HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. NND. N RR IR RE hailnt CR : or 3a Kur = At a Wi A N Be 7 N Ten Be Be ra; BR 5 \ ER Ba x; TR BER? Fir MER ce de ha EIN et = ie ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dx. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1904. ARCHIV PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND’ SECHS TAFELN. 4 LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1904. vI INHALT. A. Loumann, Zur Automatie der Brückenfasern und der Ventrikel des Herzens . H. Pırer, Das elektromotorische Verhalten der Retina bei Eledone moschata . GEORG LEVINSoHN, Zur Frage der paradoxen Pupillenerweiterung : WILHELM STERNBER6, Der salzige Geschmack und der Geschmack der Salze Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1903—1904. FERDINAND BLUMENTHAL, Ueber das an die Organe gebundene Tetanusgift und seine Beziehung zum Antitoxin s N. Zuntz, Ueber den Mechanismus der To dens des nen image Hans VırcHow, Ueber den Lidapparat des Menschen . Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Verbrennung innerhalb der Tchendizen Subaiauz Saur, Ueber Reinculturen von Protozoön } von Hansemann, Ueber abnorme Rattenschädel . 2 A. Macnus-Levy, Ueber Zuckerbildung aus Eiweiss und das Verhalten as Besen torischen Quotienten im Diabetes R. pu Boıs-Revmonp, Vom Schwimmen des Menschen, von HansEmann, Reaction von Blutpraecipitin Kurt BRANDENBURG, Die Wirkung der Digitalis auf das Herz Hans FRIEDENTHAL, Weitere Versuche über die Reaction auf Blütsverwandischaft von HAnseMmann, Ueber die Beeinflussung der Mitosen durch pathologische Processe W. NaceL, Einige Bemerkungen über Typenunterschiede unter den Farbentüchtigen CASPARI, Ehymologieche Studien über Vegetarismus. . . . . . G. ABELSDORFF, Mangel des Tapetums bei tauben, blauäugigen Katzen on Hünden Franz MÜLLER, Ueber den Energieaufwand beim Schwimmen . . . A. Lorwy, Zur Frage der Dissociation des Oxyhämoglobins . : LEVINSoOHn, Doppelte Kreuzung der centripetalen Pupillen- und Tidbahnen S. ROSENBERG und Ü. OPPENHEIMER, Die Resistenz von genuinem Eiweiss gegen- über der tryptischen Verdauung im thierischen Organismus WALTHER BeErc, Weitere Beiträge zur Theorie der histologischen Fixatiend ©. NEUBERG, Beitrag zur Frage nach der Zuckerbildung aus Fett im Organismus nach gemeinsam mit F. Blumenthal angestellten Versuchen Max BoRcHERT, Ueber Markscheidenfärbung bei niederen Wirbelthieren - R. pu Boıs-Reymonp, Eine Fehlerquelle beim Gebrauch des Sehlitteninductoriums Hans FRIEDENTHAL, Demonstration von Fleisch von einem sibirischen Mammuth GEORG Fr.NıcoraA1, Ueber die Leitungsgeschwindiskeit im Riechnerven des Hechtes Hans FRIEDENTHAL, Beiträge zur physiologischen Chirurgik . 9 Seite 431 453 475 483 217 220 225 371 374 376 377 333 384 384 387 559 560 562 565 565 565 568 569 569 571 572 575 577 578 579 Physiologische Abtheilung. 1904. I. u. Il. Heft. a0 ARCHIN | | FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES VON REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, de . REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES, HERAUSGEGEBEN VON. De. WILHELM HIS u» Da. WILHELM WALDEYER PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG ; AN DER UNIVERSITÄT BERLIN UND De. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —- | ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT FÜNFUNDDREISSIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIER TAFELN. “LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1904, | Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des Im- und Auslandes. (Ausgegeben am 24. Februar 1904.) Fnh at: ; Seite- W. Cowr und E. Rocovın, Ueber die Einwirkung sauerstoffreicher Luft auf die Athmung dyspnoischer Thiere. . . . 1 H. ZwAARDEMARER und F. H. Quix, Ueber die Empändlichkeit Be nonkehl lichen Ohres für Töne verschiedener Höhe . . . . 25 H. ZWAARDEMAKER, Eine bis jetzt unbekannt gebliebene Eigenschaft. de Ge. ruchssinnes. ı-.. 43: U. J, J. MjCSKENS, eben a enlbasihche Eonnonank che "Augenhewegung der Oetopoden mit Bemerkungen über deren Zwangsbewegungen . . . . 49 H. ZWAARDEMAKER, Die Schluckathembewegung des Menschen . ... j 91: J. Hirrtı, Ueber den Einfluss von Wasser und anisotonischen Kochsalzlösuncen auf die Grundfunctionen der quergestreiften Muskelsubstanz und der moto- rischen Nerven .. . S 69% ‚CONSTANTIN. MAYRAKIS, Untersuchungen Ale die Stetagenesis der Orshne, (Bierzu Day) 2.0 5 94: Ernst PAvKur, Die Zuckungsformen von Kostichenmoken. nei Farbe und Structur. (Hierzu Taf. II u. IL) ET ES ll. SCHWENKENBECHER, Das Absorptionsvermögen der Haur AR 121: A. Loswy und N. ZUuNTz, Ueber den Mechanismus der Sauerstolvesongung des Körpers. (Hierzu Taf. IV). er ae, Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft . zu Berlin 1903—1904 ... . 21T FERDINAND BLUMENTHAL, Ueber das an die Organe gebundene Tetanusgift und seine Beziehung zum Antitoxin. — N. Zuntz, Ueber den Mechanismus der Zuckerbildung des hepatischen On — Hans VırcHow, Ueber . den Lidapparat des Menschen. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei-. m gratis und 30 677 Honorar für den nn Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, ARE oder Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W., Luisenstr. 56; s Beiträge für die physiologische Abtheilung an er Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 e portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzsehnitten sind‘ auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem: Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Ueber die Einwirkung sauerstoffreicher Luft auf die Athmung dyspnoischer Thiere. ' Von Dr. W. Cowl und Dr. E. Rogovin in Berlin. aus St. Petersburg. In der Litteratur über die Einwirkung vermehrten Sauerstoffs auf die Athmung befinden sich wenige oder nur beiläufige Angaben über Häufig- keit, Tiefe und Verlauf der Athmung bei der Inhalation sauerstoffreicher im Vergleich mit atmosphärischer Luft, obwohl die äussere Athmung ? höchst geeignet ist, sichere Zeichen einer veränderten Gewebsathmung und zwar durch Selbstschreibung abzugeben. Beobachtungen dagegen, welche verschiedene einzelne Erscheinungen der Athmung betreffen, sind vielfach angegeben worden. Nach einer ausgedehnten Reihe von sorgfältigen Selbstversuchen hat Speck allen Einfluss von (bis über 60 Procent) sauerstoffreicher Luft auf die normale Athemgrösse verleugnen müssen. Einige Bestimmungen von A. Löwy, stimmen im Ganzen hiermit überein. Wie Speck fand er, dass kleine Unterschiede im Muskeltonus, wie sie bei Menschen leicht vor- kommen, die Athemgrösse merklich änderten. Bei Versuchen über Apno& beobachtete Rosenthal keine Ver- minderung der Häufigkeit der Athmung bei Thieren, die reinen Sauerstoff athmeten. ! Nach einem Vortrag, gehalten vor der physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 6. Juni 1902. Siehe Verhandlungen derselben, abgedruckt in diesem Archiv. ” Der Gesammtbegriff der Athmung umfasst für uns für die nähere Betrachtung die verschiedenen obwaltenden Momente bei dem Austausch von Sauerstoff und Kohlen- säure zwischen der äusseren Luft und den Zellen des Körpers, nämlich: 1. die durch das Athmen bewirkte Luftbewegung, 2. den Gesammtgasaustausch, 3. die Arteriali- sirung des Blutes, 4. den Austausch zwischen Blut und Gewebe und 5. die Innervation der Athmung. Mit den sub 1 fallenden Erscheinungen und den sich daraus ergebenden Schluss- folgerungen befasst sich vornehmlich die vorliegende Untersuchung. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 1 2 W. CowL un E. Rocovı: In Thierversuchen über die Einwirkung von sauerstoffreicher Luft bei bis zwei Atmosphären vermehrtem Druck auf eine durch mehrmals geath- mete Luft herbeigeführte Dyspnoö fand Gilman Thompson eine Ver- minderung der Anzahl der Athemzüge und einen regelmässigeren Rhythmus derselben im Vergleich mit der Athmung in atmosphärischer Luft unter gleich vermehrtem Druck. Besondere Versuche an Thieren betreffs einer Wirkung von sauerstoff- reicher Luft bei unverändertem Luftdruck auf den Gang der äusseren Ath- mung scheinen bisher nicht angestellt worden zu sein. Bei therapeutischer Anwendung von sauerstoffreicher Luft sind ein- deutige Beobachtungen wiederholt gemacht worden: v. Leyden beobachtete bei Emphysem wie Vitium cordis das Schwinden einer Öyanose, M. Michaelis wie Kovacs sah dyspnoische Athembewegungen sich verringern, Brat eine Erholung von schwerer Dyspno& im technischen Betriebe bei sonst letalen Vergiftungen durch Benzolderivate, Haldane wie Mosso und ferner Dreser eine solche nach Kohlenoxydvergiftung; E. Rogovin, dessen Versuche die vorliegende Untersuchung veranlassten, constatirte nach ausgedehnten Parallel- versuchen an verschiedenen Thieren mittels verschiedener Vergiftungsarten „eine lindernde bezw. lebensrettende Wirkung“ sauerstoffreicher Luft. Von Michaelis und von Ortner ist die Sauerstofftherapie bei ver- schiedenen Krankheiten consequent durchgeführt worden. Gegenüber dem bisher geltend gemachten Gedankengang bei der Ver- leugnung einer Wirkung eingeathmeter sauerstoffreicher Luft, nämlich dass indem der Hauptträger des Sauerstofls der Masse nach (das Hämoglobin) ausser bei Einengung der Luftwege, sich reichlich mit Sauerstoff sättigt deshalb wenig Raum mehr für eine beträchtliche Allgemeinwirkung ver- mehrten Luftsauerstoffs übrig bleibt, möchten wir Folgendes entgegenhalten, das sich weniger mit dem Sauerstoffbestand im Körper als mit der Sauer- stoff- und Kohlensäurebewegung ebenda befasst. Sieht man einmal .von dem grossen locker gebundenen Sauerstofi- vorrath in den Blutkörperchen ab, der normaler Weise den im ganzen Blut physikalisch gelösten Sauerstoff beim Verbrauch fortwährend ergänzt, so drückt sich eine für die Athmung des Gewebes offenbar hoch bedeutsame Thatsache einfach darin aus, dass das Blut, die Gewebsflüssigkeit und die Zellen des Körpers bei der Athmung atmosphärischer Luft eine constante, überwiegend starke Stickstoff- und eine weit schwächere mit der Entfernung von der Blutbahn bis zu den Zellkernen ständig an Stärke abnehmende Sauerstofflösung darstellen, und ferner darin, dass nach dem Uebergang zur Einathmung eines stickstofffreien Gases bezw. des Sauerstoffs, der in der Flüssigkeit des ganzen Körpers gelöste Stickstoff durch Diffusion heraus- gedrängt (vgl. Speck), seine Stelle von dem anderen Gas eingenommen wird. ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOoR. 3 In der Gaslösung, die das Plasma bezw. das Blut darstellt, befindet sich nunmehr statt eines überwiegenden Antheiles von Stickstoff ausser Kohlensäure nur Sauerstoff, und im Gewebe, wo ein kleineres Sauerstofi- verhältniss als im Blut (nach Ehrlich Sauerstoffhunger) immer obwaltet, nunmehr nach kurzer Frist ausser Kohlensäure ebenfalls nur Sauerstoff. Das bedeutet nun durch die ganze oder theilweise Forträumung des überall im Körper viel (Gas-) Platz einnehmenden Stickstoffs auch eine effective Ver- breiterung des Weges bei Erhöhung von dessen Theildrucken für die Sauerstoffzufuhr zum Gewebe und die Kohlensäurebindung im Blute. Denn es handelt sich bei der Athmung in irgend einem Moment, an irgend einer Stelle im Blute oder im Gewebe um die einerseits vom atmosphärischen Luftdruck, andererseits von der Sauerstoffzehrung und Kohlensäurebildung abhängige, veränderliche Mischlösung von Sauerstoff, Stickstoff und Kohlen- säure, deren Theilmengen unmittelbar von den Theildrucken (bei der Lös- lichkeit der drei Gase) an dieser Stelle abhängig sind. Von den drei aufgelösten Gasen bleibt bei der gewöhnlichen Athmung wohl weniger der Theildruck als die Menge des Stickstoffs im Blute und Gewebe constant, dagegen die Theildrucke und Mengen der beiden anderen gelösten Gase in einem fortwährend schwankenden Verhältniss je nach der Bindung des Sauerstoffs im Gewebe, der Grösse des Vorrathes im Oxy- hämoglobin und der Bindung der Kohlensäure im Blut. Wird nun der Theildruck des „Stickstoffs“ Null, so vermehren sich die Theildrucke der beiden anderen Gase!, da dann der ganze an jeder Stelle herrschende Luft- bezw. Gasdruck auf sie fällt. Offenbar erhöhen sich beide Theildrucke mehrfach um ihren Betrag. Dementsprechend treten bei dem Schwund des Stickstoffs auch vermehrte Mengen von Sauerstoff und Kohlensäure auf, bieten um so viel mehr Punkte, von wo aus sie eines Theils chemische Bindungen mit leicht oxydirbaren Gewebsbestandtheilen, anderen Theils mit (Blut-) Alkali eingehen und gewähren somit einen erhöht schnellen Gasaustausch zwischen Blut und Gewebe, mithin eine er- höhte Schnelligkeit der Gewebsathmung. Da nun „l°em Wasser? absorbirt bei 15° von Luft bei Druck p die auf 0° redueirte Gasvolumina: 21 0-.03415 °°® Sauerstoff vom Drucke 00% 0-01478 „ Stiekstf „ , ns 0-04099 „ AO 400 y ne ! Zusammen im Ganzen über das Fünffache, da Kohlensäure im Blute und Ge- webe gebildet wird, somit local über atmosphärischen Luftdruck steigt. ®? Warburg. Lehrbuch der experimentellen Physik. 1% 4 W. Cowu unp E. Rogovm: so ergäbe sich (von Kohlensäure abgesehen), wenn für Blutplasma bei 37°C. die ersten beiden Absorptions-Coöfficienten (da für Argon keine Be- stimmung bei 37° C. vorliegt) durch 0°025 für Sauerstoff und 0-013 für Stickstoff ersetzt werden (Hüfner), etwa das folgende gegenseitige Verhält- niss des gelösten Sauerstofls und Stickstoffs bei 18-5 Volumprocent O,. | Theildruck | Absorption in 1 °®® H,O — Menge bei Druck p Verhältniss T 0-00463 m Sauerstoff | 0-0046 Sauerstoff 0-010167 „ Stickstoff | 0-0105 „Stickstoff“ 0-000388 „ Argon 18-5 18:5 x 0-025 : 100 177.44 77.44 x 0-013 : 100 0:94 0:94 x 0-04): 100 | ll Mit der Forträumung des Stickstoffs wird also die durch denselben bedingte Verschmälerung des Weges für Sauerstoff zu und Kohlensäure von den Körperzellen weggeschafft, in anderen Worten wird bei gesteigertem Sauerstoffbedürfniss der Gasaustausch, mithin der Zufluss des Sauerstoffs zum Gewebe ohne Weiteres stark beschleunigt bezw. vergrössert. Bei dem Ersatz des Stickstoffs durch Sauerstoff und Kohlensäure ist es nun ersichtlich, dass es sich dabei im Wesentlichen nicht um die ab- soluten Mengen der vorhandenen Gase, sondern um die Fortbewegung der beiden letzteren beim Stoffwechsel handelt. Die zunächst liegende Frage, wie eine über das Normale vermehrte Sauerstoffimenge im Blutplasma (als unmittelbarer Sauerstoffträger) wirkt, ist aber durch zahlreiche Untersuchungen dahin entschieden worden, dass bei normalen Körperzuständen, die der sicheren Beobachtung leicht zugänglich sind, der übliche Sauerstoffverbrauch im Gesammtorganismus nicht durch vermehrte Sauerstoffzufuhr verändert wird. Das Sauerstoffbedürfniss des normalen Organismus hängt also im Ganzen nicht von der Sauer- stoffzufuhr ab. Ist dagegen die Sauerstoffzufuhr zum Gewebe auf irgend eine Weise anormal vermindert, so müssen die Gewebszellen bei functioneller Inanspruch- nahme an Sauerstoffmangel leiden und ceteribus paribus diejenigen am meisten, die am weitesten von der Blutbahn liegen, seien das auch nur Strecken, die bei der Athmung atmosphärischer Luft und bei nicht un- mässigem Sauerstoffbedarf durch Diffusion des gelösten Gases mit genügen- der Geschwindigkeit, um diesen Bedarf zu decken, überbrückt werden. Indessen ist die Diffusion innerhalb flüssiger bezw. halbfester Medien gegenüber derjenigen zwischen Luft und Flüssigkeit eine langsame, wie das z.B. an der oberflächlich hellrothen Farbe von venösem Blut in offen- stehenden Glasgefässen leicht beobachtet werden kann. ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOR. 5 Andererseits stammt zwar nach dem Diffusionsgesetz der an die Zellen gelangende Sauerstoff zum Theil aus dem austretenden zur Gewebsflüssigkeit werdenden Blutplasma; doch in Folge der Trägheit des Lymphstromes ist dieser Antheil allenfalls nur klein gegenüber dem unmittelbar vermittelst Diffusion durch die Wandung der Capillaren verbreiteten. Die Diffusion des Sauerstoffs durch die Capillarwand vollzieht sich ferner offenbar nicht allein vom Plasma, sondern ebenfalls von den Blutkörper- chen selbst aus, wie eine ältere Beobachtung des einen von uns (C.) am Froschembryo zeigte, denn überall, wo die Capillaren im Flossgewebe eng waren, schmiegten sich die Blutkörperchen durch vis a tergo gegen die Wand gepresst, unter Krümmung an dieselbe an, wobei dem Plasma ein verengter Weg frei blieb. Es ist auch am Froschembryo auffallend, dass bei vollkommener Ruhe desselben ein Theil der Capillaren überhaupt nur Plasma und keine Blutkörperchen führt. Hierbei lässt sich denken, dass bei erhöhtem Blutdruck, bezw. bei einer geringen Erweiterung der Arteriolen die halbflüssigen Erythrocyten mehr oder weniger auch durch diese engen Capillaren hindurchgedrückt werden. Die an der Capillarwand entlang schleichenden Erythrocyten werden also in eine Lage versetzt, in der sie, wie das Plasma, Sauerstoff unmittel- bar an die Capillarwand und durch diese an die dahinter liegenden Zellen, und zwar unmittelbar von ihrem gelösten Vorrath abgeben, jedoch ohne, wie es das Plasma nöthig hat, von nebenan ersetzt werden zu müssen, da der locker gebundene Vorrath im Oxyhämoglobin unmittelbar zugegen ist, der die local zur Geltung kommende Sauerstoffspannung möglichst hoch hält, so lange das Körperchen an der Capillarwand entlang schlüpft. Die Thatsache ferner, dass normales Blut Sauerstoff schneller aufnimmt als lackfarbenes bezw. als Hämoglobinlösungen (wohl in Folge des grösseren Spannungsunterschiedes in- und ausserhalb der Erythrocyten im Vergleich mit dem zwischen zwei Lösungsschichten) steht hiermit im Einklang. Diese Betrachtung lässt sich auch mit dem Umstand in Verbindung bringen, dass bei jeder Stockung bezw. vorübergehenden Verlangsamung des Plasma- stromes die Sauerstoffzufuhr an das Gewebe bald bedeutend mehr von den Blutkörperchen als vom Plasma aus stattfinden muss. Im Ganzen könnte die Sauerstoffabgabe von den Blutkörperchen eine ergiebigere und nach- haltigere als vom Plasma aus sein. Es ist nun verständlich, dass eine vergrösserte Sauerstoffmenge pro Zeiteinheit den ruhenden und thätigen Geweben zugeführt, weiter reicht als die übliche Menge vom arteriellen Blute aus, die sich zunächst in der Capillarwand gegenüber dem daneben befindlichen Stickstoff wie etwa 1:2 (im Theildruck noch nicht 20/100 des Gesammtdruckes) verhält, um bis in den Venen auf etwa 1:5 (im Plasma allein wohl viel mehr) zu sinken. 6 W. Cowu uno E. Rocovm: Indessen, wie schon verschiedentlich und unwiderleglich festgestellt worden ist, bleibt der Sauerstoflconsum des Gesammtorganismus normaler Weise unverändert, ob der Luftdruck bei normalem Sauerstoffgehalt der eingeathmeten Luft oder der Sauerstoffgehalt bei normalem Luftdruck inner- halb breiter Grenzen erhöht oder erniedrigt wird. Etwas schwankend ist normaler Weise die Grösse des Sauerstoffvorrathes im Arterienblut, da auch dessen locker gebundene Hauptantheil von dem in jedem Augenblick sich ändernden Alveolarluftgemisch unmittelbar abhängig ist. Gegenüber den einigermaassen übereinstimmenden Werthen, die nun über die Gesammtsauerstoffmenge im Arterienblut unter gleichen Versuchs- bedingungen gefunden worden sind, stehen die bisher spärlichen Angaben über die überaus klein gefundene Menge Sauerstoff im Plasma. Diese bemerkenswerthe Thatsache darf auf Sauerstoffzehrung im Plasma, bis das- selbe vom Hämoglobin getrennt und untersucht wird, bezogen werden. Die gefundenen Werthe des im Plasma gelösten indifferenten Stick- stoffs sind dagegen weit mehr constant (vgl. Pettenkofer und Voit), im Mittel 1-8 Volumprocent bei der Einathmung atmosphärischer Luft. Sie sind grösser als die oben berechneten Werthe, was u. A. (Bohr) auf Luft- beimengungen während der Analyse zurückzuführen ist. Da nun der Absorptionscoöfficient des Sauerstoffs bei Körpertemperatur doppelt so gross als der des Stickstofis ist, und der durchschnittliche Sauer- stoffgehalt der Alveolen (Hüfner, Miescher, Löwy) im Mittel zwischen dem der pulmonären Exspirationsluft bei normaler Athmung atmosphärischer Luft und dem der mit der inspirirten gemischten Alveolenluft etwa 18 Volum- procent betragen dürfte, so muss das Blut ausser dem Oxyhämoglobin neben Stickstoff etwa 0-45 Volumprocent Sauerstoff gelöst enthalten. Wird nun der Sauerstofigehalt der eingeathmeten Luft erhöht, z. B. von 21 bis auf 95 Volumprocent und hierdurch der Sauerstofigehalt in den Lungenalveolen dementsprechend von etwa 18 bis auf etwa 90 Volum- procent vermehrt, so ergiebt sich eine Erhöhung des in Lösung befindlichen Sauerstoffs im Blute bis über 2 Volumprocent! (0:45 x 5 = 2.25). ! Vgl.N. Zuntz, Verhandlungen der Berliner medicinischen Gesellschaft. 1900. In einem kurz gefassten Bericht über Versuche aus jüngster Zeit seitens Durig betreffs der bisher behaupteten Sauerstoffspeicherung im Gewebe, knüpft Zuntz an die mit- getheilten Feststellungen einige Betrachtungen an, die für uns, wie folgt, von Werth sind, nämlich dass, wenn z. B. das-Blut mit einer erhöhten Sauerstoffspannung von 600”" Hg die Lungen verlässt — was eine Zunahme des im Plasma gelösten Sauer- stoffes von etwa 1!/, Procent (des ganzen oder 300 Procent des gelösten Sauerstoff- vorrathes — Anm.) bedeutet — und weiter statt wie normal mit etwa 60 Procent Sättigung, jetzt mit 70 bis 75 Procent die Kapillaren verlässt, der vermehrte Sauerstoff im Plasma beim Durchgang des ersten Drittels der Kapillaren noch vorhält, worauf der vermehrte Vorrath im Oxyhämoglobin bei weiter sinkender O,-Spannung bis zur ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOE. 7 Bedeutend grösser als der normale Sauerstofigehalt des Plasmas in Lösung muss also der Zusatz zu diesem Gehalt bei der Einathmung sehr sauerstoff- reicher Luft sich absolut bemessen und in der Blutbahn bleiben. Indessen beträgt der Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes im Oxy- hämoglobin und in Lösung, wie wiederholte Bestimmungen festgestellt haben, selten mehr als 18, durchschnittlich etwa 16 Volumprocent bei ruhigen nicht tracheotomirten Thieren. Der Gehalt an gelöstem Sauerstoff im arteriellen Blut, welcher nun zunächst in Betracht kommt, macht darnach etwa !/,, bis !/, des Gesammt- sauerstoffvorrathes aus und steht somit dem locker gebundenen Ersatz- sauerstoff gegenüber nur quantitativ an zweiter Stelle. Bezeichnend für die Aufnahme des Sauerstofis sind die von P. Bert und von Pflüger wiederholten Bestimmungen des auspumpbaren Sauerstoffs im arteriellen Blute von in bisher üblicher Weise gefesselten Thieren vor und nach einer Tracheotomie, sowie bei Nasenathmung von atmosphärischer Luft und darauf reinem Sauerstoff; dieselben weisen je eine annähernd gleich grosse mittlere Zunahme des Sauerstoffvorrathes im Blute von über 1/,, zuweilen von über !/, der normal vorhandenen Menge auf. Was zunächst an den von diesen wie anderen Beobachtern erhaltenen Werthen auffällt, ist sowohl ihre Grösse als auch ihre Schwankungen. Die letzteren erklären sich zum Theil nach Pflüger durch die Thatsache, dass zwei Proben Blut (falls auch zeitlich übergreifend hinter einander der Blut- bahn entnommen), die eine, wie kaum zu vermeiden, im Ganzen mehr während Inspiration, die andere mehr während Exspiration aus einer Arterie gewonnen, oft beträchtliche Unterschiede im Sauerstofigehalt aufweisen. Die Grösse des Sauerstoffgehaltes des Blutes ist eben im Allgemeinen eine Re- sultante der Athmungshindernisse und des momentanen Zustandes des Thieres. Von Hoppe-Seyler und von Herter sind ungewöhnlich hohe Sauer- stoffwerthe bei der Blutgasbestimmung erzielt worden, die auf eine un- gehinderte Athmung bei den Versuchsthieren schliessen lassen. Bedeutende Steigerungen des Sauerstoffbedürfnisses während Muskel- thätigkeit werden durch vermehrte Athmung nicht nur spontan befriedigt, sondern übercompensirt, und zwar in Folge eines noch nicht näher be- kannten Momentes, wie von Zuntz und Geppert und auch von Filehne und Kionka am Blute festgestellt worden ist. Es steht somit fest, dass schon normaler Weise im Organismus unter verschiedenen Umständen ein verschiedener Sauerstoff- und Kohlensäuregehalt des Blutes vorhanden ist. genannten, um 10 bis 15 Procent über normal erhöhten, venösen Sauerstoffsättigung dient. Ferner, es werden bei 45 Liter Gewebswasser im Körper 480 °® Stickstoff durch Einathmung von 95 Procent Sauerstoff herausgedrängt, und zwar anfangs rasch. 8 W. CowL unp E. Rocovm: Es steht aber ebenso fest, dass das empfindlichste Gewebe für der- artige Veränderungen in der Blutbeschaffenheit das Gewebe des Athem- centrums ist, das somit die Regulirung der äusseren Athmung übernimmt. ! Ist nun die Athmung behindert, beispielsweise durch Stenose der Luftwege, Lähmung der Athemmuskeln, Fortfall von Lungentheilen, (wie durch Exsudate in den. Luftwegen), Verminderung des Gesammtalveolar- raumes (durch Pleuralergüsse), Vermehrung der Diffusionswiderstände (durch allgemeine und locale Vergiftungen in den Lungen, im Serum, in den Blutkörperchen, in den Capillarwandungen bezw. Körperzellen) oder Verminderung der Erregung bezw. Erregbarkeit des Athemecentrums wie bei der Luftverdünnung sowie bei der Morphiumvergiftung, — so ist es immer eine Frage, ob der betreffende Organismus die Dyspno& oder die Vita minima durch vermehrte Athmung der Hauptsache nach fortschaffen wird oder nicht. Besteht eine Gewebsdyspnoe, so ist die Möglichkeit gegeben, dass mit der Forträumung des Stickstofis im Blute und dem Ersatz durch Sauerstoff die Dyspnoe gehoben wird, und die Athembewegungen nachlassen werden. Tritt nun bei der Darreichung von sauerstoffreicher Luft unter sonst gleich bleibenden Umständen eine Aenderung im Athemmodus auf, so ist bewiesen, dass die Veränderungen im Blute in Folge des Ersatzes des gelösten Stickstofls eine Wirkung auf die Gewebsathmung ausüben. Be- stätigt wird diese Wirkung, wenn bei Rückkehr zur Athmung atmosphä- rischer Luft eine Rückkehr zum früheren Athemmodus stattfindet. Folgt bei fortgesetzten Wiederholungen die Wirkung immer auf den Wechsel von atmosphärischer zu sauerstoffreicher Luft und umgekehrt, so ist die Thatsache als endgültig festgestellt zu betrachten. Bei wirklichem Sauerstoffmangel im Organismus, neben starker Ge- websdyspnoe, dürften sich sowohl das Athemcentrum, als auch die Athem- muskeln in Folge der Beschaffenheit des Blutplasmas in ihrer Thätigkeit empfindlich zeigen gegen eine Sauerstoffvermehrung im Blute und im Ge- websplasma, indessen bildet nicht der Sauerstoffmangel, sondern die An- häufung der Kohlensäure wie anderer Abbausäuren die Ursache von Dyspno&. Zur objectiven Entscheidung der Frage, ob sauerstoffreiche Luft wirk- lich im Stande ist, die Athmung zu beeinflussen, erscheint der normale ! Die äussere Athmung beruht, wie wir annehmen, auf 1. der Erregbarkeit bezw. nervösen Erregung des Athemcentrums, 2. den „Blutreizen“, insbesondere der Kohlen- säure, 3. der „Selbststeuerung‘‘ bezw. Hemmung durch den Lungenvagus (Traube, Hering u. Breuer, Gad, Lewandowsky), 4. der Innervation der Luftwege (Sklarek, Lazarus, Sandmann u. A.). Mangeln die Blutreize, so besteht wie auch bei Vita minima nicht Dyspno&, sondern Apno& (vgl. Frederieg, Rosenthal, Gad). % Y T r ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYsPxoF. 9 Indicator, welcher in den Athembewegungen gegeben ist, aus verschiedenen Gründen insbesondere ihrer Unmittelbarkeit das geeignetste Mittel zu sein. Bei der Werthschätzung der Feststellungen von Aenderungen im Athemmodus als Methode im Vergleich mit der Blutgasbestimmung kommt bei Curven der günstige Umstand in Betracht, dass die Beobachtung bezw. Messung sich nicht auf den Zustand eines Momentes, sondern auf einen ungestört automatisch fortlaufenden Vorgang bezieht, da die Aufzeichnung der Athemvolumschwankungen sammt der Athemgrösse ohne Manipulation am Thier oder Apparat vorgenommen werden kann, wobei keine Verschieden- heit des Blutdruckes, noch Beeinflussung der Athmung herbeigeführt wird. Eine Hauptbeweiskraft vergleichender Athmungsversuche mit fort- laufender Curvenschreibung liegt ferner in ihrer Umkehrbarkeit und Wieder- holung nach Belieben, sowie bei ausgeprägten bezw. sich rasch einstellenden Unterschieden in der zeitlichen Reihenfolge von Ursache und Wirkung. Leicht ausgeschlossen werden durch die automatische Aufschreibung sonst etwa vorkommende Zählfehler der Athemfrequenz, wie Rechenfehler der Athemgrösse. Es bilden sich alle Verschiedenheiten in Grösse, Verlauf und Rhyth- mus der Athmung übersichtlich ab. Die Luftbewegungen drücken sich auch sehr getreu durch die Vo- lumschwankungen des Rumpfes aus und lassen sich vermittelst der hier- durch bewirkten äusserlichen Luftverdrängungen bei geeigneter Methodik ohne nennenswerthe Druckschwankungen oder Temperatur- und Zeichen- fehler automatisch registriren, insbesondere kann bei dem Einschliessverfahren von Hering und Knoll das Thier ungehindert die freie Luft athmen. Die Volumschwankungen des Rumpfes sind dann fast gleich den aus- geathmeten Luftmengen, und gemessen oder aufgeschrieben stellen sie genauer als die letzteren die Athemgrösse dar. Bei allen pneumometrischen bezw. pneumographischen Methoden, wo die ausgeathmete Luft zur Verwendung kommt, entsteht in Folge schwan- kender Temperatur im Messapparat ein mehr oder weniger beträchtlicher absoluter Fehler, theils unmittelbar durch die Temperatur, theils in Folge der Thatsache, dass die Athmungsluft mit Feuchtigkeit bei Körpertemperatur gesättigt ist, die bei Temperaturabnahme niederschlägt. Dieser absolute Fehler bei Messungen des ausgeathmeten Luftquantums, die nicht bei Körpertemperatur stattfinden, lässt sich unter bekannten Umständen heraus- rechnen und somit ausschalten, sonst bleibt derselbe ohne wiederholte Temperaturbeobachtungen verborgen. Bei einer ‘Temperaturverminderung von 20° C. schrumpft schon trockene Luft um mehr als 7 Procent zusammen und beim Niederschlagen 10 W. Cowu uno E. Rocovm: von ?/, des Wasserdampfes aus einer ausgeathmeten Luft noch bedeutend mehr, im Ganzen etwa 11 Procent bei einer Abkühlung von 37° auf 17°C. Hiergegen kommen die Schwankungen im Luftvolum bei verschiedenem atmosphärischem Luftdruck nicht in Betracht, da nur diejenigen Aende- rungen desselben von Belang sind, die sich wie die Temperatur von Mess- gefässen u. a. m, innerhalb der Frist eines Vergleichsversuches merklich ändern. An der Hand einer neuen Combination von pneumographischen Mitteln nahmen wir die oben gestellte Frage nach der Beeinflussung der äusseren Athmung durch sauerstoffreiche Luft mittels einer Reihe von Vergleichs- versuchen an Kaninchen und Katzen auf. | Fig. 1. Die genannten pneumographischen Mittel wurden daraufhin zusammen- gefügt (s. Fig. 1), das Thier beim Versuch möglichst von äusseren Einflüssen abzuschliessen, ihm seine natürliche sitzende Ruhestellung (wie im Rosen- thal’schen Calorimeter) zu erhalten, seinen Athemluftwechsel mit keinem vermehrten Widerstand zu belasten, die Athmung volumetrisch aufzuschreiben, und zwar dem Verlauf, wie dem Umfang und der Zahl der Volumschwan- kungen des Rumpfes nach, jedoch nicht, wie üblich, vermittelst der geath- meten Luft, sondern, nach Hering, durch den schwankenden Luftinhalt eines, das Thier umgebenden festwandigen Mantelraumes, von dem ein breiter Weg bis in einen etwas vereinfachten leicht spielenden Gad’schen Volumschreiber hineinführte. Der benutzte „Aeroplethysmograph“ hatte eine wirksame Treibfläche des die Volumschwankungen aufnehmenden Hohldeckels von 120 4%, der ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOF. 11 mittels einer fast reibungslos gehaltenen Drehaxe und einer ebenso fast reibungslos auf leicht berusstem Glanzpapier zeichnenden Schreibspitze mit Hebungen von !/, bis 2°® (= 1° bis 6°) die Athemvolumschwankungen des Thorax aufschrieb. Von den üblichen Gad’schen Aeroplethysmographen wich das Instrument nur ab durch Fortlassung des Hahnes und einen grösseren Luftauslass am Boden, den aus Kupfer (Fick) statt Glimmer angefertigten Hohldeckel und den schräg unten geneigten Schreibhebel, dessen Spitze dadurch senkrecht schrieb. Ein empfindliches, mit fluorescöinhaltigem Wasser versehenes Mano- meter an der Aussenwand zeigte während der Curvenschreibung, wie bei der grossen Treibfläche und der gering gehaltenen Reibung zu erwarten war, keine sichtbaren Druckschwankungen. Am Thierkasten traten an einem zweiten Wassermanometer eben sichtbare Wasserbewegungen auf, die bei Athemzügen von 30°" Umfang weniger als !/), "= Wasserdruck be- trugen, und, wie aus dem Fehlen sichtbarer Druckschwankungen im Aero- plethysmographen erhellt, allein auf den sehr geringen Widerstand für Luft in der 12 =” weiten Schlauchverbindung zwischen Mantelkasten und Pneumographen zurückzuführen waren. Die Schwankungen von etwa !/, "= Wasserdruck in dem Thierkasten von 15 Liter Inhalt bedingten einen absoluten Messfehler von etwa 13000 : 760 x13°6x3= 0-42, d. h. weniger als !/, m, Gegen diesen geringen Fehler in absolutem Maasse kann der relative Fehler als verschwindend klein betrachtet werden. Ueberhaupt verursachen minimale Druckschwankungen bei der Auf- zeichnung von Volumschwankungen einen Fehler im absoluten Maasse, da- gegen keinen Fehler im qualitativen Sinne. Der Fehler in absolutem Maasse, der immer theoretisch auftritt, wo ein mechanischer Apparat gebraucht wird, da kein solcher ganz ohne Druck und Reibung wirken kann, ist nun in Prüfungsversuchen Seitens Dreser mit einem Gad’schen Aeroplethysmographen aus nicht ganz erklärlichem Grunde stark aufgetreten. Indessen aus seiner Angabe, dass in den Prü- fungsversuchen Druckschwankungen von stets erheblich mehr als 2 bis um Wasserdruck stattfanden, ist zu entnehmen, dass irgend wo bei der nicht näher beschriebenen Versuchsanordnung ungewöhnliche Widerstände vor- herrschten. Den Gad’schen Apparat hat nun Impens mit Erfolg benutzt, um die vertiefte und verlangsamte Athmung nach Eingabe von Morphiumsalzen, insbesondere acetylirten Morphiumderivaten mit Umgehung aller zahlen- mässigen Angaben und Berechnungen festzustellen und zu veranschaulichen. 12 W. Cowı unp E. Rocovim: Von Winternitz, der mittels Zuntz- Lehmann -Geppert’cher Apparate (grosse Gasuhr, Ventile u. s. w.) eine ähnliche Versuchsreihe, doch zeitlich vor Impens, angestellt hatte, ist pneumometrisch dasselbe Resultat erzielt worden. : In unseren Versuchen, wo nicht die Respirationsluft, sondern dieselbe Mantelluft dauernd zur Verwendung kam, schrieben sich alle Temperatur- änderungen im Luftinhalt des hölzernen Thierkastens, von der Athmung getrennt auf, indem das Pneumogramm im Ganzen um einen entsprechen- den Betrag langsam an- oder abstieg. In den aufgeschriebenen Athem- volumschwankungen dagegen fand sich ein von Temperatureinfluss über- sichtlich unterscheidbarer und messbarer Ausdruck der Frequenz, der Tiefe und des Verlaufes der Athmung. Sobald der hölzerne Mantelkasten sammt Innenluft in’s Temperaturgleichgewicht kam, nach welchem der Versuch immer erst vorgenommen wurde, schrieb sich die Athmung beim Kaninchen oft Stunden lang auf einem Niveau fort. Die fortlaufende Curve, die 6 bis 8 Mal um eine Drehtrommel auf be- russtem Glanzpapier aufgeschrieben wurde, bot zugleich eine Uebersicht . über die Athmung während je etwa 8 bis 16 Minuten und über Grösse, Abstand und Verlauf der einzelnen Atheınzüge. Rasche Temperaturänderungen bezw. Luftausdehnungen z. B. nach Ein- schluss des Thieres in den Mantelkasten glichen sich durch einen 30 langen, etwa 3" weiten, unterdessen offen gehaltenen Schlauch aus. Langsam verlaufende Steigungen bezw. Senkungen der Schreibspitze wurden entweder durch den ‚sonst zugeklemmten Schlauch oder durch minimale Verstellungen an dem Gegengewicht des Schwankungsdeckels zeitweise ausgeglichen. Ein ständiges Offenlassen des Ausgleichsschlauches oder ein Paar Müller’scher Ventilflaschen mit schräg abgeschliffenen Tauchröhren und Petroleumfüllung hätten auch dienen können, es zeigte sich indess kein merklicher Ueber- bezw. Unterdruck an den Wassermanometern. Die durchschnittlich aufgezeichneten Athemvolumschwankungen erwiesen sich weit grösser als bei Thieren, die in der üblichen Weise ausgestreckt gefesselt werden, was unzweifelhaft auf die natürlich freie Athembewegungen gewährende Körperhaltung zurückzuführen ist. Eben so grosse Werthe erzielte bisher nur Dreser, und zwar bei ungefesselten Kaninchen, mittels eines einfacheren gasometrischen Apparates. Katzen von beispielsweise weniger als 2*3 schrieben bei unseren Ver- suchen wiederholt Seufzer von 90 “® Umfang und darüber bei 1'2 Secunden Dauer. Die Athemfrequenz dieser Thiere betrug zuweilen 120 pre Minute bei 30°" Umfang. (Siehe Fig. 10). Die natürliche Haltung der Thiere ist in Figur 1 nach einem Photo- gramm des pneumographischen Kastens dargestellt, das nach Entfernung ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOoF. 13 der Seitenwand bei einer Aufnahme von 5 Minuten Dauer gewonnen wurde und zeigt das lebende nicht narkotisirte Thier in hockender Stellung. Die Versuchsthiere wurden, wie aus der Figur zum Theil ersichtlich, auf ein kleines Brett mittels Schnüren an besonderen Beinhaltern an den Pfoten angebunden. Der Kopf des Thieres liess sich leicht in den Hans Meyer’- schen Halter, dessen Stiel die Kastenwand durchsetzte, auch innerhalb des Kastens einführen und befestigen. Eine T-förmige Trachealcanüle war durch einen kurzen weiten Gummi- schlauch mit einer in der Kastenwand befestigten Messingröhre verbunden, an deren äusserem Ende ein überaus leicht spielendes Expirationsgummi- ventil angebracht war; seitlich war die Tracheleanüle mit dem Inneren einer 3°® weiten, durch die Kastenwand hindurchgehenden Messingröhre verbunden, deren äusseres Ende mit einem Propfen zugestopft wurde. Durch den Propfen ging eine Messingröhre von 6%” Lichtweite hindurch, an deren innerem Ende ein leicht spielendes Inspirationsgummiventil ange- bracht war. Von der Trachealcanüle auswärts hatten beide Athemwege einen Quer- schnitt von 30 "= und boten, wie durch Druckbestimmungen und Curven- schreibung mittels Marey’scher Kapsel festgestellt wurde (s. Fig. 1), den- selben Luftwiderstand, wie die natürlichen Athemwege von der Trachea bis zur Nasenspitze eines mittelgrossen Kaninchens.. An einer kurzen weiten Schlauchverbindung aussen am Tubus des Inspirationsventils konnte je eine von zwei weithalsigen 5 Liter Klärflaschen, die am anderen Ende eine 30 mm grosse Oefinune hatten, mit Sauerstoff bezw. Luft gefüllt, leicht dem T'hier vorgelegt bezw. mit einander vertauscht werden. Oben war der Thierkasten an einem verbreiterten Rande durch eine, mit einem Gewicht belastete, aufgelegte Glasplatte und eine capillare Wasserschicht geschlossen. Seitlich durch die Kastenwand ging ein 12mm weiter, etwa 20°“ langer Weg, der in’s Innere des Pneumographen führte. Zur Controle wurde vielfach bei den Versuchen eine der 5 Liter-Flaschen, mit Luft gefüllt, dem Thier am Inspirationsventil vorgelegt und wieder entiernt, jedoch ohne merkbaren Einfluss auf die Athmung bezw. auf die aufgeschriebene Athemvolumeurve. Von Versuch zu Versuch wurde eine Flasche, immer mit frischem Sauerstoff gefüllt, vorgelegt und nach 1 bis 5 Minuten wieder entfernt. Es athmeten die Kaninchen in dem in Fig. 1 abgebildeten Kasten durchaus ruhig ohne Narkose, und zwar oft Stunden lang ohne Körper- bewegungen mit den sonst nur bei der Chloral- und Urethannarkose be- kannten, fast vollkommen regelmässigen normalen Athemzügen, die Katzen wurden dagegen erst unter Narkoticis ruhig. 14 W. Cowu und E. Rogovm: Als Versuchsmaterial kam frische Zimmerluft und 96 procentiger Sauer- stoff (+ 4 Procent Luftstickstoff) zur Verwendung. Der Sauerstoff war derselbe, wie die hiesigen Sauerstoffwerke Th. Elkan in grossen Mengen für Inhalationszwecke in Stahlbomben liefern und gab hei wiederholter Probeeinathmung weder Geruch noch Reizung der Athemwege ab. Durch /\oo0-Normallauge, die 0.002 Procent Phenolphthalein enthielt, während 3 Minuten geleitet, verursachte das Gas weder eine wahrnehmbare Ver- minderung noch Erhöhung dieser geringen Alkalität, eine neutrale Lackmus- lösung dagegen wurde äusserst schwach alkalisch, was auf vorhandene Doppelcarbonate zurückgeführt werden dürfte, da dieselbe Aenderung beim Durchstreichen von Zimmerluft stattfand. Auf Wurster’s Reagens für activen Sauerstoff wirkte das Gas nicht, weder mit, noch ohne Essigsäurezusatz. Zur Entscheidung der weiter oben aufgeworfenen Frage nach der that- sächlichen Beeinflussung der Athmung durch sauerstoffreiche Luft wurden ausser intacten Thieren solche verwendet, die sich in einem ausgeprägt dyspnoischen Zustand befanden, und zwar in Folge von 1. Blutentziehung (mit Flüssigkeitsersatz), 2. Athmung durch einen langen weiten Gummi- schlauch, 3. Pneumonie und 4. Leuchtgas- wie Kohlenoxyd, 5. Anilinoel- und 6. Morphiumvergiftung. Ausser bei der Morphiumvergiftung, die bei der Katze in Folge der hohen Erregung jüngerer, letal vergifteter Thiere besonderes Interesse bot, wurden allein Kaninchen verwendet, die sich in Folge ihres ruhigen Ver- haltens und wenig entwickelten Oberhirnes, namentlich aber wegen ihrer Eigenschaften als Höhlenthiere für die vorliegende Untersuchung wie den Gebrauch des oben beschriebenen pneumographischen Kastens sehr eigneten. Die Hauptergebnisse unserer Versuche waren die Feststellungen: 1. dass ein gesundes Thier in natürlicher Körperstellung ohne Vermehrung der Athemwiderstände nicht mehr, nicht weniger und nicht anders athmet, ob in der eingeathmeten Luft eine bis zu 96 Procent vermehrte, oder nur die normale Menge von Sauerstoff vorhanden ist, 2. dass bei dyspnoischen Thieren bald nach dem Wechsel von atmosphärischer zu sauerstoffreicher Luft eine Aenderung in der Athemgrösse und im Athemmodus eintritt, 3. dass diese Aenderung nach der Rückkehr zur Athmung atmosphärischer Luft rück- gängig wird, 4. dass beide Reactionen sich fast beliebig oft hervorrufen lassen. In der That reagiren stark dyspnoische Thiere auf ein Mehr von Sauerstoff in der eingeathmeten Luft, und zwar mit Ausnahme junger, sehr erregter, letal morphinisirter Katzen bestand diese Reaction in unseren Ver- suchen durchweg in einer verringerten Athemanstrengung, die sich unter Umständen in ganz bedeutendem Maasse zeigte, insbesondere bei der Morphiumvergiftung. ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOE. 15 Es folgt die nähere Beschreibung der einzelnen Versuche nebst Ab- bildungen der beweiskräftigen Theile der gewonnenen Pneumogramme sowie die vornehmlich an diesen abgemessenen Athemgrössen. An sämmtlichen Curven gleicht 1”” Ordinate, 3 °°® Luftmaass. Die Abseissen haben einen verschiedenen Zeitwertb, meist 30 Secunden =5 °“, Die weiter unten wiedergegebenen Curven der normalen Athmung sind 2 Mal, die der dyspnoischen bei „Luftathmung“ 1 Mal und bei „Sauerstoffathmung“ nicht unterstriehen. Die entsprechenden Athemgrössen sind fett, cursiv bezw. wie sonst gedruckt. I. Bei einem 2-53 schweren Kaninchen, dem etwa !/, seiner Blutmasse entzogen und sogleich durch 40° warme Locke’sche Blutsalzlösung (H?O, Ca, Na, Cl, H?C03 nebst Dextrose enthaltend) ersetzt wurde, und zwar durch die Carotis, verdoppelte sich etwa die Athemgrösse, um sich bei der Dar- reichung von sauerstoffreicher Luft sehr zu verringern und bei der Rück- kehr zu Zimmerluft sofort (wie auch weiterhin) beträchtlich zu steigen, wie aus Fig. 2 und den daraus entnommenen Athemgrössen hervorgeht. Zwischen den Athemgrössen 288 und 276 fiel ein Intervall von 2!/,, zwischen 338 und 359 ein solcher von 1!/, Minuten. Kaninchen 2.5*®, 20 procentige Hämoglobinentnahme. Normale Dyspnoische Athmung Athemgrössen in eem 216 420 — 288 276—338 bald 359. mh nm Fig. 2. Bei nachheriger 3facher Wiederholung der Sauerstoffeinathmung reagirte das Thier wie beim ersten Versuch, dagegen nach einem weiteren Hämoglobinverlust von etwa !/, der im Körper übrig bleibenden Menge blieb die Athmung vor dem innerhalb !/, Stunde erfolgenden Tode wenig mehr durch vermehrten Sauerstoff, ausser zuletzt bei der syncopalen Ath- mung,” beeinflusst. li. Bei einem zweiten, 2.2®8 schwerem Thier, dem auf einmal 80 «m Blut dureh 76m Locke’sche Salzlösung ersetzt wurde, zeigte sich auch wenig Unterschied in der Athemgrösse, wie in Zahl und Umfang der ein- zelnen Athemzüge bei der Darreichung sauerstoffreicher Luft. 16 W. Cowı uno E. Rocovm: Ill. Ein 1-78 schweres Thier, dem mittels Athmung durch einen 20 langen, 12" weiten Schlauch eine geringfügige pneumatoreetische Dyspno& (Gad) beigebracht wurde, reagirte wie folgt (s. Fig. 3). Normale bei Dyspnoe Athemgrössen in ccm 126 140—99 126—173. A. FERTP Mana AAN Fig. 3. IV. Bei einem dyspnoisch kranken, 1°9%2 schweren Kaninchen, das bei nachheriger Section eine Hepatisation eines Lungenunterlappens aufwies, schwankten immer im gleichen Sinn die Athemzahl und Tiefe, wie die Athemgrösse, wie in Fig. 4 und in der theils daraus entnommenen Tabelle ersichtlich. Kaninchen, 1-9% Pneumonie und Dyspno&. Athemgrössen in com 390— 306 295—353 ferner 317—234 257—288. Fig. 4. V. Ein gesundes Kaninchen, das hinter einander aus einem Behälter mit 5000 em Luft + 100° m Kohlenoxyd bezw. 5000 «= Sauerstoff + 100 em Kohlenoxyd athmete, zeigte die folgende, allmählich stattfindende Reaction (s. Fig. 5). Normale Athmung Athemgrösse 72 ccm bei Dyspno& Luft + CO 744°m 02+C0 96:1, VI. Ein zweites Thier, mit einer durch kurzes Verweilen in mit (8 Procent CO enthaltendem) Leuchtgas gemischter Luft hervorgerufenen Dys- Fig. 5. pno&, reagirte, wie in Fig. 6 dargestellt und wie folgt. Normale Dyspnoische Athmung Athemgrössen in ccm 146 271-216 210—252 174—240—198—210. UBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOE. 17 V1l. Ein 1-3 = schweres Kaninchen, dem 0.7 °em Anilinöl unter die Rückenhaut eingespritzt wurde, zeigte darnach folgende Reaction (s. Fig. 7). Athemgrössen “m 124 104 90 122: Fig. 7. VIIlu.IX. In zwei Fällen von Strychninvergiftung!, bei denen vor dem baldigen Eintritt der plötzlich zum Tode führenden Krämpfe keine merk- liche Aenderung der Athmung durch das Gift hervorgerufen wurde, war auch kein Einfluss des vermehrt eingeathmeten Sauerstofis auf die Athmung bemerkbar. X bis XV. Bei sechs mit Morphium mur. verschieden stark narkoti- sirten Kaninchen stellte sich in allen Fällen bei vielfach wiederholtem Ueber- gang von der Athmung sauerstoffreicher zu der athmosphärischer Luft und zurück, die in den oben angeführten Fällen von verschiedenartiger Dyspnoe beschriebene Reaction in sehr erhöhtem Masse ein, obwohl der allmählichen Entwickelung der verringerten Erregbarkeit des Athemcentrums entsprechend, nicht jäh. In Fig. 8 sind Curvenabschnitte aus den fortlaufenden Curven eines Versuches an einem 2-4 *s schweren, mit 0-1 Morphium mur. (intra- venös) narkotisirten Kaninchen. Die Athemgrössen betrugen: Normal bei Dyspno& 242 com 108 70 107 89 126 69 com, Zwischen den ersten beiden Bestimmungen verstrich !/, Stunde, zwischen den übrigen je 5 Minuten. XVI. Bei einer mit Morphium mur. mässig stark narkotisirten Katze (0-05 8m auf 2.268) setzte bald nach der intravenösen Einverleibung eine ! In zahlreichen Parallel-Beobachtungen an strychninisirten Nagern (88 Mäuse, 4 Kaninchen) hatte E. Rogovin wie vorher Ananoff und Ostwald einen unzweifel- haft vermindernden Einfluss sauerstoffreicher Luft auf die gesteigerte Reflexerregbar- keit und auch eine lebensrettende Wirkung bei der Vergiftung festgestellt. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 2 18 W. Cowu un E. Rogovm: dauernd über 3fach verlangsamte Athmung bei eben so sehr verminderter Athemgrösse ein. Bei der Einathmung sauerstoffreicher Luft sank die Athem- grösse um !/,, um bei Luftathmung wieder zu steigen und nach nochmaliger Fig. 8. Sauerstoffathmung zu sinken, wie Fig. 9 und die davon gewonnene Tabelle wie folgt zeigen. Die Athemgrössen waren: Normal bei Dyspno& 312 com 91 102 68 60 78 96 63 m, XVII. Bei einer anfänglich ruhigen, 1-9 %s schweren Katze fiel dagegen zunächst nach der Einverleibung von 0-07 Morphium mur. bei verlangsamter ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNoE. 19 Athmung die Athemgrösse etwa um !/,, um dann bei dauernd steigernder Erregung des Thieres und sehr erhöhter Athemfrequenz nach der Darreichung sauerstoffreicher Luft nicht ganz bis zum 3fachen zu steigen. Den weiteren Verlauf zeigt Fig. 10 und die daraus entnommene Tabelle, die im Ganzen eine 4 malige Reaction in gleichem Sinne darstellt. Die grossen Curven sind wellig in Folge der mächtigen Herzsystolen. Die Athemgrössen betrugen: Normal bei Dyspno& 144 com a0, a) ea Fig. 10. Die bemerkenswerthen Unterschiede in den Versuchen XVI und XVII bei der Morphiumvergiftung der Katzen betreffen die Dosis, die Thiergrösse und die Erreeung des’ Thieres sammt seines Athemcentrums. Indessen aus beiden Versuchen an Katzen geht mit Sicherheit hervor, dass eine Reaction beim Wechsel von sauerstoffreicher zu atmosphärischer Luft und umgekehrt eintritt. Das hoch erregte Thier des zweiten Versuches starb 3 Stunden nachher, doch ist es etwas länger am Leben geblieben, als eine dritte, 1-.5"8 schwere, ebenso stark errregte Katze, die nach subeutaner Einverleibung von 0-05 Morphium mur. mit immer schneller und flacher werdenden Athmung, ohne sauerstoffreiche Luft eingeathmet zu haben, an Krämpfen und Erschöpfung zu Grunde ging. Wie aus den oben angegebenen Fällen hervorgeht, war der Unterschied in der äusseren Athmung in Folge der Einathmung sauerstoffreicher Luft ganz besonders ausgiebig bei verminderter Erregbarkeit des Athemcentrums in der Morphiumvergiftung und bestand hier, wie im Allgemeinen, in einer verringerten Athemgrösse. Dagegen in Versuch XVII bei der letal vergifteten Katze mit enorm gesteigerter Erregung des Nervensystems sammt Athem- centrums bestand die Reaction umgekehrt in einer jedes Mal gesteigerten Athemgrösse bei der Athmung sauerstoffreicher Luft, und zwar in hohem Maasse. Es erscheint somit, dass das bestimmende Moment für den Ausschlag der Reaction die Erregung des Athemcentrums ist. Der Athemtypus bei Morphiumvergiftung von Menschen wie Thieren, mit Ausnahme letal vergifteter Katzen, ist vertieft und durch mehr oder 23% 20 W. Cowı uno E. Rocovm: weniger langen Expirationspausen unterbrochen, er gleicht der Syncopal- athmung beim Tode durch Verblutung bezw. Verschluss der Gehirnarterien, wie der Athmung bei intensiver Reizung sensibler Nerven und auch der- jenigen von weniger ausgeprägter Form bei der Chloralnarkose. Das gemein- same Merkmal Aller ist der exspiratorische Charakter, der (wie schwache Vagusreizung — Wedenskii, Lewandowsky) zeigt, dass die nervöse Hemmung bei der Athmungsinnervation überwiegt, obwohl die „Blutreize“ im Athemcentrum mehr oder weniger erhöht sind. Da nun bei der Morphiumvergiftung eine bedeutende Kohlensäure- vermehrung im Blute von Filehne und Kionka gefunden worden ist, so muss die Erregbarkeit (und Erregung) des Athemcentrums gesunken sein, wie auch von A. Löwy constatirt wurde. Indessen kann der nähere Causalnexus dieses Athemtypus als ungenügend bekannt betrachtet werden, obwohl sich zutreffende Thatsachen in Betracht ziehen lassen, wie z. B. die Feststellung von Gad, dass bei reizloser Unterbrechung der Nervenleitung in den Vagis die normalen expiratorischen Pausen verschwinden und verstärkte Inspiration mit inspiratorischen Pausen auftritt. Zur Unterstützung dieses abwartenden Standpunktes führen wir ausser obigen Momenten einen daraufhin gerichteten Versuch an einem erwachsenen Kaninchen an (das in sitzender Stellung innerhalb des Mantelkastens eine normale Athemtiefe von 18° und unter Morphium von 30° m bezw. bei Seufzer von 45° hatte), bei dem schwache, wie mässig starke Reizung des N. ischiadicus mit Inductionsströmen immer eine bedeutende Beschleunigung der Athmung (P. Bert), insbesondere nach der Morphiumeingabe, und zwar bei inspiratorisch erhöhtem Niveau hervorrief. In einem Fall bei der Morphiumvergiftung eines Kaninchens beob- achteten wir ein Heruntergehen der Athemgrösse während Einathmung 96 procentigen Sauerstofls bis auf !/, des Betrages bei der Einathmung atmosphärischer Luft. Es darf hierbei nicht unterlassen werden, darauf hinzuweisen, dass bei der Einathmung 96 procentigen Sauerstofls die Athem- grösse auf !/, seiner Grösse sinken kann, ohne dass das Thier dadurch weniger Sauerstoff einathmet. In dem angeführten Falle wurde also ?/, der vorhergehenden Athemanstrengung erspart. Im Ganzen werden bei der Forträumung des Stickstoffs vom Blute einer- seits der vermehrte Sauerstoff, andererseits die Kohlensäure schneller als sonst das Ziel erreichen, und sich chemisch binden, somit als gelöste Gase schwinden, wobei die Gewebsfunction unterstützt wird, der Gasdruck im Gewebe sich vermindert und die Kohlensäure weniger als Reiz, zumal Athemreiz wirkt. Ist der Stickstoff im Blut und Gewebe weggeräumt, so gleicht sich ein erhöhter Kohlensäuretheildruck im letzteren auch deshalb schneller als ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOr. 21 sonst aus, weil das Gefälle desselben bis zum Alkali im Blutplasma bezw. in den Erythrocyten grösser ist. Es kann nun einfach an diesen physikalischen Verhältnissen liegen, dass bei Gewebsdyspno& die Athemgrösse namentlich bei der Morphium- vergiftung stark, bei anderen Arten der Dyspnoe nur weniger sinkt. Dass die Athemgrösse sinkt, ist aber als ein Beweis a fortiori anzu- sehen, dass die Athmung sauerstoffreicher Luft die Gewebsdyspno& hebt, obwohl bei der geringeren Lungen- bezw. Blutventilation weniger Kohlen- säure als sonst vom Körper im Ganzen fortgeschafft wird. Es ist also nicht die Menge der Kohlensäure im Körper bezw. deren Theildruck im Blute, die die Stärke des Kohlensäurereizes ausmacht, sondern in erster Reihe die im Gewebe gelösten, noch nicht fortgeschafften und gebundenen Säuren. Bemerkenswerth, aber nicht unerklärlich, ist die oben constatirte mehrfach erhöhte Athemgrösse bei der letalen Erregung der Katze in Folge von starker Morphiumvergiftung, denn bei der Einathmung sauerstofl- reicher Luft kann die Nervenerregung und der Kohlensäurereiz zu aus- giebigerer Anstrengung bezw. Oxydation anspornen. Ein Grund für verschiedene Fragen bezüglich der Kohlensäure und des Kohlensäurereizes im Organismus scheint in dem bisher nicht in Betracht gezogenen Umstand zu liegen, dass in einer Kohlensäurelösung ein der Temperatur, wenn nicht dem Luftdruck u. a. m. nach, verschiedener Gleich- gewichtszustand zwischen der jeweiligen Ionendissociation und der hydro- lytischen Spaltung (in Kohlendioxyd und Wasser) stattfindet. ! Durch viele Beobachtungen ist die Kohlensäure als Athemreiz charakterisirt, von W. Müller und von Traube, dass Thiere in sauerstoff- und kohlensäurereichen Luftgemischen in heftigste Dyspno& verfallen, von Miescher, dass bei 1 Procent Kohlensäure in der eingeathmeten Luft eine bedeutend vertiefte Athmung, stattfindet und von allen Beobachtern der Einwirkung allmählicher Luftverdünnung, dass sich bei Körperruhe unter stark vermindertem Luftdruck keine Dyspno&, sondern, kurz gesagt, Schlaf (Akapnie) und einschleichende Ohnmacht (Anoxyhämie) einstellen.? Das angesichts dieser Vita minima an und für sich als Athemerreger unmöglich erscheinende Negativum, das der Sauerstoffmangel darstellt, ist unseres Erachtens zur Erklärung der auftretenden Dyspno& bei plötzlich vermehrter Muskelthätigkeit in verdünnter Luft wie bei einem Uebergang zur Athmung von ungiftigen, sauerstofffreien Gasen, beispielsweise reinem Stickstoff, nur insofern angängig, als man, gestützt auf verschiedene Ver- suchsreihen seitens Ludwig und Holmgren, Szelkow, Preyer, Gaule ıs. Dammer, Handbuch der anorganischen Chemie. ® Vgl. u. A. P. Bert, Fränkel u. Geppert, A. u. B.Löwy, A. u.U.Mosso, H. v. Schrotter, Speck, Schumburg, N. u. L. Zuntz, Cohnstein. 22 W. Cowı unp E. Rocovım: u. A. wie A. Schmidt, Frederieqg, Zuntz, Setschenow und Bohr, annimmt, dass das eine Function des Sauerstoffs im Blute und Gewebe ist, durch seine Bewegung und Bindung bezw. Gefälle und Schwund für die Kohlensäure rasch Platz zu machen, die sich sonst im Gewebe, zumal des Athemcentrums, anhäuft. Die Bedeutung des Gewebes des Athemcentrums im Gegensatz zum Blutgefässinhalt ist vor längerer Zeit von Cowl hervorgehoben worden. Auf einen Unterschied im Kohlensäuregehalt dieses Gewebes dürfte die wiederholt festgestellte grössere Arterialisation des Blutes bei Muskel- thätigkeit als bei Ruhe zurückzuführen sein. Im Besonderen fanden wir bei unseren oben beschriebenen Versuchen: 1. Dass bei Kaninchen und Katzen mit anhaltender Gewebsdyspno&ö ganz verschiedenen Ursprungs, sowohl bei verminderter als auch bei er- höhter Erregbarkeit des regulirenden Athemcentrums im Hirnstamm eine bedeutende Veränderung der Athemanstrengung wie der Athemgrösse beim Uebergang von der Athmung atmosphärischer zu der sauerstoffreicher Luft und umgekehrt stattfindet. 2. Dass bei gesunden ruhigen Thieren in Eupno& keine Aenderung in der Athembewegung bei solchem Uebergang, ob hin oder zurück, eintritt. 3. Dass eine Verminderung der Athemanstrengung und der Athemgrösse bei dyspnoischen, sonst ruhigen Thieren in Folge der Ein- athmung sauerstoffreicher Luft, indess nur bei vermehrter Einathmung von Sauerstoff stattfindet. 4. Die Verminderung der Athemgrösse bei der Einathmung sauer- stoffreicher Luft bedingt gleichzeitig eine Verminderung der Dyspno& und der Kohlensäureausfuhr, sowie eine erleichterte Aufnahme und Bindung der letzteren im Blute. 5. Dass eine Vermehrung der Athemgrösse in Folge der Ein- athmung sauerstoffreicher Luft bei dyspnoischen (morphinisirten), sehr er- regten Katzen stattfindet und die vermehrte Athmung unterhält. 6. Die Einwirkung von sauerstoffreicher Luft betrifft bei leichter Dyspnoe die Tiefe oder die Anzahl der Athemzüge, bei grösserer Athemnoth diese beiden. Diese Einwirkung führt sich in erster Reihe auf die Fort- räumung des Stickstoffs aus dem Blute und Gewebe zurück, und zwar einerseits auf den dadurch bedingten erhöhten Theildruck und Gefälle des Sauerstoffs vom Blute aus, andererseits auf den erhöhten Theildruck der Kohlensäure im Blute und die dadurch beschleunigte Bindung der letzteren. 7. Die Verminderung der Athemgrösse in Folge der ‚Einathmung sauerstoffreicher Luft beweist a fortiori bei Erhöhung des Kohlensäure- theildruckes im Blute die Verminderung der Dyspno& im Gewebe, zumal des Athemcentrums, ÜBER SAUERSTOFF-VERMEHRUNG BEI DYSPNOoF. 23 Litteraturverzeichniss. G. Speck, Physiologie des menschlichen Athmens. Leipzig 1892 M. Pettenkofer und C. Voit, Zeitschrift für Biologie. Bd.II et: seq. A.Löwy, Untersuchungen über die Respiration und die Circulation. Berlin 1895. J. Rosenthal, Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus. Berlin 1862. G. Thompson, The therapeutic value of Oxygen-Inhalation under high pressure. New York Medical Record. 1889. Vol. XXXVI. Nr.1. p.1. E. v. Leyden, Ueber Sauerstofftherapie. Festschrift für M. Jaffe. 1901. M. Michaelis, Ueber Sauerstofftherapie. Verhandlungen des XVILI. Congr. für innere Medicin. 1900. S. 503; und Zeitschr. für physikal. u. diätetische Therapie. 1900. J. Kovaes, Ar oxygen belegzesek halasärol eyanosisnal (Ueber die Wirkung von Sauerstoff-Inhalationen bei der Cyanose). Orvose hetilap. 1896. Juni. H. Brat, Ueber gewerbliche (Methämoglobin-) Vergiftungen und deren Behand- lung mit Sauerstoff-Inhalationen. Deutsche medieinische Wochenschrift. 1901. Nr.19 u.20. J. 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Auf Grund sorg- fältiger Telephonversuche hat der genannte Autor die Hörschwelle als Function der Tonhöhe festzustellen versucht, ein Ziel, welchem bekanntlich auch wir mittels Stimmgabel- und Orgelpfeifenversuchen nachgestrebt haben. Die Werthe Wien’s sind für die verschiedenen Tonhöhen nicht derselben Ordnung und können daher nicht über die ganze Tonleiter in gewöhnlicher Weise, sondern nur in logarithmischer Abaque graphisch dargestellt werden. Nur in einer beschränkten mittleren Zone stimmt der Verlauf der Wien’- schen Curve mit der unserigen überein und in diesem Theil liegt, wie bei uns, das Maximum der Empfindlichkeit. Ausserordentlich verschieden zeigen sich jedoch auch hier die Ergebnisse, wenn man die gefundenen absoluten Werthe berücksichtigt. Der Grund der auffallenden Differenz liegt weniger in den Beobachtungen, als in der Evaluirung der Messungen. Letzteres tritt deutlich hervor, wenn Wien eine unserer Beobachtungsreihen einer Umrechnung unterzieht ” und dann sogar eine vollständige Ueberein- stimmung zwischen seinen und unseren Resultaten hervorruft. Er führt zu diesem Zwecke die Amplitude der Gabelschwingung zur 2. Potenz in die Rechnung ein, während wir aus empirischen Gründen die 1.2. Potenz ! Bd. XCVI. 2 Wien hat dabei mit unserer Vorkenntniss einige Zahlen geändert. Diese be- ziehen sich nicht so sehr auf Druck- oder Rechenfehler (diese enthält die Tabelle nicht), sondern auf Diseongruenzen der Mittelwerthe wegen verschiedenem Dämpfungsfactor. Wien bedurfte natürlich zu seiner Umrechnung zusammengehörender Werthe. 26 H. ZwWAARDEMAKER uNnD F.H. Quiz: annehmen. Durch diese leichte Aenderung wird ohne Weiteres die von Wien und auch von uns so sehr gewünschte Uebereinstimmung erreicht. ! Es wäre nun für uns gewiss nichts Angenehmeres, als Hrn. Wien auf diesem Wege folgen zu können, um so mehr, da Einer von uns in seinen früheren Schriften auch immer, dem physikalischen Gebrauche gemäss, die Amplitude zur 2. Potenz in der Evaluirung der Schallstärke in Rechnung gebracht hat.” Eine weitere Ueberlegung, welche wir unten aus einander zu setzen haben, macht den Wien’schen Vorschlag für uns leider unan- nehmlich, so dass die Divergenz unserer Resulate bestehen bleibt. Hat Hr. Wien den Grund der Divergenz in unserer Rechnungsweise gesucht, wir glauben ihn in seiner Beobachtungsweise gefunden zu haben. Hr. Wien berechnet nämlich sein Resultat, als ob er nur durch Luftleitung gehört hätte, während er thatsächlich durch Luft- und Knochenleitung wahrgenommen, ja wahrscheinlich der grössere Theil des Schalles ihm in seinen Telephonversuchen I,und III durch Knochenleitung zugegangen ist. Er hat also eine ganz andere Schallbewegung belauscht als die, welche er berechnet hat. In einer ersten Versuchsreihe hat Hr. Wien das Telephon in gewöhn- licher Weise gegen das Ohr gedrückt. In diesem Fall pflanzt der Schall sich auf zwei Wegen zum Trommelfell bezw. Labyrinthfenster fort, a) von der Telephonplatte durch Luftleitung direct zum Trommelfell, b) von der Telephonplatte auf das Gehäuse und von diesem durch die Ohrmuschel zum knöchernen Gehörgange (weiter verfolgt er dann den Weg cranio-tympanal oder eraniell. Welchen Antheil jede dieser beiden Leitungsbahnen an der Fortpflanzung der totalen Schallmenge haben, ist schwer zu sagen. Das gegenseitige Verhältniss wird in hohem Grade von der Dicke der Telephon- platte und der Art der Einklemmung derselben abhängig sein, auch von der grösseren oder geringeren Kraft, mit welcher das Telephongehäuse der Öhrmuschel und die Ohrmuschel dem Schädel angedrückt wird. Aber auch wenn diese Kraft nur mässig genommen wird und die Ohrmuschel mit dem Schädel keine anderen als ihre natürlichen Berührungspunkte hat, ist beim gewöhnlichen Telephon der Stadtleitungen die vom Gehäuse ausgehende Schallübertragung recht bedeutend. Diese selbe Fehlerquelle macht sich auch noch bemerkbar bei den Versuchen mit durchbohrtem Kautschukstöpsel und luftdieht schliessenden Glasröhren, während bei der Ausführung der ! Umgekehrt halten wir es für möglich, um den mit dem Apel’schen Telephon in fortlaufenden Reihen gewonnenen Zahlen einen Verlauf zu ertheilen, welcher dem unseren fast vollkommen ähnlich ist, wenn man die Schallübertragung von der Tele- phonplatte auf die Luft in einer Weise berechnet, die der von Stefanini und von uns gefolgten analog ist. ” /waardemaker, Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXV. S. 240. EMPFINDLICHKEIT DES ÜHRES FÜR TÖNE U. S. w. 27 Versuche, wie sie factisch vorgenommen ist, der Einfluss der Knochenleitung durch Verschliessung des anderen Ohres (Analogon des Weber’schen Ver- suchs) noch an Bedeutung gewann. In einer späteren Versuchsreihe hat Hr. Wien den Deckel seiner Telephone mit einem besonderen Ansatz versehen, der tief in den Gehör- gang hineingesteckt wurde Auch in diesem Falle geht die Schallleitung vom Gehäuse zum knorpeligen Gehörgang und zwar auf einem noch viel directeren Weg, als bei der gewöhnlichen Anwendungsweise Der Antheil, welcher der Knochenleitung zufällt, muss unter solchen Versuchsbedingungen auffallend gross gewesen sein. Ueberlegen wir uns dabei noch, dass die Telephonplatten für die höheren Töne absichtlich kleiner und dicker angefertigt, wurden, dann verstehen wir, woher die in einigen Öctavens ausserordentlich kleinen Beobachtungswerthe kommen. Diese kleinen, dicken, fest eingeklemmten Platten haben einen ahnsehnlichen Theil ihrer Schall- energie dem Gehäuse, und letzteres hat unter ausserordentlich günstiger Bedingung diese Schwingungen wieder dem Knorpel übertragen. Vom Knorpel nehmen namentlich die höheren Töne, unabhängig vom Trommel- fell, durch Knochenleitung ihren Weg, und hierbei sehen wir noch gänzlich ab von der Schallenergie, die vom Gehäuse aus der Luft innerhalb der Telephonkammer zugeht. Hr. Wien hat auch noch Versuche angestellt, wobei das Ohr nicht das Telephon berührte, sondern in einiger Distanz aufgestellt war. In diesem Falle jedoch war das Gehäuse auf einem grossen Bleche befestigt. Es ist deutlich, dass dann nicht nur die Platte und das Gehäuse, sondern sogar der ganze Blechschirm in Schwingung geräth. Dennoch wurde ausschliesslich die Bewegung der kleinen Platte in Rechnung gebracht. Dass das Reciprocitätsgesetz sich hier bestätigte, ist kein Be- weis gegen diese Vorstellung, denn wenn Ohr und Telephon ihre Lage vertauschten, wurde das Ohr wieder fest gegen das Blech gelegt und diente letzteres in seinen ganzen Dimensionen zum Auffangen des Schalles. Wenn die Ohrmuschel durch das Loch im Blechkasten hindurchgesteckt wurde, erwies sich das Ohr etwa drei Mal so empfindlich, wie wenn die Ohrmuschel seitwärts gegen den Rand des Bleches gedrückt wurde. ! Der Autor selber erkennt hier offenbar die grosse Bedeutung einer innigen Berührung zwischen Blech und Ohr, schade, dass ihm nicht aufgefallen ist, von welch’ grossem Gewichte auch die knorpeligen Theile in dieser Hinsicht sind. Dann wäre es ihm klar geworden, dass seine Versuchsergebnisse nur scheinbar so ausserordentlich klein sind, denn der von ihm berechneten Schallmenge soll noch eine weitere hinzugefügt werden, um die seinerseits beobachtete Menge ' Für den Ton 12000, 28 H. ZwAARDEMAKER uNnD F.H. Qu: kennen zu lernen. Diesen in der Rechnung fehlenden, aber beim Hören doch wirklich mitspielenden Betrag sind wir nicht in der Lage, anzugeben, aber dass derselbe recht gross gewesen, ist ausser Zweifel.! Die beim Lauschen am Telephon immer hinzukommende Knochen- bezw. Knorpelleitung erklärt also unseres Erachtens vollkommen das rasche Absinken der Schwellenwerthe von e bis zu g*, so dass für letzteres eine scheinbar staunenswerthe Empfindlichkeit erreicht wird. Aber um noch ein- mal zu wiederholen, auch in den vier absoluten Bestimmungen ist ein Mit- schwingen des Gehäuses und eine Audiphonwirkung des Blechschirmes als Fehlerquelle eingeschlichen. Hr. Wien stellt die Amplitude der Luft dem * Plattenausschlag gleich und berechnet dann nach Helmholtz’schem Muster? die Schallenergie in bestimmter Entfernung. Aber er vergisst, dass auch das Gehäuse und der an ihm festgeschraubte Schirm Schall aussendet. Diese beikommende Schallmenge, die ohne Vermittelung der Luft von der Plattenbewegung unmittelbar herrührt, ist nicht mitberechnet. Ebenso wenig die Energie, welche in den in umgekehrter Richtung angestellten Ver- suchen die grosse Oberfläche des Blechschirmes dem gesammten Schall des Telephonsystems entnimmt. In dieser Weise kann es kein Wunder nehmen, dass der absolute Werth viele, viele Male zu klein ausfällt. Wir glauben im Obenstehenden den Nachweis geführt zu haben, woher es rührt, dass die Wien’schen Zahlen in so hohem Grade von denen anderer Beobachter, und früher von ihm selbst herrührenden, abweichen. Wir wollen nun im Untenstehenden darzuthun versuchen, dass die unserer- seits vorgenommene und von Wien angezweifelte Rechnungsweise die richtige ist. Vorher seien jedoch einige kleinere Bemerkungen Wien’s refutirt. In erster Linie jene, dass unsere Rechnungsweise mit a zu der 1-2. Potenz bei kleinen Amplituden nothwendig zu einem zu grossen Werth führen muss, wenigstens wenn man denselben Factor 7 beibehält. - ! Eine Vergleichung von Pflüger’s Archiv. Bd. XCVI. 8. 33 mit Töpler und Boltzmann, Annalen der Physik und Chemie. Bd. CXLI. S. 321 lehrt, dass der berechnete Werth ungefähr 12000 Mal kleiner gewesen ist, als der wirklich gehörte (siehe die Tabelle V). Töpler und Boltzmann finden für den Schwellenwerth des „g“ 3660.10—1° Erg, Wien für denselben Ton 3000.10—-1* Erg. ° Helmholtz ging von der Luftschwingung an der Oeffnung einer Orgelpfeife aus, deren Bewegungsgleichung er theoretisch feststellte. Wien scheint ohne Weiteres die Luftamplitude in der unmittelbaren Nähe der Telephonplatte der der Telephonplatte selber gleich zu stellen. EMPFINDLICHKEIT DES ÜHRES FÜR TÖNE UT. S. w. 29 Wir geben dies gerne zu, der Fehler liegt hier in einem unerlaubten Extra- poliren. Unser Exponent 1-2 war empirisch festgestellt für Amplituden zwischen 0-004 und 0-040""; für kleinere Amplituden hat er also keine Geltung. Wir vermuthen, dass der Exponent beim allmählichen Kleiner- werden der Amplitude allmählich ansteigt und in der von Wien mit Recht gerügten Breite bereits zu etwas mehr als 1-3 angestiegen ist. Bei wirk- lich unendlich kleinen Amplituden wird er auch nach unserem Dafürhalten sogar 2 erreichen müssen, aber bei Stimmgabeln ist dieser Fall niemals im hörbaren Bereich realisirt. Weil das Gesetz, nach welchem der Exponent beim Abklingen ansteigt, uns vorläufig unbekannt ist, haben wir vorläufig den experimentell, sei es auch für etwas grössere Amplituden, gefundenen Werth 1-2 beibehalten und hiermit unsere absoluten Werthe berechnet. Als erste Annäherung möge der Leser sich diese, streng genommen, gewiss unerlaubte Supposition gefallen lassen. Dann das Vermuthen, dass die von uns gefundene eigenthümliche Proportionalität zwischen dem Quadrate der Entfernung und dem Gabel- ausschlag zur 1-2. Potenz auf Schallbeugung beruhen könnte. Wir wollen nicht bezweifeln, dass diese Ursache bei den Controlversuchen Wien’s im Spiele war, jedoch für unsere Aufstellung kann sie gewiss nicht gegolten haben. Die Ränder der Oefinung im Wattenschirm befanden sich bei unseren Versuchen nicht nur in der unmittelbaren Nähe (3) der Gabel, sonderu auch noch absichtlich in der Interferenzfläche. An dieser Stelle ist gar kein Schall anwesend. Die Energie ist hier vielleicht potenziell geworden, aber Schall ist dort gewiss nicht vorhanden. Ob die Ränder der Oefinung sich dort befinden oder nicht, kann auf die Schallbewegung als solche keinen Einfluss ausüben. Nur die Bedeutung des Watteschirms könnte disputirt werden. Es ist möglich, dass dieser eine Ausbreitung des Schalles nach Art eines Cylindersectors zur Folge gehabt hat, aber es lohnt nicht, sich darüber zu verbreiten, denn die Versuche sind später ohne Schirm wieder- holt und haben die gleichen Resultate ergeben (siehe unten). Waren wir genöthigt, die Richtigkeit der ersten Bemerkung Wien’s zuzugeben, diese müssen wir bestimmt verneinen. Eine dritte Bemerkung, welche Wien macht, ist noch weniger stich- haltig, nämlich die, dass eine Beobachtung durch ein Hörrohr prineipiell zu verwerfen sei wegen der Beugung des Schalles an der Eingangsöffnung des Rohres. Auch beim Hören nach der gewöhnlichen Art im freien Raum findet eine solche Beugung statt, dann an der Eingangsöffnung des Gehörganges.. Da das Lumen unseres Hörrohres ungefähr mit der Weite des Gehörganges übereinstimmt, wird die Beugung an der Eingangsöffnung in beiden Fällen nahezu dieselbe sein. 30 H. ZWAARDEMAKER uND F.H. Quiz: Endlich die Resonanz, welche die Hörröhre hervorrufen soll. Gerade weil wir diese befürchteten, haben wir mit Röhren von verschiedener Länge experimentirt und Werthe von derselben Ordnung gefunden. ! Können wir also den sachlichen Bemerkungen Wien’s kein besonderes Gewicht beilegen, so bleibt doch sein principielles Bedenken gegen die von uns auf empirischen Gründen angenommene Proportionalität der in der Luft verbreiteten Schallenergie mit dem Gabelausschlag zu einer Potenz 1-2. Die Beziehung, welche nothwendig zwischen der, der Gabel inne- wohnenden Energie und der als Grundton in die umgebende Luft ab- fliessenden existiren muss, kann unmöglich einfacher Natur sein. Denn denken wir uns, dass die Gabel, die im Anfang mit ausgiebiger Amplitude schwingt, allmählich abklingt, so ist es deutlich, dass in erster Zeit recht kräftige Obertöne sich dem Grundton zugesellen werden. Die unharmonischen Obertöne der Gabel selber wollen wir vernachlässigen, annehmend, dass sie durch irgend eine Vorrichtung nahezu, sei es auch nicht vollkommen, unter- drückt worden sind.” Aber die harmonischen, in der Luft sich bildenden Obertöne kommen immer in Betracht, weil es nun einmal kein Mittel giebt, sie los zu werden. Sind die Ausschläge der Zinke gross, so steckt in diesen Obertönen eine bedeutende Menge Energie, aber allmählich verlieren sie sich und zuletzt wird ihre Intensität verschwindend klein. Aehnliches trifft zu, was die Asymmetrie der Schwingungen angeht. Wir wollen von letzterer hier allein jene berücksichtigen, welche von der gegenseitigen Einwirkung der beiden Zinken herrührt. Wenn letztere sich nähern, werden sie einem etwas grösseren Luftwiderstande ausgesetzt sein, als wenn sie im unmittel- bar vorangehenden und nachfolgenden Momente aus einander gehen. Dieser gegenseitige Einfluss der Zinken ist nicht so ganz klein, denn auf ihm be- ruht der auffallende Unterschied zwischen einem freischwingenden, in der Mitte fixirten Stab und einer richtigen Stimmgabel. ! Versuchsreihe 1901 mit langem, Versuchsreihe 1902 mit kurzem Hörrohr. ° Nur einigermaassen haben wir mit den unharmonischen, stroboskopisch in Jen Zinken wahrnehmbaren Obertönen zu rechnen und zwar in so weit, als sie die Ursache sind, dass die mit Hülfe des Gradenigo’schen Dreieckes an dem äussersten Ende der Zinken abgelesene Amplitude stets zu gross ausfällt. Letztere ist die Summe der Amplituden, des Grundtones und der unharmonischen Obertöne, während wir für unsere akustischen Zwecke nur die Amplitude des Grundtones zu kennen wünschen. — Dass das Decrement einer Stimmgabel im Anfang Unregelmässigkeiten darbietet, braucht also gar nicht zu wundern. Umgekehrt liegt es auf der Hand, anzunehmen, dass der Antheil der Obertöne, nachdem das Decrement regelmässig geworden, recht unbedeutend sein wird. Jedoch weil das logarithmische Decrement auch im späteren Verlauf des Abklingens sich nicht ganz der Formel einer gleichmässig ausschwingenden Bewegung anschmiegt, ist es wahrscheinlich, dass die unharmonischen Obertöne auch dann noch nicht gänzlich fehlen. EMPFINDLICHKEIT DES ÜHRES FÜR TÖNE U. S. w. 3l Zur Ueberwindung des Luftwiderstandes zwischen den Zinken wird etwas mehr Energie gefordert, als zu jener des seitlichen Luftwiderstandes. Namentlich bei Gabeln mit schmalem Zwischenraum zwischen den Zinken wird dies augenfällig sein. Dieser Unterschied ist im Anfang weit ansehn- licher als später. Auch der Einfluss des Stieltons macht sich in den auf einander folgenden Stadien des Abklingens nicht in demselben Grade be- merklich. In den ersten Augenblicken sehr in’s Auge fallend und das Toncentrum nachweisbar nach den Zinkenenden verschiebend, wird er zuletzt ganz unwesentlich. Gleiches gilt für die im Stielton immer vorhandene Octave. Ausser von einer Schallbewegung ist die Luft in der unmittelbaren Nähe einer tönenden Stimmgabel noch von einer Wirbelbewegung durch- setzt. Letztere kann man an einer elektrisch getriebenen, kräftig schwin- genden Gabel förmlich fühlen, indem die Luft dem darin gehaltenen befeuchteten Finger deutlich kühl erscheint. Dennoch ist hier keine wirk- liche Temperaturerniedrigung vorhanden, wie ein empfindliches Thermo- meter darthut, sondern es beruht die Erscheinung von Wind und Kühle auf sehr ausgiebigen Wirbelströmen, die mit Hülfe eines Miniatur-Anemo- meters nach Bergen-Davis ohne Weiteres demonstrirt werden könnten. Ihre Richtung ist um die Gabel herum verschieden, so dass der Anemo- meter in bestimmten Niveauflächen in eine Gleichgewichtslage bezw. in ein Hin- und Herpendeln versetzt werden kann. In solchen Wirbeln steckt ohne Frage eine sehr ansehnliche Menge Energie. Bei grosser Schwingungs- weite der Gabel wird die Intensität dieser Wirbelung recht bedeutend sein, bei abnehmender Schwingungsweite sich jedoch rasch verringern. Es existiren also eine ganze Reihe Ursachen, welche die Beziehung zwischen der acustischen Energie der Gabel und jener der umgebenden Luft ungemein compliciren. Ohne die Ueberwindung beträchtlicher mathe- matischer Schwierigkeiten lässt sich dieses Problem nicht quantitativ aus- arbeiten. Wir wollen jedoch versuchen, der Frage mit Hülfe energetischer Betrachtungen etwas näher zu treten. Es ist selbstverständlich, dass diese den rein mechanischen parallel laufen und unabhängig von diesen ihre Berechtigung haben. Nach den Regeln der Energetik lässt sich die kinetische Energie der Schallqguelle in einen Intensitätsfactor und einen Quantitätsfactor zerlegen. Das Product !/, mv? fällt in !/, v? als Intensitätsfactor und m als Quantitäts- factor aus einander. Der Intensitätsfactor kann nach Ostwald und Helm nicht zunehmen, mit anderen Worten, die Geschwindigkeit der Schwingung kann in der Luft nie grösser werden, als sie ursprünglich der Gabel zukam. Der Quantitäsfactor wird zur selben Zeit bedeutend abnehmen, denn die Masse der Gabel ist um viele Male grösser als die Masse der Luft, auf 32 H. ZwAARDEMAKER UND F.H. Qu: welche die Bewegung übertragen wird. Es kann daher die kinetische Energie nach dem Uebergang nur zu einem kleinen Theil in neuer kinetischer Form wiedererscheinen. Der Rest muss in ungeordnete Energie, d.h. in Wärme übergeführt werden. Dieser Theil erscheint akustisch als ein Verlust. Sein procentischer Werth kann bei grossen und kleinen Amplituden unmöglich derselbe sein, denn wenn er so gering wie möglich gedacht wird, beträgt er ı), Mv? — !, mv? = !), v’(M — m), in welcher Formel v die Geschwindigkeit der Bewegung sowohl der Gabel- zinken als der Luft, M die Masse der Gabelzinken, m die Masse der in Bewegung gesetzten Luft. Weil M— m bei verschiedenen Amplituden ungefähr denselben Werth beibehalten wird, wenigstens mit der Abnahme der Amplitude sich nur um wenig vergrössern wird (weil m etwas abnimmt), ist der Verlust im Grossen und Ganzen dem Quadrate der Geschwindigkeit also auch dem Quadrate der Amplitude proportional. Der Verlust, so können wir a priori sagen, muss eine verwickelte Function der Amplitude sein. Hiermit ist die Sache aber nicht erschöpft. Wahrscheinlich ist eine Ueber- führung von kinetischer Energie in Wärme nicht die einzige Verlustquelle. Beim Uebergang in ein neues Medium wird auch ein Theil der Bewegung reflectirt. Dieser Theil fliesst längs der Axe der Zinke ab und gesellt sich der kinetischen Energie der longitudinalen Stielbewegung zu. Für das seitlich lauschende Ohr ist auch dieses Verlust, denn sie verliert sich in dem schweren Stativ und in den dämpfenden Schichten, auf welchen die Gabel aufgestellt ist. Es lässt sich nicht vorher sagen, wieviel er be- trägt, aber jedenfalls vergrössert er die an sich schon bedeutende Energie- menge, die weiter nicht verwendet werden kann. Auch diese Ursache eines Energieverlustes hat die Eigenthümlichkeit, dass die Mengen, um welche es sich handelt, je nach der Amplitude verschieden sind. Im Allgemeinen werden also die verloren gehenden Energieguanta um so bedeutender sein, je grösser die Amplitude ist. Man kann sich nun weiter fragen, ob die Beziehung, welche zwischen Amplitude und Energieverlust bestehen muss, sich auch empirisch ermitteln liesse, und bei näherem Eindringen in den Gegenstand zeigt sich dies unseres Erachtens als wirklich möglich. Man kann einer Stimmgabel, wenn man sie durch eine andere unisono gestimmte elektrisch treibt, während längerer Zeit eine feste Amplitude ertheilen. Durch Shunt-Vorrichtungen kann der, der Bobine zugeführte elektrische Strom genau abgestuft werden und hiermit ist die Amplitude fein zu regeln. Man kann sie zu ver- schiedenen Zeiten 1, 2, 3 Mal grösser nehmen. Der dann in der Umgebung entstehende Schall kann seiner Intensität nach verglichen und in Folge EMPFINDLICHKEIT DES ÖHRES FÜR TÖNE U. S. w. 33 dessen ein Rückschluss auf die Aenderungen, welche ihre Beziehungen zur Amplitude unterworfen sind, genommen werden. ! Eine Vergleichung der Schallstärke ist möglich, wenn man die Distanz bestimmt, bis zu welcher die Gabel in ihrer Umgebung für das normale, für unveränderlich angenommene Ohr hörbar ist. Beabsichtigt man dabei das gewöhnliche physikalische Gesetz, nach welchem sich der Schall ver- breitet, zur Geltung zu bringen, so ist es nothwendig, Reflexionen so viel wie möglich auszuschliessen. Wir haben in unseren früheren Versuchen durch Aufhängen von Watteschirmen, durch Bedecken des Fussbodens mit Teppichen u. s. w. Reflexionen so viel als möglich vorgebeugt und obgleich wir nicht behaupten wollen, dass sie gänzlich aufgehoben waren, ist ihr Einfluss doch sehr gering gewesen. Die Abnahme des Schalles wird sich in Folge dessen weit mehr der 2. als der 1. Potenz der Entfernung proportional verhalten haben. Eine raschere Abnahme als mit der 2. Potenz ist nicht annehmbar, es sei denn, dass man einer Stimmgabel eine Polarität zuschreiben müsste, auf welche Hypothese wir weiter unten zurückkommen. Erst wollen wir die Resultate einiger neueren Versuche mittheilen, welche alle ohne Ausnahme die früheren bestätigen. Die Zahlen der Tabellen I bis III können mit einander in Zusammen- hang gebracht werden, wenn man, auf eine Schallabnahme proportional der 2. Potenz der Entfernung sich stützend, die Amplitude mit einem Ex- ponenten zwischen 1 und 1-7 in Rechnung bringt. In den meisten Versuchs- reihen muss der genannte Exponent zu 1-2 oder 1-3 gewählt werden, ver- einzelt sinkt er, ganz wie in den Versuchen Stefanini’s, bis zu 1 herab. Das in Schall übertragene Energieguantum besitzt also offenbar einen Inten- sitätsfactor, der zu jedem Moment eine exponentielle, im Laufe des Abklingens sich ändernde Function des Intensitätsfactors der Gabelenergie ist. a? 0.6 . und sie gilt daher auch nur für die Versuchsreihe, auf welcher sie ihre experimentelle Begründung findet. Für die c?-, g?- und c?-Gabel gehen die untersuchten Amplituden bis auf einen kleineren Betrag als der, für welchen der Exponent geprüft worden ist, herab. Es ist daher sehr gut möglich, dass der Exponent gradatim erhöht werden soll, und übrigens wird die wahre Formel weit verwickelter lauten, als die empirisch erworbene. Der Quantitätsfactor der Energie sinkt zur selben Zeit, als sich der Intensitätsfactor ändert, von der Masse der Gabel zu der Masse der sich in der umittelbaren Umgebung befindenden Luft herab. Wir dürfen annehmen, dass diese Herabsetzung eine einfache Function sein wird und sich der Die exponentielle Beziehung Ei oder ist rein empirisch gefunden 1 Dies Archiv. 1902. Suppl. S. 375. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 3 34 H. ZWAARDEMAKER unD F.H. Qu: Tabelle 1. c(128) Gabel. Elektrisch getrieben, die distale Zinke mit einer Filzhülle umgeben. em; ” | N | 5 Sr N Beobachter | Egon mine ee | Can aDE a2 ‚Bei: NeeE in cm ana ö | d | a? d” | d? | d? Quix 34-0 131 15-0 | 500 | 0:44 | 0-11 | 0-30 | 0-80 27-5 100 138-1 | 373 | 0-47 | 0-13. 0-33 | 0-83 50 8-6 | 147 | 0.50. 0-18 .| 0-38 Tabelle Il. c(128) Gabel. umgeben, die proximale Zinke Elektrisch getrieben, die distale Zinke mit 0-83 einer Filzhülle mit Luisa. ee ar Amutiende (2 a)? ı@ a? @ > 2a | (2 a)! 2 | (2a)!-3 incm |=2a in d’ d a? da az | ad? Quix 48-0 100 4-3 210-0 | 0-090 | 0-043 | 0-109 0- 173 \.40*5 75 3.4 | 114-0 | 0-085 | 0-046 0-109 | 0-167 | 30-5 50 1-6 82-0 | 0-089 | 0-054 | 0-118 | 0-174 22-5 30 1-8 40-0 , 0-080 | 0-060 | 0-117 0-164 Zwaarde- 85-5 136 2-5 | 213-0 | 0-029 | 0-019 | 0-050 , 0-080 maker 57-5 90 2-45 | 141-0 | 0-043 | 0-027 | 0-066 |, 0-105 49+5 65 1.72 | 85-4 |.0-035 | 0-027 | 0-061 0-093 27-5 15 0-30 8-2 0-011 | 0-020 | 0-034| 0-045 Tabelle IH. Beobachter Dr. Numans, Nachts auf der Haide, frei ausschwingende Stimmgabel, Lupenablesung nach Sradenes; SUrupeken _ Tonhöhe Distanz ' Doppelte der —=id Amplitude 2a) | 2a (2a)" 2a Co) EDER Gabel in Meter |=2ainu d a® a? a? d? e? 15-0 104-0 | 48-0 | 721-0 | 2-9 |0-50 | 1-2 12-7 236 | ..10%0 63-5 | 40:0 403-0 | 40 0-65 |1-4 | 12-3 5.0 49-0 | 96-0 480-0 | 19-0 2:0 42 31-5 2-5 | 28-5 130:0 | 325-0 |52-5 4-50 | 6-0 51-2 ce? 0-0 | 190 0:40 | 12-0 | 0-0153| 0-020 | 0-038 | 0-176 384 230 | 155 0-33 9-5 | 0.0153 | 0-025 | 0-043 | 0-192 20-0 | 12-5 0-375 7-5 0.0195 0-0830 | 0-052 | 0-195 15-0 | 8-0 0-275 4-6 0.0188 0-035 | 0-054 0-163 (Quantitätsfactor der Schallenergie in der Luft zu jenem der Schallenergie der Gabel verhält wie 1 zu #. Der Werth dieses 7 bleibt für alle Ampli- tudines derselbe. EMPFINDLICHKEIT DES ÜHRES FÜR TÖNE U. S. w. 35 Aus ÖObenstehendem geht hervor, dass der Intensitätsfactor der sich in der Luft verbreitenden Schallenergie mit der Potenz 1-2 des Gabelausschlags, der Quantitätsfactor mit der Gabelmasse proportional sein wird. Die Schall- energie bemisst sich also auf Mr n AH in welcher Formel „a“ die Amplitude der Gabel, „d“ die Distanz vom Ton- centrum abgerechnet, ? eine Functivn der Masse der Gabel, #’ ein constanter Factor ist, der zu # in einem unveränderlichen Verhältniss steht. Die Beziehungen der Schallenergie in der Luft sind innerhalb der von uns untersuchten Grenzen nur für die geprüften Gabeln klargelegt. Es fragt sich nun, ob sie sich ohne Weiteres auf andere Distanzen und andere Gabeln ausdehnen lassen. Es ist wahrscheinlich, dass der Theil, der in der Gleichung dem Intensitätsfactor entspricht, unter allen Umständen ungefähr gleich bleiben wird, denn obgleich unter verschiedenen Verhältnissen und an verschiedenen Orten untersucht worden ist!, zeigte sich die Potenz, zu welcher die Amplitude in Rechnung gebracht werden musste, um das quadratische Distanzgesetz handhaben zu können, zwischen 1 und 1-7 liegend, im Mittel1°2. Aehnliche Verhältnisse werden für alle Entfernungen erwartet werden können, denn es lässt sich nicht einsehen, weshalb die Distanz, auf welche geprüft wird, Einfluss auf die Grösse des Exponenten ausüben kann. Letztere wird von dem Uebergang der Schallschwingung von Metall auf Luft bestimmt und nicht von der eigenthümlichen, von uns in einem besonderen Aufsatz studirten Schallverbreitung in der Umgebung. Diese Verbreitung findet in um einander geschichteten, regelmässig gebildeten, äquisonoren Oberflächen statt. Dieselben halten bis auf meterweite Ent- fernung ihre eigenthümlich eingebuchtete Form bei, und aus dieser Ursache rührt die exponentielle Beziehung gewiss nicht her. Der Factor 7 hingegen ist möglicher Weise für verschiedene Gabeln etwas verschieden. Er hängt z. B. nicht unwahrscheinlich von der Eigenart des Stahles ab, aus welchem die Gabel gebaut ist, und es lässt sich erwarten, dass die Dicke und Breite der Gabelbeine einen Einfluss ausüben. Vorläufig erscheint es jedoch unmöglich, hierüber Vermuthungen auszusprechen und es ist vielleicht am vernünftigsten, bis auf Näheres für alle Gabeln den gleichen Werth # zu postuliren, sei es auch, dass aus dieser unbewiesenen Annahme Fehler entstehen können, ja angesichts des früher Hervorgehobenen auch thatsäch- lich entstanden sind. Im Vorhergehenden haben wir aus experimentellen Bestimmungen die Beziehung der Schallenergie in der Luft zu jener der Gabelschwingungen - hergeleitet, und nachdem dies geschehen, lässt sich auch einigermaassen ! Stefanini, wir, in drei verschiedenen Versuchsreihen. 36 H. ZWAARDEMAKER uxp F.H. Qu: über den Verlust urtheilen, der bei dieser Energieübertragung stattfindet. Er ist sehr ansehnlich. Von der g-Gabel ohne Resonator findet sich nur !/,, ihrer ursprünglichen Schallenergie in der Luft zurück. Nicht unwahr- scheinlich würden sich für die anderen Gabeln ähnliche Werthe ergeben, wenn es nur möglich wäre, die Amplitude des Schalles eines so schwachen Klanges in der Luft zu messen. Eine tiefere Einsicht in die hier vor- liegenden Verhältnisse ist hiermit leider nicht gewonnen und unsere Kennt- niss geht im Wesen nicht über die Thatsache hinaus, dass das der Luft übertragene Schallgquantum dem ursprünglich vorhandenen gegenüber gering, und der Verlust ansehnlich ist. Mit Hülfe seiner Resonatormethode stellte Hr. Wien, in geradem Gegensatze zu obenstehenden Betrachtungen, fest, dass die Amplitude der Luftbewegung in der Nähe einer Stimmgabel dem Ausschlag der letzteren nahezu proportional ist. Aus freundlichen brieflichen Mittheilungen wurde uns bekannt, dass in jenen Versuchen der Ausschlag der Gabel 1 a 2um, die Distanz zwischen Gabel und Resonator ungefähr 50 °® betragen hat, während aus der Tabelle hervorgeht, dass die genannte Proportionalität innerhalb einer Variirung des Ausschlages bis zum 1Ofachen sich hand- habte. Nun ist es aus den soeben aus einander gesetzten Gründen nicht recht begreiflich, wie für jene grossen Gabelausschläge die hier in Frage kommenden (0-2 bis 2”) eine wirkliche Proportionalität zwischen der Amplitude der Gabel und jener der Luft in der unmittelbaren Nähe würden existiren können, denn sowohl die Obertöne, die sich in der Luft nothwendig bilden, als die stark sich geltend machenden Wirbel ziehen einen grossen Theil der Energie zu sich. Wenn irgend, so wäre hier der Wead’schen Warnung zu gedenken, dass es ein alter und sich immer wiederholender Irrthum ist, Gabel- und Luftamplitude zu identifieiren. Wenn eine Pro- portionalität zwischen diesen beiden für die Nähe nicht angenommen werden darf, wie wäre es dann möglich, dass eine solche auf 50°“ Entfernung bestände? Wir wissen nicht, in welcher Richtung zur Gabel der Resonator aufgestellt wurde, aber nehmen wir an, dass es in einer der -Haupt- richtungen geschah, dann lassen sich unsere bisherigen Kenntnisse über die Schallverbreitung um eine Stimmgabel nicht so weit übersehen, um dieses Verhalten zu erklären. Die Möglichkeit scheint uns nicht aus- geschlossen, dass hier irgend eine Zufälligkeit vorliegt. Jedenfalls ist es erwünscht, dass in ausgiebiger Weise und mit genauer Beschreibung der Versuchsbedingungen diese so interessanten Versuche Wien’s wiederholt werden. Dabei wird sich dann auch wahrscheinlich der Widerspruch lösen, welcher jetzt noch zwischen zwei Stellen der Wien’schen Abhandlung ! 18.47 und S. 52. EMPFINDLICHKEIT DES ÖHRES FÜR TÖNE UT. S. w. 37 existirt, wo das eine Mal die Druckschwankung, das andere Mal die Amplitude zur Messung der Schallstärke herangezogen wird. Der Resonator weist Druckdifferenzen an, das Ohr wird unseres Erachtens nur von der Amplitude der Schallschwingung, der die in der Luft frei aufgestellte papierdünne Membrana tympani zu folgen hat, berührt. Es ist nicht aus- geschlossen, dass auch Wirbel mehr weniger wechselnde Druckdifferenzen hervorrufen, die vom Wien’schen Resonator mit angegeben werden und sich den akustischen Druckschwankungen summiren, obgleich sie mit dem Schall als solchem gar nicht in Bezug stehen. Jedenfalls können nach Hrn. Wien’s eigenen Aussagen Druckschwankungen und Schallamplitude nicht ohne Weiteres identificirt werden. Die hier angeregte Frage der Proportionalität oder exponentiellen Be- ziehung erscheint uns sowohl in praktischer als in theoretischer Richtung ausserordentlich wichtig. Denn gesetzt, der Schluss, welchen Hr. Wien aus seinen Resonatorversuchen zieht, wäre richtig, mit anderen Worten, die complicirenden Momente, welche wir a priori aufzählten, von so ge- ringem Einfluss, dass sie a posteriori vernachlässigt werden können, so muss aus den Wien’schen und unseren Beobachtungsreihen zusammen gefolgert werden, dass die Stimmgabel als eine polarisirte Schallquelle zu betrachten sei. Diese Hypothese ist zwar öfters auch uns von befreundeter Seite vor- geschlagen worden und wird sogar von Wien im Vorübergehen als fast selbstverständlich vorgestellt, sie ist dennoch in hohem Grade revolutionär und mit den gangbaren Anschauungen im Streit. Bei absichtlich darauf gerichteter Untersuchung lehrte das Studium der Schallverbreitung um eine Stimmgabel unmittelbar, dass eine solche Polarität, falls sie vorhanden ist, sich nicht nur in der Richtung der Schwingung, sondern auch normal darauf geltend macht. Auch eine einschenkelige Stimmgabel wäre also als eine polarisirte Schallquelle aufzufassen und factisch hat nach Kiessling ein schwingender Stab beiderseits normal auf der Schwingungsrichtung in der Symmetriefläche eine Zone deutlicher Interferenz. Weiter fortgeführte Untersuchungen mit einer elektrisch getriebenen Stimmgabel, deren vom Beobachter abgekehrten Zinke in einer Filzhülle schalldicht aufgeschlossen war, haben unsere Erwartungen in dieser Richtung gänzlich bestätigt. Die Stimmgabel würde also die Eigenthümlichkeit, eine polarisirte Schallquelle zu sein, nicht dem Besitze zweier Zinken verdanken, sondern jede Zinke für sich würde als solche zu gelten haben. Aber dann ist dieselbe Betrachtung für jeden freischwingenden Stab, ja für jede schwingende Luftlamelle angebracht, wenn nur die Verdichtungswelle der Vorderseite und die Verdünnungswelle der Hinterseite, und umgekehrt, zu derselben Zeit beide in ungeschwächter Weise ihren Einfluss auf die umgebende Luft ausüben können. Von einer punktförmigen, polarisirten Schallquelle aus würde sich theoretisch die Schall- 38 H. ZwWAARDEMAKER UND F.H. Qu: Tabelle IV. 15°“ vom Toncentrum ausmündendes, 60 ““ langes Hörrohr; akustischer Beobachter Zwaardemaker; das Mikroskop wurde nach Einstellung der Anfangsamplitude fortgenommen und die Amplitude im Momente der Reiz- schwelle aus der Hörzeit abgeleitet. (Halbe) Totale von der Gabel verlorene | "1015, der total Tonhöhe Amplitude Energie proportional mit a? verloren gegangenen in cm | per 0-1 Sec. | per 2 Schwing. Energie in Erg c 11-0 x 10-2 0-61 0.0924 13-0 x 10—® g 32.0 1x0 2-51 0-261 36-6 x 10-3 c’ 39x10 | 0-123 0-00959 13-4 x 10-° g 2.5 x 10 0-1910 0-00985 13-8 x 10—° e? 0-339 x 10—* 0-00474 0-00032 45-0 x 10-1! g? 0-2687 x 10—! "0.1590 0-00507 aloe e® 0-1853 x 10-* 0-0216 0-00042 59-0 x 10—"! Von der Pfeife pro Verhältnisszahlen | Minute verbrauchte nach belle a | Energie in Megerg | Abhandlung d3 1-12 | 5-17 A e: | 1-43 | 5-97 || 60.5x 10-" f3 | 1-48 | 5-76 58-4 x 10-1 g® 1-34 | 4-64 | 47-4 x 10-1! a? 0-96 \ H a3 ne | 3-02 30-6 x 10- h3 | 1-19 2-36 24-0 x 10-1! et 0-99 | 1-84 | 18-7 x 10-11 d* 0-85 | 1-40 14.2 x 10-1! et 0-85 | 1-26 | 12-7 x. 10-4 f4 | 0-75 | 1-05 rs 10-6. x 10—'! g* | 1-01 1-28 ® 13-0 x 10-1! a‘ | 1-24 i\ | = | e r | Be h 1-39 | EB 14-1 x 10— h* 0-77 1-67 = 16-9: x 10—1! e® 1-06 | 2-16 3 22-0 x 10-11 de. 1-02 | 2-22 = 22-5 x 10-1 eö | 1-15 | 2-99 | | 30-3 x 10-1 f | 1-24 | 3.39 | | 84-4 x 10-11 9° | 1-32 | 3-96 39-6 x 10-!! a? 1-52 | . 6-71 | 68-0 x 10-1 | 1:94 8-46 | 87-5. x 10-11 c8 | 1-78 | 14-6 | 14-8 x 10-10 “| 2-15 15-6 | . 15-8x 10-10 e® | 2-39 | 15-6 | | 15-.8x 10-10 f® 2-45 15-6 | 15-8x 10-10 g® 2-95 | 16+1 | (U 16-3x 10-10 EMPFINDLICHKEIT DES ÖÜHRES FÜR TönE UV. Ss. w. 39 Tabelle V. Schwellenwerthe in Erg. | Zwaardemaker Zwaardemaker | Trahe Schwingungs- u. ur | u. Sulz | wos zahl a © Fran de | e 128 30-7 x 10-3 1300-0 x 10-10 g 192 36-6 3660-0 3000-0 x 10-14 e' 256 7-05 134-0 g’ 384 10-6 138-0 80-0 e? 512 1-7 | 45 | g? 168 3-2 71-0 | 0-7 e3 1024 3-6 5-9 | 9? 1586 2-9 4-7 0°1 e* 2048 1-14 1-9 | g* 3072 0-79 1-3 . 0-05 eö 4096 1-33 2-2 | g® | 6144 2-45 3-96 | 0-3 e® | 8192 9. — 1-48 | g® 12228 9-94 | 1-63 | 50 NB. In dieser Tabelle ist, wie in der vorhergehenden, für e” ein mit genauerem Dämpfungsfactor als in der früheren Publication berechneter Werth verzeichnet. Statt 0-7 x 10-3 Erg steht in der dritten Spalte jetzt 1-7 x 10-° Erg. energie auf die Art verbreiten, dass eine Abnahme mit der 3. Potenz der Entfernung zu Stande kommt. Da jedoch die Zinke einer Stimmgabel als eine Reihe solcher punktförmiger Schallquellen nach dem Stiele zu mit ab- nehmender Amplitude, die ganze Gabel als zwei solcher Reihen zu betrachten ist, lässt sich ein ziemlich verwickeltes Verhältniss, wahrscheinlich eine Ab- nahme zwischen der 2. und 3. Potenz, erwarten. Auch aus diesem Ge- sichtspunkt wäre also das Ergebniss unserer Versuche zu erklären und dann mit der von Wien als wahrscheinlich angesehenen Proportionalität zwischen Gabelausschlag und Amplitude der Luft in Uebereinstimmung zu bringen. Der von uns empirisch gefundene, ziemlich constante Coefficient en geht in z über, wenn die auffolgende a°° den auffolgenden d’, gleich- werthig sind. Dies wird ungefähr zutreffen, um so mehr, wenn man nicht an d? gebunden ist, sondern auch eine etwas kleinere Potenz, jedenfalls zwischen 2 und 3 liegend, annehmen darf. Die Entscheidung über diese Frage muss natürlich weiteren Unter- suchungen vorbehalten bleiben und wir sind seit einiger Zeit bestrebt, ihre 40 H. ZWAARDEMAKER UND F.H. Qu: Tabelle Schallenergie an der Hörgrenze pro Seeunde n RS | g | 9 | 100| ce |bezw. 200| ec‘ |bezw.| 400 | c? | g2 02 | a | | Töpler und Boltzmann ... | 9900 | | | £ Dfeiferenr | | Rayleigt- | Stimmgabel | | 90). 48 | 48 | Weade.. el 71950 | 295 | 260 1100 , 1590 ee I 15894 | 9900 12707, 469 537 |3727 Ba eng 2520| 9900 | | 520| 804 35| 827 Wien I (continuirlich) . . . . . | 857 | 612 Wien. ar nn 68! 1-2 0-016 NB. Wir eitiren Wead nach seinen Erata Lösung zu fördern. Bis jetzt scheint sie uns nicht entschieden zu sein. Für die Contraverse mit Hrn. Wien ist dieselbe aber irrelevant, denn wenn man Proportionalität zwischen Gabelausschlag und Luftamplitude annimmt, muss man zwar nach a?, aber dann auch gleichzeitig nach d? rechnen, was auf nahezu dasselbe herauskommt, als wenn man zu a! und d? annimmt. Kleine Unterschiede unseren früheren Anschauungen gegenüber treten allerdings hervor. So darf man, indem man sich auf den Standpunkt Wien’s stellt, a'? und d? nur innerhalb Amplituden zwischen 4 und 40 Mikron und innerhalb Distanzen von 8 bis 37 °® anwenden. Für unsere kleine g-Gabel hat unsere Formel also Geltung und die Berechnung der Schallenergie in der Luft als !/,, für diese Gabel ihre volle Berechtigung. ! Der Werth !/,, jedoch ist leider im hohen Grade von der Einklemmung abhängig. Bei fester Einklemmung klingt die Gabel ungemein rasch ab, geht also ein sehr grosser Theil ihrer Energie in das Stativ über und nur sehr wenig in die Luft, bei lockerer Einklemmung hingegen ist der An- theil, welcher in die Luft übergeht, weit grösser. A priori ist es nicht einmal wahrscheinlich, dass der Bruch von derselben Ordnung bleiben wird. Die Annahme, dass der Werth '/,, auch auf die anderen Gabeln angewendet werden kann, ist mithin ziemlich gewagt. Wir halten sie sogar für ge- wagter, als die in unserer ursprünglichen Abhandlung vorgenommene Generalisirung des Werthes a!®. Aber um Hrn. Wien entgegen zu " Wead bezifferte die Schallenergie in der Luft auf !/,, der Totalenergie. Diese Schätzung fand statt für eine Gabel ohne Resonator und nicht, wie Wien irrthümlich sagt, für eine auf Resonanzboden gestellte Gabel, v. EMPFINDLICHKEIT DES ÖHRES FÜR TÖNE U. S, W. 41 und pro Quadratcentimeter passirend in 10° Erg. | | g* | | IF 800 | c® | 9° | 1600 | et |bezw.| 3200 | e® 9° | 6100 | ce | g® 12800 | x OR Di | RESTE ae ne |" | | 4500 | 710 | | 5530 | | 3486 | 3652 6564 8214 11124 | 18336 | 91 |110 58| 6 136 368, an 3035 | | | 0.0008 0-00025 000025 ' 0.0008 | '0-009 | | | | | in Amer. Journal of science. Vol. XLI. p. 235. kommen und der Hypothese a!” zu entweichen, wollen wir uns der erwähnten Voraussetzung einmal anschliessen. Wir nehmen daher an, dass von allen Gabeln !/,. der Energie an die Luft übertragen wird. Dieselbe breite sich in der Umgebung aus und werde in einer Entfernung von 15°% vom Toncentrum über eine äqui- sonore Oberfläche! von 3314 «m vertheilt gefunden werden. Auf jedem Quadratcentimeter dieser Oberfläche befindet sich in diesem Falle der Uso4zs [heil der Gesammtenergie. Das Areal unseres Hörrohres betrug 0126. Durch dasselbe muss nach dieser Rechnung !/,0);, der Gesammtenergie passirt haben. In Tabelle V unserer früheren Abhandlung findet man die totale, innerhalb zwei Schwingungen durch die Gabel ausgesandte Energie an- gegeben. Hiervon brauchen wir nur für jeden Ton !/,.o);, zu nehmen, um den Betrag kennen zu lernen, welcher unter Annahme einer vollkommenen Proportionalität zwischen Gabelausschlag und Luftamplitude für die Schwelle unseres Gehörs existiren würde (Tabelle IV). Die oben abgedruckte Tabelle IV, die aus der durch die Lectüre der Wien’schen Abhandlung veranlassten Methode der Berechnung hervor- gegangen ist, giebt ohne Frage Werthe, die einigermaassen von den früher von uns angegebenen abweichen. Dennoch gelingt es nicht, die uns trennende Kluft zu überbrücken. Um dies näher zu erläutern, seien in Tabelle V die Resultate noch einmal neben einander gestellt und zwar: ! Diese äquisonoren Oberflächen behalten ihre Gestalt bis auf sehr weite Distanzen. Die Bemerkung Rayleigh’s über die vollkommen gleichmässige Ausbreitung des Schalles um eine Stimmgabel in grossen Entfernungen bezieht sich auf eine Stimm- gabel mit Resonator, was ganz etwas anderes ist, 42 NH, ZWAARDEMAKER unD F. H. Quıx: EMPFINDLICHKEIT UV. S. w. l. unsere früheren Werthe, die sich auf eine Generalisirung der exponentiellen Beziehung a!? stützen (die Energie der Gabelbewegung proportional @°, die Energie der Luftbewegung proportional at2, d.h. a= Gabelausschlag) also auf ihrer Anwendung auch in Fällen, in welchen sie nicht ausdrücklich experimentell erhärtet war; 2. die neuen Werthe, welche die exponentielle Beziehung a!-? nur an- nehmen für den Fall, dass sie — ihre Erklärung dahingestellt — ohne Extra- polirung constatirt worden ist und ferner von der Voraussetzung ausgehen, dass immer derselbe Bruchtheil der Schallenergie der Gabel das Ohr erreicht; 3. die Wien’schen Werthe, die nach unserem Dafürhalten durch den hinzukommenden Schall des Gehäuses und durch Knochenleitung zu niedrig ausgefallen sind und zwar, wie eine Vergleichung mit der Messung Töpler und Boltzmann’s lehrt, + 12000 Mal zu niedrig. Bei dieser Sachlage bleibt die Frage eine offene. Die Wien’schen Zahlen glauben wir verwerfen zu müssen, aber was unsere zwei Rechnungs- weisen angeht, wird uns die Wahl schwer. Wir haben zwar eine ganze Reihe Gründe, wesshalb wir glauben, dass unsere frühere Rechnungsweise nach nz der Wahrheit näher liegt als die andere nach = Die Gründe sind theils allgemein physiologischer, theils sinnesphysiologischer, theils klinischer Natur. Da ein physikalisches Problem jedoch nicht“ diseutirt werden darf, aus einem der Physik fremden Gesichtspunkte, so wollen wir dieselben hier nicht heranziehen. Dass sie uns als Physiologen doch eine gewisse Vorliebe bei der Wahl zwischen zwei nach den jetzigen physikalischen Anschauungen und unseren Kenntnissen der Akustik gleichberechtigten Be- trachtungsweisen eingeflösst haben, wollen wir nicht verneinen. Um so eher schien uns dies erlaubt, weil dadurch die schönste Uebereinstimmung mit früheren, von berühmten Physikern angestellten Beobachtungen erworben wurde. Die Curve unserer Schwellenwerthe, sei es in ihrer alten oder neuen Form, oder besser in ihrer alten Form, zieht sich sogar wie ein ver- bindender Faden durch die bis jetzt vorliegenden Resultate; nur die gleich- zeitig mit unseren Bestimmungen veröffentlichten M. Wien’s weichen ab. Wie wir glauben, lassen sich diese Abweichungen, die in den höheren Tönen zu Werthen ganz anderer Ordnung führen, ohne Weiteres durch die hinzu- kommende, vom Gehäuse ausgehende Schallmenge und durch die Knochen- leitung, die sich in den neueren Wien’schen Versuchen der Luftleitung zu- gemischt hat, erklären. In Folge dessen bezieht sich die Berechnung Wien’s nur auf einen — im Discant verschwindend kleinen — Untertheil der von ihm wirklich gehörten Schallmenge. Der besseren Uebersicht wegen fügen wir Tabelle VI mit den Werthen der verschiedenen Autoren bei. Eine bis jetzt unbekannt gebliebene Eigenschaft des Geruchssinnes. Von H. Zwaardemaker in Utrecht, Wenn man bei Anwesenheit eines Duftes in der Luft schnell hinter- einander eine Reihe kurzer Einathmungen ausführt, so bleiben die dann hervorgerufenen gesonderten Geruchsempfindungen getrennt. Dies ist auch noch der Fall, wenn man die Aufeinanderfolge so rasch wie möglich wählt. Nie fliessen die Empfindungen zu einer gleichmässigen continuirlichen Empfindung zusammen. Bei einem derartigen Versuche sind natürlich der Frequenz der Aspiration gewisse Schranken gestellt. Einmal pro Secunde zu schnüffeln gelingt sehr leicht, einmal pro ?/, Seeunde ist auch noch sehr gut aus- führbar, zweimal pro Secunde aber ist bei Handhabung des Ausathmens in den Zwischenzeiten auf die Dauer ganz unmöglich. Für die Ventilation der Lungen haben solche kurze Athemzüge so geringe Bedeutung, dass man sehr bald das Bedürfniss fühlt tief Athem zu holen. Man ist genöthigt den Versuch abzubrechen und kann ihn erst nach längerer Pause wieder- holen. Bequemer als in freier mit Riechstoff beschwängerten Luft gelingt ein derartiges Experiment, wenn man den Riechreiz einem Olfactometer ent- nimmt. Die Intensität der Reize lässt sich dann genau abstufen und es kann ein völliges Ausruhen des Sinnes in den Pausen verbürgt werden. Nur hat man dafür Sorge zu tragen, dass die Exspirationen keine Ausathmungs- luft in das Instrument treiben, denn ein fortwährendes Hin- und Her- schweben der Luft im Innern des Riechmessers ruft nur unnöthige Com- plicationen hervor. 44 H. ZWAARDEMAKER: Wir haben unsern Zweck erreicht, indem wir an dem, dem Beobachter zngewendeten, also proximalen Ende des 6 =“ weiten Innenröhrchens in einem 8 == weiten Ansatz ein Ventil anbrachten. Dasselbe besteht aus einem ganz dünnen und leicht beweglichen Aluminiumscheibchen, 7 == im Durchmesser, proximal an drei kleine Stiftchen, distal zur grösseren Sicher- heit an einer noch absichtlich angebrachten ringföürmigen Verengerung an- stossend. Es lässt die Luft zwar aus-, aber nicht eintreten und weil es ganz proximal dem Riechrohr aufgestellt ist, giebt es fast keinen sogenannten todten Raum her. Wir haben in der angegebenen Weise alle Geruchsreize, welche mit den bereit stehenden Riechmessern in verschiedener Intensität hervorgebracht werden konnten, geprüft. Für keinen entstand Fusion beim raschen In- und Exspiriren; mit anderen Worten die gesonderten Empfindungen blieben immer deutlich getrennt. Manche dieser Reize waren schwach, überschritten nicht 100 Olfactien; viele andere jedoch mittelstark, d. h. von 250 bis 500 Olfactien; einige wenige stark, d. h. von 1000 Olfactien; vereinzelte sehr kräftig, nämlich von 10000 Olfactien. Untersucht wurde, bei einer Frequenz von zwei In- und Exspirationen pro Secunde, Eucalyptol 1:1000 (Paraffinöse Lösung) Vanillin 1:1000 (glycerinöse Lösung) Aethylbisulfid 1:10000 (paraffinöse Lösung) Ichthyol, zu 50 Procent mit Dammarharz gemischt Fig. 1. Borneol 1:100 Natriumsalieylat Anispulver u. S. w. Es wurde von Centimeter zu Centimeter aufsteigend beobachtet, aber keiner dieser Reize gab zu einer theilweisen Vereinigung der von den Ein- ziehungen hervorgerufenen Empfindungen Veranlassung. Nur wenn bei den sehr kräftigen Reizen eine grössere Zahl Aspirationen hintereinander ge- macht wurden, erschien zuletzt in den Zwischenzeiten eine schwache Ge- ruchsempfindung. Dies kann kein Wunder nehmen, weil unter solchen Umständen die ganze Nasenhöhle und Nasenrachenhöhle parfümirt worden ist und eine Geruchsempfindung sogar bei gewöhnlicher Ausathmung zu Stande kommt. A Prüft man in ähnlicher Weise Eugenol, so bekommt man eine Reihe discontinuirliche Sensationen, nicht allen was den rein olfactiven Theil angeht, sondern auch mit Bezug auf die leicht prickelnde Nebenempfindung. Gleiches gilt für Muskatfett, dessen reizende Wirkung weit stärker ist. Anfangs sind auch hier sowohl die olfactiven als die tactilen Sensationen discontinuirlich, nur zuletzt bei sehr kräftiger und anhaltender Reizung SSSSSISSISSSSSH CHEN; FSSSSIIIIICIIIIIIIRIIIıIıIIIIIIUIXNXISCCHEEIIIIICSS 4 9 y u 4 y 2 7 A A y A Hi 2 A A 4 A A u A A A 2 4 4 H H A 4 j A ÜBER EINE EIGENSCHAFT DES GERUCHSSINNES. 45 werden sie continuirlich, ungefähr in der Weise wie man es beim heran- nahenden Niesen öfters beobachten kann. Vielleicht hat man in diesem einfachen Versuch ein Mittel um bei der Untersuchung scharfer Riechstoffe die Reize der v. Brunn’schen Trigeminusendigung in der Regio olfactoria von jenen der übrigen sensiblen Nerven der Nasenhöhle zu trennen. Nicht unwahrscheinlich neigen die ersteren bei Wiederholung ebenso wenig wie die olfactiven Reize zur Fusion, während die Niesreize, die nach Sand- mann von den vorderen Theilen der mittleren und oberen Muscheln auf- genommen werden, es in hohem Grade thun. Der sonderbaren Thatsache, dass sogar ziemlich kräftige Riechreize, wenn sie zu den rein olfactiven oder prickelnden ohne Niessreflexe gehören, nicht zur Fusion zu bringen sind, steht eine andere gegenüber. Wenn man an einem schwachen oder mittelstarken Riechmesser langsam aspirirt, wird man eine Geruchs- empfindung bekommen, die so lange anhält, wie die Einziehung der Luft selbst. Dies bleibt merk- würdigerweise auch dann noch der Fall, wenn man durch irgend eine mechanische Vorrichtung eine Reihe Intermissionen des Luftstromes her- vorruft. Dieser Versuch lässt sich z.B. in der Weise machen, dass man während des Aspirirens das kleine bereits beschriebene proximal im Innenrohr angebrachte Aluminium- ventilein paar Malpro Secundedurch Fig. 2. einen ganz feinen Seidendraht fest- halten und wieder freigeben lässt. Sobald der Zug, der das Ventil herunter- zieht und damit schliesst, zu arbeiten aufhört, so genügt der Aspirations- strom um das kleine Alumiumscheibehen in die Höhe zu ziehen und die aspirirte Luft frei und ungehindert passiren zu lassen. Anders jedoch wenn das Aluminiumscheibchen hinuntergezogen wird. Dann schliesst es fest gegen den im Innenröhrchen eingeschobenen unbeweglich fixirten Ring an und macht alle Luftbewegung in diesem proximalen Theile des Riech- messers unmöglich. Das abwechselnde Festhalten und Wiederfreigeben des Ventilscheibchens fand in unserem Falle mit Hülfe eines Gewichtes statt, das in der Mitte einer grossen Marey’schen und vom Chrono- graphen bewegten Luftkapsel festgeklebt, periodische Auf- und Abbewe- ISSSSSIISSITTTÄSEIISSIEEENN 46 H. ZWAARDEMARER: gungen machte. Wir wählten in einer Reihe von Versuchen für das Fest- halten und Wiederfreigeben des Aluminiumscheibchens ein zweimaliges Tempo pro Secunde, während die Versuchsperson anhaltend und ohne Unterbrechung aspirirte. Auch auf einige andere Weisen lässt sich eine periodische Unter- brechung des Luftstromes innerhalb des Olfactometers zu Stande bringen: 1. indem man jede halbe Secunde das distale Ende des Riechmessers zur Abschliessung bringt. Der Luftstrom innerhalb der Nase wurde jedoch hierdurch bei Weitem nicht so vollständig abgebrochen, als wenn die Ab- schliessung proximal stattfand; 2. indem Schallwellen von sehr grosser Amplitude durch das Riech- rohr hin bis in die Nasenhöhle geschickt werden. (Appunn’sche Draht- gabel von 16 Schwingungen.) Hierdurch erreicht man ohne Zweifel ein kräftiges Schwanken der in die Nase eindringenden Riechstoffmenge; 3. indem eine proximal im Innenröhrchen eingeschobene Platinspirale durch einen galvanischen Strom jede halbe Secunde zum schwachen Erglühen gebracht wird. Auch dabei darf man annehmen, dass die vom Beobachter in die Nase eingezogene Luft bis tief in das Organ hinein abwechselnd Strecken grösserer und geringerer Dichte darbieten wird, während dazu die in dieser Luft vorhandene organische Substanz wenigstens theilweise der Verbrennung anheim fällt. Unter allen diesen Umständen bleibt nach wie vor die bei langsamer Aspiration am ausgeschobenen Riechmesser zu Stande kommende Empfindung continuirlich, gerade als wenn die Unterbrechungen nicht vorgenommen wären. Sehr genaue Versuche, mit allmählich stärker werdenden Reizen am Citral-, Anethol-, Scatol- bezw. Eugenolriechmesser ausgeführt, fielen alle in dieser Hinsicht unzweideutig aus. Man kann diesem Versuche sogar eine ausserordentlich einfache Form geben, so dass er sich auch ohne Riechmesser mit dem gewöhnlichen Hülfsmittel eines Laboratoriums anstellen lässt. Man braucht nur irgend eine grössere Marey’sche Kapsel von einer an sie anstossenden, langsam schwingenden Stimmgabel in Bewegung setzen zu lassen, um an dem mit der Kapsel in gewöhnlicher Weise verbundenen Kautschukrohr das Conti- nuirliche des von diesem abgegebenen Geruches constatiren zu können und dies ungeachtet der intensiven Verdichtungen und Verdünnungen, welchen die Luft am Ausgang der Röhre unterworfen ist. Die beiden Experimente, welche wir hier vorgeführt haben: Intermission des Reizes durch periodische Unterbrechungen des Luftstromes, 1. inner- ÜBER EINE FIGENSCHAFT DES GERUCHSSINNES. 47 halb und 2. ausserhalb der Nase, haben also diametral entgegengesetzten Erfolg. Im ersteren Falle, wenn die Unterbrechung in der Nasenhöhle stattfindet, ist die Empfindung intermittirend, im letzteren, wenn die Unterbrechung im Riechmesser zu Stande kommt, ist sie continuirlich. Ich erkläre mir dies so: Falls die Intermission des Reizes ausserhalb der Nase stattfindet, wird zwar den riechenden Partikelchen der Zugang zu dem Introitus der Nasenhöhle gänzlich abgeschnitten, aber die oberen Partien sind im selben Augenblicke noch eine kurze Weile von dem Dufte gefüllt. Wahrscheinlich hält dies so lange an, bis in der nächsten Viertel- secunde die Bahn wieder freigelassen ist und die Luft aus dem Riechmesser auf’s Neue zuströmt. Die von uns hervorgerufene Intermission ist in diesem Falle mit Rücksicht auf die Nasenhöhle nur eine scheinbare, und von einer Discontinuität der Empfindung kann also nicht die Rede sein. Ganz anders verhält sich die Sache, wenn Exspirationen eingeschoben werden. Dann bilden sich beim Umschlage der Luftbewegung in der Nähe der Riechspalte selber kräftige Wirbel, welche die im Strombett vorhandenen, riechenden Theilchen nach allen Seiten zerstreuen und während eines kurzen Momentes die Riechspalte gänzlich von demselben befreien. Diese Wirbel werden auch dann noch auftreten können, wenn nicht eine wirkliche Exspiration, sondern einfach eine momentane Unterbrechung des Inspirirens vorkommen möchte. Erfahrungsgemäss bilden sie sich dann ebenfalls in den hinteren oberen Theilen der Nasenhöhle, und es liegt auf der Hand, anzunehmen, dass sie auch in jenem Falle für die Reinigung der Riech- spalte die analoge Bedeutung haben. Die beiden soeben beschriebenen Erscheinungen, die sich kurz dahin formuliren lassen, dass es nicht gelingt, separate Riechreize zu fusioniren, noch continuirliche zu intermittiren, beweisen also, dass irgendwo im Ge- ruchsorgan zwischen dem äusseren Reiz und dem Reizungspunkt im engeren Sinne ein Zwischenglied eingeschoben sein muss. Nach der Deutung, welche wir soeben versucht haben, functionirt als solches die Luft am Eingang der Riechspalte. Einen ähnlichen verwischenden Einfluss würde auch die Auflösung der riechenden Moleküle in den Riechhärchen haben können. Gegen letztere Erklärung spricht jedoch, abgesehen von dem Fehlen der Fusion bei abwechselnden In- und Exspirationen, das seltene Vorkommen positiver Nachgerüche. Wenn einmal eine Andeutung davon vorhanden ist, zeigt sich ein solches Nachbild gerade im Momente einer Einathmung. Wahır- scheinlich hat man also nicht mit einem wahren Nachbild, sondern einfach mit von zuvor an die Wände der Nasenhöhle adsorbirten und von Neuem freigegebenen Riechstoffmolekülen zu thun. Auch recurrirende Nachgerüche, d. h. nach einer kurzen Pause sich wiederum geltend machende, schwache 48 H. ZWAARDEMAKER: ÜBER EINk EIGENSCHAFT Tv. sw. Geruchsempfindungen, sind ohne erneuertes Respiriren nie beobachtet und lassen sich auch nicht absichtlich hervorrufen, wenn man kräftige Riechreize mittels des proximalen Aluminiumscheibchens durch plötzliches Herunter- ziehen desselben abruptim abbricht. Sowohl das eine als das andere deutet darauf hin, dass die Lösung der riechenden Moleküle in der Substanz der Riechhärchen vollkommen momentan stattfindet und die Fusionirung künstlich unterbrochener Riechreize nicht in dem Endapparat des Sinnesorgans als solchem, sondern in den zuleitenden Lufträumen ihren Grund hat. Ueber eine eigenthümliche compensatorische Augenbewegung der Octopoden mit Bemerkungen über deren Zwangsbewegungen. Von Dr. L. J. J. Muskens in Amsterdam, Seit einer Reihe von Jahren an höheren Säugern mit schlitzförmigen Pupillen vom Verfasser gemachte Erfahrungen waren die Veranlassung zu folgenden Beobachtungen an Öctopoden. Dieselben sind während eines, hauptsächlich einem anderen Zwecke gewidmeten Aufenthaltes im Früh- jahr 1902 in der zoologischen Station Neapel gemacht worden. Für die reichliche Besorgung des betreffenden Materiales bin ich allen Autoritäten des genannten Institutes und besonders den Herren Prof. Dr. A. Dohrn und Dr. Lo Bianco Dank schuldig. In Folge der genannten, an anderer Stelle publieirten! Beobachtungen an höheren Säugern widmete ich gleich den Compensationsbewegungen der Augäpfel der Octopoden meine volle Aufmerksamkeit. Es stellte sich bald heraus, dass diese hoch organisirten Thiere ein System von compensatorischen Augenbewegungen besitzen, !wie vielleicht kein anderer Repräsentant, sowohl der Vertebraten als der Invertebraten. Die schlitzförmigen Pupillen der Octopoden erleichtern die Beobachtung der Details in hohem Grade. Die Eigenart der compensatorischen Augen- bewegungen der Octopoden liegt vornehmlich darin, dass dieselben haupt- sächlich, ja fast ausschliesslich, in der verticalen, mit der Längsaxe des Thieres zusammenfallenden Ebene zu Stande kommen. Es hängt dies zweifellos nach Analogie mit anderen bekannten That- sachen damit zusammen, dass bei der Locomotion der Thiere im freien Wasser die auf- und niederschiessenden Schwimmbewegungen die gewöhn- liehsten sind. Seitwärtsbewegungen während dieser schnellenden Bewegungs- ! Physiologie en Pathologie der dwangbewegingen. Verhandelingen der Konink- lijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam. II Sectie. Deel 8. No. 5. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 4 50 L. J. J. MusKens: art der Thiere würden ja auch deshalb kaum einen Zweck haben, weil die Thiere nicht im Stande sind, während dieser nach hinten gerichteten Be- wegung ihr Bewegungsfeld mit dem Gesichtssinn auszukundschaften. Die Octopoden besitzen bei ihrem gewöhnlichen Thun zwei Formen von Locomotion; entweder sitzen sie ruhig auf der Unterlage und bringen im wechselnden Spiel der Arme ab und zu einen Fuss etwas weiter nach vorn und schreiten langsam vorwärts, währenddem die beiden Augäpfel, jeder auf seiner Seite hin- und hergehend, ihr Gesichtsfeld betrachten; die laterale Stellung der Augen schliesst nämlich ein binoculäres Gesichtsfeld vollkommen aus. Die Bewegung jedes Auges geschieht anscheinend in voll- ständiger Unabhängigkeit von der des anderen. Die andere Bewegungsweise ist eine schnellende, ruckartige; dieselbe kommt durch kräftige, rhythmische Zusammenziehungen der Mantelglocke zu Stande. Eine natürliche Folge dieser Bewegungsweise ist, dass die Loco- motion nach hinten stattgreift. Die Arme sind dabei zusammengefaltet, wobei sie wenig Widerstand bieten. Als ein schlanker Körper, Kopf und Augen nach hinten gerichtet, schiesst das Thier mit grosser Wucht gegen die gläserne Wand des Bassins. Wenn die erste Bewegungsart in allen Richtungen auf ungleichem Boden stattfindet, ist dabei die Gelegenheit geboten, die Augen- und Pu- pillenbewegungen genau zu beobachten. Sei es, dass der Octopode an der senkrechten Bassinwand nach oben klettert, während der schlaffe Körper ruhig herabpendelt, sei es, dass das Thier auf einer schiefen Unterlage nach unten kriecht, während der Mantel nach oben gerichtet ist, die bisquitförmigen Pupillen behalten in jeder Stellung des Kopfes die horizontale Lage bei. Nur winzige Abweichungen der Horizontal- lage werden ab und zu beobachtet. Auch während der schnellenden Be- wegung bleibt die horizontale Stellung in auffallender Weise erhalten. Es ist in dieser Hinsicht aber nicht gleichgültig, ob die Schwimmrichtung nach oben oder nach unten gewandt ist. Während im letzteren Falle, bei nahezu senkrechter Abwärtsbewegung, der Horizontalstand der Pupillen festgehalten wird, ist dies in der Richtung von unten nach oben nur für 30° bis 40° Winkelbewegung der Fall. Derselbe Unterschied fällt auch bei passiver Locomotion auf. Zur Erklärung der letzteren Eigenthümlichkeit scheint mir von Wichtig- keit der von Yatta gemachte Befund, dass in den Eledonen von den drei vorhandenen Augenmuskeln der obere weitaus der kräftigste ist. Dieser platte und breite Muskel inserirt sich oben und lateral. Die oberen und unteren Bündel sind deshalb im Stande, durch wechselnde Combinations- bewegungen Axendrehungen des Auges zu vollführen. Der sich unten inse- rirende Muskel ist ebenfalls ziemlich stark; der laterale Muskel ist schwach. ÜBER EINE EIGENTHÜMLICHE AUGENBEWEGUNG. 51 Dieses erklärt auch dass dem Thiere das Convergiren unmöglich ist. Wie bekannt, besitzen die Cephalopoden in jüngeren Stadien gestielte Augen, welche sie beliebig richten können. Die Constanz im Auftreten dieses Reflexes, sowie die Regelmässigkeit, womit der Reflex zu verschwinden pflegt, sobald der gleichseitige Otolithen- apparat ausser Function gesetzt ist, mögen die etwas ausführliche Publi- cation rechtfertigen. Es lassen sich diese Resultate am besten mit den von mehreren Beobachtern, besonders M. I. v.Cyon!, gemachten Erfahrungen vergleichen. Diese haben zur Genüge bewiesen, dass bei den Säugern eine directe nervöse Verbindung zwischen den halbzirkelförmigen Canälen und den Augenbewegungen existirt. Elektrische Reizung jedes einzelnen halbzirkel- förmigen Canals verursacht bestimmte Bewegungen der beiden Augen, deren Richtung in den zwei Augen coordinirt, jedoch entgegengesetzt ist. Es ist nun namentlich das vorwiegend unilaterale Ausfallen des Horizontalreflexes (sit venia verbo), welches für die Octopoden charakteristisch zu sein scheint. An vielen rechtsseitig der Otolithen beraubten Thieren fällt es auf, dass das Auge der operirten Seite durchweg geschlossen gehalten wird, ein Zustand, der weniger als eine Art Ptosis, denn als ein rellectorischer Augen- schluss imponirt. In den Fällen, wo dieses Phänomen vermisst wird, ist man selbstverständlich am besten im Stande, das Ausbleiben der Compen- sationsbewegungen festzustellen. In ein paar Protokollen lässt sich am besten die Art und Weise der Untersuchung, wie auch das Resultat zeigen. 3. April 1902. XXXI. Eledone. Nachdem beide Otolithen nach Eröffnung der Gehörkapsel wegge- schwemmt worden sind, welche Operation fast ohne jeden Blutverlust ver- läuft, ist die Form beider Pupillenschlitze verändert: sie sind nicht mehr bisquitförmige, sondern gleichen mehr einer langgezogenen Ellipse. Wenn das Thier sich in seiner gewöhnlichen Bewegungsart nach hinten bewegt, d.h. mit dem Mantel nach vorne, rollt es oft nach rechts um. Während der kräftigen Schwimmbewegungen nach verschiedenen Richtungen fällt das veränderte Verhalten der Pupillen bedeutend mehr auf als während der Ruhe. Es sind nämlich, wie aus der Zeichnung ersichtlich, die Augen derart gedreht, dass die Vorderenden des Schlitzes nach oben gewandt sind. Sehr in’s Auge fällt, dass die compensatorischen Bewegungen der Augen nicht mehr auftreten; die Pferdehaarligaturen, welche an den Augenwinkeln angebracht worden sind, erleichtern die Feststellung dieser Thatsache. 3. April 1902. XXXII und XXXIII. 2 Eledonen. Den lebhaften Thieren wird eine Nadel senkrecht in die Knorpelkapsel des Kopfes eingestochen, derart, dass die Nadel zugleich senkrecht gestellt ı M. I. von Cyon, Gazette Medicale de Paris. 1876. p. 201. 4* 52 L. J. J. MUskens: ist auf der Ebene, in welche die beiden Pupillen fallen. Dieses geschieht, während das Thier ruhig da sitzt, die Saugarme vor sich hin auf den flachen Boden gelagert. Wenn nun das Thier entweder nach hinten schiesst — die gewöhnliche schnelle Bewegungsart — oder aber mit Hülfe des Spiels der Arme ungleich langsamer nach vorn kriecht, immer sieht man, dass, welche auch die Stellung der Nadeln sei, die Pupillen horizontal bleiben. Es wird des Weiteren festgestellt, dass das Thier eine compensatorische Augenrotation bis 90° vollzieht. Während der passiven Bewegung, indem dem Thiere mittels der Hände des Beobachters verschiedene Stellungen ge- geben werden, stellt sich heraus, dass in denjenigen Körperlagen, in welchen die Füsse senkrecht nach oben gewandt sind, die Compensation weit weniger vollständig ist. Am deutlichsten dagegen ist die Compensation, wenn das Thier mit dem Mantelkörper in die Höhe gehoben wird; die Nadel stellt sich dann horizontal, oder selbst 10° schief, und die Pupillenschlitze bleiben dabei nahezu horizontal oder nur wenige Grade schief nach vorn geneigt. Auf der Rotirscheibe halten sich die Thiere an der Unterlage fest und kriechen langsam nach der, der Drehrichtung entgegengesetzten Seite. R. Pupille L.Puptille v al nn, El der Operation 5. April 1902. Heute werden beiden Thieren die zwei Otolithen entfernt, indem an der ventralen Kopfseite ganz nahe der Medianlinie durch zwei Längsschnitte in die Haut die Knorpelkapseln freigelegt werden, dann mit einem Brenn- glas im Sonnenlicht die weissglänzenden Kalkkörper aufgesucht werden, und dann, stumpf präparirend, die Gehörkapsel geöffnet und die Otolithen mit einem feinen stumpfen Löffelechen entfernt werden; ohne irgend einen Blutverlust wird dann die Haut mit Pferdehaar vernäht. Beide Thiere be- wegen sich ruhig vorwärts; es fällt auf, wie die Thiere Abneigung haben, sich in der schnellen Art zu bewegen. Mit Hinsicht auf die compensato- rische Augenbewegung verhalten sich die Thiere nahezu gleich. Man nimmt nämlich sowohl bei activer als bei passiver Bewegung des Thieres überhaupt keine Compensation wahr. Die freie Beweglichkeit der Augen an sich hat anscheinend nichts ein- büsst. Pendelbewegungen werden nicht gesehen. Gelegentlich wurde eine schnellere Bewegung nach hinten beobachtet. Wiewohl die schnellende Bewegung des Mantels und der Thiere keineswegs an Kraft und Schnelligkeit eingebüsst hat, fiel es doch auf, dass ab und zu die geradlinige Bewegung von einer Rollbewegung unterbrochen war; beim Kriechen nach vorn wird gelegentlich eine kurze Reitbahnbewegungbeobachtet(?). ÜBER EINE EIGENTHÜMLICHE AUGENBEWEGUNG. 53 9. April 1902. Jetzt wird die schnelle Bewegungsart von beiden Thieren regelmässig geübt. Dieselbe kommt jedoch nicht zu Stande ohne gleichzeitige Roll- bewegung. Das unzweckmässige Benehmen der Thiere lässt keinen Zweifel, dass die Sensation der richtigen Körperlage den Thieren abhanden gekommen ist. Während bei gesunden Thieren nie ein senkrechter Stand der Pupillen beobachtet wird, kommt dieselbe, sowohl bei passiver, wie activer Bewegung der Thiere oft zu Stande. Purzelbewegung wird bei diesen otolithlosen Thieren oft beobachtet, im Gegensatz zu den einseitig operirten Thieren, welche zwar oft Rotationen nach der operirten Seite machen, aber sich nie überschlagen. 22. April 1902. XL. Eledone. Auf der Drehscheibe (besser der Drehwanne) bei mit mittlerer nach hinten gerichteter Geschwindigkeit bleibt das Thier auf der Unterlage ruhig sitzen, wobei der Mantel passiv hin und her schwankt. Compensatorische Augenbewegungen werden nicht beobachtet. Während die Scheibe bei ruhig dasitzenden Thieren nach vorn gedreht wird, bewegt sich das dem Centrum der Scheibe zugewandte Auge nach vorn, während zugleich eine kleine Rotation nach vorn stattfindet. Die letztere Bewegung verursacht, dass der Unterrand der Pupillen unter der Conjunetiva verschwindet. Wenn die Drehgeschwindigkeit des Wassers die- selbe geworden ist wie diejenige der Wanne, fängt das Thier zuweilen an zu schwimmen; wenn die Winkelgeschwindigkeit eine grosse geworden ist, wird eine compensatorische Kopfdrehung im selben Sinne als die Augen- bewegung beobachtet, die dem Centrum der Scheibe zugewandte Kopfseite wird nämlich regelmässig nach vorn gedreht. Diese Kopfdrehung nimmt mit zunehmender Winkelgeschwindigkeit zu. Wenn das Thier sich ruhig in der Drehscheibe festsetzt, werden die Podien, regelmässig und symmetrisch gequirlt, fixirt. 24. April 1902. Nachdem vorgestern der rechte Otolith exstirpirt worden ist, werden beim einfachen Aufheben des Mantels vom Thiere beide Augen bis zu einem Winkel von 30°, die Pupillen nahezu in der Horizontalen gehalten, links mehr als rechts. Das Thier hat anscheinend eine Abneigung, sich in der Drehwanne auf der Unterlage festzusetzen und lässt sich mit dem Wasserstrom fort- reissen. Compensatorische Augenbewegungen werden nicht beobachtet. Falls das Thier zufällig festsitzen bleibt, wird keine compensatorische Kopfdrehung beobachtet. Ein paar Mal wird die von v. Uexkull beschriebene gequirlte Arm- stellung beobachtet; der Quirl liegt mit einer Drehrichtung des Kopfes nach rechts. 24. April 1902. XLI. Eledone. Rechter Otolith exstirpirt. 29. Mai 1903. Nachdem das Thier wieder vollkommen hergestellt ist, kann man jetzt feststellen, dass von einer compensatorischen Augendrehung keine Spur 54 L. J. J. MusKens: übrig ist. Das Thier bleibt auf der Seitenwand der Drehwanne sitzen, anscheinend weil es unterm Einfluss der Centrifugalkraft meint, dass dies der Boden sei. Auch von compensatorischen Kopf- und Augenbewegungen wird nichts beobachtet. 21. April 1902. XLII. Eledone. Beide Otolithen entfernt. Rechtes Auge nach oben gewandt. 24. April 1902. Seit der Operation ist anscheinend jedes Gefühl der Stellung im Raume verloren gegangen. Das Thier schwimmt sowohl auf der Seite als auf dem Rücken, wie der Zufall es will, hat starke Neigung zur Rollbewegung ent- weder nach links oder nach rechts. Auf der Drehscheibe setzt das Thier sich nie fest. Keine Spur von Augen- oder Kopfdrehung. 22. April 1902. XLIII. Eledone. Rechter Otolith entfernt. , 24. April 1902. Das Thier ist schlaff und bewegt sich wenig. Kein Horizontalreflex am rechten Auge; im linken Auge ist der Reflex noch da. 22. April 1902. XLV. Beide Otolithen entfernt. Schlaff und unlustig zur Bewegung. An beiden Seiten Horizontalreflex aufgehoben. Die oben mitgetheilten, sowie die von v. Uexküll! gemachten Beob- achtungen scheinen mir einen gewissen Werth für die Physiologie der Zwangsbewegungen überhaupt haben zu können. Das Auftreten der Roll- und Manegebewegungen bei diesen, nach einem ganz von dem der Verte- braten und Arthropoden abweichenden Typus gebauten Thieren entscheidet zunächst über das Loos von zahlreichen, im Lauf der Zeit aufgeworfenen Theorien, über die Ursachen der Roll- und Manegebewegungen. Dieselben gehen dahin, dass entweder eine Hemiplegie (Serres?’ und Lafargue°), oder aber eine pathologische Innervation des Rumpfes und namentlich der Extremitäten diesen Erscheinungen zu Grunde liegen soll. Die pathologische Innervation soll die Rotatoren betreffen, die entweder paralysirt (im Falle von Rollbewegungen [M. Schiff?]) seien oder aber ein Zuviel an Action leisten sollten, oder auch soll es sich um eine Combination beider Fälle handeln. Ebenso wollte der gleiche Auter die Man&gebewegungen darauf zurück- führen, dass zugleich die Abductoren der einen, und die Adductoren des anderen Vorderbeines gereizt würden. In Uebereinstimmung mit dieser Theorie wollte A. Bethe? die durch Exstirpation der rechten Hirnhälften hervorgerufenen Manögebewegungen der Heuschrecken dadurch erklären, dass die Bewegung von den rechten Extremitäten, deren Bewegungen durch die !J. v. Uexküll, Zeitschrift für Biologie. 1894. Ed. 31. 3. 584. ? Serres, Anatomie comparee du cerveau. 1827. T.II. p. 621 et 622. ® Lafargue, These inaugurale de Puris. 1838. * J. M. Schiff, Lehrbuch der Physiologie. 1858. Bd. J. 8. 354. A. Bethe, Pflüger’s Archw. 1897. Bd. LXVII. S. 449. ÜBER EINE EIGENTHÜMLICHE AUGENBEWEGUNG. 55 rechtsseitige Operation ihre Hemmung verloren hätten, ausgehe; die Neigung nach links würde dadurch befördert werden, dass die beiden ersten Beine der rechten Seite im Hüftgelenke stärker flectirt werden. Während Faivre!, ebenso wie früher Brown-Sequard und zahlreiche andere französische Autoren, die Manegebewegungen nicht scharf von den Roll- bewegungen unterschied, führte er ebenfalls die Manegebewegung auf erhöhte Activität der einseitigen Extremitäten zurück; er wollte dieses selbst beweisen, indem er diese Bewegung nach Ausreissen aller Beine der ge- nannten Seite ausbleiben sah! Im Gegensatz zu diesen Ansichten meine ich vielmehr in Ueberein- stimmung mit J. Steiner und J. Loeb, dass für Zwangbewegungen gerade das gänzliche Fehlen eigentlicher Lähmungen als charakteristisch erachtet werden muss, ? wenn auch, namentlich bei den höheren Säugern als Neben- läsion der motorischen Bahnen eine Hemiplegie und andere Lähmungen auftreten können. Ueberhaupt ist nicht die Art und Weise der Locomotion als pathologisch zu erachten, sondern nur die Richtung derselben. Gratiolet und Leven? betrachteten die Zwangsbewegungen als Compensations- bewegungen in Folge Durchschneidung einer das Equilibrium besorgenden Nervenbahn: „Chez l’animal sain tous les Equilibres (de la t&te et du tronc) concordent; apres une lesion du cervelet il y a une dissociation de ces equilibres; l’axe de l’öquilibre de la tete s’est incline sur l’axe de l’&quilibre du tröne.“‘ Verwandtschaft mit dieser Auffassung hat die Brown-Sequard’- sche in derselben Zeit vorgetragen *: „that in most cases the prineipal cause is in the irritation of a certain set of nerve-fibres, the division of which is not followed by paralysis, although they are able to act on muscles to produce eontractions and even more powerful than those caused by nerve- fibres employed by the will in voluntary movements.“ Derselbe Irrthum, dass abnormale Inneryation von Muskelgruppen der Erscheinung zu Grunde liest, ist, wie gesagt, noch zahllose Male aufgetaucht, namentlich auch in der klinischen Litteratur über die Zwangsbewegungen und über conjugirte Deviation. Es würde jedoch zu weit führen, alle im Einzelnen zu widerlegen. Nur will ich auf die namentlich von Physiologen vertheidigte Auffassung hinweisen, nach welcher die Zwangsbewegungen z. B. nach Acusticusdurchschneidung nur auftreten sollen als Folge des Ge- ! M.E.Faivre, Comptes rendus des Seances de l’ Academie des Sciences. 1875. T.LXXX. p. 1189. ® P. Gratiolet et M. Leven, Comptes rendus de l’ Academie des Sciences. 1860. HL. p. 917. ? C. E. Brown-Sequard, Course of Lectures. Philadelphia 1860. * Weitere Ausführungen über die Physiologie der Zwangsbewegungen werden an anderer Stelle publicirt werden. 56 L.J.J. MUskENS: ÜBER EINE EIGENTHÜMLICHE AUGENBEWEGUNG. fühls, als ob das Thier nach der anderen Seite gedreht würde !, und deshalb Compensationsbewegungen sein sollten. (Vgl. auch E. v. Cyon’s Aus- führungen?, sowie die von E. P. Lyon’, der in den compensatorischen Bewegungen eine Abwehrbewegung sieht). Es hat deshalb auch in dieser Hinsicht Interesse, festzustellen, was die Autoren über die Folgen von Ausserfunctionsstellung der Otolithen auf die Compensationsbewegungen der Oetopoden und anderen statocystischen Thieren berichten. Wenn auch keine anderen zwingenden Gründe vorhanden wären, die oben referirte, so oft in der Litteratur wieder gefundene, und unlängst wieder von A. Bethe* gestützte Auffassung der Zwangsbewegungen als verursacht durch eine einseitige Lähmung oder Tonusverlust, oder durch eine Disproportion zwischen der Action der Flexoren und Extensoren definitiv zu verlassen, so wäre schon die Beobachtung der mit den Zwangs- bewegungen concomitirenden Augenbewegungen genügend, die Richtigkeit dieser Theorie anzuzweifeln. Die Beobachungen von Bethe selbst an Careinus maenas können in dieser Hinsicht maassgebend sein.° Jede Stellung des Thieres im Raume bringt eine bestimmte ihr entsprechende Stellung der Augen mit sich; die Augen verhalten sich dabei negativ geotropisch: Auf der Drehscheibe kommt in den extremen Stellungen selbst ein Compensationsnystagmus dazu, der schnelle Ausschlag in der Richtung der normalen Stellung. G. O. Clarke‘ beobachtete schon Analoges an Gelasimus pugilator. Schliesslich stellte Bethe ein Verschwinden der Compensationsbewegungen fest nach Wegnahme beider Otolithen. Mit Hinsicht auf die Bedeutung des Otolithen für die Octopoden, so hat von Uexküll” die Ueberzeugung gewonnen, dass dieselben jedenfalls keine Gehörorgane sein können. Wegnahme der beiden Otolithen, nach vorheriger Wegnahme der Augen (eine Verstümmelung, welche, wie wir oben sahen, nicht nothwendig ist, wenn man von der ventralen Seite her die Otolithen aufsucht) verursacht Rollbewegungen, keine Spur von Manege- bewegungen. Auch Y. Delage® und Steiner haben diese Rollbewegungen beobachtet; der erste beschreibt dabei auch Rotationen in den zwei anderen Ebenen, sowie Combinationen beider. ! J. Breuer, Pflüger’s Archiv. 1891. Bd. XLVIII. S. 195. 2 E. von Cyon, Pflüger’s Archiv. 1900. Bd. LXXIX. S8. 211. 3 E.P. Lyon, Amer. Journal of Physiology. Vol. II. Nr. 11. p. 86. * A. Bethe, Pflüger’s Archiv.- 1897. Bd. LXVIII. 8. 449. 5 A. Bethe, Nervensystem von Carcinus Maenas. Archiv für Mikroskopische Anatomie. 1897. Bd.L. ® 6.0. Clarke, Centralblatt für Physiologie. Juli 1894. Ebenda. 1896. Vol. XIX. ” J. von Uexküll, Zeitschrift für Biologie. 1894. Bd. XXXI. S. 584. ® Y. Delage, Archives de Zoologie exp. et gen. 1887. 2. Ser. p. 1—26. Die Schluckathembewegung des Menschen. Von H. Zwaardemaker in Utrecht. Im Jahre 1883 beschrieb J. Steiner !, während des vom Laryngeus superior aus erzeugten Athemstillstandes, eigenthümliche abortive Respirations- bewegungen. Dieselben waren bereits von mehreren früheren Beobachtern gesehen worden, aber in sehr verschiedener Weise gedeutet. Von Steiner wurden sie zum ersten Male als den Schluckact constant begleitende, reguläre Respirationsbewegungen aufgefasst. In der späteren Litteratur haben sie seitdem immer als solche gegolten.” An ihrem Vorkommen auch beim Menschen ist nicht gezweifelt worden, aber soviel ich weiss, ist die Schluck- athembewegung hier nie genauer verfolgt. Sie verzeichnet sich denn auch nur ganz undeutlich in den pheumographischen und stethographischen Curven, und die Druckschwankungen in der Trachealcanüle gewisser pathologischer Fälle sind in dieser Richtung nie verwerthet worden. In letzterer Zeit begegnet man in chirurgischen Kliniken öfters Patienten, bei welchen eine grosse Zahl von Rippen resecirt und der Defect durch eine plastische Operation von Haut bedeckt worden ist. Durch die Güte des hiesigen Chirurgen Dr. van Lelyveld hatte ich vor einiger Zeit Gelegenheit, einen schönen Fall dieser Art genauer zu beobachten, und zwar in zwei verschiedenen Perioden der Reconvalescenz. Ein erstes Mal bevor noch vollständige Ausheilung zu Stande gekommen war, das zweite Mal nach völligem Verschluss der Wunde. Die Lücke im Thoraxgerüst war so gross, dass der Kopf eines Erwachsenen bequem darin aufgenommen werden konnte; es restirten ausser der ganz gesunden rechten Seite, links nur die zwei oberen Rippen und ein Theil der Lunge. Im Grunde des Defects sah man medianwärts das Herz und das Mediastinum posterius; nach 1 Dieses Archiv. 1883. 8. 57. 2 Vgl. z.B. Marckwald, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXV. 8.1. 58 H. ZWAARDEMAKER: unten schaute man auf das Diaphragma, das sich in gewöhnlicher Weise nach oben wölbte und bei der Athmung mehrere Centimeter auf und ab bewegt wurde. Das Ganze war vollständig mit leicht verschiebbarer, weicher Haut austapezirt. Zur graphischen Aufzeichnung dieser Diaphragmabewegung lagerte ich den sich sehr wohl befindenden Kranken in einen grossen gepolsterten Lehnstuhl und stellte ein schweres Stativ neben ihn. An letzterem wurde der Phrenograph fixirt. Dieser bestand aus einem Hebel zweiter Art, der die Bewegungen des Diaphragmas einem Lufttransport verkleinert über- Fig. 1. Der Phrenograph. mittelte. Die Aufnahmekapsel des Lufttransports ruhte mit einem Steg in einer Distanz von 3°@ vom Drehpunkte gegen den 19.5°® langen Hebelarm und enthielt innerlich eine Spiralfeder. Ueberdies war die Ver- bindung zwischen Hebelarm und- Steg noch in gewöhnlicher Weise durch einen Kautschukring gesichert. Die auf dem berussten Oylinder registrirende Kapsel war die gewöhnliche, von Kagenaar angefertigte Form des Marey’- schen Tambours. In dieser Weise verzeichneten sich die Bewegungen des Phrenographenstiftes mit Excursionen nahezu natürlicher Grösse auf dem Kymographion, und zwar wie bei der Stethographie, die Inspirationen DIE SCHLUCKATHEMBEWEGUNG DES MENSCHEN. 59 emporsteigend und die Exspirationen abfallend. Tatonnirend wurde eine geeignete Stelle des Diaphragmas aufgesucht. In den meisten Versuchen wählten wir einen Punkt zwischen der vorderen und mittleren Axillarlinie. Nach vorn bekamen wir fast ebenso grosse Excursionen, wurden jedoch von den Pulsationen des Herzens gestört. Gleichzeitig mit den Diaphragma- bewegungen wurden entweder die Athembewegung des Thorax oder jene des Epigastriums registrirt; in beiden Fällen mit dem linsenförmigen Luftkissen von Brondgeest. In den abgebildeten Curven ist zu diesem Zweck ein Punkt des Epigastriums gewählt. Die Wahrnehmungen ergaben in erster Linie einen vollkommenen Synchronismus zwischen den drei aufgeschriebenen Bewegungen (obere Thoraxcireumferenz, Epigastrium, Diaphragma), aber ferner liess sich in sehr schöner Weise die normale Schluckathmung darstellen. Am ruhigsten beob- achtet man, wenn man den Patienten auffordert, etwas Brot zu nehmen. Während wir registirten, wurde das Brot gekaut und in ganz beliebigen Momenten heruntergeschluckt. Diese Augenblicke verriethen sich natürlich durch das am Halse leicht sichtbare Auf- und Absteigen des Larynx. Ein Assistent controlirte diese Erscheinung und markirte sie mit Hülfe eines Pfeil’schen Signals auf dem Kymographion, natürlich immer etwas zu spät. Um den richtigen Moment kennen zu lernen, wurde dem Patienten in das rechte Nasenloch ein kleiner Glastubus gegeben, der durch Lufttranspor mit einer Marey’schen Registirkapsel in Verbindung stand. So erhielten wir ganz scharf die bekannte Luftverdünnung verzeichnet, die mit dem Heruntergehen des Velums und der Contraction des Pharynx zusammenfällt. Sie fängt nur sehr wenig später an als der Beginn der bucco-pharyngealen Periode des Schlingens (der vorbereitende Schluckaet nicht mitgerechnet). Da der Glastubus ziemlich weit war, füllte er das Nasenloch mehr als voll- ständig an und verengerte in Folge dessen das andere Nasenloch ein wenig. In dieser Weise kam die das Schlingen begleitende pharyngeale Luftverdünnung ausgiebiger wie gewöhnlich zu Stande. Wie ein Bliek auf die Abbildung lehrt, folgen sich die Athem- bewegungen sehr regelmässig und werden von dem Kauen nicht gestört. Sie unterliegen aber einer deutlichen Veränderung im Momente des Schluckens, wenn, wie gewöhnlich, letzteres während der Exspiration stattfindet. Die exspiratorische Phase der Athembewegung verlängert sich dann einiger- maassen, und noch bevor sie ganz beendist worden ist, schiebt sich die Schluckathmung ein. Die ganze Athemperiode wird dem zufolge um un- gefähr 25 Procent verlängert. Von 79 auf diesen Punkt geprüfen, ganz spontanen Schluckathmungen (während eines Frühstücks aus Brot ohne Butter bestehend) fielen alle mit der Exspiration zusammen, keine einzige in eine Phase zwischen zwei Athmungen. 60 H. ZWAARDEMAKER: Die Schluckathembewegung charakterisirt sich in der allso gedehnten Curve als ein kleiner Inspirationsgipfel mit hinzugehörigem Abfall, die sich unmittelbar in der gewöhnlichen Exspirationsbewegung fortsetzt. Die Excursion ist so gering, dass sie sich in der Epigastriumeurve fast nicht verzeichnet. Ungemein deutlich giebt sie jedoch der Phrenograph an. Eine ae EST UV mmmmmnnmmmmmmnmmmm Druck im Rhino- pharynx Dia- phragma Epi- gastrium Signal Fig. 2. Reguläre Schluckathmung. genaue Analyse der von diesem geschriebenen Curve zeigt, dass, um sie zu Stande kommen zu lassen, die ursprüngliche Exspiration etwas rascher abfällt wie gewöhnlich. Wenn zwei Schluckbewegungen rasch hinter ein- ander folgen, verzeichnen sich auch zwei Schluckathmungen in dem gleichen absteigenden Theil der Curve, welcher dann der sehr in die Länge gezogenen Exspiration entspricht. DIE SCHLUCKATHEMBEWEGUNG DES MENSCHEN. 61 Falls man auf Commando schlucken lässt und die Bewegung während der Inspirationsphase einzutreffen hat, sieht man die bereits. begonnene Inspiration abortiv werden, d. h. es wird nur die Hälfte oder ein Drittel der gewöhnlichen Exeursion erreicht und in Folge dessen fällt die Schluck- athmung doch wieder in die Exspirationsphase. Wie gesagt, passirt dieses Verhalten spontan gar nicht (auf 79 spontane Schluckbewegungen fiel die Schluckbewegung immer in die Exspiration). Es gelang uns jedoch, beim HANNAH UAAUVUUMMARNÄNANAUUAUNNANAUMANAUAAMNAMNUn RE Dia- phragma Epi- gastrium Fig. 3. Vorzeitiges Eintreten eines Schluckreflexes. auf Commandoschlucken unter 95 Schluckbewegungen das Commando 19 Mal entweder in der Inspiration, oder nach Beendigung der Exspiration zu geben. Gerade dann zeigte sich die betreffende Inspiration abortiv und trat die Schluckathmung in der nachfolgenden Exspirationsphase ein. Wir haben den Patienten die Athmung auch sistiren lassen und während der absichtlich hervorgerufenen Athempause zum Schlucken ver- anlasst. Sogar unter diesen Umständen fehlen die Schluckathmungen nicht und verzeichnen sie sich in der nun nicht absteigenden, sondern horizontal 62 H. ZWAARDEMAKER: verlaufenden Linie. Etwas ähnliches haben wir während des Trinkens beobachtet. Dann wurden mehrere, z. B. vier gedehnte Schluckathmungen in der horizontal geschriebenen, phrenographischen Linie gefunden. Wie gesagt, verzeichnen sich die Diaphragmabewegungen in der Weise, dass ein Emporgehen der Linie die Einathmung, das Abfallen die Aus- athmung bedeutet. Vergleichung der drei Respirationen in Fig. 2 lässt nun deutlich erkennen, dass die Exspiration, in welcher eine Schluckathem- bewegung eingeschoben worden ist, anfangs bedeutend steiler abfällt als AU NANANST RS YA L uni Rhino- pharynx Phreno- graph Stetho- graph Signal Fig. 4. Reguläre Schluckathmung. gewöhnlich. Gleiches ist aus Fig. 4 zu ersehen und auch die Exspirationen der Abortivathmung in Fig. 3 zeigen, obgleich weniger deutlich, dasselbe. Der sich an die Schluckathmung anschliessende Theil der Exspiration ist ferner deutlich tiefer als der letzte Theil einer gewöhnlichen Inspirations- bewegung. Die Excursion, welche das Diaphragma während einer Schluckathem- bewegung macht, ist einigermaassen verschieden. Sie beträgt ungefähr !/, bis !/, der Excursion der vorhergehenden oder folgenden gewöhnlichen Athembewegungen. Rechnet man das Athemvolumen eines Athemzugs zu DIE SCHLUCKATHEMBEWEGUNG DES MENSCHEN. 63 250 bis 500°", so würde sich also für die Athemgrösse einer Schluckathem- bewegung des Menschen 30 bis 60 °® ergeben. Wo diese Luft hergenommen wird, ist nicht ohne Weiteres klar. Marckwall hat zwar dargethan, dass die Aspiration derselben unmittelbar nach der Zusammenziehung der Mylohyoidei und noch vor den Glottisverschluss fallen muss, aber damit ist die Quelle der eingesogenen Luft nicht angegeben. Unsere Fig. 4, bei einem etwas schnelleren Gang des Registrireylinders beschrieben, lässt den Zeitpunkt, in welchem die inspiratorische Phase der Schluckathembewegung abläuft, ge- nauer feststellen. Gleichzeitig mit dem Phrenogramm wurde, wie bereits hervorgehoben, ein Rhinopharyngogramm geschrieben, d. h. die Curve des im Rhinopharynx herrschenden Luftdrucks. Dieses zeigt gleichzeitig mit Inspiration Exspiration Seco Fig. 5. Registrirung des Athemstromes mit Hülfe der federnden Windfahne (dies Archiv. 1902. Phys. Abth. Suppl. S. 417), an welcher ein leichter Hebel angehängt war. dem Emporgehen des Larynx eine Drucksteigerung an. Unmittelbar nach- her sinkt der Druck ein wenig, um im Momente, in welchem der Larynx die zurückkehrende Bewegung ausführt, auf ein Minimum abzufallen. Die in- spiratorische Phase der Schluckathembewegung fällt also in den ersten Theil der Druckerniedrigung im Rhinopharynx. Vergleichung des Rhinopharyngo- sramms mit dem Pharyngogramm lehrt, dass dieser Moment mit der Kronecker und Meltzer’schen Pistonwirkung zusammenfällt. Der Bissen ist also nicht passirt. Ferner steht es fest, dass in diesem selben Augenblick Rhinopharynx und Mesopharynx durch das gehobene Volum von einander geschieden sind.! Die Luft kann also nicht von aussen hergenommen, ! Kindermann, Onderz. Physiol. Lab. Utrecht. (5.) Bd.IV. S. 292, 64 H. ZWAARDEMAKER: DIE SCHLUCKATHEMBEWEGUNG DES MENSCHEN. sie muss aus dem Pharynx und Adnexa selber genommen werden. Nun zeigen eine Reihe Röntgenphotographien von P. H. Eykman!, nach dem Rheotomverfahren aufgenommen, überzeugend, dass sich im Pharynx eine Luftmasse von birnförmiger Gestalt befindet, die in der ersten Phase während des Hinaufsteigens des Larynx verschwindet. Offenbar ist es diese Luftbirne, welche die 30 bis 60°” Athemvolumen der normalen Schluck- athembewegung zur Verfügung stellt. An die inspiratorische Phase der Schluckathembewegung schliesst sich ihre exspiratorische Phase unmittelbar an, und diese setzt sich in die ge- wöhnliche Exspiration fort, die in diesem Augenblicke meistens noch nicht beendigt ist. Besonders deutlich zeigt dies Fig. 5 (bei a Sistirung der Athmung, bei 5 Schluckact auf Commando, bei ce der Schluckathmung sich anschliessen- des Exspiriren). Dieses eigenthümliche Verhalten gereicht dem gustatorischen Riechen zum grossen Vortheil, weil der untere Theil der Riechspalte von den Choanen aus von der Exspirationsluft in äusserst langsamer Strömung durchsetzt wird und gerade diese Exspirationsluft mit dem im Pharynx verdampfenden Duft der unmittelbar vorher verschluckten Nahrung reichlich geschwängert ist. Die Schluckathmung kommt aber auch jenen Thieren zu, denen kein in den Vordergrund tretendes gustatorisches Riechen eigen ist. (Im Allgemeinen ist die die Riechgegend nach unten abschliessende Knochenplatte dem gustatorischen Riechen nicht günstig.) Der Zusammen- hang zwischen Exspiration und Schluckathmung musss also in anderen Be- ziehungen als die gustatorische begründet sein, und es erscheint als äusserst wahrscheinlich, dass, teleologisch betrachtet, der Grund in der Nothwendig- keit des Wegsaugens der Luftbirne zu suchen sei. Wir wollen die Richtig- keit dieser Anschauung aber dahingestellt sein lassen. Soviel ist jedoch sicher, dass: 1. beim Menschen eine Schluckathmung vorkommt, 2. dieselbe spontan immer in der Exspirationssphase erscheint, 3. dieselbe mit einer bedeutenden Verlängerung und grösseren Tiefe der Exspirationshewegung einhergeht, welche auch noch nach Beendigung der Schluckathmung fortdauert. 1 Koninkl. akademie van wetenschappen. 25. Jan. 1902. Ueber den Einfluss von Wasser und anisotonischen K och- salzlösungen auf die Grundfunctionen der quergestreiften Muskelsubstanz und der motorischen Nerven. Von J. Härtl. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes der Universität Berlin.) Einleitung. Im Jahre 1880 veröffentlichte W. Biedermann! Untersuchungen über die Einwirkung von Wasser auf die Lebenseigenschaften der quergestreiften Muskeln, welche in mehrfacher Hinsicht das grösste Aufsehen zu erwecken berechtigt waren. Er zeigte zunächst, dass ein durch !/,stündige Ein- wirkung destillirten Wassers starr, d. h. unerregbar gewordener, seiner Con- tractilität beraubter Froschmuskel doch noch in demselben Sinne und fast in gleichem Grade elektromotorisch wirksam sein könne, wie ein un- versehrter Muskel. Hiermit war einmal bewiesen, dass die elektromotorische Fähigkeit des Muskels, im Gegensatz zu der durch E. du Bois-Reymonds classische Untersuchungen in Aufnahme gekommenen Ansicht, eine von der Verkürzungsfähigkeit zu trennende Function, und zweitens, dass die „Wasserstarre“, im Gegensatz zu der bis dahin verbreiteten, hauptsächlich auf die Autorität W. Kühne’s sich stützenden Meinung, nicht mit der gewöhnlichen Totenstarre im Wesentlichen identisch, sondern ein davon prineipiell verschiedener Zustand sei. Schon J. Ranke? hatte gefunden, dass der Demarcationsstrom des ruhenden, durch Chloroform, Aether oder Amyl unerregbar gemachten Muskels nicht nur nicht aufgehoben, sondern ! W.-Biedermann, Beiträge zur allgemeinen Nerven- und Muskelphysiologie. Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1880. 3. Abthlg. Bd. LXXX1. 8. 108. ; ® J. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven. Leipzig 1868. 8. 54f. Archiv f. A.u. Ph. 1%4. Physiol. Abthlg. 5 66 J. HÄrtL: unter Umständen sogar verstärkt ist. Doch wurde erst durch Bieder- mann’s Entdeckungen die Aufmerksamkeit auf diese mit Unrecht in Ver- gessenheit gerathenen Erscheinungen gelenkt und auf ihre principielle Be- deutung hingewiesen. Am selben Orte fügt dann Biedermann die weitere wichtige Beobachtung hinzu, dass es ihm gelungen sei, die Erregbarkeit eines wasserstarren Sartorius theilweise (bisweilen vollständig) wieder her- zustellen, und zwar indem er den durch 1stündiges Eintauchen in destillirtes Wasser in den Zustand der Wasserstarre versetzten Muskel einige Zeit in 2procent. Kochsalzlösung brachte, wobei der Muskel den grössten Theil des aufgenommenen Wassers verliere und sein normales Aussehen fast voll- ständig wiedergewinne. Es empfehle sich, sobald die ersten Spuren wieder- kehrender Erregbarkeit sich zeigten, was in der Regel nach 5 bis 10 Minuten der Fall sei, den Muskel in O-6procent. Kochsalzlösung zu tauchen, da ein allzu langes Verweilen in der stärkeren Salzlösung die Erregbarkeit ebenfalls schädige. In einer späteren Mittheilung kommt Biedermann auf diese That- sachen zurück! und berichtet dazu weiter, dass es gelinge, an einem curari- sirten Sartorius, von dem nur ein Theil sich im Zustande der Wasserstarre befinde, durch elektrische Reizung des wasserstarren Theiles Zuckungen in dem unversehrten Theile des Muskels auszulösen. Auch diese Angabe verdiente die höchste Beachtung. Wenn sie sich bestätigte, war damit erwiesen, dass wie die Fähigkeit zur Erzeugung elektromotorischer Wirkungen, so auch die Reizbarkeit und das Reiz- leitungsvermögen selbstständige, nicht wie man früher meinte, an das mechaniche Verkürzungsvermögen gebundene Functionen der Muskelsubstanz seien. Die Angabe von Biedermann wurde von Engelmann? bestätigt, der sie in dieser Weise formulirt: „Der Muskel wird in der ganzen Aus- dehnung, in welcher das Wasser ihn seiner Contractilität beraubt, gleich- sam zum Nerv.“ Er wiederholte den Versuch am Froschherzen und konnte auf diese Weise zeigen, dass auch im Myocard directe Reizbarkeit und motorische Reizleitung noch bestehen bleiben können bei vollständig auf- gehobener Contractilität. Darauf erschien 1895 eine Arbeit Kaiser’s®, in welcher der Autor die Angaben Biedermann’s über das elektromotorische Verhalten des ı W.Biedermann, Ueber die Einwirkung des Aethers auf einige eleetro- motorische Erscheinungen an Muskeln und Nerven. Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1888. 3. Abthlg. Bd. XCVII. ?2 Th. W. Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendirten Herzen. Pflüger’s Archw. 1894. Bd. LVI. S. 149. ® K. Kaiser, Ueber die Fortleitung der Erregung im wasserstarren Muskel. Zeitschrift für Biologie. 1895. Bd. XXXI. S. 244. EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S,w. 67 wasserstarren Muskels zwar im Allgemeinen bestätigt, jedoch angiebt, es sei ihm nie die Wiederbelebung des wasserstarren Muskels gelungen. Auch bestreitet er auf Grund seiner Versuche die Leitungsfähigkeit das wasser- starren Theiles eines Sartorius für motorische Reize. Der Erfolg der Reizung habe auf Stromschleifen beruht, welche den nicht wasserstarren Theil des Muskels getroffen hätten. Hierdurch schienen die von Biedermann gemachten Angaben wieder in Frage gestellt. Einer Anregung des Herrn Prof. Engelmann folgend, unternahm ich eine erneute Prüfung der Angelegenheit. Zunächst sollte die Frage der Wiederherstellung wasserstarrer Muskeln durch Kochsalzlösung geprüft werden, unter besonderer Berücksichtigung des Verhaltens, welches Contractilität, Reizbarkeit und Leitungsvermögen unter Einfluss beider Arten von Flüssigkeiten zeigen. Obschon die Umstände es mir nicht gestatteten die erforderlichen Versuche in der durch das Interesse des Gegenstandes gebotenen Vollständigkeit und Mannigfaltigkeit anzustellen, lieferten sie doch eine genügende Zahl sicherer positiver Ergebnisse, so dass ihre" Veröffentlichung gerechtfertigt erscheint. Auch gestattete mir Herr Prof. Engelmann die Benutzung und Publication einer Reihe bereits vor Jahren von ihm über den Gegenstand angestellter, bisher nicht veröffentlichter Versuche. Dabei ergab sich auch Veranlassung, einige Versuchsreihen an Nerven hinzuzufügen, deren Resultate ebenfalls mitgetheilt werden sollen. Uebersicht älterer Angaben. Schon aus sehr alter Zeit liegen Beobachtungen über die Wirkungen des Wassers bezüglich des Wasserverlustes auf Muskeln und Nerven vor, Bereits Albrecht v. Haller! eitirt darauf bezügliche Angaben von Ridley, Bohn, Vieussens u. A., wonach Muskeln sich bei Wasserinjection in die Arterien zusammenziehen, ehe sie absterben. Die erste Beobachtung einer Wiederbelebung von Muskeln durch Aenderung des Wassergehaltes scheint von Fontana? herzurühren, wobei wir von Leuwenhoeks und Anderer Angaben über Wiedererwachen eingetrockneter niederer Thiere (Infusorien, Rotatorien, Tardigraden, Würmer u. a.) absehen. Fontana’s erst durch A. Kölliker 18583 der Vergessenheit entrissene Beobachtung war folgende: „Bei einer !durch Ticunas getödteten Testudo graeca wurde das Herz, nachdem schon verschiedenes mit demiselben vorgenommen worden war, in situ der Sonne ausgesetzt. Das Herz wurde schnell trocken und ebenso ! Albrecht v. Haller, Zlementa,physiol. 17158. Bd.IV. p. 544. ? Fontana, Ueber das Viperngift. Berlin 1787. 8. 312. :s A. Kölliker, Ueber die Vitalität der Nervenröhren der Frösche. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1858. Bd.IX. 8.417. 5* 68 J. HÄrtTE: die Herzohren zum Theil, und alles kam zur Ruhe. Nun wurde das Herz befeuchtet; die Kammer blieb unbeweglich, aber die Herzohren fingen wieder an zu schlagen und pulsirten 18 Stunden lang, bis sie wieder trocken wurden“! Kölliker hat diesen Versuch am Froschherzen wieder- holt. Er berichtet?: „Nachdem ein solches 2 Stunden und 10 Minuten an der Luft gelegen hatte, war dasselbe trocken und still. Dann mit Wasser übergossen, pulsirten schon nach 2 Minuten die Vorhöfe wieder, wogegen allerdings die Kammer, wie in Fontana’s Experiment, nicht wieder zum Leben kam. — Ein zweites Herz war nach 2 Stunden trocken und ohne Pulsationen. Mit Kochsalz von !/, Procent übergossen, kamen nach 30 Minuten die Vorhöfe deutlich aber schwach zum Schlagen, wogegen auch in diesem Falle die Kammer ruhig blieb. — Einige Versuche, die darauf ausgingen, trockene Muskeln wieder zum Leben zu bringen, hatten negativen Erfolg, doch glaube ich, dass bei einer grösseren Anzahl von Experimenten auch nach dieser Richtung ein Resultat sich erzielen lassen wird.“ Zu der letzteren Erwartung berechtigten Kölliker die erfolgreichen Versuche?, welche er 1856 über Wiederbelebung getrockneter oder durch concentrirte Salzlösungen (Kochsalz, Glaubersalz, Natriumphospat u. a.) ihrer Erregbarkeit beraubter motorischer Froschnerven (Ischiadieus) an- gestellt hattee Diese Versuche waren durch Ordenstern* bemängelt und auf angebliche physikalische Irrthümer zurückgeführt worden. Un- fähigkeit der getrockneten Nerven, die zur Reizung verwendeten elektrischen Ströme zu leiten, sollte ein Aufhören der Erregbarkeit vorgetäuscht haben. Es war Kölliker ein Leichtes, die Einwürfe von Ordenstern zu wider- legen.° Schon die Angabe genügte, dass die Wiederbelebung erst längere Zeit (6, 81/,, 10 Minuten) nach dem Einlegen der getrockneten Nerven in destillirtes Wasser, und nicht wie die elektrische Leitfähigkeit, sofort danach wiederkehrte. Er fügt die wichtige weitere T'hatsache hinzu, dass auch durch lange Einwirkung von Wasser unerregbar gewordene Nerven wieder- belebt werden können, wenn man sie für längere Zeit in starke Salz- lösungen (Nat. phosph. 3procent., Kochsalz von 3 Procent und höher) legt. Aus seinen Angaben geht eine ausserordentliche Resistenz der Nerven gegen maximale Aenderungen des Wassergehaltes auch insofern hervor, als die Zeiten, deren es zur Vernichtung der Erregbarkeit einerseits und zur Wiederherstellung andererseits bedurfte, sehr lang waren. Bei Einwirkung " Citat nach Kölliker, Zeitschrift für wissensch. Zoologie. 1858. S. 422. ” A. a. 0. S. 422. ® A. Kölliker, Würzburger Verhandlungen. 1856. Bd. VII. 8.145. * Ordenstern, Zeitschrift für rat. Medicin. 1857. 3. R. II. S. 109. ° A. Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1858. Bd. IX. 8.418. EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w. 69 von Wasser war die Reactionsfähigkeit frühestens nach 1 Stunde und 17 Minuten, in zwei Versuchen erst nach 3 Stunden geschwunden. Nach dem Einlegen in 3procent. Salzlösung kehrte sie frühestens in 22 Minuten, öfter aber erst nach fast 1 Stunde zurück. Aehnliche Angaben über Wiederbelebung wasserstarrer Froschmuskeln machte ungefähr gleichzeitig v. Wittich.! Er tauchte die von der Haut entblösste untere Extremität des Frosches längere Zeit in reines Wasser, bis die Muskeln anscheinend wasserstarr waren. Bestreuen mit Kochsalz- pulver rief wieder Zuckungen hervor. Inzwischen beweisen diese Versuche, wie Heubel schon bemerkt hat, wenig, da die Muskeln nach v. Wittich’s Angabe meist noch auf galvanische Reize reagirten, also nicht völlig „starr“ waren. Kühne?, der sie wiederholte, gelang eine Wiederbelebung völlig wasserstarrer Muskeln nicht, ja er leugnete sogar, wie oben schon angedeutet, dass Wiederherstellung der Erregbarkeit überhaupt möglich sei. Preyer? andererseits wollte am selben Object (enthäutete Unterextremität des Frosches) positive Resultate erhalten haben, nicht nur an durch Wasser, sondern auch an durch Wärme von 40° bis 45°C. oder durch Chloroform „todtenstarr‘“ gemachten Muskeln durch Eintauchen in Kochsalzlösung von 7 bis 10 Procent und Wiedereröffnung des Blutzutrittes durch Lösung einer am Oberschenkel vorher angelegten Massenligatur. Seine Arbeit ent- hält noch mancherlei, wie sich später herausstellte, unrichtige Angaben u. a. in Bezug auf die elektromotorische Wirksamkeit. Ihre Resultate konnten von Niemand bestätigt werden. Was an ihnen etwa richtig war, er- gaben erst Biedermann’s im Eingang erwähnte, gründliche Versuche. An den Nerven hatte J. Ranke* inzwischen Köllikers Versuche wieder- holt und bestätigt, und Heubel’s° ausführliche Untersuchungen am Herzen lieferten eine überraschende Fülle von Beweisen für die Wiederbelebungs- fähigkeit dieses Organs durch Blut aus den verschiedensten Starrezuständen, darunter auch aus der Wasser- und Salzstarre. Doch gelang ihm Wieder- belebung aus der Wasserstarre durch 2procent. Kochsalzlösung nach Biedermann nicht. Die Möglichkeit, die quergestreifte Musculatur des Herzens durch Aenderung des Wassergehaltes ihrer Reactionsfähigkeit zu berauben und diese nachträglich wieder herzustellen, konnte nach diesen Versuchen nicht mehr bezweifelt werden, so wenig wie nach den Kölliker’- ! von Wittich, Virchow’s Archiv. 1858. Bd. XII. S. 431. ° Kühne, Dies Archiv. 1859. Physiol. Abthlg. S. 798. ® Preyer, Die Wiederbelebung totenstarrer Muskeln. Centralblatt für die med. Wissenschaft. 1864. S. 769. * J. Ranke, Die Lebensbedingungen der Nerven. Leipzig 1868. 8.541. ° E. Heubel, Die Wiederbelebung des Herzens nach dem Eintritt vollkommener Herzmuskelstarre. Pflüger’s Archiv. 1889. Bd. XLV. 8. 461. 70 J. HÄRTE: schen Experimenten dieselbe Möglichkeit für die Nervenfasern. Um so mehr durfte man erwarten, dass bei genügend vorsichtigem Verfahren auch die gewöhnlichen quergestreiften Muskeln, zumal der Kaltblüter, keine Aus- nahme bilden, die Kaiser’schen Angaben also auf unzweckmässiger Ver- suchsanstellung oder Täuschungen beruhen würden. Es liegen denn auch bereits mehrere Bestätigungen der Biedermann’schen Angaben vor. So führt L. Hermann! die Wiederbelebung wasserstarrer Froschmuskeln (Sartorius) durch 2 procentige Kochsalzlösung in seinem Physiologischen Practicum aus, und Meirowsky? fand, dass wie die Erregbarkeit so auch das „galvanische Wogen“ nach 10 Minuten langer Behandlung mit physio- logischer Kochsalzlösung wiederkehren können. Es existirt inzwischen noch keine nähere experimentelle Untersuchung des Gegenstandes mit specieller Berücksichtigung der Frage, ob und in wie weit die drei Grundfunctionen der Muskelsubstanz: Reizbarkeit, Reizleitungsvermögen und Contractilität, sich unter dem Einflusse des Wassers, bezüglich anisotonischer neutraler Salzlösungen etwa verschieden verhalten. Die Frage, welche in mehrfacher Hinsicht von allgemeinem physiologischem Interesse ist — schon deshalb, weil sie mutatis mutandis bei allen reizbaren und reizleitenden organischen Gebilden des Thier- und Pflanzenreiches wiederkehrt — ist neuerdings wieder lebhafter discutirt und in verschiedenem Sinne beantwortet worden. Die folgenden Versuche hoffen durch das neue thatsächliche Material, welches sie bringen, zu ihrer Entscheidung beizutragen. ! L. Hermann, Leitfaden für das physiologische Practicum. Leipzig 1898. 8.70. ® E.Meirowsky, Beiträge zur Kenntniss des galvanischen Wogens. Pflüger 's Archiv. 1898. Bd. LXXII. S. 442. ® Th. W. Engelmann, Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 315. — Ueber die physiologischen Grundvermögen der Herzmuskelsubstanz u. s. w. Zbenda. 1903. 8.109. — H. E. Hering, Ueber die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit, der Contractilität und des Leitungs- vermögens der Herzmuskelfasern u.s.w. Pflüger’s Archiv. 1901. Bd. LXXXV1. 8.533. Vergleiche auch ferner: Werigo, Zur Frage über die Beziehung zwischen Erreg- barkeit und Leitungsfähigkeit der Nerven. Pflüger’s Archiv. 1899. Bd. LXXVI. S. 552. — A. Noll, Ueber Erregbarkeit und Leitungsvermögen der motorischen Nerven unter dem Einfluss von Giften und Kälte. Zeitschrift für allgemeine Physiologie. 1903. Bd. III. 8.57. — G. Weiss, La conductibilite et P’exeitabilite des nerfs. Journ. de physiol. et de patholog. generale. 1903. T.V. p. 1. — Derselbe, Influence des variat. de temperat. et des actions mecaniques sur Pexeitabilite et la conduetibilite des nerfs. Fbenda. p.31. — Fr. W. Fröhlich, Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit der Nerven. Zeitschrift für allgemeine Physiologie. 1903. 8. 148. Die Abhandlungen der letztgenannten drei Autoren sind erst erschienen, nachdem meine Arbeit bereits abgeschlossen und niedergeschrieben war. EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w. 71 Eigene Versuche. 1. Versuche an quergestreiften Muskeln. I. Einfluss von Wasser und hypotonischer Kochsalzlösung auf Reizbarkeit und Oontractilität. Vorweg sei bemerkt, dass ich alle meine Versuche an dem M. sartorius stark eurarisirter Frösche (Rana esculenta) 'anstelltee Und zwar hielt ich mich bei der Präparation des Muskels streng an die von Biedermann! angegebene Methode, da es offenbar von der grössten Bedeutung für die Einwirkung des destillirten Wassers oder einer hypotonischen Kochsalzlösung ist, ob man einen vielfach verletzten oder einen möglichst intacten Muskel dieser Einwirkung aussetzt. Ohnehin werden stets die äusseren Schichten des Muskels am stärksten geschädigt, so dass auf eine Wiederherstellung der Contractionsfähigkeit der äusseren Fasern kaum zu hoffen ist zu einer Zeit, wo die Fasern im Innern des Muskels gerade erst in den Zustand der vollständigen Wasserstarre eingetreten sind. Um gute Resultate zu erhalten, kommt es, wie ich weiter unten nochmals hervorheben werde, darauf an, den Muskel in allen seinen Theilen möglichst gleichmässig der Wasserwirkung auszusetzen. Zur Reizung des Muskels benutzte ich Oeffnungsinductionsschläge eines du Bois’schen Schlitteninduetoriums, dem zwei Accumulatorzellen von etwa 4 Volt Klemmspannung den primären Strom lieferten. Die erste Reihe meiner Versuche hatte nur das Ziel, festzustellen, ob wasserstarre Muskeln durch Behandlung mit 2 procentiger und darauf folgender Behandlung mit 0-5 procentiger Kochsalzlösung wieder ‚contractionsfähig gemacht werden können. Nach Kaiser ist eine Wiederherstellung der Contractionsfähigkeit un- möglich bei einem wasserstarren Muskel, der auf stärkste Reize nicht mehr reagirt, wovon man sich allerdings durch eine der graphischen Methoden überzeugen müsse. Auch sei der Reiz an verschiedenen Stellen des Muskels anzubringen, wobei sich dann häufig noch Erregbarkeit an einzelnen Stellen zeige, während sie an anderen Stellen schon erloschen ist. Der Reiz träfe dann im Innern des Muskels noch nicht hinreichend geschädigte Fasern. Diese sollen bei einer in diesem Stadium der Wasserstarre möglichen Wieder- herstellung der Contractionsfähigkeit die wirksamen Fasern darstellen. Ich stellte meine Versuche in der Weise an, dass ich das Beckenende des Muskels vermittelst eines gleichzeitig stromzuführenden Kupferdrahtes, ! W. Biedermann, Beiträge zur allgemeinen Nerven- und Muskelphysiologie Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. 3. Abthlg. 1880. Bd. LXXXI. S. 76. 12 J. HÄptt: der durch das Acetabulum gestossen war, am Boden eines Becherglases befestigte, indem ich das hakenförmig gebogene Ende des Drahtes in einen am Boden des Glases festgekitteten Haken einhängte. Der Muskel wirkte vermittelst eines am Stumpf der Tibia befestigten Fadens auf einen schwach belasteten Schreibhebel, der die Contractionen 3!/, Mal vergrössert auf das berusste Glanzpapier des Kymographions aufzeichnete. Die zweite Elektrode legte ich bei jedem Reiz von neuem an, um. die Reizstelle wechseln zu können. Ausserdem standen mir durch Umlegung einer eingeschalteten ma [ut Tomeaf T | eealezle] mul DE] nmel] ER ER DEN | het us: KL ll! =! zunen, a1 je ala | TE (ealzela jim| | Be 163 Be! ie] ’ ES EEEFEFEEF FRE [ ii | [a E12 ee] | BE TER] ea (EEE m | ER | (EAN EAN BB | | ee | | I | Le] 1 erlen | fat aim | Em ml] EH 3 t - - = RES eRE BIER Fe h een I + il T In nn — -H 1 | eilt | [| kewle] BEE Bu | | KEN | Tzun en ui lman a azln T 1 EIN | | | | ELEN SHFHS-HFeH HESS Ei | Isa | HH Bi Mi oma] 2a nl oral fen 2 } | Ik el 1a | | | | | | = _—- 1 L 4 ale ja] mama] i | = nn 4 IL = ua | ame] P jeie | ! | Bl | ' [zalmBn] ini El 4—t + ——— I! I LE SL age [1 R En = all [ 5 r == Tsetmulamfi sc BEREEEREBSBEDEELE 00 SEE na Dune F H aBbige Lee EHE BEE = | | ra HH SIEH | OR eIEe T ar T To | | | II u a Ur elel2 Bee ee ee lreireiesienif Ilm Fir WIEN! _— + 4 ’ | ae ee mi L 1 N | 1 | deuiesteai en + IE | | as Fasaareneae (erlanlaui 0 3 70 75 20 2i5i 30 35 40 Fig. 1 5 Wippe stets noch ein Paar Handelektroden von 1” Abstand zur An- bringung von Reizen zur Verfügung. Nachdem ich mich durch Aufzeichnung einer maximalen Zuckung von der Tauglichkeit des Präparates überzeugt hatte, füllte ich das Gefäss mit destillirtem Wasser bezw. hypotonischer Kochsalzlösung so weit, dass der Muskel vollständig untergetaucht war, und schrieb die Zuckungen auf, welche auf die von Zeit zu Zeit erfolgenden Reize hin eintraten. In einigen Fällen beobachtete ich nun eine Zeit lang erhöhte Reactions- fähigkeit unter der Einwirkung des destillirten Wassers, die sich einmal in EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.W. 73 Steigerung‘ der Zuckungshöhe bei submaximalen Reizen, dann aber auch im Auftreten spontaner Zuckungen äusserte. Immer aber trat bald eine Abnahme der Anspruchsfähigkeit ein, die Reizschwelle sank tiefer und tiefer, bis endlich auch bei ganz aufgeschobenen Rollen keine Zuckungen mehr auszulösen waren. Die Höhe der Zuckungen für maximale Reize sank dabei innerhalb 15 bis 20 Minuten allmählich auf Null herab. Und zwar fiel sie im Be- ginn der Wassereinwirkung stets schnell ab, während sich der letzte Rest der Contractilität für bedeutend verstärkte Reize verhältnissmässig lange TE T el T T rm H DON! | ala sa Tee een] | | | ll | al l — - ae! Far —_— ri | | Bun EnnEnEBuNEBuN I 2. 4 ILL IL LIE N Yansn IB UEEg PERLE BEIEDIBEEENSELBEBEE a (ee IN [ aan] ala (8 N ziel] Jajmjarlele | It 1111 + | 1 =F- [or a ot H fee m m Ad 4 = I ol | al U A BEZ BAER 4 + 1: + - m 4 al, a 1 Il 1 sel a | | | | | Im t j olms kren ter m] of mp l LE! ü 7 Suach=r au] za] Joe 1 AL Lt 4 — | IE | | | | | oa im i JR ] JE Ana I 1 | ai Bo BE EN —! bull ii (all | 20 Bl | iB | 1 | | FI zieh [I 128 EB RE | LEN ale! 1 | [ feajsima T | | | IL | ee! | | | I} mei i 1 mimjamie [ EH malejaıj N Su u ı | 1 lo + ie | | + - en] LI Ib Le] ES N T T | 10 = a 1 tt 4 IL IE + - N ! Ik t nun N! + + 1 + - EEE elalswlalelajm lee Ir =rr aa Fr - = I 1 | | 12 LA SS EEE. | 2| SEDEIEDaDEEe SEHE AR - EOSEIE | | - | jaja jom je man en] je BaRSE \ [/) 3 10 15 20 25 30 351 Fig. 2. erhielt. Den Abfall der Zuckungshöhen für maximalen Reiz als Function der Dauer der Wassereinwirkung habe ich in den beigegebenen Curven (Figg. 1 und 2) zur Darstellung gebracht, in welchen die Ordinaten die Zuckungshöhen in Millimetern, die Abscissen die Dauer der Wassereinwir- kung in Minuten angeben. Die Punkte auf den Curven entsprechen den im Versuch erhaltenen Zuckungen. Die Einwirkung des destillirten Wassers unterbrach ich stets erst dann, wenn ich bei Rollenabstand O0 und bipolarer Abtastung des Muskels keine noch so geringe Zuckung mehr erhalten konnte! Dann heberte ich das 74 J. HÄRTL: destillirte Wasser bezw. die hypotonische Kochsalzlösung aus und ersetzte sie durch eine 2 procentige Kochsalzlösung, die nach etwa 5 bis 10 Minuten wieder durch eine 0-5 procentige Lösung ersetzt wurde. Es traten nun auf starke Reize einige Male schon während der Ein- wirkung der 2procentigen Kochsalzlösung die ersten minimalen Zuckungen auf, die allmählich an Intensität zunahmen und nicht selten endlich zur ursprünglichen Höhe wie vor der Wassereinwirkung wieder anwuchsen. Ich stellte im Ganzen auf diese Weise 19 Versuche an, von denen 11 positive Resultate ergaben. Unter diesen sind 3 Versuche, bei welchen ich die Wasserstarre durch Einwirkung von 0-1 procentiger Kochsalzlösung hervorrief. Es betrug bei nachfolgender Wiederherstellung der Contractionsfähig- keit die längste Dauer der Einwirkung von destillirtem Wasser 36 Minuten (s. Versuch Nr. 4 der Tabelle S. 75), die längste Dauer der Einwirkung von 0-1 procentiger Kochsalzlösung 37 Minuten (s. Versuch Nr. 10). Das negative Resultat, welches einige Versuche ergaben, lässt sich zum Theil auf Versuchsfehler zurückführen und auf die ungünstigen Ver- hältnisse, unter welchen dieser Theil meiner Arbeit angefertigt wurde. Die meisten Versuche wurden im Hochsommer angestellt, und es wurden die Frösche durch die herrschende Hitze stark mitgenommen, die ausserdem auch das Präparat schon bei der Herstellung ungünstig beeinflusste. Es kommt noch hinzu, dass die Muskeln auch durch die grosse Reihe maximaler Reize, denen sie ausgesetzt werden mussten, um das Schwinden der Erregbarkeit verfolgen zu können, stark geschädigt wurden; insbesondere geschah dies noch durch die äusserst kräftigen Induktionsschläge, durch deren Anwendung ich stets am Schluss der Wassereinwirkung das voll- ständige Erloschensein der Contractionsfähigkeit feststellte. Auch nachdem dieses geschehen war, liess ich fast stets I—2 Minuten vergehen, ehe ich das destillirte Wasser bezw. die hypotonische Kochsalz- lösung durch die 2 procentige Kochsalzlösung ersetzte. In einem Falle mit positivem Resultat nach 35 Minuten langer Ein- wirkung von 0-1 procentiger Kochsalzlösung liess ich bis zum Auswechseln der Lösungen sogar 11 Minuten vergehen, nachdem durch bipolare Ab- tastung mit Induktionsschlägen bei Rollenabstand O0 das Ausbleiben jeglicher Zuckungen festgestellt war (Versuch Nr. 11). Um die Reizbarkeit und Contractilität möglichst sicher und in mög- lichster Vollkommenheit wieder herzustellen, wird es sich empfehlen, die Kochsalzlösung schon kurz vor dem völligen Erlöschen der Zuckungen an Stelle des Wassers zu setzen. Die oberflächlichsten Fasern entgehen dann leichter der Gefahr irreparabler Schädigung. Vortheilhaft auch wird es begreiflicherweise sein, statt destillirten Wassers äusserst verdünnte, stark EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w. 75 hypotonische Salzlösungen zu verwenden. In meinen Versuchen mit 0-1 procentiger Kochsalzlösung erlosch die Reactionsfähigkeit durchschnitt- lich nach 30 Minuten, in reinem Wasser nach 20 Minuten. In den Ver- suchen mit reinem Wasser kehrte sie nach durchschnittlich 30 Minuten zurück, in denjenigen mit 0-1 procentiger Kochsalzlösung nach durchschnitt- lich 24 Minuten. Trotzdem die Zahl der Versuche klein und die durch- schnittlichen Abweichungen vom Mittel zum Theil recht gross sind, ist dies doch wohl kein Zufall. Die beigefügte Tabelle lässt den genaueren Verlauf meiner Versuche ersehen. | Maximale ee | | Zuckungshöhe Zeit, na lo - Bein Wieder In eo manga Ver- nn. , | Ausbleiben 2 ie nach | welcher Destillirtes |procent. |procent.|) eintritt VoE | Wieder: | suchs- zunder, ... Beginn |] ]. , letztere Wasser | NaCl- | NaCl- der der a zahl \Zuckungen __ x Ww . |lung der | 2uckung Lösung Lösung Zuckungen kenn Contrac- | erhalten | | | en | eb —— a = — ee ———— — Sn == m = = mm u 1 4410 Ano6u | An os2 An 432 72537 1021 10-5 | 515, 2 10 18 | 10 25 10 26 ‚10 32 10 48 19 8-5 10 58 3 3 14 3 28 3 30 | 3 38 3 Bu | ee 1 bi) 4 4 49 5 24 5 25| 5 35 5 34 | 36-5 18 5 43 5 6 6 24 6 25 | 6 30 6 48 | 24 | 24 Ü 6 3 39 3 55 358| 4 11 4 46 | 20 2.5 5 51 7 6 27 6 50 6 50 | 6 58 7.50. 1.27 9 7 52 Ss |ı 5 54 Gel 6 21|6 31 6 422 | 40 3 718 | 0.1 proe. | | | NaCl-Lösg. | Os 5377 6 7 6 9| 6 2A 624 | 23-5 8 6 50 10 | de 7 38 7 40 — | .7T56 43 ‚3 8226 E08 10 52 li) 40 2316 11 35 Die Tabelle giebt noch zu einigen Bemerkungen Anlass. Die Zuckungen erreichen, wie Vergleichung der vorletzten mit der drittletzten Spalte er- giebt, im Allgemeinen die anfängliche Höhe nicht wieder. In Versuch 5 ist jedoch die Wiederherstellung der Contractilität eine vollkommene, in Versuch 1 und 3 wenigstens annähernd vollkommen. Man sollte erwarten, dass im Allgemeinen die Erholung um so vollkommener sein würde, je früher die Zuckungen wiederkehrten, also je kürzer die Wasserstarre dauerte. Doch ist dies in unseren Versuchen, wie Vergleichung der Zahlen in der dritten und sechsten Spalte lehrt, nicht deutlich bemerklich. Individuelle Unterschiede der Muskeln, die zum Theil durch die Präparation, wie durch die verschiedene Zahl und Stärke der angewendeten Reize erst hervorgerufen sein mögen, mischen sich offenbar sehr stark ein. 76 J. HÄRTL: Eine weitere Reihe von Versuchen giebt Aufschluss über das Verhalten des zeitlichen Verlaufs der Contraction unter dem Einfluss von Wasser und hypotonischen Salzlösungen. Näheres hierüber ist in dem Abschnitt über das Leitungsvermögen der Muskelsubstanz zu finden (S. 80 u. flg., Fig. 6 u. 7). Hier sei nur soviel bemerkt, dass — im Gegensatz zu sehr vielen anderen Einwirkungen (Ermüdung, CO,, starke Salzlösungen, Veratrin und andere Gifte) — die Form des Zuckungsverlaufs durch die Quellung nicht wesentlich geändert und im Besonderen das Stadium der sinkenden Energie, die Decrescente, nicht verlängert wird. Es ist wesent- lich nur die Hubhöhe und damit auch die Gesammtdauer von Verkürzung und Verlängerung, die mit fortschreitender Quellung abnimmt. Das mechanische Latenzstadium für directe Reizung scheint wenigstens bei mässigen Graden der Wasserwirkung eher eine Verkürzung als eine Ver- längerung zu erfahren. Es ähnelt also die Wasserwirkung in manchen Punkten der Wirkung einer Temperaturerhöhung unterhalb der Temperatur der Wärmestarre. Die Aehnlichkeit dürfte insofern nur eine äusserliche sein, als beim Wasser es sich wohl wesentlich um eine Steigerung der Beweglichkeit durch Verminderung der inneren Widerstände, bei der Wärme um Steigerung der bewegenden Kräfte handelt. 1. Die Wirkung hypertonischer Kochsalzlösungen auf Erreg- barkeit und Contractilität des Sartorius. Eine in mancher Beziehung ähnliche Einwirkung auf Reizbarkeit und Contractilität der quergestreiften Muskulatur, wie destillirtes Wasser und hypotonische Kochsalzlösung zeigen stark hypertonische Kochsalzlösungen (2—3 procentig). Hierüber hat Herr Prof. Engelmann im Jahre 1894 eine Reihe graphischer Versuche angestellt, die an dieser Stelle zu veröffentlichen mir gestattet ist. Ein Versuchsbeispiel, welches die Aenderungen der Contractilität in typischer Weise veranschaulicht, zeigt beistehende Fig. 3. Die Curve ist gezeichnet von einem curarisirten Sartorius, der in regelmässigen kurzen Intervallen von 2 Secunden abwechselnd durch einen Schliessungs- und Oeffnungsinductionsstrom gereizt: wurde. Schliessung und Oeffnung besorgte ein Metronom mit Quecksilbercontact. Im primären Kreise befand sich ein frisches Grenet’sches Element. Der Schlittenapparat war nach Intensitäten graduirt. Die maximale Intensität wird = 1000 gesetzt. Das Beckenende des Sartorius wurde mit einer Klemme gefasst, die an einer verstellbaren Stange befestigt war, und der ganze Muskel unter die Flüssigkeit versenkt, so dass er nach aufwärts durch einen am tibialen EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U. S.W. Sehnenende angreifenden Faden, der mit dem Hebel in Verbindung stand, gespannt wurde mit einer Belastung von 5: jn isotonischer Anordnung. Die Vergrösserung durch den Hebel war eine 3!/,fache. Als Reizelectroden dienten 2 Nadeln, die bis I” von der Spitze mit isolirendem Lack über- zogen waren und in die Flüssigkeit getaucht wurden, so dass eine Spitze am tibialen Ende rechts, die andere am Beckenende links vom Muskel lag, in möglichster Nähe desselben. Der Muskel wurde also seiner ganzen Länge nach durchströmt. Die über- maximale Reizstärke betrug ? = 300. Die zur Anwendung kommenden Lö- sungen hatten eine Temperatur von 19: Zunächst zeigt Fig.3, wie unter der Einwirkung einer 3 procentigen, mit Curare versetzten Kochsalzlösung die anfangs kräftigen Zuckungen innerhalb kurzer Zeit auf O herab- sinken, um unter Einwirkung einer Mischung von !/, arteriellem Blut + ?/, 0-65 procentiger Kochsalzlösung sich wieder sehr vollständig zu er- holen. Der Muskel wurde zunächst in eine Mischung von !/, arteriellem Blut + ?/, 0-65 procentiger curarehaltiger Kochsalzlösung versenkt. Unter deren Einwirkung sind die ersten Zuckun- gen gezeichnet. Um 10% 9 (bei *) wird obige Lösung durch eine 3pro- centige Kochsalzlösung ersetzt. Die Zuckungshöhe nimmt sofort ab, und zwar gleichzeitig durch Hebung der Fusspunkte, wie durch Sinken der m nen are N x * Il 2 NEN, E- = DIE 77 Fig. 3. Gipfelhöhe: der Muskel verkürzt sich also in zunehmend g geringerem n MaBisse und erschlafft nach jeder neuen Zuckung weniger. Auch zeigt sich deutlich 78 J. Hirte: ein Wachsen der Erschlaffungsdauer. Schliesslich um 10% 9° sind die Er- hebungen der Schreibspitze bis fast zur Unmerklichkeit, jedenfalls auf weniger als 0-2 Procent der anfänglichen Höhe redueirt. Jetzt wird (bei = =) die Kochsalzlösung abgesogen und die ursprüngliche Blutkochsalzlösung ein- gefüllt. Alsbald nimmt die Grösse der Zuckungen wieder zu und zwar hauptsächlich durch wachsende Verlängerung des Muskels bei der Er- schlaffung. (Die anfängliche kleine Erhebung der Fusspunkte war eine rein mechanische Wirkung der Schwere des Muskels in Folge Aussaugens der Flüssigkeit.) Die Zunahme der Zuckungshöhen erfolgt ungefähr mit gleicher Geschwindigkeit wie vorher die Abnahme, erreicht aber auf der abgebildeten Strecke noch nicht die ursprünglichen Werthe. Die 3 procentige Kochsalzlösung ruft ebenso wie das destillirte Wasser eine dauernde, starke „tonische‘“ Verkürzung des Muskels hervor. Dieser ist jedoch in seinem Aussehen nicht so stark verändert wie der wasserstarre Muskel. Er ist von etwa normalem Volumen, nicht gequollen und weiss- lich trübe, sondern sogar durchsichtiger wie der normale Muskel und wie in einzelne Faserbündel zerfallen. Der Muskel ist schlaff und zeigt grosse Neigung sich zu runzeln, sich zu krümmen und zusammen zu ziehen. Wesentlich gleich war der Verlauf der Zuckungsänderung in anderen in derselben Weise angestellten Versuchen. Die Zuckungen kehrten auch dann zurück, wenn sie vollständig unmerklich geworden und auch mehrere Minuten lang unmerklich geblieben waren. Freilich wurde dann die ur- sprüngliche Zuckungshöhe nicht wieder erreicht, sondern meist nur zu etwa ?/, oder !/,, auch noch weniger. Eine Reihe anderer Versuche wurde bei grösserer Geschwindigkeit des Kymographioncylinders gezeichnet, um die Aenderungen im zeitlichen Verlauf der Contraction besser hervortreten zu lassen. Der ganze Muskel wurde in 3 procentige Kochsalzlösung versenkt und wirkte in isotonischer Anordnung auf einen 4 Mal vergrössernden Schreib- hebel bei einer Belastung von 52”%. Die Versuchsanordnung war übrigens dieselbe wie vorstehend beschrieben, nur befanden sich hier beide Reiz- eleetroden nahe dem Beckenende des Muskels, zu beiden Seiten desselben. Zur Reizung wurden einzelne Inductionsschläge benutzt mit 2 Groves im primären Stromkreis. Die Stimmgabel gab Schwingungen von !/,, - Beigefügte Abbildungen (Fig. 4a bis g) zeigen zunächst (Fig. 4a) eine vom unveränderten Muskel aufgenommene Zuckung. Dieselbe: steigt in etwa 0-1” zu ihrer höchsten Höhe an, um fast ebenso schnell wieder ab- zufallen. Um 9% 53° beginnt die Einwirkung der 3 procentigen Kochsalz- lösung. Sehr bald zeigen die Zuckungen eine characteristische Veränderung. Während die Zuckungshöhe stark sinkt, nimmt die Dauer des Anstieges merklich zu. Sie betrug 0-15” um 9% 56° (Fig. 4b). Viel auffälliger EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN UD.S.w. 79 aber ist die wachsende Verlängerung des abfallenden Schenkels und die wesentlich hierdurch bedingte Abstumpfung des Gipfels. Im weiteren Ver- lauf (10% 7, Fig. 4c und 10% 11‘, Fig. 4d) treten diese Erscheinungen mit Abnahme der Zuckungshöhe noch mehr hervor. Letztere fällt auch hier, wie unter Einwirkung des destillirten Wassers, zu An- fang schnell ab, später immer langsamer. Um 10% 12’ wird die 3 procentige Kochsalzlösung durch destillirtes Wasser ersetzt. Die Zuckungen nehmen wieder an Grösse zu, allmählich wird die Dauer des Anstieges eine kürzere(10%27’nur noch 0.095”), der stumpfe Gipfel kehrt zu einer spitzeren Form zurück (s. die charakteristische Curve Fig. 4e von 10% 16), der absteigende Schenkel verliert den langge- streckten Verlauf. Fig.4f(10%23’) zeigt weiteren Fortschritt gegen die Norm. Endlich erhalten wir Curven wie zu Anfang vom unveränderten Muskel (10% 55’ Fig. 48). Der Einfluss der hyper- tonischen Salzlösung auf dieForm und den zeitlichen Verlauf der Zuckungscurve ist hiernach äusserlich sehr ähnlich dem der Ermüdung und der CO,!, inso- fern auch hier die Verlangsamung der Erschlaffung, dieabnehmende Big. 4. Steilheit der Decrescente das auf- fälligste Phänomen ist. Vermuthlich handelt es sich in allen diesen Fällen um Vermehrung der inneren Widerstände. Inzwischen bestehen, wie bei der 4a ! A.D. Waller and S.C.M.Sawton, Action of carbonie dioxide on voluntary and on cardiac muscle. Journ. of physiol. 1896. Vol.XX. — Camill Lhotäk von Lhota, Untersuchungen über die Veränderung der Muskelfunction in einer Kohlensäure- atmosphäre. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 45. 80 J. HÄrTı: wesentlich verschiedenen Art der wirkenden Ursachen ja auch nicht anders zu erwarten ist, in anderen Punkten (Verhalten der Zuckungshöhe z. B.) so erhebliche Unterschiede, dass eine weitere Wesensverwandtschaft der inneren Vorgänge nicht vermuthet werden kann. Il. Ueber den Einfluss von destillirttem Wasser und hypo- tonischen Kochsalzlösungen auf das Reizleitungsvermögen des Sartorius. Eine weitere Reihe meiner Versuche verfolgte das Ziel, festzustellen, ob in einem partiell wasserstarren Muskel in dem wasserstarren Theil Reiz- barkeit und Leitungsfähigkeit für hier applieirte Reize fortbesteht trotz auf- gehobenen Contractionsvermögens. Kaiser giebt an, dass bei seinen diesbezüglichen Versuchen Zuckungen in dem intaeten Theil nur bei sehr starken Inductionsschlägen, die dem wasserstarren Theil applieirt wurden, aufgetreten seien. Jedoch hätten die- selben auch nach Durchschneidung des wasserstarren Theils und leitender Verbindung der Schnittflächen fortbestanden. Diese Zuckungen hätten also nicht auf physiologischer Leitung in dem wasserstarren Theil des Muskels beruht, sondern auf Stromschleifen. Ich stellte meine Versuche in folgender Weise an: Auf einer am Boden eines Glasgefässes von 10 = Länge, 6°” Breite und 4°m Tiefe festgekitteten Korkplatte befestigte ich den wie oben prä- parirten stark curarisirten Muskel mit einer schmalen Korkbrücke in der Weise, dass zwei Drittel des Muskels, und zwar das tibiale Ende desselben, in fast wagerechter Richtung vermittelst eines Fadens, der über eine, gleich- falls auf der Korkplatte unbeweglich befestigte Rolle geführt wurde, auf einen leicht spannenden Schreibhebel wirkten; während das andere Drittel, das Beckenende, aufwärts in senkrechter Richtung mit einem Schreibhebel in Verbindung stand, so dass ich die Zuckungen beider Theile aufschreiben konnte. Der wagerechte Theil des Muskels wurde der Einwirkung des destil- lirten Wassers u. s. w. ausgesetzt. An ihm waren auch in möglichster Nähe des tibialen Sehnenendes Reizelectroden angebracht. Die äusserst dünnen Reizdrähte federten nicht merklich, sondern folgten ungehindert den Be- wegungen des Muskels. Ausserdem war es mir noch stets möglich, ver- mittelst eines Paares Hand-Electroden von 1m Spannweite den Muskel an beliebigen anderen Stellen zu reizen. Nachdem ich mich von dem guten Ausschlag der beiden Schreibhebel bei Reizung überzeugt hatte, füllte ich das Gefäss vorsichtig mit destillirtem Wasser bezw. hypotonischer Kochsalzlösung, so dass nur der wagerechte Theil des Muskels gerade in die Flüssigkeit versenkt war, und reizte dann EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISOHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w. 81 den Muskel in geringen Zwischenräumen mit Oefinungs-Inductionsschlägen von zunehmender Stärke. Hierbei zeigte sich, dass bei derselben Reizstärke, bei welcher zuvor in beiden Theilen des Muskels maximale Zuckungen er- folgt waren, mit der Zuckungshöhe des der Wasserstarre entgegengehenden Theiles auch diejenige des intacten Theiles häufig allmählich bis auf O0 sank, während bei Verminderung des Rollenabstanudes in beiden Theilen noch Zuckungen kamen. Wenn dann auch diese wieder ausblieben, wurde der Rollenabstand wieder um etwa 1 bis 2°” verringert und so fort. Schliess- lich wurde dann eine Reizstärke erreicht, bei der nach vollständigem Auf- hören der Zuckungen im wasserstarren Theil diejenigen des intacten Theiles noch fortbestanden. Ob diese letzteren auf Stromschleifen beruhten, konnte nun zunächst allerdings zweifelhaft sein, obschon ich mich dadurch noch möglichst zu schützen suchte, dass ich sehr grosse Sartorien verwendete und die Entfernung der Reizelectroden vom nicht eingetauchten Theil des Muskels so gross wie möglich (bis 3°®) machte. Bei dem geringen Abstand der Reizelectroden von einander (1”®), ihrer innigen Berührung mit dem Muskel, bei dem grossen Querschnitt ferner der extrapolaren Strombahn, der die Stromdichte, und dem grossen specifischen Widerstand der den Boden des Gefässes füllenden Lösung, der die Stromstärke schon in ge- ringer Entfernung von der intrapolaren Strecke sehr herabdrücken musste, durfte ohnehin die Gefahr einer Täuschung durch Stromschleifen gering scheinen, um so geringer als der Muskel stark curarisirt war und somit nur seine eigene, im Vergleich zu der. der Nerven geringere Reizbarkeit in Betracht kam. Doch bedurfte es strenger Beweise. Ich versuchte zunächst die alte in solchen Fällen übliche und auch von Kaiser zur Controlle verwandte Methode der physiologischen Leitungs- unterbrechung, indem ich den Muskel im wasserstarren Theil durchschnitt. Es wurde zu dem Zweck zuvörderst der Zustand der Wasserstarre herbei- geführt, dann der Schwellenwerth des Reizes aufgesucht, der vom wasser- starren tibialen Ende aus eine Zuckung im contractilen Beckenende des Sartorius hervorrief. Dann wurde zu etwas stärkeren Reizen, die unfehlbar deutliche Zuckungen veranlassten, übergegangen und hierauf der Muskel im wasserstarren Theil quer durchschnitten. Die Schnittflächen blieben der Starre wegen in inniger Berührung. Es zeigte sich nun in einer grossen Reihe von Fällen, dass bei der- selben Stärke der Inductionsschläge, bei welcher sich vor der Durch- schneidung deutliche Zuckungen im intacten Abschnitt gezeigt hatten, diese nach der Durchschneidung ausblieben. Sie traten erst bei beträchtlicher Verminderung des Rollenabstandes (etwa 2 bis 3 °® bei schon übereinander gehenden Rollen) oder nach bedeutender Annäherung der Electroden an den contractilen Theil des Muskels wieder auf. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 6 82 J. HÄrTL: Um jeden etwaigen Zweifel zu beseitigen, bot sich die vergleichende Messung der Latenzzeiten bei Reizung im wasserstarren und im con- tractilen Theil des Muskels als sicheres Mittel dar. In den Fällen, wo wirklich Erregung im wasserstarren Theil stattgefunden und sich durch diesen zum schreibenden Beckenende des Muskels fortgepflanzt hatte, war eine erheblich grössere Latenzzeit zu erwarten, als bei directer Reizung des contractilen Stückes durch Stromschleifen. Hierbei war dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Dauer des Latenzstadiums bei directer Reizung sich mit der Stärke der Reize, bezüglich der Hubhöhen innerhalb gewisser Grenzen in umgekehrtem Verhältniss ändert.! Streng beweisend gegen Reizung durch Stromschleifen mussten also die Fälle sein, in welchen unter übrigens gleichen Bedingungen indirecte Reizung, vom wasserstarren Ende aus, bei stärkerer Verkürzung eine merklich längere Latenz ergaben als directe Reizung des Beckenendes, welche schwächere oder höchstens gleich grosse Zuckungen auslöste. Aenderungen der Leitungsgeschwindigkeit der Erregung im Muskel durch Einwirkung von destillirtem Wasser und äusserst verdünnter Kochsalzlösungen. Zur Entscheidung dieser Fragen lagen mir theils eigene, theils ältere von Professor Engelmann 1894 angestellte myographische Versuchsreihen vor. Beide führen zu identischen Ergebnissen. In den Versuchen von Professor Engelmann wurde der schonend frei- präparirte Sartorius eines stark curarisirten grossen Frosches in der Weise, wie das aus nebenstehender schematischer Figur ersichtlich ist, auf einem etwa | | förmigen Korkrähmchen befestigt, dessen dicker horizontaler Arm durch eine — in Figur 5 nicht gezeichnete — Schraubenklemme fest- gehalten wurde. Die Klemme befand sich am Ende eines höher und niedriger zu schraubenden Stabs, mittels dessen der Korkrahmen in ein unterstehendes kleines Becherglas von oben her eingesenkt werden konnte. Das Beckenende des Muskels wurde mit 2 kleinen Stecknadeln, die bis fast an die Spitze mit Siegellack überzogen und an welche die dünnen kupfernen Reizdrähte angelöthet waren, aussen auf dem einen vertikalen Arm des Korkrahmens festgesteckt (s. Fig. 5), der Muskel über den Ausschnitt des Rahmens herübergebrückt, das Knieende um den anderen vertikalen Arm nach oben umgeschlagen, so dass es in einer Länge von etwa 12 his 20%" ! Vgl. Rob. Tigerstedt, Ueber die Latenzdauer der Muskelzuckung. Dies Archiv. 1885. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 111. Die vollständige Litteratur siehe bei A. Durig, Wassergehalt und Organfunction. 2. Abthlg. Pflüger’s Archiv. 1901. Bd. LXXXVIL SS. 57. EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.8.w. 83 zum Aufschreiben der Zuckungen benutzt werden konnte. Zur besseren Fixirung war es nahe der Umschlagstelle mit einem dicken Zwirnfaden auf den Korkarm aufgebunden, doch nur so fest, dass es die Zugwirkung des horizontalen mittleren Stückes des Muskels auf den Schreibhebel verhinderte, die Leitung aber nicht schädigte, ein Verfahren, dessen sich bekanntlich schon A.von Bezold! mit Erfolg für ähnliche Zwecke bediente. — Das freie Muskel- ende zog mittels eines seidenen Fadens in isotonischer Anordnung an einem leichten, 12 mal vergrössernden Hebel von Aluminium. Das dicht bei der Axe umgehängte Gewicht von 508” ertheilte dem Muskel eine Spannung von etwa 52%, Zuckungen, Reiz- momente (Oeffnungen des primären Stromes eines gewöhnlichen Schlit- tenapparates) und Zeit (Stimmgabel von 50 Schwingungen in 1”) wur- den auf dem Pantokymographion verzeichnet unter Beobachtung der für derartige Leitungsmessungen erforderlichen Sicherheitsmaassre- geln?®. Da es für den vorliegenden Zweck nicht sowohl auf absolute Zeitwerthe als auf Differenzen sol- cher ankam, sind die, übrigens höchst geringfügigen, Correcturen für Retard der Schreibvorrichtungen nicht angebracht. Die Geschwin- digkeit der Schreibfläche betrug im entscheidenden Moment meist etwa 300 bis 400"®, was bei der Feinheit der von den Schreibspitzen gezeichneten Curven eine durchschnittliche Genauigkeit der Messung bis auf Werthe von etwa 0.0003” zulässt. Es wurden zuerst die Latenzzeiten für directe und indirecte Reizung bestimmt, während der Muskel in Kochsalzlösung von 0-67 Procent tauchte. Das Knieende blieb immer in wenigstens 15"", das Beckenende mit der Reizstelle in wenigstens 3"m Länge über dem Flüssigkeitsspiegel. Dabei ergaben sich dieselben Werthe, wie sie auch beim in Luft hängenden Sartorius gefunden werden: durchschnittlich bei direeter Reizung des Fig. 5. ı A. v. Bezold, Untersuchungen über die elektrische Erregung von Nerven und Muskeln. Leipzig 1861. ® Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LX. 8.28. — Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. 8. 330, 6* 84 J. HÄRTL: schreibenden Muskelendes für maximale Zuckungen (Gipfelhöhe der Curven meist 30 bis 40”"=) 0-01”, für die schwächsten Zuckungen, welche noch eine hinreichend scharfe Bestimmung zuliessen (Gipfelhöhe etwa 2”) höchstens 0-016”. Bei indirecter Reizung, am Beckenende, in etwa 1-5 bis 2.5°m Entfernung vom schreibenden Stück wurden Werthe erhalten von durchschnittlich 0.02 bis 0-024°, entsprechend einer Leitungsgeschwindig- keit von etwa 1-5 bis 2-5”. Die Einzelwerthe wichen. bei gleichem Ort und gleicher Stärke des Reizes nur sehr wenig von einander ab (im Mittel von mehreren Dutzenden von Versuchen um weniger als 0-001”). Sie änderten sich auch nur langsam. Insbesondere blieb die Latenz für directe Reizung in physiologischer Kochsalzlösung unter Umständen stundenlang merklich dieselbe. Auch die Latenzen für indirecte Reizung, also die Leitungszeit, blieb in dieser Lösung sehr lange Zeit merklich gleich. Nachdem die Reizungen während 5 bis 10 Minuten und länger in Kochsalzlösung von U-67 Procent fortgesetzt waren, wurde die Flüssigkeit abgehebert und destillirtes Wasser, bezüglich O-1procent. Kochsalzlösung von Zimmertemperatur (15-0 bis 16-5° C.) bis zur gleichen Höhe eingefüllt. Unter diesen Umständen fängt das untergetauchte Stück alsbald an zu quellen, während gleichzeitig Contractilität und directe Reizbarkeit rasch sinken. Da die Wasserwirkung sich auch auf die untere eingetauchte Partie des schreibenden Muskelendes erstreckt, hebt sich in Folge der durch die Quellung bedingten Verkürzung der Fasern allmählich die vom ruhenden Muskel gezeichnete Abscisse und nehmen die Hubhöhen auch für directe Reizung bald beträchtlich ab. In einigen Versuchen zeigte sich anfangs eine geringe Steigerung der Hubhöhen. Schon nach 2 Minuten aber schlug sie in ihr Gegenteil um. Die Leitungsgeschwindigkeit im untergetauchten Stück bleibt aber zunächst und auf längere Zeit merklich unverändert, denn die Latenzwerthe für indirecte Reizung bleiben dieselben wie zuvor. Schliess- lich — bei reinem Wasser manchmal schon nach wenigen Minuten, bei NaCl-Lösung von 0-1 Procent mitunter erst nach !/, Stunde und später — fangen aber die Latenzzeiten für indirecte Reizung an zu wachsen und er- reichen, trotzdem die Reizstärke und damit die Gefahr einer Verkürzung der leitenden Strecke in Folge extrapolarer Reizung sehr gesteigert werden muss, allmählich Werthe, die 0.07” und mehr betragen können, was einer Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit auf ein Viertel und weniger ent- spricht. Dauerte die Wasserwirkung noch länger an, so wurde die Leitung schliesslich ganz unterbrochen. Auch bei Reizung mit ganz aufgeschobenen Rollen blieb das tibiale Muskelende in Ruhe, während es auf sehr viel schwächere direete Reize noch mit der anfänglichen Latenz von etwa 0-01” reagirte. — Nach Abhebern des Wassers und Einfüllen von physiologischer Kochsalzlösung pflegte die Leitungsfähigkeit innerhalb 5 bis 15 Minuten EINFLUSS von WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w. 85 zurückzukehren. Die anfangs noch hohen Latenzwerte nahmen allmählich wieder bis zum anfänglichen Betrag ab, auch wenn die Hubhöhen dauernd bedeutend geschwächt blieben. Ganz dieselben Resultate ergaben sich auch in meinen eigenen Ver- suchen. Der Muskel wurde in der früher beschriebenen Weise fixirt und mit Schreibhebeln verbunden. Die Electroden lagen dauernd in möglichster Nähe des tibialen Sehnenendes. Die Handelectroden benutzte ich zur di- recten Reizung des Beckenendes. Zuerst überzeugte ich mich durch Anwendung starker Reize, ob der tibiale Theil des Muskels sich nach längerer Einwirkung von Wasser im Zustande vollständiger Wasserstarre befand. War dies der Fall, so ging ich mit der Stärke der Inductionsschläge so weit zurück, dass ich bei Reizung des tibialen Endes gerade noch eine deutliche Zuckung im intakten Beckentheil erhielt. Diese Zuckung schrieb ich dann vermittelst Engel- mann’s Schleudermyographion auf und ebenso eine durch directe Reizung des intakten Theils ausgelöste Zuckung auf derselben Abscisse. Hierbei ergab sich stets eine bedeutende Differenz der Latenzzeiten zu Gunsten der entfernteren Reizstelle und zwar von solcher Grösse, dass sie nur durch Leitung verursacht sein konnte. Bei Aufzeichnung mehrerer derartiger Curven von demselben Muskel musste die Stärke der Inductions- schläge allmählich gesteigert werden, da bei fortschreitender Wasserstarre Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit des wasserstarren Theils sank und so das Stadium, in welchem der Muskel noch leitungsfähig, aber nicht mehr con- traetionsfähig war, bald vorüber ging. Schliesslich erreichte ich eine Strom- stärke, bei welcher Stromschleifen direct den contractilen Theil erregten, so dass dann eine Differenz der Latenzzeiten nicht mehr vorhanden war. Während des Stadiums der vollständigen, noch nicht irreparablen Wasser- starre wurden aber so grosse Latenzzeiten gefunden, dass an directe Reizung des nicht starren Abschnittes durch Stromschleifen nicht zu denken war. Die Differenzen der Latenzzeiten übertrafen meistens diejenigen, welche sich bei Controllversuchen an normalen curarisirten Muskeln bei derselben Versuchsanordnung ergaben. Die aus den letzteren für die Leitungsge- schwindigkeit berechneten Werthe stimmen gut mit den durch frühere Autoren bei frischen ausgeschnittenen Sartorien gefundenen Werthen. In meinen Versuchen ergab sich bei directer Reizung des contractilen Abschnittes stets eine Latenzdauer von annähernd 0.017”. Bei indirecter Reizung erhielt ich am normalen curarisirten Muskel (Controllversuche) um 0.005 bis 0.007” längere Latenzzeiten, bei voll- ständiger Wasserstarre des tibialen Muskelendes Differenzen bis zu 0-031”, Zur Veranschaulichung mögen beistehende Figuren nebst Beschreibungen dienen. 86 J. Hixtı: Fig. 6a bis y entstammen einem Versuch vom 10. Februar 1894. Der stark curarisirte Sartorius wurde 10%18’ unter NaCl 0-67 procent. ge- bracht. Der Abstand der Reizstelle am Beckenende vom schreibenden Muskelstück betrug 18", Temperatur 16°C. Stimmgabel von 50 Schwin- sungen. In der Erklärung der Figuren bedeutet z die Stärke des reizenden Stroms in Tausendsteln der maximalen (bei O0 Rollenabstand), % die Hub- höhe, Z die Latenz in Tausendstel Secunden (1 = o) bei directer, A’ und / die entsprechenden Werthe bei indirecter Reizung des schreibenden Stücks. In jeder Minute wurden drei Versuche angestellt. Es wurden zunächst einige Bestimmungen bei direeter schwacher Reizung ausgeführt. Fig. 6a. Pig. 6a: 10220. Directe Reızung. ,— 10, 2R. -gmmseEi Bis 10%26° werden 12 indirecte Reizungen bei = 25 vorgenommen. h’ varjirt zwischen 36 und 38-5", 7 zwischen 21 und 22. 102277 — 15,.22 36:7. 30.5.0 23 10%28° wird die physiologische Salzlösung abgehebert und Kochsalz- lösung von 0-1 Procent zur gleichen Höhe eingefüllt. 10% 28° — 30: = 15, W = 42.5 — 33-0, ! = 20 — 23. 102. 31,135: u — 15,0 — 31.5 1.955;00 21,050: TORA0 Bien ee 12 er Trotz 12’ langen Aufenthalts in der 0-1 procentigen Salzlösung und trotz grösserer Reizstärke und Hubhöhe ist 7 um 16 grösser als Z im Ver- such Fig. 6a. Diese Differenz würde einer Leitungsgeschwindigkeit 4 = 1-1” entsprechen. EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w. 87 10%41.— 507: 7= 14, % 1050 55 1A, Il Hi N = on | SS a en mm N ISY) fr | PB (a) Fig. 6c. H0NS5ERIE2 60622 — 14,77 — 3.0, 2 —Hn. Trotz nur wenig geringerer Hubhöhe ist die Latenz auf mehr als den - doppelten Werth von der in Fig. 6b gestiegen, die Leitungsgeschwindigkeit also, da / voraussichtlich nahezu unverändert geblieben sein wird, etwa auf 45:18 = 0-4” gesunken. Von 10%55°— 11®0’ sinken die h’ auf 3”, die / steigen auf etwa 75. 11820 Fig.6d: «= 14, =3, !=75. (Entspricht etwa 4 = 62:18 = 0-3", 11%1’ giebt indireete Reizung auch bei ©= 32 keine Zuckung. Die 0-1 procentige Lösung wird durch NaCl 0-7procent. ersetzt. Bis 11"10' wird wiederholt direct gereizt, da indirecte Reizung auch mit noch stärkerem Strom erfolglos bleibt. = 75— 100, A=7-5 — 13.0, 2 =13— 16. me Ser De ——_ Fig. 6e. 11®8 Fig. 6e: direete Reizung = 100, k=7-5, /= 13. 1111 ist indirecte Reizung bei @= 50 wieder wirksam. Die Hub- höhen wachsen bis 11"20’ von 3 bis 8"m, 7 sinkt von 34 (erste Messung) bis 22 herab. Fig. 6f. 11%18° Fig, 6f: Indirecte Reizung: = 100, W" = 3-3, ! = 30. 88 J. HÄRTL: Fig. 68. 1119’ Fig. 6g: Indirecte Reizung = 50, "= 8-1, ! = 23. Die Leitungsgeschwindigkeit hat hiernach den anfänglichen Werth wieder erreicht. Die vorstehend abgebildeten Versuche wurden bei mässiger Geschwindig- . keit (250 bis 350m) des durch das Uhrwerk des Pantokymographions be- wegten Cylinders verzeichnet. In Fig. 7 sei noch der Anfang eines mit dem Schleudermyographion bei grösserer Geschwindigkeit (2100””) geschriebenen Curvenpaares ab- gebildet. Die Zuckungscurven sind nach abwärts gezogen, da der Angriffspunkt des Muskels auf derselben Seite von der Hebelaxe lag wie die schreibende Spitze. Die erste Curve (I) ist bei directer, die zweite (II) bei indirecter Reizung auf der gleichen Abscisse gezeichnet. Die Hubhöhen waren nahezu die gleichen. Die Latenz für I beträgt etwa 16, die für II etwa 470. Dies entspricht, da der Abstand der Reizstelle von der schreibenden Muskel- strecke 30 "”® betrug, einer Leitungsgeschwindigkeit von 0.98%. Die leitende Muskelstrecke hatte etwa 30 Minuten in 0-1 procent. NaCl-Lösung gelegen und war völlig ihrer Contractilität beraubt. IV. Einfluss von 3 procentiger Kochsalzlösung auf die Reiz- Leitungsfähigkeit des Muskels. Mit Benutzung derselben, oben ausführlich beschriebenen und in Fig. 5 auf S. 83 schematisch abgebildeten Versuchsanordnung konnte nachgewiesen werden, dass auch eine 3 procentige Kochsalzlösung die Contractilität einer Muskelstrecke bei gleichzeitiger Erhaltung der Leitungsfähigkeit auf- heben kann. Ein einziges Versuchsbeispiel genüge zur Erläuterung. Versuch vom 1. März 1894: Der Muskel wird mit Ausnahme des tibialen Endes um 2426’ in 3 procentige Kochsalzlösung untergetaucht und die in regelmässigen Zwischenräumen vermittelst des Metronoms durch Reizung des Beckenendes ausgelösten Zuckungen des intakten Muskelab- schnittes werden aufgeschrieben. Es wurde zunächst mit Oeffnungsinductions- schlägen von der Stärke © = 32 gereizt. Es sinken allmählich die Zuckungshöhen und die Reizstärke muss bis 75 gesteigert werden. In der leitenden Muskelstrecke selbst ist von 245’ EINFLUSS von WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.S.w, 89 an.auch bei stärkster Reizung keine Spur von einer Zuckung mehr wahr- zunehmen. Da schliesslich selbst Stromstärken von 600 bei Reizung des Beckenendes keine Zuckung des tibialen Endes mehr auslösen, dieses aber bei direeter Reizung mit schwachen Strömen (32) nach wie vor kräftig zuckt, können Stromschleifen nicht Ursache des positiven Er- folges der Reizung mit schwächeren Strömen oberhalb der salzstarren Strecke gewesen sein. Um 3#1’ wird an Stelle der 3procentigen Kochsalz- lösung destillirtes Wasser gesetzt. Es erholt sich hierauf die Leitungsfähigkeit zunächst nicht, und die Zuckungs- höhen sinken weiter. Die Stärke der Inductionsschläge wird bis zu ©= 750 gesteigert. Selbst hiermit gelingt es um 3516’ nicht mehr, Zuckungen des contractilen Ab- schnittes durch Reizung des Beckenendes auszulösen. Der untergetauchte Muskelabschnitt ist also vollkommen starr und leitungsunfähig. Bei directer Reizung des contractilen Muskelabschnittes treten auch jetzt noch bei schwachen Inducetionsschlägen die kräftigsten Zuckungen ein. Um 3h15’ wird an Stelle des destillirten Wassers eine 1 pro- centige Kochsalzlösung gebracht, worauf sich die Leitungs- fähigkeit des wasserstarren Abschnittes wieder herstellt. Die zur Auslösung von Zuckungen erforderliche Stromstärke sinkt auf 600 und weiter herab. Obschon in diesen Versuchen die untergetauchte lei- tende Muskelstrecke etwaige eigene Zuckungen nicht auf- schreiben konnte, belehrte doch die Inspection mit ge- nügender Sicherheit darüber, ob ihre Contractilität aufgehoben war oder nicht. Zwar stellt Kaiser die Forderung, dass man sich durch eine der graphischen Methoden von der Contractionslosigkeit des wasserstarren Muskels überzeugen müsse. Ich habe dies bei meinen Versuchen auch stets gethan. Hierbei hatte ich jedoch reichlich Gelegenheit, mich zu überzeugen, wie es mit der Berechtigung der Forderung Kaiser’s stehe. Sicherlich hat die graphische Aufzeichnung den Vorzug des objectiven Beweises, aber an Sicherheit steht das blosse Sehen der minimalsten Zuckungen dem graphischen Verzeichnen derselben durchaus nicht nach! Manchmal handelt es sich nur um die Spur einer Zuckung in einer kurzen Strecke eines Faserbündels, die recht gut mit dem Auge wahrzunehmen ist, sich aber nicht merklich auf den Hebel überträgt. Unzweifelhaft kann — das lehren diese Versuche — die quergestreifte Muskelsubstanz durch 3procentige Kochsalzlösung des Leitungs- Fig. 7. 90 J. HÄrTt. vermögens wie der Contractilität und directen Reizbarkeit ganz beraubt, und kann diese Salzstarre durch Wasserzufuhr wieder beseitigt werden. Es folgt aber weiter daraus, wie aus den früheren Versuchen, dass auch eine nicht mehr contractile Muskelstrecke doch noch den physiologischen Erregungsvorgang fortzupflanzen vermag, das Leitungsvermögen der Muskelsubstanz also jeden- falls als eine von der Contractilität innerhalb gewisser Grenzen unabhängige Function der Muskelsubstanz zu betrachten ist. Für die Unabhängigkeit des Leitungsvermögens von der Reizbarkeit (Anspruchsfähigkeit) des quergestreiften Muskels haben die sehr sorgfältigen Versuche von G. Piotrowski! über die Einwirkung von CO, und von Alkohol auf den curarisirten Froschsartorius den gleichen Nachweis geliefert. P. bediente sich statt der Zuckung der negativen Schwankung des De- markationsstromes als Reagens. Der mittlere Theil des auf dem Muskel- spanner von du Bois Reymond befestigten Sartorius befand sich in einer kleinen feuchten Kammer, durch welche die Gase hindurch geführt werden konnten. Ein Paar Reizelectroden (I) lag innerhalb der Kammer ganz nahe an der der abgeleiteten tibialen Strecke des Muskels zugekehrten Wand, ein zweites Paar (II) ausserhalb nahe dem Beckenende. Hier zeigte sich nun aber, umgekehrt wie in unseren Versuchen, dass das Leitungsvermögen viel stärker geschädigt wurde als die directe Reizbarkeit. Es gelang sogar, die Leitungsfähigkeit ganz aufzuheben unter Erhaltung der lokalen Reiz- barkeit. Nach Verdrängen des alkoholhaltigen Luftgemenges oder der CO, mittelst feuchter Luft kehrte das Leitungsvermögen zurück. Wie beim Wasser nach unseren Erfahrungen und im Gegensatz zum Verhalten der Nerven unter gleichen Umständen (s. unten) erfolgte die Abnahme und das Schwinden des Leitungsvermögens wie auch ihre Wiederherstellung sehr rasch, im Laufe weniger Minuten. — Theoretisch bedeutungsvoll scheint uns besonders die nunmehr fest- gestellte Thatsache, dass Contractilität und Reizbarkeit in ihrer Beziehung zum Leitungsvermögen sich ganz entgegengesetzt verhalten können, indem ein Agens (CO,, Alkohol) die Leitungsfähigkeit aufhebt und die Reizbarkeit erhält, das andere (Wasser) die Leitungsfähigkeit und Reizbarkeit weniger, die Contractilität mehr schädigt. Die principielle Selbstständigkeit und weit- gehende Unabhängigkeit der drei Grundfunctionen der Muskelsubstanz, der inotropen (Contractilität), der bathmotropen (Anspruchsfähigkeit) und der dromotropen (Leitungsfähigkeit) erscheint damit a fortiori erwiesen. ! G. Piotrowsky, Ueber die Trennung der Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit der Nerven. Dies Archiv, 1893. Physiol. Abthlg. S. 205, EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.s.w. 91 2. Versuche an Nerven. I. Einfluss von Wasser. Da schon die älteren im Eingang erwähnten Versuche von Kölliker den strengen Nachweis geliefert haben, dass auch der Nerv durch reines Wasser seiner Erregbarkeit, soweit über diese aus dem Verhalten des zu- gehörigen Muskels geurtheilt werden kann, völlig beraubt, nachher aber durch Wasserentziehung wieder belebt werden kann, beschränkte ich mich auf wenige Versuche, bei denen namentlich das Verhalten von Leitungs- vermögen und localer Reizbarkeit für sich beachtet werden sollten. Wiederum überzeugte ich mich zunächst, ob ein ‚„wasserstarrer‘“ Nerv durch nachträgliche Behandlung mit physiologischer oder hypertonischer Kochsalzlösung wieder erregbar und leitungsfähig gemacht werden kann. Dabei ergab sich eine Bestätigung der Kölliker’schen Angaben. Ich be- nutzte gleichfalls den im Zusammenhang mit dem Gastrocnemius möglichst lang präparirten Ischiadicus grosser Esculenten und reizte mit Platinelec- troden von 1”m Abstand. Der Nerv wurde zuvörderst in ganzer Länge, bis an den Muskel heran in ein Uhrschälchen mit destillirtem Wasser ge- lest. Wie beim Muskel sank allmählich die Reactionsfähigkeit, doch sehr viel langsamer als beim curarisirten Muskel. Es vergingen durchschnitt- lich 4 Stunden ehe Reizung des Nerven von keiner Stelle seiner Länge aus mehr Zuckungen auslöste. Auch in Kölliker’s Versuchen war der Verlauf ein ähnlich langsamer. Hierbei zeigten sich die bekannten auffälligen Veränderungen im Aus- sehen des Nerven!. Das Volumen nimmt bedeutend zu, an den Quer- schnitten quillt die Nervensubstanz weit vor, der ganze Nerv sieht weisslich getrübt aus. Er ist, wie ein ebenso behandelter Muskel, nicht mehr schlaff wie vor der Wassereinwirkung, sondern steif. Hatte ich die Unerregbarkeit des Nerven bis dicht an den Muskel für Induetionsschläge bei übereinander geschobenen Rollen festgestellt, so brachte ich denselben in eine 2 procentige Kochsalzlösung, später in eine 0-5 pro- centige. Hierbei zeigte sich fast regelmässig eine Rückkehr der Erregbar- keit fast bis zur anfänglichen Empfindlichkeit, und zwar hatte schliesslich auch Reizung des centralen Nervenendes Erfolg. Auch zur vollständigen Wiederherstellung der Erregbarkeit bedurfte es einer ungemein langen Einwirkung der Kochsalzlösungen. Oft kehrten erst nach 10 bis 14 stündiger Dauer der Salzeinwirkung die ersten Zeichen der Erregbarkeit zurück! An zweiter Stelle versuchte ich Näheres über das Verhalten des Reiz- leitungsvermögens unter Wassereinwirkung zu ermitteln. Zu dem Zwecke ! Harless, Münchener gelehrte Anzeiger. 10. Juli 1857. — Birkner, Ueber den Werth des Wassers in der Nervensubstanz. Dissertation. Augsburg 1857, 92 J. HÄRrTL: versenkte ich den mittleren Abschnitt (etwa das mittlere Drittel) des Nerven in destillirtes Wasser. Es fielen dann hier die oben beschriebenen Ver- änderungen im Aussehen des wasserstarren Theiles besonders in die Augen wegen des Gegensatzes zu dem Aussehen der unveränderten Abschnitte: die beträchtliche Quellung, weissliche Trübung, dazu die Steifheit. Regelmässig zeigte sich baid eine Herabsetzung der Erregbarkeit im wasserstarren gegenüber dem vom Muskel entfernteren, normalen Ab- schnitte. Bei einem Rollenabstande, bei welchem vom oberen normalen Drittel aus Zuckungen noch ausgelöst wurden, kamen solche bei Reizung des wasserstarren Abschnittes nicht zu Stande! Der Schwellenwerth der Reizstärke stieg an beiden Stellen, jedoch für die in Wasser gequollene viel schneller. Schliesslich erwiesen sich auch die stärksten Reizungen an beiden Stellen unwirksam, doch stets später die der oberen nicht gequollenen Strecke. Hiernach wirkt das Wasser auf Anspruchsfähigkeit und Leitungs- vermögen wie des Muskels so auch des Nerven in wesentlich derselben Weise ein wie nach Grünhagen’s! bekannten Versuchen die Kohlensäure, und nach Efron? der Amylalcohol auf den Nerven. Indem es wie diese Stoffe eine weitgehende Schädigung, sogar völlige Vernichtung der Anspruchs- fähigkeit für directe electrische Reize erzeugt und das Leitungsvermögen gleichzeitig nicht oder doch vergleichsweise viel schwächer beeinträchtigt, giebt es ein neues Beweismittel für den Satz, dass wie beim Muskel so auch beim Nerven Leitungsvermögen und Reizbarkeit zwei verschieden- artige, specifische Functionen sind. Auch hier sei noch besonders an die wichtige Arbeit Piotrowski’s erinnert, welcher diese Unabhängigkeit der beiden Functionen für den Nerven (Ischiadicus des Frosches) durch sorg- fältigste und vielseitigste Untersuchung seines Verhaltens bei Einwirkung von CO,, CO und Alcohol nachwies. Von seinen Ergebnissen sei nament- lich noch hervorgehoben, dass Alkoholdampf auf den Nerven in gleichem Sinne wirkt wie auf den Muskel, nämlich nicht so wie CO, und CO das Leitungsvermögen weit weniger als die örtliche Reizbarkeit schädigt, sondern umgekehrt. Am Nerven zeigte sich mir noch besonders deutlich eine Erscheinung, die mir auch am Muskel schon vielfach aufgefallen war. Ich beobachtete bei fortschreitender Wasserstarre, wenn ich die Unerregbarkeit für eine gewisse Reizstärke festgestellt hatte, dass durch mehrfache Wiederholung des Reizes die Erreobarkeit für diese Reizstärke häufig wieder zurückkehrte. So wurden oft Unterschiede in der Erregbarkeit des wasserstarren Ab- ! A. Grünhagen, Versuche über intermittirende Nervenreizung. Pflüger’s Archiv. 1872. Bd.VI. S. 180. ? J. Efron, Beiträge zur allgemeinen Nervenphysiologie. benda. 1885. Bd. XXXVL S. 498. EINFLUSS VON WASSER U. ANISOTONISCHEN KOCHSALZLÖSUNGEN U.8.w. 93 schnittes des Nerven oder Muskels gegenüber derjenigen der unveränderten Abschnitte durch mehrfache Reizung des ersteren wieder ausgeglichen. Es stellte sich auch an Nerven und Muskeln, die ihrer ganzen Länge nach in destillirtes Wasser versenkt waren, häufig die Erregbarkeit für eine gewisse Reizstärke wieder ein, nachdem vorher durch eine grössere Anzahl starker Inductionsschläge die Unerregbarkeit wiederholt festgestellt war — während vorher die Zuckungen regelmässig ausgeblieben waren, traten sie nach einer Reihe von Reizen bei derselben Reizstärke wieder ebenso regelmässig auf. IH. Einwirkung hypertonischer Kochsalzlösung. Aehnliche Resultate wie mit Wasser erhielt ich bei Versuchen mit hypertonischer Kochsalzlösung. Ich versenkte den Nerven in eine 3 pro- centige Lösung, wonach dann nicht selten spontane Zuckungen des zu- gehörigen M. gastrocnemius ausbrachen. Nach 5 bis 6 Stunden war der Nerv vollkommen unerregbar für Oefinungsschläge bei übereinander ge- schobenen Rollen und 4 Volt Klemmspannung im primären Stromkreis. Darauf versenkte ich den Nerv in eine hypotonische 0-2 bis 0-3 procentige Kochsalzlösung. Hier stellte sich in verhältnissmässig kurzer Zeit, '/, bis 2 Stunden, die Erregbarkeit vollständig wieder her. Der Nerv war unter der Einwirkung der hypertonischen Kochsalzlösung von schlafferer Consistenz wie in normalem Zustande, im übrigen zeigte er kaum ein verändertes Aussehen. Auch rücksichtlich der Kochsalzlösung kann ich also Kölliker’s Ergebnisse bestätigen. Zum Schluss dieser Arbeit sei es mir gestattet, Herrn Geheimrath Engelmann, der die Anregung zu derselben gegeben und ihr auch ferner- hin das wärmste Interesse entgegengebracht hat, meinen verehrungsvollsten Dank auszusprechen. Auch Herrn Prof. Schultz bin ich für Durchsicht des Manuscripts zu grossem Dank verpflichtet. Untersuchungen über die Steatogenesis der Organe. Von Dr. Constantin Mavrakis. (Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Athen.) (Hierzu Taf. I.) D. Die Frage der Fettumbildungen der Gewebe bei verschiedenen Zuständen ist, trotz der grossen Anzahl der dahin abzielenden Experimente, noch bis auf den heutigen Tag weit davon entfernt eine endgültige Lösung gefunden . zu haben. Nach Ansicht der Einen — und an erster Stelle von Pflüger — wäre eine Fettumbildung der Zellen überhaupt ausgeschlossen, es läge viel- mehr eine belangreichere Zufuhr von Fett durch das Blut vor, so dass die fettige Degeneration gänzlich fehlte, und das, was wir mit diesem Namen bezeichnen, nur eine Infiltration der Organe mit schon vorher im Organismus existirendem Fette wäre, für die Anderen — und an erster Stelle für Voit — dagegen wandelt sich das Plasmaalbumin der Zellen in Fett um. Auch die Anhänger dieser zweiten Theorie sind unter sich nicht einig, ob die Steatogenesis in Folge directen Einflusses durch die Gifte und die Toxine der Mikroorganismen hervorgerufen wird, oder ob letztere indireet durch Verminderung der Sauerstoffaufnahme und den mangelhaften Fett- verbrauch in der Körperöconomie einwirken. | Uebrigens sind dies nicht die einzigen in Bezug auf diese Frage ver- öffentlichten Theorien, doch halten wir es für unnöthig, uns auf Einzelheiten einzulassen, nur möchten wir bemerken, dass für die Mehrheit innerhalb der medicinischen Welt die Umbildung des Albumins in Fett auf der Hand liegt, dass aber bis heute weder hierüber chemische Theorien vorliegen, (CONSTANTIN MAVRAKIS: UNTERSUCHUNGEN U. $S.W. 95 noch auch sonstige Beobachtungen consequent diesen Gesichtspünkt verfolgt ‘haben, um über die erwähnte Umbildung volle Klarheit zu schaffen. Von der Meinung ausgehend, dass die Wissenschaft — trotz aller ge- machten Fortschritte — noch nicht dahin gelangt sei, das Problem auf chemischem Wege zu lösen, haben wir uns anderer Verfahren bedient, welche auf Beobachtung der directen Einwirkung der Gifte und Toxine auf die Gewebe abzielten und haben zu diesem Zwecke an verschiedenen Thieren experimentirt. IT. Wir nahmen unsere Versuche an Hunden und Kaninchen vor, wobei wir uns des Phosphors, sowie mikrobischer Toxine als steatogener Substanzen bedienten. Bei einem Theil dieser Thiere, vor. Allem der Hunde, öffneten wir aseptisch den Bauch, nachdem wir dann die Blutgefässe der Leber (afferenten und efferenten) offen gelegt und fest verbunden, injicirten wir in einen der Pfortaderäste destillirtes Wasser, worin zu verschiedenen Dosen und in Form von winzigen Körperchen gelber Phosphor suspendirt schwebte. Nachdem wir die Canüle herausgezogen, machten wir eine neue Ligatur, um den Austritt der Flüssigkeit zu verhindern. Bei einer anderen Serie von Thieren injieirten wir zuerst den Phosphor und dann erst legten wir die Ligatur an die Blutgefässe der Leber. Die operirten Thiere sind einige Stunden nach der Injection gestorben, die Section hat immer kurze Zeit nach dem Tode stattgefunden. Makroskopisch zeigte das Parenchym der Leber Flecken von gelbem Aussehen im Wechsel mit solchen von bräunlicher Farbe, und zwar im Leberlappen, in welchen der injicirte Pfortaderast sich verzweigte, der Rest des Organs war nur hyperämisch. Leberstücke aus verschiedenen Theilen des Organs (sowohl aus der von der Injection eingenommenen Partie, wie aus der freien) wurden in die Altmann’sche Flüssigkeit gebracht, dann in Paraffin eingebettet und die so erhaltenen Schnitte mit verschiedenen Färbungen versehen. Die auf mikroskopischem Wege beobachteten Läsionen waren ver- schiedener Natur, und zwar war die Mehrzahl darunter nur die Folge der Unterbindung der Gefässe, sowie der Blutstockung, was wir ohne Weiteres übergehen. Diejenige Läsion aber, die am meisten in die Augen springt, ist die fettige Degeneration, und zwar ist die Fettumbildung der Leberzellen eine ganz ausserordentlich intensive (Taf. I, Fig. 1). Diese Degeneration ist in vielfachen Herden verstreut, die sich immer in der Nähe der Capillaren des Pfortaderastes befinden, in welchen Phosphor eingespritzt war. 96 ÜONSTANTIN MAVRARIS: Um die intensiv degenerirten Theile herum trifft man in den Leber- zellen kleine Fetttröpfehen an, die sich in dem Maasse vermindern, als man sich von den erwähnten Herden entfernt. Wir entdeckten die Gegenwart von Fett zuerst mit Hülfe der Osmium- säure (der Altmann’schen Flüssigkeit), durch welches Mittel ersteres schwarz gefärbt wurde, dann aber mittelst fettauflösender Substanzen. Nach Behandlung der Schnitte mit Alkohol und Aether zeigten die Leberzellen Vacuolen an den Stellen, die von den mittels der Osmiumsäure schwarz gefärbten Fetttröpfchen eingenommen waren (Taf. I, Fig. 2). Bei öfterer Wiederholung desselben Experimentes haben wir immer dieselbe fettige Degeneration und die gleiche Regelmässigkeit in der Ver- theilung des Fettes um die Capillaren, denen Phosphor injicirt war, bemerkt, weshalb wir die bezügliche Veränderung einer directen Einwirkung des Giftes auf die Zellen zusprechen, deren Zellenplasma das Material für die Erzeugung des Fettes liefert. Durch Unterbindung der Blutgefässe der Leber (afferenten und efferenten) ist jede Einführung von Fett durch das Blut absolut ausgeschlossen, wenn man nicht etwa die kleinen, fast capillarartigen Gefässe dafür in Anspruch nehmen wollte, die in die Leber durch das Ligamentum suspensorium ein- treten, welche Voraussetzung aber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann. Ill. Von dem Wunsche geleitet, zu beobachten, ob der Phosphor dieselbe Einwirkung auch auf das Zellenprotoplasma der Organe ausübt, wenn sie aus dem Organismus ausgeschieden sind, haben wir auf dieselbe Weise in vitro experimentirt. In frisch und aseptisch dem Thierkörper entnommene Kaninchenleber injieirten wir durch die Pfortader das schon erwähnte Phosphorpräparat, wobei die vollständigen Organe in eine vorher sterilisirte physiologische Kochsalzlösung gelegt wurden. Die Gefässe, welche die Organe enthielten, waren bald der Temperatur der Umgebung ausgesetzt, bald in einen Kasten gebracht, dessen Temperatur bei 37° durch einen Thermostaten constant gehalten wurde. Als wir nach 12 bis 24 Stunden die Organe untersuchten, bemerkten wir dieselbe fettige Degeneration der Leberzellen, welche sogar in gewissen Fällen noch intensiver war (Taf. I, Fig. 3). Nach unserer Schätzung ist mit dieser zweiten Reihe von Experimenten die directe Einwirkung des Phosphors auf die Zellen bewiesen. Nun kann hier weder die Einführung von Fett durch das Blut, noch der Mangel an Sauerstoff der Gewebe als Ursache UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE STEATOGENESIS DER ÜRGANE. 97 beobachteter Degeneration herangezogen werden, indem in auf gleiche Weise und ohne Injection von Phosphor behandelten Lebern eine gleichartige Läsion in keiner Weise zu be- merken war. Ä IV. Im weiteren Verfolge unserer Experimente in gleicher Richtung beob- achteten wir die directe Einwirkung der verschiedenen mikrobischen Toxine auf die Gewebe. So injieirten wir durch die Nierenarterie von Kanincher, nach asep- tischem Oeffnen der Bauchhöhle, Dosen von Toxinen, und zwar diphtherische wie typhische, unter gleichzeitiger Unterbindung der Nierengefässe. Die injieirten Dosen beschränkten sich beim diphtherischen Toxin auf 1/0 bis 2], cm. Dieses nach der Methode von Martin zubereitete und vorhergehend versuchte Toxin tödtete das Meerschweinchen und Kaninchen in Dosen von !/), = und unter den classischen Symptomen. Nach Injection dieser Toxine durch die Nierenarterie starben die Thiere innerhalb 18 bis 24 Stunden. An den mit einer Lösung von Osmiumsäure behandelten Schnitten der Niere bemerkten wir eine fettige Degeneration der Harncanälchen, welche der entsprechenden Menge der Toxininjection entsprechend war. Es lässt sich bemerken, dass die durch Injection von !/,,“® diph- therischen Toxins (Taf. I, Fig. 4) hervorgerufene fettige Degeneration geringer war, als die durch Injection von ?/,° = des Toxins bewirkte (Taf. I, Fig. 5). Das Typhustoxin injieirten wir in Dosen von !/, bis 1°=, die ent- sprechende fettige Degeneration war erheblich (Taf. I, Fig. 6). In Bezug auf das diphtherische Toxin bemerkten wir, dass unter den. degenerirten Canälchen sich einzelne zeigten, bei denen im Innern der Epithelialzellen keine Spur von Fett auftrat, während beim Typhustoxin die Läsion gleichmässiger vertheilt war. Wohlverstanden fanden wir ausser der fettigen Degeneration auch andere Läsionen, wie Capillarhämorrhagien, Exudatvenen im Körper der Harncanälchen u. s. w., wahrscheinlich waren dies Folgen von Reibungen, die etwa dem Drucke der injieirten Flüssigkeit, sowie der Ligatur zuzu- schreiben sind. Um den durch die Toxine hervorgerufenen Effect zu controliren, injieirten wir durch die Nierenarterie nach Unterbindung der Gefässe eine bestimmte Menge sterilisirte Bouillon (1!/, bis 2 °°m), welche grösser war, als das Toxin gewesen. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 7 98 CONSTANTIN MAYVRARIS: In Folge dieser Operation war der Traumatismus der Niere bedeutender, die Capillarhämorrhagien u. s. w. ausgesprochener, aber die fettige Degene- ration der Harncanälchen war unbeträchtlich und beschränkte sich auf die peripheren unter der Nierenkapsel liegenden Canälchen; selbst in diesem Falle waren die Fetttröpfchen ganz klein. Aus dieser dritten Reihe von Experimenten glauben wir mit Recht entnehmen zu können, dass die Toxine local wie die Gifte, und speciell an erster Stelle der Phosphor, einwirken und dass sie Nekrose, sowie fettige Degeneration hervorrufen. V. Im weiteren Verlaufe unserer Experimente beobachteten wir, dass Phosphor, der nach Exstirpation der Schilddrüse Hunden injicirt war, eine weit bedeutendere fettige Degeneration bewirkte, als wenn die gleiche Gift- dosis anderen Hunden desselben Alters und gleicher Grösse eingespritzt wurde, bei denen die Schilddrüse nicht fehlte (Taf. I, Figg. 7 und 8). Um diesen Unterschied im Grade der fettigen Degeneration klar zu stellen, liessen wir uns von der Voraussetzung leiten, dass vielleicht das Fehlen der Schilddrüse Ursache dieser Erscheinung gewesen sei, und in der That konnten in einer Reihe von Experimenten bei nicht hungernden Hunden, bei denen wir die Schilddrüse entfernt hatten, eine ziemlich inten- sive fettige Degeneration der Leber und der Niere constatiren, welcher Umstand unseres Wissens bis heute noch nicht aus unzweideutigen Experimenten geschlossen ist. Die Fettumbildung der Zellen nach Exstirpation der Schilddrüse erklärt sich wahrscheinlich aus der Wirkung von Giftstoffen, welche nun nicht neutralisirt werden. vl. Allerdings bleibt bei allen diesen Experimenten die chemische Frage der Erzeugung des Fettes im Dunkeln, trotzdem aber meinen wir, gewisse Schlüsse ziehen zu dürfen. Dass die durch Toxine hervorgerufene fettige Degeneration nicht sehr bedeutend ist, kann dem Auftreten von Fett, welches sich bei der Zusammen- setzung der Elemente betheiligt, zugesprochen werden (verdecktes Fett, graisse larvee).. Neuerdings hat Nerking! bei einer grossen Reihe von Eiweisskörpern Fett durch Aether extrahirt und daraus geschlossen, dass Fetteiweissverbindungen existiren. Bei den Experimenten dagegen, die mit Phosphor angestellt wurden, zeigte sich die Fettproduction so bedeutend, dass viele Leberzellen voll- ! J. Nerking, Ueber Fetteiweissverbindungen. Archiv für die gesammte Physio- logie. Bd. LXXXV. S. 330—344. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE STEATOGENESE DER ÜRGANE. 99 kommen in Fettzellen verwandelt waren; es springt in die Augen, dass in diesem Falle entweder eine Zufuhr von Fett durch das Blut, oder eine Verwandlung der Zellenelemente selbst in Fett stattfinden muss. Letzteres ist nun ganz gewiss der Fall, denn die erstere Hypothese ist gänzlich aus- geschlossen bei Experimenten, die in vitro, sowie bei Unterbindung der Organgefässe angestellt worden sind. Bekanntlich besteht das Protoplasma der Zellen aus verschiedenen Elementen, unter denen das Albumin (für die Mehrzahl der Chemiker und Physiologen im Verhältniss von 70 bis 80 Procent) die erste Stelle einnimmt. Wir halten daher den Schluss für sehr berechtigt, dass ein grosser Theil des Fettes durch Umbildung dieses Albumins erzeugt wird, zum Mindesten aber bei jenen Leberzellen, die ganz und gar in Fettzellen verwandelt waren. VII. Zusammengefasst sind die aus unseren Versuchen hervorgehenden Schlüsse folgende: 1. Nach Entfernung der Schilddrüse stellt sich eine Steatogenesis der Organe ein. 2. Toxine (diphtherische wie typhische), welche local Organen injicirt wurden, bei denen der Blutumlauf durch Unterbindung abgesperrt war, bewirkten die fettige Degeneration. 3. Dieselbe Steatogenesis, nur viel intensiver, tritt, nach erfolgter Einspritzung von Phosphor, an in derselben Weise behandelten Organen auf. 4. Phosphor, welcher Organen injieirt wurde, die dem Thierleibe frisch entnommen waren, ruft intensive Steatogenesis hervor. 5. Die Steatogenesis, die nach Vergiftung durch Phosphor eintrat, ist der Umwandlung des Zellenplasmas zuzuschreiben und wird dabei das Fett nicht etwa aus anderen Körpertheilen zugeführt. 6. Im Verlaufe der fettigen Degeneration wird der grösste Theil des Fettes durch Umwandlung des Albumins des Zellenplasmas erzeugt. Ich halte es für eine mir auferlegte Pflicht, meine aufrichtige und tiefgefühlte Erkenntlichkeit dem Prof. der Physiologie, Hrn. Nicolaides, für Aufnahme in’s Laboratorium, sowie für die Anregung zu dieser Arbeit und das Interesse, welches er meinen Experimenten bezeigte, hiermit aufs Verbindlichste auszudrücken. TF Die Zuckungsformen von Kaninchenmuskeln verschiedener Farbe und Structur. Von Dr. Ernst Paukul, Privatdocent in Jurgew (Dorpat). (Aus dem Hallerianum zu Bern.) (Hierzu Taf. II u. III.) Schon Ed. Weber! hatte versucht, die Contractionsgeschwindigkeit der durch einen magneto-galvanischen Rotationsapparat tetanisirten Muskeln zu ermitteln. Seine vergleichenden Untersuchungen, bei welchen bloss der unmittelbare Anblick das differenzirende und gruppirende Moment war, konnten keine Maasse für die Beurtheilung der Bewegung ergeben. Helmholtz hat erst in seiner vor mehr als 50 Jahren veröffentlichten Arbeit: „Messungen über den zeitlichen Verlauf der Zuckung animalischer Muskeln und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven“ mit physikalischer Exaetheit ausgeführt und hierdurch die Grundlagen für die messende Myophysiologie geschaffen. Marey hat dann die graphische Methode ausgebildet und hierbei die Zuckungsdauer quergestreifter Muskeln ' einiger Thiere bestimmt. Ihm, wie den meisten Muskelphysiologen, diente aber der Frosch als wesentliches Versuchsobjett. Cash charakterisirte den Verlauf der Zuckungen verschiedener quergestreifter Muskeln von Fröschen. Ranvier (a) untersuchte, wie die Structur der Muskeln von Kaninchen und Rochen mit der bei diesen Thieren besonders auffallenden Verschieden- heit der Färbung sich ändert und machte auch einige Versuche über die functionellen Unterschiede der blassen und rothen Muskeln. An diese Be- obachtungen, die durch spätere Arbeiten bestätigt und erweitert wurden, reihten sich bald die Forschungen von Grützner, welcher fand, dass man in jedem Muskel zwei Fasergattungen unterscheiden könne, die in physio- logischer Hinsicht den rothen und weissen Muskeln des Kaninchens analog seien. 1 Die Litteraturnachweise finden sich im angehängten Verzeichnisse. Verschiedene Arbeiten gleicher Verfasser sind durch Buchstaben markirt. ERNST PAUKUL: ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 101 Nach Ciaccio’s Angaben hat Lorenzini die weissen und rothen Muskeln des Kaninchens entdeckt und beschrieben. Jedoch scheint diese im Jahre 1678 gemachte Entdeckung in Vergessenheit gerathen zu sein. Krause (a) wies fast 200 Jahre später von Neuem darauf hin, dass die Muskeln des Kaninchens nach der Farbe in blasse und rothe zu gruppieren seien. Den naheliegenden Gedanken, dass die Farbunterschiede der Kaninchenmuskeln etwa durch eine verschiedene Blutfülle der Muskelgefässe bedingt seien, haben Kühne (a) und Ranvier (a) widerlegt. Kühne (b) entfernte das Blut mittels Perfusion von 0.5 procent. Chlornatriumlösung durch das Gefässsystem und zeigte, dass auch die blutfreien rothen Muskeln des Kaninchens rothe Extracte liefern. Er wies darin mittels spektrosko- pischer Untersuchungen Hämoglobin nach und stellte Häminkrystalle aus solchen Extracten dar, zeigte auch in dünnen Schichten die charakteristischen Absorptionsstreifen der ausgewaschenen rothen Muskeln. Um endgültig zu beweisen, dass doch nicht etwa Blutreste in dem reichen Gefässnetze der rotben Kaninchenmuskeln die Hämoglobinreaction verursachen, zerkleinerte er die rothen Muskeln zu feinem Brei, spülte sie mit physiologischer Kochsalzlösung ab und fand auch danach im Lichte, welches den Brei durchstrahlt hatte, deutlich die für Hämoglobin charakteristischen Hämoglobinstreifen. Uebrigens hat Henle schon vor Krause die Ansicht ausgesprochen, dass der rothe Farbstoff bei einigen stärker gefärbten Muskeln der Vögel den Muskelfasern angehöre und mit dem Blutroth identisch oder wenigstens nahe verwandt sei. Kühne’s Beweisführung für den Hämoglobingehalt der rothen Muskeln wurde seiner Zeit von Brozeit bemängelt. Nach der Meinung dieses Autors erkläre sich die rothe Farbe und der Hämoglobingehalt einiger Muskeln beim Kaninchen in den Versuchen von Kühne dadurch, dass die eingeführte Chlornatriumlösung die rothen Blutkörperchen zerstöre und der Farbstoff in die Muskelsubstanz übergehe.e Nach Brozeit ist ferner die Auflösung der Blutkörperchen von der Action des Organs abhängig. Daher sollen alle diejenigen Muskeln der rothen Farbe ermangeln, welche eine geringe Leistung vollbringen, diejenigen dagegen, welche am meisten und beim Ab- sterben des Organismus am längsten thätig bleiben, die rothesten seien. Diese theoretischen Erwägungen wurden abgewiesen, und Kühne be- merkt u. A., dass Brozeit sich nicht einmal die Mühe genommen habe, lebende Kaninchenmuskeln zu beobachten. Der Hämoglobingehalt quergestreifter Muskeln anderer Wirbelthiere wurde auf spektroskopischem Wege von Ray Lankester bestimmt. Er giebt an, dass das Hämoglobin in den meisten quergestreiften Muskeln der Säuge- 102 ERNST PAUKUL: thiere und Vögel vorkomme; bei Thieren niederer Classen aber nur im Herzmuskel und gewissen, besonders thätigen Muskeln anderer Wirbelthiere. Ranvier (a) studirte die Structur- und die physiologischen Verhältnisse der rothen und weissen (blassen) Muskeln des Kaninchens genauer, wobei er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Mm. semitendinosus und adductor magnus richtete. Der weisse Adductor magnus zeigte eine sehr ausgeprägte Querstreifung bei kaum erkennbarer Längsstreifung, der rotlıe Semitendinosus hatte dagegen sehr deutliche Längsstreifen mit unter- brochenen Querlinien. Die Dicke der Primitivbündel der beiden Muskeln war gleich (40 bis 60 u). Die rothen Muskeln wiesen mehr in Längsreihen geordnete Kerne auf, als die weissen, in denen die Kerne verstreut lagen. Auf dem Querschnitt des rothen Muskels sah man vier bis neun sphärische Kerne, während in dem weissen deren Zahl nur einen bis vier betrug, auch waren die letzteren Kerne mehr abgeplattet und der Lage nach unmittel- bar unter dem Sarkolemm. Ranvier sah ferner vereinzelte Kerne im Innern der rothen Muskelfasern. Was die Anordnung der Blutgefässe in beiden Muskelarten anbetrifft, so fand Ranvier (c) auch diese verschieden. In den weissen Muskeln bildeten die Capillarnetze rechtwinklige, parallel der Faserung langgezogene Maschen; der rothe M. semitendinosus hatte Capillaren, deren kurze Maschen fast so breit wie lang waren, mit transversal gelegenen, spindelförmigen, aneurysmaartigen Erweiterungen von 0-017 bis 0.025 mm maximaler Breite. Ranvier meint, dass sie als Blutreservoire dazu dienen, den rotben Muskeln für die dauernden Contractionen den erforderlichen Sauerstoff aufzuspeichern. An der hinteren Extremität zählte Ranvier zu den rothen Muskeln: die Mm. semitendinosus, eruralis, adductor brevis, quadratus cruris, soleus, zu den weissen: die Musculi rectus internus und anterior, vastus internus und externus, adductor magnus, biceps, gemelli. Krause (c) bezeichnet ferner als roth: die Muskeln des Vorderarms, die hinteren Kopfmuskeln, die tieferen Rückenmuskeln, namentlich die Mm. multifidus, intertransversari, lumbales u. A. Daran knüpft er die Bemerkung, dass diese Verhältnisse nicht ganz constant zu sein scheinen, und keineswegs lasse sich jeder Muskel in die eine oder andere Kategorie hineinbringen. Die von Ranvier angegebenen Unterschiede der Blut- gefässvertheilung in den beiden Muskelarten wurden von Krause näher untersucht. Der M. adductor magnus zeigt — nach Krause — auf dem Längsschnitt die bekannte Anordnung der Muskelgefässe. Der M. semiten- dinosus besitzt dagegen zahlreiche grössere Gefässe und diese haben einen zu den Muskelfasern mehr senkrecht gerichteten Lauf. Die zwischen den Fasern geschlängelten Capillaren nehmen in diesem Muskel sehr verschiedene Richtung: Einige gehen von einem Rande der Faser zum anderen und wieder ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 103 zurück, wodurch sie korkzieherartig aussehen; einige erreichen auch nur die Mitte der Muskelfaser, wo sie Anastamosen bilden, um dann wieder zurück- zulaufen; andere verbleiben eine Strecke auf der anderen Seite. Einige Capillaren sah Krause quer über mehrere Muskelfasern verlaufen und mit entfernteren sich verbinden. Was aber den M. semitendinosus nicht allein vom M.adductor magnus, sondern auch von anderen bisher bekannten rothen Muskeln in Bezug auf das Gefässsystem unterscheide, seien, wie auch dieser Autor besonders hervorhebt, die zugespitzten ovalen Capillaraneurysmen, von der Form einer Citrone In dem Verlaufe der Nerven und in der An- ordnung der motorischen Platten fand Krause in beiden Muskeln keinerlei Verschiedenheiten. Später wies Ranvier (d) darauf hin, dass die Fasern der rothen Muskeln dicker seien, als solche des weissen. Wörtz konnte in seinen Untersuchungen sich nicht von der Richtigkeit dieses Befundes überzeugen und kommt im Ganzen eher zu dem entgegengesetzten Resultate. Auch physiologische Unterschiede der beschriebenen Muskelarten sind von Ranvier aufgedeckt worden. Er fand, dass die rothen Muskeln des Kaninchens bei directer oder indirecter Reizung sich viel langsamer zusammenziehen als die weissen. Die Deutung der histologischen und physiologischen Abweichungen der rothen von den weissen Muskeln glaubt Ranvier darin gefunden zu haben, dass ihre functionellen Aufgaben am Organismus individuell verschieden seien: Die weissen Muskeln mit ihrer schnellen Contraction dienten im Wesentlichen den Bewegungen, während die langsamen rothen Muskeln das Gleichgewicht (Harmonisirung) des Körpers zu reguliren und zu erhalten hätten. Meyer bestätigte Ranvier’s Angaben in Betreff des Semitendinosus und Adductor magnus. Nur sah er im Innern der rothen Muskelfasern keine Kerne, fand aber die rothen Primitivbündel im Ganzen von grösserem Querschnitte (0.003313 =) und lockerer angeordnet als die weissen (0.001235 am). Die Nerven zeigten in beiden Muskelarten keine Differenzen. Die Endplatten beider waren gleich gross und, wie in den anderen Muskeln: rundlich, dem Sarkolemm aufliegend, mit mehreren hellen ovalen Kernen in einer feinkörnigen Zwischensubstanz. Um weitere Anhaltspunkte zur Erklärung der gefundenen Verschieden- heiten der Structur beider Muskeln zu bekommen, untersuchte Meyer aus der Zahl der rothen Muskeln auch den Flexor digitorum communis und den Masseter. Hierbei bekam er ganz unerwartete Resultate. Der Bau dieses rothen Muskels stimmte nicht überein mit demjenigen des rothen Semitendinosus, sondern mit demjenigen des weissen Adductor. Aus diesem Befunde folgerte Meyer, dass der Grund der Verschiedenheit des Semitendinosus vom Adductor nicht derselbe sei, wie der, welcher den Unterschied der rothen und weissen 104 ERNsT PAUKUL: Muskeln des Kaninchens überhaupt bedinge. Durch weitere vergleichend anatomische Untersuchungen des Semitendinosus und Adductor magnus bei mehreren Nagethieren (Meerschweinchen, Eichhörnchen, Hase, Ratte, Maus) konnte Meyer eine entsprechende Structurdifferenz dieser Muskeln nur beim Meerschweinchen nachweisen. Die blasse Färbung des grösseren Theiles der Kaninchenmuseulatur glaubt Meyer durch Domestieation dieser Thiere veranlasst und meint, dass nur diejenigen Muskeln ihre ursprüng- liche rothe Farbe behielten, welche ebenso stark funetioniren müssten, wie im wilden Zustande Das abweichende histologische Bild des Semiten- dinosus und die mit ihm im Zusammenhang stehenden physiologischen Eigenschaften seien der fast beständigen Contraction dieses Muskels beim (zahmen) Kaninchen zuzuschreiben. Krause unterstützt diese Erklärung der Musculaturverhältnisse des Kaninchens durch die Mittheilung, dass die Farbunterschiede zwischen dem M. adductor maenus und dem Semitendinosus beim Hasen und wilden Kaninchen (von der Insel Borkum) sehr verwischt seien und dass auch mikroskopische Differenzen vollständig wegfielen. Weiter führt Krause aus, dass die Vermehrung sowohl der Sarkolemmkerne, als auch der inter- stitiellen Flüssigkeit und der interstitiellen Körnchen, ebenso das Auftreten von Kernen im Innern der contractilen Substanz, sowie die Capillar- aneurysmen sehr für pathologische Entstehung dieser speciellen Verände- rungen sprächen, wobei dann die physiologischen Differenzen aus den anatomischen resultiren mögen. Der Deutung für das Hervorgehen der morphologischen Verschieden- heiten des Muskelgewebes aus den veränderten Lebensbedingungen des zahmen Kaninchens widerspricht die Mittheilung von Ranvier, nach welcher beim wildlebenden Garenne-Kaninchen die Musculatur dieselben Unterschiede in der Farbe und in dem histologischen Bau aufweise, wie beim zahmen Kaninchen, weshalb dieser Autor die von Meyer gegebene Erklärung verwirft. Krause charakterisirt die bei seinen Untersuchungen gefundenen mikroskopischen Unterschiede der weissen und rothen Kaninchenmuskeln folgendermaassen. Dickere Schnitte des frischen Adductor magnus sehen gleichmässig hell und farblos aus, während solche Schnitte des Semitendinosus gelblich sind. Isolirte Muskelfasern weisen nicht mehr diesen Unterschied auf, jedoch tritt die Längsstreifung am Semitendinosus und die Querstreifung am Adductor deutlicher hervor. Ferner fand der Autor am ersteren Muskel die interstitielle Flüssigkeit und die interstitiellen Körnchen zwischen den Muskelfibrillen vermehrt. Weitere Untersuchungen von Krause erstreckten sich auf getrocknete Muskeln. Die Fasern des Semitendinosus waren dicker: im Mittel 0-0033 um ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 105 Querschnittinhalt, während die Querschnitte der Adductor magnus-Fasern nur den mittleren Werth von 0.0012 "m erreichten. Jedoch schien es, als ob ein Theil der Fasern des Semitendinosus im Allgemeinen der Grösse der Fasern des Adductor magnus gleichkäme, dagegen ein anderer Theil um mehr als das Doppelte dicker sei: Da bei genauerer Betrachtung ver- mittelnde Zwischenformen sich fanden, so erinnert Krause daran, worauf bereits Meyer bei der Beurtheilung der Dickendifferenz dieser beiden Muskelfasern hingewiesen hat, dass sämmtliche quergestreifte Muskelfasern spindelförmig seien, und daher die den Enden näher gelegenen Querschnitte kleiner erscheinen, Im Ganzen bestätigt Krause die schon von Ranvier und Meyer angegebenen histologischen Unterschiede der beiden Muskel- arten. Die Fasern des M. adductor magnus waren dichter neben einander gelagert, dagegen war zwischen diejenigen vom M. semitendinosus eine Zone lockeren Gewebes eingeschoben, so dass man auf dem Längsschnitte im Durchmesser desselben Gesichtsfeldes 16 bis 20 Fasern des ersten und nur 10 Fasern des zweiten Muskels sah. Die Zahl der Kerne war im Semitendinosus viel grösser, als im Adductor magnus, wobei die ersteren gross, rundlich, mehr in’s Innere vorspringend und auf dem Längsschnitte breit und kurz erscheinen. Die Kerne des Adductor magnus waren dagegen schmal, auf dem Querschnitte von ovaler Form und dem Sarkolemm eng anliegend. Als die bemerkenswertheste Differenz betont Krause die im Innern des M. semitendinosus vorkommenden Kerne, worauf (wie erwähnt) schon von Ranvier hingewiesen wurde. Meyer untersuchte auch die physiologischen Eigenschaften der beiden Kaninchenmuskelarten. Der Adductor und Semitendinosus wurden bloss- gelegt und direct, oder vom Nerven aus mit intermittirenden Inductions- strömen gereizt. Die Dauer des Reizes betrug !/, Minute. Die beiden Muskeln zeigten leicht erkennbare Unterschiede: die Tetanuscurven des Semitendinosus markirten nur die ersten Unterbrechungen und gingen dann in eine gerade Linie über. Erst wenn die Zahl der Unterbrechungen unter 192 sank, wurde jede einzelne auch vom M. semitendinosus angegeben. Der M. adductor magnus dagegen markirte noch bei 357 Unterbrechungen jede durch eine entsprechende Zuckung. Zum Schluss meint Meyer, dass seine Curven mit den von Ranvier angegebenen ziemlich übereinstimmten. Die physiologischen Eigenthümlichkeiten bei der elektrischen Reizung einiger weisser und rother Kaninchenmuskeln waren durch die Arbeiten von Kronecker und Stirling (b) und von Cash näher bestimmt worden. Kronecker und Stirling fanden, dass der rothe M. soleus durch vier Reize in der Secunde in unvollkommenen, durch 10 Reize in ziemlich stetigen Tetanus versetzt werden kann. Der weisse M. gastrocnemius 106 Ernst PAUKUL: medialis bedurfte 20 bis 30 Reize, um vollständig tetanisirt zu werden; sechs Inductionsschläge in der Secunde verhinderten ihn schon, sich während der Reizpausen vollständig auszudehnen. Die von Ranvier beschriebenen Vibrationen erklärten sie durch Erschütterungen (nicht Verkürzungen) der tetanisirten Muskeln. Cash zeigte ferner, dass die charakteristischen Verschiedenheiten der Zuckungen von rothen und weissen Kaninchenmuskeln auch durch grosse Belastungen nicht verwischt werden. In Bezug auf die Zuckungscurve des weissen Muskels stellte sich als überraschendes Resultat heraus, dass nicht zu den kleinsten Belastungen die grössten Zuckungswerthe gehören. So wurde die Last von 1008” höher gehoben, als eine von 50==, welch’ letztere nur gleich hoch gefördert wurde, wie das Gewicht von 300em, Erst eine Belastung von 500 8” deprimirte merklich das Zuckungsmaximum (S. 159). In der letzten Zeit theilte Rösner Versuche über die Erregbarkeit verschiedenartiger quergestreifter Muskeln mit. Bei Untersuchung der weissen (Mm. gastrocnemius und peroneus) und rothen (M.soleus) Kaninchen- muskeln sah er, dass im Allgemeinen die weissen Muskeln von ihren Nerven aus leichter, d. h. durch schwächere elektrische Reize zu erregen sind, als die rothen. Nur wenn der Nerv, sogleich nachdem er durchschnitten war, überaus erregbar war, liess sich ein Unterschied seiner Wirkung auf die beiden Muskelarten nicht nachweisen. Schwache mechaniche Reize der Nerven erregten nur die weissen Muskeln und erst stärkere auch die rothen. Auch gesättigte Kochsalz- lösung, in welche der Hüftnerv gelagert war, liess nach 1 bis 2 Minuten die weissen Muskeln zu flimmern beginnen, aber erst nach 5 bis 7 Minuten die rothen. Direct gereizt zeigten beide Muskeln gegenüber elektrischen Reizen (Ketten- und inducirte Ströme) keine nennenswerthen Unterschiede. Für tetanisirende Reize erwiesen sich häufig die rothen besser erregbar. Directe mechanische Reize verursachten an rothen Muskeln sehr leicht idiomusculäre Wülste, Gesättigte ClNa-Lösung wirkte auf die weissen mit erhaltenen moto- rischen Nerven viel kräftiger als auf die rothen. Beide Muskelarten, curarisirt, wurden durch Kochsalz kaum merklich gereizt. Rollett (b) fand, dass die Erregung im rothen M. cruralis des Kaninchens sich langsamer, aber gleichmässiger fortpflanzt (3-4” pro 1”) als im weissen M. semimembranosus (5-4 bis 11-3). Grützner (a) bestätigte die Angaben von Ritter und Rollett (a), denen zufolge beim Frosche auf Reizung des Ischiadicus die Beuger sich viel schneller zusammenziehen als die Strecker. ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 107 Er verglich die zarten Fädchen der Flügelmuskeln von Insecten mit den relativ strickartigen Beinmuskelfasern und erklärte hierdurch die schnelle Bewegung der Flugmuskeln gegenüber der relativen langsamen Lauf- musculatur. Grützner (b) unterschied aber auch auf dem Querschnitte eines jeden beliebigen Froschmuskels zwei ganz verschiedene Muskelprimitivfasern: die einen gross und hell, die anderen mattgrau und in der Regel klein. Auf Längsschnitten waren die letzteren ebenfalls von einem etwas mattgrauen Ton, mit deutlichen Längsstrichelungen; dabei zeigten (besonders die Osmiumpräparate) viele kleine, nicht allzustark lichtbrechende Körperchen. Bei näherer Untersuchung des M. sartorius vom Frosch überzeugte sich Grützner, dass die dünneren Fasern, an der Haut gelegen, die andere mächtigere, aus dickeren hellen Muskelfasern zusammengesetzte Schicht decken und zum Theil umgeben. Die dunkleren Fasern färbten sich mit Jodjodkaliumlösungen braungelb bis rothbraun, während die dickeren Muskelbündel hellgelb blieben. Daraus schloss Grützner, dass die ersteren mehr Glykogen enthalten. Die dunkleren, sich intensiver färbenden, körnchenreichen Bündel ent- sprächen den rothen, die anderen den weissen Muskeln der Kaninchen. Nach Grützner’s Ansicht haben alle Wirbelthiere zwei Arten von Muskelfasern: schnell sich zusammenziehende, erreg- und ermüdbare weisse, und langsam sich contrahirende, weniger erreg- und ermüdbare rothe, aus denen beiden die Muskelindividuen in verschiedener Weise aufgebaut werden. Sei nun in einem Muskel wesentlich die erste Gruppe vertreten, dann habe man weisse, falls es aber die zweite sei — rothe Muskeln. Grützner (c) fand, wie Kronecker und Stirling, die Zuckung des rothen M. soleus ausserordentlich unbedeutend, die Höhe des Tetanus aber geradezu colossal. Mittlere Spannungen vorausgesetzt, berechnete er das Verhältniss der Zuckung des rothen zu derjenigen des weissen (M. gastrocne- mius medialis) wie 1:3 bis4. Im Tetanus dagegen, bei Belastungen von 100, 150 und 200 sm, betrugen die vergrösserten Hubhöhen des Soleus 121, 98 und 56 ==, diejenigen des längeren (Verhältniss 1:1-2) und viel dickeren (Verhältniss nahezu 1:2) weissen Gastrocnemius medialis 33-8 und 6 w", Krause (b) meint, dass die gefundenen beiden Fasergattungen weder physiologisch noch anatomisch verschiedene Elemente der Muskelsubstanz repräsentiren, sondern dass die dunkleren Fasern die jüngeren Muskel- elemente seien, deren interstitielle Körner sie undurchsichtig machen. Um zwischen diesen beiden gegenüberstehenden Anschauungen zu ent- scheiden, untersuchte Bonhöffer unter Grützner’s Leitung genauer die Function der dünn- und dickfaserigen Muskeln bei Fröschen und einigen Warmblütern. 108 ERNST PAUKUL: Grützner modificirte nach vielfachen Untersuchungen: sowohl des chemischen Verhaltens beiderlei Muskelfasern gegen Pikrinsäure, Osmium- säure und Jod, als auch der physiologischen Zuckungseigenschaften seine frühere Ansicht dahin, dass die dünneren Fasern — in der natürlichen Färbung die dunkleren — den rothen, die dickeren den weissen Muskeln entsprächen. Auch Rollett (b) kam zu dem Ergebnisse, dass die schnellen Muskeln beim Frosche aus dicken, die trägen dagegen aus dünnen Fasern bestehen. Die Ergebnisse der Abhandlung von Bonhöffer sprechen dafür, dass man in der Erscheinung der Faserndifferenz nicht mit Entwickelungszuständen ein und derselben Faser zu thun habe, wie Krause behauptet hatte. Das physiologische Verhalten in der Contraction, in der Kraftleistung bei der- selben, in der Dauer der Erregbarkeit, in der Todtenstarre und in der reducirenden Wirkung auf Sauerstoffhämoglobin lasse schliessen, dass die dünnen Fasern der Amphibienmuskeln den rothen des Kaninchens ent- sprechen, und die dicken den weissen Muskeln. Knoll (a) sah gleichfalls in den rothen Muskeln vorwaltend trübe, in den weissen vorwiegend helle Fasern; doch stand die Intensität der Färbung zu der Trübung nicht durchweg im geraden Verhältnisse. So war insbesondere der intensiv rothe Soleus des Kaninchens hinsichtlich der Körnelung seiner Fasern von dem weissen Adductor magnus dieses Thieres wenig verschieden. Auch war der Farbenunterschied zwischen weisser und rother Musculatur bei jungen Kaninchen weniger ausgesprochen als bei alten. Alles zusammen- fassend sagt Knoll, dass die rothe Musculatur bis zu den Vögeln aufwärts nur ausnahmsweise in besonderen Muskeln oder Fasergruppen zusammen- gefasst ist, und zwar vorzugsweise in denjenigen, die am anhaltendsten oder am stärksten in Anspruch genommen werden. Die Trübung der Fasern sei sehr beträchtlich; bei den Schalenkrebsen und Fischen und zum Theil auch bei den Insecten nicht bloss durch interfibrilläre Körner, ‚sondern auch durch mantelförmige Umhüllung der Fasern, durch körnige Substanz oder einen axialen Strang derselben bedingt. Bis zu den Amphibien aufwärts waren die trüben Fasern zumeist auf die rothe oder ähnlich pigmentirte Museulatur beschränkt; bei der Schildkröte und bei Triton, sowie unter Um- ständen bei Rana, fanden sich aber auch in der weissen Musculatur gekörnte Fasern. Nach Knoll bildet von den Vögeln aufwärts die weisse Musculatur die Ausnahme, und nach ihrem Vorkommen an der Brust bei dem nicht fliegenden Huhn, dann den Extremitäten des hockenden Kaninchens zu schliessen, sei dieselbe auf die am wenigsten in Anspruch genommenen Theile der Musculatur beschränkt. Die Behauptung Grützner’s, dass die rothe Musculatur zugleich trüb sei, hält der Verfasser im Ganzen zutreffend. Rothfärbung und Trübung ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 109 der Musculatur sei aber nicht ausnahmslos verbunden. Noch weniger lasse sich Rothfärbung mit träger Zusammenziehung in gesetzmässige Abhängig- keit bringen. Dagegen spreche schon die Rothfärbung der Flugmuskeln der Insecten, die namentlich bei den Schmetterlingen und Libellen sehr ausgesprochen sei; auch contrahire sich die weisse Musculatur von Cistudo europaea nicht flinker als die rothe. Knoll schliesst, dass bei der Muskelthätigkeit im Sarkoplasma und im Hämoglobin der Fasern Umsetzungen stattfinden, weshalb die am stärksten und andauerndsten arbeitenden Muskeln an beiden Substanzen reich sein müssten. Später weist Knoll (b) nach, dass die protoplasmareiche Musculatur fast immer lebhafter pigmentirt sei, als die protoplasmaarme. Die Körnchen seien gefärbt. Die protoplasmaarmen Fasern stellt der Autor als in einem gewissen Sinne höher entwickelt den protoplasmareichen gegenüber; das Protoplasma diene zur Ausbildung von fibrillärer Substanz; daher seien bei den Wirbelthieren die protoplasmaarmen Fasern im Ganzen die dickeren. Da die dünnen Fasern am zahlreichsten in den thätigsten Muskeln, ja in der beständig arbeitenden Herzmusculatur ausschliesslich vorkommen, so drängt sich die Vermuthung auf, dass das Protoplasma, zum Wiederersatz des bei der Thätigkeit der fibrillären Substanz Verbrauchten dienend die Umsetzung des Protoplasma in Fibrillen, somit auch das Wachsthum der Fasern hemme. Die zwei Faserarten wurden von Schaffer auch beim Menschen ge- funden. Fast alle Muskeln enthielten protoplasmareiche, trübe, und proto- plasmaarme, helle Fasern. \ Das Mischungsverhältniss beider Faserarten zeigte in den gleichnamigen Muskeln individuelle Schwankungen. Die wenig angestrengten Rücken- muskeln aber seien doch vorzugsweise reich an stark getrübten Fasern. Schaffer bezweifelt, dass der Zusammenhang zwischen kräftiger Arbeits- leistung und Körnung einfach sei und schliesst sich der schon von Knoll geäusserten Meinung an, dass hier Verschiedenheiten der Lebensweise, der Thierart, ererbte Eigenthümlichkeiten und Aehnliches die Erklärung com- plieiren. F. Bottazzi und O. F. F. Grünbaum schliessen aus ihren Versuchen an glatten Muskeln, dass die grossen Zusammenziehungen im Wesentlichen vom Sarkoplasma bewerkstelligt werden. J. Joteyko hat die „sarkoplasmatische Function“ der quergestreiften Muskeln untersucht, welche sich hauptsächlich in der Contractur (Kronecker, Tiegel), in der idiomuseulären Contraction (Schiff) in der secundären Welle (Ch. Richet) in der „Nase“ (Funke) in der Doppelzuckung des mit Veratrin vergifteten Muskels (Joteyko) zeige. | 110 Ernst PAUKUL: Joteyko entdeckte sogar spontane tonische Zusammenziehungen an Froschmuskeln (Gastroknemien?), welche zuvor während gruppirter Zuckungen in Contractur verfallen waren (p. 80). Bottazzi (b) fand die Contractur besonders ausgeprägt an den röth- lichen Wadenmuskeln der Kröten. Wie man aus den besprochenen Litteraturangaben ersieht, ging das Bestreben der Forscher hauptsächlich darauf aus: die von Ranvier zuerst untersuchten, weissen flinken, und die rothen langsamen Muskeln einander gegenüberzustellen, sowie ihre contractilen und morphologisch-histologischen Eigenschaften zu präcisiren. Da das Experimentiren mit dem Muskelgewebe der Warmblüter einige Schwierigkeiten hat, so erstreckten sich die Unter- suchungen über den Zuckungsverlauf nur auf einzelne Muskeln. Die For- schungen über die Structurverhältnisse haben eine umfangreichere Bearbeitung erfahren und konnten im Allgemeinen ein gewisses Verhältniss zwischen dem Pigmentreichthum, der Faserdicke und dem Protoplasmagehalt feststellen. Alle Versuche, die Functionsverschiedenheiten der Muskeln der gleichen Thierart durch Differenzen der Structur zu erklären, werden problematisch durch die Resultate der alten Versuche von Cash, denen zufolge die Zuckungen der Muskeln von Fröschen und Schildkröten im Wechsel der Jahreszeiten (bei gleicher Zimmertemperatur) sehr verschiedene Dauer und Form haben. Beim Froschherzen sind die widersprechenden Resultate von Cyon und Lueiani durch Kronecker und Stirling dahin erklärt worden, dass Herzen von Frühlingsfröschen höhere Schläge machen, wenn sie ab- gekühlt waren, als erwärmte, dagegen: Herzen von Herbstfröschen, abgekühlt, niedere Pulse ausführen. Es scheinen aber ausser den Jahreszeiten auch andere Lebensbedingungen die Reaction zu ändern. Cash hatte die Ueber- zeugung ausgesprochen, dass auch unter gleichen Bedingungen nicht alle weissen Kaninchenmuskeln gleiche Zuckungsart haben. Es erschien daher von Interesse, Bau und Function verschiedener Kaninchenmuskeln systematisch zu vergleichen. Das Versuchsthier wurde morphinisirt auf einen Czermak’schen Halter befestigt und in Aethernarkose erhalten. Nachdem der zum Versuch ge- wählte Muskel, unter möglichster Schonung der Gefässe, von den benach- barten Muskeln isolirt war, wurde durch seine freigelegte Endsehne ein fester Faden gebunden, welcher zum Schreibhebel führte. Vom letzteren wurden die Zuckungscurven entweder auf eine horizontal oder auf verti- cal sich bewegende Kymographiontrommel gezeichnet. Bei horizontaler Trommelstellung (Mantelgeschwindigkeit etwa 60 "= in der Secunde) schrieb der Hebel die Zuckungen des an ihm befestigten Muskels 6 Mal vergrössert auf. Bei verticaler Trommelstellung (Mantelgeschwindigkeit etwa 160 m in der Secunde) lag der Faden in der peripheren Rinne einer auf der ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 111 Hebelaxe fixirten Halbrolle. Die bei der Zuckung von der Rolle sich ab- wickelnde Fadenlänge entsprach der Zuckungsgrösse und wurde von der am Ende des Hebels angebrachten Schreibnadel 5 Mal vergrössert auf den be- russten Glanzpapiermantel des Kymographions notirt. Anfänglich kam haupt- sächlich die horizontale Trommel mit ihrem Schreibhebel in Anwendung. Später wurde zur genaueren Analyse ausschliesslich das Kymographion mit schnellem Gange verwendet. Bei dieser Versuchsanordnung wurde der Muskel durch ein nahe dem Drehpunkte des Schreibhebels über eine kleine Rolle gehängtes Gewicht gespannt, so dass er nahezu isotonisch zuckte. Die Grösse der Lastung am Muskel wurde durch Gewichte, welche den belasteten Hebel am Angrifispunkte des Muskels zu äquilibriren vermochten, bestimmt. Bei den meisten Muskeln, zumal bei allen untersuchten rothen Muskeln, habe ich das Stadium der latenten Reizung bestimmt: sowohl im ‚Zustande der Belastung, als auch in einigen Versuchen im Zustande der Ueberlastung. Um eine leichtere Uebersicht beim Vergleich der Verschiedenheiten in ‚der Form und Dauer des Contractionsverlaufes zu haben, war ich bemüht, ‚allen Ourven eine gleiche mittlere Höhe (meist 16") zu geben. Bei den ‚schnell zuckenden Muskeln war dieses einigermaassen ausführbar, nicht aber ‚so bei den langsamen. Diese Muskeln vermögen nur, wie bekannt, geringe ‚Auckungshöhen zu erreichen; ausserdem aber änderte sich die Höhe der ‚Zuckungen mit allmählich wachsenden Reizen oft sprungweise, so dass es nicht immer gelang, Zuckungen von gewünschter Höhe zu erhalten. Als Myographion diente mir entweder das bewährte Cylinderkymo- graphion von Ludwig-Baltzar in horizontaler Lagerung der Schreib- trommel, oder ein dem Bowditch’schen Schulmodell nachgebildeter Cylinder (500 ”® Umfang und 150”m Höhe) mit Axenscheiben für den ‚Schnurlauf. Die Lederschnüre wurden durch ein passend abgeändertes ‚Morsetelegraph-Uhrwerk bewegt. Die Drehgeschwindigkeit des Cylinder- mantels ergiebt sich aus den unter die Muskelcurven verzeichneten Zeit- marken. In diesen entspricht eine Wellenlänge (von Gipfel zu Gipfel) 0-01 Secunden). Die Zeitmarken wurden von Pfeil’s Signal! aufnotirt. ‚Die 100 Unterbrechungen in der Secunde lieferte die schwingende Feder an einem Schlitteninductorium neuer Construction.”? Als anziehender ! Die Beschreibung von H. Kronecker in Zeitschrift für Instrumentenkunde. 1889. 8. 236. °” Ein Exemplar dieses von den Gebrüdern Bischhausen in Bern, gemäss Angaben von H. Kronecker fabrieirten, nach Stromeinheiten graduirten Induetorium ist als Standardapparat im internationalen ‚„‚Institut Marey“ zu Paris aufgestellt, um Intensi- täten der Inductionsströme auf einheitliche Maasse beziehen zu können. Die Beschrei- ‚bung desselben wird demnächst in der Zeitschrift für Instrumentenkunde erfolgen. :Die Prineipien der Chronographie, welche international geordnet werden, sind von 112 ERNST PAUKUL: Magnet dient der Eisenkern in der primären Spirale des Inductorium. Die Unterbrechungen geschehen in einem Spülcontacte, der dahin verbessert worden ist, dass das an der Contactöffnung etwa überfliessende Wasser aus einem darunter angebrachten Troge abfliesst. Im Principe ist dieser Unterbrecher ähnlich dem von H. Kronecker! beschriebenen grossen, ist aber viel kleiner und mit dem Inductorium com- binirt; er ermöglicht Unterbrechungen von 20 bis 150 pro Secunde. Die Reizung der Muskeln geschah direct, oder vom Nerven aus durch die Inductionsströme des Schlitteninduetorium. Alle Muskeln, die einigermaassen isolirt werden konnten, wurden auf ihre Zuckungsart untersucht. Es sind dies, nach der Nomenclatur von Haack, folgende Muskeln: . Masseter, . Anconaeus lateralis, . Anconaeus longus, . Biceps brachii, . Extensor digital. communis, . Extensor carpi radialis, . Flexor carpi ulnaris, . Flexor digital. sublimis (Perforatus), . Flexor digital. profundus (die drei am Humerus entspringenden Köpfe), . Vastus lateralis, . Rectus femoris, . Vastus cruralis, . Graeilis, . Semitendinosus (Semimembranosus-Krause), . Ischio-tibialis (Semitendinosus-Krause), . Tibialis antieus, . Extensor digital. longus, . Peronaeus longus, . Gastrocnemius medialis, 20. Soleus, 21. Flexor digital. sublimis. EN oO Q@Q 19 DT Mr DD a er >) HH | OC DO ID OH DO MD Der M. masseter liegt sehr eng der ganzen lateralen Fläche des Ober- und Unterkiefers an, und da auch seine Insertionsstelle an dem freien H. Kronecker in einem Programme entwickelt worden: Sur les methodes de la chronographie, rapport & la Commission internationale pour l’unifieation des methodes en physiologie. ı Zeitschrift für Instrumentenkunde. 1889. S. 239. ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 113 Rande des Unterkiefers sehr in die Breite gedehnt ist, so war es nicht möglich, diesen Muskel, ohne sein Gefässsystem zu zerstören und auch ihn selbst erheblich zu verletzen, so zu isoliren, wie wir es bei den Extremitäten- muskeln thaten. Daher wurde in diesem Falle der zum Myographion führende Faden am Unterkieferknochen befestigt, nachdem vorher möglichst alle die beiden Kiefern verbindenden Weichtheile, mit Ausnahme der Masseteren, durchtrennt waren. Schon ein flüchtiger Blick auf die Curventafel lässt zwei verschiedene Arten — sowohl nach Dauer, als besonders nach Contractionsforrm — der untersuchten Muskeln erkennen. Bei der Besprechung werden wir die allgemein übliche Bezeichnung „schnell und langsam zuckende Muskeln“ bei- behalten, da der zeitliche Verlauf der Contraction wohl das zumeist aus- schlaggebende Unterscheidungsmoment ist. Von den schnell zuckenden Muskeln hatten die folgenden eine Zuckungs- dauer von etwa 0-1”: Vastus lateralis, Rectus femoris, Vastus cruralis, Gracilis, Semitendinosus, Gastrocnemius medialis, Flexor digitalis sublimis, Peronaeus longus, Anconaeus Iateralis, Anconaeus longus, Biceps brachii, Extensor carpi radialis, Extensor digital. communis (Taf. II, Fieg. 13 und 14). Als Beispiele für die Zuekungsform mögen die Curven der Muskeln: Vastus lateralis und Gastrocnemius medialis dienen. Die Contractionsdauer der eben- falls schnell zuckenden M. tibialis anticus und M. extensor digital. longus war jedoch wesentlich länger: So dauerte die Contraction des ersten im Maxi- mum 0.15” (Taf. II, Fig. 12) und des zweiten bis 0:18” (Taf. II, Fig. 11). Die gedehnteren Zuckungsmyogramme dieser beiden Muskeln wurden sowohl durch einen weniger steilen Aufstieg, als auch durch verlangsamte Wiederverlängerung bedingt. Letztere war beim Extensor digital. longus mehr ausgeprägt. Die Curven der schnell sich contrahirenden Muskeln wiesen im Allge- meinen einen steileren Anstieg auf, als diejenigen der langsam zuckenden. Als charakteristisches Unterscheidungsmerkmal der beiden Muskelarten ist aber das Verhältniss der Stadien steigender und sinkender Energie in der Zuckungscurve zu erachten. Die schnellen Muskeln erreichen den Gipfelpunkt ihrer Verkürzung fast genau mit der Hälfte der Öontractionsdauer, während die langsam zuckenden Muskeln nur einen geringen Theil ihres gesammten Zuckungsverlaufes zur Verkürzung verwenden. Das Stadium der latenten Reizung betrug bei allen mässig überlasteten Muskeln mit schneller Zuckungsart 0-01”. Bei Belastung (isotonisch zuckender Muskel) dauerte die Latenz nur etwa die halbe Zeit (0-005”). Alle schnell zuckenden Muskeln erwiesen sich sehr empfindlich gegen äussere Einflüsse. Wenn sie ein wenig trocken und kühl wurden, so Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg, 8 114 ERNsT PAUKUL: verlängerten sich ihre Zuckungseurven um einige Hundertel Secunden. Auch Ermüdung nach öfterer Reizung verlängerte, wie bekannt, den Zuckungs- verlauf, zumal durch Verlanesamung der Rückkehr zur Ruhestellung. Besonders empfindlich erwiesen sich hierbei; der M. tibialis anticus und der M. extensor digital. longus. Das Alter der Thiere scheint gleichfalls einen gewissen Einfluss auf den Zuckungsverlauf zu haben. So bemerkte ich bei jüngeren Kaninchen Schwankungen um einige Hundertel Secunden in der Contractionsdauer der schnell zuckenden Muskeln. Die übrigen untersuchten Muskeln hatten grösstentheils einen bedeutend trägeren Zuckungsverlauf: Ischiotibialis 1-4” (Taf. II, Figg. 1 und 2), Soleus - 0-8” (Taf. II, Fig. 3), Flexor carpi ulnaris 0.7” (Taf. II, Figg. 4, 5, 6) Flexor digital. sublimis 0-58” (Taf. Il, Fig. 7), Flexor digital. profundus 0.28” (Taf. II, Fig. 10) und Masseter 0-2” (Taf. II, Fig. 15). Charak- teristischer aber noch als die Dauer war die Art des Zuckungsverlaufes dieser Muskeleruppe.e Wie man aus den Zuckungscurven ersieht, geht die Wiederverlängerung bei einigen Muskeln so allmählich aus, dass es oft schwer fällt zu bestimmen, wo die Zuckung ihren Abschluss hat. Wenn die angegebenen Zeitwerthe auch keine absolute Gültigkeit be- anspruchen können, so glaube ich doch damit Verhältnisswerthe gefunden zu haben. Neben dem schon erwähnten charakteristischen Merkmal der langsam zuckenden Muskeln, dem kurzen Aufstieg im Vergleich zur gesammten Zuckungsdauer, zeichnen sich diese Muskeln durch eine gewisse Verharrungs- periode auf der Zuckungshöhe und durch sehr verzögerte Wiederverlänge- rungsphase aus. Die Myogeramme des Ischiotibialis und Soleus weisen ausserdem sehr eigenthümliche Einsenkungen in der oberen Hälfte der Aufstieglinie auf, auch ist die Linie der Verharrungszeit ungefähr in der Mitte mit einer schwachen Erhöhung versehen. Der Aufstieg von den Zuckungscurven des M. fiexor carpi ulnaris und des M. flexor digital. sublimis erfährt keine Unterbrechung bis zum Höhe- punkt der Zuckung, dagegen besitzen die Myogramme dieser Muskeln gleich am Beginne der Verharrungslinie eine geringe Einsenkung. Die Verharrungszeit nahm im Allgemeinen !/, der gesammten Zuckungs- dauer ein, während ?/, auf den Aufstieg und Abfall kamen. Sogar grosse Belastungen (Figg. 2, 5, 6) konnten dieses Verhältniss nur wenig ändern. Die Zuckungsdauer des M. flexor digital. profundus (Taf. I, Fig. 10) und des M. masseter (Taf. II, Fig. 15) kam sehr nahe derjenigen der schnell zuckenden Muskeln. Gleichzeitig mit der Verharrungszeit fielen hier auch einige der beschriebenen Eigenthümlichkeiten der langsam zucken- den Muskeln fort. Aber sie zeigten das charakteristische Zuckungsverhältniss ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 1415 der langsamen Muskeln, indem die Verlängerung dreimal soviel Zeit er fordert, wie die Verkürzung. Das Stadium der latenten Reizung der langsam zuckenden Muskeln schwankt, je nach der Dauer des gesammten Zuckungsverlaufes, zwischen 0-015” bis 0-04”. An isotonisch sich contrahirenden’ Muskeln näherte sich die Zeit der Latenz mehr derjenigen der schnell zuckenden Muskeln und dauerte 0:01” bis 0-015”. Die oben erwähnten schädlichen Einflüsse der Abkühlung und Trocknung wirkten auf die frei präparirten langsam zuckenden Muskel weniger störend, als auf die schnellen Muskeln. Beim Vergleiche der Farbenverschiedenheiten der untersuchten Muskeln erwiesen sich alle besprochenen schnell zuckenden Muskeln, mit ganz ge- ringen Abweichungen, gleichmässig blass. Am hellsten erschienen hierbei: der M.graeilis und M. semitendinosus. Die dem Humerus und dem Anconaeus medialis anliegende Portion des Anconaeus longus war ein wenig dunkler schattirt. Sehr wechselnd war die Färbung des M. vastus cruralis. Bei einigen Kaninchen war er vollständig weisslich, bei anderen dagegen aus- geprägt blassroth. Die Muskeln mit langsamer Contraction erwiesen sich stets dunkler gefärbt, doch nicht alle dunklen langsam. Die tiefste und beständigste Rothfärbung zeigten: M. masseter, M. ischio-tibialis und M. soleus. Ein wenig heller war die Gruppe der untersuchten Flexoren, wobei der M. flexor digital. profundus als am wenigsten pigmentirt erschien und oft der blass- rothen Färbung des Vastus cruralis gleichkam. Vergleichen wir die Zuckungsdauer der untersuchten Muskeln mit dem Färbungsgrade: derselben, so finden wir hierbei eine gewisse Abhängigkeit. Sämmtliche blassen Muskeln vermögen ihre Zuckung schnell zu vollenden, während die tiefroth gefärbten Musculi: Soleus und Ischio-tibialis, ihre Contraction am trägsten ausführen. Die der Pigmentirung nach in der Mitte zwischen diesen beiden Gruppen stehenden Beuger des Vorderarmes behielten auch in physiologischer Hinsicht denselben Platz, wobei der M. flexor digital. profundus als am wenigsten gefärbt auch die grösste Be- weglichkeit zeigte. Nur der M. masseter gehorcht der eben angegebenen Regel nicht; obgleich dieser Muskel sogar noch um ein weniges dunkler gefärbt ist als der Soleus und Ischio-tibialis, so verläuft seine Contraction doch am schnellsten von allen röthlichen Muskeln. Wenn wir als Ursache der dunkleren Pigmentirung die Stärke und Dauer der Thätigkeit gelten liessen, so könnte man die tiefste Rothfärbung der Masseteren bei den Nagern sich erklären. Freilich müsste man die schnelle Bewegungsart durch die beständige Uebung verursacht denken. 8* 116 ERNsT PAUKUL: Um maassanalytische anatomische Grundlagen für die Beziehung zwischen Bau und Function der Kaninchenmuskeln zu gewinnen, bestimmte ich die Faserdicke der einzelnen Muskeln. Da dieses bis jetzt nur an getrockneten und mit Fixirungsflüssigkeiten bearbeiteten Muskeln geschehen ist, wodurch natürlich die wirklichen Ver- hältnisse geringere oder grössere Veränderungen erfahren, so bediente ich mich zur Anfertigung der Querschnitte für diese Untersuchungen des Gefrier- mikrotoms. Dickendifferenzen der Fasern der rothen und blassen, beziehungs- weise schnell und langsam zuckenden Muskeln waren nicht deutlich merkbar. In beiden Muskelarten kamen fast in gleicher Zahl sowohl dünne als auch dicke Fasern vor (70 bis 120 u). Die Durchschnittswerthe der Faserdicke scheinen bei den schnell zuckenden Muskeln um ein geringes die Faserdicke der trägen Muskeln zu übertreffen. Weiter erschien es mir angezeigt, den Versuch zu machen, die Anordnung der Fibrillen und des Sarkoplasma in der Faser der weissen und rothen Muskeln zu verfolgen. Zu diesem Zwecke wurden die Muskeln: Soleus, Ischio-tibialis, Extensor digital. longus und tibialis anticus verglichen. Die Präparate wurden in folgender Weise be- handelt: Muskelstückchen von 4:8 "= Grösse wurden dem frisch getödteten Thiere entnommen und in gesättigter Sublimatlösung gehärtet. Darauf wurden die Präparate nacheinander in: 7Oprocent., 80 procent. und 95procent. Alkohol ‚übertragen. Um den Sublimat zu entfernen, wurde dem 95 procent. Alkohol solange Jodtinctur zugesetzt, bis die schwachgelbe Farbe nicht mehr verschwand. Hierauf kamen die Muskelstückchen in: absoluten Alkohol, Xylol, und Xylolparaffin; schliesslich wurden sie in Paraffin ein- geschlossen. Als Färbemethode benutzte ich die Hämatoxylin-Eosinfärbung, womit sowohl das Sarkoplasma, als auch die Fibrillen genügend deutlich differenzirt erschienen. Zwischen den beiden Muskelarten konnte ich weder in der Längs- noch in der Querstreifung einen ausgesprochenen Unterschied finden. Die Kerne der rothen Muskeln waren mehr oder weniger in Längsreihen ge- ordnet, während sie in den weissen verstreuter lagen. Die Form der Fasern, die Zahl der Kerne und ihre Grösse waren in beiden Muskelarten nicht wesentlich verschieden. Im Innern der Muskelfasern waren keine Kerne zu sehen, auch nicht bei den rothen Muskeln. Die Angaben von Ranvier hierüber dürften vielleicht auf Fortschwemmung der beim Schneiden des Präparates freigewordenen Kerne von der Peripherie zur Mitte derselben beruhen. Als einziger nennenswerther Unterschied in der mikroskopischen Structur der rothen und weissen Muskelfaser erwies sich die Anordnung der Fibrillen und des Sarkoplasmas. Dieses trat bei beträchtlicher Ver- grösserung (etwa 1200 fach) auf den Faserquerschnitten deutlich hervor. ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. DL In den rothen Muskeln erschienen die Fibrillen in kleine Bündel ge- ordnet — (Kölliker’s Muskelsäulchen). Zwischen den Bündeln fanden sich Stränge von reichlichem Sarkoplasma. Auf den Faserquerschnitten der weissen Muskeln erschienen die Fibrillen als gleichmässig dicht vertheilte Punkte in dem Sarkoplasma, ohne jede Zusammenfassung zu Bündeln. Auch schienen die an der Grenze der Sichtbarkeit stehenden Fibrillen der weissen Muskeln oft um ein geringes dünner zu sein, als diejenigen der rothen Muskeln. Nicht selten sah ich auch in den weissen Muskeln Fasern mit der charakteristischen Fibrillirung der rothen Muskeln, und andererseits in den rothen Muskeln vereinzelte weisse Fasern. Es sei hier darauf hingewiesen, dass Warringsholz im Masseter des Rindes die Fibrillen stets gruppenweise zusammengefasst fand (Säulchen- felderung), wobei die einzelnen Fibrillenbündel, als Einheiten höherer Ordnung, durch grössere Sarkoplasmazüge von einander getrennt waren. Die beschriebenen Unterschiede in dem mikroskopischen Bau der weissen und rothen Muskelfaser werden wohl am besten die beiden auf Taf. II angeführten Zeichnungen der typischen Querschnittsbilder zweier rothen von M. soleus und zweier weissen vom M. tibialis anticus stammen- den Fasern illustriren. Aus diesen histologischen Befunden und den functionellen Eigenheiten der verschiedenartigen Kaninchenmuskeln darf ich den Schluss ziehen, dass die Vertheilungsart der Fibrillen und des zwischengelagerten Sarko- plasmas die verschiedene Functionsart bedingen: Die gleichmässig vertheilten, von geringen Sarkoplasmalagen umgebenen Muskelfibrillen contrahiren sich schnell, die gruppirten durch reichlicheres Sarkoplasma getrennten Fibrillen langsam. Die verschiedenen Uebergangsformen der Zuckungsformen er- klären sich aus der Mischung beider Faserarten in den einzelnen Muskeln. Es bedürfte noch einer systematischen gründlichen Untersuchung des Zusammenhanges von Structur und Function, um hier alle Eigenheiten der Muskelcontraetion zu erklären. Zum Schlusse erlaube ich mir Herrn Professor Dr. Kronecker für die Anregung zu dieser Arbeit und die ausserordentlich liebenswürdige Unter- stützung während der Ausführung derselben meinen besten Dank aus- zusprechen. 118 Ernst PAUKUE: Litteraturverzeichniss. Bonhöffer, Ueber einige physiologische Eigenschaften dünn- und dickfaseriger Muskeln bei Amphibien. Archiv für die gesammte Physiol. 1890. Bd. XLVII. 8.125. a) Bottazzi et Grünbaum, Sur les muscles lisses. Arch. ital. de biol. 1900. 32 pas b) Bottazzi, Ueber die Wirkung des Veratrins und anderer Stoffe auf die quer- gestreifte, atriale und glatte Musculatur. Beiträge zur Physiologie des Protoplasmas. Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 377. Brozeit, Bestimmung der absoluten Blutmenge im Thierkörper. Archiv für die gesammte Physiologie. 1810. Bd. Ill. S. 353. Cash, Der Zuckungsverlauf als Merkmal der Muskelart. Dies Archiv. 1880. Physiol. Abthlg. Suppl. Ciaccio, La scoperta dei muscoli rossi et bianchi del coniglio rivendicata a Stefano Loreneini. Bendiconto delle Sessioni della R. Accademia delle Scienze dell’ Istituto di Bologna. 1898. Nuova Seria. Vol. II. p. 115. E. Cyon, Ueber den Einfluss der Temperaturänderungen auf Zahl, Dauer und Stärke der Herzschläge. Berichte der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Math.-phys. Cl. 1866. 3. 277. Funke, Ueber den Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf der Muskel- thätigkeit. Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. VII. S. 236. a) Grützner, Ueber physiologische Verschiedenheiten der Skeletmuskeln. Bres- lauer ärztliche Zeitschrift. 1883. Nr. 18. b) Derselbe, Zur Physiologie und Histologie der Skeletmuskeln. Zbenda. Nr. 24. c) Derselbe, Zur Muskelphysiologie. Zbenda. 1886. Nr. 1. Haack, Vergleichende Untersuchungen über die Musculatur der Gliedmaassen und des Stammes bei der Katze, dem Hasen und Kaninchen. /naug.- Diss. Bern 1903. Helmholtz, Messungen über den zeitlichen Verlauf der Zuckung animalischer Muskeln und die Fortpflanzuugsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. Dies Archiv. 1850. Physiol. Abthlg. S. 276. Henle, Allgemeine Anatomie des menschlichen Körpers. Leipzig 1841. J. Joteyko, Etudes sur la contraction tonique du muscle stri6 et ses exeitants. Memoires de l’ Academie royale de medecine de Belgique. Bruxelles 1903. Tome XVIII. Base: 1. a) Knoll, Ueber helle und trübe, weisse und rothe quergestreifte Musculatur. Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Math.-nat. Cl. 18389. Bd. XCVIlI. Abthlg. III. b) Derselbe, Ueber protoplasmaarme und protoplasmareiche Musculatur. Denk- schriften der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. 1891. Bd. LVIII 8.638. c) Derselbe, Zur Lehre von den Structur- und Zuckungsverschiedenheiten der Muskelfasern. Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. 1892. Bd. CI. Abthlg. II. a) W. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1868. b) Derselbe, Die Nervenendigung in den Muskeln. Internat. Monatsschrift für Anatomie und Physiologie. 1888. Bd. V. ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. 119 ec) W. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. II. Aufl. Leipzig 1834. a) H.Kronecker und W.Stirling, Das charakteristische Merkmal der Herzmuskel- bewegung. Sonderabdruck a.d. Jubelband für C. Ludwig. Leipzig, T.C. W.Vogel, 1874. b) Dieselben, Die Genesis des Tetanus. Dies Archiv. 1878. Physiol. Abthlg. a) W. Kühne, Ueber den Farbstoff der Muskeln. Archiv für patholog. Anatomie. 1865. Bd. XXXII. S. 79. b) Derselbe, Zur Geschichte des Hämoglobins der Muskeln. Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg. 1882. Bd.II. S. 133. i L. Luciani, Eine periodische Function des isolirten Froschherzens. Berichte der Königl. Sächs. Gesellsch. der Wissensch. Math.-phys. Classe. 1873. Bd. XXV. 8. 64. Marey, Du Mouvement dans les fonctions de la vie. Paris 1868. Ernst Meyer (Celle), Ueber rothe und blasse quergestreifte Muskeln. Dies Archiv. 1875. Physiol. Abthlg. S. 217. a) Ranvier, Proprietes et structures differentes des museles rouges et des museles blanes, chez les lapins et chez les raies. Comptes rendus de l’Acad. frange. 1873. T. LXXVI. Nr. 18. b) Derselbe, De quelques faits relatifs a l’histologie et & la physiologie des muscles stries. Arch. de Physiol. normale et pathol. Paris 1874. T. VI. p.1. c) Derselbe, Note sur les vaisseaux sanguins et la circulation dans les muscles rouges. Zbenda. y. 446. : d) Derselbe, Zecons d’anatomie generale sur le systeme musculaire. Paris 1880. p. 229. Ray Lankester, Ueber das Vorkommen von Hämoglobin in den Muskeln der Mollusken und die Verbreitung desselben in den lebendigen Organismen. Archiv für die gesammte Physiologie. 18711. Bd. IV. 8. 319. Ch. Richet, Contracture. Dietionnaire de Physiologie. 1899. T. IV. p. 391. Ritter, Beiträge zur näheren Kenntniss des Galvanismus u. s. w. Jena 1805. a) Rollett, Ueber die verschiedene Erregbarkeit functionell verschiedener Nerven- muskelapparate. Sötzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. 1875. Bd. LXXI. Abth, II. b) Derselbe, Anatomische und physiologische Bemerkungen über die Muskeln der Fledermäuse. Zbenda. 1889. Bd. IIC. Abtblg. II. ec) Derselbe, Ueber die Contractionswellen und ihre Beziehung zu der Einzel- zuckung bei den quergestreiften Muskeln. Archiv für die gesammte Physiologie. 1892. BASE S7201. Rösner, Ueber die Erregbarkeit verschiedenartiger quergestreifter Muskeln. Ebenda. 1900. Bd. LXXXI. Schaffer, Beiträge zur Histologie und Histogenese der quergestreiften Muskel- fasern des Menschen und einiger Wirbelthiere. Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. 1893. Bd. CII. Abthlg. III. 8.7. M. Schiff, Beiträge zur Physiologie. Lausanne 1894. Bd.II. 8.18 und 707. Tiegel, Ueber Muskelcontractur im Gegensatz zu Contraction. Pflüger’s Archiv. 1876. Bd. XIII. S. 71. Warringsholz, Beitrag zur vergleichenden Histologie der quergestreiften Muskel- faser u.s. w. Jnaug.-Diss. Beru 1903. - Eduard Weber, Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. 1846. Bd. Ill. Abthlg. II. S. 39. Wörtz, Ein Beitrag zur Chemie der rothen und weissen Muskeln. Inaug.-Diss. Tübingen 1889. 120 ERNST PAUKUL: ZUCKUNGSFORMEN VON KANINCHENMUSKELN. kErklärung der Abbildungen. Tafel II. Fig. 1. M. ischio-tibialis mit 25 &”= belastet und durch Oeffnungsinductionsschlag von 12000 Einheiten (primäre Spirale ohne Eisenkern) direct gereizt. Eine Welle der Zeit markirenden Linie entspricht 0-01”. Der Knick an der mittleren Linie markirt das Reizmoment. Fig. 2. M. ischio-tibialis mit 15 e”= überlastet. Fig. 3. M. soleus mit 20 ®= belastet und durch Oeffnungsinductionsschlag von 4000 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) direct gereizt. Fig. 4. M. flexor carpi ulnaris mit 25 ®”® belastet und durch Oeffnungsinductions- schlag von 5000 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) direct gereizt. Fig. 5. M. flexor carpi ulnaris mit 30 e"=. belastet. Fig. 6. M. flexor carpi ulnaris mit 20 =” überlastet. Fig. 7. M. flexor digital. sublimis (perforatus) mit 20 == belastet und durch Oeffnungsinductionsschlag von 3000 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) direct gereizt. Fig. S. M. flexor digital. sublimis (perforatus) mit 30 &®® belastet. Fig. 9. M. flexor digital. sublimis (perforatus) mit 37 ®”” belastet. Fig. 10. M. flexor digital. profundus (die drei am medialen Condylus des Humerus entspringenden Köpfe) mit 20 S’= belastet und durch Oeffnungsinductionsschlag von 3000 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) direct gereizt. Fig. 11. M. extensor digital. longus mit 20 =” belastet und durch Oeffnungs- inductionsschlag von 42 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) direct gereizt. Fig. 12. M. tibialis anticus mit 25 8’® belastet und durch Oeffnungsinductions- schlag von 1000 Einheiten (primäre Spirale ohne Eisenkern) direct gereizt. Fig. 13. M. Vastus lateralis mit 30 &"” belastet und durch Oeffnungsinductions- schlag von 1000 Einheiten (primäre Spirale ohne Eisenkern) direct gereizt. Fig. 14. M. Gastrocnemius medialis mit 25 e’= belastet und durch Oeffnungs- induetionsschlag von 100 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) vom N. ischiadieus aus gereizt. Fig. 15. M. Masseter mit 80 ©” belastet und durch Oeffnungsinductionsschlag von 1000 Einheiten (primäre Spirale mit Eisenkern) direct gereizt. Tafel III. Fig. 1. Querschnitt durch zwei Fasern des (rothen) M. soleus. Fig. 2. Querschnitt durch zwei Fasern des (weissen) M. tibialis anticus. Das Absorptionsvermögen der Haut. Von Dr. Schwenkenbecher. Assistenzarzt der med. Klinik zu Tübingen, (Aus dem physiologischen Institute zu Würzburg.) Die Frage, ob für einzelne Substanzen die Haut von aussen nach innen durchgängig ist, hat seit einem Jahrhundert den Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gebildet. Und doch ist — trotz einer fast unübersehbar grossen Litteratur — das Thema so wenig geklärt, dass den bisherigen widerspruchsvollen Resultaten nur wenig praktische Bedeutung zukommt. (Unna [120].) Derjenige physikalische Vorgang, welcher die Aufnahme von Stoffen durch die Haut beherrscht, ist die Osmose. Denken wir uns den Körper eines Menschen oder eines Thieres in einem Bade, in dem die auf ihre Durchgängigkeit zu prüfenden Stoffe gelöst sind, so haben wir die ein- fachsten und klarsten Versuchsbedingungen. Dann bildet die Haut die Diffusionsmembran ; Badewasser und Blut sind die beiden Lösungen, welche einen osmotischen Ausgleich ihrer Bestandtheile eintreten lassen können. Jede andere Anordnung, wie z. B. das Bestreichen und Bepinseln des Körpers mit Lösungen, die Einreibung von Substanzen in Salben, schafft complieirtere Verhältnisse, welche wir vor der Hand noch nicht übersehen können. Nun ist aber die thierische Haut keine einfache, permeable Membran, sondern ein Organ, welches aus einer grossen Reihe von verschiedenen Gewebs- und Zellschichten zusammengesetzt ist. Unter diesen ist für das Absorptionsvermögen von ausschlaggebender Bedeutung allein die Epidermis. Steht doch nach Verletzung derselben die Resorptionsbahn der Lymphwege in freier Communication mit der Oberfläche. Bei den verschiedenen warmblütigen Thieren, ja sogar an verschiedenen Körpertheilen desselben Individuum besitzt die Epidermis eine sehr wechselnde 122 SCHWENKENBECHER: Dicke. Das wird selbstredend für die Stoffaufnahme der Haut von Be- deutung sein. In der Regel ist die Oberfläche des Körpers noch mit Talg leicht überzogen, welcher indess bei längerer Einwirkung warmen Wassers eine Benetzung der Haut nicht verhindert, da, wie wir wissen, im Bade die Haut etwas Wasser aufnimmt, quillt (Clemens [12], Röhrig [92], Keller [45] u.a.). Es ist merkwürdig, wie häufig diese so bekannte Er- scheinung der Quellung der todten Hornschuppen in Abrede gestellt wird, wiewohl doch eine Reihe von Arbeiten vorliegt, welche sogar quantitativ die Gewichtsmenge Wasser zu bestimmen suchten, welche vom menschlichen Körper im warmen Bade imbibirt wird (Spitta).! Aus den Untersuchungen von M. Traube-Mengarini (119) können wir ersehen, dass alle gelösten Substanzen ebenso wie das Lösungsmittel selbst, von der todten Hornschicht wahllos aufgenommen werden, dass nur die lebenden Zellen der tieferen Hautschichten es sind, welche den Durch- tritt bestimmter Stoffe verhindern, anderer dadurch ermöglichen, dass sie dieselben — wie z. B. das Jod — in ihr Protoplasma aufnehmen, von Zelle zu Zelle durch die Haut weitergeben und so der Lymphe und dem Blut- strom zuführen. Es handelt sich bei dieser electiven Aufnahme gewisser Stoffe in die tieferen Hautzellen nicht um eine specifische Thätigkeit dieser, sondern um rein passive, osmotische Processe. Es ist sehr wahrscheinlich, dass neben diesem physikalischen Vorgang noch eine andere Form des Durchtritts von Stoffen durch die Haut existirt. So wird z. B. angenommen, dass das Quecksilber bei der Inunctionkur in die Haarbälge und die Ausführungsgänge der Talgdrüsen gepresst und von dort aus resorbirt wird. Andererseits ist, wenn man bedenkt, wie dünn das Stratum corneum ist, und dass bereits im Stratum granulosum der inter- cellulare Lymphstrom fliesst, nicht von der Hand zu weisen, dass Stoffe auch zwischen den Zellen hindurch in die Lymphe übertreten können. Unter gewöhnlichen Bedingungen dürften auf diesem Wege nur Spuren in den Organismus gelangen, doch kann die geringe Menge anwachsen, wenn mechanische Einwirkung (Massage) dazutritt. Ueber die osmotischen Eigenschaften der lebenden Zellen sind wir speciell durch Overton’s (76), (77), (78), (79), (80) Untersuchungen gut unterrichtet. Seine ausgedehnten Studien haben gelehrt, dass nicht alle Substanzen auf dem Wege der Osmose in die Zelle einzudringen vermögen, sondern nur solche, welche in einem Gemische von fettartigen Stoffen, wie Leeithin, Cholesterin und ähnlichen Körpern, löslich sind. Diese „Lipoide“ sind, vielleicht nicht stets von der gleichen Zusammensetzung, im Protoplasma ' Spitta, Archiv für Hygiene. Bd. XXXVI 9.45. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 123 aller Pflanzen- und Thierzellen enthalten, und deshalb sind die osmotischen Eigenschaften aller Zellarten einander sehr ähnlich.! Je grösser nun die Löslichkeit eines Körpers in „Lipoid“, oder, was richtiger ist, je grösser sein Theilungscoöfficient zwischen „Lipoid“ und Wasser ist, um so schneller und in desto grösserer Menge wird er ceteris paribus von der Zelle aufgenommen.” In Wasser muss die betreffende Substanz natürlich auch löslich sein, wenigstens in geringem Maasse, da sie nur in diesem Lösungsmittel an die Zelle herantreten kann. Diese Gesetze haben für die Haut der Kaltblüter volle Geltung. Die experimentellen Untersuchungen Overton’s (79), welche den Beweis hierfür erbrachten, bilden für die vorliegende Arbeit die Basis, ohne welche eine zweckmässige Durchführung der hier mitgetheilten Versuche nicht möglich gewesen wäre. Indem so die Haut von Warmblütern auf ihre osmotischen Eigenschaften mit derjenigen der Kaltblüter vergleichend untersucht werden konnte, zeigte sich in vielen Punkten eine grosse Uebereinstimmuneg zwischen beiden, doch traten auch einzelne, erhebliche Unterschiede hervor, auf welche später näher eingegangen werden soll. Beim Kaltblüter gehen auf osmotischem Wege durch die Haut hin- durch: die niederen Alkohole, Aether, Chloroform, Aldehyde, Ketone, zahl- reiche aromatische Verbindungen (wie z. B. Phenol, Kresole, Guajacol, Re- sorein, Pyridin, Anilin, Acetanilid, Antipyrin, Alcaloidbasen); von den anorganischen Verbindungen Wasser (weil in Lecithin löslich), Sauerstoff Kohlensäure, Ammoniak und andere Gase, Borsäure. Auf osmotischem Wege werden nicht nachweisbar absorbirt fast alle Salze, auch die der Al- caloide, ferner alle Kohlehydrate (Zucker), Colloide (Gerbsäure), Glycoside. Bereits Filehne (18) hatte die Ansicht ausgesprochen, dass für die Absorption an der menschlichen Haut die gleichzeitige Fett- und Wasserlös- lichkeit für den Eintritt der Substanz Bedingung sei. Er kam zu dieser ! Es ist bekannt, dass Overton durch seine Studien über Osmose an Pflanzen- und Thierzellen zu der bekannten Theorie der Narkose kam, welche Hans Meyer (70) bereits vor ihm, von anderen Gesichtspunkten geleitet, aufgestellt hatte: Alkohole und eine grosse Reihe anderer Körper haben die Fähigkeit, mit den Lipoiden der Gehirn- zellen Lösungen zu bilden, und diese Eigenschaft so verschiedenartiger Substanzen be- dingt die ihnen gemeinsame narkotische Wirkung. ®? Um den Theilungscoöfficienten zwischen „Lipoid“ und Wasser annähernd be- stimmen zu können, hat man denselben zunächst für einzelne Substanzen zwischen Oel und Wasser festgestellt. Der Theilungscoöfficient zwischen Oel und Wasser be- zeichnet das Verhältniss, in dem sich ein gelöster Stoff zwischen gleichen Theilen der beiden Flüssigkeiten vertheilt. — Der Theilungscoöfficient zwischen Oel und Wasser ist für Aethylalkohol z. B. = 1:30, d. h.: Beim Schütteln von Alkohol mit gleichen Vo- lumina Oel und Wasser löst sich in Oel nur der 30. Theil der Gewichtsmenge Alkohol, welche sich im gleichen Volumen Wasser bei derselben Temperatur löst. 124 SCHWENKENBECHER: Ueberzeugung, weil er die Epidermis als eine mit Fett, dem Hauttalg, über- zogene und mit Lecithin und Cholesterin imprägnirte Diffusionsmembran betrachtete. Er war der Erste, der die Nothwendigkeit der Fettlöslichkeit der aufzunehmenden Substanz betonte und mit Bestimmtheit ablehnte, dass es auf die Flüchtigkeit des betreffenden Stoffes ankomme, — eine irrige Anschauung, welche durch die Untersuchungen Röhrig’s entstand und sich noch bis heute erhalten hat. Folgende tabellarische Zusammenstellung (s. 8. 125 u. 126) möge über das Lösungsvermögen einiger in Betracht kommender chemischer Körper orientiren. Leider sind die Daten zum Theil recht ungenau, da sie meist nur praktischen Bedürfnissen Rechnung tragen. Eine eingehende controlirende Untersuchung wäre dringend wünschenswerth. In den meisten Fällen ist für die Lösungszahlen, bei denen eine Temperatur- angabe fehlt, die mittlere Zimmertemperatur von 15° C. anzunehmen. Bevor ich mich weiter in die Erörterung dieser allgemeinen Fragen verliere, dürfte es wünschenswerth sein, zunächst auf die von mir an- gestellten Versuche unter Bezugnahme auf die einschlägige Litteratur näher einzugehen. Den Anfang bilde die Beschreibung der Methode. Die grosse Mehrzahl der Versuche (über 200) wurde an weissen Mäusen angestellt. Ich wählte diese Thiere aus verschiedenen Gründen. Erstens bedarf man nicht grosser Flüssigkeitsmengen zu einem Bade für sie, zweitens ist das Experimentiren mit ihnen relativ leicht und drittens bieten die _ kleinen Thiere mit ihrer dünnen Haut und relativ grossen Oberfläche die denkbar günstigsten Bedingungen für eine Absorption. Zu Beginn des Versuches wurde die Maus in einem bedeckten Becher- släschen gewogen, dann wurde mit einer Schlinge der Schwanz fixirt und das Thier an dieser Schlinge aufgehängt. Mit zwei Klemmpincetten wurden die Ohren gefasst, mit einer dritten eine, Wange; alle drei Pincetten blieben am Thiere fixirt, das so, ohne grössere Schmerzen zu empfinden, sich nicht stark bewegen und auch nicht beissen konnte. Dann wurden mit schmalen (0-3 °” breiten) Heftpflasterstreifen die Füsse des Thieres zusammen- gebunden und durch die Ohren ein Zwirnsfaden gezogen und als Schlinge geknotet. Für bestimmte Zwecke war es oft nöthig noch den Penis bezw. die Urethra abzubinden und sie, wie den Anus mit Klebwachs zu über- streichen. Dann wurden die Klemmpincetten abgenommen, das Thier an den Ohrfäden aufgehängt und die Klemmpincetten an die Schwanzschlinge befestigt. Dann wurde aus Heftpflasterstreifen (Beiersdorff’scher Leuko- plast) und Guttaperchapapier, eventuell musste noch Wachs, Gelatine, DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 125 Das Lösungsvermögen verschiedener Substanzen in Wasser, Alkohol, Aether und Olivenöl (5), (79), (103). I. Anorganische Körper. | löst sich, bezw. mischt sich Thei- | lungs- Binennele RE || eosfa- ; | bei | mit ua Bemerkungen Substanz Grad STE ES | Se | | | zwischen BER I: 1 Wann 2 lkonol | Sana | Oel 7 |Det:,0| Wasser IN o2löslichr, 1.155 unlöslich Kochsalz 305 2.172715 Mn | Jodkalium 0 | 10er h | "Alkohol von Lithium carbon. 30 1:76 unlöslich 90 Proc., in Baryumchlorid 15 | 1:2-3 ss unläslich zul. nn Bleioxyd u. Blei- | unlöslich » | R Se anche weiss | | Quecksilber = B | Quecksilberchlo- | 1:16 1:2-5 a7 löslich rid (Sublimat) | | Eisenchlorid | löslich löslich 1 n | Lim Netheräls Silbernitrat 19-5 | 1:04 “ löslich | ' kohol löslich. Kohlensäure 18 en 1:05 1:0°66 | Kohlenoxyd 18 | 1:16 1:7 | | Volumenproe. Schwefelwasser-|| 18 | 1:0-3 | 1:0-18 I stoff | [29)). Jod 40 21.5000 | 1:10 leicht lösl. | leicht lösl. | | Borsäure 15 1:26 3 weniglösl. | l I. Organische Körper. Aethylalkohol | @ löslich Feorlöslich | weniger | Us, || | löslich | | als in || | | | Wasser | Amylalkoho)l | 1em:50 | © löslich » | o löslich | | Aethyläther 3800 alle320 ” | 4 | Chloroform 38 | 18m.128 in allen Verhältnissen 30. bis 33. mischbar | | Jodoform fast 1:70! 1:6 löslich | ! Alkohol von unlöslich | 90 Procent. Jodäthyl 18m 400 | © löslich | Formaldehyd & löslich & löslich ? | | Paraldehyd 1:10 5 & löslich löslich 3 Chloralhydrat leicht lösl. | leicht lösl. | leicht lösl. | weniger 0-22! | !(Baum[3)). löslich | Blausäure & löslich m» löslich | « löslich | | Cyankalium sehr leicht | wenig | ‚ 1 leichter lösl. löslich löslich ! in verd. Alk. Ferrocyankalium 1:4 unlöslich | In Spuren | 1 Eigener Ver- | löslich! | | | such. Ih || ıl I 126 SCHWENKENBECHER: (Fortsetzung. | löst sich, bezw. mischt sich | ler } : N en, Bann, \ lungs- a bei mit Dan Bemerkungen Substanze | (era | ee er ee sent = | cn a 3 zwischen | 5 \ Were ‚ Alkohol | Aether Oel ‚Oel: H,O Ferrieyankalium | 15-6| 1:2-5 unlöslich | Aceton in jedem Verhältniss weniger | 0-191 | T hei 30° C. löslich löslich (Nacke[73]). Phenol I 1:14 | leicht lösl. leicht lösl. 1:4 Kresole (Lysol) 11250/b1s250, 1:17 bar in weniger ! für Lysol als 1 Theil gültig. | | löslich Kreosot | 1:120' | mischbar | mischbar ‘ in der Hitze. Guajacol 20 1:50 ‚ leicht lösl. | leicht lösl. in weniger | | als 0-5 lösl. Resorein 20 |in weniger | 1:1 5 1:9 | als 1 Theil‘ | löslich | | Chrysarobin in 2000 Th.) 1:1501 | löslich |! in der Siede- nicht völlig, | | | | hitze. löslich Salieylsäure 1:500 sehr leicht sehr leicht " löslich | löslich Natron Salicyl. 1:0-9 1:6 | unlöslich Salol | weniglösl. 1:10 1:0°3 » | Campher | 1:1200 | leicht lösl. leicht lösl. | leicht lösl. | Menthol 19011500 en Iul0, NER 1:5 Thymol 20 1:1200 | in weniger als 1 Theil 1:1 löslich | Copaivabalsamı | © löslich | » löslich löslich | Ol. Therebinth. kaum lösl. | ei | ie mischbar | | Anilin | 1:30 ' in jedem Verhältniss mischbar | Acetanilid 1.230222 71:3=15 leicht lösl.| 1:120 ! in der Kälte. Phenacetin 1:1400 | 1:16 1:376 Antipyrin in weniger | 1:1 1:50 1:55 | als 1 Theil | löslich | | Morph. hydrochl. 1:25 1:50 ‚ unlöslich | Morph. pur. 151517125000 1:50 1:1250 löslich | Stryehnin. nitr. Ind. 1:90 1:70 fat unlöslich | | | Kälte, unlöslich | | Strychnin. pur. 1:7000 1:160 1:1250 löslich | | Coniin 1:90 & löslich | leicht lösl. leicht lösl. | | Nieotin in jedem Verhältniss R 4 | | löslich Ichthyol ‚fastunlösl.| löslich löslich | Can Salze 18107 | 1:20-6? | 1:1003 löslich 1 bei 10°C. (Natrium) || ? bei 130 €. | | 2 der Sicde- | hitze. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. ID Watte u. s. w. zu Hülfe genommen werden, ein runder Kragen um den Hals des Thieres befestigt. Dieser Kragen konnte so dicht angepasst werden, dass er sich in zahlreichen Versuchen sogar als gasdicht erwies. Nach Beseitigung der Schwanzschlinge wurde das Thier in ein cylinder- förmiges, 15°% hohes und 4-5°“ im Durchmesser fassendes Glasgefäss eingebunden. Der Kragen wurde um den Rand des Glases mit Collcdium und Fäden befestigt. An der Seitenwand des Glases befanden sich zwei Ansatzrohre, durch welche das Einfüllen der erwärmten, wässerigen Lösung stattfand. Die gefüllten Gläser wurden in ein Wasserbad gesetzt, dessen Temperatur zwischen 32° und 36° C. sich bewegte. Die Thiere blieben nun lange, bisweilen über 12 Stunden in der Ver- suchsflüssigkeit; es war dies nothwendig, um bei den stark verdünnten Lösungen eine Wirkung erkennen zu können. Der hohe Grad von Ver- dünnung war darum erforderlich, weil gerade die fettlöslichen Substanzen im Wasser oft nur wenig löslich sind oder in höheren Concentrationen die Haut alteriren. Ich ‘möchte gleich hier betonen, dass durch einen längeren Aufenthalt in warmem Wasser nie eine Veränderung des Absorptionsver- mögens der Haut eintrat. Einzelne Autoren, z.B. Du Mesnil (16), waren der Ansicht, dass in Folge längerer Bäder die Haut ihre normalen Eigenschaften verlieren könnte; Ritter (90, 91) hatte sogar Sorge, dass durch eine leichte Seifenwaschung ein anormaler Zustand der Haut bei seinen Versuchspersonen eintreten könnte. Es beruht diese Vorstellung auf der irrigen Ansicht, dass die Haut nach Abschilferung der obersten abgestorbenen Hornzellen sich in ihrem Absorptionsvermögen wesentlich ändere. Ebenso wenig ist es nötlig, wie meine Versuche lehrten, die natürlichen Körperöffnungen (Anus, Penis, Vulva) zu verschliessen. Entweder schliessen diese Oeffnungen von selbst fest genug, oder die Resorptionsfläche ist im Vergleich zur gesammten Ober- fläche zu klein, als dass sie von Bedeutung wäre, oder drittens besitzen die Schleimhäute an den Uebergangsstellen in die äussere Haut dieselben osmotischen Eigenschaften wie diese. Vielleicht sind alle drei Punkte gleichzeitig wirksam. Bei meinen Versuchsthieren liess sich wenigstens niemals ein Unterschied constatiren, ob nun die Körperöffnungen ver- schlossen waren oder nicht. Das Experiment Demarquay’s, das Fleischer (20) eitirt, erlaubt nicht den gegentheiligen Schluss. Demarquay zeigte nämlich, „dass beim Aufträufeln einer concentrirten Jodkalilösung auf die Präputialhaut mehr Jod zur Aufnahme gelangt, als bei einem Jodkali-haltigen Vollbade“. Aus den Versuchen am Kaltblüter ‚wissen wir aber, dass concentrirte Lösungen das normale, auswählende Absorptionsvermögen der Zellen völlig vernichten, weshalb die Einwirkung sehr starker Lösungen keinen Rück- schluss auf das eigentliche Verhalten der Haut gestatten dürfte, 128 SCHWENKENBECHER: In einer Reihe von Fällen war es nothwendig, die inneren Organe oder wenigstens den Harn des Thieres nach dem Versuche chemisch zu untersuchen, um die Aufnahme der Substanz durch die Haut beweisen zu können. Zu diesem Zwecke musste Penis oder Urethra abgebunden und mit Klebwachs überstrichen werden. Nach mehrstündiger (4 bis 8) Ein- wirkung der Badeflüssigkeit wurde das Thier getödtet. Das Fell wurde abgezogen, Füsse und Kopf wurden abgeschnitten, der Rumpf in reinem Wasser wiederholt und gründlich abgespült, und mit besonders gereinigten Instrumenten wurden die inneren Organe: Leber, Milz, Darm, Nieren, Blase, Herz und grosse Gefässe herausgeschnitten und verascht. War nur die Untersuchung des Urins erforderlich, wurde die Blase, mit einer Pincette unten abgeklemmt, in toto herausgenommen. Nach sorg- fältiger Abspülung mit destillirtem Wasser wurde sie angestochen und der Harn auf einen weissen Teller oder in ein enges Reagensglas entleert. Für die wenigen Versuche (15), welche ich an Tauben anstellte, be- nutzte ich grössere, den Mäusegläsern ganz gleich construirte Gefässe aus Blech, welche ausser dem Thiere etwa 1200°°” fassten. Die Tauben wurden mehrere Tage vor dem Versuche am Halse gerupft, damit der Kragen gut anlag. Die Füsse und Flügel des Vogels wurden während des Experimentes gefesselt; durch die untere Schnabelhälfte zog ich, um den Kopf des Thieres halten zu können, eine Schlinge. Einige Tauben wurden tracheotomirt, was sehr leicht auszuführen ist, und auch die Thiere gut ertragen. Ich gehe nun über zur Besprechung der einzelnen chemischen Körper, die geprüft wurden und beginne mit dem Aethylalkohol. Aethylalkohol ist in allen Verhältnissen in Wasser löslich; in Oel ist sein Lösungsver- mögen geringer. Der Theilungscoefficient zwischen Oel und Wasser be- trägt ca. 1:30. Overton (79) konnte bei Kaulquappen, welche sich in einer Lösung von einem Gewichtstheil Alkohol auf 70 bis SO Theile Wasser befanden, eine vollständige Gehirnnarkose erzeugen. Weisse Mäuse waren in 16- (gewichts-)procentigem Alkohol erst nach 9!/, Stunden von der Haut aus völlig narkotisirt. Die meisten Aethylalkohol-Mäuse starben einige Zeit nach der Herausnahme in tiefer Bewusstlosigkeit, wie es schien, an Lähmung des Athemcentrums. Versuch Nr. 1. W. M.!, 208”, in 25 procentigem Aethylalkohol. 3 Uhr 17 Min. p. m. Beginn des Versuches. ' Abkürzung für „weisse Maus“; sie wiederholt sich in allen Protokollen. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 129 5 Uhr 30 Min. p. m. Tiefe Narkose. Conjunetivalrefiex noch nicht er- loschen. 5 Uhr 35 Min. p. m. Tremor. 6 Uhr 45 Min. p. m. Tiefe Narkosemit aufgehobenen Reflexen. (3 1/, Stun- den-Dauer des Versuches.) Herausnahme. 8 Uhr 15 Min. p. m. Noch tiefe Bewusstlosigkeit. Am folgenden Morgen todt gefunden. Nr. 2. W.M., 232%, in 20 procentigem Aethylalkohol. Nach 7 Stunden tiefe reflexlose Narkose. Am folgenden Tag noch in Narkose. Im Laufe desselben Tages gestorben. Nr. 3. W.M, 152”, in 20 procentigem Aethylalkohol. Nach 6 Stunden tiefe Narkose, welche schneller als bei den anderen Thieren sich wieder verliert. Am folgenden Morgen leidlich munter. In der nächsten Nacht gestorben. Nr. 4. W.M., 138%, in 20 procentigem Aethylalkohol. Nach 5 Stunden tiefe Narkose. Sehr rasche Athmung, die nach !/, Stunde allmählich langsamer und immer oberflächlicher (kaum mehr sichtbar) wird. Am folgenden Tage noch bewusstlos. Im Laufe desselben gestorben. Nr. 5. W.M., 98%, in 20 procentigem Aethylalkohol. Nach 5!/, Stunden tiefe Narkose. Darnach 20 Stunden bleibende Be- wusstlosigkeit und Tod. Nr.6. W.M., 13-53”, in 18 procentigem Alkohol. Nach 7 Stunden Narkose. Am Leben geblieben. Nr. 7. W.M., 153%, in 16 procentigem Alkohol. Nach Oil, Stunden Narkose. Nach weiteren 4 Stunden todt. Nach vorstehenden Versuchen wird Aethylalkohol von der Haut des warım- blütigen Thieres absorbirt. Die 16- bis 20 procentigen Alkohollösungen sind so schwach, dass sie die Haut nicht reizen. Die Zeitangaben sind nicht so zu verstehen, dass erst nach 5 bezw. 9 Stunden Narkose einträte. Das wäre unrichtig. Die Alkoholwirkung beginnt sehr schnell nach Anfang des Versuches; nur wird erst nach mehrstündiger Dauer des Bades die Be- täubung so tief, dass alle Reflexe des Thieres erlöschen. Dieser Moment wurde in allen Versuchen mit narkotischen Mitteln angestrebt, um einen Vergleich zwischen den verschiedenen Substanzen zu ermöglichen. Die Aufnahme des Alkohols durch die menschliche Haut wurde von Röhrig (92), Fleischer (20), Winternitz (26) geprüft. Nur Röhrig glaubte aus seinen Versuchen den Beweis einer Absorption entnehmen zu können, da Substanzen (wie z. B. Jodkali), welche aus wässeriger Lösung nicht in den Organismus übergingen, aus alkoholischer Lösung Aufnahme fanden. Obwohl diese Folgerung nicht ganz berechtigt zu sein scheint, pflegt man doch allgemein eine Absorption des Alkohols auch für die Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. ®) 130 SCHWENKENBECHER: menschliche Haut anzunehmen.” Der Ausfall der vorliegenden Thier- experimente, die schmerzlindernde Einwirkung spirituöser Einreibungen beim Menschen, der günstige Einfluss von Aufschlägen verdünnten Alkohols bei Furunkeln, Phlegmonen — alles weist auf eine Aufnahme des Körpers durch die Haut hin. Buchner, Fuchs und Megele (9) zeigten, dass bei Alkoholum- schlägen auf die Haut eines Armes der Blutdruck der betreffenden Radialis steigt. Gleichzeitig tritt eine Erweiterung der Gefässe ein, so dass die Extremität blutreicher wird. Da sie an Hautstücken von Amputations- stumpfen eine nennenswerthe Absorption des Alkohols nicht nachweisen konnten, sahen sie in einer „Hautreizung“ durch Wasserentziehung und Eiweissgerinnung die Ursache für die locale Gefässerweiterung und Steigerung des Blutdruckes. Die vermehrte Blutfülle, die arterielle Hyperämie ist nach ihrer Ansicht für die Heilwirkung bei Phlegmonen u. s. w. durch Alkohol- umschläge allein verantwortlich zu machen. Da man aber unmöglich Experimente an ausgeschnittenem Hautmaterial auf das lebende, von Blut und Lymphe durchströmte Organ übertragen darf, so stehen die Folgerungen der Autoren auf sehr schwach gestütztem Fundament. Auch die von ihnen’gemachte Beobachtung, dass die höheren Alkohole eine stärkere Wirkung entfalten als die C-ärmeren, lässt sich leicht darauf zurückführen, dass die ersteren leichter und schneller von den Gewebszellen aufgenommen werden als Methyl- und Aethylalkohol. Sicherlich wird auch die Behauptung der genannten Autoren nicht ein- wandsfrei zutreffen, dass bei äusserer Alkoholanwendung „ganz andere Eigen- schaften und Verhältnisse als bei innerer Darreichung desselben in Betracht kommen“ Vielmehr dürfte es sich stets in erster Linie um dieselbe pharmakologische Wirkung handeln, um eine Zellnarkose und bei höherer Concentration der Substanz um Zelltod. Natürlich besitzen die verschieden- artigen Zellen des Organismus dem Alkohol gegenüber nicht ganz dasselbe Absorptionsvermögen und nicht die gleiche Empfindlichkeit. Es ist wohl möglich, dass bei den stärkeren Alkohollösungen, wie sie in den Experimenten der Autoren angewandt wurden, eine Gewebs- bezw. Nervenreizung eintritt, doch ist auch diese wohl nur durch die Aufnahme des Alkohols in die Zellen zu erklären. Vielleicht darf daran erinnert werden, — um nochmals einen Beweis für die einheitliche Wirkung des Alkohols trotz verschiedener Anwendungsweise zu geben —, dass auch bei Einfuhr in den Verdauungscanal der Alkohol in gewissem Grade bakterieid wirkt. Diese Eigenschaft, im Verein mit anderen Vorzügen, giebt ihm auch heute noch den Ruf eines wirksamen Medicaments bei allen septischen Processen. ' Kunkel (50) 8. 405. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 131 Amylalkohol. Die Löslichkeit des Amylalkohols in Wasser beträgt etwa 2 Procent, in Oel ist sie unendlich gross. Demnach muss Amylalkohol sehr viel leichter in die Zellen eindringen und in viel geringerer Concentration eine Narkose erzeugen als Aethylalkohol — um so mehr, da er viel weniger flüchtig ist als dieser. Zur völligen Narkose von Kaulquappen war eine Verdünnung von 1:500 Ag. erforderlich. Mäuse konnten in einer 1.5 procentigen Lösung bis zur reflexlosen, tiefsten Narkose gebracht werden. 1. W. M., 163”, in 2 (gewichts-)procentigem Amylalkohol. In 25 Minuten völlige Narkose. 2. W.M., 173%, in 18 procentigem Amylalkohol. In 2?/, Stunden völlige Narkose. 3. W. M., 118%, in 1-5 procentigem Amylalkohol. In 3 Stunden völlige Narkose. 4. W.M.. 158%, in 1-5 procentigem Amylalkohol. In 3 Stunden Narkose. 5. W.M., 178%, in 1-5 procentigen Amylalkohol. In 73/, Stunden Narkose. 6. W.M., 228%, in 1°5 procentigem Amylalkohol. In 6 Stunden Narkose. 7. W.M., 152%, in 1 procentigem Amylalkohol. In 8 Stunden keine Narkose. Müdigkeit bestand. 8. W.M., 172%, in 1 procentigem Amylalkohol. Nur Müdigkeit, keine Narkose. 9. W.M., 15 8°”, in 1procentigem Amylalkohol, hat sich einen Fuss etwas wund gekratzt. In 12 Minuten tiefste Narkose. 10. Eine Taube wurde mit 2 procentigem Amylalkohol tief, aber nicht völlig narkotisirt. Sie starb in der Narkose. 11. W.M. in 2procentigem Amylalkohol und (statt Wasser) Paraffın. liquidum. Es trat überhaupt keine Narkose ein. 12. W.M. in 5 procentigem Amylalkohol-Paraffin. Narkose nach 1!/, Stunden. Aus den beiden letzten Versuchen ersieht man, dass Amylalkohol auch aus öliger Lösung aufgenommen wird, dass aber, um eine vollständige Narkose zu erzielen, eine weit höhere Concentration nothwendig ist als bei Anwendung von wässerigen Lösungen. Die Amylalkohol-Thiere starben im Gegensatz zu den mit Aethylalkohol vergifteten nur höchst selten in der Narkose. 9* I92 .. SCHWENKENBECHER: Aethyläther. Aether löst sich in Wasser von 37° C. zu etwa 4 Gewichtsprocent, in Oel ist er unendlich löslich. Kaulquappen werden in 0-18 procentiger Lösung narkotisirt. Weisse Mäuse wurden in 3 procentigen Lösungen noch ätherisirt; meist trat, bevor es zu vollständiger Narkose, d. h. bis zum Erlöschen des Con- junctivalreflexes kam, der Tod ein. 1. W.M. in Aetherdampf. Bei Zimmertemperatur heftige, lang anhaltende Erregung, welche bei höherer Temperatur (d. h. also grösserer Aetherconcentration der Luft) in vollständige Narkose übergeht. Thier bleibt am Leben. 2. W.M. 172%, in 4 procentiger Aetherlösung. Nach 3 Stunden in Narkose gestorben, ohne den tiefsten Grad derselben erreicht zu haben. 3. W.M., 138”%, in 3 procentigem Aether. Nach 2 Stunden völlige Narkose. Thier ist am Leben geblieben. Bei Versuchen, welche mit geringer concentrirten Lösungen angestellt wurden, trat ausgesprochene Narkose nicht ein. | Von den Autoren, welche die Absorption der Haut für Aether unter- suchten, konnte Vogel (124) (ebenfalls auch bei höherer Temperatur erst) Kaninchen mit Aetherdampf durch die Haut narkotisiren. Ebenso konnte er nachweisen, dass flüssiger Aether durch die unversehrte Haut hindurch- tritt, wenn diese darin gebadet wird. Es ist als eine wenig glückliche Versuchsanordnung zu betrachten, wenn alle früheren Autoren, welche die Absorptionsfähigkeit der Haut für Aether untersuchten, diesen in unverdünntem Zustande einwirken liessen. Natürlich fand eine Aufnahme des Aethers statt, aber mit ihr zugleich trat eine Zerstörung des normalen Absorptionsvermögens der Haut ein, wie aus den Versuchen von Röhrig (92), v. Ziemssen (130), v. Wittich (128), R. Winternitz (126) hervorgeht, da nach längerer Aethereinwirkung die Haut auch für Substanzen durchlässig wird, welche sonst nicht durch sie hindurchtreten, z. B. für Alkaloidsalze. Es erinnern diese am lebenden Warm- blüter angestellten Versuche an das Experiment Filehne’s (15) mit aus- geschnittenen Epidermisstückchen. Diese zeigten sich im normalen Zustande völlig undurchgängig für Wasser, verloren diese Eigenschaft aber nach der Extraetion mit Alkohol und Aether vollkommen. Ebenso büsst natürlich auch die Haut des Kaltblüters ihr normales, auswählendes Absorptionsver- mögen ein, wenn stärkere ätherische Lösungen auf sie einwirken. Ob bei äusserer Aetherapplication stets eine wirkliche mechanische Zerstörung des Gewebes stattfindet, ist nicht sehr wahrscheinlich, wiewohl es von Brock (8) angegeben worden ist. Viel einleuchtender ist die An- DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER Haut. 133 nahme einer Auflösung und chemischen Veränderung der Lipoidsubstanzen der Hautzellen. Dieselbe nicht beweisbringende Versuchsanordnung finden wir wieder in der Litteratur über die Aufnahme des Chloroforms durch die Haut. Wer die Gesichtsätzungen kennt, welche bei Operations- narkosen zuweilen durch Unvorsichtigkeit des Arztes entstehen, wenn die auf die Maske geträufelte Flüssigkeit die umgebende Haut benetzt, wird darüber in Klarheit sein, dass die reine Substanz die Zellen zerstört, in welche sie eindringt. Doch ob diese Zerstörung oder der Eintritt des Chloroforms in die Zelle das Primäre von beiden Vorgängen darstellt, kann auf Grund der älteren, mit reinem Chloroform angestellten Versuche nicht entschieden werden. Nur die wenigen Experimente, welche sich auf die Aufnahme des Chloroformdampfes beziehen, bilden eine Ausnahme, da dieser in hin- reichender Verdünnung mit Luft auf die Haut einwirkte. Vogel (124) konnte bei einem Kaninchen, welches er bis zum Halse in einen Kasten brachte und einer Luft mit 29 Procent Chloroformdampf aussetzte, eine leichte Narkose erzielen. Dieselbe verschwand schnell wieder, das Thier starb aber nach 3 Tagen. Ich habe bei einer weissen Maus durch Chloro- formdampf in einigen Stunden von der Haut aus tiefste Narkose erzielen können. Die Maus starb bald nach dem Versuch. Nölle (75) konnte bei Einwirkung von Chloroformdämpfen auf die Haut einer Extremität des Menschen keine so bedeutende Absorption er- zielen, dass die Isonitrilreaction im Harne aufgetreten wäre. Allerdings dürfte diese Probe nur bei höherem Chloroformgehalt des Blutes positiv ausfallen, da bei der Flüchtigkeit der Substanz der grösste Theil derselben sehr schnell den Organismus durch die Lunge wieder verlässt. “ Chloroform ist zu 0-72 Gewichtsprocent in Wasser von 20° C., in Oel unendlich löslich. Den Overton’schen Untersuchungen ist zu entnehmen, dass Kaulquappen noch in wässeriger Lösung von 1:6000 vollständig nar- kotisirt werden können. Weisse Mäuse wurden noch in 0-3 procentigem Chloroformwasser betäubt; sie starben fast alle in der Narkose. 1. W.M., 13.58%, in concentrirtem Chloroformwasser (ca. 0-7 Procent). Nach 45 Minuten reflexlose Narkose, bald darauf todt in schwerer Dyspnoe. 2. W.M., 128%, in 05 procentiger Chloroformlösung. Nach 1 1), Stunden reflexloseNarkose. Bald darauf todt in schwerer Dyspnoe. 3. W.M., 20-52”%, in 0-5 procentigem Chloroform. Nach 1 Stunde 5 Minuten reflexlose Narkose. !/, Stunde später todt. 4. W.M., 22.58”%, in 0-4 procentigem Chloroform. Nach 21! j; Stunden reflexlose Narkose. °/, Stunden später todt gefunden. 134 SCHWENKENBECHER: 5. W.M., 20°”, in 0.3 procentigem Chloroform. Nach 2°/, Stunden reflexlose Narkose, welche jedoch nach Herausnahme schnell wieder vorübergeht. Nach einiger Zeit wird das Thier im Kasten in tiefem Coma gefunden, in der folgenden Nacht ist es gestorben. 6. Taube in 0-7 procentigem Chloroform. Nach all, Stunden tiefe reflexlose Narkose. Thier bleibt am Leben. Mit Jodoform, welches in Wasser fast unlöslich ist, sich in fettem Oel aber leicht löst, habe ich wegen der ersteren Eigenschaft Versuche nicht angestellt. Bei äusserer Anwendung in Salbenform haben Dahmen (13), Linossier und Lannois (60), Szulislawski (118) eine reichliche Aufnahme durch die intacte Haut des Menschen nachweisen können. Jodäthyl ist zu 0-25 Procent in Wasser, in Oel unendlich löslich. Bei Kaulquappen bewirkt es noch in Verdünnung von 1:6000 voll- ständige Narkose. Weisse Mäuse sterben in Lösungen von 0-25 Procent. Es tritt keine Narkose ein. Die Thiere werden unruhig und sterben nach wenigen Stunden, ohne auffallendere Erscheinungen zu zeigen. 1. W.M., 16-52", in 0-25 procentigem Jodäthyl. Nach 21/, Stunden todt. Blase ist leer. 2. W.M., 198%, in gleicher Lösung. Nach 2°/, Stunden todt. Blase ist leer. 3. W.M., 168%, in gleicher Lösung. Nach 4 Stunden todt. Blase leer. 4. W. M., 15-58”, in gleicher Lösung. Nach 4 Stunden todt. In der Urinasche konnte eine geringe Menge Jod nachgewiesen werden. Jodäthyl wird, in Salben auf die Haut des Menschen gestrichen, leicht absorbirt, wie von Linossier und Lannois (60) gezeigt wurde. Cyan-Verbindungen. Das Absorptionsvermögen der Haut für Blausäure ist mehrfach unter- sucht worden. Von den älteren- Autoren war es Gerlach (92), der mit Oyanwasserstoff Versuche anstellte, doch ist bei seinen Experimenten die Möglichkeit einer Aufnahme des Gases von Seiten der Lunge nicht als ausgeschlossen zu betrachten. Vogel (124) tauchte das Ohr eines Kaninchens in eine 1 procentige wässerige HÜN-Lösung, welche mit Oel überschichtet war, um eine In- DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAur. 135 halation zu verhüten. Nach 19 Minuten trat unter charakteristischen Er- scheinungen der Tod ein. Overton (79) konnte bei seinen Versuchen am Kaltblüter ein sehr schnelles Eintreten der HCN aus ihrer Lösung in die Zellen nachweisen, doch ‚dürfte gerade bei gasförmigen Substanzen die Aehnlichkeit der Haut- absorption zwischen Poikilothermen und Homoiothermen nicht so bedeutend sein. Mäuse starben noch in einer Lösung von 0-1 Procent HUN in etwa 3/, Stunden. Der Verschluss um den Hals der Thiere war besonders sorg- fältig angefertigt. Zwischen Guttaperchaschichten war noch eine dicke Wachsschicht eingeschaltet, so dass keine durch den Geruch wahrnehmbare Spur des Gases hindurchtreten konnte. 1. W.M. in Blausäure 1:500. Nach 10 Minuten beginnen Dyspnoe und Krämpfe; nach einer weiteren halben Stunde war das Thier todt. 2. W.M. in Blausäure 1:1000. Nach 25 Minuten Krämpfe und Dyspnoe. Nach weiteren 20 Minuten todt. 3. W.M. in Blausäure 1:1000. Nach 35 Minuten bewusstlos, reflexlos, Dyspnoe; nach weiteren 5 Minuten todt. 4. Taube tracheotomirt, athmet Aussenluft, ist ausserdem wie die Mäuse mit dichtem Kragen in ein Blechgefäss eingebunden, in Blausäure von 0.5 Procent. Nach wenigen Minuten trat der Tod ein nach kurzer schwerer Dyspnoe. Auch mit Cyankalium hat Vogel (124) Versuche angestellt, indem er das Ohr eines Kaninchens in die Flüssigkeit eintauchte. Das Ergebniss war folgendes: „Die nur zimmerwarme Lösung von Uyankalium ging innerhalb einer Zeit von 70 Minuten ungeachtet ihrer alkalischen Reaction, bei der man eine Lösung des Hautsalzes erwarten konnte, nicht in bemerkenswerther Weise in den Kreislauf über. Auch die durch Essigsäure freigemachte Blausäure drang unter den angegebenen Umständen nicht ein. Dagegen geschah dieses, wenn auch erst nach 58 Minuten, als die neutralisirte Lösung von Cyankalium auf Körpertemperatur erwärmt war, und es ge- schah in 17 Minuten, als die Eintaucheflüssigkeit kein Salz, sondern nur freie Blausäure gelöst enthielt.“ Mit anderen Worten heisst das: Cyankalium wird von der Haut als solches wahrscheinlich nicht absorbirt, sondern nur die in der Lösung frei werdende Blausäure. Ich hatte zu meinen Versuchen eine frischbereitete Lösung von KCN, welche sehr deutlich nach Blausäure roch. Alle Versuche fanden im Wasser- bad von 35°C. statt; alle Mäuse starben sehr schnell an typischer Ver- giftung. 136 SCHWENKENBECHER: 1. W.M., 17.58%, in KCy 1:100. Nach 35 Minuten schwere Vergiftung. Nach weiteren 10 Minuten todt. 2. W.M., 19 &%, in KCy 1::100. Nach 20 Minuten Vergiftung. Nach weiteren 18 Minuten todt. 3. W.M., 188%, in KCy 1:100. Eine andere weisse Maus wird an den Kopf der ersten so fixirt, dass beide dieselbe Luft einathmen müssen. Nach 15 Minuten Vergiftung, nach weiteren 15 Minuten tedt. Die andere Maus blieb vollständig normal. Ferrocyankalium gehört zu den Substanzen, welche wegen ihres leichten chemischen Nachweises häufig benutzt worden sind zum Studium des Absorptionsvermögens der Haut. Die Resultate der verschiedenen Ver- suche sind nicht die gleichen. Am Frosch wurde von Stirling (116), v. Wittich (128), Seliger (107) eine Aufnahme der Substanz bewiesen, während Pesci und Andres (85) angaben, dass Kaliumferrocyanid die Haut nicht durchdringt, wenn es in niedriger Concentration einwirkt, während stärkere Concentrationen die normale Semipermeabilität der Froschhaut aufheben. Am Menschen sind von Juhl (44), Seibel (105), Fubini und Pierini (23) Experimente gemacht worden. Während der Erstere eine Absorption nachweisen konnte, war das bei den anderen Autoren nicht der Fall. Die Haut weisser Mäuse absorbirt Ferrocyankalium. 1. W.M., 198%, in 5 procentiger Lösung. Nach 8 Stunden todt gefunden. Thier war Anfangs in der Flüssigkeit sehr unruhig. Vorsichtige Herausnahme der Blase, Abspülen, Anstechen. Sehr lebhafte Berliner Blaufärbung mit Eisenchlorid. 2. W.M., 192%, in 5 procentiger Lösung. Thier ist in der Flüssigkeit nicht wesentlich verändert. Nach 6 Stunden Herausnahme, Abspülen. Tödtung des lebhaften Thieres. Im Harn Berliner Blau stark positiv. 3. W.M., 23-58, in 2 procentiger Lösung. Thier ist in der Lösung ganz normal. Nach 6 Stunden Herausnahme. Tödtung. Im Harn Berliner Blau positiv, etwas weniger als bei Nr. 2. 4. W.M., 17.58”, in 1 procentiger Lösung. Nach 6 Stunden Herausnahme und Tödtung des anscheinend normalen Thieres. Im Harn deutliche Berliner Blaureaction. 5. W.M., 198%, in 1 procentiger Lösung. Nach 2 Stunden gestorben. Im Harn Berliner Blaureaction schwach, aber noch deutlich zu erkennen. Eine chemische Alteration ist bei der geringen Concentration (1 Procent) ausgeschlossen. Das ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 137 Es ist möglich, dass nicht das Ferrocyankalium als solehes, sondern die eine seiner Componenten, die Ferrocyanwasserstoffisäure, aufgenommen wird. Diese Zerlegung, auf welche schon bei den Versuchen mit Cyankali hingewiesen wurde, wäre durch den Einfluss der hohen Kohlensäurespannung in den obersten Zellschichten der Haut und durch die Anwesenheit be- stimmter organischer Substanzen vielleicht zu erklären. Anlässlich der Be- sprechung der Experimente mit Salzen der Salieylsäure muss noch einmal auf diesen Punkt eingegangen werden. Auch mit Ferricyankalium habe ich einige Versuche angestellt. Zwei weisse Mäuse blieben 6 bis 7 Stunden in einer 5 procentigen Lösung. Sie zeigten keinerlei abnorme Erscheinungen. Nach Ablauf der Zeit wurden sie getötet. Der Harn gab bei beiden Tihieren mit Eisenchlorid eine stark positive Berliner-Blaureaction, während mit Ferrosulfat nur eine schwach blaue Färbung eintrat, wie ich sie auch erhielt, als ich eine frisch zubereitete Ferrocyankaliumlösung mit derselben Ferrosulfatlösung versetzte. Meine zum Bad benutzte Kaliumferrieyanidlösung gab weder vor noch nach dem Versuch mit Eisenchlorid Blaufärbung. Es wurde also die Ferriver- bindung von der Haut meiner Thiere absorbirt und im Körper zu einer Ferroverbindung reducirt. Die letztere Beobachtung hat bereits Gorup- Besanez! gemacht. Aldehyde. Formaldehyd habe ich nicht eingehender untersucht. Eine Maus, welche ich unter eine Glasgelocke brachte, wo sie neben Luft reichlich Formalindämpfe einathmete, bekam nach Ablauf der ersten halben Stunde eine eigenthümliche, dyspnoische Athmune, die Bewegunesfähigkeit nahm ab, das Thier rutschte auf dem Glasteller umher, da es nicht mehr co- ordinirt laufen konnte. Nachdem der Versuch 2 Stunden gedauert, starb das Thier in tiefer Bewusstlosigkeit. Eine Taube brachte ich, mit dem Wachsguttaperchakragen versehen, in eine 3procentige wässerige Formaldehydlösung. Es war unmöglich, den Kragen völlig zu dichten. Wahrscheinlich ist selbst Guttapercha durch- lässig für Formaldehyd. Die Menge an Gas, die das Thier einathmete, war indess relativ gering, da man den eigenen Kopf ganz dicht an den Kragen des Thieres bringen konnte, ohne in erheblichem Maasse belästigt zu werden. Das Thier bekam Dyspnoe und starb nach 4 Stunden. Die Haut des toten Vogels fühlte sich eigenthümlich dick, trocken, wie gegerbt an. Die Lösung hatte also stark gereizt. ! Gorup-Besanez, Physiol. Chemie. S. 604, nach Kunkel’s Handbuch. 8.512. 138 SCHWENKENBECHER: Formaldehyd dringt nach den Untersuchungen Overton’s ausser- ordentlich leicht in die Zellen ein und hat eine stark tödtende Wirkung auf sie. Auf dieser Eigenschaft beruht auch die bakterieide Wirkung der Substanz. Ob demnach eine längere Einathmung von Formaldehyd, z. B. nach dem Wiederbewohnen eines frisch desinficirten Zimmers für den Menschen ganz unschädlich ist, dürfte wohl zu bezweifeln sein. Ich habe meine Untersuchungen mit Formaldehyd nicht weiter aus- gedehnt, weil derselbe in noch viel grösseren Verdünnungen entweder doch nur reizend und zerstörend wirkt, oder dann ein sicherer Nachweis seines Eindringens durch die Haut mir so gut wie unmöglich schien, da nach den Angaben von Gianelli (29), Kluber und Erlanger (29) der Aldehyd im Körper verbrannt, wahrscheinlich zu Ameisensäure oxydirt wird. Paraldehyd ist in zehn Theilen Wasser löslich und mischt sich mit Oel: Theilungscoefficient etwa 3. In einer Lösung von 1:300 Wasser werden Kaulquappen noch narko- tisirt. Mäuse werden in 2 procentiger Lösung reflexlos narkotisirt. 1. Taube in Sprocentigem Paraldehyd. Nach 1 Stunde tiefe Narkose, Conjunctivalreflex noch erhalten. Nach weiteren °/, Stunden in der Narkose gestorben, ohne den tiefsten Grad der- selben zu erreichen. 2. W.M., 188%, in 5 procentigem Paraldehyd. Nach 25 Minuten tiefe reflexlose Narkose. Nach weiteren 15 Minuten in schwerer Dyspnoe gestorben. 3. W.M., 168%, in 5 procentigem Paraldehyd. Nach !/, "Stunde tiefe, reflexlose Narkose, blieb darnach ca. 20 Stunden bewusstlos und erholte sich wieder. 4. W.M., 19.58”, in 2-5 procentigem Paraldehyd. Nach 4 Stunden vollständige Narkose, darnach gegen 18 Stunden be- wusstlos und wieder Erholung. 5. W. M, 16-58&%, in 2 procentigem Paraldehyd. Nach 5 52) „ Stunde völlige Narkose, darnach etwa 10 stündige Bewusst- losigkeit und Kehelane 6. W.M. 208%, in 2 procentigem Paraldehyd. Nach 2!/, Stunden tiefe Narkose. Nach weiteren 10 Minuten tot. 7. W.M., 18-5&"=, in 1-5 procentigem Panel Se. Nach 101), Stunden nur leichte Narkose. 8. W.M., 15®&%, in 1 procentigem Paraldehyd. Nach 10 Stunden nur leichte Narkose. Chloralhydrat ist bedeutend löslicher in Wasser als in Oel, der Theilungscoöfficient ist etwa 0,22 (Baum [3]) 0,24 (bei 30°) (Nacke [73)]). DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 139 Deshalb tritt diese Verbindung viel langsamer in die Zellen ein als z. B. Paraldehyd. In !/,procentiger Lösung trat bei Kaulquappen Narkose ein. Dieselbe bildet sich erst nach längerer Zeit aus, und ebenso langsam wird das Narcoticum wieder abgegeben, wenn die betäubten Larven in reines Wasser übergeführt werden. Aus diesem Grunde habe ich mit Chloralhydrat an Mäusen keine Versuche angestellt. Vogel machte Versuche mit dieser Substanz am Kaninchenohr und konnte nur in ätherischer Lösung eine Aufnahme darthun. Wie schon gesagt, ist das kein Beweis für die Fähigkeit der Haut des Warmblüters, Chloralhydrat zu absorbiren, da durch Aether die lipoidhaltigen Zellen ver- ändert werden. Ketone. Aceton ist in Wasser unendlich, in Oel weniger löslich. Theilungs- coöfficient = 0,195 (30° C.) (Nacke [73)]). Erst in Lösungen von 1!/, Gewichtsprocent konnten Kaulguappen völlig narkotisirt werden, so dass nach Overton (79) das Aceton kaum als Narco- ticum bezeichnet werden kann. Beim Warmblüter wirkt es indess unstreitig narkotisch, wie schon aus älteren Intoxicationsversuchen hervorgeht, durch welche man den Nachweis erbrachte, dass-das Coma diabeticum zum Theil auf Aceton-Narkose beruht. 1. W.M., 198%, in 5 procentigem Aceton. Harnröhre des Thieres mit Faden und Klebwachs verschlossen. Es bleibt 11 Stunden in der Lösung, ist während der ganzen Zeit leicht nar- kotisirt; bei der Herausnahme befindet es sich in mitteltiefer Narkose. Dureh Frtränken in reinem Wasser getödtet. In sorgfältigster Weise Heraus- nahme der ganzen Harnblase. Abspülen derselben. Durch Einstich dieselbe geöffnet. Urin giebt mit NaOH und Jodjodkalium Jodoformgeruch. 2. W.M. in 5 procentigem Aceton, bleibt 6 Stunden in der Lösung. Leichte Narkose. Urinblase war bei der Section leer, da der Verschluss nicht gehalten hatte. 3. W.M. in 3 procentigem Aceton, bleibt 11'/, Stunden in der Lösung. Bei der Herausnahme leichte Narkose. Im Harn mit Nitroprussid- natrium-Natronlauge und Essigsäure Aceton deutlich nachweisbar. Eisen- chloridreaetion negativ. Aromatische Körper. Phenol, Carbolsäure, ist zu 7 Procent in Wasser, zu 25 Procent in Oel löslich. Noch in Verdünnung von 1:2000 wirkt es bei Kaulquappen lähmend auf die Circulation und narkotisirend, gleichzeitig oft krampf- erregend. 140 SCHWENKENBECHER: Weisse Mäuse werden noch in 0-3 procentigen Lösungen zuerst leicht narkotisirt, dann bekommen sie Erregungszustände, die sich zu heftigen Krämpfen steigern; dann nehmen die Krämpfe wieder ab, das Thier wird reflexlos und bewusstlos, die Athmung wird sehr tief und verlangsamt, und der Tod tritt ein. 1. W. M., 162"%, in 0-5 procentigem Phenol. Harnröhre verschlossen. Nach 1 Stunde mittelstarke Krämpfe, nach einer weiteren Stunde sehr heftige Krämpfe, Reflexlosigkeit, Bewusstlosigkeit. Nach einer weiteren halben Stunde nehmen die Krämpfe wieder ab, das T'hier wird dyspnoisch. Nach weiteren 20 Minuten erfolgt der Tod in schwerer Athemnoth. Die Blase wird aus dem todten Thier in toto herausgeschnitten, abgespült, der Harn durch -Einstich auf weissem Teller entleert, er giebt mit Eisenchlorid typische Phenolreaction. 2. W.M., 10-.58%, in 0-5 procentigem Phenol. Harnröhre verschlossen. Die ersten Krämpfe erst nach 3 Stunden. Tod erfolgt 1 Stunde darauf. Im Harn deutliche Phenolreaction. 3. W.M., 14 em, in 0-5 procentigem Phenol. Nach 1!/, Stunden Beginn der Krämpfe. Nach 6 Stunden todt. Im Harn Phenolreaction. 4. W.M., 172%, in 0-3 procentigem Phenol. Nach 2!/, Stunden Beginn der Krämpfe. Nach 5 Stunden todt. Im Harn Phenolreaction. 5. W.M., 142%, in 0-3 procentigem Phenol. Nach 3 Stunden Beginn der Krämpfe, nach 6'/, Stunden todt. Phenol- reaction im Harn. 6. W.M., 138%, in 0-3 procentigem Phenol. Nach 1!/, Stunden Beginn der Krämpfe, nach 6 Stunden todt. Phenol- reaction im Harn. Phenol wird also von der Haut der Maus absorbirt und zwar in einer Verdünnung, in der eine Aetzung der Gewebe nicht stattfindet. Die Carbolsäure gehört zu denjenigen Substanzen, von denen man schon längst annahm, dass sie auch von der intacten Haut des Menschen auf- genommen wird. Zwar konnte Fleischer (20) eine Absorption von Phenol beim Menschen nicht nachweisen, wohl aber zeigte Du Mesnil (16), dass nach dem Ein- tauchen einer Extremität in 1 procentige Carbolsäure im Harne die typische Phenolreaction auftritt; ebenso -fand Liebreich (91) eine Aufnahme des Körpers bei Einreibung von Carbol-Lanolinsalben. Zwar hat Ritter (91) diese Absorption als selbstverständlich hingestellt, weil das Phenol Corro- sionen der Haut herbeiführe. Nach den Untersuchungen Du Mesnil’s (16) aber, welehe mit grosser Sorgfalt ausgeführt sind, ist dieser Einwand Ritter’s hinfällig. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 141 Vor einigen Jahren hat Clement Lucas! über Fälle von Carbol- vergiftung berichtet, welehe durch Auflegen von Carboleompressen auf die Haut entstanden. Es geschah dies zur Desinfeetion vor der Vornahme einer Operation. Bei einem Kinde trat ein schwerer Collaps ein. Es ist möglich, dass durch eine vorherige Aetherapplication die Durchgängigkeit der Haut abnorm gesteigert war. Jedenfalls aber können wir nach alledem auch für den Menschen den Nachweis der Phenolabsorption durch die Haut als gesichert annehmen. Zum Studium des Verhaltens der Kresole verwandte ich das Lysol, das bekanntlich eine Lösung von Kresolen in Leinöl und Kaliseife ist. Die verschiedenen Kresole sind in 50 bis 250 Theilen Wasser, in Oel viel leichter löslich. Kaulquappen werden in Lösungen von 1:5000 narkotisirt und sterben an Herzläihmung. Weisse Mäuse sterben unter Krämpfen noch in O-3procentiger Lösung. Dieselben sind nicht ganz so stark wie bei der Phenolvergiftung; die narkotische Wirkung ist bei beiden Sub- stanzen gering. 1. W.M., 13.58”%, in 1 procentigem Lysol. Nach ?/, Stunden heftige Krämpfe; nach 1 Stunde todt. 2. W. M., 1789, in 0-5 procentiger Lösung. Nach 1'/, Stunden einzelne Zuckungen, nach weiterer Stunde leichte Krämpfe; nach im ganzen 3!/, Stunden todt. 3. W. M., 172%, in 0.3 procentigem Lysol. Nach 3 Stunden leichte Krämpfe. Nach 4 Stunden todt in Krämpfen. 4. W.M., 162%, in 0-1 procentiger Lösung. Nach 9 Stunden normal herausgenommen. Im Laufe der nächsten Nacht gestorben. 5. W.M., 14-58”%, in 0-1 procentiger Lösung. Nach 91/, Stunden normal herausgenommen. Im Laufe der nächsten Nacht gestorben. Resorein ist in weniger als einem Theile Wasser und in 8 bis 10 Theilen Oel löslich. Bei Kaulquappen wirkt es vorwiegend auf das Herz und ruft leichte Krämpfe hervor; die narkotische Wirkung ist sehr gering. Weisse Mäuse verhalten sich in dünner Resorcinlösung völlig normal. Durch Untersuchung des Urins konnte stets eine Absorption der Substanz nachgewiesen werden. ® 1. W.M., 24:'%, in 4 procentigem Resorcin. Nach 5 Stunden zeigt Urin mit FeCl, Dunkelfärbung. ! Clemens Lucas, Zancet. 28. August 1897. Ref., Nonatsh. für prakt. Derm, VSISTERRVIEST219) 142 SCHWENKENBECHER: 2. W.M. 20°", in 2 procentigem Resorein. Nach 8 Stunden heraus. Urin mit Eisenchlorid dunkel. 3. W.M., 148"”, in 2 procentigem Resorein. Nach 9 Stunden normal heraus. Urin mit Eisenchlorid dunkel. Du Mesnil (16) hat am Menschen einige Versuche mit Resorein an- gestellt, welche negativ ausfielen; in einem Falle war das Resultat zweifelhaft. Guajacol ist in 50 Theilen Wasser und in weniger als 0-5 Theilen Oel löslich. Auf Kaulquappen zeigt es denselben Einfluss wie die Kresole, auch tritt der Tod meist durch Herzlähmung ein. Weisse Mäuse, welche in 1 bis 0-2 procentiger Lösung baden, machen bald einen „kranken Eindruck“, zeigen hin und wieder einzelne Zuckungen und werden zum Schluss mehr oder weniger narkotisirt, sie sterben zum Theil, ohne dass völlige Narkose eingetreten ist. 1. W.M., 228%, in 1 procentigem Guajacol. Nach 20 Minuten in Narkose gestorben. Im Harn schwache Dunkel- färbung mit Eisenchlorid. 2. W.M., 18-52”, in 0-5 procentigem Guajacol. Nach 3 Stunden reflexlose Narkose. Herausnahme, Tödtung. Urin wird mit FeÜl, dunkel. 3. W.M., 18-5 2%, in 0.2 procentigem Guajacol. Nach 3 Stunden in leichter Narkose gestorben. Urin giebt mit Eisen- chlorid Dunkelfärbung. Ueber Guajacolabsorption durch die menschliche Haut existirt seit den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten, in welchen gezeigt wurde, dass auf die Haut gepinseltes Guajacol sehr schnell in den Organismus aufgenommen wird. Bei Fiebernden ruft es eine deutliche Herabsetzung der Temperatur hervor, scheint aber wegen der Gefahr des eintretenden Collapses keine therapeutische Zukunft zu haben. (Gilbert [30], Guinard und Houbbe [36], Linossier und Lannois [55], [57], Sciolla [104], Fubini und Pierini [25].) Die Aufnahme von Kreosot zeigten Gilbert (30) und Dahmen (13). Der erstere bestrich die Haut von Menschen mit Kreosotlösungen, während der zweitgenannte Autor die Substanz in Salbenform anwandte. An Versuchen mit Salieylsäure und ihr verwandten Verbindungen ist die Litteratur besonders reich. Seinen Grund findet das in der praktischen Bedeutung der Salieylsalben bei Ge- lenkrheumatismus und verschiedenen Hautkrankheiten. Man nimmt heutzutage allgemein an, dass die Salicylsäure durch die intacte menschliche Haut hindurch geht. Nachdem Fleischer (20) zu- nächst nach seinen Versuchen am Menschen die Aufnahmefähigkeit der DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 143 Haut für Salieylsäure noch als fraglich hinstellen musste, konnten alle späteren Untersucher einen positiven Ausfall ihrer diesbezüglichen Experi- mente constatiren. (Ritter [90], [91], Juhl [44], Du Mesnil [16], Fubini und Pierini [23], [25], Bourget [7], Linossier [58], Linossier und Lannois [56], [59], [61], Ingria [43], Vogel [124]. Meine Experimente an weissen Mäusen ergaben stets positiven Befund. Da Salicylsäure sich in Wasser erst in 500 Theilen löst, versuchte ich, nachdem ich 1: Salicylsäure in 10: Alkohol gelöst, eine etwas übersättigte Lösung herzustellen (1:300). Zum Theil gelang dies. 1. W.M. 143%, in gesättigter Salicyllösung. Nach 4 Stunden im Harn positive Reaction. 2. W.M., 19.58”%, in gleicher Lösung. Nach 2 Stunden positive Reaction. 3. W. M., 258%, in gleicher Lösung. Nach 3?/, Stunden stark positive Reaction. Auch meine Experimente mit Natron salicylicum fielen sammt und sonders positiv aus. 1. W. M., 158%, in 5 procentigem Natr. salieylie. Nach 7 Stunden positive Urinreaction. 2. W.M., 158%, in 5 procentiger Lösung. Nach 8 Stunden positiver Ausfall der Eisenchloridreaction im Harn. 3. W.M., 11-58%, in 2 procentiger Lösung. Nach 6 Stunden im Harn Salieylsäurereaction positiv. 4. W.M., 14.582, in 2procentigem Natr. Salicylic. Nach 6 Stunden getödtet. Im Harne Eisenchloridprobe positiv. 5. W.M., 148%, in 2 procentiger Lösung. Nach 6 Stunden Harnprobe positiv. 6. W.M., 15-58”%, in 2 procentiger Lösung. Nach 6 Stunden positive Reaction. Es stehen diese Resultate im Widerspruch zu den Ergebnissen der meisten Autoren. Nur Juhl (44) und Günther (33) fanden mittels Anstäubung von Natron-salicylicum-Lösung auf die unteren Extremitäten ihrer Versuchspersonen stets einen positiven Ausfall. Fleischer und Ritter haben einige Male eine Absorption beobachtet, doch war das nicht die Regel. Die übrigen Litteraturangaben verneinen insgesammt eine Auf- nahme der Substanz. (Ritter [91], Du Mesnil [16], Fubini und Pierini [23], Destot [14] u. A.) Diese Differenz in den einzelnen Resultaten ist nach Günther (53) auf die verschiedene Versuchsdauer zurückzuführen. Er fordert, dass derartige Experimente 9 bis 10 Tage hintereinander an derselben Person vorgenommen werden, weil er unter solchen Bedingungen stets eine von Tag zu Tag in ihrer Intensität zunehmende Salicylreaction im Harn beobachtete. Natron salicylicum ist in Wasser sehr leicht, in 6 Theilen Alkohol lös- 144 SCHWENKENBECHER: lich, in Aether aber, und wohl auch in Oel, so gut wie unlöslich. Deshalb musste uns der stark positive Ausfall unserer Versuche zunächst als Aus- nahme von der Regel imponiren, da ja doch nur in Fett lösliche Substanzen auf osmotischem Wege in die Zellen einzudringen vermögen. Bei nälıerer Untersuchung klärte sich der Widerspruch dahin, dass gar nicht das Salz, sondern nur seine eine Componente, die Salicylsäure, absorbirt wird. Aus den Untersuchungen von Binz (6) geht hervor, dass das Natron- salz im Organismus nur dort wirksam ist, wo durch eine höhere Kohlen- säurespannung der Gewebe das Salz zerlegt werden kann. In den oberen Zellschichten der Haut müssen wir aber das Bestehen einer erheblicheren Kohlensäuretension annehmen; es sind also die Bedingungen für eine Zer- legung des Salzes schon gegeben. Einen Beweis für die Richtiekeit dieser Annahme liefern folgende Experimente, welche somit auch eine neue Stütze der Binz’schen Theorie bilden: Bei zwei 8-stündigen Versuchen an weissen Mäusen, welche in einer 2procentigen Lösung von Lithium salicylicum badeten, trat im Harn der Thiere die Salieylreaction stark positiv auf, während weder im Urin, noch in der Asche desselben, noch in den ver- aschten inneren Organen eine Spur der Base nachzuweisen war.! Es wurde damit bewiesen, dass die Haut unserer Thiere nach Zerlegung des Salzes nur die Salicylsäure aufgenommen hatte.? ! Durch spektroskopische Untersuchung. ® Binz beschreibt seine Experimente folgendermaassen: „sSalicylsäure treibt zwar Kohlensäure aus ihren Salzen aus. Ist aber ein anderer Körper zugegen, z. B. Aether, in welchem Salieylsäure sich leicht löst, ihr Natriumsalz nicht, so kann man umge- kehrt die Salieylsäure durch Schütteln mit Kohlensäure aus ihrem Natriumsalz aus- treiben, selbst dann, wenn man vorher dessen Lösung durch ein wenig phosphorsaures und kohlensaures Natrium alkalisch gemacht hat. Wir lassen den Aether in einer Glasschale verdunsten und erhalten einen Rückstand von freier Salicylsäure. Diesen Versuch habe ich erweitert und damit Folgendes gezeigt: 0-5 Procent salicylsaures Natrium einer klaren Bakteriennährflüssigkeit, d. h. einer Lösung von Zueker, Kaliumphosphat und Ammoniumtartarat, zugesetzt, die durch etwas Soda al- kalisch gemacht worden war. schützte diese in keiner Weise; nach wenigen Tagen war sie von Pilzen undurchsichtig. Eine zweite Probe der Flüssigkeit mit 20 Volumprocent Kohlensäure unter den Ueberdruck von 360 == Quecksilber versetzt und dann abgeschlossen hielt sich ein paar Tage länger, war dann aber der ersteren an Zersetzung gleich. Eine dritte Probe mit 0-5 Procent salieylsaurem Natrium und 20 Volumprocent Kohlensäure unter dem Druck der nämlichen Quecksilbersäule hielt sich über 2 Jahre im warmen Zimmer gänzlich unverändert und hätte sich gewiss noch länger so ge- halten, wenn nicht die genaue Untersuchung ihres Zustandes das Oeffnen des Apparates wünschenswerth gemacht hätte. Also mit anderen Worten: Kohlensäure bei einer Spannung von etwa 20 Procent macht das salicylsaure Natrium zu einer energisch antizymotischen Substanz.“ Es scheint nicht überflüssig, hier anzufügen, dass auch bei dem letzten Binz’schen DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HATT. 145 Die Möglichkeit, dass unsere Versuchsthiere eine Sonderstellung ein- nehmen, liegt für diese Frage kaum vor, nachdem Juhl (44) und Günther (33) auch am Menschen ein positives Ergebniss constatirten. Immerhin ist zur völligen Sicherstellung eine Wiederholung der Experimente am Menschen wünschenswerth. In neuerer Zeit ist auch der Salieylsäuremethyläther zu Einreibungen empfohlen worden. Durch Linossier und Lannois (62) ist eine Aufnahme durch die Haut des Menschen nachgewiesen worden, indem sie stets im Harne die Salieylsäurereaction fanden. Theoretische Ueberlegungen stimmen mit der praktischen Beweisführung vollkommen überein. Es dürfte sogar der Salicyl- säuremethyläther noch leichter absorbirt werden als die Salicylsäure selbst. Mit Salol hat nur Du Mesnil (16) Versuche, und zwar am Menschen, mit lprocentiger alkoholischer Lösung angestellt. Dieselben fielen stets positiv aus. Anilin löst sich in etwa 30 Theilen Wasser und ist mit Olivenöl mischbar. Kaul- quappen werden in Lösungen von 1:2000 aufgeregt und bekommen Krämpfe. Bei stärkerer Concentration erfolgt Narkose und Lähmung. Weisse Mäuse sterben noch in 0-5 procentiger Lösung in wenigen Stunden. Die Vergiftung beginnt sehr rasch mit Unruhe, Zittern und Zuckungen. Dann folgen hef- tige Krämpfe, die bis zum Tode anhalten. Sämmtliche Versuche verliefen in gleicher Weise. 1. W.M., 163%, in 1 procentigem Anilin. Nach !/, Stunde Beginn der Vergiftung. Nach 2 Stunden todt. 2. W.M., 14-58"%, in 1 procentigem Anilin. Nach ?/, Stunden Beginn der Vergiftung. Nach 31/, Stunden todt. 3. W. M., 188%, in 05 procentigem Anilin. Nach 1?°/, Stunden Beginn der Vergiftung. Nach 5!/, Stunden todt. 4. W.M., 13-53”%, in 0-5 procentigem Anilin. Nach ?/, Stunden Krämpfe. Nach 21/, Stunden todt. Weitere Versuche über die Absorptionsfähigkeit der Haut für Anilin hat kürzlich Kraemer (49) veröffentlicht. Auch er konnte einen positiven Nachweis erbringen. Obwohl bei seiner Versuchsanordnung eine Inhalation des flüchtigen Körpers nicht ganz ausgeschlossen ist, so kann man sie doch Experimente die hohe CO,-Tension nicht allein die Zerlegung des Salzes bedingt, son- dern dass dazu die Anwesenheit der Bakterienzellen ebenfalls nöthig ist. Die Rolle, die im ersten Versuche der Aether spielt, übernehmen hier die „Lipoide“ der Bakterien. Diese Fähigkeit dürfte ebenfalls allen Zellen des thierischen Organismus zukom- men; für die rothen Blutkörperchen gilt es als höchst wahrscheinlich (Hamburger [39] S. 251), für die Elemente der Haut beweisen es die vorliegenden Untersuchungen. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 10 146 SCHWENKENBECHER: nicht als Ursache der tödtlichen Vergiftungen betrachten, welche bei allen drei Versuchsthieren (Katzen) eintrat. Auch bei der chronischen Anilinvergiftung des Menschen scheint die Absorption der Substanz durch die intacte Haut von Bedeutung zu sein, worauf schon Kunkel (S. 604) hingewiesen hat. Das Antipyrin löst sich in weniger als einem Theil kalten Wasser, in etwa einem Theil Alkohol, in 50 Theilen Aether und in 55 Theilen Olivenöl. Auf Kaul- quappen wirkt es erst in !/, procentiger Lösung und auch dann nur lang- sam, indem sie in den ersten 24 Stunden schwache zitterartige Krämpfe, später Coordinationsstörungen zeigen und am 2. his 3. Tage sterben. Weisse Mäuse, welche ich in 5 procentiger Antipyrinlösung badete, zeigten keinerlei abnorme Erscheinungen. Der Urin zeigte nach Ablauf des Versuches stets typische Antipyrinreaction. 1. W. M., 115%, in 5 procentigem Antipyrin. Nach 7!/, Stunden getödtet. Urin mit Eisenchlorid Violettfärbung. 2. W.M., 18-5 8%, in 5 procentigem Antipyrin. Nach 7!/, Stunden getödtet. Urin typische Reaetion mit Eisenchlorid. 3. W.M., 16-5 2%, in 2 procentigem Antipyrin. Nach 6 Stunden Thier getödtet. Urin giebt deutliche Reaction. 4. W.M., 168%, in 1 procentigem Antipyrin. Nach 6 Stunden Thier getödtet. Urin giebt positive Reaction. Die Reaction nimmt in den Versuchen 2. bis 4. in ihrer Intensität ab. Alkaloide. Ueber das Verhalten der Haut gegenüber Alkaloiden liegen in der Litteratur zahlreiche Versuche vor. Nach den Versuchen von Overton können wir nur den fettlöslichen Alkaloidbasen das Vermögen zusprechen, in die Zellen der Haut auf osmotischem Wege einzutreten. Diesen Unter- schied in dem Lösungsvermögen freier Alkaloide und deren Salze betonte bereits Filehne (18) als bedeutsam für die Aufnahme durch die Haut. Es scheint mir zwecklos zu sein, auf die in der Litteratur bereits vor- liegenden, zahlreichen Versuche näher einzugehen, da sie fast immer nur mit Alkaloidsalzen ausgeführt wurden und dann meist negativ ausfielen, oder mit Alkaloidsalzen in ätherischer und chloroformiger Lösung angestellt wurden und darum ein positives Ergebniss hatten. Dass letztere Versuchs- technik abnorme Bedingungen schafft, ist bereits mehrfach gesagt worden. Auch ich habe meine Untersuchungen zunächst mit einem Alkaloid- salz begonnen, mit Strychnin. nitric., und fand in Uebereinstimmung mit den meisten Autoren, dass dieses Salz von der normalen Haut nicht absor- birt wird. DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 147 1. W.M., 198%, in 0-1 procentigem Strychninnitrat. 13 Stunden in der Lösung. Normal herausgenommen. Das gründliche Abspülen, das in etwas zu kühlem Wasser geschah, veranlasste bald nach dem Versuche den Tod des Thieres. 2. W.M., 185.5 8"%, in 0-1 procentigem Strychninnitrat. 13 Stunden. Thier normal. Gründliches Abspülen, bleibt am Leben. 3. W.M., 208%, in 0-2 procentigem Strychninnitrat. 9 Stunden. Thier normal herausgenommen, bleibt am Leben. 4. W.M., 162%, in 0-4 procentigem Strychninnitrat. 5 Stunden. Thier normal herausgenommen, bleibt am Leben. Die Zahl der Versuche ist noch um einige grösser. Beim ersten Ver- suche, den ich mit Strychninnitrat 1: 1000 anstellte, starb das Thier nach 25 Minuten in typischen Reflexkrämpfen. Die Maus hatte jedenfalls eine Verletzung der Haut erlitten. Bei zwei anderen Thieren glaubte ich in den ersten Versuchsstunden eine geringe Steigerung der Reflexe und einzelne Zuckungen zu sehen, welche bald wieder vorbeigingen. Falls diese Erschei- nungen überhaupt Intoxicationssymptome waren, hätten sie nach unserer Ansicht nur durch die hydrolytisch dissoeiirte Componente Strychnin er- zeugt werden können. Deshalb setzten wir der Strychninlösung stets eine geringe Menge Säure (HCI) zu. In der That bleiben in diesen Bädern die Thiere absolut frei von Erregung. Nach dem Gesagten mussten wir nun bei Versuchen mit der Base Stryehnin im Gegensatz zum salpetersauren Salz eine Absorption erwarten. Unsere Experimente konnten diese Annahme nicht bestätigen: 1. W.M. in Strychnin. basie. 1:5000. Nach 15 Stunden normal herausgenommen. (Während der ersten Stunden zeigten sich die Reflexe gesteigert, Zuckungen im Gesicht und an den Extremitäten ??)." ZEN Me in, Losung 135000. Nach Ablauf der ersten Stunde leichte Zuekungen (?), die sich bald wieder verlieren; nach 8 Stunden normal herausgenommen. 3. W.M., 138%, in gesättigtem basischen Strychnin (ca. 1:5000). (Stryehn. nitr. 0-58m + 0.38m Soda ad 500Aq.) Nach 8 Stunden normal herausgenommen. 4. W.M., 152%, in derselben Lösung (ca. 1:5000). Nach 7 Stunden normal herausgenommen. Also hatte in dieser Verdünnung, die wegen dieser geringen Löslichkeit der Verbindung nöthig ist, Strychnin keine nachweisbare Wirkung. ! Ich halte diese Bemerkung für nicht sicher, da die Beobachtung so kleiner und so lebhafter Thiere bei nicht ganz ausgesprochenen Symptomen sehr leicht Irrthümern ausgesetzt ist. 10* 148 SCHWENKENBECHER: Unter der grossen Zahl von Versuchen mit Alkaloiden giebt es in der Litteratur nur deren zwei mit basischem Strychnin. R. Winternitz (126) badete zwei Kaninchen 10 und 12 Stunden lang in einer 2 procentigen Lösung von basischem Strychnin in Oel. Die Resultate waren zweifelhaft, indem ein Thier völlig normal blieb, das andere aber gegen Ende des Ver- suches eine Steigerung der Reflexe zu zeigen „schien‘ und später starb. Eine typische Strychninvergiftung zeigten auch seine Thiere nicht. Ich wählte eine andere Alkaloidbase, das Coniin. Dasselbe ist in 90 Theilen kalten Wassers löslich und mischt sich mit Olivenöl im jedem Verhältniss. Coniin hat aber den Nachtlieil, bei grösserer Concentration stark zu reizen, weshalb ich es nur in grosser Verdünnung auf die Haut einwirken lassen durfte. Dass starke Lösungen von Coniin auf die Haut gebracht, schnell zur Vergiftung führen, zeigte Röhrig (92), der es einem Kaninchen auf eine rasirte Hautstelle aufpinselte. Doch der positive Ausfall seines Experimentes ist, selbst wenn beim Rasiren die Haut; unverletzt blieb, kein Beweis dafür, dass die normale Haut die Substanz aufzunehmen vermag. 1. W.M. 18-52”, in Coniin 1:5000. Nach 7 Stunden normal herausgenommen. 2. W.M., 19-58”, in Coniin 1:3000. Nach 11 Stunden normal herausgenommen. Weiterhin machte ich Untersuchungen mit Nicotin, welches weniger. reizt als die vorige Substanz, in Wasser unendlich und in etwa vier Theilen Olivenöl löslich ist. 1. Eine weisse Maus (ca. 202%) erhält 0.1°” einer 1 procentigen Nieotinlösung (= 1"®) unter die Haut des Rückens gespritzt. Nach einer halben Minute starke klonische und tonische Krämpfe; nach einer weiteren halben Minute ist das Thier todt. Die Leiche ist starr. 2. W, M., 21-98, in 1:1000 Nicotin. 17 Stunden im Bade. Normal herausgenommen. 3. WW. Me lls 25 520 nn2107790, Nicotin. Nach 6!/, Stunden treten Krämpfe auf, die nur wenige Minuten an- halten; Dyspnoe. Nach einigen tiefen Athemzügen todt. Leiche starr. 4. W.M. 20-58”%, in 1:500 Nicotin. Nach 2!/, Stunden todt gefunden. Starre Leiche. 52 WM. 14,580 21n08152500, Nieotin. Thier macht bald nach Beginn des Versuches einen „kranken“ Eindruck. Nach 5 Stunden todt. Starre Leiche. 6. W.M., 20 =, in 1:500 Nicotin. Nach 2 Stunden sehr erregbar, Zuekungen. Nach 5 Stunden todt, ohne noch besondere Erscheinungen zu zeigen. Das todte Thier war zuerst nicht starr, doch trat die Leichenstarre sehr rasch ein. 7. WM, 16.820510 4195500, Nieotin, Nach 2 Stunden Unruhe, nach 4 Stunden Thier todt. Starre Leiche. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER Haur. 149 Aus diesen Versuchen ist zu schliessen, dass Nicotin in der gewählten Concentration (1:500) von der normalen Haut absorbirt wird. Ueberraschond sind, namentlich im Vergleich zu den Overton’schen Experimenten am Kaltblüter, die sehr geringen Vergiftungserscheinungen, welche die Thiere zeigten. Keine Maus hatte auch nur annähernd ähnliche Krampfe, wie das durch subeutane Einspritzung vergiftete Thier. Bei fast allen trat der Tod plötzlich ein, ohne dass auffallende Symptome vorhergegangen wären. Vielleicht ist folgende Erklärung hierfür nicht ganz von der Hand zu weisen. Wir wissen, dass die warmblütigen Thiere in ihrem Organismus, speciell in der Leber, die Fähigkeit besitzen, Alkaloide in ungiftige Ver- bindungen überzuführen und sie zu fixiren. Wenn nun, wie es bei unseren stark verdünnten Lösungen der Fall ist, die Alkoloide sehr langsam in die Zellen des Körpers hineindiffundiren, so kann ein grosser Theil des auf- genommenen Giftes wohl gleich wieder unschädlich gemacht werden, und erst bei höherer Concentration (1:500 Nicotin) reichen die Entgiftungs- vorrichtungen des Organismus nicht mehr aus. Auch die zum Theil er- wähnten, unsicheren Erscheinungen, welche bei Anwendung von Strychninum basicum und Coniin beobachtet wurden, dürften dann ihre Erklärung ge- funden haben. Ein positiver Nachweis konnte also nur für die Absorption von basischem Nicotin erbracht werden. Die anderen Alkaloidbasen müssen erst noch geprüft werden. Unter den Beobachtungen, welche dafür sprechen, dass auch beim Menschen eine Absorption der basischen Alkaloide stattfindet, ist die Mit- theilung von Bouchut (92) zu erwähnen, dass Kindern, welchen eine grössere Menge Opium auf die Haut gebracht wurde, narkotische Sym- ptome zeigten, und ferner die Angabe in Kunkel’s Handbuch, dass bei Schmugelern, welche Tabak auf dem blossen Leibe trugen, und bei Rheu- matikern, welche gegen ihr Leiden Einreibungen von Tabaksschmirgel ge- brauchten, acute Nicotinvergiftung eintrat. Anorganische Körper. Indem ich zu den anorganischen Substanzen und ihrer Ein- wirkung auf die normale Haut des Warmblüters übergehe, will ich mit einigen Gasen beginnen. Auf Grund der älteren Untersuchungen, nament- lich der von Röhrig (92) ausgeführten Experimente nahm man allgemein an, dass alle gasförmigen Substanzen die Haut durchdringen. Erst in neuerer Zeit legten Versuche anderer Autoren, welche ein davon abweichen- des Resultat ergaben, den Gedanken nahe, dass Röhrig’s tracheotomirte Kaninchen neben der Canüle die Gase zum Theil inhalirt baben müssen. In Folge dessen galt es, die älteren Untersuchungen wieder aufzu- nehmen und auf ihre Zuverlässigkeit zu controliren. 150 SCHWENKENBECHER: Die Kohlensäure ist in etwa dem gleichen Volumen Wasser (Bunsen) und in Oel noch etwas leichter löslich (v. Saussure). Der Theilungscoöfficient ist etwa 1-5. Durch eine mit Lanolin imprägnirte Membran tritt sie hindurch (Filehne [19]). Mit Leichtigkeit durchdringt sie die verschiedenartigsten Zellen, Pflanzen- zellen, wie Thierzellen (Overton [79], Hamburger [39]), und man sollte annehmen, dass auch die Haut des Warmblüters für Kohlensäure per- meabel wäre. Goldscheider (32) hat gezeigt, dass durch die Kohlensäure die Nervenendigungen in der menschlichen Haut in ganz specifischer Weise erregt werden. Obwohl dieses Eindringen des Gases in die tieferen Schichten der Epidermis mit einer Aufnahme in den Organismus nicht gleichbedeutend ist, so ist doch die Absorption des Gases durch die Zellen die wahrschein- lichste Ursache. In einigen Experimenten an Tauben versuchte ich das Absorptionsvermögen der Haut für Kohlensäure zu prüfen. Die Versuchs- anordnung war folgende: Eine Taube wurde tracheotomirt, nachdem ihr einige Tage vorher die Halsfedern ausgerupft worden waren und sie 24 bis 36 Stunden gehungert hatte. Die Flügel und Füsse wurden gebunden, der Körper der Taube in eine der beschriebenen Blechbüchsen gebracht und um den Hals des Thieres unterhalb der Trachealwunde ein dichter Guttaperchawachskragen befestigt. Durch die Büchse konnte Kohlensäure geleitet werden. Die Tracheal- canüle stand mit einer (2 Liter fassenden) Wulff’schen Flasche in Ver- bindung, welche drei Oeffnungen hatte. Durch die mittlere ging die ver- längerte Trachealcanüle, in die beiden seitlichen mündete Zustrom und Abstrom der Athemluft. Mit Natronkalk und Bimssteinschwefelsäure enthaltenden U-Röhren wurde die Luft getrocknet und der Kohlensäuregehalt ermittelt. Die Ventilation besorgte eine Saugpumpe; durch eine Gasuhr konnte die Grösse des Luftvolumens regulirt werden. Die Blechbüchse mit der Taube ruhte bei allen Versuchen in einem Wasserbade, dessen Temperatur auf 32 bis 35°C. gehalten wurde. I. Versuche mit trockener CO,. Nr. 1. a) 5stündige Vorperiode: (Taube ohne CO, in der Büchse). Athemluft enthält 2.738" CO,. b) 3stündige Hauptperiode: (CO, in Büchse). Athemluft enthält 2.298 CO,. ec) östündige Nachperiode: (Taube ohne 00,). Athemluft enthält 1-35 8" CO,. Mittel von a und ce = 2-04 8" CO, b 229 ” ” DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER Haut. 151 Nr. 2. a) 3stündige Vorperiode (keine 00, in der Büchse). Athemluft enthält 1-41 3% CO,. b) Sstündige Hauptperiode (CO, in der Büchse). Athemluft enthält 0.688" CO,. e) 3stündige Nachperiode (keine CO, in der Büchse). Athemluft enthält 0.398 C0O,. Mittel von a+ ce = 0-90 8" CO, bDess_—202168 re) „ II. Versuche an Tauben in Kohlensäurebädern. Nr.1. a) 2stündige Vorperiode. Taube in indifl. Wasserbad. Athemluft enthält 1-75 2% CO,. b) 2stündige Hauptperiode. Kohlensäurebad (Sodawasser, in das während der Versuchsperiode ständig CO, eingeleitet wurde). Athemluft enthält 2.85" CO,. ec) 2stündige Nachperiode (indiff. Wasserbad). Athemluft enthält 3.05 2m CO,. d) Zweite 2stündige Nachperiode (indiff. Wasserbad). Athemluft enthält 2.82% CO,. Mittel aus a, c, d= 2.542" 00, a Pe Nr. 2. a) 2stündige Vorperiode (indiff. Bad). Athemluft enthält 1.028" CO,. b) 2stündige Hauptperiode (CO,-Bad). Athemluft enthält 0-92 sm CO,. ec) 2stündige Nachperiode (indiff. Bad). Athemluft enthält 0.42 s® CO,. Mittel aus a+ ce = 0.722" CO, be Ele y2 ne Nr. 3. a) 2stündige Vorperiode (indiff. Bad). Athemluft enthält 2.53 8" CO,. b. 2stündige Hauptperiode (CO,-Bad). Athemluft enthält 2.52 8” CO,. e) 2stündige Nachperiode (indiff. Bad). Athemluft enthält 2-16 $" CO,. Mittel aus a + c = 2.358" 00, biRZRS2I NE. Das langsame Absinken der Kohlensäureausscheidung in den einzelnen Versuchen steht mit der relativen Kürze der Hungerzeit im Zusammenhang, Die bei der Mehrzahl der Experimente eingetretene Vermehrung der CO,-Ausscheidung während der Hauptperiode ist so gering, dass sie, zumal da eine gleichzeitige Bestimmung des O-Verbrauches und des Athem- volumens nicht stattfinden konnte, ohne Deutung bleiben muss. Es ist deshalb von grossem Interesse, dass H. Winternitz (127) die Absorption des Gases bei Anwendung von Kohlensäurebädern am Menschen nachweisen konnte. Mittelst des Zuntz-Geppert’schen Verfahrens liess sich mit grosser Regelmässigkeit eine Zunahme des Athemvolumens und 152 SCHWENKENBECHER: eine von ihm unabhängige Vermehrung der Kohlensäureausscheidung nach- weisen. Der respiratorische Quotient stieg einige Male sogar über 1 an. Dadurch, dass Winternitz seine Versuche mit Vor- und Nachperioden versah, lässt sich mit Berücksichtigung dieser die Steigerung der Kohlen- säureausscheidung lediglich durch Absorption des Gases erklären, zumal die vom selben Autor gleichzeitig veröffentlichten Untersuchungen über den Einfluss anderer Bäder auf den Gaswechsel einen weiteren ausgedehnten Ver- gleich gestatten. Leuchtgas, Kohlenoxyd. Vom Leuchtgas kann mit Sicherheit gesagt werden, dass es von der Haut des Warmblüters so gut wie nicht absorbirt wird. Schleyer (100) zeigte, dass weder eine Maus noch ein Kaninchen in einer Zeit von °/, bis 1 Stunde von der Haut aus mit Leuchtgas vergiftet werden kann. Vogel (124) bewies dasselbe an Kaninchen. Meine Versuche an Tauben und Mäusen, die bis zu 8 Stunden ausgedehnt wurden, führten zu demselben Resultate. 1. Taube mit diehtem Guttaperchawachskragen in Blechbüchse ein- sebunden bleibt 3 Stunden im Strom reinen Leuchtgases.. Normal heraus- senommen. Thier blieb gesund. 2. Dieselbe Taube blieb am folgenden Tage nochmals 3 Stunden im Leuchtgas; sie blieb völlig normal. 3. Dieselbe Taube am folgenden Tage 8 Stunden im Gase. Bleibt gesund. 4. Weisse Maus, 13-58“, bleibt mit Guttaperchawachskragen in ein „Mäuseglas“ eingebunden, 5 Stunden im Leuchtgasstrom. Bleibt gesund. 5. Weisse Maus, 15°”, in Leuchtgas 7 Stunden ohne Veränderung. 6. Weisse Maus 7 Stunden in Leuchtgas ohne Veränderung. Diese Versuche dürften unbedingt beweisend sein, zumal wenn man bedenkt, wie ausserordentlich empfindlich weisse Mäuse sind. Ebenso wenig wie Leuchtgas wird reines Kohlenoxyd von der Haut absorbirt. Vogel (124) bewies dies am Kaninchen. Ich habe mit diesem Gase keine besonderen Untersuchungen angestellt, da die Experimente mit Leuchtgas, das ja etwa 10 Procent Kohlenoxyd enthält, allein schon völlig beweisend schienen. Damit im Einklang steht die Angabe Filehne’s (19), dass Kohlenoxyd in Cholesterinfett nur wenig löslich ist. Schwefelwasserstoff. Weit schwieriger als die Versuche mit Leuchtgas sind die mit Schwefel- wasserstoff angestellten Experimente zu beurtheilen. Schwefelwasserstoff ist erstens einmal ausserordentlich giftig und zweitens durchdringt er fast jeden Verschluss, weshalb die Gefahr einer Inhalation sehr nahe liegt, und so die Beurtheilung des Versuches unmöglich wird. DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 155 Schleyer (100) war es, der ebenso wie für Leuchtgas auch für Schwefel- wasserstoff beweisen zu können glaubte, dass die normale Thierhaut ihn nicht aufnehme. Er musste deshalb annehmen, dass die Röhrig’schen Untersuchungen (92) mit H,S ebenso wenig fehlerfrei seien wie die anderen. Weiterhin bestätigten die mit grosser Exactheit ausgeführten Versuche Vogel’s (124) eine Hautabsorption des Gases beim Thiere. Dagegen konnten Chauveau und Tissot (11) einen tracheotomirten Hund, der Aussenluft athmete, in einem mit H,S erfüllten Raume 1 Stunde halten, ohne dass das Thier Vergiftungserscheinungen zeigte. Die Ansichten scheinen sich also extrem gegenüber zu stehen. Man ist zunächst geneigt, denjenigen Autoren zuzustimmen, welche eine Haut- absorption des Gases in Abrede stellen, wenn man die Schwierigkeiten kennt, die Thiere vor der Inhalation zu schützen; doch beweisen die folgen- den Versuche an Mäusen und Tauben das Gegentheil. Die Differenz in den Versuchsresultaten der genannten Autoren erklärt sich am einfachsten so, dass bei einer relativ niedrigen Concentration des Gases die Thiere am Leben bleiben und erst bei höherer Concentration an Versiftung sterben. Der Widerspruch ist also nur ein scheinbarer. Tauben konnte ich bis zu 3 Stunden im Schwefelwasserstoffgas ohne tödtliche Vergiftung halten, nie aber so lange Zeit, wie die Vögel im Leuchtgas (8 Stunden). Unser kleiner Schwefelwasserstoffapparat lieferte nicht sehr reichlich Gas, es war deshalb die Concentration meist nicht gross. Bei Mäusen konnte ich mit flüchtigem Sch wefelwasserstoff nicht arbeiten; die Thiere starben immer in wenigen Minuten; Spuren von Gas gingen oben durch den Kragen immer hindurch — es war also so die Frage nicht zu entscheiden. Deshalb verwandte ich bei Mäusen ausschliesslich Schwefel- wasserstoffwasser, fertigte einen möglichst dichten Kragen und fixirte häufige noch eine andere Maus so in der Nähe des Kopfes der anderen, dass Schnauze an Schnauze lag, also beide Thiere sterben mussten, wenn der Tod durch Inhalation stattgefunden hätte. Drittens konnte auch — ebenso wie in den Vogel’schen Experimenten — gezeigt werden, dass, während die Thiere noch keine Vergiftungserscheinungen zeigen, bereits Schwefelwasser- stoff durch die Lunge ausgeschieden wird. 1. Taube in H,S. 1 Stunde lang. Es geht eine Spur Gas durch den Kragen. Blasebalg. Thier nach 1 Stunde normal. Nach dem Versuch gestorben. 2. Taube in H,S. Es geht etwas Gas durch den Kragen. Ständig Blasebalg. In 1!/, Stunden an typischer Vergiftung gestorben. 3. Taube in H,S. Tracheotomirt, athmet durch langes weites Rohr Aussenluft. Nach 3 Stunden noch am Leben. Bei der Herausnahme stirbt sie an typischer Vergiftung. 154 SCHWENKENBECHER: 4. Taube in H,S. Tracheotomirt, athmet Aussenluft. Nach !/, Stunde Vergiftung und Tod. 5. Taube in H,S-Wasser. Wird nach 6 Stunden normal herausgenommen. (Die Concentration war nicht stark genug, da die Tauben jedenfalls einen bedeutenden Theil des Gases mit ihrem Federkleid absorbiren.) 6. W.M. in H,S-Wasser. Nach 10 Minuten an Vergiftung gestorben. Schwefelwasserstoffleiche. 7. W.M. in H,S-Wasser. Nach 9 Minuten an Vergiftung gestorben. 8. W.M. in H,S-Wasser. Absolut dichter Kragen (Oel dazwischen). Nach 20 Minuten an Vergiftung gestorben. 9. W.M, in H,S-Wasser. Dichtung absolut sicher. (Paraffin.) Nach 1!/, Stunde an Vergiftung gestorben. 10. W.;jM. in H,S-Wasser. Dichtung absolut sicher. (Oel.) Wird nach 3 Stunden normal herausgenommen. (H,S-Wasser zu wenig concentrirt.) 11. W.M. in H,S-Wasser. Dichtung absolut. (Paraffin.) Wird nach 3!/, Stunden normal herausgenommen. (H,S-Wasser war zu schwach). 12. W.M. in H,S-Wasser. Nach 1 Stunde normal. Wechsel des H,S-Wassers, nach wenigen Minuten an Vergiftung tot. 13. W.M. in H,S-Wasser. Dichtung absolut. Anus und Penis ver- schlossen. Controlmaus am Kopf. Bleipapier vor der Nase wird an dieser Stelle gebräunt. Thier nach 24 Minuten todt. Controlmaus normal. 14. Versuch ganz ebenso. Thier nach 16 Minuten an Vergiftung gestorben. Die Differenzen in der bis zum Tod des Thieres verstrichenen Ver- suchszeit sind durch die verschiedene Concentration des Gases völlig erklärt. Dass Ammoniak durch die Haut .des Warmblüters absorbirt wird, konnte von Gast (28) am Hunde nachgewiesen werden. Wasser. Die Frage, ob Wasser durch die Haut des Warmblüters absorbirt werden kann, ist oft und lebhaft discutirt worden. Man ist vielfach experi- mentell an ihre Untersuchung herangetreten, aber da die Methode nicht völlig einwandsfrei war, blieb auch die Lösung unvollkommen. Es hat dies darin seinen Grund, dass die Haut im Bade sich stets mit Wasser imbibirt; ob dabei nun eine geringe Menge auch in den Organismus hineingelangt oder nicht, entzieht sich natürlich gänzlich unserer Beobachtung und Berech- DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAur. 155 nung. Jedenfalls aber ist diese Menge Wassers klein, so klein, dass sie wohl praktisch ganz vernachlässigt werden kann, — und das zu wissen ist ja schliesslich die Hauptsache. Salze. Wenn im Nachfolgenden das Verhalten der Haut gegenüber ver- schiedenen Salzen besprochen werden soll, muss ich mich darauf be- schränken, den heutigen Standpunkt der Frage nur in grossen Umrissen darzulegen. Es würde viel zu weit führen, wenn ich auf die Details einzelner Arbeiten eineinge. Im angefügten ausführlichen Litteraturverzeichniss findet jeder, der sich näher orientiren will, einen geeigneten Wegweiser. An die Spitze der folgenden Zeilen ist der Satz zu stellen, dass die Haut aller Thiere für Salze, wenigstens die meisten Salze, undurchlässig ist. Von den Natriumsalzen erfordert wegen seiner ausgedehnten Ver- wendung in der Bädertherapie das Kochsalz das grösste Interesse. Wir wissen, dass die Application eines Soolbades einen nicht unerheblichen Reiz ausübt, der in einer Erweiterung der peripheren Gefässe zum Ausdruck kommt. Dafür muss ein Eindringen des Salzes in die Haut bis zu den nervösen Endorganen die Ursache sein. Es besteht aber keine Veranlassung zu der Annahme, dass das Salz in die Zellen selbst eintritt; ohne Schwierig- keit lässt sich die Reizwirkung auf eine Wasserentziehung der Gewebe zurück- führen. Keller (46), welcher angiebt, dass nach Soolbädern eine vermehrte Chloridausscheidung im Harn beobachtet wird, nimmt als Erklärung der- selben eine Steigerung des gesammten Stoffwechsels an, doch konnte neuer- dings H. Winternitz (127) keine wesentliche Veränderung des Gaswechsels bei Soolbädern constatiren. Es scheint deshalb recht wünschenswerth, die Frage noch ein Mal zu prüfen und namentlich auf die Kochsalzausscheidung zu achten. Die meisten dahinzielenden Untersuchungen berücksichtigen leider den Einfluss der zugeführten Nahrung zu wenig, oder überhaupt gar nicht und sind deshalb völlig bedeutungslos. Dass Lithiumsalze unter gewöhnlichen Bedingungen die Haut nicht durchdringen, ist durch eine grössere Reihe von älteren Versuchen sicher- gestellt. Du Mesnil (16), R. Winternitz (126), Fubini und Pierini (23) wiederholten in neuerer Zeit die Prüfung der Frage und kamen bei An- wendung von wässerigen Lithiumsalzlösungen zu demselben Resultat. Auch wir haben Gelegenheit genommen, an Mäusen darauf bezügliche Experimente anzustellen: Je zwei Thiere wurden in 2 procentiges Lithiumsalieylat und in 2 procentiges Lithiumchlorid 7 Stunden lang eingebunden. In der Asche der gesammten inneren Organe konnte nie eine Spur des Metalles spectro- skopisch aufgefunden werden, 156 SCHWENKENBECHER: Dagegen ist bei Einreibung von Lithiumsalben (Du Mesnil [16], Paschkis und Obermeyer [81]) Aufnahme der Substanz beobachtet worden, ebenso nach intensiver Einpinselung der wässerigen Lösung. Bei solchen Proceduren kommen rein osmotische Verhältnisse nicht in Frage. Es sei noch bemerkt, dass eine Absorption des ölsauren Lithiums nichts Auffallendes hat (Paschkis und Obermeyer [81]), da die meisten Salze der Oelsäure in den Zelllipoiden löslich sein dürften. Auch mit Baryumchlorid haben wir einige Versuche angestellt. Nach 7stündigen Bädern von weissen Mäusen konnten wir unter vier Fällen dreimal eine Spur des Metalles in der Asche der inneren Organe auffinden. Der Nachweis dieser kaum wägbaren Mengen im thierischen Organismus zeigt wohl nur, dass unter Umständen auch Substanzen auf nicht osmotischem Wege in den Körper gelangen. Eine Aeusserung Schott’s (101) über die Aufnahme des Kochsalzes aus Soolbädern dürfte hierher passen: „Die Resorption, sofern sie stattfindet, würde uns nur zeigen, dass so viel von der Haut imbibirt wurde, dass schliesslich auch etwas in’s Blut übergeht; mehr beweist sie nicht.“ Die Thiere hatten in der 2 procentigen Chlorbaryum-Lösung keinerlei abnorme Symptome. Von den Salzen der Schwermetalle interessirt uns besonders das Sublimat, das Quecksilberchlorid. Da es sowohl in Wasser als auch in Oel löslich ist, steht einer Aufnahme in die Zellen nichts im Wege. Die Resorption fein vertheilten, metallischen Quecksilbers (graue Salbe) er- folgt auf einem anderen, als osmotischen Wege, wie früher bereits kurz erwähnt wurde. Die Frage, ob Salze des Silbers, Eisens und Bleis von der unversehrten Haut absorbirt werden können, muss vorderhand skeptisch beurtheilt werden, obwohl einige Beobachtungen in der Litteratur vorliegen, welche in gewisser Beziehung dafür zu sprechen scheinen.! Arsenik wird, wie Vogel (123) nachwies, eben so wenig wie sein Natronsalz (Stas [115]) aus wässeriger Lösung absorbirt. Dass Jod auf osmotischem Wege in die Zellen eindringt und so seine Aufnahme in den Organismus findet, ist als erwiesen zu betrachten, auch für den Menschen (Brock [8]). Für die Haut des Hundes hat es Mare. Traube-Mengarini (119) in sehr sorgfältigen mikroskopischen Unter- suchungen dargethan. Die mit Jodkalium angestellten Versuche bilden eine ganze Litteratur für sich, deren Sichtung wegen der sich extrem widersprechenden Ergebnisse ' @. Lewin, Ueber locale Gewerbeargyrie. Berl. klin. Wochenschr. 1886. 8. 417. Snieschkow (109), Eisenabsorption; Manouvriez (68), Capelle (10), Fremont (22), Monnereau (71), locale Bleivergiftung. ler/ DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 157 und der ständig wechselnden Versuchsanordnung eine wenig lohnende Auf- gabe ist. Deshalb habe ich auch nochmals an Mäusen Badeversuche mit Jod- kalilösungen angestellt. Die Resultate sind folgende: 1. W.M., 152%, in 5 procentigem JK. 4 Stunden Versuchsdauer Urin starke Jodreaction. 2. W.M., 142%, in 5 procentigem JK. 7 Stunden Versuchsdauer. Urin starke Jodreaction. 3. W.M., 14.58”%, in 2 procentigem JK. 6 Stunden Versuchsdauer. Urin Spur Jod. 4. W.M. 11-528'%, in 2 procentigem JK. 8 Stunden Versuchsdauer. Urin deutliche Jodreaction. 5. W.M., 123'%, in 1 procentigem JK. 6 Stunden Versuchsdauer. Im Urin kein Jod nachweisbar. 6. W.M., 12-58”%, in 1 procentigem JK. 6 Stunden Versuchsdauer. Im Urin kein Jod nachweisbar. Bei Betrachtung dieser Versuche und mit Hülfe der Ueberlegung, dass JK wahrscheinlich überhaupt nicht als solches, sondern nur das aus dem Salze abgespaltene Jod in die Hautzellen Aufnahme findet, ist die ver- schiedene Beurtheilung der Frage leicht erklärlich. Solange man die Haut im Allgemeinen als impermeabel ansah, und durch jedes positive Versuchs- ergebniss immer gleich das ganze Princeip gefährdet glaubte, war die Dis- kussion über diesen Punkt aussichtslos und ohne Nutzen. Jetzt kann mit Sicherheit festgestellt werden, dass bei kleinen Thieren wie Mäusen, Kanin- chen (v. Wittich [48], v. Sinjawski [|108]) Jod aus Jodkalilösungen ab- sorbirt wird. Auch für den Menschen scheint das zuzutreffen; wenn man die Jodkalibäder Wochen lang täglich wiederholt, wird die Jodmenge im Harn immer grösser und die Ausscheidung überdauert einige Zeit die Ver- suchsperiode. Es findet also eine gewisse Jodretention im Organismus statt, eine Thatsache, welche das Fehlen der Jodreaction im Harn bei kurz dauern- den Versuchen vollkommen erklärt. Die Jodaufspeicherung wird in allen Geweben stattfinden, welche eine besonders grosse Affinität für dasselbe be- sitzen. So konnte z. B. Howald! nach Eingabe von Jodkali im Fett der Haare Jod nachweisen, und M. Traube-Mengarini (119) zeigte, dass durch Jodpinselungen Haare auf Monate hinaus intensiv rothbraun bleiben. Deshalb hat man nicht das Recht, auf Grund des Fehlens der Jod- reaction im Harn nach einem einzigen Versuche, die Absorption der Sub- stanz zu negiren, nur das kann zugegeben werden, dass in solchem Falle die Aufnahme von Jod eine geringfügige ist. ! Howald, Zeitschrift für physiol. Chemie. 1897. Bd. XXIII. 3. 209. 158 SCHWENKENBECHER: Aus Jodkali-Salben soll Jod in reichlicherer Menge in den Körper ge- langen, was unter anderen Peters (85) zeigte. Blicken wir nun nochmals zusammenfassend auf die einzelnen Unter- suchungen zurück, so finden wir, dass eine grosse Reihe von Substanzen durch die Haut des Warmblüters absorbirt wird. Es sind diese Stoffe zum grössten Theil löslich in Wasser und Oel; mithin steht ihre Aufnahme in vollem Einklang mit den osmotischen Gesetzen, welche für die Zellen im Allgemeinen gelten. Lediglich die Aufnahme des gelben und rothen Blut- laugensalzes entbehrt vor der Hand noch der Erklärung. Betrefis des Ab- sorptionsvermögens der in Betracht kommenden ölartigen Lösungsmittel für die verschiedenen Gase sind wir zur Zeit nicht ausreichend orientirt, um beurtheilen zu können, ob auch für sie das gleiche Gesetz gilt. Um so interessanter ist die Aufklärung dieses Theiles unseres Themas, als gerade hierbei sich eine grosse Differenz zwischen Kaltblüter- und Warmblüter- haut zeigt. Ebenso wie auf die Aufnahme der Gase erstreckt sich dieser Unter- schied auch auf die Absorption des Wassers. Die Haut von Froschlarven verhält sich hier ganz so wie das Protoplasma aller Zellen, wie dasjenige von Pflanzenzellen, Muskelfasern, Blutkörperchen, Gehirnzellen. Nicht so die Haut des Warmblüters! Hier scheint sich wiederum das Gesetz zu bestätigen, dass, je höher ein Individuum in der Thierreihe steht, es um so mehr seine Unabhängigkeit von physikalischen Einflüssen zu wahren sucht, und seine Zellen immer differenzirtere Eigenschaften und Funktionen erlangen. Die Sonderstellung der Warmblüterhaut scheint durch die Anwesenheit von besonderen „Schutzfetten“ in den Epidermiszellen bedingt zu sein. Wir können dieselben als „varirte‘“ Lipoide betrachten. Vielleicht ist diese Substanz ein Cholesterinester, das Lanolin (Liebreich [54]). Man hat in der Haut noch verschiedene andere fettähnliche Körper nachweisen können. So hielt Liebreich das Eleidin Ranvier’s, welches sich vorwiegend im Stratum granulosum und lucidum findet, für ein Gemisch von Cholesterin- fett mit einem albuminoiden Körper, Wolff konnte es verseifen. (Sel- horst [106].) Die histologischen Studien mittels der Osmirung (Ranvier [87], Unna [121], Ledermann [52]) haben die Anwesenheit noch anderer, fettähnlicher Zelleinschlüsse wahrscheinlich gemacht, doch sind die Acten über die Brauchbarkeit der Methode noch nicht geschlossen (Weiden- reich [125)]). Noch möchte ich erwähnen, dass Ranvier (87, 88) in den Zellen des Stratum corneum ein eigenthümliches „Wachs“ gefunden hat, welches er selbst als Schutzmittel gegenüber chemischen Einflüssen betrachtet. Diese Das ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 159 Substanz zeigte sich bei verschiedenen Thierarten nicht ganz gleichmässig zusammengesetzt. Zum Schluss die Frage: Wird das, was für die Haut von warmblütigen Thieren gefunden, auch für den Menschen gültig sein? Nicht mit Unrecht wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man mit der Uebertragung physiologischer Thierexperimente auf den Menschen vorsichtig sein müsse. In diesem Falle scheint die Entscheidung leichter zu sein. Mögen auch in werigen Einzelheiten die osmotischen Eigenschaften der menschlichen Haut sich anders verhalten als unsere Versuche an Mäusen ergeben haben — im Grunde sind sie sicherlich dieselben. Denn warum sollte ein physi- kalisches Gesetz, welches in seinen grossen Zügen für alle lebenden Zellen gilt, dessen Richtigkeit für die Haut von kalt- und warmblütigen Thieren, ja sogar für Blutkörperchen, Gehirnzellen des Menschen erwiesen ist — warum sollte ein so allgemeines Gesetz gerade die Elemente der mensch- lichen Haut ausser Beziehung lassen? Das wäre eine Annahme, welcher die bereits am Menschen ausgeführten Untersuchungen direct widersprächen, ein Einwand ohne Stütze und ohne Sinn. Den Herren Professor Dr. von Frey, Dr. Overton und Dr. Gürber bin ich für ihre Anregung und Unterstützung bei Ausführung dieser Arbeit zu grösstem Danke verpflichtet. 160 SCHWENKENBECHER: Litteraturverzeichniss. Die ältere Litteratur findet sich vollständig in der Habilitationsschrift von Fleischer (20) angegeben. 1. Adam und Schoumaker, Journal de Pharmacologie. (Stryehninsalbe auf Nacken eines Hundes; wird nicht absorbirt.) Cit. nach Fubini und Pierini (23). 2. v. Basch und Dietl, Untersuchungen über die physiologische Wirkung kohlen- säurehaltiger Bäder. Wiener med. Jahrbücher. 1870. Bd. XX. 3. Baum, Zur Theorie der Alkoholnarkose. II. Archiv für erperiment. Patho- logie und Pharmakologie. Bd. XLU. 4. Beck und v. Fenyvessy, Ueber die Resorption des Ichthyols durch die Haut. Arch. internat. de Pharmacodynamie. Bd. VI. S. 109. 5. Beilstein, Handbuch der organischen Chemie. Hamburg und Leipzig 1886. 6. Binz, Vorlesungen über Pharmakologie. Berlin. Hirschwald 1891. 7. Bourget, Resorption der Salicylsäure. Therapeut. Monatshefte. 1893. Bd.V11. 7531. 8. Brock, Ueber das Resorptionsvermögen der normalen Haut. Archiv für Dermathologie und Syphilis. 1898. Bd. XLV. S. 369. 9. H. Buchner, Fuchs und Megele, Wirkungen von Methy]-, Aethyl- und Propyl- alkohol auf den arteriellen Blutstrom bei äusserer Anwendung. Archiv für Hygiene. Bd. XL. 8. 347. 10. Capelle, Contribution a l’etude de Y’intoxication saturnine. De l’absorption cutanee du plomb et des composes comme cause de P’intoxication saturnine chronique. These de Paris. 1882. (Virchow-Hirsch’s J.-B. 1883. Bd.I. 8. 405.) 11. Chauveau et Tissot, Peüt-on s’empoisonner par la peau, les muqueuses exterieures dans les milieux que la presence de P’hydrogene sulfure a rendus deleteres? Compt. rend. soc. bio. Bd. CXXXIll. p. 137. (Maly’s J.-B. Lit. 1901. Bd. XV. S. 555.) 12. Clemens, Wirkungsweise der Bäder. Archiv für wissenschaftliche Heilkunde. 1867. Bd. II. 13. Dahmen, Die Resorptionsfähigkeit der Haut für Lösungen von Jodoform und Creosot in Vasogen. Deutsche med. Wochenschrift. 1894. Nr.15. Ss. 350. 14. Destot, Influence des substances volatiles sur la penetration cutanee des medicaments. Zyon med. 1894. Nr. 3. p. 80. (Virchow-Hirsch. 1895. Bd. J. S. 402.) 15. Dujardin-Beametz, Bull. gener. therapeutique. 1892. Tome 122. (In H,O gelöste Substanzen werden nicht absorbirt.) 16. Du Mesnil, Ueber das Resorptionsvermögen der menschlichen Haut. Archiv für klinische Mediein. Bd. L. S. 101, Bd. LI. S. 527, Bd. LI. 17. Fedorow, Werden medicamentöse Stofle von der unbeschädigten menschlichen Haut aus zerstäubten wässerigen Lösungen aufgesaugt? Dissertation. St. Petersburg. 1885. Russisch. Ref. bei von Sinjawsky. DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER Haut. 161 18. Filehne, Ueber die Durchgängigkeit der menschlichen Epidermis für feste und flüssige Stoffe. Berliner klinische Wochenschrift. 1898. Nr.3. 8.45 ff. 19. Derselbe, Ueber die Durchgängigkeit der menschlichen Epidermis für Gase. Arch. internat. de pharmacodyn. et de therapie. 1900. T. VII. p. 133—161. 20. Fleischer, Untersuchungen über das Besorptionsvermögen der mensch- lichen Haut. Erlangen 1877. Habilitationsschrift. 21. Derselbe, Zur Frage der Hautresorption.e Virchow’s Archiv. 1880. Bd. LXXIX. 8.558. 22. Fr&mont, Paralyse saturnine des extenseurs de la main par intoxication locale.. France med. 1882. No. 75. p. 892. Virchow-Hirsch’s J.-B. 1883. S. 405. 23. Fubini und Pierini, Absorption eutanee. Arch. Ial. de Biol. T. XIX. 3. p. 357. 24. Dieselben, Absorbimento della pelle..e Annal. di Chim. e di Farm. 1893. (Maly’s J.-B. 1893. S. 389.) 25. Dieselben. Ueber Absorption durch die Haut. Bulletino della R. Acad. med. di Roma. Anno XIX. Fasc. 2. (Maly’s J.-B. 1894. Bd. XXIV. S. 428.) 26. Gallard, Ueber die Absorption von Jod durch die Haut und seine Locali- sation in einigen Organen. Comp£. rend. soc. biol. Bd. CXXVII. S. 1117—1120, (Maly’s J.-5. 1899. Bd. XXIX. S. 483.) 27. Derselbe, Ueber die Absorption von Jodid durch die menschliche Haut. Maly’s J.-B. 1900. Bd. XXX. S. 494. | 28. Gast, Ammoniakabsorption durch den Hund. Z/naug.-Diss. Würzburg 1899. 29. Gianelli. Das Schicksal des Formaldehyds im Organismus. Ann. di farmaco- terapia e elinica biologia. 1900. (Maly’s J.-B. 1901. Bd. XAXI. 8. 108.) 30. Gilbert, Notiz über die antipyretische Wirkung von synthetischem Guajacol und Kreosot bei Anwendung von Pinselungen. Compt. rend. soc. biol. Bd. XLVI. 8. 281 bis 282. (Maly’s J.-B. 1895. Bd. XXV.) 31. Glax, Eintheilung der Bäder u. s. w. in Goldscheider und Jacob, Hand- buch der physikalischen Therapie. Bd.1l. 8.1. 32. Goldscheider, Physiologie der Hautsinnesnerven. Gesammelte Abhand- lungen. Bd. 1. 33. Günther, Ueber Hautresorption. Correspondenzblatt für schweizer. Aerzte. Basel 1883. Bd. XIII. 8. 227. 34. Guinard, Untersuchungen über die Hautabsorption von Medicamenten, welche in fettigen Vehikeln suspendirt sind. Zyon. Med. 1891. Nr. 36 (besprochen in Monatshefte für praktische Dermatologie. Bd. XIV. 8. 8.324). 35. Guinard et Bouret, Untersuchungen über die Absorption der medieamen- tösen Fettsalben. Zyon. Med. T. XXIII. 36 (besprochen in Schmidt’s Jahrb. 1892. Bd. I). 36. Guinard et Houbbe, Ueber Absorption und Wirkungen von Guajacol bei Pinselung auf die Haut. Compt. rend. soe. biol. T. XLVI. p. 180—182. 37. Gundurow, Beiträge zur Frage über die Resorption durch die unverletzte Haut. Melit. medicin. Journal. 1900. Nr. 5. Russisch. (Ref. in 82. Petersburger med. Wochenschrift. 1901. Beil.3. 8.13.) 38. Guttmann, Bemerkungen zu der Mittheilung von Prof. v. Wittich: Re- sorption durch die Haut bei Fröschen. Centralblatt für die medieinische Wissenschaft. Berlin 1878. Bd.XVI S.33. 39. Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre. Wiesbaden 1902. 40. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. Leipzig 1902. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 11 162 SCHWENKENBECHER: 41. Jarisch, Die Hautkrankbeiten in Nothnagel’s Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. Bd. XXIV. H.1. (Anatomischer Rückblick.) 42. Javeine, Arch. de physiol. normale et pathologique. 1892. p. 604. (In Wasser gelöste Substanzen werden nicht absorbirt.) 43. Ingria, Giornale internazionale della scienze mediche. 1886. (Absorption von Salicylsäure.) 44. Juhl, Untersuchungen über das Absorptionsvermögen der menschlichen Haut für zerstäubte Flüssigkeiten. Deutsches Archiv für klinische Medicin. Bd. XXXV. 8.514. 45. Keller, Hautresorption im Bade. Correspondenzblatt für schweizer Aerzte. 1890. Jahrgang XX. S. 184. 46. Derselbe, Ueber den Einfluss von Soolbädern und Süsswasserbädern auf den Stoffwechsel des gesunden Menschen mit besonderer Berücksichtigung der Frage der Hautresorption im Bade. Zbenda. 1891. Jahrgang XXI. 47. Kopff, Ein Beitrag zur Hautresorption. Prezeglad Lekarski. 18836. (Ref. in Virchow-Hirsch’s J.-B. 1887. Bd.Il. S. 172. 48. Kopp, Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von dem Resorptions- vermögen der menschlichen Haut. Bresl. ärztl. Zeitschr. 1885. Bd. VII. 8. 61—64. 49. Kraemer, Beiträge zur Pathogenese und Therapie der Anilin- und Toluidin- intoxication. JInaug.- Dissertation. Würzburg 1903. 50. Kunkel, Handbuch der Toxicologie. Jena 1899 und 1901. 51. Lassar, Ueber den Zusammenhang von Hautresorption und Albuminurie. Virchow’s Archiv. 1879. Bd. LXXVI. 52. Ledermann, Ueber die Osmirung der normalen Haut. Berliner klinische Wochenschrift. 1892. Nr. 28. 53. @. Lewin, Mikrochemischer Nachweis von Cholesterinfett in der Körner- schicht der Epidermis. Zbenda. 1886. S. 22. 54. Liebreich, Ueber das Vorkommen des Lanolins im menschlichen Organis- mus. Virchow’s Archiv. Bd. CXXL S.383. 55. Linossier und Lannois, Mittheilungen über die Absorntion der Dämpfe des Guajacols durch die Haut. Compt. rend. soc. böol. T. XLVI. p. 214—215. (Maly’s J.-B. 1895. Bd. XXV. S. 348.) 56. Dieselben, Ueber die Absorption von Salieylsäure durch die Haut. Fbenda. T. XLVIL p.192. (Maly’s J.-B. 1895. Bd. XXV. S. 347.) 57. Dieselben, Mittheilung über die Absorption von Guajacol durch die Haut. Ebenda. T.XLVI. p.108. (Maly’s J.-B. 1895. Bd. XXV. 8.359.) 58. Linossier, Absorption par la peau de /’acide salieylique. Lyon. med. 1894. No.3. p. 84. (Virchow-Hirsch’s J.-B. 1895. S. 369.) 59. Linossier und Lannois, Absorption de l’acide salieyligue par la peau. Ebenda. 1894. No.25. p. 250. 60. Dieselben, Ueber die Resorption von Jod, Jodoform und Jodäthyl durch die Haut. Bull. gener. de therapeut. 1897. No. 9. Centralblatt für die medicinische Wissenschaft. 1897. 8.654. Maly’s J.-B. 1897. Bd. XXVI. S. 463. 61. Dieselben, Ueber die Absorption der Medicamente durch die Haut. An- wendung auf die Salieylsäuretherapie. Ebenda. 1896. p.14. (Maly’s J.-B. 1897. Bd. XXVIL) 62. Dieselben, Mittbeilung über die Absorption von Salicylsäuremethyläther durch die gesunde Haut. Compt. rend. soc. biol. T. XLVIU. p. 318. 63. Luff, Die Resorption der Medicamente aus Salben. Monatshefte für prak- fische Dermatologie. 1890. Bd. XI. 8.58. DAS ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 163 64. Maas, Ueber die Resorption fein zerstäubter Flüssigkeiten durch die mensch- liche Haut. Inaug.-Diss. Würzburg 1886. 65. Mahn, Die Löslichkeit fester und flüssiger medieamentöser Substanzen in Lanolin. JInaug.-Diss. Breslau 1897. 66. Manassein, Zur Frage der Permeabilität der normalen Haut. Archiv für Dermatologie. Bd. XXXVII. S. 323. 67. Derselbe, Kurze Bemerkung zur Frage über die Hautabsorption. Archiv für Dermatologie und Syphilis. Bd. LII. S. 395. 68. Manouvriez, Ref. in Virchow-Hirsch’s J.-B. 1874. Bd.I. S. 461. (Ab- sorption von Bleiverbindungen.) 69. Matthes, Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie. Jena 1900. 70. H. Meyer, Zur Theorie der Alkoholnarkose. I. Archiv für exp. Pathologie und Pharmaecologie. Bd. XLU. 71. Monnereau, Recherches experimentales sur le röle de P’absorption cutande dans l’intoxication et la paralysie saturnine. These de Paris. 1883. Cit. nach Vir- chow-Hirsch’s J.-B. 1883. Bd.I. S. 405. 72. Müller, Beiträge zur Frage der Hautresorption. Archiv für wissenschaftl. und praktische Thierheilkunde. Bd. XVI. S. 309. (Ref. in Maly’s J.-B. 1890. BdRV222S2550,) 173. Nacke, Ueber das Verhältniss der Wirkungsstärke der Narcotica zu der Grösse des Theilungscoöffieienten bei verschiedenen Temperaturen. /naug.-Diss. Mar- burg 1901. 74. Neumann, Ueber den Verbleib der in den thierischen Organismus einge- führten Baryumsalze. Pflüger’s Archiv. 1885. Bd. XXXVI. S. 576. 75. Noelle, Untersuchungen über das Absorptionsvermögen der Haut für Gase. Inaug.- Diss. Würzburg 1892. 76. Overton, Ueber die osmotischen Eigenschaften der lebenden Pflanzen- und Thierzelle. Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft zu Zürich. 1895. Jahrgang XL. 77. Derselbe, Ueber die osmotischen Eigenschaften der Zelle in ihrer Bedeu- tung für die Toxikologie und Pharmakologie. Ebenda. 1896. Jahrgang XLI. Jubelbd. 178. Derselbe, Ueber die allgemeinen osmotischen Eigenschaften der Zelle, ihre vermuthlichen Ursachen und ihre Bedeutung für die Physiologie. Fbenda. 1899. Jahrgang XLIV. 79. Derselbe, S/udien über die Narkose. Jena 1901. 80. Derselbe, Beiträge zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. Pflü- ger’s Archiv. 1902. Bd. XCII. 8.115. 81. Paschkis und Obermayer, Weitere Beiträge zur Hautresorption. Central- blatt für klinische Medicin. 1891. Nr. 4. 82. Perli, Qualche ricerca sulla possibilita di fare assorbire aleune sostanze della cute permezzo della lanolina. Giorn. internaz. d. sc. med. Napoli 1886. n.s. VIII. p. 420. 83. Pesci und Andres, Nouvelles recherches sur Pabsorption cutanee. Arch. Ital. de Biol. T.XXXVI. 1. p.43. (Maly’s J.-B. 1902. Bd. XVI.) 84. Dieselben, Recherches sur /’absorption eutanee. Zbenda. T. XXXV. 1. p- 105. (Maly’s J.-B. 1901. Bd. XV.) 85. Peters, Ueber die Resorption von Jodkalium in Salbenform. Centralblatt für klinische Medicin. 1890. Nr. 51. 86. Pfeiffer, Ueber die Resorptionsfähigkeit der Haut für Salben mit besonderer Berücksichtigung des Lanolins. JInaug.-Diss. Würzburg 1886. 115 164 SCHWENKENBECHER: 87. Ranvier, La matiere grasse de la couche cornee de l’epiderme chez l’homme et les mammiferes. Compt. rend. des seanc. de l’ Acad. des sciences. 1898. T. CXXVIL p- 924. 88. Derselbe, La graisse epidermique des oiseaux. Zbenda. p. 1189. 89. Reid, Report on experiments upon „absorption without osmosis“. Brit. med. Journ. 1892. Febr. 13. p. 323. (Strychninsalzlösung am Kaninchen.) 90. Ritter, Ueber die Resorptionsfähigkeit der normalen menschlichen Haut. Deutsches Archiv für klinische Mediein. 1884. Bd. XXXIV. 8.143. 91. Derselbe, Zur Frage der Hautresorption. Berliner klin. Wochenschrift. 1886. 8. 309. 92. Röhrig, Die Physiologie der Haut. Berlin 1876. 93. Rosahegyi, Ref. im Jahresbericht für Pharmacie von Husemann und Wiggers. 1878. (Aus einer frischen JK-Salbe wird J absorbirt.) 94. Rost, Ueber die Ausscheidung von Arzneimitteln aus dem Organismus: in Deutsche Klinik am Eingang des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von v. Leyden und F. Klemperer. 95. Ruzicka, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Resorption. Wien r med. Blätter. 1894. Nr. 24—33. Cit. nach Virchow-Hirsch’s J.-B. 1895. Bd. 1. 8.185. 96. Santi, Enthält das menschliche Hautfett Lanolin? Maly’s J.-B. 1889. Bd. III. S. 411. 97. Santori, Einfluss der Fette auf die Absorption einiger Metalle. Moleschott's Untersuchungen zur Naturlehre. Bd. XV. 8.166. (Maly’s J.-B. 1895. Bd. XXV. S. 348.) 98. Sata, Ueber das Vorkommen von Fett in der Haut und in einigen Drüsen. Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie, Bd. XXVII. S. 555. 99. v. Saussure, Beobachtungen über die Absorption der Gasarten durch ver- schiedene Körper. Gilbert's Annalen der Physik. Jahrgang 1814. S. 113. 100. Schleyer, Ein Beitrag zur Frage der Perspiration bei den Säugethieren. Inaug.- Diss. Würzburg 1902. 101. Schott, Die Hautresorption und ihre Bedeutung für die Physiologie der Badewirkungen. Deutsche Medicinal-Zeitung. Berlin 1885. Bd. VI. S. 308. 102. Schum, Experiment. Beitr. zur Frage des Resorptionsvermögens der mensch- lichen Haut. J/naug.-Diss. Würzburg 1892. 103. Ernst Schmidt, Ausführliches Lehrbuch der pharmaceutischen Chemie. Braunschweig 1893. 104. Sciolla, Cronica della clinica medica di Genova. 1892—93. p. 191. (Absorption des Guajacols beim Menschen.) 105. Seibel, Ueber das Resorptionsvermögen der intacten menschlichen Haut für fein zerstäubte Flüssigkeiten. /naug.-Diss. Würzburg 1892. 106. Selhorst, Ueber das Keratohyalin und den Fettgehalt der menschlichen Haut. Inaug.-Diss. Berlin 1890. 107. Seliger, Ueber die Resorptionsfähigkeit der todten und lebendigen Haut der Kaltblüter und der Warmblüter. /raug.- Diss. Königsberg 1881. 108. v. Sinjawsky, Ueber die Permeabilität der Haut des Kaninchens für die wässerigen Lösungen von Jodkali bei verschiedenen Temperaturen und Schwankungen der Temperatur. J/naug.-Diss. Berlin 1896—97. 109. Snieschkow, Zur Frage über die Aufsaugung der wässerigen Lösungen von Eisensalzen durch die Haut der Kinder und der jungen Thiere. Diss. St. Peters- burg 1881. Ref. bei v. Sinjawsky (108). DAs ABSORPTIONSVERMÖGEN DER HAUT. 165 110. v. Sobieransky, Ueber die Resorption des Vaselins von der Haut und sein Schicksal im Organismus. Archiv für exp. Pathol. u. Pharmacol. Bd. XXXI. 8.329. 111. Soulier, Traite de therapeutique et de pharmacologie. 1891. T.I. p. 385. (Wässerige Lösung von Cocain mur., auf die Haut gepinselt, bewirkt keine Anästhesie.) 112. Spina, Ueber Resorption und Secretion. Leipzig 1882. 113. Ssokolow, Der Einfluss der künstlichen Behinderung der Hautperspiration auf den Organismus der Thiere. /naug.-Diss. St. Petersburg 1874. Ref. bei v. Sin- jawsky (108). 114. Ssokolow, Ueber die Resorption einiger Medicamente bei Inunetionen in die Haut. Diss. St. Petersburg 1894. Ref. bei Sinjawsky (108). 115. Stas, Bull. Acad. roy. de med. de Belg. Bruxelles 1886. 3. s. XX. p. 89. (Vollbäder von arsenigsaurem Na sind unschädlich.) 116. Stirling, Resorption durch die Haut bei Fröschen. Centralblatt für die med. Wissenschaft. 1878. Bd. XVI. S. 116. 117. Stolzenburg, Ueber die äussere Anwendung von Guajacol bei fieberhaften Erkrankungen. Berliner klinische Wochenschrift. 1894. Nr. 5. 118. Szulislawski, Ueber die Anwendung der Jodvasogene in der Augenheil- kunde und ihre Resorption durch die Haut. Przeglad lekarski. Bd. XXXVII. S 439. (Maly’s J.-B. 1899. Bd. XXIX.) 119. Traube-Mengarini, Ueber die Permeabilität der Haut. Dies Archiv. 1892. Physiol. Abthlg. Supplementband. 8.1. 120. Unna, Allgemeine Therapie der Hautkrankheiten. 1899. 121. Derselbe, Der Nachweis des Fettes in der Haut durch secundäre Osmierung. Monatshefte für praktische Dermatologie. Bd. X\VI. 12. S. 601. 122. Valerio, Ueber die Absorption durch die Haut. Atti d. Ace. deifisicoeritici Siena. 1897. Vol. VIII. Ref. in Maly’s J.-B. 1897. Bd. XXVI. 123. Vogel, Ist die unversehrte Haut durchgängig für Arsenik? Archiv. internat. de pharmacodyn. Gent 1898. T.V. p. 217. 124. Derselbe, Ueber die Durchgängigkeit der unversehrten Haut des Warm- blüters. Virchow’s Archiv. Bd. CLVI. S. 567. 125. Weidenreich, Bau und Verhornung der menschlichen Oberhaut. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. LVI und LVI. 126. R. Winternitz, Zur Lehre von der Hautresorption. Archiv für exp. Pathologie und Pharmacologie. 1891. Bd. XXVIII. 8.405. 127. H. Winternitz, Ueber die Wirkung verschiedener Bäder (Sardväder, Sool- bäder, Kohlensäurebäder u. s. w.) insbesondere auf den Gaswechsel. Archiv für klin. Mediein. Bd. LXXI. S. 258. 128. v. Wittich, Resorption durch die Haut bei Fröschen. Centralblatt für die med. Wissenschaft. Berlin 1878. Bd. XVI. S. 33. 129. Derselbe, Physiologie der Aufsaugung, Lymphbildung und Assimilation. Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd.V. 2. S. 257. 130. v. Ziemssen, Physiologie der Haut. Sein Handbuch der spec. Pathologie und Therapie. Bd.AIV. 1. 8.115. Ueber den Mechanismus der Sauerstoffversorgung des Körpers. Von A. Loewy und N. Zuntz. (Aus dem thierphysiologischen Institute der Königl. Landw. Hochschule zu Berlin.) (Hierzu Taf. IV.) A. Einige Bedingungen der Dissociation des Oxyhämoglobins. Die scheinbar so einfachen physikalisch-chemischen Vorgänge des Sauerstoffaustausches zwischen Blut- und Lungenluft einerseits, Blut und (Gewebe andererseits zeigen bei genauerer Untersuchung derartige Ab- weichungen von dem, was wir nach unseren Kenntnissen der Dissociation des Oxyhämoglobins erwarten sollten, dass hier offenbar noch manche der Aufklärung bedürftige Fragen vorliegen. Am besten beleuchtet werden die obwaltenden Unsicherheiten durch die Arbeiten von Bohr, welche diesen Forscher einerseits zur Annahme verschiedener Hämoglobine von verschiedenem Sauerstoffbindungsvermögen! und andererseits zu der Ueber- zeugung geführt haben, dass die physikalischen Gesetze der Gasdiffusion zur Erklärung der Lungenathmung nicht ausreichen, dass man vielmehr eine specifische Thätigkeit des Lungengewebes derart annehmen müsse, dass sowohl Sauerstoff wie Kohlensäure von Orten niedrigerer Partiar- spannung zu solchen höherer bewegt werden.? Wir möchten hier nicht zu diesen schwierigen Problemen, über die wir uns früher schon mehrfach geäussert haben, Stellung nehmen, vielmehr uns begnügen, gewisse einfache Momente, welche für die Sauerstoffbindung durch das Hämoglobin von Bedeutung sind, durch Versuche zu beleuchten. Wir sind zu unseren Versuchen veranlasst worden durch die Schwierig- keit, das Verhalten der menschlichen Athmung im Hochgebirge, sowie in ! Bohr, Skandin. Archiv für Physiologie. Bd. III. 8.101. ” Derselbe, Fbenda. Bd. II. S. 236. A. LoswY unn N. Zuntz: ÜBER DEN MECHANISMUS v.8s.w. 167 verdünnter Luft überhaupt mit den von Hüfner auf Grund seiner um- fassenden Untersuchungen aufgestellten Gesetzen der Dissociation des Sauer- stoffhämoglobins in Einklang zu bringen. Wenn diese Gesetze ohne Weiteres auf den lebenden Organismus übertragbar wären, müsste der Mensch sehr viel stärkere Luftverdünnungen schadlos ertragen können, als die, bei welchen schwere Erscheinungen der Bergkrankheit und eventuell — im Luftballon — Bewusstlosigkeit und Tod eintritt. Dass aber die schweren, in Höhen zwischen sechs- und neuntausend Metern auftretenden Erscheinungen durch ungenügende Sauerstofisättigung des Blutes bedingt sind, beweist die sichere prompte Heilwirkung des Einathmens von reinem Sauerstoff.! Hüfner ist durch seine Erörterung dieser Verhältnisse zu der An- nahme geführt worden, dass eine erhebliche Spannungsdifferenz zur Ueber- führung der erforderlichen Sauerstoffmenge aus den Alveolen in das Blut nöthig se. Bei Aufenthalt in verdünnter Luft reiche die Triebkraft nicht mehr aus, um den Blutkörperchen während der kurzen Zeit ihres Aufent- haltes in der Lunge eine dem alveolaren Sauerstoffdruck entsprechende Sauerstoffsättigung zu ermöglichen. Daher würden die Lungenvenen, also auch die Körperarterien, ein Hämoglobin führen, dessen Sauerstoffgehalt wesentlich unter dem Werthe läge, welchen er bei ausreichend langem Wechselverkehr mit der Alveolenluft erreicht hätte. Wir haben früher? im Anschluss an die Ausführungen Pflüger’s? es für wahrscheinlicher gehalten, dass eine viel geringere Triebkraft, als die, welche Hüfner für nöthig hält, ausreiche, um die nöthige Sauerstoffmenge in’s Blut zu befördern und kamen deshalb zu der Vermuthung, dass die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins viel grösser sei, als Hüfner auf Grund seiner Versuche annahm. — In dieser Auffassung wurden wir be- stärkt durch die Versuche Paul Bert’s‘, in welchen die Dissociations- spannung des Blutes viel höher gefunden wurde, als sie sich nach Hüfner berechnet und in welchen der Gasgehalt des Arterienblutes bei Athmung ! Die schon vor Jahren von Müllenhoff, Dies Archiv, 1891. Physiol. Abth. S. 344, geäusserte Meinung, dass bei der Ballonkrankheit die aus dem Ballon aus- strömenden Gase,“ speciell das Kohlenoxyd des Leuchtgases, eine entscheidende Rolle spielten, ist in jüngster Zeit wieder aufgenommen worden. Man kann zu ihren Gunsten anführen, dass Spuren von Kohlenoxyd um so nachtheiliger wirken, je geringer die Dichte des Sauerstoffs ist. — Dass aber diese Gase, wenn überhaupt, sicher nur aus- nahmsweise und in geringem Maasse schädigend wirken, geht ein Mal daraus hervor, dass die Ballonkrankheit in gleichen Höhen bei Wasserstoff- wie bei Leuchtgasfüllung beobachtet wird, und vor allem daraus, dass im pneumatischen Cabinet bei ganz der- selben Luftverdünnung die gleichen Erscheinungen eintreten (vgl. Loewy, Die Respi- ration und. Circulation in verdünnter Luft u.s. w. Berlin 1895). ?2 Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. IV. 2. 8.89ff. s Pflüger’s Archiv. Bd. VI. 8.43. * Paul Bert, Pression barometrique. Paris 1878. p. 691. 168 A. LoEwyY un N. Zuntz: sauerstoffarmer Gemische dieser in vitro gefundenen Dissociationsspannung annähernd entsprach. Wir glaubten hieraus folgern zu müssen, dass auch bei diesen sauerstoffarmen Gemischen die Triebkraft eine zur Sättigung noch ausreichende sei. Es kamen ferner in Betracht die Lungenkatheterversuche von Wolff- berg! und die Messungen der Spannung im venösen, eben der Ader ent- strömenden Blute von Strassburg? und Nussbaum?, weiter die ent- sprechenden Versuche Herter’s* am Arterienblut. Aus den Versuchen der ersteren Autoren scheint mit Nothwendigkeit hervorzugehen, dass die Sauer- stoffspannung in dem durchschnittlich zu 60 Procent mit Sauerstoff ge- sättigten Venenblut des Hundes etwa 25” beträgt, während sie nach Hüfner’s älteren, uns damals allein vorliegenden Versuchen unter 5m hätte liegen müssen. Das Arterienblut ist meist zu etwa 90 Procent ge- sättigt und hat nach Herter eine Spannung über 76", während Hüfner’s Bestimmungen nur 25”"” für gleiche Sättigung ergeben. Dieser Widerspruch der Thatsachen hat uns veranlasst, neue Versuche über die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins anzustellen, mit welchen wir bereits im Mai 1897 begannen. Wir wurden zu diesen Versuchen nicht etwa durch Zweifel an der Exactheit der Hüfner’schen Unter- suchungen veranlasst. Bei der mustergültigen Sorgfalt dieses Forschers wären solche Zweifel nicht am Platze. Wir erwogen vielmehr, dass nach allen neueren Erfahrungen über Dissociationsprocesse die Natur des Lösungs- mittels und die Concentration auf die Dissociationscurve von grossem Ein- flusse sind. Im normalen Blute ist nun aber das Hämoglobin nicht etwa in der gesammten Blutflüssigkeit gelöst, sondern in den sehr wasserarmen und osmotisch für viele Bestandtheile des Plasma unzugänglichen Blut- körperchen ausschliesslich enthalten. Da nun Hüfner’s Versuche meist an Lösungen von krystallisirtem Hämoglobin, zum kleinerem Theile mit lackfarben gemachtem Blute, niemals, wenigstens in den neueren maassgebenden Arbeiten, an intactem Blute an- gestellt sind, schien es uns nicht berechtigt, seine Resultate ohne Weiteres als gültig für physiologische Verhältnisse anzusehen. Die Abhängigkeit der Dissociation von der Concentration der Lösung hat Bohr bei 15°C. untersucht; er giebt folgende Zahlen für die Sauer- stoffbindung pro Gramm Hämoglobin. ı Wolffberg; Pflüger’s Archiv. Bd.IV. 8.465. Bd. VI. 8.28. ? Strassburg, Zbenda. Bd. VI. 8.65. ® Nussbaum, Ebenda. Bd. VII. S. 296. * Herter, Zeitschrift für Physiol. Chemie. Bd.Ill. p. 98. 5 Bohr, Ueber die Verbindung des Hämoglobins mit Sauerstoff. Skandın. Archiv für Physiologie. 1891. Bd. Ill; sowie Experimentelle Untersuchungen über die Sauer- stoffaufnahme des Blutfarbstoffes. Kopenhagen 1885. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 169 Tabelle 1% Ep Grenm HD aufgen Sauerstoffdruck Dan. auigenommener Sauerstoff in ccm mm 4 proc. Lösung | 2 proc. Lösung 5 0-98 | 1:14 10 1-12 1-23 20 1:24 1-32 40 1-37 1.44 60 1-42 1:48 150 1.44 1-53 Während hier die Dissociation in der verdünnten Lösung kleiner ge- funden wurde, hat Hüfner, in Uebereinstimmung mit den Lehren der physikalischen Chemie, eine allerdings nur geringe Zunahme der Dissociation mit der Verdünnung gefunden.! Aus der Berechnung seiner Versuche er- eiebt sich z. B. für einen Sauerstoffdruck von 150 """ die Sauerstofisättigung in 14 procentiger Hämoglobinlösung zu 98-42 Procent E2) 1 „ ” „ 397.78 ” für einen Sauerstoffdruck von 50 "m in 14 procentiger Lösung zu 95-40 Procent „ 4 „ ” „ 93.55 „ Angesichts des Widerspruchs zwischen Bohr’s und Hüfner’s Ergeb- nissen wird man die Frage aufwerfen dürfen, ob die für Electrolyte nach- gewiesene Zunahme der Dissociation mit der Verdünnung auch für einen Nichtleiter, wie das Oxyhämoglobin, ohne Weiteres anzunehmen ist. In den intacten Blutkörperchen, die bekanntlich zu den wasserärmsten Gebilden des thierischen Körpers gehören, ist natürlich die Concentration sehr viel höher als in den concentrirtesten je untersuchten Blutlösungen. Nach Bunge’s Bestimmungen haben wir in 100 Gewichtstheilen Blut- körperchen 26 Theile Hämoglobin auf 63 Theile Wasser also eine 41 pro- centige Lösung, wenn man hier von Lösung im gewöhnlichen Sinne noch reden darf. Voraussichtlich sind aber auch die neben dem Hämoglobin vorhandenen Bestandtheile der rothen Blutkörperchen nicht ohne Bedeutung für die Dissoeiation des Oxyhämoglobins.? ı Hüfner, Dies Archiv. 1890. 8.13 u. 14. 2 Vol. die Ausführungen Rollet’s !(Pflüger’s Archiv. Bd. LXXXI. 8. 251), welcher zu dem Schlusse kommt, „dass das Hämoglobin nicht in Form einer wässerigen Lösung im Blutkörperchen enthalten sein kann, sondern dass es durch nicht näher zu analysirende Kräfte in amorphem Zustande in dem ‚Endosoma‘ fisirt ist,“ 170 A. LoewyY un N. Zuntz: Wenn nun schon der Widerspruch zwischen Bohr’s und Hüfner’s Ergebnissen zu neuen Versuchen auffordert, so gilt dies noch mehr von den eben genannten Momenten, deren Einwirkung sich a priori gar nicht voraussehen lässt. Nur der Versuch kann entscheiden ob sie fördernd oder hemmend auf die Dissociation des Sauerstoffhämoglobins einwirken. Wir haben deshalb in unseren Versuchen die Sauerstoffaufnahme der intacten Blutzellen mit derjenigen des lackfarbenen Blutes gleicher Concentration verglichen und haben ferner geprüft, wie Aenderungen der Concentration sowohl, wenn sie lackfarbenes Blut oder Hämoglobinlösungen, als auch wenn sie intacte Blutkörperchen betreffen, auf die Sauerstoff bindung des Hämoglobins einwirken. Ferner haben wir den Einfluss der mit der Herstellung der Hämo- elobinkrystalle verbundenen Eingriffe studirt. Versuchstechnik. Die bisher meist benutzte Methode, gasfreie Hämoglobinlösungen mit Sauerstoff bei wechselnden Drucken zu schütteln und die aufgenommene Sauerstoffmenge durch Messung des restierenden Gases zu ermitteln, leidet bekanntlich an einer erheblichen Fehlerquelle, besonders wenn man bei Körpertemperatur arbeitet. Wechselnde Mengen Sauerstoff verschwinden durch-Oxydationsprocesse unbekannter Art. Die hierdurch entstehenden Fehler können bekanntlich so bedeutend werden, dass sie eine genaue Messung der Sauerstoffbindung an’s Hämo- globin unmöglich machen. Es haben diese Schwierigkeiten Hüfner ver- anlasst, auf einem indirecten Wege, nämlich durch Bestimmung der vom Hämoglobin aufgenommenen Kohlenoxydmenge die wahre Sauerstoffmenge zu berechnen, welche dieses chemisch bindet. Wir haben durch ein ähnliches Verfahren, wie es Paul Bert und in einigen Versuchen Bohr angewendet haben, uns von den Fehlern, welche die Sauerstoffzehrung bedingt, unabhängig gemacht. Im Prineip verfuhren wir so, dass wir verschiedene Portionen desselben Blutes mit zweckmässig abgestuften Mischungen von Sauerstoff und Stickstoff bis zum sicheren Spannungsausgleich bei 35° und bei dem gerade herrschenden Atmosphären- druck schüttelten und dann sofort einen aliquoten Theil des Blutes zur Entgasung in die Pflüger’sche Blutgaspumpe brachten und eine Probe des Schüttelgases zur Analyse entnahmen. Der von uns benutzte Apparat mag etwas genauer beschrieben werden, da er seiner Handlichkeit wegen für viele ähnliche Versuche sich brauch- bar erweisen dürfte. Zur Herstellung und Aufbewahrung der Gasgemische dienten drei auf ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 171 einem gemeinsamen Stativ montirte Gasometer mit Wassersperrung von je 1200 «= Inhalt. Wie die Abbildung zeist (Fig. 1) stellt jedes Gasometer einen oben geschlossenen graduirten Glascylinder dar, dessen unteres ver- jüngtes Ende mit einem doppelt durchbohrten Kautschukstopfen verschlossen ist. Das zur Zu- und Abführung der Gase dienende Rohr geht durch die ganze Länge des Cylinders und endet frei dicht unter dessen Dache, das andere zum Einlassen und Auslassen der Sperrflüssigkeit bestimmte Rohr endet dicht über dem den Boden bildenden Kautschukstopfen. Die Wasserrohre aller drei Gasometer stehen mit einer gemeinsamen Füll- kugel in Verbindung. Zur Ab- schliessung der einzelnen dienen Glas- hähne bezw. mit Quetschhähnen ar- mirte Kautschukschläuche. Die Graduirung der Gasometer gestattet bequeme Herstellung von Gasgemischen, wobei nur, soweit es sich um kohlensäurereichere Gas- gemische handelt, der Absorption durch die Sperrflüssigkeit Rechnung zu tragen ist. Zur Schüttelung des Blutes mit den Gasgemischen dient das in der, Abbildung (2) wiedergegebene dick- wandige, birnförmige Glasgefäss von etwa 300 °® Inhalt. Der weite Hals ist durch einen dreifach durehbohrten Kautschukstopfen verschlossen. Seine eine Bohrung durchsetzt ein capillares dicht unter dem Stopfen Fig... endendes Glasrohr, seine zweite ein ebensolches bis zum Boden reichendes. Durch die dritte Bohrung geht ein kurzes, etwas weiteres Glasrohr, auf welchem innen ein Kautschukballon luftdicht aufgebunden ist. Alle drei Röhren tragen an ihrem oberen Ende kurze capillare Kaut- schukschläuche mit Quetschhahnverschluss. Die Benutzung des Apparates ist folgende. Man bringt zunächst die zu sättigende Blutmenge — gewöhnlich 25 «= — hinein, setzt den Stopfen fest ein und bläst den Kautschukballon derart auf, dass alle Luft durch die unter dem Stopfen endende kurze Capillare entweicht. 172 A. Loewy un N. Zun1z: Dann verbindet man eine der beiden Capillaren mit einem der Gasometer, welches die erforderliche Gasmischung enthält, öffnet den am Gummiballon befindlichen Quetschhahn und lässt das Gas unter schwachem Ueberdruck in die Birne eintreten, bis der aufgeblasene Gummiballon sich vollkommen entleert hat. Man verschliesst nunmehr alle drei Kautschukschläuche des Stopfens und bringt den Apparat in ein auf 38°C. gehaltenes Wasserbad, welches zur Aufnahme von sechs derartigen (Glasgefässen einge- richtet ist. Das Wasserbad ist ein kupferner, innen verzinnter Kasten von etwa 35°”% Länge, 27 m Breite, 27 = Höhe; er ent- hält geeignete Vorrichtungen zur soliden Befestigung der Glas- gefässe, ferner einen Stutzen zur Aufnahme eines in’s Wasser tauchenden Thermometers, und zwölf kleinere Rohrstutzen, durch die eventuell Gase in das Innere geleitet und durch die einzelnen Flaschen hindurch geführt wer- den können. Bei den hier zu beschreibenden Versuchen wurde von dieser letzteren Einrichtung kein Gebrauch gemacht. Der Kasten trägt einen durch Ueber- wurfschrauben wasserdicht zu schliessenden Deckel; er hängt an zwei langen in Charnieren beweglichen Eisenstäben; an der einen Schmalseite ist eine Pleuel- stange befestigt, die mit dem Fig. 2. Vorgelege eines Electromotors verbunden, den Kasten auf’s hef- tigste zu schütteln gestattet. Gewöhnlich erfolgen 200 Schüttelstösse pro Minute, wobei das Blut in den Flaschen fast momentan in Schaum ver- wandelt wird. Eine unter dem Kasten brennende Flamme erhält die gewünschte Temperatur constant. Nach 5 bis 10 Minuten langem Schütteln wird der Kasten geöffnet und die kurze Capillare jeder Flasche für etwa 1 Secunde behufs Druck- ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 173 ausgleich mit der Atmosphäre geöffnet. In Folge der Erwärmung besteht in den Flaschen ein Ueberdruck und es entweicht ein gewisses Gasquantum. Es wird wiederum 5 Minuten lang geschüttelt, wiederum ausgeglichen, wobei meist kein Entweichen von Gas mehr wahrgenommen wird und mit dem Schütteln bei constantbleibender Temperatur für weitere 5 Minuten fortgefahren. Nach mehrfachen Controllversuchen mit verschieden langer Schüttelung ergab sich, dass die verwendete Zeit einen sicheren Ausgleich zwischen dem Blute und Schüttelgase garantirte. Nunmehr wird eines der Gläser herausgenommen und in den Kautschuk- ballon mit Hülfe einer Spritze blutwarmes Wasser hineingedrückt. Der erzeugte Ueberdruck lässt bei Oeffnung des zum Boden gehenden, in’s Blut tauchenden Rohres Blut in ihm emporsteigen. Man lässt die ersten Bluts- tropfen abfliessen, verbindet dann das Rohr in der aus der Zeichnung er- sichtlichen Weise mit dem vollkommen mit Quecksilber gefüllten Messrohr, öffnet dessen beide Dreiweghähne, so dass das Blut unter Sinken des Quecksilbers in das Messgefäss eintritt. Sobald es den unteren Hahn passirt, wird zunächst dieser, sodann der obere Hahn geschlossen. Das so zwischen den beiden Hähnen abgesperrte, genau bekannte Blutquantum wird dann unter Benutzung des zweiten oberen Rohrstutzens und der zweiten Füll- kugel quantitativ in die Blutgaspumpe übergefüllt.! Schon vor der Ueberführung des Blutes in die Pumpe, wird eine Probe des Schüttelgases zur Analyse in ein Eudiometer übergetrieben. Hierzu dient ein an die kurze Capillare angesetztes Hakenrohr. Der nöthige Druck wird durch erneutes Einfüllen körperwarmen Wassers in den Kautschuk- ballon der Birne erzeugt. Zur Entgasung des Blutes standen uns drei Pflüger’sche Blutgas- pumpen zur Verfügung, an welchen im Laufe der Jahre einige im Princip nicht neue, aber immerhin die Handhabung wesentlich erleichternde und die vollkommene Entgasung beschleunigende Verbesserungen angebracht waren. Wir erläutern diese an der Hand nebenstehender Abbildung. Die - Hähne an der Barometerleere, von denen Geppert” nachgewiesen hat, dass sie durch Beschmierung der Oberfläche mit Fett leicht zu Retention kleiner Gasmengen" Anlass geben können, sind dadurch in Wegfall ge- kommen, dass der Verschluss nach der das Eudiometer tragenden Queck- silberwanne durch ein mehr als barometerlanges Capillar-Rohr gebildet wird. Der Verschluss nach dem Trockengefäss hin, welcher bei älteren hahnlosen Pumpen in derselben Weise bewirkt war, nicht ohne dem Apparat eine grosse Zerbrechlichkeit zu geben, ist hier durch ein Schwimmerventil her- ! Das Princip dieser Messung stammt von Geppert. ? Geppert, Pflüger’s Archiv. Bd. LXIX. S. 494. 174 A. Loewy un N. Zuntz beigeführt. — Das Schwefelsäuregefäss trägt auf der dem Blutkolben zuge- wandten Seite, einem Rathe von Pflüger zufolge, eine etwa 50” fassende Kugel, welche einen Reservevorrath von Schwefelsäure beherbergt. Auf den zweikugligen Blutrecipienten ist ein dritter N cylindrischer Raum mit einem eingeschmolzenen Kühler auf- gesetzt. Diese Einrichtung hat gegenüber dem von den Fran- zosen benutzten äusseren Küh- ler denselben Vorzug energi- scherer Wirkung wie die mo- dernen Soxhletkühler gegen- über der älteren Liebig’schen Constructin. In der That wirkt die Kühlung so kräftig, dass der oberste Theil des Blutkolbens sich kalt anfühlt, selbst, wenn das Blut auf seinem Boden auf 60° er- hitzt ist. Diese Einrichtung be- wirkt, dass auch ohne Oeff- nung der Communication zum Trockenapparat das Blut in wenigen Minuten fast seinen ganzen Gasgehalt abgiebt, der sich, durch den Wasserdampf nach oben geführt, im Kühl- raum ansammelt. Wir pflegen die fast mo- mentane Befreiung des Blutes von der Hauptmasse seiner Gase dadurch zu befördern, dass wir während des lang- samen Einlassens des Blutes Fig. 3. aus dem Messgefäss in den Recipienten die Communi- cation dieses mit den Trockenräumen öffnen. Man findet dann nach Be- endigung des Einströmens des Blutes in den Recipienten mehr als ®/, der überhaupt zu gewinnenden Gasmenge bereits in dem Trockenraume. Wir DEE y ST —n ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 175 lassen gewöhnlich die Auskochung bei 40° etwa !/, Stunde verlaufen und erhitzen dann das Blut zur Gewinnung der letzten Antheile allmählich auf 60° C und betrachten die Pumpung als beendigt, wenn im Verlauf einer Viertelstunde kein merkbares Gasbläschen mehr erscheint. In Folge der starken Kühlung tritt nur sehr wenig Wasser in die Schwefelsäure über, sodass diese für eine ganze Reihe von Auspumpungen ausreicht. Zuweilen haben wir zum bereits ausgepumpten Blut ein neues zu entgasendes Quantum hinzugefügt und haben uns überzeugt, dass hier- durch kein Fehler eingeführt wird. Dies darf aber nur in den nächsten Stunden nach der ersten Auspumpung geschehen, da bis zum anderen Tage sich zuweilen schon Fäulnisserscheinungen im Blute bemerkbar machen, die zu Kohlensäurebildung führen. Die Analyse der Blut- und Schüttelgase erfolgte in dem von Loewy in diesem Archiv! beschriebenen Apparate. Bei der Berechnung der Analysen gingen wir von der Annahme aus, dass der Absorptionscoefficient des;Blutes für Stickstoff bei 38°C = 0-0129 sei. Hieraus wurde die im Blute in jedem Falle absorbirte Stickstoffmenge be- rechnet. Was sich mehr an Stickstoff fand, wurde als eingedrungene atmosphärische Luft angesehen, und dementsprechend ?°!/,, dieser Menge von dem Volumen des gefundenen Sauerstoffes abgezogen. Hämoglobinversuche Einfluss der Darstellungsmethode auf ; die Sauerstoftbindung. Wir haben vielfach aus Hunde- und Pferdeblut nach den Vorschriften von Hoppe-Seyler Oxyhämoglobin dargestellt und gefunden, dass die Dissociationsspannung desselben im Vergleich zu der des sauerstoffhaltigen Blutes auffallend niedrig war. Wir kamen dadurch zu der Vermuthung, dass die Art der Darstellung Einfluss auf diese Verhältnisse haben möchte und dachten dabei speciell an die Möglichkeit einer Wirkung des Alkohols. — Die Versuche zur Klärung dieser Frage wurden von uns bereits in den Jahren 1899 und 1900 ausgeführt. Im Centralblatt für Physiologie vom 25. November 1899 berichtet der eine von uns (Loewy) über die Ergebnisse dieser Versuche wie folgt: „Bei Versuchen, die Prof. Zuntz mit mir in den letzten Jahren aus- geführt hat, scheint sich zu ergeben, dass die Bindungsfähigkeit des Hämo- globins für Sauerstoff, wie durch einige andere Momente, so auch durch die zur Darstellung des Hämoglobins erforderlichen Manipulationen sich leicht ändert, und zwar im Sinne einer festeren Bindung des Sauerstoffs an den Blutfarbstofl.“ ! Loewy, Dies Archiv. 1898. Phys. Abthlg. $. 484. 176 A. LoeEwy uno N. ZunzZz: Inzwischen erschienen im Jahre 1901 neue Versuche von Hüfner‘!, welche ganz in Uebereinstimmung mit unseren Befunden eine erhebliche Einwirkung des zur Darstellung benutzten Alkohols auf die Festigkeit der Sauerstoffbindung des Hämoglobins erwiesen. Trotzdem möchten wir das Wichtigste aus unseren eigenen Versuchen über diese Sache mittheilen. In der Darstellung des Hämoglobins wichen wir in einer, wie wir glauben, vortheilhaften Weise von der gewöhnlichen Art ab. — Wir vertheilten nach Entfernung des, wenn nöthig mit Hülfe der Centri- fuge, abgeschiedenen Serums, den Blutkörperchenbrei in dem 20fachen Volum einer 1 procentigen ClNa-Lösung. Nach erfolgter Sedimentirung wurde die Masse der Blutkörperchen in Dialysirschläuche gefüllt und einige Tage lang gegen kaltes fliessendes Wasser dialysirt. Danach erwies sich dieselbe fast stets in einen schönen Krystallbrei verwandelt, der nun entweder, direct in Sodalösung gelöst, zu den Versuchen diente, oder mit Hülfe von ganz wenig Aetzammoniak in Wasser gelöst wurde, worauf entweder ohne Weiteres oder nach Zusatz einer dem Ammoniak äquivalenten Menge Essig- säure die eiskalte Lösung mit !/, des Volumens eiskalten Alkohols langsam und unter starkem Schütteln vermischt wurde. — Die Masse wurde auf 24 Stun- den in eine Kältemischung gebracht. Dann wurden die Krystalle abgepresst und zur Entfernung des Alkohols 24 bis 48 Stunden gegen kaltes fliessendes Wasser dialysirt.? Als Beispiel diene: Versuch 19. 16. bis 18. Januar 1900. Aus Pferdeblut wird eine Portion Hämoglobin (a) ohne Alkohol durch Sedimentiren und 5 tägige Dialyse bereitet, in 150°® Wasser unter Zugabe von 0-58” Soda gelöst. Eine zweite Portion (5) wird, wie angegeben, mit Alkohol umkrystillisirt, der Alkohol durch 2tägiges Dialysiren gegen fliessendes Wasser entfernt. Lösung in Soda wie bei a. Die Resultate zeigt die Tabelle II S. 177: Im Ganzen wurden vier Versuchsreihen ohne Alkohol, sieben mit Alkohol ausgeführt. Es war wohl von vorne herein zu erwarten, dass die Veränderung des Hämoglobins durch den Alkohol nicht in allen Versuchen gleich stark wäre. Dieser Erwartung entsprechen die Versuchsergebnisse, die wir der Raumersparniss wegen nur in Form eines Diagramms wiedergeben wollen.’ Die einzelnen Versuchsergebnisse; in Procenten der Sättigung beim Schütteln mit atmosphärischer Luft berechnet, sind als Punkte mit der zugehörigen ! Hüfner, Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. Suppl. 8. 187—217. ® Aehnlich verfuhr schon Hüfner zur Entfernung des Alkohols. Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. 8. 154. ® Dieses findet sich auf Taf. IV am Schluss des Bandes. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 177 Tabelle I. Sauerstoffgehalt | Dauerstoffgehalt der Hämoglobin- | Procentische Sauerstoffsättigung des Schüttelgases | lösung in Procenten ihres Volumens der Hämoglobinlösung al ohne Alkohol | mit Alkohol | ohne Alkohol | mit Alkohol 18-95 26-33 | = 100 | 100 18-74 — | 21-33 _ | Be 2-41 22-37 | — 85 89-5 2-31 == | 19-08 & u 1-45 11-07 | we 49 en 1.40 —_ | 17:04 —. 43 Versuchsnummer in das Coordinatennetz eingetragen. Die Ordinate ergiebt den Procentgehalt des Schüttelgases an Sauerstoff. (Die Barometer- schwankungen haben wir als ins Bereich der Versuchsfehler fallend, ver- nachlässigt; wir bemerken dazu, dass auffallend hohe oder tiefe Barometer- stände an den Versuchstagen nicht vorkommen.) Die Abseisse giebt die procentische Sauerstoff-Sättigung der Lösung. Die Unregelmässigkeiten, welche die Curve zeigt, sind durch die ver- schiedene Concentration der Hämoglobinlösungen nicht zu erklären, wenn auch, wie wir oben schon durch einige Zahlen von Bohr und Hüfner gezeigt haben, die Concentration für die Dissociation des Oxyhämoglobins in Betracht kommt. Ueber die Concentration in unseren Versuchen siebt die folgende Tabelle Aufschluss. Sie giebt den procentischen Sauer- stoffgehalt der mit Luft gesättigten Lösungen, woraus sich die Concentration mit Hülfe der Hüfner’schen Daten (13”” Hb bindet 1.34 O) leicht berechnen lässt. Tabelle IH. Procentgehalt der Hämoglobinlösung an Sauerstoff bei Sättigung mit Luft. | Hämoglobin bereitet Versuchsnummer Tierart | ohne Alkohol | mit Alkohol 1lile | Hund — | 5-91 Procent 12. | > — SEIEN 148. 2 an UELI BA 14e. > — Has LIETT > 19. 16.1. 1900 Pferd 26-33 Procent | ER ER 20. 13./15. II. 1900 R le=11607, | 8-26 1, 21. 12.1. 1901 4 24.5 „ | m 22. 15.1. 1901 | r 0 2 | — 23. 19.1.1901. = a | 20-94 „ Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 12 178 A. LoEwx unp N. Zuntz: Einzelne in das Diagramm aufgenommene Bestimmungen, wie z. B. der Versuch mit alkoholischem Hämoglobin Nr. 12 bei 5-1 procentiger Sauerstoffspannung sind wohl sicher fehlerhaft, doch wollten wir keinen Versuch, der durchgeführt war, weglassen. Auch Nr. 20 ist verdächtig. — Ob etwa auch die Tierart auf die Dissociationscurve des Oxyhämoglobins von Einfluss ist, wagen wir nicht sicher zu entscheiden, manche später noch zu erwähnende Beobachtungen am intacten Blute machen es wahr- scheinlich. Im Ganzen muss man bei Betrachtung der Tafel die Ueberzeugung gewinnen, dass die mit Alkohol dargestellten Hämoglobinlösungen eine geringere Dissociationsspannung besitzen als diejenigen, bei deren Darstellung der Alkohol vermieden war. Vergleich von deck- und lackfarbenem Blute. Wir haben anfangs versucht, ein gegebenes Blut ohne Zusatz fremder Substanzen durch wiederholtes Gefrieren und wieder Auftauen lackfarben zu machen und dann mit dem ursprünglichen Blute zu vergleichen; es blieben aber selbst nach 3 und 4 maliger Wiederholung der Procedur viele Blutkörperchen erhalten. Bei gleichzeitiger Anwendung von Aether gelang zwar die Auflösung der Blutkörperchen leicht, aber der Aether war nachher nicht wieder vollkommen zu entfernen und complicirte die Gasanalyse in störender Weise. Schliesslich bewährte sich folgendes Verfahren: Versuch 15 vom 28. bis 29. Juni 1899, Einem Hunde werden durch Aderlass eirca 200°" Blut entzogen, die durch Beigabe von ein wenig gepulvertem oxalsaurem Kali flüssig erhalten werden. Das Blut wird sofort centrifugirt und liefert 120°” klaren Serums und noch 18.5°” eines durch Blutkörperchen stark gerötheten Serums. Letzteres wird weggegossen. Die übrig bleibenden 94°” Brei werden in 2 gleiche Theile getheilt, der eine mit 69.25” des klaren Serums, der andere mit demselben Volum einer Sodalösung von 012 Procent versetzt. Nach einigem Schütteln ist letztere Mischung vollkommen lackfarben. Das lackfarbene und das deckfarbene Blut wird in je 4 Portionen getheilt, von letzterem kommen 2, von ersterem 1 Portion sofort in die Schüttelbirnen. Letztere werden mit bereitgehaltenen Gasmischungen von annähernd be- kannter Zusammensetzung beschiekt und sofort in den auf 38° C. erwärmten Schüttelapparat eingestellt. Sie werden bis zum vollkommenen Spannungs- ausgleich geschüttelt, und alsbald mit Hülfe der 3 bereitstehenden Queck- silberpumpen entgast. Die 5 anderen Portionen werden sofort in Eis ge- stellt und am andern Tage entsprechend behandelt. Das Ergebniss zeigt die Tabelle IV S. 179. Die Tabelle zeigt, dass das lackfarbene Blut bei Luftsättigung weniger Sauerstoff aufgenommen hat, als das deckfarbene, dass es aber bei niedrigem ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 179 Tabelle IV. Sauerstoffgehalt Sauerstoffgehalt des Blutes Procentische Sauerstoffsättigung des Schüttelgases in Procenten seines Volums des Blutes (Erocent deckfarben | lackfarben | deckfarben | lackfarben 3.34 ga 2 | 53.71 = 3-48 | — | 10-54 | — 69:2 4-05 | — | 11-62 | — | 76-25 4-65 | = I ce | _ | 91-3 5-40 | 11-36 | -— | 64-8 = 20-06 | 17-54 | _ | 100-0 | un 20-57 er | 15-27 | = | 100-0 | | Partiardruck eine höhere relative Sättigung zeigt als das deckfarbene Blut. — Der erstere Befund steht in einem gewissen Gegensatz zu dem Verhalten bei niedrigen Druckwerthen. Selbst wenn wir annehmen, er beruhe auf einem Versuchsfehler und der Sauerstoflgehalt des mit Luft gesättigten deckfarbenen Blutes sei auch nur = 15.27 Procent gewesen, würde immer noch das letztere eine erhöhte Dissociation bei niedrigem Partiardrucke aufweisen. Bezogen auf den Sättigungswerth 15.27 wäre die relative Sättigung bei 3.34 Procent O des Schüttelgases = 62 Procent und bei 5-40 Procent O = 74.4 Procent. — Wir wollen später durch besondere Versuche feststellen, ob der hier erhobene sonderbare Befund bei Luftsättigung ein gesetzmässiger ist. Der vorliegende ist bis jetzt der einzige Versuch, in welchem wir genau iden- tische Blutproben vor und nach Auflösung der Blutkörperchen verglichen haben. Es liegt uns noch ein zweiter Versuch (Nr. 18) vor, in welchem wir nur lackfarbenes Blut untersucht und ebenfalls eine sehr geringe Dissociation gefunden haben. Wir glaubten diese Versuche nicht häufiger wiederholen zu sollen, da die gefundene geringe Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins im lack- farbenen Blute mit Hüfner’s analogen Ergebnissen durchaus überein- stimmt. Dagegen haben wir im Ganzen 8 Versuchsreihen an normalem deckfarbenem Blute gemacht, welche sämmtlich entsprechend Versuch 15 eine erheblich höhere Dissociationsspannung als das lackfarbene Blut zeigten. Die Ergebnisse sind graphisch in Tafel IV, Fig. 2 zusammengestellt. Wie in Taf. IV, Fig. 1 ist der Procentgehalt des Schüttelgases an Sauerstoff als Ordinate, die relative Sättigung (die bei Luftschüttelung mit 100 bezeichnet) als 1 Dieser Werth ist das Mittel aus zwei schlecht stimmenden Versuchen, welche in Tafel IV, Fig. 2 umrahmt sind. 19% i- 180 A. Loewy un N. Zuntz: Abseisse aufgetragen. Man sieht aus der Zusammenstellung, dass die ein- zelnen Versuche nicht unerheblich von einander abweichen. Zum Theile beruht dies gewiss auf Versuchsfehlern, denen wir bei diesen Versuchen eine erhebliche Bedeutung zuerkennen müssen. Es handelt sich dabei weniger um die Unsicherheiten der Technik, als um die Fehler, welche durch die ersten Anfänge der Zersetzung des Hämoglobins bedingt sind. Einige Versuche in der wärmeren Jahreszeit haben wir ganz verwerfen müssen, weil die Fehler sich durch grobe Abweichungen bei Schüttelungen, welche beim selben Sauerstoffgehalt an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vorgenommen wurden, unverkennbar verriethen. Wir möchten aber nicht glauben, dass alle gefundenen Abweichungen auf derartigen Fehlern beruhen. Wir halten es vielmehr für sehr wahrscheinlich, dass auch schon im frischen Blute die Dissociationsecurve des Oxyhämoglobins eine individuell verschiedene ist. Nachdem wir gefunden haben, dass scheinbar geringfügige Eingriffe, wie Auflösen der rothen Blutkörperchen, Gegenwart geringer Mengen von Alkohol die Dissociationscurve wesentlich verändern, erscheint der Gedanke an individuelle Abweichungen nahe liegend. Auch die Befunde von Bohr legen die Annahme solcher physiologischer Unterschiede nahe. Es erscheint uns wenig wahrscheinlich, dass sich die enormen Differenzen in der Sauer- stoffeapacität des Hämoglobins, welche Bohr gefunden hat, allein aus Zer- setzungen, die das Blut nach dem Aderlass erlitten hätte, erklären lassen, in der Art, wie Hüfner dies versucht hat. — Als Stütze für die Anschauung, dass die Dissociationscurve der Sauer- stoffverbindung des normalen Blutes individuell verschieden ist, können wir noch eine grosse Anzahl von Versuchen mit menschlichem Blute anführen, welche der eine von uns (L.) in der folgenden Arbeit mit- theilen wird. Trotz dieser Bedenken gegen die strenge Vergleichbarkeit aller unserer Versuche unter einander erscheint es zur Örientirung über das durch- schnittliche Verhalten wohl gerechtfertigt, unsere sämmtlichen Bestimmungen nach wachsendem Partiardruck des Sauerstoffs in Gruppen zu ordnen und für jede Gruppe die mittlere Grösse der Dissociation zu berechnen. Wenn wir auch die abweichenden Werthe mit Ausnahme des ganz aus der Reihe fallenden ersten Werthes von Versuch 2 zur Mittelung be- nutzen, erhalten wir die in Tabelle V verzeichneten Mittelwerthe. Im Hinblick auf die absolut niedrigen und dabei recht unsicheren Werthe des Absorptionscoefficienten des Sauerstoffs für Blut haben wir bei den vorstehenden Berechnungen keinen Abzug für den absorbirten Sauer- stoff gemacht. Um die Grösse des hierdurch bedingten Fehlers zu kenn- zeichnen, haben wir die Versuche nochmals berechnet unter der Annahme, ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 181 Tabelle V. Zah \ Sauerstoffgehalt des Schüttelgases sn | Nor sreung Ver. in Procenten des O in mm | des Blutes suche | Minimum | Maximum | Mitte | Quecksilber || in Procenten 4 BE |, 2.9 2-56 18-17 43-73 8 SEN Wa.es 3.39 24-07 57-88 8 4-07 5-51 4-73 33-58 62-29 I ıl Demgegenüber berechnet sich für das lackfarbene Blut aus Versuch 15 und 18 2-47 a | han 3:25 oe 465 23-10 33-05 73-41 91-27 dass das Blut ebensoviel Sauerstoff absorbire, wie Wasser, dass also bei 38° der Absorptionscoöfficient 0-0248 gelte; dann ergeben sich statt der vor- stehenden folgende Werthe. Tabelle VI. Partiardruck des er: . , O-Sättigung des Hämo- | Grösse der Correcetur Sauerstoffes \ globins im Blute p i mm | Procent Tosen | L - - x 2. Sell | En | ot | Deckfarbenes 24-07 | 58-74 + 0-86 Blut 33-58 63:24 + 0:95 23-10 74-84 + 1-48 | Lack farbenes 33-05 93.43 + 2-16 J Blut Vorstehende Mittelwerthe der zu den verschiedenen Sauerstoffspannungen gehörigen Sättigungen des Hämoglobins kommen den entsprechenden Werthen von Paul Bert nahe; letztere sind in der nachfolgenden Abhandlung von Loewy mit den Befunden am Menschen und unseren vorstehenden am Hunde, sowie mit Hüfner’s älteren und neueren Werthen in Diagramm III zusammengestellt. Von den vorstehenden Werthen für lackfarbenes Blut stimmt der erste (73-41 bezw. 74-84 Procent Sättigung bei 23-1 "") Partiardruck recht gut mit Hüfner’s! neueren Zahlen, der bei 20°” Druck 68-8 Procent, bei 25 Druck 73.3 Procent Sättigung fand. Unser zweiter allerdings nur auf einer ! Hüfner, Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 212. 182 A. LoEwY un N. ZuNtzz: Bestimmung beruhender Werth giebt dagegen eine erheblich geringere Dissoeiation als Hüfner bei entsprechendem Drucke fand. Hier sei noch daran erinnert, dass Hoppe-Seyler! die Unterschiede zwischen freiem und in den Blutkörperchen enthaltenem Hämoglobin aus- führlich besprochen und speciell hervorgehoben hat, dass letzteres seinen Sauerstoff in der Pumpe viel leichter abgebe, als das krystallisirte; er nimmt an, in den Blutzellen bestehe eine Verbindung des Hämoglobins mit Leeithin. B. Die Sauerstoffwanderung aus den Lungenalveolen in’s Blut. Bei der Erörterung der Sauerstoffwanderung aus den Alveolen in’s Blut, die der Eine von uns in Hermann’s Handbuch der Physiologie’, der Andere in seiner Monographie: Ueber Respiration und Circulation u. s. w.’ gegeben hat, nahmen wir an, dass sehr geringe Spannungsdifferenzen ge- nügen, um die grössten in Betracht kommenden Sauerstoffimengen in das Blut zu befördern. Wir stützten uns bei dieser Annahme auf die Aus- führungen Pflüger’s‘, in denen dargelegt ist, dass die in das Lungenblut eintretende Sauerstoffmenge bis zur erfolgten Sättigung des Hämoglobins der Differenz der Sauerstoffspannungen in Blut und Alveolen proportional sein muss. Die zur Bewegung einer bestimmten Sauerstoffmenge nöthige Spannungsdifferenz berechnete Zuntz aus Exner’s Versuchen an Seifen- blasen und einer Schätzung der Grösse der inneren Lungenoberfläche zu 90m auf 0.3=m für den Bedarf des ruhenden Menschen. Die Grund- lagen dieser Rechnung waren folgende: Exner fand, dass durch seine Seifenlamellen in einer Minute beim Druck einer Atmosphäre 0.38” 0 pro Quadratcentimeter hindurch diffundiren. Durch die 90 @® grosse Lungen- oberfläche würden also 720 Liter pro Minute hindurchwandern. Der Bedarf des ruhenden Menschen ist etwa 240° pro Minute, d.i. !/s,0. dieser Menge. Es genügt also "/,,., von 760mm, also weniger als 0.3==, um die für Körperruhe nöthige Sauerstoffmenge in’s Blut zu schaffen. Bei Körperarbeit steigt der Bedarf auf das Vier- bis Fünffache. Auch jetzt noch müsste also eine Spannungsdifferenz von etwa 1-5 =” dem Bedürfniss genügen. Ganz in Uebereinstimmung mit dieser Betrachtung fand Loewy in seinen oben eitirten Versuchen in verdünnter Luft, dass der ruhende und der arbeitende Mensch annähernd bei derselben Grenze ! Hoppe-Seyler, Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. XIII. S. 477 ? Zuntz, Handbuch der Physiologie. Bd. IV, 2. 8. 90. ® Loewy, Ueber Bespiration u. s. w. Berlin 1895. * Pflüger’s Archw. Bd.VI. 8.41. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 183 der Luftverdünnung existiren können. Hierbei wird der Mehrbedarf an Sauerstoff durch eine entsprechende Steigerung der Lungenventilation ge- deckt bezw. derart übercompensirt, dass die alveolare Sauerstoffspannung bei Arbeit noch ein wenig höher liest als in der Ruhe. Wir glaubten deshalb, dass die Grenze der erträglichen Luftverdünnung nicht durch Unzureichendwerden der Triebkraft für den eintretenden Sauer- stoff, sondern durch die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins be- stimmt sei. Aus den Versuchen Paul Bert’s, Wolffberg’s und Strass- burg’s folgerten wir, dass bei der Alveolarspannung des Sauerstoffes von etwa 30m Hg, bei welcher die Symptome des Sauerstoffmangels beginnen, das Blut nur noch zu etwa 60 Procent mit Sauerstoff gesättigt sei. Die Er- gebnisse der in Abschnitt A mitgetheilten Versuche bestätigen die Richtig- keit dieser Folgerungen, indem sie zeigen, dass die Dissociationsspannung des intacten Blutes wesentlich höher liegt als die der von Hüfner unter- suchten Blutfarbstofflösungen. Die individuellen Differenzen im Ertragen von Luftverdünnungen waren bei unserer Auffassung durch die Verschieden- heiten der Athemmechanik und durch die verschiedene Menge des in der Zeiteinheit die Lunge passirenden Hämoglobins befriedigend erklärt. Hüfner konnte diese Anschauung nicht annehmen, weil er eine viel geringere Dissociation des Sauerstoffhämoglobins gefunden hatte Nach seinen älteren Bestimmungen! wäre das Hämoglobin noch bei einem Partial- druck des Sauerstoffs von 25 "m zu 91.2 Procent mit Sauerstoff gesättigt, und selbst bei 10 =® noch zu 80-6 Procent. Nach dem Erscheinen der vorläufigen Mittheilung des Einen von uns hat, wie erwähnt, Hüfner neue Versuche mitgetheilt?, in denen er erheb- lich höhere Dissociationswerthe gefunden hat und jetzt auch den niedrigeren Sauerstoffgehalt der Alveolenluft gegenüber der eingeathmeten Luft in Rechnung stellt. Er berechnet jetzt für eine Sättigung zu 90-5 Procent eine Spannung des Sauerstoffs in der eingeathmeten Luft von 124.1", der 86.96" Spannung in der Lungenluft entsprechen sollen. Bei der Berechnung des Sauerstoffdruckes in den Lungen. nimmt Hüfner an, dass die Alveolarluft bei allen Luftverdünnungen 16 Procent Sauerstoff enthalte. Diese Annahme wäre nur dann berechtigt, wenn die Lungenventilation genau entsprechend der Abnahme des Luftdruckes wüchse. Dass dies nicht der Fall ist, hat schon Mosso in seiner Arbeit über die Luxusathmung®? erwiesen, In grösserem Umfange finden sich die Belege ! Hüfner, Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. ? Derselbe, Abenda. 1901. S. 187. ® Mosso, Ebenda. 1886. Suppl. 8. 37. 134 A. Loewy un N. Zunzz: hierfür bei Loewy.! Das Minus an Sauerstoff gegenüber der eingeathmeten Luft betrug in der einen Versuchsreihe bei 750 "m Bar. : 5-39 Procent bei HS0 0 26.520 2) 435 ” ” Ol ” „80000, 279.48 5 Nicht ganz so deutlich wie bei diesen Versuchen im pneumatischen Cabinet tritt dieselbe Thatsache bei unseren Versuchen im Hochgebirge hervor. Hier wird durch die klimatischen Reize die Athmung mehr als im pneumatischen Cabinet angeregt, die Ventilationsgrösse gesteigert. Dennoch ist auch hier die Verarmung der Exspirationsluft an Sauerstoff noch erheb- lich stärker als bei normalem Luftdruck. Beispielsweise ergaben drei Ver- suche an Zuntz (noch nicht publieirt) in Berlin in der Exspirationsluft: 16.29 Procent, 16-43 Procent, 16.43 Procent Sauerstoff. Auf dem Monte Rosa bei 440 "" Barometerdruck enthielt die exspirirte Luft nur: 15-05 Pro- cent, 14-72 Procent, 14.91 Procent O. Dasselbe ergiebt sich aus den Ver- suchen von Schumburg-Zuntz, den Gebrüden Loewy und Leo Zuntz.? Schon durch diese 'Thhatsache erfährt die Berechnung Hüfner’s eine erhebliche Berichtigung. Wenn wir dann weiter in Betracht ziehen, dass die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins im intacten Blute noch sehr viel höher ist, als er sie in seinen neuen Versuchen gefunden hat, sehen wir deutlich, dass der Bedarf des Körpers an Sauerstoff unmöglich gedeckt werden könnte, wenn die Durchgängigkeit des Lungengewebes so gering wäre, wie Hüfner annimmt. Andererseits müssen wir zugeben, dass unsere obigen Betrachtungen, wonach nur eine Spannungsdifferenz von 0-3" erforderlich wäre, in zwei Punkten ungenügend gestützt ist. Die Annahme, dass die Seifenlamellen Exner’s und die Dicke der die Blutkörperchen von der freien Oberfläche der Alveolen trennenden Schicht gleicher Ordnung seien, ist unbewiesen. Ferner ist es fraglich, ob nicht das Lungengewebe, welches neben Wasser erhebliche Mengen fester Bestandtheile enthält, der Gasdiffusion bedeutend grössere Widerstände entgegensetzt als eine gleich dicke Schicht von Seifen- lösung. Hüfner behauptet, dass letzteres der Fall sei. Er hat neue Untersuchungen über die Wanderung von Gasen durch feuchte Lamellen gemacht, wobei er theils die Versuchsanordnung von Stefan? benutzte, theils ein neues sinnreiches Verfahren anwandte, darin ! Loewy, Die kespiration und Circulation u.s. w. Berlin 1895. S. 47. ? Schumburg und Zuntz, Pflüger’s Archiv. Bd. LXII. 8.461. — A. Loewy, J. Loewy, Leo Auntz, Pbenda. Bd. LXVI. S. 477. ® Stefan, Wiener Sitzungsberichte. 1878. Bd. LXXVIl. 8. 371. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 185 bestehend, dass er zwei Gasmassen durch eine Platte von Hydrophan trennte, dessen Poren mit Wasser gefüllt waren, und dessen Oberfläche mit einer Wasserschichte bedeckt war." Hierbei fand er, dass die Hydrophan- platte der Gasbewegung einen ebenso grossen Widerstand entgegensetzte, wie eine 20 bis 24 Mal so dicke Wasserschicht. Er erklärt dies gewiss richtig daraus, dass der feste Theil des Minerals für Gase überhaupt un- durchlässig ist, die wassergefüllten Spalten aber nur einen kleinen Theil des Querschnitts bilden und ausserdem weit entfernt sind, geradlinig die Platte zu durchsetzen. Er meint nun, dass in der Lungenwand dieselben Verhältnisse vor- liegen, dass auch hier die festen Bestandtheile die Diffusionsbewegung we- entlich hemmen, und zwar schätzungsweise so stark, dass die 0.004 m dicke Schicht zwischen Blut und Alveolarluft denselben Widerstand böte, wie eine zehnmal so starke Wasserschicht. Unter dieser Voraussetzung be- rechnet er, dass pro Minute durch eine Triebkraft von 110m Hg 724 m O in’s Blut übertreten. Er legt dieser Rechnung zu Grunde den von ihm gefundenen Diffusionscoöfficienten X = 1.62 pro Tag bei 16°, ent- sprechend 1.68” bei 37°, und den Absorptionscoefficienten des Sauer- stoffs bei Körpertemperatur gleich 0-0245 und macht die Annahme, dass die Lungenoberfläche des Menschen 70 @" messe. Bei der wahrscheinlicheren Annahme, dass die Lungenoberfläche doppelt so gross sei, würden 1445 übertreten können, d. h. eine Menge, wie sie bei angestrengter Muskelarbeit nöthig ist. Solche Arbeit würde darnach schon bei geringer Verminderung der Triebkraft unmöglich werden müssen. Vollends ungenügend aber muss unter den von Hüfner angenommenen Bedingungen die Triebkraft er- scheinen, wenn wir noch in Betracht ziehen, dass im normalen Venenblut eine Spannung von über 30" besteht, sodass als Triebkraft weniger als 110 — 30 = 80 “® übrig bleibt, welche Grösse in dem Maasse wie das Blut mit Sauerstoff sich belädt, weiter absinkt. Denken wir nun noch daran, dass normale Menschen bis zu 3000" Höhe, wobei der Partiardruck des Sauerstoffs in den Lungen auf 65 bis 70mm, die Triebkraft also wegen der Spannung des venösen Blutes noch erheblich tiefer sinkt, noch mit ungeschwächter Kraft arbeiten, also dieselbe Sauerstoffmenge aufnehmen können, so erscheint es dringlich nöthig, die Grundlagen der Berechnung Hüfner’s einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Am bedenklichsten erschien uns in Hüfner’s Rechnung die Annahme, dass die Alveolarwand einen zehnmal grösseren Widerstand dem Sauerstoff- ! Hüfner, Wiedemann’s Annalen. 1897. Bd. LX; Zeitschrift für physikalische Chemie. Bd. XXVIl. S.227 und Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. 8. 112. 156 A. LoEwY un N. Zuntz: durchtritt biete als eine gleichdicke Wasserschicht. Es erscheint möglich, diese Annahme zu prüfen, indem man an Stelle der von Hüfner gewählten Hydrophanplatten das Lungengewebe selbst zur Messung der Gasdiffusion benutzt. > Diffusionsversuche an Froschlungen. Als geeignetes und bequem zugängliches Material wählten wir die Froschlunge, welche der Eine von uns schon früher zu einem Vorlesungs- versuch zur Demonstration der Diffusionsgeschwindigkeit der Kohlensäure em- pfohlen hatte.! Die Diffusion des Sauerstoffs durch sie hindurch direct zu messen, erschien freilich bei der Langsamkeit, mit der dieses Gas vermöge seines niedrigen Absorptionscoefficienten durch wässerige Scheidewände diffundirt, nicht angebracht. Wir durften uns, wenn wir ein anderes, rascher diffundirendes Gas wählten, auf die genügend sichergestellten ge- setzmässigen Beziehungen zwischen Diffusionsgeschwindigkeit, specifischem Gewicht und Absorption der Gase in Wasser stützen. Bekanntlich ist, wie Hüfxier auf’s Neue bestätigt hat, die Diffusion eines Gases durch eine Flüssigkeit dem Absorptionscoffieient in eben dieser Flüssigkeit direct und der Quadratwurzel des specifischen Gewichts des Gases umgekehrt proportional. Es genügt also die Diffusionsgeschwindigkeit irgend eines Gases durch den directen Versuch zu bestimmen, um daraus die der übrigen berechnen zu können. Als schnell diffundirendes Gas wählten wir die Kohlensäure; in einigen Versuchen auch aus später zu besprechenden Gründen das Stick- oxydılgas. Die Versuchsanordnung gestaltete sich sehr einfach. Eine Froschlunge (A) wurde auf eine passende Glascanüle aufgebunden, und diese an dem in Fig. 4 abgebildeten Röhrensystem befestigt. Mit Hilfe der Spritze ($) wird die Lunge zunächst entleert, dann ein Kohlensöurestrom von C aus nach D getrieben, bis die Leitung von Luft befreit ist. Dann wird durch öfteres Heben und Senken des Spritzenstempels bei fortdauerndem Kohlensäurestrom die Lunge wiederholt mit Kohlensäure durchspült. Endlich wird nach Schliessen der Klemmen a und 5 und Oeffnung der Klemme c die zuvor ganz entleerte Lunge aus der graduirten Spritze mit einer gemessenen Menge Kohlensäure gefüllt. Man bemerkt als- bald eine Abnahme des Volums der Lunge, da etwa 30 Mal soviel Kohlensäure heraus- als atmosphärische Luft hineindiffundirt. Gewöhnlich nach einer Mi- ! N. Zuntz, Ueber die Kräfte, welche den{respiratorischen Gasaustausch in den Lungen und in den Geweben des Körpers vermitteln. Pflüger’s Archiv. Bd. XL. 8. 408 (vgl. speciell 8. 411). ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 187 nute wird der Versuch dadurch beendet, dass das in der Lunge enthaltene Gas in die Spritze zurückgesaugt und hier gemessen wird. Man kann an derselben Lunge viele Versuche hinter einander ausführen, wobei die pro Minute herausdiffundirende Kohlensäuremenge immer nahezu die gleiche ist. Nach einigen Kohlensäureversuchen überzeugt man sich durch Füllung der Lunge mit Luft davon, dass sie unverletzt ist, d. h. dass die Füllung nach einer Minute noch dieselbe ist. Nach Beendigung der Versuche wurde die Lunge in der Regel mit einer 10 procentigen Formalinlösung ebenso stark wie vorher mit dem Gas aufgebläht und in eine ebensolche Formalinlösung behufs Härtung versenkt. Nach 24 Stunden konnte man sie zerschneiden, ohne dass eine merkliche Contraction eintrat und die Dicke der Wand mikroskopisch messen. Dies wurde theils so ausgeführt, dass ein grösseres Stück Wand auf einem Object- träger mit Nadeln ohne Zerrung befestigt wurde. Man stellte dann bei etwa 100 facher Vergrösserung erst auf die eine, dann auf die andere Ober- fläche der Lunge ein und berechnete aus der Drehung der Mikrometer- schraube die Dicke der Schicht. Zur Controle der Theilung an der Mikro- meterschraube dienten Höhenmessungen an der Thoma-Zeiss’schen Zähl- kammer für Blutkörperchen, indem erst auf die Theilung am Boden der Kammer dann auf einen an der unteren Fläche des Deckglases angebrachten Diamantstrich eingestellt wurde. Da die Froschlunge in der Nähe der Septa dicker ist, dazwischen dünner, muss aus zahlreichen solchen Messungen das Mittel genommen werden. 188 A. LoEwy un N. Zuntzz: Andere Lungen wurden nach derselben Vorbereitung entwässert und Stücke in Paraffin eingebettet, senkrecht auf die Wand geschnitten und die Entfernung der inneren und äusseren Lungenoberfläche an den Schnitten mit Hilfe des Ocularmikrometers gemessen. — In einigen Fällen wurde statt der Formalinfüllung eine mit 30° warmer Gelatinelösung vorgenommen, wiederum genau entsprechend dem Mittel der Gasfüllungen am Anfan« und am Ende jedes Diffusionsversuches mit Kohlensäure; die gefüllte Lunge wurde in 30° warme Gelatinelösung eingetaucht und erstarren gelassen. Nach 24 Stunden wurden geeignete Schnitte verfertigt und ähnlich wie die Formalin- schnitte gemessen. Die Herstellung der Mikrotomschnitte und die Einbettung der Lungen hat Herr Privatdocent Dr. Pick besorgt. Wir möchten ihm auch an dieser Steile unseren Dank für seine Hülfe aussprechen. Wir wollen nunmehr einige Versuche mit den gewonnenen Ergebnissen genauer beschreiben, zugleich als Beispiel für die Berechnung. Versuch vom 4. April 1903. Die linke Lunge eines Frosches wird in der beschriebenen Weise auf eine Canüle aufgebunden und diese mit dem die Spritze tragenden Schlauch- system verbunden. Die Lunge hängt frei schwebend senkrecht herab und wird alle paar Minuten in eine Schale mit physiologischer Kochsalzlösung getaucht, um Eintrocknung zu verhüten. Die fünf ersten Aufblähungen mit Kohlensäure ergaben folgende Werte: Anfangsfüllung Endfüllung Volumabnahme 1; 4.45 m 2.40% m 2.05% m 2. 4.30 2.20 2.10 3. 4-30 2.30 2.00 4. 4-55 2-00 2-55 5. 4.55 2.50 2-05 Mittel 4-43 2.28 2.15 Füllung mit Luft 6. 4-05 4-05 0 7. 4.05 4.60 0.05 Die mittlere Füllungder mit Kohlensäure geblähten Lunge betrug also 4:48 3 dm, Die Form der Lunge näherte sich hinreichend der Kugelgestalt, um die Oberfläche aus dem Inhalt nach der Kugelformel berechnen zu können. Also: rn —u. Sol. Hieraus r = 0-928°%, und die Ober- fläche= Ar? r = 11-304, Der Ueberschuss der durch diese Oberfläche austretenden Kohlensäure über die hineindiffundirende Luft betrug, wie oben angegeben, 2.15; also 30 = 0.190 ® pro Quadratcentimeter Oberfläche. ' ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 189 Für die weitere Rechnung wollen wir die von Hüfner! angegebenen Diffusionscoefficienten für Stickstoff, Kohlensäure und Sauerstoff benutzen. Die Diffusionsgeschwindigkeit von Gasen durch Wasser ist nach Exner’s Versuchen gleich dem Product aus dem Absorptionscoöfficienten der be- treffenden Gase für Wasser und einer Constanten (X), die in erster An- näherung der Quadratwurzel aus den specifischen Gewichten umgekehrt proportional sich verhält. Für diese Constante X giebt Hüfner auf Grund des vorliegenden experimentellen Materiales folgende Zahlen, wobei als Zeit- einheit der Tag, als Längeneinheit der zu durchwandernden Flüssigkeit 1 genommen ist. Für Kohlensäure: X=1 „ Sauerstoff: K=1-.62 „ Stickstoff: NO || „ Stiekoxydull: X= 1-35 Die vorstehenden Werthe von Ä gelten für 16° und wachsen mit steigender Temperatur der Quadratwurzel der absoluten Temperatur ent- sprechend. Die Temperatur war bei unseren Versuchen 18° C. Hierbei ist X in der zweiten Decimale gegenüber X bei 16° noch nicht geändert. Aus diesen Daten lässt sich das Verhältniss der Diflusionsgeschwindig- keit für Kohlensäure einerseits, für atmosphärische Luft andererseits berechnen. Der Absorptionscoefficient des Sauerstoffs ist bei 13° im Mittel der Bestimmungen von Dittmar, Bohr und Bock und von Winkler = 0-0325, also der Diffusionscoöfficient = 0-0325 x 1-62 = 0.052653. Für Stickstoff ist der Absorptionscoefficient = 0-0165, der Diffusions- coöfficient also = 0-0165 X 1-73 = 0-0285. Da die Luft zu */, aus Stickstoff zu !/, aus Sauerstoff besteht, ist ihr N EL. 4 x 0-0285 + 1 x 0-05265 Diffusionscoöfficient: x = — 00-0334. Für Kohlensäure beträgt der Absorptionscoöfficient bei 18% = 0.952, der Diffusionscoöfficient also: 0.932 x 1-38 = 1.286. Während also in der einen Richtung 1.286 Volumina Kohlensäure die Lungenwand passiren, gehen in der entgegengesetzten Richtung 0.0334" Luft hindurch, sodass eine wirkliche Volumabnahme der Lunge um 1-2528 stattfindet.? ı Hüfner, Annalen der Physik und Chemie. Bd. LX. 8. 168. 2 Wir haben hierbei die geringe Aenderung, die die Partiarspannung der Kohlen- säure während des Versuches durch die hinein diffundirende Luft erleidet, und welche 3-34 x 2-15 Tossa 2-5 Procent, also für den Durchschnitt bis zum Schluss des Versuches 190 | A. LoEwyY un N. Zuntz: An Sauerstoff würde unter den gleichen Bedingungen 0-05265 Volumina,.hindurchgehen. Nun betrug in unserem Versuch die Volumab- nahme des Lungengases in einer Minute 0.190 «= pro Quadratcentimeter Oberfläche. Die Sauerstofimenge, die den Quadratcentimeter dieser Lungen. wand bei einer Druckdifferenz von 760 "m passiren würde, berechnet sich hieraus nach folgender Proportion: 1-.2528:0-.05265 = 0-19: x z = 0-00798 em = 7.98 mm 0) pro Quadratcentimeter Oberfläche. Für die Körpertemperatur von 37° wird die Constante X grösser im Verhältniss von V273 + 37:V273 + 16, d. h. sie wächst von 1-62 auf 1.678. — Gleichzeitig aber sinkt der Absorptionscoöffieient des Sauerstoffs im Wasser auf 0.0239. Das Product beider Werthe, d. h. der Diffusions- coöfficient bei 37° wird = 0.0401. — Dementsprechend geht bei der Körper- temperatur des Warmblüters durch den Quadratcentimeter der Froschlunge: 1:98 x 0-0401 _ 6 ,089cmm, 0-05265 Um die Resultate auf die menschliche Lunge übertragen zu können, müssen wir den Weg, den der Sauerstoff in letzterer von der Alveolen- oberfläche in das Capillarblut zurückzulegen hat, mit dem Weg durch die Froschlunge vergleichen. Die Messung der Wanddicke dieser Froschlunge an Gefrierschnitten nach vorgängiger Formalinhärtung ergab im Mittel den Werth von 0- 1411 mm (Minimum 116-2, Maximum 166-1u). Zum Vergleich wurden Messungen der Alveolarsepta einer normalen in gleicher Weise mit Formalin gehärteten menschlichen Lunge, deren Capillaren normalen Blutgehalt zeigten, ausge- führt. Es wurde eine mittlere Wanddicke von 10-74 (Minimum 7-4u, Maximum 14-8u) gefunden. Da ein solches Septum von zwei Seiten mit der ;Alveolarluft in Berührung steht, hat der Sauerstoff höchstens einen Weg von 5-35u, entsprechend der halben Wanddicke, zurückzulegen, im Mittel aber nur die Hälfte dieses Weges = 2-7u. Grösser ist: der Weg nur bei jenen Capillaren, welche dem Boden der Alveolen angehören; hier ist in Maximo die ganze Dicke der Wand also ein Weg von 10-7 u, im Mittel ein solcher von 5-4 u zurückzulegen. Da bei Weitem die Mehrzahl aller Capillaren den Alveolarseptis angehört, können wir die von Hüfner! angenommene mittlere Weglänge von 0.004 mm als zutreffend, vielleicht schon etwas zu gross annehmen. Da die diffundirende Gasmenge dem Wege umgekehrt proportional der Versuchszeit 1-25 Procent beträgt, vernachlässigt. Wir dürfen dies, weil diese Vernachlässigung in die Fehlergrenzen fällt und weil sie zum Nachtheil für die von uns aus unseren Versuchen gezogenen Schlussfolgerungen ausfällt. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 191 ist, so würden aus einer reinen Sauerstoffatmosphäre bei 37°C. pro Quadrat- centimeter Oberfläche aufgenommen werden können: 6-08 x 0-1411 _ N Alan Für die ganze Lunge, wenn wir ihr mit Hüfner eine Oberfläche von 140 @@ zuschreiben, würde sich ergeben eine Sauerstoffaufnahme in die Lungencapillaren von 214-5 - 140 - 10 000 mm = 299.6 Liter. Da der Bedarf des ruhenden Menschen etwa !/, Liter beträgt, würde zu seiner Deckung schon als Triebkraft eine Spannungsdifferenz des Sauer- stoffes von: 299 6x4 0.63 genügen. Aehnliche Resultate ergaben unsere übrigen Diffusionsversuche, aus denen noch folgende angeführt sein mögen. Versuch vom 20. März 1903. Mittlere Füllung aus 10 Messungen = 4-1°% entsprechend einer Ober- fläche von 12.39 aem, pro Minute betrug die Volumabnahme = 2-1°°®. Die Lunge lag mit einem auf 2.44 geschätzten Theil ihrer Oberfläche der hinteren Leibeswand des Frosches auf, es kamen also nur 104” für die Diffusion in Betracht. Dieselbe Berechnung wie vorstehend ergiebt, dass pro 14m Oberfläche unter 760”® Druck bei 37° C. 6.722” O hindurch- treten würden. Die Messungen der Wanddicke mit Hülfe der, Mikrometerschraube er- gaben im Mittel von 19 Messungen 10794 (Minimum 77.4, Maximum 146-2u). Nehmen wir wieder für den mittleren Weg des Sauerstoffis in der menschlichen Lunge 4u an, so würde bei 760== Druck durch 14 hindurchgehen: 6.722 z 107-9 ae 181: Zcmm gegen 214-5 mn beim vorherigen Versuch. Als Triebkraft für einen Bedarf von 250m ergiebt dies 0-7d "m, Weitere Versuche, die wir nachher mittheilen wollen, weil sie zugleich zur Lösung anderer hier sich aufdrängender Fragen dienen sollten, führten zu ähnlichen Resultaten. — Hüfner! hatte berechnet, dass bei einer Triebkraft von 110” pro Minute 1448°®m die Lungen passiren würden, dass also für 250°” eine Triebkraft von etwa 18wm erforderlich wäre, d. h. eine mehr als zwanzig- mal grössere als wir aus der Diffusion durch die Froschlunge berechnet 1 Hüfner, Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. S. 127. 192 A. LoEwy un N. Zuntz: haben. Bei seiner Rechnung macht Hüfner die Annahme, dass die Lungenwand einen zehnmal grösseren Widerstand der Gasdiffusion entgegen- setze als eine gleichdieke Schicht reinen Wassers. Nach unseren Ver- suchen müsste der Widerstand der Lungenwand im Gegentheil um ein Er- hebliches geringer sein als der des Wassers. Das erscheint höchst überraschend. Wir mussten uns daher die Frage vorlegen, ob nicht die Schlüsse, die wir aus unseren Lungendiffusionsver- suchen gezogen haben, irgendwie angreifbar seien. Hier erschien nns zu- nächst die alkalische Reaction des Lungengewebes als ein Moment, welches möglicher Weise die Diffusion der Kohlensäure begünstigen und daher einen directen Schluss aus ihr auf die Diffusionsgeschwindigkeit des Sauerstofis unzulässig machen könne. In einer alkalischen Flüssigkeit betheiligt sich neben der physikalisch absorbirten Kohlensäure auch das Alkalibicarbonat an der Diffusion und indem es an der kohlensäurefreien Oberfläche dissocürt, dürfte es die Menge der hier abgegebenen Kohlensäure vermehren. Wir haben in der Literatur keine Angaben über den Einfluss der Alkales- cenz der Lösung auf die Kohlensäurediffusion gefunden und deshalb den Gegenstand selbst untersucht. Diffusionsversuche in Glascapillaren. Wir bedienten uns dabei der von Stefan angegebenen Methode, reine Kohlensäure in einer Capillare durch eine kleine Säule der zu untersuchenden Flüssigkeit abzusperren und die durch die Diffusion bedingte Wanderung des Flüssigkeitsfadens zu messen. Damit alle anderen Versuchsbedingungen direct vergleichbar seien, machten wir Parallelversuche mit destillirtem Wasser und der zu prüfenden alkalischen Flüssigkeit. Zwei Capillarröhren von 1" Jiehtem Durchmesser und 300 == Länge waren in halbe Millimeter getheilt und an einem Ende durch einen Glashahn verschliessbar. Der Nullpunkt der Theilung lag am Glashahn. Wir leiteten durch die Röhre längere Zeit einen Strom reiner Kohlensäure, während das freie Ende in die zur Sperrung bestimmte Flüssigkeit eintauchte. Dann wurden die Hähne geschlossen, und während das freie Ende noch in die Flüssigkeit tauchte, durch Erwärmen ein wenig Gas ausgetrieben. Sobald beim Abkühlen ein Flüssigkeitsfaden von etwa 8 bis 10 “= Länge in die Röhre eingetreten war, wurde sie aus der Flüssigkeit entfernt. Beide Röhren kamen dann mit dem durch den Flüssiekeitsfaden gesperrten Ende nach oben in einen gut verschlossenen Glascylinder, auf dessen Boden sich eine Schicht von sehr dünner Kalilauge befand. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 193 So war die Verdunstung verhütet und zugleich gesorgt, dass sich über der sperrenden Flüssigkeit stets kohlensäurefreie Luft befand. Der Sicher- heit wegen wurde das untere Ende der Capillare bis über den Hahn mit Quecksilber gefüllt. Im Glasgefäss befand sich zugleich ein Thermometer, das wiederholt täglich abgelesen wurde. Alle 24 Stunden, zuweilen öfter, wurde der Stand der Sperrflüssigkeit in der Capillare abgelesen. Um Fehler durch etwaige Unregelmässigkeit der Röhre auszuschalten, wurde in dem einen Versuche die Bicarbonatlösung im Rohr a, das Wasser im Rohr 5 verwendet, im zweiten umgekehrt. Die Resultate zeigt Tabelle VIl. Die Zahlen bedürfen wohl kaum eines Commentares, sowohl jede einzelne Ablesung, als auch die Mittelwerthe zeigen, dass die Diffusion durch die Bicarbonatlösung erheblich schneller erfolgt, als durch destillirtes Wasser. Andererseits zeigen die Zahlen, dass selbst bei einer Lösung, die wenigstens 10 Mal mehr Alkali enthält als das Blut, die Beschleunigung der Kohlensäure- diffusion sich in mässigen Grenzen hält, indem der Zuwachs im ersten Versuch 44 Procent, im zweiten 73 Procent der durch reines Wasser diffun- direnden Gasmenge beträgt. Die sehr viel ‘schnellere Diffusion der Kohlensäure durch die Lungen im Vergleich zu einer gleich dicken Wasserschicht lässt sich also nicht durch die Alkalescenz des Lungengewebes erklären. Die Zuverlässigkeit der in der Tabelle zusammengestellten Diffusions- versuche lässt sich beurtheilen, wenn man deren Ergebnisse mit den theo- retischen Werthen vergleicht. Auf den ersten Blick erscheinen ja die Zahlen namentlich der ersten Versuchsreihe wenig übereinstimmend, indem die pro Stunde diffundirende Gasmenge bei der alkalischen Sperrflüssigkeit zwischen 0-38 und 1.48%”, bei dem reinen Wasser zwischen 0-26 und 1-08um schwankt. Der extrem hohe Werth kommt jedoch nur dem ersten Tage zu, bei dessen Anfangsablesung die Temperatur des Gases wahrschein- lich noch nicht mit der der Umgebung ausgeglichen war. — Dass trotz dieser Unregelmässigkeiten die Methode bei hinreichend langer Versuchs- dauer brauchbare, vor allem aber in den zwei Röhren gut vergleichbare Resultate liefert, zeigt zunächst der parallele Gang der Diffusion in beiden Röhren. Ausserdem aber stimmt die durch das Wasser als Sperrflüssigkeit diffundirte Gasmenge in beiden Versuchsreihen recht befriedigend mit der theoretisch geforderten überein. Im Mittel war die Temperatur während des ersten 118 Stunden dauernden Diffusionsversuches = 18-8°C., der Barometerstand = 762.71", Nach Abzug von 16-1 m W.D.Tension bleiben 746.6”®. Nach Landolt- Börnstein’s Tabellen Aufl.2 8. 259 berechnet sich der Absorptionscoefficient Archiv f. A. u. Ph. 1994. Physiol. Abthlg. 13 A. Loewy unn N. Zuntz: 194 Tabel Io UL Versuch I. Rohr 5b Sperrflüssigkeit: dest. Wasser. _ Länge des Flüssigkeitsfadens = 8-4 "m, ER en | Länge | Heraus- | Diffun- Diffundirte a Länge |Heraus-| Diffun- | Diffund. si | Baro- Länge " der |, Gfun- | dirte | Gasmenge Länge E: der „, Wtun- | dirte lusuee Tempe- : assäule| „+. = assäule +. ,, _ |pro Stunde Datum |voriger meter der reducirt dirte Gas pro Stunde der reducirt dirte Gas und 1m Ab- (006, ratur Gassäule| aufo° ; Gas- | menge | und1® |Gassäule, auf 0° | Gas- | menge | Flüssig- lead ; | u.760®% | menge |pro Stde. Flüssigkeit u. 760m | menge |pro Std. keit 5 | cm cm cm mm mm cm cm cm mm mm 20.Mai au25| 0 | 759-2 | 17-2 | 29-56 | ar. | — = = aa ea Te le OL 191), 761-6 15.9 25:40 23.63 3:61 | 1-85 1.48 26:32 24:48 2-50 1:28 1:08 220 5 911302 2.2321, 767.4 18:0 23-32 21-65 1:98 0-84 0:67 25.00 23-21 1-27 0-54 0-45 2 130 163-6 21-6 21:10 19:15 2-50 0:48 0:38 23.79 21.60 1:61 0-31 0:26 2 12615’ 2223 762.0 23:0 18.92 17-01 2-14 0.94 | 0-75 22-51 20.24 1:36 0:60 0.50 Summa | 118 _ = |) ee = = | =. |, = 6a — = Mittel — = — a — 0-87 0.69 | — = — 1.057 | 0-48 Versuch II. Rohr 5b: 4 Procent Bicarbonat 0-74 mu | Rohr a: destill. Wasser 0-91 " 25°Maio 18 0 761-7 22-7 29.09 | 26:08 — — —_ | 21.94 19:67 — —_ _ 26: „, 1223077 23%), 761.5 21-3 26-02 23-52 2:56 | 1:09 0-81 20:62 13:64 1:03 0:44 0-40 272; 10230722 1762-4 19.7 23-13 | 21-15 2-37 1:08 0:80 19-19 17:55 1:09 0.49 0-45 28. „ 1045| 241, 158-8 21-0 20:80 | 18-81 2-34 0:96 0-71 18:10 16-37 1:18 0-48 0-44 29 5. . 9n457| 23 757-7 22.2 18-57 | 16-67 2-14 0:93 0:69 17:01 15.27 1:10 0-47 0-43 3l. „ 12h 7.504, 754.2 26-3 13-33 | 11-42 5-25 1:04 0-77 14-89 12:75 2.52 0:50 0-46 Summa | 143 = = eu 14-66 — _ == = 6-92 == = Mittel — — _ _ zz.’ —; 1:025 0-76 — _ — 130.48 0-44 ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 195 der Kohlensäure bei 18-8° C. zu 0-891; Die Diffusionsconstante ist nach Hüfner 1-387. Demnach sollte durch eine Wassersäule von 1°® Länge und 1 «m Querschnitt in 24 Stunden diffundiren: 1-387 x 0-891 =1-236 Kohlensäure bei 760 "m Druck. Wir fanden pro Stunde 0.048 m, also pro Tag 1.152 m bei 746-6”, das ergiebt für 760 "m Druck 1.173 em, Der gefundene Werth musste unter dem berechneten bleiben, weil das Volum des abgesperrten Gases durch hineindiffundirende luft vergrössert wird. Wir hatten S. 189 berechnet, dass auf 1.2862 m Kohlensäure, welche sich in der einen Richtung bewegt, 00334 m Luft in entgegen- gesetzter Richtung sich bewegen. Wir haben demgemäss für eine Volumveränderung von 1.2862 — 0.0334 =1-2528 eine Kohlensäurediffusion von 1.2862°°® zu setzen. Die Diffusion der Kohlensäure beträgt also in unserem Falle: 1-173 x 1286 ne 1:2037. Endlich ist diese Zahl noch zu corrigiren dafür, dass in dem Maasse, wie die Kohlensäure eine Beimengung von Luft erfährt, der Partiardruck derselben sich erniedrigt, und entsprechend die Triebkraft für die Diffusion sich vermindert. Wir hatten gesehen, dass bei einer Abnahme des abgesperrten Gases um 1.2528 Vol. 0.0334 Vol. Luft eintreten. Während des ganzen Versuches sind ausgetreten 6-74 Vol. Gas. Ihnen entspricht ein Eintritt von 6°74 x 0:0334 Im Rohr befanden sich am Schluss des Versuches laut Tabelle noch 20-24 Vol. Es heträgt demnach die Verunreinigung mit Luft am Schlusse 0-1797 x 100 OF m alien 0.888 Procent. Für den Durchschnitt der Versuchszeit haben wir also mit einem Gemisch von 0.444 Procent Luft und 99.556 Procent Kohlensäure zu rechnen. Für reine Kohlensäure erhöht sich demnach der Werth für die Diffusion auf. 1:2037.x 100 “99-556 von 1-236. Die analoge Berechnung für Versuch II ergiebt Folgendes. Mittlere Temperatur ist 22.15°; mittlerer Barometerdruck = 759.4 minus 19.8 (W.D.Spg) = 739.6". Absorptionscoöffieient der Kohlensäure für 22.15 ist = 0.815; die Diffusionsconstante 1-394. Demnach berechnete Diffusion pro 24 Stunden durch 1 Centimeter Wassersäule = 1-156. — 1-209 — gegenüber dem nach Hüfner berechneten 13* 196 A. Loewy unn N. Zunzz: Aus den in der Tabelle vorliegenden Versuchsdaten berechnet sich genau nach obigem Muster die Diffusionsgrösse in unserem Versuche II zu: 1-116.: Also auch hier ist die Uebereinstimmung eine befriedigende und wir dürfen daraus schliessen, dass auch unsere Zahlen für die Diffusion durch die 4 procentige Bicarbonatlösung exacte sind. Wenn wir die Menge der in der Bicarbonatlösung enthaltenen disso- clablen Kohlensäure in Betracht ziehen, erscheint die Steigerung der Diffusion nicht gerade erheblich. Die Lösung enthielt laut Titrirung: 3.998 Procent Bicarbonat, also 2.094 =" Kohlensäure in 100 °®, wovon die Hälfte = 1.047 dissociabel ist = 532-48 «m in 100m der Lösung. Eine Probe der Lösung wurde bei 20-3° C. bis zur Sättigung mit einem Strome reiner CO, be- handelt und dann 5°® in der Pflüger’schen Pumpe entgast. Nach Landolt-Börnstein’s Tabellen absorbiren 100° Wasser bei 20.30 C. und 740” Partiardruck 83.9 «m 00, (0° und 760®®), Die 4 procentige Bicar- bonatlösung dürfte, wie alle Salzlösungen, einen geringeren Absorptionsco£ffi- cienten haben, so dass 5 = weniger als 4-2 °= physikalisch absorbirter CO, enthielten. Es wurde nun zunächst 40 Minuten lang bei 20-3° C. ge- pumpt, dabei lieferte die Lösung 5-66 = CO, (0° und 760"); schliesslich kamen nur noch sehr kleine Gasmengen. ‚Jetzt wurde auf 60° C. erhitzt und im Laufe von 1? 20’ eine Menge von 12.68 = CO, gewonnen. Ob- wohl die Gasentwickelung noch ziemlich lebhaft andauerte, wurde nun Säure zugesetzt und dadurch die Auspumpung beendet. Es kamen noch 38.15 m CO,. Im Ganzen enthielt also die Lösung 56.49 °® CO,, während sie nach der Titrirung 53-25 “= CO, im Zustande chemischer Bindung ent- halten musste. Der Ueberschuss: 3-24 °® CO, wäre physikalisch absorbirt. Wir hatten oben als absorbirt weniger als 4-2°® berechnet. Wenn wir bedenken, dass die Hälfte der chemisch gebundenen CO,, also 26.62 = dissociabel ist, erscheint die Vermehrung der Diffusion gering im Verhältniss zur Menge der beweglichen Kohlensäure in der Flüssigkeit. 1 Volum des mit CO, gesättigten destillirten Wassers enthält 0-84 Vol. beweglicher Kohlen- säure, 1 Vol. der gesättigten 4 procentigen Bicarbonatlösung, 5-325 Vol. in dissociabler Bindung und 0-65 Vol. physikalisch absorbirt. Dabei war die Diffusion im ersten Versuch nur von 0-48 auf 0.69, also um 44 Procent, ! Für diese Rechnung haben wir folgende nach Landolt-Börnstein’s Tabellen und Hüfner’s Daten berechneten Werthe zu Grunde gelegt: Absorptionscoäfficienten bei 22-15° für Stickstoff = 0-01546 „ Nauerstoff = 0-0303 Diffusionseoöfficient (X) für .» . . 1. na NI=1E748 O = 1:637 Hieraus Diffusion der Luft für 1°” und 24 Stunden = 00315. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 197 im zweiten von 0-44 auf 0-76, also um 73 Procent erhöht. Die bedeutende Steigerung der Diffusion in der alkalischen Lösung beim zweiten Versuch erklärt sich aus der höheren Temperatur, im Mittel 22.15° C. gegen 18-8° C. im ersten Versuch. Diese höhere Temperatur bedingt eine weitergehende Dissociation der Bicarbonatlösung und eine stärkere Be- wegung aller in der Flüssigkeit gelösten Molecüle Bei der wässerigen Lösung wird diese grössere Beweglichkeit durch das geringere Absorptions- vermögen für CO, übercompensirt, daher die Abnahme der diffundirenden Mense von 0-48 auf 0-44 entsprechend der 8.195 ausgeführten Berechnung. Weitere Diffusionsversuche an Froschlungen. So interessant die weitere Verfolgung der Diffusion von Kohlensäure in alkalischer Lösung in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur einerseits, der Concentration der Lösung andererseits, sowohl von physikalisch-chemischen wie von physiologischen Gesichtspunkten erscheint, wollen wir doch hier diese Fragen, deren weitere Bearbeitung wir uns vorbehalten, nicht weiter erörtern, da wir die vorliegende Aufgabe auf anderem Wege bequemer zur Lösung bringen konnten. Wir gingen wieder zu Diffusionsversuchen an Froschlungen über, in- dem wir die Störungen durch die Alkalescenz des Lungengewebes aus- schalteten. Das war möglich entweder durch Verwendung eines neutralen Gases von hoher Lösungsfähigkeit in Wasser, oder unter Beibehaltung der Kohlensäure durch Ansäuern der Lungen. Wir haben beide Methoden benutzt, indem wir eine Anzahl Diffusionsversuche mit Stickoxydulgas aus- führten, und indem wir mit Kohlensäureversuchen der oben beschriebenen Art solche verbanden, bei denen die Lunge durch genügend langen Aufenthalt in schwach essigsaurer physiologischer Kochsalzlösung von Alkali befreit war. Versuch vom 11. Mai 1903. Anfangsfüllung Endfüllung Volumabnahme Controlaufblasung mit Luft 1. 4.5 em 4.65 em EL 2. 4-5 4.6 - Aufblasung mit Stickoxydul 3. 4-5 3-6 0.9 | 4. 4-5 3-4 i-1 Mittleres Volum: #-015 Da 4. 3-6 0.9 Mittel 4- 3-53 0.97 Aufblasung mit Kohlensäure 6. :4-5 3-1 1-4 LE 55) 3-05 1.45 \ Mittleres Volum: 3.785 8. 4+5 3-05 1-45 Mittel 4-5 3.07 1543 198 A. Loewy un N. Zun1z: Die nicht aufgeblasene Lunge wird für 1 Minute in ganz schwach essig- saure Chlornatriumlösung gelegt. Dabei entwickelt sich eine Gasblase in der Lunge. Dann wieder Aufblasung mit Kohlensäure. Lunge hat sich ver- färbt, Blut sieht braun aus. N ne Sn u \ Mittleres Volum: 3-75 m Mittel 4.5 3.0 Er Lunge während zwei Minuten wiederholt collabirt in stärker essigsaure Na0Cl-Lösung gelegt, aufgeblasen, wieder eingelegt u. s. w. Dann Aufblasung mit Kohlensäure. 11. 45 3-05 1-45 Lunge wiederholt weiter mit Essigsäure behandelt. Mit Kohlen- säure aufgeblasen, “12. ED 3.1 1-40 Mittel 4-5 3.075 1-425 mit Stickoxydul aufgeblasen 13. 4-5 3.5 12,0 Mittleres Volum: 4.0. 12. V. Dieselbe Lunge lag über Nacht in essigsaurer Chlornatrium- lösung. Aufblasung mit Kohlensäure 14. 4-5 3-05 1-45 15. 4.5 3-05 1-45 Lunge kommt nun für 20 Minuten in isotonische Bicarbonatlösung. Kohlensäureblähung. 16. 4-5 3.0 150 17. 4.5 3-0 1-50 13. V. Dieselbe Lunge wird 24 Stunden in isotonische Sublimatlösung gelegt und mit 3.8°”% derselben Lösung aufgebläht. Eine Lamelle wird an elf Stellen mit der Mikrometerschraube gemessen. Im Mittel ergeben sich 23 Theilstriche = 23 x 4.7 u = 108 u = 0-108°" im Mittel. (Maximum 0.150, Minimum 0-085%%). h Mittleres) Volumens ldzns Mittleres Volum: 3-75. Aus vorstehenden Daten berechnen wir in der früheren Weise die Oberfläche der Lunge, die durch die Oberflächeneinheit hindurchgetretene Gasmenge und aus dieser unter Annahme der früher nach Hüfner auf- gestellten Beziehungen, die Sauerstoffdiffusion durch die Oberflächeneinheit dieser Lunge. (Siehe Tabelle VIIL) Die Versuche an dieser Lunge zeigen, dass die sauere bezw. alkalische Reaction des Lungengewebes keinen merkbaren Einfluss auf die Menge der diffundirenden Kohlensäure ausübt. Auch die Versuche mit Stickoxydul liefern Zahlen derselben Grössenordnung, wenn wir aus ihnen, ebenso wie aus der Diffusion der Kohlensäure den Werth für die diffundirende Sauer- stoffmenge berechnen. Aehnliche Werthe geben zwei weitere Stickoxydulversuche. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 199 Tabelle VII. | . & | Scheinbare | Berechnete i Nr | Benutztes | Mittlere | Oberfläche | Diffosi O-Diffusion Beschaffenheit = | 1lTusıon Füll | pro gem Gas üllung gem | nro gem ns en der Lunge 1lo N,0 4015 12-21 00794 4-525 normal ö 2. Co, 3785 11-745 0-1218 5-117 5 3. 9 3-750 , 11-673 01285 5-401 | sauer 4. 5 3:.788 | 11-750 0-1212 5.096 | stärker sauer . N,0 4-00, 12-18 0-0821 AT “ 6. CO, 3775 11-725 0:1237 5198 = 5 % 55 3750 11-673 0:1285 5-401 alkalisirt Versuch vom 7. Mai 1903. Füllung der Lunge mit Stickoxydulgas. Eingetrieben Herausgesogen Verschwunden JL, 4.65: m 3.920 em 1-45 m 2. 4-8 3-25 1-55 O8 4.95 3-30 1-65 4. 4.80 3:70 1-10 5. 4.50 3-25 1-25 Mittel 4-74 3.34 1-4 bei einer mittleren Füllung von sul 3 22 _ 4.040m Control füllungen mit Luft: 6. 4.50 4.50 0-0 7. 4:50 4.60 — Diese Lunge wird mit 4° TLeimlösung gefüllt, in flüssigen Leim gelegt, erstarren gelassen. Nach 48 Stunden eine Lamelle der Wand heraus- geschnitten auf Objectträger befestigt, der Leim abgeschmolzen mit warmer Kochsalzlösung, Messung der Wanddieke mit Mikrometerschraube. 30 Messungen ergeben im Mittel 48.6 Mikrometertheilstriche, deren jeder 4-7 u beträgt, das sind 228 u = 0:225"", Ein Stück der in Gelatine befindlichen Lunge wird in 4 procentiges Formalin eingelegt. Es misst in der Länge 25"®, in der Dieke 4-5", in der Breite 6”=. Nach 4 Tagen misst es in der Länge 24", in der Dicke 4.5um in der Breite 6.5“m, Es ist also keine messbare Schrumpfung eingetreten. — Auch ein zweites Stück zeigt nach 4 Tagen keine Ver- änderung der Maasse. 19 Messungen ergaben im Mittel 38 Mikrometertheilstriche, das sind 178-6 u = 0.179 m, Versuch Nr. 8 vom 8. Mai 1873. — Neue Froschlunge. — Stickoxydul- füllung: 200 A. LoEwY un N. Zunszz: Controllfüllungen mit Luft: Eingetrieben Herausgesogen Verschwunden IE 4.5 em 4:05 ecm BETECcM Stickoxydulfüllungen : 2. 4.0 2.80 1-20 3. 4-0 2.75 1229 4. 4.0 2.65 1.35 5. _ 2.70 — Mittel 4-0 2.125 1.275 bei einer mittleren Füllung von u 2 A ne Controlfüllung mit Luft: 6. 4.0 4.025 — Für den Versuch vom 7. Mai berechnet sich eine Oberfläche von 12.27 0m und pro Quadratcentimeter 0.1141 °® durchtretendes Gas bei 0.179 mm Wandstärke. Für den Versuch vom 8. Mai eine Oberfläche von 10.854; 0.1175°°® durchtretendes Gas pro Quadratcentimeter bei zu 134 u angenommener Wandstärke.! Eine ausführlichere Betrachtung verdient der Versuch vom 12. Juni 1903. Wir haben in ihm nochmals den Einfluss der saueren bezw. alkalischen Reaction des Lungengewebes auf den Durchtritt von Kohlensäure geprüft. Ausserdem legten wir uns die Frage vor, ob etwa bei der meist von uns benutzten lebenden Froschlunge sekretorische Thätigkeit die Bewegung der Kohlensäure beeinflusse Eigentlich war diese Möglichkeit ja schon da- durch ausgeschlossen, dass nach Ansäuern der Lunge, ja selbst nach fast 24stündigem Liegen der Lunge in ziemlich stark essigsaurer Lösung die Diffusion der Kohlensäure ganz unverändert ablief. Eine solche Secretion, wie sie von manchen Forschern angenommen wird, musste auf die Be- wegung der Köhlensäure von aussen nach innen begünstigend, also auf die bisher von uns studirte Bewegung von innen nach aussen hemmend wirken. Wir haben zur Prüfung dieser Hypothese neben der bisherigen An- ordnung noch die getroffen, dass die Lunge mit einer gemessenen Luft- menge gefüllt für eine Minute in ein Gefäss mit strömender Kohlensäure eingetaucht wurde. | Reihe I. — Lebensfrische Lunge. — CO, innen, Luft aussen, wie bisher. 2 Messungen mit gleichem Ergebniss. Eingeführt Reste: Verschwunden Dice 320 2.00 Mittlere Füllung: 4-0", ! In den Versuchen vom 8. Mai und 12. Juni wurde die Wanddicke nicht direct gemessen und dafür das Mittel aller unserer Messungen eingesetzt. Im Versuch vom 7. Mai haben wir das niedrigere Messungsresultat als das wahrscheinlich richtigere und dem, was wir beweisen wollen, ungünstigere eingesetzt. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 201 Reihe I. — Lunge mit Luft aufgebläht, in Kohlensäure getaucht. Eingeführt nach 1 Min. Zunahme a) 31 4:65 1-55 b 3-1 420 1-10 ; a } a N 3.1 1.95 1-15 Mittlere Füllung: 3-71 °". d) 3 4.20 1.70) Mittel 3-1 1.22 Reihe III. Innen Kohlensäure, aussen Luft. Hinein Rest Verschwunden ey. a 3:50 154 Re: en noyneer DI 2.35 1065 h Mittlere Füllung: 4-26, Mittel 5°% 1-675 Reihe IV. Lunge drei Minuten in Essigsäure-Chlornatrium- lösung gebracht. Braune Verfärbung. Innen Kohlensäure. Hinein Rest Abnahme De 3.55 1-45 N ’ 2 2 [ - h => 1 i1 . © ccm eo) 3.50 1.50 g Mittlere Füllung: 4.3. d) 5 DONE 3:60 Loel Mittel 5 e m 1.10 Reihe V. Lunge 9 Minuten in 0-4 procentiger Bicarbonatlösung; innen Kohlensäure. Hinein Rest Verschwunden &) He 3:65 11838) 5 Me M Rn b) Bu 9.55 1-45 } Mittlere Füllung: 4-80 °"., Mittel 5 em 1-40 Reihe VI. Lunge 6 Minuten in 4 procentiger Bicarbonatlösung; innen Kohlensäure. Hinein Rest a) 5m 3.80 120 ns ee D) Bir 3.70 1-30 | Mittlere Füllung: 4.375 °. Mittel 5 cm EINS; Reihe VII. Die alkalische Lunge mit Luft gefüllt und in Kohlen- säure getaucht. Zunahme a) 3.7 m 3:85 0:75 e 3 ka BER 1). Bealinr 3.75 0-65 N Mittlere Füllung 3-45 °. Mittel 3.1°% 0-70 Wenn wir die durchgehende Kohlensäuremenge in der früheren Weise auf den Quadratcentimeter Oberfläche berechnen, und dabei in Reihe 2 und 7 dem Umstande Rechnung tragen, dass hier die Luft im Innern der Lunge sich fortschreitend mit Kohlensäure anreichert und dadurch die Triebkraft 202 A. LoEwyY und N. Zunzz: für die Kohlensäurediffusion stetig geringer wird, erhalten wir folgende Zahlen der durch ein Quadratcentimeter bei 760 "m Druck diffandirenden Kohlensäuremenge. Diffusion pro gem Oberfläche Reihe 1. Lebende Lunge CO, innen 0.164 cm 2. h “ „ aussen 0-118 „ 3. „ 5; „. ıannen =0=2133=%, 4. angesäuerte ‚, „> es O0 5. schwach alkalisirte Lunge „, „ 0.110 „ 6. stärker „ “ 4 “ 0.100 „ N: 5 ” „ aussen 0-071 „ Dieser Versuch bietet die noch nicht von uns beobachtete Erscheinung, dass die Lunge im Laufe des Versuches zunächst weniger durchgängig wird. In Bezug auf die Richtung des Kohlensäurestromes finden wir ein Resultat, das demjenigen entgegengesetzt ist, das man hätte erhalten müssen, wenn eine active Secretion im Spiele gewesen wäre. In Reihe 2 und 7 ging vielmehr von aussen nach innen deutlich weniger Kohlensäure durch die Lungenwand als in den übrigen von innen nach aussen. Diese Erscheinung beruht wohl darauf, dass die in die Lunge ein- dringende Kohlensäure in der Nähe der Wand eine höhere Concentration hat, als im Innern, da ja die diffusive Mischung der Gase bei fehlender Luftströmung relativ langsam ist. Die Differenz des Partiardruckes der Kohlensäure aussen und innen war demnach geringer als wir in Rechnung gestellt haben. — Jedenfalls sprechen auch diese Versuche nicht im Sinne einer activen Bewegung der Kohlensäure durch das Lungen- gewebe. Die übrigen Reihen dieses Versuches bestätigen die Ergebnisse der früheren, insofern als sie zeigen, dass die alkalische bezw. sauere Reaction des Gewebes die Diffusion der Kohlensäure nicht nennenswerth ändert. Sämmtliche von uns gewonnenen Werthe stellen wir nunmehr auf 4 Dicke (= den Weg des Gases in der menschlichen Lunge) um- gerechnet zusammen. (Siehe Tabelle IX.) Gegenüber den Werthen von Tab. IX ergiebt eine gleichartige Berech- nung, dass bei 37° und 760” Druck durch eine 4«u dicke Wasser- schicht pro Quadratcentimeter und Minute hindurchgehen: 0.0696 «m O, und dass für den Durchtritt von 250 “= pro Minute durch eine 140 am grosse Wasserfläche (entsprechend der Grösse der Lungenoberfläche) ein Druck von 1-95 "m erforderlich ist. Es bleibt also nach allen Versuchen die merkwürdige Thatsache be- stehen, dass das Lungengewebe sowohl Kohlensäure wie Stick- ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPExS. 2083 Tabelle IX. AN -Druc \ O-Diffusion nm u Wandstärke | durch 4u Dicke | Durchtritt von | Zum Versuch u | pro gem 250m O benutztes Gas in ccm pro Minute BB a IN Iwer UL I Re Eh 20. März 107-9 0-181 0-75 Kohlensäure 4, April 141-1 0:214 0:63 55 7. Mai 179.0 0.291 0-47 Stickoxydul SC 134-0 0.224 0:60 er geschätzt IE 108-0 0-137 0-99! theils CO, HITNGO: 12. Juni (1) 134-0 0-231 0-59 co, geschätzt 1 le) n 0.148 0-92 | co, oxydul etwa doppelt so rasch durchtreten lässt, als eine gleich- dicke Schicht reinen Wassers. Wir werden so zu der Annahme ge- zwungen, dass die Gewebssubstanz der Lunge nicht, wie Hüfner meinte, wie ein von Wasseradern durchsetzter, für Gase undurchdringlicher fester Körper wirkt, sondern im Gegentheil der Bewegung der Gase einen ge- ringeren Widerstand entgegensetzt als das ihn durchtränkende Wasser. Um eine Erklärung für dieses scheinbar paradoxe Verhalten zu finden, untersuchten wir, ob trockene Lungensubstanz ein erhebliches Absorptions- vermögen für Kohlensäure habe. Zu diesem Behufe machten wir frische Lungen von Kaninchen dadurch rasch ateleetatisch, dass wir sie wiederholt mit reinem Sauerstoff aufbliesen, dann unter Wasser möglichst entleerten und in Flüssigkeit versenkt liegen liessen. Um Fäulniss- und Quellungserscheinungen zu verhüten, benutzten wir mit Thymol versetzte physiologische Kochsalzlösung. Nach 24 bis 48 Stunden wurde die vollkommen luftfreie Lunge entweder direct bei 60 bis 70° getrocknet, oder zunächst in Alkohol übertragen und dann getrocknet. Gewogene Stückchen wurden dann in einem Glasrohr über Quecksilber mit gemessenen Mengen Kohlensäure auf 1 bis 2 Tage zu- sammengebracht, dann das Gas wieder gemessen und analysirt. Es ergab sich, dass stets erhebliche Mengen Kohlensäure von dem Lungengewebe absorbirt wurden. Versuch 1 vom 1. Juni 1903. Die wiederholt mit Sauerstoff aufgeblasene Kaninchenlunge wird in thymolisirte physiologische Kochsalzlösung gelegt. Sie wird schnell atelectatisch und nach 48 Stunden bei 60 bis 70° ©. getrocknet und in kleine Stückehen geschnitten. — 18% trockne Lunge kommt mit 1! Mittel aus sieben Reihen vgl. Tabelle VII, 204 A. Loewy un N. Zuntz: Kohlensäure 48 Stunden lang in das Messrohr. Temp. während der letzten Stunden des Versuches 25° C.; Druck, unter dem das Gas steht, 600"" He. — Dabei bindet die Lunge 1.068" CO,. Demnach bei 760" — , 7 ’ nn oe 1-353°®, und da das Gas noch 4-16 Procent Luft enthielt, würde sich aus reiner Kohlensäure eine Absorption von 1-412°m (CO, be- rechnen — Das specifische Gewicht des trockenen Lungengewebes ist etwa 1.25, so dass 15% = 0.8”, Für 1% Gewebe beträgt, daher die Absorption 1.765 °m CO, — gegen 0-76 durch Wasser unter denselben äusseren Bedingungen absorbirter Kohlensäure. Versuch 2 vom 8. Juni 1903. — Wie im vorstehenden Versuche be- handelte Lungenstücke stehen 72 Stunden mit Kohlensäure, die 3-75 Procent Luftbeimischung hat, bei 18-3° C und 608 == Druck. Absorbirt sind 0.996 m CO,. — Daraus berechnet sich als Absorptionscoöffieient pro Cubikcentimeter trockener Lunge: 1-58. Versuch 3 vom 8. Juni 1903. Lunge ebenso behandelt. 1-058’% Lunge sind 24 Stunden in Berührung mit Kohlensäure, die 9.2 Procent Luft bei- gemischt enthält. "Temp. = 19-0°, Druck 585%. Als Absorptionscoöffi- cient berechnet sich für 1°" trockne Lunge 2-56. Versuch 4 vom 15. Juni 1903. Lunge liegt 24 Stunden in schwach essigsaurem Wasser, das am Schlusse noch sauer ist. Dann wird die atelectatische Lunge für 43 Stunden in schwach sauren Alkohol gebracht und bei 70° getrocknet. Ins Messrohr kommt 1®”% Lunge. Das Gas enthält nach 48 Stunden 10.54° m Kohlensäure und 0-50°® Luft. Druck 594 ”®, Temp. 20.1°. Ab- sorbirt wurden 0.652°® (bei 0°, 760"); hieraus berechnet sich pro Cubik- centimeter trockener Lungeeine Absorptionvon1-13 gegenüber 0.90 nach Bunsen bezw. 0-86 nach Setschenow für reines Wasser. Die Versuche zeigen, dass selbst das angesäuerte Lungengewebe noch einen etwa um 20 Procent höheren Absorptionscoöfficienten hat als Wasser unter denselben Bedingungen, während in dem nicht mit Säuren vor- behandelten Lungengewebe die Absorption Werthe erreicht, die um mehr als das Doppelte die Absorption in reinem Wasser übertreffen können. Schliesslich erschien es uns noch wichtig zu prüfen, ob das trockene Lungengewebe nicht etwa chemischen Processen unterworfen sei, welche zu einer Aenderung der Zusammensetzung des mit ihm in Berührung stehen- den Gases führen könnten. Wir brachten deshalb Stückchen (1), wie oben vorbehandelter Hunde- lungen, in eine gemessene Menge Sauerstoffs, liessen sie mit ihm 48 Stunden in Berührung. Das Gasvolum betrug hierauf 13-18". Nach Behandlung mit Kalilauge ergab die Messung 13-22°°2, Also war Kohlensäurebildung nicht nachweisbar. Dasselbe zeigte ein zweiter Versuch, in dem wiederum 1 ®”% trockener Lungensubstanz auf 48 Stunden in reinen Stickstoff gebracht wurde. Die Messung ergab am Schlusse 11.88 °°m Gas, nach Behandlung mit Kalilauge ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 205 11.93 m Gas, nach Einwirkung von ammoniakalischer Kupferlösung zur Absorption des Sauerstoffs 11-98°%,. Es war also innerhalb der Fehler- grenzen von der Lunge, die vorher an der Luft gelegen hatte, weder Kohlensäure noch Sauerstof! an den reinen Stickstoff abgegeben worden. Ü. Ergebnisse. Wir können nunmehr als feststehendes Ergebniss unserer Unter- suchungen den Satz aufstellen, dass Stickoxydul sowohl wie Kohlensäure durch Lungengewebe erheblich schneller diffundiren als durch eine gleich dieke Schicht reinen Wassers, und dass dies Verhalten von den Lebens- processen und von der chemischen Reaction des Gewebes (ob sauer oder alkalisch) unabhängig ist. Die Uebertragung dieser Erfahrung auf andere Gase und speciell auf den Sauerstoff ist bei der sonst überall sich bewähren- den Gleichförmigkeit im Verhalten der verschiedenen Gase zwar sehr wahr- scheinlich, doch wäre eine directe experimentelle Bestätigung, die freilich ihre grossen Schwierigkeiten hat, erwünscht. — So viel dürfte nach allem, was wir im Vorstehenden ausgeführt haben, sicher sein, dass die Diffusion des Sauerstoffs durch das Lungengewebe, wenn nicht leichter, dann doch keinesfalls schwerer erfolgt, als durch eine gleich dieke Wasserschicht. Es würde also äussersten Falles eine Spannungsdifferenz entsprechend 2 ”® Queck- silber erforderlich sein, um dem Blute den Bedarf des ruhenden Körpers zuzuführen, unsere Versuche machen es aber wahrscheinlich, dass der Werth noch etwa 3 Mal geringer ist, so dass etwa 9 wm Spannungsdifferenz schon genügt, um den Bedarf des schwer arbeitenden Menschen zu decken.! Ganz ausserordentlich günstig sind, wie unsere Versuche in Ueber- einstimmung mit der Theorie lehren, die Bedingungen für die Entfernung der Kohlensäure aus dem Körper. Hier genügt wegen des nachgewiesenen ausserordentlich hohen Diffusionscoöfficienten, den wir im Lungengewebe noch mehr als doppelt so gross fanden als in reinem Wasser, schon eine Spannungsdifferenz von 0.02 bis 0-05 "=, um die in der Ruhe gebildete ! Die Annahme, dass der Sauerstoff einen Weg von 4 Mikren unter den Be- dingungen der Diffusion durch Wasser zurückzulegen habe, führt auch aus folgendem Grunde auf zu hohe Werthe der nothwendigen Triebkraft. Von den zu durchwandernden 4 Mikren ist nur der kleinere Theil Epithel, Gefässwand und plasmatische Randschicht im Inneren der Lungencapillare. Der grössere Theil des Weges wird durch die Blut- scheibehen gebildet. In diesen aber wandert der Sauerstoff in einem Medium, welches ihn in etwa 50fach grösserer Dichte absorbirt, als das Wasser. Geradeso wie in der Biearbonatlösung die Wanderung der Kohlensäure eine raschere ist als im reinen Wasser, so dürfte auch im Hämoglobin der rothen Blutzellen die Wanderung des Sauerstoffs eine sehr beschleunigte sein. 206 A. Loewy unp N. Zunzz: Kohlensäure aus dem Körper austreten zu lassen. Wir können daher ruhig behaupten, dass irgend welcher Anlass besondere Triebkräfte für die Kohlen- säureausscheidung zu postuliren nicht vorliegt. Beim Sauerstoff ergiebt sich auch klar, dass die für das Leben be- drohliche untere Grenze des Partiardruckes nicht wesentlich durch die für die Gasbewegung nothwendigen Druckunterschiede bestimmt wird, dass hier vielmehr die von uns nachgewiesene hohe Dissociationsspannung des Hämo- globins in den intacten Blutkörperchen maassgebend ist. Wie sehr viel grösser diese Dissociationsspannung im intaeten Blut ist, als sie Hüfner aus seinen Versuchen an gelöstem Hämoglobin bestimmt hat, ergiebt sich am deutlichsten, wenn wir aus unseren Versuchen, ebenso, wie dies Hüfner aus den seinigen gethan hat, den Werth x berechnen. Hüfner definirt + als das Verhältniss der Oxyhämoglobinprocente zum Product aus den Procenten an reducirtem Hämoglobin und dem Partiar- druck des Sauerstofis in Millimetern. In Uebereinstimmung mit den An- schauungen der theoretischen Chemie über die Beziehungen der Dissociations- producte zur Menge der nichtdissociirten Substanz findet Hüfner, dass x für eine gegebene Concentration der Hämoglobinlösung eine Constante ist. Andererseits findet er, dass der Werth dieser Constanten mit der Concentration der Hämoglobinlösungen sehr erheblich variirt. So giebt er in diesem Archiv 1890 Physiol. Abthlg. folgende Beziehungen zwischen Concentration der Hämoglobinlösung 4 und x an: H= 14.0 Proceent x = 0-415 ZI=U2:.070 , x = 0.413 \ Temperatur: 35°C. Veh Sal 5, *= 0:35 nl al x = 0.29 In der Arbeit vom Jahre 1901!, in der die Wirkung des Alkohols auf die Dissociation des Oxyhämoglobins untersucht wird, führt er die Messungen bei der etwas höheren Temperatur von durchschnittlich 37-.5° aus. Hier beträgt < in den ohne Alkohol durchgeführten Versuchen an Kıystall- lösungen bei 11 bis 14 Procent HB-Concentration nur 0-086 bis 0.124; im Mittel 0-101. An Lösungen von Blutkörperchen sind die Schwankungen ähnlich gross, die Mittelwerthe identisch, nämlich = 0-11. Unsere Einzelversuche sind mit zu grossen Fehlern behaftet, als dass es Sinn gehabt hätte, für sie die Constante zu berechnen. Dagegen lässt sich dies durchführen für die in Tab. Nr. V, 8. 181 zusammengestellten Mittelwerthe. - Wir wollen diese Berechnung doppelt ausführen, ein Mal für die unter Vernachlässigung der absorbirten Sauerstofimengen erhaltenen Werthe, ı Dies Archiv. Physiol. Abthlg. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 207 zweitens für die mit Benutzung des Absorptionscoöfficienten für reines Wasser corrigirten. Da wir den wahren Hämoglobingehalt des untersuchten Blutes nicht bestimmt haben, weil uns zur Zeit der meisten Versuche ein Spectrophotometer noch nicht zu Gebote stand, müssen wir aus dem Sauer- stoffgehalt auf die Hämoglobinmenge schliessen. — Wir berechnen deshalb x zunächst unter der Annahme, dass die Sättigung beim Schütteln mit atmosphärischer Luft eine vollkommene sei. Nach Hüfner ist: h—hr “= hr p wo Ah die Gesammtmenge des Blutfarbstoffs, A, den sauerstofffreien An- theil, », den Partiardruck des Sauerstoffs in Millimetern bedeutet. Die S. 181 zusammengestellten Mittelwerthe ergeben dann folgende Werthe für «: Tabelle X. lin let. Unter Abzug des gelösten Sauerstoffs PERaN Ohne nn en | berechnet (Absorptionscoöffieient | angenommen 0.0248) druck £ 5 | : procentische Sauerstoff- | | procentische Sauerstoff- ° des sättigung | | sättigung SaLanlulg * berechnet | Z | berechnet gefunden aus , gefunden aus mm # = 0050 | | * = 0052 18-17 ' 0.043 43-7 47.4 | 0.044 44-3 48.4 24:07 0-057 57-9 54-5 0059 58-7 55.4 33-58 0-050 62-3 62-5 | 0.052 63-2 63.4 Mittel | 0-050 = | — 0-052 | — _ Unter Zugrundelegung dieser Werthe für » berechnet sich die pro- centische Sauerstoffsättigung bei 144m Hg Partiardruck zu: _ | — | _ | 87-7 Proe.| bezw. | 88-1Proe. Wir kommen also zu dem einigermaassen überraschenden Ergebniss, dass im normalen Blute bei Sättigung desselben mit atmosphärischer Luft das Hämoglobin noch um 12-3 Procent bezw. 11-9 Procent von der vollen Sauerstoffsättigung entfernt ist. Dementsprechend ist auch die vorstehende Berechnung von x noch mit einem ziemlich erheblichen Fehler behaftet. Wir werden dem richtigen Werthe näher kommen, wenn wir die der Rechnung nach bei Schütteln mit Luft noch ungesättigte Hämoglobinmenge mit in Rechnung stellen. Dann würden wir in die Gleichung x = a für % anstatt 100 ein- 0 setzen 100 + 12.3 bezw. 100 + 11-9. 208 A. Loewy uno N. Zunzz: Dementsprechend für A, anstatt 100 — 43.7 = 56-3 die Zahl 56-3 + 12-3, = 68-6 bezw. 56-3 + 11-9 = 68.2. So berechnen sich für die drei in vorstehender Tabelle genannten Spannungen die Werthe von x zu: ohne Berücksichtigung nach Abzug des absorbirten Sauerstoffs des absorbirten Sauerstofls I; 0-035 0:036 D* 0.044 0.046 3. 0-037 0.039 Mittel 0.039 0.040 Wir wollen demnach für die weitere Rechnung x = 0-04 zu Grunde legen. — Wir verkennen keineswegs, dass dieser Werth noch ein proviso- rischer und ziemlich unsicherer ist. Wir beabsichtigen auch im kommenden Winter weitere Versuche auszuführen, um ihn genauer zu bestimmen und um festzustellen, wieweit er individuell und unter dem Einfluss experimen- teller Einwirkungen veränderlich ist. Den folgenden Berechnungen möchten wir daher auch nur die Bedeutung beimessen, dass sie prüfen, wieweit die für x gefundene Grössenordnung mit den sonstigen Ergebnissen der Gaso- metrie des Blutes im Einklang steht. Wir haben bereits (S. 169 und 180) darauf hingewiesen, dass die Dissociationscurve in complieirten Gemischen, wie wir sie im Blutkörperchen vor uns haben, sich anders gestalten dürfte als in einem rein wässerigen Lösungsmittel. Die Bedeutung der neben dem Hämoglobin in den Blut- zellen vorhandenen Substanzen für die Beziehungen des Hämoglobins zum Sauerstoff ist im Einzelnen noch nicht studirt. Zum Theil aber können wir den niedrigen Werth von x im normalen Blut aus der Wasserarmuth der rothen Blutkörperchen erklären. Hüfner! führt aus, dass der Werth x ceteris paribus kleiner werden muss, wenn der Absorptionscoefficient der Lösung für Sauerstoff, etwa durch Beimengung eines indifferenten Salzes sinkt. Der Werth », in der Hüf- ner’schen Dissociationsformel ist ja nur berechtigt unter der Annahme, dass die in der Lösung vorhandene Menge freien Sauerstoffs dem Partiardruck proportional sei. Wird nun ohne Aenderung des Partiardruckes diese Sauerstoffmenge in Folge verminderter Absorption geringer, so wird die Menge des sauerstofifreien Hämoglobins steigen müssen, damit Gleichgewicht zwischen O-Spannung und Sättigung des Hämoglobins sich wieder herstellt. Der Werth x wird also sinken müssen. ! Hüfner, Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 205—206. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 209 Wenn wir nun bedenken, dass die rothen Blutkörperchen etwa 40 Procent fester Stoffe enthalten, wenn wir uns ferner erinnern, dass nach den Bestimmungen von Hüfner! der Absorptionscoöfficient einer Hämo- globinlösung mit wachsender Concentration sehr erheblich abnimmt, so wird dieser Umstand allein es erklärlich machen, dass x im intacten Blute so sehr viel niedriger ist als nach Auflösung der rothen Blutkörperchen. Es erhebt sich nun die weitere Frage, wie weit die Differenz im Sauer- stoffgehalt des arteriellen Blutes und des mit atmosphärischer Luft bis zur Sättigung geschüttelten aus den Verschiedenheiten des Partiardruckes in beiden Fällen zu erklären ist. Es liegt eine Reihe von Versuchen von Zuntz und Hagemann? vor, in denen bei Pferden gleichzeitig eine Probe arteriellen und venösen Blutes entnommen und analysirt wurde, und ein Theil desselben Blutes bei 38° mit atmosphärischer Luft geschüttelt und dann analysirtt wurde. Gleichzeitig wurde die Zusammensetzung der Exspirationsluft bestimmt. Wir stellen die bezüglichen Werthe auf der folgenden Tabelle XI zusammen, unter Berichtigung eines Druckfehlers, welcher sich S. 402 bei Versuch CXIII des Originals findet. Tabelle XI. | | | | . | » > aE 8 2 3 a2 |u |2 52 Fe @ 2 sas S5 383 Bemerkungen. 2Eoeı = Dean an ee) = Sie > Pferd VI. Ruhe 14-50 14-00 —(0-50) 17-16 |115-5 761-2 5-01 Arbeit 15-15 18-16 3-01 17:10 | 198-0 1761-2 | 2-03 Vers. CXIIl. Ruhe a 16-56 |18-56 | 2-0616-26 | 58-0 753-2 |6-23 | Arbeit e |116:29 19-56 | 3-27 17-27 | 134-0 753-0 |6-60 „ CXXV. Ruhe c |12-33 [13-54 1:21 18-66 | 61-7 760-0 | 6-46 RL ERXXIV.. 5; a Arbeit 5 |13-05 14-85 1.80 18-02 | 168-0 |763°8 | 3-16 DOSE c ‚10:14 10-96 0:82 115.60 756-1 |4-23 „ CXLI ec 114155 Won 1-62 117:02 | 165-8 |750-8 | 4-92 „ CXLVII. Ruhe 5 |15-73 14-84 -(0-89) 15-79 | 25-0 |753-3 |9-40 bei 38-50 ges. Arbeit d 14-71 15-21 | 0-50 15-17 | 57-0. 753-3 |6-42 | Mittel: |14-301115-585| 1-28 |16-805 7156-59] 5-446 | Der Sauerstofigehalt des arteriellen Blutes im Mittel: 14.30 Procent, ist mit der Sauerstoffspannung der Alveolenluft, der des durch Schütteln gesättigten Blutes mit der der atmosphärischen Luft in Beziehung zu setzen. Das Schütteln des Blutes geschah bei 38° lentsprechend der Körpertempe- ! Hüfner, Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg. 8. 209. ®? Zuntz-Hagemann, Stoffwechsel des Pferdes. Zandwirthschaftliche Jahr- bücher. Bd. XXVll. Ergänzungsbd. 1Il. (Separat: Berlin 1898, Parey.) 8. 371 ff. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 14 210 A. Loewy un N. Zunsz: ratur des Pferdes. (Nur in einem Versuche bei 38.5°.) Da der mittlere Barometerstand bei den Versuchen 756-6" war, wovon für Wasserdampf- tension 49 "= abzuziehen sind, beträgt der Partiardruck des Sauerstoffs in En 0 el 3 Das Gasgemisch, mit dem sich das arterielle Blut in den Lungen ausgeglichen hat, ist entsprechend dem sogenannten schädlichen Raume sauerstoffärmer als die Exspirationsluft, die 16-8 Procent O enthält. Da die Versuchsthiere tracheotomirt waren und In- und Exspirationsluft sich unmittelbar an der Trachealcanüle schieden, können wir den Antheil un- veränderter Luft in der Exspirationsluft nicht sehr hoch veranschlagen. Wir werden der Wahrheit sehr nahe kommen, wenn wir annehmen, dass die Alveolenluft 0-8 Procent Sauerstoff weniger als die exspirirte Luft, d.h. rund 16 Procent O enthält. Dies entspricht einer Sauerstofispannung von . 16 — .2mm (756-6 — 49) x „,, = 113-2 mn Hg, Berechnen wir unter Einsetzung unseres Werthes von x = 0-04 die Sättieung des Hämoglobins für diese beiden O-Spannungen, so ergiebt sich das Folgende. Wir benutzen die Hüfner’sche Formel diesen Versuchen (756-6 — 49) x 100 = TE Ds 9 wobei x den Procentgehalt an reducirtem Hämoglobin, p, den Partiar- druck des Sauerstoffs bedeutet. Dann ist für das luftgeschüttelte Blut (p, = 148-1") x = 14-44 Procent, d.h. das Hämoglobin ist zu 85-56 Procent mit O gesättigt. Bei voller O-Sättigung, d. h. bei unendlich hohem Partiardruck, würden 15-585 x 100 ———-S > B) SBEBE 18-2 Procent chemisch gebunden sein. (Wir vernachlässigen bei dieser Rechnung den bei 148.1 "m absorbirten Sauerstoffantheil, durch dessen Abzug der Werth um etwa 0-3 Procent kleiner würde.) Für die Lungenalveolen fanden wir p, = 115-2" Hg, woraus sich unter der Annahme vollkommenen Spannungsausgleiches für x, d.h. den O-freien Antheil des Hämoglobins 18-09 Procent berechnet. Es ist also dieses Blut zu 81-91 Procent gesättigt. Das entspräche einem O-Gehalt von an. — 14-92 Procent O0. Im Mittel enthielt das arterielle Blut ! Da die Luft über dem Blute während des Schüttelns mehrfach erneut wurde, war in derselben so wenig Kohlensäure, dass dadurch der Partiardruck des Sauerstoffs nicht merklich herabgesetzt wurde. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 211 Zeit, die vom Moment des Aderlasses bis zum Einführen in die Pumpe verging (mehrere Minuten), nach Pflüger’s Untersuchungen ein O-Verlust unvermeidlich ist, kommen wir zu dem Schlusse, dass das arterielle Blut in der Lunge factisch soviel Sauerstoff aufnahm, wie es entsprechend dem Ö-Partiardruck in den Lungenalveolen aufnehmen konnte. Wenn hier die Differenz zwischen arteriellem und gesättigtem Blut geringer ist, als sie von manchen Autoren angegeben wurde, so liegt das daran, dass in diesem Versuche die Thiere stets sehr tief geathmet haben, also volle Entfaltung der Lunge bestand. Bekanntlich sind bei flachem Athmen einzelne Lungenabschnitte fast luftleer oder es wird doch in ihnen nicht bei jedem Athemzuge die Luft erneuert. Die Spannung, mit der das venöse Blut in die Lunge eintrat, be- rechnet sich durch Umformung der vorigen Gleichung, in welche wir an- statt x den Werth 18-21 —5-45 = 12.76, und anstatt 100 den Sättigungs- werth des Blutes = 18-21 einsetzen. Sie lautet dann = Er le Die für den Uebertritt des Sauerstoffs zur Verfügung stehende Trieb- kraft sinkt also während des Verweilens des Blutkörperchens in der Lunge von 113.2 — 10.7 = 102-5" allmählich auf nahezu O0, beträgt also im Mittel 51-2". Wenn wir annehmen, dass die Pferdelunge eine ähnliche Öberflächenentfaltung hat, wie wir sie für die menschliche Lunge gefunden haben, so dürfen wir annehmen, dass eine Spannungsdifferenz von 2" aus- reicht, um 1500° = O, das ist etwa der Ruhebedarf dieser Pferde, in das Blut zu fördern. Bei der stärksten in diesen Versuchen geleisteten Arbeit wurden 8130 m Sauerstoff pro Minute verbraucht. Hier wäre also als Triebkraft 11m in maximo erforderlich. Bei den stärksten der überhaupt in den Zuntz-Hagemann’schen Versuchen beobachteten Arbeitsleistungen Ver- such CXXVIIIf) wurden beim Traben steil bergauf 25189“ O pro Minute verbraucht. Für diesen enormen Bedarf genügt eine Triebkraft von höchstens 33 "®. Also auch hier wird die Spannungsdifferenz noch lange nicht voll in Anspruch genommen und das Thier könnte diese Arbeits- leistung noch bei ziemlicher Luftverdünnung zu Wege bringen. Hieran wird auch dadurch nichts Wesentliches geändert, dass bei dieser maximalen Arbeit die Exspirationsluft nur 15-34 Procent OÖ hat, wobei die Partiar- spannung in den Alveolen etwa 103"m Hs beträgt. Es ist nämlich in diesen Fällen wahrscheinlich auch die Spannung im Venenblut noch er- heblich niedriger als 10-7 "=, da es fast sauerstoflfrei in die Lungen ein- treten dürfte. Man vergleiche nur in Tabelle XI den Sauerstofigehalt des Venenblutes bei Ruhe und Arbeit. 14* 212 A. LoEwY un N. ZuNnTz: Wir sehen, dass die von uns gefundenen Bedingungen des Sauerstoff- eintritts in das Blut auch den. grössten Bedarf des Körpers noch leicht decken können. Wir haben uns nun aber andererseits zu fragen, ob sie die erforderliche Abgabe des Sauerstoffs an die arbeitenden Zellen gewähr- leisten. In dem eben eitirten Arbeitsversuche am Pferde war die Sauer- stoffversorgung der arbeitenden Muskeln eine ausreichende. Das geht daraus hervor, dass der respiratorische Quotient bei dieser riesigen Arbeit nicht ge- steigert war. Derselbe betrug 0-805 gegen 0.842 in dem unmittelbar vor- angehenden und 0.788 in dem unmittelbar nachfolgenden Versuch mit mässiger Arbeit im Schritt. Das Gewicht des Pferdes betrug 447 ®%. Wir überschätzen sicher die Muskelmasse dieses Thieres, wenn wir sie trotz des erheblichen Antheils des Darminhalts am Körpergewicht zu 40 Procent des- selben annehmen, und es ist auch sicher nicht richtig, wenn wir annehmen, dass alle Muskeln des Körpers gleichmässig an der Arbeit betheiligt waren. Der Verbrauch der 25-189 Liter Sauerstoff wird also durch weniger als 447 x 0-4= 177.8% Muskelmasse bewirkt. 1®2 Muskel verbraucht also 25-189 s — m 141° ® an Sauerstoff. Die Sauerstoffversorgung erfolet aus dem die Muskeleylinder um- spinnenden Capillarnetz. Der Durchmesser der Muskelcylinder beträgt nach Vierordt! und nach Oppenheim und Siemerling? in der Ruhe 0-06" (0.032 bis 0.072) — im contrahirten Zustande 0.069 bis 0.276”. Wir dürfen wohl annehmen, dass die Muskelfasern beim Laufen die halbe Zeit contrahirt, die halbe Zeit erschlafft sind und demgemäss einen mittleren Durchmesser von wenigstens 0-08” besitzen. Der von aussen eindringende Sauerstoff hat also bis zur Mitte einen Weg von 0.04” zu- rückzulegen. Dies ist aber der maximale Weg. Der mittlere Weg der Sauerstofftheilchen ist durch einen mit der Oberfläche des Cylinders con- centrischen Kreis bestimmt, welcher den Querschnitt der Muskelfaser in eine innere und eine äussere Hälfte von gleichem Flächeninhalt theilt. Dieser Kreis hat, wie leicht zu berechnen, 0.0283" Radius, sein Abstand von der Oylinderfläche, d. h. der mittlere Weg des eindringenden Sauerstoffs beträgt 0-0117"®, Dazu kommt die Dicke der Capillarwand und der plas- matischen Wandschicht, sowie ferner noch eine Verlängerung des Weges, die daraus resultirt, dass der Muskelcylinder nicht rings von Blut umspült, sondern nur von einem allerdings ziemlich engen Capillarnetz umgeben ist. In Folge dessen sind die Wege des Sauerstofis nicht alle senkrecht zur Oberfläche des Cylinders, und also länger als oben berechnet. pro Minute mehr als ! Vierordt, Daten und Tabellen. 1. Aufl. S. 48. ? Oppenheim und Siemerling, Centralblatt für die medicinische Wissen- schaft. 1889. 8. 705 und 737. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 213 Wir schätzen aus diesen Gründen den mittleren Wege mit 0.013mm gewiss noch zu niedrie. — Die einem Millimeter Länge entsprechende Masse des Muskeleylinders misst 0-.04°.z=0-.00502 "m und wiegt bei 1-04 spec. Gewicht = 0.0052”. Die zugehörige Oberfläche beträgt 0.087 = 0-2512 m, Wir haben demgemäss auf 15m Muskel eine Ober- 0-2512 ’ x 00052 =483. 12°. Der Sauerstoffbedarf aber beträgt auf jedes Gramm Muskel, wie wir oben sahen, 0. 141°. Wenn wir annehmen, dass die Diffusion des Sauerstoffs durch Muskelsubstanz ebenso rasch erfolge, wie durch Lungengewebe, würden unter einer Druck- differenz von 760 mm durch 14m bei 0.004:= Weg hindurchtreten 0.204: (Mittel der Zahlen in Tabelle IX S. 203). Durch die Wegstrecke von 0-.013"m und die Oberfläche von 483.14 würden also durchtreten: 483-1 x 0-204 . 0004 flächenentwickelung von 1000 x = 30.32mm, Als maximalen Bedarf des thätigen 0-013 Muskels fanden wir 0.141”. Um ihn heranzuschaffen, wäre als Triebkraft eine Druckdifferenz von mn = 3.55% erforderlich. Die Spannung von 3-53 "m entspricht aber nach der Formel einer Mischung von 88 Procent reducirtem und 12 Procent Sauerstoff- hämoglobin. Die factisch beobachtete fast vollständige Reduction des Hämoglobins beim Durchfliessen stark thätiger Muskeln ist also im Einklang mit der von uns gefundenen Dissociationsgeschwindigkeit des Oxyhämo- globins. Wäre diese Dissociationsgeschwindigkeit wesentlich geringer, etwa so wie sie Hüfner für die Krystalllösungen gefunden hat, so würde der fast vollständige Verbrauch des Blutsauerstoffs im thätigen Muskel schwer erklärbar sein. Das gilt um so mehr, als wir der Rechnung überall Zahlen zu Grunde gelegt haben, welche geeignet sind, die erforderliche Triebkraft eher zu niedrig als zu hoch zu veranschlagen. Auch für den Menschen ist bereits durch Versuche, die der Eine von uns mit v. Schrötter! vor einiger Zeit ausgeführt hat, das Material für eine Berechnung der Sauerstoffaufnahme durch die Lunge geliefert. Wir wollen hier, ohne der ausführlichen Publication dieser Arbeit vorzugreifen, für Werthe, wie sie diese Versuche in guter Uebereinstimmung mit dem, was wir vom Hunde durch Schöffer’s Analysen wissen, für den Menschen wahrscheinlich machen, die mit normaler Sauerstoffversorgung verträglichen Grenzen der Luftverdünnung berechnen. ! Loewy und v. Schrötter, Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. 214 A. LoEwY un N. Zuntzz: Wir können nach Loewy’s Versuchen! die Sauerstoffmenge in den Alveolen zu 13-5 Procent annebmen, das giebt bei 760"m Druck und 47" Wasserdampfspannung 96-2” Partiardruck. Hierbei ist nach der Formel x = 20.56 Procent reducirtes Hämoglobin. Das Venenblut enthält etwa 60 Procent des im arteriellen Blute ent- haltenen Sauerstoffs. Also sind von 120.56 Theilen Hämoglobins 60.56 Theile ungesättigt, d. h. rund die Hälfte. Dieser Sättigung entspricht in der früheren Weise berechnet eine O-Spannung gleich 25"", ziemlich genau übereinstimmend mit dem Werthe, den Strassburg und Wolffberg seiner Zeit für die Spannung des venösen Blutes beim Hunde fanden. Als Triebkraft stehen hier zur Verfügung: Anm — 355mm, Da- mit könnten, wenn für 250°” pro Minute 2" Spannungsdifferenz erforder- lich sind, 4500 m Sauerstoff pro Minute ins Blut gelangen. Beim Aufenthalt in etwa 5000” Höhe, entsprechend einem Barometer- stande von 400” stellt sich die Rechnung wie folgt: Der alveolare Gasdruck ist: 400—47 = 353". Der Sauerstoff der Exspirationsluft ist nach unseren übereinstimmenden Erfahrungen im pneu- matischen Cabinet, auf dem Monte Rosa-Gipfel und im Ballon bei 5000" Höhe gleich etwa 12-60 Procent. Hieraus berechnet sich unter Berück- sichtigung des sogenannten schädlichen Lungenraumes bei 500°" Athem- tiefe der Procentgehalt der Alveolenluft an Sauerstoff zu 9 Procent, der Sauerstoffdruck also zu 31-8”®. Bei diesem Druck nimmt das Arterienblut noch 56 Procent der vollen Sättigung an Sauerstoff auf. Es enthält also 23.5 Procent Sauerstoff weniger, als im Meeresniveau. Wenn wir annehmen, dass die Stromgeschwindigkeit des Blutes und der Verbrauch Seitens der (ewebe unverändert geblieben sei, würde auch das Venenblut um 23.5 Pro- cent sauerstoffärmer sein als zuvor, also nur noch 50 — 23-5 = 26-5 Procent der vollen Sättigung an Sauerstoff führen. Diesem Sättigungsgrade entspricht nach bekannter Rechnung eine O- Spannung von 9-0”®”. — In der Alveolenluft hatten wir die Spannung zu 31.8" berechnet. Die mittlere Triebkraft beträgt daher nur noch 11-4 m, Sie reicht aus um über 1400°m Sauerstoff pro Minute in’s Blut zu befördern. Das ist eine Menge, wie sie bei einigermaassen angestrengtem Bergsteigen factisch gebraucht wird. Wir sind also hier ganz der Erfahrung der Berg- steiger entsprechend an die Grenze der Verdünnung gelangt, bei welcher maximale Arbeit nicht mehr geleistet werden kann. | ” Loewy, Deber die Respiration und Circulation u. s. w. Berlin 1895. 8.51. ÜBER DEN MECHANISMUS DER SAUERSTOFFVERSORGUNG DES KÖRPERS. 215 Wenn wir uns der sehr erheblichen individuellen Unterschiede in der Athemmechanik erinnern, wenn wir ferner daran denken, dass, wie die Versuche am Pferde zeigen, bei Arbeit das Venenblut immer sauerstoff- ärmer ist, so dass hier ein sehr mässiger Nachlass in der Intensität der Herzarbeit schon genügt, um den Rest an Sauerstoff, den es noch enthält, zum Verschwinden zu bringen, so wird es verständlich erscheinen, dass viele Individuen auch schon in geringeren Höhen in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit sehr beschränkt werden. Bekanntlich bestehen in dieser Höhe aber auch ausgesprochene Störungen schon in der Körperruhe bei der Mehrzahl der Menschen. Hier kann mangelnde Triebkraft für den Sauerstoff dem eben Gesagten zufolge nicht die Ursache sein. Vielmehr kommt hier in erster Linie der Umstand in Betracht, dass auch dann, wenn das Durchschnittsvenenblut im rechten Herzen noch zwei bis drei Volumprocente Sauerstoff enthält, doch bereits einzelne Provinzen des Körpers, in welchen der Verbrauch über dem Durch- schnitt oder die Blutversorgung eine geringe ist, an Sauerstoff Mangel leiden können. Das wird besonders der Fall sein, wenn entweder der Hämoglobin- gehalt ein niedriger, oder die Arbeitsleistung des Herzens eine nicht zu- reichende ist. Am häufigsten scheinen sich die Erscheinungen des localen Sauerstoff- mangels in verdünnter Luft im Hirn und im Verdauungstractus geltend zu machen. Wenn wir auch aus den angedeuteten Differenzen der Athemmechanik, der Herzthätigkeit und der Hämoglobinmenge die individuellen Unterschiede in der Toleranz gegen Luftverdünnung erklären können, so möchten wir doch die Möglichkeit nicht abstreiten, dass auch Differenzen in der Disso- ciation des Oxyhämoglobins mitwirken können. Die hierfür sprechenden Versuche von Bohr sucht zwar Hüfner aus beginnender Zersetzung des Hämoglobins zu erklären, jedoch dürfte diese Erklärung manchen von Bohr vorgebrachten Thatsachen gegenüber nicht genügen. Nachdem wir jetzt gezeigt haben, dass die im Blutkörperchen mit dem Hämoglobin vereinigten Stoffe die Dissociationscurve desselben sehr stark verändern, wird man daran denken müssen, dass diese Aenderung individuell und durch äussere Einwirkung bedingt verschieden stark sein kann. Unsere Versuche und mehr noch die im folgenden Aufsatz von Loewy mitgetheilten zeigen Abweichungen von der mittleren Dissoeiationseurve, die wohl nicht allein auf Versuchsfehlern beruhen, es vielmehr wahrscheinlich machen, dass solche individuelle Unterschiede in Wirklichkeit bestehen. Die von uns gleichzeitige mit Hüfner constatirte Thatsache, dass ge- ringe Beimengungen von Alkohol die Dissociationsspannung herabsetzen, machte es wünschenswerth, die Wirkung auch anderer Substanzen auf die 216 A. Loswy un N. Zuntmz: ÜBER DEN MECHANISMUS Tv. S. w. Festigkeit der Sauerstoff bindung am Hämoglobin zu prüfen. Wir haben bereits den Anfang einer derartigen Prüfung mit Chloroform gemacht, vor- läufig allerdings ohne sehr deutliche Wirkungen zu finden. Als wichtigstes Ergebniss unserer Untersuchungen können wir den Satz aufstellen, dass die Diffusionsbedingungen für den Eintritt des Sauerstoffs aus den Lungenalveolen in’s Blut und aus diesem in die Gewebe derart günstige sind, dass sie auch bei den stärksten mit dem Leben verträglichen Luftverdünnungen eine mehr als ausreichende Sauerstoffwanderung sichern. Kommt es bei Luftverdünnung zu Sauerstoffmangel der Gewebe, so ist dieser bedingt durch die geringe Bindefähigkeit des Hämoglobins für Sauerstoff bei der niedrigen, in den Lungenalveolen herrschenden Spannung dieses Gases. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1905—1904. II. Sitzung am 6. November 1903. Hr. FERDINAND BLUMENTHAL: „Ueber das an die Organe gebundene Tetanusgift und seine Beziehung zum Antitoxin.“ Spritzt man einem Kaninchen eine zehnfach tödtliche Dosis Tetanusgift ein, so kann man in dem Augenblick, wo der Tetanus ausbricht, weder mit dem Blut dieses Thieres noch mit den Emulsionen der verschiedenen Organe echten Tetanus bei andern Thieren erzeugen. Auch wenn man beim Be- ginn der ersten tetanischen Symptome die Carotis des tetanischen Thieres mit der Vena ingularis eines zweiten gesunden Thieres verbindet und somit völlige Mischung des Blutes beider Thiere herbeiführt, gelingt es nicht, beim ersten Thier den Ausbruch des Tetanus zu verhüten, noch bekommt das zweite Thier, dem das gesammte Blut des ersten zugeführt worden ist, Tetanus (Blumenthal und Lewandowski). Es ist also nicht mehr so viel Tetanusgift in der Circulation vorhanden, um beim zweiten Thier die Krankheit hervorzurufen, d.h. es ist bereits beim Beginn der allerersten Symptome der Erkrankung das Gift aus der Blutbahn verschwunden. Wo ist nun das Gift geblieben? Der sorgfältig aufgefangene Urin des Thieres enthält in keiner Phase der Erkrankung Gift. Es bleibt also nur zweierlei übrig: Entweder ist das Gift, nachdem es anatomische Läsionen in den Ganglienzellen hervorgerufen hat, zerstört worden, oder aber es ist von den Geweben gebunden in einer Form, die für andere Versuchsthiere nicht mehr giftig erscheint. Die erste Ansicht, dass der Tetanus verursacht werde durch anatomische Läsionen der Ganglienzellen, habe ich stets bekämpft und kann diese Ansicht auch nach den entscheidenden Arbeiten von Goldscheider und Flatau, Cour- mont, Doyon und Paviot als definitiv beseitigt angesehen werden. Ich habe im Jahre 1897 die Meinung aufgestellt, dass das Tetanusgift, wie es die Baecillen absondern, im Organismus an die Zellen gebunden wird. Dieses neue Tetanusgift, welches ich Organgift nannte, unterschied sich von dem Bacteriengift dadurch, dass es mit kürzerem Latenzstadium wirkte und häufig an Stelle des echten Tetanus mit Contraeturen stärkere Reflexerregbarkeit, Paralyse und Coma hervorrief. Ich hatte diese Erscheinungen festgestellt an Organauszügen, welche ich gewonnen hatte aus Leichen von Tetanischen. Diese Versuche waren in Uebereinstimmung mit früheren Ergebnissen an 218 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Thieren von Courmont und Doyon.!' Von Knorr? wurde nun behauptet, dass es sich bei diesen Ergebnissen nicht handelte um echtes Tetanusgift, sondern um eine gewöhnliche Organvergiftung. Obwohl ich zeigen konnte, dass Organe nicht tetanischer Thiere, wenn sie ebenso wie die tetanischen behandelt wurden, bei der Anwendung gleicher Dosen Organbrei nicht die oben beschriebenen Symptome hervorriefen, glaubte ich doch, dass es nötig sei, die Beweisführung zu vervollständigen, zumal eine von Besredka? aus dem Institut Pasteur veröffentlichte Methode mir dies zu gestatten schien. Besredka verfuhr folgendermaassen: Er mischte Gehirnbrei, dem er physiologische Kochsalzlösung zugesetzt hatte, mit Tetanusgift, zerrieb das Ganze, centrifugirte, so dass oben die klare Flüssigkeit blieb und unten der Gehirnbrei, goss die klare Flüssigkeit ab, setzte von neuem physiologische Kochsalzlösung zu, centrifugirte wieder u.s. w. Wenn er dieses fünf Mal wiederholt hatte, so konnte er nunmehr mit dem Gehirnbrei bei Mäusen Tetanus erzeugen, und zwar schien der Gehirnbrei giftiger zu sein als der zugesetzten Menge Tetanusgift allein entsprach. Bei der Wiederholung dieser Versuche konnten Ignatowsky* und ich dieselben bestätigen. Nunmehr gingen wir dazu über, Organe von Meerschweinchen und Kaninchen mit Gift zu versetzen und nach der Besredka’schen Methode zu behandeln. Dabei zeigte sich, dass nicht bloss das Gehirn, sondern auch sämmtliche andern Organe die Fähigkeit haben, das Tetanusgift zu binden, d.h. das Gift aus wässeriger Lösung zu entziehen. Ferner, dass die Gift- wirkung, die der Organbrei, dem Gift zugesetzt war, nach dem Verfahren von Besredka behandelt, ausübte, eine andere war, als die des gewöhn- lichen Tetanusgiftes. An Stelle der eigentlich tetanischen Contraeturen traten mehr klonische Krämpfe auf, Paraplegie, comatöse Zustände, d. h. mehr die Symptome einer Allgemeinvergiftung. Dieses Ergebniss stand in Uebereinstimmung mit den Resultaten, wie ich sie früher aus den Organen Tetanischer erhalten hatte Ignatowsky und ich spritzten nunmehr grosse Mengen Tetanusgift Thieren, insbesondere Meerschweinchen ein, und wir konnten dann bei dem an Tetanus ver- storbenen Meerschweinchen zeigen, dass ihre Organe nach der Besredka’schen Methode behandelt, das modifieirte Tetanusgift enthielten. Dass es sich dabei um echtes Tetanusgift handelte, konnten wir noch dadurch erhärten, dass zugesetztes Antitoxin das Organgift neutralisirte. Es war aber unverhältniss- mässig viel Antitoxin nöthig, um diese Neutralisation auszuführen, was mit früheren Angaben von mir übereinstimmt, dass das an die Gewebe gebundene Gift durch das Antitoxin nur schwer beeinflusst wird.’ “Wurde das Anti- toxin und das Organgift getrennt eingespritzt, so war das Antitoxin fast unwirksam. Wurde anstatt Antitoxin Gehirnbrei dem Organgift zugesetzt, so wurde das Gift nicht neutralisirt. Daraus geht hervor: 1. dass alle Zellen des Thierkörpers und nicht bloss das Central- nervensystem die Fähigkeit haben, Tetanusgift zu binden; " Zeitschrift für klin. Medicin. 1897. Bd. XXXU. Heft 2u. 3. ” Münchener med. Wochenschrift. 1898. Nr. 11 u. 12. ® Annales de PInstitut Pasteur. Januar 1903. j Centralblatt für Bakteriologie. Bd. 35. Nr. 1 u. 2. A. a. O. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — FERDINAND BLUMENTHAL. 219 2. dass das Tetanusgift im Organismus durch die Bindung an die Zelle in seiner Wirkung verändert wird; 3. dass zwar eine Affinität des Antitoxins zu dem an das Ge- webe gebundenen Tetanusgift vorhanden ist, diese Affinität ist aber nur eine verhältnissmässig geringe im Vergleich zu den von den Culturen secernirten Gift.‘ Die Thatsache, dass das Antitoxin nur eine geringe Affinität an das an die Gewebe gebundene Gift hat, ist von grösster Bedeutung für die Frage, inwieweit im Thierkörper selbst das Antitoxin im Stande ist, im Moment, wo der Tetanus ausbricht, d.h. wenn das Gift an die Zelle bereits gebunden ist, dasselbe zu neutralisiren. Man ist ja wohl jetzt allgemein der Ansicht, dass die Heilwirkung des Tetanusantitoxins beim Menschen eine verhältnissmässig geringe ist, dass die Resultate, welche bisher erzielt worden sind, keineswegs den Erwartungen entsprechen. Noch vor einigen Jahren hatte Behring gehofft, dass das Heilserum im Stande sei, die Mortalität auf 15 Procent herabzusetzen. Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt, und es gehen die Ansichten nur darüber auseinander, ob das Antitoxin überhaupt nicht helfen kann, oder ob es noch nicht in genügen- der Concentration und in der richtigen Weise angewandt wird. Unmöglich wäre die Wirkung des Heilserums, wenn die Ansicht von Sahli zu Recht bestände, wonach das Tetanusgift zwar durch das Antitoxin im Thierkörper neutralisirt wurde, dass aber die einmal durch das Antitoxin vom Tetanusgift gesetzten pathologisch anatomischen Veränderungen in den Ganglienzellen nicht neutralisirt werden könnten. Nach dieser Anschauung ist also nach Anwendung des Antitoxins kein Gift mehr im Körper vor- handen, und trotzdem geht der Mensch zu Grunde, weil die Läsionen im Rückenmark nicht mehr reparirt werden können. Es wirke also das Anti- toxin wie das Wasser, welches bei der Feuersbrunst zwar das Feuer ver- löschen, nicht aber das einmal Zerstörte wiederherstellen kann. Diese ganze Anschauung ist unrichtig aus den oben erwähnten Gründen, weil etwaige anatomische Läsionen beim Tetanus eine ganz untergeordnete Rolle spieien. Die Frage ist die: Inwieweit kann im Thierkörper das Anti- toxin das an die Zellen, besonders das an die Rückenmarkszellen gebundene Gift denselben wieder entreissen? Bei Versuchen an Meerschweinchen zeigte sich, dass dies nur unvollkommen der Fall war. Wenn auf der Höhe der Krankheit Meerschweinchen mit hundertfacher Menge Antitoxin behandelt worden waren, d. h. dem hundertfachen derjenigen Dosis, welche im Reagenz- glas das angewendete Toxin neutralisirte, so starben die Thiere trotzdem. Es war zwar im Blute ein reichlicher Ueberschuss von Antitoxin enthalten, die wässerigen Organauszüge enthielten ebenfalls Antitoxin, wenn das Anti- toxin aber nach der Besredka’schen Methode abgeschwemmt war, so gelang es mit einzelnen Organen Giftwirkung zu erzielen. Es war also noch nicht alles Gift neutralisirt. ! Behring berichtete, dass, wenn er Gift zu Gehirnbrei im Ueberschuss zusetzte, er nunmehr mit der berechneten noch fehlenden Antitoxinmenge (Heilserum) keine Neu- tralisation erzielen konnte. Marx hingegen kam zu dem Ergebniss, dass die neutrali- sirenden Wirkungen des Gehirnes und des Serums gegenüber dem gewöhnlichen Tetanus- gift sich summiren, 220 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Noch deutlicher waren die Ergebnisse von Rosenfeld undIgnatowsky,! welche mit den Organen einer Tetanischen, die auf der I. medicinischen Klinik zu Grunde gegangen war, arbeiteten. Sie fanden hei dieser Kranken das Blut und den Urin stark toxisch. Als sie dann Antitoxin der Kranken einspritzten, wurde das Blut und der Urin sogar antitoxisch. Trotzdem starb die Kranke. Als sie nunmehr die Organe der Verstorbenen nach dem Besredka’schen Verfahren behandelten, konnten sie mit allen Organen, auch mit Gehirn und Rückenmark Tetanus bei Mäusen erzeugen, und zwar war auch hier das modifieirte Tetanusgift in den Geweben vorhanden. Zusatz von Antitoxin zu diesen Gewebsauszügen verhinderte die Giftwirkung. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass das Antitoxin nicht im Stande gewesen war, das Tetanusgift den Organen wieder zu entziehen, und dass auf dieser Schwierigkeit, welche der Neutralisation des Organgiftes durch Antitoxin entgegensteht, die Unwirksamkeit der bisherigen Antitoxinbehand- lung beruht. Schon im Jahre 1896” habe ich diese Erklärung abgegeben, indem ich sagte: „Die Rückenmarkssubstanz enthält das Tetanusgift; es wird daselbst durch das im Organismus kreisende Antitoxin nicht unwirksam ge- macht. Hierauf beruhte in unserm Fall höchst wahrscheinlich der Misserfolg der Serumtherapie.“ III. Sitzung am 20. November 1903. Hr. N. Zuntz legt eine Mittheilung des Hrn. Prof. E. Cavazzani in Ferrara: „Ueber den Mechanismus der Zuckerbildung des hepa- tischen Glykogens,“ vor. Nach vielen Discussionen und in verschiedenem Sinne angestellten Untersuchungen sind die Physiologen heute allgemein der Ansicht, dass die Zuckerbildung in der Leber kein postmortaler Vorgang, sondern eine sich regelmässig zu Lebzeiten dieses Eingeweides vollziehende Function desselben ist. Weiterhin wird jetzt allgemein, wenigstens im Princip, zugestanden, dass der Zucker sich in der Leber in Folge Saccharification des schon in ihren Zellen vorexistirenden Glykogens bildet. Darüber jedoch stimmen die Meinungen noch nicht allgemein überein, auf welche Weise sich diese Zuckerbildung vollzieht. Es wiederholt sich hier der schon auf anderen Gebieten geführte Streit über die Stellung, welche in den Lebenserscheinungen die Säfte einerseits, das organisirte Element andererseits einnehmen. In der That stehen sich heute zwei Theorien gegenüber. Die eine hält dafür, dass die Zuckerbildung aus Glykogen von einem Ferment bedingt wird, während die andere für eine Beteiligung des Zellprotoplasmas eintritt. Als Basis dient dabei der ersteren, wenigstens meinem Erachten nach, der Gedanke der Analogie, und zwar jener Analogie, die schon Bernard veranlasste, nach dem eigentlichen Ferment der Leber zu suchen. Die Stärkemehle werden im Verdauungs- ! Zeitschrift für klin. Mediein. 1903. ? Ebenda. Bd. XXX. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. UAVAZZANI. 221 traet von löslichen Fermenten saccharifizirt: Diastasen finden sich im Blut, in der Lymphe, in den verschiedenen Geweben: also kann auch in der Leber ein Ferment existiren, das unabhängig von der Zelle, aus Glykogen Zucker bildet. Die zweite Theorie verdankt ihre Existenz einer umfassenderen Idee. Sie betrachtet die Glukosebildung in der Leber als einen Mechanismus, der fähig ist, anderen Organen das thermodynamogene Material mit einem regel- mässigen und den Bedürfnissen dieser Organe und des Gesammtorganismus entsprechenden Rhythmus zu liefern. Sie stellt sich also vor, dass die Bildung selbst Einflüssen des Protoplasmas der hepatischen Zelle subordinirt ist, weil seine Thätigkeit rasch und den vorerwähnten Bedürfnissen der Organe und des Organismus in den verschiedenen Lebensmomenten entsprechend variiren kann. Die Anhänger der Theorie des Ferments haben es versucht, den Sitz und die Natur des Ferments selbst zu specificiren, doch haben sich dabei ihre Meinungen sofort geschieden. Ohne uns bei denen aufzuhalten, die für die Existenz eines Ferments im Allgemeinen eintreten, finden wir auf der einen Seite Bial, welcher annimmt, dass die Zuckerbildung von einem diastasischen Ferment des Blutes oder der Lymphe abhänge; auf der anderen Pick, der sie einem speciellen „glykogenspaltenden“, wahrscheinlich endo- cellulären Ferment zuschreibt.! Die von diesen Verfassern zur Bekräftigung ihrer Theorien vorgebrachten Thatsachen sind nicht zahlreich und auch nicht entscheidend. Die von Bial vorgebrachten Thatsachen und Folgerungen werden vor allem von Pick selbst kritisiert, der erstens die Ungenauigkeit einer aprio- ristischen Behauptung hervorhebt, dass nämlich die Waschung der Leber durch die Pfortader den Inhalt der Iymphatischen Gewebsspalten nicht weg- führen könne, und überdies glaubt er, dass der diastasischen Thätigkeit der Lymphe in der Leber gegenüber der eines besonderen Ferments geringe Be- deutung beizumessen sei, da er mit dem von ihm (Pick) aus 1008" ge- waschener Leber gewonnenen Ferment eine Glykogenquantität modifieirt hat, die mehr als zwei Mal so gross war, wie die von dem aus 100 &”” Blut ge- wonnenen Ferment modifieirte, das Blut aber — das giebt auch Bial zu, ist diastasisch activer als die Lymphe. Bial hat nun Folgendes behauptet: „Ganz ähnlich, wie sich ein Stück Marmor um so schneller löst, je schneller und stärker der Strom Salzsäure ist, der es umspült, wird die Lösung und Saccharification der Glykogenscholle in der Leberzelle um so schneller erfolgen, je reichlicher die Menge der Lymphe ist. Angesichts des vorstehenden Vergleiches und der Annahmen Pick’s halte ich es für angezeigt, meinerseits an ein von mir im Laboratorium des Prof. Zuntz Berlin ausgeführtes Experiment zu erinnern. 100 ®"" wenige Momente vorher dem Hunde entnommener Leber enthielten 18.730 5” Kohlenhydrate. Nach einstündigem Verbleib auf 38°—39° konnte man 2.9288’M Zucker dosiren. Wollte man nun diese Saccharification allein der Action der Lymphe zuschreiben, so wären 363’”" Lymphe erforderlich ge- wesen — denn 5 2"" Lymphe saccharifieiren durchschnittlich 0-40 8”” sacchari- ! Thatsächlielı zeigt uns dieser Verfasser am Ende seiner Arbeit, dass er der Meinung ist, dass das Ferment sich innerhalb der Leberzelle bilde; in diesem Falle scheint es mir, dass die Thätigkeit des fermentbildenden Protoplasmas wieder in ihre Rechte tritt. 222 VERHANDLUNGEN DER BERLINER fieirbaren Materials, nehmen wir selbst an, in einer Stunde, wenngleich nach Bial dazu eine längere Zeit nöthig ist. — Demnach wäre also dann die Leber zusammengesetzt: gewesen: fast ?/,,„ Kohlenhydraten, */,„ Lymphe, während die anderen */,, Gefässe, Nerven, Bindegewebe, Blut, Fett, Proto- plasma u. s. w. gewesen wären, — Proportionen, die mir unannehmbar scheinen. Bial ist also der Ansicht, dass die hepatische Zelle direct von der Lymphe benetzt wird. Das Ferment dieser setzt dann das Glykogen der Zelle in Glukose um. Er sagt uns jedoch nicht, wo diese Transformation vor sich geht. Kommt sie nun im Lymphraum oder in der Zelle zu Stande? Im ersten Falle müsste man annehmen, dass die hepatische Zelle das Glykogen in die Lymphgefässe ergiesse; im zweiten, dass das Ferment aus den Lymph- gefässen in die Zelle geiange. Wenn eine Vermehrung der Glukoseproduction in der Leber eintritt, müsste man also nach der ersten Anschauung das Glykogen und die Glukose in der Lymphe vermehrt finden; nach der zweiten müsste die saccharifieirende Thätigkeit der Lymphe in Folge des Durchganges des Ferments in die hepatische Zelle herabgesetzt sein, wenn nicht weiterhin die grössere Thätigkeit oder Quantität des Ferments in der circulirenden Lymphe derart ist, dass sie die von diesem Durchgang herrührenden Ver- luste reichlich aufzuwägen im Stande ist. Betreffs der ersten Frage besitzen wir keine sicheren Daten, die be- sagen, dass der Zucker nicht vermehrt sei. Bezüglich der zweiten hat Bial selbst eine Vermehrung des Saccharificationsvermögens der aus dem Ductus thoracicus unter Einwirkung der Lymphagoga angesammelten Lymphe nach- gewiesen. Da nun der Ductus die Lymphe nicht nur aus der Leber, sondern auch aus verschiedenen anderen Organen sammelt, scheint es mir, dass die Anwendung des an dieser Lymphe gefundenen Factums zur Erklärung eines absolut auf die Leber localisirten Phänomens mit vielem Vorbehalt aufge- nommen werden muss. Dabei ist jedoch der Thatsache Rechnung zu tragen, dass eine Er- höhung des saccharificirenden Vermögens der Lymphe von Bial auch nach Stauung im Gebiete der unteren Hohlvene beobachtet wurde, dagegen nicht nach Unterbindung der Pfortader. Auf jeden Fall fehlt es an Nachprüfungen, die mir nöthig geworden zu sein scheinen, nachdem selbst Bial bei Kritik einiger meiner Erfahrungen bemerkt hat: „Alle Manipulationen in der Bauch- höhle vermehren den Zuckergehalt des Blutes stark“. So rasch man auch bei Unterbindung der Pfortader vorgehen mag, so bleibt dies doch immer eine, eine gewisse Zeit in Anspruch nehmende Manipulation. Meinem Erachten nach wäre es erforderlich gewesen, nach den Ursachen zu suchen, die eine auch nur transitorische Vermehrung der saccharifieirenden Thätig- keit der Lymphe verhinderten: Zum mindesten wäre es von Nutzen ge- wesen, sich zu versichern, dass während oder nach der Pfortaderunterbindung keine erhebliche Produktion von Glukose in der Leber eintritt. Ich glaube behaupten zu können, dass das Gegentheil der Fall ist, denn 10 Minuten nach Zuschnürung der Lebergefässe habe ich 0-47 bis 0-48 8” Zucker auf 100 8% Leber vorgefunden. Man kann also meiner Meinung nach es nicht für hinreichend aus- geschlossen erklären, dass die von Bial beobachtete Vermehrung der sac- charifieirenden Thätigkeit der Lymphe nicht in causalem Zusammenhange mit PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. (CAVAZZANI. 223 einer erhöhten Saccharification des Glykogens der Leberzelle stehe; sie kann vielleicht nur eine Passage der Diastase aus dem Blute in die Leberzwischen- räume oder andere, nicht in direetem Zusammenhang mit der Glykogenesis stehende Vorfälle anzeigen. Es bliebe aber immer noch der Durchgang der Diastase aus den Interstizien in die Leberzelle nachzuweisen. Wenn die Analogie nicht zuweilen zu einem Irrthum führte, wäre es wohl angebracht, auch daran zu erinnern, dass die Diastase des Blutes sich nicht oder doch fast nicht weiter verbreitet als bis zu Placenta, Epithelien und Cerebralendothelien. Nehmen wir ausserdem ein freies Eindringen des Ferments in die lebende Zelle an, so müssten wir entweder an eine dem Fermente preis- gegebene Production der Glykose glauben, oder aber sie als von der Ferment- erzeugung geregelt betrachten, sowie von dessen Transport längs der Lymph- bahnen und schliesslich von seinem Eindringen in die Zelle. Kann man nun bezüglich der von Bial aufgestellten Punkte sagen, dass sie genügend beweiskräftig sind, um diese Frage in für sie günstigem Sinne definitiv erledigt zu sehen? Pick stellt das einer gewaschenen und längerer Extraction in Schüttel- apparaten ausgesetzten Leber entnommene Ferment dar. Ein solches Ferment verwandelt das Glykogen in ein in Alkohol lösliches Kohlenhydrat. Die Sache ist an und für sich weder in qualitativem noch — könnte ich fast sagen — quantitativem Sinne neu. Unter Anderen fanden Seegen und Kratzschmer ein saccharificirendes Ferment in der gewaschenen Leber. Ich selbst habe einen Versuch beschrieben, bei welchem eine Production von etwa 0.408" Stärkezucker stattfand, nach Verwendung von 100 8% ge- waschener, zur Zuckerbildung herangezogener Leber, d.h. weniger, aber nicht viel weniger als was er aus Glykogen erhalten haben will. Aus der Pick’schen Arbeit geht nicht hervor, ob dieses Ferment sehr activ ist, währen im IV. Abschnitt gesagt ist, dass das Ferment von 100 3" Leber in 3 Stunden 0-69 Glykogen saccharifieiren kann, könnte man nach Berechnungen mit dem im III. Abschnitt gegebenen Versuch glauben, dass alles von der Leber eines 8% schweren Hundes gelieferte Ferment kaum genüge, um 0-67 3% zu saccharifieiren, Pick glaubt aber immerhin versichern zu können, dass die Lösungen des hepatischen Ferments eine zersetzende Wirkung auf das Glykogen aus- üben, und zwar in jenem Umfange, wie dies für die postmortale Glykose- bildung in der Leber erforderlich ist. Ich glaube in dieser Hinsicht nicht ganz mit dem Autor überein- zustimmen, denn sehr oft findet man nach 1 Stunde 2 ®”" und mehr Glykose auf 100 =” bei 38° gehaltener Leber, und entsprechende Ziffern finden sich bei den Untersuchungen Seegen’s, Chittenden’s und vieler Anderen. Es könnte da vielleicht entgegnet werden, dass bei diesen Versuchen zur Bestimmung der Glykose die Methode Fehling’s angewandt wurde, womit auch einige der Zwischenproducte der Hydrolyse des Glykogens mit- berechnet wurden. Zu meinen Bestimmungen wurden die Extracte immer zuerst mit Alkohol behandelt und dann filtrirt. Aber auch ohne diese Vorsicht könnte die Differenz nicht besonders erheblich sein. Mir will es scheinen, dass die in der Leber saccharifieirte Glykogenquantität immer grösser ist, als die durch daraus isolirtes Ferment. 224 VERHANDLUNGEN DER BERLINER In den Untersuchungen Pick’s finden sich aber noch zwei andere Punkte, die nach meinem Urtheil in schlechtem Einklang sind mit der Hypothese, dass dieses Ferment dazu da sei, aus dem hepatischen Glykogen die Glukose für den Organismus zn präpariren. Erstens, die grosse Differenz zwischen der Fermentmasse, die man aus der Leber erhält und jener aus den Nieren. Nach Pick enthalten 100 3”" Leber eine Fermentquantität, die im Stande ist, in 3 Stunden aus einer bestimmten Glykogenlösung 0.69 8 Glykose zu liefern; während 100 S’”% Nieren leicht 2-37 8" Glykogen sacchari- fiziren. Der zweite Punkt ist die Möglichkeit, aus der Leber ein stark wirken- des Extract zu erhalten und zu gleicher Zeit das in jener selben Leber existirende Glykogen nicht saccharifieirt zu sehen. Und diese Möglichkeit ist auch von No&äl Paton erwähnt worden. Wenn ein Organ, in dem keine physiologische Saccharification eintritt, so viel mehr Ferment enthält, als dasjenige, in welchem dies geschieht; wenn es Fälle giebt, in denen trotz Gegenwart des Ferments und des Fermentierbaren keine Fermentation vor sich geht, so weiss ich nicht, wie ich die physiologische Verzuckerung des hepatischen Glykogens mit der reinen und einfachen enzymatischen Wirkung in Uebereinstimmung bringen soll. Wie dies bereits Bial gethan, sucht auch Pick seine Hypothesen mit dem Ergebnisse jener Versuche in Einklang zu bringen, die eine Be- ziehung zwischen Erregung gewisser Nerven und Erhöhung der Glukose- erzeugung in der Leber nachgewiesen haben. Er macht zu diesem Behufe die Annahme einer gesteigerten Wirksamkeit des intercellulären Ferment- complexes. Diese Erklärung, so sagt der Verfasser, ist genauer als die von Cavazzani gegebene, der an eine erhöhte Activität der Leberzelle glaubt. Ich aber frage mich, ob sie auch richtiger ist, denn wenn wir mit Pick annehmen wollen, dass das Ferment, wie er am Ende seiner Studie erklärt, in der Leber erzeugt werde, so müssen wir auch annehmen, dass es vom Protoplasma ausgearbeitet werde. Deshalb erscheint mir der Ausdruck „erhöhte protoplasmatische Wirksamkeit“ richtiger, so lange nicht alle Zweifel bezüglich der Existenz des Ferınents gehoben sind, und auch dann anwendbar, wenn es definitiv entdeckt sein wird. Was nun den Versuch anbetrifft, die Theorien mit den Thatsachen in Einklang zu bringen, so könnte ich doch mit der Hypothese des Ferments noch keine Erklärung finden für die beiden neuen experimentellen Ergeb- nisse. Monier hat das Glykogen und die Glukose der Leber ein und desselben Thieres in zwei Theilen gemessen. Ein Theil blieb intact, der andere wurde fein zerhackt, wonach der erste bedeutend weniger Glykogen und mehr Glukose enthielt als der zweite. — A. Montuori hat die Glukose in den verschiedenen Theilen eines vom galvanischen Strom durchflossenen Stückes Leber dosirt und hat dabei in dem der Kathode naheliegenden Theil fast zwei Mal soviel Zucker gefunden wie in dem der Anode nahe- liegenden Theil und dem Controlstück. Beide Experimente bedürfen einer Nachprüfung. Bezüglich des zweiten muss ein Vorbehalt erhoben werden, so lange es unbekannt ist, welchen polaren Einfluss die Ströme auf die Fermente und die Reactionen des Raumes haben, in dem sie wirken. Auf jeden Fall tragen besagte Ver- PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — E. Cavazzanı. — Hans VırcHnow. 225 suche meiner Ansicht nach dazu bei, den erwähnten anders lautenden Ver- suchen theilweise für den Augenblick die Bedeutung zu nehmen, die man ihnen geben möchte. Nach alledem scheint es mir, dass ich momentan davon absehen kann, auf die Beobachtungen Pick’s zu erwidern, welche sich auf den inhibiren- den Einfluss stützen, den das Chinin auf das von ihm isolirte Ferment ent- wickelt — und dies auch angesichts der Thatsache, dass, während sich mir eine Verminderung der Zuckerbildung aus dem hepatischen Glykogen auch in Folge der Gegenwart des Methylvioletts ergab, nach Pick die inhibirende Wirkung dieser Substanz auf sein Ferment nur sehr gering ist. Weiterhin erspare ich es mir,. auf andere Kritiken und Einwürfe zu antworten, weil ich dies später in einer allgemeinen zusammenfassenden Studie und auf Grund neuer Untersuchungen thun werde. Für den Augenblick beschränke ich mich darauf, zu bemerken, dass es, wenn man die Bemerkungen Bial’s und Pick’s in Betracht zieht, einem scheinen will, als ob weder der Eine noch der Andere von meinen sämmt- lichen diesen Gegenstand behandelnden Arbeiten Kenntniss genommen habe. Dann halte ich es für angebracht, vom allgemeinen Gesichtspunkte aus über die Anschauung genauen Aufschluss zu geben, die ich hatte, als ich von der protoplasmatischen Wirksamkeit der hepatischen Zelle in Beziehung zur Glykogenese sprach. Ich hielt sie nämlich für eine Modification oder eine Serie von Modificationen, die in dem organisirten Theil der Zelle vor sich gehen und durch welche die Transformation des Glykogens in Glukose ermöglicht wird. Der Charakter dieser Veränderungen ist unbekannt, wie dies ebenso der Mechanismus der Formation des Glykogens aus Glukose ist. Es kann sich dabei um eine durch das Protoplama bewirkte directe Hydra- tation handeln oder aber vielleicht selbst um die immediate Production einer feinsten Diastase; um eine Befreiung des Glykogens von einer be- sonderen Combination, in welcher es von den intra- oder extracellulären Fermenten nicht angegriffen werden kann; schliesslich ist auch ein anderer Vorgang unbekannter Art nicht ausgeschlossen. Will man aber die physiologi- sche Production der Glukose gut verstehen, so ist es meinem Erachten nach zweckmässig, immer eine Einwirkung des Protoplasmas anzunehmen, jenes Elementes, das zum Unterschiede von den Säften seine natürlichen Be- fähigungen plötzlich ändern kann und vermittelst des Nervensystems den Veränderungen und Bedürfnissen anderen mehr oder weniger fernliegen- den Protoplasmas angepasst werden kann. IV. Sitzung am 4. December 1909. Hr. Hans Virchow: „Ueber den Lidapparat des Menschen.“ 1) Das Bindegewebe der Lider zerfällt, abgesehen von dem Corium der Haut und der Tunica propria der Conjuncetiva in eine dichte und eine lockere Formation. Die diehte Formation umfasst den Tarsus und Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 15 226 VERHANDLUNGEN DER BERLINER das „Cilienlager“, die lockere Formation das subeutane Bindegewebe und die „centrale Bindegewebsschicht“ zwischen Musc. orbieularis und Tarsus. Letztere besteht nur im oberen Lide, indem im unteren der Muskel unmittelbar auf dem Tarsus aufliegt. 2) Das Cilienlager hat im oberen Lid auf dem sagittalen Schnitt die Gestalt eines Keiles mit abwärts gewendeter Basis, dessen aufwärts ge- wendete Schneide annähernd in der Gegend des Arcus tarseus liegt. 3) In Folge dieser Gestalt des Cilienlagers sind die Cilien, welche ganz im dichten Bindegewebe eingeschlossen sind und nicht wie an der Kopfhaut mit ihren Bälgen in das subeutane Gewebe reichen, mit ihren Wurzeln mehr zusammengedrängt, während sie am Lidrande bekanntlich in mehreren Reihen hinter einander austreten. Die Cilien sind auch in fron- taler Richtung nicht parallel gestellt, indem immer mehrere derselben eine Gruppe bilden dadurch, dass sie mit ihren Spitzen convergiren. Beim Schluss der Lidspalte legst sich die Gesammtheit der oberen Wimpern auf die Gesammtheit der (schon bei offener Spalte ziemlich stark abwärts ge- wendeten) unteren Wimpern und drückt dieselbe abwärts. Der Wimper- apparat ist also nicht zu vergleichen mit einem Verhau, sondern mit zwei Schirmen, von denen der obere sich auf den unteren auflegt. Vielleicht ist die Schwäche der unteren Wimpern darauf zurückzuführen, dass sie den oberen keinen unzweckmässigen Widerstand entgegensetzen sollen. 4) Das lockere Bindegewebe des centralen Bindegewebslagers ist dichter als das der Subeutis. Es besteht fast ausschliesslich aus einer senk- rechten Faserung und ist im Wesentlichen auf die vordere Ausbreitung des Levator zurückzuführen. Die Bündel dieser Ausbreitung treten all- mählich zwischen den Bündeln des Musc. orbieul. hindurch nach vorn in das subeutane Bindegewebe ein. Eine irgendwie nennenswerthe Befestigung an der vorderen Fläche des Tarsus findet nicht statt. 5) Der glatte Müller’sche Muskel ist an der oberen Seite, wo er mit der Sehne des Levator, und zwar vorwiegend mit der unteren (hinteren) Sehnenausbreitung, in Beziehung steht, kräftiger wie an der unteren Seite. An letzterer spaltet er sich in einen vorderen stärkeren Zug zum Lide und hinteren schwächeren Zug zur Conjunctiva bulbi. 6) Das sogen. Septum orbitale (auch Fascia palpebralis) bedarf einer wesentlich anderen Darstellung, als ihm zu Theil zu werden pflegt. Ich habe schon bei früherer Gelegenheit darauf hingewiesen, dass diese Formation er- hebliche regionäre Verschiedenheiten aufweist; auch habe ich schon betont, dass von einer diaphragmaartigen Bildung, welche unverändert im Orbitaleingange ausgespannt ist, nicht die Rede sein kann, da ja bei der Veränderung der Lidstellung eine- fortgesetzte erhebliche Verziehung des „Septum“ stattfinden müsse. Die von Manchen behauptete Befestigung am Rande des Tarsus ist natürlich von vornherein auszuschliessen, da ja damit der vorderen Sehnenausbreitung der Weg verlegt, bezw. der Eintritt in die vor dem Tarsus gelegene centrale Bindegewebsschicht verwehrt werden würde. Das Bild einer senkrecht gestellten Platte konnte aber überhaupt nur dadurch zu Stande kommen, dass zur Erleichterung des Präparirens das PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Hans VIRCHOW. 227 obere Lid nach unten und das untere nach oben gezogen wurde. In Wahr- heit handelt es sich gar nicht um eine Verlängerung des Orbitalrandes in senkrechter Richtung, sondern es handelt sich, wie Totalschnitte. durch die Lider und den ganzen Orbitalinhalt zeigen, um eine Fortsetzung der Richtung der Periorbita im Wesentlichen nach vorn. Dieser Angabe ist aber die weitere beizufügen, dass dieses „Septum‘ nichts anderes ist, als die am weitesten gegen den Orbitaleingang zu gelegene Haut, welche zu einem System von Platten und Balken gehört, die am oberen Augenhöhlen- rande vom Stirnbein und am unteren Augenhöhlenrade vom Oberkieferbein aus nach vorn treten. So erklärt sich die präparatorische Erfahrung, dass es zwar sehr leicht ist, das Septum von hinten her von der Orbita, aber oft schwer, ja sogar unmöglich, es von vorn her darzustellen. Indem diese Platten und Balken nach vorn gehen und weiterhin zwischen den Bündeln des Orbieularis hindurchtreten, wobei zugleich aus Verbindungen derselben an der Rückseite des Muskels eine Fascie des letzteren gebildet wird, gewinnen sie Beziehung zu dem Muskel, dem sie einen gewissen Halt bieten, und zur Haut. Damit ist auch, wie mir scheint, eine mehr befriedigende Vorstellung von der Bedeutung des Septum gewonnen. Es wird gewöhn- lich gesagt, das Septum bilde eine Abgrenzung zwischen dem Orbitalinhalt und der Lidgegend. Dies könnte an sich wohl sein, aber diese Darstellung ist doch insofern nicht befriedigend, als damit nicht eine eigenliche Auf- gabe des Septum bezeichnet sein kann. Denn die Natur, wenn sie schon Anatomie macht, macht doch keine topographische sondern functionelle Anatomie, und das Bindegewebe hat überall eine mechanische Function. Eine solche scheint mir aber jetzt durch die vorausgehende Beschreibung gewonnen. Von dem unteren Septum habe ich schon bei früherer Gelegen- heit gesagt: dasselbe sei „schwach oder fehlend, bezw. werde vertreten durch die Fascie des Orbicularis“. Dies war zwar keine klare Erkenntnis des Sachverhaltes, aber lag doch auf dem Wege zu dieser Erkenntnis. 7) Der sehnige Bogen, den ich früher als „septale Brücke“ be- schrieben habe, dessen medialer Schenkel in der vorderen Kante der Scheide des Obliquus inferior liest, und dessen lateraler Schenkel sich an einem lateral gelegenen Punkte des unteren Augenhöhlenrandes befestigt, findet sich auf mittleren Schnitten wieder als ein quergeschnittenes Bündel. 8) Im Musc. orbicularis giebt es zahlreiche Differenzirungen, welche für die Feinmechanik des Orbitaleinganges und für die Nuancen des Augen- ausdruckes von Bedeutung sind. Von ihnen sollen vorwiegend diejenigen beschrieben werden, welche sich auf mittleren Sagittalschnitten erkennen lassen. Der Muskeltheil der Deckfalte ist kräftiger als der des oberen Lides, der des unteren Augenhöhlenrandes kräftiger als der des unteren Lides. Er erscheint sogar auf den sagittalen Schnitten ganz besonders dick; es ist jedoch dabei zu berücksichtigen, dass seine Bündel nicht quer sondern schief getroffen sind, was sich daraus erklärt, dass sie von dem medialen Theil des unteren Augenhöhlenrandes ausgehen, womit die an dieser Stelle sichtbare Wangenlidfurche zusammenhängt. Der prätar- sale Teil des unteren Lides ist von dem darunter liegenden Abschnitt durch einen Knick getrennt, womit eine im Bereich des Lides selbst gelegene, schon bei Kindern sichtbare Furche zusammenhängt. Der prätarsale Theil 15* 228 VERHANDLUNGEN DER BERLINER des unteren Lides ist bedeutend kräftiger wie der des oberen Lides. Der letztere ist am dünnsten in halber Höhe des Tarsus und nimmt von da sowohl nach oben wie nach unten hin etwas an Dicke zu. Vor dem Lidorbieularis des unteren Lides findet man eine Formation isolirter kleiner Bündel vorgelagert, die Ausstrahlung des in der Nische des (medialen) Lidbandes entspringenden Orbicularisabschnittes, durch welchen die feinen kammartigen Falten erzeugt werden, die beim Blinzeln in der Gegend des medialen Augenwinkels auftreten. Der Lidrandteil des Orbi- cularis spielt in den Beschreibungen eine besondere Rolle und ist durch die Bezeichnung eines Muse. ciliaris (Riolani) besonders hervorgehoben. Andere haben gemeint, ihn wegen seiner Beziehung zum Tarsus als Muse. tarsalis bezeichnen zu sollen. Das eine ist so richtig wie das andere, denn er liest sowohl im Cilienlager wie im Tarsus. Es ist also nicht von einem Museulus eiliaris oder tarsalis, sondern von einem Musculus eiliaris und tarsalis zu sprechen; man kann aber, wenn man solche Unterscheidungen überhaupt machen will, ebenso gut noch weiter gehen und von einem Muse. praeciliaris, inter- oder intraciliaris, retrociliaris, tarsalis anterior und tarsalis posterior sprechen, denn alle diese Abteilungen finden sich vor. Es hat thatsächlich ebenso viel Sinn, viele Abtheilungen zu machen als gar keine Abtheilungen zu machen. Das Letztere möchte ich bevorzugen, denn eine wirkliche Be- deutung würden solche Abtheilungen nur dann haben, wenn sich funetionelle Beziehungen zu den Theilen nachweisen liessen, von denen die Benennungen genommen sind. Und das möchte ich entschieden bestreiten, insbesondere auch auf Grund der Untersuchung von horizontalen Schnitten. Das Be- sondere dieses Theiles des Orbicularis scheint mir durch die Bezeichnung „Lidrandabschnitt“ vollkommen ausgedrückt. Das Besondere besteht darin, das er vergleichbar dem Randtheil des Orbieularis oris in innige Beziehung zu dem festen Bindegewebe des Lidrandes tritt, und dass er sich nach hinten bis an die Conjunctiva ausdehnt. Auf diese Weise gewinnt der Muskel eine grössere Herrschaft über den Lidrand, was sich besonders bei dem gewaltsamen Lidschluss, beim „Zukneifen“ geltend macht. Wenn dabei der Muskel mit den im Lidrande dicht zusammengedrängten Gebilden, den Cilien und Drüsen, in Confliet kommt, so ist es selbstverständlich, dass seine Bündel nicht immer den geraden Weg einhalten können, sondern den entgegenstehenden Hindernissen ausweichen müssen. Es sei noch bemerkt, dass der Lidrandtheil nicht identisch ist mit dem Horner’schen Muskel. Das, was man als Horner’schen Muskel zu bezeichnen pflegt, d. h. der- jenige Theil des Orbieularis, welcher an der Wand des Thränensackes und noch dahinter am Knochen entspringt, verhält sich, wenn man ihn in’s Lid verfolgt, so, dass er im oberen Lid die untere Hälfte des prätarsalen Theiles und im unteren Lide den ganzen prätarsalen Theil bildet. Der Orbieularis des Lides, der übrigens eine netzartige Anordnung hat, zeigt schon bei der Präparation eine Zusammensetzung aus Blättern. Auf den Sehnitten sieht man, dass diese Blätter im oberen Lide in ausgesprochener Weise sich dachziegelförmig decken, d.h. dass die Querschnitte der Bündel nicht Reektecke sondern Rauten sind, indem die zwischen ihnen hindurchtretenden Septa von oben hinten nach unten vorn gerichtet sind, was offenbar mit der Richtung der Ausstrahlungen der Levatorsehne zu- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Hans VIRCHOW. 229 sammenhängt. An dem unteren Lidorbieularis ist diese dachziegelförmige Deckung nicht in gleicher Weise ausgebildet. 9) In der Gefässversorgung der Conjunctiva macht sich ein ausser- ordentlich starker Unterschied zwischen der Conjunctiva tarsalis und der ganzen übrigen Conjuncetiva bemerkbar. Während die letztere nicht reicher an Gefässen ist, als sich aus nutritiven Gründen begreifen lässt, ist die erstere so reich vascularisirt, dass sie an einem mit Berliner Blau total injieirten Präparat wie dunkelblauer Sammt erscheint. Ihre Gefässe sind in drei Schichten angeordnet, zwei tieferen Schichten weiterer Gefässe und einer oberflächlichen Schicht von Kapillaren. Die letzteren bilden ein allseitig geschlossenes Netz von dem Charakter derjenigen Netze, wie man sie aus der Choriocapillaris und der Lunge kennt, wenn auch nicht von gleicher Dichtigkeit wie diese. Die Kapillaren liegen so dieht am Epithel, dass oft gar nichts von Bindegewebe zwischen ihnen und dem Epithel zu sehen ist. Es ist sehr gewöhnlich, dass man die Quer- schnitte dieser Kapillaren auf drei Seiten von Epithel begrenzt sieht, ja manchmal kommen die Epithelzellen fast an der vierten Seite des Gefässes zusammen, so dass ein Bild entsteht, als läge das letztere innerhalb des Epithels.. Man kann aus diesem Befunde auch gwisse Schlüsse auf die Gestalt der Papillen der Tunica propria machen. Dass zwischen dem Bezirk der dichten Gefässanordnung und dem Tarsus eine feste räumliche Beziehung besteht, wird noch besonders bestätigt durch den Vergleich mit Affen. Bei ihnen giebt es nämlich einen eigentlichen Tarsus im unteren Lide gar nicht, und im oberen Lide ist die nasale und temporale Seite davon frei. Der Tarsus nimmt also nur die mittlere Partie des oberen Lides ein, ist hier aber von bedeutender Höhe und stellt genau einen Deckel für die Hornhaut dar. Diesem so abweichend gestalteten Tarsus entspricht nun genau der Bezirk der dichten: Gefässausbreitung. Es ist offenbar, dass dieses eigenartige Gefässnetz seine Erklärung nicht durch die Aufgabe der Ernährung der Conjunctiva findet, sondern dass es eine anderweitige funetionelle Bedeutung hat. Der Umstand, dass der Umfang desselben mit dem Umfange des Tarsus zusammenfällt, könnte die Frage hervorrufen, was das Bedingende und was das Bedingte ist; ob der Tarsus vielleicht der Gefässausbreitung zu Liebe da ist, oder ob dieses reiche Gefässnetz sich im Schutze des Tarsus entwickelt hat. 10) Beziehung zwischen Tarsus und Meibom’schen Drüsen. — Bekanntlich sind die Meibom’schen Drüsen im unteren Lide kürzer als im oberen, und auch dieser Umstand wird durch den Vergleich mit den Affen- lidern in ein helleres Licht gerückt. Hier sind die Meibom’schen Drüsen des unteren Lides sehr kurz; die des oberen Lides sind an der nasalen und temporalen Seite gleichfalls kurz, in der Mitte dagegen, d.h. im Bereiche des Tarsus sind sie lang, und diese langen Drüsen bestehen aus einem kurzen dieken basalen Stück und einem langen schlanken Endstück, welches sich wie eine secundäre Verlängerung ausnimmt. 11) Unterschiede zwischen oberem und unterem Lide. — Beim Vergleich der beiden Lider des Menschen lässt sich, abgesehen von den be- kannten Unterschieden (verschiedene Dicke, verschiedene Höhe des Tarsus, 3230 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — HANS VIRCHOW. verschiedene Länge der Meibom’schen Drüsen, verschiedene Stärke und Stellung der Cilien), eine ganze Anzahl weiterer Differenzen aufzählen, von denen einige im Vorausgehenden genannt sind, nämlich Fehlen der centralen Bindegewebsschicht im unteren Lide, grössere Dieke des. Orbicularis, vor- gelagerte Bündel des letzteren. Es sei hinzugefügt, dass der Lidrand im Ganzen am unteren Lide eine weit weniger ausgeprägte Differenzirung zeigt, wie am oberen Lide: das Cilienlager ist weniger deutlich abgegrenzt, und der Lidrandmuskel ist nicht wie im oberen Lide rechtwinklig zu dem übrigen Orbicularis gestellt, sondern dieser geht im Bogen in den Lidrand- theil über. ‚Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & U0MP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö, Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis . 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beupzı 22 MR. Centralblatt für praktische AUGENHE ILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des’Jahrganges (12 Hefte) 12.4; bei Zusendung unter Streifband direkt von “der Verlagsbuchhandlung 12 #4 80 #2. ‚Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und ‘ giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU "AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 .#. . Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches (entralhlatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Ineraule des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin, "Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 .%. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 # direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt \ regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeit 56 hrift Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, wd Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0. ö. Professor und Director für Infectionskrankheiten > des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in wahelosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- .liehen Umfang von 30—35 an mit Tafeln ; einzeine Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Beichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, _ erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den eoler gischen Theil. Der Preis dos Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte, herausgegeben von W. His und W. Waldeyer), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 M, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 #. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. N Physiologische Abtheilune. 1904. IH. u. IV. Heft. SU S ARCHIV ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETA, J. F. MECKEL, JOH, MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Da. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT SECHS ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZWEI TAFELN. "LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. | i; 1904. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 27. Mai 1904.) »Inhalk A. Lomwx, Ueber die Dissoeiatipnsspanmung des Oxyhämoglobins im ner lichen 'Blute. ' (Hierzu Taf. Y.) VICTOR SCHILLER, Ueber die physiologischen wann des Delphinins (Hey. (Hierzu Taf.‘ NL.) . Max Rorumann, Ueber die Leitungsbahnen a Bernkninsareflesse er Be rücksichtigung der Hautreflexe des Menschen Boris BIRUKOFF, Zur Theorie der Galvanotaxis L. U. H. C. WeErnDLy, Aequisonore Flächen rings um eine Terfönende nen) Fr. Kızın, Das Wesen des. Reizes. Ein Beitrag zur a der Sinnes- organe, insbesondere des Auges : E. Hexma, Ueber die Umwandlung des en Areas: in Typ. A.. Rotn, Zur Kenntniss der Bewegung der Spermien. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1903—1904 Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Verbrennung innerhalb der lebendigen Sub- . stanz. — Sau, Ueber Reineulturen. von‘ Protozoön. — von HANsEMANN, Ueber abnorme. Rattenschädel. — A. Masnus-Levy, Ueber Zuckerbildung aus Eiweiss und das Verhalten des respiratorischen Quotienten im Diabetes. — R. Du Boıs-Reymonp, Vom, Schwimmen ‚des Menschen. — von HAnsEMANN, Reaction von Blutpraeeipitin.. — Kurt BRANDENBURG, Die Wirkung der Seite- 231 248 256 971 297 305 ...343 366 BT Digitalis auf. das Herz. — Hans FRIEDENTHAL, Neitere Versuche über die 55 Re etlon auf Blutsverwandtschäft. Die Herren Mitatheiter erhalten vier zig Separat- a ihrer. Bei träge gratis und 30 M Honorar für den en Beiträge für die anatomische Abtheilung in ‚an Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W., Taisenstr 56, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 85 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten ind auf vom Manuseript, getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die. Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, ‚die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Litterarischer Anzeiger. Beilage zu Archiv für Anatomie u. Physiologie Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten Skandinavisches Archiv für Physiologie. 1904. Verlag von Veit & Comp. in Leipzig. Nr. 1. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Soeben erschien: STUDIEN ÜBER DIE NATUR DES MENSCHEN. EINE OPTIMISTISCHE PHILOSOPHIE von Elias Metschnikoff, Professor am Institut Pasteur, Mit Abbildungen. j) Autorisierte Ausgabe. Eingeführt durch Wilhelm Ostwrald. 8. geh. 5 #, geb. in Ganzleinen 6 .#. | Der berühmte Forscher führt in den von ihm als Programm für seine wissenschaftliche Arbeit bezeichneten „Studien“ aus, daß die unzweifel- haften Unvollkommenheiten des menschlichen Organismus nicht Mißhand- lungen eines grausamen Schicksals, sondern entwicklungsgeschichtlich be- dingte Nachbleibsel früherer Zustände sind, deren Disharmonien zu modifizieren die Aufgabe der Wissenschaft ist. Sein Optimismus wurzelt in dem Ver- trauen auf den Fortschritt der Wissenschaft, der es gelingen wird, die drei großen Übel der Menschheit: Krankheit, Alter und Tod, wirksam zu bekämpfen, indem sie deren Dauer und Wirkung abkürzt, ihre Schmerzen vermindert oder aufhebt. Dann wird das Alter wieder physiologisch werden und der Instinkt des natürlichen Todes wieder erwachen. Verlag von Richard Schoelz in Berlin NW., Luisenstr. No. 36. Soeben een: Hygiene und Seuchenbekämpfung. | Gesammelte Abhandlungen von Dr. Martin Kirchner, Geheimem Obermedizinalrat und vortragendem Rat im Kgl. Preussisehen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, Mitelied der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal- wesen, des Apothekerrats und des Reichsgesundheitsrats, a. o. Professor an der Universität zu Berlin, Generaloberarzt der Reserve. Preis: broschiert # 18.—, gebunden # 20.—. Das Wechselfieber (Malaria), seine Verhütung und Bekämpfung, = Im amtlichen Auftrage gemeinverständlich dargestellt von Dr. Erich Martini, Marinestabsarzt, kommandiert zum Institut für Infektionskrankheiten. Mit fünfzehn in den Text gedruckten Abbildungen. Es sind zwei Ausgaben erschienen: in Plakatform und in Buchform. Der Inhalt ist in beiden Ausgaben derselbe, Preis: 30 . 200 Exemplare werden mit 4 50.—, 1000—5000 Exemplare mit cf 175.—, 5000 und mehr Exemplare mit At 150.— pro Tausend berechnet. Schutzmassregeln bei ansteckenden Krankheiten. Herausgegeben \ mit den Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Potsdam von Dr. Roth, Regierungs- und Geheimem Medizinal-Rat. = Achte Auflage. Preis: Gesamtausgabe ä 40 .%/, 100 Exemplare a 35.2, 1000 und mehr Exemplare a 30... Einzelne Blätter a 5.%%, 9 Exemplare 35 ./, 100 Exemplare #% 3.50, 1000. Exemplare X 30.—. Inhalt: Ansteckende area anche — Darmtyphus — Diphtherie — Keuchhusten — Kopfgenick- krampf — Masern — Lungen-Tuberkulose — Ruhr — Scharlach. Der Herr Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten hat sich damit einverstanden erklärt, dass diese Belehrungen‘ beim Auftreten ansteckender Krankheiten in jedem et Einzelfalle den Haushaltungs-(Anstalts-)Vorständen seitens der Ortspolizeibehörden zur Nachahmung Le ee BEE übermittelt werden. a Das Fleischbeschaugesetz nebst preussischem Ausführungsgesetz und Ausführungsbestimmungen. Zusammengestellt und mit Anmerkungen versehen von Schroeter, Geheimem ÖOberregierungsrat und vortragendem Rat im preussischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Zweite neubearbeitete Auflage, Preis, gebunden -% 6.50. | Gegen frankierte Einsendung des Betrages erfolgt die Zusendung franko. Buchhandlung für Medizin und Naturwissenschaften Berlin NW., von Luisenstrasse 36. Richard Schoetz, 2 0 Ei Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. Soeben erschien; Schenck, Prof. Dr. F. und Gürber, D) Dr. A. Leitfaden der Physiologie des Menschen für Studierende der Medizin. Dritte Auflage. Mit 46 Abbildungen. 8%. 1904. geh. M. 5.40; in Leinwand geb. M. 6.40. Stratz, Dr. C. H., Die Entwicklung der menschlichen Mit 3 farbigen Tafeln und 14 teils farbigen Abbildungen ‚Keimblase. im Text. gr. 8°. . 1904. geh. M. 3.—. Herlag von Georg Thieme ii in Leipzig. Soeben erschien: lloemeine "Anatomie und Physiologie des Nervensystems von Dr. Albr. Bethe, Priv.-Doz. an der Univ. Strassburg. 95 Abbildungen und 2 Tafeln. geh. .% 13,50, geb. .# 14,50. Verlage von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien: Beitrage Zur experimentellen Therapie. 8. Heft. Tuberculoseentstehung, Tubereulosebekämpfung und Säuglingsernährung | von Prof. Dr. E. von Behring, Wirkl. Geh. Rath. 1904. gr. 8. Preis 3 # 60 2. Verlag von August Hirschwald in Berlin.’ Soeben erschien: Beiträge zur experimentellen Therapie herausgegeben von Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. E. v. Behring. Heft 7. I. Ätiologie und ätiologische Therapie des Tetanus von E, v. Behring. II. Neue Mitteilungen über Rindertuberkulosebekämpfung von Dr. Paul H. Römer. 1904. gr. 8. Mit 33 Tafeln. # 12.—. OÖ Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Soeben erschien: ÜBER AKUTE EXANTHEME. NEUE METHODE IHRER PROPHYLAXE. Von Dr. med. Jaroslav Elgart, Arzt am Brünner Krankenhause, Lex. 8. geh. 5 AM. Die Beobachtungen, welche der Verfasser in seiner Stellung als Arzt am Brünner Krankenhause während mehrerer Masern- und Scharlach- epidemien zu machen Gelegenheit hatte, haben ihn zu dem Versuch ge- führt, der Ansteckungsgefahr bei akuten Exanthemen durch eine rationelle Prophylaxe wirksam zu begegnen. Ausgehend von der Annahme, daß die akuten Exantheme bereits in der Periode der Initialkatarrhe ansteckend sind, war er bestrebt, prophylaktisch wenigstens eine annähernde Desinfektion der Atmungswege zu erzielen. Der Erfolg dieser Maßregel war ein ekla- . tanter, so daß sich Versuche mit dieser Methode in der Praxis entschieden empfehlen. Eingehende Studien über Pathogenese, Disposition und Immunität bei den akuten Exanthemen und ausführliche Besprechungen der Schulprophylaxe, der Prophylaxe in der Familie und in Spitälern, des [e) Schutzes für Ärzte und Wärterinnen verleihen der Arbeit weiteren Wert. 'e) oO 8 (4 | & | & pemmmmmn men seem Reese HE sEn SEELE ErELeBS een Eee > <) lo 4 Verlag von VEIT & GOMP. in Leipzig. Soeben erschien: KOMPENDIUM DER ESYCHIATRIE. ‚ Für Studierende und Ärzte. Von Dr. med. Otto Dornblüth, Nervenarzt in Frankfurt a, M. ‘ Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Mit zahlreichen Abbildungen. 8. geb. in Ganzleinen 5 #. Verlag von VEIT & GOMP. in Leipzig. Soeben erschien: KLINISCHE UND KRITISCHE BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DEN SPRACHSTÖRUNGEN Von Dr. med. et phil. Gustav Wolff, Privatdozent in Basel. | Mit Figuren. gr. 8. geh. 2 # 40 2. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. KLINISCHE STUDIEN KRANKHEITEN DER RETINALGEFÄSSE Dr. med. Ole Bull. Mit 41 Sehfeldschemata und 30 Tafeln. 4. 1903. kart. 24 #. ÜBER DIE LÖSUNGEN. Einführung in die Theorie der Lösungen, die Dissoziationstheorie und das Massenwirkungsgesetz. Nach Vorträgen, gehalten im Physiologischen Vereine und im Vereine zur Beförderung des naturwissenschaftlichen Unterrichtes zu Breslau von Dr. W. Herz, Privatdozenten für Chemie an der Universität Breslau. gr. 8. 1903. geh. 1% 40 2. DAS STEREOSKOFP. Seine Anwendung in den technischen Wissenschaften. Über Entstehung und Konstruktion stereoskopischer Bilder. Von W. Manchot, Architekt und Professor am Städel’schen Kunstinstitut zu Frankfurt a. M. Mit 50 Figuren. Lex. 8. 1902. geh. 1.% 80 2. DIE SEHNENÜBERPFLANZUNG und ihre Verwertung in der Behandlung der Lähmungen von Dr. med. Oscar Vulpius, Professor der Chirurgie an der Universität Heidelberg. Mit zahlreichen Figuren und Abbildungen im Text. gr. 8. 1902. geh. 6 #. 6 Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Soeben erschien: LEHRBUCH DER SYNTHETISCHEN METHODEN DER ORGANISCHEN CHEMIE. Für Studium und Praxis. Von Dr. Theodor Posner, Privatdozenten an der Universität Greifswald. sr. 8. geb.-in Ganzl. 10 #. @OGEOEOOIGHOHUEOEHRBGG.EIEGOOEOOGESDIGEDOLIOGOOOGOES®OE00000020889088 Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. | KOMPENDIUM ANATOMIE DES MENSCHEN. FÜR STUDIUM UND PRAXIS VON Dr. JOHANNES MÖLLER, und Dr. PAUL MÜLLER, EHEM. PROSEKTOR EHEM. ASSISTENTEN { AM VESALIANUM ZU BASEL AM ANATOMISCHEN INSTITUT ZU LEIPZIG, MIT ZAHLREICHEN FIGUREN IM TEXT UND ZWEI REGIONENTAFELN. 8. 1903. gebunden in Ganzl. 7 % 50 2. Das Möller- Müller’sche Kompendium erhebt trotz seiner, durch Präzision erzielten Kürze den Anspruch, neben den großen Lehrbüchern der normalen Anatomie infolge seiner klaren und dabei streng wissenschaftlichen Behand- lung als eine durchaus selbständige Darstellung, geeignet, den Studierenden mit den wichtigsten Tatsachen bekannt zu machen und dem praktischen Arzt als Nachschlagebuch beim Gebrauch seines Atlas zu dienen, angesehen, zu werden. GOOHOOH0OHBOOE9HEH9999H99H99GHHIKHH9EOHOOHHAYH92IGO99O9990009 Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Soeben erschien: Untersuchungen über Gastrulation und Embryobildung bei den Chordaten von Dr. Er. Kopsch, Privatdozent und I. Assistent am anatom. Institut zu Berlin, I. Die morphologische Bedeutung des Keimhautrandes und die Embryobildung bei der Forelle. Mit 10 lithographischen Tafeln und 18 Abbildungen im Text. 8 Mark, 7 Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Soeben erschien: LEHRBUCH DER ALLGEMEINEN UND SPEZIELLEN CHIRURGIE einschließlich der modernen ÖOperations- und Verbandlehre. Von Dr. Hermann Tillmanns, Professor an der Universität Leipzig und Generalarzt 2 la suite des Königl. Sächs. Sanitätscorps. Zwei Bände in drei Teilen. Mit 1835 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. Roy. 8. 1904. Geheftet 56 .% 50 Z, gebunden in Halbfranz 64 #. Von dem ersten Band liegt nunmehr die neunte, von dem zweiten die achte Auflage vor. Das „Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie“ von H. Tillmanns ist infolge seiner allgemein anerkannten Vorzüge, der strengen Wissenschaftlichkeit, der klaren Darstellungsweise und der reichen Anzahl er- läuternder Abbildungen, bei Arzten und Studierenden zur Zeit das geschätzteste Werk der modernen Chirurgie. Der erste Band behandelt die allgemeine, der aus zwei Teilen bestehende zweite Band die spezielle Chirurgie. Die Bände sind auch einzeln käuflich: LEHRBUCH DER ALLGEMEINEN CHIRURGIE. Allgemeine Operations- und Verbandtechnik. Allgemeine Pathologie und Therapie. (Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie. Erster Band.) Neunte, verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 628 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. 1904. Geheftet 18 #4 50 2, gebunden in Halbfranz 21 #. LEHRBUCH DER SPECIELLEN CHIRURGIE. (Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie. Zweiter Band.) Achte, verbesserte und vermehrte Auflage. = Zwei Teile. Mit 1207 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. i 1904. Geheftet 35 #, gebunden in Halbfranz 43 #. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig, Ueber die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins im menschlichen Blute. Von Prof. A. Loewy in Berlin. (Hierzu Taf. V.) In einer im XIII. Bande des Centralblattes für Physiologie veröffent- liehten Mitteilung hatte ich die Ergebnisse einer Reihe von Versuchen ge- bracht, in denen nach der im vorstehenden Aufsatze ausführlich angegebenen Methode das Verhalten der Dissociationsspannung des Sauerstoffhämoglobins im menschlichen Blute untersucht war. Ich war zu Ergebnissen gelangt, die mit der damals wohl allgemein gültigen Anschauung in erheblichem Widerspruche standen. Als maass- gebend galten damals und gelten wahrscheinlich auch heute noch die äusserst sorgfältigen und exacten Versuche, die Hüfner über die Oxy- hämoglobindissociation ausgeführt und in einer Reihe von Arbeiten publieirt hat.! Nach diesen musste man annehmen, dass die Dissociation des Oxy- hämoglobins mit sinkendem Partiardruck des Sauerstofis bis zu ganz ge- ringen Werthen herab nur in beschränktem Maasse erfolgte, die Sauer- stoffbindung an das Hämoglobin also eine relativ feste war. Wie ich schon in der oben erwähnten vorläufigen Mittheilung hervor- hob, und ausführlicher in der vorstehenden Arbeit auseinandergesetzt ist, stehen diese Ergebnisse zunächst in Widerspruch mit Versuchen, die schon in den siebenziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Pflüger’s Labo- ratorium ausgeführt wurden. Hier fand Strassburg? für die Sauerstoff- spannungen des Hundeblutes mit Hilfe des Pflüger’schen Aörotonometers, ! Hüfner, a) Ueber das Gesetz der Dissociation des Oxyhämoglobins. Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. b) Ueber die verschiedenen Geschwindigkeiten, mit denen sich die atmosphärischen Gase im Wasser verbreiten. Zbenda. 1897. c) Neue Versuche über die Dissociation des Oxyhämoglobins. Zbenda. 1901. ® Strassburg, Pflüger’s Archw. Bd. VI. 232 A. LoEwY: dass sie für das arterielle Blut über 3-9 Proc. =29.6"" Hg, für das venöse über 2-9 Proc. = 22"m Hg lagen, und Wolffberg! zeigte mittels des wieder von Pflüger angegebenen Lungenkatheters gleichfalls am Hunde, dass die Sauerstofispannung in einem von der Athmung ausgeschlossenen Lungenabschnitte, dessen Gase also in ihrer Spannung der des venösen Blutes entsprachen, einen mittleren Maximalwerth von 3-6 Proc. = 27.4mm Hg habe. Nun ist aber das venöse Blut des Hundes nach den alten Schöffer’- schen ? Versuchen zu ca. 55 bis 60 Procent mit Sauerstoff gesättigt; das des Pferdes zu ca. 50 Procent?. Beim Hunde müsste also einer Sauerstoff- spannung von 22 bis 27 "" Ho einer Sättigung von 55 bis 60 Procent entsprechen und beim Pferde würden, falls die Sauerstoffspannungen des venösen Blutes den des Hundes analog wären, die Verhältnisse ähnlich liegen. Beim Menschen fand ich in einem Versuche, in dem das Venenblut aus der Mediana des Armes direct in ein Messrohr lief und sogleich entgast wurde, eine Sättigung dieses Venenblutes zu 67-6 Procent‘. Beim Menschen liegt aber die Sauerstoffspannung des venösen Blutes höher als beim Hunde. Nach Versuchen, die ich mit H. v. Schrötter jun. ausge- führt habe und die demnächst in extenso publieirt werden sollen, liegt sie bei ca. 5 Procent d. s. etwa 35=m Hg.’ ! Wolffberg, Pflüger’s Archiw. Bd. IV. * Schöffer, #erichte der Wiener Akad. Mathem.-naturwissensch. Cl. Bd. XLI. 3 Dieser Werth ist von mir aus den Versuchen von Zuntz-Hagemann, Unter- suchungen über den Stoffwechsel des Pferdes u.s. w. Landwirthschaftl. Jahrbücher. 1898. Bd. XXVIL Ergänzungsbd. III. berechnet. In Betracht kommt das Capitel: Herzarbeit. 8. 371 fi. Die Ausnutzung des Sauerstoffes des arteriellen Blutes durch die Gewebe beträgt im Mittel 51-6 Procent, d. h. das venöse Blut ist noch zu 48-4 Procent mit Sauerstoff gesättigt. Dabei sind die Differenzen zwischen dem Maximum und Minimum sehr beträchtlich. Im Maxi- mum enthielt das venöse Blut 65 Procent, im Minimum nur noch 24-2 Procent des im Arterienblute enthaltenen Sauerstoffes. * Man muss dabei genau darauf achten, dass keine Stauung in den Arımvenen eintreten kann, da hierdurch eine sehr schnelle Abnahme des Sauerstoffgehaltes eintritt. So war bei derselben Versuchsperson nach ganz kurzer Stauung nur noch eine Sättigung von 31 Procent vorhanden. Die beiden Versuche finden sich auf Tabelle IB. dieser Arbeit am Schlusse von Versuch VII und X angefügt. Aehnliches ergiebt sich auch aus Versuchen von Fr. Kraus, Die Ermüdung als Maass der Constitution. Biblioth. med. Abthlg. D. 1. Heft 3. ; Zu bedenken ist allerdings, dass wir nicht wissen, inwieweit das Blut einer Haut- vene des Armes in seinem Sauerstoffgehalt dem mittleren O-Gehalt des Venenblutes entspricht. 5 A. Loewy und H. v. Schrötter, Ein Verfahren zur Bestimmung der Blut- gasspannungen u.s. w. beim Menschen. Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg.; auch Wiener klinische Wochenschrift. 1903. DISSOCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 233 Während in Uebereinstimmung mit den durch diese Versuche fest- gestellten Beziehungen zwischen Sauerstofispannung und Sättigung des Hämoglobins im Blute die Ergebnisse P. Bert’s stehen, weichen die Hüf- ners erheblich hiervon ab. Nach seinen älteren Versuchen würde das venöse Hundeblut noch 91 Procent, das des Menschen noch zu 94 Procent mit Sauerstoff gesättigt sein müssen !. In der vorstehenden Arbeit ist schon auf die Consequenzen hingewiesen worden, die sich ergeben müssten, wenn Hüfner’s Werthe richtig wären, Consequenzen, die Hüfner selbst gezogen hat, insoweit sie sich auf die Ursachen des eintretenden Sauerstoffmangels bei Athmung verdünnter bezw. sauerstoffarmer Luft beziehen. Die vorstehende Arbeit liefert auch, meine ich, die Beweise, dass Hüfner’s diesbezügliche Ansicht nicht richtig ist. Eine weitere Consequenz, auf die noch nicht hingewiesen worden ist, ist die, dass sich auf Grundlage der Hüfner’schen Werthe eine Circula- tionsgeschwindigkeit und ein Herzschlagvolum berechnen würde, die allen unseren heutigen Erfahrungen widersprächen. Beim Menschen würde ein Blutumlauf in etwa !/, Minute geschehen müssen und das Herzschlagvolum würde mehr als 250 °°® betragen, Werthe, die beträchtlich von den auf Grund sonstiger physiologischer Untersuchungen gewonnenen abweichen. Hüfner’s neueste Werthe? weichen zwar erheblich von seinen älteren ab; sie zeigen weit höhere Dissociationsspannungen als seine früheren und nähern sich den in der vorstehenden Arbeit von Loewy und Zuntz mit- geteilten, sowie den im Folgenden niedergelesten Zahlen. Hüfner lest jedoch diesen neuen Werthen nicht diejenige Bedeutung bei, die ihnen meiner Meinung nach für den Ablauf der Circulationsverhältnisse und für die Sauerstoffversorgung des Körpers zukommt. Er erklärt direct, dass er noch daran festhalten müsse, dass die Beschwerden des Sauerstoffmangels, der beim Aufenthalt in Höhe von 4000 bis 5000” eintrete, nicht auf einer allzu hochgradigen Dissociation des Oxyhämoglobins beruhen könnten. Die Ergebnisse der vorstehend publieirten Arbeit von Loewy und Zuntz zeigen, wie oben schon erwähnt, dass diese Anschauung Hüfner’s nicht zutrifft. — Den Dissociationsspannungen des Oxyhämoglobins des normalen Hunde- und Pferdeblutes, die Loewy und Zuntz fanden, entsprechen annähernd die, die ich mit, gleicher Versuchsmethodik am menschlichen Blute ge- funden und im Jahre 1899 publieirt hatte, sodass auch für den Menschen angenommen werden muss, dass der Sauerstoffmangel, der beim Aufenthalt ! Hüfner, Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthle. ® Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. 234 A. LoEwY: in 4000 bis 5000” Höhe eintritt, auf einer zu weit gehenden Dissociation des Oxyhämoglobins beruht. Ich würde auf meine damaligen Versuche nicht zurückkommen und sie nicht weitergeführt haben, wenn sich mir nicht eine Beobachtung auf- gedrängt hätte, die ich zunächst auf Mängel der Versuchstechnik zu be- ziehen geneigt war. Die Sammlung weiteren Zahlenmateriales sollte mir Aufklärung darüber geben, ob dem so war, oder ob die starken Diffe- renzen der Sauerstoffsättigung des Oxyhämoglobins bei gleichem Sauerstoffdruck, die ich bei der Untersuchung des Blutes verschiedener Personen fand, aufindividuell verschiedener Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins beim Menschen beruhten. Ich will zunächst die Ergebnisse aller Versuche mittheilen, die ich bis jetzt über die Dissociationsverhältnisse des Sauerstoffhämo- globins im normalen menschlichen Blute ausgeführt habe. Auf die Methodik im Einzelnen gehe ich nicht näher ein, sie ist aus- führlich in der vorstehenden Abhandlung erläutert. Erwähnt sei nur Folgendes. Das Blut wurde gewöhnlich durch Venenpunction gewonnen. Nur in Versuchen VII und X der folgenden Tabelle wurde es defibrinirt und sogleich zum Versuch benutzt. In den übrigen wurde dem Blute eine Spur gepulverten neutralen oxalsauren Kalis hinzugefügt (auf 100 m Blut genügt 0-12”=®) um es ungeronnen zu halten. Dann wurde es, soweit es in Berlin gewonnen war, ebenfalls sofort verarbeitet. Nun enthält die Tabelle aber noch fünf Versuche, in denen ich Blut benutzte, das mir durch Herrn v. Schrötter jun. aus Wien zugesendet war. Diese Portionen waren des Nachmittags in Wien unter aseptischen Cautelen entnommen, wurden in einem mit einer Spur oxalsauren Kalis versehenen durch Erhitzen im Luftbad aseptisch gemachten Glase aufge- fangen und am nächsten Mittage zur Untersuchung genommen. Das Blut kam frisch an, eine spectroskopische Betrachtung ergab normales Verhalten, spectrophotometrisch wurde nur eine Probe untersucht. Da die Blutproben sich bezüglich der Dissoeiation ihres Blutfarbstoffes genau wie das Berliner Blut verhalten, können sie auch für die vorliegende Frage als normal und unverändert angesehen werden. Ich habe überdies in dem im Folgenden als Beispiel ausführlich mit- getheilten Versuch X das Blut nur zu einem Teile sogleich untersucht (Proben a, 2, c), ein zweiter Theil (Proben c und d) blieb 24 Stunden auf Eis und kam dann zur Untersuchung. Ein Unterschied im Verlaufe der Dissociation ist nicht zu erkennen. Ich hebe diesen Punkt darum aus- drücklich hervor, weil Hüfner! zwei Beispiele dafür anführt, dass das " Hüfner, Dies Archw. 1903. Physiol. Abthlg. 8. 221, DISSOCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 235 Hämoglobin sich im Laufe mehrerer Stunden derart verändern kann, dass seine Bindungsfähigkeit für Gase eine andere wird, als zuvor. Allerdings handelt es sich bei Hüfner um Hämoglobinlösungen, bei mir um normales Blut, was immerhin einen Unterschied bedingen könnte. Das Blut wurde in Portionen von 25°” getheilt, diese in die Schüttel- birnen gebracht, nach Verdrängung der Luft aus diesen ein Gas, das an- nähernd den Sauerstoffpartiardruck hatte, für den man die Dissociation er- mitteln wollte, eingelassen und nun bis zum Spannungsausgleich bei 38° C. geschüttelt. Gewöhnlich wurden vier bis fünf Proben zugleich in dieser Weise behandelt, wobei dann die Sauerstofispannung in den verschiedenen Gläsern verschieden gewählt wurde. Ein Glas enthielt stets atmosphä- rische Luft, um den Sauerstoffgehalt des Blutes bei der dem normalen Atmosphärendruck entsprechenden vollen Sättigung mit Sauerstoff zu ermitteln. Nach geschehenem Spannungsausgleich wurde eine gemessene Blutmenge in die Blutgaspumpe übergeführt, entgast, der Kohlensäure- und Sauer- stoffgehalt des Gases festgestellt. Ebenso wurde eine Probe des Schüttel- gases entnommen und analysirt. Die für den Blutsauerstoff gefundenen Werthe wurden, wie es in vor- stehender Arbeit näher ausgeführt ist, zwei Correctionen unterworfen, deren eine den Abzug des eingedrungenen Luftsauerstoffes betrifft, deren andere den der physikalisch im Blute gelösten Sauerstoffmenge. Erstere wurde aus dem über die absorbirte Menge gefundenen Gehalt des Blutgases an Stick- stoff berechnet, wobei als Absorptionscoöffieient für Stickstoff aus atmo- sphärischer Luft 0-01035, aus reinem Stickstoff 0.0129 angesetzt wurde. — Der Absorptionscoöfficient für Sauerstoff bei 38° wurde 0.0248 angenommen. Dieser corrigirte Werth für den Blutsauerstoff findet sich in den folgenden Tabellen verzeichnet. Die Berechnung der procentischen Sättigung geschah so, dass die beim Schütteln mit atmosphärischer Luft gefundene Sauerstoffmenge = 100 gesetzt wurde. Ich gebe als Versuchs- und Berechnungsbeispiel nur die Probe 5 des Versuches Nr. X der folgenden Tabelle I B. Blutentnahme durch Venenpunction. Die Vena mediana ist so weit, dass durch die eingestochene Canüle eine Stauung des Venenblutes nicht stattfindet. Die Canüle ist mit einem T-Stück verbunden, dessen einer Schenkel zu einem Messgefäss führt, dessen zweiter offen ist. Aus letzterem fliesst das Blut in einen durch Hitze sterilisirten Maasseylinder, in dem es defibrinirt wird. Nachdem etwa 160 °“® eingeflossen sind, wird der betreffende Schenkel des T-Stückes verschlossen, der zum Messrohr führende geöffnet und dieses mit Blut gefüllt. Dieses Blut soll direet entgast werden, um den Gehalt des Venenblutes an Sauerstoff und Kohlensäure kennen zu lernen. 236 A. LoEwy: Von dem defibrinirten Blute werden je 25 “" in drei Schüttelbirnen gethan. In die eine kommt über das Blut ein Gasgemisch mit etwa 6 Procent Sauerstoff, in die zweite ein solches mit etwa 4 Procent. Die dritte enthält atmosphärische Luft. Alle drei werden nun in einem auf 38° C. eingestellten Wasserbad geschüttelt. Nach 10 Minuten wird zwecks Ausgleichs des Druckes bei jeder Birne die mit dem Gasraume in Verbindung stehende Capillare des Stopfens für einen Augenblick geöffnet!, dann wird nochmals 10 Minuten das Schütteln fortgesetzt. Nun wird in den Gummiballon 38° warmes Wasser eingespritzt und mit Hülfe des dadurch erzeugten Ueberdruckes unter Verwendung eines Hakenrohres eine Probe des Schüttelgases in einem Sammelrohr über Quecksilber aufgefangen. Dann wird ein mit Quecksilber gefülltes Messrohr an die in’s Blut tauchende Capillare angesetzt und mit dem Blute gefüllt. — Jede der drei Blutproben kommt in eine zuvor evacuirte Blutgaspumpe, die gewonnenen Gasmengen werden wieder über Quecksilber in Sammelröhren aufgefangen. Zur Analyse gelangen drei Proben das Schüttelgases und drei zugehörige, aus dem Blute ausgepumpte Gasproben. Die Analyse geschieht in dem von mir in diesem Archiv 1898 beschriebenen Apparate. Probe a. Schüttelgas. Gasgemenge: 18-127 m, Nach Absorption der Kohlensäure bleiben: 17.273 m O + N. Kohlensäure demnach: 0:854 m = 4.711 Proe. Nach Absorption des Sauerstoffes bleiben: 16.138 m N. Sauerstoff demnach: 1.135 «m = 6-2614 16.133: T IN sind En: = 89.02 hi Die 6°2614 Proc. Sauerstoff and den Werth für ds Spannung des Sauerstoffs im zugehörigen Blute. ” Probe b. Blutgas. Ausgepumpt: 6-8376°W Gas. Nach Absorption der Kohlensäure bleiben: 2.0345 °°® Sauerstoff + Stickstoff. Kohlensäure demnach 4.8031, Nach Absorption des Sauerstoffes bleiben: 0.316 m N. Die benutzte Blutmenge betrug: 12.294”, Auf 100 °@ Blut umge- rechnet, ergeben sich: 4°8031°® Kohlensäure . . =39-21 Proc 2.0345 „ Sauerstoff + Stickstoff = 16-61 ii 0.3160 „ Stickstoff . — 2.5798 „ Einem Stickstoffgehalt des Schüttelgases von 89-02 Proc. N entspricht eine physikalisch absorbirte Menge von 1.1600 Proc. N. Eingedrungen ist demnach 25798 — 1.1600 N = 1-4198 Proc. Mit diesen zugleich müssen 0-355 Proc. atmosphärischen Sauerstoffs eingedrungen sein. Von den gefundenen 16-61 Procent OÖ + N sind demnach abzuziehen 2.5798 Procent N + 0:355 Procent OÖ = 2:93 Procent Gas. Es bleiben als Werth für den gesammten im Blut vorhandenen Sauerstoff: 13.68 Procent. ! Vgl. die Abbildung auf S. 172 der Arbeit von Loewy und Zuntz. DISSOCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. DU Von diesem ist die physikalisch absorbirte Menge in Abzug zu bringen. Wenn aus reinem Sauerstoff 2-48 °® von 100°” Blut absorbirt werden, so 2-48 x 6-26 De aus einem 6-26 Procent enthaltenden Gasgemisch: ’ varogmendor lass. Chemisch gebunden sind demnach vorhanden: 15-68 — 0-155 = 13-53 Procent ©. Beim Schütteln mit atmosphärischer Luft nahm dasselbe Blut 19-31 Pro- cent chemisch gebundenen Sauerstoffs auf, wie die Tabelle IB, Versuch Xa zeigt. Das Blut ist also im vorliegenden Falle — bei 6-26 Procent O- oe il Spannung —- gesättigt zu in = 70.97 Procent. Ich gebe eine Uebersicht der zwölf von mir durchgeführten Versuchs- reihen auf folgender Tabelle IA und B. Tabelle IA. Menschliches Blut. Versuche aus 1898 und 1899. | Sauerstoffgehalt Sauerstoffdruck | Chem. gebundene | Sättigungssgrad im $ des Schüttelgase Sauerstoffmenge i des \ Schüttelgases in Millirgötern des Blutes Oxyhämoglobins " in Procenten Quecksilber | in Procenten in Procenten Versuchs- 20-670 17-43 100-00 reihe I 4:734 33-66 13-53 77-64 ©) 3:.526 25-07 13-31 | 76-37 2-956 21:01 10:97 65-25 Versuchs- 20-257 12-55 100.00 reihe II 3-055 21-72 7-55 60:13 e 1.260 8:96 4:26 33:94 Versuchs- 20-370 16-04 10000 reihe III 4350 30:93 12-65 18:88 x 3-431 24-39 10-56 65-81 Versuchs- 19-560 | | 15-94 i 100-00 reihe IV | 4.800 34-13 12-60 79-05 4 | 3.747 | 26-64 11-54 | 12.44 Versuchs- | 19.92 11-37 100.00 veihe V 2-957 21-02 10-14 | 58-39 + N 2.926 | 20-80 | 8-55 49-24 2.232 | 15-87 8-65 49-80 238 A. LoEwY: Tabelle IB. Menschenblut. Versuche aus 1902 und 1903. Sauerstoff- Sauerstoff- Gesammte Chemisch |Sättigungs- gehalt des druck im O-Menge ebundene grad des Schüttel- | Schüttel- des 8 Oxyhämo- g k Nr. O-M - emerkungen gases gase Blutes „Menge | globins in Proc. |inmmHg| in Proc. | in Proc. | in Proc. VI 18-877 21-59 21-12 Cesny, 9-265 70.41 | 19-92 19-69 98-7 | en 6-385 | 48-58 | 15-47 15.32 | os Fe 6-182 | 46-98 16-79 16.64 | 788 | 5.684 43-20 16-04 15-90 75-2 VII Wisch- Luft 22.53 22-01 Denn 7-188 54-63 16-27 16-09 71-43 en 6-402 | 48-66 | 14-04 13-86 | 61-58 27. 1.08 5-170 | 39-29 13-61 13-49 59-86 OS) (6-99 31-087 | Stauungs- venenblut) VII 20-08 21-30 20-81 non X., 7-841 59-59 20-02 19-83 95.30 os 6-261 | 47-58 18-23 | 18-12 87-08 re 3.965 30-13 10-33 10-23 49-17 3.641 27-04 10-98 10-08 52-33 IX Tbe. a)| 20-26 17-96 17-46 Wien p)| 3.972 30-19 12-24 12-14 69-52 5.1.08 X X Wisch- a) 18-714 19-77 19-31 I IL p)| 6.261 47-59 13-68 13-53 70-07 en 5 | 5.3991. 41.03 12-35 12-22 63-28 © d)| 4.986 37-51 11-51 11-39 58-99 e) 4.399 33-483 10-97 10-86 56-25 f) (13-37 67-61 strömendes, venöses Blut) XI a) aezı 20-58 20-14 Zimmer- p)| 5.844 | 44-41 17-34 17-19 85-35 "Wien | 55-755 | 48-74 17-06 16-92 83-99 »2V03 DD 4479 33-04 15-37 15-26 75-75 ® e)| 2.786 21-17 8-34 8-28 41-11 XI a)! 19-15 17-65 esta ee b)| 5-745 | 43-65 15-42 15-28 | 88-97 ien r s | o eos (210-902 15-74 90-07?) DISSOCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 239 Zur besseren Uebersicht sind alle Werthe auf der angehängten Tafel V zusammengestellt. Die Zahlen der horizontalen Reihe bedeuten die im Blute chemisch gebundenen Sauerstoffmengen in Procenten der Sättigung, wobei die aus atmosphärischer Luft aufgenommene Menge als Sättigung betrachtet und = 100 Procent gesetzt ist. Die Zahlen der verticalen Reihe geben die Sauerstoffspannungen in Millimeter Quecksilber und in Procenten einer Atmosphäre. — Die die einzelnen Versuchspersonen andeutenden Zeichen entsprechen den in Stab 1 der Tabelle IA und B angegebenen.! (Siehe Tafel V.) Die 12 Versuchsreihen beziehen sich auf 11 Personen; sechs von diesen wurde das Blut in Berlin kurz vor den Versuchen entnommen, bei fünf geschah die Entnahme in Wien, die Untersuchung in Berlin. — Die fünf ersten Versuche entsprechen den im Üentralbl. f. Physiol. Bd. XIII bereits mitgetheilten. Was bei einer Vergleichung der Zahlen der Tabellen und mehr noch bei einer Betrachtung der Tafel sofort auffällt, ist die scheinbar wenig be- friedigende Uebereinstimmung der unter den gleichen Bedingungen der Sauerstoffspannung erfolgenden Sauerstoffaufnahme durch das Hämoglobin. Bei etwa 2.8 bis 2-9 Procent Sauerstofispannung nimmt das Hämo- globin einmal 41 Procent dessen, was es aus atmosphärischer Luft aufnimmt, als Minimum, einmal etwa 65 Procent als Maximum auf, bei etwa 3-5 Procent Spannung finden sich als Minimum etwa 49 Procent, als Maximum etwa 76 Procent Sättigung. Nicht weniger erheblich sind die Differenzen in der Sauerstoffaufnahme bei den höheren Spannungen. Aber ein näheres Zusehen zeigt weiter, dass diese erheblichen Differenzen bedingt sind durch individuelle Unterschiede. Man hält im Allgemeinen die Beziehung zwischen Sauerstofispannung und Sauerstoff bindung durch das Hämoglobin, also die sog. Dissociations- spannung des Oxyhämoglobins für eine constante, und ich selbst begann in dieser Anschauung meine Versuche. Erst allmählich mit dem wachsenden Zahlenmaterial sah ich mich dazu gedrängt, die individuellen Unter- schiede, die die graphische Darstellung unzweifelhaft ergiebt, als wirklich bestehende und reelle anzunehmen. Ich dachte zunächst an Mängel der Versuchsmethodik und nahm an, dass die im Anfang noch fehlende Uebung Schuld an den Differenzen, die die Werthe unter einander zeigten, hätte. Aber je mehr Versuchsreihen ich ausführte, um so mehr stellte sich heraus, dass die bei ein und dem- selben Individuum erhaltenen Werthe unter sich eine gute Ueberein- ! Die Tafel enthält zum Vergleiche die in den Versuchen von Loewy und Zuntz am Hundeblut gewonnenen und in der vorstehenden Arbeit verwertheten Zahlen. Diese Werthe sind in rother Farbe gehalten. 240 A. LoEwY: stimmung zeigten, und dass die Differenzen fast ausnahmslos nur bei einem Vergleich mehrerer Individuen untereinander zu Tage traten. Man vergleiche dazu die Versuchsreihen 1 (9 der Tafel), 11 (8), 3 (x), 4 (4) und besonders 7 und 10 (© und 8). — Versuch 7 und 10 sind an derselben Person (W., gesunder Krankenwärter) mit einem Zwischenraum von 7 Wochen ausgeführt. Alle sieben Werthe, die drei des ersten und die vier des zweiten Versuches zeigen den gleichen Verlauf der Dissociations- curven an, soweit dies überhaupt nur zu verlangen ist. Beweisend für die Zuverlässigkeit der Ergebnisse sind weiter einige Werthe, die für dasselbe Blut für ganz nahe bei einander liegende Spannungen gefunden sind. Sie zeigen dementsprechend auch einander ganz nahe Sättigungsgrade, so in Versuch VIII (S) eine Spannung von 3.96 Procent eine Sättigung von 49-17 Procent, eine Spannung von 3-64 Procent eine solche von 52.33 Procent, oder in Versuch XI (©), wo einer Spannung von 5-8 Procent eine Sättigung von 85 Procent, einer von 5-7 Procent eine von 84 Procent entspricht. Unter den gewiss zahlreichen Werthen giebt es nur zwei, die, bei gleicher Spannung an demselben Individuum ge- wonnen, etwas weiter, nämlich 9 Procent Sättigung, aus einander liegen, das sind die in Versuch V (+) mitgetheilten, wo bei 2-9 Procent Spannung einmal eine Sättigung von 58 Procent und einmal von 49 Procent ge- funden wird. Nun könnte ja die Methodik ganz einwandfrei sein, aber die die differenten Werthe gebenden Blutproben der verschiedenen Personen könnten vielleicht nicht von gleicher Beschaffenheit, etwa nicht gleich frisch zum Versuch kommen. Angesichts der oben mitgetheilten Angabe Hüfner’s wird hieran um so eher zu denken sein, als das von Berliner Individuen stammende Blut alsbald, das von den Wienern erst nach 20 bis 24 Stunden zum Versuch kam. Aber die Ergebnisse geben dieser Auffassung keine Stütze. Einerseits zeigt das Blut des Wiener Individuums X. eine schwache Bindung; wenigstens für die niedrigeren Sauerstoffspannungen (vgl. Ver- such VIII ©), andererseits das von :Berlinern eine sehr erhebliche, so das von Versuchsreihe I (©), HI (x) und IV (#). — Bei W. (Berliner, Versuch 7 und 10, © und ©) und bei Z. (Wien, Versuch XI, ®) liegt es umgekehrt, und C. (Wien, Versuch VI, ©) nimmt eine mittlere Stellung ein. Ich kann die von mir gefundenen Thatsachen vorläufig nicht anders deuten, als dass die Dissociationsspannung keine constante Grösse darstellt, vielmehr individuell verschieden ist.! ! Mit der Möglichkeit von „Schwankungen in der Sauerstoffbindung des Hämo- globins“ rechnet schon H. v. Schrötter (Zur Kenntniss der Bergkrankheit, Wien 1894) für die Erklärung der individuell verschiedenen Disposition zur Bergkrankheit, DISSOCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 241 Ich muss zunächst die Frage offen lassen, worauf diese Differenzen beruhen. Man könnte daran denken, und diese Anschauung würde einen der Meinung Bohr’s nahe bringen, dass die Hämoglobine der verschiedenen Individuen different sind. Aber es wäre auch möglich, dass physikalisch- chemische Differenzen des Lösungszustandes, in dem sich das Hämoglobin im Blute bezw. in den Blutzellen befindet, Differenzen in der Concentration oder Aehnliches, die Ursachen fürdie Differenzen der Dissociationsspannung darstellen. Ich möchte an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, was schon in der vorstehenden Arbeit geschehen ist und wofür diese Arbeit die Unter- lage giebt, dass beim Hundeblut dasselbe der Fall zu sein scheint. Auch da fand sich, dass bei ganz gleicher Behandlung der Blutproben die Dissociationsspannungen individuell schwankten, dass in dem einen Blute die Bindung eine festere war als in einem anderen. Ich verweise in dieser Beziehung auf die am Schlusse befindliche Tafel V, in der die Dissoeiations- spannungen des Menschen- und des Hundeblutes zugleich verzeichnet sind. Die Zusammenstellung zeigt aber nicht nur, dass bei beiden Blutarten indivi- duelle Differenzen bestehen, sondern weiter, dass diese bei beiden auch innerhalb derselben Breite liegen. — Unter diesen Umständen ist es misslich, ein allgemeines Mittel zu ziehen; zum Mindesten ist es nothwendig — zumal da, wo man etwa die Werthe zur Grundlage weiterer Ueberlegungen und Berechnungen machen will —, die möglichen Maxima und Minima zu kennen. Diese, sowie auch der gezogene Mittelwerth werden natürlich um so sicherer sein, von je mehr Personen die Werthe stammen. Ich gebe zunächst, nach steigender Sauerstoffspannung geordnet, eine Zusammenstellung der in Tabelle I enthaltenen Werthe. Die Tabelle II enthält zugleich eine Angabe über die Zahl der Personen, von denen die Blutproben stammen. Das Zeichen { bedeutet, dass es sich um Blut von derselben Person handelt. Tabelle Il. Versuchs- | Sauerstoffspannung Sauerstoff- Anzahl person sättigung ger untersuchten des HB Nr. in Procenten | in mm Hg | in Procenten | Personen 2 1060 EEE TH Aare B) je | 49-80 5 2.926 49-24 N 3 5 Ines | 58-38 Maximum: 65-25 11 2:786 | 41-11 Minimum: 41-11 1 2336 | E BOZEN ER * Mittel: | 2-771 | 19.70 | 52-76 | Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. : 16 242 A. LoEwy: Tabelle II (Fortsetzung). Versuchs- | Sauerstoffspannung Sauerstoff- Anzahl person ; en der untersuchten Nr. in Procenten in mm Hg |jn Procenten Personen 2a 0 3055 DEE mErTSeID En. 3 3-431 65-81 1 3.526 ut TOR S TE 6 8 (en 52-33 Maximum: 76-37 8 3965 49-17 Minimum: 49-17 4 3.747 72-44 9 ass i 69-52 $ Mittel: 3-62 PIE? a 3 ST Zu ar 78-88 | 7 56-26 5 { 22936 30799 Maximum: 79-05 ulmlickassa> is Minimum: 56-26 1 | 4.734 77-64 4 4.800 79-05 Mittel: | 4.616 32-82 71-09 | Da 59-86 7 5-399 63-28 n 2 ie ee Maximum: 88-97 an a ee Minimum: 63-28 11 Sn | 83-99 11 5.844 8.35 | Mittel: 5-599 89-81 |..76-11 | 6 En 78-80 6 6-385 72-50 3 7 (6acc: 70:07 Maximum: 7-08 7 6.402 61-53 Minimum: 61-65 8 6-261 87-08 Mittel: 6298 44-78 73-99 Da nes 71-43 = 8 7-841 95-30 , Mittel: | 7.514 53-42 83.36 | 6 | 9.265: |, 65.87 | 93-70 | 1 Für Sauerstoffspannungen zwischen 1 und 2 Procent habe ich über- haupt nur einen Werth. So niedrige Spannungen kamen für die mich interessirenden Fragen nicht in Betracht, deshalb begnügte ich mich mit dem einen Werthe. — Zwischen 2 Procent und 3 Procent Sauerstoff- spannung liegen 5 an drei Personen erhobene Werthe; das Mittel ist DiIssoCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 243 19.7 mm OQ-Druck = 52-8 Procent Sättigung. Zwischen 3 Procent und 4 Procent O-Spannung liegen sieben Werthe, die von sechs Personen stammen. Das Mittel ist bei einem O-Druck entsprechend 25-7 "m Hg = 63-78 Procent Sättigung. Der Werth liegt niedriger als der in der vor- läufigen Mittheilung von mir angegebene, da zu den damals untersuchten vier Personen noch zwei weitere traten. Entsprechend der grösseren Zahl der untersuchten Personen muss ich diesem neuen Werth mehr Bedeutung als dem älteren beimessen. Die Sättigungen, die ich im Mittel für Sauerstoffspannungen zwischen 4.4 Procent und 6-4 Procent erhielt, sind nahezu identisch. Dies liegt daran, dass für die niedrigeren Spannungen (zwischen 4 Procent und 5 Procent) überwiegend das Blut von Personen benutzt wurde, bei denen die Dissociationsspannung des Hämoglobins eine relativ geringe war, dagegen vier von den fünf Proben, die bei einer Sauerstofispannung von 6-2 bis 6.4 Procent untersucht wurden, von zwei Personen mit hoher Dissociations- spannung des Hämoglobins herrühren. Es scheint mir zur Bildung eines Mittels deshalb richtig zu sein, alle zwischen 4-4 und 6.4 Procent Sauerstoffispannung liegenden Werthe zu- sammenzunehmen und aus ihnen ein Mittel zu ziehen. Es sind dann 17 Werthe, gewonnen am Blute von 8 Personen. Das Mittel wäre: 5-5 Procent Sauerstuffspannung = 98-8"m Hg mit 73.7 Procent Sättigung. Bei noch höheren Sauerstoffspannungen ist nur das Blut von einer bezw. zwei Personen untersucht worden. Die Werthe sind dementsprechend für die betreffenden Personen sicher; als Mittelwerth für menschliches Blut unsicher. Für 7.514 Procent Spannung = 53.42 Hg Druck ergäbe sich 83-.36°Procent Sättigung. Wie wenig man, meiner Meinung nach, berechtigt ist, aus Unter- suchungen des Blutes nur weniger Personen eine mittlere Curve der Dissociationsspannung des menschlichen Hämoglobins zu construiren, möchte ich noch an der folgenden kurzen Zusammenstellung erläutern. Ich habe in der folgenden Tabelle ILI und in Fig. 1 das von Berliner Individuen stammende Blut von dem Wiener gesondert. Es war nicht möglich, die Dissociationscurve innerhalb der ganzen von mir untersuchten Breite an dem Blute eines und desselben Individuums zu ermitteln. Dazu hätte man wiederholte Aderlässe an jedem Individuum machen müssen. Die Mehrzahl der Versuche mit niedriger Sauerstoffspannung ist nun am Blute anderer Personen ange- stellt, als die Mehrzahl der mit höheren Sauerstoffspannungen, und bei der Differenz in der Sauerstoffbindungsfähigkeit der verschiedenen Blutproben fallen die Curven ganz unregelmässig aus. Die für die Versuche mit niedrigen Sauerstoflspannungen benutzten Blutproben aus Wien zeigen eine 16* 244 A. LoEwy: hohe Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins, die für die höheren Span- nungen verwertheten eine geringe Dissociation. Bei den Berliner Blutproben liegt es umgekehrt. Ich gebe in Tabelle III eine Uebersicht der Mittelwerthe, die durch Zusammenfassung der zwischen je einem vollen Procent Sauerstoffspannung liegenden Werthe gebildet sind, sowie die Zahl der Individuen und Ver- suche, die an dem Mittel betheiligt sind. Tabelle III Blut aus Wien. Blut aus Berlin. Star Procentische || Mittel aus Sauerstoff: Procentische || Mittel aus Sauerstoff- vazpe: Sauerstoff- Torrper BannınS sättigung suchen sonen SD ne sättigung |suchen sonen 2786 | 41-11 a 2:768 55-67 4 2 3:859 55-69 3 2 3:452 68:69 4 4 4.4719 15-75 1 1 4:644 70-16 5 4 5757 83:38 4 3 5:284 61-57 2 1 [N 79:46 3 2 6331 65:80 2 1 Die Fig. 1 giebt diese Werthe graphisch wieder. Auf ihr sind jedoch die bei 5-75 Procent und 6.276 Procent Sauerstoffspannung liegenden Sättigungswerthe zusammengefasst (5.808 Procent = 81-7 Procent Sättigung). 0-5 r T T T T 6.0% 7 | ie [ | | Be 3.0 | IE \ | S W5 | | | Wi »B 4.O IE 4 Eee 1 A WW i 13.5 | - ee, N - N G | | Wr 7) DEE ß los | ö Be Bo | | | 1 1.5 Ara | ! 1.0 Bl 2 | | [ 30% | #0% | 50% | 60% | 70%Säfkiguig Fig. 1. Endlich gebe ich in Fig. 2 graphisch eine Uebersicht des Ge- sammtmittels der Dissociationsspannung des Sauerstoffhämoglobins des DISSOCIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 245 menschlichen Blutes, wie sie sich mir auf Grund des vorstehenden Zahlen- materiales ergeben hat. O-Druck in mm Hg r T r - T — 0=5) anriung el | | | | 9% | ie) a] | | N N 63°97 8% | 56-88 F ir ir% [7% 2 49-77 Ih & | 1% | 5% 13% Fig. 2. Curve der mittleren Dissociationsspannung des Sauerstoffhämoglobins beim Menschen. Aus dieser Curve berechnen sich folgende Werthe: Sauerstoffpartiardruck Sättion entsprechend sung 10=m Hg 35-77 Procent 190. 44:52 55 AU 53-36 „ I 62:40 , Sn 67-29 ” ODE: 71:09 co 400 05 74-51 > Ad 77-81 &D 500» 81-11 ” Oder, wird der Sauerstoffpartiardruck ausgedrückt in Procenten eines Atmosphärendruckes, so ergiebt sich: 246 A. LoEwY: Sauerstoffdruck, entsprechend SaBannE dz Oxyhämoglobins 2-0 Procent eines Atmosphärendruckes 43-19 Procent 3.0 » > » 55.73 ER aR0R Rn, „ n Be 5-0 3 ” 5 Z1e20E 555, De 3 | 13-2 6-0 ” » En | 75-90 > 7.0 > » >> 80-73 En Des Vergleiches halber will ich noch in Fig. 3 eine Zusammen- stellung meiner Ergebnisse mit den von Loewy-Zuntz, von Paul Bert 0-Druck in ER] ef: | paul | mn Hg ie che). | | | jejajajulı | ®) 1 63.99 7” ’e [eajealan| zu eivir- 1! 56.88 € | Ze IE s| deu - 49.77 eins El Ss Gebr [ (Lil 42.66 jmimjel | 35.55 Eee F-rH Pean if amıma] | | Eofealezt 1 | ' t 17 fo 2844 = Bi — [ ' | 271.33 alla | —--: 1 | | ı I Ei BE | #277 ion | | n | IT - u mam BGN zu 39 40 50 60 70 80 90 700% Sättigung Fig. 3. Zusammenstellung der Werthe für die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins nach Bert, Hüfner, Loewy-Zuntz, Loewy. und von Hüfner erhaltenen geben, wobei ich sowohl Hüfner’s neuere wie ältere Curve eintrage. Man sieht, dass meine Werthe, bei denen in Folge DissocIATIONSSPANNUNG DES OXYHÄMOGLOBINS. 247 der grossen Anzahl der untersuchten Personen das individuelle Moment als im Wesentlichen eliminirt angesehen werden kann, und die wohl mit den im Vorhergehenden erwähnten Einschränkungen als Mittelwerthe betrachtet werden können, fast vollkommen mit den Bert’schen übereinstimmen und den Loewy-Zuntz’schen sehr nahe liegen. Dagegen zeigen auch Hüfner’s neue Werthe noch eine nicht un- wesentlich geringere Dissociationsspannung an, und Hüfner’s ältere Werthe weichen ganz erheblich ab. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins des Menschen- (und wohl auch des Hunde-)blutes indivi- duelle Unterschiede zu zeigen scheint. Bei Mittelung einer grösseren Zahl von Versuchen verläuft die Curve der Dissociation bei Mensch und Hund fast gleich, und die Dissociation ist eine weit grössere als sie sich aus Hüfner’s älteren und neueren Versuchen ergiebt. Bestimmt man beim Thier (Hund) oder Menschen die Sauerstoffispannung des venösen Blutes und ermittelt man die Menge des im Venenblute enthaltenen Sauerstoffs, so erhält man Werthe, die mit den in vitro für den gleichen Druck gefundenen Sauerstoffmengen fast genau übereinstimmen. Das ergiebt sich aus der Lage der beiden mit + und = auf der vor- stehenden Fig. 3 bezeichneten Werthe, von denen der erstere die Spannung und Menge des Sauerstoffs im Venenblute des Hundes, der zweite in dem des Menschen angiebt. Auf weitere Schlussfolgerungen aus meinen Versuchen möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Sie sind zum Theil bereits in der vorstehend publieirten Arbeit besprochen, zum Theil werde ich an anderer Stelle darauf zurückkommen. Ueber die physiologischen Wirkungen des Delphinins (Heyl). Von Victor Schiller, Demonstrator am Institute, (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Taf. VI.) Die Alkaloide der Stephanskörner (Delphinium staphysagria) waren schon vor Jahren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Zuerst gelang es den Bemühungen Dragendorff’s, mehrere Alkaloide, wie Delphinin, Staphysagrin, Delphinoidin und Delphisin aus den Stephans- körnern zu isoliren. Kara-Stojanow unterzog die eben angeführten Körper einer eingehenden Ueberprüfung; auch er konnte ihre Existenz in den Stephanskörnern bestätigen. Die physiologischen und pharmakologischen Wirkungen des Delphinins und der dem letzteren nahe verwandten Alkaloide wurden vielfach und gründlich studirt und in zahlreichen ausführlichen Arbeiten zusammen- gefasst.! Nach Kobert? erzeugt das Delphinin locale Reizung der Schleim- häute, Speichelfluss, Erbrechen; hervorzuheben ist ferner seine Herzwirkung, bestehend in einer zunächst kurzdauernden Pulsbeschleunigung, und in hierauf folgender vollständiger Lähmung des Herzens. Bei Fröschen ist das Vergiftungsbild im wesentlichen durch Er- scheinungen charakterisirt, wie sie das Aconitin im Gefolge hat. Weyland ı Vgl. Böhm-Serck, Beiträge zur Kenntniss der Alkaloide der Stephanskörner. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. V. Dragendorff- Marquis. Zbenda. Bd. VII. *® Citirt nach Kunkel’s Toxikologie. 1901. VICTOR SCHILLER: ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN U.S.w. 249 stellte unter Anderem eine bedeutende Verlängerung der Zuckungscurve des Froschmuskels fest, Böhm und Serck sahen diese Erscheinung bei Fröschen nicht; der Grund für diesen Widerspruch mag wohl darin zu suchen sein, dass die von den einzelnen Autoren in Verwendung gezogenen Präparate chemisch nicht vollkommen identisch waren. Das von G. Heyl in Darmstadt neuerdings dargestellte Präparat ist eine feste Substanz — bestehend aus kleinen hellgelben Krystallen —, die dureh leichte Löslichkeit in Wasser sich auszeichnet und darin von den bisher hergestellten Präparaten differirt. Dieses Delphinin wurde von Lohmann! eingehend geprüft, und die am Froschmuskel angestellten Versuche wurden in einer längeren Zusammen- stellung beschrieben. Da Lohmann dieses Präparat an Stelle des Curarins für muskelphysiologische Versuche empfiehlt, so habe ich es unternommen, die angeführten Versuche zu überprüfen. Ferner war es von besonderem Interesse, nachzusehen, welche Störungen das Delphinin bezüglich des Blut- kreislaufes und der Herzaction setzt. Die zu diesem Zwecke angestellten Versuche, wie auch die Differenzen mit den Lohmann’schen Angaben will ich im Folgenden näher ausführen. An dieser Stelle sei es mir gestattet, dem Assistenten des Institutes, Herrn Dr. R. Kahn, sowohl für die Anregung zur vorliegenden Unter- suchung als auch für die Förderung derselben den besten Dank zu sagen. Desgleichen bin ich dem Vorstand des Institutes, Herrn Professor J. Gad für die freundliche Erlaubniss, im Institute arbeiten zu dürfen, zu grossem Danke verpflichtet. Zur Injection wurde das Gift in 5 procentiger Lösung, wie auch in der von Lohmann angegebenen Dosis benützt, die vollständige Lähmung der Versuchsthiere — Rana temporaria (fusca) — erfolgte regelmässig nach 18 bis 30 Minuten. Die periphere Lähmung der Endapparate motorischer Nerven im quer- gestreiften Muskel wurde ebenfalls durch Anstellung des Claude-Bernard’- schen Unterbindungsversuches festgestellt. Es traten allmählich bei dem Thiere Bewegungsstörungen auf, welche im späteren Stadium der Vergiftung bis zum vollen Unvermögen des Thieres sich steigerten, seine Musculatur zu gebrauchen. | Um so zu sagen den Verlauf der Lähmung der Nervenendigungen zu ermitteln, wurde in mehreren Fällen der Nerv. ischiadicus, nachdem der- selbe mit möglichster Schonung der Blutgefässe freipräparirt worden war, vom Beginne der Vergiftung an, in längeren, jedoch gleichen zeitlichen ' Vgl. A. Lohmann, Untersuchungen über die Verwendbarkeit eines Delphinin- präparates an Stelle des Curare in der muskelphysiologischen Technik. Pflüger’s Archiv. 1902. Bd. XCIH. 8. 473. 250 VICTOR SCHILLER: Intervallen elektrisch gereizt. Es ergab sich bezüglich dieses Punktes eine grosse Analogie in dem Verhalten des Delphinins und dem des Curarins, auch hier war eine stetige Abnahme der Wirkung bei Reizung des zu- gehörigen Nerven zu beobachten. Die Muskelfasern selbst scheinen vom Delphinin nicht angegriffen zu werden, hierfür spricht die bedeutende Erregbarkeit derselben bei directer Reizung. Die Frage, ob das Delphinin die sensiblen Nerven bezw. ihre Endigungen lähmt, kann mit Rücksicht auf die Untersuchung der Reflex- erregbarkeit mit grosser Wahrscheinlichkeit verneint werden. Der Beweis hierfür sei im Folgenden erbracht: Delphinisirt man einen Frosch, nach- dem zuvor der eine Schenkel durch Unterbindung, mit Ausnahme des Nerven, der Vergiftung entzogen wurde, und reizt nun den Nerv. ischiadicus oder die Haut der vergifteten Seite, so kann man’ deutliche Reflexbewegungen des unterbundenen Beines beobachten. Die nächste Aufgabe der Untersuchung bestand darin, einen Vergleich zwischen einem normalen, d. h. vor Vergiftung bewahrten, und einem ver- gifteten Muskel (Gastrocnemius) ein und desselben Thieres zu ziehen. Der normale Muskel wurde dadurch erhalten, dass das eine Hinterbein des Frosches vor der Application des Giftes am oberen Drittel des Oberschenkels unterbunden und hierauf amputirt wurde. Die zu vergleichenden Muskeln wurden nicht gleichzeitig, sondern hintereinander unter Anwendung desselben Apparates untersucht. Zunächst wurden einzelne isotonische Zuckungscurven beider Muskelarten mit Hülfe des Fallrotatoriums nach Fick-Gad registrirt. In der Beschreibung der Versuchsanordnung will ich mich ganz kurz fassen. Die vertical gestellte Trommel wird durch ein fallendes Gewicht zu einmaligem Umlauf ange- trieben. Ein am unteren Rande der Trommel angebrachter Stift öffnet selbstthätig zu Beginn des II. Quadranten der Umlaufbewegung den Gad- Tschiriew’schen Schlagschlüssel, welcher in den primären Stromkreis eines Du Bois-Reymond’schen Schlitteninductoriums geschaltet ist. Auf diese Weise wird dem Präparat ein Oeffnungsinductionsschlag zugeführt. Im mittleren Theile (II. und III. Quadranten) des Umlaufes ist der Gang der Trommel sehr constant, weshalb nur dieser Theil der Umlaufbewegung für die Registrirung der Zuckung in Betracht kommt. Der Muskel selbst wird mit dem oberen Ende durch Vermittlung des mit dem Muskel in Ver- bindung gebliebenen distalen Femurstückes an ein Stativ fixirt, das untere Ende des Muskels steht mit einem einarmigen Hebel in Verbindung, dessen verlängerter Arm mit einer Schreibspitze versehen ist, welche die Contraetion des Muskels auf die rasch vorbeibewegte berusste Trommel der Verlängerung des Hebelarmes entsprechend vergrössert aufschreibt. Zum Betriebe des Du Bois-Reymond’schen Schlitteninductoriums (secundäre Rolle 8000 Win- ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES DELPHINIns (Hryı). 251 dungen) diente 1 Leclanche, als Reizmittel kamen nur Oefinungsinductions- schläge in Betracht. Was den Verlauf der einzelnen Zuckungseurve betrifft, so ist dieser bei beiden Muskelarten nahezu gleich, nicht uninteressant ist jedoch die Thatsache, dass die Curve des delphinisirten Muskels in jedem Falle eine bedeutende Vergrösserung der Hubhöhe aufwies. (Vergl. Tafel VI, Fig. 3a, 3b). Da immer die erste Zuckung des untersuchten Muskels aufgeschrieben wurde, und nicht irgend eine beliebige, so kann hier mit Sicherheit die Regel von der Zunahme der Hubhöhe im ersten Stadium der Ermüdung ausgeschlossen werden. Um bezüglich des Ermüdungsverlaufes ein Urtheil zu gewinnen, wurde bei folgenden Versuchen eine grosse Reihe von Ermüdungscurven beider Muskelarten nach der von Lohmann geübten Methode verzeichnet. Der primäre Stromkreis enthielt 3 Leclanche-Elemente, der Reiz erfolgte jede 2. Secunde durch einen maximalen Oeffnungsschlag bei einem Rollenabstand von 8", Unterzieht man zwei zusammengehörige Ermüdungsreihen einem Ver- gleiche, (vgl. Tafel VI, Fig. 4 entspricht dem vergifteten, Fig. 5 dem normalen Gastrocnemius desselben Thieres), so lässt sich zunächst feststellen, dass beide anfänglich einen analogen und gesetzmässigen Verlauf nehmen, indem bei beiden die Hubhöhe !zu Beginn der Ermüdung eine Zunahme aufweist. Im Uebrigen ergiebt der Vergleich wesentliche Unterschiede sowohl bezüglich der Curvenhöhe, als auch der Grösse der Curvenlänge. Die Ermüdungsreihe des delphinisirten Muskels ist jedes Mal auch bei Be- rücksichtigung des bestehenden Contractionsrückstandes durch eine grössere Curvenhöhe charakterisirt, mit anderen Worten, es wird durch das Delphinin die Contractionsgrösse des Froschmuskels nicht unwesentlich erhöht. Diese Thatsache ist für das Delphinin recht charakteristisch und deshalb hervor- zuheben, weil sich dieselbe in der Lohmann’schen Zusammenstellung nicht findet. Interessant ist ferner der Umstand, dass der vergiftete Muskel viel länger der Ermüdung standhält, als der in Betracht kommende normale, was hier durch entsprechende Verlängerung der Ermüdungscurve deutlich zum Ausdrucke kommt. Die von Lohmann in einigen Fällen beobachteten Unregelmässigkeiten in der Grösse der einzelnen Hubhöhen, welche während der Ermüdung delphinisirter Muskeln in Erscheinung traten, wurden trotz der Aufmerk- samkeit, die bei der Registrirung der Ermüdungsreihen dieser Angabe zu- gewendet wurde, in keinem der gegebenen Fälle erhalten. Im weiteren Verlaufe der Untersuchung wurde auch der Versuch unternommen, einen delphinisirten Muskel mit einem curarisirten zu ver- gleichen. Doch war ein directer Vergleich wegen der Schwierigkeit der Ver- 252 VICTOR SCHILLER: suchsbedingungen nicht realisirbar; es liess sich bloss die von Lohmann bereits festgestellte Thatsache ermitteln, dass der delphinisirte Muskel nach kurzen Ruhepausen sich besser erholt, als der entsprechende curarisirte. Was die Beurtheilung der Frage betrifft, in wie weit die Spannungsent- wicklung des Froschmuskels bei isometrischer Anordnung durch das Delphinin beeinflusst wird, so sprechen die zu diesem Zwecke unternommenen Ver- suche zu Gunsten der Annahme, dass diese mechanische Zustandsänderung des Muskels unter der Einwirkung des Giftes einen nicht unbedeutenden Zuwachs erfährt. Behufs graphischer Darstellung dieser Thatsache wurde eine Anzahl . von Spannungsreihen registrirt. Als Registrirvorrichtung diente der Blix- Gad’sche Spannungsmesser. Das obere Ende des Muskels greift an einem horizontal-gespannten Uhrfederblatt an, das einen mit einer Schreibspitze versehenen leichten Hebel trägt. Die Stärke des Uhrfederblattes kann nach Belieben gewählt werden. Das untere Muskelende ist derartig fixirt, dass, wenn der Muskel auf irgend einen Reiz hin eine Contraction ausführt, das Federblatt entsprechend torguirt wird, wobei es mit Hülfe des früher erwähnten Schreibhebels die Spannungsänderungen des Muskels auf eine durch ein Uhrwerk bewegte Trommel aufschreibt. Der Muskel wurde in regelmässigen Intervallen von 15 Secunden je 5 Secunden lang mit tetani- sirenden Reizströmen behandelt. Der primäre Stromkreis enthielt 3 Le- clanche, der Rollenabstand. betrug 8. Die Curve des vergifteten Muskels (vgl. Tafel VI, Figg. 1 und 2) de- monstrirt deutlich die erhöhte Spannungsentwickelung, desgleichen in auf- fallender Weise die schon an früherer Stelle besprochene Erscheinung, dass der delphinisirte Muskel später der Ermüdung anheimfällt als der zugehörige normale. Letzterer Befund bezüglich der späteren Ermüdung des ver- gifteten Muskels stimmt mit der von Lohmann! gemachten Angabe voll- ständig überein. Die Ergebnisse dieser Untersuchung über die muskelphysiologischen Wirkungen des Delphinins lassen sich demnach in folgende Sätze zu- sammen fassen: 1. Der vergiftete Muskel ermüdet bei elektrischer Reizung erheblich später als der entsprechende normale.. 2. Das Delphinin erhöht .die Contractionsgrösse des Frosch- muskels. 3. Die Spannungsentwickelung des vergifteten Muskels zeigt desgleichen eine bedeutende Vergrösserung. ! Lohmann, a.a. 0. 8. 477. ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES DELPHININns (Hrvı). 253 Nach dieser Betrachtung über die muskelphysiologischen Wirkungen des Delphinins wollen wir uns der wichtigen Frage zuwenden, welchen Einfluss das Delphinin auf das Herz und den Kreislauf ausübt. Der Herzmuskel selbst wird vom Delphinin auch bei grosser Dosis scheinbar nicht oder nur vorübergehend angegriffen. Dagegen wirkt das Delphinin schon bei grosser Verdünnung im hohen Grade lähmend auf die Vagusendigungen im Herzen. Es wurde in dieser Richtung eine grosse Reihe von Versuchen sowohl am Kaltblüter als auch am Warmblüter an- gestellt. Die Versuchsergebnisse waren folgende: Bei Fröschen vermochte die Reizung des Vaguscentrums, wie auch die directe Reizung des Vagus mit verhältnissmässig starken Strömen nach Injection der üblichen Giftdosis keine Verlangsamung des Herzschlages, geschweige denn einen Herzstillstand hervorzurufen. Da auch der Stan- nius’sche Herzversuch (l. Theil) niemals positiv ausfiel, so lag die Annahme nahe, dass hier eine Lähmung des Vagus bezw. seiner Endigungen vorliegen könnte. Die Richtigkeit dieser Vermuthung wurde durch nachträgliche Ver- suche am Warmblüter in vollem Umfange bestätigt. Wesentliche Störungen des Kreislaufes waren bei der mikroskopischen Beobachtung desselben in der Schwimmhaut und im Mesenterium des Frosches niemals zu constatiren. Es erübrigt nun der Versuche zu gedenken, welche behufs Entscheidung der vorliegenden Frage am Warmblüter ausgeführt wurden. Beim Kaninchen hatte die Injection der Giftlösung in die Vena jugularis externa sofort ein Herabsinken des Blutdruckes zur Folge, doch erreichte der letztere bei den Gaben, welche zur Anwendung kamen, schon nach wenigen Minuten die ursprüngliche Höhe wieder, ebenso war nach jeder Infusion des Giftes in die Vene eine geringe Abnahme der Pulsirequenz constatirbar. Analog der Blutdrucksenkung war aber auch letztere nur vorübergehend. Um ein Urtheil darüber zu gewinnen, in wie weit die Functionen des Vagus und Depressor beim Kaninchen dem Einflusse des Delphinins unter- liegen, wurden mit Hülfe des Cowl-Gad’schen Blutwellenschreibers mehrere Blutdruckeurven verzeichnet und gleichzeitig die vorhergenannten Nerven vor und nach der Injection gereizt. Die Delphininlösung wurde wieder intravenös applieirt, vor der Injection wurde selbstverständlich künstliche Respiration eingeleitet und während der Dauer des Versuches unterhalten. Die Injeetionsmenge betrug 1-5°°® der 5 procentigen Lösung. Wie unter normalen Verhältnissen hatte auch nach der Application des Giftes die Reizung des centralen Depressorstumpfes mit nicht zu starken Strömen (1 Leclanche, Rollenabstand 40 °®) ein erhebliches Herabsinken des Blutdruckes zur Folge. (Vergl. Taf. VI, Figg. 8 und 9.) Es ist darnach 254 VICTOR SCHILLER: festgestellt, dass der N. depressor innerhalb. der angewendeten Giftdosis keine wesentliche Schädigung erfährt. Dass die bei centripetaler Depressor- reizung sonst eintretende Verminderung der Pulsfreguenz nach der Delphi- nisirung nicht in Erscheinung trat, ist wohl auf die schon oben angeführte Lähmung der Vagi zurückzuführen. Bekanntlich ist ja der Eintritt der Pulsverlangsamung an die Intact- heit der Vagi geknüpft und als eine Wirkung vom Depressor auf das ver- längerte Mark und von diesem reflectirt auf den Vagus aufzufassen. Was nun die Herzwirkung des Vagus beim Warmblüter betrifft, so zeigt letztere nach stattgehabter Vergiftung Störungen, deren Ablauf sich im Wesentlichen folgendermaassen gestaltet: Die Injection von 0.5" der 5 procentigen Giftlösung genügte, um beim Kaninchen die Vaguswirkung ganz enorm herabzusetzen. Die voll- ständige Lähmung des Vagus war nach Anwendung von 1.5 m = 0.075 3” Delphinin erreicht. Die elektrische Reizung des peripheren Stumpfes ver- lief jetzt ohne jede Wirkung auf das Herz, der Rhythmus der Herzaetion blieb constant. (Figg. 6 und 7 demonstriren die Vaguswirkung bei dessen Reizung vor und nach der Injection. 1 Leclanche, Rollenabstand 20 =.) Nach dem Dargelegten werden also die Ergebnisse der Herzversuche dahin zusammenzufassen sein, dass das Delphinin im hohen Grade die peripheren Herzvagusendigungen lähmt, und dass zur Zeit, wo der Vagus bereits vollständig gelähmt ist, der N. depressor normale oder nur wenig veränderte Verhältnisse zeigt. Soll nun auf Grund der Versuchsergebnisse ein Urtheil bezüglich der Eignung des Delphinins für muskelphysiologische Unterrichtszwecke gefällt werden, so ist in erster Linie hervorzuheben, dass das vorliegende Präparat in dieser Beziehung vollkommen entspricht. Doch ist es dem Curarin des- halb nicht vorzuziehen, weil letzteres schon bei viel grösserer Verdünnung wirkt und dementsprechend viel billiger im Preise zu stehen kommt. Zum Schlusse sei es mir gestattet, in Kürze einige Versuche anzuführen, die mit einem wässerigen Kochsalzauszug von Stephanskörnern (Delphinium staphysagria) am Kaltblüter angestellt wurden. Die pulverisirte Substanz wurde mit der vierfachen Menge physiologischer Kochsalzlösung (0-7 Procent) 24 Stunden digerirt, der Auszug hierauf filtrirt und auf das Vierfache verdünnt. Die Wirkung dieses Auszuges wurde aus- schliesslich an Fröschen geprüft. Ein bis zwei Cubikcentimeter dieser Lösung — in die Lymphsäcke injieirt — genügte, um einen Frosch von mittlerer Grösse nach 30 bis 40. Minuten fast vollständig zu lähmen. Wie die nähere Untersuchung lehrte, handelte es sich bei dieser Versuchsreihe nicht um eine Lähmung der Nervenendorgane, sondern vorwiegend um eine Lähmung des Centralnervensystems; denn die Reizung der Nervenstämme schon mit ÜBER DIE PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES DELPHININS (Hryı). 255 minimalen Strömen ging mit deutlichen Zuckungen der zugehörigen Muskel- gruppen einher. Die mikroskopische Beobachtung des Blutkreislaufes ergab nach Application der Lösung beinahe unveränderte Verhältnisse, ebenso konnte die Intactheit der Herznerven durch zahlreiche Versuche nach- gewiesen werden. Nieht unerwähnt bleibe die immer wieder in Erscheinung tretende Thatsache, dass sehr bald nach der Injection fibrilläre Muskelzuckungen auftraten, die an der Rumpfmuseulatur beginnend allmählich die gesammte übrige Musculatur ergriffen. Die eben dargelegten Thatsachen sprechen in vieler Beziehung für die Verwendbarkeit dieses Extractes zu Uebungszwecken, wie z. B. zur Unter- suchung des Kreislaufes, der Herzaction u. s. w., wo eine vorherige Lähmung der Thiere eine unerlässliche Bedingung ist. Die Thatsache, dass dieser Auszug bei Zimmertemperatur seine Wirksamkeit bloss 1 bis 2 Tage be- hält, später letztere wegen beginnender Zersetzung einbüsst, vermag seine Güte mit Rücksicht auf die leichte Darstellungsmethode und Billigkeit nicht zu schmälern. Erklärung der Abbildungen. (Taf. VI.) (Sämmtliche Figuren sind von links nach rechts zu lesen.) Fig. 1. Ermüdungsreihe des vergifteten Gastrocnemius; isometrische Anordnung, Spannungsmesser nach Blix-Gad; 15’ Reizintervall, Dauer jeder maximalen tetani- sirenden Reizung 5”; 3 Leclanche, 8 R.-A. Fig. 2. Dasselbe vom unvergifteten Gastrocnemius der anderen Seite. Fig. 3a. Maximale isotonische Zuekung des vergifteten Gastroenemius, 3 sm Delphinin, 1 Leclanche. Fig. 3b. Dasselbe vom unvergifteten Gastrocnemius der anderen Seite. Fig. 4. Ermüdungsreihe des vergifteten Gastrocnemius, isotenische Anordnung, 3 esrm Melphinin, 2’ Reizintervall, Oeffnungsschläge, 3 Leclanche, 8 = R.-A. Unterhalb der Ermüdungsreihe Markirung der Ermüdungszeit in Minuten, elektrischer Markirer nach Gad. Fig. 5. Dasselbe vom unvergifteten Gastrocnemius der anderen Seite. Fig. 6. Ausbleiben der Wirkung der peripheren Vagusreizung beim Kaninchen, 7.5 m Delphinin intravenös, Blutwellenschreiber Cowl-Gad, 1 Leclanche, 20 = R.-A. Unterhalb der Blutwellencurve Reizmarkirung. Fig. 7. Dasselbe vor der Injection. Fig. Ss. Wirkung der centralen Depressorreizung beim Kaninchen, 7-5 m Del- phinin intravenös, Blutwellenschreiber nach Cowl-Gad. Fig. 9. Dasselbe vor der Injection. Ueber die Leitungsbahnen des Berührungsreflexes unter Berücksichtigung der Hautreflexe des Menschen. Von Dr. Max Rothmann, Privatdocent a. d, Univ. Die Aufdeckung zahlreicher neuer Verbindungen zwischen Gehirn und Rückenmark in centrifugaler und centripetaler Richtung hat uns natur- gemäss vor die Aufgabe gestellt, uns über die functionelle Bedeutung dieser Bahnen klar zu werden, vor allem ihr Verhältniss zu den bereits längere Zeit bekannten Bahnen zu erforschen. In dieser Richtung bewegen sich meine eigenen früheren Untersuchungen über das Verhalten der electrischen Erregbarkeit der Grosshirnrinde bei Ausschaltung cerebrospinaler Bahnen, bei denen es sich zeigte, dass einige der aus der Vierhügelgegend ent- springenden centrifugalen Bahnen vermittelst indirecter Verbindungen mit der Grosshirnrinde die Leitung des electrischen Reizes neben der directen Grosshirn-Rückenmarksbahn, der Pyramidenbahn, übernehmen können, während andere, beim Hunde wenigstens, für diese Function bedeutungs- los sind. Es zeigte sich ferner durch die Ausdehnung der Versuche auf den Affen, dass das Verhältniss dieser verschiedenen Bahnen in ihrer func- tionellen Bedeutung sich in den verschiedenen Thierklassen verschiebt, zu Gunsten des Ueberwiegens der directen Grosshirn-Rückenmarksleitung bei den höher stehenden Thierspeeies.! Hier möchte ich nun auf die Verwerthung der verschiedenen Leitungs- _ bahnen bei der Uebertragung eines eigenthümlichen von der Grosshirnrinde abhängigen Reflexes eingehen, des von H. Munk in seiner Bedeutung fest- gestellten Berührungsreflexes. Dabei werden, der Eigenart eines solchen Reflexes entsprechend, nicht nur die centrifugalen, sondern auch die centri- ! M. Rothmann, Die Erregbarkeit der Extremitätenregion der Hirnrinde nach Ausschaltung cerebrospinaler Bahnen. Zeitschrift für klin. Mediein. Bd. XLIV. S. 183. MAx ROTHMANN: ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN U. S. w. 257 petalen Leitungsbahnen Berücksichtigung finden müssen. Der Berührungs- reflex ist von H. Munk in seiner bedeutungsvollen ersten Mittheilung „über die Fühlsphäre der Grosshirnrinde“ vom Jahre 1892 zuerst beschrieben worden.! Derselbe wird am hochgehobenen Hunde, dessen Beine ruhig herabhängen, derart geprüft, dass ein Finger von unten nach oben leicht über die Haare des Fussrückens hinfährt; alsdann kommt es sowohl am Vorderbein wie am Hinterbein zu einer schwachen Beugung der Zehen und des Fusses, der erst bei stärkerem Streichen auch eine Bewegung der oberen Abschnitte der Extremitäten folgt. Diese von Munk „Berührungs- reflex“ genannte Reflexbewegung, die bei normalen Hunden und Katzen mit grosser Constanz bei geeigneter Versuchsanordnung erzielt werden kann, ist es nun, die nach Exstirpation der ganzen Extremitätenregion der Grosshirn- rinde dauernd verloren gegangen ist, im Gegensatz zu den gröberen „Ge- meinreflexen‘“, die erhalten bleiben, also offenbar nicht absolut abhängig von der Grosshirnrinde sind. Dieser Berührungsreflex ist, wie Munk ausein- andersetzt?, ein Fühlreflex, d. h. ein Sinnesreflex, der Gefühlsempfindungen zur Voraussetzung hat und nur unter Mitwirkung der Fühlsphäre sich vollzieht. Die von sensiblen Nervenfasern der gekreuzten Extremitäten der Fühlsphäre zugeleitete Erregung geht in letzterer auf die absteigend ver- laufenden Leitungsbahnen über, welche die Extremitätenregion mit den Rückenmarkscentren der gekreuzten Extremitäten verbinden. Fragt man sich nun, welche Bahnen für den auf- und absteigenden Schenkel des Berührungsreflexes in Betracht kommen, so lag es nach den alten Anschauungen sehr nahe, für den aufsteigenden Schenkel die zu den Hinterstrangskernen aufsteigende Hinterstrangsbahn, als Fortsetzung der hinteren Wurzeln, und ihre Verlängerung durch die Schleifenkreuzung, Schleifenbahn, Thalamus opticus bis zur Hirnrinde anzunehmen, während für den absteigenden Schenkel die Pyramidenbahn, die directe Verbindung der Fühlsphäre der Grosshirnrinde mit den Rückenmarkscentren, der gegebene Weg zu sein schien. Betrachten wir zunächst den absteigenden Schenkel des Berührungs- reflexes, so hat sich bei den von mir ausgeführten Durchtrennungen der Pyramidenkreuzung beim Hunde ergeben, dass bei vollständiger Zerstörung der Pyramidenbahnen in der Kreuzung der Berührungsreflex in den ersten 4 bis 5 Tagen stark herabgesetzt ist, dann aber wieder lebhafter wird und bald vollkommen normal auszulösen ist, und zwar, obwohl bei dieser Operation ! Hermann Munk, Ueber die Fühlsphäre der Grosshirnrinde. Sitzungsbericht der Königl. preuss. Akademie der Wissenschaften. Phys.-math. Classe. 1892. XXXVI. 8. 691. 2 Derselbe, Ueber die Fühlsphäre der Grosshirnrinde. Zweite Mittheilung, Zbenda. 1893. XXXIX. S. 768. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg, 17 258 Max RoTHMANnKN: Mitverletzungen der Hinterstränge, der Vorderstränge, der unteren Abschnitte der Schleifenkreuzung unvermeidlich sind. Aus diesen vielfältig wiederholten Versuchen geht sicher hervor, dass auch ohne Pyramidenbahnleitung der absteigende Schenkel des Berührungsreflexes das Rückenmark erreicht. Aber auch Ausschaltung der zweiten grossen motorischen Bahn, des vom rothen Kern des Vierhügels zur gekreuzten Rückenmarkshälfte ziehenden Mona- kow’schen Bündels, wie ich sie wiederholt am Seitenrand der Medulla oblongata ausgeführt habe, hat nicht die Aufhebung des Berührungsreflexes zur Folge. Derselbe ist in den ersten Tagen herabgesetzt, bisweilen auch gar nicht auslösbar, was zum Theil eine Folge der starken spastischen Streckung der Extremitäten der betreffenden Seite sein dürfte, er stellt sich aber nach wenigen Tagen wieder her und ist selbst dann nachweisbar, wenn ein Theil der Pyramidenfasern mit lädirt ist. Ist also weder die Ausschaltung der Pyramidenleitung, noch die des Monakow’schen Bündels im Stande, den Berührungsreflex aufzuheben, kann also keine dieser Bahnen den Anspruch erheben, diesen Reflex allein zu leiten, so kommen endlich die Vorderstrangsbahnen in Betracht, die vom Vierhügel, von der Brücke und vom Kleinhirn bezw. dem Deiters’schen Kern zum Rückenmark absteigen und zweifellos motorische Impulse leiten können. Aber eine isolirte Ausschaltung der Vorderstränge, wie sie mir dicht unterhalb der Pyramidenkreuzung im ersten Cervicalsegment gelungen ist, bewirkt wohl eine anfängliche Herabsetzung des Berührungsreflexes; dieselbe beruht aber wahrscheinlich auf einer Schädigung der zum Gehirn aufsteigenden Leitungsbahnen. Jedenfalls ist spätestens 14 Tage nach dieser Operation der Berührungsreflex wieder in alter Stärke zu erzielen.! Da demnach die isolirte Ausschaltung keiner der vorhandenen moto- rischen Bahnen die Leitung des Berührungsreflexes aufhebt, so ist nur die Möglichkeit vorhanden, dass mehrere dieser Bahnen die Leitung über- nehmen können. Und so zeigt es sich denn auch, dass eine Durchschneidung des Hinterseitenstranges, d.h. desjenigen Areals, in dem Pyramidenbahn und Monakow’sches Bündel gemeinsam verlaufen, im oberen Halsmark, den völligen dauernden Verlust des Berührungsreflexes der Extremitäten der gleichen Seite im Gefolge hat. Allerdings wird bei dieser Operation neben den beiden motorischen Bahnen stets die an der lateralen Peripherie verlaufende dorsale Kleinhirnseitenstrangbahn zerstört; oft kommt es auch zu mehr oder weniger starker- Mitläsion der ventralen Kleinhirnseiten- strangbahn, des Gowers’schen Bündels. Es wäre daher nicht ausgeschlossen, dass hier der Ausfall centrifugaler, für den Berührungsreflex bedeutungs- ı M. Rothmann, Zur Anatomie und Physiologie des Vorderstranges. Neurol. Centralblatt. 1903. Nr. 15. ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN DES BERÜHRUNGSREFLEXES U. S. w. 259 voller Bahnen den Ausfall des Berührungsreflexes bedinge. Dass dem nicht so ist, das beweist die Thatsache, dass eine unvollkommene Durchschneidung des Hinterseitenstrangs stets mit Erhaltensein des Berührungsreflexes ein- hergeht, wenn auch dabei die an der Peripherie gelegenen centripetalen cerebellaren Bahnen völlig durchtrennt sind. Die Beziehungen zwischen den motorischen Seitenstrangbahnen und dem Berührungsreflex sind derart innige, dass man aus dem Erhaltensein des letzteren bei einer Seitenstrangs- durchschneidung mit Sicherheit folgern kann, dass von den motorischen Bahnen ein Rest stehen geblieben ist. Wie wir auch aus anderen Erfahrungen wissen, sind im Areal der Pyramidenseitenstrangbahn und wahrscheinlich auch des Monakow’schen Bündels die Fasern für jede Extremität und jeden Abschnitt derselben nicht etwa streng localisirt, sondern über den ganzen Querschnitt der be- treffenden Bahnen vertheilt, so dass das Erhaltensein eines jeden Bahn- abschnitts genügt, um die Reizeffecte des Berührungsreflexes passiren zu lassen. Es zeigt sich also thatsächlich, dass der centrifugale Schenkel des Berührungsreflexes zwei vom Gehirn zum Rückenmark absteigende Bahnen benutzt, die Pyramidenbahn, welche direet von der Grosshirnrinde zum Rückenmark gelangt und das Monakow’sche Bündel, welches den An- schluss an die Hirnrinde nur durch Vermittlung des Thalamus optieus finden kann. Dagegen haben die in den Vordersträngen verlaufenden mo- torischen Bahnen nichts mit der Leitung des Berührungsreflexes zu thun. Sie sind nicht im Stande, den Reflex bei Zerstörung der Seitenstrangsbahnen zu leiten, ihre eigene Zerstörung hebt denselben nicht auf, und auch bei combinirter, völliger Ausschaltung der Pyramidenbahnen und der Vorder- strangbahnen, wie sie bei den Vorderstrangsdurchschneidungen bisweilen zu Stande kommen, reicht das Monakow’sche Bündel allein aus, die von der Hirnrinde kommenden Erregungen dem Rückenmark zu übermitteln. Damit ist aber eine völlige Uebereinstimmung zwischen den Leitungs- bahnen des corticofugalen Schenkels des Berührungsreflexes und denen der electrischen Reizung der Extremitätenregion beim Hunde gegeben. Auch letztere kann auf jeder der Seitenstrangsbahnen dem Rückenmark über- mittelt werden und bedient sich nicht der Vorderstrangsbahnen. Wenden wir uns nun dem centripetalen Schenkel des Berührungs- reflexes zu, so kommt von den aufsteigenden Bahnen hier vor Allem die Fortsetzung der hinteren Wurzeln durch die Hinterstränge bis zu den Goll’- schen und Burdach’schen Kernen in Betracht, eine Bahn, die dann ihre Fortsetzung zur Grosshirnrinde in 2 Neuronen findet, von denen das erste von den Hinterstrangskernen durch die Schleifenkreuzung und die Schleife der anderen Seite zum Thalamus opticus gelangt, das zweite von hier zur Fühlsphäre der Grosshirnrinde zieht. Daneben könnten die im Seitenstrang Us 260 Max ROTHMANK: verlaufenden beiden Kleinhirnseitenstrangbahnen, das Flechsig’sche und Gowers’sche Bündel von Bedeutung sein, die allerdings für den Reflex den Umweg über das Kleinhirn bedingen würden. Auch von den Hinterstrangs- kernen aus gelangen Fasern zum Kleinhirn, die einer Berücksichtigung werth sind. Endlich aber giebt es eine aufsteigende Vorderstrangbahn, die aus dem Hinterhorn durch die vordere Commissur zum Vorderstrang der gekreuzten Seite und von hier direct durch die lateralen Abschnitte der Schleife zum Thalamus opticus gelangt, eine Bahn, auf die Edinger! zuerst auf Grund vergleichend-anatomischer Untersuchungen hingewiesen hat, und die ich selbst bei meinen isolirten Vorderstrangsdurchschneidungen beim Hunde bis zu den ventrolateralen Kerngruppen des Thalamus opticus ver- folgen konnte. Diese Bahn nimmt im Rückenmark den Vorderstrang ein, wobei auch hier die längsten Fasern an die Peripherie gelangen. Doch ist zu betonen, dass die aus den unteren Rückenmarksabschnitten stammenden Fasern durch die in oberen Rückenmarkssegmenten in den medialen Vorderstrang einstrahlenden Fasern immer mehr lateralwärts gedrängt werden und in den obersten Rückenmarksabschnitten im ventralsten Theil des Seitenstrangs liegen, unmittelbar dem Gowers’schen Strang benachbart. Daraus erklärt sich offenbar die wiederholte Angabe in der Litteratur, dass Fasern des Gowers’schen Stranges bis zum Thalamus opticus zu verfolgen wären; es sind dies die lateralsten Fasern der aufsteigenden Vorderstrang- Thalamusbahn. Was zunächst die Hinterstrangbahn betrifft, so liegt hier eine gründ- liche Experimentaluntersuchung von Borchert? aus dem Munk’schen Laboratorium vor, die zu dem sicheren Ergebniss gelangt, dass die voll- ständige Durchschneidung der Hinterstränge, sowohl im unteren Brustmark als auch im oberen Halsmark, keine Aufhebung des Berührungsreflexes zur Folge hat; schon am Tage nach der Operation ist derselbe oft wieder aus- lösbar. Kam es aber bei Hinterstrangsdurchschneidung zu einem Fehlen des Berührungsreflexes, so konnte Borchert auch stets eine Mitverletzung des Seitenstrangs, welche die motorischen Seitenstrangbahnen zerstört hatte, nachweisen. Dass aber diese Verletzung den corticofugalen Schenkel des Berührungsreflexes unterbricht und dadurch das Zustandekommen desselben verhindert, das haben unsere oben geschilderten Experimente mit Sicher- heit gezeigt. Die Hinterstränge allein stellen also nicht den centripetalen Schenkel des Berührungsreflexes dar. Dass die Zerstörung der aufsteigend ver- ! L. Edinger, Ueber die Fortsetzung der hinteren Rückenmarkswurzeln zum Gehirn. Anatomischer Anzeiger. 1889. 8. 121. ® Max Borchert, Experimentelle Untersuchungen an den Hintersträngen des Rückenmarkes. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 389. ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN DES BERÜHRUNGSREFLEXES U. S. w. 261 laufenden Seitenstrangsbahnen den Berührungsreflex nicht aufhebt, das haben wir bereits oben bei Betrachtung der Folgen der Seitenstrangsver- letzung gesehen. Ganz gleich ob dabei die dorsale Kleinhirnseitenstrangs- bahn allein oder zusammen mit dem Gowers’schen Bündel zerstört ist, der Berührungsreflex bleibt nachweisbar, solange noch Reste der motorischen Seitenstrangsbahn erhalten sind. Endlich führt aber auch isolirte Aus- schaltung der Vorderstränge nicht zur Aufhebung des Berührungsreflexes. Wir sehen also hier bei dem aufsteigenden Schenkel des Reflexes dasselbe, was wir für den absteigenden feststellen konnten, dass keine der centripetalen Rückenmarksbahnen allein für die Leitung des Reflexes in Betracht kommen kann. Im Rückenmark selbst ist es nun schwierig, ja unmöglich, die auf- steigenden Bahnen combinirt auszuschalten ohne Mitverletzung der ab- steigenden Bahnen. Sind aber die motorischen Seitenstrangsbahnen mit betroffen, so ist kein Schluss hinsichtlich der Leitungsfähigkeit der sensiblen Bahnen möglich. Es zeigte sich jedoch bei einer Versuchsreihe an Katzen, bei denen durch einen Längsschnitt in der Mittellinie Pyramiden- und Schleifenkreuzung zusammen vollständig durchtrennt wurden, und der Schnitt in der Regel auch in die Vorderstränge unterhalb der Pyramiden- kreuzung eindrang, dass bei den mehrere Wochen am Leben gebliebenen Thieren der Berührungsreflex bald an allen vier Extremitäten erhalten war, bald zwar an den Extremitäten der einen Seite fehlte, an denen der anderen aber zu constatiren war. In allen diesen Fällen war von den motorischen Bahnen das Monakow’sche Bündel beiderseits intact, so dass eine Ueber- tragung des Reflexes in centrifugaler Richtung möglich war, trotz Zerstörung der Pyramidenbahnen und der medialen Vorderstrangshälften. Von den centripetalen Bahnen war die Schleifenkreuzung, die Fortsetzung der langen Hinterstrangsbahnen zum Thalamus, durchtrennt, ebenso die im hinteren Längsbündel aufsteigende Bahn; oft waren auch die medianen Hinterstrangs- kerne selbst ein- oder doppelseitig zerstört. Dagegen waren die zum Klein- hirn ziehenden Seitenstrangbahnen beiderseits normal. Es ergab sich nun bei genauer Untersuchung der Schnittstellen an in Serienschnitte zerlegten Marchi-Präparaten, dass in den Fällen, in denen der Berührungsreflex ein- seitig, z. B. an den linksseitigen Extremitäten fehlte, das Messer im ersten Halssegment nach rechts von der Mitte abgewichen war und so auf dieser Seite den ganzen Vorderstrang bis in die ventralsten Abschnitte des Vorderseitenstrangs hinein zerstört hatte, während links nur die medialen Partien des Vorderstrangs degenerirt waren. Gemeinschaftliche Zerstörung der Schleifenkreuzung und des gesammten gekreuzten Vorderstrangs hebt also den- Berührungsreflex auf; ist nur der mediale Theil des letzteren mit zerstört, so passiren die centripetalen Er- 262 Max ROTHMANN: regungen durch den lateralen Theil des gekreuzten Vorderstrangs und können, wenn eine der centrifugalen Seitenstrangbahnen erhalten ist (hier das Monakow’sche Bündel), die Auslösung des Berührungsreflexes herbei- führen. Also auch für den centripetalen Schenkel des Berührungsreflexes kommen zwei Bahnen für die Leitung in Betracht, die lange Hinterstrangs- bahn, die im Rückenmark ungekreuzt nach oben zieht und erst in der Schleifenkreuzung zur anderen Seite gelangt, und die Vorderstrangsbahn, die bereits wenige Segmente oberhalb des Eintritts der betreffenden hinteren Wurzel in das Rückenmark von den Hinterhornzellen aus durch die vordere Commissur zur anderen Seite herüber kreuzt und von der Medulla oblongata an mit der Hinterstrangsbahn in der Schleifenschicht vereint zum Thalamus opticus zieht. Dagegen scheinen die Seitenstrangsbahnen, die im Kleinhirn endigen, für den Berührungsreflex ohne Bedeutung zu sein; ihr Intactsein vermag das Erlöschen desselben nicht zu verhindern. Allerdings hat Lewandowsky"! bei seinen Kleinhirnexstirpationen den Berührungsreflex anfänglich stets aufgehoben gefunden; doch stellte sich derselbe im weiteren Verlauf wieder ein. Er schliesst daraus, dass bei dem Berührungsreflex eine corticale und eine subcorticale Componente be- theiligt sind. Nun zeigen aber die oben berichteten Versuche, dass das Offenbleiben der Kleinhirnbahnen allein nicht genügt, den Berührungsreflex zu Stande kommen zu lassen. Ganz in Uebereinstimmung damit, beweisen die Lewandowsky’schen Versuche, dass die Grosshirnrückenmarksbahnen bei völliger Ausschaltung des Kleinhirns den Berührungsreflex zu leiten im Stande sind. Es kann also keinen Falles das Kleinhirn das Centrum einer subcorticalen Componente des Berührungsreflexes sein. Was das Ausbleiben desselben in den ersten Tagen nach Kleinhirnexstirpation betrifft, so ist zunächst die grosse Empfindlichkeit gerade dieses Reflexes zu betonen, der nach einem so schweren Eingriff wohl vorübergehend aufgehoben sein kann, ohne directe Schädigung seiner Leitungsbahnen. Ferner kommt aber die Eigenschaft der kleinhirnlosen Hunde in Betracht, dass ihre Extremitäten beim Hochheben in tonischen Starrkrampf gerathen, der, wie Lewandowsky selbst betont, die Prüfung auf die Reflexe ausserordentlich erschwert. Gerade die Prüfung des Berührungsreflexes erfordert aber das freie Hängenlassen der Extremitäten; beim Liegen des Thieres ist dieser Reflex auch beim normalen Thier durchaus unsicher. Jedenfalls zeigen also die Kleinhirn- exstirpationen, dass die Grosshirnrückenmarksbahnen in auf- und absteigen- der Richtung den Berührungsreflex leiten können bei völligem Fehlen des !M. Lewandowsky, Ueber die Verrichtungen des Kleinhirns. Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. S. 182. ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN DES BERÜHRUNGSREFLEXES U. Ss, w. 263 Kleinhirns; ferner lehren die Exstirpationen der Extremitätenregion der Grosshirnrinde, dass das Kleinhirn bei fehlender Fühlsphäre nicht im Stande ist, die Auslösung des Berührungsreflexes zu übernehmen. Aber auch als Vermittelungsstation des Reflexes von der Grosshirnrinde zum Rückenmark, gleichsam als Nebenschluss, ist das Kleinhirn nicht zu be- trachten; denn wie unsere eigenen, zuletzt geschilderten Versuche beweisen, ist der Berührungsreflex erloschen, wenn die zum Thalamus opticus direct aufsteigenden Leitungsbahnen zerstört sind, obwohl die spinocerebellaren Bahnen und die Verbindungen des Cerebellum mit Thalamus opticus und Grosshirnrinde völlig intact geblieben sind. Aus allen diesen Gründen kann das Kleinhirn nicht als ein wesent- licher Factor für das Zustandekommen des Berührungsreflexes betrachtet werden. Dagegen sehen wir, dass die Fühlsphäre der Grosshirnrinde zwei aufsteigende und zwei absteigende Verbindungen zur Leitung des Berührungs- reflexes zur Verfügung hat. Dabei ergiebt sich die eigenthümliche Com- bination, dass die absteigenden Bahnen zwar im Seitenstrang des Rücken- marks vereinigt sind, im Gehirn aber vom Vierhügel abwärts jede auf einer Seite des Gehirns verlaufen, das Monakow’sche Bündel bereits gekreuzt, die Pyramidenbahn noch ungekreuzt. Gerade umgekehrt liegen die auf- steigenden Bahnen im Rückenmark auf verschiedenen Seiten, die Hinter- strangsbahn noch ungekreuzt, die Vorderstrangsbahn schon gekreuzt, um dann, von der Medulla oblongata an, beide gemeinschaftlich die Schleifen- bahn einzunehmen. Daher kommt es, dass eine Halbseitendurchschneidung vom Rückenmark an bis zum Vierhügel herauf stets Aufhebung des Be- rührungsreflexes an den Extremitäten einer Körperhälite im Gefolge hat. Und zwar hebt Halbseitendurchschneidung des Rückenmarks den Reflex der gleichseitigen Extremitäten auf, trotz Intactsein einer der aufsteigenden Bahnen (Vorderstrangsbahn), weil der absteigende Schenkel des Reflexes völlig unterbrochen ist. In Vierhügel, Pons und Medulla oblongata da- gegen führt die Halbseitendurchschneidung zum Schwinden des Reflexes an den gekreuzten Extremitäten, weil hier der aufsteigende Schenkel völlig unterbrochen ist, trotz Intactsein der einen absteigenden Bahn (Monakow’- sches Bündel). Es ergiebt sich aber weiterhin, dass nur eine Zerstörung des gekreuzten Hinterstrangs zur Halbseitendurchschneidung des Rücken- marks hinzuzutreten braucht, um auf beiden Seiten die Berührungsreflexe aufzuheben, auf der gleichen Seite wegen völliger Durchtrennung der Bahnen des absteigenden Schenkels des Berührungsreflexes, auf der gekreuzten Seite wegen der Durchtrennung der beiden Bahnen des aufsteigenden Schenkels desselben. Sehen wir also, dass ein so präciser und streng localisirter Reflex, wie der Berührungsreflex, mehrere Bahnen in auf- und absteigender Richtung 264 Mıx ROTHMARNKN: zu seiner Verfügung hat, so drängt sich die Frage auf, werden dieselben auch sämmtlich im normalen Zustande benutzt, oder sind bestimmte Bahnen als die eigentlichen Leitungsbahnen zu bezeichnen, während die anderen nur als Ersatzbahnen eintreten. In dieser Richtung lässt sich nun fest- stellen, dass weder die Ausschaltung Cenzraltvindung der Pyramidenbahn, noch des Mona- | kow’schen Bündels allein eine Auf- hebung des Berührungsreflexes bewirkte, der dann erst allmählich durch Ein- treten der anderen Bahnen zuerst in Spuren, dann ganz allmählich zur alten Stärke aufsteigend sich wieder zeigte. Kommt es auch aus nicht immer genau festzustellender Ursache bei diesen Ex- perimenten einmal vor, dass der Reflex in den ersten Tagen nicht zu erzielen ist, so ist doch in der Regel vom ersten Tage nach der Durchschneidung an der Reflex auslösbar. Dabei scheint es, dass derselbe nach Ausschaltung jeder der beiden corticofugalen Bahnen etwas schwächer zu bleiben scheint, als bei Intactsein beider; doch sind diese Be- obachtungen bei dem Fehlen einer siche- ren Messung der Reflexgrösse nicht ganz beweiskräftis. Was die centri- petalen Bahnen betrifft, so ist nach den 2 )- amnan Borchert’schen Ergebnissen der Re- _Med. oblong. flex nach Hinterstrangsdurchschneidung sofort in alter Stärke zu erzielen. Nach der Vorderstrangsdurchschneidungschien - Pyramidenbahn er mir in den ersten Tagen etwas herab- una sage gesetzt zu sein; war er jedoch nur in -Minterstrangs-Schleifenbahn puren vorhanden oder gar aufgehoben, von „Vorderstrangs-Schleifenbahn. so ergab auch stets die spätere mikro- . skopische Untersuchung, dass eine Mit- verletzung durch Blutung oder Erweichung stattgefunden hatte, die bald die Hinterstränge und Hinterstrangskerne in dorsaler Richtung, bald die Fasern der Schleifenkreuzung nach oben hin betroffen hatte. Es lässt sich demnach nur sagen, dass ein Anhaltspunkt für eine be- sondere functionelle Bevorzugung bestimmter Bahnen bei Auslösung des Berührungsreflexes ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN DES BERÜHRUNGSREFLEXES U. Ss. w. 265 Berührungsreflexes aus dem Thierexperiment nicht zu gewinnen ist, und wir daher für’s erste wohl an der Vorstellung festhalten müssen, dass schon normaler Weise in auf- und absteigender Richtung zwei Bahnen der Leitung des Reflexes dauernd zur Verfügung stehen. Betrachten wir diese Bahnen noch einmal kurz hinsichtlich ihres anatomischen Aufbaues, so ist ja für die aufsteigenden Bahnen zu betonen, dass sie in Bezug auf ihre Gliederung etwa gleichwerthig erscheinen. Zeigen die Fasern der Hinterstrangsbahn bis zum Thalamus opticus herauf eine Unterbrechung in den Hinterstrangs- kernen, so hat die Vorderstrangsbahn diese Unterbrechung bereits im Hinter- horn des Rückenmarks, von wo aus die Fasern im directen Verlauf den Thalamus opticus erreichen. Die Gleichwerthigkeit beider Bahnen in der Leitung des Reflexes erscheint daher vollkommen verständlich. Dagegen ist von den corticofugalen Bahnen die Pyramidenbahn der directe ununter- brochene Weg von der Hirnrinde bis zum Rückenmark, während das Monakow’sche Bündel nur durch den Anschluss an eine Rinden-Thalamus- und eine Thalamus-Rother Kernverbindung die Leitung von der Hirnrinde zum Rückenmark zu übernehmen vermag. Hier sollte nach der anatomischen Betrachtung die Pyramidenbahn die Reize schneller und leichter von der Hirnrinde zum Rückenmark leiten. Aber die Gleichwerthigkeit der beiden corticofugalen Bahnen in ihrer Leitungsfähigkeit beim Hunde, wie wir sie beim Zustandekommen des Berührungsreflexes feststellen können, entspricht ja vollkommen den bei Leitung der elektrischen Reize von der Fühlsphäre der Grosshirnrinde festgestellten Ergebnissen, bei denen gleichfalls die Pyra- midenbahn nur ganz unwesentlich das Monakow’sche Bündel an Leitungs- fähigkeit überraste. Sehen wir so, dass die Bahnen für den absteigenden Schenkel des Be- rührungsreflexes mit den motorischen, Grosshirnrinde und Rückenmark ver- bindenden Leitungsbahnen zusammenfallen, so ist es gewiss verlockend, auch umgekehrt die beiden aufsteigenden Bahnen dieses Reflexes als ausschliess- liche Leitungsbahnen der Berührungsempfindung in Anspruch zu nehmen. Dass der Berührungsreflex auf den Bahnen der Berührungsempfindung ge- leitet wird, ist gewiss anzunehmen; aber es folgt daraus noch nicht mit Be- stimmtheit, dass die Leitung der Berührungsempfindung nur auf diesen dem Reflex offen stehenden Bahnen von statten geht. Dass es jedenfalls nicht die Hinterstränge allein sind, welche diese Empfindung leiten, das haben die Borchert’schen Versuche mit Hinterstrangsdurchschneidung sicher be- wiesen. Auch beim Menschen steht es fest, dass bei Zerstörung der Hinter- stränge die Berührungsempfindung nicht aufgehoben ist. Besonders wichtig ist hier eine Arbeit von Petren!, der durch sorgfältige Analyse der Fälle ! Karl Petren, Ein Beitrag zur Frage vom Verlaufe der Bahnen der Hautsinne im Rückenmarke. Skandin. Archiv für Physiologie. 1902. Bd. XIII. 266 Max RoTHMAnNKN: von Halbseitenläsion des Rückenmarks beim Menschen festgestellt hat, dass der Drucksinn im Rückenmark über zwei Bahnen verfügt, von denen die eine ungekreuzt im Hinterstrang verläuft, die andere durch das Hinterhorn derselben Seite zieht, in der Mittellinie völlig kreuzt und, wie Verfasser an- nimmt, im Gowers’schen Strang nach aufwärts zieht. Es handelt sich offenbar um die beiden Bahnen, die wir beim Hunde für die aufsteigende Leitung des Berührungsreflexes festgestellt haben. Scheint demnach eine gewisse Uebereinstimmung zwischen den Ver- hältnissen der centripetalen Bahnen bei unseren Versuchsthieren (Hund, Katze) und beim Menschen vorhanden zu sein, so fragt es sich endlich, giebt es beim Menschen dem hier geschilderten Berührungs- reflex entsprechende Reflexe, und können wir die Localisation der Leitungsbahnen desselben auf den Menschen übertragen und hier eventuell zu diagnostischen Zwecken verwerthen. Unter den beim Menschen zu beobachtenden Reflexen sind die Sehnenreflexe im wesentlichen von dem durch die graue Rückenmarkssubstanz von der hinteren zur vorderen Wurzel gehenden Reflexbogen I. Ordnung abhängig. Dagegen werden die zu den Hautreflexen führenden Reize, wie vor Allem Jendrässik!, Munch- Petersen? u. A. betont haben, zu umschriebenen Gebieten der sensiblen Stelle der Grosshirnrinde geleitet und gelangen erst von hier aus, wie Jendrässik meint, über die motorischen Elemente die Pyramidenbahnen entlang zu den Zellen der Vorderhörner. Dieser Reflexbogen II. Ordnung ist also zum Zustandekommen der Hautreflexe, so vor Allem des Bauch-, Cremaster- und Plantarreflexes, erforderlich. Auf welchen Wegen die Haut- reflexe zur Hirnrinde und von derselben zum Rückenmark geleitet werden, das ist bisher beim Menschen nicht sicher festgestellt; aber es ist klar, dass wir hier das völlige Analogon zu dem bei den niederen Säugethieren auslösbaren Berührungsreflex vor uns haben. Bei Zerstörung der Extre- mitätenregion der Grosshirnrinde sind dieselben erloschen; bei Hemiplegien in Folge von Blutung oder Erweichung in dem Gebiet der inneren Kapsel fehlen sie anfangs stets und sind in der Folge herabgesetzt, oft auch dauernd aufgehoben. Es ist nun vielen Untersuchern aufgefallen, dass zwischen Haut- und Sehnenreflexen ein gewisser Antagonismus besteht, indem Steigerung der Sehnenreflexe und Fehlen oder Verminderung der Hautreflexe sich ver- bindet, so z. B. bei den Hemiplegien, und Fehlen der Sehnenreflexe mit Erhaltensein der Hautreflexe einhergeht, wie z. B. sehr oft bei der Tabes ! Ernst Jendrässik, Ueber die allgemeine Localisation der Reflexe. Deutsches Archiv für klinische Mediein. Bd. LII. S. 569. ® H. Munch-Petersen, Die Hautreflexe und ihre Nervenbahnen. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Bd. XXU. S. 177. ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN DES BERÜHRUNGSREFLEXES U. Ss. w. 267 dorsalis. Ganz besonders eingehend hat sich van Gehuchten! mit diesen Verhältnissen beschäftigt und den Satz aufgestellt, dass die Hautreflexe an die Integrität der corticospinalen Bahn gebunden seien, die Sehnenreflexe an die Integrität der rubrospinalen Bahn (Monakow’sches Bündel), in- dem die Hautreflexe corticalen Ursprungs seien, die Sehnenreflexe im Mesencephalon ihren Sitz hätten. Hinsichtlich der Sehnenreflexe ist diese Auffassung nicht mehr aufrecht zu halten, seitdem der Fall von Kausch? mit Sicherheit gezeigt hat, dass selbst bei völliger Durchtrennung des Rückenmarks noch Sehnenreflexe zu Stande kommen können, dass also die entgegenstehenden Beobachtungen von Rückenmarkscompression mit Aufhebung der Sehnenreflexe auf Complicationen irgend welcher Art be- ruhen müssen. Aber auch die Annahme, dass die Unterbrechung der corticospinalen Bahn (Pyramidenbahn) beim Menschen stets Aufhebung der Berührungsreflexe im Gefolge habe, ist durchaus nicht erwiesen. Wenigstens war in der Mehrzahl der Fälle, die in der Litteratur als Fälle spastischer Spinalparalyse mit Degeneration der Pyramidenbahnen be- schrieben sind, keine Aufhebung der Hautreflexe zu constatiren. Der Fortfall der Hautreflexe bei Zerstörung der Extremitätenregion der Gross- hirnrinde selbst oder bei einer Läsion im Gebiete der inneren Kapsel ist nieht die Folge einer reinen Zerstörung der Pyramidenbahn, sondern des Ausfalls der gesammten Leitungsbahnen, die von der Hirnrinde zu den tiefer gelegenen Abschnitten des Centralnervensystems ziehen, wobei auch die centripetalen, zur Hirnrinde gelangenden Faserzüge ganz oder theil- weise zerstört sind. Fragen wir uns nun, welche Bahnen beim Menschen für die Leitung der Hautreflexe in Betracht kommen’, so sind die Verhältnisse für den ab- steigenden Schenkel insofern gegenüber denen bei Hund und Katze ver- schoben, als die motorischen cerebrospinalen Bahnen beim Menschen wesentlich anders angeordnet sind. Die Pyramidenbahn hat an Mächtigkeit zugenommen und nimmt im Rückenmark nicht nur den Seitenstrang, sondern auch den Vorderstrang, wenigstens in den oberen Abschnitten, ein, das Monakow’sche Bündel ist auf eine kleine Fasermasse im Seitenstrang reducirt. Dagegen scheinen die am Affen erhobenen Resultate der electrischen ! van Gehuchten, Reflexes cutanes et reflexes tendineux. Ze Nevraxe. 1900. U Reh 2 Kausch, Ueber das Verhalten der Sehnenreflexe bei totaler Querdurchschneidung des Rückenmarkes. Mittheilungen aus den Grenzgebieten der Mediein und Chirurgie. 1901. Bd. VII. S. 541. ® Bei diesen Betrachtungen handelt es sich nur um die normalen Hautreflexe. Die pathologischen Hautreflexe, wie z. B. der DabinzEy ’sche Reflex, sind überhaupt nicht von der Grosshirnrinde Akne 268 Max RoTHMANKN: Hirnrindenreizung darauf hinzuweisen, dass die Vorderstrangsbahn, auch abgesehen von den Pyramidenvorderstrangsfasern, eine für den electrischen Reiz und daher wohl auch für den Willenimpuls und die absteigende Leitung der Hautreflexe durchgängige Grosshirn - Rückenmarksverbindung bei den höchststehenden Säugethieren (Affe und Mensch) darstellt. Ist diese Annahme richtig, so kann beim Menschen die Läsion der motorischen Seitenstrangsbahnen allein nicht die Aufhebung der Berührungsreflexe der Extremitäten bedingen, da ja die Vorderstrangsbahn noch den Reflex über- mitteln kann. Und in der That findet man in den seltenen Fällen von Erb’scher „spastischer Spinalparalyse“ mit annähernd reiner Degeneration der motorischen Seitenstrangsbahnen die Hautrefiexe erhalten, während die- selben in den Fällen von combinirter Strangerkrankung, bei denen Seiten- und Vorderstränge, allerdings in Verbindung mit den Hintersträngen, er- krankt sind, oft in den letzten Stadien der Erkrankung erloschen sind. Bei letzterer Erkrankung ist freilich auch der aufsteigende Schenkel der Haut- reflexe theilweise mit ergriffen. Sind die von der Fühlsphäre der Gross- hirnrinde absteigenden motorischen Bahnen im Grosshirn oder Zwischenhirn durch einen Krankheitsprocess sämmtlich zerstört, so fehlen die Hautreflexe dauernd vollkommen, so in vielen Fällen von Hemiplegie auf der Seite der Lähmung, so in Fällen von spastischer Diplegie mit sehr ausgedehnten Herden in beiden Grosshirnhemisphären an allen Extremitäten. Sind in solchen Fällen die normalen Hautreflexe nachweisbar, so ist das ein sicherer Beweis dafür, dass in auf- und absteigender Hinsicht die den Berührungs- reflex vermittelnden sensiblen und motorischen Bahnen auf ihrem Weg von und zur Grosshirnrinde nicht völlig zerstört sind. Kehren also bei einer Hemiplegie in Folge eines apoplektischen Insults die Berührungreflexe zurück — anfangs sind sie fast in allen Fällen aufgehoben — so ist das ein prognostisch günstiges Zeichen, wie bereits Munch-Petersen! sehr richtig hervorgehoben hat. In einem solchen Fall wird sich die Restitution der activen Bewegungen in Arm und Bein schneller vollziehen und auch auf die isolirten von der Grosshirnrinde abhängigen Bewegungen erstrecken. Der aufsteigende Schenkel des Hautreflexes betritt beim Menschen zweifellos dieselben Bahnen, auf denen, wie vor Allem die Untersuchungen von Petr&n? gelehrt haben, der Drucksinn seinen Weg zur Grosshirnrinde nimmt, also die Hinterstrangsbahn mit der Schleifenkreuzung oberhalb der Hinterstrangskerne und die Vorderseitenstrangsbahn mit der Kreuzung im Rückenmark selbst kurz nach dem Eintritt der hinteren Wurzelfasern. Die Bahnen stimmen also im Wesentlichen mit denen des Berührungsreflexes beim ! Munch-Petersen, a.a.0. 2aBetren, aa 0: ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN DES BERÜHRUNGSREFLEXES U. S. w. 269 Hunde überein. Daher sehen wir auch, dass in vielen Fällen von Tabes dorsalis, deren Hinterstrangsaffection den Patellarreflex bereits lange zum Schwinden gebracht hat, die Berührungsreflexe noch erhalten sind, offenbar weil die Leitung von den hinteren Wurzeln durch das Hinterhorn zum Vorderstrang der gekreuzten Seite noch erhalten ist. Erst bei völliger Aus- schaltung der hinteren Wurzelfasern fehlen auch die Berührungsreflexe. Aus denselben Gründen zeigt die Friedreich’sche Ataxie, bei der in der Regel Hinterstränge und Hinterseitenstränge erkrankt sind, Erhaltensein der Hautreflexe, bei ganz frühem Schwinden der Sehnenreflexe. Im ganzen kann man sagen, dass zur völligen Ausschaltung der Haut- reflexe eine verhältnissmässig ausgedehnte und intensive Läsion des Central- nervensystems erforderlich ist, entsprechend den vielen centrifugalen und centripetalen Leitungsbahnen derselben und ihrem langgestreckten Verlauf, im Gegensatz zu den kleinen umschriebenen Läsionen, die in den Hinter- strängen z. B. zur Ausschaltung der Sehnenreflexe ausreichend sind. Eine Affection der dorsalen Rückenmarkshälfte, also beider Hinterstränge und Hinterseitenstrangsbahnen allein, oberhalb des für den Reflex in Betracht kommenden Wurzelgebiets, hebt beim Menschen die Hautreflexe nicht auf, ebenso wenig eine Affection der ventralen Rückenmarkshälfte. Der Schwund der Hautreflexe bei Rückenmarksaffectionen, soweit er nicht durch Zerstörung der entsprechenden hinteren oder vorderen spinalen Wurzeln bedingt ist, weist daher stets auf einen diffusen über den grössten Theil des Rücken- marksquerschnitts verbreiteten Process hin, wie er sich vor Allem bei Myelitiden und sehr ausgedehnten multiplen Sclerosen findet. Die diagno- stische Bedeutung der Hautreflexe ist jedenfalls keine so grosse, wie die der Sehnenreflexe.. Immerhin wird ihr Verhalten in vielen Fällen, vor Allem bei Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu den Sehnenreflexen, werthvolle Schlüsse, sowohl in diagnostischer als auch in prognostischer Hinsicht zulassen. Die Ergebnisse der Arbeit lassen sich in folgende Schlusssätze zu- sammenfassen: 1. Der bei Hunden und Katzen nachweisbare Berührungsreflex der Extremitäten wird, wie H. Munk nachgewiesen hat, in der Fühlsphäre der Grosshirnrinde ausgelöt. Wie mannigfaltig variirte Durchschneidungs- versuche am Centralnervensystem dieser Thiere ergeben, ist die Leitung dieses Reflexes weder im aufsteigenden noch im absteigenden Schenkel auf eine der sensiblen oder motorischen Leitungsbahnen beschränkt. 2. Der aufsteigende Schenkel des Berührungsreflexes hat zwei Leitungs- bahnen, die Hinterstrangsschleifenbahn und die bereits im Rückenmark ge- kreuzte Vorderstrangsschleifenbahn. Die Zerstörung beider Bahnen zu- sammen hebt den Reflex auf. Die im Seitenstrang des Rückenmarks ver- laufenden spinocerebellaren Bahnen leiten den Reflex nicht. 270 Max ROTHMANN: ÜBER DIE LEITUNGSBAHNEN U. S. w. 3. Der absteigende Schenkel des Berührungsreflexes besitzt gleichfalls zwei Leitungsbahnen, die Pyramidenbahn und das Monakow’sche Bündel mit seinen Verbindungen von der Grosshirnrinde zum Rothen Kern des Vierhügels. Während Ausschaltung dieser beiden Bahnen den Berührungs- reflex aufhebt, sind die motorischen Vorderstrangsbahnen ohne Bedeutung für die Leitung dieses Reflexes. 4. Mit dem Berührungsreflex der Thiere zeigen die normalen Haut- reflexe des Menschen weitgehende Uebereinstimmung. Auch sie sind von der Fühlsphäre der Grosshirnrinde abhängig, ihre Leitung von und zur Grosshirnrinde vollzieht sich auf den entsprechenden Bahnen, wie die des Berührungsreflexes. Nur scheint beim Menschen für den absteigenden Schenkel der Hautreflexe neben den motorischen Seitenstrangsbahnen eine Vorderstrangsbahn leitungsfähig zu sein. 5. Die genaue Erforschung der Leitungsbahnen der Hautreflexe dürfte die Bedeutung der letzteren für die menschliche Pathologie in diagnostischer und prognostischer Beziehung wesentlich erhöhen. Die in dieser Arbeit herangezogenen Thierexperimente sind sämmtlich im physiologischen Institut der Kgl. thierärztlichen Hochschule angestellt worden. Herrn Geh. Rath H. Munk sage ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank. Zur Theorie der Galvanotaxis. Von Boris Birukoff, Privatdocent an der Universität zu Moskau. l. Es giebt kaum irgend eine andere physiologische Erscheinung, die durch ihre Räthselhaftigkeit und die Leichtigkeit ihrer Demonstration solche Auf- merksamkeit auf sich zieht, wie die Fähigkeit verschiedenartiger Thiere, sich unter der Einwirkung des galvanischen Stromes in einer bestimmten Rich- tung fortzubewegen, welche Erscheinung man Galvanotaxis benannt hat. Bekanntlich ist diese interessante Erscheinung verschieden erklärt worden. Hermann, welcher als Erster die Galvanotaxis an Kaulquappen beobachtete, glaubt, dass die Anode im Allgemeinen Unruhe und Schmerzempfindung verursacht, die Kathode dagegen beruhigt. Die Kaulquappen hatten eine unangenehme Empfindung, so lange sie sich unter der Einwirkung der Anode befanden, sie machten unruhige Bewegungen nach verschiedenen Richtungen, bis sie in eine solche Stellung gelangten, dass sich ihr Kopf der Anode zuwandte und der Strom ihrem Körper entlang abwärts ging. Dieselbe Beobachtung hat übrigens auch Ewald gemacht, der die Experi- mente Hermann’s wiederholte und sie einigermaassen ergänzte. Einer ganz anderen Meinung jedoch ist Verworn in der Erklärung seiner Be- obachtung dieser Erscheinung bei den Infusorien. Nach seiner Meinung ist die Ursache der Galvanotaxis bei den Infusorien die polare Erregung im Körper eines jeden Infusoriums, wobei bei Schliessung des Stromes die Erregung meistentheils an der Anode entsteht, nur bei wenigen Arten an der Kathode und nur in einem Falle gleichzeitig an der Anode und Kathode (Spirostomum). Abhängig davon tritt eine Fortbewegung der Infusorien nach dem bestimmten Pole ein, oder die Infusorien lagern sich zwischen den Polen senkrecht zur Richtung des Stromes. Als Hauptbeweis seiner Ansicht führt Verworn die Zerstörung des Infusorienkörpers an, welche bei sehr starken Strömen an den Enden des letzteren auftritt. Diese Zerstörungen 22 BorIs BIRUKOFF: entstehen, wie Loeb und Budgett mit grosser Wahrscheinlichkeit be- wiesen haben (worüber ich in meiner ersten Mittheilung über Galvanotaxis! ausführlich gesprochen habe) —, in Folge der schädlichen Einwirkung der Producte der Elektrolyse desjenigen Mediums, in welchem sich die In- fusorien befinden, auf das Protoplasma. Ein Schüler Verworn’s, Ludloff, bemerkte, nachdem er die Paramäcien in eine starke Gelatinelösung gegeben hatte, eine Veränderung in der Wimperbewegung an beiden Seiten des Infusorienkörpers und stellte diese Beobachtung als Beweis der richtigen Anschauung Verworn’s hin. Die folgenden Erforscher der Galvanotaxis suchten unter dem augen- scheinlichen Einflusse der oben erwähnten Erklärung die Erscheinung der Galvanotaxis bei allen übrigen Thieren — auch bei den Wirbelthieren — durch die Erscheinung der polaren Erregung zu erklären, so z. B. Blasius und Schweizer, die die Experimente Hermann’s an Kaulquappen, wie ihre eigenen an Fischen (in beiden Fällen beobachtete man die Wendung des Thieres mit dem Kopfe zur Anode, d.h. in der Richtung des absteigen- den Stromes) durch die polare Erregung des Gehirns erklären, das sich bei der Schliessung des aufsteigenden Stromes im Katelektrotonus befindet und im Anelektrotonus bei der Schliessung des absteigenden Stromes. Hier sieht man also eine Uebereinstimmung mit dem Pflüger’schen Gesetze, nur mit dem Unterschiede, dass die Erscheinung nicht nur im Momente der Schliessung des Stromes hervortritt (wie das für die Muskeln und Nerven gilt), sondern auch während des constanten Stromes. Hermann be- streitet jedoch die Behauptung, dass unter der Einwirkung des Stromes das Centralnervensystem der Kaulquappen und Fische ähnlich wie ein Nerv in zwei Theile, in den katelektrotonischen und den anelektrotonischen zer- fällt. Als Beweis führt er dagegen erstens an, dass bei der Einwirkung des Stromes auf Kaulguappen und Fische die äusseren Kathoden und Anoden (physikalische Elektroden) nicht mit den Aus- und Eintrittsstellen des Stromes in das Protoplasma der Gewebe selbst (physiologische Elek- troden) zusammentreffe, wie es bei den einzelnen Nerven der Fall sei; zweitens begründet er seine Ansicht darauf, dass die enthaupteten Kaul- quappen und sogar die abgetrennten Schweife dieselbe Galvanotaxis zeigen, was mit der oben erwähnten Auffassung nicht übereinstimme, da z. B. an dem abgeschnittenen Schweife der Katelektrotonus an derselben Stelle wie früher der Anelektrotonus wäre. Nagel dagegen theilt, indem er die Ansichten von Blasius und Schweizer entwickelt, alle galvanotactischen Erscheinungen in zwei Gruppen ! B. Birukoff, Untersuchungen über Galvanotaxis. Pflüger’s Archw. Bd. LXXVII. ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 273 ein. Zur ersten rechnet er die niederen Wirbelthiere, deren Galvanotaxis sich seiner Ansicht nach durch die polare Erregung des Centralnerven- systems erklärt, die sie aus der Stellung des aufsteigenden Stromes in die Stellung des absteigenden Stromes sich bewegen lässt. Und zur zweiten Gruppe rechnet er die wirbellosen Thiere, deren Galvanotaxis seiner Ansicht nach durch die polare Erregung des peripheren Nervensystems hervorgerufen wird, d. h. der Nervenenden der Haut und der Gefühlsorgane, die es be- wirken, dass das Thier in eine solche Stellung zum Strome gerätb, dass die Reizung der am meisten erregten Theile eine möglichst geringe wird. Von diesem Standpunkte ausgehend erklärt auch Nagel die von Ewald bei mässigen Strömen beobachtete Bewegung der Kaulquappen zur Kathode (nicht zur Anode). In diesem Falle beobachten wir dasselbe Stadium der Stromwirkung, wie man es gewöhnlich bei den wirbellosen Thieren beobachtet: der Strom erhöht die allgemeine Erregung des Thieres an der Peripherie und zwingt die Kaulquappen, den Kopf — den am meisten erregbaren Theil des Thieres, der eine Schmerzempfindung hat —, von der Anode (der Stelle des Stromeintritts) zu entfernen. Bei stärkeren Strömen ent- steht nach der Meinung Nagel’s eine elektrotonische Veränderung des Centralnervensystems, deren Folge die Lageveränderung der Kaulquappen ist, die sich nun so stellen, dass der die Erregung erhöhende Katelektroton nicht gegen den Kopf, sondern gegen den hinteren Theil des Centralnerven- systems zu liegen kommt. Diese letztere Wirkung des Stromes verdeckt auch das erste Stadium seiner Wirkung bei den Wirbelthieren, wogegen man bei den wirbellosen zwar das erste, aber gewöhnlich nicht das zweite Stadium bemerkt, da bei ihnen das Nervensystem meistens aus zerstreuten Ganglien, nicht aus einem geraden Strange, der sich vom vorderen bis zum hinteren Ende hinzieht, besteht. Dort, wo sich auch bei den wirbellosen Thieren Stränge befinden, wie z. B. bei den Würmern, bemerken wir, nach Nagel’s Ansicht, im Allgemeinen eine Unklarheit der galvanotactischen Erscheinungen, wegen der Combination des ersten Stadiums mit dem zweiten. Ganz anders dagegen erklärt die Erscheinungen der Galvanotaxis Loeb. Die Ursache der Lageveränderung bei Krebsen und Amblystomen liegt nach Loeb darin, dass der Strom eine stärkere Spannung bestimmter Muskel- gruppen im Körper dieser Thiere erzeugt, in Folge dessen die Fortbewegung des Thieres gegen den einen Pol erleichtert und gegen den anderen erschwert wird. Loeb sucht seine Behauptung durch folgende geistreiche Experimente zu beweisen. Wenn das Amblystom senkrecht zu der Stromrichtung liegt, so kann man an der, zur Anode gewandten Seite des Körpers eine Con- cavität bemerken, das Amblystom scheint sich gegen diese Seite zu neigen und fällt nach einiger Zeit nach ihr hin. Bei der Beobachtung dieser Er- scheinung glaubt der Forscher, behauptet Loeb, ein Amblystom vor sich Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 18 274 Borıs BIRUKOFF: zu haben, dessen ganzes rechtes Ohr entfernt worden ist. Ebenso bemerkt man bei dem vom absteigenden Strome erregten Amblystom alle jene Er- scheinungen, die man bei der Entfernung der vorderen Ampullen des Ohres bemerkt und bei der Erregung des aufsteigenden Stromes alle jene Er- scheinungen, wie bei der Entfernung der hinteren Ampullen. Daraus schliesst Loeb, dass bei der Galvanotaxis dieser Thiere der Strom vor Allem auf die Centren des verlängerten Markes, in welchen die Nervenenden der Ampulle sich befinden, wirkt, wobei je nach der Richtung des Stromes bald die einen, bald die anderen Enden dieser Centren in den Katelektrotonus fallen. Auch folgt daraus, wie früher bei den Krebsen und bei den Amblystomen, dass Loeb annimmt, jedes Element des Central- nervensystems zerfalle unter der Einwirkung des Stromes in katelektro- tonische und anelektrotonische Theile. Mit anderen Worten: das Central- nervensystem steht bei diesen Thieren im Verhältnisse zum Strome nicht als ein Ganzes, sondern besteht aus mehrfachen Elementen, von denen ein jedes für sich elektrisirt wird. Um seine Folgerungen zu prüfen, zertheilt Loeb das Rückenmark . zwischen Vorder- und Hinterbeinen, in der Voraussetzung, dass der vordere Körpertheil, der die Verbindung mit den Nervenenden in den Ampullen nicht verloren habe, auch nach der Zertheilung ganz normal auf den Strom reagiren werde, der hintere Theil aber, der die Verbindung mit den Ampullen verloren habe, ganz anders reagiren werde. Seine Voraussetzung wurde theilweise von der Wirklichkeit bestätigt, doch nicht vollständig:. der vordere Theil verhielt sich in der That ganz normal zum Strome; man bemerkte die Concavität auf der unteren Seite, die Beine waren beim absteigenden Strome (bezw. der antidromen Lage) rückwärts gerichtet, beim aufsteigen- den Strome aber entgegengesetzt. Der hintere Theil jedoch hatte ebenfalls, entweder eine Öoncavität, oder aber eine Convexität wie der normale vordere Theil, nur machten die Hinterbeine nicht die früheren Bewegungen und dieser ganze Theil zeigte während der Stromwirkung eine gewisse Unruhe. Dieser Umstand bewog Loeb anzunehmen, dass im Rückenmarke mehrere motorische Centren vom Stroime gereizt würden, das Hauptcentrum aber, welches die Bewegung der Extremitäten lenkt, sich im verlängerten Marke befinde. Indem Loeb seine Behauptungen zusammenfasst, sagt er, dass die Galvanotaxis ebenso der Ausdruck der Thätigkeit bestimmter Muskel- gruppen sei, wie z. B. jene Bewegungen, die man bei den Thieren beobachtet, wenn sie sich im Kreise drehen, oder jene, welche in einer gewissen Richtung nach der Exstirpation der halbkreisförmigen Canäle des Ohres (Ampulle) auftreten. Zugleich stimmt er mit den von Hermann und anderen Forschern über Galvanotaxis gegebenen Erklärungen nicht überein, nämlich, dass der aufsteigende Strom in den Thieren das Gefühl des Schmerzes er- ZUR THEORIE DER GALVANOTAXTS. 275 rege. Die Unruheerscheinungen, auf denen diese Erklärung beruht, konnten leicht vermieden werden, wenn man den Widerstand in der Nebenschliessung sehr langsam und vorsichtig erhöht. Ebenso ist es nach Loeb’s Meinung nicht richtig, von der Unruhe auf eine Schmerzempfindung zu schliessen, da z. B. nach der Durchschneidung der Wirbelsäule der hinter dem Durch- schnitte gelegene Theil ebenso beim aufsteigenden wie beim absteigenden Strome grosse Unruhe zeigt, während der vordere Theil in voller Ruhe bleibt. Das Schmerzgefühl kann in diesem Falle nur für den vorderen Theil in Betracht kommen, da der hintere vom Gehirne getrennt ist. Auch widerlegt Loeb die Annahme einer beruhigenden und paralysirenden Thätig- keit des absteigenden Stromes, da in letzterem Falle das Thier doch in eine Zwangsstellung komme. In der im Jahre 1899 veröffentlichten Arbeit! war ich den Beweis zu führen bemüht, dass bei der Erklärung der Galvanotaxis unbedingt die kataphorische Wirkung des galvanischen Stromes in Betracht gezogen werden muss und gab dem Gedanken Raum, dass alle Erscheinungen der Galvanotaxis bei Infusorien von zwei Factoren ausgeführt werden, und zwar: a) von der kataphorischen Wirkung des Stromes und b) von der allgemeinen Erreo- barkeit der Infusorien, welche letztere zwingt, von den Stellen des Tropfens, wo der stärkste Strom circulirt, diejenigen aufzusuchen, wo der Strom schwächer ist. Beide genannten Factoren sind meiner Meinung nach zur Erhaltung der Galvanotaxis gleich wichtig. Seitdem sind bereits mehr als drei Jahre vergangen und erschienen einerseits neue Abhandlungen, von denen einige meinen Resultaten nahe kamen, andere dagegen nicht in Allem mit mir übereinstimmten, — andererseits habe ich selbst neue Ver- suche angestellt, welche ich auch gesonnen bin in meiner jetzigen Abhand- lung mitzutheilen, — indem ich jedoch Ausführung sowie Entgegnungen (von Seiten der Vertreter der Theorie der polaren Erregung bei der Gal- vanotaxis), als auch die Versuche anderer Forscher, welche meine Erklärung der Galvanotaxis bestätigen, — bis zum Schlusstheil aufhebe. I. Auf Grund Alles dessen, was sowohl in der wissenschaftlichen Literatur über die kataphorische Wirkung des Stromes bekannt, als auch nach meinen eigenen Untersuchungen in diesem Gebiete, erlaubte ich mir in meiner ersten Mittheilung in folgender Art die Wirkung des kataphorischen Factors auf die Fortbewegung der Infusorien in einer bestimmten Richtung so zu formulieren. ı B. Birukoff, Untersuchungen über Galvanotaxis. Pflüger’s Arch. Bd. LXXVI. 18* 276 Borıs BIRUKOFF: „Bei Durchleitung eines Stromes durch eine Flüssigkeit, in welcher In- fusorien schwimmen, bildet sich an der Berührungsgrenze des Infusorien- körpers und der Flüssigkeit eine elektromotorische Kraft, deren Richtung immer der Richtung des durchgeleiteten Stromes entgegengesetzt ist. Ich nehme an, dass die Grösse dieser elektromotorischen Kraft in jenen Fällen, wenn die Infusorien sich zur Kathode bewegen (z. B. Paramäcium) geringer ist als die Kraft des thätigen Stromes, welcher den Wasserstrom zur Kathode hin erzeugt (in welchem die Paramäcien sich befinden), und dass darum die Infusorien gleichfalls zur Kathode streben. Im Gegentheil wird in jenen Fällen, wenn die Infusorien zur Anode streben (z. B. Opalina), die Grösse dieser elektromotorischen Kraft grösser als die den Wasserstrom erzeugende Kraft sein. Endlich werden wir für den letzten Fall, wenn keine Fortbewegung der Infusorien weder zur Anode, noch zur Kathode (Spirostomum) stattfindet, annehmen müssen, dass die Grösse der elektro- motorischen Kraft der Kraft des Stromes gleich sei, welche die Fortbe- wegung der Wassertheile von der Anode zur Kathode verursacht.‘“! Um die kataphorische Erklärung der Galvanotaxis vollständig zu be- weisen, müsste man experimentell zeigen, dass die Grösse der elektromoto- rischen Kraft unter den gleichen Bedingungen nicht gleich ist bei zwei In- fusorienarten, von welchen die einen sich zur Kathode, die anderen zur Anode bewegen, oder bei Infusorien derselben Art, die sich in der einen Flüssigkeit zur Kathode, in der anderen zur Anode bewegen. Für ent- sprechende Zwecke gebraucht man in der Physik ganz besondere Apparate, in denen man die Flüssigkeit durch einen einseitigen Druck durch eine aus einem bestimmten Stoffe hergestellte Scheidewand durchtreibt und zugleich mit einem Galvanometer die Grösse der sich dabei entwickelnden elektro- motorischen Kraft misst. Natürlich kann man diese Methode bei Infusorien nicht anwenden und alle meine Experimente, die auf die Veränderung dieser Methode hinzielten, indem ich Wasser durch eine Scheidewand aus Ton und zugleich durch eine bedeutende Menge von Infusorien durchlaufen liess, misslangen vollkommen, wie ich bereits in meiner ersten Arbeit über Galvanotaxis erwähnte. In letzter Zeit gebrauchte ich zu dem obenerwähnten Zwecke eine andere Methode, ich verwendete nämlich eine Capillarröhre, ähnlich derjenigen, welche Zöllner zur Messung der elektromotorischen Kraft bei einseitigem Drucke bei der Untersuchung von verschiedenen Flüssigkeiten anwandte. Ich hatte eine schmale Röhre ad (Fig. I) mit dicken Wänden, einer Länge von 100m und einer Breite von 0.9 "m zu meiner Verfügung. Die Enden derselben waren durch Pfropfen in breitere, kürzere Röhren A 3 hineingeschoben und in diesen letzteren waren Platin- ! B. Birukoff, a. a. O. S. 580. ZUR THEORIE DER GALVANOTAXTS. 277 drähte a’ 6’ eingelötet, welche wie Elektroden mit dem empfindlichen Galvanometer von Deprez-d’Arsonval verbunden wurden. Um einen gleichmässigen Druck auf die Flüssigkeit mit Infusorien in der Capillarröhre zu erhalten, gebrauchte ich den gewöhnlichen Gasometer, in dessen Röhre ich eine kurze Glasröhre hineinsteckte, die mittels einer Gummiröhre mit der Y-förmigen Röhre verbunden war. Ein Zweig dieser letzteren Röhre wurde mit einem offenen Quecksilbermanometer verbunden, der andere mit dem oben beschriebenen Apparate. Indem man den Gasometer hinunter- oder hinaufschob, konnte man den Druck verstärken oder vermindern. In einer bestimmten Entfernung vom Spiegelchen des Galvanometers war ein Fernrohr aufgestellt, an welchem eine Millimeter-Scala (1 Meter lang) be- festist war. In diesem Rohre wurden die Abweichungen des Spiegelchens nach rechts oder nach links von der Null beobachtet. Fig. 1. Der Apparat zur Bestimmung der elektromotorischen Kraft, welche sich durch den Druck bei der Durchlassung der Flüssigkeit mit den Infusorien durch die schmale Röhre ab entwickelt. Die Platin-Elektroden (a’ und b’) sind mit dem Galvanometer ce verbunden. Da man ausser den Paramäcien kaum eine andere Infusorienart in solcher Quantität, wie sie für die Experimente nöthig ist, finden kann, machte ich es mir zur Aufgabe, im oben beschriebenen Apparate die Grösse der elektromotorischen Kraft für die Paramäcien in gewöhnlichem Wasser (in dem man die Fortbewegung zur Kathode beobachtet) und in einer phy- siologischen Kochsalzlösung (in der man eine Fortbewegung zur Anode be- merkt) zu bestimmen. Das Experiment nahm ich folgendermaassen vor: ich füllte den Gasometer mit gewöhnlichem Wasser bis zu einem gewissen Stande, ferner die Capillarröhre (den ganzen Apparat) wie einen der Zweige der Y-förmigen Röhre mit Wasser, in welchem sich eine grosse Menge Paramäcien befand. Um zu verhindern, dass die Infusorien in das ge- wöhnliche Wasser des Gasometers gelangten, befand sich in jenem Zweige der Y-förmigen Röhre, welcher mit der Capillarröhre verbunden war, ein 278 BorIs BIRUKOFE: Quecksilberpfropfen, dessen Lage immer die Grenze zwischen dem Wasser und der mit Infusorien gefüllten Lösung anzeigtee In den verglichenen Experimenten wurde immer ein gleicher Druck ausgeübt, was man an dem mit dem anderen Zweige der Y-förmigen Röhre verbundenen Manometer be- obachten konnte. Anfangs suchte ich die Grösse der elektromotorischen Kraft für das filtrirte Wasser (in dem sich die Infusorien früher befanden) und für die physiologische Kochsalzlösung zu bestimmen. Lässt man solches Wasser und die physiologische Lösung durch den oben beschriebenen Apparat von links nach rechts unter dem Drucke von 860m laufen, so bemerkt man folgende Schwankungen (in Millimeter): Wasser Physiologische Kochsalzlösung — 3.5 — 2-8 — 3.8 — 2-6 — 3.6 — 2-5 Wenn man unter den früheren Bedingungen und demselben Drucke durch den Apparat in dem einen Falle das Wasser mit den darin lebenden Paramäcien und im anderen Falle Paramäcien in der physiologischen Kochsalzlösung durchlaufen lässt (die Flüssigkeit war in beiden Fällen durch die Menge der Infusorien milchfarbig), so bemerkte man folgende Schwankungen: Paramäcien im Wasser in der physiolog. Kochsalzlösung — 6-4 — 8-7 — 7.0 — 9.2 — 6-9 — 8.5 Vergleicht man die Grössen der Schwankungen des Galvanometer- spiegelchens für die Paramäcien im Wasser wie in der Kochsalzlösung mit den Grössen der Schwankungen für das Wasser allen und die physiolo- gische Kochsalzlösung allein, so bemerkt man, dass diese Grössen beim Vor- handensein der Infusorien im Wasser wie in der physiologischen Kochsalz- lösung wachsen, aber nicht im gleichen Maasse. Während bei Paramäcien im Wasser im Vergleiche mit blossem Wasser die Schwankung sich nur um 3 bis 4 Theilstriche erhöhte, so wuchs die Schwankung bei denselben Infusorien in der physiologischen Kochsalzlösung im Vergleiche mit der blossen physiologischen Kochsalzlösung um 5 bis 6 Theilstriche. Diese letzte Thatsache erscheint etwas überraschend, wenn man bedenkt, dass gewöhnlich, wie schon früher erwähnt, bei Hinzufügung von Säuren oder Salzen zu destillirtem Wasser, eine Abschwächung der Fortbewegung des Wassers zur Kathode hin beobachtet wird, folglich auch eine Abschwächung der ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 279 Reibungskraft (welche wie wir bereits bemerkten, einer der die elektro- motorische Kraft erzeugenden Factoren ist), woraus man schliessen muss, dass der andere Factor, die Berührung zwischen den verschiedenartigen Körpern hier von grosser Bedeutung ist. Man müsste natürlich eine gewisse Erhöhung der elektromotorischen Kraft beim Vorhandensein der Infusorien erwarten (in Folge der selbstständigen Wimperthätigkeit), aber ganz uner- wartet war für mich, dass diese Erhöhung bei der physiologischen Koch- salzlösung viel grösser war, als beim Wasser. Andererseits giebt dieses Factum meiner Ansicht nach die hinreichende Möglichkeit, die Fortbewegung der Paramäcien im Wasser zur Kathode und in der physiologischen Koch- salzlösung zur Anode zu erklären. Diese Erklärung ist folgende: Wenn die Paramäcien sich im Wasser befinden, ist die Grösse der elektromotorischen Kraft an der Berührungsgrenze dieser Körper mit dem Wasser in der ent- gegengesetzten Richtung der Fortbewegung dieses Wassers eine so minimale, dass sie nicht im Stande ist, die Infusorien gegen die allgemeine Wasser- bewegung, durch welche sie zur Kathode getrieben werden, zu drängen. Ganz anders ist die Erscheinung, wenn die Paramäcien sich in der physio- logischen Kochsalzlösung befinden. In ‘diesem Falle ist zwar die Grösse der elektromotorischen Kraft nur etwas bedeutender als bei den Paramäcien im Wasser, aber die Fortbewegung zur Kathode der physiologischen Kochsalz- lösung selbst ist eine viel schwächere und deshalb kann aller Wahrschein- lichkeit nach hier diese elektromotorische Kraft die Infusorien gegen die allgemeine Fortbewegung der Lösung zur Anode treiben. III. Wir müssen im Allgemeinen bei Infusorien, die in einer, dem gewöhn- lichen Wasser ähnlichen Flüssigkeit leben, solche Erscheinungen beobachten, wie bei den verschiedenen im Wasser suspendirten Stoffen. In diesem letzteren Falle beobachten wir, wie wir bereits Anfangs (bei einer gewissen Stromstärke) gesehen haben, die Uebertragung aller Theilchen zusammen mit dem Wasser zur Kathode, dann beginnen sie bis zur Verstärkung des Stromes in den mittleren Röhrentheilen und bei noch stärkerem Strome auch in allen anderen Theilen sich gegen die Wasserbewegung, d.h. zur Anode zu bewegen. Das wurde ohne Ausnahme bei allen bis jetzt unter- suchten Stoffen beobachtet. Dasselbe würde man auch bei den Infusiorien bemerkt haben, wenn hier nicht durch den Strom eine Reizung des lebendigen Protoplasmas erzeugt wurde, die die Erscheinungen bedeutend modifieirt. Bei den Paramäcien z. B. beobachten wir meines Wissens nur das erste Stadium der kataphorischen Wirkung des Stromes, d. h. die passive Bewegung der Infusiorien zusammen mit dem Wasser zur Kathode, die durch die allgemeine Erregung verstärkt wurde — mit anderen Worten: 280 BorIs BIRUKOFF: in diesem Falle ist die Grösse der sich entwickelnden elektromotorischen Kraft geringer als die Kraft, welche die Bewegung des Wassers zur Kathode hervorruft. Bei der Stromverstärkung wird die Wimpernthätigkeit durch die Ueberreizung des Protoplasmas eine unregelmässige und in Folge dessen kann man das zweite Stadium der kataphorischen Stromwirkung (d.h. die Fortbewegung der Paramäcien zur Anode) nicht bebachten, wenn die Grösse der elektromotorischen Kraft über die das Wasser zur Kathode treibende Kraft hinauswächst. In dieser Hinsicht ist das Factum höchst interessant, welches Verworn und Ludloff in den oben genannten Schriften erwähnen. Wenn nämlich die Stärke des Stromes bedeutend gewachsen ist (so dass der Zipfel und Blasen auftreten), so kann man, bevor eine endgültige Auf- lösung des Infusorienkörpers (Paramaecium) vor sich geht, beobachten, dass diese Infusorien sich eine Zeit lang nicht zur Kathode, sondern zur Anode fortbewegen. Ebenso konnte ich! bei schneller Annäherung der secundären Spirale an die primäre eine Aenderung in der Richtung der Fortbewegung von Paramäcien beobachten, welche jetzt sich langsam zum Plus des Oeffnungsschlages fortbewegten. Was die Infusorienart Opalina betrifft, so beobachtet man meines Wissens bei derselben nur das zweite Stadium der kataphorischen Stromwirkung, mit anderen Worten, hier wurde, während die Erregung der Infusorien durch den durchgeleiteten Strom vor sich ging, die Grösse der elektromotorischen Kraft noch stärker als die Kraft, welche das Wasser zur Kathode treibt, und deshalb müssen diese Infusorien sich zur Anode fortbewegen. Wenn wir bedenken, dass die physiologische Koch- salzlösung, in der gewöhnlich die Infusorien untersucht werden, sich viel langsamer zur Kathode fortbewegt, als Wasser (bei den gleichen Stromstärken), so ist die Möglichkeit eines Wachsens der elektromotorischen Kraft über die Fortbewegungskraft des Wassers hinaus sehr wahrscheinlich. Endlich kann man beim Spirostomum, welche die einzige in der ganzen Thierwelt „transversale“ Galvanotaxıs darstellt, wie mir scheint, den seltenen Fall annehmen, dass während die lirregung dieser Infusorien durch den durchgeleiteten Strom vor sich geht, die Grösse der elektromotorischen Kraft, welche die Infusorien zur Anode treibt, gleich jener Kraft ist, welche sie zusammen mit dem Wasser zur Kathode treibt, in Folge dessen eine Fortbewegung dieser Infusorien weder zu dem einen noch zu dem anderen Pole entsteht. Es kann jedoch ein Zweifel entstehen in der Voraussetzung, dass die durch den Strom hervorgerufene Erregung bei den verschiedenen Infusorien- arten auch verschieden sei. In diesem Falle dient als Bestätigung des Ge- sagten folgende Beobachtung. Wie schon erwähnt, lagern sich die Para- ! Siehe meine erste Mittheilung S. 584. ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 281 mäcien bei der Reizung durch den Inductionsstrom auf einer der Elektroden so, dass die Spitzen und Randtheile der Elektroden frei bleiben. Befanden sich zu gleicher Zeit im Tropfen ausser den Paramäcien noch Infusorien von der Art Opalina ranarum (die Untersuchung vollzieht sich in einer physiologischen Kochsalzlösung), so nehmen diese Infusorien verschiedene Plätze auf der Oberfläche des Stanniols ein: näher zu den Randseiten der Elektrode — einen schmalen Streifen freilassend — lagern sich die Opalinen, weiter in den folgenden Reihen die Paramäcien (Fig. 2). Diese Erscheinung beobachtete ich auch bei anderen Infusorienarten und konnte sie mir nur durch eine verschiedengradige Er- regbarkeit bei den verschiedenen In- fusorienarten erklären. Ich beobachtete eine verschieden- gradige Erregbarkeit nicht nur bei verschiedenen Infusorienarten: die ver- schiedenen Theile der Körperoberfläche eines Infusoriums sind auch nicht gleich empfindlich für den äusseren % a I) ER RN EREEN x CH Reiz. Und zwar wenn wirin einer Stan- niolelektrode einen Kreis in der Nähe von der Spitze derselben ausschneiden, so streben nicht die Infusorien, welche sich zufällig im Innern dieses Kreises im Momente der Stromschliessung be- fanden, zur anderen Elektrode hin, an welcher das Minus des Oeffnungs- Fig. 2. Die Lagerung der Infusorien zweier Arten (Paramaecium caudatum und Opalina rana- rum) auf der Oberfläche der dreieckigen Stanniolelektroden. Die ersteren lagern sich entfernter, die letzteren näher zu der Spitze und Randtheilen der Elektrode. Beide Schläge in Wirkung. Die secundäre Spirale steht von der primären um 10 ab. Die Untersuchung vollzieht sich in schlages liegt. Die Infusorien bleiben in diesem Kreise und sogar der stärkste Strom zwingt sie nicht, denselben zu verlassen. Ebenfalls, wenn wir den Kreis in derjenigen Elektrode ausschneiden, an welcher das Minus des Oefinungsschlages liegt, treffen die Infusorien (indem sie nach diesem Pole streben) unbedingt in diesen Kreis, welcher für sie gleichsam als Brunnen dient (Fig. 3). Es ist aber zu bemerken, dass hier keine Rede über das Vorgefühl der Infusorien sein kann. Also erreichen die Infusorien den Kreis nur in Folge dessen, dass er sich auf dem Wege der Fort- bewegung der letzteren in die entferntesten Theile der Elektrode befindet. Nachdem sie in diesen Kreisbrunnen getroffen sind, bewegen sie sich nicht weiter, trotzdem dieser Kreis in der Spitze der dreieckigen Stanniolelektrode ausgeschnitten war. Dieser Brunnen ist den Infusorien gleichsam ein stiller Zufluchtsort an den Randtheilen der Elektrode. Ich bemerkte unter dem Mikroskope, dass die Paramäcien während der Durchleitung des Stromes einer physiologischen Kochsalzlösung. 282 Borıs BIRUKOFF: sich nur an den Boden dieses Brunnens drängten, wobei sie in der tiefsten Reihe sich senkrecht zu den Rändern des Brunnens, d.h. längs den Radien Oeffnungsschlag ee Fig. 3. Die Anhäufung der Infusorien (Paramäcien) im Kreise, welcher auf der Oberfläche der dreieckigen Stanniol- elektroden ausgeschnitten ist. Beide Schläge in Wir- kung. Die Entfernung der secundären Spirale von der primären beträgt 10 ". des Kreises, lagern. Es ist doch sehr interessant, dass das vordere Ende des Infusorienkörpers in dieser Reihe sich unter dem Stan- niolblättchen befand, wel- ches an den Rändern des Kreises auf die geringste Entfernung vom Umkreis nicht befestigt war (Fig. 4). Wenn wir aber den Kreis weit von den Rändern der Stanniolelektrode ausge- schnitten haben, so beobach- tet man die eben beschrie- benen Erscheinungen nicht. Meiner Meinung nach liegt die Ursache dieser Lagerung in diesem Kreise der Infusorien darin, dass die beiden Enden des Infusorien- körpers nicht gleich empfindlich sind. In Folge der allgemeinen Erregbar- Fig. 4. Dieselbe Erscheinung bei schwacher Ver- grösserung des Mikroskopes (das II. Sei- bert’sche System). In der niederen Schichte lagern sich die Infusorien den Radien entlang, wobei das vordere Ende jeder einzelnen gegen die Peripherie des Kreises gerichtet ist nnd sich unter dem Stanniole befindet. keit eilen die Infusorien in’s Innere des Brunnens. Hier in letzterem sind die Reizbedingungen an verschiedenen Stellen nicht gleich. Also lagern sich die Infusorien nicht dort, wo der Strom am stärksten ist. In Folge dessen ist das vordere Ende des In- fusoriums unter dem Stanniolblättchen so zu sagen versteckt. Mit anderen Worten gewinnt es sehr an Wahr- scheinlichkeit, dass das vordere Ende für äussere Reize bedeutend em- pfindlicher ist als das hintere. Man darf aber nicht vergessen, dass zur Erklärung der galvano- tactischen Erscheinungen (bei den verschiedenartigsten Infusorien) ausser der Erregbarkeit erwiesenermaassen auch der Fall zugelassen werden muss. dass die kataphorischen Erscheinungen an den einen Infusorien ganz un- ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 283 abhängig von denen an den anderen im selben Tropfen vor sich gehen können und in Folge dessen die Fortbewegung der einen zur Kathode, der anderen zur Anode erfolgt, ähnlich wie bei den Kork- und Schwefeltheilchen, welche sich in Terpentinöl zu den verschiedenen Polen hinbewegen: Schwefel zur Anode, Kork zur Kathode. Der erwähnte Unterschied in der Grösse der elektromotorischen Kraft bei den Infusorien kann, wie schon früher erwähnt, in Folge der Verschiedenartigkeit derselben entstehen, wie z. B. bei Flagellaten und Ciliaten, die sich sowohl durch ihre Bewegungsorgane, wie durch ihre Grösse ganz bedeutend von einander unterscheiden. Aus all’ dem von der kataphorischen Wirkung Gesagten ist ersichtlich, dass die Grösse der elektromotorischen Kraft sowohl von der Berührung zwischen den verschiedenartigen Körpern wie von der zwischen ihnen entstehenden Reibung abhängt. Indem man so die allgemeine Erregbarkeit der Infusorien mit der kataphorischen Wirkung des Stromes vereinigt, bekommt man meiner An- sicht nach alle nöthigen Bedingungen für die Erscheinung der Galvanotaxis bei diesen Thieren. Dank der allgemeinen Erregbarkeit bewegen sich die Infusorien von der Stelle, wo der Strom stärker circulirt, zu jener, wo er schwächer ist; diese Fortbewegungen verstärken die kataphorische Wirkung des Stromes und tragen dazu bei, dass sie leichter vor sich geht. Z.B. drängen sich die Paramäcien bei den dreieckigen Elektroden kraft der all- gemeinen Erregbarkeit von der Oberfläche der Elektrode zum sie umgeben- den Wasser hin und bewegen sich hier von den Linien der kürzeren Ent- fernung zwischen den Polen zu jenen der grösseren, d. h. senkrecht zur Stromrichtung. Da bei dieser Stromkraft auf dem ganzen Gebiete zwischen den Elektroden eine kataphorische Uebertragung aller im Wasser suspen- dirten Theilchen vom Plus zum Minus des wirkenden Schlages stattfindet, so werden sich die Paramäcien nicht senkrecht zu Stromrichtung, sondern zu den diesen zwei Richtungen gleichwirkenden Linien fortbewegen, wie es thatsächlich beobachtet wird. Indem wir in der wissenschaftlichen Litteratur über die von uns be- handelte Frage nachforschen, finden wir, dass die Beobachtungen einiger Gelehrter, wie mir scheint, mit den meinigen ziemlich übereinstimmen. Viele Forscher nämlich, Heidenhain z. B., beobachteten die Fortbewegung der Chlorophylikörner in den lebenden Zellen der Vallisneria zur Anode, aber man braucht nur auf die Zelle durch irgend ein tödtliches Reagens, z. B. eine Säure, einzuwirken — und die Fortbewegung der Chlorophyli- körner hört allsobald auf. Hier kann natürlich von keiner polaren Er- regung die Rede sein und doch bemerkte man nach der Hinzufügung eines auf die Zelle schädlich wirkenden Stoffes keine kataphorische Wirkung, sondern die Körner blieben bei der früheren Stromstärke unbeweglich, be- 284 Borıs BIRUKOFF: gannen aber bei bedeutender Stromverstärkung wieder sich zur Anode fort- zubewegen. Das kann nur dadurch erklärt werden, dass die lebende Zelle sich nicht so passiv zum Strome verhält wie die todte und in Folge dessen bei den lebenden Zellen die kataphorische Uebertragung der Chlorophyll- körner in ihr mit grösserer Leichtiekeit als nach ihrem Absterben statt- findet. Eine ähnliche Beobachtung machte auch Hermann, der bemerkte, dass die Samenkörperchen der Frösche und Säugethiere sich zur Anode fortbewegen, nach der Hinzufügung einer ihre selbstständige Bewegung ver- nichtenden Sublimatlösung aber diese Bewegung aufhöre. Von dem Um- stande ausgehend, dass man bei der Verdünnung der Flüssigkeit, in der sich die Körperchen befinden, durch destillirtes Wasser wieder die Fort- bewegung der Samenkörperchen zur Anode beobachten kann, glaubt Her- mann, dass die Fortbewegung zur - Anode nach der Hinzufügung von Sublimat nicht in Folge des Absterbens der Körperchen aufgehört habe, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach davon abhänge, dass das Wasser nach dem Hinzufügen von Sublimat ein besserer Stromleiter geworden (und in Folge dessen die Bedingungen für das Entstehen der kataphorischen Wirkungen ungünstiger geworden seien). Aber das schliesst durchaus nicht die Möglichkeit der Verstärkung der kataphorischen Wirkung bei der Reizung der latenten Samenkörper durch den Strom aus. Ewald beobachtete bei schwachen Strömen, wie bereits erwähnt, die Fortbewegung der Kaulquappen zur Kathode, die aber bei stärkeren Strömen aufhörte und an deren Stelle die Wendung des Kopfes zur Anode trat (vgl. mit der doppelten Bewegung der Paramäcien bei den schwachen und starken Strömen). Ferner bemerkte Nagel, dass bei der Erwärmung des Wassers auf 28° bis 35°C. die galvanotactischen Erscheinungen bei den Thieren viel schwächer auftraten. Dasselbe hatte auch Hermann schon früher bei den Kaulquappen beobachtet. Etwas ganz Aehnliches be- obachtet man bei den kataphorischen Erscheinungen, da das Wasser durch die Erwärmung ein besserer Leiter wird. Wenn wir uns an die verschiedenen Erklärungen der galvanotactischen Erscheinungen erinnern, welche die Gelehrten über verschiedene Thiere geben (s. Cap. I), so wird unsere Aufmerksamkeit auf die Aehnlichkeit zwischen meinen Erklärungen der Galvanotaxis bei den Infusorien und den Er- klärungen derselben Erscheinungen bei den wirbellosen Thieren durch Nagel und den Wirbelthieren durch Hermann gelenkt. In der That erklärt Nagel die Galvanotaxis bei den wirbellosen Thieren mit der polaren Erregung des peripheren Nervensystems, wobei das T'hier im Verhältniss zum Strome in eine solche Stellung kommt, dass die Erregung der am meisten erregbaren Theile eine — ganz unbedeutende wird. Hermann aber erklärt die Galvanotaxis bei den Wirbelthieren ohne Mithilfe der polaren ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 285 Erregung nur dadurch, dass der aufsteigende Strom im Allgemeineu er- regt, der absteigende beruhigt, — so dass die Thiere, um einer unangenehmen Empfindung zu entgehen, so lange unsichere Bewegungen machen, bis sie in die Stellung des absteigenden Stromes, d. h. mit dem Kopfe zur Anode, gelangen (wenn keine Erregung mehr erzeugt wird). Diese Erscheinung wurde thatsächlich bei allen Wirbelthieren, an denen galvanotactische Er- scheinungen auftraten, beobachtet. Auf diese Weise sehen wir, dass die Aehnlichkeit darin besteht, dass wie in meinen Experimenten die Infusorien sich in die für sie günstigste Stellung lagerten, d.h. wo sie am wenigsten durch den Strom erregt wurden, ebenso stellten sich in den Untersuchungen der oben genannten zwei Forscher einerseits die wirbellosen, andererseits die Wirbelthiere in eine solche Stellung, dass sie am wenigsten vom Strome erregt wurden. IV. Dass die kataphorische Wirkung des Stromes bei der Galvanotaxis eine wichtige Rolle spielt, zeigt auch klar die Arbeit Carlgren’s!, welche bald nach dem Erscheinen meiner ersten Arbeit über die Galvanotaxis er- schien. Sowohl lebende wie auch todte Parthenogonidien der Colonie Volvox wandten sich sogleich nach Schliessung des constanten Stromes zur Anode. Dieselbe Reaction zeigten auch Körnchen, welche im Inneren der leblosen Masse lagen. Die Erscheinung der Zusammenziehung an der Anode und Auseinanderziehung an der Kothode, d. h. das, was Verworn „Contraction und Expansion“ nennt, erklärt Carlgren ausschliesslich als kataphorische Wirkung des Stromes, welcher die Fortbewegung von Theilchen des Wassers im Inneren der protoplastischen Bildungen (Protoplast) von der Anode zur Kathode bedingt, da er eben solche Zusammen- und Auseinanderziehungen auf den diesbezüglichen Seiten (an der Anode immer das Zusammenziehen und an der Kathode das Auseinanderziehen) auch bei leblosen niederen Organismen beobachtet hat. Auf gleiche Weise sieht Carlgren auch auf die von Verworn an der Kathode beschriebenen Veränderungen von Opalina: nach Ansicht von Öarlgren sind diese Veränderungen nicht durch Con- traction entstanden (wie Verworn annimmt), sondern durch die kataphori- sche Wirkung des Stromes, welche auf dieser Seite Auspressungen hervorruft. Weiter beschreibt Pearl?, dass Chilomonas bei schwachen Strömen kathodische Galvanotaxis hervorruft, jedoch sich bei starken Strömen zur Anode bewegt. Dies stimmt vollständig damit überein, was gewöhnlich bei 1 O0.Carlgren, Ueber die Wirkung des constanten Stromes auf die niederen Orga- nismen. Dies Archiv. 1900. ®? Pearl, Studies on elektrotaxis. I. On the reactions of certain Infusoria to the eleetrie current. Americ. Journ. of Physiol. 1900. Vol. IV. 286 Borts BIRUKOFF: kataphorischer Wirkung des Stromes beobachtet wird — das ist, die Anfangsbewegung zur Kathode ändert sich bei Verstärkung des Stromes in Bewegung zur Anode. Eine gleichartige Erscheinung beobachtet man auch an den Paramäcien, und zwar: die Infusorien bewegen sich bei plötzlicher Verstärkung des indueirten Stromes nicht zur Kathode, sondern zur Anode, wie ich hierüber in der ersten Mittheilung schrieb (die Rede ist von einer doppelten Bewegung bei kataphorischer Wirkung des Stromes). Endlich hat auch Carlgren Aehnliches beobachtet und zwar, dass Volvox aureus Anfangs bei Schliessung des Stromes kathodische Galvanotaxis er- giebt, jedoch diese Art der Galvanotaxis bei andauernder Wirkung un- deutlich wird und in anodische übergeht. Jetzt möchte ich diejenigen Entgegnungen berühren, welche die Ver- theidiger der Theorie der polaren Erregung bei Galvanotaxis gegen die Behauptung äussern, dass die kataphorische Wirkung des Stromes auf die Bildung der Erscheinungen der Galvanotaxis Einfluss üben. Pütter!, welcher meine Versuche behandelt und die von mir beantragten Er- klärungen der Galvanotaxis „die Theorie der kataphorischen Wirkung des galvanischen Stromes“ benennt, bezweifelt, dass der Bewegungsgrund zu einem bestimmten Pole mikroskopischer Theilchen einerseits und der Infusorien andererseits ein und derselbe ist, eben die kataphorische Wirkung des Stromes, da ich die Fortführung der ersteren bei sehr starken Strömen und der letzteren im Gegentheil — bei Strömen von weniger Kraft, — beobachtete. Mit anderen Worten, wenn der Grund der Bewegung der Infusorien nach einem bestimmten Pole eine kataphorische Wirkung des Stromes ist, so muss diese Erscheinung, nach Pütter, ent- sprechend der bedeutenden Grösse der Infusorien im Vergleich zur Grösse der suspendirten mikroskopischen Theilchen, nicht bei schwächeren, son- dern bei starken Strömen entstehen. Darauf kann man Folgendes erwidern. Ad 1: Die betreffend bedeutende Grösse von Infusorien im Vergleich zu der Grösse der im Wasser suspen- dirten Theilchen, wie z. B. Stärke, Karmin, ergiebt noch nicht den Beweis, dass das specifische Körpergewicht der Infusorien immer grösser als das specifische Gewicht der suspendirten Theilchen ist. Diese Theilchen, z. B, Eisen, Kupfer und andere, stellen feste Körperchen dar, wogegen der Körper der Infusorien, gieich einer jeden protoplasmatischen Bildung, in sich einen bedeutenden Procentgehalt von Wasser besitzen; mit anderen Worten die Vergrösserung des Umfanges der Infusorien entspricht durchaus nicht der Vergrösserung des Gewichts und die ganze Menge des Körpers in Betreff ! Pütter, Studien über Tigmotaxis. Dies Archiw. 1900. 8. 299. ZUR THEORIE DER GALVANOTARTS. 287 zum Wasser (in welchem sie sich befindet) kann nicht schwerer sein (oder unterscheidet sich überhaupt gering im Gewicht) als das bedeutend kleine im Umfange, jedoch nicht Wasser enthaltende, feste Körnchen der nicht organisirten Körper. Zweitens, wie ich bereits in meiner ersten Mit- theilung schrieb, ist die kataphorische Wirkung lediglich nur einer der Factoren der Galvanotaxis, deren anderer Factor in der allgemeinen Er- regbarkeit der lebenden Geschöpfe erscheint. Eben dieser zweite Factor erklärt uns die Ansicht, auf Grundlage deren die Bewegung der Infusorien zum bestimmten Pole bei geringerer Stromstärke entsteht, im Vergleich zur Bewegung der nicht organisirten Körperchen. D. h. die Infusorien vermögen selbstständige Bewegungen zu machen und können sich von Stellen, wo der Strom sie stärker erregt, nach Stellen bewegen, wo der Strom schwächer ist. Stellen wir uns vor, dass im Raum zwischen zwei Stanniolpolen ein Strom von solcher Stärke circulirt, bei welcher die kataphorische Bewegung der im Wasser suspendirten nicht organischen Körperchen noch nicht erscheint, die Erregung der Infusorien jedoch durch den Strom entsteht. Wenn also die kataphorische Wirkung des Stromes bei gewisser Stärke des letzteren nicht erscheint, — so geschieht das nicht darum, weil zu dieser Zeit etwa nicht die Bedingungen zu dieser Erscheinung bestehen, sondern weil die Strömung des Wassers von der Anode zur Kathode, welche eine passive Bewegung der suspendirten Theilchen zur Kathode hervorruft, oder die Grösse der elektromotorischen Kraft, welche auf den Berührungsgrenzen dieser sus- pendirten Geschöpfe und Flüssigkeit entsteht, — noch nicht so stark und gross ist, um entweder die Theilchen vom Platze zu bewegen und mit dem Wasser zur Kathode zu führen, oder sie gegen die Strömung des Wassers, d.h. zur Anode zwingen, sich zu bewegen. Infolge der allgemeinen Erregbarkeit müssen sich die Infusorien aus dem Wirkungskreise des Stromes an die Oberfläche eines der Pole entfernen, die, wie schon in der ersten Mittheilung gesagt, für sie sozusagen einen stillen Zufluchtsort bilden. Zu welchem Pole nun kann in diesem Momente am leichtesten die Bewegung hin geschehen ? Wenn, wie eben gesagt, jetzt gerade alle Bedingungen für die kataphorische Wirkung erscheinen, z. B. die Strömung des Wassers von der Anode zur Kathode, so ist es klar, dass bei allen anderen gleichen Bedingungen, die Infusorien schneller und leichter den Weg zur Kathode finden. Und das ist durchaus nicht ein Anthropomorphismus, auch kein den Infu- sorien etwa eigenes Vorgefühll. Derartige Beispiele sehen wir fort- während im gewöhnlichen Leben. Stellen wir uns die Bewegung der Thiere, der Hausvögel z. B. (Hühner und andere) bei Windströmung vor. Der Wind, nach einer bestimmten Richtung wehend, führt über die Ober- fläche der Erde verschiedene kleine Körperchen, wie Sandkörner, Steinchen und andere, mit sich. Die Vögel, von diesem Winde berührt, fügen sich 288 Boris BIRUKOFF: unfreiwillig (instinktmässig) dieser Windrichtung und bewegen sich am leichtesten nach ihr. Sind jedoch diese Vögel leblos, so ist es zweifellos, dass diese selbe Windstärke nicht im Stande sein wird, sie auch nur vom Platze zu rühren. Eine Erklärung hierfür kann man wohl nur darin suchen, dass der lebende Organismus sich nicht so passiv gegen die äussere Kraft — welche bemüht ist, ihn in einer bestimmten Richtung zu bewegen — verhält, als leblose Organismen. Und wenn, wie bei den Infusorien, die von der äusseren Kraft hervorgerufene Bewegung (kataphorische Wirkung des Stromes) mit derjenigen Bewegung gleichsinnig ist, welche in Folge der allgemeinen Erregbarkeit der Infusorien in der Richtung zum Pole entsteht (auf der Oberfläche des Stanniols empfinden die Infusorien schon nicht mehr die Erregung), so entsteht die Unterwerfung unter diese Kraft noch leichter und schneller. Von dieser Ansicht ausgehend scheint es mir selbst- verständlich zu sein, warum todte Infusorien, welche zu Boden gefallen sind (denn, wie ich in der ersten Mittheilung sagte, entsteht keine kataphorische Wirkung des Stroms, da letztere nur an suspendirten Körperchen erscheint), oder sich auch in einer Flüssigkeit solchen speecifischen Gewichts befinden, dass sie nicht zu Boden fallen, z. B. in einer Gelatinelösung, sich bei der- selben Kraft des Stromes (als sie lebend waren) zum bestimmten Pole gleichfalls nicht bewegen, dass aber bei Verstärkung des Stromes ihr Plasma sich unter Befreiung der Körnchen zerstört, welche sich jetzt schon zum bestimmten Pole, ausschliesslich auf Grund der kataphorischen Wirkung des Stromes hin, bewegen. Dass die allgemeine Erregbarkeit bei den Infusorien in der That un- abhängig von der polaren Erregung vorhanden ist (welche ich, wie schon oben erwähnt, durchaus nicht den Infusorien abspreche, sondern nur nicht mit den hierfür von Ludloif und Verworn gegebenen Gesetzen einverstanden bin, indem ich annehme, dass die Processe der Electrolyse sie ganz bedeutend maskirt und das Aussehen verändert) — ist auch aus meinem in der ersten Mittheilung veröffentlichten Versuche sichtbar. Eben die Infusorien bewegten sich nach der Gleichstellung (mit Hilfe der Helm- holz’schen Vorrichtung) des Oeffnungs- und Schliessungsschlages senkrecht zur Stromrichtung von den Stellen, wo der stärkste Strom circulirt, nach denen, wo der Strom am schwächsten, bezw. von der Linie der kürzesten Entfernung zwischen den Elektroden-Stanniolblättchen zur Linie der weitesten Entfernung, nach oben oder unten, je nachdem die Form der Elektrode ist. Biedermann, welcher in „Ergebnisse der Physiologie“ meine früher veröffentlichten Versuche citirt, sagt in Betreff dieses Versuches unter Anderem: „indessen lässt sich die Erscheinung, soviel ich sehe, auch unter der Voraussetzung erklären, dass durch die abwechselnd entgegengesetzt gerichteten Ströme der Wimperschlag auf beiden Seiten des Infusorienkörpers ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 289 in gleicher Weise polar beeinflusst wird.“! Zugegeben, dass an beiden Enden des Infusorienkörpers der Wimperschlag in gleicher Weise polar be- einflusst wird: so kann uns dieses nach Verworn beweisen, warum sich die Infusorien weder zur Anode noch zur Kathode bewegen, aber dieses ist noch nicht die ganze Erscheinung — die Infusorien bewegen sich in der That weder zur Anode noch zur Kathode, aber statt dessen bewegen sich alle senkrecht zur Stromrichtung von den Stellen, wo der stärkste Strom eireulirt, nach denen, wo er schwächer ist. Und dieses ist der zweite Theil der Erscheinung und beweist klar, dass hierin die allgemeine Erreg- barkeit der Infusorien Antheil nimmt: wenn dieses letztere nicht der Fall wäre, so müssten die Infusorien, auf Grundlage der Theorie von Ludloff und Verworn auf dem Platze bleiben, wo sie von den ausgeglichenen auf die entgegengesetzte Seite gerichteten Schlägen des inducirten Stromes erreicht worden waren, indessen bewegt sich jedes von ihnen immer nach bestimmtem Gesetze von der Linie der kürzesten Entfernung zwischen den Elektroden zur Linie der weitesten Entfernung. Endlich führt Pütter noch eine Entgegnung an, welche er augen- scheinlich für überzeugend hält. Er hat beobachtet, dass Stylonichia, Urostyla, Chilodon und andere Infusorien sich bei der Wirkung des con- stanten Stromes senkrecht zur Stromrichtung hielten, — was, wie er glaubt, in Folge der Interferenzerscheinung der Thigmotaxis und der polaren Erregung ist. Pütter sagt, dass diese Erscheinungen als Resultat der kataphorischen Wirkung des Stromes vollkommen unerklärlich sind und be- merkt weiter, dass meine Beobachtung der Lage der Paramäcien senkrecht zur Stromrichtung bei Ausgleichung des Oeffnungs- und Schliessungsschlages lediglich nur eine „scheinbare“ Aehnlichkeit mit der Erscheinung der transversalen Galvanotaxis hat. Ich glaube nicht, dass es für irgend Je- manden zweifelhaft sein kann, wo eher die „scheinbare“ Aehnlichkeit ist: zwischen der Erscheinung der transversalen Galvanotaxis bei frei schwim- menden Spirostomum und meiner Beobachtung mit ausgeglichenen Schlägen an Paramäcien, — oder zwischen derselben Erscheinung der transversalen Galvanotaxis wiederum auch bei frei schwimmenden Infusorien und den Versuchen von Pütter an thigmotactischen (den Boden berührenden), folglich nicht frei schwimmenden Infusorien. Zur Erklärung der erörterten Frage muss Folgendes bemerkt werden. Pütter sucht die Erscheinung der transversalen Galvanotaxis an Spirostomum auf die Interferenz der ka- thodischen Galvanotaxis mit Thigmotaxis zu vereinen, da bei Spirostomum bei senkrechter Lage zum Strom, das Peristom zur Kathode gewandt ist. ! Biedermann, Elektrophysiologie: Polare Stromeswirkungen. Ergebnisse der Physiologie von Ascher und Spiro. Erster Jahrgang, II. Abtheilung. S. 183. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 19 290 BorIs BIRUKOFF: Und den Beweis hierfür sieht er darin, dass Chilodon, Urostyla, Stylonichia und andere Infusorien, welche sich normal zur Kathode bewegen, sich senkrecht zum Strom stellen, sobald gleichzeitig die Erscheinung der Thig- motaxis entsteht, wobei in diesem letzteren Falle das Peristom des Infusoriums zur Kathode gewandt ist. Aber erstens entsteht die Erscheinung der trans- versalen Galvanotaxis bei Spirostomum, wie sich ein Jeder, der diese Er- scheinung beobachtet, überzeugen kann, auch an frei schwimmenden Exemplaren, wenn folglich gar keine Rede von Thigmotaxis sein kann, — und dass das so ist, kann man auch aus der Arbeit Wallengren’s ersehen, welcher die transversale Galvanotaxis an Spirostomum aus zwei polaren Er- regungen an den Körpertheilen folgert, die zur Anode und Kathode zuge- kehrt sind, indem er die Möglichkeit der von Pütter beschriebenen Inter- ferenzerscheinung nur bei sehr schwachen Strömen zulässt. Indem ich die Meinung Wallengren’s nicht darin theile, was die Erklärung dieser Art Galvanotaxis durch die Thätigkeit der polarerregten Wimpern auf beiden Körperseiten des Infusoriums anbelangt, so theile ich aber vollkommen seine Ansicht, dass: man die Erscheinung der transversalen Galvanotaxis nicht auf die Interferenz der Thigmotaxis und kathodischen Galvanotaxis zurückführen kann. Pütter’s Versuche in dieser Richtung zeigen meiner Ansicht nach nur das, dass die Erscheinung der Thigmotaxis den bei normalen Verhältnissen beobachteten Gang der Galvanotaxis (nach seinen Versuchen den kathodischen) nur äusserlich verändern kann. Und hierin ist durchaus nichts Wunderbares, gleichwie es nicht erstaunlich ist, wenn die Erscheinung der Galvanotaxis in Folge der Chemotaxis äusserliche Ver- änderung erfährt, z.B. wenn man einige Krystalle Kochsalz an der Kathode lagert, so bewegen sich die Paramäcien nicht unbedingt zu dieser letzteren, sondern sie werden sich auch in die Theile der Flüssigkeit begeben, welche frei vom Salzgehalt sind. Deswegen sprechen auch gar nichts gegen die kataphorische Erklärung die Beobachtungen Pütter’s über die thigmotaxirten Infusorien, weil auch die kataphorische Wirkung des Stromes natürlich nicht auch mit derjenigen Regelmässigkeit erscheinen wird, wenn fremde Factoren mitwirken werden, welche die Erscheinung selbst maskiren. Der Umstand, dass das Peristom bei den von Pütter untersuchten Infusorien immer zur Kathode gewandt war, ist auch vollkommen verständlich, da das Peristom zweifellos der empfindlichste Theil am Körper der Infusorien ist, und daher ist es natürlich, dass die Infusorien nicht zur Anode, dem Eingangspunkte des Stromes in den Körper, die Körperseite, wo sich das Peristom befindet, wenden werden, so dass wir meiner Ansicht nach, es hier abermals mit der allgemeinen Erregbarkeit der Infusorien zu thun haben. ! H. Wallengren, Zur Kenntniss der Galvanotaxis. Eine Analyse der Galvano- taxis bei Spirostomum. Zeitschrift für Allg. Physiologie. 1903 Bd. 1I. Heft 3—4. ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 291 Um mit der Arbeit Pütter’s zu Ende zu kommen, muss noch seiner letzten Entgegnung erwähnt werden, welche gegen Loeb gerichtet ist (folglich auch gegen mich, da ich den übereinstimmenden Versuch Loeb’s wiederholt und bestätigt habe), eben gegen die Annahme, dass die Para- mäcien sich in physiologischer Kochsalzlösung nicht zur Kathode (wie im gewöhnlichen Wasser), sondern zur Anode bewegen. Die Entgegnung beruht darauf, dass nach Beobachtungen Pütter’s die Infusorien (Paramäcien), nachdem sie einige Zeit in der physiologischen Lösung gelegen, sich an dieselbe gewöhnen und sich schon nicht rückwärts bewegen wie im An- fange der Wirkung des allseitig chemischen Reizes, sondern vorwärts, womit wiederum ihre Bewegung zur Kathode beobachtet wird. Indem ich durchaus nicht die Richtigkeit der Pütter’schen Beobachtungen bezweifele, so glaube ich dennoch, dass er in einen Irrthum gefallen war. Eben, wenn man zu dem Wasser mit Infusorien eine physiologische Kochsalzlösung hinzuthut, so setzt sie sich Anfangs gleichmässig mit Wasser vermischt — nach einiger Zeit in Folge ihres grösseren specifischen Gewichts — zu Boden. Dank diesem bilden sich zwei Schichten von Flüssigkeiten, und die Paramäcien gehen in Folge der negativen Chemotaxis in die obere Schicht über, wo sich reines Wasser befindet, welches (mehr oder weniger) von NaCl befreit ist. Bei Beobachtung durch die Lupe oder das Mikroskop wird natürlich in diesem Falle eine Bewegung zur Kathode bemerkt werden, schon weil auch nicht ein Infusorium in der niederen Schicht verbleibt, wo sich NaCl befindet. Wenn man von Zeit zu Zeit die Flüssigkeit mit den Infusorien, zu welcher die physiologische Kochsalzlösung hinzu gethan, durchmischt, so fahren, — wie ich mich wenigstens bei meinen Versuchen überzeugen konnte, — die Paramäcien fort, sich rückwärts zu bewegen, und gleichzeitig wird bei der Stromwirkung ihre Bewegung zur Anode beobachtet. Endlich fangen nach langem Verbleiben der Paramäcien in der Lösung (desgleichen nach andauerndem Durchlassen des Stromes) diese Infusorien an sich um ihre Längsachse zu drehen, indem sie sich weder auf die eine noch die andere Seite bewegen, gleichzeitig erscheinen an verschiedenen Körperstellen Blasen und das Resultat ist, dass alle Infusorien untergehen. Auf solche Art und Weise ist beim Vermischen der Flüssigkeit (gewöhnlich wurde eine 1 procentige Lösung NaCl auf die gleiche Wassermenge mit Infusorien hin- zugefügt, d. h. so, dass sich um die Infusorien eine physiologische Kochsalz- lösung bildete) meinerseits kein Sichgewöhnen der Paramäcien an die physiologische Kochsalzlösung beobachtet worden, so wie auch nicht des- gleichen an Lösungen anderer Stoffe, die ich früher erwähnt. Was die Erklärung anbelangt, dass die Paramäcien nur deshalb in physiologischer Lösung zur Anode gehen, weil sie in diesem letzteren Medium sich rück- wärts bewegen, — so ist nach meiner Meinung die Unhaltbarkeit einer 19* 292 BorIs BIRUKOFF: solchen Erklärung für die Theorie Verworn’s — klarliegend. In der That erweist es sich, dass der Erfolg der kathodischen Galvanotaxis davon ab- hängig ist, in welcher Richtung (vorwärts oder rückwärts) sich die Para- mäcien im Momente des Stromschlusses bewegten. Unwillkürlich gedenkt man des von Schenck Gesagten: „gerade so gut wie eine Anodencontraction und Kathodenexpansion der die Wimpern nach hinten bewegenden con- tractilen Gebilde können wir aber auch eine Kathodencontraction und Anodenexpansion der die Wimpern nach vorne biegenden contractilen Ge- bilde vor uns haben. Dann hätten wir also nicht, wie Verworn meint, Anodenerregung, sondern Kathodenerregung der Wimpern!“! Ueberhaupt hängt die Wimperbiegung nach einer oder der anderen Seite, welche nach Verworn die Contraction oder Expansion anzeigen soll, in hohem Grade davon ab, ob sich das Infusorium im Momente des Stromschlusses vor- wärts oder rückwärts bewegt, wie ich mich bei Wiederholung der Experimente Lüdloff’s überzeugen konnte. Mir scheint es und selbst die Vertheidiger”der Theorie der polaren Erregung bei der Galvanotaxis geben das Hinfällige in der Erklärung der betreffenden Erscheinungen der Galvanotaxis bei’Zulassung der Contraction an einer Körperseite und der Expansion auf der anderen, zu: wenigstens wenn wir diejenigen Erklärungen verfolgen, welche von Verworn und dessen Schule gegeben sind, z. B. der Galvanotaxis an Spi- rostomum, — so bemerken wir die Unhaltbarkeit. In der That spricht, wie bekannt, Verworn selbst über die transversale Galvanotaxis die An- sicht aus, dass wir es hier mit zwei contractorischen Erregungen zu thun haben, — auf der Anoden- und Kathodenseite. Ferner, wie wir ge- sehen, beweist Pütter, dass diese Art Galvanotaxis ein Resultat der Inter- ferenz der kathodischen Galvanotaxis und Thigmotaxis ist, giebt folglich eine contractorische Erregung auf der Anodenseite zu, — und endlich hat Wallengren unlängst eine Arbeit veröffentlicht, in welcher er beweist, dass bei Spirostomum auf der Anodenseite contractorische, — auf der Kathodenseite expansorische Erregung vorhanden ist und bei Strömen von genügender Kraft letztere Erregung die erstere ausgleicht. Wie wir sehen, drei verschiedene Erklärungen ein und derselben Erscheinung mit Zuhilfenahme der polaren Erregung. Weist nicht dieses auf die Hin- fälligkeit derjenigen Theorie hin, welche die verschiedenen Arten der Galvano- taxis auf polare Erregung rückzuführen sucht? Es muss noch bemerkt werden, dass in den Untersuchungen selbst der Vertheidiger der Theorie der polaren Erregung bei der Galvanotaxis die Thatsachen vorhanden sind, welche überzeugend eben für die allgemeine ! Schenck, Kritische und experimentelle Beiträge zur Lehre von der Protoplasma- bewegung und Contraction. Pflüger’s Archw. Bd. LXVI. S. 262. ” Wallengren, a. a. 0. ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 293 Erregbarkeit sprechen und ohne Hülfe der polaren Erregung die Axenein- stellung verständlich machen, d.h. die Umdrehung der Infusorien mit dem bestimmten Ende ihres Körpers zum bestimmten Pole. Ich habe bereits in dem vorhergehenden Capitel zwei meiner Beobachtungen beschrieben, welche erstens zeigen, dass die Erregbarkeit bei verschiedenen Infusorien sehr verschieden sein kann (die Anhäufung von Paramäcien und Opalinen, welche sich zusammen auf der Oberfläche der Stanniolblättchen befinden, dass sich die Paramäcien weiter, die Opalinen jedoch näher zum Rande der Elektrode vertheilen), — und zweitens, dass das vordere Ende der Paramäcien empfindlicher für den Strom ist, als das hintere (die Ver- theilung der Paramäcien im in Stanniolelektrode ausgeschnittenen Kreise ist der Art, dass das vordere Ende des Körpers sich unter dem Stanniol- blättchen befindet. Und in vollkommener Uebereinstimmung hiermit finden wir in einer von Roessle! vor Kurzem veröffentlichten Arbeit Thatsachen, welche zeigen, dass die Erregbarkeit verschiedener Stellen an der Oberfläche des Körpers der Infusorien ungleich sein kann, und zu- gleich die Möglichkeit bieten, die Galvanotaxis von meinem Standpunkte aus zu erklären. In der That bestimmte Roessle die geringste Strom- stärke, welche erforderlich ist, um die erste Reaction der directen Strom- wirkung an den Infusorien hervorzurufen, die parallel oder senkrecht zur Richtung der Stromwirkung gelegen sind, wobei im ersten Falle die Auf- merksamkeit darauf gerichtet war, zu welchem Pole der vordere und zu welchem der hintere Körpertheil des Infusoriums gerichtet war, und im letzte- ren Falle, nach welcher Seite hin das Peristom gerichtet war. Aus seinen Protokollen ergiebt sich, dass bei allen Infusorien diejenige Körperseite, wo sich das Peristom befindet, sich empfindlicher für den Strom erweist, als die entgegengesetzte Seite und dabei zeigte sich, dass bei der Mehrzahl der Versuchsinfusorien der vordere Körpertheil empfindlicher für den Strom war, als der hintere Körpertheil. Das folgt daraus, dass jedes Mal, wenn die Anode nach derjenigen Seite wies, wo das Peristom war, oder nach dem vorderen Körpertheil (das letztere bei den meisten Infusorien), eine Reaction der Contraction oder Stossen an den Infusorien bei schwächerer Stromstärke entstand. Dass der vordere empfindlicher als der hintere Körpertheil gegen verschiedene Reize ist, sagt auch Jennings.” Roessle ist mit ihm im letzteren nicht einverstanden (obgleich, wie wir gesehen, gerade dieses bei vielen von ihm untersuchten Infusorien beobachtet wurde), — und ich glaube, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass eben nicht bei ! Roessle, Die Reaction einiger Infusorien auf einzelne Inductionsschläge. Zeit- schrift für Allg. Physiologie. 1902. Bd. II. Heft 1. ®2 Jennings, Studies on Reaction to Stimuli in unicellular Organisms. Americal Journal of Physiologie. 1900. Vol. III N. 6. 294 Borıs BIRUKOFF: allen Infusorien der vordere Körpertheil empfindlicher ist; es ist leicht möglich, dass es sich bei speciellen Untersuchungen erweisen wird, dass bei gewissen Infusorien nicht der vordere, sondern der hintere Körpertheil empfindlicher ist, — doch um hierüber zu urtheilen, ermangelt es noch an Versuchen. Auf jeden Fall jedoch erlauben, meiner Meinung nach, die von Roessle erhaltenen Facten, wie ich gesagt, das vom Standpunkte der allgemeinen Erreebarkeit zu erklären, was wir bei der Galvanotaxis an diesen Infusorien beobachten (Stentor, Paramäcien, Stylonichia und andere von ihm untersuchte bewegen sich zur Kathode). Eben deshalb überein- stimmend mit dem früher von mir Festgestellten, wird das Infusorium sich immer bei Erregung durch den Strom in diejenige Lage stellen, worin der Strom sie am wenigsten reizen kann, und ist es daher verständlich, dass es die Theile seiner Körperoberfläche, welche ganz besonders reizbar sind, nicht zur Anode kehren wird, derjenigen Stelle, von wo aus immer neue und neue Elektricitätsmengen in die sie umgebende Flüssigkeit ausströmen. Was müssen wir daher beobachten? Diejenigen Infusorien, bei denen der vordere Körpertheil empfindlicher gegen den Reiz ist, wenden sich in Folge der allgemeinen Erregbarkeit mit demselben zur Kathode, und wenn gleichzeitig, wie schon früher gesagt, die Erscheinungsbedingungen der kataphorischen Bewegung zur Kathode bestehen, so werden sie sich zu diesem Pole wenden (was auch in Wirklichkeit bei allen früher ge- nannten Infusorien, mit denen Roessle Versuche angestellt hat, beobachtet worden ist). Von diesem Standpunkte ist es auch ferner verständlich, warum das Peristom bei den Infusorien zur Kathode gewandt sein wird, was auch Pütter an Spirostomum beobachtet hat. Ueberhaupt kann man, was die transversale Galvanotaxis anbelangt, wie ich auch bereits in meiner ersten Mittheilung gesagt habe, für solch’ eine seltene Erscheinung auch nur einen seltenen Fall von kataphorischer Wirkung annehmen, eben das, dass die elektromotorische Kraft (welche sich an den Berührungspunkten der suspen- dirten Theilchen und der Flüssigkeit entwickelt) sich mit derjenigen Kraft ausgleichen wird, welche eine Bewegung des Wassers in entgegengesetzter Richtung hervorruft. Zur Ergänzung dieser Erklärung kann man jetzt die Annahme aussprechen, wenn es sich zeigen würde, dass beide Enden des Spirostomum sich gleichartig zur Reizung verhalten würden (und dieses kann man mit grosser Gewissheit annehmen, da beide Enden des Spirostomum sehr ähnlich gebildet sind), so wäre, vom Standpunkte der allgemeinen Er- regbarkeit aus, die Lage dieser Infusorien senkrecht zur Stromrichtung noch verständlicher, wie es gleichzeitig verständlich ist, warum das Peristom (die empfindlichste Stelle) bei ihnen zur Kathode gerichtet; ist. Wie schon oben erwähnt, kann der Umstand, dass die Paramäcien anfangen, sich bei schwächeren Strömen zur Kathode zu bewegen, wie die ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. 295 im Wasser suspendirten nicht organisirten Theilchen, meiner Ansicht nach nicht als Widerspruch für meine ausgesprochene Erklärung der Galvano- taxis dienen. Aber da stossen wir, die Protokolle von Roessle durch- nehmend, noch auf einige Facten, welche sich nach meiner Meinung in der Erklärung der Galvanotaxis mit Zuhülfenahme der polaren Erregung wider- sprechen. In der That, wie bekannt, treten die galvanotactischen Erschei- nungen an den Paramäcien bei indueirtem Strom ein, bei einem Abstande der zweiten Spirale von der ersten von 18 bis 20. (Zwei Elemente v. Daniell, Inductionsschlittenapparat von du Bois Reymond). Roessle hingegen giebt in seinem Protokoll für Paramäcien für die erste Reaction des erregenden Stromreizes bei dem einzelnen Oeffnungsschlage die Zahlen: 10 bis 11°®, wenn das Paramäcium parallel zur Stromrichtung gelegen, und 8 bis 9m, wenn sie sich senkrecht zu den Stromlinien befindet. Wenn nun die erste Reaction der Stromwirkung nach Roessle bei solcher Stärke des Stromes erfolgt, so, scheint es mir, wird es genügend ersichtlich, dass der Grund der Bewegung der Paramäcien zur Kathode, wenigstens in den Grenzen der Stromkraft bei Entfernung der zweiten Spirale von der ersten, von 20 bis 10°® -— keine polare Erregung ist. Ueberhaupt bin ich, was die polare Erregung bei den Protisten an- belangt, wie ersichtlich aus meiner ersten Mittheilung und den vorher- gegangenen Capiteln, vollkommen mit den von Loeb geführten Beweisen und Vorstellungen einverstanden, dass die Veränderungen an den Polen, welche Verworn für polare Stromwirkungen hält, durch Absonderung der Ionen entstehen, bei der Elektrolyse der äusseren Elektrolyte (Wasser), in welcher sich die Protisten befinden. Und auch Biedermann, so viel ich verstehe, ist mit der Meinung Verworn’s nicht einverstanden, dass diejenigen Polwirkungen, welche Letzterer beobachtet, gar nichts mit den Veränderungen an den Polen gemein haben, welche bei der Elektrolyse entstehen, — im Gegentheil spricht er die Meinung aus!, dass sowohl der Prozess der äusseren Elektrolyse (im umgebenden Wasser) sowie der Prozess der inneren Hlektrolyse (in dem Protoplast selbst) seinen Platz bei Stromreizung der Protisten haben muss. Und so habe ich bereits an anderer Stelle gesagt, hängt nach meiner Meinung, welche auf Beobach- tungen begründet (die mit den Beobachtungen Ludloff’s ähnlich sind), die Veränderung der Thätigkeit des Wimperschlages an den Polen des Körpers der Paramäcien in hohem Maasse von der Ausscheidung der Pro- ducte der äusseren Elektrolyte ab. Oft lieben die Vertheidiger der Theorie der polaren Erregung bei der Galvanotaxis sich auf die Arbeit Ludloff’s zu beziehen, während, wie mir scheint, das zu unterscheiden ! Biedermann, Polare Stromwirkungen, in Ergebnisse der Physiologie a. a. O. 296 Borıs BIRUKOFF: ZUR THEORIE DER GALVANOTAXIS. ist, was Ludloff in Wirklichkeit beobachtet, d.h. eben die Veränderung des Wimperschlages an den Körperenden (was auch Pearl und endlich auch ich sah), von dem, was er (so viel ich verstehe) nicht direct unter dem Mikroskope gesehen hat, sondern was als Resultat seiner theoretischen Muthmaassungen erscheint: eben sein Schema der Wendung des In- fusoriums mit dem vorderen Ende zur Kathode bei Theilung der ganzen Körperoberfläche nach der Wimperthätigkeit in vier Parzellen: «, ß, «', ß'. Als Resultat erlaube ich mir diejenige Erklärung der Galvanotaxis zu wiederholen, welche ich in meiner ersten Mittheilung vorgeschlagen habe, nämlich die, dass die allgemeine Erregbarkeit der Infusorien und die kata- phorische Wirkung des Stromes in sich die Hauptfactoren aller drei Arten von Galvanotaxis vorstellen. Die Galvanotaxis, meiner Vorstellung nach, ist die Vereinigung zweier Erscheinungen: 1. einer physiologischen und 2. einer rein physikalischen. Und wie der eine Factor wichtig, so ist auch der andere nöthig. Beide Factoren wirken gleichzeitig und helfen einer dem anderen. —- Wenn ich von „allgemeiner Erregbarkeit“ gesprochen, so will ich damit nicht etwa sagen, dass die polare Erregung überhaupt nicht bei den Protisten entsteht. Im Gegentheil, meiner Meinung nach muss sie auch hier ihren Platz einnehmen, wie in jedem lebenden Geschöpf. Die Unmöglichkeit jedoch, die Unabhängigkeit der Erscheinung vom Process der Elektrolyse derjenigen Flüssigkeit zu beweisen, in welcher sich die protoplasmatische Bildung befindet, gleichwie der Umstand, dass galvano- tactische Erscheinungen bei geringerer Stromstärke erscheinen können als polare Veränderung der Wimperthätigkeit, sind die besten Beweise, dass nicht sie den Hauptgrund der Bewegung der Infusorien in bestimmter Rich- tung unter dem Einflusse des galvanischen Stromes abgiebt. Es ist natür- lich sehr annehmbar, dass diejenigen Erscheinungen, welche als polare Stromwirkungen beschrieben worden sind, bei gewisser Stromstärke einen gewissen Einfluss (nach einer oder der anderen Seite) auf die Erscheinung der Galvanotaxis ausüben können. Es wird gleichfalls auch nicht wunderbar sein, wenn in Zukunft neue Factoren gefunden werden, welche in gewisser Hinsicht auf die Galvano- taxis Einfluss üben, die zweifellos eine von mehreren Factoren abhängige complieirte Erscheinung ist, von welchen die Hauptfactoren bereits genannt worden. Aequisonore Flächen rings um eine ertönende Stimmgabel. Von Dr. L. U. H. C. Werndly in Utrecht, Vorwort. Die Schallwellen, welche die schwingende Stimmgabel erzeugt, ver- breiten sich in die sie umgebende Luft und durchkreuzen sich ohne Störung; immerhin muss die Amplitude abnehmen in dem Maasse, in welchem die Wellen sich von ihren Ausgangspunkten entfernen. Der Interferenz zu Folge kann die Amplitude vielleicht an bestimmten Stellen sehr gross, an anderen sehr klein werden; jedenfalls wird sie bei zunehmender Entfernung abge- schwächt und deshalb giebt es nothwendig rings um die Stimmgabel eine Schaar von Flächen, von welchen eine jede in allen ihren Punkten eine ganz bestimmte Amplitude aufweist. Dies sind die äquiamplitudinalen Flächen; jedoch wird hier immer nur von äquisonoren Flächen die Rede sein, weil für eine eben solche Fläche doch auch die Schallstärke unver- änderlich sein wird. Es wird jetzt zunächst meine Aufgabe sein, auf analytischem Wege für solche Flächen eine Gleichung abzuleiten, in der Absicht, die Vertheilung der Energie rings um eine ertönende Stimmgabel etwas eingehender zu betrachten, als bisher geschah; meines Wissens ist überhaupt in Betreff dieser Frage noch nicht viel, oder selbst gar nichts Theoretisches bekannt. Um nicht praktisch ganz unzweckmässige Formeln zu erhalten, werde ich mehrere Vereinfachungen einführen müssen, weshalb meine Herleitung nicht streng sein kann, vielmehr als eine Versuchstheorie betrachtet und womöglich mit empirisch festgestellten Thatsachen verglichen werden muss, 298 L. U. H. C. WERNDLY: Die Stimmgabelconstanten. Man stelle eine Stimmgabel vor sich auf, den Stiel nach unten gekehrt, serade so, dass die Schwingungsebene zur Visirlinie senkrecht steht; die Dicke der Zinken ist dann dem Beobachter zugewandt. Es besteht jetzt die zitternde Bewegung aus dem wechselseitigen Umbiegen der beiden Zinken und zwar synchronisch zu- oder auseinander, weshalb der Zwischenschenkel- raum bald comprimirt, bald dilatirt wird. Vom Schwingungsknoten — der ein klein wenig oberhalb des Stieles in jeder Zinke liegt — bis zur Endfläche nimmt bei dieser Bewegung die Abweichung aus der Gleich- gewichtslage zu und zwar werde ich, annäherungsweise, voraussetzen, dass die starre Zinke über ihre ganze Länge /, ohne Biegung, um ihren Knoten sich dreht, bis das Ende eine Abweichung a zeigt. Es ist nun möglich, die Abweichung x eines beliebigen Punktes der Zinken zu berechnen, welcher sich etwa in einer Entfernung z oberhalb des Knotens befindet; offenbar ist, indem ich mir den Coordinatenursprung im Knoten denke, Ta ET ae daher: x = o für z= o (Knoten) und za „ ?2= I (Ende). Factisch ist die Biegungscurve, selbst eines einfachen Stabes, geschweige einer Gabel, bedeutend verwiekelter und einer höheren Parabel ähnlich, wie das Lord Rayleigh in seiner: „Theory of Sound“ Vol. I, Chapter VIII, ausführlich bewiesen hat. Dennoch möchte ich für den vorliegenden Zweck obige einfache Formel beibehalten, da ich nicht so sehr grosse Genauigkeit zu erstreben, als vielmehr einfache Formeln einzuführen versuche. So werde ich die beiden Längenaxen — je eine in jeder Zinke — in einer einzigen, durch den Stiel gehenden, z-Axe zusammenfallen lassen, weshalb auch die beiden Knoten zusammentreffen und zwar im Ursprung; die Schwingung findet also in der x-Richtung statt und die y-Axe, welche zu der x-z-Ebene senkrecht steht, ist dem Beobachter zugekehrt. Unterhalb des Knotens, dem Stiele entlang, giebt es auch noch Schall- erzeugung; letztere ist jedoch hier ohne Interesse, da ich mir die Gabel ohne Resonanzkasten denke und deshalb nur den über dem Knoten befind- lichen Theil der Zinken zu berücksichtigen brauche. Ich habe bis jetzt die beiden Schenkel aufeinander fallen lassen und daher den Zwischenschenkelraum vernachlässigt; überdies jedes Mal von „Knoten“ gesprochen und deshalb nicht nur die Breite, sondern auch die Dicke der Zinken als unendlich kleine Dimensionen angesehen; nun werde ich aber, indem ich das Coordinatensystem und die” Gabelamplitude z=a- 22:0,7) ÄEQUISONORE FLÄCHEN RINGS UM EINE ERTÖNENDE STIMMGABEL. 299 beibehalte, an die Stelle einer solchen idealen Stimmgabel die wirkliche treten lassen und somit eine weitere Ungenauigkeit einführen, die der Ein- fachheit sehr dienlich ist und doch keinen merklichen Fehler erwachsen lässt, vorausgesetzt, dass die nächste Umgebung der Stimmgabel ausser der Wahrnehmung bleibe, wie doch auch andernfalls meine Absicht war. Die Breite und die Dicke der Zinken mögen bezw. 5 und d genannt werden, während der Zwischenschenkelraum in der x-Richtung eine Weite c hat. Dieses c ist einigermaassen veränderlich, weil meistens die Schenkel nach oben, wenn auch schwach, convergiren; freilich beträgt der von den Zinken eingeschlossene Winkel kaum 2°, weswegen ich die Schenkel als parallel und die Dimension c als völlig constant ansehen möchte. Die Schallquellen der Stimmgabel. Das Stimmgabelproblem ist, obgleich ich bloss den Schall neben, und nicht auch über und unter der Gabel zu analysiren versuche, doch der- maassen schwer und verwickelt, dass ich jedenfalls alle Störungswellen zu vernachlässigen gezwungen bin; solche könnten z. B. dem Stiele entlang entstehen; auch durch Reflexion an den inneren Zinkenflächen wird das theoretische Ergebniss praktisch etwas verändert werden. Allen vorausgesetzten Vereinfachungen zu Folge können jetzt, statt der Stimingabel, zwei Schallquellen angenommen werden und zwar: die äusseren Zinkenflächen als x-z-Quelle und der Zwischenschenkelraum als y-z-Quelle. Schliesslich führe ich hier noch drei Sätze ein, welche aus empirisch festgestellten Ergebnissen hervorgehen, jedoch weiteren Prüfungen unter- zogen werden müssen: I. „Ein beliebiger Punkt der äusseren Zinkenfläche sendet Schall- wellen nach allen Richtungen hin, jedoch so, dass die Anfangsamplitude dieser Wellen nicht nur der dortigen Gabelamplitude, sondern auch dem Cosinus des, von den Schwingungs- und Aussendungsrichtungen einge- schlossenen, Winkels proportional ist.“ II. „Die von den verschiedenen Zinkenquerschnitten ausgesandten Amplituden addiren sich zu einer Gesammtamplitude, welche die Summe der Einzelnamplituden ist und ihren Ausgangspunkt hat in dem Schwer- punkt des von der Zinke beschriebenen, dreieckigen Raumes. Offenbar stellt diese Gesammtamplitude den Flächenraum eines rechtwinkligen Drei- eckes vor (Basis= a, Höhe = /!), dessen Schwerpunkt («=o, y=o und z= ?°J,l) als der fragliche Anfangspunkt angesehen wird.“ III. „Die abwechselnden Compressionen und Dilatationen des Zwischen- schenkelraumes haben — abgesehen von einem constanten Factor — die 300 L. U. H. C. WeERNDLY: nämliche Wirkung wie eine ideale Stimmgabel (d. h. ohne Zwischen- schenkelraum), vorausgesetzt, dass letztere im Uebrigen der ersteren gleich, jedoch 90° um die Längenaxe gedreht und, was die Phase anbelangt, ihr entgegengesetzt ist.“ Die äquisonore Fläche, Mit Hülfe des Vorhergehenden ist es jetzt‘leicht, eine Formel abzuleiten für die Amplitude A in einem beliebigen Punkte x, y, z, der sich irgendwo neben der Stimmgabel befinden möge und bloss der Bedingung: DZ > 0 genügt, indem überdies die beiden anderen Coordinaten nicht allzu klein sind. Man weiss ja, dass die, durch jeden horizontalen Schenkelquerschnitt, ausgesandte Amplitude der Schenkelbreite proportional, dagegen der Ent- fernung von ihren Ausgangspunkten umgekehrt proportional gesetzt werden muss; wenn ich also mit A, die Amplitude aus der x-z-Quelle und mit C ‚eine nur von der Einheitenwahl abhängige, übrigens absolute Constante, bezeichne, so gilt, für jeden Quadranten mut. mut.: Ru Gesammtamplitude 3 0 Ar=U0x Hutfernung x Cosinus X Breite, d. h. 1 Ayo oral x x b, Veryp+e- DM Vergpre- nd oder, wenn man r? statt x° + y? schreibt, Utarıb Ur ri @ nd) Für die y-z-Quelle giebt es eine ähnliche Gleichung; nur muss man x mit y vertauschen, das Zeichen umkehren und einen Factor k hinzufügen; dieses A ist eine Constante, die kleiner als eins ist, für jede Stimmgabel einen ihr eigenthümlichen Werth hat und das Verhältniss zwischen den Wirkungen des Zwischenschenkelraumes einer- und der äusseren Zinken- flächen andererseits angiebt. Der Effect des Zwischenschenkelraumes, an dessen Stelle ich eine ideale Stimmgabel treten lasse, ist offenbar von der inneren Zinkenfläche herrührend und daher, wie derjenige der äusseren Fläche, an die »-Richtung geknüpft; nichts destoweniger tritt derselbe in der y-Richtung hervor, wird daher geschwächt und zwar im Verhältniss 1: X. Eine andere Bedeutung dieses Quotienten, sowie seine empirische Be- stimmung, wird bald gezeigt werden; einstweilen ist es schon jetzt ein- leuchtend, dass alle Stimmgabeln einen lauteren Schall in der x- als in der y-Richtung eines beliebigen Querschnittes erzeugen, selbstverständlich in gleicher Entfernung von der Längenaxe der Gabel. NEON AEQUISONORE FLÄCHEN RINGS UM EINE ERTÖNENDE STIMMGABEL. 301 Also ist im Punkte x, y, z die Amplitude, aus der y-z-Quelle her- rührend: 1,a.b.l.k.y ® re 2s 1)? und schliesslich die Totalamplitude in diesem Punkte: y=-0 1, a.b.l.(e— k.y) en Somit kann A als eine variabele Function der unabhängig Variabelen x, y und z betrachtet werden. Setze ich jedoch voraus, dass A constant bleibe, trotz der Veränderungen dieser drei Variabelen, so stellt die jetzt gefundene Formel den geometrischen Ort desjenigen Punktes x, y, z vor, dessen Amplitude constant ist; d. h. sie ist eben die Gleichung der äqui- sonoren Fläche und zwar entspricht jeder constante Werth von A einer einzigen solchen Fläche, deren es deshalb unendlich viele geben wird. In nur zwei Fällen kann A den Werth Null bekommen: 1. Wenn die Coordinaten x, y, z der Bedingung: r=R=lmn genügen, so ist, da (z — ?/,Z)? neben Z? zu vernachlässigen ist, 1 — Aipatae BER k.y) nn und diese Quantität ist praktisch gleich Null zu setzen, selbst, wenn der Factor, x-ky, den grössten Werth % hat, den er überhaupt haben kann. 2. Auch wird 4 annullirt, wenn die Bedingung: z—k.y=o erfüllt ist. Letztere Gleichung stellt daher den geometrischen Ort vor des- jenigen Punktes x, y, z, dessen Amplitude gleich Null ist und zwar ist dieser Ort eine durch die z-Axe gehende Ebene, welche mit der Schwingungs- ebene einen Winkel einschliesst, dessen Tangente 16848 ist. Die Fläche x ky=o hat in allen ihren Punkten Zi 20, und weil, wenigstens theoretisch, der Schall daselbst ganz verschwunden ist durch die Interferenz zweier, gleich kräftiger, in entgegengesetzter Phase befindlicher Wellen, werde ich ihr den Namen Nullinterferenzfläche beigeben. Der Symmeirie zu Folge giebt es in jedem (Quadranten eine solche Fläche und, weil k immer kleiner als Eins ist, schliesst dieselbe mit der y-z-Ebene einen kleineren Winkel, als mit der z-z-Ebene ein; d. h.: in 302 L. U. H. C. WeERNDLY: jedem horizontalen Querschnitt liegt die Nullinterferenzrichtung in allen Quadranten zwischen 45° und 90°, von der xz-Kichtung an gerechnet. Man kann die Lage der Nullinterferenz bestimmen, indem die tönende Gabel um ihre Längenaxe langsam vor dem Ohre umgedreht wird; in vier symmetrischen Positionen nimmt man dann ein fast völliges Verschwinden des Tones wahr und nun ist der Quotient 1R:'R, wie aus dem Gesagten hervorgeht, die Tangente des Winkels, um welchen die Gabel noch weiter gedreht werden muss, damit das Ohr sich in der Schwingungsebene, also im Schallmaximum, befinde Je dicker die Zinken und folglich je kleiner der Zwischenraum, desto mehr nähert sich die Nullinterferenzrichtung der y-Richtung; d. h. desto kleiner ist die Con- stante 4. Es leuchtet ein, dass die äquisonoren Flächen vier schmale, aber tiefe, symmetrische, den Nullinterferenzflächen entsprechende, Falten nach innen aufweisen müssen. Im Uebrigen ist ihr horizontaler Querschnitt mehr oder weniger elliptisch, um so schwächer elliptisch, je grösser A ist. Der Durch- schnitt selber ist am kleinsten für z= o, wächst zugleich mit z an, hat sein Maximum bei Z— all und nimmt dann bis zu z=/ wieder ein wenig ab. Solche Schlüsse gehen unmittelbar aus der Gleichung der ägquisonoren Fläche hervor: der grösste Durchschnitt befindet sich ja in derjenigen horizontalen Ebene, welche bei constanter Entfernung von der z-Axe die grösste Amplitude hat; offenbar entspricht der Werth z= zn l dem Maximum von 4, falls x und y constant bleiben, während z = o einem’ Minimum von A entsprechen wird. — Was nun weiter die Gestalt der äquisonoren Fläche betrifft, so gleicht dieselbe, abgesehen von den vier Längeneinrissen, einer umgekehrt stehenden Birne, deren Stiel mit dem- jenigen der Gabel zusammenfällt. Umkreist man in einer beliebigen horizontalen Ebene die Stimmgabel, so findet man den Schall am lautesten in der «-Richtung, etwas schwächer in der y-Richtung und nahezu ver- schwunden in einer dazwischen liegenden, der y- mehr als der x-Axe sich nähernden Richtung. Bewegt man sich dagegen senkrecht an den Zinken entlang, entweder in der x-z-, oder in der y-z-, oder in irgend welcher anderen Ebene (nur mit Ausnahme der Interferenzebenen), so tritt das Schallmaximum hervor bei z= ?/,/!, indem nach oben und nach unten der Schall ganz allmählich abnimmt und zwar so, dass derselbe bei z= o viel schwächer ist, als bei z=/. ÄRQUISONORE FLÄCHEN RINGS UM EINE ERTÖNENDE STIMMGABEL. 3083 Hätte ich die Analyse viel strenger durchgeführt, so wäre die Gleichung der äquisonoren Fläche ganz verwickelt, jedoch nicht wesentlich anders ge- worden und dann würden die jetzt gefundenen Nullinterferenzflächen in einen hyperbolischen Cylinder umgewandelt worden sein. Ich habe jetzt von letzterer Fläche die asymptotischen Ebenen gefunden und somit einen Fehler gemacht, der schon in einer ganz kleinen Entfernung von der Gabel unmerklich ist; bei Stimmgabeln mittlerer Grösse dürfte indessen eine Minimumentfernung von etwa 10°® zu empfehlen sein. Controlversuche. Es giebt leider nicht viele absolut sichere Ergebnisse, mit denen ich obige Formel und ihre Consequenzen prüfen kann; das kommt eben daher, weil keine absoluten Schallmesser existiren und weil das Ohr durchaus nicht im Stande ist, zwei Schallintensitäten, zur gegenseitigen Vergleichung, gleich- zeitig wahrzunehmen. F. H. Quix fand bei dreissig nach einander folgenden Versuchen dreissig Mal den Schall einer Stimmgabel in der »-Richtung lauter als in der y-Richtung; er selbst konnte die Aufstellung des Apparates nicht sehen, weshalb ich als völlig erwiesen annehmen muss, dass in dieser Beziehung die Theorie mit der Wahrnehmung übereinstimmt. Bei diesen Versuchen hatten die Constanten folgende Werthe: b=15, c=18, d=6!/, und != 155"®, indem r abwechselnd ?/,, 1!/, und 3% betrug; dessen unge- achtet blieb die Hörbarkeit des Unterschiedes unverändert, was auf ein constantes Verhältniss der betreffenden Amplituden hinweist. Der Theorie gemäss ist dieses Verhältniss 1:%, wie man sofort erkennt, wenn man in die Gleichung der äquisonoren Fläche nach einander y=o mit z=r und z=o mit y=r einsetzt. Es war nicht ohne Interesse, den Versuch zu wiederholen mit einer Gabel von ganz anderen Dimensionen und zwar: d5= 15, c=12, d=16 und 2=53"m, Bei dieser Gabel war der Schallunterschied weit auffallen- der als bei ersterer, weshalb % bei der zweiten Gabel bedeutend kleiner sein muss; ihr Schallminimum wurde gefunden bei 70°, von der z-Axe an gerechnet; es folgt daraus k = 0-36. Die Einsetzung dieses Werthes in unsere Gleichung führt zu der, a priori unglaublichen, Annahme, dass der Schall der zweiten Gabel kräftiger in der Richtung 45° (d.h. z=y und r=xY2) sei als in der y-Richtung (d.h. <= o und r=y) selber, und zwar im Verhältniss: Pi) | al lese 0) 7 oder 23:18 ungefähr. 304 L. U. H. ©. WERNDLY: AEQUISONORE FLÄCHEN T. S. w. Wirklich hat Quix dies auch schon längst empirisch so gefunden (in grosser Entfernung, im Freien) und ist anfangs seiner Wahrnehmung mit Erstaunen begegnet. Es geht weiter aus der hergeleiteten Formel hervor, dass bei verticaler Bewegung und constanter Entfernung von den Zinken, das Schallmaximum sich bei z= ?/,! befindet und zwar ist dieser Schluss gültig für irgend welche verticale Ebene, wie es durch die Erfahrung bestätigt wird. Finde ich doch als mittleren Werth aus mehr als 50 Versuchen (Quix) für das Maximum: 34-9 0.7. Es dürfte wohl dem Zufall zuzuschreiben sein, dass hier die Ueber- einstimmung fast mathematisch genau ist. Einen weiteren Anhaltspunkt habe ich in den: „Onderzoekingen Physiol. Lab. Utrecht, V Reeks, III. Afl. 2. Oppervlakken van gelijke geluid- sterkte om een stemvork“ von H. Zwaardemaker und F. H. Quix. Die- selben haben empirisch die Gestalt der äquisonoren Flächen abgeleitet bei einer Stimmgabel, welche fast gar keinen Unterschied zwischen der z- und der y-Richtung zeigte und somit eine grosse, der Einheit sich nähernde, Constante A hatte. Hinsichtlich der Theorie musste bei dieser Gabel das Nullinterferenzkreuz die x- und y-Richtung fast genau halbirt haben und daher rechtwinklig gewesen sein; in der That geht aus jenen „Onderzoekingen“ hervor, dass das Schallminimum in jedem Quadranten in der Richtung 45° lag. An letzter Stelle stimmt der hyperbolische Cylinder als Nullinterferenz- fläche ganz gut zu Kiessling’s „Ueber die Schallinterferenz einer Stimm- gabel“.! Es dürfte zu empfehlen sein, die Formeln möglichst objectiv zu prüfen, z. B. mit Mikrophon in der primären, Telephon und Telephonstrom- messer in der secundären Leitung eines Ruhmkorff’schen Inductions- apparates; in dieser Weise würde man vielleicht die Amplitude in allen Punkten der Stimmgabelumgebung mittels des Mikrophons abtasten und mittels des Strommessers vergleichen können. ı Poggendorff’s Annalen 18671. Bd. CXXX. Das Wesen des Reizes. Ein Beitrag zur Physiologie der Sinnesorgane, insbesondere des Auges. Von Fr. Klein. (Aus dem physiologischen Institute zu Kiel.) L Eine allgemein gültige Definition des Reizes. Zu der hier mitgetheilten Arbeit gab die Veranlassung eine Beobachtung, die ich schon vor einigen Jahren gemacht habe. Beim Suchen nach einer Erklärung dafür stiess ich auf die Frage nach dem Wesen des Reizes. Unsere Vorstellungen darüber haben sich ausgebildet mit der wachsenden Kenntniss des Verhaltens von Nerv und Muskel elektrischen Strömen gegenüber. Hauptsächlich aus den Beobachtungen an diesem einen Object ist also eine Definition des Reizes abgeleitet, die, wenn sie heute nicht all- gemein anerkannt ist, es doch jedenfalls einmal war. Sie sagt ungefähr, dass nur eine mehr oder minder plötzliche Aenderung der äusseren Bedingungen einen Reiz darstellen kann. Ich nehme diese Definition auf mit der Beschränkung, dass ich sage: „» — — Aenderung der normalen äusseren Bedingungen“, und möchte sie geradezu als den Leitsatz der vorliegenden Arbeit bezeichnen, — mit der Beschränkung, die ich für unerlässlich halte. Denn was für die eine Zellart normal ist, ist für viele andere schäd- lich: So bringt das Blutplasma der einen Thierart die Blutkörperchen anderer Arten zum Quellen, und Temperaturen, bei denen die eine Zellart reges Leben entfaltet, bewirken bei anderen schon Gerinnung. So kann auch ein und derselbe constante Strom im einen Falle lange ohne merk- baren Schaden ertragen werden, während er im anderen zum Zerfall des Protoplasmas führt. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 30 306 Fr. KLEm: Es haben also die Zellen in Bezug auf die äusseren Bedingungen je ihr besonderes Optimum. Von diesem Optimum kann eine verschieden grosse Abweichung stattfinden bis zu mehr oder minder scharfen Grenzen. Innerhalb derselben ist das Protoplasma zu Lebensäusserungen fähig, ohne dass es gleichzeitig geschädigt wird: die Lebensbedingungen sind „normal“. Ausserhalb dieser Grenzen wird entweder das Protoplasma ohne bleibende Schädigung nur unfähig zu Lebensäusserungen, so lange die un- günstigen Bedingungen bestehen, oder es tritt (z. B. bei zu geringem oder zu grossem Salzgehalt, bei sehr niedriger oder sehr hoher Temperatur, beim Eintrocknen), eine Schädigung ein — die mit Lebensäusserungen verbunden sein Kann, und es auch meistens ist. Diese Reizerscheinungen beim Absterben dürfen aber meines Er- achtens nur mit äusserster Vorsicht verwendet werden zur Festlegung des Reizbegriffs. Ich gebe ein Beispiel: Verworn! beobachtete bei Einwirkung eines constanten Stromes auf Actinosphaerium Eichhornii Contractionserscheinungen an den Pseudopodien und einen Zerfall des Protoplasmas von der Anode aus. Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen heraus erklärt er die Anschauung, dass nur plötzliche Intensitätsschwankungen des galvanischen Stromes erregend wirken, für irrig, — Nun leiten die Leiter zweiter Classe” den Strom nur unter Zersetzung; an der Anode sind also die Bedingungen für eine zerstörende Oxydation des Protoplasmas gegeben (an der Kathode könnte eine Reduction statt- finden). Ferner wird an der Anode Säure, an der Kathode Lauge auf- treten, die als chemische Reize wirken. — Damit steht im Einklang, dass nur die in der Verbindungslinie der beiden Elektroden ausgestreckten Pseudopodien Contractionserscheinungen zeigen. Der (von Verworn angefochtene) Satz ist für mich mehr, als die blosse Zusammenfassung einer Anzahl von Beobachtungen. Wäre er nur das, ich würde ihn leichten Herzens aufgeben können. Aber, wie die Reizbarkeit überhaupt’ mit dem”Wesen des Protoplasmas untrennbar verbunden ist, so ist es®”— meine ich/— eine ebenso wesentliche Eigenschaft der lebenden Substanz, nur durch Aenderungen der normalen Bedingungen gereizt zu werden. Diese Anschauung gewährt mir eine gewisse geistige Befriedigung, was die entgegengesetzte nicht thut. " Pflüger’s Archiv. 1889. Bd. XLV; Verworn, Allg. Physiol. 1895. S. 406 ff. Das WESEN DES REizes. 307 Es dürfte einleuchten, dass es z. B. für eine im Wasser lebende Zelle von Nutzen sein kann, etwa auf eine chemische Aenderung in der Um- gebung mit einer Bewegung zu antworten, dass es aber Kraftvergeudung sein würde, wenn dieselbe Bewegung ohne jene äussere Veranlassung einträte. Ist nun diese Eigenschaft des Protoplasmas wirklich eine fundamentale, von seinem Wesen untrennbare, so muss sie sich wieder finden bei allen noch so weit differenzirten reizbaren Protoplasmagebilden, und zwar auch dann, wenn sie in dem speciellen Fall nutzlos oder gar schädlich erscheint. Ob also ein Muskel direct oder vom Nerven her durch den elektrischen Strom, ob die Retina durch Licht, ob das Gehirn von der Peripherie her gereizt wird, immer soll — so behaupte ich — jene Bedingung der Aenderung erfüllt sein. Ohne Aenderung kein Reiz. — Eine so schroffe Behauptung gewährt den Vortheil, dass sie zu einer Kritik und wenn nöthig Wiederholung entgegenstehender Beobachtungen den Anstoss giebt und zur Anstellung neuer Versuche führen kann; und wenn unsere Kenntniss dadurch in irgend einer Richtung erweitert wird, so ist die Behauptung nützlich, einerlei, ob sie richtig oder falsch ist.! Sie gilt (nahezu, wenn auch nicht ganz) unbestritten für die Einwirkung des elektrischen Stromes auf Nerv und Muskel. Ich werde im Folgenden das Auge mit dem Muskel vergleichen, um zu sehen, ob die hier beobachteten Erscheinungen sich sinngemäss beim Auge wiederfinden. Der Vergleich lässt sich objectiv nur bezüglich der Schwankung des Ruhestromes durchführen?, im Uebrigen sind wir auf die subjective Wahr- nehmung angewiesen. Hier liegt eine Schwierigkeit vor. Sie liegt aber weniger darin, dass vom Einfall des Lichtes in das Auge bis zur Wahr- 1 Der Nachsatz soll keine „Bitte um mildernde Umstände“ sein. ® Der Ruhestrom der Netzhaut und seine Schwankungen bei Belichtung schienen mir Anfangs grosse Aehnlichkeit mit den entsprechenden Erscheinungen am Muskel zu besitzen. Aber Versuche von Fuchs (Pflüger’s Archiv. Bd. LVI. 8.408 und Bd. LXXXIV. S. 425) lehrten, dass einem Reiz von minimaler Dauer (einem elektrischen Funken) nicht eine, sondern drei Schwankungen (positiver Vorschlag, negative Schwankung, Schlussschwankung) entsprechen. Man wird annehmen dürfen, dass zu diesen drei Schwankungen auch mindestens drei verschiedene Vorgänge in der Netzhaut gehören, die in ebenso vielen hinter einander geschalteten Apparaten der Netzhaut ablaufen müssen. (Die elektrischen Schwankungen bei Thätigkeit können positiv oder negativ sein: Reizt man den Vagus, so erhält man eine positive Schwankung, belichtet man das Auge, so erhält man bei Ableitung von der Retina positive, vom Sehnerven nega- tive Anfangs- und Endschwankungen.) Das elektrische Verhalten der Stäbchen und Zapfen für sich allein anzugeben, sind wir also nicht in der Lage. 20* 308 FR. KLem: nehmung eine Anzahl Etappen eingeschaltet sind — sie sollen ja mit gleicher Strenge demselben Gesetz unterworfen sein — als vielmehr in der möglichen Fälschung durch das mit Erfahrungen beladene Grosshirn. ! Sind aber die wahrgenommenen Dinge überraschend, erscheinen sie zufällig, nicht unser Causalbedürfniss befriedigend, so dürfen wir mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass eine ehrliche Uebertragung statt- gefunden hat. Ich will noch einen Schritt weiter gehen und jede Lichtempfindung ohne Ausnahme anzweifeln. Ich fordere nur das eine, dass man mir zugiebt: Wo keine Lichtempfindung, da ist auch kein Reiz. Oder mit anderen Worten: Habe ich eine Lichtempfindung, so ist es unsicher, ob meine Retina durch Licht gereizt ist. Habe ich dagegen keine Lichtem- pfindung, so ist sie auch nicht durch Licht gereizt; ob sie von Licht ge- troffen wird, ist eine ganz andere Frage. Wenn wir einen constanten Strom auf ein Nerv-Muskelpräparat ein- wirken lassen, so verhält sich der Muskel je nach Stärke und Richtung des Stromes verschieden, aber er antwortet ausschliesslich auf Stromessch wan- kungen (Schluss und Oefinung) mit einer Zuckung; während der Durch- strömung bleibt er in Ruhe. 2. Constante Belichtung der Netzhaut giebt keine Lichtempfindung. Ruheblindheit. Verhält das Auge sich analog, so sind wir blind, so lange die Licht- intensität, von der die Retinaelemente getroffen werden, nicht schwankt. Bei dieser Folgerung angelangt, machte ich folgenden Versuch: ? ! Ein sehr wirksamer Schutz ist der, dass man es gar nicht zur Ausbildung leicht zugänglicher Erinnerungsbilder kommen lässt, indem man in langen Zwischen- räumen (nöthigen Falls von mehreren Wochen) je ein paar Versuche anstellt. 2 Ich schalte hier eine Bemerkung ein: Man wird leicht herausfinden, dass die mitzutheilenden Beobachtungen und Ansichten Anregungen zur Anstellung einer grossen Zahl weiterer Versuche enthalten, die ich nicht angestellt habe. Ja selbst unter den mitgetheilten sind nur die in meiner Beweiskette unentbehrlichen sehr häufig gemacht worden. Diese Beschränkung ist nothwendig. Ich führe zur Begründung eine Stelle aus der Vorrede zur ersten Auflage von Helmholtz’ physiol. Optik an: Die Zahl der Beobachter, die das Gebiet fördern können, ist, so sagt er, gering, „da immer eine lange Uebung in der Beobachtung subjektiver Erscheinungen und in Beherrschung der Augenbewegungen verhergehen muss, ehe man auch nur sieht, was die Vorgänger schon gesehen haben, und Mancher, der diese Uebungen nicht vorsichtig genug anstellt, schon dann genöthigt ist, eine sorgfältige Schonung seiner Augen eintreten zu lassen.“ — Ich hoffe, mit der Zeit die gebliebenen Lücken auszufüllen. Das WESEN DES REIZES. 309 Ich fixirte im Liegen einen Punkt der Wand, so dass ‚ich indirect einen Kronleuchter sah, der auf dunklem Grunde glänzende Verzierungen hat. Je besser mir das Fixiren gelang, um so vollständiger verschwammen die Einzelheiten des Kronleuchters, um bei einer geringen Bewegung der Augen sofort wieder deutlich hervorzutreten. Der Ausfall des Versuches liess sich ja in der That im Sinne des Blindwerdens bei unveränderlicher Belichtung deuten, aber er befriedigte mich nicht. Erheblich bessere Resultate erhielt ich Abends bei Beobachtung ferner Lichter, einen vollen Erfolg aber erst bei Betrachtung des Sternenhimmels. Fixire ich einen hellen Stern in der Nähe des Zeniths, so sehe ich im ersten Augenblick den Himmel übersät mit Sternen. Aber schon nach ganz kurzer Zeit, höchstens nach 2 Secunden, ist der Himmel vollkommen leer bis auf den einen fixirten Stern; die ganze Retina ist blind, aus- genommen die Fovea centralis. Eine geringe Bewegung des Auges genügt, um den Sternenhimmel in voller Pracht wieder erscheinen zu lassen. Ich bezeichne die Erscheinung mit dem Namen „Ruheblindheit“.! Der Versuch ist aber noch nicht zu Ende; es gilt noch zu beobachten, was geschieht, wenn die Lichtquelle plötzlich verdunkelt wird. Ich fixirte zu dem Zweck einen Stern in der Nähe eines anderen möglichst hellen. War dieser? verschwunden, so schob ich langsam und vorsichtig meinen Hut zwischen Auge und Stern, so dass also die Licht- quelle in einem vorher nicht genau bekannten Moment plötzlich verdunkelt wurde. Ich hatte keinen Lichteindruck. (Es erfordert einige Uebung, diese Beobachtung mit so einfachen Mitteln anzustellen.) Das unbewegte Auge verhält sich also gegen das Licht der Sterne wie der Muskel bei indirecter Reizung gegen einen schwachen constanten Strom (Schluss — Zuckung, Oeffnung — Ruhe). Es ist von Interesse zu erfahren, ob bei grösserer Lichtstärke der Ver- such anders ausfallen wird, ob also etwa das Licht im Moment des Ver- deckens wieder aufblitzt. Ganz einwandfrei ist mein Resultat noch nicht: Das hellere Licht ist (aus Gründen, die später deutlich werden) sehr viel schwieriger und meist nur für Secunden zum Verschwinden zu bringen; ich möchte aber glauben, dass es beim Verdecken während der Ruheblind- heit nicht aufblitzt. Ich beschreibe noch einen weiteren Versuch zur Demonstration der Ruheblindheit, der recht überraschend wirkt.® ! Eine wesentlich andere Art, Ruheblindheit zu erzeugen, lernen wir später kennen (vgl. 8. 314). ® Sein Bild darf nicht in den bl’nden Fleck fallen! ® Man stellt ihn aber vielleicht besser erst an, nachdem man weiter gelesen hat. 310 FR. KLEm: Auf blauem Grunde liegen, beispielsweise einen rechten Winkel bildend, drei Stückchen weisses Papier. Das kleinste an der Spitze des Winkels ist scharf zugeschnitten; seine Spitze soll fixirt werden. Von den beiden grösseren fällt das eine in den blinden Fleck, das andere liegt etwa 4" nach oben von der fixirten Spitze. Das in den blinden Fleck fallende ist dauernd unsichtbar, das andere ist bei sehr grosser Ruhe für Momente ganz ebenso vollständig verschwunden, um sofort um so lebhafter wieder aufzutauchen. Während der ganzen Zeit wird darauf geachtet, dass ein mit der Hand — also unruhig — noch etwa 9°” weiter oben gehaltener Bleistift niemals verschwindet. Dieselbe Beobachtung habe ich auch mit schwarz auf weissem Grunde angestellt. Im Ganzen trifft also wohl die Behauptung zu, dass constante Be- lichtung keinen Reiz darstellt; doch bleiben — scheinbar wenigstens — einige auffallende Widersprüche bestehen. Es sind die folgenden: Ein fixirter Lichtpunkt, wenn nicht gar zu klein, verschwindet nicht. Ein peripher gesehener Lichtpunkt ist schwieriger zum Verschwinden zu bringen, wenn er sehr hell ist. Um diese Widersprüche zu beseitigen, nehme ich an, die Behauptung, constante Belichtung ist kein Reiz, sei schon bewiesen, und frage: Ist die Eigenschaft des Sehorgans, nur durch Aenderungen der Be- lichtung gereizt zu werden, zweckmässig oder nicht? Die Antwort fällt verschieden aus, je nach der Entwickelungsstufe des Auges und des Individuums. Haben wir es mit einer allgemeinen Licht- empfindlichkeit oder einem nur wenig differenzirten Hautsinnesorgan zu thun, so würde bei einer ganz gleichmässigen Vertheilung des Lichtes keine Bewegung noch sonst etwas stattfinden, was als Reizerfolg zu deuten wäre. Ohne Einfluss würde allerdings das Licht auch dann nicht sein, da es für die Lebensthätigkeit der meisten Zellen nicht entbehrt werden kann. Aber man wird doch beim Vergleich zweier gleichartiger Organismen, deren einer sich dauernd im Optimum des Lichtes befindet, während der andere dauernd zu wenig (oder zu viel) Licht bekommt, nicht von einem Lichtreiz als Ursache des guten oder mangelhaften Wachsthums reden wollen. | Eine erschöpfende Beantwortung dürfte übrigens auf erhebliche Schwierig- keiten stossen. Ich habe dafür kein Material beizubringen; wohl aber für das hochentwickelte menschliche Auge. Das WESEN DES REIZESs. 311 II. Einrichtungen zur Verhinderung der Ruheblindheit. Ich denke mir ein solches Auge vollkommen unbewegt, ebenso die auf der Netzhaut abgebildeten Objecte der Aussenwelt, und die Beleuchtung constant. Nach unserer Annahme würde ein solches Auge nichts empfinden, es wäre blind. Würde man das Auge nun verdecken und dann wieder freigeben, so wäre es plötzlich sehend, um bald darauf wieder zu erblinden. Wenn nun eins der Objecte sich bewegt, so würden alle Netzhautelemente, die dabei anders” belichtet werden, für einen Augenblick sehen, die anderen nicht. Die Umgebung des bewegten Objectes würde man nicht gleichzeitig sehen, man wäre dafür auf das Gedächtniss angewiesen. Das Gehirn hätte eine Arbeit zu leisten, ähnlich wie ein Schachspieler, der das Brett nicht sieht; er erfährt nur den jeweiligen Zug. Für unser feststehendes Auge giebt es noch ein anderes Mittel, sehend zu werden: Jeder ausreichend grosse und entsprechend schnelle Wechsel! in der Gesammthelligkeit hat diesen Erfolg, aber immer nur für einen Moment. Man wird ein Organ, das nicht mehr leistet, für recht mangelhaft halten müssen, und die Behauptung, so sei unser Auge beschaffen, dürfte auf starken Widerspruch stossen. Aber geben wir dem starren Auge seine äussere und innere Beweg- lichkeit zurück. Da findet sich denn in der That mehr als ein Mittel, sowohl bei feststehendem Auge einen Wechsel der in das Auge fallenden Gesammtlichtmenge eintreten zu lassen, als auch bei gleichbleibender Licht- menge durch Bewegungen des Auges das Bild der Aussenwelt über die Netzhaut wandern zu lassen und dadurch für jedes einzelne Element eine fortwährende Aenderung der Belichtungsintensität herbeizuführen. In die erste Gruppe gehört als unstreitig höchst wirkungsvoll der Lid- schlag (der aber ausser der momentanen Verdunkelung oder Beschattung durch die Wimpern auch noch eine Bewegung der Augäpfel zur Folge hat). Abwechselnde Verengerung und Erweiterung der Pupille kann in der- selben Art, nur weniger intensiv wirken. Auch die Formveränderungen des Pigmentepithels und die Bewegungen der Sehzellen selbst müssen hier wenigstens erwähnt werden. In die zweite Gruppe gehören die Bewegungen des Auges durch die äusseren Augenmuskeln, durch den Lidschlag (vgl. oben), die des Kopfes und die des gesammten Körpers. Ausserdem aber erhält das Auge mit ! Vielleicht nur jede Helligkeitszunahme (vgl. später). 312 FR. KLEm: jedem Pulsschlage eine Erschütterung, die, wie man sich leicht überzeugt, je nach Umständen sehr erheblich oder auch fast unmerklich sein kann. — Ich glaube gezeigt zu haben, dass einem Auge, dessen Elemente nur sehen, wenn die Belichtung wechselt, die also dauernd nur dann sehen, wenn die Belichtung ununterbrochen wechselt, dass einem solchen Auge zur Erfüllung dieser Bedingung Mittel genug zur Verfügung stehen. Damit ist aber durchaus nicht bewiesen, dass unser Auge jene Eigen- schaft hat. — Jemandem steht eine Krücke zur Verfügung. Er braucht darum nicht zu hinken. Geht er aber immer an der Krücke, so wird er doch wohl lahm sein. Wenn ich nachweisen kann, dass das Auge immer und unter allen Umständen eines der genannten Hülfsmittel — die Bewegung — anwendet, dass es sich durch keinen noch so energischen Willensact völlig daran hindern lässt, so wird man vielleicht — auch ohne den Grund einzusehen — schon zu der Ansicht kommen, dass es sich um eine für das Sehen nützliche Einrichtung handeln müsse. Wenn man sich dann aber der plötzlichen fast vollkommenen Blindheit erinnert, die eintritt, wenn es ge- linst, das Auge für kurze Zeit wenigstens annähernd festzustellen, so wird man doch wohl die Einrichtung als nothwendig betrachten müssen. Man versuche irgend einen Punkt in einer Zeichnung, einem Muster, z. B. in einer Tapete, zu fixiren und nehme sich ganz fest vor, ihn nicht um Haaresbreite aus den Augen zu lassen. Während man immerfort diesen Vorsatz im Auge behält, beobachte man gleichzeitig den wirklichen Fixationspunkt. Man wird finden, dass vom allerersten Augenblick an das Auge langsam, aber unwiderstehlich von dem gewollten Fixationspunkt so zu sagen abgleitet. Man fühlt alle paar Secunden oder alle Secunde den Ruck in den Augen, mit dem man auf diesen Punkt zurückgeht. Mit einiger Uebung lernt man es aber doch, diese Zwangsbewegungen des Auges auf einige Zeit sehr zu beschränken. Bei Betrachtung eines lichtschwachen Objects, des Sternenhimmels, ist die Folge Blindheit für das ganze Auge, solange es still gehalten wird; Blindheit mit Ausnahme der Fovea centralis. Nun, in der Fovea stehen die lichtempfindlichen Elemente am dichtesten, hier genügt die kleinste Bewegung, um eine andere Licht- vertheilung herbeizuführen, und diese kleinste Bewegung lässt sich nicht unterdrücken!: die Fovea ist gegen Ruheblindheit geschützt. — Der Puls dürfte hierbei nur eine nebensächliche Bedeutung haben; jeden- falls hört das ruhelose Abgleiten und Zurückspringen des Auges, das „Augen- wandern“, niemals auf. ! Ob man es durch lange Uebung nicht doch erreichen könnte, steht dahin; ich werde mich hüten, den Versuch zu machen. Das WESEN DES REizes. 313 Die Fovea des bewegten Auges sieht also, weil die Lichtintensität für jeden Zapfen immerfort wechselt. Wie aber, wenn man dafür sorgt, dass keine Aenderung der Licht- intensität möglich ist? Man sehe bei ruhigem Wetter den weissen wolkenlosen Himmel, der Sonne gegenüber, an. Es darf wohl angenommen werden, dass wenigstens ein Theil davon für kurze Zeit ist vollkommen gleichmässig hell. Ich nenne eine solche Fläche „reizlos“ — Das, Auge wandert auch hier, aber ohne Er- folg, es findet überall die gleiche Helligkeit. Die Elemente der Netz- haut erhalten also, wenn auch von wechselnden Stellen des Himmels, immer dieselbe Menge Licht; ich muss also consequenter Weise folgern: „Keine Schwankung der Lichtintensitätt — kein Reiz — keine Licht- empfindung.“ Aber die Lichtempfindung ist da! Fällt nun damit auch der Vordersatz? Beobachten wir den hellen Himmel ein wenig genauer; bald fällt es uns auf, dass die Fläche gar nicht ruhig und gleichmässig erscheint. Ueberall sieht man ein ununterbrochenes Durcheinanderwogen, dazwischen eilen hierhin, dorthin, tauchen auf und verschwinden (nicht allzu viele) glänzende Gebilde, auch wohl an einer Seite dunkel, ähnlich wie durcheinander- schiessende Wasserkäferchen. Einige grössere Schatten bewegen sich lang- samer: Wir projiciren wie immer unser Netzhautbild nach aussen; wir sehen also die mouches volantes und errathen die unsichtbaren Blutbahnen. Was ist nun aber dieses unbestimmte Wogen im ganzen Gesichtsfeldl? — Ich habe einmal die Purkinje’sche Aderfigur in wunderbarer Schönheit gesehen. Ich befand mich in einem dämmerigen Zimmer. Durch einen Nebenraum fielen die wagerechten Strahlen der Abendsonne seitlich auf mein Auge. Da tauchte an der Wand die Aderfigur mit so unzähligen feinen und feinsten Verzweigungen auf, dass die ganze Fläche völlig aus- gefüllt war. Wir sehen ja bei normalem Einfall des Lichtes die Gefässe nicht, aber in ihnen circuliren die Blutkörperchen, das Licht brechend, es absorbirend, ihm in ihren Zwischenräumen ungehinderten Durchtritt lassend — ich meine nicht fehlzugehen, wenn ich die Blutkörperchen als Ursache ansehe jener ununterbrochenen stets gleichförmig schnellen in- und durcheinandergehenden Bewegung, die keine Form erkennen lässt. Die Elemente unserer Netzhaut erhalten also, wenn wir eine gleich- mässig helle Fläche betrachten, nicht constante, sondern fortwährend wechselnde Lichtmengen, damit sind aber — nach meiner Anschauung — die Bedingungen für das Zustandekommen des dauernden Sehens erfüllt. — Allerdings nur qualitativ. Denn es muss schweren Bedenken begegnen, 914 FR. KLem: wenn man annehmen will, dass die wandernden Blutkörperchenschatten (mag man auch ihre Linsenwirkung hinzu nehmen) eine so starke Reizung hervorbringen, wie sie bei Betrachtung des hellen Himmels offenbar vorliegt. Aber sehen wir weiter. Wir wiederholen die Beobachtung des gleich- mässig hellen Himmels mit dem Unterschied, dass ein Auge fest geschlossen und allenfalls auch noch verdeckt wird. Die nun zu schildernden Er- scheinungen sind aber eben so gut, zum Theil besser zu sehen, wenn man bei Tages- (oder Lampen-)licht einen Bogen weisses Papier ansieht. Auch eine Zimmerdecke oder eine einfarbige Wand ist brauchbar. Hat man also eins der genannten Objecte, z. B. einen Bogen weisses Papier, eine Zeitlang ruhig mit einem Auge betrachtet, so bemerkt man, wie sichs mit einem Male über die weisse Fläche wie ein Schleier legt,! der schnell dunkler und dunkler wird. Das dauert eine Zeit, dann zer- fliesst der Schleier, das Gesichtsfeld wird hell. Doch nicht für lange; von Neuem breitet sich Dunkelheit aus, um nach einiger Zeit die helle Fläche wieder hervortreten zu lassen; dieses Spiel kann sich noch öfter wiederholen. Ein bedrucktes oder beschriebenes Blatt kann man lange fixiren oder anstarren, man sieht es zwar nicht immer gleich hell, aber doch immer hell, und mit der Schrift. Ist die Rückseite weiss, so braucht man es nur umzudrehen, um nunmehr fast sofort das Blatt in der Dunkelheit bis auf einen schmalen weissen Streifen am Rande untertauchen zu sehen. Dieser Randstreifen bleibt sichtbar, weil die Grenze von Hell und Dunkel durch kleinste Augenbewegungen auf der Netzhaut hin und her geht. Die Elemente der Netzhaut erleiden also dort häufige Helligkeits- schwankungen, d. h. sie werden häufig gereizt; mit anderen Worten: Sie sind tetanisch erregt und sehen dauernd. Man kann den Versuch auch so anstellen, dass man irgendwo auf einem weissen Blatt Figuren oder Schrift anbringt. Sind die Linien dünn und die Zwischenräume gross, so vermindern sie die Helligkeit des Flächen- stücks nicht merklich. Dann bleibt, wenn Ruheblindheit eintritt, wenn also das übrige Blatt sich verdunkelt, die Figur mitsammt einem schmalen Umkreis hell. Hatte man vorher etwa der Vorstellung Raum gegeben, es könne der Eindruck des Dunkeln von dem geschlossenen Auge aus zeitweise über- wiegen, so muss man jetzt doch wohl die Ursache in der verschiedenen Art der Belichtung des offenen Auges suchen. Darin wird man noch be- stärkt durch Folgendes: Führt man während der Dunkelheit zwischen Auge und Papier einen Bleistift vorüber, so bleibt so zu sagen der Schleier am Bleistift hängen; es ist ganz plötzlich wieder hell. Denselben Erfolg ! Anfangs sehr oft nur im nasalen Theil des Gesichtsfeldes; vgl. später. Das WESEN DES REiIzEs. 315 hat ein Lidschlag. Hier spielt aber die Dauer der Beobachtung eine Rolle. Habe ich nämlich lange auf das Papier gesehen, so muss ich den Bleistift fleissig bewegen, um die hartnäckig wiederkehrende Dunkelheit zu ver- scheuchen. (Der Grund dafür ergiebt sich aus dem Späteren, vgl. S. 322 f.) Das Kommen und Gehen von Hell und Dunkel hat, wenn man nicht störend eingreift, nichts Plötzliches. Der Gedanke schien mir nahe zu liegen, dass der Vorgang mit einer rhythmischen Aenderung der Pupillenweite zusammenhängt. Das musste sich ja feststellen lassen. Die directe Beobachtung meiner Pupille mit Fernrohr oder Lupe, während ich auf weisses Papier blickte, erwies sich als recht schwierig. Zwar lauteten in einem Falle die Angaben, solange ich hell sah: weit — eng — weit — eng; als dann Dunkelheit eintrat, hiess es: eng — eng. Aber die Angaben von zwei ausserordentlich geübten und vorsichtigen Be- obachtern waren nicht so befriedigend. Mit einiger Sicherheit wurde nur das Weiterwerden der Pupille gesehen, das allerdings, wie ich erwartete, in die „hellen“ Zeiten fiel. Vielleicht darf man die Angaben so deuten, dass das (unwillkürliche) Engerwerden langsamer, also unbemerkt vor sich geht. Die Schwierigkeiten der Beobachtung werden sich sicher überwinden lassen, aber es fand sich ein bequemerer Weg, den Einfluss der Iris fest- zustellen. Hensen und Völckers! haben gezeigt, dass pulsatorische und respi- ratorische Irisbewegungen sich (im Liegen) dadurch nachweisen lassen, dass man das Auge durch Vorsetzen einer Convexlinse kurzsichtig macht und das Grösser- und Kleinerwerden der Zerstreuungskreise beobachtet, die ein entferntes Licht giebt. Wenn nun auch die einmal starken, einmal schwachen pulsatorischen Irisbewegungen keinesfalls immer ausreichen, um die Ruheblindheit zu hindern — sie dürfte dann ja niemals eintreten! — so gab doch die Beobachtungsmethode, entsprechend abgeändert, ein be- quemes Mittel zur Untersuchung der Frage an die Hand: Auf einen Bogen lebhaft blauen Papiers legte ich ein sehr kleines Stückchen weisses Papier (etwa 0.5"m im Quadrat) und ging mit unbe- waffnetem Auge (das andere war geschlossen) möglichst nah heran. Die von dem weissen Papier ausgehenden Strahlen konnten also auch bei stärkster Accommodation auf der Netzhaut noch nicht zur Vereinigung kommen: ich sah einen weissen Zerstreuungskreis. Wenn ich angestrengt auf die Nähe accommodirte, so war der Zerstreuungskreis des weissen ! Hensen und Völckers, Hxperimentaluntersuchung über den Mechanismus der Accommodation. Kiel 1868. S. 22. 316 FR. KLEm: Papierstückchens klein, den blauen Grund sah ich schwarz, ich war in der Peripherie ruheblind. Stellte ich nun das Auge auf die Ferne ein, so leuchtete im selben Moment der vorher schwarze Grund blau auf; gleich- zeitig wurde der Zerstreungskreis gross. Das Gross- und Kleinwerden des Zerstreuungskreises betrachte ich lediglich als Controle dafür, dass wirklich eine Aenderung des Accommodationszustandes stattgefunden hat; ! dass beim Nahsehen die Pupille eng ist, beim Fernsehen weit, bedarf nicht der Bestätigung. Damit ist also bewiesen, dass plötzliche Pupillenerweiterung (durch die gleichzeitige Zunahme der Lichtintensität) als Reiz wirkt. Ich setze den Versuch fort, indem ich, das Auge auf die Ferne ein- gestellt, eine Verdunkelung abwarte. Accommodire ich jetzt, also während der Ruheblindheit, gewaltsam auf die Nähe, wobei ja die Pupille plötzlich verengt wird, so geschieht gar nichts, es bleibt dunkel. Also dieselbe Erfahrung wie beim Verdecken des Sterns — Abnahme der Licht- intensität ist kein Reiz!? Vorbedingung für das Gelingen dieser Versuche ist, dass die Augen sich in bester Verfassung befinden; andernfalls können complicirtere Er- scheinungen auftreten. Weniger einfach als in dem beschriebenen Fall liegen auch die Ver- hältnisse bei Verwendung von weissem Papier und Abnahme der Licht- intensität bis gegen Null: Wenn ich das Papier kürzere Zeit angesehen habe und dann das Auge plötzlich durch schwarzes Papier verdecke, so habe ich allerdings keine Lichtempfindung; habe ich es aber länger angesehen, so sehe ich beim Verdecken ein mehr oder weniger starkes Aufleuchten von Blau. Ich meine nicht die Beobachtung in dem Sinne verwerthen zu dürfen, dass auch Helligkeitsabn ahme einen Reiz setzt; sie gehört zu einem Kreise von Erscheinungen, die ich hier nicht berücksichtige. Als sich meine Augen nicht in der oben verlangten besten Verfassung befanden, sah ich zuweilen schon nach kürzerer Einwirkung der weissen reizlosen Fläche beim Verdecken des Auges längere Zeit schwache Farben concentrisch um die Fovea (ähnlich dem bei geschlossenen Augen abklingenden Nachbild der Sonne). Ich fasse die bisherigen Erfahrungen? über die Iris zusammen: ! Bei Einstellung auf die Ferne würde der Zerstreuungskreis auch schon ohne Pupillenerweiterung grösser werden. 2 In gutem Einklang hiermit würde die oben (S. 315) ausgesprochene Vermutung stehen, dass die unwillkürliche Pupillenerweiterung, die einen Reiz darstellt, schnell vor sich geht, die Verengerung, die keinen Reiz darstellt, langsam. — Bei der will- kürlichen Aceommodation geht dagegen, wie man an dem Zerstreuungskreise erkennt (s. oben), die Verengerung der Pupille sehr schnell vor sich. ® Weitere Beobachtungen vgl. S. 323. Das WESEN DES REIze£s. 317 Wenn wir eine „reizlose‘“ Fläche hell sehen, so kann plötzliche Pupillen- erweiterung die Ursache sein; eine solche tritt in wirksamem Grade ein gleichzeitig mit der Accommodation auf die Ferne; eine Erweiterung tritt (nach Hensen und Völckers) auch ein bei jedem Pulsschlag; ein starker Irispuls könnte also wohl das Dunkelwerden einer reizlosen Fläche und die Ruheblindheit überhaupt verhindern. Ausserdem tritt aber (bei Betrachtung einer reizlosen Fläche mit einem Auge) dem Anschein nach (vgl. S. 315) von Zeit zu Zeit eine Aenderung der Pupillenweite ein, unabhängig von der willkürlichen Accommodation, dem Puls und der Lichtmenge; ich möchte glauben, dass es sich dabei um un- willkürliche und subjeetiv nicht wahrnehmbare Accommodationsbewegungen handelt. Wende ich nun meine Aufmerksamkeit dem Zustand zu, den ich als Ruheblindheit bezeichne, richte ich also den Blick auf ein weisses Papier, schliesse und verdecke ein Auge und beobachte die auftretenden Erschei- nungen zunächst im Ganzen, so zeigt sich im Allgemeinen, dass die Ver- dunkelungen die ersten Male auf den nasalen und mittleren Theil des Gesichtsfeldes beschränkt sind. Etwas temporalwärts sehe ich, und zwar auch wenn keine Verdunkelung eintritt, die Papilla nervi optiei als mehr oder minder dunkelgrauen Fleck, ohne scharfe Grenzen. Aber nicht immer bleibt das Bild so einfach. Denn oft sehe.ich den blinden Fleck pulsiren, das heisst, ich sehe ihn grösser und kleiner werden im Tempo des Pulses, und zwar zuweilen in sehr auffallender Weise. Da ich die Pulsation nicht beliebig hervorrufen kann, so gelingt die gleichzeitige Beobachtung des Radialpulses nicht immer. Ich glaube aber doch schon sagen zu können, dass der Fleck kleiner wird synchron mit dem Radialpuls; manchmal verschwindet er für Augenblicke vollständig im Hellen. Einmal sah ich (mit dem rechten Auge) Folgendes: Die im Gesichtsfeld nasale Seite des dunklen Flecks zog sich im Tempo des Pulses jedes Mal mit einem plötzlichen Ruck um ein Stück zurück; dabei leuchten zwei Stellen des im Ganzen heller gewordenen Grundes blitz- artig auf. Ihrer Lage nach können die Stellen zwei parallel und wagerecht austretenden Gefässen oder den beiden Seiten eines Gefässes ent- sprechen. Ich sehe für die Erscheinung nur eine einzige Erklärungsmöglichkeit. Der blinde Fleck, die von Stäbchen und Zapfen freie Eintrittsstelle des Sehnerven, giebt selbst keine Empfindung, auch nicht die Empfindung grau! so wenig, wie der Raum hinter mir in meiner Vorstellung mit irgend einem Helligkeitsgrad behaftet ist. Dieser grosse Raum wird auch nicht ergänzt, der kleine blinde Fleck dagegen wird ergänzt, und zwar nach seiner unmittelbaren lichtempfindlichen Umgebung. 318 Fr. KLeEm: Wenn die systolische Pulswelle in der Arteria centralis retinae an- gekommen ist, so schwellen die Anfangsstücke der Aeste an und verdecken eine Anzahl Stäbchen und Zapfen, einem (unvollkommenen) Schattenring entsprechend; diesen ergänzen wir zu einem Schattenfleck. Der Weg vom Herzen zur Retina ist kürzer als zur Radialis. Wenn ich also den Radialpuls fühle, so werden die Gefässe am blinden Fleck schon wieder enger. Das bedeutet aber für die darunter liegenden Stäbchen und Zapfen eine Helligkeitszunahme, also einen Reiz, ich sehe hell; das heisst: Der graue Fleck (der zum Fleck ergänzte graue Ring!) wird kleiner oder ver- schwindet ganz. Ein helleres Aufleuchten einzelner Stellen bedeutet einen stärkeren Reiz, also eine stärkere Schwankung der Helligkeit, die hier, wo eine gleichmässige Fläche angeblickt wird, nur durch vorhergehende stärkere Verdunkelung möglich ist. In der That sind ja auch die dickeren Anfangsstücke der Gefässe weniger durchsichtig. Immer, wenn bei Betrachtung einer reizlosen (weissen) Fläche der blinde Fleck grau auf hellerem Grunde erscheint, während andere Theile der Netzhaut ruheblind sind, findet meines Erachtens eine Pulsation statt, wenn sie auch nicht immer bemerkt wird. Denn nur durch die Pulsation kann ein Kranz von Sehelementen rund um den blinden Fleck herum abwechselnd beschattet und belichtet — vor Ruheblindheit geschützt werden.! Wir richten jetzt unsere Aufmerksamkeit nicht mehr auf den blinden Fleck, sondern auf das Flächengebiet um die Fovea centralis herum, während einer Periode der Ruheblindheit. Bald entdeckt man, dass man es durchaus nicht mit einer gleich- mässigen Fläche zu thun hat: Auf einem Grunde, der bei Betrachtung von weissem Papier etwa dunkelbraunroth ist, bewegen sich in vielfach gewundenen dunkelbläulichgrauen Bahnen, die überall kleine Inseln zwischen sich lassen, in dichtem Gedränge, aber deutlich einzeln erkennbar, völlig schwarze, sehr kleine Körperchen. Es ist, zwar ungewöhnlich in der Fär- bung, das gar nicht zu verkennende vollkommen scharfe Bild eines Capillar- kreislaufs. Ich habe bei einem Abstand des Papiers von 20 °® den Durchmesser des einzelnen schwarzen Körperchens auf 0-1 bis 0.2 "m geschätzt, ohne ein Vergleichsobjeet zu verwenden. Ein Blutkörperchen von 7.7 u Durch- ! Schon Helmholtz (Physiologische Optik. 2. Aufl. S. 718) hat den blinden Fleck gesehen, und neuerdings beschreibt Charpentier (Comptes rendus de l’acad. des sc. Vol. CXXVI. p. 1634. Hermann’s Jahresbericht für 1898. S. 122) eine Methode, ihn durch schnelle Lidschläge oder Augenbewegungen sichtbar zu machen. Er kommt zu dem Schlusse, dass in unserer Raumvorstellung keine Lücke ist, sondern dass die betreffende Stelle durch Empfindungen ausgefüllt ist. DAs WESEN DES REIzEs. 319 messer, 15=m hinter dem Knotenpunkt, würde, auf 20°“ nach aussen projieirt, etwa die Grösse von 0-1" haben. Dabei ist angenommen, dass der Schatten des Blutkörperchens auf der lichtempfindlichen Retinaschicht ebenfalls 7-7 « Durchmesser hat, Ich habe aber den Eindruck, dass die schwarzen Körperchen weder die Gefässwand, noch sich unter einander jemals berühren, und dass sie merkwürdig klein sind im Vergleich zum Gefässlumen. Ich habe an die Möglichkeit gedacht, dass etwa nur die biconcaven Mitten der Blutkörperchen schwarz erscheinen. Die obige Schätzung wäre dann erheblich zu hoch. Die Frage soll weiter verfolgt werden. Bewegungen und Formen sehr verschiedener Art, die ich zuweilen sehe, wenn beide Augen geschlossen sind, haben nie Aehnlichkeit mit dem beschriebenen Capillarkreislauf gezeigt, der (abgesehen von dem später zu erwähnenden Einfluss der Pupillenweite) einmal aussieht wie das andere Mal, nur dass die Farben verschieden sind, je nach Farbe und Helligkeit der betrachteten Fläche und wohl auch je nach dem Zustande der Netzhaut. Hat man erst einmal gelernt den Capillarkreislauf zu sehen, so ent- deckt man ihn (mit einem Auge!) bald auch dann, wenn man das weisse Papier hell sieht. Er sieht dann etwa aus wie ein ganz flaches Elfenbein- relief — nur dass es sich bewegt; doch sah ich das Bild zuweilen auch farbig, wie durch eine schlechte Linse. — Statt voller Verdunkelung tritt auch wohl ein leichterer Schatten auf. Man ist bei subjectiven Beobachtungen dieser Art immer bis zu einem gewissen Grade vom Zufall abhängig. Geht man von vornherein darauf aus, eine bestimmte Einzelheit zu beobachten, so übersieht man anderes, überanstrengt die Augen und kommt doch nicht zum Ziel. Als Beispiel, wie eine Beobachtungsreihe verläuft, gebe ich das Protokoll einer solchen vom 17. November 1903 im Wortlaut; der Text ist unmittelbar nach jeder Beobachtung niedergeschrieben: 1. „Ich sehe mit dem linken Auge auf weisses Papier. Ruheblindheit. Papier sehr dunkel. Capillarkreislauf sehr schön. Blutkörperchenbewegung sehr lebhaft, aber an einigen Stellen — in anderem Niveau? — scheinen die schwarzen Körperchen sich nicht zu bewegen. Man kann sich nur schwer davon überzeugen, dass die fixirte Stelle — die Fovea — frei von Blut- bewegung ist. — Dann wird die Fläche hell; der Capillarkreislauf ist nicht zu sehen, dagegen sieht man den blinden Fleck pulsiren und von ihm aus- gehend schattenhafte Gefässe, die synchron mit dem blinden Fleck kleine, aber deutliche Bewegungen ausführen. Hierbei ist die Macula lutea als bläulichvioletter Fleck sichtbar. Das Papier ist durch zerstreutes Tageslicht belichtet. Es ist Morgens gegen 11 Uhr, draussen heller schwacher Nebel.“ 2. „Ruheblindheit. Ich sehe die Capillaren roth, die „Inseln“ grün. Dann wird’s hell. Ich sehe auf dem Papier das Capillarnetz etwas ver- waschen ohne Bewegung und ohne Blutkörperchen in den Complementär- 320 Fr. KLEem: farben, die Blutbahnen grün, den Grund wenig farbig schwach rosa. Das muss das negative Nachbild sein. — Das Blut strömt langsam, ich glaube jeden Puls zu erkennen an der Capillarströmung.“ 3. „Einige Minuten später Wiederholung. (In der Zwischenzeit wurde der Text geschrieben.) Ruheblindheit. Kreislauf sehr scharf. Capillaren graublaugrün, Inseln grauröthlich. Blut scheint schneller und gleichmässiger zu strömen.“ Jetzt lässt sich auch ungefähr beurtheilen, wie stark der Capillarkreis- lauf an der Verhinderung der Ruheblindheit betheiligt ist: Der durch ihn gesetzte Reiz ist zwar gross genug, um uns eine weisse Fläche nicht rein schwarz erscheinen zu lassen, aber er verhindert nicht, dass wir sie sehr dunkel sehen.! Bei Betrachtung des gleichmässig hellen Himmels mit beiden Augen hatten wir eine Bewegung gesehen, die nach den späteren Beobachtungen mit einem Auge nur das ganz verschwommene Bild des Capillarkreislaufs sein kann. Es lässt sich nun auch verstehen, warum beide Augen zusammen nur ein verschwommenes Bild geben können. Das Gehirn versucht stets die Bilder der beiden Netzhäute stereoskopisch zu vereinigen, aber selbstverständlich decken sie sich in diesem Falle nicht, da sie von zwei verschiedenen, nur im Ganzen ähnlichen Objecten stammen. Wir waren (vgl. S. 313) von der Frage ausgegangen, ob es gelingt, auch die Fovea (die für gewöhnlich in Folge der Kleinheit ihrer Elemente durch die Zwangsbewegungen des Auges vor Ruheblindheit geschützt ist) durch eine „‚reizlose“ Fläche ruheblind zu machen. Mit Rücksicht auf den Capillar- kreislauf gewinnt die Frage noch eine neue Seite: Der geringe Schutz vor Ruheblindheit, den der Kreislauf der übrigen Netzhaut gewährt, fehlt in ! Wie erscheint uns nun aber eine schwarze Fläche? Das schwärzeste Pigment- schwarz reflectirt immer noch eine nicht unerhebliche Menge Licht. Eine schwarze Fläche wird also bei hinreichender Beleuchtung auch noch reizen können, wir sehen also nicht das tiefste mögliche Schwarz. Andererseits fehlt uns bei völligem Licht- mangel jeder Vergleich; auch können die als „Eigenlicht“ der Netzhaut bekannten Erscheinungen (und daraus entstehende Phantasiegebilde) stören. — Ein Schwarz, das mir intensiver erschien, als jedes frühere, habe ich gesehen bei dem Versuch, Ruhe- blindheit für ein sehr helles Licht zu erzielen. In einem dämmerigen Zimmer fixirte ich so gut wie möglich ein lichtschwaches Pünktchen, während durch ein Loch in der mit schwarzem Papier 'bedeckten Wand ein kleines, aber helles Licht eine Stelle der Netzhautperipherie traf. So oft es gelingt, das Auge sehr ruhig zu halten, verschwindet das Licht, aber nur für Secunden, so dass nach einiger Zeit eine kleine ermüdete und erschöpfte Netzhautstelle inmitten einer ausgeruhten Umgebung vorliegt. Wenn jetzt plötzlich das helle Licht durch ein schwarzes Papier verdeckt wird (während ich immer noch wie vorher fixire), so habe ich an der vorher vom Licht getroffenen Stelle einen Eindruck von ich möchte sagen schreiendem Schwarz ohne jede Spur von farbiger Bei- mischung. Das WESEN DES REIZES. 321 der Fovea — sie hat keine Gefässe. Ich betrachte also von Neuem das weisse Blatt, aber so zu sagen mit anderen Augen, d.h. ich achte auf die fixirte Stellee Und nun sehe ich — zwar nicht sofort, aber nach kurzer Zeit (jedenfalls, wenn eine Verdunkelung eingetreten und vorübergegangen ist) — den Grund hellgelbgrün, die fixirte Stelle hellblauviolett; der violette Fleck ist grösser, wenn das Auge weiter vom Papier absteht. Tritt Verdunkelung ein und bringe ich sie durch Lidschlag oder mit dem be- bewegten Finger zum Verschwinden, so bleibt der violette Fleck; ich sehe ihn mit zwei Augen und mit einem Auge. Er entspricht offenbar der Macula lutea. Gleichzeitig sehe ich den blinden Fleck grau mit wenig farbiger Beimischung, und viel grösser als den gelben Fleck. Achte ich auf den fixirten Punkt während einer Verdunkelung, so sehe ich inmitten des wogenden Capillarnetzes eine ganz ausserordentlich kleine nicht mehr blaue, sondern gelblichbraune Stelle ohne Blutkörperchenbewegung; das muss die Fovea centralis sein. Aber nicht immer gelingt es mir, mich von dem Fehlen der Blutbewegung zu überzeugen." In Bezug auf die Fovea centralis dürfen wir also sagen, dass sie beim Ansehen einer „reizlosen“ Fläche in der That ruheblind wird, denn wir sehen die fixirte Stelle der weissen Fläche nicht weiss. (Was ich an dem fixirten Punkte sonst noch sehe, beschreibe ich hier nicht.) Wir wenden uns jetzt den Einrichtungen zu, die uns gegenüber einer reizlosen Fläche wirksamer vor Ruheblindheit schützen können, als der Capillarkreislauf. Es sind die Bewegungen der Iris und der Augenlider. Der Schutz, den sie gewähren, ist in keinem Falle dauernd, aber er hält länger vor, wenn beide Augen offen sind. (Reizlose Fläche mit beiden Augen gesehen): Sieht man weisses Cartonpapier mit beiden Augen (bei Lampenlicht) an, ohne den Lidschlag zu unterdrücken, so bleibt es zwar dauernd ziemlich hell, aber bald er- scheint eine ganz verwaschene farbige Zeichnung (rosa und grün), die an ! Einmal erschien mir die fixirte Stelle auf einer hellen Nebelwand wie ein Mosaik feiner Tröpfehen oder Perlen. Als ich nach einigen Stunden die Beobachtung wiederholte, sah ich die Stelle anders gefärbt als die Umgebung und in lebhaftester Bewegung. Da sie sehr klein und die ganze Umgebung in Bewegung ist, so machen die Perlen, auch wenn sie stillstehen, nothwendig eine scheinbare Bewegung in ent- gegengesetztem Sinne wie die benachbarten Blutkörperchen, Aus einem schon (S. 319) mitgetheilten Versuch wissen wir, dass der Capillarkreislauf in zwei auf einander folgenden Beobachtungen einen Farbenumschlag erleiden kann, uud wir werden geneigt sein, das als Erschöpfungserscheinung zu betrachten. Danach könnte man vermuthen, dass der gelbe Fleck besonders schnell erschöpft wird. Ueber den Unterschied zwischen Ermüdung und Erschöpfung vgl. später S. 334. Uebrigens erhält der gelbe Fleck von einer reizlosen Fläche mehr Licht, als andere Netzhautstellen. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 21 322 FR. KLEm: das Bild des Capillarkreislaufes erinnert. Jeder Lidschlag lässt ein dunkles Muster aufblitzen, das durch mehrere schnell auf einander folgende Lidschläge bequem als aus grossen regelmässigen Sechsecken! bestehend erkannt wird. Ohne Lidschlag habe ich einmal grünes Seidenpapier auf weisser Unterlage sehr lange angesehen. Ich sah den blinden Fleck grau pulsiren, das Papier war fast farblos, aber im Gebiet der Macula lutea war immer noch eine Spur Grün zu sehen. (Reizlose Fläche mit einem Auge gesehen:) Die Wirkung des Lid- schlags lässt sich rein beobachten, wenn die Iris stillsteht. Dann sehe ich eine weisse Fläche mit jedem Lidschlag hell (wie hell, hängt von Er- schöpfung und Ermüdung ab); aber etwa nach einer Secunde ist es wieder dunkel und der Capillarkreislauf ist sichtbar. Damit man eine reizlose Fläche hell sieht, ist durchaus kein voll- ständiger Lidschlag erforderlich; kleine (unwillkürliche) Zuckungen bewirken eine wechselnde Beschattung des Auges durch die Wimpern, die als Reiz wirkt. Der Lidschlag, auch der unvollständige, hat ausserdem noch andere Folgen: Er drückt, auch wenn er bei Weitem nicht bis zum Lidschluss führt, die Augenaxen nasalwärts. Für den Moment convergiren also die Augen stärker, und vor Allem bewegt sich das Netzhautbild; in seiner Wirkung schliesst sich also der Lidschlag dem „Augenwandern“, der Zwangsbewegung durch die äusseren Augenmuskeln, an. Achtet man erst einmal darauf, so wird man leicht gewahr, dass ein Gegenstand, den wir mit beiden Augen betrachten, bei jedem Lidschlag blitzartig nach rechts und nach links auseinanderzugehen scheint. Das linke Auge allein sieht den Gegenstand nach links gehen (eine Laterne giebt z. B. ein positives Nachbild mach links), das Auge selbst: macht also die umgekehrte Be- wegung. An der Bewegung der Nachbilder sieht man, dass die Wirkung des Lidschlags sich mit der Augenstellung ändert. (Die Wirkung der Iris:) Wir wissen bereits (vgl. S. 316), dass plötz- liche Pupillenerweiterung ein Reiz ist, und vermuthen stark, dass Ver- engerung kein Reiz ist. Wir dürfen mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass bei unterdrückten Lidbewegungen die Iris in Thätigkeit ist, so lange wir die weisse Fläche hell sehen, und dass sie still steht, wenn wir sie dunkel sehen (wenn wir ruheblind sind). . Bei länger fortgesetzter Beobachtung (mit einem Auge) werden die hellen Pausen kürzer und kürzer und bleiben schliesslich aus. Einmal setzte ich die Beobachtung auch dann noch weiter fort und sah bald den ı A. König, Gräfe’s Archw. Bd. XXX. (3.) S. 329 hat sie zuerst beschrieben. Vgl. Helmholtz, Physiol, Opt. 2. Aufl. 8. 569. Das WESEN DES REIZzES. 323 Capillarkreislauf undeutlich werden. Die Bewegung liess sich noch erkennen, aber es traten auffallende subjeetive Erscheinungen hinzu.! Ich konnte schliesslich nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob das Auge offen oder geschlossen war, und war, als ich endlich eine Kopfbewegung machte, fast überrascht, ohne vorhergehenden Lidschlag die Gegenstände ganz wie gewöhnlich zu sehen. Der Versuch hatte das Auge aber doch ausserordentlich angegriffen. Meine Augen waren zu jener Zeit vollkommen ausgeruht und leistungsfähig. (Homatropin:) Einige Wochen später, als das nicht in demselben Maasse der Fall war, stellte ich, um die vorigen Beobachtungen zu ergänzen, die Iris meines rechten Auges mit Homatropin fest. Diesmal war von vornherein bei jeder Verdunkelung der Capillar- kreislauf verschwommen, einzelne Blutkörperchen nicht zu erkennen. Da der Grund hierfür selbstverständlich die ad maximum erweiterte Pupille ist, so hat höchst wahrscheinlich auch bei dem vorigen Versuch, als nach längerer Beobachtung der Kreislauf ebenso verschwommen erschien, die Iris in Erweiterung stillgestanden. Es gelang mir diesmal nicht, den Lidschlag länger als 16 Secunden ganz zu unterdrücken. Meistens traten wenigstens ganz kleine fühlbare Zuckungen der Lider auf, die eine momentane Erhellung des Gesichtsfeldes herbeiführten. Gewaltsames Festhalten der Lider oder Wimpern liess sich nicht durchführen. Einmal schoss dabei Thränenflüssigkeit über das Auge und bewirkte eine Erhellung, ein anderes Mal zwang mich ein intensiver stechender ‘Schmerz zum Loslassen. (Nach diesen Erfahrungen habe ich darauf verzichtet, beide Augen mit Homatropin zu behandeln und etwa die Lider mechanisch festzuhalten.) Von den Mitteln, gegenüber einer „reizlosen“ Fläche ohne Willensact sehend zu bleiben, behält also der Lidschlag seine Wirksamkeit, indem er das Gesichtsfeld jedes Mal für etwa 1 Secunde hell erscheinen lässt; die Iris ı Es war, als ob ein grosser glänzender, in zitternder Bewegung befindlicher Fleck, dem gelben Fleck und seiner Umgebung entsprechend, von aussen her in Zwischen- räumen von etwa vier Pulsen mit Dunkelheit überfluthet wurde. In dieser Dunkelheit ist Bewegung zu erkennen und anderes, Schon früher hatte ich eine ähnliche Beobachtung gemacht, als ich morgens die dämmerige Zimmerdecke mit einem Auge ansah: Die fixirte Stelle erschien bläulich. Dann trat Verdunkelung des Gesichtsfeldes ein; beim „Wegwischen“ durch Vorüberfahren mit dem Finger bleibt die blaue Stelle. — Bis dahin ist alles wie gewöhnlich. Aber bei einem Versuch „entwickelt sich aus der fixirten Stelle in Zwischenräumen von 4 bis 5 Pulsschlägen eine glänzende Er- scheinung, etwa wie in zitternder Bewegung begriffener, hell beleuchteter Dampf. der rhythmisch ausgestossen wird und sich gleich in der Luft auflöst“. Aehnliches ist auch von anderen gesehen worden, 21* 324 Fr. KLeis: versagt nach einiger Zeit vollständig; die geringfügige Wirkung des Capillar- kreislaufs überdauert die der Iris. (Durch willkürliche Accommodations- änderungen kann aber auch dann die Pupillenweite verändert werden.) Es schien mir von vornherein unwahrscheinlich, dass die Ruheblindheit bisher der Beobachtung völlig entgangen sein sollte und ich bin ihren Spuren in Helmholtz’ physiol. Optik (2. Aufl.) nachgegangen. Darnach hat Helmholtz sowohl die bei starrem Fixiren als auch die beim An- sehen einer reizlosen Fläche auftretende Ruheblindheit beschrieben. Die gegebenen Erklärungen erinnern zum Theil an meine Behauptung: „Con- stante Belichtung kein Reiz“. Ich führe Einiges an (S. 504): Das positive Nachbild wird in einem gewissen Stadium undeutlich, „weil wir .... nur wechselnde Erregungszustände der Netzhaut gut von einander unter- scheiden, für einen constanten Erregungszustand aber schnell das Unter- scheidungsvermögen verlieren“. Ganz ähnlich heisst es 8. 556: „.... weil unser Unterscheidungsvermögen für anhaltende Nervenerregungen viel unvollkommener ist, als für wechselnde Erregung.“ — S. 510 (Es ist vom Verschwinden der Nachbilder die Rede gewesen): „Uebrigens ver- schwinden auch schwache objective Bilder zuweilen in ähnlicher Weise, wenn man starr einen Punkt fixirt, z. B. eine Landschaft in der Nacht betrachtet. Es macht mir den Eindruck, als ob die Vergleichung der Er- regungsstärke verschiedener Netzhauttheile aufhörte möglich zu sein, wenn die Erregung nicht: von Zeit zu Zeit wechselt. Bei objectiven Bildern ist dies jeder Zeit zu bewerkstelligen dadurch, dass man den Fixationspunkt wechselt, bei subjectiven aber nicht... .... Ich finde übrigens, dass, wenn man bei möglichst unverrückt gehaltenem Auge dergleichen Bilder auf- merksam festzuhalten sucht, das Gefühl der Anstrengung gerade dann am grössten ist, wenn die Bilder so hinschwinden. Dann folgt nach einiger Zeit ein Nachlass dieser Anstrengung, wobei die Bilder wiederkommen. Welche innere Veränderung dem entspricht, weiss ich nicht anzugeben.“ — Ich halte diese „innere Veränderung“ für eine solche des Accommodations- zustande. Da Helmholtz keine „reizlose‘“ Fläche ansieht, sondern ein Object mit Helligkeitsdifferenzen, so sind zum Zustandekommen der Ruheblindheit drei Bedingungen zu erfüllen. Die erste ist die starre Fixation; Helmholtz beherrscht sie offenbar in ausgezeichneter Weise. Die zweite ist unveränderte Pupillenweite: Das „Gefühl der Anstrengung“ ist mit der unbewussten Accommodation auf die Nähe verbunden. So lange dies Gefühl andauert, ist die Pupille unverändert eng: es tritt Ruhe- ! Vom Standpunkte der Zweckmässigkeit betrachtet genügt dieser unvollkommene Schutz: Aendert sich die gleichmässige Fläche nicht, so ist nichts an ihr zu sehen; ändert sie sich an irgend einer Stelle, so setzt eben diese Aenderung einen Reiz. Das WESEN DES REIZES. 325 blindheit ein. Nachlass der Anstrengung bedeutet Accommodation auf die Ferne, also Pupillenerweiterung, Lichtzunahme. Diese ist ein Reiz — die Bilder kommen wieder. Von der dritten Bedingung, Unterdrückung des Lidschlags, spricht Helmholtz an dieser Stelle nicht; sie ist aber jeden- falls erfüllt, denn S. 555 heisst es: „Fixirt man scharf und fest, so ver- löschen in 10 bis 20 Secunden oft recht auffallende Lichtunterschiede — — —“ — — „Jeder Lidschlag, jede kleine Verrückung des Auges stellt das Bild wieder her.“ Ruheblindheit in der Netzhautperipherie bei starrer Fixation liegt offen- bar vor, wenn (S. 263) von „unempfindlichen Stellen“, gleichsam ‚‚kleinen blinden Flecken“ die Rede ist, wo in Folge „vorübergehender Blendung“ Punkte plötzlich verschwinden. — Bei Betrachtung einer weissen Fläche (S. 240) und starker Accomodation für die Nähe sieht Helmholtz das Gesichtsfeld sich schnell verdunkeln, während u. A. Theile der Aderfigur sichtbar werden. Bei Nachlass der Accomodation (d. h. Erweiterung der Pupille — Lichtzunahme!) schwindet alles. — Aehnlich heisst es (S. 573): Sobald (beim Hineinstarren in eine helle Fläche) durch den Lichteindruck die Netzhaut so weit ermüdet ist, dass die Fläche dunkel wird, erscheint gleichsam hinter der hellen Fläche, welche verschwindet, eine gefleckte röthliche Fläche, deren Flecken bald bewegt, bald ruhig sind. IV. Die Bedeutung der Aussenglieder für das Sehen. Für das Folgende wähle ich wieder den Wee der Fragestellung: Wenn, wie ich behaupte, constante Belichtung keinen Reiz darstellt, wie muss dann ein Auge gebaut sein, um möglichst gut zu functioniren ? Wir verlangen, dass das Auge uns ununterbrochen und möglichst ein- gehend über den Zustand und die Zustandsänderungen der Aussenwelt unterrichtet. Gehen wir aus von einem Auge mit dioptrischem Apparat, dessen Retina aus einer mässigen Zahl lückenlos aneinanderstossender und über die ganze Fläche lichtempfindlicher Elemente bestehen soll. Das Auge soll (auch dies Mal wieder) feststehen und kein Schutz- mittel gegen Ruheblindheit haben. ! Auf jedem der Sehelemente ist dann ein Stück Aussenwelt abgebildet; aber da ein Element zu einer Zeit nur eine Empfindung geben kann, so ! Die Farben lasse ich auch hier unberücksichtigt, 326 FR. KLEIN: kommt, wenn wir das Auge plötzlich öfinen, für die Stärke dieser Empfin- dung nichts anderes in Betracht, als die mittlere Helligkeit des be- trachteten Stückes Aussenwelt. Wenn dieses abgegrenzte Stück z. B. ein Blatt weisses Papier ist, auf dem vier Fliegen umherspazieren, so wird das Auge keine Fliege, keine Bewegung, keinen Helligkeitswechsel sehen, sondern nur die Empfindung „hellgrau“ haben, und diese nur im ersten Augenblick. Dann herrscht Dunkelheit. — Wir verbessern jetzt das Auge, indem wir jedes licht- empfindliche Element der dem Lichte zugekehrten Fläche nach in vier Theile theilen. Jedes Viertel habe dieselben Eigenschaften, wie vorher das Ganze. Jetzt wird also das Bild des Papiers mit den Fliegen vier Seh- elemente decken. Diese vier Elemente werden aber nur in einem einzigen Fall die gleiche Empfindung vermitteln, nämlich wenn auf jedes Element eine Fliege kommt. Es giebt aber für die vier Fliegen mehr Möglichkeiten der Gruppirung als Tage im Monat. Dabei sind die Fälle, wo eine Fliege sich über zwei Elemente erstreckt, gar nicht berücksichtigt! Wenn sich die Fliegen bewegen, so würden die vier Sehelemente also häufig einen Wechsel in der Belichtung erfahren, und bei jedem Wechsel (oder vielleicht vorsichtiger: bei jeder Helligkeitszunahme) würden sie sehen. Aber wir sind noch nicht zufrieden: Die Bewegungen der Fliegen werden geringer, sie bleiben innerhalb der Grenzen des Sehelements, auf dem sie sich gerade befinden. Das Auge ist also wieder blind. Könnten wir nun nicht einfach die Theilung der Sehelemente, die sich so gut bewährt hat, weiter und weiter führen? Nein! Selbst angenommen der lichtempfindliche Endapparat liesse an und für sich noch eine erheb- liche Verkleinerung zu: die Grenze würde weit eher erreicht sein, weil die - Zahl der Ganglienzellen in’s Ungeheure wachsen müsste — und sie würden bei gleicher Leistung wohl nicht kleiner werden können. Wir wären also mit unserer Verbesserung am Ende — oder haben wir die Aufgabe nicht richtig erfasst? Was wir wollen, ist Sehen. Sehen bedeutet für das einzelne licht- empfindliche Element: häufige Helligkeitswechsel erleben. Ohne Hellig- keitswechsel ist es ruheblind.. Dafür, dass das einzelne Element diesen Wechsel häufig erfährt, ist es vollkommen gleichgültig, ob und wie viele Elemente ausser ihm vorhanden sind! Aber wie gross das Element selbst ist, darauf kommt es an! Nehmen wir für zwei Sehelemente zwei gleich grosse Gebiete an; in jedem von beiden bewege sich, ohne die Grenzen zu verlassen, das Bild einer Fliege. Das eine Gebiet sei über die ganze Fläche lichtempfindlich, das andere nur an einer kleinen Stelle der Mitte. Dies zweite Element wird jedes Mal sehen, wenn das Bild der Fliege über Das WESEN DES REIZES. 327 die lichtempfindliche Mitte wandert, das erste wird gar nicht sehen. Also ist bei gleicher Zahl und Gruppirung der Sehelemente die Netzhaut sicherer vor Blindheit geschützt, in der die Liehtempfindung eines jeden Elements nur an einen (mittleren) Theil der Fläche gebunden ist. Gar zu klein im Verhältniss zu der unempfindlichen Fläche dürfen wir uns wohl die empfindliche Stelle nicht denken, es könnte ja sonst vielleicht einmal das Bild der Fliege auf den unempfindlichen Zwischen- räumen über mehrere Territorien unbemerkt hinweg wandern. Ich will doch schon hier die Frage aufwerfen, ob diese Einrichtung der auf die Mitten beschränkten Lichtempfindlichkeit auch einen Sinn hätte, wenn constante Belichtung einen Reiz darstellte, wenn wir also so zu sagen mit einem inneren Auge nach Belieben das Netzhautbild — auch das ruhende — betrachten könnten. Wir kommen gleich nachher darauf zurück. Zunächst aber stehen wir vor der Aufgabe, eine Einrichtung wie die geschilderte anatomisch und physiologisch nachzuweisen. Die anatomische Grundlage bilden die Aussenglieder der Stäbchen und Zapfen; den physiologischen Nachweis hat Hensen! schon vor so langer Zeit geführt, dass er, wie es scheint, vergessen und todtgeschwiegen ist. Im Jahre 1865 hatte Volkmann’? gezeigt, dass die feinsten noch wahrnehmbaren Distanzen Bilder auf der Netzhaut geben müssen, die kleiner sind als der Durchmesser eines Zapfens. Da es nicht denkbar ist, dass ein Nervenende, als welches die Zapfen der Fovea aufgefasst werden, gleich- zeitig zweierlei Empfindungen vermittelt, so schien die Auffassung der Zapfen als einfache Elemente der Netzhaut nicht haltbar. Auch Aubert, Helmholtz u. A. gaben zu, dass die Sehschärfe durch die Grösse der Zapfen auffallend früh absolut beschränkt sein würde. Aus seinen Untersuchungen über das Auge des Tintenfisches und anderer wirbellosen Weichthiere wusste Hensen’, dass bei diesen die zelligen Elemente der Retina durch eine dieke Pigmentschicht vom Lichte getrennt sind, also direct nichts mit der Erregung durch das Licht zu thun haben können. Die einzig vom Lichte getroffenen „Stäbchen“ jener ! Hensen, Ueber eine Einrichtung der Fovea centralis retinae, welche bewirkt, dass feinere Distanzen als solche, die dem Durchmesser eines Zapfens entsprechen, noch unterschieden werden können. Virchow’s Archiv. 1865. Bd. XXXIV. S. 401. — Ueber das Sehen in der Fovea centralis. Zbenda. 1867. Bd. XXXIX. S. 475. ?2 Volkmann, Zur Entscheidung der Frage: ob die Zapfen der Netzhaut als Raumelemente beim Sehen fungiren. Du Bois und Reichert’s Archiv. 1865. Heft III. ® Hensen, Ueber das Auge der Cephalopoden. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1865. Bd. XV. 328 Fr. Kein: Thiere hatte er als Cuticularbildungen (Zellausscheidungen) erkannt. Indem er diese nicht mit den ganzen Zapfen der Wirbelthiere, sondern nur mit deren Aussengliedern in Parallele setzte, stellte Hensen die Hypothese auf, dass nur die Aussenglieder (,„Zapfenstäbchen“) und nicht die Innenglieder („Zapfenkörper“) durch Licht direct erregt werden. Das Nothwendigste aus seiner Beweisführung deute ich an: Ueber vier benachbarte, in schwachem Bogen verlaufende Retinaelemente a,b, c, d kann man zwei feine parallele Linien so gezogen denken, dass die eine nur das Aussenglied von d, die andere nur die Aussenglieder von a und d trifft. Wird alles Licht empfunden, das die Innenglieder trifft, so geben beide Linien eine und dieselbe Empfindung a, b, c, d, die Linien werden also nicht getrennt gesehen; kommt für die Empfindung nur das Licht in Betracht, das die Aussenglieder trifft, so giebt die eine Linie die Em- pfindung 5, die andere die Empfindung a, d; sie können also getrennt ge- sehen werden. Ihr Abstand kann dabei geringer sein, als der Durchmesser eines Elements. Wir können also die vorhin aufgeworfene Frage bejahen: Hensen hat in der That einen Nutzen der beschränkten vom Quer- schnitt der Aussenglieder abhängigen Lichtempfindlichkeit nachgewiesen, der auch dann bestehen bleiben würde, wenn, meiner Behauptung entgegen, constante Belichtung einen dauernden Reiz darstellte. Es darf nicht ver- schwiegen werden, dass dadurch die Beweiskraft der Einrichtung für meinen Leitsatz herabgedrückt wird. — Im Uebrigen ist es nichts Un- gewöhnliches, dass eine und dieselbe Einrichtung zwei verschiedenen Zwecken dient. Ein weiterer Beweis knüpft an die Erfahrung der Astronomen an, dass ein fixirter Stern, sofern er klein genug ist, häufig verschwindet und wieder auftaucht; Hensen deutet das so, dass das Bild des Sterns jedes Mal, wenn es verschwindet, zwischen zwei Aussenglieder fällt. Er giebt dem Versuch eine zu Messungen brauchbare Form, indem er ein weisses Blatt mit schwarzen Punkten durch eine starke Convexlinse beinah bis zur Grenze der Sichtbarkeit der schwarzen Punkte verkleinert. Fixirt man das (zwischen Auge und Linse liegende) Bild, so bekommt es bei richtiger Verkleinerung Leben: In jedem Moment verschwinden Punkte und tauchen auf „wie Kriekenten“ Hensen bezeichnet die Erscheinung als „Punkttauchen“.! ! Hensen, Ueber das Sehen in der Fovea centralis, A. a. ©. 8. 477. „— — die einzelnen Punkte verschwinden, tauchen gleichsam unter und erscheinen von Neuem in höchst wechselnder Weise. Die einen gehen, während andere hervortreten, und bei günstigster Einstellung sind wohl !/, so viele fort wie vorhanden. Den günstigsten Grad der Bewegung der Punkte kann ich nur mit dem Bilde vergleichen, welches ein Mückenschwarm, wenn wir mitten darin stehen, uns darbietet, wo die einzelnen Thierchen Das WESEN DES REIzes. 329 Wer sie einmal gesehen hat, wird sie wohl kaum damit abthun wollen, dass ja die Innenglieder rundlich seien und nicht überall fest an einander liegen, dass also so zu sagen in Folge mangelhafter Bauart theilweise Blind- heit der Netzhaut bestehe. Heute wird vielleicht Mancher daran Anstoss nehmen, dass Hensen die Aussenglieder als die allein lichtempfindlichen Theile bezeichnet, während ihr geschichteter Bau und ihr Lichtbrechungsvermögen sie als lichtreflectirende Apparate kenntlich mache.)! Aber selbst wenn die Aussenglieder für Licht ganz unempfindlich sind und nur als Reflectoren wirken, so macht das für das Sehen gar keinen Unterschied. Denn wenn wirksame Reflectoren angebracht sind von ganz bestimmter beschränkter Grösse, so kann das für den Unbefangenen gar nicht anders gedeutet werden, als dass auch nur die beschränkte auf die Aussenglieder fallende Lichtmenge für das Sehen in Betracht kommt, wobei es als eine nebensächliche Frage bezeichnet werden muss, wo die Em- pfindung stattfindet. Das unterbroochene Nachbild. Ich könnte vielleicht auf weitere Beweise für die geschilderte Function der Aussenglieder verzichten. Ich will aber doch noch eine Beobachtung mittheilen, theils weil sie den ersten Anstoss zu dieser Arbeit gegeben hat, und theils weil sie sich vielleicht zur Messung sonst schwer zugänglicher Grössen verwerthen lässt. Bei einer Abendfahrt auf dem Kieler Hafen vor drei oder vier Jahren sah ich zufällig, dass eins der vielen Lichter — eine etwa anderthalb Kilo- bald plötzlich in’s Gesichtsfeld treten, bald ebenso plötzlich wieder verschwinden.“ — Die ausgeführten Messungen und Berechnungen (im Original nachzusehen) ergaben, dass bei fortschreitender Verkleinerung der Punkte das Tauchen schon dann beginnt, wenn ihre Bilder noch etwas zu gross sind, um vollständig zwischen den Aussengliedern der Macula lutea Platz zu finden. Nach Hensen’s Auffassung taucht ein Punkt bereits, wenn sein Bild so zwischen drei Aussenglieder fällt, dass es jedes derselben nur zu einem kleinen Theile deckt und seine Gesammtbelichtung gegenüber der hellen Nachbarschaft nur unmerklich herabmindert. " Wundt, Physiol. Psychologie. 5. Aufl, Bd. I. 8. 431f. „— — die Aussen- glieder —, die direct vermuthlich gar nichts mit der photochemischen Erregung der Empfindung zu thun haben — —.“ „Die stark lichtbrechende Beschaffenheit der Aussenglieder lässt — in denselben katoptrische Hülfsapparate vermuthen, — —“ „In dieser katoptrischen Wirkung sind aber die Aussenglieder der Stäbehen denen der Zapfen offenbar weit überlegen — —“ u.s.w. In dieser Darstellung ist für den Ritter’schen Centralfaden kein Platz mehr. Man vergleiche aber auch hierüber die Abhandlung von Hensen ‚Ueber das Sehen in der Fovea“. S. 484f., und die dort ab- gebildeten Zupfpräparate, sowie Hensen, Bemerkungen zu W. Krause, Die Membrana fenestrata der Retina. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1868. Bd. II. S. 347. 330 FR. KLem: meter entfernte Bogenlampe in der Swentinemündung — bei schnellen Augenbewegungen keine zusammenhängende, sondern eine in regelmässigen Abständen unterbrochene Linie als positives Nachbild gab. Für den Orts- kundigen liegt es nah, an kurze Verdunkelungen durch die nicht sichtbare Takelage von Frachtschiffen zu denken, und ich fand später, dass immer, wenn die Erscheinung besonders deutlich auftrat, zwischen mir und dem beobachteten Licht ein blätterloser Knick oder sonst ein Hinderniss war. Dennoch verliess mich von Anfang an der Gedanke nicht, dass die Unter- brechungen auch retinalen Ursprungs sein könnten. Die Vermuthung wurde nach und nach durch viele und mehrfach ab- geänderte Versuche zur Gewissheit. Ich beschreibe nur die zuletzt gefundene bequemste Methode, das „unterbrochene Nachbild“ zu erzeugen: Man stelle ein Fernrohr auf einen hellen Fixstern ein und führe das Objectivende im Kreise herum, so dass der Stern im Gesichtsfelde einen leuchtenden Kreis beschreibt. Besser, der leuchtende Kreis ist nicht ganz voll, als dass man zu schnell dreht; denn dann kommen zwei Leuchtkreise zur theilweisen Deckung. An dem leuchtenden Kreise lassen sich sehr kurze, aber vollkommen deutliche Lücken erkennen. Eine Reihe von Gedankenstrichen, die sehr nah an einander gesetzt sind, giebt eine ungefähre Vorstellung davon.! Zu einer Zeit, als die Beobachtung noch unsicherer war, habe ich mich gefragt, warum nicht jede Linie, wenn sie dünn genug ist, unterbrochen gesehen wird. Eine Linie wird in ihrer ganzen Länge gleichzeitig gesehen; ein be- wegter Punkt erscheint zwar auch als Linie, aber in Wirklichkeit werden die einzelnen Punkte nacheinander gesehen. Ich habe einen schlangenförmigen Ausschnitt in schwarzem Papier auf zwei Arten beleuchtet. Erstens so, dass alle Punkte gleichzeitig hell waren, zweitens so, dass vermittelst eines rotirenden Spaltes die Punkte schnell nacheinander hell wurden. Man hat beide Male das leuchtende: Bild einer Schlange (nur dass sie sich im zweiten Fall bewegt, wenn das Auge sich bewegt!). Bringt man nun ein Fixationszeichen so an, dass der blinde Fleck etwa in die Mitte der Schlange fällt, so wird er in dem Falle, dass die ganze Schlange gleichzeitig leuchtet, mehr oder minder gut ausge- füllt, im anderen Falle, wo — für gewöhnlich unbemerkt — die Punkte ! Bewegt man das Fernrohr mechanisch so, dass seine Axe einen Kegelmantel beschreibt, so lässt sich der Durchmesser des unterbrochenen Leuchtkreises auf der Retina bestimmen und die Zahl der gesehenen Unterbrechungen lässt sich leidlich gut schätzen. Die Ergebnisse theile ich noch nicht mit, da die verwendete Bewegungs- vorriehtung zu primitiv ist. Das WESEN DES REHIzEs. 331 nacheinander beleuchtet werden, wird der blinde Fleck nicht ausgefüllt, man sieht zwei kurze Schlangen, durch einen dunkeln Zwischenraum unterbrochen. Wenn wir diese so zu sagen an groben Objecten gesammelten Er- fahrungen als allgemein gültig betrachten dürfen, so besteht derselbe Unter- schied zwischen „Nebeneinander“ und „Nacheinander“ für die ganze Retina, d. h. beim Nacheinander werden die blinden Lücken nicht ergänzt. (Das stützt einigermaassen die Richtigkeit der Beobachtung des „unterbrochenen Nachbildes“.) Warum aber ergänzen wir nur beim Nebeneinander, beim Nachein- ander dagegen nicht? Denken wir uns (um mit dem Nacheinander zu beginnen) die Wan- derung des Lichtpunktes über die Netzhaut ganz langsam. Dann tritt erst in einem, dann im nächsten, dann im dritten Sehelement Lichtempfindung auf, und so weiter, sagen wir bis zum neunten. Im zehnten tritt keine Lichtempfindung auf. Wir ergänzen auch nicht. Die Empfindung pflanzt sich nicht fort wie eine rollende Kugel, die ihre Richtung behält. (Ein zackiger Blitz müsste sonst Auswüchse zeigen!). — Dann tritt im elften Element wieder eine Lichtempfindung auf, und damit ist eine neue Reihe eröffnet. Damit wir die Empfindung einer Lücke haben, muss ein Aussenglied dunkel bleiben. Wenn ich jetzt weiter frage, warum wir beim Nebeneinander ergänzen, so müsste vorher erwiesen sein, dass wir es unter allen Umständen thun. Sobald nämlich die Betrachtung einer in ihrer ganzen Länge gleichzeitig sichtbaren feinen Linie lange dauert, etwa eine Secunde oder mehr, so werden die Zwangsbewegungen des Auges das Bild der Linie an immer andere Netzhautstellen bringen, so dass, wo eben noch eine Lücke war, nun keine mehr ist und umgekehrt.! Man müsste die Linie etwa mit einem elektrischen Funken beleuchten, um zu entscheiden, ob sie continuirlich oder unterbrochen gesehen wird. Ich habe den Versuch noch nicht angestellt. V. Chemische Vorgänge in der Netzhaut. Ich werde jetzt zeigen, dass meine Auffassung, dass nur eine Schwan- kung, vielleicht nur eine positive Schwankung der Lichtintensität reizt, “ vgl. Hensen, Ueber eine Einrichtung der Fovea.. Virchow’s Arch. Bd. XXXIV. S. 404. „Die kleinste Augenbewegung liefert uns den Beweis, dass etwaige Lücken nur scheinbar sind.“ 332 Fr. KLem: mit dem, was wir über die chemischen Vorgänge in der Netzhaut wissen, nicht in Widerspruch steht. Wir sind bezüglich dieser Vorgänge haupt- sächlich auf Vermuthungen angewiesen. Es schadet nichts, solche Vermuthungen in präciser Form auszu- sprechen; nur müssen sie einfach, wahrscheinlich und mit den Erfahrungs- thatsachen im Einklang sein. Nehmen wir also an, die Reizung des Sinnesepithels erfolge durch eine „Snäure“!, die aus einem lichtempfindlichen Körper durch das Licht abgespalten wird, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Zersetzung, also die Menge der in der Zeiteinheit gebildeten (hypothetischen) „Säure“ so- wohl mit der Lichtstärke, als auch mit der Concentration des licht- empfindlichen Körpers zunimmt. Die „Säure“ wird durch den Säftestrom andauernd fortgeschwemmt; je mehr „Säure“ gehildet wird, desto mehr wird fortgeschwemmt. Aber die Bildung der „Säure“ — bei plötzlicher Belichtung — kann plötzlich erfolgen, die Wegspülung — so denke ich mir — im Ver- gleich zur Bildung nur allmählich, vielleicht selbst dann nur allmählich, wenn etwa durch Erweiterung der Capillaren eine beschleunigte Strömung herbeigeführt werden sollte. Also kurz noch einmal: Die Menge der „Säure“ kann plötzlich zu- nehmen, aber nur allmählich abnehmen. Wir haben bis jetzt eine „Säure“ angenommen und einen lichtempfind- lichen Körper, aus dem sie durch Lichtwirkung entsteht. Woher kommt dieser Körper? Da er verbraucht wird, muss er ersetzt werden. Dieser Ersatz kann nur durch die Blutbahn erfolgen; wir wollen uns — als das wahrscheinlichere — vorstellen, dass nicht der lichtempfindliche Körper selbst, sondern nur das Rohmaterial oder eine unempfindliche Vorstufe oder Muttersubstanz zugeführt wird. Wenn ich nun weiter annehme, dass die Umwandlung dieser Muttersubstanz in den lichtempfindlichen Körper unter dem Einfluss eines Enzyms vor sich geht, so heisst das eigentlich nur: Die Retina macht von einer sehr allgemeinen Regel keine Ausnahme. Ob wir nun diese oder eine andere Annahme machen, jedenfalls müssen wir den Process, wie alle anderen, als umkehrbar betrachten: Wird sind gezwungen anzunehmen, dass unter günstigen Umständen (in unserem Falle im Dunkeln) die Bildung und Anhäufung des licht- empfindlichen Körpers nicht in’s Ungemessene weiter geht, sondern nur bis zu einer bestimmten Concentrationsgrenze. Käme auf irgend eine Weise im Dunkeln eine höhere Concentration zu Stande, so muss das ' Ob Säure oder nicht, thut nichts zur Sache. Das WESEN DES REIZES. 333 Enzym umgekehrt arbeiten: Es stellt aus dem lichtempfindlichen Körper seine Muttersubstanz her, und zwar so lange, bis wiederum dieselbe Con- centrationsgrenze erreicht ist. Im Gegensatz zu der Anhäufung im Dunkeln muss bei dauernder Belichtung die Menge des lichtempfindlichen Körpers so lange abnehmen, bis sich Bildung und Zersetzung das Gleichgewicht halten. Das Gleich- gewicht muss für jede Lichtstärke ein anderes sein. Mit abnehmender Concentration des lichtempfindlichen Körpers wird die zersetzende Wirkung des gleichen Zuwachses der Lichtstärke immer geringer, so dass sich die Concentration mit steigender Lichtmenge asympto- tisch der Nulllinie nähert. Wir haben also (indem wir unsere Betrachtung auf eine Grundfarbe beschränkten) vier Körper angenommen: Aus einer Muttersubstanz spaltet ein Enzym einen lichtempfindlichen Körper ab, aus dem durch Licht eine „Säure“ entsteht. Nur diese „Säure“ reizt das Sinnesepithel. Und zwar reizt die „Säure“ — dem aufgestellten Leitsatz entsprechend — ausschliesslich durch plötzliche Concentrationsänderungen. Wir machen nun die Probe auf das Exempel. Auf der einen Seite können wir voraussagen, ob (die Richtigkeit der vorangeschiekten Auseinandersetzungen angenommen) unter bestimmten Bedingungen ein starker oder schwacher oder gar kein Reiz stattfinden muss. Auf der anderen Seite kennen wir unsere subjectiven Empfindungen. Reizstärke und Empfindungsstärke sollen sich, wenn auch nicht decken, so doch entsprechen.! Ich sagte soeben: Nur plötzliche Concentrationsänderungen der „Säure“ reizen. Eine plötzliche Aenderung ist aber stets nur eine Zu- nahme der Concentration (die Abnahme erfolgt durch Fortschwemmung mehr allmählich), also auch eine Zunahme der Helligkeit. Im Einklang damit steht es, dass ein bei Ruheblindheit nicht gesehener Stern beim Verdecken nicht aufleuchtet, und dass eine blaue Fläche, die bei Ruheblindheit fast schwarz erscheint, bei plötzlicher Iriserweiterung blau aufblitzt, nicht aber bei Verengerung. Wir untersuchen weiter das Verhalten nach vorausgegangener längerer Dunkelheit. Schwaches Licht findet dann den zersetzbaren Körper in grösster Concentration vor und bildet deshalb eine grössere Menge „Säure‘‘; die Reizschwelle ist also — in Uebereinstimmung mit der Erfahrung — herab- gesetzt, das Auge ist „dunkel adaptirt“. Treten wir aus dem Dunkeln in’s Helle, so wird Anfangs eine sehr ! Man vergleiche weiter unten das Weber’sche Gesetz, 334 FR. KLEM: grosse Menge „Säure“ gebildet — so lange der Vorrath an zersetzlicher Substanz reicht — der Reiz ist übermaximal, wir sind geblendet. ! In Kurzem ist Gleichgewicht eingetreten und wir sind hell adaptirt.? Dem jetzt zu besprechenden Fall schicke ich die Stichworte „Licht- stärke“ — „Reizstärke“ — „Empfindungsstärke“ — „Erschöpfung“ und „Anreicherung“ — „Ermüdung“ und „Erholung“ voraus. Lichtstärke und Reizstärke sind zwei grundverschiedene Dinge: In den Grenzen des Normalen bedeutet constante Lichtstärke, einerlei wie gross, überhaupt keinen Reiz. Eine und dieselbe Schwankung der Lichtstärke kann einen stärkeren oder schwächeren Reiz geben, je nach dem Vorrath, oder genauer: je nach der Concentration der lichtempfindlichen Substanz. Ist die Concentration gross, so wird viel „Säure“ gebildet, d. h. der Reiz ist stark; ist die Concentration gering, ist auch der Reiz nur schwach. Ebenso wie zwischen Lichtstärke und Reizstärke, so besteht auch zwischen Reizstärke und Empfindungsstärke ein Unterschied: Bei regelmässiger Wiederholung ein und desselben Reizes nimmt die Stärke der Empfindung zweifellos ab [wenn es auch nicht leicht zu be- weisen ist], es tritt Ermüdung ein. Wenn also eine bestimmte positive Schwankung der Lichtintensität eine Empfindung von gewisser Stärke zur Folge hat, so kann das ganz verschieden zusammenhängen: Es kann ein starker Reiz (starke Concentration der lichtempfindlichen Substanz — viel „Säure“) auf eine ermüdete Netz- hautstelle treffen, oder auch ein schwacher Reiz (schwache Concentration u. s. w.) auf eine ausgeruhte Netzhaut. Ich möchte hier zwischen „Erschöpfung“ und „Ermüdung“ unter- scheiden, indem ich eine Netzhaut als erschöpft bezeichne, die wenig licht- zersetzliche Substanz enthält; sie braucht darum nicht ermüdet zu sein. Ich meine, dass eine Ermüdung in diesem Sinne (die ich mir nur vorstellen kann im Zusammenhang mit dem eigenen Stoffwechsel der Sinnes- zellen?) überhaupt nicht so leicht eintritt. Man kann — immer unter der Annahme, dass constante Belichtung nicht reizt — die Bedingungen so wählen, dass die Netzhaut „erschöpft“ wird, ohne dass sie (erheblich) ermüdet werden könnte: Hält man ein Auge geschlossen und blickt mit dem anderen vielleicht ! Hier würden die Verhältnisse noch am günstigsten für ein schnelles Weg- schwemmen, also für einen Reiz der Verdunkelung liegen. ®? Ob dabei noch andere Einrichtungen, etwa das Pigmentepithel, betheiligt sind, wird durch die Ausführungen nicht berührt. 3 Vgl. S. 340 Anmerkung. DAs WEsEN DES REIzEs. 335 eine oder zwei Minuten lang auf eine reizlose z. B. leuchtend rothe Fläche, so sieht man diese mit kurzen Unterbrechungen fast schwarz. Das bedeutet also: Das offene Auge ist dauernd belichtet, wird also „erschöpft“; aber es wird, während es fast schwarz sieht, beinahe nicht gereizt (das „beinahe“ kommt auf Rechnung des Capillarkreislaufs) also auch nicht „ermüdet“. Das geschlossene Auge ist ebenfalls nicht ermüdet, aber auch nicht erschöpft. Wenn man also nach Beendigung des Versuchs die beiden Augen von Zeit zu Zeit vergleicht, so findet man Anfangs einen sehr grossen, aber auch nach mehreren Minuten noch einen merklichen Unterschied. Das „erschöpfte“ Auge sieht das Roth weniger farbig — der Reiz fällt schwächer aus, weil weniger zersetzbare Substanz vorhanden ist. Von „Er- müdung“ des Sinnesepithels kann dabei nicht gut die Rede sein,! denn ein Vielfaches der gewählten Lichtstärke wird beim gewöhnlichen Sehen Stunden lang ertragen. Ich beschreibe noch einen ‚Versuch: Auf einer lebhaft blauen Fläche (Seidenpapier auf weisser Unterlage) liegt ein Stückchenweisses Papier, das ich fixire. Nach längerem Änstarren wird die blaue Fläche vollkommen farblos, ganz dunkelgrau. Dann tritt in Intervallen von einigen Secunden — ohne Lidschlag bei sehr ruhig gehaltenem Auge — eine Erscheinung auf, die man am einfachsten als „blaue Pulsation“ bezeichnen kann: Die Farbe ist im Moment der (unwillkürlichen oder willkürlichen) Pupillen- erweiterung über die ganze Fläche gleichmässig intensiv für einen Augen- blick da, um sofort wieder dem Grauschwarz Platz zu machen.” Der Gegensatz, den wir empfinden, ist nicht etwa „farbig und weniger farbig“, sondern „farbig und farblos“. Das kann aber durch eine Ermüdung des Sinnesepithels nicht erklärt werden. (Tetanische Netzhautreizung:) Folgen viele Helligkeitsschwankungen beliebiger, aber gleicher Grösse rhythmisch aufeinander, so wird bald ein Gleichgewichtszustand erreicht der Art, dass jede positive Schwankung die- selbe Menge durch Licht zersetzbarer Substanz vorfindet, wie die vorhergehende. Zwischen je zwei positiven Schwankungen nimmt die Concentration des gebildeten Reizmittels, der „Säure“, ab. Denken wir uns das Tempo immer mehr beschleunigt, so wird die mittlere Concentration der „Säure“ immer mehr zunehmen und der Concentrationsabfall zwischen zwei positiven Hellig- keitsschwankungen immer geringer werden. Bei hinreichend schnellem Tempo werden also die Concentrations- schwankungen der „Säure“ (des Reizmittels) unter die Reizschwelle sinken. ! Für das Auge im Ganzen:sind aber alle hier geschilderten Versuche (durch Unterdrückung der Lidbewegungen) sehr anstrengend. 27Das abweichende Verhalten des weissen Papierstückchens mit seiner Umgebung wird unter „Contrast“ besprochen. Vgl. auch die Anmerkung auf S. 323. 336 Fr. KLem: Wenn man also zum Beispiel eine Scheibe mit schwarz und weissen Sectoren langsam dreht, so übt sie auf die Netzhaut einen tetanischen Reiz aus, man kann bei ihrem Anblick nicht ruheblind werden; aber wohl, wenn man sie schnell dreht. VL Das Weber’sche Gesetz. Eine interessante Anwendung des Vorhergehenden ergiebt sich mit Rücksicht auf das Weber’sche Gesetz, das über die Beziehungen zwischen Reizstärke und Empfindung aussagt, dass der Zuwachs des Reizes, der eine eben merkliche Aenderung der Empfindung hervorbringen soll, zu der Reizgrösse, zu der er hinzukommt, immer im selben Verhältniss stehen muss.! Der Reiz für die Netzhautelemente ist nicht das Licht, sondern die (durch das Licht aus der lichtempfindlichen Substanz gebildete) „Säure“. Ein plötzlicher Helligkeitszuwachs von, sagen wir, einer Normalkerze findet aber, wenn constante schwache Belichtung vorausging, mehr zer- setzbare Substanz vor, die plötzliche „Säure‘“zunahme ist grösser, der Reiz ist also stärker, als wenn starke Belichtung vorausging; in diesem Falle ist wenig zersetzbare Substanz vorhanden, der plötzliche Helligkeitszuwachs um eine Normalkerze vermehrt die in der Zeiteinheit gebildete „Säure“ nur wenig, der Reiz ist schwach. Gab also im ersten Falle (bei vorausgegangener schwacher Belichtung) der Helligkeitszuwachs um eine Kerze eine plötzliche Zunahme der „Säure“- menge um das Gewicht (a), und gebe diese Menge einen eben merk- lichen Reiz, so muss im zweiten Fall (bei grösserer Helligkeit) der Helligkeitszuwachs mehr als eine Kerze betragen, um dieselbe „Säure“- zunahme (a) zu geben. Ueber diese aus den chemischen Annahmen gezogenen Folgerungen hinaus sagt nun das Weber’sche Gesetz, dass im zweiten Fall (bei grösserer Helligkeit) die „Säure“zunahme grösser als (a) sein muss, um einen eben. merklichen Reiz auszuüben. Der Helligkeitszuwachs muss also erst recht grösser sein. Ich habe auf den Unterschied zwischen Lichtstärke und Reizstärke aufmerksam gemacht. Verwechselt man diese beiden Dinge, wie es bis jetzt immer geschehen ist, so müssen sich vom Weber’schen Gesetz (wenn es über- haupt richtig ist) Abweichungen ergeben, und zwar müssen nach dem eben ' Wundt, Physiol. Psychologie. (5. Aufl.) Bd. I. S. 493, Das WESEN DES REIzEs. 337 Gesagten die objectiven Helligkeitsunterschiede (wenn sie eben merklich sein sollen) mit steigender Lichtmenge schneller wachsen, als das Weber’- sche Gesetz verlangt, oder mit anderen Worten: Die Unterschiedsempfind- lichkeit muss abnehmen. Das’ trifft nun in der That zu. Wundt! sagt, dass das Weber’sche Gesetz für den Gesichtssinn innerhalb eines etwas beschränkteren Reizgebietes hinreichend genau zu- trifft, aber von da aus nach oben und unten grössere Abweichungen erfährt. (Er vermuthet besondere physiologische Nebenbedingungen der Reizung, die den Einfluss des Weber’schen Gesetzes durchkreuzen.) Diese „unteren und oberen Abweichungen“ sind „stets von gleicher Art: sie bestehen nämlich darin, dass mit der Annäherung sowohl an die Reizschwelle wie an die Reizhöhe die Unterschiedsschwelle grösser, also die Unterschiedsempfindlichkeit kleiner wird, als sie nach dem Weber’- schen Gesetz sein sollte“. Soweit Wundt. — Auf der von mir entwickelten Grundlage, die zwischen Licht und Reiz unterscheidet, tritt das Weber’sche Gesetz für das Sehorgan jedenfalls klarer hervor als bisher; die „Abweichungen“ werden verständlich, sie sind (ganz oder zum Theil) nur scheinbare. vi. Contrasterscheinungen. Als „ÖOontactwirkungen der Netzhauterregung“. fasst man die Contrast- erscheinungen auf. Das heisst, weil man glaubt, die von einer bestimmten Netzhautstelle vermittelte Empfindung könne unter Umständen nicht aus- reichend erklärt werden durch Stärke und Art des Lichtes, das diese Netz- hautstelle selbst erhält, so greift man zu der Annahme, dass ein Gehirntheil gewissermaassen den ursprünglichen Eindruck fälsche, indem er ihn zu den Eindrücken der Umgebung in einen möglichst schroffen Gegensatz, was Farbe und Helligkeit betrifft, zu bringen sucht, und dass dadurch (so könnte man vielleicht hinzufügen) einer Art von seelischem Bedürfniss Genüge geschehe. Gegen einen solchen Gedankengang habe ich an und für sich nicht eben viel einzuwenden, aber er tritt doch erst in sein Recht, wenn näher- liegende einfache Erklärungen versagen. Nun lässt sich der Randcontrast in der That einfach erklären. ı Wundt, Physiol. Psychologie. 5. Aufl. Bd. I. S. 495. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. [80] [80) 338 FR. KLEM: Wir müssen uns nur der Eigenschaften des Sinnesepithels erinnern: Der Ermüdung und Erholung — der Reizbarkeit nur in Folge plötzlicher Aenderungen der Helligkeit — der Ruheblindheit bei constanter Be- lichtung — und besonders der zur Bekämpfung der Ruheblindheit dienenden Zwangsbewegungen, des „Augenwanderns“. Wir wollen einen weissen etwa 6" breiten Streifen auf einfarbigem, z. B. gelbrothem Grunde auf drei verschiedene Arten ansehen. Zuerst sehen wir ihn (ganz ohne Augenbewegungen) mit Hülfe eines Momentverschlusses für eine sehr kurze Zeit an: Der Streifen ist rein weiss, der farbige Grund ganz gleichmässig. Es fehlt jede Spur von Randcontrast; das Auge hat keine Zeit gehabt, sich zu bewegen; jedes Netzhautelement ist nur von einem einzigen Reiz getroffen worden. (Dasselbe lässt sich allenfalls auch durch einfaches Oefinen und Schliessen des Augen erreichen.) Zweitens (minimale Augenbewegungen) fixiren wir den Streifen längere Zeit, indem wir das Auge so ruhig wie irgend möglich halten: Während der rothgelbe Grund sich von Zeit zu Zeit verdunkelt (Iris!) und auch in der Zwischenzeit an Farbe verliert (Erschöpfung!), bleibt der weisse Streifen dauernd sichtbar und bleibt farblos. Aber an seinem Rande sieht man einen feinen brennend rothgelben Strich, und daneben im Weiss eine ebenso schmale blitzblaue Linie. Die Breite dieser Linien ist das Maass für das durch den Willen nicht zu unterdrückende Minimum der Augenbewegungen. Roth und Weiss sind „reizlose“ Flächen. Aber die Netzhautstellen, die in schnellem Wechsel rothes und weisses Licht erhalten, werden gereizt — und zwar sieht man das Rothgelb [wie jede andere Farbe] überhaupt nur an einer Grenze lebhaft farbig; werden wir für die ganze übrige Fläche ruheblind, so leuchtet doch der (fixirte) weisse Streifen mit seinem rothen Rand dauernd aus dem Dunkel.! Drittens (starke Augenbewegungen): Halte ich das für Rothgelb ermüdete und auf die Ferne eingestellte Auge absichtlich nicht ruhig, oder bewege gar den Streifen oberhalb der farbigen Fläche, so sehe ich ihn sehr lebhaft complementär gefärbt. Das heisst: Das Bild des weissen Streifens trifft auf immer andere Netzhaut- stellen, die aber sämmtlich für Rothgelb ermüdet sind. ! Wenn meine Vermuthung, dass nur eine positive Helligkeitsschwankung einen Reiz ergiebt, richtig ist, so würde man annehmen müssen, dass der weisse Streifen weniger Roth in mein Auge reflectirt, als der rothe Grund. Der Reiz muss dann noch grösser werden, wenn man statt des weissen einen schwarzen Streifen nimmt. Ich muss also am Rande des Schwarz das Roth noch lebhafter sehen, als am”Rande des Weiss. — Ich sehe am Rande des Schwarz ein sehr viel helleres Roth. DAs WESEN DES ReIzes. 339 Die vorstehenden Ausführungen lassen sich leicht auf andere Beispiele von Rand- oder Contactcontrast übertragen.! Den Florcontrast habe ich nicht untersucht. Die Schwankung der Lichtintensität von Schwarz zu Weiss ist grösser als von Grau zu Weiss. Also muss bei ganz ruhiger Betrachtung — wenn die Grösse der Lichtschwankung, die Stärke des Reizes (d.h. der Zuwachs des Reizmittels in der Zeit) und die Stärke der Empfindung mit einander steigen und fallen — das Weiss an der Grenze von Schwarz weisser aus- sehen, als neben Grau. Es ist die Folge der rastlosen kleinsten Augenbewegungen, des Augen- wanderns. Aus demselben Grunde müssen Blau und Gelb, wo sie an einander stossen, lebhafter farbig empiunden werden, als neben irgend einer anderen Farbe. Für grosse Flächen von Gelb oder Blau allein werden wir, abgesehen von der „Erschöpfung“ für die Farbe, soweit die Iris es nicht hindert, ruheblind. Objectiv giebt es also keine stärkeren Reize, als an der Grenze von Schwarz und Weiss und an der Grenze zweier Complementärfarben. Sub- jeetiv entsprechen diesen Reizen die stärksten Empfindungen. Ich wage mich noch einen Schritt weiter: Innerhalb der Grenzen des Normalen ist eine starke Empfindung gleichzeitig eine angenehme Em- pfindung. VII. Andere Sinnesorgane. Ausser beim Auge findet eine chemische Reizung bei den Organen des Geruches und Geschmackes statt. Beim Geruchsorgan liegt die Einrichtung vor, dass der Exspirations- strom die Riechfläche immer wieder abspült. In einem Raume, dessen Luft gleichmässig mit Riechstoffen beladen ist, riechen wir nicht mehr, sobald auch die Lungen mit dieser Luft gefüllt sind: Dass die Luft eines Wirthshauszimmers nach Tabak und Bier riecht, merken wir nur in den ersten Minuten.? Wenn ich den Mund mit recht süssem Zuckerwasser möglichst voll- ständig anfülle und keine Bewegung mache, so habe ich nach sehr kurzer Zeit keine Geschmacksempfindung mehr. 1 Man vergleiche Helmholtz, Physiol. Optik. 2. Aufl. Fig. 198, oder Wundt, Physiol. Psychologie. 5. Aufl. Fig. 206. ? Man vergleiche auch Zwaardemaker, Die Empfindung der Geruchlosigkeit. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. 8. 420 ff. DD 340 Fr. KLEm: Auch das Hautsinnesorgan giebt innerhalb der normalen Grenzen nur Empfindungen bei Schwankungen des Druckes und der Temperatur. Am klarsten scheinen die Verhältnisse beim Ohr zu liegen: Wir hören, wenn ich so sagen darf, nicht die absolute Grösse des Barometer- standes, sondern nur seine Schwankungen, wenn sie innerhalb bestimmter Grenzen der Geschwindigkeit erfolgen. Für die Weiterleitung des Reizes zum Gehirn lässt sich die Annahme wohl nicht entbehren, dass jeder einzelne Stoss einen chemischen Process auslöst. Diese Processe würden, was Geschwindigkeit des Verlaufs betrifft, den in der Retina ablaufenden bedeutend überlegen sein. Denn es wird verlangt, dass in einer Zelle in der Secunde bis zu 40000 nicht mit ein- ander verschmelzender Reactionen (durch ebenso viele Stösse) ausgelöst werden. Da jede Reaction erfahrungsmässig, um abzulaufen, Zeit braucht, so muss irgendwo, vielleicht noch unter 100000, die Grenze sein, jenseits deren die einzelnen Reactionen völlig verschmelzen. Da die Schwingungen des Lichtes viele tausend Millionen Mal schneller sind, so bewirkt es (im Einklang mit allen Annahmen) vollkommen con- tinuirliche Zersetzung. Desshalb ist gleichbleibendes Licht an sich kein Reiz, wohl aber ein gleichbleibender Ton. Daraus würden sich dann die grossen principiellen Verschiedenheiten im Bau von Auge und Ohr als unvermeidlich ergeben. Ich will noch die Frage streifen, wie sich das Ohr gegenüber einem Ton von gleichbleibender Höhe und Stärke verhält. Da ein und derselbe Ton immer denselben Apparat erregt, so muss dieser ermüden und er- schöpft werden. Entweder hören wir also den Ton (bis zu einer gewissen Grenze) immer leiser, oder das Ohr besitzt Einrichtungen, die (der Iris ent- sprechend) bewirken, dass ein und dieselbe Tonstärke den Nervenendapparat mehr oder minder stark in Mitschwingungen versetzen kann. Solche Einrichtungen liegen bekanntlich in den Muskeln vor, welche die Spannung des Trommelfells und der Membran des ovalen Fensters varliren. Inhaltsübersicht. Ich behaupte: dass es eine fundamentale Eigenschaft des Protoplasmas ist, nur durch Aenderungen der normalen äusseren Bedingungen gereizt zu werden (Leitsatz der vorliegenden Arbeit); ! Unter „Ermüdung“ verstehe ich eine Abnutzung der geformten Zellenbestand- theile, unter „Erschöpfung“ einen Verbrauch des (von den geformten Bestandtheilen aufgenommenen und verarbeiteten) structurlosen, zur Zersetzung bostimmten Materials. Beim Ohr werden stets Ermüdung und Erschöpfung gleichzeitig stattfinden, beim Auge kann (bei Ruheblindheit) Erschöpfung ohne Ermüdung eintreten. Vgl. auch S. 334. Das WESEN DES REIzes. 341 dass diese Eigenschaft also auch dem Nervenendapparat der Retina zukommen muss, und dass sie für das Sehen unzweckmässig ist, insofern als me dieser Eigenschaft Bedingungen möglich sind, unter denen wir blind sind. Ich habe gezeigt: dass es zwei verschiedene Mittel giebt, diese Blindheit („Ruheblindheit“) binnen etwa einer Secunde herzustellen bei offenen Augen und bei normaler Helligkeit. Beide ruheblind machenden Mittel wirken dadurch, dass das einzelne Netzhautelement constante Belichtung erfährt. Das erste Mittel ist möglichste Unterdrückung jeder Augenbewegung; das zweite ist Belichtung des Auges durch eine gleichmässige (,reiz- lose“) Fläche. — Ich habe weiter gezeigt, dass das Auge Einrichtungen besitzt, welche der „Ruheblindheit‘“ mehr oder minder wirksam entgegenarbeiten: Die wirksamste Einrichtung für den gewöhnlichen Fall, dass das Object Helligkeitsunterschiede aufweist, ist das „Augenwandern“: die ein wirkliches Fixiren ausschliessende, dauernde Bewegung der Augen durch die äusseren Augenmuskeln; sie kann durch Willensimpulse zwar beschränkt werden, so dass in der Peripherie Kuheblindheit eintritt, aber sie kann nicht ganz unterdrückt werden, so dass die feiner ge- baute Fovea dauernd sieht. (Diese Bewegung muss von einem Öentrum regulirt werden, das viel- leicht arbeitet, solange Licht in’s Auge fällt.) Für den selteneren Fall, dass das Object keine Helligkeitsunterschiede aufweist (einfarbiges Papier), arbeitet der Apparat der äusseren Augen- muskeln erfolglos. Dann sorgen Bewegungen der Lider, der Iris und des Blutes für Be- leuchtungsänderungen. —! ; Ein nicht vorausgesehenes Ergebniss ist, dass (wahrscheinlich) nur eine Helligkeitszunahme einen Reiz setzt, nicht aber eine Abnahme. — Bei gegebener Zahl der lichtempfindlichen Elemente in der Fläche muss ein Wechsel der Belichtung für das einzelne Element um so leichter eintreten, je kleiner es ist. Also ist das Auge besser gegen Ruheblindheit geschützt, wenn nur das die Aussenglieder treffiende Licht empfunden wird. Qi 1 Ich hoffe, bald über weitere Mittel zur Verhinderung der Ruheblindheit berichten zu können. 342 Fr. KLein: Das WESEN DES REIzEs. Es liegen Beweise vor, dass es wirklich so ist: Zu dem Schlusse, dass nur die Aussenglieder lichtempfindlich sind, ist Hensen (schon 1865) von ganz anderen Voraussetzungen aus ge- kommen; auch hat er durch das „Punkttauchen“ experimentell bewiesen, dass die Netzhaut blinde Lücken hat. Ein leuchtender Punkt, dessen Bild sich schnell über die Netzhaut bewegt, giebt als positives Nachbild eine unterbrochene Linie; daraus geht ebenfalls hervor, dass die Netzhaut blinde Lücken hat. Ich habe mir über die chemischen Vorgänge in der Netzhaut möglichst einfache und möglichst wahrscheinliche Vorstellungen zu bilden gesucht: Aus einem durch das Blut zugeführten Material entsteht in den Stäbchen und Zapfen ein lichtempfindlicher Körper bis zu einer oberen Concentrations- grenze. Je nach der vorhandenen Concentration und je nach der Licht- stärke entsteht daraus durch Lichtwirkung mehr oder weniger einer neuen Substanz, welche den Nervenendapparat reizen kann, aber, im Einklang mit dem Leitsatz, nur durch plötzliche Concentrationsänderungen. Die Bildung der Substanz ist plötzlich, die Fortspülung mehr allmählich. Mit dieser Auffassung steht im Einklang: dass nur Zunahme der Helligkeit einen Reiz setzt; das Verhalten des helladaptirten und das des dunkeladaptirten Auges; die Empfindungen bei mässig schnellem und bei sehr schnellem Wechsel von Hell und Dunkel. — Hält man, wie obige Auffassung verlangt, „Lichtstärke“ und „Reiz- stärke“ streng aus einander (bisher sind sie nicht aus einander gehalten worden!), so ergiebt sich, dass das Weber’sche Gesetz für das Auge weit genauer zutrifft, als man bisher annahm. Eine Untersuchung des Contactcontrastes hat ergeben, dass zu seiner Erklärung keine besonderen Hypothesen erforderlich sind. Auch die Beobachtungen an den übrigen Sinnesorganen stehen im Einklang mit dem Leitsatz. Ausserdem sind (im Text vertheilt) einige entoptische Beobachtungen zu verzeichnen: Das Pulsiren des blinden Flecks, das Aufblitzen der Anfangsstücke der Gefässstämme bei der Pulsation, das Pulsiren der grösseren Gefässe, das scharfe Bild des Capillarkreislaufes beim Ansehen einer reizlosen Fläche mit einem Auge bei enger Iris, und anderes. Ueber die Umwandlung des Trypsin-Zymogens in Trypsin. Von E. Hekma, Assistenten am Institute. (Aus dem physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen.) I. Einleitung. Seit den bahnbrechenden Untersuchungen R. Heidenhain’s! wissen wir, dass das eiweissverdauende Ferment der Pankreasdrüse, das Trypsin, nicht in wirksamer Form in dieser Drüse vorkommt, sondern im Zustande des unwirksamen Trypsinzymogens (Trypsinogen, Protrypsin). Das Trypsin muss also, soll es seine Function ausüben können, aus dem Zymogenzustand in das active Ferment übergeführt werden. Man glaubte bekanntlich früher (und mehrere Forscher sind auch jetzt noch dieser Meinung), dass dieser Process in vielen Fällen innerhalb der Pankreasdrüse zu Stande kommen könnte, unter dem Einflusse eines Stoffes, welcher von der Milz geliefert werden sollte (Theorie von Schiff-Herzen). Darnach sollte also das Trypsin als freies Ferment im Pankreassecret anwesend sein. Durch Untersuchungen der allerletzten Zeit ist es jedoch äusserst wahr- scheinlich geworden, dass der Pankreassaft, wenigstens unter den gewöhn- lichen physiologischen Verhältnissen, niemals freies Trypsin enthält, sondern immer bloss Trypsinogen, wenn nur Vorkehrungen getroffen werden, dass der aus einer Pankreasfistel fliessende Saft nicht mit der Darmwand in Berührung kommen kann. Die ersten diesbezüglichen Angaben stammen IR. Heidenhain, Pflüger’s Archiw. 1875. 8. 557, 344 E. Hr&kma: von Delezenne und Frouin!; sie wurden von Popielski? und von Bayliss and Starling? bestätigt, während Glaessner dieselben Ver- hältnisse auch für menschlichen Pankreassaft constatiren konnte.* Die Bildung des Trypsins aus Trypsinogen muss also, allem Anscheine nach, stets im Darme stattfinden. Das Interesse in Betreff der Factoren, welche die Trypsinogenumwandlung im Darmcanale zu Stande bringen können, kann nach den oben genannten Ergebnissen .nur grösser werden. Es dürfte jedoch, auch nach diesen Ergebnissen, die Frage, betreffend den von der Schiff-Herzen’schen Schule so nachdrücklich hervorgehobenen Einfluss der Milz auf die Trypsinogenumwandlung, nicht ohne Weiteres bei Seite gestellt werden. Wenn es auch nach den erwähnten Unter- suchungen von Delezenne und Frouin, Popielski, Bayliss and Star- ling und Glaessner äusserst unwahrscheinlich geworden sein mag, dass die Milz innerhalb der Pankreasdrüse einen Einfluss auf die Trypsinogen- umwandlung geltend machen wird, so bliebe doch die Möglichkeit zu be- rücksichtigen, dass sie ausserhalb dieser Drüse ihre Wirkung entfalten könnte, indem ein von der Milz in die Blutbahn gelieferter Stoff dem Darmsaft zugeführt werden könnte. — Es führten diese Erwägungen mich dazu, Versuche anzustellen, über den Einfluss von Milzextracten auf die Trypsinogenumwandlung. (Abschnitt IV.) In der Litteratur begegnet man vielfach der Meinung, den Säuren würde im Allgemeinen die Fähigkeit zukommen, die Trypsinbildung aus Trypsinogen ‘fördern bezw. zu Stande bringen zu können. Diese Auffassung fusst auf einer gelegentlichen Mittheilung R. Heidenhain’s?; nachher wurde sie in mehrere Hand- und Lehrbücher übernommen. Nach der Fest- stellung der Wichtigkeit des Darmsaftes in dieser Beziehung musste man also im Darme das Vorhandensein zweier Factoren annehmen, denen beiden das Vermögen zukäme Trypsin aus Trypsinogen zu bilden. Es schien daher wünschenswerth zu prüfen, welcher relative Werth jedem dieser,zwei Factoren zuzuschreiben wäre. Ich habe zu diesem Zwecke den Einfluss, welchen Säuren auf die Trypsinbildung aus Trypsinogen aus- zuüben im Stande sein würden, einer eingehenden Untersuchung unterworfen.® ! Delezenne et Frouin, C. R. de la Soc. de Biol. 1902. p. 691. ® L. Popielski, Centralblatt für Physiologie. 9. Mai 1903. 3 Bayliss and Starling, Journal of Physiology. 1903. Bd. XXX. p. 61. * Glaessner, Deutsche medicinische Wochenschrift. 1903. Nr. 15. 5A... ©. ° E. Hekma, Ueber den Einfluss von Säuren auf die Trypsinbefreiung aus Tryp- sinogen. Verslag van de koninklijke Academie van wetenschappen te Amsterdam. 1903. p. 3, (Holländisch und Englisch.) ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Trypsın. 345 Es hat sich dabei die Thatsache herausgestellt, dass die Säuren im Allgemeinen gar keine fördernde Wirkung auf die Trypsin- bildung ausüben. Im Gegentheil, schon in ziemlich schwachen Concentrationen zeigten sie eine hemmende Wirkung auf diesen Process. Dies war z.B. der Fall mit Salzsäure in der Concentration, wie sie im Magen- saft vorhanden ist. Es kamen zur Untersuchung: Salzsäure, Milchsäure, Essigsäure und Buttersäure. Es ist dadurch somit festgestellt worden, dass den Säuren an sich für die Trypsinbildung im Darmcanal kein fördernder Einfluss zukommen kann. Es ist klar, dass in Folge der Feststellung dieser Thatsache der Darm- saft noch an Bedeutung gewinnen musste. Bekanntlich enthält ja der Darmsaft einen Stoff, welchem die Eigenschaft zukommt, Trypsinogen schnell in Trypsin überführen zu können. Die Entdeckung dieser höchst wichtigen Thatsache verdanken wir dem Institute Pawlow’s; und zwar wurde von Schepowalnikow als Erster gefunden, dass der betreffende Stoff im Darmsaft des Hundes vorkommt. Pawlow gab diesem Stoff den Namen „Enterokinase‘“.! Später wurde im hiesigen physiologischen Institute gefunden, dass ein derartiger Stoff auch im Darmsaft des Menschen enthalten ist. Hier wurde dem Namen „Zymolysine“ der Vorzug gegeben. ? Es ist seitdem von mehreren Forschern und auch im hiesigen Labo- ratorium gefunden worden, dass derselbe Stoff, welcher im Darmsaft vor- liegt, auch in Extracten der Dünndarmwand vorhanden ist. Extracte von der Wand des Dünndarmes besitzen ebenso wie der Darmsaft das Vermögen, Trypsin aus Trypsinogen zu befreien. Es wurden nun, anschliessend an diesen Befund, zunächst Unter- suchungen angestellt über die Verbreitung des trypsinfrei- machenden Stoffes in der Wand verschiedener Regionen des Darmcanales. Sodann wurde geprüft, an welche Elemente der Darm- wand dieser Stoff gebunden ist, und weiter, ob auch in anderen Organen (Lymphdrüsen, Milz) ein trypsinbefreiender Stoff constatirt werden kann. Da endlich im Laufe dieser Unter- UN. P. Schepowalnikow, Doctordissertation. Petersburg 1899. — J.P.Paw- low, Das Experiment u.s.w. Wiesbaden 1900. — Walther, Arch. Ital. de: Biol. 1901. °H.J. Hamburger und E. Hekma, Verslag van de koninklijke Academie van wetenschappen te Amsterdam. 1902. p. 713 und Journal de Physiologie et de Patho- logie generale. 1902. p. 805. 346 E. Hekma: suchungen gefunden wurde, dass Bakterien oft störend ein- wirkten, wurde auch die Rolle, welche Bakterien auf den Process ausüben können, näher untersucht.! II. Ueber die Verbreitung des trypsinbefreienden Stoffes in der Wand der verschiedenen Regionen des Darmcanales. A. Untersuchungsmethode. Anfertigung der Extracte. Diejenigen Darmtheile, deren Wand untersucht werden sollte, wurden abgebunden und ausgeschnitten. Die Darmstücke wurden der Länge nach aufgeschnitten und deren innere Seite, zum Entfernen von Darminhalt, unter dem Strahl der Wasserleitung abgespült. Es wurden dann von den ver- schiedenen Darmstücken gleiche Portionen abgewogen, diese wurden zerhackt und alsdann im Mörser mit Hülfe von Glaspulver zu einem feinen Brei zer- rieben, während jetzt allmählich die Extrahirflüssigkeit in kleinen Portionen zugegossen wurde. Es wurden in der Mehrzahl der Fälle Extracte an- gefertigt, bei welchen auf jedes Gramm Darmwand 20 °"® der Extraetions- flüssigkeit genommen wurden; dann und wann kamen auch stärkere Ex- tracte (1:5; 1:10) zur Verwendung. Die Wahl der Extractionsflüssigkeit ist von grosser Bedeutung, eben weil die Darmwandstücke nicht steril sind und Bakterien unter Umständen störend einwirken können. Die zur Verwendung kommende Flüssigkeit soll das Vermögen besitzen, die Entwickelung von Bakterien zu verhindern, während sie die Wirkung der Zymolysine und des Trypsins nicht bedeutend herabsetzen darf. Der Gebrauch von Flüssigkeiten, welche der Entwickelung von Bakterien nicht oder nicht genügend entgegentreten, kann auf Irrwege führen, wie in Abschnitt V näher erörtert werden soll. Wir haben in dieser Beziehung mehrere Desinficientia geprüft. Als eine Flüssigkeit, welche den gestellten Anforderungen am besten entspricht, hat sich eine 2procentige Lösung von Fluornatrium erwiesen. Die Gemische von Darmwandbrei und Extractionsflüssigkeit wurden, nachdem sie 24 Stunden bei Zimmertemperatur verweilt hatten und dann und wann tüchtig umgeschüttelt worden waren, filtrirt. Mit diesen Filtraten wurden die Versuche angestellt. Es kamen für jeden Versuch frisch be- ! Als diese Arbeit, welche längere Zeit in Anspruch genommen hat, fast ab- geschlossen war, kam mir eine wichtige Arbeit von Bayliss und Starling in die Hände, in welcher zum Theil auch dasselbe Thema behandelt wurde. Die Resultate unserer Untersuchungen liefern auf vielen Punkten eine Bestätigung der Ergebnisse der Arbeit dieser Forscher. (Bayliss and Starling, Journ. of Physiology. 1903. Vol. XXX. p. 61. ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS IN Trypsın. 347 reitete Extracte zur Verwendung. Später hat sich herausgestellt, dass die wirksamen Filtrate (mittels NaFl bereitet) mehrere Tage aufgehoben werden konnten, ohne viel von ihrer Wirksamkeit einzubüssen. In der beschriebenen Weise wurden Extracte von der Wand des Duodenums, Jejunums und Ileums, sowie auch des Diekdarmes an- gefertigt. Gewöhnlich wurden diese Organtheile dem Schweine, einige Male auch der Katze entnommen. Die Wirksamkeit dieser Extracte wurde in der Weise untersucht, dass ihnen frischer Pankreaspresssaft (vom Schwein)! und ausserdem kleine Säulchen geronnenes Hühnereiweiss (Methode von Mett) zugeführt wurden, Die Probirgläser wurden in den Brütschrank gestellt bei 37 bis 33°C. Die nach einiger Zeit aufgetretene Eiweissverdauung lieferte den Maass- stab für die Trypsinbefreiung aus Trypsinogen, vorausgesetzt, dass Anfangs kein freies Ferment vorhanden war. Die Möglichkeit, dass freies Trypsin bei dem Anfang der Probe in den Mischungen sich befand, war jedes Mal zu berücksichtigen. Eventuell sich vorfindendes freies Trypsin könnte entweder vom Pankreaspresssafte oder von der Darmwand stammen. Ob erstens der Pankreassaft wirklich nur Trypsinogen enthielt und kein freies Trypsin, wurde in der Weise geprüft, dass nebst den genannten Mischungen auch eine Mischung von Pankreaspresssaft und 2procentiger Fluornatriumlösung bezw. 1.2procentiger Sodalösung in den Brütschrank gestellt wurde. Wurde in einer dieser Lösungen Eiweiss nicht verdaut, dann durfte daraus geschlossen werden, dass freies Trypsin im Pankreaspress- safte abwesend war. Bekanntlich hatte schon R. Heidenhain gefunden, dass eine 1-2 procentige Lösung von Na,Co, die Wirkung von freiem Trypsin nicht bedeutend stört, während auf der anderen Seite freies Trypsin in einer Mischung von trypsinogenhaltendem Pankreassaft und 1-2 procen- tiger Na,Co,-Lösung nicht gebildet wird. Dasselbe gilt für eine Mischung von Pankreassaft und 2 procentiger Fluornatrium-Lösung.? Ob weiter die Darmwandextracte selbst trypsinfrei waren, wurde con- trolirt, indem an die Extracte an sich Eiweisssäulchen hinzugefügt wurden. Wurde Eiweiss nicht verdaut, so durfte man schliessen, dass die Extracte trypsinfrei gewesen waren. Ich habe, einigermaassen zu meiner Befremdung, ! Die Pankreasdrüsen wurden vom Abattoir bezogen. Unmittelbar nachdem die Thiere geschlachtet worden waren, wurden die Drüsen herausgenommen, in Eis gestellt, und möglichst bald zerkleinert und ausgepresst. ® Unter den etwa 300 frischen Pankreasdrüsen, welche im Laufe meiner Experi- mente untersucht worden sind, konnte in etwa 6 Procent der Fälle freies Trypsin im ‚Presssaft constatirt werden. Ob in diesen Fällen das Trypsin intra vitam oder post mortem gebildet worden ist, muss dahingestellt bleiben. | 348 E. Herkma: niemals eine eiweissverdauende Wirkung der Darmwandextracte con- statiren können, obgleich in allen Fällen diese Controlprobe angestellt worden ist. B. Resultate der Untersuchung. Es wurde gefunden, dass ebenso wie aus der Dünndarmwand auch aus der Wand des Dickdarmes ein Stoff zu extrahiren ist, der das Vermögen besitzt, aus trypsinogenhaltendem Pankreas- safte Trypsin zu befreien. Es zeigte sich weiter, in Uebereinstimmung mit den Befunden anderer Autoren, dass die Extracte der verschiedenen Theile des Dünndarmes ziemlich grosse Differenzen in Bezug auf ihre Wirksamkeit darboten. Extracte aus der Wand des Duodenums und dem Anfang des Jejunums zeigten sich nahezu gleich stark wirksam. Einen viel schwächeren Einfluss als diese übten Extracte von der Wand der unteren Theile des Jejunums sowie die des Ileums auf die Trypsinogenumwandlung aus. Wie gesagt, es wurde gefunden, dass auch Extracte der Wand des Dickdarmes den wirk- samen Stoff enthielten. Die Wirksamkeit von Extracten aus der Wand des oberen Dickdarmes näherte sich derjenigen der Extracte der Wand des Ileums. Das Eine wie das Andere gilt im Allgemeinen sowohl für die Katze wie für das Schwein, jedoch unter der Bedingung, dass der Wirkungs- unterschied zwischen Extracten der Wand des Ileums und des Dickdarmes einerseits und Extracten der Wand des Duodenums und des oberen Theiles des Jejunums andererseits bei der Katze geringer war als beim Schwein. In den Tabellen I und II sind die Ergebnisse zweier Versuchsserien übersichtlich zusammengestellt. 11I. Ueber die Herkunft des trypsinbefreienden Stoffes. Darf die Existenz einer ‚„Kinase leucocytaire‘‘ angenommen werden? Nachdem wir uns ein eigenes Urtheil gebildet hatten über die Ver- breitung des trypsinbefreienden Stoffes in den verschiedenen Regionen des Darmeanales, beschäftigten wir uns zunächst mit der Frage, von welchem Darmwandbestandtheile dieser Stoff abstammt. Der Gedanke lag nahe, dass die Lieberkühn’schen Drüsen die Function besitzen würden, den wirksamen Stoff zu produeiren. Jedoch waren inzwischen von französischer Seite einige Publicationen erschienen, welche darauf hin- wiesen, dass nicht von den Darmdrüsen, sondern von den leukocytenreichen Peyer’schen Plaques und Solitärfollikeln der trypsinbildende Stoff geliefert ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TryPpsın-ZyMoGENns In Trypsın. Tabelle I (Schwein). 349 5 Frischer Extracte 1:20 | Eiweissverdauung in Millimetern E Pankreassaft !'Extractionsflüssigk. NaFl 2 Proc.) in zwei Säulchen B IRRE # | 2 Tropfen | Sc ‚nach 17 Stunden | nach 40 Stunden 1 || Pankreassaft + Extract der Duodenalwand 01520 SIE or) \1-30+1-40] 3-80+4-00] 2 h; + ,„ der Wand des Jejunums | I: 40 +1: ar 3-70-+3-90 15-40 (oberer Theil) 1-40+1-30 oe) 3 A + „ der Wand des Jejunums I 10-+1: 0) 2,80+3-10 11:70 (mittlerer Theil) '11-00+1-00 es) 4 > + ,„ der Wand des Ileums IK ur a 90 20 E90 0-50+0.50 2:0 +1°90 5 ” + ,„ derWand des Dickdarms [0-40 -+0-40 1:70+1:90 1-40 Ir. 10 (oberer Theil) 0» ne 30 1-70-+1.80 6 % + ,„ 2 procent. NaFl-Lösung 0 7 Er) + 9 1.2 ER N3,C0;- 9 0 0 8 | Extracte 1, 2, 3, 4, 5 an sich (ohne Pankreassaft) 0 0 Tabelle II (Katze). - | Extracte 1:20 ET 5 Frischer E 5 ee Eiweissverdauung in Millimetern Extractionsflüssig- : Se Ss Pankreassaft | Ks ANNIE (in zwei Säulchen) 3 | 2 || 2 Tropfen | Bien nach 17 Stunden | nach 41 Stunden nach 65Std. 1 | Pankreassaft + Extr. der Wand des |f1-60-+1: 80,. D 4-20-+4° 30lır. 10 leer (min- Duodenums \1-50-+1-50| 4-30-+4-30| destens 24) 2| ee + ,„ daerWand des Jejunums I: 3012 70,2. re 10,15-60 leer (oberer Theil) 3 >» + „ der Wanddes |,. \ Io : Yoanım HaReeRBENIen (mittler. Thl.) 4 n + „ der Wand des [1-00-+1-10, 102°60+2-50| 9.40 Ileums \1-00+1-0 [7 1019.70+2-60j » 5 5% + , der Wand des J1-00-+0-90 2-50-+2- 50l;o- .00 Dickdarmes |]1- N -90/3-8012-50-+2-50/ 2 6 © + 2proc. NaFl-Lösg. 0 0 7\ Extracte 1, 2, 3, 4, 5 an sich (ohne 0 0 0 Pankreassaft) ! Aus jeder Pankreasdrüse des Schweines bekommt man nach unserer Methode nur etwa 1!/, m P resssaft. Dieser diekflüssige Saft ist also sehr concentrirt und ent- hält dementsprechend schon in einem Tropfen eine bedeutende Menge Trypsinogen. 350 E. HEkRma: werden würde. Die ersten diesbezüglichen Untersuchungen stammen vun Delezenne.! Dieser Forscher fand, dass Extracte von denjenigen Theilen der Wand des Dünndarmes, welche Peyer’sche Plaques enthielten, gegenüber der Trypsinogenumwandlung in höherem Maasse wirksam sein sollten als Extraete von Stellen der Darmwand, in welchen Peyer’sche Plaques nicht vor- handen waren.! Es sollten eben die Leukocyten der Follikel sein, welche den Stoff lieferten. In Uebereinstimmung mit dieser Ansicht wurden von Delezenne auch Extracte von Lymphdrüsen sowie Suspensionen von freien Leukocyten aus aseptischen Abscessen wirksam gefunden.! Delezenne hat für das in diesen Fällen wirksame Agens den Namen „Kinase leucocytaire“ angeführt. Ebenso wie Delezenne schrieben Stassano und Billon? und auch Frouin? den Leukocyten in dieser Hinsicht eine grosse Bedeutung zu. Dagegen fanden Camus und Gley* die Leukocyten, welche auf asepti- schem Wege aus Lymphe und Blut gesammelt worden waren, unwirksam, während von Bayliss und Starling? Extracte von Lymphdrüsen ganz unthätig und Extracte von Peyer’schen Plaques nur ganz schwach wirk- sam gefunden wurden. Die Thatsache, welche unter Abschnitt II mitgetheilt wurde, dass nämlich Extracte von der Wand des Ileums eine schwächere Wirksamkeit in Bezug auf die Trypsinogenumwandlung ausübten, als Extracte aus der Wand des Jejunum, plädirte nicht für die Ansicht Delezenne’s. Denn gerade beim Schwein hatten wir im Ileum, ebenso wie im Jejunum, grosse Peyer’sche Plaques angetroffen, welche auch öfters, mit benachbarten Theilen der Darmwand, in unseren Extracten mit aufgenommen worden waren. Um die Frage betreffend den Einfluss der Peyer’schen Plaques, sowie auch den der Lymphdrüsen und freien Leukocyten, genauer studiren zu können, wurde folgendermaassen vorgegangen. Es kam dabei im Allgemeinen dieselbe Methode zur Verwendung wie sie unter Abschnitt II beschrieben worden ist. Wie dort, wurden, auch hier immer gleiche Gewichtstheile Organmasse genommen. Es wurden die folgenden Extracte bezw. Suspensionen angefertigt, deren Wirksamkeit hinsichtlich Trypsinogen enthaltendem Pankreaspresssafte geprüft wurde. ı Delezenne, ©. R. de la Soc. de Biol. 1902. No. 9. p. 281 und 283. 2 H. Stassano et F. Billon, Ebenda. p. 1101 und 1102. 3 A. Frouin, Hbenda. p. 79. *L. Camus et E. Gley, Zbenda. p. 800. 5 W.M. Bayliss and E.H. Starling, Journ. of Physiol. 1903. Vol. XXX. p. 61. ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPsIn-ZyYMOGENsS ın Trypsın. 351 1. Extracte von Peyer’schen Plaques des Jejunums. Die Peyer’- schen Plaques wurden sorgfältig auspräparirt und entweder: a) ohne Weiteres zur Bereitung der Extracte verwendet oder b) erst dann, nachdem die innere Bekleidung vermittelst eines Glasstückes abgeschabt worden war, um die Epithelschicht so gut wie möglich zu entfernen. 2. Extracte von Peyer’schen Plaques des Ileums (a und b). 3. Extracte von Lymphdrüsen. 4. Suspensionen von freien Leukocyten aus Pferdeblut.! 5. Suspensionen von freien Leukocyten aus Lymphdrüsen. Die Wirksamkeit der Extracte 1 bis 5 wurde unter einander und zu gleicher Zeit auch mit der der Extracte 6 und 7 verglichen. 6. Extracte von Theilen der Wand des Jejunums, in welchen Peyer’sche Plaques nicht vorhanden waren. 7. Extracte von ebensolchen Theilen des Ileums. Es wurde dafür Sorge getragen, dass für die Extracte 6 und 7 Darm- wandstückchen zur Verwendung kamen aus der Nachbarschaft derjenigen Stellen, von welchen die Peyer’schen Plaques entnommen worden waren. Die Resultate der mit diesen Extracten angestellten Versuche waren die folgenden (man vergleiche dazu auch die Tabelle II): Tabelle II. ; \ Eiweissverdauung = Frischer Extracte 1:20 | in Millimetern g Pankreassaft | Extractionsflüssigkeit: NaFl 2 Procent (zwei Säulchen) = ccm nach | nach | ; 17 Stunden | 38 Stunden 1 | Pankreassaft + Extraet der Wand des Jejunums 6-90 16-0 2| 55 + „von Peyer’schen Plaques des Je- 5-40 14-60 junums (nicht abgeschabt) 3 » + „von Peyer’schen Plaques des Je- 2-40 9-60 junums (abgeschabt) 4 eD + „der Wand des Ileums 1:20 7-50 5 »» + „von Peyer’schenPlaques des lleums 1-0 6-60 (nicht abgeschabt) 6 n SEaunis von Peyer’schen Plaques desIleums 0-50 4-0 (abgeschabt) 7 38 + Lymphdrüsenextract | 0 0 8 5 + Leukocytensuspension (Blutleukoeyten) | 0 0 3) > + Leukocytensuspension (Lymphdrüsenleukoc.) 0 0 10 5s + 2procentige NaFl-Lösung | 0 0 11 |Die Extracte und Suspensionen an sich (ohne Pankreassaft) 0 0 ! Die Leukocyten wurden nach den Angaben des Hrn. Prof. H.J. Hamburger gesammelt. (H. J. Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre in den medi- einischen Wissenschaften. 1902. S. 401.) Die gesammelten Leukocyten wurden in einer 2procentigen NaFl-Lösung suspendirt. 352 E. Hekma: a) Die Extracte von Peyer’schen Plaques zeigten nie eine stärkere, sondern im Gegentheilimmer eine schwächere Wirkung als die Extraete von correspondirenden, follikelfreien Theilen der Darmwand. b) Extracte von Peyer’schen Plaques, deren Epithelbe- kleidung nicht entfernt worden war, entfalteten eine höhere Wirksamkeitals Extracte von Peyer’schen Plaques, mit welchen diese Procedur wohl vorgenommen worden war. Indessen waren die letzten Extracte nie ganz unwirksam. c) Extracte von Peyer’schen Plaques aus dem Jejunum er- wiesen sich in höherem Maasse wirksam als Extracte von Peyer’. schen Plaques aus dem Ileum. d) Extracte von Lymphdrüsen und Suspensionen von freien Leukocyten aus Blut und Lymphdrüsen zeigten sich unwirksam. Das unter a) mitgetheilte Ergebniss berechtigt zu der Ver- muthung, dass der wirksame Stoff nicht von den Peyer’schen Plaques geliefert wurde. Diese Vermuthung wird zur Gewiss- heit durch die Thatsache, dass in Folge der Entfernung der Epithelschieht der Peyer’schen Plaques die Wirksamkeit in bedeutendem Maasse abnimmt. (Dass die Extracte von den abge- schabten Peyer’schen Plaques nicht ganz unwirksam gefunden wurden, muss ohne Zweifel der Thatsache zugeschrieben werden, dass in den Peyer’- schen Plaques trotz dem Abschaben doch noch einige Drüsenschläuche „urückbleiben. Er wurde deren Anwesenheit durch histologische Unter- suchung solcher Stückchen constatirt.) Die Ansicht, dass nicht in den Peyer’schen Plaques der wirk- same Stoff enthalten ist, wird noch bestätigt durch den Be- fund, dass Extracte von Peyer’schen Plaques des Ileums eine schwächere Wirkung zeigten als die des Jejunums. Wenn wirklich die Peyer’schen Plaques das wirksame Agens lieferten, dann hätte man doch erwarten sollen, dass zwischen den Extracten der Peyer’schen Plaques, des Ileums und des Jejunums kein Unterschied bestehen sollte. Aus dem unter d) mitgetheilten Befunde, dass nämlich Extracte vonLymphdrüsen, sowie Suspensionen von freien Leuko- cyten sich nie wirksam zeigten, möchten wir schliessen, dass eine „Kinase leucocytaire“ nicht existirt. Der Trypsinogenumwandlungsstoff der Darmwand bezw. des Darmsaftes kann also nach unserer Ansicht nicht von den Leuko- cyten der Darmwand stammen. Die Resultate unserer Unter- ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS IN Trypsın. 353 suchungen weisen vielmehr darauf hin, dass dieser Stoff indem Drüsenepithel der Darmwandmucosa vorhanden ist und von diesem im Darmsaft geliefert wird. IV. Ueber den Einfluss von Milzextraeten auf die Bildung von Trypsin aus Trypsinogen. Bekanntlich schrieb Schiff der Milz einen gewissen Einfluss zu in Bezug auf die Bildung des Trypsins überhaupt. Die Pankreasdrüse sollte unter dem Einflusse der Milz mit Trypsin „geladen“ werden.! Nachdem aus den Untersuchungen R. Heidenhain’s hervorgegangen war, dass dieses Ferment im Zymogenzustande in der Pankreasdrüse gegenwärtig ist, wurde von Herzen die Theorie Schiff’s, dieser neuen Thatsache entsprechend, modificirt. Nach dieser Theorie von Schiff-Herzen würde von der Milz, durch „innere Secretion“, ein Stoff in die Blutbahn secernirt, dem das Vermögen zukäme, in der Pankreasdrüse Trypsin befreien zu können aus Trypsinogen.? Diese Theorie ist vielfach bestritten worden, hat aber auch, und zwar noch in den letzten Jahren, Vertheidiger gefunden, unter Anderen in H. F. Bellamy°, Mendel und Rettger.* Der Einfluss der Milz sollte sich, nach Herzen, hauptsächlich geltend machen während der Digestion, wenn die Milz im Zustande der „Congestion“ sich befinde. Die Ansicht Herzen’s und seiner Nachfolger gründet sich zum Theil auf Experimente, welche an Thieren mit Pankreasfisteln angestellt worden sind, zum anderen Theile jedoch auf Versuche, die mit Milzextracten aus- geführt wurden. In Betreff der letztgenannten Versuche wurde von diesen Forschern gefunden, dass Infusen von solchen Milzen, welche im Zustande der „Con- gestion“ sich befanden, das Vermögen zukäme, unwirksame Pankreasinfuse activ zu machen. Zwar sollten auch Infuse von Milzen nüchterner Thiere dasselbe Vermögen besitzen, jedoch nur in äusserst geringem Grade.’ Die- selbe Wirkung sollte auch dem Blute der Milzvene zukommen. Von mehreren Forschern wurden, wie gesagt, die Ansichten Herzen’s getheilt. Einer dieser Forscher, H. F. Bellamy, fügt noch hinzu, es hafte der wirksame Stoff des Milzvenenblutes an den „Solid elements“ dieses Blutes. ı M. Schiff, Schweizer Zeitschrift für wissenschaftliche Mediein. (Citirt nach Herzen.) 2 A. Herzen, Pflüger’s Archiv. 1883. 8. 295 und Zbenda. 1901. S. 115. In letzter Arbeit findet sich auch die ältere Litteratur bezüglich dieses Gegenstandes. ® H. F. Bellamy, Journal of Physiology. Vol. XXVII. p. 323. * L.B.Mendel and L.F. Rettger, Americ. Journal of Physiol. Vol. VII. p. 387. 5 A. Herzen, Pflüger’s Archiv. 1883. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 23 354 E. Hekma: A. Frouin, ein Mitarbeiter Delezenne’s, und wie dieser Autor von einer specifischen Wirkung der Leukocyten in Bezug auf die Trypsinogen- umwandlung überzeugt, war der Meinung, die „Solid elements“ von Bel- lamy seien Leukocyten. Die Wirksamkeit der Milzextracte und des Milz- venenblutes in vitro sollte also herrühren von den Leukocyten der Milzen.! Nach Frouin könnte jedoch die Milz in vivo keinen Einfluss üben auf die Trypsinogenumwandlung in der Pankreasdrüse, eben weil dieser Autor, wie schon erwähnt, mit Delezenne gefunden hatte, dass im Pankreas- secret nie freies Trypsin sich befindet. Entgegen den genannten Forschern fanden Bayliss und Starling Milzextracte unwirksam.? Nach diesen historischen Bemerkungen komme ich zu den eigenen Versuchen über die Wirksamlieit von Milzextracten. Es kamen zur Unter- suchung Milzen vom Schwein und von der Katze. Es wurden von diesen Organen Extracte angefertigt, in analoger Weise als schon früher für andere Extracte beschrieben worden ist, während die Wirksamkeit dieser Extracte hinsichtlich Trypsinogen enthaltendem Pankreassafte bestimmt wurde. Die Milzen der Schweine wurden vom Abattoir bezogen. Es konnte also auf den Digestionszustand dieser Thiere und somit auf den „Congestions- zustand“ ihrer Milz kein Einfluss ausgeübt werden. Ich glaube jedoch an- nehmen zu dürfen, dass mehrere der untersuchten Schweinemilzen von Thieren herrührten, welche im vollen Digestionszustande sich befanden, auf Grund von dem Befunde, dass öfters im Magen und Dünndarm dieser Thiere Nahrungsstoffe in grösserer Menge sich vorfanden. Es wurde bei dem anderen Versuchsthiere, der Katze, dafür Sorge getragen, dass das Thier in voller Digestion sich befand, als ihm die Milz entnommen wurde. Es wurde also den Anforderungen Herzen’s, wenn auch nicht in allen, so doch in vielen Fällen Rechnung getragen. Trotzdem haben wir jedoch, wenn die Versuche einwands- frei angestellt wurden (d.h, wenn Bakterienwirkung ausge- schlossen wurde), in keinem einzigen Falle einen positiven Einfluss von Milzextracten auf die Trypsinogenumwandlung constatiren können. Es scheint mir also, in Uebereinstimmung mit Bayliss und Starling, und entgegen der Schiff-Herzen’schen Schule, ein trypsinbefreiender Stoff in der Milz nicht vorzuliegen. ı! A. Frouin, ©. R. de la Soc. de Biol. 1902. p. 778. * Bayliss and Starling, Journal of Physiol. Vol. XXX. 1. p. 6l. ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Trypsın. 355 - Es dürfte daraus geschlossen werden, dass die Milz in vivo für die Ueberführung von Trypsinogen in Trypsin keine Bedeutung haben kann, weder innerhalb der Pankreasdrüse noch ausserhalb. Es. würde somit die Function, Trypsin aus Trypsinogen befreien zu können, nur dem Darmsafte zukommen, wenn nicht auch Bakterien auf diesen Process einen gewissen Einfluss ausüben könnten. Ueber die Rolle der Bakterien in dieser Beziehung wird im folgenden Abschnitt gehandelt werden. V. Ueber die Rolle der Bakterien hinsichtlich der Umwandlung des Trypsinogens in Trypsin. In dem Abschnitt II ist ausgeführt worden, dass wir die Ansicht Delezenne’s und seiner Nachfolger, betreffend die Bedeutung der Leukocyten für die Trypsinogenumwandlung, nicht theilen konnten. Ausser den Leukocyten war von Delezenne jedoch auch der Bakterien- wirkung die Fähigkeit zugeschrieben worden, aus Trypsinogen Trypsin be- freien zu können.! Und obgleich ich früher der Meinung war, dass der Bakterienwirkung dieses Vermögen nicht zukommt, muss ich auf Grund späterer Erfahrungen in dieser Hinsicht jetzt Delezenne ganz beistimmen. Den Weg, auf welchem ich zu der Ansicht gelangte, dass der Bakterienwirkung dieses Ver- mögen zukäme, war jedoch ein ganz anderer als der, welchen Delezenne gegangen ist. — Eben während der Untersuchungen, betreffend den Ein- fluss der Leukocyten auf die Trypsinogenumwandlung, hatte ich oft er- fahren, dass die Resultate meiner Versuche von Bakterienwirkung getrübt worden waren. Es wurde deshalb untersucht, in welcher Hinsicht die Bakterien thätig gewesen sein könnten, und dabei hat es sich herausgestellt, dass der Bakterienwirkung unter Umständen zweifellos das Vermögen zukommt, Trypsinogen in Trypsin verwandeln zu können. — Es wird der Gang der Untersuchungen, welche mich nach und nach zu dieser Ansicht getrieben haben, in den nächsten Seiten beschrieben werden. Es waren im Laufe der in den vorhergehenden Seiten mitgetheilten Versuchen, ausser den Fluornatriumextrakten mehrmals auch einfach wässerige Extracte zur Verwendung gekommen, sowie auch solche, welche mit Chloroformwasser angefertigt worden waren. In Gemischen von frischem, Trypsinogen enthaltendem Pankreaspresssaft und wässerigen Extracten hatte ich immer Eiweissverdauung constatiren können. ! Delezenne, ©. R. de la Soc. de Biol. 1902. p. 998. 23* 356 E. HEKMA: Dagegen waren die Resultate, welche mit den Chloroformwasserextracten erhalten wurden, Anfangs sehr inconstant. Bald zeigten sich die Chloro- formwasserextracte der Lymphdrüsen, der Milz und der freien Leukoeyten wirksam, bald auch unwirksam. Die in derselben Weise angefertigten Darmwandextracte waren jedoch unter allen Umständen activ. Es schienen mir Anfangs diese Ergebnisse den Beweis für die Ansichten derjenigen Autoren (Delezenne, Herzen und ihre Nachfolger) zu erbringen, welche fanden, dass in den genannten Organen und Elementen ein Trypsinogen ‘ umwandelnder Stoff (bezw. Stoffe) enthalten war. Es wurden jedoch, ausser den genannten Extracten, weiterhin ebenfalls Extracte von den verschiedenenartigsten anderen Organen und Ge- weben angefertigt, darunter auch von solchen, in welchen Leukocyten nur sehr spärlich vorhanden zu sein pflegen. | Und da stellte es sich heraus, dass auch mit vielen dieser Extracte ein ganz ähnliches Resultat zu bekommen war als mit den der Lymphdrüsen, der Milz u. s. w., undzwar mitallen denjenigen Extracten, welche nicht sauer reagirten. Es zeigten sich z. B. wirksam die wässerigen Extracte von den Nieren und von der Blasenwand, während die Wirkung ihrer Chloroformwasserextracte wie die der Lymphdrüsen u. s. w. inconstant war. — Es konnte bald festgestellt werden, dass die Resultate mit den Chloroformwasserextracten aller genannten Organe, Gewebe und Elemente (mit Ausnahme der Darmwand) nur in den Fällen inconstant waren, wo dem Wasser nur wenig Chloroform beigegeben worden war, oder wenn die Behälter der Extracte oder auch die Probirgläser nicht gut verschlossen gewesen waren. Als nun dem Wasser mehr Chloroform zugefügt wurde und indem zu gleicher Zeit dafür Sorge getragen wurde, dass die Flaschen gut ver- schlossen blieben, während ausserdem in den Probirgläsern (in welchem ja ein Gemisch von frischem Pankreassaft und Extract sich befand) noch ein paar Tropfen Chloroform extra zugegeben wurden, waren die Resultate ganz andere. Die Ergebnisse wurden nämlich in diesem Falle ganz constant, aber gerade in einer anderen Richtung als es der Fall gewesen war mit einfach wässerigen Extracten. Sämmtliche Chloroformwasserextracte, mit Ausnahme nur derer der Darmwand, zeigten sich nun ganz unwirksam hinsichi- lich der Trypsinogenumwandlung. Es trat unter diesen Verhältnissen Eiweissverdauung bezw. Trypsinogenumwandlung in Gemischen von frischem Trypsinogen enthaltenden Pankreassaft und Extracten bezw. von Lymph- drüsen, Milz, freien Leukocyten, Niere, Blasenwand nicht ein, während in einem Gemisch von demselben Pankreassaft und Darmwandextraet Eiweiss ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Trypsın. 357 ganz gut verdaut, bezw. Trypsinogen umgewandelt wurde (man vergleiche hierzu die Tabelle IV). Einen Stoff, welcher in ähnlicher Weise zu wirken im Stande war, als der Stoff, welcher in den Darmwandextracten enthalten ist, war also, wie es ja auch in den Abschnitten II und III schon gezeigt worden ist, in den Extracten der Lymphdrüsen, der Milz u. s. w. nicht vorhanden. Es fragte sich nun, welche Ursache der Thatsache zu Grunde liegen konnte, dass in Gemischen von Trypsinogen enthaltendem Pankreassaft und wässerigen Extracten Eiweissverdauung regelmässig eintrat. Mit Rücksicht auf den Befund, dass in diesen Fällen auch immer Fäulniss in den Ge- mischen constatirt werden konnte, lag es auf der Hand, die eingetretene Ei- ‚weissverdauung der Bakterienwirkung zuzuschreiben. Mit dieser Voraussetzung stimmte ja auch der Befund, dass Eiweissverdauung nur inconstant eintrat in schwach chloroformirten Gemischen und gar nicht in stärker chloro- formirten. Es fragte sich nun weiter, in welcher Weise Bakterien sich dabei geltend gemacht haben könnten. Es lagen ja dafür zweierlei Möglichkeiten vor. lintweder müssten die in den Gemischen vorhandenen Bakterien an sich im Stande sein, coagulirtes Eiweiss zu verdauen oder ihnen müsste das Vermögen zukommen, Trypsinogen in Trypsin zu verwandeln. Bei der Lösung dieser Frage hatten wir Bakterien von zweierlei Herkunft zu be- rücksichtigen. Und zwar am ersten die Bakterien, welche in den Extrakten und zweitens die, welche im Pankreassaft sich befinden konnten. — Hin- sichtlich der in den Extrakten enthaltenen Bakterien konnte leicht festge- stellt werden, dass diesen an sich nicht das Vermögen zukam, coagulirtes Eiweiss zu verdauen. Denn neben allen mit den Gemischen von Pankreas- saft und Extrakten angestellten Proben waren immer zu gleicher Zeit Controlproben angestellt worden mit den Extracten an sich, indem ihnen einfach Eiweisssäulchen zugefügt worden waren. (Man vergleiche auch Tabelle IV, 5 bis 8). Nie habe ich in diesen Fällen eine Eiweissverdauung constatiren können; die Bakterien der Extracte könnten also an sich nicht im Stande sein, coagulirtes Eiweiss anzugreifen. Es musste jetzt geprüft werden, ob in den Gemischen von Pankreassaft und den wässerigen Extracten eiweissverdauende Bakterien sich fanden. Es wurden zu diesem Zweck Bakterien aus diesen Gemischen in der gebräuchlichen Weise in Nähragar und in Nährgelatine übergeimpft. (Es ergab sich dabei der Befund, dass die Nährgelatine regelmässig verflüssigt wurde, gewöhnlich erst nach mehreren Tagen, einige Male doch auch schon nach 24 Stunden. In den Gemischen waren unter anderen also sicher auch peptonisirende Bakterien vorhanden.) 358 E. HeXma: Nachdem die Bakterien sich :in diesen Nährböden entwickelt hatten, wurde je ein Theil des Platteninhalts in wässerige Lymphdrüsenextraete übertragen und mit diesen durch Schütteln vermischt. Es wurden diese Mischungen in den Brütschrank gestellt, nachdem ihnen Eiweisssäulchen zugefügt worden waren. Es konnte am Ende der Versuchsdauer (je 2 bis 3 Tage) nie eine Verdauung der Eiweisseylinder in diesem Gemische constatirt werden. Indem diese Veısuche also zu negativen Resultaten führten, dürfte geschlossen werden, dass auch die in den Gemischen ent- haltenen Bakterien nicht im Stande gewesen waren, coagulirtes Eiweiss an- zugreifen. ae Und indem also die Bakterien, welche in den Gemischen von Pankreas- saft und den Extracten sich befanden, nicht für die Eiweissverdauung ver- antwortlich gemacht werden durften, musste geschlossen werden, dass die in diesen Gemischen eingetretene Verdauung der Eiweisscylinder die Folge sein musste von dem Umstande, dass aus Trypsinogen freies Trypsin ge- bildet worden war. Mit Rücksicht auf die Thatsache, dass Trypsinogenumwandlung nicht eintrat in Gemischen von Pankreassaft und den wässerigen Extracten, bezw. von Lymphdrüsen, Milz, freien Leukocyten, Niere und Blasenwand, wenn nur (diesen Gemischen Antiseptica in genügender Menge zugefügt wurden, während dieses dagegen wohl der Fall war, indem Antiseptica nicht beige- geben worden waren, musste nothwendig der Schluss gezogen werden, dass. die Trypsinogenumwandlung in diesem Fall auf Rechnung von Bakterien- wirkung gestellt werden müsste. Eskam alsoder Bakterienwirkung zweifellos das Vermögenzu, Trypsinogen in freies Trypsin verwandeln zu können. Wenn von „Bakterienwirkung“ die Rede ist, habe ich ja nur die Bakterien aus unseren Gemischen im Auge. Es dürfte aus diesen Versuchen ja nicht geschlossen werden, dass allen Bakterien diese Wirkung zukommen würde.! Die Tabellen IV und V sollen dem Zweck dienen, die in den vorherigen Seiten erwähnte Befunde näher zu erläutern. Auch möchte ich an der Hand dieser Tabellen noch einige ergänzende Bemerkungen machen. Es wird hier nur eine Versuchsreihe wiedergegeben, und zwar eine, in welchen Lymphdrüsenextracte zur Verwendung gekommen waren. Es hat keinen /weck und es würde ja auch: zu’ viel Raum einnehmen, wenn von allen untersuchten Extracten Probenserien in Tabellenform mitgetheilt werdensollten. ! Weitere Untersuchungen über die Wirkung bestimmter Bakterienarten sind im Gange. Delezenne hat ja bekanntlich gefunden, dass die Bakterienwirkung abhängig sein soll von der Wirkung der löslichen Bakterienfermente. Meine Untersuchungen in dieser Richtung sind zur Zeit noch nicht abgeschlossen. ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Tryrsın. 359 Tabelle IV. Nach Nach 18 Stunden 44 Stunden Se 9 Wale | - = = = | = 2 Tropfen Sacm = |2|50 | 2 = | == | Geruch E | s= ı Geruch | & 13 E83 BE || Es Lau | = f=} I u | 3! Ein | | Pankreaspresssaft + wässeriger Extraet vonLymph-|4-10| übel +112-10| übel + | drüsen 2, 55 + 2 procent. NaFl-Extract von) 0 ohne — | 0 ohne | — Lymphdrüsen 3 ” + Chloroformwasserextract von 0 nach | + 0 nach | + Lympbhdrüsen | Chloro-| Chloro | | form | form | 4 n + wässeriger Extract'vonLymph- |4-70| übel |+ 13:0 übel | + “| drüsen, welche vermischt | wurde mit durch die Bak- terien aus Nr. 1 verflüssigter Nährgelatine | 5|) wässeriger Extract von Lymph- | 0 0 | | drüsen | 6 2 proc. NaFl-Extract von Lymph- | 0 0 | drüsen | 7 Chloroformwasserextr. v. Lymph- | 0 0 drüsen | 8 wässeriger Extraet von Lymph- | 0 0 drüsen, welche vermischt | wurde mit durch die Bak- | terien aus Nr. 1 verflüssigter | Nährgelatine | | 9 06 + Wasser 0-40 | etwas | 6-60, übel | unan- genehm 10 B + 2proc. Fluornatriumlösung 0 ohne 0 ohne 1r| 5 ++ Chloroform wasser 0 nach 0) nach | |Chloro- Chloro- form form 12 ” + 2proc. NaFl-Extraet des Je- 6-50 ohne |— 18-40 | ohne — | junums | | 13] » + Chloroformwasserextract des | 5-60 nach | + | 16-20 nach | + | Jejunums Chloro- | Chloro- N form | form Ausser dem, was schon vorher erwähnt wurde, ist aus den Tabellen IV und V noch Folgendes ersichtlich. Erstens dass auch in Gemischen von Pankreassaft und Wasser Ei- weissverdauung bezw. Trypsinogenumwandlung eintrat (Tabelle IV, 9), während dieses nicht der Fall war in Gemischen von Pankreassaft und 360 E. HERMA: arbzeliliei>v: | nach 17 Stunden || nach 40 Stunden 2 | =| Is a | ne &3 = | . cm 2 Ss S| 2 er = = ya or E 3.8 Geruch 23.3 Geruch z | ES= 25= Bas» asa | > > Ba held En Die b EI DB = 1 | Pankreaspresssaft + 2proc. NaFl-Extract von | 0 ohne 0 | ohne I,ymphdrüsen | | 2 | = + Chloroformwasser- Extr. 0 | äusserst | 3-60 un- von Lymphdrüsen | schwach angenehm | | nach | Chloroform 3|| = + 2proc. NaFl-Lösung | 0 ohne 0 ohne Chloroformwasser, wenn nur das Wasser stark genug chloroformirt war (Tabelle IV, 2). Dieser Befund spricht dafür, dass auch in jenem Fall die eingetretene Trypsinogenumwandlung auf Bakterienwirkung zurückzu- führen ist. Es konnten weiter aus den Gemischen von Pankreassaft und 2 pro- centigen Fluornatriumextracten Bakterien auf den Nährböden (Nähragar und Nährgelatine) nicht gezüchtet werden (Tabelle IV, 2 und 12.) Dementgegen kamen Bakterien aus den Gemischen von Pankreassaft und Chloroformwasserextracten in den Nährböden regelmässig zur Ent- wickelung auch in denjenigen Fällen, in welchen in diesen Gemischen kein Trypsinogen umgewandelt war (Tabelle IV, 3). Es wurden also in diesen Fällen die Bakterien von dem Chloroform nicht getödtet, es wurde anscheinend nur deren Wirkung gehemmt. Wenn das Chloroform zu verflüchtigen Gelegenheit hatte, falls z. B. die Probir- gläser nicht genau verschlossen gewesen waren, wurde die Hemmung auf- gehoben, die Bakterien konnten dann ihre Wirkung geltend machen. Dieses Verhältniss lag vor in Nr. 2 der Tabelle V. Anfangs war in diesem Falle Chloroform in der gewöhnlichen Menge vorhanden gewesen. Das Probir- gläschen war jedoch nur lose verschlossen und nach 17 Stunden war nur noch ein ganz schwacher Chloroformgeruch zu constatiren. Eine Verdauung der Eiweisscylinder war zu dieser Zeit noch nicht eingetreten. Nach 40 Stunden jedoch, als der Chloroformgeruch ganz geschwunden war, konnte auch schon eine geringe Eiweissverdauung constatirt werden. Anstatt den Chloroformgeruch hatte nach dieser Zeit die Flüssigkeit einen übelen Geruch bekommen, es war also auch schon Fäulniss eingetreten. Nach meinen Erfahrungen mit dem Chloroform scheint mir dieses für dergleichen Versuche als die in Rede stehenden kein ideales Desinficienz ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Trypsın. 361 zu sein.! Zu dem Zweck ein geeignetes Desinficiens für meine Versuche zu bekommen, habe ich mehrere geprüft und bin dabei zum Schlusse ge- kommen, dass eine 2 procentige Fluornatriumlösung am meisten den gestellten Anforderungen entsprach. Es wurde von dieser Flüssigkeit die Wirksamkeit des trypsinogenumwandelnden Stoffes der Darmwand sowie die des Trypsins nicht wesentlich geschädigt, während die Bakterienwirkung nicht zur Geltung kommen konnte. In den Tabellen IV und V findet man auch den Geruch notirt. Es wurde nämlich bei unseren Untersuchungen immer der Geruch der Flüssig- keiten berücksichtigt, eben weil der üble Geruch eine Anweisung dafür war, dass Fäulniss, also Bakterienwirkung eingetreten war, denn die reine Trypsinverdauung des Eiweisses verläuft in sterilen Medien ja ganz geruchlos. Es liess sich übrigens auch in einer anderen Weise leicht erkennen, ob Bakterien bei der Verdauung des Eiweisses mitgeholfen hatten oder nicht. Das konnte man schon mit einem Blick an dem Aussehen der Eiweiss- säulchen constatiren. Unter dem Einfluss der reinen Trypsinwirkung (bei Anwesenheit von 2 Procent NaFl) wurden die Eiweisscylinder in der folgenden Weise verdaut. Nach z. B. 24 Stunden war ein Theil des Eiweisses an beiden Enden der Säulchen ganz verschwunden. Der mittlere Theil des noch nicht verdauten Eiweisscylinders war noch ganz intact und weiss. Auf beiden Enden dieses weissen Cylinders sah man einen kurzen abgeflachten Kegel aufsitzen, ein Eiweissstückchen also, welches eine conische Form an- genommen hatte. Diese Theile waren nicht mehr weiss, sondern mehr oder weniger durchsichtig. Gewöhnlich wurden Risse in den Kegeln wahrge- nommen, bisweilen jedoch war der Kegelmantel, sowie auch der Gipfel, ganz glatt. Ganz anders sahen die Eiweisssäulchen aus, wenn Bakterienwirkung mit untergelaufen war. Es war auch hier nach 24 stündiger Verdauung ein weisser Eiweiss- cylinder übrig geblieben. Die halbdurehsichtigen Kegel waren jedoch nicht vorhanden. Anstatt dieses einen Kegels an jeder Seite des Cylinders sah man auf weissem Grunde mehrere (gewöhnlich 8 bis 12 bei einem Cylinder- durchmesser von etwa 2") äusserst kleine Pünktchen aufsitzen, welche gewöhnlich ganz schwarz, wie verbrannt, aussahen. Es hatten diese diagnostischen Merkmale der Bakterienwirkung deshalb für uns eine grosse Bedeutung, weil wir uns sogleich davon überzeugen ! Das Chloroform hat nach meiner Ansicht zwei Eigenschaften, welche es als Desinficiens ungeeignet machen. Erstens seine Flüchtigkeit und zweitens seine herab- setzende Wirkung der Trypsinwirkung, wenn die Flüssigkeiten stark chloroformirt sind. Ich habe nämlich oft constatiren können, dass in den Fällen, wo viel Chloroform ge- nommen wurde, auch die Trypsinwirkung herabgesetzt wurde. 362 E. HEkmA: konnten, ob Bakterien in den Flüssigkeiten vorhanden waren, und ob deren Wirkung zur Geltung gekommen war. Und in diesem Falle müssten wir ja auch auf deren Einfluss, welchen sie eventuell auf die Trypsinbefreiung hatten ausüben können, gefasst sein. Die Vorgänge bei der Eiweissverdauung bei Anwesenheit von Bakterien könnte man sich in der Weise vorstellen, dass zuerst vermittelst Bakterien- wirkung Trypsinogen in Trypsin umgewandelt wird. Vom freien Trypsin wird dann das coagulirte Eiweiss angegriffen werden. Sobald das coagulirte Eiweiss unter dem Einflusse der Trypsin- wirkung in eine solche Modification übergegangen ist, welche für die in den Gemischen vorhandenen Bakterien angreifbar ist, werden die Bakterien bei der weiteren Zerlegung dieser Eiweissmodificationen mit dem Trypsin in Concurrenz treten. Die Thatsache, dass auch Bakterien fähig sind, die Trypsinogenum- wandlung zu vermitteln, giebt uns, wie mir scheint, eine Erklärung an die Hand für manche auf empirischem Wege gemachten Befunde betreffend die Trypsinogenumwandlung. Es scheint z. B. im Lichte dieser Bakterienfähigkeit ganz verständlich, weshalb von desinfizierend wirkenden Stoffen (NaFl, Chloroform, Toluol, Thymol u. s. w.), wenn diese nur in genügender Menge vorhanden sind, die Trypsinogenumwandlung in Gemischen von Pankreassaft und irgend einer Flüssigkeit (mit Ausnahme von Darmsaft bezw. Darmwandextract) gehemmt wird. Es wird ja von diesen Stoffen eben der Einfluss der Bakterien ausser Wirkung gesetzt. Bekanntlich wird auch von einer 1.2 procentigen Sodalösung die Trypsinogenumwandlung gehemmt, während der Wirkung des freien Trypsins von dieser Lösung nicht geschadet wird. Bei meinen Versuchen hatte ich früher immer diese Eigenschaft der Soda benutzt als ein Mittel, um zu controliren, ob im frischen Pankreassaft nur Trypsinogen enthalten oder ob vielleicht auch freies Trypsin vorhanden war. — Durch eigene Untersuchungen in dieser Richtung hatte ich nämlich bestätigen können, dass in Gemischen von frischem Pankreassaft und einer 1-2 procentigen Sodalösung Trypsinogen- umwandlung nicht eintritt. Auch schon einprocentige Sodalösungen waren gewöhnlich im Stande, die Trypsinogenumwandlung völlig zu hemmen. Als dann Experimente angestellt wurden mit schwächeren Sodalösungen, wurde gefunden, dass von diesen die Trypsinogenumwandlung noch immer herab- gesetzt, jedoch nicht ganz aufgehoben wurde.! Ich habe jetzt diese Experi- ! Eine dieser Experimentenserien, die Sodawirkung betreffend, ist aufgenommen worden in einer Mittheilung über die „Wirkung der Säuren auf die Trypsinogen- umwandlung“. A.a. O. ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Trypsın. 363 mente wiederholt in dem Sinne, das diesmal auch die Bakterien berück- sichtigt wurden. Es hat sich dabei herausgestellt, dass nur in denjenigen Sodalösungen Trypsinogenumwandlung eintrat, in welchen Bakterien sich noch zu entwickeln vermochten. Die Soda wirkt also anscheinend nur deshalb hemmend auf dieTrypsinogenumwandlung, weil sie der Bakterienentwickelung entgegentritt, es wirkt eben wie jedes andere Desinficiens bezw. Antisepticum.! Es wird also auch die hemmende Wirkung, welche eine 1-2 procentige Sodalösung hinsichtlich der Trypsinogenumwandlung auszuüben vermag und welche schon von R. Heidenhain auf empirischem Wege gefunden worden war (1875) im Lichte der Bakterienwirkung verständlich. Aus derselben Zeit (1875) stammt bekanntlich die Mittheilung R. Heidenhain’s, dass von Säuren die Trypsinogenumwandlung gefördert werden sollte. Diese Ansicht habe ich nicht ' bestätigen können, es erwies sich im Gegentheil, dass von den Säuren die Trypsinogenumwand- lung gehemmt wurde.” Das Wesen dieser Säurewirkung war mir da- mals ganz dunkel, jetzt, nachdem ich den Einfluss der Bakterien auf die Trypsinogenumwandlung zu würdigen gelernt habe, erscheint mir auch die hemmende Wirkung der Säure erklärbar. Resume. Es könnten die Ergebnisse vorliegender Arbeit folgendermaassen zu- sammengefasst werden. 1. In Extracten der Wand des Dünndarms sowie auch in solchen des Dickdarmes ist (wie im Darmsaft) ein Stoff enthalten, welchem das Vermögen zukommt, Trypsinogen schnell in Trypsin verwandeln zu können. (Entero- kinase, Zymolysine). 2. Dieser Stoff ist nicht in allen Regionen des Darmes gleichmässig vorhanden. Bei Weitem am wirksamsten zeigten sich die Extracte des Duodenums und die des oberen Theiles des Jejunums; die Extracte des Ileums und die des Diekdarmes waren weniger, jedoch immer noch sehr deutlich, wirksam. (Schwein, Katze). ! Dass (die Soda schon in Lösungen von 1 bis 2 Procent stark desinficirend wirkt, zumal bei Erwärmung, war ja schon bekannt aus den Arbeiten von Esmarch, Simon, Kurpjuweit u. A. : E. Hekma, a.a. 0. 364 E. Hekma: 3. Der wirksame Stoff wird gefunden in der Epithelschicht der Darmwand; in den Leukocyten der Peyer’schen Plaques ist er nicht enthalten. 4. In den Extraeten der Lymphdrüsen sowie in Suspensionen von freien Leukocyten war ein trypsinogenumwandelnder Stoff nicht vorhanden. Die Existenz einer „Kinase leucocytaire“ konnten wir also nicht bestätigen. 5. Auch die Extracte der Milz zeigten sich unwirksam hinsichtlich der Trypsinogenumwandlung. In der Milz ist also augenscheinlich kein trypsinogenumwandelnder Stoff vorhanden. Es kann somit von der Milz, meiner Ansicht nach, weder innerhalb noch ausserhalb der Pankreasdrüse, ein Einfluss auf die Trypsinogenumwandlung ausgeübt werden. 6. Die unter 1 bis 6 erwähnten Resultate haben Geltung für Extracte und Suspensionen, welche 2procentiges Fluornatrium enthielten. Mit einfach wässerigen Extracten und mit solchen, zu denen ein wenig Chloroform hinzugefügt war, wurden ganz abweichende Resultate bekommen. Diese abweichenden Resultate sind auf Bakterienwirkung zurückzuführen. Es stellte sich nämlich heraus, dass den in den Gemischen von Pankreas- saft und Wasser, bezw. wässerigen Organextractes enthaltenen Bakterien das Vermögen zukam, Trypsin aus Trypsinogen zu bilden. Welchen Bakterien- arten diese Fähigkeit zukommt, steht noch dahin. — Zweiprocentiges Fluor- natrium wirkte in unseren Versuchen als kräftiges Desinficiens. Chloroform dagegen war nur dann im Stande die Bakterienentwickelung zu unterdrücken, wenn dafür gesorgt wurde, dass es in genügender Menge vorhanden war und nicht entweichen konnte. 7. Seit dem Jahre 1875 hat man nach Untersuchungen von R. Heidenhain allgemein die Ansicht vertreten, dass Säuren die Bildung von Trypsin aus Trypsinogen befördern. In einer neuerdings er- schienenen Arbeit haben wir aber nachgewiesen, dass diese Ansicht nicht richtig ist, dass im Gegentheil Säuren die Umwandlung hemmen. Im Lichte der erwähnten Bakterienfähigkeit wird diese Thatsache erklärbar. In Gemischen von frischem Pankreassaft und verdünnten Säuren wird an- scheinend deshalb Trypsinogen nicht umgewandelt, weil von den Säuren der Bakterienentwickelung entgegen getreten wird. Auch die schon von R. Heidenhain aufgefundene Thatsache, deren Richtigkeit ich bestätigen konnte, dass von stärkeren Sodalösungen die Trypsinogenumwandlung gehemmt wird, muss auf dieselbe Ursache zurückgeführt werden. Es zeigte sich, dass nur diejenigen Sodalösungen (etwa 1 Procent und höher) im Stande waren, die Trypsinogenumwandlung zu hemmen, in welchen Bakterienwirkung nicht zur Geltung kam..— Die ÜBER DIE UMWANDLUNG DES TRYPSIN-ZYMOGENS In Trypsın. 365 Desinficientien (darunter die Säuren und Alkalien) wirken also nicht direct hemmend auf die Trypsinogenumwandlung, sondern indirect, indem sie der Bakterienwirkung entgegentreten. Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem Chef, Herrn Prof. H. J. Hamburger Dank zu sagen für die Ueberlassung des Themas, sowie für die ständige Bereitwilligkeit mir mit Rath beizustehen. Auch Herrn Prof. Fokker, Vorsteher des hygienischen Institutes, sowie Herrn Dr. Philipse, Assistenten dieses Institutes, möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen für ihr freundliches Entgegenkommen in jenen Fällen, in denen ich ihre Hülfe brauchte. Zur Kenntniss der Bewegung der Spermien. Von Dr. A. Roth, Oberstabsarzt. 1893 veröffentlichte ich in Nr. 15 der Deutschen medieinischen Wochen- schrift einen Aufsatz: „Ueber das Verhalten beweglicher Mikroorganismen in strömender Flüssigkeit.“ Ich hatte beobachtet, dass solche Organismen eine ausgesprochene Neigung besitzen, stromaufwärts zu schwimmmen und konnte berichten, dass auch die Spermien sich so verhalten. Diese Neigung (Rheotaxis) führte ich auf rein mechanische Bedingungen zurück und machte darauf aufmerksam, dass diese Bedingungen für die Spermien in muliebribus, zumal in den Tuben gegeben sind. Die Thatsache, dass die Spermien dem Tubenstrom entgegen wandern und auf den Ovarien ver- weilen, ohne von diesem Strome zurückgeschwemmt zu werden, war bis dahin unerklärt; weder die Theorie von den antiperistaltischen Bewegungen der Tuben, noch die Annahme, bei der Masse der Spermien müssten einige, trotz aller Hemmnisse, bis auf die Ovarien sich durchschlagen, hatte An- hänger gefunden. Aus meinen Beobachtungen ging nun hervor, dass der Tubenstrom kein Hemmniss für die Spermien ist, sondern eine Einrichtung, welche ihnen die nöthige Richtung giebt und erhält, welche die Filtration des Sperma, seine Befreiung von oft sehr bedenklichen Beimengungen, auf höchst vollkommene Weise bewirkt, unreife Spermien (die mit Resten ihrer Bildungszelle behaftet sind und deshalb nicht geradeaus schwimmen) von vornherein abwehrt und endlich ermattete Spermien zum Uterus abschwemmt, d.h. von der Befruchtung ausschliesst. Meine weitere Beschäftigung mit diesem Gegenstande beschränkte sich auf gelegentliche Litteraturstudien, aus welchen ich neuerdings die Anregung entnahm, mich über einige Punkte im Folgenden eingehender als früher zu äussern. Eine andere Ver- anlassung hierzu lag darin, dass ich kürzlich Gelegenheit hatte, Herrn Dr. Poll, Assistenten am anatomisch -biologischen Institut in Berlin, an Zur KENNTNISS DER BEWEGUNG DER SPERMIEN. 367 Rattensperma die Rheotaxis unter dem Mikroskop zu demonstriren. Dies gelang prompt, nachdem die Bedingungen hergestellt waren. Es sind fol- gende: Die Spermien müssen von einander getrennt und in voller Be- wegung sein. Sie dürfen nicht mit Resten ihrer Bildungszelle behaftet sein. Das Sperma muss (eventuell mit Kochsalzlösung) so verdünnt sein, dass man die einzelnen Spermien gut unterscheiden und verfolgen kann. Der Flüssigkeitsstrom darf weder viel rascher, noch viel,langsamer sein als die Eigenbewegung der Spermien und die Flüssigkeitsschicht unter dem Deck- gläschen muss recht dünn sein. Den Strom erzeugt man durch Anlegen von Fliesspapier oder auch durch leisen Druck auf das Deckgläschen. Man sieht dann die Mehrzahl der Spermien gegen den Strom schwimmen und kann beobachten wie sich die Rheotaxis vollzieht. Sobald nämlich ein etwa quer schwimmendes Spermium mit dem Kopf irgendwo anstösst (ge- hemmt wird), erfasst der Strom den Schwanz und dreht ihn stromabwätrts. Das Hinderniss, z. B. die Glasfläche, liegt nun nicht mehr in der Bewegungs- richtung, das Spermium wird frei und schwimmt stromaufwärts weiter. Je früher ein quer gerichtetes Spermium auf ein Hinderniss stösst, desto früher wird es gewendet. Der Versuch erfordert daher, wie gesagt, einen möglichst schmalen Raum zwischen den Glasplatten, falls nicht durch andere Gegen- stände dafür gesorgt ist, dass der Strom leicht erreichbare Ufer hat. A. a. OÖ. habe ich mit dem Spermium ein kleines geradeaus gesteuertes Dampfboot, wie es als Spielzeug bekannt ist, verglichen. Lässt man dies quer durch einen Bach fahren, so muss es irgendwo ans Ufer stossen, an- gehalten und durch die Strömung stromaufwärts gedreht werden. Ebenso ergeht es den Spermien. Rein mechanisch erklärbar ist meines Erachtens noch ein Phänomen, welches nach Dewitz! auf „Contactreiz“ beruhen soll, d.h. auf dem Be- streben der Spermien, mit umgebenden Körpern in möglichst innige Be- rührung zu kommen. Man beobachtet nämlich, dass die Spermien aus der Mitte des Präparats verschwinden und sich am Flüssigkeitsrande im Winkel zwischen Glas und Flüssigkeit ansammeln. Ich halte dies für ein rein maschinenmässiges Benehmen: Steuerlos auf einem Teiche fahrende Schiffchen müssen sich mit Nothwendigkeit sämmtlich am Ufer festrennen. In scheinbarem Widerspruch zu diesem Entfliehen der Spermien nach der Peripherie steht eine andere Eigenthümlichkeit, welche mir beim homo sapiens bekannt war, bevor sie Dewitz? bei Periplaneta orientalis beschrieb. Man sieht oft, dass bewegliche Spermien sich auffallend lange auf einer Fläche (Glasfläche) aufhalten, als ob sie von ihr festgehalten würden. ! Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. S. 100. ® Ebenda. 1886. Physiol. Abthlg. Bd. XXXVIII. S. 358. 368 A. Rote: Dewitz sah sie erst dann dem Objectträger bezw. dem Deckgläschen zusteuern, „wenn sie im Bereich der Anziehung desselben waren“. Diese Anziehung Seitens fester Körper hat man Thigmotaxis genannt. Ich muss nun sagen, etwas wie eine Anziehung habe ich bei Spermien nie gesehen. Man sieht mehr nach dem Deckglase hin schwimmende Spermien als umgekehrt gerichtete, weil die letzteren sich der Einstellungs- ebene des Mikroskops rasch entziehen. Trifft nun das Spermium senkrecht auf die Glasfläche, so müsste es kein Automat sein, wenn es umkehren würde. Es arbeitet eben maschinenmässig weiter, ohne vorwärts zu kommen. Trifft es schräg auf, so gleitet es auf dem Glase entlang. Dies Gleiten geschieht nun allerdings so langsam, als ob das Spermium von der Fläche festgehalten würde. Sehen wir uns aber den Bewegungstypus des Spermium genauer an, so finden wir auch für diese Erscheinung eine mechanische Erklärung. Bekanntlich rotirt das Spermium im Fortschreiten beständig um eine in der Bewegungsrichtung liegende Längsaxe. Wie nun den modernen (Geschossen durch sogenannten „Drall“ ihre Axenrichtung gesichert wird, so wirkt beim Spermium das Rotiren dem Abgleiten von der Glasfläche entgegen. Einfacher erklärt sich das von Dewitz angeführte Haften der Spermien mit den Köpfen in feinsten Spaltrinnen. Ist der Kopf eingeklemmt, so hat das Spermium nichts anderes zu thun, als weiter zu bohren, da es weder ruhen noch rückwärts schwimmen kann. Das Hineingelangen in solche Fallen, wie sie Dewitz a. a. O. S. 102 abbildet, halte ich für ganz zufällig. Spermien sind eben im Präparat meist so massenhaft vorhanden, dass sie überall hin gelangen. Wenn sie, wie Dewitz richtig beobachtete, in gröberen Spalten weniger haften, so liegt das an weiteren Eigenthümlich- keiten ihrer Körper- und Bewegungsform, welche sie zum Ausweichen und Durchschlüpfen aus mechanischen Gründen sehr geschickt machen. Im Folgenden beschreibe ich diese Eigenthümlichkeiten so, wie sie mir das Mikroskop zeigte. Meine Anschauungen combinirte ich aus Beobach- tungen an rasch beweglichen, langsam beweglichen und regungslosen Spermien einiger Säugethierarten einschliesslich des Menschen, wobei ich die Art- unterschiede unerheblich fand, so dass ich das Folgende auf die Spermien der Säugethiere überhaupt anwenden zu dürfen glaube. Die ruhenden Spermien sehen fast niemals geradlinig gestreckt aus. (Wo dies der Fall ist, sind sie durch Quetschung des Präparates in die Länge gezogen.) Sie werden auch meistens als leicht gekrümmt oder ge- schlängelt abgebildet. Stellt man das Mikroskop auf die einzelnen Ab- schnitte des Spermium ein, so überzeugt man sich leicht, dass man es mit einem spiralig gebauten Gebilde zu thun hat. Die Spirale hat etwa 1!/, Win- dungen, ist lang gezogen, und, wie ich glaube, stets rechts gedreht. Die dünneren Endtheile des Schwanzes sind stärker gekrümmt als die dickeren. ZUR KENNTNISS DER BEWEGUNG DER SPERMIEN. 369 Man kann diese Spiralform nachahmen, indem man einen Faden in 1!/, lang- gestreckten Hobelbindentouren um eine spitze Papierdüte legt. Der Kopf würde an der Dütenöffnung dem Papier flach anliegen. Der Unterschied vom einfachen Korkziehertypus liegt auf der Hand. Er bietet den Vor- theil, dass sich das Gebilde bei rascher Fortbewegung streckt und dass dann die Umdrehung um die Bewegungsrichtung häufiger erfolgt, als sie sich vollziehen würde, wenn der Schwanz hinten dieselbe flache Krümmung hätte wie im Vordertheil. Hierauf beruht es, dass der Spiraltypus am lebhaft beweglichen Sper- mium recht schwer wieder zu erkennen ist. Dies dreht sich rasch um eine dicht neben dem Kopfe befindliche Axe, während das langsam vorwärts- kommende Spermium (wie ein langsam fahrendes Schiff dem Steuer _ schlechter gehorchend) einen viel grösseren Bewegungsradius hat. Dies wird auch zutreffen bei einem im Ei befindlichen Spermium und es mag die eigenartig gewundene Kopulationsbahn! durch die flache Spiralität des vorderen Schwanztheiles bedingt sein. Uebrigens gewinnt man leicht aus den zahlreichen Abbildungen der verschiedensten Wirbelthierspermien, welche Waldeyer? unlängst zu- sammengestellt hat, den Eindruck, dass der Spiraltypus ganz allgemein die Regel bildet, wenn er auch in der verschiedensten Weise (Korkzieherkopf, Spiralflosse, Spiralfaden) zum Ausdruck kommt. Auch die pfriemenförmigen Köpfe dürften spiralig gebaut sein, was besonders bei Fringilla caelebs (S. 133 a.a. O.) ersichtlich ist. Die Natur sorgt eben, wo sie in Krümmungen baut, durch Anwendung des Spiraltypus (u. a. auch bei Bakterienketten) dafür, dass Wachsthums- und Bewegungsrichtungen niemals in sich selbst zurückkehren. Die eigentliche treibende Kraft des Spermium beruht nun bekanntlich auf einem Hin- und Herschlagen des Kopfes, welches man Pendeln nennen kann, obgleich dieser Ausdruck wenig passt. Wirklich pendeln thut z. B. ein Steuerruder, welches man hin und her reisst. Dadurch kommt das Schiff ebenso wenig in Fahrt wie ein Fisch, wenn er mit seinem Schwanze lediglich wedeln wollte Wie der Fisch schwimmt, das sieht man am besten am Aal. Er lässt seine Seitenmusculatur abwechselnd sich zu- sammenziehen und erschlaffen, aber so, dass jede Contractionsphase die Körperseite von vorn nach hinten durchläuft. Auf eine Phase rechts folgt eine links. Mehrere Phasen, theils rechts, theils links, gleiten immer gleich- zeitig in Abständen am Körper hinab. Wo die Krümmung concav ist, da ist Contraetion, wo sie convex ist, da ist Erschlaffung. Der Aal drückt da- ı O0. Hertwig, Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwicke- lungslehre der Wirbelthiere. Jena 1903. 8. 529. ? Ebenda. 8. 86—476. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 24 370 A. Rortu: Zur KENNTNISSs DER BEWEGUNG DER SPERMIEN. durch das Wasser hinter sich nach dem Princip der schiefen Ebene (Schiffsschraube). Ganz dasselbe thut das Spermium, dessen Körper hier- nach übrigens über bilaterale und centrale motorische Einrichtungen ver- fügen dürfte. Dies aalartige Winden hat noch einen Vortheil, welchen das Spermium kaum missen könnte: der Kopf (das Perforatorium) wird dadurch immer stechend, nicht schneidend, vorwärts geschoben. Im Uebrigen beschreibt der Kopf einen Weg, der, wie Vorstehendes bereits ergiebt, aus zwei Typen zusammengesetzt ist, aus einer Spirale und aus einer Wellenlinie. Sehen wir zunächst von der Spirale ab, so be- schreibt die Kopfspitze folgende Wellenlinie: VENEN GN GNS EN Eee en ZEN.) EN EN TEEN IE zen a SW ze 5 SIE NS NEE EN EEE NZ SZ NT HEN NE A BEN A Ze ENT ZEN EEE N Zeichnen wir nun diese auf einen Papierstreifen und wickeln wir diesen als „Hobelbinde“ rechtsläufig um einen Bleistift, so haben wir ein Bild des Gesammtweges, den der Kopf zurücklegt. Es ist klar, dass ein Spermium, welches annähernd senkrecht auf eine Fläche, z. B. auf das Deckgläschen, auftrifft, auf dieser Fläche mehr weniger vollständige sich verschiebende, also fortschreitende Kreisbahnen zeichnen wird und dass das Fortschreiten um so rascher erfolgen muss, je schräger das Auftreffen erfolgt. Diese Kreise hat schon Eimer! angedeutet und Ballowitz? fügt hinzu, dass die Kopfspitze am Deckgläschen ruckweise fortschreite. Letzteres kann ich nur bestätigen. Es hat damit meiner Ansicht nach folgende Bewandtniss: Pendelt der Kopf nach rechts, so schiebt er sich fast unbehindert auf der Fläche entlang, beim Pendeln nach links dagegen stemmt sich die Kopfspitze erst schräg, dann senkrecht, dann wieder schräg gegen die Fläche, um erst nach vollendetem Links- schlag wieder nach rechts zu gleiten. Das Perforatorium ‚versucht‘ so an zahlreichen immer neuen Punkten in die Platte einzudringen, ein Be- nehmen, welches für das Auffinden einer Mikropyle nicht zweckmässiger gedacht werden kann und vollkommen den Eindruck der Absichtlichkeit macht, obgleich es rein mechanisch erklärbar ist. In neuerer Zeit ist man mehr als früher geneigt, den einfachsten Organismen Bestrebungen verschiedener Art, mithin eine gewisse Seelen- thätigkeit zuzuschreiben. Ich begnüge mich, darauf hingewiesen zu haben, dass, was die Spermien auneb nicht alle hierfür angeführten Gründe stichhaltig sind. ! Verhandlungen der physiol. med. Gesellschaft in Würzburg. 1874. Bd.VI. 8.93. 2 Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1890. Bd. L. 8. 393. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1905—1904. V. Sitzung am 18. December 1903. 1. Hr. Hans FrieDentaALu: „Ueber die Verbrennung innerhalb der lebendigen Substanz.“ Bei der bekannten Thatsache, dass eine grosse Reihe organischer Sub- stanzen in alkalischer Lösung bei Sauerstoffgegenwart sich oxydiren (auto- oxydabel sind) lag der Gedanke nahe, dass auch innerhalb der lebendigen Substanz, deren Reaction man für alkalisch hielt, die Verbrennung auf der- selben Grundlage beruhe. Namentlich vom Traubenzucker war es bekannt, dass er in ganz schwach alkalischen Lösungen sich oxydirt, wenn für ge- nügende Sauerstoffzufuhr gesorgt wird. Nachdem durch die Methode der Prüfung der absoluten Reaction mit Indieatoren! festgestellt ist, dass die Reaction im Protoplasma practisch als neutral anzusehen sei, ein Resultat, welches durch Gaskettenmessungen bestätigt wurde, muss die Frage nach der Verbrennung in der lebendigen Substanz einer erneuten Untersuchung unterzogen werden. Die früher so beliebten Erörterungen und ÜUnter- suchungen über das Vorkommen von activem Sauerstoff, welcher die Ver- brennung schwer verbrennlicher Substanzen im Organismus bei niederer Temperatur erklären sollte, hatten keinerlei Aufschluss über die Verbrennung innerhalb der lebendigen Substanz gegeben, noch viel weniger kann der OH-Ionengehalt der Körpermedien zur Erklärung dieser Verbrennung heran- gezogen werden, da bei der fast absoluten Neutralität der Körpermedien die Umwandlung eines Gramm-Moleeüls Traubenzucker Jahre erfordern würde. Dem Körper stehen für den oxydativen Abbau der verbrennlichen Substanzen einzig und allein Fermente zur Verfügung „Oxydasen“, welche bei annähernd neutraler Reaction und Körpertemperatur den gleichen Abbau bewirken wie hohe OH-Concentrationen bei bedeutend höherer Temperatur. Bei einer Temperatur von 38°, der Körpertemperatur der Säugethiere, zeigten sich alle untersuchten aus dem Thierkörper dargestellten colloiden Substanzen selbst gegen hohe OH-Concentrationen ausserordentlich resistent, trotzdem für stete Sauerstoffzufuhr Sorge getragen war; so resistent, dass ! Die Methode erlaubt in ihrer jetzigen Form Unterschiede von einigen Hundert- millionstel Normalität zu erkennen. Ueber die Methode siehe Zeitschrift für Elektro- chemie. 1904. Bd.1. 8.19. 24* 302 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wir vermuten dürfen, dass auch im lebenden Organismus die ungespaltenen Colloide vor Verbrennung geschützt sind. Die Versuche über die Verbrennung in Laugen von bekannten OH- Concentrationen bei Innehaltung einer bestimmten Sauerstoffspannung während des Versuches bewiesen, dass Eiweissstoffe, colloide Kohlehydrate und Fette selbst in Normal-OH-Lösungen bei einer Sauerstoffspannung von etwa 152 == Quecksilber und 38° Temperatur nicht merklich sich oxydiren. Durch Titration der benutzten Laugen vor und nach dem Versuch wurde der Ein- tritt und der Grad der Oxydation der Versuchssubstanzen festgestellt. Durch zahlreiche Controlversuche war vorher festgestellt, dass durch die Versuchs- anordnung keine Oxydation vorgetäuscht werden konnte. Die colloiden Körpersubstanzen würden nach dem Ergebniss dieser Ver- suche selbst dann nicht bei 38° mit merklicher Geschwindigkeit verbrennen, wenn die OH-Concentration der Körpermedien auf das Millionfache dessen gesteigert würde, was die directe Messung der OH-Concentration ergeben hat. Absolut unangreifbar erwiesen sich die geprüften Substanzen Eiweiss- stoffe, colloide Kohlehydrate, Fette und Seifen nicht in Normallaugen bei Sauerstoffdurchleitung, aber es war die Oxydation selbst in vielen Stunden kaum nachweisbar. Eine deutliche Abhängigkeit der Oxydationsfähigkeit von dem Moleecular- gewicht zeigte sich darin, dass die in Wasser ganz unlösliche Stärke und Cellulose gar nicht angegriffen wurden, dass aber Glycogen eine sehr ge- ringe Oxydirbarkeit erkennen liess, dass ferner Seifen, die ebenfalls colloide Lösungen in Wasser bilden, nur sehr geringe Oxydirbarkeit aufwiesen im Gegensatz zu allen wirklich wasserlöslichen Spaltungsproducten der Körper- substanzen von kleinerem Moleculargewicht. Seifen sind, wie Kraft durch Fehlen der Siedepunktserhöhung nach- wies, in Wasser colloid, in Alkohol bilden sich Doppelmolecüle, wie Verf. ebenfalls durch die Siedepunktsbestimmung auffand. Es giebt also streng genommen keine colloiden Substanzen sondern nur colloidale Lösungen. Während in colloidaler Lösung die untersuchten Substanzen sich als dysoxydabel erwiesen hatten, zeigte sich schon bei viel geringeren OH- Concentrationen die Einwirkung des Sauerstoffes auf die Spaltungsproducte und Abbauproducte der Eiweissstoffe und Kohlehydrate. Sobald durch Ver- dauungsfermente die Moleculargrösse verringert wurde, konnte erhebliche Oxydation bei Körpertemperatur nachgewiesen werden, wobei die Spaltungs- producte des Eiweisses nicht erheblich hinter dem so äusserst leicht oxydir- baren Traubenzucker zurückblieben. Von Salkowski wurde in mehreren Arbeiten bereits darauf hingewiesen, dass die Verbrennung im Organismus beinahe ausschliesslich an Spaltungsprodueten angreifen muss; eine Ansicht, die durch die Oxydationsversuche des Verf. eine neue Stütze findet. Da die Blut- und Zellflüssigkeiten der höheren Thiere, so genau sie auch in vielen Fällen den Neutralpunkt erreichen, doch die Tendenz zeigen, spurenweise nach der Seite der Alkalescens hin abzuweichen, dürfen wir vermuten, dass uns die Oxydation durch OH-Ionen ein ähnliches Abbild der Öxydasenwirkung bei annähernd neutraler Reaction geben wird, wie :die Verdauung mit Salzsäure uns ein Bild von der Wirkung der Pepsinsalz- säure zu geben im Stande ist. In einem früheren Vortrag wies Verf. darauf hin, dass man das Pepsin als Sammler von H-Ionen auffassen PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HANS FRIEDENTHAL. Bst} könnte, da Pepsinsalzsäure wirkt wie stärkere Salzsäure bei der gleichen Temperatur. Es liegt nahe auch die Oxydasen aufzufassen als Ionen- sammler, so dass die Oxydasen wirkten wie eine starke OH-Lösung. Ebenso wie Pepsin den messbaren H-Ionengehalt einer Lösung nicht vermehrt, sondern stark vermindert, so dass es auch in Lösungen, die schwach sauer reagiren, stark wirksam sich erweisen kann, werden wir von Oxydasen in Folge ihres inneren OH-Gehaltes stark oxydirende Wirkung in annähernd neutralen Lösungen erwarten können. Ist diese Hypothese richtig, dann müssen die feinsten Erhöhungen des OH-Gehaltes einer Lösung, die an sich völlig gleichgültig für die Schnelligkeit der Oxydation sich er- weisen würden, bei Anwesenheit von Oxydasen sich eminent wirksam zeigen, ebenso wie Pepsin durch an sich völlig unwirksame Erhöhung des H-Ionengehaltes einer Lösung seine Wirkung auf das Vielfache steigert. In der That beobachtete Zuntz, dass durch Zufuhr kohlensaurer Alkalien die Verbrennungen im Organismus sich stark beschleunigen lassen und doch bleibt dabei die Reaction der Körpersäfte annähernd neutral. Wie wichtig die Anwesenheit der OH-Ionen auch bei neutraler Reaction für alle Oxy- dationen ist, beweist die Thatsache, dass ohne sie überhaupt keine Ver- brennung zu Stande kommen kann. Neutralisiren wir eine Säure durch eine Base, so bildet sich Wasser H,O durch Zusammenschliessen der Ionen H und OH. Gäbe es nun eine Verbrennung von Wasserstoff durch directe Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff, so hätten wir Wasser von zweierlei Herkunft auf der Erde zu unterscheiden. Ein bekanntes Experi- ment zeigt nun, dass jedes Waässermolecül nur durch Zusammentritt der Ionen H und OH entstanden ist, indem völlig getrockneter Wasserstoff sich mit völlig trockenem Sauerstoff nicht verbindet, völlig trockenes Knallgas sich nicht zur Explosion bringen lässt. Es fehlen bei Abwesenheit von Wasser die H und OH-Ionen. Für Kohle gilt, wie Versuche des Verf. be- wiesen, das Gleiche. Völlig getrocknete Kohle lässt sich in völlig trockenem Sauerstoffe nicht verbrennen und es ist eine den Chemikern und den Heizern von Dampfmaschinen bekannte Thatsache, dass Anfeuchten der Kohle ihre Verbrennlichkeit stark befördert. Die Oxydationsformel der Kohle lautet nicht C + O, = CO,, sondern wir müssen eine Ionenformel für die Verbrennung des Kohlenstoffes construiren. Vielleicht lautet die Ver- brennungsformel des Kohlenstoffes + OH 4 2,04 C NL +40H = CoH + OH C(OH), zerfällt in CO, und 2H,O auf dem Wege über H,CO, OH ere LEO ER u. OH a? Say: 2 id. OH ! Diese Ionenformel für die Verbindung von C und O ist hypothetisch. Wer sich an der Annahme stösst, dass Kohlenstoff vier positive Valenzen soll aufweisen können, der berücksichtige Abegg, Versuch einer Theorie der Valenz. Christiania 1902. 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Jedenfalls beweisen die Experimente, dass Oxydation oder Verbrennung ohne OH-Ionen überhaupt nicht zu Stande kommt, so dass die wiederholt ausgesprochene Vermuthung an Wahrscheinlichkeit gewinnt, dass alle chemi- schen Reactionen Ionenreactionen sind. Die Verbrennung des Eiweisses, welches im Organimus fast restlos zu Harnstoff, Kohlensäure und Wasser oxydirt wird, findet in den oben be- sprochenen Oxydationsversuchen deshalb kein Analogon, weil die entstehen- den Oxydationsproducte hemmend auf die Oxydation einwirken. Der Organis- mus sorgt durch Wegschaffung der Oxydationsproducte für eine restlose Verbrennung, während in den Reagensglasversuchen die Qxydation mit immer abnehmender Geschwindigkeit vor sich gehen muss. Da in den Oxydations- producten des Eiweisses nach vorangegangener tryptischer Verdauung carbamin- saures Ammoniak sich nachweisen liess, so können wir voraussehen, dass bei Anwesenheit eines harnstoffbildenden Fermentes wie in der Leber auch bei der künstlichen Oxydation ein beträchtlicher Teil des Eiweisses sich zu Harnstoff müsste verbrennen lassen, da durch Wegschaffung der Oxydations- producte Kohlensäure und Ammoniak immer neue Substanzmengen der Oxy- dation unterliegen müssten. Das Ausbleiben der Bildung beträchtlicher Harnstoffmengen im Oxy- dationsversuch mit Eiweissspaltungsproducten beweist nicht, dass die Ver- brennung im Organismus in prineipiell anderer Weise erfolgt als durch die OH-Ionen bei Sauerstoffgegenwart im Versuchskolben. Eine besondere Untersuchung verdient noch die Frage nach dem Ein- fluss der Sauerstoffspannung auf die Oyydationsgeschwindigkeit, wofür noch neue Untersuchungsreihen nothwendig sind mit Variation der Sauerstoff- eoncentration. Aus der Affinität des Hämoglobins zu Sauerstoff folgt, dass im Blut und in den Geweben die Sauerstoffspannung sehr viel geringer ist als in der Luft. Hämoglobin vermehrt die den Organen zugeführte Sauerstoffmenge (gegenüber O-gesättigtem Serum), vermindert aber dafür die Sauerstoffspannung. Die thatsächlich beobachtete Geschwindigkeit der Verbrennung schwer verbrennlicher Substanzen im Organismus, beruht weder auf hoher Sauerstoffspannung, noch auf einem hohen OH-Gehalt in den Körpermedien. Ohne Anweisenheit von Oxydasen findet im Organismus keine Verbrennung statt. Angreifbar für die Oxydasen werden die colloiden Substanzen erst nach oder während der Einwirkung hydrolytisch spaltender Fermente. 2. Hr. Sau: „Ueber Reinculturen von Protozoön.“ Beyerink hat als erster den Nachweis erbracht, dass in alkalischem Agar Protozoön in Symbiose mit Zellen, die der Classe der Spaltpilze an- gehören, vegetiren und sich vermehren können. Die Pathologie der Thiere und Pflanzen lehrt, dass Protozoön auch in Symbiose mit Zellen der Meta- zoen existiren. Den mitzutheilenden Versuchen lag die Annahme zu Grunde, dass Zellen der Metazoön in alkalischem Agar nach ihrer Loslösung vom Organis- mus Wochen und Monate hindurch ihre Vitalität bewahren können. In Ueber- einstimmung mit Fr. Kraus wurde ‘die Erhaltung des Zellkernes bei Be- ! Etwa 30 mm Hg. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — SAUL. 35 dingungen, unter denen die regressiven Metamorphosen erfolgen können, als Zeichen des bestehenden Lebens betrachtet. fi Implantirt man umfängliche Zellecomplexe, die Tumoren entstammen, in alkalisches Agar, so kann nachgewiesen werden, dass bei Einwirkung der Brüttemperatur und bei Verhütung der Eintroeknung der Zellkern oft noch nach 8 Monaten, wenn auch stark involvirt, deutlich nachweisbar ist (Färbung nach van Gieson); diese Wahrnehmung kann selbst dann gemacht werden, wenn die Tumorzellen mit Spaltpilzen concurriren müssen, weil es nicht gelungen ist, die Tumorstücke aseptisch in den Nährboden zu implantiren. Waren nur 2 Monate verflossen seit der Implantation, so zeigten sich die Tumorzellen in den meisten Fällen, sowohl in Rücksicht auf den Contur des Zellenleibes wie auf den des Kernes, so gut erhalten, dass man meinen konnte, dieselben entstammten einem eben exstirpirten Tumor. Auf der Grundlage der Untersuchungen von Klebs, Sjöbring, Woronin, Nawaschin und Podwyssotzki wurde angenommen, dass in Tumoren Protozo@n vegetiren, die innerhalb des Organismus in Entwicklungs- formen erscheinen, welche ihre Unterscheidung von histologischen Elementen nicht erlauben, während sie ausserhalb des Organismus Typen produciren, in denen sie als Parasiten erkannt werden. Die Untersuchung erstreckte sich auf Carcinome, Sarcome und Fibrome des Uterus und des Ovariums. Man verfährt in folgender Weise: Den centralen und peripheren Theilen des Tumors, der mit antiseptischen Lösungen nicht in Berührung kommen darf, werden möglichst bald nach der Exstirpation unter aseptischen Cautelen umfängliche Stücke entnommen, die so gross sind, dass sie die Mündung eines Reagenzglases noch passiren können. Diese Stücke werden in geschmolzenes und auf Körpertemperatur abgekühltes Agar geworfen, das man darauf im Reagenzglas grad erstarren lässt. (Die Alkalescenz des Nährbodens darf den im Allgemeinen vorgeschriebenen Grad nicht übertreffen; zeigt die Alkalität des Nährbodens die Höhe, die z.B. für die Züchtung des Cholerabaeillus vorgeschrieben ist, so treten unter Einwirkung der Brüttemperatur, ins- besondere bei bösartigen Tumoren, im Gefolge autolytischer Processe so starke Gährungen in den dem Nährboden implantirten Tumorstücken auf, dass nach Verlauf von 24 Stunden der Nährboden total gesprengt werden kann, selbst wenn es gelungen ist, die Tumorstücke aseptisch in denselben zu bringen.) Die mit den Tumorstücken beschickten Agargläser werden in den Brütschrank gestellt und am folgenden Tage mit einer hohen Bouillon- schicht bedeckt. Man kann nun die Tumorstücke Wochen und Monate bei be- liebigen Temperaturen beobachten und durch Abimpfungen mit der Oese zu jeder Zeit erfahren, in welcher Phase sich etwaige regressive und pro- gressive Processe befinden, die in den im Agar implantirten Zelleomplexen erfolgen, nachdem sie aus dem Verbande des Organismus gelöst sind. Die mit der Oese abgeimpften Tumorpartikel werden ohne Anwendung einer fixirenden oder färbenden Lösung in sterilem Wasser oder in steriler Bouillon mikroskopirt. Nach 1 bis 2 Wochen bemerkt man, wie zwischen den histologischen Elementen der Tnmorstücke in immer grösserer Zahl runde Formen auftreten; sie besitzen die Grösse eines roten Blutkörperchens, scharfe Conturen, hyalinen Glanz und eilen gelegentlich wie Fetttröpfehen 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER oder Myelinkugeln durch das Gesichtsfeld; sie werden durch Alkali zerstört und durch Osmiumsäure nicht geschwärzt. Nach 3 bis 4 Wochen treten neben diesen Formen grössere auf. Dieselben zeigen auf’s Deutlichste so- wohl Gestalts- wie Ortsveränderungen, die nach der Beobachtung als passive nicht gedeutet werden können. Man bemerkt, wie gelegentlich ein Parasit einen oder mehrere Ausläufer aussendet, um sie nach einigen Minuten wieder einzuziehen und andere auszustrecken, bis er allmählich in den Zu- stand der Ruhe zurückkehrt und eine runde Form gewinnt. Wurden die Culturen dauernd bei Brüttemperatur gehalten, so sank die Zahl der Para- siten gelegentlich so stark, dass sie in wiederholten Abimpfungen an auf einanderfolgenden Tagen nicht mehr nachgewiesen werden konnten. In einer Reihe von Fällen wurde die Zahl der Organismen auf annähernd gleicher Höhe erhalten, wenn in 12 stündigen Intervallen abwechselnd Tempe- raturen von 25° und 15° oder in 24stündigen Intervallen abwechselnd Temperaturen von 35° und 25° einwirkten. Controllirte man, nachdem bei dauernder Einwirkung einer Temperatur von 35° die Parasiten in Folge ihrer starken Abnahme nicht mehr nachweisbar waren, das Intervall, das zwischen den Recidiven lag, so wurde festgestellt, dass die Erstlinge der neuen Generation in der Form von kleinen, oft mit einer Geissel ver- sehenen, etwa stecknadelkopfgrossen Organismen erschienen, die schnell durch das Gesichtsfeld eilten. (Beobachtet mit Ocular 2; Objeetiv D; Zeiss; 250 fache Vergrösserung.) Nach wenigen Tagen wurden die kleinen Formen seltener, die grossen zahlreicher. Die letzteren entwickelten sich besonders an der Peripherie der implantirten Tumorstücke und dort, wo die Intercellularsubstanz sich gelockert hatte. An den Stellen, wo das Tumor- gewebe so cohärent war, dass bei der Abimpfung mit der Oese die Zellen aus ihrer Continuität nicht getrennt wurden, zeigten sich fast ausschliess- lich die kleinsten Formen. Da sie nach ihrer Grösse den Zellkernen glichen und, eingeschlossen von den Zellen, der Eigenbewegung entbehrten, so konnten sie morphologisch von Zellkernen oder Detrituskörnern nicht unterschieden werden; nach Einwirkung von Alkali sowie durch Zusatz von Essigsäure werden sie zerstört. Die Parasiten wurden, wie erwähnt, aus gut- artigen und bösartigen Neubildungen gezüchtet, aus Carcinomen, Sarcomen und Fibromen, doch war es bei der Variabilität ihrer Formen nicht mög- lich, distinete Arten zu unterscheiden; die Mehrzahl derselben bot Ent- wieklungsformen dar, in denen sie sich alle glichen. VI. Sitzung am 15. Januar 1904. 1. Hr. von HansemAnn: „Ueber abnorme Rattenschädel.“ In Band XXI des „Anatomischen Anzeigers“ hat Wiedersheim eine Untersuchung mitgetheilt über Zahnanomalien bei Ratten, die, wie ich aus diesem Artikel ersehe, einen ziemlich unbekannten Zustand darstellen, während sie in Wirklichkeit ausserordentlich häufig vorkommen. Deshalb möchte ich mir erlauben, Ihnen einige ausgezeichnete Exemplare solcher Zahnanomalien vorzuführen. Dieselben kommen nicht allein bei Ratten, sondern bei allen Nagethieren vor, und sie beruhen auf der Fähigkeit der Schneidezähne PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — VON HANSEMANN. — A. Macnts-Levy. 377 derselben, in’s Ungemessene zu wachsen, wenn sie nicht durch die physio- logische Abschleifung beim Nagen daran gehindert werden. In einem grösseren Bestande von Ratten im Laboratorium findet man immer eine Anzahl solcher Thieree Man kann aber die Veränderung auch künstlich hervorbringen, wenn man das Abschleifen der Nagezähne in irgend einer Weise verhindert. Die Veränderung besteht darin, dass die Zähne monströs lang aus- gewachsen und dabei, entweder wie die Hauer der Fber, bogenförmig in die Höhe ragen, oder, wie die Zähne des Walrosses, nach unten herunter- hängen, oder endlich auch schraubenförmige Windungen machen, die in dem einen Beispiel, das ich Ihnen hier vorführe, 2!/, Tour beträgt. Bei diesem abnormen Wachsthum kommt es zuweilen vor, dass die Zähne allmählich durch die Lippenwandungen oder die Wangenschleimhaut der Thiere hindurehwachsen, und so durch Löcher in den Weichtheilen nach aussen treten. Dadurch werden die Thiere an der weiteren Nahrungsaufnahme gehindert und gehen dann gewöhnlich an Ernährungsstörungen zu Grunde. Ueber die Ursachen hat sich Wiedersheim sehr zutreffend ausgesprochen. Wenn es ihm auch nicht gelang, in jedem Fall an dem Schädel den Nach- weis zu führen, dass eine Luxation des Kiefers vorhanden war, so führt er doch diese Veränderungen zurück auf die vielfachen traumatischen Ein- wirkungen, die die Ratten bei ihren zahlreichen Raufereien erleiden. Ich habe in Wirklichkeit mehrfache Kieferluxationen gefunden; auch Blutungen in der Kaumuskulatur kommen vor und Verletzungen der Wangenmusku- latur durch die Bisse der anderen Ratten. Endlich können beim Nagen selbst oder bei den Beissereien Zähne abbrechen. Man kann in Wirklich- keit diese Veränderungen künstlich erzeugen, indem man dem Thiere einen Schneidezahn auszieht. Dann wächst der gegenüberliegende Schneidezahn lang hervor. Weiter lässt sich dadurch diese Affection künstlich hervor- bringen, dass man den Thieren jede Möglichkeit zum Nagen nimmt und sie . nur mit weichen Nahrungsmitteln füttert. Von den beiden Methoden, die Anomalie hervorzubringen, habe ich Ihnen Beispiele mitgebracht. Endlich ist auch ein Fall unter den Präparaten, wo sich am Oberkiefer eine Caries befindet, vielleicht auch im Anschluss an traumatische Ver- letzungen, wodurch dann die oberen Schneidezähne lang hervorgewachsen sind. 2. Hr. A. MAacnus-Levyr: „Ueber Zuckerbildung aus Eiweiss und das Verhalten des respiratorischen Quotienten im Diabetes.“ (Abgekürzte Darstellung.) Die Entstehung von Zucker aus Eiweiss darf heute als gesicherte That- sache der Wissenschaft betrachtet werden, sie bedarf trotz der neuerdings von Pflüger erhobenen Einwände keiner weiteren Stützen. Wenn sie richtig ist, so muss der respiratorische Quotient (RQ) beim schweren Dia- betiker sich in einer bestimmten charakteristischen Weise ändern. In wie- weit das wirklich der Fall ist, will ich heute an der Hand eigener und fremder Untersuchungen darlegen. Der RQ beträgt bei ausschliesslicher Verbrennung von Kohlenhydraten 1-0, von Eiweiss etwa 0°80 und von Fett 0.707.! Im Thierkörper gelangt ! Ich sehe hier und auch bei der Erörterung der Werthe beim Diabetiker, die zumeist nüchtern untersucht werden, von dem Einfluss des Alkohols auf den R.-Q. ab. 378 VERHANDLUNGEN DER BERLINER neben stickstofffreien Stoffen stets auch Eiweiss zur Verbrennung. Nehmen wir nun zur bequemen Orientirung für den nüchternen Zustand und für mittlere Ernährungsverhältnisse eine Beteiligung des Eiweiss mit 15 Procent am Kraftwechsel an, und lassen wir die übrigen 85 Procent der umgesetzten Energie von Kohlenhydraten oder von Fetten bestritten werden, so sind die Grenzwerthe des RQ bei einer Vertheilung des Kraftwechsels mit 15 Procent auf Eiweiss und 85 Procent auf Kohlehydrate = 0-969 1) „ „ „ „ 85 „ „ Fett = 0.720. Unter normalen Verhältnissen werden diese Grenzwerthe weder nach unten noch oben überschritten, vorausgesetzt, dass die zur Ver- brennung gelangenden Nährstoffe thatsächlich zu den End- produeten zerfallen und nicht irgend welche Umwandlungs- producte aus ihnen entstehen. Die zweite Voraussetzung für die Gültigkeit des ausgesprochenen Satzes ist eine richtige Technik der Respi- rationsuntersuchungen.! Wir können mit voller Bestimmtheit behaupten, dass die vielfach, namentlich von französischen Forschern, gefundenen niederen RQ (unter 0.60) fehlerhaft sind. Die Verfolgung des RQ hat unter anderem Aufschluss gegeben über die Schnelligkeit, mit der in den Magendarmcanal eingeführte Kohlenhydrate sich am Stoffwechsel betheiligen. Schon !/, Stunde nach Aufnahme von 1008 Stärke oder Zucker steigt der RQ deutlich an, so beispielsweise von 0.75 auf 0.8 und höher, nach 1 bis 1!/, Stunden gegen 0-9 und bei Zufuhr grösserer Mengen Kohlenhydrate auch noch weiter. — Ebenso verdanken wir derartigen Untersuchungen Aufklärung über die Bedeutung der Kohlen- hydrate und der anderen Nährstoffe als Quelle der Muskelkraft. Es hat sich gezeigt, dass die Kohlenhydrate, wenn sie nicht gerade in besonders grossen Mengen im Körper kreisen, sich nur mit einem mässigen Betrage, keines- wegs ausschliesslich an der Lieferung der Energie für die Muskelarbeit be- theiligen. Ueberschreitungen der oben genannten Grenzwerthe des RQ können nur dann stattfinden, wenn neben den bis zu den Endproducten führenden Verbrennungen sich andere Umsetzungen vollziehen, z. B. wenn aus einem sauerstoffreichen Körper Sauerstoff abgespalten wird, der zur Oxydation verwandt werden kann. Das ist z. B. der Fall bei der Entstehung von Fett oder Fettsäuren aus Zucker. Dabei wird, ohne Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft, CO, (und Wasser) frei. Wie der thatsächliche chemische Vorgang der Entstehung von Neutralfett verläuft, erörtere ich hier nicht, und gebe bloss zur bequemen Uebersicht die Bruttoformeln für Entstehung von Stearinsäure aus Zucker 90,H,,0, = 3- CsH5405 + 480, 4C,H,,0, + 480, = 2400, + 24H,0 13C,H,,0, = 3 C,,H;,0, + 2400, + 24H,0. ! Dahin gehört u. a. die Innebaltung einer normalen Athmung, d. h. Vermeidung einer foreirten, überstarken, oder umgekehrt einer „sparsamen“ Athmung, die den RQ stark verändern, vor allem eine exacte CO,- und O,-Bestimmung. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. MaAGnts-LEvyY. 379 Die hier ohne Eintreten von Sauerstoff aus der Luft ent- standene CO, wird bei der Ausscheidung durch die Lungen, den Zähler des Bruches nn vergrössern, und somit den Werth des RQ erhöhen, und zwar um so mehr, je grösseren Umfang die Fettbildung aus Zucker an- nimmt. Ich habe seiner Zeit berechnet, dass in Meissl’s Mastversuchen am reisernährten Schwein der RQ im Mittel eines ganzen Tages 1-38 betragen haben müsse; Werthe bis zu dieser Höhe hat Bleibtreu in Mastversuchen an der Gans durch exacte Messung thatsächlich festgestellt. Auch bei nur zeitweiser Ueberschwemmung des Körpers mit Kohlenhydraten sah man den RQ die Einheit auf der Höhe der Kohlenhydrateverdauung mehrfach überschreiten (Hanriot und Richet, Magnus-Levy). Das entgegengesetzte, ein Sinken des RQ findet statt, wenn aus einem sauerstoffarmen Körper, wie dem Eiweiss, ein sauerstoffreicher, Trauben- zucker, entsteht, und letzterer (im Körper abgelagert, oder wie beim Dia- betiker) unverbrannt ausgeschieden wird. In 60 3”% Traubenzucker, die maxi- mal aus 100 8"% Eiweiss entstehen können, ist erheblich mehr Sauerstoff vorhanden, als in den 1008'% Eiweiss. Es enthalten nach Abzug der in Harn und Kot übergehenden Elemente des Eiweisses: 100 8m Eiweiss = 38-6C 4-24H 9.240 OU 2705— 20 Al 320, Rest + 14-60 + 0-24H — 22.8 O es müssen also zu dieser Zuckerbildung erhebliche Mengen Sauerstoff, 22.8®% aus der Atmosphäre aufgenommen werden, die nicht als Kohlen- säure wieder in der Ausathmungsluft erscheinen, und damit muss der RQ sinken. Für den beim Diabetiker nach Abspaltung von Zucker zur Ver- brennung gelangenden „kohlenhydratfreien Rest des Eiweisses“ lässt sich der Werth des RQ berechnen, wie folst: 100 8” Eiweiss erfordern 89-210, bilden 72.0!C0,; RQ = 0.808 5 er % AS AA ERO 0 100 stm E — 60 8% Tr.-Z. erfordern 44.410, bilden 27-2!C0,; RQ = 0.613 Wenn nun der schwere Diabetiker von zugeführten Kohlenhydraten nichts verbrennt, (oder doch weniger, als er gleichzeitig an Zucker aus Eiweiss bildet), so bestreitet er seinen Haushalt lediglich aus Fett und dem „kohlenhydratfreien Rest“ des Eiweisses. Da das Erstere einen RQ von 0.706, das Letztere einen solchen von 0.613 besitzt, muss der RQ beim schweren Diabetiker zwischen diesen beiden Werthen liegen, d. h., wesent- lich unter dem normalen Grenzwerth beim Gesunden. In zahlreichen Versuchen an drei schweren und drei leichten Dia- betikern habe ich folgende Werthe gefunden: (Siehe Tabelle 1.) Die Werthe A1 und B1 liegen noch innerhalb der für den Gesunden gelten- den Bereiches; A3 und B3 gebe ich preis, da sie nur einem Versuche ent- stammen; A2 und B2 sind die besten, aus zahlreichen Versuchen stammen- den Mittelwerthe. ‚Sie zeigen, dass der RQ beim Diabetes in Uebereinstimmung mit der theoretischen Forderung, thatsächlich tiefer sinkt, als beim normalen Menschen, entsprechend der Abspaltung des Zuckers aus Eiweiss. Aehnliche Werte finden sich auch bei anderen Autoren. Ich stelle deren Untersuchungen unter Fortlassung der unrichtigen französischen hier zusammen. In den Unter- 380 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Msabelle ST. | Respiratorischer Quotient | | B. | beischwerem Diabetes | bei leichtem Diabetes Masnusibevy. sl, | 208 en 721 | I, 10-6880 22 -698 3 0.637) | 3 «640 (?) Leo | 0.665 | | 0-74 || | SHSZSHS Nehring-Schmoll 0:74 | — 0-69 | | BE Weintraud .. .| 0-70 | ze | 0.64) | En 0.617) | | _ Gesunder Mann 6 bis 10 Tage hungernd Zuntz-Lehmann . | 0670 | en | 0.700 | — suchungen Leo’s sowie Nehring’s und Schmoll’s am schweren Diabetiker finden sich Werthe ähnlich den meinen; Werthe von Weintraud von 0-64 und 0-61 aus 9stündigen Versuchen entstammend, muss ich als unrichtig erklären, da bei diesem schweren Diabetiker zur Zeit der Untersuchungen der Urin keinen Zucker enthielt, und solche Zahlen selbst beim schwersten Diabetes mit maximaler Zuckerausscheidung nicht erreicht werden können. Das lehrt folgende Rechnung, bei der ich von den Ernährungsverhältnissen ausgehe, die heutzutage in den guten Schulen für Diabetiker üblich sind. (Siehe Tabelle II.) Bei einer an Eiweiss knappen Kost von 1008'% Eiweiss und 250 3m Fett am Tage wäre der RQ beim normalen Menschen (Ia) 0.722, beim Diabetiker, wenn er dabei 60®”% Zucker ausscheidet, 0-699 (Ib). Eine weitere Herabdrückung findet dann statt, wenn er ausserdem Oxybutter- säure ausscheidet, denn auch dabei handelt es sich, ebenso wie bei der Zuckerbildung aus Eiweiss, um die Bildung eines sauerstoffreichen Körpers aus einem sauerstoffarmen, dem Fett. (Wenn manche Autoren auch die Entstehung der Acetonkörper aus Eiweiss verfechten, so ist das für den Eindeffeet unserer Rechnung ganz nebensächlich, da wir in dieser nur die Subtraetion der Factoren (O,-CO,) für die Oxybuttersäure von der Summe der Factoren für das Eiweiss und das Fett vorzunehmen haben). Die Abspaltung von 20 8"” dieser Säure würden denRQ auf 0:692 ermässigen (Ice). — Da von den beiden, vom Diabetiker verbrannten Nahrungsstoffen, dem Fett und dem „kohlenhydratfreien Rest des Eiweisses“ letzterer den niedrigeren RQ hat, so muss der RQ um so tiefer sinken je stärker das Eiweiss am Umsatz beteiligt ist. Ueber 1508’ Eiweiss aber lassen wir den Diabetiker heutzutage nur ungern aus seiner Nahrung resorbiren (entsprechend einer Bruttozufuhr von 160 bis 170®"” Eiweiss). Der RQ würde bei einem Um- satz von 1503" Eiweiss und 250 ®’" Fett bei gleichzeitiger Ausscheidung PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. MaAGnus-Levy. 381 Tabelle I. RE. | Erfordert _ Bildet Der Eine Kost IE ; \ R.-Q. Liter O, | Liter CO, | beträgt von 100 8m Riweiss | 89-2 72-0 | | Ma on0r Het 504-9 356-8 | | \ 594-1 428-8 | 0.722 | \ a) ohne Abfall wenn ausgeschieden | werden 608= Zucker || — 44:8 | — 448 | Knappe | 549-5 3854:0 | 0-699 | Eiwei ı b) Abfall von 608" wenn ausserdem noch | Zucker, ausgeschieden werden | ration 208m Oxybuttersäureı — 19-3 | — 17-2 | 530-0 366-8 | 0-692 | | c) Abfall von 60grm | Zucker u. 20 sm Oxybuttersäure 1508 = Eiweiss | +133-8 | +108-0 a) Maxim. Zucker- + 250 „ Fett +504-9 | +358-8 bildung aus Ei- — 90 ,„ Zucker oo | 64.2 wo — 40 „ Oxybutters.|| — 38-7 | — 34-4 1. | 532-8 | 363-2 0.682 | Grosse | 150 „ Eiweiss +133.8 108-8 | Eiweiss- b) Zuckerbildung 250 „ Fett +504.9 356-8 ı aus Eiweiss u. 9 | t 5 — 40 „ Oxybutters. — 38-7 | — 34-4 ration Fett (hypothe tisch). — 150 ,„ Zueker —111-9 —111:9 488-1 | 318-5 | 0-653 | von 90 Em Zucker und 40 8% Oxybuttersäure auf 0-682 sinken (Ila). Diese nach unserer Meinung niedrigste theoretische Zahl aber ist für Verhält- nisse berechnet, wie sie selbst beim schwersten Diabetes nur ausnahms- und zeitweise stattfinden. Innerhalb der Grenzwerthe von 0-68 und 0-70 liegen denn auch die Werte, die von mir, Leo und Nehring-Schmoll beim schweren Diabetes gefunden sind, Werthe, die niedriger liegen wie die von Weintraud oder gar noch tiefer um 0-6 bis 0-5, wie sie von französischen Autoren in- und ausserhalb des Diabetes häufig gefunden wurden, sind eine Unmöglichkeit, für die es keine andere Erklärung giebt, als die unrichtiger Versuchs- anordnung oder Analyse. Geben wir selbst die Möglichkeit einer Zucker- bildung aus Fett zu, dergestalt, dass bei Aufnahme von 1508" Eiweiss und 250:’® Fett eine, thatsächlich noch nie gefundene, Zuckerbildung von 1503”% aus diesen Materialien erfolgt, was eine Zuckerbildung aus Fett in sich schliessen würde, so würde der RQ nur auf 0.653 (IIb) sinken. Nur bei einem ausschliesslich mit Fleisch gefütterten Phlorieinhund wäre es möglich, den RQ auf der Höhe der Verdauung bis auf 0.62 herab- zudrücken. Die Zuckerabspaltung aus Eiweiss ist nicht ausschliesslich auf den Dia- betes beschränkt. Sie spielt wahrscheinlich auch unter physiologischen Ver- 382 VERHANDLUNGEN DER BERLINER hältnissen eine gewisse Rolle, freilich ohne dass dabei Zucker im Harn ausgeschieden wird; er gelangt vielmehr später zur Verbrennung und kommt gelegentlich zur Aufstapelung in Form von Glycogen. An dem Verhalten des RQ aber spiegelt sich diese physiologische Abspaltung in einer für uns erkennbaren Weise nur selten, nämlich dann, wenn bei längerem Hunger die Kohlenhydratbestände des Körpers aufgezehrt sind und der Stoffwechsel, ähnlich wie beim Diabetes, ausschliesslich aus Fett und Eiweiss bestritten wird. Bei Cetti und Breithaupt haben Zuntz und Lehmann innerhalb längerer Hungerreihen den RQ häufig zwischen 0-66 und 0-70 gefunden. — Die Aufstapelung von Glycogen aus Eiweisszucker macht es verständlich, dass auch beim leichten Diabetiker, der bei kohlenhydratfreier Nahrung keinen Zucker ausscheidet, der RQ annähernd eben so tief sinken kann wie beim schweren Diabetiker (s. obige Tabelle I). Bei ihm aber werden ganz sicher, ebenso wie das bei den hungernden Personen von Zuntz der Fall war, die im Körper verbliebenen Kohlenhydrate später, vor allem während der Muskelarbeit verbrennen und dann der RQ entsprechend steigen. Noch einen Einwand gilt es zu widerlegen, den man gegen die von mir geübte Berechnung des RQ, und gegen die Richtigkeit der von mir theoretisch berechneten „Grenzwerthe“ gelegentlich zu hören bekommt. Die Bildung von Zucker aus Eiweiss sei nicht der einzige Prozess einer Sauer- stoffaufstapelung, sondern es fänden auch noch zahlreiche andere Vorgänge statt, die den RQ ähnlich beeinflussen können. Das ist im Princip wohl richtig. Eine O,-Ausscheidung kommt häufig vor, z. B. bei der Glycuron- säurebildung, bei der Athmuriig von sauerstoffreichen Gasgemischen u. s. w.; aber hier ebenso wie bei etwaigen Stoffwechselanomalien, bei denen intermediäre Producte (Aminosäuren, aromatische und fette Körper u.a.) un- verbrannt im Urin erscheinen, sind es nur verhältnissmässig kleine Mengen von Sauerstoff, die in solchen intermediären Producten festgelegt werden. Sie können den RQ nur wenig herabdrücken. Eine Abspaltung von 60 8"% Zucker, auf den Tag gleichmässig vertheilt, verringert den RQ nach obiger Rechnung nur von 0°722 auf 0-701, d. h,, um 0.021. Alle anderen oben genannten Processe aber erreichen im Verlauf von 24 Stunden nur den Umfang weniger Gramm und können den RQ nur um wenige Tausendstel herabdrücken.! Das hier geschilderte Verhalten des RQ beim Diabetiker gilt zunächst nur für den Stoffwechsel bei absoluter Ruhe und in nüchternem Zu- stande. Etwaige Veränderungen durch Nahrungsaufnahme und Muskel- arbeit kann ich an dieser Stelle nicht besprechen, ebensowenig, wie die absolute Höhe seines Gaswechsels und seiner Wärmebildung. ! In Folge der CO,-Ausscheidung durch die Haut, die beim Menschen in der Ruhe etwa 1 Procent des gebildeten CO, beträgt, wird der RQ bei ausschliesslicher Unter- suchung der Lungenathmung um 0.010 bis 0-015 niedriger gefunden, als der theore- tischen Berechnung entspricht. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu Boıs-Reymonnd. 383 VII. Sitzung am 29. Januar 1904. Hr. R. du Boıs-Reymoxp: „Vom Schwimmen des Menschen.“ Die wissenschaftliche Betrachtung des Schwimmens muss die Wirkungen des Wassers an sich, wie sie auch beim Bade bestehen, von denen des Schwimmens selbst sorgfältig unterscheiden. Das Wasser kann erstens chemisch wirken, wenn auch wohl meist nur in sehr geringem Maasse, zweitens thermisch, drittens mechanisch durch seinen Druck. Bei der ther- mischen Wirkung ist wieder die Reizwirkung des kalten Wassers von der calorischen Wirkung zu unterscheiden. Die Wärmeentziehung kommt wesent- lich durch Conveetion zu Stande, und kann durch wasserdichte Bekleidung (Oelzeug) stark herabgesetzt werden. Der Wasserdruck, der beim Schwimmen auf dem Körper lastet, ist durchaus nicht unbedeutend. Eine sehr mässige Schätzung ergiebt, dass auf der beim Athmen bewegten Fläche von Brust und Bauch ein Gewicht von rund 88 lastet. Daraus erklärt sich das Ge- fühl von Angst und Beklommenheit, das den des Wassers Ungewohnten be- fällt, sobald er in tiefes Wasser eintaucht, ferner die Heftigkeit der Aus- athmung, und die grosse Erleichterung, die es gewährt, sich nach längerem Brustschwimmen mit der Brust nach oben zu kehren. Auch auf den Kreis- lauf wirkt nach Hill und Barnard der äussere Wasserdruck wesentlich ein. Beim eigentlichen Schwimmen spielt, wie schon Brücke andeutet, die Form und Stärke der Bewegungen erst die zweite Rolle. Am wichtigsten ist das Haushalten mit dem Athem, denn mit gefüllter Lunge können fast alle Menschen ohne jede Bewegung schwimmen. Daher muss beim Athmen ein bestimmtes Tempo gehalten werden, damit die Ausathmung in einem Moment fälli, wo die rudernden Arme oder Beine den Körper zu unter- stützen im Stande sind. Was die Bewegungen betrifft, so beruhen sie wie die Ruderbewegungen überhaupt, auf der Eigenschaft des Wasserwider- standes, mit dem Quadrate der Geschwindigkeit zuzunehmen. Eine ganz gleichmässige Vor- und Rückwärtsbewegung, die in der Richtung nach rückwärts schnell, in der Richtung nach vorwärts langsam ausgeführt wird, ergiebt daher einen Antrieb nach vorn. Man kann mit einiger Annäherung die nutzbare Arbeit beim Schwimmen messen, wenn man den Körper stoss- weise durch das Wasser schleppt, etwa so schnell wie es beim Schwimmen geschieht, und die Spannung des Schlepptaus registrirt. Hierbei ergeben sich für die nutzbare Arbeit unerwartet kleine Werthe, unter 10 mk-Sec. Dabei ist subjeetiv bei gleicher Schwimmleistung das Gefühl viel grösserer Anstrengung vorhanden. Die „körperliche“ Arbeit, die zur Bewegung der Glieder selbst dient, ist nämlich beim Schwimmen im Vergleich zur nutz- baren Arbeit sehr gross, weil die Glieder nach dem oben angeführten Prineip schnell bewegt werden müssen. Die blosse Ausführung der Schwimm- bewegungen ohne äusseren Widerstand erfordert, wie sich leicht zeigen lässt, allein einen Arbeitsaufwand, der die Grösse der nutzbaren Arbeit übersteigt. Daher ist die Gesammtarbeit selbst bei mässigem Schwimmen gross und bei der Einwirkung des Wasserdrucks die Beanspruchung der Athemmuseulatur sehr bedeutend. Bei den gut schwimmenden Thieren findet man die zu be- wegenden Massen meist stark reducirt, wie die Flossen der Fische und See- säugethiere.. Beim Frosch ist die wirksame Ruderfläche sehr vergrössert 384 VERHANDLUNGEN DER BERLINER durch die Schwimmhaut, so dass verhältnissmässig langsame Bewegung der Beine einen starken Antrieb giebt, trotzdem muss die Musculatur der Beine unverhältnissmässig stark sein, um das Bein schnell genug bewegen zu können. Die Fähigkeit zum Sprung erscheint hiernach als eine secundäre Folge der Ausbildung zum Schwimmen. Die Kröte, die nicht schwimmt, springt lange nicht so gut wie der Frosch. Ausführliche Publication erfolgtim Arch.f. Anat.u. Physiol. Physiol. Abthlg. VIII. Sitzung am 12. Februar 1904. 1. Hr. von HaAnsemaAnn stellt vor der Tagesordnung eine Reaction von Blutpraeeipitin dar. Dieselbe ist in der Weise angestellt, dass das Blutserum von Kaninchen, die genau nach den Vorschriften Wassermann’s mit menschlichem Blut vorbehandelt waren, vermischt wurde mit einem Extract von Muskelfasern sehr alter Leichen. Es wurde dazu eine Mumie benutzt aus dem ersten Kaiserreich, die also etwa 4000 Jahre alt war, und eine griechische Leiche aus einem ägyptischen Sarg, die nach Aussagen sachkundiger Aegyptologen etwa aus dem Jahre 200 vor Christus stammte. In beiden Fällen zeigte sich, dass die specifische Reaction auf Menschen- Eiweiss eintrat. Durch Controlversuche mit frischem menschlichen Blut sowie mit Blut anderer Thiere und endlich durch Mischung der Mumien- extracte mit dem Serum nicht vorbehandelter Kaninchen, konnte erwiesen werden, dass es sich in der That hier um die typische und speeifische Praecipitinreaction handelte. Die angestellten Versuche werden von Herrn Dr. Julius Meyer ausführlich in der Münchener medicinischen Wochen- schrift publieirt werden. 2. Hr. Kurr Brannengure: „Die Wirkung der Digitalis auf das Herz.“ Die klinische Beobachtung zeigt, dass durch Digitalis in geeigneten Fällen von Insufficienz des Herzmuskels die Leistungsfähigkeit des Herzens gesteigert und der Blutdruck erhöht wird. Es sind mit den Hülfsmitteln der Physiologie eine grosse Menge Unter- suchungen angestellt worden, zu dem Zwecke, ein näheres Verständniss für die Art und Weise der Digitaliswirkung zu gewinnen. Die zahlreichen in der Litteratur über das Wesen der Digitaliswirkung niedergelegten klinischen Beobachtungen und experimentellen Untersuchungen haben die Frage so weit geklärt, dass zwei wesentliche Angriffspunkte für die wirksamen Stoffe der Digitalisblätter mit Sicherheit nachgewiesen sind: ein Mal die Wirkung auf die Arterienwand, deren glatte Gefässmusculatur zur Zusammen- ziehung angeregt wird und das Strombett verengert, und zweitens die Wirkung auf das Herz, dessen Zusammenziehungen ausgiebiger und kräftiger werden. Wird ein wirksames Alkaloid der Digitalis, das Digitalinum pur. pulv. germanicum Merck in einer Gabe von ein bis zwei Milligramm einer mittelgrossen Eskulenta in den Rückenlympsack gespritzt, so lässt sich bereits nach 1 bis 2 Stunden an dem durch Abheben des Brustbeins, durch Spalten des Herzbeutels und leichten Druck auf den Bauch aus dem Fenster in der Brustwand herausgedrücktem Herzen durch die blosse Betrachtung die Ver- PHYSIOL. GESELLSCH. — VON HANSEMANN. — KURT BRANDENBURG. 385 änderung der Herzthätigkeit feststellen. Durch die kräftige Vorkammer- systole (4s) wird die Kammer während der verlängerten Dauer der Diastole durch die reichliche Füllung mit Blut blauroth und kugelig aufgetrieben. Durch die kräftige Kammersystole (Vs) und die vollständige Entleerung wird die eng contrahirte Kammerwand gelblichgrau. Dabei erfolgt die Verlang- samung des Herzschlages und die Zunahme der Dauer der einzelnen Herz- periode, wie regelmässig durch Aufzeichnen der Bewegung mittels der Suspensionsmethode und genauer Zeitmessung festgestellt werden kann, da- durch, dass sich die Dauer der Diastole verlängert, während die Systolen- dauer die gleiche bleibt wie vor dem Einspritzen der Digitalis. Das gilt innerhalb der Grenzen einer schwachen Vergiftung. Die Zunahme der Contractilität des Herzmuskels ist verursacht durch Veränderungen innerhalb der Muskelzellen. Sie darf nicht bezogen werden auf eine Zunahme der Stärke der Bewegungsreize, denn das „Alles oder Nichts“-Gesetz (Bowditeh-Kronecker) lehrt, dass jeder, auch der schwächste, wirksame Reiz stets die gröstmögliche Contraction auslöst. Diese Muskelveränderung kann hervorgebracht sein: Mittelbar durch den Einfluss nervöser Herzcentren im verlängerten Mark, die entweder un- mittelbar durch die im Blute kreisende Digitalis gereizt werden, oder refleetorisch durch die peripherische Wirkung der Digitalis auf die Arterien und durch die Steigerung des Blutdrucks. Diese nervösen ändernden Reize könnten dem Herzen nur auf der Bahn des Vagus zuströmen. Die Annahme wird dadurch hinfällig, dass auch das isolirte, aus dem Körper herausgeschnittene, künstlich ernährte und mit künstlichem Kreis- lauf versehene Herz die. gleichen Aenderungen unter der Einwirkung der Digitalis zeigt. Damit fällt auch die Möglichkeit, die Steigerung der Kraft der Systolen durch die Erhöhung der Widerstände der Herzarbeit unter Digitalis zu erklären. Es bleibt nur die Annahme, eine unmittelbare Ver- änderung der Herzmuskelzellen durch die im Blute kreisende Digitalis an- zunehmen, falls eine letzte Möglichkeit auszuschliessen ist, nämlich der Ein- fluss der Verlängerung der Herzpause auf die Stärke der Contractilität. Bekanntlich wächst mit zunehmender Verlangsamung der Schlagfolge inner- halb gewisser Grenzen die Erholung des Muskels von dem schwächenden Einfluss der einzelnen Systole, die nach dem „Alles oder Nichts“-Gesetz jedesmal den gesammten dem Herzen in dem Augenblicke zur Verfügung stehenden Kraftvorrat verbraucht. Verzögert sich daher das Herztempo, wie man es z. B. unter dem Einfluss der Galle auf das Venengebiet be- obachten kann, so steigert sich nicht nur in Folge der reichlicheren Füllung der Kammerhöhle mit Blut die Grösse der Contraetionen, sondern es steigert sich auch ihre Stärke. Um den ändernden Einfluss der Pausenverlängerung auf die Stärke der Systolen auszuschliessen, wurde der Versuch gemacht, das Herz in einem künstlichen bestimmten Rythmus schlagen zu lassen. Es gelingt leicht ein gesundes Herz in ein willkürlich gewähltes Schlagtempo zu bringen, wenn man irgend einen Herztheil rythmisch mit einzelnen Inductionschlägen in einem Tempo reizt, das ein wenig schneller als die ursprüngliche Schlagfolge des Herzens ist. Hierbei wurde die merkwürdige Beobachtung gemacht, dass es bereits wenige Stunden nach der Einspritzung einer kleinen Giftmenge von etwa Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 95 386 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 1"& Digitalin nicht mehr gelingt, dem Herzen den künstlichen Rythmus aufzuzwingen. Die gleiche Reizstärke, die vorher soeben ausreichte um am Ende der Diastole und kurz vor dem Eintritt der physiologischen Systole eine Extrasystole an der Kammer auszulösen, blieb zwar auch jetzt wirksam aber auch erst kurz vor dem Eintritt der physiologischen Systole. Da sich aber unter dem Einflusse des Giftes die Herzpause verlängert hatte, so folgten auch die künstlichen Extrasystolen sich jetzt in einem verlangsamten Tempo. Bei der Anwendung grösserer Giftdosen, etwa 2 bis 3”8 zeigte die Untersuchung der Anspruchsfähigkeit des Herzens gegen den elektrischen Reiz noch auffallendere Ergebnisse. Es fand sich nämlich, dass nach etwa 6 Stunden die Reize, die vorher wirksam waren, unwirksam geworden waren. Das Herz liess sich nicht mehr aus den Reizstärken, die vorher unfehlbar und sogar gleich im Anfang der Diastole wirksam gewesen waren, aus seinem Tempo herausbringen (Demonstration). Diese damit nachgewiesene Abstumpfung des Herzens gegen den künstlichen Reiz, der es aus dem Geleise seiner regelmässigen Schlagfolge zu bringen sucht, war bei kleinen Giftdosen weniger auf- fallend; aber auch hier war sie deutlich vorhanden, wenn das Gift un- mittelbar in die grosse Mittelvene der Bauchhaut eingeführt wurde. Bei subeutaner Einspritzung grösserer Gaben von 2 bis 3%8 trat sie nach etwa 6 Stunden deutlich in die Erscheinung und liess sich während 12 bis 20 Stunden nachweisen, um dann allmählich zu verschwinden und der an- fänglichen Empfänglichkeit gegen den Extrareiz Platz zu machen. Bei noch grösseren Dosen, die dann auch Störungen in der Reizleitung und krampfhafte Dauercontractionen des Kammermuskels verursachen, findet man regelmässig die Abstumpfung gegen künstliche Reize. Am stärksten und deutlichsten lässt sie sich am Kammermuskel zeigen, aber auch an den Vor- höfen und im Gebiet des Venensinus wird sie nicht vermisst. Die Herab- setzung der Anspruchsfähigkeit gegen künstliche Reize kommt bei der Digitaliswirkung unabhängig von dem Einfluss des Vagus zu Stande und tritt auch beim atropinisirten Thiere auf, bei dem die Vagusendigungen ge- lähmt sind. Es gewährt einen eigenartigen Anblick bei dem kräftig schlagenden und reichlich mit Blut durchströmten, unter dem Einfluss der Digitalis stehenden Herzen eine Unempfindlichkeit gegen den künstlichen Reiz zu beobachten, wie man sie sonst nur bei einem sterbenden Herzen kurz vor dem Stillstand antrifft. Die Stromstärke kann dabei so weit gesteigert werden, dass in manchen Fällen die getroffene Stelle der Kammerwand weiss- lich wird. Ist das Froschherz gleichzeitig durch geeignete ganz schwache Curarisirung in seiner Reflexerregbarkeit nicht beeinträchtigt, so lässt sich die Beobachtung machen, dass die starken Inductionsschläge, die die Kammer- spitze treffen, zwar keine Extrasystole hervorbringen, dagegen reflectorisch eine Vaguswirkung auf die Vorkammern auslösen, deren Contractilität für einige Schläge aufgehoben wird, und auf das Venengebiet, dessen Vermögen zur Entwickelung der Bewegungsreize geschwächt wird, so dass vorüber- gehend Herzstillstand auftritt. Während eines länger dauernden reflectorischen Herzstillstandes in Folge einer sensiblen Reizung am Darme oder am Herzen lässt sich bei dem mit Digitalin behandelten Herzen häufig die Beobachtung machen, dass PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HAns FRIEDENTHAL. 387 das Herz in einem umgekehrten Rythmus wieder zu schlagen anfängt, zuerst mit den Kammern und darnach mit den Vorkammern. Es muss betont werden, dass die Abstumpfung des Herzens gegen den künstlichen Reiz unter dem Einfluss des Digitalin eine vorübergehende Er- scheinung ist, die nach einem wechselnd langem Bestande wieder verschwindet, und dass es sich hierbei keineswegs um eine Erscheinung des Sterbens handelt, sondern dass das Herz im Gegentheil dabei eine gesteigerte Con- traetilität und eine Zunahme seines Schlagvolumens zeigt. Die in den Versuchen als Folge der Digitaliswirkung nachgewiesene Herabsetzung der Anspruchsfähigkeit des Herzens gegen künstliche Reize ist von physiologischem Interesse, indem sie lehrt, dass sich die einzelnen Grundvermögen des Herzmuskels, seine Contractilität, seine Leitfähigkeit für den Bewegungsreiz und seine Anspruchsfähigkeit gegen Reize unabhängig von einander und in entgegengesetztem Sinne ändern können. Sie erscheint ferner geeignet in manchen Fällen die klinische Thatsache zu erklären, dass das durch krankhafte Reize unregelmässig schlagende Herz nach Digitalisbehandlung eine regelmässige Schlagfolge annimmt. 3. Hr. Hans FRIEDENTHAL: „Weitere Versuche über die Reaction auf Blutsverwandtschaft.“ Verf. versuchte in früheren Veröffentlichungen den Nachweis von Bluts- verwandtschaft im Thierreich zu führen mit Hülfe von Transfusionen und von Beobachtung der blutkörperchenlösenden Wirkung der natürlichen Sera. Die Resultate konnten in dem Satz „gleiche Familie, identisches Blut“ zusammengefasst werden. Zu demselben Resultat führten Versuche von Nuttall, Wassermann und Uhlenhut, welche sich der Bordet’schen Fällungsreaction zum Nachweis der Blutsverwandschaft bedienten. Die drei oben genannten Methoden weisen eine jede noch erhebliche Mängel auf. Die Transfusionen lassen sich nur an vereinzelten Individuen unter erheb- lichem Arbeitsaufwand ausführen, der Gehalt der natürlichen Sera an Hämolysinen ist so wechselnd, dass die lösende Wirkung in vielen Fällen gar nicht, in anderen Fällen sehr schwer sich demonstriren lässt!, die Bordet’sche Fällungsreaction ist nur im Beginn der Vorbehandlung der Thiere streng specifisch und verliert den specifischen Character um so mehr, je länger die Einspritzungen fremder Sera fortgesetzt werden. Da die Fällungsreaction sich am bequemsten ausführen lässt, wurde sie vom Verf. fast ausschliesslich angewandt. Um specifische Reaction zu erhalten, muss man entweder die Sera beim ersten Auftreten der „Verwandtschaftsreaetion“ benutzen, oder das allzuwirksame Serum verdünnen bis zum eben deutlichen Eintritt der Reaction mit dem Blut, welches zur Vorbehandlung gedient hatte, oder drittens das gleichzeitige Auftreten der Reaction mit zwei differenten Blutarten als Maasstab verwenden, wie vom Verf. bei Fest- stellung des Verwandtschaftsgrades zwischen Anthropoiden und niederen Affen ausgeführt worden war.? 1 Blut, welches in seinem eigenen Serum bis zum Beginn der Lösung einzelner Erythrocyten gestanden hat, zeigt die lösende Wirkung fremder Sera meist sehr deutlich. 2 Friedenthal, Sitzungsberichte der königl. Axademie. Berlin. 10. Juli 1902. Bd. XXXV. 205 388 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GES. — HANns FRIEDENTHAL. Unter Verwendung dieser Vorsichtsmaassregeln konnte die Bluts- verwandtschaft von Strausz, Kasuar und Kiwi durch den gleichartigen Ausfall der Verwandtschaftsreaction demonstrirt werden. Bei Prüfung der Frage, wie weit im fötalen Leben die Verwandtschaft zwischen Embryo und erwachsenem Individuum sich nachweisen lässt, er- gaben drei Versuchsreihen bei Menschenföten, (vom 9. bis 2. Schwanger- schaftsmonat), bei Mäuseföten (Fruchtblasedurchmesser von 1-.5==) und Hundeföten, dass, soweit untersucht wurde, Embryo und erwachsenes Thier die gleiche Reaction ergeben. Selbst Sperma und Ovarialsubstanz geben die Verwandtschaftsreaetion im wirksamen Serum. Bei Prüfung der Verwandtschaftsreaction ist es weder nöthig zur Vor- behandlung der Thiere noch zur Anstellung der Fällung selber Blut oder Blutserum zu benutzen. Blut, Blutserum, Speichel, Sperma, Galle, Milch, Harn und jede Art von Körperzellen lassen sich zur Vorbehandlung der Thiere verwenden und ebenso zur Hervorrufung der Fällung im Serum mit Ausnahme des Harnes. Harn gab keinen Niederschlag in den untersuchten Fällen, zeigte sich aber äusserst wirksam bei subcutaner Injection zur Er- zeugung wirksamer Sera. Durch Thonkerzen filtrirter Harn zeigte sich ebenso wirksam wie unfiltrirter, so dass bewiesen ist, dass nicht etwa zellige Elemente notwendig sind um die Serumveränderung herbeizuführen. Verf. vermuthet, dass der Gehalt des Harnes an Pepsin maassgebend ist für seine Wirksamkeit. Reines Pepsin giebt starke Fällung im wirk- samen Serum in Fällen, wo das Blut des pepsinliefernden Thieres keine Reaction erkennen liess. Verf. fasst die Fällungsreaction oder Verwandt- schaftsreaction auf als Labwirkung eines pepsinartigen Fermentes, die Auf- lösung der rothen Blutkörperchen als bedingt durch Anwesenheit eines leeithinspaltenden Fermentes. Specifisch sind die untersuchten Antikörper (im Sinne der Bacteriologen) nur in Bezug auf bestimmte Verdünnungen. Bei Anwesenheit merklicher Mengen wirksamer Substanz geht die nur scheinbar speeifische Wirkung verloren. | Erzeugt man die Fällung in Farbstoffgemischen, so färbt sich der Niederschlag mit kernfärbenden Farbstoffen, doch ist die Färbbarkeit eine äusserst geringe, wie die mikroskopische Betrachtung erkennen lässt, wäh- rend makroskopisch die Färbung des Niederschlages in der Kernfarbe selbst nach Auswaschen des Niederschlages deutlich ist. Die Versuche wurden im physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule zu Berlin ausgeführt. Herrn Geh.-R. H. Munk spricht Verf. für seine Unterstützung der Arbeit seinen ergebenen Dank aus. Zeitsehriften aus dem Verlage von VBIT &COMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv tür Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. \ Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis ‘6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der : Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt ‘für. praktische AUGENIE ILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. : Preis des Jahrganges (12 Heite) 12 ; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12% 80 2. "Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt ‘den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES- CENTRALBLATT, INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #4. Zu beziehen durch alle en des In- und allen, N sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. _Nenrologisches (entralhlatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von | Professor Dr. E. Mendel in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 M. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 .% direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Feit sc hrift Hygiene und Infeetionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0. ö. Professor und Director für Infectionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- hehen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte, herausgegeben von W. Waldeyer), sowie auf die physio- logische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th.W. Engel- mann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 W#, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 MW. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Physiologische Abtheilung. 1904. V. u. VI. Heft. a ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. | FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT NEUNUNDDREISSIG ABBILDUNGEN IM TEXT. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1904. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 26. Oktober 1904.) Inhalt. : Seite A. Sommer und G. Werzer, Die Entwickelung des Ovarialeies und des Embryos, chemisch untersucht mit Berücksichtigung der gleichzeitigen morphologischen Veränderungen, [. Die chemischen Veränderungen des Ovarialeies der Ringel- natter. bis zur Reife 2 7... SE RE DB3 H. DExLER, Ein neuer Kopfhalter Ar Zissen nd Schafe Se . 410 Erıcn HARnAcK, Die Wirkung gewisser Herzgifte im Lichte der myogenen Theorie der Herzfunction . . . 2.415 A. LoumAnn, Zur Automatie der Brückenfasern ana de Ventrikel de Herzehs 431 H. Pıper, Das elektromotorische Verhalten der Retina bei Eledone moschata . 453 GEORG LEVINsoHN, Zur.Frage der paradoxen Pupillenerweiterung . . BE 1827 WILHELM STERNBERG, Der salzige Geschmack und der Geschmack der Salze . 483 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 19083—1904 . . . 559 von HANSEMANN, Ueber die Beeinflussung der Mitosen durch pathologische Proctsse. — W. NAGeEL, Einige Bemerkungen über Typenunterschiede unter den Farbentüchtigen. — Casparı, Physiologische Studien über Vegetarismus. — (. ÄBELSDORFF, Demonstration einer tauben Katze. — FRANZ MÜLLER, Ueber den Energieaufwand beim Schwimmen. — A. Loewy, Zur Frage der Dissociation des Oxyhämoglobins. — Leyınsonn, Doppelte Kreuzung der centripetalen Pupillen- und Lidbahnen. — S. RosEnBERG und Ü. OPPEn- HEIMER, Die Resistenz von genuinem Eiweiss gegenüber der tryptischen Verdauung im thierischen Organismus. — WALTHER BERG, Weitere Beiträge zur. Theorie der histologischen Fixation. — C. NEUBERG, Beitrag zur Frage nach der Zuckerbildung aus Fett im Organismus. — Max BoRCHERT, ‚Ueber Markscheidenfärbung bei niederen Wirbelthieren. — R. nu Boıs-ReymoxD, Eine Fehlerguelle beim Gebrauch des Schlitteninduetoriums. — HANs FRIEDEN- THAL, Demonstration von Fleisch vom sibirischen Mammuth. — GEORG Fr. NıcoLAL, Ueber, die Leitungsgeschwindigkeit im Riechnerven des Hechtes. — Hans FRIEDENTHAL, Beiträge zur physiologischen Chirurgik. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat- Abzüge ee Bei- träge gratis und 30 #4 Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W., Luisenstr. 56, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Die Entwickelung des Ovarialeies und des Embryos, chemisch untersucht mit Berücksichtigung der gleichzeitigen morphologischen Veränderungen. I. Die chemischen Veränderungen des Ovarialeies der Ringelnatter bis zur Reife. Von A. Sommer und G. Wetzel. (Aus dem anatomisch-biologischen Institut zu Berlin.) A. Vorbemerkung. Unsere Kenntniss der Veränderungen, welche das Ei während seiner Entwickelung im Ovar bis zur Reife durchmacht, beschränkt sich fast aus- schliesslich auf die Anfangsstufen der Bildung aus dem Keimepithel und die letzten Stadien der sogenannten Reifung, das heisst auf die Bildung der Richtungskörper. Auch hier fehlen für manche Thierelassen noch alle Angaben. Ueber die ganze Zwischenzeit aber zwischen den genannten Punkten sind wir wenig unterrichtet. Ferner trägt alles, was an Arbeit vorliegt, ausschliesslich histologischen Charakter. Mit chemischen und ebenso mit physikalischen Methoden ist das Gebiet überhaupt noch nicht- be- arbeitet worden.” Und doch glauben wir, dass besonders für die lange Periode des Wachsthums vom Urei bis zur Reife nur eine Verbindung aller drei Untersuchungsmethoden zum Ziele führen kann. Wir haben be- gonnen, auf diese Weise in gemeinschaftlicher Arbeit vorzugehen und geben hier zunächst die Resultate einer Voruntersuchung der chemischen Veränderungen des Ringelnattereies im Ovar. ! Auf die Arbeit von Milroy, Zeport of Fishery Board for Scotland. 1898. 16. ann., wurden wir erst während der Correctur aufmerksam und konnten uns die- selbe bisher noch nicht zugänglich machen. 390 A. SOMMER UND G. WETZEL: Wenn wir vorerst nur mit rein chemischen Mitteln vorgehen, so ent- geht es uns keineswegs, dass auch der physikalischen und besonders der physikalisch-chemischen Untersuchung auf unserem Gebiete eine grosse Bedeutung zukommt. Wir glauben aber, dass diese Richtung erst dann mit Erfolg wird einsetzen können, wenn Histologie und Chemie zuvor schon eine Aufklärung über die in Betracht kommenden Materien und ihre Anordnung im Ei gegeben haben. B. Material und Methode. Unser Untersuchungsobject ist das Ovar der Ringelnatter (Tropidonotus natrix). Den durch Chloroform betäubten Thieren wurde der Kopf abgeschnitten und sie wurden mit dem Schwanz nach oben aufgehängt, so dass das Blut nach unten beständig ablaufen konnte. Die dadurch erzielte Blutleere war augenfällig. Die Follikel der nicht auf diese Weise ausgebluteten Thiere waren dicht mit gefüllten Gefässen überzogen, während die Follikel der entbluteten Thiere solche nur in einzelnen Fällen zeigten. Dieser Umstand ist von Werth für die Eisenbestimmung sowohl, wie für die Bestimmung des Wassers, vielleicht auch für die anderen Substanzen. Die Follikel wurden einzeln mit Pincette und Scheere herauspräparirt. Dies gelingt bald sehr rasch und ohne die Follikel anzuschneiden. Nach Entfernung des die Eier verbindenden und sie locker umgebenden Binde- gewebes bleibt auf dem Ei noch das Follikelepithel und die bindegewebige Hülle, welche das Ei unmittelbar einschliesst. Die Untersuchungen betreffen also eigentlich nicht das Ei, beziehungsweise das Plasma (Plasma und Kern), oder den Dotter desselben, sondern den Follikel, Die zum Herauspräpariren benutzten Instrumente waren extra stark vernickelt, um eine Verunreinigung mit Eisen auszuschliessen. C. Gruppirung der Eigrössen. Eine rationelle Gruppirung der Eier müsste nach dem Volumen vor- genommen werden. Da ein so genaues Verfahren schwer durchführbar gewesen wäre und zunächst nicht erforderlich erschien, so wurden die zur Analyse verwendeten Eier entsprechend ihrem Längsdurchmesser in Gruppen von 5"= maximaler Differenz geordnet, also von 0-1 bis 0-5, 0-5 bis 1.0°® u.s. w. Soweit die geringe Menge des verfügbaren Materials es gestattete, wurde die erste und zweite Gruppe in je zwei Untergruppen von 0-1 bis 0-3 ® und 0-3 bis 0.5", bezw. 0-5 bis 0-8 und 0-8 bis 1.0 °® zerlegt. . ENTWICKELUNG DES ÖVARIALEIES. 391 Da der Dickendurchmesser nicht stets in demselben Verhältniss wächst wie der Länesdurchmesser, so können leicht Eier von ganz ungleichen Volumen in eine Gruppe gerathen. Wo derartige Ungleichheiten augen- fällig waren, wurden die betreffenden Eier unter Berücksichtigung beider Dimensionen in Gruppen geordnet, also z. B. sehr dicke Eier von 0-4 m Länge zu den Eiern von 0-5 bis 0-8°® Länge gestellt. Gegen Ende unserer Untersuchungen haben wir für jede Analyse das Gewicht des einzelnen Eies bestimmt und werden dieses Verfahren als ein sehr wenig zeitraubendes und zweifellos allen Ansprüchen an Genauigkeit senügendes späterhin beibehalten. Im dieser Arbeit sind jedoch nur die Längenmaasse berücksichtigt. D. Fehlerquellen. Da, wie bemerkt, das Ei mit Follikelepithel und bindegewebiger Hülle zusammen verarbeitet wurde, so fragt es sich, wie weit die Zahlen auf das Ei selbst direct anwendbar sind. Die definitive Beantwortung dieser Frage muss späteren Analysen vorbehalten bleiben. Von den Curven, die schon hier gegeben werden, ist daher besonders der Anfangstheil in Bezug auf seine Gültigkeit für das Ei selbst als pro- visorisch anzusehen, wie Folgendes näher ausführt. Wir können die entstehenden Fehlerquellen nach folgenden Gesichts- punkten ordnen: 1. Wie gross ist der Antheil der Hüllen an dem Volumen des ganzen Follikels? _ 2. Weicht die Beschaffenbeit der Hüllen :von der der Eier bedeutend ab und in welchen Punkten? 3. Ist die Zusammensetzung der Hüllen auf allen Stufen die gleiche oder wechselt sie? Für die bindegewebige Hülle sowohl, wie für das Follikelepithel nimmt die relative Grösse mit der wachsenden Follikelgrösse ab. Um hiervon eine Anschauung zu erhalten, bitten wir, die umstehen- den Conturzeichnungen zu betrachten. Die chemische Beschaffenheit der bindegewebigen Hülle weicht natür- lich von der des Eies vollkommen ab, sie ist aber wahrscheinlich stets gleichartig, beeinflusst also die Resultate für das junge und für das er- wachsene Ei nur deshalb anders, weil ihre relative Grösse eine andere ge- worden ist. Das in den Gefässen der Hülle enthaltene Blut wurde durch das oben beschriebene Aufhängen stets nach Möglichkeit entfernt. Wenn hierbei auch stets noch geringe Reste zurückgeblieben sind, so dürfte doch ein jedes Mal möglichst gleichartiger Zustand erreicht worden sein, während 392 A. SOMMER UND G. WEITZEL: wir ohne die Entblutung das eine Mal viel Blut in den Hüllen gehabt haben würden, ein anderes Mal dagegen wenig. Eine chemische Charakterisirung der bindegewebigen Hülle haben wir nicht versucht. Wenn wir hierüber etwas aussagen wollen, so müssten wir uns an die Angaben über die Zusammensetzung des Bindegewebes überhaupt halten, wie es in anderen Organen vorkommt. Leichter können wir sagen, wie das Follikelepithel die Analysen- resultate beeinflussen muss. Die grosse Zahl der vorhandenen Kerne muss BE FE Eiesl Fig. 2 zeigt in Conturen das Grössen- zeigtdasselbe fürein kleines Ovarei vonetwa !/,= Länge. verhältniss von Ei und Follikel- Die Schnitte sind einer durch Hın. A. Grüneberg epithel auf einem durch die von einem ganzen Ringelnatterovar hergestellten Quer- Mitte und etwas schräg zur schnittserie entnommen. Es sind also beide Follikel Längsaxe gelegten Schnitte demselben Thier entnommen. Fig. 1 ist gezeichnet durch ein Ei, dessen Dicke in mit dem Abbe’schen Zeichenapparat von Zeiss bei A zwei Richtungen etwa 2-0 und ohne Frontlinse, Oe.2, Tubuslänge 145 auf dem Arbeits- 2.6 m beträgt. tisch, Fig. 2 ebenso bei DD. Beide Figuren sind FE = Follikelepithel. dann bei der Reproduction auf !/, verkleinert worden. Die Vergrösserungen sind so gewählt, dass beide Zeichnungen annähernd gleich gross geworden sind. Dies erleichtert den Vergleich. # E = Follikelepithel. hier zweifellos den Gehalt an Kernproteiden erhöhen. Hierauf wird bei den Zahlen für Eisen und Phosphor noch ein Mal hinzuweisen sein. Da eine gesonderte Untersuchung des Follikelepithels nicht gemacht werden konnte, so können wir über andere chemische Beeinflussungen nichts sagen. Besonders muss aber darauf hingewiesen werden, dass die chemische Zu- sammensetzung des Follikelepithels wechseln dürfte. Dies können wir aus dem Vergleich des histologischen Bildes ersehen, welches Kern sowohl wie Plasma ein Mal auf frühen, das andere Mal auf späteren Stadien gewähren. Sowohl die Färbbarkeit des Kernes, wie die Structur des Kernes und des ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 393 Protoplasmas ist stark verschieden. Ob die Veränderungen nun gleich- namig sind mit denen des Fiplasmas, lässt sich a priori nicht sagen, ist jedoch für das Plasma in Anbetracht der innigen Beziehungen zwischen beiden sehr wahrscheinlich. Auf ganz frühen Stadien spricht das histo- logische Bild für eine weitgehende Identität beider Protoplasmen. Falls wir uns der von einigen Autoren gemachten Annahme, dass die Rindenzone des Dotters aus den Fortsätzen der Follikelzellen gebildet wird, anschliessen, so sind Follikelepithel und Rindenzone in Bezug auf das Plasma chemisch identisch. Eine weitere Beziehung zwischen Follikelepithel und Eiplasma stellt das massenhafte Vorkommen von Kernen der Follikelzellen im Eiinnern vor. Dieses Vorkommen wird gegenwärtig überwiegend als eine Degenerations- erscheinung betrachtet. G. Wetzel! hat jedoch einige Umstände hervor- gehoben, welche es möglich erscheinen lassen, hierin einen physiologischen Ernährungsvorgang des Eies zu erblicken. Eine Prüfung dieser Auffassung, welche derselbe auf Grund seiner nicht sehr zahlreichen Befunde noch nicht als sicher hinstellen durfte, hat Hr. A. Grüneberg unternommen.! Das Plasma der Follikelzellen, wenigstens der ausserhalb der Zona radiata gelegene Theil desselben, macht aber gewisse Veränderungen des Eiinnern nicht mit, da weder Dotterplättchen noch grössere Fettmengen im Leibe der Follikelzellen angetroffen werden. Die chemischen Methoden sind in Folgendem bei jedem Stofle einzeln angegeben. E. Ergebnisse. I. Der Wassergehalt, a) Methode. Die Wasserbestimmungen sind im Vacuum über Schwefelsäure aus- geführt worden. ; Bestimmungen im einfachen Trockenschranke ergaben unzuverlässige Resultate. Wir erhielten bei 100° viel zu hohe, bei 65—70° schwankende Werthe. Die zu hohen Werthe bei 100° beruhen wohl zu einem grossen Theil auf der Zersetzung des Fettes und dem Entweichen von Fettsäuren. Bei Versuchen an Froscheiern konnte für diese das Entweichen solcher Stoffe nachgewiesen werden. Reife Froscheier, die in Alkohol aufbewahrt waren, wurden getrocknet, der Alkohol wurde verdunstet und der Rückstand mit den Eiern selbst wiederum verrieben. Der Alkoholextract, eine fettige Masse, wird beim Verreiben mit der pulverisirten Eisubstanz von dieser mit grösster Leichtigkeit aufgenommen und man erhält eine anscheinend sehr ! Verhandlungen der Physiolog. Gesellschaft zu Berlin. 1902. 394 A. SOMMER unD G. WETZEL: gleichartige Substanz. Wurde diese nun zwischen 70 und 100° getrocknet und das Trockengläschen mit einem Deckel von Filtrirpapier versehen, so befand sich sehr bald in der Mitte des Deckels ein gelber Fleck, welcher an Ausdehnung zunahm. Bei Temperaturen unter 70° erscheint dieser Fleck nicht. Er erscheint auch schwieriger, wenn keine Alkoholbehandlung voraus- ging. Da der Aetherextract der Ringelnattereier ganz ähnlich dem der Froscheier ein flüssiges Oel bezw. Fett darstellt, so dürfte für beide Thiere das Trocknen der Eier nur bei Temperaturen bis zu 70° allenfalls möglich sein, aber auch hier ist es deshalb unzuverlässig, da die hygroskopischen Stoffe des Eies dann wieder das Wasser unvollständig abgeben. Die kleineren Eier wurden unaufgeschnitten getrocknet, die grösseren vorher zerschnitten. b) Resultate. Ueber die Zahlenresultate giebt die folgende Tabelle eine Uebersicht: Tabelle I. Gehalt an Wasser. Nummer | Eigrösse Procent Wasser | Protokollnummer 1 0-1-0-3 | 81-08 19,07. 11079 2 0-3—0-5 | 82-95 | 17, 23 3 0-.5—0-8 83-28 | 70 4 0-7—1-0 - 89-60 | 20, 21, 22 5 10 20-32 | 26 6 1-5—2-0 59-58 | 35, 67 7 2-2 52-28 49, 50 8 2-0-3-0 | 48-13 69 Die Zahlen der ersten Colonne bedeuten die Numerirung der Eigrössen, für welche Bestimmungen gemacht sind und sollen die Beziehungen auf die Tabelle (im Text und in den Curven) erleichtern. Die zweite Colonne giebt die Eilänge in Centimetern. Aus den Zahlen der Tabelle ist dann die nachfolgende Curve für den Wassergehalt construirt worden. (Siehe Fig. 3.) Aus Curve und Tabelle ergiebt sich Folgendes: Der Wassergehalt bewegt sich zwischen 48 Procent und etwas über 90 Procent. Die kleinsten Eier haben einen zwischen Maximum und Minimum stehenden Wassergehalt von 81 Procent, derselbe steigt alsdann und erreicht für die Eier von 1°” Länge und etwas darüber das Maximum von 90.32 Procent, um alsdann constant zu sinken bis auf etwa 48 Procent für die nahezu ausgewachsenen ÖOvarialeier. Bei den Eiern anderer Thiere kann der Wassergehalt noch weiter sinken. So beträgt er im Eidotter des Hühnereies kaum 6 Procent.! ! Neumeister, Lehrbuch der physiolog. Chemie. ]I. Aufl. S. 533. ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 395 Die Ursache für das Sinken des Wassergehaltes in der späteren Ent- wickelungsperiode beruht im Wesentlichen auf dem gewaltig zunehmenden Gehalt des Eies an Fett und ätherlöslichen Substanzen. Die niedrigen 310833: Procentische Curve des Wassergehaltes. Die Zahlen an der Abscisse bedeuten die Eilänge in Centimetern. (Der Maassstab ist jedoch etwa drei Mal so gross gewählt, aus Gründen der Deutlichkeit.) Die Procent- zahlen sind als Ordinaten aufgetragen. Die ganzen Procente sind als Millimeter ge- geben. Die Zahlen an der Curve selbst verweisen auf die erste und dritte Reihe der zugehörigen Tabelle. Die eingeklammerten Zahlen sind die gekürzten Werthe. Wasserzahlen für die kleinen Eier werden zum Theil auf den wahrschein- lich geringeren Wassergehalt der Follikelhülle zurückzuführen sein. Wie weit sie einen richtigen Ausdruck für den Wassergehalt des Eiplasmas und Kernes selbst darstellen, können wir leider noch nicht sagen. 396 A. SOMMER unD G. WETZEL: II. Der Aschengehalt. Die Asche ist auf die übliche Weise durch einfaches Verbrennen be- stimmt worden. Die Fehler dieser Methode sind bekannt. Wir glaubten aber zur vorläufigen Orientirung das Verfahren anwenden zu dürfen. Später werden wir die einzelnen anorganischen Bestandtheile, die Metalle zunächst, für sich bestimmen und hoffen hierdurch zuverlässigere Anhaltspunkte zu gewinnen. Die Zahlen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt und die Veränderungen durch eine Curve veranschaulicht. Tabelle II. Procentgehalt der Asche. Nummer Eigrösse | Procent Asche | Protokollnummer 1 0-3 1-71 | 92 2 0-:1—0:5 1:65 44 3 0:5 1:56 91 4 1:0—1°5 1:95 | 55 und 93 5 1:5—-2°0 2:96 | 30 n Seen Ei | 46 3:94 12 Od 7 15 2 2,5 Ö Fig. 4. Procentische Curve des Aschengehaltes. Die Einrichtung der Curve und die Bedeutung der Zahlen siehe bei der Wassercurve, S. 395. Die ganzen Procente sind jedoch als Centimeter abgetragen. Ueber die an- fängliche Senkung der Curve vergleiche den Text. Das Minimum bei Eilänge 1 ist nur ein vorläufig angenommenes. ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 397 Die Eier enthalten etwa 1!/, bis annähernd 4 Procent Asche. Der Procentgehalt ist bei den grössten Eiern am höchsten. Die niedrigste Zahl findet sich aber nicht bei den kleinsten Eiern, sondern erst später. \Wir glauben vorläufig annehmen zu sollen, dass der \Vendepunkt bei Eiern von der Länge eines Centimeters liegt. Für dieses anfängliche Sinken des Aschegehaltes kann die Ursache zum Theil in der Anwesenheit der Hüllen des Ovarialeies gelegen sein. Die Entscheidung darüber muss späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Der Aschegehalt nimmt also nach unseren bisherigen Ergebnissen zuerst ab, um sodann anzusteigen. Die- jenigen Bestandtheile, auf denen die zuletzt sehr bedeutende Vermehrung vorzugsweise beruht, sind die alkalischen Erden. III. Der Fettgehalt. Die kurz als Fett bezeichneten Substanzen sind der Petrolätherextract des Eies. Die Bestimmung wurde so ausgeführt: Die im Wägegläschen mit einer Scheere zerschnittene Eimasse wurde mit Alkohol übergossen, damit verrührt und stehen gelassen. Am anderen Tage wurde abfiltrirt. Die festeren Hüllenstücke wurden noch ein Mal mit einem Glasstabe aus- gedrückt und möglichst zerrieben, um auch sie so fein als möglich zu zertheilen. Der in Alkohol lösliche Antheil wurde durch Verdunsten ge- wonnen, in Petroläther gelöst und die Lösung durch dasselbe Filter gegossen. Hierauf wurde noch ein Mal reiner Petroläther auf das Filter gegossen, um den Alkohol zu entfernen. Die hierdurch erhaltenen alkoholhaltigen Petrol- ätherfiltrate wurden abgedunstet, in Petroläther gelöst und direct in den Extractionskolben filtrirt. Das Filter mit der Substanz wurde in gehärtetes Filtrirpapier eingewickelt, in eine Schleicher und Schüll’sche Extractions- hülse geschoben und 8 Stunden im Soxhlet’schen Apparat extrahirt. Die Bestimmungen ergaben genügend übereinstimmende Werthe. Tabelle TE Gehalt an Fett (Petrolätherextract). Nummer Eigrösse Procent Fett | Protokollnummer 1 0-1—0-5 0-95 85 2 0-5—1:0 2-11 11 3 1.0—1°»5 7.46 14, 54 4 1-.5— 2-0 13-47 9, 53 B) 2-.0— 30 21-55 15, 57, 78 Der Fettgehalt bewegt sich zwischen 1 und 22 Procenten. Das Minimum liegt zu Beginn der Curve, das Maximum zu Ende. Die Curve 398 A. SOMMER UND G. WETZEL: zeigt einen rascheren Anstieg von einer Eilänge von etwa 0.75“ ah. Dieser Punkt findet sich etwas früher als das Maximum des Wassergehaltes. Von hier ab verläuft die Curve fast genau geradlinig. Fig. 5. Procentische Curve des Fettgehaltes. Die ganzen Procente sind hier als Millimeter abgetragen, wie bei der Wassercurve. Im Uebrigen vergleiche diese S. 395. Den Fettgehalt (Fette, Cholesterine, Leeithine u. s. w.) haben wir wahr- scheinlich zu niedrig gefunden, da die Zersetzung der Lecithalbumine erst durch Kochen mit Alkohol vollständig wird. Hierüber können ebenfalls erst spätere Bestimmungen Aufschluss geben. IV. Der Eisengehalt. Der Eisengehalt; und ebenso der an Phosphor sind nach den Methoden von A. Neumann! bestimmt worden. Herr Neumann hatte die grosse Liebenswürdigkeit, uns persönlich die Methoden zu zeigen, wofür wir ihm auch hier unseren Dank aussprechen. Wenn bei der Eisenbestimmung nach dem Veraschen und dem Zusatz von Neumann’schem Zinkreagens die Flüssigkeit mit Ammoniak neutralisirt wurde, so löste sich der Anfangs entstandene Niederschlag niemals wieder vollständig auf, sondern es blieb stets eine ausgesprochene Trübung zurück, die sich beim Stehen zu Flocken zusammenzog und sich zu Boden senkte. Diese Trübung war nicht auf ungenügende Kühlung während der Neutrali- sation zurückzuführen. Sie hat wahrscheinlich ihre Ursache in dem hohen (Gehalt (besonders der ausgewachsenen Eier) an alkalischen Erden. (Siehe Asche ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 399 Tabelle IV. Gehalt an Eisen. Nummer Eigrösse | Procent Eisen (Fe) | Protokollnummer 1 or 0.000 | rn 2 1°.5— 2.0 0:0142 32, 33, 56 3 2:-0—2-5 0-0177 52, 58, 59 4 2:0. 3-0 0:0357 12160, 63527677 —D > 4 [ou Sp Fig. 6. Procentische Curve des Eisengehaltes. Die Tausendstel Procente sind hier als Millimeter abgetragen. Der erste Theil der Curve ist fortgelassen, auch in der Tabelle fehlen die entsprechenden Zahlen. Vergleiche hierzu den Text. Die Bestimmung 4 gilt für Eier von 2-0 bis 3-0. Sie ist sowohl bei 2-5 wie auch bei 3-0 abgetragen worden. Das eine Mal erhält man einen äusserst steilen Anstieg, das andere Mal einen mässigen. Welcher von beiden mehr den wirklichen Verhältnissen entspricht, lässt sich noch nicht sagen. Der Eisengehalt bewegt sich zwischen 3 und 36 Tausendstelprocent. Das Minimum fand sich bei Eiern von 1 bis 1!/,°® Länge, das Maximum bei den reifen Eiern. In die Tabelle und in die Curve sind einige weitere Analysen noch nicht aufgenommen, welche sich auf die Eigrössen unterhalb von 1°” beziehen. Sollten die Analysen, welche wegen der Schwierigkeit, die kleinen Eier in genügender Menge zu beschaffen, noch nicht controlirt werden konnten, sich bestätigen, so steigt der Eisengehalt bei den kleinsten Eiern wieder beträchtlich an. 400 A. SOMMER UND G. WETZEL: Der Eisengehalt giebt uns ein Maass für die Menge der Nucleoproteide an. Darnach würde deren Menge auf frühen Stadien hoch sein, um dann zu sinken und später wieder bedeutend anzusteigen. Histologisch wird dieses Resultat für die älteren Eier durch die Anwesenheit der Dotter- plättehen oder der diesen entsprechenden Gebilde für die Eier aller Wirbel- thiere bestätigt. Auf den frühesten Stadien finden sich diese Elemente aber nicht. Hier ist nun eine Erklärung möglich durch die Anwesenheit der dicken Membrana granulosa mit ihrem Reichthum an Kernen. (Vgl. auch S. 393.) Ferner darf aber nicht übersehen werden, dass das Fallen des Eisengehaltes correspondirt mit dem gleichzeitigen Steigen des Wassergehaltes (und ebenso auch des Fettgehaltes). Bemerkenswerth ist ferner noch, dass die Eisencurve mit der der Asche im Gesammtverlaufe im Groben übereinstimmt. V. Der Phosphorgehalt. Die Methode zur Bestimmung war die von A. Neumann angegebene, siehe beim Eisen S. 398. la breilleV. Gehalt an Phosphor (P,O,). Nummer Eigrösse Proc. Phosphor (P,0,) | Protokollnummer 1 | 0-5—1-0 0-31 | 13, 37 2 1:0—1°5 0-47 | 36,8 3 1-.5—2:-0 1-51 31, 34 4 2-0—3-0 2-06 74,75 Fig. 7. Procentische Curve des Phosphorgehaltes. Die ganzen Procente sind hier in Centimetern abgetragen. Die Zahlen bedeuten das- selbe wie auf der Wassercurve (8. 395). ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 401 Die Phosphormenge bewegt sich für Phosphorsäureanhydrid zwischen 0.31 und 2 Procent. Die Curve steigt dauernd an. Das Minimum liegt zu Beginn der Curve. Für die Eier unter 0.5°%® Länge fehlen noch Be- stimmungen. Wir finden also in der Phosphorcurve den Einfluss der Wassercurve nicht durch ein Minimum erkennbar. Jedoch scheint der Anstieg um die Zeit des Wassermaximums geringer zu sein. Da der Phosphor den zweiten charakteristischen Bestandtheil der Nucleoproteide neben Eisen bildet, so müssen beide Curven verglichen werden. Eine ziemlich genaue Parallelität beider Curven findet sich während ihrer mittleren Strecke, zwischen den Eilängen 1-25 und 2-25. Nachher und vorher verläuft die Phosphorcurve niedriger. Auf die Differenzen zu Anfang der beiden Curven wollen wir wegen noch nicht genügender Anzahl der Analysen nicht eingehen. Die Thatsache jedoch, dass der Phosphor- gehalt bei den grössten Eiern stark hinter dem Eisengehalt zurückbleikt, ist auffällig. Wir müssen auf Grund unserer Kenntnisse annehmen, dass das Eisen nur in den Nucleoproteiden, der Phosphor hingegen ausser in diesen noch in den mit Aether extrahirbaren Substanzen (Lecithine) ent- halten ist. Demgemäss hätten wir ein Ueberholen der Eiseneurve durch die Phosphorcurve zu erwarten. Das Gegentheil ist der Fall. Wir bezeichnen diesen Punkt als einen derjenigen, welchen wir in erster Linie einer Revision unterziehen werden. Möglicher Weise ist der Endtheil sowohl der Eisen- wie der Phosphor- curve durch das Ungenügende unserer vorläufigen Rubrieirung ‘der Eier etwas verschoben (vgl. S. 390 und 395). VI. Zusammenfassende Erörterung der Tabellen und Curven. Schliesslich stellen wir die bisherigen Curven noch ein Mal übersichtlich in der folgenden Tafel zusammen (Fig. 8). Diese gestattet aber nur zu constatiren, ob ein Bestandtheil sinkt oder steigt. Die absoluten Mengen der Substanzen sind natürlich nicht von einer Öurve auf die andere ver- gleichbar. Bei der Herstellung der Originalzeichnung zu den nebenstehenden Curven sind abgetragen worden: Bei der Fett-, Aschen- und Phosphorcurve ganze Procente als Centimeter, bei der Eiseneurve Tausendstelprocente als Millimeter. Beim Wasser sind ganze Procente als Millimeter abgetragen, jedoch liegt die Ordinate Null eigentlich weit oben, etwa da, wo die Bezeichnung Fett steht. Zum Zweck der Reproduction ist dann die ganze Tafel auf die Hälfte verkleinert worden. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 26 402 A. SOMMER UND G. WETZEL: Die Ordinate ist mit Rücksicht auf die obigen Verschiedenheiten ohne Eintheilung gelassen. x Im Ganzen zeigt die Tabelle drei Gruppen von Curven. Die eine enthält das Wasser, die andere das Fett, die dritte die übrigen Sub- stanzen. Diese Gruppen correspon- diren mit der absoluten Menge, in der diese Substanzen im Ei vor- kommen. Wasser ist darin am Wasser meisten enthalten, dann kommt das Fett, dann die übrigen Sub- stanzen. Die Mengen der letzteren allerdings sind unter sich unendlich viel mehr verschieden, als es die Curventafel zum Ausdruck bringt. Die senkrechte Linie X X be- BUN EN. Fett zeichnet diejenige -Eistufe, bei der das Maximum des Wassergehaltes erreicht ist. Für dieselbe Zeit ist ver- muthlich das Minimum des Asche- gehaltes anzusetzen. Man sieht bei Verfolg der Linie X X, dass die Wendepunkte der anderen Curven alle etwas früher oder etwas später liegen. Möglicher Weise aber er- geben spätere Untersuchungen ein genaueres Zusammenfallen aller dieser Punkte. Ebenso gut aber ist etwas Asche anderes möglich. Nämlich die Wendung kann im einzelnen Ei Eisen bei allen Substanzen gleichzeitig erfolgen, ohne dass deshalb die Ei- — Phosphor orösse, bei welcher sie eintritt, bei allen Eiern eines Thieres und bei 1 > E - allen Individuen dieselbe ist. Dass & ’ dies der wahre Sachverhalt ist, hat Me viel Wahrscheinlichkeit. Wenn wir nun auf Grund dieser Tafel den Anfangs- und den End- zustand des Ovareies vergleichen, so finden wir den letzteren charakterisirt ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 403 durch einen hohen Gehalt an Fett und an mineralischen Substanzen, sowie drittens durch Wasserarmuth. Wie weit eine Veränderung in den Proteiden stattgefunden hat, dafür haben wir zunächst noch zu wenig Anhaltspunkte, wir verschieben dies ganz auf spätere Untersuchungen. Das Gleiche gilt von den Kohlehydraten, über die wir überhaupt noch gar nichts sagen können. Dagegen lassen sich aus den direct bestimmten Curven noch einige weitere ableiten, die uns noch eine bessere Uebersicht über die schon ge- wonnenen Resultate und selbst noch eine neue Einsicht ermöglichen. Zunächst haben wir zu jeder Curve die Resteurve construirt, ‘welche beide dann natürlich entgegengesetzt verlaufen. Die Tabelle VI und Fig. 9 geben darüber Aufschluss. Diese geben uns an 1. das Verhalten der wasserfreien Substanz, contrastirt mit dem Ver- halten des Wassers, 2. das Verhalten fettfreier Substanz, gegenüber dem Fett, 3. das Verhalten der wasser- und fetifreien Substanz. Tabelle VI. Fettfreie Gesammte Fettfreie Eigrösse Wasser Fett Trocken- Trocken- | wasserhaltige substanz substanz Substanz ji -0-1—0-5 nn 32-02. BE 0-95 | 1 7.03. Date 17-98 7 | E 99:05 0:-5—1°0 86.44 2-11 | 11.45 13:56 | 97:89 1°-5—2:0 59:58 13.47 | 26:95 40-42 | 86-53 2:0—3.0 48:13 21.55 | 30:12 51-87 | 78:45 Die fettfreie Trockensubstanz nimmt also zuerst ab und zwar bis etwa in die Gegend der Eilänge 1°”, um dann wieder anzusteigen. Sie verhält sich also qualitativ genau so wie die fetthaltige Trockensubstanz, nur dass sie in bedeutend geringerem Maasse wieder ansteigt. Die Wassercurve und die der wasserfreien Trockensubstanz ergeben sich als einfache Spiegelbilder. In demselben Verhältniss stehen zu einander die Curve des Fettes und die der fettfreien wasserhaltigen Substanz. Die fett- und wasserfreie Trockensubstanz ist ein Spiegelbild einer zu denkenden, nicht construirten Combination der Fett- und Wassercurve. Auf der grossen Curventafel sehen wir ferner Fett- und Wassercurve in einem entgegengesetzten Verhalten zu einander. Da das Fett gleichzeitig mit der Verminderung des Wassers ansteigt, so liegt es nahe, zu denken, dass es einfach als Einlagerung wirkt und so den Gesammtgehalt an Wasser herabdrückt, dass aber der Wassergehalt des 2b 404 A. SOMMER UND G. WEITZEL: Nichtfettes sich nicht verändert. Wir können diese Ansicht prüfen, wenn wir das gesammte Wasser in Procenten der fettfreien, feuchten Substanz berechnen. Dies ergiebt Tabelle VII und Fig. 10. 100 ION | Fi ettfreie 30N Wasserhaltige Substanz z0| soN Trockensubstanz >or Wasser 40 Fettfreie = Trockensubstanz | Fett 20 IL 70 | 0 7 2 3 Ei0239: Die Zahlen an der Abscisse bedeuten Procente, die an der Ordinate Eilängen wie auf allen Tabellen. Aus denselben folgt, dass das Sinken des Wassergehaltes nicht ein- fach eine Folge der Vermehrung des Fettes ist. Die Curve behält auch nach Abzug des Fettes im Wesentlichen ihren Charakter. Die Wasser- abnahme ist also zum grössten Theil unabhängig vom Fett. Dies wird um so evidenter, wenn wir bedenken, dass Fett und Lecithin nicht un- bedeutende Wassermengen aufzunehmen im Stande sind und auch im Ei ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 405 Tabelle VI. Wassergehalt, berechnet auf 100 Theile Eigrösse des Gesammteies | der fettfreien Substanz. 0:1—0:5 82.02 82-82 0-5 -1-0 | 86-44 88-30 1-5—2-0 | 59-58 68-85 2-0—3-0 | 48-13 61-35 1 2 S Fig. 10. I. Wassercurve, auf das ganze Ei bezogen. II. Wassercurve, auf das Ei ohne Fett bezogen. Die Zahlen bedeuten dasselbe wie auf Fig. 9. gewisse Wassermengen sicherlich enthalten werden, und dass wir bei unserer Berechnung auch diese Wassermengen noch zum Wassergehalt der fettfreien Substanz geschlagen haben. 406 A. SOMMER UND G. WETZEL: Sehen wir uns nun nach weiteren Substanzen um, welche die starke Abnahme des Wassergehaltes erklärlich erscheinen lassen, so haben wir bei unseren bis jetzt dürftigen Bestimmungen nur noch die Aschencurve, die Aschenmenge steigt fast bis auf 4 Procent. Ein Theil der Asche, Phosphor- säure und Schwefelsäure entsteht aber wie bekannt erst bei der Veraschung. Dies würde den Aschengehalt schon zu hoch erscheinen lassen. Ferner verlangt alle lösliche Asche. auch gleichzeitig eine gewisse Wassermenge zu ihrer Lösung. Wir werden also noch weiter auf die mehr oder weniger unlöslichen Aschebestandtheile beschränkt. Würden wir aber auch die ganze Asche wie das Fett behandeln und die Wassercurve für die Eisubstanz ohne Fett + Asche berechnen, so würde die Curve immer noch deutlich ab- wärts gehen. Die Stoffe, welche die fettfreie Eimasse ausmachen, sind im Wesent- lichen Eiweisskörper (in geringerer Menge gewiss auch Kohlenhydrate). Unsere eigenen Untersuchungen haben allerdings von diesen Substanzen bisher nur die Nucleine berücksichtigen können, jedoch steht die Zunahme aller Proteidsubstanzen ausser Frage. Mit der steigenden Menge dieser gross- moleküligen Stoffe steht das Sinken der Wassercurve in Zusammenhang. Somit darf dieselbe aufgefasst werden als ein umgekehrter Ausdruck für die Auf- speicherung stickstoffhaltigen Baumateriales (bezw. auch von Kohlenhydraten). Eine Frage, die wir im Anschlusse hieran wenigstens aufwerfen müssen, ist die, ob die grossen Molecüle erst im Ei durch Synthese erzeugt werden, oder ob diese schon fertig durch die Granulosazellen eingeführt werden. Zur Beantwortung dieser Frage ist die histologische Untersuchung der Dotterbildung von Wichtigkeit, sowie im Besonderen die Frage, ob ge- formte Elemente direct aus den Bestandtheilen der Granulosa in das Ei normaler Weise übergehen. Vergleiche hierzu auch 8. 393. Die Fettbestimmungen zeigen uns, dass die chemische Energie des Eies in den letzten Aufbauperioden immer mehr ansteigt, nicht proportional dem Volumen. Diese Speicherung chemischer Energie wird ausser durch den wachsenden Procentsatz an Fett noch bedingt durch das Anwachsen der Zahl der grossen Molecüle. Eine dem Ansteigen der chemischen Energie in geringem Maasse entgegenarbeitende Wirkung übt das Steigen des Asche- gehaltes aus. Was den Verlauf einer später zu construirenden Curve für die chemische Energie betrifft, so würde diese umgekehrt zu dem Wasser- gehalte verlaufen. Die Speicherung- der Energie dürfen wir dem Zeitpunkte nach im Wesentlichen in die Strecke zwischen dem Maximum des Wasser- gehaltes und dem tiefsten Punkte der Wassercurve verlegen. Mit dem letzten Punkte vermuthlich identisch ist der Beginn der von den Morpho- logen so bezeichneten Reifeerscheinungen. Die Periode der Energiespeicherung ist darnach eine wohlbegrenzte. ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 407 F. Andeutung einiger Gesichtspunkte. I. Das Ovarialei in seinen letzten Stadien liefert ein Beispiel für ein Wachsthum, welches in erster Linie auf Grund von Fettaufnahme statt- findet. Beim wachsenden Embryo ist dem gegenüber der die Volumen- zunahme bedingende Stoff in erster Linie das Wasser. Jul Wir dürfen die Embryonalentwickelung ansehen als eine Fortsetzung der Entwickelung des Eies im Ovar. Dabei bedeutet der Eintritt des Spermatozoon in das Ei +0 den Wendepunkt. Daher können wir auch jede durch eine Curve ausdrückbare Veränderung einerseits im Övarialei, andererseits im Embryo durch eine con- 90 80 70 60 50 40 tinuirliche Curve zeichnen, 0 in welcher dann zur Zeit 20 der Befruchtung eine Rich- tungsänderung zu erwar- ten ist. ‘Hier wollen wir durch eine derartige Curve die Veränderungen des Wasser- sehaltes im Ei bis zu seiner Reife und im Embryo während seiner Ent- wickelung veranschaulichen. Für das Ovarialei stützen wir uns auf unsere eigenen Ergebnisse an der Ringelnatter, für den Embryo halten wir uns an den Frosch, für dessen Entwickelung wir Wachsthums-Untersuchungen von Davenport (1897) und noch eingehendere neuere von Schaper (1902) be- sitzen. Im Ovarialei sehen wir eine anfängliche Zunahme des Wassergehaltes, der dann eine gewaltige Abnahme folet. Der Embryo beginnt mit einem geringen Wassergehalte, welcher erst allmählich und dann rascher ansteigt, um später wieder etwas zu sinken. Da die Curven verschiedenen Thieren angehören, so ist der Endpunkt der einen nicht mit dem Beginn der anderen verbunden worden. Wir geben die Curve, um damit unserer Absicht Ausdruck zu geben, Vorentwickelung des Ovarialeies und eigentliche Embryonalentwickelung als etwas Einheitliches aufzufassen. Andererseits soll sie ein Beispiel dafür Fig. 11. Die linke Curve (Ovarialei der Ringelnatter) ist aus dieser Arbeit S. 395, die rechte (Froschlarve) aus Schaper, Archiv f. Entwickelungsmechanik. Bd. XIV. 408 A. SOMMER UND G. WEITZEL: geben, dass viele Processe einen gegensätzlichen Verlauf in beiden Perioden haben. Um Missverständnissen vorzubeugen, machen wir daher noch auf Folgendes aufmerksam: 1. Die beiden Curven sind nur in Bezug auf die Abseisse nach einem einheitlichen Maassstabe unter Zugrundelegung von Procenten gezeichnet. Für die Ordinate sind in der linken, der Ringelnattercurve, Eilängen als Maassstab genommen, in der rechten, der Froscheurve, Entwickelungszeiten. 2. Für spätere Arbeiten muss ein einheitlicher Ordinatenmaassstab für beide Curven gewählt werden, welcher entweder auch für das Ovarialei sich auf Entwickelungszeiten bezieht oder auch für den Embryo auf die Länge (Volum, Gewicht u. s. w.) Für die Ordinate wird es vielleicht am besten sein, weder Zeit noch Grössenverhältnisse zu Grunde zu legen, sondern die- jenigen charakteristischen histologischen Bilder, welche für jede Stufe, für die Bestimmungen vorgenommen werden, wesentlich sind. Die histologische Bearbeitung der Ovarialentwickelung ist von einem von uns schon in Angriff genommen worden. 3. Was die embryonale Curve der Ringelnatter betrifft, so werden wir einen anderen Verlauf zu erwarten haben, wenn wir 1. nur den Embryo analysiren, oder 2. nur den noch nicht für den Embryo aufgebrauchten Dotter, oder 3. beides zusammen der Analyse unterwerfen. Nur im letzteren Falle werden wir wahrscheinlich ein spiegelbildliches Verhalten beider Wassercurven vor uns haben. Auch die Darstellung der Art, wie die Ansammlung chemischer Energie und später ihre Ausgabe in der Embryonalentwickelung stattfindet, lässt eine Curve mit zwei Schenkeln, von denen beide ein entgegengesetztes Ver- halten zeigen, erwarten. Untersuchungen über die chemische Energie während der Embryonal- entwickelung sind von Tangl! in letzter Zeit angestellt worden. I. Wir beabsichtigen die Arbeit vergleichend zu erweitern und werden in dieser Hinsicht zunächst die Eitypen verschiedener Thierelassen in Bezug auf ihren relativen Fett-, Eiweiss-, Asche- und Wassergehalt charakterisiren. Die Art der Zusammensetzung des Eies aus diesen Stoffen wird in genauem Zusammenhange mit ihrer Entwickelungsweise stehen. So haben wir bei Organismen, die schon auf früher Embryonalstufe zu einer selbstständigen Lebensweise übergehen, einen geringen Gehalt an Fettsubstanzen zu er- warten. ı F. Tangl, Pflüger’s Archiv. Bd. XCII. ENTWICKELUNG DES ÜVARIALEIES. 409 Die Litteratur über unser Gebiet haben wir noch nicht berücksichtigt; wir beabsichtigen einen besonderen Abschnitt den bisherigen, mit unserem Thema sich beschäftigenden Untersuchungen zu widmen. Wir sind Hrn. Geheimen Medicinalrath Professor O. Hertwig, welcher im anatomisch-biologischen Institut ein kleines chemisches Laboratorium eingerichtet hat, zu grossem Dank dafür verpflichtet, dass er uns gestattete, die dafür erforderlichen Anschaffungen in erster Linie nach den Erforder- nissen unserer Untersuchungen zu bemessen. Ein neuer Kopfhalter für Ziegen und Schafe. Von Prof. H. Dexler. (Aus dem thierärztlichen Institute der k. k. deutschen Karl-Ferdinands-Universität Prag.) Die verschiedenen operativen Eingriffe am Schädel und dem Rück- grate von Klauenthieren, die am hiesigen Institute im Laufe der ver- flossenen 3 Jahre vorgenommen wurden, haben mich zur Construction eines Kopfhalters für Ziegen geführt, über den ich seiner wiederholt erprobten Vortheile willen hier kurz referire. Eis21. 40 Kilo schweres Schwyzer Kalb, zur Rindenexstirpation mit Nasenring und Nacken- gabel aufgespannt. Für Hirnoperationen an Ungulaten lassen sich die verschiedensten ge- bräuchlichen Spannapparate der physiologischen Laboratorien mit wechseln- den Vortheilen gebrauchen. Ihr Grundprineip — Nackengabel und Nasen- ring — reicht häufig für gewisse Eingriffe aus. Hinderlich bleibt aber, dass die Nackengabel die Region der Membrana obliterans dorsalis verdeckt, wie auch aus Fig. 1 ersehen werden kann, und dass das Gebiss aus ana- H. DExLER: Eınm NEUER KOPFHALTER FÜR ZIEGEN UND SCHAFE. 4ll tomischen Gründen weniger Fixirungspunkte ergiebt als dasjenige der Carni- voren. Ausserdem vertragen Ziegen und Kälber die maximale Rückstreckung namentlich der Hinterextremitäten sehr schlecht. Mehr als !/,stündiges Eingespanntsein in dieser Stellung bewirkt zuweilen einen paraparetischen Zustand, der oft tagelang anhält und die Versuchsergebnisse (Rinden- reizung) unter Umständen wesentlich beeinträchtigt. Das seitliche Nieder- binden und nachherige Festlegen des Kopfes in aufrechter Stellung hilft nur theilweise ab, weil die Halsdrehung stört und weil die völlige Ruhig- haltung des Rumpfes nicht erreicht werden kann. Die Thiere müssen dem- nach mit unterschlagenen Beinen fixirt werden. Dadurch sind Hals und Kopf naturgemäss weit von der Tischplatte abgehoben und seine Fixation schon dadurch beträchtlich erschwert. Der vorliegende Kopf- halter trägt allen diesen Um- ständen Rechnung. Er hält den Gesichtstheil in einem passenden Ringe und umfasst den Kopf von ventral her mit einer starkarmigen Zange, deren geknöpfte Enden in die bei den Oviden und Equiden charakteristisch tiefe Schläfen- Te il gruben eingreifen. Hierdurch wird aufgehoben: Die Ex- cursionen des Schädels nach Fig. 2. vorne dureh den Schnauzen- In den Kopfhalter eingelegter Schädel eines 5 : erwachsenen Schafes. ring; nach hinten durch den Proc. zygomaticus des Stirnbeines; nach ventral durch das Auf- liegen der Unterkieferkanten auf der Basis der Zangenarme, und nach dorsal durch den Proc. zygomaticus des Schläfenbeines. Seitliche Be- wegungen sind sowohl durch die Zange wie durch den Schnauzenring gehemmt. Die Anpassung an die Schädel junger und alter Thiere geschieht durch drei verschieden weite, auswechselbare Nasenringe, während die Schläfenzange dieselbe bleibt. Liegt bei ganz jungen Zicklein der Kehl- rand-des Unterkiefers wegen Kürze der Unterkieferäste nicht auf der Basis der Zangenarme auf, so muss dieser entweder mit harten Compressen unter- legt oder aber mit einer Kreuztour einer Calicotbinde vom diesseitigen Zangenende zur Nasenringmitte und von da zum jenseitigen Zangenende 412 H. DEXxLER: und zurück nach dorsal gedrängt werden. Geschieht dies nicht, so ist dem Schädel ein kleiner Spielraum gegeben nach ventral auszuweichen. Wie die Photographie (Fig. 3) erkennen lässt, besteht der Kopfhalter aus einer verticalen 19== starken und 30°“ langen Führstange (4), die mit einem Kreuzkopf (6) an die Stange meines Operationstisches! befestigt ist. Ein 3faches Charniergelenk verbindet das obere Ende der Leitstange mit der Längsspindel (2) des eigentlichen Halteapparates, die in beliebigem Winkel zur Horizontalebene mit dem Hebel (7) festgeklemmt werden kann. Der Nasenring (8) gleitet \ mit einer geschlitzten Boh- : rung auf dem Vordertheile der Axe des Kopfhalters, die 12°%® lang und 11== dick ist. An ihrem Hinter- ende sind die geschlitzten Bohrungen oder Klammern der gebogenen Zangenarme angebracht (1), die oben in einen Knopf auslaufen. Beide Zangenarme sind ge- sondert und werden ebenso wie der Nasenring mit der Drehung eines abnehm- baren Schraubenschlüssels (3) festgestellt. Die Drehung Fig. x zieht die abstehenden Enden Kopfhalter, !/, der natürlichen Grösse. der Bohrungen miteiner kur- 1 linker Arm der Schläfenzange; 2 Längsspindel des zen, sehr starken Schraube Kopfhalters; 3 Schlüssel zum Zuziehen der Klammern nach Art eines Clavier- der Zangenarme wie des Nasenringes; 4 Leitstange : M des Koran 5 Längsspindel a, Sesnmllnel En Be) De 6 Kreuzkopf zur Verbindung von 4 mit 5; 7 Hebel sammen, dass die Kraft des Charniergelenkes; 8 Nasenring. eines Menschen nicht ge- nügt, um etwa die Branchen der Schläfenzange, die eine Länge von 15°” haben, aus einander zu ziehen, oder zusammen zu pressen. Alle Theile des von dem Mechaniker J. Waraus des hiesigen experimentell-pathologischen Institutes ausgeführten Apparates sind aus Stahl gefertigt, die Bohrungen der Zangenarme und der Nasenringe mit Messing ausgekleidet, um bei der vorhandenen starken Pressung die Glätte der Kopfhalteraxe nicht zu ruiniren. 1 Zeitschrift für Veterinär-Medicin. Bd. VII. EIN NEUER KOPFHALTER FÜR ZIEGEN UND SCHAFE, 413 Arbeitet man an der Medulla oblongata erwachsener Thiere, deren Halsmusculatur sehr kräftig, und deren Kehlkopf weniger verschieblich ist, so verwendet man vortheilhaft ein zweites Paar von Zangenarmen, die etwas weiter nach rückwärts ausgebogen sind, so dass bei Verticalstellung des Schädels der Kehlkopf keinen Druck erleidet. "Fig. 4. 8 Monate alte Ziege zur Zwischenhirndurchschneidung eingespannt, vor der Narkose. Das Aufspannen ist sehr rasch durchzuführen. Ein Rückengurt zieht das betreffende Thier in der Brustlage auf die Tischplatte nieder. Die Beine werden unterschlagen und durch einen umlaufenden, über die Ellbogen- gelenke und Kniekehlen gehenden Gurt mässig gegen einander gezogen, die Fig. 5. Ziege in Narkose, zur Rindenexstirpation vorbereitet; unmittelbar vor dem Hautschnitt. Hufe der Vorderbeine mit denen der Hinterbeine mit einer Schnurschleife verbunden. Bei kräftigen Individuen, die sich im Exeitationsstadium der Narkose durch heftige Bewegungen selbst beschädigen könnten, thut man gut, noch einen Lendengurt und einen Halsgurt anzulegen, sowie die Carpal- gelenke und die Sprunggelenke nach vor- bezw. nach rückwärts zu spannen. 414 H. DeExLER: EIınm NEUER KOPFHALTER FÜR ZIEGEN UND SCHAFE. Ist das geschehen, so bringt man den Kopfhalter in Stellung, schiebt die Schnauze des Thieres in den Ring, legt den einen Zangenarm so in seine Schläfengrube, dass der Schädel genau in der Symmetralen des Rumpfes steht, und macht ihn fest. Hierauf drückt man den Knopf des zweiten Zangenarmes in die andere Schläfengrube und fixirt ihn ebenfalls durch eine Schlüsseldrehung. Damit ist das Thier ganz sicher eingespannt. Eventuelle Correctionen der Schädelhaltung können nun nach den ver- schiedensten Richtungen vorgenommen werden. Der Kopf kann gehoben und gesenkt, gedreht und nach vorne gzogen werden. Es kann eine Wen- dung zur Seite um die Leitstange, eine solche um die Tischstange (Augen- operationen) und eine Beugung und Streckung des Halses ausgeführt werden. Der Narkotiseur hat unter dem Batistschirme vor dem Schädel des Thieres eine bequeme Stellung, und ist ein solcher nicht zur Hand, so kann der Narkoseapparat mit Sicherheit und Leichtigkeit angebracht werden. Das Abdecken des ganzen Thierkörpers zum Zwecke des aseptischen Operirens mit Leintüchern und sterilem Batist, alle Manipulationen des Operateurs und seiner Assistenten sind durch keinerlei vorstehende Stangen, Schrauben und Klammern behindert. Der hier beschriebene Kopfhalter vereinigt folgende Vortheile: 1. Absolut sichere Feststellung des Kopfes. 2. Beibehaltung der natürlichen Liegestellung des Thieres. 3. Freibleiben der ganzen Schädelwölbung, des Auges, Ohres und des Nackens für operative Eingriffe. 4. Leichte Anlegung. 5. Möglichkeit der Fixirung des Schädels in den verschiedensten Stellungen. Die Wirkung gewisser Herzgifte im Lichte der myogenen Theorie der Herzfunction. Von Erich Harnack. (Aus dem pharmakologischen Institute zu Halle a. S.) In ihren grundlegenden Anschauungen wie in zahlreichen Einzelfragen hat die Physiologie jüngster Zeit wesentliche Wandlungen durchgemacht; auch in der Theorie der Herzbewegung haben sich die Ansichten auf einem scheinbar fundamentalen Punkte geändert. Die automatischen museulo- motorischen Nervencentren des Herzens sind depossedirt. Während man früher dem intracardialen Nervensystem die Erregung der Herzmuskelreize und die Coordination der Herzbewegungen zuwies, behauptet die neue Lehre, „dass die Mitwirkung der Nerven weder zur Erzeugung der spontanen Herzreize, noch zu deren Leitung erforderlich sei, dass vielmehr Automatie und Coordination als Functionen der Muskelzellen des Herzens betrachtet werden müssen, die Bedeutung der Nerven aber nur darin bestehe, die Herzthätigkeit in mannigfaltigster Weise zu modificiren und damit den wechselnden Bedürfnissen des Organismus anzupassen“ (Engelmann!). Die erste und nothwendigste Consequenz dieser Anschauung musste natürlich die sein, die Muskelzellen des Herzens physiologisch zu differen- ziren, d.h. man musste die Vorgänge, die man früher dem Nervengewebe zuschrieb, in einen besonderen Theil, in eine besondere Gattung der Herz- muskeln verlegen, und zwar in die an den venösen Ostien des Herzens, im ! Engelmann, Das Herz und seine Thätigkeit im Lichte neuerer Forschung. Festrede u. s.w. Berlin 1903. 416 Erich HaArnaAck: sogenannten Sinusgebiet befindliche Musculaturr. Während sich das Problem früher aufbaute auf das Verhältniss von Nerv zu Muskel, so jetzt auf das Verhältniss von Muskel X zu Muskel Y. Ich beabsichtige durchaus nicht in eine Prüfung der Frage einzutreten, wie weit die Gründe für diese Wandlung zureichende gewesen; das ist bereits von viel berufeneren Federn geschehen, und es scheinen ja so manche der physiologischen Einzelthatsachen mit der neuen Lehre besser zu stimmen als mit der alten. Jedenfalls hat die biologische Forschung auf diesem Gebiete einen neuen und mächtigen Impuls erhalten. Wohl aber glaube ich, dass in der ganzen Frage auch die Pharmakologie zu Worte kommen darf und muss. Dass die Physiologie des Herzens der pharmakologischen Forschung sehr werthvolle Aufschlüsse zu verdanken hat, wird Niemand leugnen können. Die Abweichung von der Norm lässt eben nicht selten einen Schluss auf die normalen Verhältnisse zu, während wiederum die Schlussfolgerung in pharmakologischen Problemen, wenn anders sie nicht gänzlich in der Luft stehen soll, einer gesicherten physiologischen Grundlage und Voraussetzung bedarf. Es ist gewissermaassen ein circulus vorhanden, der beide Diseiplinen nöthigt, auf's engste Hand in Hand zu gehen. Das Verhältniss ist ähnlich wie zwischen Physiologie und Pathologie: was hat sich nicht alles aus dem Studium des Fiebers für die Thermophysiologie ergeben, und doch ist eine befriedigende Theorie des Fiebers nicht möglich ohne eine gesicherte physiologische Grundlage. Soll die rein myogene Theorie der Herzfunction sich bewähren, so muss sie auch mit den pharmakologischen, in Betreff der Herzgifte bisher gewonnenen Thatsachen übereinstimmen. Wie weit ist das der Fall? Be- merkenswerth ist in dieser Hinsicht zunächst, dass die pharmakologische Forschung schon längst, ehe die myogene Theorie geboren wurde, Gifte kennen gelernt hat, denen sie eine unmittelbare, nicht durch Nerveneinfluss vermittelte Einwirkung, wie auf Muskeln überhaupt, so auch auf den Herz- muskel zuzuschreiben sich genöthigt sah. Abgesehen von den bekannten Wirkungen des Digitalins, Veratrins, Coffeins, Chinins, der Kaliumsalze u. s. w. darf ich darauf hinweisen, dass ich zuerst die direct muskellähmende Wirkung des Apomorphins und Kupfers nachgewiesen und gemeinsam mit Dr. Witkowski die muskelerregende Wirkung des Physostigmins, auch für das Herz, wahrscheinlich gemacht habe. Die bezügliche Wirkung von Apo- morphin und Kupfer ist über allen Zweifel erhaben, die des Physostigmins ist zwar auch anders gedeutet worden, kann aber, soweit es sich um das Herz handelt, auf Grund der myogenen Theorie gar nicht mehr bestritten werden. Ich werde mir erlauben, weiter unten darauf zurückzukommen. Die Wirkung aller dieser directen Muskelgifte steht selbstverständlich mit der myogenen Theorie der Herzfunetion im schönsten Einklange; weit HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 417 grössere Schwierigkeiten für eine befriedigende Deutung scheinen sich von vornherein zu ergeben, wenn man eine andere Kategorie von Herzgiften heranzieht, nämlich solche, welche die Herzfunction völlig sistiren, ohne zugleich dem Herzmuskel seine Reizbarkeit und Contrac- tilität zu rauben. Ehe wir uns jedoch diesen Substanzen näher zuwenden, ist eine wichtige physiologische Vorfrage zu entscheiden. Die myogene Theorie hat, indem sie die automatischen Herzcentren depossedirte, zugleich den regulirenden Herznerven eine erhöhte Bedeutung zuerkannt. Indem man Reizerzeugung, Reizbarkeit, Reizleitungsvermögen und Contractilität unterschied, differenzirte man auch die jene vier Grundfunctionen der Herzmusculatur beeinflussenden Nerven, und zwar als chronotrope, bathmotrope, dromotrope und inotrope, während man zugleich die in positivem Sinne wirkenden als Augmentatoren, die im negativen beeinflussenden als Inhibitoren bezeichnete. Es erhebt sich nun die Frage, ob der Einfluss der regulirenden Nerven ein solcher ist, dass er unter Umständen die Herzfunction völlig zu sistiren vermag? Die Frage, ob durch abnorm verstärkten Einfluss der Inhibitoren die Herzaction vorübergehend sistirt werden kann, ist längst mit Ja beantwortet (diastolischer Herzstillstand durch Vagusreizung), aber die andere Frage, ob jemals durch eine Ausschaltung (Lähmung) der Augmentatoren das Herz zum Stillstand gebracht werden könne, muss meines Erachtens von der myogenen Theorie verneint werden, weil sie sonst mit sich selbst in Widerspruch geriethe. Ein Nervenapparat, dessen Aus- schaltung Herzstillstand zur Folge bätte, wäre doch nichts anderes, als was die neurogene Theorie ein automatisches Herzcentrum nannte. Das scheint mir zweifellos zu sein: einen Herzstillstand durch Lähmung einer nervösen Vorrichtung im Herzen darf die myogene Theorie nicht aner- kennen. Dieser Vordersatz ist, wie sich zeigen wird, für unsere weiteren Betrachtungen von schwerwiegender Bedeutung. Die Herzgifte, deren Wirkung wir nun im Lichte der myogenen Theorie etwas eingehender betrachten wollen, sind zunächst solche, die einen diasto- lischen Herzstillstand hervorrufen, der nichts mit Vagusreizung zu thun hat und während dessen die Herzmuseulatur ihre Reizbarkeit und Contractilität bewahrt hat. Dahin gehören, von einigen anderen analog wirkenden Sub- stanzen abgesehen, namentlich gewisse Verbindungen aus der Chloral- gruppe, sowie das Chloroform. Für das Chloralhydrat wurde die bezügliche Wirkung am Froschherzen bereits von Liebreich! beobachtet und bald darauf von Rajewski? genauer untersucht, welche Beobachtungen zu der ! Liebreich, Das Chloralhydrat u. s. w. Berlin 1869. 8. 25. ? Rajewski, Medieinisches Oentralblatt. 1870. S. 211 und 225. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 97 418 Erich HARNACcK: Folgerung führten, dass durch das Chloralhydrat wahrscheinlich die auto- matischen Centren des Froschherzens gelähmt werden. Zu dem gleichen Ergebniss gelangten übrigens verschiedene Autoren auch in Betreff des Warmblüterherzens. Später fand ich gemeinsam mit Dr. Witkowskil, dass sich die bezügliche Wirkung am Froschherzen noch prägnanter als durch Chloralhydrat durch das Jodal oder richtiger Monojodaldehyd (C,H,JO + 2aq.)? erzielen lässt. Allerdings empfiehlt es sich, nur die Herzen von Temporarien, und zwar von Sommerfröschen zu wählen und von vornherein grössere Dosen (etwa von 0-07 bis 0-1 Jodal) an- zuwenden. Bei Winterfröschen erhält man nur eine sehr langsam sich entwickelnde Lähmung ohne die vorausgehenden charakteristischen Er- scheinungen. Die Einzelheiten unserer Beobachtungen, deren Richtigkeit ich später wiederholt habe bestätigen können, erlaube ich mir nun ausführlicher zu recapituliren und im Lichte der myogenen Theorie zu betrachten. Am Froschherzen in situ gestalten sich die Erscheinungen in folgender Weise: 1. Sehr bald nach Injeetion der Jodallösung in einen der subcutanen Lymphsäcke tritt eine gesteigerte Frequenz der Herzcontractionen ein, die jedoch nach wenigen Minuten wieder der normalen Platz macht. Es kann sich dabei nicht ausschliesslich um einen Reflexact handeln, da die gleiche Veränderung, und zwar noch deutlicher, am isolirten Herzen eintritt. Das Herz erfährt vielmehr anfänglich eine directe Reizung von Seiten der Substanz, ob die regulirenden Nerven oder der Herzmuskel selbst, mag vorläufig dahingestellt bleiben. 2. Es folgt nunmehr ein ziemlich lange dauerndes Stadium, in dem die Frequenz der Herzschläge zwar unverändert geblieben ist, der Ventrikel jedoch sich bei der systolischen Contraction nicht mehr in dem Maasse verkleinert, wie im normalen Zustande, während die Vorhöfe anscheinend ungeschwächt fortpulsiren. Zugleich wird die Dauer der Ventrikeldiastole auf Kosten der Systole etwas verlängert. Diese Thatsache könnte wohl für eine directe Beeinträchtigung des Muskels sprechen, und zwar speciell der Ventrikelmuskeln, indem diese die ihnen sonst eigene Fähigkeit, sich stets maximal zusammenzuziehen einbüssen, die systolische Contraction also schwächer und kürzer wird. In- ! Harnack und Witkowski, Archiv für exper. Pathologie und Pharmakologie. 1879. Bd.XI. 8.1. ? Die in Wasser sehr leicht lösliche Verbindung war von uns selbst nach der Methode von Schoonbroodt durch Eintragen einer alkoholischen Judlösung in unter- chlorigsaures Natrium, Fällen mit Alkohol und Umkrystallisiren aus wässeriger Lösung dargestellt werden. HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 419 dess könnte eine solche Veränderung wohl auch durch Beeinflussung herz- regulirender, und zwar inotroper Nerven herbeigeführt werden. 3. In dem nun folgenden, dem diastolischen Stillstande unmittelbar vorausgehenden Stadium können sich die Erscheinungen etwas verschieden gestalten, und zwar: a) Der Ventrikel beginnt zeitweilig seine Thätigkeit einzustellen, während die Vorhöfe regelmässig fortschlagen. Dadurch entsteht ein eigenthümliches Bild, indem auf eine grössere oder geringere Anzahl von Vorhofscontractionen hier und da erst eine Zusammenziehung des Ventrikels kommt. Diese Er- scheinung ist bei der Jodalwirkung das häufigere. b) Es treten kurzdauernde diastolische Stillstände des Ventrikels ein, die dann wieder mit einer Anzahl regelmässiger frequenter Contractionen periodisch abwechseln. Jeder folgende Stillstand ist etwas länger, als der vorhergehende, und schliesslich bleibt der Ventrikel definitiv stehen. Diese periodischen Stillstände sind bei der Chloralwirkung das Häufigere und wurden bereits von Rajewski genau beschrieben. 4. Schliesslich tritt ein andauernder Stillstand des Herzens in Diastole ein, der anfänglich nur den Ventrikel betrifft, später auch auf die Vorhöfe sich ausdehnt. Die beschriebenen Stadien 2. und 3. sind wahrscheinlich der Ausdruck einer combinirten Wirkung, indem einerseits die Muskelfasern des Herzens gereizt werden, andererseits aber eine Jlähmende Wirkung sich einstellt, die im vierten Stadium complet wird und den diastolischen Stillstand des Herzens bedingt. Diese letztere Wirkung ist es, die im Lichte der myogenen Theorie genauer betrachtet werden muss. Zunächst liess sich leicht erweisen‘, dass dieser Herzstillstand mit den Inhibitoren des Herzens nichts zu thun hat, da das Atropin ganz ohne Einfluss auf ihn bleibt. Bei solchen Stillständen, wie dem Muskarinstill- stand, kommen ja auch stets die Vorhöfe zuerst zum Stehen, während es hier umgekehrt ist. Wenn man das durch Jodal zum Stillstand gebrachte Herz mechanisch reizt, so führt es eine, oft sogar mehrere kräftige Contractionen aus, an denen sich in durchaus normaler Weise der ganze Herzmuskel, also auch die Sinusmusculatur betheiligt.! ! Der Ausdruck „normaler Weise“ ist cum grano salis zu verstehen: ich habe mich auch davon überzeugt. was Engelmann gegenüber, älteren Angaben von Volk- mann u. A. betont, dass bei mechanischer Reizung einer Stelle des Ventrikels die Contraction „antiperistaltisch“ erfolgt, d. h. zuerst der Ventrikel, dann erst Vorhöfe und Sinus sich contrahiren. Die Reizwelle, die zur Contraction führt, nimmt also in der That unter diesen Bedingungen von der Applicationsstelle des Reizes ihren Ausgang, DIS 420 Erich HARNAcK: Da demnach der Herzmuskel, sowie wir ihn nur genügend stark reizen, trotz des Stillstandes in ganz normaler Weise zu functioniren vermag, so schlossen wir, und zwar gewiss mit Recht, dass er seine Thätigkeit eingestellt hat, weil ihm kein genügender Reiz mehr zugeht, weil seine normale Reizquelle versiegt ist. War dem in der That so, so musste es auch gelingen durch Substanzen, die den Muskel selbst genügend stark reizen, den Stillstand dauernd aufzuheben. Allerdings kann hier von dauernder Aufhebung nur cum grano salis die Rede sein, weil die Jodal- wirkung auf das Froschherz mit dem diastolischen Stillstande nicht beendet ist, sondern allmählich auch zur Lähmung des ganzen Herzmuskels führt. Bei der beträchtlichen zeitlichen Differenz im Eintritt beider Wirkungen lässt sich jedoch der Erfolg einer dauernden Aufhebung des Stillstandes noch deutlich erkennen. Das gelang z. B. auf’s beste mit Hülfe des Phy- sostigmins: es traten wieder regelmässige rhythmische Öontractionen des ganzen Herzens ein, die so lange fortdauerten, bis die Lähmung des Herz- muskels durch das erste Gift zu hochgradig geworden war. Die Voraussetzung also, dass der Herzmuskel während des diastolischen Stillstandes seine Erregbarkeit bewahrt hat und nur deswegen nicht func- tionirt, weil er nicht mehr erregt wird, erfährt auch durch diese Versuche ihre Bestätigung. Die oben in Betreff der Wirkung des Jodals u. s. w. geschilderten Fr- scheinungen liessen sich nun in völlig gleicher Weise am ausgeschnittenen Froschherzen wie am Coats’schen Herz-Vaguspräparate beobachten. Es machte sich auch hier zuerst eine Steigerung der Frequenz geltend, und bald folgten diastolische Stillstände, anfänglich nur vorübergehend, mit Perioden regelmässiger frequenter Herzschläge abwechselnd. Während einer solchen Periode, in der das Herz wieder schlägt, gelingt es durch Vagus- reizung nur bei Anwendung sehr starker Ströme einen Herzstillstand zu veranlassen. Bis zum Ende des spontanen Stillstandes nimmt die Aus- dehnung des Herzens stetig zu; dann folgen erst einige langsame Schläge, die den Uebergang zu einer Reihe frequenter Contractionen bilden, bis wieder ein neuer spontaner Stillstand eintritt. Jeder folgende Stillstand dauert länger als der vorhergehende, und schliesslich bleibt das Herz definitiv in Diastole stehen. Mechanische Reize rufen dann stets eine oder selbst mehrere Contractionen des ganzen Herzens hervor, und durch Physostigmin wird das Herz wieder zu regelmässiger Thätigkeit gebracht, die so lange andauert, bis der Herzmuskel selbst der Lähmung durch das erste Gift anheimfällt. Auch diese Thatsachen führten zu dem Schlusse, gegen den wohl kaum etwas eingewendet werden kann, dass erstens der Herzmuskel anfänglich eine Reizung von Seiten des Jodals erfährt, und zweitens, dass der darauf HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 421 eintretende diastolische Herzstillstand durch eine Lähmung derjenigen Vor- richtungen im Herzen selbst bedingt ist, von denen der Muskel normaler Weise seine Reize empfängt. Diese Vorrichtungen konnten nach der neurogenen Theorie nur als die automatischen Nervencentren des Herzens angesprochen werden. Wenn es nun aber solche gar nicht giebt, wie dann? Allerdings machten wir uns, obschon damals eine myogene Theorie noch lange nicht geboren war, gleich den folgenden Einwand: man könnte annehmen, dass der diastolische Stillstand durch eine Beeinträchtigung der Erregbarkeit des Herzmuskels selbst bedingt sei, dass der Muskel zwar noch nicht völlig gelähmt, aber doch bereits schwerer erregbar ge- worden, so dass die normalen Reize nicht mehr genügen, um ihn zur Thätiekeit zu veranlassen. Gegen diese Annahme sprechen jedoch ver- schiedene und sehr gewichtige Gründe: erstens tritt der Stillstand bereits ein, solange die Ventrikelfasern noch durch Jodal direct gereizt sind, sie können also nicht gut zugleich gelähmt und gereizt werden. Zweitens ge- stalten sich bei der Wirkung eines direct muskellähmenden Giftes (Apo- morphin, Kupferdoppelsalze u. s. w.) die Erscheinungen am Herzen in anderer Weise, ein diastolischer Stillstand tritt dabei nicht ein. Endlich lehrt die unmittelbare Beobachtung, dass der Herzmuskel während des diastolischen Stillstandes sehr reizbar ist, indem bereits geringe mechanische Reize ge- nügen, um wieder Contractionen, oft sogar mehrere nach einander, hervor- zurufen. Wir suchten aber noch stichhaltigere Beweise zu gewinnen, und zwar durch Versuche, die wir mit dem Jodal an einzelnen Theilen des Froschherzens anstellten und die zugleich den Zweck verfolgten, zur Ent- scheidung der Frage, in welchen Theilen des Froschherzens die automatischen Centren für die Herzthätigkeit gelegen sind, von pharmakologischer Seite her Beiträge zu liefern. War unsere Voraussetzung richtig, beruhte der diastolische Herzstill- stand, mit dem wir es hier zu thun haben, wirklich auf einer Lähmung derjenigen Vorrichtungen im Herzen, welche die Contraction desselben ver- anlassen, so ergab sich zugleich, dass nach Ausschaltung dieser Vorrichtungen die durch das Blut oder durch die künstliche Durchspülung mit Serum bezw. Kochsalzlösung auf das Herz etwa ausgeübten Reize nicht zur Unter- haltung seiner Thätigkeit genügen. Es bedarf dann künstlicher Reize, um den Muskel zu Contractionen anzuregen. Ist dieser Reiz ein dauernder (Physostigmin), so dauert auch die Herzthätigkeit an: überhaupt mussten wir betonen, dass selbst nach Ausschaltung jener Vorrichtungen die Art und Weise der Herzthätigkeit keine Veränderung erleidet, wenn nur die zugeführten Reize genügen, um sie wieder hervorzurufen. Das Herz arbeitet 422 ErIcCH HARNACK: in jedem Falle rhythmisch, und die besonderen Anordnungen hierfür sind im Muskel selbst zu suchen, aber die blosse Durchströmung mit Blut genügt an und für sich als Reiz nicht. Diese übrigens von physio- logischer Seite (Bowditeh u. A.) schon vor uns ausgesprochenen Sätze sind auch neuerdings von der myogenen Theorie durchaus anerkannt worden. Es musste aber weiter geschlossen werden, dass auch jeder von auto- matischen Centren freie Theil des Herzmuskels sich rhythmisch contrahiren müsse, falls wir nur im Stande wären, ihn andauernd durch chemische Reize zu erregen und gleichzeitig ausreichend zu ernähren. Angeregt durch die Versuche früherer Autoren an der isolirten Ventrikel- spitze, namentlich aber durch die von Engelmann! ausgeführten Versuche mit schmalen Herzmuskelbrücken, stellten wir Versuche mit dem Jodal an einzelnen Herztheilen an und hofften durch dieselben einen noch sichereren Beweis dafür zu erhalten, dass der diastolische Stillstand des Herzens wirklich von einer Lähmung nervöser Theile herrührt und dass diese Centren nur in bestimmten Theilen des Froschherzens gelegen sind. Zuvörderst stellten wir Versuche an der isolirten Herzspitze an, um zu ermitteln, wie sie sich dem Jodal gegenüber verhält, sofern es ge- lingt, sie zuvor durch einen dauernden chemischen Reiz zu rhythmischen Contractionen zu veranlassen. Unter der Voraussetzung, dass in der Herzspitze keine musculomotorischen Centren vorhanden sind, durfte erwartet werden, dass das Jodal keinen diastolischen Stillstand hervorrufen, dass vielmehr die Aufhebung der Pulsationen hier erst gleichzeitig mit dem Unerregbar- werden der Muskelfasern eintreten würde Es gelang uns, zwar nicht mit sauerstoffreichem Kaninchenserum, wohl aber mit Hülfe der von Gaule? angegebenen Natronlösung (1 NaH0:20000 einer 0.6 procentigen Koch- salzlösung) an der durch die Ligatur isolirten, mit Perfusionscanüle ver- sehenen Herzspitze, die in der Lösung sich befand und von ihr durchströmt wurde, nach Verlauf von 15 bis 20 Minuten einzelne, wenn auch unregel- mässige spontane Contractionen zu: beobachten. Sowie nun mit Jodal ver- setzte Lösung durchgeleitet wurde, begannen die Pulsationen sehr rasch zu werden; allmählich aber wurden sie schwächer und schwächer und sistirten endlich ganz. Dann fand es sich, dass die Muskelfasern auch durch mechanische oder physikalische Reize nicht mehr erregt werden konnten. Auch diese Versuche bewiesen also, dass das Jodal anfänglich als kräftiger Reiz auf die Muskelfasern des Ventrikels einwirkt; der Reiz ist viel stärker als der durch die Natronlösung ausgeübte und kann, da es sich um die Herzspitze allein handelt, nicht durch eine Vermittelung ! Engelmann, Pflüger’s Archiv. 1875. Bd. XI. S. 465 ff. ? Gaule, Dies Archiv. 1878. Physiol. Abthlg. S. 291 ff. HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 423 regulirender Acceleratoren bedingt sein. Ausserdem wurde die Voraussetzung bestätigt, dass die Pulsationen der Heızspitze erst aufhören, wenn die Muskelfasern unerregbar geworden sind. Wir wählten nun aber noch eine weitere Versuchsanordnung, durch die es uns in der That gelang, ein sehr bemerkenswerthes Resultat zu erzielen. Es wurden Querligaturen um das isolirte Herz entweder im oberen Drittel des Ventrikels oder im unteren Drittel der Vorhöfe der Art angelegt, dass der oberhalb der Ligatur befindliche Theil des Herzens mit dem unteren noch durch eine schmale Muskelbrücke in un- mittelbarem Contaet stand. Eine solche Ligatur hebt die regelmässigen Contractionen in keinem Theile des Herzens auf und gewährt dabei den Vortheil, dass man entweder den oberen oder den unteren Theil des Herzens isolirt in die wirksame Flüssigkeit bringen kann, ohne dass die letztere rasch zu dem nicht eingetauchten Theile hingelangt. Natürlich muss, wenn die Ligatur im unteren Drittel der Vorhöfe angelegt wird, darauf geachtet werden, dass wirklich ein Theil der Herzwand als verbindende Brücke dient, d. h. es kommt darauf an, dass irgend welche Brückenfasern — nach der neueren Eintheilung der Herzmusculatur — erhalten bleiben. Um- schnürt man die Vorhöfe so, dass nur die auf der vorderen Vorhofswand aufliegende Aorta nicht in die Ligatur fällt, so hört der Ventrikel natürlich sofort auf zu schlagen. Im Uebrigen scheint es gleichgültig zu sein, an welcher Stelle der Herzwand die verbindende Brücke liegt. An dem so präparirten Herzen gelang nun der folgende, sehr einfache und überzeugende Versuch mit voller Sicherheit: taucht man allein die Ventrikelspitze in eine mit wenig Jodal oder Chloralhydrat ver- setzte 0.6 procentige Kochsalzlösung ein, so schlagen beide durch die Ligatur gesonderten Herztheile in durchaus regelmässiger und nor- maler Weise fort, sowie man aber das Herz umdreht und den obersten Theil der Vorhöfe mit der Flüssigkeit in Berührung bringt, so bleiben sofort beide Theile, also das ganze Herz, in Diastole stehen. Den letzteren Effect erhält man selbstverständlich auch, wenn man von vorn- herein die Vorhöfe in die Lösung eintaucht. Schneidet man nun das still- stehende Herz genau an der Ligaturstelle quer durch und bringt den unteren Theil (Ventrikel und unteres Viertel der Vorhöfe) in die Flüssigkeit, so treten zuerst wieder einige Contractionen auf, denen jedoch sofort auf’s neue der diastolische Stillstand des Theiles folgt. Mechanische Reize rufen dann noch kräftige Contractionen hervor,” und viel später erst tritt die Lähmung der Muskelfasern selbst ein. Schliesslich suchten wir noch die Frage, ob auch die Atrio-Ventri- eularganglien durch das Jodal gelähmt würden, durch folgende Ver- 424 ERICH HARrnAcK: suchsanordnung zu entscheiden: wir legten eine Totalligatur um die Vorhöfe zwischen dem Sinus und der Ventrikelgrenze an, wodurch der Ventrikel bekanntlich zum Stillstand kommt. Bringt man nun das ganze Herz in die mit Jodal oder Chloralhydrat versetzte Kochsalzlösung, so fängt der Ventrikel zunächst wieder zu schlagen an. Allmählich werden aber die Contractionen, auch die der Vorhöfe, wieder langsamer, und nach einiger Zeit tritt ein diastolischer Stillstand beider Theile ein. Die directe Reizbarkeit der Herzmuseulatur bleibt noch lange erhalten. Genau ebenso gestalten sich die Erscheinungen, wenn ein Herz, welches durch Abtragen des ganzen Venensinus in Stillstand versetzt worden, in die betreffende Flüssigkeit gebracht wird, woraus sich schliessen lässt, dass die Theile, in denen sich der automatische Reiz für das Herz bildet, vorzugs- weise, wenn auch nicht ausschliesslich, im Sinusgebiet gelegen sind. Bei allen diesen Versuchen ist die Lösung des Jodals u. s. w. sehr verdünnt zu wählen, damit nicht der directe Reiz so gross wird, dass es zur Muskelstarre kommt. Bei sehr verdünnter Lösung gelingen die Ver- suche auch insofern besser, als dann die nachträgliche Muskellähmung nicht oder doch erst spät eintritt. Aus den obigen Versuchen an einzelnen Herztheilen schlossen wir nun auf Grund der neurogenen Theorie, dass der diastolische Stillstand durch eine Wirkung auf nervöse Apparate im Herzen, nicht auf den Muskel selbst bedingt ist, dass diese Apparate in und oberhalb der Atrioventriculargrenze, namentlich im Sinusgebiet, nicht aber in der Ventrikelspitze gelegen sind und dass die sämmtlichen automatischen Centren des Herzens durch Jodal u. s. w.! gelähmt werden. Unser Hauptschluss war also der: diastolisch stillstehen in Folge einer lähmenden Wirkung — bei erhaltener Muskelerregbarkeit — können nur solche Herztheile, die noch irgend welche automatische Centren enthalten. Wie erscheinen nun die beobachteten Thatsachen im Lichte der neueren, rein myogenen Theorie? Lassen sie sich mit dieser leicht und ohne Zwang vereinigen ? . Die Schlussfolgerung, dass die Theile, in denen sich der automatische Reiz für das Herz bildet, räumlich gesondert und nur bestimmten Ge- bieten im Herzen zugewiesen sind, wird von der myogenen Theorie bereit- willigst acceptirt werden, die sie ja kurzweg als Sinusfasern (oder eigentlich Muskelzellen) bezeichnet. So könnte denn die Erklärung von vornherein sehr einfach scheinen: was wir nervösen Apparaten zugeschrieben haben — ! Dass auch das Chloroform ganz analog auf das Herz einwirkt, daran möge hier nur beiläufig erinnert werden, obschon die Thatsache bekanntlich von hoher prak- tischer Bedeutung ist. HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 425 nämlich deren Lähmung als Ursache des diastolischen Stillstandes — ist lediglich auf diese besondere Gattung von Herzmuskelzellen zu übertragen, und alles Andere bleibt wie zuvor. Allein ganz so leicht und einfach ist die Sache doch nicht, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal unterliegt es keinem Zweifel, dass Anfangs der Herzmuskel selbst, wenigstens die Ventrikelfasern, wahrscheinlich auch Brücken- und Vorhofsfasern, eine Reizung von Seiten des Jodals erfahren. Während dieser Wirkung bahnt sich schon der Stillstand an (periodische Stillstände). Es müssten also gleichzeitig eine bestimmte Muskelgattung im Herzen gelähmt, die anderen erregt werden, welche letztere Wirkung allerdings ziemlich bald wieder schwindet, so dass der definitive Stillstand eintritt. Ganz undenkbar wäre dies nun freilich nicht; denn die myogene Theorie muss die verschiedenen Muskelgattungen des Herzens physiologisch und damit natürlich auch chemisch differenziren. Immerhin erscheint die Deutung jener Thatsachen auf Grund der neurogenen Theorie, wonach zuvörderst die Reizung der Muskelfasern und die Lähmung der Nerven- centren mit einander concurriren, bis schliesslich die letztere überwiegt, einfacher und a priori plausibler. Aber noch eine zweite und anscheinend grössere Schwierigkeit ist vor- handen. Nach Eintritt des dauernden diastolischen Stillstandes hat jeder genügende mechanische Reiz eine vollkommen nor. male rhythmische Contraction, und zwar des ganzen Herzens mit Einschluss der Sinusfasern zur Folge. Aber die Ursache des diastolischen Chloral- oder Jodalstillstandes kann nach der myogenen Theorie nur in einer Lähmung der Sinusfasern, in denen ja die Automatie- erregung stattfinden soll, gesucht werden. Einen diastolischen Stillstand durch Lähmung eines nervösen Apparates im Herzen darf die myogene Theorie, wie ich Eingangs schon betont habe, nicht annehmen, ohne sich selbst zu negiren. Darnach würden also die Sinusfasern durch Jodal u. s. w. gelähmt werden und trotzdem ihre Erregbarkeit und Contractilität behalten! Aus diesem Dilemma kommen wir nur heraus, indem wir die Annahme zu Hülfe nehmen, dass die Sinusfasern durch das Gift derart beeinflusst werden, dass sie ihre Fähigkeit zur Automatieerregung (innerer Erzeugung von Reizen) verlieren, während Reizbarkeit und Con- tractilität ihnen zunächst erhalten bleiben. Ist eine solche Annahme, ich will nicht sagen, zulässig, aber doch schon irgendwie genügend gestützt? Engelmann! beruft sich auf die Untersuchungen von Loeb, aus denen hervorgehe, dass gewisse Ionen das Entstehen von Reizen in den 28.8.0.(8.1.) 426 ERICH HARNACK: Muskeln befördern, trotz gleichzeitiger Herabsetzung der Reizbarkeit, andere (wie Ca, Ba, Mg, K) es hemmen bei gleichzeitig günstiger Wirkung auf die Anspruchsfähigkeit für Reize. Das Jodal u.s. w. würde sich also zu- nächst den letzteren anschliessen. Damit wird der Beweis als geliefert er- achtet, dass die beiden Functionen der Automatie und der Reizbarkeit an verschiedene chemische Bedingungen geknüpft sind. Ich muss gestehen, dass aus den zahlreichen Publicationen von Loeb und seinem Schüler Lingle über Ionenwirkungen und deren Antagonismus, die mir aus den letzten fünf Jahren bekannt geworden sind, sich mir diese Schlussfolgerung noch nicht mit völliger Sicherheit zu ergeben schien; jedenfalls wird man aber nicht behaupten dürfen, dass ein solches Verhalten ausser dem Be- reiche der Möglichkeit gelegen sei. Auf Grund der myogenen Theorie wird man demnach die bei der Jodalwirkung beobachteten Thatsachen in folgender Weise zu deuten haben: 1. Bei vorsichtiger Zuführung des Giftes wirkt dasselbe zunächst direct reizend auf die Ventrikelfasern, wahrscheinlich auch Vorhofs- und Brückenfasern ein, so dass das Herz unter einem verstärkten Reiz und mit gesteigerter Frequenz arbeitet. 2. Während diese Wirkung noch andauert, beginnt eine Art Lähmung der Sinusfasern; durch die Concurrenz beider Wirkungen ergiebt sich das Stadium der periodischen Stillstände. Allmählich schwindet die erste Wirkung, ja der Ventrikel verliert sogar seine Fähigkeit, sich maximal zu contrahiren, und die zweite Wirkung überwiegt nun mehr und mehr, um sich schliesslich allein geltend zu machen. 3. Diese Lähmung der Sinusfasern ist aber zunächst der Art, dass ihnen nur die Fähigkeit zur Automatieerregung, zur inneren Reizerzeugung verloren geht, während sie Reizbarkeit und Contractilität noch behalten. Die übrigen Herzmuskelfasern erhalten nun keinen Reiz mehr, und das ganze Herz bleibt daher dauernd in Diastole stehen. Mechanische Reizung löst jetzt jedes Mal eine normale rhythmische Contraction des Herzens aus, an der sich auch die Sinusfasern betheiligen. Ebenso lässt sich der diasto- lische Stillstand durch einen genügend starken chemischen Dauerreiz (Physostigmin) dauernd aufheben. 4. Bei weiter fortschreitender Wirkung des Giftes erleiden schliesslich alle Muskelfasern des Herzens eine complete Lähmung, verlieren ihre Reiz- barkeit und Contractilität. An der isolirten Herzspitze kommt es nicht zu einem diastolischen Stillstand, sondern die Contractionen halten so lange an, bis diese complete Muskellähmung sich einzustellen beginnt. Man kann nicht leugnen, dass die bezüglichen pharmakologischen That- sachen auf Grund der rein myogenen Theorie nur mit Hülfe — ich will keineswegs sagen gezwungener, aber doch ziemlich complieirter Annahmen HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 427 gedeutet werden können, was freilich durchaus nicht gegen deren Richtig- keit zu sprechen braucht. Dabei haben wir es hier eigentlich mit relativ einfachen Verhältnissen insofern zu thun, als die regulirenden Nerven ganz ausser Spiel bleiben können. Auf Grund der neurogenen Theorie lautete die Deutung der That- sache so: es werden Anfangs die Herzmuskelfasern selbst erregt, dann, indem diese Wirkung mehr und mehr schwindet, die sämmtlichen automatischen Centren im Herzen gelähmt, wodurch es nach einigen Uebergangserscheinungen zum diastolischen Stillstand kommt, zuletzt aber die Herzmuskeln selbst gelähmt und schliesslich unerregbar gemacht. Das erscheint wesentlich einfacher und vielleicht plausibler, aber das Einfachere braucht in biologischen Fragen keineswegs das Richtigere zu sein, und ich will nicht leugnen, dass auch aus der neurogenen Theorie nicht alle Details der Wirkung vollkommen befriedigend erklärt werden können. Einen directen Widerspruch mit der myogenen Theorie habe ich also nicht nachweisen können, wohl aber glaube ich dargethan zu haben, dass, wie schon Eingangs betont, die Pharmakologie volles Recht hat, in der Frage za Worte zu kommen und gehört zu werden. Auch für die Deutung der Physostigminwirkung am Herzen ist der prinzipielle Standpunkt entscheidend. Acceptirt man die rein myogene Theorie, so wird man auch für das Physostigmin, das den Jodalstillstand aufhebt, eine unmittelbare — und zwar erregende — Wirkung auf die Herzmuseulatur annehmen müssen. Die Untersuchungen, die ich seiner Zeit gemeinsam mit Dr. Witkowski! über das Physostigmin ausführte, hatten uns schon damals eine solche Wirkung wahrscheinlich gemacht, die ich in Betreff des Herzens auch später noch zu stützen gesucht habe.” Von anderen Seiten her ist diese directe Muskelwirkung in Zweifel gezogen und die Physostigminwirkung in anderer Weise, nämlich als Nervenwirkung, zu deuten gesucht worden. In Betreff der Herzwirkung dürfte das, wie gesagt, für Anhänger der myogenen Theorie schwer möglich sein. Ueberzeugt haben mich jene späteren Untersuchungen schon deshalb nicht, weil ihre Autoren sich nicht, wie wir, die freilich sehr beträchtliche Mühe nahmen, das Physostigmin selbst aus der Calabarbohne herzustellen. Der Beweis scheint mir noch keineswegs geliefert, dass die heutigen schön krystallisirten Handelspräparate (von Physostigmin. salieyl. u. s. w.) mit unserem sehr reinen, aber völlig amorphen Producte ganz identisch sind. Wir gewannen das Alkaloid, und zwar in beträchtlicher Menge, in Form eines klaren, ‘ Harnack und Witkowski, Archiv für exper. Pathologie und Pharmakologie. Bd. V. 8.401. ® Vgl. Harnack und Hafemann, Zbenda. Bd. XVII. 8.145 ff. 428 ERICH HARNAcK: schwach gelben Sirups, der zu leimartig-spröden Massen eintrocknete. Das Präparat war von intensivster Giftigkeit, aber nie gelang es uns, bei irgend einer seiner Verbindungen auch nur die Andeutung einer Krystallisation zu beobachten. Wer demnach glaubt, die eine oder andere unserer Be- obachtungen betrefis der Physostigminwirkung nicht bestätigen zu können, der möge sich doch zuvor erst davon überzeugen, ob es sich wirklich genau um das gleiche Agens handelt. Solcher Fälle kennen wir ja schon genug; ich brauche z. B. nur an die älteren und neueren Präparate des Erythrophleins zu erinnern, und was unter Umständen bloss eine Methylgruppe mehr oder weniger in dem Moleküle für die Gesammtwirkung bedeutet, das ist ja auch zur Genüge bekannt. Endlich möchte ich noch einer dritten Substanz gedenken, die in neuester Zeit ein hervorragendes Interesse für sich in Anspruch nimmt, die mit einer hochgradig herzerregenden Wirkung begabt und somit auch ein Antagonist des Jodals u. s. w. ist: ich meine das Nebennierengift (Adrenalin). Die Frage, ob der Angriffispunkt seiner Wirkung in der Herzmusculatur oder in den automatischen Centren des Herzens zu suchen sei, ist bereits vor Aufkommen der rein myogenen Theorie der Herzfunction discutirt worden. Es war namentlich Gottlieb!, der sich auf Grund ein- gehender Versuche am Kalt- und Warmblüterherzen für die letztere Auf- fassung entschied, die auf Grund der myogenen Theorie nun auch rectifizirt werden müsste; denn nach Gottlieb soll das Gift die sämmtlichen auto- matischen Herzcentren, auch die Atrioventrieularganglien, mächtig erregen. Gottlieb theilt namentlich eine von ihm am Froschherzen beobachtete Thatsache mit, die sich meines Erachtens mit der rein myogenen Theorie nicht gerade leicht vereinigen lässt. Er legt die erste Stannius’sche Li- gatur an, der Ventrikel steht still, antwortet aber prompt auf mechanische Reize; nunmehr wird Nebennierenextrakt in die Bauchvene injieirt, und der Ventrikel pulsirt wieder lebhaft und regelmässig. Jetzt wird durch eine zweite Ligatur der ganze Ventrikel in seinem oberen Drittel abgeschnürt, worauf das oberhalb der Ligatur befindliche Ventrikelstück fort- pulsirt, die Herzspitze aber stehen bleibt, obschon sie auf mecha- nische Reize weiter prompt reagirt. Wie erscheint nun diese Thatsache im Lichte der rein myogenen Theorie? Warum bringt das Gift das Herz, das seinen Sinustheil verloren hat, wieder zum Schlagen, die isolirten unteren zwei Drittel des Ventrikels aber nicht? Die einzig mögliche Erklärung wäre dann doch die: das Gift ! Gottlieb, Archiv für exper. Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXXVI. S. 99 und Bd. XLIII. S. 286. HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. 429 reizt direct die Sinus-, sowie die Vorhofs- und die Brückenfasern, die Ven- trikelfasern aber nicht, jedenfalls nicht genügend. Durch die erste Ligatur büsst das Herz seine Sinusfasern ein und steht nun still, aber das Gift bringt durch energische Reizung der Brückenfasern, die auch einer gewissen Automatieerregung fähig sind, das Herz wieder zum Schlagen. Durch die zweite Ligatur verliert der unterhalb befindliche Ventrikelrest auch die Brückenfasern und steht nun still, da das Gift die Ventrikelfasern selbst nicht reizt.! Dagegen wäre indess einzuwenden, dass die Brückenfasern, soviel mir bekannt, doch ziemlich tief in den Ventrikel hinabgehen, demnach ein Theil von ihnen noch unter die zweite Ligatur fallen müsste. Sollte die Erregung dieses Theiles nicht mehr genügen? Sodann möchte ich darauf hinweisen, dass ja auch das Jodal im ersten Wirkungsstadium den Herzmuskel selbst kräftig reizt, aber das veranlasst auch die isolirte Herzspitze zu lebhaften rhythmischen Contractionen, was eben das Nebennierengift nicht thun soll! Zu der Annahme, dass an der Wirkung des letzteren die regulirenden Herznerven einen wesentlichen Antheil haben, liegt kein rechter Grund vor, ebensowenig wie bei der Jodalwirkung. Das Faeit bleibt also doch: den pharmakologischen Thatsachen betreffs der Gifte, denen man bisher einen direeten Einfluss auf die automatischen Herzcentren zugeschrieben hat, vollauf gerecht zu werden, scheint für die myogene Theorie immerhin mit Schwierigkeiten verknüpft zu sein. Ich möchte es zum Schlusse noch wagen, eine Frage aufzuwerfen, die im Grunde genommen eine naheliegende zu sein scheint. Muss es sich denn in Betreff der Herzaction nothwendig um ein aut-aut handeln, entweder neurogene oder myogene Theorie? Könnten nicht die Verhältnisse so liegen, dass beides zugleich richtig wäre, etwa wie — mutatis mutandis — bei der Theorie des Lichtes: erst Emissionstheorie, dann Wellentheorie, endlich eine Auffassung, die beides vereint? Man wird entgegnen: dann wäre es ja noch complicirter; aber das ist kein stichhaltiger Gegensrund. Die Nerven- ganglien im Herzen sind nun doch einmal vorhanden; wäre ihre Function nur eine regulatorische in Verbindung mit dem Gesammtnervensystem, würden dann nicht Nervenendapparate genügen? Im Ganzen sind wir doch geneigt, den Ganglienzellen eine Art von selbstständiger Thätigkeit zuzu- schreiben. Zugegeben, dass die Fähigkeit zur Automatieerzeugung schon gewissen Herzmuskelzellen selbst inne wohnt, könnte nicht doch den Ganglienzellen eine wichtige Rolle dabei zufallen? Engelmann hat in ebenso klarer wie feinsinniger Weise dargelegt, wie zweckmässig ein- ! Bei weiter gehender Wirkung scheint übrigens das Nebennierengift lähmend auf die Herzmusculatur selbst einzuwirken. 430 ERICH HARrNACK: HERZGIFTE UND MYOGENE THEORIE. gerichtet — um diesen halbverpönten Ausdruck zu gebrauchen — der Herzmuskel gerade auf Grund der myogenen Theorie erscheint, könnte denn nicht die Einrichtung nach dem bekannten Prineipe: „doppelt reisst nicht“ eine noch zweckmässigere sein? Wäre es nicht möglich, dass die Nervenzellen den Muskelzellen des Herzens gegenüber eine Art von tro- phischer Aufgabe zu erfüllen haben, dass sie für die chemischen Vorgänge, die der Automatieerzeugung im Muskel zu Grunde liegen, wichtige Materialien zu liefern haben, dass der Muskel zwar eine Zeit lang auch ohne die Nervenzellen auskommen und jthätig sein kann, aber eben nur eine Zeit lang, dann erschöpft er sich und bedarf neuer Nahrung, so dass er, wenn . die Nervenzellen durch Lähmung versagen, nicht allzu lange thätig sein kann? Man wird mir entgegnen: was ist nicht alles möglich, hier gilt es zu beweisen! Darauf möchte ich erwidern, dass auch die rein myogene Theorie immerhin noch hypothetisch ist und dass man in dem Bestreben, allen einschläeigen Thatsachen gerecht zu werden, sich wohl Vorstellungen bilden darf, von denen man doch nicht behaupten kann, dass sie völlig in der Luft stehen. Ob sie zutreffend sind, das wird freilich erst die fort- schreitende Erkenntniss zu beweisen haben. Zur Automatie der Brückenfasern und der Ventrikel des Herzens. Von A. Lohmann, Assistent am physiologischen Institut zu Marburg. Als ich im Berliner physiologischen Institute unter Leitung von Hrn. Geheimrath Engelmann Versuche über Herzreflexe anstellte, begegnete ich, zunächst rein zufällig, verschiedentlich Erscheinungen, die auf eine relativ hohe Automatie einzelner Herzabschnitte hindeuteten. Die folgenden Untersuchungen beschäftigen sich nun mit der weiteren Verfolgung der Frage, welchen Theilen des Herzens diese Automatie zukommt, und unter welchen Bedingungen sie in die Erscheinung treten kann. Die ältesten Versuche, die sich mit diesen Verhältnissen beschäftigen, und die auch den Ausgangspunkt für alle weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiete gegeben haben, sind die von Stannius (1). Er erhielt nach der sogenannten „ersten Ligatur“ (zwischen & und 4A) Stillstand des Froschherzens, doch beobachtete er auch gelegentlich spontan auftretende Erregungen nach derselben. Reizte er bei den so zum Stillstand gebrachten Herzen die Grenze zwischen A und 7 mechanisch oder auch durch eine zweite Ligatur, so traten 8 bis 10 Mal auf einander folgende rhythmische Contractionen vom Ventrikel und .den Vorhöfen ein. Diese Versuche, deren Nachprüfung, Erweiterung und Erklärung, bilden den Ausgang und die Grundlage für die Lehre von dem neurogenen Ur- sprung der Herzthätigkeit. Man machte allgemein die Ganglien für die Folgezustände der beiden Ligaturen verantwortlich. Nach Eckhard (4) kam der Stillstand dadurch zu stande, dass die im Sinustheile des Herzens gelegenen motorischen Ganglien durch die Ligatur vom übrigen Herzen abgetrennt waren und dadurch diesem die Möglichkeit entzogen wurde, seine motorischen Impulse vom Si her zu erhalten. 432 A. LOHMANN: Dagegen verursachte nach der Ansicht von Heidenhain (3) die Ligatur eine Reizung der hemmenden Herzganglien mit nachfolgendem Stillstand. Durch die zweite Ligatur oder sonstige mechanische Reizung der AV-Grenze sollten nach der allgemeinen Annahme die hier befindlichen Bidder’schen Ganglien in Erregung versetzt werden und dann motorische Impulse nach A und Y entsenden. I. Versuche, die sich mit automatischer Befähigung des isolirten Ventrikels beschäftigen. Diese Lehre von der Function der Ganglien war anscheinend so fest begründet, dass Beobachtungen, die direct gegen sie sprachen, zunächst als Versuchsfehler angesehen wurden. So führt Heidenhain (3) aus, dass man einen nicht unbeträchtlichen Theil des Ventrikels selbst, unbeschadet der automatischen Pulsation, abtragen könne, und dass erst dauernder Still- ‘ stand eintrete, wenn man !/, oder !/, vom Ventrikel weggeschnitten habe. Obwohl Heidenhain in einigen Fällen an solchen Ventrikelresten, die spontan weiter geschlagen hatten, keine Ganglien oder Reste von ihnen finden konnte, glaubte er „eher an die Unzulänglichkeit der mikroskopischen Präparation“, als an die Möglichkeit, dass der Ventrikel ohne Ganglien weiter pulsirt habe. Auch Bowditch (6) sah sich genöthigt, abweichende Resultate auf Versuchsfehler zurückzuführen. Schnitt er die unteren ?/, des Froschherz- ventrikels ab und reizte diese ganglienfreie „Spitze“ in regelmässigen Inter- vallen, so zog sie sich entweder nach jedem Reiz zusammen, oder die Zahl der Zuckungen war kleiner oder sie war grösser als die der Reize. Da Bowditch den letzten Fall, dass die ganglienfreie „Spitze“ sich öfter zusammenzog als sie gereizt wurde, sich nicht erklären konnte, so war auch er der Ansicht, es mit einem Versuchsfehler zu thun zu haben. Als jedoch Merunowicz (9) beobachtete, dass an der „Herzspitze“ einige Minuten, nachdem sie mit einer Mischung von Kaninchenblut und Kochsalzlösung gefüllt war, rhythmische Contractionen auftraten, schloss er, dass auch in dem Bereich der ganglienfreien Herzspitze automatische Er- reger des Herzschlages enthalten wären. Gegen diese Auffassung wandte sich nun zunächst Bernstein (10). Um zu beweisen, dass der „Herzspitze“ keine automatischen Fähigkeiten zukämen, klemmte er das Froschherz etwa in der Mitte mit den schmalen Branchen einer feinen Pincette quer ab und zwar so stark, dass dadurch die Continuität des lebenden Gewebes aufgehoben wurde. Nach Entfernung der Pincette schlug dann das Herz oberhalb der Abklemmungsfurche regel- mässig weiter, während der untere Theil trotz der günstigen Blutversorgung dauernd in Ruhe blieb. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U.DER VENTRIKEL D. HERZENS. 433 Dieser Versuch wurde in den nächsten Jahren von einer Reihe von Autoren wiederholt und erweitert; dabei ergaben sich die verschiedensten Resultate: v. Basch (13) sah die „Bernstein’ sche Herzspitze“ meets Male spontane Contractionen ausführen; bei einem Herzen sogar noch nach einer zweiten und nach einer dritten Abklemmung. Reizte er die abgeklemmte Spitze elektrisch, so traten an ihr noch nach dem Aufhören dieser Reize länger anhaltende rhythmische Contractionen auf. Wurden die Frösche vor den Versuchen mit Atropin und Muskarin vergiftet, so pulsirte die .‚Spitze“ auch ohne Reizung regelmässig weiter. Aehnlich verhielten sich nach Nic. Schtschepotjew (14) mit Chinin vorbehandelte Frösche. Dieselbe Steigerung der automatischen Erregbarkeit, wie sie durch elektrische Reizung oder durch Gifte herbeigeführt wurde, erreichten Foster und Gaskell (16) durch Erhöhung des Druckes im Ventrikelinneren. Zu dem Zwecke klemmten sie die Aorta zu. Sofort begann die vorher still- stehende „Spitze“ sich rhythmisch, und zwar unabhängig vom übrigen Herzen, zu contrahiren. In den nächsten Jahren gelang es, auf alle mögliche Art, die still- stehende abgeklemmte Spitze zu automatischer Thätigkeit anzuregen. Aubert (17) eröffnete die Aorta oder füllte Vorhof und Ventrikel mit Salzwasser. Löwit (18) steigerte den Druck im Inneren des Herzens durch Einspritzen einer Kochsalzlösung; ähnlich verfuhren Ludwig und Luch- singer (19). Langendorff. (26) injieirte in’s Blut Salzsäure (2 Procent), einige Alkaloide und Glycoside, in anderen Fällen erwärmte er die „Herz- spitze“. Der Erfolg war bei allen angeführten Versuchen derselbe: Eine Steigerung der Befähigung zu automatischen Contractionen. Um unbedingt ganglienfreie Ventrikelmuseulatur zu untersuchen, schnitt Gaskell (23) von. der äussersten Spitze eines Schildkrötenventrikels einen schmalen Streifen ab und brachte ihn in eine feuchte Kammer. Nach einiger Zeit begann er sich rhythmisch zu contrahiren. Wurde der Muskel- streifen zunächst eine Zeit lang elektrisch gereizt, so folgten sich, auch nach Aufhören der Reizung, die Contractionen viel schneller und regel- mässiger; wieder ein Beweis dafür, dass elektrische Reizung im Stande ist, die Automatie des Ventrikels zu erhöhen. : Weit schwieriger gestalteten sich die Versuche am isolirten Warm: blüterventrikel, da hier die Methoden des Abklemmens oder des Abschneidens der Spitze nicht ohne Complicationen anwendbar waren. Eine physiologische Abtrennung durch Schnürung oder Zerquetschung der Musculatur, wie sie von Wooldridge (22) und Krehl und Romberg (32) mit so günstigem Erfolge am Vorhofe angewandt wurde, ist nach den beiden letzten Autoren Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 28 434 A. LoHMmaAns: am Ventrikel wegen der Dicke der Musculatur nicht ausführbar. Schneidet man die Spitze ganz ab, so stirbt sie schnell ab; die absterbende Musculatur kann nun leicht einen Reiz zu Contractionen abgeben, die dann automatische Erregung vortäuschen können. Man muss daher auf eine möglichst günstige Blutversorgung des isolirten Ventrikels bedacht sein. Zu dem Zwecke sind auch verschiedene Wege eingeschlagen worden. Krehl und Romberg (32) banden in den rechten Ventrikel eines stillstehenden Herzens eine Doppelwegcanüle ein, so dass sich unterhalb der Ligatur nur Ventrikelmuseulatur befand. Leiteten sie dann durch das Innere des Ventrikels eine vorgewärmte Mischung von Blut und Kochsalz- lösung, so fing dieser wieder an zu pulsiren. Dabei hat, wie es scheint, das Blut auf dem von Pratt (43) nachgewiesenen Wege durch die Thebe- sischen Gefässe die Ventrikelmusculatur versorgt. Porter (41, 42) präparirte die Spitze von Katzen- oder Hundeherzen bis auf die versorgende Coronararterie frei und sah sie darnach regelmässig in selbstständigem Rhythmus weiter pulsiren. II. Versuche über selbstständige Contractionen des nicht von der AV-Grenze isolirten Ventrikels, bei denen der Ursprung der Erregung — Ventrikel selbst oder Brückenfasern — nicht nachgewiesen ist. In den meisten Fällen, wenigstens beim Warmblüter, in denen von selbstständiger Ventrikelpulsation die Rede ist, ist dieser aber nicht wirklich isolirt, sondern steht noch im Zusammenhang mit der AY-Grenze und mit den in ihr verlaufenden Brückenfasern. Falls sich nun bei derartigen Herzen „selbstständige“ Ventrikelcontractionen zeigen, muss es zum mindesten zweifel- haft bleiben, ob sie von einer dem Ventrikel eigenen Automatie herrühren, oder ob sie von den in automatische Erregung versetzten Blockfasern stam- men, zumal gerade diesen nachweislich ein hoher Grad von Automatie zu- kommt. Schon Stannius (1) sah an dem nach der „ersten Ligatur“ still- stehenden Herzen öfter spontane Erregungen auftreten. Luciani (7) erhielt selbstständige gruppenweise erscheinende Contractionen, wenn er das still- stehende Herz durch eine gleichzeitig mit der „ersten Ligatur“ eingebundene ‚Canüle mit Serum füllte. An Stelle dieser Gruppen traten regelmässige Contractionen (Rossbach [8]), wenn man das Blut durch Serum oder Kochsalzlösung ersetzte. Wie hoch die automatische Leistungsfähigkeit bei genügender Blut- versorgung sein kann, zeigte Gaskell (23) am Schildkrötenherzen. Er leitete von der Aorta aus durch die Coronargefässe eine Ernährungsflüssig- ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. 435 keit, die aus dem aufgeschnittenen Vorhofe abtropfen konnte. Dabei pul- sirte 7 regelmässig im Rhythmus von & und A. Schnitt Gaskell jetzt die Atrien weg, und entfernte er so völlig den Einfluss von &, so stand das Herz niemals still, sondern schlug, manchmal sogar gerade so schnell wie vorher, regelmässig weiter. Zu ähnlichen Resultaten führten die Versuche am Säugethierherzen. Wooldridge (22) und später Krehl und Romberg (32) quetschten durch Schnüren mit einem starken Faden die Musculatur der Vorhöfe nahe der AV-Grenze durch und fanden, dass die Ventrikel unmittelbar nach der Schnürung in einem anderen Tacte wie die Vorhöfe weiter schlugen. Dasselbe beobachtete Tigerstedt (25), der die Durchtrennung mit dem von ihm so benannten „Atriotom“ vollzog. „Selbstständige Ventrikeleontractionen“ wurden ferner beobachtet von Waller und Reid (28) am absterbenden Herzen und von Mc. William (29 S. 177, 30 S. 369) und von Roy und Adami (33) nach Vagusreizung. III. Versuche, bei denen die automatischen Erregungen nach- weislich ihren Ursprung von der AV-Grenze nehmen. Wie bereits oben erwähnt, konnte schon Stannius (I) die automatische Erregbarkeit der A V-Grenze constatiren. Hermann Munk (11) fand, dass einfache Reizung der Stellen, an denen sich Ganglien befinden, eine Reihe von Pulsationen zur Folge hat, während sonst der gleichen Reizung nur eine einfache Contraction folgte. Dasselbe beobachtete Langendorff (26), Kaiser (37) u. A., sie be- tonten dabei ausdrücklich, dass es die Ganglien wären, welche die auto- matischen Impulse zu Ventrikel und Vorhöfen entsendeten. In Uebereinstimmung damit fand Marchand (12), dass nach Ent- fernung des ganglienhaltigen Theiles vom Ventrikel auf einmalige Reizung keine Reihe von Pulsationen mehr erfolgte. Doch geht aus den Arbeiten der letzten Jahre mit Sicherheit hervor, dass es nicht die Ganglien gewesen sind, die die automatische Thätigkeit entwickelt haben, sondern die in ihrer unmittelbaren Nähe liegenden Brückenfasern. Das zeigte Gaskell (44 S. 179), indem er am aufgeschnitte- nen Froschherzen die einzelnen Theile unter Controle einer Lupe mit einer Nadelspitze reizte. Berührte er mit dieser auch nur ganz leise die Muskel- brücken, so erhielt er jedes Mal eine Reihe rhythmischer Pulsationen, da- gegen konnte er die Ganglien direct noch so stark reizen, das Herz blieb ruhig. Ein Stich in die Musculatur der Vorhöfe oder des Ventrikels hatte jedes Mal eine einfache Contraction zur Folge. 28% 436 A. LoHMAnK: Ewald (45) reizte die AVY-Grenze beim Frosch durch einen Nadel- stich; um aber genau mikroskopisch untersuchen zu können, welche Theile er mit der Nadel verletzt hatte, zog er in jedem einzelnen Falle einen Coconfaden nach und untersuchte die getroffene Stelle nachher in Schnitt- serien. Es zeigte sich ausnahmslos, dass nur dann auf den Stich rhyth- mische Pulsationen eingetreten waren, wenn die Blockfasern getroffen waren, dass aber eine Verletzung der Ganglien völlig belanglos war. . Erst kürzlich hat Engelmann (46) die Verhältnisse beim Stannius’- schen Versuche mit der Doppelsuspension genau untersucht. Das durch die „erste Ligatur“ zum Stillstehen gebrachte Herz beginnt nach einiger Zeit spontan zu schlagen, und zwar gewöhnlich im umgekehrten Rhythmus, erst V, dann A. Auf Grund der zeitmessenden Versuche kommt Engel- mann zu dem Resultat, dass „die Stelle, von welcher die spontanen Pulse ausgingen, im Allgemeinen auf der der Kammer näheren Hälfte der Brückenbahn gelegen habe und zwar ..... durchschnittlich ..... sehr nahe an der Kammerbasis“ (S. 520). Zum Schluss seien noch zwei Versuche angeführt, bei denen das Herz in eine Anzahl Theile zerlegt wurde; sie gestatten uns, die einzelnen Ab- schnitte des Herzens in Bezug auf den Grad ihrer Automatie direet mit einander in Vergleich zu stellen. Mc. William (27 S. 197) zerlegte das Herz vom Aal in eine Anzahl von Segmenten: Ostiale und interjugulare Theile des Sinus, basale Vor- hofswand, Canalis aurieularis, Vorhöfe, Ventrikel. Dann beobachtete er, in welcher Reihenfolge die einzelnen Theile wieder anfingen zu schlagen: Es begannen der ostiale Theil des Sinus mit demselben Rhythmus wie das intacte Herz. Sehr bald fing auch der interjugulare Theil an, erst lang- sam, dann allmählich schneller, bis er fast die Schnelligkeit des ostialen Theiles erreichte. Darauf zeigten die basale Vorhofswand und der Canalis auricularis rhythmische Thätigkeit mit etwas langsamerem Tempo. Nach einer grösseren Pause begannen die Vorhöfe, zunächst mit vereinzelten Contractionen, zu schlagen. Allmählich stieg das Tempo bis zu einem Maximum, das jedoch noch weit unter dem der Sinustheile lag. Zuletzt, nach langem Stillstande, begann 7 in sehr langsamem Tempo zu pulsiren; doch blieb 7 in einigen Fällen dauernd still stehen. Aehnliche Versuche stellten G. Fano und F. Badano (31) an Hühner- embryonen vom dritten Bebrütungstage an. Nach Zerlegung des schlauchförmigen Herzens in eine Anzahl Segmente pulsirte nach einiger Zeit jedes für sich weiter, dabei war die Frequenz der Contraetionen um so grösser, je näher das betreffende Stück dem venösen Ende entnommen war. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DEK VENTRIKELD. HERZENS. 437 Experimenteller Theil, Ich gehe nunmehr zur Beschreibung meiner eigenen Versuche über. Zunächst sollte versucht werden, ob auch an einem ganz unversehrten Herzen, an dem vor allem keine Schnürungen oder Schnitte, die eventuell einen Reiz auslösen könnten, gemacht waren, unter Umständen auch ohne vorhergehende elektrische, mechanische oder chemische Reizung, spontane Erregungen Platz greifen konnten. Die Versuche wurden hauptsächlich an Kaninchen und Schildkröten (Emys europaea und Testudo graeca) angestellt. Bei den Kaninchen wurde in der von Gad angegebenen Weise das Sternum von der 1. bis 5. Rippe beiderseits ohne Verletzung der Pleuren getrennt und dann herausgenommen. Zur Erleichterung der durch diesen Eingriff erschwerten Athmung. wurde eine nicht zu enge Trachealcanüle eingebunden. Die Rippen wurden darauf durch eine U-förmige Stahlfeder aus einander gebogen und an ihr fest- gebunden. Der jetzt freiliegende Herzbeutel wurde der Länge nach gespalten und an die Thoraxwand angenäht. Um das Herz vor dem Eintrocknen und Abkühlen zu schützen, wurde es durch einen Spray-Apparat feucht ge- halten und durch eine Glühlampe erwärmt. Ein Herzohr und die Ventrikel- vorderfläche wurden mit serres-fines gefasst und mit dem Engelmann’- schen Doppelhebel in Verbindung gebracht. Das so vorbereitete Herz schlug ohne nachweisliche Veränderungen viele Stunden weiter. Wurde jetzt der Vagus gereizt, so waren die gewöhnlichen Folgen, auf die es in unseren Versuchen ankam, erstens eine negativ chronotrope Wir- kung, zweitens eine dromotrope, die sich in einer Reizleitungsverzögerung VRNAIAANANANMVAVVMIMUNVANMVUNARANANANANAANAIANINVSINANAVAINVVAUVNAAANAN Fig. 1. von A nach Y äusserte. Beide kommen in Fig. 1 deutlich zum Ausdruck. Die oberste Curve zeichnet die Contractionen des Ventrikels, die darunter befindliche die des Vorhofs auf.! Ein Pfeil’sches Signal giebt die Vagus- ! Diese Anordnung ist bei allen Figuren die gleiche. A. LoHmaAnx: 438 ac urn a al a aaa elle lala a nat 2 1 ot = ; : ANRDANIIVVAYYSUVVDANAYVVAINVAVVVVUWVVMAUMVMAUVISNANDNNAINANAANAIINVAVUVNVNUVUNAANMAAAAAAANAANDUUNANDINANN Fig. 4. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. 439 reizung an. Die Zeit ist von einer Stimmgabel in '/,, gezeichnet. Da in diesem Falle in der Ventrikeleurve auch die Vorhofcontractionen mit zum Ausdruck kommen, so kann man die Leitungsverzögerung von A nach 7 während und kurz nach der Vagusreizung besonders deutlich sehen. Oft war diese so hochgradig, dass sich ein vollkommener Block zwischen A und / ausbildete, A zog sich dann noch zusammen, aber die Erregungs- welle kam nicht bis nach Y (siehe Figg. 2 und 5). In einer Anzahl von Fällen begann nun das Herz nach mehr oder weniger langem Stillstande ohne von den auch in Ruhe befindlichen Ve oder A her einen Reiz zu erhalten, spontan sich zu contrahiren. Ein Bei- spiel hiervon sehen wir in Fig. 2. Die einzelnen Curven entsprechen denen von Fig. 1. Vor Beginn der Reizung folgt auf jede A, nach etwa 1-5 Stimmgabelschwingungen eine Y,; die erste V, nach Beginn der Reizung folgt ihrer A, schon etwas verspätet; auf die zweite A, folgt, da der Ueber- gang nach V jetzt blockirt ist, überhaupt keine Y, Dann beginnt plötz- lieh V sieh zu contrahiren und unmittelbar darauf, etwa !/, Stimmgabel- schwingung später, erfolgt eine A,. Die nächsten Contractionen folgen einander wieder in dem alten Rhythmus A,—V;. Es fragt sich nun: Wie ist die Contraction 9,—4A, zu Stande ge- kommen? Zunächst würde man ja denken, dass 7 die Erregung von A zugeleitet bekommen habe. Da wäre die erste Möglichkeit, dass 7, von der letzten vorhergehenden A, stamme. Abgesehen davon, dass eine Verzögerung der Reizleitung bis auf fast das 20fache der normalen nur schwer denkbar ist, zeigt ein Blick auf Fig. 3, dass wir dieselbe Erscheinung auch ohne vorhergehende A, an- treffen können. Die zweite Möglichkeit wäre dann die, dass A seine Contraetilität bei erhaltener Leitfähigkeit vollkommen eingebüsst habe (wie bei Engelmann’s Versuchen bei Wasserstarre); diese Annahme wird aber schon durch die ‚kräftige A,, die V, unmittelbar folgt, widerlegt. Kommt also die Erregung nicht von A her, so kann sie nur in V selbst, oder in den Brückenfasern entstehen. Angenommen, sie entspräche einer automatischen Erregung von 7 selbst, so müsste die zugehörige A, als rückläufige aufgefasst werden. Doch widerspricht dem schon die schnelle Folge von A, auf /,, da doch nicht an- zunehmen ist, dass bei Vergrösserung der Reizleitungsdauer in den Block- fasern in der Richtung A—/ diese in der umgekehrten Richtung verringert wäre. Ueberdies können A, und 7, gleichzeitig, ja, wie Fig. 4 und 5 zeigen, kann A, sogar noch eine Spur eher als V, erscheinen. 440 A. LoHMANK: Also müssen wir auch die Annahme fallen lassen, dass A, durch eine rückläufige von Y herrührende Contractionswelle bedingt sei. Es bliebe dann noch die Möglichkeit, dass A, mit V, nichts zu thun habe, sondern zufällig gleichzeitig von den Venen her seine normale Er- regung erfahren habe. Auch diese Annahme ist unstatthaft, da ausnahmslos bei allen Versuchen entweder kurz nach /, oder gleichzeitig mit V, oder unmittelbar vor 7, eine A, vorhanden ist. a NEE VMMMMUMANAAMVVMMMAAVWVVV UNVVAMVVUV ww NNVWMV Pig. 5. Wird also durch diese Beziehung von A, zu 7, auch die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die spontanen Contractionen vom, Ventrikel selbst ihren Ursprung nehmen, so bleibt nur noch die Annahme übrig, dass die Er- regung ihren Ausgang von den Muskelbrücken nimmt und sich von hier nach beiden Seiten fortpflanzt. Dass in ihnen die Erregung das eine Mal mehr nach dem ventriculären Ende zu, das andere Mal mehr in der Mitte und das dritte Mal mehr nach dem Vorhof zu stattfinden kann, ist ohne Weiteres einleuchtend und erklärt ganz einfach die verschiedenen zeitlichen Beziehungen zwischen den spontanen 4, und V,. Diese Beobachtungen Fig. 6. entsprechen auch genau den Erfahrungen Engelmann’s (46 8. 513) nach der ersten Stanniusligatur beim Frosch. Die Versuche wurden in ähnlicher Weise bei der Schildkröte ausgeführt. Wir wollen sie uns an der Hand von Figg. 6 und 7 vorführen. Beide stammen von Emys europaea. Die Zeit ist vom Metronom in ganzen Se- cunden geschrieben. Nach Freilegung des Herzens wurden das linke Ohr und die Ventrikelvorderfläche suspendirt. Der Reizmarkirer giebt faradische Reizung des rechten Vagus an. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. Fig. 6 entspricht ungefähr dem Bilde, wie wir es beim Kaninchen erhalten hatten: Nach kurzem Stillstande con- trahiren sich Y und A gleichzeitig. Dagegen bietet Fig. 7 einige beachtenswerthe Besonderheiten. Nach einem über 50” dauernden Stillstande beginnt V und unmittelbar darauf A sich zu contrahiren. In demselben Rhythmus folgen noch zwei Contractionen, und erst nach Aufhören der Vagusreizung folgen wieder die normalen . A, V,;. Aus dieser Curve erhellt wohl in Ergänzung zu den Versuchen am Kaninchen ohne weiteres, erstens, dass das gleichzeitige Auftreten von A, mit V, kein zufälliges ist, sondern dass es zu V, in bestimmter Beziehung stehen muss; zweitens, dass nicht etwa die Contractilität von A bei er- haltenem Leitungsvermögen auf Null reducirt sein kann, da während des ganzen Versuches nichts von negativ-inotroper Wirkung zu sehen ist. Ueberdies habe ich mich von der ungeschwächten Contractilität von A während des Vagus- stillstandes auch noch in einigen Versuchen vorher durch mechanische Reizung von A überzeugt. Beachtenswerth scheint ferner die Thatsache zu sein, dass die „spontanen“ V, A,-Gruppen sich in immer kürzeren Intervallen folgen. Die erste spontane 7, tritt 55 Secunden nach der letzten normalen auf, die nächsten folgen in Zwischen- räumen von 28 und dann von 23 Secunden. In einem anderen Falle waren die zeitlichen Intervalle: 47, 26, 23, 20 Secunden. In keinem einzigen Falle wurde eine Zunahme der Zeitdauer, in der die spontanen Contractionen einander folgten, bemerkt; traten mehrere auf, so nahmen die zeitlichen Intervalle immer ab. Vielleicht deutet diese Thatsache darauf hin, dass die Automatie der Blockfasern allmählich ansteigt.! Doch müssen weitere Versuche darüber entscheiden. Sind wir also genöthigt, die bisher geschilderten spon- tanen Contractionen als Folge automatischer Erregung der Muskelbrücken zwischen A und Y aufzufassen, so ist es von Interesse, zu untersuchen, ob auch am unverletzten Herzen Ventrikelcontractionen als Folge wirklicher Automatie des Ventrikels selbst auftreten können. ! Vgl. F. B. Hofmann (48) S. 120. Fig. 7 (verkleinert). { 442 A. LOHMANN: Zu dem Zwecke wurde folgendes Versuchsverfahren angewandt: Reizt man den Ventrikel direet mit sehr schnell auf einander folgenden Inductionsschlägen, so kann man den Rhythmus der Herzthätigkeit um- kehren. Der Ventrikel, der ja fortwährend direete Reize erhält, contrahirt sich sofort nach dem Ende des refractären Stadiums von Neuem und löst seinerseits rückläufig jedes Mal eine A, aus. Das schnellere und umgekehrte Tempo des Herzschlages dauert so lange, wie die Reizung anhält. Die erste normale 4,7, erfolgt nach dem Gesetze von der Erhaltung der physio- logischen Reizperiode erst, nachdem von $7 bezw. von den Venen her der erste normale Reiz wieder nach A und 7 gelangt. Diese bekannten Erscheinungen wurden bei den folgenden Versuchen in doppelter Weise ausgenutzt: Die äusserste Ventrikelspitze eines doppelt suspendirten Herzens wurde mittels zweier leicht anliegender Elektroden faradisch so stark gereizt, dass sich der Rhythmus des Herzschlages um- kehrte. Die elektrische Reizung hatte zunächst den Zweck, begünstigend auf das eventuelle Zustandekommen einer automatischen Erregung zu wirken. Dass eine derartige Wirkung oft eintritt, geht aus den Arbeiten von Eckhard (2), Bowditch (6), v. Basch (13), Gaskell (23) und Fonrobert (39) zur Genüge hervor. Tritt nun eine automatische Erregung ein, so kann sie natürlich während der Reizung des Ven- trikels nicht in Erscheinung treten, da dieser ja, ebenso wie der Vorhof, schon in dem schnellst möglichen Tempo schlägt. Unmittelbar nach der- selben aber kann der Ventrikel wieder vom Vorhof her die normalen Er- regungen empfangen, so dass dann durch diese eine eventuell platz- greifende automatische Erregung des Ventrikels leicht verdeckt werden könnte, wenn uns nicht in einigen Fällen die compensatorische Pause zu Hülfe käme. Ein Beispiel, Fig. 8, möge das erläutern: Bei einer Emys europaea wurde die ventrale Panzerdecke mit nur minimalem Blutverlust entfernt. Der Herzbeutel konnte ohne Verletzung der Pleuren eröffnet werden. Es - wurden linkes Ohr und Ventrikel suspendirt. Die Zeitschreibung giebt ganze Secunden an. Das Signal markirt die faradische Reizung der Ventrikel- spitze. Zunächst folgt auf jede A, eine /, (die zusammengehörigen A, und V, sind mit den gleichen Zahlen. versehen). Mit der Reizung beschleunigt sich das Tempo der Contractionen, der Rhythmus kehrt sich um: Jede V, hat jetzt eine A, zur Folge, mit Ausnahme von V,9. Da die von hier kommende Erregungswelle A noch im refractären Stadium antrifft, so kann sie es nicht erregen. Dagegen hat V,10 wieder eine rückläufige A, zur Folge. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. 443 Nach Aufhören der Reizung ist, so sollte man annehmen, die Bahn für die vom Si herkommenden normalen Erregungen frei. Die nächste würde etwa bei dem Pfeile hinter 4,10 eintreffen, der Vorhof ist aber noch refraetär und kann sich in Folge dessen nicht contrahiren, so bekommt auch V keine Erregung von A. Die dann folgende nächste Erregungswelle würde erst bei dem zweiten Pfeile auf A und noch etwas später auf V treffen. Auf diese Weise würde der Ventrikel eine sehr lange Pause be- kommen. Er bleibt aber nicht so lange ruhig stehen, sondern zieht sich vorher vermöge der ihm eigenen Automatie zusammen: V,11, dies hat rückläufig A, 11 zur Folge. Die erste normale Erregung trifft dann A erst bei 4,12 und damit ist der ursprüngliche Rhythmus wieder hergestellt. Zu beweisen wäre dabei noch: Erstens, dass V,11 wirklich eine auto- matische Contraction darstellt, und zweitens, dass sie dann nicht die Folge 7 DEEP ZI NT vr vwwr Fig. 8. einer automatischen Erresung der Blockfasern, sondern vom Ventrikel selbst ist. Ist V, 11 nicht eine automatische Contraction, so müsste sie von der letzten vorhergehenden A,, d.i. 4,10, hervorgerufen sein. Dagegen sprieht von vorne herein schon die durch nichts zu erklärende Reizleitungshemmung von 1?/, Secunden, die man dann aber annehmen müsste. Aber wir wollen deren Möglichkeit immerhin gelten lassen. Nun konnte aber in keinem einzigen Falle beobachtet werden, dass eine Contraction des Vorhofes, die rückläufig durch eine Ventrikeleontraction hervorgerufen war, ihrerseits wiederum eine V, zur Folge hätte. Da wir A,10 für rückläufig angesehen haben, so müssten wir schon eine derartige Annahme machen, wenn V,11 durch A,10 hervorgerufen sein sollte. Es bliebe also der einzige Ausweg, dass A,10 nicht eine rückläufige, sondern schon eine normale Erregung von _4 sei. Dies ist aber nach ihrer Lage unmöglich, wie die Pfeile zeigen, die den Beginn der normalen Er- regungen angeben sollen. 444 A. LoHMAnNK: Da demnach V,11 seine Erregung nicht vom Vorhof her erhalten haben kann, muss es eine automatische Contraction sein. Die zweite Frage ist nun: Hat die Erregung von den Blockfasern oder vom Ventrikel selbst ihren Ursprung genommen? Gegen die erste Annahme spricht entschieden die Länge des Inter- valles V, 11—4A,11, die, soweit es die Messung gestattet, genau gerade f ee m AENAAN Il SLE U Ach ui Aa UN au ER Ulla ns Kran Tl, Ammann. Siege mr arm TEE en Fre Era re! Big29: so gross ist, wie sonst das Intervall von A,—V,, während V, A, beim Ursprung der Erregung in den Blockfasern, wie die oben angeführten Ver- suche gezeigt haben, bedeutend kleiner sein müsste. Ein ganz analoges Beispiel haben wir in Fig. 9; auch hier ist das Intervall der spontanen V,— A, gerade so gross wie vorher und hinter- her ,—V;. Fig. 10, die ebenfalls von einer Emys europaea stammt, bietet deshalb noch besonderes Interesse, weil hier zwei spontane Erregungen vom Ventrikel ANAL NASE AN Fig. 10. ausgehen. Wollten wir bei diesen auch annehmen, dass sie auf dem nor- malen Wege von A her ihre Zuleitung bekommen hätten, so müssten wir ausser der Annahme, dass ein Verlauf der Contractionswelle V—A— V möglich wäre, noch eine solche von A über V nach A zurück annehmen. Aehnlich liegen die Verhältnisse beim Froschherzen, wie Fig. 11 und 12 zeigen. Die Zeitschreibung *giebt hier !/, Secunden an, so dass jeder hori- ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. 445 zontale Strich derselben einer Viertel-Secunde entspricht. Fig. 11 bietet ein ähnliches Bild wie Figg. 8 bis 10 und bedarf daher keiner weiteren Er- klärung. Etwas complicirter gestalten sich die Verhältnisse bei Fig. 12. Hier wirkt der elektrische Strom anscheinend so intensiv erregend auf die Museulatur ein, dass nach Aufhören des Reizes der Ventrikel zunächst in ziemlich uncoordinirte Contractionen verfällt. Nachden diese eine Zeit lang angehalten haben, führt er erst noch zwei spontane Systolen mit nach- folgenden A, aus, erst dann erlischt seine automatische Erregung. Es sollte nunmehr untersucht werden, wie sich der Grad der Erregbar- keit der Blockfasern zu dem des Ventrikels verhielt, und ob auch die Auto- matie der Blockfasern durch vorherige Reizung künstlich gesteigert werden konnte. Bei einem mittelgrossen Hunde wurde in Aethernarkose nach Einleiten der künstlichen Athmung und nach Unterbindung der linken Mammaria A N AU NN NAAR Nrensun Annan In Fig. 11. Fig. 12. interna unter Vermeidung grösserer Blutungen die linke vordere Thorax- wand entfernt und an den Rand der entstehenden Oeffnung des Brustkorbes der aufgeschnittene Herzbeutel angenäht. Als Reizelektroden dienten zwei Paar Stecknadeln, die an sehr dünnen umsponnenen Kupferdraht angelöthet waren. Eine Wippe gestattete, bald das eine, bald das andere Paar in den secundären Kreis eines Inductionsapparates einzuschalten. Das eine Elektrodenpaar wurde, nachdem A und 7 mit einem Doppelhebel in Ver- bindung gebracht waren, in die Ventrikelspitze eingestossen, mit dem anderen wurde versucht, auf die Blockfasern einzustechen. Zu dem Zwecke wurden die Nadeln in den Annulus fibrosus am rechten Herzen vorne, etwas seitlich hinter dem rechten Ohre eingestossen. Aus der Photographie des auf- geschnittenen rechten Herzens (Fig. 13) ist die Lage der Elektroden am besten zu erkennen. Die . weisse Pfeilspitze deutet auf die Spitzen der Nadeln hin. Dieselben durchsetzen die ganze Musculatur bis auf das Endo- card, das sie gerade am Ansatz des Klappensegels in das Innere vorwölben. Gereizt wurde mit einfachen Schliessungs- und Oefinungsinductionsschlägen 446 A. LoHMmaAnx: bei einem R.-A. von 11°“ (im primären Kreis 2 Daniell), und zwar ab- wechselnd eine Zeit lang der V, dann die Brückenfasern. Obwohl nun der Ventrikel im Ganzen 136 directe Reize erhielt, so erfolgte doch niemals eine Extrasystole, während von den Blockfasern bei derselben Reizstärke leicht directe Erregung zu erzielen war. Fig. 13. Figg. 14 und 15 mögen dafür als Belege dienen; die erste ist bei Reizung des Ventrikels, die zweite bei Einschaltung der Blockelektroden aufgenommen. Nachdem die Blockfasern noch mehrere Male direct, immer mit dem gleichen Erfolge gereizt waren, übernahmen sie in einer der nächsten Reiz- perioden plötzlich die Führung der Herzthätigkeit und behielten sie bis zu dem etwa eine Stunde später erfolgenden Tode des Thieres. Das zeigen Fig. 16, die der Herzeurve entnommen ist, unmittelbar nachdem die Block- fasern ihre automatische Thätigkeit begonnen haben, und Fig. 17, die kurz vor dem Tode aufgenommen wurde. In beiden beginnen die Contractionen von V und 4 immer gleichzeitig. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKELD. HERZENS. 447 UNAIVVVLVVVVLVVVVVVVVVVVVUMNNNV WANIVINNAIVUVVUVVVVVVVUVVVVVVVVVVUVVVAVUNNDINN DS Fig. 17. Dass das Thier trotz dieser Störung der normalen Herzthätigkeit noch so lange weiter leben konnte, scheint auf eine gewisse Zweckmässigkeit der 448 A. LOHMANN: Erhaltung der automatischen Befähigung hinzudeuten, da sie im Stande ist, wenigstens vorübergehend, beigestörter Herzthätigkeit dieCireulationzuerhalten. Ein anderer Versuch, bei dem, wie es scheint, auch starke Erregung der Brückenfasern eine Rolle spielt, möge zum Schlusse kurz mitgetheilt werden. Bei einem Hunde, der in derselben Weise vorbereitet war wie der vorige, sollte der eben geschilderte Versuch wiederholt werden. Da zu- nächst Reizung von den „Blockelectroden“ aus erfolglos blieb, wurden dieselben an einer anderen Stelle einge- stochen. Der Erfolg war im ersten Augenblicke über- raschend: Unmittelbar nach dem Einstechen hörte die regelmässige Herzthätigkeit ganz plötzlich auf.! Die Vor- höfe führten überhaupt keine regelmässigen Contraetionen mehr aus, sie zeigten das typische Bild des Flimmerns. Dagegen schlugen die Ven- trikel, wenn auch sehr un- ‚regelmässig und etwas be- schleunigt, weiter. Dieser Zu- stand dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Dann begann nr a ebenso plötzlich wie sie auf- Fig. 21. gehört hatte, die regelmässige Herzthätigkeit wieder und hielt bis zum Tode an. Fig. 18 bis 21 geben von allen Phasen ein Beispiel. Fig. 18 wurde vor dem Einstich der Nadeln aufgenommen; Figg. 19 und 20 entstammen der Periode der gestörten Herzthätigkeit, und zwar 19 dem Anfang und 20 etwa dem Ende derselben. Fig. 21 ist nach dem Wieder- beginn der geregelten Herzthätigkeit aufgenommen. ! Vgl. Kroneeker und Schmey (24). ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. 449 Ich finde für diese Erscheinungen keine andere Erklärung, als die An- nahme, dass die Brückenfasern direct durch den Stich getroffen sind. Man muss dann annehmen, dass diese Verletzung lange Zeit heftige Reize auf Kammern und Vorkammern ausübt. Dass die Vorhöfe dabei noch mehr geschädigt sind, kann man vielleicht auf ihre grössere Reizbarkeit zurück- führen. Die Heftigkeit der Erregung lässt dann mit der Zeit nach, dafür sprechen die jetzt auch etwas regelmässiger werdenden Vorhofcontractionen (siehe Fig. 20), bis sie schliesslich aufhört oder so schwach wird, dass die normale von Venen kommende Erregung wieder die Oberhand gewinnt. Die directen Versuchsergebnisse sind, kurz zusammengestellt, folgende: Während des Vagusstillstandes des vollkommen unversehrten Kaninchen- herzens beginnen unter Umständen V und 4A automatisch sich zu contra- hiren, dabei entsteht die Erregung in den Brückenfasern, die von A nach V ziehen (Figg. 2 bis 5). Dasselbe kann man bei der Schildkröte beobachten, dabei scheint die Fähigkeit zur automatischen Reizentwickelung bei längerer Vaguswirkung sich zu steigern (Figg. 6 und 7). Bei der Schildkröte und beim Frosch kann auch der sonst unversehrte V selbst durch vorherige elektrische Reizung zu automatischer Thätigkeit angeregt werden (Figge. 8 bis 12). Beim Hunde sind die Blockfasern leichter in Erregung zu versetzen (Extrasystole) als die Ventrikel (Figg. 14 und 15). Durch directe elektrische Reizung können die Blockfasern so stark in automatische Erregung versetzt werden, dass sie die Führung der Herz- thätigkeit übernehmen und für längere Zeit behalten (Figg. 16 und 17). Bei einem Hunde wurden aller Wahrscheinlichkeit nach die Block- fasern durch einen Nadelstich in so starke automatische Erregung versetzt, dass sie etwa eine halbe Stunde anhaltendes Flimmern des Herzens be- wirkten (Figg. 18 bis 21). Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 39 450 A. LOHMANN: Litteraturverzeichniss. 1. Stannius, Zwei Reihen physiologischer Versuche. Dies Archiv. 1852. Physiol. Abthlg. S. 85. 2. C. Eckhard, Ein Beitrag zur Theorie der Ursachen der Herzbewegung. Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Giessen 1855. 1. Heft. 8. 145. 3. Heidenhain, Erörterungen über die Bewegung des Froschherzens. Dies Archiv. 1858. Physiol. Abthlg. S. 479. 4. C. Eckhard, Kritische Beleuchtung der über die Herzbewegung bekannten Thatsachen. Beiträge zur Physiologie und Anatomie. Giessen 1860. 2. Heft. S. 123. 5. Fr. Goltz, Ueber die Bedeutung der sogen. automatischen Bewegungen des ausgeschnittenen Froschherzens. Virchow’s Archiv. 1861. Bd XXI. 8. 191. 6. Bowditch, Ueber die Eigenthümlichkeiten der Reizbarkeit, welche die Muskelfasern des Herzens zeigen. Berichte über die Verhandlungen der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissensch. zu Leipzig. Math.-phys. Cl. 1871. Bd. XXII. 8. 652. 7. Luigi Luciani, Eine periodische Function des isolirten Froschherzens. Kbenda. 18730, BISXRVE SHE 8. M. J. Rossbach, Ueber die Umwandlung der periodisch aussetzenden Schlag- folge des isolirten Froschherzens in die rhythmische. Zbenda. 1874. Bd. XXVI. 8.193. 9. Merunovicz, Ueber die chemischen Bedingungen für die Entstehung des Herzschlages. Hbenda. 1875. Bd. XXVI. S. 252. 10. J. Bernstein, Ueber den Sitz der automatischen Erregung im Froschherzen. Centralblatt für die medie. Wissenschaften. 1876. 8. 385. 11. Hermann Munk, Zur Mechanik der Herzthätigkeit. Dies Archiv. 1878. Physiol. Abthlg. S. 569. 12. R. Marchand, Versuche über das Verhalten von Nervencentren gegen äussere Reize. Pflüger’s Archiw. 1878. Bd. XVII. S.511. 13. v. Basch, Ueber die Summation von Reizen durch das Herz. Sitzungsberichte der math.-naturw. Classe der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1879. Bd. LXXIX. 8. 37. 14. Nie. Schtschepotjew, Selbstständige Contraction der Herzspitze, Verände- rungen der Muskeln und der weissen Blutkörperchen unter dem Einfluss von Chinin. Pflüger’s Archiv. 1879. Bd. XIX. 8.53. 15. Biedermann, Ueber rhythmische durch chemische Reizung bedingte Con- tractionen quergestreifter Muskeln. Sitzungsberichte der math.-naturw. Classe der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1880. 8. 257. 16. Gaskell, On the tonieity of the heart and blood vessels. Journ. of Physiol. 1880/82. Vol. III. 17. Hermann Aubert, Untersuchungen über die Irritabilität und Rhythmieität des nervenhaltigen und nervenlosen Froschherzens. Pflüger’s Archiv. 1881. Bd. XXIV. S. 357. ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN U. DER VENTRIKEL D. HERZENS. 451 18. M. Löwit, Beiträge zur Kenntniss der Innervation des Herzens. Pflüger’s Archiv. 1881. Bd. XXV. S. 399. 19. J.M. Ludwig und B. Luchsinger, Zur Physiologie des Herzens. Ebenda. S. 211. 20. Th. W. Engelmann, Der Bulbus Aortae des Froschherzens. Zbenda. 1882. Bd. XXIX. S. 425. 21. Gaskell, On the rhythm of the heart of the frog, and on the nature of the action of the vagus nerve. Phil. transact. of the royal society of London. 1882. p. 993. 22. Wooldridge, Ueber die Function der Kammernerven des Säugethierherzens. ° Dies Archiv. 1883. Physiol. Abthlg. 8. 522. 23. Gaskell, On the innervation of the heart, with espeecial reference to the heart of the tortoise. Journ. of physiol. 1883. Vol.1V. p. 48. 24. Kronecker und Schmey, Das Coordinationscentrum der Herzkammer- bewegungen. Sitzungsberichte der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1884. S. 87. 25. Robert Tigerstedt, Bedeutung der Vorhöfe für die Rhythmik der Ventrikel des Herzens. Dies Archiv. 1884. Physiol. Abthlg. S. 497. 26. O. Langendorff, Studien über Rhythmik und Automatie des Froschherzens. Ebenda. 1884. Suppl. 27. Mc. William, On the Structure and rhythm of the heart in fishes, with especial reference to the heart of the eel. Journ. of Physiol. 1885. Vol. VI. p. 192. 28. Waller and Reid, On the action of the exeised mammalian heart. PAvl. Transact. 1887. Vol. CLXXVII. p. 215. 29. Mc. William, On the rhythm of the mammalian heart. Journ. of Physiol. 1888. Vol. IX. p. 167. 30. Derselbe, On the phenomena of inhibition in the mammalian heart. Zbenda. 1888. Vol.IX. p. 345. 31. G. Fano, Ueber die Function des embryonalen Herzens. Centralblatt für Physiologie. 1889. Vol. III. p. 325. 32. Krehl und Romberg, Ueber die Bedeutung des Herzmuskels und der Herz- ganglien für die Herzthätigkeit des Säugethieres. Archiv für ewperimentelle Pathologie. Bd. XXX. S.49. Zus. S. 157. 33. Roy and Adami, Physiology and Pathology of the mammalian heart. hol. iransact. Vol. CLXXXII. p. 199. 34. A.F. Stanley Kent, Mammalian heart. Journ. of Physiol. 1893. Vol. XIV. p- 233. 35. W. His jun., Die Thätigkeit des embryonalen Herzens und deren Bedeutung für die Lehre von der Herzbewegung beim Erwachsenen. Arbeiten aus der medi- cinischen Klinik zu Leipzig. 1893. S. 14. 36. W. His und E. Romberg, Beiträge zur Herzinnervation. Zbenda. 1893. 37. K. Kaiser, Untersuchungen über die Ursache der Rhythmicität der Herz- bewegungen. Zeitschrift für Biologie. 1894. Bd. XXX. 8. 279. 38. W. His jun., Herzmuskel und Herzganglien. Wiener med. Blätter. 1894. Nr. 44. 39. A. Fonrobert, Ueber die elektrische Reizung des Herzens. Dissertation. Rostock 1895. 40. Th. W. Engelmann, Ueber den myogenen Ursprung der Herzthätigkeit und über automatische Erregbarkeit als normale Eigenschaft peripherischer Nervenfasern. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXV. S. 535. 29* 452 A. LoHmmAnn: ZuR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN T. S. W. 41. Porter, On the cause of the heart beat. Journ. of erperim. med. New York 1897. Vol.IL 4. p. 391. 42. Derselbe, On the cause of the heart beat etc. Journ. of the Boston Society of Medical sciences. 1897. Nr. 10. 43. F. H. Pratt, The nutrition of the heart trough the vessels of Thebesius and the coronary veins. Americ. Journ. of Physiol. 1898. Vol. I. p. 86. 44. Gaskell, The contraction of cardiac muscle. Texi-book of Physiol. E.A. Schäfer. 1900. Bd.Il. p. 169. 45. W. Ewald, Ein Beitrag zur Lehre von der Erregungsleitung zwischen Vorhof und Ventrikel des Froschherzens. Pflüger's Archiv. 1902. Bd. XCI 8.21. 46. Th. W. Engelmann, Der Versuch von Stannius, seine Folgen und deren Deutung. Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. S. 505. 47. Derselbe, Myogene Theorie und Innervation des Herzens. Die deutsche Klinik am Eingang des 20. Jahrhunderts. 1903. Bd. IV. 2. Abthlg. 8. Vorlesung. 48. F. B. Hofmann, Die neurogene und myogene Theorie der Herzthätigkeit und die Function der inneren Herznerven. Schmidt’s Jahrbücher. Bd. CCLXXXI. Sp 1hleh Das elektromotorische Verhalten der Retina bei Eledone moschata. Von Dr. H, Piper, Assistent am physiologischen Institut der Universität Berlin, (Aus der zoologischen Station zu Neapel.) Einleitung. Die Versuche, über welche ich im Folgenden berichte, wurden haupt- sächlich zu dem Zwecke unternommen, durch vergleichende Messung der Actionsströme der Netzhaut, die Reizwerthe der verschiedenwelligen, spec- tralen Lichter für die Augen eines solchen Meerthieres festzustellen, welches sich in den eigenartigen Lichtverhältnissen mehr oder weniger grosser Wassertiefen aufzuhalten pflegt. Bekanntlich zeigt sich bei spec- traler Zerlegung eines Lichtgemisches, welches Wasserschichten von einigen Metern Dicke passirt hat, dass es im Vergleich zur ursprünglichen Be- schaffenheit an Gehalt von rothen und gelben Strahlen ganz wesentlich eingebüsst hat, dass also das Wasser die weniger brechbaren Strahlen des Spectrums in erheblichem Maasse absorbirt und als Wärme aufgespeichert, die brechbaren aber fast ungeschwächt durchgelassen hat. In Folge dieser physikalischen Verhältnisse muss das Licht mit zunehmender Wasser- tiefe eine im Vergleich zum natürlichen, weissen Sonnenlichte mehr und mehr bläuliche Färbung annehmen, und thatsächlich kommt diese „blaue Farbe des Wassers‘ ebensowohl unter den künstlichen Be- dingungen des Experimentes zur Beobachtung, wenn man z. B. durch ein mehrere Meter langes, mit reinstem Wasser gefülltes Rohr eine weisse Lichtquelle beobachtet, wie auch — und zwar viel schöner und evidenter — unter geeigneten natürlichen Verhältnissen, nämlich dann, wenn bei klarer Beschaffenheit des Wassers das vom Meeresboden (oder von im Wasser suspendirten festen Partikelchen) reflectirte Sonnenlicht in unser Auge ge- langt und uns als „Blau“ oder „Blaugrün“ des Meeres imponirt. Eine 454 H. Piper: gewisse Berühmtheit hat von je an in dieser Beziehung das Mittelmeer gehabt, dessen prächtig blaues Wasser zugleich durch seltene Klarheit ausgezeichnet ist. Dass die selective Absorption der verschiedenwelligen Strahlen durch das Wasser von hervorragender Bedeutung für die Biologie der Wasser- fauna und Flora ist, darauf hat wohl als erster Engelmann (5) mit Nach- druck hingewiesen. Er fand in diesem Zusammenhange die Erklärung für die Thatsache, dass ganz allgemein bei den in gewissen, nicht zu geringen Meerestiefen lebenden Pflanzen, die röthliche und gelbe Färbung auffallend prädominirt: da die rothen, bezw. gelben Farbstoffe kurzwelliges Licht in reichlichem Maasse absorbiren und sehr wenig reflectiren, so ist durch diese Einrichtung eine höchst ökonomische Verwerthung der in den be- treffenden Wasserregionen überhaupt vorhandenen Strahlen gewährleistet, und man darf wohl in der einseitig röthlichen Farbstoffproduction der frag- lichen Organismen eine sehr interessante Anpassungserscheinung an die besonderen physikalischen Bedingungen der Umgebung er- blicken. Es drängt sich jetzt ganz naturgemäss die Frage auf, ob nicht auch das speciell zur Reaction auf die Energieform der Strahlung eingerichtete Sinnesorgan, das Auge der Meerthiere, im gleichen Sinne den Lichtbe- dingungen des Milieus angepasst ist: man könnte hier consequenter Weise vermuthen und den Nachweis versuchen, dass die Netzhaut zur Perception der vorwiegend vorhandenen grünen, blauen und violetten Lichter mit grösster Empfindlichkeit ausgerüstet ist, dass aber die rothen und gelben Strahlen mehr oder weniger an Reizwerth zurücktreten. Das einzige Hülfs- mittel, über welches die Physiologie bislang verfügt, um zu verwerthbaren Feststellungen in der eben bezeichneten Richtung, also über „das Sehen der Thiere“ zu gelangen, ist die vergleichende Messung der Actionsströme, welche bei Belichtung der Retina mit den verschiedenwelligen Strahlen eines Spectrums auftreten. Die bei Meeresthieren auf diesem Wege ge- wonnenen Messungsergebnisse wären dann mit den Verhältnisszahlen der Stromwerthe zu vergleichen, welche unter genau den gleichen Versuchs- bedingungen an den Augen terrestrischer Thiere zur Beobachtung gelangen. Die Methode der Actionsstrommessung ist bereits von Himstedt und Nagel (9) mit Erfolg angewandt worden, um die Vertheilung der Reiz- werthe im Dispersionsspeetrum des Gaslichtes für das Froschauge zu eruiren. Sie fanden, dass im helladaptirten Auge bei Application intensiverer Reize die Belichtung mit Natriumgelb maximale Actionsströme hervorrief, und dass dagegen alle anderen spectralen Lichter an Reizwerth zurücktraten. Bei Reizung des dunkeladaptirten Auges mit schwachen Lichtern, d. h. unter den Bedingungen des „Stäbchensehens“, lag das Reizmaximum im Gelb- ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 455 grün, war also von dem für das Hellauge gültigen Ort zum brechbaren Spectralende verschoben. Am menschlichen Auge hat man zwar Actionsstrommessungen nicht vornehmen können, indessen lehrt hier die Analyse der Gesichtsempfindungen, dass ebenfalls das spectrale Gelb bei Helladaptation, das Gelbgrün bei Dunkel- alaptation den grössten Reizwerth unter den Farben des Sonnen- oder Gas- lichtspectrums für die Netzhaut besitzen: das Gelb, bezw. Gelbgrün er- scheint uns unter entsprechenden Versuchsbedingungen als hellste Stelle im Spectrum. Nun aber haben physikalische Untersuchungen gezeigt, dass bei spectraler Zerlegung der Gesammtenergiestrahlung der Sonne und bolo- metrischer Bestimmung der in den einzelnen Spectralorten vorhandenen Energiewerthe das Energiemaximum gerade an der Stelle der Natriumlinie ge- funden wird. Man wird demnach sagen müssen, dass die Augen der bisher genauer untersuchten Arten, welche unter den Strahlungsbe- dingungen der athmosphärischen Luft leben, in höchst voll- kommener Weise den herrschenden physikalischen Verhältnissen angepasst sind: auf die maximal vorhandene Energieform sind sie auch mit maximaler Empfindlichkeit eingestellt. Berücksichtigt man diese Feststellungen, so liegt wohl die schon oben angedeutete Frage nahe, ob nicht mit der beträchtlichen Verschiebung des Energiemaximums zum kurzwelligen Spectralende hin, welche als Folge der selectiven Absorption der langwelligen Strahlen durch das Wasser um so hochgradiger zur Ausbildung kommt, je dickere Wasserschichten vom Strahlungsgemisch durchsetzt sind, — ob nicht mit dieser Verschiebung eine gleichsinnige Verlagerung des Reizwerthmaximums im Spectrum für die Augen der unter diesen Beleuchtungsverhältnissen lebenden Thiere vor- handen und nachweisbar ist. Wenn ich nun im Folgenden für einen Cephalopoden, Eledone moschata, den Beweis erbringe, dass, soweit Actionsstrommessungen ein Urtheil er- lauben, thatsächlich die stärker brechbaren (grünen und blauen) Strahlen die langwelligen (rothen und gelben) auffallend an Reizwerth übertreffen, wenn ich also damit eine Reactionsweise für das Auge dieses Meeresthieres aufzeige, welche von derjenigen der bisher in-dieser Richtung untersuchten terrestrischen Geschöpfe in dem erwarteten Sinne erheblich abweicht, so verkenne ich durchaus nicht, dass dieser Nachweis eben nur für einen Typus, Eledone, Gültigkeit hat, und dass damit in keiner Weise gesagt ist, dass nun auch alle anderen unter gleichen Bedingungen lebenden Arten gleich oder ähnlich bei denselben Versuchen reagiren müssten. Ich weiss sehr wohl, dass an allen möglichen Arten angestellte Versuchsreihen vor- liegen müssten, ehe eine solche Generalisation der Resultate und die Auf- stellung allgemein gültiger Sätze berechtigt wäre. Mir erschien es nur 456 H. Pıpzer: wünschenswerth, die allgemeinen Gesichtspunkte von vornherein hervorzu- heben, unter denen die im Folgenden beschriebenen Versuche unternommen wurden, denn ich sollte meinen, dass dadurch die Versuche an Interesse und die Resultate an Bedeutung gewinnen. Wenn man mit einem so be- stimmt umrissenen Plan an die Arbeit geht und beim Experimentiren am ersten Thiertypus, dessen Organe man für solche Versuche hinreichend überlebend und geeignet findet, Resultate erhält, welche durchaus in der theoretisch vermutheten Richtung liegen, so ist es im Uebrigen wohl natürlich und entschuldbar, dass man solchen so zu sagen postulirten Er- gebnissen eine mehr generelle Bedeutung beizumessen geneigt ist. Leider ist es mir während meines kurzen Aufenthaltes in Neapel nicht gelungen, andere Thiertypen ausfindig zu machen, welche sich zu ähnlichen Experimenten eigneten. Versuche an einigen Teleostiern und Selachiern schlugen fehl: die Augen dieser Thiere sind, wie schon Kühne und Steiner (11 und 12) fanden, nicht hinreichend überlebend, um für diese Unter- suchungen ohne Weiteres brauchbar zu sein. Dagegen zeichnen sich die Augen von Eledone, wie auch die meisten anderen Organe dieses Thieres, durch eine ganz ausserordentliche Ueberlebenskraft aus, sodass es bezüglich der Verwendbarkeit für physiologische Versuche mit dem Frosch leicht con- curriren kann. Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, mit welcher Ausdauer ein Läppchen Selera mit Netzhaut 5 bis 6 Stunden lang die regelmässigsten Actionsströme auf Lichtreiz giebt und nach Ermüdung durch anhaltende, starke Belichtung in wenigen Minuten seine volle Reactionsfähigkeit wieder gewinnt, wenn man nur dafür Sorge trägt, dass das Präparat nicht aus- trocknet. Es sei mir gestattet, bevor ich dazu übergehe, meine Versuchsanordnung und die Ergebnisse vorzuführen, hier noch einige orientirende Bemerkungen über die Anatomie der in Frage kommenden Organe vorauszuschicken. Die Augen vom Eledone moschata, welche bei mittelgrossen Exemplaren etwa Haselnussgrösse haben, präsentiren sich als geschlossene, mit Flüssigkeit gefüllte, aber nicht sehr gespannte Bläschen. Ihre Wandung, die Sclera, ist im Allgemeinen undurchsichtig, nur lateral ist derselben die stark ge- krümmte, glasklare Linse eingefügt. Aussen liegt der Linse eine pigmentirte Ringfalte an, welche nach ihrer Function als Iris bezeichnet wird. Der Fundus bulbi ist {von der nur aus Stäbchen und kleinen epithelähnlichen Zellen bestehenden Retina überzogen. Die Sehnervenfasern durchsetzen die mediale Partie der Sclera, bilden aber keinen einheitlichen Nervenstrang, sondern ziehen in Form zahlreicher kleiner Nervenstämmcehen zu dem ausserordentlich grossen Ganglion opticum, in das sie nach 3 bis 4” Jangen Verlauf eintreten. Das Ganglion steht durch einen dicken, kurzen Faser- strang mit den Oentralganglien in Verbindung. ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 457 Methodik, Zur Aufnahme des Präparates diente ein lichtdichter Kasten, in dessen vorderer Wand ein senkrechter Spalt von Im Breite und S"m Höhe an- gebracht war. Unmittelbar hinter diesem Spalt wurde auf einem im Inneren des Kastens befindlichen Tischehen das Präparat derart placirt, dass das durch den Spalt einfallende Licht zur Netzhaut gelangen musste. Für die Ableitungen vom Präparat zur Wiedemann-Hermann’schen Bussole dienten die gewöhnlichen unpolarisirbaren Elektroden (Schreibfederelektroden nach Grützner). Die Ablesung der Ausschläge erfolgte an einer Scala, auf welche mit Hülfe einer schwachen Convexlinse das reelle Bild einer leuchtenden Linie nach Reflexion der Strahlen durch den Galvanometer- spiegel projicirt wurde. Auf der Vorderwand des Kastens, und zwar in Höhe des Spaltes wurde vermittelst eines geradsichtigen Prisma’s und einer Linse ein etwa 3m langes objectives Spectrum des Nernst-Lichtes entworfen. Die Linse, welche zwischen Prisma und Kastenwand angebracht werden musste, war ein Zeiss’sches photographisches Objecetiv und konnte mitsammt der zuge- hörigen Camera sehr passend bei der Aufstellung Verwendung finden: an der Stelle der photographischen Platte befand sich die Vorderwand des Kastens und alles Seitenlicht wurde durch die Balgcamera vollständig fern- gehalten; sollte das Spectrum auf der Kastenwand erzeugt, bezw. das Prä- parat belichtet werden, so konnte dies in sehr bequemer Weise durch Ab- nehmen des Objectivdeckels bewirkt werden. Die Stelle eines Collimatorspaltes nahm einfach der senkrecht gestellte, offene Glühfaden einer Nernst-Lampe ein. Durch diese Anordnung er- reichte ich eine verhältnissmässig grosse Lichtstärke des Specetrums, die ich durch Vorsetzen von Blenden vor das Objectiv nach Bedarf abstufen konnte. Die Reinheit des Spectrums war bei dieser Anordnung wohl kaum wesent- lich beeinträchtigt, denn unter den obwaltenden Versuchsverhältnissen wäre ein Collimatorspalt von der Breite eines Nernstfadens (etwa !/, ”®) sicher- lieh nicht über die Grenzen des Erlaubten hinausgegangen und hätte allen Anforderungen genügt, die billig bezüglich Reinheit des Spectrums gestellt werden dürften. Die Nernst-Lampe war an einem Gestell montirt, welches in einer Schlittenführung derart in horizontaler Richtung bewegt werden konnte, dass dabei der senkrecht gestellte Glühfaden eine Verschiebung parallel zu sich selbst erfuhr. Der Grad der Verschiebung konnte an der Führungsschiene in Scalentheilen abgelesen werden. Das objective Spectrum, welches in der erwähnten Weise auf der Vorderwand des das Präparat enthaltenden Kastens erzeugt wurde, machte 458 H. Piper: natürlich die Verschiebungen des Nernstfadens stets in umgekehrter Richtung mit. Es war also auf diese Weise die Möglichkeit gegeben, jeden beliebigen Spectraltheil auf den Spalt des Kastens einzustellen, um das da- hinter befindliche Präparat mit dem Licht der entsprechenden Wellenlänge zu reizen. Zur Aichung waren jetzt die Scalentheile aufzusuchen, bei denen die Lithium-, Natrium-, Thallium- und Strontiumlinie gerade auf den Kastenspalt fielen. Um die Erzeugung und Einstellung dieser Metallinien zu ermöglichen, musste genau an die Stelle des Nernstfadens ein Spalt angebracht werden, mit welchem die gleichen Verschiebungen wie mit dem Glühkörper vorgenommen werden konnten. Dass diese Ersetzung des Nernstfadens durch einen Metallspalt exact durchgeführt worden war und die so gewonnenen Aichungsconstanten auch für das Nernstlichtspeetrum Gültigkeit hatten, wurde dadurch controllirt, dass bei leuchtender Nernst- lampe die Kirchhoff’schen Absorptionslinien für Natrium und Thallium erzeugt und den Scalentheilen entsprechend gefunden wurden, welche nach den Einstellungen mit dem Spalt verlangt werden mussten. Die Wellenlängen der Lichter, welche bei Einstellung aller zwischen- liegenden Scalentheille auf den Kastenspalt fielen, wurden nach der Cauchy’schen Dispersionsformel berechnet. Bezüglich der Methodik der Strommessungen wäre noch zu sagen, dass bei allen Versuchen zunächst der Ruhestrom compensirt wurde, dass dann aber die bei Belichtung des Präparates beobachteten Galvanometerausschläge einfach an der Scala abgelesen wurden; es wurden also nur die Verhältniss- zahlen der Stromstärken unmittelbar in Betracht gezogen. Da kein Grund für die Annahme vorliegt, dass sich während der Versuche die Widerstände im Stromkreise oder im Präparat änderten, so durften die Stromstärken als den elektromotorischen Kräften proportional betrachtet werden und man konnte davon absehen, die elektromotorischen Kräfte selbst durch Compensation zu bestimmen. Das Letztere hätte ausserdem seine Misslichkeiten gehabt, weil ein gewisser Zeitverlust bei jeder Messung unvermeidlich gewesen wäre, die elektromotorische Kraft der Netzhaut aber sehr kurz nach Beginn der Belichtung bereits sich im Sinne einer Ab- nahme zu verändern beginnt. Versuche. 1. Richtung, Grösse und zeitlicher Ablauf der Retinaströme bei Eledone moschata. Ueber Richtung und zeitlichen Ablauf der Netzhautströme im Eledone- auge liegt eine ausführliche Mittheilung von Beck (1) vor. Da indessen meine Ergebnisse in wesentlichen Punkten mit denen Beck’s durchaus im ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 459 Widerspruch stehen, sehe ich mich veranlasst, über die Frage hier noch einmal eingehend zu berichten. Beck brachte das mit unpolarisirbaren Electroden abgeleitete Präparat (Bulbus mit Ganglion, Bulbus allein oder hintere Hälfte der Bulbuswand mit Netzhaut) in einem lichtdichten Kasten in geeigneter Lage unter und las, während er durch Aufheben des Kastendeckels mit Tages- bezw. Sonnen- licht reizte, die Nadelausschläge ab, indem er das virtuelle Bild einer Scala im Galvanometerspiegel mit dem Fernrohr beobachtete. Bei einer ersten Reihe von Versuchen diente als Präparat der Bulbus mitsammt den Neryulis und dem Ganglion opticum. Die eine Elektrode lag am Ganglion, die andere, mit einem Wollfaden armirt, quer auf den Nervulis. Der Dunkelstrom war sehr schwach und von wechselnder Richtung. Bei Belichtung traten schwache Actionsströme auf, welche in einigen Fällen Elektronegativität im Ganglion, Positivität im Nerven, in anderen Fällen aber umgekehrt Nega- tivität des Nerven und Positivität des Ganglions anzeigten; in noch anderen, wenn auch seltenen Fällen, endlich kam überhaupt kein Actionsstrom zur Beobachtung. Beck erklärt sich diese verschiedenen Möglichkeiten durch die Annahme, dass in einigen Fällen der Actionszustand im Nerven, in anderen der des Ganglion grösser sei, dass aber immer das stärker negative Organ das Uebergewicht habe. Bei weiteren Versuchen lag die eine Elektrode an der Sclera oder der’ Linse, die andere am Ganglion oder am Sehnerven. Der Dunkelstrom war gewöhnlich sehr schwach und verschieden gerichtet, bei Belichtung des Auges aber wurde der nervöse Bestandtheil des Präparates (Ganglion oder Nervuli) stets stark negativ im Vergleich zur abgeleiteten Bulbusstelle. „Bei Belichtung des Auges tritt eine Schwankung des Dunkelstromes auf, die je nach der Richtung des letzteren negativ oder positiv sein kann, immer in dem Sinne, dass die Augapfelwand positiv, bezw. mehr positiv, während der nervöse Theil minder positiv, bezw. mehr negativ wurde“. Auch bei Präparaten, welche bei Ableitung von Ganglion und Nervulis Posi- tivität des Ganglion auf Belichtung gezeigt hatten, wurde das Ganglion stark elektronegativ, wenn von Linse und Ganglion abgeleitet war. Wurden die Elektroden an den hinteren und vorderen Pol des von den ner- vösen Anhängen befreiten Bulbus angelegt, so zeigte sich wie früher einschwacher Dunkelstrom von nicht constanter Richtung; bei Belichtung trat ein Actions- ! Nach Darlegung dieser Verhältnisse sagt Beck 8. 139: „Wenn auch die Schwankungen verhältnissmässig unbedeutend waren, so waren doch dieselben stets gleich gerichtet, nämlich das Sehganglion wurde immer bei Belichtung electronegativ.‘“ Wie diese Aeusserung zu den S.136 gegebenen Erklärungen passt, nach denen es eben nicht „immer“ negativ, sondern manchmal auch positiv elektrisch wird, ist un- verständlich. 460 H. Piper: strom auf, welcher von der Linse durch das Galvanometer zum hinteren Bulbuspol floss. Der hintere Bulbuspol wurde mithin elektronegativ. Um die Actionsströme der Netzhaut selbst zu studiren, halbirte Beck den Bulbus im Aequator, stülpte die hintere Scleraschale um und legte sie kappenartig auf eine Tonelektrode; die Netzhaut wurde durch eine mit Wollfaden armirte Elektrode abgeleitet. Jetzt zeigte sich zunächst ein sehr kräftiger Ruhestrom: stets war die Netzhaut negativ zur äusseren Sclerawand. Bei Belichtung wurde ein sehr intensiver Actionsstrom be- obachtet, der sich als positive Schwankung des Ruhestromes geltend machte, d.h. die Netzhaut wurde erheblich stärker negativ. Auf Ver- dunkelung erfolgte rapides Verschwinden des Actionsstromes und Rückkehr zur Grösse des Ruhestromes. Nur die zuletzt berichteten Ergebnisse Beck’s, also die, welche er bei Ableitung von Sclera und Netzhaut erzielte, kann ich ais richtig bestätigen. Hier habe auch ich stets einen kräftigen Ruhestrom beobachtet, bei dem sich die Netzhaut negativ zur Sclera verhielt, und einen Actionsstrom, durch welchen sich eine starke Zunahme der Netzhautnegativität documentirte. Bei Wiederholung aller anderen von Beck angestellten Versuche finde ich constant gerade die umgekehrte Stromrichtung, als wie Beck angiebt. Liegt die eine Elektrode am Ganglion, die andere an der Iris oder Linse, so zeigen sich minimale Ruheströme, die bei verschiedenen Präparaten ver- schieden gerichtet sind; es scheint das von der Beschaffenheit der Geweb- theile abhängig zu sein, denen die Elektroden anliegen; hauptsächlich dürften kleinere Läsionen, welche bei der Enucleation natürlich leicht gesetzt werden, eine gewisse Rolle spielen. Manchmal hat man Präparate, an denen man gar keinen Ruhestrom beobachtet. Der bei Belichtung auftretende kräftige Actionsstrom fliesst stets vom Ganglion (durch’s Galvanometer) zum vorderen Bulbusabschritt hin; d. h. das Ganglion wird entgegen der Beck’schen Beobachtung mitabsoluter Regelmässigkeitstark elektro- positiv, die Linse, Iris u. s. w. elektronegativ. Bei Ableitung vom hinteren Augenpol und Linse traten etwas kräf- tigere, aber doch bald verschwindende Ruheströme auf, welche in allen von mir beobachteten Fällen auf Negativität der Linse, Positivität der hinteren Bulbuswand schliessen liessen. Bei Belichtung kamen kräftige Actionsströme zur Beobachtung, welche Zunahme der Positivität am hinteren Augenpol, der Negativität im Linsenabschnitt erschliessen liessen. Also ebenfalls umgekehrt, als wie Beck angiebt. Um den Einfluss einer Irisreaction auf die Stromschwankungen auszuschliessen, habe ich diese wegpräparirt und jetzt von Linse und hinterer Bulbuswand abgeleitet. Der Ruhestrom verlief wie am Präparat mit Iris; bei Reizung traten entsprechend der vermehrt zutretenden Licht- ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 461 menge Actionsströme von grösserer Intensität auf, ständig aber von der auch sonst beobachteten Richtung, d. h. vom hinteren Augenpol zur Linse im äusseren Stromkreis fliessend. Endlich habe ich, wie Beck, den Bulbus äquatorial halbirt, die hintere Hälfte mit concav gekrümmter Scleralwand über eine Elektrode gestülpt und von der Netzhaut mit einer Wollfadenelektrode abgeleitet. Hier fand ich, ganz wie Beck angiebt, einen kräftigen Ruhestrom, bei welchem sich die Netzhaut negativ zur Sclera verhielt. Bei Belichtung trat eine äusserst kräftige, positive Schwankung des Ruhestromes auf; die Nega- tivität der Netzhaut nahm also beträchtlich zu. Wenn ich jetzt meine Beobachtungen über die Richtung der Actions- ströme, welche sich in der Netzhaut von Eledone auf Belichtung einstellen, zusammenfasse, so wäre ganz kurz zu sagen: Wenn vom Ganglion oder den Nervuli oder der hinteren Scleralwand einerseits und von Iris oder Linse oder Retina andererseits abgeleitet wird, so ver- hält sich stets der vor der Netzhaut gelegene Bulbustheil bezw. die Netzhaut selbst negativ zu den dahinter gelegenen T'heilen (Selera, Ganglion u. s. w.). Ich glaube, dass dieses Resultat an Einfachheit und Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt, und als Richtigstellung des räthselhaften, eine Erklärung ausschliessenden Durcheinanders der von Beck! gefundenen Stromrichtungen willkommen sein wird. Es unterliegt nach meinen Beobachtungen wohl keinem Zweifel, dass die bei Belichtung im Eledoneauge auftretenden Actionsströme ausschliesslich auf die elektro- motorischen Kräfte der Netzhaut, deren Stäbchen ein stärker negatives Potential annehmen, bezogen werden müssen. Bekanntlich besteht die Retina der Cephalopoden, wie v. Lenhossek (14) zuerst zeigte, aus einer einfachen Schicht langer, pallisadenartig neben- einander gereihter Stäbchen, zwischen deren Basaltheilen ganz kurze, niedrige, epithelähnliche Zellen eine Art Stützgewebe bilden. Von jedem Stäbchen geht an dem der hinteren Sclerawand zugekehrten Basalende eine Nerven- faser aus, welche die Sclera durchsetzt und zum Ganglion zieht. Das Ganglion hat nach Kopsch’ (11) Untersuchungen einen sehr complieirten ! Auch den Versuch Beck’s, bei Ableitung vom Ganglion einerseits, von den Nervuli andererseits Actionsströme zu erzielen, habe ich wiederholt, indessen ohne Er- folg. An fünf Augen habe ich trotz Einstellung der Bussole auf maximale Empfindlich- keit keinen Actionsstrom beobachten können. Ich muss also nach meinen Befunden das, was Beck (S. 144) als seltenen Fall bezeichnet, bei dieser Anordnung für die ' Regel halten. Dass bei Anlegung der Elektroden am Ganglion und Nerv, wenn über- haupt, so doch nur minimale Actionsströme auftreten können, wird nach den obigen Versuchsergebnissen wohl fast selbstverständlich sein. Das elektromotorisch auf Be- liehtung wirksame Organ, die Retina, befindet sich ja bei dieser Anordnung gar nicht in der Strecke zwischen den Elektroden. 462 H. Piper: Bau und lässt in seinen Zellschichten eine weitgehende Aehnlichkeit mit den verschiedenen Stratis erkennen, welche in der Wirbelthiernetzhaut der Stäbchen- und Zapfenschicht aufgelagert sind. Im Auge der Cephalopoden befindet sich also nur die Schicht der lichtpereipirenden Elemente, der Stäbchen, die anderen der Vertebratennetzhaut entsprechenden Schichten aber sind so zu sagen aus dem Auge heraus in das Ganglion opticum verlagert. Es ist interessant von diesen Gesichtspunkten aus das elektromotorische Verhalten der Vertebraten- und Cephalopodennetzhaut zu vergleichen. Leitet man bei der Froschnetzhaut von der Stäbchen- und der Faserseite ab, so erhält man einen Ruhestrom, welcher Negativität der Stäbchen, Positivität der Fasern anzeigt. Bei Belichtuug tritt eine positive Schwankung (Zunahme der Stäbchennegativität) mit nachfolgen- dem negativen Decrement ein; bei Ableitung vom vorderen und hinteren Pol des uneröffneten Bulbus tritt nur die positive Schwankung des Ruhe- stromes ein, und das Decrement kommt kaum zur Beobachtung (Kühne und Steiner, Holmgren, Sigm. Fuchs). Kühne und Steiner (12) halten wohl mit Recht den Stromverlauf, wie er am uneröffneten Bulbus sich abspielt, für den natürlichen und vermuthen, dass das an der isolirten Netzhaut nachfolgende starke, negative Decrement wohl aufzufassen ist, als Folgeerscheinung der hochgradigen Alterationen, welche das zarte Organ beim Herausnehmen aus der Scleraschale erleidet. Wir hätten also als normale Stromrichtung für die Froschnetzhaut zu betrachten: Ruhestrom: Stäbchenseite —. Faserseite +, Actionsstrom: positive Schwankung; Stäbchenseite stärker —, Faserseite stärker +. Bei der Cephalopodennetzhaut liegen nach meinen Unter- suchungen die Verhältnisse genau ebenso. Man könnte, um die Analogie ganz vollständig zu haben, ein Experiment machen, welches ich zwar nicht ausgeführt habe, dessen Erfolg aber nach den obigen Versuchs- reihen mit absoluter Sicherheit angegeben werden kann: man hätte ein Bulbusganglionpräparat herzustellen, den Bulbus äquatorial zu durchschneiden und jetzt von der Netzhaut (= Stäbchenseite) und vom Ganglion (= Faser- seite) abzuleiten und würde finden: Ruhestrom: Netzhaut —, Ganglion +; Actionsstrom: positive Schwankung; Netzhaut stärker —, Gang- lion stärker +. Ich habe, wie gesagt, diesen Versuch nicht ausgeführt, indessen gestatten die Feststellungen, welche bei Ableitung von Linse und "Ganglion gewonnen wurden, zusammengehalten mit denen, welche sich bei Ableitung von Netzhaut und hinterer Sclerawand ergaben, den sicheren Schluss, dass das in den erstgenannten Versuchen an der Linse beobachtete negative Potential auf die elektromotorische Thätigkeit der Netzhautstäbchen zurückzuführen und als nur zur Linse weitergeleitet aufzufassen ist, und ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 463 dass demnach der Versuch mit Ableitung von Netzhaut und Ganglion so , ‘ausfallen muss wie oben angegeben. Man ist bei den Untersuchungen am Cephalopodenauge in der günstigen Lage, eine’ nur aus einer einfachen Stäbchenschicht bestehende Retina vor sich zu haben und kann die Functionen dieser Netzhaut- elemente, insbesondere ihr elektromotorisches Verhalten in natürlicher Son- derung studiren, ohne die complieirende Mitwirkung anderer Zellschichten in Rechnung ziehen zu müssen. Bekanntlich ist man bei der Untersuchung der Wirbelthierretina, deren complicirter vielschichtiger Bau eine Localisation der einzelnen beobachteten Functionen in bestimmte Zelllagen sehr schwierig macht, erst nach langwierigen und vielfach varlirten Versuchen per exelusionem zu dem Schluss gelangt, dass die Stäbchen und Zapfen die lichtpereipirenden Elemente und Sitz der elektromotorischen Erscheinungen der Netzhaut seien. Zweifellos erhalten diese Schlüsse durch die hier angeführten Versuchs- ergebnisse von vergleichend-physiologischer Seite eine beachtenswerthe Stütze. Dem über die Richtung der Netzhautströme Gesagten füge ich jetzt noch einige Bemerkungen über die Grösse der elektromotorischen Kräfte, welche man auf Belichtung der Retina beobachtet, und über ihren zeitlichen Ablauf an. Die Grösse der abgelesenen Galvanometerausschläge, d. i. der den elektromotorischen Kräften proportionalen Verhältnisszahlen der Stromstärken, hängen ab: 1. von der Intensität, 2. von der Wellen- länge des Reizlichtes und 3. vom Erregbarkeitszustand des Sehorganes. Indem ich mir für den folgenden Abschnitt die Besprechung des Einflusses der Wellenlänge des Reizlichtes vorbehalte, sei hier nur in Kürze die Be- deutung der Reizintensität und des Adaptationszustandes der Netzhaut für die Grösse ihrer Actionsströme erörtert. Dass die elektromotorische Kraft mit stärker werdende: Reiz zunimmt, ist eine leicht festzustellende Erscheinung, die übrigens in gleicher Weise am Froschauge hervortritt. Welche Function der Reizintensität aber die Grösse der elektromotorischen Kraft ist, bleibt vorläufig eine offene Frage, die aber zweifellos durch wenige Versuche eine eindeutige Antwort finden würde. Welche Rolle die Erregbarkeitsverhältnisse oder der „Adaptations- zustand“ des Sehorganes für die Grösse der auf Belichtung auftretenden Actionsströme spielen; davon überzeugt man sich am einfachsten, wenn man das eine Mal Versuchsthiere verwendet, welche längere Zeit vor dem Versuch im Dunkeln gehalten und deren Augen bei schwach rothem Licht enucleirt wurden, das andere Mal aber die Augen solcher Thiere benutzt, welche vor dem Versuch im Tageslicht belassen waren. Der Vergleich der in beiden Fällen abgelesenen Galvanometerausschläge lehrt, dass die Empfindlichkeit der „Dunkelaugen“ wenigstens doppelt so gross ist wie die 464 H. Piper: ‚der „Hellaugen“. Vielleicht darf man vermuthen, dass für diese Empfind- lichkeitszunahme des Auges bei Dunkelaufenthalt die Regeneration des Seh- purpurs, welchen Hess im dunkelgehaltenen Cephalopodenauge auffand, in ähnlicher Weise von Bedeutung ist, wie das nach neueren Anschauungen für das Wirbelthierauge der Fall ist. Auch am enucleirten Eledoneauge kann man noch die Erscheinnng der Erregbarkeitszunahme bei Dunkelaufenthalt oder der „Dunkeladaptation“ ausgezeichnet beobachten. War das Thier vor dem Versuch im Tageslicht verblieben, so zeigen die in den ersten 10 bis 15 Minuten vom Präparat abgeleiteten Actionsströme viel geringere Werthe, als bei derselben Reiz- stärke nach einer 10 bis 15 Minuten dauernden Ruhepause beobachtet werden. Diese Erscheinung illustrirt nun auch eclatant die erstaunliche Ueberlebenskraft der Organe dieses Thieres, denn man muss wohl in dem verstärkten Auftreten der Actionsströme, bezw. der Empfindlichkeitssteigerung den Ausdruck einer Erholung des Präparates, vielleicht der Regeneration einer photochemischen Substanz erblicken. Das sind Fähigkeiten, die man so ausserordentlich entwickelt an den Sera a Bull Organen nicht vieler Thiere wiederfinden dürfte. Was den zeitlichen Ablauf der Stromschwankungen in der Netzhaut von Eledone betrifft, so kann ich die Beobachtungen Beck’s bestätigen. Bei Belichtung des Präparates beobachtet man momentan einen äusserst schnellen Ausschlag am Galvanometer, also eine Stromschwankung, welche bei graphischer Darstellung in einem sehr steilen Ansteigen der Curve zum Ausdruck käme. Sofort nach Erreichung der maximalen Ablenkung dreht sich die Nadel ein wenig zurück, bleibt aber dann während der Dauer einer nicht allzu lange ausgedehnten Belichtung (bis etwa 30 Secunden) in einer ziemlich constanten Abweichung von der Ruhelage stehen. So ist es wenigstens bei Ableitung vom vorderen und hinteren Augenpol, bezw. Ganglion. Benutzt man als Präparat die hintere Hälfte des äquatorial halbirten Bulbus, so erhält man zwar bei Reizung viel kräftigere Actions- ströme, aber die Stromstärke fällt in den ersten Momenten der Belichtung schnell, dann langsamer und continuirlich ab; eine Rückkehr bis zur Grösse des Ruhestromes beobachtet man zwar während der Belichtungsdauer nie, aber doch eine Rückwanderung des Index bis auf etwa die Hälfte der ursprünglichen Ausschlaggrösse. Beim Verschwinden des Lichtreizes kehrt der Index sofort und rapide zur Ruhestromeinstellung zurück. Beck macht mit Recht darauf auf- merksam, dass eine erneute Zunahme der Stromgrösse beim Verschwinden des Lichtreizes und erst dann Rückkehr zur Grösse des Ruhestromes, wie sich die Reaction am Froschauge typisch gestaltet, am Eledoneauge niemals beobachtet wird. Bekanntlich hat man aus der Steigerung der elektro- ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 465 motorischen Thätigkeit, welche die Retina des Frosches bei Verdunkelung entwickelt, geschlossen, dass das Verschwinden des Lichtes einen neuen dissimilatorischen Reiz für das Auge bedeute. Für eine solche Argumentation fehlen nach dem Gesagsten hinsichtlich des Sehorganes von Eledone die Anhaltspunkte. 2. Die Vertheilung der Reizwerthe im Dispersionsspectrum des Nernstlichtes. Die Frage nach dem Einfluss der Wellenlänge des Lichtes auf die Grösse der am Eledoneauge zu beobachtenden Actionsströme habe ich im vorigen Abschnitt kurz gestreift. Dieses war, wie ich einleitend begründet habe, das Problem, welches mich vorzugsweise interessirte, und es wird jetzt am Platze sein, die experimentellen Belege für das dort bereits ante- cipando mitgetheilte Versuchsresultat beizubringen. Leitet man ein Augenpräparat von Eledone von Ganglion und Linse, oder von hinterem Augenpol und Linse mit unpolarisirbaren Elektroden . zum Galvanometer ab, compensirt den Ruhestrom und reizt dann, wie es meine Versuchsanordnung ermöglichte, die Netzhaut der Reihe nach mit den verschiedenwelligen Strahlen des Nernstlichtspectrums, so beobachtet man Galvanometerausschläge, deren Grösse je nach der Farbe, mit welcher man belichtete, ganz erheblich wechselt. Man darf wohl annehmen, dass die so erhaltenen Verhältnisszahlen‘ der Actionsstromgrössen die relativen Reizwerthe der verschiedenwelligen Lichter für die Retina von Eledone wiedergeben. Allerdings bedarf es zum Nachweis der Berechtigung dieser Annahme noch einiger Vorversuche: es ist nämlich zu zeigen, dass man bei oft wiederholter Reizung des Auges mit demselben Lichte stets die gleichen Stromwerthe erhält. Dieses ist in der That der Fall, wenn man nur einigermaassen frische Präparate benutzt und zwischen je zwei Belichtungen eine Ruhepause von etwa 1 Minute Dauer einschaltet. Natür- lich muss man vor Beginn der Reizversuche das Stadium der Empfindlich- keitszunahme, der „Adaptation“ des Präparatesfabwarten. Aber dann hat man auch thatsächlich für lange Zeit einen so gut wie vollständig gleich- bleibenden Erregbarkeitszustand: bei manchen Präparaten kann man wohl 25 bis 30 Mal bei Reizung mit demselben Lichte identische Stromwerthe ablesen. In den folgenden Tabellen sind einige der Messungsergebnisse zu- sammengestellt, die ich bei Belichtung verschiedener Präparate mit den einzelnen Farben des Nernstlichtspectrums und Bestimmung der Actions- stromgrössen nach der oben angegebenen Methode erzielte. Im Stabe I ist der Scalentheil (Collimatoreinstellung) angegeben, durch welchen die jeweilige Stellung des Nernstfadens, bezw. die Farbe des gerade wirksamen Reiz- lichtes bestimmt war; Stab II enthält die den einzelnen Scaleneinstellungen Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 30 466 H. Pıper: Tabelle I. RATEN II Seen Va 9 3 4 5 6 7 ENER 0) [e2) Ha -ı 6 | 7 | | 8 1626 | 0-86 1°5 1-30) 1-25 10417 1-3 | 1°4 0-7 | 15 | 10 | 589 | 25 2-.0,41:,54°0| 3:5, 1252-008 2A, den 3.3 | 4-5 11 | 576) | | 12 |568| 86 | 85 | 7-9 | 86 | 8-3 | 13 | 551 | | 10-8 | 10-9 | 11-0 | 10-5 "14 | 540 | 10-8 | 15 | 531 | 13-5 | 12-0 | 12-5 | 12-5 | 13-0 | 13-7 | 13-2 | 13-5 16 | 528 | | | 17. | 515 13 507 | 142 15.0 13-2 | 15-0 15.0 15.0 15-0 15-0 | 15-0 20 492 | 15-0 14-0 15.0 19-02 21322 140 12-3 13-2 | 15-0 23 |4ar3| 80 1:5012.9292. 12856 83 | 86 | 82 | 8-6 24 | 467 | | 25 |461 | 65 6-5 | 7-5 65 | 66 | 7% 26 | 455 50 5.0 27 |449 | 5-6 6-3 5-0 28 | 448 40 | 35 332-2 | 41 4-0 29 | 487 | 30 |431 | 2-2 2°5 128, 1,320, 310 20:3 10 13 3-3 | 3-0 31 | 425 | 32 419 33T A1sn] 2.0 1-25 | 1.0.) '1+8 1-0 | 2-0 entsprechenden Wellenlängen der Reizlichter, in wu berechnet. In den mit III bezeichneten Stäben sind die Zahlen reprodueirt, welche die Ausschlag- grössen der Galvanometernadel nach Reizung der Netzhaut mit dem bezüg- lichen Lichte angeben; es handelt sich also um die Verhältnisszahlen der Actionsstromwerthe. Die Zahlenreihen III, 1 bis 6 wurden in Versuchen ! Die in vorstehenden Tabellen abgedruckten Werthe wurden in folgender Weise berechnet: Diean der Scala direct abgelesenen, hier nicht mitgetheilten Zahlen der einzelnen Versuchsreihen sind mit je einem constanten Factor multiplieirt worden, welcher so festge- setzt ist, dass die maximale Stromgrösse jeder Serie den Werth 15 annimmt. Da die Bussole für die Dauer der Wochen, über welche sich diese Messungen erstreckten, nicht auf constantem Empfindlichkeitszustand erhalten werden konnte, waren nur die direct abgelesenen Zahlen jeder Serie unter einander, nicht aber die Zahlen verschiedener Serien mit einander vergleichbar. Durch die Festsetzung des für alle Serien gleichen ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 467 gewonnen, bei welchen das Präparat aus Bulbus mit Ganglion bestand und von Ganglion und Linse bezw. Iris abgeleitet wurde. Bei den weiteren Versuchsreihen (III, 7 bis 8) war das Ganglion entfernt und es wurde von Linse und hinterem Augenpol abgeleitet. Die Zahlenreihe III, 9 bezieht sich auf Messungen, bei welchen nach Abtragung der Iris die Elektroden der Linse und dem hinteren Augenpol angelegt waren. Ueberblickt man die Zahlenreihen, so fällt sofort auf, dass Actions- ströme maximaler Intensität stets und typisch dann zur Be- obachtung gelangten, wenn die Netzhaut mit Lichtstrahlen von etwa 500uu Wellenlänge gereizt worden war. Es ergiebt sich also, dass von allen Strahlen des verwendeten Nernstlichtspectrums die blau- srünen maximalen Reizwerth für das Eledoneauge besitzen. Trägt man die Stromgrössen, bezw. die Reizwerthe der verschiedenen Lichter als Function ihrer Wellenlänge in ein System rechtwinkliger Coor- dinaten ein, so erhält man Curven von einem Verlauf, wie er auf der Figur 1 dargestellt ist. Es handelt sich hier um diejenigen Curven! der Figur 1, welche an der einem Spectrallicht von 500 uu Wellenlänge ent- sprechenden Stelle der Abeissenaxe ihre maximale Ordinatenhöhe erreichen; alle Abcissenorte, welche kürzer- oder längerwellige Lichter vertreten, sind dem geringeren Reizwerth gemäss mit kleineren Ordinaten versehen, und die Curve fällt dementsprechend von ihrem bei 500uu gelegenen Gipfelpunkt nach beiden Seiten ab. Um die besonderen Merkmale, durch welche sich die am Eledoneauge gefundenen Reizbarkeitsverhältnisse auszeichnen, noch klarer und anschau- licher herauszustellen, habe ich zum Vergleich unter genau identischen Versuchsbedingungen am Froschauge die Actionsströme gemessen, welche bei Reizung mit den verschiedenfarbigen Lichtern des Nernstlichtspeetrums in der Netzhaut entstehen. Der Bulbus des längere Zeit im Dunkeln ge- haltenen Thieres wurde bei schwachem Licht enucleirt, von Cornea und hinterem Augenpol abgeleitet, und es wurde dann nach Compensation des Ruhestromes in derselben Weise, wie für das Eledoneauge beschrieben, mit den verschiedenfarbigen Strahlen belichtet. Die Dauer jeder Einzelreizung betrug 5 Secunden, die Pause zwischen je zwei Reizungen 1/, bis 2 Minuten. In Tabelle II und III sind die in Versuchen am Froschauge erzielten Messungsresultate verzeichnet; dieselben lagen bei Construction derjenigen Curven der Tafelfigur zu Grunde, welche bei dem 590 und 560uu ent- maximalen Zahlenwerthes 15 und entsprechende Umrechnung aller anderen direct ab- gelesenen Werthe sollten passende Maasse für eine übersichtliche eurvenmässige Dar- stellung der Versuchsresultate gewonnen werden. ! Bei Construction der vier Curven der Tafelfiguren lagen die Messungsreihen 1, 4, 5 und 8 der Tabelle I zu Grunde. 305 468 sprechenden Abeissenort maximale Ordinatenhöhe erreichen. Wie man sieht, differiren die in Tabelle 2 registrirten Ergebnisse, bezw. die entsprechenden, punktirten Curven der Figur 1, welche beim Abeissenort 590 ihren grössten Ördinatenwerth haben, erheblich von den in Tabelle III niedergelegten Messungen und den darnach construirten Curven, deren Gipfelpunkt bei 560 uu der Abecissenaxe liegt. Wenn in der ersten Gruppe das gelbe Licht (90 uu), in der zweiten dagegen gelbgrünes (563 uu) maximalen Reizwerth unter allen spectralen Lichtern aufwies, H. Pıper: so ist für diese Differenz ein Tabelle 1. Ts-4pr) II. Scalentheil | 1 2 6a 2-2 2-0 8 | 5-0 Hl 10 Rn 11923 | 18-8 oa 15-0 15-0 13 | 145 | 14 | 13+8 13-8 15 | 12-0 16 | 12-5 11-4 18 | 106 10-5 20 | 8-8 9-6 22 75 7-8 24 5+6 6-6 26 5-0 54 | 28 3-8 4.2 30 | 2-5 2-4 32 | Dom 1 Tabelle II. IE II. IH. Scalentheil | Ih 2 3 4 6 670 8-3 12-8 8-3 8 626 13-0 135 12-0 10 589 15.0 15-0 15-0 12 563 13-0 13-9 14-0 14 540 12-0 12-8 13-0 18 507 10-0 11-3 11-1 22 479 9-0 9-6 10-9 26 0 455 70 75 10-4 30 431 6-0 6+5 9-0 ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA, 469 Unterschied in der Methodik beider Versuchsgruppen verantwortlich zu machen. Im ersten Falle nämlich (Tabelle II, punktirte Curve der Figur 1), wurde dasselbe lichtstarke Spectrum benutzt, welches bei den Unter- suchungen am Eledoneauge Verwendung fand; im zweiten Falle aber (Ta- belle III, Curven mit Gipfel bei 560uu) war die Lichtstärke des Spectrums erheblich durch Vorsetzen eines Diaphragmas von enger Oeffnung vor die bilderzeugende Linse abgeschwächt. Dass die Reizwerthrelationen der verschiedenfarbigen Lichter für die Froschnetzhaut unter den beiderlei differenten Versuchsverhältnissen in der Weise andere werden, wie es in den Unterschieden der beiden Tabellen 2 und 3 und den entsprechenden Curvengruppen zum Ausdruck kommt, kann nach den Versuchen von Himstedt und Nagel (9) nicht wunderbar erscheinen. Denn diese Autoren fanden, dass für die Augen solcher Frösche, welche vor dem Versuch im Hellen belassen waren, Licht von der Wellen- länge 589 maximalen Reizwerth besitzt; bei diesen Messungen mussten der Helladaptation des Sehorganes entsprechend starke Reizlichter verwendet werden. Für die Augen von Dunkelfröschen fand man bei Reizung mit sehr lichtschwachen Spectralfarben das Reizmaximum im Spectrum stets ins Gelbgrün verschoben. Bei meinen Versuchen wurden zwar nur mehr oder weniger dunkeladaptirte Froschaugen benutzt, aber der modifieirende Einfluss der wechselnden Lichtstärke auf die Vertheilung der Reizwerthe im Spectrum tritt hier in demselben Sinne hervor wie bei den Versuchen von Himstedt und Nagel. Uebrigens kommt, namentlich an den Curven, auch die Thatsache zur Anschauung, dass sich bei Benutzung starker Reizlichter deren Reizwerthe zwar deutlich von einander unterscheiden, aber doch bei weitem nicht in dem Maasse, wie bei Verwendung eines lichtschwachen Spectrums. Indess dieses sei nur nebenbei erwähnt. Das Wesentliche, auf das es hier ankommt, und das namentlich bei Betrachtung der Curven ausser- ordentlich klar hervortritt, ist die Thatsache, dass die Vertheilung derReiz- werthe im Dispersionsspectrum des Nernstlichtes für das Auge von Eledone erheblich und typisch von den am Froschauge festgestellten Verhältnissen abweicht. Im ersten Falle haben die blaugrünen Strahlen (etwa 500 uu) maximalen Reizwerth, im zweiten dagegen findet sich das Reizwerthmaximum viel weiter nach dem langwelligen Ende des Spectrums hin, nämlich im Gelb (589 uu) bezw. Gelbgrün (560 un). Dass ich diese Differenzen in den retinalen Reizbarkeitsverhältnissen des unter Wasser und des in der atmosphärischen Luft lebenden Thieres als Anpassungserscheinungen an die Lichtbedingungen der Umgebung auffassen zu müssen glaube, habe ich 201 470 H. Piper: 70 400 350 Fig. 1. 000 700 a7l ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 004 06% 008 ‘3 "14 08% 009 O0L 412 H. Piper: Tabelle IV. I 11 1II Scalentheil um 1 2 3 4 6 670 4-0 3:3 1:25 3:0 Hl 647 8 626 6-8 5.0 3-1 4-0 9 607 10 589 8:2 8:4 7-5 7:0 11 576 12 563 10-0 13 551 10:9 .12°5 11:0 14 540 15 531 13-6 12-5 13-7 13-0 16 5283 17 515 13.7 18 507 15:0 15:0 15-0 19 499 20 492 12:9 15-0 13-7 13:0 21 486 A 8-8 Ban laars 10-0 11-3 9-0 24 467 25 il 461 7-5 6-0 75 8-0 26 | 455 2 449 61 5.0 5:0 6°0 28 443 29 437 30 431 5°4 3:2 8:1 4:0 31 425 32 419 33 | 413 4-0 2:5 1:25 3:0 schon einleitend ausführlich begründet, und ich darf mich hier mit dem Hinweis auf das dort Gesagte begnügen. Noch eine weitere Thatsache, welche sich aus den am Eledoneauge angestellten Versuchen ergiebt, scheint mir beachtenswerth zu sein. Ver- gleicht man die Zahlenreihen der Tabelle I, welchen Messungen am Bulbus bezw. Bulbus-Ganglionpräparat zu Grunde liegen, mit denen der Tabelle IV, so fällt der nicht unerhebliche Unterschied der Reizwerthe der langwelligen Lichter auf. Bei den Versuchen, deren Ergebnisse Tabelle 4 enthält, diente als Präparat die hintere Scleraschale des äquatorial halbirten Bulbus, wobei die eine Elektrode am hinteren Augenpol, die andere der Netzhaut selbst anlag. Man erhält unter diesen Umständen in Folge der vermehrt zu- tretenden Liehtmenge und der Verringerung der Widerstände im Stromkreis ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA BEI ELEDONE MOSCHATA. 473 erheblich kräftigere Actionsströme, eine Thatsache, welche bei der Umrech- nung der Zahlenreihen auf den Maximalwerth 15 aus der Tabelle nicht mehr zu ersehen ist. Aber auch die Reizwerthrelationen der verschieden- welligen Lichter des Nernstlichtspectrums werden andere, als bei Ver- wendung ganzer Bulbi gefunden wurden. Tritt dieses schon in den Tabellen deutlich hervor, so kommt es in den Curven der vorstehenden Figur 2 sehr sinnfällig zur Anschauung. Vergleicht man die ausgezogenen Curven (Tabelle I) mit den punktirten (Tabelle IV), so sieht man, ohne Weiteres, dass die langwelligen Lichter, auf die Netzhaut direct auftreffend, (punktirte Curven) erheblich grösseren Reizwerth haben, als wenn sie im Bulbus- präparat zuvor die brechenden Medien haben passiren müssen (ausgezogene Curven). Diese Befunde dürften beweisen, dass die Netzhaut von Eledone nicht etwa, wie nach den Versuchen am ganzen Bulbus vermuthet werden konnte, gegen rothes Licht fast unempfindlich ist. Vielleicht darf man vermuthen, dass in diesen Versuchen die langwelligen Lichter deshalb durch relativ sehr geringe Reizwerthe vertreten erscheinen, weil sie durch die möglicher Weise grünlich oder bläulich gefärbten brechenden Medien grossen Theils absorbirt werden. Indessen solche Färbung ist nie festgestellt und sichere Aufschlüsse müssen künftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Uebrigens bezweifle ich nicht, dass sich mit empfindlicheren Instrumenten auch schwache Actionsströme am uneröffneten Bulbus bei Reizung mit rothem Licht werden nachweisen lassen. Dass auch für die frei gelegte und direct belichtete Netzhaut die blaugrünen Strahlen von etwa 500 uu Wellenlänge maximalen Reizwerth besitzen, wird aus Tabelle IV und aus den Curven ohne Weiteres ersichtlich sein. Dem Curatorium der Gräfin Bose-Stiftung, welches es mir durch Verleihung der Mittel ermöglichte, diese Untersuchung in Neapel durchzu- führen, erlaube ich mir an dieser Stelle meinen ergebensten Dank auszu- sprechen. 474 H. PırEr: ELEKTROMOTOR. VERHALTEN DER RETINA T. S. w. Litteraturverzeichniss. 1. Beck, Ueber die bei Belichtung der Netzhaut von Eledone moschata ent- stehenden Actionsströme. Pflüger’s Archiv. Bd. LXXVII. 2. Chatin, Sur la valeur comparee des impressions monochromatiques chez les Invertebrees. Compt. rend. T.XC. p. 41. 3. Dewar und M. Kendrick, On the physiological action of light. Trans- actions Roy. Soc. of Edinburg. Vol. XXVI. 4. Th. W. Engelmann, Ueber elektrische Vorgänge im Auge bei refleetorischer und directer Erregung der Gesichtsnerven. 5. Derselbe, Farbe und Assimilation. Botanische Zeitung. 1883. Nr.1 und 2. 6. Sigm. Fuchs, Untersuchungen über die im Gefolge der Belichtung auftreten- den galvanischen Vorgänge in der Netzhaut und ihren zeitlichen Verlauf. Pflüger’s Archiv. Bd. LVI und Bd. LXXXIV. 7. Holmgren, Ueber die Retinaströme. Untersuchungen aus dem physiologischen Institut der Universität Heidelberg. Bd. III und IV. 8. Himstedt und Nagel, Ueber die Einwirkung der Beequerel- und der Röntgenstrahlen auf das Auge. Annalen der Physik. 4. Folge. Bd. IV. 9. Dieselben, Die Vertheilung der Reizwerthe für die Froschnetzhaut im Dis- persionsspectrum des (aslichtes, mittels der Actionsströme untersucht. Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. 1901. Bd. XI. 10. Dieselben, Versuche über die Reizwirkung verschiedener Strahlenarten auf Menschen- und Thieraugen. Festschrift der Universität Freiburg zum 50jährigen Regierungsjubiläum seiner königl. Hoheit des Grossherzogs Friedrich von Baden. Freiburg 1902. 11. Kopsch, Das Augenganglion der Cephalopoden. Vorläufige Mittheilung. Anatomischer Anzeiger. Bd. XI. Nr. 12. 12. Kühne und Steiner, Ueber das elektromotorische Verhalten der Netzhaut. Untersuchungen aus dem physiologischen Institut zu Heidelberg. 1880. Bd. III. 13. Dieselben, Ueber elektrische Vorgänge im Sehorgan. Zbenda. 1881. Bd. IV. 14. Lenhossek, Zur Kenntniss der Netzhaut der Cephalopoden. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. LVIl. 15. Waller, Points relating to the Weber u. Fechner law. Retina, muscle, Nerve. Brain. Vol. XVII. 16. Derselbe, On the retinal currents of the frog’s eye excited by light and excited electrically. Proceedings Roy. Soc. Vol. LXVI. Zur Frage der paradoxen Pupillenerweiterung. Von Dr. Georg Levinsohn. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes der Universität Berlin.) Das auffallende Verhalten der Pupille nach der Durchschneidung des Halssympathicus bezw. Exstirpation seines obersten Ganglions ist in letzterer Zeit des Oefteren studirt und erörtert worden. Wir begegnen dabei auch hier der leider nicht seltenen Erscheinung, dass die Discussion, welche diese Frage hervorgerufen hat, sich weniger mit den thatsächlichen Ergebnissen beschäftigt, da in Bezug auf diese Widersprüche und Zweifel kaum vor- handen sind, als mit den Erklärungen, welche das Zustandekommen der Pupillenveränderung deuten. Da aber den letzten Publicationen über dieses Thema eine gewisse Einseitigkeit anhaftet, indem nicht allen thatsächlichen Verhältnissen genügend Rechnung getragen wird, so mag es gestattet sein, unter Zusammenfassung des einschlägigen Materials nochmals auf die Frage der paradoxen Pupillenerweiterung mit kurzen Worten einzugehen. Schon früher ist von mir betont worden, dass das Verhalten der Aus- fallserscheinungen nach der Sympathicusdurchschneidung bezw. Ganglion- exstirpation am besten an der Pupille beobachtet werden kann. Das hier in Frage kommende Untersuchungsobject, die Muskeln der Iris sind im Gegensatz zu den glatten Muskeln der Lider und der Nickhaut sowohl anatomisch wie physiologisch sehr genau studirt und bekannt. Wir wissen heute, dass an der Existenz eines dilatirenden Irismuskels ein Zweifel nicht mehr möglich ist, ebenso wie wir mit der Nervenversorgung der Iris und der Wirkungsweise verschiedener Reizmittel auf dieselbe auf’s Beste ver- traut sind. Ganz anders dagegen stehen wir den Functionen der Lidspalte und der Nickhaut gegenüber. Abgesehen davon, dass die Verhältnisse der ersteren nach der Ganglionausrottung durch das Vorhandensein von quer- 4716 GEORG LEVINSOHN: gestreiften Muskeln \Örbicularis, Levator palpebrae) und deren Nerven (Facialis, Oculomotorius) an und für sich schon complicirter als bei der Pupille sind, sind unsere Kenntnisse der glatten Orbitalmuskeln zur Zeit äusserst dürftigee So wurde bis vor Kurzem von der Nickhaut nur an- gegeben, dass eine Bewegung derselben nicht auf directem Wege, sondern nur indirect durch Contraction anderer Muskeln möglich sei. Diese Auf- fassung kann unmöglich richtig sein, wenn man bedenkt, dass nach starker Herabsetzung der Reizbarkeit eine Reizung des Oculomotorius bei der Katze die Nictitans noch über die ganze Hornhaut zieht, während der Augapfel bei demselben Oculomotoriusreiz völlig bewegungslos bleibt (Langley!, Levinsohn?. Wenn Lewandowsky? zum Beweise gegen die Existenz eines solchen glatten Protrusor nictitantis sich auf einen Versuch Langley’s bezieht, bei welchem die Oculomotoriusreizung nach Curarisirung des Thieres eine Protrusion der Nictitans nicht mehr zur Folge hat, so berührt dieser Einwand zunächst eigenartig. Denn er entstammt derselben Arbeit, in welcher Langley eben nachweist, dass eine Oculomotoriusreizung ganz unabhängig von einer Augenbewegung eine Vortreibung der Nickhaut zur Folge hat, dass demnach ein eigener Protrusor nictitantis existiren muss. Uebrigens steht der negative Ausfall der Oculomotoriusreizung nach Curari- sirung des Thieres bezüglich der Nickhaut in gleicher Weise zu erwarten, wie ja auch die Pupillenverengerung in diesem Falle ausbleibt.* Die Ver- sorgung eines glatten Muskels durch den Oculomotorius wäre auf directem Wege von vornherein höchst unwahrscheinlich und wird nur in der An- nahme wahrscheinlich, dass der Gehirnnerv durch ein sympathisches Gang- lion unterbrochen wird und in diesem seinen spinalen Charakter ändert. Das Verhalten des Oculomotorius bei der Nietitans dürfte demnach dem- jenigen bei der Pupille durchaus identisch sein. ! The action of nicotin on the Ciliary Ganglion and on the end. of the III. Cran. Nerol. Langley Journ. of phys. Vol. XII. ® Ueber den Einfluss des Halssympathicus auf das Auge. Archiv für Ophthal- mologie. Bd. LV. Heft 1. ® M. Lewandowsky, Ueber das Verhalten der glatten Augenmuskeln nach Sympathicusdurchschneidung. Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. * Da letztere Thatsache aus der Langley’schen Arbeit nicht genügend ersicht- lich ist, so stellte ich selbst entsprechende Versuche beim Kaninchen an. Es zeigte sich, dass nach leichter Curarisirung des Thieres eine Reizung des Oculomotorius an der Gehirnbasis mit elektrischen Strömen nur eine geringe Hebung des Oberlides zur Folge hatte, während das Auge selbst und die Pupille völlig unbeweglich blieben. Nach sofortiger Enucleation desselben Auges und Reizung von den kurzen Ciliarnerven aus erfolgte prompte Pupillenverengerung. Ob das Curare in diesem Falle die Nerven- endigungen des III. Gehirnnerven oder die Zellen des Ganglion ciliare gelähmt hat, mag dahingestellt bleiben. ZUR FRAGE DER PARADOXEN PUPILLENERWEITERUNG. 477 Aus den genannten Gründen begegnet daher eine Analyse der Lid- spaltenveränderungen und der Lage der Nickhaut nach Sympathicusopera- tionen ganz besonders grossen Schwierigkeiten; es soll demnach hier nur das Verhalten der Pupille berücksichtigt werden. Um ein richtiges Urtheil über die Pupillenveränderung nach der Sympathicusdurchschneidung bezw. Ganglionexstirpation zu gewinnen, ist es nothwendig, die Operation nur auf einer Seite auszuführen, die andere Seite aber intact zu lassen. Da eine einseitige Operation am Halssympathicus auf die andere Seite nicht den geringsten Einfluss ausübt, wird allein auf diesem Wege ein exacter Ver- gleich zwischen gesunder und kranker Seite ermöglicht. Als wichtigstes Ergebniss sowohl nach der Sympathicusdurchschneidung, wie nach der Ganglionexstirpatiin muss zunächst die Thatsache betont werden, dass die Pupille nicht nur enger wird, sondern auch enger bleibt, als auf der gesunden Seite. Nach der Sympathicusdurchschneidung ist die Pupillendifferenz ständig eine sehr grosse, nach der Ganglionexstirpation verkleinert sie sich mit der Zeit allerdings, aber auch in diesem Falle bleibt gewöhnlich in der Pupillenweite ein Unterschied zu Gunsten der gesunden bestehen. Eine Vergleichung dieser beiden Factoren macht es verständlich, warum bei einseitiger Sympathicusresection und anderseitiger Ganglionentfernung bei demselben Thiere die Pupille auf der letzteren Seite mit der Zeit weiter wird, als die Pupille auf der Seite der Sympathicus- resection. Wenn wir von den Blutgefässen, die auf die Pupillenweite nur einen untergeordneten und hier ausser Acht zu lassenden Einfluss besitzen, ab- sehen, so spricht die Pupillenverengerung unzweideutig für ein Nachlassen des Dilatatortonus. Im vollen Einklang hiermit steht das Ausbleiben einer Pupillenerweiterung bei localer Reizung des Dilatator pupillae mit elek- trischen Strömen. Ist aber die musculöse Spannung des Dilatators nach der Ganglionexstirpation zunächst unter gewöhnlichen Verhältnissen dauernd herabgesetzt, wenn nicht ganz geschwunden, so geht es nicht an, wie dies Roebroeck!, Langendorff?, Lewandowsky°, Anderson“ thun, dieselbe im Gegentheil als eine erhöhte anzusprechen. Diese Autoren begehen den Fehler, die unter pathologischen Umständen eintretende höhere Reizbarkeit des entnervten Dilatators zum Ausgangspunktihrer Betrachtungen zu machen. ıJ.H.M. Roebroeck, Het Ganglion supremum colli nervi sympathici. Utrecht 1895. ® O0. Langendorff, Ueber die Beziehungen des oberen sympathischen Hals- ganglions zum Auge. Klin. Monatsbl. für Augenheilkunde. 1900. 8.129. 3 Ueber die Automatie des sympathischen Systems u. s. w. Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Bd. LI. * H. K. Anderson, Cervic. Sympath. and Ganglion. Journ. of physiol. 1903. 478 (FEORG LEVINSOHN: Es muss aber bezüglich des Dilatatortonus nach der Ganglionexstirpation scharf das gewöhnliche Verhalten von dem unter Hinzufügung einer neuen Maassnahme herbeigeführten getrennt werden. Denn diese beiden Zustände stehen in einem gewissen Gegensatz zu einander und machen dadurch erst den Begriff der paradoxen Pupillenerweiterung möglich. Die stärkere Erweiterung der Pupille kann auf zweierlei Weise herbei- seführt werden, einmal durch Beeinflussung des Pupillenverengerers, und hier zwar in lähmendem Sinne oder durch Irritation des Dilatators und dann in reizendem Sinne oder schliesslich durch Addition der beiden Factoren. Von Mitteln, welche ganz allgemein nach der Ganglionexstirpation eine stärkere Erweiterung auf der Operationsseite bedingen, wirken vorzugsweise die psychische Erregung, Chloroform- bezw. Aethernarkose, Chloral, Curare, Atropin und die Asphyxie. Es liegt nahe, dass die Pupillenerweiterung, welche diese Mittel auslösen, nicht stets in gleicher Weise zu Stande kommen dürfte, und wir können hier mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die lähmenden von den reizenden Mitteln scheiden. Zu den ersten können un- schwer das Atropin, Chloral, Curare, die Narkose und zum Theil auch die Erregung gezählt werden, denn wie schon irüher gezeigt worden ist!, wirkt die Erregung pupillenerweiternd sowohl durch Lähmung des Sphincter- wie durch Reizung des Dilatatormuskels. Zu den Mitteln, denen gegenüber der entnervte Dilatatormuskel eine erhöhte Erregbarkeit besitzt, gehören die Asphyxie, die psychische Erregung und in gewissem Stadium wahrscheinlich auch die Narkose?; die Vorstellung, dass die Reizbarkeit eines entnervten glatten Muskels, also eines stark veränderten Gewebes, derjenigen eines nor- malen, glatten Muskels gegenüber für gewisse Reize erhöht ist, dürfte kaum Schwierigkeiten bereiten. Weniger leicht verständlich ist es, wie das Zu- standekommen der Pupillenerweiterung durch Beeinflussung von lähmenden Mitteln zu deuten ist. Denn der Sphincter iridis, um den es sich hier handelt, besitzt, wie wir wissen, zum Halssympathicus keine Beziehung. ! G. Levinsohn, Ueber die Beziehungen zwischen Grosshirnrinde und Pupille. Zeitschrift für Augenheilkunde. Bd. VII. Heft 5. ° Hierzu muss auch der Extract der Nebenniere gerechnet werden. Da dieses Mittel in schwacher Lösung nicht ünmittelbar, sondern erst einige Zeit nach der Ganglionexstirpation pupillenerweiternd wirkt (8. J. Meltzer und Clara Meltzer, Centralblatt für Physiologie. 1903. Bd. XXIl. S. 651), so glaubte ich von der An- nahme ausgehend, dass die Erregbarkeit des entnervten Dilatators mit der Zeit wächst, durch Einträufelung von Nebennierenextract am ersten und den darauf folgenden Tagen nach der Exstirpation beim Kaninchen eine allmähliche Steigerung der Pupillenerweite- rung herbeiführen zu können. Doch es zeigte sich, dass, während die Pupille unmittel- bar nach der Exstirpation, ebenso wie die der intacten Seite ständig, auf Nebennieren- extract gar nicht reagirte, eine Einträufelung schon 22 Stunden nach der Ganglion- entfernung das Maximum der Mydriasis auslöste, das.an den folgenden Tagen bei er- neuten Instillationen keine Zunahme erfuhr. ZUR FRAGE DER PARADOXEN PUPILLENERWEITERUNG. 479 Bevor wir dieser Frage näher treten, erscheint es zweckmässig eine andere Erscheinung nach der Ganglionexstirpation ins Auge zu fassen, nämlich die allmähliche, wenn auch gewöhnlich nicht vollständige Rückbildung der Pu- pillenverkleinerung. Dass diese Rückbildung durch eine Wiederherstellung der aufgehobenen Dilatatorspannung bedingt wird, ist in hohem Grade un- wahrscheinlich, da, wie schon bemerkt, die locale Reizung des Dilatators selbst mit starken elektrischen Strömen in diesem Falle negativ ausfällt. Viel grössere Berechtigung schien mir daher bei näherer Betrachtung eine Ver- muthung Budges zu besitzen, der annahm, dass in dem Grade, als die museulöse Spannung des Dilatators erlischt, auch im Antagonisten desselben sich eine Herabsetzung des Tonus bemerkbar macht. Für diese Auffassung gelang es mir einen exacten Beweis zu erbringen.! Es zeigte sich nämlich, dass unter gleichen Bedingungen bei Einträuflung schwacher Eserinlösungen die der ganglionlosen Seite entsprechende Pupille sich langsamer und auch nicht so intensiv contrahirt, als auf der gesunden Seite. Die verlangsamte und geschwächte Contractionsfähigkeit des Pupillenverengerers ist somit ein Beweis dafür, dass die normale Sphincterspannung Einbusse erlitten hat. Nun hält Anderson? diesem Eserinversuche entgegen, dass die Affen, bei denen die Einträuflung vorgenommen wurde, da es sich um wilde Thiere handelte, vorher Chloroform bekommen hatten, und demgemäss schreibt er die geringere Pupillenverengerung diesem Mittel und nicht einer vorhandenen Sphineterschwäche zu. Analog dieser Auffassung zeigt Anderson, dass eine 5procentige Eserinlösung die Pupille der ganglionlosen Seite stärker als der gesunden verengt. Beide Einwände sind nicht stichhaltie. Denn einmal habe ich bei Kaninchen, die überhaupt kein Betäubungsmittel er- halten haben, mit schwachen Eserininstallationen dasselbe Verhalten der Pupillen wie bei den Affen gefunden, und dann war eine Jähmende Wirkung der sehr geringen Chloroformmenge an den Pupillen der Affen in keiner Weise bemerkbar. Die Pupillen dieser Thiere verengten sich langsam und ununterbrochen, ohne dass zu irgend einer Zeit die Wirkung des Chloro- forms, die, wenn überhaupt, sich in einer Erweiterung bemerkbar machen müsste, eingetreten wäre, Uebrigens ist von mir bei der Wirkungsweise des Eserins in erster Linie auf das Tempo der Pupillenverengerung hinge- wiesen und betont worden, dass diese auf der ganglionlosen Seite sich wesentlich langsamer vollzieht, als auf der gesunden. Und was die Ander- son’schen Versuche mit 5 procentigem Eserin anbetrifft, so handelt es sich um ein derartig stark wirkendes Mittel, dass es unmöglich angeht, dieses zum Nachweis feiner Spannungsunterschiede in glatten Muskeln zu benutzen. 1 G. Levinsohn, Ueber den Einfluss der Lähmung eines Irismuskels auf seinen Antag. Klin. Monatsbl. für Augenheilkunde. 1900. ” A.2.0. 480 GEORG LEVINSOHN: Auch von anderer Seite ist die geringere Wirksamkeit des Eserins nach der Ganglionexstirpation erkannt und im Sinne einer Herabsetzung des Sphinetertonus gedeutet worden, so von Lodato.! Dieser Autor bringt indess die Sphincterparese zur Ganglionexstirpation in eine directe Beziehung. Indem er sich der Auffassung Angelucci’s? anschliesst, der gefunden hat, dass alle Ciliarnerven, auch die langen, bei der Katze in’s Ganglion ciliare einmünden, und dass die pracellulären Fasern des Ganglion ciliare nach Exstirpation des Ganglion cervicale supremum degeneriren, findet Lodato einige Zeit nach dieser Exstirpation das Ganglion ciliare in leichter Weise verändert. Wenn man berücksichtigt, dass nach der heute herrschenden Anschauung eine directe Beziehung des Sympathieus zum Ganglion ciliare nicht existirt, und wenn man bedenkt, dass auch normaler Weise sehr häufig ähnliche, leichte Veränderungen in sympathischen Ganglien vor- kommen, wie sie Lodato nach der Ganglionexstirpation im Ganglion ciliare beschrieben hat, so wird man gegen die Schlussfolgerungen dieses Autors gewisse Bedenken nicht unterdrücken können. Langendorff? wendet gegen den Eserinversuch ein, dass er ebenso für eine stärkere Zugfähigkeit des Dilatators als eine Schwäche des Sphincters spreche. Er übersieht dabei, dass die Instillationen unter gleichen Be- dingungen vorgenommen werden, und dass es unmöglich ist, von einem er- höhten Dilatatorzuge zu sprechen, da, wo die Pupille der operirten gegen- über der der intacten Seite von vornherein verengert erscheint, dieses Ver- hältniss dagegen sich erst nach der Einträufelung umdreht. Die Schwäche des Sphinctertonus nach der Ganglionexstirpation beweist ausser der geringen Wirksamkeit des Eserins der Grünhagen’sche Tono- meterversuch, sowie der mikroskopische Irisbefund.. Grünhagen‘ zeigte, dass der Sphincter iridis einige Zeit nach der Ganglionentfernung auf phy- sikalisch nachweisbarem Wege gegenüber demjenigen der gesunden Seite eine deutliche Einbusse erleidet, und die mikroskopische Betrachtung? liess Veränderungen am Sphincter erkennen, die man wohl als den anatomischen Ausdruck einer Erschlaffung des Sphinctermuskels auffassen darf. Schliesslich konnte an einer grösseren Reihe menschlicher Pupillen ganz allgemein gezeigt werden,° dass nach Aufhebung oder Schwächung 1 G. Lodato, Archivio di Ottalmologia. 1902. Sulla Cosidetta Dilatazione paradossate della pupilla etc. ? Angelucci, Archivio di Ottalmologia. 1899—1900. Vol. VI. ® O. Langendorff, Zur Deutung der paradoxen Pupillenerweiterung. Klin. Monatsbl. für Augenheilkunde. 1900. S. 823. * Grünhagen, Pflüger’s Archiv. Bd. XXXII. 8.59 und Bd. LIU. S. 348. 5 Levinsohn, a. a. 0. 6 G. Levinsohn und M. Arndt, Ueber die Einwirkung der gebräuchlichsten Pupillenreagentien u. s. w. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Bd. XX. S. 397. ZUR FRAGE DER PARADOXEN PUPILLENERWEITERUNG. 481 des Tonus eines Irismuskels stets eine Herabsetzung im Tonus des Anta- gonisten eintritt. | Ob aber die Beeinflussung des Antagonisten sich vermittelst der die Muskel versorgenden Nerven vollzieht, oder direct sich nur an ersteren ab- spielt, mag dahin gestellt bleiben. Jedenfalls hat sich die Braunstein’- sche! Annahme als irrig erwiesen. Diese Auffassung, nach welcher die Herabsetzung des Sphinctertonus auf Reizung corticaler Hemmungscentren bezogen wird, musste fallen gelassen werden, nachdem sich gezeigt hatte, dass eine Exstirpation der in Frage kommenden Rindenpartieen auf das Zustandekommen der paradoxen Pupillenerweiterung nicht den geringsten Einfluss besitzt.? Mit einer Herabsetzung des Sphinctertonus mehr oder weniger längere Zeit nach der Ganglionexstirpation muss also in jedem Falle als mit einer sicher bewiesenen Thatsache gerechnet werden. Diese Thatsache erklärt zunächst in exacter Weise die theilweise Rückbildung der Pupillenverengerung. Sie trägt aber auch sehr wesentlich zum Verständniss derjenigen Formen von paradoxer Pupillenerweiterung bei, die durch sphineterlähmende Mittel bedingt werden. Es ist ersichtlich, dass diese Mittel, wenn sie einen schon geschwächten Sphinctertonus treffen, diesen viel leichter aufheben werden, als einen normalen. Demgemäss tritt bei Einwirkung dieser Mittel viel früher eine Pupillenerweiterung ein und hält auch viel länger an auf der sanglionlosen, als auf der gesunden Seite. Es bleibt noch übrig, auf den Unterschied der Pupillenverhältnisse nach der Ganglionexstirpation und der Sympathicusdurchschneidung einzu- gehen. Schon oben ist gezeigt worden, dass nach der Sympathicusdurch- schneidung gleichfalls eine Rückbildung der Pupillenverengerung eintritt, nur dass sie sich hier wesentlich langsamer und auch nicht so intensiv vollzieht, als nach der Ganglionausrottung. In gleicher Weise ist auch die Wirkung der oben genannten reizenden und lähmenden Mittel auf die Iris- muskeln nach der Sympathicusdurchschneidung im Gegensatz zur Ganglion- ausrottung eine auffallend geringere. Zum besseren Verständniss für diese Erscheinung mag auf eine anatomische Arbeit hingewiesen werden’, in welcher der Nachweis geführt wurde, dass nach Sympathicusdurchschneidung immer nur ein Theil, wenn auch der grössere der Zellen des obersten sympathischen Ganglions beeinflusst wird, während die übrigen Zellen sich vollkommen functionsfähig erhalten. Es ist ferner im hohen Grade wahr- ! Braunstein, Zur Lehre von der Innervation der Pupillenbewegung. Wies- baden 1894. 2 Levinsohn, 2.2.0. ® G. Levinsohn, Ueber das Verhalten des Ganglion cervicale supremum u. s. w. Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. S. 438. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 31 482 G.LEVImNSOoHN: ZUR FRAGE DER PARADOXEN PUPILLENERWEITERUNG. scheinlich gemacht worden, dass die Functionsfähigkeit dieser Zellen auf hochgelegene Verbindungszweige des Ganglions zurückgeführt werden muss. Dieser anatomische Nachweis steht mit dem physiologischen Befunde in vollem Einklang. Es fand sich nämlich, dass die nach der Sympathicus- resection verengte Pupille noch enger wird, wenn zur Resection die Exstir- pation des Ganglion hinzutritt; es ist ferner nach der Sympathieusdurch- schneidung der untere Theil des Ganglions für den elektrischen Strom un- erregbar, während eine Reizung des oberen Theiles prompte Pupillenerweiterung herbeiführt. Alle diese Beweise sprechen für das Erhaltensein eines gangliösen Tonus, unabhängig vom Halssympathicus, aber nicht unabhäneig vom Cerebrospinalnervensystem. Die theilweise Erhaltung des gangliösen Tonus und weiterhin der Dilatatorspannung nach der Sympathicusreseetion dürfte demnach die Ur- sache für die geringere Beeinflussung des Antagonisten, des Sphincter iridis sein. Auf diese Weise erklärt sich einmal die geringe Tendenz zur Rück- bildung Seitens der Pupillenverengerung nach der Sympathicusdurch- schneidung und zweitens, die im Gegensatz zur Ganglionexstirpation wesentlich erschwertere Auslösung paradoxer Pupillenerweiterung. Denn beide Factoren, welche auf das Auftreten paradoxer Pupillenerweiterung Einfluss haben, sowohl die Herabsetzung des Sphinctertonus, als die stärkere Erregbarkeit des Dilatators in Folge völliger Entnervung werden nach der Sympathicusresection nur zum Theil manifest. Der salzige Geschmack und der Geschmack der Salze. Von Dr. med. Wilhelm Sternberg, pract. Arzt in Berlin. Die Chemie hat derjenigen Wissenschaft, an deren Entwickelung sie späterhin den grössten Antheil genommen hat, der Physiologie, die funda- mentalsten Begriffe für ihre Objecte entlehnt; und zwar ist es auf dem Gebiete der Physiologie der chemische Sinn, nämlich das Sinnespaar des Geruches und Geschmackes, das der Chemie bis auf den heutigen Tag die ersten principiellen, weil unmittelbarsten, unterscheidenden Merkmale und Bezeichnungen geliefert hat, welche diese selbst dann noch als die populäreren und eingebürgerten in der Wissenschaft beibehalten hat, nachdem sie längst schon eine internationale, rationelle Nomenclatur eingeführt hatte. Von der richtigen Annahme geleitet, dass die Differenzen, die sich schon durch diese äusseren sinnfälligen Eigenschaften des chemischen Sinnes kundgeben, auf tiefergreifende chemische Unterschiede hinweisen, hat die Chemie dieselben mit grossem Vortheil benutzt, um die chemischen Individuen zu erkennen und sogar zu gruppiren. Geruch und Geschmack waren daher auch die ersten constanten Grössen, zu denen erst viel später die in exacte, mathe- matische Form sich fügenden chemischen und physikalischen Grössen traten. Wie die physiologische Qualität des Geruches den Grundstoffen Brom !, Osmium! und Ozon!, dem Kakodyl! und der grossen Gruppe der „aroma- tischen“ Verbindungen den Namen gegeben hat, so kann auch heute noch die Geruchsprobe mittels der Nase nicht nur mit allen chemikalischen Proben concurriren, sondern übertrifft in quantitativer Hinsicht sogar noch die schärfste aller chemischen Methoden, die optische, die Spectral- analyse. Die Sinnesschärfe ist eben für den Geruchssinn die feinste. Schätzen Kirchhoff und Bunsen? die für das Auge noch erkennbaren 1 Bomuoc; 00un; 0Leıy; zux0S Odeir. ? Poggendorff’s Annalen. Bd. CX. 8. 168. 31* 484 WILHELM STERNBERG: Mengen des Na-Salzes auf weniger als 1:300000"e, eine Menge, die 1:1400000 =s Na. entsprechen würde, so ist für die Nase, den feinsten aller Sinne, schon eine 250 Mal kleinere Menge Mercaptangehalt! in der Luft erkennbar, so dass diese ausserordentliche Empfindlichkeit der Nase den Forschern sogar den Gedanken nahe gelegt hat, dies praktisch als chemisches Reagens zu benutzen bei Versuchen über Luftströmungen, Dif- usionen von Gasen, bei der Prüfung von Ventilationsvorrichtungen oder bei geologischen und bergmännischen Studien, und dass Berthelot? ein eigenes Verfahren angegeben hat zur Bestimmung der Grenze der Geruchs- empfindung. Die physiologische Qualität des Geschmackes vollends ist für die gesammte Chemie nahezu von der nämlichen Bedeutung geworden, wie die der physikalischen Grössen, ihr hat die Chemie Benennungen wie „Glyeium“, „Süsserde“, „Sauerstoff“, „Pierinsäure“, „Bittererde“, „bitteres oder Bittersalz“, „versüsste Säuren“, „versüsster Salzgeist“ und den Begriff der „Sättigung“ u. a. m. entnommen, man spricht von gesättigten, über- sättigten Lösungen, ebenso auch von gesättigten und ungesättigten Ver- bindungen; und es ist geradezu auffallend, einer wie geraumen Zeit die chemische Wissenschaft bedurft hat, dieser physiologischen (Qualität die chemischen und physikalischen Qualitäten an die Seite zu setzen, wofür ein classisches Beispiel die Zuckerproben sind. Denn die Zeit liegt noch gar nicht so fern, da der Arzt, wenn anders er zur Entscheidung der Frage gelangen wollte, ob Zuckerkrankheit vorliegt oder nicht, dieselbe Probe aus- zuführen gezwungen war, welcher wir auch die Entdeckung der Krankheit überhaupt zu verdanken haben, die Geschmacksprobe, nämlich mit der Zunge den Urin zu kosten. Den von der praktischen Medicin tagtäglich will- kommen empfundenen Ersatz dieser Geschmacksprobe durch die chemi- kalische Gesichtsprobe, hat die Chemie daher einem Arzt zu verdanken, dem Berliner Assistenten Mitscherlich’s, Trommer, über dessen Versuche, den Traubenzucker noch in sehr geringer Menge durch die nach ihm be- nannte chemische? Farbenprobe zu erkennen, Mitscherlich am 21. Juni 1841 in der Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe an die Akademie der Wissenschaften berichtete. Aber nicht nur für chemisch noch nicht genügend durchforschte Gruppen der organischen Chemie, wie es bis vor ! Emil Fischer und Franz Penzoldt, ‚Ueber die Empfindlichkeit des Geruch- sinnes.“ Justus Liebig’s Annalen der Chemie. 1887. Bd. COXXXIX. S. 131. ® Berthelot, „Bemerkungen über die zur Bestimmung der Grenze der Geruchs- empfindung geeigneten Verfahren.“ 1901. Ann. Chim. Phys. (VII). XXI. S. 460 — 464. ® Trommer, „Unterscheidung von Gummi, Dextrin, Traubenzucker und Rohr- zucker.‘“ Annalen der Chemie und Pharmacie. 1841. Bd. XXXIX. 8.360. Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1841. 8. 222. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 485 Kurzem auch die „Zucker“ noch waren, und wie es die „Bitterstoffe‘“ heute noch sind, sondern auch für zwei der grössten, anorganische und organische Chemie zugleich umfassenden, in chemischer Hinsicht sogar besterkannten Gruppen, hat das Prineip des Geschmackes bis auf den heutigen Tag das dauernde generelle Kennzeichen geliefert; für die Salze sowie für die Säuren, welche man später ebenfalls als Salze, die Wasserstoffsalze, aufgefasst hat, muss der Geschmack, also der saure und der salzige Geschmack, die Eintheilung abgeben. Dient doch auch heute noch neben der Gesichts- probe der Farben-Reactionen der saure Geschmack als werthvolles Er- kennungsmittel für gewisse Säuren, ja Richards! war sogar im Stande, mit Hülfe des sauren Geschmackes quantitative acidimetrische Bestimmungen auszuführen, wobei sich mit Zehntel Lösungen eine ganz unerwartete Ge- nauigkeit der Säurebestimmung noch innerhalb eines Procentes ergab. Dass ebenso auch der salzige Geschmack in der gesammten Öhemie eine grosse Rolle spielt, bedeuten die geläufigen Begriffe und Namen wie „Salze“, „salzige Säure = Salzsäure“, „saure Salze“, „doppelt saure Salze“, „Salzbildner“ („Halogene“), zumai die Thatsache, dass sogar die „Salzbildung“ ein vor- bildlicher Process geworden ist, und man auch von einer „inneren Salz- bildung“ spricht. Es dürfte daher für die Chemie die vornehmste Aufgabe sein, nunmehr auch der Physiologie früheren Schutz und Beistand lohnend, einmal nach- träglich nachzuprüfen, ob diese physiologische Eigenschaft des salzigen Ge- schmackes, die ja den Begriff dieser Classe von chemischen Verbindungen längst nicht mehr erschöpft, den Salzen in der That stets zukommt oder in wie weit sie ein nothwendiges Attribut dieser Verbindungen darstellt. Die nämliche Aufgabe fällt auch der Physiologie zu, nämlich die nur durch ihre Hülfe gewonnenen chemischen Thatsachen zu sammeln und diese nun geradezu zu benutzen, um das Problem des chemischen Sinnes zu lösen; da der Chemismus des sauren, sowie des süssen und bitteren Ge- schmackes der Erforschung leichter zugänglich war und darum auch bereits eher erkannt ist, so bleibt gerade der Zusammenhang der letzten Ge- schmacksqualität, des salzigen Geschmacks, mit dem Chemismus nun noch zu ergänzen. Für Untersuchungen des Geschmackes sind im Allgemeinen nur lösliche, leicht diffundirbare und chemisch indifterente Verbindungen erforderlich. Wenn freilich auch die nicht indifferenten Säuren durch einen besonderen Geschmack ausgezeichnet sind, so ist zu bedenken, dass diese Qualität ihnen ! Richards, The relation of the taste of acids to their degree of dissociation. American Chemical Journal. 1878. Voi. XX. No. 2. Februar 1878. — „That the sense of taste might be used more precisely in the laboratory than is usually believed.“ 486 WILHELM STERNBERG: auch nur in indifferenten Verdünnungen zukommt. Jedenfalls bildet gerade die indifferenteste, zugleich zahlreichste und schon deshalb wichtigste Gruppe chemischer Verbindungen, die Gruppe der Salze, das geeignetste und zugleich dankbarste Object. Die Geschmacksuntersuchung gerade dieser Gruppe ist jetzt um so mehr angezeigt, da unsere Auffassung vom Wesen und Verhalten dieser Gruppe die durchgreifendsten und deshalb interessantesten Umwand- lungen erfahren hat. Das Wort „Salz“, mithin die Kenntniss des Salzes, also auch des salzigen Geschmackes muss bei allen Völkern uralt sein. Darauf deutet schon die unverkennbare Verwandtschaft der Bezeichnung für Salz in sämmtlichen! europäischen Sprachen: griechisch &is, lateinisch sal, gothisch salt, slavisch soli, irisch salan, kambrisch halen. Viele hiermit verwandte Wörter, die in den verschiedensten Sprachen „Salz-Sumpf“ oder „Salz-Ge- wässer‘“ bedeuten, weisen darauf hin, dass das Salz jenen Völkern gleich beim Beginne ihrer Wanderungen in den grossen „Salz-Seeen“ Inner-Asiens, dem kaspischen, dem Aralsee u. a. zuerst entgegen trat. Hiermit stehen auch die verschiedensten deutschen Ortsnamen, die mit „Hall“ endigen, und die Flussnamen „Saale“ in Verbindung, welche sämmtlich Zuflüsse von Salzquellen empfangen. Man spricht im Allgemeinen von „Salzwüsten“, „Salzsteppen“, „Salz- spindel“, „Salzquellen“, „Salzwerken = salina“, „Salzgärten“, „Salzpfanne“, „Salzthon“, „Salzgeist“, „Englischem Salz“, „Schlippeschem Salz“, „Riechsalz“, „Flüchtigem Salz“, „Salzpflanze“, „Salzsäure“, „Salzsole“, „Salzsteuer“. Ebenso heisst man speciell Orte auch wie Salzgebirge, Salzschlirf, Salza, Salzach, Salzbrunn, Salzburg, Salzkammergut, Salzseeen, Salzseestadt in Amerika, Salzungen, Salzwedel, Salzmeer = Todtes Meer, Salzig, bei Coblenz eine schwache Salzquelle, den grossen „Salzsee „Great Salt Lake“ im Staat Utah, eine der stärksten Salzsolen der Welt, der gänzlich auszu- trocknen droht. Der alten Reichs- und Salzstadt Schwäbisch Hall verdankt eine der ältesten deutschen Münzen ihren Namen, nämlich der Heller (eigentlich Häller), da er zuerst daselbst geprägt wurde, um den Bedürfnissen des Handels leichter dienen zu können: Die bisherigen Untersuchungen über schmeckende Verbindungen er- geben, dass sich sämmtliche Geschmäcke gerade im Mineralreiche vorfinden: der salzige, der bittere, der süsse und der saure Geschmack. Die organische Chemie, das ausschliessliche Gebiet für unsere Nahrungsmittel, hat zwar den Vorzug, den süssen und den bitteren Geschmack am reinsten hervor- ! Nur in zwei der europäischen Sprachen finden wir abweichende Bezeichnungen für das Salz, nämlich „Kryp“ im Albanesischen und „druska“ im Littauischen, beide Bezeichnungen hängen mit Verben zusammen, welche „streuen“ bedeuten. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 487 zubringen, ihr mangelt aber dafür hinwiederum der reine Salzgeschmack, welcher seinerseits wieder auf das Mineralreich beschränkt bleibt. So hat die seit Alters her gebräuchliche Nomenclatur der Pharmakologie ihre Be- rechtigung, die mit dem Zusatz „salina‘“ die anorganischen Stoffe bezeichnet, ebenso der Ausdruck der Pathologie „Salzhunger“, welcher das Bedürfniss nach den anorganischen Salzen ausschliesslich bedeutet. Um so auffallender ist aber diese Thatsache, da die Salze des organischen Reiches gewiss nieht minder zahlreich sind, zumal wenn man noch den Salzen der organischen Säuren die den Haloidsalzen der anorganischen Chemie durchaus ent- sprechenden Halogensubstitutionsproducte der organischen Metalle oder Elemente, wie man die verschiedenen Radicale auch auffassen kann, als „Salze der organischen Chemie“, als die einfachsten Ester, und ausserdem die grosse Zahl der gewöhnlichen Ester hinzufügt. Die speciellen Untersuchungen über die süss und bitter schmeckenden Salze führtem zu dem Schlusse, dass der süsse und bittere Geschmack in ‚diesen Salzen nicht dem Säuretheil, gleichgültig ob dieser einer anorga- nischen oder organischen Säure angehörte, sondern dem positiven Basentheil zukommt, so dass die „Base“ mit Recht auch in dieser Hinsicht diese Be- zeichnung führt. Hat freilich die Säure einen Eigengeschmack, so giebt sie diesen auch ihren Salzen, wie ja dies auch bei der optischen Eigenschaft der Farbe und Färbung zutrifft. Dieser Fall tritt aber für den Geschmack über- haupt nur selten ein, zumal für Verbindungen im Mineralreich sehr vereinzelt, weshalb man für unsere Betrachtung diesen Fall zunächst, schon aus diesem Grunde, vernachlässigen könnte. Ueberdies ist aber auch der salzige Ge- schmack niemals ein Eigengeschmack einer Säure, es giebt eben keine einzige Säure, die salzig schmeckt, weder eine organische noch eine anorganische, die „salzige Säure = Salzsäure“ schmeckt nicht salzig, und saure Salze sind ja zur Hälfte noch Säuren; ebenso giebt es auch keine Base, die salzig schmeckt. Die moderne Chemie begründet den Begriff der „Säure‘“ mit ihrer Befähigung, „salzartige“ Gruppen zu bilden, ja die „Säuren“ fasst sie als „Salze“ auf. Dennoch ist der salzige Geschmack einzig und allein auf die Salze im engeren Sinne beschränkt; und in dieser Beziehung steht dem salzigen Geschmack nur noch der saure Geschmack zur Seite, der seinerseits wiederum nur auf die Säuren beschränkt ist, da es wiederum keine Base und kein neutrales Salz giebt, das sauer schmeckt. Während sich der süsse und ebenso der bittere Geschmack in den gänzlich von einander abweichenden hetero- logen Verbindungen findet, die den allerverschiedensten chemischen Reihen an- gehören, bleibt nur der saure und ebenso nur der salzige Geschmack lediglich auf diejenigen analogen chemischen Gruppen beschränkt, deren Eintheilungs- prinecip eben vom Geschmack geliefert und auch heute noch für die Chemie zu recht besteht, auf die Säuren einerseits und auf die Salze andererseits. 488 WILHELM STERNBERG: Der süsse Geschmack findet sich in der Gruppe der Kohlehydrate, unter den mineralischen Salzen, Säuren — freilich nur vereinzelt, und nur bei organischen Säuren — und ebenso auch in den aromatischen wie in den fetten Verbindungen, sogar unter den Alkalien. Der bittere Geschmack ist den Bitterstoffen, den organischen Alkalien, Säuren — freilich wieder nur vereinzelt und auch nur organischen Säuren — ebenso aber auch den Salzen eigen. Es giebt aber weder unter den Zuckern noch unter den Bitterstoffen, oder Alkaloiden, unter den neutralen Salzen oder Alkalien eine Ausnahme, die den sauren Geschmack besässe. Der salzige Geschmack ist selbst noch mehr beschränkt als der saure, sogar in doppeltem Maasse. Denn einerseits schmecken zwar alle Säuren ohne Ausnahme sauer; zudem giebt es aber auch Säuren, welche noch neben dem sauren Geschmack zugleich den bitteren besitzen, wie Pierin- säure, s. Welter’s Bitter, ebenso auch Säuren, die zugleich noch süss schmecken, wie z. B.Salicylsäure, Leimsüss, Glykokoll, „versüsste Säuren“ u.a.n. Andererseits schmecken aber nicht einmal alle Salze ohne Ausnahme salzig; und ausserdem giebt es zwar wohl Salze, die zugleich auch bitter, salzig und sauer, nicht aber ein einziges, dass salzig und zugleich süss schmecken würde. Geschmack und chemischer Begriff decken sich hier also am allerwenigsten. Bedenkt man, dass die Chemie sogar die Säuren als Unter- gruppe zu den Salzen im weiteren Sinne zählt, so wächst für die Chemie der Begriff der Salze in’s Unendliche, übertrifft jedenfalls ausserordentlich noch den der Säuren. Nimmt man nun aber hinzu, dass der salzige Ge- schmack eine auffallend singuläre Eigenschaft der Materie ist, dass derselbe auf die Salze im engeren Sinne, auch nur auf einige, sogar nur auf das Mineralreich beschränkt ist, ja dass der rein salzige Geschmack nur einigen, ganz wenigen, recht vereinzelten Verbindungen zukommt!, so zeigt sich hier die Differenz am klarsten: Es kommt der Salzgeschmack fast in der Einzahl nur, die Salze aber in unendlich grosser Mehrzahl vor. Hier ist das Verhältniss zwischen Geschmack und chemischem Begriff, den erst der Geschmack geschaffen hat, gerade umgekehrt wie bei den Zuckern. Zwar haben die Fortschritte der modernen Chemie ergeben, dass die Zahl der Zucker eine weit grössere ist, als man früher auch nur ver- muthen konnte; allein diese chemische Gruppe der Zucker, die dem Ge- schmack ihre Eintheilung und Bezeichnung ebenso zu verdanken hat, wie ! Oehrwall sagt: „Es ist schwer, Salze zu finden, die nur salzig (nicht auch zugleich sauer, bitter u. s. w.) schmecken.“ DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 489 die Gruppe der Salze, ist doch immerhin eine gegebene, begrenzte, während hingegen der süsse Geschmack in den heterogensten Gruppen und Reihen der anorganischen und ebenso der organischen Chemie sehr zahlreich an- zutreffen ist. Sollten die auf dem Gebiete des süssen und bitteren Geschmackes ge- wonnenen Resultate auch für den salzigen Geschmack zutreffen oder nicht, so sind sie jedenfalls wohl geeignet, den Weg für diese Untersuchungen vorzuschreiben. Dieser Weg ist durch folgende Thatsachen gegeben: I. Es giebt nicht ein einziges Glycosid (Alcaloid), nicht einen Bitter- stoff, der zugleich salzig schmeckt. II. Es giebt nicht einen Zucker, der ausser dem süssen Eigen- geschmack noch den salzigen Nebengeschmack besässe. „Düsses! Salz“ nennt zwar der Entdecker des Rohrzuckers in unserer heimischen Runkelrübe den neugefundenen natürlichen Süssstoff, Hufeland spricht ihn ebenfalls als „süsses Salz“ an, indem er empfiehlt, die Speise mit Zucker ebenso wie mit Kochsalz zu „salzen“, allein es giebt nicht eine Ausnahme aus der Reihe der Zucker, welche zugleich auch salzig schmeckt. III. Es giebt nicht eine einzige Säure, die zugleich salzig schmeckt; dagegen spricht nicht die Auffassung der Chemiker, die Säuren als H-Salze zu betrachten, ebenso nicht die Existenz saurer Salze — sie sind nur zur Hälfte Salze — und auch nicht die Bezeichnung „salzige Säure“, „Salz- säure“; sie ist die Säure des Kochsalzes, des Salzes x&r &&oyyv. IV. Salze sind es ausschliesslich, welche den salzigen Geschmack besitzen. Daraus ergeben sich drei Momente bezüglich der weiteren Betrachtungen. 1. Es kommen für diese Untersuchungen des salzigen Geschmackes lediglich die Salze in Betracht. 2. Unter der Voraussetzung, die freilich später noch der thatsächlichen Bestätigung bedarf, dass die Säure in den Salzen auch für den salzigen Geschmack ausnahmslos zu eliminiren ist, so dass die organischen Salze für diese Betrachtungen den anorganischen völlig gleichen müssen, ist die Untersuchung, zunächst wenigstens ein Mal, auf die anorganischen Salze zu beschränken. 3. Schliesslich ist die Thatsache, dass es nicht eine einzige Säure giebt, auch nicht eine Säure des Mineralreiches, welche den salzigen Neben- geschmack besässe, ein zwingender Grund, die Betrachtung noch mehr zu 1 „Aus den dargestellten Versuchen geht klar hervor, dass dieses ‚süssliche Salz‘ in unserer Heimat gerade so bereitet werden kann, wie in Gegenden, wo das Zucker- rohr wächst.“ Franz Karl Achard in der Akademie der Wissenschaften. 1747. 490 WILHELM STERNBERG: begrenzen und zu allernächst das Augenmerk dem basischen Theil in den Salzen, den Metallen, ausschliesslich zuzuwenden. So führt dieser Weg zur Betrachtung des natürlichen Systems. Hat der merkwürdige Wechsel in den physikalischen und chemischen Eigen- schaften mit Erhöhung des Atomgewichtes zur Aufstellung des Systems geführt, so fragt es sich nunmehr, ob auch die physiologische Eigenschaft des salzigen Geschmackes eine periodische Function des Atomgewichtes ist, wie dies ja für den süssen und bitteren Geschmack und auch für den Geruch theilweise bereits festgestellt ist. Was die Technik dieser Untersuchungen angeht, so glaubte ich, die Geschmacksprüfungen auf möglichst zahlreiche Salze ausdehnen und mög- lichst viel Versuchspersonen heranziehen zu müssen, um Beobachtungsfehler nach Möglichkeit auszugleichen. Dabei wählte ich meist von Köchinnen mit gutem natürlichen Gebiss und von Köchen mit guten echten Zähnen, die keine Raucher sind, diejenigen aus, die mit einer feinen Zunge auch eine gewisse Intelligenz vereinigten, so dass sie ein sicheres Urtheil abzugeben im Stande waren. Hysterische sollen mitunter in ganz merkwürdig feiner Weise aus ganz verdünnten Lösungen, die gewöhnlich als geschmacklos bezeichnet werden, noch die gelösten Verbindungen herauszuschmecken befähigt sein. Zu diesen Versuchszwecken habe ich lange nach derartigen Personen unter den Hysterischen vergebens gefahndet. Desgleichen misslangen alle Versuche mit Thieren nach der von Gad!, Schtscherbach? und Bechterew? geübten Methode. Besonders hatte ich genäschige Katzen ausgewählt, in der Hoffnung, leichter und schon eher auf diese Weise den bitteren, unangenehmen Ge- schmack mancher Verdünnungen ausfindig machen zu können; dies erwies sich jedoch stets als unmöglich. Ich glaubte, einigen Werth auf die Fragestellung legen zu sollen. Ich halte es rathsam, principiell bei diesen Untersuchungen die Versuchs- personen nicht zu fragen: „Wie schmeckt die Substanz?“ „Wie ist der Ge- schmack?“ Vielmehr halte ich es für nöthie, in jedem einzelnen Versuche jede dieser vier Fragen zu wiederholen: 1. „Schmeckt die fragliche Substanz, neben allen anderen Geschmäcken, die im Augenblick aber direct zu vernachlässigen sind, auch noch salzig? Ja? oder nein?“ ! Gad, Dies Archiv. 1891. Physiol. Abthlg. S. 541. ? Schtscherbach, Centralblatt für Physiologie. 1891. 8. 289. ® Bechterew, Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. 8. 145. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 491 2. „Schmeckt die fragliche Substanz, neben allen anderen Geschmäcken, die im Augenblick aber direct zu vernachlässigen sind, auch noch bitter? Ja? oder nein?“ 3. „Schmeckt die fragliche Substanz, neben allen anderen Geschmäcken, die im Augenblick aber direct zu vernachlässigen sind, auch noch sauer? Ja?- oder nein?“ 4, „Schmeckt die fragliche Substanz, neben allen anderen Geschmäcken, die im Augenblick aber direct zu vernachlässigen sind, auch noch süss? Ja? oder nein?“ — Lediglich die Geschmacks-Qualität zu ermitteln, lag mir ob; die Intensität glaubte ich mit Fleiss vernachlässigen zu sollen. Deshalb ver- wendete ich die verschiedensten Concentrationen der Lösungen ohne Berück- sichtigung der einzelnen Abstufungen, ausschliesslich auf die Qualität bedacht. Schliesslich halte ich es aber auch für durchaus nothwendig, jeden einzelnen Versuch möglichst oft, in Pausen, zu wiederholen, um zu einem sicheren Resultat gelangen zu können. Es ist ausserordentlich auffallend, wie die einfache Qualität des Geschmackes einer einfachen chemischen Ver- bindung, eines Salzes, verschiedenfach, in oft geradezu widersprechender Weise von den einzelnen Versuchspersonen manchmal, ja sogar in der Litteratur von den Autoren angegeben wird. In höchst bemerkbarer und bemerkenswerther Weise wiederholte sich eine bereits früher gemachte Be- obachtung. Gerade die Bestimmungen, ob eine Substanz salzig schmeckt oder nicht, ebenso aber auch die Beantwortung der Frage, ob der Ge- schmack ein süsser ist oder nicht, macht ganz erhebliche Schwierigkeiten, während die Frage nach dem sauren und ganz besonders die nach dem bitteren Geschmack leichter, viel bestimmter und schneller erfolgte; dazu kommt noch, dass gerade der bittere Geschmack auffallend lange, länger als die meisten Geschmäcke andauert. Ganz besonders steigern sich aber die Schwierigkeiten, wenn es zu entscheiden gilt, ob eine Substanz nur herb oder auch zugleich süss schmeckt. Derartige Verbindungen, von leicht adstringirender Wirkung und Geschmacksqualität werden auffallend oft als „süsslich schmeckend“ angesprochen." Thatsächlich ist die Unterschei- dung, ob nur herb oder zugleich auch süss, oft erheblich schwierig. So mag sich vielleicht auch die Thatsache erklären, dass auch in der Litteratur vielfach die Angabe „süsslich“ gemacht wird, die später durchaus nicht bestätigt werden konnte. In demselben Maasse schwierig ist auch die Frage, ob: eine Substanz sauer oder salzig schmeckt oder salzig und sauer ! Oehrwall sagt: „Adstringentien schmecken oft süss.“ Aber auch abgesehen von den ‚„Tannica dulcia s. aluminosa“ ist es geradezu auffallend, wie schwierig es ist, die Empfindung „herb‘“, „zusammenziehend“ und „süsslich“ aus einander zu halten. 492 WILHELM STERNBERG: zugleich. Die Bauern im Marchfelde sagen, dass das Kochsalz „sauer“ sei!, weil ihnen der Ausdruck „salzig“ nicht geläufig ist. So kommt es, dass viele Personen die Fragen nicht anders beantworten können als mit der Bezeichnung „süsslich, wenn auch nicht süss“, bezw. „etwa wie salzig“, „an den salzigen Geschmack erinnernd“, „ähnlich wie salzig“. Diese approximativen Urtheile habe ich möglichst einzuschränken gesucht und stets darauf hingewiesen, solche Bestimmungen direct zu ver- meiden, wie „eigenthümlich, möglicher Weise bitter“, „annähernd“, „un- angenehm“, „seltsam“ u. s. w. Aus diesem Grunde halte ich es daher für durchaus erforderlich, keinen die vier Fragen stets enthaltenden Versuch eher zum Abschluss zu bringen, als man mit den nöthigen Pausen die Experimente so zahlreich wiederholt hat, dass man ein brauchbares Durchschnittsmittel den Urtheilen entnehmen kann. Ich war daher oft gezwungen, einen einzigen derartigen Versuch oft auf mehrere Wochen auszudehnen. So kommt es, dass diese hier mit- getheilten Untersuchungen ohne grössere Unterbrechungen während eines Zeitraumes von 21/, Jahren angestellt worden sind. | Wer die Schwierigkeit für das Sinnesorgan des Auges bei der Be- stimmung des Polarisirens -kennt und die übliche Erforderniss der häufigen Wiederholung zur Gewinnung eines sicheren Urtheils, selbst für denjenigen, der berufsmässig, tagtäglich sogar, wie im Gewerbe der Zuckerindustrie, solche Bestimmungen mit seinem Auge vorzunehmen hat, wird sich nicht wundern dürfen, dass zur Sicherung des Urtheiles von Seiten des Sinnes- organs der Zunge desgleichen eine möglichst häufige Wiederholung des- selben Eindrucks nöthig ist. Es kommt nicht darauf an, zu constatiren, ob das Urtheil über den Geschmack einer Verbindung in irgend einer Ver- dünnung einmal „süss“, „süsslich“ u. s. w. lautet, sondern gerade darin liest das Wesen, einen derartigen „Ausfall aus der Reihe“, wie der Kunstausdruck bei der Prüfung Seitens des Gesichtssinnes heisst, direct zu vernachlässigen. Die Art und Weise der Kostprobe suchte ich, wo irgend angängig, abweichend von der zu rein wissenschaftlichen Zwecken üblichen, mehr der zu praktischen Zwecken längst ausgeübten Weise anzupassen. Nach den Ausführungsbestimmungen des neuen Weingesetzes vom 2. Juli 1901 (24. Juni 1901) genügt nicht mehr die chemische Unter- suchung des Weines allein, sondern entscheidend ist die Kostprobe des mit der Zunge prüfenden praktischen Sachverständigen, des Kosters, für den die deutsche Sprache noch gar keine specielle Bezeichnung geschaffen hat, den der Franzose gourmet nennt. Solche Kostproben werden auch häufig von den Theilnehmern des Preisgerichtes bei Ausstellungen gefordert, wo die Weine ! Mach, Analyse der Sinnesempfindungen. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 493 aus sehr verschiedenen Gegenden beurtheilt werden sollen. Diese Kost- proben gehören zu den allerbedeutendsten und wichtigsten Functionen in diesem ganzen Betriebe; denn der Koster ist derjenige, der ausschliesslich mit der bewunderungswerthesten Kunstfertigkeit seiner Zunge die Waare so auszusuchen und herzustellen hat, dass sie „mundgerecht“ wird. Die Regel einer solchen Kostprobe ist meist folgende: Der Koster soll eine solche Quantität von der zu prüfenden Flüssigkeit in den Mund nehmen, um die ganze Mundhöhle damit benetzen zu können, alsdann den Wein aus dem Munde entfernen, um nun die Geschmacks- eindrücke, die zur Geltung kommen, zu beurtheilen. Einige wieder gurgeln mit der Flüssigkeit. Beide Arten von Geschmacksproben suchte ich nach Möglichkeit durch- zuführen. Die letztere Kostprobe halte ich für weniger rathsam, da sich Schleimpartikelchen durch das Gurgeln leicht der zu prüfenden Flüssigkeit beimengen und den Geschmack leicht beeinflussen können. Zudem kommt auf diese Weise die Gurgelflüssigkeit gar nicht weit in die Rachengegend, wie das die Experimente mit färbenden Flüssigkeiten erwiesen haben. Viel- fach habe ich auch die zu schmeckende Kostprobe herunterschlucken lassen und selbst bei grösster Vorsicht den Effect heftigen Brechens nicht ver- hindern können. Ich liess die Proben stets aus Gläsern nehmen. Dabei glaubte ich, eine Vorschrift genau befolgen zu müssen, wie sie in der Praxis z. B. beim Polarisiren üblich und beim Kosten von Geschmacksproben Seitens der von der Jury bestimmten Koster vorschriftsmässig und durchaus erforderlich ist: die Gläser werden kurz vor dem Füllen erst von innen und dann sogar auch äusserlich mit einer kleinen Menge der zu prüfenden Flüssigkeit ab- gespült, dermaassen, dass die ganze Fläche des Glases mit der Flüssigkeit der entsprechenden Geschmacksprobe befeuchtet ist. Es ergeben sich nun folgende Probleme: I. Wie ist der Geschmack der Salze? II. Welche Verbindungen besitzen den salzigen Geschmack ? Ill. Welche Verbindungen aus der chemischen Gruppe der Salze schmecken salzig? IV. Welcher Theil im Moleeül ist es, welcher Bestandtheil in den Ver- bindungen, welche Atome, auf die der salzige Geschmack zurückzuführen ist? V. Ist der salzige Geschmack Ionen-Eigenschaft? Welchen Ionen kommt der salzige Geschmack zu? Nach dem Vorgange von Haycraft hatte ich den Geschmack der neutralen Salze der ersten und zweiten Gruppe des Systems untersucht; 494 WILHELM STERNBERG: geflissentlich hatte ich dabei, um die Ursache des bitteren Geschmackes zu ergründen, den salzigen ganz und gar vernachlässigt. Nun ist das umge- kehrte Verfahren angezeigt. Wie der Mathematiker zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten auflöst, indem er die eine Unbekannte eliminirt, um erst mit diesem Kunstgriff die andere Unbekannte zu finden, so ist nun- mehr, nachdem der bittere Geschmack der Betrachtung unterzogen ist, jetzt diese Geschmacksqualität zu eliminiren, und mit Hülfe der Kenntniss des diese Qualität bedingenden Principes nunmehr dasjenige der salzigen Ge- schmacksqualität zu ergründen. Das erste Metall ist der Wasserstoff H. Die H-Salze sind die Säuren. Wie die Metalle bei der Einwirkung auf Säuren Salze zu bilden ver- mögen, indem der H durch das Metall direct ersetzt und in freiem Zu- stande ausgeschieden wird (wofern er nicht etwa im Entstehungszustande auf die Säuren einwirkt), ganz in eben derselben Weise verhalten sich die Metalle auch zu den Salzen selbst. Bringt man z. B. Zink in eine Lösung von Kupfersulfat, so löst sich das Zink zu Zinksulfat auf, und scheidet sich metallisches Kupfer aus: Zn + CuSO, = ZnS0, + Cu, entsprechend dem analogen Fall der H-Verbindung Zn + H,SO, =ZnS0O, + H,. Es zeigt sich also hierin die völlige Analogie der Säuren mit den Salzen. Der Wasserstoff ist auch seiner chemischen Natur nach ein Metall. Man kann mithin die Säuren als Wasserstoffsalze auffassen; darauf beziehen sich auch die den Benennungen der Salze analog gebildeten Bezeichnungen: Hydriumsulfat für Schwefelsäure, Hydriumnitrat für Salpetersäure u.s.w. Die Aehnlichkeit der Salze und Säuren spricht sich auch in ihrer Acidität aus. Alle lös- lichen Salze der Metalle, deren Hydroxyde nur schwache Basen sind, zeigen saure Reaction und färben blaues Lackmuspapier rotb. Sie schmecken alle ohne Ausnahme auch herb. Nur die Salze der stark basischen Metalle, wie Kalium und Calcium, zeigen eine neutrale Reaction oder eine basische, falls die Basis stärker ist als die Säure. Erstere schmecken nicht in einem einzigen Falle herb, letztere nur in besonderen, ganz vereinzelten Ausnahmefällen. Was nun die Säuren selbst betrifft, so schmecken sie sämmtlich auch, abgesehen von anderen Geschmäcken, sauer; ebenso wie ihre chemische saure Natur, verdanken sie auch den sauren Geschmack den H-Ionen. In einigen wenigen, schwachen Säuren freilich, wie Kohlensäure, Schwefel- wasserstoff, Harnsäure u. a., kommt die chemisch saure Natur, d.h. die Befähigung Salze zu bilden, nicht mehr im sauren Geschmack zum Ausdruck. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 495 In chemischer Hinsicht steht also der Begriff „Salz“ als der höhere, weiterumfassende über dem Begriff der „Säuren“. Gegenüber stehen sich in chemischer Hinsicht 1. Säuren und 2. Alkalien, für die wir eine eigene Geschmacksqualität nicht besitzen. Zwischen diesen diametral entgegengesetzten chemischen Begriffen, die man daher früher auch als 1. masculinum, positiv, und 2. femininum, negativ, bezeichnet hat, steht vermittelnd 3. das neutrum, das Salz, im engeren Sinn. In chemischer und sinnphysiologischer Hinsicht stehen sich also inner- halb der Gruppe der Salze im weiteren Sinne gegenüber: A. Die chemische Gruppe der Säuren mit dem 1. saurenGeschmack. B. Die chemische Gruppe der Salze (im engeren Sinne) mit dem 2. salzigen, 3. süssen, 4. bitteren Geschmack. | Wenn. die Chemie auch die Combination beider Gegensätze in den „sauren Salzen“ annimmt, so stehen sich doch in chemischer Hinsicht auch „Säure“ und „Salz“ dermaassen gegenüber, dass die saure Natur durch die Salzbildung ausgeschlossen wird, und der Begriff der Salze den der Säure aufhebt. Es fragt sich, ob diesem Gegensatz der objectiven Reizmittel auch ein Gegensatz in der subjectiven Geschmacksempfindung entspricht, ob also der saure Geschmack dem salzigen auch diametral entgegengesetzt ist, etwa wie süss und bitter, ob überhaupt in ein und derselben Verbindung der saure und zugleich der salzige Geschmack vereinigt sein kann, oder ob die eine Geschmacksempfindung die andere stets ausschliesst. Thatsächlich scheinen sich auch, was die subjective psychische Empfindung betrifft, die saure und die salzige Geschmacksempfindung zu widersprechen, so dass es oft ausserordentlich schwierig wird, zu entscheiden, ob der Geschmack einer Verbindung sauer, salzig oder sauersalzig ist. Dennoch schmecken saure Salze mitunter sauer und salzig zugleich, wie sich ja auch, freilich sehr selten, der süsse und der bittere Geschmack in einer Verbindung einmal combiniren können. Freilich unter den neutralen Salzen giebt es nicht ein einziges Salz, das sauer schmeckte, unter ihnen schmecken die sauer reagirenden Salze nicht einmal mehr sauer, sondern nur herb, weil die H-Ionen nicht mehr zur Geltung kommen. Diese sind es, welche den sauren Geschmack bedingen und lediglich diese; es giebt kein zweites Analogon, das diese Ge- schmacksqualität mit ihnen zu theilen vermöchte. Alle anderen Geschmacks- qualitäten können durch mehr als ein einziges Ion verursacht werden. So kommt also dem H ebenso wie in chemischer so auch in sinn- physiologischer Hinsicht eine gewisse Ausnahmestellung zu. Dem leichtesten Metall Wasserstoff, das den sauren Geschmack, die 496 WILHELM STERNBERG: chemisch saure Qualität und die die anderen Metalle lösende Kraft der Säuren bedingt, stehen nun die anderen Metalle gegenüber. Es fragt sich mithin, welche Geschmacksqualität dafür nun an die Stelle der sauren tritt, wenn das Metall Wasserstoff durch diese anderen Metalle ersetzt wird, wenn also die Existenz der Säure aufhört, und die der echten Salze auftritt. Das leichteste dieser Metalle ist das Lithium. Die Salze des Lithium schmecken alle salzig; Chlorlithium LiC], an der Luft zerfliesslich, schmeckt ausserordentlich salzig, viel salziger noch als NaCl, aber gar nicht bitter. LiBr schmeckt auch noch sehr salzig, nur ganz wenig bitter. LiJ schmeckt entschieden bitter, wenig salzig; „lange und anhaltend, deutlich bitter und sauersalzig‘“ in 10 procentiger Lösung. LiSO, Lithiumsulfat schmeckt „salzig bitter“ nach Haycraft. Der Geschmack ist nach übereinstimmendem Urtheil meiner Versuchspersonen salzig und zugleich bitter. Der Geschmack von Lithiumnitrat LiNO, ist „schwer zu beschreiben, milde etwas alkalisch, etwas scharf“ (Kahlenberg). Lithiumphosphat PO,Li, + !/, H,O ist geschmacklos. Lithiumcarbonat CO,Li, ist in Wasser schwer löslich, geschmacklos. Lithium benzoicum reagirt schwach sauer und ist „von kühlendem, süsslichem Geschmack“ nach Liebreich. In 20 procentiger Lösung schmeckt es „bitter, nicht salzig‘“; „salzig und süsslich“, „sehr bitter“, „süss und auch bitter, hinterher noch lange süss‘; „süss und bitter“. In 12procentiger Lösung schmeckt es deutlich bitter. Sicher ist jedenfalls der salzige Geschmack diesem organischen Salze nicht mehr eigen, wohl aber der bittere Geschmack. Den Salzen des Lithium sind die des ihm nächststehenden Natrium chemisch am ähnlichsten, ebenso auch im Geschmack. Fluornatrium schmeckt weniger scharf als Fluorkalium. Der Geschmack von Fluorwasserstoffnatrium wird angegeben als „scharf, rein sauer“. „NaCl salzig“ (Kahlenberg) schmeckt rein salzig, nicht bitter. Merkwürdig ist der unverkennbare Unterschied im Geschmack des Chlorsalzes gegenüber dem des Bromsalzes. „NaBr“, sagt Kahlenberg, „in 25 Stärke schmeckt entschieden salzig, aber qualitativ anders wie NaCl.“ Der Geschmack von NaBr ist eben entschieden salzig, aber auch ganz unverkennbar etwas bitter. Es schmeckt nach P. Grützner! „NaCl sehr verdünnt am salzigsten, ı P. Grützner, Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVIII. S. (69) 98. C. Schmeck- versuche. Ueber die chemische Reizung sensibler Nerven. 3. 69—104. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 497 NaBr, NaJ kaum mehr, etwas alkalisch, wie auch häufig angegeben wird, bitterlich“. Der bittere Beigeschmack des Bromsalzes ist so deutlich und so sicher, dass es merkwürdig erscheinen könnte, wenn der Ersatz des gewöhnlichen Kochsalzes durch jenes Salz nicht sofort und zwar unangenehm bemerkt würde. Dennoch ist dies, wie die Erfahrung lehrte, nicht der Fall. Balint! liess, um die Hypochlorirung des Organismus zwecks der von Riehet? und Toulouse empfohlenen diätetischen Brom-Behandlungsmethode der Epilepsie bequemer zu erreichen, in ein Brod statt des üblichen Koch- salzes Bromnatrium (1-0 auf etwa 1008'® Brod) einbacken. Dies Brod nannte er Bromopan. Das zur Erreichung der erforderlichen Calorieen durchaus unentbehrliche, andererseits aber, ganz ungesalzen, sehr fade schmeckende Brod erhielt so einen Geschmack, der nicht unangenehm em- pfunden wurde, so dass es auf diese Weise gelang, diese unentbehrlichen Nahrungsmittel der Nahrung wiederzugewinnen. Richard Meyer? gab sogar seinen Patienten Bromnatrium zum freien Gebrauch „zum beliebigen Salzen der Speisen“, z. B. der Eier, um seinen Kranken so über den Salz- hunger hinwegzuhelfen. Im Brod ist eben der Geschmack, speciell der leicht bittere Beigeschmack, mehr verhüllt als beim Genuss des reinen Salzes. Dagegen ist ganz unverkennbar bitter und zugleich etwas salzig der Geschmack von Natriumjodid. In ?/,,,procentiger Lösung schmeckt das Salz „bitter und etwas salzig“, sogar den Fieberkranken; es „bedarf —-, um salzig N 6! zu schmecken“ nach Kahlenberg. Ganz indolente Personen klagen sogar stets über den furchtbar bitteren Geschmack von Natriumjodid, selbst wenn sie nur 1 Esslöffel von einer 5procentigen Lösung, in Milch sogar, erhalten. Regelmässig gaben sie in ausserordentlich häufig wiederholten Versuchen an, dass der Geschmack salzig und ausserdem bitter sei. Na.0.C10, schmeckt frisch und wenig stechend, nicht salzig, nicht bitter; NaBrO, schmeckt nicht salzig, nieht bitter; „nicht salzig“ nach Kahlen- berg. Die Versuchspersonen gaben mitunter an: „kaum etwas salzie“, „wenig salzig, kaum bitter“, „nur ein wenig salzig“. NaJ0, schmeckt kaum salzig, jedenfalls aber nicht mehr bitter. Na,C0O, schmeckt laugenhaft wie Seife. NaHCO, reagirt noch nicht sauer, sondern noch ganz schwach alkalisch, schmeckt jedenfalls nicht salzig. Es schmeckt „NaNO, scharf“ nach Kahlenberg, „wenig salzig, nicht bitter bei entsprechender Concentration wie KNO,“ (Kahlenberg). Ueber- ! Balint, Berliner klinische Wochenschrift. 1901. Nr. 23. ?2 Riehet, Acad. des Sciences. 20. XI. 1899. ® Richard Meyer, Berliner klin. Wochenschrift. 16. XI. 1903. S. 1051. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 32 498 WILHELM STERNBERG: einstimmend waren die Urtheile: „salzig bitterlich“, „salzig kühlend, bitter- lich.“ Der Geschmack ist demnach salzig und bitter. NaNO, schmeckt „salzig“ „kühlend salzig“. Na,SO,. „Geschmack ist unangenehm salzig,' bitter, brecherregend“. Es schmeckt salzig und bitter. “Schwefelsaures Kalium wenig salzig, etwas bitter, schwer zu beschreiben“ (Kahlenberg). Der Geschmack ist bitter, aber weniger bitter als der von MgeSO, und ausserdem im Gegensatz zu MgSO, auch noch salzig. Daher wird das Natrium-Salz zu arzneilichen Zwecken gern dem Magnesiumsulfat vorgezogen. NaHSO, reagirt so sauer, wie wenn es freie Säure ls, demnach ist auch Geichrnaeh stark säuerlich-herb. NaHSO, schmeckt unangenehm schweflig. Es wird der Geschmack von schwefelsaurem Natron-Ammonium- oxyd als „salzig, bitter“ beschrieben. Unterschwefligsaures Natrium reagirt nicht alkalisch, ist geruchlos und schmeckt kühlend, hinterher bitter, schwach alkalisch. Natrium vanadinicum (Merck) schmeckt bitter. Borax in den NaCl äquivalenten Lösungen, schmeckt „nicht salzig“ nach Kahlenberg. Sal. concentrata boracis purissimi in 5 procent. Lösung ist geschmacklos. Natrium phosphoricum schmeckt „salzig“, „wie Soda“, „laugenhaft wie Soda“, „wenig. salzig, nicht bitter“, „geschmacklos“, „etwas salzig, kaum bitter“. | Gesättigtes Natriumphosphat Na,0,-PO ist von kühlendem), alkalischem Geschmack. Na,HPO, reagirt alkalisch, bläut rothes Lackmus und schmeckt „mild- salzig“, „von schwachem Salzgeschmack“, „salzig, nicht bitter“, „schwach salzig‘‘, „rein salzig“. Ausser NaCl ist also noch dieses Salz,durch den reinen salzigen Ge- schmack ausgezeichnet, welcher nicht von dem bitteren Beigeschmack wie in allen anderen bisherigen Salzen begleitet ist. Diese Abwesenheit der bitteren Qualität unterscheidet es auch vom entsprechenden Kaliumsalz. Durch diesen seinen reinen salzigen Geschmack zeichnet es sich sogar vor allen übrigen Mittelsalzen aus; es ist daher dasjenige, das von allen Mittel- salzen am besten schmeckt. Das ist der Grund dafür, dass der praktische Arzt diesem Salze gerade in der Kinderpraxis den Vorzug ertheilt. NaH,0,PO reagirt sauer und röthet Lackmus. Der Geschmack ist nicht salzig. Es soll der Geschmack von Na,0,PO, NaF, 12H,O ekelhaft alkalisch sein. Nach übereinstimmendem Urtheil schmeckt Natriumwolframat (Kahlbaum) bitter. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 499 Phosphorwolframsaures Natrium schmeckt sehr bitter. Phosphormolybdänsaures Natrium schmeckt sauer und bitter. Natriumacetat reagirt sauer. Der Geschmack wird verschieden an- gegeben. Natrium acetic. 5:150 „salzig‘‘, 50 Proc. „sauer“, 50 Proc. „salzig“, 39 1/, Proc. „salzig und sauer“. Von 4 Personen wird angegeben: „von neu- tralem Geschmack“, „schmeckt kühlend salzig“, „kaum salzig“. Kahlen- berg giebt an, „essigsaures Natrium (in den NaCl äquivalenten Lösungen) schmeckt selbst in concentrirten Lösungen gar nicht salzig, in keinem Falle salzig, milde, süsslich, schwach alkalisch“. Natriumsalieylat schmeckt nicht salzig, aber süss wie die Säure. Einmal wird angegeben „süss und bitter“. Sicher ist nach allen Angaben, dass der Geschmack nicht salzig und nicht bitter ist. Natrium lactium schmeckt nicht salzig. Natriumtartrat ist in Wasser leicht löslich, fast geschmacklos. Aber wenn nur ein Mal Kalium ins Molecül tritt, so ist der Geschmack salzig, bitterlich (Seignettesalz). Natriumtartrat ist fast ganz geschmacklos, daher wird es an Stelle des unangenehm schmeckenden Kalisalzes gegeben. Kalitartrat ist salzig, 'bitterlich. Saures weinsaures Kali d. i. Cremor tartari, Kalibitartrat, schmeckt angenehm säuerlich. Es ist also doch die geringe Säuremenge im Stande, den bitteren Bei- geschmack zu mildern und herabzumindern, ebenso wie ja auch die Säure den Süssgeschmack abzustumpfen vermag. Natriumbenzoat schmeckt „süss und bitter“, „süss und etwas bitter“, „auch süsslich“ in 10: 150, „widerwärtig süss“, 40:160 „bitter, nur bitter“, „eigenthümlich süsslich“. Natriumvalerianat schmeckt manchen Versuchspersonen „ent- schieden süsslich“. Süss ist aber der Geschmack gewiss nicht, salzig eben- falls nicht. Die meisten übereinstimmenden Urtheile sind „leicht bitterlich“. Mithin haben fast alle Natriumsalze einen bestimmten Geschmack, sicher alle anorganischen Natriumsalze. Der Geschmack ist stets ein zu- sammengesetzter, die meisten Salze haben den bitteren Geschmack, manche auch zugleich den salzigen, wenige den salzigen allein. Dem Natrium steht in allen Beziehungen Kalium ganz gleich. Selbst der Geschmack der Salze ist ähnlich, nur ist der bittere Geschmack schon noch mehr ausgesprochen bei den Kalisalzen. „Wenig verschieden von den Natronsalzen sind die Kalisalze. Sie schmecken zwar, wie bekannt, etwas anders als jene“.! ı P. Grützner, Pflüger’s Archiv. 1894. S. 98. 32* 500 WILHELM STERNBERG: KF1 schmeckt nach Haycraft! „salt and saline“. Der Geschmack ist noch nicht bitter, zwar nur rein salzig, aber schärfer als der von NaFl. Der Geschmack von KC] ist salzig, erinnert aber an den bitterlichen, der allen Kalisalzen eigenthümlich ist. „KCl 1 Proc. = 0-5 Proc. NaCl, schwach bitterlich“ Oehrwall. KCI schmeckt also schärfer salzig, dafür aber bitter zugleich. Kaliumbromid KBr schmeckt stechend salzig und deutlich bitter. Eine stupide Kranke klagt selbst bei Darreichung von nur 1 Esslöffel einer 5procentigen Lösung über den sehr bitteren Geschmack. Kaliumjodid schmeckt „salzig und bitter“, (Kahlenberg:) „scharf salzig“. Der Geschmack ist nach übereinstimmendem Urtheil salzig und zugleich intensiv bitter, lange anhaltend bitter. Selbst: bei Darreichung von nur 1 Esslöffel einer bloss 5 procentigen Lösung in !/, Liter Milch schmeckt man den bitteren Geschmack sogar in unangenehmer Weise ganz deutlich heraus. Zuerst ist der Geschmack des Salzes scharf salzig, hinterher bitter. Nach längerer Aufnahme tritt im Munde ein lästiger, metallisch bitterer Geschmack auf. KCI0O riecht, schmeckt nicht. Es schmeckt KC10, „schwachsalzie“ nach Kahlenberg, „kühlend unangenehm“ nach Pinner, „herb‘“ nach Andern, „schmeckt kühlend, herb und salpeterähnlich“. „Deutlich bitterlich fade“ (Nagel)?, „salzig jedenfalls nicht“ (Nagel). Nach meinen Versuchen ist der salzige Geschmack dem Salze nicht, aber der bittere eigen. Kaliumbromat KBrO, „fast geschmacklos, aber etwas bitter“, nach übereinstimmendem Urtheil ist der Geschmack nicht salzig, aber bitter. Kahlenberg giebt an „schwach salzig“. Von KCIO, wird der Geschmack angegeben „schwach salzig, kühlend‘“, „schwach salzig“. KJO, (Kahlbaum), schmeckt nicht salzig, nur bitter, nach übereim- stimmendem Urtheil, „kaum bitter, nicht salzig“, „bitter, klein wenig salzig“. K,Cr, O, röthet Lackmus und schmeckt „bitter“, „bitterlich metallisch“, Zinnkaliumchlorid salzig. K,HPO, schmeckt salzig und bitter, unangenehm. Na,HPO, schmeckt salzig, nicht bitter, wird daher dem ersteren zu arzneilichen Zwecken stets vorgezogen. Orthophosphorsaures Kali, dimetaphosphorsaures, K,O,PO, röthet stark Lackmus, schmeckt sehr sauer, etwas bitter. K,S, reagirt alkalisch und schmeckt bitterlich. ! John Berry Haycraft, The objeclive cause of sensation. Brain. 1889. III. The Sense of Smell, p. 213. ? Nagel, Zeitschrift für Physiol. u. Psych. 1896. PBd.X, 8. 238. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 501 K,S reagirt stark alkalisch, ätzt und schmeckt bitter. K,0,-8,0, untersch wefligsaures Kali, schmeckt kühlend, hinter- her bitter. KHSO,-SO, Halbgesättigtes Salz, reagirt neutral und schmeckt nach schwefliger Säure. Saures oder pyroschwefelsaures K,0, 280, schmeckt nicht un- angenehm, salzig. KSe, Geruch und Geschmack wie Schwefelleber. K,0,.SeO, selenigsaures Kali, reagirt stark alkalisch, schmeckt höchst unangenehm. Gesättigtes schwefligsaures Kali K,0-S0O, 2H,0, von stark alkalischer Reaction, schmeckt bitter. K,SO, hat bitteren, alkalischen Geschmack. K,S,O, schmeckt nicht unangenehm salzig. Al,(SO,); + K,SO, schmeckt süss, hinterher herb. Halbgesättigtes KHO,.SO, schmeckt sehr sauer, röthet Lackmus. HKCO, reagirt alkalisch und schmeckt eigenthümlich salzig. KMnO, schmeckt nach Rollett bitter, „möglicherweise bitter“, „ent- schieden süss“ (Oehrwall). Nach meinen Versuchen kommt dem Salze sicher der salzige und auch der süsse Geschmack nicht zu, wohl aber der bittere. K,SO, schmeckt salzig und ausserdem auch bitter, „charakteristisch bitter“, „unangenehm bitter“ (Kahlenberg), „schwach salzig, bitter“, schlechter jedenfalls als Na,SO,. HKSO, schmeckt sauer und salzig. KNO, schmeckt „unangenehm bitter“ (Kahlenberg), „sowie andere Nitrate milde und alkalisch, etwas bitter“ (Kahlenberg), schmeckt scharf, bitterlich kühlend, „deutlich bitter“ (Nagel), „scharf und bitterlich kühlend“. Der Geschmack ist der salzige und zugleich der bittere. Antimonsaures Kalium ist nach übereinstimmendem Urtheil ge- schmacklos. KCN schmeckt scharf bitter. Lig. Kalii acetici schmeckt sauer, nicht salzig, und hat leicht bitteren Nachgeschmack. Essigsaures Kalium schmeckt „unangenehm bitter“ nach Kahlenberg. Kalii salicyl. 10:100 schmeckt 'sehr süss, süsslich, aber auch ein wenig: bitter, unverkennbar. Kalium-Glycosat C,H,,KO, schmeckt nicht mehr süss, sondern wie alle Kali-Glycosate bitter. Kalii tartarici conc. schmeckt 30:50-0 bitter und salzig nach über- einstimmendem Urtheil. 502 WILHELM STERNBERG: Gegenüber stehen sich also die entsprechenden weinsauren Salze be- züglich ihres Geschmackes folgendermaassen: Na,-C,H,O, fast geschmacklos, schmeckt besser als das Kalisalz. NaH-C,H,O, fast geschmacklos, etwas säuerlich. KH-(,H,O, angenehm säuerlich. K,-C,H,0, salzig etwas, deutlich bitter. NaK.(C,H,0, salzig etwas, deutlich bitter. (SbO)K-C,H,O, süss. Das Urtheil über den Geschmack von Natrium und Kalium Va- lerianat lautet auffallend häufig, „sehr süss, bestimmt“, „süss mit einem Stich in’s Salzige“. Allein genauere Nachprüfungen haben ergeben, dass der Geschmack sicher nicht der süsse ist. Jedoch selbst dem Zinkvalerianat wird der süssliche Geschmack oft nachgesagt. Das wird sogar auch von Am- monium-Valerianat angegeben. „Selbst sehr verdünnte Lösungen haben sehr herben, bitterlichen Geschmack“ sagen Rollett und Oehrwall. K,FeCy, schmeckt nach Oehrwall „adstringirend und salzig“. Der herbe Geschmack konnte leicht constatirt werden, der salzige jedoch nicht. Rubidium-Chlorid RbCl schmeckt nach Hayecraft „salzig bitter“, unverkennbar ist der Geschmack wenig gesalzen, bitter. Rubidium-Bromid RbBr. Der Geschmack ist bitter, salzig. Rubidium-Jodid RbJ schmeckt scharf salzig und zugleich bitter salzig. Rubidium-Chlorat RbClO, schmeckt „unangenehm salzig, kühlend“ nach manchen Angaben, „bitterlich, aber nicht salzig“. RbC1O, schmeckt „schwachsalzig“, wie „KClO,“ wird von manchen Autoren angegeben. Rb,SO, schmeckt wie K,SO,, salzig und bitter. RbNO, schmeckt wie KNO,. Caesinm-Chlorid CsCl schmeckt wenig salzig und bitter, viel mehr bitter als RbCl. „‚CsCl scheint am stärksten zu reizen. Es schmeckt etwas salzigsüsslich“!. Fortgesetzte Untersuchungen, die speciell auf die Frage gerichtet waren, ob das Salz wirklich auch den süssen Geschmack besitzt, fielen sämmtlich, ausnahmslos, negativ aus. Caesium-Bromid CsBr schmeckt salzig bitter. Caesium-Jodid CsJ schmeckt salzig bitter. Caesium-Sulfat CsSO, schmeckt bitter salzie. Beim Vergleich der Natriumsalze mit den übrigen, speciell mit den Kaliumsalzen, ergiebt sich also fast durchgehends, dass die ersteren, die in den Pflanzen vorkommen, weniger scharfschmecken. Die Natriumverbindung, das „Salz“ zur 2&£0ynjv ist es, das vollkommen und rein salzig schmeckt, ı P. Grützner, Schmeckversuche. Pflüger’s Archiv. 1894. S.98C. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 503 und zwar seine Verbindung mit der „Salzsäure“. Mit Recht hat deshalb diese Säure vom rein salzigen Geschmack ihres Natriumsalzes den Namen erhalten, da schon die analoge Verbirdung der Bromwasserstoffsäure nicht mehr rein salzig schmeckt, sondern salzig und zugleich deutlich bitter. Nächst dem NaCl sind es noch die Salze Na,HPO,, Natr. tartaric., pyrophosphorsaures Eisenoxydnatron, Natriumammoniumphosphat, welche lediglich den salzigen Geschmack besitzen. Das im Handel vorkommende Steinsalz von Stassfurt zeichnet sich durch seine chemische Reinheit aus, indem es 99.73 Procent reines C]Na und 1 Procent Caleiumsalze enthält, während z. B. die Salinen- oder Siede- salze der sächsischen Salinen 4!/, bis 5 Procent fremdartige Bestandtheile aufweisen, das gewöhnliche englische Salz fast ebenso viel. Nun ist aber eine Thatsache auf diesem Gebiete höchst merkwürdie. Diese chemische Reinheit, die für technische Zwecke doch ganz un- zweifelhaft einen ausserordentlich hohen Vorzug bedeutet, erscheint für den Geschmack, mithin für seine Anwendung als gewöhnliches Speisesalz eher hinderlich als willkommen. Es ist jedenfalls eine bekannte Thatsache, dass in unseren Gegenden das Stassfurter Salz beim grossen Publikum keinen rechten Eingang hat finden können, weil man gegen dasselbe den Vorwurf erhob, „es salze nicht recht“. Das kann nur darauf zurückzuführen sein, dass die anderen gangbaren Sorten mehr mit Kaliverbindungen verunreinigt sind, welche sich meistens durch einen schärferen Geschmack auszeichnen, den das grosse Publicum aber vorzieht. Nicht nur uncivilisirte, sondern auch die civilisirten Völker ziehen dem chemisch reinen Chlornatrium ein Salz vor, das durch andere Salze verunreiniet ist. Diese Eigenthümlichkeit des Geschmackes ist aber um so auffallender, da das chemisch reinere Salz zugleich bedeutend billiger ist. Als vor 50 Jahren die Stassfurter Steinsalzlager erschlossen wurden, die zu ausser- ordentlich billigem Preise das chemisch reinere Product liefern, glaubte man, das Concurrenzproduct der Salinen müsse verschwinden, da es selbst bei sparsamstem Betriebe nicht zu ausserordentlich niedrigen Preisen, aber ganz und gar nicht in dieser seltenen Reinheit geliefert werden könne, Allein die Erfahrung hat bald das nicht wenig überraschende Resultat geliefert, dass der Verbrauch von Siedesalz zu Speisezwecken ein zehn Mal grösserer war. Ganz allgemein wurde das theurere, das auch für das Auge unscheinbarere, das chemisch unreinere dem billigen, gefälligen, reinen Steinsalz vorgezogen, und zwar wunderbarer Weise lediglich des Geschmackes wegen. Sogar die Thierzüchter sollen selbst für den höheren“ Preis doch dem unreinen Siedesalz zum Füttern den Vorzug geben. Mehrfach haben sogar landwirthschaftliche Vereine versuchsweise das Stassfurter Steinsalz einzu- führen begonnen, allein sie sind stets wieder davon zurückgekommen. Selbst 504 WILHELM STERNBERG: das Vieh! nimmt das Steinsalz nicht so gern. Der Grund für diese merk- würdige Eigenthümlichkeit des Geschmackes wurde in der kristallinischen Beschaffenheit gesucht. Das Siedesalz ist viel leichter auflösiich und zer- fliesslicher als das kristallinische Steinsalz. Daher sollen zu Speisezwecken die unreinen Salze der Zunge mehr zusagen. Die deutsche Marine ver- proviantirt ihre Schiffe ausschliesslich mit Siedesalz; zum Salzen der Fische und zum Pökeln des Fleisches wird sogar das chemisch ausserordentlich unreine Seesalz den reineren Sorten vorgezogen. Ihren vortrefflichen Ge- schmack sollen die hollärdischen Heringe dem Salz von St. Ubes-Portugal und von der Bretagne zu verdanken haben. Das an Verunreinigungen reiche Nauheimer Siedesalz ist bei den Bäckern und Fleischern ausser- ordentlich beliebt und wird für die Conservenfabriken sehr begehrt, zum Einsalzen der Gemüse, wobei noch mit besonderer Vorliebe das Salz gerade geringerer (ualität gesucht ist, da es eben besonders reich noch an anderen Salzen ist. In dieser Beziehung verhält sich also der Geschmackssinn, wenigstens für die salzige Qualität, anders wie der Farbensinn. Denn der Färber wählt gerade deshalb die künstlichen Farbstoffe gern und zieht sie den natürlichen vor, weil die künstlichen Farbstoffe gewöhnlich sehr viel reiner als die Naturproducte sind, und der Färber daher reinere Farben- töne erzielen kann, ein Grund für das gewaltige Gedeihen der Industrie der Farbenchemie. Freilich der süsse Geschmack fordert gebieterisch voll- kommene Reinheit; daher werden nicht nur die verschiedensten süssen Kunst- producte, selbst von Kranken, die durch pathologische Zustände auf ihren Genuss beschränkt sind, sondern auch manche natürlichen Zucker mit un- reinem Geschmack sogar von der Zunge des Gesunden verschmäht. Verwandte Erfahrungen machen oft die Weinhändler. Aehnlich verhält es sich auch mit dem Geschmack des Tabaks. Die wichtigste und verantwortlichste Stellung des ganzen Betriebes in der gesammten Tabaksindustrie ist gerade die des sogenannten Mischers, dessen Thätigkeit lediglich darin besteht, aus den verschiedenen Tabaksorten gerade eine dem Geschmack entsprechende Mischung zusammenzustellen. Dazu gehört eine solche Sachkenntniss, dass überhaupt nur Leute, die in ! Es ist eine allgemein gemachte, bekaunte Erfahrung, dass überhaupt das Kochsalzbedürfniss der Pflanzenfresser wesentlich grösser ist, als das der Fleisch- fresser. Hund und Katze ziehen ungesalzene Nahrung der gesalzenen vor und legen gegen stark gesalzene Nahrungsmittel einen sichtlichen Widerwillen an den Tag. Pferde und Wiederkäuer hingegen sind sehr begierig nach Kochsalz, das Hochwild sucht aus weiter Ferne die Stellen auf, wo die Gelegenheit zum Salzgenuss in Form der Lecksteine ihnen gegeben wird. Diese Erscheinung ist um so seltsamer, als in der Cl- und Na- Menge, die die Herbivoren und Carnivoren aufnehmen, ein bemerkenswerther Unter- schied nicht besteht. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 505 tabakbauender Gegend aufgewachsen sind, diesen Posten ausfüllen können. Fast nie enthält nämlich die fertige Cigarette nur eine Tabakart, sondern meist zwei bis drei, und ausserdem sind die verwendeten Blätter einer und derselben Art wiederum mit Rücksicht auf gleiche Farbe und Güte aus- gewählt. Für den Kenner hat natürlich jede Art ihre ausgeprägte Bigen- thümlichkeit im Geruch und Geschmack. So giebt z. B. der Szamzün, nach der gleichnamigen kleinasiatischen Stadt benannt, einer Mischung Würze und Fülle, aber keinen Duft. Man nennt ihn „das Salz der Cigarette“, weil er ihr, wie dieses den Speisen, in geringer Beigabe unentbehrlich ist. Beim Aufrollen einer Cigarette ist er sofort an der hochrothen Farbe und dem dünnen Schnitt zu erkennen. Sein Gegentheil ist der smyrnische Tabak, kleine sehr gelbe Blättehen von feinstem Duft, aber wenig „Körper.“ „Körper“ ist der technische Ausdruck für eine gewisse „Fülle“, „Völle“ in Bezug auf den Geschmack. So ist es ein bekannter Vorwurf, den man den N-haltigen Süssstoffen von eminenter Süsskraft, wie z. B. dem Saccharin, macht, dass ihnen der „Körper“ fehlt. Dzs Aroma des smyrnischen Tabaks ist so stark, dass man von einer, nur aus Smyrnatabak gerollten, Cigarette Kopfschmerzen bekommen kann. Ausser diesen giebt es zahllose andere Arten, von denen die aus der europäischen Türkei, wie Bokdscha, Dschübek u. a. die besten sind, sie werden aber durch das griechische Erzeugniss allmählich mehr und mehr vom ägyptischen Markte verdrängt. Das alleredelste Gewächs, wie der Dschenidschei, gelangt überhaupt nicht nach Aegypten, wo man eine gute Mittelwaare bevorzugt, sondern soll nach Russland gehen. Mit den Be- sonderheiten all dieser Arten muss nun der Mischer auf’s Genaueste ver- traut sein; er muss ferner eine Mischune, die einmal Anklang gefunden hat und die dann von der Fabrik als Cigarette und unter bestimmtem Namen geführt wird, stets wieder von genau gleichem Geschmack und gleicher Farbe herstellen können. Daher ist denn auch ein Mischer, dessen Leistungen den Beifall des Publikums haben, der Fabrik ebenso unentbehr- lich, wie ein beliebter Koch einem Gasthof. Er arbeitet bei verschlossener Thür, und die Mischungen bleiben sein Geheimniss; so wahren auch die ver- einieten Chininfabriken von Zimmer & Co. in Frankfurt a. M. die Art der Herstellung ihrer gar nicht mehr bitter schmeckenden, ihrer entbitterten, Chininchocolade als Geschäftsgeheimniss, während die Wissenschaft immer noch vergebliche Anstrengungen macht, die Art des Entbitterns zu erkennen. Auf ähnliche Weise mag sich auch die Vorliebe für den nicht ganz reinen Geschmack des Salzigen erklären lassen. Koeppe,! geht zuerst auf diese Fragen ein: „Was den Geschmack des ı H. Koeppe. Der Salzhunger. Vortrag, gehalten auf der 23. Vers. d. Balneolog. Gesellschaft. 8. März 1902. 506 WILHELM STERNBERG: Steinsalzes und des Siedesalzes anbelangt, so hört man da die wider- sprechendsten Anschauungen. Die Einen sagen Steinsalz ist bitter und schmeckt schlecht — so erinnere ich mich von der Schule, wenn wir Steinsalz zu lecken bekamen — und das Siedesalz schmeckt besser; Andere behaupten das Gegentheil. Wenn wir auf der Tafel ein Salz vor uns stehen haben, können wir ihm ohne Weiteres nicht ansehen, ob es Siedesalz oder Steinsalz ist. Das Salz wird in jeder gewünschten Formgrösse von den Stassfurter Bergwerken geliefert, vom allerfeinsten sogenannten eng- lischen Tafelsalz, das ganz mehlfein ist, bis zu dem groben Korn, das sich scheinbar vom Siedesalz nicht unterscheidet. Wenn sich aber im Salz die bekannten treppenförmigen Würfel finden, dann ist es sicher Siedesalz, und gerade dieses grobkörnige Salz ist als Tafelsalz jetzt viel beliebter, weil zu dem feinen Speisesalz meistens Steinsalz verwendet wird. In Deutschland wird in allererster Linie das Siedesalz als Speisesalz verwendet, und dann erst kommt das Steinsalz in Betracht, wo man kein Siedesalz hat. Das zeigen die Zahlen, denn die Steuerbehörde sorgt dafür, dass kein Korn Salz unversteuert bleibt, und diese von ihr veröffentlichten Verbrauchszahlen sind deshalb einwandsfrei.“ Liebreich äussert sich bezüglich des Geschmacks der Salze folsender- maassen: „Mir ist bekannt, dass man in England das Bedürfniss fühlt, ein sehr feines Salz zu haben. Da lässt man das Steinsalz unge- mein fein vermahlen, damit es nicht das grobe Korn hat, und erhält ein Salz, welches keinen bitteren Nebengeschmack hat. Ich weiss aus persönlicher Erfahrung, dass, wenn man eine Weile dieses Salz gegessen hat, einem das Siedesalz des bitteren Geschmackes wegen nicht mehr be- hagt, und ich weiss auch, dass es sehr auf die physikalische Beschaffenheit ankommt, in der einem das Salz geboten wird. Aber Siedesalz hat einen bitteren Geschmack des Magnesiagehaltes wegen. Manche Leute essen es ja lieber, weil es ihnen kräftiger erscheint, aber die allgemeine Geschmacks- richtung geht darauf hin, ein ganz reines Product zu bekommen, das keinen bitteren Nachgeschmack hat. Ich habe mit Virchow über diese Frage gesprochen, und der sagte mir etwas, was mir ganz unglaublich erscheint: dass in Südamerika gar kein Salz von den Leuten genossen werden soll.“ Den Geschmack des Salzes absichtlich zu verschlechtern und damit für den Menschen als Tafelsalz unbrauchbar zu machen, denaturirt die Steuerbehörde das Salz mit Theer, Kienruss, Wermuthkrautpulver, Holz- kohlepulver, zumal aber mit Eisenoxyd und lässt es so als Gewerbe-, Dünge- und Viehsalz für industrielle und landwirthschaftliche Zwecke zum Handel steuerfrei zu. Die Thiere fressen dieses hochgradig verunreinigte Salz ohne jedes Widerstreben, ja mit sichtlichem Behagen sogar, selbst gleichzeitige Beimengungen von 10 Procent Gyps und 20 Procent Chlormagnesium zum DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 507 Kochsalz waren noch nicht im Stande, die Aufnahme des Salzes zu er- schweren. Ja, in manchen Gegenden hat man das Viehsalz sogar zum Gebrauch für Menschen auch benutzt, worüber die Steuerbehörden sehr ungehalten sind, sodass es in Bayern, wo man es zum Schinken hinzugesetzt hatte, zu gerichtlicher Entscheidung gelangte. Diese überliess den Bauern das Recht, das absichtlich für das Auge und die Zunge verschlechterte steuer- freie Präparat zu geniessen, wenn der Geschmack ihnen zusagt. Ein Theil, der unserem Kochsalz noch von seiner Herkunft aus dem Weltenmeer anhänet, ist stets im Kochsalz vorhanden, das Chlormaenesium, das bitter schmeckt und sehr hygroscopisch ist. Ist dasselbe daher reich- lich im Tafelsalz enthalten, so schmeckt dieses bitter und fängt ausserdem leicht an, auf dem Tisch, sobald es ein wenig feucht ist, zusammenzukleben. Der Butterhändler erkennt sogar sofort am bitteren Geschmack der Butter, ob das zugesetzte Salz zu viel Chlormagnesium enthält, also zu bitter ist; ja er unterscheidet sogar auf’s Genaueste: Schmeckt die Butter bitter und zwar sofort, unmittelbar nach dem Genuss und an der Spitze der Zunge bitter, so liegt dies am bitteren Salz. Tritt der bittere Geschmack jedoch erst später auf, als Nachgeschmack, ist derselbe kratzend und zwar auf dem hinteren Theile der Zunge am Gaumen zur Geltung kommend, so liegt es an der Butter, die „umgeschlagen“ ist. Dass der Geschmack der Salze, der rein salzige und etwas bitterliche, ein diagnostisches Hülfsmittel darstellt, beweist folgende Thatsache: Die Pharmaceuten benützen bei der Frage, ob ein ihnen präsentirtes Salz NaBr, KJ oder NaJ sei, es als beliebten Kunsteriff, an der Substanz zu lecken. Die einwerthige Gruppe NH,, welche in den Ammoniumverbindungen die Rolle eines Metalls spielt, „Ammonium“, bildet viele Salze. Die Salze des Ammoniums sind den Metallsalzen, besonders den Kaliumsalzen im chemischen und physikalischen Verhalten sehr ähnlich. Chlorammonium NH,CI, Salmiak. In 0.5 procentiger Lösung schmeckt „NH,C] salzig und auch sauer, möglicher Weise bitter“ nach Oehrwall. Salzig ist der Geschmack unbestritten; es gilt zu entscheiden, ob der Geschmack auch bitter ist. Einige geben an „nur salzig“, „scharf salzig“. Die meisten Angaben lauten jedoch „bitter“. Demnach ist der Geschmack salzig bitter. Bromammonium in 5 procentiger Lösung schmeckt salzig und bitter; es wird angegeben: „salzig und bitterlicher Beigeschmack“, „sehr salzig und etwas bitter‘, „sehr salzig und bitter kaum“, „salzig, höchstens eine Spur bitter- lich“, „salzig, gar nicht bitter“, „nur salzig“; selbst 1®"” „nicht bitter“. Ammoniumjodatum in 10 procentiger Lösung schineckt bitter und auch salzig, „widerlich bitter“. 508 WILHELM STERNBERG: Ammoniumnitrat NO,NH,, salpetersaures Ammonium, schmeckt „bitter, scharf brennend auf der Zungenspitze“ nach Kahlenberg. „Von scharfem, bitterem, unangenehmem Geschmack.“ Der Geschmack ist salzig und bitter zugleich. Ammoniumsulfat SO,(NH,),, schwefelsaures Ammonium, „sehr salzig, etwas säuerlich, zum Schluss aber bitter“. Nach meinen Untersuchungen ist der Geschmack des Salzes salzie, bitter. Es schmeckt nach Kahlenberg ‚„kaum bitter, nicht salzig“. Ammoniumnitrit NO,NH,, salpetrigsaures Ammonium, schmeckt salzig nnd bitter. Ammoniumearbonat, kohlensaures Ammonium (NH,)HCO,, schmeckt kühlend salzig. Ammoniumphosphat ist geschmacklos. Ammoniumsulfid (NH ‚),S, Schwefelammonium, schmeckt nicht salzig. Ammoniumhydrosulfid (NH,)HS, Ammoniumsulfhydrat, schmeckt nicht salzig. Ammoniak-Alaun schmeckt nach übereinstimmendem Urtheil „süss säuerlich‘“. Lig. Ammonii acetici. Der Geschmack ist „sauer und salzig‘“ nach manchen Angaben. Sicher ist er säuerlich, salzig kaum. Ammonium valerianicum wird häufig als „süsslich schmeckend“ angegeben. Specielle Versuche, die lediglich zur Entscheidung der Frage angestellt werden, ob der Geschmack süss ist oder nicht, ergeben negatives Resultat. Salzsaures Hydroxylamin NH,-OHCl schmeckt ähnlich wie NH, -HCı. Was die N-Basen der Alkoholradicale, die Ammoniakbasen oder Amine- = Ammoniumbasen der Alkoholradicale betrifft, so sind die Ammo- niumbasen leicht zerfliessliche Basen, deren chemische und physikalische Eigenschaften denen des KOH äusserst ähnlich sind. (CH,)NH,.Cl und (0,H,)NH,-C] schmeckt auch salzig nach Höber und Kiesow.! Tetramethylammonium-Jodid N(CH,),J schmeekt bitter. Die wässerige Lösung von Trimethylamin (CH,),N schmeckt bitterlich, ebenso Tetraäthyliumhydroxyd (Tetraäthyliumoxydhydrat) (C,H,),NOH. Hier- bei darf Erwähnung finden: Tetraäthylphosphoniumhydroxyd (C,H,),POH schmeckt ebenfalls bitter- ! Rudolf Höber und Friedrich Kiesow, Ueber den Geschmack von Salzen und Laugen. Zeitschrift für physikalische Chemie. 1898. Bd. XXVIL S. 661. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 509 lich, ebenso das Jodsalz.. Mit den Kalium- und Ammoniumsalzen haben grosse Aehnlichkeit die Stib. methylium. oxyd. Salze. Tetramethylstiboniumhydroxyd (Stib. methylium. oxydhydrat) (CH,),- Sh-OH reaeirt stark alkalisch und verbindet sich mit Säuren zu Salzen. Diese sind leicht löslich in Wasser und schmecken bitter. Tetramethylstiboniumjodid (CH,), - SbJ schmeckt bitterlich, manche geben sogar an, zugleich ähnlich wie salzie. Cu-Kupferoxyd ist starke Base, starken Basen gegenüber aber eine schwache Säure. Die Cu-oxydsalze sind meist löslich, röthen Lackmus und schmecken unangenehm metallisch. Kupferchlorür CuCl oder Cw,C],, Cuprochlorid, ist unlöslich in Wasser, schmeckt nicht salzig. Kupferjodür CuJ oder Cu,J,, Cuprojodid, schmeckt nicht salzig. Kupferchlorid CuCl,, Cuprichlorid, ist leicht löslich, schmeckt metallisch ätzend, intensiv und lange anhaltend bitter, „zum Uebergeben bitter, besonders nachher, metallisch und herb“. Unterschwefligsaures Kupferoxydul Cu,H,(S,0,),. Die Lösungen sollen „süss“ schmecken. Den süssen Geschmack muss ich nach meinen diesbezüglichen Versuchen dem Salze völlig absprechen. Kupfernitrat (NO,),Cu, salpetersaures Kupfer, schmeckt furcht- bar zusammenziehend, bitter, nicht salzig. Kupfersulfat CuSO,, Cuprisulfat schmeckt nach Hayer aft „salzig bitter“; „bitter, nicht salzig, herb“ in concentrirter Lösung; „bitter, zu- sammenziehend, aber gar nicht salzig“; „das Zahnfleisch zusammenziehend wie Grünspahn, bitterlich“ in O-2 procentiger Lösung. „Metallisch, zu- sammenziehend, etwas bitter, jedenfalls nicht so bitter wie MeSO, oder KJ“; ‚es besitzt einen ätzenden, stark zusammenziehenden, metallischen, jedenfalls bitteren, nicht salzigen Geschmack“. Der Geschmack ist jedenfalls metallisch, herb, unverkennbar etwas bitter, aber sicher nicht salzig. Kupferacetat schmeckt etwas herb und bitter zugleich. Silber. Was die Farbe betrifft, so zeigen auch die Ag-oxydsalze un- gefärbter Säuren charakteristische Farbe, die löslichen reagiren neutral, schmecken sehr unangenehm, metallisch und wirken scharf giftig. Ag,0 ist starke Base. Silberchlorid AgC] ist unlöslich in Wasser. AgFl sehr leicht löslich, an der Luft zerfliesslich, schmeckt nicht salzig. Silberbromid AgBr ist unlöslich. Silberjodid AgJ ist unlöslich. Chlorsaures Silberoxyd vom Geschmack des salpetersauren Silber- oxyds, bitter. 510 WILHELM STERNBERG! Unterschwefligsaures Silberoxyd wenig in Wasser löslich, soll, wie oft angegeben wird, von süssem Geschmack sein. Diesbezügliche specielle Versuche bestätigten dasselbe nicht. Schwefligsaures Silberoxyd schmeckt unangenehm, bitterlich. Schwefelsaures Silberoxyd AgSO,, conc. Lösung schmeckt säuerlich, zusammenziehend, noch bitterer als CuSO,, nicht salzig; „bitter wie bittere Mandeln“, „bitter und herb, salzig aber nicht“. Sehr zusammenziehend, schrumpfend, schnürt den Hals zusammen, nachher etwas bitter, metallisch nicht die Spur salzig“. Der Geschmack ist jedenfalls herb, metallisch, nicht. salzig, sicher. aber bitter. Silbernitrat NO,Ag, salpetersaures Silber, reagirt neutral, schmeckt herb, metallisch und wirkt ätzend giftig, „schmeckt bitter, me- tallisch“. Silbernitrit NO, Ag, salpetrigsaures Silber, ist in Wasser schwer löslich, schmeckt nicht salzig, wohl aber etwas bitter. Die Golid-Oxydsalze sollen herb und ätzend schmecken, jedenfalls nicht salzig. I. Oxydulverbindungen. AuC], Gold-Chlorür, in Wasser unlöslich, schmeckt salzig nach Hay- craft. Von Sauerstoffsalzen des einwerthigen Goldes sind nur einige Doppel- salze bekannt. ll. Oxydverbindungen. Auriverbindungen. AuQl,, Goldchlorid, ist zerfliesslich, hat bitteren, keinen salzigen Geschmack. Haycraft. Group 1. Metal Chloride Sulphate L Salt Sal. Bit. Na Salt Sal. Bit. K Salt Sal. bei. ! SalaBit, i Cu Insoluble Sal. Bit. Ast. Rb Salt biz. Sal. — "Ag Insoluble Sal. Bit. Cs Salt di2. Sal. — Au Salt. Ast. _ ! Italics indicate, that the sensation is but slightly perceived. The Nature of the objective cause of sensation. Part II. Taste by John Berry Hayeraft. Brain. July 1837. Vol.X. p.153. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE, Nach meinen Versuchen: 5il Gruppe Il. Metall Chloride Sulfate Li ausserordentlich salzig, gar nicht bitter | ir - salzig und bitter. Na rein salzig ‚ deutlich salzig und bitter. K salzig und deutlich bitter intensiv bitter eu Rb salzig und bitter ag _ Cs salzig und bitter au bitter NH, scharf salzig, wenig bitter | salzig und bitter bitter, nicht salzig bitter und salzig bitter, nicht salzig bitter und salzig bitter und wenig salzig „Bitter salzig‘‘ bedeutet zuerst bitter, dann salzig, und ausserdem mehr bitter als salzig. „Salzig bitter“ bedeutet das Gegentheil. Hayeratel Group VI Element Sodium Comp. Potassium Comp. F Salt Salt. sal, Cl Salt Salt. Sal. bi£. Mn _ — Br Salt sal. Salt. Sal. bs#. J Sal. Bit. Sal. Bit. Hayeraft.”? Group VII. Element Potassium compound F Salt and saline (611 Salt, saline, bifier Mn _ Br Salt, saline, and bzZZer J Saline, bitter Nach meinen Versuchen: Gruppe VL. Element | | Na K F salzig schärfer salzig Cl salzig salzig bitter mn — en Br salzig bitter bitter salzig J salzig bitter bitter salzig ! „On the objective cause of sensation.“ Part. II. Taste. By John Berry Haycraft. Proceedings of the Royal Society of Edinburg, Session 1885—86. p. 966. Brain. 1887. p. 14a. : „The objective cause of sensation.“ III. The Sense of Smell. p. 213. Brain. 1889. 512 WILHELM STERNBERG: Was die Intensität der Geschmacksqualitäten der Salze der ersten Gruppe betrifft, so schmecken im Allgemeinen am bittersten die Sulfate, am wenigsten bitter die Chloride.. Die Reihenfolge ist etwa: Sulfate, Nitrate, Phosphate, Jodide, Bromide, Chloride. Am meisten besitzen die salzige Qualität die Salze der O-freien Säuren, am wenigsten die Salze O- haltiger Säuren mit zweiwerthigen Basen. Was die Intensität der Geschmacksqualitäten der Salze der Alkalien mit den Haloidsäuren betrifft, so verändert sich dieselbe in doppeltem Sinne. Die bittere Geschmacksqualität nimmt zu mit Erhöhung des Atomgewichtes des Basentheiles, ebenso aber auch mit Erhöhung des Atomgewichtes des Halogens. 1) NaFl nicht 2a) LiCl nicht NaCl nicht NaCl nicht _ NaBr kaum bisher: RC deutlich | er NaJ unverkennbar | RbCl sehr Ai CsCl stark NH,CI stark b) LiBr nicht c) LiJ entschieden ) NaBr kaum NaJ deutlich | KBr sehr \ KJ noch stärker | | RbBr stark LUNG | RbJ stark | Slbmen. CsBr am stärksten CsJ stark NH,Br deutlich ) NH,J stark Was hingegen den salzigen Geschmack betrifit, so nimmt dieser, ganz im Gegensatz zu der bitteren Qualität, in demselben Verhältnisse, also auch in doppeltem Sinne ab; es scheint, als wenn diese Qualität in demselben Maasse sogar abnimmt, wie jene zunimmt, was darauf hinzudeuten scheint, dass die diese Qualitäten bedingenden Momente einander widersprechen. in gleich procentigen Lösungen II. 1) LiCl sehr salzig, salziger noch als NaCl sehr „ KOlzschre?, \ RhCl wenig „, 4 BE UsCl ” ” NH,Cl ” „ 2) NaFl sehr 3) LBr sehr |) NaCl sehr Nabı na, | ' NaBr auch Salzıp. KBr wenig | va NaJ nur noch etwas RbBr wenig an CsBr NH,Br sel DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALzE. 513 4. LiJ sehr NaJ wenig Ka Es . | salzig. Osure: NIEREN, Die Thatsache, dass die Zunahme des bitteren Geschmackes zugleich mit der Abnahme der salzigen Geschmacksqualität und mit der Abnahme der Stärke der Halogene einhergeht, NaCl HCl NaBr | HBr NaJ HJ Y legt die Frage nahe, ob sich das Verhältniss im Geschmack etwa ebenso verändert, wie die chemische HCl HCIO, HBr | HBrO, | EI HJO, Stärke der Säuren durch den O-Gehalt. Denn letztere wächst im umge- kehrten Verhältniss, im Vergleich zu den entsprechenden O-freien Säuren. Allein die Geschmacksprüfungen mit NaFlO, Na0lO, NaBrO, NaJO, haben das nicht ergeben. Salzig Bitter | Salzig Bitter KCl -r ne KCI0, a a KBr + + KBrO, _ + KJ t + KJO, m + LiC ar — LiC10, eu ” LiBr + > LiBrO, TE ag Li) + + LiJO, — NaCl + _ Nacl0, — = NaBr + + NaBrO, — _ NaJ + + NaJO, — - RbC1 e + RbCIO, — + RbBr + 4 RbBrO, = = RbJ + + RbJO, AR = Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 33 514 WILHELM STERNBERG: Salzig | Bitter | Salzig Bitter CsCl + | + CsCl0, I — CsBr + + CsBrO, | | —_ —_ CsJ | + + CsJO, | = — NH,C -- - NH,CIO, En NH,Br + 4b NH,BrO, | = NH,J = er NH,JO, | A — LiC1 ze - LiC10, a N NaCl + _ NaClo, I m KCl + + KCI0, = + RbC1 + + RbCI0, I — + CsCl + AP CsClO, | _ — NH,CI + + NH,C], | — — LiBr + An LiBrO, |. — NaBr ar = NaBrO, | _ —_ KBr + + KBro, (er RoBr I yet + RbBrO, || u Sa ee CsBr | + + CsBrO, | — _ NH,Br + | + NH,BrO, _ | _ Lig e- = LiJO, I un NaJ - + NaJ0, re KJ + + KJO, — ar RbJ + + RbJO, | CsJ | ir Si CsJO, | = | ze; NH,J + + NH,JO, | _ _ Vergleicht man die erste Reihe der Metalle Aa le 2. Na a b Hauptgruppe Untergruppe B.3. K | C.7T. Cu — 4. Rb | 8. Ag — 5. Cs | ° 9. Au— 6. NH, | hinsichtlich des Geschmackes ihrer salzartigen Verbindungen, so ergiebt sich folgendes: : 1. Die meisten Salze haben den salzigen Geschmack, so weit die Salze der Hauptgruppe in Betracht kommen. (A und B.)) 2. Den salzigen Geschmack haben die Salze der Untergruppe nicht mehr. (C.) DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 515 3. Dafür haben die Salze der Nebengruppe den herben Geschmack. (C). Dieser herben Empfindung entbehren die anderen Salze (A und B). 4. Die meisten Salze haben mehrere Geschmäcke, den salzigen und den bitteren. 5. Bitter schmecken alle Salze der Haupt- und Untergruppe (B und C), ausgenommen wenige Salze der leichtesten Metalle (A). Die zweite Gruppe bilden neben Beryll und Magnesium die Erdalkalien Caleium, Strontium, Baryum, die zweiten Glieder der drei grossen Perioden- Es fragt sich, ob ihre Salze noch den salzigen Geschmack besitzen. Beryll gehört nach allen seinen chemischen und physikalischen Eigen- schaften in die III. Gruppe, ebenso nach der Qualität des süssen Ge- schmackes seiner Salze. Be-Salze reagiren sauer, schmecken schwach zusammenziehend süss. Magnesiumehlorid MgCl, schmeckt deutlich bitter; diesem Salz ist der bittere Geschmack des Meerwassers zuzuschreiben. Nach Kahlen- berg ist der Geschmack: „bitter und salzie, unangenehm“, nach Oehr- wall: „bitter nebst salzig“. Die bei meinen Untersuchungen gewonnenen Resultate sind folgende: „entschieden bitter“, „bitter und salzig und zum Schluss süss“, „bitter, nicht salzig, zum Schluss aber deutlich süss“, „bitter und sauer und etwas salzig“, „bitter und entweder salzig oder sauer, was zu entscheiden unmöglich ist“ (Verdünnung, 20:75) „furchtbar bitter, aber nachher auch süss und etwas salzig oder sauer“, „bitter und ausserdem noch etwas; es ist aber schwer zu zu entscheiden, ob sauer oder salzie“, „salzig und bitter“, „bitter, nicht salzig‘‘, „bitter, nicht salzig“, „bitter, nicht salzig“. „Salzig‘“ schmeckt es nach Höber und Kiesow, denn sie stellen den Schwellenwerth für den „salzigen“ Geschmack dieses Salzes! fest und zwar bei folgender Concentration: | | Concentration je na | Concentration Molecular- | | I de der U WM | | N Concentration | a | Se | An-Ionen | Kat- a Neutralen 0-0175 a 0-2 | 252-0 | 0-834 | 0-029 | 0-05 | 0.0081 Der Geschmack des Chlorids ist also sicher bitter. Es galt aber gerade hier noch zu bestimmen, ob der Geschmack nur bitter oder auch zugleich salzig ist. So ausserordentlich einfach diese Frage nun auch ist, und so leicht die Beantwortung erscheinen möchte, so schwierig erwies sich dies bei den Versuchen. Da ich diese Frage aber von principieller Bedeutung hielt, ! ». 605. 338 516 WILHELM STERNBER&G: so wiederholte ich die Versuche mit diesem Salz in der verschiedenfachsten Weise in einer ausserordentlich langen Zeit. Ich machte Wochen hindurch an einer einzigen Versuchsperson, täglich mehrmals, zu den verschiedensten Tageszeiten diese Schmeckversuche, lediglich mit der Frage beschäftigt, ob der Geschmack dieses Salzes, abgesehen von allen anderen Geschmackseindrücken, auch salzig ist oder nicht. Ich wählte die verschiedensten Bedingungen, die mannigfachsten Verdünnungen, von der durch die Zunge kaum noch wahrnehmbaren Lösung an bis zu der concentrirten von 50 Procent. Nach diesen Versuchen glaube ich annehmen zu müssen, dass Magnesiumchlorid nicht salzig schmeckt, sondern von den vier Geschmacksqualitäten nur die bittere allein besitzt. Mir erscheint aber diese Frage, ob MsCl, salzig schmeckt oder nicht, so wichtig, dass eine Nachprüfung wünschenswerth ist. Ebenso wenig schmeckt das „Salz“ Magnesiumsulfat salzig, sondern bitter. Die Bezeichnung „Bittersalz“ bezeichnet also nicht den Geschmack. Haycraft beschreibt ihn zwar mit Bit. Sal. Höber! und Kiesow freilich berichten schon über den Geschmack dieses Salzes: „Das Magnesiumsulfat schmeckte zu unserer Verwunderung in keiner Concentration salzig.“ Kahlenberg beschreibt die Qualität auch als „bitter“. Selbst con- centrirte (50 procentige) Lösungen werden beurtheilt als 1. „nur furchtbar bitter“, . „bitter und später etwas süss“, . „bitter und sauer oder salzig“, . „bitter, nicht salzig“, . „bitter, nicht salzig“, . „bitter“, . Eine Lösung von 10:250 „schmeckt salzig, nicht wie Na,SO,, aber sehr bitter“. I ed, SS ee) Ueberraschend war eine Geschmacksprüfung eines Bleikranken, der gerade an Kolik litt, mit diesem Salze in einer concentrirten 50 procentigen Lösung. Er giebt an, „der Geschmack ist salzig, nicht bitter, aber süsslich‘“. Die nämlichen Versuchspersonen erhalten zur Controlle nach diesen Versuchen je eine Kostprobe Natriumsulfat, übereinstimmend lautet das Urtheil, „der Geschmack von Na,SO, ist entschieden salzig und bitter, freilich weniger bitter“. „MgSO, schmeckt mehr bitter als Na,SO,, aber der salzige Geschmack des Na,SO, ist dafür ganz verschwunden“. 18. 607. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 517 Stellt man also hinsichtlich der Geschmacksqualitäten die Salze des Na- und Mg- gegenüber, so ergiebt sich folgendes Schema: Salzig. | Bitter. Nacı | | Unterschwefligsaures Magnesium MgS,0, schmeckt bitter. MgHSO, ist unbeständig oder gar nicht existenzfähig. MgCO, ist unlöslich, bläut aber doch Lackmus, ist geschmacklos. Magnesium salicylic. !%/,,0,, Schmeckt süss und nachher etwas bitter, aber unverkennbar bitter. Magnesium lacticum in 26 Theilen kalten Wassers gelöst, schmeckt kaum bitter. (a0 von alkalischer Reaction, wirkt durch H,O-Entziehung ätzend und ist daher auch von ätzendem Geschmack. Kalkwasser, die Auflösung von Ca(OH),, reagirt alkalisch und ad- stringirt, schmeckt schwach alkalisch. Oehrwall, giebt an, es schmeckt ähnlich wie 1:200000 KOH, das „ekelhaft und brennend, aber doch süss“ schmeckt. Die löslichen Kalksalze reagiren alle neutral und schmecken sämmt- lich herb. Es entsteht gerade hier wieder die Frage, ob nicht doch einige dieser Salze auch salzig schmecken. Calciumehlorid, CaCl,, Chlorcaleium ist neutral, reagirt nicht auf Läckmus, zieht H,O mit grösster Begierde an und ist so hygro- scopisch, dass diese Eigenschaft technische Verwendung findet zum Befreien der Salze von H,O-(Chlorcaleiumrohr)Dämpfen und zum Trocknen. In Folge seiner wasseranziehenden Kraft wirkt das Salz adstringirend und ätzend. Der Geschmack wird angegeben als „scharf, salzig“, „widerlich beissend“, (P. Grützner) „salzig“ Höber und Kiesow! stellen den Schwellen- werth für diese Qualität des Salzes fest. Nach meinen Untersuchungen ist der Geschmack nicht salzig, ein wenig bitter. 18. 606. 518 WILHELM STERNBERG: Galeiumfluorid CaFl,, Fluorcaleium, ist in Wasser unlöslich. Calciumsulfat SO,Ca, schwefelsaures Calcium, ist in Wasser sehr schwer löslich, weswegen es zur Diagnostik benutzt wird, einerseits für H,SO,, andererseits für Ca. In Na0l-Wasser löslich, giebt es der Lösung einen leicht bitteren Geschmack. Caleciumphosphat, phosphorsaurer Kalk, ist unlöslich alstertiäres oder neutrales Salz Ca,(PO,),, und secundäres Salz CaHPO,. Das primäre Salz Ca(H,PO,), ist leicht löslich, schmeckt bitterlich. Caleiumnitrat (NO,),Ca, salpetersaures Calcium, löslich, „scharf und entschieden bitter“ (Kahlenberg). Die gesammelten Urtheile ergeben „bitter, nicht salzig“. CaleciumcarbonatCO,Ca, kohlensaures Calcium, ist geschmacklos. Caleiumhypochlorit (C1lO),Ca, unterchlorigsaures Calcium, schmeckt „zusammenziehend“. Der Geschmack von Chlorkalk ist „un- angenehm bitter“ (Liebreich). Calcaria chlorata CaCl, + Ca(C10O), reagirt alkalisch. Die Lösung besitzt, wie angegeben wird, einen schwachen Chlorgeruch. Allein der Geruch ist nicht der des Cl, sondern der von HCIO, der unterchlorigen Säure. Die Lösung wirkt austrocknend, adstringirt, weshalb sie auch therapeutisch äusserlich als Adstringens, Exsiecans, Des- inficiens verwandt wird. Dementsprechend ist auch der Geschmack ein herber, ätzender, die Lösung schmeckt recht zusammenziehend, ausserdem aber auch noch entschieden bitter. Salzig jedenfalls ist der Geschmack nicht, bitter sicher. Calecium-hypophosphit, unterphosphorigsaures Salz (PO,H,),Ca ist von widerlichem, bitterem und zugleich laugenhaftem Geschmack, „bitter, ekelerregend“ nach Liebreich. Der Geschmack ist bitter, nicht salzig. Calcium lacticum in Wasser leicht löslich, schmeckt etwas bitterlich. Calcaria saccharata, das als Antacidum gegeben wird, schmeckt bitter. Strontian schmeckt alkalisch. & Das Strontianwasser reagirt alkalisch, was sich auch im Geschmack verräth. ER Strontiumchlorid SrCl, schmeckt „widerlich beissend, aber auch etwas bitterlich“ nach P. Grützner, Der Geschmack ist unverkennbar bitter, sicher nicht salzig. Strontiumbromid SrBr, schmeckt bitter. Auch bei den Prü- fungen mit diesem Salze treten vielfach Schwierigkeiten bei der Frage auf, ob der salzige Geschinack ebenfalls dem Salze noch eigen ist oder nicht. Die bei Weitem überwiegende Anzahl der Bestimmungen schliesst den salzigen Beigeschmack aus. Somit schmeckt auch dieses Salz bitter, aber nicht salzig. : DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 519 Strontiumcarbonat SıCO, soll geschmacklos sein. Allein der Ge- schmack ist entschieden bitter, wenn auch nur in geringem Maasse, salzig . jedoch nicht. Strontiumsulfat SO,Sr, gesättigter schwefelsaurer Strontian, soll geschmacklos sein. Strontiumnitrat (NO,),Sr, leicht löslich, schmeckt nach überein- stimmendem Urtheil nur intensiv bitter, nicht zusammenziehend; „furchtbar bitter, nicht mehr salzig“. Baryt wirkt auf organische Stoffe in geringerem Maasse als Kali oder Natron ätzend, schmeckt ätzend und alkalisch. Baryumchlorid Ba0l, schmeckt sehr bitter, unangenehm, nicht salzig. Brombaryum schmeckt ebenso wie das Chlorsalz, nur noch herber. Grützner, giebt den Geschmack „widerlich beissend, aber auch bitter- lich“ an. Der Geschmack ist bitter, nicht salzig. Baryumnitrat Ba(NO,),, in 12 Theilen kalten Wassers gelöst, schmeckt „sehr bitter, sauersalzig“, „bitter, nicht salzig“, „bitter“. Fast übereinstimmend lautet das Urtheil „bitter, nicht salzig“. Baryumcarbonat BaCO, schmeckt recht bitter, nicht salzig. Baryumsulfat SO,Ba ist unlöslich, Schweflissaures Baryt geschmacklos. Orthophosphorsaures Baryt, drittel gesättigt BaH,O,(PO), von saurer Reaction, schmeckt wie Chlorbaryum, nur etwas sauer. Die der Hauptgruppe correspondirenden Glieder der Untergruppe: Zink, Cadmium, Quecksilber gehören wesentlich zu der rechten negativen Seite der drei grossen Perioden, sie gehören ihrem chemischen Charakter nach zu den Schwermetallen; denn sie sind weniger basisch und gleichen den Erdalkalimetallen fast nur noch nach ihren Verbindungsformen. Es fragt sich daher, wie sie sich im Geschmack ihrer Salze zeigen. Seinem chemischen Charakter nach zeigt Zink eine Doppelnatur. Das Oxyd ist zwar eine Base, die mit Säuren leicht Salze bindet. Allein bei Hinzutritt einer starken Base, wie z. B. KOH, tritt ein Niederschlag auf, es fällt Zu(OH), heraus, der sich freilich im Ueberschuss von KOH wieder löst. Zn verhält sich eben auch wie eine Säure der starken Base gegen- über. Es bildet sich das Salz Zn(ONa),, das löslich ist. So hat also ein und derselbe Stoff, Zink, zweierlei Charakter, er besitzt „amphoteren Cha- rakter“; das ist so charakteristisch für Zink, dass dies in der Analyse sogar zur Scheidung und Trennung benutzt wird. Zinkoxyd ZnO, Zineum oxydatum ist fast unlöslich, wirkt äusserlich austrocknend, secretionsbeschränkend und leicht ätzend, in Folge dessen wird es therapeutisch als Streupulver bei nässenden oder stark absondern- den Wundflächen genommen. Auf der Zunge empfindet man ebenfalls 520 WILHELM STERNBERG: diese Wirkung als herbe Geschmacksempfindung, wie man gewöhnlich diese Tastempfindungen heisst, wenn sie von dem auch auf der Zunge gelegenen Tastsinn wahrgenommen werden. Die Zinksalze sind meist löslich, röthen Lackmus, und schmecken widrig, herbe, „etwas eisenhaft“, wie angegeben wird, d. h. metallisch und wirken brechenerregend. Diese Wirkung war ebenso unfehlbar, wie das Ur- theil, dass der Geschmack bitter ist. Schwierig wird die Entscheidung, ob ZnCl, salzig schmeckt oder nicht. Zine. chloratum, Zinkchlorid ZnCl, „schmeckt auch in verdünntem Zustand brennend und ekelerregend“, wie mancherseits angegeben wird. Höber und Kiesow geben an, dass es „salzig und herb, intensiv ad- stringirend“ sei. „Von dem salzigen Geschmack konnten wir uns bei stärkeren Lösungen leicht überzeugen.‘“! Das Urtheil lautet sehr verschieden: 1. „süss“, „nicht salzig“, 10. „bittersüss“, „nicht salzig“, 2. „bittersüss“, „nicht salzig“, 11. „bittersüss“, „nicht salzig“, 3. „bitter herb“, „nicht salzig“, 12. „bitter“, 4. „widerlich herb“, „nicht salzig“, 13. „sehr bitter“, 5. „sehr bitter“, „nicht salzig“, 14. „bittersüss“, 6. „bitter, aber zuletzt, lange nachher 15. „bitter“, „kaum salzig“, auch süss“, 16. „bitter“, 7. „bitter“, „nicht salzig“, 17. „bitter“. 8. „bitter“, „nicht salzig“, 9, „bitter, lange nachher süss, an- haltend süss“, Die in den verschiedensten; Concentrationen gewählten Kostproben haben nicht ein einziges Mal das sichere Urtheil ergeben, dass die salzige Geschmacksqualität vorhanden sei. Demnach besitzt auch dieses Salz die eine Qualität des Bitteren, aber nicht die andere zugleich. Es wird angegeben, der Geschmack von ZnBr,, Bromzink, sei „süss und styptisch“. Chlorzinknatrium ist leicht löslich, soll von „scharfem Geschmack sein“. Zinksulfat ZnSO, reagirt sauer, röthet Lackmus und wirkt in Folge seiner Eiweiss coagulirenden Eigenschaft, in Substanz ätzend; in verdünnten Lösungen wirkt es, wie alle Aetzmittel, adstringirend ein, ein Zustand, der das erste Stadium der Aetzwirkung bedeutet, und daher secretionsbeschrän- kend. So findet es auch als Stypticum seit Alters her Verwendung. Der Geschmack ist demgemäss säuerlich herb, metallisch. Abgesehen von diesen ! Höber und Kiesow. S. 609. Haycraft giebt ebenfalls an, dass es „bitter und salzig“ schmeckt. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 521 Geschmäcken gilt es nun zu bestimmen, welche von den vier wahren Geschmacksqualitäten diesem Salze zukommen. Das Urtheil lautet über- einstimmend: nicht salzig, hingegen wird hier seltsamer Weise die Entschei- dung schwierig, ob das Salz bitter oder süss oder bittersüss schmeckt. Daher werden auch mit diesem Salze vielfach die Versuche wiederholt, mit den verschiedensten Versuchspersonen, zu den verschiedensten Tageszeiten, mit den verschiedensten Verdünnungen und Concentrationen, wobei sogar eine 62.5 procentige Lösung einige Mal Verwendung fand. Das Urtheil lautet: 1. „bitter, nicht salzig“, . „eher süss, nicht bitter“, . „undefinirbar, wie wenn man in ein schlechtes Ei hineinbeisst“, . „säuerlich bitter, nicht sehr bitter“, . „sehr bitter“, . „zusammenziehend bitter, nicht salzig“, . „bitter“, . „sehr zusammenziehend, dann bitter, zuletzt aber süss, salzig nicht“, . „aerb, bitter, lange nachher aber süsser Nachgeschmack“. Wie also im Geschmack Na,SO, und MgSO, deutlich von einander differiren, also ist auch durch den Geschmack MgSO, und ZnSO, leicht zu unterscheiden. MgSO, schmeckt zwar auch nur bitter, allein bitter metallisch, ZnSO, mehr rein bitter. Der Apotheker unterscheidet so mit der Zunge in praxi beide Salze von einander, ebenso wie er auch mit der Geschmacksprobe NaBr und NaJ lediglich an der Differenz ihres bitteren Geschmacks erkennt oder Santonin und Morphiumlösung ebenfalls aus- schliesslich an der Differenz der einen, bitteren Geschmacksqualität. Unterschwefelsaures Zinkoxyd schmeckt sehr herb. Zinkvalerianat schmeckt zusammenziehend und „süss, wie alle Valerianate“ nach Pinner. Da ich den süsslichen Geschmack nie empfinden konnte, so wandte ich mich persönlich nochmals an Herrn Prof. Pinner, welcher die grosse Liebenswürdigkeit hatte, nochmals eine Geschmacks- prüfung mit diesem Salze vorzunehmen und mir mitzutheilen, dass der Geschmack doch ein süsslicher für ihn sei. Manche meiner Versuchs- personen beschreiben den Geschmack ebenfalls als süsslich. Doch mehrere, ausschliesslich auf diese eine Frage gerichtete Untersuchungen konnten nicht das Resultat liefern, dass der Geschmack thatsächlich der süsse ist. Zine. aceticum wirkt in Substanz oder in concentrirten Lösungen ätzend, in verdünnten Lösungen adstrineirend. Der Geschmack war in verdünnten Lösungen herb, ein wenig bitterlich. Zinkcarbonat CO,Zn ist geschmacklos. Zinksulfid ZnS ist geschmacklos. SO SIT WND 522 WILHELM STERNBERG: Die Cadmiumsalze sind farblos, wenn die Säure ungefärbt ist, sie röthen Lackmus und schmecken widrig metallisch, zusammenziehend und wirken brechenerregend. Cadmiumchlorid CdCl, schmeckt bitter, nicht salzig. Cadmiumjodid CdJ, ist geschmacklos. Cadmiumsulfid CdS ist geschmacklos. CadmiumsulfatCdSO, coagulirt Eiweiss, schmeckt schrumpfend, nach- her stets ‚bitter, stumpf, nach Haycraft „bitter herb“. Die Versuchspersonen constatiren den Geschmack, trotzdem die Brechwirkung sich nicht hat ver- hindern lassen. Der Geschmack ist jedenfalls nicht salzig, aber bitter. Quecksilberoxyd HgO ist in geringer Menge in Mercurioxyd- wasser löslich, zeigt Anfangs keinen Geschmack, später aber schmeckt es herb metallisch, ätzend. Die Oxydsalze besitzen alle einen herben me- tallischen widrigen Geschmack und wirken weit milder als die Oxydsalze. Quecksilberchlorid HgCl, ist sehr giftig, seine wässerige Lösung reagirt sauer, besitzt einen scharfen metallischen Geschmack. Sehr ver- dünnte Lösungen von HgÜCl, wirken adstringirend und schmecken herb. Quecksilberjodid HgJ, in Wasser fast unlöslich, geschmacklos. Mercurinitrat (NO,),Hg leicht löslich, zerfliesslich, geschmacklos. Mereurisulfat SO,Hg zersetzt sich durch Wasser. Mercurisulfid HgS ist unlöslich. Hg-Aethyl, Hg,(C,H,),, undHg(CH,), sind Flüssigkeiten von eigen- thümlichem, etwas süsslichem, bald widerwärtigem Geruch. Quecksilberoxydul Hg,,0, Mercuroxyd. Alle löslichen Oxydulsalze röthen Lackmus, schmecken metallisch und wirken giftig. Salzig ist der Geschmack jedenfalls nicht. n Quecksilberchlorür HgCl geschmacklos, völlig unlöslich. Quecksilberjodür HgJ ist unlöslich. Mercuronitrat NO,Hg zersetzt sich in Wasser. Mercurosulfid Hg,S ist nicht bekannt. Hayeraft. Group I. Metal Chloride Sulphate Be _ Acid. Sweet. Ast. Mesa Bit. Sal. Wrm. Pung. Bit. Sal. Ca: Bit. Sal. Wrm. Pung. Insoluble Zn Bit. Sal. Wrm. Pung. Bit. Sal. Ast. Sr Bit. Sal. Wrm. Pung. Insoluble Cd | Bit. Sal. Wrm. Ast. Bit. Wım. Ast. Ba | Bit. Sal. Pung. Insoluble Hoseh| — —_ DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 523 Nach meinen Versuchen stellt sie sich folgendermaassen: Gruppe II. Metall Chloride Sulfate | Nitrate Be — | süss Mg bitter, nicht salzig | bitter, nicht salzig Ca bitter | bitter, nicht salzig Zn bitter, nicht salzig bitter, nicht salzig Sr bitter | bitter, nicht salzig Cd bitter | bitter Ba bitter | bitter, nicht salzig Hg | III. Aecidi boriei purissimi solutio concentrata schmeckt kaum sauer, 4 Procent geschmacklos, „von schwach bitterlichem adstringirendem Ge- schmack“ (Erdmann), ,„2 Procent Borsäure deutlich sauer nebst bitter“ (Oehrwall). In alkoholischer Lösung schmeckt sie süss, hinterher bitterlich. B,O, Bortrioxyd soll schwach bitter schmecken. Es gilt, festzustellen, ob von der III. Gruppe, die durchweg dulcigene Elemente enthält, nicht auch die Untergruppe III Ga, In, TI süsse Verbin- dungen abgiebt. Ob die Galliumsalze schmecken, war nicht zu entscheiden. Die Indiumsalze schmecken unangenehm metallisch. InCl, schmeckt nach übereinstimmendem Urtheil zuerst sehr süss und herb, In, (SO,), kaum süss, sauer und schliesslich etwas bitter. Ein anderes Präparat In,S,0,,, schwefelsaures Indium schmeckt sehr süsslich. Thallium-Oxydsalze sind löslich, Tl ist chemisch sehr ähnlich dem Pb. Thallium aceticum (Merck) schmeckt sauer, vielleicht etwas bitter, Thalliumalaun AITI(SO,),, sauer zusammenziehend. IV. CO, ist von säuerlich priekelndem Geschmack. Titansäure ist eine schwache Säure und auch eine schwache Base, vermag sich also mit Basen sowohl wie mit Säuren zu Salzen zu verbinden. Der Geschmack der Salze konnte nicht geprüft werden. Zirkonerdesalze röthen Lackmus und schmecken zusammenziehend Sauer. Zirkoniumoxychlorid Zr,OCl, ist von herbem, lang anhaltendem zusammenziehendem Geschmack. Zirc. sulf. (Merck) schmeckt sauer. 524 WILHELM STERNBERG: Das Ger hat ein nur um 1-5 Einheiten höheres Atomgewicht als das Lanthan, und mit diesem Umstande hängt offenbar die merkwürdige Er- scheinung zusammen, dass das Cer, im Grunde ein vierwerthiges Element, in den Salzen mit Vorliebe dreiwerthig auftritt, wie das Lanthan, und diesem sich dann ausserordentlich ähnlich verhält. CGeroxydsalze schmecken säuerlich, süss und sehr herb. Zinnoxydul-, Stanno-Salze sind farblos oder gelblich, wenn ihre Säure farblos ist, röthen Lackmus und schmecken sehr unangenehm, herb, me- tallisch, nicht bitter, nicht süss. SnO,, SnO,H,, Zinnsäure verhält sich starken Säuren Sesendlier als schwache Base, wobei die Zinnoxyd-, Stanni-Salze entstehen. SnÜCl, Zinnehlorür, löslich, ist von sehr unangenehmem, herbem, me- tallischem Geschmack. SnÜl, Zinnchlorid, sehr ätzend, hat einen salzähnlichen Charakter, vereinigt sich zu Doppelsalzen z. B. Pinksalz SnCl,-2 NH,Cl. Von selteneren Bleisalzen schmeckt Fluorborblei PbF,, 2 BoF, süss zusammenziehend, Bleioxydkalk (Kalkplumbit) ätzend. Thorerdesalze! schmecken rein und stark zusammenziehend, weder bitter noch süss. Für die Farbe ihrer Salze ist die des Säure-Ions maassgebend. V. Vanadin VÜl, und VCl, sind hygroscopisch. Die Alkali-Hypovanadate sind löslich, Na-metavanadicum (Merck) schmeckt beissend bitter. Didym sulf. (Merck) schmeckt manchen Versuchspersonen süss und bitter, anderen „erst sauer, herb, dann süss“, Während Praseodym sich relativ leicht in reinem Zustand gewinnen lässt, hat Neodym bis jetzt allen Anstrengungen getrotzt, es frei von Bei- mengungen darzustellen.” Trotzdem ist es auch noch nicht einmal für Praseodym sicher, ob es nicht noch in weitere Elemente zerlegbar ist; wiewohl seine zusammengesetzte Natur sehr wahrscheinlich ist, so ist es doch noch nicht gelungen, sie mit absoluter Sicherheit nachzuweisen. Sulfate de Pras&odyme?° schmeckt etwas süss und dann bitter, Azotate de Pras&odyme et Magnesium süss, nicht bitter; „Sehr bitter und sauer, zuletzt süss“; „Süss, bitter und sauer“, Azotate de Praseodyme et Ammonium „sauer und bitter“, Sulfate de N&Eodyme „etwas süss“, „rein süss und zusammenziehend, nicht bitter“, „bestimmt süss, dann auch etwas bitter“, ! Dr. J. Koppel, Die Chemie des Thoriums. Berlin. 8. 339. Prof. B. Ahrens, Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge. 1901. ®? W. Muthmann und L. Stützel, Beiträge zur Speetralanalyse von Neodym und Praseodym. Berichte der chemischen Gesellschaft. 1900. Bd. XXIII. S. 2653. ? Die Präparate entstammen der „Fabrique de productes chimiques et pharmaceu- tiques.“ Chenal, Douilhet & Cie., Paris. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 525 Azotate de Neodyme „widerlich süss“, „ganz süss“, „sauer, salzig, süss und bitter‘, „süsser und bitterer Nachgeschmack.“ Der Geschmack von Bismuthum citricum wird von Mehreren als „süsslich“ angegeben, von Anderen wieder „nicht süsslich‘“. Vom Geschmack einiger S-Verbindungen ist noch zu bemerken: SO, besitzt einen sehr unangenehmen, lange haftenden Geschmack, doch keine der vier Qualitäten. H,S schmeckt nach Erdmann en widerlich“, in concentrirter Form riecht es süss; Geruch und Geschmack entgeht also sicher der H-Ver- bindung nicht. Obschon jedoch durch Geschmack und Geruch die saure Natur der H-Verbindung nicht erkenntlich ist, auch nicht durch’s Gesicht mit der Farbenprobe, da auch die Wirkung auf Lackmus ausbleibt, so bildet H,S doch salzartige Gruppen. Nach 2 procentiger H,SO, schmeckt Aqua destillata Adducco und Mosso „süss“, Oehrwall nach 0.5 procentiger Lösung. Durch die Einwirkung von dieser H,SO, wird nach Oehrwall eine Substanz gebildet, die süss schmeckt. Schon Fick 1864, giebt an „nicht zu sehr verdünnte H,SO, scheint auf der Zungenspitze süsslich zu schmecken“. Chemisch reines Wasser hat bekanntlich schon an und für sich (Kiesow, Nagel) für manche Menschen einen leicht süssen Geschmack. In der VI. Gruppe kommen noch Cr-, Mo-. W- und Uran in Betracht. Mo(OH), ist eine schwache Säure von stark herbem, saurem Geschmack. Auch die anderen Mo-Verbindungen schmecken scharf sauer und metallisch. Wolframsäure H,WO, s. Scheelsäure, s. Tungsteinsäure, soll bitter- süss schmecken, nach Anderen bitter zusammenziehend, nicht metallisch. Die Alkalisalze sind löslich. Die Uranylsalze, d.h. Uranoxydsalze, reagiren schwach sauer, färben Lackmus roth und schmecken herb. U,C], leicht löslich, geschmacklos. Uranium aceticum (Merck) hat nach übereinstimmendem Urtheil keine der vier Geschmacksqualitäten, ebenso nicht Uranium nitricum (Merck). VII. Die löslichen Manganoxydate, Manganosalze, reagiren neutral, schmecken zusammenziehend, metallisch. MnCl, schmeckt brennend, hinterher salzig. MnSO, neutral, ist ein Stypticum, wirkt ätzend, in verdünnter Lösung von adstringirend bitterem Geschmack. Die Salze desSamarium sollen süsslich und sehr adstringirend schmecken. Doch ist es niebt ausgeschlossen, dass die bisher untersuchten Präparate von Samarium nicht völlig rein waren. Freilich kommt immer hier noch in Betracht, dass häufig im periodischen System benachbarte Grundstoffe 526 WILHELM STERNBERG: sehr ähnliche Eigenschaften besitzen. In hervorragendem Maasse gilt dies gerade von der Reihe La-, Ce-, Pr-, Nd-, Sa-. In der VIII. Gruppe schliesslich befinden sich die drei Metallreihen: Eisen, Nickel und Cobalt; Ruthenium, Rhodium und Palladium; endlich Osmium, Iridium und Platin. Die löslichen (Ferri-)Eisenoxydsalze reagiren sauer, röthen Lackmus; schmecken dintenhaft, schrumpfend. Eisenoxydul-Ferrosalze schmecken zuerst süsslich, wie mitunter an- gegeben wird, dann dintenartig, adstringirend. Der Geschmack der pharmaceutischen Fe-Präparate ist mit wenigen Ausnahmen „ein unangenehm dintenartiger“ nach Liebreich, d. h. me- tallischer, „eisenartiger.“ In schwachen Verdünnungen selbst wirken die Eisensalze adstringirend, indem sie Metallalbuminate bilden, daher ist der Geschmack herb, eisenartig. FeÜl, Ferrum chloratum reaeirt sauer, schmeckt salzig, nach Lieb- reich, metallisch, adstringirend. In keinem Falle konnte der Geschmack als salzig erkannt werden. Ferrum eitric. ammoniat. schmeckt „salzig, nachher schwach eisen- artig“ (Liebreich). Auch dies Salz konnte nicht salzig schmeckend ge- funden werden. Ferr. lactic. schmeckt „entschieden süss“ nach Oehrwall. Kaliumferrat K,FeO,, eisensaures Kali ist leicht löslich, zersetzt sich aber unter Abscheidung von Eisenoxydhydrat, die freie Eisensäure ist nicht bekannt. Kaliumferrocyanat K,FeOy,, gelbes Blutlaugensalz, schmeckt „herb und salzig“ nach Oehrwall. Der salzige Geschmack konnte in der Mehr- zahl meiner Versuche nicht erkannt werden. Die löslichen Nickeloxydulsalze, starke Gifte, röthen Lackmus, schmecken angeblich „süsslich herb“, hintennach metallisch und wirken brechenerregend, die unlöslichen schmecken weniger metallisch. Nickeloxydulhydrat ein wenig löslich in Wasser, fast geschmacklos. Schwefelsaures Nickeloxyd schmeckt „süsslich herb“ nach Ewald. Nach übereinstimmendem Urtheil schmeckt Nickelsulfat nicht süss. Unterschwefelsaures Nickel NiS,0, schmeckte in manchen Ver- suchen „deutlich süss“, ganz „entschieden süss“. Essigsaures Nickel Ni(C,H,O,), wurde ebenfalls als süss oft be- zeichnet, ebenso salpetersaures Nickeloxydul NiN,O, süss. Die neutralen (Co-Oxydulsalze röthen Lackmus, schmecken herb und haben keine der vier echten Geschmacksqualitäten. Kalium Butheniumchlorid schmeckt bitter, dem „Iridiumchlorid DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 527 ähnlich“. Das Kalium-Rutheniumchlorid K,RuCl, ist von sehr zu- sammenziehendem Geschmack, dem K.-Rhod.-Chlorid ähnlich. Das Doppelsalz 4KCl, Ru,0], schmeckt zusammenziehend, während das Iridiumsalz ekelhaft bitter schmeckt. Kalium-Rutheniumsesquichlorid schmeckt rein zusammenziehend, nicht metallisch, bitter. Rutheniumsaures Kali schmeckt stark zusammenziehend wie Gerbsäure. RuO, Rutheniumoxyd, die Lösungen schmecken herb bitter. Es muss aber sehr anhaltend mit siedendem Wasser ausgewaschen werden, da ihm Kali hartnäckig anhängt. Ru, Rutheniumsäure schmeckt stark zusammenziehend wie Gerbsäure. | Salpetersaures Rutheniumoxydulammoniak ist von kühlendem Geschmack, ähnlich dem KNO,. Rutheniumchlorürammoniak ist von dem bittersalzigen Geschmack des KCI. Kohlensaures Rutheniumoxydulammoniak reagirt stark alkalisch und ist von alkalisch zusammenziehendem Geschmack. Ru,C], Rutheniumsesquichlorid schmeckt stark und rein zusammen- ziehend wie Gerbsäure, nicht metallisch. RuCl, Rutheniumchlorid schmeckt herb bitter. Ueberrutheniumsäure, riecht ähnlich wie salpetrige Säure oder Ozon, schmeckt nur zusammenziehend, nicht sauer. Schwefelsaures Rutheniumoxyd Ru(SO,), schmeckt sehr zusammen- ziehend und etwas sauer. Ammoniakalische Rutheniumbasen. NH,0H Ruthenosamminhydroxyd Ru NH,on + *20 riecht wie KOH und wirkt sehr heftig auf die Zunge. NH,NH,0OH Ruthenodiamminhydroxyd Ru schmeckt ätzend und NH,NH,0H etwas zusammenziehend.. Man muss beim Schmecken sehr vorsichtig sein, weil es, wenn Schmeckversuche mehrfach wiederholt werden, eine sehr schmerzhafte, iangdauernde Zungenkrankheit bewirken kann, die nur sehr langsam heilt. NH,NH,Cl NH,NH,0] salzig, nicht so scharf salzig wie Salmiak. Ruthenodiamminchlorid Ru + 3H,0 schmeckt bitter- 528 WILHELM STERNBERG: NH,NH, Ruthenodiammincarbonat Ru NH,NH, > (0, + 5H,0 reagirt und schmeckt alkalisch. Wasserstoffrutheniumeyanür H,RuCy, schmeckt sauer, schrumpfend. Rhodiumchloratum (Schuchardt). Der Geschmack ist zunächst säuerlich, zuletzt deutlich etwas bitter. Rh,Cl, Rhodium chloratum (Merck) ist geschmacklos. Rhodium- oxydsalze sind von bitterem, nicht zusammenziehendem Geschmack. Oxydhydrat Rh,O, löst sich in HC], die Lösung schmeckt zusammen- ziehend, concentrirt ist sie eine rotbe, bitter schmeekende Lösung. Rh,O, bildet mit Säuren Salze von adstringirendem, etwas bitterem Geschmack. 4NH Cl, Rh,Cl, schmeckt metallisch bitter. Palladium oxydulsalze schmecken schrumpfend, nicht metallisch. 0s0, Ueberosmiumsäure oder Osmiumsäure genannt, obgleich es gar keine Säure ist und auch gar nicht sauer reagirt, röthet nicht Lackmus, löst sich leicht, schmeckt ätzend und brennend, ähnlich dem Gewürz- nelkenöl, jedenfalls nicht sauer, nur scharf, brennend. Einige bezeichnen den Geschmack als „süsslich“, andere als pfefferartig kratzend, nach Chlor riechend. Os,0, Osmiumsequioxyd. Nur das K- und das NH,-Osmium- sesquichlorid sind genauer bekannt, ersteres ist dunkelroth, in concentrirten Lösungen kirschroth, die Lösung zersetzt sich leicht, bräunt sich und setzt schwarzes basisches Chlorosmium ab. Kaliumosmiumsesquichlorid schmeckt stark zusammenziehend, der Gerbsäure ähnlich, mit widerlich süsslichem Nachgeschmack. 08,0, Sesquichlorid, purpurner Firniss von metallischem Geschmack. Kohlensaures Iridiumsesquioxyd-Ammoniak reagirt alkalisch, braust mit Säuren stark auf, fast: geschmacklos. Salpetersaures Iridiumsesquioxyd-Ammoniak, hellfleischfarbene Prismen von schwach salzartigem Geschmack. Schwefligsaures Iridiumoxydul-Kali, weisses, geschmackloses Pulver. Kalium-Iridiumsesquichlorid 6KC], Ir,C},, 6H,0, von metalli- schem Geschmack. Iridiumsesquichlorid mit schwefligsaurem Iridiumsesqui- oxyd und Chlorkalium Cl?Ir’0%S50)?8 KC14H?O. Die Krystalle schmecken süss zusammenziehend. Das Doppelsalz mit schwefligsaurem Iridiumsesquioxydkali und Chlorkalium Cl?Ir?0%S0)0K*4KCl, 12H,O von süsslichem, hepa- tischem Geschmack. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 529 Schwefligsaures Iridiumoxydul mit Chlorkalium von stechen- dem, etwas süsslich zusammenziehendem Geschmack. IrCl,, 4NH,Cl, H,SO,, sehr leicht lösliche Kıystalle, diese ist eine Säure und giebt mit Carbonaten unter CO,-Entwickelung Salze, die wie die Säure selber leicht löslich sind und deutlich süsslich schmecken. (NH,),(NO,), (NH,),(NO,), Ir(NO,), Iridium nitrieum (Schuchardt) schmeckt den Versuchs- personen nur sauer. Iridium chloratum, sauer, zuletzt etwas bitter. Platinoxydsalze röthen Lackmus und schmecken zusammenziehend. Iridpentamminnitrat Ir, schmeckt schwach salzig. Es entsteht nun zu allernächst die Frage: Welchem von beiden Theilen im Molecül der Salze kommt der Geschmack zu? Welches ist der sapigene Theil, der Säuretheil oder der Basentheil? Diese Frage ist nicht gleichbedeutend mit der Frage: Welches Ion ist das sapigene? Denn von diesem Gesichtspunkte aus würde sich diese Betrachtung mit jener höchstens nur für das undissocirte Molecül decken können. A. Was den sauren Geschmack betrifft, so schmecken sämmtliche Säuren sauer, gleichviel ob die Säure anorganischer oder organischer Her- kunft ist. Dieser, sämmtlichen Säuren gemeinsame, saure Geschmack muss daher auf dem, sämmtlichen Säuren eigenen, Atomgehalt von H-Metall beruhen dass der Säurerest am sauren Geschmack unbetheiligt ist, beweist die That- sache, dass es nicht ein einziges neutrales und neutral reagirendes Salz giebt, das noch sauer schmeckt, trotz des Säurerestes, den jedes Salz doch noch enthält. Der saure Geschmack verschwindet daher auch sofort und gänzlich wenn der die saure Natur bedingende H durch andere Metalle ersetzt wird dadurch entstehen die Salze, die nicht mehr sauer schmecken, es tritt aber alsdann nicht allein der salzige Geschmack auf; je nach dem verschieden- artigen Ersatz des H-Metalls durch ein saligenes, duleigenes oder amara- genes Metall tritt an die Stelle des sauren nun der salzige oder süsse oder bittere Geschmack. Damit hängt es ferner zusammen, dass die sauren Salze mitunter noch sauer, diejenigen von den neutralen Salzen, die sauer reagiren, deren Base also schwächer ist als der Säuretheil, nicht sauer, aber noch herb schmecken wie die Schwermetallsalze. Allein in den neutralen und neutral reagirenden Salzen erinnert nichts mehr im Geschmack des Salzigen, Süssen, Bitteren an die saure Qualität oder auch nur an die Gegenwart des Säurerestes. Das H ist eben ersetzt, Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 34 530 WILHELM STERNBERGEG: und der Säurerest ist für den sauren Geschmack belanglos. Hat aber nun einmal eine Säure einen Eigengeschmack, wie z. B. die süsse Salieylsäure oder die Bittersäure, so schmecken diese Säuren stets zugleich auch sauer. Hat man Grund genug anzunehmen, dass lediglich auf die Anwesenheit von H der saure Geschmack zu beziehen ist, so bleibt der Säurerest für den Eigenschmack übrig; also der süsse Geschmack in der Salicylsäure C,H,(OH)COOH kommt dem Rest C,H,(OH)COO— zu; der bittere Ge- schmack in der Bittersäure C,H,(NO,), kommt dem Rest C,H,—(NO,), zu. Denn die Salze dieser Säure, welche nieht mehr H, dafür aber noch den Säurerest im Molecül besitzen, haben zugleich auch den Eigengeschmack der Säure. Salze von Basen mit Eigengeschmack und Säuren von Eigen- geschmack haben beide Geschmäcke vereinigt. B. Was den süssen Geschmack der Salze anlangt, so schmecken alle löslichen Berylisalze ohne Ausnahme süss, alle löslichen Bleisalze ohne Ausnahme süss, gleichgültig, ob die Säure eine anorganische oder cyelische oder fette ist, wie es z. B. die Essigsäure im Bleizucker ist; es süssen eben alle löslichen Salze der duleigenen Basen, gleichgültig, mit welcher Säure sie auch combinirt sein mögen. Diese Thatsache macht es schon wahrscheinlich, dass das Metall es ist in diesen süssen Salzen, das für den süssen Geschmack verantwortlich zu machen ist. Dass aber die Säuren auch nicht den geringsten Beitrag zu diesem süssen Geschmack etwa liefern, beweist folgende Thatsache: Dieselbe Säure, z. B. Schwefelsäure, welche in dem rein süss schmeckenden Aluminium- sulfat enthalten ist, ist auchin dem rein bitter schmeckenden Magnesium- sulfat enthalten. Würde also der Säure-Antheil im Aluminiumsulfat wirklich etwa einen Antheil an dem Zustandekommen des süssen Geschmacks haben, dann wäre es eine unabweisliche Forderung, dass er sich auch im Magnesium- sulfat geltend machen würde, dass alsoMgSO, bitter und zugleich süssschmeeken müsste, jedenfalls nicht ausschliesslich rein bitter. Aus demselben Grunde müsste aber auch Aluminiumsulfat süss und zugleich auch bitter schmecken; es würden sich also in einer Verbindung die seltsamsten Geschmacks- qualitäten immer combinirt vorfinden müssen. Dies entspricht aber nicht den Thatsachen, mithin ist dem Säurebestandtheil in den süssen Salzen jeglieher Antheil an dem süssen Geschmack abzusprechen. C. Was den bitteren Geschmack in den bitter schmeckenden Salzen anlangt, so trifft das nämliche auch hier und zwar wiederum aus eben den- selben Gründen zu. Bitter schmecken alle löslichen Magnesiumsalze, mögen sie verbunden sein mit welcher Säure auch immer, ebenso schmecken von allen anderen ama- ragenen Elementen stets sämmtliche lösliche Salze ohne Ausnahme bitter. DER SALZIGE (GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 531 Es giebt eben keine einzige Säure, mit welcher ein amaragenes Element zum Salz combinirt, etwa nicht auch zugleich bitter schmecken würde. Selbst wenn diese Säure einen eigenen Geschmack hat, sogar den dem bitteren diametral entgegengesetzten, den süssen, so wird ausser dem süssen Ge- schmack der bittere trotzdem noch hinzugefügt, wenn diese Säure mit einem amaragenen Element zum Salz vereinigt ist. Dies trifft sogar für den Fall noch zu, dass die Säure hochmolecular ist, so dass verhältniss- mässig nur wenig von dem amaragenen Element in diesem salzigen Molecül vorhanden ist, zumal wenn das amaragene Element nicht von den ein- werthigen etwa gewählt ist. Denn salicylsaures Magnesium >Dooc ” schmeckt deutlich und unverkennbar auch ae wiewohl es von dem amaragenen Element nur relativ wenig im Molecül enthält. Wenn der bittere Geschmack in manchen Salzen der Alkaloide schwindet, so liest der Grund oft, wenn nicht in dem Schwinden der Löslichkeit, in der That- sache, dass das Molecül der Säure ausserordentlich gross ist. Also ist das Metall für den bitteren Geschmack, nicht aber der Säuretheil in Anspruch zu nehmen. Dass diesem gar kein Antheil am bitteren Geschmack zukommt, ergiebt folgende Beobachtung: Eben dieselbe Säure, welcher man einen Beitrag etwa zu diesem bitteren Geschmack supponiren wollte, mit einem duleigenen Metall vereinigt, giebt niemals einen bitteren Beigeschmack. Mithin sind die amaragenen Metalle, und zwar ausschliesslich diese für den bitteren Geschmack in den. bitter schmeckenden Salzen als die Ursache der Bitterkeit anzusehen. Diese Thatsacken nun, auf die amaragenen Atome der ersten Haupt- gruppe: K, Rb, Cs angewandt, führen zu der Annahme, dass es auch hier der Basenbestand- theil K, Rb, Cs sein muss, welcher den bitteren Geschmack in den Salzen hervorruft. Nun schmecken aber diese Salze auch alle salzig zugleich. D. Es entsteht daher die Frage nach dem Antheil, den die einzelnen Bestandtheile im Molecül zum Auftreten des salzigen san oe liefern. Sind die Bestandtheile, die den salzigen Geschmack verursachen, ent- sprechend denen, die den bitteren, den süssen, den sauren bedingen, oder nicht? Haben diese amaragenen Elemente der ersten Gruppe die Eigen- thümlichkeit, zweierlei Geschmacksempfindungen hervorzurufen, nicht nur die bittere, sondern auch die salzige? 34* 532 - WILHELM STERNBERG: Zu dieser Annahme scheint man zunächst gedrängt. Denn der Säure- theil kann auch an dem Hervorbringen des Salzgeschmackes nicht etwa betheiligt sein, ebenso wenig und aus denselben Gründen wie in den bitter schmeckenden Salzen an demjenigen des bitteren Geschmacks und in den süss schmeckenden an demjenigen des süssen Geschmacks. Denn unter diesen Umständen müsste eben auch Aluminiumsulfat nicht nur süss und bitter, sondern auch zugleich salzig schmecken, was aber nicht den Thatsachen entspricht. Unter diesen Umständen müsste auch Natriumsulfat nicht nur salzig und bitter, sondern zugleich auch sogar noch süss schmecken, was ebenfalls den Thatsachen nicht entspricht; und schliesslich müsste Magnesium- sulfat unter diesen Umständen nicht nur bitter, sondern auch noch salzig und auch süss schmecken, was ebenfalls den Thatsachen nicht entspricht. Es müssten sich eben stets sämmtliche Geschmacksqualitäten in sämmtlichen salzartigen Verbindungen stets combiniren. Aus diesen Betrachtungen folgt also: Stets ist das Metall, und zwar aus- schliesslich dasMetall, der Basentheil, welcher denSalzen den Geschmack verleiht. I. Das H-Metall, und zwar ausschliesslich das H-Metall, giebt sämmt- lichen Säuretheilen in ihren salzartigen Verbindungen, den H-Salzen, den sauren Geschmack, welcher an der unteren Grenze der Empfindung nur als herb wahrgenommen wird. II. Die duleigenen Metallatome sind es, und zwar ausschliesslich diese Metalle, welche in den süss schmeckenden Salzen dem süssen Ge- schmack zu Grunde liegen. III. Die amaragenen Basen sind es und wiederum ausschliesslich diese, die in den bitter schmeckenden Salzen den bitteren Geschmackseindruck bedingen. IV. Die saligenen Basen sind es, welche ebenfalls allein, ohne Mit- betheiligung der Säuren, den salzigen Geschmack hervorrufen. V. Die geschmacklosen (asapigenen) Basen geben mit geschmacklosen Säuren geschmacklose Salze. Ebenso geben ja auch farblose Basen mit farblosen Säuren farblose Salze. Aus diesem Grunde sind alle Salze farblos, welche die Alkalien, die alkalischen Erden und die Erden mit den farb- losen Säuren bilden, mit den Säuren des Schwefels, des Phosphors, mit Salpetersäure, Chlorsäure, Kohlensäure, Borsäure, Schwefelsäure, Antimon- säure, Molybdänsäure, Arsensäure, Essigsäure, Weinsäure, Oxalsäure. VI. Da relativ wenig Basen asapigen sind, so kommt es, dass die meisten Salze einen Reiz auf das Geschmacksorgan ausüben. VII. Sapigene Basen geben mit geschmacklosen Säuren ausnahmslos schmeckende Salze. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 533 Die Qualität des Geschmackes verhält sich also auch in dieser Be- ziehung verschieden von der Qualität der Farbe. Denn die Qualität der Farbe hängt nicht so ausschliesslich davon ab, ob der Basentheil gefärbt ist. Selbst wenn die Base gefärbt ist, so können doch die Salze farblos sein» wie das wasserfreie, schwefelsaure Kupfer und Eisen. Für die Farbe der Salze ist oft auch noch die Bedingung von Bedeutung, ob dieselben wasser- haltig sind oder nicht. In vielen Fällen ist die Farbe der Salze sogar ver- schieden, je nachdem dieselben wasserhaltig oder wasserfrei sind. Für die Qualität des Geschmackes jedoch, des süssen, des bitteren, des salzigen, des sauren Geschmackes kommt allein der Basentheil, in keinem Falle der Säuretheil in Betracht. VIII. Weiter verhalten sich sämmtliche Salze in ihren Wirkungen auf den Geschmacksinn und auf den Farbensinn noch principiell verschieden; denn mehrfach sind in den gefärbten Salzen die chromogenen Be- standtheile die Säuretheile, wie z. B. in den Chromaten, andernfalls wieder die Basentheile, wie z. B. in den Kupfersalzen; ja ein und dasselbe Element ist im Stande die Farbe zu liefern, ganz gleichgültig, ob es im Salz als Base oder als Säure auftritt, wofür ebenfalls Chrom ein Beispiel ist. Essigsaures Chrom besitzt in gleichem Maasse die Qualität der Farbe wie chromsaures Kali. Einmal fungirt also das chromophore Element Chrom als Farbbase, ein ander Mal als Farbsäure. Die „basischen Farb- stoffe“ sind Salze von Farbbasen, die „sauren Farbstoffe“ sind solche von Farbsäuren. Das ist also ein weiterer Unterschied in den optischen und gustischen Eigenschaften der Substanzen, welche einen Reiz ausüben auf das Sinnesorgan des Auges oder der Zunge. Denn wenn Blei in den Bleisalzen süss schmeckt, so ist dieser süsse Geschmack nicht mehr den Plumbaten eigen. Es genügt also zum Zustandekommen des Geschmackes nicht die blosse Anwesenheit des Atoms im Molecül, wie zum Zustandekommen der Farbe, sondern dem Atom muss auch noch eine ganz bestimmte Stellung und Function zukommen, um erst die gustische Qualität dem Salze zu verleihen, um auf den Geschmacksinn zu wirken. Dieses Moment kann zumal bei dem süssen Geschmack in Betracht kommen, da gerade die duleigenen Elemente vermöge ihrer Doppelnatur befähigt sind, als Säuren und auch als Basen zu fungiren. Jedenfalls sind aber zum Auftreten des süssen Geschmackes die Bedingungen im Vergleich zu denen der Färbung ausserordentlich erschwert. In einzelnen Fällen freilich ist auch die Farbe nur durch ein Atom, ja durch ein ein- ziges Ion bedingt, wie bei den Salzen eines gefärbten Ions mit einer farb- losen Säure. IX. Eine anorganische Säure, die einen Eigengeschmack hat, giebt es nicht, der negative Rest ist stets geschmacklos. Ebenso ist aber auch der 534 WILHELM STERNBERG: negative OH-Rest völlig geschmacklos, und somit kann es sich erklären, dass und warum es einen laugigen Geschmack nicht geben kann. Der die Laugennatur bestimmende, negative OH-Rest ist eben, wie alle negativen Reste, nicht befähigt, einen adäquaten Reiz auf das Sinnesorgan der Zunge auszuüben. Dieses Sinnesorgan berichtet uns eben in den Salzen einzig und allein über den positiven Theil, über die Art der Base. Auf keine Ge- schmacksqualität kann es naturgemäss einen Einfluss ausüben, ob die Salze wasserhaltig oder wasserfrei sind, wie bei der Farbe. Bisweilen sind eben wasserfreie Salze farblos, auch wenn die Base gefärbt ist, so dass die Farbe durch den Wassergehalt bedingt ist. Das wasserfreie Kobaltchlorür ist roth, wie es die wasserhaltigen Kobaltoxydulsalze sind. Das wasserhaltige Eisen- chlorür ist grünlich wie Eisenvitriol. Wasserhaltiges Kupferchlorid ist grün, während die wasserhaltigen Kupferoxydsalze blau sind. X. Schmeckende Säuren geben mit geschmacklosen Basen schmeckende Salze, wenn diese löslich sind. Ebenso liefern auch gefärbte Säuren mit farblosen Basen gefärbte Salze, und zwar gleicht die Farbe der Salze entweder der Farbe der Säure oder sie steht doch dieser nahe. So giebt die Chromsäure mit farblosen Basen gelbe oder rothgelbe Salze, die Mangansäure grüne, die Eisensäure und die Uebermangansäure geben rothe Salze. XI. Sapigene Säuren, d. h. Säuren, deren Säurerest einen Eigenge- schmack besitzt, geben mit sapigenen Basen schmeckende Salze, und zwar setzt sich dieser Geschmack additiv zusammen aus beiden Geschmäcken. Auch die gefärbten Basen geben mit den gefärbten Säuren gefärbte Salze. Geschmack wie Farbe setzen sich aus der Wirkung des positiven und derjenigen des negativen Bestandtheils zusammen. XI. Die Qualität der Farbe ist in den Salzen verschieden, je nach- dem es sich um Oxydul oder Oxydsalz handelt, die Qualität des Ge- schmackes jedoch nicht. Denn die Geschmacksqualität ändert sich nicht, insofern die Qualität der einen Reihe etwa in eine andere Qualität der anderen Reihe übergehen würde. Lediglich darin, besteht der Unterschied des Geschmackes beider Reihen, dass manche Oxydulsalze den Geschmack überhaupt nicht besitzen, die Oxydsalze hingegen. Das hängt mit ihrer Löslichkeit zusammen. XIII Es giebt nicht ein Salz, das süss und salzig zugleich schmeckt. XIV. Organische Salze d.h. die Salze der organischen Säuren schmecken süss, bitter, sauer; aber nicht oder nur in auffallend geringer Inten- sität salzig. Die Eigenschaft der Salze, sauer, salzig, bitter, süss zu schmecken oder oeschmacklos zu sein, ist also ausschliessliche Eigenschaft eines einzigen Theils in diesen Salzen und zwar constant lediglich die des Basentheils. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 535 Die Base ist das Geschmackangebende. Der Geschmack der Salze giebt uns also nur Aufschluss über den Basentheil und zwar ganz genau darüber, welche Base im Salz enthalten ist. Geht man also im System, von oben links nach rechts unten, der Reihe nach 2. B. die Chlorverbindungen der einzelnen Elemente durch, 1. HOI, 2. LiCl, NaCl (die erste Gruppe), 3. MsQl, u. s. f. (die zweite Gruppe), 4. AICI, u.s. f. (die dritte Gruppe) u. s. f., so ist die Reihenfolge der Geschmäcke folgende: 1. Sauer: (H-Verbindung), 2. Salzig: (Na-Verbindimg), 3. Bitter: (amaragene. Zone), 4. Süss: (duleigene Zone), 5. Geschmacklos. Die Geschmacksqualitäten lassen sich ‘also sehr wohl in eine Scala ordnen: Sauer, salzig, bitter, süss, geschmacklos. 1. Von dem „rein sauren‘ Geschmack der Säuren gelangt man zu dem 2. „sauer salzigen“ Geschmack mancher sauren Natriumsalze, zu dem 3. „rein salzigen“ Geschmack des NaCl; der Geschmack wird in den entsprechenden Verbindungen 4. „salzig bitter“, 5. weiterhin „bitter salzig“, endlich 6. „rein bitter“, alsdann 7. „bitter herb‘“, 8. schliesslich „nerb süss“, und 9. „herb“, d. h. „geschmacklos“. Die Geschmacksscala ist mithin: Sauer ; Salzig | Bitter | “4. | Bitter | Süss Su: salzig Sala | bitter | salzig | ie: herb herb herb 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | er | 8 | 9 Diese Geschmacksscala kann man als das Geschmacksspectrum ansehen. Die Thatsachen können jedenfalls die von Oehrwall ausgesprochene Ver- mathung widerlegen. „Es ist“, sagt Oehrwall!, „offenbar, dass es noch weniger einen con- tinuirlichen Uebergang von einer dieser Geschmacksarten zu irgend einer der anderen durch eine Serie qualitativ verschiedener Empfindungen giebt, so wie dies der Fall ist bei verschiedenen Farben oder bei Tönen ver- schiedener Höhe. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Geschmacksempfin- dungen wesentlich von den Gesichts- und Gehörsempfindungen“. # ! Hjalmar Oehrwall, Untersuchungen über den Geschmackssinn. Skandin. Archiv für Physiologie. 1891. Bd.UI. 8.15. 536 WILHELM STERNBERG: „Diesem Unterschiede scheinen Unterschiede zwischen den äusseren objeetiven Ursachen der Empfindungen zu entsprechen. Diese bilden bei dem Farben- und Tonsinne eine continuirliche Serie von Vibrationen verschiedener Schnelligkeit. Von den ob- jectiven Ursachen der Geschmackssensationen weiss man noch nicht viel mit Gewissheit. (Den Satz, welchen Corin! aufgestellt, dass der saure Ge- . schmack eines Molecüles einer gewissen Säure auf dem Verhältniss zwischen dem Gewichte des Wasserstoffes und dem des ganzen Molecüles beruht, fordert Bestätigung, und der Versuch Haycraft’s?, verschiedene Geschmäcke von Metallsalzen in Zusammenhang zu bringen mit den steigenden Atom- gewichten innerhalb der Gruppen, in welche Mendelejeff die Elemente geordnet, muss als völlig misslungen angesehen werden.) Gleichwohl kann man als sicher annehmen, dass gewisse chemische Eigenschaften der schmeck- baren Substanzen ihnen das Vermögen verleihen, auf die Endorgane der Geschmacksnerven einzuwirken, und da die chemischen Eigenschaften der Körper, wie verschieden sie immer sein mögen, keine ebenso continuirliche Serie wie die Licht- oder Schallwellen erbieten, ist es anzunehmen, dass selbst für den ‚entwickeltsten Geschmackssinn, der sich denken liesse, für einen Geschmackssinn, der unendlich viel mehr verschiedene Arten Geschmacks- empfindungen als der des Menschen besässe, es nichts dem Speetrum oder der Tonserie Entsprechendes geben würde. Vergleicht man die Geschmacksempfindungen besonders mit den Ge- sichtsempfindungen, würde man diesen Unterschied so ausdrücken können, dass das Spectrum des Geschmackssinnes discontinuirlich ist, aus einer Minderzahl weit getrennter Linien bestehend, welche sich nicht einmal in eine bestimmte Ordnung bringen lassen (vielleicht gerade zu Folge Mangels an Uebergängen).“ Freilich ein Vergleich des Geruchs mit dem Gehör, der verschiedenen Gerüche mit musikalischen Tönen ist als ganz misslungen anzusehen. Hirzel? und Piesse* stellten eine Tonleiter der Gerüche auf: in dieser Tonleiter stellt Patchouli das tiefe © des Basses dar, während der Discant vom D des Veilchengeruches bis zum 7 fach gestrichenen Zibeth-F hinaufgeht. Es ist nicht zu verkennen, dass Geschmack und noch mehr Geruch nicht quantitive, sondern in hervorragendem Maasse qualitative Eigenschaften sind, dass mithin diesen Betrachtungen des chemischen Sinnes Schwierigkeiten entgegentreten im Vergleich zu denjenigen der quantitativen Eigenschaften ! Joseph Corin, Action des acides sur le goüt. Bull. de ’ Academie royale des sciences. Bruxelles 1887. Nr. 11. S. 67. ? The nature of the objective cause of sensation. P. II. Taste Brain. 1887. ° Hirzel, Toslettenchemie. Leipzig 1892. 8. 13 ff. * Piesse, Histoire des parfums. Paris 1890. p. 42. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 537 des Objects der physikalischen Sinne. Die Gerüche lassen sich zunächst noch nicht in ein quantitativ messbares Verhältniss bringen; die hochgradige Verschiedenheit der Qualitäten für einen Sinn, für den Geschmack, hat Oehrwall sogar zu der Forderung veranlasst, sie schon als Modalitäten verschiedener Sinne aufzufassen. Die anorganische Gruppe könnte allein das Geschmacksspectrum liefern. Denn der salzige Geschmack fehlt einerseits den organischen Verbindungen fast gänzlich, andererseits müssen sich auch die organischen Salze dem System unterordnen, da der Geschmack in den Salzen sich nur nach den Basen richtet. Dazu kommt, dass im organischen Reich eine ähnliche Gruppirung nicht existirt, wie denn auch noch heut zu Tage die chemische Gruppe der Bitterstoffe keine einheitliche Gruppe darstellt. Demnach könnte man, wenn überhaupt, sonur in der anorganischen Reihe ein dem Farbenspecetrum und Tonspeetrum völlig entsprechendes Ge- schmacksspectrum aufstellen. Bedenkt man, dass die die diametral entgegen- gesetzten Geschmacksqualitäten „süss“ und „bitter“ gebenden objectiven Grundprincipien sehr nahe bei einander liegen, so ersieht man, dass das Geschmacksspectrum, soweit es sich wenigstens um die äusseren objectiven Ursachen der Empfindungen handelt, nicht ein discontinuirliches ist, sondern einen continuirlichen Uebergang von der einen Geschmacksqualität zur andern aufweist. Nimmt man nun noch hinzu, dass auch die Wirkung der chemischen Verbindungen auf das Sinnesorgan der Zunge durch Vibrationen der Atome im Molecül erzeugt sein muss, so ist das continuirliche Geschmacks- spectrum vollständig dem Farben- und Tonspectrum vergleichbar, hervorge- rufen durch Vibrationen verschiedener Geschwindigkeit. Relativ kleine Unterschiede der Wellenlänge des zurückgeworfenen Lichtes reichen schon hin, um vom Auge als Unterschiede der Farbe erkannt zu werden. Dieselben Unterschiede, im selben Maasse mindestens, reichen aus, um von dem Sinnesorgan der Zunge exact als Unterschiede des Geschmacks empfunden zu werden. Dieser Unterschied ermöglicht es uns, die Verschiedenheit der Farbe in eine Reihe von Stufen zu projieiren, die vielen Qualitäten der Farben zu sondern. Der nämliche Umstand könnte es auch ermöglichen, die Verschiedenheit der Geschmäcke in eine Serie von Stufen zu verwandeln. Die Salze der ersten Hauptgruppe schmecken zum allergrössten Theil zwar auch salzig und zugleich bitter, allein einige wenige Ausnahmen unter ihnen schmecken lediglich salzig. Das Salz zer 2£0x47v führt daher seinen Namen mit Fug und Recht, es schmeckt rein salzig, aber nicht zugleich bitter. Es entsteht daher die Frage: Wie kommt es, dass NaCl, NaFl, LiCl, LiFl nur den salzigen Geschmack haben, den bitteren aber nicht? 538 WILHELM STERNBERG: Diese Schwierigkeit, die für die Erklärung der beregten Fragen entsteht, wird aber noch dadurch erhöht, dass gerade die anderen Halogen- verbindungen eben desselben Metalls, z. B. NaJ, salzig und zugleich bitter schmecken und ebenfalls die meisten anderen Na-Verbindungen, z. B. auch Na,SO,. Dass einige Salze einer und derselben Base ein Mal nur salzig, mit anderen Säuren aber verbunden, auch zugleich bitter schmecken, das ist eine in diesem ganzen Gebiet einzig und allein dastehende Ausnahme. Dies ist dasjenige Moment, das den prineipiellen Gegensatz zwischen den salzig und bitter schmeckenden Salzen einerseits und den süssen und sauren Salzen (Säuren) andererseits ausmacht, unter denen nicht ein ein- ziger derartiger Ausnahmefall vorkommt. Dass also die Säure möglicher Weise doch nicht gänzlich unbetheiligt an der Eigenschaft des Geschmackes sein kann, wenigstens an der des salzigen bezw. bitteren, scheint hieraus hervorzugehen. Schliesslich kommt noch ausserdem hinzu, dass die den rein salzig schmeckenden Verbindungen LiFI—LiCl, NaFl—NaCl entsprechenden Salze KFI, KCl u. s. w. auch salzig und zugleich bitter schmecken. Die Annahme, dass der Säurerest etwa am bitteren Geschmack be- theiligt sei, zwingt zur Annahme, dass eben diese Säure dann auch, für sich schon sauer, und zugleich bitter schmeckte, und dass alle anderen Salze dieser Säure, etwa die der duleigenen Elemente, auch bitter schmeckten. Beiden Annahmen widersprechen aber die Thatsachen. Die Annahme, dass der Säurerest etwa am salzigen Geschmack be- theiligt sei, zwingt zu der Annahme, dass diese Säure für sich auch schon sauer und zugleich salzig schmeckt, dass mithin alle anderen Salze dieser Säure, etwa die der dulcigenen Elemente, auch salzig schmecken. Beides widerspricht aber wiederum den Thatsachen. Wenn also der Säurerest ein Mal für eine Qualität in Anspruch ge- nommen wird, zwingt die Annahme zu dem Postulat, dass alle neutralen und neutral reagirenden Salze sämmtliche Geschmacksqualitäten in sich vereinen. Die Angabe, dass in einigen Fällen z. B. bei den schwefligsauren Salzen der Geschmack der Salze von dem der Säure abhängig ist, konnte ich nicht bestätigen. | Die Stellung der duleigenen Elemente im System ist eine ganz be- stimmte. Die duleigenen Elemente befinden sich in der Mitte des Systems. Die Süsskraft ihrer Salze nimmt, im Allgemeinen, mit Erhöhung des Atom- gewichtes zu. Dasselbe Moment lässt sich auch für die amaragenen- Ele- mente durchführen. Die Bitterkeit ändert sich in doppeltem Sinne. Die Bitterkeit der Salze nimmt mit Verminderung des Atomgewichtes der Säurereste der Halogene einerseits ab, sie nimmt aber auch anderer- seits zugleich mit Verminderung des Atomgewichtes der basischen amaragenen DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 539 Elemente ab. Die Bitterkeit verschwindet also schliesslich gänzlich und wird endlich #%= 0 in denjenigen Salzen, welche aus den leichtesten Com- ponenten sich zusammensetzen: Na, Li einerseits und Fl, Cl andererseits. Ein Mal ist es also die Stärke der Säuren, mit deren Zunahme die Bitterkeit abnimmt, auf der anderen Seite ist es aber nicht auch die Stärke der Base, mit deren Zunahme die Bitterkeit abnimmt; sondern im Gegen- theil, je schwächer die Base wird, desto schwächer wird auch der bittere Geschmack der Salze. Denn K ist eine stärkere Base als Na, und K con- servirt sich in sämmtlichen Verbindungen den bitteren Geschmack neben dem salzieen zugleich. Die leichtesten und schwächsten Alkalien: Natrium und Lithium sind es gerade, welche in manchen Salzen die Bitterkeit gänz- lich verlieren. Das Gemeinsame im Basen- und Säurentheil ist also das Atom- gewicht, mit dessen Verminderung sich der bittere Geschmack vermindert. Diese Betrachtung führt zu der Frage nach dem Antheil der Ionen überhaupt am Geschmack. Hier handelt es sich also um folgende Fragen: I. Ist der Geschmack der Salze — vielleicht nur der salzige — ledig- lich Ionen-Eigenschaft? IH. Liefert überhaupt der elektrische neutrale Theil einen Beitrag zum Geschmack? III. Aendert sich die Eigenschaft des Geschmackes eines elektrisch neutralen Molecüls durch den Zerfall in Ionen und in welcher Weise? IV. Wenn es lediglich die Ionen sind, die den Geschmack bedingen, ist es stets nur der eine Theil der dissocirten Elektrolyten; welcher der- selben, der positive oder der negative? V. Ist es stets der positive, stets der negative Bestandtheil, oder in manchen Verbindungen der positive, in anderen wieder der negative, der den Geschmack bedinst? VI. Setzt sich der Geschmack in den Salzen additiv aus dem der Ionen zusammen? Alsdann würden die Verhältnisse dieser Qualität sich ähnlich wie die der Farbe verhalten. Die Qualität der Farbe hängt von der Farbe der freien Ionen ab und setzt sich additiv aus der Absorption des positiven wie derjenigen des negativen Bestandtheiles zusammen. Bei hinreichenden Concentrationen haben alle Ohromsalze ohne Ausnahme die gleiche gelbe Farbe, alle Kupfer- salze ohne Ausnahme die nämliche blaue Farbe, während alle aus lediglich farblosen Ionen wie Cl, Br, J, NO,, SO, u. s. w., und K, Na, Ba, Ca, NH, u.s. w. combinirten Salze in wässeriger Lösung farblos sind. Bei der Lösung dieser Fragen handelt es sich also nicht mehr um zwei Bestandtheile allein, wie vordem, nämlich um den Beitrag, den das 540 WILHELM STERNBERG: basische Atom, und um den, den das Säureatom zum Geschmack liefert, sondern es handelt sich sogar um drei Theile. Es kommt der Beitrag in Frage, den das Kation, den das Anion, den das indissociirte Molecül liefert. Allein das Säureion ist dennoch zu eliminiren. Denn wenn auch das Säureion, ganz verschieden vom Säureatom, andere Eigenschaften besitzt, also auch ganz andere Geschmacksqualitäten möglicher Weise besitzen könnte, so hatten doch schon die Betrachtungen zu der Annahme gezwungen, dem Säuretheil überhaupt jeglichen Geschmack abzusprechen und als völlig geschmacklos zu betrachten. Da der Säuretheil überhaupt nicht für den Ge- schmack, weder für den salzigen und den bitteren, noch für den süssen und sauren, in Betracht kommen kann, so ist auch das Säureion für die Eigenschaft des Geschmackes völlig auszuschliessen. Mithin beschränkt sich doch auch hier wiederum die Frage auf zwei Möglichkeiten nur; es fragt sich nämlich: Ist das Kation oder das elektrisch neutrale Molecül für den salzigen bezw. bitteren Geschmack verantwortlich zu machen? Dabei ist es naturgemäss, vorauszusetzen, dass von den fraglichen Be- standtheilen es stets ein und derselbe Theil sein muss, dem eine Geschmacks- qualität zukommt. Es kann nicht angenommen werden, dass derselbe Theil ein Mal die eine, der nämliche Theil in anderer Verbindung die andere, möglicher Weise ganz entgegengesetzte Geschmacksqualität zeigt. Ebenso kann man auch nicht für die nämliche Qualität verschiedene Bestandtheile als Ursache heranziehen. Da sich hier die Fragen häufen, so dürfte es sich empfehlen, die Fragen bezüglich der übrigen Geschmacksqualitäten der Salze zunächst zu prüfen. Was zunächst den sauren Geschmack der Säuren angeht, so ist der- selbe durch die Gegenwart von Wasserstoffionen bedingt. Allein Th. W. Richards! constatirte bei seinen Untersuchungen, dass doch nicht die Intensität des sauren Geschmackes genau der Concentration der Wasser- stofionen proportional ist. Beim Vergleich äquivalenter Lösungen von verschiedenen Säuren ordnen sie sich zwar in der Reihenfolge der Disso- ciationsconstanten; allein es entsprachen doch nicht die gleich sauer schmeckenden Lösungen, wie man hätte erwarten sollen, einem gleichen Gehalt an freien Wasserstoffionen. Vielmehr schmeckten die Lösungen schwächerer Säuren saurer als man demnach hätte annehmen dürfen. Es wurde zwar der saure Geschmack zurückgedrängt, wenn zur Säure, zu ! Theodor William Richards, The relation of the taste of acids to their degree of dissociation. American Chemical Journal. February 1898. Vol. XX. Har- vard College. p. 121—126. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 541 Essigsäure noch Natriumacetat gefügt wurde, wie dies von der Theorie ge- fordert wird, nach welcher ja dadurch die Dissociation im Sinne der’ H-Ionen zurückgedrängt wird, so dass die H-Ionen an Zahl geringer werden. Allein der Einfluss auf Salzsäure war doch wiederum viel stärker als der auf Essigsäure. Daher konnte es scheinen, dass der nicht dissocürte Theil der Säure doch auch nicht ganz unbetheiligt am Hervorbringen der sauren Geschmacksqualität sei. J. H. Kastle! berichtet über ähnliche Versuche und kommt zum selben Ergebnis. Um die persönliche psychische Beeinflussung nach Mög- lichkeit auszuschliessen, hat er möglichst zahlreiche Beobachter zu diesen Untersuchungen herangezogen. So komnmit es, dass die Einzelergebnisse viel mehr von einander abweichen. Louis Kahlenberg hatte bereits früher? die Thatsache angegeben, dass der saure Geschmack schwächerer Säuren stärker ist, als der Theorie entspricht. Richards? erklärt diese Thatsache nun durch die Annahme, dass Wasserstoffionen durch einen die Geschmacksempfindung eben bedingenden chemischen Vorgang verbraucht würden, dass also der verhältnissmässig stärkere saure Geschmack schwacher Säuren durch Neubildung von Wasser- stoffion, je nach Maassgabe dieses Verbrauches, also durch kumulative Wirkung verursacht se. Richards macht also die Hypothese, dass die Erzeugung der physiologischen Sinnesempfindung, nämlich der sauren Ge- schmacksempfindung, abhängig sei oder wenigstens hegleitet sei von einem chemischen Process, nämlich von einem Verbrauch der H-Ionen und Ersatz derselben durch neue und zwar auf Kosten des undissocürten Theiles. Auf diese Weise lässt sich mit der Dissociationstheorie die Thatsache in Ueber- einstimmung bringen, dass schwache Säuren und auch saure Salze, verglichen mit Salzsäure, viel saurer schmecken, als die Annahme der Proportionalität zwischen saurem Geschmack und Concentration der H-Ionen forderte. Unabhängig von Richards hat auch A. A. Noyes und Ostwald dieselbe Erklärung gegeben.* Die von Richards und Noyes vertretene Ansicht der cumulativen Wirkung verwirft Louis Kahlenberg® und meint, dass die elektrolytische ı J. H. Kastle, Ueber den Geschmack und die Affinität der Säuren. American Chemical Journal. 1898. Vol. XX. p. 466—471. 2 Journ. of Physical Chem. Vol.IV. p. 33. 3 Theodor William Richards, Beziehungen zwischen dem Geschmack von Säuren und ihrem Dissoeiationsgrade. II. Journ. Chem. Phys. 1900. Vol. IV. p. 207—211. 4 Zeitschrift für physikal. Chemie. 1899. Bd. XXVIII. 8.174. 5 Louis Kahlenberg, Beziehungen zwischen dem Geschmack saurer Salze und ihrem Dissociationsgrade. IV. Journ. of Physical Chem. Vol. IV. p. 533-537. 542 WILHELM STERNBERG: Dissoeiationstheorie auch nicht im Stande sei, die gefundenen Resultate zu erklären. Er zeigt, dass eine Salzsäurelösung, die so schwach ist, dass sie, auf gewöhnliche Weise probirt, nicht mehr sauer schmeckt, auch dann keine Geschmacksempfindung hervorruft, wenn sie längere Zeit mit der Zunge in Berührung gebracht wird. Damit ist nach Kahlenberg’s Ansicht der Beweis erbracht, dass Richards’ Erklärung für die Thatsache nicht zutreffe, dass der saure Geschmack von Säuren und auch von sauren Salzen der Concentration der H-Ionen in ihren Lösungen nicht proportional ist. Alle Stoffe, die sauer schmecken, haben die Eigenschaft gemeinsam, dass Wasserstoff durch Metall vertretbar ist. Mit der Leichtigkeit nun, mit der der Wasserstoff ersetzt wird, geht saurer Geschmack und chemische Reactionsfähigkeit parallel. Was nun den sauren Geschmack der sauren Salze betrifft, so schmecken nach den Untersuchungen von L. Kahlenberg! die sauren Salze der zweibasischen organischen Säuren zum Theile deutlich sauer, obwohl die (nach der Zuckerinversionsmethode gemessene) Concentration der Wasserstoffionen sehr klein war. Man muss daher annehmen, dass die einwerthigen Anionen ebenfalls, wie die H-Ionen, sauer schmecken, eine vom Standpunkt der Dissociationstheorie unbefriedigende Erklärung. Nach Noyes ist aber diese Erklärung durchaus nicht als nothwendig, nicht einmal als wahrscheinlich anzunehmen. Die Intensität der sauren Geschmacksempfindung hängt nach der Vorstellung von A. A. Noyes von dem Betrage ab, in dem eine bestimmte chemische Veränderung durch die Säure in den linden der Empfindungsnerven hervorgebracht wird. „Nur unter der Voraussetzung, dass diese chemische Veränderung durch die Wasserstofiionen katalytisch zu Stande gebracht wird, kann eine Proportionalität zwischen dem Betrage dieser Veränderung und der Concentration der genannten Ionen mit Recht erwartet werden. Wenn dagegen die Wasserstoffionen selbst an der Reaction theilnehmen und durch sie verbraucht werden, so nimmt ihre Concentration in der Schicht, welche den Nerv unmittelbar berührt, sehr schnell ab, besonders wenn die Säure- lösung verdünnt ist; die verbrauchten Wasserstoflionen können nun im Falle einer vollständig dissociirten Säure nur durch die langsamen Processe der Diffusion und Üonversion ersetzt werden, während im Falle einer con- centrirten, aber nur wenig dissocirten Lösung durch den augenblicklich verlaufenden Dissociationsprocess ‚ein neuer Vorrath an Wasserstoffionen sofort geliefert wird. Nach dieser Hypothese hängt also die Intensität des sauren Geschmackes einer theilweise dissocirten Säurelösung sowohl von der ' Louis Kahlenberg, The relation of the taste of acid salts to their degree of dissociation. Journ. of physie. Chem. 1900. Vol. IV. p. 33—39. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 543 Gesammteoncentration der Säure, wie von der Concentration der Wasser- stoffionen ab.“! Somit nimmt also die Chemie an, dass dem physiologischeu Vorgang der Sinnesempfindung ein chemikalischer Process zu Grunde liegt. Ebenso nimmt die Chemie auch vielfach an, dass die Geruchsempfindung auf einer chemischen Reaction beruht, so dass es erst die chemischen Reactionen selber sind, welchen die sinnliche Geruchsempfindung zu Grunde liege. Diese der Physiologie fremde Annahme hat die Chemie bereits zur Er- klärung der Geschmacksunterschiede von d- und ]-Asparagin gemacht. Mit dieser Annahme steht aber im direeten Widerspruch die ausnahms- lose Regel, nach welcher in jedem bisher beobachteten Falle die optischen Antipoden denselben Geschmack haben, ja sogar die racemischen Verbindungen, selbst die ganzen activen Reihen dieselbe Geschmacks- qualität beibehalten. Ja, dies ist sogar um so mehr eine auffallende und beispiellose Erscheinung, da die geometrische Configuration für alle anderen Qualitäten durchgehends Aenderungen veranlasst, einzig und allein für den Geschmack nicht. Dieselbe Frage entsteht nun auch für den süssen Geschmack der süssen Salze. Welchem Theile kommt der süsse Geschmack zu, dem Ion der duleigenen Elemente oder dem elektrisch neutralen Molecül? Da es in demselben, in dem undissoeürten Molecül, wiederum doch nur das duleigene Element-Atom ist, welches für die Süssigkeit zu beschuldigen ist, so vereinfacht sich die Frage dermaassen: Bedinst das Atom oder das Ion die Süssigkeit? Ist es z. B. in den Bleisalzen das Bleiatom oder das Blei-Ion, welchem die Süsskraft innewohnt? Aus der Thatsache, dass sämmtliche Bleisalzee den süssen Ge- schmack ohne Ausnahme mit einander theilen, könnte man schon an- nehmen, dass das Blei-Ion die Süssigkeit belinge. Aus dieser Thatsache ist jedoch zunächst nur zu entnehmen, dass der basische Bestand- theil der Blei-Salze die Eigenschaft des süssen Geschmackes besitzt. Da aber von den Plumbaten und in den diesen Salzen entsprechenden Ver- bindungen, in denen das Blei und die anderen duleigenen Elemente als Bleiatome bezw. dulcigenen Elementatome fungiren, kein einziges bisher bekannt geworden ist, welches mit dem süssen Geschmack begabt wäre, so ist daraus zu entnehmen, dass die Gegenwart des Bleiatoms im Molecül noch nicht zum Zustandekommen des süssen Geschmackes genügt. Zum Zustandekommen des süssen Geschmackes ist es eben noch nothwendig, dass die Blei-Ionen eine ganz bestimmte Function einnehmen. Nur die freien positiven Blei-Ionen rufen den süssen Geschmack hervor, die negativen U A.A.Noyes, Journ. of the american chemical, Society. (Beview of the ameri- can chemical research.) Chem. Centralbl. 1900. XX. p. 73. 544 WILHELM STERNBERG: Ionen der Bleisäure jedoch sind dazu nicht mehr im Stande, wie überhaupt niemals die negativen Ionen geschmackerzeugend sind. Weitaus schwieriger sind dieselben Fragen bezüglich des bitteren und salzigen Geschmackes. Kochsalz schmeckt nur salzig; da das Chlorion nicht in Betracht kommen kann, so ist der salzige Geschmack dem Natriumion eigen oder dem undissocirten Theile. Nun ist aber Kochsalz vollständig dissoeiirt in den Lösungen, und schmeckt auch, wenn es im festen Zustande auf die Zunge gebracht wird, doch nur gelöst. Ausserdem tritt aber der salzige Geschmack schon bei sehr hoher Verdünnung hervor, in welcher die elektrisch neutralen Molecüle nur minimal an Zahl sein können. Anderer- seits ist auch der Schwellenwerth sogar der niedrigste für den salzigen Ge- schmack. Rechtfertigen daher diese Beobachtungen schon den Schluss, dass das Natriumion für den salzigen Geschmack in Anspruch zu nehmen ist, so findet derselbe seine Anwendung in folgender Thatsache: Jodnatrium schmeckt nicht nur salzig, sondern auch bitter. Da aber nun das Jodion zu eliminiren ist, so bleibt als Ursache des Geschmackes nur das Natriumion und das elektrisch neutrale Molecül der Jodnatriumverbindung übrig, in welchem freilich wiederum nur das Natriumatom die Eigenschaft bedingen könnte. Da aber das Natriumion aus den früher gewonnenen Folgerungen den salzigen Geschmack besitzt, so bleibt für die Ursache des bitteren Ge- schmackes in der Jodnatriumverbindung nur das Natriumatom übrig. Auf diesem Wege gelangt man also zur Annahme, dass das Natriumion den salzigen, das Natriumatom den bitteren Geschmack bedingt. Es darf die Verschiedenheit des Geschmackes ein und desselben Elementes je nach dem Zustand als Atom oder Ion nicht befremden, da diese Eigenthümlichkeit ja auch für die optische Eigenschaft der Farbe schon bekannt ist. Das Kupferatom in dem elektrisch neutralen Kupferchlorid hat ebenfalls eine andere Farbe wie das Kupferion. In dem einen Falle besitzt es die grüne, in dem anderen die blaue Farbe. Wenn man zu einer concentrirten Kupfer- chloridlösung Wasser hinzufügt, nimmt die ursprünglich grünliche Lösung allmählich die blaue Farbe der Cu-Ionen an. Die Annahme, dass die Elementionen es sind, die den salzigen Ge- schmack hervorrufen, und die elektrisch neutralen Molecüle es sind, die den bitteren Geschmack erzeugen, könnte auch die Thatsache erklären, warum den organischen Salzen der salzige Geschmack zu allermeist abgeht. Sie sind weniger dissocürt und enthalten daher mehr elektrisch neutrale Molecüle. Allein dieselbe Annahme, dass das elektrisch neutrale Molecül es ist, dem der bittere Geschmack zukommt, legt die Frage nahe, ob denn nicht etwa auch die diametral entgegengesetzte subjeetive Em- pfindung, der süsse Geschmack, auf den elektrisch neutralen Theil zurück- DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 545 zuführen ist. Die Thatsachen haben hier aber zu dem Schluss geführt, dass die duleigenen Elementionen den süssen Geschmack erzeugen. Wenn nun aber auch schon die Thatsache erklärt ist, dass die Ver- bindung Chlornatrium nur salzig, die Verbindung Jodnatrium aber salzig und bitter schmeckt, so reicht das Moment doch nicht hin, den bitteren Beigeschmack des Chlorkali zu erklären. Die Annahme, dass Natriumion salzig und Natriumatom bitter schmeckt, legt die Annahme nahe, dass auch Kaliumion salzig und Kaliumatom bitter schmeckt. Denn es geht doch nicht wohl an, den bitteren Geschmack der Salze, z. B. NaJ und KJ, aus zwei ganz verschiedenen Momenten herzuleiten. Nun steht es zwar thatsächlich fest, dass die Ionisirungstendenz der Halogene mit steigendem Verbindungsgewicht abnimmt, ein Moment, das wohl geeignet ist, die schon aus theoretischen Erwägungen heraus gewonnene Annahme des salzigen Geschmackes der Alkali-Ione und des bitteren Ge- schmackes der Alkali-Atome durch die thatsächliche Beobachtung zu stützen. Allein es ist doch keine Thatsache bekannt, welche darauf hinwiese, dass Chlorkali weniger dissociirt wäre als Chlornatrium. Zu dieser Forderung zwingt aber die Annahme vom salzigen Geschmack des Kaliumions und von dem bitteren Geschmack des Kaliumatoms. Die Aenderung des Lei- tungsvermögens mit der Concentration ist bei allen aus einwerthigen Radi- kalen componirten Salze sehr nahe die gleiche, d. h. die Salze der Alkalien und des NH, mit einbasischen Säuren sind in äquivalenten Lösungen, d. h. in verdünnten Lösungen bei äquivalenten Concentrationen gleich stark und zwar sehr weitgehend dissociirt. Eher wäre das Gegentheil anzunehmen, dass Chlorkali mehr noch dissocirt ist als Chlornatrium, da eben Kali stärker basisch als Natrium ist. Mithin würde diese Erklärung vom salzigen Geschmack der K-Ionen und dem bitteren Geschmack der K-Atome eher zur Forderung führen, dass KCl oder die Verbindung der stärksten Base Cs, mit dem stärksten Halogen Cl oder Fl zum Salze verbunden, rein salzig, und NaCl salzig und bitter schmeckt. Dies trifft aber Beides nicht zu. Die entgegengesetzte Annahme etwa, dass Natriumatom salzig und Natriumion bitter schmeckt, kann ebenfalls nicht zutreffen. Denn Na0l ist fast. vollständig dissocirt, enthält mithin Na-Ionen und schmeckt trotzdem in keiner Concentration auch nur annähernd je bitter. Dass K-Ion salzig und bitter zugleich schmeckte, ist nicht anzunehmen, da diese Möglichkeit die Annahme nahe legte, dass auch Natriumion salzig und bitter zugleich schmeckte, was aber wiederum die Thatsache unerklärt lässt, dass NaCl, NaFl, LiC]l und LiFl rein salzig schmecken, während die übrigen Na- und Li-Salze zugleich bitter und salzig schmecken. Ebenfalls ist es unmöglich anzunehmen, dass der dritte Bestandtheil, der elektrisch neutrale Theil eine oder beide Geschmacksqualitäten bedinge. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 35 546 WILHELM STERNBERG: Diese Betrachtungen führen also zu dem Ergebniss, dass jedenfalls das Natrium es ist, welches dem Chlornatrium den salzigen Geschmack verleiht, und wiederum das Natrium es ist, welches dem Jodnatrium den salzigen und zugleich auch den bitteren Geschmack giebt. Eine weitere Zerlegung ist zunächst nicht möglich zu geben. Ob möglicher Weise die Anionen doch eine Rolle bei diesem Geschmack spielen, ist die Frage, die sich schliesslich aufdrängt. Allein die Annahme führt wiederum zu un- durchführbaren Consequenzen. Es liegt nahe, diese Frage experimentell durch die Methoden der physikalischen Chemie zu lösen, um so Anhaltspunkte zu gewinnen, die eine Geschmacksqualität zu eliminiren, gewissermaassen beide Qualitäten zu filtriren. Es fragt sich, wann, bei welcher Concentration, in welchem Disso- ciationszustande hört der salzige Geschmack bezw. der bittere Geschmack der Salzlösungen auf von KCl, KBr, KJ und NaBr, NaJ, bei welcher Con- centration liegt die Reizschwelle des bitteren bezw. salzigen Geschmackes dieser Salze. Doch ist es mir niemals gelungen, bei mehreren Versuchs- personen wenigstens, mit Sicherheit ein brauchbares Urtheil darüber zu er- langen, ob thatsächlich die eine Geschmacksqualität verschwunden und nur die andere bei diesen Salzen noch bestehen geblieben ist. Aus diesem Grunde konnte auf diesem Wege die Frage nicht entschieden werden. Höber und Kiesow! haben auf diesem Wege diese Frage zu lösen gesucht und experimentell die moleculare Concentration beim Schwellenwerth des salzigen Geschmackes festgestellt. Höber und Kiesow stellen fest, dass die Haloidsalze KCl, NaCl, NaBr und NaJ bei ungefähr der gleichen molecularen Concentration salzig zu schmecken beginnen. Von zweiwerthigen Salzen wählten sie K,SO,, Na,SO,, MgCl, und CaCl,, um den Schwellenwerth für den salzigen Geschmack festzulegen. Nach meinen Untersuchungen musste ich den salzigen Geschmack dem MgCl, ebenso dem Salze CaCl, überhaupt absprechen. Worauf die Verschiedenheit des Urtheils beruht, vermag ich nicht anzugeben. Aus dem Vergleich der verschiedenen Zahlen, die die Concentration des Schwellenwerthes für den salzigen Geschmack bedeuten, bei den ge- nannten zweiwerthigen Salzen, mit den entsprechenden Zahlen, bei den ein- werthigen Salzen, ergiebt sich, dass allein die Zahlen der Anionenconcentration übereinstimmen. Darausziehen die Autoren den Schluss, dass es die Anionen sind, die die salzige Geschmacksqualität bedingen. Allein ein Salz unter den vorgenannten zeigt schon eine unerklärliche Abweichung, nämlich CaCl,. Während die übrigen Werthe ! Rudolf Höber und Friedrich Kiesow, Ueber den Geschmack von Salzen und Laugen. Zeitschrift für physikalische Chemie. 1898. Bd. XXVIL 8.4. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 547 K,S0, = 0.031 Na,S0, = 0-025 MsCl, = 0.029 sind, ist der entsprechende Werth für Call, = 0.537, also fast 20 Mal so gross. Stellt man beide Tabellen zusammen, so ergiebt sich: Concentration der Anionen KCl = 0.025—0:036 NaCl = 0.023 NaBr = 0-.020—0.032 NaJ = 0-.019—0.030 Der Mittelwerth ist berechnet: ! 0.022—0 033. Der niedrigste Wert bis zum höchsten ist jedoch 0.019—0.056, wobei also das Maximum fast den doppelten Werth des Minimums darstellt. Concentration der Anionen K,SO, = 0.031 Na,500, = 0.025 MsCl, = 0.029 Call, — 70.530 Der nicht angegebene? Mittelwerth ist also hier: 0.156. Das starke Abweichen der CaCl,-Werthe von den übrigen erklären die Verfasser folgendermaassen:? „Wir müssen uns vorläufig mit dem Hinweis begnügen, dass vielleicht die Ausfällung des Caleiums durch die im Speichel entstandene Kohlensäure für das Verhalten verantwortlich zu machen ist“, Von zweiwerthigen Salzen haben Höber und Kiesow noch Zink- chlorid ZnCl, gewählt. „Von dem salzigen® Geschmack des ZnCl, konnten wir uns bei stärkeren Lösungen leicht überzeugen, aber es war unmöglich, die Schwelle festzulegen, da der intensiv adstringirende, vermuthlich von den Zn-Ionen abhängige Geschmack alle anderen auch bei grossen Ver- dünnungen übertönte.‘“ Nach unseren Untersuchungen war aber in keiner Concentration der salzige Geschmack dieses Salzes nachweisbar. 18. 604. 279.605: ® 8. 607. 3b 548 WILHELM STERNBERG: Auch das Chlorid, Bromid und das Sulfat des Ammoniums machten nach den Untersuchungen von Höber! und Kiesow in Betreff ikres Salz- seschmackes eine vollkommene Ausnahme aus der Reihe der anderen Salze, deren Salzschwelle sie bei 0-020—0.025 Gramm Molecül gefunden hatten. Sollte aber thatsächlich die Annahme zutreffen, dass den Anionen der salzige Geschmack zuzuschreiben ist, so bleibt es wieder unerklärlich, warum dieselben Anionen in den anderen Salzen z. B. AlCl, oder in den Säuren HCl, HBr nicht den salzigen Geschmack hervorbringen, also warum nicht stets alle Salze salzig schmecken und nicht schliesslich alle Salze alle (eschmacksqualitäten besitzen. Dazu kommt aber noch, dass es die näm- lichen Anionen- sind, welchen nach Anwendung eben derselben experi- mentellen Methoden der physikalischen Chemie auch noch die anderen (eschmacksqualitäten zugeschrieben werden müssten. Höber? und Kiesow stehen jedenfalls auf dem Standpunkt, dass sich der Geschmack eines jeden Salzes additiv zusammensetzt aus dem Geschmack der Ionen, vielleicht auch der elektrisch neutralen Molecüle desselben. „Der Salzgeschmack von KClI, NaCl, MgCl,,? (CH,)NH,C], (C,H,)NH,Cl, NaBr, Na), K,SO, und Na,SO, wird von den Anionen verursacht.“ Freilich constatiren sie selber, dass Louis Kahlenberg’s* Resultate mit den ihren in den meisten Punkten in Widerspruch® stehen. Denn Kahlenberg konnte nichts von der Uebereinstimmung in der Schwelle für die salzige Geschmacksempfindung bei Cl-, Br- und J-Ionen finden. Worauf die verschiedenen Resultate zurückzuführen seien, konnten Höber und Kiesow nicht angeben. Louis Kahlenberg® stellt seine Untersuchungen an 15 Versuchs- personen an und kommt zu folgendem Resultat: Die Chlor-Ionen haben den salzigen Geschmack und werden noch in !/,, N-Lösung wahrgenommen; ähnlich, aber nicht identisch ist der Geschmack der Br-Ionen. Die Con- centration, bei der sie eben noch wahrgenommen werden können, ist höher als der Grenzwerth der Chlor-Ionen. Aehnlich, aber weniger scharf, jeden- falls aber salzig ist der Geschmack von ClO,- und BrO,-Ionen. Die Jod- 1 S. 610. = all 87327616. * Louis Kahlenberg, Die Einwirkung von Lösungen auf den Geschmackssinn. Chemisches Centralblatt. 1898. II. S. 892. Bull. of the Univ. of Wisconsin. 5 S. 612 Anm. ° Louis Kahlenberg, Die Einwirkung von Lösungen auf den Geschmackssinn. Bull. Univ. of Wisconsin. Juli 1898. II. Nr. 11—31. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 549 Ionen haben ebenfalls den salzigen Geschmack, freilich weniger intensiv als Br- und Cl-Ionen. Die geringste Concentration, bei der er noch erkannt werden kann, ist !/, N. NO,-Ionen haben einen sehr schwachen, SO,- Ionen einen noch weit schwächeren Geschmack. Was die Kationen betrifft, so wird der Geschmack der Na-Ionen als „eigenthümlich“ bezeichnet. Bitter ist der Geschmack der K-Ionen, sehr schwach der der Li-Ionen; Mg-Ionen haben einen bitteren Geschmack. Gleichfalls bitter, aber von dem der Mg-Ionen verschieden, ist der Ge- schmack der Ca-Ionen. Ag- und Hg-Ionen schmecken metallisch, schrumpfend. Im Allgemeinen gilt nach Kahlenberg die Regel, dass die Lösungen desto leichter durch den Geschmack erkannt werden können, je grösser die Beweglichkeit der Ionen, also ihre Wanderungsgeschwindigkeit ist. Doch gilt die Regel nicht ausnahmslos. Die Intensität des Geschmackes anderer Stoffe, besonders organischer Verbindungen, entspricht den Ergebnissen von Overton!? d.h. die Intensität des Geschmackes ist um so grösser, je leichter sie das Protoplasma durch- dringen; der hohe intensiv bittere Geschmack der Alkaloide lässt sich durch deren grosse Fähigkeit erklären, in Protoplasma einzudringen. Nach diesen Ergebnissen ist also der salzige Geschmack von den Anionen, der bittere Geschmack von den Kationen abhängig. Allein dies Ergebniss der experimentellen Untersuchungen lässt doch, wie bereits angeführt, die prineipiellen Fragen ungelöst: 1. Warum schmeckt NaCl, NaFl; LiCl rein salzig und Na,SO, u.s.f. salzig und bitter? 2. Warum schmeckt NaBr schon salzig und bitter? 3. Warum schmeckt nicht auch MgÜl, salzig, AlCl, auch salzig, HCl nicht noch salzig? 4. Wie ist es zu erklären, dass Na,SO, salzig und bitter, MgSO, nur bitter, nicht salzig schmeckt? Diese Schwierigkeiten lassen sich freilich durch eine Annahme einiger- maassen beheben. Man kann annehmen, dass der einem Ion zukommende Geschmack in manchen Verbindungen doch noch nicht hervortreten kann, weil andere Gesehmacks- oder Tastempfindungen ihn noch verdecken und unterdrücken. Die Chemie nimmt schon längst dieses Moment als Grund für manche ! Ernst Overton, Ueber die osmotischen Eigenschaften der Zelle und ihre Be- deutung für die Toxikologie und Pharmakologie mit besonderer Berücksichtigung der Ammoniake und Alkaloide. Zürich, 1. Februar 1896. Zestschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. August 1896. Zeitschrift für physikalische Chemie. 1897. Bd. XXII 8. 189— 209. 550 WILHELM STERNBERG: Thatsachen an. Trotz der Gegenwart von bestimmten Ionen kann ihre specielle chemische Qualität und Kraft in manchen Lösungen noch nicht hervortreten, weil andere Ionen verhältnissmässig zahlreicher oder energischer einwirken. Auf dieselbe Weise muss sich auch folgende Frage erklären. Es kann nämlich die Frage aufgeworfen werden: Wie kommt es, dass NaOH, KOH u. s. w. nicht auch schmecken, wenn Na-, K-Ion einen Ge- schmack besitzt? Ganz gleichgültig, ob derselbe nun der salzige oder der bittere ist, so müsste doch auch NaOH salzig oder bitter oder salzig und bitter zugleich schmecken, da Na-, K-Ionen in der Lösung sind. | Ebenso fragt es sich, wie es kommt, dass nicht auch Mg(OH), bitter, Pb(OH), süss schmeckt, wenn die Annahme gemacht wird, dass Mg-Ionen bitter, Pb-Ionen süss schmecken. Nun soll aber KOH in einer Verdünnung von 1:200000 „ekelhaft und brennend, aber doch süss‘ nach Oehrwall’s Angabe schmecken und ebenso soll auch Kalkwasser ähnlich schmecken. Höber! und Kiesow fanden sogar von folgenden Laugen den süssen Geschmack: KOH, NaOH, Ca(OH),, Ba(OH),, [Co(NH,)];-(OH);, [Co(NH,),- NO,](OH),, [LPUNH,),(OH), (OH), und constatiren, dass die Laugen bei annähernd gleicher Concentration an OH-Ionen süss schmecken. Während bei früheren Versuchen der süsse Geschmack der so ver- dünnten Laugen? nicht zu constatiren war, ergaben Nachprüfungen, dass bei vielen Versuchspersonen eine süssliche Geschmacksempfindung ausgelöst wurde. Erwiesen ist es jedoch nicht, dass die OH-Ionen den süssen Ge- schmack bedingen. Wie Höber? und Kiesow selbst angeben, besitzt dieser Süssgeschmack doch manche abweichenden Eigenthümlichkeiten, er tritt nicht sofort auf, „ja manchmal,“ sagen sie selber, „hat man die Süssempfindung erst dann, wenn die Lösung aus dem Munde entfernt wird. Bei etwas überschwelligen Lösungen dauert die Süssempfindung lange nach, und das Spülwasser kann intensiv süss schmecken“. Diese Eigenthümlichkeit habe ich bei meinen Nachprüfungen oftmals constatiren können. Es kommt hinzu, dass gerade der „süssliche‘“ Geschmack oft und leicht auftritt, so dass die mannigfachsten 1 8. 612. ? Zeitschrift für Physiologie und Psychologie der Sinnesorgane. 1899. 3 S. 613—614. DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 551 Verbindungen mitunter, gerade für „süsslich“ schmeckend angesehen worden sind, deren Geschmack thatsächlich nicht süss ist und in der Folge auch von denselben Versuchspersonen, bei genau der nämlichen Anordnung der Ver- suche, als „entschieden nicht süss“ angegeben wurde. In der Litteratur finden sich dafür genug Beispiele; gerade der süssliche Geschmack ist es, dessen Qualität auffallend häufig zur Angabe bei der Geschmacksprobe von Verbindungen benutzt wurde, für di& ein süsser Geschmack wahrlich nicht constatirt werden konnte; z. B. Kalium permanganicum schmeckt nach Rollett! bitter, nach Oehrwall? „entschieden süss“. Auch Aqua destillata wird manchmal als „süss schmeckend‘“ bezeichnet. Ob eine Substanz ‚süsslich“ schmeckt oder nicht, ist oftmals schwierig zu bestimmen, zumal wenn gleichzeitig, vorher oder nachher noch gewisse Eindrücke einwirken. Es dürften daher möglicherweise auch beim Auftreten des süsslichen Ge- schmackes der Laugen andere bedingende Momente heranzuziehen sein. Wenn KCIO, unter gewissen Umständen einen süsslichen Nachgeschmack oder CuSO,? bei gewissen Gelegenheiten eine unverkennbar süsse Geschmacks- empfindung zu erzeugen im Stande ist, so ist doch immerhin der Geschmack von KCIO, und der von CuSO, nicht der süsse, sondern ein ganz anderer. Es dürfte nicht unmöglich sein, auch den süsslichen Geschmack der Laugen auf andere Ursachen zurückzuführen. Die Frage nach den Bedingungen des salzigen Geschmackes können nur von der Chemie gelöst werden. Dieselbe hat vier Fragen zu beant- worten: Giebt es eine chemische oder physikalische, wenn nicht physiolo- gische Eigenschaft wie etwa die Diffusionsgeschwindigkeit, welche für diese Qualität verantwortlich gemacht werden könnte, eine Eigenschaft, welche 1. LiCl, Na(l einerseits von NaBr, NaJ andererseits 2. NaCl Ei ».N25SO, „ 3. NaCl hr „ KÜCl, RbCl, CsCl ,„ unterscheidet? 4. Giebt es eine Eigenschaft, die in allen diesen drei Fällen die nämliche darstellt? Diese wäre zunächst zur Entscheidung der Frage, worin der bittere bezw. der salzige Geschmack gelegen ist, in Anspruch zu nehmen. ‚Hierbei ist freilich nicht zu übersehen, dass mehrere bitter schmeckende Verbin- dungen möglicher Weise doch noch aus ganz verschiedenen Gründen die bittere Qualität besitzen können. Fragt essich, was an bekannten chemischen Eigenschaften die angeführten Verbindungen trennt, so fällt zu allernächst die Ionisirungstendenz der 1 Mittheilungen des naturwissenschaftl. Vereins für Steiermark 1897. S. 35. ? Skandin. Archiv für Physiologie. 1891. S. 10. ® Fräntzel, Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft 552 WILHELM STERNBERG: Halogene auf. Dieselbe nimmt mit steigendem Verbindungsgewicht ab. Würde dies aber schon die Geschmacksdifferenz von NaCl gegenüber der- jenigen von NaBr erklären, so lässt sie nicht allein die Geschmacksdifferenz von NaCl gegenüber KCl völlig unerklärt, sondern würde zu dem Postulat führen, dass Kochsalz auch bitter, und KCl rein salzig schmeckt. Dies widerspricht aber den Thatsachen; die lonisirungstendenz der Alkalien dürfte im Gegentheil entsprechend der wachsenden Stärke auch zunehmen mit steigendem Verbindungsgewicht. ll. Was die Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen betrifft, so ist die des Kaliums, Cs, NH,, Rb, die gleiche und die schnellste; die des Natıiums bedeutend langsamer und noch langsamer die des Li. Die Anionen Ol, Br, J haben die schnellste Wanderungsgeschwindigkeit, die des F] ist er- heblich langsamer. Dies Moment kann also auch nicht zur Erklärung herangezogen werden. III. Die Grösse der elektrischen Ladung kann ebenfalls nicht in Be- tracht kommen. Dasselbe Ion kann freilich mit verschiedener elektrischer Werthiekeit auftreten; aber ob die Aenderung der elektrischen Ladung die Aenderung in der Geschmacksqualiät veranlasst, ist nicht einmal wahr- scheinlich. Natürlich kann ein und dasselbe Ion, wenn es die Zahl seiner elektrischen Aequivalente wechselt, auch die Farbenqualität wechseln. Ill Während das dreiwerthige Eisenion z. B. in FeÜl, gelb ist, ist das zwei- werthige z. B. in Feso, grün gefärbt; ändert sich doch auch das Spectrum, wenn ein farbiges Ion mit anderen Stoffen ein neues Ion bildet, wie z. B. die negativen Ionen der Ferro- und Ferri-Cyanwasserstofisäuren wiederum andere Färbung besitzen wie die freien Eisenionen. Allein gerade diejenigen Elemente, um die es sich ‘hier bei der Eigenschaft des Geschmackes handelt, treten überhaupt nur in einer einzigen Form auf, als ein- werthige Elemente. IV. Es wäre nicht unmöglich, dass es eine noch unbekannte chemische Eigenschaft wäre, welche der Differenz dieser in so ausserordentlichem Maasse auffälligen Qualität in diesen Salzen zu Grunde liegt. Zu dieser Annahme wird man fast gedrängt. Die Anwendung der Ionentheorie kann noch nicht zur Lösung der Fragen über den salzigen Geschmack und den Geschmack der Salze führen. Fasst man schliesslich sämmtliche Salze zusammen, so ergiebt sich Folgendes: Den Wasserstoffsalzen, den Säuren, stehen die wahren Salze gegenüber. Diese Salze sind die anorganischen, d. h. Salze der Mineralsäuren, DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 553 Haloid-, sauerstofffreie und sauerstoffhaltige Salze, sowie die organischen, d. h. Salze der organischen, der fetten und cyclischen Säuren. Diese sämmtlichen Salze sind geruchlos. Die meisten Salze schmecken, der Geschmack richtet sich ausschliess- lich nach dem Basentheil, wofern die Säure nicht einen Eigengeschmack besitzt. Diesen Salzen stehen nun die Ester gegenüber, die Salze der organischen Chemie. Die Chemie rechnet zwar die Ester trotz ihrer formalen Analogie nicht zu den Salzen, da die Ester weder für sich, noch in Lösung den Strom in irgend erheblichem Maasse leiten; allein die formale Analogie ihrer Bildung ist doch so hochgradig, dass wenigstens ihre Betrachtung hier im Zu- sammenhang mit den Salzen angängig ist. Hier zeigt sich dasselbe Prineip: Geruch und Geschmack scheinen sich zumeist auszuschliessen, freilich im entgegengesetzten Sinne: jetzt sind es die Geschmacksqualitäten, die mehr und mehr zurücktreten, und die Gerüche sind es, die dafür mehr und mehr an ihre Stelle treten. Salze (im weiteren Sinne). A. Die Salze (im engeren Sinne). 1. Anorganische Salze, d.h. Salze der anorganischen Säuren: a) Haloid-Salze. b) O-Salze. 2. Organische Salze, d.h. Salze der organischen Säuren. B. Die Ester, die Salze der organischen Chemie. 1. Anorganische Ester, d.h. Ester der anorganischen Säuren: a) Haloid-Ester. b) 0-Ester. Haloid-Alcylate. Alkyl-Haloide. 2. Organische Ester, d.h. Ester der organischenSSäuren. 3. Ester der Blausäure. : Der salzige Geschmack ist in diesen Salzen gänzlich geschwunden, auch die bittere Geschmacksempfindung, nur der süsse angenehme Geschmack erhält sich noch Anfangs, um in den Geruch, und zwar in den gleichfalls angenehmen Geruch überzugehen. Somit berühren sich hier zwar noch Geruch und Geschmack, wenn sie auch einander auszuschliessen scheinen; und zwar ist es die Qualität des süssen Geschmackes, welche die Brücke zwischen den chemischen Prineipien darzustellen scheint, die den Geschmack und den Geruch bedingen. Die anorganischen Ester sind flüchtig, sie schmecken süss und riechen „süsslich“, einen Eigengeruch haben sie also noch nicht. Die Haloid-Ester (Alkyl-Haloide, Haloid-Alkylate) sind auch hüchtig, schmecken süss und riechen „süsslich“. CHJ, hat aber schon Eigengeruch. 544 WILHELM STERNBERG: Die organischen Ester schmecken nicht mehr, besitzen aber den Geruch und zwar den angenehmen Wohlgeruch. Die Ester der Blausäure unterscheiden sich in so mannigfacher Be- ziehung von den übrigen Estern, dass sie einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Das Alkyl ist hier nicht an Sauerstoff und nicht an Halogen, sondern an Kohlenstoff gebunden. Blausäure und ihre Salze schmecken bitter, riechen aber nicht bitter, sondern „nach bitteren Mandeln“ Von der Blausäure leiten sich nun zwei isomere Ester ab: Die Nitrile, Derivate der organischen Säuren, weshalb man ihrer Be- zeichnung zum Vornamen den der Säure giebt, die Alkyl-Cyanide —C=N schmecken nicht, riechen aber ganz angenehm; sie riechen sämmtlich „nach bitteren Mandeln“. Hingegen die Isonitrile, Derivate der organischen Basen, der Amine, sind die allerschlimmsten Stinkstoffe der organischen Chemie überhaupt, deren unangenehmer Geruch so hochgradig ist, dass man denselben sogar praktisch, zum Nachweis mancher Substanzen benutzt. Der rein süsse Geschmack findet sich ebenso wie der rein bittere nur in den organischen Verbindungen, der rein saure im Mineralreich ebenso wie in den organischen Verbindungen; der rein salzige Geschmack jedoch ausschliesslich im Mineralreich. Ebenso findet sich auch ein Unter- schied in den anorganischen und organischen Verbindungen in ihrer Fähig- keit, auf das Sinnesorgan des Auges einen adäquaten Reiz auszuüben. Gefärbt sind anorganische wie organische Verbindungen. Die Fähigkeit der Färbung ist jedoch fast ausschliesslich auf die organischen Verbindungen beschränkt, ebenso wie die Fähigkeit der Fluorescenz und Circumpolarisation. Fluorescenz findet sich in anorganischen Verbindungen fast nie, wiewohl diese Erscheinung ihre Bezeichnung dem Mineral Fluorcaleium ent- nimmt (Fluss-Spath, „Fluss“ ist die Verflüssigung der Materie bei der Schmelze, Spath ist die alte bergmännische Bezeichnung für Mineralien), von dem manche Spielarten fluoresciren. In auffallend seltenem Grade besitzen Fluorescenz die organisirten, die bei höheren Thieren vorkommen- den Verbindungen, wie die Gallensäuren in saurer oder Urobilin in alkalischer Lösung. Die optische Qualität der Polarisation zeigt keine einzige anorga- nische Verbindung, und unter den organischen Stoffen von einfacher Zu- sammensetzung sind es auch nur wenige, die diese Eigenschaft in geringem Grade besitzen. Erst unter den organischen Verbindungen von hohem Moleculargewicht, daher gerade unter den organisirten Stoffen, findet sich eine grosse Anzahl von Stoffen dieser Qualität. Der Geruch findet sich im Mineralreich auch, wie in den organischen DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 555 Verbindungen. Allein die anorganischen Verbindungen sind ausschliesslich Stinkstoffe; der Wohlgeruch ist auf’s organische Reich, auf das wir auch ausschliesslich für Entnahme unserer Nahrungsmittel angewiesen sind, ebenso beschränkt, wie der Wohlgeschmack des rein Süssen. Es giebt nicht eine einzige wohlriechende Verbindung des Mineralreiches, wie es auch keine einzige rein süsse Verbindung des Mineralreiches giebt. Von den organischen Gebieten ist es wiederum das Pflanzenreich, dem der Wohlgeschmack und die meisten Wohlgerüche und daher die Bildung auch unserer Nahrung in letzter Reihe entstammt. Ganze Pflanzenfamilien zeichnen sich durch Erzeugung von Riechstoffen aus, und einzelne Glieder solcher Familien liefern Riechstoffe, deren Düfte allgemein als unbestrittene Wohlgerüche anerkannt sind. Hingegen sind Wohlgerüche aus dem Thier- reiche in auffallend geringem Maasse vorbanden, und selbst diese wenigen wie Moschus, Castoreum, Zibeth, sind nicht einmal allseitig als Wohl- gerüche anerkannt. Wenn in unserer Nahrung dennoch der Wohlgeschmack der animalischen Nahrung, sogar eine grosse, Rolle spielt, so zeugt dies von der hohen Bedeutung der Kunst, die dem ästhetischen Bedürfnisse des Geschmackssinnes dient. Es ist ausserordentlich seltsam, dass unsere gesammten Nahrungs- mittel: Eiweiss, Fett und Amylum ganz geschmacklos sind, nicht minder auffallend die Thatsache, dass alle drei Classen in ihren Zwischenproducten den süssen Geschmack hervorbringen: Fleisch- oder Muskelzucker und Leim- zucker einerseits, sowie andererseits Oelsüss und schliesslich Traubenzucker. Der saure Geschmack ist nicht eine constitutive Eigenschaft, wie der süsse und der bittere Geschmack; der saure und vielleicht auch der salzige Geschmack ist ausschliesslich eine Ionen-Eigenschaft; und nicht eine Eigen- schaft der elektrisch neutralen Molecüle, sondern lediglich der Ionen; ja ausschliesslich Eigenthümlichkeit der Kationen. Keine andere Eigenschaft ist so isolirt, beschränkt auf die Anwesenheit eines einzigen Kations, H, wie der saure Geschmack. Die Farbe ist eine constitutive Qualität der Verbindungen; allein sie ist auch in hervorragendem Maasse Ionen-Eigenschaft und zwar den Ionen, sowohl Anionen wie Kationen, schliesslich aber auch noch den elektrisch neutralen Molecülen eigenthümlich. Der süsse und bittere Geschmack ist ebenfalls eine constitutive Eigen- schaft, ausserdem aber auch Ionen-Eigenschaft. Allein wenn auch den elektrisch neutralen Molecülen ein Einfluss auf den Geschmack zugeschrieben werden muss, so kommt doch ausserdem nur noch das Kation, nicht aber, wie bei der Farbe, auch das Anion noch in Betracht. Daher kommt es, dass die Wirkung auf das Auge leichter als die auf die Zunge zu erzielen ist, dass also das Gebiet der Farbe umfangreicher 556 WILHELM STERNBERG: ist als das des Geschmackes, zumal des süssen Geschmackes.. Es kann sich daher höchst selten nur ereignen, dass beide Qualitäten sich in einer Verbindung zusammentrefien, trotzdem es sogar Gruppen giebt, die sapi- phor und chromophor zugleich sind. Süsse Farbstoffe sind in geradezu auffallendem Maasse selten; die Farbstoffe, die schmecken, haben die bittere Geschmacksqualität gewöhnlich, sie sind freilich auch nicht sehr zahlreich. Somit berühren sich auch diese beiden chemischen Sinne: Geschmack und der optische Sinn der Farbe; und zwar ist es die bittere Geschmacks- qualität, welche diese Sinne verbindet, während es die süsse ist, die den Geschmack mit dem chemischen Sinn des Geruches verbindet. Der Geruch ist ausschliesslich constitutive Eigenschaft. Somit steht sich also Geschmack und Geruch auch hierin gegenüber; am weitesten aus einander liegt saurer Geschmack und Geruch. Es giebt zwar einen sauren Geruch wie es einen süssen „zuckerigen‘“ Geruch giebt, weil es süss und sauer schmeckende Substanzen giebt, die flüchtig sind. Die sauren und süssen „Gerüche“ jedoch sind lediglich Ge- schmacksempfindungen der durch die Nase aufgenommenen flüchtigen Stoffe. Hingegen giebt es nicht einen salzigen oder bitteren Geruch, weil es nicht salzig oder bitter schmeckende Stoffe giebt, die in so hohem Maasse zu- gleich flüchtig wären. Dass man trotzdem von „Riechsalzen‘“, „Salzluft“, „Flüchtigem Hirschhornsalz“, „Flüchtigem Laugensalz“, „Sal ammoniacum volatile‘ (Ammonium carbonicum) spricht, beweist nichts dagegen. Die anorganischen Salze, die Salze also im engeren Sinne, auf die der salzige Geschmack ja begrenzt ist, haben sämmtlich nicht den Geruch; ja sie be- nehmen sogar den anorganischen Säuren, wenn diese einen Eigengeruch besitzt, denselben, und zwar mit derselben Regelmässigkeit, mit der sie ihnen den .Geschmack erst verleihen, ein weiterer prineipieller Unterschied im Chemismus des Geschmackes und Geruches. In der Beziehung ist also dem Geruch noch der Geschmack überlegen, indem der Geschmack uns in den Salzen über die einzelnen Atome der basischen Bestandtheile genau informirt. Der Geschmack ist also die einzige sinnliche Wahrnehmung, die wir von den chemischen Elementarbestandtheilen, den Atomen, haben. Denn kein anderer Sinn wie dieser chemische Sinn, auch nicht der Geruch, ist im Stande, uns über die Atome Auskunft zu ertheilen, kein anderes Sinnesorgan vermag so bis zu den kleinsten T'heilchen der Materie vorzudringen. Kein menschliches Auge, keiner der physikalischen Sinne wird uns je über die chemischen Grundelemente des Stoffes unterrichten können. Selbst der Erforschung der morphologischen Elemente durch das Auge sind schon Grenzen gezogen. Denn trotz der grossartigsten künstlichen Erweiterung unserer Sinneswerk- DER SALZIGE GESCHMACK UND DER GESCHMACK DER SALZE. 557 zeuge, trotz der gewaltigsten Leistungen ihrer instrumentellen Hülfsmittel selber, die uns den Bau der organisirten Elemente enträthseln, trotz der ungeahnten weiteren Ausbildung des Mikroskopes, dessen von Helmholtz bereits begrenzte Leistungsfähigkeit doch noch Czapski! und Siedentopf, durch Nutzbarmachung kleinerer Wellenlängen, in ausgedehnterem Maasse zu vervollkommnen gelungen ist, — die Grenze selbst des möglichst er- weiterten Gesichtssinnes ist viel zu eng gezogen, um je seinerseits die sinn- liche Erkenntniss der chemischen Elemente auch nur möglich oder im entierntesten Sinne denkbar erscheinen zu lassen. Selbst mit der optischen Analyse, mittels der wir, die andere äusserste Grenze unseres Gesichtskreises bemessend, den Bau des Weltalls im Grossen enträthseln, also mit der aller- schärfsten und empfindlichsten sämmtlicher chemischen Proben, wetteifert der chemische Sinn, der Geschmack, sogar in quantitativer Hinsicht. Denn über beide äusserste Grenzen des Gesichtskreises, über das Gebiet des umfang- reichsten Sinnes, des physikalischen Sehsinnes, gehen die Grenzen des chemischen Sinnes. Die moderne chemische Diagnostik wendet sich daher nicht nur an das mit Hülfsinstrumenten aller Art erweiterte Sinnesorgan des Auges, sondern, nach wie vor, auch an das völlig unbewaffnete chemische Sinnesorgan. Die physikalischen Sinne vermag wohl die .Physik mit In- strumenten zu ergänzen, die mitunter unseren Sinnen, dem Auge und dem Ohr, noch überlegen sind. Ja, ist es doch dem kühnen Genie gelungen, dank der ungeahnten Fortschritte der physikalischen Wissenschaften, noch die Schranken zu durchbrechen, die diesen Sinnen, selbst unserem er- giebigsten Sinn, von der Natur gesetzt sind. Denn die Physik ist im Stande, uns sogar neue Sinne zu schaffen, uns fehlende Sinne direct zu ersetzen. Ein schlagenderes Beispiel dafür ist gar nicht denkbar, als das der Physiker gegeben hat, mit der Entdeckung der Strahlen, die, selber un- sichtbar, Undurchsichtiges uns sichtbar machen. Ebenso nun wie die phy- sikalischen Werkzeuge unsere physikalischen Sinneswerkzeuge übertreffen, in demselben Maasse übertrifft umgekehrt alle chemikalischen Methoden unser unbewaffneter chemischer Sinn. Denn die in erstaunlichem Maasse merkwürdigen Leistungen des Geschmackes spotten noch jeder chemischen Methode. Hat uns die Physik fehlende Sinne ersetzt, so ersetzt der chemische Sinn noch fehlende chemische Proben und Methoden. Hat die Physik die IS. Czapski, Die voraussichtlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit des Mikro- skopes. Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie und für mikroskopische Technik. 1891. Bd. VIII. S. 145. ® Sichtbarmachung ultramikroskopischer Theilchen. Vortrag auf der vorjährigen Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Cassel. 1903. Visibilite et mesure de particules ultramieroscopiques. Archives des sciences physiques et naturelles. 1903. p. 129, sowie Annalen der Physik. 1903. Bd. X. p. 1-39, 558 WILHELM STERNBERG: DER SALZIGE GESCHMACK UT. S. w. physikalischen Sinne mit ihren Apparaten erweitert und ergänzt, so ist der Chemie unser chemischer Sinn ein werthvolles, feines und präcises Instrument, ein chemisches Reagens, dessen die Chemie stets und bei allen neuen Ver- bindungen zunächst bedarf. Hat die physikalische Wissenschaft die Probleme der physikalischen Sinne längst ergründet und ihre Leistungen erhöht, so liegt es der chemischen Wissenschaft noch ob, die Principien der chemischen Sinne zu ergründen und die merkwürdigen Leistungen dieser Sinne erst einmal einzuholen. Denn es ist gewiss mehr als ein blosser Zufall, wenn auch die moderne Chemie zur Charakterisirung der chemischen Gruppen noch nicht einmal der physiologischen Qualität des Geschmackes entbehren kann, der des salzigen Geschmackes und des Geschmackes der Salze. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 19053—1904. IX. Sitzung am 26. Februar 1904. 1. Hr. von HAnsemAnn: „Ueber die Beeinflussung der Mitosen durch pathologische Processe.“ Durch die Mittheilungen der Herren Farmer, Moore und Walker über das Auftreten bestimmter Formen von Mitosen in bösartigen Neubildungen wurde der Vortragende veranlasst, in der Physiologischen Gesellschaft seine früher schon publieirten Untersuchungen über diesen Gegenstand über- sichtlich vorzuführen an der Hand von Diapositiven, die im wesentlichen pathologisch menschlichem Material entstammten. Es wurde dadurch an der Hand dieser Bilder gezeigt, dass die Anschauung der genannten englischen Autoren über die Form der Mitosen in bösartigen Geschwülsten unrichtig ist, denn erstens befolgen die Mitosen in den bösartigen Neubildungen nicht die sogenannte heterotype Form, wie sie in den Geschlechtsdrüsen der Thiere zu beobachten sind. Nur zuweilen können durch Lagerung und Form der Chromosomen die Mitosen an diese heterotype Form entfernt erinnern. Auch die von den genannten Autoren behauptete Reductionstheilung findet nicht in der Weise statt, wie es bei den Geschlechtszellen zu geschehen pflegt, nämlich durch eine reguläre Halbirung der Zahl der Chromosomen, sondern es findet, wie das der Vortragende schon früher nachgewiesen hat, eine ganz unregelmässige Reduction der Chromosomen statt, durch die asym- metrische Zelltheilung oder durch zugrundegehen einzelner Ohromosomen. Auch den Schlüssen, die die englischen Autoren aus ihrem Befunde gezogen haben, stimmt der Vortragende nicht bei. Die betreffenden Herren haben ihre Mittheilungen ohne Berücksichtigung irgend welcher Litteratur gemacht, so dass der Vortragende zu dem Schlusse kommt, dass alles dasjenige, was in dem Befunde dieser englischen Herren richtig ist, früher schon bekannt war, das, was aber aus ihren Untersuchungen sich neu ergeben hat, un- richtig ist. Hieraus geht hervor, dass der Vortragende auch nicht überein- stimmt mit den Angaben, die Bashford und Murray neuerdings in den „Proceedings of the royal society, Vol. 73“ über ihre Befunde an Mitosen von Thierkrebs gemacht haben. Diese schliessen sich der Ansichten der Herren Farmer, Moore und Walker an in Bezug auf die Form der Mitosen, die sie als heterotype bezeichnen, und in Bezug auf die Reduction der Chromosomen. 560 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 2. Hr. W. Naczer: „Einige Bemerkungen über Typenunter- schiede unter den Farbentüchtigen.“ Im Jahre 1885 stellte E. Hering bekanntlich in seiner Arbeit „über individuelle Verschiedenheiten des Farbensinnes“! den Satz auf, die Unter- schiede zwischen den Farbensystemen der sogenannten Rothblinden und Grünblinden beruhten in der Hauptsache auf einem physikalischen Umstande, der ungleichen Lichtabsorption im Retinapigment und der Linse bei den beiden Arten von Farbenblinden, und unter den Farbentüchtigen kämen genau dieselben Unterschiede, durch denselben Umstand bedingt, vor. Den Rothblinden oder nach Hering relativ blausichtigen Rothgrünblinden und den Grünblinden oder relativ gelbsichtigen Rothgrünblinden sollten unter den mit „normalem“ Farbensinn begabten beziehungsweise die relativ blau- sichtigen und gelbsichtigen Farbentüchtigen entsprechen. Dass die Verschiedenheit im Pigmentgehalt des gelben Fleckes mit den Typenunterschieden der Dichromaten nichts zu thun habe, zeigten Donders und v. Kries, indem sie nachwiesen, dass die Unterschiede sich bei Beobachtungen mit nur solchen Lichtern, die vom Maeculapigment nicht absorbirt werden, sogar ganz besonders deutlich nachweisen lassen, v. Kries ausserdem durch den Hinweis auf die Thatsache, dass ein Pigment, das die wirklich zu beobachtenden Typenunterschiede zu erklären vermöchte, eine so auffallende und lebhafte Färbung besitzen müsste, dass es sich dem ob- jectiven Nachweis nicht entziehen könnte. Auf Grund von Beobachtungen nun, die schon vor der erwähnten Arbeit Hering’s durch Rayleigh mitgetheilt und von Donders bestätigt wurden, wissen wir, dass in der That auch unter den Farbentüchtigen we- sentliche Unterschiede der Farbensysteme vorkommen. A. König, der sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigte, schlug vor, die von Rayleigh und Donders gefundene seltenere Form von trichromatischen Systemen den normalen als anomales trichromatisches System gerenüber zu stellen, eine Bezeichnungsweise, die auch von v. Kries u. A. aufgenommen wurde. Am deutlichsten zeigt sich bekanntlich die Eigenthümlichkeit dieser anomalen Triehromaten, wenn man sie aus speetralem Roth und Grün ein reines Gelb mischen lässt. Der Anomale nimmt in die Mischung bedeutend mehr Grün hinein, als der Normale, so dass der letztere das Ergebniss der Mischung als Grüngelb bezeichnet. Die Mischung des Normalen erscheint dem Anomalen roth. Rayleigh fand schon, ohne die Beobachtung weiter zu verfolgen, Tri- chromaten, die bei Herstellung jener Mischung im Gegentheil mehr Roth, weniger Grün als der Normale brauchten. Eine sorgfältige Untersuchung eines solchen zweiten anomalen Systems hat neuerdings Max Levy in seiner Dissertation geliefert. Ich habe im Laufe der letzten Jahre Gelegenheit gehabt, eine ganze Anzahl anomaler Triechromaten beider Typen zu untersuchen. Ich habe bei diesen Untersuchungen die Erfahrung gemacht, dass es mit meinem zur Diagnose der Farbenblindheit bestimmten Apparat leicht gelingt, die Diagnose der beiden anomalen Systeme zu stellen, ein ganz unvorhergesehener Vortheil dieses Instrumentes. An anderer Stelle wird hierüber näher berichtet werden. ! Lotos. Neue Folge. Bd. VI. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — VON HANSEMAnNn. — W. NAcEr. 561 Berücksichtige ich meine alten und neuen Erfahrungen, 'so scheint mir, dass die anomalen trichromatischen Systeme mindestens ebenso häufig sind, wie die diehromatischen, sich in demselben Maasse auf das männliche Ge- schlecht beschränken, dass sie ferner ebenfalls angeboren sind und sich ver- erben, und ebenfalls bei der jüdischen Race besonders häufig gefunden werden. Nimmt man hierzu das hier nicht näher zu erörternde Verhalten bei Herstellung von Farbenmischungen und Gleichungen, so wird man ent- schieden auf die Vermuthung hingewiesen, die anomalen Systeme seien eine Art Uebergangsform zwischen normalem trichromatischem System und den beiden dichromatischen Systemen. Eine solche Auffassung hatte Donders bezüglich des ihm noch allein bekannten ersten anomalen Systems geäussert, das er als Uebergang zur Grünblindheit auffasste. Ich glaube, wir müssen in der Beurtheilung dieser Dinge noch sehr vorsichtig sein, da noch manche Eigenschaft der anomalen Systeme näherer Untersuchung bedarf. Dass zwischen den Rothblinden und Grünblinden und den beiden Arten von anomalen Trichromaten eine Analogie besteht, ist zweifellos. Mehr zu sagen, wäre beim jetzigen Stande der Dinge vor- eilig. Bemerkenswerth ist jedenfalls, dass bis jetzt noch niemals in einer Familie Diehromaten und anomale Triehromaten gefunden wurden.! Die anomalen Systeme sind nicht so scharf abgegrenzte Formen, wie die dichromatischen Systeme. In der erwähnten Mischung von Gelb aus Roth und Grün verwenden ja allerdings die meisten annähernd das gleiche Mengenverhältniss der Mischungsbestandtheile.. Doch giebt es auch unter Umständen erhebliche Abweichungen. So habe ich kürzlich bei Herrn Professor Lummer ein Farbensystem gefunden, das vom normalen etwas nach dem zweiten anomalen zu abweicht; verminderte Rothempfindlichkeit macht sich bei allen seinen Gleichungseinstellungen und Mischungen be- merklich.” Die Unterschiedsempfindlichkeit für Farbentöne ist in diesem Falle gut, bei den eigentlichen anomalen Trichromaten dagegen immer herabgesetzt, oft so stark, dass man an das Vorhandensein von Rothblindheit oder G.ünblindheit denken müsste. In seiner oben erwähnten Arbeit vergleicht Hering seinen Farbensinn mit demjenigen seiner Assistenten Biedermann und Singer. Der letztere ist, soweit man nach den Angaben Hering’s urtheilen kann, ein anomaler Triehromat des zweiten Typus (Annäherung an KRothblindheit). Wäre Hering normaler Trichromat, so müsste Biedermann anomaler Trichromat des ersten Typus sein. Gewisse Angaben weisen indessen darauf hin, dass Biedermann der normale ist, Hering dagegen eine Abweichung im Sinne der Anomalen des zweiten Typus aufweist, also ähnlich, doch wohl etwas ausgeprägter wie Lummer. Für diese Auffassung spricht die Angabe, dass ! Von meinen beiden Brüdern ist der eine, wie ich, Deuteranop, der andere nor- mal. Väterlicherseits habe ich einen Vetter, der anomaler Trichromat vom ersten Typus ist. Nach dem bekannten Vererbungsmodus der Farbenblindheit wird nun aber an- zunehmen sein, dass wahrscheinlich die Farbenblindheit bei mir und meinem Bruder von der mütterlichen Seite her ererbt ist, und das Zusammentreffen mit der Anomalie bei dem Vetter ein zufälliges ist. ® Dass nieht ein grünes Pigment in Linse oder Glaskörper die Ursache ist, zeigt sich an der völligen Uebereinstimmung der Dämmerungswerthe des Hrn. Prof. Lummer mit denjenigen des Normalen und meinen eigenen. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 36 562 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Biedermann einen sehr feinen Farbensinn habe, und vor allen Dingen die Thatsache, dass Biedermann das rothe Ende des Spectrums länger sieht als Hering. Irgend eine Anomalie, bei der das Speetrum länger als in der Norm gesehen wird, kennen wir nicht. Aus dieser Anomalie des Hering’schen Farbensystems, die, wie ich glaube, aus seinen Angaben bestimmt zu diagnostieiren ist, erklären sich wohl auch seine eigenthümlichen Anschauungen über das „reine Roth“, denen ein unbefangener wirklich Normalsichtiger schlechterdings nicht zu- stimmen kann. Bei dieser Sachlage erscheint die Darstellung, die Tschermak! von der Betheiligung Hering’s an den Ermittelungen über die anomalen Systeme gibt, entschieden unzutreffend. Alles Drehen und Wenden hilft nicht darüber hinweg, dass Hering sowohl das Wesen der Typenunterschiede unter den Farbenblinden (und damit das ganze Wesen der Farbenblindheit überhaupt) als auch das der grossen und kleinen Unterschiede unter den Farbentüchtigen, den Triehromaten, verkannt hat. Auf Grund von Ver- suchen, die zum Theil ziemlich unglücklich angeordnet waren und an einem, wie der Erfolg zeigt, zu kleinen Material von Versuchspersonen angestellt wurden, zog Hering den Schluss, dass die Pigmentirungsdifferenzen Ursache der Verschiedenheiten unter den Farbentüchtigen wie den Farbenblinden seien. Seit jener Arbeit datirt die bedauerliche Verwirrung über das Wesen der Farbenblindheit. Gewiss wird Hering heute anders urtheilen, nachdem er mehr Farbenblinde und Farbentüchtige untersucht hat. Hering aber auf Grund derselben Abhandlung, in der er die Rayleigh-Donders’sche Entdeckung der anomalen Trichromaten als besonderer Erregbarkeitstypen mitleidig belächelt, für einen Mitentdecker dieser Typen zu erklären, geht doch nicht an. Mit demselben Rechte könnte man späterhin, wenn die Hering’sche Schule die Typendifierenz der Farbenblinden als etwas Wesent- liches anerkennen wird (was, wenn mich nicht Alles trügt, schon in der Luft liegt), behaupten, Hering habe in eben jener Arbeit die typische Differenz auch der Dichromaten bewiesen. 3. Hr. Casparı: „Physiologische Studien über Vegetarismus.“ Als Material zur Beurtheilung der Frage nach dem physiologischen Werthe vegetarischer Ernährungsweise werden neben den älteren Litteratur- angaben die von dem Vortragenden und Herrn Glaessner an einem vege- tarischen Ehepaare angestellten und vor kurzer Zeit publieirten Versuche? verwerthet; ferner ein Stoffwechselversuch von 76tägiger Dauer, den der Vortragende an einem Vegetarier strengster Observanz, Hauptmann H,, durchgeführt hat. Schliesslich vergleichende Untersuchungen, die von dem Vortragenden gelegentlich eines Dauermarsches, den der Sportelub „Komet“ im Frühjahr 1902 unternahm, an einem streng vegetarisch lebenden und einem gemischte Kost geniessenden Dauergänger während des Trainings an- gestellt wurden. An der Hand dieses Materiales werden die Gesichtspunkte betrachtet, die für die vegetarische Ernährungsweise characteristisch sind. \ Ergebnisse der Physiologie. Bd.1. 8.2. * Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. Bd. VIl. Heft 9. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜASPARI. 563 Zunächst wird die schlechte Ausnutzung der Kost, insbesondere die- jenige der Eiweisssubstanzen erörtert. Diese trat besonders in dem Ver- suche an dem Hauptmann H. hervor. Dieser Herr ernährte sich während des grössten Theils des Versuches (58 Tage) nur von 1 E8 frischen Früchten. Während der ersten 41 Tage wurden Weintrauben genommen. In dieser Zeit wurde mehr Stickstoff im Kot ausgeschieden, als in der Nahrung ent- halten war. Diese Thatsache, welche schon früher in gleicher Weise von Rubner und Anderen beobachtet worden ist, weist auf die Bedeutung der im Kot ausgeschiedenen Verdauungssecrete für die Berechnung der Resorp- tion der stickstoffhaltigen Bestandtheile einer Kost hin. Je stickstoffärmer eine Kost ist, um so mehr muss der Fehler ins Gewicht fallen. Zum Theil ist also in solchen Fällen die schlechte Ausnutzung des Stickstoffes der Nahrung nur vorgetäuscht. Zweifellos ist aber andererseits die Resorption des Eiweiss an sich schlecht, was bekanntlich durch den hohen Cellulose- gehalt bedingt ist. Ferner spielt aber auch die Eintönigkeit und Reiz- losigkeit der vegetarischen Kost in dieser Beziehung eine Rolle, deren Be- deutung uns erst die bekannten Versuche Pawlows in ihrer ganzen Wichtigkeit gezeigt haben. Weitere characteristische Eigenschaften der vegetarischen Kost sind das grosse Volumen derselben und ihre Armuth an Eiweiss. Die Erörterung letzterer Eigenschaft führt zur Besprechung der vieldiseutirten Frage nach dem Eiweissminimum in der Nahrung überhaupt. In dieser Hinsicht liefert der Versuch am Hauptmann H. einen nicht uninteressanten Beitrag. In dieser Versuchsreihe wurden nämlich die niedrigsten Werthe für den Eiweissumsatz gefunden, welche überhaupt bisher am Menschen be- obachtet sind. Während der ersten 41 Tage wurden pro Tag im Mittel 2.888” N. im Harn ausgeschieden, während der folgenden 21 Tage 2.8182 N. Schliesslich bei höherer Kohlehydratzufuhr in den letzten 14 Tagen nur 2-558”% N. In dieser Periode betrug die Zufuhr pro Tag 3.978 m N. und 1566 Cal. Das Körpergewicht war von 53-63 zu Beginn des Versuches auf 41-3%8 gesunken. Bei diesem redueirten Körpergewicht setzte sich die Versuchsperson mit der genannten Kost, welche also pro Kilo Körpergewicht 0.097 &® N. und 38 Cal. lieferte, nicht nur in Stickstoff- gleichgewicht, sondern behielt sogar in den letzten Tagen Stickstoff im Körper zurück. | Für den Werth einer Nahrung ist der physiologische Nutzeffect ein gutes Kriterium. Dieser gibt an, wieviel Procent von dem Brennwerthe der Nahrung nach Abzug der Calorien für Harn und Kot dem Organismus zur Verfügung stehen. Rubner hat den physiologischen Nutzeffeet für tettreiche animalische Kost zu 90-4 Procent, für fettarme zu 89-3 Procent ermittelt. Der Vortragende und Glaessner fanden in ihren Versuchen an dem vegetarischen Ehepaare bei reichlicher aber streng vegetarischer Er- nährung 89.7 Procent bezw. 91-6 Procent. Es ergibt sich also, dass die vegetarische Kost der gemischten in dieser Beziehung völlig gleichwerthig sein kann, und der höhere Brennwerth des Kotes durch einen niedrigeren des Harnes compensirt wird. Der physiologische Nutzeffeet der Nahrung des Hauptmannes H. sank dagegen beträchtlich unter diese Werthe, wodurch der Beweis erbracht ist, dass diese lediglich aus frischen Früchten bestehende Nahrung auch abge- 36* 564 VERHANDLUNGEN DER BERLINER sehen von ihrem zu geringen Gehalte an Eiweiss und Nährstoffen als eine unzweckmässige anzusehen ist. Da von den Vegetariern die geringe Harnsäurebildung als wesentlicher Factor zu Gunsten der vegetarischen Diät betont wird, so wurde auch die Harnsäureausscheidung im Urin untersucht. Dieselbe war naturgemäss gering bei dem völligen Mangel exogener Purinkörper. Doch hat Min- kowski bei einer aus Milch, Käse, Brot, Eiern u. s. w. bestehender Nahrung Werthe gleicher Grössenordnung für die Harnsäureausscheidung erhalten. Schliesslich wurde die Leistungsfähigkeit bei vegetarischer Kost erörtert. Zur Entscheidung dieser Frage bot der Dauermarsch Dresden- Berlin, der vom Sportelub „Komet“ unternommen wurde, gute Gelegenheit. Es stellten sich nämlich die beiden Champions des Vereins Herr M., ein strenger Vegetarier, und Herr B., ein junger Mann, der sich mit gemischter Kost und Alkoholbeigabe ernährte, für diesen Versuch zur Verfügung. Aus den diesbezüglichen Untersuchungen ist als das Wichtigste die auffallende Gleichheit des Energieverbrauches beider Personen für die gleiche Geharbeit hervorzuheben. Der Vegetarier M. verbrauchte nämlich bei einer Marsch- geschwindigkeit von 139" Weg in der Minute 0.207 *= O, pro Meter Weg und Kilo Gewicht, während der Gemischtkostler B. bei annähernd gleicher Marschgeschwindigkeit einen völlig gleichen Verbrauch (0-.208°® O,) hatte. Dies ist um so interessanter, weil nicht nur die Ernährungsweise durchaus verschieden war, sondern auch die Art, in welcher beide die Muskelarbeit vollführten. M. nämlich ging im Marey’schen Beugegang mit gebogenen Knieen, während B. den Deutschen Turnerschritt mit durchgedrückten Knieen anwendete. Bei dem Dauermarsch selbst blieb der Vegetarier M. Sieger, während B. bald den aussichtslosen Wettkampf aufgab. M. legte die Strecke von 202:m in 26 Stunden 58 Minuten zurück. Berechnet man die Arbeitsleistung auf Grund der an M. gewonnenen experimentellen Daten, so ergibt sich eine Arbeitsleistung von etwa 1767000”. In 24 Stunden also etwa 1570000 ”*®. Eine ganz ähnliche 24 stündige Arbeitsleistung hat Magnus- Levy auf Grund der Daten, welche Leo Zuntz für den Verbrauch beim Radfahren ermittelt hat, für den Rennfahrer Miller auf dem 6 Tagerennen in Chicago berechnet. Es scheint also in dieser Grössenordnung die Maximalleistung best trainirter Männer zu liegen. Vortragender fasst die Resultate seiner Untersuchungen dahin zusammen, dass eine auskömmliche Ernährung und Erhaltung grösster Leistungsfähig- keit auch bei strenger vegetarischer Diät möglich ist. Dennoch steht diese Diät der gemischten nach in Folge der schlechten Resorbirbarkeit besonders der Eiweisssubstanzen, was bei dem geringen Eiweissgehalt dieser Kost schwer ins Gewicht fällt. Auch das grosse Volumen und die Eintönigkeit der Diätform sind für die Beurtheilung des Werthes derselben nicht zu unterschätzen. Auch muss hervorgehoben werden, dass der Dauergänger M. Kellog’sche Nährpräparate verwandte, durch deren Benutzung zwei wesentliche Einwände, schlechte Resorbirbarkeit und grosses Volumen, ver- mindert beziehungsweise aufgehoben werden. Die Arbeit wird später in ausführlicher Form veröffentlicht werden. PHYSIOL. GES. — G. ABELSDORFF. — FrAnZz MÜLLER. — A. Loswr. 565 X. Sitzung am 11. März 1904. 1. Hr. G. ABELSDORFF demonstrirt vor der Tagesordnung eine weisse taube Katze, bei welcher die sonst diesen Thieren eigenthümliche blaue Iris nur auf dem linken Auge vorhanden ist, während die Iris des rechten Auges srünlich gelb gefärbt ist. Das linke Auge besitzt kein Tapetum lueidum und leuchtet daher roth, während das rechte tapetumhaltige wie alle Katzenaugen grün leuchtet. A. konnte bereits an einer anderen weissen tauben und blauäugigen Katze diesen Mangel des Tapetums auf einem Auge ophthalmoskopisch nach- weisen und bei einem ebenfalls tauben blauäugigen Hunde durch anatomische Untersuchung sich von dem Fehlen des Tapetums überzeugen. 2. Hr. Franz MÜLLER: „Ueber den Energieaufwand beim Schwimmen.“ Anschliessend an R. Du Bois-Reymond’s Berechnungen über die Arbeitsleistung beim Schwimmen werden die Resultate von Schwimm- Respirationsversuchen mitgetheilt, die 1901 im Brienzer See an Dr. Kolmer von den anderen Mitgliedern der Monte-Rosa-Expedition vorgenommen wurden. Die Lungenventilation betrug 51 Liter pro Minute gegenüber 42 Liter beim Bergaufmarschiren (25 Procent Steigung), der Energieauf- wand pro Minute 9.5 Calorien gegenüber 8 beim Bergaufmarschiren. Mittheilung der Methodik und der Einzelheiten erfolgt demnächst im Zusammenhang mit den anderen Resultaten der Expedition. 3. Hr. A. Loewy: „Zur Frage der Dissociation des Oxyhämo- globins.“ 2 In der Sitzung vom 6. November vorigen Jahres hatte Prof. Zuntz über Versuche! berichtet, die er gemeinsam mit mir ausgeführt hatte, und von denen ein Theil sich auf das Verhalten der Oxyhämoglobindissociation unter verschiedenen Versuchsbedingungen bezog. Es ergab sich dabei, dass die Curve der Dissociation keine unter allen Bedingungen gleiche sei, dass insbesondere der Verlauf der Dissoeiation in verdünnten Lösungen von Hämoglobin oder in verdünntem lackfarbigem Blute anders ist als im nor- malen deckfarbigen Blute. Bei Benutzung von Lösungen von Oxyhämoglobinkrystallen erwies sich schon die Art der Darstellung von wesentlichem Einflusse. Benutzung von Alkohol zur Herstellung des Hämoglobins vermag dar- nach die Bindungsverhältnisse des Sauerstoffes zu ändern, in dem Sinne, dass der Sauerstoff fester gebunden wird. Ferner war die Concentration von Einfluss, wie früher schon Hüfner und Bohr betont hatten. Je con- centrirter eine Hämoglobinlösung ist, um so weniger Sauerstoff nimmt sie bei gleichem Druck auf. Darum müsste schon das Lackfarbigmachen des Blutes an und für sich die Bindung ändern. Denn während im normalen deckfarbenen Blut, das HB auf die Masse der Blutzellen, d. h. auf nur 40 bis 50 Procent des Blutes beschränkt ist, vertheilt es sich nun über die ganze Blutflüssigkeit. Seine Concentration wird also auf die Hälfte und weniger ! Die Untersuchungen sind unterdessen im Archiv f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abthlg. erschienen. Vgl. A. Loewy und N. Zuntz, Ueber den Mechanismus der Sauerstoffversorgung des Körpers. A.a. 0. 1904. S. 166. D 566 VERHANDLUNGEN DER BERLINER vermindert. Dass das in der That der Fall ist, dafür sprechen Versuche, über die gleichfalls von Zuntz in der genannten Sitzung berichtet wurde. Aus allen diesen Gründen musste Hüfner eine festere Bindung des Sauerstoffes finden, als sie dem normalen deckfarbenen Blute zukommt, da Hüfner meist mit dünnen Hämoglobinlösungen oder mit verdünntem lack- farbigem Blute arbeitete. Dadurch erklären sich auch die Widersprüche, die zwischen Hüfner’s Ergebnissen und den älteren am Thiere selbst von Wolffberg und Strass- berg in Pflüger’s Laboratorium ausgeführten Untersuchungen bestehen. Während das venöse Blut bei einer Sauerstoffspannung von etwa 25 "m Hg in den Versuchen der letztgenannten Autoren zu etwa 60 Procent mit Sauer- stoff gesättigt sein sollte, fand Hüfner bei demselben Druck eine Sättigung zu etwa 90 Procent in seinen älteren, zu 75 Procent in neueren Versuchen. — Auch der Widerspruch, der darin liegt, dass bei einem alveolaren O,- Druck von 30"" Hg schon deutliche Zeichen von Sauerstoffmangel sich geltend machen, während nach Hüfner das Hämoglobin dabei noch zu mehr als 90 Procent mit O, gesättigt sein sollte, wird dadurch behoben. Wenn man das Verhalten der Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins für das normale Blut bestimmen will, so muss man dieses selbst benutzen. Dann erhält man aueh bei Versuchen in vitro Werthe, die mit den im Thier- versuche gefundenen übereinstimmen. So fand schon Paul Bert Werthe, die mit den oben erwähnten von Wolffberg und Strassburg überein- stimmten und ich selbst stellte fest, dass menschliches Blut bei 25" O,- Druck zu 62 Procent mit O gesättigt ist.! Aber dieser Sättigungswerth ist ein Mittelwerth; untersucht man eine Reihe von Blutproben, so findet . man, dass der Sättigungsgrad erheblich schwanken kann und dass in diesen Schwankungen ein individueller Factor mitspricht, insofern, als die Curve der Sauerstoffbindung einzelner Individuen über, die anderer unter dem Mittelwerthe liest und so erheblich von ihm abweicht, dass Versuchsfehler zur Erklärung der Abweichungen nicht ausreichen. Nun hat neuerdings Bohr darauf hingewiesen,” dass der Kohlensäure- gehalt des Blutes einen erheblichen Einfluss auf die Sauerstoffbindung durch das Hämoglobin ausübt. Die Kohlensäure wirkt austreibend auf den Blut- sauerstoff, besonders bei niedrigen Sauerstoffdrucken. Meine Blutproben enthielten wechselnde Kohlensäuremengen, da ich in einem Theil der Ver- suche noch Kohlensäure zum Blute hinzugefügt hatte, einerseits um Material zur Feststellung der Beziehungen zwischen Kohlensäuremenge und -Spannung im Blute zu erhalten, andererseits um die Versuche in vitro den Verhält- nissen im Thierkörper möglichst ähnlich zu machen. — Es war möglich, dass die von mir gefundenen, scheinbar individuellen, Differenzen durch den wechselnden Kohlensäuregehalt bedingt waren. Sie hätten dann, wenn ich sie auf Grund der Bohr’schen Ergebnisse unter Berücksichtigung des Kohlensäuregehaltes des Blutes umrechnete, schwinden oder doch ! A. Loewy, Ueber die Dissociationsspannung des Oxyhämoglobins im menschlichen Blute. Die Arbeit wird im nächsten Hefte dieses Archivs. Physiol. Abthlg. erscheinen. Sie war im November 1903 der Redaction übergeben, im December gedruckt. Die Separate sind Anfang Februar verschickt worden. ? Bohr’s Veröttentlichung erschien Anfang 1904 im Oentralblatt für Physiologie. Bd. XVII. Nr. 22. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. LoEwY. 567 wenigstens sich mehr oder weniger ausgleichen müssen. Das war nun aber nicht der Fall, wie die folgende Tabelle ergiebt. | | vi | Die gefunde- Versuchs- | | Sauerstoffsättigung ) nen Werthe person || Sauerstoff- | Kohlensäure- | weichen von d. | | | berechneten und | spannung | spannung Ed | berechnet | ab: Nummer* | KETT | nach‘Bohr. ||nach oben > | | | nach unten < T = = Zu} = = = Sl Cesny 45.30... 81-03... ||). 72-50 18 < vo 43.8 |, 31-10 || 78-80 77 = | 40-33 930 | 75-20 84 | zZ Wischnewski 45-44 20-23 || 61-58 82 | Z VITO | 36-70 36-42 | 59-86 62 | Z Derselbe | 44-4 | 33-45 70-07 77 | = X® | _ 38-34 20-45 63.28 74 | zZ 35-0 | 31-03 58-99 65 | Z 31-24 | 88-41 56-25 51 | > Herr X. | 44-4 || 49-48 87-08 el | > NIE 28-1 129 49-17 54 < 25-84 38-26 52-33 39 > MbeBIREX Un 28e18 28-07 |) W.69-52 59 > Zimmermann | 41-46 | 30-17 | 8535| 74 | > xI® 40-82 || 3831-02 | 83-99 73 | > IBezsjeson, | rosa 227575 51 > 19.72 | 50-27 | 41-11 23 > Ziska XI #| 40-75 | 23-50 || 88-97 77 > Auf ihr sind sieben Versuchsreihen verzeichnet, von denen fünf, an dem Blute von vier Personen ausgeführt, für die Berechnung zu verwerthen sind. Wenn man die einzelnen Werthe nicht nach Individuen geordnet zu- sammenstellt, so weichen sie scheinbar regellos nach oben oder unten von den nach Bohr sich berechnenden ab. Stellt man jedoch die auf dasselbe Individuum sich beziehenden Werthe nebeneinander, so ergiebt sich eine zwar nicht ausnahmslose, aber doch deutliche Regelmässigkeit. — Bei Person XI Z. liegen alle vier gefundenen Werthe höher als sie sich nach Bohr’s Curven berechnen würden, bei Person W. in Versuch VII und X liegen umgekehrt fünf Werthe niedriger, nur einer höher; bei ©. Versuch VI sind zwei Werthe niedriger, einer liest auf dem Niveau des nach Bohr berechneten; bei X. Versuch VIII liegen umgekehrt zwei höher, einer etwas niedriger. Die Ergebnisse deuten jedenfalls darauf hin, dass, wenn wir auch Bohr’s Ergebnisse mit in Rechnung ziehen, wir dadurch doch keine vollkommene Erklärung der gefundenen Differenzen gewinnen. Auch unter Berücksichtigung eines etwaigen Einflusses der Kohlensäure ist der Verlauf der Dissociation bei den verschiedenen von verschiedenen Personen stammenden Blutproben * Die Nummern und Zeichen beziehen sich auf die Tabelle in der oben genannten Arbeit. Vgl. dies Archiv. 1904. 8. 217 ft. 568 VERHANDLUNGEN DER BERLINER verschieden. Da auch andere Momente — etwa stark wechselnde Con- centrationen der einzelnen Blutproben — nicht zur Erklärung herangezogen werden können, da sie nicht vorhanden sind, bleibt ein vorläufig noch un- bekannter Factor, dessen Natur weiterhin festzustellen ist. 4. Hr. Dr. Levinsonn (a.G.): „Doppelte Kreuzung der centripetalen Pupillen- und Lidbahnen.“ Während der Vorgang der Pupillenverengerung auf Belichtung als ein rein subcorticaler Reflex sichergestellt ist, ist die Frage, in welcher Weise der auf Belichtung sich einstellende Lidschluss zu Stande kommt, noch nicht genügend geklärt. Obgleich H. Munk die Möglichkeit einer Blinzelbewegung bei greller Belichtung auf subcorticalem Wege zugiebt, sah er beim .Kanin- chen nach Fortnahme der Grosshirnhemisphären auf diesen Reiz hin ausser der Pupillenverengerung keine weitere Bewegung eintreten, während sich nach Eekhard der Blinzelreflex auf Belichtung beim Kaninchen mit und ohne Grosshirn in gleicher Weise einstellt. Vortragender fand bei einer grösseren Anzahl von Kaninchen, denen theils eine theils beide Hemisphären abgetragen waren, den Blinzelreflex auf Magnesiumbelichtung mitunter er- halten, mitunter erloschen. Er stellte fest, dass in denjenigen Fällen, in denen der Blinzelreflex erloschen war, erstens immer eine mehr oder weniger starke Schädigung der subcorticalen Ganglien eingetreten war, und zweitens mit dem Erlöschen des Blinzelreflexes gleichzeitig auch ein solches des Pupillenreflexes einherging. So war zunächst der Nachweis erbracht, dass der auf Belichtung eintretende Blinzelreflex beim Kaninchen auf rein sub- corticalem Wege zu Stande kommt. Durch Vergleichung der Sections- protokolle war es dann möglich, die Bahn, auf welcher der Lichtreiz zum Oculomotorius und Facialis verläuft, weiter zu verfolgen. Es zeigte sich, dass diese Bahn nach totaler Kreuzung im Chiasma nach dem Corpus geni- eulatum externum hinstrebt, und durch dieses oder an diesem vorbei sich in die Tiefe des vorderen Vierhügels einsenkt, wo sie unterhalb des Aquae- ductus Sylvii weiterzieht. Um die untere Grenze der Reflexbögen festzustellen, wurden beim Kaninchen halbseitige Schnitte durch den ganzen Hirnstamm gelegt. Diese ergaben, dass die untere Grenze des Blinzelreflexes zwischen unterem und mittlerem !/, der Rautengrube, also etwas unterhalb der unteren Begrenzung des Facialiskernes gelegen ist, während die untere Grenze des Pupillenreflex- bogens nicht über das distale Ende des Oculomotoriuskernes hinausgeht. Die centrifugale Reflexbahn für den Blinzelreflex ist bekannt, sie wird durch den Nervus facialis gebildet, welcher dem gleichseitigen Facialiskern entspricht. Als Centrum für den Sphineter iridis ergab sich mit grosser Wahrscheinlichkeit der Westphal-Edinger’sche Kern. Der Beweis hierfür wurde geführt einmal auf experimentell-histologischem Wege, indem sich in 9 Fällen bei Nisslbehandlung mehr oder weniger längere Zeit nach der Exstirpation des Ganglion ciliare bei der Katze, eine wenn auch nicht aus- gesprochene, so doch immerhin meist ziemlich deutliche Reaction dieses Kernes einstellte, 2. durch elektrische Reizung der in Frage kommenden Hirnpartie, die eine isolirte Pupillenverengerung herbeiführte und 3. in ge- wisser Weise auch durch Exstirpation dieses Hirntheiles, die Vortragender bei sechs Affen ausgeführt hat. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — S. ROSENBERG UND Ü. ÖPPENHEIMER. 569 Es blieb nun noch übrig, den Verlauf der centripetalen Pupillen- und Lidbahnen aus der Tiefe des vorderen Vierhügels bis zum Westphal- Edinger’schen Kern einerseits, zum Faecialiskern andererseits zu verfolgen. Experimentelle Untersuchungen ergaben nun, dass die Zerstörung des vorderen Vierhügeldaches auf den Pupillen- und Blinzelreflex keinen Einfluss ausübt, dass aber, sobald die Zerstörung über den Aquaeductus Sylviüi hinausgeht, der Pupillen- und Blinzelreflex vernichtet ist. Und zwar zeigte es sich, dass eine Zerstörung der vorderen Partien des vorderen Vierhügels die Aufhebung des Pupillen- und Blinzelreflexes auf der gekreuzten, da- hingegen eine Zerstörung der hinteren Partieen die Aufhebung auf der- selben Seite zur Folge hatte. Da die centrifugalen Pupillen- und Lidfasern vom Westphal-Edin ger’schen wie vom Facialiskern aus einen ungekreuzten Verlauf einschlagen, so müssen, falls wir diese Kerne als Ausgangspunkte der centrifugalen Reflexbahn auffassen, die centripetalen Lidbahnen eine nochmalige Kreuzung durchmachen. Und diese doppelte Kreuzung muss etwa in der Mitte des vorderen Vierhügels unterhalb des Aquaeduetus Sylvii gelegen sein. Ob es sich hier um eine einseitige, oder, was wahrscheinlicher ist, um eine aus verschiedenen Neuronen zusammengesetzte Bahn handelt, soll vorläufig dahingestellt bleiben. XI. Sitzung am 25. März 1904. 1. Hr. S. RosENBERG und Ü. OPPENHEIMER: „Die Resistenz von senuinem Eiweiss gegenüber der tryptischen Verdauung im thierischen Organismus.“ Die von Oppenheimer und Michaelis, sowie von Oppenheimer und Aron ausserhalb des Körpers constatirte Resistenz von genuinen Eiweiss gegenüber dem Trypsin wird von Rosenberg und Oppenheimer auch bei einem Hunde mit selbstschliessender Darmfistel, also im thierischen Orga- nismus, gefunden. Der Hund, welcher gewöhnliche Nahrung normal, und Pferdeblutserum vom Magen bis zu 93 Procent resorbirte, vermochte bei Aus- schaltung der peptischen Verdauung das Serum nur bis zu 82 Procent, und in einem Versuch, bei welchem durch schnelle Passage durch den Darm die Fäulniss ausgeschaltet werden sollte, gar nur zu knapp 48 Procent aufzu- saugen, wogegen bei einem gleichen Schnellversuch Plasmoneiweiss zu 90 Procent zur Resorption gelangte. Damit ist erwiesen, dass auch im thierischen Organismus eine Resistenz von genuinem Eiweiss gegenüber dem tryptischen Ferment besteht. 2. Hr. WAuLtHeR Bere: „Weitere Beiträge zur Theorie der histologischen Fixation“ (vorläufige Mittheilung). (Aus dem anatomisch- biologischen Institute der Universität.) Die Wirkungsweise der histologischen Fixirungsmittel an der Ver- bindung von Nucleinsäure aus Heringsmilch und Clupein zu studiren, em- pfiehlt sich einmal wegen ihres gallertigen, dem Protoplasma ähnlichen Zu- standes, dann wegen den nahen chemischen Beziehungen zu dem Eiweiss der Köpfe der Heringsspermatozoen, endlich wegen der eigenthümlichen 570 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Polymorphie des Niederschlages, welchen sie beim Zusammenbringen von wässerigen Lösungen ihrer Componenten bildet. Es entstehen mikroskopische Tröpfehen, welche in kurzer Zeit zu Hohl- körpern werden. Diese zerfliessen in einander zu Schäumen, welche all- mählig durch Verlust ihrer Vacuolen zu homogenen Tropfen werden. Füst man Nucleinsäurelösung hinzu, so werden die homogenen Tropfen vaecuolisirt; Clupeinlösungen macht vacuolisirte Gebilde homogen. Es gelang für diese von Hrn. G. Wetzel nach gemeinsamen Be- obachtungen publieirten Erscheinungen! eine befriedigende Deutung zu finden sowie zu begründen, dass für die homogenen Tropfen eine ultra- mikroskopische Schaumstructur anzunehmen ist. Es soll dies anderen Ortes ausführlich abgeleitet werden. Diese polymorphe Fällung wurde nun der Einwirkung von Lösungen wasseranziehender Stoffe unterworfen, sowie von Lösungen solcher Stoffe, wie sie bei der histologischen Fixation Verwendung finden. Durch die wasseranziehenden Lösungen [Traubenzucker 25 Procent, Koch- salz 15 Procent, Chlorealeium 5 bis 30 Procent] wurden vacuolisirte Tropfen erst homogen und sodann, wie auch die schon homogen gewesenen, vacuolisirt. Dass die vorgebildeten Vacuolen, Ansammlungen von sehr verdünnter Lösung innerhalb einer nicht starren, nahezu halbdurchlässigen Substanz, zunächst schwinden, brancht nieht-weiter begründet zu werden. Die se- ceundäre Vacuolisation tritt so ein, dass das nach aussen diffundirende Wasser sich nach dem Quincke’schen Verdrängungsgesetz im Augenblick, wo es den Tropfen verlässt, an der Oberfläche des Tropfens ausbreitet und dadurch Strudel in der umgebenden Flüssigkeit, aber auch im Tropfen erregt, die zum Platzen der ultramikroskopischen Schaumwände und zum Anwachsen der Schaumvacuolen bis zur mikroskopischen Sichtbarkeit führen. Dies ge- schieht in kurzen Perioden. Die Vacuolen wachsen beim Traubenzucker bis zu einer bestimmten Grösse, bleiben rund und verlieren sich allmählig; sie werden durch Kochsalz und Chlorcaleium weit grösser und deform d.h. die Vacuolenwände werden starr, sie brechen auch hier und da ein. Sie bleiben sodann unverändert. Die Erklärung ist damit zu geben, dass der Rindenschicht der Tropfen weit schneller Wasser entzogen wird, als den inneren Schichten; die aller äusserste Schicht enthält nahezu kein Wasser mehr und ist starr. Auf diese Weise ist die Rinde nach aussen fast vollkommen ab- geschlossen, setzt sich aber mit dem Innern in osmotisches Gleichgewicht. Die Vacuolen schwellen in der Peripherie an, im Centrum wachsen sie durch Ineinanderplatzen (in Folge von Diffusiensströmung). Beim Trauben- zucker wird die äusserste Schicht durch Wasseraufnahme aus dem Innern wieder durchlässig, sodass sich die Vacuolen allmählig verlieren. Bei Kochsalz und Chlorcaleium überwiegt die Wasserentziehung von aussen, die äusserste Rinde wird vollkommen starr und undurchlässig; sie erhält unter Einwirkung des grossen, sich entwickelnden osmotischen Druckes Sprünge; Lösung dringt in das Innere, bringt die hier schon stark an- gewachsenen Vacuolen zur Deformation und sprengt die hier und da den Aus- gleich hindernden starren Wände. \ Sitzungsherichte der physiol. Gesellschaft. März 1903. PHYSIOLOGISCHEN GEESLLSCHAFT. — WALTHER BERG. Hz Die Wirkung verdünnten Alkohols gleicht etwa derjenigen des Trauben- zuckers von 25 Procent. Absoluter Alkohol aber liefert dünne starre Lamellen ohne Vacuolen. Es ist dies so zu erklären, dass es zu Aus- breitungserscheinungen des austretenden „Wassers“ an der Grenze des Tropfens nicht kommt, da dieses sofort von dem Alkohol aufgenommen wird, dass die Wasserentziehung also fast continuirlich fortgeht. Die Wirkungen der wasserentziehenden Mittel waren nur dann dauernd, wenn diese Mittel anwesend blieben. Bei Zusatz von Wasser quollen. die Gebilde erst auf und zerflossen dann zu homogenen Tropfen." Die untersuchten Fixirungsmittel kann man nach ihrer Einwirkung auf das nucleinsaure Clupein in drei Gruppen theilen. Die erste wirkte — stärker oder schwächer — wie die wasserentziehenden Lösungen und gab keine Dauerwirkung. Hierher gehören Formalin (bis 40 Procent); Kaliumbichromat (5 Procent und 12-3 Procent) und Chrom- säure 1 bis 10 Procent. Die zweite Gruppe gab Erscheinungen wie die wasserentziehenden Mittel, sie hemmte aber auch das Zufliessen von Hohlkörpern zu Schäumen. Die durch sie bewirkten Structuren waren nach einiger Zeit starr und un- empfindlich gegen Wasserzusatz. Hierher gehören Pikrinsäure, Sublimat und Platinchlorid in mittleren und hohen Concentrationen. Die dritte Gruppe wird allein repräsentirt durch die Osmiumsäure. Sie gab fast keine secundäre Vacuolisation, hemmte das Zerfliessen der Hohlkörper und machte nach 24 Stunden in 1 procentiger Lösung auch die übrigen Ge- bilde starr und unempfindlich gegen Wasser. Diese Wirkung der Osmiumsäure entspricht ihrer Wirkung auf kleine histologische Objecte. Die ultramikroskopischen Schauwände erstarren dauernd ohne mikroskopisch sichtbare Umänderungen. Hierin liegt die Fixationswirkung. Bei den Fixationsmitteln der zweiten Gruppe ist sie complieirt und verdeckt durch Erscheinungen wie Vacuolisation u. s. w., welche auf Aus- breitungserscheinungen, wie bei der Anwendung bloss wasseranziehender Mittel, zurückzuführen sind. Die Erscheinung der Vacuolisation von Gallerten entspricht derjenigen der Fällung aus verdünnten colloidalen Lösungen, wenn man diese als Suspensionen kleinster Colloidtheilchen auffasst, welehe durch Ausbreitungs- erscheinungen zusammengeführt werden. Es erhellt daraus, dass bei Fällung von Eiweisslösungen mit Lösungen von Fixationsmitteln die Ausbreitungserscheinungen in den Vordergrund treten und an den kleinen Gebilden, welche die Niederschläge zusammen- setzen, eigentliche Fixationserscheinungen kaum zu studiren sind. Die Versuche wurden unternommen, um die Art und Weise der Fixa- tionswirkung festzustellen; eine Prüfung der Fixationsmethoden in Bezug auf ihre Verwendbarkeit lag ausserhalb des Rahmens der Fragestellung. 3. Hr. ©. NeugEre: „Beitrag zur Frage nach der Zuckerbildung aus Fett im Organismus nach gemeinsam mit F. Blumenthal an- gestellten Versuchen.“ Ausgehend von der Ueberlegung, dass bei einer Zuckerbildung aus Fett auch die Glycerineomponente eine Rolle spielt, haben wir das nächste Oxy- ! Eine Ausnahme bildete Chlorealeium in hoher Conceutration (10 bis 30 Proc.) 572 VERHANDLUNGEN DER BERLINER dationsproduct des Glycerins, die Glycerose auf ihr physiologisches Verhalten untersucht; denn diese Substanz ist einmal das classische Ausgangsmaterial für den künstlichen Aufbau des Traubenzuckers in den Händen Emil Fischer’s gewesen und geht andererseits durch rein chemische wie biologische Processe mit besonderer Leichtigkeit aus Glycerin hervor. Die verwendete Substanz wurde durch Oxydation von Glycerin mit Hydropenoxyd und Eisensalz bereitet und bildet nach entsprechender Reinigung einen farblosen, süss- schmeckenden Syrup, der ein Gegensatz zu dem nach älteren Methoden dargestellten Material völlig ungiftig ist. Sie enthält vorwiegend Glycerin- aldehyd (I) neben weniger Dioxyaceton (II). L. Ir. COH CH, -OH | | CH-OH co | | CH, -OH CH,-OH Versuche am Kaninchen, Hund und Menschen ergaben übereinstimmend, dass die Substanz bei stomachaler, subeutaner sowie intraperitonealer Zu- führung selbst bei sehr hohen Dosen vollständig verbrannt wird, d.h. dass die Glycerose eine viel höhere Assimilationsgrenze besitzt als alle künstlichen und die meisten natürlichen Zucker, die vielleicht sogar höher als die des Traubenzuckers liegt. Demgemäss wurde auch festgestellt, dass die Glycerose ein echter Glycogenbildner von der Stärke der Glucose ist. Auffallend ist das Verhalten der Glycerose im Organismus des Diabetikers und des pancreasexstirpirten Hundes; auch hier wird sie vollständig ver- brannt, ohne die bestehende natürliche, bezw. artificielle Glucosurie im ge- ringsten zu erhöhen. Die ausführliche Mittheilung wird an anderer Stelle erfolgen. XII. Sitzung am 6. Mai 1904. 1. Hr. Max Borchert: „Ueber Markscheidenfärbung bei niede- ren Wirbelthieren.“ Ich berichte hier über gute Erfolge, die ich durch die Einwirkung von Osmiumsäure auf das Centralnervensystem niederer Wirbelthiere erzielt habe. Die Osmiumsäure wird, wie Max Schultze! zuerst gezeigt hat, durch das gesammte Gewebe des Centralnervensystems reducirt. Die intensivste Re- duction erfolgt in den Markscheiden der markhaltigen Nervenfasern. Aus dem zwischen den markhaltigen Nervenfasern gelegenen Gewebe lassen sich die Osmiumsäure-Reduetionsproducte durch Differenzirungsflüssigkeiten (am besten ist die von Pal? angegebene Differenzirung mittels Kali hyper- manganicum und darauf folgende Behandlung 'mit Kali oxalicum und Kali sulfurieum) vollständig herauslösen und entfernen, so dass das mikroskopische Präparat die markhaltigen Nervenfasern schwarz auf weissem Grunde zeigt. ' Max Schultze und M. Rudneff, Archiv für mikroskopische Anatomie. 1865. S. 303. 2 Pal, Wiener Medicinische Jahrbücher. 1886. 8. 619. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — MAX BORCHERT. 573 Für systematische Untersuchungen der Hirnfaserung ist die Osmium- säure, soweit ich sehe, bisher nur angewandt worden von Exner! in einer Studie über die markhaltigen Nervenfasern der menschlichen Hirnrinde, und von Tuczek in einer Untersuchung über denselben Gegenstand bei Dementia paralytica. Auch die neueren Modificationen der Osmiumsäurebehandlung, wie sie Azoulay’, Heller® und Robertson* angegeben haben, scheinen bisher nie für systematische Untersuchungen angewandt worden zu sein. Uebrigens sind diese Modificationen umständlicher, als die alte Methode von Exner-Pal, da sie durch Vorbehandlung in Müller’scher oder in einer anderen Flüssigkeit die Reduction der Osmiumsäure in der Markscheide ver- mindern und eine nachträgliche Steigerung der Reduction z. B. durch Pyro- gallussäure erforderlich machen. So hat sich denn die Prophezeiung Max Schultze’s, dass „der Osmium- säure in der Anatomie von Gehirn und Rückenmark eine grosse Zukunft bevorstehe“, in seinem Sinne nicht erfüllt. Während sie sich in der patho- logischen Anatomie des Nervensystems in der Marchi-Methode eine herr- schende Stellung gesichert hat, hat sie sich in der normalen Anatomie nie recht eingebürgert, sonst wäre sie auch verdrängt worden durch die schöne Markscheidenfärbungsmethode von Carl Weigert. Wie Carl Weigert? mit Recht sagt, ist die Osmiumsäure „für den Hausgebrauch“ nicht geeignet, vor Allem, weil sie nur schwer in die Gewebe eindringt und daher nur für kleine Gewebsstücke anwendbar ist, und dann, weil sie sehr kostspielig ist. Merkwürdiger Weise ist die Osmiumsäure in der Hirnfaseranatomie der niederen Wirbelthiere niemals angewendet worden‘, wiewohl hier ihre eben erwähnten Uebelstände fortfallen, wo es sich meist um kleinere Gehirne handelt. Und gerade bei den niederen Wirbelthieren stellen sich der erfolgreichen Anwendung der Weigert’schen Methode oft sehr grosse Schwierigkeiten in den Weg. Nur eine viele Monate währende Vorbehandlung in Müller’scher Flüssigkeit lässt gute Weigert-Präparate erhoffen, und auch dann lässt der Erfolg noch oft zu wünschen übrig. Die technischen Schwierigkeiten steigern sich noch bei der Behandlung jugendlicher, noch nicht markreifer Gehirne niederer Wirbelthiere. Die Chrom-Hämatoxylinlacke werden bei der Weigert- Methode in dem zwischen den markhaltigen Nervenfasern gelegenen Gewebe mit besonderer Zähigkeit festgehalten und lassen sich daraus selten ohne schwerere Schädigung der Markfasern entfernen. Es dürfte diesen grossen technischen Mühseligkeiten vor Allem zuzuschreiben sein, dass die Mark- reifung des niederen Wirbelthiergehirnes noch so wenig untersucht ist. ! Exner, Sitzungsherichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1881. 8. 151. Die Arbeit von Tuczek citire ich nur aus der Encyklopadie der mikroskopischen Technik. 1902. Bd. II. S. 938. ® Azoulay, Anatomischer Anzeiger. 1895. ® Heller, Berliner klinische Wochenschrift. 1895. * Robertson, British Medical Journal. 1897. S. 651. 5 Eneyklopädie der mikroskopischen Technik mit besonderer Berücksichtigung der Farbelehre. 1902. Bd. Il. S. 938. ® Die einzige mir darüber bekannte Angabe ist eine persönliche Mittheilung von Hrn. Professor N. Zuntz, der sich erinnert, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bei Max Schultze in Bonn ein mit dem Rasirmesser hergestelltes Präparat vom Lobus electricus ven Torpedo gesehen zu haben, das mit Osmiumsäure gefärbt war. 574 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Demgegenüber gelingt es hier mit der Osmiumsäurebehandlung in 3 bis 4 Tagen lückenlose Serien von Markscheidenpräparaten zu erhalten, die hinter den schönsten Weigert-Präparaten nicht im Geringsten zurückstehen. Die Osmiumsäuremethode ist dabei un- gemein einfach, versagt nie und eignet sich in gleicher Weise für jugend- liche wie für erwachsene Gehirne. Im Gegensatz zu der Weigert-Methode leidet sie unter der Paraffineinbettung nicht, gestattet also die Herstellung auch feinster Schnitte. Ein weiterer Vorzug ist die hier angewandte Stück- färbung des Gehirns, die für die Weigert-Methode in neuerer Zeit auch versucht wurde !, aber, soweit ich mich überzeugen konnte, keine idealen Präparate erzielen lässt. Die Herstellung der Präparate war folgende: Die Gehirne, die mir in 10 proc. Formalin aus der zoologischen Station in Neapel zugesandt worden waren, wurden in 3% dieke Scheiben zerlegt. Diese kommen für 24 Stunden in 1 proc. Osmiumsäure, darauf für mehrere Stunden in Aqua dest., steigenden Alkohol, werden in Paraffin eingebettet und geschnitten. Als Schnittdicke wählte ich 20 u. Es empfiehlt sich schon jetzt, etwa jeden zehnten Schnitt aufzuhellen und in Canadabalsam aufzubewahren. Schon in diesem Stadium zeigen die Präparate einen schönen ÜContrast zwischen weisser und grauer Substanz, wenngleich sich die feinsten markhaltigen Fäserchen nicht so deut- lich abheben wie.an guten Weigert-Präparaten. Dafür ist aber die graue Substanz, die Nervenzellen mit den Kernen gut erhalten. Derartige Präparate geben eine Controle dafür, ob und inwieweit durch den Differenzirungs- process markhaltige Nervenfasern zerstört werden. Eine derartige Controle kann in Fällen von pathologischem Faserausfall von grosser Bedeutung werden.” Die Weigert-Methode gewährt eine derartige Controle nicht, da hier die noch nicht differenzirten Präparate vollständig schwarz gefärbt sind. Die übrigen Schnitte werden noch dem von Pal angegebenen Differen- zirungsverfahren unterworfen; d. h. sie kommen für wenige Secunden in !/,proe. Kalihypermanganicumlösung, werden dann kurz abgespült und kom- men dann für kurze Zeit in eine Lösung von: Neid moxale Se: 1°0 Kal. sulfur. Adel 1-0 Aqua dest. . . . 200.0 Nach beendigter Differenzirung werden die Präparate mehrere Stunden, oder noch länger, in häufig gewechseltem oder fliessendem Wasser ausgewaschen, damit auch die kleinsten Spuren von Differenzirungsflüssigkeit, die noch nachwirken und die Haltbarkeit der Präparate gefährden würden, entfernt werden. Sie werden dann entwässert, aufgehellt und in Canadabalsam auf- bewahrt. Die Haltbarkeit der Osmiumpräparate ist bekannt. Ich komme zu dem Ergebniss, dass die Ösmiumsäurebehandlung für die systematische faseranatomische Untersuchung des er- wachsenen und des fötalen Selachiergehirns, auf das sich meine bisherigen Erfahrungen erstrecken, die Markscheidenfärbung von Weigert-Pal völlig ersetzt und wesentliche Vorzüge vor ihr hat. Der einzige Mangel der mitgetheilten Methode beruht, soweit ich sehe, in r George L. Streeter, Archiw für mikroskopische Anatomie. 1903. 8. 734. ® Azoulay, Anatomischer Anzeiger. 1895. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu Boıs-Reymonn. 575 ihrer Beschränkung auf kleinere Gehirne. Bei grossen Gehirnen dürfte sie für systematische Untersuchungen unbrauchbar sein wegen des schweren Eindringens der Osmiumsäure in die Gewebe und wegen ihrer Kostspielig- keit. Ob die Methode überdies bei den anderen Wirbelthieren der Weigert’- schen Methode ebenbürtig ist, müsste erst untersucht werden. Hr. Dr. Lo Bianco in Neapel hatte die Güte, frisches Torpedogehirn nach der oben mitgetheilten Vorschrift zu behandeln und mir zuzusenden. Die Markscheidenfärbung ist hier ebenso gut gelungen wie am Formalin- material. Nur zeigen die Präparate, bevor sie differenzirt werden, einen minder scharfen Üontrast zwischen weisser und grauer Substanz, da die zwischen den markhaltigen Nervenfasern gelegene Substanz stärker mitgefärbt ist. 2. Hr. R. pu Boıs-Reymonn: „Eine Fehlerquelle beim Gebrauch des Schlitteninductoriums.“ Bei manchen Induetorien ist zwischen der unteren Zuleitungsklemme für den primären Strom, die an der Säule des Wagner’schen Hammers an- gebracht ist, und der oberen, die einerseits mit der primären Rolle unmittel- bar, andererseits mit dem Unterbrecherstift verbunden ist, ein Vorreiber angebracht, durch den man das Spiel des Inductoriums an- und abstellen kann. Will man an einem auf die gewöhnliche Weise in den secundären Stromkreis eingeschalteten Nervmuskelpräparat die Reizschwelle ausprobiren, so bringt es die zunächstliegende Handhabung des so eingerichteten In- ductoriums mit sich, dass man die rechte Hand auf die secundäre Rolle legt, um sie bei spielendem Hammer allmählich aufzuschieben, während man mit der linken nach dem erwähnten Vorreiberschlüssel greift, um den Ham- mer in Gang zu setzen. Hierbei pflest sich die Hand auf die obere Klemme der primären Spule zu stützen. Unter diesen Umständen kann es vorkommen, dass jedes Mal im Augenblick, in dem der Hammer zu spielen beginnt, Zuckungen des in den secundären Kreis geschalteten Präparates auftreten, noch ehe die secundäre Rolle der primären bis auf den zu erwartenden Abstand genähert ist. Man glaubt es dann wohl zunächst mit einem sehr empfindlichen Nerven zu thun zu haben, und nimmt die Verlängerung der Schlittenbahn zu Hülfe, aber selbst beim äussersten Abstand zeigt sich die- selbe Erscheinung, und sie erweist sich schliesslich als überhaupt unabhängig von der Stellung der primären zur secundären Rolle. Geeignete Versuche lassen alsbald erkennen, dass es sich um unipolare Wirkungen handelt, die von der oberen Klemme der primären Rolle und mithin von der linken zur rechten Hand des Experimentators auf den Stromkreis der secundären Rolle übertragen werden. Abgesehen von der eben geschilderten Täuschung über die wahre Reiz- schwelle, dürften auf dieselbe Weise mannigfache Versuchsfehler entstehen können, und es schien daher der Mühe werth, den zufällig beobachteten Vorgang weiter zu untersuchen. Die unipolare Wirkung, die von der oberen Klemme der primären Rolle ausgeht, ist selbstverständlich auf den Extrastrom! zurückzuführen. Es ist offenbar unwesentlich, dass die Leitung durch das Auflegen der beiden Hände hergestellt wird und dass das Präparat mit der secundären Rolle in ! Vgl. S. Kostin, Ueber einige physikalische und physiologische Eigenschaften der gewöhnlichen Extraeurrenten. Pflüger’s Archw. 1899. Bd. LXXVII. S. 586. 576 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Verbindung steht. Man kann vielmehr einfach die beiden Klemmen der primären Rolle durch einen Stromkreis verbinden, in den das Präparat ein- geschaltet ist, und erhält dann bekanntlich beim Spielen des Hammers durch den Extrastrom starke Reizungen des Präparates. Diese Anordnung wirkt so stark, dass sie sehr leicht auch nach Ausschalten des einen Stromzweiges das Präparat unipolar in Erregung versetzt, und zwar ganz sicher, wenn das freie Ende der unipolaren Strombahn jenseits des Präparates zur Erde abgeleitet wird. Diese Ableitung kann dadurch ersetzt werden, dass man das Ende der Strombahn leitend berührt. Berührt man dann gleichzeitig die andere Klemme der primären Rolle, so ist der Extrastrom geschlossen. Es ist nun, wie von den unipolaren Wirkungen des secundären Kreises schon längst bekannt ist!, nicht erforderlich, dass an den erwähnten Stellen eine leitende Verbindung hergestellt ist, sondern es genügt auch die blosse An- näherung der Hand an das Präparat, um die unipolare Abgleiehung des Extrastromes zu verstärken. Berührt man andererseits das freie Ende der Strombahn, so genügt wiederum Annäherung der Hand an die primäre Rolle, um eine der Schliessung des Extrastromkreises analoge Wirkung zu erzeugen. Diese Fälle sind so anzusehen, dass die einander genäherten Enden der unterbrochenen leitenden Ketten einen Condensator darstellen, so dass der Stromkreis „gewissermaassen durch den Condensator geschlossen ist“. ° Bis hierher ist also von einer Leitung des Extrastromes die Rede ge- wesen, die bei der zuerst besprochenen zufällig entstandenen Anordnung zur unipolaren Abgleichung durch den Körper des Experimentators hindurch, in den weiteren Versuchen auf verschiedene Weise immer zur Abgleichung des Extrastromes führte. Das Berühren der freien Klemmen der primären oder auch der secun- dären Rolle hat aber auch noch auf andere Weise Einfluss auf den Verlauf der elektrischen Vorgänge. Der Körper wirkt auf die Rolle wie eine an- geschlossene Condensatorplatte. Daher wird an sich die unipolare Wirkung einer Rolle, sei es die primäre oder secundäre, gesteigert, wenn man den freien Pol berührt. Man kann also auch, statt die betreffenden Stellen des Apparates zu berühren, Leydener Flaschen oder einfach mit Wasser gefüllte Gefässe durch Drahtleitungen an sie anschliessen. Ist beispielsweise in eine Klemme der primären Rolle ein Draht befestigt, der zu der Anode des Nervmuskelpräparates führt, während die Kathode aus einem Draht besteht, der in einen Standceylinder voll Wasser taucht, und es wird in die zweite Klemme ein Draht gespannt, der ebenfalls in einen Cylinder mit Wasser taucht, so erhält man bei spielendem Hammer Tetanus, sobald man die beiden Glasgefässe einander nähert. Es genügt auch, die Hände um einen der beiden Cylinder zu legen, um gewissermaassen eine äussere, zum Boden abgeleitete Belegung herzustellen. Das an die primäre Rolle angeschlossene galvanische Element, im vor- liegenden Falle ein Daniell, bildet nun selbst schon eine derartige an die primäre Rolle angeschlossene Flasche. Unipolare Abgleichungen des Extra- stromes können daher durch Annähern der Hände an den Becher des Ele- mentes verstärkt werden, und wenn man mit der ableitenden Strombahn in ! E. du Bois-Reymond, Thierische Klektricität. Bd. Il. S. 430. ° Pouillet-Müller, IX. Aufl. Bd III. S. 871. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu Boıs-Reymonp. 577 Verbindung steht, wird eine unvollkommene Schliessung der Kette durch Annähern der Hände an den Becher des Elementes bewirkt. Alle diese Erscheinungen werden beträchtlich abgeschwächt, wenn das Inductorium und die etwa verwendeten Ladungsgefässe durch hohe Glasuntersätze isolirt sind. Bei den Versuchen, bei denen der Experimentator selbst die Leitung bildet, ist dagegen die Isolirung gegen den Boden des Zimmers unwesentlich, weil hier ohnehin hinreichend starke Widerstände bestehen, um eine eigentliche Leitung unwirksam zu machen. Die Wirkungen können verstärkt werden, indem auf die zu untersuchende primäre Rolle eine offene secundäre Rolle aufgeschoben wird; sie werden bis zur Aufhebung abgeschwächt, wenn die aufgeschobene secundäre Rolle in sich geschlossen ist, oder wenn die Magnet- bündel aus der primären Rolle entfernt sind. Es leuchtet ein, dass die beschriebenen Erscheinungen, die sich in mannigfachen weiteren Modificationen darstellen lassen, auf verschiedene Weise zu Versuchsfehlern Anlass geben können. Es mag hier nur erwähnt werden, dass bei unipolarer Abgleichung der Vorreiberschlüssel unwirksam ist, und dass bei den beschriebenen Versuchen mitunter nachträgliche Reiz- wirkungen auftraten, die offenbar durch Ladung einzelner Theile der be- nutzten Vorrichtungen bedingt waren. 3. Nach der Tagesordnung demonstrirte Hr. Hans FRIEDENTHAL Fleisch vom sibirischen Mammuth, welches im Jahre 1902 in der Nähe der Kolyma in Nordsibirien gefunden worden war. Das Fleisch war so wohl erhalten, dass es von Hunden begierig gefressen wurde Von Hundemagensaft aus Pawlow’scher Fistel und von Pankreassecret aus permanenter Pankreasfistel wurde es leicht aufgelöst. Kaninchenserum von Kaninchen, welche mit Blut vom indischen ERle- fanten vorbehandelt waren, hatte in zwei Fällen mit dem Kochsalzextraet von Mammuthblut Niederschläge ergeben, welche in den erhitzten Flüssigkeiten nicht auftraten. Die Verwandtschaftsreacetion war aber in anderen Fällen negativ ausgefallen, vermuthlich wegen der ungleichen Beschaffenheit der Blutreste, welche stark mit Sand verunreinigt waren. Die Versuche werden fortgesetzt werden. Ausser den oben erwähnten Fleisch- und Blutresten vom Mammuth de- monstrirte H. Friedenthal drei Hunde, welche im Institut von J. Paw- low in Petersburg operirt worden waren. Der erste Hund demonstrirte die von Pawlow gefundene Thatsache, dass bei Fütterung mit Milch und Brot Hunde trotz Anlegung einer Eck’schen Fistel dauernd bei bestem Wohlsein gehalten werden können. Am Demonstrationstage waren 14 Tage seit dem Anlegen der Eck’schen Fistel verflossen. Der zweite Hund mit permanenter Pankreasfistel zeigte die im Pawlow’schen Institut übliche Aufhängung zur Gewinnung reiner Fistelsecrete.e Um zu vermeiden, dass das gesammte Pankreassecret dem Hunde dauernd verloren geht, war ein Stück des Ausführungsganges des Hundepankreas resecirt worden, so dass ein Theil des Seeretes durch den zweiten Ausführungsgang in den Darm fliessen musste, während der grössere Theil aus der Fistel abfloss. Solche Hunde können, wie Pawlow fand, bei Ernährung mit Milch und Brod beliebig lange gesund und am Leben erhalten werden. Der dritte vorgezeigte Hund bewies die Möglichkeit der Ausschaltung des gesammten Jejunum und Ileum Archiv f£. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. 37 578 VERHANDLUNGEN DER BERLINER aus dem Verdauungs- und Resorptionstractus. Der ganze Dünndarm von der Mitte des Duodenum ab bildete eine einzige Tiry-Vella’sche Darm- schlinge, deren Enden durch zwei gesonderte Oeffnungen mit der Aussenwelt communiecirten. Das Duodenum mündete an der Valvula Bauhini in den Diekdarm. Die Gesammtlänge des Duodenum zwischen Magen und Dick- darm überschritt nicht 14 *“. Wenn die Enden der Dünndarmschlinge durch Dauercanülen verschlossen gehalten werden und das duodenale Ende der Darmschlinge nicht am Bauche, sondern in der Rückengegend durch Haut und Muskeln geführt wird, eignen sich in obiger Weise operirte Hunde ganz besonders gut zum Studium der Darmresorption bei Abwesenheit aller Verdauungssecrete mit Ausnahme des Darmsaftes. Um längere Zeit am Leben gehalten zu werden, bedürfen derartig operirte Hunde einer sorg- fältigen Pflege und einer doppelten Fütterung in die beiden völlig getrennten Darmwege. Derartig operirte Hunde zeigen, welch erhebliche Mengen Secret von der Schleimhaut des ganzen Dünndarmes täglich abgesondert werden, um in eingedicktem Zustande als Kot den Körper zu verlassen. XII. Sitzung am 10. Juni 1904. 1. Hr. Grore Fr. NıcoLaı: „Ueber die Leitungsgeschwindigkeit im Riechnerven des Hechtes.“ Die Frage, ob und inwiefern sich das Nervenprineip mit gleichförmiger oder ungleichförmiger Geschwindigkeit fortpflanzt, kann, wie ich auch schon früher theoretisch auseinander gesetzt und, wie es Hermann später be- stätigt hat, nur gelöst werden, wenn man entweder die Fortpflanzungs- geschwindigkeit in beiden Richtungen misst, oder wenn man ein und die- seibe Erregungswelle während ihres Fortschreitens an verschiedenen Punkten zu beobachten im Stande wäre. Weder das eine noch das andere Verfahren ist am Nervmuskelpräparat ausführbar, und eine Nachprüfung der an diesem Object gewonnenen Resultate mit einwandsfreien Methoden muss daher er- wünscht sein. Ich habe die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der negativen Schwankung am Hechtnerven mit Hülfe des Capillarelektrometers und photographischer Registrirung bestimmt, wobei ich voraussetze, dass die Erresungswelle und die negative Schwankung in Bezug auf die Schnelligkeit des Fort- schreitens identisch sind. Die Versuche, über die an anderer Stelle aus- führlich berichtet werden wird, sind im Leipziger Physiologischen Institut vorgenommen, doch habe ich die Ausmessungen und Berechnungen in Folge äusserer Umstände erst in Berlin ausführen können. Dass man die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der negativen Scehwankung in beiden Richtungen beobachten kann, ist selbst- verständlich; doch gelingt es auch bei geeigneter Anlage mehrfacher Ab- leitungselektroden Curven zu erhalten, in denen ein und dieselbe Er- regungswelle sich beim Passiren von drei verschiedenen Punkten auch 3 Mal deutlich einzeln markirt, was uns erlaubt aus einer PHYSIOL. GES. — GEORG Fr. NıcorLAL. — Hans FRIEDENTHAL. 579 Aufnahme und nach einmaliger Reizung bereits die Geschwindigkeitscurve zu bestimmen. Ich gebe hier nur die Resultate meiner Arbeit ohne die später zu publieirenden Belege. 1. Die Leitung in physiologischer (centripetaler) und unphysiologischer (eentrifugaler) Richtung erfolgt gleich schnell. 2. Der Reiz als solcher breitet sich mit gleichförmiger Geschwindig- keit aus. 3. Alle Partien des untersuchten Nervus Olfactorius des Hechtes leiten gleich gut. 4 Häufige Reizung ruft eine Verlängerung der Leitungszeit hervor, und zwar beruht diese im Wesentlichen auf einer Schädigung an der Reizstelle. 5. Eine Verstärkung des Reizes bedingt eine scheinbare Verkürzung der Leitungszeit, doch beruht dies nachweisbar auf Stromschleifen. 6. Die Fortpflanzung der Reizwelle nach Reizung mit Inductionsschlägen beginnt sofort, nach Reizung mit dem constanten Strom setzt sie erst nach einer messbaren Latenz ein, doch erfolgt sie dann schneller als wie nach Reizung mit Inductionsschlägen. Diese sonderbare Thatsache legt den Ge- danken nahe, dass bereits während des Latenzstadiums Vorgänge im Nerven stattfinden, welche die spätere Reizausbreitung zu begünstigen im Stande sind. Diese Vorgänge scheinen mit jenem Process identisch zu sein, den man als physiologischen Eleetrotonus zu bezeichnen gewohnt ist. 2. Hr. Hans FRIEDENTHAL: „Beiträge zur physiologischen Chirurgik.“ Um die Organe der Bauchhöhle völlig vom Centralnervensystem zu isoliren, genügt es nicht, die bekannten Nervenbahnen zu durchschneiden, da man bei der Variabilität des Verlaufes der sympathischen Nervenfasern nicht sicher ist, wirklich alle zu den Organen führenden Verbindungsbahnen getroffen zu haben, sondern es empfiehlt sich, das Rückenmark so hoch hinauf wie möglich völlig zu exstirpiren. Vortr. zeigte der Gesellschaft einen Hund, welcher 4 Wochen lang die Durchschneidung der beiden Vagi an der Cardia und die Durchschneidung beider Splanchniei überstanden hatte und dem ausserdem das Rückenmark vom vierten Brustwirbel abwärts exstirpirt war. Um das Rückenmark zu entfernen, durchschneidet man nach Anlegung einer nur kleinen Oefinung des Wirbelcanales das Rückenmark in der gewünschten Höhe und verschliesst die Wunde nach geschehener Durchschneidung. Alsdann legt man eine Oeffnung am unteren Ende des Wirbelcanales an und zieht das abgetrennte Rückenmarksende aus dem Wirbeleanal heraus. Der demonstrirte Hund überlebte einen halben Monat lang auch diese zweite Operation und starb an einer nachträglichen Wundinfection. Bei der Section zeigte es sich, dass ein kleiner Theil des Magens innerviert wurde durch einen Ast des Vagus, welcher oberhalb der Durchschneidungsstelle sich abgezweigt hatte. Mit Ausnahme einer kleinen Parthie der Magenwandung waren alle Organe der Bauchhöhle, Leber, Darm, Nieren, Blase und männliche Geschlechtsorgane von jedem Zusammenhang mit dem Centralnervensystem mit Sicherheit ab- geschnitten. 37* 580 VERHANDL.D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — HANS FRIEDENTHAL. Das Resultat dieses Versuches steht im Einklang mit früheren Versuchen des Vortr., welche bewiesen hatten, dass auch das Herz des erwachsenen Säugetieres für längere Zeit die völlige Isolirung vom Centralnervensystem zu überstehen vermag. Die berühmten Versuche von Goltz über das Ver- halten der Hunde mit verkürztem Rückenmark boten keine völlige Isolirung der Organe der Leibeshöhle vom gesammten Centralnervensystem, weil die Vagi in diesen Versuchen erhalten geblieben waren. Um den Einfluss der Nerven auf die Function der Nieren zu unter- suchen, teilte der Vortr. die Harnblase eines Hundes in zwei völlig ge- sonderte Hälften, deren jede durch eine verschliessbare Dauercanüle, die Ableitung des Harnes nur einer Niere gewährleistet. Die Anordnung ge- stattet, den Harn jeder Niere gesondert aufzufangen, ohne dass die Thiere bei verschlossenen Canülen sich mit dem abfliessenden Urin durchnässen, wie es bei Fisteln der Fall sein muss. Der demonstrirte Hund hatte mehrere Wochen lang die Operation ohne Schädigung überstanden. Um den Ein- fluss der Nierennerven zu studiren, muss die nervöse Isolirung einer Niere gleichzeitig mit der Teilung der Harnblase und der Einlegung der Dauer- canülen ausgeführt werden. An einem dritten Hunde demonstrirte der Vortr. die Möglichkeit, permanente Fisteln des Ductus thoracicus anzulegen, mit einem natürlichen Verschlusse, welcher das Herausfliessen der Lymphe ausserhalb der Versuchs- zeiten verhindert. Bindet man die linke Vena anonyma herzwärts von der Einmündung des Ductus thoracicus in den Sinus Iymphaticus ab, gleichzeitig mit allen in jener Gegend einmündenden Venen, so gelingt es nach Durch- schneidung der Vena jugularis letztere als Verlängerung des Ductus thoraeicus am Halse in die Wunde einzunähen, so dass die ausfliessende Lymphe nur mit intacter Venenschleimhaut in Berührung kommt und vor Gerinnung gesehützt ist. Einen ventilartigen Verschluss bilden bei Anlegung dieser permanenten Fistel die Halsmuskeln, welche durch Seidennath zusammen- gezogen einen leichten Druck auf die hindurchgezogene Vena jugularis aus- üben und die Oeffnung verschliessen. Um die Lymphe zu erhalten, genügt es, die Venenöffnung durch Heftpflaster temporär durchgängig zu machen oder eine Canüle in die Fistel einzuführen. Die oben beschriebenen Operationen wurden im physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule ausgeführt. Hrn. Geh. Rath H. Munk drückt der Verf. auch an dieser Stelle seinen ergebenen Dank aus. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & G0MP. in Leipzig. Dkandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt - für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von . der Verlagsbuchhandlung 12 .%4 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- liehste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung, Nenrologisches (entralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 .# direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0.ö, Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Braslan, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käutlich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Eortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Miller, Reichert und du Bois-Reymond ee Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheten) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den a totnschen Theil und 6 auf da physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 MW. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte, herausgegeben von W. Waldeyer), sowie auf die physio- logische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engel- mann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 X, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 MW. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Ru %a> va } en \ { ) EN S J PORT ee