, > 64 der mit CO, und nach- Das Volumen der Zellen her mit Luft geschüt- ist bedeutend höher, telten Zellen 02 ® 230 & dies hat jedoch einen anderen Grund als Quel- lung durch CO, Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumenverände- rungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 135 gm Hlüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt der normalen Zellen 0.02: 71, 0. HNO, ; 2-45 °m BaCl, der mit CO, geschüttelten Zellen 0-1, 5 55 | 2-25 „ „ der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen 0-02 „, A ss 2-35, 3 Aus dieser Versuchsgruppe folgt, dass unter dem Einfluss von CO, Sulfat in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali die- selben verlassen hat. Durch Schütteln mit Luft hat der Alkali- gehalt wieder abgenommen, während der SO,-Gehalt wieder zu- genommen hat. Der Process ist also auch hier ein umkehrbarer. Conelusion. Die beschriebenen Versuche über die Permeabilität von weissen Blut- körperchen für SO,-Ionen lehren einstimmig, dass, wenn CO,-reiche Leuko- cyten mit einer neutralen Na,SO,-Lösung in Berührung gebracht werden, SO, in die Zellen eindringt und die Flüssigkeit selbst alkalisch wird. Ebenso, wie wir betreffs der Permeabilität für Chlor fanden, zeigt sich auch hier der Process umkehrbar; denn wenn die CO,-haltige Na,SO,- Suspension mit Luft geschüttelt wird, nimmt der SO,-Gehalt der Flüssigkeit wieder zu, während der Alkaligehalt abnimmt. Auch hier haben die Leuko- cyten nach den verschiedenen Manipulationen die Eigenschaft beibehalten, Knochenkohlenpartikelchen in sich aufzunehmen. III. Permeabilität der Leukocyten für NO,. Hier wurde wieder auf dieselbe Weise gearbeitet wie bei den Unter- suchungen über die Permeabilität für Cl-Ionen und SO,-Ionen, so dass wir die hier angewandte Methode nicht näher zu besprechen haben, und was die NO,-Bestimmung anbelangt, können wir auf die Abhandlung von Hamburger und van Lier verweisen. Versuch 1. Pleuritisches Exsudat eines Pferdes, nach. Centrifugirung der Flüssigkeit drei Mal ausgewaschen mit 4-15 procentiger Traubenzuckerlösung. Mit den also gereinigten Zellen wird eine Suspension angefertigt, welche auf 21°" etwa 6m Zellen enthält. Hiervon werden 10°” geschüttelt mit 8°” CO,, während 10° nicht mit CO, behandelt werden. Von beiden voll- kommen neutralen Suspensionen werden 0-08 °® in Capillarröhrchen centri- fugirt. Die mit CO, behandelte Suspension giebt ein Zellenvolumen von 136 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: 31 Vertheilungen’ (jede Vertheilung enthält 0.0004 °®), Ein Parallelversuch derselben Suspension giebt auch 31 Vertheilungen. Die entsprechende, nicht, mit CO, behandelte Suspension enthält ein Zellenvolumen von 28-5 und 29 Vertheilungen. Man sieht, dass unter dem Einfluss von CO, das Zellenvolumen zugenommen hat um ungefähr 7 Procent. Unterdessen ist auch die Hauptmasse der Suspensionen centrifugirt worden und werden von den entsprechenden Flüssigkeiten Alkali- und NO,-Bestimmungen ausgeführt. Alkaligehalt. 4 em Flüssigkeit der nicht mit CO, behandelten Suspension erfordern 0.05 m 1/ „normal Oxalsäure. 4m Flüssigkeit der mit CO, behandelten Suspension erfordern 0-2 m \/ „normal Oxalsäure. Bestimmung des NO.. Die soeben mit Oxalsäure titrirten Flüssigkeiten werden jetzt auf ihren NO, Gehalt untersucht. Es stellt sich nun heraus, dass die Flüssigkeit der nicht mit CO, behandelten Suspension eine Quantität NH, liefert, welche 3.75 m 1/ ‚normal Schwefelsäure entspricht. Die Flüssigkeit der mit CO, behandelten Suspension liefert eine NH,-Menge, welche 3.525 ® !/ „normal Schwefelsäure entspricht. Da hier das Volumen der Leukocyten in den beiden Suspensionen nicht dasselbe ist, muss eine Correction angebracht werden; diese lässt sich folgendermaassen berechnen: Jede Vertheilung des Capillarröhrchens stimmt überein mit 0-0004 «»; also 31 Vertheilungen mit 31 x 0-0004 = 00124 m, Es waren 0-08 m Suspension gebraucht; also waren darin vorhanden 0-08 — 0:0124 = 00676 °°® Flüssigkeit. Auf dieselbe Weise findet man, dass in den 0-08 m der nicht mit CO, behandelten Suspension 0:08 — 28:75 x 00004 = 0.0685 «m Flüssig- keit vorhanden waren. Das Flüssigkeitsvolumen in der CO,-Suspension ist 676 also „g, Mal geringer als in der nicht mit CO, behandelten Suspension. Um nun beurtheilen zu können, ob in der Flüssigkeit der CO,-reichen Suspension weniger NO, und mehr Alkali enthalten ist, muss die gefundene Zahl mit multiplieirt werden. Also erhält man für den NO,-Gehalt der Flüssigkeit von der nicht mit CO, behandelten Suspension 3-75 m 1) .- normal H,SO,, und von der wohl mit CO, behandelten Suspension 3.478 com / normal H,SO,. Was den Alkaligehalt betrifft, so müssen wir auf dieselbe Weise handeln, PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 137 aber erst, nachdem mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoid- papieres 0:05 von 0:02 abgezogen ist. Also wird die Alkalicität der Flüssigkeit von der normalen Suspension 0. 676 Die der mit CO, behandelten Suspension wird 0-15 x .., —0 148°" !/ normal Oxalsäure. Schliesslich lehrt also der Versuch, dass unter dem Einfluss von CO, NO, in die Leukocyten eingedrungen ist, während alkalische Affinitäten die Zellen verlassen haben. Versuch 2. Eiter aus einem Abscesse beim Pferde, drei Mal ausgewaschen mit einer, dem Blutserum isotonischen NaNO,-Lösung, also 1-307 Procent, bis eine reine Aufschwemmung von Leukocyten in der Lösung enthalten ist; die Flüssigkeit abcentrifugirt und durch eine neue NaNO,-Lösung ersetzt. In 21°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 6°" Zellen vorhanden. 10°” Aufschwemmung geschüttelt mit 20°” CO, und 10 °® nicht. Die beiden Aufschwemmungen centrifugirt und von der oben- stehenden Flüssigkeit je 5°” genommen. Von diesen wird erst der Alkali- gehalt mittels !/, ‚normal Weinsteinsäure bestimmt, und von der also erhal- tenen neutralisirten Flüssigkeit der Nitratgehalt. Das Resultat ist: I ri 1 en IV Flüssigkeit in 5 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-25" !/,,n.Weinsteinsäure 6-29 °m1/ ,n.H,SO, 68-13 der mit CO, | geschüttelten Zellen 1:0 FR „ >» 5:58 ».» ” 66 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und von den Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 m Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt der normalen Zellen 0-15 %,,n. Weinsteinsäure | 6.29 em !/,,n. H,SO, der mit CO, | geschüttelten Zellen OST 4 | 5.405, ne Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure Nitrat in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. 138 H. .J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: Versuch 3. Eiter, drei Mal mit Blutserum ausgewaschen, bis eine reine Aufschwem- mung von weissen Zellen in Serum erhalten ist; die Flüssigkeit abcentrifugirt und ersetzt durch eine isotonische NaNO,-Lösung. In 22°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 4°” Zellen vorhanden. 10° Aufschwemmung geschüttelt mit 20°” CO, und 10° nicht. Die beiden Aufschwemmungen centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 2m genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal Weinsteinsäure bestimmt. und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssig- keit der Nitratgehalt. Das Resultat ist: I 108 III IV Flüssigkeit in 2m Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-42:m !/, n.Weinsteinsäure|2-443° m 1/, ,n.H,SO, 82-75 der mit CO, geschüttelten Zellen 0-5 „ , er Di 2 B 82-25 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und von den Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 2m Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt der normalen Zellen 0-37 m 1/,,n. Weinsteinsäure | 2.443 m !/ ,n. H,SO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0-47, > 2-313 „ » » Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure Nitrat in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Versuch 4. Eiter, wiederholte Male mit Serum ausgewaschen. bis alle Körnchen entfernt und eine reine Aufschwemmung von Leukocyten in Serum erhalten ist; die Flüssigkeit abcentrifugirt und durch eine dem Serum isotonische NaNO,-Lösung ersetzt. In 26°" der auf diese Weise erhaltenen Auf- schwemmung sind etwa 6°“ Zellen vorhanden. 12°” Aufschwemmung werden geschüttelt mit 17° CO, und 12°" nicht. Die beiden Aufschwem- mungen centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 4 *® genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !, „normal Oxalsäure bestimmt, und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Nitratgehalt. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 139 Das Resultat ist: I u III IV Flüssigkeit in 4 m Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-25 m !/,,n. Oxalsäure | 4-859 m !/, „n. H,SO, 91-5 der mit CO, geschüttelten Zellen 0:3 En „ ER) 4.484 Er} Er) ER) 96 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 4 = Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt der normalen Zellen 0-15 = 1/,n. Oxalsäure 4-85, 1 n.. H,SO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0208, = 4:745 „, D Re Aus dieser Versuchsgruppe ersieht man, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure NO, in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Umkehrbarkeit des Processes. Versuch 5. Eiter aus einem Leberabscesse beim Rinde, wiederholte Male ausgewaschen mit 4-15 Procent Traubenzuckerlösung, bis eine reine Aufschwemmung von Leukoeyten in Glycose erhalten ist; die Flüssigkeit abcentrifugirt und durch eine isotonische NaNO,-Lösung von 1-307 Procent ersetzt. In 32°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 6° Zellen vor- handen. 10°” Aufschwemmung werden geschüttelt mit 7°" CO,, und darnach so lange mit Luft, bis alle CO, entfernt ist. 10°” werden nicht mit CO, geschüttelt. Die drei Aufschwemmungen centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5°" senommen. Der Alkaligehalt konnte nicht bestimmt werden, da die Flüssigkeit, nachdem sie einen Tag gestanden hatte, sauer reagirte. Jedoch konnte ein merkbarer Unterschied constatirt werden zwischen der sauren Reaction der drei Flüssigkeiten auf Lakmoid. Die Flüssigkeit der normalen, und die der mit CO, und darnach mit Luft geschüttelten Zellen reagirten deutlich sauer, während die Flüssigkeit der Zellen, welche allein mit CO, behandelt waren, fast neutral reagirte, Von diesen drei Flüssigkeiten wird nun der Nitratgehalt bestimmt, Das Resultat ist: 140 H. J. HAMBURGER uNnD H. J. VAN DER SCHROEFF: ROSE TREE RER 7 ES Flüssigkeiten in 5m Flüssigkeit | Säuregehalt Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen stark sauer 6.8ccnzE/ NE SON 82 der mit CO, geschüttelten Zellen wenig sauer BO 05 " 80-5 - der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen stark sauer bo os 80-69 Nach Berücksichtigung der Volumenveränderungen für die Zahlen von Spalte III sind die Ergebnisse folgende: 5 cm Flüssigkeit Nitratgehalt der normalen Zellen 628 De NEEESO) der mit CO, geschüttelten Zellen RE > = der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen 0 Be 25 Aus dieser Versuchsgruppe ist ersichtlich, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure NO, in die Zellen eintritt und alkalische Affinitäten dieselben verlassen; weiter, dass auch für Nitrat dasselbe gilt, wie für Chlor und SO,; nämlich, dass durch Schüt- teln mit Luft der Alkaligehalt der Flüssigkeit abnimmt, während NO, darin zurückkehrt, um sich auf’s Neue wieder mit den Na-Ionen der umgebenden Flüssigkeit zu NaNO, zu verbinden. Conelusion. Auch hier lehren die vorangehenden Versuche einstimmig, dass, wenn CO,-haltige Leukoeyten mit einer neutralen NaNO,-Lösung in Berührung gebracht werden, NO, in die Zellen eindringt und die Flüssigkeit selbst alkalisch wird. Ebenso wie bei der Permeabilität für Chlor und SO,, zeigt sich der Process auch für NO, umkehrbar. Wird die CO,-haltige NaNO,-Suspension mit Luft geschüttelt, so nimmt der NO,-Gehalt der Flüssigkeit wieder zu, während der Alkaligehalt abnimmt. Auch hier haben die Leukocyten ihre Lebensfähigkeit behalten; sie sind noch immer im Stande, Knochenkohlenpartikelchen in sich aufzunehmen. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 141 B. Permeabilität der Lymphdrüsenzellen. Gewinnung. Um Lymphdrüsenzellen zu isoliren, wurden Lymphdrüsen (meist mesen- teriale) zerschnitten, gehackt und dann ausgewaschen. Hierzu benutzten wir Traubenzuckerlösung 4-15 Procent, Blutserum oder Kochsalzlösung. Beim Auswaschen mit Traubenzuckerlösung hat man im Besonderen darauf zu achten, dass die Auswaschung schneli geschieht. Dauert die Behandlung z. B. einen Tag, so sind viele Zellen zerfallen und, was ganz merkwürdig ist, die Traubenzuckerlösung reagirt sauer. Man verfährt folgender Weise. Die gehackte Masse wird unter die Flüssigkeit vertheilt, geschüttelt und durch nicht präparirte Gase colirt. Das trübe Filtrat enthält dann unversehrte und zerstörte Zellen, bezw. Gewebspartikelchen. Ueberlässt man nun das Filtrat sich selbst, so senken sich die unzerstörten Zellen, während eine milchige Flüssigkeit darauf stehen bleibt. Diese hebt man ab, ersetzt dieselbe durch neue Flüssigkeit und wiederholt dieses Verfahren, bis die obenstehende Flüssigkeit klar ist. Der Bodensatz enthält dann ledig- lich unzerstörte Lymphdrüsenzellen. Wünscht man die Senkung der Lymphzellen zu beschleunigen, so kann man Centrifugalkraft benutzen. Es sei aber mit Nachdruck hervorgehoben, dass kräftiges Centrifugiren schadet, denn dadurch ballen sich die Zellen zu Fäden und Flocken zusammen und sind später nicht mehr frei zu machen. Die Methoden, mittels welcher wir die Permeabiliät dieser Zellenart untersucht haben, sind vollkommen dieselben, welche für die Leukocyten angewandt wurden. Es genügt also betreffs dieses Punktes, auf das im vorigen Abschnitt Erwähnte hinzuweisen. Wir können also unmittelbar zur Mittheilung der Versuche schreiten. I. Permeabilität für Chlor. Versuch 1. Lymphdrüsenzellen, drei Mal ausgewaschen mit 4-15 Procent Trauben- zuckerlösung, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in dieser Flüssig- keit erhalten ist. Diese Lösung wird abcentrifugirt und durch eine 1 proc. NaCl-Lösung ersetzt. In 11°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwem- mung sind etwa 2°” Zellen vorhanden. 5° m Aufschwemmung werden geschüttelt mit 12°" CO, und 5m nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 4“ genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal HNO, bestimmt und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Chlor- gehalt. 142 H. J. HAMBURGER uUnD H. J. VAN DER SCHROEFF: Das Resultat ist: ER II IM IV Flüssigkeit in 4 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-1 «= "on. HNO, | 4-11 m !/ ,n. AgNO, | 75-6 der mit CO, geschüttelten Zellen | 0-23 „, a » Sub, ” 75 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte Il, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 4 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen 0.02 m 1/,,n. HNO, | 41cm 1/un. AgNO, der mit CO, | geschüttelten Zellen 0:15%, Ru 5 3:65 „ 2 a, Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure Chlor in die Lymphdrüsenzellen eintritt und Alkali dieselben verlässt. Versuch 2. Lymphdrüsenzellen, vier Mal ausgewaschen mit 1 Procent NaCl, so dass eine reine Aufschwemmung der Zellen in Chlornatriumlösung enthalten ist. Die letzte Lösung abgenommen und durch neue 1 procentige NaCl ersetzt. 22°” Aufschwemmung geschüttelt mit 30°" CO, und 22° nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 10 °® genommen; von diesen wird erst der Alkaligehalt bestimmt mit '/, „normal HNO,, und von der also erhaltenen neutraiisirten Flüssigkeit der Chlorgehalt. Das Resultat ist: I u 1000 | IV £ Flüssigkeit in 10 ° m Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt gleichen Volumina | der Suspensionen der normalen Zellen | 0-36 °® "/,,n. HNO, | 8.19 m 1, 0n. AgNO, | 99-5 der mit CO, | | geschüttelten Zellen | 0.375 „ 5 a 7-44 „ r 5 | 95-5 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 143 veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 10 e:® Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen 0-06 em 1/,,n. HNO, | 8-19. ar UT AENO, der mit CO, | geschüttelten Zellen 0-55 9 ” ” 7-18 „ ERONEI 9 Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von CO, Chlor in die Lymphdrüsenzellen eingedrungen ist, und CO, dieselben verlassen hat. Versuch 3. Lymphdrüsenzellen, vier Mal ausgewaschen mit 1 Procent NaCl, bis eine reine Aufschwemmung der Zellen in NaCl enthalten ist. Die Flüssigkeit abgenommen und auf’s Neue NaCl hinzugefügt. 23 der Aufschwemmung geschüttelt mit 30°” CO, und 23°® nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 10 °® genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt bestimmt mittels !/,,normal HNO,, und von den also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeiten der Chlorgehalt. Das Resultat ist: I II ee ea Flüssigkeit in 10 ° m Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-34 m 1/,,n. HNO, | 8-05 “ !/, ,n. AgNO, 90 der mit CO, geschüttelten Zellen | 0-75 „, 3 5 7:56 „ ss Er 93 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 10 °:® Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen Ina) »0:04 on HNO, 540,805, ° ron; AgNO, der mit CO, | | geschüttelten Zellen 0-48 „ Re | 110, 5 N Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure Chlor in die Lymphdrüsenzellen eindringt und Alkali dieselben verlässt. 144 H. J. HAMBURGER und H. J. VAN DER SCHROEFF: Versuch 4. Lymphdrüsenzellen, wiederholte Male ausgewaschen mit 1 Procent NaCl, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in NaCl enthalten ist. Die letzte Flüssigkeit abeentrifugirt und auf’s Neue ersetzt durch Chlornatriumlösung. 10°m der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung geschüttelt mit 20m CO,, 10°® nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5°” genommen für Alkali- und Chlorbestimmung. Das Resultat ist: I II III IV i Flüssigkeit in 5 cm Flüssigkeit Alkaligehalt ‘ Chlorgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0.22 m !/,,n. AgNO, | 8.244 m I) ‚n.AgNO, 11-66 der mit CO, | geschüttelten Zellen | 0-48 „ Br n OO 5 B: = 11-529 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen 0-10. 271,00. HNO; 8.244 em 1) ,n. AgNO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0:356 „ ” 3 OB = 9 Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure Chlor in die Lymphdrüsenzellen eindrinet und Alkali dieselben verlassen hat. Umkehrbarkeit des Processes. Versuch 5. Lymphdrüsenzellen, wiederholte Male ausgewaschen mit 1 Procent NaCl, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in der Lösung enthalten ist. Die Aufschwemmung abcentrifugirt und auf’s Neue 1 Procent NaCl hinzu- gefügt. In 45 °@ Aufschwemmung sind etwa 6°” Zellen vorhanden. 15° der Aufschwemmung werden geschüttelt mit 20 “® CO,, 15% ebenso mit 20°" CO, geschüttelt und dann mit Luft, so dass die Kohlensäure jeden- falls theilweise entfernt wird. 15°” nicht mit CO, geschüttelt. Die drei Aufschwemmungen centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 10 °® genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal HNO, bestimmt, und von der so erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Chlorgehalt. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 145 Das Resultat ist: Eee ne m Flüssigkeit in 10 °® Flüssigkeit Alkaligehalt Chlorgehalt gleichen Volumina | der Suspensionen der normalen Zellen | 0-44 “= Y/,,n. HNO, | 11-68 cm Yon. AgNO, 130 der mit CO, geschüttelten Zellen | 0-94 „, a r 10:IME,.... * 132 der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen | 0-54 „ NS ss 11:468 , „ LE 1311 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 10 «m Flüssigkeit | Alkaligehalt Chlorgehalt der normalen Zellen 0.22 cm 1/,,n. HNO, 1168.07 1 an DACNO, der mit CO, geschüttelten Zellen Oral 0% % 115068, 4: ,, IS der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen 0.3227, 5 5 11-569... 5 Aus dieser Versuchsgruppe erhellt, dass unter Einfluss von CO, Chlor in die Lymphdrüsenzellen eindringt und Alkali dieselben verlässt. Durch Luftschütteln tritt wieder Chlorin die Flüssig- keit hinaus, während alkalische Affinitäten dieselbe verlassen. Der Process ist also ein umkehrbarer. Conclusion. Aus den vorliegenden Versuchen geht unzweifelhaft hervor, dass, wenn man eine Aufschwemmung von Lymphdrüsenzellen in NaCl-Lösung mit CO, schüttelt, Chlor in die Zellen hineintritt und CO, sie verlässt, so dass die vorher neutrale NaÜ]l-Lösung durch Bildung von Na,C00, alkalisch wird. Weiter stellt sich heraus, dass, wenn der genannte Austausch statt- gefunden hat, Vertreibung von CO, aus der Suspension mittels Luftschüt- telung den ursprünglichen Zustand nahezu vollständig wieder herstellt; der Process ist also auch hier ein umkehrbarer. Die hinzugefügte Kohlensäure hat somit auch auf die Lymphdrüsenzellen keinen zerstörenden Einfluss ausgeübt, sie hat nur die Permeabilität für Säure-Ionen in ausgiebigerem Maasse zum Ausdruck gebracht. Archiv f, A. u. Ph, 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 10 146 H. J. HAmMBUXAGER UND H. J. VAN DER SCHROFFF: II. Permeabilität für SO,. Versueh 1. Lymphdrüsenzellen, ausgewaschen mit einer dem Blutserum isotonischen Natriumsulfatlösung (1-63 Procent), bis eine reine Aufschwemmung der Zellen in NaSO, erhalten ist. Die Flüssigkeit abcentrifugirt und ersetzt durch eine neue Lösung. In 22°® sind etwa 6°” Zellen vorhanden. 11°" der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung werden geschüttelt mit 20° m CO, und 11°“ nicht. Beide centrifugirt und von der oben- stehenden Flüssigkeit je 4°” genommen. Von diesen wird erst der Alkali- gehalt mittels !/,,normal Salpetersäure bestimmt, und von der so erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Sulfatgehalt. Das Resultat ist: I | 1 Tin sh) eu | ' Flüssigkeit in 4m Flüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-15 = I), .n. HNO, | 3er. cnaBa®l 704 der mit CO, | geschüttelten Zellen | 0-25 „ is | 3-375 „ 55 740 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 4 em Flüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt der normalen Zellen 0-09%22 215,0 HIN 0» Se SB aolN der wit CO, geschüttelten Zellen 0-16 „ ei nr 3-55 „ ” Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure SO, in die Lymphdrüsenzellen eindringt und CO, dieselben verlässt. Versuch 2. Lymphdrüsenzellen, wiederholte Male ausgewaschen mit einer isotonischen Na,SO,-Lösung, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in der Flüssig- keit enthalten ist. Diese abcentrifugirt und auf’s Neue durch Sulfat ersetzt. In 22°® Aufschwemmung sind etwa 5°” Zellen vorhanden. 10°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung werden geschüttelt mit 20 «m CO, und 10°" nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssig- keit je 4° genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels einer !/,„normal Salpetersäurelösung bestimmt, und von der so erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Sulfatgehalt. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 147 Das Resultat ist: Di RAIL Bits hoVnLunR «5 ren | Flüssigkeit in 4°" Flüssigkeit | Alkaligehalt Sulfatgehalt | gleichen Volumina | ‚ der Suspensionen der normalen "Zellen | O2 Han n. . HNO, In 7 com u Bacl, 04 der mit CO, geschüttelten Zellen | 0-3 „, S 3-55, » 64-9 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 4m Flüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt der normalen Zellen 0 Ice an n. HNO, 37 sem Ball, der mit CO, geschüttelten Zellen 0-°203 „, 3 2 3-599 „ a Aus dieser Versuchsgruppe erhellt, dass unter Einfluss von CO, Sulfat in die Lymphdrüsenzellen eindringt und Alkali dieselben verlässt. Umkehrbarkeit des Processes. Versuch 3. Lymphdrüsenzellen, drei Mal ausgewaschen mit einer isotonischen Natriumsulfatlösung, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in dieser Flüssigkeit enthalten ist. Diese abeentrifugirt und auf’s Neue durch Sulfat- lösung ersetzt. In 25°” der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 4°” Zellen vorhanden. 8°” werden geschüttelt mit 17° WCOO,, 8° werden ebenso geschüttelt mit 17° CO, und dann mit Luft, so dass alle Kohlensäure entfernt wird. 8°®® werden nieht mit 00, behandelt. Die drei Aufschwemmungen abcentrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 4°" genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/,,normal HNO, bestimmt, und von der so erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Sulfatgehalt. Das Resultat ist: I Du RT | Flüssigkeit in 4 em Flüssigkeit Alkaligehalt | Sulfatgehalt gleichen Volumina | der Suspensionen der Borken Zellen OsLsreemzl, on EINO, 3.6 m BaCl, | 12 der mit CO, | geschüttelten Zellen | 0-28 „ = = 3.48 „ Br | 13 der mit CO, und Luft | geschüttelten Zellen | 0-24 „, Br er 3-5 „ 5 | 72-4 10° 148 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumenverände- rungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 4 cn" Flüssigkeit Alkaligehalt Sulfatgehalt der normalen Zellen 0-08: DEN Oe| 8 TEC, der mit CO, geschüttelten Zellen 0-18 „ ze 5 Beh is der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen 0-14 „. » > BO es Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure SO, in die Lymphdrüsenzellen eingedrungen ist, CO, dieselben verlassen hat. Mittels Luftschütteln verschwindet Alkali wieder aus der Flüssigkeit, SO, kehrt darin wieder zu- rück. Auch hier ist also der Process ein umkehrbarer. Conelusion. Aus den vorliegenden Versuchsgruppen geht unzweifelhaft hervor, dass, wenn man eine Suspension von Lymphdrüsenzellen in einer Natriumsulfat- lösung mit CO, schüttelt, SO,-Ionen in die Zellen eintreten und CO,-Ionen dieselben verlassen, so dass die vorher neutrale Sulfatlösung durch Bildung von Na,CO, alkalisch wird. Auch hier ist es möglich, mittels Luftschüt- telung dem ursprünglichen Zustand wieder nahe zu kommen, woraus man auf die Umkehrbarkeit des Processes schliessen darf. III. Permeabilität für NO,-Ionen. Versuch 1. Lymphdrüsenzellen, wiederholte Male ausgewaschen mit einer 4-15 proe. Traubenzuckerlösung, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in dieser Lösung enthalten ist. Diese abcentrifugirtt und durch eine isotonische NaNO,-Lösung ersetzt. In 21°” der Aufschwemmung sind etwa 5°” Zellen vorhanden. 10°” werden geschüttelt mit 7 °® CO, und 10° nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5°” genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/ „normal Oxalsäure bestimmt, und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Nitratgehalt. Das Resultat ist: 1 I | 1 a: Wa | Flüssigkeit in 5 cm Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen |0-2° = !/,„n.Oxalsäure 4-5 cm !/ ,n. H,SO, 72-8 der mit CO, geschüttelten Zellen |0-3 ,„ „ ” Ber au > 1 PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 149 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte IT, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 em Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt der normalen Zellen 0.08 cm 1) ,n. Oxalsäure oa HIS(0) der mit CO, geschüttelten Zellen m O-IRD is j BIO RE ER e Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure NO, in die Lymphdrüsenzellen eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Versuch 2. Lymphdrüsenzellen, wiederholte Male ausgewaschen mit einer 4-15 proe. Traubenzuckerlösung, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in der Flüssigkeit enthalten ist. Diese abcentrifugirt und durch eine 1-307 procentige NaNO, Lösung ersetzt. In 21°” der auf diese Weise erhaltenen Auf- schwemmung sind etwa 4°” Zellen vorhanden. 10° werden geschüttelt mit 7 °® CO, und 10°” nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5°”% genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels 1/, „normal Oxalsäure bestimmt, und von der also erhaltenen neutra- lisirten Flüssigkeit der Nitratgehalt. Das Resultat ist: 1 Sn IT IV Flüssigkeit in 5 m Flüssigkeit Alkaligehalt | Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | O-1eem !/ „n. Oxalsäure| 5-25 «m I, ,n. H,SO, | 76-8 der mit CO, | geschüttelten Zellen | 0:18, , 5 5-0. , % " 76 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumen- veränderungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: | 5" Flüssigkeit Alkaligehalt | Nitratgehalt der normalen Zellen 0 5-25 on 1 on SU, der mit CO, geschüttelten Zellen 0.79 m 1) ,n. Oxalsäure 4-94, = 150 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: Aus dieser Versuchsgruppe geht also hervor, dass unter Einfluss von Kohlensäure NO, in die Lymphdrüsenzellen eingedrungen ist und CO, dieselben verlassen hat. Umkehrbarkeit des Processes. Versuch 3. Lymphdrüsenzellen, drei Mal ausgewaschen mit einer 4-15 procentigen Traubenzuckerlösung, bis eine reine Aufschwemmung von Zellen in der Flüssigkeit enthalten ist. Diese abeentrifugirt und durch eine isotonische NaN0,-Lösung ersetzt. In 31° der auf diese Weise erhaltenen Aufschwem- mung sind etwa 6°” Zellen vorhanden. 10°” Aufschwemmung werden geschüttelt mit 7°” CO,, 10% ebenso mit 7°® CO, und dann mit Luft, bis alle Kohlensäure entwichen ist; 10 °® werden nicht mit Luft geschüttelt. Die drei Aufschwemmungen centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5° genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt mittels !/, „normal Oxalsäure bestimmt, und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Nitratgehalt. Das Resultat ist: 1 R ul I IV Flüssigkeit in 5 ccm Flüssigkeit Alkaligehalt Nitratgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen |0-1 = 1/,n. Oxalsäure | 5.82 m !/, ,n. H,SO, 91-88 der mit CO, geschüttelten Zellen | 0-175,, , ” 4:65 „ 35 FR 91-25 der mit CO, u. Luft geschüttelten Zellen | 0-15 „ e 4-65 „ ee N 88:75 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte IL, und der Volumenverände- rungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 cm Flüssigkeit | Alkaligehalt Nitratgehalt der normalen Zellen 0 5.82 cm I/ ,n. H,SO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0.07 cm 4, ,n. Oxalsäure 4:62 „ & Y der mit CO, und Luft geschüttelten Zellen 0-05 „ ” > A » Aus dieser Versuchsgruppe erhellt, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure NO, in die Lymphdrüsenzellen eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat. Weiter ergiebt sich, dass durch Schütteln mit Luft eine umgekehrte Bewegung stattfindet: Alkali verlässt wieder die Flüssigkeit, während NO, darin zurück- kehrt. Der Process ist also ein umkehrbarer. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 151 Conelusion. Die drei vorangehenden Versuche über die Permeabilität der Lymph- drüsenzellen für NO,-Ionen lehren einstimmig, dass, wenn man eine Sus- pension von Lymphdrüsenzellen in einer neutralen NaNO,-Lösung mit CO, schüttelt, NO, in die Zellen eindringt und die Flüssigkeit selbst alkalisch wird. Auch hier zeigt sich der Process als umkehrbar, denn bei Luft- schüttelung findet ein Rückgang des Alkaligehaltes statt und eine Ver- mehrung des Nitratgehaltes der Flüssigkeit. C. Permeabilität der weissen Blutkörperchen für anderweitige elektronegative Ionen. Wo sich durch quantitativ chemische Analysen gezeigt hat, dass bei der Einwirkung von neutralen Natriumsalzen auf kohlensäurehaltige weisse Blut- körperchen mit dem Eintritt der elektronegativen (C]-, SO,- und NO,-) Ionen immer ein Austritt des elektronegativen Ions (CO,) aus den genannten Zellen parallel geht, so scheint es uns auch auf Grund theoretischer Er- wägungen nicht gewagt, im Allgemeinen den Satz auszusprechen, dass, wenn ein beliebiges neutrales Natriumsalz nach Hinzusetzung von kohlen- säurehaltigen Leukocyten alkalisch wird, das entsprechende elektronegative Ion des Salzes eingewandert sein muss. Wo das Natriumsalz nicht neutral, sondern bereits alkalisch war, wird nach dieser Vorstellung eine Steigerung der alkalischen Reaction dasselbe bedeuten, wie bei der neutralen Lösung ein Auftreten. Von diesem Gesichtspunkte aus haben wir verschiedene Natriumsalze geprüft, und dabei haben wir immer das Alkali quantitativ bestimmt, was selbstverständlich für die neutralen Lösungen eigentlich nicht strikt nothwendig war, wohl aber für diejenigen Salzlösungen, die aus sich selbst alkalisch reagierten. Dass wir hierbei Rücksicht nahmen auf die mehrerwähnten Volumenveränderungen und die Empfindlichkeit des Lakmoid- papieres, braucht kaum gesagt zu werden. In der Mittheilung der Versuche können wir kurz sein. Permeabilität für Jodnatrium. Versuch 1. Eiter einer purulenten Endometritis beim Rinde, vier Mal ausgewaschen mit einer 4-15 procentigen Traubenzuckerlösung, bis eine reine Aufschwem- mung der weissen Zellen in der Flüssigkeit enthalten ist. Diese abeentri- fugirt und ersetzt durch eine mit dem Blutserum isotonische Jodnatrium- lösung, also 2-48 Procent. In 21°“ der auf diese Weise erhaltenen Auf- 152 H. J. HAMBURGER UND H. J. VAN DER SCHROEFF: schwemmung sind etwa 4° Zellen vorhanden. 10° Aufschwemmung werden geschüttelt mit 7 °® CO, und 10°” nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 5°" genommen. Von diesen wird erst der Alkaligehalt bestimmt mittels /,„normal HNO,-Lösung und von der also erhaltenen neutralisirten Flüssigkeit der Jodiumgehalt. Dieser lässt sich auf dieselbe Weise bestimmen wie der Chlorgehalt. Auch hier wird zu den 5° Flüssigkeit, von denen der Alkaligehalt bestimmt ist, erst 10° m einer gesättigten (NH,),SO,-Lösung gefügt, auf einem Wasserbade 10 Minuten lang erhitzt und dann filtrirt. Zu 10°” des Filtrates werden 10 cm 1/ „normal AgNO, gefügt. Alles Jodium wird präeipitirt als gelbes AgJ; der Ueberschuss von AgNO, wird mit Ferrinitrat als Indicator bestimmt mit Hülfe von !/ „normal Sulfoeyankalium. Das Resultat ist: I | 11 III IV Flüssigkeit in 5 ccm Flüssigkeit Alkaligehalt Jodiumgehalt gleichen Volumina der Suspensionen der normalen Zellen | 0-05 = %/,,n. HNO, 8-96: m 1) n. AgNO, 75 der mit CO, geschüttelten Zellen 0-18 „ en 2 7:97 „ ” Pe 72-5 Nach Berücksiehtigung der Empfindlichkeit des Lakmotdpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II, und der Volumenverände- rungen allein für die Zahlen von Spalte III, sind die Ergebnisse folgende: 5 ccm Flüssigkeit | Alkaligehalt Jodiumgehalt der normalen Zellen 0 Sg6ccms 1m NND: der mit CO, geschüttelten Zellen 0.12 m 1),,n. HNO, 105% 5 s Aus dieser Versuchsgruppe geht hervor, dass unter dem Einfluss von. Kohlensäure Jodium in die Leukocyten eingedrungen ist und Alkali dieselben verlassen hat, weshalb die Flüssigkeit alkalisch reagirt. Versuch 2. Eiter aus einem Drüsenabscesse beim Pferde, drei Mal ausgewaschen mit einer 2-48 procentigen NaJ-Lösung, bis eine reine Aufschwemmung der Leukoeyten in der umgebenden Flüssigkeit enthalten ist. Diese ab- centrifugirt und durch neues NaJ ersetzt. In 15°“ der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 3-5 °® Zellen vorhanden. 7 °°® werden geschüttelt mit 10 m CO, und 7% nicht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 4” genommen für Alkalibestimmung mittels !/, normal HNO,. PERMEABILITÄT VON LEUKOCYTEN UND LYMPHDRÜSENZELLEN. 153 Das Resultat ist: 1 SL REN \ UI ! der normalen Zellen 0:09.20: HNO, 54-63 der mit CO, geschüttelten Zellen 11.022285, s Si 55-6 Nach Berücksichtigung der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres und der Volumenverhältnisse für die Zahlen von Spalte II sind die Ergebnisse folgende: 4m Flüssigkeit | Alkaligehalt der normalen Zellen 0-04 m 1/,,n. HNO, der mit CO, geschüttelten Zellen 0217, » » Aus diesem Versuche geht hervor, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure Alkali die Leukocyten verlässt und die umgebende Flüssigkeit alkalisch macht. Versuch 3. Eiter von demselben Abscesse wie voriges Mal, drei Mal ausgewaschen mit 1 Procent NaCl, bis eine reine Aufschwemmung von Leukocyten in der Lösung enthalten ist. Diese abeentrifugirt und durch eine damit isotonische Natriumjodid-Lösung ersetzt. In 15°® der auf diese Weise erhaltenen Aufschwemmung sind etwa 3.5 m 60, vorhanden. 7% werden geschüttelt mit 10 °® CO, und 7° nieht. Beide centrifugirt und von der obenstehenden Flüssigkeit je 4°” genommen für Alkalibestimmung mittels !/,,normal HNO,. Das Resultat ist: I ae ee I | 4m Flüssigkeit | Alkaligehalt To are pensionen der normalen Zellen 0-7 SUPPLEMENT-BAND. —= ZWEITE HÄLFTE. — a 5 ‘ MIT SECHS ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL. "LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. | 1902. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 28. November 1902.) N Seite 7. OPPENHEIMER, Die Hadtsinnentindungen F 215 MARY WHITON ÜALKINS, nun über die Empfindung farbiger und farbloser Lichter . . . £ 244 W. CROoXHEIM, Conseryirung“ des Harns für analytische und calorimetrische Zwecke . ... 262 W. A. NAGEL und'E. Roos, "Versuche über experimentelle Beeinflussbarkeit des Jodgehaltes der Schilddrüse .. . AL J: ROSENTHAL, Untersuchungen über den vespiratorischen” Stoffwechsel . Wu: 278 WILHELM TRENDELENBURG,. Ueber die Summationserscheinungen bei ehrono- troper und. inotropeı Hemmungswirkung des Herzvagus . 17294 ELLENBERGER, Die Zusammensetzung und die Eigenschaften der Eselinmilch BE) P. ‚ScauLrz, Ueber einen Fall von willkürlichem laryngealen Pfeifen beim‘ Menschen. nee re ea [eh oe at Se SR NR de TH. W. EnGELMANN, Ueber experimentelle Erzeugung zweckmässiger Aende- rungen der Färbung pflanzlicher Chromophylle durch farbiges Licht. Bericht über Versuche von Herrn N. Gäidukow... . 333 L. MicHAeELis und CARL ÜPPENHEIMER, Ueber Immunität gegen "Biweisskörper 336 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Quiz, Schwellenwerth und Tonhöhe. (Hierzu Mal AV) ea. En N a SON H. .ZWAARDEMAKER, Die Empfindung der Boruchlosickeit REINER LEN 420 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1901-1902 WER J. RosentHaL, Zweite Mittheilung betreffend den respiratorischen Stoffwechsel der Säugethiere. — W. Cowr, Ueber Luft- und Sauerstoffathmung bei Eupnoe und Dyspnoe. — Franz MüLLer, Demonstration von. Blutpräpa- raten. — R.pu Boıs-ReymonD und ). KATZENSTEIN, Experimentelle Median- stellung der Stimmlippe. — N. Zuntz, Bericht über zwei Ballonfahrten, bei welchen die Hauptaufmerksamkeit dem Studium der Athmung gewidmet war. — CARL OPPENHEIMER und L MicHAeris, Mittheilungen über Eiweiss- Präcipitine. — Max RorumAann, Ueber hohe Durchschneidung des Seiten- stranges und Vorderstranges beim Affen. — NAGEL, Sehen durch Schleier. — (&. WESTZEL, Das Vorkommen von Kernen der Granulosazellen- in den "Ovarialeiern von Pelias berus. — Pıper, Zeitlicher Verlauf der ‚Dunkel- adaptation, bezw. der bei Dunkelaufenthalt sich vollziehenden Empfindlielh- keitssteigerung der Netzuaut. — H. FRIEDENTHAL, Demonstration von Prä- paraten, welche die Nichtdiffusibilität von Seifen aus wässeriger Lösung zeigten bei Abwesenheit jeder trennenden Substanz. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 0% Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin’ N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung ' der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizufügen. Die Hautsinnesempfindungen. Von Dr. 2. Oppenheimer, Hofrath und a. 0. Professor in Heidelberg. Als ich im Jahre 1893 in einer Abhandlung „über Schmerz- und Temperaturempfindung“ den Nachweis erbracht hatte, dass Schmerz durch eine Reizung der Nerven zu Stande käme, die sich an den Zellen, Zell- derivaten, den Geweben ausbreiten und die deshalb zum Unterschied von den motorischen und sensorischen Nerven von mir als Gewebsnerven be- zeichnet wurden, hat in dem litterarischen Centralblatt! ein M.v. F. den Vorwurf erhoben, dass ich keine Versuche angestellt habe, um diese wunder- liche Annahme plausibel zu machen. Nun könnte es mir gleichgültig sein, ob Jemand die ausgesprochene Hypothese als eine wunderliche erklärt; es ist ja zuweilen für den Einen wunderlich, was dem Anderen klar und deutlich erscheint. Ich konnte mich jedoch über die Kritik des Hrn. M. v. F. bald beruhigen, als ich in den Berichten über die Verhandlungen der kgl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften vom December 1894, also drei Monate später den Vortrag von M.v. Frey las, worin er erklärte, dass zur Bestimmung der Schmerzempfindung nur die freien Nervenendigungen verfügbar seien. Ohne meine Abhandlung zu citiren, macht also der Autor für die Leitung des Schmerzgefühls die nämlichen Nerven verantwortlich, welche ich wegen ihres Vorkommens an allen Geweben des Körpers als Gewebsnerven bezeichnet hatte, weil damit ausgedrückt werden sollte, dass die Gewebszellen gleichsam den Endapparat für das Schmerzgefühl dar- stellen, das jedes Mal und an allen Orten auftritt, wenn die freien Nerven- endigungen, die sich an diesen Zellen verbreiten, durch die Vorgänge des Stoffwechsels in übermässiger Weise gereizt werden. 1 Litterarisches Centralblati. 1894. Nr. 40. 216 2. ÖPPENHEIMER: Den zweiten Vorwurf, den Mangel an Versuchen betreffend, muss ich als berechtigt anerkennen, muss aber sofort bemerken, dass ich die Methode von Blix und Goldscheider, die später auch M. v. Frey als die allein berechtigte für die Untersuchung der Hautsinnesempfindungen annahm, absichtlich nicht befolgt habe. Ich war der Meinung, dass die Methode eine fehlerhafte sei, und um jeder Polemik aus dem Wege zu gehen, habe ich eine Kritik der Methode unterlassen, in der Hoffnung, dass mit der Zeit und mit der fortschreitenden physiologischen Forschung ihre Unrichtig- keit sich von selbst ergeben würde. In dieser Erwartung habe ich mich allerdings geirrt und deshalb ist jetzt, wo ich von den Hautsinnes- empfindungen — mit Ausschluss des fälschlich als Empfindung bezeichneten Schmerzes und der Temperaturempfindung, für welche ich auf die schon citirte Abhandlung verweisen muss — sprechen will, eine kritische Unter- suchung der genannten Methode nicht zu umgehen. Von vornherein soll anerkannt werden, dass man den Bemühungen von Blix, Goldscheider, M.v. Frey und Anderer Dank schuldig ist, weil sie uns in mehr exacter Weise als die früheren Untersuchungen über die Unterschiedsempfindlichkeit verschiedener Hautstellen gezeigt haben, dass nicht alle Hautstellen für die Aufnahme von äusseren Reizen und ihre Ueberführung in die centralen Sinneszellen gleichmässig eingerichtet sind. Sie haben zu dem Zwecke unter Anwendung von mehr oder weniger zugespitzten, abgekühlten oder erwärmten Werkzeugen die Haut abgetastet, gedrückt, selbst durchstochen oder haben den elektrischen Strom auf sie wirken lassen und haben angeblich gefunden, dass nicht alle Punkte der Haut in gleicher Weise darauf reagiren. Sie schlossen daraus, dass Punkte vorhanden sind, wo auf jede Art des Reizes eine gewisse Art von Em- pfindung mit Ausschluss der übrigen eintrete, dass Druck-, Wärme-, Kälte- und Schmerzpunkte vorhanden seien, die stets von einander getrennt, wenn - auch sehr nahe bei einander liegen sollen. Wenn die gefundenen Punkte einer Qualität auf die Haut aufgezeichnet wurden, so stellte dies eine Figur dar, die scheinbar an dem Haarbalg einen Mittelpunkt hatte, von welchem aus sich die Punkte in Linien oder Ketten nach der Peripherie zu radiär oder büschelförmig ausbreiteten. Nimmt man hierzu noch die weitere Beobachtung, dass die Empfindlichkeit der Endpunkte dieser Büschel nicht überall gleich gross sei, dass sie im Mittelpunkte am stärksten, gegen die Peripherie zu abnehme, so hat man das thatsächliche Material zusammen- gestellt. Sind aber nun die Schlüsse, welche die Punkttheoretiker daraus abgeleitet haben, richtig oder falsch? Zunächst ist es eine willkürliche Annahme, wenn Goldscheider be- hauptet, dass der gedrückte Punkt der Oberfläche einer Nervenendigung ent- spreche, und dass die Wärme- und Kältepunkte ebenfalls solche Endigungen Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 217 der Nerven seien. Einen anderen Beweis für diese nach ihm nicht zu be- zweifelnde Annahme, wie die, dass in der That keine andere Erklärung für die Thatsache der Empfindungspunkte möglich sei! hat er nicht ge- geben, man müsste denn die von ihm ausgeführte mikroskopische Unter- suchung eines herausgeschnittenen Hautstückes, auf dem vorher die Druck- punkte mit grosser Vorsicht bestimmt waren, dafür halten. Natürlich musste Goldscheider darin die schon von Langerhans 1868 nach- gewiesenen Hautnerven finden. Sie sollen wie er angiebt, durch die Spalten des Bindegewebes hindurchtreten und seien bis an die Grenze der Cutis zu verfolgen. Damit soll bewiesen sein, dass die Punktketten in Inner- vationsebenen liesen, die mehr oder weniger senkrecht zu den Ebenen der Spaltungsrichtungen stehen und dass jeder Punkt das Ende einer Nerven- faser darstelle. Allein dieser Befund Goldscheider’s steht nicht im Ein- klang mit den Resultaten anderer Forscher. So sah v. Kölliker den Hautnerven nicht in oder an der Cutis endigen, sondern in die Keim- schicht der Epidermis aufsteigen, wo sie wohl im Allgemeinen senkrecht durch die Oberhaut und zwar durch die zwischen den Intercellularbrücken freibleibenden Spalten ziehen, jedoch auch besonders an ihren Enden häufig umbiegen, um in der Richtung der Oberfläche der Haut, ja selbst bogen- förmig eine Strecke weit wieder in der Tiefe zu verlaufen.” Ausserdem ist es fraglich, ob der vorher bezeichnete Punkt auf der Haut und der ge- fundene Punkt an dem Nerven im lebenden Körper einander gedeckt haben und ob nicht vielmehr durch die für die Untersuchung nothwendige Prä- paration die lineare Anordnung dieser Theile getrübt worden ist. Man sieht, dass diese bestimmten Angaben des hervorragenden Histo- logen nicht in Uebereinstimmung zu bringen sind mit der Annahme Gold- scheider’s, wonach die von ihm bezeichneten Sinnespunkte den Endigungen der Hautnerven entsprechen. M.v. Frey umgeht diese Klippe, indem er an Stelle der Nervenendpunkte nervöse Endorgane setzt. „Die Haut als Sinnesfläche betrachtet,“ sagt er, „ist gleichsam ein aus vier Arten von Sinnes- punkten zusammengesetztes Mosaik. Die Steine des Mosaiks stehen nicht Kopf an Kopf, sondern haben relativ breite, für umschriebene Schwellen- reize unempfindliche Kittleisten zwischen sich. Je mehr es gelingt, die Schwellenreize ihrer Wirkungsfläche nach einzuengen, desto kleiner werden die empfindlichen Felder. Die vermutheten anatomischen Einrichtungen müssen daher mindestens so klein sein, wie die kleinstflächigen, bisher be- nutzten Schwellenreize.“® Indem v. Frey diese Schwellenreize zur Unter- ı Dies Archiv. 1887. Physiol. Abthlg. ® v. Koelliker, Gewebelehre. Bd.I. 8. 170. ° Beiträge zur Sinnesphysiologie. Verhandl. der sächs. Gesellsch. der Wissensch. 1895. 8. 178. | 218 2. ÖPPENHEIMER: suchung der verschiedensten Hautstellen bestimmt und damit einzelne anatomische Verhältnisse der Haut in Parallele setzt, kommt er zum Schluss, dass die Schmerzempfindung das Product der Reizung von freien Nervenendigungen seien, dass die Endkolben die Organe für Kälteempfindung und die Nervenknäuel und die tiefer liegenden von Ruffini entdeckten Endapparate die für Wärmeempfindung darstellen. Für den Drucksinn macht er die Meissner’schen Körper verantwortlich. Wie sich v. Frey die Einordnung dieser Endapparate, der Endkolben, der Ruffini’schen und Meissner’schen Körperchen, die theilweise weit entfernt von der Hautfläche liegen, in sein aus vier Arten von Sinnes- punkten zusammengesetztes Mosaikgebilde vorstellt, kann man ihm nicht nachdenken. Wenn man aber auch auf diesen Mangel keinen grossen Werth legt, so kann man es nicht ungerügt lassen, dass er zur Erklärung des über die ganze Haut ausgebreiteten Drucksinnes die Meissner’schen Körperchen heranzieht. Dieselben kommen ja nur in den Papillen der Handfläche und Fusssohle, dem Hand- und Fussrücken, an der Brustwarze und der Volarfläche des Vorderarmes, dem Rand der Augenlider, im Nagel- bett, am rothen Lippenrand, an der Clitoris und an der Haut des Unter- schenkels vor.! Nach einer Berechnung von Krause ist auf 35 mm der Volarfläche des Vorderarmes ein Tastkörperchen enthalten, nach M. v. Frey sollen aber daselbst auf 6«m 99 Druckpunkte vorkommen, auf 35 mm müssten demnach zwischen 5 und 6 Körperchen vorhanden sein. Noch auffallender steht es mit seinem Organ für Kälteempfindung. Endkolben finden sich? in den sensibeln Schleimhäuten, am rothen Lippen- rand, den Papillae filiformes der Zunge, in der Haut von Penis und Clitoris, in der Regio respiratoria der Nasenschleimhaut, in der Schleimhaut der Epiglottis, in der Pars analis recti und hauptsächlich in der Conjunctiva sclerae. Nach Smirnow? sollen auch ähnlich geformte Körperchen in der Planta pedis und Vola manus an einzelnen Stellen vorhanden sein. Die Annahme, dass diese hauptsächlich an Schleimhäuten auftretenden Organe der auf der ganzen äusseren Haut möglichen Temperaturempfindung dienen, ist eine durch Nichts bewiesene Behauptung. Und ebenso wenig lässt sich einsehen, warum die grossen Endkolben, die man auch wegen ihres Vor- kommens als Genitalkörperchen oder Nervenknäuel bezeichnet hat, die Wärmeempfindung vermitteln sollen. Von den Ruffini’schen Apparaten lässt sich bis jetzt Genaues nicht sagen. Was endlich die freien Nervenendigungen betrifft, so nimmt v. Frey an, dass sie die Endigungen von Schmerznerven seien, die mit den Schmerz- ı A.2. 0. S. 183. ? Vgl. v. Koelliker, a. a. O. ® Internat. Wochenschrift für Anatomie und Physiologie. 1893. Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 219 punkten an der Oberfläche in inniger Beziehung stehen. Sie sollen sich von den Sinnespunkten für Druck dadurch unterscheiden, dass ihr Schwellen- werth höher liegt als bei Druck, und dass sie ausserdem die Fähigkeit der Summation in hervorragendem Grade besitzen. Durch diese Summation soll es erklärlich werden, dass der einzelne Inductionsstoss weit weniger wirksam sei, als eine Reihe auf einander folgender. Die eine dieser Eigenschaften kann aber nicht als ein charakteristisches Merkmal für das Vorhandensein von Schmerznerven anerkannt werden. Denn auf der Cornea ist jeder Reiz, auch der minimalste, schmerzhaft und ein Vergleich mit den Schwellwerthen für Druck ist hier ausgeschlossen, weil eben Druckempfindung nicht vorkommt. Wenn er aber trotz dieses Widerspruches aus dem Verhalten der Cornea die Veranlassung nimmt, die freien Nervenendigungen als Organe der Schmerzempfindung zu erklären, so hätte er, bevor er diesen Schluss macht, noch eine Frage beantworten müssen, die ich schon in der Abhandlung über Schmerz aufgestellt habe. Die Frage nämlich, ob diese Nervenendigungen, welche sich auf der Cornea finden und ausserdem in der Körperhaut, in den Schleimhäuten und in allen anderen Geweben bei Weitem die grösste Menge von sensibeln Nerven- fasern, ohne Terminalzellen oder sonstige directe Verbindung mit Zellen bilden, nur zu dem Zweck eingerichtet sind, um einen Schmerz zu äussern, wenn man mit Fremdkörpern auf der Cornea oder anderswo herumwirth- schaftet. Hat nicht diese von den Cyclostomen bis zu dem Menschen vor- kommende nervöse Anordnung einen anderen Zweck und eine andere Function? Was bedeutet sie besonders für den Menschen, von denen gewiss einzelne in ihrem ganzen Leben das Schmerzgefühl nie kennen ge- lernt haben? Ich habe in den eitirten Abhandlungen diese Fragen be- sprochen und glaube gezeigt zu haben, dass die fragliche Einrichtung von freien Nervenendigungen den Zweck hat, einerseits eine für die Vorgänge des Stoffwechsels adäquate Blutvertheilung zu siehern und andererseits das Gefühl des Daseins, das Selbstgefühl in uns zu vermitteln. Es ist hier nicht der Ort, näher darauf einzugehen, doch muss ich aus dieser Ab- handlung wiederholen, dass der Schmerz eine richtige pathologische Er- scheinung ist, d. h. eine Aeusserung einer physiologischen Function unter ungewöhnlichen Bedingungen. Warum ein ungewöhnlich starker Reiz schmerzhaft wird, warum das normale Selbstgefühl bei starken köperlichen Reizungen den Charakter des Schmerzes annimmt, wissen wir nicht. Wir haben dies als Thatsache anzunehmen, ebenso wie das unbestreitbare Gefühl, das wir von unserem Körper haben und wie den Schmerz, der ohne punk- tirte Reizung in uns entsteht. Schmerznerven in dem Sinne, dass man darunter besonders dafür geschaffene Nervenendigungen und Nervenfasern versteht, existiren deshalb nicht und wenn man die Function der freien 220 2. ÖPPENHEIMER: Nervenendigungen untersuchen will, so hat man sein Augenmerk auf ihre physiologische Aeusserung zu lenken und sie darnach zu benennen. Die zweite Eigenschaft, welche v. Frey den freien Nervenendigungen zulegt, existirt ebenso wenig. Er setzt voraus, dass wir seiner Angabe un- besehen Glauben schenken, ohne auch nur den Versuch zu machen, eine hierfür nothwendige Vorrichtung wahrscheinlich zu machen. Auch diese Frage habe ich in der citirten Abhandlung schon behandelt und gezeigt, dass nicht in der peripheren Vertheilung der Nerven, sondern in den spinalen Bahnen der Gewebsnerven ein solcher Aufbau der Fasern vor- handen ist, der die Summation erklärt. Es wurde dort bewiesen, dass dieser Mechanismus sich unter physiologischen Verhältnissen äussert und das zu Stande bringt, was wir unter Stimmung verstehen und es wird dadurch begreiflich, dass eine Summation von einer Anzahl merklicher Reize schliess- lich eine Reizhöhe hervorbringt, die schmerzhaft gefühlt wird. Die hervorgehobenen Einwendungen richten sich, wie man sieht, gegen die Schlüsse, welche die genannten Autoren auf Grund der Resultate ihrer Untersuchungen gebildet haben. Ich müsste jedoch alle Einwände fallen lassen und zugeben, dass zwar die Schlüsse anatomisch-physiologisch nicht zu halten sind, aber vielleicht in einer anderen Form und Fassung einige Wahrscheinlichkeit haben könnten, wenn die Methode der Untersuchung fehlerfrei wäre, wenn wirklich, wie behauptet wird, jeder punktförmige Reiz, der auf der Haut angebracht wird, direct und mit Nothwendigkeit eine Nervenendigung oder einen vermutheten Endapparat und zwar einzig und allein treffen müsse. In Wirklichkeit liegen aber zwischen diesen nervösen Elementen und der Oberfläche der Haut noch andere Gebilde, die sich den Reizungen gegenüber durchaus nicht neutral verhalten. Am wenigsten scheint dabei die Hornschicht der Epidermis in Betracht zu kommen, weil sie nervenlos ist und deshalb in ihr eine nervöse Er- regung nicht zu Stande kommen kann. Sie bereitet aber vermöge ihrer physikalischen Eigenschaften dem Durchgang von mechanischen, thermischen und elektrischen Reizen je nach ihrer Dicke einen mehr oder weniger grossen Widerstand. Es ist begreiflich, dass eine Hornschicht, welche an einer Stelle der Haut nur 11u misst, dem eindringenden Reiz weniger Widerstand entgegensetzt als eine andere, die 2m dick ist. An manchen Stellen drängt sich die Hornschicht so tief zwischen die Papillen, dass ihre untersten Zellen in einer Ebene mit der halben Höhe der Papillen stehen; wo die Papillen kleiner sind, senkt sich die Hornschicht zwischen dieselben hinein oder liegt selbst ganz oben auf der Keimschicht, was auch der Fall ist, wo die Papillen fehlen.! Wenn man die Dieke der Hornschicht nicht ! vw, Koelliker, a..a. 0. 8. 198. Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. Zzal berücksichtigt und wenn man den Widerstandscoöfficienten nicht kennt zu dessen Bestimmung allerdings bis jetzt wenig Aussicht vorhanden ist, so lässt sich aus der Grösse des Druckes, den ein mechanisches Reizmittel auf einer äusseren festen Grundlage auszuüben im Stande ist — hierauf beruhen ja die Kräftemaasse, die v. Frey bei seinen Untersuchungen ge- braucht —, kein Schluss machen auf die Kraft, mit welcher der Reiz auf die nervösen Gebilde der Haut wirkt. Man versteht damit, wie ein abgemessener Schwellenreiz an einer Stelle eine deutliche Empfindung ver- ursacht, auf einer anderen nicht empfunden wird. Auf sehr nahe an ein- ander liegenden Stellen, z. B. auf dem Papillenberg und dem Papillenthal, können schon beträchtliche Unterschiede sich bemerklich machen. Unter der Hornschicht liegt dann die Keimschicht, deren Zellen sich den mechanischen, thermischen und elektrischen Reizen gegenüber nicht indifferent verhalten. Es ist wohl richtig, dass Untersuchungen über die genauen Vorgänge, die in Folge dieser Reize in den nackten protoplas- matischen Epidermiszellen auftreten können, nicht vorliegen. Wir wissen aber, dass durch langdauernden Druck die Hornschicht sich verdickt und Schwielen und Hühneraugen sich entwickeln, dass also, da die Hornschicht aus den Zellen der Keimschicht entsteht, eine vermehrte Wachsthumsenergie der letzteren durch den Druck hervorgerufen wird. Was hier durch eine lange fortgesetzte Drucksteigerung bewirkt wird, ist nur denkbar, wenn man annimmt, dass jeder einzelne, auch kurz dauernde Druckreiz einen Einfluss auf die Zelle ausübt. Es steht diese Annahme in Uebereinstimmung mit den Erfahrungen, die man bei einzelligen Organismen gemacht hat. Schon bei Anwendung von ganz kleinen mechanischen Reizen hat man hier Aenderungen der Formen und Bewegungserscheinungen beobachtet, und es ist deshalb kein Grund vorhanden, diese Erfahrungen nicht auch auf die membranlosen Zellen der Keimschicht zu übertragen. Man muss die An- nahme gelten lassen, dass jede Aenderung der Druckverhältnisse, unter denen diese Zellen in Zeiten der Ruhe stehen, eine Aenderung ihrer Form und damit auch ihres Stoffwechsels hervorbringt. Bei sehr kleinen Reiz- grössen mag diese Veränderung so unbedeutend sein, dass die gebildeten Stoffwechselproducte ohne Einfluss auf die den Zellen anliegenden Nerven bleibt. Wo aber der Reiz stärker ist, muss durch die tiefer greifende Veränderung der Keimschichtzellen eine schmerzhafte Erregung entstehen. Noch auffallender tritt die chemische Veränderung der Zellen und die Reizung der Nerven auf, wenn ein elektrolytisch wirkender elektrischer Strom oder ein thermischer Reiz zur Anwendung gelangt. Endlich ist noch ein Gewebselement zu erwähnen, welches von den Anhängern der Punkttheorie ganz vernachlässigt wurde, aber für die Be- urtheilung der Versuchsergebnisse von höchster Bedeutung ist. Die Haut- 222 7. OPPENHEIMER: musculatur, die Arrectores pilorum, sind sowohl für mechanische wie für elektrische Reize äusserst empfindsame Gebilde. Das hätte schon v. Frey bemerken können, als er bei Berührung der Umgegend eines recht kurz geschnittenen Haares kleine schwankende Bewegungen desselben sah, die zunahmen, je mehr er sich mit der berührenden Borste dem Haarbalg näherte. Diese Bewegung des Haares ist nicht auffallend, weil die glatten Muskeln, wie aus der Physiologie bekannt ist, bei jedem einzelnen Insult sich verkürzen. Die Muskelbewegung bringt wohl an und für sich keine Empfindung zum Bewusstsein, weil sie, wie es scheint, keine centripetalen Nerven besitzen. Allein ihre Contraction muss auf die Nachbartheile einen Stoss ausüben, und insofern diese sensibel sind, muss eine Empfindung entstehen. Ein guter Beweis für diese Wirkungsweise ist das unbestimmbare Gefühl, das wir beim Entstehen einer Gänsehaut haben. Vielleicht sind auch die Resultate von Goldscheider und von Frey nicht ohne Beziehung zu diesen musculösen Theilen der Haut. Wenigstens wenn man die An- gaben beider Autoren liest, wonach Kälte-, Wärme- und Druckfasern gegen die Haare hin in die Haut aufsteigen und sich von dieser aus radiär oder büschelförmig ausbreiten, wobei sie an den Haaren und der büschelförmigen Ausbreitung reizbare Endigungen bilden, so wird man unwillkürlich an die anatomische Anordnung der Arrectores pili erinnert. Jeder einzelne dieser Muskeln entspringt ja an dem Haarbalg unterhalb der Talgdrüse und läuft schräg gegen die Oberfläche in dem stumpfen Winkel, der von Haar- balg und Hautoberfläche gebildet wird, bis zum Corpus papillare, wo der Muskel in einzelne Zipfel zerfällt, die mit bindegewebig elastischen Sehnen nach mehrfacher Kreuzung mit den benachbarten in den obersten Lagen der Cutis sich festsetzen. Es ist begreiflich, dass Reize, welche auf diesen Muskelapparat an irgend einer Stelle einwirken, Contractionen verursachen, und natürlich werden die dem Haare zunächst liegenden Stellen am stärk- sten betroffen, während die entfernter liegenden weniger oder gar nicht erregt werden. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, um auf der Haut- oberfläche eine Zeichnung zu entwerfen über Lage von Muskeln und Muskel- endigungen, die mit der Zeichnung der Druckpunkte die grösste Aehnlich- keit hatte. Mit der Kenntniss der Hautmuskeln wird auch noch eine andere An- nahme verständlich, die mit allen sonstigen Erfahrungen über den Druck- sinn in Widerspruch steht. Goldscheider und v. Frey geben an, dass das Druckgefühl in punktförmiger Gestalt ein körniges Gefühl sei, als ob an dem Punkte der Haut sich ein Widerstand befinde, welcher dem Druck entgegen arbeite, als ob ein kleines Korn dort liege und in die Haut hinein- gedrückt würde. Dass dieser empfindliche Punkt auf der Seite des Haar- balges liegt, welcher mit der Oberfläche einen spitzen Winkel bildet, ist [9} Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 223 eine klare Bestätigung der Hypothese, dass eine Contraction des Muskels dabei betheiligt ist. Denn wenn der Muskel sich contrahirt, muss die Talgdrüse gerade gegen diese Seite hin geschoben und comprimirt werden, und wenn man das untersuchende Instrument in der eigenen Hand hält, so fühlt man das Andrücken der Talgdrüse an das Instrument als Korn, aber wohl bemerkt nicht an der untersuchten Stelle, sondern mit der unter- suchenden Hand. | Einen experimentellen Beweis für diese Hypothese kann ich nicht bei- bringen. Die Vermuthung wurde auch nur geäussert, um zu zeigen, dass eine andere Erklärung für die zerstreuten Empfindungspunkte möglich ist, wie die Annahme einer directen Reizung von specifischen Nervenendigungen, und dass, bevor man diese Annahme macht, eine Reizung der nicht ner- vösen Hautelemente ausgeschlossen werden müsste. Allein abgesehen von diesem Postulat, selbst unter der Voraussetzung, dass die Nerven direct dureh das äussere Agens gereizt würden, hat die Methode den weiteren Fehler, dass angenommen wird, dem Punkte ent- spräche eine Nervenendigung, deren Reizung die specifische Empfindung erzeuge. Um diese Voraussetzung als richtig zu erweisen, benutzte v. Frey ein Verfahren, um möglichst kleine Hautbezirke zu treffen, indem er Reiz- körper von 1/00 Pis !/,, *® auf die Haut applieirte. Legt man die dünnsten Reize zu Grunde und berechnet ihren Umfang in Mikro, so entspräche Y/..0, °® 2000 Quadratmikro. In einer Fläche von dieser Grösse liegen aber, wenn man nach v. Koelliker die Zellen in den obersten Schichten der Keimschicht zu 4 bis 18u Dicke, also im Mittel zu 104 annimmt und die übrigens unwahrscheinliche Annahme macht, dass an jeder Zelle nur eine einzige Nervenendigung vorhanden sei, in den berechneten 2000 Quadrat- mikros mindestens 25 Nervenendigungen. Ein mechanischer Stoss bleibt aber nicht auf den einen getroffenen Punkt beschränkt, sondern breitet sich mehr oder weniger in der Nachbarschaft aus, und in gleicher Weise wirken die thermischen Reize; es müssen demnach mehr als die berechneten Nervenendigungen getroffen werden. Da ausserdem nach Angabe der An- hänger der Theorie die Ketten der qualitativ verschiedenen Punkte nahe beisammen liegen und sich vielfach durchflechten, so ist es ganz unmög- lich, dass von dem angewandten Reiz nur eine Nervenendigung oder auch nur eine Anzahl qualitativ gleicher Fasern gereizt wird. Es müsste selbst beim Gebrauch der dünnsten Instrumente ein wunderbares Gemisch von allen möglichen Empfindungen entstehen. Es müsste das gleiche Resultat eintreten wie beim Einwirken eines flächenartigen Reizes, wo Goldscheider in der That sich die Wirkung in der eben angegebenen Weise vorstellt. Wenn wir aber bei diesen Flächenreizen von diesem Gemisch nichts be- merken, so meint Goldscheider diesen Widerspruch mit der Annahme 224 2. OÖPPENHEIMER: erklären zu dürfen, dass unsere Aufmerksamkeit nicht darauf gerichtet sei, dass z. B. die Empfindungen von Wärme und Kälte, die der Theorie nach auch bei Druck auftreten sollten, sich nicht ohne Weiteres der Auffassung präsentiren, dass sie wie die mouches volantes stets vorhanden seien, ohne dass wir ihrer bewusst würden, dass sie neben der Druckwirkung zu schwach ausgeprägt seien und nur bei darauf concentrirter Aufmerksamkeit wahr- senommen werden können. Diese Behauptung Goldscheider’s bedarf keiner besonderen Wider- legung, denn die tägliche Erfahrung zeigt, dass die Haut ein ebenso zu- verlässiges Sinnesorgan ist, wie das Auge oder das Ohr, und dass wir ohne die mindeste Aufmerksamkeit in der Regel richtige Schlüsse über die Be- schaffenheit der Reize machen. Die Behauptung oder, wie man sie auch nennen kann, der Erklärungsversuch ist, wie man leicht sehen kann, die nothwendige Folge der die ganze Methode beherrschenden Voraussetzung, dass jede Art von Empfindung durch die Reizung einer einzigen Empfin- dungsfaser veranlasst sei. Diese Voraussetzung ist aber falsch und nur durch Umkehrung des an sich richtigen Satzes entstanden, welcher be- sagt, dass jede Reizung einer centripetalen Faser, die im Gehirn endigt, eine Empfindung oder ein Gefühl erzeugt. Der Satz sagt aber nicht aus, dass eine Empfindung nicht auch aus der Erregung von zwei oder mehr sensiblen oder sensorischen Fasern entstehen könne. Die Erregung jeder einzelnen dieser Fasern mag für sich die ihr entsprechende Empfindung veranlassen, aber die Empfindung, die aus gleichzeitiger Erregung von Fasern verschiedener Qualität entsteht, kann sich von jener in sehr auf- fallender Weise unterscheiden. Diese Annahme ist durchaus kein dialektisches Kunststück. Man braucht sich nur in der Physiologie umzusehen, um die Belege dafür zu finden. So nehmen Young und Helmholtz zur Erklärung der Farben- wahrnehmungen drei verschiedene terminale Netzhautelemente an, deren gleichzeitige Erregung die Farbe Weiss giebt. Diese Netzhautelemente sind allerdings nicht nachgewiesen, aber die Hypothese zeigt, dass zwei der bedeutendsten Forscher sich nicht gescheut haben, eine Empfindung aus dem Zusammenwirken mehrerer Fasern abzuleiten. Nachgewiesen ist dieser Vorgang bei der Entstehung des Klanges, wo neben dem Grundton noch Obertöne vorhanden sind, die zusammen die einheitliche Empfindung machen, die von der reinen Empfindung des Grundtons und der ÖObertöne wesent- lich abweicht. Ferner habe ich in der Abhandlung über Schmerz- und Temperaturempfindung gezeigt, dass durch den thermischen Reiz zwei ver- schiedene Nervenarten erregt werden und durch das Zusammenwirken dieser Erregungen die Empfindung von Wärme oder Kälte zu Stande kommt. Einen unwiderlegbaren Beweis für diese Wirkungsweise bietet die Beob- Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 225 achtung, dass die Unterbrechung der einen oder anderen Bahn im Rücken- mark, wo die erregten Fasern getrennt verlaufen, die Temperaturempfindung aufhebt und nur die Empfindung der Berührung oder des Schmerzes zu Stande kommt. Man mag darüber streiten, ob man eine derartig entstandene Empfin- dung als complexe Empfindung oder als Vorstellung zu bezeichnen habe. Die Entscheidung darüber muss man den Psychologen überlassen. Vorerst sind wir aber gewöhnt, die Wirkung eines äusseren Reizes auf eine Sinnes- fläche als Empfindung zu nehmen, ohne uns über die feineren dabei statt- findenden Vorgänge Rechenschaft zu geben. Die wahrgenommene Empfin- dung benennen wir auch nicht entsprechend den Vorgängen an den Nerven- oder den psychischen Centren, sondern nach der Ursache, welche sie veranlasst hat. An dem Wesen der Empfindung wird daher nichts geändert, wenn sie aus der Erregung von zwei oder mehr Nerven hervor- geht. Es kommt nur darauf an, dass sie mit einer einheitlichen Ursache in Beziehung gesetzt werden kann und dass diese Ursache mehrere Nerven derart zu erregen vermag, dass die Erregungen der Componenten regel- mässig und gleichzeitig erfolgen und in einem gewissen gegenseitigen Ver- hältniss hinsichtlich ihrer Intensität stehen. Jede Aenderung dieser Bedingungen muss eine Aenderung der Empfin- dung veranlassen, und wenn man auf diese Wirkungsweise eines äusseren Reizes nicht achtet und für jede Art von Reiz besondere Nervenarten erfindet, so kann man zur Aufstellung von sehr eigenthümlichen Nerven kommen und wird manchen Täuschungen ausgesetzt sein. So hat ein italienischer Arzt allen Ernstes Trockenheit- und Feuchtigkeitnerven er- kennen wollen. Man kann auch die Vermuthung nicht unterdrücken, dass das körnige Druckgefühl von Goldscheider und v. Frey aus der Ver- schmelzung mehrerer einfacher Empfindungen hervorgegangen ist. Am auffallendsten werden aber die Täuschungen bei der Temperatur- empfindung, die, wie ich in der citirten Abhandlung gezeigt habe, aus der Verschmelzung von Erregungen in den Berührungsnerven und in den freien Nervenendigungen sich herausbildet. Je nach dem Grad der Veränderungen, welche die Eigenschaften der zu diesen Nerven gehörigen Endapparate durch den Temperaturreiz erleiden, entsteht die Empfindung von Wärme oder Kälte, letztere, wenn die Berührungsnerven in hervorragender Weise gereizt werden, und die erste, wenn eine vorherrschende Erregung in den freien Nervenendigungen stattfindet. Eine genaue Bestimmung der Reiz- grössen, welche auf jede dieser Nervengattungen einwirken, damit eine Temperaturempfindung der einen oder anderen Art zu Stande komme, ist vorerst unmöglich. Wenn man sich aber an die Erfahrung hält, so scheint das richtige Verhältniss des Optimum hergestellt zu sein, wenn man Archiv f, A, u. Ph, 1902. Physiol. Abthlg. Suppl, 15 226 7. ÖPPENHEIMER: Temperaturen, die zwischen 16 und 36° C. oder noch schärfer in der Nähe der Blutwärme liegen, auf die Haut einwirken lässt. Iu dem Fall unter- scheidet man sehr kleine Differenzen der Temperatur und ist selten einer Täuschung ausgesetzt. Temperaturen, welche jenseits dieser Grenze liegen, erregen die zwei Nervenapparate vermöge der Verschiedenheit ihrer anatomischen und physi- kalischen Eigenschaften in sehr ungleichmässiger Weise, so dass bald die eine, bald die andere stärker als unter physiologischen Bedingungen erregt wird. Bei grossem Wärmereiz entwickelt sich, weil die Zellen der Keim- schicht dadurch zu erhöhtem Stoffwechsel befähigt werden, leicht eine starke Reizung der freien Nervenendigungen, die als Wärmegefühl beginnt und sich bis zum Schmerz, dem Wärmeschmerz, steigert. Auch Temperaturen unter 3°C. machen Schmerz, Kälteschmerz. Mit den Ausdrücken Wärme und Kälteschmerz will man aber nicht besondere Arten von Schmerzgefühl bezeichnen, sondern nur die Ursache, welche den Schmerz veranlasst hat und die Empfindung, die ihm vorausging. Bei dem Streit, der von den Anhängern der Punkttheorie darüber geführt wird, ob die Drucknerven oder die Temperaturnerven die Schmerzleitung vermitteln, ist es wichtig, diese Entstehungsweise des Gefühls vor Augen zu halten. Bei Einwirkung von niederen Wärmegraden, unter 15° C., werden die Verhältnisse complicirter. Hier wird allerdings der Stoffwechsel in den contrahirten Zellen der Keimschicht herabgesetzt und es deshalb verständlich, dass, wie v. Frey angiebt, schon bei 8°C. der Schwellenwerth für Schmerz um das Doppelte seines ursprünglichen Werthes in die Höhe geht. Hin- gegen bewirkt die Kälte eine Verdichtung der Tastzellen und eine Con- traction der Muskeln des Haarbalgs und zugleich eine Contraction der Hautgefässe. Neben der Blässe der Haut entsteht deshalb eine Erregung der mit den Tastzellen und den Haaren in Verbindung stehenden Nerven. Es ist dies ganz die nämliche Art von Erregung, welche durch mechanische Reize hervorgebracht wird. In gleicher Weise dürfte wohl eine andere Beobachtung, die man als paradoxe Kälteempfindung bezeichnet hat, ihre Erklärung finden. Wenn man ınit dem warmen Draht, einem Körper, der seine Wärme rasch ab- giebt, die Conjunctiva, die Brustwarze oder Glans penis, auch andere Stellen der Haut untersucht, so hat man nach v. Frey eine eigenthümliche, scharf umschriebene Kälteempfindung. An den erst genannten Stellen, wo die Epidermis fehlt oder sehr dünn ist und die Tastorgane reichlich sich finden, tritt sie schon auf, wenn der Draht 40°C. warm ist, an der Haut, wo die Epidermis dicker und die Tastorgane weniger zahlreich sind, bedarf es einer Temperatur von 45° C., um die gleiche Wirkung zu erreichen. Beim Besteigen eines warmen Bades ist, wie v. Frey richtig angiebt, ein leichtes Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. D2N Frostgefühl ganz gewöhnlich, das Gefühl verschwindet jedoch rasch wieder. Nach meiner Theorie über Temperaturempfindung ist diese Erscheinung leicht zu erklären. Die plötzliche Zufuhr von Wärme dehnt die Elemente der Keimschicht und die darunter liegenden Cutis rasch aus. Die Folgen hiervon müssen aber bei dem verschiedenen Bau dieser Elemente sehr ver- schieden sein. Während bei Vergrösserung der Epidermiszellen im gün- stigsten Falle ein-Druck auf die in den Intercellularräumen verlaufenden Nerven ausgeübt wird und eine chemische Veränderung in ihnen, wodurch sie auf die freien Nervenendigungen wirken können, verhältnissmässig langsam zu Stande kommt, wird in den Merkel’schen Tastzellen. durch die Ausdehnung ihres Inhalts die umschliessende Membran gespannt und es werden dadurch elastische Kräfte wachgerufen. Wie dies vor sich geht, wird später noch besprochen werden. Hier kam es mir darauf an, zu zeigen, dass wieder ganz das nämliche geschieht, wie bei Berührung oder bei Kältereizen, und dass, wenn eine Kälteempfindung hier auftritt, dies nicht sonderbar ist, wie v. Frey meint. Die paradoxe Kälteempfindnng ist nur paradox, weil sie neben der von ihm vertretenen Lehre von specifischen Kältepunkten liegt, nicht in sie passt und deshalb als eine ihrer besten Widerlesungen angesehen werden darf. Es fragt sich nun noch, warum wir diese in so verschiedener Weise entstandenen Erregungen in den Tastzellen als Kälteempfindung auffassen. Einmal kann man nicht in Abrede stellen, dass vielfach mit der Erregung der Tastzellen eine solche der Gewebsnerven, wenn auch in einem anderen Verhältniss wie bei dem Optimum der Temperaturempfindung verbunden ist. Bei der paradoxen Kälteempfindung wird man dies nicht in Abrede stellen und wenn man, wie v. Frey die Untersuchung an der Conjunctiva und Glans penis vornimmt, wo die Hornschicht entweder fehlt oder die Epidermis sehr dünn ist, so kann bei einer mechanischen oder einer anderen Reizung die Veränderung der Zellen der Keimschicht nicht ausbleiben. So gering auch diese sein mag, einen Beitrag zur Entstehung der aus zwei Compo- nenten zusammengesetzten Empfinduug kann sie doch liefern. Dazu kommt noch ein Moment, das nach Goldscheider bei diesen Untersuchungen vorhanden sein muss, die concentrirte Aufmerksamkeit. Auch v. Frey be- stätigt dies mit den Worten, dass man „für die Conjunctiva über die Lage der Kältepunkte schon etwas orientirt sein muss, wenn man nicht lange vergeblich suchen soll.“ Es gehört also, um sich ein Urtheil über einen Sinnreiz zu bilden, noch ein besonderer psychischer Vorgang dazu. Wie dieser beschaffen ist, scheint mir nicht schwer zu bestimmen. Es ist näm- lich bekannt und allgemein anerkant, dass complexe Empfindungen und Vorstellungen in unserem Bewusstsein auftauchen wenn auch nur eine ihrer Componenten uns geboten ist. Es verbinden sich dann mit dem 15* 228 2. ÖPPENHEIMER: einzelnen Sinneseindruck nach dem Gesetz der Reproduction Vorstellungen, die durch Association häufig mit einander verbunden waren. Wer eine Temperaturempfindung erwartet, vereinigt leicht unbewusst die Empfindung der Berührung mit dem oft beobachteten Gefühl, das als ein zweites bei dem Zustandekommen der Kälteempfindung betheiligt war. Lässt man diesen psychischen Vorgang unberücksichtigt, so kommt man zu dem sonderbaren Schluss, dass Kältepunkte verbreiteter und reichlicher seien als Wärmepunkte, zu einem Schluss, der für die Bekenner der specifischen Energie der Nerven zugleich die Voraussetzung enthält, dass Nerven für Wärme und Kälte vorhanden seien. Sonderbar an dieser Theorie ist jedoch, dass man Nerven construirt für Agentien die in der Natur unbekannt sind. Was wir jetzt unter Wärme verstehen, ist eben etwas ganz anderes, wie man »früher die Wärme im Auge hatte, wenn man das Gefühl warm oder kalt erklären wollte. Damals nahm man an, dass sie eine Substanz sei, deren Eintritt in unseren Körper das Gefühl der Wärme, deren Austritt das der Kälte errege. Wer dieser Hypothese jetzt noch anhängt, der darf sich vorstellen, dass diese Substanz, auch wenn er sie nicht zu wägen vermag, sich mit unserm Körper ver- bindet oder von ihm abgegeben wird und dass es Nerven geben könne oder müsse, welche den Stoff aufnehmen oder abstossen. Jetzt aber wissen wir mit aller Bestimmtheit, dass man unter dem Begriff Wärme eine Bewegung der elementaren Bestandtheile eines Gegenstandes zu verstehen habe und dass diese moleculare Bewegung, gleichgültig ob sie auf anorganische oder organische Körper trifft, immer nur als solche wirken kann. Der Erfole in beiden Fällen wird einzig und allein von den Eigenschaften des ge- troffenen Körpers abhängen und kann ein einfacher oder ein complicirter sein, je nach Zusammensetzung dieses Körpers. Diese Wirkungsweise am menschlichen Körper zu erforschen, ist die Aufgabe der Physiologie. Die Aufstellung von Wärme- und Kältenerven verzichtet darauf, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Zu meinem Bedauern hat diese Kritik einen ursprünglich nicht beab- sichtigten Umfang angenommen. Sie musste aber ausgeführt werden, weil die scheinbare Einfachheit und behauptete Unumstösslichkeit der Theorie die meisten Physiologen und Psychologen der Neuzeit veranlasst hat, sie, ich möchte sagen unbesehen, in die Hand- und Lehrbücher aufzunehmen. Es wurde ihr dadurch der Werth eines Canons beigelegt, der, wie erwähnt, mit den physiologischen Grundsätzen der Sinnsempfindungen nicht zu ver- einen ist und der insbesondere mit den pathologischen Erfahrungen in directtem Widerspruch steht. So bleibt es unverständlich, zu welchem Zweck im Organismus Schmerznerven geschaffen sind, welch ein Unter- ‚schied zwischen Berührung und Druck besteht und wie die bekannte Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 2329 Erscheinung der Dissociation der Hautempfindungen zu erklären ist. Gerade die Unklarheit, welche durch die Theorie über die spinalen und theil- weise auch über die cerebralen Vorgänge geschaffen wurde, nicht die Lust an Kritik war die Veranlassung, dass ich mich dieser Arbeit zugewandt und mit Hülfe einer anderen Methode der Untersuchung zu einem den Anforderungen der Wissenschaft mehr entsprechenden Resultat zu gelangen suchte. Die Methode war nicht schwer zu finden, sie ist die nämliche, wie die bei der Untersuchung von Auge und Ohr mit so grossem Erfolg gebrauchte. Sie hat nicht von den Nerven auszugehen, sondern von den Terminal- apparaten, die mit Nerven verbunden sind. In den Vorgängen dieser End- organe liegt der Reiz für den Nerv und was man bisher als adäquaten Reiz bezeichnet hat, sind eben diese Vorgänge, welche den äussern Reiz in eine nervöse Kraft umzuwandeln im Stande sind. Damit ist natürlich nicht gesagt, das der Nerv für die Einwirkung eines äussern Reizes un- empfindlich ist. Jede Reizung desselben wird sich bis zur centralen End- station in den Hirnzellen fortpflanzen. Aber wir erfahren dadurch niemals, wie der physiologische Vorgang beschaffen ist. Beim Studium der Gesichts- und Gehörsempfindungen betrachtet man dies als selbstverständlich, und wie Niemand aus der Gesichtsempfindung, die durch einen Schlag auf das Auge veranlasst wird, eine Physiologie des Gesichtssinnes aufbauen will, so sollte man auch aufhören, mittels des elektrischen Stromes die Be- dingungen für das Auftreten einer Hautempfindung studiren zu wollen. Es wird sich also wesentlich darum handeln, die Eigenschaften der End- organe, soweit es mit unsern jetzigen Kenntnissen angeht, kennen zu lernen und zuzusehen, wie diese durch äussere Einflüsse der Art verändert werden, dass eine Erregung des Nerven daraus hervorgeht. So leicht wie am Auge und Ohr ist diese Untersuchung nicht. Die mikroskopische Kleinheit der Hautendorgane und die Unmöglichkeit, sie isolirt in einem brauchbaren Zustande erhalten zu können, macht jede experimentelle Untersuchung unmöglich und man ist deshalb darauf angewiesen, auf Grund der beob- achteten Erscheinunger und Eigenschaften dieser Organe und mit Hülfe von auf anderen Gebieten gewonnenen physikalischen oder chemischen Erfahrungen Hypothesen über die Vorgänge in ihnen aufzustellen, deren Richtigkeit oder Falschheit eine fortgesetzte Untersuchung ergeben wird. In zweiter Linie wäre noch der Verlauf des Nerven von dem End- organ bis zum Gehirn zu ermitteln. Für einen Theil dieser Nerven, den sensorischen, ist dieser Verlauf durch Anatomie, Physiologie und Pathologie, wenigstens in allgemeinen Umrissen, so bekannt, dass er hier nicht be- sonders erörtert zu werden braucht. Ein anderer Theil hat bisher wenig Be- achtung gefunden, er muss deshalb und besonders wegen seiner Wichtigkeit 230 7. OÖPPENHEIMER: für die Lehre des Gefühls ausführlicher behandelt werden, was ich in der Abhandlung über die Physiologie des Gefühls ausgeführt habe. Es sollen zunächst die Organe für Berührung besprochen werden, für eine Empfindung, deren Vorhandensein ein Theil der Punkttheoretiker nicht kennt und die ein anderer Theil als Druckempfindung auffasst. v. Frey stellt es in das Belieben eines Jeden, was er unter Berührung verstehen will. Sie ist aber, wie sich ergeben wird, eine gut fundirte und verdient eine besondere Behandlung. 1. Tastzellen. Vor allem müsssen die Tastzellen (Merkel’s) untersucht werden. Sie sind in der Haut allgemein verbreitet, kommen sonst noch am Gaumen neben Tastkörperchen vor, stellen 10 bis 15 u grosse, mit ihrer Längsaxe meist quergestellte helle Zellen mit deutlicher Begrenzung dar, die einen grossen gleichartig aussehenden Kern besitzen." Sie liegen in den tiefsten Theilen der interpapillären Epithelzapfen und sollen gar nicht selten in die Cutis hnabrücken. An’jede Tastzelle treten feine Nervenfäden heran, die von unten über dem Rand her in die Zellen eindringen und in eine Platte übergehen, die der tiefern Fläche der Zelle anliest. Diese Tast- scheibe oder Tastmeniscus wird von Ranvier und v. Koelliker für das eigentliche Nervenende gehalten. Ueber die Abstammung dieser Nervenfäden beim Menschen wird nichts erwähnt. Doch ist es nach Analogie mit den Tastzellen und Tastplatten am Schweinsrüssel und den aus Tastzellen zusammengesetzten Grandey’- schen Körperchen der Vögel in hohem Grade wahrscheinlich, das mark- haltige Fasern bis zur Tastzelle oder wenigstens bis zur Cutis dicht unter dem Epithellager und den Tastzellen verlaufen, wo sie mehrfach getheilt und horizontal unter den Tastzellen verlaufend marklos werden und als marklose, hüllenlose Axencylinder in dieselben eintreten. Das Herantreten von marklosen Nervenfasern bis in oder dicht an die Terminalorgane mit ihrem raschen Zerfall in feine Aestehen und Axen- cylinder gehört wohl mit zu den besonderen Eigenschaften der Tastzellen und der anderen noch zu nennenden Endorgane, und unterscheidet diese von der als freie Endigungen bezeichneten Nervenart. Die sehr ausgedehnte Verbreitung der Tastzellen, ihre : complicirte Structur mit der festen äussern Hülle und der im Innern gelegenen Tast- scheibe lassen es nicht zu, sie als nebensächliche Bildungen zu betrachten, wie dies von Einzelnen angenommen wird. Eine solche Annahme ist nur ! Vgl. v. Koelliker, Gewehelehre. DIE HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 231 zu machen, so lange man über die Bedeutung derselben im Unklaren ist. Die Function derselben kann man schon aus einer älteren Beobachtung Weber’s vermuthen, die durch Fick bestätigt wurde und deren Richtigkeit ich in mehreren Fällen sehen konnte. Auf Narbengewebe nämlich, welches sich bis in die Cutis erstreckte, wird eine zarte Berührung nicht wahr- genommen, während ein Druck deutlich empfunden wird. Man darf aller- dings nicht mit stumpfen oder spitzen festen Körpern die Haut berühren, um diese Erscheinung zu beobachten. Die Reizung, die solche Körper machen, geht zu leicht in die Tiefe, wo noch andere Endorgane in Betracht kommen. Am besten sieht man die Aufhebung der Berührungsempfindung, wenn man eine weiche Flaumfeder benützt, die in der gesundeu Umgebung der Narbe die Empfindung noch hervorruft, auf der Narbe aber wirkungs- los ist. Es ist ferner zu erwähnen, dass eine Berührung nur auf der Haut empfunden wird. Die Berührung des Gaumens wird zwar ebenfalls wahr- genommen, aber hier kommen neben den Tastzellen auch Tastkörperchen vor und die Trennung der Empfindungen beider ist nicht möglich. An Stellen der Haut aber, wo die Tastkörperchen fehlen, Tastzellen aber vor- handen sind, wie an der Haut des Bauches, des Oberschenkels, Oberarmes und des Rückens ist die Empfindung des Berührens recht deutlich. An allen anderen Stellen des Körpers, an blossgelestem Muskelgewebe, Binde- gsewebe und an Eingeweiden ist von einer Berührungsempfindung nichts bekannt. Man darf wohl daraus schliessen, dass die Nerven, welche am Muskel und Bindegewebe, in dem Epithel der Eingeweide sich verbreiten, durch Berührungsreize nicht in Erregung versetzt werden und dass ebenso in der regenerirten Oberhaut einer Narbe, wo die Neubildung von Tast- zellen ebenso wenig wahrscheinlich wie die von Tastkörperchen — nach einer Untersuchung von O. Weber fehlen diese in der Narbe — die in der Narbe vorhandenen Nerven keine Beziehung zu Berührungsreizen haben. Es bleiben demnach nur die Tastzellen übrig, denen man die Vermittelung der Berührung zu dem Centralorgan zuschreiben kann. Die Zellen der Keimschicht, die auch auf Narben vorkommen, muss man davon ausschliessen. Der Grund für dieses verschiedene Verhalten der Empfindlichkeit in den Zellen der Keimschicht und den Tastzellen kann nur in einer Ver- schiedenheit des Baues dieser Zellen liegen. In der That besitzen die Tastzellen eine membranöse Umhüllung, während die Zellen der Keimschicht eine umhüllende Membran nicht erkennen lassen. Das ist wenigstens für die tiefsten Zellen der Keimschicht richtig. In einer gewissen Höhe tritt jedoch eine solche als eine Anfangs zarte Bildung auf, um in der ober- flächlichsten Lage nahezu ebenso deutlich zu werden, wie in den angren- zenden Theilen der Hornschicht (v. Koelliker). Da aber die oberfläch- 292 /. OÖPPENHEIMER: lichen Lagen nervenlos sind — die marklosen Nervenfasern, die sich in die Oberhaut einsenken, enden schliesslich in der Nähe des Stratum granu- losum —, so kann man diese nicht als Elemente betrachten, die eine Erregung des Nerven hervorbringen könnten, sondern als ein mehr festes Gewebe, welches einen Stoss, den eine Berührung, wenn auch in sehr schwacher Weise, verursacht, auf die tieferen Theile weiter leitet. Ob bei diesem Durchgang der Bewegung durch die Hornhaut und die Zellen des Stratum granulosum elastische Bewegungen in diesen veranlasst werden, kann wegen ihres Mangels an Nerven ununtersucht bleiben. Jedenfalls gelangen die erzeugten Bewegungen in die tiefe Schicht, wo sie auf die die hüllenlosen Zellen der Keimschicht und auf die mit Membranen ver- sehenen Tastzellen treffen. Die ersten zeigen aber wie alle flüssigen Körper — das darf man wenigstens aus allgemein physikalischen Erfahrungen annehmen — elastische Kräfte nur bei Aenderung ihres Volumens, wie bei Einwirkung von Wärme oder Kälte. Mit der grössten Leichtigkeit wird aber durch geringste äussere Kraft eine Formveränderung in ihnen bewirkt, welche jedoch zum Unterschiede von festen Körpern, welche dieser Formveränderung Wider- stand leisten können, eine elastische Kraftäusserung nicht hervorruft. Die Rückkehr in die normale Ruhelage bei diesen Flüssigkeiten muss durch eine Kraft, wie die Schwere, bewirkt werden, während bei Volumens- änderungen die dabei erzeugte Entfernung der Molecüle von einander durch die Molecularkräfte selbst ohne dazwischentretende äussere Mittel geregelt wird, wenn die Ursache der ersten Bewegung aufgehört hat. Man sieht, dass hierin ein grosser Unterschied zwischen der Wirkung eines thermischen und eines mechanischen Reizes besteht. Durch die Zellen der Keimschicht kann demnach ein Stoss unverändert hindurchgehen, höchstens kann er in seiner Intensität durch den Widerstand, welchen die Bewegung in diesen Theilen findet, abgeschwächt werden und hierin mag die Ursache der ver- schiedenen Empfindlichkeit einzelner Hautregionen liegen. Trifft der Stoss aber auf die Tastzellen, so bewirkt er eine Formver- änderung in der Membran derselben, welche, wie alle membranösen Hüllen, durch den Inhalt in einer mehr oder weniger grossen Spannung erhalten wird und sich hierdurch nach Art der festen Körper verhält. Es werden elastische Kräfte hervorgerufen, welche die Formveränderung wieder aus- zugleichen bestrebt sind. Es werlen Schwingungen der Membran erzeugt. Man darf hierbei wohl an die Vorgänge am Trommelfell denken, an welchem die longitudinalen Luftwellen in Transversalschwingungen umge- wandelt werden. Dieser Vergleich ist um so mehr berechtigt, weil in der That die Schallwellen der Luft ganz deutlich Berührungsempfindungen er- zeugen und zwar so deutlich, dass sie bei einiger Aufmerksamkeit darauf Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 233 während eines Concerts unangenehm werden können. Man ist geradezu erstaunt über die Mannigfaltiekeit der Empfindungen, welche hohe und tiefe Töne, forte und piano darbieten. Lässt man einzelne Theile oder Geräusche auf sich einwirken, so ist auch hier die Empfindung noch deut- lich, bei tiefern Tönen deutlicher als bei hohen. Doch habe ich die Grenze nicht ermitteln können, wo die Töne aufhören, eine Empfindung der Be- rührung zu erzeugen. Auch die Empfindlichkeit der einzelnen Regionen der Haut gegen die Luftwellen ist nicht überall gleich. Am meisten zeichnen sich die gewöhnlich unbedeckten Stellen der Hände und des Ge- sichts aus. Zu diesen feinfühligen Stellen gehört auch das äussere Ohr und es verdiente einer Untersuchung, ob die Bestimmung der Schallquelle nicht auf der Fähigkeit des äussern Ohrs beruht, Berührungsempfindungen zu vermitteln. Wie die Verdichtungs- und Verdünnungswellen der Luft auf die Tast- zellen, müssen auch einfach schwache, mechanische Stösse wirken, voraus- gesetzt, dass sie die Grenzen der elastischen Kräfte nicht übersteigen. Wo diese Grenze liegt, lässt sich begreiflicher Weise nicht bestimmen. Eine ein- fache Berührung ist jedenfalls im Stande, die Deformation hervorzurufen, die durch die elastischen Kräfte wieder ausgeglichen werden kann. Bleibt aber die Berührung länger bestehen, so scheint die Zelle nicht mehr in ihre frühere Lage zurückzukehren, sie bleibt deformirt, bis die äussere Ursache zu wirken aufgehört hat. Darin mag der Grund liegen, dass eine anhaltende Berührung, vorausgesetzt, dass nicht andere Einflüsse, wie Druck oder Wärme, dabei im Spiele sind, nicht mehr empfunden wird. Die Beobachtung, dass Eintauchen eines Fingers in eine Flüssigkeit von der Temperatur des Fingers oder das Uebergiessen eines Fingers mit einer Paraffinmasse nach Meissner die Empfindung der Berührung nicht her- vorbringen, zeigen auf’s Deutlichste, dass es sich dabei nicht um einen einfachen Contact handelt, sondern dass ein Stoss dazu nöthig ist, der die Deformation bewirkt. Dass aber auch eine bleibende Deformation nicht wirksam ist, geht aus der Beobachtung hervor, dass eine Quecksilbersäule von 20°® Höhe auf der Volarseite des Fingers stehen kann, ohne die Empfindung des Berührens zu veranlassen, obgleich dadurch eine sehr namhafte Compression der Weichtheile zu Stande kommt. Wenn aber da, wo der eingetauchte Finger die Oberfläche der Flüssig- keit schneidet, eine Empfindung wie von der Berührung eines feinen Ringes entsteht, so ist dies ferner ein Beweis für die elastischen Eigenschaften der Tastzellen. Nur an dieser Grenze liegen sie frei und in ihrer Form unverändert und können durch die unvermeidlichen, durch Verdunstung oder Pulswellen hervorgerufenen Schwankungen der umhüllenden Flüssig- keiten in Schwingung versetzt werden. 234 2. ÖPPENHEIMER: Führt nun die Membran Schwingungen aus, so muss auch der Inhalt der Zelle und der Tastscheibe in Bewegung gerathen, und man darf sich wohl vorstellen, dass hierdurch, wie bei der Einwirkung des Labyrinth- wassers auf die radiären Fasern der Schnecke, eine mechanische Erregung der Tastscheibe, die das eigentliche Ende des Nerven ist, hervorgebracht wird. Deutlicher als an der menschlichen Tastzelle wird die mechanische Reizung der Endscheibe bei den Grandry’schen Körperchen der Vögel beleuchtet. Hier liegt die Platte nicht in der Zelle selbst, sondern zwischen zwei halbkugelförmigen grossen Tastzellen mit bindegewebiger Umhüllung. Die Schwingungen beider Zellen müssen sich direct auf die Endscheibe übertragen. Die Flüssiekeit in ihnen kann nur zur Spannung der Wand dienen und die Elastieität derselben herstellen. Bei der Untersuchung der Vorgänge, welche die Berührungsempfindung erklären sollen, kann man die Frage nicht umgehen, ob und wie weit die Haare, obgleich man sie nicht zu den Terminalapparaten in der Haut rechnet, für das Zustandekommen dieser Empfindung von Bedeutung sind. Dass es Tast- und Spürhaare giebt, hat man schon längst angenommen. Dass aber wahrscheinlich alle Haare Empfindungsorgane sind und dass sie mit gutem Recht in Parallele zu den Tastzellen gestellt werden können, geht aus den histologischen Untersuchungen hervor. In dem Haarbalg liegt nämlich zwischen den Faserhäuten, die der Cutis und dem Rete Malpighii entsprechen, also an der Stelle, wo sonst die Tastzellen vorkommen, eine helle, durchsichtige Membran, die. Glashaut, welche durch Reagentien, wie verdünnte Säuren oder Alkalien, wenig ver- ändert wird und sehr dicht und fest zu sein scheint. An dieser Haut verbreiten sich die aus der Tiefe des Haarbalges eingetretenen Nerven und ziehen in Längsfalten der Haut als marklose Fasern der Länge nach auf- wärts. An den Tast- und Spürhaaren ist die Anordnung der Nerven ver- wickelter. Nach Merkel und Ranvier sollen sogar innerhalb der Glas- haut Tastzellen, wie in der äusseren Haut, vorhanden sein und Nerven in ihnen enden. Von anderer Seite wird diese Angabe bestritten. Wie dem aber auch sein mag, die Endigung von Nerven an einer festen zellen- und gefässlosen Membran lässt die Vermuthung als gerechtfertigt erscheinen, dass die Schwingungen, welche sie durch Mittheilung einer Bewegung aus- führt, sich wie ein Reiz für die ihr anliegenden Nerven verhalten. Es ist wohl nicht zu gewagt, wenn man annimmt, dass das Haar wie ein fester eingeklemmter Stab durch jeden äusseren Stoss in Schwingungen versetzt wird und dass diese sich durch die dünne, aber starre Wurzelscheide und die Oberhaut des Haarbalges hindurch, wenn auch gedämpft, auf die Glas- haut fortsetzen. Ob die durch Bewegung des Haares entstandene Empfin- dung qualitativ von der durch die Tastzellen vermittelten unterschieden Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 235 ist, habe ich noch nicht entscheiden können. Ein Unterschied besteht aber sicher, nämlich die längere Dauer der Empfindung im Verhältniss zu der der Tastzellen. Es kann dies dadurch hervorgebracht sein, dass die Schwingungen des Haares eine Zeit lang fortdauern, während die Tast- zellen sehr rasch nach der Einwirkung des Stosses wieder ihre Ruhelage einnehmen, ganz ähnlich wie der Schall angeschlagener Membranen sehr rasch, fast momentan verklingt. II. Paecini’sche (Vater’s) Körperchen. Schon Weber hatte beobachtet, dass auf Hautnarben, welche, wie vorhin schon erwähnt, unempfindlich gegen Berührung sind, Druckempfin- dungen ganz deutlich hervorgebracht werden können. Es folgt daraus, dass, wenn überhaupt Organe im Körper vorhanden sind, welche Drucke auf Nerven übertragen können, diese unter der Epidermis, in der Cutis oder unter dieser gelegen sein müssen. Hier kommen nun zwei Formen von Endapparaten vor, die sich in ihrem Aussehen und in ihrer histolo- gischen Structur sehr wesentlich von einander unterscheiden. Betrachten wir zunächst die unter der Cutis in dem Unterhautzell- gewebe gelegenen Paeini’schen Körperchen. Ausser im Unterhaut- zellgewebe wurden sie nur noch in dem Gebiet der spinalen Nerven an den Gelenken, am Periost und Knochen, in Fascien, Sehnenscheiden und Muskelscheiden gefunden und im Gebiet des sympathischen Nerven vor und neben der Aorta abdominalis, im Mesenterium, an den Corpora cavernosa penis und an der Prostata. Ueber die Beziehungen der Pacini’schen Körperchen an dem Nervus infraorbitalis, intercostalis, pudendus communis, an den Nerven der Brustdrüse und an der Arteria profunda femoris lässt sich keine Angabe darüber machen, ob sie zu den spinalen oder sym- pathischen Nerven gerechnet werden müssen. Dieser Mangel unserer Kenntnisse hindert aber nicht, die mögliche Wirkungsweise der Körperchen in Betracht zu ziehen. Vermöge des gleich- artigen Baues in allen Gebieten ihres Vorkommens darf man eine gleich- artige Wirkung auf die damit zusammenhängenden Nerven erwarten. Wegen ihres Zusammenhanges mit spinalen und sympathischen Nerven kann man nur daran denken, dass sie theils mit bewussten, theils mit unbewussten Vorgängen im Gehirn oder Rückenmark Beziehungen haben, und man kann es als wahrscheinlich annehmen, dass die mit dem Sympathicus zu- sammenhängenden Reflexe hervorrufen, die uns unbewusst bleiben. Doch ist darüber nichts bekannt und wir werden deshalb gut thun, nur die dem spinalen System angehörigen zu betrachten, die, wenn sie eine Empfindung verursachen, ihre Endstation im Gehirn haben. 236 7. OÖPPENHEIMER: Aber haben denn diese Gebilde die Function eines Sinnesorgans? Experimentelle Reizungen kann man nicht ausführen und Beobachtungen über experimentelle oder pathologische Ausschaltungen derselben sind nicht bekannt. Da kann die Frage nur mittels einer Hypothese beantwortet werden, die sich aus den anatomischen Befunden ergiebt und geeignet ist, einzelne Erscheinungen zu erklären. Ihr Vorkommen an den Gelenken und Unterhautbindegewebe, an Periost, Knochen und Sehnen führt zu der Annahme, dass sie mit den Organen und Functionen der Bewegung in irgend einer Beziehung stehen. Wenn diese Annahme für das Periost und Knochen, an die sich unmittelbar oder durch Vermittelung von Sehnen, Bändern und Membranen die Muskeln ansetzen, leicht verständlich ist, so wird man auch bei den Körperchen des Unterhautzellgewebes, das den Muskeln, Knochen und Knorpelhäuten bald locker, bald fester aufliegt und mit denselben verbunden ist, die Be- ziehung zum locomotorischen Apparat nicht in Abrede stellen können. Die Bedeutung der Körperchen wird sich deshalb bei der Bewegung der Muskeln zu erkennen geben müssen. Wir sind jedoch nicht berechtigt, jede Empfindung, die bei der Con- traction eines Muskels uns bewusst wird, als eine Aeusserung des Actes der Zusammenziehung selbst anzusehen. Denn die Empfindung kann sowohl durch die Contraction hervorgebracht sein, wie durch eine Lageveränderung in den mit dem Muskel zusammenhängenden Geweben. Man kann die erste Art von Empfindung ausscheiden, wenn man die Muskelcontraction verhindert und passive Bewegungen in einem Gelenke vornimmt, wobei man dafür sorgt, dass jede eigene Muskelthätigkeit ausgeschlossen bleibt. Wenn diese Ausschaltung des Willens und der activen Theilnahme an der Ausführung der Bewegung häufig schwierig ist, so ist sie doch nicht unmöglich, und bei gelungenem Versuch kann nicht bezweifelt werden, dass die Versuchsperson eine ganz genaue Empfindung und Vorstellung der ausgeführten passiven Bewegung hat. Es wird dieser Schluss noch durch die Beobachtung gestützt, dass es pathologische Fälle giebt, wo der Muskelsinn erhalten ist, während die damit verbundenen Haut- und Gelenk- empfindungen fehlen. Nun kann bei solchen passiven Bewegungen nichts Anderes vor sich gehen, als dass die Druckverhältnisse auf der Beuge- und Streckseite des bewegten Gliedes eine Aenderung erleiden und diese Aenderung muss durch einen nervösen Apparat zum Bewusstsein gebracht werden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass zu diesem Zwecke die freien Nervenendigungen in dem subeutanen Bindegewebe oder in den Kapseln der Gelenke geeignet sind. Denn überall, wo wir bei der Wahrnehmung von äusseren Eindrücken, mögen sie qualitativ noch so verschieden sein, eine quantitative Abstufung DIE HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. Dar erkennen können, und das ist bei der Ausführung passiver Bewegungen in hohem Grade der Fall, dürfen wir einen dazu geeigneten, besonders eingerichteten peripheren Apparat erwarten. Ein solcher Apparat scheint mir nun ein Pacini’sches Körperchen zu sein. Dasselbe besteht aus vielen, 20 bis 60 in einander geschachtelten Kapseln, die durch kleine Zwischenräume, in denen eine helle serumartige Flüssigkeit sich findet, von einander ‚getrennt sind und die im Innern einen Innenkolben mit einem Nerven und zwei bis drei knopfförmigen Endigungen enthalten. Was am merkwürdigsten an diesen Körperchen mit der grossen Anzahl von Kapseln erscheint, ist die Beobachtung, dass die Lamellen nicht immer rings herum gehen und geschlossen sind, sondern dass die einzelnen Kapseln mit einander communiciren. Durch diese Anordnung der Lamellen ist ein Apparat hergestellt, welcher die Druckwirkung von der äussersten Kapsel auf alle inneren übertragen kann, und indem in jedem weiter nach innen gelegenen Interlamellarraum die Flüssigkeit ge- drückt wird, müssen die festen Lamellen, die diese einschliessen, elastische Bewegungen ausführen, die nicht nur auf die zwischen zwei Lamellen ein- geschlossene Flüssigkeitsschicht, sondern auch auf die innen und aussen von ihnen gelegenen einwirken. Durch diese Art der Bewegung in einem so complieirt gebauten Körper kann sowohl die im Innern gelegene Nervenfaser in Erregung versetzt, als auch an der Peripherie eine Kraft erzeugt werden, die der Richtung ent- gegengesetzt ist, in welcher der drückende Körper wirkt. Der letztere muss deshalb fortwährend oscilliren, er drückt, wird gehoben, fällt von Neuem nieder und übt wieder einen Impuls auf den elastischen Apparat aus. Experimentell beweisen kann ich diesen Vorgang nicht. Aber man darf sich vielleicht vorstellen, dass ein Pacini’sches Körperchen mit den unter einander communicirenden Kapseln einer in einander geschachtelten elastischen Röhre gleicht, die mit Flüssigkeit gefüllt ist. Ist das eine Ende einer elastischen geraden Röhre geschlossen und treibt man in das andere eine neue Flüssigkeitsmenge ein, so wird eine positive Welle erzeugt, die mit grosser Geschwindigkeit bis zur Verschlussstelle forteilt, hier zurückprallt, rückläufig wird und denselben Weg hin und zurück mehrmals nehmen kann. Verglichen mit der Tastzelle stellt ein Pacini’sches Körperchen ein Instrument dar, das in ähnlicher Weise wie jenes durch Wachrufen seiner Hlastieität in Thätigkeit tritt, das aber durch die Menge der in einander geschachtelten Kapseln wie ein Multiplicator wirkt. Dazu kommt noch, dass zwar der Druck in allen Interlamellarräumen der gleiche, die Span- nung der einschliessenden Kapselwandungen wegen der Verringerung der Oberfläche gegen das Centrum hin eine ungleiche sein muss, so dass in Folge dessen eine neue Gleichgewichtslage, ein Ruhezustand schwer eintritt. 238 7. OÖPPENHEIMER: So erklärt es sich, dass die Empfindung, die durch Lageveränderung oder durch Druck auf die Körperchen entsteht, nicht nach einiger Zeit verschwindet, sondern eine fortdauernde ist, so lange der Druck einwirkt, und nur am Anfang der Druckempfindung grösser ist als während der späteren Dauer des Druckes. Das Comprimirtsein der Haut, nicht das Comprimirtwerden ist als Nervenreiz wirksam. Bei den Tastzellen ist das Entgegengesetzte der Fall. Bisher wurde als Ursache der elastischen Deformation nur der Druck angenommen, der bei Veränderung der Lage an einem Gelenk auftritt. Es ist aber klar, dass für den eigentlichen in Betracht kommenden Vor- gang in dem Körperchen es ganz gleichgültig ist, in welcher Weise der Druck zur Wirkung gelangt. Druck von aussen wird deshalb denselben Effect machen wie eine Lageveränderung. Ein Beweis für diese Ansicht scheint mir in der Beobachtung Weber’s zu liegen, dass nämlich ein kalter Gegenstand schwerer auf der Haut erscheint, als ein warmer von gleichem Gewicht. Man hat diese Erscheinung in der Weise zu erklären gesucht, dass die Temperatur- und die Druckempfindung sich addiren, Allein das kann nicht der Fall sein, weil die Temperaturempfindung dabei nicht verschwindet, was eintreten müsste, wenn sich die Summe der Er- regungen nur als Druckempfindung äussern sollte. Es scheint mir deshalb richtiger zu sein, aus den physikalischen Eigenschaften der Wärme, wonach bei steigender Temperatur die Elastieität eines Körpers ab- und bei fallender zunimmt, die Zunahme der Druckempfindung in dem Weber’schen Ver- such abzuleiten. Bei der Unmöglichkeit, die elastischen Eigenschaften der Pacini’schen Körperchen und deren Wirkungen experimentell nachzuweisen, ist es von Werth, die Fortdauer einer Druckempfindung während einer bleibenden Belastung näher in’s Auge zu fassen. Eigentlich sollte man erwarten, dass eine anhaltende Belastung ebenso wenig eine fortdauernde Empfindung hervorrufen dürfe, wie der constante elektrische Strom eine Muskelbewegung oder eine Empfindung, vorausgesetzt, dass er nicht etwa elektrolytisch auf den Nerven wirkt. Eine Zuckung oder Empfindung kommt aber nur zu Stande, wenn der Reiz plötzliche Schwankungen seiner Grösse erfährt. Das ist nicht nur für den elektrischen Reiz richtig, sondern auch für den mechanischen, da bekanntlich ein scharfer Schlag auf den motorischen Nerven eine Contraction erzeugt, während ein langsam aufsteigender Druck wirkungslos bleibt. Wenn nun die Empfindung des Druckes ebenso lange dauert wie die Belastung, so muss durch letztere irgendwo unter dem be- lasteten Theil eine Bewegung hervorgerufen werden, die solche Schwankungen zeigt, dass sie ein Reiz für den Nerven sein kann. Soweit sich bis jetzt beurtheilen lässt, kann dies nur in solchen Gebilden vorkommen, die wie Dıs HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 239 die Pacini’schen Körperchen aller Wahrscheinlichkeit nach elastische Eigen- schaften besitzen. Andere Gewebe oder Organe, die dasselbe leisten könnten, sind uns nicht bekannt und die Tastzellen haben, wie erwähnt, nicht die Fähigkeit, in fortdauernde Schwingungen versetzt zu werden. Man hat wohl daran gedacht, dass bei der Druckempfindung irgend welche centri- petale Nerven der Muskeln betheiligt seien, und daran ist auch gar nicht zu zweifeln, wenn der Druck in der Art ausgeübt wird, dass die Muskeln einen Widerstand zu leisten im Stande sind. Nach den Versuchen von Weber ist ja die Unterschiedsempfindlichkeit für Drucke grösser, wenn die Muskelthätigkeit nicht ausgeschaltet wird, als in den Fällen, wo durch Unterstützung des untersuchten Gliedes die Muskeln nicht in Thätigkeit gerathen können. Im ersten Fall verhält sie sich wie 39:40 und im andern wie 29:30. Es sprechen diese Zahlen in jedem Fall aus, dass in dem: Muskelapparat eine Einrichtung vorhanden sein muss, die entweder für sich allein oder in Verbindung mit den Druckapparaten anderer Theile diese centripetale Leistung möglich macht. So wie die Versuchsbedingungen liegen, bildet die Belastung der in und unter der Haut gelegenen Bestand- theile einen constanten Factor bei dem Auftreten der Empfindung und es kann deshalb die erhöhte Unterschiedsempfindlichkeit einzig und allein durch den Zuwachs entstehen, den die Empfindung durch die Muskeln erhält. Es ist diese Empfindung ein Beispiel für die früher hervorgehobene Möglichkeit, dass wir eine einfache Empfindung haben können, die aus der Erregung von zwei unter sich verschiedenen Nervenfasern entstanden ist. Es wird dabei nur darauf ankommen, ob wir an dem musculösen Apparat Vorrichtungen nachweisen können, die während seiner Thätigkeit und durch dieselbe in Erregung gerathen und einen centripetalen Nerven reizen. Man findet in der That an den Muskeln eine Vorrichtung, die diesem Zweck zu entsprechen scheint. Es sind dies die Golgi’schen Spindeln. Sie stellen spindelförmige Körper dar von 1.42 "m Länge und 0.17 bis 0.25 "m Breite, besitzen eine gut entwickelte feste Hülle, die in die Scheiden der angrenzenden Sehnen und Muskelbündel sich fortsetzt und enthalten im Innern zwei, drei und noch mehr Sehnenbündel oder eine zusammen- hängende Masse von Sehnensubstanz, an deren Oberfläche sich Nerven ver- breiten. Die Nerven treten auch hier in markhaltigem Zustand in die Spindel ein und verbreiten sich mit ihren letzten marklosen Endigungen im ganzen diekern Theil der Spindel. So weit man bis jetzt darüber unterrichtet ist, scheinen diese Spindeln an allen Sehnen des Menschen vorzukommen, und zwar fast ausnahmslos an den Uebergangsstellen des Muskels in die Sehnen. Diese Constanz des Vorkommens giebt wohl ein Recht darauf, sie nicht als nutzlose- Organe 240 7. ÖPPENHEIMER: zu betrachten. Versuche über ihre Function liegen allerdings nicht vor, aber ihre Lage, die Eigenthümlichkeit ihrer Textur gestattet vorerst eine Hypothese über ihre Leistungsfähigkeit zu machen, eine Hypothese, welche nicht nur die Verschiedenheit der Druckempfindlichkeit erklären, sondern auch eine Unterlage für das Verständniss des theoretisch nothwendig ge- wordenen, aber anatomisch nicht begründeten Muskelsinnes bilden würde. Indem die Spindeln in die Sehne, die nur geringe Elastizität besitzt, eingeschlossen sind, müssen sie durch die Spannung der Sehnen, die während einer Muskelcontraction erfolgt, unter einen Druck gesetzt und verlängert werden. Dadurch werden die im Innern der Spindel liegenden Sehnenfäden gespannt und geeignet, elastische Schwingungen auszuführen, wenn eine Anzahl von Schwingungen sie treffen. Eine Muskelcontraction setzt sich aber, wie bekannt, aus einer Reihe schnell hinter einander fol- gender einzelner Zuckungen zusammen und jede Zuckung ist geeignet, die Innenbündel der Spindel in Vibration zu setzen. Der Muskelton, der durch die regelmässig auf einander folgenden Zuckungen entsteht, würde, wenn der Vergleich erlaubt ist, in den Golgi’schen Spindeln gleichsam sein Phonogramm haben, das durch die hier ausgebreiteten Nerven zum Bewusstsein gelangt. Man darf an eine derartige Function der Spindeln um so mehr denken, als an einem musculösen Organ, am Herzen, wohl der Muskelton gehört wird, aber, da es keine Sehne und, wie es scheint, auch keine Golgi’sche Spindel besitzt, eine Empfindung, wie sie der Muskelsinn an andern Or- ganen uns kundgiebt, nicht beobachtet wird. III. Endkolben und Tastkörperchen. Es bleibt nun noch die Frage, ob die Endkolben und Tastkörper- chen ebenfalls als Organe betrachtet werden können, deren Thätigkeit durch das Auftreten von elastischen Bewegungen sich erklären lässt. Die Frage ist schwer zu entscheiden, weil die Meinungen über den Bau dieser Körperehen noch weit aus einander gehen. Wenn ich jedoch die Angaben von zwei der hervorragendsten Histologen der Neuzeit mit einander vergleiche, so finde ich in deren Beschreibung eine Uebereinstimmung im Betreff eines Punktes, die mir von Wichtigkeit für die Beantwortung der Frage nach der Function dieser Körperchen erscheint. v. Koelliker ! beschreibt die Tastkörperchen als länglich runde oder längliche Gebilde, die sich von den zusammengesetzten Endkolben dadurch unterscheiden, dass dieselben viele querverlaufende Kerne besitzen und Ivy. Koelliker, Gewebelehre. 8.181. Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 241 häufig den Eindruck eines dicken, spiralig aufgerollten kernhaltigen Stranges machen. Ihre Nerven treten als markhaltige Fasern in das Innere des Körperchens und wandeln sich dann in blasse marklose Fasern um, welche reichlich verästelt in dichten Spiralwindungen das ganze Innere durchziehen und da und dort mit knopfförmigen Anschwellungen enden. Dogiel! beschäftigte sich nur mit den Endigungen in den verschie- denen Nervenapparaten der äussern Genitalorgane und findet in den Genital- nervenkörperchen, den Endkolben und Meissner’schen Körperchen, welche hier vorkommen, keinen wesentlichen Unterschied. „In allen angeführten Apparaten treten die Axeneylinder der markhaltigen Nervenfasern in die Höhlung, den Innenkolben des betreffenden Körperchens ein, zerfallen in derselben in eine gewisse Anzahl markloser Aestehen und Fäden, welche während ihres Verlaufs sich winden, eine Menge spiraliger Krüm- mungen machen, sich vielfach theilen, vereinigen, durchkreuzen und in verschiedenartiger Weise mit einander verflechten, schliesslich ein ganzes System von mit einander verbundenen Schlingen oder ein sehr verwickeltes und dichtes Nervennetz bilden.“ Ganz besonders bemerkt Dogiel noch, dass in den kleinsten dieser Organe, in den Endkolben, der Nervenapparat aus einem oder mehreren spiralartig gewundenen Fäden bestehe. Wenn man eine solche Uebereinstimmung in Betreff der spiraligen Anordnung der Nerven und Hüllen dieser Organe findet, so wird man unwillkürlich an die Eigenschaft einer Spiralfeder erinnert, die gedrückt oder gezogen ihre Gestalt verändert und nach Entfernung der Ursache um die Gleiehgewichtslage herum schwingt, bis das Gleichgewicht wieder eir- tritt. Eine solche Annahme wird um so wahrscheinlicher, wenn man den Vorgang betrachtet, den wir bei einer Untersuchung mit den Theilen, in welchen Tastkörperchen liegen, scheinbar unwillkürlich hervorrufen. Hand- fläche und Fusssohle, Handrücken nnd Fussrücken werden an dem Gegen- stand, den wir untersuchen wollen, mehrere Male aufgesetzt und abgehoben, die Gegenstände werden nicht allein berührt, sondern betastet, sie werden auf den Widerstand geprüft, den sie den Spiralfäden entgegensetzen und aus der Bewegung, die daraus in den Spiralfäden entsteht, schliessen wir, wie es scheint, wie bei der Federwage, auf die Grösse des Widerstandes. Es ist sehr interessant zu sehen, wie fein die Sprache diesen Vorgang ausdrückt. Denn wie sichten ein wiederholtes sehen, züchten wiederholtes ziehen, dietare wiederholtes dicere ausdrückt, so bezeichnet tasten ein wieder- holtes tangere. Die Engländer gebrauchen für das wiederholte Berühren der Speisen mit der Zunge denselben Ausdruck taste als Bezeichnung des Geschmacks. I Archiv für mikroskopische Anatomie. 1892. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol, Abthlg. Suppl, 16 242 7. ÖPPENHEIMER: Wie an der Hand und dem Fuss, so dürfte auch an der Vorderfläche des Vorderarms, am Unterschenkel, am Rand der Augenlider und der Lippen, an der Glans penis und Clitoris, wo die Tastkörperchen noch vor- kommen, es von Wichtigkeit sein, solche Widerstandsmesser zu besitzen. Wir unterscheiden damit den Grad von Festigkeit, den Aggregatzustand äusserer Gegenstände, indem wir die mit Tastkörperchen ausgestatteten Theile aufsetzen und abheben. Wir erkennen mit ihnen die Glätte oder Rauhigkeit derselben, indem wir Hand oder Fuss über sie gleiten lassen oder den Gegenstand auf der Haut verschieben. Diese letztere Art der Untersuchung beweist auch die Unrichtigkeit der Annahme, dass die Tast- empfindung stets mit ausgeführten Muskelbewegungen und den daraus ent- stehenden Spannungsgefühlen und Muskelempfindungen verknüpft sei. Diese Annahme erfährt ausserdem noch eine Widerlegung, dass wirkliche Tastempfindung an Organen ohne Muskeln, an Penis und Qlitoris vor- kommen. | Ueber die Functionen der Endkolben, die in der Schleimhaut des Mundes, in der Regio respiratoria der Nasenschleimhaut, auf der Epiglottis, der Pars analis recti, an der Glans und Clitoris sich finden, kann man keine Angabe machen. Die Uebereinstimmung im Bau dieser Endkolben ‘ mit den Tastkörperchen macht es wahrscheinlich, dass sie ebenfalls der Erkenntniss äusserer Einwirkungen dienen. Man hat auch allen diesen Theilen die Fähigkeit zugeschrieben, Druckreize zu empfinden. Aber man weiss nicht, ob diese Empfindung mehr Aehnlichkeit mit der gewöhnlichen Druckempfindung oder mit der Tastempfindung hat. Nachdem die Textur und die Function der in der Haut vorkommenden Endorgane beschrieben ist, so wäre es noch meine Aufgabe, den Verlauf der Nervenfasern, welche von diesen Gebilden ausgehen, bis zur Endstation im Gehirn zu verfolgen. Leider ist dies ein Ding der Unmöglichkeit. Wir wissen wohl, dass alle sensorischen Nerven aus der Haut durch den gemeinsamen spinalen Nerven zu dem Spinalganglion ziehen, dass sie von hier aus die Hinterstränge und die Kerne derselben in der Oblongata er- reichen, dann nach Kreuzung mit den anderseitigen in die mediale Schleife und in die innere Kapsel eintreten und dass sie auf einem noch unbekannten Wege bis zu den Centralwindungen vordringen. Ob auf diesem Wege die Fasern aus den einzelnen Terminalapparaten stets von einander getrennt bleiben oder wie ihr gegenseitiges Verhalten auf dieser Bahn beschaffen ist, kann man nicht sagen. Irgend eine anatomische oder physiologische Erfahrung, welche für eine Dreitheilung der Hautsinnesempfindung spräche, ist nicht bekannt und deshalb könnte es scheinen, dass die bisherige Ein- ordnung der Empfindungen des Berührens, Tastens und Drucks in den als einheitlich angenommenen Drucksinn berechtigt wäre. Allein einmal Die HAUTSINNESEMPFINDUNGEN. 243 bezeichnet man gewöhnlich mit dem Namen der Ursache die Sinnesqualität und, wie gezeigt, ist die Ursache der Erregung der drei Endorgane in der Haut eine verschiedene. Wenn sie auch im Allgemeinen in allen Fällen als eine mechanische bezeichnet werden kann, so ist doch die Beschaffenheit des mechanischen Reizes von Bedeutung für die Erregung des einen oder andern Sinnesorgans und da ist es nur consequent, diese Verschiedenheit auch in den Ausdrücken Berührung, Tasten und Druck klar zu stellen. Zweitens kennt man pathologische Thatsachen, welche zur Annahme zwingen, dass besondere centrale Sinneszellen zur Aufnahme dieser verschiedenen Sinnesqualitäten vorhanden sein müssen. Man hat Fälle beobachtet, wo die eine oder andere Empfindung ausgefallen, und eine dritte, ebenfalls zum Drucksinn der Physiologen gerechnete, erhalten geblieben war. Diese Beobachtungen zeigen auf’s Deutlichste, dass die centralen Sinneszellen für die drei verschiedenen Hautsinnesempfindungen verschieden sein müssen. Die Möglichkeit, dass eine Art der Empfindung aufgehoben ist, während die andere Art fortbesteht, zwingt zu der Annahme, dass jede Art isolirt von der Peripherie bis zum Centrum geleitet wird und ist als Beweis dafür anzusehen, dass eine Abtheilung der sensorischen Leistungen der Haut in Berührung, Tasten und Druck eine wohl berechtigte ist. 16* Theorien über die Empfindung farbiger und farbloser Lichter. Von Mary Whiton Calkins, Ph. D., Wellesley College. Wenn Jemand in die Discussion über die Farbentheorien eingreifen will, so thut er dieses für gewöhnlich nur am Ende einer Arbeit, in welcher zuvor über ein mehr oder weniger bedeutsames einschlägiges Versuchs- resultat berichtet worden ist. Fast scheint es, als herrsche im allgemeinen die Anschauung, es sei nicht recht zulässig, die Gesammtheit der ver- schiedenen Ansichten auf Grund rein logischer Erwägungen zu beleuchten und in der einen oder anderen Richtung selbst Stellung zu nehmen, es sei denn, dass eine für die Frage einigermaassen bedeutungsvolle neue That- sache zuvor beigebracht worden sei. Und doch ist es sehr wünschenswerth, dass von Zeit zu Zeit von möglichst unbefangener Seite ein allgemeiner Ueberblick über das ganze Gebiet gegeben wird, auf dem sich die Discussion über die verschiedenen Hypothesen bewegt, welche uns die zwischen objectiven Lichtwellen und subjectiver Farbenempfindung sich abspielenden physiologischen Vorgänge verständlich machen sollen. Der nachfolgende Aufsatz verfolgt ausschliess- lich den Zweck, nach Möglichkeit einen solchen Ueberblick zu bieten. Jede Farbentheorie hat folgende zwei Aufgaben hauptsächlich zu erfüllen: 1. Die ins Bewusstsein gelangten Empfindungen, welche von farbigen oder farblosen Lichtreizen ausgelöst werden, sind psychologisch zu analysiren. 2. Die physiologischen Vorgänge, welche diese verschiedenen bewussten Empfindungen hervorrufen, sind durch Hypothesen verständlich zu machen. Durch die Art und Weise, wie jede Theorie diese Fragen beantwortet, ist sie charakterisirt. Die physikalischen Bedingungen, durch welche farbige oder farblose Lichtempfindungen ausgelöst werden, liegen nicht mehr im MARY WHITON ÜALKINS: THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG U.S.w. 245 Bereich der physiologisch-theoretischen Fragestellung; auch herrscht über diesen Punkt kaum noch Zweifel unter den Physikern. Die Theorie, welche nach ihren Urhebern als die von Thomas Young! und Hermann Helmholtz? bezeichnet wird, ist die älteste, welche den physiologischen Thatsachen einigermaassen entspricht; sie ist auch immer noch die am meisten bekannte. Sie möge kurz durch folgende Sätze charakterisirt werden: 1. Es giebt drei verschiedene farbige Grundempfindungen: Roth, grün und violett. Jede andere Farbenempfindung kommt dadurch zu Stande, dass diese Grundempfindungen sich mit einander combiniren. Auch die Empfindung farblosen Lichtes hat nicht als einfache Grundempfindung zu gelten, sondern kommt nur dadurch zu Stande, dass die drei Grund- componenten des Farbensinnes roth, grün und violett sich mit einander mischen. 2. Die drei Farbengrundempfindungen sind durch dreierlei verschiedene Netzhautprocesse ursächlich bedingt, welche entweder einzeln oder mit ein- ander combinirt in Action treten. Durch einen dieser Processe wird die Empfindung roth, durch einen zweiten die Empfindung grün und durch einen dritten die Empfindung violett ins Bewusstsein gerufen. Alle anderen Farbenempfindungen kommen dadurch zu Stande, dass zwei oder drei von diesen in der Netzhaut sich abspielenden Processen zugleich und zwar in ungleichem Mischungsverhältniss zur Function kommen; z. B. wird die Empfindung gelb, dadurch ausgelöst, dass diejenigen Netzhautprocesse gleich- zeitig in Thätigkeit treten, welche jeder isolirt die Empfindungen roth und grün geben würden. Die Empfindung weiss oder farblos kommt dann zu Stande, wenn alle drei Netzhautprocesse und zwar jeder in annähernd gleichem Mischungsverhältniss zur selben Zeit in Function treten. Gegen jeden dieser Hauptsätze der Helmholtz’schen Theorie liegen unwiderlegbare Einwände vor. 1. Was zunächst die psychologische Analyse unserer bewussten Farben- empfindungen betrifft, so werden die Annahmen dieser Theorie nicht den thatsächlichen Beobachtungen gerecht, denn selbst zugegeben, dass violett eine einfache Farbengrundempfindung sei (welche manche Beobachter für zusammengesetzter Natur halten), so ist doch kaum zu leugnen, dass Gelb ebenso gut wie Roth oder Grün eine wohl charakterisirte und in sich ab- geschlossene Grundempfindung ist. Gelb sieht eben aus wie gelb und scheint uns nicht im mindesten einer Mischung von Roth und Grün gleich zu sehen oder gar irgend einer anderen Farbenmischung. ı H. von Helmholtz, Handbuch der physiologischen Optik. 2. Aufl. 1896. 8.19 u. 20. 2 Ebenda. 3. 550. 246 MARY WHITON ÜALKINS: 2. Ebenso scheint es mır klar zu sein, dass die farblosen Licht- empfindungen weiss, grau und schwarz nicht einfach als Combinations- resultat der gleichzeitig ausgelösten Farbenempfindungen roth, grün und violett aufgefasst werden dürfen. Das Papier, auf dem ich schreibe, sieht für mich weiss aus und dieses Weiss ist ein ebensowohl umschriebener und klar definirter Sinneseindruck, wie der des Rothen. Es sieht nicht im mindesten wie eine Mischung von roth, grün und violett aus. Demnach ist es, wenn auch nicht gerade das Gegentheil bewiesen ist, doch höchst unwahrscheinlich, dass die Annahme von nur drei Netzhaut- processen und eben so vielen Farbengrundempfindungen der Analyse unseres Farbenbewusstseins gerecht wird, denn wenn Gelb eine ebenso differente bewusste Empfindung ist wie Roth und Grün, so ist wohl auch anzuehmen, dass ein ebenso differenter Netzhautprocess die eine wie die andere Empfindung auslöst. Ferner ist nicht zu bezweifeln, dass farblose Lichtempfindungen durch- aus nicht ausschliesslich durch die gleichzeitige Action verschiedener Farben- processe in der Retina zu Stande kommen können. Gewiss muss Jeder zugeben, dass die Empfindung „farblos“ entsteht, wenn die farbigen Netz- hautprocesse gleichzeitig und im gleichen Mischungsverhältniss zufällig ein- mal sich abspielen. Andererseits kommt es aber auch vor, und zwar unter dreierlei ganz verschiedenen Bedingungen, dass die Empfindung „farblos“ nur durch einen einzigen einfarbigen Lichtreiz und demnach durch die Function auch nur eines einzigen Netzhautprocesses ausgelöst wird. Diese Erscheinung tritt ein 1. wenn nur periphere Netzhautpartien von einfarbigem Licht gereizt werden, 2. wenn beliebige Netzhautpartien bei stark herabgesetzter Beleuchtung von einfarbigem Licht gereizt werden, 3. bei Fällen von totaler Farbenblindheit. Als erste von den Theorien, welche diesen gegen die Young- Helmholtz’sche Ansicht geltend gemachten Einwände gerecht zu werden suchen, ist die von Ewald Hering! zu nennen. Hering’s Hypothese ist durch die folgenden Leitsätze im Wesentlichen. gekennzeichnet: 1. Es giebt vier Farbengrundempfindungen, roth, grün, gelb und blau; auch die Empfindungen weiss und schwarz haben als Grundempfindungen zu gelten. Für jede von diesen Grundempfindungen kommt als ursächliches Moment ein eigener Process in der chemischen Substanz der Netzhaut in Betracht. Derartige chemische Netzhautsubstanzen giebt es drei verschiedene ! Zur Lehre vom Lichtsinn. 1878 (vgl. Hermann’s Handbuch der Physiologie. IIRE). THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 247 und in jeder spielen sich zwei entgegengesetzte Vorgänge ab, je ein assi- milatorischer und ein dissimilatorischer. Die Function dieser drei Sub- stanzen und die resultirenden Empfindungen sind aus der folgenden schema- tischen Zusammenstellung in ihren gegenseitigen Beziehungen zu übersehen. Zuvor ist jedoch noch darauf aufmerksam zu machen, dass Hering keines- wegs etwas über die objeetiven Färbungen der Retina-Substanzen aussagen will, wenn er sie als roth-grüne oder gelb-blaue Substanz bezeichnet, dass er sie vielmehr durch diese Ausdrücke nur hinsichtlich ihrer Function kenn- zeichnen will. Substanzen Netzhautprocesse Empfindungen Barknn Dissimilation Roth 5 Assimilation Grün Dissimilation Gelb elb-blau ae 3 G Assimilation Blau Dissimilation Weiss Schwarz-weiss EEERR ; Assimilation Schwarz Nach Hering’s Ansicht ist die schwarz-weisse Sehsubstanz andauernd in Thätigkeit und findet sich in allen Theilen der Netzhaut. Wenn bei Einwirkung mehrerer farbiger Lichtreize die Empfindung „farblos“ entsteht, so liegt das daran, dass die assimilatorischen und dissimilatorischen Vor- gänge in den farbenempfindlichen Sehsubstanzen sich gegenseitig aufheben, so dass diese Substanzen ausser Function gesetzt erscheinen; dann bleibt naturgemäss ausschliesslich die schwarz-weisse Sehsubstanz in Action. Man ersieht aus dem Gesagten, dass die Hering’sche Theorie zwei wesentliche Vorzüge gegenüber der Helmholtz’schen aufzuweisen hat. 1. Die psychologische Farbenanalyse genügt vollständig den Anforde- rungen, welche sich gemäss unseren bewussten F'arbenurtheilen ergeben; dieses geschieht hauptsächlich dadurch, dass in dieser Theorie Gelb als Grundfarbe anerkannt wird und dass die Empfindungen grau und weiss nicht als Resultate von Farbenmischung betrachtet sondern als selbstständige Sehempfindungen aufgefasst werden. 2. Die Hering’sche Theorie ist ferner darin der Helmh oltz’schen überlegen, dass sie eine vollständig befriedigende Erklärung für jene Beob- achtung zu geben vermag, der gegenüber die Helmholtz’sche, wie wir oben zeigten, vollständig versagt: die Thatsache, dass durch Reiz mit ein- farbigem Licht farblose Sehempfindung hervorgerufen werden kann. Hering giebt für die oben aufgezählten drei Fälle, bei denen dieses zutrifft, folgende Deutung: 248 Mary WHITON ÜALKINS: ad 1. In der Peripherie der Netzhaut findet sich ausschliesslich die schwarz-weisse und keine farbige Sehsubstanz. ad 2. Farbige Lichtreize von sehr geringer Intensität setzen die farbigen Sehsubstanzen, deren Reizschwelle beträchtlich höher liegt, nicht in Function, wohl aber und zwar diese ausschliesslich die schwarz-weisse Sehsubstanz. ad 3. In der Retina des total farbenblinden Auges ist nur die schwarz- weisse Sehsubstanz vorhanden. Indessen liegen doch auf der anderen Seite auch drei sehr gewichtige Einwände gegen die Hering’sche Theorie vor. 1. Es ist eine physiologisch höchst unwahrscheinliche Annahme, dass ein Vorgang assimilatorischer bezw. nutritiver Art irgend eine bewusste impfindung auslösen soll. Nach allem, was wir gemäss analogen Vorgängen wissen, geht der Wiederaufbau verbrauchter Substanzen im lebenden Orga- nismus vor sich, ohne dass etwas davon ins Bewusstsein gelangt. 2. Es erscheint kaum annehmbar, dass in den farbigen Sehsubstanzen die Processe, welche je zwei Gegenfarben entsprechen und einander ent- gegenwirken, sich gegenseitig aufheben sollen, während genau dieselben Vorgänge in der schwarz-weissen Sehsubstanz sich nicht gegenseitig auf- heben, sondern sich zur Auslösung der Empfindung Grau mit einander combiniren sollen. 3. Ferner, und das ist das Wichtigste, giebt eine Mischung von rothem und grünem Spectrallicht durchaus nicht, wie es nach Hering’s Theorie sein müsste, die Empfindung farblos, sondern im Gegentheil: das Licht, welches mit Roth gemischt sein müsste, um mit ihm zusammen als farblos zu erscheinen, ist blau-grün. Blau-grün ist aber eine Mischfarbe und keine Grundfarbe. Ueber die neuerdings von Prof. C. E. Müller! gegebene Modification der Hering’schen Theorie ist zunächst zu bemerken, dass sie bezüglich der psychologischen Farbenanalyse mit den Vierfarbentheorien in eine Kategorie zu bringen ist: die Farben werden derart auf die Seiten eines (Quadrates eingetragen, dass Roth, Gelb, Grün und Blau als Grundfarben die Ecken einnehmen. Jede dieser Eckfarben ist durchaus verschieden von jeder anderen Farbe, dagegen sind die Farben, welche die Seiten des Quadrates einnahmen, einer Mischung derjenigen Eckfarben gleichzusetzen, zwischen denen sie liegen. Wenn nun auch die Farbenreihe an und für sich continuirlich ist, so wechselt doch die Richtung, in der sie sich ver- ändern, an jeder Ecke des Quadrats: Zwar ist z. B. Gelb-Grün von Gelb ! Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. 1896. Bd. X. 1897. Bd. XIV. THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 249 nicht im höheren Grade verschieden, als Orange von Gelb abweicht; aber die Differenz liegt von-der Gelbecke aus gerechnet jedes Mal in anderer Richtung insofern, als Gelbgrün zwischen Gelb und Grün, Orange dagegen zwischen Roth und Gelb liest. Gegenüber der Theorie Müller’s fallen zwei von den gegen Hering’s Ansicht geäusserten Einwänden fort. 1. Er setzt an die Stelle der unannehmbaren Functionen der Assimi- lation und Dissimilation die Annahme, dass die Farbenempfindungen durch chemische Substanzen ausgelöst werden, welche sich in ihrer Funetion nach zwei verschiedenen Richtungen hin mit einander combiniren können. 2. Er vermeidet die Schwierigkeit, die darin gefunden wurde, dass bei gleichzeitiger assimilatorischer und dissimilatorischer Funetion der schwarz-weissen Sehsubstanz eine positive Grauempfindung sich einstellen soll, während nach Analogie der farbigen Sehsubstanzen gegenseitige Auf- hebung erwartet werden musste. Statt dessen nimmt Müller an, dass diese Grauempfindungen durch einen constant thätigen schwarz-weissen Process in der Sehsphäre des Gehirns bedingt sind, sich also nicht in der Retina auslösen. Bezüglich namentlich der letzterwähnten Punkte ist zu bemerken, dass die Müller’sche Theorie in dieser Form nicht mehr als einfache Modi- fication der Hering’schen Hypothese gelten kann, sondern dass hier ganz selbstständige und wesentlich neue Gesichtspunkte eingeführt werden. Was den dritten Einwand betrifft, der gegen die Hering’sche Theorie zur Geltung kam und auf den entscheidendes Gewicht gelegt wurde, nämlich den, dass Roth und Grün sich nicht, wie behauptet wird, gegen- seitig aufheben, so besteht derselbe auch der Müller’schen Theorie gegen- über zu Recht; mir scheint die hier in Rede stehende Schwierigkeit that- sächlich ausschlaggebend und unüberwindlich. Die jetzt zu besprechende Theorie, welche von Ebbinghaus! herrührt, kann mit wenigen Worten erledigt werden, denn Ebbinghaus selbst trägt dieselbe nicht mehr in seinen Grundzügen der Psychologie (1897) vor, so dass es scheint, als wenn er selbst nicht mehr viel Gewicht darauf legt. Im Allgemeinen schliesst sich diese Theorie eng an die Hering’s an, nur wird: 1. An Stelle der Hering’schen Ansichten von den Functionen der assimilatorischen und dissimilatorischen Netzhautprocesse die Annahme ge- setzt, dass die Auslösung der Empfindungen Roth und Grün, Purpur und Gelb, Schwarz und Weiss, paarweise an drei Sehsubstanzen gebunden ist und dass je zwei zusammengehörige Farben durch einen verschieden ge- " Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. 1893. 250 Mary WHITON ÜALKINS: arteten und jedesmal dem anderen entgegengesetzt gerichteten Zersetzungs- vorgang in einer dieser Sehsubstanzen hervorgerufen wird. Es handelt sich dabei um jedesmal je zwei verschiedene Phasen der Zersetzung. 2. Es wird angenommen, dass diese hypothetischen Substanzen objectiv farbig sind. 3. Das Stäbchenpigment oder der Sehpurpur wird für die Purpurphase der gelb-purpurnen Sehsubstanz gehalten. Ebbinghaus erklärt die That- sache, dass nur diese eine Phase von allen der objectiv farbig vorhandenen Sehsubstanzen beobachtet ist und nie eine andere durch die Annahme, dass die entgegengesetzten Phasen der farbigen Sehsubstanzen sich stets gegen- seitig neutralisiren; z. B. würde die grüne Phase der roth-grünen Sehsubstanz die Purpurphase der gelb-purpurnen Substanz neutralisirt haben. Eine solche Annahme ist indessen im höchsten Grade unwahrscheinlich. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass die rothe, gelbe und grüne Phase der bezüglichen Sehsubstanzen niemals in einer der vielen so eingehend unter- suchten Netzhäute beobachtet worden wäre, wenn sie thatsächlich als ob- jectiv farbige Sehsubstanzen vorhanden wären. Wenn Ebbinghaus ferner annimmt, dass die Sehsubstanzen successive zersetzt werden, so kann er unmöglich die Erscheinungen erklären, welche bei simultaner Mischung von Lichtern beobachtet werden. Die vier Theorien, welche noch zu besprechen übrig bleiben, stimmen . darin überein, dass in ihnen entgegengesetzte oder antagonistisch wirkende Farbenprocesse nicht angenommen werden. Als einfachste ist zunächst die Theorie von Wundt! zu erwähnen; sie sei in Kürze durch folgende Leit- sätze wiedergegeben. 1. Es giebt mehr als vier Farbengrundempfindungen und diese werden sämmtlich durch einen photochemischen „chromatischen“ Netzhautprocess ausgelöst. Dieser Netzhautvorgang variirt hinsichtlich seiner Function je nach der Länge der Aetherwellen, welche als Lichtreiz die Retina treffen. Die Empfindungen Weiss und Grau werden durch einen achromatischen Netzhautvorgang ausgelöst, bei dem die chemische Zersetzung graduell je nach der Amplitude der Aetherwellen variirt. Endlich giebt es entsprechend den Empfindungen „schwarz“ oder „dunkel“ einen dritten Netzhautvorgang, welcher in Function tritt, wenn kein äusserer Reiz die Retina trifft, oder wenn entgegengesetzte farbige Reize einander aufheben. Der Satz dieser Theorie, welcher die Annahme so vieler Grundfarben verlangt, steht nach meiner Ansicht im directen Gegensatz zu dem, was durch Experiment und Beobachtung festgelegt ist. Nachdem Müller in so ausgezeichneter Weise bewiesen hat, dass vier Grundfarben nothwendig ' Die Empfindung des Lichts und der Farben. Phil. Stud. IV. THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 251 angenommen werden müssen, kann kaum noch ein Zweifel darüber bestehen, dass Roth, Grün, Gelb und Blau definitiv und unwiderleglich als solche Grundfarben zu gelten haben. Ferner scheint mir die Annahme, dass Schwarz qualitativ verschieden von Weiss und Grau sein soll, nicht zu den Beobachtungsergebnissen zu stimmen. Indessen das ist eine verhältniss- mässig recht schwer zu entscheidende Frage und man muss zugeben, dass die physiologische Theorie, nach welcher ein constant thätiger Process für die Auslösung der Empfindung „dunkel“ angenommen wird, gut die That- sache erklärt, dass nach Mischung von schwarzen und weissen Lichtern sich diese nicht gegenseitig aufheben. Im Uebrigen ist Wundt’s Theorie aber so unbestimmt, dass man bei den meisten Fragen Schwierigkeiten hat, überhaupt irgend eine Erklärung zu finden. Wie kann man es sich z. B. auch nur einigermaassen plausibel machen, dass eine einzige Sehsubstanz sich in so vielfach verschiedener Art soll bethätigen können, dass jede nur denkbare qualitative (Farben-) und quantitative (Intensitäts-) Abstufung von Lichtern zur Empfindung kommt? Die Wundt’sche Theorie sollte man demnach nur annehmen, wenn gar keine andere Theorie, welche bestimmtere und doch einigermaassen annehmbare Er- klärungen für die physiologischen Bedingungen des Sehens bietet, zu finden wäre. Die Theorien von König, von Kries und Ladd-Franklin sind ohne Zweifel der Wundt’schen insofern beträchtlich überlegen und ihr vorzuziehen, als sie genauere und bestimmtere Erklärungen für die einzelnen physio- logischen Vorgänge geben. Ausserdem stimmen sie darin überein, dass sie _ falle die Annahme machen, in den Netzhautstäbehen würde die Erregung nur farbloser Lichtempfindung ausgelöst. Die von diesen Autoren vorgebrachten Gründe, welche diese Hypothese stützen sollen, sind nach meiner Ansicht absolut zwingend und können in folgenden Sätzen kurz präcisirt werden. 1. Die Peripherie der Retina, bei deren Reizung mit beliebig farbigem Licht nur farblose Lichtempfindung ausgelöst wird, enthält nur Stäbchen; diese enthalten reichlich Sehpurpur; Zapfen fehlen hier vollständig. 2. Die Netzhäute der hauptsächlich im Dunkeln sehenden Thiere, Eulen, Ratten, Maulwürfe, haben reichlich Stäbchen, dagegen sehr wenige oder gar keine Zapfen.! 3. Der Sehpurpur absorbirt am gierigsten und schnellsten das grüne Spectrallicht, welches bei schwacher Beleuchtung als hellste Stelle im Spectrum gesehen wird. Nächst dem Grün bleicht blaues Licht am ! Bereits 1866 abstrahirte Max Schulze aus diesen Befunden den Satz, dass die Stäbchen nur farblose Lichtempfindung auslösen. Dieselbe Theorie wurde dann weiter von Parinaud (Compt. rend., 1881 ff.), Ladd-Franklin (Proc. Int. Congr. of Psychol. 1892; Mind. 1893; Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorg. 1893. Bd. IV) und v. Kries (Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg. 1894) vertreten. 22 MARY WHITON CALKINS: leichtesten den Purpur, und Blau zeigt auch nächst Grün die grösste Helligkeit bei stark herabgesetzter Beleuchtung. 4. Zwei Mischungen, eine von rothem und blaugrünem Spectrallicht und eine von blauem und gelbem, welche bei heller Tagesbeleuchtung eine vollständige Graugleichung geben, sind bei herabgesetzter Beleuchtung derart verändert, dass die Mischung von Roth und Blaugrün viel heller grau als die Gelbblaumischung erscheint.! Diese Thatsache kann nicht nach der Hering’schen oder Müller’schen Theorie erklärt werden, denn wenn die Grauempfindung auf Grund eines Retina- oder Hirnrindenprocesses zu Stande käme, welcher sich unabhängig von den einander aufhebenden Farbenreizen abspielt, so dürfte es keinen Unterschied machen, welcher Art diese sich gegenseitig aufhebenden Farbenreize sind, da sie nur den schwarz-weissen Sehprocess allein in Thätigkeit lassen. Dagegen steht diese Erscheinung sehr gut mit den Theorien in Einklang, in welchen angenommen wird, dass auf Stäbchenerregung nur farblose Lichtempfindung erfolgt; denn bei heller Tagesbeleuchtung, bei welcher die Graugleichung zweier verschiedener Farbengemische bestand, ist der Sehpurpur ausgebleicht, während bei herab- gesetzter Helligkeit, bei welcher die Mischung von Roth und Blaugrün heller erschien, der im Dunkeln neugebildete Sehpurpur am stärksten Grün absorbirt. Es ist also im höchsten Grade wahrscheinlich, dass bei Stäbchenerregung sich stets farblose Lichtempfindung im Bewusstsein einstellt. Wir haben jetzt die drei Theorien, welche in dieser Ansicht übereinstimmen, des Ge- naueren mit einander zu vergleichen. Die Theorien von Professor Arthur König und J. von Kries haben noch zwei weitere Annahmen gemein, welche zunächst noch etwas ein- gehender zu betrachten sind. 1. Beide schliessen sich der Lehre von Helmholtz an, dass es drei Farbengrundempfindungen giebt, Roth, Grün und Violett. Dieser Satz kann, wie bereits oben gesagt, die Zustimmung des Psychologen nicht finden. 2. Sowohl König, wie v. Kries nehmen an, dass farblose Licht- empfindung durch zweierlei verschiedene Netzhautprocesse ausgelöst werden könne, entweder durch Stäbchenerregung oder dadurch, dass die Zapfen durch gleichzeitig wirkende und verschiedenfarbige Lichtreize erregt werden. (Nebenbei bemerkt, theilen auch beide Autoren den Standpunkt von Helm- holtz bezüglich der Annahme, dass die farblose Lichtempfindung, welche durch Mischung von farbigen Lichtern erzielt wird durch Summationen dieser Lichter bewirkt wird; indessen ist dieses kein nothwendiger und integrirender Bestandtheil ihrer Theorie.) ! Diese wichtige Entdeckung wurde von Christine Ladd-Franklin (Rep. of the Proc. of the Intern. Congress of Psychology. 1892) und von Ebbinghaus (Zeit- schrift für Physiologie und Psychologie der Sinnesorgane. 1893) gemacht. THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 253 v. Kries vertritt mit aller Entschiedenheit die Ansicht, dass die Funetionen von Stäbchen und Zapfen durchaus verschieden sind, und dass die Stäbchen als „Dunkelapparat“ aufzufassen sind und bei Tageslicht, wenn überhaupt, dann nur in geringem Maasse functioniren. Er begründet diese seine Ansicht hauptsächlich durch folgende wichtige Beobachtung: Wenn man das Spectrum bei herabgesetzter Beleuchtung betrachtet oder von total Farbenblinden ansehen lässt, so ist die Helligkeitsvertheilung in demselben eine ganz andere als wenn man es bei heller Beleuchtung mit peripheren Netzhautpartien betrachtet.! In letzterem Falle ist die Helligkeitsvertheilung die gleiche wie sie im gewöhnlichen Farbenspectrum bei heller Beleuchtung _ beobachtet wird. Gegen die Deutung, welche von Kries diesem Befunde giebt, ist Folgendes einzuwenden: Es ist nicht wahrscheinlich, dass ein Grau, welches durch Farbenmischung gebildet wird, und genau so aussieht wie ein anderes Grau bei herabgesetzter Beleuchtung, durch vollständig andere Netzhaut- processe ursächlich bedingt sein sollte; auch ist wohl der Unterschied, welchen v. Kries zwischen dem Spectrum, wie es die Netzhautperipherie sieht, und dem, welches bei herabgesetzter Beleuchtung betrachtet wird, hinreichend durch die Zunahme des Sehpurpurs bei herabgesetzter Beleuchtung erklärt. Dasselbe gilt für das total farbenblinde Auge. Das Experiment beweist also nicht die Verschiedenheit der Functionen von Stäbchen und Zapfen; es ist wie gesagt höchst unwahrscheinlich, dass zwei Grauempfindungen, welche vollständig gleich erscheinen, durch zwei total verschiedene Netzhaut- processe ausgelöst werden sollten. Als Unterschied zwischen der Theorie König’s und der v. Kries’ ist Folgendes hervorzuheben. v. Kries nimmt an, die Farbenempfindungen würden durch die Zapfenerregung hervorgerufen, wobei er im Uebrigen keine bestimmt umschriebene Erklärung darüber abgiebt, wie die ver- schiedenen Farbenempfindungen zu Stande kommen, wie er sich also z. D. die Verschiedenheit von Roth und Grün nach der Art ihrer Entstehung in der Retina denkt. Im Gegensatz dazu ist König’s Theorie mehr bis in’s Einzelne aus- gebaut und bestimmter gehalten. Von der v. Kries’schen unterscheidet sie sich hauptsächlich durch folgende Annahmen. 1. Der Zustand und die Thätigkeit der Retina, wenn sie bei herab- gesetzter Beleuchtung oder vom Auge des Totalfarbenblinden aus die Em- pfindung „farblos“ auslöst, wird nicht durch den allgemeinen Ausdruck „Stäbchensehen“ definirt, sondern es wird als specielle Ursache eine geringe Zersetzung des Stäbchenpigmentes angegeben. Die farblosen Lichtempfin- Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Bd. IX u. XV. 254 MARY WHITON ÜALKINS: dungen bei heller Beleuchtung dagegen erscheinen als Folge der Zersetzung mehrerer Netzhautsubstanzen, welche sich in ihrer Wirkung mit einander zur Empfindung „farblos“ combiniren. Ueber die Netzhautvorgänge, welche sich zur Erregung farbiger Lichtempfindung abspielen, giebt König eine höchst eigenartige Theorie. Er glaubt, dass die Blauempfindung dann zu Stande kommt, wenn der Sehpurpur sich bereits zu Sehgelb zersetzt hat und von diesem Stadium aus eine weitere Zersetzung erfährt. Diesen Satz sucht König durch Experimente zu beweisen, welche, wie er glaubt, zeigen, dass die nichtsehpurpurhaltige Fovea centralis blaublind ist. Was die anderen Farbenempfindungen betrifft, so nimmt er an, dass dieselben durch die Zersetzung anderer Netzhautsubstanzen zu Stande kommen, Substanzen, welche noch nicht direct beobachtet sind und die in der Pigmentschicht der Retina, nicht in der Schicht der Stäbchen und Zapfen zu suchen sind. Dieses letztere folgerte König aus einem Experiment, welches er zusammen mit Dr. Zumft! anstellte Es wurden zwei Schatten eines und desselben retinalen Blutgefässes durch eine rothe und eine blaue Lichtquelle auf die percipirende Schicht der Netzhaut entworfen; nun wurde der Abstand der beiden Schatten von einander gemessen und daraus die Entfernung des Blutgefässes von der Schicht der Netzhaut berechnet, welche der Sitz der Erregung für jeden farbigen Schatten sein musste. Es ergab sich, dass diese Entfernung beträchtlich grösser für rothes als für blaues Licht sein musste und ferner, dass sie grösser war, als die Entfernung des Gefässes von der Schicht der Stäbchen und Zapfen. Ohne Zweifel sind die hier vorgebrachten theoretischen Erörterungen höchst scharfsinnig und die Richtigkeit der experimentellen Grundlage ist wohl verbürgt. Indessen sind meiner Ansicht nach doch die dagegen geltend gemachten Einwände durchaus berechtigt. Die Hypothese, dass Blauempfindung durch die Zersetzung des Stäbchenpigmentes im Stadium des Sehgelb hervorgerufen wird, wird durch die Thatsache. hinfällig, dass wir bei so heller Beleuchtung Objecte als blau wahrzunehmen im Stande sind, dass dabei das Sehgelb längst ausgebleicht sein muss. Die angebliche Blaublindheit der Fovea centralis, auf welcher König’s Theorie basirt, ist bestritten worden?, und selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, sie wäre thatsächlich vorhanden, so führt das durchaus noch nicht noth- wendiger Weise zu König’s Schlussfolgerungen. Und ferner der Satz, dass die Empfindungen durch chemische Vorgänge in der Pigmentschicht aus- gelöst werden, folgt nicht unzweideutig aus dem Experiment mit den farbigen Schatten, denn erstens ist die Tiefe der Stäbchen- und Zapfenschicht ! Ueber die lichtempfindliche Schicht in der Netzhaut des menschlichen Auges. Sitzungsber. der kgl. preuss. Akademie der Wissensch. zu Berlin. 1894. ®2 E. Hering, Pflüger’s Archiv. Bd. LIX. THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 255 zusammen mit der Pigmentschicht der Retina noch nicht so gross, wie die berechnete Abstandsdifferenz zwischen den Ebenen der Netzhautschatten, und zweitens liegen bei dieser Deutung der Farbenprocesse die Functionen der Stäbchen und Zapfen viel zu weit von einander. Was den Punkt be- trifft, dass die Zapfen als Linsen aufgefasst werden, welche das Licht auf die Pigmentschicht zu concentriren haben, so ist dagegen zu sagen, dass unter diesen Umständen es völlig unerklärt bleibt, wie die Nervenerregung von der Fovea centralis aus zu Stande kommen soll. ! Die Theorien von v. Kries und von König sind einer so kritischen Betrachtung unterzogen worden, weil in denselben zwei völlig verschiedene Netzhautvorgänge für subjectiv durchaus gleiche Empfindungen angenommen werden. Die v. Kries’sche Theorie muss ferner für unzureichend erklärt werden, weil sie nicht genügend bis ins Einzelne ausgebaut ist. Die König’sche Theorie verdient diesen Vorwurf nicht, ist dagegen sehr wenig glücklich in der Wahl ihrer in’s Specielle gehenden Annahmen. Es erübrigt nun noch eine letzte Theorie zu betrachten: es ist die Theorie der molecularen Dissociation von Christine Ladd-Franklin.? Der Inhalt derselben sei in Kürze durch folgende ‚Leitsätze wiedergeben: Was zunächst die psychologische Seite des Problems betrifft, so theilt Mrs. Franklin den Standpunkt Hering’s, indem sie vier Farbengrund- empfindungen annimmt: Roth, Grün, Gelb und Blau. Ausserdem werden die farblosen Lichtempfindungen ebenfalls als einfache Grundempfindungen angesprochen und nicht als Mischungsempfindungen aufgefasst. In Ueber- einstimmung mit Wundt wird ferner angenommen, dass Schwarz als qualitativ verschiedene Empfindung gegenüber Weiss und Grau zu gelten hat. Die physiologische Auffassung, welcher die Ladd-Franklin’sche Theorie huldigt, ist folgende. ? ! Gad, Der Energieumsatz in der Retina. Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. — C.L. Franklin, Psychological Review. Vol.1I. p. 146. ? Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. 1892. Bd. IV. — Mind. 1893. — Psychological Review. 1894. Vol. I; 1896. Vol. III; 1899. Vol. VI. ® Schon Donders hat die Ansicht vertreten, dass das Zustandekommen der Farben- empfindungen auf einer partiellen Dissociation von specifischen Molecülen beruhe; der Ort, wo sich diese Dissociation abspielt, ist nach seiner Theorie nicht die Retina, sondern die graue Substanz des Gehirnes. In der Netzhaut wird die Gesammtheit der Lichteindrücke zunächst gemäss dem Dreifarbensystem der Young-Helmholtz’schen Theorie in eine rothe, grüne und violette Energiecomponente gesondert, und zwar erfolgt dieses durch die Einwirkung auf die hier vorhandene photo-chemische Sehsubstanz. Weiter centralwärts geleitet, treffen diese dreifach gesonderten Nervenerregungen auf die dissociablen Molecüle der Zellen der Sehcentren und erfahren durch deren Spaltung eine Umformung im Sinne eines Vierfarbensystems, um in dieser Form unsere Farbenempfindungen wachzurufen. Der Uebergang vom Dreifarbensystem der Retina zum Vierfarbensystem des 256 MARY WHITON ÜALKINS: 1. Die Empfindungen Weiss und Grau werden durch vollständige Zer- setzung der Moleküle der photochemischen Netzhautsubstanz ausgelöst. Diese Sehsubstanz ist sowohl in den Stäbchen wie in den Zapfen vorhanden. In den Stäbchen findet sie sich in einem undifferenzirten Zustand und wird vollständig durch Licht jeglicher Art zersetzt. In den Zapfen dagegen ist die Sehsubstanz derart differenzirt, dass ihre Zersetzung in zwei bezw. vier verschiedenen Stadien erfolgt. Wie nun auch die Zusammensetzung der Molecüle sein mag, seien es undifferenzirte Stäbchenmolecüle oder difteren- zirte Zapfenmolecüle, stets wird durch ihre vollständige Zersetzung die gleiche Lichtempfindung, und zwar die „farblose“, hervorgerufen. 2. Die Farbenempfindungen werden durch partielle Zersetzung der differenzirten Zapfenmolecüle ausgelöst. Ursprünglich giebt es nur zwei derartige partielle Zersetzungsphasen: So lange die Zapfenmolecüle noch nicht vollständig ausentwickelt und differenzirt sind, besteht jedes Molecül aus zwei Theilen, deren innere Atomschwingungen von solcher Periode sind, dass der eine Theil durch gelbes, der andere durch blaues Licht chemisch zersetzt wird. Im Laufe der Entwickelung spaltet sich die Gelbcomponente in zwei weitere Unterabtheilungen, deren eine durch rothes und die andere durch grünes Licht zersprengt wird. ! 3. Der Sehpurpur ist nicht direct betheiligt am Zustandekommen der farblosen Lichtempfindungen, sondern nur indirect. Er hat die Aufgabe, sehr schwaches Licht zu absorbiren und es dadurch in seiner Wirkung zu verstärken; erfüllte er diese Aufgabe nicht, so würden diese schwachen Lichter durch die durchsichtige Schicht der Stäbchen uud Zapfen hindurch- gehen, ohne eine Empfindung auszulösen. 4. Dass Schwarz als qualitativ verschieden gegenüber farblosen Lichtern erscheint, liegt daran, dass die photochemische Sehsubstanz auch im Ruhe- zustand den Nervenenden einen gewissen Reiz zukommen lässt. Diese letzte Hypothese, welche sich mit der Natur und der Ent- stehungsweise der Schwarzempfindung befasst, braucht hier weder in psycho- logischer noch in physiologischer Beziehung näher besprochen zu werden, denn sie ist ohne wesentliche Bedeutung für die Gesammtheit und die Gehirnes erfolgt durch einen Mechanismus, dessen Einrichtung Donders zwar bis in’s Einzelne ausgesonnen und angegeben hat, der aber überaus complieirt gestaltet zu denken ist und deshalb kaum annehmbar erscheint. Anderes über den Unterschied zwischen den Theorien von Ladd-Franklin und Donders ist von Hamaker in seiner Arbeit „Ueber Nachbilder nach momentaner Helligkeit“ (Zestschrift für Psycho- logie und Physiologie der Sinnesorgane. 1899. Bd. XXI. S. 42 Anmerkung) hervor- gehoben worden. (Vergleiche auch einen demnächst in diesem Archiv von Ladd- Franklin zu veröffentlichenden Artikel.) ! Psychological BReview. Vol.1I. p. 171. THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 257 übrigen Hauptgesichtspunkte der Theorie. Diese Ansicht über die Natur der Schwarzempfindung ist dieselbe wie die von Wundt; sie scheint mir in absolutem Widerspruch zu unserer Anschauung und zu den Beob- achtungen zu stehen. Aus beiden geht hervor, dass Weiss, Grau und Schwarz eine Reihe bilden, in welcher nur quantitative, nicht‘ qualitative Differenzen zu finden sind. Dagegen muss als wesentlicher Vorzug der Franklin’schen Theorie hervorgehoben werden — und ich glaube, dass jeder unbefangene Beurtheiler das zugeben muss —, dass in Uebereinstimmung mit unserem Farben- bewusstsein und den Farbenbeobachtungen vier Farbengrundempfindungen angenommen werden. Ueber die wichtigsten physiologischen Aussagen der Theorie und über die Beweise, durch welche dieselben gestützt sind, ist noch Folgendes an- zuführen: Was den Satz betrifft, dass nur eine einzige photochemische Netzhautsubstanz angenommen wird, deren Molecüle total oder partiell zer- setzt sein können und welche sowohl in den Stäbchen wie in den Zapfen vorkommen, so scheint mir derselbe durch Folgendes in ausgezeichneter Weise begründet zu sein. 1. Die histologischen Beobachtungen von Ramon y Cajal und Anderen zeigen, dass die Zapfen thatsächlich nichts Anderes sind, als weiter ent- wickelte und in’s Specielle differenzirte Stäbchen. Sie zeichnen sich haupt- sächlich dadurch gegenüber den Stäbchen aus, dass ihre terminalen End- ausbreitungen complicirtere Beschaffenheit aufweisen; demnach ist es höchst wahrscheinlich, dass die Stäbchen und Zapfen ursprünglich in jeder Be- ziehung identische Gebilde waren und dass sich die Zapfen erst im Laufe der Phylogenese complieirter gestaltet haben. 2. Die Annahme, dass nur eine Sehsubstanz vorhanden ist, welche in ihrer undifferenzirten Form sofort vollständig durch Licht jeglicher Art zersetzt wird, welche dagegen in ihrer differenzirteren und complicirteren Form in verschiedenen Stadien zerfällt, hat eine Stütze in der analogen Erscheinung, welche am Sehpurpur zu beobachten ist: In den Netzhäuten niederer Thiere wird derselbe unvermittelt zu Sehweiss zersetzt; in der menschlichen Netzhaut degegen hat er zunächst noch das Zwischenstadium des Sehgelb zu durchlaufen, ehe er vollständig gebleicht ist. 3. Wenn angenommen wird, dass Blau und Gelb als die zuerst allein vorhandenen primitiven Farbengrundempfindungen zu gelten haben, so steht das im guten Einkang mit der Thatsache, dass Blau- und Gelb- blindheit ausserordentlich selten sind; denn es ist von vornherein anzu- nehmen, dass diejenigen Farbenprocesse, welche sich als ursprünglichste zuerst herausdifferencirt haben, am zähesten festgehalten werden und am seltensten wieder verloren gehen. Archiv f. A.u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 17 258 R MARY WHITON ÜALKINS: Für die Richtigkeit des zweiten Hauptsatzes der Ladd-Franklin’schen Theorie, des Satzes nämlich, dass das Stäbehenpigment hauptsächlich die Aufgabe habe, Lichtreize zu verstärken, sind folgende Gründe anzuführen: 1. Man kann nicht annehmen, dass die Zersetzung des Sehpurpurs als directe Ursache für die farblosen Lichtempfindungen in Betracht kommt. denn diese Empfindungen kommen auch dann zu Stande, wenn der Seh- purpur durch helles Licht völlig ausgebleicht ist. 2. Die objective röthliche Färbung des Sehpurpurs legt die Vermuthung nahe, dass dieselbe durch biologisch bedeutungsvolle Ursachen bedingt ist: Die Purpurfarbe des Stäbchenpigmentes finden wir in den Netzhäuten aller Thiere, ausser bei den Fischen; durch so gefärbte Substanzen wird vorzugs- weise das gedämpfte grüne Licht der Wälder, in denen ursprünglich die bezüglichen Thiere lebten, absorbirt. Fische dagegen, deren Stäbchenpigment nicht purpurfarbig ist, bedürfen einer so gefärbten Sehsubstanz nicht, weil sie im Ocean und nicht im Dunkel der Wälder leben. ! Wenn ich jetzt dazu übergehe, noch ein Mal kurz die angeführten Farbentheorien mit einander zu vergleichen und sie nach ihrem Werthe abzuschätzen suche, so möchte ich doch voranschicken, dass ich durchaus der Ansicht bin, dass alle oben der Reihe nach vorgeführten Systeme ihren grossen Werth haben und wesentlichen Nutzen stiften und bereits gestiftet haben, wenn auch die eine oder andere wenig Anhänger gefunden hat. Denn jeder der Autoren, welcher eine Theorie aufgestellt hat, hat die eine oder andere neue Thatsache aus den Gebieten der Farbenmischung, der psychologischen Farbenanalyse, der Deutung der Farbenblindheiten oder über das Dämmerungssehen entdeckt; diese neuen Befunde sind dann im Zusammenhang mit allen anderen optischen Erscheinungen von den Ent- deckern gewürdigt worden und durch diese Arbeiten sind die Fragestellungen für alle Farbentheorien präcisirt und ein reichliches Material geliefert worden, welches jede Theorie berücksichtigen und verwerthen muss. Ich füge jetzt noch eine kurze schematische Zusammenstellung der besprochenen Theorien ein (die Wundt’sche ist dabei nicht berücksichtigt), um dann in wenigen Worten die logischen Schlussfolgerungen aus den hier gegebenen Erörterungen zu ziehen. I. Die Young-Helmholtz’sche Theorie der Farbenmischung. Behauptungen: Einwände: Es giebt drei Grundfarben: roth, grün, Steht im Widerspruch zur psycho- violett. logischen Farbenanalyse und zur Beobachtung. 1 Op. eit. V]. 80, THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 259 Behauptungen: Einwände: Farbloses Licht ist keine einfache, Eine Erklärung wird vermisst sondern eine Mischempfindung, sie 1. für die periphere Farbenblind- entsteht durch Mischung von far- heit, bigen Lichtreizen. 2. für die Farbenblindheit bei schwacher Beleuchtung, 3. für totale Farbenblindheit. I. Die Theorien der Gegenfarben von Hering, Müller, Ebbinghaus. Behauptungen: Einwände: Es giebt vier Grundfarben: roth, grün, Die Thatsachen der Farbensysteme, gelb, blau. und besonders dass die zwei Ty- pen der Rothgrünblinden Ausfalls- erscheinungen sind, werden nicht berücksichtigt. Es giebt zwei Paare von Gegenfarben, Mischung von roth und grün giebt roth-grün und gelb-blau. nicht farblose Lichtempfindung. FarbloseLichtempfindungen entstehen S. Text. durch die Function einer retinalen schwarz-weissen Sehsubstanz (He- ring) oder durch Hirnrindenpro- cesse (Müller), wenn zwei Gegen- farben sich gegenseitig aufgehoben haben. II. Theorien, nach denen farblose Lichtempfindung durch die Function des Stäbchenpigmentes ausgelöst wird. a) Theorien von v. Kries und König. Behauptungen: Einwände: 1. Es giebt drei Farbengrundempfin- Durch psychologische Analyse ist fest- dungen, welche durch die Thätig- gestellt worden, dass vier ver- keit der Zapfen (v. Kries) oder schiedene Grundempfindungen an- durch die Zersetzung des Sehpur- zunehmen sind. purs und des Netzhautpigmentes (König) ausgelöst werden. 2. Farblose Liehtempfindung kommt Es ist nicht wahrscheinlich, dass zwei auf zweierlei Art zu Stande: durch subjectiv völlig gleiche Empfin- Stäbchenerregung oder durch Com- dungen durch zwei total verschie- bination mehrerer Farbenprocesse. dene Netzhautvorgänge ausgelöst werden. 17* 3 260 MARY WHIToNn ÜALKINS: b) Theorie der molecularen Dissociation von C. L. Franklin. Behauptungen: Einwände: Es giebt vier Farbengrundempfin- S. Text. dungen, welche durch partielle Zersetzung von differenzirten Mole- cülen der photochemischen Netz- hautsubstanz in den Zapfen aus- gelöst werden. Farblose Lichtempfindung kommt zu Stande bei völliger Zersetzung 1. der undifferenzirten Stäbchen- molecüle, 2. der differenzirten Zapfenmolecüle. Die Dichromasie der normalen Netz- hautperipherie und der überwiegen- den Fälle von partieller Farben- blindheit stellt ein Zwischenstadium dieser Entwickelung vor. Wie schon aus dieser Zusammenstellung ersichtlich, glaube ich, dass sich folgende allgemeine Schlussfolgerungen aus der ganzen Besprechung mit Nothwendigkeit ergeben. Was zunächst die psychologische Analyse der Farbenempfindungen betrifft, so ist als Grundsatz festzuhalten, dass es vier und nicht drei Grundfarben giebt: Roth, Grün, Gelb und Blau. Und ferner, dass die farblose Liehtempfindung nicht als Misch-, sondern als Grundempfindung zu gelten hat. Erkennt man dies als richtig an, so sind alle bezüglichen Sätze der Dreifarbentheorien von der Young-Helmholtz’schen an zu verwerfen. 2. Unzweifelhaft kann farblose Lichtempfindung, auch ohne dass man farbige Reize mischt, erzielt werden. Diese Thatsache macht die Lehre der Young-Helmholtz’schen Theorie, welche „farblos“ als Mischempfindung auffasst, auch physiologisch zu nichte. 3. Eine Mischung von rothem und grünem Licht erzeugt nicht farb- lose Lichtempfindung. Dieses Factum ist unvereinbar mit der Hering’- schen Theorie und allen ihren Modificationen. 4. Um auf die positiven Ergebnisse der ganzen Erörterung zu kommen, ist Folgendes zu sagen: Die anatomische Structur und die Netzhautver- theilung der Stäbchen spricht dafür, dass diese Gebilde nur farblose Licht- empfindung auszulösen vermögen. Diesen Standpunkt theilen v. Kries, König und Ladd-Franklin. THEORIEN ÜBER DIE EMPFINDUNG FARBIGER U. FARBLOSER LICHTER. 261 Der Umstand, dass Stäbchen und Zapfen ursprünglich völlig gleiche Gebilde sind, und dass die Zapfen sich erst im Laufe der Entwickelung herausdifferenziren, spricht mit grösster Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein chemischer Process, welcher sich in Stäbchen und Zapfen in derselben Weise abspielt, farblose Lichtempfindung erzeugt; er spricht ferner dafür, dass verschiedene Phasen oder Stadien dieses chemischen Processes in den Zapfen die Ursache für die Farbenempfindung abgeben. Diese Lehre ge- winnt um so mehr an Wahrscheinlichkeit, als analoge Vorgänge in der Physiologie bekannt sind und als sie allen in Betracht kommenden Beob- achtungen in der physiologischen Optik gerecht wird. Die letzteren Annahmen bilden die wesentlichen Merkmale der Theorie der molecularen Dissociation von Mrs. Ladd-Franklin; eine Farbentheorie von dieser Art scheint mir am besten mit den Beobachtungen und den Ergebnissen der physiologischen Forschung in Einklang zu stehen und die grösste biologische Wahrscheinlichkeit zu besitzen. Conservirung des Harns für analytische und calorimetrische Zwecke. Von Dr. W. Cronheim. (Aus dem thierphysiologischen Institut der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin, Vorsteher Prof. Dr. Zuntz.) Als im vergangenen Sommer die Vorbereitungen für die Expedition getroffen wurden, die zum Studium der physiologischen Wirkungen des Hochgebirges vom Zuntz’schen Laboratorium ausging, war die Frage sehr dringlich, auf welche Weise die Conservirung nicht nur der Nahrung, sondern auch der nach Schluss der Reise in Berlin zu untersuchenden Secrete und Excrete vorgenommen werden sollte. Für die Nahrung war dies ja sehr einfach, schwieriger schon für den Koth, bei dem eventuell ein einfaches, nicht einmal all zu langes Erhitzen auf 100° bei saurer Reaction hätte ge- nügen können, um ihn für längere Zeit steril zu erhalten. Sehr viel schwieriger stellte sich die Frage für den Harn, da Veränderungen ver- mieden werden mussten, die die später vorzunehmenden vielfältigen Unter- suchungen unmöglich gemacht hätten. Es handelte sich also darum, ein geeignetes Conservirungsmittel zu finden, das eine lange Haltbarkeit des Harns auch unter ungünstigen Umständen verbürgt und vor Allem auch auf die später vorzunehmenden calorimetrischen Untersuchungen nicht störend einwirkte. Einer Anregung von Prof. Zuntz folgend stellte ich einige Versuchs- reihen über passende Conservirungsmethoden des Harns an; dies um so lieber, da in einer grösseren gemeinschaftlichen Arbeit von Dr. Erich Müller und mir!, in der wir Stoffwechselversuche am Säugling anstellten, auch an uns die Frage herangetreten war, auf welche Weise eine Zersetzung des Urins ! Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Be- rücksichtigung des organisch gebundenen Phosphors. Zeitschrift für diätet. uw. physik. Therapie. 1902/3. Bd. VI. Heft 1 u. 2. W. CRONHEIM: CONSERVIRUNG DES Harns. 263 in dem den Kindern angelegten Harnrecipienten innerhalb von 24 Stunden auch im Sommer vermieden werden konnte. Gelang es, ein derartiges Mittel zu finden, so wurde auch der von Rubner! erhobene Einwurf gegen die sonst so bequeme Methode hinfällig, den Urin zum Zwecke der calori- metrischen Bestimmung auf einem Celluloseblöckchen einzudicken. Mittel, den Harn steril zu erhalten, kennen wir eine ganze Reihe. Es handelte sich nun darum, festzustellen, in wie weit sie die chemische Con- stitution? desselben unverändert lassen, wofür wir in dem unveränderten Brennwerth ein gutes Erkennungsmittel haben, und so wendete ich meine Aufmerksamkeit speciell diesem Punkte zu. Der frisch gelassene Harn wurde theilweise sofort, um seinen Brennwerth exact festzustellen, zur calorimetrischen Bestimmung angesetzt, theilweise mit den noch zu erwäh- nenden Conservirungsmitteln versetzt. Die Vorbereitung zur Verbrennung geschah in allen Fällen nach dem Vorschlag von Kellner? derart, dass der Urin auf Cellulosepflöckchen eingetrocknet wurde. Das Verfahren ist sehr angenehm, bei sorgfältigem Arbeiten kann man die Fehler beträcht- lich herabdrücken, während andererseits, wenn man den Urin als solchen eindampft, nach einem Einwand von Kellner zu befürchten steht, dass der salzreiche Rückstand nur unvollständig verbrenne Das Eindampfen des Urins wurde stets bei gewöhnlicher Temperatur im Vacuumexsiccator vor- genommen, ähnlich wie Frentzel und Schreuer* vorgegangen sind. Einem Vorschlag von Prof. Zuntz folgend verband ich den Exsiceator mit der Pflüger’schen Blutgaspumpe. Man kann die Verdünnung bis auf‘ 10 bis 8m Hg treiben, geht man weiter, so ist Gefahr eines explosiven Aufkochens und damit verbundener Verluste vorhanden. So wie der Druck genügend erniedrigt war, wurde die Verbindung zur Pumpe ab- gestellt und erst dann vermittelst eines Hahntrichters, der durch eine zweite Bohrung des Tubusstopfens durchging, die concentrirte H,SO, in den Ex- siceator einfliessen gelassen. Die Trocknung geht sehr schnell vor sich. Inner- halb weniger Stunden sind 10 bis 15 «= Harn zu dickem Syrup eingedampft, auch unter den ungünstigsten äusseren Umständen tritt keine Zersetzung ein. - Es ist dies von besonderem Vortheil bei der Verarbeitung der dünnen Kinderurine, wie sie in der bereits oben erwähnten Arbeit von Dr. Erich Müller und mir zu untersuchen waren. 1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XLII. S. 270. 2 Tangl, Beitrag zur Kenntniss des Energiegehaltes des menschlichen Harnes. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 254. 3 Landwirthschaftliche Versuchsstationen. 1896. 8. 297. — Beitrag zur Kennt- niss des Energiegehaltes des menschlichen Harns. S. 254. * Frentzel und Schreuer, Der Nutzwerth des Fleisches. Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 291. 264 W. CRONHEIM: Die im Exsiceator, in welchem 4 bis 6 Pflöckchen gleichzeitig getrocknet wurden, befindliche H,SO, zeigte nur in einigen wenigen Fällen Spuren von N, die unbeschadet vernachlässigt werden konnten. War der Urin einmal eingedampft, so wurden die den Wänden anhaftenden Spuren mit wenig Wasser benetzt und mit dem Pflöckchen abgerieben, diese Behandlung eventuell wiederholt, bis die gesammte Menge auf das Pflöckehen übertragen war. Verbrennung, sowie Berechnung geschah wie üblich. Von demselben Urin, dessen Verbrennungswärme so in frischem Zustande ermittelt war, wurden bestimmte Mengen abpipettirt, mit dem zu prüfenden Conservirungs- mittel versetzt und in gut verschlossenen, wie üblich gereinigten, nicht etwa sterilisirten Flaschen vor Licht geschützt aufbewahrt. Die Dauer der Auf- bewahrung betrug mindestens 6 Wochen und umfasste die heissesten Monate des vergangenen Jahres, Juni bis Mitte September. Es wurden zuerst zwei Versuchsreihen angestellt, die mehr orientirender Natur sein sollten und überhaupt erst die mögliche Verwendbarkeit der benutzten Conservirungsmittel nachweisen sollten. Als solche dienten FINa (gesättigte wässerige Lösung etwa 4 Procent), HgCl, (wässerige Lösung 0-1 Procent), NaHSO, (10 Procent), Thymol (10 Procent Lösung in 96proc. Alkohol), CHO], und endlich Sterilisation in der Wärme. Zu letzterem Zwecke wurden 100°® Urin in ein Rundkölbchen mit Patentverschluss gefüllt, der Verschluss erst lose aufgelegt und dann das Kölbchen bis zum Hals in ein bereits angeheiztes Wasserbad versenkt. Letzteres wurde dann möglichst schnell zum Kochen erhitzt, so wie das Sieden begann, wurde der Hebel des Verschlusses heruntergedrückt. So wurde ein Wasserverlust, also eine Concentration, möglichst vermieden, während Gase ungehindert entweichen konnten. Das nunmehr luftdicht verschlossene Kölbchen wurde 15 bis 20 Minuten im siedenden Wasser belassen, alsdann abgekühlt und mit den anderen Proben aufbewahrt. Die Menge des Conservirungsmittels betrug in jedem Falle I «" auf 100°" Urin. Als nach etwa 6 Wochen die Flaschen geöffnet wurden, um die Proben zu entnehmen, war der Geruch überall normal, nirgends etwas von Fäul- niss wahrzunehmen. Der flockige Absatz, der sich stets gebildet hatte, war nicht sehr stark und liess sich durch Aufschütteln leicht vertheilen. Die beiden Proben mit Zusatz von NaHSO, zeigten einen beträchtlichen Absatz von Harnsäure, wovon die anderen Proben nur Spuren aufwiesen. Ausserdem fand sich in dem mit FINa versetzten Urin der einen Reihe und dem mit HgCl, versetzten der anderen etwas Schimmel vor, der auf der Oberfläche schwamm. . Selbstverständlich wurde, als aus diesen Flaschen Proben entnommen wurden, möglichst vermieden, von der Pilzhaut etwas zu übertragen. CONSERVIRUNG DES HARNS. 265 Die nachstehend aufgeführten Zahlen geben den Brennwerth von 10 cm Harnes. Frisch FINa HgC], NaHS0, Thymol CHCI; Durch Hitze (Schimmelb.) sterilisirt 1037-9 |ijm Mittel: 1029-7 / 1032-4 1088-0 1099-3 1018-4 1050:8 1069-4 978-9 1029-5 1028-5 Jim Mittel: 1006-6 7 1021:9 986.9 Yerun- 894.6 984.7 1028.1 887-9 Aus den vorstehenden Zahlen ergiebt sich jedenfalls mit voller Sicher- heit, dass eine Sterilisation durch Hitze unbedingt zu verwerfen ist. In beiden Reihen finden sich bedeutend niedrigere Werthe, die über die Fehler- grenze hinausgehen. Dabei hätte man eher höhere Werthe erwarten sollen, da nach der oben geschilderten Art der Sterilisation die Möglichkeit einer Concentration des Harns nicht ganz ausgeschlossen ist. Bei dem Abmessen wurde aber darauf keine Rücksicht genommen, während sonst natürlich die durch den Zusatz des Conservirungsmittels hervorgerufene Verdünnung in Betracht gezogen wurde Auch NaHS0O, erweist sich als ungeeignet. Wie bereits oben erwähnt, schieden sich beträchtliche Mengen von Harnsäure aus, entsprechend dem sauren Charakter des Salzes. Es gelingt aber nicht, auch durch heftiges Umschütteln das schwere Harnsäurepulver so lange schwebend zu erhalten, um aus der Flüssigkeit immer mit Sicherheit eine gleichmässige Probe entnehmen zu können. Daher wohl die ungleichen Werthe. Auch von HgCl, sah ich ab, da der hohe Werth den Verdacht erweckt, dass HgCl, in seine Componente zerfalle bezw. zu den Oxyden verbrannt werde und so selbst einen gewissen Wärmewerth liefert. Auf- fallend sind auch die höheren Werthe des mit CHOl, conservirten Harnes. Auf Grund dieser Befunde wurde eine neue Versuchsreihe angestellt; das Verfahren war dasselbe, als Conservirungsmittel wurden nur angewendet NaFl, CHC], und Thymol in denselben Lösungen, wie das vorige Mal. Die Dauer der Conservirung betrug 7 bis 9 Wochen, der Urin hatte sich absolut nicht verändert, nirgends war ein erheblicher Absatz vorhanden, auch kein Schimmel. Die Menge des Urins, die zur Verbrennung gelangte, betrug dies Mal nur 5°®. Die Werthe sind: Urin frisch Thymol CHCI, NaFl 680-8 | . 681-8 |. 691-6 | . 674-1 |. i. M. i.M. i. M. 1. M. > a ee 698-7 EL ne 672.3 659.4 681-8 672-1 266 W. CRONHEIM: ÜONSERVIRUNG DES HARNS, Esergiebt sich aus diesen Zahlen, dass von den geprüften Conservirungs- mitteln sicher zwei den Anforderungen, von denen ausgegangen wurde, entsprechen, nämlich den Urin auch bei geringem Zusatz absolut sicher zu conserviren und keine oder wenigstens den Brennwerth nicht störende Ver- änderungen hervorzurufen. Es sind dies Thymol ! in alkoholischer Lösung, wie bereits von Tangl (a. a. O.) angegeben, oder FINa in wässeriger Lösung. Die Differenzen gegen die Werthe des frischen Urins liegen durchaus in der Grenze der Versuchsfehler. Nicht ganz so einwandsfrei scheint die Verwendung von CHC], zu sein. Es zeigt sich in dieser Versuchsreihe, wie in den beiden früheren, ein entschiedenes Anwachsen des Wärmewerthes, das für die letzte Versuchsreihe doch schon über 4 Procent beträgt. Es sei dahingestellt, ob dies dadurch verursacht wird, dass CHC], auch im bei- nahe absoluten Vacuum nicht vollständig entweicht, vielleicht in Form von Krystallchloroform etwas zurückbleibt, oder ob die bekannte Zersetzlichkeit des CHC], die Ursache ist. Jedenfalls wird man aber auf seine Benutzung besser verzichten. Bei der Verwendung von FINa wird man natürlich be- denken müssen, dass entsprechend der zugesetzten Menge Kalksalze gefällt werden, dagegen nicht wie bei Thymol zu befürchten ist, dass doch einmal in Folge einer besonderen Verkettung ungünstiger äusserer Umstände organische Substanz zurückbleibt. In jedem einzelnen Falle wird zu ent- scheiden sein, welcher Substanz man den Vorzug geben wird. ! Thymol in Stücken oder gepulvert zugesetzt, wirkt, wie ich anderweitig beob- achten konnte, nicht so gut. Dies würde ja auch nur mit anderen Erfahrungen über- einstimmen, da der überaus feine Zustand, in dem sich Thymol aus alkoholischer Lösung bei dem Verdünnen mit Wasser ausscheidet, viel eher den Sättigungspunkt erreichen lässt. Versuche über experimentelle Beeinflussbarkeit des Jodgehaltes der Schilddrüse. Von W.A.Nagel und E. Roos in Berlin in Freiburg i. B. Die einzige Möglichkeit, den Jodgehalt der Schilddrüse experimentell zu beeinflussen, die man bisher kennen gelernt hat, besteht darin, dem betreffenden Menschen oder Tiere Jod zuzuführen. Dadurch wird der Jod- gehalt der Drüse erhöht. Die Jodzufuhr kann durch jodhaltige Nahrungs- mittel oder in der Form von reinem Jod oder Jodverbindungen geschehen. Es ist durch zahlreiche Untersuchungen festgestellt 1, dass Grasfresser, wie Schafe, Rinder, Pferde, Rehe, in deren Nahrungsasche das Element öfters nachgewiesen wurde, gewöhnlich einen nicht unbeträchtlichen Jodgehalt in ihrer Schilddrüse aufweisen, während bei reinen Fleischfressern, deren Nahrung sicher erheblich weniger, gewöhnlich nur Spuren oder gar kein Jod enthält, meist keines in dem Organe nachgewiesen werden kann. Bei omnivoren Tieren, wie Hunden und Schweinen ?, auch beim Menschen, ist ! E. Baumann, Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physik. Chemie. Bd. XXU. S.1ff. — E. Roos, Zbenda. Bd. XXVII. 8.55 ff. ®2 Nur nebenbei seien hier die Jodwerthe mitgetheilt, wie sie bei einer Serie von Schweineschilddrüsen aus dem Freiburger Schlachthause gefunden wurden: Lfd Gesammt- |Jodgehalt in mg,auf Lfd - Gesammt- Jodgehalt in mg, auf Nr trockengewicht |18°= der trockenen NE trockengewicht |1 ®”® der trockenen ° \d. Drüsen in grm|Drüsensubstanz ber. * Id. Drüsen in grm Drüsensubstanz ber. 1 | Spur 11 2-8 0.15 2 4-6 0-05 12 3-0 0-2 3 2°8 0-75 13 2-0 0:25 4 3-0 0.1 14 2°6 0-45 5 2-2 Spur 15 3-1 0-35 - 6 41 0-1 16 1-6 0-2 7 2-7 0-1 17 4-8 0-05 8 3-2 kein Jod 18 1°5 0-7, 9 2-85 0-1 19 ee 0-05 10 3-3 kein Jod | 20 3-4 0-1 268 W. A. NagEenL und E. Roos: der Jodgehalt sehr wechselnd und Feststellungen desselben nach Verab- reichung verschiedener Nahrung zeigen die Abhängigkeit vom Jodgehalt derselben. So findet sich bei Hunden nach Fleischnahrung Jod nur in Spuren oder überhaupt nicht. Nach Fütterung mit Hundekuchen, welcher einen Zusatz von Zuckerrüben enthält, waren jeweils deutliche Mengen vor- handen, erhebliche nach Verabreichung von Stockfisch und Thymus, welche nachweisbar: jodhaltig sind. ! ‚Die grössten Jodmengen finden sich aber in dem Organ nach Ein- führung von Jod selbst oder Jodverbindungen aufgespeichert. Baumann? bestimmte bei Hunden, die Jod bekommen hatten, bis nahezu 50”®, Oswald? bei menschlichen Schilddrüsen und Strumen aus der Schweiz, besonders in Colloidkröpfen, ebenfalls Mengen von 50 und sogar über 70"”s Jod. Einzelne der Träger hatten nachgewiesenermaassen Jod eingenommen, bei anderen liess sich dies nicht feststellen. Auf die verschiedenen Anschauungen über die Bedeutung des Jods bezw. der Jodverbindung in'.der Schilddrüse soll hier nicht näher einge- sangen werden.* Von Wichtigkeit sind für unsere unten mitgetheilten Versuche die Erfahrungen, welche zeigen, dass die Schilddrüse das in ihr aufgespeicherte Jod sehr hartnäckig und durch lange Zeit zurückhält. Andererseits weisen unsere bisherigen Kenntnisse von dem Organ und dessen Function, soweit wir darüber etwas wissen, und unsere Erfahrungen mit der Schilddrüsentherapie und dem Jodothyrin darauf hin, dass die Drüse die Jodverbindung zu bestimmten Zwecken, vielleicht nicht ständig, aber wohl unter besonderen Umständen bei Bedarf an den Körper abgiebt. Es war nun unsere Absicht, zu versuchen, ob sich Bedingungen finden lassen, unter denen die Schilddrüse bei sonst gleichen Ernährungsverhält- nissen des Organismus mehr Jod abgiebt oder aufnimmt, als in der Norm, mit anderen Worten, ob sich der Jodgehalt experimentell auch noch auf andere Weise als durch die Art der Nahrung oder Einführung von Jod ändern lässt. Wir müssen dabei von vornherein bemerken, dass unsere Versuche in gewissem Sinne unvollständig sind und vorläufig nicht in dem beabsichtigten Umfange zu Ende geführt werden konnten, weil durch den Ortswechsel des einen von uns eine gemeinschaftliche Fortsetzung unmöglich geworden ist. Doch glauben wir, dass auch die bisher erzielten Ergebnisse nicht ohne einiges Interesse sind. ! Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXI. S. 492; Bd. XXL. 8. 14 u. 17. ® A: 2. O. 8. 16. | ® Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXI. S. 265 ff. “Vgl. E. Roos, Ueber die Schilddrüse. Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i.B. 1901. Bd. XII. BEEINFLUSSBARKEIT DES JODGEHALTES DER ScHILpprüse. 269 ‘ Der nächstliegende Gedanke war, das Organ in erhöhte Thätigkeit zu versetzen und dann den Jodgehalt festzustellen. Ueber die Möglichkeiten, dies zu erreichen, ist noch sehr wenig bekannt, und die Untersuchungen von Hürthle! sind ‘wohl die einzigen, die hier in Betracht kommen. Danach lassen sich, wenn man bei einem Hunde die eine Schilddrüse ganz, die andere zur Hälfte oder ?/, entfernt, im zurückbleibenden Rest mikro- skopisch Veränderungen nachweisen, Mr von Hürthle im Sinne einer ge- steigerten Thätigkeit gedeutet En Wenngleich die Hürthle’schen Versuchsergebnisse nicht unbedingt als eindeutig bezeichnet werden dürfen, schienen ‘sie. uns: doch immerhin einen Anhaltspunkt für einen Weg zu ‚geben, wie die Schilddrüse zu ver- mehrter Thätigkeit angeregt werden kann. Wir haben daher in ähnlicher Weise drei Viertel der Schilddrüsensubstanz exstirpirt, den Jodgehalt der- selben bestimmt und nach verschiedenen Intervallen den Jodgehalt des zurückgebliebenen Restes festgestellt. Um möglichst sicher zu sein, dass die Drüsen auch jodhaltig waren, gaben wir den Hunden jeweils 8 Tage vor Beginn der Versuche je'3 Tage hinter einander täglich 18” Jodnatrium. Die Nahrung war immer eine ziemlich gleichmässig gemischte. Die Jodbestimmung wurde nach der von Rebourdin zuerst ange- gebenen, von Baumann weiter ausgebildeten, von Oswald etwas modi- fieirten und von dem einen von uns schon oft verwendeten colorimetrischen Methode ausgeführt.2 Dieselbe giebt bei Beobachtung einiger ‚Vorsichts- maassregeln — Nickeltiegel, langsames Glühen, nicht zu viel: Salpeter, passende Mengen von Chloroform — und einiger Uebung verlässliche und genaue Resultate Es sei dazu nur noch bemerkt, dass, wenn einmal die Lösung des freigemachten Jods in Chloroform etwas trübe ist, am ein- fachsten durch Zusatz von etwas mehr Chloroform (natürlich auch im Ver- gleichseylinder) sofort Klärung erfolgt. Soweit das Material irgend reichte, wurden immer zwei Bestimmungen ausgeführt, und bei der zweiten immer die Menge von Schilddrüsensubstanz verwendet, die nach dem Resultat der ersten Bestimmung in 5 bis 10 0m Chloroform, die gewöhnlich verwendet wurden, ein Optimum der Färbung liefern musste. Sonst wurde die Chloroformmenge bis zu einem Färbungs- optimum vergrössert. Auf diese Weise waren noch Differenzen in der Färbung von 0-05=8 Jod deutlich zu erkennen. Wir glauben deshalb, die so gewonnenen Resultate als möglichst genau bezeichnen zu können. Die Versuchsthiere waren ausschliesslich Hunde, die, wenn nicht aus- ! Archiv für die ges. Physiologie. Bd. LVl. 8.1. ? Vgl. Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXI. 8. 489; Bd. XXll. 8.2; Bd. AA. 8: 275. 270 W. A. NAGEL und E. Roos: drücklich anders bemerkt, jeweils 8 Tage vor Beginn des Versuchs 3 Mal 1 em Jodnatrium erhalten hatten. ‘Neben den thatsächlich gefundenen Werthen haben wir der besseren Vergleichbarkeit halber immer noch den auf die Einheitsmenge von 1.0 2m trockener Drüsensubstanz berechneten Jodgehalt angegeben. I. Wird durch partielle Exstirpation der Jodgehalt im zurück- bleibenden Theile geändert? Versuch 1. 9.X1. 1900. Exstirpation der ganzen rechten und der unteren Hälfte der linken Schilddrüse. Der exstirpirte Theil wiegt trocken 0.56 8", 0.580 = 0.4”8 Jod. 1.08% würde also 0-.3”%8 Jod enthalten. 22.X1. Rest exstirpirt. 0.14 8% trocken. 0-14 2m — 0.298 Jod; also 1-08 = 1.438 Jod. Nach Exstirpation des Restes beginnt heftige Tetanie mit Krämpfen, während das Thier bis zur Exstirpation des Restes völlig wohl gewesen war. Wird getödtet. Versuch 2. 13.X1. 1900. Exstirpation der ganzen rechten und der unteren Hälfte der linken Drüse. Die Drüse ist auffallend klein, fest und derb. Der exstirpirte Theil wiegt trocken 0-158'%; enthält kein Jod. 22.XI. Rest exstirpirt. Trocken 0-18”%; enthält kein Jod. Der Hund war sonst gesund und kräftig. Bekam am 24.XI. Tetanie mit Steifheit und nachfolgenden Krämpfen. Versuch 3. 14.X1I. 1900. Exstirpation der rechten und der unteren Hälfte der linken Drüse. Der exstirpirte Theil wiegt trocken 0.9 8m, 0.580 — 1-.1%8 Jod. 0.28m = 0.45% Jod; 1-08M = 2.258 Jod. 22.X1I. Rest exstirpirt. 0.24 8m trocken = 0°75”8 Jod. 1.08m = 3.12”8 Jod. Versuch 4. 20.XI. 1900. Exstirpation von 1!/, Lappen wie oben. Trockengewicht des exstirpirten Theiles 0-65 8%, 0.58m — 2.98 Jod. 0.18m = 0°55”%8 Jod (genauere Bestimmung). Demnach 1.08% = 5.58 Jod. 11.XIl. Rest exstirpirt. Trockengewicht 0-27 8m, 0.135 8m = 0°65”3 Jod. 0.1358" = 0-78 Jod. Demnach 1.08% — 5.2"8 Jod, BEEINFLUSSBARKEIT DES JODGEHALTES DER SCHILDDRÜSE. 271 Versuch 5. Jodnatrium 4 Wochen vor dem Versuch. 12.XH. 1900. Exstirpation des ganzen rechten und des unteren Drittels des linken Lappens. Trockengewicht des exstirpirten Theiles 0.383. 0-.158m = 0.5"3 Jod. 0.1580 — 0°5%8 Jod. Demnach 1.03% = 3.338 Jod. 15.11. 1901. Rest exstirpirt. Trockengewicht 0-15 8% = 0°75"8 Jod. Demnach 1:08" — 5.0"8 Jod. Am 17.1I. Krämpfe, am 19. schwere allgemeine Tetanie und starker Verfall. Nach 14 Tagen getödtet. Von fünf Fällen zeigten demnach drei eine deutliche Vermehrung des Jods im zurückgelassenen Schilddrüsenrest, einer eine geringe, aber inner- halb der Fehiergrenzen der Bestimmung liegende Abnahme. Der fünfte zeigte abnorm kleine, harte Schilddrüsen, die anscheinend pathologisch waren, worauf wohl auch die Nichtaufnahme von Jod nach vorheriger Einnahme hindeutet. Der betreffende Hund war aber im Uebrigen gesund und kräftig und erkrankte nach der Entfernung des Restes an typischer Tetanie. Etwas später wurde dann auch bei zwei Hunden gesehen, ob nach einfacher Exstirpation eines Lappens im anderen eine Aenderung des Jod- gehaltes eintritt. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Versuchen wurden also in diesen Fällen die zurückbleibenden Lappen nicht verletzt. Versuch 1. Der rechte Lappen eines Hundes, der am 10.1. 1901 exstirpirt wurde, wog trocken 0.45 8m, 0.25M ergab 0-98 Jod. 0-13 ergab 0-43 Jod. 0-18M ergab 0-48 Jod. Der am 26.I. exstirpirte linke Lappen, welcher trocken 0.47 3% wog, enthielt in 0.25m — 0.758 Jod. 0.18m — 0-4ms Jod. 0.18m = 0.4n8 Jod. Versuch 2. Zu genau der gleichen Zeit wurden die beiden Schild- drüsenlappen eines zweiten Hundes, der gerade so vorbehandelt war, ex- stirpirt. Der rechte Lappen wog trocken 0.85 8m, 0.28m ergab 0.88 Jod. 0.18% ergab 0-35 "8 Jod. Der linke Lappen wog trocken 1.178 m, 0.18% ergab 0-.35%8 Jod. 1.08% ergab 0-35”%8 Jod, 22 W. A. NadktL und E. Roos: Es war also in 16 Tagen nach Wegnahme eines Drüsenlappens im anderen keine Aenderung des Jodgehaltes aufgetreten. Der Ausfall dieses Versuches spricht auch gegen die Möglichkeit, dass vielleicht die Zunahme des Jods in dem vorher zurückgelassenen Reste von !/, der Drüse nur deshalb erfolgte, weil vielleicht von der verhergegangenen Judmedication noch etwas Jod im Körper kreiste. II. Wirkt Pilocarpin auf den Jodgehalt der Schilddrüse? In einer zweiten Versuchsreihe wurde sodann der Einfluss des Pilo- carpins auf den Jodgehalt der Drüse untersucht, da man wohl einigen Grund hätte anzunehmen, dass dieses Gift auch die Schilddrüse wie andere Drüsen zu vermehrter 'Thätigkeit anregen könnte. Zuerst erhielten zwei Hunde im Laufe des Monats März 1300 je 5 Mal 1.08m Jodnatrium. Am 30. Ill. wurde der rechte Lappen exstirpirt. Anfangs Mai erhielten die Hunde dann 8 Tage lang täglich Pilocarp. hydrochlor. injieirt, und zwar wurden die Dosen so gewählt, dass starker Speichelfluss, aber womöglich kein Erbrechen erfolgte, d. h. wenn eine Dosis Erbrechen hervorrief, wurde sie am folgenden Tage verringert. Der zweite Hund vertrug im Allgemeinen etwas grössere Pılocarpindosen, d. h. während beim ersten nur 1 bis 2%s angewendet werden konnten, war es dort mög- lich, auf 4 und 6"8 zu steigen. Einen Tag nach der letzten Einspritzung wurden die Thiere getödtet. 1. Hund. Rechter Lappen hypertrophisch. Wiegt trocken 2.08, 0.580 — 0.758 Jod. 0.58m = 0.75” Jod. Demnach 1.08” = 1.53 Jod. Linker Lappen (nach der Pilocarpinbehandlung) wiegt trocken 2-25 3", 0.58% = 0.75 bis 0-8%8. Jod. 0.580 = 0.8"8 Jod. Demnach 1.03% = 1:.6%E Jod. 2. Hund. Rechter Lappen. - Wiegt trocken 0-88", 0.258M = 1.0”8 Jod. 0.280 = 0°8"5 Jod. 0.280 = 0.88 Jod. Demnach 1-08" — 4.0"8 Jod. Linker Lappen (nach der Pilocarpinbehandlung). Derselbe ist etwa so gross wie der rechte, aber auffallend schwammig. Wiegt trocken 0:48, 0:28m — kein Jod. 0.25m — kein Jod. BEEINFLUSSBARKEIT DES JODGEHALTES DER SCHILDDRÜSE. 273 Nach diesem letzteren Versuche hatte es den Anschein, als ob durch das Pilocarpin eine sehr starke Abgabe von Schilddrüsenseeret (der Lappen wog nur die Hälfte des rechten) und der Jodverbindung einträte. Die folgenden drei Versuche bestätigten dies nicht, und man muss deshalb wohl annehmen, dass der jodfreie rechte Lappen nicht aufnahmefähig für Jod und nicht normal war. 3. Hund. Zuerst 3 Mal 1-0 ®’” Jodnatrium, 8 Wochen darauf, 24. V., Exstirpation des rechten Lappens. Wiegt trocken 0.98", 0.28m — 0.78 Jod. 0.250 = 0.6”8 Jod. Durchschnittt 0-65 8 Jod. Demnach 1.08% = 3.25”8 Jod. Vom 26. bis 29.V. je 0-.0028'" Pilocarpin. hydr. Dann getödtet. Linker Lappen wiegt trocken 0-98, 0.28m — 0.78 Jod. 0.28m — 0.73 Jod. Demnach 1.08% = 3.5”3 Jod. Die beiden nächsten Thiere erhielten ebenfalis zuerst 3 Mal 1-.0sm Jodnatrium. 8 Tage darauf, am 6. VI. wurde der rechte Lappen ex- stirpirt. Vom 11. bis 16. VI. erhielt Nr. 4 täglich 0.006 s"= Pilocarpin. Anfangs war Erbrechen vorhanden, später nur Speichelflus. Der andere Hund (Nr. 5) erhielt gleichzeitig eine gleichgrosse Injection von physiologischer Kochsalzlösung. 4. Hund. Rechter Lappen. Wiegt trocken 0-48, 0.28m = 0.575 Jod. 0.25m — 0.553 Jod. Demnach 1-08” = 2-.6"8 Jod. Linker Lappen. Wiegt trocken 0.52 8", 0.28 — 0.55%8 Jod. 0.28m — 0-68 Jod. Demnach 1.08% = 2.85"8 Jod. 5. Hund. Rechter Lappen. Wiegt trocken 0.29 sm, 0.158" — 0.45"8 Jod. 0.15% = 0-35"8 Jod. Demnach 1:08 = 3.5"8 Jod. Linker Lappen. Wiegt trocken 0.25 8m, 0.1580 = 0-.5%8 Jod. 0.12" — 0.48 Jod. Demnach 1.03% — 4.0”8 Jod. Eine Wirkung des Pilocarpins war also nicht sicher nachzuweisen. Archiv f, A. u. Ph. 1902. Physiol, Abthlg. Suppl. 18 274 W. A. Nacen uno E. Roos: Um die Möglichkeit der Wiederaufnahme einer unter der Einwirkung des Pilocarpins vielleicht abgegebenen Jodverbindung in die Drüse zu ver- ringern, wurden drei Versuche angestellt, bei denen ein Lappen von der Circulation völlig abgebunden, beim anderen die arteriellen Verbindungen belassen und die abführenden Venen durchschnitten wurden. Dann wurden die Thiere der Einwirkung einer stärkeren Dosis Pilocarpins aus- gesetzt. 10 Tage vorher erhielten sie ebenfalls 3 Mal 1-0 3m Jodnatrium. Der Zweck des Versuches, den venösen Abfluss aus der Drüse und aus dem Kreislauf zu entfernen, wurde nicht völlig erreicht, da die venöse Blutung, welche immer wieder aufgetupft wurde, bald stockte. Beim ersten Hunde betrug die Pilocarpindosis 0-02&”% und bewirkte starken Speichelfluss. Nach halbstündiger Einwirkung wurde der Hund ge- tödtet. Die abgebundene linke Drüse wiegt trocken 0-68. 0.28 = 0:.35%8 Jod. 0-28m = 0.3”8 Jod. 0.28m = 0.3”8 Jod. Demnach 1.08% = 1-5”3 Jod. Die rechte Drüse (nach der Pilocarpin-Einwirkung;) wiegt trocken 0 - 723", 0.28 — 0.378 Jod. 0.28m — 0.38 Jod. Demnach 1.08% = 15% Jod. | Der zweite Hund wurde genau ebenso behandelt. Jedoch erhielt er nur 0.01 8% Pilocarpin. Die rechte Drüse wiegt trocken 1-03, 0.280 —= 0.35"8 Jod. 0.28m — 0.3 bis 0-35"8 Jod. Demnach 1-08” = 1-.75"8 Jod. Die linke Drüse (nach der Pilocarpin-Einwirkung) wiegt trocken 0-7 8m, 0.280 = 0-48 Jod. 0.25m = .0.35%8 Jod. 0.28m — 0.48 Jod. Demnach 1-08" = 2.0"8 Jod. IM Beim dritten Thiere wog die rechte Drüse trocken 0-35 8m. 0.28m — 0.658 Jod. 0.158" = 0.45”8 Jod. Demnach 1.03% = 3.25"8 Jod. Die linke Drüse wog,trocken 0-45 3m, 0.22m — 0.758 Jod. 0.28m — 0-78 Jod. Demnach 1.02% = 3.855 Jod. Bei zwei von den drei Versuchen liess sich also in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der ersten Pilocarpinversuche eine geringe Zunahme des Jods in dem der Pilocarpinwirkung ausgesetzten Lappen feststellen. BEEINFLUSSBARKEIT DES JODGEHALTES DER SCHILDDRÜSE. 275 III. Wirkt die Gravidität auf den Jodgehalt der Schilddrüse? Es wurden sodann noch einige Versuche angeschlossen, die leider der Zeit wegen, die sie beanspruchen, nicht in grösserer Zahl ausführbar waren. Die Versuche mit Pilocarpin hatten eine deutliche Steigerung der Schild- drüsenthätigkeit nicht mit Sicherheit ergeben, manche andere Zustände, in denen die Drüse stärker arbeitet, lassen sich nicht experimentell erzeugen. Die Basedow’sche Krankheit z. B., bei der dies wohl in gewisser Hinsicht der Fall ist, kann zur Zeit nicht künstlich erzeugt werden. Dagegen war einige Aussicht vorhanden, bei Eintritt von Gravidität, während der das Organ besonders thätig zu sein scheint, erfolgreiche Versuche anzustellen. Es lag nahe, bei Hündinnen einen Lappen zu exstirpiren, dann Befruchtung eintreten zu lassen und gegen Ende der Trächtigkeit den anderen Lappen auf seinen Jodgehalt zu untersuchen. Wir verfügen leider nur über zwei Beobachtungen, die allerdings über- einstimmende Resultate ergaben. Versuch 1. Linker Lappen am 17.XII. exstirpirt, nachdem wenige Tage vorher Begattung stattgefunden hatte. Das Thier hatte vorher 3 Mal 1.08% Jodnatrium erhalten. Linker Lappen wiegt trocken 0-45 8'”., 0.28m — 0.128 Jod. 022,820 —0.- 1257 Jod. Demnach 1.08% — 0.5”3 Jod. Nach nahezu abgelaufener Gravidität wurde die Hündin am 14.1. getödtet. Der rechte Lappen wog trocken 0-35 8”. 0.280 — 0.5"85 Jod. 0.1580 — 0-48 Jod. Demnach 1.03% = 2-.5”8 Jod. Es war also im Laufe der Gravidität eine sehr erhebliche Vermehrung des Jodgehaltes eingetreten. Das Futter war dasselbe geblieben. In den Schilddrüsen der vier neugeborenen Hunde, die zusammen untersucht wurden, war Jod nicht nachzuweisen. Versuch 2. Hündin. Vorher 3 Mal 1-0:”% Jodnatrium. Belegt am 18. IX. 1901. 23.IX. Linke Drüse exstirpirt. Trockengewicht 0:14 2% — 0-.25"8 Jod. Demnach würde 1.08% = 1-8"8 Jod enthalten. Rechte Drüse exstirpirt am 21.XI. am Ende einer Trächtigkeit mit nur einem Jungen. Wiest trocken 0.122" = 0-03"8 Jod. Demnach würde 1-08" = 2°5”3 Jod enthalten. Also auch hier ist während der Gravidität eine Vermehrung des Jod- gehaltes eingetreten. 18* 276 W. A. NaGEL und E. Roos: IV. Wirkt Bromzufuhr auf den Jodgehalt der Schilddrüse? ‘In einer weiteren Versuchsreihe prüften wir endlich, ob Eingabe von Brom vielleicht irgend einen Einfluss auf den Jodgehalt der Schilddrüse ausübt und allenfalls auch Brom in dem Organ deponirt werden kann. So erhielt ein Hund 5 Tage lang (1. bis 5.H.) täglich je 1-0 8" Brom- natrium und wurde am Tage der letzten Bromeinnahme getödtet. Die Schilddrüse wog trocken 1.13. 0.58m — 0-35"8 Jod. 0.580 — 0.38%8 Jod. Also 1.08% enthielt etwa 0°7"8 Jod, ein etwa mittlerer Jodgehalt. Brom konnte daneben nicht nachgewiesen werden. Ein zweiter Hund, welcher vorher wie gewöhnlich Jod bekommen hatte und dem dann der linke Lappen entfernt wurde (24.IV.), erhielt dann 6 Tage lang je 28”% Bromkalium (28. VII. bis 2. VIII.) und wurde 2 Tage nach der letzten Dosis getödtet. Der linke Lappen wog trocken 0-35 8, 0.25m — 0.68 Jod. 0.15m — 0-:3"8 Jod. Der rechte Lappen (nach der Brommedication) wog trocken 0-38”, 0.280 — 0.6%8 Jod. 0.15% = 0.358 Jod. Es wurde also der Jodgehalt durch die Bromgaben in keiner Weise geändert. Auch bei einem weiteren Thiere wurde nach längerer Bromzufuhr ver- geblich nach Brom in der Schilddrüse gesucht. Die beiden Lappen wogen zusammen 0-55", 0.25 gm enthielt etwa 0-68 Jod bei der colorimetrischen Bestimmung. Nach Zusatz von Chlorwasser bis zum Abblassen der rothen Jodfärbung konnte keinerlei Bromfärbung des Chloroforms beobachtet werden. Sodann wurden 0-5 :”= wie gewöhnlich mit Natronhydrat und Salpeter geschmolzen, die Schmelze mit Wasser aufgenommen, mit Salpetersäure angesäuert und mit Silbernitrat versetzt. Der abfilltrirte Niederschlag wurde nun mit heissem Ammoniak ausgezogen, das Extract eingedampft ‚und mit Natronhydrat geschmolzen. In der in Wasser gelösten Schmelze konnte mit Chloroform und Chlorwasser kein Brom nachgewiesen werden. Aus unseren Versuchen ergiebt sich also zunächst, dass unter den ein- gehaltenen Versuchsbedingungen der Jöodgehalt der Schilddrüse durch Bromzufuhr nicht beeinflusst wird und eine Ablagerung von Brom in dem BEEINFLUSSBARKEIT DES JODGEHALTES DER SCHILDDRÜSE. 277 Organ nicht nachweisbar ist. Die übrigen Versuche’ lassen Schlüsse all- gemeiner Art nicht zu. Es ist nur gelungen, zu zeigen, dass nach Exstir- pation des grösseren Theiles der Schilddrüsensubstanz im zurückgelassenen Theile eine Zunahme des Jodgehalts einzutreten pflegt. War nur die eine Hälfte der ganzen Drüsenmasse entfernt, so trat diese Veränderung nur in den Fällen deutlich auf, in denen das Thier gravid geworden war. Allerdings war in diesen Fällen auch eine längere Zeit zwischen der Exstirpation der einen und der anderen Drüse verflossen, als bei den Ver- suchen mit nicht graviden Thieren. Eine sichere Beeinflussung des Jodgehaltes durch Pilicarpinbehandlung liess sich nicht nachweisen. Daraus Schlüsse auf die Art der Thätigkeit der Schilddrüse zu ziehen, ist gewiss nicht statthaft, jedenfalls auch der Schluss nicht, dass die Drüse die Jodverbindung überhaupt nicht „secernire“. Wir beschränken uns unter diesen Umständen auf die einfache Mit- theilung der thatsächlichen Versuchsresultate. Untersuchungen über den respiratorischen Stoffwechsel. Von J. Rosenthal. (Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen.) Zweiter Artikel. Verhältniss der 0,-Aufnahme zum Gesammtstoffwechsel. 6. Nochmalige Bestätigung der Ergebnisse des ersten Artikels. Weitere Aufgaben. Im ersten Artikel habe ich gezeigt, dass die O,-Aufnahme bei der Athmung verändert werden kann, wenn die Athemluft reicher oder ärmer an diesem Gase gemacht wird. Es besteht aber nicht etwa ein constantes Verhältniss zwischen der O,-Aufnahme und dem O,-Gehalt der Athemluft in der Art, dass jedem bestimmten O,-Gehalt der letzteren eine bestimmte O,-Aufnahme entspricht. Vielmehr ist die O,-Aufnahme in erster Linie bedingt durch Schwankungen in der Zusammensetzung der Athemluft. Folgt auf eine Periode, in welcher dem Thier reichlicher O, zu Gebote stand, Athmung in O,-ärmerer Luft, so wird jetzt auffällig weniger O, auf- genommen. Lässt man dagegen das Thier einige Zeit im O,-armer Luft athmen, und führt ihm dann wieder O,-reichere Luft zu, so wird auffällig viel O, aufgenommen. Der Wechsel in der Zusammensetzung der Athemluft wurde bei den im Folgenden angeführten Versuchen in der Regel dadurch herbeigeführt, dass aus dem Athemraum 3 bis 4 Liter Luft abgesogen und entweder durch H, oder durch O, ersetzt wurden. Die so erzeugten, gar nicht sehr erheb- lichen Schwankungen im O,-Gehalt der Athemluft genügen vollkommen, um alle hier zu besprechenden Erscheinungen zu beobachten. Nur in einigen Versuchen wurden auch grössere Veränderungen in der Zusammen- J. ROSENTHAL: UNTERSUCHUNGEN ÜBER D. RESPIR. STOFFWECHSEL. 279 setzung der Athemluft vorgenommen. Da die Unterschiede in der O,- Aufnahme unmittelbar nach einem Wechsel in der Zusammensetzung der Athemluft am grössten sind und bald wieder nachlassen, dürfen solche Versuche, bei denen es auf grössere Unterschiede der O,-Aufnahme abge- sehen ist, nicht all zu lange ausgedehnt werden. Die Dauer der Versuche, deren Hauptergebnisse in Tabelle I kurz zusammengefasst sind, schwankte zwischen 41 Minuten und einer Stunde, jedoch sind die angeführten Zahlen, um die Vergleichung zu erleichtern, alle auf eine Stunde umge- rechnet. Die Unterschiede im O,-Gehalt bewegten sich innerhalb der Grenzen von 13 und 29 Procent, wobei jedoch die äussersten Werthe nur selten erreicht wurden. Bei einem Theil der Versuche ging der geringere O,-Gehalt dem grösseren voraus, während bei einem anderen Theil die Reihenfolge die umgekehrte war. Tabelle I. Ds des | In 1 Stunde aufgenommen Verhältniss O,: 0, suches 0, 0, 1 2.592 3:362 1:1°297 2 1°045 4:709 4.506 3 1.640 3:973 2°423 4 0:721 4:076 5.653 5 1.497 3:364 2°247 6 0:950 3:317 3.489 7 1:171 4:068 3:473 8 0:221 5033 22-774! 9 2.483 5292 2-131 Im Mittel war die O,-Aufnahme unter den Bedingungen, welche die Aufnahme verringern, = 1-370!, dagegen unter den Bedingungen, welche die reichliche Aufnahme befördern, 4:133. Unter normalen Verhältnissen schwankte die Aufnahme bei diesem Thier in der Periode, in welcher alle diese Versuche angestellt wurden, um den Werth 2.600 Liter herum. Diesem Werth nahe war sie auch im ersten Theil der Versuche 1 und 9, welche in normaler athmosphärischer Luft begannen. Gegen diesen Werth kann sie, wie die Tabelle zeigt, unter Umständen auf reichlich das Doppelte gesteigert, unter anderen Umständen aber (wenn auch nur für kürzere Zeit) bedeutend herabgedrückt werden, ohne dass das Thier dadurch merk- ı 1-370 ist der Mittelwerth der Reihe O,. Darunter sind aber zwei Versuche (Nr. 1 und Nr. 9) mit normaler O,-Aufnahme, d. h. Versuche, bei denen nichts ge- schehen war, was die O,-Aufnahme hätte beeinflussen können. Lässt man diese fort, so erhält man für die „verminderte O,-Aufnahme“ den Mittelwerth 1.035. 280 J. ROSENTHAL: lich in seinem Wohlbefinden gestört wird. Von den ganz besonders auf- fallenden Werthen des Versuchs 8 werde ich im Folgenden ganz absehen. Ich habe ihn nicht aus der Tabelle fortlassen wollen, da ich keinen Versuchs- fehler entdecken konnte, der genügt hätte, ihn auszumerzen. Ich möchte aber doch keine weiteren Schlüsse auf ihn bauen, da er vorerst in meinen Versuchen vereinzelt dasteht. Für die aus der Tabelle zu ziehenden Schluss- folgerungen genügt es, dass er den übrigen Versuchen nicht widerspricht, sondern das, was diese lehren, in übertriebener, vielleicht verzerrter Weise zeigt. Der Beweiskraft der übrigen Versuche kann er daher keinen Ab- bruch thun. Der O,-Gehalt der Athemluft schwankte bei den Versuchen mit ge- ringer Aufnahme zwischen 13 und 19 Procent, bei den Versuchen mit grosser Aufnahme zwischen 20 und 29 Procent. Die kleinsten und die grössten Werthe wurden aber nur in den Versuchen 8 und 9 erreicht. Im Uebrigen hat es keinen Werth, den O,-Gehalt bei jedem einzelnen Versuch mit der O,-Aufnahme zu vergleichen, da die Aufnahme nicht von ihm allein, sondern von seiner Differenz gegen den O,-Gehalt der vorher- gegangenen Zeit abhängt, oder vielmehr, wie ich noch weiter zu zeigen gedenke, von dem O,-Gehalt der Athemluft und dem Zustand des Thieres, wie er durch die vorhergegangene Behandlung erzeugt worden ist. Die Einsicht, dass die O,-Aufnahme in hohem Grade von dem O,- Gehalt der Athemluft beeinflusst wird, hat uns, wie ich im vorigen Para- graphen ausgeführt habe, zu einem besseren Verständniss des physikalischen Vorgangs der O,-Aufnahme in der Lunge verholfen. Damit ist aber das Interesse an dem Gegenstand nicht erschöpft. Wenn wir sehen, dass unter Umständen, welche wir jederzeit willkürlich hervorrufen können, entweder viel mehr O, von einem Thier aufgenommen wird, als dieses Thier unter normalen Verhältnissen aufzunehmen pflegt, oder auch viel weniger, so ent- steht die neue Frage, wie sich die übrigen Functionen des Thierkörpers unter diesen besonderen Umständen verhalten. Was wird, so können wir fragen, bei der reichlichen O,-Aufnahme aus dem Sauerstoff? Wird in demselben Maasse, als der Uebertritt von OÖ, in den Thierkörper zunimmt, auch der Verbrauch desselben grösser? Oder, wenn dies nicht der Fall ist, wo bleibt der im Ueberschuss aufgenommene Sauerstoff? Ich habe früher gefunden!, dass Alkohol- und Oelflammen sehr empfindlich gegen Schwankungen des O,-Gehalts der Luft sind. Sie brennen in O,-reicher Luft intensiver, erzeugen mehr 00, und produziren mehr Wärme. Ver- halten sich die Thiere ebenso? Die Beantwortung dieser Frage hat offenbar ein hohes physiologisches Interesse. Sie verspricht Aufschluss über die ! Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 265. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 281 Art und Weise, in welcher die Oxydation der thierischen Substanzen zu Stande kommt. Nun sprechen ja viele Gründe dafür, dass diese Oxydation nicht in der einfachen Weise verläuft, wie etwa die Verbrennung organischer Sub- stanzen bei höheren Temperaturen und bei relativer Trockenheit. Wir müssen uns vielmehr vorstellen, dass der Uebergang der Gewebsbestand- theile (Proteinstoffe, Fette und Kohlenhydrate) in die Endproducte CO,, H,O und stickstoffhaltige Körper von der Art des Harnstoffs und seiner Verwandten, ein allmählicher, in vielen Zwischenstufen sich vollziehender ist. Es ist denkbar, dass der in den Lungen aufgenommene O, in jeder dieser Zwischenstufen mehr oder weniger lange verweilt. Wird mehr O, aufge- nommen als zur Bildung der Endproducte verbraucht wird, dann kann der im Ueberschuss aufgenommene O, in der Form einer dieser Zwischen- stufen gleichsam aufgespeichert werden. Wird weniger O, aufgenommen, so kann die weitere Bildung der Endproducte aus jenen Zwischenstufen erfolgen, so lange der Vorrat reicht. Um sich der weiteren Lösung dieser Aufgaben schrittweise zu nähern, wird es zunächst angezeigt scheinen, eines der Endproducte ins Auge zu fassen und zu untersuchen, ob durch ab- sichtlich herbeigeführte Schwankungen in der O,-Aufnahme auch die Aus- gabe dieses Products verändert werden kann. Da unter den Endprodueten das CO, überwiegt, beginnen wir die Untersuchung zunächst mit diesem. Es wird sich später zeigen, ob es auch Mittel giebt, über das Entstehen der anderen Stoffwechselproducte etwas zu erfahren. Die chemischen Vorgänge in den Geweben der lebenden Thiere sind exothermische, sie verlaufen mit positiver Wärmetönung. Es können in ihren Ablauf vielleicht auch endothermische Vorgänge eingeschaltet sein; Jedenfalls sind diese von geringem Belang, da das Endergebniss eine be- trächtliche positive Wärmetönung ist, der ganze Betrag der vom Thiere produzirten Wärme. Es würde Aufgabe der physiologischen Forschung sein, den ganzen Vorgang in seinen einzelnen Stufen zu verfolgen, bei jeder Stufe die Wärmetönung, möge sie positiv oder negativ sein, ihrem Vorzeichen und ihrer Grösse nach zu bestimmen. Wir müssen uns aber auch hierbei damit begnügen, dass unsere Kenntniss schrittweise erweitert wird. Wir sind vor der Hand, soweit es sich um Untersuchungen am lebenden Thier handelt, darauf angewiesen, zunächst nur die algebraische Summe der ganzen Reihe zu bestimmen. Demnach ergiebt sich für uns die zweite Aufgabe, zu unter- suchen, ob die Wärmeproduction eines Thieres durch willkürliche Veränderung der O,-Aufnahme beeinflusst wird oder nicht. Erst nach Erledigung dieser beiden Fragen wird es sich zeigen, worauf wir dann unsere Untersuchung weiter zu richten haben und wie weit die Forschung mit den Untersuchungs- methoden, über welche wir zur Zeit verfügen, weiter verfolgt werden kann. 282 J. ROSENTHAL: 7. Vergleichung der ausgeschiedenen CO, mit dem gleichzeitig auf- genommenen O,. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Hauptfactoren des respira- torischen Stoffwechsels sind bekannt genug, ebenso, dass ihr gegenseitiges Verhältniss von der Art der Ernährung abhängt. Bei Hunden, welche hauptsächlich mit Fleisch und Fett genährt werden, pflegt der respiratorische (640) ©; 0-7 zu sein.! Ich habe jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass man die wahren, von der Art der Nahrung abhängigen Werthe nur dann erhält, wenn man die Versuche an Thieren macht, welche sich in möglichst vollkommenem Stoffwechselgleichgewicht befinden, und wenn die Dauer eines einzelnen Versuchs gross genug ist, um kleine nicht zu vermeidende Schwankungen auszuschliessen. Aber in diesem Falle kommt es sehr darauf an, ob die Versuche in die „Zeit der Nüchternheit“ (13. bis 24. Stunde nach der Nahrungsaufnahme) oder in die „Zeit der Sättigung“ fallen. In ersterer erhält man einen etwas zu kleinen, in letzterer fast immer einen etwas zu grossen Durchnittswerth, wenn man das Ergebniss des Versuchs auf 24 Stunden umrechnet. Es ist eine immer noch nicht endgültig entschiedene Frage, ob die Oxydationen, von welchen der Lebensprozess begleitet ist, sich nur in dem geformten Zellprotoplasma vollziehen, welches dann, nach Entfernung der Oxydationsproducte, aus den Bestandtheilen der Nahrung wieder ergänzt werden muss — oder ob die Nahrungsbestandtheile, nachdem sie resorbirt und durch den Blutstrom den Geweben zugeführt worden sind, als Theile des die zelligen Elemente umspülenden Gewebssaftes der Oxydation anheim- fallen. Ob man sich nun für die eine oder die andere Ansicht entscheidet, oder ob man, wie ich geneigt bin zu glauben, der Ansicht huldigt, dass beides vorkommt, jedenfalls ist so viel sicher, dass bei einem seit längerer Zeit mit einer Nahrung von gleichbleibender Zusammensetzung ernährten und in vollkommenem Stoffwechselgleichgewicht befindlichen Thier die Zusammensetzung der Gewebe sowohl als auch die des aus der Nahrung stammenden Gewebssaftes eine gleichartige sein muss. Bei einem solchen Thier wird also das Verhältniss des verbrennenden C zu dem dazu ver- brauchten O und zu der dabei erzeugten Wärme ein constantes sein können. Nun habe ich schon früher nachgewiesen, dass bei solchen Thieren regel- mässige Schwankungen des Ö,-Verbrauchs, der CO,-Production und der Quotient, wie wir jetzt den Bruch zu nennen pflegen, etwas grösser als * Der Mittelwerth aus den Versuchen von Regnault u. Reiset ist bei Hunden, die mit Fleisch gefüttert werden, gleich 0-738. Ganz ähnliche Werthe haben sich in zahlreichen Versuchen anderer Experimentatoren und auch in den meinigen ergeben. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 283 Wärmeproduction auftreten, welche von der Zeit herrühren, die seit der Nahrungsaufnahme verstrichen sind, und habe diese zu erklären versucht durch die Annahme, dass die verschiedenen Bestandtheile der Nahrung mit verschiedenen Geschwindigkeiten aus dem Darm in die Gewebe gelangen, dass also die mittlere Zusammensetzung der Gewebe (mit Einschluss des Gewebssaftes) periodischen Schwankungen unterliegt.! Da wir zur Er- ledigung der uns jetzt beschäftigenden Frage auf Versuche von kurzer Dauer angewiesen sind, thut man gut, dieselben stets in die gleichen Ver- dauungsperioden zu verlegen. Auch dann noch wird man nicht auf voll- kommene Constanz der einzelnen zu untersuchenden Factoren rechnen dürfen, da noch allerlei Nebenumstände (Temperatur der Umgebung, Wechsel in der Geschwindigkeit der Resorption u. s. w.) mitwirken. Um eine Vorstellung von dem Grade dieser Schwankungen zu geben, theile ich die Hauptzahlen aus einer älteren Versuchsreihe mit, welche an einem Hunde von 6100 3”® Gewicht gewonnen wurden. Minim. Maxim. Mittel. Ausgesch. CO, 2.457 2.723 2.627 Aufgen. O, 2.987 3.417 3-025 Resp. Quot. 0.739 0.940 0.828 Um die auffallende Grösse dieses letzteren Mittelwerthes zu verstehen, muss man sich erinnern, dass in den auf die Nahrungsaufnahme folgenden Stunden zwar sowohl die O,-Aufnahme wie die CO,-Ausscheidung zu steigen pflegen, aber nicht gleichmässig, sodass zu bestimmten Stunden die 0Q,- Ausscheidung in höherem Maasse gesteigert ist. Dadurch muss dann der respiratorische Quotient grösser ausfallen, als im Durchschnitt der ganzen 24 stündigen Periode. Dies vorausgeschickt, gehen wir jetzt daran zu untersuchen, wie sich der respiratorische Quotient verhält, wenn durch Veränderungen im O,- Gehalt der Athemluft absichtlich grössere Schwankungen in der O,-Aufnahme herbeigeführt werden. Ich benütze zu diesem Zwecke die schon in Tabelle I theilweise vorgeführte Versuchsreihe, welche aus einer Anzahl von Doppel- versuchen besteht, von denen je zwei, einer mit kleiner, und der andere mit grosser O,-Aufnahme unmittelbar auf einander folgten. ? ı Sitzungsber. der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften. 1892. $. 363. ” Der Kürze wegen werde ich im Folgenden die in einer Stunde aufgenommene Ö,-Menge (in Litern bei 0° und 760"= Hg) mit o, das in der gleichen Zeit ausge- gebene CO, (ebenso gemessen) mit c, die produeirte Wärme (in Stunden-Calorien) mit » bezeichnen. J. ROSENTHAL: Tabelle I. Nrdes %: Seine a wi a 9 Anfnalne E Versuches A H a 2 } ce == — = —— Ge im RR = m mm nn — de i 2.592 2.174 0.839 3.362 2063 0-614 2 1-045 1.441 13:09 4.709 2.952 0-627 3 1:640 2.263 1380 3.973 2.080 0-524 51 1.497 1.544 1.031 3.364 1-398 0.416 6 0-950 1:864 1.960 3-317 1.801 0-543 7 1.171 1°704 1.455 4068 2.043 0502 8 0-221 1:716 7765 5.033 2-031 0-403 9 2:483 1:858 0-748 5.292 2-251 0.425 Die Tabelle bestätigt zunächst, was wir schon wissen, dass grosse Schwankungen in der Ö-Aufnahme vorkommen können. Diesen absichtlich herbeigeführten Schwankungen der o-Werthe entsprechen viel kleinere der c-Werthe. Der kleinste ist 1.398, der grösste ist 2-952, während die o-Werthe, wenn wir den Werth 0.221 aus den früher angeführten Gründen unberücksichtigt lassen, zwischen 0.950 und 5-922 schwanken. Und diese Schwankungen der c-Werthe zeigen keine festen Beziehungen zu den gleich- zeitigen o-Werthen. Zwar trifft der grösste c-Werth mit einem der grössten o-Werthe zusammen; aber der kleinste c-Werth gehört zu o-Werthen von mittlerer Grösse und den kleinsten o-Werthen entsprechen mittlere c-Werthe. Alles was man aus dieser Versuchsreihe schliessen darf, ist nur, dass die O,-Aufnahme keinen merklichen Einfluss auf die CO,-Aus- gabe hat. Das erhellt noch deutlicher aus der Betrachtung der Werthe — der respiratorischen Quotienten. Wird die CO,-Ausgabe von den künst- lich herbeigeführten Schwankungen der O,-Aufnahme gar nicht oder doch nur wenig beeinflusst, so muss der respiraturische Quotient bei der ver- minderten O,-Aufnahme auffallend gross, bei der vermehrten auffallend klein sein. Das zeigen die — Zahlen der Tabelle auf das deutlichste. Der Normalwerth für dieses Thier ist 0-734. Bei der verminderten O,- Aufnahme sind die Werthe von — alle grösser. Die kleinsten vorkommen- den Werthe 0.839 und 0-748 kommen bei o-Werthen vor, welche der normalen Aufnahme nahe liegen. Alle anderen Werthe liegen über 1. ‘ Versuch 4 wurde aus der Tabelle II fortgelassen, weil die eine CO,-Bestimmung fehlerhaft ausfiel. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 285 Der Mittelwerth (wiederum unter Fortlassung von Versuch 8) ist = 1-256. ! Es wird immer ein grösseres C0,-Volum ausgeatmet als an O, eingeatmet wurde. Bei der vermehrten O,-Aufnahme dagegen sind alle Werthe von — kleiner als der Normalwerth; der grösste vorkommende Werth 0.627 liest rund 15 Procent niedriger als jener, der kleinste beträgt fast 55 Procent von jenem; der Mittelwerth 0.509 liegt dem niedrigsten sehr nahe und beträgt fast genau 40.5 Procent des mittleren Werthes des Quotienten bei geringer O,-Aufnahme. Die O,-Aufnahme ist eben künstlich auf einen sehr grossen Werth gesteigert, während die CO,-Ausgabe nicht merklich verändert ist. Wir können es nach diesen Erfahrungen wohl für ausgemacht halten, dass die CO,-Ausscheidung nicht gleichmässig mit der O,-Aufnahme steigt und fällt. Doch folgt daraus noch nichts für die CO,-Bildung. Es mag an und für sich wenig wahrscheinlich sein, dass grössere Mengen von im Körper gebildeten Kohlendioxyd längere Zeit in demselben aufgespeichert werden können oder dass bei verringerter CO,-Bildung aus einem irgendwo vorhandenen Vorrat die Ausscheidung noch längere Zeit mit unverminderter Geschwindigkeit fortgehen kann — eine feste Ansicht werden wir uns darüber nur bilden, nachdem wir soviel wie möglich Entscheidungsgründe für oder gegen eine solche Annahme gesammelt haben. Nun ist es wohl als unzweifelhaft anzusehen, dass eine reichliche Bildung von CO, auch von einer stärkeren Wärmeproduction begleitet sein muss. Ehe wir deshalb weiter in der Erörterung verschiedener Möglichkeiten fortschreiten, wollen wir untersuchen, ob Schwankungen der O,-Aufnahme von Aenderungen in der Wärmeproduction begleitet werden oder nicht. 8. Verhalten der Wärmeproduction bei wechselnder Sauerstoffaufnahme. Die von einem Thier produeirte Wärme ist die algebraische Summe aller der positiven ‚oder negativen Wärmetönungen, welche während der Beobachtungszeit in. dem Thiere vor sich gehen. Zur Zeit, da Dulong und Despretz ihre Versuche anstellten, konnte die numerische Bestimmung dieses Gesammtwerthes und ihre Vergleichung mit derjenigen, welche aus der Gesammtheit der im Körper vollzogenen Oxydation berechnet werden können, für eine wichtige physiologische Aufgabe gelten. Gegenüber dem Misslingen ihrer und einiger ähnlicher Versuche dieser Art habe ich wieder- holt auf die Unsicherheit hingewiesen, welche einer exacten Bestimmung der wirklich in dem Thier stattfindenden chemischen Umsetzungen ent- ! Lässt man die Versuche 1 und 9, bei denen die O,-Aufnahme normal war (vgl. die Anm. auf S.279), so erhält man als Mittelwerth 1451, 286 J. ROSENTHAL: gegenstehen. Ich ging. deshalb, so lange alsich mich mit Untersuchungen über physiologische Calorimetrie beschäftige, niemals darauf aus, das „Gesetz von der Erhaltung der Energie“ durch calorimetrische Messungen an Thieren zu „beweisen“. Das Gesetz bedurfte dieses Beweises nicht; es lag gar kein Grund vor, an seiner Gültigkeit auch in dem Gebiet der chemischen Um- setzungen im Thierleib zu zweifeln. Wohl aber war es von Wichtigkeit, festzustellen, woran der einfache Nachweis seiner Gültigkeit so oft scheitert. Ich suchte deshalb zu erforschen, welche Beziehungen zwischen der mess- baren, von dem Thier ausgegebenen Wärme und den einzelnen Factoren des Stoffwechsels unter verschiedenen Umständen bestehen. Die calori- metrische Messung sollte mir als ein weiteres Hülfsmittel dienen, in den verwickelten Betrieb der Stoffwechselvorgänge einen Einblick zu gewinnen, als ein Hülfsmittel, welches die durch die chemische Untersuchung ge- wonnene Kenntniss zu erweitern und zu vertiefen ermöglichte. Die chemische Untersuchung belehrt uns über die Anfangs- und Endproducte. Sie zeigt uns auf der einen Seite eine gewisse Menge von Sauerstoff und von Nahrungsstoffen, welche in den Körper eingeführt, und auf der anderen Seite eine gewisse Menge von Stoffen mit niedrigerer Verbrennungswärme, welche ausgeführt werden. Sie vermag aber nichts darüber auszusagen, ob diese Ausfuhrproducte während der Beobachtungszeit aus jenen Einfuhr- stoffen entstanden sind oder schon früher vorhanden waren, oder ob noch andere Producte inzwischen entstanden, aber nicht zur Ausfuhr gelangt sind. Wenn wir feststellen können, dass unter ganz bestimmten Umständen das Verhältniss des aufgenommenen OÖ, und des ausgeschiedenen CO, zu der gleichzeitigen Wärmeausgabe! gewisse regelmässige Schwankungen auf- weist, so lernen wir daraus, dass die Ausscheidungen aus einem Material von wechselnder Zusammensetzung hervorgehen, welches nicht immer genau mit dem eingeführten gleichartig ist. In der That ist nur nach länger fortgesetzter gleichmässiger Ernährung bei vollständigem Stoffwechselgleich- gewicht eine feste, nur innerhalb enger Grenzen schwankende Beziehung zwischen den Hauptfactoren des respiratorischen Stoffwechsels, der O,-Auf- nahme und CO,-Ausgabe einerseits und der Wärmeproduction andererseits vorhanden. Auch dann wechselt die Grösse der Verhältnisszahlen in be- stimmter Weise je nach der Zeit, welche seit der Nahrungsaufnahme ver- flossen ist. DBezeichnen wir diese drei Werthe, wie bisher, mit o, e und n, ! Die Wärmeausgabe in einer gewissen Zeit kann natürlich nur dann der Wärme- production gleichgesetzt werden, wenn der Wärmezustand des Thieres sich nicht merk- lich geändert hat. Das ist jedoch, abgesehen von den Zeiten entstehenden und ab- fallenden Fiebers, fast immer annähernd der Fall. Vgl. hierzu Sitzungsber. d. königl. preuss. Akademie d. Wissenschaften, 1891, 8.587, sowie die Festschrift zu Virchow’s 70. Geburtstag: Internationale Beiträge zur wissenschaftl. Mediein. I. 9.411, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 287 so sind (immer unter jenen bestimmten Umständen) dann die Quotienten — und - bestimmte, nur innerhalb enger Grenzen schwankende Functionen o der Verdauungsperioden. Kann man an solchen Thieren durch experimentelle Eingriffe Aenderungen der genannten Werthe herbeiführen, so gestattet das den Schluss auf etwaige Aenderungen der chemischen Vorgänge, von denen die Wärmeproduetion abhängt. Indem wir diese Betrachtungen auf den uns hier beschäftigenden Gegenstand anwenden, wollen wir also untersuchen, wie sich die Wärme- production verhält, wenn wir durch Veränderung des O,-Gehalts der Athem- luft grosse Schwankungen der O,-Aufnahme herbeiführen. Wir können aber nicht, wie bei den im vorigen Paragraphen beschriebenen Versuchen, je zwei Versuche, den einen mit geringer und den anderen mit grosser Ö,-Aufnahme, unmittelbar hinter einander anstellen. Denn bei der Trägheit des Calorimeters! sind wir nicht sicher, dass etwa eintretende Schwankungen der Wärmeproduction genau genug in so kurzer Zeit erkennbar werden. Die Versuche wurden deshalb an verschiedenen Tagen, immer in gleichen Zeiten nach der Nahrungsaufnahme angestellt. Es wurde soviel als möglich auf Gleichhaltung aller Umstände geachtet. Nur die Bedingungen, von denen die O,-Aufnahme abhängt, wurden absichtlich in den einzelnen Ver- suchen verschieden gestaltet. Jeder einzelne Versuch dauerte mindestens 1!/,, höchstens 2!/, Stunden. Die Ergebnisse einer solchen Versuchsreihe, alle auf eine Stunde umgerechnet, zeigt Tabelle II. Tabelle II. Nr. des N Versuches % N TR 6 2-180 9-807 4.500 7 2-311 10-000 4.327 2 2.558 11-027 4-311 1 2.698 9.634 3.571 3 3.014 9-311 3-089 8 3.255 9.973 3-064 5 4297 11-310 2.632 4 5.115 9.983 1.934 Die Versuche sind nach der Grösse des O,-Verbrauchs geordnet. Hätte der Verbrauch einen directen Einfluss auf die Wärmeproduction, so müsste auch in der Reihe der n ein stetiges Ansteigen erkennbar sein. Das ist nicht der Fall. Die Wärmeproduction schwankt unregelmässig hin und her, wie es bei kurz dauernden Versuchen der Fall zu sein pflegt, bei denen ı Vgl. hierzu dies Archiv. 1889. Physiol. Abthlg. S. 18 und 1897, S. 205. 288 J. ROSENTHAL: zufällige Einflüsse, wie die Umgebungstemperaturen u. dergl., schon merk- liche Schwankungen hervorrufen. Geht man von dem Versuch 1 aus, bei welchem das Thier in einer Atmosphäre von normaler Zusammensetzung athmete und die für dieses Thier von 3500 8% Gewicht in der betreffenden Verdauungsperiode durchaus normale Menge von 2.698 Liter O, aufnahm, so sieht man, dass sowohl bei geringerer als bei grösserer O,-Aufnahme die Wärmeproduction grösser ausfallen kann, während nur ein Mal bei dem um ein Geringes grösseren Werth von 3-014 eine etwas kleinere Wärme- production beobachtet wurde. Es würde offenbar voreilig sein, aus solchen Zahlen irgend einen anderen Schluss ziehen zu wollen, als dass ein nach- weisbarer Einfluss der O,-Aufnahme auf die Wärmeproduction nicht besteht. Das wird noch deutlicher bei Betrachtung der Reihe der Werthe —. denn hier sehen wir ein stetiges Absinken bei Ordnung nach zunehmendem o. Vergleichen wir beispielsweise die Versuche 4 und 6, so finden wir keinen erheblichen Unterschied in der Wärmeproduction, während doch die O,-Aufnahme im letzteren mehr als 21), Mal so gross war. In Folge dessen ist denn auch der Werth — in Versuch 4 fast 21/, Mal so gross als in Versuch 6. Wenn nun, wie wir im vorigen Paragraphen gesehen haben, die O,- Aufnahme keinen merklichen Einfluss auf die CO,-Ausscheidung hat und, wie die zuletzt erwähnten Versuche beweisen, auch keinen nennenswerthen Einfluss auf die Wärmebildung, so erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass der aufgenommene 0, sogleich zur Bildung von CO, verwendet worden sei, da letztere Bildung doch sicher mit einer starken positiven Wärme- tönung verbunden ist. Wir haben also nunmehr zu untersuchen, was aus dem aufgenommenen 0, im Körper wird. 9. Verbleib des aufgenommenen Sauerstoffs. Von den Schicksalen des aufgenommenen Sauerstoffs ist der erste Schritt, seine Bindung an Hämoglobin, hinlänglich bekannt. Es lässt sich jedoch leicht nachweisen, dass keineswegs die ganze, bei reichlicher O,-Aufnahme im Ueberschuss aufgenommene Menge in der Form von Oxyhämoglobin im Blute verweilen und dass ebenso wenig im Falle ver- minderter Aufnahme im Blute eine genügende Menge von OÖ, in dieser Form vorhanden sein kann, um den Bedarf des Organismus für einige Zeit zu decken. Halten wir uns, um ein bestimmtes Beispiel zu haben, an die in $ 8 angeführten Versuche. Das Thier wog 3500 8%. Wenn wir seine gesammte Blutmenge auf 300°" veranschlagen, so wird sie eher zu gross als zu klein geschätzt sein. 300° Blut vermögen im Maximum 66m 0, zu UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 289 binden. Bei der Erstickung vermag das Blut seinen gesammten Sauerstoff an die Gewebe abzugeben. Bei gewöhnlicher Athmung pflegt das arterielle Blut nahezu, das venöse etwa zur Hälfte mit O, gesättigt zu sein. Wir können also in runden Zahlen annehmen, dass das gesammte Blut vielleicht 40° = O0, enthält und noch höchstens 30 “® aufnehmen kann. Vergleichen wir damit einen unserer Versuche, z. B. Nr. 3 der Tabelle auf S. 287. Während 45 Minuten hatte dieses Thier aufgenommen 1-320 Liter O, und ausgegeben 1697 Liter CO,. Setzen wir den respiratorischen Quotienten der Abrundung wegen = 0-75 (in Wirklichkeit war er = 0.746), so wären zur Bildung des Kohlendioxyds und der übrigen Stoffwechsel- producte erforderlich gewesen */,-1-697 = 2.263 Liter O,. Es müsste also aus seinem Blut 1-033 Liter hergegeben haben, während es bis zur Erstickung nur höchstens hätte 66°“ hergeben können. In den folgenden 45 Minuten hat das Thier aufgenommen 2-980 Liter O, und ausgegeben 1.560 Liter CO,. Um diese neben den anderen Stoffwechselproducten zu bilden, hätte es gebraucht 2-080 Liter O,. Es hat also mehr aufgenommen 900°", welche unmöglich im Blute vorhanden gewesen sein konnten, zumal dieses bei Beginn des Versuchs schon etwas OÖ, enthielt und am Schluss sicher nicht mit O, gesättigt war. Zu den gleichen Folgerungen führt die Betrachtung des Versuchs 5, bei welchem die grössere O,-Aufnahme der kleineren voranging. Im ersten Theil des Versuchs gab das Thier innerhalb 45 Minuten 1-351 Liter GO, aus, zu dessen Bildung (neben den anderen Stoffwechselproducten) 1-801 Liter O, erforderlich waren. Aufgenommen wurden 2-488 Liter, also ein Ueberschuss von 0.687 Liter, welche unmöglich im Blute Platz finden konnten. Während der folgenden 45 Minuten wurden ausgegeben 1.398 Liter C0,. Um diese und die anderen Stoffwechselproducte zu bilden, wären :1-864 O, Liter erforderlich gewesen. Aufgenommen wurden 0-950 Liter, also 0-914 Liter weniger, welche wiederum nicht aus dem Vorrath im Blut hergegeben werden konnten. Diese Ueberlegungen nöthigen also zu dem Schluss, dass der O,, auch wenn er in sehr grosser Menge in das Blut eintritt, nicht in demselben verbleibt, sondern in die Gewebe übertritt. Andererseits dürfen wir aber auf Grund unserer calorimetrischen Untersuchungen behaupten, dass dieser in die Gewebe übertretende O, nicht zur Entstehung von Verbindungen mit beträchtlicher positiver Wärmetönung Anlass giebt. Die Ö,-Aufnahme in’s Blut und seine Bindung an das Hämoglobin ist unzweifelhaft ein exothermischer Process. Berthelot! hat die dabei auftretende positive ! Berthelot in Comptes rendus des seances de lacad. des sciences. 15. Nov. 1889. — Siehe auch desselben Verfassers Chaleur animale. Paris. (Ohne Jahreszahl.) T2- 10. Archiv £ A, u, Ph, 1902. Physiol, Abthlg. Suppl. 19 290 J. ROSENTHAL: Wärmetönung gemessen und zurund 15 Ca für die Grammomolekel O, (32 sm) bestimmt. Es wird also bei der O,-Aufnahme in den Lungen Wärme frei, welche freilich keine nachweisbare Temperatursteigerung zu bewirken braucht, da sie durch Verdunstung und andere Umstände compensirt werden kann. Doch ist diese Wärmeproduction für die gesammte Wärmeökonomie des Körpers vollkommen belanglos, da sie durch eine ihr gleiche negative Wärmetönung bei der Dissociation der O,-Hämoglobinverbindung aufgehoben werden muss, so bald der O, aus dem Blut in die Gewebe übertritt. Alle Wärmeproduction, mit der wir zu rechnen haben, beginnt vielmehr erst in den Geweben. Denn was von Wärme im Blut selbst, durch den Lebens- process der in ihm vorhandenen Zellen producirt wird, kann nur einen sehr untergeordneten Bruchtheil der Gesammtproduetion ausmachen. Und da wir gefunden haben, dass die vermehrte O,-Aufnahme keine merkliche Steigerung der gesammten Wärmeproduction zur Folge hat, so müssen wir daraus schliessen, dass der O,, wenn er in die Gewebe eintritt, zu- nächst keine Verbindung bildet, deren Entstehen mit einer be- trächtlicehen Wärmetönung verbunden ist. Insbesondere darf es wohl als ausgeschlossen gelten, dass sofort auf Kosten des in die Gewebe eingetretenen O, in diesen CO, entsteht. Eine solche Verbindung könnte nicht ohne erhebliche positive Wärmetönung entstehen, welche sich als Steigerung der gesammten Wärmeproduction bemerklich machen müsste. Auch ist es mehr als unwahrscheinlich, dass eine erhebliche Steigerung der CO,-Bildung ohne merkliche Steigerung der CO,-Ausscheidung verlaufen kann. Dass so grosse Mengen von CO,, wie sie hier in Frage kommen, zeitweise im Blute Platz finden, oder dass normaler Weise soviel CO, im Blute vorhanden sein könne, um die Aus- scheidung bei sehr gesteigerter und bei sehr verminderter O,-Aufnahme immer ungefähr auf demselben Stand zu erhalten, wäre ganz undenkbar, wenn die CO,-Bildung mit der O,-Aufnahme steigen und fallen würde. Ebenso wenig wahrscheinlich erscheint die Annahme, dass die Gewebe selbst grössere Mengen von CO, aufzunehmen im Stande seien, zumal wenn man an die Wirkung auf das Nervensystem denkt, welche bei Vermehrung des CO,-Gehalts auftritt, die aber in unseren Versuchen niemals auch nur an- deutungsweise beobachtet wurde. Es bleibt uns also nur die Annahme übrig, dass der O,, nachdem er das Blut verlassen hat, in den Geweben eine chemische Verbindung mit irgend einem Bestandtheil der Gewebe eingeht, ähnlich der Verbindung des O0, mit Hämoglobin. Diese Vorstellung ist im Stande, alle von uns festgestellten Thatsachen auf das Beste zu erklären. Bei normalem O,- Gehalt der Athemluft tritt in den Lungen soviel O, in’s Blut über, dass dieses fast gesättigt durch die Lungenvenen abfliesst. In den Körper- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 291 capillaren geht ein Theil dieses O, an die betreffenden, vorläufig noch un- bekannt bleibenden Stoffe in den Geweben über, um dann erst nach und nach zur Bildung von CO, und der anderen Stoffwechselproducte Verwendung zu finden. Wird die O,-Spannung in der Athemluft erhöht, so nimmt das Blut mehr OÖ, auf, giebt aber auch mehr an die Gewebe ab. Indem diese sich ihrem Sättigungsgrade nähern, nimmt ihre Anziehung zum 0, ab und damit auch die O,-Aufnahme in den Lungen. So erklärt es sich, warum bei erhöhtem O,-Gehalt der Athemluft Anfangs sehr viel O, auf- senommen werden kann, bald aber die Aufnahme auf das gewöhnliche Maass herabsinkt. Wird umgekehrt die Athemluft O,-ärmer, so kann das Blut nur wenig aufnehmen, aber auch weniger an die Gewebe abgeben; die CO,-Bildung ist dann auf den vorhandenen Vorrath an jener von uns vorausgesetzten O,-Verbindung angewiesen. Dieser Vorrath wird, da die CO,-Bildung in unveränderter Weise fortgeht, sehr verringert. Wird jetzt der O,-Gehalt der Athemluft gesteigert, so müssen zunächst ganz erhebliche Mensen von 0, aufgenommen werden. Wir verstehen also, warum die O,-Aufnahme nicht einfach mit dem O,-Gehalt der Athemluft steigt und fällt. Sie ist eben nicht nur von diesem allein, sondern auch von dem Zustand des Thieres abhängig, welcher seinerseits wieder von der Zu- sammensetzung der Athemluft in der eben vorhergegangenen Zeit abhängt. Will man es also dahin bringen, dass ein Thier auffallend viel O, in kurzer Zeit aufnimmt, so muss man es sozusagen an OÖ, aushungern. Man hält es einige Zeit in O,-armer Luft und steigert dann plötzlich den O,-Gehalt der Athemluft. Will man umgekehrt die O,-Aufnahme auf ein Minimum herabsetzen, so führt man dem Thiere erst viel O, zu und setzt dann plötzlich den O,-Gehalt der Athemluft herab. In dieser Weise wurden die grossen Schwankungen in der O,-Aufnahme herbeigeführt, welche in Tabelle II zusammengestellt sind. Die Vereinigung des O, mit einem Gewebsbestandtheil muss noth- wendig als eine chemische Verbindung betrachtet werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist es denkbar, dass der Partialdruck des O, in den Geweben, selbst wenn die in sie übertretende Menge grösser ist als der Verbrauch, immer unter derjenigen Grenze bleibt, welche zur Zerlegung der Oxy- Hämoglobinverbindung erforderlich ist. Wir können sogar behaupten, dass der Verwandtschaftsgrad des O, zu dem Stoff oder zu den Stoffen in den Geweben, welche den O, an sich binden, grösser sein muss als die Ver- wandtschaft zwischen O, und Hämoglobin, weil sonst die O,-Hämoglobin- verbindung durch jene Stoffe nicht zerlegt werden könnte. Dennoch kann die Verwandtschaft keine sehr feste sein; denn erstlich muss die entstandene Verbindung immer wieder zerlegt werden, um den O, zur Bildung der weiteren Oxydationsproducte herzugeben, und zweitens verläuft die Bindung 19* 292 J. ROSENTHAL: des O, mit keiner erheblichen Wärmetönung. Diese Verbindung schiebt sich also nach unserer Vorstellung als zweite Stufe des gesammten, im Thierkörper sich vollziehenden Oxydationsvorgangs zwischen die O,-Aufnahme in’s Blut und die eigentliche Bildung der Endproducte CO, u. s. w. ein. Die dabei mit O, sich verbindenden Stoffe können entweder in allen Ge- weben vorhanden sein oder nur an einigen Stellen des Thierkörpers, vielleicht in bestimmten Organen vorkommen. Letztere würden dann als Vorraths- stätten für den zum Ablauf der Lebensvorgänge erforderlichen O, dienen, wie es Ablagerungsstätten für Glykogen, Fett u. s. w. giebt. Es liegt nahe, zunächst an die zahlreichen Abkömmlinge des Hämo- globins und an die ihm analogen Farbstoffe zu denken, welche im Thier- reich so verbreitet sind und mit ihm die Eigenschaft theilen, O, locker zu binden und dann an die Gewebe abzugeben. Wenn man aber bedenkt, dass die Athmung eine Eigenschaft alles lebenden Protoplasmas ist und auch solchem thierischen und pflanzlichen Protoplasma zukommt, das keine nach- weisbaren Farbstoffe dieser Art enthält, so bleibt nichts übrig, als jene Fähigkeit als eine Eigenschaft des lebenden Protoplasmas selbst zu be- zeichnen und diesem ganz allgemein die Fähigkeit zuzuschreiben, aus dem umgebenden Medium, sei dies nun das kreisende Blut oder Wasser oder die Atmosphäre, O, aufzunehmen und ihn dann nach und nach in festere Bindungen überzuführen. Damit sind wir aber, wenn auch auf einem etwas anderen Wege, zu einer Anschauung gelangt, welche sich im Wesent- lichen mit der von Herrn Pflüger! entwickelten Lehre vom „intramole- cularen Sauerstoff“ deckt. Herr Pflüger nimmt an, dass die Oxydationen im lebenden Protoplasma auf Kosten des an die sehr complieirte Molekel des lebenden Eiweisses gebundenen Sauerstoffs vor sich gehen. Da wir jedoch von der Moleculargrösse und Structur des lebenden Protoplasmas noch so gut wie gar nichts wissen, da auch viele Gründe dafür sprechen, dass die Bestandtheile des Protoplasmas nicht eine einheitliche chemische Substanz, sondern ein wechselndes Gemenge verschiedener Substanzen sind, so habe ich in meiner ersten Mittheilung es vorgezogen, nur von „intra- cellularem Sauerstoff‘ zu sprechen. Dieser Name schliesst keinerlei Hypo- these in sich ein über den Ort, wo, und die Art, wie dieser Sauerstoff an die Bestandtheile des Protoplasmas gebunden sein mag. Er besagt nur, dass wir uns vorstellen, der OÖ, sei an irgend einen Bestandtheil der Zelle gebunden. Herrn Pflüger’s Versuche, welche beweisen, ‚dass Frösche in voll- kommen (,-ireier Atmosphäre fortfahren, CO, zu erzeugen, finden ent- sprechende Ergänzung in meinen Versuchen, welche zeigen, dass die CO,- Bildung bei Säugethieren in unverminderter Weise fortgeht, wenn die Zu- ! Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. X. 8.251ff. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 293 fuhr von O, nicht zur Bildung des CO, ausreicht. Dazu kommt dann noch der von mir geführte Nachweis, dass im Ueberschuss zugeführter O, sich als intracellularer O, vorübergehend im Körper des Säugethiers aufhalten kann, ohne sofort zur Bildung von CO, u. sw. verbraucht zu werden. Von ver- schiedenen Gesichtspunkten ausgehend haben die beiden Versuchsreihen zu den gleichen Anschauungen geführt; sie ergänzen sich daher gegenseitig und verleihen den aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen eine grössere Sicherheit. Somit können wir als Ergebniss unserer Untersuchung den Satz auf- aufstellen: Dem lebenden Protoplasma kommt die Fähigkeit zu, Sauer- stoff chemisch zu binden in einer Form, deren Entstehen nur mit sehr geringer Wärmetönung vor sich geht, und diesen Sauerstoff nach und nach zur Bildung von CO,, H,O und stick- stoffhaltiger Producte von der Art des Harnstoffs herzugeben. Die Menge dieses „intracellularen Sauerstoffs“ ist veränderlich; bei hohem Partialdruck des O, kann viel mehr von ihm ge- bunden werden, als zur Bildung der Endproducte des Stoff- wechsels erforderlich ist. Bei mangelhafter O,-Zufuhr kann die Bildung der Endproducte auf Kosten des vorräthigen intracellu- laren Sauerstoffs erfolgen, so lange der Vorrath dazu ausreicht. Bei den höheren Thieren mit hämoglobinhaltigem Blut dient das Hämoslobin als Vermittler zwischen dem OÖ, der Umgebung und den O,- bindenden Bestandtheilen des Protoplasmas. Nothwendig aber ist das Hämoelobin zur Athmung nicht, da auch ohne dasselbe O, aus der Atmo- sphäre oder dem Wasser der Umgebung an das Protoplasma gebunden werden kann. Die Protoplasmen aller Lebewesen scheinen in dieser Hin- sicht nur unwesentliche Unterschiede aufzuweisen, insofern einige auch chemisch gebundenen O0, für sich nutzbar zu machen im Stande sind, während andere nur in freiem O, zu athmen vermögen. Die hier mitgetheilten Untersuchungen haben zu einigen neuen Auf- schlüssen über den physikalisch-chemischen Mechanismus der O,-Aufnahme und über die Anfangsstufe des Oxydationsvorganges im Protoplasma geführt. Sie waren wegen der nothwendigen zahlreichen Analysen und Wägungen, welche alle in kurzer Zeit erledigt werden mussten, sehr mühsam. Bei ihrer Durchführung wurde ich durch die Hrn. Dr. Oscar Schulz und Dr. Richard Fuchs, Assistenten am hiesigen physiologischen Institut, auf das Wirksamste unterstützt, wofür ich beiden Herren herzlich danke. Späteren Mittheilungen mag es vorbehalten bleiben, weitere Beiträge zur Kenntniss der Vorgänge, welche zur Entstehung der Stoffwechselproducte führen, zu liefern. Ueber die Summationserscheinungen bei chronotroper und inotroper Hemmungswirkung des Herzvagus. Von Dr. Wilhelm Trendelenburs, Assistent am Institut, (Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. B.) I. Aufgabe, Methode, Vorbemerkungen. Durch die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte hat die Kenntniss von der Hemmungswirkung des Nervus vagus auf das Herz eine bedeu- tende Erweiterung erfahren. War man früher nur über eine Seite dieser Wirkung, die zeitliche Verzögerung der Herzeontraetionen, unterrichtet, so lernte man später, unterstützt von der graphischen Methode, noch mehrere andere der Beobachtung zunächst entgangene Hemmungsfunctionen dieses Nerven kennen, welche seine Einwirkung sehr verwickelt erscheinen lassen und welche in ihrer gegenseitigen Beziehung zu einander noch nicht ge- nügend bekannt sind. Coats (1) gab zuerst an, dass neben der Verzögerung der Herz- contraction eine Abnahme ihrer Höhe einhergehen könne, dass diese einerseits als erste Wirkung der Vagusreizung erscheinen, andererseits auch ohne gleichzeitige Pausenverlängerung auftreten könne. Im Folgenden sollen die von Engelmann eingeführten Termini gebraucht und hiernach die Verminderung der Frequenz des Herzschlages als negativ-chronotrope, die Verminderung der Kraft der Herzceontractionen (Abnahme ihrer Höhe) als negativ-inotrope Wirkungen des Vagus bezeichnet werden. — Den ersten Mittheilungen von Coats über die negativ-inotrope Vaguswirkung am Froschherz reihen sich die Untersuchungen von Nu&l (9) an, welcher unabhängig von Coats die inotrope Hemmung entdeckte. Beweisen schon seine Feststellungen, dass gewisse Unterschiede im zeitlichen Ablauf beider W. TRENDELENBURG: ÜBER D. SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. Ss. w. 295 Wirkungen vorhanden sind, so zeigen Heidenhain’s (5) Versuche, eben- falls am Froschherzen ausgeführt, dass durch geeignetes Abstufen von Reiz- stärke und Reizintervall die inotrope Hemmung rein erhalten werden kann, und zwar bei relativ schwachem Reiz, sowie bei relativ grossem Reiz- intervall. Reizte Heidenhain den Vagus z. B. mit Inductionsschlägen, beginnend mit einem Intervall von 5” das allmählich auf 2” verkürzt wurde, so erhielt er Abnahme der Contractionsgrösse ohne Frequenz- änderung. Diese Befunde weisen auf eigenthümliche Summationsverhält- nisse der chronotropen und inotropen Hemmungswirkung hin, welche im Folgenden näher untersucht werden sollen. Da anzunehmen ist, dass die Summationsweise in gewisser Beziehung zu der bei Einzelreiz eintretenden Hemmung steht, und diese in ihrem Verlauf nicht hinlänglich bekannt er- schien, wurde der Hemmungsablauf bei Einzelreizen mit in den Kreis der Untersuchung gezogen. Sämmtliche Curven sind mittels des Engelmann’schen Suspensions- verfahrens am nicht durchbluteten Froschherzen erhalten. Die Frösche — Rana esculenta — wurden durch Rückenmarkzerstörung getödtet; das Herz wurde am Gefässbändchen angebunden, die Leber abgetrennt, der Rumpf durchschnitten und der Vagus der rechten Seite präparirt. Das Herz wurde über ein Stäbchen gelagert und auf diesem die Atrioventri- culargrenze durch einen übergelegten Faden mit geringem Druck fixirt. So gelang es meist leicht, reine Kammer- oder Vorhofscurven zu erhalten. Die Versuche wurden bei Zimmertemperatur (17° C.) angestellt, in welcher die Frösche seit etwa einem Tag verweilt hatten. Als Schreibhebel wurde der Engelmann’sche Apparat verwendet, mit der kleinen Abänderung, dass an Stelle der Aluminiumschreibspitze eine dünne Federpose an den Hebel geklebt war, durch welche die leichte Rauhigkeit des Schreibens der Spitze besser vermieden wurde. Die Reizung wurde durch ein in den pri- mären Stromkreis eingeschaltetes Pfeil’sches Signal markirt. Die Zeit wurde nicht gleichzeitig, sondern am Schluss einer Versuchsserie auf dem Curvenblatt bei unverändertem Trommelgang in Secunden aufgeschrieben. Wurde eine bestimmte Anzahl von Secunden in Millimetern gemessen und daraus der Secundenwerth eines Millimeters gefunden, so konnte jede nöthige Zeitbestimmung erfolgen. Zur Secundenmarkirung diente eine Baltzar’sche Unterbrechungsuhr, die im primären Stromkreis eingeschaltet werden konnte. In letzterem befanden sich als Stromquelle nach Bedarf ein oder zwei Accumulatoren. Zur Reizung fand ein rotirender Quecksilberunterbrecher Verwendung. An den Enden einer horizontalen Axe befindet sich je ein Excenter, welcher einen Platinstift trägt. Dieser taucht bei Umlaufen der Axe in einen Queck- 296 WILHELM TRENDELENBURG: silbernapf, der mit Spülvorrichtung versehen ist. Die Excenter sind gegen einander um !/, Phase verschoben, so dass der eine Platinstift später wie der andere in das Quecksilber eingetaucht und ebenfalls wieder herausgehoben wird. Während der eine Excenter den primären Strom schloss und öffnete, stand der um 1!/, Phase zurückgestellte als Nebenschliessung mit der secun- dären Spirale des Zimmermann’schen Inductionsschlittenapparates in Verbindung und blendete so die Schliessungsschläge ab. Bei der Unter- suchung am Spiegelgalvanometer zeigte sich, dass ein Ausfall einzelner Ab- blendungen nicht vorkam, und auch an der Zunge, an welche die Reiz- elektroden bei aufeinander geschobenen Rollen während der Schliessung angeleet waren (langsamer Gang des Unterbrechers), konnte festgestellt werden, dass die Abblendung ohne Fehler functionirte. Die Unterbrecher- axe wurde von einem Elektromotor in Drehung versetzt. Durch Ver- änderung von Umdrehungsgeschwindigkeit (Centrifugalregulator) und Ueber- setzung desselben liess sich das Reizintervall (Abstand zweier Oeffnungen von einander) von etwa 0-04” bis 2-6” varüiren. Ein am Quecksilberunterbrecher angebrachter Apparat ermöglichte es, eine beliebige Anzahi von Reizen, bis etwa 65, auszuwählen. Der Axe des Unterbrechers gegenüber befindet sich eine um eine senkrechte Axe dreh- bare Messingscheibe, welche am Rande gezähnt ist. Die Zähne greifen in ein der Axe des Quecksilberunterbrechers aufsitzendes Schraubengewinde (von mehreren Reihen) derart, dass bei je einer ganzen Drehung der Axe des Unterbrechers die Messingscheibe um einen Zahn gedreht wird. Die senkrechte Axe der Messingscheibe ist ihrerseits wieder am unteren End um eine horizontale Axe drehbar und mit einem Hebel verbunden, dessen Ende den Anker eines Elektromagneten bildet. Wird dessen Kreis ge- schlossen und der Anker angezogen, so wird vermöge der einfachen Hebel- übertragung die Messingscheibe von der Axe des Unterbrechers entfernt, so dass ihre Umdrehung aufhört. Durch Oeffnung des Kreises wird anderer- seits die Scheibe im gewünschten Moment eingeschaltet. Sowohl der zur Reizung dienende primäre Stromkreis, als auch der durch den letzt- beschriebenen Elektromagneten verlaufende Kreis ist durch eine Helm- holtz’sche Wippe geführt und zwar so, dass bei Schliessung des Reizungs- kreises der Elektromagnetenkreis geöffnet wird. In diesem Moment beginnt die Drehung der Messingscheibee Nach einer von der Ausgangsstellung der Scheibe abhängigen Anzahl von Axenumdrehungen des Unterbrechers (= Anzahl von Reizen) Öffnet ein der Scheibe am Rand senkrecht auf- sitzender kleiner Stift einen dem Reizstromkreis angehörenden Contact, worauf der Reizauswähler durch Zurücklegen der Helmholtz’schen Wippe (mittels Gummizug) wieder ausgeschaltet wird. Die Scheibe muss hierauf wieder zur Anfangsstellung zurückgedreht werden, welche dadurch gegeben ÜBER DIE SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. S. W. DES Hrrzvacus. 297 ist, dass der Stift an eine Sperrung anschlägt, welche in beliebigem Bogen- abstand von dem durch den Stift zu öffnenden Contact festgestellt werden kann. Durch die Grösse dieses Abstandes ist die Zahl der Reize, durch die Umdrehungsgeschwindigkeit des Motors ihr Intervall fixirt. Die Ausmessung der Curven wurde mit einem Glasmillimetermaass mit der Lupe vorgenommen, die Distanzen dabei bis auf !/ „"” geschätzt. Die chronotropen und inotropen Wirkungen wurden auf den Beginn der Contraction, welche die betreffende Verzögerung oder Verkleinerung auf- wies, bezogen. Dies ist besonders hinsichtlich der inotropen Hemmung zu betonen, weil hier die erst am Gipfel der Contraction feststellbare Wirkung als schon zu Anfang vorhanden angenommen ist. Es ist einigermaassen willkürlich, ob man annehmen will, dass die Factoren, welche die Grösse, Dauer u. s. w. einer Öontraction bedingen, schon im Augenblick der Aus- lösung der Contraction gegeben sind oder nicht. Hier ist eine derartige Messweise nöthig, um den Vergleich der Wirkungen zu ermöglichen. Bei den meisten Versuchen kommt der eventuelle Fehler übrigens gar nicht in Betracht; bei den Latenzbestimmungen wird aber noch auf ihn zurück- zukommen sein. Des Weiteren sind noch einige allgemeine Vorbemerkungen über ge- wisse Beziehungen der Vaguseffecte unter einander erforderlich. Zunächst ist zu beachten, dass chronotrope Wirkungen vorgetäuscht werden können durch Hemmung der Leitung der Contractionswelle zwischen den einzelnen Herzabtheilungen, durch sogen. negativ-dromotrope Wirkung, welche haupt- sächlich durch Gaskell bekannt geworden ist. Bei vollständiger Aufhebung der Erregungsleitung zwischen Vorhof und Kammer kann um so leichter ein negativ-chronotroper Stillstand der Kammer vorgetäuscht werden, wenn gleichzeitig am Vorhof ein negativ-inotroper Stillstand besteht, d. h. wenn seine Contractionen bis zum Verschwinden abgeschwächt sind, so dass es nicht möglich ist, an den bestehenden Vorhofscontractionen die dromotrope Wirkung von der chronotropen zu unterscheiden. Es erweisen sich deshalb Versuche, welche längere Stillstände enthalten, als unsicher für die Verwerthung. Das Hervortreten einer vorhandenen negativ-inotropen Wirkung ist andererseits abhängig von gleichzeitig bestehender chronotroper Hemmung. Bei rein negativ-chronotroper Wirkung tritt eine Vergrösserung der Con- tractionen auf, weil der Muskel Zeit gewinnt zur vollständigeren Er- schlaffung (Absinken der Curvenfusspunkte) und weil auch abgesehen hiervon die Contractionen um so grösser ausfallen, je länger die vorher- gehende Pause war.’ Kommt nun zu negativ-inotroper Wirkung eine ‘ Nach Hofmann (7) äussert sich der Einfluss der Pause auch im „hypo- dynamen Zustand“ bei der Vaguswirkung. 298 WILHELM TRENDELENBURG: negativ-chronotrope hinzu, so wird erstere theilweise verdeckt werden, es kann die Contractionshöhe unverändert bleiben, ja selbst vergrössert sein, trotz negativ-inotroper Wirkung. Eine genaue Compensation wird erfolgen, wenn der Zuwachs der Contractionshöhe in Folge Pausenverlängerung gleich ist der inotropen Abnahme der Contraetionshöhe. Des Näheren hat Hof- mann (7. 8) die Compensation erörtert! Das Maass für die bestehende negativ-inotrope Wirkung bleibt immer die Differenz der Höhe der unter Vaguswirkung stehenden Contractionen gegen die Contractionshöhe vor der Vaeusreizung; daher ist es ersichtlich, dass besonders bei starker chrono- troper Wirkung eine geringe inotrope Hemmung der Messung entgehen kann. Ist dagegen eine relativ kräftige inotrope Wirkung neben geringer chronotroper vorhanden, so kommt die Verdeckung der ersteren kaum in Betracht. Da es hier auf einen Vergleich beider Hemmungswirkungen ankam, konnte naturgemäss die Methode der künstlichen Reizung zur Unter- suchung der inotropen Wirkung nicht verwendet werden. If. Wirkung von Einzelreizen (bezw. kurzen Reizgruppen). Für die Bestimmungen der zeitlichen Verhältnisse einer auf Einzelreiz erfolgenden Hemmungswirkung ist der Gesammtverlauf am einfachsten zu zerlegen in die Zeit der latenten, die der zunehmenden und diejenige der abnehmenden Wirkung. Während sich an der Energiecurve des Muskels das Ende der Latenz, des Anstiegs, sowie des Abklingens direct messend feststellen lässt, müssen für die Hemmungswirkung diese Punkte auf Um- wegen indirect bestimmt werden. a) Chronotrope Hemmung. Der Natur der Herzthätigkeit nach kann sich eine verzögernde Wirkung nur zur Zeit einer Systole äussern, der offenbar continuirliche Vorgang kommt nur in einzelnen Phasen zur Beobachtung. Gegeben ist der Systolen- abstand (Periodendauer) vor der Vagusreizung, sowie von jeder verzögerten Systole ihr Abstand von der vorigen, und es fragt sich, welches nun das entsprechende Maass der Hemmungsgrösse ist, die im Beeinn der ver- zögerten Systole besteht. Eine gewisse Willkür wird hierin stets unver- meidlich sein, am einfachsten erscheint es aber, nach dem Vorgange von Donders (2) auf den Moment einer ‚Systole als Maass der negativ-chrono- tropen Wirkung die Differenz zu beziehen, welche der Abstand der be- treffenden Systole von der vorhergehenden gegen die Periodendauer vor der Vagusreizung aufweist. Die Fragen, ob diese Differenz der Perioden als 18.a. Engelmann (4), S. 451. ÜBER DIE SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. S. W. DES Hrrzvagus. 299 zutreffendes Maass anzusehen ist, oder etwa ein Quotient derselben zur Periodendauer vor der Vaguswirkung, und weiter, ob dieses Maass auf den Moment der betreffenden verzögerten Systole oder etwa auf den Moment, in welchem die Systole eigentlich hätte eintreten sollen, zu beziehen ist, dürften einstweilen jeder weiteren Beantwortung unzugänglich sein. Von den für den Hemmungsverlauf charakteristischen Punkten ist nur der Reizmoment unmittelbar gegeben. Der Beginn der Wirkung, also das Ende der Latenz, wird nach der Donders’schen Methode der Maxima ünd Minima gefunden, indem festgestellt wird, in welchem Abstand vom Reiz eine Systole eben eine, bezw. eben noch keine Verzögerung aufweist. Durch Eingrenzung wird so mit Annäherung der wahre Werth gefunden. Es kommt dabei darauf an, den Reizmoment so zur Herzperiode zu legen, dass gegen das Ende der Latenz eine Systole einfällt und in mehreren hinter einander ausgeführten Einzelreizungen die Lage des Reizes zur Herz- periode etwas zu variren. Das Ende der Anstiegszeit, der Gipfelpunkt des Hemmungsvorganges, ist dadurch charakterisirt, dass eine bei ihm ein- fallende Systole den unter den gegebenen Bedingungen grösstmöglichen Verzögerungsbetrag aufweist. Es muss also in gleicher Weise wie vorher die Lage des Reizes gegen die Herzperiode verschoben und bestimmt werden, in welchem Abstand vom Reiz eine Systole maximal verzögert ist; von diesem wäre die Latenz noch abzuziehen. Bedingung für dieses Vor- gehen ist völliges Gleichbleiben nicht nur des Reizes, sondern auch des Zustandes des Präparats. Wenn z. B. der Erfolg eines Reizes durch grössere Anspruchsfähickeit des Vagusapparates stärker ausfällt, so wird eine Systole, die im absteigenden Theil des nunmehrigen Hemmungsverlaufes eintritt, eventuell eine stärkere Verzögerung aufweisen können, als die im Gipfel- punkt einer schwächeren Hemmungswirkung eintretende. Hierin liest oft eine Unsicherheit für diese Messweise, auch wenn sie nur an kurz hinter einander erhaltenen Einzelversuchen ausgeführt wird. Bei diesen fand ich durch Curvencombination (s. u.), dass häufig der Erfolg einer Reizung in uncontrolirbarer Weise etwas schwächer oder stärker ausfällt. Zum Theil mag dies daran liegen, dass ich statt einzelner Inductionsschläge kurze Reizgruppen verwenden musste, wenige Schliessungs-Oeffnungsreize (ohne Ab- blendung), die in einem Reizintervall von etwa 0-05” (Abstand zweier Öefinungen) mittels der beschriebenen Versuchseinrichtung einwirkten. Womöglich wäre mit einzelnen Inductionsschlägen eine vollkommenere Ueber- einstimmung der Einzelversuche zu erzielen, es gelang mir aber nicht, mit jenen messbare Effecte zu erhalten. Zur näheren Bestimmung des Gipfelpunktes, sowie besonders des Gesammtbildes des Hemmungsvorganges ist eine weitere, von Donders (2) angegebene Methode zu verwenden, die Construction einer „Hemmungs- 300 WILHELM TRENDELENBURG: curve“ aus den Daten mehrerer übereinstimmender Einzelversuche. Bei festgelegtem Reizmoment sind die einzelnen Systolenabstände der zu com- binirenden Versuche als Abseissen, die zugehörigen Hemmungswerthe (Differenzen der Systolenabstände gegen den normalen Abstand) als Ordi- naten aufzutragen. Stimmen die Versuche gut überein, so lassen sich alle so gewonnenen Punkte annähernd durch eine gemeinsame Öurve verbinden, welche die chronotrope Hemmungseurve darstellt. Eine Abweichung eines Versuches ist daran kenntlich, dass zwischen den Werthen eine In- congruenz besteht, so dass keine Gesammteurve hindurchzulegen ist. Geringe Abweichungen werden sich um so eher ergeben, als die Ver- zögerungen der Anschaulichkeit wegen in vergrössertem Maass aufgezeichnet werden müssen, ohne dass die Genauigkeit der Messung entsprechend ver- grössert werden könnte. Meist konnten drei, seltener vier Einzelversuche combinirt werden; auch Donders fand (am Kaninchenherz), dass häufig einzelne Versuche abweichende Werthe gaben. Eine wichtige Voraus- setzung, welche bei einer derartigen Construction von Hemmungscurven, sowie überhaupt bei dem Vergleich mehrerer Einzelversuche mit verschie- dener Lage des Reizmomentes gemacht wird, ist die Unabhängigkeit der Hemmungswirkung von der Phase, in welcher der Hemmungsreiz das Herz antrifft. Wenn auch sicher kein absolut-refractäres Stadium (Stadium voll- ständiger Unempfänglichkeit für die Hemmungswirkung) besteht, so ver- mag ich doch für die chronotrope Wirkung einen strikten Beweis der völligen Unabhängigkeit, wie ihn Engelmann kürzlich für die inotrope Hemmung erbrachte (s. unten), nicht zu geben wegen der erwähnten kleinen unregelmässigen Abweichungen der Resultate. Jedoch dürfte der Analogie- schluss erlaubt sein, dass auch für die chronotrope Hemmung jene Voraus- setzung zutrifft. Beurtheilt man den Hemmungsverlauf nach einem Einzel- versuch, so ist man von derselben unabhängig, es fehlt dann aber auch die Möglichkeit, den genaueren Verlauf der Curve festzustellen. Der Messung der Anstiegszeit (Zeit vom Ende der Latenz bis zum Gipfelpunkt) stellt sich eine weitere Schwierigkeit darin entgegen, dass die chronotrope Hemmungswirkung meist sehr schnell ihren Höhepunkt erreicht, und der Spielraum, in welchem eine eintretende Systole submaximal ver- zögert sein kann, deshalb sehr gering ist. Es scheinen individuelle Ver- schiedenheiten vorzuliegen, wenn in anderen Fällen der Anstieg weniger steil erfolgt, so dass die nöthigen Bestimmungen möglich sind; es ist also vorauszuschicken, dass die später mitzutheilenden Werthe der Anstiegszeiten Maximalwerthe sind, indem die Wirkung bei den meisten Präparaten viel schneller die Höhe erreicht. Dass die Versuche dieses Abschnittes nicht mit Momentanreizen ausgeführt wurden, sondern kurze Reizeruppen ver- wendet werden mussten, wurde schon erwähnt. ÜBER DIE SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. S. w. DES HrrzvAgus. 301 1. Latenzzeit der negativ-chronotropen Wirkung. Ausführliche Messungen der chronotropen Latenz führte Nu&l (9) aus. Da er durch einzelne Inductionsschläge keine hinreichende Wirkung er- zielen konnte, wandte er kurzes Tetanisiren des Nerven an (!/,, bis !/), musste also ebenfalls den Einzelreiz durch eine kurze Reizgruppe ersetzen. Bei den Bestimmungen zeigen sich erhebliche Unterschiede der gefundenen Werthe, von welchen (in den drei Haupttabellen) nicht angegeben ist, ob sie an der Kammer oder Vorkammer gefunden wurden. Der höchste Werth beträgt 1-55”, der niedrigste 0.72”, Differenz 0.83”. Während der Ver- suchsreihen stieg der Werth der negativ-chronotropen Latenz bei demselben Präparat in beträchtlichem Grade. Diese zunächst auffällige Inconstanz dürfte durch das Folgende ihre Erklärung finden. Bei den Latenzbestimmungen der Vagusreizung blieb bisher die Frage nach dem Angriffspunkt der Vaguswirkung unberücksichtigt. Während es keinem Zweifel unterliegen kann, dass die an der Kammer sichtbare ino- trope Hemmung auch an der Kammer angreift und unabhängig ist von gleichzeitiger Abschwächung der Vorhofscontractionen, ist schon von vorne- herein zu erwarten, dass Aehnliches nicht für die negativ-chronotrope Wirkung eilt. Wäre die chronotrope Beeinflussung der einzelnen Heız- abschnitte von einander unabhängige, so könnte dadurch unter Umständen eine einheitliche Herzthätigkeit unmöglich werden, z. B. wenn am Vorhof negativ-chronotrope Wirkung bestünde und gleichzeitig die Kammer im alten Tempo fortschlüge. Die Vorhofscontraction könnte mit der Kammer- contraction zusammenfallen, das Blut würde wegen Mangel an Raum vom Vorhof gegen die Sinusklappen gepresst und der Blutumlauf erheblich gestört werden. An sich sind allerdings, worauf Engelmann (3) hinwies, primär chronotrope Wirkungen auch an Vorhof und Kammer denkbar, wegen der auch diesen Abschnitten eigenthümlichen Automatie. Von Hofmann (6. 7) ist gezeigt worden, dass über den Sinus hinaus keine den Rhythmus beein- flussenden Fasern mehr nachweisbar sind. Die negativ-chronotrope Wirkung hat also ihren primären Angriffspunkt, soweit nachweisbar, nur im Sinus. Am gleichen Präparat wird nun die negativ-chronotrope Latenz ganz verschieden gefunden werden, je nachdem Sinus-, Vorhof- oder Kammer- contraction registrirt wird und je nach der Geschwindigkeit der Erregungs- leitung zwischen den einzelnen Herzabtheilungen. Wenn die chronotrope Hemmung primär nur am Sinus erfolgt, so wird die Latenz an jedem der folgenden Herzabschnitte gleich der eigentlichen (primären) Latenz am Sinus plus der Leitungszeit der Contractionsimpulse vom Sinus zum betreffenden Herzabschnitt sein. 302 WILHELM TRENDELENBURG: Die hohen Werthe sowie die grossen Differenzen, die Nu@l für die chronotrope Latenz fand, lassen sich demnach leicht darauf zurückführen, dass Nuäl nur an Kammer und Vorkammern experimentirte und vielleicht nur an ersterer die Latenzen bestimmte, dass ferner bei den verschiedenen Präparaten die Leitungszeit der Impulse von einem Abschnitt zum anderen verschieden war (je nach Temperatur, Ernährungszustand u. s. w.); wenn während eines Versuchs die Latenz zunahm, so ist dies wohl auf eine Zu- nahme der Leitungszeit des länger benutzten Herzens zu beziehen. Der oben angedeutete Zusammenhang zwischen Latenz und Leitungs- zeit sei an einigen Beispielen erläutert: Tabelle ’T. Latenz der negativ-chronotropen Wirkung. Präparat vom 18.1. 1902. Reizgruppe: 5 Schliessungs-Oeffnungsreize (keine Abblendung) im Intervall von 0-05”. A. Sinus, chronotrope Latenz. Blatt Latenz 152, 4b >093% 152, 5e < 1.027 B. Vorhof, chronotrope Latenz. Blatt Latenz 152,1d < 2.26” | 151, 3e >19 0. Kammer, chronotrope Latenz. Blatt Latenz 149,1a > 149, 2e Br) Im Mittel 0-97” Im Mittel 2.12” Im Mittel 2-91” Tabelle I. Latenz der negativ-chronotropen Wirkung. Präparat vom 20.1. 1902. Reizgruppe: 5 Schliessungs-Oeffnungsreize im Intervall von 0-05”. A. Vorhof. Blatt Latenz 154, 2f < 1-00” (eben deutliche Verzögerung). B. Kammer. Blatt Latenz { ee Be 153, 3h > 1.88" Im Mittel 1°9 Aus den beiden Tabellen geht zunächst hervor, dass die Latenz der negativ-chronotropen Wirkung am geringsten ist am Sinus, länger am ÜBER DIE SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. $S. W. DES HERZvAGUSs. 303 Vorhof, am längsten an der Kammer. Wenn nun obige Betrachtungen gelten, so muss die Latenz an den distalen Herzabschnitten gleich der Latenz im Sinus plus der Zeit der Erregungsleitung vom Sinus zum betreffenden Ab- schnitt sein. Die nächste Tabelle soll zeigen, wie weit sich dies bei den vorliegenden Latenzbestimmungen, die natürlich bei den einzelnen Herz- abschnitten unabhängig von einander gewonnen wurden, bestätist. Um die Zeit zwischen der Systole des Sinus und der des Vorhofs u. s. w. zu messen, wurde so suspendirt, dass nicht nur der suspendirte Abschnitt, sondern auch der vorhergehende bezw. folgende seine Contraction in der Curve mit- markirte, was sich bei passender Wahl der Suspensionsstellen, sowie bei Weglassen des fixirenden Fadens leicht erreichen liess. Bei allen Versuchen wurde die Leitungszeit durch die kurze Vagusreizung nicht verlängert (kein negativ-dromotroper Einfluss), so dass also die folgende Gegenüberstellung berechtigt ist. Sie wird nicht in jedem Falle eine exacte Uebereinstimmung ergeben, denn es ist nicht stets möglich, die Latenzzeit genügend ein- zuengen und ausserdem könnte sich die zu Beginn oder am Schluss be- stimmte Leitungszeit unabhängig von der Vagusreizung während des Ver- suches ändern, so dass hierdurch Fehler hineinkommen. Tabelle II. A. Zu Tabelle 1. Sinus, Latenz chronotrop . 2.2.0904 Zeit Sinussystole_Worhofssystole . ...0-.92” Zeit Vorhofssystole—Kammersystole.. 1-09” 2-98” (abgeleitet) Kammer, Latenz chronotrop *1.2-91” (direct gemessen) B. Zu Tabelle IL Vorhof, Latenz ehronotrop . . . . 10” Zeit Vorhofssysto)le—Kammersystole . 0-8” [ 1-8” (abgeleitet) Kammer, Latenz chronotrop "1 1-9” (direct gemessen) (Für die Vorhoflatenz der Tabelle I stimmen die Werthe nicht so gut überein.) Donders und nach ihm Nuöl bezogen die Latenzzeit auf die Dauer der Herzperiode und fanden jene stets kleiner wie diese, ohne hierin aber einen physiologischen Zusammenhang erblicken zu wollen. Ein solcher besteht aber zwischen der Latenz an der Kammer und der Zeit der Er- regungsleitung im Herzen. Erstere wird stets grösser sein wie letztere, und zwar um den Betrag der primären Latenz im Sinus. Deshalb wurden weitere Latenzbestimmungen am Sinus ausgeführt: 304 WILHELM TRENDELENBURG: Präparat vom 21.1. 1902: Blatt Latenz (Sinus) oe 0 o 157,1e £ 120% j Im Mittel 0-9 Präparat vom 12.11. 1902: Blatt Latenz (Sinus) 194,4e > 096” \ ae 0.30”, betrug also etwa 0-32”, wenn bis zum Anfang der Systolen gemessen wurde. Wurde hingegen bis zum Scheitel derselben gemessen, so ergaben sich die Werte Z < 0-84” und > 0-75”, als Mittelwerth etwa 0.8”. In einem anderen Falle ergab die erste Messweise < 0-44” und > 0.42”, Mittel 0-43”; die zweite Messweise: < 1-04” und > 0-92”, Mittelwerth 0.98”. Letzterer Werth ist aber gleich dem an demselben Präparat für die primäre chronotrope Latenz am Sinus gefundenen; der- selbe betrug 0-97” (s. Tabelle I). Es muss deshalb dahingestellt sein, ob den beiden Vaguswirkungen verschiedene primäre Latenzen zukommen. Ein charakteristischer Unterschied, der sogar durch die zweite Mess- weise der inotropen Wirkung noch vergrössert werden würde, besteht hin- gegen für die Anstiegszeit der beiden Wirkungen. Für die inotrope ist sie mindestens doppelt so gross wie für die chronotrope, wobei wieder zu berücksichtigen ist, dass die für die letztere angegebenen Zahlen Maxima sind, indem meist; der Anstieg viel schneller erfolgt und nicht genauer bestimmt werden kann. Durch Ineinanderschreiben mehrerer Einzeleurven bei festliegender Reizstelle wies Engelmann (4) nach, dass die inotrope Hemmungswirkung unabhängig ist von der Phase der Herzthätiekeit, während welcher der Reiz einfällt. Nur unter Voraussetzung dieser Unabhängigkeit erscheint die Combination von Hemmungscurven möglich. Die Hemmungscurve der inotropen Wirkung zeigt entsprechend der anderen Lage des Gipfelpunktes einen langsameren Anstieg und einen von der Form desselben weniger stark abweichenden Verlauf des Abstiegs, wie die chronotrope Curve. Ein sehr anschauliches Bild des inotropen Hemmungsverlaufes zeigen die in- einandergeschriebenen Curven Engelmann’s Sie geben direct das symmetrische Spiegelbild der eigentlichen Hemmungscurve (wenn die Fuss- punkte nicht wesentlich absinken, wie es beim Vorhof der Fall ist). Leider ist die Anwendung einer ähnlichen Methode für die chronotrope Wirkung der Natur der Sache nach nicht möglich. 20* 308 zog 09 "x sIqg X UO0A Sunzioy "uIOJowI[[Im UT uOWwgeugeusgof ges 'ssı red uoInapeq wand 19p [eJdıg we uIopyIZ old "TO6T 'IIX SI WILHELM TRENDELENBURG: III. Summation mehrerer Reize. ' Wie für den Muskel bei mehreren Reizen ein Intervall besteht, bei welchem ein Maximum der Wirkung erzielt wird, ebenso ist auch für die "[IBATSJUTZION] mOUSPOTTISI9HA 194 Zunyaım Sdorzout-Atyesau ‘Togo "3 17 „el’O MPALFUF xt u8$g0 NPALFUL T x x x u — s'’S Hemmungswirkungen ein Opti- mum des Reizintervalls zu vermuthen. Dieses soll als das- jenige Reizintervall definirt wer- den, bei welchem unter Voraus- setzung gleicher Anzahl und Stärke der Reize der grösste ab- solute Betrag der Verzögerung bezw. Abschwächung erzielt wird. Setzt man die angedeutete Ana- logie fort, so wäre anzunehmen, dass dasjenige Reizintervall das günstigste wäre, welches etwas kleiner als die Gipfelzeit ist, wo- bei also der zweite Reiz einfällt, wenn die Hemmungswirkung des ersten sich kurz vor dem Höhe- punkt befindet. Schon wenn man zwei derim Vorigen verwendeten Reizgruppen hinter einander auf den Nerv einwirken lässt, findet man aber, dass hier die Sum- mationsverhältnisse wesentlich anders liegen. Bei einem Ab- stand der Reizgruppen von 0-4”, dem kürzesten Intervall, welches sich bei denselben erzielen liess, war noch nicht das Optimum der Intervalle erreicht, weder für die chronotrope, noch für die inotrope Hemmungswirkung. Für die bisher verwendeten Reizgruppen liess sich nur zeigen, dass das Optimum des Reiz- intervalls, wenn überhaupt vor- handen, ganz wesentlich kleiner ist wie die Gipfelzeit. ÜBER DIE SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. S. W. DES Herzvaaus. 309 Mit Hülfe des oben beschriebenen Apparats konnte nun für beide Wirkungen zunächst festgestellt werden, dass für jede beliebige Anzahl von Reizen (von 5 bis 60) ein Reizintervall existirt, bei welchem die Summation ein Maximum erreicht. Sowohl bei Verkleinerung als auch bei Ver- grösserung des Intervalls der Reize, bei unveränderter Zahl und Stärke derselben, nimmt der Summationseffect ab. Jede Versuchsreihe wurde durch einen Controlversuch geschlossen, um zu constatiren, dass Fehler durch Aenderung der inneren Versuchsbedingungen ausgeschlossen waren. Ein Beispiel zeigt Fig. 2 für die inotrope Wirkung. Bei dem Intervall von 0.17” ist die grösste Wirkung erzielt. Es fragt sich nun, wie sich die Optima der Reizintervalle bei der chronotropen und inotropen Wirkung zu einander verhalten, ob beide Wirkungen bei gleichem Intervall ein Maximum erreichen, oder die eine bei kürzerem, die andere bei längerem. Bestimmungen hierüber sind in der folgenden Tabelle V enthalten. Wenn in ihr absolute Zahlenwerthe angeführt werden, so können sie nur ein ungefähres Maass über die be- stehenden Differenzen geben, weil die günstigsten Intervalle nur mit An- näherung bestimmbar sind. Da man, um nicht zu viele Reizungen hinter einander auszuführen, die Intervalle sprungweise variiren muss, bleibt es immer mehr oder weniger zufällig, wie genau ihr Optimum getroffen wird. In Tabelle V entstammen die horizontal neben einander stehenden Werthe der gleichen Versuchsreihe. Sie wurden derart gewonnen, dass bei fest- liegender Anzahl und Stärke der Reize ihr Intervall sprungweise variirt und durch Ausmessung dasjenige bestimmt wurde, bei welchem die be- treffende Hemmungswirkung ein Maximum erreichte. Tabelle V. Optima der Reizintervalle für die chronotrope und inotrope Vaguswirkung. Blatt Intervall-Optimum Differenz chronotrop inotrop der Optima 129,1abede 0.09” 0-18” 0.09” 133,1abede 0-05” 0.14” 0-09” 125,3abed 0-07” 0-14” 0-07” 125,2be 0-07” 0.14” 0.07” 128,3abcde 0.09” OST 0.08” Im Mittel: 0.07” 0-15” Es kann also für die chronotrope Hemmung 0-07”, für die inotrope 0-15’ als Optimum des Reizintervalls bezeichnet werden. 310 WILHELM TRENDELENBURG: Heidenhain (5) giebt, wie schon erwähnt, einen Versuch wieder, in dem er bei Reizung mit Inductionsdoppelschlägen in einem Intervall von 5” bis 2° rein inotrope Wirkung erzielte. Es lag nahe, zu vermuthen, dass im Bereich dieser Intervalle das Summationsoptimum für die inotrope Wirkung liege, besonders da bei dem letzteren Intervall (2”) der zweite Reiz ungefähr im letzten Drittel des aufsteigenden Curvenschenkels einfällt. Ueberraschender Weise findet sich nun auch für die inotrope Wirkung ein weit: geringeres Intervall als Optimum. Das günstigste Intervall der chrono- tropen Wirkung ist durchschnittlich um die Hälfte kleiner wie jenes; bei geringen absoluten Werthen der Optima sind die Unterschiede also be- trächtlich, Bei beiden Wirkungen ist das Intervalloptimum wesentlich geringer wie die Latenzzeit. AReizinterrall: Fig. 3. Kammer, Curven der maximalen inotropen und chronotropen Hemmungswirkung bei varürtem Reizintervall (constante Zahl und Stärke der Reize). Die Zahlen in den Curven bedeuten die Maasse der betreffenden Hemmungswirkung in Millimetern: oben Differenzen von Contractionshöhen, unten Differenzen von Systolenabständen. 60 Reize. Blatt 128,3abede. 20.XIL 1901. Die besprochenen Verhältnisse lassen sich graphisch in übersichtlicher Weise aus den Versuchen darstellen. In Fig. 3 sind als Abseissen die Grösse der Reizintervalle, als Ordinaten die bei dem betreffenden Reiz- intervall erzielte grösste Vaguswirkung (oben inotrop, unten chronotrop) eingezeichnet, wie sie in einer Versuchsserie (vgl. Tabelle V, letzte Reihe) erhalten wurden. Die den Curven beigefügten Zahlen sind nicht zwischen beiden Curven vergleichbar, weil sie oben Längenwerthe, unten Zeitwerthe darstellen, und zwar einerseits die bei dem betreffenden Reizintervall er- zielte maximale Abnahme der Contractionshöhe, andererseits die maximale Zunahme der Dauer der Herzperiode (nicht in Secunden umgerechnet). ÜBER DIE SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. S. W. DES Herzvagıs. 311 Man sieht, dass bei einem Reizintervall von 0-05” beide Wirkungen einen geringen Grad erreichen, bei 0-09” erheblich ansteigen; von da fällt die chronotrope Wirkung bei Vergrösserung des Reizintervalls wieder ab, die inotrope nimmt noch bis zum Intervall von 0-17” zu. Bei dem Intervall 0-3” ist auch die inotrope Curve gefallen, aber weniger wie die chrono- trope; letztere Wirkung ist bei Intervall 0-3” schon geringer wie bei Intervall 0-5”, während für die inotrope Wirkung das Umgekehrte gilt. Auch hierin äussert sich noch die Begünstigung der inotropen Wirkung durch ein relativ grösseres Reizintervall. Das günstigste Reizintervall ist am gleichen Präparat unter verschie- denen äusseren Bedingungen so weit nachweisbar constant. Sowohl für die Reizstärke als auch für die Anzahl der Reize liess sich kein Einfluss auf seine Grösse constatiren. Anhangsweise seien noch einige Beobachtungen erwähnt. Wie Engel- mann (4) bei der inotropen Hemmung den Schliessungsinduetionsstrom als Einzelreiz specifisch schwächer wirken sah, wie den Oeffnungsstrom, so fand ich bei Einwirkung einer bestimmten Anzahl von Reizen für die chrono- trope Hemmung ein bedeutendes Ueberwiegen der Oefinungswirkung, wenn ich ein Mal die Schliessung, das andere Mal die Oeffnung abblendete. Dies konnte ich durch geeignete Einschaltung zweier Pohl’scher Wippen in meine Versuchsanordnung erreichen. Es ist also für diese beiden Hem- mungswirkungen der Oeffinungsinductionsstrom der stärkere Reiz. Dies Verhalten stimmt überein mit den Befunden von Imamura.! Er fand bei Vergleichung der Reizungswirkungen der Momentanschliessung und des zeitlich protrahirten An- und Abstiegs auf die herzhemmenden Vagusfasern einen Reizungsdivisor? von 1-23 bis 1-5, worin sich ein Ueberwiegen der Wirkung der Momentanschliessung ausspricht. Hiernach ist es erklärlich, dass der zeitlich protrahirte Schliessungsinductionsreiz schwächer wirkt wie der momentanere Oeffnungsreiz. Weitere Beobachtungen betreffen die zeitliche Verkürzung der Systole bei negativ-inotroper Wirkung. Die zeitliche Abkürzung der Contraction ist bekanntlich stets vorhanden, sobald diese in ihrer Höhe verringert ist. Gelegentlich fand ich nun, dass bei Compensation der inotropen Wirkung ! S. Imamura, Vorstudien über die Erregbarkeitsverhältnisse herzhemmender und motorischer Nerven gegenüber verschiedenen elektrischen Reizen. Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg 8. 187. D D ._. . 2 . . . . . ? Reizungsdivisor (v. Kries) = - -, wenn z,, die bei Momentanschliessung eines U Mm galvanischen Stromes, ö, die bei linearem Anschwellen zur Erzielung der gleichen Wirkung erforderliche Stromstärke ist. 312 W. TRENDELENBURG: ÜBER D. SUMMATIONSERSCHEINUNGEN U. 8. W. durch gleichzeitige chronotrope, also bei unveränderter Höhe der Con- tractionen, doch die Contractionsdauer während der Vagusreizung abnahm, um ‚etwa 0-1” in einem Fall, in einem anderen sogar um 0-25”. Auch bei rein inotroper Hemmung kann man am Vorhof sehen, dass nach einer kurzen Vagusreizung eine Contraction zwar wieder die frühere Höhe er- reicht hat, aber noch von kürzerer Dauer ist, als die Contraction vor der Reizung. Es deutet dies wohl darauf hin, dass die Abkürzung der Con- tractionsdauer ein wesentlicher Bestandtheil der inotropen Hemmung ist, der nicht bloss secundär mit der Verkürzung der Contractionshöhe ver- bunden erscheint. Für die Anregung zu dieser Arbeit, sowie für die gütige Unterstützung und vielfache Berathung bei ihrer Ausführung bin ich Hrn. Prof. v. Kries zu grossem Dank verpflichtet, den ich auch an dieser Stelle abstatten möchte. Litteraturverzeichniss. 1. J. Coats, Wie ändern sich durch die Erregung des n. vagus die Arbeit und die inneren Reize des Herzens? Berichte der sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. 1869. Bd. XXI. S. 360. 2. F. C. Donders, Zur Physiologie des Nervus vagus. Pflüger’s Archiv. 1868. Bd.I. S. 331. 3. Th. W. Engelmann, Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. 8. 315. 4. Derselbe, Weitere Beiträge zur näheren Kenntniss der inotropen Wirkungen der Herznerven. Ehbenda. 1902. 8. 443. 5. R. Heidenhain, Untersuchungen über den Einfluss des nv. vagus auf die Herzthätigkeit. Pflüger’s Archiv. 1882. Bd. XXVIl. 8. 383. 6. F. B. Hofmann, Ueber die Function der Scheidewandnerven des Frosch- herzens. Ebenda. 1895. Bd. LX. 8. 139. 71. Derselbe, Beiträge zur Lehre von der Herzinnervation. Zbenda. 1898. Bd. LXXIL 8. 409. 8. Derselbe, Ueber die Aenderung des Contractionsablaufes am Ventrikel und Vorhofe des Froschherzens bei Frequenzänderung und im hypodynamen Zustande. Ebenda. 1901. Bd. LXXXIV. S. 130. 9. Nuöl, Ueber den Einfluss der Vagusreizung auf die Herzcontraction beim Frosche. Zbenda. 1874. Bd. IX. 8.83. Die Zusammensetzung und die Eigenschaften der Eselinmilch. Von Prof. Dr. Ellenberger in Dresden. Im Jahre 1899 habe ich in diesem Archiv einen Artikel über die Eigenschaften der Eselinmilch veröffentlicht.’ Die Untersuchungen, deren Ergebnisse ich in demselben niedergelegt habe, sind in den drei folgenden Jahren (1899, 1900 und 1901) auf meine Veranlassung und unter meiner Leitung durch meinen Assistenten Dr. Klimmer fortgesetzt und weiter aus- gedehnt worden. Die Ergebnisse derselben, über die in thierärztlichen Zeit- schriften in anderer Form und von anderen Gesichtspunkten aus schon be- richtet worden ist, sollen hier als Ergänzung und Fortsetzung des erwähnten, von mir früher publieirten Artikels im Nachfolgenden kurz mitgetheilt werden. Bezüglich der physikalischen Eigenschaften der Eselinmilch ist neu festgestellt worden, dass dieselbe zwar gegen das gebräuchliche Lakmus- papier, gegen Lakmoid und Dimethylorange stets alkalisch reagirt, dass sie sich aber gegen Phenolphthalein wie eine Säure verhält. Die von Storch angegebene Reaction der unerhitzten, rohen Milch mit p-Phenylendiamin- lösung und Wasserstoffhyperoxyd, sowie die Arnold’sche Kochprobe mit Guajaktinktur giebt die Eselinmilch nicht; sie verhält sich in dieser Richtung wie gekochte Kuhmilch. Die Ursache dieses Verhaltens mag in der Eigenartigkeit des Eselincaseins begründet sein. Die Säuerung der Eselin- milch erfolgt viel später als die der Kuhmilch. Man kann die Eselinmilch mehrere Tage in offenen Gefässen bei Zimmertemperatur aufbewahren, ohne dass sie sauer wird. Andererseits wurde aber auch bei Milch in ver- ! Ellenberger, Die Eigenschaften der Eselinmilch. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. 8. 33, 314 ELLENBERGER: schlossenen Gefässen schon am Anfange des 3., oder sogar schon am Ende des 2. Tages das Sauerwerden beobachtet. So begann bei 20° R. und darüber die Säuerung in verschlossenen Gefässen am Ende, in offenen schon am Anfange des 2. Tages (nach ca. 30 Stunden); bei niederer Temperatur trat die Säuerung erheblich später ein; manchmal war die Milch nach 8 bis 10 Tagen noch alkalisch. Bei der Säuerung fällt das Casein allmäh- lich feinkörnig und feinflockig zu einem leicht zu zertheilenden Niederschlage aus. Erst nach 10 bis 14 Tagen bilden sich derbe, feste Ge- rinnsel. Neben der verlangsamten Milchsäuregährung unterliegt die Eselin- milch beim längeren Stehen einer mit Gasbildung einhergehenden Zersetzung. Die Producte dieser Zersetzung sind 59.9 Procent Kohlen- säure, 39°4 Procent Wasserstoff und 1-5 Procent Methan. Dazu kommen geringe Mengen von absorbirtem O und N. Beim Kochen treten in Folge des hohen Albumingehaltes einzelne Gerinnsel auf, die durch Schütteln leicht zu zertheilen sind und nur bei längerem Kochen fester und derber werden. Der Siedepunkt der Eselinmilch liest um 1° C. höher und der Gefrier- punkt etwas niedriger als der des Wassers. Die weisse Farbe der Milch ist keineswegs nur durch ihren Fett- gehalt bedingt; sie hängt zweifellos auch vom Casein (Caseintriealcium- phosphat) ab. Dies beweist die Thatsache, dass eine zufällig erhaltene Milch von nur 0-05 Procent Fett, also eine fast fettfreie Milch, relativ weiss aussah. Zur Feststellung der chemischen Zusammensetzung und der chemischen Eigenschaften der Eselinmilch sind im Ganzen etwa 400 Analysen auf Fett, 60 Analysen auf Eiweiss und Casein und 60 Analysen auf Albumin und Globulin gemacht worden. 20 Mal wurde auf Zucker und 10 Mal auf Salze analysirt. Der Wassergehalt der Milch schwankt zwischen 88-5 bis 92 Procent, ist also erheblich höher als der der Kuh-, Schaf-, Ziegen- und Frauenmilch. Der Gesammtstickstoffgehalt beträgt im Mittel 0-2536 Procent; davon entfallen ungefähr 90 Procent auf Eiweisskörper und etwa 10 Procent auf andere stickstoffhaltige Substanzen. Die Menge des berechneten Roh- proteins der Milch schwankte zwischen 1-3 und 1-7 Procent; als äusserste Werthe wurden 1-0 und 2-43 Procent gefunden; die mittlere Menge be- trägt 1-5 Procent. Höchstens 10 Procent dieses Rohproteins entfallen nicht auf Eiweiss, sondern auf andere N-haltige Stoffe; von diesen waren etwa 43 Procent fällbar durch Phosphorwolframsäure.. Von den 1-5 Procent Eiweisskörpern der Eselinmilch entfallen 0-7 bis 1:2 (selten 0-6 und 1.8 Procent), also im Mittel 0-94 Procent auf Casein und 0-53 Procent (0-4 bis 0-6) auf Albumin unter Einrechnung geringer Globulin mengen. Es zeichnet sich also die Eselinmilch ebenso wie die Frauen- DIE ZUSAMMENSETZUNG UND DIE EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 315 milch im Gegensatze zur Kuhmilch durch einen hohen Albumin- gehalt aus. Während in der Kuhmilch das wasserlösliche, leicht und direct resorbirbare Eiweiss nur den 10. Theil des eine erheblich grössere Verdauungsarbeit beanspruchenden Caseins ausmacht, beträgt es in der Eselin- und Frauenmilch die Hälfte desselben. Die Eselinmilch erfordert sonach eine geringere Verdauungsarbeit als die Kuhmilch. Aber nicht nur in Bezug auf das Mengenverhältniss, sondern auch in Bezug auf die chemische Natur und die Eigenschaften der einzelnen Eiweiss- körper herrscht Uebereinstimmung zwischen der Eselin- und Frauenmilch, während in dieser Richtung beide Milcharten grosse Ver- schiedenheiten von der Kuh-, Ziegen- und Schafmilch erkennen lassen. In dieser Beziehung sei auf die in meinem früheren Artikel S. 37 bis 43 ge- machten Angaben über das Verhalten der verschiedenen Milcharten bei Zu- satz von Säuren, von Magensaft, von Labferment, bei der Verdauung u. s. w. hingewiesen. Es sei zu dem .dort Gesagten nur hinzugefügt, dass beim Laben der Eselinmilch !/, des Caseins, ?/, der Aschebestandtheile und das gesammte Fett und Albumin in den Molken enthalten waren. Die Elementaranalyse des Eselincaseins ergab, dass dasselbe besteht aus 54-90C, 7-15H, 15:76 N, 1-108, 0-51 P und 20:58 0; dabei ist noch anzunehmen, dass der Phosphorgehalt zu hoch angegeben ist. Das Kuhcasein zeigte, nach gleicher Methode analysirt, folgende Zusammensetzung: 53-07 C, 7-13H, 15-64N, 0:76S8, 0-80 P und 22-600. — Das Frauencasein besteht nach Wröblewsky aus 52-24C, 7-32H, 14.67N, 1.128, 0-68P und 23-660. Bei der Verdauung des Eselincaseins bildet sich kein unlös- licher Rückstand von Pseudonuclein. Die Eselinmilch gleicht also auch in dieser Hinsicht der Frauenmilch, während sich die Kuhmilch, deren Casein, wenn es in mindestens 0-2 procent. Lösungen zur Verdauung gelangt, stets einen derartigen Niederschlag bei der Verdauung hinterlässt, ganz anders verhält. Zu diesen Verdauungsversuchen wurde Casein benutzt, welches nach der Wröblewski’schen! Methode hergestellt worden war. Das Kuhcasein lieferte 7.3 bis 12-37 Procent des Gewichts Pseudonuclein, in welches 22 Procent des im Casein enthaltenen Phosphors übergingen. Die Eselinmilch unterscheidet sich also von der Kuhmilch auch durch das Fehlen des Nucleoalbumins. Von dem in der Siedehitze coagulirten Albumin der Eselinmilch hat mein früherer Assistent Seeliger eine Elementaranalyse durchgeführt und folgende Werthe gefunden: C 54-47, H 7-37, N 15.67, 8 1-32 Procent, ı Wröblewski, Beiträge zur Kenntniss des Frauencaseins. Inaug.- Dissert. Bern 1894. 316 ELLENBERGER: während das Kuhmilechalbumin nach Sebelien besteht aus 52-19C, 7.18H, 15-77N. ‚Die Zusammensetzung des Globulins der Eselinmilch fand Seeliger wie folgt: C53-4, H7-31, N 15-79 und S0-74, während Hammarsten im Kuhmilchglobulin fand: C52.71, H7.01, N 15-85, S1-11 Procent. Die Eselinmilch wurde von Klimmer auch auf Nucleon, Fleisch- milchsäure, untersucht. Man hat in umständlicher Weise ermittelt, dass die Eselinmilch im Mittel 0.1 Procent Nucleon enthält. Schlossmann, der die Eselinmilch auch auf Nucleon untersuchte, giebt 0-12 Procent an. In der Frauenmilch hat man 0.124 und in der Ziegenmilch 0-110, in der Kuhmilch dagegen nur 0.056 Procent Nucleon gefunden. Wenn die Eselinmilch hinsichtlich der Menge und der Eigenschaften der Eiweisskörper’' eine auffällige Uebereinstimmung mit der Frauenmilch erkennen lässt, so weicht sie von derselben in Bezug auf den Gehalt an Milchfett ganz erheblich ab. Die Eselinmilch ist cha- rakterisirt durch einen ungemein geringen Fettgehalt. Derselbe beträgt im Mittel nur 1-15 Procent und lässt ganz ausserordentlich grosse Schwan- kungen (von 0-1 bis 3 Procent) erkennen; meist bewegt sich der Fettgehalt der Mischmilch zwischen 0-7 und 1-3 Procent. Als äusserste Grenzwerthe fand man, abgesehen von der Milch kranker Thiere, 0:05 und 4-6 Procent. Auf den Fettgehalt können verschiedene Umstände Einfluss haben, so die Individualität, das Saugen des Fohlen, die Nahrung, die Art des Melkens, die Tageszeit, die Melkpausen, die Trächtigkeit, die Laktationsperiode u. s. w. Um den Einfluss der Nahrung auf den Fettgehalt der Milch zu be- stimmen, wurden Fütterungsversuche mit Baumwollensaatmehl angestellt, indem man während längerer Zeit bei einer Eselstute den Hafer zum Theil durch Baumwollensaatmehl ersetzte, während die Controlstute in gewohnter Weise ernährt wurde. Später wechselte man mit beiden Thieren; das vorher in gewöhnlicher Weise ernährte Thier erhielt einen Zusatz Baumwollensaat- mehl und dem anderen Thiere wurde dieses Nahrungsmittel, welches es bis dahin erhalten hatte, entzogen. Diese Versuche erstreckten sich auf circa 6 Monate. Der mittlere Fettgehalt der zu dem Versuche verwendeten Thiere (Versuchs- und Controlthier) betrug 1-33 Procent. Bei Zusatz von Baum- wollensaatmehl zum Futter war der mittlere Fettgehalt 1-41 und ohne diesen - Zusatz nur 1-24 Procent.e. Der Baumwollensaatmehlzusatz hatte mithin den Fettgehalt um 0.2 Procent erhöht. Die Tageszeit hat, wenn die Ruhepausen zwischen den Melkperioden die gleichen bleiben, keinen bestimmten Einfluss auf den Fettgehalt; manch- mal war die Morgenmilch, manchmal die Abendmilch fettreicher. Zahl- reiche in dieser Richtung angestellte Untersuchungen hatten oft ganz über- raschende Ergebnisse. Dieselbe Stute lieferte z. B. Abends eine Milch mit DIE ZUSAMMENSETZUNG UND DIE EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 317 2.1 Procent Fett und am nächsten Morgen nur 0-4 Procent, in einem anderen Falle zeigte die Morgenmilch 4.6 Procent und die Abendmilch nur 1-9 Procent Fett u. s. w. Auch die gelieferte Milchmenge scheint ohne Einfluss auf den Fett- gehalt zu sein, so fand man z. B. bei einer Stute bei einer aus einer Euter- hälfte Sengliasıen Milchmenge von 315 °® 2-1, bei 380° m 1.85, bei 340 m 2.65 und bei 430 «= Milch 2-85 Prodant Fett. Dagegen hat einen sehr grossen Einfluss auf den Fettgehalt der Milch die Art des Melkens. Wird das Euter nicht gründlich ausgemolken, dann ist die Milch fettärmer. Dies kommt daher, dass bekanntlich die zuerst gemolkene Milch viel ärmer an Fett ist, als die nachfolgende Milch. Wird also das Euter nicht gut ausgemolken, dann kommen die fettreichen Portionen nicht zur Milch hinzu; das ganze Mischgemelke ist dann also fettärmer. Die über die Zunahme des Fettgehaltes der Milch während des Melkens angestellten Untersuchungen hatten z. B. folgendes Ergebniss: a) 1. Versuch: 1. Portion 0-05, 2. Portion 0-05, 3. Portion 0-25 Pro- cent Fett. b) 2. Versuch: 1. Portion 1-8, 2. Portion 3-0, 3. Portion 5-2, 4. Por- tion 6-6 Procent Fett. ec) 3. Versuch: Die Milch aus einer Euterhälfte wurde in 14 Portionen nach einander aufgefangen, während die der anderen Euterhälfte auf einmal abgemolken und als Mischmilch untersucht wurde. Die aus der einen Euterhälfte gewonnenen 14 Portioner zeigten folgenden Fettgehalt: 1. Portion 1-5 Procent Fett, 8. Portion 2-3 Procent Fett, 2. 2) 15 ,„ „ 9. „ 2.4 „ 2) Ba nun 1-6 5 ;e 10. “ 2.00 & 4. „ IE „ ”„ 11. ” 2.9 ” „ >. ” 1-75 ” ” 12. ” 3.7 ” » 6. ” 1-9 ” „ 13. „ 3-15 2) „ T. ”„ 2-1 ” „ 14. 2) 3.0 ” ” Bei demselben Thiere und in derselben Melkperiode betrug der mitt- lere Fettgehalt der Milch aus der anderen Euterhälfte 3-0 Procent. Zur Erzielung einer fettreichen Milch muss also das Euter gut ausgemolken werden. Die Laktationsperiode hat auch einen gewissen Einfluss auf den Fettgehalt der Milch; altmelkende Eselstuten lieferten eine etwas fettreichere Milch als frischmelkende. Bei gleicher Emährung stieg z. B. der Fettgehalt der Milch einer Eselstute, die in den ersten 4 Monaten nach dem Gebähren eine Milch von 1:27 Procent Fettgehalt geliefert hatte, in der späteren Zeit auf einen mittleren Fettgehalt von 1-48 Procent. Auch die Trächtig- 318 ELLENBERGER: keit hat nur einen unbedeutenden Einfluss auf den mittleren Fettgehalt, wenn man von den letzten Wochen vor und von den ersten Wochen nach dem Gebären absieht. Hierüber siehe meinen früheren, oben eitirten Artikel. Einen sehr grossen Einfluss üben auf den Fettgehalt etwa auftretende Krankheiten der Milchthiere aus. Ein katarrhalisch erkranktes Thier, welches vorher und nachher eine Milch von 0-4 bis 0-8 Procent Fettgehalt lieferte, producirte während der Krankheit eine Milch von 8 bis 13 Procent Fettgehalt. Einen gewissen Einfluss auf den Fettgehalt haben auch die zwischen den Melkperioden liegenden Pausen und der Umstand, ob das Fohlen, welches während einer Zeit des Tages an der Stute saugt, das Euter stark oder wenig aussaugt. Dieser letztere Umstand dürfte zum Theil auch die grossen Schwankungen des Fettgehaltes der Milch erklären. Das Fett der Eselinmilch ist von dem der Frauenmilch und der Kuhmilch physikalisch verschieden, es hat ein verschiedenes specifisches Gewicht, einen anderen Erstarrungs- bezw. Schmelzpunkt u. s. w. Ein anderer Bestandtheil der Eselinmilch ist das Lecithin, ein Derivat des Fettes. Die über dessen Vorkommen angestellten Untersuchungen haben ergeben, dass dasselbe zu 0.024 Procent in der Eselinmilch vorhanden ist. Der Lecithingehalt der Eselinmilch ist also ein relativ geringer, er beträgt in der Kuhmilch ca. 0-05 und in der Frauenmilch 0-06 Procent. Der Gehalt der Eselinmilch an Milchzucker beträgt 4-8 bis 6°6 Pro- cent. Als Mittelwerth kann 6 Procent angegeben werden. Er gleicht dem der Frauenmilch, der mit 6°6 Procent notirt wird, während die Kuhmilch im Mittel nur 4-5 Procent Milchzucker enthält. Die Salzmenge der Eselinmilch beträgt 0-3 bis 0-5, im Mittel 0-4 Procent.e. Die Eselinmilch steht also auch in dieser Beziehung der Frauenmilch (mit 0-25 Procent) bedeutend näher als der Kuhmilch (mit 0-75 Procent). Zu den Analysen auf den Salzgehalt der Eselinmilch und die Zusammensetzung der Milchasche diente die Milch von Eselinnen, die in gewohnter Weise trocken gefüttert wurden mit Hafer, Heu, Möhren, Weizenkleie, Schwarzmehl und Häcksel. Die Milchasche zeigte folgende Zusammensetzung: 4 K,0 3 Na,0 0710) MsO Fe,0, 120), cl SO, Do Eee in LDoowomo cc & AeOotm m DIE ZUSAMMENSETZUNG UND DIE EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH. 319 Das auffallendste Ergebniss der Analysen war das Vorkommen von Schwefel in der Eselinmilch und zwar als Sulfatschwefelsäure. Dass da- neben auch im Eiweissmolecül S enthalten ist, braucht nicht erwähnt zu werden. Man hat früher angenommen, dass das Vorkommen von schwefel- sauren Salzen in der Asche der Kuhmilch ein Beweis von Verfälschung derselben durch gypshaltiges Wasser sei. Unsere mit Kuhmilch ange- stellten Untersuchungen haben aber ergeben, dass diese Annahme eine irrige ist und dass auch in der Kuhmilch normaliter Sulfate vorkommen. Ihre Menge schwankte in der von uns untersuchten Milch zwischen 0:08 und 0-12 Procent und betrug im Mittel 0-11 Procent. Die Asche der Frauenmilch zeigte nach Söldner und Bunge fol- gende Zusammensetzung: 0-69 bis 0-70 K,O, 0-257 bis 0-27 Na,0, 0-34 bis 0:35 Ca0, 0.055 bis 0-065 MgO, 0-004 bis 0.006 Fe,O,, 0295 bis 0.468 P,O,, 0.445 bis 0-45 Cl. Ueber die Besonderheiten des Colostrums und der in den letzten Wochen vor und in den ersten Wochen nach dem Gebähren von den Esel- stuten producirten Milch habe ich in meinem früheren Artikel bereits auf S. 44 bis S. 47 berichtet. Die Colostralmilch vor der Geburt ist durch ein hohes specifisches Gewicht, einen hohen Eiweiss- und Salzgehalt aus- gezeichnet. Die Colostralmilch nach dem Gebären zeichnet sich durch leichte Gerinnbarkeit, ein hohes specifisches Gewicht, einen grossen Gehalt an Eiweiss und Salzen, das Vorhandensein von Colostralkörperchen, ein besonderes Aussehen und vor Allem dadurch aus, dass der Gehalt an Casein im Verhältniss zum wasserlöslichen Eiweiss gestiegen ist; das Eselin- colostrum verhält sich in letzterer Richtung also umgekehrt wie das Co- lostrum anderer Thiere, welches ärmer an Casein als die gewöhnliche Milch, dagegen erheblich reicher an Albumin ist. Auch der geringe Einfluss der Trächtigkeit auf die Zusammen- setzung der Eselinmilch ist in meinem früheren Artikel bereits besprochen worden. In der zweiten Hälfte der Trächtigkeit sinkt der mittlere Casein-, Albumin- und Globulingehalt etwas, während der Fettgehalt steigt. Erst in den letzten Wochen vor dem Eintritte des Geburtsactes treten bedeutende, in meinem Artikel geschilderte Veränderungen in der Zusammensetzung der Milch auf. Auch die Lactationsperiode hat, wenn man von den ersten vier Wochen nach dem Gebären absieht, nur einen sehr geringen Einfluss auf die Zusammensetzung der Milch. Bis zum 6. Monate nimmt der Eiweiss- und Fettgehalt der Milch etwas ab; von da ab steigt der Fettgehalt, während der Eiweissgehalt, der vorübergehend im 7. und 8. Monate etwas anstieg, dauernd, wenn auch wenig weiter abnimmt. Während er im 2. Monate nach dem Gebären etwa 1-6 Procent und dann 1-4 bis 1-2 Procent 320 ELLENBERGER: beträgt, ist er im 9. Monate auf 1-0, selbst 0:7 Procent gesunken. Wer sich über die vorbesprochenen Fragen, über die angewandten Untersuchungs- methoden u. s. w. näher orientiren will, sei auf unseren, diesen Gegenstand behandelnden Artikel verwiesen. Dort findet sich auch eine Mittheilung über die Milch anderer Thiere. ! Was den Keimgehalt der Eselinmilch betrifft, so ist die von der Eselinmilch-Genossenschaft Hellerhof in Dresden gelieferte Milch relativ keimarm, sie enthält im Mittel 8714 Keime pro Cubikcentimeter. Die zum Vergleiche untersuchte, aus einer bekannten Milchkuranstalt stammende Kuhmilch war bedeutend reicher an Keimen als die Eselinmilch; sie ent- hielt im Mittel 87017 Keime im Cubikcentimeter. Die relative Menge der Keime der Eselinmilch verhält sich zu der der Kuhmilch etwa wie 1:20 bis 30 und die absolute Keimmenge wie 1:10.. Gewinnt man die Eselinmilch unter aseptischen Kautelen, dann ist sie keimfrei. Bei den auf meine Veranlassung von Klimmer angestellten Untersuchungen ergab es sich, dass die ersten Striche eines Gemelkes einer Eselin gegenüber jenen von Kühen ausserordentlich keimarm waren. Im Uebrigen zeigte es sich, dass einfaches trocknes Abreiben des Euters der Eselstuten nicht genügte, um eine keimfreie Milch zu erzielen. Dies gelingt nur bei entsprechendem Abwaschen und Desinfieiren des Euters. Eselinmilch, die längere Zeit aufbewahrt wird, zeigt eine enorme Zunahme der Milch- bakterien; ein Gleiches beobachtet man auch in der Kuhmilch; beide Milch- arten besitzen also keine baktericide Eigenschaften bezüglich der harmlosen Saprophyten. Bei dem längeren Stehen verfällt die Eselinmilch einer eigenthümlichen, mit Gasbildung verbundenen Zersetzung. Die Gasbildung ist unter Umständen so mächtig, dass der Verschluss der etwa geschlossenen, Milch haltenden Flaschen gesprengt wird. Die Gasmenge stieg z. B. in einem Falle von 0.2° m Gas (bei 200 = Milch bei 20 bis 22°C.) am 1. Tage auf 73.5 m am 6. Tage. Da früher die Behauptung aufgestellt worden war, dass die Eselinmilch bezw. das Eselinmilchserum baktericide Eigenschaften gegenüber gewissen pathogenen Mikroorganismen, besonders gegenüber den Tuberkelbaeillen entfalte, so veranlasste ich meinen Assistenten Klimmer auch in dieser Richtung Versuche anzustellen. In erster Linie wünschte ich festzustellen, wie sich das Eselinmilchserum zu den Tuberkel- bacillen verhalte, ob es einen guten oder schlechten oder untauglichen Nährboden für dieselben darstelle u.s. w. Leider misslangen die mit Tuberkelbacillen angestellten Culturversuche. Dagegen kamen die mit Darm- ! Ellenberger, Seeliger u. Klimmer, Ueber die Milch der Pferdestute, der Ziege, eines Ziegenbocks und der Hündin. Archiv für wissenschaftliche und praktische Thierheilkunde. Bd. XXVII. S. 297. DIE ZUSAMMENSETZUNG UND DIE EIGENSCHAFTEN DER ESELINMILCH, 321 bakterien und mit Typhusbaeillen angestellten Versuche zu einem Abschlusse. Das Ergebniss dieser Versuche war, dass die Eselin-, Kuh- und Frauenmilch einen vorzüglichen Nährboden für die Darmbakterien (Bacterium coli com- mune) und für Typhusbacillen darstellt. Diese Bakterien vermehrten sich üppig in allen drei Milcharten. Eine Bakterien abtödtende Wirkung ent- falteten also die Kuh- und Eselinmilch nicht, wenigstens nicht in Bezug auf die genannten Arten der Mikroorganismen. Näheres über das Ver- halten der Eselinmilch zu Mikroorganismen und ihren Keimgehalt findet man in der Zeitschrift für Thiermediein. ! Da die von mir veranlassten Untersuchungen ergeben haben, dass die Eselinmilch das Wachsthum und die Vermehrung der Darmbakterien nicht hindert, so kann auch die Anschauung, dass ein Theil der zweifellos vor- handenen günstigen Wirkung der Eselinmilch bei Kindern, die an Darm- katarıh leiden, auf diese Eigenschaft bezw. darauf zu schieben sei, dass sie den schädlichen Wirkungen der Enteromikroben vorbeuge, nicht mehr auf- recht erhalten werden. Wenn aber die Eselinmilch auch keine baktericiden Eigenschaften hat, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass bei ihrer Verabreichung an Kinder die Fäulniss- und Gährungsprocesse im Darm verhältnissmässig gering und jedenfalls geringere sein werden, als bei. der Verabreichung von Kuhmilch. Wenn man ganz davon absieht, dass mit ihr weniger Milchbakterien in den kindlichen Organismus eintreten als mit der Kuhmilch, so ist doch zu bedenken, dass die Eselinmilch wegen ihres grösseren Gehaltes an resorbirbarem und löslichem Eiweiss und wegen ihres geringeren Gehaltes an Fett und Casein leichter verdaulich und leichter resorbirbar ist, als die Kuhmilch; sie wird mithin auch der Ein- wirkung der im Darm vorhandenen Mikroorganismen, insbesondere der Gährungs- und Fäulnisserreger schneller entzogen als diese. Sie unter- hält also diese Processe in geringerem Grade, so dass demnach weniger schädliche Gährungs- und Fäulnisserreger entstehen als beim Genusse von Kuhmilch und anderen Nahrungsmitteln. Sonach ist es leicht erklärlich, dass sie Individuen mit geschwächter Verdauung, mit Magen- und Darm- katarrhen besser bekommt als diese. Die leichtere Verdaulichkeit und bessere Bekömmlichkeit der Eselinmilch beruht auch noch auf anderen Eigenschaften derselben, als den erwähnten. Es kommt da vor Allem in Betracht, dass die Eselinmilch beim Laben nur zarte, feine Flöckchen bildet, dass ihr Casein sich leicht in Säuren löst und dass bei ihrer Verdauung kein unlösliches Pseudonuclein zurückbleibt. Es kann als zweifellos festgestellt gelten, dass die Eselinmilch als ein wichtiges diätetisches Heilmittel bei Magendarmkrankheiten der Säuglinge und bei einigen anderen Krankheiten 1 Zeitschrift für Thiermedicin. Bd. VI. S. 189 ff. Archiv f, A, u. Ph, 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 21 322 ELLENBERGER: DIE ZUSAMMENSETZUNG UT. S. w. zu betrachten ist. Es ist hier aber nicht der Ort, um auf diesen Gegen- stand, mit dem sich die Therapeuten und insbesondere die Kinderärzte zu beschäftigen haben, näher einzugehen.” Für uns kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Eselinmilch ein leicht verdauliches und zur schnellen Aufsaugung geeignetes Nahrungsmittel ist, und dass dieselbe eine geringe Verdauungsarbeit erfordert; sie wird somit auch von solchen Individuen gut vertragen werden, deren Verdauungsorgane wenig leistungsfähig sind. ! 1. R. Klemm, Ueber Eselinmilch und Säuglingsernährung. Jahrbuch f. Kinder- heilkunde. N.F. Bd. XLIII. S. 369. 2. Derselbe, Ueber Eselinmilch. Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden. 1901. 3.u.4. Derselbe, 1. und 2. Rechenschaftsbericht über die Wirksamkeit des Hellerhofs in Dresden. Dresden-Trachenberge 1898 und 1901. 5. Derselbe, Ueber Eselinmiich. Münchener medieinische Wochenschrift. 1901. 5. November. 6. Ellenberger, Seeliger u. Klimmer, Ueber die diätetische und therapeu- tische Verwendung der Eselinmilch beim Menschen. Archiv für wissenschaftliche und praktische Thierheilkunde. Bd. XXVIlI. Heft 3. S. 295. Ueber einen Fall von willkürlichem laryngealen Pfeifen beim Menschen. Von Dr. med. P. Schultz, Privatdocent und Assistent am physiologischen Institut zu Berlin. Im Folgenden soll über einen Fall von willkürlichem exspiratorischen laryngealen Pfeifen berichtet werden, den ich an Hrn. Lüders eingehend zu beobachten Gelegenheit hatte. In der Litteratur liess sich nur eine einzige Angabe finden, welche hiermit in Beziehung steht. In einer Sitzung der Londoner laryngologischen Gesellschaft berichtete, wie das Protokoll lautet, „Sir Felix Semon über einen Fall von laryngealem Pfeifen (?). ? Es handelt sich dabei um einen Knaben von 13 Jahren, der von seiner Kindheit an ein eigenthümliches Pfeifen bei weit offenem Munde und Rachen hervorbringen kann. Dieses Geräusch konnte auch während einer gleichzeitigen laryngoskopischen Untersuchung produeirt werden. Dabei sah man dann die Epiglottis weit herabtreten und den grössten Theil der Glottis verdecken; immerhin kann man wahrnehmen, dass die Innenfläche der Arytaenoidknorpel während der Production des Geräusches 1!/, bis 2 = weit offen bleiben. Irgend eine Anomalie von Seiten der Brust konnte nicht bemerkt werden, es scheint also, dass der Ton im Kehlkopf entsteht. Der Vorsitzende ist auch der Ansicht, dass der Ton im Larynx ge- bildet wird. Furniss Potter ist für eine Untersuchung bei tiefstem Stand der Epiglottis. Kann der Ton auch producirt werden, wenn die Epiglottis mit der Sonde angehoben wird? 1 Vgl. hierzu: K. Lüders, Ueber einen Fall von laryngealem Pfeifen. Inaug.- Diss. Berlin 1902. ? Internationales Centralblatt für Laryngologie. 1901. Heft 9. Das Frage- zeichen steht im Text. 21* 324 P. ScHuutz: Spencer: Der Ton wird auch unter den vom Vorredner betonten Um- ständen producirt. Wagget fragt, ob Sir Felix Semon auch die Bifurcation zu Gesicht bekommen hat. Ist es nicht möglich, dass diese vogelartigen Töne etwa durch eine Einrichtung hervorgebracht werden, wie sie beim Singvogel besteht. Bond berichtet von einem Manne, der eine aussergewöhnliche Macht über alle seine Halsmuskeln hatte, und der mit dem Kehlkopf pfeifen konnte; dabei wurden die Töne durch Annäherung der aryepiglottischen Falten produeirt ohne Betheiligung der Epiglottis. Sir Felix Semon ist nicht der Ansicht, dass die Epiglottis oder die aryepiglottischen Falten irgendwie an der Production des Tones theilnehmen. Nach seiner Vorstellung ist eine ungewöhnliche Beherrschung der Crico- arytaenoid-Muskeln, die eine abnorm hohe Spannung der Stimmbänder hervorrufen, in Verbindung mit einer forcirten Exspiration die Ursache der Tonproduetion. Er vermochte nicht sehr tief in die Trachea hineinzusehen und muss somit Wagget’s Frage unbeantwortet lassen.“ Diese beiden Fälle haben indessen mit dem unten zu beschreibenden nur sehr wenig gemein. Denn bei dem Knaben wird der producirte Ton als „ein eigenthümliches Pfeifen“ beschrieben; es ist also gar nicht sicher, ob es sich hier um reine musikalische Pfeiftöne handelt; und ferner ob mehrere Töne hervorgebracht werden konnten, da nur von der Production des Tones die Rede ist. Sodann fehlt jede genauere Angabe über den laryngoskopischen Befund, den anzustellen offenbar durch das Herabtreten der Epiglottis äusserst erschwert wurde Wenn dann freilich die Angabe folgt, dass der Ton auch bei Aufrichtung der Epiglottis mit der Sonde hervorgebracht werden konnte, so muss man fragen, warum nicht mit Hülfe dieses Eingriffes das Pfeifen laryngoskopirt worden ist. Der zweite von Bond berichtete Fall ist nun vollends von dem unsrigen verschieden, da hier die ausdrückliche Angabe gemacht wird, dass das Pfeifen durch Annäherung der aryepiglottischen Falten zu Stande kam. Indem ich zu dem vorliegenden Fall übergehe, seien zunächst einige anamnestische Angaben vorausgeschickt. Hr. Lüders, der soeben sein medicinisches Staatsexamen beendigt hat, ist zur Zeit 25!/, Jahre alt, von mittlerer Grösse und normalem Körperbau. Abgesehen davon, dass er öfters an Rachenkatarrh leidet, sind seine Respirationsorgane gesund, ins- besondere hat er niemals eine ernstere Kehlkopfkrankheit durchgemacht. Der Kehlkopf functionirt durchaus normal. Die Stimme ist eine mittel- kräftige Bassstimme, die sich durch eine besondere Breite des Falsett- registers auszeichnet. Die Bruststimme reicht von C bis dis,, die Falsett- WIELLKÜRLICHES LARYNGEALES PFEIFEN BEIM MENSCHEN. 325 stimme bis e,, inspiratorisch noch etwas höher bis etwa A,.! Danach würde also die Stimme den ganz aussergewöhnlichen Umfang von vier Octaven haben, doch giebt Hr. Lüders selbst zu, dass die höchsten Töne nicht mehr gut musikalisch verwerthbar sind. Nun besitzt Hr. Lüders noch seit seinem 15. Lebensjahre die Fähigkeit, auf seinem Kehlkopf Pfeif- töne hervorzubringen. Wie er dazu gekommen, vermag er nicht anzugeben. In seiner Familie ist etwas Aehnliches noch nie beobachtet worden. Auf- gefallen ist ihm schon frühzeitig, dass bei anderen Menschen das Hauchen und Flüstern einen sehr scharfen Charakter annimmt; diesen nachzuahmen und weiter auszubilden hat ihn möglicher Weise zum Pfeifen geführt. Die Pfeiftöne werden exspiratorisch hervorgebracht und zwar nicht bloss bei geöffnetem Munde, sondern auch, wie die Stimmtöne, bei geschlossenem. Hr. Lüders empfindet dabei ein Gefühl von Spannung im Kehlkopf, das er von demjenigen, welches er beim Singen wahrnimmt, nicht zu unter- scheiden vermag, auch nicht der Intensität nach. Doch giebt. er, aus- drücklich darauf aufmerksam gemacht, an, dass er beim Pfeifen gleichsam einen anderen Einsatz nehmen muss als beim Sprechen und Singen. Näher kommt der vorzunehmende Einsatz dem der Flüstersprache, wenn er ihm auch nicht völlig gleicht. Die Pfeiftöne haben einen weichen blasenden Charakter, und gleichen den mit Hülfe der Ober- und Unterlippe hervorgebrachten Tönen, nur sind sie viel leiser als diese. Immerhin konnte ich noch die bei geschlossenem Munde hervorgebrachten Pfeiftöne im ruhigen Raume auf eine Entfernung von 13% wahrnehmen. Der Umfang der Pfeiftöne beträgt fast zwei Octaven, indem er sich von g, bis f, erstreckt. Innerhalb dieses Bereiches vermag Hr. Lüders in reinen regelmässigen Intervallen die Tonleiter auf- und absteigend zu pfeifen. Doch können die höchsten Töne c, bis f, nur bei geschlossenem Munde hervorgebracht werden, allenfalls noch bei wenig offenem Munde, wenn eine dem Vocal @ entsprechende Mundstellung ge- wählt wird. Den Pfeiftöonen ist ein hauchendes oder blasendes Geräusch beigemischt, das bei leisem Pfeifen und bei Pfeifen mit geschlossenem Munde nur sehr wenig bemerkbar ist, dagegen bei grösserer Intensität der Pfeiftöne stärker hervortritt und bei den höchsten Tönen bei weit offenem Munde diese fast verdeckt. Das Ansatzrohr hat auf die Tonhöhe keinen Einfluss. Wenn Hr. Lüders einen bestimmten Ton bei offenem Munde pfeift und plötzlich den Mund schliesst, ändert sich die Tonhöhe nicht wahrnehmbar. ! Diese Bestimmung, ebenso wie die unten mitgetheilte über den Umfang der Pfeiftöone hat auf meine Bitte hin Hr. Dr. Abraham im hiesigen psychologischen Seminar ausgeführt. 326 P. ScHuuntz: Bei der objectiven Untersuchung wurde zunächst die für das Pfeifen nothwendige minimale Luftmenge in der Secunde bestimmt. Dies geschah, indem Hr. Lüders bei verschlossener Nase in das Mundstück eines sorgfältig äquilibrirten, leicht spielenden Spirometers unter möglichst ge- ringem Luftverbrauch hineinpfiff. Die erhaltene Luftmenge wurde durch die Zahl der Schläge eines auf Secunden gestellten Metronoms dividirt. Zwei Ver- suchsreihen wurden auf diese Weise angestellt; als Durchschnittswerth wurde bei der einen mit 8 Secunden langem Pfeifen ein Luftvolumen von 165 m, bei der zweiten Reihe mit 10 Secunden langem Pfeifen wurde ein Luft- volumen von 150°” pro Secunde erhalten. Eine Differenz bei hohen und tiefen Tönen konnte nicht constatirt werden. Rechnet man 100°“ pro Secunde bei ruhigem Athmen, so würde das 50 Procent mehr ausmachen. Die Vitalcapacität bei Hrn. Lüders betrug 4600 «m, Der erforderliche Druck wurde in der Weise gemessen, dass in das eine Nasenloch eine durch einen Schlauch mit einem Wassermanometer verbundene Glasbirne eingeführt wurde, während das andere Nasenloch ver- schlossen war. Hierbei wurde als minimaler Werth ein Druck von 8m erhalten, bei den lautesten Tönen als maximaler Druck 15 bis 20 "= Wasser. Sodann liess ich Hrn. Lüders nach tiefster Inspiration einen hohen Brustton möglichst lang aussingen, während dessen ich die Schläge eines auf Secunden eingestellten Metronoms zählte; darauf wurde derselbe Ton im Fistelregister unter den gleichen Bedingungen wiederholt und schliesslich ein tiefer Pfeifton ebenfalls nach tiefster Inspiration möglichst lange ausgehalten. Es ergaben sich als Werthe für die Bruststimme 36, 34, 38, 43 Secunden die Fistelstimme 24, 20, 23, 18 h: das Pfeifen 23, 26, 28, 27 Y Es wird also beim Pfeifen, ähnlich wie bei der Fistelstimme, im Gegen- satz zur Bruststimme eine grosse Luftmenge, aber diese unter sehr geringem Druck, verbraucht. Bei der äusseren Betrachtung des Halses während des Pfeifens sieht man ein Höhertreten des Kehlkopfes, das mit zunehmender Tonhöhe stärker wird, gerade wie beim Singen höherer Töne. Zugleich wird der Boden der Mundhöhle stärker hervorgewölbt. Dagegen fehlt beim Pfeifen — und darauf möchte ich ganz besonders die Aufmerksamkeit hinlenken — ein Erzittern des Kehlkopfes, wie es beim Singen, auch im Falsettregister, der tastende Finger deutlich wahrnimmt. Die laryngoskopische Beobachtung gelingt bei Hrn. Lüders ausser- ordentlich leicht. Man sieht bei ruhigem Athmen durch die geöffnete Stimmritze bis in die Bifurcation der Trachea, ohne dass Hr. Lüders auch WIELKÜRLICHES LARYNGEALES PFEIFEN BEIM MENSCHEN. 327 nur die Zunge besonders zu fixiren nöthig hat. Dieser Umstand ermög- lichte auch Hrn. Lüders, sich selbst zu laryngoskopiren, und er erlangte darin binnen Kurzem eine solche Uebung, dass er im Anschluss an die von mir vorgenommene Untersuchung, deren Ergebniss ich ihm nicht mit- getheilt hatte, selbständig ein durchaus zutreffendes Urtheil über das beim Pfeifen sich darbietende Bild des Kehlkopfinneren gewann. Ja, Hr. Lüders machte mich noch auf eine eigenthümliche, von ihm beobachtete Erscheinung aufmerksam, die zwar mit dem Pfeifen nichts zu thun hat, die ich aber doch hier erwähnen will. Wenn Hr. Lüders foreirt inspirirt, so dass etwa ein seufzender Ton entsteht, so sieht man häufig die linke, sehr selten und weniger ausgesprochen die rechte aryepiglottische Falte da, wo der hier sehr ‚stark nach oben und aussen prominirende Wrisberg’sche Knorpel liest, plötzlich auf die zu einem schmalen Spalt genäherten wahren Stimmbänder herunterklappen, ohne dass es jedoch zu einem vollständigen Verschluss käme. Der starke Luftstrom saugt hier die Schleimhautfalte gleichsam als Ventil an. Bei der Phonation bietet sich der normale laryngoskopische Befund dar, doch erscheint das linke Stimmband etwas schmäler als das rechte. Beim Pfeifen der tiefen Töne erhält man nun folgendes Bild. Hinten im Kehlkopf sieht man eine schmale rautenförmige Oefinung mit einer scharfen Spitze nach vorn, zwei sehr stumpfen seitlichen Spitzen und einer schmalen Basis nach hinten; die letztere wird gebildet durch die Basen der Aryknorpel, die dann nach vorn und aussen sich wenden und dadurch die beiden hinteren schrägen Seitenränder der Oeffnung bilden. An den beiden seitlichen Spitzen liegen die Processus vocales; von hier aus laufen die Ränder der wahren Stimmbänder zu dem sehr spitzen vorderen Winkel zusammen und bilden so die seitliche Begrenzung des vorderen Theiles der rautenförmigen Oeffnung. Die wahren Stimmbänder selbst erscheinen als zwei sehr schmale (das linke schmäler als das rechte) weisse Streifen mit scharfem freien Rand, die vorn geschlossen an einander liegen und nach hinten etwa von der Mitte an unter sehr spitzem Winkel bogenförmig nach aussen divergiren. Von ihrem Ansatz am Proc. vocalis beginnt dann als zarter, rother sehr schmaler Streifen mit, wie es scheint, ebenfalls scharfem freien Rand deutlich sich abhebend die Pars cartilaginea des Stimmbandes, die unter geringer Convergenz nach hinten läuft. Ueber und auf den falschen Stimmbändern liegen straff gespannt die Taschen- bänder, die stark nach vorn convergiren und im vordersten Theil sogar zur Berührung kommen können. Die Epielottis ist aufgerichtet, wenigstens bei den tiefsten Tönen g, bis A,, und gestattet einen bequemen Einblick in das Kehlkopfinnere, so dass über die Configuration desselben beim Hervorbringen der Pfeiftöne volle Sicherheit gewonnen werden kann. Die aryepiglottischen Falten bilden oben eine scharfe, straffe Begrenzung des 328 | P. ScHULTz: Kehlkopfeinganges. Geht man von ihnen aus nach unten, so scheinen die Seitenflächen erst ein wenig nach aussen ausgehöhlt, dann aber weiterhin nach unten, nach den Stimmbändern zu trichterförmig verengt zu sein. Steigt Hr. Lüders beim Pfeifen in der Tonscala aufwärts, so legt sich die Epiglottis nach hinten und erschwert den Einblick. Erst bei den höheren Tönen, etwa von a, bis c,, richtet sie sich wieder auf und gestattet eine unmittelbare freie Inspectiin. Dann hat sich auch das Bild etwas ver- ändert. Anstatt der rautenförmigen Oeffnung sieht man jetzt einen sehr schmalen knopflochförmigen bis spindelförmigen Spalt, der dadurch zu Stande gekommen ist, dass die Aryknorpel mit den Proc. vocales sich ge- nähert haben und in ihrem hintersten Abschnitt geschlossen an einander liegen. Die Oeffnung wird jetzt zu '/, von den Partes cartilagineae, zu ?/, von den Partes ligamentosae der Stimmbänder gebildet. Die Taschen- bänder scheinen noch straffier gespannt und noch dichter den wahren Stimmbändern aufgelagert. Die aryepiglottischen Falten haben sich etwas mehr genähert, der Eingang zum Kehlkopf ist enger geworden und der Höhendurchmesser (von den Stimmbändern zum Niveau der aryepiglottischen Falten) niedriger. Dieser Unterschied in der ganzen Configuration tritt deutlich hervor, wenn man unmittelbar hinter einander erst einen tiefen, dann einen hohen Ton pfeifen lässt. Bei diesem Uebergang tritt als wesent- liche Erscheinung hervor, dass der Kehlkopfinnenraum in allen seinen Theilen enger und kleiner wird: er erscheint in seinem Höhendurchmesser ‚niedriger, die Wände treten näher an einander, der Zugang wird durch Aneinanderrücken der aryepiglottischen Falten verkleinert. Dies ist das typische Bild bei den hohen Pfeiftönen. Interessant und lehrreich war auch der Anblick, den ich erhielt, wenn ich Hrn. Lüders einen hohen Ton in Bruststimme phoniren liess und ihn dann aufforderte, zum tiefen Pfeifen überzugehen. Dann sah ich, wie die Taschenbänder gleichsam hervorsprangen, die Stimmbänder vorn ganz und hinten bis auf einen schmalen Streifen verschwanden, die Aryknorpel aus einander rückten, und der obere Theil des Kehlkopfes nach unten zu sich trichterförmig verengte. Die nächste Aufgabe war, zu entscheiden, in welcher Weise die Stimm- bänder sich an der Hervorbringung der Pfeiftöne betheiligen. Dies geschah mit Hülfe der stroboskopischen Methode, die schon im Jahre 1878 von Oertel für die laryngoskopische Untersuchung empfohlen wurde. Zu diesem Zwecke wurde eine schwarze Eisenblechscheibe mit acht radiär gestellten schmalen Schlitzen zwischen Stirnreflector und Lichtquelle, als welche eine elektrische Bogenlichtlampe mit Sammellinse diente, eingeschaltet. Die Scheibe wurde durch einen elektrischen Motor mit regulirbarem Widerstand in beliebig schnelle Umdrehung versetzt. Bei der Phonation in der Brust-. WILLKÜRLICHES LARYNGEALES PFEIFEN BEIM MENSCHEN. 329 stimme sah man nun periodisch, sobald die Intermittenz der Belichtung und die Frequenz der Stimmbandbewegung in günstigstem Verhältniss zu einander standen !, in wundervoller Weise die Stimmbänder ihre Schwingungen ganz langsam ausführen, so dass man sie genau verfolgen konnte; ebenso konnte man deutlich die Bewegungen der Stimmbänder bei den Falsett- tönen ? unterscheiden. Beim Pfeifen dagegen konnte niemals bei den ver- schiedensten Umdrehungsgeschwindigkeiten der Scheibe irgend eine Andeu- tung einer Schwingung oder überhaupt Bewegung wahrgenommen werden. Soweit der objective Befund. Es fragt sich nun, wie wir uns auf Grund desselben die Entstehung dieser laryngealen Pfeiftöne zu denken haben. Am nächsten scheint die Analogie mit den Pfeiftönen der Vogel- stimme zu liegen. Diese werden in dem unteren, in der Nähe der Bifur- cation der Trachea gelegenen Kehlkopf, dem Syrinx, gebildet. Entgegen der Ansicht Joh. Müller’s, dass hier vielleicht auch Pfeiftöne gebildet werden, die mit Membrantönen nichts zu thun haben, hält Grützner in seinem klassischen Artikel über die Physiologie der Stimme und Sprache in ! Vgl. Mach, Optisch-akustische Versuche. Prag 1873. 8. 63 ft. 2 Da die Falsettstimme bei den verschiedenen Sängern wahrscheinlich nicht genau in derselben Weise hervorgebracht wird, so dürfte jede neue Beobachtung von Interesse sein, obwohl schon mehrere eingehende Befunde mit der laryngo-stroboskopischen Methode über den Mechanismus der Falsettstimme vorliegen. Ich will daher hier mit- theilen, wie sich bei Hrn. Lüders die Stimmbänder bei der Falsettstimme verhielten. Liess ich zuerst einen tiefen Brustton und dann einen tiefen Falsettton phoniren, so war ganz auffällig und charakteristisch für den letzteren, dass die Stimmbänder verschmälert waren und dünner erschienen, und dass überhaupt nur der ligamentöse Theil an der Bewegung Theil nahm. Das linke Stimmband war wieder schmäler, fast halb so schmal, als das rechte. Die Stimmbänder schwangen in ihrer ganzen Breite und gleich- mässig in ihrer ganzen Länge und synchron, die Luft strich durch die ganze Länge der sichtbaren Glottis ligamentosa. Die Schwingungen waren sehr viel weniger umfang- reich als beim Brustton. Dass das linke Stimmband in seiner ganzen Breite schwang, darüber war nicht der mindeste Zweifel, schwieriger war die Entscheidung bei dem rechten breiteren Stimmband. In einigen Fällen der Beobachtung lagen aber Schleim- klümpchen in wechselnder Entfernung vom freien Rande diesem Stimmband auf, und an diesen konnte man jedesmal Bewegung sehen. Daraus konnte der Schluss gezogen werden, dass auch das rechte Stimmband in seiner ganzen Breite, aber mit ab- nehmender Amplitude vom freien medialen Rand nach aussen zu Schwingungen machte. Indem nun Hr. Lüders mit den Falsetttönen in die Höhe stieg, fand fortschreitend eine Verschmälerung und Verkürzung der Stimmbänder statt, aber noch immer schwangen sie in ihrer ganzen Breite. Erst bei den höchsten Tönen, bei denen man in den sehr zusammengezogenen und verengten Kehlkopf hineinblickend die Stimm- bänder nur sehr schmal und kurz sah, schien das rechte Stimmband allein mit einem dünnen schmalen Randtheil zu schwingen, während das linke noch immer in ganzer Breite, aber mit dem freien Rand stärker, an der Bewegung Theil nahm. Diese Be- obachtungen stimmen am nächsten mit dem früher von Koschlakoff gemachten Befund überein (Pflüger’s Archiv. 1886. Bd. XXXVIN). 330 P. Scauuutz: Hermann’s Handbuch der Physiologie daran fest, dass die Stimme der Vögel überhaupt, also auch die Pfeiftöne derart hervorgebracht werden, dass der Kehlkopf hierbei als membranöse Zungenpfeife, nicht als Flöten- pfeife wirke. Dies kann aber für die Pfeiftöne in unserem Falle nicht zu- treffen. Dass hier die Schwingungen der Stimmbänder das Primäre sind, dagegen spricht entschieden, dass erstlich im Gegensatz selbst zu den höchsten Falsetttönen beim Pfeifen keine Vibrationen am Kehlkopf zu fühlen sind, zweitens der überaus geringe Luftdruck, der zu ihrer Pro- duction hinreicht, drittens der stroboskopische Befund. Diese drei. That- sachen lassen meines Erachtens darüber keinen Zweifel, dass die Pfeiftöne, ähnlich wie bei den Flöten und eigentlichen Pfeifen, durch primäre Luft- erschütterungen hervorgebracht werden, dass wir also hier den einzigartigen Fall haben, dass der menschliche Kehlkopf nicht bloss als membranöse Zungenpfeife functionirt, sondern dass er auch, wie eine Lippenpfeife, Töne durch Brechen der Luft an einer scharfen Kante hervorbringt. Wie dies im Besonderen geschieht, ist nicht leicht anzugeben. Man könnte daran denken, dass diese laryngealen Pfeiftöne mit denjenigen identisch sind, welche entstehen, wenn man gegen eine schmale Kante oder ein steifes Blatt Papier bläst. Sondhauss! hat diese Töne des Näheren untersucht und dabei gefunden, dass wenn Luft aus Röhren mit enger Oeffnung ausfliesst, schöne und kräftige Pfeiftöne entstehen. „Um diese Töne sicher zu erhalten, ist keineswegs ein complicirter Apparat er- forderlich. Man nimmt eine Röhre aus beliebiger Substanz, z. B. Glas, Holz, Pappe, Metall, befestiet an dem einen Ende derselben eine 2 bis 3 mm dicke Platte, durch welche man eine cylindrische Ausflussöffnung so gebohrt hat, dass auf beiden Seiten scharfe Ränder entstehen, und bläst mit dem Munde durch das Rohr. Die auf diese Weise erhaltene Pfeife ist die ein- fachste, welche denkbar ist, und spricht an, sowohl wenn man die Luft durch sie hindurchtreibt, als auch wenn man die Luft einsaugt.“ Die Aus- flussöffnung braucht nicht cylindrisch zu sein, sondern kann auch andere Gestalt haben. Ist die Platte diek, so kann die Ausflussöffnung conische Gestalt haben, die sich nach aussen erweitern muss, wenn man den Ton beim Durchblasen erhalten will. Dies trifft nun in unserem Falle zu. Wir haben hier ein Rohr mit starr-elastischer Wand, die Trachea, an deren Ende eine conische, nach aussen sich erweiternde Ausflussöffnung mit unteren scharfen Rändern, den Stimmbändern, sich befindet, und nur beim Durchblasen, Exspiriren, werden die Pfeiftöne erhalten. Des Weiteren tritt aber sofort eine ernste Schwierigkeit auf. „Bei der Er- ! Sondhauss, Ueber die beim Ausströmen der Luft entstehenden Töne. Poggen- dorff’s Annalen der Physik und Chemie. 1854. Bd. XCI. WILLKÜRLICHES LARYNGEALES PFEIFEN BEIM MENSCHEN. 331 zeugung dieser Töne,“ sagt Sondhauss weiter, „schwingt die unterhalb der Ausflussöffnung befindliche Luftsäule offenbar mit und zwar ebenso wie bei einer offenen Labialpfeife, denn die Höhe des Tones hängt von den Dimensionen der Röhre ebenso ab, wie bei einer Labialpfeife. Die folgenden Bemerkungen lassen darüber keinen Zweifel: 1. der Ton des Apparates ist derselbe, welchen man erhält, wenn man die Röhre wie einen Schlüssel anbläst; 2. wenn man die untere Oeffnung der Röhre verengt, so wird der Ton tiefer; 3. dasselbe Rohr giebt bei einer kleineren Ausflussöffnung einen etwas tieferen Ton; 4. durch verstärktes Blasen erhält man dieselben Flageoletttöne, wie bei einer Labialpfeife.“ In unserem Falle ist nun, im Gegensatz zu 3, ein sicherer Befund, dass bei den höheren Tönen die Aus- flussöffnung enger ist als bei den tiefen, ja dass mit der aufsteigenden Ton- höhenänderung eine fortschreitende Verengerung der Oefinung zwischen den Stimmbändern einhergeht. Ferner erhält man auch in unserem Falle nicht bloss die Flageoletttöne zum Grundton, sondern es wird die Tonleiter in regelmässigen und reinen Intervallen auf- und abwärts gepfiffen. Dieser letztere Umstand weist auf eine andere Art von Tönen hin, denen diese laryngealen Töne im Klange ausserordentlich gleichen, und die ebenfalls durch 2 bis 3 Octaven der Tonscala (c, bis c,) in regelmässigen Intervallen sicher geführt werden können, die Mundpfeiftöne. Diese ent- stehen wie die Töne des Jägerpfeifchens, das einen kurzen kleinen Hohl- cylinder darstellt, dessen Basen in der Mitte je ein kleines Loch haben. Die darin enthaltene Luft wird durch das Anblasen in stehende Schwingungen versetzt. Grösse und Gestalt des Cylinders, ebenso der Oeffnungen und schliesslich Stärke des Anblasens bestimmen die Tonhöhe. Analog wird in der Mundhöhle ein Hohlraum gebildet mit zwei diametral gegenüberstehenen Oeffnungen, deren erste zwischen Zungenrücken und hartem Gaumen, deren zweite zwischen den Lippen liegt. Die Tonhöhe, die wir bekanntlich hierbei mit Leichtigkeit und Sicherheit beherrschen, wird aber in diesem Fall allein dadurch verändert, dass der Hohlraum sowohl im sagittalen, wie im verti- calen Durchmesser verkleinert wird. Die Lippenöffnung wird dafür ebenso wenig wie die Stärke des Luftstromes in Anspruch genommen. Bei den laryngealen Pfeiftöonen des Hrn. Lüders bildet nun das Kehlkopfinnere über den Stimmbändern bis zum Rande der aryepiglottischen Falten den Hohlraum, der allerdings nur sehr wenig ausgehöhlt ist; zwischen den Stimmbändern liegt die eine, zwischen den aryepiglottischen Falten die andere, die gegenübersiehende Oeffnung. Dass diese beträchtlich weiter ist als die Stimmbandöffnung, verhindert nicht die Hervorbringung der Pfeiftöonee An einem Modell liess sich das anschaulich machen. Am Ende eines Glasrohrs von 12"m Jichtem Durchmesser wurden zwei Holz- plättchen auf und an einander gekittet, die eine 1!/, "” breite und 5 mm 332 P. SCHULTZ: WILLKÜRL. LARYNGEALES PFEIFEN BEIM MENSCHEN. lange scharfrandige Oeffnung in der Mitte der Glasröhre frei liessen. Die Holzplättechen waren 4" dick, ihre Oeffnung erweiterte sich conisch nach aussen. Auf sie wurden zwei Holzplättchen von 2" Dicke aufgekittet, deren innere Ränder nach unten und aussen abgeschrägt waren. Die oberen scharfen Kanten begrenzten eine dreieckige Oeffnung, deren Basis 5m und deren Länge 10" betrug. Blies man in die Glasröhre unter möglichst geringem Druck hinein, so erhielt man einen zarten Pfeifton, der dem Klange nach eine grosse Aehnlichkeit mit den von Hrn. Lüders producirten Pfeiftönen hat. Der kleine Hohlraum, der von den inneren Rändern der beiden Platten gebildet wird dadurch, dass der untere Rand nach oben und aussen, der obere nach unten und aussen abgeschrägt ist, dieser Hohlraum ist es, dessen Luft durch das Anblasen in stehende Schwingungen versetzt wird und dadurch die Pfeiftöne hervorbringt. Dass nicht etwa das Glasrohr als Pfeife wirkt, davon kann man sich leicht über- zeugen, indem Verlängerung oder Verkürzung desselben ohne Einfluss auf die Tonhöhe ist. Bei den laryngealen Pfeiftönen wird nun aber im Gegen- satz zu den Mundpfeiftönen die Tonhöhe vorzüglich durch Veränderung der Grösse der unteren Oeffnung bestimmt, in zweiter Linie erst bei den höheren Tönen auch durch Verkleinerung des Hohlraumes und der oberen Oeffnung. Ohne Einfluss ist die Stärke des Anblasens. Hiermit scheint mir eine ausreichende Erklärung über die Entstehung dieser laryngealen Pfeiftöne gewonnen zu sein. Ueber experimentelle Erzeugung zweckmässiger Aenderungen der Färbung pflanzlicher Chromophylle durch farbiges Licht. Bericht über Versuche von Dr. N. Gaidukow. Von Th. W. Engelmann. Zu den zahlreichen Fällen, in welchen farbiges Licht Aenderungen körperlicher Farben hervorruft, soll hier ein neuer hinzugefügt werden, der besonders in physiologischer und biologischer Hinsicht hervorragendes Inter- esse beanspruchen darf. Es handelt sich um künstliche Erzeugung zweck- mässiger Aenderungen der Färbung lebender chromophylihaltiger Pflanzen- zellen durch längere Einwirkung farbigen Lichtes. Als Chromophylle habe ich früher! alle diejenigen an lebende Substanz gebundenen Farbstoffe bezeichnet, welche, wie das Blattgrün im Lichte Kohlensäure unter Sauerstoffabscheidung zu zerlegen, Kohlenstoff zu assimi- liren vermögen. Durch combinirte Anwendung der Bakterienmethode und mikrospektrometrischer Verfahren konnte für grüne, gelbe, rothe, blaugrüne Zellen der Nachweis geliefert werden, dass Lichtstrahlen verschiedener Wellenlänge in jedem Falle ceteris paribus um so stärker assimilirend wirken, je stärker sie von dem betreffenden Farbstoff absorbirt werden. Im Allgemeinen ist deshalb das zur eigenen Farbe complementäre farbige Licht das hauptsächlich assimilatorisch wirksame und insofern das vortheilhafteste. Es folgte hieraus zunächst die Unrichtigkeit der bis dahin herrschenden Meinung, dass nur das Chlorophyll assimilatorische Function besitze, nicht- grüne Zellen aber, wie die der Cyanophyceen, Rhodophyceen, Diatoma- ceen u. a., ihr Assimilationsvermögen bloss dem ihrem specifischen Farbstoff beigemischten Chlorophyll zu verdanken haben sollten. Vielmehr musste von nun an das Blattgrün nur als ein besonderer, allerdings der am meisten ı Farbe und Assimilation. Botanische Zeitung. 1883. Nr.1 u. 2. 334 | TH. W. ENGELMANR: verbreitete, Repräsentant einer durch gleiche physiologische Function aus- gezeichneten Gruppe von Farbstoffen gelten, welche deshalb passend unter dem Namen Chromophyli vereinigt werden konnten. Denselben konnte später auch das (hauptsächlich Ultraroth von 4 0-80 bis 0-90 u absorbirende) Bacteriopurpurin eingereiht werden.! Unter den wichtigen biologischen Folgerungen, welche sich aus diesen Ergebnissen weiter ableiten liessen, wies ich zunächst? auf die Bedeutung hin, welche die verschiedene Färbung des Chromophylis für die Tiefen- vertheilung der Pflanzen im Meere und in: tiefen Seen besitzen müsse. Wie bekannt, herrschen ir grösseren Tiefen, wie überhaupt an solchen Orten, zu denen das Licht nur durch eine sehr lange Schicht Seewasser gelangen kann („blaue“ und „grüne‘“ Grotten) rothe Formen vor, während die blau- grünen und grünen schon in mässiger Tiefe völlig zu verschwinden pflegen. Im blaugrünen Genfersee finden sich schon in Tiefen von 15 bis 20” grüne Formen überhaupt nicht mehr, wohl aber noch rothe und gelbe (Diatomaceen) und letztere sind — neben farblosen Formen — in den grössten Tiefen vorherrschend.. Man war meist geneigt, hierfür blosse In- tensitätsunterschiede des Lichtes verantwortlich zu machen. Wie aber schon der blosse Anblick ungleich tiefer Meeresstellen und genauer die spektro- skopische Analyse des durch verschieden dicke Wasserschichten hindurch- gegangenen Lichtes ergiebt, ändert sich mit der Dicke der Wasserschicht nicht nur die Intensität, sondern auch die Farbe des Lichtes. Die rothen Strahlen werden sehr stark, die grünen und blaugrünen Strahlen sehr viel weniger absorbirt. Mit zunehmender Tiefe werden sich also blaugrüne und srüne Formen in Bezug auf Assimilation im Licht mehr und mehr im Nachtheil befinden gegenüber solchen, die rothes oder gelbes Chromophyll enthalten. Und so ist es begreiflich, dass in grösseren Tiefen die rothen und gelben Formen im Kampf ums Dasein überall siegen. Es schien wünschenswerth und jedenfalls nicht aussichtslos, zu unter- suchen, ob nicht künstlich, durch längere Einwirkung farbigen Lichtes auf Culturen chromophyllhaltiger Pflanzen, Aenderungen der Färbung derart, wie die Theorie sie erwarten liess, also in complementärem Sinne, sich erzeugen liessen. Am meisten Aussicht auf positiven Erfolg boten offenbar die durch Verschiedenheit, mannigfaltige Uebergänge und Wandelbarkeit der Färbung ausgezeichneten, dabei sehr einfach gebauten und sich rasch vermehrenden Ösecillarineen. Hatte doch auch neuerdings Nadson? bei ! Ueber Bacteriopurpurin und seine physiologische Bedeutung. Pflüger’s Archiv. 1888. Bd. XLIL. S. 183. ? Botanische Zeitung. 1883. Nr. 2. ®? G. Nadson, Die perforirenden (kalkbohrenden) Algen und ihre Bedeutung in der Natur. Seripta botanica Norti Universit. Petropolit. 1900. Fasc. XVII. FÄRBUNGSÄNDERUNG PFLANZLICHER ÜHROMOPHYLLE. 335 einigen Arten dieser Gruppe die Individuen je nach der Tiefe, aus der sie stammten, meiner Erwartung entsprechend verschieden gefärbt gefunden. Herr Dr. N. Gaidukow nun hat Culturversuche in farbigem Licht in meinem Institut angestellt und dabei gefunden, dass in der That der Ein- Nuss der Farbe des einwirkenden Lichtes sich sehr deutlich und im ver- langten Sinne bemerklich macht. Für die-ausführliche Beschreibung der Ver- suche, der dabei angewandten Verfahren und Hülfsmittel und der erzielten Resultate sei auf die Publication von Dr. Gaidukow in den Abhandlungen der kgl. preuss. Akademie der Wissenschaften verwiesen.’ Hier soll nur kurz auf die physiologisch wichtigsten Resultate dieser Versuche aufmerksam gemacht werden. Die — nahezu reinen — Culturen wurden hinter geeigneten, spektro- photometrisch untersuchten Lichtfiltern, in rothem, gelbem, grünem, blauem und violettem Lichte Monate lang gezüchtet. Schon nach wenigen Wochen waren bei Prüfung mit unbewafinetem Auge, genauer bei mikroskopischer und spectrophotometrischer Untersuchung, auffällige Farbenänderungen zu bemerken. Es zeigten — bei Culturen von Ösc. sancta — viele Fäden statt der ursprünglich rein oder schmutzig violeiten eine in complementärem Sinne abgeänderte Färbung. Nach zwei Monaten war die Mehrzahl, oder waren doch sehr viele Exemplare, nach Aufenthalt in rothem Lichte grün, gelbem ,, blaugrün, grünem ,„ roth, blauem „, braungelb sefärbt. Andere Exemplare hatten die ursprüngliche Färbung behalten oder zeigten Uebergangstöone. Auch die am weitesten complementär ge- färbten Individuen hatten gesundes Aussehen und bewegten sich lebhaft. Wässerige Lösungen des violetten Farbstoffes zeigten unter gleichen Be- dingungen keine complementären Farbenänderungen. Offenbar handelte es sich also um eine vitale, in Bezug auf Assimilation vortheilhafte Aenderung der Färbung, um einen physiologischen Anpassungsvorgang, der kurz als chromatische Adaptation bezeichnet werden möge. Welche Verbreitung derselbe im Pflanzenreiche habe, auf welchen chemischen und physikalischen Vorgängen in der lebenden Zelle er näher beruhe, muss, wie andere ein- schlägige Fragen, weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Jedenfalls ist durch die Versuche von Dr. Gaidukow die Farbe des einwirkenden Lichtes als ein wichtiger Factor bei der natürlichen Züchtung verschieden- farbiger Pflanzen experimentell erwiesen. ı Vgl. Sitzungsberichte der kgl. preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 31. Juli 1902 und Abhandl. der kgl. preuss. Akad. 1902. Ueber Immunität gegen Eiweisskörper. Von Dr. med. L. Michaelis und Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer, Assistenten, (Aus dem städt. Krankenhause Gitschinerstrasse und dem thierphysiologischen Institut der Landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) In dem Studium der Präcipitinbildung, durch die sich die Reaction des Körpers gegen die directe Einführung körperfremder Eiweissstoffe docu- mentirt, wird der Physiologie ein neues Grenzgebiet eröffnet. Ausgehend von Erfahrungen auf bakteriologischem Gebiet, hat sich die Immunitätslehre im weitesten Sinne so über diese ursprünglichen Grenzen hinaus entwickelt, dass sie als neues Grenzgebiet der Physiologie in die allgemeine Biologie aufzunehmen sein dürfte Aus diesem Grunde wenden wir uns mit dieser theils auf eigenen Versuchen basirten, theils zusammenfassenden Arbeit grade an die Physiologen. Bald nachdem durch die grundlegenden Arbeiten von Pasteur, Koch, Brieger und Anderen die specifische Wirkung der pathogenen Bakterien auf empfängliche Thiere für eine grosse Reihe von Fällen auf Gifte zurück- geführt worden war, welche die Bakterien erzeugen und nach aussen hin secerniren, tauchte naturgemäss der Gedanke auf, dass der Schutz des Organismus nach überstandener Infection auf der Bildung von specifischen "Gegengiften beruhen möge. Man versuchte demnach sowohl der Frage der natürlichen wie der künstlich erzeugten Immunität auf diesem Wege nachzugehen. Bald aber zeigte es sich, dass hier zwei fundamental ver- schiedene Probleme vorliegen. Während es nämlich niemals gelingt, aus dem Organismus natürlich immuner Thiere einen Schutzstoff gegen das Gift zu gewinnen, zeigten die Arbeiten von Behring und Ehrlich, dass nach der künstlichen Immunisirung empfänglicher Thiere gegen eine L. MICHAELIS UND Ü. OPPENHEIMER: ÜBER IMMUNITÄT U.Ss. w. 337 Reihe von Giften bakteriellen oder anderen Ursprungs es constant gelingt, in dem Serum dieses Thieres einen Schutzstoff nachzuweisen, der eine streng specifische Gegenwirkung gegen das Gift ausübt. Es ist hier nicht der Ort, auf die langwierige Discussion einzugehen, in welcher Weise diese Neutralisation statfindet, ob durch Zerstörung des Giftes, ob durch Gift- festigung des lebenden Protoplasmas oder schliesslich ob durch chemische Bindung des Giftes. Diese Frage ist durch die Arbeiten von Ehrlich (1), Wassermann (2), Calmette (3), Martin und Cherry (4) mit absoluter Sicherheit dahin entschieden, dass es sich um eine neutralisirende Bindung des Gegengiftes an das Gift handeln muss. Dass es sich nicht um eine festigende Wirkung auf die lebende Zelle handelt, wurde durch die Ehrlich’- schen Untersuchungen über Riein und Abrin nachgewiesen, indem die Wir- kung dieser Stoffe bezw. die Aufhebung ihrer Wirkung sich im Reagensglas ‚unter völligem Ausschluss des lebenden Organismus an rothen Blutkörperchen zeigen liess. Das im Serum der gegen Ricin gefestigten Thiere enthaltene Antiricin hemmt nämlich nach quantitativen Gesetzen die verklumpende Wirkung des Rieins auf die rothen Blutkörperchen im Reagensglase. Dass es sich ferner nicht um eine Zerstörung des Giftes handelt, ergab sich aus den gleichsinnigen Versuchen von Calmette, Martin und Cherry am Schlangengift und von Wassermann am Pyocyaneusgift. Es gelang nämlich, unter gewissen Bedingungen aus dem nicht mehr giftigen Gemisch von Gift und Gegeneift durch partielle Zerstörung des Gegengiftes das Gift wieder zum Vorschein zu bringen. Es blieb also nach Ausschluss dieser beiden Möglichkeiten nur die dritte Möglichkeit, die specifische Bindung, übrig. Dieses „Princip der specifischen Bindung“ hat nun für das Studium der Immunitätsvorgänge eine ungemeine Bedeutung gewonnen und sich auch darüber hinaus bei vielen anderen biologischen Problemen als sehr fruchtbringend erwiesen. Wir wollen an dieser Stelle noch nicht darauf eingehen, wie man dieses Prineip zu theoretischen Er- örterungen ausgenutzt hat, um daraus eine umfassende Hypothese der biologischen Anpassungsvorgänge zu gewinnen; wir werden darauf erst am Schluss unserer Arbeit ausführlich zurückommen. Wir wollen an dieser Stelle das Princip nur als ein heuristisches annehmen, um die gefundenen Thatsachen der Immunität im weitesten Sinne in bequeme Kategorien zu bringen. Zunächst liess sich das Gesetz von der specifischen Bindung mit grosser Präeision zur Unterscheidung der gewöhnlichen krystalloiden Gifte (Alkaloide, Glucoside, Metallgifte u. s. w.) von den Bakteriengiften und den ihnen nahe stehenden pflanzlichen und thierischen Giften, wie Ricin, Schlangengiften u.s. w., anwenden. Der eine von uns hat an anderer Stelle (5) die grund- lesenden Unterschiede zwischen diesen beiden Arten von Giften ausführ- Archiv f. A.u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. Suppl. 22 338 L. MICHAELIS UND ÜARL ÖPPENHEIMER: ‚licher auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, dass es ein Definitions- moment des Toxins ist, specifisch zu binden und in Folge dessen specifische Antikörper zu bilden. Eine weitere Ausdehnung des Gesetzes liess erkennen, dass nicht bloss die Toxine im engeren Sinne die Fähigkeit .der specifischen Bindung und der damit verbundenen Antikörperbildung besitzen, sondern dass auch andere active chemische Substanzen in analoger Weise wirken. Theoretisch besonders interessant sind die diesbezüglichen Versuche über die Fermente. Nachdem schon Hildebrandt (6) die Existenz eines Antiemulsins wahrscheinlich gemacht hatte, gelang es Morgenroth (7) und fast gleichzeitig Briot ($) aus dem Serum von Thieren, die mit Labferment vorbehandelt waren, einen specifischen Antikörper gegen das Lab zu gewinnen, welcher ganz analog dem Antiriein im Reagensglase die Labwirkung auf Milch in quantitativen Verhältnissen hemmt. Ergänzt wurden diese Befunde durch die Auffindung. des Antipepsins durch Sachs (9), der Antityrosinase von Gessard (10), des Antitrypsins von Achalme (11) und der Antiurease von Moll (12). Zeitlich schon vorher fallen die grundlegenden Arbeiten von Pfeiffer (13), Kolle (14), und Wassermann (15) über die Bedeutung des Gesetzes der specifischen Bindung bei der Untersuchung der Immunitätserscheinungen gegenüber den Bakterienleibern selbst, die man unter dem Namen bak- tericide Immunität zusammenfasst, und die man von der Wirkung der Antitoxine, die nur auf die nach aussen secernirten Gifte wirken, durchaus streng unterscheiden muss. Es genügt uns an dieser Stelle wiederum, unter Hinweis auf die citirte Arbeit (5) anzuführen, dass es sich auch hier um eine specifische Bindung, und zwar an die Substanz der Bakterien- leiber, handelt. In Folge dieser spezifischen Bindung bilden sich specifische Antikörper gegen die Bakterienleiber, die dann in letzter Linie durch einen complieirten Mechanismus zur Vernichtung des eingedrungenen Bacteriums führen. Vollkommen analog der Immunität gegen Bakterienleiber vollziehen sich die Vorgänge bei der Immunisirung gegen irgend welche Körperzellen einer fremden Thierart, von denen besonders die Auflösung fremder Blut- körperchen durch Bordet (16) und. Ehrlich (17) bis in die feinsten Einzelheiten aufgeklärt worden ist, denen noch die Arbeiten über die Immu- nisirung gegen Spermatozoen u. s. w. von Landsteiner (18), Metsch- nikoff (19) und Anderen an die Seite zu stellen sind. Wir finden also als drittes Anwendungsfeld des Gesetzes von der „specifischen Bindung“ die immunisatorischen Vorgänge, die beim Eindringen fremdartiger Zellen in den Organismus ausgelöst werden und die in letzter Instanz unter Bildung specifischer Antikörper zur Vernichtung des Ein- dringlings führen. Bei allen bisher beschriebenen immunisatorischen Vorgängen handelt ÜBER IMMUNITÄT GEGEN EIWEISSKÖRPER. 339 es sich immer um die Unschädlichmachung durchaus fremdartiger, schäd- licher Stoffe oder Zellen, die man im weitesten Sinne als specifisch wirkende Gifte bezeichnen könnte. Wir sind also berechtigt, die Bildung der Anti- körper als eine Abwehrerscheinung aufzufassen, als eine weitgehende An- passung des Organismus, die ihm die Fähigkeit verleiht, auf schädigende Einwirkungen eine regulatorische Reaction hervorzurufen. Von grosser Bedeutung ist nun aber, dass sich das Gesetz von der specifischen Birdung auch auf Vorgänge erstreckt, die der Einführung scheinbar indifferenter, nicht toxischer Stoffe in den Organismus folgen. Es hat sich ergeben, dass Stoffe, die wir als physiologisch noth- wendige Nährstoffe anzusehen gewohnt waren, zum Mindesten bei einer nicht”. dem natürlichen Wege entsprechenden Einführung in den Körper, d.h. bei Umgehung des Darmtractus, vollkommen analog den activen Bakteriengiften reagiren, d. h. im Organismus die Bildung eines specifisch bindenden Antikörpers auslösen. Wenn man nämlich einem Thier irgend einen körperfremden Eiweissstoff mit Vermeidung des Darmtractus einverleibt, so gewinnt das Blutserum dieses Thieres die Eigenschaft, eine specifische Wirkung auf den eingeführten Eiweisskörper insofern auszuüben, als er mit diesem, im Reagensglas vermischt, einen charakteristischen Niederschlag erzeugt. Geschichtliches über Präcipitine. Dass ein specifisch bindender Körper mit seinem Antikörper im Reagensglas durch Bildung eines Niederschlags reagiren kann, ist zum ersten Mal von Kraus (20) beobachtet worden. Er fand, dass das Serum eines gegen Typhus immunisirten Kaninchens, welches agglutinirend auf die morphologisch intacten Baecillen wirkt, auch mit einem aus den Typhus- bacillen extrahirten löslichen Stoffe im Reagenselas unter Niederschlags- bildung reagirt. Einen analogen Befund erhob Tschistowitsch (21) bei seinen Studien über die Giftwirkung des Aalserums. Ihm gelang es, Thiere gegen die Wirkung dieses Serums zu immunisiren, und er beobachtete da- bei, dass das Serum solcher immunen Thiere mit Aalblutserum einen Nieder- schlag giebt. Die eigentliche Geschichte der Eiweisspräeipitine beginnt aber erst mit Bordet (22). Dieser kam zuerst auf den fruchtbringenden Gedanken, dass es die Eiweisskörper als solche sein dürften, die diese specifisch fällenden Antikörper erzeugen. Er verwendete einen scheinbar völlig indifferenten Stoff, nämlich Milch, zu seinen Immunisirungsversuchen und beobachtete, dass das Serum von Kaninchen, die wiederholt mit Milch injieirt worden waren, einen Gerinnungsvorgang in der Milch hervorruft, der von der Labwirkung sich wesentlich unterscheidet. An diese fundamentale Day 340 L. MICHAELIS UND ÜARL ÖPPENHEIMER: Entdeckung Bordet’s schliessen sich in rascher Aufeinanderfolge eine grosse Anzahl von Arbeiten, deren Zahl auch heute noch in steter Zunahme be- griffen ist. Die Milchversuche haben Wassermann (23) und fast gleich- zeitig Fisch (23a) wiederholt und sie insofern erweitert, als sie die Speci- fität des Antikörpers nachweisen konnten. Das Serum eines mit Kuhmilch injieirten Kaninchens gab immer nur mit Kuhmilch, nicht mit Ziegen- milch einen Niederschlag, das Serum eines mit Ziegenmilch injieirten Kaninchens immer nur mit Ziegenmilch. Dieses Gesetz erwies sich auch als für andere Eiweisskörper im gleichen Sinne gültig und es wurde für Serumeiweisskörper von Myers (24), für Eiereiweiss von Ehrlich (25) und Myers festgestellt. Diese Arbeiten ergaben, dass die drei Eiweissgruppen- des Milcheiweisses, des Serumeiweisses und des Eiereiweisses in der Weise specifisch wirken, dass sie bei der Immunisirung für die Thierart specifische Antikörper erzeugen, mit einer gewissen Einschränkung, auf die wir weiter unten zurückkommen werden. Desgleichen werden wir weiter unten auf die strittige Frage zurückkommen müssen, ob auch andere Eiweissarten, als die genannten genuinen Eiweissstoffe, insbesondere die denaturirten Eiweiss- körper, im Stande sind, Präcipitine zu erzeugen. Hier sei nur zur Er- gänzung des historischen Ueberblicks noch auf zwei wichtige Punkte hin- gewiesen, nämlich die Bedeutung für die biologischen Ausscheidungesfragen des Eiweisses und auf die grosse Wichtigkeit der Präcipitine für forensische Zwecke. Es erwies sich nämlich, dass auch die bei Nierenentzündung durch den Harn ausgeschiedenen Eiweisskörper sich genau so verhalten, wie die Eiweisskörper des Serum selbst (Zülzer (26), Leclainche und Vallee (27). Dass man nach Analogie mit diesen Befunden auch körperfremdes Eiweiss im Harn nachweisen kann, ist von Ascoli (28) bewiesen, der zeigte, dass nach Verfütterung von Hühnereiweiss im Harn des Kaninchens sich zwei Eiweissarten zeigen: erstens solches, das auf specifisches Kaninchenserum- präcipitin und zweitens solches, das auf specifisches Eiereiweisspräcipitin reagirt. Die Anwendung der specifischen Sera zum Nachweis von Menschen- blut gegenüber dem Blut anderer Thierarten sei hier nur kurz gestreift. Die Methode ist für forensische Zwecke von Wassermann (29), Uhlen- hut (30), Deutsch (31) und vielen Anderen ausgearbeitet worden. Neben diesen Arbeiten über körperfremde Eiweissarten der höheren Thiere liefen eine Reihe von gleichsinnigen Untersuchungen über die specifische Reaction der aus Bakterien dargestellten löslichen Substanzen, die nicht Toxine sind, einher. Inwieweit diese Reaction mit denen der Eiweisskörper identisch ist und inwieweit in Folge dessen diese beiden Arbeitsgebiete in der Zukunft verschmelzen werden, lässt sich heute mit Sicherheit noch nicht übersehen. Wir werden auf die mannigfachen Be- ÜBER IMMUNITÄT GEGEN EiwEIssKÖRPER. 341 rührungspunkte zwischen beiden Gebieten an verschiedenen Stellen unserer Arbeit zurückzukommen haben und können uns hier damit begnügen, auf dieses Parallelgebiet hingewiesen zu haben. Nomenelatur. Die oben erwähnte Reaction von Kraus wurde von ihm auf die Bildung eines specifischen Körpers zurückgeführt, welchen er als Coagulin bezeichnet. Dieser Name ist auch heute noch für die speeifischen, Niederschlag erzeu- senden Stofle, die durch Bakterienextracte erzeugt werden, in Gebrauch. Dagegen hat sich der von Bordet eingeführte Name „Präcipitin“ für alle Eiweissreactionen eingebürgert. Daneben ist in neuerer Zeit (Ober- mayer und Pick [32]) vorgeschlagen worden, den in den Eiweisslösungen supponirten Stoff, welcher im Organismus eben jene Präcipitine erzeugt, als „Präcipitogen“ zu bezeichnen. Dieser Name scheint uns nicht glück- lich gewählt, weil er die Vorstellung erwecken könnte, als stünde das Präcipitogen zum Präcipitin in demselben Verhältniss, wie z. B. Pepsinogen zum Pepsin, dass es also eine Vorstufe des Präcipitins sei. Vor Allem aber ist dieser Terminus deshalb zu beanstanden, weil er die Anschauung vorweg nimmt, als ob hier eigene Stoffe in Thätigkeit wären und nicht die Eiweisskörper selbst, eine Anschauung, die, wie wir weiter unten sehen ‘ werden, zum Mindesten noch durchaus nicht bewiesen ist. Wir werden deshalb diesen Ausdruck vermeiden und ihn, soweit nöthie, durch den nichts vorwegnehmenden Ausdruck „bindende Gruppe“ ersetzen. Für die Gesammtheit der fällenden Substanzen werden wir uns natürlich des fest- eingebürgerten Ausdruckes Präcipitin bedienen. Aus rein praktischen Gründen werden wir ferner ein auf Albumin wirkendes Präcipitin als Antialbumin, ein auf Globulin wirkendes als Antiglobulin u. s. w. be- zeichnen. Das das Präcipitin enthaltende Serum werden wir, nach dem Gebrauche der Arbeiten aus der Immunitätslehre als „Immunserum‘“ bezeichnen. Ueber die Grenzen der Speeificität der Präeipitine. Wir haben bereits in unserem kurzen historischen Ueberblick den heutigen Stand der Frage nach der Specifieität der Präcipitine dahin präci- sirt, dass die Präcipitine unzweifelhaft für die Thierart specifisch sind. Diese „biologische“ Specificität ist vollkommen gültig, sobald es sich um einigermaassen im natürlichen System von einander entierntere Thierarten handelt. Sie erleidet nur da eine Abschwächung ihrer strengen Gültigkeit, wo es sich um die Sera sehr nahe verwandter Thiere handelt. Myers 342 L. MiCHAELIS UND ÜARL ÜPPENHEIMER: hatte schon constatirt, dass „Antischafserumglobulin“, d. h. also der vom Kaninchen gewonnene Antikörper gegen Schafserumglobulin, auch auf Rinderserumglobulin, wenn auch in geringerem Grade, und umgekehrt wirkt. Ebenso wirkt das Antimenschenserum des Kaninchens in geringerem Maasse auch auf das Serum einiger Affen (Wassermann, Uhlenhuth), Antihühnereiweiss auch gegen Taubeneiweiss und umgekehrt (Uhlenhuth). Dass Antirinderserum des Kaninchens wirkt nach unseren eigenen Beob- achtungen in ziemlich kräftiger Weise auch auf Hammelserum, aber nicht mehr auf Pferdeserum. Ist dieser Punkt der Specifieitätsfrage ziemlich einstimmig zu Gunsten einer nur in bestimmter Weise eingeschränkten Speeifieität entschieden, so ist man sich über einen anderen Punkt der Speeificität bisher durchaus noch nicht einig. Es kann sich nämlich die Specifieität nicht nur auf die Provenienz der Eiweissstoffe richten, sondern auch auf ihre chemische Natur. Es handelt sich z. B. um die Frage, ob ein Antirinderserum-Globulin auch auf Rinderserumalbumin wirkt und dergleichen. Diese Specificität wollen wir als „chemische“ Specifieität kurz bezeichnen. Diese Frage ist noch nicht so eindeutig entschieden. Wir wollen zunächst berichten, was in der Litteratur darüber vorliegt. 1. Injection mit Serumeiweisskörpern. a) Injeetion von Serumalbumin. Nolf (33) hat gegen Serumalbumin überhaupt kein Präcipitin erhalten. Dieser Misserfolg lag wahrscheinlich an der Methode. Er gewann sein Albumin, indem er die Globuline durch Sättigen mit Magnesiumsulfat ent- fernte und aus dem Filtrat das Albumin durch Ansäuern mit 10 procentiger Essigsäure ausfällte. Eine derartige Ansäuerung der Fiweisskörper ist nach unseren Erfahrungen zu vermeiden, wenn man sie nicht für den vorliegenden Zweck denaturiren will. Der Eine von uns (34) hat ebenfalls mit Serumalbumin Versuche an- gestellt. Er gewann es nach zwei Methoden. Einmal wurde in Rinderserum das Globulin durch Halbsättigung mit Ammonsulfat entfernt, und das Filtrat nach zehntägiger Dialyse einfach als Serumalbumin betrachtet. Das andere Mal wurde aus dem Filtrat das Albumin durch Ganzsättigung mit Ammon- sulfat abgeschieden, wieder gelöst und dialysirt. Das Resultat war beide Male das gleiche. Es gelingt mit Leichtigkeit die Gewinnung eines Präci- pitins, welches kräftig auf das injicirte Albumin wirkt. Bei Prüfung gegen Rinderserum-Globulin erwies sich dies Antialbumin nun auch als wirksam, ÜBER IMMUNITÄT GEGEN EIwWEISSKÖRPER. 343 wenn auch in geringerem Grade, und zwar auch dann, wenn durch fünf- malige Umfällung nach Möglichkeit jede Spur des Albumins aus dem Globulin entfernt worden war. Im Einzelnen wurde weiterhin das Anti- albumin gegen die Fractionen des Globulins geprüft und zwar gegen das bis 33 Procent Sättigung ausfallende Euglobulin und das bis zur Halb- sättigung fallende Pseudoglobulin. Das letztere gab mit dem Anti- albumin eine deutliche Reaction, mit dem Euglobulin dagegen reagirte das Antialbumin nur spurenweise. Auch Landsteiner (39) fand, dass Antialbumin des Pferdeserums auch gegen die Globuline reagirt. b) Serumglobuline. Myers (24), der mit Serumglobulin arbeitete, prüfte die entstandenen Präeipitine nur gegen das Globulin. Nolf erhielt ebenfalls durch Globulin- injection Präcipitine. Unsere eigenen Versuche mit Gesammtglobulin aus Rinderserum und aus Pferdeserum ergaben in übereinstimmender Weise ein Präcipitin, welches energisch auf das injieirte Globulin, dagegen gar nicht auf das entsprechende Albumin wirkte. Analoge Befunde erhielt Landsteiner (39). Rostoski (38) hat für die einzelnen Fractionen des Pferdeserums Präcipitine erhalten, ohne jede chemische Specifieität. Prüft man das Antiserumglobulin gegen die beiden Fractionen, das Euglobulin und das Pseudoglobulin, so erweisen sich beide als reactions- fähig. c) Versuche mit den einzelnen Fractionen der Globuline. Nach einer aphoristischen Notiz von Ide (55) ist es ihm und Leblane angeblich gelungen, gegen die einzelnen Fractionen der Globuline streng specifische Präcipitine zu erhalten. Das Original war uns nicht zugänglich. Dem gegenüber stehen die Angaben von Rostoski, der jede chemische Speeificität leugnet. Unsere eigenen Versuche ergaben (für Rinderserum): Die beiden Fractionen, das Eu- und das Pseudoglobulin, erzeugen in gleicher Weise ein Präcipitin, das nur auf Globuline, nicht auf das Albumin wirkt. Beide Präcipitine wirken stärker auf das Pseudoglobulin, als auf Euglobulin, indessen ist allerdings insofern ein Unterschied zu constatiren, als die Reaction des. Antieuglobulins mit Euglobulin doch erheblich stärker ist als die des Antipseudoglobulins. d) Vollserum. Die einzige vorliegende Untersuchung in Bezug auf die Wirksamkeit des Antivollserums gegen die einzelnen Fractionen des Serums sind von dem Einen von uns (34) vorläufig publieirt. Zur Ergänzung der dort niedergelesten Resultate sei Folgendes mitgetheilt: Das Antivollserum wirkt zunächst natürlich regelmässig auf Vollserum. Ausserdem wirkt es regel- 344 L. MicHAELIS UND ÜARL ÜPPENHEIMER: mässig in gleich intensiver Weise auf das Gesammtglobulin; ferner constant kräftig auf das Pseudoglobulin; auf Euglobulin in einigen Versuchen etwas geringer, aber jedenfalls constant positiv. Dagegen wirkte es in den meisten Versuchen auf Albumin gar nicht oder nur spurenweise. Ein einziges Mal ergab eine Immunisirung mit Vollserum auch ein Präeipitin gegen Albumin, welches zwar schwach, aber jedenfalls stärker als in allen übrigen Ver- suchen wirkte. Es besteht hier die merkwürdige Thatsache, dass das im Vollserum enthaltene Albumin, sobald es sich in natürlicher Mischung mit dem Globulin befindet, nur ein schwaches oder gar kein Präcipitin erzeugt; dass es dagegen isolirt injieirt, mit grösster Leichtigkeit die Bildung eines Präcipitins auslöst. Wie sich das Albumin in künstlicher Mischung mit Globulin verhält, soll in weiteren Versuchen festgestellt werden. Wir finden also auch bei dem Antivollserum wieder, dass die Reaction mit Pseudoglobulin immer am stärksten ist, sobald es sich um Injection von Globulinen handelt. 2. Eiereiweiss. a) Albumin. Nach Obermayer und Pick (82) giebt sorgfältig gereinigtes Eier- albumin zwar ein Präcipitin, büsst aber durch wiederholtes Umkrystallisiren allmählich die Fähigkeit, Präcipitin zu bilden, ein. Umber (85) erzielt durch Injection von Eieralbumin zwar ein Präcipitin, welches aber nicht auf das injieirte Albumin (mit Ausnahme eines einzigen Falles), sondern auf das Globulin des Eierklars wirkte. b) Globulin. Obermayer und Pick zerlegten das sogenannte Eierglobulin in vier Fractionen, Ovimucin, Dysglobulin (beide in Wasser unlöslich), Euglobulin und Pseudoglobulin. Sie erhielten mit allen diesen Fractionen Präcipitine, die in wechselnder Weise, jedoch niemals streng specifisch reagirten. 3. Andere Eiweisskörper sind noch sehr spärlich in Bezug auf ihre chemische Specifieität untersucht. In Bezug auf die Eiweisskörper der Milch liegen Versuche von Hamburger (36) vor, der gegen Casein und Lactalbumin getrennt immunisirt hat, sowie von Fuld (37), der für die Reaction der Milch das Casein mit Sicherheit verantwortlich macht. Ferner erhielt Rostoski (38) durch Injection des Bence-Jones’schen Eiweisskörpers ein Präcipitin, das auch auf andere vom Menschen stammende Eiweissstoffe, insbesondere auf Vollserum fällend wirkte, ÜBER IMMUNITÄT GEGEN EIWEISSKÖRPER. 345 Wir haben in dieser Aufzählung absichtlich nur die genuinen Eiweiss- körper in Betracht gezogen, also die Eiweisskörper, wie sie in den möglichst unveränderten thierischen Flüssigkeiten vorkommen. In dieser Beziehung scheinen die üblichen Trennungs- und Fällungsmethoden der Eiweisskörper, wie Fällen mit Ammonsulfat, kurze Einwirkung von Alkohol, Trocknen bei niederer Temperatur, nichts zu ändern, so dass wir also z. B. die mit Ammonsulfat umgefällten Präparate noch als „genuine“ bezeichnen können. Dagegen haben wir die sogenannten denaturirten Eiweisskörper, die durch eingreifendere Behandlung wie Coagulation und Verdauung, längere Ein- wirkung concentrirterer Säuren oder Alkalien, an dieser Stelle nicht berück- sichtigt, weil wir auf diese in einem besonderen Kapitel zurückkommen werden. Wir können also aus den in der Litteratur niedergelegten und unseren eigenen Beobachtungen folgenden Schluss ziehen: Eine absolute chemische Specificität besteht durchaus nicht. Dagegen stehen unsere Versuche nicht völlig im Einklang mit denen, welche die chemische Specifieität überhaupt leugnen wollen. Auch wir haben zahlreiche Fälle gefunden, wo man durch Immunisirung gegen einen Eiweisskörper ein Präcipitin auch gegen einen anderen Eiweisskörper derselben Thierart erhält. Wir konnten auch feststellen, dass es nicht möglich ist, die verschiedenen Fractionen der Globuline durch Präcipitinreactionen von einander zu unterscheiden, wohl aber ergaben sich doch constant wesentliche, wenn auch nur quantitative Unterschiede. Wir müssen also annehmen, dass die specifisch bindenden Gruppen nicht stets ausschliesslich einer bestimmten Gattung von Eiweissmolecülen angehören, sondern, dass chemisch verwandte Eiweisskörper die bindenden Gruppen zum Theil gemein haben können. Wir wollen hier stillschweigend den Standpunkt acceptiren, dass die durch Ammonsulfat getrennten Frac- tionen thatsächlich bestimmte chemische Eiweissindividuen seien, obwohl manche: Versuche, wie die von Rostoski und unsere eigenen in Gang be- findlichen, diese Annahme als durchaus noch nicht einwandsfrei bewiesen erscheinen lassen. Weitere Schlüsse aus diesen Thatsachen zu ziehen, ist vorläufig noch nicht angängig, solange noch eine so mangelnde Ueberein- stimmung in den Befunden herrscht. Jedenfalls handelt es sich bei diesem Streit um eine verhältnissmässig unwesentliche Differenz; denn das eine geht aus den bisherigen Befunden mit Sicherheit hervor, dass an eine - Verwerthung der Präcipitinreaction zur qualitativen chemischen Trennung der verschiedenen Eiweissarten desselben Thieres nicht gedacht werden kann, und es ist eine Frage von secundärer Be- deutung, ob die nachgewiesenen Einschränkungen mehr oder minder weit- gehend sind. 346 L. MicHhAELIS UND ÜARL ÖPPENHEIMER: Beziehung der Präcipitine zu den Eiweisskörpern als solchen. ‚ In engstem Zusammenhang mit der Frage nach der Specificität steht, wie wir bereits kurz erwähnt hatten, die Frage nach der Natur der Präei- pitin erzeugenden Stoffe und der Präcipitine selbst. Während man Anfangs allgemein die Präcipitinreaction den Eiweisskörpern selbst, und zwar den Globulinen, zuschrieb und wir demzufolge die bindende Gruppe im Eiweissmolecül selbst zu suchen hätten, haben neuerdings Landsteiner und Calvo (39) auf Grund der mangelnden Speeifieität die einfache Identi- fieirung mit den Globulinen für nicht angezeigt erklärt, und viel weiter- gehend Obermayer und Pick (32) aus ihren Versuchen den Schluss gezogen, dass die Präcipitinbildung hervorgerufen wird durch Stoffe eigener Art, die den Eiweisskörpern nur mechanisch beigemengt und vorläufig Mangels geeigneter Methoden von ihnen nicht su trennen sind. Als Stütze für diese Ansicht führen sie folgende Versuche an. Erstens dient ihnen zum Beweis die mangelnde Speeificität. Indem sie den Präcipitin erzeugenden unbekannten Stoff als „Präcipitogen“ be- zeichnen (s. oben), nehmen sie an, dass dieser in inconstanter und unberechen- barer Weise mit den einzelnen Fractionen durch Ammonsulfat ausfällt und je nach der Quantität, in der er in dem Eiweissgemisch enthalten ist, eine mehr oder minder deutlich nachweisbare Präcipitinbildung auslöst. Mit dieser Annahme wollen sie den von ihnen supponirten absoluten Mangel der chemischen Specifieität erklären. Es erhellt, dass diese An- schauung auch dadurch nicht widerlegt werden kann, dass man, sich unserer Anschauung anschliessend, eine gewisse Constanz der Reaction an- nimmt; denn es könnte ja in Bezug auf die Ausfällung dieser unbekannten Stoffe eine Parallelität mit der Eiweissfällung vorhanden sein. Andererseits ist aber die mangelnde Speecificität allein doch auch nicht ausreichend, um Grund für eine $o weittragende Hypothese zu bieten. Denn wir finden im Gebiet der Immunitätslehre Beispiele genug, die uns zeigen, dass die speeifisch bindenden Gruppen durchaus nicht immer an ein bestimmtes Gift geheftet sein müssen, sondern, dass es durchaus verschiedene Stoffe giebt, die dieselben bindenden Gruppen haben, so dass man bei der Ein- führung des einen Giftes zwar die energischste Reaction auf dieses Gift selbst, eine geringere, aber auch constante Reaction auch gegen jenes andere Gift erhält. So schützt das Tetanusserum des Pferdes auch in geringem Grade gegen Schlangengifte, so schützt nach Ehrlich (40) das Immun- serum, welches durch Injection von Robin erhalten worden ist, auch gegen Vergiftung mit Riein, und ein ganz analoger Fall sind auch die Diphtherie- toxone, mit deren Hülfe man gegen echte Diphtherietoxine immunisiren kann. (Madsen und Dreyer [41]. Es folgt aus diesen sichergelegten That- ÜBER IMMUNITÄT GEGEN EIWEISSKÖRPER. 347 sachen, dass verschieden wirksame Stoffe dieselben bindenden Gruppen ent- halten können. Wenn man also z. B. mit Albumin auch gegen Globulin immunisiren kann, so folgt daraus nicht ohne Weiteres, dass nun die beiden Eiweisskörper einen gemeinsamen, ihnen eigentlich fremden Stoff beigemischt enthalten, sondern zur Erklärung der Thatsache genügt die Annahme, dass die sonst chemisch verschiedenen Eiweissstoffe gemeinsame bindende Gruppen enthalten, wenn auch in verschiedener Quantität. Obermayer und Pick haben sich auch mit dieser einen Erwägung nieht begnügt; der wichtigere Grund für ihre Annahme ist vielmehr das Verhalten der specifisch bindenden Stoffe gegen die Trypsin-Verdauung. In kurzen Worten gesagt, haben sie gefunden, dass diese Stoffe durch Trypsin unverdaulich sind und daher keine Eiweisskörper sein können. Ihr Gedankengang bewegt sich entsprechend der historischen Entwickelung der Lehre von den specifisch bindenden Giften. Auch diese hielt man Anfangs für Eiweissstoffe und nannte sie deshalb Toxalbumine. Allmäh- lieh, mit dem Fortschritt der Methodik, lernte man sie mehr und mehr von den Eiweisskörpern zu trennen und diese letzteren als überflüssigen, unwesentlichen Ballast nachzuweisen. So gelang es Brieger (42) und Anderen, Tetanusgiftlösungen herzustellen, die keine Biuretreaction mehr ergaben. Dasselbe gelang Jacoby (43) beim Riein und Hausmann (44) beim Abrin. Es schien also eine Consequenz des Analogiebedürfnisses zu sein, auch den Präcipitin erzeugenden Körpern die Eiweissnatur abzusprechen. Dagegen müssen wir zunächst einwenden, dass die Trypsinverdauung, welche Obermayer und Pick zur Trennung der Eiweisskörper angewendet haben, keine eindeutige Methode ist. Es ist zwar Jacoby einwandsfrei der Nach- weis gelungen, dass seine durch Trypsin von Eiweissstoffen befreite Substanz noch die toxischen und agglutinirenden Eigenschaften des Rieins behalten hat. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass das in der Natur vorkommende Riein ebenfalls kein Eiweisskörper ist; ebenso nahe liegt die Annahme, dass durch die Trypsinverdauung die specifischen Gruppen, die die Rieinwirkung in sich schliessen, aus einem grösseren Eiweissmolecül abgesprengt und nun in freiem Zustand vorhanden sind. Es liest uns fern, zu behaupten, dass dem wirklich so ist. Wir wollen nur darauf hingewiesen haben, dass es auf Grund der eingeschlagenen Methode genau so wie anders sein könnte, und dass es in Folge dessen nicht angängig ist, für die Präcipitin bildenden Stoffe einen ursprünglichen Zusammenhang mit den Eiweissstoffen zu leugnen. Nun kommt aber noch hinzu, dass wir die Versuche von Öber- mayer und Pick, was das Serum anbelangt, nicht bestätigen können. Hier müssen wir über die Verdauung etwas weiter ausholen. Wir müssen bei der Untersuchung der Verdauungsproducte der genuinen Eiweiss- körper stets zwei Fragen aufwerfen: erstens, ist das Verdauungsproduct 348 L. MicHAELIS UND ÜARL ÖÜPPENHEIMER: noch bindungsfähig an das Präcipitin, welches durch Immunisirung mit dem genuinen Eiweisskörper erhalten worden ist; und zweitens: ist das Verdauungsproduct selbst noch im Stande, bei der Injection ein Präcipitin für das genuine Eiweiss hervorzurufen. Wir beginnen mit der Pepsinverdauung. 1. Die durch Pepsin verdauten Eiweisskörper sind nach allen von uns bisher zahlreich angestellten Versuchen nicht im Stande, bei der Injection ein Präcipitin für das Muttereiweiss zu erzeugen. Benutzt wurde: 1. Riedel’s Pepton (ein durch Pepsin verdautes Rinder- fibrin). 2. Merck’s Eierpepton (ein durch Pepsin verdautes Eiereiweiss, durch Alkohol gefällt, im Vacuum getrocknet). Beide bestehen fast aus- schliesslich aus einem Gemisch von verschiedenen Albumosen. 3. Reine Deuteroalbumose aus Rindfleisch (Spaltung durch Salzsäure). Es wurden im Ganzen 15 Thiere in Arbeit genommen. Im Allgemeinen zeigte es sich, dass die Thiere die Injectionen schlecht vertrugen (vergl. das Capitel: Morphologie). Nur durch sehr vorsichtige Behandlung und lange Zwischenpausen konnten wir die Thiere einige Wochen in mässigem Ge- sundheitszustand erhalten. Der längste Versuch erstreckt sich über 9 Wochen. In keinem Fall gab das Serum einen speecifischen Niederschlag. 2. Die Präcipitirbarkeit des genuinen Eiweisses durch sein reci- prokes Präeipitin wird durch Pepsinsalzsäure erst vermindert, dann sehr rasch völlig vernichtet. I. 10°” genuines Rinderserum, 1°” norm. HC], 0.38% Pepsin Riedel. 6 verschiedene Röhrchen im Brütschrank angesetzt. Neutralisirt (mit norm. NaOH) nach 10 1), 1 2 3 4 Minuten Stunde Stunden Reaction gegen Präeipitin (Fällbarkeit) + — — _ u Coagulationsfähigkeit durch Er- hitzen mit wenig Essigsäure nach | Neutralisation der HCl . . . . .| +++ ++ + 1 — = — Genau so verliefen identische Parallelversuche. IH. Derselbe Versuch, nur bei Zimmertemperatur (etwa 10%). 5m Rinderserum + 47 °® 0.85 proc. NaCl + 3" norm. HC] + 0.3 Pepsin- lösung (0-3 Proc.) Neutralisirt (mit Soda) nach 10 Minuten | 10 Stunden Präcipitirbarkeit SER er > Coagulirbarkeit durch Hitze und Bisie BAULOS RN. PARır ist ÜBER ImMmUNITÄT GEGEN FIWEISSKÖRPER. 349 Controlversuche mit Pepsin ohne Salzsäure und Salzsäure ohne Pepsin zeigten, dass die bindende Gruppe nicht angegriffen wird, wenn nicht das Gemisch Pepsinsalzsäure einwirkt. Aus diesen Protokollen geht nock eine zweite sehr wichtige Thatsache hervor. Der Verlust der Präcipitirbarkeit geht nämlich nicht parallel mit dem Verlust der Coagulirbarkeit durch Hitze, vielmehr gelingt es regelmässig, ein Stadium zu finden, wo noch reichlich durch Hitze coagulirbares Eiweiss vorhanden ist, wo aber die Präcipitirbarkeit völlig ver- nichtet ist. Wenn wir also den Standpunkt von Obermayer und Pick theilten, so könnten wir diesen Versuch zu dem Schluss benutzen, dass die Präcipitin erzeugende Substanz leichter durch Pepsin verdaulich ist, als das Eiweiss. Wir wollen nicht unterlassen, hinzuzufügen, dass zahlreiche Control- versuche ergaben, dass weder die Salzsäure allein in der angewandten Con- centration, noch das Pepsin allein irgend welchen Einfluss auf die Präcipitir- barkeit des Eiweisses haben, vorausgesetzt, dass man die Salzsäure nachher wieder neutralisirt. Es handelt sich also nicht etwa um einen Stoff, der z. B. durch Säure an sich sehr leicht zerstört würde, sondern um einen serade für Pepsinsalzsäure leicht angreifbaren Stoff. Mit demselben Rechte aber stellen wir uns vorläufig auf den Stand- punkt, dass das Präcipitin erzeugende Princip eine Gruppe des Eiweiss- molecüls darstellt, welche sehr leicht vom Pepsin angegriffen wird. Dieser Vorgang der Zerstörung nur eines Oomplexes eines grösseren Moleeü!s durch Pepsin ist durchaus nicht ohne Analogie. So hat Jacoby (43) nachgewiesen, dass durch lang wirkende Pepsinverdauung die ver- klumpende Wirkung des Ricins zerstört wird, nicht aber die allgemein toxische Wirkung. Hier zeigt es sich übrigens, wie wenig man berechtigt ist, zu weit gehende Analogien zwischen Riein und dem Präeipitin erzeugenden Agen im Eiweiss zu ziehen. Selbst die agglutinirende Eigenschaft des Rieins wird durch viertägige Einwirkung von Pepsinsalzsäure, eine Dauer, die also in natura niemals vorkommt, nicht zerstört; erst am fünften Tage zeigte sich in den Versuchen von Jacoby (die wir völlig bestätigen können) die Zer- störung der agglutinirenden Gruppe. Und bei alledem bleibt die toxische Gruppe noch dauernd erhalten. Im Gegensatz dazu steht die rapide, oft in wenigen Minuten eintretende Vernichtung der specifisch bindenden Gruppen der Eiweisskörper durch Pepsin-HCl. Trypsinverdauung. Bevor wir auf die Resultate der Trypsinverdauung für unseren speciellen Zweck eingehen, müssen wir Einiges über die Trypsinverdauung der genuinen Eiweisskörper überhaupt vorausschicken. 350 L. MICHAELIS UND CARL ÖPPENHEIMER: Es scheint, als ob zwischen der Leichtigkeit, mit der die tryptische Verdauung der coagulirten Eiweissstoffe oder von Fibrin stattfindet, und der, wie. es scheint, absoluten Unangreifbarkeit des lebenden Protoplamas (Fermi [45], Matthes [46], Weinland [47]) kein unvermittelter Gegen- satz besteht. Dieses Bindeglied scheinen nämlich die genuinen Eiweisskörper zu sein, wie sie die thierischen Flüssigkeiten im ursprüng- lichen Zustand enthalten. Schon Kühne giebt an, dass Blutserum durch Trypsin sehr schwer verdaut wird. Dieser Befund scheint aber bisher nicht richtig gewürdigt worden zu sein. Wir müssen also zunächst die Thatsache constatiren, dass Blutserum durch Trypsin äusserst schwer ver- daulich ist. In so kurzer Zeit, wie sie bei der natürlichen Verdauung im Darmcanal in Frage kommt, können wir Blutserum überhaupt als un- verdaulich für Trypsin bezeichnen. Man bedarf zu einem einigermaassen wirksamen Abbau langer Zeit und ungeheuerer Quantitäten des Ferments. Die Bedeutung dieses Vorgangs und die Art seines Zustande- kommens werden an anderer Stelle von Einem von uns publieirt werden. Hier interessirt uns nur die Thatsache, dass, so lange noch coagulirbares Eiweiss in der Lösung nachweisbar ist, thatsächlich die Fällbarkeit erhalten bleibt. Wenn aber das Eiweiss nach mehrwöchentlicher Einwirkung grosser Trypsindosen ganz verschwunden ist, dann ist sowohl die Fällbar- keit des Eiweisses durch das Präcipitin vollkommen verloren, als es auch nicht mehr gelingt, mit dieser Flüssigkeit durch Injeetion ein Präcipitin für das Muttereiweiss zu bekommen. I. Beispiel eines solchen Versuches. 30.V. 100 8”® Rinderserum, 8% Trypsin Grübler (in kleinen Dosen gegen Fibrin sehr wirksam), etwas Toluol, Brütschrank. 3. VI. Reichlich Tyrosinkrystalle Filtrat durch reeiprokes Präeipitin noch gut fällbar. Coagulirbares Eiweiss gegen den Anfang etwas vermindert. 8. VI. Filtrat enthält Spuren Eiweiss, die etwa dem Gehalt des zuge- setzten Trypsins entsprechen. Albumosenreaction negativ, Biuretreaetion positiv. Reaction gegen reciprokes Präcipitin absolut negativ. Gesammtmenge filtrirt, mit 10 °°® isotonischer NaCl nachgewaschen, mit etwas Chloroform im Eisschrank aufbewahrt. 11. VI. Kaninchen (ca. 2000 8%) erhält intraperitoneal 2 m, NE N 14.VI. 10 ,„ LOVE. 0, 9.2 20 22.1100, AND 2) ’ 1. VII. Probeblutentnahme aus der Ohrvene: Reaction gegen genu- ines Serum und ebenso gegen das eingeführte verdaute Gemisch absolut negativ. ÜBER IMMUNITÄT GEGEN FIwWEIssKÖRPER. 351 U. Verlust der Fällbarkeit allein. 8. VI. 100 °® Rinderserum. 30°“ Trypsinlösung, die wir der Liebens- würdigkeit des Hrn. E. P. Piek in Wien verdanken. 0-58’ feste, krystal- lisirte Soda. Toluol. Brütschrank. 26. VI. Filtrat durch Präcipitin noch fällbar. 15. VII. Filtrat durch Präcipitin absolut unfällbar. Versuche, mit diesem Präparat zu immunisiren, sind im Gange. Die „vollkommene“ Eiweissfreiheit von trypsin-verdautem Serum ist cum srano salis zu verstehen. Alle von uns verwandten Trypsinpräparate enthielten selbst noch coagulirbare Stoffe, welche bei noch so langer Ein- wirkung im Brütschrank nicht verschwanden. Wenn wir also sagten, dass nach mehrwöchentlicher Verdauung das Serum eiweissfrei geworden war, so meinen wir, dass bei der Coagulation in angesäuerter Lösung die Trübung nicht stärker war, als die einer gleichconcentrirten reinen Trypsinlösung. Das Hauptresultat ist also, dass es bei sehr intensiver Einwirkung von Trypsin doch schliesslich gelingt, sowohl die Fällbarkeit wie die immuni- satorische Eigenschaft des Eiweisses vollkommen zu zerstören. Der gewichtige Unterschied gegenüber der Pepsinverdauung ist aber der, dass durch Pepsin die bindende Gruppe zu allererst vernichtet wird, beim Trypsin aber die Coagulirbarkeit durchaus parallel der Präcipitirbarkeit ab- nimmt. Parallelität des Eiweissverlustes mit dem der Präcipitirbarkeit. 5cem Rinderserum auf 100 mit 0-8proc. NaCl verdünnt ccm mi (=>) m &) 1:0 1-0 1:0 1:0 1:0 5proc. Lösung Trypsin Grübler klar sedimentirt; Spur Soda cem 3.0 Eller 0:75 2.025212.0:25 0212.00 Nach 40 Std. Gehalt an coagulir- barem Eiweiss nach Neutrali- sation in essigsaurer Lösung . —1lı —!ı — _ — + EEE Reaction gegen reciprokes Präci- Pin Sa —_ _ == — —n | 25 ABEL Wir müssen also aus unseren Versuchen den Schluss ziehen, dass es bei dem Blutserum des Rindes gelingt, mit der Eiweissspaltung durch Trypsin gleichzeitig die specifisch bindenden Gruppen spurlos zu vernichten. Wir befinden uns also in einem Gegensatz zu Obermayer und Pick, der sich möglicher Weise daraus erklärt, dass diese an Eierklar gearbeitet haben. Es liest uns fern, die Resultate dieser Autoren anzuzweileln. Es ist sehr wohl denkbar, dass beim Eierklar die Verhältnisse insofern anders liegen, als hier vielleicht die bindende Gruppe eine noch grössere Resistenz ! Trübung beim Kochen in Folge des sehr reichen Trypsingehaltes, das an sich nicht eiweissfrei zu erhalten ist. Y 352 L. MiıcHAELIS UND ÜARL ÜPPENHEIMER: gegen das Trypsin hat, als das Eiweiss selbst, denn so gut wie diese Gruppen durch Pepsin viel leichter verdaulich sind, als der Eiweisskern, so mögen sie in bestimmten Fällen durch Trypsin schwerer angreifbar sein, als der Eiweisskern. Wir müssen hingegen nach unseren Versuchen die weitgehenden theo- retischen Folgerungen von Obermayer und Pick ablehnen. Unsere Ver- suche geben uns nicht im geringsten zu der Annahme Anlass, dass das Präcipitin bildende Agens ein vom Eiweisskern ge- trenntes chemisches Individuum sei. Das Resultat der Pepsin- und Trypsinverdauungs- Versuche ist also folgendes: Wir schliessen uns der Annahme an, dass das Präcipitin er- zeugende Agens eine specifisch bindende Gruppe des Eiweiss- molecüls darstellt, die durch Pepsin ausserordentlich leicht, vielleicht früher als der Eiweisskern zerstört wird; die dagegen gegen Trypsin dieselbe Resistenz besitzt, wie überhaupt jedes genuine Eiweiss, unter Umständen vielleicht eine noch grössere. Ist das Präcipitin ein Eiweisskörper? Für diese Frage gelten im Grossen und Ganzen dieselben Erwägungen, wie für die Frage nach der Natur der Präcipitin bildenden Gruppen. Pepsin zerstört das Präcipitin sehr schnell. Ein Beispiel aus zahlreichen identischen Versuchen. 3 cm frisches Immunserum + 3° 0-8proc. NaCl. Reaction gegen reciprokes Serum 0-05 Pepsin, 0-6 norm. HCl nach 1 Stunde neutralisirt _ 0.05 Pepsin, kein HC] nach 1 Stunde geprüft +++ 0-6 norm. HCl, kein Pepsin | nach 1 Stunde neutralisirt +++ | | | | Trypsin zerstört unter gleichen Bedingungen, d. h. bei Anwen- dung sehr grosser Mengen und langer Zeitdauer, das Präcipitin restlos. Beispiel. 0.5°% Antirinderserum vom Kaninchen. Etwas Chloroform. Brüt- schrank. Nach 72%: | Ohne Zusatz ' Mit 0-11 ®= (1) Trypsin ' Grübler verdaut Reaction gegen Rinderserum . . . . | +++ — (Vor Anstellung der Reaction beide filtrirt.) ÜBER IMMUNITÄT GEGEN EIWEISSKÖRPER. 353 Allerdings scheint das Präcipitin selbst gegen andere Einflüsse etwas weniger resistent zu sein, als die bindende Gruppe des Eiweisses.. Zum Beispiel leidet die fällende Wirkung des Präcipitin durch verschiedene Arten der Denaturirung eher als das Eiweiss. Solche Eingriffe sind Monate langes Aufbewahren, Hitze, Coagulation durch lange Alkoholwirkung. Einfluss der Denaturirung des Eiweisses auf die Fähigkeit der Präeipitinbildung bei der Injection. Unter Denaturirung wollen wir hier alle diejenigen Vorgänge zusammen- fassen, durch welche das genuine Eiweiss in irgend welcher Form dauernd verändert wird, und wir rechnen hierzu die geringfügigeren Eingriffe wie auch tiefer gehende Spaltungen. 1. Denaturirung durch Hitze. Das Verhalten der durch Hitze coagulirten Eiweisskörper lässt sich direct nicht prüfen, weil diese ohne weitere Veränderung nicht in Lösung zu bringen sind. Erhitzt man das Eiweiss weniger, so dass es noch nicht coagulirt, so behält es auch seine Fällbarkeit durch das reciproke Präcipitin. Derartige genuine Eiweisskörper, welche durch Hitze nicht coagulirt werden, wie das Casein, verlieren auch ihre Fällbarkeit nach dem Kochen nicht (Schütze [48]. Nur sehr andauerndes Kochen vermindert die Fällbarkeit schliesslich etwas. Offenbar handelt es sich dabei aber schon um beginnende hydrolytische Spaltung durch das Wasser. 2. Kurzdauernde Einwirkung von Alkohol ändert nichts an der Fällbarkeit. Löst man Serum, dass einige Tage unter der zwanzigfachen Menge von Alkohol gestanden hat, nach dem Abdunsten des Alkohols wieder in Wasser, so ist es noch immer fällbar. Nur bei einer sehr langen Einwirkung des Alkohols (4 bezw. 8 Wochen), zu einer Zeit, wo nur noch Spuren des nunmehr völlig denaturirten Eiweisses wieder in die wässerige Lösung gehen, ist auch die Fällbarkeit ganz ver- schwunden. 24.11. 10° Rinderserum mit 200 °® Alkohol versetzt. 1.IV. Ein Theil des Niederschlages getrocknet, und soweit möglich, in der etwa der ursprünglichen Concentration entsprechenden Menge Wasser gelöst. Reaction gegen Präcipitin: +. Eiweissgehalt dieser Lösung schätzungsweise 0-5 p. m. 6. V. do. Reaction gegen Präeipitin: —. Gehalt dieser Lösung an coagulirbarem Eiweiss schätzungweise 01 p. m. Archiv f£.A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 23 354 L. MICHAELIS UND ÜARL ÖPPENHEIMER: 3. Albuminate. Schütze (48) hat angegeben, dass er gegen ein Albuminat aus Muskel- eiweiss ein Präcipitin erhalten habe. Er coagulirte den Muskelpresssaft durch Hitze und löste in schwacher Natronlauge auf. Wir stellten folgenden Versuch an: 100 °® Rinderserum wurden bei schwach essigsaurer Lösung im sieden- den Wasserbad coagulirt. Nach halbstündigem Kochen mit 50°” 1 procent. Natronlauge möglichst gelöst, filtrirt. Zur Abstumpfung der Alkalinität eine Probe mit der 30 fachen Menge 0-8 proc. NaCl verdünnt: Reaction gegen Antirinderserum: Negativ. Zum Beweis, dass die Alkalinität genügend abgestumpft war, wurde zu diesem Gemisch nachträglich ein Tropfen frisches Rinderserum zugefügt; darauf trat ganz normale Fällung ein. Controle: Genuines Rinderserum in gleicher Verdünnung. Reaction desselben gegen das gleiche Antirinderserum: +++. Unverdünnte Albuminatlösung giebt ebenso wenig eine Reaction, wie verdünnte. Es ergiebt sich daraus, dass wir mit Natriumalbuminat aus Rinderserum kein Präcipitin erzielen konnten. Das Serum dieses Thieres reagirte weder auf das Albuminat, noch auf das unveränderte Serum. 4. Hydrolytische Spaltungsproducte, Albumosen. Ein Versuch, gegen reine Deuteroalbumose aus Rindfleisch zu immunisiren, schlug fehl. Entsprechend den gleich anzuführenden Versuchen starb das Kaninchen schliesslich unter der giftigen Wirkung der Albumose, ohne einen Immunkörper gegen die Albumose in seinem Serum auftreten zu lassen. Zahlreiche Versuche mit käuflichen Albumosengemischen, Pepton Riedel, Eierpepton Merck u.s. w. führten stets zu demselben Resultat (s. oben). Selbst durch sehr vorsichtig gesteigerte Injection ist es uns nicht gelungen, die Thiere vor der giftigen Wirkung der Albumosen zu schützen und bei keinem der Thiere ist ein Präcipitin für dieinjieirte Albumosen- art aufgetreten, auch nicht nach sechswöchentlicher Behandlung. Wir können die vereinzelte Angabe von Myers (24), dass „Peptone“ Präcipitine erzeugen, nicht bestätigen. Im Uebrigen sind die Angaben von Myers über das von ihm angeblich erzeugte Präcipitin gegen Witte’s Pepton sehr auffällig. Dieses Präcipitin soll nämlich durch Hitze inactivir- bar und durch Hinzufügen von normalem frischen Serum reaetivirbar sein, wie die Hämolysine. Ein solches Verhalten wäre ganz ohne Analogie bei den Präcipitinen. ÜBER IMMUNITÄT GEGEN. EIWEISSKÖRPER. 355 Diese Versuche mit aufgespaltenen Eiweisskörpern bestätigen also durch- aus unsere Resultate mit peptischen und tryptischen Spaltungsproducten. War es uns dort nicht gelungen, durch Injection dieser Spaltungsproducte ein Präeipitin für das Muttereiweiss zu gewinnen, so ergaben diese Versuche folgerichtig, dass die „Peptone“ auch gegen sich selbst keine Präci- pitine erzeugen. Die Abhängigkeit der Präcipitinbildung von der Art der Ein- führung des Eiweisses. Im allgemeinen entstehen die Präcipitine nur, wenn die Eiweisskörper auf dem unnatürlichen Wege der subcutanen, intraperitonealen oder intra- venösen, kurz, der directen Injection eingeführt werden. Milch erzeugt per os überhaupt niemals Präcipitin, denn sonst müsste jedes normale Menschenserum ein Präcipitin für Milcheiweisskörper enthalten, was aber nicht der Fall ist. Daran hat wohl die Labwirkung Schuld, welche sofort das eingeführte Milcheiweiss denaturirt und damit nach den obigen Er- örterungen seiner Präcipitin erzeugenden Eigenschaft beraubt. Wir hatten gesehen, dass bei der Pepsinverdauung die bindende Gruppe des Eiweisses sehr rasch zerstört wird. Wir werden schon daraus schliessen können, dass für gewöhnlich die Eiweisskörper bei der Einführung per os wohl keine Präcipitine erzeugen werden. In der That ist das unter gewöhn- lichen Umständen auch nicht der Fall. Jedoch gelingt es nicht schwer, durch wiederholte Einführung grosser Mengen von genuinem Eiweiss per os ein Präecipitin zu erzeugen. Das ist zum ersten Mal von Uhlenhut (49) für das Eierweiss, von uns für Rinderserum beim Kaninchen nachgewiesen worden. Kaninchen von ca. 2000 8m, 10. VI. 10°“ Rinderserum per os (Schlundsonde). Is VE 20% & 16. VI. 230%, n IS yE 20 3 21.VI. 40 „ ” 23.01. 40,7, 26. VI. Probeplutentnahme. Reaction desselben gegen: Rinder- NE Rseudorg,| : Pferdeserum- vollgerum | Huslobini)ie Sinpnknlag ne Ihamin | elobulin #+ | + + — (9) | = Die Ursache, warum bei übermässiger Einführung von genuinem Ei- ‘weiss in den Magen doch die Präcipitinbildung eintritt, liegt offenbar daran, 23% 396 L. MicHAELIS UND CARL ÖÜPPENHEIMER: dass schon im Magen ein Theil des Eiweisses der Pepsinwirkung entgeht. Der Beweis dafür liegt in einem Versuch von Ascoli (28), der in dem Harn von Kaninchen, die er mit der Schlundsonde mit Biereiweiss fütterte, durch die Präcipitinreaction wieder Hühnereiweiss nachweisen konnte. Kurze Mittheilung über die morphologisch nachweisbaren Aenderungen während der Immunisirung. Wenn man einem Kaninchen Rinderserum in die Bauchhöhle injieirt, so tritt eine Emigration von Leukocyten ein, an der die multinucleären granulirten, als auch die grösseren uninucleären ungranulirten (Macrophagen nach Metchnikoff [50]) betheiligt .sind. Diese Emigration pflegt bei schon immunisirten Thieren stärker zu sein als bei frischen Thieren. Ana- tomisch hinterlässt die Resorption des Serums bei frischen Thieren keine Spuren; dagegen findet man bei immunisirten Thieren zwei bis drei Tage nach der Injection grössere und kleinere, freie oder am Peritoneum adhärente, kuchenähnliche solide Eiweissmassen, welche auf Schnitten eine äussere Zone mit starker Leukocyteninfiltration erkennen lassen. Die äusserste Zone wird gewöhnlich von enorm grossen Macrophagen gebildet, während sonst die multinucleären (Mikrophagen nach Metchnikoff) überwiegen. Das ganze Peritoneum und die Darmserosa ist ausserdem übersät mit miliaren, an Tuberkel erinnernden Knötchen, welche mikroskopisch reine Nester von Leukocyten beider Formen sind. Zum Unterschied davon findet man nach der Injection von Albumosen (subeutan oder intraperitoneal) immer nur käsige, sterile Abscesse an der Injectionsstelle, die in der Bauchhöhle zu starken peritonealen Adhäsionen führen. Die Injection von Rinderserum in’s Blut erzeugt bei Kaninchen stets eine Leukocytose, an der fast nur die Multinucleären betheiligt sind. Diese Leukoeytose ist bei schon immunen Thieren erheblich stärker als bei frischen. Weitere Untersuchungen über diese Verhältnisse sind im Gange. Ist das Präcipitin frei im Plasma gelöst? Bei der grossen Bedeutung, die augenscheinlich die Leukocyten bei der Resorption körperfremder Stoffe, die in die Bauchhöhle gebracht worden sind, haben, erschien es uns angebracht, auch der Frage näher zu treten, ob das Präcipitin beim lebenden Thier im gelösten Zustand im Blutplasma vorhanden ist, oder ob es intra vitam an die lebenden Leukocyten gebunden ist und erst bei der Gerinnung des Blutes mit dem Zerfall der Leukocyten frei wird. Diese Frage lag um so näher, als es nach den Arbeiten von ÜBER IMMUNITÄT. GEGEN EIWEISSKÖRPER. 357 Metehnikoff (50) und seiner Schüler sehr wahrscheinlich geworden ist, dass die cytolytischen Complemente gegen Blutkörperchen, Bakterien u. s. w. an die lebenden Leukocyten gebunden sind und erst beim Zerfall dieser Elemente frei werden. Dieser Zerfall mag nun bei der Gerinnung ausserhalb des thierischen Körpers oder innerhalb desselben in stagnirenden Körper- höblen-Exsudaten erfolgen („Phagolyse‘“ nach Metchnikoff). Dagegen befindet sich der Immunkörper bei diesen Vorgängen, wie auch Metch- nikoff selbst zugiebt, frei in den Säften gelöst. Ein Versuch, der mit dem Blute eines gegen Rinderserum immuni- sirten Kaninchens angestellt wurde, ergab, dass das Präcipitin frei im Plasma gelöst ist. Einem gegen Rinderserum immunisirten Kaninchen werden etwa 3 °“ Blut entnommen und sofort in einem mit Paraffin (nach Bordet) ausge- sossenen Centrifugenglas aufgefangen, scharf centrifugirt und das Plasma abgehoben, und mit einem Tropfen 5 proc. Kaliumoxalatlösung ! versetzt. Diese Flüssigkeit wird gegen dreifach verdünntes Rinderserum geprüft, das vorher ebenfalls mit oxalsaurem Kali versetzt und klar sedimentirt war. Reaction: +++. Controle: Reaction des aus demselben Blut auf gewöhnliche Weise gewonnenen Serums ++ (nicht stärker!). Quantitative Beziehung der Präcipitine zu den fällbaren Eiweisskörpern. Es lag nach den ersten Arbeiten nahe, die Präcipitine als eine specielle Art von Gerinnungsfermenten aufzufassen. Es zeigte sich jedoch, dass das wesentliche Moment der Fermentwirkung hier fehlt. Präcipitine werden nämlich bei der Fällung quantitativ in beträchtlichen Mengen verbraucht. Allerdings werden ja auch die Fermente schliesslich verbraucht, jedoch langsam und relativ zu ihrem Substrat in sehr geringen Mengen. Die Fermentwirkung ist im Wesentlichen eine der katalytischen Wirkung nahe stehende und nur eben in Folge dieses schliesslichen langsamen Verbrauches keine reine Katalyse. Die Präcipitine dagegen werden von vornherein in ganz analoger Art von den Eiweisskörpern gebunden und verbraucht wie ! Diese Methode ist leider nicht absolut einwandsfrei. Wie nämlich Control- versuche zeigten, ist der Zusatz von Oxalat doch nothwendig, weil das auf die an- gegebene Weise gewonnene Plasma zwar spät, aber schliesslich doch gerinnt. Es enthält also etwas Fibrinferment. Da man nun dieses Ferment aus zerfallenen Leukoeyten herzuleiten berechtigt ist, so könnte man annehmen, dass das im Plasma nachgewiesene Präcipitin doch schon dem Zerfall von Leukocyten seine Entstehung verdanke. Da dieser Zerfall aber nur minimal sein kann, so hätte die Reaction zum Mindesten viel schwächer sein müssen, was aber nicht der Fall war. 358 L. MicHAELIS UND ÜARL ÖPPENHEIMER: ein Toxin und ein Antitoxin oder wie eine Säure und eine Base. Bei Ein- haltung bestimmter, jedes Mal auszuprobirender quantitativer Bedingungen kann man es so einrichten, dass entweder das Präcipitin ganz verbraucht ist, so dass die filtrirte Flüssigkeit kein Präcipitin mehr enthält, sondern im Gegentheil mit neuem Präcipitin wiederum einen Niederschlag giebt. Umgekehrt gelingt es ebenfalls, die Mischung so zu gestalten, dass das Filtrat des Niederschlags kein fällbares Eiweiss mehr enthält, wohl aber noch überschüssiges, nachweisbares Präcipitin. Es ist zweifellos sehr interessant, diesen quantitativen Bindungsverhält- nissen noch ınehr nachzugehen und vielleicht genauere Gesetze dafür zu finden, wie es Eisenberg (51) gethan hat. Indessen wurden diese Ver- suche von uns nicht weiter ausgedehnt, weil sie zur Förderung unserer Ansichten nichts mehr beitragen konnten. Es genügt uns, den quantitativen Verbrauch des Präcipitins an sich nachgewiesen zu haben. Die Bindung des Präcipitins an die Eiweisskörper folgt also ähnlichen einfachen Gesetzen, wie die Bindung zwischen Toxin und Antitoxin in der Weise, wie sie von Ehrlich nachgewiesen ist. Wie aus den dargelegten thatsächlichen Verhältnissen hervorgeht, zeigt die Entstehung und das Verhalten der Präcipitinreaction die weitgehendsten Analogieen mit den Verhältnissen, wie sie bei der Einführung bestimmter Gifte oder geformter Elemente zu finden sind. Diese Analogieen zeigen sich in folgenden Punkten. 1. Die specifische Reaction des Körpers, die sich in mehr oder weniger ausschliesslicher Weise auf den eingedrungenen Stoff richtet. 2. Die Bildung eines specifischen Antikörpers als Ausdruck dieser Reaction. 3. Die specifische Bindung dieses Antikörpers an den ein- eeführten Stoff. 4. Einfache quantitative Gesetze der Bindung zwischen den beiden Stoffen. Man dürfte also nicht fehl gehen, wenn man für den Mechanismus dieser Reaction eine ähnliche Erklärung heranzieht, wie für die Bildung der übrigen Antikörper. Die Möglichkeit dieser theoretischen Erklärung bietet die Seitenkettentheorie von Ehrlich, die bisher gegen alle An- griffe erfolgreich verteidigt worden ist. Obgleich man diese wichtige Theorie heute in ihren Grundzügen als allgemein bekannt voraussetzen darf, sei es uns doch gestattet, ihre Haupt- momente in wenigen Worten zu recapituliren. Schon in seiner weitvoraus- schauenden Arbeit über das „Sauerstoffbedürfniss des Organismus“ (Berlin 1885) hat Ehrlich in dem Molecül des lebenden Protoplasmas scharf ÜBER ImmUNITÄT GEGEN EIWEISSKÖRPER. 359 unterschieden zwischen dem „Leistungskern“ und den „Seitenketten“. Der Kern stellt nach seiner Anschauung den stabileren Theil des Molecüls dar, der die eigentliche Vitalität der Zelle aufrecht erhält. Ihn umgeben als Werkzeuge des lebenden Protoplasma-Molecüls ein Heer von Seitenketten, die in ihrem Entstehen und Vergehen den Energiewechsel der Zelle be- streiten. Diesen Seitenketten schrieb Ehrlich in erster Linie eine grosse physiologische Bedeutung insofern zu, als sie den Sauerstoff und die Nähr- stoffe an sich binden und der Verarbeitung durch die Spannkräfte der lebenden Zelle entgegenführen. Später hat Ehrlich zur Erklärung der Wirkung gewisser specifischer Gifte (Toxine) seiner Anschauung von den Seitenketten ein schärferes, auf chemischen Betrachtungen beruhendes Ge- präge gegeben, indem er ihnen die Fähigkeit der specifischen Bindung vindieirte. Diejenigen, noch am Leistungskern haftenden Seitenketten, welche die Fähigkeit haben, Toxine, körperfremde Eiweissstoffe u. s. w. zu binden, nennt Ehrlich jetzt Receptoren und führt aus, dass diese Re- ceptoren nur solche bindenden Gruppen an sich ketten können, die ihnen in bestimmter Weise angepasst sind. Es sei erlaubt, auch an dieser Stelle das berühmte Bild von Emil Fischer von dem Schlüssel, der in das Schloss passen muss, als bildliche Erläuterung dieses Gedankenganges heran- zuziehen. ! Das Gesetz von der specifischen Bindung, das wir in der Ein- leitung als biologisches Grundgesetz hingestellt haben, beruht nach Ehrlich auf dem Vorhandensein zweier in einander passender Haftgruppen Bank phorer Gruppen). Nehmen wir nun an, dass durch eine derartige Bindung eine bestimmte Art von Seitenketten an einem Protoplasma-Molecül yollkommen abgesättigt se. Dann wird der Leistungskern bestrebt sein, diese nunmehr ausge- schalteten Seitenketten zu regeneriren, und nach dem von Weigert zuerst formulirten Gesetz des „bioplastischen Reizes“ wirkt die abnorme Inan- spruchnahme der Seitenketten als ein dauernder Reiz, diese Art von Seiten- ketten von Neuem zu produciren und schliesslich sogar zu secerniren. Die secernirten Seitenketten werden in die Blutbahn geworfen. Da sie nun ihre speeifisch bindenden Gruppen noch besitzen, so werden sie, auch losgelöst vom Verband des Protoplasmas, befähigt sein, den mit einer passenden haptophoren Gruppe behafteten Eindringling nach wie vor zu binden und auf diese Weise von der lebenden Zelle abzulenken. Die los- gelösten Receptoren stellen die Antikörper dar. Es ist absolut gleichgültig, welcher Art diese eingedrungenen Reizsubstanzen sind. Es kommt für diesen Reactionsvorgang ausschliesslich darauf an, dass sie passende hapto- ! Vgl. Oppenheimer (55), 8. 63 ff. 360 L. MiCHAELIS UND ÜARL ÖÜPPENHEIMER: phore Gruppen für die Körperreceptoren besitzen. Es ist also gleichgültig, ob diese Stoffe in fester Verkettung sich an morphologischen Gebilden be- finden, oder ob sie gelöste Gifte oder körperfremde Eiweisskörper sind. Die Präecipitine sind solche abgelösten Receptoren. Ein mit einer solchen specifischen haptophoren Gruppe ausgerüstetes Molecül, ein Körper, den die Ehrlich’sche Terminologie als „Haptin“ bezeichnet, kann nun noch andere Gruppen enthalten, welche die specifische Wirksamkeit des Körpers bedingen. Diese Gruppen kann man als „ergophore Gruppen“ zusammenfassen. Handelt es sich also um ein giftiges Haptin, so wird dieses ausser seiner haptophoren noch eine „toxophore‘“ Gruppe enthalten. Handelt es sich um ein mit einer hapto- phoren Gruppe versehenes Ferment, wie das Lab, so wird es noch eine „zymophore“ Gruppe enthalten. So enthalten die Agglutinine und Präci- pitine auch entsprechende ergophore Gruppen. Zur Annahme einer solchen ergophoren Gruppe neben der haptophoren werden wir dadurch gezwungen, dass es Stoffe giebt, welche aus den wirk- samen Haptinen durch leichte Eingriffe entstehen, und die dadurch ausge- zeichnet sind, dass bei ihnen die specifische Wirkung (z. B. Giftwirkung) verloren gegangen ist, ohne dass die Bindungsfähigkeit dadurch gelitten hat. Auf diese Stoffe stiess zuerst Ehrlich bei der Untersuchung der Diphtherie- Toxine und nannte sie Toxoide (5). Neuere Untersuchungen weisen aber deutlich darauf hin, dass ähnliche Verluste der ergophoren Gruppen nicht den Toxinen allein eigen sind, sondern dass derartige „Haptoide“ fast allgemein sich aus den echten Haptinen herleiten lassen. Wir erwähnen nur die Ricin-Toxoide von Jacoby (43), die Complementoide von Ehrlich und Morgenroth und die Agglutinoide von Eisenberg und Volk (52). Es wäre also zur weiteren Stütze dieser auf dem Boden der Ehrlich’- schen Theorie stehenden Anschauung über das Wesen der Präcipitine ein wertvoller Fortschritt, wenn sich derartige Haptoide auch bei diesen Vor- gängen nachweisen liessen. Welche Wirkung haben nun die ergophoren Gruppen bei den Präeci- pitinen? Die Wirkung besteht in der Fällung des vermittelst der hapto- phoren Gruppen zunächst gebundenen Eiweisses, wobei wir die unentschiedene Frage als völlig gleichgültig hier ausser Acht lassen, ob nicht das Ausfallen selbst die secundäre Folge einer primären Veränderung des Eiweisskörpers ist in ähnlicher Art, wie diese bei der Labgerinnung sicher nachgewiesen ist. Jedenfalls wird die Wirkung nur durch die Fällung manifest und an der Fällung können wir allein die Wirksamkeitsbedingungen der ergophoren Gruppen erkennen. Wollen wir also die Existenz von Haptoiden nachweisen, so müssen wir Stoffe finden, die die Eiweisskörper binden, ohne sie zu fällen. Diese Bindung können wir wiederum nur dadurch nachweisen, dass ÜBER IMMUNITÄT GEGEN FIWEISSKÖRPER. 361 es gelänge, die so gebundenen Eiweisskörper vor der nachträglichen Wirkung nachher zugesetzten wirksamen Präecipitins zu schützen. Nach solchen Stoffen ist mit grossem Eifer gesucht worden, und Kraus und Pirquet (54) sowie Biranore geben an, derartige Präcipitoide durch gelindes Erhitzen aus den Präcipitinen erhalten zu haben. Wir wollen auf diese Frage an dieser Stelle nicht näher eingehen, da wir diese Angaben nach unseren eigenen Erfahrungen bisher nicht unbedingt bestätigen können. Wir sind demnach berechtigt, die Präcipitine aufzufassen als losge- rissene Receptoren mit einer auf die bindende Gruppe des erzeugenden Eiweissstoffes eingestellten haptophoren Gruppe und vielleicht einer ergo- phoren Gruppe, die den gebundenen Eiweisskörper zur sichtbaren Aus- scheidung bringt. Diese Anschauung wird dadurch nicht erschüttert, dass diese Receptoren nicht ausschliesslich durch einen absolut bestimmten Ei- weissstoff losgerissen werden, sondern wir brauchen nur das Vorhandensein gleicher haptophorer Gruppen, wenn auch vielleicht in ungleicher Menge, in den verschiedenen Eiweissstoffen anzunehmen. Dies würde durchaus mit den Befunden von Ehrlich bei den Vorgängen der Hämolyse überein- stimmen, wo er an den Blutkörperchen verschiedener Thierarten identische Receptoren in verschiedener relativer Menge gefunden hat. Nach den bisher vorliegenden Thatsachen müssen wir annehmen, üass die haptophore und die ergophore Gruppe zu einem Molecül gehören. Wenigstens war es bis zum Abschluss dieser Arbeit nicht gelungen, in der- selben Weise wie bei den Hämolysinen diese beiden Gruppen in getrennten Stoffen (Amboceptor und Complement) nachzuweisen. Die Verwerthbarkeit der Präcipitinreaction für physiologische Probleme. Wenn wir auch hoffen dürfen, dem Mechanismus der Präeipitin- wirkung auf Grund der Ehrlich’schen Ideen seine Rätsel zu nehmen, indem wir seine weitgehenden Analogien mit dem Mechanismus der Anti- toxinbildung nachweisen können, so ist doch zweifellos der physiologische Werth dieser Reaction ein durchaus von dem der Schutzkörperbildung zu unterscheidender. Bei der Bildung der Schutzstoffe gegen Toxine, Fermente und morphologische Gebilde handelt es sich um eine in ihren Zwecken relativ einfache Abwehrerscheinung des angegriffenen Organis- mus. Der Werth dieser Reaction liest darin, dass die eingeführten chemischen Schädlinge neutralisirt, die geformten zerstört werden. Die Frage nach dem Werth der Präcipitine für den Organismus ist viel schwieriger zu beantworten. Zunächst könnte es überhaupt sonderbar 362 L. MicHhAELIS UND ÜARL ÖPPENHEIMER: erscheinen, dass der Organismus in ganz ähnlicher Art wie gegen schäd- liche Substanzen auch gegen die als Nährstoffe geltenden Eiweissstoffe reagirt. Aber dieser Unterschied ist doch nur scheinbar. Denn in Wirk- lichkeit hat der Körper keine Gelegenheit, auf natürlichem Wege körperfremde, genuine Eiweissstoffe zu resorbiren, weil die Ver- dauungsfermente nach unseren obigen Darlegungen die bin- dende Gruppe der zugeführten Eiweisskörper zerstören. Besonders zweckmässig muss es uns erscheinen, dass gerade das Pepsin, als das erste proteolytische Ferment, denen die Eiweisskörper auf natürlichem Wege begegnen, die Fähigkeit hat, die Specificität der genuinen Eiweisskörper sehr schnell, schneller als den Eiweisscharakter an sich zu zerstören. Nach den neueren Arbeiten von Cohnheim, und Kutscher und Seemann hat es ja den Anschein, als ob normaler Weise die Eiweissstoffe im Darnı erst zu relativ einfachen Bruchstücken gespalten werden, ehe sie resorbirt werden; und besonders die Arbeiten von Loewy, der N-Gleichgewicht mit biuretfreien Spaltungsproducten erzielen konnte, deuten darauf hin, dass normaler Weise wenigstens ein Theil des assimilirten Körpereiweisses durch neuen Aufbau aus relativ einfachen Bruchstücken gewonnen wird. Was aber auch dem Darm für Biweissbruchstücke zugeführt werden mögen, die Darmwand baut daraus, soweit sie überhaupt noch verwendbar sind, immer körpereigenes Eiweiss auf. Dieses erst ist der eigentliche Nähr- stoff des Körpers, der zur Assimilation benutzt wird. Es giebt, in dem eigenen Körper des Thieres eirculirend, niemals eine der Präcipitin- bildung vergleichbare Reaction, sondern es circulirt entweder, oder es wird assimilirt und verbrannt. Der Modus dieser Assimiliation entzieht sich vor- läufig noch unserer Kenntniss und wenn wir hier mit Ehrlich annehmen, dass auch zu diesem Process Bindung durch Receptoren erforderlich ist, so wirkt diese Bindung des körpereigenen Eiweisses nicht als Reiz für das Protoplasma, die betreffenden Receptoren zu überproduciren und abzustossen. Der Reiz zur Abstossung der Receptoren ist im allgemeinen um so intensiver, je weniger die Thierarten verwandt sind, je fremd- artiger also, um es gröber auszudrücken, der zugeführte Eiweisskörper ist. Wenn auch gerade für die Präcipitine darüber noch keine Versuche ange- stellt worden sind, so ergiebt sich doch als Analogie mit den Immunisirungs- versuchen gegen rothe Blutkörperchen, dass die Bildung eines Antikörpers um so eher eintritt, je artverschiedener die Thiere sind. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Kaninchen gegen ihr eigenes im Blute circulirendes Serum niemals ein Präcipitin bilden werden, obgleich doch das Kaninchen- serum bindungsfähige Eiweissstoffe enthält, die sich z. B. nach der Injection desselben in das Meerschweinchen durch Bildung eines Präcipitins sofort bemerkbar machen. Es folgt einerseits aus den experimentellen Versuchen ÜBER ImmunItTtÄT GEGEN FIwEISSKÖRPER. 363 bei der Verdauung, andererseits aus der Thatsache, dass die Thiere niemals gegen ihr eigenes Eiweiss Autopräcipitine bilden, dass das körper- eigene Eiweiss ohne jeden Reiz, der zu einer Immunitätsreaction führen könnte, assimilirt wird, und eben daraus, dass die Thiere auf jedes andere, körperfremde Eiweiss, das direct den Geweben zugeführt wird, mit der Bildung eines Präcipitins reagiren, folgt, dass sie eben nur das in der Darmwand neu aufgebaute körpereigene Eiweiss ohne das Entstehen einer Reaction assimiliren können. Wenn man nun einem Thier übermässige Mengen eines genuinen Eiweisskörpers auf dem natürlichen Wege durch den Mund zuführt, so wird einerseits ein Theil dieses Eiweisses durch den Harn ausgeschieden, wie lange bekannt ist, und gleichzeitig tritt nach unseren Versuchen allmählich eine Präcipitinbildung gegen diesen Eiweisskörper auf. Daraus folgt zweierlei: Erstens, die fermentativen Kräfte des Darmcanals haben nicht ausgereicht, um das Eiweiss genügend abzubauen, und zweitens, das Eiweiss muss also als körperfremdes Eiweiss resorbirt worden sein, denn es erscheint noch als körperfremdes Eiweiss im Harn wieder, wie sich durch die Präcipitin- reaction nachweisen lässt (Ascoli [28]). Es hat also zeitweise bei diesem Vorgang genau wie bei der directen Einführung in die Blutbahn als körper- fremdes Eiweiss cireulirt, ohne vollständig gebunden zu werden. Ein anderer Theil des so eingeführten Eiweisses muss aber nothwendiger Weise an die Receptoren gebunden gewesen sein, um mit ihrer Hülfe der Assimilation entgegengeführt zu werden. Das Problem, auf welches wir damit hingelenkt werden, ist die Frage nach der Bedeutung der wirksamen Gruppen an diesen Receptoren, die wir an den Präcipitinen, d. h. also den abgestossenen Receptoren, mit Hülfe der sichtbaren Fällung nachweisen können. Die Frage, die dabei gestellt wird, ist die, ob diese ergophore Gruppe des Receptors, die im Reagensglas eiweissfällend wirkt und dadurch etwa vergleichbar der Labgerinnung den Eiweisskörper denaturirt, auch im Organismus dieselbe Function hat, durch diese Veränderung den Eiweisskörper seiner specifisch körperfremden Eigenschaft zu berauben und ihn dadurch glatt assimilationsfähig zu machen. Wenn man eine der- artige Anschauung acceptirt, so ist die physiologische Bedeutung der Präci- pitinreaction aufgeklärt, und in dieser Richtung hätte sich die weitere Forschung zu bewegen. Wenn nun ein Thier ein speeifisches Präcipitin gegen eine Eiweissart im Blute kreisend enthält, so wird es in der Lage sein, dieses Eiweiss zu fällen, und dabei könnte der Fall eintreten — so könnte man in Analogie mit dem Reagensglasversuch annehmen —, dass in der Blut- bahn dieses Thieres nach Injection des betreffenden Eiweisskörpers jedesmal ein Gerinnsel entstünde. Das wäre dann nicht ein zweckmässiger, sondern 364 L. MicHAELIS UND ÜARL ÜPPENHEIMER: im Gegentheil ein schädlicher Vorgang. In Wirklichkeit verträgt aber, wie wir uns wiederholt überzeugt haben, ein immunes Thier jede beliebige Injection des betreffenden Eiweisses in die Venen ohne sichtbare Verän- derung. Nur ein Symptom zeigt sich dabei regelmässig, eine ganz enorme Leukocytose, an der ganz vorwiegend die amphophilen multinucleären Leukocyten betheiligt sind (s. oben). Wahrscheinlich lassen es diese Leuko- cyten gar nicht erst zur Präcipitirung kommen, sondern nehmen die Eiweiss- stoffe intra vitam in dem Augenblick ihrer Bindung an das freieirculirende Präcipitin in phagocytärer Weise auf. Ein experimenteller Nachweis einer solchen Phagocytose, wie er Metchnikoff bei den geformten Elementen gelungen ist, wäre für unseren Fall äusserst schwer und ist uns auch nicht gelungen. Das Auftreten der starken Leukocytose nach der In- jektion beim immunen Thier, in Combination mit der Erwägung, dass die Präcipitine frei im Blutplasma circuliren, wie wir oben nachgewiesen haben, und trotzdem bei der Injection keine Gerinnsel im Blute entstehen, führt uns zu der Annahme, dass die Leuko- cyten nicht den Eiweissstoff als solchen, sondern erst nach seiner Veränderung durch das Präcipitin aufnehmen. Litteraturverzeichniss. 1. Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immunität (Riein, Abrin). Deutsche medicinische Wochenschrift. 1891. 8. 976. 1218. — Zur Kenntniss der Anti- toxinwirkung. Fortschritte der Mediein. 1897. 8.41. 2. Wassermann, Untersuchungen über einige theoretische Punkte der Immuni- tätslehre. Zeitschrift für Hygiene. 1896. Bd. XXII. S. 263. 3. Calmette, Contrib. a l’&tude des venins. Ann. Pasteur. 1895. T. IX. p. 225. 4. Martin und Cherry, The nature of the antagonism between toxins and antitoxins. Proc. Royal Soc. 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Pfeiffer, Untersuchungen über Cholera. Zestschrift für Hygiene. Bd. Xl bis XX. — Ein neues Grundgesetz der Immunität. Deutsche medicinische Wochen- schrift. 1896. Nr. 9. S. 119. 14. Pfeiffer und Kolle, Ueber die specifische Immunitätsreaction der Typhus- bacillen. Zeischrift für Hygiene. 1896. Bd. XXI. 8. 203. 15. Wassermann, z. B. Untersuchungen über Immunität gegen Cholera asiatica. Zeitschrift für Hygiene. 1893. Bd. XIV. 3.35. (Siehe auch Nr. 2 der Litteratur. 16. Bordet, Agglutination et dissolution des globules rouges. Ann. Pasteur. 1899. T. XII. p. 273. — Les serums h&molytiques. Zbenda. 1900. T. XIV. p. 257. 17. Ehrlich und Morgenroth, Ueber Hämolysine I bis VI. Berliner klinische Wochenschrift. 1899. Nr. 6. 8.481; 1900. Nr. 21, 31; 1901. 3. 251, 569, 598. 18. Landsteiner, Zur Kenntniss der antifermentativen Wirkungen u. s. w. Centralblatt für Bakteriologie. 1900. Bd. XXVII. 19. Metchnikoff, Sur la spermotoxine. Ann. Pasteur. 1900. T. XIV. p. 1. 20. Kraus, Ueber specifsche Reaction in keimfreien Filtraten. Wiener klinische Wochenschrift. 1897. 8. 736. 21. Tehistovitch, Etudes sur ’immunis. contre le serum d’anguille. Ann. Pasteur. 1899. T. XIII. p. 406. 22. Bordet, Zbenda. 1899. p. 240. 23. Wassermann, Congress für innere Mediein. 1900. 8.501. — Wasser- mann und Schütze, Deutsche medieinische Wochenschrift. 1900. Nr. 30. 23a. Fisch, Studies on Lactoserum. Courier of Medecine St. Louis. 1900. Citirt nach Wassermann. 24. Myers, On immunity against proteids. Proc. pathol. Soc. 1900. — Immunität gegen Proteide. Centralblatt für Bakterivlogie. 1900. Bd. XXVIII. 8. 237. 25. Ehrlich, „On Immunity‘“ Croonian Lecture. Proc. Royal Soc. 1900. Vol. LXVI. p. 424. 26. Zülzer, Zur Frage der biologischen Reaction auf Eiweiss. Deutsche medi- cinische Wochenschrift. 1901. 8. 219. 27. Leclainche und Vallee, Note sur les anticorps albumineux. Soc. Biol. 1901. T. XLII. 98. Ascoli, Ueber den Mechanismus der Albuminurie. Münchener medieinische Wochenschrift. 1902. 3. 398. 29. Wassermann, siehe Nr. 23. — Wassermann und Schütze, Ueber eine neue forensische Methode. Berliner klinische Wochenschrift. 1901. 8. 187. 30. Deutsch, Le diagnostie des taches de sang. Congres internationale. Paris. 1900. p. 121. — Die forensische Serumdiagnose des Blutes. Centralblatt f. Bakterio- logie. 1901. Bd. XXIX. 8. 661. 31. Uhlenhuth, Eine Methode zur Unterscheidung der verschiedenen Blutarten. Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. S. 82. 32. Obermayer und Pick, Biologisch-chemische Studie über das Eiklar. Wiener klinische Rundschau. 1902. Nr. 15. 33. Nolf, Contribution a l’etude des serums antihematiques. Ann. Pasteur. 1900. T.XIV. p. 297. 34. L Michaelis, Untersuchungen über Eiweisspräcipitine. Verh. des Vereins für innere Mediein. Berlin 1901/02. S. 479. 366 NL. MICHAELIS UND (Ü. OPPENHEIMER: ÜBER ImMUNITÄT v. Ss. w. 35. Umber, Zur Chemie und Biologie der Eiweisskörper. Berliner klinische Wochenschrift. 1902. 8. 657. 36. Hamburger, Biologisches über die Biweisskörper der Kuhmilch. Wiener klin. Wochenschrift. 1901. S. 1202. 37. Fuld, Ueber das Bordet’sche Laetoserum. Hofmeister’s Beiträge. 1902. Bd. II. 8.425. 38. Rostoski, Ueber den Werth der Präcipitinreaetion. Münchener mediecinische Wochenschrift. 1902. 8. 740. 39. Landsteiner und Calvo, Zur Kenntniss der Reactionen des normalen Pferde- serums. Centralblatt für Bakteriologie. 1902. Bd. XXXL 8.781. 40. Ehrlich, Werthbemessung des Diphtherieserums. Klin. Jahrbücher. Bd.V!. 41. Madsen und Dreyer, Ueber Immunisirung mit den Toxonen des Diphtherie- giftes. Zeitschrift für Hygiene. 1901. Bd. XXXVI. 8. 249. 42. Brieger, Weitere Erfahrungen über Bakteriengifte. Zeitschrift f. Hygiene. 1895. Bd. XIX. S. 111. 43. Jacoby, Ueber die chemische Natur des Rieins. Archiv für experimentelle Pathologie. 1900. — Ueber Rieinimmunität. Hofmeister’s Beiträge. 1901. Bd.I. 8.51. 44. Hausmann, Zur Kenntniss des Abrins. Zbenda. 1902. Bd. II. 8. 134. 45. Fermi, Arch. ital. d. Biol. 1895. p. 433. 46. Matthes, Experimentelle Beiträge zur Frage der Hämolyse. Münchener med. Wochenschrift. 1902. 8.8. 471. Weinland, Ueber Antifermente. Münchener mediein. Wochenschrift. 1902. S. 1204. Sitzungsbericht. 48. Schütze, Weitere Beiträge zum Nachweis verschiedener Eiweissarten. Zeit- schrift für Hygiene. 1901. Bd. XXXVI. 8. 487. 49. Uhlenhuth, Neuer Beitrag zum specifischen Nachweis von Eiereiweiss. Deutsche medicin. Wochenschrift. 1901. S. 734. 50. Metchnikoff, ZD’rmmunite. Paris 1901. 51. Eisenberg, Beiträge zur Kenntniss der specifischen Präecipitationsvorgänge. Bull. Acad. d. Sciences C’racovie. 1902. 8.289. S.-A. — Untersuchungen über speci- fische Präcipitationsvorgänge. Centralblatt f. Bakteriologie. 1902. Bd. XXXIL 8. 773. 52. Eisenberg und Volk, Untersuchungen über die Agglutination. Wiener klin. Wochenschrift. 1901. 8.1221. 53. C. Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen. Leipzig 1900. 54. R. Kraus und Freiherr von Pirquet, Weitere Untersuchungen über speci- fische Niederschläge. Oentralblatt für Bakteriologie. Bd. XXXIL 8. 60. 55. Ide, Die Antikörper der chemisch reinen Eiweissstoffe. Fortschritte der Mediein. 1901. Schwellenwerth und Tonhöhe. Von H. Zwaardemaker und F. H. Quix in Utrecht, (Hierzu Taf. VII.) Im Jahre 1890 hat einer von uns in einer systematischen Untersuchung normaler Gehörorgane den Bereich der Tonempfindung als Function des Alters festzustellen versucht, was ihm anfänglich nur für die obere Grenze gelang.! Bald darauf hat er zusammen mit Cuperus die untere Ab- grenzung der Scala vorgenommen und die früheren Bestimmungen an einer Reihe neuer Fälle wiederholt.” Diese sowohl als die Resultate der vorigen Untersuchung wurden von F. Bezold bestätigt;? nur fand dieser die Diffe- renz zwischen Jugend und Alter nicht so gross wie wir, was unsererseits zu einer besonderen Untersuchung nach dem Einfluss der Intensität Ver- anlassung gab. Es zeigte sich, dass eine Steigerung der Intensität des angewendeten Schalles bis auf das Tausendfache die obere Grenze um eine Terz erhöhen kann.* Aus dem gleichen Grunde ist auch die untere Grenze unsicher, weil beim Hinuntergehen in der Scala immer grössere Amplituden in Verwendung kommen; in Folge dessen müssen nothwendig Töne von ungleicher physikalischer Intensität verglichen werden.° Später ! Zwaardemaker, Ned. Tijdsehr. v. Gen. 1890. Vol.H. p. 737. — Archiv f. Ohrenheilk. Bd. XXX1I. 8. 53 (Galtonpfeife, König’sche Klangstäbe). Die Aichung der Pfeife nach der Methode v. d. Plaats’ fand im Jahre 1891 statt. Eine Abhand- lung F. Siebenmann’s, die zu ähnlichen Resultaten, sei es auch ohne Feststellung der wirklichen Tonhöhe, führte, erschien Zeitschrift für Ohrenheilk. 1891. Bd. XXI. S. 285. 2 Archiv für Ohrenheilk. Bd. XXXV. S. 299. s F. Bezold, Zeitschrift für Ohrenheilk. 1892. Bd. XX11. S. 258. * Wwaardemaker, Zbenda. 1893. Bd. XXIV. S. 303. 5 Derselbe, Ebenda. 1893. Bd. XXIV. S. 303 und Zeitschrift für Psych. und Physiol. der Sinnesorgane. 1894. Bd. VII. 8.10. 368 H. ZWAARDEMAKER unD F. H. Qu: hat eine physikalische Untersuchung v. Schaik’s! noch gezeigt, dass, obgleich die Appunn’sche Lamelle und auch die grossen Stimmgabeln an sich. einfache Pendelbewegungen ausführen, jene grossen Ausschläge bei der Uebertragung ihrer Bewegung an die Luft zu Obertönen Veranlassung geben. Diese Complication macht es überhaupt unmöglich, einen absolut sicheren Werth für die untere Begrenzung der Scala zu finden. Nur Ver- gleichung ist gestattet. Annähernd wird in der Kindheit die menschliche Tonleiter sich von E® bis f’, im Alter von 4° bis g® ausdehnen. Die Einschränkung bemisst sich also an der Discantseite auf 5 und an der Bassseite auf 4 Halbtöne. Obenstehende Werthe beziehen sich auf den Fall, dass man vereleichende, durch die verschiedenen Perioden des Lebens durchgeführte Untersuchungen mit Tönen mittlerer Intensität berücksichtigt. Wenn man ausserordentlich kräftige Schallquellen nicht immer einfacher Natur zulässt, dehnen sich die Grenzen der menschlichen Tonleiter noch einigermaassen aus. So fanden Stumpf und Meyer” die obere Grenze bei 20000 Schwingungen, Schwendt? bei 21845 Schwingungen, Edelmann‘ sogar bei 49000 Schwingungen (9°) und glaubt hingegen Schäfer, mit vollständig reinen Intermissionstönen prüfend, die untere Grenze für Erwachsene bei 16 Schwingungen stellen zu müssen. Im Anschluss an diese Untersuchungen hat der eine von uns damals schon angefangen, die Schwellenwerthe als Function der Tonhöhe zu studiren. Er stellte fest, dass die Empfindlichkeit der Ohres discantwärts von fis’ an, basswärts von C an, allmählich bis zum Grenzton abnimmt. Für die Mitteloctaven konnte er damals Genaueres nicht ermitteln, weil die Aus- messung der kleinsten wahrnehmbaren Amplituden auf vorläufig unüberwind- liche technische Schwierigkeiten stiess. Erst durch den Gradenigo’schen Kunstgriff” wurde eine genaue und bequeme Messung, welche in einer längeren Beobachtungsreihe an einer vollständigen Stimmgabelserie durch- geführt werden konnte, in diesem Theil der Scala möglich. Unsere gegenwärtige Untersuchung bezweckt: !v. Schaik, Arch. Neerlandaises. T. XXIX. p. 87. ®? Stumpf und Meyer, Wiedemann’s Annalen. 1897. N.F. Bd. LXI. S. 778. ® Schwendt, Untersuchungen von Taubstummen. Basel 1899. 3. 62. * Edelmann und Wagner, Zeitschrift für Ohrenheilk. Bd. XXXVI. 8.3535. 5 Schäfer, Zeischrift f. Psych. u. Physiol. der Sinnesorgane. 1899. Bd. XXI. DE LU2. 6 Zwaardemaker, Zeitschrift für Ohrenheilk. Bd. XXIV. 8.303 und ferner Section für Natur- und Heilkunde der Prov. Utrechter Gesellsch. 26. Juni 1893. ” Gradenigo, Otfol. Congress. London 1900. 8.15. SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 369 1. Für jeden Ton der Scala die kleinste Amplitude festzustellen, die auf eine bestimmte Art und Weise belauscht, noch gerade ausreicht, um gehört und als Ton erkannt zu werden. 2. Den Energiewerth zu ermitteln, welcher diesem Schwellenwerth entspricht. Diese Aufgabe kann für die verschiedenen Theile der Scala nicht in gleicher Weise gelöst werden. Wir vertheilen deshalb unsere Beschreibung in drei Paragraphen, die sich beschäftigen mit: I. den Mitteloctaven, II. den okeren Octaven, III. den unteren Octaven, um in einem Schlussparagraphen die Scala als ein Ganzes in ihrer relativen „loudness“ ! zu betrachten. $ 1. Mittlerer Theil der Scala. Der mittlere Theil der Scala, welche wir zuerst betrachten wollen, umfasst die Töne von ce bis c®. Als Schallquelle fungirte eine Reihe Stimm- gabeln, aus der Werkstatt von Edelmann in München. Diese Stimm- gabeln konnten mit Laufgewichten beschwert, und dann nach und nach auf alle Töne der chromatischen Scala eingestellt werden. Es war jedoch auch möglich, die Laufgewichte zu entfernen und man erhielt dann die ursprünglichen Töne, auf welche die Gabeln ohne Laufgewichte abgestimmt marenakeNomeeh none, garce.. In allen Versuchen waren die Stimmgabeln mit ihrem von dickem Kautschukringe umgebenen Stiele an einem schweren Holzblocke befestigt. Letzteres geschah mittels zweier Querbalken, die mehr oder weniger an- geschraubt werden konnten und den Stiel entweder in eine im Holze ge- machte Rinne oder aber gegen besondere gabelförmige Stützen andrückten. Es zeigte sich nicht indifferent, wo der Stiel fixirt wurde und auch der von den Querbalken ausgeübte Druck musste sorgfältig regulirt werden, sonst klangen die Gabeln schnell aus, was die Beobachtung merklich erschwerte. Vorläufige Versuche. In einer ersten Reihe von Versuchen wurde durch ein binaurales Stethoskop, wie man ein solches für den Phonographen verwendet, jedoch mit besonders engen Röhren, gehört. Dasselbe war mit seinem Trichter ! Rayleigh, Theory of Sound. Vol.I. p. 14. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 24 870 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Qu: auf 1°® Abstand über das ungefähre Toncentrum gestellt. Was wir uns unter Toncentrum einer Stimmgabel zu denken haben, wird später definirt werden !; vorläufig wählen wir es in der Axe der Gabel auf 2!/,°® von den Enden der Beine. In dieser Weise haben wir die sieben genannten Stimmgabeln durchgeprüft, sowohl belastet von Ton zu Ton als auch un- belastet mit Quinten und Quarten ansteigend. Gleichzeitig beobachteten wir unter dem Mikroskope die Abnahme der Amplitude der immer mehr verklingenden Gabel. Zu diesem Zwecke hatten wir eine Figur von Gradeingo und zwar in der handlichen, von Struycken? angegebenen Form auf Glas photographiren lassen. Die Basis der äusseren Figur war 200 u, die Basis der inneren Figur 20 u breit. Wenn die Doppelbilder der äusseren Figuren einander berührten, betrug die doppelte Amplitude also 200 u, wenn die Doppelbilder der inneren Figuren einander berührten, betrug dieselbe 20 u. Da die Höhe des Drei- ecks durch lange, der Basis parallelen Striche in 10 Theile getheilt war, liessen sich an der äusseren Figur 20 u, an der inneren 2u bequem ab- lesen. Sogar die Möglichkeit, eine doppelte Amplitude von lu zu schätzen, war nicht ausgeschlossen. Zur bequemeren Handhabung des Mikroskopes wurde der Tisch und der Spiegel entfernt und an Stelle des letzeren eine Mignonlampe von sechs Volts angebracht. Der Beobachter folgt durch das Mikroskop dem allmäh- lichen Kleinerwerden des Ausschlags, was sich kund giebt durch das mehr und mehr einander bedecken der Doppelbilder des Gradenigo’schen Drei- ecks. Gleichzeitig hört er den Ton durch das binaurale Stethoskop und merkt den Moment, an welchem der Schall verklinst. Wenn es ihm erwünscht erscheint, dem Ohre einen Augenblick Ruhe zu geben, so drückt er einfach mit den Fingern die Hörröhre zu und stellt fest, ob der Ton bei der Wiederöffnung derselben auf’s Neue gehört wird. So hält es für die Stimmgabel niederer Tonhöhe nicht schwer, die Amplitude heraus zu finden, welche unter diesen Umständen dem Minimum perceptibile ent- spricht. Die Stimmgabeln höherer Tonhöhe als C! klingen länger, als das Auge unter dem Mikroskope eine Amplituden-Messung ausführen kann. ? ! Der Begriff „Toncentrum“ ist unseres Wissens zuerst von E. Schmiegelow aufgestellt. Otol. Congress. London 1900. S. 14. * Struycken, Nederl. Tijdschrift v. Geneesk. 1902. Vol.I. p. 728. ® Noch kleinere Figuren als die von uns verwendeten photographiren zu lassen, hat keinen Zweck, weil durch die Berührung der Mikrometerschraube des Mikroskopes entstehende Erschütterungen die Herbeiziehung stärkerer Vergrösserungen als z.B. D SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. Sal Verfolst man aber die allmähliche Verkleinerung der Amplitude von 200 u bis auf 20 u und merkt man sich die Zeit, welche von dem Durchgang durch den Strich von 20 u bis zu dem Augenblicke, an welchem der Ton aufhörte, gehört zu werden, verläuft, so setzt die Extinctionsformel einer gleichmässig abnehmenden Bewegung & = «,e*! in Stand, die nach Ab- lauf der genannten Zwischenzeit erreichte Amplitude zu finden. Man braucht nur aus dem Zeitunterschiede zwischen dem Moment der Ampli- tude 200 und jenem der Amplitudo 20 den Werth des Extinctionsfactors zu berechnen, um umgekehrt aus den gegebenen Amplituden die spätere unbekannte Amplitude finden zu können. Stefanini! hat der für ge- wöhnlich benützten Formel & = «.e-“! eine etwas geänderte Gestalt ge- geben 4 = «, e-“!", weil er glaubte, dass diese mehr dem thatsächlichen Verhältniss entspräche. Es sollen dann & und m berechnet werden aus zwei empirisch festzustellenden Zeitintervallen, z. B. einer von 200 bis 100 und einer von 100 bis 20 u. Da sich jedoch durchgehend Unregelmässig- keiten zeigten, sich kundgebend durch verschiedene Werthe von & und m; wenn differente Intervalle gewählt werden, haben wir, falls wir uns der Formel Stefanini’s bedienten, für gewöhnlich den mittleren Werth Stefanini’s m=0-9 angenommen, und nur «, den eigentlichen Dämpfungs- factor berechnet. Wie wir uns aber später überzeugt haben, geschah die Weise des Ausklingens mehr nach der einfachen Formel u = we-*t, welche wir dann weiter angewendet haben. Jedoch auch hiermit ist nur eine Sehgenauigkeit erreicht, sowie dann auch verschiedene andere Beob- achter Unregelmässigkeiten im logarithmischen Decrement entdeckt haben. ? Ja gerade diese Ueberlegung hat uns veranlasst, die Methode in anderer Richtung auszuarbeiten, wobei die Rechnung fast ganz entbehrt werden kann. Sie bildete die Grundlage zweier weiterer Versuchsreihen, die wir später mittheilen. Unsere orientirende Untersuchung, unter Heranziehung der Stefanini’schen Formel, ergab aber einige Resultate, denen jedenfalls ein gewisser Werth nicht abzusprechen ist. Wir wollen sie, bevor wir die neuere Methode beschreiben, daher hier einschieben. Zeiss unmöglich machen. Nur eine feste Verbindung des Mikroskopes mit dem Holz- blocke der Gabel hätte diesem Uebelstande vorbeugen können, wurde jedoch äusserer Umstände wegen von uns nicht versucht. ı A. Stefanini, Sulla Legge di oscillazione del Diapason. Pisa 1890. p. 22. ® Das logarithmische Deerement ist in hohem Grade von der Art und Weise der Stielbefestigung abhängig, aber auch abgesehen davon wird dasselbe in dem ganzen Verlauf des Ausklingens nicht denselben Werth haben können, denn wie von ver- schiedenen Seiten gezeigt worden ist, ist das Decrement ohne Zweifel auch eine Function der Amplitude (vergl. Wead, Amer. Journal of Science. (3) Vol. XXVI. p- 183). 24* 372 H. ZWAARDEMAKER un F. H. Qu: Tabelle I Amplitude im Momente der Schwelle (= 2a). } Stimmgabel Nr. 2 Stimmgabel Nr. 3 Stimmgabel Nr. 1 (unbelastet C') (unbelastet G) 02 8.30 @G2 a JDyA 194 u Cis 2 7-5 ,„ Gisar 2088 Dis 17, D2 Die, A2 L-867,, Eı Dar Dis 2 6.1657, ArsaalHiom: Fi 140), E2 6-5 „ H2 12, Fisi 138% F? 6 > (051 0.967 „ G1 118 „ Fis 2 Dnlanen, Ois 1 0,6077, Gis 4 I G2 loss, Di 0.375 „ A1 OL, Stimmgabel Nr. 4 Stimmgabel Nr. 5 Stimmgabel Nr. 6 (unbelastet klein c) (unbelastet g) (unbelastet c') 41 67 u. Fis 15-5 u dis 4-571 u Ais1 615, G 17-8 e 425 „ Hı 57 „ Gis 14.69 „ f BOY C 58 „ A 17.28 „ fis 2EI2E Öis Dam Ais 14-09 „, I — D 54 „ B 12.98 „ gis 1-88 „ Dis 43 „ ce — a 2.46 „ E 43 „ eis 13-96 „ F 36 , d 16-23 „ Fis Dam, dis 13-90 „ Stimmgabel Nr. 7 Stimmgabel Nr. 8 Stimmgabel Nr. 9 Stimmgabel Nr. 10 (unbelastet g') (unbelastet ec?) (unbelastet 9?) (unbelastet c°) a 1-12 u dis' 0.4287 u a! 0°2067 u dis® 0-02891 u ais 0.4132 „ e! 0-3185 „ ais! 0-1347 „, e? 0-02812 „ h 04626 „, = 0.3928 „, h! 0.1443 „ Ti 0) 5 5 DR ec! 0-3201 „ fis! 0.664 „ ec? 0.2357 „ fis® 0-05795 „ eis! 0.3477 „ g! 1045 „ 132 .050622,,, g 0.078535 „ d! 0-2595 „, gis! 0.4876 „ d? 0.1226 „ g:5 10-1368, 7, dis! 0.3874 „ a! 0-3178 „ dis? 0.1339 „ a? — NB. In obenstehenden Versuchen mit unbelasteten Stimmgabeln wurden für jeden Ton mindestens vier Bestimmungen gemacht und das Mittel als Endergebniss in die Tabelle eingetragen. Akustischer Beobachter war in diesem Falle Quix. Diese Zahlen bedürfen eigentlich einer Correction und zwar einer zunehmenden Reducirung beim Höherwerden des Tones innerhalb jeder, einer Gabel gemeinsamen Reihe. Dieselbe wird aber schwer durchzuführen sein, weil sie für jede Stellung des Laufgewichtes eine Bestimmung des Schwerpunktes erfordert. Wir haben diese umständliche Arbeit jedoch bis jetzt nicht unternommen, weil die Unregelmässigkeit der Form der mit SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 373 Laufgewichten beschwerten Stimmgabel nicht erlaubt, die Massenwirkung auf einfache Weise in Rechnung zu bringen. Ohne letzteres würde eine genaue Kenntniss der Amplitude doch nichts genützt haben, da es nicht auf die Amplitude an sich, sondern auf die der Luft übertragene Energie ankommt. Letztere lässt sich vorläufig für belastete Stimmgabeln nicht berechnen. Nach Wead besitzt eine unbelastete Stimmgabel in dem Augenblicke, in welchem die Enden der Beine eine Amplitude haben = a“, eine Energie / EN wenn /= Länge der Beine in cm, da Dicker oa »sbreiteig,Halsth mens E = Young’s Modulus für Stahl = 2-14 x 10”. Wenn man diese Berechnung für eine bestimmte Gabel an zwei nahe an einander liegenden Zeitpunkten ausführt und die berechneten Energie- quanten von einander abzieht, erhält man selbstverständlich die von der Stimmgabel in der genannten Zwischenzeit abgegebene Energie. Es liest nun vor der Hand, für diese Zwischenzeit die Zeiteinheit oder jedenfalls eine bestimmte Fraction derselben zu wählen. Gewöhnlich sind denn auch die Physiker in dieser Weise vorgegangen. Allein Wien! hat darauf die Aufmerksamkeit gelenkt, dass es, wenn man die Energiemenge, welche zum Hervorbringen der Reizschwelle hinreicht, kennen zu lernen sich bestrebt, es rationeller ist, die Zeit zu wählen, welche gerade zum Hören eines Tones genügt. Wien nahm damals, sich auf Exner stützend, 16 Schwingungen an, seitdem haben neuere Untersuchungen Abraham’s und Brühl’s, sowie Herroux und Yeo’s gezeigt, dass im Tonbereich, welchen wir jetzt behandeln, zwei Schwingungen für ein empfindliches Ohr schon hinreichen. Obgleich es nun gerade nicht wahrscheinlich ist, dass bei Schwellenbestim- mungen das Gleiche gilt, so ist es doch ohne Frage richtiger, wenn wir später mit höheren Octaven vergleichen wollen, die von Abraham und Brühl angegebene Anzahl Perioden als einen festen Zeitverlauf zu Grunde . zu legen.” Wir berechneten also die Energie der Stimmgabel im Momente, ! M. Wien, Ueber die Messung der Tonstärke. Inaug.-Diss. Berlin 1888. 2 Die Zahlen Abraham und Brühl’s sind an Sirenen, deren Oeffnungen bis auf zwei alle verschlossen waren, genommen worden; die zwei Reize wiederholten sich also in bestimmten Intervallen und dies kann zur bequemen Erkennung des Tones beigetragen haben. Im Falle des Schwellenwerthes war das Ohr jedoch ebenfalls vor- bereitet durch die vorhergehenden etwas stärkeren Reize und verkehrte also auch in günstigeren Bedingungen als in den früheren Exner’schen oder Mach’schen Versuchen. 374 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Qum: dass das Ohr die Reizschwelle angab, und ebenso zwei Schwingungen früher. Die Differenz, oder jedenfalls ein proportionaler Theil derselben, wurde als die der Reizschwelle entsprechende Schallenergie betrachtet. In einer früheren Versuchsreihe! hatten wir uns durch Vergleichung der Amplitude einer elektrisch getriebenen Stimmgabel und die Entfernung, auf welche dieselbe noch gehört werden konnte, überzeugt, dass, wenn es sich um die akustische Energie der Schallwelle in der umringenden Luft handelt, in der Wead’schen Formel die Amplitude nicht mit dem Expo- nent 2, sondern mit dem Exponent 1-2 in Rechnung zu bringen ist. Bereits früher hatte Stefanini? eine ähnliche Untersuchung, jedoch mit ausklingenden Stimmgabeln, durchgeführt und war zu dem Exponent 1 ge- kommen. Diese Uebereinstimmung erschien uns wichtig genug, um den von uns gefundenen Exponenten 1-2 den weiteren Berechnungen zu Grunde zu legen. Zur näheren Begründung dieser Ansicht seien hier noch einmal die Ergebnisse unserer Untersuchungen resumirt. Eine, von einer im Nebenzimmer aufgestellten Unterbrechungsgabel elektrisch getriebene, Stimmgabel war mit ihrem Gestell vertical aufgehängt und allseitig von Wattenschirmen umgeben. Nur nach der Seite des Be- obachters befand sich eine Oefinung in der Grösse einer Handfläche. Gehört wurde in einer Richtung normal auf die Fläche der Schwingungen, ungefähr dem Toncentrum gegenüber. Die Varirung der Amplitude ge- schah durch die Schiefstellung der Rollen, die Ablesung der aufgeklebten, auf Papier photographirten Gradenigo’schen Figur mittels horizontal auf- gestelltem Mikroskop schwacher Vergrösserungen.’ Am bequemsten lassen sich die Resultate in Tabellenform übersehen. In den vier letzten Spalten der Tabelle II haben wir versucht, den der Intensität proportionalen Werth zu berechnen und zwar in verschiedener Weise: . Nach der allgemein üblichen Methode, . nach der von Vierordt angegebenen Weise, . nach der Methode Stefanini’s. . nach der von uns vorgeschlagenen Methode. op ı Quix, Onderz. Physiol. Labor. der Utrechtsche Hoogeschool. 5% Reecks. Deel III. p. 240. ® A.2.0.p.31. ° Hinderlich zeigte sich manchmal das Knistern der Funken der in einem anderen Zimmer aufgestellten Unterbrechungsgabel (Quecksilbereontact). Sonderbarer . Weise wurden diese Funken auch in der Rolle der Beobachtungsgabel gehört. Glücklicher- weise fanden wir, dass die Aufstellung eines Condensators von 1 Mikrofarad in Ver- bindung mit den Rollen der Unterbrechungsgabel das störende Geräusch ganz hin- fortnahm. Onderzoek. Physiol. Laborat. der Utrechtsche Hoogeschool. 5% Reeks. Deel III. p. 244. SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 875 Tabelle 1. Tonhöhe | Distanz | ‚Doppelte a? a? a al? Amplitude —n — 7 ar 5 der Gabel =d on d? d d? d? 113 v.d. gm 8 u 1 8 | 0.185 0-189 2 10, 1-683 20-716 0-105 0-183 N 244) 1-306 27-42 0-054 0-103 231,» 320. 1-855 43-58 0-058 0-115 200; 40 „ 2-367 61-54 0-059 0-124 ars 48 „ 3.047 83-78 0-063 0-138 291), » 56 „ 3.604 106-3 | 0.064 0-144 Si, 64 „ 4262 132-1 | 0.066 0-153 32%, Ta 5.062 162-6 0-070 0-165 3 80 „ 4.675 172-9 0-059 0-140 63 v.d. g1/, em 250 u 865 71353 3.460 10-440 or 500 „ 1137 16667 | 2.222 7.702 211, , 1000 „, 2268 46875 | 22-267 8.748 251, , 1500 „ 3460 88244 | 2-307 9.959 29 20,1 2000. 7 4156 137990 | 2-378 | 10-880 Ein Blick auf unsere beiden Tabellen wird den Leser ohne Weiteres überzeugen, dass die Werthe der 7. Spalte unter sich eine befriedigende Uebereinstimmung zeigen, jedenfalls eine weit bessere als jene der drei anderen Spalten. Die Formel Wead’s wurde also in diesem Sinne abgeändert und ge- “ schrieben: bd’E ER a'-2P. V= F sei eine Constante, welche wir vorläufig bei gleichgebauten Stimm- gabeln als unveränderlich betrachten.! Obenstehende Berechnung der Menge acustischer Energie, welche in den zwei, dem Momente der Reizschwelle vorangehenden Schwingungen durch die Gabel in der Luft verbreitet werden, setzt, wie gesagt, in Stand, Rückschlüsse zu nehmen auf die wirkliche relative Schallmenge, welche jede Tonhöhe zur Herstellung der Reizschwelle bedarf. Ein erster Versuch in dieser Richtung wurde in einer neuen provisorischen Versuchsreihe gemacht. ? ’ Es wird kaum nothwendig sein, daran zu erinnern, dass der Exponent 1-2 nur für die Amplitude der Gabelschwingungen mit Rücksicht auf die der umringenden Luft übertragene Energie Geltung hat. Wenn die akustische Energie schwingender Luft berechnet werden soll, hat man ihre Menge wieder der zweiten Potenz der Amplitude der Luftschwingungen proportional zu setzen. ? Nederl. Tijdschrift v. Geneesk. 1901. Deel II. Nr. 25, H. ZWAARDEMAKER un F. H. Quix: 376 Tabelle II. Unbelastete Gabeln. — S eS & Zeit Z von 8 : h : 2 rl Dimensionen ‚Zeit d 3 g der Anfangs- Schwellen- 9,109 = s der Gabel zwischen zwei = amplitude amplitude DdEE | .2«(,) | gegebenen &0 bis zur en P=—-.—- |V= Pa,"?ie —il S er | Amplitudines $ Schwellen- east 41 | 5 =. En R S amplitude in cm Sa En Bon: DE = = 1a, C-ı 32 136-3| 2 0:66 20:5 0-04574 _ 5 NE 6:43 x 10% 450.8 (um 1 zum) C 64 |25-6| 2 0-5 20 0-1086 _ 25, X 10. 7:972x 10® 36 | (120 u — 24 u) G 96 24-5 | 1-6 | 0-74 33-5 006826 To 2.635 x 10=?| 23-58 x 108 3-108 | (120 u — 24 u) (a, = 100 u) e 128 20-6 | 1-5 |0-65 46 0:05131 93 2412 2X 104252 IEXZ2102 1:718 | (100 u — 20 u) (a, = 100 u) g 192 |15-8 | 1-5 [0-60 39-5 0:0709 1075 1-968 x 10-%| 43-95 x 108 4-852 (120u — 244) (a, = 120 u) ec! 256 14-4 | 1-54) 0-65 52-5 0-01534 142 0-1778 x 1072| 75:78 x 108 0:151 | | (100 u — 10 u) (a, = 100 u) g! 384 12-5| 1-6 | 0-74 20 0:4363 29 0-1829 x 10? | 176-6 x 108 1-712 | (120 u — 12 u) (a, = 120 u) ec? 512 10-5 | 1-5 |0-7 15 0:2013 41-3 0-1946 x 10 | 188:9 x 108 0:4619 | (120 u — 12 u) (a, = 120 u) 02 768 |11-5| 1-5 |1-46 11 007756 131 0:039 x 10% 11733 x 108 0:252 | (40 u — 20 u) (a, = 40 u) c® 11024 |10 1:5 1.44 6-1 0:1362 76 0:0239 x 10? 12396 x 108 0:2593 | | (40 u — 20 u) (a, = 40 u) SCHWELLENWERTH UND TONHÖHFE. SUR Der Ton der Stimmgabel würde belauscht durch ein binaurales Stethoskop, welches unmittelbar über das Toncentrum der Gabel gestellt war und der Zeitverlauf, vom Durchgang durch eine gewisse ein für alle Mal festgestellte Amplitude bis zum Momente der Schwelle, unter zur Hülfenehmung graphischer Aufzeichnung, notirt. Vor und nach dem Versuche wurde der Extinctionsfactor aufgenommen und unter zu Grundelegung der Stefanini’- schen Formel &; = «e-*!” die Amplitude im Momente des Minimum perceptibile berechnet. Die Tabelle enthält den aus diesem Resultate in Verbindung mit den Dimensionen der Gabel abgeleiteten Energieverlust innerhalb der zwei an dem betreffenden Momente unmittelbar vorangehen- den Schwingungsperioden. Für jeden Ton wurden zehn Bestimmungen nebst Berechnungen ausgeführt und das Mittel der zehn Endresultate in die Tabelle eingetragen. Auch wurde, wie in allen anderen Versuchen an unbelasteten Stimmgabeln, genau auf Beseitigung der Obertöne, nöthigen- falls durch anschliessende Tuchringe, geachtet. Die aus der Ungenauigkeit der Extinctionsformel hervorgehende Be- einflussung des Versuchsresultates kann umgangen werden, wenn wir den Anfangspunkt des Hörrohres in eine grössere Entfernung der Gabel bringen. Wir wählten dazu eine Distanz von 15°“, vom Toncentrum aus gerechnet. Als solches wollen wir jetzt einen Punkt definiren, welcher sich in der Axe der Gabel befindet und als der Schwerpunkt betrachtet werden kann, von allen Ausgangspunkten der Energie jeder mit seinem Energiewerthe beschwert. Dieser Punkt kann durch Rechnung gefunden, oder, was wir vorgezogen haben, empirisch bestimmt werden. In letzterem Falle wird durch ein engeres Hörrohr in der Axe der Gabel der Punkt grösster Schallintensität aufgesucht. Um in der Umgebung unserer Gabel Reflexionen des Schalles mög- ‚lichst vorzubeugen !, umgaben wir die Gabel mit einer Wattekugel, gebaut aus zwei innen mit Watte bekleideten Hemisphären von Kupfergaze. Mit dieser Vorrichtung wurden zwei vollständige Versuchsreihen ausgeführt, eine mit einem 41/,® langen in ein anderes Zimmer führenden Hörrohr, welches vertical über das Toncentrum in die Wattekugel einmündete, und eine andere mit einem kurzen nur 60% messenden Hörrohre, welches axial dem Stiele der Stimmgabel gegenüber gestellt war. Beide Hörrohre hatten ein Lumen von 7”m und mündeten einerseits ins Innere der Wattekugel in gleichem Niveau mit der Wattebekleidung aus. Die Verbindung mit dem Gehörgange wurde von einem olivenförmigen Ansatz mit einer 4m weiten Bohrung: hergestellt. ! Namentlich der Einfluss des Tischblattes soll ausgeschlossen werden. Siehe Kiessling, Poggendorff’s Annalen. 1867. Bd. CXXX. 8. 177. 378 H. ZWAARDEMAKER unD F. H. Quıx: Tabelle IV. 15°" vom Toncentrum ausmündendes, 4-5" langes Hörrohr; akustischer Beobachter Zwaardemaker; das Mikroskop blieb an Ort und Stelle. n ann. Amplitude Amplitude Tonhöhe für das rechte Ohr | für das linke Ohr g 5 u 38-5 u ec! 16 = 14 bs g' 4 Er} 4-7 Er) ce? 3 ss 1:6 ” g° 1-3 Er] 1 ER) ce? 02 108). 5 Tabelle V. 15°" vom Toncentrum ausmündendes, 60°” langes Hörrohr; akustischer Beobachter Zwaardemaker; das Mikroskop wurde nach Einstellung der Anfangsamplitude fortgenommen und die Amplitude im Momente der Reiz- schwelle aus der Hörzeit abgeleitet. (Halbe) Den IK Totale Energie der Gabel Tonhöhe Amplitude onen onal mit a2) proportional mit a° er per 0-1 Sec. | per2Schwing. per 0-1 Sec. per 2Schwing. ce 11 x 10er S2ESIRxERU122I3TX TFT 0-61 0.0924 ga. |s2 x 10-2 11498 x F| 156 x F 2-51 0.261 et! 3:9 x 107% | 39-38 x 7 3:01xf 0-123 0-00959 g! 2-5 TE ENDEN SR 450 xF | 0-1910 000985 e? 0-216 x 10% 7:686x 7 0:2938x F 0-0024 0-00092 g° 0-2687x 10% | 54-46 x F 108 x 7 01590 000507 ce? 0:1853x 107% | 78:96 x F 1-52 x7Fı 0:0216 000042 Die Ableitung der Amplitude aus der Hörzeit stützte sich auf die Auf- nahme der Ausschwingungsweise der Gabel unter den Bedingungen des Versuches unmittelbar vor und unmittelbar nach dem Experimente. Jede Aufnahme für sich bestand in der Aufzeichnung der Durchgangsmomente für 200, 100, 80, 60, 40, 20, 18, 16, 14, 12, 10, 8, 6, 4 und 2«. Nur für die drei höchsten Gabeln musste dann noch, um die Untertheile eines Mikrons angeben zu können, eine kleine Rechnung zugefügt werden, welche für die Versuchsreihe mit langem Hörrohr nach der Formel von Stefanini, für jene der Versuchsreihen mit kurzem Hörrohr nach der gewöhnlichen Extinctionsformel geschah. In der Tabelle V enthält die dritte und vierte Spalte die Menge akustischer Energie, welche die Gabel in den angegebenen SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 379 Zeiten in die umgebende Luft verbreitet. Es fragt sich nun, welcher Theil dieser Menge unser Ohr erreicht, wenn es auf eine gewisse Distanz vom Ton- centrum aufgestellt ist. Gesetzt der Schall verbreitete sich vollkommen gleich- mässig in der umgebenden Luft und man hätte sich um das Toncentrum herum mit der gegebenen Distanz als Strahl eine Kugelfläche construirt, so brauchte man nur die Weite des Gehörganges oder des Hörrohres in Betracht zu ziehen, um durch einfache Dividirung den Theil zu finden, welcher dem Trommelfelle übertragen werden kann. Jedoch eine derartige gleichmässige Ausbreitung findet nicht statt. Die bekannte Interferenze der Schallwellen um die Gabel herum stören sie im hohen Grade. In der Richtung der Vibration und in jener normal darauf kommt es zu einer Anhäufung des Schalles, während in den Zwischenrichtungen eine bedeutende Abschwächung vor- handen ist. Nach Gebrüder Weber und Kiessling zeigen diese Interferenz- flächen von den Rippen der Gabel ausgehend hyperbolische Krümmungen; ihre Lage ist übrigens nicht analytisch abgeleitet worden. Wir haben aus diesem Grunde versucht, dieselbe für unsere Gabeln und für unsere Ver- suchseinrichtung empirisch festzustellen. Zugleich bezweckten wir auch, den Uebergang zu den Richtungen maximaler Intensität genauer kennen zu lernen, damit es uns ermöglicht wurde, rein empirisch um die Gabel herum und durch den Punkt, an welchem das Hörrohr seinen Ausgang nalım, eine Oberfläche gleicher Schallintensität zu construiren. Zu diesem Zwecke umhüllten wir die Gabel mit einer Wattekugel. Dieselbe konnten wir in einfacher Weise herstellen durch zwei Hemisphären aus Kupfergaze, an der Innenfläche mit Watte bekleidet. Der Strahl dieser Hemisphäre betrug 15%. Sie wurden mit vertical gestellten Aequator gegen einander ge- schoben und bildeten dann eine vollständige Kugel. Man kann sich nun von Pol zu Pol eine horizontale Drehungsaxe denken, so dass die Hemi- sphären an schweren Stativen um diese horizontale Axe drehen können, während die Grösse der Drehung an einem Gradbogen abgelesen wird. An einem der beiden Stative wird nun auch die Gabel in bekannter Weise angebracht. Der Stiel geht dabei frei durch eine Oeffnung am Pole der Hemisphäre hindurch, damit er weder von der Kupfergaze, noch von den Watten berührt wird. Der Contact mit dem Stativ findet nur mittels Kautschukringe auf gabelförmig getheilten Tragbalken statt. Das Toncentrum der Gabel wurde nun genau in das Centrum der Wattekugel gebracht. Ferner wurde in einem Meridiane um jede Hemi- sphäre aussen ein schwerer Kupferring herumgelest, welcher sich mit der Hemisphäre zusammen drehen konnte. In diesem schweren metallenen Bügel waren von 15° zu 15° Oeffnungen von 11”” Weite gebohrt, auf welche in der Richtung des Strahles der Wattekugeln kurze Kupferröhren von dem gleichen Durchmesser eingelassen wurden. Wenn wir durch diese Kupfer- 380 H. ZWAARDEMAKER unD F. H. Qu: röhren eine Führstange hindurch schoben, begegnete diese einer anderen Führstange, welche durch eine der anderen Oeffnungen geführt worden war, genau im Centrum der Wattekugel, gleichzeitig das Toncentrum der Gabel. Durch Drehung der Meridiane um die horizontale Polaxe herum konnte jeder Punkt der Parallelzirkel, wenn erwünscht, zum Ausgangspunkte eines Hörrohres gemacht werden, während auch der dem Stiele der Gabel gegen- überliegende Pol dazu gewählt werden konnte. Man brauchte nur durch die kurze Kupferröhre ein Kautschukrohr hindurch zu schieben, bis das innere Ende das Watteniveau erreichte. Dieser Endpunkt des Hörrohres befand sich dann immer in 15°“ Entfernung vom Toncentrum. Wir fingen unsere Bestimmungen mit einer genauen Feststellung des Toncentrums der Gabel an. Bei einer c!-Stimmgabel lag dasselbe z. B. auf 2°® der Ende der Beine genau in der Axe der Gabel. Dieses empirisch gefundene Toncentrum wurde in das Centrum der Wattekugel gebracht. Dann ertheilten wir der Gabel einen Ausschlag von 200.4 und merkten uns die Zeit, welche, von da an gerechnet, verlief, bis zu dem Augenblicke, an welchem die nachfolgenden Amplituden erreicht wurden. Tabelle VI. Bis 40 u doppelte Amplitude 27°5 Sec. „ 20 „ ” „ 39 „ ln, „ „ 42 ” Dlor, ” ” 45 „ „ 14 „ „ „ 49 „ ’ 12 „ ” 2) 52 „ uLON, ) ” 56 „ 2) ) „ „ 60 „ „ , „ „ 64 2) ” 4, 2) „ 72 „ Dann wurde später der Gabel immer auf’s Neue ein Ausschlag von etwas mehr als 200. ertheilt, unter dem Mikroskope der Abnahme bis zu 200 « mit dem Auge gefolgt, das Mikroskop fortgenommen und die zweite Wattehemisphäre angeschoben. Wenn wir nun an irgend einem Punkte der Oberfläche mit unserem Hörrohre den Ton verfolgten, während er all- mählich schwächer wurde, so war es leicht, den Chronometer zu arretiren im Momente, wo der Ton durch das Hörrohr unhörbar wurde. Die diesem Momente entsprechende Amplitude lässt sich mittels graphischer Inter- polirung ohne Weiteres aus der oben mitgetheilten Tabelle ableiten. Fac- tisch führten wir diese Beobachtungen in zwei Meridianen und im Aequator der Wattekugel aus und erhielten nachstehende Resultate. SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 381 Tabelle VI. Horizontaler Meridian Verticaler Meridian (in einer horizontalen Fläche durch (in einer verticalen Fläche durch die die Axe der Stimmgabel gelegt). Axe der Stimmgabel gelegt). Vom Stiele ab Doppelte Amplitude Vom Stiele ab | Doppelte Amplitude 30° 43 u 30° 10-5 u 45° Sue 45° 12-5 „ 60° 18-5 „ 60° 6 750 Tan; 750 EIERN: 90° 14-5 „ 90° 15-5 „ 105° 18-5 „ 105 To 120° 23-5 „ 120° 15-5 „ 135° 32-5 „ 135° 21-5 „ 150° 22.5, 150° 21-5 „ 165° 22-5 „ 165° 18-5 „ 180° 18-5 „ 180° 18-5 „ Aequator (in einer verticalen Fläche durch das Toncentrum der Gabel gelegt senkrecht auf die Axe der Gabel). Vom horizontalen Doppelte Meridian ab Amplitude 0° 14:5 u 15° Om 30° 20: 45° Sa: 60° 18 75° u 90° 12 nn Aus diesen Werthen lässt sich das akustisch mehr oder weniger Günstige der verschiedenen Richtungen berechnen.! Sie verhalten sich in dieser Hinsicht umgekehrt proportional der Energie, welche die Gabel in Momente der Beobachtung aussendet. Diese Energie ist, wie wir früher ausführten, proportional den Amplituden zu der Potenz 1-2. Also sind die reeiproken Werthe dieser Potenz die Verhältnisszahlen, welche wir suchen. Wit anderen Worten, die in einem Punkte der Kugeloberfläche ankommenden Schallmengen werden sich, unter sich, wie die angegebenen 1 Die Erscheinung an sich ist schon mehrfach erörtert. Man vergleiche hierüber Kiessling, Poggendorff’s Annalen. 1867. Bd. CXXX. 8.177 und Stefanini, Sulla Legge di oscillazione. Pisa 1890. p. 5. 382 H. ZWAARDEMAKER unD F. H. Qu: Verhältnisszahlen verhalten. Bis so weit haben wir alle Thatsachen empirisch festgestellt und keine willkürliche Annahme gemacht. Wenn man aber aus der Vertheilung der Schallmenge über die Oberfläche der Wattekugel die Oberfläche gleicher Schallintensität, die mit jener einen oder mehrere Punkte gemeinsam hat, ableiten will, so ist es nothwendig, eine den that- sächlichen Verhältnissen nicht vollständig entsprechende Annahme zu machen, nämlich die, dass die Interferenzflächen um die Stimmgabel herum nicht hyperbolisch gekrümmt, sondern flach sein würden. Diese Annahme ist nur richtig, wenn die gesuchte Oberfläche der gleichen Schallintensität keine zu tiefe Einschnitte zeigt. Letztere Bedingung ist erfüllt, falls man ein weites Hörrohr wählt und die Vernichtung des Schalles durch Inter- ferenz in Folge dessen nur unvollständige ist. Setzen wir die Schallmenge in dem dem Stiele gerade gegenüber liegen- den Pole = 1, so haben wir uns die Schallmenge aller anderen Punkte der Oberfläche radiär versetzt zu denken, in einem Verhältniss angegeben durch die Quadratwurzel aus den bereits gefundenen Verhältnisszahlen, also in einem Verhältnisse, als die 0-6 Potenz der Zahlen unserer Tabelle, um allen diesen Mengen den Werth 1 zu ertheilen. In dieser Weise lernen wir thatsächlich eine Oberfläche gleicher Intensität um das Toncentrum einer Stimmgabel kennen, und zwar eine Oberfläche, welche einen Punkt, 15 °® axial vom Toncentrum, mit der mit einem Strahle von 15% um das Toncentrum herum geschriebenen Kugel gemeinsam hat. Die in untenstehender Tabelle zusammengetragenen Beobachtungen beziehen sich auf die c!-Gabel und geben die Länge des Radius veetor in den verschiedenen Richtungen aus dem Toncentrum für einen Radius vector von 19.0 "an. Tabelle VIII. A. In einer durch die Axe der Gabel B. In einer durch die Axe der Gabel gelegten horizontalen Fläche, vom gelegten verticalen Fläche, vom Stiele Stiele ab gerechnet. ab gerechnet. 30° Radius vetor = 0°60 30° Radius vectorr — 1-40 45° e . =, oral 45° a i, — 60° „ „ = 1-0 60° „ „ —r 1.39 75 n 55 — 510 u ” RR — 1054: 90° 5 ir — Wweeilk-3ll6 90° I m — WR) 105° en „ —. lol) 105° hi 1 —1309 120° er r —. VE 120° „ en — el 135° .s ; = (87 135° 25 5 — Mol 150° RN En = 0:89 150° 55 „ — NIIT 165 $ > —E 0589 165° 5 „ — 10 180° — lee) 180° hr — re) SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 383 C. In einer durch das Toncentrum gelegten verticalen, auf der Axe der Gabel normalen Fläche, von der horizontalen Fläche ab gerechnet. 0° Radius vetorr = 1-16 1a > 30° : s — (095 OR EN 0.68 on RB. 09 75° „ ” _ 123 BROS Um uns eine solche Oberfläche gleicher Schallintensität anschaulich vorstellen zu können, haben wir einen Quadrant aus Thon modellirt. Die drei übrigen Quadranten sind planare bezw. axiale Spiegelbilder. Die ganze Figur bilden wir auf Taf. VII, Fig. 2 in Projection ab. Die Oberfläche liess sich nun ohne Weiteres messen, indem wir sie ganz mit aufgeklebten Papierstückchen bedeckten (wobei wir uns zweck- mässig von im Handel vorhandenen gummirter und perforirter Papierstreifen bedienten). Es zeigte sich, dass die Oberfläche eines Quadrants 823!/, am maass, also die ganze Oberfläche 3314”. Auf jeden Quadratcentimeter dieser Oberfläche muss also !/,,,, der ganzen von der Stimmgabel aus- gesandten Energiemenge vorhanden sein. Diese Annahme ist gar keine gewagte, weil unter den Bedingungen des Experiments aller Reflectirung des Schalles, ausser auf die Gabel selbst, vorgebeugt worden war. In den früher beschriebenen und in Tabelle V zusammengefassten Beobachtungsreihen waren wir zu dem Ergebnisse geführt worden, dass die der Reihe nach aufgestellten unbelasteten Stimmgabeln während zwei dem Momente der Reizschwelle vorangehenden Schwingungen eine bestimmte Menge Energie in der sie umgebenden Luft verbreiteten. Ein @Quadratcentimeter der Oberfläche gleicher Schallintensität lässt nun, wie gesagt, !/,,,, dieser Menge passiren, was also auch gilt für den Anfangspunkt des Hörrohres, mittels welchem in den Versuchen beobachtet wurde. Nehmen wir an, dass im Hörrohre selbst keine Energie verloren ging, was annähernd richtig ist, und berücksichtigen wir, dass das Lumen des Hörrohres bei seinem Uebergange auf den Gehörgang ein Areal von 0126 «m darbot, so folgt hieraus, dass das beobachtende Ohr über ?/,.30, der Totalmenge verfügt haben muss. Gleiches lässt sich auch für die 0.1 Secunde vor dem Momente der Reizschwelle ausgesandte Energiemenge berechnen. Die nachstehende Tabelle IX zeigt die in dieser Weise bekommenen Zahlen. 384 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Quiz: Tabelle IX. Akustische Energie Akustische Energie Tonhöhe innerhalb 0-1 sec. das |innerhalb 2 Schwingungen Trommelfell treffend |das Trommelfell erreichend ce 0-00314 x F 0:000497 x F g 0-005 92 0-000592 ce! 0-00149 0-000114 g! 0003 47 0-000171 c® 0-000 292 0-000011 0% 0:00207 0-000051 c? 0-003 00 0-000058 NB. Der Werth des Factors F wird später abgeleitet werden. $ 2. Höhere Octaven. In den Octaven höher als c? standen uns keine Stimmgabeln zu Diensten. Die Stimmgabeln, über welche wir in Octaven höher als c® ver- fügten, ergaben bei kräftigem Anschlag eine Amplitude, welche sich unter dem Mikroskop nicht messbar zeigte. Vielleicht, dass sich später zweck- entsprechende Stimmgabeln anfertigen liessen und zwar durch Herstellung von hohen Stimmgabeln geringer Maasse und Fixirung des Beobachtungs- mikroskops an demselben Stativ, in welchem auch der Stiel der Gabel ein- geklemmt ist. Vorläufig haben wir diesem jedoch nicht nachgestrebt und uns den Orgelpfeifen Edelmann’s zugewendet, die nach einer Methode Rayleigh’s eine Berechnung der ausgesandten Schallmenge zulassen. Zwei dieser Orgelpfeifen sind Labialpfeifen von veränderlicher Länge und ver- stellbarer Maulweite, so dass sich letztere jedesmal der betreffenden Länge anpassen lässt. Ihre Tonhöhe variüirt, indem man die Länge der Pfeife mit der Hand regulirt (von e? bis a® und von a? bis a*). Hieran schliesst sich dann noch die Edelmann’sche Galtonpfeife, nach Art einer Dampf- pfeife construirt, deren Länge sich mittels Mikrometerschraube ändern lässt und deren Maulweite ebenfalls der Länge angepasst werden kann. Wir verwendeten von den auf derselben hervorzubringenden Tönen jene von a*bis g°. Höhere Töne konnten wir nicht benützen, wegen der Art und Weise, nach welcher wir die Pfeife anblasen zu müssen glaubten. Wir haben die Pfeifen in allen unseren Versuchen mit Hülfe eines grossen Orgeltisches angeblasen. Ein Wassermanometer wurde an der Windlade, ein zweiter Wassermanometer bezw. ein Mikromanometer un- mittelbar unter der Pfeife aufgestellt. Während der Ton einige Minuten ertönte, erhielt sich der an den Manometern ablesbare Druck fortwährend auf demselben Niveau, welches innerhalb gewisser Grenzen varlirt werden SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 385 konnte mit Hülfe eines verschiebbaren Laufgewichtes, welches den Druck im Windladen beherrschte. Um die von der durchstreichenden Luft an- geführte Energiemenge kennen zu lernen, hat man ausser dem Druck ! auch noch die Quantität Luft zu bestimmen. Hierzu diente uns ein Ane- mometer. Da diese Luftmenge in dem Versuch nicht gross genug ist, um eine Ablesung am Anemometer zu erlauben, liessen wir eine grössere Menge Luft heraustreten und zweigten einen Theil der Strombahn nach der Pfeife ab, während wir die Hauptbahn zum Anemometer führten. Der Anemo- meter war kurz zuvor aus der Werkstätte von Fuess in Berlin bezogen worden und zeigte zwischen O0 und 100 seiner Scala einen Fehler von un- gefähr 8 mehr pro Minute. Wir haben also immer während einer Minute gemessen und S hinzugezählt. Um das Verhältniss zwischen Hauptbahn (zum Anemometer) und Nebenbahn (zur Orgelpfeife) bestimmen zu können, verwandelten wir das Zweigsystem während des Versuchesin ein Brückensystem. Als solches sei hier eine Röhrenverzweigung verstanden, die frei in der Luft ausmündet und in deren Aeste vier Röhrenwiderstände eingeschaltet worden sind, während in der Mitte der beiden Zweigbahnen eine Querverbindung ange- bracht ist. In dieser Querverbindung ist ein empfindlicher Differential- manometer aufgenommen. Offenbar wird derselbe nur dann in Ruhe bleiben, wenn in den beiden Strombahnen, welche er verbindet, ebenso viel Luft einströmt als abströmt, denn ist diese Bedingung nicht erfüllt und kommt es an einer der beiden Seiten zu einer Stauung, so wird sich dies‘ unmittelbar durch einen Anschlag des empfindlichen Differentialmanometers kundgeben. Durch Regulirung unserer vier Zweigwiderstände lässt sich die genannte Bedingung unter allen Umständen erfüllen. Zwei derselben sind von vornherein bestimmt. Nämlich einerseits die Spalte der Orgel- pfeife, andererseits der auf einer conischen Röhre befestigte Anemometer, mit untergestelltem unveränderliehem Diaphragma. Die beiden anderen Röhrenwiderstände lassen Veränderung zu. Wir wählten eine grosse Dreh- scheibe mit genau gemessenen, Diaphragmaöffnungen, die sich die eine vor der anderen in unserem Zweigsystem einschieben liessen. Für gewöhnlich stellten wir ein Diaphragma von 3"% Durchschnitt in die Verzweigung, welche auch die Orgelpfeife trug und vertauschten die Oefinungen an der anderen Seite so lange, bis der Differentialmanometer während der Anblasung des Systems, indem die Pfeife ertönte und der ! Der Druck in Dyns pro Quadratcentimeter berechnet sich durch Multiplieirung des Ausschlages des unmittelbar unter der Orgelpfeife aufgestellten Wassermanometers mit 981. Diese Zahl mit dem Areal der Spalte multiplieirt ergiebt den Totaldruck in der Spalte; das Product aus Totaldruck und Geschwindigkeit des Luftstroms endlich die Energie. Abkürzend multiplieire man also Druck, Luftvolum und 981. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 25 386 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Qumx: Anemometer in Bewegung gesetzt war, vollkommen im Gleichgewicht blieb. In diesem Falle muss die Durchgängigkeit von Pfeife und Anemometer, inclusive untergestelltem Diaphragma, sich verhalten wie die Areale der gewählten Scheibenöffnungen. Einer von uns hat diese Anwendung des Wheatstone’schen Princips auf Luftströme an anderer Stelle aus einander gesetzt und es sei erlaubt, nach dieser früheren Publication zu verweisen.! Die Anwendbarkeit des Princips unter den Bedingungen des Versuchs lässt sich kaum bezweifeln, da wir hier mit ruhig strömender Luft zu thun haben, die sich nur unter dem Einfluss des Druckes der Windlade ganz allmählich und langsam in das Zweigsystem vertheilt. (Wenn man die Pfeife entfernt, spürt man nur einen ganz leisen Hauch.) Als Differential- manometer verwendeten wir einen nach dem von Kretz’schen Principe gebauten Mikromanometer von Smits?, den wir durch Uebereinander- schichtung von Anilinöl und Wasser herstellten. Die Empfindlichkeit. des Instrumentes war sieben Mal grösser als jene eines Wassermanometers und es wurde mit unbewaffnetem Auge oder auch mittels eines kleinen Fern- rohres abgelesen. Wie gesagt, braucht man zur Berechnung der einer Orgelpfeife zu- geführten Energiemenge die Kenntniss zweier Factoren, 1. den Druck m Dyns, unter welchem die Luft einströmt, 2. die während der Zeiteinheit durchströmende Luft. Der zweite Factor geht unmittelbar aus der Ab- lesung des Anemometers hervor. Dieser giebt die Geschwindigkeit der Luftströmung in Metern an. Diese Zahl, multiplieirt mit dem Areal des Instrumentes, giebt die durchströmende Luftmenge an. Das Areal unseres Anemometers betrug, unter Abzug des Querbalkens, 184", Die der Orgel- pfeife in einer Minute zugeführte Energiemenge beziffert sich also aus dem Producte aus Druck in Dyns und der Luftmenge. Rayleigh setzt ihr die von der Pfeife ausgesandte Schallmenge gleich, vorausgesetzt, dass die Bedingungen von Druck und Einstellung der Pfeife so günstig wie möglich gewählt werden. Auf letzteres haben wir immer viel Mühe verwendet. Nicht nur die passendste Maulweite, sondern auch der niedrigste Druck, mit welcher die Pfeife in entsprechender Weise ansprach, wurde sorgfältig aufgesucht und immer wiederholte Bestimmungen gemacht, um zuletzt stehen zu bleiben bei derjenigen, bei welcher bei so gering möglichem Druck mit einem geringen Lufteonsum ausgekommen wurde. In dieser Weise bekamen wir für jeden Ton eine so klein wie möglich zugeführte Enereie- menge. Dieselbe wird nothwendig immer noch etwas grösser sein als jene, welche in Form des Schalles von der Pfeife ausgesendet wird. Durch ı Zwaardemaker, Centralblatt für Physiologie. 1900. 27. Oct. ° Smits, Untersuchungen mit dem Mikromanometer. Inaug.-Diss. Utrecht 1896. SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 387 Reibung und Wirbelbewegung wird immer etwas verloren gehen, auch wird die aus der Pfeife heraustretende Luft in Folge ihrer Strömung etwas Energie mitführen. Dieser Verlust wird aber nicht gross sein können und nach dem Beispiel Rayleigh’s wollen wir ihn vernachlässigen. ! Alle Versuche fanden spät abends statt, weil dann die Ruhe im Labo- ratorium am grössten war und wir auch am wenigsten von vorüberfahrenden Wagen gehindert wurden. Der Eine, Quix, regulirte die Pfeife und den Winddruck und das Anemometer und Differentialmanometer ab, der Andere von uns, Zwaardemaker, fungirte als akustischer Beobachter und hielt sich zu diesem Zwecke in einem entfernten Zimmer auf, so dass der Schall in gerader Richtung durch fünf ineinander gehende Zimmer zu passiren hatte, bevor ihn derselbe erreichte. Die Distanz von der Schallquelle bis zum Beobachter betrug 27 Meter. Nach vorhergehender deutlicher Ein- stellung des Tones wurde durch Verminderung des Luftdrucks allmählich in Schallintensität herabgegangen, bis die Schwelle für den entfernten Be- obachter erreicht war. Dann überzeugte sich dieser, dass der Ton in einem sechsten, noch mehr entfernten Zimmer nicht mehr gehört, durch Heran- näherung an die Schallquelle jedoch verstärkt wurde. Das nach wieder- holten Einstellungen genau abgewogene Endresultat wurde in die Tabelle eingetragen und als Multiplum der der Schwelle entsprechenden Schall- menge betrachtet. Die Berechnung der Energiemenge in nachstehender Tabelle X fand pro Minute statt. In gleicher Weise wie bei den Stimmgabeln soll sie auch noch für eine zur Beobachtung gerade ausreichende Zeit berechnet werden. Nach den Versuchen Abraham’s und Brühl’s genügten zur Hervor- bringung einer Tonempfindung zwei Schwingungen bis zu a‘. Für A* und c? reichten 21/, Schwingungen aus, d® erforderterte 3 Schwingungen, e? 4 Schwingungen, f? 4!/, Schwingungen, g° 5!/, Schwingungen, a? 9 Schwingungen, %° 10 Schwingungen und von c® bis g° 20 Schwingungen. In einer späteren Tabelle ist die Berechnung auch für diese Zeit durchgeführt. Mit Rücksicht auf die nicht sehr regelmässige Verbreitung des Schalles durch die Zimmer des Laboratoriums erscheint es unmöglich, einigermaassen genau den Antheil der Energiemenge zu berechnen, die das Ohr des Be- obachters erreichte. Wir haben denn auch davon Abstand genommen und statt dessen die für die Pfeifen gewonnenen Zahlen nur vergleichend be- trachtet und glauben, ohne grosse Fehler zu machen, annehmen zu dürfen, ! Wien in der Inaugural-Dissertation S.45 hat den Verlust zu berechnen ver- sucht und schätzt denselben auf 22 Procent. Es lässt sich jedoch kaum annehmen, dass derselbe an unserer genau regulirten und sehr schwach erklingenden Pfeife so gross gewesen wäre. Aber auch wenn das der Fall wäre, ist es doch wahrscheinlich, dass sein Werth von Ton zu Ton nicht allzu sehr differiren kann. 25% 388 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Qu: Een Be | So ee) rs En 28855 888.| „32 | 385 5555 as Seelen see ee Ton |=,3 Se Se Ihe | ee we = Bemerkungen Sessel no 2 | Sn 2 ee ea ser s# |A77 a 38 u e? 24300 | 3417 0- 0-84 Er Re 23 670 3329 0- 0-82 Sg, 21870 | 3075 0- 0-75 a | 25650 | 3607 0- 0-88 g<.| # | 23400 | 3291 0: 0-81 Sa 27000 | 3797 0- 1-12 anal 6% 27000 | 3797 0- 1-12 Sl er 2a a 0- 1-43 wel 30600 | 4308 0- 1-48 = g? 24300 | 3417 0- 1-34 ä as 23400 | 3291 0- 0-96 Er a? 43 200 2300 1-2 0» 1-35 Es herrschte kein = 2 7° | 41400 | 2205 | 1°2 0. 1-19 ne 5 s l 3 Sa) Aus 1 % 0-99 manometer (Ausschl. <,)| a 36000 | 1917 1-0 0- 0-85 | yon0-5ma 64 800 1800 2-15 1: 1-94 | factisch um 0-5 bis 3 e6 59 400 1650 3.15 le 1-78 1 Procent zu klein. = d® 63000 | 1750 | 2.35 | 1- 2.15 = e® 70200 | 1950 | 2-4 1- 2-39 E re | 7121000, | 2000 | 2e3 1: 2.45 A g® 77400 | 2150 | 2-7 1: 2-95 dass für alle Töne immer ein gleicher Theil der totalen, abgesendeten Schall- menge den an einem unveränderlichen Punkte aufgestellten Beobachter erreichen wird. Um diese vergleichenden Werthe jenen anreihen zu können, welche mit Hülfe der Stimmgabel gefunden worden sind, haben wir den “für den Pfeifenton ce? gefundenen Werth dem für den Stimmgabelton ec? (kurzes Hörröhr) gefundenen gleichgestellt. In ähnlicher Weise haben wir SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE.. 389 den für den Pfeifenton @° mittels der kleinen Orgelpfeife gefundenen Werth jenem für denselben Ton auf der grossen Orgelpfeife angetroffenen identifieirt und endlich auch den Werth für a* Galtonpfeife jenem «a kleine Pfeife gleichgenommen. In dieser Weise gelangt man zu einer fort- laufenden Reihe von Werthen für alle Töne von c bis c®. Tabelle XI. l 2 3 | 4 RS 6 r Anzahl Energie Energie | Ver: Tonhöhe | Schwingungen _ pro 2 bis 20 hältniss- Bemerkungen pro Secunde BE USE cunde Schwingungen | zahlen e 128 SIAXIOTERKEAN AI-EX TOT KH, 4928 ) g 192 566 59-2 59-2 ec! 256 149 11-4 11-4 g! 384 347 17-1 17-1 e? 512 29° 1-13 1-13 e? 640 223 6-97 6-97 f> 683 217 6-36 6-36 o 768 201 5-23 5-23 a? 853 236 5-52 5-52 h? 960 | 215 4.48 4+48 @ 1024 300 5-81 5-81 d? 1152 298 5-17 5-17 |t per 2 Schwing. e? 1280 382 5-97 5-97 f# 1366 393 5-76 5.76 g° 1536 357 4-64 4-64 a? 1707 257 3:02 3-02 h? 1920 228 2-36 2-36 (di 2048 183 1-84 1-84 d* 2304 161 1.40 1.40 ; e* 2506 158 1:26 1:26 fi 2732 144 1-05 1-05 gt 3072 197 1-28 1-28 a*® 3414 237 1-39 1:39 ) h* 3840 2 1-67 1-67 2-5 Schwing. ec? 4096 354 2-16 2-16 2-5 s d? 4628 342 2.22 2-22 3 > e? 5120 334 299 2.99 4 „ Ti 5464 412 3-39 3.39 45 5 g° 6144 443 | 3-96 Segen Eroası a’ 6828 516 61 6-71 | 9 N hB 7680 651 8-46 8:46 | 10 En e® 8192 600 14:6 14:6 d® 9216 719 15-6 15-6 je 5 ee 10240 805 15-6 15-6 N 10520 820 15-6 15-6 \20 N, g® 12283 989 16-1 16.1 390 H. ZWAARDEMAKER unD F. H. Qumx: Interessant ist es daher, dass die Glieder der Reihe 9? bis e?, welche sowohl an Gabeln als an Pfeifen gemessen worden sind, fast genau die- selben Gabelwerthe und Pfeifenwerthe (nach Gleichstellung beider für ce?) anweisen. Diese auffallende T'hatsache beweist unseres Erachtens den ge- ringen Einfluss der Obertöne der gedeckten Pfeifen auf das Resultat der Messung, denn käme hier ein einigermaassen ansehnlicher Theil der Energie auf Rechnung der Obertöne, so müssten nach Gleichsetzung der Werthe für ce? die Pfeifenwerthe für 9°, a?, 5° höher ausgefallen sein als die Gabelwerthe. Factisch zeigten sie sich gleich oder um ein Geringes kleiner. $ 3. Die unteren Octaven. Die unteren Octaven wurden studirt mit Hülfe der grossen Stimm- gabeln aus der Edelmann’schen Reihe. Wenn man diese unbelastet ver- wendet, stören die unharmonischen Obertöne oft in sehr unangenehmer Weise. Es gelingt jedoch, die Töne vollständig zu dämpfen durch fest an- schliessende Tuchringe, ein Kunsteriff, den wir der Appunn’schen Lamelle entnahmen. Für gewöhnlich genügt es, an jeder Branche einen finger- breiten Tuchring anzubringen. Vereinzelt hat man auch mehrere in ver- schiedener Höhe auszuschieben. Die Ausklingezeit der Gabeln wird durch diese Ringe nicht nennenswerth verkürzt. Der Ton wird aber unendlich viel reiner und schöner. Diese grossen Gabeln konnten nicht mehr in der wattirten Kugel von 15 ® Strahl untergebracht werden; dieselben bedurften einer mehr cylindrischen Umhüllung, was wir erreichten, indem wir ein cylindrisches Zwischenstück anfertigen liessen aus Kupfergaze und innen wattirt, welches zwischen den beiden Halbkugeln eingeschoben wurde. In diesem Falle wurde Reflectionen genügend vorgebeugt. Die Gabeln be- fanden sich jedoch nicht in einem so regelmässigen Raum wie in den früheren Versuchen. Die Construction einer Oberfläche von gleicher Schall- intensität wurde daher auch unterlassen und von der Berechnung des Factors 7! Abstand genommen. In wie weit es wahrscheinlich ist, dass dieser Factor für die drei hier in Betracht kommenden Gabeln als von einem zwar unbekannten, jedoch in allen drei Fällen gleichen Werth zu denken, muss dahingestellt bleiben. Obgleich von verschiedener Grösse, waren die Gabeln doch ziemlich gleichförmig gebaut und es ist also wahr- scheinlich, dass #1 keinen allzu grossen Unterschied dargeboten haben wird. Eine neue Schwierigkeit that sich hervor, wenn sich zeigte, dass der Schall dieser Gabeln auf 15°“ nur mit grosser Anstrengung, bezw. gar nicht, hörbar war. Wir halfen uns, indem wir das Hörrohr durch das wattirte Gazegerüst hindurch bis in die Nähe des Toncentrums führten SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 391 und so die kleinst hörbare Amplitude herstellten, welche unmittelbar mess- bar war. Die Anwendung der Wead’schen Formel geschah in der ge- wöhnlichen Weise. Untenstehende Tabelle giebt die Resultate in über- sichtlicher Weise. Tabelle XI. Quix Zwaardemaker ‚ Von der Gabel aus- | | Von der Gabel aus- Tonhöhe Amplitude gesandte Energie | Amplitude | gesandte Energie im Momente (während der 2 | im Momente | (während der 2 der Schwelle vorangehenden | der Schwelle vorangehenden Schwingungen) | Schwingungen) x | Oz! 175 wm 450-8 ergs 1010 u 7458 ergs c DEE | 36-0 „ | 1005, 18; G 2-6, sul. | 46 „ a e 2-4, Vatt yz | 40 „ 5 NB. Quix und Zwaardemaker haben ungefähr die gleiche Gehörschärfe; die Differenzen hängen mit den verschiedenen Bedingungen der Experimente zusammen. $ 4. Resume. In den vorhergehenden Paragraphen gelangten wir für die mittleren Octaven zu genau abgewogenen Vergleichungszahlen. Für die oberen Öctaven bekamen wir eine Reihe Energiewerthe, welche wir jenen der mittleren Octaven anschliessen lassen, indem wir die Werthe für c? auf der Orgelpfeife jenen für c’-Stimmgabelton gleichstellen. Für die unteren ÖOctaven kann man Aehnliches machen, wenn man den Energiewerth, der für c den neuen, unbekannten Factor 7! enthält, mit dem Energie- werth, der die Reihe der mittleren Octaven unten abschliesst, identificirt. In dieser Weise bekommt man eine continuirliche Reihe, welche sich vom unteren Theil der Bässe bis zum höchsten Theil des Discant fortsetzt und es ist wahrscheinlich, dass diese Reihe annähernd dem thatsächlichen Ver- hältniss entspricht. Es wäre erwünscht, diese Verhältnisszahlen in absolute Werthe umrechnen zu können und die Möglichkeit dazu eröffnet sich, wenn man frühere Beobachtungen von Töpler und Boltzmann heranzieht. Diese Physiker bestimmten für ihr Ohr die akustische Energie der Schwelle eines Tones von 181 Schwingungen (ungefähr g) auf 36-6 x 10 7° ergs. Der von uns gefundene Werth ist 0.000592 x 7 (Tabelle IX). Der Factor F entspricht also 0.000618. Durch Einführung dieses Werthes für # gelangt man zu untenstehenden absoluten Schwellenwerthen. 392 H. ZWAARDEMAKER unD F. H. Quix: Tabelle XIII. Schwellenwerthe in 103 ergs. Tonhöhe NL Schallenergie Tonhöhe | DEE Schallenergie ( 128 | SOUR NNTS a* | 2304 0-87 x 10 3 g 192 36-6 e* 2506 0-78 ec! 256 7:05 = 27132 0-65 g! 384 10-6 g* 3072 0-79 ec? 512 | 0-7 a* 3414 0-86 e? 640 4-3 h* 3840 1:03 fa 683 3.9 ce? 4096 1-33 9° 7168 3-2 a? 4628 1:38 a? 853 3°4 e? 5120 1-85 h? 960 2-8 vn 5464 2-10 ec? 1024 3-6 [92 6144 2-45 d? 1552 3-2 a? p 6828 4-14 e® 1280 3-7 h> 1680 5.23 f 1366 3-6 cö 8192 9-00 g? 1536 2-9 de 9216 9.63 a? 1707 1-9 e® 10240 9-66 h3 1920 1.5 JE 10520 9.65 c* 2048 1.14 g° 12228 9.94 Wir erlauben uns die Endergebnisse unserer Untersuchung der Ueber- sichtlichkeit halber auch noch in graphischer Form vorzuführen (s. Taf. VII, Fig. 4). In der dortigen Graphik verzeichnen die Ordinate die Schwellenwerthe in 10-8 ergs. Ihre Länge in Millimetern giebt zugleich auch die Ver- hältnisszahlen an für f' = 1. Der Leser wird ausser der sich auf Tabelle XIII stützenden Curve noch eine andere vorfinden, die einen ähnlichen Verlauf zeigt. Diese bezieht sich auf eine andere Versuchsreihe, die wir im December 1901 der mediei- nischen Section der medieinisch-physikalischen Gesellschaft in Amsterdam vorgelegt haben und die sich damals an die dritte Stimmgabelversuchsreihe anschloss, d. h. jener mit langem Hörrohr. In Tabellenform geben wir, um nicht zu ausführlich zu werden, nur unsere letzte Versuchsreihe, welche mit besonderer Sorgfalt angestellt wurde und bei welcher die Erfahrungen der früheren Reihen benützt wurden. Es lohnt sich gewiss der Mühe, diese Resultate mit einigen Schätzungen, welche von anderen Untersuchern vorgenommen sind, zu vergleichen. Es liegen in dieser Hinsicht Versuche vor von Lord Rayleish und von Wien. SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 393 Schallenergie an der Hörgrenze pro Secunde und pro Quadrat- centimeter passirend. SIERT OT ER IE erg: Oukgundezayaandemaker 2.222727 2002, x102 3 5 aawVlens(continuinlich) San SS Te, Quix und Zwaardemaker . . . DET aneignen Eu en 2 A900. LO Ozeane 7 waandemakernz22:.22.272665.x 103 7,2 Die Uebereinstimmung ist ziemlich befriedigend, wenigstens befrie- digender als die Vergleichung der Resultate Töpler’s und Boltzmannn’s, Rayleigh’s, Wien’s unter sich, ohne Heranziehung unserer Vergleichungs- zahlen. Ausser den genannten Untersuchungen findet sich in der Litteratur noch eine Untersuchung von Wead, der im offenen Felde Stimmgabel- versuche anstellte und für die Energie, welche pro Secunde durch die Einheit der Oberfläche an der Schwelle des Hörers passirt, nachstehende Werthe fand. Schallenergie an der Hörgrenze pro Secunde und pro Quadrat- centimeter passirend. Wead Quix und Zwaardemaker c 7600 & 8300 x 10° ergs. 5894 x 10 = ergs. el 280 25310, 0 SU 3 NOTE, g! 260 SUITE 61332x 052, c? 110 x UN Dada: 0202200 1022, 66ER OT, @® 710 Sl D30ST 10 zer Neben diesen Zahlen haben wir unsere Werthe für die gleichen Töne aufgestellt. Der Leser wird ohne Weiteres ersehen, wie für die Töne c und I g” vollständige Uebereinstimmung herrscht, während die übrigen Werthe ! Durch graphische Interpolirung findet man aus unserer Curve der Schwellen- werthe für a! eine Schwelle von 7-3 x 10 ® ergs pro 2 Schwingungen. Das Trommel- fell auf 0-33 4°® annehmend, ergiebt sich hieraus eine Schallmenge an der Hörgrenze von 22 x 10 ® ergs pro 2 Schwingungen, also pro Secunde für diesen Ton von 427 Schwingungen 213 x 22 x 10? ergs oder 469 x 1078 ergs. ® Unsere Schwelle für f* zeigte sich pro 2 Schwingungen und pro Quadrat- centimeter = 0:65 x 10 °® ergs, also pro Quadratcentimeter und pro Secunde 2733 zo 02652 37x01 0 2669 10a 394 H. ZWAARDEMAKER und F. H. Qux: Wead’s 4 bis 24 Mal kleiner sind wie die unserigen. Andere Angaben liegen, soweit uns bekannt, in der Litteratur nicht vor. ‘Die Betrachtung der Curve, welche das Energiemaass der Schwellen in der Scala angiebt, lässt ersehen, dass die Empfindlichkeit unseres Ohres von c=? ab allmählich ansteigt, in den mittleren Octaven ihr Maximum erreicht und dann wieder allmählich abnimmt. Die Zone maximaler Empfindlichkeit reicht von c! bis g°. Es sind ferner in dieser Zone die Töne c? und f*, welche sich durch besondere Empfindlichkeit auszeichnen. Für f* lässt sich dies mechanisch erklären, weil dieser Ton ungefähr dem Resonanzton des menschlischen Ohres entspricht. Für c? fehlt eine solche , Erklärung, wenigstens wenn man nicht eine suchen will in der Ueber- legung, dass hier ungefähr der höchste Bereich liegt, für welchen die Kette der Gehörknöchelchen einen Nutzen erweist. Die Zacken, welche die Curve, übrigens in ihrem Verlaufe aufweist, lassen sich schwer erklären. Der Wahrscheinlichkeit nach rühren sie von unserer nicht ganz correcten Massenberechnung her. Die Gleichförmigkeit der Edelmann’schen Stimm- gabelreihe ist, wenn man strengere Anforderungen stellt, nicht vollständig und gerade die Gabel g! zeigt in dem Bau ihres Stieles eine Ausnahme, den anderen Gabeln der mittleren Octaven gegenüber. Jedoch auch ohne solche Fehler in den technischen Bedingungen der Versuche würden sich Zacken überhaupt nur entfernen lassen durch Vermehrung der einzelnen Versuche, deren Mittelwerthe durch die Ordinate angegeben werden. Weil mit Rück- sicht auf die Ermüdung der Versuchsperson alle Töne an einem Abend nicht durchgeprüft werden können, würde es nothwendig sein, um zufälligen Wechselungen der Gehörschärfe vorzubeugen, nicht nur die Zahl der Ver- suche, sondern auch die Zahl der Beobachtungstage noch ausserordentlich auszudehnen. Da dieses bis jetzt nicht geschehen konnte, braucht der zackige Verlauf der Curve uns gar nicht zu wundern. Eine etwas niedrigere Schwelle für c! findet vielleicht theilweise Erklärung in der Länge des Hörrohrs (zufälliger Weise gerade 65 “ = halbe Wellenlänge des Tones c!). Allein auch die Versuchsreihe mit langem Hörrohr zeigt an derselben Stelle eine Thalwelle, so dass jedenfalls ausser der genannten auch noch eine andere Ursache existiren muss. Die Zone minimaler Reizschwelle fällt zusammen mit jener der dominirenden Töne oder Formanten der Vocale. Dies wird wahrscheinlich kein Zufall sein und erklärt werden müssen ent- weder durch das Bestreben der Sprechenden, die Hauptklänge der Sprache in diesen empfindlichen Theil der Scala zu verlegen, oder umgekehrt durch die ungemeine Uebung, welche das menschliche Ohr gerade für diese Töne im Laufe der Zeit erworben hat. Unsere Bestimmungen wurden ausgeführt in möglichst stiller Um- sebung bei gespannter Aufmerksamkeit. Auch war das Ohr immer auf das zn SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 395 Hören des Tones vorbereitet. Wenn wir ausnahmsweise die Beobachtung vorübergehend abgebrochen hatten, hat sich immer gezeigt, dass die Schwelle um viele Stufen höher gefunden wurde, als wenn das Ohr vom Anfange an, sei es auch mit ganz kurzen Intermissionen, dem verklingenden Tone gefolgt war. Offenbar ist also eine Einstellung des Sinnes auf die be- stimmte Tonhöhe ein die Schärfe der Wahrnehmung förderndes Moment. Ob diese Einstellung psychischer oder physiologischer Natur ist, lassen wir natürlich dahingestellt sein, obgleich der ansehnliche Unterschied für eine physiologische Ursache spricht. Wir haben versucht, dieser Frage etwas näher zu treten durch Heranziehung des bekannten Hensen’schen Ver- suches. Während wir durch das lange Hörrohr im Nebenzimmer dem Ver- klingen der vom optischen Beobachter unter dem Mikroskop beobachteten Gabel folgten, haben wir einem Metronom in unserer unmittelbaren Nähe seine kräftigen Schläge ausführen lassen. Das Metronom war unserem rechten Ohre gegenüber aufgestellt, während wir mit dem linken Öhre die Reizschwelle zu bestimmen suchten. Es zeigte sich nun, dass diese Schwelle für c und g (klein) bedeutend höher gefunden wurde, wenn das Metronom schlug, als wenn wir dasselbe zum Stillstand brachten, indem der Schwellen- werth für c?, 9? und ce? nur unbedeutend höher gefunden wurde wie sonst. Eine Analyse des Metronomschlages mit Resonatoren liess uns darin die Töne g?, c® und e? erkennen, so dass die Vermuthung nahe liegt, dass der Unterschied der Schwellenwerthe für c und g (klein) ihre Erklärung finden in der Abwesenheit dieser Töne in dem starken, vom Metronom hervor- gerufenen Lärm. Wir können uns vorstellen, dass das Ohr genöthigt war, diese Töne während des Schlages einen Moment loszulassen und in Folge dessen in den freien Intervallen, die zwischen den gesonderten Schlägen lagen und in welchen die Schwelle gefunden werden sollte, nicht auf sie eingestellt war. Wenn der betreffende Ton hingegen im Lärm des Metronomschlages auch vorhanden war, macht sich dieser Nachtheil, wie es scheint, nicht fühlbar. Der Mechanismus, nach welchem die Einstellung des Ohres auf einen bestimmten Ton stattfindet, ist uns leider vollständig unbekannt, wenigstens ist es nicht möglich, darüber anderes als Ver- muthungen auszusprechen. Aus den Eigenschaften der von uns construirten Schwellenlinie bei gespannter Aufmerksamkeit und den Verschiebungen, welchen dieselbe unterworfen ist, wenn die Aufmerksamkeit losgelassen wird, würde hervorgehen, dass dieser Mechanismus nach Willkür die am meisten empfindliche Zone in toto basswärts oder discantwärts verschieben kann. Es scheint, dass gerade der Hensen’sche Versuch im Zusammenhang mit dem Studium der Schwellenwerthe uns in Stand setzt, einer ganzen Reihe Eigenthümlichkeiten des schon oft vermutheten hypothetischen Mechanismus der Accommodation auf die Spur zu kommen. Die Geschwindigkeit z. B., 396 H. ZwWAARDEMAKER und F. H. Qumx: mit welcher die Einstellung geschieht und wieder losgelassen werden kann, muss unmittelbar aus der Periode des Metronomschlages, welche keine Er- höhung der Schwelle mehr hervorbringt, abgeleitet werden können. In unseren Versuchen fanden die Schläge jede Secunde statt. Dieses Intervall reicht also zur Loslassung eines starken und Wiedereinstellnng auf einen anderen, sehr schwachen Ton nicht aus. In dieser Richtung haben wir unsere Versuche bis jetzt nicht verfolgen können und werden dies auch in der nächsten Zukunft nicht thun können, weil wir in einer folgenden Ab- handlung in erster Linie die Frage der Unterschiedsschwelle in der Scala in Angriff zu nehmen beabsichtigen. Anhang. Nach Rayleigh! verliert eine auf ihren Resonatorkasten geschraubte Stimmgabel einen Theil ihrer akustischen Energie an die umringende Luft und einen anderen Theil den Stiel entlang am Resonator. Auf Distanz wird nur letzterer grösserer Theil gehört, ersterer kleinerer kann vernach- lässigt werden. Falls jedoch die Gabel, wie in der Ohrenheilkunde ge- wöhnlich geschieht, frei in die Hand genommen wird, kommt gerade nur die an die umgebende Luft abgegebene Energie in Betracht. Gleiches gilt für unsere Anwendungsweise, wobei die Gabel mittels dicker Kautschuk- ringe an einem Holzblocke befestigt wird, denn auch dabei ist Resonanz vollständig ausgeschlossen, um so mehr, weil auch der Holzblock von dämpfenden Filzplatten getragen wird. Es kann denn auch nicht wundern, dass die Gabel auf grössere Distanz gar nicht, in kleineren Entfernungen nur ganz schwach gehört wird. Es lohnt sich, aufzuspüren, wie viel von der Totalenergie, welche die schwingenden Arme besitzen, unter den Bedingungen des Experiments in die umgebende Luft verbreitet wir. Wead schätzte den genannten Theil früher auf !/,„. Wir wollen versuchen, eine ähnliche Berechnung für unsere g-Gabel, die zur Vergleichung mit den Resultaten Töpler’s und Boltzmann’s diente, durchzuführen. Der totale Verlust, welchem diese Gabel in den zwei der Schwelle vorangehenden Schwingungen unterworfen war, betrug 0-261 ergs, die akustische Energie 15-.6/#= 96:710-tergs. Letzterer Werth, in ersteren dividirt, ergiebt als Resultat 27. Die akustische Energie war in unserem Falle also !/,- der Totalenergie der Gabel. Weit günstigere Tonquellen sind wahrscheinlich die Orgelpfeifen, denn ausgehend von der Bestimmung Töpler’s und Boltzmann’s kamen wir ! Rayleigh, Philos. Magazine. 1894. (5) Vol. XXXVII. p. 365. SCHWELLENWERTH UND TONHÖHE. 397 mit Hülfe unserer Verhältnisszahlen für is‘ zu einem Schwellenwerthe von 2665-108 ergs per Secunde und per Quadratcentimeter; während Rayleigh durch Annahme der vollständigen Ueberführung der angeführten Energie auf 4500-108 ergs kam. So betrachtet würden 60 Procent der Total- energie in Schall verändert werden. Wien’s Inauguraldissertation berechnet den Energieverlust auf 22 Procent. Wie aus Obenstehendem hervorgeht, können mit Hülfe unserer Ver- hältnisszahlen ungemein wichtige Folgerungen gezogen werden aus den directen Messungen, die Töpler und Boltzmann zu ihrer Zeit für Schall- schwingungen in der Luft anstellten. Es wäre im hohen Grade erwünscht, wenn diese Messungen wiederholt und erweitert werden könnten. Wir haben versucht, die von Stimmgabeln hervorgerufenen Schallschwingungen in einem Interferenzapparat von Jamin in dieser Richtung zu untersuchen. Es ist uns jedoch nicht gelungen, den Luftschwingungen eine genügende Amplitude zu ertheilen und eine Verbreitung der Interferenzstreifen wahr- zunehmen. #298 H. ZwAARDEMAKER tv. F. H. Quix: SCHWELLENWERTH v. TOoNHÖHE Erklärung der Abbildungen. (Taf. VIL) Fig. 1. Aufstellung einer Stimmgabel in der wattirten Kugel aus Kupfergaze (drehbar um die Axe der Gabel). NB. Das Mikroskop wurde in der Endversuchsreihe während der akustischen Beobachtung entfernt. ® Beobachtungsstelle mit kurzem Hörrohr. ”* Beobachtungsstelle mit langem Hörrohr. Fig. 2. Oberfläche gleicher Schallintensität um das Toncentrum einer Stimm- gabel herum construirt. A horizontaler Durchschnitt. B verticaler Durchschnitt, durch die Axe der Gabel. C vertiealer Durchschnitt, im Toncentrum normal auf der Axe der Gabel. NB. Die Gabel war horizontal aufgestellt, mit dem Stiel links, wie in Fig 1. Fig. 3. Auf der Luftbrücke montirte Orgelpfeife mit danebengestelltem Mano- meter. Fig. 4. Schwellenwerthe in Hundertmillionstel eines Ergs. NB. Die gezogene Linie bezieht sich auf die Versuchsreihe der Tabelle XIII, die gebrochene auf jene der Tabelle IV (von einer eigenen Beobachtungsserie an Orgel- pfeifen vervollständigt am 11. December 1901 in Amsterdam mitgetheilt). Die Luftbrücke. Von H. Zwaardemaker in Utrecht, Schon bei früheren Gelegenheiten lenkte ich die Aufmerksamkeit auf die Anwendbarkeit des Prineipes der Wheatstone’schen Brücke auf Luft- ströme in ganz analoger Weise, wie man es allgemein für elektrische Ströme benutzt. Der erste Schriftsteller, der meines Wissens diese Möglichkeit gewürdigt hat, ist Holtz!, der im Jahre 1886 eine kurze Notiz über den Gegenstand veröffentlichte, ohne jedoch zu wirklichen Messungen zu kommen, weil es ihm nicht gelang genügend empfindliche Vorrichtungen zum Stromverzeichnen zu treffen. Später hat Shaw? das Brückenprinecip auf ein Ventilationsproblem angewendet und an einem verkleinerten Model einige Messungen ausgeführt. Dann soll Nipher’ in dieser Richtung Versuche angestellt haben, und endlich haben Möller und Schmidt‘ einen hierher gehörenden. Apparat zur Veranschaulichung elektrischer Ströme durch Luftströme construirt. Es liest auf der Hand, dass ein Princip, welches für elektrische Ströme sich so ausserordentlich nützlich gezeigt hat, auch für die Messung von Luft- strömen wichtige Dienste erweisen können muss, und gerade in der Physio- logie, wo man so oft mit abgebrochenen und wechselnden Strömen zu thun hat, werden manche Probleme nur mit seiner Hülfe lösbar sein. Ich werde mir daher hier erlauben, einigermaassen ausführlich die Vorrichtungen zu schildern, welche seit 1899 in unserem Laboratorium im Gebrauche sind. ! Holtz, Annalen der Physik. 1886. N.F. Bd. XXIX. 8. 675. ® N. W. Shaw, Proc. of the Royal Soc. of London. 24. April 1890. Vol. XLVII. p. 462. ® F. E. Nipher, Nature. Vol. LVI. p.9. * M. Möller und B. Schmidt, Zischr. f. d. physik. Unterricht. 1899. Bd. XII. Nr. 259. 400 H. ZWAARDEMAKER: Ihre Leistungsfähigkeit wird sich dann von selbst ergeben, nöthigenfalls auch noch besonders hervorgehoben werden können. . Die bis jetzt von mir veröffentlichten Anwendungen beziehen sich auf die folgenden Fragen: 1. Die relative Durchgängigkeit der beiden Nasenhöhlen beim Menschen; die absolute Durchgeängigkeit der oberen Luftwege bei tracheotomisirten Versuchsthieren; der Röhrenwiderstaud des Bronchialsystems.! 2. Der Röhrenwiderstand von Glasröhren und von conisch zu- und abnehmenden Röhren.? 3. Der Röhrenwiderstand verzweigter Röhren, wie jene des Bronchial- systems; die absolute Durchgängigkeit eines in eine bronchiectatische Höhle führenden Bronchus während des Lebens. ? 4. Der Luftverbrauch in einem Zweigsystem, dessen engerer Zweig von einer Orgelpfeife gebildet wird. * 5. Die Luftverdünnung beim Riechen am Odorimeter.® $1. Das Prineip der Methode. Bei Auerbach‘ findet sich die folgende Beschreibung der elektrischen Brücke: „Strombrücke heisst ein System von 6 Zweigen, von denen zwei als Diagonalen des durch die vier übrigen gebildeten Vierecks angesehen werden können, wobei für die Wahl zu Seiten und Diagonalen verschiedene Mög- lichkeiten bestehen. Wirken in allen Zweigen beliebige constante elektro- motorische Kräfte, und ist die Stromstärke in einer Diagonale gleich gross, ob die andere Diagonale offen oder geschlossen ist, so bilden die Wider- stände der vier Seitenzweige eine Proportion und umgekehrt. Formel: 0,:@, = W3.! 0, genauer: die Widerstände zweier Seiten, die von demselben Endpunkte einer Diagonale ausgehen, verhalten sich wie die Widerstände der beiden Seiten, die von dem anderen Endpunkte der Diagonale ausgehen. Ist nur in der einen Diagonale eine elektromotorische Kraft vorhanden, so bleibt bei dem Schluss die Stromstärke in der anderen Diagonale Null. Die all- \ Nederl. Tijdschrift van Geneeskunde. 1900. Deel Il. p. 65. °” Centralblatt für Physiologie. 27. October 1900 und Onderzoekingen physiol. Laborat. Utrecht. 5, Il. p. 320. 3 Nederl. natuur- en geneeskundig congres. April 1901. * Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. ® Onderzoekingen physiol. Laborat. Utrecht. 5, Ill. p. 262. ° Aucrbach, Kanon der Physik. 8.431. Die LUFTBRÜcKE. 401 gemeine Strombrücke heisst Fröhlich’sche Brücke, der genannte Special- fall Wheatstone’sche Brücke.“ Wenden wir das gleiche Prineip auf Luftströme an. Man denke sich ein Zweigsystem, dessen beide Arme sich, nachdem sie eine Zeit lang getrennt verlaufen sind, wieder vereinigen, z. B. beide in freier Luft aus- münden. In diesem System befinde sich zwischen den beiden getrennten Röhren an irgend einer Stelle eine Verbindung, die Brücke strictiori sensu heisse, so ist es klar, dass, wenn sich in diesem System ein Luftstrom bewegt, je nach dem Röhrenwiderstande! in den Theilen sehr verschiedene Strömungen existiren können. Durch Regulirung der Röhrenwiderstände kann erreicht werden, dass keine Aenderung weder in den Strömungs- richtungen noch in den Strömungen eintritt. Dann ist die Analogie mit der elektrischen Brücke vollkommen und wird sich wieder eine Proportion gebildet haben zwischen den von der Brücke vereinigten proximalen und distalen Zweigen. ' Beweise für den speciellen Fall der Luftbrücke. I. Man denke sich zwei Niveauflächen A und B und zwischen den- selben in Folge seines specifischen Gewichtes ein Gas aufsteigend. Dieses Aufsteigen kann durch gleichweite Röhren entweder längs des kürzesten Weges, oder längs eines längeren geschehen. Man stelle sich weiter ein drittes Niveau C vor, welches von den Röhren proportionale Stücke ab- schneidet. Werden unter diesen Umständen die Schnittpunkte des Niveaus C mit den genannten Röhren unter sich durch ein Verbindungsrohr vereinigt, so wird in dieser „Brücke“ vollständige Ruhe herrschen, denn beide Punkte gehören ein und derselben Niveaufläche an. Wird jedoch die Proportionalität zwischen den abgeschnittenen Stücken gestört, so stellt sich die Ver- einigungslinie schief und eine Strömung durch die Brücke fängt an, welche sich an einem geeigneten Anemometer nachweisen lassen muss. Die Aufsteigung. des Gases wird auf dem kürzeren Weg rascher vor sich gehen als auf dem längeren. Eine Verengerung wirkt in gleichem Sinne. Man wird also mit Rücksicht auf die durchfliessende Menge jede Verengerung durch eine Verlängerung vertauschen können. So wird jedes System von Strombahnen durch ein einfaches Schema wie das unsrige vorgestellt werden können. Aehnliche Betrachtungen wie oben werden auch dann am Platze sein. Wenn nicht das specifische Gewicht des Gases, sondern ein Druck- unterschied, sei es in positivem oder in negativem Sinne, der Grund der ! Röhrenwiderstand oder genauer Strömungswiderstand sei hier definirt als der reciproke Werth der Tuftdurchgängigkeit. Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. Suppl. 26 402 H. ZwWAARDEMARER: Gasbewegung ist, wird sich das Gefälle, sobald die Strömung stationär ge- worden ist, gleichmässig über die Länge des Rohres vertheilen. An den Enden der Brücke wird in Folge dessen ein gleicher Bruchtheil des Druck- unterschiedes angetroffen werden, denn sie befinden sich auf proportionalen Entfernungen von den beiden Niveauflächen. Auch unter diesen Bedingungen fliesst also im Brückenarm kein Strom, weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Sobald sich jedoch die Endpunkte des Brückenarmes nicht mehr in proportionalen Distanzen der beiden Niveauflächen befinden oder die Vertheilung des Gefälles noch unregelmässig ist, so wird auch kein Gleichgewicht vorhanden sein. II. Gesetzt, man hat durch sorgfältige Einstellung eine derartige Ver- theilung der Röhrenwiderstände erreicht, dass in der Brücke strictiori sensu keine Luftbewegung stattfindet, dann will dies sagen, dass in den End- punkten dieser Diagonale derselbe Druck herrscht. Sobald die Strömung stetig geworden, ist diese Bedingung realisirt, wenn zwischen den Zu- und Abflussröhren rechts und links genau dasselbe Verhältniss vorhanden. Wäre es anders, so würde es einerseits zu einer grösseren Stauung kommen als andererseits. Mit anderen Worten, nur wenn die Röhrenwiderstände proxi- mal und distal proportional sind, wird in der Brücke die erforderliche Ruhe herrschen, und diese Ruhe wird unveränderlich fortdauern, auch wenn der Druck, der die ganze Luftmenge in Strömung bringt, gesteigert oder erniedrigt wird. Obenstehende Beweise haben nur dann unbedingt Geltung, wenn man die Energie, welche der Luft in Folge der Strömung innewohnt, vernach- lässigen kann. Dies wird der Fall sein, wenn der Druck gering bezw. die Geschwindigkeit der Luft unbedeutend ist. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, mit möglichst geringem Druck im Orgeltisch und möglichst weiten Röhrensystemen zu arbeiten. Wenn die Versuchsbedingungen es erfordern, kann man von dieser Regel abweichen, aber man soll sich dann bewusst sein, dass man nur zu einem annähernden Resultate gelangen kann.! Die Zahl der Fälle, in welchen man mit geringem Druck als Bewegkraft auskommen kann, ist um so grösser, je empfindlicher die Vorrichtungen - sind, welche in der Brücken-Diagonale die Abweichungen des Gleich- gewichtes verrathen.? ! In dieser Hinsicht ist die Luftbrücke entschieden im Nachtheile gegenüber der elektrischen Brücke. Bei letzterer handelt es sich um etwas Imponderabiles, das an sich keine Masse und also auch keine der Strömung entnommene Energie besitzt. 2 Wenn es möglich ist, die linke und rechte Hälfte des Zweigsystems ungefähr gleich weit zu machen, stört eine grössere Geschwindigkeit der Luft nicht. Dann ist es erlaubt, den Druck zu steigern, so dass auch eine geringere Empfindlichkeit des Stromprüfers oder des Differentialmanometers im Brückenarm ausreicht. Die LUFTBRÜückE. 403 Wenn man eine Oeffinung oder ein Röhrensystem mit Rücksicht auf seine Durchgängigkeit mit jener eines bekannten Systems vergleichen will, hat man es in einen der distalen Zweige zu stellen und symmetrisch hiermit in dem anderen Zweig das bekannte System. Man braucht dann nur in die proximalen Zweige gemessene Widerstände einzuführen, bis sich das Gleichgewicht hergestellt hat, und unmittelbar wird sich dann das Verhältniss zwischen dem zu messenden Widerstand und dem zur Vergleichung heran- gezogenen ergeben. Falls auch letzterer bekannt ist, ist hiermit zugleich auch der gesuchte Widerstand in absolutem Maasse gegeben. Zur praktischen Ausführung solcher Versuche braucht man in erster Linie Systeme schnell wechselbarer Widerstände, und als solche eignen sich: 1. Diaphragmaöffnungen, 2. Schieber. Beide haben wir in Anwendung gebracht. Die Diaphragmaöffnungen lassen sich der Reihe nach in der Peripherie einer grossen Drehscheibe anbringen oder in kleinen vertauschbaren Diaphragmen. Die Schieber lassen sich nach Art eines Aubert’schen Diaphragmas mittels Schraub- werk öffnen und schliessen. In zweiter Linie hat man in den Brückenarm irgend einen Strom- prüfer einzuschalten, welcher möglichst empfindlich für Luftströmungen oder Druckunterschiede ist. Shaw verwandte eine auf einem Magneten befestigte Windfahne, die bereits von schwachen Strömungen eine Ablenkung erlitt. Ich benutzte die Dämpfscheibe eines Kohlrausch’schen Galvano- meters, die ich, nach Entfernung der Nadel, zwischen zwei ganz leichten Spiralfedern aufgehängt hatte. Zum Anzeigen anhaltender Druckdifferenzen können alle möglichen Differentialmanometer (Ligroinmanometer, Mikromano- meter nach dem v. Kretz’schen Prineip) je nach Bedürfnis Verwendung finden. $2. Grosse Luftbrücke für continuirliche oder sehr allmählich umwechselnde Luftströme. Das Zweigsystem, das zur Aufnahme der Drehscheibe mit Diaphragma- Öffnungen zu dienen hat, kann in diesem Falle sehr geräumig gebaut sein. In dem von uns verwendeten Apparat haben die Rohrleitungen eine lichte Weite von 18", Das anführende Rohr verzweigt sich genau sym- metrisch und öffnet sich beiderseits nach kurzer Weglänge je in eine eben- falls 18%® weite Luftkammer, deren Boden von den Drehscheiben mit Diaphragmaöffnungen und deren Dach von den zu vergleichenden Wider- ständen gebildet wird. Diese Kammern rechts und links sind unter sich 26* 404 H. ZWAARDEMAKER: wieder genau symmetrisch durch die Brücke verbunden, in welcher ein Differentialmanometer aufgenommen ist. Der Boden der Kammer wird von den Drehscheiben gebildet, welche denselben luftdicht abschliessen und auch an der Seite der Verbindung mit dem Zweige des Zuleitungsrohres nicht die kleinste Luftmenge austreten lassen. Die Scheiben selbst brauchen keine grosse Dicke zu haben, 1"® oenügt schon. Die Platten, zwischen welche sie gefasst sind, sollen um so stärker gebaut sein, nöthigenfalls noch durch eine besondere Vorrichtung aneinander gepresst werden. Ebenso soll grosse Sorgfalt darauf verwendet werden, auch die in ihrer Durch- gängigkeit zu vergleichenden Systeme luftdicht anschliessend zu machen. Die Diaphragmaöffnungen wachsen mit Millimetern an und zwar be- finden sich in der linken Scheibe die Oeffnungen 1, 2 u.s. w. bis 16 und in der rechten Scheibe die Oeflnungen 3, 4 u.s. w. bis 18” Durchschnitt. In einer früher in diesem Archiv veröffentlichten Mittheilung ! ist diese Form der Brücke abgebildet mit einem Anemometer und einer Örgelpfeife in den distalen Zweigen und einem nach dem v. Kretz’schen Prineip nach Smits construirten Mikromanometer? im Brückenarm. Was letzteres Instrument angeht, so ist dasselbe hier als Zeroinstrument nur von geringer Länge und besteht einfach aus einem oben erweiterten U-Rohr, worin eine Anilin- und darüber eine Wassersäule geschichtet ist. Beim Ausschlag kommt dann gegenüber dem erhöhten Niveau in dem einen Schenkel ein Plus an specifisch schwererer Flüssigkeit in dem anderen. Man kann in Folge dessen eine Em- pfindlichkeit erreichen, die 40 Mal grösser ist als die beim Wassermanometer. Für unsere Versuche benutzten wir jedoch der rascheren Einstellung wegen ein ziemlich weites U-Rohr und verfügten daher nur über eine 7 Mal grössere Empfindlichkeit als beim Wassermanometer. Die Drehscheiben werden nun so lange hin und her geschoben, bis sich annäherndes Gleichgewicht hergestellt hat. Manchmal wird sich dies nicht vollkommen erreichen lassen, wenigstens nicht unter den günstigsten Messbedingungen, denn es liegt auf der Hand, dass das richtige Verhältniss der Widerstände nicht genau von den gerade vorhandenen Diaphragmaöfinungen realisirt werden kann. Dann kann man sich helfen durch ungefähre Einstellung des Gleich- gewichtes und Anbringung einer Correction. Letztere berechnet man am bequemsten, wenn man in einer der Luftkammern eine absolute Druck- bestimmung macht. Hierzu dient ein T-Rohr, welches in dem Zugang zum Mikromanometer eingeschaltet ist. Es setzt uns in den Stand, nöthigen- falls eine Verbindung mit einem zweiten Mikromanometer herzustellen, jetzt aus engem und langem Glasrohr gebaut. Aus dem Luftdruck in 1 Dies Archiv. 1902. Physiol. Abtulg. Suppl. Taf. VII. ° Smits, Untersuchungen mit dem Mikromanometer. Inaug.- Diss. Utrecht 1896. nn 22 > DIE LUFTBRÜCKE. 405 dieser Weise in der einen Luftkammer gemessen, lässt sich durch die An- weisung des Differentialmanometers unmittelbar jene des anderen ableiten und der Quotient der beiden Druckwerthe wird ohne Weiteres die Asym- metrie der beiden Strömungen charakterisiren. Der Quotient wird ebenfalls das Verhältniss angeben, in welchem die Proportionalität der Röhrenwider- stände durch die Grösse der Scheibenöffnungen zu gross oder zu klein gemessen werden wird.! Diese Correction ist wie gesagt angezeigt, wenn das Gleichgewicht im Differentialmanometer nur annähernd erreicht werden kann, und dies ist namentlich der Fall, wenn man, um die Empfindlichkeit der Methode völlig auszunutzen, sich enge an die günstigsten Messbedingungen hält. Ich habe dieselben zu bestimmen gesucht, indem ich zwei Bleiröhren von 247 "m Länge und 6:5 ""® Weite symmetrisch je auf eine der Luftkammern auf- stellte. In diesem Falle wird natürlich das Gleichgewicht im Differential- manometer erreicht, wenn man im Boden der Luftkammer die Diaphragma- öffnungen 3:3, 4:4 u.s. w. bis 16: 16 anbringt. In allen diesen Fällen ist das Gleichgewicht vollständig oder kann jedenfalls genau erreicht werden durch sanz leichte Verengerung der oberen Oefinungen von einer der Blei- röhren. Wenn man nun nach erreichtem Gleichgewichte eine der Bleiröhren rechtwinklig umbiegt, wodurch der Röhrenwiderstand nicht unbeträchtlich erhöht wird (äuch wenn man dafür Sorge trägt, dass keine Knickung, d.h. Verengerung in der Umbiesungsstelle entsteht), erhält man unmittelbar einen Ausschlag des Differentialmanometers. Diese Abweichung vom Gleich- gewicht ist am grössten, wenn die Diaphragmaöffnungen 4:4, 5:5 oder 6:6 gewählt worden sind. Der Niveau-Unterschied beträgt in diesem Falle 10wm, während für die Diaphragmaöfinungen 3:3 Tmwm Niveau- Unterschied, für die Diaphragmaöffnungen 7:7 4"m Niveau-Unterschied und für die Diaphragmaöffnungen 10:10 kein wahrnehmbarer Ausschlag gefunden wurde. Offenbar bilden die Oeffnungen 4:4, 5:5, 6:6 also die günstigsten Messbedingungen. Dasselbe Experiment wurde wiederholt mit zwei Bleiröhren von 3” lichte Weite und 250 "= Länge In diesem Falle war der Ausschlag des Mikromanometers, wenn eine der Röhren recht- winklig umgebogen wurde, bei. den Diaphragmaöffnungsen 3:3 wiederum gering und zwar 1”®, Die günstigsten Messbedingungen in diesem Falle lagen also bei den Oefinungen 2:2. ! Eine andere Art der Correetion, die im Grunde auf dasselbe herauskommt, ist die, dass man sich, ausgehend von genau äquilibrirter Brücke, den von einer I = grösseren Diaphragmaöffnung hervorgerufenen Ausschlag merkt. Man kennt dann den Grad der Asymmetrie, der an eine bestimmte Differenz des Differentialmanometers gebunden ist, Aus einer zufällig gefundenen Differenz lässt sich dann umgekehrt die momentan vorhandene Asymmetrie ableiten. 406 H. ZWAARDEMARKER: Wir verfügen noch über eine andere Methode zur Erforschung der günstigsten Messbedingungen. Man denke sich eine der soeben benutzten Bleiröhren von 6'/, "= Jichte Weite an ihrer Ausmündung in die freie Luft mit einer Vorrichtung zur Verengerung in genau bestimmtem Maasse versehen. Es sei das Gleichgewicht sowohl bei Diaphragmaöffuungen 4: 4, 5:5, 6:6, 7:7 hergestellt und man rufe nun eine Asymmetrie hervor durch Verkleinerung der Ausmündung von !/, "”, so bekommt man differente Niveau-Unterschiede des Mikromanometers. Für die Oeffnungen 4:4 betrug der Niveau-Unterschied 5"”%, für die Oeffnungen 5:5 30 "m, für die Oeff- nungen 6:6 50"" und für die Oeffnungen 7:7 4wm, Wir schliessen, dass die günstigsten Messbedingungen in diesem Falle bei den Oeflnungen 6:6 liegen, was mit der Bestimmung nach der anderen Methode voll- ständig übereinstimmt. Um unserer Methode die höchstmögliche Empfind- lichkeit zu verleihen, ist es also angezeigt, falls man Röhren zu vergleichen hat, die correspondirenden Diaphragmaöffnungen um ein Geringes kleiner zu wählen als die lichte Weite der Röhre Handelt es sich um die Ver- gleichung der Oefinungen, so wird man für gewöhnlich Drehscheiben- öffnungen von ungefähr demselben Areal herbeizuziehen haben. In den oben beschriebenen Versuchen haben wir uns der Triebkraft eines Orgeltisches bedient. Das Laufgewicht desselben war dabei auf den niedrigsten Druck eingestellt. Das genaue Maass desselben ist uns un- bekannt, wechselte auch von Versuch zu Versuch, je nach dem Gesammt- areal der Ausflussöffnungen. Der Werth ist für uns auch indifferent, da es gerade der Vortheil unserer Methode ist, eine Vergleichung der Röhren- widerstände zuzulassen, ohne vom Drucke beeinflusst zu werden, immer vorausgesetzt, dass der Druck nicht hoch sei. In den bis jetzt betrachteten Fällen handelt es sich immer um eine Vergleichung von zwei Röhrenwiderständen, die zu beiden Seiten der Brücke aufgestellt waren. Zwischen diesen beiden Röhrenwiderständen muss das nämliche Verhältniss existiren als zwischen den Widerständen der Dia- phragmaöffnungen der Drehscheiben im Momente des Gleichgewichtes. Die Vergleichung der unbekannten Röhrenwiderstände läuft also auf eine Ver- gleichung zweier bekannter Widerstände hinaus. Es kommt nun darauf an, letztere festzustellen. Die Luftdurchgängigkeit einer nicht zu engen Scheibenöffnung ist, wenn man, wie hier gestattet, von der Retraction des Strahles absieht!, dem Areale proportional. Man hat in Folge dessen die zweite Potenz des Diameters der Oeffnung in Rechnung zu bringen. Den Strömungswiderstand ! Contractio venae würde bei Gasströmung nicht vorkommen. Emden, Wiede- mann’s Annalen. N.F. Bd. LXIX. 3.433. DIE LUFTBRÜCKE. 407 haben wir definirt als den reciproken Werth der Luftdurchgängigkeit, auch dieser wird also der zweiten Potenz des Diameters umgekehrt proportional sein. Um ein Beispiel heranzuziehen: die Strömungswiderstände von zwei ganz willkürlichen Röhren verhalten sich umgekehrt proportional als die Areale der Scheibenöfinungen, die in unserem Brückensysteme mittels der Drehscheibe unter den Luftkammern angebracht werden müssen zur Her- vorrufung eines anhaltenden Gleichgewichtes in der Brücken-Diagonale. Es kommt also auf eine genaue Bestimmung des Areals der Scheiben- öffnungen, d. h. ihrer Durchmesser, an. Vom Mechaniker werden dieselben gewöhnlich nicht ganz genau geliefert werden. Jede Drehscheibe hat also vor ihrer Benutzung einer Controlmessung unter dem Mikroskop bezw. mittels Nonius unterworfen zu werden. Die Scheiben, welche wir benutzten, ergaben die nachfolgenden Diameter für ihre der Reihe nach am Rande verzeichneten Oeffnungen. Grosse Drehscheiben. Links Rechts Angegebene Wirkliche Angegebene Wirkliche Weite Weite Weite Weite 3 3-06 1 1:00 4 4:06 2 1:90 5 | 5-20 | 3 3:12 6 6-12 4 4:10 7 7-16 5 5-24 8 8:08 6 6-08 9 9-08 7 7:04 10 10:20 8 8:06 11 | 11-08 9 9:04 12 12-08 10 10.04 13 13.00 11 11-10 14 14-04 12 11-94 15 15:02 13 13-08 16 15:96 14 14:10 17 17:00 15 15-00 18 18:02 16 16-00 Ferner ist es nothwendig, sich von der Symmetrie der Brücke zu über- zeugen. In unserem Falle wurde vollkommenes Gleichgewicht erreicht bei: Scheibenöffnungen Diaphragmaöffnungen 6-12 :1.00 = 6-00 : 1-00 oder 7-16: 1-00 = 6-80 : 1-00 408 H. ZWAARDEMAKER: Zur Ausführung einer solchen Prüfung armire man die Luftkammer rechts und links mit luftdicht im Dache eingeschraubten Diaphragma- öffnungen. Auch diese letzteren müssen selbstverständlich mittels eines Mikrometers controlirt werden. Die unserigen zeigten die nachfolgenden Durchmesser: 1= 1-00 und 1-00 2 = 2.00 3 = 2.95 4 = 4-00 5 = 5-00 6 = 6-00 7 = 6-80 8=7-.80 Anfangs hatten wir für alle Nummern doppelte Exemplare, aber später haben wir alle Duplicate ausser dem Diaphragma = 1 vernichtet, weil, obgleich der Durchmesser derselbe war als derjenige, welchen wir bei- behielten, die Beschaffenheit der Ränder doch nicht genau dieselbe war, und also keine vollständige Identität angenommen werden durfte. Wir fürchteten, dass in Folge dessen durch Verwechselung der beiden gleich numerirten Diaphragmen Versuchsfehler einschleichen könnten. Aehnliche Betrachtungen lassen sich für die Drehscheiben anstellen, allein mit dem Unterschiede, dass dieselben nicht aus Versehen ver- wechselt werden können, erstens, weil sie eine feste Stelle im Brücken- systeme einnehmen und zweitens, weil die Numerirung der Diaphragma- öffnungen an der linken Seite von 3 bis 18, an der rechten Seite von 1 bis 16 geht. Die früher angegebenen Differenzen in der Weite der Oeff- nungen, sowie die geringe hervorgetretene Asymmetrie der Brücke können bei den eigentlichen Messungen eliminiert werden durch absichtliche Um- wechselung der verglichenen Röhrenwiderstände. Man mache immer zwei Messungen, wobei die oberen Widerstände gewechselt werden, und ziehe dann das Mittel aus beiden Bestimmungen. Aus der Vergleichung zweier willkürlicher Widerstände durch An- bringung derselben in unserem Brückensystem kann sich, wie gesagt, eine wahre Messung entwickeln, wenn zu einer derselben ein bekannter Wider- stand gewählt wird. Ich bediente mich zu diesem Zwecke gewöhnlich gläserner Röhren, z. B. in jenem Falle von der Bestimmung des Röhrenwider- standes eines in einer bronchiectatischen Caverne mündenden Bronchus, von einem Glasrohr von 5-6”= Weite und 220” Länge. Der Bronchus zeigte bei tracheo-fugalem Luftstrom einen 5 Mal grösseren Röhrenwider- stand, bei tracheo-petalem Luftstrom einen 7 Mal grösseren Röhrenwider- stand als das Glasrohr, DIE LUFTBRÜCKE. 409 $3. Luftbrücke mit Schiebern. Die Drehscheiben als Hülfsmittel zur Variirung der Widerstände in den proximalen Zweigen des Brückensystems haben den Vortheil, dass sie sich genau schliessend anbringen lassen. Hingegen empfindet man den Nachtheil, dass man die Widerstände nicht anders wie sprungweise ändern kann. Die Einstellung auf Gleichgewicht in der Brückendiagonale kann Fig. 1. in Folge dessen nicht immer genau getroffen werden und die Einfachheit der Methode beeinträchtigende Correctionen werden dann nothwendie. Wir haben deshalb versucht, ein Brückensystem mit Schiebern einzurichten, um die Widerstände ganz allmählich und continuirlich zu variiren. Es zeigte sich aber nicht leicht, derartige Schieber genau schliessend zu machen. Vollständig lässt sich dies eigentlich ohne kostspielige Vorrichtungen nie 410 H. ZWAARDEMAKRER: erreichen; in genügendem Grade nur dann, wenn man sie über eine grössere Oberfläche gegen einander anliegen lässt. Letzteres setzt wieder eine bedeutende Grösse der Platte voraus und der Apparat muss ziemlich gross und breit ausfallen. Dies hindert nun nicht, wenn man ihn für continuirliche, lang anhaltende Strömungen benützen will, es macht den Apparat unbrauchbar für abgebrochene und umkehrende Strömungen, wie sich dieselben bei der Athmung vorfinden. Für einige physiologische Probleme kann jedoch eine solche Luftbrücke mit Schiebern, ungeachtet der grossen Lufträume, welche sie erfordert, mit Nutzen verwendet werden und wir wollen «deshalb auch diese Form unseres Armamentariums hier kurz beschreiben, um so mehr, weil einige Eigenthümlichkeiten von Luft- strömungen sehr charakteristich hervortreten. Die untere Verzweigung des früheren Brückensystems ist ersetzt worden durch einen grösseren Behälter aus Holz mit darauf geschraubten kupfernen Deckplatten, in welchen die Schieber sich befinden. Der Be- hälter hat eine Länge von 25°“, eine Breite von 9° und eine Höhe von 11, Er wird mittels eines kurzen, 18"” weiten Verbindungsstückes auf den ÖOrgeltisch gestellt. Die Schieber in der Deekplatte sind genau symmetrisch rechts und links nach Art eines Aubert’schen Diaphragmas gebaut. Sie können mittels einer Mikrometerschraube geöffnet und ge- schlossen werden und zwar kann die Diagonale eine Länge von 20 mm erreichen. Die Ablesungen finden an einer groben Scala der Einheiten nach statt; am Kopfe der Mikrometerschraube in 100stel eines Millimeters. Da die Schraube etwas todten Gang hat, wird immer zuschiebend ab- gelesen. Oben auf der Deckplatte, über den Schieberöffnungen, sind wieder genau symmetrisch zwei cylindrische Luftkammern angebracht, hoch 3-7 und breit 1-6“. Diese Luftkammern setzen sich oben in einen 18m weiten Theil fort, damit die Theile der anderen Brücke aufgesteckt werden können und Diaphragmata, Röhren u. s. w. auch hier promiscue Verwen- dung finden. Die Schieberöffnungen finden sich nicht genau in der Axe der Luftkammer, das ist nur der Fall bei einer Länge der Diagonale von 10m, sonst liegt die Mitte der Oeffnung immer ein wenig lateral- wärts. Wenn die Schieberöffnungen beiderseits gleich weit sind oder nicht nennenswerth differiren, macht diese Abweichung aus der Axe der Luft- kammer keine nachweisbare Unregelmässigkeit. Sobald aber die Differenz der Areale der Schieberöffnungen bedeutend wird, fängt sie an störend zu werden. Empirisch hat sich herausgestellt, dass dies der Fall ist, wenn einerseits eine Diagonale = 1, andererseits eine Diagonale = 7 eingestellt wird. Wir haben in Folge dessen davon Abstand genommen, diese be- sondere Form des Brückensystems für grössere Areale als 50 «© zu ver- DIE LUFTBRÜCKE. 411 wenden. Das Studium der günstigsten Messbedingungen lässt hieraus folgern, dass es für Messungen von Röhrenwiderständen grösser als jene eines Rohres von 5" nicht verwendet werden soll. Die Einstellung des Nullpunktes der Scala geschah in der Weise, dass wir die Dachplatte mit Schiebern abschraubten und gegen das helle Licht einer Bogenlampe hielten. Die Schieber wurden so weit zugeschoben, bis auch die im Anfang ganz kleine punktförmige Oeffnung verschwand.‘ Diesen Stand verzeichneten wir als den Nullpunkt der Scala. Bei 0.05" Länge der Diagonale spürt man dann ein ganz schwaches, punktförmiges Licht, welches bei 0.10 ®” deutlicher wird, bei 0-20 = sogar sehr deutlich hervor- tritt. Ausserdem spürt man dann noch einen schwachen Lichtschein, der von der Spiegelung der nicht geschwärzten Spaltränder herrührt. Vor, und auch von Zeit zu Zeit zwischen den Versuchen, wurden die Correctionen festgestellt, welche in den Werthen der Schieberstände ange- bracht werden sollen, damit das.Verhältniss der Areale zur rechten und linken Seite genau mit jenem von vorne herein bekannten distalen Zweigen übereinstimmte. Für symmetrische Schieberstände fanden wir Folgendes: Linksseitig muss der abgelesene Werth, um zum richtigen Werthe zu ge- langen, durchgehend verringert werden und zwar bei 1:1 um 0-26 m m22R,, 0.2405 aaa 02208, 41.016, BENDER A ie 20.0250 also im Mittel für Diagonale bis incl. 5:5, 0-21. Diese Bestimmungen fanden statt mittels genau gemessenen Dia- phragmaöffnungen in den distalen Zweigen. In ähnlicher Weise studirten wir die asymmetrischen Schieberstände. Links Rechts Links Diaphragma 2 3 4 5 6 Ü 8 Schieberstände 1 (1-00) 1:92 | 3:06 , 4-14 | 5-26 | 6-66 | 7:96 | 9-80 1 2 (2-00) 2-80 | 3:90 | 4-94 | 6-20 | 7-40 | 9-10 2 3 (2-95) 3-80 | 4-84 | 6-12 | 7-16 | 8-70 3 4 (4-00) 4-80 | 6-00 | 7-16 | 8-60 4 5 (5-00) 5-92 | 7-10 | 8-56 5 6 (6-00) 6-76 | 8-30 6 7 (7-00) 8-14 7 | | 412 H. ZWAARDEMAKER: Wie aus obenstehender Tabelle hervorgeht, bedürfen die Ablesungen der Schieberstände für die asymmetrischer Brücke bedeutende Correctionen. Theilweise rührt dies vom ungenauen Schliessen der Schieberplatte her und offenbar wechselt diese Ungenauigkeit für die verschiedenen Stände der Schieber nicht unbeträchtlich. Obgleich der Apparat sehr genau ge- arbeitet und mit grosser Sorgfalt polirt, leicht eingefettet und genau an- schliessend gemacht war, liessen sich diese Unregelmässigkeiten nicht weg- nehmen. Da die Abweichungen um so grösser werden, je ansehnlicher das Areal der Oeffnune, so ist diese Fehlerquelle doch nicht die einzige Ursache der beobachteten Unregelmässiekeiten. Es muss auch die relative Enge der Luftkammer über den Schieberöffnungen daran Schuld sein. Namentlich die Weite der Luftkammer hätte grösser sein müssen, damit die von der nicht axialen Lage der Schieberöffnung herrührenden Wirbel rechts und links nicht allzu sehr differiren. In der Form, welche der Apparat jetzt besitzt, werden diese Wirbel sich an der Seite mit weit geöffneten Schiebern ungemein viel kräftiger geltend machen, als an der Seite mit engen Oefinungen, wo der Strom sich in grösserer Distanz von der Wand der Kammer bewegt. Weil die Wirbel einen Widerstand für eindringende Luft hergeben, muss die Schieberöffnung um ein nicht Geringes erweitert werden, damit die Luft unten in demselben Maasse hereintritt, als sie oben durch die genau axial gestellte Diaphragmaöffnung ausfliesst. Grössere Luftkammern über den Schieberöffnungen machen jedoch auch eine weitere Auseinanderlagerung der Schieber nothwendig und letztere würden wiederum eine Vergrösserung der unteren Luftkammer mitgebracht haben. Ich hatte bis jetzt keine Veranlassung, einen solchen grösseren Apparat zu bauen, denn die Röhren, welche ich bis jetzt auf ihre Durchgängigkeit zu prüfen hatte, besassen alle’ ein Lumen von weniger als 5", und in diesem Falle ist der Fehler bei der Messung, wie aus den beiden oben mitgetheilten Tabellen hervorgeht, nur gering. Wenn sich aber später einmal das Bedürfniss fühlbar macht, die Methode auch auf weitere Röhren anzuwenden, werde ich nieht verfehlen, die Anfertigung eines geräumige gebauten Apparates mit sehr weiten Luftkammern zu veranlassen, denn man arbeitet mit Schiebern ungemein viel leichter und handlicher als mit Drehscheiben, die nur sprungweise Aenderung des Widerstandes in den proximalen Zweigen erlauben. Je grösser aber die Luftströme des zur Messung herangezogenen Brückensystems sind, um so weniger geeignet ist unsere Methode für Luft- ströme, die während des Versuches Wechsel unterworfen sind. Für Respi- rationsversuche ist der Schieberapparat dann auch ganz und gar ungeeignet, es sei denn, dass man bezweckt, die mittlere Luftdurchgängigkeit kennen zu lernen, Die LUFTBRÜCKE. 413 $4. Kleines Brückensystem für plötzlich abgebrochene Luftströme. Gerade einen Gegensatz zu dem Brückensystem mit Schiebern und ge- räumigen Luftkammern bildet ein ganz Kleines, das in einer, einer früheren Mittheilung beigegebenen Abbildung in natürlicher Grösse abgebildet ist.! Es hat linksseitig proximal einen von einem kleinen Diaphragma gebildeten Widerstand, woran sich distal der zu messende Widerstand anreiht. Rechts- seitig hat es zwei unter sich verwechselbare Drehscheiben. Letztere besitzen Oeffnungen, eine erste Platte von 0.4 bis 4-0 ==, eine zweite von 0-5 bis 6-.0”m, und gestatten also einen ziemlich ausgedehnten Wechsel von Wider- ständen proximal, während distal entweder durch Einstellung der weitesten Oeffnung aller besondere Widerstand hinweggenommen werden kann, oder durch Einschiebung von einer der vielen kleinen Oefinungen ein willkürlich gewählter Vergleichswiderstand hergestellö wird. Die Weite der Röhre ist überall 6 WW. Erweiterte Luftkammern zwischen den proximalen und distalen Zweigwiderständen fehlen hier ganz. Als eigentliche Brücke kann Verschiedenes eingeschaltet werden. Für manche Fälle liefert ein ganz kleiner Wassermanometer mit kurzer Wassersäule schon ganz Vorzügliches. Wenn das Gleichgewicht ungefähr erreicht worden ist, ist diese kleine Menge Wasser nur unbedeutenden Verschiebungen unterworfen und sogar bei plötzlich einsetzenden Luftströmen geschieht die Einstellung genügend rasch. Ein Wassermanometer z. B. kann für Luft- ströme, die durch Schnüffelbewegungen oder Hustenstösse verursacht worden sind, sehr gut angewendet werden. Für noch raschere Luftbewegungen wird sich derselbe jedoch nicht eignen. In diesem Falle haben wir uns von zwei einander gegenüber gestellten und gekoppelten Marey’schen Kapseln bedient.? Unter allen Umständen muss die Verbindung zwischen dem Brücken- system und dem Manometer bezw. den Marey’schen Kapseln so kurz wie möglich sein. Für die Weite dieser kurzen Verbindungsröhre wählten wir 4", Bis jetzt haben wir das genannte kleine Brückensystem nur zur Ver- gleichung der beiden Nasenhälften bei der Athmung, beim Schnüffeln und beim Niessen verwendet. Namentlich Asymmetrien lassen sich hiermit leicht quantitativ beurtheilen und daher gelangt man auf diesem Wege zu einem numerischen Ausdruck für die Verhältnisse, welchen man schätzender Weise nach meiner vor Jahren beschriebenen Methode der Athemflecke? auf die Spur kommt. ı Nederl. Tijdschrift van Geneeskunde. 1900. Deel II. p. 73. ?® Siehe: Zbenda. 1900. Deel II. p. 71 (wo eine Abbildung in etwas weniger als natürlicher Grösse). > Zwaardemaker, Ebenda. 1889. Deell. p. 6; Arch.f. Laryng. Bd. I. p. 175. 414 H. ZWAARDEMARER: $ 5. Mittleres Brückensystem für Respirationsversuche. Zum Schluss möchte ich eine Form der Messbrücke beschreiben, die sich auch bei Versuchsthieren, während der Respirationsversuche, verwenden lässt. Dieselbe ist deshalb nicht sehr geräumig gebaut und kann an einem Universalstativ in allen Richtungen fixirt werden. In der Weise kann das System z. B. in den oberen Athmungswegen eines tracheotomirten Kaninchens eingeschaltet werden. Die proximalen veränderlichen Widerstände werden hier von zwei dicht neben einander gestellten Drehscheiben gebildet. Dieselben haben einen Durchmesser von 10°“ und eine Dicke von I”®, Sie sind genau ge- schlifen und polirt und zwischen zwei Platten gefasst, die von einer federnden Platte genau anschliessend gehalten werden. Die Platten ent- halten folgende Oefinungen: I| PalastıtiesT | Platte I Reserveplatte Angegebene Wirkliche Angegebene | Wirkliche Angegebene | Wirkliche Weite Weite Weite Weite Weite Weite 0-5 0-64 0-5 0-64 | 6 6-06 1 0-94 1 0-90 | 7 7-06 1-2 1-19 1-2 1:19 | 8 8-10 1-5 1-55 1°5 1-52 9 9-18 2 1-87 2 1-87 | 10 10-10 2-2 2-16 2-2 2-13 N 11 11-16 2-5 2-51 2-5 2.47 3 2.97 3 2-97 3-5 3.48 3+5 3-52 4 4:00 4 3.97 4-5 4.51 4+5 4-52 5 5-03 5 4-97 Bevor die Luft durch die proximal gestellten Scheibenöffnungen hin- durchtritt, gelangt sie erst in eine kleine Luftkammer, die für beide Zweige gemeinsam luftdicht unter die Scheiben geschraubt ist. Die Weite dieser runden Luftkammer ist 31/,°®, die Höhe 1!/,®. Im Boden tritt die Luft ein durch ein kurzes Rohr von 11“m Weite, am Dache durch die Diaphragmaöffnungen aus. Ueber den Scheiben befinden sich die kleinen von 11 "= weiten Röhren gebildeten Luftkammern, auf welche distal die zu vergleichenden Wider- stände gestellt sind. Für gewöhnlich wird man einerseits einen bekannten Widerstand anbringen, z. B. eine Diaphragmaöffnung bekannter Weite oder DIE LUFTBRÜCKE. 415 irgend ein Rohr, dessen Röhrenwiderstand bereits gemessen worden ist. In all diesen Fällen wird der an der anderen Seite eingeschal- tete Widerstand unmittelbar ge- messen werden können; man braucht nur die Drehscheibe so lange hin und her zu schieben, bis ein zwischen den Kammern aufgestellier Manometer beim Hindurchleiten des Luftstromes durch das System in Ruhe bleibt. Als Manometer verwendeten wir einen kleinen Wasser- oder Li- groinmanometer, nöthigenfalls mit hemmender Verengerung an seiner Umbiegungsstelle. Bei Athmungsversuchen wird in der Regel das untere un- paarige Rohr mit der Trachea des Thieres in Verbindung ge- setzt werden. Wir haben dann öfters die Bahn ferner durch eine Oeffnung der Drehscheibe in eine der paarigen Luftkammern und dann wieder durch die oberen . Luftwege des T'hieres geführt, Sorge tragend, die Verbindung durch möglichst weite Röhren herzustellen. Der Athemweg er- litt dabei gewiss eine Ver- längerung, ihr Röhrenwiderstand wurde aber nicht nennenswerth geändert, weil diese Verlänge- rung durch eine im Vergleiche mit der Weite der Athemwege sehr geräumigen Röhre zu Stande kam. Auch die Oeffnung in der eingeschalteten Drehscheibe wurde so weit gewählt, als die Messbedingungen nur zuliessen. w = IT TR NT eo Te", TR \ NEN RER n L ! = NOTE RO NILRINEN N TROLL AUNETRUN Es hat sich nun gezeigt, dass beim Kaninchen und bei der Katze der Röhrenwiderstand der oberen Luftwege 416 H. ZWAARDEMAKER: nicht der nämliche ist bei In- und bei Exspiration. Recurrens-Durch- schneidung macht sich deutlich bemerkbar und auch die Reizung dieses Nerven rief eine Aenderung des Röhrenwiderstandes hervor. Ich bezwecke in dieser Mittheilung nicht eine Uebersicht über die auf diesem Gebiete erhaltenen Resultate zu geben, möchte aber ein paar Beispiele heranziehen, die jedenfalls die Anwendbarkeit der Methode auf eins dieser Probleme zeigen. Chloroformirte Katze 1. (Glasrohr 20” Länge, 5 "m Weite.) Obere Luftwege . . . „altineh DJ 2272142 Obere Luftwege mit ileefineen Maul‘ m ER IE 1922 Gleiches während bilateraler Recurrensreizung mit schwachen, wenig frequenten Strömen . . . . 2°5°?:4? NB. Die Luftbrücke zeigt hier unzweideutig die Erweiterung der Glottis bei Recurrensreizung mittels schwacher, wenig frequenter, fara- discher Ströme. Die Erweiterung konnte gleichzeitig durch das weitgeöffnete Maul gesehen werden. Bei Reizung mit starken, sehr frequenten Strömen fand Verengerung der Glottis statt. Sie gab sich durch einen plötzlichen Ausschlag des Manometers an, konnte übrigens auch unmittelbar gesehen werden. Eine Messung fand nicht statt. Chloroformirte Katze II. (Glasrohr 20m Länge, 5m Weite.) 2.22:4.52 inspiratorisch 2.22:3°0? exspiratorisch 2.2?:2.2? inspiratorisch 2.2°:4.2? exspiratorisch Obere Luftwege mit durchschnittenen Recurrentes | Obere Luftwege vor der Durchschneidung N NB. Die Athmung fand spontan statt. Der die Glottis erweiternde Einfluss der Inspiration bei intacten Nerven und das auf Ansaugen deutende Verhalten bei durchschnittenen Nerven zeigen sich hier besonders deutlich. Obenstehende Versuche fanden mit einem Wassermanometer im Brücken- arme statt. Weit empfindlicher zeigte sich unsere bereits kurz angedeutete, in einer Kohlrausch’schen Galvanometerröhre eingeschlossene Windfahne. Nebenstehende Abbildung 3 zeigt diesen Apparat in !/, der wahren Grösse. Er wird mittels eines mit Schrauben versehenen Fusses genau vertical aufgestellt. Man überzeugt sich dann weiter, dass um die kleine von gleich langen Federn in der Mitte der Röhre festgehaltenen Aluminium- scheibe herum allseitig der gleiche capillare Raum übrig bleibt und die Die LUFTBRÜCKE. 417 Scheibe fast ohne Reibung auf und ab schwingen kann. In ihrer Gleich- gewichtslage wird sie von einer sehr geringen Kraft von Ort und Stelle ‚gebracht. Der dann hervorgerufene Ausschlag ist anfänglich recht bedeutend, hört aber bald auf, wenn eine der Federn einer einigermaassen ansehnlichen Anspannung unterliegt. Gerade die Gleich- gewichtslage ist hier die empfindlichste Stel- lung, was unser Instrument zu einem Zero- instrument ausserordentlich geeignet macht. Es ist zwar selbstverständlich, dass die beiden Federn nie vollkommen gleicher Wirkung sein werden, jedoch eine bemerkte Ungleich- heit lässt sich sehr wohl ausgleichen, so dass die Ausschläge nach oben und unten eben- so leicht und über gleiche Distanzen sich kundgeben. Immerhin kann der ganze Glas- tubus mit Federn und Scheibe auch noch umgedreht werden, so dass, wenn erwünscht, zwei einander controlirende Bestimmungen gemacht werden können. Das Gestell ist zu diesem Zwecke eingerichtet und die Enden des Glastubus, welche die anführenden Kaut- schukröhren tragen, abschraubbar gemacht. Die zuleitenden Röhren haben eine Weite von 10”, der Glastubus selber 18 "m, Die Leistungen der Windfahne sind die- selben als jene eines Differentialmanometers. So lange das Gleichgewicht noch nicht er- reicht worden ist, lässt sie zwar zum Unter- schiede von einem Manometer eine wirkliche Strömung im Brückenarm zu, wenn das Gleichgewicht sich hergestellt hat, findet aber keine Strömung mehr statt, und es ist in Folge dessen auch ganz indifferent, ob im Brückenarm eine abschliessende Flüssig- keit oder eine nur partiell abschliessende, von Federn festgehaltene Aluminiumscheibe vorhanden ist. Nur einen Nach- theil hat dieser Apparat einem kleinen Wassermanometer gegenüber, nämlich den, dass die Verbindungsröhren mit dem Brückensystem bedeutend länger sein müssen. In Folge dessen erhält er zu beiden Seiten der Aluminium- scheibe eine bedeutende Luftmasse, die sich als eine Art Luftkissen zwischen die absichtlich eng gehaltenen Zweige des Brückensystems und das als Archiv f. A.u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 27 418 H. ZWAARDEMAKER: Brücke strietiori sensu fungirende Glasrohr einschiebt. Der Einfluss dieser: Luftkissen wird einem engeren Zweig des Systems gegenüber bedeutender sein und den Luftstoss mehr dämpfen 'als gegenüber dem weiteren Zweig... Wahrscheinlich aus diesem? Grunde fallen die Messungen der Röhrenwider- stände für Wechselströme oder periodisch abgebrochene Ströme weniger genau aus, wenn die Areale der Scheibenöffnungen einen grösseren als Sfachen Unterschied zeigen. Ein Tfacher Unterschied ist noch erlaubt. Gleichgewicht mittels Windfahnen aufgesucht. IR Diaphragmata Scheibenöffnungen 2.52:3-.43 :—= 4.51 :6-06 oder 2.52 x 6.06 = 15:27 343x451 = 15-47 Diaphragmata Scheibenöffnungen - 0.289 21230. 7 2.084,0:402706 oder 0-89 x 0.76 0-67 1-56 x 0.47 7...0:73 Wie der Leser sieht, ist «ie Uebereinstimmung des auf Grund der Beobachtung mittels Windfahne aufgefundenen Gleichgewichtes mit dem der Wirklichkeit entsprechenden eine sehr befriedigende zu nennen. Die Proportion der Diaphragmen- und Scheibenöffnungen ist eine nahezu voll- kommene. Zusammenfassung. A. Continuirliche Luftströme sind zu untersuchen mittels: I. einer Luftbrücke mit grossen Drehscheiben, welche 16 Dia- phragmaöffnungen enthalten (3 bis 18 und 1 bis 16”), Mit Mikromano- meter im Brückenarm arbeitet sie genau für alle Einstellungen. Die Luftdurchgängigkeit der distalen Zweige zeigt sich, falls Gleichgewicht erreicht worden, proportional den Arealen der proximalen Zweige. Kleine Abweichungen vom Gleichgewicht geben Veranlassung zu einer aus dem Druck in den Luftkammern herzuleitenden Correction. II. einer Luftbrücke mit Aubert’schen Diaphragmen. Mit Mikromanometer im Brückenarm gestattet sie Messungen von: Röhren und 1 u n 3 DIE LUFTBRÜCKE. 419 Oeffnungen bis zu einem Querschnitt von 5"". Die Luftdurchgängigkeit der distalen Zweige verhält sich proportional der 2. Potenz der Diagonalen . der die proximalen einnehmenden A ubert’schen Diaphragmen, mit welchen sich Gleichgewicht herstellen lässt. B. Wechselströme und Luftstösse erfordern ein verhältniss- mässig enges System mit kleinen Drehscheiben und nicht zu grossem Wassermanometer oder Windfahne im Brückenarm. Ein solches System arbeitet mittels Manometer für alle Einstellungen genau, mittels Windfahne nur, wenn die Areale rechts und links um weniger als das Sfache differiren. Es gestattet bei‘ Benutzung eines kleinen Wassermanometers eine Ver- tauschung der beiden Diagonale wie in der elektrischen Brücke. Die Luft- durchgängigkeit der distalen Zweige verhält sich wie die Areale der proxi- malen, mit welchen Gleichgewicht erreicht wird. ae Die Empfindung der Geruchlosigkeit. Von H. Zwaardemaker in Utrecht. Eine völlig geruchlose Umgebung wird gleich wie ein vollkommen finsterer und ganz geräuschloser Raum zu den grossen Seltenheiten gehören. Dieses ist schon a priori wahrscheinlich, wenn man sich überlegt, wie wenig Gegenstände wirklich geruchlos sind und auch a posteriori kann man die Richtigkeit des Satzes leicht darthun. Jedem Zimmer in unserem Hause, jedem Local des Laboratoriums, jeder Werkstätte, jedem Laden, wenn der Raum nur kurze Zeit verschlossen blieb, kommt sein eigenthümlicher Ge- ruch zu. Dass wir denselben gewöhnlich nicht bemerken, ‚hängt, ausser mit unserer Unachtsamkeit, mit der Ventilation zusammen. Letztere schwächt ihn bedeutend und was vielleicht noch wichtiger ist, sie schafft Uebergänge, in Folge derer wir nur allmählich hineinkommen. Im Freien verhält sich die Sache nicht anders. In der Nähe einer Fabrik, auf einer Wiese, im Walde, auf der Haide spürt der aufmerksame Beobachter immer irgend einen bestimmten Geruch, an der Küste des Meeres sogar ist die Luft (im Sommer wenigstens) nicht völlig geruchsfrei. Vielleicht, dass in arktischen Gegenden Abwesenheit aller Gerüche in der Natur vorkommen mag, bei uns wird solches zu den allergrössten Seltenheiten gehören. Wenn wir also die Empfindung der Geruchlosigkeit kennen lernen wollen, sind wir im Allgemeinen auf absichtlich herzustellende Vorrichtungen angewiesen. Sehr gute Dienste in dieser Hinsicht leistet der bei einer früheren Gelegenheit beschriebene cubische Riechkasten. 1 Derselbe, 40 m hoch, breit und tief, hatte ursprünglich Wände aus weissem Carton. In letzterer Zeit haben wir diese für Glaswände vertauscht, den vorderen Schirm mit der Oeffnung für die Nase aus Metall construirt, den aufzieh- baren Schirm aus Glas hergestellt und den ganzen Kasten etwas solider ' Physiologie des Geruches. 8. 34. H. ZWAARDEMAKER: DIE EMPFINDUNG DER GERUCHLOSIGKEIT. 42T gebaut. Wenn dieser Kasten innerlich durch Abwischen der Wände sorg- fältig von adhärirenden Gerüchen befreit worden ist, wird man den Luft- inhalt desselben nahezu geruchlos finden. Die Schwierigkeit dabei ist, Contrastgerüchen vorzubeugen, wenn im Zimmer, wo der Kasten aufgestellt ist, irgend ein Geruch herrscht. Durch fleissiges Lüften des Zimmers lässt sich dieser Fehler umgehen. Es existirt jedoch noch eine ganz andere Art der Geruchlosigkeit, welche öfter realisirt ist: die durch völlige Compensation einander gegen- seitig verdrängender Gerüche. In der kleinen Mittheilung ‚„Compensation von Geruchempfindungen“! habe ich nachzuweisen versucht, wie schwache Reize einander vollständig aufheben, während mehr intensive Reize einen Wettkampf eingehen, obgleich auch dann die Componenten bedeutend ab- geschwächt erscheinen. Wenn also in irgend einem Raume mehrere, jeder für sich nicht zu intensive, Gerüche vorhanden sind, kann sehr leicht der Fall eintreten, dass dieselben einander gegenseitig soweit schwächen, dass nur mit der grössten Aufmerksamkeit einer dieser Gerüche wahrgenommen wird. Für gewöhnlich wird eine derartige gespannte Aufmerksamkeit nicht vorhanden sein und der vorherrschende schwache Geruch nicht zum Be- wusstsein durchdringen. Auch in diesem Falle wird dem Beobachter kein besonderer Geruch auffallen, höchstens wird er eine unbestimmte Empfindung erhalten, die gerade genügt, ihn von dem Vorhandensein eines riechenden Etwas zu unterrichten, ohne dass er im Stande ist, sich über die Qualität auszusprechen. Bald wird ihm auch durch Gewöhnung, oder wenn man lieber will Ermüdung, diese unbestimmte Sensation entgehen und die scheinbar völlige Geruchlosigkeit ist eingetreten. Die Frage drängt sich auf, ob und wie sich diese scheinbare Geruchlosigkeit von der wirklichen im Riechkasten unterscheidet. Es war mir nicht möglich, irgend einem Unter- schiede in der Empfindung auf die Spur zu kommen. ? Noch eine dritte Art der Geruchlosigkeit halte ich für möglich. Wie in der Mittheilung über die Riechkraft von Lösungen verschiedener Con- centrationen ? dargethan, haben manche concentrirte Lösungen im Ver- gleich zu verdünnten auffallend schwachen Geruch. Manchmal ist auch die zur Wahrnehmung kommende Sensation noch dazu ınehr oder weniger ! Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. 8. 423. 2 Bedingung für die Möglichkeit vollständiger Compensation ist relative Schwäche der zusammıentretenden Reize; denn sobald letztere nur einigermaassen intensiver sind, entsteht Wettstreit. Der eigentliche Grund dieses Verhaltens ist, wie ich glaube, in der grösseren Chance localer Anhäufung von riechenden Molecülen einer Art zu suchen. Verschiedene Diffusionsgeschwindigkeit der beiden unter einander gemischten Riech- gase muss bei bewegungsloser Luft ausserdem noch locale Differenzen, bei bewegter wechselnde Differenzen geben. 3 Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. 8. 416. 422 H. ZWAARDEMAKER: unbekannt. Bei wiederholter Wahrnehmung wird er immer schwächer und verschwindet zuletzt fast ganz. Der Vorgang hat Aehnlichkeit mit dem bei Ermüdung, nur dass das Endresultat, Abwesenheit von Empfindung, schneller erreicht wird. Auch ist bei Ermüdungsversuchen ein gewisses Schwanken nicht ausgeschlossen, so dass die specifische Empfindung der wahrgenommenen Qualität für kurze Zeit zurückkommt. Dieses Schwanken fehlt in unserem Falle, wurde wenigstens von mir auch bei absichtlich hierauf gerichteten Versuchen, z. B. mit Anethol 1:400, nicht beobachtet. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass auch diese dritte Art der Ge- ruchlosigkeit stellenweise in der Natur vorkommt. Wenn wir z. B. lesen, dass das Aroma der Molukken Meilen. weit in’s Meer getragen wurde, so kann es gar nicht fraglich sein, dass der Bewohner dieser Insel einem sehr intensiven Eugenolgeruch ausgesetzt war. Und doch wird er diesen nicht fortwährend empfunden haben. In gleicher Weise ist auch bei uns im Sommer der Terpengeruch mitten im Tannenwald nicht so auffallend, als wenn man auf offener Chaussee am Walde vorbeigeht-und der Wind uns den Duft zuweht. Gleiches gilt für den Fall, dass z. B. eine Zuckerraffinerie der um- gebenden Luft einen starken Geruch verleiht und die Innenräume doch gar nicht so stark riechen. Viele werden geneigt sein, das Fehlen der Sensation in diesem Falle einer Art Adaptation zuzuschreiben. Jedoch müsste man dann annehmen, dass die Besucher nach Verlassen der Fabrik auch ferner noch einige Zeit nicht im Stande seien, den betreffenden Geruch wahrzunehmen, und es will mir scheinen, dass dies keineswegs der Fall ist. Manchmal erscheint der Geruch lebhafter, wenn man aus dem Dunstkreise heraustritt und in die mehr peripherischen, verdünnteren Schichten hineinkommt. Bis jetzt war nur von Geruchlosigkeit von Räumlichkeiten oder von der Luft im Freien die Rede. Aber es giebt auch eine Geruchlosigkeit von Stoffen und auch diese wollen wir in’s Auge fassen, weil es die Gerüche der Gegenstände sind, deren Summe den Totalgeruch eines Raumes bestimmt. Die in einem Raume sich befindenden Körper können aus verschiedenen Ursachen geruchlos sein. In ersterer Linie, weil die in ihnen enthaltenen Stoffe nicht flüchtig sind. Ist es doch klar, dass, wenn keine oder nur eine verschwindend kleine Zahl Molecüle sich durch Verdampfung vom Körper ablösen, der von ihm verbreitete Duft nie besonders stark sein kann. Es mag sein, dass ein Glas- oder Platingefäss aus diesem Grunde nahezu geruchlos ist. Für die meisten Gegenstände ist dies der Grund jedoch nicht, denn die übergrosse Mehrzahl lässt jedenfalls etwas von ihrer Ober- fläche oder aus ihren Poren verdampfen. Auffallend ist es ferner, dass Die EMPFINDUNG DER GERUCHLOSIGKEIT. 423 manche Stoffe in trockner Luft nicht riechen, in feuchter Luft hingegen ziemlich stark. Man kann doch nieht annehmen, dass die Verdampfung als solche an feuchter Luft viel lebhafter sein würde! Unsere Frage muss, wie mir scheint, auf’s Neue discutirt werden angesichts einer Be- obachtung H. Erdmann’s „über das Verhalten der Geruchstoffe gegen flüssige Luft“.? Ausgehend von einer Mittheillung Hannay und Ho- garth’s setzt dieser Autor auseinander, dass Dampf sich als Lösungs- mittel gerade so verhalten muss, als die durch hohen Druck und starke Abkühlung aus ihr herzustellende Flüssigkeit. Er untersuchte in diesem Gedankengang die flüssige Luft als Lösungsmittel und fand, dass drei be- kannte Riechstofle, Citral, Rosenöl und Jonon eine auffallend grosse Lös- lichkeit in flüssiger Luft zeigen. Er äussert angesichts dieser Thatsache die Vermuthung, dass es geradezu die bedeutende specifische Löslichkeit in flüssiger bezw. gasförmiger Luft ist, welche eine der charakteristischen Bigenthümlichkeiten von Riechstoffen ausmacht. Die auf geringer Flüchtig- keit beruhende Geruchlosigkeit eines Körpers wäre also dahin zu deuten, dass die in seinen oberflächlichen Schichten enthaltenen Stoffe keine be- sundere specifische Löslichkeit in Hüssiger bezw. gasförmiger Luft zeigen. Was für gewöhnlich Verdampfung genannt wird, liesse sich also auch als Lösung in gasförmiger Luft umschreiben. Es scheint mir nur erlaubt, sich diesem Raisonnement anzuschliessen, wenn man die Wechselwirkung der Molecüle, welche in flüssigen und festen Körpern ein Zusammenhalten derselben bedingt, berüchsichtigt. Die Wechselwirkung der Molecüle unter sich ist für den gasförmigen Zustand freilich verschwindend klein, sie fehlt aber keineswegs und ist der Grund der ersten der von v. d. Waals ent- deckten Abweichungen der Grundgesetze der idealen Gase. A priori ist es daher nicht undenkbar, dass die genannte, an sich ganz schwache gegen- seitige Anziehung auf die Geschwindigkeit der Verdampfung einen gewissen, sei es auch sehr geringen Einfluss ausübt. Wir haben bis jetzt angenommen, dass die betreffenden, in Luft sich verflüchtigenden oder sich lösenden Molecüle zu den, den Gegenstand haupt- sächlich aufbauenden chemischen Körpern gehören. Für die meisten in der Natur vorkommenden Fälle verhält sich die Sache nicht so. Man denke sich ein Harz, eine Wachssorte u.s.w. Dann wird sich dieser Stoff bei näherer Betrachtung von einem ungemein complieirten chemischen Baue zeigen und der Gehalt an riechendem Bestandtheil nicht immer be- sonders gross. Oefters ist letzterer nur beigemischt oder gelöst in irgend einem der Hauptbestandtheile, z. B. in den resinösen oder fetten Compo- ! Ueber eine hierauf Bezug nehmende Hypothese s. Physiologie des Geruches, 8. 19. ® H. Erdmann, Journal für praktische Chemie. 1900. Bd. LXI. S. 225. 424 H. ZWAARDEMAKER: nenten. Dann ist, von dem von H. Erdmann eingenommenen Standpunkte betrachtet, die Ablösung von riechenden Molecülen einfach ein Uebergang von einem Lösungsmittel in ein anderes. Nicht die Flüchtigkeit, sondern der Vertheilungscoöfficient! ist maassgebend. Ein Beispiel dürfte dies erläutern. Eines Tages stellte ich mir eine einprocentige Lösung von /-Jonon in Paraffinum liquidum her; obgleich eine sehr grosse Menge Riechstoff in dieser Flüssigkeit enthalten war, spürte weder ich noch einer der im Laboratorium (in ganz anderen Räumen) arbeitenden Personen daran irgend welchen Geruch. Man wird sich also vorzustellen haben, dass der Vertheilungscoöfficient zwischen Paraffin und Luft für 5-Jonon unbedingt zu Gunsten von Paraffın ausfällt, so dass alle Jononmolecüle im Paraffin bleiben und fast keine in die Lult überwandern. Darauf schüttelte ich die paraffinöse Jononlösung mit Wasser und bekam unmittelbar den schönsten Veilchenduft. Die Jononmolecüle waren in nicht grosser, jedoch deutlich nachweisbarer Zahl aus dem Paraffin in das Wasser übergegangen. Der Vertheilungscoifficient zeigt sich also Wasser gegenüber günstiger. Zu erklären bleibt nur noch, weshalb Jonon aus Wasser in die Luft übergeht, aus Paraffin aber nicht. Falls man die Erdmann’sche Idee nicht acceptirt, z. B. weil man die gegenseitige Anziehung der Molecüle im gasförmigen Zustande zu unbe- deutend urtheilt, um ihnen auch einen noch so geringen Einfluss auf die Verdampfung der riechenden Molecüle zuzuschreiben, so blebt doch die Bedeutung des Lösungsmittels. Letzteres ist bekanntlich bestimmend sowohl für den Dampfdruck, den die Riechgase bei vollkommener Sättigung der Luft über dem Lösungsmittel erreicht, als für die Verdampfungsgeschwin- digkeit des gelösten Bestandtheiles. Es soil also heissen: Manche Körper sind geruchlos, nicht weil ihnen die Flüchtigkeit ihrer riechenden Bestandtheile fehlt, sondern weil der Ver- theilungscoöfficient zwischen letzteren und der Luft auffallend ungünstig ist oder, anders formulirt, weil das Lösungsmittel keinen nennenswerthen Dampfdruck des riechenden Bestandtheiles zulässt. In zweiter Linie giebt es eine Anzahl Stoffe, die zwar sehr flüchtig und ihrer chemischen Structur nach zu den Riechstoffen gehörend, jedoch nicht riechend sind. Auch für diesen Fall lässt sich vielleicht eine plausibele Deutung geben. Die eingemathmete Luft streicht bogenförmig durch die Nasenhöhle, sie kommt auf diesem Wege, es sei unmittelbar (beim Schnüffeln), es sei mittelbar (bei ruhigem Athmen), mit den Riechzellen in Berührung. ‘ Der „Coöfficient de partage“ wird definirt als der Quotient der Gewichtsmengen des gelösten Stoffes in gleichen Volumina der auf einander geschichteten Lösungsmittel. Siehe Klobbie, Zeitschrift für physikalische Chemie. Bd. XXIV. 8. 628. Dıs EMPFINDUNG DER GERUCHLOSIGKEIT. 425 Letztere besitzen in den Riechhärchen eine bedeutende Vergrösserung ihrer freien Fläche und in Folge dessen findet eine ausgedehnte Berührung statt zwischen der Luft und der Substanz der Riechhärchen. Auf’s Neue wird es zu einer Auswechselung der gelösten Bestandtheile zwischen einander berührender Lösungsmittel kommen. Einerseits befindet sich die Luft, andererseits die Substanz der Riechhärchen. Ob letztere halbflüssig sei oder fest, ist für diese Frage indifferent, da die Chemie der Neuzeit eben so gut Lösungen in festen Stoffen als in Flüssigkeiten annimmt. Die quantitativen Verhältnisse werden wieder von einem Vertheilungscoöfficienten beherrscht. Von diesem hängt es ab, ob eine grosse Zahl riechender Molecüle aus dem alten Lösungsmittel, der Luft, in das neue Lösungsmittel, die Riechhärchen, übergeht. Wenn der Vertheilungscoöfficient diesem Uebergange günstig ist, werden die übergetretenen Molecüle eine kräftige Wirkung auf die Riech- zellen ausüben können, ist er dem Uebergang ungünstig, so werden auch an und für sich stark riechende Molecüle keinen Reiz hervorrufen können. Die Natur der Substanz, aus welcher die Riechhärchen aufgebaut sind, ist bis jetzt unbekannt. In dem hier erörterten Gedankengange lässt sich aus unserer Kenntniss der Riechstoffe voraussagen, dass einige der Riech- ‚härchen der Wahrscheinlichkeit nach zum Theil aus Fettstoffen aufgebaut sein müssen. Gehören doch die Mehrzahl der für die Säugethiere und den Menschen wichtigen Riechstoffe zu den wenig in Wasser, reichlich in Fetten löslichen Körpern. Der von uns vermuthete Process würde also dem in der Technik benutzten der Enfleurage analog sein. Auch in jenem werden bekanntlich die Düfte frisch gepflückter Blumen über geruchloses Fett (in neuerer Zeit Paraffin) geführt. Das Fett hält dann den Riechstoff in so grosser Menge fest, dass man ihn später durch Ausschütteln mit Alkohol reichlich herausbekommen kann.! Diese Betrachtungsweise schliesst sich vollkommen an an die Thatsache, dass das Geruchsorgan der Wirbelthiere sich ursprunglich als ein Wassersinneswerkzeug entwickelt haben muss. In den phylogenetisch ältesten Formen ragen die dann sehr langen Riech- härchen in ein flüssiges Lösungsmittel hinein. Dann wird ganz sicher der Vertheilungscoöfficient des flüssigen Lösungsmittels (des Wassers) und des festen Lösungsmittels (Riechhärchen) den Uebergang der riechenden Molecüle beherrschen. Molecüle, die sich erst mehr oder weniger leicht im Wasser lösten, treten nur dann in grösserer Zahl in die Riechhärchen über, wenn sie in der Substanz der letzteren eine noch grössere Löslichkeit zeigen. Und weil wir doch nicht ! Man benutzt offenbar hierzu Alcohol absolutus und kein Wasser, weil der Ver- theilungscoöffieient sich dem Alkohol gegenüber weit günstiger gestaltet als dem Wasser. Mit Wasser würde es nar möglich sein, ganz kleine Menezz des gelösten Riechstoffes dem Fette zu entnehmen. 426 NH. ZWAARDEMAKER: DIE EMPFINDUNG DER GERUCHLOSIGKEIT. ännehmen können, dass im Laufe der Entwickelung die chemische Zusam- mensetzung der Riechhärchen einer principiellen Aenderung unterworfen war, so lässt: sich leicht einsehen, dass auch in den phylogenetisch jüngeren l'ormen gerade die Molecüle als Riechstofle eine Rolle spielen, die leidlich im Wasser bezw. Wasserdampf, besonders stark in der hypothetischen Substanz der Riechhärchen löslich sind. ! Wenn dies so ist, wird man sich denken können, dass es Molecüle giebt, die zwar sehr leicht in Luft, sei es trockner oder feuchter, übergehen und dennoch geruchlos sind, weil sie, obgleich mit den Riechzellen in Ver- bindung gebracht, keinen Zutritt zu diesen haben. Der beschriebene Umstand ist übrigens nicht die einzige Ursache der Geruchlosigkeit sehr flüchtiger Körper. Es kann auch sein, dass die Mole- cüle des betreffenden Körpers an und für sich nicht riechen, weil ihnen jede odoriphore Atomengruppe ? abgeht und auch umgekehrt kann eine Vielheit von Odoriphoren Gleiches hervorrufen. von Majewsky hat vor einiger Zeit gezeigt, dass multipele, odoriphore Atomgruppen in demselben Molecül vorhanden, sich gegenseitig schwächen. Er stellt die Hypothese auf, dass zwei starke Odoriphorencomplexe sich sogar gegenseitig aufheben können. Auch aus diesem Grunde können also in den Riechhärchen leicht lösliche Molecüle geruchlos sein. Der in irgend einem Raume vorherrschende Geruch ist offenbar die Resultante vieler, von allerhand sich in ihm befindlichen Gegenständen ab- getrennten Molecüle. Einzelne dieser werden an sich geruchlos sein, andere nur dem Geruchsorgane der Wirbelthiere gegenüber. Die, welchen in die Riechzellen überzugehen gestattet ist, werden nicht immer einen Reiz ab- geben. Das Endresultat hängt davon ab, welche Molecüle gleichzeitig und in wie grosser Zahl sie vorhanden sind. Recapitulirend möchte ich noch einmal hervorheben, dass Geruchlosig- keit grösserer Räumlichkeiten nur selten aus Abwesenheit von riechenden Molecülen hervorgeht. Meistens ist sie die Folge von Compensationen vor- handener schwächerer Gerüche, vereinzelt auch die Folge einer Anhäufung von Molecülen einer bestimmten Art in sehr grosser Anzahl. ' Man würde auch in Analogie mit dem, was für die Blutkörperchen üblich, von einer specifischen Permeabilität der Riechhärchen reden und dann sogar die Möglichkeit einer Permeabilität nur für Ionen diseutiren können. Was letztere Möglichkeit. angeht, sei bemerkt, dass Riechstoffe in Lösungen im Allgemeinen nicht zu den stark dis- sociirten Verbindungen gehören. ° Zum ersten Male von Ramsay und Hayeraft angenommen, später von mir ausführlich beschrieben, jetzt auch unabhängig von uns von Rupe und seinem Schüler v. Majewsky angegeben. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1901—1902. XII. Sitzung am 6. Juni 1902. 1. Hr. Engelmann legt folgende Einsendung des Hrn. J. RosextHAL (Erlangen) vor: „Zweite Mittheilung betreffend den respiratorischen Stoffwechsel der Säugethiere.“ In einer früheren Mittheilung! habe ich dargethan, dass die O,-Auf- nahme bei der Athmung in hohem Grade verändert werden kann, wenn sich der O,-Gehalt der Athemluft ändert. Ich habe damals schon darauf hinge- wiesen, dass dadurch die CO,-Ausgabe nicht merklich beeinflusst wird, was zur Folge hat, dass der respiratorische Quotient ausserordentlich schwanken kann. Da diese Beziehungen zwischen der O,-Aufnahme und der gleichzeitigen CO,-Ausgabe von Bedeutung sind für die Auffassung der Vorgänge, welche von dem Moment der O,-Aufnahme bis zu der Bildung von CO, und anderer Oxydationsproducte (von denen ich hier nicht weiter zu reden habe) sich abspielen, habe ich dieselben noch genauer verfolgt. Der respiratorische Quotient ist bei der normalen Athmung bekanntlich von der Art der Ernährung abhängig. Macht man die Versuche immer an einem und demselben Thier, welches sich bei gleichbleibender Ernährung im Stoffwechselgleichgewicht befindet, und stets in den nämlichen Stunden nach der Nahrungsaufnahme, so schwankt er nur innerhalb enger Grenzen. Macht man aber an solchen Thieren Versuche, in denen absichtlich sehr geringe und sehr grosse O,-Aufnahmen herbeigeführt werden, so zeigt sich, dass diese auf die gleichzeitige CO,-Ausscheidung keinen merklichen Einfluss haben. Als Beleg hierfür gebe ich die Hauptzahlen aus einer derartigen Ver- suchsreihe an einem kleinen Hunde von 35002°"" Gewicht. Die Reihe bestand aus einer Anzahl von Doppelversuchen mit geringer und grosser O,-Aufnahme, welche unmittelbar auf einander folgten. In einem Theil der Versuche ging die geringe O,-Aufnahme der grossen voran, in einem anderen Theil war es umgekehrt. 1 S. dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. 8. 271. ? Ueber den Wechsel der respiratorischen Vorgänge während der Tagesperiode vgl. meine Mittheilungen in den Sifzungsber. der kgl. preuss. Akad. der Wissensch. 1892. S. 363 fl. 428 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Geringe Grosse O,-Aufnahme O,-Aufnahme Minimum . . . 0.221 3-317 O,-Aufnahme | Maximum . . . 2.592 5.592 Mittel . 1-450 4.140 Minımum . . . 1441 1-398 CO,-Ausgabe Maximum . . . 2.174 2.952 Mittel N, 1.821 2.077 Be sch an ARE 0.839 0:403 NE | en el 0.627 Quotieng 7 ee one 0-507 Bei Athmung in normaler Luft lag der respiratorische Quotient stets: in der Nähe des Werthes 0.735. Bei geringer O,-Aufnahme ist er stets grösser, bei grosser O,-Aufnahme ist er stets kleiner als dieser Normalwerth. Der Grund für dieses Verhalten liegt aber offenbar darin, dass die CO,-Aus- gabe nur wenig schwankt (vgl. die Mittelwerthe 1-821 und 2.077), während die O,-Aufnahme erheblich verändert wird (Mittelwerthe 1-450 und 4140). Fragen wir uns nun, was bei grosser O,-Aufnahme aus dem O, wird, der nicht als CO, ausgeschieden wird, oder woher der O, stammt, welcher bei geringer ÖO,-Aufnahme in dem trotzdem in gewöhnlicher Menge ab- geschiedenen CO, aus dem Körper austritt, so könnte man die Vermuthung aufstellen, dass die CO,-Bildung im Thierkörper zwar stets der O,-Aufnahme entsprechend steige und falle, dass sich aber dies nicht sofort in der Aus- scheidung zeige, weil das CO, im Körper im ersteren Falle aufgespeichert, im anderen Falle aus dem CO,-Vorrath des Körpers ergänzt werde. Diese Vermuthung hat freilich eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für sich. Um sie jedoch weiter zu prüfen, habe ich den Einfluss der O,-Aufnahme auf die Wärmeproduction geprüft. Bestimmt man die Wärmeproduction bei normaler Athmung, so zeigt sich bei Thieren in vollkommenem Stoffwechselgleichgewicht eine bestimmte Beziehung zwischen der Wärmeproduction (n), der Sauerstoffaufnahme (0) und der Kohlendioxydausgabe (ce). Alle drei Werthe steigen nach der Nahrungsaufnahme, aber in verschiedener Weise, fallen dann zwischen der 11. und 13. Stunde nach der Nahrungsaufnahme und bleiben in der zweiten Hälfte der 24stündigen Periode nahezu constant.! Es besteht also für jede Stunde dieser Periode ein Normalwerth für z/o und n/c, von welchem die experimentell gefundenen Werthe nur wenig abweichen. Der Werth n/o ergab sich für die bei meinem Versuchsthier angewendete Ernährungsweise und für die Zeiten, in welchen die Versuche angestellt wurden, aus einer grösseren Zahl älterer Versuche = 3.581. In neueren Versuchen an dem jetzt benutzten Versuchsthier fand ich ihn = 3'573, also nur unerheblich abweichend. Nun wurde eine Reihe von Versuchen angestellt, bei denen die O,-Auf- nahme absichtlich verschieden gestaltet wurde Das Ergebniss war, dass für jeden Werth der O,-Aufnahme der Quotient n/o anders ausfiel, und zwar war er um so grösser, je geringer die O,-Aufnahme war. So fand ich z. B. folgende Werthe: ' Siehe das Nähere Sitzungsber. der kgl. preuss. Akad. der Wissensch. a. a. O. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — J. ROSENTHAL. — W. Cown. 429 0) n n|o 2°180 9.807 4.500 2.698 9.634 3.971 5.115 9.983 1.934 Diese Ergebnisse lassen keine andere Deutung zu, als dass die O,- Aufnahme keinen merklichen Einfluss auf die Wärmeproduction ausübt. Wir kennen die Schicksale, welche der O, erfährt von dem Augen- blicke, in welchem er in das Blut eintritt, bis zu demjenigen, in welchem er als CO, austritt, nicht oder doch nur sehr unvollständig. Aber wir haben Grund anzunehmen, dass sich die durch ihn bewirkte Oxydation stufenweise vollzieht und dass gerade die letzten Stufen den grössten Antheil an der Wärmeproduction haben, welche den Vorgang im Ganzen begleiten. Wenn nun, wie meine Versuche zeigen, grosse Mengen von 0, aufgenommen werden können, ohne dass die Wärmeproduction merklich steigt, so müssen wir annehmen, dass der grösste Theil dieses O, in einer der Anfangsstufen des Vorgangs verharrt. Im Blute, an Hämoglobin gebunden, können so grosse Mengen von O,, wie in einigen meiner Versuche aufgenommen wurden, aber unmöglich vorhanden sein. So gelangen wir zu dem Schluss, dass der Sauerstoff, wenn er in die Gewebe gelangt, zunächst an irgend einen Bestandtheil des lebenden Protoplasmas sich anlagert und dann erst die höheren Oxydationsproducte, in letzter Linie CO,, H,O und Harnstoff, liefert. Dieser an das Protoplasma gebundene O, muss es offenbar sein, welcher dasselbe befähigt, auch bei Abwesenheit alles freien Sauerstoffs noch CO, zu bilden. Diese Erscheinung ist von Hrn. Pflüger an Fröschen, später auch von Anderen an pflanzlichem Protoplasma nachgewiesen und als „intra- moleculare Athmung“, der dabei in festere chemische Bindung übergehende O, als „intramolecularer Sauerstoff“ bezeichnet worden. Da wir über die moleculare Structur der das Protoplasma zusammensetzenden Stoffe nichts wissen, habe ich vorgeschlagen, den unbestimmteren, aber nichts präjudi- eirenden Ausdruck ‚„intracellularer Sauerstoff“ zu gebrauchen, und werde vorläufig bei dieser Bezeichnung bleiben. Einer späteren Mittheilung möge es vorbehalten bleiben, Weiteres über die Oxydationsvorgänge im Proto- plasma zu berichten. 2. Hr. W. Cowr: „Ueber Luft- und Sauerstoffathmung bei Eupnoe und Dyspnoe,* nach gemeinsamen Versuchen mit Hrn. Dr. E. Rogovin aus St. Petersburg. Vermittelst einer erprobten, zum Theil neuen pneumographischen Methode, die im Wesentlichen aus Mitteln und Verfahren besteht, welche von Hering, Gad und Rosenthal benutzt worden sind, gelingt es, nach Belieben nach- zuweisen, dass bei Katzen und Kaninchen mit Gewebsdyspnoe in Folge von Vergiftungen wie von anhaltenden Beeinträchtigungen der Thätigkeit der ‚Lungen und des Athemcentrums im Hirnstamm, die vom Thier nur unvoll- kommen compensirt werden, eine bedeutende Verminderung der Athem- anstrengung und der Athemgrösse beim Uebergang von der Athmung atmosphärischer zu der sauerstoffreicher Luft stattfindet und umgekehrt, dagegen bei gesunden, ruhigen Thieren in Eupnoe keine Aenderung in den Athembewegungen bei solchem Uebergang, ob hin oder zurück, eintritt. Die ausführliche Mittheilung erfolgt in diesem Archiv. 430 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 3. Hr. Franz Mürter lest im Auftrage der Herren v, Schrötter und Zuntz der Gesellschaft eine Anzahl Blutpräparate vor, welche diese während einer am 24. Mai bei Gelegenheit des internationalen Aöronauten- congresses ausgeführten Ballonfahrt gewonnen hatten. Die Präparate wurden der Fingerkuppe v. Schrötter’s am Schlusse der Fahrt, während welcher man über drei Stunden in einer Höhe über 4000” verweilt und im Maxi- mum 4888” erreicht hatte, beim Beginn des Abstiegs entnommen. Die Präparate, deren jedes einen ganzen Objectträger einnahm, zeigen durchaus normale Verhältnisse. Von den durch Gaule beschriebenen und abgebil- deten Anomalien (Austritt von Hämoglobin, kernhaltige rothe Blutkörper, Theilungsfiguren) war nicht das Mindeste zu sehen. Gegenüber den so positiven Angaben von Gaule sei besonders betont, dass eine Anzahl in der Beurtheilung von Blutpräparaten competenter Forscher dieses Ergebniss geprüft haben, und dass speciell Geheimrath Engelmann nachträglich die Präparate einer genauen Durchsicht unterzogen hat. [Auf einer zweiten Fahrt wurden in gleicher Weise, nach über neunstündigem Aufenthalt in der Höhe, wobei das Maximum 5300 ” betrug, Blutpräparate von Zuntz entnommen. Auch diese ergaben nur normale Befunde.] Ein mitgenommenes altes Kaninchen, welches nach der Landung getödtet wurde, zeigte im Blut der grossen Gefässe ebenfalls keine Anomalien. Beim Druck auf die Tibia wurde aus der Vena nutritia ein Blut gewonnen, welches einzelne kern- haltige rothe Blutkörperehen enthielt, ein Befund, den man wohl kaum als Zeichen gesteigerter Thätigkeit des Knochenmarkes in Anspruch nehmen kann. Eine bestimmte Erklärung für die abweichenden Resultate Gaule’s möchten die Autoren nicht geben. XIII. Sitzung am 20. Juni 1902. 1. Hr. R. pu Boıs-Reymonn und Hr. J. KATzenstein: „Weitere Be- obachtungen über die Coordination der Athembewegungen.“ Im vorigen Jahre haben wir über Beobachtungen! berichtet, die von der Thatsache ausgingen, dass bei künstlicher Athmung Kehlkopfbewegungen auftreten. Im Anschluss daran sind wir von Hrn. Prof. Exner auf zwei Arbeiten? aus dem Wiener Laboratorium aufmerksam gemacht worden, die dasselbe Gebiet betreffen. Hr. Grossmann hat bei einer Untersuchung über den centralen Ursprung der Innervationsbahnen für die einzelnen Kehl- kopfmuskeln hervorgehoben, dass bei künstlicher Athmung vermittelst Luft- einblasungen Bewegungen des Kehlkopfes auftreten, die er als „perverse‘“ bezeichnet. : Diese Bewegungen bestehen darin, dass bei der Einblasung die Stimmritze geschlossen, beim Ausströmen der Luft geöffnet wird. Nor- maler Weise wird bekanntlich die Stimmritze bei der Einathmung erweitert, UR.du Bois-Reymond und J. Katzenstein, Beobachtungen über die Coordi- nation der Athembewegungen. Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. 8. 513. ° M. Grossmann, Ueber die Athembewegungen des Kehlkopfes. Sitzungsber. der kuis. Akad. der Wissensch. in Wien, math.-naturw. Cl. 1 89. Juli. Bd. XCVIL. — A. Kreidl, Experimentelle Untersuchungen über das Wurzelgebiet u. s. w. Ebenda. 1897. März. Bd. CVI. PHYS. GES. — F. MÜLLER. — R. pu Bois-REYMoND vV. KATZENSTEIN. 431 bei der Ausathmung verengt. Die Bezeichnung „perverse‘“ Athembewegung soll offenbar bedeuten, dass das Verhalten dem normalen entgegengesetzt ist... Von dieser Beobachtung sagt Hr. Grossmann ferner, dass sie bei Kaninchen ausnahmslos zutreffe und dass sie offenbar in Beziehung stehe zu. den von Traube und später von Hering und Breuer beobachteten Selbststeuerungsreflexen. Insbesondere hätten die Letzten perverse Be- wegungen der Nase beobachtet. Uebrigens habe auch v. Schrötter beim Menschen laryngoskopisch perverse Kehlkopfbewegungen gesehen. Im Ver- laufe seiner Untersuchungen stellt dann Hr. Grossmann fest, dass die centripetalen Impulse für diese Kehlkopfbewegung im Vagus verlaufen (8. 38). Diese Erfahrungen sind später von Hın. Kreidl durch Untersuchungen am Affen bestätigt worden: Auch er sah bei Einblasungen die Stimmritze sich . verengen, bei der Ausathmung erweitern, und fand (8. 34), dass diese Stimm- bandbewegung nach Durchreissung der vordersten Bündel des Vagus ausblieb. Die von uns beschriebenen Beobachtungen weichen von den eben dar- gestellten so sehr ab, dass es sich offenbar um ganz verschiedene Vorgänge handelt. Wir haben die künstliche Athmung nur ausnahmsweise durch Einblasung, meist durch Zusammendrücken des Brustkorbes mit der Hand hervorgerufen. Dabei sahen wir beim Druck der Hand, also bei der Aus- athmung Verengerung, beim Nachlassen des Druckes, also bei der Einathmung Oeffnung der Stimmritze eintreten. Die von uns beobachteten Kehlkopf- bewegungen entsprachen also den normalen, sie waren nicht „pervers“ oder ungleichsinnig, sondern gleichsinnig zu dem normalen Athmungsvorgang. In diesen Punkten wäre allenfalls eine falsche Beobachtung, eine Verwechs- lung zwischen unserem Befunde und dem oben angeführten möglich. Aber wir fanden auch, dass die centripetale Bahn für den von uns beobachteten Reflex nicht im Vagus verläuft. Wir gaben an, dass weder die Erregung des Athemcentrums durch die essen eeire (Blutreize), noch he Erregung der sensibeln Endigungen des Vagus die von uns beobachtete Kehlkopfbewegung hervorrufe. Die Erregung des Athemcentrums Konnte ausgeschlossen werden, indem das Versuchsthier in Apnoe versetzt *wurde, die Erregung der Lungenäste des Vagus, indem beiderseits vollkommenen Pneumothorax hergestellt wurde, und dennoch traten auf Compression des Brustkorbes stets Schliessungsbewegungen, auf Nachlassen Erweiterungs- bewegungen des Kehlkopfes ein. Um jeden Zweifel an der Verschiedenheit der von den Herren Gross- mann und Kreidl und den von uns beschriebenen Thatsachen zu beseitigen, haben wir folgenden Versuch angestellt: Ein Hund wurde in Narkose tracheo- tomirt und künstliche Athmung durch Einblasung eingeleitet. Es zeigte sich, dass bei der Einblasung die Stimmritze verengt, beim Ausströmen der Luft erweitert wurde. Dies war also die „perverse Athembewegung‘“ Hın. Gross- mann’s. Nun wurde der Luftschlauch entfernt und die Athmung durch Compression mit den Händen hervorgebracht. Hierbei fanden wir umge- kehrt beim Ausströmen der Luft Schluss, beim Einströmen Erweiterung der Stimmritze. Darauf wurde rechterseits der Vagusstamm unterhalb der Ab- gangsstelle des Recurrens, linkerseits der Halsvagus durchschnitten. Das linke Stimmband trat darauf selbstverständlich in Cadaverstellung, das rechte bewegte sich auf Einblasungen nicht mehr, dagegen ging es bei Compression des Brustkorbes prompt in Medianstellung, und auf Nachlassen des Druckes 432 VERHANDLUNGEN DER BERLINER in Abduetionsstellung. Unter sieben Versuchen haben wir diese Beobach- tungsreihe allerdings nur drei Mal vollständig durchführen können, da sich bisweilen die ungleichsinnige Bewegung nicht einstellte oder die gleich- sinnige Bewegung nicht einwandsfrei zu erhalten war. Dafür aber haben wir uns noch in vielen anderen Fällen überzeugt, dass künstliche Athmung durch Zusammendrücken des Brustkorbes einen Reiz für gleichsinnige Be- wegung des Kehlkopfes bildet, der nicht durch den Vagus verläuft. 2. Hr. R. pu Boıs-ReymonD und Hr. J. KATzenstein: „Experimen- telle Medianstellung der Stimmlippe.“ Die experimentelle Erzeugung dauernder Medianstellung der Stimmlippe, entsprechend dem zweiten Stadium der Recurrensparalyse, ist bisher trotz vielfacher und sorgfältig angestellter Versuche nicht gelungen. Um die nachfolgenden Versuche verständlich zu erläutern, erscheint es nothwendig, auf das den Verlauf der Recurrensparalyse beschreibende Rosenbach-Semon’sche Gesetz, sowie auf die Deutungen, die das zweite Stadium dieses Gesetzes erfahren hat, kurz einzugehen. Das Rosenbach-Semon’sche Gesetz lautet: Bei progressiven organi- schen Erkrankungen, welche den ganzen Stamm des N. recurrens oder seinen gesammten Ursprung treffen, werden die von diesem Nerven motorisch innervirten Stimmritzenerweiterer, die Mm. crico-arytaenoidei post. zuerst gelähmt und degeneriren, während die Stimmritzenverengerer erst im weiteren Verlaufe des Processes gelähmt werden und degeneriren. Bei den klinisch beobachteten Fällen werden drei auf einander folgende Stadien der Recurrensparalyse unterschieden, von denen jedes durch eine be- sondere, ihm allein zukommende Stellung der Stimmlippe charakterisirt wird. Erstes Stadium. Einfache Lähmung des M. crico-arytaenoideus post. Die Stimmlippe der erkrankten Seite steht in der Ruhe in schräger Richtung, an ihrem hinteren Ende etwa 2” von der Mittellinie entfernt. Bei der Phonation, gelegentlich auch bei lebhafter Exspiration, wird die Stimmlippe bis zur Mittellinie geführt, um beim Nachlass wieder bis in die vorher charakterisirte Stellung zurückzuweichen. Zweites Stadium. Lähmung des M. crico-arytaenoideus post., wie man bisher annimmt, complieirt durch secundäre Contractur der Antagonisten. Die Stimmlippe steht auf der erkrankten Seite in oder dicht an der Mittel- linie, sie macht weder phonatorische noch exspiratorische Bewegungen. Drittes Stadium. Lähmung sämmtlicher vom N. recurrens versorgter Muskeln. Es sind jetzt nicht nur die Erweiterungs-, sondern auch die Ver- engerungsfasern des N. recurrens gelähmt und in Folge dieser neu hinzu- tretenden Lähmung löst sich die Contractur der Adductoren. Die Stimm- lippe steht nunmehr 2 bis 3”” von der Mittellinie in der sog. Ruhe- oder Cadaverstellung still. Trotzdem man nun klinisch und pathologisch-anatomisch die drei Stadien vielfach und einwandsfrei beobachtet hat, gelang es bisher nicht, das zweite Stadium experimentell andauernd herzustellen und eine richtige Deutung desselben zu geben. Der Einzige, der vorübergehende und zwar 2 bis 5 Tage währende Medianstellung der Stimmlippe erzielte war Krause. Er erhielt die Median- , PHYSIOL. GESELLSCH. — R. pu Boıs-REyYmoxD v. J. KATZENSTEIN. 433 stellung dadurch, dass er den an irgend einer Stelle sorgfältig isolirten Reeurrens in ein Stückchen Kork einklemmte und um den Kork ganz locker ein Gummiband oder eine in Wasser erweichte Violinsaite band. Einige Stunden nach Ausführung dieses Experimentes zeigte die Stimmlippe, während sie noch normale und ergiebige Excursionen machte, hin und wieder bei intendirter Adduction leichte vibrirende Zuckungen. Spätestens nach 24 Stun- den stand die Stimmlippe in Medianstellung, die nach 2 bis 5 Tagen in die Cadaverstellung überging, Krause deutete die Medianstellung als eine spastische Reizcontractur der Adductoren des Kehlkopfes, hat aber seine Theorie nach vielfachen Erörterungen wieder fallen gelassen. Vorübergehende Medianstellung der Stimmlippen beobachteten ferner zufällig eine Reihe von Autoren, wenn der Recurrens beim Durchschneiden gequetscht oder gezerrt wurde. Aber nicht allein misslang es, dauernde Medianstellung experimentell zu erzeugen, auch gegen die Deutung des zweiten Stadiums der Recurrens- paralyse wurden eine grosse Reihe von Einwänden erhoben und zwar in erster Linie von Wagner und Grossmann. Wagner hatte 1890 behauptet, dass wenn er den Recurrens durch- schnitt, Medianstellung der Stimmlippe eintrat; erst wenn er den M. thyreo- erieoideus ausschaltete, trat Cadaverstellung ein. Schon 1892 konnte Katzenstein in einer Arbeit über die Median- stellung der Stimmlippe bei Recurrensparaiyse! nachweisen, dass nach Re- currensdurchsehneidung regelmässig Cadaverstellung eintrat. Eine gewisse verengernde Wirkung des M. thyreo-cricoideus besteht, sie kommt aber gar nicht in Betracht bei der chronischen Recurrensparalyse, da der M. thyreo- ericoideus gewöhnlich schon 2 Tage nach erfolgter Recurrensdurchschneidung seine Wirksamkeit einbüsst. Trotz dieser sicherstehenden Thatsache ist 1897 durch Grossmann? die Wagner’sche Theorie wieder hervorgeholt worden. Auf die Polemik zwischen Grossmann und Semon, und die eingehenden, sich an diese anschliessenden Erörterungen von Rosenbach, Fraenkel, Grabower, Onodi, Klemperer, Kuttner und Katzenstein, die alle das Unhaltbare der Grossmann’schen Auffassung darthaten, soll hier nicht eingegangen werden. Zu erwähnen ist aber, dass als Einziger Krause für Gross- mann eintrat, und zwar, wie Hier gleich bemerkt werden soll, zu Unrecht. Der Hauptangriff Grossmann’s richtete sich gegen ätd Lehre vom zweiten Stadium der Recurrensparalyse, und zwar sowohl gegen den klini- schen Befund, als auch gegen die Deutung desselben. An Stelle der Ad- ductorencontractur sieht Grossmann im zweiten Stadium, d.h. ın dem Stillstand der Stimmlippe in der Medianstellung, oder, wie er sich ausdrückt, in der Adductionsstellung den Ausdruck einer totalen Recurrenslähmung bei erhaltener Function des M. thyreo-crieoideus und im dritten Stadium, d.h. im Stillstand der Stimmlippe in der sog. Cadaverstellung den Ausdruck der totalen Recurrenslähmung bei loralzennet Ausfall des M. thyreocrieoideus. Bei der Zurückweisung der Grossmann’schen Arbeit hatten Kuttner und Katzenstein den M. crico-arytaenoideus post. nach dem Vorgange ! Virchow’s Archw. Bd. CXXVI. ? Archiv für Laryngologie. 1897. Archiv f. A,u. Ph. 1902. Physiol, Abthlg. Suppl, 28 434 VERHANDLUNGEN DER BERLINER von Grossmann so ausgeschaltet, dass nach Durchschneidung der Trachea der Erweiterer einerseits oder beiderseits fortgenommen wurde. Hiernach trat typische Postieuslähmungserscheinung an den Stimmlippen auf, d.h. sie standen, wie oben geschildert, in der Ruhe in schräger Stellung an ihrem hinteren Ende etwa 2” von der Mittellinie entfernt und bewegten sich bei lebhafter Exspiration oder bei Lautgebung bis zur Mittellinie, um beim Aufhören der Exspiration oder der Lautgebung in die alte Stellung zurück- zukehren. Trotzdem nach diesen Ausschaltungen die Thiere bis zu einem Jahre am Leben gelassen wurden, trat niemals eine Veränderung aus der Postieusstellung in die Medianstellung ein, d. h. aus dem ersten Stadium wurde nie das zweite Stadium der Recurrensparalyse. So stand bis jetzt diese Angelegenheit. Bei unseren Versuchen beob- achteten wir nun, dass Vagusdurchtrennung unterhalb der Abgangs- stelle des N. reeurrens einen deutlichen Einfluss auf die Stel- lung der Stimmlippe hatte, und zwar derart, dass die Stimmlippe auf der operirten Seite nicht so weit abducirt und addueirt wurde als auf der gesunden.! Aus dieser Beobachtung schlossen wir, dass im Vagusstamm centripetale Reize für die Kehlkopfinnervation verlaufen, unter deren Einfluss die Athem- bewegungen der Stimmlippen ihren normalen Umfang zeigen. Fallen diese Reize fort, so sehen wir, wie oben bemerkt, Abnahme der Stimmlippenbewegung. Ist die Bewegung durch Ausschaltung entweder der Erweiterer oder der Verengerer schon vorher in einem oder dem anderen Sinne eingeschränkt, so ist zu erwarten, dass nach Durchschneidung des Vagus unterhalb des Recurrens dauernd Medianstellung oder extreme Abductionsstellung eintritt. Wir entfernten deshalb den M. crico-arytaenoideus posticus und durch- schnitten dann den Vagus unterhalb der Abgangsstelle des Recurrens. Das Resultat der Vagusdurchschneidung war nun jedesmal, dass die Stimmlippe bei der Durchschneidung zur Mittellinie zuckte und nach der Durchschneidung in der Mittellinie oder ganz nahe der Mittellinie stehen blieb und nur noch ganz unbeträchtliche Bewegungen machte, die vielleicht durch die Spannung des M. thyreo-cricoideus erklärt werden könnten. Diese Medianstellung blieb bestehen und zwar so lange die Thiere lebten (längste Beobachtungsdauer 1 Monat). Die Operationen wurden mehrmals einseitig und beiderseitig vorgenommen. In einem der beiderseitig operirten Fälle treten, um einen solchen zu schildern, beide Stimmlippen nach Entfernung beider Mm. crico-arytaenoidei post. und nach Durchschneidung beider Nn. vagi unterhalb des N. recurrens alsbald in die Nähe der Mittellinie. Sofort nach der Operation bekam der Hund bedeutende Dyspnoe, die sich darin äusserte, dass das Thier das Maul weit aufriss und mit Mühe Luft holte. Die Athmung war dabei, der doppel- seitigen Vagusdurchschneidung entsprechend, sehr verlangsamt. Am folgenden Tage bekam das Thier bei ganz ruhiger Lage genug Luft; wurde es aber ‘ Diese Beobachtung ist schon von Semon und Horsley, aber mit Eröffnung des Thorax, also bei künstlicher Respiration in zwei Versuchen (Proc. of the Royal Soe. Vol. XLVIII. p. 431) gemacht. Unbedeutende Abweichungen in ihren Angaben dürften aus der Kürze der Beobachtungsdauer zu erklären sein. PHYSIOL. GESELLSCH. — R. pu Boıs-ReymonD v. J. KATZENSTEIN. 435 ' vom Diener etwas rasch an der Leine mitgeführt, so trat, wie am ersten Tage, starke Dispnoe auf; bei der Inspection zeigte sich die doppelseitige Medianstellung unverändert. Am dritten Tage ging das Thier in Folge schlechter Wundheilung ein. Wie ist nun die so erhaltene Medianstellung zu erklären ? St f EDV ARDEDIZE Evan St? M = Medianstellung. StJ = Aeussterste Inspirationsstellung. St P = Inspirationsstellung nach Ausfall des Posticus. VM und VJ = Ausfall der Stimmlippenbewegung nach Durchschnei- dung des Vagus unterhalb des Recurrens. Normaler Weise kann sich die Stimmlippe von der Phonationsstellung M bis zur äussersten Inspirationstellung J bewegen. Ist nun der M. cerico- arytaenoideus post. ausgeschaltet, so tritt die Stimmlippe in die Stellung SP? und bewegt sich bei der Exspiration bis M, bei der Inspiration bis £. Nach Ausschaltung des M. crico-arytaenoideus posticus steht die Stimmlippe also nicht fest, sondern sie bewegt sich bis P; diese Strecke MP geht über die Cadaverstellung hinaus; es müssen also nach Ausfall des M. cerico-arytae- noideus post. accessorische Erweiterer thätig sein. Diese accessorischen Erweiterer werden angeregt durch das Athem- centrum, ebenso die Verengerer. Daher die Bewegung der Stimmlippe nach Ausfall des M. crico-arytae- noideus post. Die Anregung durch das Athemcentrum fällt nun nach Vagusschnitt grösstentheils fort. Folglich werden die accessorischen Erweiterer kaum mehr innervirt. Folglich erhalten die Verengerer nunmehr so grosses Uebergewicht, dass sich Medianstellung oder annähernde Medianstellung der Stimmlippe ergiebt. Diese Erklärung zu dem Factum der so erzeugten Medianstellung der Stimmlippe geben wir zunächst mit allem Vorbehalt. Nach einer Mittheilung von Semon! soll Tissier schon auf die Be- deutung des Vagus für den Kehlkopf in dem von uns eben beschriebenen Sinne aufmerksam gemacht haben; wir haben uns hiervon nach Einsicht in die Originalarbeit nicht überzeugen können. Auf die Bedeutung der Abductionsstellung der Stimmlippe, die durch Ausschaltung der Verengerer und Durchschneidung des Vagus unterhalb des Recurrens erzeugt wird, sowie auf einige weitere Ergebnisse unserer Brrreaus soll später eingegangen werden. ! Handbuch der Laryngologie. Bd.I. p. 687. 28* 436 VERHANDLUNGEN DER BERLINER XIV. Sitzung am 4. Juli 1902. Hr. N. Zuntz berichtet über zwei von Hrn. v. Schrötter und ihm ausgeführte Ballonfahrten, bei welchen die Hauptaufmerk- samkeit dem Studium der Athmung gewidmet war. Die Versuche sollen demnächst ausführlicher veröffentlicht werden. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass die erhebliche Steigerung der Athemmechanik, welche von Zuntz und seinen Mitarbeitern im Hochgebirge in einer Höhe von 4600” gefunden war, auch im Ballon bei der gleichen Versuchsmethodik in ähnlicher Weise hervortrat. Dagegen war die im Hochgebirge bei allen Betheiligten in mehr oder weniger starkem Maasse auftretende Steigerung des Sauerstoffverbrauches in der Ruhe, im Ballon nicht in gleichem Maasse zu beobachten. Diese Versuche sprechen dafür, dass ausser der Luftver- dünnung und der Wirkung der starken Sonnenstrahlung, welche letztere im Ballon viel stärker wirkte als beim Aufenthalt auf dem Monte Rosa, im Hochgebirge noch andere Momente den Stoffwechsel beeinflussen, welche in der freien Luft nicht in gleichem Maasse wirksam sind. XV. Sitzung am 18. Juli 1902. 1. Hr. CARL OPPENHEIMER und Hr. Dr. L. Mıc#Aeguis: „Mittheilungen über Eiweiss-Präcipitine.“ Die ersten Beobachtungen, dass gelöste Eiweisssubstanzen eine Reaction im Körper hervorrufen, wenn sie subeutan oder intravenös oder intraperi- toneal, jedenfalls mit Umgehung des Darmcanals in den Körper eingeführt werden, machte Tehistoviteh! im Jahre 1898. Bei seinen erfolgreichen Versuchen, Kaninchen gegen die giftige Wirkung des Aalserums zu immuni- siren, machte er als Nebenbefund die Beobachtung, dass das antitoxinhaltige Kaninchenserum mit dem Aalserum im Reagensglas einen Niederschlag giebt. Durch diese ersten Beobachtungen wurde eine Erweiterung des Gebietes der Immunitätsforschung inaugurirt, insofern, als man darauf hingelenkt wurde, dass nicht nur Toxine einerseits und organisirte Eiweissgebilde in Form von Zellen (rothen Blutkörperchen, Bakterienleibern) specifische Anti- körper im Organismus des angegriffenen Thieres auslösen, sondern dass sich ähnliche reactive Vorgänge auch bei der den gewöhnlichen Weg der Verdauung umgehenden Einführung gelöster Eiweisssubstanzen entfalten. Tehistoviteh selbst legte nur diesem Befund noch nicht die ge- bührende Bedeutung bei, doch wurde bald darauf durch fast gleichzeitige Arbeiten von Bordet?, Myers®, Wassermann gezeigt, dass es sich bei | ! Tehistovitch, Etudes sur limmunisation contre le serum d’anguille. Ann. Pasteur. 1899. T. XIII. p. 406. ®? Bordet, Annal. Pasteur. 1899. ® Myers, Immunität gegen Proteide. Centralblatt für Bakteriologie. 1900. Bd. XXVIII. S. 237. * Wassermann, Congress für innere Mediein. 1900. PHYSIOL. GES. — N, Zuntz. — (, OPPENHEIMER U. L. MıcHAruis. 437 diesen Immunisirungsvorgängen um ein ausnahmslos giltiges biologisches Grundgesetz handelt. Bordet zeigte, dass durch Injection von Kuhmilch bei Kaninchen ein Serum gewonnen werden kann, welches im Reagensglas- versuch in Milch einen Niederschlag erzeugt. Wassermann gebührt das Verdienst, die Specifieität dieser Reaction insofern nachgewiesen zu haben, als man durch Injection von Kuhmilch immer nur ein Kuhmilch fällendes Serum, durch Injection von Ziegenmilch immer nur nur ein Ziegenmilch fällendes Serum bekommt. Wassermann, Bordet und Myers erweiterten das Gebiet dadurch, dass sie das Gesetz der Specificität auch auf andere Eiweisskörper, wie Serum- oder Eiereiweisse übertrugen. Das Gesetz der Specificität, das inzwischen durch sehr zahlreiche andere Arbeiten ‚bestätigt worden ist, hat eine doppelte Bedeutung. Die Specifieität erstreckt sich einerseits auf die Natur der angewandten Proteine als solcher und auf die Thierart, von der sie herstammen. Beide Gesetze sind nicht absolut streng, insofern als sich die reactive Wirkung, die Präecipitirung, wenn auch in geringerem Maasse auf verwandte Eiweisskörper erstreckt, einerseits auf einander chemisch nahestehende Eiweissarten des- selben Thieres (Serum-Albumin, Serum-Globulin), andererseits auf homologe Eiweisskörper nahe verwandter Thierarten. So wirkt das bei der Immuni- sirung gegen Menschenserum erhaltene Präcipitin nicht nur auf Menschen- serum, sondern, wenn auch in geringem Maasse, auf Affenserum, nicht aber auf das Serum irgend eines anderen Thieres, und so wirkt andererseits der durch Immunisirung erzeugte Antikörper gegen Serumalbumin mit einer ge- wissen Einschränkung auch auf Serumglobulin desselben Thieres. Die Speeifieität bezüglich der Thierart mit den erwähnten Einschrän- kungen ist allgemein anerkannt und steht absolut sicher fest, dagegen hat das Gesetz von der Specificität bezüglich der Eiweissarten bei einem und demselben Thier in neuerer Zeit Einwendungen erfahren, und zwar gleich- zeitig von Obermayer und Pick! und von Rostoski.?” Rostoski hat rein experimentell den Nachweis zu führen gesucht, dass die Präcipitirung in durch- aus nicht regelmässiger Weise bei den verschiedenen Eiweissarten desselben Thieres erfolgt. Er hat Pferdeserum durch fractionirte Fällung mit Ammonium- sulfat in verschiedene Portionen zerlegt und durch Injection einer beliebigen Fraction ein Präcipitin auch für jede der anderen Fractionen erhalten. Obermayer und Pick haben das Gleiche für das Eierklar und seine ver- schiedenen Fractionen behauptet. Sie sind aber theoretisch viel weiter ge- gangen und glauben annehmen zu können, dass die Bildung der Präcipitine überhaupt nicht von den Eiweisskörpern selbst ausgelöst wird, sondern von Stoffen eigener Art, die den Eiweisskörpern nur mechanisch beigemengt und mit unseren bisherigen Methoden noch nicht von diesen trennbar sind. Diesen Schluss zogen sie erstens aus Versuchen, aus denen, ähnlich wie bei Rostoski, der Mangel der Specifieität hervorzugehen schien, andererseits aber aus dem eigenthümlichen Verhalten der Eiweisskörper gegen die Trypsinverdauung. Sie glaubten nämlich nachgewiesen zu haben, dass Eiweiss, welches durch intensive Trypsinverdauung möglichst aufgespalten ! Obermayer und Pick, Biologische Studien über 'das Eiklar. Wiener klin. Rundschau. 1901. 2 Rostoski, Münchener med. Wochenschrift. 1902. 438 VERHANDLUNGEN DER BERLINER worden ist, dennoch die Fähigkeit besitzt, bei seiner Injection das für den ursprünglichen Eiweisskörper specifische Präcipitin hervorzurufen. Es sei uns gestattet, in unserer heutigen Mittheilung zunächst nur unsere eigenen Resultate in Bezug auf die zwei aufgeworfenen Fragen in Kürze vorläufig mitzutheilen: Wir stellten zunächst Versuche mit unverändertem Rfnderserum an, indem wir es Kaninchen injieirten. Es ergab sich, dass das dabei ent- stehende Präecipitin constant zunächst einmal auf das injieirte Serum wirkt. Ferner wirkte es constant auf die durch partielle Sättigung mit Ammonium- sulfat dargestellten Globuline, und zwar am stärksten auf das Pseudo- slobulin, dann in manchen Versuchen in gleicher Weise, in anderen Ver- suchen in einer weniger intensiven Weise, jedenfalls aber constant positiv auf die Euglobuline. Dagegen müssen wir es als Ausnahme betrachten, dass ein solches Serum mit auch nur annähernd gleicher Intensität auf das Albumin wirkt. Unter zahlreichen Versuchen beobachteten wir nur in einem Falle eine den anderen Versuchen an Intensität vergleichbare Wir- kung auf Albumin. Wir injieirten ferner das Globulin allein und das Albumin allein. Durch Injection des Globulins erhielten wir constant ein Präcipitin, das auf alle Globulinarten des Thieres wirkt, niemals aber auf das Albumin. Durch Injection des Albumins dagegen erhielten wir ein Präeipitin, welches auf Albumin intensiv wirkt, aber auch deutlich auf das durch fünfmalige Um- fällung vollkommen vom Albumin befreite Gesammtglobulin. Bei weiterer Zerlegung der Globuline zeigte es sich, dass es fast nur auf das Pseudo- globulin, so gut wie gar nicht auf das Euglobulin reagirt. Das wären in Kürze die Resultate unserer Versuche über die Speeci- fieität. Sie führen also zu dem Schluss, dass im Allgemeinen das Gesetz von der Specifieität thatsächlich nicht ohne Einschränkung besteht, wie auch vor wenigen Tagen Umber! fand, denn durch Injeetion von Albumin er- hielten wir ein Präcipitin auch gegen Globulin. Dagegen ist es uns bisher nicht gelungen, durch Injection von Globulin ein Präeipitin auch für Albumin zu erhalten. Ziehen wir ausserdem in Betracht, dass die intensivste Wirkung stets auf die injieirte Eiweissart eintrat, so können wir mit Sicherheit sagen, dass es nicht angängig ist, die Speecifiecität der einzelnen Eiweissarten in dem ausgedehnten Maasse zu leugnen, wie es Obermayer und Pick und Rostoski gethan haben, in der Weise, dass es fast gleichgiltig wäre, welchen Eiweisskörper man injieirt. Schon diese Versuche scheinen darauf hinzudeuten, dass es die einzelnen Eiweissarten selbst sind, welche die Präeipitinbildung auslösen, und nicht, wie Obermayer und Pick wollen, ihnen beigemengte, bisher unbekannte Stoffe, die in unberechenbarer Weise mit den einzelnen Fractionen ausfallen. Die zweite Versuchsreihe bezog sich auf die Einwirkungsweise der Verdauungsfermente. Wir prüften einerseits das Verhalten der zu injieirenden Eiweisskörper und ihre Fällbarkeit durch das homologe Präci- pitin, andererseits die Beinflussung des präcipitirenden Serums durch die ! Umber, Berliner klin. Wochenschrift. 1902. | N PHYSIOLOG, GESELLSCH. — CARL ÖPPENHEIMER U. L. MicHArnıs. 439 Verdauung. Pepsin wirkt folgendermaassen: Durch Pepsin wird das Ri- weiss der Fällbarkeit dureh homologes Präeipitin schnell beraubt, und zwar schneller, als das durch Hitze coagulirbare Eiweiss verschwindet, denn durch vorsichtige Pepsinverdauung gelingt es regelmässig, ein Stadium zu finden, wo zwar noch massenhaft coagulirbares Eiweiss vorhanden ist, wo aber die Fällbarkeit durch das Präcipitin absolut vernichtet ist. Dementsprechend ist es uns in zahlreichen Versuchen auch nicht gelungen, durch Injection von peptisch verdauten Eiweisskörpern irgend welche Präci- pitine zu erhalten. Genau ebenso leicht, wie das fällbare Eiweiss seiner Fällbarkeit, wird auch das präcipitinhaltige Serum durch Pepsinsalzsäure seiner fällenden Wirkung beraubt. Anders verhält sich das Trypsin. Um diese Versuche zu verstehen, müssen wir einige Bemerkungen über die Trypsinverdauung vorausschicken. Wir arbeiteten meist mit Grübler’schem Trypsin, welches sich gegen Fibrin oder coagulirtes Serumeiweiss als höchst wirksam bewährt hat. Wenn nun uncoagulirtes genuines Serum der Trypsinverdauung unterworfen wird, und man die gewohnte geringe Menge von Trypsin dazu verwendet, so hält sich die Verdauung in äusserst geringen Grenzen. Um zu einem wirksamen Abbau von genuinem Serum zu gelangen, bedarf man erstaunlich grosser Mengen von Trypsin, z.B. um 10°” Serum innerhalb von 2 bis 3 Tagen bei nativer oder auch bei leicht alkalischer Reaction bei 37 ° nur so weit zu verdauen, dass eine merkliche Abnahme an coagulirbarem Eiweiss stattfindet, bedarf man den fünften bis vierten Theil an trockenem Grübler’- schen Trypsin von dem Gewicht des flüssigen Serums. Ganz analog erwiesen sich andere, für Fibrin als wirksam befundene Pankreaspräparate. Mit der merkwürdigen Resistenz der genuinen Eiweisskörper gegen Trypsin muss man also rechnen. Wenn man aber mit diesen unvermeidlichen ungeheueren Mengen von Trypsin arbeitet, dann findet man, dass auch das Trypsin die Fällbarkeit des Serums beeinträchtigt und schliesslich spurlos vernichtet. Indessen geht hier die Abnahme der Präcipitirbarkeit parallel der Ab- nahme an coagulirbarem Eiweiss, während im Gegensatz dazu, wie wir oben sahen, das Pepsin die Fällbarkeit schneller vernichtet, als die Coagulirbarkeit durch Hitze. Entsprechend diesen Versuchen ist es uns auch nicht gelungen, mit völlig durch Trypsin ausverdautem Serum durch Injection beim Kaninchen ein Präcipitin zu erzeugen, wie Obermayer und Pick es erhalten haben wollen. Auf der anderen Seite wird durch energische Trypsinverdauung auch die präcipitirende Wirkung des präcipitirenden Serums völlig vernichtet. Bei diesen Trypsinversuchen befinden wir uns in einem Gegensatz zu Obermayer und Pick. Diese geben an, dass bei Immunisirung gegen Eiereiweisskörper das Präcipitin durch Trypsin nicht verdaulich sei und dass sie zweitens durch Injeetion von tryptisch verdautem Eiweiss Präcipitine erhalten haben. Eine Erklärung dieser Widersprüche ist bisher um so _ weniger zu geben, als die ausführlichen Publicationen von Obermayer und Pick noch ausstehen. Also auch aus dieser Versuchsreihe folgt eine Bestätigung unserer An- gaben, dass bisher kein Grund vorliegt, irgend welche besonderen, unbe- kannten Stoffe anzunehmen, welche unabhängig von den Eiweisskörpern 440 VERHANDLUNGEN DER BERLINER diese specifische Reaction des Organismus hervorrufen. Sie dienen vielmehr zur Bestätigung der älteren Annahme, dass es die Eiweisskörper selbst sind. Fragen wir uns nun nach der physiologischen Bedeutung dieser Präeipitinreaction, so kann man aus dem vorliegenden Material folgende Schlüsse ziehen: Ein von einer fremden Thierart stammender Eiweisskörper wirkt bei Einführung mit Umgehung des Darmcanals (also subeutan, intra- venös u.s.w.) durchaus nicht als ein indifferenter Nährstoff, sondern er löst eine Reaction aus. Diese Reaction besteht in der Bildung eines speecifisch bindenden Antikörpers. Das Präcipitin ist nämlich nicht ein Ferment, sondern es wird quantitativ von seinem reciproken Eiweisskörper gebunden und verbraucht. Eine bestimmte Menge von Präeipitin ist im Stande, eine genau bestimmbare Menge des reciproken Eiweisses zu binden. In dem Filtrat von einem aus solchen Bindungen entstandenen Niederschlage ist bei quantitativ richtig geleiteter Anordnung des Versuches kein Präecipitin mehr nachzuweisen. Der Mechanismus ist also genau derselbe wie bei der Einführung von specifisch bindenden Toxinen und wir dürfen wohl dieselbe theoretische Erklärung dafür suchen, wie für diese. Nur der physiologische Zweck ist ein wesentlich anderer. Handelt es sich bei den Toxinen um eine Abwehrerscheinung des Körpers gegen die Giftwirkung, so handelt es sich bei den Eiweisskörpern mit grösster Wahrscheinlichkeit um eine Adap- tirungserscheinung. Es scheint sicher zu sein, dass der Organismus körper- fremdes Eiweiss als solches überhaupt nicht glatt assimilirt, sondern zum grossen Theil wieder ausscheidet. Es muss erst durch die physiologische Ver- dauung verändert werden, es muss seiner Specificität, seiner Eigenschaft als körperfremdes Eiweiss beraubt werden. Ob die Präcipitinbildung mit diesem Process der Assimilirung in engem Zusammenhang steht, ist heute noch Problem, obgleich Vieles dafür spricht. Man kann experimentell und theo- retisch viele wichtige Momente für diese Ansicht in’s Feld führen und wir werden in einer ausführlichen Publication auf diese Dinge in breiterem Rahmen zurückkommen. 2. Hr. Max RotamAnn: „Ueber hohe Durchschneidung des Sei- tenstranges und Vorderstranges beim Affen.“ M. H.! Vor einigen Monaten konnte ich Ihnen über die hinsichtlich der Erregbarkeit der Extremitätenregion der Grosshirnrinde durch Ausschaltung cerebrofugaler Bahnen in Medulla oblongata und Rückenmark erzielten Er- gebnisse berichten. Es ergab sich dabei, dass bei Hunden die Ausschaltung der Pyramidenbahn allein keine wesentliche Aenderung der elektrischen Erregbarkeit der Extremitätenregion herbeiführte, während Zerstörung eines ganzen Seitenstranges im oberen Halsmark, also Unterbrechung der Pyramiden- bahn und der bedeutendsten Vierhügel-Rückenmarksbahn, des Monako w’schen Bündels, zusammen, die Leitungsfähiskeit für den faradischen Strom ver- nichtete. Dem gegenüber bedeutete für den Affen die doppelseitige Aus- schaltung der Pyramidenbahn einen in dieser Hinsicht weit schwereren Ein- griff. Die elektrische Erregbarkeit der Extremitätenregion zeigte sich, mehrere Wochen nach der Operation, auf zwei kleine Stellen beschränkt, die im Wesentlichen den für Hand- und Finger- bezw. für Zehenbewegungen festgestellten Centren entsprachen. Eine Ausschaltung des Monakow’schen Bündels allein hatte keine Störung der elektrischen Erregbarkeit der Extre- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — MıAx RoTHMAnNN. 441 mitätenregion im Gefolge. Eine gemeinschaftliche Ausschaltung von Pyra- midenbahn und Monakow’schem Bündel war damals in absoluter Voll- ständigkeit noch nicht erreicht worden. Einigen erhalten gebliebenen Pyramidenfasern entsprach auch ein geringer Grad von Rindenerregbarkeit, so dass nach Analogie mit den Ergebnissen beim Hunde der Schluss nahe lag, dass dieser Rest von Rindenerregbarkeit durch die erhaltenen Pyramiden- fasern seinen Weg nähme. Doch waren zur Aufklärung der hier obwaltenden Verhältnisse weitere Versuche nothwendig. Heute möchte ich Ihnen über einige klinische Ergebnisse dieser Experimente am Affen berichten, sowie über eine Reihe weiterer Versuche, die bezweckten, durch Läsionen im oberen Halsmark die Ausschaltung der verschiedenen, vom Gehirn zum Rückenmark herabziehenden Bahnen noch vollkommener zu erreichen. Was die Deutung der klinischen Befunde betrifft, so ist daran festzuhalten, dass bei sämmtlichen hier vorgenommenen Experi- menten eine ausschliessliche Durchschneidung motorischer Bahnen unmöglich ist; stets werden einige sensible Bahnen mehr oder weniger mitgetroffen. Nur eine mannigfache Variation der Versuche gestattet daher, die hierdurch bedingten Nebenerscheinungen auszuschalten. Was zunächst die Zerstörung der Pyramidenbahnen im Gebiete der Pyramidenkreuzung betrifft, so verfüge ich jetzt über drei Fälle mit völliger Ausschaltung dieser Bahnen, von denen einer den idealen, an solche Versuche zu stellenden Forderungen insofern am nächsten kommt, als bei ihm der Stichecanal an der dorsalen Peripherie genau die Mitte getroffen hat und die Fissura posterior entlang ventralwärts zur Pyramidenkreuzung ge- langt, so dass nur ein ganz schmaler, medial gelegener Streifen der Hinter- stränge zu Grunde gegangen ist.! In den beiden anderen Fällen ist der Stich an der dorsalen Peripherie von der Mitte abgewichen und hat daher den lateralen Abschnitt des einen Hinterstranges beträchtlich zerstört, so dass der Arm der betreffenden Seite schwerere Schädigung als der andere zeigte. In dem ersten Fall, der uns die Ausschaltung der Pyramidenbahnen am reinsten vor Augen führt, kann der Affe bereits !/, Stunde nach be- endeter Operation, kaum aus der Aethernarkose erwacht, einige Schritte gehen; er fasst mit den Händen die Stange und versucht, allerdings vergeb- lich, sich hinaufzuschwingen. Vier Stunden später gelangt er bereits mit einem Sprung auf die Stange. Am nächsten Tage fasst er kleine Rüben- stückchen mit den Händen bereits recht gut; er ist weiterhin beim Klettern und Springen zwar etwas plump, aber völlig sicher, und greift mit den Fingern sogar in feinsten isolirten Bewegungen derselben, so dass er 22 Tage nach der Operation von einem normalen Affen kaum zu unter- scheiden ist. Dabei sind in diesem Fall nicht nur die Pyramidenbahnen total degenerirt, sondern auch der linke Vorderstrang in der medialen, zwischen Vorderhorn, Suleus ant. und ventraler Peripherie gelegenen Hälfte völlig zerstört, und auch in beiden Schleifenschichten besteht eine mässig starke Degeneration. Selbst die leichte, dem Affen eigenthümliche Ungeschick- lichkeit kann also auf diese Nebenläsionen bezogen werden. Die beiden ! Von diesem wie von allen anderen hier besprochenen Versuchen wurden während des Vortrags die Läsionsstellen sowie das Verhalten der secundären Degenerationen an Marchi-Präparaten mittels des Projectionsapparates demonstrirt. 442 VERHANDLUNGEN DER BERLINER anderen Fälle verhalten sich völlig analog, nur dass die der stärkeren Hinterstrangläsion entsprechende vordere Extremität etwas ataktisch und schwächer als die andere bleibt. Da in allen drei Fällen die Vorderstränge mehr oder weniger mitver- letzt wurden, ohne dass diese Läsion in dem Verhalten der Affen irgendwie zum Ausdruck kam, so ist der Schluss gerechtfertigt, dass bei intacter extra- pyramidaler Seitenstrangbahn das Erhaltensein der cerebrofugalen Vorder- strangbahnen für die Leitung der motorischen Impulse vom Gehirn zum Rückenmark nicht unbedingt nothwendig erscheint. Es sei hier nochmals betont, dass in diesen Fällen von totaler Aus- schaltung der Pyramidenleitung keine Spasmen, keine Contracturen, keine beträchtliche Steigerung der Sehnenreflexe zu beobachten waren. Was die Ergebnisse der Hirnrindenreizung sowie der partiellen Exstirpation der Extremitätenregion in einem dieser Fälle betrifft, so soll darüber an anderer Stelle im Zusammenhang mit anderen einschlägigen Versuchen berichtet werden. Die Ausschaltung des Monakow’schen Bündels bei intacter Pyra- midenbahn in der Höhe der Pyramidenkreuzung führt beim Affen zu einer in wenigen Tagen sich zurückbildenden Parese der Extremitäten der betreffenden Seite. In der Folge bleibt nur eine leichte Bevorzugung der gesunden Seite beim Greifen zurück, ohne dass Ausfallserscheinungen nachweisbar wären. Es könnte scheinen, als ob die Störung, vor Allem in den ersten Tagen, grösser wäre, als nach Ausfall der Pyramidenbahnen. Während bei letzterem aber gleicher Ausfall der Leitungsbahnen auf beiden Seiten besteht, also für beide Arme gleiche Bedingungen zur Restitution gegeben sind, tritt bei der einseitigen Läsion des Monakow’schen Bündels die leichte Störung gegenüber der gesunden Seite deutlicher hervor. Bei der gemeinschaftlichen Ausschaltung beider motorischen, im Seitenstrang des Rückenmarkes vereinigten Bahnen, der Pyra- midenbahn und des Monakow’schen Bündels, waren zwei Fragen vor Allem zu beantworten, die eine, ob die motorische Funetion der Extremitäten jetzt endlich schwerere Schädigung zeigt, die zweite, ob die elektrische Erregbarkeit der Ex- tremitätenregion der Grosshirnrinde hierdurch völlig aufgehoben werden kann. Der Versuch, die Zerstörung der Pyramidenbahnen in der Kreuzung und die Ausschaltung des Monakow’schen Bündels im Hinterseitenstrang in derselben Höhe zu combiniren, gelang nach mehreren Misserfolgen bei einem Affen derart, dass derselbe die Operation 18 Tage überlebte. In diesem Fall geht der mittlere Schnitt durch den medialen Abschnitt des rechten Hinterstranges, die rechte Pyramidenseitenstrangbahn und zerstört die rechte Pyramide fast total; der Schnitt greift caudalwärts so tief, dass der rechte Vorderstrang mit Ausnahme des lateralsten Abschnitts total, der linke zum grossen Theil zerstört ist. Die zweite Läsion zerstört den linken Seitenstrang vom Hinter- hornrand bis dicht heran an die Pyramide, ergreift auch die linksseitige graue Substanz und fliesst derart im unteren Theil der Pyramidenkreuzung mit der ersten 'Läsionsstelle in der Gegend des Centralcanals zusammen. Es sind auf diese Weise ausgeschaltet: Rechts Pyramidenbahn und Vorder- strang bei intactem Monakow’schen Bündel unter ziemlich ausgedehnter Zerstörung des Hinterstranges; links das Monakow’sche Bündel total, die Pyramidenbahn bis auf wenige Fasern, der mediale Theil des Vorderstranges, | PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Mıx RoTHMANN. 443 dazu von sensiblen Bahnen Kleinhirnseitenstrangbahn und Gowers’sches Bündel. — Dieser ausgedehnten Zerstörung entsprechend ist der Affe zuerst völlig an allen vier Extremitäten gelähmt; aber bereits am zweiten Tage macht er rechts ungeschickte Versuche, sich aufzurichten, ja die rechte Hand vermag bereits wieder, wenn auch unvollkommen, zu greifen. Am dritten Tage läuft er mit allen vier Extremitäten, sehr oft nach links umfallend, klettert bald mit allen vier Extremitäten, dabei die linke, motorisch schwächere Hand mit den Fingern besser an die Gitterstäbe legend als die rechte. Er greift mit beiden Armen, vermag jedoch die linke Hand nur mit Unter- stützung der rechten zum Munde zu bringen. In der Folge bessern sich alle motorischen Functionen andauernd; am siebenten Tage gelangt der Affe bereits auf die Stange. Beim Greifen kleiner Rübenstückchen nimmt er zuerst die rechte Hand, mit der er etwas ungeschickt greift, während er links sicher zugreift, aber ausgreifendere Bewegungen mit dem linken Arm nicht ausführen kann. In diesem Fall sind also isolirte Bewegungen des linken Armes, sogar der Finger, mit allerdings herabgesetzter motorischer Kraft, vereinbar mit totaler Ausschaltung des Monakow’schen Bündels und der Pyramidenbahn bis auf vereinzelte Fasern, und die rechts bestehende starke Ataxie muss auf die beträchtliche Zerstörung der sensiblen Bahnen dieser Seite bezogen werden. Immerhin ist das ganze klinische Bild, entsprechend der ausge- dehnten Zerstörung, sehr complieirt. Es wurde daher in der Folge die möglichst isolirte Ausschaltung der Pyramidenbahn und des Monakow’schen Bündels zusammen durch Durchschneidung des Hinterseitenstranges unterhalb der Einstrahlung der Pyramidenbahn in denselben, also caudalwärts vom 1. Halssegment, zu erreichen gesucht. Ein Schnitt durch den rechten .Hinterseitenstrang von der eröffneten Membrana obturatoria post. aus bei stark herabgedrücktem Atlas erreichte dieses Ziel insoweit, als das Monakow’sche Bündel total, die Pyramiden- bahn bis auf eine kleine Zahl der am meisten medial gelegenen, noch nicht völlig in den Seitenstrang eingetretenen Fasern zerstört wurde, bei nur ganz schwacher Mitläsion des Hinterstranges. Der Affe macht bereits am nächsten Tage den Versuch, nach einer Mohrrübe mit dem rechten Arm zu greifen; doch kann er dieselbe noch nicht festhalten. Dagegen läuft und klettert er mit allen vier Extremitäten, allerdings die rechtsseitigen sehr ungeschickt benutzend. Aber so schnell geht die Restitution vorwärts, dass bereits am 4. Tage die rechtsseitigen Extremitäten kaum noch geschont werden, und am 12. Tage ausser einer leichten Herabsetzung der motorischen Kraft keine Abweichung von der Norm vorhanden ist. Es wird deshalb nun dem- selben Affen der linke Hinterseitenstrang in der Höhe des dritten Hals- wirbels durchschnitten und zwar Pyramidenbahn und Monakow’sches Bündel total; wenn nun auch die Restitution der linksseitigen Extremitäten viel langsamer sich vollzieht, so kann der Affe doch 16 Tage nach der zweiten Operation auch links wieder nach Rübenstückchen greifen, wenn auch mit stark verminderter Kraft, er läuft und klettert recht gut; die rechtsseitigen Extremitäten lassen keine Abweichung von der Norm erkennen. Dieser, durch weiterere Erfahrungen gestützte Versuch zeigt, dass die Durchschneidung des Hinterseitenstranges allerdings eine starke Schädigung der motorischen Function der Extremitäten setzt, dass sich dieselbe aber in 444 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Gemeinschafts- und isolirten Bewegungen in weitgehendem Maasse restituirt. Die im Vorderstrang herabsteigenden motorischen Bahnen genügen also, um eine solche, an Kraft und Geschicklichkeit allerdings stark verminderte, motorische Function zu gestatten. Wenn vereinzelt die Störung nach Aus- schaltung des Hinterseitenstranges eine hochgradigere und länger anhaltende war, so handelte es sich um eine beträchtliche Mitverletzung des Hinter- stranges. Aber, trotzdem in einem Fall der ganze Hinterstrang mit zerstört war, konnte der Affe einen Monat nach der Operation alle Bewegungen, auch die feineren isolirten Bewegungen, mit der betreffenden Hand wieder ausführen. Eine totale Ausschaltung des Seiten- und Vorderstranges einer Seite in der Höhe des dritten Halssegments unter möglichster Schonung des betreffenden Hinterstranges gelang bei zwei Affen, von denen der eine 9!/, Tage nach der Operation an Schwäche zu Grunde ging, der andere dieselbe 24 Tage überlebte. Im letzteren Fall war der rechte Seiten- und Vorder- strang zusammen mit dem grössten Theil der rechtsseitigen grauen Substanz total durchschnitten, vom rechten Hinterstrang nur ein kleiner dorsolateraler Abschnitt. Nach links griff die Erweichung auf den ventromedialen Abschnitt des Vorderstranges über. Sind hier zunächst die rechtsseitigen Extremitäten 4 Tage lang völlig gelähmt, so setzt dann eine allmähliche Restitution des rechten Beines ein, das 14 Tage nach der Operation in seinen Leistungen nur noch wenig vom normalen linken Bein differirt. Der rechte Arm wird die ersten 8 Tage weder beim Laufen noch beim Klettern bewegt; am 8. Tage wird aber von dem links am Gitter angeklammerten Affen der rechte Arm isolirt ganz langsam nach vorgehaltener Nahrung hin bewegt, ohne dass die Hand zu greifen vermag. Erst 2 bis 3 Tage später kommt es zu deutlichen Mitbewegungen des Armes beim Laufen und Klettern, die sich rasch verbessern. 19 Tage nach der Operation werden bei den Greif- versuchen ganz leise Bewegungen des Daumens und des Zeigefingers der rechten Hand beobachtet, so dass in die Hand gebrachte Rübenstückchen festgehalten werden können. Diese interessante Thatsache, dass bei der unvollkommenen Bewegungs- restitution des Armes nach Ausschaltung von Seiten- und Vorderstrang eine schwache isolirte Bewegung des Armes den einfachen Mitbewegungen voran- geht, wird durch den zweiten Fall bestätigt, bei dem die weitere Restitution wegen der Kürze der Lebensdauer nicht festgestellt werden konnte. Jeden- falls ist die Restitution bei Erhaltensein des Hinterstranges eine bessere als bei totaler Halbseitenläsion; denn Mott! konnte in einem solchen Fall selbst 29 Tage nach der Operation keine Bewegung von Arm und Hand beobachten. Dagegen wird die verhältnissmässig gute Restitution des Beines nach Halbseitenläsion gleichartig von Schäfer? und Mott beschrieben. Eine Zusammenfassung aller dieser Versuche zeigt, dass beim Affen weder die isolirte Ausschaltung der Pyramidenbahnen, noch die Combination derselben mit Zerstörung des Vorderstranges oder des Monakow’schen ! Frederick W. Mott, Results of hemisection of the spinal cord in monkeys. Fall VIII. Philos. Transact. of the Royal Soc. 1892. Vol. CLXXXII. B. p. 1—60. ? E. A. Schäfer, Some results of partial transverse sections of the spinal cord. Proceed. of the Physiol. Soc., 1899, March 18. Journ. of physiol. 1899. Vol. XXIV. a nn PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — MAx ROTHMANN. — Nager. 445 Bündels genügt, um die motorische Function der betreffenden Extremitäten auf die Dauer aufzuheben. Sogar die feinen isolirten Fingerbewegungen können durch die auf den verschiedenen extrapyramidalen Wegen zum Rückenmark gelangenden Impulse ausgelöst werden. Aber selbst nach völliger Ausschaltung aller Seitenstrang- und Vorderstrangbahnen einer Seite kommt es zu einer allerdings sehr unvollkommenen Restitution, die nicht nur Mitbewegungen, sondern auch isolirte Bewegungen zu Stande kommen lässt. Es können also die verschiedenen höheren und niedrigeren Impulse für die motorische Function schliesslich jede ihnen noch offenstehende Bahn benutzen, und es kommt zu einer Verminderung der Leistungsfähigkeit im Wesentlichen dadurch, dass die Zahl der noch leitungsfähigen Fasern der verschiedenen Bahnen im Ganzen den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr genüst. Können doch sogar bis zu einer gewissen Grenze die motorischen Impulse zu den Rückenmarkscentren der durchschnittenen Rückenmarkshälfte unterhalb der Läsion durch die andere Rückenmarkshälfte gelangen. Es vollzieht sich nur insofern in der aufsteigenden Thierreihe eine Verschiebung, als die direete Grosshirn-Rückenmarksleitung, die Pyra- midenbahn, immer mächtiger wird, während die anderen motorischen Bahnen schwächer und daher zum Ersatz untauglicher werden. Von den Ergebnissen der elektrischen Rindenreizung, im Anschluss an die oben besprochenen hohen Rückenmarksläsionen, sei an dieser Stelle nur hervorgehoben, dass im Gegensatz zum Hunde, bei dem Seitenstrangaus- schaltung die elektrische Erregbarkeit der Extremitätenregion der Grosshirn- rinde aufhebt, beim Affen die Reizung der Armregion nach Durchschneidung des Seitenstranges ungefähr dieselben Resultate ergab, als nach alleiniger Aus- schaltung der Pyramidenbahn. Es leitet also beim Affen der Vorderstrang die elektrischen Reize von der Grosshirnrinde zum Rückenmark, was ihm beim Hunde nicht möglich ist. Wie die Leitung durch den Seitenstrang bei den niederen Thieren dem Auftreten der Pyramidenseitenstrangbahn voraufgeht, so die Leitung durch den Vorderstrang beim niederen Affen dem Auftreten der Pyramidenvorderstrangbahn beim anthropomorphen Affen und beim Menschen. Die Versuche sind sämmtlich im physiologischen Institut der Thierärzt- lichen Hochschule in Berlin ausgeführt worden. Hrn. Geheimrath H. Munk sage ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank. XVL1 Sitzung am 25. Juli 1902. 1. Hr. Nagzı berichtet über Versuche, die Frau Chr. Ladd-Franklin und Hr. Dr. Guttmann auf seine Veranlassung ausgeführt haben, um über die Art und das Maass der Sehstörung beim Sehen durch Schleier that- sächliche Aufklärung zu gewinnen. Es stellte sich heraus, dass Schleier und ‚schleierartige Drahtgewebe die Sehleistung in sehr verschiedenem Maasse beeinträchtigen, je nach der Stellung des Gewebes relativ zum Auge und zum beobachteten Prüfungsobject (es wurden die Haken der Pflüger’schen Optotypi, auf 10” Abstand betrachtet, verwendet). 446 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Der Schleier dicht vor dem Auge stört beim Sehen sehr wenig, ebenso wenig, wenn er 3 bis 10” vom Auge entfernt ist. Dazwischen liegt aber eine Zone, innerhalb deren die Sehleistung je nach der Beschaffenheit des Schleiergewebes und der absoluten Sehschärfe der Versuchsperson auf !/, bis !/, der Norm heruntergedrückt wird. Die Entfernung vom Auge, in der der Schleier am stärksten störend wirkt, schwankt je nach den erwähnten Versuchsbedingungen und auch nach der Individualität der Versuchsperson zwischen etwa 30 und 90. Accommodationslähmung ändert nichts Wesentliches (auch bei den Versuchen ohne Atropin wurde mit möglichst erschlaffter Accommodation beobachtet), doch vereinfacht und erleichtert sie einigermaassen die Beob- achtung. Als Ursachen für die Sehstörung durch Schleier kommen hauptsächlich in Betracht: die Verdeckung von Contouren des beobachteten Objeetes durch Schleierfäden; ihre Verdunkelung durch Zerstreuungsbilder dieser Fäden; complicirtere Störungen durch Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und der Genauigkeit der Beobachtung. Dass das Moment der Contourenverdeckung eine geringere Rolle spielt, als man zunächst vermuthen könnte, geht daraus hervor, dass die Sehstörung fast genau die gleiche ist, gleichviel ob die Fäden des Gewebes in der Richtung mit den Strichen der Hakenfiguren zusammenfallen oder um 45° dagegen verdreht sind. Ausführlichere Mittheilungen werden an anderer Stelle erfolgen. 2. Hr. @. Werzen: „Das Vorkommen von Kernen der Granu- losazellen in den Ovarialeiern von Pelias berus.“ In den Ovaren einer etwa 1- bis 2jährigen Kreuzotter machte ich einen histologischen Befund, welchen ich hier mittheilen möchte. Die Ovare ent- hielten ganz junge Follikel bis zu solchen von etwas über 1"" Länge und entsprechender Dicke. Die Schnitte durch die Follikel zeigten nach innen von der bindegewebigen Umhüllung die (wie bei allen Reptilien) mehr- schichtige Membrana granulosa, dann eine deutlich abgegrenzte Zona pellu- eida und in der Randzone des Dotters eine Anzahl in unregel- mässigen Abständen gelagerter Kerne, welche sich je in einem hellen, wohl auf Schrumpfung zurückzuführenden Hofe befinden. In den Eiern findet sich ausnahmslos das Keimbläschen, welches gegen den Dotter scharf begrenzt ist. Es ist ebenfalls, besonders in den älteren Follikeln, in Folge der Fixirung geschrumpft. In der Membrana granulosa der Kreuzotter finden sich normaler Weise zwei Arten von Kernen. Die einen sind grossblasig und enthalten verhält- nissmässig wenig Chromatin, die anderen klein und enthalten viel Chromatin. Dazwischen liegen zahlreiche Uebergangsstufen. Die Kerne im Dotter sind mit Rücksicht auf ihre Grösse, wie auf die Menge und die Structur ihres Chromatingerüstes mit den grossen blasigen Kernen der Membrana granulosa zu identifieiren. Bei Färbung mit Biondi’scher Mischung nehmen die frag- lichen Kerne einen rothen Ton an, ebenso die grossen Kerne der Granulosa, während die kleinen Kerne dieser Haut sich blaugrün tingiren. In geringerer Anzahl kamen im Dotter auch Kerne vor, welche mehr mit den kleinen Kernen der Granulosa übereinstimmen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — G. WETZEL. 447 Ueber die Art des Eindringens der Granulosakerne in den Dotter lässt sich annehmen, dass sie entweder von den Zellen, deren Plasma dann inner- halb der Granulosa zu Grunde gegangen ist, in das Ei ausgestossen worden sind, oder dass die ganzen Zellen in das Ei eingedrungen sind und dort ihr Zellleib zerstört worden ist. Ich halte das Letztere für wahrscheinlicher, konnte aber die Vorstufen des Vorganges nicht feststellen. Eimer hat bei der Ringelnatter und glatten Natter Granulosazellen gesehen, welche durch die Zona hindurchreichten und im Ei stumpf endigten. Ich selbst fand Bilder, welche als spätere Stadien des Processes gedeutet werden können, nämlich Chromatinbröckel neben den Kernen und ferner helle Höfchen mit Körnchen darin. Ich nehme an, dass wir hier in Zerfall begriffene und ganz zerfallene Kerne vor uns haben. Folgende Deutungen des Befundes sind möglich. 1. Die Kerne sind mit der Bildung eines Parablasten (His) betraut. 2. Sie sind Träger von Vererbungssubstanzen, welche auf diese Weise in das Ei eindringen. 3. Es liegen Degenerationserscheinungen vor. 4. Die Kerne können vom Ei resorbirt und mit zu seiner Ernährung verwendet werden. Von einer Discussion der Punkte 1. und 2. sehe ich ab. Zur Be- urtheilung von 3. und 4. möchte ich, ohne eine endgültige Entscheidung zu beabsichtigen, die Aufmerksamkeit auf Folgendes lenken. 1. In sämmtlichen untersuchten Follikeln der erwähnten Kreuzotter, mit sicherer Ausnahme nur eines einzigen sehr jungen Follikels, fanden sich die Kerne vor. Ein kleines Stück Ovar konnte nicht untersucht werden. Von weiteren drei jungen Thieren fanden sich die Kerne nur noch bei einem und zwar nur in wenigen jungen Follikeln. Die Ovare dieser Thiere wurden nicht vollständig geschnitten. In zahlreichen kleinen und grösseren Follikeln älterer Thiere fand sich die Erscheinung nicht. Alle Thiere waren im März und April gefangen worden und kamen in derselben Zeit zur Untersuchung. Die Bedingungen des Vorkommens der Erscheinung können hieraus noch nicht abgeleitet werden. 2. Das Keimbläschen, die Membrana granulosa und die Zona pellueida zeigten keine Anzeichen von Degeneration, in den meisten Fällen wies auch der Dotter nichts darauf zu Beziehendes auf. In einigen der grösseren Follikel fanden sich ausser den die Kerne enthaltenden hellen Höfchen noch zahlreiche leere vor. Dies kann als Beginn einer Vacuolisirung betrachtet werden. Ferner zeigten einige Follikel sich auf dem Querschnitt nicht rund, sondern unregelmässig eingebuchtet. Leukocyten konnten im Dotter nirgends sicher constatirt werden. ’ 3. Der Umstand, dass das Plasma der eingewanderten Zellen zerstört ist, scheint ebenso wie die erwähnten, in weiterem Zerfall begriffenen Kerne anzudeuten, dass das Ei die Oberhand über die eingewanderten Granulosa- zellen gewonnen hat. Auf Grund aller Thatsachen kann ich Kine Berechtigung der Annahme, dass es sich ausschliesslich um eine für den Organismus physiologische, für das einzelne Ei jedoch pathologische Degeneration in ihren Anfangsstadien handelt, nicht leugnen, ebenso wenig aber die Möglichkeit, dass das Ein- 448 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wandern der Follikel-Zellen bezw. -Kerne wenigstens in einer Anzahl von Fällen eine auch für die davon betroffene Eizelle physiologische Erscheinung bildet und die Eizelle im Stande ist, die Eindringlinge zu vertilgen. Für die Annahme einer Degeneration, welche für einige der unter- suchten Follikel zutreffen dürfte, ist noch besonders hervorzuheben: 1. Wir haben alsdann ein sehr frühes Stadium der Degeneration vor uns, welches beim Reptilienei noch nicht beobachtet worden ist. Die am Reptilienei vorliegenden Beobachtungen beziehen sich ausserdem nur auf ausgewachsene ÖOvareier, welche in Folge unterbliebener Begattung nicht ausgestossen worden sind (Strahl [1892], J. A. Meyer [1901]). 2. Es ergeben sich Verschiedenheiten gegenüber anderen Wirbelthier- classen in Bezug auf die ersten, die Degeneration einleitenden Vorgänge. Nach v. Brunn verändert sich bei Vögeln zuerst die Membrana granulosa in einer von ihm beschriebenen charakteristischen Weise. Dies trifft für Schlangen nicht zu. Ferner ist bei anderen Wirbelthierclassen zu einer Zeit, wo Elemente der Granulosa im Dotter sich vorfinden, die scharfe Grenze zwischen Dotter und Granulosa verschwunden und keine eigentliche Zona pellueida mehr erhalten. Jedoch ist bei Säugethieren die Zona pellucida während des Uebertretens von Granulosazellen in den Dotter noch vorhanden (vgl. u. A. H. Virchow! [1885)). Auf bestehende Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Wirbelthier- Classen in Bezug auf die Follikeldegeneration hat u. A. zuletzt J. A. Meyer hingewiesen. Schliesslich habe ich noch geprüft, ob sich vielleicht Beziehungen zwischen der Lage des Keimbläschens und den eingewanderten Kernen er- kennen liessen. Diese Prüfung war berechtigt, da ich z. B. in ausgewach- senen ÖOvareiern von Pelias berus die Zellen der Granulosa in der Gegend des Keimbläschens deutlich höher finde als entfernt davon. Ich habe aber keine derartigen Beziehungen finden können. Die Anzahl der vorgefundenen Kerne war in den grossen Follikeln (etwa 1") sehr gross (bis zu neun Kernen auf einem Schnitt), in den kleinsten Follikeln waren nur wenige Kerne (etwa drei) im ganzen Follikel. Die hierhergehörige Litteratur haben Ruge? (1889) und neuerdings J. A. Meyer? (1901) zusammengestellt. 3. Hr. PırEr berichtet über messende Versuche, welche in der physi- kalischen Abtheilung des physiologischen Universitätsinstitutes zu Berlin mit dem Zweck angestellt wurden, den zeitlichen Verlauf der Dunkel- adaptation, bezw. der bei Dunkelaufenthalt sich vollziehenden Empfindlichkeitssteigerung der Netzhaut festzustellen und Quantitatives über diesen Vorgang zu ermitteln. Ueber die Versuchseinrichtung soll an anderer Stelle genauer berichtet werden; hier sei nur in Kürze angegeben, dass von einer leuchtenden quadratischen Fläche durch eine Linse ein Bild auf eine Milchglasscheibe entworfen wurde. Dieses Bild bildet den Lichtreiz für das beobachtende 1 Archiv für mikroskopische Anatomie. 1885. Bd. XXIV. ” Morpholog. Jahrb. 1889. Bd. XV. ‘® Anatomische Hefte. Arbeiten. 1901. Bd. XVII. ; I: PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — PiPER. — H. FRIEDENTHAL. 449 Auge; derselbe konnte hinsichtlich seiner Intensität durch Verengerung einer am Objeetiv angebrachten Irisblende und ferner durch sprungweise Ver- dunkelung der leuchtenden Fläche so ausgiebig abgestuft werden, dass das Absinken der Reizschwelle von dem bei guter Helladaptation gefundenen Werthe bis zur maximalen Dunkeladaptation continuirlich verfolgt und zahlenmässig festgestellt werden konnte. Die Resultate sind kurz folgende: Zunächst wurde die schon von Aubert (1865) gemachte Erfahrung bestätigt, dass die Lichtempfindlichkeit des Auges in den ersten 10 Minuten nach Eintritt in das Dunkelzimmer äusserst schnell, und von da an immer langsamer zunimmt. Nach durchschnittlich 40 Minuten ist das Maximum der Dunkeladaptation, d.h. der niedrigste Schwellenwerth erreicht. Der Betrag der Empfindlichkeitszunahme, die Adaptationsbreite, ist ausserordentlich viel grösser, als Aubert (zufolge seiner nicht zuverlässigen Methode) fand; das dunkeladaptirte Auge ist im Stande, etwa den 3000 sten Theil (1/3900) von der Lichtintensität wahrzunehmen, welche die Schwelle für das gut helladaptirte Auge bildete. Zwischen dem Verlauf der Empfindlichkeitszunahme bei monoeularer und binocularer Adaptation ist ein Unterschied nicht erkennbar. Nach achtstündiger monocularer Adaptation wird die gleiche Lichtintensität als Schwellenwerth gefunden, wie nach ?/,stündiger monocularer oder binocu- larer Adaptation. Santoninvergiftung, auch wenn sie zu deutlichem Gelbsehen und stark hervortretenden Allgemeinerscheinungen geführt hatte, übte keinen Einfluss auf den Verlauf der Adaptation aus. Bemerkenswerth ist endlich die folgende Beobachtung: Ist nach etwa einstündiger Dunkeladaptation die niedrigste Reizschwelle erreicht und wird nunmehr das Auge durch grössere Helligkeiten, etwa solchen, die etwas über der fovealen Schwelle liegen, gereizt, so findet man bei erneuter Bestimmung des Schwellenwerthes eine Zunahme der Empfindlichkeit derart, dass jetzt etwa noch °/, der nach einstündigem Aufenthalt im absolut dunkeln Raum noch eben wahrnehmbaren Lichtintensität sichtbar ist. Nach einigen Minuten Dunkelaufenthalt erfolgt ein Rückgang der Adaptation zu dem im völlig dunkeln Raum erzielten Schwellenwerthe. Es dürfte sich hier um eine Art von Bahnungsvorgang handeln. Die Mittheilung weiterer Einzelheiten zu den Versuchsergebnissen bleibt späterer ausführlicher Publication an anderem Orte vorbehalten. 4. Hr. H. FriepentuAL demonstrirt im Anschlusse an einen früheren Vortrag über das Moleculargewicht der Fette und ihrer Spaltungsproducte Präparate, welche die Nichtdiffusibilität von Seifen aus wässe- riger Lösung zeigten bei Abwesenheit jeder trennenden Membran. Seife, mit Agar in Blöcke geschmolzen und in flüssige, später erstarrende Gelatine eingelegt, zeigte nach 7 Wochen keine Wanderung von Seife in die Gelatine. Die Gelatine, in Wasser durch Kochen gelöst, gab mit Chlor- ealeiumlösung keine Fällung, und durch H,SO, wurde keine Fettsäure aus der Gelatine abgeschieden. Seifen bilden also in Wasser colloide, nicht diffundirende Lösungen, in Uebereinstimmung mit den Ergebnissen der Siede- punktsbestimmungen, welche für wässerige Lösungen keine Erhöhungen des Archiv f. A, u. Ph, 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 29 ” 450 VERHANDL. DER BERLINER PHYS. GESELLSCH. — H. FRIEDENTHAL. Siedepunktes proportional dem Moleculargewicht ergeben hatten, dagegen normales Verhalten bis auf die Bildung von Doppelmoleeülen in kochendem Alkohol. In heissem Alkohol müssen also Seifen diffusibel sein. Für die Fettresorption lässt sich aus dem colloiden Zustand der Seifenlösung folgern, dass die Aufnahme der Spaltungsproducte der Fette nicht, wie Pflüger will, durch Hydrodiffusion als Seife erfolgt, sondern es bilden die Versuche eine neue Stütze für die vom Vortragenden in mehreren Abhandlungen ver- fochtene Ansicht, dass die Fette grösstentheils als Fettsäuren resorbirt werden, welche zwar nicht wasserlöslich, aber protoplasmalöslich sind. Während Pflüger das Alkali des Darmes eine beständige Wanderung antreten lässt vom Darminhalt in die Zelle und von der Zelle wieder zurück in das Darm- lumen, um die Ansicht halten zu können, dass alles Fett als Seife resorbirt wird, scheint der umgekehrte Vorgang im Darmlumen sich abzuspielen und die schon gebildete Seife durch Säuren zerlegt, die gebildete Fettsäure als protoplasmalösliche Substanz resorbirt zu werden. Eine Entscheidung über die Richtigkeit der beiden Theorien könnten Resorptionsversuche bringen, welche wohl die geringe Resorbirbarkeit von Seifenlösungen demonstriren würden. Zeitschriften aus dem herlase von VEIT & conr. in lefnie Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, "0. Ö, Prareson der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das ‚„Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22% Sn eiralbiatı für praktische: AUGENHE ILKUNDE. Herausgegeben von | Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges 112 Hefte) 12 4; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhändtung 12 .# 80 %: Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- liehste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, ‚stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CRNTRALBLATT, INTERNATIONALE RUNDSCHAU ‚AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des ‘einen bis. zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der. Verlagsbuchhandlung. Neurologisches € Gentralblatt. Dbersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von ' Professor Dr. E. Mendel ' in Berlin, Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 .%. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 # direkt an die Verlagsbuchhandlung eriolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von ‚Dr. R. Koch, und Dr.'C. Flügge, Director des Institute 0. 6. Professor und Director für Infeetionskrankheiten- des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität: Breslau. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskranlcheiten“ erscheint i in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 en. mit Tafeln; ‚einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrietli, J. F. Meckel, Joh. Miller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Dee) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den Pipe gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W. His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 c%#, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 #. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Yruck von Metzger & Wittig in Leipzig. KRANK Y NY \/ N N \ /\ a \ a8 IR In Ber : III III TITTm | = S x I | P Bes = — —— = — S < II) — Er |—— = = = 2 Ill MENT | Il | IE S SE DT.SO TO. IN LIE N N X } x x y NZ / \ N AN X N SONY ZN X X X \ EEE \ w > I \ N u Ku Archiv fAnat.u.Phys.1902. Phys.Abthlg.Suppl. Taf Hl. A uniurliiinlil teen MT | m — MM = um —— | Ba NN — MN IN! IND BONANANUNSLGE TE — — INN) III MN INN In MI) In N NUN NNIINNUNAHNN a INNUEINUUNNUUUSSUÄININUANENN, en NAANIEIANNAN Ne ! ı A ENNÄNNUNNN - \ { i N b am —___— BARTINLILLLLNN Il Il Verlag Veit KComp.Leipzirr. RR ) dr i | Ill || II} MUREERENER DLLINARLLNLLUN Ill IUNPULNANIAILNASBRERAABIARAARBAIIGUURLUNNNANSNUNGAUHINEBRRNAENALLGERARAERAERRUNRLIELERNRAVEUNEENTERTENKERUNTETE A. 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