HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. Nordboaan \\.os en j N IM RR, TRAM RE RTL, nah e JaHd iW 2 1 0 | nie auae. LETURG ie P I Er RN an N wie By MEER ETTERT ‚IF ‚ev ie Are Er ar oo a Aamoeın0wieTn ARCHIV FÜR FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND De. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. SUPPLEMENT-BAND ZUR PHYSIOLOGISCHEN ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1904. ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. SUPPLEMENT-BAND. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND‘ ZEHN TAFELN. N} th “ LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1904. wet i PirTe RE RA Pc LOBEN VOBERMWES E. Er ehrt in EZ. * j [6 rast j a f © j N By, N Fr 4 1 { = \ 4 x R £ db | x BR R: . % “ Kan me mt ud DUILFER ren it: ER MAN, SAW a; HH Mar) fi 4 = Warn En ER 5 een, >; RER EEE; RENT IRA EN ER: BINTE SREN 3 Inhalt. KARL BRAEUNIG, Ueber musculöse Verbindungen zwischen Vorkammer und Kammer bei verschiedenen Wirbelthierherzen. (Hierzu Taf. 1.) : W. Ber, R. pu Boıs-Reymonn und L. Zuntz, Ueber die lektuns Hai Radfahren . 6 S. Kostın, Zur Frage ua Entstehen a, an Athemrhychunus, (Elierau Taf. I—IV.) . RıcHarp Hans KaHun, Ueber io name Ks rasen M. SCHATERNIKOFF, Zur Frage über die Abhängigkeit des O, alandies ı von dem O,-Gehalte in der einzuathmenden Luft. Max Wıen, Bemerkungen zu der Abhandlung der Herren An ar omakan vd Quix „Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Töne ver- schiedener Höhe“ : JULIUS GRÜNWALD, PIenvamostspineche Untereuenun en "über die Anmane der Vögel. © : (GUSTAV ZIMMERMANN, Der hrsg Werth der a athren ter a - OTFRIED MÜLLER, Ueber eine neue Methode zur Aufzeichnung der Volumschwan- kungen bei plethysmographischen Untersuchungen am Menschen Kurt BRANDENBURG, Ueber die Eigenschaft des Digitalin, beim Froschherzen die selbstständige Erzeugung von Bewegungsreizen au der Grenze von Vorhöfen und Kammer anzuregen. (Hierzu Taf. V u. VI.) : WILHELM TRENDELENBURG, Ueber das Vorkommen von Son Al im een auge nebst Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Sehpurpur und Netzhautstäbehen . H. ZwAARDEMAKER und C.D. Onmeim, Die Geschwindigkeit des Athemairomes und das Athemvolum des Menschen . $ LOHMANN, Zur Automatie der Brückenfasern des Herzens! Erseite "Mittheilung ARTHUR SCHuLz, Das spectrale Verhalten des Hämatoporphyrins (Hierzu Taf. a ERNST JENDRASSIK, Weitere Beiträge zur Lehre vom Gehen . 5 E. M. Kurpımowskı, Physiologische und pharmakologische Versuche an io iSO- lirten Gebärmutter. (Hierzu Taf. VIII u. IX.) i G. Hürser und W. Küster, Einige Versuche, das Verhältniss der Gewichte, zu bestimmen, in welchem sich das „Hämochromogen“ mit Kohlenoxyd verbindet G. Hürner und B. ReınsoLp, Absorptiometrische Bestimmungen der Menge des Stickoxyds, die von der Gewichtseinheit Methämoglobin gebunden wird . AUGUST Lucaz, Studie über die Natur und die Wahrnehmung der Geräusche Seite 135 167 182 193 203 213 228 241 265 271 287 323 387 391 396 v1 INHALT. GusTav ZIMMERMANN, Nachträgliche Betrachtungen über den Pe Werth der Labyrinthfenster. . . ». . . te. A. Durıe und N. Zuntz, Beiträge zur Physiologie des Dierzohen im Hochgeliias OTTO MARBURG, Die physiologische Function der Kleinhirnseitenstrangbahn (Traetus spinocerebellaris dorsalis) nach Experimenten am Hunde. (Hierzu Taf. X.) Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1903—1904. F. Krause, Ueber Hirnrindenreizung beim Menschen, mit Projecetionen . GEoRG FR. NıcoLaı, Ueber angebliche Actionsströme in anorganischen nbsiorman G. ZIMMERMANN, Der physiologische Werth der Labyrinthfenster A. Lucae, Zur Physiologie des Gehörorgans ui Leo Langstein, Die Kohlehydratgruppen der Eines om > Pıper und ABELSDORFF, Consensuelle Lichtreaction der Pupille . Beyer, Modell des Corti’schen Organs . Seite 409 417 457 488 486 488 490 495 495 496 Physiol. Abtheilung. 1904. Supplement-Band, I. Hälfte. ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. | FORTSETZUNG DES\vVoNn REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, \ UND D». TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. 3 —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —= SUPPLEMENT-BAND. == ERSTE HÄLFTE. = MIT EINUNDACHTZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND SECHS TAFELN. N “ LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP, 1904. | 1 n | | | | | Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. : (Ausgegeben am 26. Oktober 1904.) Tabalıı KARL BRAEUNIG, Ueber musculöse Verbindungen zwischen Vorkammer und Kammer bei verschiedenen Wirbelthierherzen. (Hierzu Taf. A) W. Bere, R. nu Bors-Revmonn und L. Zuntz, Ueber die ee en ‚Radfahren - S. zn Zur Frage A heilen A N OBRaER Kihenchrtin _ lierza Taf‘ II-IV.) RıcHArpd Hans Kann, Ueber ci Erwähnung des Chrotidenbiites F M. SCHATERNIKOFF, Zur Frage über die Abhängigkeit des O, ahnen von dem O,-Gehalte in der einzuathmenden Iuft . . . . u Max Wırn, Bemerkungen zu der Abhandlung der Herren 7 ade und Quix „Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Töne ver- schiedener Höhe“ JULIUS GRÜNWALD, Piefhyemographische Untersnchunden über ir Athmung der Vögel ; AHA GUSTAV ZIMMERMANN, Der a ee Werth de Talyrinthienster SSR Se OTrRiep MürLer, Ueber eine neue Methode zur Aufzeichnung der Volum- schwankungen bei plethysmographischen Untersuchungen am Menschen Kurt BRANDENBURG, Ueber die Eigenschaft des Digitalin, beim Froschherzen die selbstständige Erzeugung von Bewegungsjeizen an der Grenze von Vor- höfen und Kammer anzuregen. (Hierzu Taf.Vu. NIE) y WILHELM TRENDELENBURG, Ueber das Vorkommen von Sehpurpur im u auge nebst Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Sehpurpur und Netzhautstäbchen Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer träge gratis und 30 4 Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Seite 228 Bei- Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin NW, Luisenstr. 56, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, ar dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. \ Ueber musculöse Verbindungen zwischen Vorkammer und Kammer bei verschiedenen Wirbelthierherzen. Von Karl Braeunig. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Hierzu Taf. I.) Von den Gegnern der „myogenen Theorie der Herzbewesung“ wird als einer der schwerwiegendsten Einwände regelmässig in’s Feld geführt die vollkommene Trennung der Vorhofs- und Kammermuseculatur. Die Sonderung des ursprünglich einheitlichen Herzschlauches in den Atrium- und den Ventrikelantheil soll eine so vollständige sein, dass am ausgebildeten Herzen auch nicht die kleinste Muskelbrücke mehr Zeugniss ablegt von der Einheitlichkeit der ursprünglichen Anlage. Und an diesem Dogma wird, besonders von Seiten der Anatomen, mit einer geradezu erstaunlichen Zähigkeit festgehalten; die verschiedenen Arbeiten, welche musculäre Verbindungszüge zwischen Vorkammer- und Kammermusculatur beschreiben, werden andauernd völlig ignorirt. Um nur ein Beispiel zu nennen: In der im Jahre 1899 erschienenen siebenten Auflage des berühmten Lehrbuchs der Anatomie von Carl Gegenbaur findet sich auf Seite .217 im zweiten Bande der Satz: „Die Musculatur der Vorhöfe ist von jener der Kammern vollständig getrennt ....“ Und schon im Jahre 1893 hatte Wilhelm His jun. das ganz constante, vom Septum atriorum zum Septum ventriculorum verlaufende Muskelbündel beschrieben und abgebildet (siehe später, S. 3). Aber wegen der grossen Bedeutung, welche die Muskelbrücken für das Zustandekommen der coordinirten Herzthätigkeit nach der myogenen Theorie der Herzbewegung haben, darf man diese Frage nicht auf sich beruhen lassen. Es muss vielmehr von Seiten der Physiologen solange immer und immer wieder auf die Existenz der musculären Verbindungen zwischen Vorhöfen und Ventrikeln des Herzens hingewiesen werden, bis dieselben auch in die anatomischen Handbücher Eingang gefunden haben. Archiv f. A.u. Ph, 1904, Physiol. Abthlg. Suppl: 1 % KARL BRAEUNIG: Unter diesem Gesichtspunkt hält Verf; es nicht für unnütz, einerseits die früheren Arbeiten über diesen Gegenstand zusammenzustellen und ein- mal wieder in Erinnerung zu bringen, andererseits aber auch seine eigenen Befunde an verschiedenen Wirbelthierherzen zu beschreiben. Die Anregung zu dieser Arbeit verdankt der Verf. seinem hochver- ehrten Lehrer, Hrn. Geheimen Medicinalrath Prof. Dr. Th. W. Engelmann, welcher auch weiterhin derselben dauernd sein Interesse geschenkt hat. Die mikroskopischen Arbeiten sind in der unter Leitung des Hrn. Geheimen Medicinalraths Prof. Dr. Fritsch stehenden mikroskopisch - biologischen Abtheilung des physiologischen Instituts ausgeführt worden. Das unter- suchte Material ist zum Theil auf Kosten des Instituts beschafft worden. Durch Ueberlassung von Material und mit werthvollem Rath hat mich auch Hr. Dr. L. Brühl unterstützt, ebenso wie Hr. Dr. Max Borchert, Assi- stent der mikroskopisch-biologischen Abtheilung des physiologischen Insti- tuts. Es sei mir gestattet, den genannten Herren an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. An älteren Angaben über musculäre Verbindungen zwischen Vor- kammer- und Kammermusculatur finde ich die folgenden in der Litteratur der letzten Zeit: 1. W. H. Gaskell, On the innervation of the heart, with especial reference to the heart of the tortoise. ! Gaskell beschreibt beim Schildkröten- und beim Froschherzen an der Atrioventriculargrenze einen circulären Muskelzug, ‚mit dem einerseits die Musculatur der Vorhöfe, andererseits die Kammermusculatur zusammen- hängen soll. Ein ähnliches Verhalten hat er an der Grenze zwischen Venensinus und Vorkammern gefunden. Die Elemente; aus denen sich die musculären Ringe zusammensetzen, sollen nicht den wohlausgebildeten Muskelzellen der Ventrikelmusculatur entsprechen, jedoch durchgehends mehr oder minder deutliche Querstreifung zeigen. Ihre Kerne sollen grösser als die der Ventrikelmusculatur, die Gestalt dieser Muskelzellen soll spindel- förmig sein. Im Ganzen sollen sie den — im Vergleich zu den Muskel- zellen des Ventrikels — weniger entwickelten, primitiveren Elementen des Venensinus gleichen. 2. A. F. Stanley Kent, Researches on the structure and function of the mammalian heart. 3 Der Verf. hat bei neugeborenen Ratten einen direeten, continuirlichen Uebergang der Vorhofsmusculatur in die Kammermuseulatur gefunden, und nach seiner Darstellung wird dieser Zusammenhang der Museulatur ı Journal of physiology. 1883. Vol. IV. p. 48. ? Ebenda. 1893. Vol. XIV. p. 233. MUSCUL. VERB. Vv. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 3 der Herzabschnitte niemals völlig durch das im weiteren Entwickelungs- gange zwischen Vorkammer und Kammer einwachsende Bindegewebe auf- gehoben; vielmehr sollen sich auf jeder Entwickelungsstufe, selbst noch bei ausgewachsenen Thieren, Reste desselben sowohl im Septum, als auch in den äusseren Wandungen des Herzens vorfinden. Ausserdem beschreibt der Verf. bei höheren Thieren noch eine andere Art von Verbindungen zwischen Atrien und Ventrikeln, nämlich eigenthümliche, quergestreifte, vielfach verzweigte, dünne Muskelfasern, welche, in dem trennenden Bindegewebe liegend, einerseits mit der Kammermusculatur, andererseits mit der Museu- latur der Vorkammern in Verbindung stehen. (Ich will gleich hier be- merken, dass es mir bei keinem der von mir untersuchten Herzen gelungen ist, diese letztere Art der musculären Verbindungen zu sehen. Ich komme später darauf noch einmal zurück.) 3. Wilhelm His jun., Die Thätigkeit des embryonalen Herzens und seine Bedeutung für die Lehre der Herzbewegung beim Erwachsenen. ! His geht von primitiven phylogenetischen und ontogenetischen Zu- ständen des Herzens aus, wie sie das Fischherz und die Herzen junger Embryonen (der menschliche Embryo etwa in der vierten Woche) darbieten. Durch die bekannte schleifenförmige Krümmung des ursprünglichen Herz- schlauches, durch das Auswachsen der Herzohren aus dem hinteren Schenkel der Schleife, die den Bulbus arteriosus, den vorderen Schleifen- schenkel umgreifen, und durch die Ausbildung des Canalis auricularis zwischen dem ersten und zweiten Bogen der schleifenförmigen Anlage ist die Sonderung des Vorhofstheiles vom Ventrikelantheil gegeben. Eine Scheide- wand fehlt im Herzen noch ganz. Für die weitere Entwickelung gewinnt nun die Einstülpung des Ohr- canals in den Ventrikel und seine in den letzteren hineinragende trichter- förmige Umschlagsfalte hervorragende Bedeutung. Zwischen die beiden Blätter der Falte wächst vom Epicard her Bindegewebe ein, das indessen in dem bezeichneten frühesten Stadium die Continuität der Musculatur an ihrer Umschlagsstelle nicht alterirt. Weiterhin aber trennt das Bindegewebe völlig die beiden Schichten der Musculatur, von denen die äussere nun mit der Wand des Ventrikels verschmilzt und später nicht mehr nachweisbar ist, während die innere sich der Innenfläche des Ventrikels anlegt, wo sie in die Trabekel übergeht, so eine secundäre Muskelverbindung zwischen Atrium und Ventrikel herstellend. Dieser Zustand der Atrioventricular- grenze erhält sich nach His dauernd bei Amphibien und Reptilien, während er bei Säugethieren nicht zur Ausbildung kommt, da bei letzteren der ein- gestülpte Ohrcanal frühzeitig eine anderweitige Umbildung erfährt. Für 1 Arbeiten aus der medieinischen Klinik zu Leipzig. 1893. 4 KARL BRAEUNIG: das Säugethierherz beschreibt er dann ein constantes Muskelbündel, das vom Septum atriorum beginnt, dann im Bindegewebe der Atrioventricular- grenze verlaufend, sich der oberen Kante des Septum ventriculorum unter mehrfachem Faseraustausch anlegt und schliesslich, nachdem es das Binde- gewebe zwischen Vorhofs- und Kammerscheidewand in schräger Richtung durchsetzt hat und auf die linke Seite des Septum ventriculorum gelangt ist, in der Musculatur der letzteren endigt. Ueber die Entwickelung dieser Art der musculösen Verbindung zwischen Kammer und Vorkammer wird in der Arbeit von His leider nichts gesagt. Die hervorragende und mit guten Abbildungen versehene Arbeit scheint seither wenig beachtet worden zu sein. 4. Robert Retzer, Ueber die musculöse Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel des Säugethierherzens. (Die Arbeit ist noch nicht erschienen, wird aber demnächst in diesem Archiv, Anat. Abthle., veröffentlicht werden. Sie ist mir durch Vermitte- lung von Hrn. Geheimen Medieinalrath Prof. Dr. Engelmann schon jetzt zugänglich gemacht worden. Meine eigenen Untersuchungen waren in der vorliegenden Form im Wesentlichen bereits abgeschlossen, als mir die Ab- handlung Retzer’s bekannt wurde.)! Der Verf. fand das von His zuerst beschriebene „Atrioventricular- bündel“, wie er es nennt, bei zwei Ratten, einer jungen Katze, einem ausgewachsenen Kaninchen und einem ebensolchen Hunde durch die mikro- skopische Untersuchung. Makroskopisch präparirt hat er es an mehreren Menschenherzen. Seine Beschreibung vom Verlaufe dieses Atrioventrieular- bündels im Septum cordis stimmt mit den von mir an Säugethierherzen erhobenen Befunden ziemlich genau überein. Bei meinen Untersuchungen habe ich mich folgender Methoden bedient: A. Die kleineren Herzen wurden mit Igelstacheln auf Korkplättchen so fixirt, dass sie mit ihrer Vorderseite auflagen, die Atrien neben einander, das Septum senkrecht zur Unterlage. In dieser Anordnung wurden sie auch eingebettet und geschnitten, so dass die Serien, mit den hinteren Ab- schnitten des Herzens beginnend, nach vorn fortschreiten und mit den grossen arteriellen Gefässen endigen. B. ‘Aus den grösseren Herzen wurden zwecks besserer Orientirung und bequemerer Bearbeitung die verschiedenen Abschnitte der Atrioventrieular- grenze isolirt untersucht. Und zwar wurde einerseits das Septum des Herzens mit der Aorta herausgeschnitten und so eingebettet, dass durch die senkrecht zum Septum und parallel zur Herzachse geführten Schnitte ‘ Inzwischen ist die Arbeit erschienen: Dies Archiv. Anat. Abthlg. Jahrgang 1904, 1. Heft. MuscuL. VERB. v. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 5 die hinteren Abschnitte des Septums zuerst, die vorderen mit dem Ursprung der Aorta zuletzt in Serien zerlegt wurden (vgl. Taf. I, Figg. 1 bis 5). Andererseits wurden aus den Seitenwänden des Herzens die die rechte und linke Atrioventrieulargrenze enthaltenden Theile herausgeschnitten, mit Igel- stacheln auf Korkplatten flach ausgebreitet, so fixirt und dann in einer solchen Stellung eingebettet, dass die Schnitte senkrecht zur Herzwand und parallel zur Herzaxe fielen und also jeder einzelne von ihnen durch die Atrioventriculargrenze ging. Zur Fixirung wurde durchweg 10 procentige Formalinlösung benutzt, zur Einbettung theils Paraffin, theils Celloidin. Die Schnittdicke schwankt zwischen 10 und 20 u. Zur Färbung bediente ich mich ausschliesslich der van Gieson’schen Methode, welche mir von allen Färbungen die sicherste und schönste Differenzirung. des Bindegewebes und der Musculatur zu geben schien. Das Bindegewebe wird leuchtend roth, die Museulatur gelb, während sich die Kerne rothbraun bis dunkelviolett färben (vgl. Taf. I). Die Figuren der Tafel habe ich selbst nach meinen Präparaten theils aus freier Hand, theils (Figg. 1 bis 5) mit Hülfe eines Leitz’schen Zeichen- apparates in der mikroskopisch-biologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin ausgeführt. Die Untersuchung ging von den einfacheren Verhältnissen aus, wie wir sie im Herzen der Amphibien und Reptilien antreffen. Es wurden also zuerst nach dem oben unter A. angegebenen Verfahren vorbereitet und in Serien zerlegt: 1. zwei Herzen vom Wassermolch Triton eristatus; 2. zwei Herzen vom Frosch (Rana esculenta); 3. ein Ringelnatterherz (Tropidonotus natrix). Sie zeigten alle — bis auf ein Froschherz, das eine geringfügige, aber interessante, später noch zu besprechende Abweichung darbot (vgl. S. 6) — ziemlich übereinstimmende Verhältnisse. Durchmustert man diese Serien, die, wie oben erwähnt, immer mit den hinteren Abschnitten des Herzens beginnen, so findet man zunächst Schnitte, in denen Vorkammer- und Kammerwand tangential angeschnitten sind und, durch reichliches, zum Theil pigmentirtes Bindegewebe getrennt, neben einander liegen. Weiterhin rücken sie immer näher zusammen, all- mählich fallen auch die Herzhöhlen in den Bereich der Schnitte und schliesslich wird das Ostium atrioventriculare erreicht. Unmittelbar, bevor man beim Durchgehen einer solchen Schnittserie an diesen Punkt kommt, sieht man in einigen wenigen Schnitten Vor- kammer- und Kammermusculatur, ohne dass Bindegewebe dazwischen tritt, in breiter Ausdehnung sich an einander legen. Die darauf folgenden zahl- 6 KArL BRAEUNIG: reichen Schnitte, welche das Ostium atrioventrieulare enthalten, zeigen dann je an zwei Stellen, auf (mehr oder minder mathematisch genauen) radiären Durchschnitten dasselbe, was auch die eben erwähnten, wenigen, tangential das Ostium treffenden Schritte darboten, nämlich einen directen Contact von Vorkammer- und Kammermuseulatur. Fig. 9, Taf. I stellt dies Verhalten vom Ringelnatterherzen dar. Für die Figur wurde ein Schnitt gewählt, der ungefähr dem grössten Durch- messer des betreffenden Herzens entspricht und also die Herzwand in an- nähernd radiärer Richtung durchsetzt. Die Zeichnung zeigt nur eine Seite des Schnittes, da die andere Seite naturgemäss dieser ziemlich symmetrisch ist. In der Figur liegt die Herzhöhle nach links; von rechts, also von aussen her, sieht man, wie sich in den tiefen Suleus zwischen Atrium (A) und Ventrikel (W) das roth gefärbte Bindegewebe einschiebt, fast bis zum Ostium atrioventrieulare, aber doch nicht völlig; vielmehr geht am Grunde des Sulcus, unmittelbar an der inneren Oberfläche des Herzens, da, wo der Klappenapparat des Ostium venosum sich ansetzt, die Vorkammermuseulatur direct in die Trabekeln der innersten Schichten der Ventrikelmusculatur über. Die betreffende Stelle ist in Fig. 9, Taf. I durch ein X bezeichnet. Und versuchen wir nun, uns mit Hülfe dieser mikroskopischen Bilder, indem wir das Verhalten auf den tangentialen mit dem auf radiären Schnitten vergleichen, eine Vorstellung von dem wahren Sachverhalt an der Atrioventriculargrenze dieser verhältnissmässig einfachen Amphibien- und Reptilienherzen zu machen, so kommen wir zu dem Resultat, dass sich bei denselben am Grunde des Sulcus circularis cordis, unmittelbar an die Innen- fläche des Herzens angrenzend, eine dünne, das venöse Ostium rings um- gebende Schicht von Muskelgewebe vorfindet, mit der sowohl die Kammer- musculatur, als auch die der Vorkammern in Zusammenhang steht. Es ist eben das Verhalten der Musculatur am Ostium atrioventrieulare, das bereits im Jahre 1893 von Wilhelm His jun. (siehe oben, 8.3) für diese Entwickelungsstufe des Wirbelthierherzens beschrieben worden ist.! Der einfache Ventrikel steht zunächst mit den Atrien durch den — bereits die trichterförmige Einstülpung aufweisenden — Ohrcanal in Verbindung. Nach His jun. erhält sich dieser Zustand der Atrioventrieularfurche dauernd nur bei den Fischen. Aber auch unter den ' Wenn ich hier und im Folgenden noch wiederhölt — soweit nothwendig — auf entwickelungsgeschichtliche Thatsachen Bezug nehme, so schliesse ich mich bei der Darstellung derselben im Wesentlichen an die folgenden Schriften von Wilhelm His sen. an: 1. Anatomie menschlicher Embryonen; 2. Beiträge zur Anatomie des menschlichen Herzens. Beide bei ©. F. W. Vogel in Leipzig. MUSCUL. VERB. V. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 7 von mir untersuchten Amphibienherzen zeigte eins, nämlich das des Frosches, der oben Seite 5 wegen seines abweichenden Verhaltens von der allge- meinen Beschreibung ausgenommen wurde, noch eine Andeutung dieses primitiven Zustandes. Fig. 10, Taf. I stellt einen Schnitt aus diesem Herzen dar. Bei ihm war die in den Ventrikel hervorragende Falte mit ihren beiden Blättern und der — in der Figur mit dem X bezeichneten — Uebergangsstelle derselben noch recht deutlich zu erkennen, während das Verhalten bei dem anderen Frosch, ebenso wie bei den beiden Molchen sich schon mehr dem in Fig. 9 von der Ringelnatter abgebildeten näherte. Bei diesen letzteren Herzen springt der Trichter des Ohrcanals nicht in den Ventrikel vor; er hat sich der Wand desselben angelegt, mit deren Musculatur sein äusseres Blatt verschmolzen und also nicht mehr. als selbstständige Muskelschicht erkennbar ist; durch das Bindegewebe der Atrioventrieularfurche ist es von dem inneren Blatt der trichterförmigen Falte, dem Atriumantheil des Ohrcanals, völlig getrennt, und letzteres lest sich nun der Innenfläche der Ventrikelmusculatur an und geht continuirlich in die Trabekel derselben über. (Diese Ueber- gangsstelle ist in unserer Fig. 9, Taf. I durch das X bezeichnet.) So bildet sich hier aus dem Öhrcanal secundär eine neue Art der muscu- lären Verbindung zwischen Atrium- und Ventrikelmusculatur. Die venösen Klappen sind in allen diesen Herzen reine Bildungen des Endocards. Sie sitzen der Basis des Trichters auf, ohne zu ihr in andere als topographische Beziehungen zu treten. Auf diese Entstehungsweise der Klappen bei den niederen Wirbelthieren macht auch His jun. besonders aufmerksam, und unsere Figg. 9 und 10, Taf. I lassen ebenfalls dies Ver- halten erkennen, das deshalb eine besondere Bedeutung für unseren Gegen- stand hat, weil in ihm der wesentliche Unterschied zwischen den Verhält- nissen an der Atrioventrieulargrenze des Herzens bei diesen niederen Wirbelthieren einerseits, und den später zu besprechenden Zuständen bei den Säugethieren andererseits begründet ist. Denn während bei den Fisch-, Amphibien- und Reptilienherzen der Ohrcanal zur Herstellung des museu- lösen Zusammenhanges zwischen den einzelnen Abtheilungen des Herzens verwendet ist, indess die Klappen von ihm unabhängige, ausschliesslich endocardiale Bildungen sind, wird er bei den höheren Thieren zum Klappen- apparat des Ostium venosum umgebildet und muss somit aufhören, die musculäre Verbindung zwischen Atrien und Ventrikel zu vermitteln. Auch Gaskell (siehe oben, S. 2) hat — und zwar bereits im Jahre 1883 — an Amphibien- und Reptilienherzen (Frosch und Schildkröte) diese Verhältnisse gesehen und im Ganzen richtig dargestellt. Nur scheint mir nach meinen Präparaten und in Uebereinstimmung mit His, als ob nicht, wie Gaskell meint, um das Ostium atrioventriculare ein besonderer Ring 8 KARL BRAEUNIG: eirculär angeordneter Muskelfasern verliefe, von welchem Atrium- und Ventrikelmuseulatur ihren Ursprung nehmen, sondern vielmehr, dass an der beschriebenen Stelle Atrium- und Ventrikelmusculatur eontinuirlich in einander übergehen, was ja auch der besprochenen Entwiekelung des Ostium atrioventriculare mehr entspricht. Auch habe ich nicht finden können, dass die Muskelzellen an der Stelle, wo der Uebergang von Vorhofs- und Kammermuseulatur sich vollzieht, irgendwie wesentlich anders aussehen, als die der übrigen Theile des Myocards. Man kann aber, am besten auf Tangentialschnitten, feststellen, dass das Gefüge der Musculatur daselbst lockerer und das interstitielle Gewebe reichlicher ist als anderswo. Von Säugethierherzen kamen zur Untersuchung: 1. eins von einer jungen Ratte (Mus decumanus); 2. eins von einem jungen Löwen (Felis leo); 3. zwei Pavianherzen (Cynocephalus Sphinx); 4. ein Menschenherz (Homo sapiens). Die Verhältnisse liegen hier bei Weitem nicht so einfach, wie bei den vorher beschriebenen Herzen der Amphibien und Reptilien. Das Säugethierherz gleicht zwar in seinen frühesten Entwickelungs- stadien (das des Menschen etwa in der 5. Woche!) völlig dem ausgebildeten Herzen der niedersten Wirbelthiere.e Wir finden auch hier den einfachen Ventrikel, der durch den Canalis auricularis mit den Vorhöfen in Verbin- dung steht. Der Ohrcanal ist in den Ventrikel eingestülpt und bildet rings um das Ostium atrioventriculare die schon des öfteren erwähnte trichter- förmige Falte, welche aus zwei Blättern besteht, die am freien Rande, der Umschlagsstelle der Falte, continuirlich in einander übergehen. Sonach ist beim embryonalen Säugethierherzen dieselbe Art der Verbindung zwischen Vorkammer und Kammer gegeben, wie bei den primitivsten Wirbelthier- herzen. Die secundäre Verbindung zwischen Vorkammer- und Kammer- musculatur, die sich in Amphibien- und Reptilienherzen, wie oben geschildert, aus dem inneren Blatte des Ohrcanaltrichters bildet, kann nun beim Säuge- thierherzen nicht entstehen, da hier die Trichterfalte als Ganzes zur Bil- dung des Klappenapparates am venösen Ostium benutzt wird, während die Klappen im Herzen der niederen Wirbelthiere nur in unansehnlichen, der Basis des’ Trichters aufsitzenden, rein endocardialen Bildungen bestehen. Die Umbildung des eingestülpten Ohrcanals zu den randständigen Klappensegeln des Säugethierherzens erfolgt nun in der Weise, dass das pericardiale Bindegewebe der Atrioventricularfurche zwischen die beiden ; Blätter des Triehters einwächst, um alsdann den Hauptbestandtheil der Klappen zu bilden. Die Musculatur des Canalis aurieularis geht fast ganz 1 His sen. 2.2.0. MuscuL. VERB. Vv. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 9 zu Grunde; nur die dem Atrium zugewandte Fläche der Klappensegel enthält meist noch spärliche Reste derselben. Wie man sieht, ist bei dieser Art der Umbildung des ursprünglichen Öhrcanaltrichters eine Gelegenheit zur Entwickelung einer secundären Muskelverbindung zwischen Vorhof und Ventrikel nicht geboten, und so findet man denn im ausgebildeten Säuge- thierherzen jenes directe Ineinanderübergehen von Vorhofs- und Ventrikel- musculatur nicht; vielmehr zeigt die Atrioventriculargrenze in der Seiten- wand des rechten sowohl wie des linken Herzens eine vollkommene Trennung des Myocards der Atrien von dem der Ventrikel durch reichliches Binde- gewebe und nirgends besteht zwischen beiden ein musculöser Zusammenhang. Auf einzelnen Schnitten sieht man zwar Theile der Musculatur ziem- lich weit in das Bindegewebe hinein vorspringen; aber wenn man nun die in der Serie voraufgehenden und nachfolgenden Schnitte daraufhin unter- sucht, ob sich vielleicht eine Fortsetzung des vorgeschobenen Muskelbündels finde, so dass sich daraus eine schräg verlaufende Muskelbrücke reconstruiren liesse, so ist das Ergebniss stets ein negatives, und ich komme — in Ueber- einstimmung mit Robert Retzer, welcher sich ebenfalls mit diesen Ver- hältnissen eingehend beschäftigt und gute Abbildungen von Schnitten durch die in Rede stehende Gegend giebt — zu dem Resultat, dass längs der Atrioventriculargrenze, soweit sie den Wandungen des Herzens angehört, Atrium und Ventrikel verbindende Muskelzüge nicht mit Sicherheit nach- zuweisen sind, wie dies — entsprechend der oben in aller Kürze -‚skizzirten Entwickelung der Atrioventrieulargrenze im Säugethierherzen und der Um- gestaltung des Ohrcanals zu den peripherischen Segeln der venösen Klappen — auch nicht anders zu erwarten war. Auch die von Stanley Kent (siehe oben, S. 2) beschriebenen, eigen- thümlichen, vielverzweigten Muskelzellen, die das dichte Bindegewebe der Atrioventriculargrenze durchsetzen sollen, habe ich in keinem der von mir untersuchten Säugethierherzen beobachten können; ebenso wenig hat Retzer sie aufzufinden vermocht. Grössere Bedeutung können vielleicht die Befunde von Stanley Kent, die er an neugeborenen Ratten gemacht hat, für sich in Anspruch nehmen. Er macht ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die Ratte in einem ausser- ordentlich frühen Entwickelungsstadium zur Welt kommt, und geht von diesem Material aus, eben um möglichst primitive Zustände zu finden. Und so beobachtete er denn auch einen ähnlichen continuirlichen Uebergang der Vorhofsmusculatur in diejenige der Ventrikel in der Gegend des alten Canalis auricularis, wie er weiter oben von uns für andere auf einer tieferen Stufe der Organisation stehende Herzen geschildert wurde. Aber diese Befunde an dem unausgebildeten Herzen der neugeborenen Ratte — so interessant sie sind, vom entwickelungsgeschichtlichen Stand- 10 KARL BRAEUNIG: punkte aus in ihren soeben angedeuteten ‚Beziehungen zu anderen primi- tiven Herzen betrachtet — entbehren doch jeglicher Bedeutung für die morphologischen und functionellen Verhältnisse des höher entwiekelten, aus- gewachsenen Säugethierherzens, bei welchem, wie wiederholt hervorgehoben, die bisher behandelte einfachere Art der musculären Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel aufgegeben ist. An die Stelle dieser tritt weiterhin ein besonderer musculöser Apparat, zu dessen Besprechung wir nunmehr kommen, indem wir unsere Aufmerk- samkeit von den Wandungen des Herzens auf das Septum cordis hinüber- lenken. Wir haben seither in unseren Betrachtungen die Entwickelung des Herzens, speciell der Atrioventrieulargrenze desselben, verfolgt von dem frühen Stadium des einfachen, schleifenförmig gekrümmten Rohres an bis zu jenem Zustande, wo durch das Auswachsen der Herzohren, die den Bulbus arteriosus, den vorderen, aufsteigenden Schenkel der Schleife um- greifen, und durch die Ausbildung des Canalis auricularis die Differenzirung zwischen Vorhofs- und Ventrikelantheil der ganzen ursprünglichen Anlage gegeben ist: Wir haben ferner kennen gelernt die Einstülpung des Ohr- canals in den Ventrikel und gesehen, wie die durch diese oft erwähnte Einstülpung entstehende trichterföürmige Falte einerseits bei primitiven Herzen zunächst ganz direct, später auf Grund einer secundären Umbildung in etwas complicirterer Weise die musculöse Verbindung zwischen Atrium und Ventrikel vermittelt, und wie sie andererseits im höher organisirten Säugethierherzen zu den peripherischen, d. h. von der Wänd des Herzens entspringenden, Segeln der Atrioventrieularklappen umgebildet wird. Für die weitere Ausgestaltung des Säugethierherzens ist nun im Wesent- lichen maassgebend die vollständige Trennung seiner sämmtlichen Höhlen in eine rechte und linke Hälfte durch die Entwickelung eines lückenlosen Septum cordis. Dasselbe kommt folgendermaassen zu Stande: Indem die seitlichen Abschnitte des Ventrikeltheiles der Herzanlage ein stärkeres Wachsthum zeigen als die Mitte, entsteht eine in sagittaler Richtung über die Oberfläche des _Ventrikels verlaufende Furche, die im Innern desselben als sichelförmige Leiste imponirt und also den bisher einheitlichen Hohlraum in eine rechte und linke Hälfte — rechten und linken Ventrikel — theilt. Am oberen Rande dieses sichelförmigen Septum inferius stehen rechter und linker Ventrikel durch das Ostium inter- ventriculare noch unter einander in Verbindung. In gleicher Weise entsteht durch bedeutenderes Wachsthum der Herz- ohren eine vom Dach der Atrien in die Höhle derselben hineinragende, von vorn nach hinten verlaufende sichelförmige Falte, das Septum superius, welches rechten und linken Vorhof scheidet. MUSCUL. VERB. v. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 11 Somit ist sowohl im Gebiet der Ventrikel, wie auch in dem der Atrien die Trennung in eine rechte und linke Hälfte angelegt; sie fehlt aber noch in der Gegend der venösen und arteriellen Ostien des Herzens. Daselbst liegt vorn der Bulbus arteriosus, dahinter der Ohrcanal. In ersterem entsteht durch Wucherung des endothelialen Antheiles der Herz- anlage, ohne Betheiligung der Musculatur, das bindegewebige Septum aorticum, welches den Bulbus arteriosus in die mehr nach vorn gelegene Pulmonalis und die hinter dieser liegende Aorta sondert. Dieses Septum aorticum verwächst alsdann in der Weise, dass die Aorta nur noch mit dem linken, die Pulmonalis mit dem rechten Ventrikel communiecirt, mit dem vorher erwähnten Septum inferius, der Ventrikelscheidewand, und ist am ausgebildeten Herzen noch kenntlich als sogen. Septum membranaceum. Weit complicirter gestalten sich die Verhältnisse an dem — für unsere weiteren Betrachtungen in erster Linie wichtigen — Ostium venosum, das aus dem anfangs noch einheitlichen Ohrcanal besteht. An dessen vorderer und hinterer Wand bildet das Endocard je einen bindegewebigen Wulst, die vordere und hintere Atrioventricularlippe, die schliesslich in der Mitte verwachsen und das Ostium atrioventriculare in eine rechte und linke Hälfte sondern. Mit dieser aus den beiden Atrioventricularlippen entstandenen Substanzleiste verschmilzt nun eine aus der hinteren Vorhofswand nach vorn und unten gegen das Ostium atrioventriculare hervorwachsende, eben- falls bindegewebige Lamelle, die Spina vestibuli. Die aus den Atrioventricular- lippen hervorgegangene, den Öhrcanal in ein rechtes und linkes Ostium venosum trennende Leiste und die Spina vestibuli bilden zusammen nach ihrer Verwachsung das Septum intermedium. Zwischen diesem und dem Septum superius besteht nun noch eine breite Communication zwischen beiden Atrien, das Foramen ovale. Hier gewinnt nun die Verschmelzung des Venensinus mit dem Vorkammertheil des Herzens einen wesentlichen Einfluss auf die weitere Ausgestaltung der Scheidewand. In einem frühen Entwickelungsstadium vereinigen sich sämmtliche Venen, die ihr Blut dem Herzen zuführen, zu einem gemeinsamen grösseren Blutraum, dem Sinus venosus, der zwischen dem Zwerchfell und der Vor- kammer des Herzens liest und in die letztere durch eine Oeffnung, die Porta vestibuli, mündet. Diese Mündung nimmt an Grösse immer mehr zu, so dass schliesslich der Venensinus als Theil des rechten Vorhofs im- ponirt, während die eigentlich in ihn sich ergiessenden grossen Venen im ausgebildeten Herzen direct in das Atrium zu münden scheinen. Indem sich nun der Sinus venosus immer mehr in den rechten Vorhof eindrängt, treten die Ränder seiner Einmündungsstelle immer stärker als Valvula dextra (Eustachii) und Valvula sinistra hervor. Die Valvula dextra 12 KARL BRAEUNIG: persistirt als die die Mündung der unteren Hohlvene begrenzende, unter dem Namen Valvula Eustachii bekannte Bildung, während die Valvula sinistra sich in das Foramen ovale hineinlegt, den häutigen Abschluss des- selben bildend. Da, wo am unteren Ende der Mündung des Venensinus Valvula dextra und sinistra zusammenstossen, bilden sie eine vorspringende musculöse Leiste, die sich dem bindegewebigen Septum intermedium anlagert und mit diesem zusammen als Limbus fossae ovalis(Vieussenii) den unteren Rand der Fossa ovalis bildet. Schon früher ist hier das Septum intermedium mit der oberen Kante des Septum inferius verwachsen, so den hinteren Theil des Ostium inter- ventriculare verschliessend.. Da nun das Septum intermedium erheblich breiter ist, als der obere Rand des Septum inferius, so überragt es denselben nach beiden Seiten. Diese, in den rechten wie linken Ventrikel hinein- ragenden Seitenränder des bindegewebigen Septum intermedium wachsen nun zu den vom Septum cordis entspringenden Klappensegeln der Trieus- pidalis und Mitralis aus; sein mittlerer, der oberen Kante des Septum inferius aufliegender Theil dagegen trennt als bindegewebige Atrio- ventriculargrenze Vorhofs- und Kammermuseulatur im Septum cordis, jedoch nicht vollständig; vielmehr dient das Bindegewebe hier einem starken Muskelzug als Scheide, der von der vorher erwähnten Muskelmasse des Limbus Vieussenii seinen Ursprung nimmt, allmählich selbstständig wird und das Bindegewebe durchdringt. Indem er sich dann der oberen Kante des Septum inferius anlest, gelangt er nach dessen linker Seite, wo er sich unterhalb der Verbindungsstelle des letzteren mit dem Septum aorticum in der Musculatur verliert. In der für die topographische Anatomie des erwachsenen Herzens üblichen Ausdrucksweise heisst das also: Wir finden ganz constant ein Muskelbündel, das, in der rechten Seite der Vorhofsscheide- wand unterhalb der Fossa ovalis beginnend, das Bindegewebe zwischen Septum atriorum und Septum ventrieulorum durch- setzt und sich schliesslich mit der Musculatur der Ventrikel- scheidewand unmittelbar unterhalb des Septum membranaceum verbindet. Das Bündel findet sich in allen von uns untersuchten Säugethierherzen, und auch der soeben angedeutete Verlauf kehrt im Grossen und Ganzen regelmässig in derselben Weise wieder, wie wir sehen werden, indem wir uns nunmehr der Beschreibung der Atrioventrieulargrenze im Septum der einzelnen von uns untersuchten Säugethierherzen zuwenden. Zunächst wurde das Herz einer jungen Ratte von etwa 6 = Länge nach dem oben auf Seite 4 unter A. beschriebenen Verfahren vorbehandelt und eine Reihe von 35 Schnitten von 20 u Dicke aus allen Theilen des MUSCUL. VERB. V. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 13 Herzens untersucht. Durchmustert man dieselben, mit den hinteren Ab- schnitten des Herzens beginnend und nach vorn fortschreitend, so bemerkt man, dass von dem Theile der Vorhofsscheidewand, der in den Schnitten als starker Muskelwulst unterhalb des Querschnittes der Fossa ovalis sich vorwölbt und als Limbus Vieussenii deren vorspringenden unteren Rand bildet, ein starkes Bündel von Muskelfasern sich von rechts her in das Bindegewebe der Atrioventrieulargrenze hineindrängt, bis es von demselben auf mittleren Schnitten allseitig umgeben ist und sich als ovaler Querschnitt gelb gefärbt von dem leuchtend roth tingirten Bindegewebe abhebt. In den nun folgenden Schnitten, die bereits durch den Ursprung der Aorta und weiterhin durch das Septum membranaceum verlaufen, ist das Bündel mehr und mehr über die obere Kante des Septum ventrieulorum (= Sep- tum inferius) nach dessen linker Seite hinübergetreten und liest nun unter- halb des Aortenursprunges und des Septum membranaceum (= Septum aorticum), um sich schliesslich in der Musculatur des Septum ventriculorum zu verlieren. | Einen ähnlichen Befund bot das Herz eines neugeborenen Löwen dar, welches nach Methode B. (siehe oben, Seite 4) präparirt wurde Aus dem Septum desselben kamen 59 Schnitte von 20 u Dicke als Serie und daneben eine grössere Anzahl nur 10 u dicker Schnitte zum Studium der feineren Structur des Atrioventricularbündels einzeln zur Untersuchung (Fig. 8, Ta£.]). Das erwähnte Muskelbündel finden wir auch hier wieder zuerst in den Schnitten, die das Septum unmittelbar hinter dem Aortenursprung durch- setzen. Es geht von der Vorhofsmusculatur an der rechten Seite des untersten Theiles des Septum atriorum aus: Da, wo die Musculatur des letzteren an das Bindegewebe der Atrioventriculargrenze anstösst, sieht man zuerst, wie an zwei Stellen das Bindegewebe nach oben und rechts in die Museulatur hinein vorspringt, während der zwischen diesen beiden Binde- gewebsfortsätzen liegende, durch sie von der übrigen Muskelmasse der Vor- hofsscheidewand ausgesonderte Abschnitt der Musculatur sich ein wenig in das Bindegewebe der Atrioventriculargrenze hinein seinerseits vorwölbt; ein Verhalten, das nun in jedem folgenden Schnitt immer ausgesprochener wird, bis das Bündel, vollkommen von der Vorhofsmusculatur getrennt, mitten im Bindegewebe liest. Es tritt nun immer mehr nach links hinüber und schliesslich findet man es unterhalb des Aortenursprungs an der dem linken Ventrikel zugekehrten Oberfläche des Septum ventriculorum, wo es noch weit nach vorn als selbstständiges Bündel zu verfolgen ist. Jedoch kann man an vielen Stellen seine Muskelfasern continuirlich in die Kammer- musculatur übergehen sehen. Weiterhin kamen zwei Pavianherzen zur Untersuchung. Beide wurden ebenfalls nach Methode B. (siehe oben, Seite 4) präparirt. Aus dem Sep- 14 KARL BRAEUNIG: tum des einen wurden 69, aus dem des, anderen 80 Schnitte von 20 u Dicke durchmustert und es fand sich auch bei ihnen das Atrioventrieular- bündel von ähnlichem Verlauf. Aus dem untersten musculösen Theile des Septum atriorum sich absondernd, dringt es von rechts her in das Binde- gewebe der Atrioventrieulargrenze ein, von dessen rother Färbung auf einer grösseren Anzahl von Schnitten sein Querschnitt sich als gelbes Oval recht augenfällig abhebt. Weiter nach vorn tritt das Muskelbündel nach links unter dem Aortenursprung hindurch, um sich schliesslich auf der linken Seite des Septum ventriculorum an dessen Oberfläche zu verbreiten und vielfach sowohl durch Contact als auch durch continuirlichen Uebergang seiner Fasern mit der Musculatur desselben in Beziehung zu treten, ganz ähnlich, wie wir dies für das Menschenherz nunmehr ausführlicher be- schreiben wollen. Vom Septum dieses letzteren, das wie alle grösseren Herzen nach Me- thode B. (siehe oben, Seite 4) vorbereitet worden war, wurden 91 Schnitte von 20 u Dicke durchgesehen. Die Figg. 1 bis 5 der Taf. I stellen eine Auswahl dieser Schnitte dar. Man sieht im oberen Theile der Figuren das Septum atriorum (8. A.), im unteren Theile das Septum ventrieulorum ($. V.), mit ihrer gelb gefärbten Musculatur. Zwischen beiden erkennt man das roth gefärbte Bindegewebe der Atrioventriculargrenze, von dem die Klappen- segel der Tricuspidalis (Zr) und Mitralis (Mz) entspringen (vgl. auch 8. 12). Unter dem am Septum befestigten Segel der Mitralis hindurch erstreckt sich der Ursprung der Aorta (Ao). Das letzte der Bilder (Fig. 5, Taf. I) lässt unterhalb der Aorta, in der man die hintere Semilunarklappe bemerkt, das Septum membranaceum erkennen. In Fie. 1, Taf. I sieht man ganz oben, gerade noch in das Gesichtsfeld hineinragend, einen Theil der von dem Schnitt getroffenen Fossa ovalis mit ihrem unteren Rande, dem Limbus Vieusseni, dessen ansehnliche Muskelmasse den untersten Abschnitt des Septum atriorum bildet. Von dieser Muskelmasse nun sondert sich der in den Figuren durch das X bezeichnete Theil und wird, indem er sich in den folgenden Schnitten als vom Bindegewebe mehr und mehr umwachsen darstellt, immer selbst- ständiger, bis er völlig isolirt und rings vom Bindegewebe umgeben ist (Fig. 3, Taf. I). Hier im Bindegewebe verläuft das Bündel eine Strecke weit in horizontaler Richtung längs der oberen Kante des Septum ventrieu- lorum, so dass sein ovaler Querschnitt nunmehr im einer langen Reihe von Schnitten erscheint. Während alsdann das Atrioventricularbündel allmählich über den oberen Rand des Septum ventriculorum nach links hinübertritt, verliert sein Querschnitt die ovale Form; es breitet sich an der linken Seite der Kammerscheidewand unmittelbar unter deren endocardialem Ueberzug flächenhaft aus (Fig. 4, Taf. I) und wird schliesslich durch einwachsendes MUSCUL. VERB. V. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 15 Bindegewebe in zwei Theile gespalten (Fig. 5, Taf. I), von denen der obere mit der Ventrieularmusculatur so vollständig verschmilzt, dass er weiterhin in den Schnitten nicht mehr herauszuerkennen ist, während der untere Abschnitt des Bündels noch auf vielen Schnitten als selbstständige Bildung erscheint; doch nimmt sein Volumen mehr und mehr ab dadurch, dass seine Muskelfasern einzeln und in feineren Zügen in die Museculatur der Ventrieularscheidewand übergehen. Fig. 7, Taf. I stellt an der durch das X bezeichneten Stelle einen solchen Uebergang dar; man sieht rechts oben am Rande eben noch das roth gefärbte Endocard in das Gesichtsfeld hinein- ragen, darauf folgt eine dünne Schicht von längs getroffenen Muskelfasern des Atrioventrieularbündels, von der — die linke untere Hälfte des Gesichts- feldes einnehmenden, schräg durchschnittenen — Ventrikelmusculatur durch wenig lockeres Bindegewebe getrennt. Das X bezeichnet nun einen, dies Binde- gewebe durchsetzenden Muskelzug, der vom Atrioventrieularbündel ausgeht und sich continuirlich in die Musculatur des Septum ventrieulorum tortsetzt. Um eine leichtere Orientirung zu ermöglichen, ist in Fig. 4, Taf. I der Theil des Schnittes, der dem in Fig. 7 bei stärkerer Vergrösserung dargestellten entsprechen würde, durch einen Kreis abgegrenzt. Solche Uebergänge sind in eanz derselben Weise auch in den übrigen Herzen beobachtet worden, wobei ihrer bereits Erwähnung gethan wurde (vgl. oben Seite 13 und 14). Auch Retzer beschreibt sie in seiner oben (siehe Seite 4) ausführlich eitirten Arbeit. Noch ist zu erwähnen, dass auch im ersten Anfang seines Verlaufes, noch ehe es vollständig vom Bindegewebe umschlossen ist, das Atrioventri- cularbündel manchmal in direete Beziehung zur Ventrikelmusculatur tritt. Das Bindegewebe, welches Atrium und Ventrikelmusculatur trennt, besteht an dieser Stelle theilweise nur aus einem lockeren Geflecht ziemlich dünner Faserzüge und wird stellenweise von Muskelbündeln durchbrochen, wie dies Fig. 6, Taf. I zur Anschauung bringt. Das X bezeichnet wiederum die Stelle, auf die es ankommt. Zur besseren Orientierung ist in Fig. 1, Taf. I der Theil der Atrioventriculargrenze, den Fig. 6 in stärkerer Vergrösserung wiedergiebt, mit einem Kreis umschlossen. Man wird, wenn auch Fig. 6 nicht aus demselben Schnitt stammt, den Fig. 1 darstellt, doch unschwer die einander entsprechenden Theile in beiden Figuren wiedererkennen. Um dies zu erleichtern, ist in Fig. 6 die dem Septum atriorum angehörende Museulatur, von der das Atrioventrieularbündel noch nicht völlig getrennt ist, mit 8. A., der in das Gesichtsfeld hineinragende, oberste Theil des Septum ventriculorum mit $. V. bezeichnet worden. Uebrigens beschreibt sowohl His jun. als auch Retzer ein solches Verhalten des Atrio- ventricularbündels in seinem Anfangstheil. Ich habe es ausser im Menschen- herzen bei den beiden Affen und der Ratte gefunden, während ich es bei dem neugeborenen Löwen nicht beobachten konnte. 16 KARL BRAEUNIG: Was nun die feinere Structur dieses Muskelbündels betrifft, so ist zu- nächst über die Verlaufsrichtung der einzelnen Muskelfasern innerhalb des Bündels zu bemerken, dass dieselbe in der Hauptsache mit der Längs- richtung des ganzen Bündels zusammenfällt; im Anfangstheil des Verlaufes, im Septum atriorum, unterscheidet sich ihre Richtung nicht wesentlich von der der benachbarten Vorhofsmusculatur; demnächst, da wo das Atrio- ventricularbündel seine volle Selbstständigekeit gewonnen hat, verlaufen seine Muskelfasern — wie die Längsaxe des Bündels selbst — horizontal und dem oberen scharfen Rande des Septum ventrieulorum parallel; man findet also in den betreffenden Schnitten, die das Atrioventricularbündel rings vom Bindegewebe umschlossen zeigen, bei Anwendung stärkerer Vergrösse- rungen, die einzelnen Muskelzellen quer getroffen, ein Verhalten, das in Fig. 8, Taf. I vom Löwenherzen abgebildet ist. Endlich an der linken Seite des Septum ventriculorum nehmen die Fasern des nunmehr flächenhaft an der Oberfläche des Septum ausgebreiteten atrioventricularen Muskelzuges einen senkrecht nach unten, nach der Herzspitze zu gerichteten Verlauf, so dass wir sie in unseren Präparaten im Längsschnitt antreffen (vgl. Fig. 7, Taf. T). Bei fast allen untersuchten Thieren fällt einem beim Durchsehen der Präparate schon bei schwacher Vergrösserung zunächst fast überall auf, dass das beschriebene Muskelbündel sich im Farbenton deutlich von der umgebenden Musculatur abhebt, und zwar von derjenigen der Ventrikel- scheidewand stärker als von der des Septum atriorum. Betrachten wir den Bau des Atrioventricularbündels nun bei stärkerer Vergrösserung — und Fig. 7, Taf. I gestattet diesim Längsschnitt für das Menschenherz, während Fig. 8, Taf. IT einen dünnen Querschnitt des Atrioventricularbündels aus dem Löwenherzen darstellt — so fällt auf, dass das Gefüge seiner Muskelfasern ein lockereres ist, und dass stellenweise ein zartes Bindegewebe zwischen den- selben erscheint. Ferner verlaufen seine Fasern meist in anderer Richtung als diejenigen der umgebenden Musculatur. Dagegen zeigen weder die Längsschnitte noch die besonders charakteristischen polygonalen Quer- schnitte mit dem in der Mitte liegenden Kern, wie sie Fig. 8, Taf. I recht gut erkennen lässt, irgend welche bedeutendere Abweichungen von dem sonstigen Verhalten der Herzmuskelzellen; und ich bin mit R. Retzer der Meinung, dass die ‘oben namhaft gemachten Umstände genügen, um das etwas ab- weichende Aussehen des beschriebenen Atrioventricularbündels zu erklären, besonders auch deshalb, weil es sich, wie ein Blick auf die hier in Frage kommenden Figuren (1, 2 und 6) lehrt, von der Vorhofsmuseulatur, so lange es in deren Nachbarschaft verläuft, nicht merklich unterscheidet; denn eine Abweichung von dieser könnten die obigen Befunde nicht er- klären, da einmal das Muskelbündel, wie oben auf dieser Seite erwähnt, mit der Vorhofsmuseulatur, von der es ausgeht, in gleicher Richtung verläuft, MUSscUL. VERB. Vv. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 17 andererseits das Muskelgewebe der Vorhofsscheidewand, ebenso wie das des atrioventrieularen Muskelbündels, sowohl ein lockereres Gefüge, als auch ein reichlicheres interstitielles Bindegewebe als die Ventrikelmusculatur auf- weist, wovon ein Blick auf die Figuren überzeugen wird. Was nun endlich die Grösse dieses Vorhofs- und Ventrikelmusculatur verbindenden Faserzuges betrifft, so ist er ein ziemlich ansehnliches Gebilde. Um davon eine Vorstellung zu geben, sei noch Folgendes bemerkt: Die _ Figg. 1 bis 5 Taf. I, die aus dem Herzen eines drei- bis vierjährigen Kindes stammen, sind in etwa vierfacher Vergrösserung gehalten. Das Bündel !hat da, wo es rings vom Bindegewebe umschlossen ist, einen grössten Durch- messer von etwa lm. Es ist bei Lupenvergrösserung leicht zu sehen, und, wenn man es einmal kennt, auch mit blossem Auge in den gegen das Licht gehaltenen Präparaten aufzufinden. Wir haben also in allen von uns untersuchten Säugethierherzen ein Vorhofs- und Ventrikelmusculatur verbindendes Muskelbündel von im Grossen und Ganzen überall gleichem Verlaufe aufgefunden. Es entspringt unter- halb der Fossa ovalis aus der Vorhofsscheidewand an deren rechter Seite und durchsetzt, über die obere Kante des Septum ventriculorum schräg nach vorn und links verlaufend, das Bindegewebe der Atrioventriculargrenze, um unterhalb des Aortenursprungs und des Septum aorticum an der linken Seite der Kammerscheidewand mit deren Musculatur vielfache Verbindungen einzugehen. . Das Gesammtergebniss der vorliegenden Untersuchung aber lässt sich fol- gendermaassen kurz zusammenfassen: Im primitiven Wirbelthierherzen stellt zunächst ein Abschnitt des ursprünglichen Herzschlauches — der Ohrcanal — anfangs ganz unmittelbar, demnächst auf Grund einer Umbildung in etwas complicirterer Weise secundär den Zusammenhang zwischen Atrien und Ventrikel her. Aber zu der Zeit, wo dieser Abschnitt der ersten Anlage durch die Umbildung zu dem höher organisirten Klappenapparat des Säugethierherzens seiner bisherigen Bestimmung entzogen wird, tritt im Septum cordis, das bei der Ausbildung des compli- cirten Warmpblüterherzens weiterhin eine immer wichtigere Rolle spielt, ein neuer, wohl differenzirter, selbstständig aus- gebildeter Apparat zur Verbindung der Vorhofs- und Ventrikel- musculatur in die Erscheinung, der anscheinend nur diesem einen Zwecke dient und sich in stets gleicher Weise bei den verschiedensten Gattungen der höheren Wirbelthiere hat nach- ' weisen lassen. Gestützt somit auf die Befunde der Eingangs citirten zuverlässigen Beobachter und auf meine eigenen in dieser Arbeit niedergelegten Unter- Arena DI 1904 EEhyeiolPActhle Suppl: 2 18 KARL BRAEUNIG: suchungen, glaube ich nunmehr aussprechen zu dürfen, dass der alte Lehr- satz, „die Musculatur der Herzkammern sei von der der Vorkammern voll- ständig getrennt“, gegenwärtig nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, nachdem bei zahlreichen Vertretern der verschiedensten Wirbelthierelassen zwischen Atrium und Ventrikel des Herzens musculöse Verbindungen ver- schiedener Art — je nach der Entwickelungsstufe, die das Herz der be- treffenden Species repräsentirt — von mehreren Untersuchern unabhängig von einander in einwandfreier Weise nachgewiesen sind. MuscuL. VERB. V. VORKAMMER U. KAMMER D. WIRBELTHIERHERZENS. 19 Erklärung der Abbildungen. (Taf, I.) Fig. 1 bis 5. Ausgewählte Schnitte aus einer Serie vom Menschenherzen zu Demonstration des Verlaufes des Atrioventrieularbündels. S. A. Septum atriorum. S. V. Septum ventriculorum. 4Ao. Ursprung der Aorta. Mi. Aortenzipfel der Mitralklappe. Tr. Tricuspidalis. (Die Bezeichnungen sind nur in Fig. 3 beigefügt, verstehen sich aber für sämmt- liche Figuren.) Vergrösserung etwa 4fach. Fig. 6 stellt den durch den Kreis in Fig. 1 abgegrenzten Theil eines Schnittes dar, in dem ein Zusammenhang der Kammermusculatur mit dem Atrioventrieularbündel an dessen im Septum atriorum gelegenem Anfangstheil erkennbar ist. 8.4. Septum atriorum. S. V. Septum ventriculorum. Vergrösserung etwa 25fach. Fig. 7 zeigt den in Fig. 4 eingekreisten Bezirk in stärkerer Vergrösserung zur Demonstration eines directen Ueberganges von Muskelfasern aus dem Atrioventrieular- bündel in die Kammermusculatur bei seinem späteren Verlauf am Septum ventriculorum. Vergrösserung etwa 50fach. Fig. 8. Querschnitt durch das Atrioventrieularbündel im Herzen des neugeborenen Löwen. Vergrösserung etwa 150fach. Fig. 9. Zusammenhang der Vorkammer- und Kammermusculatur im Ringel- natterherzen. A. Atrium. V. Ventrikel. Vergrösserung etwa 25 fach. Fig. 10. Zusammenhang der Vorkammer- und Kammermusculatur in einem Froschherzen. Vergrösserung etwa 25fach. In sämmtlichen Figuren bezeichnet das X das Atrioventrieularbündel, bezw. die Stelle des Ueberganges von Vorkammer- und Kammermuseulatur. PA Ueber die Arbeitsleistung beim Radfahren. Von W. Berg, R. du Bois-Reymond und L. Zuntz in Berlin, 1. Einleitung. Vor etwa zwei Jahrzehnten hat der Bau der Fahrräder einen Grad von Zweckmässigkeit erreicht, der geradezu als „sensationell“ bezeichnet werden kann. So kam es, dass nach dem Vorgange von England und Frankreich auch in Deutschland das Radfahren plötzlich „Mode wurde“, weil Jedermann, der nur einigermaassen dazu im Stande war, das neue Werkzeug erproben wollte. In dieser Zeit beschäftigten sich dann auch die Aerzte lebhaft mit dem Fahrrad, indem sie bald nützliche, bald schäd- liche Wirkungen des Radfahrens auf den Körper beobachteten und allzu oft das gefundene Ergebniss voreiliger Weise als allgemein gültig hinstellten. Auf diese Weise entstanden Meinungsverschiedenheiten, die dazu führten, dass man die Bedingungen näher kennen zu lernen suchte, denen der Körper beim Radfahren unterliegt. Aus einer unseres Erachtens falschen Anschauung heraus stellte man bei diesen Untersuchungen die Grösse des „Kraftverbrauches“, oder, wie es richtiger heissen sollte, der Arbeitsleistung in den Vordergrund. Es ist ja gewiss richtig, dass, wenn eine Arbeits- leistung von bestimmter Art auf den Körper schädlich wirkt, eine grössere Arbeitsleistung derselben Art in höherem Grade schädlich sein muss. Daraus darf man aber nicht den Schluss ableiten, dass bei der Schädlich- keit einer gewissen Arbeitsform hauptsächlich die Grösse der Arbeit an sich von Bedeutung ist. Man darf nicht glauben, dass für ein gegebenes Indi- viduum eine gegebene Arbeitsgrösse, durch Radfahren geleistet, unschädlich sein wird, weil dieselbe Arbeitsgrösse, durch Marschiren geleistet, unschäd- lich sein würde. Im Gegentheil kann unter Umständen eine ganz geringe Arbeitsleistung in bestimmter Form sehr schädlich sein, während weit grössere Arbeitsmengen in anderer Form mit Leichtigkeit ertragen werden. Dieser Satz lässt sich durch eine bekannte Erfahrung beim Militärdienst W. Bere, R. pu Boıs-Reymonn unn L. Zuntz: ÜBER DIE v.s.w. 21 bestätigen: Allgemein gelten die Tage der grossen Paraden als Tage be- sonders anstrengenden Dienstes, und thatsächlich kann man an solchen Tagen mehr Leute aus einer Truppe in nicht marschfähigem Zustande, nämlich ohnmächtig, ausscheiden sehen, als bei schweren Märschen in Manövern. Nach Meterkilogrammen gemessen ist aber die Arbeitsleistung an einem Marschtage unzweifelhaft grösser als bei einer Parade. In diesem Falle ist die Ursache durch die-schönen Untersuchungen von Hill und Barnard über die Einwirkung der Schwere auf den Blutkreislauf sonnen- klar gemacht. Beim Radfahren liegen die Verhältnisse nicht so einfach, doch ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass auch hier die schädlichen Wirkungen von der Grösse der Arbeitsleistung unabhängig sind. Demnach ist die Frage naclı der Grösse der Arbeitsleistung beim Radfahren weniger vom Standpunkte des Arztes interessant, als vielmehr vom rein physiologischen Standpunkte, weil es von Bedeutung ist, die Leistungen des Körpers zahlenmässig schätzen zu können, und weil die Bewegung auf dem Rade sich anscheinend sehr dazu eignet, Messungen der Arbeitsleistung vorzunehmen. 2. Stand der Frage. Es sind nun über diese Frage eine Reihe von Schriften erschienen, von denen einige aus der Betrachtung von vornherein ausscheiden, weil sie theils so grosse Unkenntniss des Gegenstandes, theils so wenig Urtheil über die Zuverlässigkeit der angewendeten Methoden verrathen, dass sie als werthlos anzusehen sind, selbst da, wo ihre Angaben zufällig mit der Wahr- heit übereintreffen. Es bleiben, soweit uns bekannt, nur drei Untersuchungen übrig, nämlich die von Bouny unter Marey’s Leitung ausgeführte, die von Bourlet und die von L. Zuntz. Alle drei sind nach durchaus ver- schiedener Methode angestellt. Die von Bouny angewendete Methode! besteht darin, dass zwischen Fusssohle und Tretkurbel ein Dynamometer eingeschaltet wird, das die Grösse des vom Fusse auf die Kurbel geübten Druckes aufzeichnet. Das ausserordentlich sinnreich construirte Instrument verzeichnete gleichzeitig die Druckwirkungen in verticaler und in horizontaler Richtung, so dass die ganze Energiemenge, die der Fuss auf die Maschine übertrug, unmittelbar gemessen wurde. Die Methode, die Bourlet” anwendete, ‘beruht auf der Betrachtung, 1 Diese Methode stammt, nach Bourlet, Nouveau traite des biceycles et bieyclet’es. Paris 1898. 2. ed. Vol. II. p. 73, von Scott, der sie 1889 in Philadelphia angewendet hat. Sie ist 1896 in den Comptes rendus. T. CXXI. p. 1395 und p. 1528 besprochen. ® Bourlet, Nouveau traite des hieycles et bieyelettes. Paris. Gauthier Villars et fils.. Masson et Cie. 1898. Vol. I. Equilibre et Direction. Vol. II. Le Travail. p. 56. 22 W. Bere, R. pu Bois-ReymonD unD L. Zuntz: dass bei gleichmässiger Fahrt die beschleunigenden Kräfte mit den Wider- standskräften gerade im Gleichgewicht sein müssen. Wenn also die Ma- schine mit ihrem Reiter auf einer geneigten Ebene mit gleichförmiger Geschwindigkeit hinunterläuft, müssen die Widerstände, die die Maschine erfährt, gerade gross genug sein, um der Beschleunigung durch die Schwere die Wage zu halten. Diese Beschleunigung durch die Schwere stellt eine für jede gleichförmige Neigung leicht zu bestimmende Arbeitsmenge dar, die gemessen wird durch die Höhe, um die das Gewicht von Rad und Reiter in der Zeiteinheit hinuntersinkt. Ueberlässt man auf einer hinlänglich steilen Bahn die Maschine und den Reiter der Schwere, so. fahren sie an- fänglich immer schneller, weil sich in jedem Augenblicke die Beschleunigung zu der vorhandenen Geschwindigkeit addirt. Mit zunehmender Geschwindig- keit wachsen aber auch die Widerstände, insbesondere der der Luft, der bekanntlich annähernd mit dem (Quadrate der Geschwindigkeit zunimmt, so dass bald die Widerstände der Beschleunigung gleich sein müssen. Nun kann keine weitere Beschleunigung eintreten; die Maschine läuft mit gleich- mässiger Geschwindigkeit bergab, und in diesem Zustande ist die Grösse der Widerstände zu messen durch die Grösse der Beschleunigung. Kennt man also die Neigung der Bahn und stellt die Grenze fest, bei der die Geschwindigkeit constant wird, so findet man das Maass des bei dieser Geschwindigkeit vorhandenen Widerstandes, indem man berechnet, um wieviel Rad und Fahrer bei der gegebenen Neigung und der gegebenen Geschwindigkeit in der Zeiteinheit sich dem Erdmittelpunkte genähert haben. Denn, um auf ebener Bahn dem Rade die gleiche Beschleunigung zu er- theilen, müsste der Reiter natürlich die gleichen Widerstände überwinden und in Folge dessen auch die gleiche Arbeitsmenge aufwenden. Aus mehreren Versuchsreihen mit dieser Methode hat Bourlet Formeln! abgeleitet, die den Widerstand des Rades unter verschiedenen Bedingungen allgemein ausdrücken, und nach diesen im Anhange zu seinem Buche Uebersichtstafeln berechnet. ! Die Formeln (Bourlet, Nouveau traite ete. p. 67) lauten: 1. &= 0-01 P + 0:065 Sv*. 2. RB = 0:004 P + 0-065 8». 1. gilt für gutes Pflaster, 2. für Asphalt oder Bahn. Für die gebräuchlichere Messung der Geschwindigkeit nach Kilometern in der Stunde erhalten die Formeln die Gestalt: 3. 2 =.0-01 P + 0:005 SV. 4. R = 0:04 P + 0-005 SPV?. R bedeutet überall den Widerstand in Kilogramm, P das Gewicht von Fahrer und Maschine in Kilogramm, $ die Oberfläche in Quadratmetern, vo und V die Ge- schwindigkeit in Metern und Kilometern. ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 23 Die dritte Methode, die von L. Zuntz! angewendet worden ist, besteht darin, aus der Grösse des Stoflumsatzes im Körper die Grösse der geleisteten Arbeit zu ermitteln. Der Stoffumsatz lässt sich aus dem Gaswechsel nach bekannten Methoden mit grosser Genauigkeit feststellen. Dagegen lässt sich nicht erkennen, welcher Procentsatz der aufgewendeten Energie in Form von mechanischer Arbeit, und welcher in Form von Wärme in Er- scheinung tritt. Es muss für diesen Procentsatz, der den sogenannten „Nutzeffect“ des arbeitenden Körpers darstellt, ein bestimmter Werth an- genommen werden. In Fällen, in denen man Idie Grösse der geleisteten mechanischen Arbeit kennt, findet man, dass der Nutzefleet etwas über 30 Procent der Gesammtenergie betragen kann. Doch ist im Allgemeinen der Nutzeffect für verschiedene Bewegungsformen nicht gleich gross. L. Zuntz hat bei seiner Bestimmung für den Nutzeffect der Radfahrarbeit 33 Procent angenommen. Diese Zahl ist allerdings wohl höher, als man sie für eine beliebige andere, dem Körper nicht naturgemässe Bewegungs- form voraussetzen dürfte. Da es aber bekannt ist, dass das Radfahren zu denjenigen Bewegungen gehört, die ohne jedes Gefühl von Anstrengung durch recht lange Zeit hindurch ausgeführt werden können, so ist man be- rechtigt, diese Bewegung mit einer natürlichen Bewegungsform wie zum Beispiel das Gehen oder Steigen hinsichtlich des Nutzeffectes in eine Linie zu stellen. Auf Grund dieser Betrachtung hat L. Zuntz die mechanische Arbeit beim Radfahren zu !/, des von ihm gemessenen Gesammtaufwandes an Energie angenommen. Vergleicht man nun die mit den drei besprochenen Methoden ge- wonnenen Zahlenwerthe unter einander, so erscheint das Ergebniss zunächst wenig befriedigend. Die Zahlenangaben von Bouny führen an sich zu einem äusserst un- wahrscheinlichen, ja unmöglichen Gesetze (Fig. 1). Trägt man nämlich die in Bouny’s Versuchen gefahrenen Geschwindigkeiten in zunehmender Reihe auf die Abscisse eines Coordinatensystemes ein, und nimmt die für die Widerstände bei den betreffenden Geschwindigkeiten in Meterkilogrammen von Bouny angegebenen Werthe als Ordinaten zu einer Curve, so verläuft diese Curve concav gegen die Abscisse, und wird daher schon in der Strecke zwischen 32 und 34 Kilometer annähernd horizontal. Das heisst, mit zu- nehmenden Geschwindigkeiten nimmt der Widerstand immer weniger zu. Denkt man sich die Curve nach demselben Gesetze für noch etwas grössere Geschwindigkeit durchgeführt, so würde sich ergeben, dass bei einer Ge- schwindigkeit von etwa 50 Kilometern der Widerstand ein Maximum er- 1 L. Zuntz, Untersuchungen über den Gaswechsel|und Energieumsatz des Rad- fahrers. Berlin 1899. 24 W. Ber, R. pu Bois-ReymonD unD L. Zuntz: reicht, so dass die Geschwindigkeit von da an beliebig weiter zunehmen könnte, ohne dass der erforderliche Arbeitsaufwand stieg. Bouny sucht diese Eigenthümlichkeit der Curve dadurch zu erklären, dass der Fahrer bei den höheren Geschwindigkeiten mehr und mehr die vornübergebeugte Rennenfahrerhaltung angenommen habe, so dass der Luftwiderstand zu- nehmend verringert worden sei. Dadurch wird aber ein zweiter auffälliger Umstand nicht erklärt, dass nämlich die Curve in ihrem Anfangstheil, zwischen 17 und 19 Kilometer Geschwindigkeit, so stark ansteigt, dass sie, wenn man sie nach dem gleichen Gesetz für geringere Geschwindigkeiten durchführt, schon etwa bei 12 Kilometer die Abseisse schneidet. Dies würde besagen, dass die Fahrt von 12 Kilometer in der Stunde ohne jeden Arbeits- aufwand geleistet werden könnte, was natürlich unmöglich ist. Unter diesen m K auf den Kurbelsloss. >: ie 172185197 2207°2177.227023797 225772077277 2872977305231 32,03 EB Kilometer in der Stunde. Fig. 1. Umständen liegt, wie schon Bourlet ausgesprochen hat, der Verdacht nahe, dass die Beanspruchung von dem registrirenden Dynamometer nicht zu- verlässig wiedergegeben worden ist. Aus den kurzen uns zugänglichen Mittheilungen lässt sich über die Zuverlässigkeit der Angaben kein Urtheil gewinnen. Die Zahlen von Bourlet stellen, wie nach Obigem zu erwarten ist, m Gegensatz zu denen von Bouny eine gegen die Abseisse convexe Curve dar, indem die Widerstände bei zunehmender Geschwindigkeit immer stärker ansteigen. Uebrigens ist diese Zahlenreihe so gewonnen, dass für einzelne bestimmte Geschwindigkeiten die Widerstände wirklich beobachtet wurden, und aus diesen Fällen eine Formel abgeleitet wurde, die für jede beliebige Geschwindigkeit den Widerstand berechnen lässt. Das thut natürlich der Zuverlässigkeit der Zahlen keinen Eintrag, denn wenn nur die erste, mittlere ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 25 und letzte Zahl mit Beobachtungen übereinstimmen, wird die Ueberein- stimmung der dazwischenliegenden Zahlen für praktische Anforderungen schon genügend genau sein. Auffallend ist an der Curve die bei 30 Kilo- meter Geschwindigkeit bemerkbare Zacke. Für die Beurtheilung der nach dieser Methode gewonnenen Zahlen ist in Betracht zu ziehen, dass die Versuche im Grossen auf abfallenden Land- strassen vorgenommen werden müssen. Es kommen dadurch gewisse störende Nebenumstände, wie der Zustand des Weges und die etwa vorhandene Luft- bewegung in’s Spiel. Bourlet selbst! weist nach, dass einer seiner Vor- sänger bei derselben Art der Untersuchung zu so hohen Zahlenwerthen gelangt sei, dass sie mit der alltäglichsten Erfahrung im Widerspruch ständen. Dasselbe dürfte einem uns nahestehenden Physiker begegnet sein, der in einer zu seiner eigenen Belehrung gelegentlich ausgeführten Versuchsreihe für eine Geschwindigkeit von 9.3 Metersecunden = rund 33 Kilometer in der Stunde einen Arbeitsaufwand von 46 Meterkilogrammseceunden gefunden hat. Aus diesen letzten Angaben würde zu entnehmen sein, dass die Methode leicht zu hohe Werthe ergeben kann, man würde also für Bourlet’s Zahlen anzunehmen haben, dass sie eher zu hoch als zu niedrig ausgefallen seien. Betrachtet man die Bestimmungen von Bouny und von Bourlet im Allgemeinen, so muss man jedenfalls zugeben, dass unter Berücksichtigung der vielen Umstände, durch die Messungen dieser Art gestört werden können, die Uebereinstimmung zwischen ihnen eine gute zu nennen ist. _Bourlet meint, dass sie noch grösser geworden wäre, wenn Bouny in Betracht gezogen hätte, dass die Oberfläche, - die der Fahrer der Luft darbot, nicht in beiden Fällen dieselbe war.” Ausser dieser guten Uebereinstimmung ist nun zu beachten, dass die Bourlet’schen Werthe an sich sehr zuverlässig erscheinen. Die Beobachter sind, wie aus dem Werke Bourlet’s hervor- geht, überaus erfahrene Sachkenner und zugleich geschulte Techniker gewesen. i Demgegenüber hat nun L. Zuntz in einer genügend grossen Zahl unter einander hinreichend gut übereinstimmender Messungen den Energie- umsatz des Radfahrers so hoch gefunden, dass sich daraus für die mechanische Arbeit Werthe ergeben, die mehr als doppelt so hoch sind, wie die von Bouny und Bourlet. Hierzu ist zu bemerken, dass, wie unten näher ausgeführt werden soll, die Werthe von Zuntz die Gesammtarbeit angeben, während die von Bouny und Bourlet nur die nutzbare Arbeit ausdrücken. Aber auch wenn man diesen Unterschied berücksichtigt, sind die Werthe von Zuntz beträchtlich höher als die anderen. ! Bourlet, Noweau traite ete. Vol. I. p. 65, ? Derselbe, Zbenda. p. 85. 26 W. Bere, R. pu Boıs-ReymonD unD L. ZunTz: L. Zuntz selbst hat diesen Unterschied zwar erwähnt, ist aber nicht näher darauf eingegangen, weil ihm die genauere Einsicht in die Angaben der französischen Forscher mangelte.! 0. Zoth beschäftigt sich ausführ- licher mit der Frage, obne jedoch, wie weiter unten zu erkennen sein wird, die Unterschiede auf ihr richtiges Maass zurückzuführen. ? 3. Uebersicht über die älteren Ergebnisse. Die Vergleichung dieser und anderer Angaben unter einander ist da- durch erschwert, dass sie in verschiedener Weise ausgedrückt sind. Bouny giebt die Arbeit jedes Kurbelstosses® an, weil ihm sein Apparat gerade diese Grösse liefert. Bourlet hat in seiner Formel die Grösse des Wider- standes als Kraft in Kilogramm berechnet, die, mit der Zahl zurückgelegter Meter Weges multiplicirt, den Arbeitsaufwand in Meterkilogrammen be- zeichnet. Ebenso misst L. Zuntz die Arbeit in Meterkilogrammen pro Meter Fahrt. Gegen diese beiden Arten, die Arbeitssummen auszudrücken, ist einzuwenden, dass mit zunehmender Geschwindigkeit nicht bloss die Arbeitsgrösse für jeden Kurbelstoss oder jeden zurückgelegten Meter, son- dern zugleich auch die Zahl der Kurbelstösse oder der zurückgelegten Meter in der Zeiteinheit wächst. Daher geben die in diesen Maassen ausgedrückten Werthe von der eigentlichen Arbeitsleistung das Fahrers ein stark ab- geschwächtes Bild. Anschaulicher würden die zunehmenden Werthe für die Arbeit jedes Kurbelstosses oder jedes Meters Fahrt für jede höhere Ge- schwindigkeit mit einem stark wachsenden Factor, nämlich der Zahl der in der Zeiteinheit ausgeführten Stösse oder der zurückgelegten Meter mul- tiplieirt werden, die eigentlichen Arbeitsverhältnisse bei der betreffenden Fahrt darstellen. Um die Abschätzung der verschiedenen Angaben gegen einander zu erleichtern, haben wir eine Zusammenstellung gemacht, die über die Er- gebnisse der drei besprochenen Arbeiten eine Uebersicht gewährt. Die Stäbe A bis D enthalten die Angabe der Fahrgeschwindigkeit; und zwar nach dem am meisten praktisch gebrauchten Maasse, Kilometer in der Stunde, und dem wissenschaftlichen Maasse, Meter in der Secunde. ! IL. Zuntz, Untersuchungen über den Gaswechsel u. s. w. S. 66. ” O. Zoth, Ueber die Formen der Pedalarbeit beim Radfahren. Pflüger’s Archiv. 1899. Bd. LXXVL S. 75. ® Hier ist sorgfältig auf den Unterschied zu achten zwischen „Kurbelstoss“, wo- mit nur ein Theil der ganzen Umdrehung der Kurbel, und zwar annähernd (s. unten) die Hälfte bezeichnet ist, und „Kurbelumdrehung“, die auch mitunter bei Besprechung der Arbeit des Radfahrers als Einheit angewendet wird. Bei L. Zuntz, S. 66, liegt eine Verwechselung vor. Fir Bra ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 27 Geschwindigkeit | arbeitaleisiune 5) | Meter in der Se |1 Kurbelstoss | 1 Meter Fahrt 1 Secunde Fahrt = 5 = (= 2-9”) erfordert Meter- || erfordert Meterkilo- Aol 8 8 © 5 erfordert Meter-| kilogramm Arbeit gramm Arbeit le) {= [=] rI 5 = 3 - a3 |kilogramm nach nach nach 3 E = 38 . = S ı = S} f = S) s ea | Erw =\ En Naeh —! [>] — — =) (Runde Zahl) | a m | |im m N joe) ee) SS A B ec D Backen G2 er I K L M N al _100 DIEINSERE IIRG, H "36001360775 Tel a ze er ie 9 | 2-22 133 45 12-031) — [6-250-7!| — |2-15| 1-5! —_ 4.73 15 | 4-16 250 24 [3.481 — [6-4611-2!| — |2-.23| 5-0! - 9.28 17 | 4-72 284 21 [3-88 |2-90| — |1-3 | 1-0 | — 6-1 4-7 —_ 21 | 5-83 350 17 14:82 [5-20/8-631 1-6 712.97 9-3 9.9 | 17-31 34 | 9-44 566 10 |9-33 |9-13| — ||3-2 | 3-1 | — || 30-2 29.2 _ Da in den Versuchen kleinere Strecken und Zeiträume am meisten vor- kommen, sind auch die Meter in der Minute und die Dauer einer Fahrt über 100” in Secunden beigefügt. Die Uebersicht betrifft die Geschwindig- keiten von 9, 15 und 21 Kilometer in Anlehnung an die Arbeit von L. Zuntz, der diese als Beispiele eines durchschnittlichen langsamen, mittleren und schnellen Tempos untersucht hat, und ferner auf die Geschwindigkeiten von 17 und von 34 Kilometer, I die Grenzwerthe der von Bouny ge- gebenen Zahlenreihe. Es folgen in den Stäben E bis G die Arbeitswerthe für einen Kurbel- stoss. Die obersten beiden Zahlen des Stabes E sind nach Bourlet’s Formel berechnet, da Bouny’s Zahlenreihen erst bei 17 Kilometer be- ginnen. (Bouny’s Curve würde für 9 Kilometer zu dem Werthe — 2 führen!) Streng genommen ist die einfache Umrechnung von Arbeit pro Meter Fahrt in Arbeit pro Kurbelstoss unzulässig, doch dürfte es auf solche Feinheiten hier ebenso wenig ankommen, wie auf die zweite Decimale, die wir im Anschluss an die älteren Schriften aufgenommen haben. In den unteren drei Zahlen des Stabes H und im Stabe I ist die umgekehrte Rechnung vorgenommen, indem die auf den Kurbelstoss gemessene Arbeit aus den Zahlenreihen Bouny’s in Meter Fahrt verwandelt ist. Die Rech- nung ist einfach so gemacht, dass nach der Angabe Bouny’s, es sei auf eine Umdrehung der Kurbeln seiner Maschine 5-65 ® Fahrt gekommen, die für den Kurbelstoss gefundene Arbeit mit 5-65:2 = rund 2.9 dividirt worden ist. Die runde Zahl ist zwar etwas zu hoch, doch dürfte dies gegen 1 Diese Zahlen sind nach Bourlet’s Formel berechnet, während die anderen aus Bouny’s Vergleichstafel entnommen sind, 28 W. Ber6. R. pu Boıs-ReyMonD UND L. Zuntz: den anderen Fehler der Rechnungsweise zum Ausgleich dienen. Die Arbeit pro Kurbelstoss, die der Bouny’sche Apparat misst, reicht nämlich über eine halbe Umdrehung hinaus, da der Fuss auf die Kurbel vor und nach der Hauptarbeit auch in horizontaler Richtung einwirkt. Ehen dies ist einer der Gründe, weshalb die einfache Umrechnung, streng genommen, unzulässig ist. Endlich die drei letzten Stäbe L bis N enthalten die Arbeitsgrössen in der Zeiteinheit, also das eigentliche Maass der vom Fahrer zu leistenden Arbeit. In dieser Gegenüberstellung tritt der Unterschied zwischen den von den französischen Untersuchern und den von L. Zuntz gefundenen Zahlen deutlich hervor. Es fragt sich: wie ist dieser Gegensatz zu erklären? 4. Eintheilung der geleisteten Arbeit in ihre verschiedenen Posten. Zuerst ist zu beachten, dass die beiden erst beschriebenen Unter- suchungsmethoden nur einen Theil der geleisteten Arbeit messen, während die dritte, da sie.auf die Quelle der gesammten Energie des Organismus, nämlich den Stoffwechsel zurückgeht, offenbar die gesammte überhaupt während der betreffenden Zeit geleistete Arbeit angiebt. Ebenso wie in diesem Falle die verschiedenen Methoden verschiedene Antheile der Gesammt- arbeit messen, wird es auch in anderen ähnlichen Fällen wichtig sein, die verschiedenen Posten aufstellen zu können, in die sich die Gesammtsumme der vom Körper geleisteten Arbeit gliedert. Je nach der Form der be- treffenden Leistung wird bald die eine, bald die andere Gruppe mehr in’s Gewicht fallen. Es soll daher diese Eintheilung hier zunächst vom all- gemeinen Standpunkte besprochen werden, gleichviel welcher Werth den einzelnen Posten in dem besonderen Falle des Radfahrens zukommt. Die Gesammtarbeit zerfällt offenbar erstens in die Arbeit, die der Körper auf Bewegung verwendet, die als mechanische Arbeit bezeichnet werden mag, und die Arbeit, die zur Verstärkung von Kreislauf, Athmung und den übrigen Functionen innerer Organe nöthig ist, die als „organische“ Arbeit unterschieden werden möge. Man pflegt diese beiden Posten wohl als äussere und innere Arbeit zu scheiden, dabei ist aber ein Missverständ- niss möglich in Bezug auf den Umfang des Begriffes der äusseren Arbeit, da die zur Bewegung des Körpers selbst aufgewendete Arbeit dem gewöhn- lichen Sprachgebrauche nach kaum als „äussere“ bezeichnet werden darf. Die innere oder „organische Arbeit“ ist weiter nur zu theilen nach den Organen, die sie betrifft, in Herzarbeit, Athemarbeit u. s. f. Die äussere oder „mechanische Arbeit“ zerfällt weiter in einen Theil, der zur Bewegung a I Val Hl Zi ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 29 des Körpers selbst erforderlich ist, der als „körperliche Arbeit“ bezeichnet werden mag, und einen Theil, der auf die Maschine übertragen wird, und „technische Arbeit“ genannt werden möge. Die „körperliche“ Arbeit ist nun nicht allein für Bewegung des Körpers erforderlich, sondern bekannt- lich bedingt auch das Innehalten einer bestimmten Stellung für die Museu- latur eine vergrösserte Leistung, für die in der Physiologie die Bezeichnung „statische Arbeit“ üblich ist. Daneben leisten die Muskeln natürlich posi- tive Arbeit im physikalischen Sinne bei Hebung und Beschleunigung, und negative Arbeit im physiologischen Sinne bei Senkung und Verzögerung der bewegten Körpertheile. Die „technische“ Arbeit wird weiter zu theilen sein in diejenige Arbeit, die durch den angewendeten Apparat in Form von Reibung, Erschütterung, Verbiegungen u.s. w. verloren geht und die deshalb „unnütze“ Arbeit genannt werden kann, und diejenige Arbeit, die dem Zwecke zu Gute kommt, die „nutzbare Arbeit“. Für den speciellen Fall des Radfahrens ist die nutzbare Arbeit derjenige Theil der Arbeit, der ausschliesslich zur Vorwärtsbewegung der Maschine dient. Dieser kann nun noch eingetheilt werden nach den verschiedenen Arten des Widerstandes, die durch ihn zu überwinden sind, und zerfällt für den vorliegenden Fall vornehmlich in die Arbeit, die zur Ueberwindung der Bodenreibung und den der zur Ueber- windung des Luftwiderstandes dient. Daneben können noch andere Factoren, beispielsweise die Beschleunigung bei ungleichmässiger Geschwindigkeit, oder in besonderen Fällen der positive oder negative Einfluss geneigter Bahn in Rechnung zu ziehen sein. Im Ganzen ergiebt sich aus vorstehender Betrachtung folgendes Schema: Gesammtarbeit (2). (Innere oder) (Aeussere oder) Organische Arbeit. Mechanische Arbeit. ne ge ke a 1. Herzarbeit, 2. Athemarbeit, Bonabn nal mu Technische Arbeit (Bj) 4. Negative,5. Statische, 6: Positive 7. Unnütze Arbeit, Nutzbare Arbeit (B.) Arbeit, ee we 8. Bodenreibung, 9. Luftwiderstand, 10..... Die Gesammtarbeit wird also in nicht weniger als 10 einzelne Posten getheilt. Es lässt sich nun sogleich sehr deutlich zeigen, dass die Methode von Zuntz zunächst die Summe aller 10 Posten, die Methode von Bouny die Summe der Posten von 7 bis 10, und die von Bourlet die Summe der Posten von 8 bis 10 angiebt. 30 W. Bere, R. pu Boıs-Rexmonnd unD L. Zunzz: Demnach sind auch die Zahlen der drei Untersucher nieht unmittelbar mit einander zu vergleichen. Zwar die‘ Arbeitsmengen ‚ die Bouny und Bourlet bestimmt haben, unterscheiden sich nur um den Posten Nr. 7, die unnütze, auf Reibung u. s. w. im Innern der Maschine verbrauchte Arbeit, oder sogar nur um den Bruchtheil dieser Arbeit, der durch die Uebertragung der Arbeit von der Kurbel auf die Laufräder entsteht. Dieser Bruchtheil ist nun ohne Zweifel der grösste Theil des Postens 7, denn jede einigermaassen gute Maschine läuft leer so leicht, dass die Widerstände kaum der Erwähnung werth sind, dagegen kann bei starker Spannung der Kette durch deren unvermeidliche Ungleichheiten und den einseitigen Druck, der auf die Lager der Kurbelaxe und Triebradaxe ausgeübt wird, der Widerstand merklich sein. Aber bei guten Maschinen wird dieser Bruch- theil oder auch der ganze Posten doch immer nur ganz unbedeutend sein. Es kann daher nicht Wunder nehmen, dass Bouny’s und Bourlet’s Werthe so nahe übereinstimmen, wie dies bei den oben erwähnten Eigen- thümlichkeiten der Bouny’schen Zahlenreihe überhaupt möglich war. Der Unterschied zwischen den Angaben von L. Zuntz und denen von Bourlet und Bouny beruht aber nicht einfach darauf, dass Zuntz die Gesammtarbeit, die französischen Beobachter nur die „technische Ärbeit“ gemessen haben. Denn, um die Zahlen vergleichbar zu machen, hat schon L. Zuntz selbst noch den Unterschied dieser beiden Arbeitssummen be- stimmt. Wenn nämlich der Fahrer auf dem frei aufgestellten Rade sitzend die Tretbewegung in dem gleichen Rhythmus wie bei der wirklichen Fahrt ausführt, leistet er offenbar dieselbe Arbeit wie bei der Fahrt, vermindert um den Antheil, den die Fortbewegung erfordert, nämlich um die „nutz- bare Arbeit“. Indem L. Zuntz den Arbeitsaufwand unter diesen Be- dingungen bestimmte, maass er also die Summe der Posten 1 bis 7 des obigen Schemas (4 bis 7 vollständig, 1 bis 3 in verringerter Grösse) und indem er diese Posten von der Gesammtarbeit abzog, erhielt er als Differenz annähernd die drei letzten Posten, die die nutzbare Arbeit ausmachen. Wenn man nun diese Zuntz’schen Zahlen mit den französischen ver- gleicht, ergiebt sich noch lange keine Uebereinstimmung, sondern die Arbeit erscheint nach Zuntz immer noch nahezu doppelt so gross wie nach den ‚älteren Bestimmungen. 5. Neues Verfahren zur Messung der nutzbaren Arbeit. Bei dem besprochenen Stande der Frage erschien es uns der Mühe werth, den Arbeitsaufwand beim Radfahren von neuem! zu messen, um zu sehen, ob sich der angegebene Widerspruch lösen lasse. ı Zu dieser Untersuchung wurden nns Mittel aus der Gräfin Bose-Stiftung ge- währt, wofür wir unsern besten Dank aussprechen. ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 31 Es sollte die nutzbare Arbeit nochmals bestimmt werden, um die An- gaben Bourlet’s nachzuprüfen, und ausserdem auch der Gaswechsel von neuem gemessen werden, um zu sehen, ob sich die Ergebnisse der Unter- suchung von L. Zuntz bestätigen. Dieser Theil der Arbeit ist leider mehrfach durch ungünstige Zufälle behindert worden und es stellte sich schliesslich heraus, dass an dem Messapparate Undichtigkeiten vorhanden gewesen waren. Es können daher keine einwandfreien Zahlen angeführt werden, doch war aus dem Ergebniss der Analysen im Grossen und Ganzen zu ersehen, dass der Gaswechsel sich entsprechend den früheren Angaben von L. Zuntz verhalten hat. Demnach können diese Zahlen als feststehend angenommen werden. Zur Nachprüfung der Bestimmungen von Bourlet haben wir eine von der seinigen abweichende und soviel uns bekannt, bisher sonst nicht angewendete Methode benutzt. Diese besteht einfach darin, das Rad mit seinem Reiter von einem Motorwagen aus in’s Schlepptau zu nehmen, und die Grösse des Zuges zu messen, der nöthig ist, das Rad bei einer bestimmten Geschwindigkeit zu erhalten. Dass dies Verfahren nicht schon längst vielfach angewendet worden ist, ja sogar in Bourlet’s Aufzählung! verschiedener brauchbarer Methoden nicht einmal erwähnt ist, ist vielleicht dadurch zu erklären, dass man, um eine Messung anzustellen, die Spannung des Zugstranges graphisch auf- nehmen muss. Wir haben anfänglich auch gehofft, mit der einfachen Ab- lesung einer Federwaage zum Ziele zu kommen, aber es zeigt sich, dass die Spannung viel zu ungleich ist, als dass man an dem hin und her zitternden Zeiger eine Mittellage erkennen könnte. ? Wir liessen also einen Registrirapparat bauen, der aus einem Uhrwerke bestand, das eine Trommel von 10% Durchmesser mit einer Geschwindig- keit von etwa einer Umdrehung in 1!/, Minuten drehte, und gleichzeitig auf der Axe herunter sinken liess. Die Trommel wurde zum Versuch mit berusstem Papier bespannt. Neben dem Uhrwerk war ein starker Winkel- hebel zwischen Spitzen leicht drehbar angebracht, an dessen einem Schenkel eine Spiralfeder von geeigneter Stärke in einer Anzahl verschiedener Stellen angehakt werden konnte, während an dem anderen Schenkel, ebenfalls in einer Reihe verschiedener Stellen, der Zugstrang eingehakt wurde. Das andere Ende der Spiralfeder wurde in einem festen Ring am Bodenbrett des Apparates befestigt. An dem Ende des Schenkels, an dem die Spiral- feder angriff, war eine leichte Zugstange gelenkig befestigt, die zu einer in ! Bourlet, Nouveau traite etc. Vol.Il. p. 56. ? Bei einer späteren Gelegenheit haben wir wahrgenommen, dass auf der leeren Strasse, die wir zu unseren Bestimmungen benutzten, ein paar Postwagen dasselbe unzulängliche Mittel erprobten. 32 W. Bere, R. pu Boıs-Reymonnd unD L. Zuntzz: Führungen längs der Trommel gleitenden Stange führte, an der eine Schreibspitze aus dünnem Blech befestigt war. Zur Vermeidung todten Ganges war an der Schreibvorrichtung eine ganz schwache Drahtspirale angebracht, die der Hauptfeder entgegen wirkte. Auch die Schreibspitze wurde durch eine feine Drahtspirale an die Trommel angedrückt, um sie trotz der Erschütterung beim Fahren an die Trommel gedrückt zu halten. Das Ganze war in einem festen Holzkasten eingebaut. Der Zugstrang wurde nicht unmittelbar an dem Registrirapparat be- festigt, sondern durch Vermittelung eines 1 bis 2” langen Gummischlauches, dessen Elastieität die Ungleichmässigkeiten der Bewegung aufnehmen sollte. Dies gelang jedoch nur unvollkommen und würde wohl nur mit Hülfe eines noch viel längeren Schlauches möglich sein. Dabei würden sich aber wieder merkliche Unterschiede in der Fahrtgeschwindigkeit geltend machen. Thatsächlich erhielten wir, wenn wir von einem Motor-Dreirad aus das Versuchsrad mit einem Reiter bei gegebener Geschwindigkeit schleppten, stets Curven, die beträchtliche Wellen und ausserdem durch die Erschütte- rung des Apparates zahllose kleine Zacken aufwiesen. Letztere waren in- dessen so.gleichmässig, dass die ganze Curve wie gefranst erschien, und man leicht eine Mittellinie ziehen konnte. Die grossen Wellen nöthigten uns, die Mittelwerthe der Curve durch umständliche Ausmessung zu finden. Wir maassen die Ordinaten in je 5== Abstand und fanden, dass bei wiederholten Messungen der gleichen Curven von verschiedenen Ausgangs- punkten an, die erhaltenen Mittelwerthe genügend übereinstimmten. Diese Art der Messung war also für den Zweck hinreichend genau. Die den Ördinaten entsprechende Zugkraft wurde bestimmt, indem der Apparat auf die Seite gelegt und statt des Zugstranges ein Gewicht an den Winkelhebel gehängt wurde. Es ergab sich so der Werth der Ordinate für 1, 2, 3, 4 Kilogramm Zugkraft. Die Stellung der Feder wurde so abgemessen, dass die Ordinaten für je 1 Kilogramm ungefähr 1°“ betrugen. Die Mes- sung konnte dann mit Bequemlichkeit jso durchgeführt werden, dass die Ordinatenhöhen immer auf !/, Kilogramm abgerundet wurden, was für die Versuchsbedingungen im Allgemeinen und den Zweck der ganzen Unter- suchung hinlänglich genau schien. Es. entsteht nun die Frage, ob eine auf diese Weise aufgenommene und ausgemessene Curve durch ihren Mittelwerth wirklich die bei der Fahrt aufgewendete Arbeit ausdrückt, oder ob der Werth zu hoch oder zu niedrig ausfallen kann? Wenn die Fahrtgeschwindigkeit ganz gleichförmig ist und die Wider- stände auch ganz gleichförmig sind, wird offenbar der Zugstrang an der Feder des Registrirapparates einen ganz stetigen Zug ausüben, der die Feder auf ein bestimmtes Maass dehnt. Die geschriebene Curve wird eine N en ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 33 gerade Linie sein, deren Höhe über der Nulllinie die Stärke des Zuges an- giebt. Die Stärke des Zuges multiplieirt mit der Zahl der zurückgelegten Meter wird dann offenbar die Zahl der aufgewendeten Kilogrammmeter als die geleistete Arbeit einfach messen. Um dies anschaulich zu machen, kann man sich an Stelle des schleppenden Motors ein Gewicht denken, dessen Schwere dem vom Zugstrange ausgeübten Zug entspricht und das durch einen langen gewichtlosen Faden das Rad in Bewegung setzt, indem es in einen Schacht hinabsinkt. Jeder Meter, den das Rad fährt, ist dann . ein Meter Senkung des Gewichtes. In diesem Falle ist es klar, dass die ganze geleistete Arbeit das Product aus Gewicht und Meterzahl ist. Dagegen wird das Verhältniss viel verwickelter, sobald man mit den in Wirklichkeit vorhandenen Ungleichmässigkeiten rechnet. Wenn die Schleppfahrt beginnt, hat das Rad im Allgemeinen nicht ganz die gleiche Geschwindigkeit wie der Motor. Wenn es nun zum Beispiel langsamer fährt, so spannt sich zuerst der Zugstrang mächtig an und die Fahrt des zuerst allein laufenden Motors wird durch das Rad in gewissem Maasse aufgehalten. Dadurch erhält das Rad einen Ruck nach vorn, es nimmt eine grössere Geschwindigkeit an und die Spannung und das Gewicht des Zugstranges ziehen es näher an den Motor heran, so dass der Zugstrang schlaff wird. Dadurch bleibt das Rad wieder zurück und das Spiel beginnt von neuem. Die unvermeidlichen Ungleichheiten der Bahn und des Windes müssen selbst bei dem sorfältigsten Verfahren Störungen dieser Art hervor- rufen. Daher ist die wirklich aufgenommene Curve stets eine Wellenlinie, und es bedeutet Ansteigen der Welle beschleunigte Fahrt des Rades, Ab- sinken verminderte Fahrt. Da nun der Luftwiderstand etwa mit dem Quadrate der Geschwindigkeit wächst, wird die Spannung des Zugstranges während der zunehmenden Geschwindigkeit unverhältnissmässig gross sein und das Rad wird die einmal angenommene Geschwindigkeit ziemlich lang- sam wieder abgeben, weil ja der Widerstand mit abnehmender Geschwindig- keit sehr schnell kleiner wird. Die Form der Curvenwellen wird also nicht symmetrisch sein und hängt von einer ganzen Reihe verschiedener Factoren ab. Ohne weiter auf die Eigenschaften der entstehenden Curven einzugehen, lässt sich aber dennoch das Gesammtergebniss leicht übersehen: Da das Rad ausschliesslich durch den Zugstrang vorwärts getrieben wird und der Zugstrang an der Feder des Registrirapparates befestigt ist, muss alle Arbeit, die an dem Rade geleistet wird, durch die Curve verzeichnet sein, und da die Feder, sobald der Zug sich vermindert, zurückgeht, auch nicht mehr Arbeit, als thatsächlich geleistet ist. In dieser Beziehung gilt also nach wie vor die einfache Rechnung, dass die der Curvenhöhe entsprechende Zugkraft multiplieirt mit der Zahl der durchlaufenen Meter das Maass der geleisteten Arbeit giebt. Es muss nur wegen der Wellen Archiv f. A. u, Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 3 34 W. Berg, R. pu Bois-REYMONnD UND L. Zuntz: die Höhe der Curve an vielen Stellen gemessen werden. Die Spannung des Zugstranges giebt demnach zwar in jedem Falle ein zuverlässiges Maass der Arbeit, dagegen hat man kein Urtheil darüber, ob nicht mehr Arbeit geleistet worden ist, als zur Erreichung des Ergebnisses nothwendig war. Hier setzt die allgemeine Betrachtung ein, dass bei einer Arbeit, die durch Bewegung gegen Widerstände geleistet wird, die mit der Geschwindigkeit in mehr als linearer Proportion zunehmen, die erforderliche Arbeit für eine gegebene mittlere Geschwindigkeit. bei gleichmässiger Bewegung am ge- ringsten ist. Dieser Satz, der für alle dem Radfahren ähnliche Arten der Arbeitsleistung von der grössten Bedeutung ist, lässt sich am deutlichsten an einem Beispiele veranschaulichen. Soll man eine bestimmte Strecke in bestimmter Zeit zurücklegen, etwa 6 Kilometer in einer Stunde, so kann man dies am bequemsten, indem man je 1 Kilometer in 10 Minuten geht. Wenn man zu den ersten drei Kilometern je eine Viertelstunde brauchen wollte, könnte man dabei zwar Kräfte sparen, aber offenbar lange nicht so viel, wie man zusetzen müsste, um in der übrig gebliebenen einen Viertel- stunde die übrigen drei Kilometer zurückzulegen. Es lässt sich leicht streng und allgemein beweisen, dass dasselbe für jede Bewegung gilt, bei der der Arbeitsaufwand für höhere Geschwindigkeit schneller wächst, als die Ge- schwindigkeit selbst. Dies trifft nun für das Radfahren zweifellos zu, da ein Theil der Arbeit zur Ueberwindung des Luftwiderstandes dient, und dieser, wie bekannt, etwas rascher als das Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt. Folglich wird bei ungleichförmiger Geschwindigkeit des geschleppten Rades der Arbeits- aufwand grösser sein, als es für dieselbe mittlere Geschwindigkeit bei gleich- förmiger Fahrt sein könnte. Wenn man also die wellenförmige Curve, die man beim Versuch mit dem geschleppten Rade erhält, ausmisst, und den Mittelwerth feststellt, so wird dieser zwar die Grösse der geleisteten Arbeit richtig angeben, aber der Werth dieser Arbeit wird nicht der minimale Werth für Durchfahren der betreffenden Strecke bei der gegebenen mittleren Geschwindigkeit sein, sondern ein etwas höherer Werth. Nach diesen Gesichtspunkten lässt sich also behaupten, dass die ge- fundenen Werthe höchstens zu gross sein können. Dies gilt natürlich nur für einen Versuch von so langer Dauer, dass die Anfangsgeschwindigkeit die dem Rade etwa ertheilt worden war, oder.die Arbeitsmenge, die er- forderlich ist, das Rad aus der Ruhe, oder der langsamen Bewegung in die gewünschte Fahrtgeschwindigkeit zu versetzen, das Gesammtergebniss nicht - beeinträchtigen. Denn es ist ohne weiteres klar, dass, wenn die Arbeit bei einer mässigen Geschwindigkeit gemessen werden soll, und man den Versuch - bei sehr hoher Anfangsgeschwindigkeit des Rades beginnt, der Zugstrang sich FREENET EEE ITS ? EV SE EEE DE RT; I TELFETE W 7. me 74 m ii 70, u ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 35 erst nach einer gewissen Zeit überhaupt anspannen wird. Die Curve be- ginnt dann mit sehr niedrigen Ordinatenwerthen, und wenn die Gesammt- dauer des Versuches nicht gross genug ist, kann dadurch der Mittelwerth wesentlich kleiner ausfallen, als der wahren Arbeitsleistung entspricht. Dieser Fehler ist leicht zu vermeiden, indem man die Anfangsgeschwindig- keit der des Motors möglichst gleich macht, oder die Geschwindigkeit des geschleppten Rades sich erst ausgleichen lässt, ehe man mit der Aufnahme der Curve beginnt. Daher nahmen wir Anfangs immer Fahrten über 200 Meter auf, damit die Ungleichmässigkeiten einander möglichst aus- gleichen sollten, fanden aber bald, dass auch die Strecke von 100 Metern genügt, um den Einfluss des Anfangsfehlers im Mittelwerth verschwinden zu lassen. 6. Untersuchung des Luftwiderstandes. Es ist nun aber ein zweiter Punkt zu berücksichtigen, durch den die gefundenen Werthe nach der Richtung beeinflusst werden könnten, dass die Arbeit kleiner gefunden würde, als sie wirklich ist. Dies ist der Um- stand, dass der Luftwiderstand, der sich dem Rade nebst Fahrer entgegen- stellt, bei der Schleppfahrt dadurch verringert sein könnte, dass der Motor dem Rade vorausgefahren ist. Bekanntlich lassen die Wettfahrer aus diesem Grunde die sogenannten „Schrittmacher“- Maschinen vor sich her fahren. Wie gross die dadurch hervorgerufenen Unterschiede sind, lässt sich daran ermessen, dass die sogenannten Records, das heisst, die kürzesten Fahr- zeiten, die über gegebene Strecken erreicht worden sind, für Fahrten mit Schrittmachern bedeutend kleiner sind, als für Fahrten ohne Schrittmacher. Es war also nothwendig, den Luftwiderstand auf irgend eine Weise zu bestimmen und festzustellen, ob er sich beim Schleppversuche normal ver- halte oder nicht. Zum Zwecke, bei Versuchen im Winde die Windstärke beurtheilen zu können, hatten wir uns ein Schalenkreuzanemometer be- schafft. Dies besteht aus einem Zählwerke, das in Grösse und Form einer etwa um das Doppelte vergrösserten Taschenuhr gleicht, über der in einem Schutzrahmen aus Draht sich das Schalenkreuz von etwa 25 wm Radius um eine verticale Axe dreht. Je nach der Windgeschwindigkeit läuft das Schalenkreuz schneller oder langsamer und man kann an dem Zifferblatt den Weg des Windes in Metern ablesen. An der abgelesenen Zahl ist eine empirische Correctur nach einer dem Apparate beigefügten Tabelle anzubringen, die für die abgelesene Geschwindigkeit von 4” mit einem Zuschlag von 2 Procent ihr Minimum hat, während für 1” Geschwindig- keit 44 Procent, für 24" 9 Procent Zuschlag zu rechnen sind. Um diesen Apparat zu prüfen, trugen wir ihn in einer geschlossenen Bahn gehend N ERTL EEE TEE, Gr - ERRETETN Re - are} TERER 36 W. Bere, R. pu Bois-REYMonD unD L. Zuntz: mit gegebener Geschwindigkeit umher, und fanden, dass die Bestimmung auf etwa 1 Procent genau ausfiel. Um die Prüfung auch bei höherer Ge- schwindigkeit vorzunehmen, sollte nun das Anemometer von einem Rad- fahrer gehalten und mit gegebener Geschwindigkeit auf der geschlossenen Bahn bewegt werden. Ebenso wie das Anemometer, wenn es im Winde an einem Orte gehalten wird, die Windgeschwindigkeit angiebt, müsste es bei der Fahrt in unbewegter Luft die Fahrtgeschwindigkeit angeben. Für das Gehen hatte sich diese Voraussetzung bewährt, als wir aber die Mes- sung der Fahrgeschwindigkeit des Rades versuchten, ergaben sich viel zu kleine Werthe. Die Länge der Bahn, die schon L. Zuntz sorgfältig ge- messen hatte, betrug nach ihm 208", wenn in 1” Abstand von der inneren Grenze gefahren wird. Wurde diese Strecke in 120 Secunden gehend zurückgelegt, indem das Anemometer in der Hand getragen wurde, so betrug die corrigirte Ablesung am Anemometer 212 bis 208”. Bei dem- selben Versuche auf dem Rade war dagegen der grösste gefundene Werth 187”, also um rund 10 Procent zu klein. Es stellte sich bald heraus, dass dies auffällige Ergebniss von der Hal- tung der Versuchsperson abhängig war. Beim Gehen wurde das Anemo- meter unwillkürlich etwa wie ein Blumenstrauss mit gebeugtem Arm etwas vor und seitlich vom Körper gehalten. Beim Fahren wurden beide Hände vor dem Körper auf die Lenkstange gelegt und das Anemometer in einer Hand an dieser Stelle gehalten. Daraus, dass im letzten Falle die ab- gelesene Meterzahl zu klein ausfiel, war zu schliessen, dass in dieser Stellung weniger Luft am Anemometer vorbeistrich, als bei seitlicher Haltung. Dies bestätigte sich sogleich, als der Versuch in der Form gemacht wurde, dass die Versuchsperson auf dem Rade das Anemometer mit seitlich ausge- streckter Hand trug. Die für eine Runde der Bahn abgelesenen Zahlen betrugen. mit der Correctur nunmehr 208, 210, 212 ”, also ganz genau richtige Werthe, da auf den Abstand vom inneren Rand der Bahn nicht geachtet worden war. Es zeigte sich, dass mit dieser Beobachtung ein sehr feines Untersuchungsmittel gewonnen war, um Unterschiede im Luft- widerstande bemerkbar zu machen. Offenbar zeigte das Anemometer, wenn es vor dem Körper getragen wurde, deshalb eine kleinere Entfernung an, als wirklich zurückgelegt war, weil es nicht durch ruhende, sondern durch zum Theil mitbewegte Luft geführt worden war. Man kann also mit dem Anemometer die vom Fahrer mitgerissenen Luftmengen ausprobiren. Eine Reihe Bestimmungen dieser Art ergab, dass genau vor dem Fahrer auf der Mitte der Lenkstange der Unterschied mehr als 20 Procent betrug, etwa 50 °® zu beiden Seiten noch fast 10 Procent, und dass er noch 80 = weit seitlich nachzuweisen war. Wurde das Anemometer an einer senk- rechten Stange in Kopfhöhe getragen, zeigte es um 10 Procent zu niedrige ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 37 Werthe, erst 10°” über Kopfhöhe hinaus stimmte die Angabe mit der ge- fahrenen Strecke überein. Indem das Anemometer an einer wagerechten Stange vor dem Rade befestigt wurde, konnte gezeigt werden, dass 11/,” vor dem Fahrer die Luft schon so stark in Mitbewegung ist, dass die An- gabe des Apparates um 10 Procent zu tief ausfiel. Hinter dem Fahrer ist vollends die Mitbewegung der Luft so stark, dass noch 1-5” hinter der Sattelkante das Anemometer volle 25 Procent zu wenig zeigte. Diese Werthe änderten sich nicht merklich, gleichviel ob mit einer Geschwindigkeit von 3-5” oder 6” gefahren wurde. Alle diese Angaben zusammengenommen zeigen, dass der Fahrer eine Luftwelle mit sich reisst, deren vorderer Theil annähernd die Gestalt eines Kegels mit einem spitzen Winkel von etwa 25° hat. Die Basis bildet eine aus der Frontalebene des Fahrers auszuschneidende Figur, deren Grenze ungefähr in 25°” Abstand um ihn herum zu ziehen wäre. Die Spitze des Kegels (die vermuthlich genauer gesprochen die Form einer vertical ge- richteten Schneide. annimmt) liegt mindestens 1-5” vor ihm. Eine ähn- liche, aber wohl unregelmässiger begrenzte Figur muss die bewegte Luft hinter dem Fahrer bilden, die sich jedenfalls auf eine noch grössere Ent- fernung hin in Mitbewegung befindet. Man darf sich nun aber die so be- grenzte Luftmenge nicht als aus relativ zum Fahrer ruhender Luft bestehend denken, denn sonst würde das Anemometer innerhalb der beschriebenen Grenzen ja nur sehr wenig Fahrt anzeigen. Vielmehr besteht diese Luft aus beständig wechselnden Portionen, indem fortwährend ein Theil nach hinten abfliesst, ein neuer von vorn aufgelagert wird. Aehnliches beobachtet man mitunter an flüssigen oder sonst beweglichen Massen, zum Beispiel an dem Wasser vor einem Schifisbug, oder an dem Schnee vor einer Schlitten- kufe. Auch in diesen Fällen bildet sich aus der vor dem bewegten Körper hergeschobenen Substanz eine kegelföürmige Figur, die aber nicht ein für allemal als relativ beständige Masse fortgeschoben wird, sondern immerfort wechselt, indem sie fortwährend abbröckelt und immer wieder durch neu angehäufte Theilchen ersetzt wird. Im Falle der vom Radfahrer mit- gerissenen Luft dürfte an Stelle des ungleichförmigen Abbröckelns ein gleichförmiges Fliessen treten, das sich eben als Verlangsamung des Ge- schwindigkeitsunterschiedes zwischen Rad und ruhender Luft geltend macht. Es ist nun klar, dass beim Schleppversuch der dem Versuchsrad voraus- fahrende Schleppmotor eine ähnliche Luftbewegung hervorrufen muss wie das Rad selbst, und dass das geschleppte Rad sich möglicher Weise dauernd in einer gleichgerichteten Luftwelle befindet. In diesem Falle würde die durch den Zugstrang ausgeübte Arbeitsleistung zu klein ausfallen, weil ja der normale Widerstand ruhender Luft durch den geringen Widerstand der bewegten Luftwelle ersetzt wäre. Die Probe auf diese Vermuthung 38 W. Bere, R. pu Boıs-Reymonp unD L. Zuntz: ergab sich einfach aus den mitgetheilten Versuchen. Das Rad wurde in der geschlossenen Bahn zuerst an einem 5” Jangen Strick in’s Schlepptau genommen und das Anemometer so seitlich ausgestreckt gehalten, dass es von der Luftwelle des Fahrers selbst nicht beeinflusst wurde. Bei geeigneter Lenkung des Rades konnte sich das Anemometer trotzdem gerade hinter dem Motor befinden. Hierbei zeigte sich, dass die durch den Motor ver- ursachte Luftbewegung in dieser Entfernung noch deutlich zu bemerken war, dass dagegen bei 10 bis 15" Abstand das Anemometer die wirkliche Fahrtstrecke angab. Wenn also bei den maassgebenden Versuchen der Zugstrang, an dem das Versuchsrad geschleppt wird, mehr als 10% lang ist, wird bei den in Betracht kommenden Geschwindigkeiten der Luftwider- stand bei dem Versuch dem bei freier Fahrt ohne Schleppmotor gleich sein. Mithin fällt diese Fehlerquelle für unsere Versuche fort und es darf die gemessene Arbeitssumme als der genaue Ausdruck der für die betreffende Fahrt erforderlichen Arbeit gelten. 7. Ausführung der Versuche und Besprechung des Ergebnisses. Die Versuche wurden nun in folgender Weise ausgeführt: Auf einer ebenen leeren, neugepflasterten Strasse wurde mit einem 25” langen Bandmaass eine Strecke von 200, später meist nur 100% ab- gemessen und durch Kreidestriche quer über die Strasse bezeichnet. Dann wurde das Versuchsrad, eine leichte billige amerikanische Maschine, von ziemlich kurzer Bauart, die sich nicht durch besonders leichten Gang aus- zeichnete, durch eine 15” lange dünne Schnur und 1 bis 2” Gummi- schlauch an dem Registrirapparat befestigt. Ein Beobachter bestieg mit dem Apparat das Motordreirad, die Versuchsperson bestieg das Rad, ein dritter Beobachter stand mit der Stoppuhr auf der Bahn. Motor und Rad wurden etwa 50 %® vor der gemessenen Strecke in Bewegung gesetzt und die Versuchsperson auf dem Rade hatte die Aufgabe, sich mit dem Motor in möglichst gleiche Geschwindigkeit zu versetzen. Sobald dies geschehen war, setzte sie die Füsse auf die an der Vordergabel befindlichen Fussrasten und liess den Zugstrang sich anspannen, so dass nun das Rad mit der gewünschten Geschwindigkeit gezogen wurde. Im-Augenblick, in dem das geschleppte Rad den Kreidestrich überfuhr, rief die Versuchsperson ein scharfes Stopp! der Beobachter auf dem Motor löste das Uhrwerk der Schreibtrommel und der dritte Beobachter die Secundenuhr aus. Dann ging die Fahrt weiter bis zum zweiten Kreidestrich, bei der abermals auf ein Zeichen der Versuchsperson Trommel und Secundenuhr angehalten wurden. Dann wurden die Befunde notirt, der Motor noch ein Stück weiter gefahren und der Versuch in der umgekehrten Richtung wiederholt, bis die Trommel vollgeschrieben war. TREE ZZ TER RETTET HRS NIT TRITT TERN TEE EEE ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM: RADFAHREN. 39 Nach der Versuchsreihe wurde dann der Kasten mit dem Registrir- apparat auf die Seite gelegt und durch Anhängen von 1, 2, 3 und mehr Kilogrammen die Ordinatenhöhe der Curven geaicht. Dann wurde das so gewonnene Maass auf einen Papierstreifen übertragen, an die Nulllinie der Curve ein Maassstab gelegt und von 5 zu 5m die Höhe der Ordinaten in !/, Kilogrammen abgelesen. Die Versuchsreihen fielen wider Erwarten ziemlich verschieden aus. Dies ist theils der nicht ganz gleichen Geschwindigkeit, theils der Ungleich- -förmigkeit der Fahrt, nicht zum wenigsten dem Einflusse des Windes zu- zuschreiben. In 13 Versuchen, in denen die Geschwindigkeit zwischen 20 und 23 Se- cunden für 100” lag, also im Mittel 4-7 = in der Seeunde oder rund 17m die Stunde betrug, war die mittlere Spannung des Zugstranges gleich 2-5. In 6 ebensolchen Versuchen an einem windigen Tage, an dem ein Wind von etwa 6” quer auf die Fahrtrichtung wehte, wurde in 6 Versuchen, deren Ergebniss zwischen 3-13 und 2.46 schwankt, die mittlere Spannung zu 2.58 3 gefunden. Nimmt man die niedrigsten Werthe aus den gefundenen Zahlen als richtig an, so findet man für eine Geschwindigkeit von 18 ®® in der Stunde oder 5” in der Secunde 2.4 Y3 Spannung. Hieraus würde sich, indem man die Fahrtstrecke, die auf einen Kurbelstoss entfällt, zu 2.90” rechnet, wie es auf Bouny’s Angaben passt, die Arbeit jedes Kurbelstosses -zu 2-4 mal 2.9" — rund 7”*s berechnen, während Bouny nur 3-5 =&s, Bourlet 4.1 ks angiebt. Unser Ergebnis schien also wiederum von denen der französischen Forscher beträchtlich. nach oben abzuweichen. Bei näherer Betrachtung aber sind wir auf die Ursache dieser Verschiedenheit gekommen, und es hat sich schliesslich eine fast vollkommene Uebereinstimmung unserer Ver- sache mit Bourlet’s Formeln ergeben. Es ist nämlich zu beachten, dass von den französischen Beobachtern der eine auf einer Rennbahn, der andere nach seiner eigenen Angabe auf sehr guter Strasse die Versuche ausgeführt hat. Es müssen also den fran- zösischen Werthen solche gegenübergestellt werden, die auf glatter Bahn gewonnen sind. Die geschlossene ringförmige Bahn, die uns zur Verfügung stand, eignete sich zu Versuchen nach unserem Verfahren nicht, weil in Folge der Wendecurven die Fahrtgeschwindigkeit des geschleppten Rades sehr ungleichmässig ausfallen musste. Ausserdem war der Öementboden nicht ganz frei von Unebenheiten. Trotzdem ergaben sich wesentlich niedrigere Werthe, nämlich für 3.4” in der Secunde = 12" in der Stunde mittlere Geschwindigkeit 1.1 % Spannung, für 4-6 % in der Secunde = 16.5®% in der Stunde 2-0 YE Spannung. ERERLT TER 40 W. Bere, R. pu Boıs-Reymonp un L. Zuntz: Daraufhin machten wir noch mehrere Versuchsreihen auf guten Asphalt- strassen, aus denen sich der Mittelwerth 1-8 *® Spannung für 18 k® in der Stunde ergab. Dies würde immer noch eine Arbeit von rund 5.2 "%s für den Kurbelstoss bedeuten, während Bourlet 4-1”%s, Bouny nur 3.5 ke angiebt. Dieser Unterschied konnte nun noch auf der Verschiedenheit der Versuchspersonen beruhen. Das Gewicht der Maschine und des Fahrers zusammen wird hierzulande gewöhnlich zu 100 *® eingeschätzt, bei Bourlet dagegen zu nur 80%®. Aus der von Bourlet gegebenen Formel und den berechneten Werthen lässt sich ableiten, dass der Fahrer sogar nur wenig über 50 * gewogen haben kann. Bei unseren Versuchen hatten wir bis dahin stets selbst gefahren, wodurch das Gewicht des Fahrers allein auf 75 bis 85 *s kam. Wir stellten daher einen Fahrer von nur 50 ® an und fanden bei Versuchen auf guter Asphaltstrasse für 18 = Fahrt nunmehr eine mittlere Spannung von nur 1-58, entsprechend einer Arbeit von 4.30 "ks für den Kurbelstoss. Damit hatten wir eine fast vollkommene Uebereinstimmung mit Bourlet erreicht, die die Richtigkeit seiner Bestimmungen bestätigt. Wenn man diesen durch unmittelbare Messung gefundenen Werth für die „nutzbare Arbeit‘ mit dem von L. Zuntz gefundenen Werthe für den gesammten Energieaufwand vergleicht, so findet man, dass nur 28 Procent der Gesammtenergie zur Fortbewegung ausgenutzt werden. ! Anhangsweise sei hier ein Versuch erwähnt, der bei ziemlich starkem Winde, der schätzungsweise die Richtung der Versuchsstrecke hatte, ge- macht wurde: Bei dreimaliger Schleppfahrt hin (a) und zurück (b) über eine Strecke von 200 ” ergaben sich folgende Zahlen, wenn die Anemo- meterablesung corrigirt und alle Zahlen auf die Versuchsdauer von 1 Minute umgerechnet wurden: Gegen den Wind: (Die Zahlen bedeuten Meter in der Minute.) Ia. Ila. llla. Luftgeschwindigkeit, beim Fahren gemessen . . 525 525 540 Fahrtgeschwindigkeit . . . . un. 2900 0 2 0 Windgeschwindigkeit, im Stehen een u 39a are ed ! Diese Zahl, obgleich etwas niedriger als die von Zuntz angenommene, ist wenigstens nicht unannehmbar. O. Zoth war, wie oben angedeutet, indem er die Zahlen Bourlet’s dem Vergleich zu Grunde legte, ohne sie umzurechnen, auf einen Nutzeffect von nur 5 bis 16 Procent gekommen, der allerdings unwahrscheinlich niedrig wäre. Vgl. O. Zoth, Ueber die Formen der Pedalarbeit beim Radfahren, Pflüger’s Archiv. 1899. Bd. LXXVI. 8.34. BRUT Per ERDE PIOrEnr erste f TERERENS ü z ISCH {4 BE TIURRRZ Da a ee u ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 41 Mit dem Winde: Luftgeschwindigkeit, beim Fahren gemessen . . 246 160 96 Fahrtgeschwindigkeit . . . . See 200 272 Windgeschwindigkeit, im Stehen gemessen. . . 3714 374 278 Man sollte erwarten, dass bei der Fahrt gegen den Wind die Summe von Fahrtgeschwindigkeit und Windgeschwindigkeit die im Fahren gemessene Luftbewegung ergeben müsste, und ebenso beim Fahren mit dem Winde die Differenz der genannten Werthe. Ersteres trifft für den an dritter Stelle angeführten Versuch mit einiger Annäherung zu. Die Abweichung lässt sich wohl auf die Ungleichmässigkeit des \Windes zurückführen. Daraus erklärt sich zugleich, dass die Zahlen für die Fahrt mit dem Winde, bei denen Fahrtgeschwindigkeit und Windgeschwindigkeit einander annähernd aufwiegen, viel schlechter stimmen, als für Gegenwind. Aus derartigen Versuchen, wenn sie zu besserer Uebereinstimmung gebracht werden könnten, wäre auch die Grösse des Luftwiderstandes bei verschiedenem Winde zu ermitteln. Bei den erwähnten Versuchen betrug die Spannung des Schleppseiles bei der Fahrt gegen den Wind 4-2 Es, bei der Fahrt mit dem Winde 1.9 %, Hieraus würde man entnehmen können, dass ein Gegenwind von 6% mindestens 1-1 = Widerstandsvermehrung hervorruft. Es ist aber zu bedenken, dass, wie schon Bourlet hervorhebt, der Wind von hinten, selbst wenn er mit der gleichen Geschwindigkeit den Körper trifft wie von vorn, wegen der Form des Körpers lange nicht so stark fördert, wie der Gegenwind hemmt. Die Differenz von 2-3 *&s darf also nicht, wie eben geschehen ist, gleich getheilt werden, sondern es muss der Mittelwerth viel näher an dem niedrigsten Werthe gelegen sein. That- sächlich erweisen die Schleppversuche ohne Wind, dass der Mittelwerth ungefähr bei 2-4 k liegt, nn also der Wind von 6 ® im Rücken 0.58 spart, während er von vorn 1.7 ®%s Widerstand bietet. 8. Die „körperliche Arbeit“ der Beine. Im Anschluss an diese Feststellung sei die Form etwas näher betrachtet, die die für den Nutzeffect verloren gehende Arbeit annehmen mag. Bei L. Zuntz findet sich die kurze Bemerkung: „Die Bewegung der Beine an sich erfordert ebenfalls keine Arbeit, da dieselben einander äqui- libriren; das Gewicht des fallenden Beines hebt das auf dem anderen Pedal ruhende in die Höhe.“ In der gegebenen Fassung ist dieser Satz entschieden unrichtig, und mit dieser Erkenntniss wird auch des Verfassers im Folgenden ausgeführte Hypothese von dem Einfluss der „inneren Reibung der Beine“ überflüssig. 42 W. Bere, R. pu Boıss-ReymonD unD L. Zuntz: Dagegen enthält der Satz einen richtigen Grundgedanken, der für die all- gemeineren Betrachtungen über den Arbeitsverbrauch von Bedeutung ist. Es soll nun zuerst gezeigt ‘werden, dass die Beine einander bei der Kurbeldrehung keineswegs „äquilibriren“. Es liegt zwar nahe, bei Unter- suchung der Frage, wie sich das Gewicht der beiden Beine bei der Kurbeldrehung verhält, dies Ge- wicht in den Kurbelaxen selbst vereinigt zu denken, da ja sein Druck eben in den Pedalaxen seinen Angriffspunkt findet. Wäre das Gewicht in den beiden Pedal- axen vereinigt, so würde allerdings eine Aequilibrirung eintreten, indem bei der Drehung eine Axe immer um ebenso viel steigt, als die andere sinkt. Bei einer gleich- förmigen Rotation würde dann eine gleichförmige Kreisbewegung der beiden Massenpunkte statt- finden, die im theoretischen Ideal- fall keine Arbeit verbrauchen würde. Für diesen Fall wäre also der Satz von L. Zuntz zutreffend. Die obige Annahme . entspricht aber durchaus nicht der Wirklichkeit. Fig. 2. Der Einfachheit wegen mag von BewegungsformderBeine beim Kurbel- den thatsächlichen Längen - und treten. Gewichtsverhältnissen des mecha- Das eine Bein ist durch ausgezogene Linien, nischen Systems von Beinen und das andere durch punktirte Linien angedeutet. Kurbel vorerst wiederum abgesehen H = Hüftgelenk, X=Knie, F=Fus, M= werden, und wiederum eine ver- Mittelpunkt des Kurbellagers. Die zusammen- oinfachende Annahme gemacht gehörenden Stellungen beider Beine sind durch 2 DEM he Alta 1 2, 3,2 berechnen werden, die aber dem wirklichen Meink etwas näher liegt (Fig. 2). Die Beine sollen als aus nur zwei Gliedern, Oberschenkel und Unterschenkel AK und ÄF bestehend gedacht werden, die man sich als gleichförmige Stäbe denken mag. Das untere Ende des Unterschenkels soll unmittelbar mit der Pedalaxe zusammentreffen. Das Hüftgelenk 7 liege genau über dem Kurbeilager M, die Länge der Kurbel sei die Hälfte der Länge des Unter- schenkels, der als gleich lang mit dem Oberschenkel angenommen werden soll. Die Kurbel soll so stehen, dass bei tiefster Stellung das Bein gerade EEE TEE ET BL REEL EEE ET ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 43 gestreckt ist. Unter diesen vereinfachenden Annahmen betrachte man nun die einzelnen Stellungen der Kurbel im Laufe einer Drehung und unter- suche, in wiefern „Aequilibrirung“ stattfinden kann. Wenn das eine, etwa das rechte, Pedal am tiefsten steht, ist das rechte Bein (punktirt) völlig gestreckt und hängt also vom Hüftgelenk herunter, ohne überhaupt auf die Kurbel zu wirken. Das andere Pedal steht in der höchsten Stellung, nach obiger Annahme also in der Höhe des rechten Knies. Dazu muss das linke Bein (ausgezogen 1) im Knie spitzwinklig (60°) gebeugt sein, und es drückt in dieser Stellung mit einem erheblichen Bruchtheil seines Gewichtes senk- recht und zugleich ein wenig nach hinten auf das obere Pedal. Hier ist also keine Aequilibrirung vorhanden. Denkt man sich nun die Kurbel um 90° gedreht, so dass das linke Pedal am weitesten nach vorn steht, so sinkt das linke Knie (3 ausgezogen) aus seiner früheren Stellung etwas tiefer, während der linke Unterschenkel vom Pedal so weit nach vorn ge- führt wird, dass das Knie einen stumpfen Winkel bildet. Das rechte Knie (3 punktirt) nimmt während dessen eine ähnliche Haltung an, aber, weil das rechte Pedal hinten steht, ist der rechte Oberschenkel noch nahezu senkrecht. Die Last, mit der das linke Bein auf das Pedal drückt, ist daher bedeutend grösser, indem hier ungefähr das ganze Gewicht des Unter- schenkels und das halbe des Oberschenkels auf dem Pedal ruhen, während rechts nur etwa das halbe Gewicht des Unterschenkels und ein ver- schwindender Theil des Gewichtes des Oberschenkels in Betracht kommt. Also ist auch hier von Aequilibrirung keine Rede. Bei weiterer Drehung um 90° tritt der zuerst betrachtete Fall wieder ein, nur dass das rechte Bein die Stellung des linken einnimmt und umgekehrt. Statt dass also, wie nach der Fassung des Satzes vou L. Zuntz ver- standen werden könnte, die Beine einander ;in jeder Stellung das Gleich- gewicht hielten, ist das vielmehr in den betrachteten Stellungen durchaus nicht der Fall. Selbst unter den vereinfachenden Annahmen, die hier ge- macht worden sind, ist es nicht ohne Weiteres ersichtlich, in welcher Stel- lung überhaupt Gleichgewicht eintritt. Schätzungsweise lässt sich erkennen, dass, da bei der zuletzt besproche- nen horizontalen Stellung der Kurbel das vordere Pedal Uebergewicht hat, und da, sobald die senkrechte Stellung erlangt ist, dies Pedal vollkommen entlastet wird, zwischen diesen beiden Stellungen eine Lage eintreten wird, in der Gleichgewicht besteht. Ferner wird man sehen, dass es Stellungen des Systems giebt, bei denen die Schwere beider Beine in gleichem Drehungs- sinne auf die Kurbel wirkt: Wenn nämlich das eine Bein eben aus der senkrechten Stellung auf den hinteren Quadranten übergegangen ist, strebt es selbstverständlich, die Kurbel wieder auf diese Stellung zurückzudrücken. Gleichzeitig befindet sich aber das andere Bein in spitzwinklig gebeugter 44 W. Bere, R. pu Boıs-ReymonD unD L. Zuntz: Stellung und übt offenbar ebenfalls einen Druck im Sinne des Rückwärts- drehens auf die Kurbel aus. Um diese Erwägungen von dem angenommenen vereinfachten System auf die wirklichen Verhältnisse zu übertragen, empfiehlt es sich, die von Braune und Fischer festgestellten Werthe für Maass- und Gewichts- Oben An „So h Hinten” / 7 Hv. X Vorn ’ z ‘Hh ” NE N a7 Unten Fig. 3. Bahn des Schwerpunktes des Beines bei einer Kurbelum- drehung. (, der wirklichen Grösse.) So und Su Schwerpunktslage bei senkrechter Stellung der Kurbel oben und nnten. ZA und Hv Schwerpunktslage bei horizontaler Stellung der Kurbel vorn und hinten. Ist der Schwerpunkt eines Beines in So oder HA, so ist der des anderen in Su oder Av. vertheilung im Körper! zu Grunde zu legen und sich etwa aus Cartonstreifen ein Modell herzustellen, da die Bewegung der beiden Beine an der Kurbel vor Augen stellt. Dabei wird man das Fussgelenk der Einfachheit wegen als rechtwinklig feststehend ansehen dürfen, da die Bewegung des Fussgelenkes bei der Pedalarbeit eine noch viel grössere Ver- wickelung in die mechanischen Bedingungen bringt und erfahrungsgemäss die Pedalarbeit beim Radfahren mit unbewegtem Fussgelenk geleistet werden kann. Man kann sich nun weiter des von O. Fischer angegebenen Ver- fahrens? bedienen, die Schwerpunkte der ein- zelnen Glieder durch ein storchschnabelartiges bewegliches Gestell zu verbinden, dessen einem Punkte bei der Bewegung der Glieder die Bewegung ihres gemeinsamen Schwerpunktes mitgetheilt wird. Auf diese Weise findet man zunächst, dass der Gesammtschwerpunkt jedes Beines während des Kurbelumganges eine eigenthümliche Bahn durchläuft (Fig. 3). Diese Bahn ist unregelmässig ellipsoidisch, die lange Axe der Ellipse ist schräg nach vorn geneigt, der hintere Theil des Um- fanges beinahe geradlinig, der vordere mehr gerundet. Durch die Bewegung in dieser Bahn erfährt der Schwerpunkt jedes Beines bei dem Umgang der Kurbel eine Hebung und Senkung von nahezu 20 ”. Da nun die Bahn, wie sich an der beschriebenen Vorrichtung sehr einfach nahweisen lässt, durchaus nicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit durch- ! W. Braune und ©. Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Kör- pers mit Rücksicht auf die Ausrüstung des deutschen Infanteristen. Adbhdig. der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Der Gang des Menschen. ® 0. Fischer, Nrı1a 1 S2 8: Math.-physik. Cl. Bd. XV, VII. 8. 561. II. Theil. Ebenda. Bd. XXV. TEE TEE GEETTTEETTETTEEE ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 45 laufen wird, so folgt, dass keineswegs der Schwerpunkt eines Beines immer ebenso viel gehoben wird, wie der andere sinkt. Vielmehr lässt sich durch weitere Construction die Bahn des gemeinsamen Schwerpunktes ermitteln, die eine in der ellipsoidischen Curve eingeschlossene nahezu kreisförmige Figur etwa 2 °m Durchmesser ergiebt. Mithin muss bei jeder Kurbelumdrehung von das Gewicht beider Beine um etwa 2°” gehoben werden. Weit entfernt, zwei einander beständig aufwiegende Massen darzustellen, bilden die beiden Beine auf der Kurbel vielmehr eine gemeinsame Last, die bei jedem Um- gang um 2 °® gehoben und gesenkt wird. Es war oben gesagt worden, dass der Satz von L. Zuntz für eine Kurbel, deren beide Pedalaxen gleich belastet wären, zutreffen würde. Statt einer solchen gleichmässig belasteten Kurbel stellt aber das System von Beinen und Kurbel, wie eben gezeigt worden ist, vielmehr eine Kurbel dar, deren Last bei einer bestimmten Stellung eine tiefste Lage einnimmt und bei jedem Umgange gehoben und gesenkt wird, also eine einseitig belastete Kurbel. Um solche Kurbel in Bewegung zu halten, bedarf es allerdings der Arbeit. Zwar (dies ist offenbar eine der richtigen Betrachtungen, die der Ausführung von L. Zuntz zu Grunde liegen) wird auch bei einseitig belasteter Kurbel beim Niedergang des Gewichtes stets ebensoviel Arbeit gewonnen, wie bei der Hebung aufgewendet werden muss. Aber die kinetische Energie, die der Masse beim Niedergange ertheilt ist, muss, ehe der Aufgang beginnt, gehemmt werden, und es muss der Masse eine neue Beschleunigung in umgekehrter Richtung ertheilt werden. Hierzu ist Arbeit erforderlich und diese Arbeitsmenge ist es, die die Bewegung der mit den Beinen belasteten Kurbel hemmt. Bei einem zahlenmässigen Ueberschlage der Grösse dieser Arbeit kommt man nicht auf ganz so hohe Werthe!, wie die von L. Zuntz gefundenen, es ist aber hier ferner auf die wichtige Anmerkung 0. Zoth’s zurückzugreifen, dass sich die physiologische Pedal- arbeit darstellt als Ergebniss zweier einander entgegenwirkender Kraft- anstrengungen, nämlich der des Vorwärtstretens und der des rückwärts arbeitenden Gegendruckes. Zweifellos wird die physiologische Arbeitsgrösse, die ja nach Zuntz’ Methode gemessen wird, im Vergleich zur physikalischen dadurch vergrössert, dass alle Bewegungen nicht frei, sondern gegen anta- gonistischen Gegendruck ausgeführt werden müssen. Fände solcher Gegen- druck nicht statt, so würde das Kurbellager stets nur mit der Summe der auf die Kurbelbewegung verwendeten Arbeitskraft belastet werden. Da ! Ich berechne auf den Kurbelumlauf, bei einem Gewicht beider Beine von 25 &, 3.2 mks Kraftaufwand für die Beschleunigungen der Massen der beiden Beine. Hierzu kommt noch 0-5 ”%*: für die Beschleunigungen des Gesammtschwerpunktes. Daraus berechnet sich eine Arbeit von etwa 0-5 "ke für den Meter Fahrt, gegenüber 0-7 "*« bei L. Zuntz. pr EEE TEE 46 W. Bere, R. pu Bois-Reymonn unD L. Zuntz: zum Beispiel, um mit ganz langsamer Fahrt auf glatter Bahn vorwärts zu kommen, eine sehr geringe Arbeit erforderlich ist, die durch einen Druck von etwa 8 Kilogramm auf das arbeitende Pedal geleistet werden kann, brauchte für diesen Fall das Kurbellager nicht mehr Druck auszuhalten, als eben diese 8 Kilogramm. Nun kann man aber dieselbe Fahrt auf die Weise machen, dass man sich ganz und gar vom Sattel hebt und nur noch auf den Pedalen steht. Dabei wird offenbar das Kurbellager die ganze Last des Körpers zu tragen haben und die physiologische Arbeit des Tretens wird dementsprechend sehr gross sein, obgleich als nutzbar eben nur die gleiche, zu langsamster Fahrt erforderliche Arbeit herauskommt. Dieser extreme Fall wird am besten das veranschaulichen, was in geringerem Grade ohne Zweifel bei jedem Versuche am leergehenden Rade stattfindet, dass nämlich, um „die Pedale zu halten“, beide Beine stets einen gewissen Druck gegen einander ausüben, durch den die physiologische Arbeit sehr leicht um einige Zehntel Meterkilogramm vermehrt werden kann. 9. Schlussbetrachtung. Alle diese Betrachtungen dienen indessen nur dazu, zu bestätigen, dass tnatsächlich die physiologische Arbeitsleistung beim Radfahren grösser ist, als man nach der subjectiven Empfindung annehmen würde. Das Problem lautet demnach nicht mehr, wie der scheinbare Wider- spruch zwischen den Versuchen von L. Zuntz und denen seiner Vorgänger zu erklären ist, oder wie die hohen Werthe von L. Zuntz zu Stande kommen, sondern: Wie ist das Ausbleiben subjeetiver Beschwerden bei einem so hohen Maasse thatsächlicher Arbeitsleistung zu erklären? Man könnte die Erklärung auf psychologischem Gebiete suchen. Offen- bar wird die Empfindung der Anstrengung beeinflusst durch die unbewusste Schätzung der Arbeit, und diese wird abhängen von der Wahrnehmung des Erfolges. Dem raschen Vorwärtskommen auf dem Rade würde demnach die Empfindung entsprechen, eine sehr grosse Arbeit: zu ‚leisten, etwa soviel, wie ein Dauerlauf von gleicher Geschwindigkeit erfordern würde. Im Ver- gleich dazu ist die wirkliche Arbeit nur gering, und sie scheint also ver- _ hältnissmässig klein. Ueberdies lässt die Aufmerksamkeit auf die Umgebung, wie sie bei rascher Fahrt nöthig ist, das Gefühl der Langeweile und Er- schlaffung nicht aufkommen. Eine solche Erklärung dürfte aber kaum genügen, wo es sich um dauernde Ausübung des Radfahrens handelt und wo es sich nicht nur um subjective, sondern geradezu um physiologische Symptome handelt. Bei angestrengtem Gehen kommt man bald ausser Athem und empfindet sehr lebhaft die Anstrengung, beim Radfahren tritt Athemlosigkeit nur bei ganz besonderen Leistungen ein. Möglicher Weise ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 47 wird die Ursache für diesen Unterschied durch eine genauere Untersuchung der physiologischen Bedingungen an’s Licht gebracht, die sich namentlich dadurch von denen bei anderen Arten der Arbeitsleistung unterscheiden, dass die Arbeit von der unteren Körperhälfte gethan wird, während die obere in sitzender, aufgestützter Kuhelage verharrt. 10. Die angebliche ‚schlechte Haltung‘‘ des Radfahrers. Es sei hier endlich noch ein Punkt erwähnt, der für die laienhafte wie für die ärztliche Beurtheilung der Haltung beim Radfahrer von Be- deutung ist. Allgemein wird über den „krummen Buckel“ der Radfahrer gescholten, der stets nur als „schlechte Haltung“, also als eine Nachlässig- keit der Fahrer bezeichnet wird. Von ärztlicher Seite wird empfohlen, in „aufrechter Haltung“ zu fahren. Hierüber ist zunächst zu sagen, dass offenbar der krumme Rücken der Radfahrer nicht auf Vernachlässigung der Haltung zurückzuführen ist, denn sonst würde er bei dieser Uebung nicht häufiger sein, als etwa beim Reiten, Rudern, oder bei allen anderen Beschäftigungen überhaupt. Im Gegentheil darf behauptet werden, dass, obschon das hohle Kreuz beim Reiten und Rudern nützlich und förderlich ist, für den Radfahrer die krumme Haltung die zweckmässigste und einzig richtige ist. Es ist nämlich für den Radfahrer unerlässlich, dass er sich vornüber lest. Dies gilt nicht nur für schnelle Fahrt, bei der der Luft- widerstand in Betracht kommt, vielmehr ist es auch beim lamgsamen Fahren äusserst unzweckmässig, wenn die Last des Körpers vorwiegend von dem hinteren Rade getragen wird. Man kann dies ohne Weiteres erkennen, wenn man sich auf ganz schwach geneigter Strasse in aufrechter Haltung hinabrollen lässt, und dann die vornübergebeugte Haltung annimmt. Die Maschine wird sogleich merklich leichter und schneller laufen. Daher wird bei solchen Fahrern, die durch das allgemeine Vorurtheil oder die erwähnten ärztlichen Rathschläge irregeleitet, sich zur aufrechten Haltung auf dem Rade zwingen, das kundige Auge sogleich mit Missfallen eine eigenthümlich schleppende Bewegungsweise der Maschine gewahr, die auf allzu starker Belastung des Hinterrades beruht. Damit, dass der Radfahrer vornüber liegen muss, ist nun allerdings noch nicht gesagt, dass er seinen Rücken krumm halten muss. Denn man kann sich ebenso gut mit hohlem Kreuz vornüber neigen, wie mit krummem. Aber wenn man die vornüber geneigte Haltung mit hohlem Kreuz auf dem Rade annimmt, erweist sie sich so- gleich als so unbequem, dass sie nicht auf die Dauer innegehalten werden kann. Insbesondere spürt man beim Heben der Schenkel bei hinaufgehender Tretkurbel alsbald eine störende Ermüdung. Diese glauben wir in erster Linie darauf beziehen zu dürfen, dass der Hauptheber des Schenkels, der 48 W. Ber, R. pu Bois-ReyMmonD unD L. Zuntz: lleopsoas, durch das Hohlmachen des Kreuzes entspannt wird (Figg. 4a und b). Um diese Hypothese zu bestätigen, stellten wir folgenden Versuch an: Die Versuchsperson sass auf einem Bock, auf dem ein Radsattel und eine Lenk- stange in derselben Lage wie an der Maschine befestigt waren, und ver- suchte einen Fuss zu heben, der durch ein geeignetes Riemengeschirr an einem eisernen Hebel befestigt war, auf dem ein Laufgewicht von 12.5 %s verschoben werden konnte. Das andere Bein konnte auf eine gleiche Hebel- Fig. 4a. stange gestützt werden, die durch eine Kette vom Bock aus getragen wurde. Bei krummer Haltung konnte beträchtlich mehr.gehoben werden, wie bei hohlem Kreuz: (Siehe Tabelle Seite 49.) Aus Messungen an Photogrammen im Maassstab 1:10 lässt sich schätzen, dass die Verkürzung des Ileopsoas durch das Hohlmachen des Kreuzes ungefähr 15 Procent beträgt. Diese Untersuchung lehrt wohl zur Genüge, dass die krumme Haltung gegenüber der geraden ihre bestimmten EN a RER BEER ZuJV VITRELEEREETERTEN ER en GR, Fr h all ara ÜBER DIE ARBEITSLEISTUNG BEIM RADFAHREN. 49 (Die Zahlen bedeuten Kilogramm Zugkraft des Fusses.) B. R. Versuchsperson: | 1 | 1 1. | r gerade 37 38 32 39 krumm 43 42 41 52 Fig. 4b. Vorzüge hat. Es sei noch darauf hingewiesen, dass auch die Muskeln auf der Hinterseite des Oberschenkels, die vom Becken entspringen, bei der be- trachteten Veränderung der Haltung unter veränderte Bedingungen kommen. Ausser diesen muskelmechanischen Gründen dürfte zu Gunsten der krummen Haltung anzuführen sein, dass sie für Oberkörper und Kopf eine viel vollkommenere Federung bei Stössen auf unebener Bahn ermöglicht, als die aufrechte Haltung. Dieser Punkt ist wiederum nicht eine blosse Archiv f. A.u. Ph. 1904, Physiol. Abthlg. Suppl. 4 50 W.Bkrc, R.pu Boıs-ReyMmonD U. L. ZunTZz: ARBEITSLEISTUNG U. .W. Frage der Bequemlichkeit, sondern der Arbeitsaufwand beim Fahren wird dadurch wesentlich beeinflusst. ! Während auf diese Weise die Thatsache erklärt wird, warum gerade beim Radfahren die krumme Haltung durch keine Ermahnungen abgeschafft werden kann, scheint andererseits fraglich, ob die Bedenken gegen die krumme Haltung in vollem Umfange stichhaltig sind. Die krumme Hal- tung soll der Entfaltung des Brustkorbes beim Athmen hinderlich sein. Dem steht aber beim Radfahren der Umstand gegenüber, dass der Fahrer den Körper nicht frei vornübergebeugt hält, sondern sich mit beiden Armen aufstützt, also dauernd in derjenigen Lage ist, die dem Lungenkranken im Zustande der Orthopno& die grösste Erleichterung schafft. Hierdurch kann sehr wohl der nachtheilige Einfluss der gebeugten Haltung auf die Ath- mung vollständig aufgewogen werden. ! Die grosse Bedeutung, die alle Praktiker der Gewichtsersparniss im Bau der Maschine beilegen, dürfte sich aus diesem Punkte erklären. Es ist nieht ohne Weiteres verständlich, warum, wenn doch der Fahrer mit seiner Maschine über 100 #® wiegt, zwei oder drei Kilogramm im Gewicht der Maschine einen merklichen Einfluss auf die Fahrt ausüben sollen. Das Gewicht des Fahrers ist aber durch seine eigene Musculatur als in einer vorzüglichen Federung aufgehangen, während das der Maschine alle Stösse als nahezu starres System mitmachen muss. Zur Frage nach Entstehen des normalen Athemrhythmus. Von Dr. S. Kostin, Privatdocent und Assistent am Institute. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Odessa.) Vorstand: Prof. Dr. B. Werigo. (Hierzu Taf. II—IV,) Vorbemerkungen. Wer es sich zur Aufgabe gemacht hat eine klare Vorstellung über die Innervation und Mechanismus der Athmung bei höheren Thieren und Menschen zu gewinnen und sich an die betreffenden Lehrbücher und die specielle Litteratur wendet, geräth in ein Labyrinth von Widersprüchen, in welchen man sich leicht verwirren, aber eine bestimmte Antwort nicht nur auf die Grundfragen: was ist ein Athemrhythmus und das Primum movens der Athmung, sondern auch auf viele einfachere Fragen keineswegs erhalten kann. Jedes beliebige Problem auf diesem Gebiete hat mehrere Lösungen, von denen die eine oft die andere ausschliesst und daher erhält man keine bestimmte Antwort auf die Frage. Dazu kommt noch, dass die Litteratur über den Mechanismus und die Innervation der Athmung so übermässig gross ist, dass das Aufzählen sämmtlicher Autoren nebst kurzen Referaten der Resultate ihrer Arbeiten eine undankbare Mühe sein würde. Nach den Worten Marckwald’s, eines Kenners der Frage, vermöchte die Litteratur „viele stattliche Bände zu füllen. Leider hat die Aufklärung mit der Zahl der Abhandlungen nicht Schritt gehalten, und wir sind heute noch beinahe ebenso weit entfernt von der endlichen Lösung der Frage: was die Ursache der Athmung sei, wie Legallois und Flourens, welche den Ort des Centrums der Athmung feststellten, und Marshall Hall und A. W. Volk- mann, die durch zahlreiche bemerkenswerthe Experimente ihre Theorien 2 52 S. Kostin: der Athmung begründeten. Man könnte beinahe sagen, dass in dem Maasse, wie Zeit und Scharfsinn seither zur Lösung dieser Aufgabe verwendet worden sind und schätzenswerthe Einzelheiten auf dem Gebiete der Athmung unserem Wissen gewonnen worden, in dem Maasse auch die Widersprüche gewachsen sind.‘ Obgleich die Lehre von J. Rosenthal über die ausschliesslich auto- matische Thätigkeit des Athemcentrums durch spätere Untersuchungen stark gelitten hat, so bleibt noch immer unaufgeklärt der Grad des An- theiles des directen Reizes (Blutreiz) einerseits und der reflectorischen Ein- flüsse andererseits in der Entstehung derjenigen kurzen, sich rhythmisch wiederholenden Contractionen gewisser Muskeln und Muskelgruppen, welche zusammen den mechanischen Athmungsprocess bilden. Ich habe mir zur Aufgabe gestellt dieses aufzuklären, hauptsächlich für den einfachsten Fall, und zwar für die diaphragmale Athmung und den Reflex vom N. vagus aus. Eigene Versuche. $1. Allgemeine Versuchsanordnung. Auf Grund der Gad’schen Arbeiten nimmt man im Gegensatz zur Fick’schen Ansicht allgemein an, dass sogar beim Menschen und über- haupt bei den Thieren mit gemischtem Athmungstypus das normale Exspirium durchaus passiv, d. h. ohne Mitwirkung der exspiratorischen Muskeln, vor sich geht. Daraus folgt, dass unter normalen Bedingungen nur das „Inspirationscentrum“ thätig ist. Bei den Thieren mit gemischtem Athmungstypus soll der Inspirationsact in Form einer zeitlichen Ooordinations- bewegung des Zwerchfelles einerseits und einer Gruppe der intercostalen Inspiratoren andererseits stattfinden. Mosso? zeigte, dass diese Coordination keine beständige ist, dass schon während des normalen Schlafes beim Menschen die Bewegungen des Zwerchfelles bisweilen kaum bemerkbar sind, so dass die Athmung fast ausschliesslich durch die (etwas ausgiebigeren) Contractionen der Rippenmuskeln stattfindet. Ferner kann man nach Mosso öfters beobachten, dass beim gemischten Athmungstypus das Zwerch- fell in einem langsameren Tempo arbeitet, als die Rippenmuskeln, in Folge dessen es Momente giebt, wo sich das Zwerchfell in der Inspirationsstellung befindet (contrahirt), während die Rippenmuskeln bereits erschlafft sind, der Thorax also exspirirt. Noch deutlicher zeigt sich eine derartige Dissociation ! Marckwald, Die Athembewegungen u.s.w. Zeitschr. für Biologie. Bd. XXIIL S. 149. ®” Mosso, Dies Archiv. 1886. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 37. Siehe auch neue Beobachtungen in Archivio di Fisiologia, 1904. Vol. I. 8.143. Zur FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 53 der Athmung im künstlichen Schlaf — nach Einnahme des Chloral. Nach anderen Mittheilungen können sogar die Bewegungen der oberen Rippen- muskeln leicht von denen der unteren dissocürt werden. Mosso be- obachtete das bei schlafenden Menschen, Luria und Mislawsky bei Reizung des centralen Endes des N. phrenicus an Thieren.! Bei einigen Säugethieren ist die Thätigkeit des Zwerchfelles und der Rippenmusculatur, wie bekannt, vollständig von einander getrennt: unter normalen Verhältnissen athmen sie nur mit Hilfe des Zwerchfells; die Rippenmuseculatur dagegen dient nur ausnahmsweise zur Athmung: 1. bei Dyspno&, wo sie gemeinsam mit dem Zwerchfell arbeitet, und 2. bei Läh- mung des letzteren, wo die Rippenmusculatur selbstständig arbeitet. Da es für die Analyse des, hinsichtlich seiner Innervation so complicirten, Athmungsprocesses wünschenswerth ist, jeden Reflexbogen des nervösen Mechanismus getrennt zu untersuchen, so ist es zweckmässig, dazu ein Thier mit ausschliesslich diaphragmaler Athmung zu benutzen. Einen derartigen Athmungstypus weisen z. B. das Pferd, die Katze und das Kaninchen auf. Ich wähle das letztere aus. Wie sehr die Scheidung der Athmungsinnervation bei diesem constant ist, ersieht man unter anderem aus folgenden Be- obachtungen. 1. Die Durchschneidung beider Nn. vagi, welche bei anderen Thieren (z. B. beim Hunde) eine erhöhte Thätigkeit der Rippenmusculatur hervorruft, lässt bei tracheotomirten Kaninchen den diaphragmalen Athmungs- typus ungestört. 2. Wenn man beim Kaninchen die Nn. vagi durch- schneidet, sowie das verlängerte Mark über den Alae cinereae, und wäh- rend der ganzen Dauer des Versuches eine künstliche Athmung unterhält, so verlaufen, nach unseren Beobachtungen, die Marckwald’schen „Athem- krämpfe“ ausschliesslich als Tetani des Zwerchfelles, während sie bei selbständiger Athmung des Thieres sie sich unter Mitwirkung der Rippen- und Hilfsmuseulatur entwickeln. Somit ist beim Kaninchen die functionelle Scheidung der Innervation der Rippenmusculatur von der des Zwerchfells deutlich ausgesprochen. Wenn am Athmungsprocess nur das Zwerchfell ohne Hilfsmuskeln betheiligt ist, so kann offenbar jeder eine Exspiration hervorrufende Reiz lediglich durch Hemmung des „Inspirationscentrums“ zur Wirkung gelangen. Dieser Umstand vereinfacht die Versuchsbedingungen und präeisirt vollkommen unsere Terminologie. Um die Versuche in Betreff des relativ einfachen Reflexapparates: N. vagus — Med. oblongata — N. phrenicus anzustellen, soll das verlängerte ! Luria, russische Inaug.- Dissertation. Kasan 1902. 54 S. Kostin: Mark (mit dem Theile des Rückenmarkes, der Abgangsstelle der Phrenicus- wurzeln entsprechend) von den höher gelegenen Theilen des Gehirns und von dem Rückenmark isolirt werden, indem man das erste oberhalb der Alae einereae, und das letztere unterhalb der Abgangsstelle der Phrenieus- wurzeln durchschneidet. Allein die Kaninchen vertragen bekanntlich sehr schlecht eine hohe Durchschneidung des Rückenmarkes; da die Versuche Marckwald’s! bereits gezeigt haben, dass eine Abtrennung der Med. oblongata vom Rückenmark, welche beim Kaninchen nach Durchschneidung des ver- ängerten Markes in der Höhe der Tubercula acustica ausgeführt worden war, die Wirkung dieser letzteren in keiner Weise ändert, indem sie die Athmung unbeeinflusst lässt, so begnüge ich mich nur mit einer Abtrennung der Med. oblongata von den oberen Theilen des Gehirns, indem ich den Schnitt ein wenig (um 2 bis 4”) oberhalb der Alae cinereae anlege, voraus- gesetzt, dass durch diese Operation das Athmungscentrum in der Med. oblongata von allen den Theilen des Oentralnervensystems isolirt ist, deren Einwirkung fortwährend seine Thätigkeit verändern könnte. Eigene Vor- versuche haben mir gezeigt, dass auf die Athmung von Seiten des Spinal- systems (nach Durchschneidung des verlängerten Markes) nur starke künst- liche Hautreizungen, z. B. starkes Kneifen, starker Inductionsstrom, sowie eine grobe Reizung des Peritoneums eine Wirkung äussern; die Unruhe des Thieres ändert gleichfalls den Athemrhythmus. Wenn dagegen das Ka- ninchen vollkommen ruhig und nicht erregt liegt, wie das stets nach voll- ständiger Durchschneidung des verlängerten Markes der Fall ist, so bleibt der Athemrhythmus im Laufe einer beliebig langen Zeit unverändert. Darauf entblösse ich durch Präparation der Halsvagi die sensiblen Leitungsbahnen der zu untersuchenden Reflexbogen; durch eine breite Er- öffnung beider Hälften des Brustkorbes mache ich das Zwerchfell einer un- mittelbaren Beobachtung zugänglich und — das ist am wichtigsten — be- freie es von einer mechanischen Dehnung bei Vornahme der künstlichen Athmung (durch die Trachealcanüle, vermittelst eines Blasebalges). Die Er- fahrung zeigte, dass dabei das Zwerchfell von den aufzublasenden Lungen keinerlei bemerkenswerthe Stösse erhält, welche die Deutlichkeit der gra- phischen Darstellung stören könnten. - Bei solcher Versuchsanordnung wenden wir die natürliche Vagus- reizung durch Lungenausdehnung an und halten die Zwerchfelleontraction oder Erschlaffung für einen Anzeiger des jeweiligen Zustandes des Athem- centrums. ! Marckwald, a.a. 0. Bd. XXIII. Zur FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS, 55 $2. Die Methode der natürlichen Vagusreizung. In der Lehre von der Innervation der Athmung ist die Frage nach der Function des N. vagus die allerwichtigste und dabei sehr verwickelte; daher begannen wir unsere Forschung mit der Revision derselben. Erinnern wir uns dessen, dass J. Rosenthal darauf besteht, dass der N. vagus nicht den Athemrhythmus bedingt: das sei die Aufgabe des Centrums selbst, welches durchaus „automatisch“ arbeite; die Nn. vagi re- guliren nur die Abgabe der Nervenenergie des Centrums, indem sie dieselbe zeitlich gleichmässig vertheilen. Welcher dieser Vertheilungsmechanismus ist, erklärt Rosenthal nicht, denn seine Vorstellung, dass der N. vagus „Widerstände“ im Athemcentrum herabsetze, ist metaphorisch, und beruht nicht auf Thierversuchen, sondern stammt von einem rein physikalischen Schema. Andererseits steht der von Rosenthal festgestellte inspiratorische Erfolg der künstlichen Vagusreizung in keinem Zusammenhang mit seiner Athmungstheorie, ebenso wie die von ihm entdeckte. exspiratorische Wir- kung des Laryngeus superior." Viele Autoren erkennen bekanntlich dem N. vagus nur eine exspiratorische Wirkung zu; nicht wenige Forscher standen auch dafür ein, dass beide Erfolge der künstlichen Vagusreizung gesetz- mässig seien, und bemühten sich nur die Bedingungen nachzuweisen, unter denen man diesen oder jenen Erfolg erhält. Dabei wiesen die Einen auf die Abhängigkeit der zu beobachtenden Wirkungen von der Art und Stärke der Reizung hin, die Anderen auf seine Abhängigkeit vom Zustande des Centrums selbst.? Unserer Meinung nach ist der litterarische Streit über die Folgen der künstlichen Vagusreizung durchaus fruchtlos, denn er erklärte nicht die Frage nach dem nervösen Athemmechanismus. Die Methode natürlicher Reizung der Lungenvagi, wurde bekanntlich von Hering und Breuer gegeben.” Indem wir vorläufig die theoretische Schlussfolge dieser Forscher bei Seite lassen, müssen wir ihr Prineip des Versuchsverfahrens als das einzig richtige anerkennen. Thatsächlich beurtheilten sie erstens die Athemfunction der Vagi auf Grund einer Reizung ihrer Lungenäste, nicht ! Vgl. J. Rosenthal, Dies Archiv. 1880. Physiol. Abthlg. S.45—46: „Die Thätigkeit der Medulla oblongata wird nur bestimmt durch den Sauerstoffgehalt des Blutes. Die Erregung der Vagi vermag diese Thätigkeit nicht zu vergrössern, sie be- wirkt nur anderwerthige Vertheilung der in’s Spiel gesetzten Muskelwirkungen.“ .. „Alles was wir aus den Erfolgen der Vagusreizung schliessen dürfen, ist nur, dass sie auf irgend eine Weise die Abgleichung der im Athmungscentrum entstehenden Er- regungen erleichtert, ohne sie quantitativ zu verändern.“ ? Vgl.die Arbeiten von R.Heidenhain, N.Wedensky, Boruttau,Schencku.A. > Hering und Breuer, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften. Wien 1868. Bd. LVII, I. 56 S. Kostix: ihres ganzen Stammes, wie ihre Vorgänger und zahllosen Nachfolger, und zweitens war die Reizung der Lungenvagi in ihren Versuchen. eine natür- liche, keine künstliche. Es wäre rationell und zweckmässig diese Prineipien auszubilden, die Lungenausdehnung als natürlichen Reiz dem elektrischen vorzuziehen, weil hier nur die Lungenäste sich erregen, nicht der gemischte Nervenstamm, in dem zahlreiche Fasern zu verschiedenen Centren verlaufen (und am wenigsten, vielleicht, zum Athemcentrum) ... Aus unbegreif- lichen Gründen aber wurde diese einzig zuverlässige Methode von den Autoren wenig benutzt. Daher sollen wir die oft vergessene Wahrheit wiederholen, dass die Resultate der künstlichen Reizung nur insoweit als richtig anerkannt werden können, als sie mit den Beobachtungen über die natürliche Erregung über- einstimmen und dass die letztere, wo sie angewandt werden kann, zum mindesten als Controle der Resultate einer künstlichen Reizung dienen soll. Im gegebenen Falle wäre es umsonst, zu erstreben, durch Reizung eines dicken Stammes des Halsvagus mit grosser Menge eingeschlossenen „schmerz- leitenden‘ Fasern, welche selbst, bekanntlich, die Athmung beeinflussen, eine isolirtte Erregung weniger Lungenfasern zu erreichen. So viel mir bekannt, hat bis jetzt Niemand die Dehnung der Lungen durch den Blasebalg systematisch angewandt als eine Grundmethode, die Funetionen der Lungenvagi zu untersuchen. Ich hoffe mit Hilfe dieser Methode einige Widersprüche, sowie die wahre Bedeutung der Vagi für die Athmung, aufzuklären. Selbstredend kann die Lungenausdehnung, wie auch jeder andere Reiz, schwach oder stark, einmalig oder wiederholt sein. Ihre Wirkung, als me- chanische Reize, kann den Schlägen des Hammers des Tetanomotors auf den Nerv verglichen werden, nur mit dem Vorzuge, dass sie zarter wirken kann, und namentlich — dass sie nicht den Nervenstamm, sondern die Endverzweigungen des Nerven im Organ selbst reizt. Ich meine nicht, dass eine einmalige, wenn auch sehr schnelle, Lungendehnung durch Einblasen von Luft vollkommen einem „Einzelreiz“ entspricht, wie es z. B. bei der Einwirkung einzelner Stösse des Inductionsstromes stattfindet. Die Lungen- dehnung ist, wie die eines jeden elastischen Körpers, nur als eine allmähliche denkbar; darum muss man annehmen, dass die Nervenendigungen in der Lunge bei ihrer Ausdehnung eine Reihe von Stössen erhalten, deren Reiz- wirkungen sich summiren und im Centralorgan einen kurzdauernden Reiz- oder Hemmungserfolg hervorrufen können, dessen Stärke in directem Ver- hältnisse zur Stärke der peripheren Reizung (Lungendehnung) steht. Da die Häufigkeit und die Tiefe des Einblasens mit dem Blasebalge leicht zu reguliren ist, so ist mit ihm, als Reizmittel, fast ebenso leicht zu arbeiten, wie mit dem Tetanomotor oder Inductorium. Die einzige ernst- u Zur FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUTS. 57 liche Unbequemlichkeit der Methode, nämlich die Möglichkeit, die mechani- sche Dehnung des Zwerchfelles mit seiner Contraction zu verwechseln, kann man leicht durch eine doppelseitige breite Eröffnung des Brustkorbes bei Anwendung der phrenographischen Aufzeichnung beseitigen. Dann kann man die Reaction des Zwerchfelles auf Reize vom Centrum aus leicht beobachten und registriren. Die hier beschriebenen Versuche und Curven zeigen deutlich, dass wir bei Anwendung wiederholter Lungenausdehnung bei unverletzten Vagi das Centralorgan beherrschen, indem wir ihm will- kürlich den einen oder anderen Rhythmus der Zwerchfellathmung vor- schreiben können. Bevor wir zu den Versuchen der natürlichen Vagusreizung bei dem von refleetorischen Einflüssen isolirten verlängerten Marke übergehen, wollen wir die Frage erörtern, ob die Lungenvagi wirklich nur durch eine Dehnung und nicht auch durch Collapses der Lungen erregt werden. $ 3. Die Folgen der Lungenausdehnung und des Lungencollapses bei undurchschnittenem verlängerten Marke. Registrirt man an einem tracheotomirten Kaninchen zuerst die normale Athmung und ruft dann einen einseitigen Pneumothorax hervor, so sieht man, dass die Athembewegungen nach Pneumothorax nur wenig verlangsamt und vertieft werden. Wenn man sodann auch die andere Thoraxhälfte schnell eröffnet und die Athmung während der ersten 20 bis 25 Secunden beobachtet, bevor die ersten Anzeichen einer Dyspno& aufgetreten sind, so kann man wahrnehmen, dass die Athmung noch etwas tiefer und langsamer wird, aber rein diaphragmal bleibt. Stellt man die Pneumothoraxversuche an einem Kaninchen an, dem das verlängerte Mark durchtrennt wurde, das jedoch trotz dieser Operation die normale Athmung beibehalten hat, so verwandelt sich die Athmung nach einseitigem Pneumothorax in eine Reihe kurzer tetanischer Zwerchfellcontractionen, und nach doppelseitigem Pneumo- thorax in eine Reihe von 2 bis 38 Mal länger dauernden Zwerchfelltetani. Wenn man hier vor jeder Beobachtung die Lungen durch den Blasebalg etwas ventilirt, so wird ein dyspnoischer Zustand sicher beseitigt, aber das Resultat bleibt dasselbe. Ganz dieselben Athemveränderungen beobachtet man, wenn anstatt des ein- oder beiderseitigen Lungencollapses (Pneumothorax) zuerst der eine, dann auch der andere N. vagus durchschnitten wird. Die Verlangsamung und. Vertiefung der Athemzüge bei tracheotomirten Kaninchen ist nach Durchschneidung eines N. vagus viel schwächer ausgesprochen, als nach Durchschneidung auch des zweiten. Bei Kaninchen mit vorher durch- schnittenem verlängerten Mark und erhaltenem normalen Athemrhythmus 58 S. Kostin: verursacht, wie oben gesagt, die Durchschneidung eines N. vagus eine Reihe kurzer, und die nachherige Durchschrieidung des zweiten . Vagus eine Reihe langer tetanischer Contractionen (bis zu 1!/, Minuten Dauer) des Zwerchfelles.! Nach Morphiumvergiftung und in der Chloroform- und Chloralnarkose sind alle erwähnten Erscheinungen mehr ausgesprochen. Ueberhaupt scheint es, dass die Menge der fehlenden (ausgeschlossenen) Vagusfasern sich vollkommen gesetzmässig im Rhythmus und in der Tiefe der Athmung wiederspiegelt. Allein dieselbe Gesetzmässigkeit beobachtet man auch in Betreff des ein- und doppelseitigen Lungencollapses nach Pneumothorax. Auf Grund dieser Beobachtungen lässt sich schliessen, dass zum min- desten der Enderfolg des Lungencollapses mit dem Erfolge der Vagusdurch- schneidung identisch ist, d. h. dass er das Resultat des Ausfalles der Vagus- unction Ist. Die ersten Zwerchfellbewegungen nach dem Pneumothorax, der in unseren Versuchen durch eine Rippenresection hervorgerufen wurde, ent- ziehen sich leicht der Beobachtung nicht nur in Folge der Unruhe des nicht narkotisirten Thieres (bedingt durch den Schmerz), sondern auch beim narkotisirten Thiere in Folge der Schwierigkeit, gleichzeitig in einem kleinen Raum zu operiren und zu beobachten, und ferner in Folge der Unmöglich- keit, sich durch die graphische Aufzeichnung zu helfen, denn die bei der Eröffnung des Brustkorbes (sogar bei dem einfachen Durchstechen) unver- meidliche Erschütterung desselben verhindert die Aufzeichnung der Athmung. Der oben beschriebene Athemtypus wurde ungefähr zwischen 5 bis 20 Se- cunden nach dem Eintritt des Pneumothorax beobachtet. Da schon nach 25 bis 30 Seeunden Dyspno& auftritt, so muss man von diesem Augenblicke an die künstliche Athmung anwenden, und daher muss letztere fast un- vermeidlich jeder Aufzeichnung der ersten Momente der Athmung nach Lungencollaps (bezw. Lungenausdehnung) vorhergehen.” Wenn jedoch die Vagi unverletzt sind, so werden sie bei künstlicher Lungenveniilation un- bedingt erregt, denn wenn sie auch nicht das Collabiren erregt, so thut ! Bei Wiederholung derartiger Versuche muss man sich dessen erinnern, dass die Zähl der Lungenfasern nicht immer in beiden Stämmen der Nn. vagi die gleiche, son- dern bei verschiedenen Individuen verschieden ist; daher lässt sich dieser Unterschied nicht an jedem Kaninchen demonstriren: es kommt vor, dass nach Durchschneidung des zweiten Vagus der Zwerchfelltetanus nicht erheblich länger wird, und umgekehrt bewirkt die Durchschneidung des ersten Vagus noch gar keinen Zwerchfelltetanus, sondern es entsteht dieser plötzlich erst nach Durchschneidung des zweiten Vagus. ® Als eine Ausnahme vgl. unsere Fig. 18, Taf. III, wo der Erfolg des Lungen- collapses in dem ersten Augenblicke nach dem Pneumothorax ohne vorausgegangene künstliche Ventilation aufgezeichnet ist. ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 59 das sicherlich die Ausdehnung der Lungen; diese vorausgehende Reizung kann jedoch den Erfolg des Lungencollapsus beeinflussen. Hering und Breuer beobachteten gewöhnlich bei ihren allbekannten Versuchen die Folgen der Lungenausdehnung und des Oollapses nach vorausgeschicktem Apnoisiren der Thiere!, d. h. nach wiederholter starker Lungenausdehnung mittelst des Blasebalge.. Mir gelang es nachzuweisen, dass gerade diese vorausgeschickten Dehnungen einen Einfluss auf den Initialerfole der Lungendehnung — und des Collapses haben. Meine Beobachtungen sind in folgenden Versuchsprotokollen beschrieben. Versuch I. 30. Januar 1903. Kaninchen von mittlerer Grösse und mässigem Er- nährungszustande. Es wurden 0.253”% gelöstes Chloralhydrat in die Bauch- höhle eingespritzt. Das Thier in Rückenlage befestigt und tracheotomirt; unter den beiden freigelegten Halsvagi die Fäden durchgeführt; die Tracheal- canüle T-förmig; das eine Ende ist zur Verbindung mit dem Blasebalge für künstliche Athmung, das andere zur Verbindung mit der Marey’schen Schreibkapsel, um die Blasebalgexcursionen zu registriren, bestimmt. Die Zwerchfelleontraetionen werden mit dem Phrenographen & transmission auf- gezeichnet. Auf den hierzu gehörigen Curven stellt die obere Reihe die künstliche Athmung dar, die untere die Zwerchfelleontraetionen; die Zeit ist in Secunden markirt. Der Versuch dauerte etwa 3 Stunden. Die normale Athmung (Fig. 1) betrug 90 pro 1 Minute; 10 Minuten nach Chloraleinspritzung (0-25) betrug die Athmung 54 pro 1 Minute (Fig. 2); die Höhe der Zwerchfelleontraetionen ist etwas vermindert; die Hautreflexe herabgesetzt, aber nicht ganz aufgehoben; das Thier schläft ruhig. Nach Eröffnung des Brustkorbes ist die Athmung im Laufe der ersten 20 bis 25 Secunden sehr vertieft und etwas verlangsamt. Vor Dyspno& wurde es weiter durch künstliche Ventilation immer aufbewahrt. Die Ein- blasungen sind stark, ihre Zahl ändert sich im Verlauf des Versuches, aber immer wird registrirt. Die wiederholten Lungenausdehnungen mit dem Blasebalge rufen zuerst eine Herabsetzung der Zwerchfelleontraetionen, dann volle Erschlaffung des Zwwerchfelles hervor, die jedoch sogleich durch eine tetanusartige Zwerchfell- contraction unterbrochen wird, sobald der Blasebalg stillsteht (d. h. sobald der Lungencollaps hervorgerufen wird). Diese krampfartige Anfangs- contraction des Zwerchfelles, als unmittelbarer Erfolg des Lungencollapses, ist um so langdauernder und stärker, je länger die vorhergegangenen rhyth- mischen Lungenausdehnungen mittelst des Blasebalges gedauert haben. Ein Vergleich der erhaltenen Curven zeigt, dass der „Krampf“ in directer Ab- hängigkeit von der Zahl der vorangegangenen Lungenausdehnungen (bei gleicher Stärke) steht. So dauerte die krampfartige Anfangscontraction 7 Secunden (Fig. 3, Taf. II) nach 19 Dehnungen im Laufe von 16 Secunden bei einer maximalen Höhe von ! Breuer, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften. Wien 1868. Bd. LVIIL, II. 8. 911. ?® Bei der Reproduction sind die Curven bis ?/, natürl. Grösse verkleinert worden. 60 S. Kostın: gmm, nach 55 Dehnungen im Laufe von 48” (Fig. 4, Taf. II) dauerte der „Krampf“ 12” bei einer Maximalhöhe von 14m. endlich, nach einer be- schleunigten Ventilation (120 in 1 Minute), welche 5 Minuten andauerte, stieg die Dauer der Contraction auf 35” bei einer maximalen Höhe der Curve von 12mm (Fig. 5, Taf. II). Dieses letztere Phrenogramm hat das Aussehen einer typischen Tetanuscurve. Soleher Curven, die mit den drei angeführten identisch sind, erhielt ich bei diesem Versuche mehrere Serien: das erwähnte Abhängigkeits- verhältniss ist also gesetzmässig. Während einer dauernden Abnahme der künstlichen Ventilation, soweit sie nicht zu schnell zur Dyspno& führt, lässt sich jedes Mal beobachten, wie der beschriebene „Anfangstetanus“ des Zwerchfells allmählich in die normalen Einzeleontraetionen übergeht; diese letzteren sind zunächst oberflächlich und halten sich hoch über der Abseisse, um allmählich in die normale Exeursionsweite überzugehen. Endlich wird der Rhythmus der Zwerchfelleontraetionen gleichförmig und erinnert, als End- erfolg des Lungencollapses bei unverletzten Vagi, an die Zwerchfelleontraetionen nach Durchschneidung desselben: die Contractionen sind nämlich verlangsamt und verstärkt (Figg. 3 und 4, Taf. I; vgl. mit Fig. 6, Taf. II). Nach Durchschneidung der Vagi trat die Erschlaffung des Zwerchfelles (Apno&) lange nicht so schnell ein, als vorher. Bei intacten Vagi genügten 5 bis 7 Aufblasungen der Lungen, um eine Erschlaffung des Zwerchfelles zu erhalten (Figg. 3 und 4, Taf. II), während nach Durchschneidung der beiden Vagi es 50 gleich starker, aber rasch nach einander folgender Ein- blasungen bedurfte, um eine Apno& zu erhalten (Fig. 6, Taf. II). Dabei nahmen die Contractionshöhen sehr allmählich bis Null ab, und die Apno& dauerte noch etwa 15” nach dem Stillstande des Blasebalges; darauf traten zunächst schwache, dann allmählich immer stärkere Einzeleontraetionen des Zwerch- fells auf, so dass die Curve sich in umgekehrter Reihenfolge, ohne „An- fangstetanus“, wieder herstellte.. Der Enderfolg war — verlangsamte und verstärkte Zwerchfelleontractionen (Fig. 6, Taf. II). Versuch N. 3. Februar 1903. Kaninchen von mittlerer Grösse. Versuchsanordnung wie vorher. Die bezüglichen Curven sind bis °/, der natürlichen Grösse verkleinert. Die Athmung vor der Narkose betrug 84 in 1’, nach Einspritzung von 0.25 8% gelösten Chlorals in die Bauchhöhle 60 in 1’. Nach Aufzeichnung der normalen Athmung wird der Brustkorb breit eröffnet; die künstliche Athmung wird durch tiefe Einblasungen unterhalten. Rhythmische starke Lungenausdehnungen mit dem Blasebalge führen schnell zur Erschlaffung des Zwerchfelles (Fig. 7b, Taf. ID); der nachfolgende Lungencollaps (Still- stand des Blasebalges) verursacht jedes Mal eine krampfartige Zwerch- felleontraction, die allmählich in eine Reihe ausgiebiger und verlangsamter rhythmischer Contractionen übergeht. Fig. 7, Taf. II zeigt, dass wenn man die Zahl der Einblasungen (die obere Curvenreihe), die dem Lungencollaps vorhergehen, vermindert (bei c, d, und e) und wenn man darauf auch ihre Stärke herabsetzt (bei f bis g), so kann man den aus dem vorigen Ver- suche I bekannten Enderfolg des Lungeneollapses (die Vertiefung und Ver- langsamung der Athmung) erhalten, aber ohne anfängliche „krampfhafte“ En u ee ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 61 Contracetion des Zwerchfelles. Auf den Curven sind mit einem X Zeichen die Momente des Lungencollapses markirt; bei ce und d (Fig. 7, Taf. II) sieht man noch den anfänglichen „inspiratorischen“ Erfolg des Lungen- collapses; bei e ist er kaum ausgesprochen; bei fundg ganz verschwunden, so dass der Uebergang von den (relativ) schwachen Zwerchfelleontractionen, welehe gewöhnlich unter der Binwirkung rhythmischer Lungenausdehnungen zu beobachten sind, zu den ausgiebigen und verlangsamten, die nach Lungen- collaps, als Enderfolg, eintreten, allmählich vor sich geht. Nachdem wir die beschriebenen Öurven erhalten hatten, durchschnitten wir die beiden Vagi; dann wurden die Zwerchfelleontracetionen typisch ver- langsamt und vertieft und ausserdem von der Häufigkeit und Stärke der Einblasungen unabhängig; dabei gelang es nicht Apno& zu erhalten, bevor eine neue Chloraldosis (0.25) eingespritzt worden war. Aber auch selbst dann trat die Apno& viel langsamer als bei intacten Vagi ein, indem sie sich unter allmählicher Abschwächung der Athemzüge (Erniedrigung der Phrenogramme) einstelltee Der nachfolgende Stillstand des Blasebalges (Lungeneollaps) rief bereits keine krampfartige Zwerchfelleontraction hervor. Nach Durchschneidung der Vagi beeinflusste die Häufigkeit der Auf- blasungen die Zahl der Zwerchfelleontraetionen nicht; allein die Stärke der- selben, hier, in der Chloralnarkose, nahm in dem Maasse ab, als die Venti- lation verstärkt wurde, was bei dem nicht narkotisirten Thiere nicht statt- findet, falls dies, nach Durschneidung der Vagi, nicht apnoisch gemacht werden kann (vgl. den Versuch IV). Versuch II. 10. Februar 1903. Starkes mittelgrosses Kaninchen; tracheotomirt; keine Narkose. Die Versuchsanordnung wie vorher. Die Zahl der Athemzüge 102 pro 1 Minute. Nach Eröffnung des Brustkorbes (beiderseitige Rippenresection) beobachtet man wie gewöhnlich die Anpassung der Zwerchfelleontractionen an den Rhythmus der künstlichen Athmung. Dabei sind die einzelnen Zwerchfellcontractionen um so ober- flächlicher, je häufiger und stärker die Einblasungen mit dem Blasebalge sind, und umgekehrt um so ausgiebiger, je seltener und schwächer dieselben sind. Ausgiebige Lungenventilation führt bald zu einer apnoischen Er- schlaffung des Zwerchfelles (Fig. 8, Taf. II, links vom Zeichen x). Sobald man die rhythmische Lungenausdehnung sistirt (bei X), steigt die Curve stufenweise hinauf, wobei die Excursionen des Zwerchfelles anfangs gering sind, um allmählich in die normale Exeursionsweite überzugehen; dabei ist jedoch zu bemerken, dass die Curve hoch über der Abscisse steht (Fig. 8, Taf. II, rechts vom Zeichen x). Setzt man bei so erhöhtem Tonus mit der künstlichen rhythmischen Lungenausdehnung (Ventilation) wieder ein, so erschlafft das Zwerchfell schnell vollständig (Fig. 9, Taf. II, von links bis zum Zeichen X), um nach Aufhören der Ausdehnung wieder tetanische Contraction zu äussern (Fig. 9, Taf. II, rechts vom Zeichen X). Der Versuch wurde an demselben Kaninchen wiederholt und mehrfach im Laufe von 2 Stunden mit demselben Erfolge registrirt. Ausserdem zeigte der Versuch, dass ceteris paribus schwächere, wenn auch sehr beschleunigte Einblasungen keine völlige Erschlaffung des Zwerch- fells bewirken; in diesem Falle auch der anfängliche Zwerchfelltetanus nach 62 S. Kostin: Lungeneollapsus nicht entsteht, sondern, die Athmung allmählich tief und verlangsamt wird, als ob die Vaguswirkung ausgeschlossen wäre. Dass aber der beschriebene Athemtypus nicht durch einen dyspnoischen Zustand bedingt wird, welcher sich allmählich nach Stillstand des Blase- balges entwickelt, ersieht man nicht nur aus der geringen Dauer dieses Stillstandes (10 bis 20 Secunden), sondern auch aus anderen Beobachtungen an demselben Kaninchen. Wenn man nämlich die künstliche Athmung nach einem sehr kurzen Stillstande des Blasebalges (4 Secunden) in einem etwas verlangsamten Tempo erneuert, um eine Dyspno& sicher zu verhindern, so wurde der Uebergang des Anfangstetanus in eine Reihe ausgiebiger und verlangsamter Zwerchfellcontracetionen ganz analog dem oben beschriebenem. Versuch IV. 13. Februar 1903. Es wird vergleichsweise die Wirkung des Lungen- collapses und der Lungenausdehnung hinsichtlich ihres Anfangs- und End- effeetes und hinsichtlich der Abhängigkeit dieser von der Stärke und Dauer der vorangegangenen Lungenausdehnungen untersucht. Mittelgrosses Kaninchen; tracheotomirt, keine Narkose; die Vagi werden freigelegt, aber vorläufig nicht durchgeschnitten. Phrenograph ä transmission (obere Reihe der Curven); die künstliche Athmung (untere Reihe der Ourven) wird statt durch Marey’sche Schreibkapsel durch ein Quecksilbermanometer registrirt. Die Aufblasungen mit dem Blasebalge sind im Allgemeinen von mässiger Kraft; die Energie der einzelnen Stösse kann leicht nach der Höhe der aufgezeichneten Schwankungen des Quecksilbermanometers be- urtheilt werden. Nach beiderseitiger Eröffnung des Brustkorbes wurde beobachtet, dass der Lungencollapsus (ce auf der Fig. 10, Taf. II) keine „inspirato- rische“ Wirkung hat, falls die vorhergegangenen rhythmischen Lungen- ausdehnungen von mässiger Stärke waren und nicht lange dauerten. (Fig. 10, Taf. II, e, ec). Dagegen war diese Wirkung nur dann deutlich ausgesprochen, wenn dem Lungencollaps die lange dauernde künstliche Ventilation vorher- gegangen war (Fig. 11, e und 12 A, ec‘, Taf. I). Was die Wirkung der Lungendehnung anbetrifft, so ist sie immer hemmend. Auf den Curven 10, 11 und 12 bei p, p (Momente der Aus- dehnung nach vorhergegangener kurzer oder dauernder Ventilation) sieht man, dass der Lungendehnung immer eine Herabsetzung der Höhe der Zwerchfelleontractionen folgt. Nach Durchschneidung der Vagi veränderte weder die Ausdehnung noch der Collaps den Rhythmus der Zwerchfelleontractionen; die Zahl der- selben hängt schon nicht mehr von der Häufigkeit der Aufblasungen ab. Die Bo chemie der Lungenventilation drückt sogar das Phrenogramm nicht merklich herab und führt nicht zur Apno&: dieselbe Häufigkeit und Kraft der Lungenausdehnungen, welche vorher eine Apno&ö bewirkten, rufen jetzt, sogar nach !/,stündlicher Ventilation, keine Apno& hervor. Die be- züglichen Curven sind hier wegen Raummangel nicht angeführt. Die Hauptresultate der vorigen Versuche sind folgende. 1. Die Lungenausdehnung bewirkt bei intacten Vagi stets eine mehr oder weniger starke Hemmung der Zwerchfellcontractionen, als Anfangseffect, Se So ei ee ee EEE Dust u Eu SE re ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 63 nach welchem eine Reihe verstärkter und verlangsamter Contractionen folgt, wobei die Rippenmuseulatur immer in Kuhe verbleibt und keine active Exspiration beobachtet wird (contra Hering und Breuer). 2. Der 'Lungencollaps bewirkt keine verstärkte Anfangscontraction, falls die voraufgegangenen wiederholten Lungenausdehnungen (künstliche Ventilation) kurzdauernd oder schwach waren. Im entgegengesetzten Falle ist der initiale „inspiratorische“ Erfolg des Lungencollapses um so stärker, je energischer die voraufgegangenen Lungenausdehnungen waren. In beiden Fällen ist der Endeffeet — verlangsamte und verstärkte Zwerchfelleontraction. Auch hier verbleibt die Rippenmusculatur stets in Ruhe. Die ‚„exspiratorische“ Wirkung der Lungenausdehnung halten alle Autoren für ein unanfechtbares, gesetzmässiges Resultat der Reizung der Lungenvagi. Dagegen will die Mehrzahl der Autoren den ‚inspiratorischen“ Erfolg des Lungencollapses als eine Folge der Erregung der „inspiratorischen“ Vagusfasern nicht anerkennen, sondern lässt die Frage nach seiner Ursache und Herkunft offen. Unsere Versuche haben gezeigt, dass wie das Auftreten der anfänglichen verstärkten Zwerchfellcontraction, so auch ihre Intensität von der Stärke und der Dauer der rhythmischen Lungenausdehnungen, die dem Collaps vorangingen, abhängig sind. Somit ist bei Anwendung der künstlichen Lungenventilation der inspiratorische Effect des Collapses eine secundäre Erscheinung, hervorgerufen durch eine vorausgegangene Homme des Athemcentrums bezw. des Zwerchfells. z Allein beobachtet man die inspiratorische Wirkung des Lungencollapses auch dann, wenn einem bis jetzt ganz intacten Thiere Pneumothorax ver- ursacht. Das ist ganz natürlich, weil bis zu diesem Augenblick, während des ganzen Lebens des Thieres, das Athemcentrum und das Zwerchfell dem hemmenden Einfluss der Vagi bei jeder Inspiration unterlagen und, in Folge dessen, sich unter Bedingungen befanden, die analog unserem Versuche sind, wo die natürliche inspiratorische Lungendehnung durch eine künstliche ersetzt wurde. a: Da wir bisher nicht die inneren Processe kennen, die sich im Nerven- und Muskelapparate während ihrer Erregung bezw. Hemmung abspielen, so können wir keine genaue Antwort auf die Frage geben, warum das Zwerchfell nach der vorangehenden Hemmung durch eine verstärkte Con- traction reagirt. Aber diese Erscheinung steht nicht vereinzelt da, denn etwas sehr Aehnliches bemerkt man am Herzen: es ist längst bekannt und wird durch das tägliche Experiment bestätigt, dass das Herz der Warmblüter (besonders des Hundes) nach dem Stillstande, der durch Vagusreizung be- wirkt worden war, eine Reihe verstärkter Systolen zeigt, sobald die Reizung unterbrochen wird. Derartige Erscheinungen bringen auf den Gedanken, ob nicht die refleetorische Hemmung den Zustand einer wahren Ruhe des 64 S. Kostin: Centralorganes bewirkt, während dessen Dauer ein Vorrath von potentieller Energie angesammelt wird, der sich hernach durch eine verstärkte Function offenbart. Speeiell die Verstärkung der Inspiration im Augenblick des Pneumothorax oder des Lungencollabirens nach längerer künstlicher Ven- tilation zeigt, dass während die Vagi functioniren, d. h. periodisch das Centrum bei jeder Inspiration hemmen, sich im Centralorgan stets ein ge- wisser Vorrath, bezw. Ueberfluss an Energie befindet; in diesem Sinne wären die Vagi wirklich im Stande, das Athemcentrum vor Erschöpfung zu bewahren. Zu dem Gesagten über den inspiratorischen Erfolg des Lungencollapses als Resultat eines Ausfalles der Vagusfunction ist hinzuzufügen, dass die reizlose Durchschneidung der Vagi (oder Durchfrierung nach Gad) eine verstärkte Inspiration als unmittelbare Folge des Ausfalles ihrer Function nach sich zieht (Gad 1880, Lewandowsky 1896). Nach unseren Be- obachtungen beginnen mit einer Inspiration auch die Marckwald’schen „Athemkrämpfe“, wenn man dem Thiere mit durchschnittenem verlängerten Mark (s. unten) die Vagi mit einem sehr scharfen Instrument, ohne sicht- bare schmerzhafte Reaction durchschneidet. Somit unterliegt es keinem Zweifel, dass nach dem Lungencollaps die Athmung stets mit einer Inspiration beginnt; allein die Oontraetion des Zwerchfelles ist dabei, wie wir schon gesehen haben: 1. nicht unbedingt verstärkt, 2. bedarf es zu ihrer Erklärung nicht der Hypothese einer Erregung der inspiratorischen Vagusfasern durch Lungencollabiren, sondern lässt sich im Gegentheil 3. leicht auf Grund directer Versuchsergebnisse als Ausfall- erscheinung erklären, d. h. als eine. Folge des Ausfalles der hemmenden Vaguswirkung. Der von uns oben festgestellte enge Zusammenhang zwischen dem in- spiratorischen Erfolge des Lungencollapses einerseits und vorausgegangener Hemmung durch die Vagusreizung während der künstlichen oder natürlichen Athmung andererseits, wie auch die Resultate reizloser Durchtrennung der Vagi, führen uns zu der Meinung, dass die Vagi ausschliesslich durch Lungenausdehnung (nicht auch durch Collabiren) erregt werden. Wenn man berücksichtigt, dass für diese Ansicht unlängst noch ein wichtiges (falls es. bestätigt wird) Zeugniss beigebracht worden ist, nämlich das Vor- handensein der negativen Schwankung des Nervenstromes der Nn. vagi nur bei Ausdehnung und nicht bei Collaps der Lungen (Lewandowsky!) so kann man daran kaum zweifeln. Ausser dem hier näher erklärten Hering -Breuer’schen Versuch stützte sich die Lehre von der inspiratorischen Wirkung der Vagusreizung ' Lewandowsky, Pflüger’s Archiv. Bd. LXXII. S. 259. u a u ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 65 auf die Autorität J. Rosenthal’s.. Wie bekannt behauptete er, dass eine „richtige“ Anwendung des elektrischen Stromes einen inspiratorischen Effect giebt. Diese richtige Anwendung soll darin bestehen, dass die Schleifen des elektrischen Stromes nicht bis zu den Fasern des N. laryngeus superior gelangen, dessen Erregung gewöhnlich!, und nach Rosenthal stets, eine Exspiration hervorruft. Hieraus folgt, dass es nothwendig ist, erstens möglichst schwache Ströme zu benutzen, und zweitens die Elektroden mög- lichst weit von der Abgangsstelle des Laryngeus anzusetzen; ferner soll man nach Rosenthal nicht über die wahre Wirkung der künstlichen Vagus- reizung nach Versuchen an narkotisirten Thieren urtheilen, da in tiefer Narkose die Wirkung immer exspiratorisch ist. In letzterem Falle ja be- theiligen sich die Laryngei nicht! In seinen weiteren Untersuchungen stiess Rosenthal auf eine Thatsache, welche deutlich für eine hemmende Wirkung der Vagi sprach, die jedoch Rosenthal, hartnäckig auf seiner anfänglichen Behauptung bestehend, unbewiesener Weise als eine Folge in- spiratorischer Erregung erklärt. Die entsprechenden Curven, welche in diesem Archiv? angeführt und später in Herrmann’s Handbuch? theil- weise reprodueirt worden sind, zeigten, dass bei schwacher Vagusreizung mit dem Inductionsstrom die Zwerchfelleontractionen allmählich schwächer werden, die Phrenogramme immer niedriger und flacher sind, bis sie in eine gerade Linie übergehen. Diese Linie aber fällt nicht mit der. Ab- scisse zusammen: es findet keine völlige Erschlaffung des Zwerchfells statt, _ da es in einer „Mittelstellung zwischen In- und Exspiration‘“ verbleibt; dabei ist die Höhe des Curvenstandes über der Abscisse bedeutend kleiner, als die Höhen der einzelnen Zwerchfellcontractionen, sowohl derjenigen, welche vor Zwerchfellstillstand erhalten wurden, als auch derjenigen, welche nach Aufhören der elektrischen Reizung folgten. Für einen objectiven Beobachter drückt eine derartige Curve eine kurz- dauernde, durch Vagusreizung hervorgerufene Apno& aus („apnoe vagi“). Thatsächlich werden die Inspirationen immer schwächer, es bedeutet das, dass der Nervenmuskelapparat der Athmung gehemmt ist; steht die Curve, die sich in eine gerade Linie verwandelt hat, niedriger als die einzelnen 1 Nach unseren Versuchen bewirkt eine mechanische und elektrische Reizung des N. laryngeus super., die während einer Inspiration gesetzt wird, eine passive Ex- spiration;, wenn sie dagegen gegen Ende der Exspiration oder während der Athem- pause ausgeführt wird, so findet das Umgekehrte statt, nämlich eine Inspiration. Die bezüglichen Curven führen wir aus Raummangel nicht an. Den erwähnten Effect er- _ hielten wir auch, wenn wir dem Thiere Luft in den Kehlkopf durch einen kleinen Einschnitt mit Hülfe eines kleinen Gummiballons einbliessen. Nach Durchschneidung der Laryngei super. blieben diese Einblasungen ohne Erfolg. * Physiol: Abthlg. 1880. Suppl. S. 42 und 49. >7Bd. IV. Thl. 275.280, Big. 26. Archiv f, A. u, Ph, 1904, Physiol. Abthlg, Suppl. ) 66 S. Kostin: Zwerchfelleontraetionen, so heisst das, dass sie keine Tetanuscurve ist, denn bekanntlich entsteht der Tetanus aus einer Summation der einzelnen Con- tractionen, also er wird stets höher als die einzelne Contraction. Der ganze Reizeffect dieser Versuche Rosenthal’s ist eine unvollständige Erschlaffung des Zwerchfelles: die einzelnen Contractionen sind verschwunden, der Muskeltonus aber ist erhalten. Allein Rosenthal weicht einer folgerichtigen und logisch durchgeführten Beurtheilung seines Resultates aus, und erklärt den erhaltenen Erfolg als inspiratorischen aus dem rein formellen Grunde, dass die Curve nicht bis auf die Abseisse herabsinkt... Folglich, „es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass durch die Vagusreizung kein „ex- spiratorischer Effect“ ausgelöst wird“ u. s. w.' Weiter beeilt sich Rosen- thal, seine frühere Meinung zu wiederholen, dass „im Uebrigen“ die Nn. vagi im Athmungsacte eine ganz unbedeutende Rolle spielen.? Ich möchte hier auf die Fig. 13 hinweisen, die im Wesentlichen mit den erwähnten Rosenthal’schen Curven identisch ist (s. die obere Reihe der Fig. 13), aber nicht durch elektrische, sondern durch natürliche schwache Vagusreizung (rhythmische Lungenausdehnungen) erhalten wurde. Diese Curve ist ein Phrenogramm von einem Kaninchen mit intacten Vagi und eröffnetem Brustkorb; sie zeigt, dass unter dem Einflusse der rhyth- mischen Lungenausdehnungen die Excursionen des Zwerchfells bis zur Apnoö abgeschwächt werden. Mehrere Seeunden nach Stillstand des Blase- balges (bei a) wird die Apnoö durch eine Reihe von Zwerchfelleontraetionen ersetzt, welche Anfangs abgeschwächt sind, darauf sich mehr und mehr verstärken, so dass die Athmung, sich dem Typus der verlangsamten und vertieften Athemzüge annähert, der oben als Endeffeet des Lungen- collapsus (bezw. des Ausfalles der Vaguswirkung) beschrieben worden ist. Hier fällt, wie überhaupt unter der Wirkung schwacher Lungenausdehnungen, die Curve nicht bis auf die Abseisse herab: die Erschlaffung des Zwerch- fells ist keine vollkommene, da es noch seinen Muskeltonus erhält. $ 4. Tetanus des Zwerchfelles nach Isolation des Athemcentrums von reflectorischen Einflüssen. Umwandlung des Tetanus in einen Athemrhythmus durch natürliche Vagusreizung. Trennt man einem tracheotomirten und ruhig liegenden, aber nicht narkotisirten Kaninchen vorsichtig die Nn. vagi durch, so bleibt der Athem- rhythmus grösstentheils rein diaphragmal; die Bewegungen des Zwerch- !R.a.a. 0. 8.43. ® Rosenthal, Dies Archiv. 1880. Physiol. Abthlg. S. 45—46. Vgl. unsere Citate auf S.5, Anmerkung, dieser Arbeit. ® Vgl. unsere Notiz über den Zwerchfelltonus im Centralblatt für Physiologie. 1904. Nr. 21. STERN 5 Se A se, a u ni u ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 67 fells werden etwas verstärkt und verlangsamt, aber sie verlaufen als eine Reihe von einzelnen Contractionen. Wenn man jedoch ausser den Nn. Vaei auch das verlängerte Mark über den Alae cinereae durchschneidet, so bildet sich die rhythmische Athmung zu einer Reihe langer bis (1?/, Minute) dauernder tetanischer Contractionen des Zwerchfells und der Rippenmusculatur um. Die darauf folgende Durchschneidung des Rückenmarkes unterhalb des Ur- sprunges der Nn. phrenici verändert nicht das Resultat. Diese „Athem- krämpfe“, welche im Jahre 1886 von Marckwald! beschrieben worden sind, führen zu einer sehr starken Dyspno& und tödtlichen Erschöpfung des Athemcentrums: das Thier geht nach etlichen Stunden zu Grunde. Jedoch hat die Durchschneidung des verlängerten Markes, vorausgesetzt, dass sie lege artis gemacht worden ist, an und für sich keine Veränderung der Athmung zur Folge. Die Energie und Dauer der Zwerchfellcontractionen und der Athemrhythmus bleiben normal; sie verändern sich auch dann nicht, wenn das Rückenmark unterhalb des Ursprunges der Zwerchfellnerven durchtrennt wird.!- Hieraus ist ersichtlich: 1. dass die Ursache der „Athemkrämpfe“ in der Ausschaltung der Nn. vagi liegt; 2. dass wenn die Bahnen zwischen dem verlängerten Mark und den höherliegenden Theilen des Nervensystem intact sind, diese bis zu gewissem Grade durch ihre Thätigkeit die fehlenden Vagi ersetzen können; 3. dass das Athemcentrum, falls es keinen reflec- torischen Einflüssen unterliegt, d. h. seiner selbständigen „automatischen“ Thätigkeit überlassen ist, keinen Athemrhythmus, sondern die Tetani der Athemmuseculatur verursacht. Obgleich Marckwald auf die so grosse Bedeutung der Vagi hinge- wiesen hat, gelang es ihm doch nicht, den Mechanismus ihrer Wirkung auf das Athemcentrum zu erklären. Seine Theorie über die Wirkung der Nn. vagi, als „Entlader“ des Athemcentrums, kann nicht als stichhaltig anerkannt werden, da der Autor sich nicht auf directe Experimente, sondern auf seine Voraussetzungen über die Natur der moleculären Processe in den Nervencentren stützt, welche überhaupt bis jetzt noch völlig unbekannt sind. Marckwald’s Kritiker (Langendorff, Loewy, Lewandowsky u.A.) haben auch die Frage nach dem Wirkungsmechanismus der Vagi nicht gelöst. Jedoch, auf Grund schon bekannter Thatsachen, wäre es folge- richtig vorauszusetzen, dass der Athemrhythmus, unter den gewissen Thätig- keitsbedingungen des Centrums, aus den tetanischen Contractionen sich ent- wickelt, welche letztere schon im Anfange ihres Entstehens durch hemmende Wirkung der Vagi unterbrochen werden, die jedes Mal bei inspiratorischer Lungenausdehnung stattfindet. ı M. Marckwald, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. 3 5 68 S. Kostin: A priori könnte unsere Voraussetzung nur in dem Falle gerechtfertigt werden, wenn 1. die Wirkung der natürlichen Vagusreizung ausschliesslich eine exspiratorische ist und 2. wenn die Lungenvagi nur durch die Inspi- ration gereizt werden. Nachdem wir im vorigen Paragraphen eine positive Antwort auf diese Streitfragen! auf Grund unserer Experimente und Beobachtungen über die Athmung bei undurchschnittener Medulla oblongata gegeben haben, wollen wir die Bestätieung unserer Meinung auch in den Erscheinungen an dem Thiere mit isolirtem Athemcentrum suchen. Zugleich werden wir unsere Voraussetzung über den Entstehungsmechanismus des Athemrhythmus einer experimentellen Prüfung unterwerfen. Dabei beginnen wir mit dem Studium der sogenannten Marckwald’schen „Athemkrämpfe“, welche wir „tonische Krämpfe“ oder „respiratorische Tetani“ zu nennen geneigt sind. Selbst diejenigen Autoren, welche wie Loewy, Lewandowsky und Langendorff die theoretischen Vorstellungen Marckwald’s und einige Details seiner Untersuchungen streng kritisirten, erkannten nach Nach- prüfung der letzteren an, dass das Zwerchfell, nach möglichst vollständiger Isolation der Medulla oblongata von den oberen (Hirn-) und unteren (Rücken- marks-) zum Athemöcentrum verlaufenden Reflexbahnen, sich tetanisch contra- hirt. Sie stritten hauptsächlich darüber, ob diese tetanischen Krämpfe rhyth- misch sind oder nicht (Loewy? 1887); ob sie den Namen von „Krämpfen“ der Athemmusculatur verdienen, oder sollen sie nur als übermässig ver- längerte, aber immerhin zweckmässige Athembewegungen angesehen werden ? (Lewandowsky,? 1896). Die erwähnten Autoren machten Marckwald den Vorwurf, dass er seine Behauptung, die „Krämpfe“ seien arhythmisch, nicht durch Curven beweist. Loewy behauptete, dass die „Krämpfe“ durchaus rhythmisch seien; Lewandowsky — dass ihre Rhythmieität die Regel wäre, die Arhythmie aber nur ausnahmsweise beobachtet würde Wir sind der Meinung, dass für Begreifen des Entstehens des Athemrhythmus diese Fragen kaum von Bedeutung sind. Dagegen wäre es viel wichtiger zu untersuchen, ob der Lungencollaps, bei intacten Vagi und bei dem von den „oberen Bahnen“ isolirten Athemcentrum, die Marckwald’schen Athemkrämpfe zu erzeugen vermag und ob diese „Krämpfe“ auf einem natürliehen Wege in den Athemrhythmus umgewandelt werden können. Das ist hier von uns gethan. ! Vgl. die neuesten Arbeiten von Boruttau (Pflüger’s Archiv. Bd. LXI, LXV, LXXV); Lewandowsky (Ebenda. Bd. LXXIII. Centralblatt für Physiologie. 1899 und 1900); Schenk (Pflüger’s Archiw. Bd.C. 8. 7-8). ? Loewy, Pflüger’s Archiv. Bd. XLVIL. ® Lewandowsky, Dies Archiv. 1896. Physiol. Abthlg. Zur FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUDS. 69 Die Operation der Durchschneidung des verlängerten Markes, zwecks ihrer Isolation von den oberen Reflexbahnen, ist schon von Marckwald! ausführlich beschrieben worden.“ Ich folgte genau den in dieser Arbeit an- geführten Vorschriften, wobei ich den Schnitt durch den Vermis des Kleinhirns anlegte, um die Rautengrube nicht zu entblössen. Daher werde ich das schon beschriebene Verfahren hier nicht anführen. Am todten Thiere ist die Operation verhältnissmässig leicht. Dagegen beim lebenden Thiere (Kaninchen) ist es sehr schwer, eine Hemmung des Athemcentrums zu vermeiden, welche sich in einer starken Verlangsamung und Abschwä- chung der Zwerchfellcontraetionen äussert. Indessen giebt das Erhaltensein des normalen Athemrhythmus ein sicheres Kriterium einer gelungenen Operation.” Daher sind nur diejenigen Versuche mit den Marckwald’schen zu vergleichen, wo diese Grundbedingung erfüllt worden ist. Leider geben die Kritiker Marckwald’s in ihren Versuchsprotokollen gar keine Garantie darüber. Was unsere Resultate anbetriff, so nähern sie sich denen Marckwald’s mehr, als seiner Gegner, wie aus folgenden Versuchsproto- kolen zu ersehen ist. Versuch \. 17. März 1903. Mittelgrosses Kaninchen; tracheotomirt; die beiden Halsvagi freigelegt, aber vorläufig nicht durchschnitten; Brustkorb nicht er- öffnet. Zunächst wird die normale Athmung des nicht operirten (ausser Tracheotomie) und nicht narkotisirten Thieres, vermittelst einer äuf dem Bauch gelegten Aufnahmekapsel mit Pelotte und Marey’scher Schreibcapsel, aufgezeichnet (Fig. 14, Taf. III). Die Athmung ist oberflächlich, be- schleunigt, nicht ganz regelmässig (17 pro 10”; 102 pro 1‘). Darauf wird unter der Chloroformnarkose das verlängerte Mark nach Marckwald durch- geschnitten; die Trigeminusreflexe sind verschwunden; die Hautreflexe des Rumpfes und der Extremitäten erhalten bleiben. [Die Obduction erwies, dass die Durchschneidung des verlängerten Markes eine vollkommene war, der Schnitt verlief etwa 2" über den Alae cinereae; die Arteria basilaris war unverletzt. ] Dann wurde der Hebel des Phrenographen & transmission zwischen Leber und Zwerchfell eingeschoben und die Athmung nach Durchschneidung der Medulla oblongata und bei noch intacten Vagi aufgezeichnet. Die Athmung ist rein diaphragmal, energisch, regelmässig, ohne Pausen, 72 in 1‘; von der normalen durch eine maschinenartige Regelmässigkeit unter- schieden (Fig. 15, Taf. III). Darauf wurden die beiden Vagi durchschnitten; der erste Operations- erfolg war eine passive Exspiration, hernach ein Tetanus des Zwerchfells, der 45 Secunden dauerte, und endlich — allgemeine dyspnoische Krämpfe, die nach 20 bis 30” von selbst aufhörten. Schliesslich entstanden die in- A220: ? Die Zahl der Athemzüge schwankt beim Kaninchen bekanntlich zwischen 40 und 100 (und zuweilen noch mehr) in der Minute. 70 S. Kostın: spiratorischen Tetani, welche die normale, Athmung ersetzen sollen und auf der Fig. 16 dargestellt worden sind. Da der Brustkorb nicht geöffnet wurde, zeigt die Curve nicht, ob die Athmung nur durch die Thätigkeit des Zwerchfelles, oder auch durch die der Rippenmusculatur ausgeführt wird. Allein die unmittelbare Beobachtung zeigte, dass die respiratorischen Tetani den Contractionen der gesammten Einathmungsmusculatur entsprechen. Die Exspirationen sind passiv, wobei das Zwerchfell bis zum vollen Verlust seines Muskeltonus erschlafft. Bei jeder neuen Inspiration kehrt zunächst der Tonus wieder, dann tritt die eigentliche inspiratorische Contraetion des Zwerchfelles und der Rippenmusculatur ein. In den Intervallen zwischen je zwei tetanischen Athemzügen sieht man in Fig. 16 eine aufsteigende Linie, welche wegen der. Wiedergabe der Herzstösse zackig ist und eben die Wiederherstellung des Zwerchfelltonus ausdrückt. Die Curve zeigt auch, dass die tetanischen Inspirationen nicht von gleicher Länge sind. Die Beobachtungen wurden ferner ununterbrochen im Verlaufe von etwa 3 Stunden fortgesetzt. Es wurde bemerkt, dass im Laufe der Zeit die Form des Phrenogramms sich nicht veränderte, allein die Intervalle zwischen den Tetani werden verlängert, d. h. die Uebergänge von der völligen Er- schlaffung zur Wiederherstellung des Zwerchfelltonus werden verlangsamt; wendet man sich zur künstlichen Athmung (mit Blasebalg), so werden die tetanischen Inspirationen seltener und kürzer, indem sie mit wahren Pausen abwechseln, die nach und nach länger werden, bis sie in eine völlige Apno& übergehen. Wie auch die Zahl und Stärke der künstlichen Ventilation sich ändern mag, gelingt es nach Durchschneidung der Vagi und des verlängerten Markes nicht, irgend welchen Athemrythmus, irgend welche Art einer nor- malen Athmung zu erzielen. Man erhält entweder eine Apno&, oder mehr oder weniger seltene tetanische Zwerchfelleontraetionen, die z. B. durch 20 bis 35” dauernde Pausen von einander getrennt und abgekürzt sind. (Fig. 17, Taf. III; die obere Linie ist Phrenogramm, die untere stellt die künstliche Athmung, durch das zeichnende Quecksilbermanometer re- gistrirt, dar.) Versuch VI. 14. März 1903. Mittelgrosses Kaninchen; tracheotomirt; Vagi intact. Das verlängerte Mark wurde etwa 4"® über den Alae ceinereae durch- schnitten; die Operation wurde unter Chloroform ausgeführt, hiernach — keine Narkose. Die künstliche Athmung wie auch die einzelnen Lungen- aasdehnungen werden durch das Schreibmanometer unter den Phrenogrammen auf die Fig. 20 gezeichnet. Nach Durchschneidung des verlängerten Markes ist die Athmung ganz normal, 60 in der Minute (Fig. 18 A, Taf. IH). Es wurde zuerst ein linkseitiger Pneumothorax erzeugt; das Kaninchen athmet selbstständig mit der rechten Lunge. Gleich nach dem einseitigen Lungencollapsus (Fig. 187, Taf. III) trat ein dauernder Tretanus des Zwerchfells auf, weleher sogleich in eine Reihe kurzer tetanischer Zwerchfelleontraetionen überging, die schnell, ohne Pause und etwas arhythmisch, auf einander folgten (Fig. 1832, Taf. II). Später (eine Stunde nach der Eröffnung des Brustkorbes) ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 71 wurden die tetanischen Zwerchfelleontractionen etwas länger und die Arythmie war deutlich ausgesprochen (Fig. 19, Taf. IV). Durch einzelne Lungen- ausdehnungen mit dem Blasebalg kann man diese Zwerchfelltetani in jedem beliebigen Augenblick unterbrechen, durch wiederholte Ausdehnungen wieder in den Athemrythmus überführen. Darauf wurde, nach einer weiteren !/, Stunde, auch die zweite Thorax- hälfte eröffnet. Nach dem doppelseitigen Pneumothorax verlaufen die tetanischen Zwerchfellcontractionen ebenfalls arhythmisch und ohne Pausen. Dabei ist es zu bemerken, dass, wenn eine (auch sehr schwache, nicht einmal auf die Vagi wirkende) künstliche Ventilation stattfindet, so contrahirt sich das Zwerchfell allein; nur bei einer ganz ungenügenden Ventilation wird auch die Rippenmusculatur thätig und die Pausen treten auf. Die Lungen- ausdehnung während einer Pause ruft keinen Extratetanus hervor, aber sie ist im Stande, in jedem beliebigen Augenblicke die entstehenden tetanischen Zwerchfelleontractionen zu unterbrechen (Fig. 20a bis 5, Taf. IV). Durch rhythmische Lungenausdehnungen wird der Tetanus in einen normalen Athem- rhythmus umgewandelt (Fig. 205 bis c, Taf. IV). Somit zeigte der Versuch, dass 1. selbst einseitiger Lungencollaps auch hier einen der Vagusdurchschneidung analogen Effect hervorzubringen vermag; 2. dass, ferner, die respiratorischen Tetani dabei arhythmisch ver- laufen, und bei Abwesenheit einer Dyspno& (genügende Ventilation mit Hülfe einer der Lungen, oder passende künstliche Ventilation) — ausschliess- lich wie Zwerchfelltetani und ohne Pausen; 3. dass wie nach dem ein- seitigen, so auch nach dem beiderseitigen Lungencollapsus die inspiratorischen Tetanı in jedem Moment (und nur für einen Augenblick) durch kurze inspiratorische Lungenausdehnungen unterbrochen und in den normalen Athemrhythmus verwandelt werden können. Viel häufiger, als die verhältnissmässig kurzdauernden Tetani, welche in den hier angeführten Versuchen beschrieben worden sind, sind längere, ununterbrochene Tetani zu beobachten. Wenn wir aber aus unserem Vor- rath der Beobachtungen die erstere ausgewählt haben, so haben wir das deswegen gethan, weil die Arhythmie und der allgemeine Charakter der Er- scheinung auf den kurzdauernden Tetani leichter und anschaulicher zu demonstriren ist. Versuch VI. 13. Mai 1902. Mittelgrosses Kaninchen; tracheotomirt; die Nn. vagi präparirt, aber nicht durchgeschnitten. Das verlängerte Mark wird in der Höhe der Tubereula acustica durchschnitten; Arteria basillaris nicht verletzt; kein Blutverlust. Während der Operation Chloroformnarkose; während des Versuches selbst blieb das Thier nicht narkotisirt. Nach der Operation sind die Trigeminusreflexe verschwunden, die Hautreflexe des Rumpfes und der Extremitäten erhalten. Auf den Figg. 22 und 23 stellen die oberen Linien die Phrenogramme, die unteren die künstliche Athmung, mit Hülfe der Marey’schen Schreibeapsel aufgezeichnet, dar. 7) S. Kostix: Nach der Durchschneidung des verlängerten Markes bleibt die Athmung normal, 72 pro Minute (Fig. 21, Taf. IV). Die Eröffnung des Brustkorbes und der Lungencollaps erzeugt eine sehr lange dauernde tetanische Con- traction des Zwerchfells und der Inspirationsmusculatur des Thorax. Bei künstlicher Athmung rief jede Lungenausdehnung eine Unterbrechung des Tetanus (Figg. 22 und 23a, b bis c, Taf. IV) hervor. Wird die Tracheal- canüle auf der Höhe einer Lungenausdehnung dauernd abgeschlossen (p in den Figg. 22 und 23), so tritt zunächst eine dauernde Erschlaffung des Zwerchfells, aber keine active Exspiration, dann wieder die inspira- torischen Tetani ein. Die Umwandlung des Zwerchfelltetanus in den Athemrythmus von be- liebiger Zahl der Athemzüge entsprechend der Zahl der Lungenausdehnungen ist in den Figg. 22 und 23 unter a bis p und 5 bis e deutlich aufgezeichnet. Für die folgenden zwei Versuche begnügten wir uns mit einer Be- schreibung, ohne die Curven (wegen Raummangel) abzubilden. Versuch VII. 22. April 1902. Mittelgrosses Kaninchen; tracheotomirt; die beiden Vagi frei präparirt, aber vorläufig nicht durchschnitten. In tiefer Narkose wird in gewöhnlicher Weise das verlängerte Mark durchgetrennt. Wie die Obduction zeigte, war die Durchtrennung eine vollständige, etwa 4"m über den Alae cinereae: die Arteria basilaris unverletzt; keine Blutung. Nach der Operation wurde das Chloroform entfernt; Trigeminusreflexe sind auf- gehoben; die Hautreflexe des Rumpfes und der Extremitäten erhalten. Die Athmung ruhig, gleichmässig, 42 in der Minute. Nach Durchschneidung des einen Vagus wird die Athmung relativ nur wenig langsamer: 30 pro Minute, aber das Phrenogramm stellt doch eine Reihe kurzer Tetani dar, die ohne Pausen nach einander folgen. Die darauf folgende Durchschneidung des zweiten Vagus ruft bereits grosse „tonische Krämpfe“ der ganzen in- spiratorischen Musculatur hervor. Die nach Eröffnung des Brustkorbes eingeführte künstliche Athmung (42 pro Minute) verändert nicht die tetanische Form der Athmung, allein bei Inspirationen ist nur das Zwerchfell thätig. Be- schleunigt man die künstliche Ventilation bis 180 gleichstarken Einblasungen pro Minute, so tritt Apno& ein, der allmähliche Verkürzung der Zwerchfell- tetani und Verkleinerung seiner Höhen vorausgeht. Die Apno& dauert auch nach Sistiren der künstlichen Lungenventilation im Laufe etwa 20 Secunden fort', darnach treten die tetanischen Zwerchfelleontractionen wieder ein. ” £ Versuch X. 11. December 1902. Grosses, kräftiges Kaninchen; tracheotomirt; Brustkorb nicht geöffnet. Nach Durchschneidung der Medulla oblongata nach Marckwald und der Nn. vagi traten tetanische Contractionen der Athemmuseulatur von so langer Dauer ein (bis 1 bis 1!/, Minute), dass sie zu allgemeinen dyspnoischen Krämpfen führten. Um der so ungenügenden selbstständigen Athmung zu helfen, wurde die künstliche Ventilation mit Blasebalg eingeführt (40 Mal pro Minute). Diese Ventilation schien ganz genügend zu sein, da die Ohrgefässe des Thieres hellroth wurden; allein ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. 13 die Tetani blieben ebenso lange dauernd wie vorher. Indem man nun die künstliche Athmung auf 80 bis 100 pro Minute beschleunigt, gelingt es, die Zwerchfelltetani zunächst herabzudrücken, dann nach sehr andauernder und energischer Ventilation eine Apno& zu erzielen; dabei gingen ihrem Eintritt mehrere verkürzte und abgeflachte, so zu sagen redueirte, tetanische Zwerch- felleontraetionen voraus. Umgekehrt, nach Stillstand des Blasebalges, wuchsen die Höhen der Tetani an, was nicht nur dadurch bedingt ist, dass die Zwerchfelleontractionen maximal geworden sind, sondern auch durch die Mitwirkung der Rippenmuseulatur. Unsere anderen Versuche haben gezeigt, dass, wie auch die Form und Stärke der respiratorischen Tetani, welche nach Isolirung des Athem- centrums von den reflectorischen Einflüssen die normale Athmung ersetzen, gewesen sei, das Thier nach 6 bis 10 Stunden zu Grunde geht, wobei Dyspno® und offenbare Erschöpfung des Nervenmuskelapparates der Ath- mung eintritt, die zu Ende des Versuches sowohl in einer übermässigen Verlängerung der Athempausen und Abschwächung der Tetani, als auch in einer ausserordentlichen Arhythmie der Athemzüge ihren Ausdruck findet. Zu den Angaben anderer Autoren fügen wir folgende eigenen hinzu. 1. Nach Durchschneidung des verlängerten Markes und bei intacten Vagi werden die respiratorischen Tetani durch den Lungencollaps (func- tionelle Ausschaltung der Vagi) hervorgerufen. 2. In diesem Falle kann man die tetanischen Zwerchfelleontractionen durch rhythmische Lungenausdehnungen mit dem Blasebalge (bezw. durch natürliche Reizung der Lungenvagi) wieder in den Athemrhythmus um- wandeln. 3. Dagegen nach Dune des verlängerten Markes und der Nn. vagi kann man durch eine tüchtige Lungenventilation von ver- schiedener Zahl und Tiefe der Einblasungen stets eine Apno& und nie- mals einen normalen Athemrhythmus erzielen. $ 5. Die Nn.vagi und die „oberen Bahnen“. Die Beobachtungen über die Athmung eines Thieres, dem die Medulla oblongata oberhalb der Alae cinereae durchschnitten ist, zeigen, dass die nachfolgende Vagusdurchschneidung in diesem Falle einen ganz anderen Erfolg hat, als bei intactem verlängerten Mark. Indessen gehen wir in den beiden Versuchen vom normalen Athemrhythmus aus, da er auch nach Durchschneidung des verlängerten Markes bestehen bleibt. Wenn die Nn. vagi bei Erhaltensein der Verbindungen zwischen dem verlängerten Mark und den oberen Hirntheilen durchschnitten wurden, so bleiben die charakteristischen Athembewegungen bestehen, wenn auch in Form ver- 74 S. Kost: langsamter und vertiefter Athemzüge. Wenn aber die Vagusdurchschneidung an Thieren ausgeführt wird, denen verlängertes Mark vorher von den höher gelegenen Theilen abgetrennt wurde, so verschwindet der Athem- rhythmus- vollständig, indem er einem Tetanus der Athemmusculatur Platz macht. Der Tetanus wird unterbrochen, um wieder zu entstehen, wahr- scheinlich deswegen, weil das Athemcentrum abwechselnd erschöpft und wieder erholt wird. Zu einer solchen Erklärung führt das Bild seines Entstehens selbst. (Fig. 16, Tafel III.) Thatsächlich wird das Zwerch- fell in den Momenten der Tetanusunterbreehung so sehr erschlafft, wie das niemals weder bei der normalen Athmung, noch bei vielen anderen Formen derselben geschieht: es erscheint bei Betasten mit Fingern vollkommen schlaff; bei graphischer Darstellung sinken die Phrenogramme unter die Ab- scisse trotz völliger Ruhe der exspiratorischen Bauch- und Rippenmusculatur. Bevor der Tetanus wiederkehrt, stellt das Zwerchfell zunächst seinen Muskel- tonus wieder her, wie das schon in den Versuchsprotokollen und auf der Fig. 16 dargestellt wurde. Daraus bin ich zu schliessen geneigt, dass die Intervalle zwischen den inspiratorischen Tetani, ihrer Herkunft nach, nichts mit den Intervallen zwischen den Athemzügen gemein haben, welche bei der normalen Athmung, oder nach der Vagusdurchschneidung bei intacter Medulla oblongata bestehen: letztere sind durch reflectorische Hemmung, erstere durch Erschöpfung bedingt. Indem wir erkennen, dass sich der normale Athemrhythmus aus dem „inspiratorischen Tetanus“ entwickelt, der beim Anfange seines Entstehens reflectorisch gehemmt wird, müssen wir hinzufügen, dass, bei Anwesenheit der natürlichen Verbindung zwischen der Medulla oblongata und der höher gelegenen Theile des Centralnervensystems, die Nn. vagi nicht die ein- zige Quelle der erwähnten hemmenden Wirkung repräsentiren, denn nach Ausfall der Vagusfunction wird der Athemrhythmus, wahrscheinlich durch die Thätigkeit der höher gelegenen Hirntheile, noch ziemlich erfolgreich unterhalten. Der Wirkungsmechanismus dieser „oberen Bahnen“ Marck- wald’s ist sicher viel complicirter, als der von uns hier erläuterte einfache Mechanismus der Vaguswirkung; er ist noch nicht Gegenstand unserer Untersuchung gewesen, daher enthalte ich mich sowohl eigener Ver- “muthungen darüber, als auch einer Besprechung der Hypothesen Marck- wald’s, Lewandowsky’s u.A. Ich möchte nur auf die Thatsache hinweisen, dass nach meinen Versuchen (vgl. Figg. 15, 18, Taf. III und 21, Taf. IV) in den Fällen von tadellos gelungener Durchschneidung des verlängerten Markes, 2 bis 3== über den Alae cinereae, die Athmung einen durchaus normalen Rhythmus beibehalten kann. Dieses Resultat stimmt mit Lewandowsky’s Angaben nicht überein, da dieser Forscher stets nach Trennung des verlängerten Markes von den Corpora quadrigemina eine ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ÄATHEMRHYTHMUS. 165) Verlangsamung der Athmung erhielt und daraus seine theoretischen Schlüsse über die Wirkung der „oberen Bahnen“ zog. Wir glauben, dass diese Verlangsamung in Folge der Operation selbst entstehen kann, weil es überaus schwierig ist, eine gewisse Hemmung des Centralnerven- systems, und speciell der Medulla oblongata bei Operationen an denselben zu vermeiden; eine solche Hemmung aber äussert sich in der Verlang- samung der Athmung. Ich habe ungefähr 50 Kaninchen nach Marckwald’s Verfahren operirt; die Mehrzahl der Operationen wurde technisch richtig ausgeführt, aber eine hohe Frequenz der Athemzüge (60 bis 96 pro Minute) erhielt ich nur in 4 Fällen, von denen drei hier angeführt sind. (Fieg. 15, 18 Taf. III und 21, Taf. IV.) $6. Das Athemcentrum und der Gasgehalt des Blutes. Es erübrigt uns unsere Ansicht über das Verhältniss des Athem- centrums zum Gasgehalt des Blutes auszusprechen, soweit das uns ohne direkte Blutversuche in dieser Beziehung zulässig ist. Da jedoch der Gasgehalt des Blutes durch den Gasaustausch in den Lungen bestimmt wird, dieser aber von der Energie der Lungenathmung oder der künstlichen Lungenventilation abhängig ist, so kann man auch, abgesehen von directen Angaben der Blutgasanalyse, über das Verhältniss des Centrums zu erhöhter Venosität des Blutes, zur verstärkten Arterialisation desselben und zu dem Gasgehalt, der einer normalen Lungenventilation entspricht, urtheilen. Nicht umsonst spielte die Lehre von der Apno& eine so bedeutende Rolle in den Athmungstheorien. Wir besitzen zahlreiche genau protokollirte und graphisch aufgezeichnete Versuche über das Entstehen der Apno& bei ver- schiedenen Innervationsbedingungen, welche gezeigt haben, dass die Unter- schiede in der Aufeinanderfolge von Herabsetzung und Verschwinden der Zwerchfelleontractionen bei Eintreten der Apno&, gleichwie in der Art und Weise, wie nachher die Athmung wieder auftritt, so constant und charakteristisch für die verschiedenen Innervationsbedingungen sind, dass sie für die Theorie der Athmung benutzt werden können. Wenn man, ohne vorläufig die Frage nach der Ursache der Apnoö zu behandeln, unter dieser Bezeichnung jeden Athemstillstand versteht, welcher durch verstärkte Lungenventilation herbeigeführt worden ist, so bemerkt man leicht den Unterschied zwischen dem Zustandekommen einer Apno& bei intacten Vagi einerseits und bei durchschnittenen andererseits. Wenn die Lungenausdehnung mit dem Blasebalge von bedeutender Kraft, wie z. B. im Versuche I, stattfand, so genügen schon wenige Einblasungen, um bei intacten Vagi eine vollständige Erschlaffung des Zwerchfelles hervor- zurufen (Figg. 3 und 4, Taf. II). Bei mässigerer Ausdehnungskraft, welche 76 S. Kostın: z. B. in Versuch II stattfand, bleibt das Zwerchfell in einer „Mittelstellung zwischen In- und Exspiration“ stehen, oder, genauer, es behält einen be- deutenden Muskeltonus (Fig. 7). In den beiden Fällen beginnt das Zwerch- fell seine Contractionen wieder mit einer verstärkten Energie (Figg. 3, 4, 5,2. und. 9, Tar il). Die nach Durchschneidung der Vagi hervorgerufene Apno& dagegen entwickelt sich ceteris paribus viel langsamer. Die Höhen der Zwerchfell- contractionen, deren Zahl in diesem Falle nicht dem Rhythmus der künst- lichen Athmung entspricht (Fie. 6, Taf. II) sinken von der normalen Grösse sehr allmählich bis auf Null herab, und ebenso wachsen sie all- mählich, nach Aufhören der Apnoö, wieder an. Dieser Unterschied lässt sich durch Versuchsbedingungen selbst er- klären: im ersten Falle prävalirt die charakteristische hemmende Vagus- wirkung, im zweiten dagegen wirkt allein die verstärkte Lungenventilation, die den Gasgehalt des Blutes verändert. Selbstverständlich geschieht diese Veränderung nicht mit einem Male, sondern allmählich — nach Maass der Lungenventilation; aber ebenso allmählich muss sie in entgegensesetztem Sinne, nach Stillstand des Blasebalges stattfinden. Es ist bemerkenswerth, dass bei dieser allmählichen Veränderung des Gasgehaltes des Blutes, die Athemfrequenz immer die gleiche bleibt: es verändern sich nur die Höhen der Phrenogramme, als ob der Gasgehalt des Blutes nur die Stärke der Zwerchfelleontractionen und nicht die Zahl derselben beeinflusste (Fig. 6, Taf. I). In den sehr zahlreichen Fällen, wo es nach der Vagusdurch- schneidung nicht gelingt, eine Apno&ö zu erzielen, selbst bei verstärkter und beschleunigter Lungenventilation im Laufe einer langen Zeit (z. B. bis !/, Stunde und mehr), ist alles was man erreichen kann eine geringe Herab- setzung der Phrenogramme, d. h. eine Schwächung der einzelnen Athem- züge, aber keine Veränderung der Athemfrequenz. In den Versuchen, wo ausser den Nn. vagi auch das verlängerte Mark durehschnitten wurde, gelang es mir dagegen stets eine Apno& hervor- zurufen: in der Mehrzahl der Fälle sehr bald (2 bis 3 Minuten aus- giebiger Ventilation), seltener nach 10 bis 15 Minuten. Die Apnoö nach Durchschneidung der Medulla oblongata und bei in- tacten Vagi tritt in derselben Weise auf, wie bei intactern verlängerten Mark; aber nach darauf folgender De der beiden Vagi wird das Bild ein ganz anderes: bei Eintritt der Apna& verschwinden die inspira- torischen Tetani entweder mit einem Male, oder nach vorhergehender Ab- kürzung und Senkung der Phrenogramme. Dabei bleibt ihr tetanischer Charakter bestehen, aber die Athempausen werden immer länger (vgl. Fig. 17, Taf. II). Wie schon oben erwähnt, bemühte ich mich eifrig eine solche Frequenz und Stärke der künstlichen Lungenventilation zu ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUS. Ten finden, um eine annähernd „eupnoische“ Blutbeschaffenheit zu erreichen, mit anderen Worten — um eine Verwandlung der Zwerchfelltetani (nach Durchschneidung der Medulla oblongata und der Vagi) in den normalen Athemrhythmus durch passende Blutbeschaffenheit zu erzielen. Dies müsste gelingen, falls die herrschende Theorie der automatischen Thätigkeit des Athemcentrums richtig wäre. Thatsächlich aber giebt es keine Frequenz und keine Stärke der künstlichen Lungenventilation, bei der das Athemcentrum in verlängertem Marke, das von anderen Einflüssen ausser von dem des Blutes isolirt wurde, etwas der „Eupno&‘“ Aehnliches zu erzeugen vermöchte. Indessen ist es nieht schwierig, bei intacten Nn. vagi einen künstlichen Athemrhythmus durch Lungenausdehnungen zu erzielen, und nach Durch- schneidung der Medulla oblongata gelingt dieses stets und unbedingt. Alle diese Beobachtungen veranlassen uns anzuerkennen, dass die Hauptrolle im Athmungsacte nicht einer Automatie des Centrums und nicht dem Blute, als dessen Erreger zukommt, sondern einem Reflexe, der sie beherrscht. Seineım Verhältnisse zum Gasgehalte des Blutes nach, erinnert das Athemcentrum an das sogenannte „Krampfcentrum“, mit dem Unterschiede, dass es selbst bei normaler Blutbeschaffenheit in Thätigkeit geräth, indem es (ausserhalb von refleetorischen Einflüssen) tetanische Zwerchfellkrämpfe hervorruft, während das „Krampfcentrum“ nur bei dyspnoischer Blut beschaffenheit (ebenfalls „automatisch“!) thätig wird. Allein zwischen „nor- maler“ und „dyspnoischer“ Blutbeschaffenheit giebt es auch Mittelzustände, ja selbst die Begriffe sind nur relativ, denn die „normale“ Blutbeschaffen- heit wird für ein Centrum mit erhöhter Erregbarkeit dyspnoisch und für ein Centrum, dessen Erregbarkeit herabgesetzt ist, „apnoisch“. Diese Relativität ist schon von J. Rosenthal betont worden und muss Jedem gut bekannt sein, der oft die Entstehung der Apno& und Dyspno& beobachtete. Von diesem Standpunkte ist bemerkenswerth das allmähliche Auf- treten der Krampfbewegungen der Athemmuseculatur und der Muskeln des Rumpfes und der Extremitäten, einer nach der anderen, während des Ueber- ganges von der Apno& zur starken Dyspnoö beim Kaninchen mit durch- schnittener Medulla oblongata und Nn. vagi. Wenn man, nachdem man eine Apnoö bei doppelseitigem Pneumothorax hervorgerufen hat, für lange die künstliche Athmung unterbricht, so erscheinen zuerst die tetanischen Zwerchfellkrämpfe, dann schliessen sich, in dem Maasse, wie die Venosität des Blutes zunimmt, die synchronischen Tetani der inspiratorischen Rippen- und Hülfsmusculatur an, allein die Exspiration bleibt noch passiv. Bei weiterer Zunahme der Venosität des Blutes tritt plötzlich ein heftiger to- nischer Krampf sämmtlicher Exspiratoren auf (unter diesen auch der Bauch- muskeln), hernach folgt ein Krampf der Musculatur des Rückens und der 78 S. Kostin: Extremitäten. Wenn man jetzt wieder mit der künstlichen Athmung ein- setzt, so verschwinden die Krämpfe in‘ umgekehrter Reihenfolge: zunächst die Krämpfe der Extremitäten und des Rumpfes, dann die der Hülfs- museulatur der Athmung und, als letzte, die Zwerchfellkrämpfe, welche sehr lange dem Einflusse des stark arterialisirten Blutes widerstehen; es erfolgt wieder eine Apno&, natürlich ohne das Stadium des normalen Athem- rhythmus zu passiren, denn ein solcher tritt nicht auf, wenn das Athem- centrum von den reflectorischen Einflüssen unabhängig gemacht worden ist und thatsächlich „automatisch“ arbeiten kann. Der normale Athmungsact, d. h. eine rhythmische Folge von kurzen Contractionen und Erschlaffungen der Athemmuseulatur kann angesehen werden als ein, durch die Wirkung eines Reflexes geordneter, Krampf, als ein Tetanus der Athemmusculatur, der in einen zweckmässigen Athem- rhythmus umgewandelt ist. Die dieser Arbeit zu Grunde gelegten Versuche und Beobachtungen am Kaninchen mit oberhalb des Athemcentrums durchschnittenen Medulla oblongata können kurz in folgender Weise resumirt werden. Wenn das Athemcentrum in der Medulla oblongata seiner Verbindungen mit den centripetalen Nervenbahnen beraubt ist, mit Ausnahme der Nn. vagi, so hängt es von diesen ab, ob die Athmung als eine Reihe kurzer Zwerchfellcontractionen verlaufen wird, welche die zum Leben nothwendige Lungenventilation bedingen, oder ob sie in eine- Reihe tetanischer Contrac- tionen der Athemmusculatur umgebildet wird, welche zur Dyspno& und tödt- lichen Erschöpfung des Centrums führen. Aber um die Athemmusculatur vor diesem Tetanus zu bewahren, der durch die autochthonen Impulse vom sogenannten Athemcentrum erzeugt wird, genügt nicht die beständige Ver- bindung dieses letzteren mit den Lungenvagi:.es bedarf dazu einer wieder- holten mechanischen Erregung derselben, welche jedes Mal das Centrum zu hemmen vermag. Von den ersten Augenblicken des Entstehens einer tetanischen Inspiration ab beginnen die Nn. vagi durch die Ausdehnung des Lungengewebes erregt zu werden; wenn die Stärke dieser das Centrum -hemmenden Erregung, allmählich mit der Lungenausdehnung anwachsend, die Stärke der Erregung des Centrums überwindet, verschwindet der Impuls zur Zwerchfellcontraction, denn das Centrum kommt, wenn auch nur für einen Augenblick, zur Ruhe. Sodann erschlafft das Zwerchfell, es erfolgt eine normale, passive Exspiration. Allein, da gleichzeitig damit die Lungen collabiren, so verringert sich die das Centrum hemmende Vaguserregung zu einem Minimum (wenn nicht bis auf Null); es erfolgt eine neue In- spiration, welche wiederum durch die Vaguserregung bei inspiratorischer ZUR FRAGE NACH ENTSTEHEN DES NORMALEN ATHEMRHYTHMUDS. 79 Ausdehnung der Lungen abgebrochen wird, und so entsteht der Athem- rhythmus. Von dem quantitativen Verhältnisse zwischen der Kraft der dauernden Erregung des Centrums und der Stärke der kurzen Vagus- erregung, die das Centrum periodisch hemmt, und ebenso von dem Grade der Erregbarkeit des Centrums hängt es ab, ob der Zwerchfelltetanus gleich zu Anfang seiner Entstehung, oder zur Zeit seines Höhepunktes, d. h. früher oder später während seines Verlaufes, unterbrochen wird. Daher die Unter- schiede in der Frequenz und Tiefe der Athmung, welche unter verschiedenen natürlichen und pathologischen Lebensbedingungen beobachtet werden. Wenn wir in unseren Versuche den Zwerchfelltetanus durch künstliche Lungenausdehnungen in den normalen Athemrhythmus umwandeln, so ahmen wir genau den natürlichen Entwickelungsprocess der Athmung nach. 80 S, Kostın: ZuR FRAGE NACH ENTSTEHEN T. S. W. Erklärung der Abbildungen, (Taf. II-IV.) Sämmtliche Curven sind von links nach rechts zu lesen. In der Mehrzahl der Curven sind die Zwerchfellcontractionen und die künstliche Athmung parallel und gleichzeitig registrirt (die zeichnenden Hebel immer genau der eine über dem anderen eingestellt). Die aufsteigenden Theile der Phrenogramme entsprechen der Inspiration (Zwerchfellzusammenzichung), die absteigenden der Exspiration (Zwerchfelllähmung). Die aufsteigenden Theile der Curven künstlicher Athmung entsprechen einer Einblasung mit dem Blasebalge (also einer Lungenausdehnung), die absteigenden einem Zusammen- fallen des Blasebalges (also dem Lungencollapses). Figg. 1—6 gehören zu Versuch I. Die oberen Curvenreihen stellen die künstliche Athmung, mit Hülfe der Marey’schen Schreibcapsel aufgezeichnet, die untere die Phrenogramme dar. Fig. 7 gehört zu Versuch II. Die Aufzeichnung wie vorher. Durch die Zeichen x sind die Momente des Lungencollapsus aufgezeichnet. Figg. S und 9 gehören zu Versuch III. Die Aufzeichnung wie vorher. Die Drehungsgeschwindigkeit des Kymographen ist für die beiden Curven die gleiche; sie ist in Fig. 8 angegeben. Die Zeichen x bezeichnen die Momente des Lungencollapses. Figg. 10, 11 und 12 gehören zu Versuch IV. Die oberen Curvenreihen sind die Phrenogramme, die unteren stellen die künstliche Athmung dar, welche mit Hülfe des Quecksilber-Manometers aufgezeichnet ist. Die Momente e und c’ bezeichnen einen Stillstand der künstlichen Athmung (die gerade Linie in der Manometer-Aufzeichnung) bei Lungencollapses; die Momente p und p’ dasselbe bei Lungenausdehnung. Figg. 14—17 gehören zu Versuch V, Figg. 15—20 zu Versuch VI. Die Auf- zeichnung wie im Versuch IV. Die Drehungsgeschwindigkeit des Kymographen ist für die Figg. 19 und 20 die gleiche, wie für die Fig. 18, in der sie angegeben ist. Die Originaleurve 17 zeigte in den Intervallen zwischen den Tetani die geringen Auf- hebungen der Abseisse, bedingt durch mechanische Dehnung mit Blasebalg, da der Brustkorb nicht geöffnet wurde. Diese Stosshebungen sind grösserer Deutlichkeit halber bei der Reproduction fortgewischt worden. Figg. 21—25 gehören zu Versuch VII. Die oberen Curvenreihen (in den Figg. 22 und 23) stellen die Phrenogramme, die unteren die künstliche Athmung dar, durch Marey’sche Schreibcapsel aufgezeichnet. Die Drehungsgeschwindigkeit des Kymo- graphen ist für alle drei Curven die gleiche und in der Fig. 21 angegeben. Ueber die Erwärmung des Üarotidenblutes. Von Dr. Richard Hans Kahn, Assistenten am Institute, (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) -I. Einleitung und Methoden. Die Methoden, welche angewendet worden sind, um den Einfluss. der Temperaturerhöhung auf den thierischen Organismus zu studieren, sind mit wenigen Ausnahmen stets dieselben gewesen. Die Thiere wurden in einen Kasten mit oder ohne Wassermantel gesetzt, und die Luft oder das Wasser der Umgebung des auf diese Weise abgeschlossenen Luftraumes wurde er- wärmt. Indem man Kopf und Hals ausserhalb des Kastens lagerte, konnte der Blutdruck gemessen oder dem Thiere frische Luft zugeführt werden. Die mit solchen Methoden, oder durch directe Application der Wärme auf einzelne Organe gemachten Beobachtungen, welche einander übrigens in manchen Punkten widersprechen, haben Aufschluss darüber gegeben, auf welche Weise sich ein in toto erwärmter Körper der abnormer Weise zu- geführten Wärme zu entledigen sucht. Indessen sind die Mittheilungen über den Antheil des erwärmten Centralnervensystems an diesen Erschei- nungen spärlich. Sie beziehen sich fast nur auf eine Veränderung der Athemform. Es soll also im Folgenden ein Ueberblick über eine Anzahl hierher gehöriger Erscheinungen gegeben werden, welche man beobachten kann, wenn man eine recht alte aber fast gar nicht benützte Methode an- wendet, um das Centralnervensystem — Gehirn und Medulla oblongata — des Warmblütlers über die normale Temperatur zu erwärmen. Dieselbe beruht auf der Erwärmung des Carotidenblutes durch Einlegen beider Carotiden in Heizröhren und wurde zuerst von Goldstein! im Jahre 1872 angewendet, um die Veränderung der Athmung zu studiren. ! L. Goldstein, Ueber Wärmedyspno&. Arbeiten aus dem physiol. Laboratorium der Würzburger Hochschule. 1872. Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 6 82 RıcHArp Hans Kann: In den folgenden zehn Jahren bedienten sich dieser Methode Sihler, Fick, Gad und Mertschinsky zu ‘demselben Zwecke, da sich wegen einiger technischer Einwendungen gegen Goldstein’s Untersuchungen die Nothwendigkeit herausstellte, dieselbe mit verbesserter Methode zu wieder- holen. Von den Ergebnissen dieser Arbeiten soll später die Rede sein. Da sich dieselben nur mit den Veränderungen der Athmung beschäftigen, dieses Gebiet aber durchaus nicht erschöpft haben, und da über das Verhalten anderer Körperfunctionen bei dieser eigenthümlichen Versuchsanordnung sich nirgends irgend welche Mittheilungen vorfinden, habe ich die Erschei- nungen bezüglich der Athmung, des Blutkreislaufes, des Herzschlages, der Harn- und Schweisssecretion bei isolirter Erwärmung des Centralnerven- systems des Kopfes und Halses untersucht und mich dabei im Prineipe jener Art der Erwärmung durch das Carotidenblut bedient, welche Gold- stein zuerst angewendet hat. Die Versuchsthiere (Kaninchen, Katzen und Hunde), welche nicht narkotisirt waren, wurden mit dem Bauche nach oben auf geeigneten Operationsbrettern befestigt, durch einen vom Kehlkopf bis zum oberen Sternalende geführten Schnitt wurden Haut und Fascie durchschnitten, und die Halsmuseulatur freigelegt. Um ein möglichst langes Stück der Carotiden freizulegen und zugleich Platz für die Anlegung einer Tracheal- _ canüle zu gewinnen, wurden die beiden M. sterno-mastoidei nahe an ihrem Sternalansatz doppelt unterbunden und durchschnitten. Die oberen, langen, mit einem Faden versehenen Enden wurden nun nach Ablösung der Muskeln von den M. sterno-thyreoid. nach aussen gezogen und so dauernd fest- gehalten, so dass jederseits der Trachea die in der Scheide der Carotis ge- legenen Gebilde in einer aus Musculatur gebildeten Mulde lagen. Es folgte nun die Präparation eines genügend langen Stückes der Carotis auf beiden Seiten. Beim Hunde und der Katze gelingt es leicht 6—7 °“ der Carotis zwischen Sternum und Kehlkopf freizulegen, da dieses Gefäss in den selten- sten Fällen anormale Aeste zwischen der Art. thyreoidea inf. und der Art. thyreoid. sup. besitzt. Anders verhält es sich beim Kaninchen. Hier gehen recht häufig 2—3 ganz feine Zweigchen direct aus der Carotis in das diese umgebende Bindegewebe. Die Durchschneidung dieser Zweige führt zu “erheblicher nur durch Unterbindung zu stillender Blutung, ihre Durch- reissung kann zwar ohne erhebliche Blutung erfolgen, indessen beeinträch- tigen die an der Carotis hängenden Enden die Lagerung in die Heizröhren ebenso sehr wie die Knoten, welche an ihrer Abgangsstelle nach Unter- bindung derselben der Carotis anhaften. Am besten bewährt sich folgen- des Vorgehen. Die Zweige werden mit stumpfer Scheere ganz knapp an der Carotis ahgeschnitten, nachdem man diese central und peripher von der Abgangsstelle zugeklemmt hat. Nun wird das zwischen den Klemmen ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 83 gelegene Stück der Arterie zwischen zwei Fingern einige Minuten gestrichen und geknetet, worauf man sich durch vorsichtige Lüftung der peripheren Klemme überzeugt, dass sich das feine Loch geschlossen hat. Ebenso ver- fährt man mit den anderen feinen Zweigen, bis ein Stück von ca. 40 m Länge isolirt ist. Nun werden Vagus, Sympathicus und Depressor in die Tiefe der Mulde geschoben und mit der Carotis bedeckt. Die Tracheal- canüle muss knapp über dem Sternum eingelegt werden, weil die Schläuche der noch zu beschreibenden Heizvorrichtung den ganzen Raum zwischen Sternum und Kehlkopf in Anspruch nehmen. Nun werden die Carotiden in die Heizröhren eingelegt. Dieselben sind folgendermaassen beschaffen. Ein Messingrohr von 25 "m Länge, 4-5 mm lichter Weite und 0-5 == Wandstärke hat einen seiner Längsachse parallelen etwa 3/ == breiten Schlitz. In dieses Rohr ist ein zweites von 2 "= Durch- messer, 0-2 =m Wandstärke, gleicher Länge und mit einem ebenso breiten Schlitz versehen, excentrisch eingefügt, so dass die Schlitze beider Rohre sich zu einem vereinigen. Die einander entsprechenden Schlitzränder sind zu- sammengelöthet. Die beiden Oeff- nungen des äusseren Rohres sind durch genau eingepasste Metallplätt- chen verschlossen, jedoch sind die- selben derart ausgebohrt, dass das innere Rohr nicht mit verschlossen ist. Zwei kurze mit einer Nuth ver- sehene Röhrchen besorgen die Com- Heizröhrenschema. munication durch das äussere Rohr. In Fig. & der nebenstehenden Zeichnung ist diese Vorrichtung von der Seite gesehen schematisch aufgezeichnet. Fig. d zeigt das Schema eines Schnittes durch 1—1 gelegt, Fig. ce eines solchen durch 2—2. Solcher Heizröhren sind zwei an dünnen Gummischläuchen und Gabel- röhren aus Glas befestigt, wie dies in Fig. a dargestellt ist. Daselbst sieht man auch das innere offene Röhrchen und den nach unten gerichteten Schlitz. In diese Heizröhren nun werden die Carotiden in folgender Weise ge- lagert. Das centrale Ende des Gefässes wird abgeklemmt, und zwei Finger streichen das in demselben enthaltene Blut kopfwärts. Durch den Luft- 6* 84. RıchArp Hans Kann: druck werden die Gefässwände zusammengeklappt, und das frühere Rohr stellt nun ein ganz plattes dünnes Band dar, welches leicht durch den Sehlitz in das innere Rohr geschoben werden kann. Nun löst man die Klemme, und das einströmende Blut entfaltet die Gefässwände und legt sie glatt der nur 0-2 == starken Wand des Rohres an. Leitet man nur er- wärmtes Wasser durch das eine Gabelrohr in die Heizröhren und durch das andere wieder ab, so wird das durch die Carotiden strömende Blut erwärmt. Die eben angeführten Dimensionen der Heizröhren passen für das Kaninchen und für junge Katzen. Für Hunde haben sich folgende als zweckmässig herausgestellt. Länge des Rohres 35wm, Dicke des äusseren 7mm, des inneren 3.8"”, Breite des Schlitzes 1.5==. Die übrige Au- ordnung ist dieselbe wie beim Kaninchen. Die Carotis des Hundes und der Katze ist sehr diekwandig. Zusammengeklappt lässt sie sich zwar leicht durch den Schlitz schieben, immerhin ist aber das Gefässlumen der im Heizrohr liegenden Carotis bedeutend enger als das Lumen des inneren Rohres, was bei der Construction solcher Heizröhren zu beachten ist. Ein. Metallgefäss von 1 Liter Inhalt, welches mit reinem Wasser ge- füllt auf einem kleinen Gasofen stand, speiste durch eine kurze Schlauch- leitung die Heizröhren mit verschieden stark erwärmtem Wasser, und es war Vorsorge getroffen, durch einfache Manipulation mit 2 Schlauch- klemmen aus einem zweiten Gefässe Wasser von Zimmertemperatur unmittelbar nach dem erwärmten durch die ganze Leitung senden zu können. Mertschinsky! hat eine Reihe von Vorsichtsmaassregeln angegeben, um eine Reizung der Öperationswunde und der darin gelegenen Nerven durch die mitunter heissen Röhren zu vermeiden. Diese wurden auch hier befolgt. Unter die Gefässe wurde zunächst ein beide Mulden ausfüllender Kautschukstreifen gelegt, welcher mit einer dicken Lage von Flanell be- deckt wurde. Ueber diese Unterlage zogen also die mit den Heizröhren armirten Carotiden, wodurch die Wundflächen und Nervenstämme vor der Berührung mit dem rauhen Filz und vor jeglicher Erwärmung über die normale Körpertemperatur geschützt wurden. Sobald nun Wasser von höherer Temperatur als sie das Carotidenblut besitzt durch die Heizröhren strömt, wird das letztere, welehes nur durch die Gefässwand und die 0-2" starke Wand des inneren Rohres der Heiz- röhre von dem Wasser getrennt ist, erwärmt. - Der Grad der Erwärmung hängt im Allgemeinen von drei Factoren ab, von der Temperatur des Wassers, von der Geschwindigkeit desselben und von der Geschwindigkeit ı P.v. Mertschinsky, Beitrag zur Wärmedyspno&. Inaugural- Dissertation. Würzburg 1881. nn nn nn ng ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 3 des Blutes. Durch passende Variation der beiden ersten Factoren lässt sich also der Grad der Erwärmung des Carotidenblutes beliebig innerhalb weiter Grenzen verändern. Dieses erwärmte Blut strömt nun durch die Aeste der Carotis in die Gewebe des Kopfes. Eine Anschauung von der Erwärmung, welche diese dabei erleiden, lässt sich gewinnen, wenn man ein Thermometer in den Rachen des Versuchsthieres einlegt. Dieses Ver- fahren hat natürlich die vorherige Anlegung einer Trachealcanüle zur Be- dingung, denn das Vorbeistreichen der Athmungsluft an der Quecksilber- kugel und die von derselben erfolgende Wasserverdunstung hätte die Ab- lesung ganz falscher Temperaturwerthe zur Folge. Nun zeigt ein so ge- lagertes Thermometer gewiss eine etwas niedrigere Temperatur an, als sie die Gewebe der Umgebung zur Zeit besitzen, denn seine Quecksilberkugel grenzt ja theilweise oder vollkommen an die im Rachen enthaltene Luft. Da es sich uns aber vor Allem um eine Anschauung über die in dem Centralnervensystem herrschende Temperatur handelt, so wird dieser Fehler deshalb wenig in’s Gewicht fallen, weil diese Organe durch die Art. verte-. brales auch mit Blut von Körpertemperatur versorgt werden, also vermuth- lich eine etwas geringere Temperatur zur gleichen Zeit aufweisen werden, als der grösste Theil der übrigen Gewebe des Kopfes und Halses. Es hat sich aus technischen Gründen als zweckmässig erwiesen, das Thermometer von der Mundöffnung aus in den Rachen zu schieben, nicht so wie Mertschinsky durch eine Oefinung in der Trachea. Das geht bei Kaninchen ohne Weiteres neben den Nagezähnen bei geschlossenem Munde. Bei Katzen hilft hier das Abbrechen der Eckzähne, denn eine weite Oeffnung der Kiefer verbietet sich wegen der dadurch bewirkten bedeutenden Ab- kühlung der Mundhöhle und des Rachens von selbst. Beim Hunde wurde zwischen die Zähne ein durchlochter Knebel, so wie man ibn bei Schlund- sondenfütterung zu gebrauchen pflegt, eingeführt, und die hierbei immer- hin entstandenen Spalten sorgfältig durch Watte verstopft. Das erwärmte Blut, welches nun durch die Gewebe des Kopfes und oberen Halses strömt, giebt an diese seine Tempe- ratur ab und kehrt zunächst etwa mit derselben Temperatur, mit welcher es in das von den Heizröhren umgebene Stück der Carotis eingetreten ist, wieder zum Herzen zurück. Dass dies der Fall ist, oder dass wenigstens eine geringe noch vorhandene Temperatur- erhöhung auf dem Wege durch die Lungen völlig verschwindet, lässt sich durch controlirende Messungen mit einem zweiten Thermometer in anderen Körperhöhlen leicht erweisen. Zu diesen Messungen wurde das Rectum benutzt. Hoegyes! hat darauf hingewiesen, dass neben einer Reihe von ! A. Hoegyes, Bemerkungen zur Methode der Temperaturmessung im Mastdarm der Thiere. Archiv für experiment. Pathol. und Pharmakol. 1881. Bd. XIII. S. 354. 86 Rıcuarp Hans Kann: Umständen ganz besonders Aenderungen in der Tiefe der Einführung des Thermometers bei Temperaturmessungen im Rectum zu falschen Werthen führen können. Das Thermometer wurde etwa 5°% tief eingeführt, ruhig während des ganzen Versuches liegen gelassen und vor dem Herausgleiten durch einen vorgelegten Bleiklotz geschützt. Ein ausgestreckt auf ein Brett gebundenes Thier kühlt bekanntlich langsam ab, indem seine Temperatur stets weiter sinkt bis der Tod eintritt. Diese Abkühlung verläuft am schnellsten beim Kaninchen, weniger rasch bei der Katze und am langsamsten beim Hunde. Erwärmt man nun das Carotidenblut dieser Thiere mit der geschilderten Vorrichtung, so wird dem weiteren Sinken der Temperatur des Körpers Einhalt gethan, und dieselbe bleibt längere Zeit auf jener Höhe, welche sie zur Zeit des Erwärmungs- beginnes erreicht hatte. Einige Tabellen mögen diese Verhältnisse illustriren. n: ı Temperatur | Temperatur Zeit Temperatur Temperatur Dal | im Rachen | im Rectum = im Rachen im Reetum a ae 37-4 12% 54° A an (oo 36-3 37-4 12 55 41-2 37-4 Erwärmung | 12 56 41-3 37-4 12 43 | 37-0 37-4 12 57 41-3 37.4 12 44 | 38:6 37.4 12 58 41-3 37-4 1a 39-3 37-4 Abkühlung 12746 ° | 39-7 37-4 5 40-0 37.4 12 47 40-0 37-4 0 38-5 37-4 ae | 40°2 | 37-4 I 379 37-4 12 49 | 405 37-4 12 3 Ae 37-4 12 50 40-7 37-4 15 36-9 | 37-4 12 51 40-8 37-4 I 36-7 37-4 12 52 40-9 37-4 1985 36-5 37-4 10053 41-0 37-4 16 | 36-3 37-4 Das vorstehende Temperaturprotokoll stammt von einer Katze, welche dureh 17 Minuten ihre Körpertemperatur auf stets gleicher Höhe hielt, obzwar die Temperatur des Kopfes (im Rachen gemessen) während der Erwärmung des Carotidenblutes die Höhe von 41° C. überschritt und längere Zeit auf sen Höhe verharrte. Die Abgabe der Wärme vom Blute an die Gewebe des Kopfes hat eine bedeutende Temperaturabgabe letzterer an die umgebende Aussenluft zu Folge. Diese wird nun ganz besonders durch die enorme Erweiterung der Blutgefässe des Kopfes durch das in ihnen eireulirende erwärmte Blut unterstützt. Schon bei mässiger Steigerung der Rachen- temperatur sieht man an geeigneten Stellen der Haut und der Schleim- Sun a ne ung ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. Tl häute des Kopfes eine intensive Röthung. Besonders auffällig ist diese Erscheinung an weissen Katzen, deren sonst blasse Schnauzen und Ohren prachtvoll roth gefärbt erscheinen. An Stellen, an welchen die Blutgefässe selbst der directen Beobachtung zugänglich sind, ganz besonders im Ohre des Kaninchens, bietet die rasche und intensive Erweiterung sämmtlicher Gefässe bei der Erwärmung des Carotidenblutes ein ungewohntes Schauspiel. Und dass derartige Vorgänge auch in viel geringerem als in dem bier beschriebenen Maasse der Abkühlung des Blutes dienen können, hat schon Marey! gezeigt, indem er nachwies, dass beim Kaninchen nach Durch- schneidung des Halssympathicus die Rectaltemperatur sinkt. Indessen sind diese Erscheinungen an den direct vom erwärmten Blute durchströmten Gefässen auch deshalb von Interesse, weil sie wieder- um für die maximale Erschlaffung derselben unter der directen Einwirkung der Wärme von innen her sprechen, und andere Be- obachter zeigten, dass von aussen kommende Wärmeeinwirkungen eine entgegengesetzte Wirkung auf das Gefässlumen haben. So hat Gärtner? festgestellt, dass die strahlende Wärme, und Biedl?, dass schon warme Kochsalzlösung von 40 bis 50° die Gefässe des Mesenteriums beim Frosche zur Contraction bringt. Freilich kommt hier wie bei allen derartigen Versuchen ein nervöser Einfluss ebenfalls in Betracht. Vor kurzer Zeit erschien eine Untersuchung von Winkler‘, welche sich mit dem Verhalten der Hautgefässe bei thermischen Reizen befasst. An dieser Stelle sei heraus- gehoben, dass dieser Autor sich darüber Gewissheit verschaffen wollte, ob die Gefässweite durch Erwärmung des in den betreffenden Gefässen circu- lirenden Blutes verändert werde. Zu diesem Zwecke erwärmte er das Carotidenblut nach einer unserer Methode ähnlichen sowie nach einer anderen in sicherlich unzweekmässiger Weise modifieirten Methode. Er fand keine Beinflussung der Gefässweite. Die Gefässe des Kaninchenohres zeigten keine Erweiterung. ,„Es zeigte sich in allen sechs Versuchen überein- stimmend, dass trotz langer Erwärmung die Erweiterung der Öhrgefässe entweder gar nicht oder nur in zweifelhafter Weise auftrat.“ Wieso Winkler zu diesem negativen Resultat gelangt ist, kann ich nicht beurtheilen, jeden- falls ist der Ausfall solcher Versuche bei meinen Versuchsbedingungen, wie schon oben erwähnt, ein ganz anderer gewesen. Diese Abkühlungs- ı E. J. Marey, Circulation du sang. Paris 1881. ° G. Gärtner, Ueber die Contraction der Blutgefässe unter dem Einfluss er- höhter Temperatur. Wiener med. Jahrbuch. 1884. 8.48. ® A. Biedl, Ueber experimentell erzengte Aenderungen der Gefässweite. Stricker’s Fragmente aus dem Gebiete der experimentellen Pathologie. 1894. Bd. 1. * F. Winkler, Studien über die Beeinflussung der Hautgefässe durch thermische Reize. Sitzungsber. der Wiener Akademie. Math.-naturw. Classe. 1902. Bd. CXI. 8. 68. ss. RıcHarp Hans Kann: vorrichtungen nun werden in nicht zu langer Zeit insufficient. Da sie jedoch von einer Reihe der Temperaturregulirung dienenden Veränderungen der Functionen des Körpers, welche in den nachstehenden Mittheilungen geschildert werden sollen, unterstützt werden, erhebt sich die Temperatur des Körpers bei Erwärmung des Carotidenblutes während längerer Zeit nur um einige Zehntel eines Grades. Im Folgenden seien zwei Temperatur- tabellen mitgetheilt, welche das Verhalten der Rachen- und Rectaltemperatur schildern, während später zu beschreibende Wärmeregulirungsvorgänge zur Beobachtung gelangten. Zeit Temperatur | Temperatur Zeit Temperatur | Temperatur im Rachen | im Rectum im Rachen | im Rectum 6h 19’ 38-2 38-4 | 422 38-6 Erwärmung Abkühlung | 6 21 38-9 38.4 Gral | 40-0 38-6 6 23 | 41*8 38-4 6 39 39-6 38+6 6 25 42.3 38.4 6 41 38-8 33-8 BROT 4ors 38-4 6 43 38-3 39-0 6 29 | 42.3 38.4 6 45 38.4 38-9 6 31 42:2 38*5 6 47 38.4 38-8 6 33 | 422 38-5 6 49 |. .38-4 Sana Diese Tabelle stammt von einem Hunde und zeigt folgendes eigen- thümliche Verhalten. Nachdem die Rectaltemperatur während 10 Minuten sich auf gleicher Höhe gehalten (38.4 C.), obzwar die Rachentemperatur 42° überschritten hatte, stieg sie in den nächsten 8 Minuten um 0-2°C.,, während die Rachentemperatur ihre Höhe behauptete. Das rasche Ab- sinken der letzteren in Folge der Durchströmung der Heizröhren mit Wasser von Zimmertemperatur ist von leichtem Ansteigen der Rectal- temperatur um 0-4° C. begleitet, eine Erscheinung, die recht constant ist und später durch das Aufhören aller regulirenden Vorgänge erklärt werden wird. Wird die Durchströmung mit heissem Wasser längere Zeit fortgesetzt, so ist trotzdem die Temperaturzunahme im Rectum nur eine sehr be- schränkte. Die folgende Tabelle zeigt die Temperaturverhältnisse einer Katze, deren Carotidenblut durch 40 Minuten erwärmt wurde. Trotzdem die Temperatur im Rachen zwischen 40-5°C. bis 41-8°C. durch 35 Mi- nuten gehalten werden konnte, stieg die Rectaltemperatur bloss um 0-8° C., blieb also entsprechend der seit dem Momente des Aufbindens sich voll- ziehenden Temperaturabnahme des Thieres weit unter der normalen Körper- temperatur. ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 89 Zeit Temperatur | Temperatur Zeit Temperatur | Temperatur im Rachen | im Recetum im Rachen | im Recetum 115 40° 36-6 35-6 11h 55° 40-8 36-0 Erwärmung | 11 56 40-8 36-1 11 41 38-1 35-6 11057 40-8 36-2 11 42 39-0 35°6 1950 40-8 36-4 11 43 39-7 356 12 2 41-1 36-4 11 44 40°2 35-6 12 5 41-2 36-4 11 45 40-6 35-6 12 7 41-3 36+4 11 46 40-8 35-6 12 16 41+6 36-4 11 47 40-9 35-7 12 18 41»8 36-4 11 48 41.0 35+7 Abkühlune 11 49 41-1 35-8 137 (60, 41-2 36-4 11 50 41-1 35-8 12 20 39-2 36-4 11 51 41-0 35-8 19, Zi 38-0 36.4 11 52 40-8 35.9 12 22 37-5 36-4 117553 40-7 35-9 12 23 36°6 36-4 11 54 40:8 36-0 12 24 36°5 36-4 Diese Methode gestattet aber auch durch entsprechende Combination von Wassertemperatur und Strömungsgeschwindigkeit den Thierkörper derart mit Wärme zu überflutben, dass alle ausgelösten Regulirungsmaassregeln nicht genügen, um ihn vor bedeutender Temperaturerhöhung zu bewahren. Solche Versuche gelingen beim Kaninchen und bei jungen Katzen leichter als bei ausgewachsenen Katzen und Hunden. ein Bild von den Temperaturverhältnissen eines mit unserer Methode in 24 Minuten durch Erwärmung des ganzen Körpers getödteten Kaninchens. Die folgende Tabelle giebt Zeit Temperatur Temperatur Zeit Temperatur _ Temperatur im Rachen | im Rectum im Rachen | im Reetum Erwärmung 1on239/ 37-8 38-3 19252 42-0 39:6 12 40 38:2 38-3 12 53 42:0 39-8 12 41 38-4 38.4 12 54 42-2 39:9 127742 38-9 38:5 1255 43:0 39-9 19 AB 39-1 38-6 107256 43-0 40:0 12 44 39-5 38:6 12, DU 43-0 40-0 12 45 40:0 38-7 1055583 43:0 40:0 12 46 40:2 38-8 12 59 43:0 40-0 12 47 40-9 39:0 20) 43°5 40-2 12. 48 41-2 39-1 ul 44°0 40°6 12 49 41-5 39-3 12 44-0 40-6 122250 41-8 39-4 1e23 44:0 40:6 12 Bl 42-0 39-6 90 RıcHhArp Hans Kann: Aus dem im Vorstehenden Mitgetheilten geht also hervor, dass durch die Methode der Erwärmung des Carotidenblutes die Tem- peratur des Kopfes zu bedeutender Höhe gebracht und auf dieser längere Zeit erhalten werden kann, ohne dass die Tem- peratur desübrigen Körpers in nennenswerther Weise zu steigen braucht. Und da die letztere bei solchen Versuchen stets weit unter dem normalen Werthe liegt, wird dieser letztere niemals erreicht, während die Organe des Kopfes übernormale Tem- peratur aufweisen. ; Bezüglich der als normal geltenden Temperaturen bei Thieren sei hier angeführt, dass nach den Zusammenstellungen, welche sich bei Richet! finden, die mittlere normale Temperatur des Hundes 39-2° C., der Katze 38-8 bis 39° C., und des Kaninchens 39-5° C. beträgt. Während jener Zeit nun, in welcher bloss die Temperatur des Kopfes eine abnorme Höhe erreicht hat, lassen sich eine ganze Reihe von Ver- änderungen von Organfunctionen beobachten, welche als regulatorische Vor- gänge gedeutet werden können. Von solchen Erscheinungen ist nur eine die Tachypno& in den Eingangs erwähnten Mittheilungen festgestellt, aber ihrem Wesen nach nicht vollständig aufgeklärt worden. Bei dieser Ge- legenheit machte sich eine Meinungsverschiedenheit bezüglich des Angrifis- punktes der Temperatursteigerung am Kopfe geltend, auf welche ich später noch zurückkommen werde. Es sollen also im Folgenden zunächst eine Reihe von Erscheinungen geschildert werden, welche eintreten, wenn man beim Hunde, der Katze oder dem Kaninchen durch Erwärmung des Carotis- blutes die Temperatur des Kopfes erhöht, während die Temperatur des Körpers die gleiche bleibt, sich höchstens um einige Zehntel eines Grades erhebt, stets aber unter der für das betreffende Thier normalen Temperatur verharrt. Es werden weiter jene Beobachtungen erörtert werden, welche an Thieren gemacht werden können, welche in der oben geschilderten Weise durch Erwärmung des ganzen Körpers getödtet wurden. Dabei wird es zweckmässig sein, sich nach der Schilderung der ohne Weiteres bemerkbaren Erscheinungen mit einzelnen Organfunctionen gesondert zu befassen. . II. Veränderungen am Körper, welche ohne Weiteres in Erscheinung treten. Erwärmt man das Carotidenblut des ruhig auf dem Brette liegenden und athmenden Thieres durch Oeffnung der Klemme der Warmwasserleitung, so ist in den nächsten Minuten keine Veränderung an dem Thiere wahr- : Ch. Richet, Dietionnaire de physiologie. 1898 T.I. p.3. ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 91 zunehmen. Plötzliche Schmerzäusserungen, Unruhe oder Athemreflexe, welche hier und da in Erscheinung treten, sind stets darauf zurückzuführen, dass die isolirende Unterlage unter den Heizröhren an einer Stelle ver- schoben ist, 'so dass die Wunde durch strahlende Wärme gereizt wird. Nun steigt allmählich die Temperatur des Rachens, und es treten zunächst Er- scheinungen am Kopfe auf, welche auf eine durch das erwärmte Blut direet verursachte Erweiterung der Gefässe hindeuten. Die Ohren des Kaninchens und der Katze, sowie die Nase und die sichtbaren ' Schleimhäute röthen sich schon bei geringgradiger Zunahme der Rachentemperatur. Hier und da wird ein Schluckreflex ausgelöst, nichts deutet aber auf eine Beunruhigung des Thieres hin. Unterdessen machen sich am noch ruhig athmenden Körper Erscheinungen geltend, welche auch hier für eine grössere Füllung der ohne Weiteres zugänglichen 'Gefässe sprechen. Die Carotiden, welche ober- und unterhalb der Heiz- röhren sichtbar sind zeigen ein verändertes Aussehen. Sie sind unterhalb derselben sichtlich dicker geworden und zeigen kräftige Pulsationen. Man hat den Eindruck, als würden die Heizröhren zu eng geworden sein. Der Puls ist beim Kaninchen sehr gut an der medialen Seite des oberen Drittels des Unterschenkels zu fühlen. Hier verläuft der Endast der Art. cruralis, die Art. saphena magna (Krause) sehr oberflächlich in der unter der Haut liegenden Fascie. Das Gefäss, welches beim normalen Thiere weich und leicht zusammendrückbar ist, und dessen Puls unter dem tastenden Finger das Gefühl erweckt, als würde ein Faden unter der Haut vorüber- gezogen, wird voller und deutlicher tastbar. Bei einiger Aufmerk- samkeit wird es sogar sichtbar, indem es einen deutlichen Wulst unter der Haut hervorwölbt. Dabei ıst der Puls nicht härter oder gespannter, sondern weich und voll. Mit der Zunahme der Rachentemperatur geht ferner eine allmähliche uhne Weiteres zu beobachtende Beschleunigung der Athmung vor sich. Dabei ist eine Aenderung im Mechanismus der- selben, soviel man durch blosse Beobachtung der Körperwände feststellen kann, nicht ersichtlich, auch eine Abflachung der Athmung ist vorläufig nicht wahrnehmbar. Aehnlich verhält sich die Athmung der Katze, nur ist dabei hervorzuheben, dass bei diesem Thiere, welches überhaupt reflec- torisch ungemein erregbar ist, auch eine bedeutende Beruhigung der Athmung eintritt. Die eben auf das Brett gebundene Katze antwortet auf die leisesten ganz unvermeidbaren äusseren Einflüsse mit sofortiger Aenderung der Athemform, so dass die Athmung des aufgebundenen Thiere's ein fortwährend wechselndes Bild zeigt. Schon bei geringer Steigerung der Rachentemperatur wird die Athmung ruhiger, dabei nicht zu sehr be- schleunigt. Beim Hund geht dieselbe ihren früheren ruhigen und selten reilectorisch gestörten Gang lange Zeit nach der Erwärmung fort. Hat die 92 RıcHArp Hans Kann: Rachentemperatur ein gewisses Maass erreicht, dann macht sich neben der zunehmenden Beschleunigung auch eine von aussen gleich sichtbare Ab- flachung der Athemzüge bemerkbar. Von den Details dieser Aenderungen der Athemform, deren Ermittelung eigener Apparate bedarf, soll später die Rede sein. Eine weitere fast stets zu beobachtende Erscheinung besteht darin, dass die Thiere bei Erwärmung des Carotidenblutes sich ungemein beruhigen. Am unruhigsten ist nach dem Aufbinden stets die Katze, und bei Versuchen anderer Art erhalten sich die Abwehrbewegungen des nicht narkotisirten Thieres während der ganzen Versuchsdauer auch ohne schmerz- hafte Eingriffe stets in gleicher Intensität. Mit steigender Rachentemperatur beruhigt sich das Thier zusehends, ja man kann mitunter eine oder mehrere Extremitäten losbinden, wie das für unsere Untersuchungen zum Zwecke der Beobachtung der Blutfüllung der Haut oder der Schweisssecretion des öfteren nöthig wird, ohne dass störende Bewegungen des Thieres die Intact- heit der Versuchsanordnung gefährden. Man hat oft den Eindruck, als wäre das Thierin tiefer Narkose. Freilich kommen viele Thiere, wenn sie eine Zeit lang derart festgebunden waren, dass sie sich nicht bewegen konnten, auch ohne Erwärmung in einen vielleicht der Hypnose vergleich- baren Zustand der Ruhe. Indessen wird dieser schon durch geringe äussere Einflüsse gestört, und unterscheidet sich auch insofern von dem bei der Er- wärmung des Carotidenblutes eintretenden, dass in jenem die Extremitäten in ausgesprochenem Tonus, hier aber im Zustande der Erschlaffung sich befinden. Die bisher beschriebenen Erscheinungen zeigen sich alle an einem Thier- körper, welcher durchaus keine abnorme Steigerung seiner Temperatur er- kennen lässt, vielmehr unter die Norm abgekühlt ist, und sich während des ganzen Vorganges höchstens um wenige Zehntel eines Grades erwärmt. Sie sind also durch die blosse Erwärmung des Kopfes und, wie später gezeigt werden wird, sehr wahrscheinlich durch die Erwärmung des oberen Centralnervensystems bedingt. Setzt man nun die Erwärmung durch lange Zeit fort, oder wählt man von vornherein passende Bedingungen bezüglich der Wasserwärme und Geschwindigkeit, so steigt langsam die Temperatur des ganzen Körpers, während die beschriebenen Erscheinungen weitergehen. So lässt sich gewöhnlich die Rectaltemperatur langsam bis über 40° C. steigern, während die Temperatur des Kopfes im Rachen gemessen um 3 bis 4° C. höher steht. Sobald ein gewisses Maass derselben erreicht ist, tritt ‚der Tod des Thieres ein. Nachdem Untersuchungen über die Art des Er- wärmungstodes mit unserer Methode nicht vorliegen, will ich hier die Er- sscheinungen kurz skizziren. Die bis dahin regelmässig flach und rasch verlaufende Athmung wird wieder tief und langsam, es treten unruhige Be- ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 93 wegungen des ganzen Körpers auf, welche sich endlich zu Anfällen klonischer Krämpfe steigern, ganz so wie sie bei der Erstickung zur Beobachtung gelangen. Die Athmung wird immer unregelmässiger und schwächer, und schliesslich bildet sich ein Zustand des Thieres aus, welcher, von syncopischen Athemzügen begleitet, dem Tode unmittelbar vorhergeht. Interessant ist dabei die reichliche Speichelsecretion, welche zu Schaumbildung vor den Lippen führt, ein wenigstens bei Kaninchen, bei irgend einer anderen Art des Todes ungewohnter Anblick. Von Interesse ist auch die Veränderung, welche mit der Wand der Carotis vor sich geht. Das vollständige Freipräpariren dieser Gefässe von der Umgebung ist von einer sehr deutlichen Contraction der ganzen herauspräparirten Stelle gefolgt. Die manchmal nur locker in den Rinnen der Heizröhren liegenden Carotiden werden schon bei ganz geringer Er- wärmung der Röhren fester und legen sich genau an die Röhrenwand an. Da die Röhren mitunter einen erheblichen Wärmegrad erreichen, sterben die im Rohre liegenden Gefässtheile meistens ab, sie werden in einen Zu- stand der Wärmestarre übergeführt. Es ändert sich ihre Farbe, sie werden weisslichgrau, und ihre Brüchigkeit wird so gross, dass sie namentlich beim Kaninchen, wo die bindegewebige Hülle sehr gering ist, beim Versuche, sie aus den Heizröhren herauszuziehen, sehr leicht abreissen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass Versuche, das Carotisblut durch Circulation - von mit Eis gekühltem Wasser in den Röhren abzukühlen, durch mecha- nische Bedingungen arg beeinträchtigt werden. Es ziehen sich nämlich die Wandungen der betreffenden Gefässtheile zusammen, so dass neben der für solche Versuche ungünstigen Verengerung des Gefässlumens auch noch der Uebelstand in Betracht kommt, dass die Carotiden leicht aus den Rinnen der Heizröhren herausrutschen. Die Temperatursteigerung des Kopfes und Körpers, welche nothwendig ist, um mit unserer Anordnung ein Thier zu tödten, ist nach den ver- schiedenen Thierarten eine verschiedene, schwankt aber auch bei einzelnen Individuen derselben Art beträchtlich. Im Allgemeinen stirbt ein Kaninchen unter den oben angedeuteten Erscheinungen, wenn die Rachentemperatur 43.5 bis 44° C. erreicht hat, während die Temperatur des Körpers etwa 40.5 bis 41° C. beträgt. Die Katze hält auch in dieser Beziehung viel mehr aus. Ich habe bei diesem Thiere einmal die erstere auf 46.7° C., die letztere zugleich auf 41-9° C bringen können, bevor dasselbe zu Grunde sing. Bei Hunden dauern solche Versuche ungemein lang, denn die grosse Blutmenge einerseits, sowie die Ausdehnung der wärmeabgebenden Körper- flächen andererseits verhindern eine einigermaassen rasche Erwärmung des ganzen Körpers auf dem Wege der Erwärmung des Carotisblutes. 94 RıcHuarp Hans Kann: Fassen wir nun die Erscheinungen zusammen, welche sich am Körper eines Thieres bei einfacher Beobachtung! mit unbewaffneten Sinnen zeigen, wenn nach unserer Methode der Kopf erwärmt wird, der Körper aber seine Temperatur nicht ändert, so ergiebt sich, dass sie in Folgendem bestehen: Beschleunigung und Abflachung der Athmung, und ein Erscheinungscomplex, welcher auf die vermehrte Füllung des Blutgefässsystems der Körperoberfläche hindeutet. Die Erwärmung des Kopfes in der Art, dass auch am Körper be- deutende Temperaturzunahme zu beobachten ist, ergiebt neben den er- wähnten Erscheinungen eine endliche Verlangsamung und Vertiefung der Athmung, Unruhe, Krämpfe, Speichelsecretion und Tod. Ill. Die Veränderung der Athmung. Die ersten Angaben über die Veränderung der Athmung bei An- wendung unserer Methode stammen ven dem Erfinder derselben, L. Gold- stein, welcher die Heizung des Carotidenblutes zu dem Zwecke ersann, die „Wärme-Dyspno&“ zu studiren. Dabei beobachtete er an Hunden, an welchen allein er solche Versuche machte, eine Vermehrung der Athem- frequenz. Die Deutung seiner Versuche, sowie die Einwendungen, weiche von anderer Seite dagegen erhoben wurden, sollen später im Zusammen- hange besprochen werden. Gelegentlich solcher Einwendungen hat Sihler? die Thatsache bestätigt, dass die Athemfrequenz bei Erwärmung des Carotidenblutes zunimmt. Im Jahre 1881 unternahm es Mertschinsky° auf Gad’s Veranlassung mit verbesserten graphischen Methoden, diese Zu- nahme der Athemfrequenz beim Kaninchen darzustellen. Er konnte mittels des Athemvolumschreibers von Gad nicht nur von der Aenderune der Frequenz, sondern auch anderer den Athemtypus betreffender (Grössen (Tiefe u. s. w.) ein Bild erhalten. Er kommt zu folgenden Schlüssen be- züglich der Aenderung der Athmung: „Die Erwärmung des Ausbreitungs- gebietes der Carotis hat eine Dyspno& von ganz typischer Form zur Folge, welche die cephalische Wärme-Dyspno& genannt werden kann. Das Charakteristische der cephalischen Wärme-Dyspno& ist: Beschleunigung, Ver- ftachung, Abnahme der respiratorischen Anstrengung, Erhöhung der Athem- grösse. Die cephalische Wärme-Dyspno& ist wesentlich verschieden in ihrer Erscheinung und wahrscheinlich auch in ihrer directen Veranlassung von der Kohlensäure-Dyspnoöe. Der Athmungstypus hängt in gesetzmässiger EATAaAO, ° Chr. Sihler, On the so-called heat-dyspnoea. Journ. of Physiol. 1879—80. Vol. I. p. 191. ESEL ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ([AROTIDENBLUTES. 95 Weise von dem 'Temperaturzustand des Athmungscentrums in der Medulla oblongata ab. Erhöhung dieser Temperatur steigert die Frequenz.“ Ich habe es nun zunächst unternommen, diese Verhältnisse einer neuerlichen Untersuchung zu unterziehen, bei welcher Gelegenheit auch der weitere Verlauf der Athemänderung bei fortschreitender Erwärmung des ganzen Thieres sowie die Beinflussung der „cephalischen Wärme-Dyspno&“ durch Nervenreizung und Durchschneidung festgestellt werden sollte. Zur graphischen Registrirung der Athmung wurde ebenfalls Gad’s Athemvolumschreiber herangezogen. Die Kaninchen — wegen der bei diesen Thieren schon normaler Weise sich zeigenden Regelmässigkeit der Athmung wurden sie auch hier für Athmungsversuche bevorzugt — wurden zunächst in der oben angegebenen Weise zum Versuche vorbereitet und schliesslich mit einer 5000 °® fassenden Vorlage für den Athemvolum- schreiber verbunden. Diese Vorlage dient bekanntlich dazu, für einige Zeit brauchbare Athemluft für das Thier bereit zu halten, während es doch aus einem aliseitig geschlossenen und mit Ausnahme des Volumschreiberdeckels, von starren Wänden begrenzten Raume athmet. Die in der Vorlage vor- handene Athemluft wird nun immer sauerstoffärmer und kohlensäurereicher, bis sie endlich nach etwa 15 Minuten gegen frische Luft ausgewechselt werden muss. Indessen wird der Inhalt der Athemflasche schon bei normalen Thieren anfänglich erwärmt und mit Wasserdampf erfüllt, woraus eine Vergrösserung des abgeschlossenen Luftraumes resultirt. Diese schreitet jedoch nicht gleichmässig weiter, sondern nur bis zu jener Höhe, bei welcher der Wärmeverlust von der recht grossen Oberfläche der gläsernen Vorlage dem Zuwachs an Wärme durch die Ausathmungsluft das Gleichgewicht hält. Nachdem nun aber, wie später noch genauer gezeigt werden wird, die Ausathmungsluft bei unseren Versuchen wärmer ist als bei normalen Thieren, und an Wärme immer mehr zunimmt, ist ein neuer störender mechanischer Factor in unserer Versuchsanordnung eingeführt, welchem nur dadurch begegnet werden kann, dass der abgeschlossene Luftraum in der Vorlage möglichst oft erneuert wird. Abgesehen von dem zunehmenden Volumen dieses Raumes ist eine ‚oftmalige Erneuerung seines Inhaltes auch deshalb dringend geboten, weil ja das Thier, welches das Bestreben hat, die ihm abnormer Weise zugeführte Wärme zum Theil mit der Athemluft abzugeben, daran durch zunehmende Erwärmung des Raumes, in welchen es seine Exspirationsluft entleert, in unregelmässiger Weise gehindert würde. Diese Erneuerung der Athemluft erfolgt bekanntlich bei anderen Ver- suchen mit dem Athemvolumschreiber in der Weise, dass man die Vorlage ‚aus der Versuchsanordnung herausnimmt, mit Wasser anfüllt, und dieses wieder herauslaufen lässt. Das hat den Vortheil, dass die inneren Wände der Vorlage feucht bleiben, und die neue in ihr enthaltene Athemluft 96 RıcHhArpd Hans Kann: wenigstens theilweise von Wasserdampf durchzogen ist. Eine auf solche Weise erneuerte Athemluft ist stets recht abgekühlt, und es dauert schon bei normalen Thieren eine Weile, bevor das Gleichgewicht im Zu- und Abfluss der Wärme erreicht ist. Bei unseren Thieren, welche mitunter recht bedeutende Wärmemengen durch die Lungen abzugeben haben, sind diese Störungen noch grösser und nehmen den grössten Theil der verfüg- baren Versuchszeit ein. Es wurde daher die Erneuerung der Athemluft in anderer Weise versucht. Ohne die Vorlage aus der Versuchsanordnung heraus- zunehmen, wurde dieselbe von ihrer unteren Oeffnung aus durch ein tief eingeführtes gebogenes Glasrohr mit comprimirter Luft von Zimmer- temperatur ausgespritzt. Am Boden der Vorlage befand sich stets etwas Wasser, welches durch den darauf gerichteten Luftstrahl an den inneren Wänden verspritzt wurde, und auf diese \Weise konnte die Athmungsluft oft, rasch und bequem erneuert werden, ohne dass sie zu trocken oder zu kühl gewesen wäre. Die Athemluft wurde etwa alle 2 Minuten erneuert. Der Volumschreiber hatte solche Dimensionen, dass eine Volumschwankung von 5° auf der berussten Trommel 1-2 "m Ordinatenhöhe entsprach. Ein unverrückbarer Zeiger markirte eine bestimmte Athemlage als Abseisse, während ein Jaquet’sches Chronometer ganze Secunden aufschrieb. Es soll nun zunächst ein typisches Beispiel für einen Versuch am Kaninchen gegeben werden, bei welchem mittels der oben erwähnten An- ordnung die Temperatur zunächst des Kopfes, dann auch des Körpers rasch in die Höhe gebracht wurde, während die Athmung mittels des Gad’schen Volumschreibers registrirt wurde. (Siehe Tabelle S. 97.) Dieses Thier athmete ruhig und tief bloss abdominal. Es war seit dem Beginne des Aufbindens während der lange dauernden Präparation erheblich abgekühlt. Seine Rachentemperatur betrug 37.8° C., die Rectal- temperatur 38-1°C. Ein solcher Unterschied ist auch nach langdauernder Lagerung des Thermometers ganz constant. Er beruht wahrscheinlich darauf, dass die Schleimhaut des Rectums die Quecksilberkugel viel dichter umschliesst als die der Mundhöhle. Es wurden 9 Inspirationen in 10 Se- cunden gemacht, das Volumen der eingeathmeten Luft betrug etwa = ES Vo NZ ER NZ NEE HERZEN VB Fig. 1. ' 15° m, und ebensoviel das der ausgeathmeten Luft. Die Athmung verlief also in gleicher Athemlage (Fig. 1). Bereits eine Minute nach der Erwärmung des Carotidenblutes, nachdem die Temperatur des Rachens um 0.3°C., die des Rectums aber gar nicht gestiegen war, hatte sich die Form ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 97 ä Temperatur Temperatur Zeit im Bach im Kektatl mung 44 50' 37-8 38-1 (Fig. 1) Erwärmung 4 51 38-1 38-1 (Fig. 2) 4 53 38-6 38-3 nimmt an Frequenz zu. 4 55 39-3 38-6 (Fig. 3) A 40.0 38+7 Lage steigt wenig 4 59 40-6 38-9 (Fig. 4) 5 01 41-0 39-0 wird tiefer 5 03 41-3 39-3 wird langsamer 5 04 41+5 39-6 dieselbe 5 0 41-7 39-6 dieselbe 5 08 41-8 39-7 dieselbe Se 42-1 39.8 (Fig. 5) 5 12 42-2 40-0 dieselbe 5 15 42-6 40-4 wird tiefer und langsamer DERI6 42-7 40-4 dieselbe BT 42-8 40+5 (Fig. 6) 5 18 42-9 40-6 (Fig. 7) 5 20 43.2 40-7 (Fig. 8) 5 21 43-4 40-8 dieselbe 50.22 43-6 40-9 wird tiefer und langsamer 5 23 43.8 41-0 dieselbe 5 25 43.9 41°2 (Fig. 9) k Abkühlung 5 28 43-0 41-2 (Fig. 10) 5 32 41-5 40-8 wird flacher und rascher 5 36 40-3 40:6 (Fig. 11) Erwärmung 5 4. 41-9 40+5 wird tiefer und langsamer 5 52 437 41-6 (Fig. 12) der Athmung bedeutend geändert (Fig. 2). Die Zahl der Inspirationen in 10 Secunden betrug 25, das Volumen der einzelnen Athemzüge etwa 9m, die Athemlage blieb erhalten. Die Athmung wurde also etwa noch einmal so freguent und etwa halb so tief. In den nächsten 4 Minuten stieg die Fig. 2. AAMANAANAVUMANNANAMANANANDA MAN Rachentemperatur rasch um 1-2° C., während die Rectaltemperatur bloss um einige Zehntel sich erhob. Unterdessen nahm die Athmung noch weiter an Frequenz zu, ohne flacher zu werden. 5 Minuten nach dem Beginn des _ Archiv f. A, u, Ph, 1904. Physiol, Abthlg. Suppl. 7 98 RıcaArp Hans Kanx: Versuches betrug die Frequenz 58 Inspirationen in 10 Secunden, die Respirationstiefe war etwa dieselbe geblieben (Fig. 3). Das Volumen der Luft in der Vorlage vergrösserte sich nach jeder Erneuerung derselben er- heblich, was nur auf eine vermehrte Wärmeabgabe zurückgeführt werden NV UA WWVVVWVVVWM \AMNAAAAMMMAM Fig. 3. kann. In den nächsten 4 Minuten steigerte sich die Rachentemperatur neuerdings um 1.3° C., während die Rectaltemperatur etwa die beim normalen Thier vorkommende Höhe erreichte, indem sie seit dem Beginne des Versuches um 0-8° C. gestiegen war. Die Athmung wurde noch ! N) “ N h Y ne DW a Fig. 4. rascher — 64 Inspirationen in 10 Secunden —, zugleich sehr wenig: tiefer (10°), während die Luft in der Vorlage an Volumen immer wieder leicht zunahm. (Fig. 4.) Von jetzt an begann allmählich der Körper des Thieres sich über die Fig. 5. normale Temperatur zu erwärmen. In den nächsten 12 Minuten stieg die ' Temperatur des Rachens um 1-5°C. auf 42-1°C., während diejenige des Rectums sich um 0-9° C. hob und mit 39.8° C. einen übernormalen Stand erreichte. Dabei nahm die Athmung an Frequenz wieder etwas ab. < AM AA AAAAMAMAAAAAAMMW Fig. 6. Es wurden in 10 Secunden 58 Inspirationen gemacht. Die Tiefe aber nahm recht bedeutend zu, so dass sie von 8°”, ihrem geringsten Stand, auf 11" anstieg. Das Volumen der Vorlageluft vergrösserte sich rascher als vorher (Fig. 5). Während weiterer 6 Minuten hob sich die Temperatur des Rachens auf 42.8° C. und die des Rectums auf 40-5° C. Die Athmung ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 99 wurde zusehends langsamer und tiefer, bis sie 27 Minuten nach Beginn der Erwärmung folgendes Bild zeigte. (Fig. 6). Es wurden in 10 Se- cunden 41 Inspirationen gemacht, wobei die Tiefe derselben etwa 15 cm betrug. Im weiteren Verlaufe der Erwärmung nahm die Tiefe der Athem- /\ N AAAAAANANANAAN N AN UVVUVUUV UV VUUVVVVVVVWVyVV Fig. 7. züge immer mehr zu, ihre Frequenz ab (Figg. 7, 8), bis 35 Minuten nach dem Beginne der Erwärmung bei 43-.9° C. im Rachen und 41-.2° C. im Rectum die Frequenz auf 19 Inspirationen in 10 Secunden ab- und die ORT RR RB RE N JUAHAAAM ANA AANN Fig. 8. Tiefe bis zu 30 °m zugenommen hatte (Fig. 9). Dabei nahm das Volumen der Luft in der Vorlage rapid zu (Fig. 7). Unter diesen Verhältnissen nun wurde die Leitung für das warme Wasser geschlossen, und Wasser von Zimmertemperatur durch die Heiz- Fig. 9. röhren geleitet. Sehr rasch sank die Rachentemperatur in 2 Minuten auf 43°C., während die Temperatur des Rectums zunächst ihre Höhe beibehielt. Sogleich steigerte sich. die Frequenz auf etwa 26 Inspirationen in 10 Se- cunden, und die Tiefe der Athemzüge nahm bedeutend ab (20 "=; Fig. 10). In den nächsten 8 Minuten wurde die Athmung immer frequenter und flacher, sodass sie bei 41-5°C. Rachen- und 39.6° C. Rectaltemperatur eine Frequenz von 45 Inspirationen in 10 Secunden und eine Tiefe von etwa 10cm aufwies. (Fig. 11). Die durch 12 Minuten neuerdings TIRk 100 Rıcuarp Hans Kann: eingeleitete Erwärmung des Carotidenblutes hatte wiederum eine bedeutende Verlangsamung (21 Inspirationen in 10 Secunden), und Vertiefung (25 =) der Athmung zur Folge (Fig. 12). Nun hörte die Regelmässigkeit der Athmung auf. Das Thier wurde unruhig und starb unter Erscheinungen, IA Fig. 11. wie sie oben beschrieben wurden, 1 Stunde und 10 Minuten nach dem Beginne des Versuches. Das Volumen der Luft in der Vorlage hatte in den letzten 20 Minuten enorm zugenommen (Fig. 12). Fig. 12. Um die Verhältnisse von Frequenz und Tiefe der Athmung übersehen und zugleich die Respirationsgrösse (nach Rosenthal das Produet aus Frequenz und Tiefe bezogen auf eine Zeiteinheit) beurtheilen zu können, sollen im Folgenden diese Grössen in einer Tabelle neben einander gestellt werden, wobei zu bemerken ist, dass sich die Angaben derselben auf die mitgetheilten Curvenbeispiele beziehen, und dass die Respirationsgrösse auf 1 Secunde berechnet und auf diejenige der Athemform vor der Erwärmung als Einheit bezogen ist. Temperatur Temperatur Frequenz d.| Tiefe der | Respirations-| Volumen der Zeit im im Athemzüge| Athmung Be uf ugdez E : ezogen Vorlage Rachen | Rectum |in 10 Sec. | in ccm auf 1 See. nimmt | I AN BI I Era 38-1 9 15 13-5 = 1-0 = Erwärmg. 4 51 38-1 38-1 25 9 22-5 = 1-7 _ 4 55 39-3 38-6 58 9 52-2 = 1-9 zu a 40-6 38-9 642% 710 64-0 = 4:7 N 5 il 42-1 39-8 Bee eh 63-8=4-7 | stark zu 5 17 42-8 40-5 41 15 61-5 = 4-6 N, Se Te, 42>9 40-6 34 16° | 54-4 =4-0 ee Dm2orıı, 4392 40-7 29 20 58-0 = 4'3 | sehr stark zu 5 25 | 48:9 41-2 19 30 57-0 = 4.2 Abkühlung | Koch Da 5 28 43-0 41-2 26 20 52.0, — 3.0 ae 5 36 40.3 40-6 45 10 | 45-0 = 3-3 zu 5 52 43-7 41-6 21 25 52-5=3-9 | stark zu ÜBER DIE ERWÄRMUNG . DES ÜAROTIDENBLUTES. 101 Aus solehen Versuchen, für welche der angeführte ein Beispiel ist, geht Folgendes hervor. Die Erwärmung des Kopfes allein durch Hei- zung des Carotidenblutes lässt die Zahl der Athemzüge zu-, die Tiefe aber abnehmen. Dabei ist das Maximum der Verflachung der Athmung stets früher erreicht, als das der Beschleunigung. Gleichzeitig nimmt die Respirationsgrösse zu, und zwar des- halb, weil die Tiefe höchstens um die Hälfte ab-, die Frequenz aber um das Drei- bis Vierfache zunimmt. Im Allgemeinen giebt die Respirationsgrösse einen Aufschluss über die Luftmenge, welche in der Zeiteinheit die Lungen passirt. Indessen dürfte bei unseren Versuchen nur ein geringer Theil der gewechselten Luft zur Ventilation der Lungen heran- gezogen werden. Denn hier kommt die Erhöhung der Athmungsgrösse hauptsächlich auf Rechnung der enorm erhöhten Frequenz, während die - Tiefe so bedeutend abnimmt, dass wohl nur ein geringer Theil der einge- athmeten Luft bis in die respirirenden Theile der Lungen gelangt. Es ist hier vielmehr in Betracht zu ziehen, dass eine grosse Menge Luft in der Zeiteinheit die Luftwege (Trachesa und Bronchien) bestreicht. Und dieses Verhältniss ist in unseren Versuchen noch insofern ungünstig, als der Kehlkopf, Rachen und die Nasenmuscheln von dem Contaete mit stets frischer Luft deshalb ausgeschaltet sind, weil das Thier tracheotomirt ist. Dass hier das Anwachsen der Athemgrösse ganz andere Bedeutung haben muss, als unter anderen Verhältnissen, kann man’ sich leicht an folgendem Beispiel klar machen. Bei der Rohrdyspno&, einer Aenderung der Athem- form, welche auf der Einathmung von Luft, die durch die eigene Exspira- tionsluft verschlechtert ist, beruht, beobachtet man ebenfalls eine Zunahme der Respirationsgrösse, welche vornehmlich in der Zunahme der Respirationstiefe begründet ist, und also mit einer ausgiebigeren Lüftung des resp:rirenden Theiles der Lungen Hand in Hand geht. Welche Bedeutung die Zunahme der Athemgrösse in unserem Falle haben muss, ist klar. In Folge der geringen Wärmecapacität der Luft ist es zum Zwecke der Abkühlung er- forderlich, dass grosse Luftmengen die feuchten Athemwege bestreichen und hier durch Wasserverdunstung für die Abkühlung der grossen Flächen der luftleitenden Organe wesentlich beitragen. Es ist also diese Aenderung der Athemform eine überaus zweckmässige, zumal die Abnahme der mit dem respirirenden Theil der Lungen in Berührung kommenden Luftmenge durch die enorm erhöhte Frequenz ihrer Auswechselung wieder wettgemacht wird. Aus diesem Grunde scheint der Ausdruck „Wärme-Dyspno&“ nicht treffend zu sein, da man mit Dyspno& eine Athemform zu bezeichnen ge- wöhnt ist, bei welcher die grosse bei normaler Athmung sich zeigende Zweck- mässigkeit der Athembewegungen gestört ist, und da dieselben in unseren Versuchen weder bezüglich der Abkühlung noch in Bezug auf den Gas- 102 RıcHarp Hans KAnn: wechsel unzweckmässig erscheint. Besser ist hier wohl der von Richet vorgeschlagene Ausdruck „Polypno&“. Es wird ja thatsächlich „viel ge- athmet‘‘, nämlich viel Luft, wie die Betrachtungen über die Zunahme der Respirationsgrösse ergeben. Indessen könnte dieser Ausdruck die Ansicht erwecken, es passire viel Luft die Lungen, was ja nach dem oben Ausein- andergesetzten gar nicht der Fall ist. Es scheint mir daher der von Gad schon in seinem Lehrbuch gebrauchte Ausdruck „Tachypno&“ deshalb der geeignete, weil er sich darauf beschränkt, auszudrücken, dass schnell ge- athmet wird, allerdings ohne darauf hinzuweisen, zu welch’ wichtigem Zwecke diese Aenderung der Athemform dient. Eine Polypno&, das heisst. ein Zustand der Athmung, in welchem viel Luft geathmet wird, kann darin. bestehen, dass die Frequenz der Athemzüge gesteigert ist, oder dass die- selben an Tiefe zugenommen haben. Und während für den ersteren Fall der Name Tachypno& zweckmässig erscheint, könnte man in letzterem die Athemform mit Bathypno& bezeichnen, wobei sowohl für die Tachypno& als auch für die Bathypno& sich je nach den verschiedenen Ursachen Unter- abtheilungen construiren und benennen liessen. Ein Beispiel für diese wäre etwa die „Rohrdyspno£“ (aörophthorische Bathypno&), für jene der bei der Erwärmung eintretende Athemtypus (thermische Tachypno&), in beiden Fällen ist aber die Respirationsgrösse erhöht. Es tritt also diese Tachypno&, deren wesentlichste Erscheinungen eine Zunahme der Athemfrequenz und eine Abnahme der Athemtiefe sind, ein, bevor der Körper seine Temperatur geändert hat. Ich sage absichtlich „bevor“ und nicht „ohne“, denn in diesem Stadium der Erwärmung ist das durch die Venen des Halses zurückfliessende Blut, welches auf dem Wege durch die Carotiden bloss eine recht geringe Erwärmung erfahren hat, gewiss nicht wärmer als vor dem Eintritt in das erwärmte Carotisstück, sodass es eine Abkühlung in den Lungen und Respirationswegen zwar erleidet, aber: gewiss nicht nöthig hat. Im weiteren Verlaufe eines solchen Versuches nun steigt auch die Körpertemperatur um einige Zehntel eines Grades, bis sie etwa die für das betreffende Thier als normal geltende Temperatur erreicht. hat. Dabei ist der Kopf um 2 bis 3° über den normalen Stand erwärmt worden, während die Athmung, welche rasch das Maximum ihrer Abflachung erreicht hatte, immer frequenter wird. Derin der Vorlage eingeschlossene Luftraum zeigt innerhalb. gewisser Grenzen die Grösse der Wärmeabgabe an. Je grössere Wärmemengen durch die Athemluft abgegeben werden, desto mehr wird das Gleichgewicht zwischen der Erwärmung dieses Luftraumes und seinem Wärmeverlust durch Strahlung von den Wänden der gläsernen Vorlage zu Gunsten des ersteren gestört. Etwa in gleichem Maasse steigt der Deckel des Volumschreibers aus dem Wasser und die Curve der Athemzüge hebt: ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 103 sich. Dabei ist allerdings nicht zu vergessen, dass diese Erscheinung mit einer Aenderung der Athemlage i schwer controlirbarer Weise collidiren kann. Nur eine grössere Reihe solcher Versuche kann darüber einiger- maassen ein bestimmtes Urtheil verschaffen. Da ergibt sich nun, dass zur Zeit, wo der Körper seine normale Temperatur erreicht hat, die Wärmeabgabe im Respirationstractus eine bemerkbare Grösse erreicht. Nach kurzem weiterem Ansteigen der Temperaturen des Kopfes und Körpers nimmt die Tiefe der Athmung wieder zu, die Frequenz ab, die Respirationsgrösse wird kleiner und die Wärmeabgabe durch die Respirationsluft wächst. Bei geeigneten Erwärmungsverhältnissen lässt sich dieser Zustand, bei welchem Kopf und Körper übernormal warm sind, längere Zeit annähernd gleich erhalten und, da zeigt es sich, dass die Athmung tiefer und langsamer, die Athemgrösse kleiner ist als zu jener Zeit, wo bloss der Kopf eine abnorme Erwärmung aufwies. Mit der andauernden Steigerung der Temperatur des Thieres nimmt die Athmung an Tiefe bedeutend zu, so dass sie manchmal die Tiefe der normalen Athmung um das Doppelte übertrifft. Dabei ist die Frequenz wieder gesunken und ebenso die Athemgrösse. Indessen werden dabei die respirirenden Theile der Lunge ausgiebig gelüftet. Dieser Punkt ist deshalb hervorzuheben, weil in diesem Stadium der Erwärmung Erscheinungen auf- treten (Unruhe, allgemeine Krämpfe), welche den Verdacht erwecken könnten, es werde den Lungen nicht genügend Sauerstoff zugeführt. Mit dieser Aenderung der Athmung ist stets ein rasches zum Tode führendes An- steigen der Temperatur verbunden, ein neuerlicher Beweis dafür, wie wichtig die Tachypno& für die Wärmeabgabe des Thieres ist. Es wird also bei einer hochgradigen Erwärmung des ganzen Thieres die Athmung im Hinblicke auf ihre Aufgabe zur Abkühlung bei- zutragen insufficient. Kühlt man noch rechtzeitig das Carotidenblut wieder ab, so dass die Temperatur des Kopfes erheblich sinkt, so bildet sich rasch wieder eine ausreichende Tachypno& aus, welche bei neuerlicher Erwärmung verschwindet. Fassen wir also diese Erscheinungen kurz zusammen, so ergibt sich, dass die Tachypno& am zweckmässigsten bei blosser Erwärmung des Kopfes verläuft, dass sie mit zunehmender Erwärmung des Körpers immer unzweckmässiger sich gestaltet, bis sie bei hohen Graden der Erwärmung des Thieres insufficient wird und schliesslich fast ganz verschwindet. Es wird also, wie schon Mertschinsky hervorgehoben hat, durch die Erwärmung des Kopfes allein eine Tachypno& veranlasst. Dieser Zustand des Thieres, bei welchem der Körper keine übernormale Erwärmung auf 104 RıcHArp Hans Kann: weist, lässt sich durch passende Variation des Erwärmungsmechanismus längere Zeit unverändert erhalten, so däss es gelingt, über einige wesent- liche Erscheinungen Aufschluss zu erhalten, welche sich zeigen, wenn das Athemcentrum in diesem Zustande nervösen Einflüssen unterliegt. Die im Folgenden mitzutheilenden Beobachtungen sind auf solche Weise angestellt, dass während des Maximums der Tachypnoö durch blosse Erwärmung des Kopfes gewisse äussere Eingriffe am Thiere gemacht wurden, welche erfahrungsgemäss die Athmung in bestimmter Weise verändern. Die Tachypno& ist durch einen Zustand des Athemcentrums hervor- gerufen, welcher sehr labiler Natur ist. Schon geringe ‘äussere Einflüsse genügen, um sehr erhebliche Störungen im Ablaufe dieser so zweckmässigen Athemform zu verursachen. Leichtes Kitzeln am Bauche, also eine Erregung sensibler Haut- nerven, lässt die Athmung sogleich langsamer verlaufen (Fig. 13). Dabei wird sie tiefer und unregelmässig, also in Hinsicht auf den Zweck der Tachypno& schlechter. Dementsprechend zeigt das Volumen der in der Vorlage eingeschlossenen Luft eine bedeutende Zunahme. Indessen stellt sich sehr rasch die Tachypno& in dem vorher zu beobachtenden Ausmaasse wieder her. Ebenso oder noch stärker störend wirkt die Reizung anderer sensibler Nerven. Leichte Reizung der Nasenschleimhaut, also sensibler Trigeminusenden mit einem stumpfen Instrument, welche bei normalen Thieren eine einmalige tiefe Inspiration oder nur ganz kurz dauernde Un- regelmässigkeit zur Folge hat, verursacht nicht nur sofortiges Aussetzen der Tachypno&, sondern eine Athemform, welche, in jeder Hinsicht unzweck- mässig und unregelmässig, an Tiefe und Langsamkeit diejenige des normalen Thieres weit übertrifft, und erst nach einer halben bis ganzen Minute wieder in die frühere Tachypno& übergeht (Fig. 14). %* Fig 14. Noch enormer sind die Störungen, welche nach Einblasung von Ammoniak in die Nase sich vollziehen. Dieses Vorgehen hat bekanntlich ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 105 beim normalen Thiere einen sofortigen Stillstand der Respiration in Exspira- tionsstellung zur Folge, welcher allmählich wieder in den normalen Rhythmus übergeht. Während unserer Tachypno& eingeblasenes Ammoniak bringt das Athemeentrum vollkommen aus dem Gleichgewicht. Ein langsames und umfangreiches Spiel der Athemmuskeln tritt ein, grosse Regellosiskeit in Respirationstiefe, Frequenz und Rhythmus der Athembewegungen hat zur Folge, dass die Temperatur des ganzen Thieres rapid steigt. Solche Ver- suche sind ebenfalls sehr geeignet, die Wichtigkeit der Tachypno& als Ab- ‚kühlungsmittel darzuthun. Diese Störungen dauern sehr lange und gehen schliesslich nur dann wieder in den ursprünglichen Zustand über, wenn ANETTE TER ET BEER /N EEE TREE] Fig. 15. die Temperatur des Körpers unterdessen nicht allzu sehr gestiegen ist, so dass der Versuch abgebrochen werden muss. Aus solchen Erscheinungen geht also hervor, dass der Zustand des Athemcentrums während der Tachypno& ein anderer sein muss, als bei normaler Temperatur. Seine gauze Thätigkeit ist bei seiner Erwärmung darauf gerichtet, durch zweckmässig in Action gesetzte _Athem- züge sich der abnormen Wärme zu entledigen. In diesem Bestreben wird es, wie wir noch sehen werden, durch Erregungen, welche auf Wegen kommen, die auch sonst der zweckmässigen Aenderung der Athmung namentlich im Sinne einer Fig. 16. Regulirung derselben dienen, wiederum in zweckmässiger Weise beeinflusst. Indessen verursachen äussere Einflüsse, welche sonst nur ganz leichte und rasch vorübergehende Störungen hervorrufen, im Zustande der Erwärmung den völligen Umsturz der ganzen Coordination der einzelnen der Athmung dienenden Muskelbewegungen, von welchem sich das Centrum erst nach geraumer Zeit wieder erholt. Lässt man ein Thier durch ein Rohr als directe Fortsetzung der Trachealeanüle athmen, so nimmt bekanntlich die Tiefe der Athemzüge sowie ihre Frequenz zu, während sich die Stellung des Thorax von der Gleichgewichtslage immer mehr entfernt (Rohrdyspno&). Diese Erscheinung 106 RıcuArp Hans Kann: verläuft während der Tachypno& anders, Die Athemlage sinkt zwar auch und die Tiefe der Respiration nimmt zu, aber die Frequenz wird bedeutend geringer (Fig. 16). Es verursacht also auch die zunehmende Verschlechterung der Respira- tionsluft und die damit zusammenhängende mangelhafte Blutbeschaffenheit erhebliche Störungen, sowohl bezüglich der für die Wärmeabgabe, als auch der für eine ausgiebigere Lüftung der Lungen in Betracht kommenden Aenderungen der Athemform. Von besonderer Bedeutung aber erscheinen die Beziehungen der Vagi zum Zustandekommen einer Tachypno& zu sein. Die Durchschneidung eines AM VA AANAARRNJU\NVUN van Fig. 17. Vagus verursacht während der Tachypno&, abgesehen von einer rasch vorüber- gehenden geringen Störung, welche auf seine Reizung zu beziehen ist, keine Aenderung im Ablauf der Athembewegungen. Reizt man nun den centralen Stumpf des durchschnittenen Nerven mit Inductionsströmen, so erhält man nicht etwa ähnliche Störungen der Athemform wie bei Reizung anderer sensibler Nerven. Die Tachypnoö wird vielmehr noch bedeutender. Fig. 17 zeigt den Verlauf einer solchen Vagusreizung mit einem R.-A. von 220 "= (2 Leclanche, Reizmarkirer, secundäre Spule von 10000 Windungen). Da sehen wir, dass die einzelnen Athemzüge noch flacher und frequenter werden, als vor der Reizung. Während vorher etwa \V NND NUN ER En RR En RE NNAVATAN, ww AUVAVAVAFAVA vn M MN Fig. 18. 40 Inspirationen in 10 Secunden gemacht wurden, deren Tiefe 10 °= betrug, stieg die Frequenz während der Vagusreizung auf 76 Inspirationen in der Sleichen Zeit, während die Tiefe auf etwa 6 bis 7 m herabsank. Es wuchs also die Respirationsgrösse von 40°’ auf 45-6 bis 53-.2°em” an, was als eine Vergrösserung der Zweckmässigkeit der Athmung in Hinsicht auf die Wärmeabgabe bezeichnet werden muss. Diese Aenderung der Athemform ist um so bedeutender, als die Reizstärke zunimmt. Fig. 18 zeigt den Verlauf einer Vagusreizung bei einem R.-A. von 150 =, Natürlich hat das auch hier seine Grenze bei jener Reizstärke, welche allgemeine Unruhe u. s. w. auch beim normalen Thiere hervorbringt. ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 107 Die Curve der durch Vagusreizung verstärkten Tachypno& verläuft ge- wöhnlich nahezu in derselben Abseisse wie vorher, nur bei starker Reizung ist sie wenig im Sinne der Inspiration verschoben. Der Anblick eines Thieres in solcher verstärkten Tachypno& erinnert lebhaft an eine Maschine mit grosser Tourenzahl. Der ganze Körper geräth in Erschütterung und manchmal kommt sogar der Arbeitstisch in’s Zittern, während das Thier 7 bis 8 Inspirationen in der Secunde macht. Die Durchschneidung des anderen Vagus vernichtet sogleich die Tachypno&. (Fig. 19). Fig. 19. Nach einigen kurzen exspiratorischen Pausen beginnt ein langsames, uınfangreiches Spiel der Athemmuskeln, das Inspirium verlängert sich, und die Tachypno& kehrt nicht wieder. Dabei steigt die Temperatur des Thieres bedeutend an, und es tritt sehr bald der Tod ein. In diesem Stadium lässt sich durch centrale Vagusreizung immer wieder eine Tachypno& je nach dem Grade der Reizstärke erzielen, nur muss die letztere hier bei Weitem grösser sein, als zur Zeit, wo ein Vagus noch erhalten war (Fig. 20). 20. \ A man Fie. 20. Erwärmt man in der angegebenen Weise das Carotisblut eines Thieres, welches beide Vagi durchschnitten hat, so erhält man allerdings eine Be- schleunigung und Abflachung der Athmung, wie sie schon Mertschinsky als typisch für beiderseitig vagotomirte Thiere angegeben hat. Dabei zeigen sich auch oft die unregelmässig zweigipfeligen Inspirationen. Jedoch ist ein bedeutender Unterschied jedes Mal zu constatiren. Weder die Abflachung noch die Beschleunigung erreichen jenen Grad, welchen wir oben als das Maximum der Tachypnoö bezeichnet haben, und die geringsten äusseren Einflüsse zerstören die Tachypno& und bringen in die Athmung wieder jene gewaltigen Störungen, welche man nach doppelseitiger Vagotomie zu sehen gewohnt ist. 108 RıcHuArp Hans Kann: Aus solchen Versuchen ergibt sich also, dass der ungestörte Ab- lauf beziehungsweise das rasche Wiedereintreten der gestörten Tachypno& bei blosser Erwärmung des Kopfes wesentlich an das Erhaltensein der Vagi geknüpft ist. Nothwendiger Weise muss man auch hier einen Vagustonus annehmen, das heisst, fortwährend im Wege der Vagi dem Athemcentrum zuströmende Erregungen, welche im Falle der Erwärmung desselben den Fortbestand einer zweckmässigen Tachypnoö gewährleisten, und deren Wegfall das Athemcentrum auch in diesem Falle zum Spielball aller sonstigen dasselbe treffenden Nervenein- flüsse werden lässt. IV. Die Veränderungen des Blutkreislaufes und an den Gefässen. Bezüglich der Veränderungen des Kreislaufes und der Gefässe bei An- wendung unserer Methode ist mir nur eine Angabe bekannt geworden. Mit wenigen Worten hat Fick! seine Befunde hierüber mitgetheilt: „Beim Hund haben sehr namhafte Steigerungen der Gesammttemperatur und der Temperatur des Carotidenblutes, welche die Athmungscentren in die stür- mischeste Aufregung versetzen, auf die Centra der Herz- und Gefäss- innervation nicht den mindesten Einfluss.“ Hier sei gleich vorweg bemerkt, dass ich eine ganze Reihe wichtiger Erscheinungen beobachten konnte. Dieser Gegensatz zu der Mittheilung eines so trefflichen Beobachters, wie es Fick gewesen ist, lässt sich zu- nächst ganz zwanglos dadurch erklären, dass der Hund ein für solche Ver- suche ganz ungeeignetes Thier ist, welches auf ein Brett gebunden so grosse Unregelmässigkeiten seiner Kreislaufverhältnisse zeigt, dass die Möglichkeit der Beobachtung feiner Functionsänderungen gar nicht gegeben ist. Eine tiefere Narkose oder Öurarisirung ist aber in unseren Versuchen ausge- schlossen. Ich habe zu denselben ebenfalls Kaninchen bevorzugt, weil diese nicht narkotisirt recht grosse Regelmässigkeit und Constanz ihrer Kreislauf- verhältnisse aufweisen. Die Versuchsanordnung war dieselbe wie bei den bisher geschilderten Versuchen; wenn es nothwendig wurde den Blutdruck aufzuzeichnen, so wurde zunächst die eine Arteria eruralis mit einer Canüle versehen und mit dem Cowl-Gad’schen Blutwellenzeichner in Verbindung gesetzt, da die beiden Carotiden durch die Heizröhren in Anspruch ge- nommen waren. Später wurde dazu eine Carotis benützt, da es sich heraus- stellte, dass die Heizung einer Carotis ausreichte, um die unten zu be- schreibenden Veränderungen hervorzubringen. ! A. Fick, Hat Veränderung "der Temperatur des im Hirn ceirculirenden Blutes Einfluss auf die Centra der Herz- und Gefässnerven? Pflüger’s Archiv. Bd.V. 8.38. 4 ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES CAROTIDENBLUTES. 109 Es ist bereits erwähnt worden, das einzelne leicht zu beobachtende grössere Gefässe am nicht erwärmten Körper bei Erwärmung des Kopfes Erscheinungen zeigen, welche auf eine vermehrte Gefässfüllung hin- deuten. Die Carotiden nehmen unterhalb der Heizröhren an Dicke zu, die Art. saphena magua wird deutlicher tastbar, tritt unter der Hautdecke hervor und zeigt einen vollen, weichen Puls. Aber auch an geeigneten Stellen des Hautgefässgebietes lassen sich hierher gehörige Beobachtungen anstellen. Einzelne kleine und scharf begrenzte Gefässchen lassen sich sehr gut an der Haut des Scrotums bei Kaninchen betrachten, auch ist hier der allgemeine Blutreichthum der Haut an ihrer blassen oder intensiveren Röthung leicht festzustellen. Noch besser eignet sich hierzu die Haut wenig pigmentirter Fussballen der Katze, zumal bei solchen Thieren, welche nicht schwitzen. Der classische Ort für die Beurtheilung der Blutfüllung, das Kaninchenohr, ist hier leider deshalb nicht zu gebrauchen, weil es erwärmtes Blut erhält und in Folge dessen, wie schon oben erwähnt, eine directe Wirkung des letzteren auf die Gefässwand zeiet. An den angegebenen Orten nun lässt sich Folgendes beobachten: Ganz feine aber scharf sichtbare Gefässchen in der Haut des Scrotums werden sichtlich weiter und noch schärfer ausgeprägt. Beohachtet man mit einer schwachen Lupe jene Stellen, an denen die Gefässe eben die Grenze der Sichtbarkeit überschreiten, so kann man sie während der Erwärmung des Kopfes viel weiter in das Gewebe hinein verfolgen, als vorher. Dazu ist gar keine sehr hochgradige Erwärmung des Kopfes nothwendig. Diese Veränderungen treten im Gegentheil schon ein, wenn die Rachentemperatur um 1 bis 2° C. gestiegen ist, wobei der Körper seine Temperatur voll- kommen bewahrt hat und eine weitgehende Aenderung der Athmung noch gar nicht eingetreten ist. Zu gleicher Zeit wird die vorher leichte Röthung der Haut viel intensiver und deutet ebenfalls darauf hin, dass die Blut- füllung zugenommen hat. Am deutlichsten sind diese letzteren Erscheinungen an den Katzenfussballen zu sehen. Die Haut derselben, welche gewöhnlich recht bleich aussieht, bekommt eine rosige Farbe, welche anhält, solange die Rachentemperatur erhöht ist, und nach Abkühlung des Kopfes gewöhn- lich einer intensiven Blässe Platz macht. Solche Erscheinungen deuten auf eine Erweiterung der Haut- sefässe durch Vermittelung des Centralnervensystemes hin. Dabei fühlen sich die Hautstellen, an denen man wegen Mangels der Haare am wenigsten einer Täuschung ausgesetzt ist, namentlich an den Katzenfussballen deutlich wärmer an, als vorher, trotzdem die Rectal- temperatur nicht gestiegen ist. Natürlich kühlt das Blut, welches in grösserer Menge durch die Hautdecken fliesst, in hohem Maasse aus, so dass man zu der Annahme gelangt, dass die erwärmten Gefässcentren im oberen 110 RıcHarp Hans Kann: Centralnervensystem sich eines Theiles der abnormer Weise zugeführten Wärme dadurch zu entledigen suchen, dass die Blutgefässe der Hautdecken sich erweitern. Es entspricht die Zweckmässigkeit einer solchen Erweiterung ja einer altbekannten Anschauung, indessen ist es von Interesse zu zeigen, dass dazu die Erwärmung des Kopfes allein genügt. Hier ist nun abermals auf die Untersuchung Winklers! hinzuweisen. Das Resultat derselben ist Folgendes: Man wird „geneigt sein, der Be- einflussung des Gefässcentrums durch die Temperatur des Medullarblutes, sowie der directen Wirkung der Temperatur auf die Gefässe keine wesent- liche Rolle zuzuschreiben und als Ausgangspunkt für das Zustandekommen der Fernwirkung eines thermischen Reizes nicht die durch den Reiz hervor- gerufene Bluterwärmung oder die Blutabkühlung, sondern die durch diese veranlasste Erregung der peripheren Enden von Temperaturnerven anzu- nehmen“. Die Möglichkeit dieser letzteren Annahme einer reflectorischen Einwirkung will ich, durchaus nicht bestreiten. Aber sicherlich ist es un- richtig, wenn Winkler auf Grund der Versuche von Cyon, Stefani und Deganello einerseits und auf Grund seiner eigenen, wie schon oben er- wähnt, zweifelhaften Versuche der Erwärmung des Carotidenblutes anderer- seits behauptet, dass dies die einzige Möglichkeit einer Aenderung der Ge- fässweite sei. Im Gegentheil geht aus meinen Ausführungen hervor, dass die alleinige Erwärmung der Medulla durch das erwärmte Blut, sowie dass die Erwärmung des Gefässinhaltes selbst eine aus- gesprochene Gefässwirkung zur Folge hat, und die erstere Beobach- tung wird durch weitere gleich mitzutheilenden Befunde zu besonderer Wichtigkeit gelangen. Eine Erweiterung der Hautgefässe von solcher Stärke, dass sie an einzelnen kleinen Arterien direct zur Beobachtung gelangen kann, lässt scheinbar schliessen, dass sie mit einer bei der immerhin recht grossen Capacität dieses Gefässgebietes erheblichen Senkung des Blutdruckes einher- gehen werde, falls nicht irgend welche compensatorische Einrichtungen in Action treten. Die Untersuchung des Blutdruckes zeigt indessen ein nicht erwartetes Resultat. Es soll nun zunächst wieder ein typischer Versuch tabellarisch ge- schildert werden, welcher die Aenderungen des Blutdruckes bei Erwärmung des Carotidenblutes zeigt, wobei hervorzuheben ist, dass sich derselbe nur auf die Erwärmung des Kopfes bezieht. (Siehe Tabelle S. 111.) Die folgenden Curven sind mit dem Cowl-Gad’schen Blutwellen- zeichner gewonnen. Der Apparat wurde nach jedem Versuch mit dem Hg-Manometer auf absolute Druckwerthe geaicht, es entspricht die obere 2 Aa: ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 111 Tempera- | Tempera- Tempera- | Tempera- Zeit tur im | tur im | Blutdruck Zeit tur im | tur im | Blutdruck Rachen | Rectum Rachen | Rectum 4 36° | 37-2 38-0 | (Fig. 21) | 5% 10° | 41-9 39-1 | (Fig. 25) Erwärmg. 5 12 41-9 39-1 a A EI 37-5 38-0 wächst 5 14 42.0 39.2 (Fig. 26) 4 40 37.9 38-0 E% 5 15 49.1 | 39-2 5 4 41 38-1 38-0 (Fig. 22) | 5 ı8 49-1 39»2 = 4 44 38-4 38-1 sinkt 5 20 |. 42-1 39.2 (Fig. 27) 4 46 38-5 38-1 Abkühlg. 4 48 38-6 38-2 es 5.22 41-7 39.3 & 4 50 38-8 38-2 | (Fig. 23) | 5 24 40-4 39-3 sinkt Au 51, | 239°0 38-2 % 5.26 39-6 39-3 \ 4 53 39-2 38-3 steigt 5 27 39-3 39-1 | (Fig. 28) 750, |073988 38.4 » 5 30 38-6 38.9 „ 4 57 | 40-2 38-6 | (Fig. 24) | 5 32 38-4 38-8 R 4 59 | 40-5 38.8 > 5.35 38-0 38-6 sinkt 5 00 | 40-9 e38a8 = 5 36 37-8 38-5 | (Fig. 29) 52.03 1,4182 39-0 ä 536 37-8 38-5 ; 5 07 | 41-6 39-0 | (Fig. 25) | 5 38 37-6 38-4 2 5 Zoe 39-0 > 5 40 37.5 38-2 & der beiden horizontalen Linien einem Drucke von 80 == Hg, die untere dem Nullwerth des Druckes. Unterhalb derselben finden sich ganze Secunden markirt. Die Blutdruckwerthe, welche im Folgenden angegeben werden, beziehen sich auf die Minima der Wellen, weil diese zu Folge der eigen- thümlichen Construction des Apparates am sichersten den wahren Werthen entsprechen und nicht durch technische Mängel (Schleuderung u. s. w.) zu Täuschungen Anlass geben können. Aus der mitgetheilten Tabelle ergiebt sich folgendes Bild der Blut- druckverhältnisse: Das normale Thier hatte einen Druck von S5=m Hg, während das Herz in 10 Secunden 47 Schläge ausführte (Fig. 21). LUD GUULULALLLUEN Fig. 21. Während der nächsten 5 Minuten stieg die Temperatur des Rachens um 0.9° C., die des Rectums blieb constant. Der Blutdruck nahm zu; er betrug in der sechsten Minute 90 "m Hg, dass Herz zeigte eine Vermehrung der Schlagfrequenz auf 50 Schläge in 10 Secunden (Fig. 22). In den nächsten 6 Minuten hob sich die Rachentemperatur wiederum um 0.8° C., während die Rectaltemperatur nur unbedeutend stieg. Die Schlag- 112 RıcHharpd Hans Kann: zahl des Herzens nahm weiter zu (52 Schläge in 10 Secunden), der Blut- druck indessen sank allmählich auf 80% und blieb auch in der nächsten Minute auf dieser Höhe stehen (Fig. 23). In den folgenden 7 Mi- ll lıl LAUMINALIELDLLIELI: U Jul ıl In Il! I \ IN ak HIT Id) I) Ju IMULLLLDUGHULLUH Fig. 22. nuten erreichte die Temperatur des Rachens 40.2° C., war also seit dem Beginne des Versuches um 3°C. gestiegen, während der Körper sich bloss am Mm MOM Fig. 23. um 0°6° erwärmt hatte, also noch weit unter der für das Kaninchen normalen Temperatur sich befand (Fig. 24). Unterdessen war der IA IM! AAN AU A LAK ALANMALAAMALLN wu Jun IN Fig. 24. Blutdruck auf 100” gestiegen, auf welcher Höhe er sich die nächsten 23 Minuten hielt, trotzdem die Rachentemperatur 42° C. überschritt und UML LU Fig. 25. einige Zeit auf dieser Höhe verharrte. Die Pulsfrequenz, welche sich Anfangs auf der früheren Höhe bewegte, sank zunächst auf 48 Pulse in 10 Secunden, um in der nächsten Zeit mit 56 Pulsen ihr höchstes Maass zu erreichen (Figg. 25, 26, 27). Nun wurde das warme Wasser in den Heiz- röhren durch solches von Zimmertemperatur ersetzt. Der Blutdruck sank Tr ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 113 in dem Maasse, als die Rachentemperatur abnahm. Sechs Minuten nach dem Beginne der Abkühlung betrug er 89=m hei 52 Herzschlägen in | AULMUMMALADIAALIADULLL ULLA Fig. 26. 10 Seeunden. (Fig. 28). Nach weiteren 9 Minuten erreichte er jene Höhe (85"=), welche zu Beginn des Versuches geherrscht hatte, wäh- Fig. 27. rend das Herz nurmehr 48 Schläge in 10 Secunden vollführte (Fig. 29). Mit diesem Drucke und dieser Frequenz endete der beschriebene. Ver- /such 1 Stunde und 4 Minuten nach seinem Beginne bei etwa derselben Temperatur im Rachen und Reetum wie damals. INnJJLULLI ‚ll! Kuh I | Fig. 29. Zur besseren Uebersicht seien die wichtigsten Daten dieses Versuches, soweit sie den mitgetheilten Curven entsprechen, wiederum zu einer Tabelle vereinigt. (Siehe Tabelle S. 114.) Aus diesem sowie einer Anzahl von Versuchen, welche in gleicher Weise angestellt wurden, geht also zunächst hervor, dass der Blutdruck in den Arterien im Allgemeinen eine Zunahme zeigt, wenn durch Erwärmung des Carotidenblutes die Temperatur des Kopfes ' weit über das normale Maass erhöht wird, ohne dass die Tem- | peratur des Körpers über die Norm sich erhebt. Diese Blutdruck- "Archiv f, A.u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 8 114 RıcHarpd Hans Kann: Zeit | Temperatur Temperatur | Blutdruck |.Zahl der Herz- & | im Rachen im Recetum in mm Hg ischläge in 10 Sec. SE | 37-2 38-0 85 47 4 41 | 38-1 38-0 - 90 50 4 50 38-8 38-2 80 52 AT 40-2 38-6 100 52 DT 41-6 39:0 100 48 Hailtd: 42-0 39-2 100 51 DD) | 42-1 39-2 100 56 Dit 39-3 39-1 89 52 HE236 | 37.8 38*5 SD 48 steigerung ist recht gering; sie beträgt höchstens 15"" Hg. Ich habe nie eine grössere, meistens aber eine geringere (5 bis 8"m) beobachtet. Dies stimmt übrigens mit den Befunden anderer Untersucher, welche in einem Heizkasten das ganze Thier erwärmten, überein. So hat beispielsweise Senator! Blutdrucksteigerungen von 5 bis 10m bei seinen erwärmten Kaninchen mitgetheilt. Weiteres zeigt sich in den meisten Fällen gleich in der ersten Zeit der Erwärmung des Carotidenblutes insofern eine Un- regelmässigkeit,. als der Blutdruck häufig sinkt, oder Schwankungen auf- weist. Manchmal dauern die letzteren minutenlang an und halten dabei weder gleichen Schritt mit der Athmung noch entsprechen sie jenen be- kannten rhythmischen Schwankungen der Gefässweiten, wie sie seit Langem bekannt sind (Sigmund-Mayer’sche Wellen) und beispielsweise nach der Injeetion von Nebennierenextract recht häufig zu beobachten sind. MUT, BAUTEN IITETHUSLSUNEEITSITETETTTENN Fig. 30. Fig. 30 zeigt solche Druckschwankungen, welche in der ersten Zeit der Erwärmung des Carotidenblutes auftraten. Die Temperatur des Rachens betrug 39.5° C., sie war seit dem DBeginne des Versuches um 2-.5° 0. gestiegen, während die Rectaltemperatur (37-4° C.) gleich “geblieben war. Der Blutdruck betrug 100" Hg und schwankte um etwa 10mm, In dem Maasse, als der Kopf wieder abgekühlt wird, sinkt auch wieder der Blutdruck, wobei es ebenfalls häufig am Ende des Ver- suches zu Unregelmässigkeiten und Schwankungen kommt. Bezüglich der Beschleunigung der Herzaction soll später im Zusammenhange mit anderen Erscheinungen am Herzen die Rede sein. ! H. Senator, Ueber einige Wirkungen der Erwärmung auf den Kreislauf, die Athmung und Harnabsonderung. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abthlg. Suppl. ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 115 Dieses Resultat nun, nämlich die wenn auch geringe Steigerung des Blutdruckes, stimmt nun gar nicht überein mit der Beobachtung, dass sich die Blutgefässe der Haut erweitern. Auch die häufigen Unregelmässigkeiten und Schwankungen des Druckes weisen darauf hin, dass sich bei der Er- wärmung des Kopfes mehr im Gefässsystem vollzieht, als in der Blutdruck- curve zum Ausdruck kommt. Es schien daher geboten, zu untersuchen, ob nicht durch besondere Regulationsvorrichtungen die durch Erweiterung im Hautgefässgebiet zu erwartende Blutdrucksenkung bei der Erwärmung des Kopfes ausgeglichen wird. Zu diesem Zwecke wurden zunächst an mehreren Thieren beide Depressoren durchschnitten, und sodann das Caro- tidenblut erwärmt. An so behandelten Thieren verläuft die Erwärmung des Kopfes etwa in derselben Weise, wie es oben beschrieben wurde, in- dessen machen sich, und zwar wiederum ganz besonders bei noch nicht zu hohen Graden der Erwärmung, sehr charakteristische Erscheinungen geltend. Diese bestehen in vorübergehend auftretenden bedeutenden Steigerungen des Blutdruckes, verbunden mit enormer Verlangsamung des Herzschlages (Fie. 31). Fig. 31. Dabei hatte sich die Temperatur im Reetum gar nicht geändert. Solche Erscheinungen sind deshalb sehr interessant, weil sie wiederum beweisen, welch’ wichtige Rolle den Depressoren bei abnormen Verhältnissen zukommt. Indessen erklären sie vor der Hand nicht, auf welche Weise einer Drucksenkung durch Erweiterung der Hautgefässe vorgebeugt wird. Es wurde also direct auf jenes Gefässgebiet die Aufmerksamkeit gelenkt, welches geeignet scheint, die Wirkungen dieser Erweiterung durch Con- traction seiner Gefässe auszugleichen, das Splanchnieusgebiet. Ich habe zunächst versucht, während der Erwärmung des Kopfes durch direete Beobachtung den dort herrschenden Verhältnissen näher zu kommen. Es wurde durch einen kurzen Bauchschnitt eine Darmschlinge hervorge- zogen, in ein erwärmtes Tuch gehüllt, und die kleinen Gefässe ihres Me- senteriums genau beobachtet. Ich hatte den Eindruck, dass manches Ge- fässchen, welches früher recht stark über das Niveau des Gewebes hervor- ‚ ragte, nach Erwärmung des Carotidenblutes, aber bei erhaltener Rectal- \ temperatur, weniger stark sich hervorwölbte, auch die Aenderung der | Reflexe auffallenden Lichtes liessen vermuthen, dass sich der Zustand des 116 RıcuArp Hans Kann: Gefässes geändert hätte, indessen konnte hier Manches auf Täuschung be- ruhen, und eine sichtliche Contraction kleiner Gefässe war nicht festzustellen. Es ist dies übrigens erklärlich, wenn man bedenkt, dass bei der mächtigen Capacität des Splanchnieusgebietes bedeutende Aenderungen des Blutdruckes schon durch eine minimale Contraction der einzelnen kleinen Gefässe: hervorgerufen werden können. Es wurde nun auf anderem Wege versucht, Anhaltspunkte für die vermuthete Gefässcontraction im Splanchnicusgebiete zu gewinnen. Wenn durch Unterbindung beider Subelavien sowie der Bauchaorta knapp vor ihrer Theilung ein grosser Theil des Hautgebietes von der Circulation aus- geschaltet wurde, konnte vielleicht die in der Blutdruckeurve für gewöhnlich bei Erhöhung der Temperatur des Kopfes in Erscheinung tretende geringe Blutdrucksteigerung dadurch erhöht werden, dass nun eine Contraction im Splanchnicusgebiet, welche früher die Erweiterung der Hautgefässe eben um ein Geringes übertraf, jetzt nach Verkleinerung des Gebietes derselben bedeutender hervortrat. Allerdings mussten dabei eine Reihe von Fehlern mit in Kauf genommen werden, zunächst die Ausschaltung mancher Theile des Splanchnicusgebietes, welche ihr Blut von den untersten Aesten der Aorta und von der Art. iliaca erhalten, weiteres das Abströmen von Blut aus den ausser Circulation gesetzten Gebieten in den Kreislauf, für dessen Ausmaass jedes Criterium fehlte. Solche Versuche waren jedoch auch in technischer Hinsicht complieirt. Zur Messung der Körpertemperatur stand das Rectum nicht mehr zur Verfügung, zur graphischen Verzeichnung des Blutdruckes nicht mehr die Arteria ceruralis.. Nach einigen vergeblichen Versuchen, die erstere in anderen Gegenden (Achselhöhle, Subeutis) genau zu bestimmen, verzichtete ich ganz darauf und suchte an der Hand der Erfahrung von den vielen früheren Versuchen die Erwärmung des Kopfes derart verlaufen zu lassen, dass eine Erwärmung des Körpers nicht anzu- nehmen war. Es wurde eine Carotis mit dem Blutwellenzeichner verbunden, und bloss die andere in eine Heizröhre gelagert. Dabei zeigte es sich, dass die Rachentemperatur langsamer in die Höhe ging, als bei doppelseitiger Erwärmung des Carotidenblutes, dass sie aber trotzdem zu bedeutender „Höhe gebracht werden konnte. Controlversuche ohne Unterbindung der Aorta lehrten, dass sich der Körper ebenso verhielt wie bei den früheren Versuchen, und dass alle bisher beschriebenen Erscheinungen ebenso auftraten. Die in der eben angegebenen Weise angestellten Experimente mit einer Ausschaltung eines Theiles der Hauteirculation verliefen resultatlos.. Der Blutdruck, welcher zu Beginn des Versuches eine viel bedeutendere Höhe aufwies, änderte sich »ei Erwärmung des Kopfes etwa in denselben Ver- hältnissen wie früher. Ob daran die bereits erwähnten Fehler Schuld trugen, oder die Ausschaltung eines grossen Theiles der Museulatur aus dem ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (ÜAROTIDENBLUTES. 117 Kreislauf, kann ich nicht entscheiden. An dieser Stelle sei auch erwähnt, ‚dass es mir nicht gelungen ist, über die Circulationsänderungen in der Museulatur etwas Genaueres zu eruiren. Nachdem diese Versuche gescheitert waren, gab es noch eine Möglich- keit, etwas über das Verhalten der Gefässe im Splanchnieusgebiete aussagen zu können, das war die beiderseitige Durchschneidung der Splanchnici. Wenn die Erweiterung der Hautgefässe bei Erwärmung des Kopfes durch eine Contraction der Gefässe der Eingeweide wettgemacht oder eben über- - compensirt wurde, so musste nach beiderseitiger Splanchnieusdurchschneidung der Blutdruck schon im Anfangsstadium der Erwärmung sinken. Die Durehschneidung wurde folgendermaassen ausgeführt: Die Bauchhöhle wurde medial eröffnet, die Eingeweide mit trockenen, erwärmten Tüchern nach abwärts gedrängt, die Aorta bei ihrem Austritt aus dem Zwerchfell freipräparirt und der neben ihr verlaufende linke Splanchnieus durch- schnitten. Um denselben rechterseits zu erreichen, ist jüngst Porter! derart vorgegangen, dass er unter künstlicher Athmung das Centrum ten- dineum durchschnitt und den Nerven in der Brusthöhle oberhalb des KEERKSTTRERLILERLEILELATA EBEN Fig. 32. Fig. 33. Fig. 34. Zwerchfelles reseeirte. Ein so schwerer Eingriff schien mir hier weder nothwendig noch wünschenswerth. Ich ging also ohne künstliche Athmung zwischen den vertebralen Ursprungszacken des Zwerchfelles hinauf, und nach einiger Uebung gelang es stets den rechten Splanchnicus zu reseciren. Dabei konnte ein Pneumothorax vermieden werden, und die Operation verlief rascher. Die Zwerchfell- und Bauchwunde wurde nun sorgsam ge- näht, und es wurde einige Zeit gewartet, bis die Thiere sich von dem Eingriff und der damit verbundenen bedeutenden Abkühlung einigermaassen erholt hatten. Der Erfolg dieser Versuche entsprach vollkommen den auf sie gesetzten Erwartungen. Bald nach Beginn der Erwärmung des Carotidenblutes sank der Blut- druck, welcher vorher die Höhe von 60”" bei 43 Pulsen in 10 Secunden gehalten hatte (Fig. 32), um 10 == Hg, während die Pulsfrequenz auf ı W. T. Porter and H. G. Beyer, The relation of the depressor nerve to the vasomotor centre. Americ. Journ. of Physiol. T.IV. 6. p. 283. 118 Rıcuarp Hans Kann: 46 Pulse stieg (Fig. 33). Nach erfolgter Abkühlung stellten sich annähernd die früheren Verhältnisse wieder her (Fig. 34). Dabei war die Temperatur des Körpers weit unter dem normalen Stand. Diese Blutdrucksenkung bei der Erwärmung des Kopfes kann so bedeutend sein, dass sie den Herzschlag schädigt und allmählich den Tod des Thieres herbeiführt (Figg. 35, 36). Hier beträgt die Drucksenkung über 25”, das Thier erholte sich nicht wieder. Aus diesen Versuchen scheint also hervorzugehen, dass die Er- wärmung des Kopfes die Gefässe des Splanchnicusgebietes zur Contraction anregt, und dass dadurch die gleichzeitig veran- lasste Erweiterung der Gefässe der Haut nicht nur ausgeglichen, sondern sogar wenig übercompensirt wird. Denn bei der viel grösseren Blutcapacität des ersteren Gebietes muss man nicht annehmen, dass bei der geringen Blutdrucksteigerung, welche gewöhnlich zu beobachten ist, noch andere Gebiete, zum Beispiel das der Musculatur, erhebliche Ver- änderungen aufweisen. Wir haben also hier einen Antagonismus in der Innnervation der Blutgefässe des Leibesinneren und denen EINEHEEREEEN UWUuluuuuuuiu 36. Fig. 36. der Haut, welcher bei Erwärmung des Kopfes in Thätigkeit tritt, und so das Blut derartig vertheilt, dass es möglichst viel Wärme abzugeben in der Lage ist, ohne dass der Blutdruck in den grossen Gefässen sinkt. Er steigt sogar unerheblich an wegen des Ueberwiegens der Capacität des Splanchni- cusgebietes gegenüber dem Hautgebiete. Indessen scheint dieses Verhältniss durch centripetale Nerven geregelt zu werden, und zwar vor Allem durch Vermittelung der Depressoren, da nach Durchschneidung derselben bedeutende Druckanstiege vielfach bei der Erwärmung des Carotidenblutes zu beobachten sind. Dieser ausgleichende Mechanismus erklärt auch zwanglos die Un- regelmässigkeiten des Blutdruckes, welche in den ersten Stadien der Er- -wärmung häufig in Erscheinung treten, sowie die oft zu beobachtenden rhythmischen Schwankungen in diesem Zeitpunkte. Hier ist es von Interesse hervorzuheben, dass bei andersartigen Ver- suchen ein gewisser Antagonismus in dem Verhalten verschiedener Gefäss- gebiete beschrieben worden ist. So glaubt Ostroumoff! und desgleichen ' A. Ostroumoff, Versuche über die Hemmungsnerven der Hautgefässe. Pflüger’s Archiv. 1816. Bd. XII. S..25. ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 119 Pawlow! bei Reizung sensibler und vasomotorischer Nerven Derartiges ge- sehen zu haben, und auch bei Grützner und Heidenhain? finden sich solche Angaben. Dastre et Morat? haben angegeben, dass sich bei der Erstickung die peripheren Gefässe erweitern, namentlich am Ohre und den Lippen des Kaninchens und an der Wange des Hundes sowie an den Extremitäten; dass sich aber die Gefässe des Darmes gleichzeitig contrahiren, ebenso die glatte Musculatur der Milz, der Nieren und des Uterus. Weiteres hat Knoll* einen Antagonismus zwischen den Gehirngefässen und denen anderer Gebiete als sehr wahrscheinlich hingestellt, und Wertheimer’ fand einen solchen bei Strychnininjectionen: „Si l’on injecte dans la veine femorale d’un chien 2& 4 milligrammes de sulfate de strychnine, ’augmen- tation enorme de la pression qui resulte de la constrietion des petits vaisseaux splanchniques, S’accompagne d’une rougeur intense de la muqueuse des l&vres et de la langue.“ Die einseitige Durchschneidung der Vasodilatatoren der Zunge hebt die Röthung gleichseitig auf, Reizung des centralen Ischiadieus- stumpfes wirkt ähnlich. Blosse Erwärmung des Kopfes hat also eine geringgradige Steigerung des Blutdruckes zur Folge, indem die Hautgefässe sich erweitern, die Gefässe der Eingeweide sich verengern, wobei die Wirkung der letzteren Erscheinung etwas überwiegt. Bei der Regulation dieses Mechanismus spielen die Depressoren eine erhebliche Rolle. Diese Verhältnisse bleiben während der ganzen Erwärmungsdauer constant, und scheinen sich, wie aus den Erfolgen der Blutdruckmessung bei der Erwärmung des ganzen Thieres hervorgeht, auch hier abzuspielen. Vv. Die Veränderungen des Herzschlages. Die Veränderungen des Herzschlages bei Anwendung unserer Methode scheinen mir deshalb von besonderem Interesse zu sein, weil die bekannten Wirkungen der Erwärmung auf das Herz durch directe Application der ı J. Pawlow, Experimentelle Beiträge zum Nachweis des Accommodationsmecha- nismus der Blutgefässe. Pflüger’s Archiv. 1878. Bd. XVI. S. 266. ® P. Grützner und R. Heidenhain, Beiträge zur Kenntniss der Gefässinner- vation. Pflüger’s Archiv. 1878. Bd. XVl. 8.1. ® Dastre et Morat, Influence du sang asphyxique sur l’appareil nerveux de la eireulation. Arch. de physiol. norm. et pathol. 1834. T.I. p.1. * Ph. Knoll, Ueber die Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit u.s. w. Sitzungsber. der k. Akademie zu Wien. Math.-naturw. Cl. 1886. 93. Bd. III. S. 217. ° E. Wertheimer, Sur quelques faits relatifs au balancement entre 1a circula- tion superficielle et la circulation viscerale.. Arch. de physiol. norm. et pathol. 1891. p. 547. 120 RıcHArp Hans Kaun: Wärme auf das Kalt- oder Warmblüterherz oder durch Durchspülung des- selben mit erwärmten Flüssigkeiten oder aber durch Erwärmung des ganzen Thieres hervorgerufen wurden.! Bezüglich der Schlagfrequenz hat sich eine stetige Zunahme derselben bei steigender Temperatur ergeben. Bezüglich der Schlaggrösse herrschen keine einheitlichen Anschauungen. Die einzige Angabe, welche wir bezüglich einer Herzwirkung durch erwärmtes Öarotidenblut bekannt geworden ist, stammt von Cyon?, welcher durch die Carotiden, welche künstlich mit Blut von 36° C. durchströmt waren, plötzlich solches von 48° C. leitete. Dabei wurde die Herzaction bedeutend verlangsamt und der Blutdruck sank. Cyon fasst diese Er- scheinung als eine central ausgelöste auf. Die Versuche, welche ich mit der Erwärmung des Carotidenblutes an- gestellt habe, ergaben Folgendes. Schon bei geringer Erwärmung des Kopfes über das normale Maass, während der Körper keine Temperatur- steigerung aufwies, noch bevor eine ausgesprochene Tachypno& zu beobachten war, findet eine geringe Beschleunigung der Herzaction statt. Dieselbe hält sich stets innerhalb ganz enger Grenzen, sie beträgt selten mehr als 2 bis 3 Herzschläge in 10 Secunden (Figg. 21, 22). Mit zunehmender Erwärmung des Kopfes, wobei oft die Temperatur des Körpers um einige Zehntel eines Grades sich hebt, ohne freilich die normale Temperatur zu erreichen, nimmt die Zahl der Herzschläge weiter zu, jedoch erreicht die Beschleunigung niemals hohe Werthe, sondern wächst erst erheblich, wenn sich der Körper, also die gesammte I lumense, stärker zu erwärmen beginnt. In Anbetracht des Umstandes nun, dass das Herz jenes Organ ist, welches das Blut, das nach seiner Erwärmung die Gefässe des Kopfes durch- strömt, zunächst erhält, sind diese Befunde einer Vergrösserung der Schlag- frequenz nur mit Vorsicht auf centrale Einflüsse zu beziehen. Jene geringe Pulsbeschleunigung, welche schon eintritt, sobald die Rachentemperatur sich um wenige Zehntel eines Grades gehoben hat, scheint mir jedoch eine centrale Wirkung zu sein, denn es ist mit grosser Sicherheit auszuschliessen, dass hier das zum Herzen zurückströmende Blut wärmer wäre, als zur Zeit seines Eintrittes in die Heizröhren. Die weitere und etwas stärkere Puls- beschleunigung jedoch kann wohl mit ihren Grund in einer geringen Er- wärmung des rückströmenden Blutes haben, da ja dasselbe hierauf in den Lungen gänzlich abgekühlt wird (Tachypno&) und daher keine Steigerung der Rectaltemperatur verursacht. Die weitere Erwärmung des Carotiden- ! Vgl. ©. Langendorff, Ueber den Einfluss verschiedener Temperaturen auf die Herzthätigkeit. Asher und Spiro, Ergebnisse der Physiologie. 1903. Bd. 1. 2. ®? E. Cyon, Ueber den Einfluss der Temperaturänderungen auf die centralen Enden der Herznerven. Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. VIII. 8.345. I | EEE ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 1241 blutes in der Art, dass die Körpertemperatur beträchtlich ansteigt, führt auch hier zu stärkerer Vermehrung der Schlagfreguenz des Herzens, ähnlich wie sie bei der directen Erwärmung desselben oder des ganzen Thieres be- obachtet wurde. In der ersten Zeit der Erwärmung ist jedoch recht constant noch eine andere Erscheinuug zu constatiren. In manchen Blutdruckcurven, welche mittels des Blutwellenschreibers gewonnen wurden, machen sich bezüglich der Form der Blutwellen periodisch auftretende Verschiedenheiten bemerkbar. nn Fig. 37. Indessen sind kleine Unterschiede dieser Form deshalb mit Vorsicht zu be- urtheilen, weil gerade hier Schleuderungen dieselbe entstellen können, da es aus technischen Gründen nicht angeht, die letzteren, wenn es auf brauch- bare Ordinatenhöhen des Blutdruckes ankommt, bei Apparaten, welche nach diesem oder ähnlichen Principien gebaut sind, auf ein Minimum zu reduciren. Daher habe ich versucht, auf andere verhältnissmässig einfache Weise die Stärke der Ventrikelcontractionen zu registriren. Das Herz wurde ohne Verletzung der Pleuren nach Gad! freigelegt, in das Muskelfleisch des Lil Mh Me Emm Hl] in | linken Ventrikels ein Häkchen eingestochen, und ein an diesem befestigter dünner Seidenfaden über ein Röllchen zu einem leichten Hebel geleitet, welcher auf der berussten Trommel schrieb (Fig. 37). Die Curve zeigt durch das Auf- und Abwandern der Hebelspitze die Aufeinanderfolge der einzelnen Systolen und Diastolen des Ventrikels. Die- selben laufen in recht regelmässiger Frequenz und zeigen verschiedene Zacken, welche wahrscheinlich auf kleinen mechanischen Fehlern bei dieser I ! Verhandlungen der Berl. physiol. Ges. 1877, Dies Archiv. 1878. S. 596. 122 RıcHArpd Hans Kann: recht primitiven Methode beruhen, zumal die Frequenz der einzelnen Be- wegungen verhältnissmässig gross ist. Schon im Anfangsstadium der Er- wärmung: des Kopfes zeigen sich deutlich Perioden verschiedener Stärke der Ventrikelcontractionen, ohne dass die Schlagfreguenz schon zugenommen hätte (Fig. 38). Diese Perioden umfassen 7 bis 8 Herzschläge, wobei etwa 4 bis 5 immer stärker und 3 bis 4 wieder schwächer werden. Diese Erscheinung dauert nicht lange an, sie verschwindet vielmehr nach wenigen Minuten, um einer anderen Art des Ablaufes der Herzschläge Platz zu machen, welche sich während der weiteren Versuchsdauer constant erhält und häufig auch in der Form der Blutwellen ihren Ausdruck findet. Dabei wechseln stärkere und schwächere Contractionen mehr oder weniger regelmässig mit einander ab, und es beginnt die Frequenz sich allmählich zu vergrössern (Fig. 39). Kühlt man nun den Kopf wieder ab, so geht diese Form abermals in die eben beschriebene periodisch wechselnde über, bevor wieder normale Verhältnisse erreicht werden. Dabei kann die letztere in Erscheinung nA 39. Fig. 39. treten, obwohl die Körpertemperatur nun höher ist, als kurz nach Beginn des Versuches, und sie scheint; also dadurch hervorgerufen zu werden, dass der Kopf wieder abgekühlt wurde. Diese Erscheinungen sind deshalb von Interesse, weil sie zeigen, dass gewisse Veränderungen des Herzschlages, besonders schwache Be- schleunigung desselben, sowie gewisse periodische Erscheinungen in der Stärke der Gontractionen der Ventrikel auftreten, ohne dass das Blut, welches das Herz durchströmt, eine Temperatur- steigerung erfährt, welche aber dennoch auf eine Erhöhung der “ Temperatur zurückzuführen sind, nämlich auf die des Central- nervensystems. Dass das Centrum der Herzinnervation sich während der Erwärmung des Kopfes in verändertem Zustand befindet, geht vor Allem daraus hervor, dass ungemein leicht verschiedene Einflüsse auf dasselbe eine vom normalen Verhalten abweichende Innervation des Herzens auslösen. In Fig. 31 st eine bei unseren Versuchen an Thieren, denen beide Depressoren durch- schnitten wurden, häufig auftretende Erscheinung dargestellt, welehe in be- ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 123 deutender periodisch wiederkehrender Blutdrucksteigerung verbunden mit enormer Pulsverlangsamung besteht. Diese letztere ist in solchem Ausmaass durch blosse Blutdrucksteigerung ohne Erwärmung des Kopfes nie zu finden, Allerdings hat ja Bernstein! gezeigt, dass vorübergehende Blutdruck- erhöhung eine centrale Vaguswirkung auf das Herz veranlasst, Biedl und Reiner? haben solche Erscheinungen ebenfalls gesehen und auch Verworn? hat sie bestätigt, indessen treten sie wohl nie in solcher Stärke so regel- mässig auf wie in unserem Falle. Eine weitere Erscheinung, welche hierher gehört, ist die gleichfalls enorme Pulsverlangsamung durch Depressorreizung bei einem Thiere, dessen Kopf erwärmt ist. Es ist ja neben der Blutdrucksenkung in den meisten Fällen am normalen Thiere bei centraler Reizung dieses Nerven eine mässige Pulsverlangsamung im Wege des Vaguscentrums zu beobachten. Indessen ist bei unseren Versuchen die Verlangsamung des Herzschlages eine so be- deutende, dass sie als ungewöhnliche Erscheinung auf die Erwärmung dieses Centrums bezogen werden muss (Fig. 40). DM LU LK. akku Fig. 40. Aus dem oben Mitgetheilten geht also hervor, dass die Erwärmung des Kopfes gewisse Veränderungen des Herzschlages hervorruft und auch das Centrum des Herzvagus nicht unbeeinflusst lässt, ohne dass dabei eine Erhöhung der Herzbluttemperatur eine directe Herzwirkung verursacht. Solche directe Wirkungen ergeben sich erst in späteren Stadien des Versuches, bestehen vornehmlich in einer Erhöhung der Schlagfrequenz und sind also jenen vergleichbar, welche mit anderen Methoden dargestellt worden sind. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass es nicht an Versuchen gefehlt hat, durch directe Application von Wärme und Kälte auf die freigelegte Medulla oblongata Veränderungen von Organfunctionen hervorzurufen. Aus 1 J. Bernstein, Lehrbuch der Physiologie. 1894. ® A.Biedlund M.Reiner, Studien über Hirneireulation und Hirnödem. Pflüger’s Archiw. 1898. Bd. LXXIL. ® M. Verworn, Zur Analyse der dyspnoischen Vagusreizung. 1903. 124 RıcHAarn Hans Kann: den letzten Jahren ist hier die bereits erwähnte Untersuchung von Stefani! zu nennen. Dieser Autor hat gefunden, dass durch Irrigation des bloss- gelegten Kopfmarkes sowohl bei der Erwärmung als auch bei der Abkühlung eine Steigerung des Blutdruckes zu erzielen ist. Dass ferner bei der Er- wärmung die Athmung eine Verstärkung und Beschleunigung erfährt. Dass endlich der Tonus des Herzhemmungscentrums durch Wärme erhöht, durch Kälte aber herabgesetzt wird. Bezüglich des letzteren Punktes ist Dega- nello? zu denselben Resultaten gelangt. Irrigation mit 20 bis 25° Koch- salzlösung macht Beschleunigung, 45 bis 50° Verlangsamung des Herz- schlages. VI. Vergleichendes und Kritisches über den Angriffsort der Temperaturerhöhung des Kopfes. Der Schöpfer unserer Methode, Goldstein?, hat seine Versuche, bei denen er die Vermehrung der Athemfrequenz constatirte, derart gedeutet, dass das erwärmte Carotidenblut diese Erscheinung durch Einwirkung auf das Athemcentrum (Erwärmung desselben) hervorrufe. Dieser Ansicht hat sieben Jahre später Sihler‘ widersprochen. Er hat gefunden, dass Hunde, welche in einen erwärmten Kasten gesetzt werden, bei erheblichem An- steigen der Körpertemperatur beträchtliche Vermehrung der Athemfrequenz zeigen und zwar schon auf das Dreifache, wenn die Temperatur des Blutes erst um 0.3° gestiegen ist. Athmeten die Thiere aber im warmen Kasten liegend kalte Luft ein, dann betrug die Frequenzzunahme das 20 fache, ohne dass die Blutwärme zunimmt. Es sei also die Haut der Angriffispunkt für die Wärme. Diese Erscheinungen sind, wie ich glaube, recht einfach da- durch zu erklären, dass das Blut im ersten Falle eben durch die Tachypno& soweit abgekühlt wurde, dass die Temperaturerhöhung desselben nur 0.3° C. betrug. Dasselbe gilt in noch erhöhtem Maasse bei der Möglichkeit der Einathmung kühler Luft. Wenn aber Sihler angiebt, dass nach Durch- schneidung des Halsmarkes beim Erwärmen nur eine geringe Beschleunigung der Athmung bei hoher Bluttemperatur auftritt, so möchte ich dagegen hervorheben, dass es nicht angeht, ein Thier, welches einen so schweren “Eingriff überstanden hat, bezüglich der Quantität einer an ihm zu beobach- tenden Erscheinung mit einem normalen ohne Weiteres zu vergleichen. ! A. Stefani, De l’action de la temperature sur les centres bulbaires du coeur et des vaisseaux. Arch. ital. de biolog. T. XXIV. p. 424. ®? U. Deganello, Action de la temperature sur le centre bulbaire vaso-constricteur. Ebenda. T. XXXII. p. 186. 7270: : A.a.0. ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 125 Während Sihler durch solche Versuche zeigen wollte, dass die Tachypno& durch Erregung sensibler Hautnerven zu Stande komme, wandte er sich speciell gegen die Versuche Goldstein’s mit der Heizung des Carotiden- blutes. Es wird ja bei denselben das ganze Ausbreitungsgebiet der Carotis erwärmt, und dadurch neben dem Centralnervensystem auch die Ausbrei- tungen sensibler Nerven, namentlich des Trigeminus, auf höhere Temperatur gebracht. Indem nun Sihler zeigte, dass auch nach peripherer Abbindung beider Carotiden sowie bei Einlegung der Heizröhren in eine beliebige Wunde 'Tachypno& ausgelöst werden kann, glaubte er bewiesen zu haben, dass die Erwärmung des Carotidenblutes reflectorisch durch Reizung sensibler Nerven die Beschleunigung der Athmung auslöse. Die beiden letzteren Einwände hat Mertschinsky abzulehnen versucht, indem er das Auftreten der Tachypno& trotz der Carotidenunterbindung durch verbesserte Wärmeleitung erklärte, während er die Wärmereizung der Operationswunde, welche bei den Versuchen Goldstein’s nicht in Abrede zu stellen war, dadurch vermied, dass er die Heizröhren durch Kautschuk und Filz genügend isolirte. Er ging jedoch noch weiter. Um jede von sensiblen Nerven des Kopfes herstammende Beeinflussung des Athemcentrums auszuschliessen, durchschnitt er beim Kaninchen zunächst nach Eröffnung der Schädelhöhle und Exstirpation der Vorderhälften der Grosshirnhemisphären die an der Schädelbasis freigelegten Trigeminuswurzeln, und schliesslich trennte er die Medulla oblongata vom Grosshirnstock nach Kronecker’s Methode ab. In beiden Fällen wurde Tachypnoö erzielt und daraus geschlossen, dass die Erwärmung der Medulla allein genüge, um diese Form der Athmung ‚hervorzurufen. In einer Reihe von Untersuchungen hat sich Richet! mit den Er- scheinungen der Athmung beschäftigt, welche bei der Erwärmung des Thieres auftreten. Die wesentlichsten Ergebnisse derselben sind folgende: Es giebt eine „Polypnee röflexe“ und eine „Polypnee centrale“. Bei der ersteren werden die Athembewegungen auf reflectorischem Wege von der Haut aus tiefer und häufiger. Durch die Verdunstung einer grossen Menge von Wasser auf der Lungenoberfläche kann so das Thier in der Sonne oder in einem heissen Kasten seine Eigenwärme bewahren. Ein geringes Hinderniss, welches die Polypne&e erschwert, lässt sogleich die Temperatur steigen. Die Polypn&ee centrale ist durch directe Wirkung der erhöhten inneren Temperatur oder des erhitzten Blutes auf das Athemcentrum ver- ursacht. ! Ch. Richet, Regulation de la temperature chez le chien. Compt. rend. 1887. p. 482. Des conditions de la polypnee thermique. Zbenda. T. CV. 6. p. 313. Za chaleur animale. Paris 1889. U. a. 126 RıcHhArp Hans Kann: Bezüglich der Möglichkeit durch thermische Reize auf sensible Nerven die Athmung oder den Blutdruck zu beeinflussen, ist zu erwähnen, dass Knoll! eine Aenderung dieser Functionen nicht gesehen hat, wenn er die Bauchhaut bei Kaninchen und Hund erwärmte. Er benutzte dazu einen flachen, dem Bauche gut anliegenden Blechkasten, welcher mit erwärmtem Wasser geheizt wurde. Indessen neigt er dennoch auf Grund von Infusions- versuchen mit warmer und kalter Kochsalzlösung mehr zur Annahme eines reflectorischen Ursprunges der Tachypno&. Dort ist auch die Ansicht aus- gesprochen, dass das Athemcentrum durch die Vagi in einem Zustande er- halten wird, der es zur Tachypno& befähigt. Von besonderem Interesse ist hier eine Untersuchung von Bunzel?, welche sich mit den Erscheinungen beschäftigt, welche auftreten, wenn das Kaninchenohr in Wasser von 53° C. getaucht und einige Zeit darin be- lassen wird. Während des Eintauchens ist das Thier unruhig, macht häufig heftige Bewegungen und zeigt unruhige Athmung. Nachdem sich das Thier beruhigt hat, zeigen sich häufig active Exspirationen in den Flanken und starkes Nasenflügelathmen. 21/, bis 3 Minuten nach Beginn der Ver- brühung. zeigt sich flache, flatternde Athmung. Dabei steigert sich die Zahl der Respirationen etwa auf das dreifache. Nimmt man nun das Ohr aus dem Wasser heraus, so nimmt die Frequenz wieder zu, und die Ath- mung gewinnt an Tiefe, bis etwa 2 bis 3 Minuten nachher wieder normale Verhältnisse eintreten. Dabei zeigt die Frequenz häufig periodische Schwan- kungen. Bunzel hat auch den Blutdruck während dieser Versuche ge- messen. Es zeigte sich eine Steigerung derselben bis zu einer constanten Höhe, „welche die vor Beginne des Versuches bestandene Druckhöhe nicht unwesentlich übertrifft“. Häufig traten Unregelmässigkeiten auf. Nach Herausnahme des Ohres sank der Druck stark unter die Norm. Dabei be- obachteter Blutdrucksteigerungen, welche 30" übertrafen. Die Rectal- temperatur stieg um 0-8° ©. Bunzel hält diese Erscheinungen für re- flectorisch durch Reizung sensibler Nerven verursacht, es ist ihm aber nicht gelungen, dieselben durch Durchschneidung beider Ohrnerven und des Halssympathicus zu unterdrücken, woraus er folgert, dass es noch ander- weitige Innervation der Ohren geben muss. Nach doppelseitiger Vagotomie findet .er Vermehrung ohne Verflachung der Athemzüge. Dabei zeigt die 1 Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1885. Bd. XCII. III. Ph. Knoll, Zur Lehre von den Wirkungen der Abkühlung des Warmblüterorganismus. Archiv für exp. Pathol. und Pharmakol. Bd. XXXVI. S. 305. ® R. Bunzel, Ueber den Einfluss der vasomotorischen und sensiblen Nerven auf die durch Verbrühung hervorgerufene Entzündung des Kaninchenohres, sowie über die während der Verbrühung auftretenden Allgemeinerscheinungen, insbesondere die Tab pno&. Zbenda. Bd. XXXVI. 8.445. l \ \ \ ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES (AROTIDENBLUTES. 127 Reaction der Centren auf tactile Reize sowie auf Reizung des Trigeminus in der Nase während der Tachypno& kein von der Norm abweichendes Ver- halten. Tiefe Chloralnarkose verhindert das Zustandekommen dieser Er- scheinungen fast vollständig. Bunzel führt nun seine Befunde als Beweis gegen Mertschinsky’s Ansicht auf, die Tachypno& sei centralen Ur- sprunges. Alle diese erwähnten Untersuchungen scheinen mir nun das Eine zu beweisen, dass eine Beschleunigung und Verflachung der Athemzüge durch reflectorische Erregung der Centren zu erzielen ist. Am deutlichsten geht das aus Bunzel’s Mittheilung hervor, wenn auch die thermische Reizung, welche hier auf sensible Nerven einwirkte, sehr bedeutend (53° C.) war. Indessen unterscheiden sich viele wichtige Einzelheiten so wesentlich von den in unseren Untersuchungen mitgetheilten Erscheinungen, dass sich der Gedanke an einen verschiedenen Ursprung derselben aufdrängt. Alle eben mitgetheilten Befunde beweisen nichts gegen die directe centrale Wirkung der Erwärmung des Carotidenblutes. Für eine solche sprechen aber neben den eigentlich ganz eindeutigen Versuchen Mertschinsky’s eine Reihe von Thatsachen aus unseren Untersuchungen, welche ich nun noch anführen möchte. Zunächst gehört hierher die Erscheinung, dass häufig schon ganz geringe Temperaturen, oder geringe Temperaturerhöhungen hin- reichen, um die Tachypno& hervorzurufen. Es ist nicht anzunehmen, dass die sensiblen Nerven im Ausbreitungsgebiete der Carotis schon bei so geringen Einflüssen so bedeutende Aenderungen in der Athemform hervor- rufen können. Vielmehr ist schon von den Centralorganen zu erwarten, dass sie auf feine Differenzen reagiren. Dazu kommen die Versuche Knoll’s, welcher auch bei stärkeren sensiblen Wärmereizen eine Aenderung der Athemform so wenig erzielen konnte, als eine Aenderung des Blutdruckes. Weiter ist hier die tachypnoe- erhaltende Eigenschaft des Vagus hervorzuheben. Es wäre schwer ein- zusehen, in welcher Weise hier dieser Nerv tonisirend auf das Athemcentrum einwirken könnte, wenn es keinen direct centralen Ursprung der Tachypno& gäbe. Aber auch der ganz anders als im normalen Zustand verlaufende Erfolg der Trigeminus- und Depressorreizung, sowie der Rohrdyspno& und der centralen Reizung anderer sensibler Nerven weist auf eine Aen- derung im Zustande der Centren in der Medulla oblongata hin, und spricht für die Möglichkeit einer directen Erregung derselben durch die Wärme. Ebenso lässt sich die im Anfange der Erwärmung des Kopfes stets sich zeigende Trennung der Frequenz der Athmung von ihrer Tiefe amı besten verstehen, wenn man auch eine solche directe Erregung annimmt. Die mit der Erwärmung nach unserer Methode Hand in Hand gehende Beruhigung der Thiere spricht geradezu gegen einen reflecto- 128 RıcHarp Hans Kann: rischen Einfluss sensibler Nerven. Endlich möchte ich folgenden Versuch in’s Treffen führen. Erwärmt man das Carotidenblut bis zum Eintritt der Tachypnoö, bindet dann rasch beide inneren Carotiden ab, und kühlt nun das Blut wieder rasch ab, dann sinkt sehr schnell die Temperatur im ganzen Ausbreitungsgebiet der Carotiden, nur in den Central- organen hält sie etwas länger an. Dann sieht man häufig die schönste Tachypno& mit grosser Beschleunigung und Verflachung bei einer weit unternormalen Rachentemperatur. Es kann hier na- türlich von sensibler Reizung des Trigeminus durch Wärme nicht die Rede sein. | Alle diese Thatsachen nun scheinen mir für eine directe Erregung der Centren in der Medulla oblongata durch die Wärme zu sprechen, wobei ich gar nicht die gleichzeitig bestehende Möglichkeit re- flectorischer Einflüsse ausschliessen will. Nur spielt die directe Erwärmung der Centren bei unseren Versuchen gewiss eine hervorragende Rolle. Dabei scheint mir das Eine besonders beachtenswerth, dass die so vielfach fein nuancirten und variirten Erscheinungen, welche im Vorstehenden beschrieben wurden, eine directe Wirkung der Wärme auf die Centralorgane viel mehr zum Postulat haben, als die Annahme eines rein refleetorischen Vorganges. VII. Die Veränderung der Harnsecretion. Die Herabsetzung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in den Nierengefässen führt bei gleichbleibendem Aortendrucke zur Abnahme der Secretionsgrösse der Nieren. Deshalb sinkt diese bekanntlich bei Reizung der Hilusnerven der Niere oder des Splanchnicus. Es war daher zu er- warten, dass bei unseren Versuchen mit der Erwärmung des Carotidenblutes die Harnsecretion abnehmen würde, wenn die Temperatur des Kopfes das normale Maass überschreitet. Indessen ist hier eine besondere Fehlerquelle in Betracht zu ziehen, das ist die Wasserverdunstung von der Oberfläche des Respirationstractes bei der Tachypnoö. Gewiss kann dadurch die Nierenthätigkeit herabgesetzt werden, ebenso wie durch gesteigerte Schweiss- secretion. Hier zeigt sich nun der Hund als zu solchen Versuchen sehr geeignet. Er schwitzt nicht, und die Tachypno& tritt bei diesem Thier erst dann merklich ein, wenn der Kopf längere Zeit über 40 bis 41° C. er- wärmt wurde. Es lässt sich also die Harnsecretion während der Erwärmung des Kopfes auf etwa 40° beobachten, bevor noch eine Tachypno& auftritt. Zu diesem Zwecke wurden in beide Ureteren Canülen eingeführt, und dieselben in ein gemeinschaftliches Ausflussrohr geleitet, welches seinen Inhalt in kleine graduirte Messgefässe entleerte.e Um die Secretion anzu- ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 129 regen und einige Zeit in constanten Verhältnissen zu erhalten, wurde etwa eine halbe Stunde vor dem Versuche dem Thiere eine intravenöse Infusion körperwarmer Kochsalzlösung gemacht. Nun wurde abgewartet, bis die - anfänglich sehr bedeutende Secretion allmählich zurückging und durch - längere Zeit ein constantes Maass erreichte. Nun wurde das Carotidenblut unter fortwährender Controle der Rachen- und Rectaltemperatur sowie der Athmung erwärmt, und nachdem die erstere Temperatur einige Minuten ‚die Höhe von 42° C. überschritten hatte, wieder abgekühlt. Die folgenden Tabellen geben Aufschluss über die dabei beobachtete Secretionsgrösse der Nieren. I. Tempera- Tempera- | Harn- Tempera- | Tempera- Harn- Zeit tur im | tur im menge Zeit tur im tur im menge Rachen . Reetum | in ccm Rachen | Rectum | in ccm 6h 13’ 38-2 38-4 6h 33’ 42-2 38-5 1-0 6 15 38-2 38-4 2-0 6 35 49-2 38-6 0-8 BT 38-2 | 38.4 1-0 |Abkühlung 6 19 38-2 38-4 2:0 6 37 40-0 38-6 0-8 Erwärmg. | 6 39 39-6 38-6 2-0 6 21 38-9 33-4 2-0 6 41 38-8 38-8 1-6 6 23 41-8 38.4 2-5 6 43 38.4 39-0 =21'6 6 25 42-3 | 38-4 1-8 6 45 38-4 38-9 2-0 6 27 42-3 | 838-4 1-2 6 47 33-4 38-8 2-0 6 29 42-3 38.4 1.5 6 49 38-4 38-8 2-0 6 1-2 6 51 38.4 38-8 2-0 31 42-2 | 38-5 Nachdem die Harnmenge längere Zeit 2° in je 2 Minuten betragen - hatte, wurde das Carotidenblut ‘derart erwärmt, dass die Temperatur des Kopfes bedeutend anstieg, ohne dass sich der Körper um mehr als 0.2°C. erwärmt hatte. Dabei sank die Harnsecretion beständig bis zu 0-8°“ in derselben Zeit, ohne dass das Thier eine merkliehe Tachypnoö aufgewiesen hatte. Es wurde nun rasch das Carotidenblut abgekühlt, wobei sich die Harnmenge wieder vergrösserte, um endlich bei annähernd denselben Tem- peraturen wie zu Beginn des Versuches ihre frühere Grösse wieder zu er- reichen. Hierbei sind Unregelmässigkeiten derselben bald nach dem Ein- setzen der Erwärmung und Abkühlung deshalb bemerkenswerth, weil in diesen Stadien auch Schwankungen des Blutdruckes oben beschrieben worden sind. Und diese wurden darauf zurückgeführt, dass der Antagonismus im Verhalten der Blutgefässe der Peripherie und des Körperinneren erst nach einigen. Schwankungen in’s Gleichgewicht kommt und ebenso wieder verschwindet. Archiv £,A.u.Ph. 1904, Physiol, Abthig. Suppl. 9 130 RıcHArpd Hans Kaun: Ein zweites Beispiel zeigt ähnliche Verhältnisse: I]: Tempera- | Tempera- | Harn- Tempera- Tempera- | Harn- Zeit tur im tur im menge Zeit tur im tur im menge Rachen | Reetum | in ccm Rachen | Rectum | in cem 122 20° | 37-0 | 37-6 = 12% 50° | 40-3 37-9 4-5 12 28 37-0 |. 37.6 5-7 12 53 40.4 38-0 3-3 12 26 37-0 37-6 5-7 12 56 40-6 38-0 2-3 12 29 37-0 37-6 5.7 |Abkühlung Erwärmg. 12 59 38.5 Su 2-5 12 32 37-4 31-6 5-6 2 38-4 38-1 4-0 2 8) 38-0 37-6 So ı 8 38-3 38-2 5-0 1238 38-6 37-6 5-8 1 38-2 38-2 5-0 12 41 39-0 37-7 4-8 io A 38-1 33-2 5-0 12 44 39-6 37-8 4-0 1 14 37-9 | 38-2 5-0 12 47 39-9 37-8 4-0 I 37-8 38-2 5-0 Hier hat die Harnmenge nach der Abkühlung die frühere Höhe nicht mehr ganz erreicht, wohl deshalb, weil die Secretion, nachdem seit der Kochsalzinfusion schon längere Zeit verstrichen war, überhaupt abnahm. Solche Versuche lehren also, dass die Harnsecretion bei blosser Erwärmung des Centralnervensystems abnimmt. Dies ist nach dem vorstehend Gesagten eine Folge der im Splanchnicusgebiete bei unseren Versuchen sich abspielenden Gefässcontraction bei gleichzeitiger Erweiterung der Gefässe der Körperperipherie. VIII. Die Schweissseeretion. Zu Experimenten über die Schweisssecretion sind bekanntlich junge schwach pigmentirte Katzen mit Vortheil zu verwenden. An den Fussballen dieser Thiere sind alle jene grundlegenden Untersuchungen angestellt worden, welche über diese Funetion Aufklärung verschafft haben. Es war um so mehr von Interesse nachzusehen, ob die isolirte Erwärmung des Kopfes bei „diesen Thieren eine Schweisssecretion an den Pfoten hervorzurufen im Stande sei, als Luchsinger! mitgetheilt hat, dass er durch intravenöse Injection warmer Kochsalzlösung (45° C.), oder durch Erwärmung des ganzen Thieres in einem Ofen von 60 bis 70°C. nach 5 bis 10 Minuten starkes Schwitzen hervorrufen konnte, und diesen Erfolg auf die Erwärmung der Rückenmarkscentren bezogen hat. ! B. Luchsinger, Neue Versuche zu einer Lehre von der Schweisssecretion, ein Beitrag zur Physiologie der Nervencentren. Pflüger’s Archiv. Bd. XIV. p. 369, ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES CAROTIDENBLUTES. 131 Es ist bekannt, dass sich unter den jungen Katzen manche Exemplare finden, welche überhaupt nicht schwitzen, andere, deren Fussballen stets reichlich mit Schweiss bedeckt sind, und endlich solche, welche für ge- wöhnlich trockene Fussballen haben, aber durch Schmerz, Ischiadieusreizung u. s. w. namentlich bei warmer Zimmertemperatur zum Schwitzen gebracht werden können. Erwärmt man Thieren solcher Art das Carotidenblut, ohne dass die Körpertemperatur sich um mehr:als einige Zehntel eines Grades erhebt, so fangen die vorher trockenen und blassen Pfoten an sich heftig zu röthen, während aus den Poren der Haut reichlicher Schweiss in Tropfen hervorquillt. Dieser Vorgang sei durch folgende Tabelle illustrirt. Temperatur Temperatur Zeit im im Bemerkungen. Rachen Rectum 5-50 37-2 37-5 Die Fussballen sind seit 30 Minuten blass und Erwärmung | trocken. 5.51 ala 7737-5 Es treten kleine alkalisch reagirende Tropfen aus | den Poren. Die Haut ist blass. 5-53 40-0 | 37-5 Die Haut wird vorsichtig mit Filtrirpapier ab- gewischt. 5-54 40-6 | 37-6 Neuerlicher Ausbruch von Schweisstropfen. Die Abkühlung Haut röthet sich. 5.58 | 38-0 37-4 | Abwischen. 6-3 37-5 37-2 Die Haut ist blass und trocken. = Erwärmung 6-6 40-4 37-5 Die Haut ist sehr roth. Starke Schweisstropfen. Abkühlung 6-10 37-3 37-6 Abwischen. 6-15 31-32, 11 2310-6 Die Haut ist blass und trocken. Erwärmung 6-18 39-5 | 37-6 Die Haut röthet sich, ist aber trocken. 6-20 | 40-0 | 837-6 Es treten kleine Tropfen aus. 6-22 40-2 37-7 Grosse Schweisstropfen. Die Haut ist sehr roth. | Vorsichtiges Abwischen. 6-24 40-8 . | : 37-8 Grosse Tropfen. Abwischen. 6-26 | 41-6 37-8 | Desgleichen. 6-28 41-8 37-8 Desgleichen. Die Haut ist sehr roth. Es zeigt sich also hier bei jeder Erwärmung des Kopfes eine Röthung der Haut der Fussballen sowie reichlicher Schweissausbruch. Dabei geht die Röthung gewöhnlich der Seeretion voraus. Die schon oben erwähnte, bei diesen Versuchen eintretende Ruhe des ganzen Thieres spricht, wenn man die ungemein lebhaften Reactionen desselben auf die geringsten sen- ‘ siblen Einwirkungen in Betracht zieht, gegen eine Reizung sensibler Nerven im Ausbreitungsgebiete der Carotis hervorgerufene reflectorische Schweiss- ‘secretion. Vielmehr liegt es auch hier näher anzunehmen, dass letztere 9* 132 RıcumAarp Hans Kann: durch eine directe Einwirkung der Wärme auf die Medulla oblongata veranlasst ist. Dafür scheint auch die prompte Reaction auf den Temperaturumschlag zu sprechen, welche bei reflectorischer Er- regung schwer zu erklären wäre. IX. Sehluss. Aus den voranstehenden Mittheilungen scheinen sich neue wichtige Thatsachen für die Regulirung der Körperwärme beim normalen Thiere zu ergeben. Schon geringgradige Erwärmung der Medulla oblongata ! durch das sie versorgende Blut veranlasst dieselbe zur Auslösung einer | ganzen Reihe der Abkühlung dienender Vorgänge. Dabei wird wohl bei | verschiedenen Thieren dieser Zweck schon durch Bethätigung der einen | oder anderen dieser in Action gesetzten Vorrichtungen erreicht werden. Manche Thiere, vornehmlich jene, deren Haut nicht mit zu dichtem Haar- kleide bedeckt ist, werden auf dem Wege durch die Hautgefässe sich vor- nehmlich der Wärme entledigen können, bei anderen wird wieder die Schweisssecretion hauptsächlich in Betracht kommen, noch andere, bei denen diese Möglichkeiten nicht gegeben sind, werden durch Tachypno& ihr Blut abkühlen. Dabei steht es ausser Frage, dass mannigfache Com- binationen dieser der Abkühlung dienenden Vorgänge vielfach in Betracht kommen. Die Erwärmung der Medulla oblongata löst zunächst schon | bei geringem Temperaturanstieg einen Mechanismus an den |] Blutgefässen aus, welcher geeignet ist, das Blut so im Körper zu vertheilen, dass eine möglichst grosse Menge desselben an der Körperoberfläche zur Abkühlung gelangt. Dies geschieht in sehr zweckmässiger Weise ohne jede Störung im Kreislaufe, indem sich die inneren Gefässgebiete verengern, die der Peri- | pherie erweitern, und der Effect des ganzen Vorganges aufjenen | Factor, dessen Constanz innerhalb enger Grenzen mit das Wich- tigste für die Erhaltung des Kreislaufes ist, den Blutdruck, be- steht dabei nur in einer geringen Erhöhung desselben. Dabei ist es natürlich nöthig, dass ein recht genaues Gleichgewicht zwischen den antagonistischen Vorgängen im Gefässsysteme eingehalten wird. Hier zeigt sich wiederum die auch für die Wärmeregulation sehr wichtige Function der Depressoren, welche verhindern, dass das Splanch- nicusgebiet, welches ja wegen seiner enormen Blutcapacität leicht dazu geneigt wäre, durch zu bedeutende Verengerung den Blutdruck in schädlicher Weise in die Höhe treibe. Die einzige abnorme Er- | scheinung besteht dabei in einer Verminderung der Harnsecretion in | ÜBER DIE ERWÄRMUNG DES ÜAROTIDENBLUTES. 133 Folge der Aenderung der Strömungsverhältnisse in der Niere, welche aber durch die mit anderen Vorgängen verknüpfte Erhöhung der Wasserver- dunstung von der äusseren und inneren Körperoberfläche reichlich com- pensirt wird.: Der Ablauf dieser regulirenden Vorgänge an den - Gefässen ist sehr fein abgestimmmt, er wird schon durch — geringe Temperaturschwankungen in der Medulla oblongata Er modificirt. Ob er in so feiner und zweckmässiger Weise noch verläuft, wenn einmal die Temperatur des Blutes und damit auch die der Gewebe bedeutend gestiegen ist, erscheint mir sehr fraglich. Denn dann interferiren mit diesen Erscheinungen die Wirkungen der Erwärmung der Gefässwände und die reflectorisch hervorgerufenen Kreislaufstörungen, in nicht absehbarer - Weise. Dies ist gewiss in jenen Versuchen der Fall, bei denen es sich um “ die Erwärmung des ganzen Thieres handelt. Bei den dazu disponirten Thieren wird ebenfalls schon durch geringe Erwärmung der Medulla oblongata Schweisssecretion ausgelöst. ‘Dieselbe wird durch die Füllung der Haut mit Blut unterstützt, welche in den beschriebenen Verhältnissen an den Gefässen ihren Grund hat, und dient, wie ja allgemein angenommen wird, ebenfalls durch die dabei ge- steigerte Wasserverdunstung der Abkühlung. Auch diese Erscheinung steht in fein abgestufter Abhängigkeit von den Temperaturänderungen der Centren. Bei Erwärmung des ganzen Blutes und der Gewebe. geht zwar die Secretion vor sich, dient aber hier gewiss nicht mehr der -feineren Temperaturregulirung. Endlich löst die erwärmte Medulla oblongata einen Athemtypus aus, ‚welcher in zweckmässiger Weise die Wasserverdunstung von der Oberfläche des Respirationstractes fördert, die Tachypno&. Auch hier sehen wir, dass anfänglich bei nur geringen Schwankungen der Temperatur der hier - hauptsächlich in Betracht kommende Factor, die Respirationsgrösse in fein abgestufter Weise mit der Temperaturzunahme wächst, mit deren Abnahme kleiner wird, alles das aber nur, wenn keine Er- wärmung des Blutes und der Gewebe eingetreten ist. Bei der künstlichen Erwärmung des ganzen Thieres kommen auch hier die sicherlich möglichen refleciorischen Wirkungen der . Erregung sensibler Nerven in Betracht, wobei von einer feinen Abstufung des Mechanismus nicht mehr die Rede sein kann. Es hat den Anschein, als ob diese Auslösung einer zweckentsprechenden Athemform Seitens der erwärmten Medulla oblongata wesentlich durch einen Vagustonus dauernd unterhalten wird. Es müsste das dahin verstanden werden, dass fortwährend auf dem Wege der Vagi der Medulla zufliessende Erresungen die feine Abstimmung derselben in der Variation der Athem- bewegungen bezüglich der Respirationsgrösse unterhalten. Denn der Wegfall 134 Rıcuarv Hans Kaun: ÜBER DIE ERWÄRMUNG U. $. W. derselben zerstört vollkommen die genaue Anpassung der Packyn an den Grad der Erwärmung. Die feine Anpassung aller der Wärmeregulirung dienenden Mechanismen an die jeweiligen Aenderungen der Körpertem- peratur besorgt also beim normalen Thiere die Medulla oblon- gata. Bei fieberhaften Zuständen werden jedenfalls auch in diesen Vor- geängen die grössten Störungen eintreten. Denn die Einwirkung des fieberverursachenden Agens, sowie der geänderte Stoffwechsel sind hier Einflüsse, welche weder in ihrer Intensität noch in ihren Folgen auf unsere Erscheinungen bisher auch nur annähernd übersehen werden konnten. Von einer reinen, central ausgelösten, fein abgestuften Wärmeregulation, wie wir sie eben beim normalen Thiere kennen gelernt haben, kann dabei nicht die Rede sein. Herrn Professor J. Gad erlaube ich mir für das Interesse, welches er dieser Untersuchung bewiesen hat, meinen ergebensten Dank auszusprechen. Uebersicht des Inhaltes. I. Einleitung und Methoden S. 81. — II. Veränderungen amı Körper, welche ohne Weiteres in Erscheinung treten S. 90. — III. Die Veränderung der Athmung S. 94. — IV. Die Veränderungen des Blutkreislaufes und an den Gefässen 8. 108. — V. Die Ver- änderungen des Herzschlages S. 119. — VI. Vergleichendes und Kritisches über den Angriffsort der Temperaturerhöhung des Kopfes S. 124. — VII. Die Veränderung der Harnsecretion S. 128. — VIII. Die Schweisssecretion S. 130. — IX. Schluss S8. 132. EREB Zur Frage über die Abhängigkeit des O,-Verbrauches von dem O,-Gehalte in der einzuathmenden Luft. Von Dr. M. Schaternik.off, Privatdocent der Physiologie an der Universität zu Moskau. Die Frage über die Abhängigkeit des O,-Verbrauches von dem O,- Gehalte in der einzuathmenden Luft hat eine mehr als hundertjährige Ge- schichte, da schon der grosse Lavoisier sich mit der Lösung derselben beschäftigt hatte. In dem „premier m&moire sur la respiration des animaux par MM. Seguin et Lavoisier“ finden wir folgenden Passus, den wir wortgetreu wiedergeben wollen.! „On sait que la combustion, toutes choses &gales d’ailleurs, est d’autant plus rapide, que l’air dans lequel elle s’opere est plus pur. Ainsi, par exemple, il se consomme, dans un temps donne, beaucoup plus de charbon ou de tout autre combustible dans l’air vital que dans l’air de l’atmosphere. On avait toujours pense qu’il en &tait de möme de la respiration; quelle Jdevait s’acc&lerer dans l’air vital, et qu’alors il devait se degager, soit dans le poumon, soit dans le cours de ia circulation, une plus grande quantite de calo- rique. Mais l’experience a detruit toutes ces opinions, qui n’etaient fondees que sur l’analogie. Soit que les animaux respirent dans ce m&me air, me- lange avec une proportion plus vu moins considerable d’azote, la quantite d’air vital qu’ils consomment est toujours la m&me, ä de tr&s legeres differences pres. Il nous est arriv& plusieurs fois de tenir un cochon d’Inde pendant plusieurs jours, soit dans l’air vital pur, soit dans une melange de quinze parties de gaz azote et d’une d’air vital, en entretenant constamment les memes proportions; l’animal, dans les deux cas, est demeure dans son etat naturel; sa respiration et sa circulation ne paraissaient pas sensiblement ni accelerees ni retardees; sa chaleur etait Egale, et il avait seulement, lorsque 1 Memoires de l’ Academie des sciences. Annee 1789. p.185. Citirt nach „Lavoisier, La chaleur et la respiration“. Publiee sous la direction de M. Charles Richet. Paris 1892. p. 75. 136 M. SCHATERNIKOFF: la proportion du gaz azote devenait IrcD u, ,‚ un peu a de disposition a P’assoupissement.“ Die Antwort von Lavoisier auf die oben erwähnte Frage lautet also verneinend. In demselben Sinne haben sich 60 Jahre später Regnault und Reiset! ausgesprochen. Abgesehen von den Vorversuchen haben diese Forscher noch drei Versuche (einen am Kaninchen und zwei am Hunde) angestellt.” Die Versuche dauerten 23440’, 21% und 2240’, wobei die Luft unter der Glocke 72-38 Procent, bezw. 46-65 Procent, bezw. 59.75 Procent von Sauerstoff enthielt. Der Sauerstoffiverbrauch und der Respirationsquotient haben dabei keine Abweichungen von den normalen Werthen gezeigt, so dass Regnault und Reiset hierauf zu folgendem Schlusse® kamen: ‚nous pouvons done conclure de ces experiences, que la respiration des animaux n’est aucunement influencee par la proportion d’oxygene de l’atmosphere dans laquelle ils vivent, pourvu que cette pro- portion soit suffisante pour entretenir la vie. Dans une atmosphere ren- fermant deux et trois fois plus d’oxygene que netre atmosphere terrestre, les animaux n’eprouvent aucun malaise et les produits de leur respiration sont absolument les m&mes que lorsqu’ils se trouvent dans l’atmosphere normale.“ Es war somit wiederum experimentell festgestellt, dass der erhöhte O,- Gehalt der einzuathmenden Luft keine Wirkung auf die Oxydationsprocesse des Körpers ausübt, und diese Meinung wurde eine Zeit lang in der Phy- siologie die herrschende, obgleich die Thatsache unerklärt blieb. Ein Licht hierauf warfen erst die Versuche von Pflüger und Setschenow. Der “ Erstere* hat gezeigt, dass das bei der Entgasung des frischen arteriellen Blutes gewonnene O,-Volum demjenigen nahe gleich ist (18-8 und 19.9), welches dasselbe Blut nach seinem Schütteln mit der atmosphärischen Luft enthält. Es wurde somit durch diese Versuche (am Hundeblute) die That- sache der nahe vollkommenen Sättigung des arteriellen Blutes mit Sauer- stoff für den normalen Partialdruck desselben bewiesen. In den etwas früher von Setschenow? angestellten Versuchen hat das ausgepumpte Hundeblut bei 407 bis 494" Druck 19.241 bis 19-794 Vol.-Procent von 1 Recherches chimiques sur la respiration des animaux des diverses classes. Annales de chimie et de physique. 3.serie. 1849. T.XXVI. p. 299—519. 2 A.2. 0. p. 490. x 3 A. 2.0. p. 496. aM: * Ueber die Ursache der Athembewegungen sowie der Dyspno& und Apnoe. Archiv für die gesammte Physiologie. Bd.1I. 8.76. 5 Setschenow, Beiträge zur Pneumatologie des Blutes. Sitzungsberichte der math.-naturw. Classe der k. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1859. Bd. XXXVI. S. 298. ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM ÖO,-GEHALTE. 137 Sauerstoff absorbirt. Es wurden somit von den beiden Forschern unabhängig von einander gleiche Absorptionsgrössen von O, im Blute bei weit von ein- ander abstehenden Druckwerthen ermittelt (bei Pflüger für 152 "m und bei Setschenow für 407 bis 494). Bedenkt man jedoch, dass das Blut den - Sauerstoff nicht bloss chemisch ‚bindet, sondern einen Theil derselben nach dem Dalton’schen Gesetze auflöst, so kann ein unbedeutendes Anwachsen der totalen Absorptionsgrösse mit der Zunahme des Druckes nicht bezweifelt werden; und dieses haben sowohl P. Bert! direct (d. h. absorptiometrisch) als Speck? indirect (bei kurz dauernden Respirationsversuchen) constatirt. Abgesehen davon hat P. Bert noch einige Respirationsversuche in Bezug auf die Abhängigkeit des O,-Verbrauches von dem O,-Gehalte in der Athmungsluft angestellt. Die Resultate? seiner 4 Versuche, die an einer und derselben Ratte in einem nach Regnault construirten Apparate ausgeführt _ worden waren, stelle ich in der Tabelle I zusammen. Tabelle I. Procent O, in der O,-Verbrauch CO,-Ausscheidung Veremzy einzuathmenden Luft pro 24 Std. in Litern pro 24 Std. in Litern 23. December 20-96 12-360 7.310 25. & 87.50 11-352 6964 3. Januar 20-96 12-840 6:820 3. ED 48-70 13-724 10-320 Aus diesen Versuchen zieht P. Bert den Schluss, dass die Oxydations- processe im thierischen Körper mit dem Anwachsen des O,-Gehaltes in der Luft erst zunehmen, bei 49 Procent O, in der einzuathmenden Luft das - Maximum erreichen, um bei weiterer Zunahme des O,-Gehaltes zu sinken.‘ Die Zahlen aber (wenigstens in Bezug auf O,) weichen so unbedeutend von einander ab und die Anzahl der Versuche ist so gering, dass es kaum ge- stattet ist weitgehende Schlüsse aus denselben zu ziehen. Die weiteren Versuche von Bert an Fröschen konnten ebenfalls wenig beweisen, da sie an drei in drei verschiedenen (sasgemischen (in Bezug auf O,-Gehalt) ath- menden Thieren angestellt wurden und wenig von einander abweichende Resultate ergaben. ı P. Bert, La pression barometrique. Paris 1878. 8. 654 ff. ? C. Speck, Physiologie des menschlichen Athmens. Leipzig 1894. 8.123. ® A. a. 0. 8. 831—832. * „L’activite des combustions organiques a done ete en augmentant; d’abord, pour diminuer ensuite apres avoir passe un certain maximum, qui est probablement place au-dessus de 2 atmospheres.“ A.a. O. p. 832. 138 M. SCHATERNIKOFF: Wie dem auch sei, jedenfalls haben diese Angaben von P. Bert die in Rede stehende Frage wiederum in’s "Leben gerufen. Kempner! konnte in seinen Respirationsversuchen die Angaben von Bert für die Gasgemische mit 20 bis 30 Procent OÖ, nicht bestätigen, gab jedoch an, dass „sobald der O-Gehalt auch nur um wenige Procente ynter die Norm sinkt, so sinkt auch O,-Verbrauch; dieses Verhalten ist schon bei einem O,-Gehalt der In- spirationsluft von 18 Procent unverkennbar deutlich ausgeprägt“. Diese Be- hauptung ist jedoch, wie es schon Speck? hervorgehoben hat, nicht so ohne Weiteres anzunehmen, da in den Versuchen von Kempner eine Vermin- derung der O,-Aufnahme stets sicher erst dann eintrat, wenn die Ein- athmungsluft 9 Procent und weniger von Sauerstoff enthielt; sonst waren die Schwankungen so unregelmässig, dass keine zwingenden Schlüsse sich daraus ableiten liessen. Mit der Meinung von Speck stimmen auch die Blutgasanalysen von Fränkel und Geppert überein. Die Angaben von P. Bert sind weiter von $S. Lukjanow, C. de Saint Martin und L. Fredericq geprüft worden. Lukjanow? hat eine grosse Anzahl von Versuchen an verschiedenen Thierspecien (Ratten, Meer- schweinchen, Hunden, Katzen, Tauben, Kanarienvögeln) in einem nach Regnault und Reiset construirten Respirationsapparate angestellt. Er liess seine Thiere einmal die Luft mit 21 bis 30 Procent von O,, das andere Mal mit 60 bis 90 Procent einathmen und verglich nur den Sauerstoflver- brauch. Die Versuchsresultate hatten sich als schwankend ergeben, so dass keine bestimmte Schlussfolgerung möglich war. Dementsprechend äussert sich Lukjanow folgendermaassen: „Wir dürfen annehmen, dass, obgleich der Sauerstoff nicht das primum agens bei der Sauerstoffaufnahme ist und letztere also keine von der Sauerstoflispannung der Luft direct abhängige Function darstellt, doch unter Umständen dem Organismus die Fähigkeit zukommt aus einer sauerstoffreichen Atmosphäre mehr Sauerstoff aufzu- nehmen, als aus atmosphärischer Luft.“ Jedenfalls konnte Lukjanow die Existenz eines physiologischen Respirationsoptimums von P. Bert nicht be- stätigen. Ein mehr positives Resultat lieferten die Versuche von Saint- Martin, welche gleich denen von Lukjanow in einem nach Regnault „construirten Respirationsapparate an einem Meerschweinchen und einer Ratte ! Kempner, Einfluss des O-Gehaltes der Luft auf die thierische Oxydation. Dies Archiv. 1884. Physiol. Abthlg. S. 396. 2 R.2a.078. 1268 ®? S. Lukjanow, Ueber die Aufnahme von Sauerstoff bei erhöhtem Procentgehalt desselben in der Luft. Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. VIII. 8. 313. * C. de Saint-Martin, Recherches chimiques de la respiration dans les atmo- 1: spheres suroxygenees. Comptes rendus de l’Academie des sciences. 1884. T. XCVIII. p. 241—243. mn in 000 nn nn “ ET ET PT BI ABHÄNGIGKEIT DES Ö,-VERBRAUCHES VOM Ö,-GEHALTE. 139 angestellt worden waren. Dabei wurde die Ventilation des Apparates so vervollkommnet, dass sogar in 24stündigen Versuchen der CO,-Gehalt in der Luft unter der Glocke niemals 0.5 Procent überstieg. Ich lasse die von Saint-Martin gewonnenen Resultate in der Tabelle II folgen. Tabelle I. - © 5 Ce] an R-| Eee sn = |nAlg85|35|35 co E Een © = = = 7 2 Anmerkungen. un S = =| - >) > oO 2 Ei & A o2|o03 = > erlernen SU Meer- 20-95 |18-5°| 515 570-4| 0-89 | Mittel aus fünf 6stündigen Versuchen schwein- 66:0 !17:-2° 529 |607:0| 0:87 chen |58-0 |18-6°| 500 |573-0| 0-89 |\ Jeder Versuch dauerte 6 Stunden 50-0 \18-4°| 504 |571-0| 0-88 20-95 |13-1°| 598 |660-0 | 0-91 | Mittel aus zwei 6stündigen Versuchen 40:0 |13-2°| 613 |670-0 0-91 | Versuchsdauer 6 Stunden Ratte 55-0 |12-3°| 506 536-5 0-94 | 24stündiger Versuch 20-95 | 12-4°| 525 |514-0 1-02 | Ebenso 75°0 , 9-.0°| 535 |586-0 0-91 | 16stündiger Versuch 20-95 | 9-1°| 551 |569-0 | 0-97 | 24stündiger Versuch Seine Mittheilung schliesst Saint-Martin mit folgenden Worten: „Les phenomenes chimiques de la respiration ne subissent aucun changement appreciable par le fait de la suroxygenation de l’atmosphere dans laquelle ils s’accomplissent.“ Was endlich die Versuche von L. Fredericq! betrifit, die an dem Autor selbst und an Kaninchen angestellt worden waren, so lautet sein Schluss aus diesen Versuchen wie folgt: „L’augmentation de la proportion cente- simale de l’oxygene dans l’air .respire, ne modifie en rien l’intensite de l’absorption de ce gaz par la respiration. Quand le sujet respire une atmo- sphere pauvre en oxygene, l’absorption de ce gaz diminue, ce qui provoque une dyspnee plus ou moins intense. Ceci n’est qu’une confirmation d’un fait generalement admis.“ Durch die Untersuchungen der drei letztgenannten Forschern waren also die Angaben von P. Bert widerlegt. Dasselbe ergaben die späteren Arbeiten von A. Loewy und von v. Terray. Loewy” untersuchte die ! L. Fred6rieq, Influence des variations de la composition centesimale de Pair sur Pintensit6 des changes respiratoires. 1Comptes rend. de l’ Acad. des sciences. 1884. MEXEIX. \p.11241125, 2 A. Loewy, Ueber die Respiration und Circulation unter verdünnter und ver- dichteter, sauerstoffarmer und sauerstoffreicher Luft. Pflüger’s Archiv. 1894, Bd. LVII. S8. 409, 140 M. SCHATERNIKOFF: Wirkung der Q,-reichen bezw. O,-armen Luft auf die Athemmechanik, die Cireulation und den Gaswechsel, v. Terray! dieselbe Wirkung auf den Stoffwechsel; und beide Autoren sind zu den negativen Schlüssen gelangt. Loewy sagt: „der respiratorische Gaswechsel ist in sehr weiten Grenzen unabhängig von der Zusammensetzung der respirirten Luft. Vermehrung ihres Sauerstoffgehaltes bis über das Doppelte, oder Verminderung ihres Sauerstoffgehaltes bis zu dem Grade, dass die alveolare Sauerstoff- spannung etwa 40 bis 45 "m Hg beträgt, vermochte Kohlensäureausscheidung und Sauerstoffaufnahme nicht zu ändern.“ v. Terray! bestimmte die Sauer- stoffaufnahme nicht, wohl aber die CO,- bezw. Harnausscheidung. Er kommt zu dem Schlusse, dass das Leben zwischen 10-5 und 87 Procent O0, ohne wahrnembare Störung bestehen kann, indem unter diesen Bedingungen weder die Mechanik der Respiration noch der Stoffwechsel eine constante und wahrnehmbare Aenderung erleidet. Es sind somit beinahe alle Autoren in Bezug auf die in Rede stehende Frage zu einem negativen Schlusse ge- kommen und dieser Schluss ist schon in die Lehrbücher aufgenommen worden. So finden wir bei Tigerstedt, einem in dem entsprechenden Gebiete er- fahrenen Forscher, folgenden Passus?: „man hat gefunden, dass die Respi- | ration hinsichtlich der Sauerstoffaufnahme ganz ebenso verläuft, wenn der | Partialdruck des Sauerstoffes von 21 bis auf 60—75—90 Procent ge- steigert wird, sowie dass bei Abnahme des Partialdruckes auf 86"" und noch tiefer der Sauerstoffgehalt des Blutes nicht verändert wird. Erst wenn der atmosphärische Druck auf etwa 380” herabsinkt (O,-Partialdruck = 80 m), zeigt sich, wenn auch nicht immer, eine Abnahme des Sauerstoff- gehaltes im Blut.“ Bei dieser Sachlage hat in der letzten Zeit Prof. Rosenthal seine Respirationsversuche an Hunden und Katzen veröffentlicht?, welche ihm in Bezug auf die oben besprochene Frage ganz andere Resultate geliefert haben. Die Versuche (von 41’ bis 2% Dauer) wurden in einem von ihm nach dem Prineipe von Regnault construirten Respirationsapparate ange- stellt, welcher gestattete, nebst respiratorischen noch calorimetrische Be- stimmungen zu machen. Dabei haben sich so grosse Differenzen in der O,-Aufnahme je nach seinem Gehalte in der Athmungsluft erwiesen, dass sie keineswegs durch eine vermehrte bezw. verminderte Anhäufung des ı P.v. Terray, Ueber den Einfluss des Sauerstoffgehaltes der Luft auf den Stoffwechsel. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXV. S. 393. * Tigerstedt, Zehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Aufl. Bd.I, 8. 370. | ® Eine vorläutige Mittheilung ist schon im Jahre 1898 in den Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft erschienen (siehe dies Archiw. 1898. Physiol. Abthlg. S. 271), ausführliche Publikation erfolgte erst im Jahre 1902. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S.167 und Suppl.-Bd. 1902. S. 278. ABHÄNGIGKEIT DES Ö,-VERBRAUCHES VOM 0,-GEHALTE. 141 Sauerstoffes im Blute erklärt werden konnten. Zugleich konnte Rosen - thal keinen Parallelismus’ zwischen dem O,-Verbrauche einerseits und der CO,-Ausscheidung bezw. Wärmeproduction andererseits constatiren. Ange- sichts dieser Thatsachen musste Rosenthal consequenter Weise annehmen, dass bei der Athmung mit O,-reicher Luft eine Aufspeicherung dieses Gases irgendwo im Körper ausserhalb der Blutgefässe stattfindet. Als solcher Ort ist nach Rosenthal das Protoplasma der Gewebszellen anzusehen und dem- entsprechend schlägt er vor, diesen, so zu sagen, neutralbleibenden Sauer- stoff als intracellulären zu bezeichnen. Derselbe soll weiter nach ihm von den Geweben erst dann ausgenutzt werden, wenn der Körper in Folge der Athmung mit O,-armer Luft zu wenig Sauerstoff aufnimmt. Der Umstand, dass alle früheren Autoren, die nach derselben Methode gearbeitet hatten, keine Abhängigkeit zwischen dem O,-Gehalte in der Athmungsluft und dem O,-Verbrauch constatiren konnten, hat nach Rosenthal seinen Grund in der zu langen Dauer ihrer Versuche. „Bei längerer Dauer solcher Ver- suche,‘ sagt er, „werden die im Anfang etwa eingetretenen Veränderungen in dem für die ganze Zeit berechneten Mittelwerth um so mehr verschwinden, je länger die Versuche dauern.“! Ausserdem muss sich nach Rosenthal der Uebergang von der Athmung mit einem Gasgemische zu der mit dem anderen möglichst rasch vollziehen. Abgesehen von der Bedeutung dieser Versuche, war es gewiss: nicht ohne Interesse die von Rosenthal an kleinen Thieren gewonnenen Resultate auch am Menschen zu prüfen; um so mehr, als der gleich unten zu be- schreibende Respirationsapparat gestattete, beiden Forderungen von Rosen- 'thal für das Gelingen der Versuche Genüge zu leisten. Obwohl die Beschreibung meines Verfahrens schon vor einigen Jahren erschienen? ist, möchte ich doch dieselbe hier in aller Kürze wiedergeben, da an dem Apparate einige Verbesserungen und Abänderungen speciell für die in Rede stehenden Versuche vorgenommen wurden. Methodik. Das Princip der Methode besteht im Folgenden. Wird das vom Mensehen ausgeathmete Luftvolumen durch ein System von Röhren so geleitet, dass es auf diesem Wege eine dünne Schicht Alkalilauge passirt und hierbei nur einen beliebigen, jedoch genau bestimmbaren Theil der in 1 Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. 8. 191. ?2 M. Schaternikoff, Ein neues Verfahren, die vom Menschen ausgeathmete Luftmenge und deren CO,-Gehalt zu messen. Le physiologiste russe. Vol. I. p. 194. J. Setschenow und M. Schaternikoff, Ein portativer Athmungsapparat. Ebenda. Vol. U. p. 44. 142 M. SCHATERNIKOFF: ihm enthaltenen CO, verliert, so unterscheiden sich die durch das System durchgegangenen Luftvolumina diesseits und jenseits der Lauge nur durch das Volumen der von der letzteren absorbirten CO, von einander. Bezeichnet man demnach mit x das Luftvolumen vor der Lauge und mit A die von der Lauge absorbirte CO,-Menge, so passirt das System jenseits der Lauge das Volumen z— A. Ördnet man ferner den Versuch so an, dass es möglich wird, den mittleren CO,-Gehalt der Luft (in Procenten) zu beiden Seiten der Lauge genau zu bestimmen, so lässt sich folgende (== 49 yufstellen, worin p und g die einfache Gleichung ann = A+ m Procentzahlen von CO, zu beiden Seiten der Lauge, das erste Glied der Gleichung die ganze ausgeathmete CO,-Menge und nn -q den von der Lauge nicht absorbirten Theil der CO, bedeuten. Zugleich erhält man aus dieser Gleichung = = 4 el ‚ d. h. das ganze ausgeathmete Luft- volumen. Wenn aber weiter 1. das ausgeathmete Luftvolumen 7 bei 0° und trocken gemessen, 2. dessen Procentgehalt an CO, p und 3. die Differenz des Procentgehaltes an Sauerstoff zwischen ein- bezw. ausgeathmeter Luft @ bekannt sind, so ist das Volum % der eingeathmeten Luft aus der Formel y=T7+ nz leicht zu ermitteln. Es ist kaum nöthig zu erwähnen, dass das zweite Glied der Formel sowohl positiv als negativ oder gleich Null sein kann. Die Berechnung (auf Grund obiger Daten) der verbrauchten O,- Menge ist ohne Weiteres ganz verständlich. Dieses mir von Hrn. Prof. Setsche- now angegebene Princip ist in dem zu beschreibenden Verfahren folgender- maassen verwirklicht. Die Ausathmungsluft geht (Fig. 1), nachdem sie in der Respirations- maske A vermittelst einer Klappenvorrichtung von der eingeathmeten abgeschieden ist, durch eine niedrige Säule von Natronlauge in einer Art Wulff’schen Flasche (2), verliert darin nebst einem Theile CO, auch einen Theil ihres Wassers, wird jedoch auf dem weiteren Wege in dem mit Bimstein- stückchen beschiekten Rohre (C) wiederum feucht gemacht und tritt durch das Austrittsventil (D) frei heraus. Auf diesem Wege, etwa in den Punkten a und d, diesseits der Natronflasche (2) und jenseits des Befeuchters (C), wird ferner ein Theil der Ausathmungsluft (behufs ihrer späteren Analyse) in die Cylinder c und g gleichmässig und unaufhörlich während der ganzen Dauer des Versuches abgeleitet. Sorgt man endlich dafür, dass die Tempe- ratur der Luft in dem Ausathmungsrohre an den Ableitungsstellen a und 5 constant bleibe, so werden offenbar alle Erfordernisse des Principes erfüllt. Der einzige schwache Punkt des Verfahrens ist der fühlbare Athmungs- widerstand Seitens der Lauge in der Natronflasche. Uebrigens kann derselbe TREE BRETT En — ER ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM O,-GEHALTE. 143 so gering gemacht werden, dass das Athmen, obgleich nicht ganz frei, jedoch vollkommen unbeschwerlich wird. Sri a Jetzt will ich die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Theile des Apparates beschreiben. Die Respirationsmaske. Anstatt des bekannten Mundstückes mit zugeklemmter Nase bediene ich mich einer den Mund und die Nase um- gebenden Maske (Fig. 2), welche dem Menschen gestattet, durch beide Oefl- nungen zu athmen. Dieselbe hat die Gestalt eines an das Gesicht dicht anliegenden hohlen Kegels, dessen Wände aus in heissem Wasser erweichtem Hartgummi geknetet sind. Die teigartige Consistenz des letzteren gestattet nämlich leicht der Maske eine der Configura- tion des betreffenden Gesichtes vollkommen anpassenden Form zu geben. Man verfertigt dieselbe erst annähernd richtig; und später, wenn sie hart geworden ist, erweicht man nur deren freien Rand und diesen an das Gesicht leise andrückend, knetet man ihn mit den Fingern an. Es versteht sich von selbst, dass eine und dieselbe Maske für beliebig viele Gesichter sehr leicht umgeformt werden kann; die Operation bleibt die soeben beschriebene und dauert nicht einmal ?/, Stunde. Uebrigens 144 M. SCHATERNIKOFF: muss bei den Versuchen der freie Rand der Maske jedes Mal mit einer \ dicken Schicht Wachspommade! bestrichen und die Maske an den Kopf T vermittelst Riemen angebunden werden. Das Tragen derselben, wenn sie | an das Gesicht gut anpasst, ist nicht lästig, wie ich es an mir selbst er- probt habe. Auch bietet eine solche Maske den Vortheil, dass das undichte | Schliessen derselben sowohl von dem Beobachter als von dem Maskenträger | selbst sofort in Form eines leisen Zischens bemerkt werden kann. In der Maske A (Fig. 1) ist die bekannte Zuntz’sche Klappen- vorrichtung so befestigt, dass der schädliche Raum etwa 50—60 “@ beträgt. Nebst diesem dient das mit der Marey’schen Capsel verbundene Capillarrohr X (Fig. 1) zum Zwecke der Registrirung der Athembewegungen. Die Zeit wird dabei ebenfalls durch einen elektromagnetischen Markirer | registrirt. j .. lO900091 , 5 , O0 | A Fig. 3. Der Einathmungszweig ist in der beistehenden Fig. 3 schematisch angegeben. Das Rohr « mündet in freier Luft ausserhalb des Versuchs- gebäudes; Mist der Kasten, worin die äussere Luft entweder erwärmt oder abgekühlt wird, endlich ce ein Glasballon (zur grösseren Sicherheit in Bezug auf die Temperatur der Luft) von etwa 65 Liter Inhalt, dessen Ab- leitungsrohr d mit dem Einathmungsventil verbunden wird. Handelte es sich hingegen, wie es bei meinen Versuchen der Fall war, um die Respiration mit zwei verschiedenen Gasgemischen, so dienten mir “hierzu zwei grosse mit Scala versehene Gasometer von 312 bezw. 296 Liter Inhalt. Da ferner der Versuch aus zwei Hälften bestand, indem erst das eine, später das andere Gasgemisch eingeathmet wurde, mussten die Ab- leitungswege der beiden Gasometer mittels eines verzweigten Rohres 4 (mit Quetschhähnen a und 5) mit der Maske verbunden werden (Fig. 4). Da mir endlich die Zusammensetzung der eingeathmeten Gasgemische bekannt 1 Gelbes Wachs mit Vaselinöl. ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM 0,-GEHALTE. 145 sein musste, so wurden im Laufe des ganzen Versuches aus jedem Gaso- meter Luftproben zur Analyse genommen, und zwar auf die aus der Fig. 4 leicht ersichtliche Weise, indem man das Quecksilber aus dem Gefäss D tropfenweise ausfliessen liess. Fig. 4. Meine Gasgemische bestanden aus athmosphärischer Luft und käuflichem comprimirten Sauer- bezw. Wasserstoff. Der erste wurde mit eilauEe: der zweite ausserdem mit Bleinitrat- lösung gewaschen. Die Füllung der Gasometer geschah jedes Mal am Tage vor dem Versuche und, um den Gas- - austausch zwischen der Zimmer- und Gasometerluft zu vermeiden, war in die Gasometer oberhalb des Wassers je eine ziemlich dieke Schicht von Vaselinöl hineingegossen. Der Ausathmungszweig. Die centrale Stellung nimmt in diesem Zweige (Fig. 1) der Laugenbehälter (B) ein. Dem Sinne nach hat er die Form einer Wulff’schen Flasche, deren zuführender (aus Porzellan an- gefertigte) Tubus in der beistehenden Fig. 5 angegeben ist. Denkt man sich Fig. 5. die Erweiterung a des Tubus in die Flüssigkeit eingetaucht, und zwar so, dass die letztere um 1 °® oberhalb der unteren Platte 5 stände, so hat die aus- geathmete Luft, ehe sie die obere Platte ce mit grösseren Oeffnungen erreicht, eine doppelte Reihe von kleinen Löcherchen zu passiren. Dieser Umweg der “ Archiv f. A,u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 10 146 M. SCHATERNIKOFF: Luft ist für die Absorption der CO, von Wichtigkeit und wird dadurch gesichert, dass die beiden Platten 5 und c dicht an die Wand der Flasche anliegen. Das gleichmässige Austreten der Luftblasen aus allen Löcherchen des Tubus besorgt das die Flasche tragende Stativ mit 3 Stellschrauben (Fig. 1). Das Niveau der Lauge muss nicht mehr als um 1 cm oberhalb der Platte 5 stehen, damit der Widerstand in der Luftleitung für die Ver- suchsperson unmerklich sei. Die Platte c hat das Ueberspritzen der Lauge in den engen Theil der Flasche zu verhindern. Die Vorrichtung zur gleichmässigen Ableitung der Aus- athmungsluft zu beiden Seiten der Lauge. Man denke sich die Cylinder M, N, @ (Fig. 6), sowie den Schlauch 5. ? voll Quecksilber und das hakenförmige, durch den Hahn verschliessbare Ende des letz- teren mit einem Punkt ver- bunden, welcher fähig ist, mit verschiedenen Geschwin- digkeiten, jedoch immer gleich- mässig herabzusinken. Steht nun die Ausflussöfnung niedriger als der obere Stand des Quecksilbers in den Cy- lindern und ist der bewegliche Punkt in Bewegung gesetzt, so erfolgt nach dem Oeffnen des Hahnes am Haken ein gleich- zeitigesHerabsinken sowohl der Ausflussöffnung als der Queck- silberniveaus in den Cylindern. Sinkt etwa die erstere schneller als die letzteren, so kann man den Ausfluss des Quecksilbers entweder durch ein weiteres Oeffnen des Hahnes oder durch eine niedrigere Stellung des Hakens geschwinder machen. Will man, umgekehrt, das Herabsinken der Ausflussöffnung verlangsamen, so kann auch dieses leicht geschehen, da dem beweglichen Punkt, wie wir es oben gesagt haben, die Fähigkeit zukommt, mit verschiedenen Geschwindig- keiten herabzusinken. Kurz, es ist unter den angegebenen Bedingungen leicht möglich, die Bewegungen an beiden Orten so auszugleichen, dass das Herabsinken des Quecksilbers in den Cylindern und der Ausflussöffuung mit gewünschter gleicher und gleichmässiger Geschwindigkeit vor sich geht, wodurch zu gleichen Zeitperioden gleich grosse Luftvolumina abgeleitet werden. Der oben angedeutete bewegliche Punkt ist das Uhrgewicht einer in ABHÄNGIGKEIT DES (,-VERBRAUCHES VOM (0),-GEHALTE. 147 Gang gesetzten Wanduhr der einfachsten Art (s. Fig. 1). Dasselbe sinkt bekanntlich stets gleichmässig und zwar desto geschwinder, je kürzer das Pendel oder je schwerer das Uhrgewicht ist.! Der Schlauch Pd ist mit dem Uhrgewichte durch den Haken / verbunden und daneben steht ein verticales Lineal mit Theilungen für die aus den Vorproben bekannte Ein- stellung der Ausflussöffnung. Die Gründe, warum man die Cylinder M und N mit einem dritten & verbunden findet, sind folgende: 1. wirkt die in dem letzteren enthaltene Quecksilbersäule auf den Luftdruck in M und N während der Athmungs- pausen einigermaassen ausgleichend, wodurch die Ausflussmengen aus beiden Cylindern so gut wie gleich werden; 2. dient der Cylinder @ zur Füllung von M und N mit Quecksilber sowohl im Beginne des Versuches als nach Beendigung desselben, namentlich bei Ueberführung der gesammelten Luft aus M und N durch die Röhren C’und (, in die Absorptionsröhren Z und #.. Unser Apparat ist, wie gesagt, für die kurzdauernden (1—2 Stunden) Respirationsversuche bestimmt. Da aber solche Versuche nur dann von Bedeutung sind, wenn man zwei verschiedene und rasch auf einander folgende Zustände des Organismus in Bezug auf den Gasaustausch vergleichend untersucht, so besteht der Apparat aus zwei gleich eingerichteten Ausathmungs- zweigen, welche, vermittelst eines Y-förmigen Rohres mit der Maske ver- bunden werden.” Nachdem alle Theile des Athmungsapparates beschrieben sind, habe ich jetzt noch den Gang des Versuches kurz zu besprechen. Zuallererst werden von Q aus (Fig. 6) die Cylinder M und N sammt ihren Röhren 3 und 3,, C und C, mit Quecksilber gefüllt; dann wird die Zimmerluft in dem Exspirationstractus durch reine atmosphärische Luft ersetzt und in den Laugenrecipienten dieses Traetus eine genau gemessene Natronlaugen- menge (natürlich mit allen Cautelen gegen die Berührung der Lauge mit der Zimmerluft) hineingeführt.? Nach dem Anlegen der Maske beginnt nun die Respiration und die Registrirung der Athembewegungen, während die Ableitung der Luft in die Cylinder MV und N um einige Minuten (etwa 3—5) später erfolgt, damit der Exspirationstractus sich mit der aus- geathmeten Luft fülle, ehe das Sammeln derselben beginnt. ! Der mit dem Uhrgewicht verbundene Ausflussschlauch bildet eine V-förmige Schleife, deren aufsteigender Schenkel Pd mit dem Herabsteigen des Uhrgewichtes all- mählich kürzer wird. Zu Folge dessen wird das letztere weniger und weniger von dem Schlauche belastet und sein Gang nach unten muss allmählich langsamer werden. Es liesse sich dieses leicht beseitigen, die Verlangsamung ist jedoch so unbedeutend, dass ich die Correctur für unnöthig hielt. ” Der Einfachheit der Zeichnung wegen ist der zweite Ausathmungszweig in der Fig. 1 fortgelassen, nur seine Richtung ist durch die punktierte Linie Z angedeutet. ® Siehe darüber meine oben eitirte Abhandlung S. 199. 10* 148 M. SCHATERNIKOFF: Der Uebergang von der Athmung durch den einen Zweig des Apparates zu der durch den anderen wird durch einfaches Auf- bezw. Zuschrauben der betreffenden Quetschhähne hergestellt. Nach Beendigung des Athmungsversuches bleiben noch folgende Opera- tionen übrig!: 1. die Analyse der an beiden Ableitungsorten gesammelten Luft auf CO,; 2. die Bestimmung der von der Lauge absorbirten CO,- Menge und 3. die Analyse der ein- bezw. ausgeathmeten Luft auf O,, d.h. die Ermittelung der Zahlen- werthe >, qg und A in der Formel x» = 4 lg und a in der Formel ae Va bo == Die Analyse der abge- leiteten Luft auf CO, geschieht in der Luft nach Bunsen, und da es dabei auf die Pro- cente von CO, in einem an diesem Gase relativ armen Luftgemische ankommt, so war es geboten, eine grosse Luftmenge für die Analyse zu nehmen. Dementsprechend tragen unsere dazu verwende- ten Absorptionsröhren, von 10—11 ®® Durchmesser und 50°® Länge, an ihren oberen Enden kugelige Erweiterungen (Fig. 7) von ca. 250 °® Inhalt. Dieselben sind ausserdem in Fig. 7. halbe Millimeter eingetheilt, so dass einer jeden Millimeter- theilung ein Inhalt von etwa 0.1—0-11 °® entspricht. Jedes Rohr trägt an seinem unteren Ende eine Nadel, deren Spitze auf eine bestimmte Theilung des Rohres ein für alle Mal eingestellt ist. Aus der beistehenden Fig. 7 ist es ferner leicht ersichtlich, dass jedes Ab- ! Ich übergehe hierbei die selbstverständlichen, auf den Schluss des Versuches unmittelbar folgenden Manipulationen, wie das Unterbrechen des Quecksilberausflusses, das Absperren der Luftsammler von dem Exspirationstractus, das Ueberführen des Gases aus M und N in die Absorptionsröhre u. s. w. ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM (0,-GEHALTE. 149 sorptionsrohr vermittelst einer Schnur und eines in einen Cylinder ein- geschraubten Hakens (7) aufgehängt wird. Durch die entsprechende Um- drehung des Hakens wird die Torsion der Aufhängeschnur corrigirt. Endlich dient der Cylinder (0) für die Regu- lirung des Hg-Niveaus in der Queck- silberwanne, indem man denselben ver- mittelst einer über eine Rolle gehenden Schnur von der Ferne aus heben oder senken kann, und zwar bis zur Berüh- rung der Nadelspitze mit dem Hg- Niveau. Der ebenfalls von der Ferne aus zu bewegende Schirm (8) dient für die Beseitigung der Quecksilberspiegelung bei der Ablesung. Die von der Lauge absorbirte CO,-Menge wird volumetrisch bestimmt. Der Kohlensäureaustreiber (Fig. 8) besteht aus dem mit Theilungen versehenen und auf seinen Inhalt genau calibrirten Recipienten A, wohinein zuerst die Lauge allein und später auch die die CO,- Menge austreibende Säure kommt — erstere durch die obere Oeffnung des Fig. 8. Reeipienten A, letztere auf dem Wege von D aus über jr C und 5 nach A hin. Das sich in 4 entwickelnde Gas entweicht durch das 82 " lange dickwandige Capillar- SU RESZ rohr B, dessen oberes Ende in die trichterförmige Er- 5 weiterung des Recipienten A eingeschliffen ist, und sam- H melt sich in einem geräumigen Absorptionsrohr # von Ar 650— 700 «= Inhalt und 900 wm Länge. Nachdem die Theile A, 3 und Z dieses Apparates h richtig aufgestellt sind und das Rohr 3 aus dem Trichter weggenommen ist, wird das untere röhrenförmige Ende e n (Fig. 9) des mit Lauge gefüllten Hülfsapparates 7 durch en den Trichter des CO,-Austreibers so weit in A (Fig. 8) eingeführt, bis der an dem Rohre e befindliche Kautschuk- pfropfen den Hals des Trichters verschliesst. Zu gleicher Zeit wird der Apparat 45 C in d mit einer mit Aetz- natronstückchen gefüllten Wulff’schen Flasche verbun- den. Nun wird es möglich, in dem Raume A5C des CO,-Austreibers (bei der Stellung 1 des Hahnes ce und bei der Stellung m des Hahnes $ des Hülfsapparates) die Zimmerluft durch eine CQ,-freie zu ersetzen; worauf man nur dem Hahne $ die Stellung Fig. 9. 150 M. SCHATERNIKOFF: n zu geben hat, um den ÜO,-Austreiber mit Lauge zu füllen. In diesem Momente hält der Gehülfe das Rohr 3 schon bereit, um es in den Trichter, anstatt des daraus zu entfernenden Hülfsapparates, einzusetzen. Jetzt schliesst man den Hahn c, nimmt die Wulff’sche Flasche weg, bringt vermittelst der Schliffe d das Gefäss D mit dem ÜO,-Austreiber in Ver- bindung und öffnet wiederum den Hahn c. Das Gefäss D war schon vorher mit CO,-auszutreibender Säure (diluirte Schwefelsäure) gefüllt, und nun wird dasselbe in e mit der Luftpumpe verbunden und bei der Stellung 1 des Hahnes c ausgepumpt. Hierdurch werden einerseits die Räume A und C ebenso wie das Rohr 3 (in welchem das Quecksilber hierbei baro- metrisch aufsteigt) evacuirt, andererseits auch die Säure nach dem Schliessen des Hahnes ce und nach der Erwärmung desselben entgast. Es ist vortheilhaft, die Luft in A für die spätere Entwickelung des Gases stark zu verdünnen; eine vollständige Evacuation ist jedoch nicht nöthig — ein Rest an Luft in diesem Raume ist für die spätere Analyse des gesammelten Gases sogar vortheilhaft. Nach Beendigung der Säureentgasung wird in D Luft ein- gelassen, worauf man nur dem Hahne c (vorsichtig) die frühere Stellung 1 zu geben hat, um den Raum CB mit Säure zu füllen. Sind einige Tropfen davon in A übergegangen, so wird dem Dreiweghahne c die Stellung 2 gegeben, wobei die Säure von C in A durch das Quecksilber (aus dem Nebenschlauche # mit seinem Trichter) verdrängt wird. Die Flüssigkeit in 4 wird zuerst durch kochendes Wasser, zuletzt am freien Feuer, und zwar bis zum stärksten Kochen, erwärmt. Durch weiteres Einlassen des Quecksilbers in C wird das Gas bis auf Spuren in Z übergeführt. Was endlich die Analyse der abgeleiteten Luft auf Sauerstoff anbelangt, so werden dieselben in dem von Prof. Setschenow und mir beschriebenen ! und später von Samojloff und Judin? dem Geppert’schen Principe nach reconstruirtem Gasanalysator ausgeführt. Jetzt über die Mängel der Methode. Der erste Uebelstand besteht in dem für die Versuchsperson allerdings nicht lästigen, jedoch nicht ganz freien Athmen, bedingt durch den Wider- stand in der Natronflasche. Dieser Uebelstand hat jedoch in den unter sich zu vergleichenden kurzdauernden Versuchen überhaupt keine Bedeutung, wenn zwischen die Versuche eine genügende Ruhepause eingeschoben wird. Die weiteren Fehlerquellen stehen mit den Bestimmungen von A, p, g und vr, a-— 5 - n P im Zusammenhang. a der Formel 2—= A IE bezw.Y,=/V, + ! Zeitschrift für physikalische Chemie. 1895. Bd. XVIII. S. 503. ? Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 338. ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM (,-GEHALTE. 151 Unter übrigens gleichen Bedingungen werden dieselben um so grösser, je kleinerer Theil der Lauge für deren Analyse auf die CO, genommen wird und je kleiner die Grösse des Nenners p — g ausfällt. In unseren Versuchen nehmen wir gewöhnlich etwa den 20. Theil der Lauge und schwankt die Grösse der Differenz p — g zwischen 1.53 bis 2-11; folglich wird die durch die Laugenanalyse gefundene Zahl etwa mit 1000 multi- plieirt werden. So gross auch dieser Factor scheinen mag, kann doch der hieraus entstehende Fehler kaum 2 bis 3 Procent betragen, wie es der Vergleich der nach den Formeln berechneten Luftmengen mit den ent- sprechenden Gasometerangaben (siehe unten die Versuchsprotocolle) un- mittelbar zeigt. Eine solche Genauigkeit ist bei den in Rede stehenden Versuchen, in welchen nach Rosenthal die Differenzen um 200 bis 300 und mehr Procent vorkommen sollen, gewiss vollkommen ausreichend. Versuche. Alle meine Versuche, im Ganzen 6, waren an einem und demselben jungen Manne von 17 Jahren und 46 Kilo Gewicht angestellt. Im Laufe des Versuches befand sich derselbe in halbliegender Lage. Jeder Versuch bestand aus zwei Hälften, von 35’ bis 40’ Dauer, welche entweder gleich (Vers. 1 und 2), oder mit einer Pause von 20° bis 60’ (Vers. 3 bis 5) nach- einander folgten. Letzteres geschah aus dem Grunde, die den beiden Ver- suchshälften vorangehenden Zustände des athmenden Subjectes gleich zu machen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass, wenn die beiden Versuchs- hälften ohne Unterbrechung nach einander folgten, der Gaswechsel in der zweiten Hälfte stets etwas niedriger ausfiel, wurde hingegen zwischen die Versuchshälften eine ziemlich lange (z. B. 60°) Pause, während welcher die . Versuchsperson sich frei bewegen konnte, eingeschoben, so ergaben sich (wie es Vers. 5 zeigt) in beiden Hälften gleiche Mengen des verbrauchten O, bezw. der ausgeschiedenen CO,-Menge. Uebrigens war es für die Entscheidung der uns interessirenden Frage gar nicht nöthig nach dieser Gleichheit zu streben, da in meinen Versuchen die Athmung mit O,-armer Luft stets derjenigen mit OQ,-reicher voranging. Sollte in diesem Falle die Verminderung des O,-Verbrauches in zweiter Versuchshälfte stattfinden, so würde dieses Resultat die Unabhängigkeit des O,-Verbrauches von dessen Gehalte in der ein- zuathmenden Luft a fortiori beweisen. In allen Luftanalysen auf CO, wurden stets doppelte Ablesungeu, und zwar an zwei verschiedenen Tagen vorgenommen; und die Analysen auf O, wurden stets doppelt ausgeführt. Dieses ist der Grund, warum die Protocolle einen grossen Umfang erhielten, zugleich aber der Grund, 152 M. SCHATERNIKOFF: : warum die Versuche mich zu unzweifelhaft sicheren Resultaten geführt | haben. | Die in den Protocollen benutzten Bezeichnungen entsprechen den Formeln: =) nz »-9° ß IoDwes Es bedeuten überall: x = die in der Versuchszeit ausgeathmete Luftmenge; p = der Procentgehalt der ausgeathmeten Luft an CO, diesseits des Laugenbehälters; q = derselbe jenseits des Laugenbehälters; | A = die von der Lauge absorbirte CO,-Menge; « = die gesammte sich nach dem Versuche ergebende Laugenmenge; | = die für die Analyse auf CO, genommene Laugenmenge (d. h. ein Theil von «); | ! = die aus # ausgetriebene CO,-Menge; N I = die CO,-Menge, welche in der für den Versuch genommenen Laugen- menge schon vor dem Versuche enthalten war; y = die in der Versuchszeit eingeathmete Luftmenge; a= m-—n, d.h. die Differenz des Procentgehaltes an O, zwischen der ein- und ausgeathmeten Luft. Ausserdem bedeuten: = die pro Stunde berechnete ausgeathmete Luftmenge ; V, ts, „ „ „ eingeathmete , Endlich ist zu bemerken, dass alle Gasvolumina auf 0°C. und 1” Druck - reducirt sind. ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM (0,-GEHALTE. 153 Versuch 1 (12. Februar 1903). Dieser Versuch sollte den Verlauf der Athmungsprocesse in beiden Versuchs- hälften, falls dieselben ununterbrochen auf einander folgen, feststellen. Dementsprechend wurde in beiden Versuchshälften reine atmosphärische Luft eingeathmet. Erste Hälfte. 11# 10’ bis 112 45’ Vorm. Volum 3 \ Beob. | Beob. Suen Mittel- Volum | Druck wa Beinl werthe uFsIKEN, order 00. IE Abl. 23540 | 430-30 | 14-30| 96-2151) Nr Absorption 12. „ |235-24 |429-72 13-9 | 96-1937 p = 3-6152 Nach der CO,- 115 229.24 | 42523 | 14-0 92» 1287 | 2 92-7264 Absorption (2. „ 1229-60 |424-69 |14-1 | 92-724 Vor der CO,-f1. „ |296-62|431-30 |14-3 121-571 3 | | 121-566 Absorption 12, „ 1296-55 430.77 |13-9 121-561 g= 1.8017 Nach der CO,- IB » .,292-17 429-53 14-0 119-3793 119-3757 Absorption \2. „ 292.50 |429-17 | 14-1 Be Vor der C0,- „475.94 | 34760 |14-3 157-16 Ir Absorption 2. „ |475-82 |346-97 18-9 157.10 |] Nach der CO,- „ 258.09, 20-98 14-0 | 5- -1508 || | | 5.1559 Absorption » 1258-56 | 20-99 14-1 | 5.1609 | y = 151.97 cm y= Sn te Baer a = 568.72 „ Or ISO m = 20:96 | | Proc. O, | | | in der Luft Angewandtes Luftvol. 110.54 | 131-08 18-35° 13-575 Nach Zusatz von H, | 134.57 248.70 18-35 | 31-3628 |\ 16-9953 Nach der Explosion 134.62 191.69 18-35 | 24-1813 ren Angewandtes Luftvol. | 110-32 |121-62 18-3 | 12-5746 Nach Zusatz von H, 134:69 | 200-37 18-35 25.2981 , 17.003 Nach der Explosion - 134-44 | 147-93 18-35 | 18-6425 a=m-n = 3.961 & 172.45 Ltr. y= 113-055 „ V, = 2935-62 „ V, = 296.64 „ O,-Verbrauch pro Stunde = 11-923 „ CO,-Menge N 22106 Co, Die Anzahl der Athembewegungen in 35° = 530 Die mittlere Einathmungsgrösse = 326 -5°", 154 M. SCHATERNIKOFF: Zweite Hälfte. 118 45’ bis 12h 40’, Volum ; Beob. Beob. 'Temp.| bei 0° Mittel- Volum | Druck u.1M. | werthe Vor der CO,- “ Abl. 245.61 |436-44 14-30 1101-864 ||, 91.9625 Absorption (2. „ [245.54 1435-95 13-9 [101-861 = 3:4566 Nach der CO,-f1. „ \289-45 |431-75 14-0 | 98-344 | as2u15 pP Absorption \2, „ 1239-76 |431-32 14-1 | 98-339 Vor der ale „1302-99 |412-79 | 14-3 |118-83 118-8295 Absorption \2. „ 1302-92 |412-23|13-9 118-829 7= 1-6919 a ». |298-69 |411-17 14-0 116-826 1116-819 Absorption (2, „ 1299-08 |410-72|14-1 116-812 | Vor der C0,- 1. „ 1398-25 | 392.49 | 14-3 [148-537 1148-4795 Absorption |2. „ 1397-93 |391-96 |13-9 148-422 | Nach der CO,-f1. „ | 76-739) 95-29 | 14-0 | 6:9598 Absorption 12. „ | 77-687| 94-26 |14-1 | 6-9635 | | y = 141-52 “| = :26:216 „4 sonen: 0. = 568.02 > | ö=119:6 „ m =20.-96 Proc. O, | in der Luft Angewandtes Luftvol. 1110-25 | 123.52 18-15 12-7699 | Nach Zusatz von H, 134-81 | 193-89 | 18-1 24.5142 . 17.120 Nach der Explosion 1134-81 |140-16 | 18-1 | 17-7209 n = 11-167 Angewandtes Luftvol. 110.19 |131-84|18-1 | 13.5934 Nach Zusatz von H, 134-92 |208-45 | 18-05 26-3809 ? 17-214 Nach der Explosion 134°69 |151-12|18-05 19-0927 a—=m—n = 3.193 x = 164-16 Lir. y= 164-71 5 V, = 2831-4 ,„ V, = 282.36 „ CO,-Menge pro Stunde = 9.7272 , O,-Verbrauch . Ve 0BTa cos 0 0.8946 Die Anzahl der Athembewegungen in 35’ = 532 Die mittlere Einathmungsgrösse = 309.6 m, ABHÄNGIGKEIT DES 0,-VERBRAUCHES VOM O,-GEHALTE. '155 Versuch 2 (19. Februar 1903). Erste Hälfte. 11% 9° bis 11® 44°. Procent O, in der Luft = 15-903. Beob. | Beob. Map, |Vol-bei 0°) Mittel- ; Volum | Druck P-|u.ıM. werthe Mor der CO,- I1. Abl. | 236.35 |436-96 | 15-5°| 97-726 af 188 Absorption \2. „ |236-01 1437-02 |15-1 | 97-740 p = 3-1947 Nach Du „1228-86 433-48 [15-1 | 94-011 a: 024 Absorption 12. „ 1228-90 |433-52 15-1 | 94-0836 Vor der CO,-[1. „ |296-45 429-47|15-5 120-51 || 799. 518 | Absorption 12. „1295-98 |429-71 | 15-1 120-526 J g= 1.8263 re „ |289-70|430-98 [15-1 |118-315 || 118.317 Absorption \2. „ 1289-65 481.05 15-1 [118-319 | Vor der C0,-fl. „ |490-23 8372-84 |15.5 172-735 | 2” 172» 699 | Absorption \2. „ |489-85 | 371.96 15-1 |172-663 | Nach der CO,-|1. „ |254-51| 20-72 15-1 4-9973 || | BR 5.026 Absorption \2. „ |254-61 | 20-95 15-1 | 5.0547 | 1 = 167-673 cm er I Er » (4 — 3.3716 Ltr. = S Er ö=119.6 „ | | | Proc. O, Angewandtes Luftvol. 109.76 | 110-15 18-3 | 11-331 |) i.d.Luft Nach Zusatz von H, 134-28 179-08 | 18-3 | 22-5371 | 15-915 Nach der Explosion 122.13 149-62 18-3 17-126 z m =15.903 Angewandtes Luftvol. 110.35 | 122.71 18-35 | 12-689 Nach Zusatz von H, 134.31 192-49 18-35 24-2263 | 15-891 Nach der Explosion |134-39 | 144.34 18-35 | 18-177 Angewandtes Luftvol. | 109-99 | 109-85 | 18-3 | 11-324 Nach Zusatz von H, 122.14 | 160-74 | 18-3 18-102 11-950 Nach der Explosion ‚110-083 |137-51|18-3 | 14-1803 | In =11-958 Angewandtes Luftvol. 110-06 |120-57 18-35 | 12-435 Nach Zusatz von H, | 134.44 |166°37 | 18-35 | 20-9664 | 11-965 Nach der Explosion |122-57|142-10|18-35 | 16-3267 | 2 22 019562 2— 1068233 Eitr. Ö, 108.98 3, Die Anzahl der Athem- Mr 2838831 bewegungen in 35° = 560 Va 283.000 5 Die mittl. Einathmungs- (CO,-Menge pro Std.= 10-950 „, grösse — 30180 CL. Mo.-Verbrauch „ „ = 11.452, | Verbrauchtes Gasometer Beob. Barom. Temp. Net: Da 0° Vol. bei 0° Berechnet Volum bei 0 m. | NT, U \ Vordem Versuche 273.44 Ltr. 763-8 | 18-4°| 191.65 N 169-28 Ltr. 10858 ie | 31-926 :, | 764-3 18-6 22-37 | ! Nach „, 5 | 156 M. SCHATERNIKOFF: Zweite Hälfte. 11"44’ bis 12" 19, Procent O, in der Luft = 50.44. Beob. | Beok. Mem Vol.bei0° Mittel- Volum | Druck P-| u.ıM. werthe Vor der CO,- J1. Abl.| 246-09 |441-16 | 15-5 ° |102-74 \ 102 a5 Absorption |2. „ |245-89 |440-88 | 15-1 |102-73 p = 3.6950 Nach der CO,-I1. „ |239-23 |436-45 | 15-1 | 98-944 98-939 Absorption }2. „ |239-27 |436-33 15-1 | 98-934 Vor der CO,-f1. „ [304.02 |422-21|15-5 121.47 || 191.474 Absorption |2. „ 303-75 422-038 |15-1 121-478 |} g= 1.8276 Nach der CO,-J1. „ |297-87 |422-47 15-1 |119-251 Jun 954 Absorption |2. „ 1297-91 |422-43 15-1 119-257 Vor der CO,-fl. „ |406-91 408.25 15-5 157-204 | 157 ur Absorption \2. „ |406-10 40876 15-1 157-310 Nach der CO,-fl. „ | 52-98| 75-50 15-1 | 3-7906 cn Absorption \2. „ | 53-19 | 75-54 |15-1 | 83-8074 y = 153-458 com B= 27-4 „ = 566.40 „4 > 3,0515 Ltr. ö=119:.6 „ I Bxoe. 02) Angewandtes Luftvol. 111.40 95-20 18-1 9.9463 \ ind. Lult | Nach Zusatz von H, |134-73 | 284-31 18-1 | 35-925 | 50-416 | Nach der Explosion |135-12 164.78 18-1 | 20-8816 | | m =50.440 Angewandtes Luftvol. | 110-36 | 105-27 |18-2 | 10-892 Nach Zusatz von H, |134-74 |196-38 | 18-2 | 24-8075, | 50-464 Nach der Explosion 1109-87 | 80-75 |18-2 8-3179 Angewandtes Luftvol. | 110-17 | 90-26 | 18-4 9.3164 Nach Zusatz von H, 1834-63 | 190-59 | 18-4 | 24-040 N 46-686 Nach der Explosiin ;110-32|101-50 18-4 | 10-491 | | n =46-708 Angewandtes Luftvol. 110.17 107.66 | 18-35 | 11-1144 Nach Zusatz von H, 134-71|198-97 18-3 | 25-1205 “ 6.731 Nach der Explosion 110-38| 86-43 |18-3 8-9412 | a=m—n=3-7132 CO, — = 0.9759 a It: O, y=159-37 „ Die Anzahl der Athem- 21a, bewegungen in 35’ = 570 V,=273:21 ,„ Die mittl. Einathmungs- CO,-Menge pro Std.= 10-091 „ grösse = 275.300 O,-Verbrauch „ „ = 10:34 ,„ i £ r 0 t Gasometer Bohne Temp B ne ” a Berechnet =y Verbrauchte Luftmenge | 225-6 Ltr. 118-6° 764-3 | 158.07 | 159.37 j ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM (0,-GEHALTE. 157 Versuch 3 (26. Februar 1903). Erste Hälfte. 11®13’ bis 11® 53°. Atmosphärische Luft. Vol ; | Beob. | Beob. manıp. bei go | Mittel- | Volum | Druck u.1M. | werthe Elder 00,1 Abl. 1244-80 |410-12 17-3%| 94-421 || gg.419 | Absorption \2. „ |244-66 410-00 17-1 | 94-403 J \n= 3.7961 Nach iu] „ 1238-05 |405-53 17-2 | 90-82 || ee ‚Absorption |2. „ 1238-35 405-23 17-2 | 90-836 |) | Vor der ı „ ‚301-55 |886-49 17-3 109-607 aan Absorption |2. „ 1301-38 8386-47 17-1 109-615 | g= 2.0883 Nach De » 1295-42 |886-13 | 17-2 1107-316 || 197.390 Absorption 12. „ 1295-70 |385-94 17-2 [107-328 Vor der ol „ 1421-52 |429-83 |17-3 170-394 || 170.957 Absorption \2. „ 1420-77 1430-11 17-1 170-320 J Nach der CO,-J1. „ | 62-462 79-42 17-2 4-667 | 4.680 Absorption |2. „„ | 63-621) 78-44,17°2 | 4.698 J y = 165-677 cm B= 27.012 „ ; = 566.01 „4 39521 Ltr. orale m =20*96 | | Proc. O, 2 | in der Luft Angewandtes Luftvol. 1122:25 111.43 | 19-0 12-7362 Nach Zusatz von H, 134-86 |228-94 19-0 | 28-8666 | 16-868 Nach der Explosion 1122-30 |193-76 19-0 | 22-167 ; | | n = 16-863 Angewandtes Luflvol. 122-61 |134-26 18-65 15-41 Nach Zusatz von H, 1837-07 288-46 18-7 | 36-466 16-857 Nach der Explosion 134.42 | 225-47 | 18-7 | 28-3657 | a=m—n = 4.097 74 1192218, Etr: y=192:716 „ V, = 288.283 „ V, = 289.15 „ CO,-Menge pro Stunde = 10-943 „ O,-Verbrauch „ es 1129345, ori 0.9124 Die Anzahl der Athembewegungen in 40’ = 681 Die mittlere Einathmungsgrösse = 283.05". 158 M. SCHATERNIKOFF: Zweite Hälfte. 12215’ bis 12H 55.. Procent O, in der Luft = 51-344, Beob. meh Temp. Vol.bei 0° Mittel- Volum | Druck = u. 1M. | werthe Way dl ak Abl. | 234-068 | 405-70 | 1730| 89-304 \ Er Absorption |2. „ 1233-98 405-44 17-1 | 89-278 1>- en a „ 227.40 1402-98 | 17-2 | 86-214 || ge.099 Absorption |2. „ 227.63 402.66 |17-2 | 86-230 J Vor der CO,-Jl. „ |296-54 416.50 17-3 [116-155 U 116-154 Absorption 12. „ |296-34 416-48 17-1 [116-152 J Bi Nach der CO,-/1. „ |290-32|419-36 17-2 [114-539 || 444.555 Ir Absorption 12. „ 290.54 41916 17-2 114-571 | | Vor der CO,-f1. „ |676-08 281.50 17-3 178-972 || 179.095 Absorption \2. „ |675-34 | 281-98|17-1 [179-218 | Nach der CO,-f1. „ 376.78 | 11-10 | 17-2 a alas Absorption \2. „ 8378-61) 11-11/17-2 | 3-9559 y = 15-150 | ee nn. & — 9102.80, Fz ; Or —E oe | 7 Er0c03 Angewandtes Luftvol. 110-91 | 77.46 18-4 8-0489 |) ind. Luft Nach Zusatz von H, | 134.79 | 223.09 | 18-4 | 28-1727 | 51-308 Nach der Explosion |122-31 | 137.76 18-45 15-7836 | | | | m =51-344 Angewandtes Luftvol. 110-02 | 84-75 |18+5 8-7131 Nach Zusatz von H, | 134.52 ı228-07 18-5 | 28-668: | 51.380 Nach der Explosion 122.50 | 132.57 | 18-5 | 15-2073 Angewandtes Luftvol. |110-60 101-12|18-6 | 10-471 Nach Zusatz von H, |134-70 228-71 18-6 | 28-843 N 47-736 Nach der Explosion 122-50 116-33|18-6 13-342 | | | | n =41-105 Angewandtes Luftvol. 109-97 90-06 18-65 9-271 Nach Zusatz von H, 135.02 | 254.58 18-65 | 32-1768 47.673 Nach der Explosion |122-95 ı160-48 | 18-65 | 18-470 a=m—- n=3.639 CO, _ 0.9182 2—188:.6 Üitr. 0, y=189-98 „ Die Anzahl der Athem- 282200 5, bewegungen in 40° = 703 V,„=283-47 ,„ Die mittl. Einathmungs- CO,-Menge proStd.= 9.7236, grösse = 270.24°m, O>-Verbrauche,,, 2,5 2210#5895,, 7 3 | | r Gasometer | Babe noten Temp. 2 mie Ya; Dir Berechnet =y Verbrauchte Luftmenge | 284-94 Ltr. 119.40 1483-45 |193-34 Ir. 189.98 j ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM (0,-GEHALTE. 159 Versuch 4 (5. März 1903). Erste Hälfte. Dos logbıe Ho Rrocent ©, ınader, Ent, 15.538: Beob. | Beob. emp, Vol-bei 0°) Mittel- ı Volum | Druck P-| u.ıM. | werthe Vor der CO,- fi. Abl. | 2836-83 |439-54 15-5°| 98-509 0, 98-5045 Absorption |2. „ 1237-00 4388-58 15-1 | 98-500 p = 3.7087 Nach der CO,-fl. „ |230-09 |435-14 15-2 | 94-846 Co, 94-8515 Absorption (2. „ 1230-16 |435-21 15-3 | 94-857 Vor der CO,- fl. » |297-21|433-01|15-5 121-786 |\ | ds 121.78 Absorption \2. „ !297-60|431-80 15-1 121-774 | A uoole Lea den OO. „ 1289-89 |486-40|15-2 119-842 || |]9.9995 Absorption 12. „ 1289-92 | 4386-33 | 15-3 119-835 Vor der CO,- fl. „ |489-57| 8363-80 15-5 |168-546 || A 168-433 Absorption \2. , 1489-83 8362-62 15-1 1168-32 || Bl docoe]!: ».|265-10| 47-86 |15-2 | 11-894 || „).09g | Absorption 12. „ [265.44 | 47-55|15-3 | 11-952 |J | y= 156.51 cm ß= 26-216 „ 2 = 571.22 A = 3.2906 Ltr. 6=119.6 „). | | Erares (0); Angewandtes Luftvol. |111°03 | 108.64 19-3 | 11-266 ll d. Luft Nach Zusatz von H, 134.74 179.35 |19-3 | 22-5709 \ 15-554 = Nach der Explosion |122-54 | 151-30 |19-35 | 17-314 ) | ı'm =15+588 Angewandtes Luftvol. 110.07 1120:20 19-4 | 12.303 | 3 Nach Zusatz von H, |134-69 209.29 19-4 | 26-320 15-522 Nach der Explosion 134-69 |163-55 19-4 | 20-5677 Angewandtes Luftvol. | 109-81 | 85-57 19-5 | 8-7708 Nach Zusatz von H, |134-48 | 112.97 |19-5 1 | 11.066 Nach der Explosion |122-19 | 97-82 19-5 | 11-1561, n =11:076 Angewandtes Luftvol. | 110-15 | 118-31 |19-55 | 12-1615 | Nach Zusatz von H, 134-40 | 154.27 19-55 | 19-3491 | 11-086 Nach der Explosion |122-19 132-85 19-55 | 15-1488 a=m—n=4-462 CO, — = (0.8099 erde I Ö, y=154-30 ,„ Die Anzahl der Athem- 7, =229.72 ,„ bewegungen in 40° = 647 0o=231-45 ,„ Die mittl. Einathmungs- (CO,-Menge pro Std.= 8.5196, grösse = 238. 5°°m, me. Verbrauch‘, ,„, = 10.519, 1 FR; Beobachtetes Barometer | Vol. bei 0° I Gasometer | Volum | ber, IE Berechnet =yY \ Verbrauchte Luftmenge | 225.55 Ltr. 120.70) 158.95 156-68 Ltr. | 15430 | 160 M. SCHATERNIKOFF: Zweite Hälfte 12% 20 bis 1® 2°. Atmosphärische Luft. 7 Volum C Beob. | Beob. Temp.| bei 0° Mittel- Volum | Druck u.1M. | werthe ontle Or fi: Abl.| 244.99 |426-94|15-5°| 93-982 | 05-076 Absorption 12. „ |245-36 |425-66 15-1 | 98-970 DS rEHBBR Nach der COr[1 „ 1238-40 422-33|15-2 | 95-378 | 05.390 Absorption |2. „ 238.48 422-40|15-3 | 95-393 vorde co, [1 „ |300-23 |382-02|15-5 [108-538 N10s-507 Absorption 12. „ ,300-40 381-20 15-1 108-516 Io- RN, Nach der 00,-[1 „ |293-08 3834-48 |15-2 106-746 \106-786 Absorption 12. „ | 293-15 1384-45 15-3 1106-726 Vorder Co 409-18 |407:88 15-5 [157-938 1... . 2 » | | 157:914 Absorption 12, „ 1409-88 406-50 15-1 157-890 | | } 6:706 in ne » | 72-629 97-10 15-2 6-6806 Absorption 12. „„ | 73-525| 96-67 15-3 | 6.7057) y = 151-208 cm B= 25-818 „ = 566.82 „(4 = 3°1925 Ltr. = 119-6 „ m =20-96 | Proc 0, | | 'ind. Luft Angewandtes Luftvol. 122.58 |123-28 19-6 | 14-100 Nach Zusatz von H, |146-60 | 215.22 | 19-6 20-1002 Jin. Nach der Explosion |134-39 176.60 19-6 | 22-1446 I | | | n = 16-63 Angewandtes Luftvol. 122-18 |119-99 |19-65 | 13-677 Nach Zusatz von H, |146-27 I 19-65 vr-anas (10-0 Nach der Explosion 134-32 |162-05 ‚19-65 20-3062 azm—n —/A.33 x = 15883 Ltr. y=159.9 „ V, = 226-899 „ V, = 228.49 „ CO,-Menge pro Stunde = 8.2298 „ ft O, Verbrauch „urn I 10215S08 3 nn ran ] Die Anzahl der Athembewegungen in 42° = 693 Die mittlere Einathmungsgrösse = 230.8, Tabu a we ai u u ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM 0,-GEHALTE. 161 Versuch 5 (12. März 1903). Birste Hälfte. 11427’ bis 12/67” Procent O0, m der Luft ='15:012. Beob. | Beob. | Vol.bei 0°] Mittel- Volum | Druck Temp. u.1M. werthe | : 96-0953 Absorption [2. ,„ 1237-07 |429-05 16-0 | 96-0893 Nach der CO,-f1. „ [231-83 |424-55 |16-4 | 92-8514 | Absorption |2. , [2381-88 42439 |16-4 | 92-8364 |l Vor der Dh » 1299-87 |445-14 15-9 [126-145 Absorption |2. ‚, [300-08 |444-95 |16-0 126-136 Nach der C0,-fl. „ 1294-82 | 445-92 | 16-4 124-024 Absorption |2. „ 1294-88 |445-88 |16-4 124-0838 Vor der Be „ ,420-58 |420-72 15-9 |167-22 Absorption |2, „ 1421-60 |420-23 16-0 1167-37 Nach res, » | 88-170) 105.47 116-4 | 8.7708 \ Absorption |2. „ | 88-275) 105.30 |16-4 | 87692 |] y = 158-525 cm oder en Abl. 1236-88 |429-30 | 15-9° | 96-1013 92-8439 | 126-141 124-031 167-295 8.770 B= 26-965 „ © = 569.47 (4 = 31832 Ltr. 0 — 164.80 0, Proc. O, Angewandtes Luftvol. 1122-56 |150-99 |19-6 | 17-2666 , ind. Luft Nach Zusatz von H, 135.01 |2183-21 19-6 | 27-4885 | 15-001 R Nach der Explosion |134-21 |157-46 |19:6 | 19-7181 =15.012 Angewandtes Luftvol. 1122-74 |159-31 19-6 | 18-2448 2 Nach Zusatz von H, 1134-97 |246-16 19-6 | 31-0002 | 15-023 Nach der Explosion 1134-21 181.89 19-6 22.7774 Angewandtes Luftvol. 1122-19 |158-20 20-35 17-995 Nach Zusatz von H, 1134-91 | 240-95 20-3 | 30-258 | 11:148 Nach der Explosion |134-39 192.07 20-25 | 24-0307 | | =11.144 Angewandtes Luftvol. 1122-07 | 129-95 20-25 | 14-767 $ Nach Zusatz von H, [1134-40 | 192-42 20-25 | 24-0763 | 11:140 Nach der Explosion 1134-31 |151-67 20-2 | 18-9683 = 0.3585 «—=182.95 Ltr. Ö, i y=183:-84 ,„ Die Anzahl der Athem- V =214-.43 „ bewegungen in 40° = 659 V,„=275-76 ,„ Die mittl. Einathmungs- CO,-Menge pro Std..= 9.2853 , grösse — lee O,-Verbrauch „ „ = 10-815 „ Beobachtetes | Barometer Vol. bei 0° Gasometer | e Yılım = Temp. | ergo : 1 M. | Berechnet = y Verbrauchte Luftmenge | 267-0 Ltr. 118.20) 1761-46 |186-73 Ltr. 183.84 Ltr. ‘Archiv f. A.u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 11 162 M. SCHATERNIKOFF: Zweite Hälfte 1% 7’ bis 1° 47‘. ‚Procent O, in der Luft = 44.719. ı Beob. Beob. Mer Vol.bei 0° Mittel- ı Volum | Druck Dan? werthe Vorder C04-[1 Abl. | 248-25 445-79 15-9° 104-583 || 104.58 Absorption |2. „ |248-45 |445-55 |16-0 [104-577 || In- serien Nach der CO,-f1- „ |242-90 1441-97 |16-4 101-269 || 191.965 Absorption 12. „ |242-95 441-81 16-4 101-261 |) Vor der CO,- R „ 1805-57 | 421-46 15-9 121-706 an-ase Absorption 12. „ 1305-74 421-32|16-0 121-69 | een u. „801.21 [421.25 16-4 [119-702 || |49-703 : Absorption |2. „ |301-26 421.19 |16-4 1119-704 | Vor der CO,- fl. „ |482-75 |373-05 |15-9 |170-19 } 10-12 | Absorption \2. „ 4838-15 |372-56 16-0 1170-05 | ul „ 267.51 | 68-03 16-4 | 17-169 a Absorption |2. „ 268-08 | 67-78 |16-4 | 17-142 | y = 152-964 cm 3= 21:02 „ ee A = 3.0643 Ltr. Vale | | Er0r.205 Angewandtes Luftvol. | 110.12 | 100-26 | 19-6 | 10-3016 \ ind. Luft Nach Zusatz von H, |134-85 233.20 19-6 | 29-342 | 44-712 | Nach der Explosion |122-21 136-14 19-6 | 15-524 | | Im =44.119 Angewandtes Luftvol. 110-02 93-68 19-6 9-6167 Nach Zusatz von H, 134-62 216-98 19-6 27-2546 |) 44-725 | Nach der Esplosion |122-44 125-62 19-6 14-3513, | | Angewandres Luftvol. 110-43 113-04 19-57 11-624 \ Nach Zusatz von H, 134-58 257-13 19-57 32-2926 } 41.288 | Nach der Explosion ,122-14 152-58 19-57 | 17-391 | | | | | n =41-280 Angewandtes Luftvol. 110-70 122-45 19-57 | 12-6496 Nach Zusatz von H, ı 134.57 | 244.77 19-57 30.7381 | 41-272 Nach der Explosion |122-34 | 127-56 19-57 | 14-5631 a=m—n=53-439 Co, &=196-97 Lir. ST y=197-50 ,„ Die Anzahl der Athem- 2393-45 bewegungen in 40 = 702 V,;,=29-24 „ Die mittl. Einathmungs- CO,-Menge pro Std..= 9-3656 „ grösse — 281.3em, O,-Verbraueh ,, 7, 1055095, Gasomektz Beobachtetes p | Barometer | Vol. bei 0° Berechnet =y | Volum Se bei 0° | u al ML, Verbrauchte Luftmenge | 286-66 Ltr. 18.20 161.46 200.48 | 197.50 ABHÄNGIGKEIT DES (),-VERBRAUCHES VOM (0,-GEHALTE. eingeathmet. Versuch 6 (21. April 1903). Es wurde in diesem Versuche O,-arme bezw. O,-reiche Luft abwechselnd Der Wechsel geschah jede 10 Minuten und wiederholte sich 8 Mal, so dass jedes Gasgemisch im Ganzen 40 Minuten eingeathmet wurde. Der Versuch begann mit der Einathmung OÖ,-armer Luft. athmungszweige wurde das Austrittsventil gleich hinter dem ersten Ableitungs- In dem Aus- eylinder angebracht, so dass die Ausathmung vollkommen frei war. Die eingeathmeten Luftmengen wurden direct an Gasometern abgelesen. Athmung mit O,-armer Luft. Beob. a A Barom. Vol. bei 0° Gasometer won bei ge Temp.| „ıM. Y V, : 3 0 .10 207: | Vor dem Versuche 294-5 |749.74 181° 207.08 195-07 Ltr.| 292-61 Ltr. Nach „ Dr 17-1 |749-74 18-5 | 12-01 Beob. | Proc. CO, : Druck | inderLuft| Nittelwerthe Vor der CO,-Absorpt. | 290.92 358.09 |18-5 | 97-568 | 32193 Nach „ 55 283.48 | 355.78 |18-6 | 94-427 | — 3.2166 Nor, N 235.72|412-01|18-5 | 90-9583 | 2.0130 2 Nach „ s 228-20 412-05 |18-6 | 88-035 | | Proe. O, | | | in derLuft | ; Angewandtes Luftvol. | 109.88 136.37 |20-8 | 13-924 Nach Zusatz von H, |134-03 196.79 | 20-8 | 24-5095 | 16597 Nach der Explosion |122-07 154-95 20-8 | 17-5764 e Angewandtes Luftvol. 109.89 159.13 | 20-5 | 16-2664 I Nach Zusatz von H, |134-11 206-51 |20-5 | 25-7622 | 16-505 Nach der Explosion 109.87 173-23 | 20-45 17-7077 | Angewandtes Luftvol. | 110-02 | 130-79 | 20-4 | 13-3895 | Nach Zusatz von H, |122-13 159.77 | 20-4 | 18-9567 ( 12-551 Nach der Explosion |110-30 126-15 20.4 | 12-9474 3 Angewandtes Luftvol. |109-89 119.76 20-45 12-244 | II u E22 Nach Zusatz von H, 121.96 170.99 20-45 | 19-4012 [ 12-554 Nach der Explosion 110.42 | 142.49 | 20-45 | 14-6363 | a=m—n= 3.999 V, = 290.32 Lir. CO,-Menge pro Stunde = 9.3384 „ O,-Verbrauch ,, 2 So co, Oper 0.779 Die Anzahl der Athembewegungen in 40° = 705 — 276.89 m. Die mittlere Einathmungsgrösse ul 163 164 M. SCHATERNIKOFF: Athmung mit O,-reicher Luft. Beob. : Barom. Vol. bei 0° Gasometer Ir bei 00 Temp.| ıM. Y v, Vor dem Versuche |305-4 |749-74|18-19/214-74 91.85 Ltr.| 287-77 Ltr. Nach ” er) 32°6 7149-74 18-5 22-89 Beob. | Proc. CO : Druck in der Luft Mittelwerstte Vor der CO,-Absorpt. | 3083-19 392.62 | 18-5 111-488 } 3.2129 Nach » ER) 29625 389-04 18-6 107:906 | ; p= 3.2059 Vor „ ” 243.70 397:00 18-5 90-612 3.1988 Nach „ 5 23657 |396-02 |18-6 | 87-7135 | Proc. O, in der Luft Angewandtes Luftvol. [109.76 | 93-10 20-4 9.5085 \ Nach Zusatz von H, |134-16 | 216-54 | 20-4: | 27-0328 , 50-896 Nach der Explosion 1109-81 | 122-47 | 20-4 | 12-5142 era Angewandtes Luftvol. |109-81 | 90-71|20-3 | 9-2719 sr Nach Zusatz von H, |134-04 | 202-39 | 20-3 | 25-2519 | 50-832 Nach der Explosion |109-81'!108-72 | 20-3 | 11-1127 Angewandtes Luftvol. | 109.77 | 78-92 | 20-3 80638 |] Nach Zusatz von H, |134-09 | 212-25 | 20-3 | 26-492 | 47.010 Nach der Explosion 109.77 | 1144-29 20-3 | 14-7431 | _ 47013 Angewandtes Luftvol. |109-87 107.21 20-4 10-9609 | Nach Zusatz von H, |134-03 | 220-53 | 20-4 | 27-5036 | 47-016 Nach der Explosion |109-77 | 112-90 20-4 | 11-5318 a=m—n = 353-851 V, = 2835-91 Wir. CO,-Menge pro Stunde = 9-166 „ O,-Verbrauch „, De IE CO, 0-17] 0.7665 Die Anzahl der Athembewegungen in 40° = 713 Die mittlere Einathmungsgrösse = 269.07 m, Fassen wir jetzt die Resultate unserer Untersuchung in einer Tabelle zusammen, so geht aus derselben (s. Tab. III) ganz klar hervor, dass die‘ Abhängigkeit des O,-Verbrauches von dem O,-Gehalte der einzuathmenden Luft in keinem einzigen Falle zu constatiren war. mir gewonnene Resultat in vollem Widerspruch mit der Angabe von Rosenthal, obgleich die von ihm angegebenen Hauptbedingungen für Somit steht das von das Gelingen der Versuche von mir streng berücksichtigt wurden. ABHÄNGIGKEIT DES O,-VERBRAUCHES VOM (0),-GEHALTE. 165 Tabelle IM. Erste Hälfte Zweite Hälfte Versuchs- { x : Proc. O, in O,- CO,-Aus- | Proc. 0, in O,- CO,-Aus- nummer m Verbrauch | scheidung m ı Verbrauch | scheidung der, Binath. | „Tätern | in Litern |der Einath- |; Litern | in Litern mungsluft | pro Stunde |pro Stunde | mungsluft | pro Stunde pro Stunde 1 | 20-96 11.923 10.687 20:96 | 10-873 I:7272 2 15-903 11-452 10-950 50.44 | 10.34 10-091 3 20-96 11-994 10-943 51.344 | 10-589 | 9.7286 4 15-538 10-519 85196 20-96 ı 10.159 | 8.2298 B) 15-012 10-815 9.2853 44-719 | 10-509 9.3656 - 6 16-552 11-988 9.3384 50-864 | 11-959 9.166 Nebst diesem möchte ich noch die Untersuchung von Falloise!, die zur Prüfung der Angabe von Rosenthal über die Aufspeicherung des O, in den Geweben angestellt wurde, anführen. Die Versuche von diesem Autor bestanden im Folgenden: ein und dasselbe Kaninchen liess er einmal atmosphärische Luft, das andere Mal O,-reiche Luft (80 Prozent O,) ein- athmen und mass in beiden Fällen die Zeit, welche von der Einstellung der Luftzufuhr bis zur Eintretung asphyktischer Erscheinungen (Convulsionen und Athmungsstillstand) verstrichen war. Es hat sich zwar dabei heraus- gestellt, dass in der That eine Verspätung (von 45” im Mittel) der asphykti- schen Erscheinungen nach der Einathmung (,-reicher Luft stattfindet, aber diese Verspätung sich gleich bleibt, mag die Einathmung von 1’ bis zu 10° dauern. Um dieser kleinen Verspätung auf den Grund zu kommen, hat Falloise einige vergleichende Respirationsversuche am Kaninchen mit der Oxygenographion von L. Fredericq angestellt und dabei Folgendes gefunden: 1. hängt die bei der Athmung mit O,-reicher Luft stattfindende Mehraufnahme von O, zur von der vergrösserten Auflösung dieses Gases im Blute ab; und 2. ist‘ diese Vermehrung der O,-Menge in den Flüssig- keiten des Körpers genügend, das Leben im Laufe von 45” zu unterhalten. „Je conelus done“, sagt Falloise? „que l’absorption d’oxygene sous influence de la respiration d’un air suroxyg&ndg n’augmente que d’une quantite tres faible, proportionelle a la quantit& d’oxygene que les liquides de l’organisme dissolvent pour ce mettre en equilibre de tension avec loxygene du milieu respir&; que, cet &quilibre de tension &tant vite etabli, ! Influence de la respiration d’une atmosphere suroxygenee sur !’absorption d’oxy- gene. par le Dr. Arthur Falloise. Travaux du Laboratoire de Leon Frede£ricg. Fbiege 1901. T. VI. p. 135. AN Eu. 05 9 ep: 166 M. SCHATERNIKOFF: ABHÄNGIGKEIT DES 0,-VERBRAUCHES U. S. W. l’augmentation d’absorption cesse au bout d’un temps trös court, et que d’autre part, si la tension d’oxygene de l’air respir& revient & la normale, l’oxygene absorbe en exces s’öchappe tres rapidement“. Den Unterschied, welcher zwischen meinen Resultaten und denen von Rosenthal besteht, vermag ich nicht zu erklären, da die Angaben von Rosenthal über die Ausführung seiner Versuche viel zu dürftig sind. Für die Zuverlässigkeit meines Verfahrens spricht hingegen die in allen Versuchen ohne Ausnahme beobachtete gute Uebereinstimmung zwischen den aus den Formel abgeleiteten und den an den Gasometern abgelesenen Zahlenwerthen für die eingeathmeten Luftmengen. Zum Schlusse möchte ich es nicht unterlassen, meinem .hochverehrten Lehrer Herrn Prof. Setschenow für seine freundliche Unterstützung, deren ich mich bei meinen Arbeiten stets erfreue, herzlichst zu danken. Nachschrift. Nach dem Abschluss dieser Arbeit erhielt ich die Kenntniss von der interessanten Arbeit von Dr. A. Durig!, in welcher die Angaben von Rosenthal ebenfalls einer Prüfung unterzogen wurden. Ohne auf die Besprechung dieser Arbeit einzugehen, beschränke ich mich auf die Be- merkung, dass auch Durig bei seinen Versuchen die Abhängigkeit des 'O,-Verbrauches von dem O,-Gehalte in der einzuathmenden Luft nicht finden konnte. ! A. Durig, Ueber Aufnahme und Verbrauch von Sauerstoff bei Aenderung seines Partialdruckes in der Alveolenluft. Dies Archiv. 1903. Suppl.-Bd. S. 209. Bemerkungen zu der Abhandlung der Herren Zwaardemaker und Quix „Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Töne verschiedener Höhe“. Von Max Wien. Im vorigen Jahre habe ich in Pflüger’s Archiv! über Versuche be- richtet, durch welche die Schwellenenergie des menschlichen Ohres für Töne verschiedener Höhe festgestellt werden sollte. Die Ergebnisse wichen insofern von denen, welche die Herren Zwaardemaker und Quix? kurz vorher ver- öffentlicht hatten, sehr ab, als bei ihnen im ganzen Hörgebiet sich etwa die gleiche Empfindlichkeit ergab, während bei mir ein starkes Anwachsen der Empfindlichkeit bis zum viergestrichenen g hervortrat, so dass die Schwellen- energie für diesen Ton etwa hundert Millionen Mal kleiner war als für G_.. Ausserdem ist der absolute Betrag der Schwellenenergie, besonders in den mittleren und höheren Lagen bei mir viel kleiner, als jene Forscher ihn angeben. Vor Kurzem haben die Herren Zwaardemaker und Quix in dieser Zeitschrift? eine Abhandlung über denselben Gegenstand veröffentlicht, worin sie einerseits meine Einwendungen gegen ihre Versuche zu ent- kräften suchen, andererseits die Differenzen unserer Resultate daraus her- leiten, dass meine Werthe für die Schwellenenergie aus — durch die Ver- suchsanordnung bedingten — Ursachen vor allem bei höheren Tönen viel zu klein ausgefallen seien. Wenden wir uns zunächst zu dem letzten Punkt: Meine Versuche habe ich nach zwei Methoden angestellt. Bei der einen wurde ein Telephon mit einem Ansatzrohr versehen, dieses in das Ohr gesteckt, und nun ein ı M. Wien. Pflüger’s Archiv. 1903. Bd. XCVI. 8.1. ®?H. Zwaardemaker und F. H. Quix, Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 367. ® Dieselben, Zbenda. 1904. Physiol. Abthlg. S. 25. 168 Max Wien: durch das Telephon geleiteter Sinusstrom solange geschwächt, bis die Reiz- schwelle erreicht war. \ Die .-Herren Zwaardemaker und Quix meinen nun, dass meine Schwellenwerthe deshalb so gering ausgefallen seien, weil der Haupttheil der Tonenergie nicht, wie bei meiner Berechnung vorausgesetzt, durch die Luft zum Ohr gelange, sondern von dem Telephongehäuse aus durch das Ansatzrohr dem knorpeligen Gehörgang und damit dem Ohr zugeführt würde. Dass eine solche Nebenleitung besteht, ist unzweifelhaft richtig; es fragt sich nur, wie gross ihr Antheil an der Gesammtschallleitung ist. Das kann man nun leicht experimentell feststellen, wenn man die Luftleitung ausschliesst, indem man die Röhre des Telephonansatzes mit Wachs ver- klebt, und nun wieder die Reizschwelle aufsucht. Directe Versuche ergaben, dass die übrig bleibende Schallleitung — durch Gehäuse, Knorpel und Knochenleitung — sehr gering ist. Ich musste z. B. die Amplitude des Tones 9° (NV = 6000) 15 Mal so stark machen wie bei offenem Ansatzrohr, um den Ton eben vernehmen zu können, so dass also die Tonintensität 15°—= 225 Mal so gross war. Es wurde demnach höchstens !/,,, der Gesammtleitung durch die Knorpel- leitung bewirkt. Aehnliche Werthe ergaben sich auch bei anderen Telephonen und anderen Schwingungszahlen. ! Bei der zweiten Methode, die ich in meiner Arbeit zur Bestimmung _ der Reizschwelle anwandte, wurde der Ton eines Telephons aus einiger Entfernung beobachtet. Um den Bedingungen der Theorie zu genügen, wurde das Telephon an einem grossen Blechschirm befestigt, in den an der Stelle der Telephonplatte ein Loch geschnitten war. Nach Ansicht der Herren Zwaardemaker und Quix soll nun der Blechschirm an den Schwingungen der Telephonplatte theilnehmen und auf diese Weise eine ! Hr. Zwaardemaker, dem ich die Resultate dieser Versuche brieflich mit- theilte, gab mir zur Erwägung, ob nicht durch das Wachs die Schwingungen des Ansatz- röhrchens aus Messing erheblich gedämpft würden. Um dieses Bedenken zu widerlegen, bat ich Hrn. Dr. von Pirani in Aachen — da mir hier in Danzig vorläufig noch die noth- wendigen Instrumente fehlen — folgende Versuche anzustellen. 1. Reizschwelle des von mir verwandten Telephons III bei offener Ansatzröhre; 2. bei mit Wachs ver- klebter Ansatzröhre; 3. bei offener Ansatzröhre, wobei jedoch aussen rings herum Wachs angeklebt war; 4. bei metallisch verschlossener Ansatzröhre. Das bei Versuch 3 aussen herumgeklebte Wachs musste auf die Schwingungen der Ansatzröhre ähnlich dämpfend wirken, wie das Wachs innen; bei 4. durfte keine Dämpfung merklich sein. Wie zu erwarten war, ergaben die Versuche, dass bei 1. und 3. die gleiche Reizschwelle ein- trat, so dass die Dämpfung durch das Wachs keine Rolle spielt; ferner war die Reiz- schwelle bei 2. und 4. in gleichem Maasse erhöht, woraus zu schliessen ist, dass die Erhöhung durch den Ausschluss der Luftleitung nicht durch die Dämpfung bewirkt wird. Für die Ausführung dieser Versuche sage ich auch an dieser Stelle Hrn. v. Pirani meinen verbindlichsten Dank. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND (JUIX. 169 viel grössere Schallenergie an die Luft übertragen werden, als der Rechnung zu Grunde liest. Obgleich nun eine merkliche Uebertragung der Be- wegungen der Telephonplatte auf den Schirm physikalisch an und für sich unwahrscheinlich ist, so habe ich doch noch Versuche über die Grösse dieser Uebertragung gemacht. Dabei wurde die Luftübertragung wieder ausgeschlossen, indem die Oeflnung des Schirmes verschlossen und das Telephon an einer benachbarten Stelle in derselben Weise befestigt wurde, wie vorher. Es ergab sich die Schwellenamplitude für einen Beobachter (O.) 170, für einen anderen (W.) 200 Mal grösser als bei offenem Telephon. Demnach ist die durch die Vermittelung des Schirmes an die Luft übertragene Schallintensität etwa 35000 Mal kleiner, als diejenige, welche direct von der Telephonplatte ausgeht. Aehnliche Resultate erhielt ich bei der Ver- tauschung von Ohr und Telephon. Die durch die „Nebenleitungen“ verursachten Fehler halten sich demnach weil unter 1 Procent, sind also gänzlich verschwindend neben den Einstellungs- fehlern, die bei diesen Reizschwellenversuchen 100 Procent und darüber betragen. Hiermit ist der einzige physikalischeEinwand, den dieHerren Zwaardemaker und Quix gegen meine Versuche erheben, wider- legt!, und ich muss daher meine Resultate im vollen Umfange aufrecht erhalten. Die Herren Zwaardemaker und Quix haben ferner ihre Arbeit gegen meine Kritik verteidigt. Zunächst hatte ich bei ihrer Versuchsanordnung einige Dinge besprochen, welehe man bei exakten physikalischen Versuchen wohl als principielle Fehlerquellen ansehen müsste, die ich hier jedoch, wo es sich nur um die Feststellung roher Grössenordnungen handelt, nur als „Unsicherheiten“ bezeichnen möchte. Eine dieser Unsicherheiten geben die Herren Zwaardemaker und Quix auch zu, nämlich die, welche in der Annahme liegt, dass gerade U/;, des Totalenergieverlustes einer abschwingenden Gabel in Tonenergie verwandelt wird. Diese Zahl kann, wie sie selbst schreiben, bei ver- schiedenen Gabeln und verschiedener Einklemmung sehr verschieden sein, sie kann ebenso gut !/,, wie !/,on betragen, und ich vermuthe, dass bei 18. 28 wird noch in einer Anmerkung angedeutet, dass es nicht gestattet sei, wie ich es bei der Berechnung meiner nach der zweiten Methode angestellten Versuche gemacht habe, die Luftamplitude in der unmittelbaren Nähe der Telephonplatte der der Telephonplatte selbst gleich zu setzen. Dies ist eine in der Physik allgemein übliche Annahme, die z. B. auch Helmholtz in seiner Abhandlung über die Schwin- gungen offener Röhren macht (Ges. Abhdlg. Bd. 1. S. 352), wo er die Geschwindigkeit der benachbarten Lufttbeilchen einfach derjenigen der Schlussplatte der Röhre gleich setzt. Anders liegt die Sache bei vor das Ohr gehaltenen Stimmgabeln, wo nicht die das Ohr treffenden Luftamplituden mit denjenigen der a ohne Weiteres identifieirt werden dürfen. 170 MAx Wıen: besonders vorsichtig eingeklemmten Gabeln die Zahl noch viel niedriger sein kann. Dazu kommen noch andere in meiner Arbeit besprochene „Unsicherheiten“, hervorgerufen durch Beugung und Reflexion der Wellen, durch Reibung in dem engen Hörrohr, vor allem auch durch Resonanz in demselben: Einflüsse, die bei der getroffenen Versuchs- anordnung nach den physikalischen Gesetzen eine sehr grosse Rolle ge- spielt haben müssen, und die man nicht dadurch aus der Welt schaffen kann, dass man sie einfach ableugnet. Am besten kann man die Wirkung aller dieser Unsicherheiten aus den Versuchsergebnissen selbst ersehen. Es stehen dort als Schwellenwerthe neben einander g!:138-10-1% Erg, c?:4,5.10=1%, g?:71-.10-1°, trotzdem der Werth für ce? nachträglich schon auf einen 2-5 Mal höheren Werth corrigirt ist. Durch diese Einflüsse können leicht die Werthe 20 bis 30 Mal zu gross oder zu klein ausfallen. Auch bei meinen Versuchen können Beobachtungesfehler bis zu etwa dem 3 fachen Werth wohl vorkommen. Mithin wäre eine Differenz der Resultate bis zum 50 fachen hierdurch wohl erklärlich, nicht aber die wirklich be- stehende Differenz des Anstiegs der relativen Empfindlichkeit, die bei mir viele tausend Mal grösser ist, wie bei Zwaardemaker und Quix. Es muss ein ganz specieller Grund für diese total verschiedenen Resultate vorhanden sein. Als diesen Grund habe ich in meiner Abhandlung an- gegeben, dass die Herren Zwaardemaker und Quix bei ihrer Berechnung ' die Tonintensität nicht, wie allgemein in der Physik üblich, proportional dem Quadrat der Stimmgabelamplitude setzen (a?), sondern proportional der 1-2 Potenz (a'?). Zwaardemaker und Quix geben jetzt auch zu, dass, falls man mit a? statt mit a!” rechnet, ihre Ergebnisse für die relative Empfindlichkeit wenigstens der Grössenordnung nach mit den meinigen übereinstimmen.! Hingegen erklären sie die Frage, ob man nach a? oder a!'” rechnen müsste, was die physikalische Seite anbeträfe, für offen, während eine Reihe physiologischer, sinnesphysiologischer und klinischer Gründe für al? spräche. Diese sollen an anderer Stelle? behandelt werden, hier möchte ich nur wegen der Bedeutung der Frage für die physiologische ! Die Herren Zwaardemaker und Quix meinen, dass man umgekehrt auch meine Versuchsresultate umrechnen und mit den ihrigen in Einklang bringen könnte, wenn man bei mir an Stelle des Quadrates der Amplitude die 1-2. Potenz bei der Energieberech- nung einführen würde. Das ist ein Irrthum. Denn meine Berechnung bei der Telephon- methode beruht darauf, dass ein abgeschlossenes kleines Luftvolumen durch die Be- wegungen der Telephonplatte vergrössert oder verkleinert wird, die kleinen Druck- differenzen im Innern sind proportional den kleinen Volumenänderungen, die Tonenergie proportional dem Quadrat derselben. Eine Umrechnung im Sinne der 1-2. Potenz ist nicht statthaft, es sei denn, dass die Herren Zwaardemaker und Quix auf Grund ihrer Versuche auch die Gültigkeit des Mariotte’schen Gesetzes in Zweifel ziehen. ® M. Wien, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. 1905. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND (UIX. Mat Akustik nochmals den physikalischen Beweis für die Richtigkeit der Proportio- nalität zwischen Stimmgabelamplitude und Luftamplitude zu führen suchen. Eigentlich habe ich schon in meiner Arbeit einen einwandsfreien experimentellen Beweis gegeben, indem ich nachwies, dass der Ausschlag eines Resonators in weiten Grenzen der Amplitude einer Stimmgabel pro- portional war. Die Herren Zwaardemaker und Quix meinen, dass hier eine „Zufälligkeit“ vorgelegen haben müsste, weil es „nicht recht begreiflich sei, wie für jene grossen Gabelausschläge (0-2 bis 2”) eine wirkliche Proportionalität zwischen der Amplitude der Gabel und jener der Luft in der unmittelbaren Nähe würde existiren können, denn sowohl die Obertöne, die sich in der Luft nothwendig bilden, als die stark sich geltend machen- den Wirbel, zögen einen grossen Theil der Energie an sich.“ Allerdings sind bei grösseren Amplituden der Gabel Obertöne und Wirbel verhältniss- mässig stärker. Aber die dazu nöthige Energie wird nicht der Energie der Luftschwingung des Grundtones, sondern der Gabel selbst direct entzogen, was durchaus im Einklang steht mit neueren Versuchen von Hartmann- Kempf!, wonach die Dämpfung von Stimmgabeln mit der Amplitude zu- nimmt. Es liegt absolut kein theoretischer Widerspruch in der Annahme, dass die Amplitude des Grundtones proportional der Amplitude der Stimm- gabel wächst, wenn die Stimmgabel auch nebenher Energie für Wirbel und Obertöne abgiebt. Da die Herren Zwaardemaker und Quix den Wunsch aussprechen, dass meine Versuche in ausgiebiger Weise und mit genauer Beschreibung der Versuchsanordnung wiederholt würden, so will ich im Folgenden über diesbezügliche Versuche berichten, die im vorigen Winter im physikalischen Institut der Technischen Hochschule Aachen angestellt wurden. Versuche über die Proportionalität von Stimmgabel und Luftamplitude. Die Versuche wurden, wie früher, mit Stimmgabel und Resonator? gemacht. Die Stimmgabel war die grosse Ut,-Gabel der König’schen Serie, machte also 128 ganze Schwingungen in der Secunde. Ihr Stiel war mit Kautschuk umwickelt und in einem eiserenen Stativ fest- geklemmt. Dieses stand auf einem mit Sand gefüllten Gefäss, das in der Mitte des Zimmers auf einem isolirten Steinpfeiler aufgestellt war. Der Ton war auch bei Excursionen von I "® nur ganz schwach vernehm- lich. Die Stimmgabel wurde durch eine zweite gleichgestimmte elektro- ! Hartman-Kempf, Annalen der Physik. 1904. Bd. XIII. 3. 124. ® Ueber die Wirkungsweise des Resonators, speciell über den Beweis der Pro- portionalität zwischen Tonamplitude und Resonatoramplitude vgl. M. Wien, Messung der Tonstärke. Inaug.- Diss. Berlin 1888. S. 11—14. Wiedemann’s Annalen. 1889. Bd. XXXVI. S, 838. Ueber den Beweis der Proportionalität zwischen wirkender Kraft und Amplitude der Membran: Wiedemann’s Annalen. 1891. Bd. XLIl. S. 595 u. 600. 72 Max Wien: magnetische Gabel von einem entfernten Raum aus in Schwingungen ver- setzt. Die Amplitude konnte durch Einschalten von Widerstand in den erregenden Stromkreis beliebig varrirt werden. Es wurden bei den Versuchen nicht nur die Amplituden der Stimm- gabel und die Abstände vom Resonator verändert, sondern auch die Stellung des Resonators zur Stimmgabel. Dies wird in der folgenden Tabelle durch die Zeichnungen verdeutlicht. Die beiden Quadrate be- deuten darin die beiden Zinken der Stimmgabel (8) von oben gesehen, der nicht ganz geschlossene Kreis (#) den Resonator mit Oefinung. In der Tabelle bedeutet d den Abstand zwischen dem Toncentrum der Gabel (Mitte zwischen den Zinken) und der Oeffnung des Resonators, $ die Stimm- sabelamplitude in Millimeter, #% den Ausschlag des Resonators in Skalen- theilen der Okulartheilung; #%’ den Resonatorausschlag, der hätte abgelesen werden müssen, wenn, an Stelle der Abnahme von # proportional 5, die- selbe proportional 5% gewesen wäre. Wasbiellie>T. Resonator in Verlängerung der Verbindungslinie der beiden Zinken. Oeffnung _L zu dieser Linie. d TE Fig. 1. d=9-.5m d= 1905 m Sam) | R R/S R Smm)|ı AR | RIS R' 0.173 | .46-5 | 270.0 | 46-5 0.74 | 37-0 | 49-9 | 370 0-121 32-0 | 265-0 | 37-6 0-58 27-0 50-5 30-4 0.052 16:0 | 309-0 | 22-6 0-53 26-0 | 48-7 30-4 | | 0-50 24-0 | 47-9 29-2 0-31 13-7 | 44-2 22-0 0-34 10-2 | 493 18-9 - d= 26.5 d= 33-5 m, d = 56-5 m Ss ıRı ns mes ı Rn ms Hi sen Pe 1-59 | 40-5 | 25-5 | 40-5 1-33 | 15-0 | 11-3 | 15-0 1-52 | 6-0 | 3-96 | 6-0 1-57 | 39-0 | 24-9 | 40-3 1-22 | 18-5 | 11-1 | 14-3 1-40 | 5+6 | 4-01 | 5-7 0-95 | 22-0 | 23-2 | 29-8 0-88 | 9-0 10-2 | 11-7 1-19 | 4-5 | 3-78 | 5-2 0-81 | 19-7 | 24-3 27-1 0-60 | 6-4 10-4 | 9-7 0-36 | 9-2 | 25-4 | 16-7 0-33 | 3°4 | 10-4 | 6-5 | 0-22 5-4 | 24-1 | 14-6 | | Tabelle II. Resonator in Verlängerung der Verbindungslinie der beiden Zinken; Oeffnung parallel dieser Linie. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND QURX. 175 Fig. 2. d =323 u, VS S R R/S R' S R RIS Tag, 1°11 34-5 30:6 8345 0-81 5.2 6.4 5.2 0-62 20-5 33-0 24.4 0-55 3-7 6-7 4-1 0-55 18-2 33-0 22-8 0.34 2-2 6-4 31 0.35 13.2 38-0 17-2 0.28 9.2 33.3 15.0 Tabelle IL. Resonator in Verlängerung des Lothes auf der Mitte der Verbindungslinie der beiden Zinken. Oefinung _L zu dieser Linie. ® d Fig. 3. A Ellasc. da—BoSıcu: S R R/S R' N R R/S R 0-41 45-0 10-9 45.0 0-83 29.0 35-1 29-0 0-24 28-5 11.8 32-5 0.79 29.0 36-6 29-7 0-21 22-0 10-6 29-6 0.69 25°5 37-0 26-7 0-17 19:0 ıllonl 26-6 0-45 15.5 34-6 20-6 0:138 15.7 11.4 23°5 0.24 9.5 39-3 14.2 0.103 10-7 10-4 19-6 0-24 EOZ 38-1 14-2 0.207 7-8 37-7 13-0 0-138 5.4 39-1 10-2 0138 5:0 36-2 10-2 174 Max Wiıen: Tabelle IV. ‘ Resonator in Verlängerung der Linie, welche auf der Mitte der Verbindungs- linie der beiden Zinken im Winkel von 45° angetragen ist. Oeffuung des Resonators __ zu dieser Linie. d=15m, Ss R RI/S ro) AR - — — 0-79 | 15-0 18-7 15+0 0.69 | 13-2 | 19-2 13-8 0-45 8-2 18-3 10-7 a 0es5 eTe 20-3 9.1 0-24 | 5.3 21-9 7+4 Die Zahlen für 2/8 sind in w ® allen Versuchsreihen innerhalb s der Fehlergrenzen constant. -Hin- gegen sind die Zahlen 7%’, welche nach der AnnahmevonZwaarde- maker und Quix hätten beobachtet werden müssen, zum Theil 2 bis 3 Mal so gross als die thatsächlich beobachteten Werthe. Da aus verschiedenen Abständen und Stellungen des Resonators be- obachtet wurde, so kann von einem „Zufall“ nicht mehr die Rede sein, und die Proportionalität von Stimmgabelexcursion und Luft- amplitude ist hiermit definitiv bewiesen.! Aus den obigen Versuchen lässt sich gleichzeitig der Grund der ab- weichenden Resultate der Herren Zwaardemaker und Quix ersehen. Wie ich schon in meiner Arbeit ausführte, kann man aus ihren Versuchen schliessen, dass eine Grösse, die von 2 Variablen, der Amplitude « und der Entfernung d, Fig. 4. 1.2 . abhängig ist, constant ist. Sie nehmen m als constant an. Ebenso gut kann 1.2\ 2 2 man jedoch aus den Versuchen schliessen: > ) hope Es = Const. Mit anderen Worten: ihre Versuche lassen sich ebenso gut daraus erklären, ! Man könnte natürlich die Versuchsresultate auch so zu erklären versuchen, dass man annimmt, die Luftamplitude a, nimmt proportional a,"® — a, Stimmgabelampli- tude — zu, und die Resonatoramplitude a, wächst proportional a,'’°-®. Dann ist natürlich wieder a, proportional a,. Dieser etwas abenteuerliche Gedanke ist schon aus dem Grunde ausgeschlossen, weil bei dem Uebergang einer Bewegung auf ein zweites Medium (Stimmgabel — Luft, Luft — Resonatormembran) wohl ein mit der Amplitude zunehmender Energieverlust, nicht aber eine relative Abnahme derselben denkbar ist, was durch a, proportional a,!'°°® bedingt wäre. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND (JUIX. 175 dass die Abnahme der "onintensität in der Umgebung der Stimmgabel nieht umgekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung, sondern schneller stattfindet. Nach meinen obigen Versuchen nimmt nun that- sächlich die Tonamplitude in der unmittelbaren Nähe der Stimmgabel viel schneller. ab als proportional der Entfernung, denn in den Versuchsreihen, die unter sonst gleichen Umständen aber verschiedener Entfernung gemacht wurden, sinkt die Grösse %/S schneller als d zunimmt. Obgleich die Rück- wirkung des Resonators auf die Luftbewegung hier mitspricht, so ist der Haupt- grund der starken Abnahme der Tonintensität in der Polarität! der Tonquelle zu suchen, wie ich ebenfalls schon in meiner früheren Arbeit hervorgehoben habe. In der Nähe der Stimmgabel ist an eine Ausbreitung des Schalles, wobei die Amplitude nach einer einfachen Potenz der Entfernung abnimmt, nicht zu denken; die Erscheinung ist sehr complieirt. Die Tonamplitude lässt sich als Function der Entfernung d in einer Potenzreihe darstellen: os(nt+ 9) + 2008 (nt + %) + 23008 (ni +9)+.--- In geringer Entfernung überwiegen die Glieder mit den höheren Potenzen von d. Dieselben werden jedoch mit zunehmenden d kleiner und in grosser Entfernung bleibt nur das erste Glied übrig, so dass also die normale Abnahme der Tonamplitude umgekehrt proportional der Entfernung erst in grossem Abstand von der Tonquelle erfolgt, während in der Nähe die Abnahme viel schneller ist.” i Im Zimmer kommen dann noch die durch die Reflexion an den Wänden hervorgerufenen Maxima und Minima hinzu, die durch Teppiche und Watteschirme, wieZwaardemaker und Quix sieangebracht haben, wohl vermindert, aber durchaus nieht zum Verschwinden gebracht werden können. Im Zimmer, auf kurze Entfernung, ist die Ausbreitung der Tonwellen einer Stimmgabel also äusserst complieirt, und diese Tonquelle kann nicht zu Untersuchungen, wie die der Herren Zwaardemaker und Quix, ge- braucht werden. Nur im Freien, in Entfernungen, die sehr gross sind gegen die Wellenlänge des Tones, geht die Ausbreitung der Tonwellen, wie gesagt, allmählich in die regelmässige Form über, wobei die Intensität um- ! Unter einer „polarisirten“ Tonquelle verstehe ich eine solche, bei der die Be- wegung in einer bestimmten Ebene vor sich geht (polarisirtes Licht). Meistens sind beim Schall zwei Pole der Bewegung (Luftverdiekung und -verdünnung) gleichzeitig dicht bei einander vorhanden. Damit ist, wie gesagt, nicht etwa eine Abnahme der Tonintensität proportional der 3. Potenz der Entfernung verbunden, was die Herren Zwaardemaker und Quix als meine Annahme voraussetzen, obgleich in meiner Ar- beit darüber nichts gesagt ist. ® Vgl. Helmholtz, Vorlesungen über theoretische Physik. Leipzig 1898. Bd. III. 8.170 ff. und Rayleigh, Theory of sound. Vol. Il. $ 273 ff. 176 Max WIEN: gekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Solche Ver- suche im Freien haben die Herren Zwaardemaker und Quix auf meine Bitte hin durch Herrn Dr. Numann Nachts auf der Haide ausführen lassen und berichten darüber in der Tabelle III, S. 173 ihrer letzten Arbeit folgendermaassen: Tabelle V. Tonhöhe | Distanz Doppelte ß 5 D 2 2a)? | @a)? | @a)?| 2a |2a)l-?|(2a)ı-? der —=d Amplitude FE 7 75 FL 73 FE Gabel in Meter | =2ain u e=256 15-0 104-0 |48-0 |21-0| 2-9 | 0-5 12 | 12-7 4 10-0 63-5 | 40-0 | 403-0 | 4-0 [0-65 | 1-4 112-3 hi 5-0 | 49-0 | 96-0 | 480-0 |19-0 |2-0 | 4-2 31:5 ® 2-5 28-5 130.0 | 325-0 |52-5 |45 |60 151-2 | g =384 | 30-0 19-0 0-40 | 12-0 | 0-015 | 0-020 | 0-038 | 0-176 3 25-0 15-5 0-38 9-5 | 0-015 | 0-025 | 0-034 | 0-192 3 20-0 12-5 0-375| 7-5 | 0.019 0-030 | 0-082 | 0-195 y 215-0 8-0 0.275, 4-6 | 0.019) 0-035 0-054 | 0-163 : 2 (A F Die letzte Columne 5 Ist fett gedruckt, wodurch die Herren Zwaarde- ö ! i 9 a)t-? maker und Quix andeuten wollen, dass sich die Form . am besten den Versuchsreihen anpasst. Offenbar ist dies bei der ersten Reihe nicht . . . 2.8 ” richtig, sondern die Zahlen steigen stark an. Wenn wir “ - bilden, so erhalten wir die Zahlen 1980, 888, 2190 und 1890. Hier ist kein Gang mehr merklich, demnach werden durch die Potenz 2.8 der Amplitude die Be- . obachtungen am besten dargestellt. Nehmen wir die Mittel der beiden Potenzen, welche sich aus den beiden Versuchsreihen ergeben, so erhalten wir 1-7 + 2-8 Em, = : 5 — = 2.25 eine Zahl, die ein wenig grösser ist als 2. Die grosse Differenz der beiden Werthe 1-7 und 2-8 lässt sich leicht aus der grossen Schwierigkeit der Beobachtung der Reizschwelle besonders im Freien er- klären; auch innerhalb der anderen im Zimmer angestellten Versuchsreihen kommen ähnliche Abweichungen vor. -Ich freue mich, constatiren zu können, dass diese beiden, im Freien und aus grosser Entfernung angestellten, und daher prineipiell einwandsfreien Ver- suche, die auf Veranlassung der Herren Zwaardemaker und Quix aus- geführt wurden, ein Resultat ergaben, das mit der Theorie und meiner Be- hauptung durchaus im Einklang steht. Nehmen wir andererseits ohne Kritik auch die im Zimmer ausgeführten Versuche der letzten Veröffent- lichung hinzu, so erhalten wir folgende Werthe für die fragliche Potenz: 1-4, 1.3, 1-2, 2-8, 1.7, also im Mittel 1.68. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND (JUIX. 177 Diese Werthe, die so schlecht übereinstimmen und die ein mittleres Resultat von 1.68 ergeben, dienen den Herren Zwaardemaker und Quix zur Bekräftigung ihrer Ansicht, dass die Tonamplitude proportional der 1.2 Potenz der Stimmgabelamplitude sei, und auf sie hin suchen sie ein wohlbegründetes physikalisches Grundgesetz umzustossen. Uebrigens geben sie schliesslich die Möglichkeit zu, dass aus ihren Versuchen auch die Richtigkeit von a?/d? geschlossen werden könnte, fügen jedoch hinzu, dass „dies für die Controverse mit Hrn. Wien irrelevant sei, denn, wenn man Proportionalität zwischen Gabelausschlag und Luft- amplitude annähme, müsse man zwar nach a? aber gleichzeitig auch nach d? rechnen, was auf nahezu dasselbe herauskäme, als wenn man a!” und d’ annähme“. Dieser Satz ist mir unverständlich, denn ihre definitiven Versuche über die Schwellenwerthe wurden für alle Töne bei gleichem d (15°® vom Toncentrum aus mündendes 60°” langes Hörrohr) angestellt. Demnach kommt die Potenz von d bei der Berechnung der relativen Empfindlichkeit überhaupt nicht in Betracht, sondern nur die der Am- plitude a. Ich stelle hier nun nochmals die Versuchsresultate der Herren Zwaarde- maker und Quix und die meinigen zusammen, und zwar nach der Tabelle V ihrer letzten Abhandlung: 1. die nach der Potenz a!'? berechneten Werthe der Herren Zwaarde- maker und Quix; 2. die nach der Potenz a? berechneten Werthe der Herren Zwaarde- maker und Quix; 3. meine Resultate. Da es sich zunächst nur um das Ansteigen der Empfindlichkeit, also die relativen Werthe der Reizschwelle handelt, so sind, wie man es beim Vergleich relativer Ergebnisse stets thun muss, in allen 3 Zahlenreihen die Schwellenwerthe für einen bestimmten Ton einander gleich gesetzt und zwar =] für den Ton g*, wo sich bei Hrn. Zwaardemaker und Quix sowohl wie bei mir die Empfindlichkeit des Ohres als die grösste ergeben hatte. = Tabelle VI. 9 Zwaarde- Zwaarde- - Tonhöhe Schwingungs- maker u. Quix makeru. Quix Wien zahl 1.2/ 72 | a?/d? a g 192 58-0 2820-0 60000 g! 384 13.4 106 0 600 q? 7168 4-0 54-6 14 9° 1536 3-7 3-62 2 g“ 3072 1-0 1-0 1 Archiv f,A.u, Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 178 MıAx Wien: Offenbar stimmt die zweite Reihe (a?/d?) viel besser mit meinen Re- sultaten, die relative Empfindlichkeit erreicht bei mir für g allerdings noch immer etwa den 20fachen Werth, aber, wie oben (S. 4) auseinander gesetzt, würden dadurch kaum die durch die Versuchsanordnung wahrscheinlichen Fehler erreicht, so dass man sagen kann, dass eine hinreichende Ueberein- stimmung der relativen Empfindlichkeit vorhanden ist).! Absolute Werthe. Die Herren Zwaardemaker und Quix meinen, dass es trotz der Einführung der anderen Methode der Berechnung (mit «@°) nicht gelingt, „die uns trennende Kluft zu überbrücken“. Dabei weisen sie auf den grossen Unterschied zwischen meinen absoluten Werthen und denen, welche sie angeben, hin. | Nun haben die Herren Zwaardemaker und Quix selbst keine ab- soluten Bestimmungen gemacht, sondern nur relative. Zu den absoluten Werthen sind sie gekommen, indem sie durch Vergleich mit dem absoluten Werth von Töpler und Boltzmann ihre Constante 7 berechneten. Ebenso gut hätten sie auch einen der Werthe von Rayleigh, von Wead oder die meinigen aus dem Jahr 1839 wählen können, wenn sie mehr Vertrauen dazu gehabt hätten, und wären jedesmal zu ganz andern absoluten Schwellen- werthen gekommen. : Von den Herren Zwaardemaker und Quix trennt mich mithin . keine Kluft mehr, da unsere relativen Werthe. wie schon auseinandergesetzt, hinreichend übereinstimmen, und ihre absoluten Werthe nicht von ihnen stammen, sondern von den Herren Töpler und Boltzmann. Die Kluft zwischen den Resultaten dieser Physiker und den meinigen ist jedoch nicht so gross, wie Zwaardemaker und Quix sie angeben. Ich erhielt für die Schwingungszahl 200 die Schwellenenergie 1.2. 103 Erg, für 100:140.10-° mithin für den Ton 181, mit dem Töpler und Boltz- mann arbeiteten, etwa 5-10-®. Töpler und Boltzmäann geben 9900.10-° Erg als Schwellenwerth an, also einen Werth der etwa 2000, aber nicht 12000 Mal höher ist, wie der meinige. Auch die Zahl von 2000 erscheint inoch sehr gross, jedoch ist dabei zu berücksichtigen, dass bei den Versuchen von Töpler und Boltzmann eine Reihe von Gründen vorlag, die ihr Resultat ganz erheblich ver- grössern mussten. Einmal wurden die Beobachtungen „um die Mittagszeit auf einem freien Platz in der Nähe der Stadt‘ angestellt, und sie selbst heben ausdrücklich hervor, dass „ein feines, völlig .ausgeruhtes Ohr gewiss in der Nacht noch viel kleinere Amplituden wahrnehmen würde“. Im Gegensatz hierzu waren meine Versuche unter besonders günstigen Umständen Nachts in einem stillen Zimmer, also, so weit es überhaupt er- ! Die in neuerer Zeit von Ostmann und von Struyken veröffentlichten Werthe für die relative Emptindlichkeit stimmen ebenfalls gut mit den meinigen überein. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND (UIX. 179 reichbar ist, bei völliger Ruhe angestellt. Es ist sehr schwer zu sagen, wie gross bei Reizschwellenversuchen der Einfluss der Nebengeräusche ist. Aber ich erinnere daran, wie laut in stiller Nacht Geräusche wie das Krachen der Schränke klingen, die man am Tage überhaupt nicht hört. Das Rauschen der See, das Locken des Rebhuhns hört man sicher an stillen Abenden 10 Mal so weit, wie um die Mittagszeit. Rayleigh hat ähnliche Versuche über die Reizschwelle mit einer Pfeife angestellt, ebenfalls am Tage, und fügt hinzu, dass er in ruhiger Nacht sicherlich einen Ton von 10 Mal kleinerer Amplitude noch bequem würde haben hören können. Brieflich theilte mir Herr Zwaardemaker freundlichst mit, dass er ebenfalls die Minimalamplitude einer Stimmgabel bei Nacht in grösster Stille ungefähr auf '/,, derjenigen bei Tage schätze. Nehmen wir mithin an, dass Töpler und Boltzmann bei völliger Stille den Ton in 10facher Entfernung also !/,, der Amplitude noch vernommen hätten, so würde dies eine 100 Mal kleinere Schwellenenergie bedeuten, und es bliebe nur noch ein 20 Mal so grosser Werth wie bei mir übrige. Diese verhältnissmässig kleine Differenz verschwindet vollständig, wenn man den schlechten „Nutzeffect“ der Pfeifeund der meisten Ton erzeugenden Instrumente berücksichtigt. Auf denselben hat zunächst Rayleigh! in neuester Zeit hingewiesen, und dann hat vor Allem A. G. Webster eine eingehende Experimental- untersuchung darüber angestellt, über welche ein vorläufiger Bericht in der Festschrift für Ludwig Boltzmann? erschienen ist. Webster verglich die Tonemission verschiedener Instrumente mit derjenigen einer besonders construirten Tonquelle, welche Tonwellen erzeugt, deren Intensität an jeder Stelle des Raumes in absolutem Maass berechnet werden kann. Indem er nun die dem betreffenden Instrument zugeführte Energie maass, konnte er den „Nutzeffect“ derselben feststellen, d. h. wieviel der zugeführten Energie durch das Instrument in Tonwellen umgesetzt wird. Derselbe ist durchweg sehr klein, wie folgende Tabelle zeigt: Tabelle VII. Instrument Zugeführte Energie Tonenergie Nutzeffect Orgelpfeife, Holz —_ — 00013 ” Metall — —_ 0:0038 Horn 6-7.10° Erg/Sec. 77.10? Erg/Sec. 0-0011 Clarinet 7°3.10> nn 30-7.10? 5: 0:0042 Oboe 5-9.10° > 0-3.10° s 0:00005 Menschliche Stimme | 116.100 ee 0-0095 Violine 15.748410 EB N ol 9 0:00052 ! Lord Rayleigh, Phil. Mag. 1903. (Vol. VI.) 6. p. 289. * Leipzig 1904. 12* 180 Max Wien: Es ist hiernach klar, dass alle Reizschwellenbestimmungen, die auf Messung der einem Instrument z. B. einer Pfeife zugeführten Energie be- ruhen, falsche und zwar viel zu hohe Resultate geben müssen. Dies be- trifft vor Allem auch die mit Pfeifen ausgeführten Versuche von Zwaarde- maker und Quix und die Rayleigh’sche ältere Bestimmung mit der g* Pfeife!. Mit Stimmgabeln hat Webster leider keine Versuche ange- stellt, jedoch ist zu vermuthen, dass die wirklich in grösserer Entfernung ausgesandten Tonwellen eine sehr viel geringere Intensität besitzen als z. B. Wead sie angiebt. Eine andere Beobachtung von Webster ist hier ebenfalls von Interesse: er fand nämlich, dass der Ton seines Instruments über Wasser mehr als 3 Mal so weit hörbar war, wie über eine mit Gras bewachsene Fläche. Er schiebt dies der Reibung der Schallwellen an der rauhen Oberfläche zu.? Es wäre also über die Grasfläche nur !/,, der nach dem Gesetz der quadra- tischen Abnahme berechneten Energie zum Ohre gelangt. Auch diese Fehlerquelle muss besonders bei grossen Entfernungen (Rayleigh, Töpler und Boltzmann) und bei hohen Tönen (Rayleigh g*) die Schwellenwerthe erheblich zu. gross ausfallen lassen. Von den in der Tabelle V ihrer letzten Arbeit von Zwaardemaker und Quix angeführten absoluten Messungen der Reizschwelle geben nach ‘ dem eben Gesagten die meisten wegen des Tagesgeräusches bei der Be- obachtung, wegen des schlechten Nutzeffeets der Tonquelle, wegen der Reibung an der Erdoberfläche zu grossen Bedenken Veranlassung, und zwar dürften die Werthe allgemein viel zu hoch ausgefallen sein. Bei meinen Versuchen spielten aber diese Dinge keine Rolle, weil ich Nachts bei möglichst vollkommener Ruhe beobachtete, weil die Energie der Tonquelle sich genau berechnen liess, und weil die Reibung wegen der geringen Entfernung keinen Einfluss ausüben konnte. Damit dürfte eine hinreichende Erklärung für die wesentlich höheren Schwellenwerthe der älteren Beobachter gegeben sein. In ihrer Tabelle führen Zwaardemaker und Quix unter „Wien I“ 2 Werthe an, welche ich vor längerer Zeit? auf ganz anderem Wege für die absolute Reizschwelle erhalten hätte, die ebenfalls erheblich höhere Energie- werthe zeigen, als ich sie in meiner neueren Arbeit angegeben habe. Der Grund liegt einfach darin, dass die Herren Zwaardemaker und Quix aus der in jener älteren Arbeit angegebenen Schwellendruckdifferenz ! Vgl. Zwaardemaker und Quix II, Tabuhr VI. ® Aehnliches habe ich, allerdings auf kürzere Entfernungen, ebenfalls beobachtet. Vgl. M. Wien, Wiedemann’s Annalen. 1889. Bd. XXXVI S. 856. 3 M. Wien, Wiedemann’s Annalen. 1889. Bd. XXXVI. S. 834. ZUR ABHANDLUNG VON ZWAARDEMAKER UND (JUIX. 181 der Töne die Schwellenenergie falsch berechnet haben." Es ist dies um so bedauerlicher, als es den Anschein erweckt, als wäre ein Wider- spruch zwischen meinem neueren und meinem älteren Resultate vorhanden, auf den ich in meiner letzten Arbeit nicht hingewiesen hätte. Als Schwellenwerthe für den Ton A (440) hatte ich 1889 angegeben 0-59 uu Quecksilberdruck, für den Ton A (220) 0.70 uu Quecksilberdruck. In meiner letzten Arbeit in demselben Maasse ausgedrückt: für den Ton 400: O-1uu und für den Ton 200: O-8uu, was in der Grössenordnung so gut stimmt, wie man bei diesen auf total verschiedene Weise gewonnenen Zahlen nur irgend erwarten kann. Im Vorstehenden habe ich nachgewiesen: 1. Dass der Einwand der Herren Zwaardemaker und Quix gegen meine Resultate, dass dieselben durch Knochen und Knorpelleitung viel zu niedrig ausgefallen seien, nicht stichhaltig ist. 2. Dass die von einer Stimmgabel ausgesandten Tonwellen den Stimm- ‘ gabelexcursionen proportionale Amplitude besitzen. 3. Dass deshalb die relativen Schwellenwerthe der Herren Zwaarde- maker und Quix umgerechnet werden müssen, und danach innerhalb der Fehlergrenzen mit; meinen relativen Werthe stimmen. 4. Dass die Herren Zwaardemaker und Quix überhaupt keine ab- soluten Messungen gemacht haben, sondern zu ihren absoluten Werthen nur durch Vergleich ihrer relativen Messungen mit den absoluten Resultaten von Töpler und Boltzmann gelangt sind. { 5. Dass die absoluten Schwellenwerthe von Töpler und Boltzmann, Rayleigh und anderen durch Nebengeräusche, durch schlechten „Nutz- effect“ der Tonquellen, und durch Reibung am Boden erheblich zu hoch ausgefallen sein müssen. 6. Dass der scheinbare Widerspruch meiner älteren absoluten Werthe mit den neueren nur durch eine falsche Berechnung der Herren Zwaarde- maker und Quix entstanden ist, und dass dieselben in Wirklichkeit gut übereinstimmen. Zum Schluss möchte ich nochmals davor warnen, zu Untersuchungen über relative und absolute Schwellenwerthe Instrumente zu verwenden, deren Tonemission man nicht rechnerisch genau übersehen kann. Diese Warnung gilt vor Allem auch für das in der Ohrenheilkunde üblichste Instrument: die Stimmgabel. ! Ich bedaure, dass ich durch allzu knappe Darstellung und durch ein Versehen im Text einer falschen Auffassung über die verwandten Grundeinheiten und damit der unrichtigen Berechnung Vorschub geleistet habe. Plethysmographische Untersuchungen über die Athmung der Vögel. Von Julius Grünwald. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Die Arbeiten, welche sich mit Fragen über die Athmung der Vögel beschäftigen, behandeln zum grösseren Theile die anatomischen Grundlagen dieses Vorganges, bei welchem die Aenderungen des Luftgehaltes der Luft- säcke mit der Erneuerung der Luft in den Lungen interferiren. Denn ' diese Verhältnisse, welche der Classe der Vögel eigenthümlich sind, erregen das Interesse der vergleichenden Naturforscher. Nur vereinzelt hingegen finden sich Angaben über graphische Aufzeichnung des Luftwechsels durch die Trachea mittels Marey’scher Trommel, welche mit der Trachealcanüle entweder direct durch den seitlichen Schenkel einer offenen T-Canüle oder _ indirect durch eine Athemflasche in Verbindung stand. Alles nun, was über die Athmung der Vögel in der Litteratur nieder- gelegt ist, hat Siefert! in einer ausführlichen Arbeit unter Hinzufügung eigener zusammenfassender und ergänzender Beobachtungen zusammenge- stellt. Er bediente sich ebenfalls der Marey’schen Trommel zur graphi- schen Darstellung der Athmung, obzwar die Aufzeichnungen dieses Apparates eingehendere Schlüsse auf die Form und zeitlichen Verhältnisse der Athmung nicht-zulassen, wie dies Kahn? des näheren erörtert, der die Fehlerquellen bei der Anwendung der Marey’schen Trommel mit vorgeschalteter Athem- Hasche aus einander setzt. Noch ungünstiger liegen die Verhältnisse, wenn die Marey’sche Trommel mit der Trachealcanüle direct durch den seit- " E. Siefert, Ueber die Athmung der Reptilien und Vögel. Pflüger’s Archiv 1896. Bd. LXIV. — Daselbst genauere Litteraturangbae. °R. H. Kahn, Zur Lehre von der Athmung der Reptilien. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 31. JULIUS GRÜNWALD: PLETHYSMOGRAPH. UNTERSUCHUNGEN UT. Ss. w. 183 lichen Schenkel einer offenen T-Canüle in Verbindung steht, welches Ver- fahren Siefert bei längerer Aufzeichnung zur Vermeidung der Dyspno& empfiehlt.! Es ist für diesen Fall ohne Weiteres klar, dass der Hebel beim Auftreten von Pausen in seine Ruhelage zurückkehrt. Da nun die Mängel dieser Methodik zu irrthümlichen Deutungen der so gewonnenen Curven führen können, schien es wünschenswerth, die Angaben der Autoren mit einem Apparate zu controliren, der diesen Fehlern nicht unterliegt, wie wir ihn in dem Gad’schen? Athemvolumschreiber besitzen. Eine eigenthümliche, durch die anatomischen Verhältnisse bedingte Schwierigkeit für eine einwandfreie Deutung der Curven erwächst aus dem Umstande, dass auch Schwankungen des Luftgehaltes der Luftsäcke eine Aenderung der Curven bewirken könnten, ohne durch das Lüftungsbedürfniss der Centren bedingt zu sein. Es öffnen sich nämlich, um nur die wichtigsten Verhältnisse anzudeuten, die Bronchien an mehreren Stellen der Lungen- oberfläche in die Luftsäcke, welche hauptsächlich an der Circumferenz der Lunge liegen, sich jedoch auch auf den Hals und in die Bauchhöhle er- strecken und sich bis in die Knochen, namentlich Humerus und Femur, auch in die Brust- und Halswirbel bis in den Schädel fortsetzen. In Folge mechanischer Bedingungen (Fixation am Sternum u. s. w.) zeigt sich ein regelmässiges Verhältniss des Füllungszustandes der Luftsäcke zur Athmung; der Luftwechsel in den Lungen ist jedoch nur in geringem Grade von diesen Beziehungen, sondern hauptsächlich von den Bewegungen der Rippen abhängige. Von den Charakteristika der Mechanik der Säugethierathmung fehlt das Zwerchfell und ein abgeschlossener Pleuraraum mit negativem Drucke. Dagegen enthält der Vogelorganismus wie oben erwähnt, wohl im Zusammenhange mit der Fähigkeit des Fliegens, in grossem Maasse luft- haltige Räume, so dass Schwankungen und Unregelmässigkeiten in viel grösserem Maasse zu erwarten wären, als es thatsächlich der Fall ist; immer- hin werden wir bei dem merkwürdigen Verhalten, das die Athemlage unter gewissen Bedingungen zeigt, an diese Verhältnisse denken müssen. Als Versuchsthiere wurden, wie auch von den meisten Autoren, Tauben verwendet. Da zur Fixation kein für unsere Versuche passender Apparat angegeben ist — der von -Rockwell? benützte konnte in Folge mangelnder Befestigung des Kopfes nicht verwendet werden —, wurde ein solcher con- struirt. Das Thier wird in Rückenlage an Flügeln und Beinen durch Schlingen befestigt, während der Schädel in den Ausschnitt des erhöhten ı A.a. 0. S. 436, 2 Dies Archiv. 1879. Physiol. Abthblg. S. 181. Verhandlungen der Berliner physiol. Gesellschaft. 1879. 3J. R. Ewald und J. Rockwell, Exstirpation der Thyreoidea an Tauben. Pflüger’s Archiv. 1890. Bd. XLVIl. 184 JULIUS GRÜNWALD: Kopfendes des Brettes gelegt und dadurch festgehalten werden kann, dass ein Dorn, welcher an einem passenden Bügel sitzt, in den spitzen Winkel des Unterschnabels eingefügt werden kann. Dadurch nun, dass der Kopf des in Rückenlage befindlichen Thieres höher als der Rumpf gestellt, der Hals also, von der normalen Stellung betrachtet, stark nach abwärts ge- bogen ist, wird eine hinlängliche Fixation erzielt, ohne dass sich irgend welche Beschwerden zeigen. Die so fixirten Thiere wurden durch eine Trachealcanüle mit der Athemflasche verbunden, die entsprechend den An- gaben über die bei Vögeln rasch eintretende Dyspno® den verhältnissmässig grossen Cubikinhalt von 3 Litern besass und in üblicher Weise mit einem Athemvolumschreiber in Communication stand, dessen Maässe folgender- maassen gewählt waren. Der Glimmerdeckel war 13% lang und 3.5 breit, der Kasten mass innen 5-5°® in der Höhe, 2-5°= in der Breite und 12m in der Länge. In sämmtlichen Curven bedeutet der Ausschlag des Hebels nach unten Inspiration und nach oben Exspiration. Die Thiere verhielten sich meist so ruhig. dass von einer Narkose vollständig abgesehen werden konnte. Inwiefern jedoch die Form der Curven durch Fixation und Einlegen der Trachealeanüle Abweichungen von einem normalen Typus bietet, ist, wie auch Knoll und Siefert bemerken, nicht zu entscheiden. 1. Als normaler Athmungstypus der Vögel wird auf Grund von Curven, die mit der Marey’schen Trommel gewonnen wurden, eine pausenlose Aufeinanderfolge von Inspirationen und Exspirationen beschrieben, wobei für die einzelnen Phasen gewisse Aenderungen der Geschwindigkeit als regelmässig bezeichnet werden. So zerfallen nach Knoll Inspiration und Exspiration in einen langsameren und einen rascheren Abschnitt, von denen im Speciellen der langsame Abschnitt der Exspiration durch eine Pause ersetzt werden kann. Diese Angaben werden besonders betreffs der Exspiration von Siefert bestätigt und mit der durch die Inspeection der freigelegten Musculatur erhärteten Thatsache gestützt, dass die Con- traction der exspiratorisch wirkenden Bauchmuskeln in der Mehrzahl der Fälle zweizeitig verläuft, indem zuerst die seitlichen Partien (Obliquus abdominis externus) und danach die mittleren (Rectus abdominis) sich con- trahiren. Im Allgemeinen wird der Typus bei verschiedenen Individuen als sehr veränderlich, bei demselben Thiere als ziemlich constant bezeichnet, was auch ich bestätigen kann. In den mittels Athemvolumschreibers gewonnenen Curven zeigt sich als relativ häufigster, zugleich einfachster und zwischen den vorkommenden Abweichungen eine Mittelstellung einnehmender Typus, eine pausenlose Auf- einanderfolge einzeitiger und mit der gleichen Geschwindigkeit verlaufender PLETHYSMOGRAPH. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNG D. VÖGEL. 185 Inspirationen und Exspirationen, die sich in den gradlinigen und symmetri- schen Phasenabschnitten der Curve ausdrückt (Fig. 1). Davon finden sich nun die mannigfachsten Abweichungen, indem eine oder beide Phasen mit zunehmender oder abnehmender Geschwindigkeit ver- laufen (in der Curve stärker oder schwächer concav und convex gekrümmt), wobei die mannigfachsten Combinationen vorkommen. Was jene von Siefert als normal bezeichnete zweizeitige Form der Exspiration anlangt, so findet sie in den ziemlich seltenen Fällen, in denen sie auch durch Inspeetion des entfederten Bauches beobachtet wurde, in der Curve derart ihren Ausdruck, dass bei voller Ausbildung zwischen die zu einander parallelen Anfangs- und Endstücke des exspiratorischen Schenkels ein weniger steiles, verschieden langes Mittelstück sich einschaltet (Fig. 2). Dieser Typus fand sich jedoch nur selten und schwankte auch bei demselben Individuum sehr in der Ausbildung (was auch Siefert bemerkt), so dass ich ihn keineswegs als den normalen bezeichnen möchte. Auch möchte ich hieran anschliessend auf eine andere Beobachtung hinweisen, welche ich bei Inspection des ent- federten Bauches öfters machen konnte, dass nämlich die Einziehung der Flanken synchron mit der Inspiration (und umgekehrt) erfolgte, ohne dass Fig. 1. Fıg. 2. N NV WAVAVAVAVAVAVAVAVA \ YA AA VAN Y \ /VV VAV, SEN f f NR EN EIN te sich an der Curve irgend welche Besonderheiten zeisten. Es legt dies den Gedanken nahe, dass ein besonderes Bedürfniss nach Luftwechsel in den abdominalen Luftsäcken, welche sich sonst während der Inspiration mit Luft füllen, diese Erscheinung hervorruft. Es zeigt dies, dass man vor- sichtig sein müssen wird, die durch Inspection der Bauchmuskel beob- achteten Thatsachen direct mit dem Luftwechsel zwischen Lungen und um- gebender Luft in Beziehung zu bringen. Die Athemlage, unter welchem Begriffe wir hier den jeweiligen mittleren Ordinatenwerth der Schreibhebelstellung im Verhältniss zu seiner Stellung am Beginne des Versuches verstehen wollen, ist beim ruhig athmenden Thiere gewöhnlich gleichbleibend, zeigt manchmal aber auch wellenförmige Schwankungen; Geräusche bewirken ein vorübergehendes Sinken der Athem- lage. Als Zahlen der Frequenz kann ich wie die anderen Autoren 30 bis 60, am häufigsten gegen 40 Athemzüge in der Minute angeben und denselben diejenigen des Athemvolumens beifügen, welche zwischen 2 und 6°“, am häufigsten gegen 4 °m betragen. Bei Unruhe des Thieres zeigen sich oft 186 JULIUS GRÜNWALD: bedeutende Schwankungen bis zu 20°“®. (Der Ordinatenwerth von 1.5 °% entspricht an unserem Apparate 20° m,) Wird die Luft in der Athemflasche nicht erneuert, so wird die Ahrakien dyspnoisch, wobei sich Steigerungen der Frequenz bis zu */, und das des Volumens bis zu dem Dreifachen der anfänglichen Werthe ergeben (die extremen Werthe nicht combinirt, z. B. in einem Falle nach 15 Minuten Frequenz gleich, Volumen verdoppelt). Das Eintreten von Unruhe und Krämpfen erfolgte nach verschieden |langem Verlaufe bis zu 40 Minuten. Athemreflexe durch Vermittelung des Trigeminus konnten weder durch Kitzeln der Nasenschleimhaut mit dem Finder noch durch Einblasen von Ammoniak hervorgerufen werden. Ob dieser Misserfolg nicht dadurch be- dingt ist, dass durch die Enge der Nasenlöcher die Bedingungen für den Versuch erschwert sind oder vielleicht durch eine geringere Ausdehnung der Endverzweigungen des Trigeminus nach vorne, kann ich nicht bestimmen. Die Versuche über Rohrdyspnoö wurden in der Weise angestellt, dass die Verbindung der Trachealcanüle mit dem Athemvolumschreiber mittels RBB ya Fig 3. eines Dreiweshahnes entweder durch die Athemflasche oder durch einen Gummischlauch hergestellt werden konnte. Für das Verhalten der Rohr- dyspno& ist hier am meisten charakteristisch die constant bedeutende Ver- tiefung der Athemzüge (bis auf das Dreifache des ursprünglichen Volumens); die Athemlage sinkt wohl auch constant, doch nicht immer bedeutend, so dass manchmal sogar ein geringes Ansteigen der exspiratorischen Gipfel auftritt. Die Frequenz ist wenig herabgesetzt, in der zweiten Hälfte des Verlaufes oft sogar etwas gesteigert (Fig. 3). x 2. Die Folgen der einseitigen Vagusdurchschneidung lassen sich kurz in Fulgendem zusammenfassen: im Momente der Durchschneidung tritt ein vorübergehendes Sinken der Athemlage auf, der Athmungstypus ändert sich in der Regel nicht, dagegen zeigt sich eine Herabsetzung der Frequenz um etwa ein Viertel und eine geringe Zunahme des Volumens (Fig. 4). Diese Beobachtungen stimmen im Wesentlichen mit den Angaben von Knoll und Siefert überein. Der Vollständigkeit halber wäre vielleicht PLETHYSMOGRAPH. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNG D. VÖGEL. 187 noch zu bemerken, dass die Folgen einseitiger Vagusdurchschneidung vorüber- gehende sind, wie es nach Analogien nicht anders zu erwarten war. Sehr auffallend und charakteristisch sind hingegen die Veränderungen, welche die Durchschneidung des zweiten Vagus hervorruft. Die Angaben, welche sich in der Litteratur über den Erfolg dieser Operation finden, lauten daher zum grossen Theile übereinstimmend. Es wird die bedeutende Herab- setzung der Frequenz, sowie das Auftreten von exspiratorischen Pausen, bezw. die. Verlängerung des exspiratorischen Curventheiles constatirt. Diese Veränderungen bleiben bis zum Tode bestehen, der nach einigen Tagen eintritt. Die exspiratorischen Pausen finden sich nach Knoll zwischen dem passiven und activen Theile der Exspiration (was nach Siefert, der wohl mit Recht einen viel grösseren Theil der Exspiration als activ annimmt, der Stelle vor der Contraction des Rectus abdominis entspricht); Siefert jedoch giebt an, dass in den Pausen die Ruhestellung des Thorax erreicht wird und belegt diese Ansicht durch Curven, auf denen das Verhalten nach hoher Rückenmarksdurchschneidung diese Annahme bestätigt.! AN N | REN annahm DM“ Fig. 4. Meine eigenen Beobachtungen ergaben eine Verminderung der Frequenz auf die Hälfte bis ein Viertel (nach Knoll bis ein Zwölftel), dagegen Zu- nahme des Volumens auf das Doppelte, sehr oft das Dreifache bis zum Fünffachen des früheren Werthes. Der gewöhnliche Typus besteht in dem Auftreten von Pausen in der Höhe der exspiratorischen Curvengipfel (Fig. 5, Moment der Durchschneidung; Fig. 6, Athmung desselben Thieres nach einiger Zeit); oft zeigt sich vor Beginn der Inspiration der durch die ge- trennte Contraction des Rectus abdominis hervorgerufene „zuckungsähnliche Vorschlag“, der nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung häufiger und regelmässiger, doch keineswegs constant auftritt; zu bemerken wäre auch, dass die hierdurch bedingte Volumsänderung kaum den zehnten Theil der gesammten Exspiration ausmacht. Fehlen die Pausen, so ist die Verlang- samung der Exspiration stets bedeutender als die der Inspiration. In vollständigem Widerspruche zu der oben erwähnten Ansicht Siefert’s, dass in den Pausen die Ruhelage des Thorax erreicht werde, stehen meine 1 A.a. 0. S.486. 188 JULIUS GRÜNWALD: Beobachtungen über hohe Rückenmarksdurchschneidung. Die Cadaver- stellung des Thorax befindet sich nämlich in der Regel in der Mitte zwischen den inspiratorischen und exspiratorischen Gipfeln, bezw. inspiratorischen Gipfeln und Pausenlinien (Fig. 7). Die Differenz in den Beobachtungen halte ich durch die Eingangs erwähnten Mängel jener Methodik für hin- reichend erklärt. IS AN MER. 3. Zur Präparation des Vagus behufs elektrischer Reizung ist es am vor- theilhaftester, zwischen Oesophagus und Trachea einzugehen, das Binde- gewebe, welches die an der ventralen Seite der Wirbelsäule liegenden Mus- keln bedeckt, in der Mittellinie zu zerreissen und nach den Seiten hin abzulösen, was leicht gelingt. Man sieht dann in demselben den Vagus und die Vena jugularis fest mit einander verbunden verlaufen, weshalb es nothwendig ist, die beiden Gebilde gemeinsam zu präpariren und zwischen doppelter Ligatur zu durchschneiden. Man erhält also zur Reizung des Nerven einen Strang, welcher ausser dem Nerven noch die in Folge der Unterbindung stark gefüllte Vena jugularis nebst dem dazwischen liegenden Bindegewebe enthält, was bei Beurtheilung der zur Reizung verwendeten Stromstärken zu berücksichtigen wäre. Die Reizung erfolgte mittels eines Schlitteninductoriums mit einer secundären Spirale von 10000 Windungen, einem primären Strome von einem Leclanch$-Elemente und mitgeschaltetem PLETHYSMOGRAPH. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNG D. VÖGEL. 189 Reizmarkirer. Der Strom wurde etwa bei 14°" Rollenabstand für die Zungen- spitze fühlbar. Knoll fand als gewöhnlichen Erfole der Reizung des centralen Vagus- stammes, das Auftreten von Pausen in Exspirationsstellung, während Siefert die Pausenlinien in die Ruhelage des Thorax verlegt und auch andere seltenere Wirkungen, wie Beschleunigung der Athmung, beschreibt!; nähere Angaben über die angewandten Stromstärken finden sich auch bei Siefert nicht bis auf die Bemerkung, dass die Wirkung erst bei geringem Rollen- abstande und dann „plötzlich und gleich in fast voller Entwickelung“ hervor- tritt und auch bei Veränderungen der Stromstärke innerhalb weiter Grenzen constant bleibt. Bei längerer Dauer der Reizung schwächt sich die Hemmungswirkung ab und die autochthone rhythmische Thätigkeit des Athemcentrums bricht wieder durch; nach Beendigung einer nicht zu kurzen Reizung tritt das ursprüngliche Verhalten nicht sofort wieder ein, sondern es zeigt sich eine positive oder negative Nachwirkung, d. h. die Athmung ist im gleichen oder entgegengesetzten Sinne der durch die Reizung gesetzten VVMWVVVVWAWUM ji ji L 4 Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. Veränderung beeinflusst. Siefert versuchte auch die Reizung des Nerven mit Kettenströmen; da die Ergebnisse jedoch durchaus nicht eindeutig waren, wurde von diesen Versuchen abgestanden. Meine Beobachtungen zeigten vor Allem, dass der Erfolg der Reizung von der Stromstärke wesentlich beeinflusst wird und dass bei allmählichem Anwachsen derselben eine regelmässige Veränderung der Wirkung eintritt. Diese besteht . darin, dass als erste Wirkung entsprechend einem Rollen- abstande von 30 bis 16 ® eine Verlangsamung und Vertiefung der Athem- züge auftritt, welch letztere sich in einem Ansteigen nur der exspiratorischen Gipfel zeigt. Dieses Verhalten, bei dem angegebenen oberen Grenzwerte kaum angedeutet, wird bei Anwachsen der Stromstärke innerhalb der an- gegebenen Grenzen immer deutlicher ausgeprägt (Fig. 8, Rollenabstand 18 °”). Bei fortgesetzter Verringerung des Rollenabstandes, ändert sich die Wirkung etwa innerhalb der nächsten 2°= etwa dahin ab, dass die Athem- züge sich anfänglich auf die Hälfte, später bis auf ein Viertel des anfäng- ı A.2.0. 8.487 f. 190 JULIUS GRÜNWALD: lichen Volumens abflachen, wobei die Frequenz eine ziemlich herabgesetzte ist; besonders der erste während der Reizung‘ erfolgende Athemzug ist mehr als die übrigen verlangsamt (Fig. 9 dasselbe Thier, Rollenabstand 14 m), Diese Veränderungen bilden den Uebergang zur Ausbildung von Pausen, welche der Reizerfolg bei fortgesetzter Verringerung des Rollenabstandes sind und nach kürzerer oder längerer Dauer (bis 15 Sekunden) von Athem- bewegungen unterbrochen werden (Fig. 10 dasselbe Thier, Rollenabstand 12m). Bei einem Rollenabstande von etwa 10 °” kommt es zu allgemeiner Unruhe und Hustenstössen; doch könnte diese Wirkung auf Stromschleifen bezogen werden, welche bei dieser Stromstärke wohl schon bestehen. Als Abweichungen von dem eben beschriebenen Verhalten zeigte sich ein ein- ziges Mal als anfängliche Wirkung Beschleunigung bei der regelmässigen Vertiefung der Athemzüge, ein anderes Mal kam es nicht zur Ausbildung reiner Pausen, obzwar ‘die Athembewegungen besonders bei Beginn der Reizung minimale waren. Aehnliche sehr kleine, oft segar beschleunigte av A u » % N N pP N Fig. 11. Fig. 12. Athembewegungen treten öfters im Verlaufe einer Reizung nach einer Pause auf. Während also die Veränderungen der Frequenz und des Athem- _ volumens derart regelmässige sind, zeigen sich um so grössere Unregel- mässigkeiten in der Lage der Pausenlinien und im Verhalten der Athem- lage. Schon bei dem zweiten als typisch erwähnten Reizerfolge (starke Verkleinerung und Verlangsamung der Athmung) ist es auffallend, dass die verkleinerten Athemzüge bald mit ihren exspiratorischen Gipfeln in der Höhe der früheren exspiratorischen (Fig. 9), bald mit den inspiratorischen in der Höhe der früheren inspiratorischen Gipfel liegen (Fig. 11). Ebenso bemerkenswert ist es, dass die Athemlage nach Beendigung der Reizung auch bei diesem Rollenabstande dauernd sinkt. Um über die Stellung der Pausenlinien das Wichtigste gleich vorweg zu nehmen, sei er- wähnt, dass sie auch bei demselben Thiere innerhalb weiter Grenzen schwankt. Es wurden Pausenlinien beobachtet, welche beträchtlich unterhalb der inspiratorischen (Fig. 12), und solche, welche weit oberhalb der exspira- torischen Curvengipfel lagen (Fig. 13). Der Uebergang in die Pausenlinien kann sowohl aus der Inspiration wie aus der Exspiration erfolgen. Die PLETHYSMOGRAPH. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ATHMUNG D. VÖGEL. 191 Dauer der Pausen kann bis 15 Secunden betragen, nimmt aber bei wieder- holten Reizungen gewöhnlich ab; ist auch der zweite Vagus durchschnitten, so kann die Pause bis zu 90 Secunden andauern. Mit . der oben erwähnten Thatsache, dass die Lage der Pausenlinien auch bei demselben Individuum beträchtlich schwankt, fällt die Ansicht Siefert’s, dass während der Pausen die Ruhestellung des Thorax erreicht wird. Wurde nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung gereizt, so verlief die Pausenlinie oft in einem Niveau mit den durch die Vagotomie bedingten Pausen, welche nach den oben gegebenen Auseinandersetzungen der Ruhe- lage des Thorax nicht entsprechen (Fig. 14). Die Athemlage zeigt nach Beendigung der Reizung constant ein Ab- sinken, welches in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle bestehen bleibt. Oft werden die Pausen durch ein jähes Abfallen der Athemlage beendet, woran sich erst die gewöhnlichen, allmählich anwachsenden Athembewegungen anschliessen. Sehr merkwürdig ist auch das öfters beobachtete Verhalten, Fig. 14. dass nach Reizungen, welche eine Pause über den exspiratorischen Gipfeln zur Folge hatten, ein derartiges dauerndes Sinken der Athemlage eintritt, dass die folgenden Athemzüge mit ihren exspiratorischen Gipfeln in der Höhe der früheren inspiratorischen verliefen (Fig. 12). Es liegt nahe, diese Schwankungen mit. den grossen Luftmengen, welche der Vogelorganismus ausser in den. Lungen noch in den Luftsäcken enthält, in Beziehung zu bringen. f Die Ergebnisse dieser Untersuchungen würden sich kurz in Folgendem zusammenfassen lassen: 1. Der Luftwechsel der Vögel besteht in einzeitigen, ge- wöhnlich mit der gleichen Geschwindigkeit verlaufenden Inspi- rationen und Exspirationen. Selten zeigt sich eine durch das Verhalten der Bauchmuskeln bedingte zweizeitige Exspiration. 2. Durchschneidung eines Vagus ergiebt geringe Verlang- samung und Vertiefung der Athemzüge ohne Aenderung des Athmungstypus; doppelseitige Vagusdurchschneidung bewirkt 192 JULIUS GRÜNWALD: PLETHYSMOGRAPH. UNTERSUCHUNGEN U. S. W. bedeutende yahessenn und Vertiefung der Allan sowie Auftreten von exspiratorischen Pausen. 3. Reizung des centralen Vagusstammes ergiebt in typischer Weise bei schwachen Strömen Verlangsamung und Vertiefung, bei Zunahme der Stromstärke stärkere Verlangsamung und Ver- kleinerung der Athemzüge, endlich das Auftreten von Pausen, deren Lage auch bei demselben Individuum beträchtlich schwankt. Die Athemlage sinkt nach Beendigung der Reizung dauernd. Zum Schlusse erlaube ich mir, Herrn Prof. Gad, welcher mir ge- stattete, die Untersuchungen in seinem Institute auszuführen, sowie Herrn Dr. Kahn für Anregung und Anleitung auch an dieser Stelle meinen er- gebenen Dank auszusprechen. Der physiologische Werth der Labyrinthfenster. Von Dr. Gustav Zimmermann in Dresden. In der Physiologie der Schallleitung zum inneren Ohr hat bisher als eine Art Axiom die Meinung geherrscht, dass nur die beiden Labyrinth- fenster als Eingangspforten des Schalles dienen könnten. Nur darüber be- standen Zweifel, welches der Fenster besonders dazu geeignet sei. Und je nachdem von theoretischen Erwägungen diese oder jene mit wechselndem Glück in den Vordergrund gerückt wurden und je nach dem Zuwachs patho- logischer Erfahrungen wurde bald das Vorhofsfenster — Koyter, Bauhin, Valsalva, Haller, Joh. Müller, Helmholtz — bald das Schnecken- fenster — Schellhammer, Vieussens, Treviranus, Weber-Liel, Secechi — bald beide zugleich in Anspruch genommen. Es lag diesen Meinungen immer der Gedanke zu Grunde, dass stets die Schall- schwingungen erst auf das Labyrinthwasser sich übertragen müssten, ehe sie die Fasern erregen könnten. Ich habe gegen diesen Gedanken schon früher! eingewendet, dass er einzig zutreffend nur sein würde, wenn wirklich das Endorgan allseitig von Wasser umgeben wäre und etwa frei in ihm flottirte; dass aber für den thatsächlich vorliegenden Fall, wo die Fasern zwar in Wasser eingebettet, im Uebrigen aber fest zwischen den knöchernen Wänden ausgespannt seien, der beste Zugang wohl direct von der Luft auf den Knochen und die unmittelbar ihm verbundenen Fasern führen würde. Die beiden Fenster seien nicht um des Schallzutrittes willen vorhanden, sie seien nur in anderer Richtung Hülfsapparate, und zwar für einen so hochorganisirten Sinn höchst noth- wendige Hülfsapparate. Dass der Weg auf das Vorhofsfenster vermittelst der Kette geeignet sei, eine wirksame Schallleitung abzugeben, ist weder im Sinne Joh. Müller’s noch im Sinne Helmholtz’s aufrecht zu erhalten. 1 G. Zimmermann, Die Mechanik des Hörens. Wiesbaden 1900. Archiv f. A. u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 13 194 GUSTAV ZIMMERMANN: Besonders die Helmholtz’schen Deductionen, dass die Kette als Ganzes schwingend den Schall übermittele, &ntsprechen durchaus nicht den geltenden Vorstellungen von dem Wesen der Schallfortpflanzung. Denn die grossen virtuellen Längen der Schallwellen, auf welche allein sich Helmholtz berief, sind gar kein entscheidender Grund, für die Schall- bewegung in der Kette eine andere Art der Bewegung anzunehmen als sonst in einer Reihe hintereinander gekoppelter Moleküle Eine Bewegung im Ganzen d. h. in absolut gleicher Schwingungsphase aller Moleküle würde nur bei ganz langsamen oder bei so grossen Bewegungsanstössen zuzugeben sein, dass mit einer Amplitude gleich die ganze Reihe durchsetzt würde. Dass aber diese reellen Amplituden beim Schall ganz ausserordentlich kleine sein können, ist, wie durch ältere Beobachtungen — Töpler-Boltzmann, Rayleigh — so durch neuerliche Mittheilungen von Wien erwiesen. Wien konnte bei tiefen und hohen Tönen, die noch zu Gehör kamen, Schwingungs- amplituden von 1,7-.107 bis 6,3-10-1° ermitteln; das sind Werthe, die theilweise noch unter demjenigen liegen, den wir seit Maxwell als die Grösse des einzelnen Moleküls zu betrachten gewohnt sind. — Vollends ist die von Manchen getheilte und auch durch Helmholtz unterstützte Meinung zurückzuweisen, dass bei der Schallaufnahme das Trommelfell wie ein Resonator wirken könne. Denn — um nur das Eine zu erwähnen . — um gleichzeitig die verschiedensten Schallschwingungen zu erfassen, die doch de facto im selben Augenblick wahrgenommen werden, müssten Tausende verschieden abgestimmter oder abstimmbarer Trommelfelle vor- handen sein. / Es könnte also ernstlich bei einer Leitung durch die Kette auf das Vorhofsfenster nur von einer molekularen Fortpflanzung die Rede sein, wie “sie Joh. Müller schon lehrte. Joh. Müller meinte, dass wie durch einen geraden Stab so durch die Reihe der Knöchelchen der Schall sich fort- pflanzen würde. Dem stehen aber die schon früher geäusserten Bedenken entgegen, dass die günstigen Verhältnisse, welche ein gerader Stab der Fort- pflanzung bieten könnte, im menschlichen Ohr durch die Construktion der Kette mit ihren eingeschobenen Gelenken und ihren vielfachen Band- verbindungen mit den Paukenwänden nach Möglichkeit vermieden sind. Die Kette würde in dieser Beziehung z. B. einer columella wesentlich nach- stehen, wie sie bei manchen niedriger organisirten Thierspecies vorhanden ist. Das bedeutete einen verwunderlichen Rückschritt der Natur, indem gerade auf der höchsten Stufe der Entwickelung eine Vorrichtung gewählt wäre, welche dem angenommenen Zwecke am meisten zuwiderliefe. Wie wenig in der Schallleitung überhaupt die Kette zu leisten vermag, wird durch neuerliche Experimente von Mader gezeigt. Mader fand, dass die Schallenergie in der Kette von Glied zu Glied sich abschwächt und schliess- DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 195 lich an der Steigbügelfussplatte geringer ist als an dem benachbarten festen Knochen der Schneckenkapsel. Angesichts solcher Schwierigkeiten, die sich der Annahme einer Schall- leitung durch das Vorhofsfenster entgegenstellen, kann es nicht \Wunder nehmen, dass manche wieder auf die Annahme einer Schallleitung nur durch das Schneckenfenster zurückgekommen sind (Secchi). Indess scheint schon die anatomische Anlage des Schneckenfensters diese Annahme nicht eben sehr zu begünstigen. Denn ganz abgesehen von der Thatsache, dass bei manchen gerade sehr scharf hörenden Thieren (Katzenarten) das Fenster nach der von der Pauken abgesonderten bulla ossea sich öffnet, liest auch im menschlichen Schläfenbein das Fenster abseits von den einfallenden Schallstrahlen und versteckt unter einer überhängenden Schale Promontorium. Dabei bleibt ganz unmotivirt, warum bloss der kleine Theil abirrender Schallstrahlen wirken und hier in das kleine Löchelchen hineintreten müsste und warum die Hauptmasse des Schalles, welcher unmittelbar auf das Promontorium .trifft, ausser Wirkung bleiben sollte. Ist doch gerade der Knochen und besonders der elastische Knochen der Schneckenkapsel der beste Schallleiter des Organismus. Es hat auch hier, wie bei der Annahme einer Leitung durch das andere Fenster, wohl die alte und unbesehen für richtig genommene Anschauungsweise einen maassgebenden Einfluss geübt, dass immer nur aus dem Labyrinthwasser die äusseren Schallimpulse den perzipirenden Fasern vermittelt werden könnten. 2 Hier setzt nun die Frage ein, ob wirklich das Labyrinthwasser auf dem Leitungswege zum inneren Ohr eine nöthige oder zweckmässige Etappe bildet. Diese Cardinalfrage entscheiden zu helfen, ist vielleicht das kleine Experiment, das ich heute Ihnen vorführen darf, geeignet. Ausgegangen ist dabei von den topographischen Verhält- nissen im menschlichen Ohr, wie sie mein nebenstehendes Schema veranschaulicht. Man sieht aus der Zeichnung ganz gut, wie nach den bisherigen Theorieen der durch die Fenster zugetretene Schall entweder im Wasser hinter dem Vorhofsfenster — etwa Punkt «a — oder in dem Wasser hinter dem Schneckenfenster — Punkt ce — seine physiologische Wirkung entfalten müsste, während nach meiner Auffassung der Schall von der Luft direct auf das Promontorium übergehen und unmittelbar an dessen Innenseite — Punkt d — für die Fasern wirksam werden würde. Fig. 1. 13% 196 GUSTAV ZIMMERMANN: Nach diesem Schema ist nun mit möglichster Beobachtung der relativen Proportionen der kleine Apparat construirt, ‘dessen ich schon kurz auf der diesjährigen Otologenversammlung Erwähnung gethan habe: Ein wasser- sefüllter Kasten ist in seiner vorderen Wand von zwei Fenstern durch- brochen, die beide durch Membranen verschlossen sind. Mit der oberen Membran steht der Fuss des einen Schenkels eines Winkelhebels in festem Contact, während der andere Schenkel mit einer grösseren dritten Membran verbunden ist, die einen vorgelagerten schallzuführerden Hohleylinder an dessen innerem Ende abschliesst. Der Schalleylinder ist auf einem Stativ gleitend so angebracht, dass der Winkelhebel in jeder gewünschten Spannung zwischen den beiden Membranen fixirt werden kann. Der ganze Apparat ist ringsherum und hinten durch schallschwächende Körper so isoliert, dass Störungen durch seitlich abfliessenden Schall mög- lichst vermieden sind und der Schall nach aussen hauptsächlich in der Richtung nach der Membran desSchalleylinders und dem Wasser- kasten zu heraustritt. Bringt man ° nun freihängend vor den Schall- cylinder eine Uhr oder eine Schweizerspieluhr an, so ist zu untersuchen, wie von da der Schall am besten sich fortpflanzt und an welchen Punkten im Innern des Kastens er am besten gehört wird. ‘Man kann sich zur Auscultation eines einfachen Holzstabes bedienen, wie ihn zu ähnlichem Zweck schon früher Joh. Müller benutzt und damals als Conductor bezeichnet hat. _Auseultirt man mit dem Stab die Be- wegungen des Wassers hinter dem oberen Fenster, so wird man finden, dass sie äusserst geringfügige sind und kaum zu Gehör kommen, fast ebenso wenig wie in dem Wasser hinter dem unteren Fenster. Bringt man hingegen, wenn auch nur leise, den Stab an die Kastenwände, so sind sofort und_deutlich z. B. die Töne der Spieluhr zu hören. Dabei verschläst es nicht viel, ob man den Stab an die vordere oder eine andere Seitenwand des Kastens hält. i Der Versuch zeigt die physikalisch durchaus verständliche Thatsache, dass ein und derselbe feste Körper — denn der Holzstab bleibt in beiden Fällen des Versuchs physikalisch ungeändert — durch Schallimpulse von einen schallaufnehmenden anderen festen Körper, mit dem er sich berührt, besser erregt wird, als aus einem flüssigen Medium, auch wenn dieses von DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 197 Membranen mit oder ohne feste Zwischenkörper den Schall überkommt. Physiologisch lässt sich daraus die Nutzanwendung ziehen, dass auch die gespannten Fasern der Schnecke, die funktionell wie feste Körper anzusehen sind, die Schallübermittelung nicht sowohl dem Wasser, das sie umgiebt, zu verdanken haben, als vielmehr den festen Wänden, zwischen denen sie ausgespannt sind. An der Hand des Versuchs lässt sich ausserdem noch eine neuere Variante der Helmholtz’schen Theorie beurtheilen, die unter Ohrenärzten manche Anhänger gefunden hat. Bezold ist auf Grund von Stimmgabel- prüfungen auf die wunderliche Idee gekommen, dass im Ohr für hohe und tiefe Töne verschiedene Leitungen vorhanden sein müssten und dass für die tiefen Töne bis zur eingestrichenen Octave hinauf ein Hören ausschliesslich durch einen besonderen Leitungsapparat, eben in Gestalt der Kette, möglich sei. Von den vielen schon früher von mir hervorgehobenen Irrthümern und Trugschlüssen, deren die Bezold’schen Deductionen sich schuldig machen, sei nur einer hier erwähnt. Bezold hat, in auffallender Verkennung der Natur seines Prüfungsmittels, gar nicht daran gedacht, dass Stimmgabeln in den höheren Lagen sehr intensive, in den tieferen Lagen nur sehr schwache Töne zu erzielen vermögen, und dass er demnach bei seinen Vergleichungen mit durchaus verschiedenem Maassstab gemessen hat. Es ist durchaus kein Grund geltend zu machen, warum eine Leitung die für hohe Töne aus- reichend ist, nicht für tiefe Töne von vergleichbarer Intensität genügen sollte. Eher das Gegentheil ist vorauszusetzen. Das scheint auch der Ver- such mit dem kleinen Apparat zu lehren. Denn achtet man bei der Auscultation der Kastenwände darauf, ob und welche Tonlagen etwa auf diesem Wege an Intensität verlieren, so findet man durchaus nicht — was nach den Bezold’schen Schlüssen zu gewärtigen wäre —, dass die tiefen Töne sich weniger durchsetzen könnten als die hohen Töne der Spieluhrmelodie, Es scheint im Gegentheil, als ob die tieftönige Begleitung, die sonst in der Melodie ganz zurücktritt, sich stärker heraushebt und wie dicht vor dem Ohr gehört wird. Dagegen werden die hohen Töne merklich schwächer und in den höchsten Lagen fast gar nicht mehr gehört, so dass es schwer fällt, überhaupt die Melodie zu erkennen. Das deckt sich gut mit den Ergebnissen der vor vielen Jahren von Warburg angestellten Experimente und entspricht auch sonst den Ge- setzen der Mechanik. Die tiefen Töne sind immer an Körper von grösseren Dimensionen gebunden und Körper von grösseren schwingenden Dimensionen haben ceteris paribus d. h. bei gleichen Geschwindigkeiten stets die grössere lebendige Kraft. Die tiefen Töne werden deshalb nur mit um so grösserem Vortheil eines \Veges sich bedienen können, der für die hohen Töne gangbar ist. 198 GUSTAVY ZIMMERMANN: Wenn nach alledem die Theorie gerechtfertigt scheint, dass wohl unter- schiedslos der wirksame Leitungsweg nicht durch die Fenster auf das Wasser geht, sondern durch den Knochen direct auf die Fasern, so ist weiter eine Erklärung zu suchen zu welchen Zwecken denn, wenn nicht um der Leitung willen die Fenster vorhanden sind. Das Schneckenfenster als eine membranös geschlossene Lücke in der Knochenwand stellt sich der ganzen Anlage nach dar als eine Einrichtung, um die subtilste Reaction der Endfasern auch auf leisesten Schall zu er- möglichen. Dass die Fasern nach den physikalischen Gesetzen der Resonanz reagiren, ist eine Vorstellung, die zuerst von Duverney, Valsalva, Boerhave, le Cat u. A. ausgesprochen, dann von Helmholtz adoptirt und unter seinem Namen eingebürgert wurde. Sie giebt auch heute noch die beste Grundlage ab, die wunderbaren Leistungen des Gehörorgans ver- stehen zu lernen: „Immer werden von den Schneckenfasern diejenigen und nur diejenigen in Mitschwingung versetzt, welche jeweils mit den den äusseren Schall zusammensetzenden Einzeleomponenten gleichstimmig sind.“ Nimmt man also an, dass die Fasern in stehenden Schwingungen auf den äusseren Schall reagieren, so ist: weiter klar, dass die Schwingungen um so leichter zu Stande kommen, je ausweichfähiger das sie umgebende Medium, ‚das Schneckenwasser, ist. Die knöchernen Wände sind als absolut un- nachgiebig zu bezeichnen und bieten für die secundären Umlagerungen der Wassermoleküle gewisse Widerstände, die dem zu wünschenden aller- leichtesten Ansprechen der Fasern nicht eben günstig sind. Ist aber durch Einschaltung einer nachgiebigeren Stelle der Widerstand der Wand ver- ringert, se ist damit auch den minutiösesten Schwingungen Spielraum und Schwingungsrichtung gegeben. Nun ist die Schneckenfenstermembran von kleiner und vollkommener Elastieität: schon kleine Kräfte bringen Ver- änderungen ihrer Form hervor und sie kehrt hinterher vollkommen in ihre ursprüngliche Form zurück. Dabei ist sie kuppelförmig gegen das Schnecken- innere gewölbt und auf diese Weise auch statisch besonders gut geeignet, auch den leisesten Druckdifferenzen von innen durch Profiländerungen nachzugeben: Der Punkt, der von den im Wasser ausgelösten Stromlinien zuerst getroffen wird,” wird. nach aussen gehen, während andere Punkte — da in diesem Falle keine Volumensänderungen statt haben — sich einziehen. Die ganze Einrichtung ist somit als eine werthvolle Vorbedingung anzusehen für die staunenswerthe Hörfeinheit, die das Gehörorgan auszeichnet. Experimentell wird es nicht ganz leicht sein, den Einfluss genau zu bestimmen, welchen das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Schneckenfenstermembran auf den Grad der Hörfeinheit ausübt. Hier kommt zu Hülfe, dass in Krankheitsfällen von sich aus die Natur diejenigen Zustandsänderungen im DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 199 Organismus oft vornimmt, deren auch der physiologische Untersucher im Experiment sich gern bedienen möchte. Es sind hier Fälle zu verwerthen von isolirter knöcherner Obliteration des Fensters, davon besonders ein von Habermann genau untersuchter. Es ergab sich dabei, dass die Flüster- sprache, ‘die sonst auf viele Meter weit gehört wird, bei obliterirtem Fenster erst auf 15°® Annäherung an das Ohr gehört wurde. Die Schneckenfenstermembran wird aber bedeutungsvoll noch für einen anderen Vorgang, der durch das Vorhofsfenster vermittelt wird. Das Vorhofsfenster dient, wie gezeigt, nicht dazu, um als Eingangs- pforte den Schall zum inneren Ohr zu leiten. Der Steigbügel wird von den gewöhnlichen Schallschwingungen molecular nur unbeachtlich bewegt und jedenfalls nicht im Ganzen aus seiner Mittellage gerückt, die er sonst innehat. Das Letztere kann nur bei anhaltenderem Druck geschehen, ent- weder rein mechanisch z. B. durch stärksten Schall oder reflectorisch durch die Action der Binnenmuskeln. Ein solches Einwärtsrücken des Steigbügels erhöht aber den intralabyrinthären Druck und bietet damit die Möglichkeit, auch die Schwingungen der percipirenden Fasern mannigfach zu beinflussen. Schon Savart deutet die Möglichkeit einer solchen Wirkung der Kette, allerdings erst in zweiter Linie, an: „les osselets ont encore pour fonction de modifier l’amplitude des excursions des parties vibrantes des organes contenus dans le labyrinthe.“ Streicht man aus dem Satze das einzige Wörtchen „encore‘“ und macht dadurch zur alleinigen Function, was Savart als eine nur nebensächliche betrachtete, so ist damit ganz gut die Function der Kette umschrieben, wie man sie heute sich vorzustellen hat. Jede Druckerhöhung in einem wassergefüllten Hohlraum mit starren Wänden bewirkt, da das Wasser so gut wie incompressibel ist, einen ver- mehrten Druck auf die Wände und — was physiologisch besonders in Frage kommt — auf die im Innern etwa ausgespannten Gewebe. Die Gewebs- fasern werden in ihren elastischen Verhältnissen geändert, sie werden bei zunehmendem Druck steifer und steifer und schwingen, wenn sie in Schwingung waren, träger als es ohne Compression der Fall war. Und zwar werden von den Fasern bei sonst gleicher Structur nur verschiedener Flächenausdehnung diejenigen am meisten in ihren Schwingungen ab- gedämpft, welche dem einwirkenden Druck die grössere Oberfläche bieten. Ist ausserdem in den sonst starren Wänden eine nachgiebigere Stelle vor- handen, etwa in Gestalt einer ausdehnbaren Membran, so werden die Fasern zugleich auch aus ihrer mittleren Gleichgewichtslage verdrückt und damit noch mehr immobilisirt als vorher. Denn die ausdehnbare Membran in der Wand buchtet sich, dem Drucke nachgebend, nach aussen aus und leitet damit eine Verschiebung der ganzen auf ihr lastenden Wasser- säule ein, die eine Verdrängung auch der Fasern in der Druckriehtung mit 200 GUSTAY ZIMMERMANN: sich bringt. Ihr Maximum erreicht die Verdrängung von dem Augenblick ab, wo die natürliche Festigkeit der ausdelmbaren Membran anfängt ihr entgegenzuwirken. Alle diese Verhältnisse kann man gut an einer Stempel- spritze studieren, deren unteres Ende durch eine Membrar geschlossen ist und die in der Mitte auf einem den Wänden fest anliegenden Ring eine ausgespannte zweite Membran trägt. Solange man mit dem Finger die untere Membran fixirt hält, wird durch den Kolbendruck die mittlere Membran einfach comprimirt, ohne ihre Lage zu ändern; sobald nach Fortnahme des Fingers die untere Membran sich ausbuchtet, folgt ihr auch die mittlere Membran nach entsprechend den Grössenverhältnissen ihrer Oberfläche. Giebt man die Richtigkeit dieser physikalischen Betrachtungsweise und ihre Anwendbarkeit auf die Physiologie zu, so sind die Nutzanwendungen auch für die complicirteren Verhältnisse im Ohr unschwer zu ziehen. Der Umstand, dass im Ohr das Endorgan im endolymphatischen Raum ab- geschlossen ist gegen den perilymphatischen Raum, der zuerst den Druck vom Steigbügel empfängt, bedingt für die Wirkungsweise des Druckes keine Besonderheit. Denn da Endo- und Perilymphe in ihrem mechanischen Verhalten beide gleich und als Wasser zu betrachten sind, so folgt nach einfach hydrostatischen Gesetzen, dass in beiden membranös geschiedenen Räumen auch unter der Voraussetzung nur einseitiger Druckwirkung genau in gleicher Weise der Druck sich geltend macht: Jede Drucksteigerung im Perilymphraum bedingt solche gleichfalls im Endolymphraum und bedeutet auch für die Basilarfasern eine Schwingungsbehinderung in dem eben an- gedeuteten Sinne physikalischer Dämpfung. Von den beiden Auslösungsarten solcher Dämpfung, der rein mechani- ‚schen durch stärkeren Druck und der reflectorischen, kann man die erste sich leicht veranschaulichen durch Anstellung des Valsalva’schen oder Gelle’schen Versuches. Comprimirt man entweder durch die Tube (Valsalva) oder mittels eines Gummiballons vom Gehörgang aus (Gelle) die Luft im Mittelohr, so treibt die comprimirte Luft den Steigbügel tiefer in’s Vorhofsfenster und erhöht damit den hydrostatischen Druck in der Schnecke. Ganz einerlei wie in dem einen oder anderen Falle das Trommel- fell dabei gespannt ist. Und die Druckerhöhung in der Schnecke hat eine Dämpfung und Abschwächung des Schalles im Gefolge, die besonders in den tieferen Tonlagen sich manifestiert. Das ist in ‚gewissen Grenzen ein Schutz für die schwingenden Fasern, insofern als sie nach Möglichkeit ruhig und gegen die Schädigung durch stärkere äussere Gewalteinwirkung sicher gestellt sind. Physiologisch fast noch bedeutungsvoller ist die reflectorische Aus- lösung. Für sie ist in besonderem Maasse unter Umwerthung der früheren DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 201 Begriffe der alte Name Accommodation ganz bezeichnend. Auf Reize von den Basilarfasern kann das Centralorgan durch Vermittelung der motori- schen Trigeminusfasern im Ganglion oticum den Tensor tympani erregen und zur Contraction bringen. Die Wirkungen der Tensorcontraction sind ja direct zu studiren an bekannten Fällen von willkürlich hervorzurufender Contraetion (z. B. Schapringer). Sie gehen allemal einher mit einer Ab- schwächung der Tonempfindung und gerade wieder mit einer Abschwächung der Empfindung tiefer Töne. Die Ursache liegt auch hier nicht wie man bisher angenommen in der — ganz nebensächlichen — Anspannung des Trommelfelles, sondern in der manometrisch nachweisbaren Druckerhöhung im Labyrinth. Die Basilarsaiten, welche auf die tiefen Töne reagiren, schwingen in grösseren Breiten und werden zu Folge ihrer grösseren Flächenausdehnung mehr gedämpft als die auf hohe Töne mitschwingenden Saiten. Soll nun z. B. das Ohr aus einer complieirten Schallmasse die einzelnen Componenten differenziren, so kann durch reflectorische Drucksteigerung er- reicht werden, dass aus der Schallmasse zuerst die tieftönigen Componenten ausfallen und nur die höheren Töne zur Wahrnehmung gelangen. Treten dann bei Nachlass des Druckes die tiefen Töne wieder hinzu, so ist damit der feinsten Differenzirung des Schalles die wunderbarste Handhabe ge- boten. Die Reaction des Tensor wird durch das fein abstufbare Gegen- spiel seines Antagonisten, des vom Nerv. facialis innervirten Stapedius, auf das Wirkungsvollste unterstützt. Und wie so das Anklingen der Fasern durch den Labyrinthdruck be- herrscht werden kann, so auch das Abklingen derselben. Da die tieftönigen Fasern bei gleichen Geschwindigkeiten in grösseren Amplituden mitschwingen müssen, als die auf hohe Töne mitschwingenden, so könnten sie auch etwas länger noch nachschwingen, als der sie erregende objective Ton andauert und zu unliebsamen Nachbildern Anlass geben, wenn nicht die Möglichkeit be- stände, solchen Nachschwingungen Einhalt zu thun. Das ist schon bei unseren Saiteninstrumenten eine Nothwendigkeit und erfüllt z. B. auf dem Clavier durch die Einrichtung des Dämpfers. Wie viel mehr ist eine solche Einrichtung bei dem höchst organisirten Sinn als nöthig und wirksam voraus- zusetzen. Das wird, wie durch die Probe auf ein Exempel durch das be- stätigt, was pathologische Beobachtungen in regelmässiger Wiederkehr er- geben: Sind irgendwelche Störungen in der Accommodation durch Schädigung ihrer Mittelglieder vorhanden, ist z. B. die Steigbügelplatte im Vorhofsfenster unbeweglich geworden, so ist allemal die Unterscheidungsempfindlichkeit gerade für tiefe Töne gesunken und meist auch das Auftreten von tiefen subjectiven Geräuschempfindungen zu beobachten. Damit will ich schliessen und nur kurz noch betonen, dass die 3202 GUsTAv ZIMMERMANN: DER PHYSIOLOGISCHE WERTH U. S. W. vorgetragenen Ansichten nicht, wie ein bedrängter Vertreter der alten Schule (Bezold) mir unterstellen möchte, der blossen „Sucht nach immer neuen Theorieen“ entsprungen sind. Sie sind zögernd und widerstrebend unter dem Zwang und auf dem Boden klinischer Thatsachen entstanden. Gerade für die Erkenntniss der Sinnesfunetionen, wo dem Experiment enge Schranken gezogen sind, bietet die klinische Beobachtung die Anregung, immer wieder hergebrachte Meinungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen und sie entweder zu bestätigen oder neue Gesichtspunkte zu erschliessen. Damit solche neuen Gesichtspunkte aber fruchtbringend wieder zurückwirken auf den Boden, auf dem sie entstanden, bedarf es des befruchtenden Einflusses physiologischer Betrachtungsweise. Ueber eine neue Methode zur Aufzeichnung der Volumschwankungen bei plethysmographischen Untersuchungen am Menschen. Von Dr. Otfried Müller, Assistenzarzt der Poliklinik. (Aus der medicinischen Universitätspoliklinik in Marburg.) Anlässlich plethysmographischer Untersuchungen, die Herr Professor Romberg über das Verhalten sklerotisch veränderter Gefässe bei ver- schiedenen Reizen im Winter 1903 bis 1904 mit mir vornahm, hatten wir Gelegenheit, die verschiedenen Methoden der Volumenaufzeichnung mittels des Plethysmographen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Bei der zur Zeit am häufigsten angewandten Methode zur Registrirung der Volumenschwanknngen menschlicher Extremitäten wird nach dem Vor- gange Mosso’s das Gefäss des Plethysmographen mit Wasser gefüllt, während die Schwankungen des Wassers im Ansatzrohr durch Luftleitung auf eine Marey’sche Schreibkapsel übertragen werden. Man hat dieser Ver- suchsanordnung wohl deshalb den Vorzug gegeben, weil die Füllung des ganzen Systemes mit Luft nach verschiedenen Richtungen hin zu Schwierig- keiten führt. Einmal ist es ungemein schwierig, den Cylinder des Plethysmographen wirklich luftdicht auf dem Arm zu befestigen. Scheinbar gelingt das zwar sehr leicht durch einfaches Umwickeln der Ansatzstelle mit einer Gummi- binde. Man bekommt dabei auch sehr ausdrucksvolle und gut proäilirte Volumenpulse, weil bei den rasch eintretenden pulsatorischen Schwankungen kleine Undichtigkeiten eine sehr viel geringere Rolle spielen, als bei langsam und allmählich verlaufenden Schwankungen anderer Provenienz. Sobald man indessen gezwungen ist, den Plethysmographen längere Zeit hindurch an- zuwenden, so machen auch die kleinsten Undichtigkeiten das Resultat der 204 ÖTFRIED MÜLLER: Untersuchung schon völlig illusorisch. Das Schlimmste aber bei der Luft- füllung des Apparates ist, dass sich nicht ohne Weiteres feststellen lässt, ob er auch wirklich dicht ist oder nicht. Bei der Wasserfüllung ist das jederzeit zu controlliren. Besteht eine Undichtigkeit, so tropft der Apparat, und man kann den Schaden rechtzeitig abstellen. Wie häufig aber trotz sorgfältigster Anlegung der Dichtung kleine Undichtigkeiten entstehen — auch bei Verwendung der bekannten Gummiärmel — das ist jedem be- kannt, der zahlreiche plethysmographische Untersuchungen vorgenommen hat. Zu der grossen Schwierigkeit guter und zuverlässiger Abdichtung kommt bei der Luftfüllung noch der wenn auch geringe Fehler, der aus der Compressibilität der Luft durch Druck entsteht. Nun soll ja freilich in einem Apparat zur reinen Volumenbestimmung eine Drucksteigerung nicht eintreten. In der That ist aber eine solche in weitgehender Weise nur dann zu vermeiden, wenn man mit einer in die freie Luft mündenden Nebenöffnung des Tambours schreibt. Dann bekommt man aber einmal überhaupt nur relative Angaben über eintretende Volumenschwankungen, und zweitens werden bei gleichbleibender Grösse dieser Oeffnung rasch und lanesam ablaufende Volumenschwankungen gleicher Grösse nicht gleiche Ausschläge am Tambour ergeben, da die langsamen Schwankungen mehr Zeit finden, sich durch die Nebenöflnung auszugleichen, als die raschen. ‚Bei jeder anderen Vorrichtung „tritt eine messbare Drucksteigerung im System auf, die so gross sein muss, dass dadurch die Widerstände der elastischen Membran des Tambours überwunden werden können. Diese Schwierigkeiten bei ausschliesslicher Luftfüllung des ganzen Systemes werden beseitigt oder doch erheblich vermindert durch die oben genannte Combination von Luft und Wasserfüllung. Aber auch diese ' Methode hat ihre Mängel und Nachtheile. In erster Linie kommt da der Trägheitswiderstand des Wassers in Betracht. Von der Energie, mit der die Volumenschwankungen in Er- scheinung treten, wird so viel verbraucht, als nöthig ist, um den Trägheits- widerstand der gegebenen Wassermasse zu überwinden. Erst der nach Abzug dieser Grösse verbleibende Rest der genannten Energiemenge kommt — vorausgesetzt, dass der Abschluss des Cylinders starrwandig ist — in den Schwankungen der Flüssigkeitssäule im Ansatzrohr direct zum Ausdruck. Dieser Abzug an Energie ist freilich kein allzu grosser. Der Trägheitswider- stand eines Körpers ist gleich Masse mal Beschleunigung. Die zur Füllung des Plethysmographen erforderliche Wassermasse ist namentlich für den Arm nicht bedeutend; sie beträgt für den Vorderarm 700°"; für das ganze Bein beträgt dieselbe allerdings etwa 10000, Diese Masse wird aber nicht ganz in Bewegung gesetzt, denn die der Ausflussöffnung abgekehrten Theile der Flüssigkeit, sowie das Füllmaterial der Ecken bleiben unbewegt. AUFZEICHNUNG VON VOLUMSCHWANKUNGEN. 205 Man hat also für die Bewegung nur etwa mit der Hälfte der angegebenen Zahlen zu rechnen. Die der bewegten Masse zu ertheilende Beschleunigung ist verschieden. Sie ist am grössten bei den plötzlich eintretenden pulsato- rischen, sehr klein bei den langsam eintretenden anderweitigen Schwankungen. Das Product Masse mal Beschleunigung wird also sehr verschiedene Werte haben können. Aus diesem Grunde wird sich die Wasserfüllung des Plethysmographen vorzugsweise für die genaue Messung lang hinziehender ausgiebiger Volumenschwankungen eignen, und man darf annehmen, dass bei diesen der Trägheitswiderstand ebenso wenig in Betracht gezogen zu werden braucht, wie etwa die Reibung in den Gelenken eines Tambours. Anders verhält sich die Beeinflussung der rasch ablaufenden pulsatorischen Schwankungen durch die Trägheit des übertragenden Wassers. Einmal wird die Darstellung einer raschen Volumenzunahme durch den Trägheits- widerstand anfangs ungleich stärker beeinflusst, und zweitens verursacht _ das Beharrungsvermögen der bewegten Flüssigkeitssäule am Schluss eine nicht wahrheitsgetreue Steigerung der Curve, der vor Beginn des nächsten Pulses eine aus gleichen Gründen entstehende Senkung folgt; mit anderen Worten: es findet auch noch eine Schleuderung statt. Die Methode der Wasserfüllung kann also zur Darstellung wirklich exacter Volumenpuls- bilder, wie sie der v. Kries’sche Flammentachograph bei Luftfüllung des Plethysmographen giebt, nicht verwendet werden. Der zweite Nachtheil, welcher der combinirten Luft- und Wasser- füllung des Plethysmographen anhaftet, ist der, dass dabei die Verwendung eines Marey’schen Tambours zur Schreibung nothwendig wird. Dass der Tambour eine Drucksteigerung im System hervorbrinst, ist schon oben gesagt; doch fällt das weniger ins Gewicht. Grösser sind die Schwierig- keiten, die sich ihm bei der Darstellung starker Volumenschwankungen, wie sie namentlich am Bein auftreten, entgegenstellen. Will man Schwankungen von 80 bis 100° m, die an einem kräftigen Bein häufig vorkommen, mit einem Tambour zur Darstellung bringen, ohne dass der Ueberdruck im System allzu stark wird, so muss man eine ungewöhnlich grosse Schreib- kapsel verwenden. Ein solcher Tambour ist aber nicht im Stande, die kleinen Schwankungen, namentlich die pulsatorischen, mit wünschenswerther Deutlichkeit wiederzugeben. Soll dies geschehen, so muss man einen wesent- lich kleineren Tambour nehmen. Man hat also bei der Verwendung einer Schreibkapsel immer nur die Wahl zwischen der guten Wiedergabe der grossen oder der kleinen Schwankungen, wenigstens jenseits gewisser Grenzen der Schwankungsgrösse. Es ist aus diesem Grunde schon mehrfach versucht worden, die im Ansatzrohr pulsirende Wassersäule selbst zum Tragen eines Schwimmers zu benutzen, und mit diesem direct zu schreiben. Diese Versuche scheiterten 7 206 OTFRIED MÜLLER: meist an der grossen Reibung, die in dem engen Rohr zwischen Wand und Schwimmer vorhanden war. Am besten bewährten sich noch Paraffin- schwimmer in einem glattwandigen Glasrohr. Aber ein Mal sind wirklich oleichweite Glasrohre von dem nothwendigen Durchmesser und der ent- sprechenden Länge äusserst schwer zu beschaffen und kostspielig, und zweitens sind die Paraffinschwimmer zu weich und leicht verletzbar, um längere Zeit hindurch zuverlässig arbeiten zu können. Die Schwimmer- vorrichtung Mosso’s, wie sie im Tigerstedt’schen Lehrbuch wiedergegeben ist, hat zu viel Reibung, um gute Pulsbilder zu geben. Nach einer grossen Anzahl von Versuchen mit den verschiedensten Materialien ist es mir gelungen, eine dauerhafte, sicher arbeitende Schwimmer- vorrichtung auch auf Wasser anzubringen. Zunächst wurde an Stelle des Glasrohres, das wie gesagt gleichweit und drehrund in der erforderlichen Grösse nicht leicht zu beschaffen ist, ein Metallrohr gesetzt, und zwar für den Arm am besten ein 12 "m weites und 35 °® langes, über dem Dorn gezogenes Messingrohr von 1”"” Wand- stärke, das auf der Drehbank ausgedreht und innen glatt polirt war. Ein solches Rohr ist für etwa eine Mark bei jedem Mechaniker leicht zu be- schaffen. Man muss ‚nur darauf achten, dass aus dem vorhandenen Vorrat an Rohren ein ganz gerades, unbeschädigtes Stück von der erforderlichen Länge herausgeschnitten wird. Für das Bein kann man ein ebensolches, aber 14 bis 15 "m weites Rohr verwenden, damit der einzelne Puls nicht zu gross und die Gesammtlänge des Rohres nicht zu ausgiebig wird. Das Rohr wird in senkrechter Stellung so neben dem Plethysmographen montirt, dass die Grenze zwischen seinem unteren und mittleren Drittel der Ober- kante des letzteren entspricht. Es wird durch einen im flachen Bogen geführten, dieckwandigen Gummischlauch oder durch ein entsprechend weites Bleirohr mit einem an der Unterfläche des Plethysmographen angebrachten Hahn in Verbindung gesetzt, und bei vollständiger Füllung des Plethysme- graphen wird das Wasser also etwa an der Grenze seines unteren und mittleren Drittels stehen. Weiter wurde die pulsirende Wassersäule, welche den Schwimmer zu tragen hat, durch eine Petroleumsäule ersetzt. Das Petroleum braucht dabei nicht in das Innere des Piethysmographen einzudringen, wo es den Guimmiverschluss schädigen würde; es bewegt sich vielmehr, nachdem es von oben in das bereits mit Wasser beschickte Messingrohr hereingegossen ist, in diesem auf und nieder. Das Petroleum hat vor dem Wasser den Vorzug einer bedeutend geringeren inneren Reibung und ermöglicht somit, da sich unter allen Umständen zwischen Schwimmer und Rohrwand Flüssigkeit befindet, eine sehr viel leichtere Bewegung des ersteren, als das bei Verwendung von Wasser möglich wäre. Der Schwimmer läuft ge- AUFZEICHNUNG VON VOLUMSCHWANKUNGEN. 207 wissermaassen wie ein Maschinenlager in permanenter Oelung. Weiter hat das Petroleum auch den Vorzug eines erheblich geringeren specifischen Gewichtes vor dem Wasser, und der auf der Ex- tremität lastende Ueberdruck der Flüssigkeitssäule nn wird bei seiner Verwendung geringer. Als Schwimmer hat sich am besten ein äusserst dünnwandiges und darum leichtes Reagensrohr von mm Jichter Weite bewährt. Dasselbe muss in seiner Länge so bemessen sein, dass es bei voller Be- lastung durch den Führungsdraht und das Schreib- pfeifchen mit seiner Oberkante gerade nur etwas aus dem Petroleum hervorragt. Da das Reagensrohr erheblich dünner ist als die lichte Weite des Messing- rohres, so wird es oben und unten von je einem Ring aus Hartgummi umgeben, die in ihrem Durch- messer so bemessen sind, dass sie gerade leicht in das Messingrohr hineinpassen (d. h. sich ohne Mühe in demselben hin und her bewegen lassen). Die Breite dieser Ringe beträgt 1 bis 2 "m; ihre Ober- fläche ist, wie die eines Fingerringes, convex gehalten, so dass sich Ring und Rohrwand nur in einer kreisförmigen Linie berühren. Es ist nöthig, dass auch der obere Ring noch unter dem Spiegel des Petroleums liegt. Auf diese Weise wird es erreicht, dass der Schwimmer nicht in seiner ganzen Länge der Rohrwand anliegt; vielmehr geschieht das nur in zwei kreisförmigen Linien, deren Reibung ihrer- seits wieder durch das Petroleum leichter über- wunden wird. Die ganze Einrichtung ähnelt lo 2 der eines Kugellagers. Die obere Oeffnung des NL purozeum Reagensrohres wird mit einem Korkstopfen ver-r N schlossen, in dem sich ein feines Loch zur Auf- T nahme des das Pfeifehen tragenden Aluminium- A Nasser drahtes befindet. Dieser Aluminiumdraht wird 77, am oberen Ende der Metallröhre durch eine Mes- singhülse geführt, wie die bei den Blutdruck- TG, schwimmern. Die schematische Zeichnung erläutert Fig, 1. die Anordnung der Schreibvorrichtung. Die Vortheile der so ermöglichten Schreibung direct auf der bewegten Wassersäule sind ohne Weiteres ersichtlich. Erstens kann die Aufnahme- fähigkeit der eigentlichen Messvorrichtung jedem Bedürfniss angepasst x _Messingrohr 208 OTFRIED MÜLLER: werden, ohne dass trotz guter Wiedergabe der grossen, diejenige der kleinen Schwankungen Noth leidet. Zweitens ist es'möglich, durch eine einmalige Aichung des Messingrohres jeder Curve einen Maassstab vorzutragen, der in absoluten, gleichmässigen, nicht wie beim Tambour nach oben ver- zeichneten Abständen die Volumenschwankungen direct nach Qubikcenti- metern angiebt. Drittens kann die durch Belastung mit der Flüssiekeitssäule im Plethysmographen entstehende, äusserst geringe Drucksteigerung in jeder Phase der Curve aus der Höhe der Petroleumsäule direct angegeben werden. Viertens ist ein physikalisch homogenes, flüssiges, also incompressibles Me- dium von der Oberfläche ı\/ı der Extremität bis zur EHNANIN LINIEN Li Ku Schreibvorrichtung vor- uam ; handen. Fünftens steht ı der Anstieg der Curve senkrecht, und bildet | ı eine gerade Linie, nicht ; wie beim Tambour einen | Kreisbogen, wodurch die Curven eleganter werden. Sechstens ist der Appa- rat sehr wohlfeil herzu- | ı stellen (für 3 bis4 Mark); ‚ also wesentlich billiger als ein grosser Tambour oder ein Hürthle’scher Pistonrecorder. | | Diesen Vortheilen N] ' stehen folgende Nach- ‚ao Ne RT ' theilegegenüber. Erstens die aus der Trägheit des Wassers als Uebertra- gungsmedium hervorgehenden, oben geschilderten Fehler. Und zweitens die Trägheit des Schwimmers selbst, der nicht jeder leisesten Bewegung der Petroleumsäule in so vollkommener Weise folgt, wie der Stempel des Pistonrecorders, mit dem der Apparat ja in seinem Princip eine gewisse Aehnlichkeit hat. ; Die neue Schreibvorrichtung eignet sich mithin, wie jede mit Wasser- füllung des Plethysmographen arbeitende andere Versuchsanordnung, in erster Linie zur Darstellung allmählicher, lang hinziehender Volumen- schwankungen, nicht aber zur Aufzeichnung von Pulsformen. Die neben- stehenden Curven geben ein Bild von ihrer Leistungsfähigkeit. Die Curve Fig.2 I | ] j ) I AUFZEICHNUNG VON VOLUMSCHWANKUNGEN. 209 mit der deutlich ausgesprochenen Dikrotie stammt vom Arm eines sehr kräftigen gesunden Mannes, bei dem die Dikrotie am Pulse selbst in keiner Weise fühlbar war. Die Curve Fig. 3 stellt das nach der neuen Methode ge- schriebene Beinplethysmogramm eines gesunden Mannes dar, bei welchem das Volumen des Wassers im Oylinder durch Einspritzen von je 15eem 5 | Ah a I In Pl he . Curve N22 An ‚lan Fig. 3. Wasser der entsprechenden Temperatur um insgesammt 75°" gesteigert wurde. Es ist das eine Volumenschwankung, wie sie am Bein häufig vor- kommt, und deren Darstellung von der Schreibvorrichtung unbedingt ge- fordert werden muss. Die Curve lässt Puls- und Athemschwankungen in jeder Höhenlage gleichmässig gut erkennen. Auch giebt sie die grossen Spontanschwankungen, die in jedem längeren Plethysmogramm auftreten, Archiv f. A. u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 14 210 OTFRIED MÜLLER: in ausgezeichneter Weise wieder. Das letztere konnte hier N wegen Raummangels nicht abgebildet werden. Curve Fig. 4 stellt das Beinpiethysmogramm desselben Mannes dar, das bei combinirter Luft- und Wasserfüllung des Systemes mit einer Schreibkapsel von 45”"m Durchmesser, 7=m Tiefe, schlaffer Bespannung mit dünnem DR Gummistoff, einer Stützplatte für den ‘,, Schreibhebel von 12 "m Durchmesser und einem Verhältniss der beiden Hebelarme des Schreibhebels von 1-0 zu 12m aufgenommen ist. Bei Ein- spritzen von 15°m Wasser in den / ‚ Gylinder wölbte sich die Membran / ‚ des Tambours halbkugelförmig vor, / ‚; und es trat eine Drucksteigerung von 9mm Hg im System ein. Die Pulse ' erhielten daher die aus der Curve ' ersichtliche veränderte Form und ı Grösse, auch war der Tambour bei dieser Beanspruchung nicht mehr dauernd dicht zu halten. Ein Tam- bour, der gut profilirte Volumenpulse E r vom Bein zeichnet, stand also bereits KHTMALUNFE, v bei einer relativ geringen Volumen- ) ı schwankung an der Grenze seiner ı Leistungsfähigkeit.! Verwendet man einen wesentlich grösseren Tambour, so ist diesem Uebelstande bis zu einem gewissen Grade abzuhelfen, ' aber dann wird die Darstellung der ' ' Puls- und Athemschwankungen wieder ı Curve N283 ' ungenügend. Curve Fig.5 veranschau- | | RER ‚| licht das. Dieselbe ist bei demselben Fig. 4. gesunden Manne mit einer Schreib- - r kapsel von 110% m Durchmesser, 17 m Tiefe, schlaffer Bespannung mit dünnem Gummistoff, einer Stützplatte für den Schreibhebel von 12” Durchmesser und einem Verhältniss der beiden Hebelarme des Schreibhebels von 30 zu 150 aufgenommen. Es zeigt sich, dass das Optimum für die Wiedergabe der Pulsschwankungen nicht in der Ruhestellung der Schreibkapsel vorhanden ist, sondern bei einer mittleren | | \ j | l | I ı Bei so stark ausgesprochenerDikrotie, wie sie in Fig.2 vorhanden ist, würde ein klei- ner Tambour noch feiner profilirte Pulse geben, als sie in Fig. 4 zur Darstellung kommen. AUFZEICHNUNG VON VOLUMSCHWANKUNGEN. 2 Anspannung der Membran. Nach oben und unten von diesem Optimum nimmt die Deutlichkeit der Pulse stark ab. Bei einer Steigerung von.75 «m ist deutlich die obere Grenze der Leistungsfähigkeit des Tambours erreicht, bezw. bereits überschritten; die Membran ist hier schon so stark gespannt, Ach 2 | A | Tann an / | vamnnvthn/ N j Ü I Wvwvm I j I mw 1 l I I I a eg } I | | | | | == | | i | ] | l | l i | | | l | | | | ) | | ı Curve N24 | NAHENUUNLUUEUEHUUEUNUUEEULURRURSRONLEENUULAGKUNUNENENHBUNGUERUURNUTURUUGARUERRUREERUERERHENUETEERENNUHUUD®| Fig. 5. dass jede Schwankung nur stark gedämpft zum Ausdruck kommt, wenn auch die messbare Drucksteigerung 3" Hg nicht überschreitet. Weiter sind in der Curve die Athemschwankungen nicht sichtbar, die bei Ver- wendung des kleinen Tambours gut zum Ausdruck kamen, und auch die grossen Spontanschwankungen kommen auch bei längerem Verfolgen der Curve, als hier dargestellt, nicht zum Ausdruck. 14* 212 ÖTFRIED MÜLLER: Zum Schluss noch einige kurze Bemerkungen über Abschluss und Auf- stellung des Plethysmographen. Die häufig gebrauchten, in den Cylinder hinein vorzustülpenden und mit der Basis über seinen Rand zu streifenden Gummiärmel haben den Nachtheil, dass sie, sobald kein Ueberdruck im Plethysmographen vorhanden ist, sich nicht völlig an den Arm anlegen. Es bleibt leicht etwas Luft zwischen ihnen und der Oberfläche des Armes, und die pulsatorischen Schwankungen fallen dann kleiner aus, als wenn das Wasser den Arm selbst berührte. Für das Bein lassen sich solche Hüllen nur schwer und kostspielig herstellen, ihre Anlegung würde schwierig sein, ihre Haltbarkeit gering. Wir haben deshalb trichterförmige Man- schetten aus starkem Gummistoff, wie man ihn zur Reparatur von Fahrrad- reifen verwendet, die wir mit Paragummilösung selbst geklebt hatten, in Anwendung gebracht. Sie waren 10 bis 15°® lang, von der Form des Unterarmes oder Oberschenkels, nur etwas enger als der gewöhnliche Um- fang dieser Theile, und wurden, nachdem sie innen mit Glycerin bestrichen waren, auf die ebenfalls mit Glycerin bestrichene Extremität bis zu der nöthigen Höhe hinaufgezogen. Hierauf wurde der obere breite Rand der Manschette über |den oberen Rand des inzwischen auf die Extremität ge- stülpten Plethysmographen gestreift. Gegen den oberen Rand des Ple- thysmographengefässes wurde die Manschette durch einen Eisenring an- gedrückt, der durch Schrauben nach Art der Trommelschrauben fest auf den ersteren gepresst werden konnte. Da sich bei längeren Untersuchungen mit erheblichen Volumenschwankungen der Glieder die abdichtende Gummi- membran stets in den Raum zwischen Oberfläche des Gliedes und Rand des Cylinders vorzuwölben oder einzuziehen pflegt, so haben wir nach dem Vorbild des Hürthle’schen Blutdruckapparates durch die oben erwähnten Trommelschrauben nöthigenfalls noch Holzringe von der Weite und Form des jeweiligen Gliedes gegen die Gnmmimembran andrücken lassen, so dass ein annähernd starrwandiger Abschluss des Gefässes geschaffen wurde. Alle diese Einrichtungen lassen sich bei genügender Sorgfalt so anordnen, dass keinerlei Stauung an dem zu untersuchenden Gliede eintritt. Die Aufstellung der Plethysmographengefässe 'geschah auf festen Ge- stellen, nicht auf der Mosso’schen Schwebevorrichtung. . Litteraturverzeichniss. Mosso, Die Diagnostik des Pulses. leipzig 1878. v. Frey, Die Untersuchung des Pulses. Berlin 1892. Im v. Frey’schen Buch Seite 70 findet sich ein eingehendes Litteraturverzeichniss über den vorliegenden Stoff. Ueber die Eigenschaft des Digitalin, beim Froschherzen die selbstständige Erzeugung von Bewegungsreizen an der Grenze von Vorhöfen und Kammer anzuregen. Von Dr. Kurt Brandenburg, Privatdocent an der Universität, (Aus dem physiologischen Institut zu Berlin.) (Hierzu Taf. V u. VI.) A. Versuchsbeispiele über das Verhalten des Digitalinherzens nach refleetorischer Vagusreizung und nach dem Versuch von Stannius. Bei der Untersuchung von Herzgiften lässt sich die Erfahrung machen, dass das Froschherz unter der Wirkung des Giftes auf eine Vaguserregung in anderer Weise als das unvergiftete gesunde Herz antwortet. Zuweilen hat es den Anschein, als ob die Art, in der sich unter diesen Umständen eine Vagushemmung am Herzen äussert, durch den jeweiligen Zustand der Herzmuseulatur in den einzelnen Herztheilen bestimmt wird. So verändert die Vergiftung mit Galle die Wirkungsrichtung einer schwachen Vagus- erregung am Herzen in der Weise, dass der gleiche Reiz, der vor der Ver- eiftung nur die Kraft der Vorkammercontractionen schwächte, nach der Vergiftung vorwiegend am Sinusgebiet sich geltend macht und die Schlag- folge des Herzens verlangsamt, ohne die Vorkammersystoler zu schwächen. Auch während der Vergiftung mit Digitalin zeigt das Froschherz gegenüber einer Vagusreizung in vielen Fällen ein Verhalten, das beim unvergifteten Herzen unter den gleichen Versuchsbedingungen nicht beobachtet wird. Die ungewöhnliche Art, in der das Digitalinherz auf eine Vaguserregung antwortet, erlaubt den Schluss, dass das Gift bestimmte 214 KURT BRANDENBURG: Veränderungen am Herzen hervorgebracht hat, die in dieser Reaction ihren Ausdruck finden. Die auf diesem Wege erschlossene Herzwirkung des Digi- talin scheint einer physiologischen und klinischen Bedeutung nicht zu er- mangeln und sei daher in Kürze mitgetheilt. Um einen vergleichenden Maassstab für das Verhalten des mit Digi- talin vergifteten Herzens zu geben, sei ein Versuchsbeispiel über die reflec- torische Vaguswirkung beim nicht digitalinisirten Herzen vorausgeschickt. Wenn durch schwache Curarisirung des Frosches der Einfluss des Vagus auf das Herz erhalten ist, so gelingt es durch kurzes Tetanisiren einer Dünndarmschlinge, auf reflectorischem Wege eine Vagusreizung aus- zulösen, die beim unvergifteten Herzen in einer ziemlich gleichmässigen Weise sich äussort und mit der Stärke des Reizes sich abstufen lässt. Nr. I (Taf. V, Figg. 1a, b, c). Kräftige mittelgrosse Rana esculenta, vor 24 Stunden !/, Tropfen 1 procent. Curarelösung in den Rückenlymphsack. Doppelsuspension: Kammer in der Mitte mit dem Häkchen gefasst bei er- haltenem Bändchen, schreibt in vierfacher Vergrösserung, linke Vorkammer, nahe der Sinusgrenze gefasst, in zwölffacher Vergrösserung. Auf den Curven auf der obersten Linie die Kammerbewegungen mit der vorangehenden flachen Erhebung der Vorkammercontraction; auf der zweiten Linie die Vor- kammersystolen mit den vorangehenden flachen Wellen der Venensinus- bewegungen; auf der dritten Linie der Zeiger des Pfeil’schen Signals, das in den primären Strom eingeschaltet ist und den Zeitpunkt und die Dauer der Darmreizung mit dem Inductionsstrom angiebt; auf der vierten Linie die Zeit zu !/,, Seeunden in Stimmgabelschwingungen. — Eine Dünndarm- schlinge wird hervorgezogen und über ein Elektrodenpaar gelegt. Die Stärke des tetanisirenden Stromes ändert sich nach den Öentimetern Rollenabstand der secundären Spirale des Du Bois’schen Schlitteninduetoriums. Die Rei- zungen dürfen nicht zu rasch auf einander folgen, da der Herzreflex sich nachhaltig erschöpft. Die schwächste wirksame reflectorische Vagusreizung, eine kurze und schwache Tetanisirung der Dünndarmschlinge, schwächt die Systolen der Vorkammern während vier Herzperioden und verzögert daneben ein wenig die Reizleitung zwischen Vorhof und Kammer (Curve a). Die längere und stärkere Darmreizung wirkt nachhaltiger und erniedrigt die Vorkammererhebungen bis zu der Höhe der Erhebungen des Sinus. Gleichzeitig macht sich eine leichte Hemmung der Function des Venen- sinus geltend, denn die zweite Herzperiode nach der Reizung ist etwas verlängert (Ourve b). Bei weiterer Verstärkung des Reizes steigert sich seine Wirkung auf den Venensinus. Das Sinusgebiet und damit auch das übrige Herz steht während einer längeren Zeit still. Nach dem Stillstand beginnt der Herzschlag wieder in der Weise, dass zuerst der Venensinus, dar- nach die geschwächte Vorkammer und schliesslich die Kammer sich contrahirt (Curve e). Der schwächste wirksame Reiz äussert sich am unvergifteten Herzen zuerst und am stärksten an den Vorkammern, deren Systolen vorübergehend VERSUCHE MIT DIGITALIN AM FROSCHHERZEN. 215 geschwächt werden. Verstärkung des Reizes hemmt die Thätigkeit des Sinus- gebietes und unterbricht die Zuführung der Bewegungsreize zum übrigen Herzen, so dass die Kammer stillsteht. Nach dem Abklingen der Hemmung beginnt der Herzschlag von neuem und stets in der Weise, dass der neue Herz- schlag von einer Contraction des Venensinus eingeleitet wird. Ein abweichendes Verhalten nach einer reflectorischen Vagusreizung zeigt das Digitalinherz bei einer gewissen Höhe der Vereiftung, wie das folgende Versuchsbeispiel zeigt: Nr. II (Taf. V, Figg. 2a und b). Versuch Nr. 92. 20. März 1904. Grosse, kräftige Rana esculenta (Winterfrosch), schwach curarisirt mit erhaltenen Herzreflexen. Vor 50 Stunden 6 Tropfen einer 1 procent. Lösung von Digi- talinum pur. germ. Merck (= 38) in den Rückenlymphsack gespritzt. — Nach Zurückklappen des Brustbeines und Spalten des Herzbeutels: Doppel- suspension wie in Nr. I. Der obere Hebel zeichnet die Bewegungen der Kammermitte, der untere die Bewegungen des Venensinus und der linken Vorkammer; der Zeitpunkt der Tetanisirung der Dünndarmschlinge wird auf der dritten Linie von dem Pfeil’schen Signal angegeben; auf der vierten die Zeit in !/,, Secunden. Curve a und b. 30 Stunden nach der subeutanen Einspritzung von 3 "8 Digitalin bietet der Frosch das Bild der mässig starken Disitaliswirkung: die Herzthätigkeit ist regelmässig, mässig verlangsamt und sehr kräftig. Durch kurze Tetanisirung einer Darmschlinge wird eine reflectorische Vaguswirkung am Herzen ausgelöst. Dabei zeigt es sich, dass das Digitalinherz in anderer Weise auf die Vagushemmung antwortet, als das unvergiftete Herz. Gemein- sam ist beiden die schwächende Wirkung auf die Kraft der Vorkammer- systolen, die erheblich verkleinert werden. Die Hemmung der Thätigkeit des Venensinus, die bei stärkerer refleetorischer Vaguswirkung auch am un- vergifteten Herzen nicht vermisst wurde, ist bei dem Disgitalinherzen deut- lich ausgebildet. Dagegen fällt es auf, dass die Kammer fortfährt zu schlagen, ohne dass ihrer Erhebung auf der Curve eine Con- traction des Venensinus oder des Vorhofs vorangegangen ist. Die Herzbewegung wird eingeleitet durch eine Contraction der Kammer (oberste Linie auf der Curve a), an die sich eine in der ersten Zeit noch erheblich geschwächte Vorkammercontraction anschliesst, die dann von einer Sinuswelle gefolgt wird (zweite Linie der ÖOurve a). Die Umkehrung der Schlagfolge dauert während sechs Herzperioden an, in deren Verlauf die Vorkammersystolen sich allmählich von dem schwächenden Einfluss der Vaguswirkung erholen. Nach dieser Zeit setzt der ursprüngliche Rhythmus ein und die Kammer folgt wiederum den über die Vorkammern zu ihr ge- leiteten Bewegungsimpulsen des Sinusgebietes. Die genauere Betrachtung der Curven a und b zeigt, dass der Zeitraum zwischen Beginn der Kammercontraction und dem Beginn der Vorhot- eontraetion in der ersten Zeit nach der Vagusreizung etwas länger ist als in der späteren Zeit, wo sich die Vorkammersystole rascher an die Kammer- systole anschliesst. Diese Verzögerung ist als eine Hemmung der Reizleitung zwischen Kammer und Vorkammern zu deuten, die mit dem Abklingen der Vaguswirkung allmählich nachlässt, ebenso wie die Leitungshemmung zwischen 216 IKURT BRANDENBURG: Vorkammern und Venensinus, die in dieser Zeit auf der zweiten Linie der Curve a durch eine stärkere Einziehung zwischen beiden Erhebungen sich offenbart. Das Versuchsbeispiel zeigt, dass das Digitalinherz unter dem Einfluss einer Vagushemmung für einige Zeit im umgekehrten Rhythmus schlägt. Die Herzbewegung beginnt nicht am Venensinus, der durch die Vagushemmung zur Ruhe gebracht ist, sondern an der Kammer. Für das Gelingen des Versuches müssen gewisse Voraussetzungen ge- geben sein. Einmal muss die reflectorische Beeinflussbarkeit des Herzens möglichst vollständig erhalten sein, zweitens muss für den Frosch die richtige Giftmenge gewählt sein. Die Gabe muss eine mässig starke, darf aber keine tödtliche sein. Auch bei Verwendung der geeigneten Dosis wird die Reaction innerhalb der ersten 20 Stunden gewöhnlich ver- misst und zeigt sich in der Regel am besten 20 bis 30 Stunden nach der Einspritzung. Nach dieser Zeit pflegt mit dem Abklingen der übrigen Digitaliserscheinungen das Zeichen zu verschwinden. Es empfiehlt sich, kräftige Thiere für den Versuch zu wählen, der im Uebrigen bei dem vor einem halben Jahre gefangenen Winterfrosch, wie bei dem frisch einge- fangenen Frühlingsfrosch gelingt. Bei dem unter der vollen Wirkung des Digitalin schlagenden Froschherzen sind es zuweilen unbeabsichtigte Reize, die eine Umkehrung der Schlagfolge für längere Zeit hervorrufen, wie das folgende Versuchs- beispiel zeigt. Nr. III (Taf. VI, Figg. 3a bis f). Versuch Nr. 120. Grosse Rana esculenta, frisch gefangen; schwach curarisirt mit erhaltener reflectorischer Erregbarkeit des Herzens. Am 6. Mai 1904 Mittags 12 Uhr 6 Tropfen einer 1. procent. Lösung von Digitalin pur. germ. Merck (= 3 "®8) in den Rücken- lymphsack eingespritzt. — Am 7. Mai 1904 Mittags 12 Uhr, also 24 Stunden nach der Vergiftung, nach Zurückklappen des Brustbeins und Spaltung des Herzbeutels Doppelsuspension an Kammermitte und linker Vorkammer wie in Nr.1. Curve a. Nach der Suspension stärkeres Zerren an dem zurück- geschlagenen Brustbein, um die Bewegungen der Herzbasis freier zu machen. Dabei fängt das Herz an, für mehrere Minuten in der umgekehrten Schlagfolge zu arbeiten. Der Herzschlag ist regelmässig, fängt jedoch mit der Kammer an, während die Vorkammer erst etwa !/,, Se- cunde später ihre Contraetion beginnt, die sie aber früher beendet hat als die Kammer. Ohne besondere äussere Veranlassung setzt nach mehreren Minuten die natürliche Schlagfolge wieder ein. Curve b. Am 7. Mai 1904, Abends 8 Uhr, also 32 Stunden nach der Vergiftung, lässt sich die gleiche Erscheinung der umgekehrten Schlagfolge vorübergehend hervorrufen durch kurzes Tetanisiren einer hervorgezogenen Dünndarmschlinge. Durch die Einwirkung der reflectorischen Vagusreizung wird die Thätigkeit des Venensinus für einige Zeit unterbrochen, die Kraft VERSUCHE MIT DIiGITALIN AM FROSCHHERZEN. 217 der Vorhofsystolen geschwächt und die Leitung des Bewegungsreizes zwischen Kammer und Vorkammern verzögert. Während dieser Zeit beginnt die Kammer selbstständig und unabhängig, aber langsamer, als dem ursprüng- lichen Tempo entspricht, zu schlagen. Die umgekehrte Schlagfolge ist langsamer, als die ursprüngliche Schlagfolge. Die Vorkammer- systolen folgen den Kammersystolen in etwas längerem Abstande, als auf Curve a. Offenbar ist die Leitung des Bewegungsreizes an der Vorkammer- Kammergrenze unter dem Einfluss der Vagushemmung verzögert. Mit dem Nachlassen. der refleetorischen Vaguswirkung verkleinert sich das Zeitintervall zwischen dem Beginn der Kammer- und der Vorkammersystole immer mehr, während die Kraft der geschwächten Vorkammercontraetionen allmählich wächst, bis mit dem Eintritt der natürlichen Schlagfolge der Venensinus wieder die Führung übernimmt. Curve e, f: Die sensible Reizung wird in diesem Falle an der Kammerspitze bewirkt, die mit einem starken Inductionsschlag (Rollen- abstand des Schlitteninduetoriums 3 “® und 0 °% bei einer Accumulatorzelle von 2 Volt Klemmenspannung) zur Erzeugung einer Extrasystole behandelt wird. Die starke Abstumpfung des Herzmuskels gegen künstliche Reize durch die Behandlung mit Digitalin verlangt die Anwendung un- gewöhnlich starker Ströme, um einen Erfolg zu haben. Der starke In- ductionsschlag reizt sensible Nervenausbreitungen in der Kammerspitze und löst dadurch reflectorisch eine Vagushemmung am Venensinus aus. In dieser Zeit übernimmt die Kammer die Führung und das Herz schlägt während zwei Perioden in der umgekehrten Schlagfolge, die langsamer ist, als die natürliche, vom Sinusgebiete aus geleitete Schlagfolge. Die mitgetheilten Beispiele mögen genügen, um zu beweisen, dass das Froschherz auf der Höhe der Dieitalinvergiftung unter dem Einfluss einer refleetorisch ausgelösten Vaguserregung vorübergehend einen umgekehrten Rhythmus annimmt. Die kurz dauernde Beeinträchtigung der Thätigkeit des Sinusgebietes und Unterbrechung der Zuführung der Be- wegungsreize zur Vorkammer genügt, um an Vorhof und Kammer die Um- kehrung der Schlagfolge hervorzurufen. Die gleiche Erscheinung lässt sich nachweisen, sobald das Sinusgebiet von dem übrigen Herzen dauernd getrennt wird, wie beim Versuch von 'Stannius. Wird eine Klemme über die Grenze von Sinus und Vorkam- mern gelegt und fest zugeschraubt, so dass die getroffenen Theile zerquetscht werden, so gelingt es bei den mit geeigneten Digitalingaben be- handelten Thieren überhaupt nicht, das Herz zum Stillstand zu bringen. Das Herz kommt auch nicht vorübergehend unter dem Druck der Klemme zur Ruhe, sondern schlägt ohne Pause fort, aber in umgekehrtem Rhythmus. Dadurch unterscheidet sich der Stannius’sche Versuch beim geeignet vorbereiteten Digitalinherzen von dem Stannius’schen Versuch am unver- gifteten Herzen. Kräftige, gut ernährte Herzen bei unvergifteten lebensfrischen 218 KURT BRANDENBURG: Thieren zeigen regelmässig nach der richtig angelegten Zerstörung der Sinus- Vorhofgrenze Stillstand der Kammer. Wird die Klemme gelöst und füllen sich die Herzhöhlen mit gestautem Blut, so beginnen in vielen Fällen nach kürzerer oder längerer Dauer des Stillstandes die Herzbewegungen von neuem. Ist die Trennung der Verbindung zwischen Sinus und Vor- kammern eine vollständige gewesen, so findet der Herzschlag in der Weise statt, dass zuerst die Kammer ihre Systole beginnt, und kurz nach dem Beginne der Kammersystole die Vorkammercontraction einsetzt. Die neu aufgenommene Schlagfolge kann bei kräftigen unvergifteten Herzen stunden- lang dauern. Der Stannius’sche Versuch beim Digitalinherzen unterscheidet sich nun nicht nur dadurch, dass die neue Schlagfolge ohne Pause von dem Herzen aufgenommen wird, sondern auch durch die Eigenthümlich- keit, dass das Herz darnach mehrere Tage lang gleichmässig und kräftig in dem umgekehrten Rhythmus weiterarbeitet. Diese un- gewöhnliche Lebenszähigkeit des Digitalinherzens gestattet es, an den Thieren trotz des schweren Eingriffes die Vorgänge bei dem Schlagen im umgekehrten Rhythmus Tage lang zu beobachten. Nr. IV. (Taf. VI, Figg. 4a bis e). Versuch Nr. 134. Grosse, frisch gefangene Rana eseulenta, schwach curarisirt mit erhaltener reflec- torischer Erregbarkeit des Herzens. — Am 19. Mai 1904, 6 Uhr Abends 5 Tropfen einer 1 procent. Lösung von Digitalin. pur. germ. Merck (= 2-5 %8) in den Rückenlymphsack eingespritzt. — Am 21. Mai 1904, 8 Uhr Abends Zerquetschun’g der Sinus-Vorhofgrenze durch den Druck einer Schraubenklemme. Während und nach dem Festziehen der Klemme hört das Herz nicht auf zu schlagen. Trotz des guten Liegens der Klemmenarme wird eine Pause nicht bemerkt. Nach dem Abnehmen der Klemme wird das Herz suspendirt. Es schlägt in umgekehrtem Rhythmus, die Kammersystole beginnt kurz vor der Vorhofsystole. Tetanisirung einer Darmschlinge ist ohne Einfluss auf die Bewegungen des Sinus. Der Frosch wird in seinen Trog zurückgelegt, und am nächsten Tage von neuem suspendirt. Curve a, b, ce. 22. Mai 1904, 11 Uhr Vorm., 65 Stunden nach Einspritzung von 2-5”®8 Digitalin und 15 Stunden nach der Zer- störung der Sinusvorkammergrenze. Das Herz schlägt kräftig und regelmässig. Der Herzschlag beginnt mit der Systole der Kammer, auf die nach einem kurzen Intervall von etwa !,, Secunde die Systole der Vorkammer folgt, die noch vor dem Ablauf der Kammersystole wieder beendet ist. Auf der obersten Linie der Curven folgen in vier- facher Hebelvergrösserung die kräftigen Systolen- der Kammer einander in regelmässigen Zwischenräumen. Die zweite Linie ist dagegen unregel- mässig gestaltet. Der Schreibhebel liest in der Wand der linken Vorkammer nahe der Grenze des Sinus und zeichnet in zwölffacher Vergrösserung. In Folge dieser Befestigung des unteren Schreibhebels kommt auf der zweiten Linie der Curven nicht allein die Bewegung des Vorhofs, sondern auch die Bewegung des Venensinus zum Ausdruck. Diese beiden VERSUCHE MIT DIGITALIN AM F'ROSCHHERZEN. 219 Herztheile schlagen unabhängig von einander und ihre Erhebungen auf den Curven stehen bald getrennt neben einander, bald rücken sie an einander heran und decken sich. Fallen beide zusammen, dann verschwindet die kleinere Sinuserhebung in der grösseren Vorhoferhebung und die Vor- kammersystole erscheint vergrössert. Die Periode des Vorhofs ist ebenso gross wie die Periode der Kammer und beträgt 33 = 3-3”. Der Venen- sinus schlägt im eigenen und schnelleren Tempo und seine Periodendauer ist 192= 1-9. Es gilt auch in diesem Falle die Regel, dass die Schlagfolge des automatisch thätigen Sinusgebietes immer schneller ist, als die neue umgekehrte Schlagfolge nach seiner Ausschaltung. Es lässt sich der Beweis führen, dass die niedrigeren Wellen, die neben den Vorhofswellen auftreten und sie an Zahl um fast das Doppelte übertreffen, hervorgebracht werden durch die Zusammenziehungen der Wand des Sinusgebietes. Sie lassen sich nämlich durch eine starke sensible Reizung einer Darm- schlinge für einige Zeit unterdrücken. Es gelingt gewöhnlich erst einige Stunden nach dem schweren Eingriffe der Stannius’schen Abklem- mung auf den Venensinus durch Nervenreize einzuwirken. In den Curven a, b, e der Versuchsnummer IV sind 15 Stunden nach der Zerquetschung der Sinusvorhofgrenze verstrichen. Wird eine Dünndarmschlinge mit einem tetanisirenden Strome behandelt, so verschwinden für mehrere Secunden die niedrigeren Wellen auf der von dem unteren Hebelarme gezeichneten Curve, und es erscheinen allein die Vorhofwellen. Die Schlagfolge der Vorkammer und der Kammer wird durch die reflectorische Vaguswirkung auf den Venen- sinus nieht im mindesten verändert. Auch die sonst am frühesten und am leichtesten sich äussernde Vagushemmung auf die Kraft der Vorhofsystolen bleibt in Folge der Zerstörung der Sinusvorhofgrenze aus. - Der Versuch zeigt das Verhalten des Digitalinherzens nach der Zer- quetschung der Sinusvorhofgrenze. Nicht dargestellt ist auf der Curve der Zeitpunkt der Abklemmung, so dass das bezeichnende Fehlen des Herz- stillstandes und das sofortige Einsetzen der neuen Schlagfolge hier nur angemerkt werden kann. Dagegen beweist die Curve, die 15 Stunden nach der Lösung der Klemme gezeichnet ist, die ungewöhnliche Lebens- zähigkeit des Digitalinherzens. Auf der Curve, die von dem unteren Hebel gezeichnet wird, sind neben einander die Contractionen des Sinusgebietes und der Vorkammer sichtbar. Der Rhythmus des Venensinus ist der schnellere und wird durch Vagusreizung gehemmt. Das Tempo der Vorkammer folgt dem Rhythmus der Kammer. Es ist lang- samer als das Tempo des Venensinus und durch eine Vagusreizung nicht zu beeinflussen, wie nach der Zerquetschung der Sinusgrenze nicht anders zu erwarten ist. 320 KURT BRANDENBURG; B. Die Deutung der Versuche: unter der Wirkung des Digitalin wird am Froschherzen die Fähigkeit der Vorhofkammergrenze zur selbstständigen Erzeugung von Bewegungsreizen gesteigert. Die mitgetheilten Versuchsbeispiele zeigen, dass unter der Wirkung mässigstarker Gaben von Digitalin dasFroschherz in auffälliger Weise die Neigungentwickelt,ineinemumgekehrtem Rhythmus zuschlagen, Es genügt, durch einen nervösen Reiz den Einfluss des Sinusgebietes auf die übrigen Herztheile vorübergehend fernzuhalten, um eine Schlagfolge einzuleiten, bei der zuerst die Kammer ihre Systole beginnt und ganz kurz darauf, etwa nach !/,, Secunden, die Vorkammer mit ihrer Zusammen- ziehung einsetzt. Dabei hat der Vorhof entsprechend seiner geringeren Muskelmasse seine Diastole bereits beendet, ehe die Diastole der Kammer ihr Ende erreicht hat. Die neue Schlagfolge des Herzens ist immer lang- samer als der ursprüngliche Rhythmus, der vom Venensinus ausgeht. Es fragt sich, welche Steile des Herzens bei der neuen Schlagfolge der Ausgangspunkt der Contractionen ist. Hierüber lässt sich ein Auf- schluss aus dem Vergleich der beiden Curvenreihen gewinnen, die das Herz bei der normalen und bei der umgekehrten Schlagfolge zeichnet. Bei der vom Sinus aus eingeleiteten normalen Schlagfolge ist das Zeit- intervall zwischen dem Beginn der Vorhofsystole und dem Beginn der _ Kammersystole grösser, als nach der Umkehrung der Schlagfolge das Inter- vall zwischen dem Anfang der Kammersystole und dem Anfang der Vorhof- systole. Eine Ausnahme machen nur diejenigen Fälle, wo durch die Vagus- reizung besondere Hemmungen und Verzögerungen der Pause zugleich mit dem Einsetzen der Umkehrung der Schlagfolge sich geltend machen. Die Pause, die bei der normalen Schlagfolge zwischen dem Ein- setzen der Thätigkeit der beiden Herzabtheilungen liegt, ist im Wesentlichen auf Rechnung der Verzögerung der Reizleitung zu setzen, die der Be- wegungsreiz bei dem Uebergange von dem einen Herztheile zum anderenerleidet. Nach der Vorstellung der myogenen Lehre findet diese Leitung auf der Bahn von Muskelfasern statt, die zwischen Vorhof und Kammer eine schmale Brücke bilden, und die in ihrem anatomischen Bau den Muskelzellen in der -Wand des Sinus nahe stehen. In diesen Brückenfasern in der Gegend des Atrioventriculartrichters würde sich der Bewegungsreiz wesentlich jangsamer fortpflanzen, als in den Zellen, die innerhalb der Wand des Vorhofs oder der Kammer liegen. Nach der Ausdrucksweise von Romanes- Gaskell! besteht an dieser Stelle des Herzens ein Block für die Reizleitung. In dem Versuchsbeispiel Nr. III zeichnet das Herz auf der Curve a unter dem Einfluss einer nervösen Hemmung des Sinusgebietes längere Zeit " Gaskell, Innervation of the heart. Journal of Physiology. 1883. Vol. IV. p. 66. VERSUCHE MIT DIGITALIN AM FROSCHHERZEN. 221 eine umgekehrte Schlagfolge auf und geht gegen das Ende der Curve in die normale Schlagfolge über. Während der normalen Schlagfolge berechnet sich die Ueberleitungszeit zwischen Vorkammer und Kammer, gemessen an der Pause .zwischen dem Systolenbeginne beider Abtheilungen, das Intervall As: V,, im Durchschnitt auf 0-22 Secunden. Dagegen beträgt während der Umkehrung der Schlagfolge die Pause zwischen 7, und A,, das Intervall V,: As, im Mittel 0-1 Secunden. Ertheilt man dem Herzen durch rhyth- mische Reizung seiner Kammerbasis eine künstliche umgekehrte Schlagfolge, bei der sich zuerst die Kammer und darnach die Vorkammer contrahirt, so erhält man eine nahezu gleich grosse Pause zwischen Beginn von YF, und. von 4,, wie sie die natürliche Schlagfolge zwischen Beginn von A, und von V, zeigt. Es ist also die Geschwindigkeit der Reiz- leitung in dem Grenzgebiet von Vorhof und Kammer für beide Richtungen nahezu gleich gross. Hierbei mögen die Fehlerquellen in der Berechnung, wie die verschieden grosse Latenzzeit von Kammer und Vorhof und ihre verschieden rasche Reizleitung als nicht besonders störend vernachlässigt werden. Bei der durch einen nervösen Reiz am Digitalinherzen ausgelösten umgekehrten Schlagfolge ist das Zeitintervall V,:4A, dagegen kleiner als das Intervall 4,:V, bei der normalen Schlagfolge und das Intervall V;:4A, bei dem umgekehrten Rhythmus, der künstlich durch Behandlung der Kammerbasis mit rhythmisch einfallenden Inductionsschlägen erzeugt wird. ' Engelmann! hat in seiner Arbeit über den Versuch von Stannius die Schlagfolge, die am Herzen bei der Ausschaltung des Sinusgebietes nach kürzerem oder längerem Herzstillstande für einige Zeit einsetzt, genauer untersucht. In den Fällen, wo die Trennung vom Sinus eine vollständige war, schlug das Herz stets in umgekehrtem Rhythmus und mit einer sehr kurzen Pause zwischen Beginn von V, und A,. Aus dem Vergleich dieses kurzen Zeitintervalls mit dem längeren Zeitraum, der bei der künstlichen Reizung der Kammerbasis zwischen V, und A, lag, folgerte Engelmann, dass der Ausgangspunkt der nach der ersten Stannius’schen Ligatur einsetzenden Herzschläge nicht in der Kammer, sondern in der verbindenden Muskelbrücke zwischen den beiden Herz- abtheilungen lag. Eine rechnerische Betrachtung der zeitlichen Ver- hältnisse gab den Hinweis, dass der Herd der automatischen Reizerzeugung in der Gegend des Atrioventriculartrichters näher der Kammerbasis anzu- nehmen war. ! Th. W. Engelmann, Der Versuch von Stannius, seine Folgen und deren Deutung. Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. 8. 505. 222 KURT BRANDENBURG: Wenn man in der Curve a des Versuchbeispiels Nr. III das Zeit- intervall A,/V, des Normalrhytnamus = 0.22” mit dem Zeitintervall Y,/4, des Umkehrungrhythmus = 0-1” in Vergleich setzt, so lässt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aussagen, dass der Ursprung der Herzcontractionen bei dem umgekehrten Rhythmus weder in der Kammer, noch in dem Vorhof gesucht werden darf, sondern in das Grenzgebiet zwischen der Kammer und dem Vorhof verlegt werden muss. Nach dieser Darstellung würde sich der Vorgang am Digitalinherzen in folgender Weise deuten lassen: Das Grenzgebiet zwischen Vorkammern und Kammer wird unter be- stimmten Bedingungen der Ausgangspunkt von Herzbewegungen. Die Fähig- keitzur Automatie tritt unter gewöhnlichen Verhältnissen vor den Bewegungs- impulsen zurück, die vom Sinus ausgehen, und sie offenbart sich beim unver- gifteten Herzen nur einige Zeit nach der völligen Trennung des Sinusgebietes von den Vorkammern, wie bei dem Versuch von Stannius. Unter der Wirkung einer mässig starken Digitalinvergiftung erfährt die Fähigkeit der Brückenfasern zur selbstständigen Erzeugung von Bewegungsreizen eine Steigerung, so dass bereits eine kurze nervöse Hemmung des Sinusgebietes genügt, um die Automatie in die Erscheinung treten zu lassen. In diesem Falle kann das . Herz durch die Zerquetschung der Sinusvorkammergrenze nicht zum Stillstand gebracht werden. Die Gegend des Atrioventricular- trichters übernimmt ohne Verzug die Rolle des ausgeschalteten Sinusgebietes, und das Herz geht ohne Pause von dem Sinusrhythmus in den atrioventriculären Rhythmus über. Wie nebenbei bemerkt werden möge, liefert der Umstand, dass das in geeigneter Weise mit Digitalin behandelte Herz trotz Erhaltung seiner reflectorischen Erregbarkeit durch die Stannius’sche Ligatur nicht zum Stillstand gebracht werden kann, einen weiteren Beweis gegen eine ältere Anschauung, nach der der Herzstillstand im Stannius’- schen Versuch die Folge einer Vagusreizung sei. Uebrigens bleibt nach der Anlegung der Stannius’schen Unterbrechung der Einfluss des Vagus auf das Sinusgebiet naturgemäss erhalten, wie das Versuchsbeispiel Nr. IV zeigt, aber das übrige, im umgekehrten Rhythmus schlagende, Herz ist der Einwirkung des Vagus endgültig entzogen worden. Wo die umgekehrte Schlagfolge am Digitalinherzen nach einer reflec- torischen Vagusreizung eintritt, die vom Darm oder von der Kammerspitze ausgelöst wird, sind die Pausen zwischen dem Beginn von Kammer- systole und Vorkammersystole von ungleicher Länge und vielfach länger als die Pausen zwischen beiden Systolen bei normaler Schlagfolge. In den Versuchsbeispielen Nr. II und Nr. III, Curve b bis f, finden sich VERSUCHE MIT DIGITALIN AM FROSCHHERZEN. 223 in der Regel die längsten Pausen in der ersten Zeit nach der Reizung, gemeinsam mit einer Schwächung der Vorkammersystolen. In der späteren Zeit verkürzen sich die Pausen in dem Maasse, wie die Kraft der Vorhof- schläge wächst. Auf den Curven, wo eine schwächende Nebenwirkung auf die Stärke der Vorkammersystolen nicht besteht, wie in Curve a, Nr. III oder Curve a bis f, Nr. IV, ist die Pause zwischen Kammer- und Vorkammereontrac- tion von gleichmässiger Kürze. Hieraus ergiebt sich, dass die ungleichmässige Beschaffenheit und die auffallende Länge der Pausen nach der Darm- oder Kammerreizung durch leitungshemmende nervöse Wirkungen ver- ursacht wird, die sich kurz nach der Reizung am stärksten geltend machen, allmählich abklingen und in der Regel zu einer Zeit verschwinden, wo auch die Hemmung des Sinusgebietes ihr Ende erreicht und damit die normale Schlagfolge wieder einsetzt. Die gesteigerte Fähigkeit des Grenzgebietes zwischen Vorhof und Kam- mer, selbstständig Bewegungsreize für das Herz zu erzeugen, lässt sich mit Hülfe einer reflectorischen Vagusreizung nur während einer gewissen Periode und einer gewissen Höhe der Vergiftung am Digitalinherzen nachweisen. Das Gelingen des Versuches setzt eine bestimmte Stärke der Vergiftung voraus, denn die Umkehrung der Schlagfolge nach Vagusreizung bleibt gewöhnlich aus, wenn zu geringe Gaben, weniger als 1”® Digitalin für einen mittelgrossen Frosch, eingespritzt worden sind. Nach Einspritzung von 2 bis 3”8 tritt sie erst nach längerer Dauer der Vergiftung und in der Regel nicht vor Ablauf von 24 Stunden in die Erscheinung. Sie lässt sich meist noch 30 bis 40 Stunden nach der Vergiftung durch die sensible Reizung einer Darmschlinge oder der Herzspitze nachweisen. Darin, dass sie bei Verwendung nicht tödtlicher Gaben erst nach längerem Bestehen der Vergiftung und nur vorübergehend auf dem Höhe- stadium der Giftwirkuns auftritt, gleicht die Umkehrung des Herzrhyth- mus nach Vagusreizung einem anderen Zeichen der Digitalinwirkung am Herzen, nämlich der Abstumpfung der Anspruchsfähigkeit des Muskels für elektrische Reize.! Es kann nicht Wunder nehmen, dass der experimentelle Nachweis der gesteigerten Automatie der Vorhof-Kammergrenze mit Hülfe der reflek- torischen Vaguswirkung am Herzen nicht mit der gleichen Regelmässigkeit bei allen Thieren gelingt, wie der von mir geführte Nachweis der vorüber- gehenden Erniedrigung der Anspruchsfähigkeit des Herzens für künstliche Reize. Das Gelingen des Versuches ist abhängig von der Art der Wirkung des Vagus auf das Herz und gebunden an einen leicht erschöpfbaren und ! K. Braudenburg, Ueber die Eigenschaft des Digitalin in mässigen, nicht tödtlichen Gaben, die Anspruchsfähigkeit des Herzmuskels für künstliche Reize vorüber- gehend herabzusetzen. Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. LIV. 224 KURT BRANDENBURG: in seinen Folgen nicht genau ton nervösen Reflex. Zuweilen gelingt es trotz geeigneter Vorbereitung nicht, eine wirksame reflektorische Vagus- hemmung am Herzen auszulösen, oder es erfolgt ein kurzer Herzstillstand, aber das Herz nimmt darnach den ursprünglichen Rhythmus wieder auf, oder bei der Darmreizung kehrt sich der Rhythmus vorübergehend um und bei der nächstfolgenden Reizung gelingt es nicht mehr, die Umkehrung zu erzeugen. Aber in der Mehrzahl der schwach curarisirten und in geeigneter Weise mit Digitalin behandelten Thieren gelingt es, unter dem Einfluss einer Vagushemmung die Umkehrung der Schlagfolge zu beobachten. Man darf die nervösen Reize nicht zu rasch auf einander folgen lassen. Bei gewissen Reizen, so nach dem Zerren am Brustbein, erhält sich der umgekehrte Rhythmus zuweilen mehrere Minnten lang (siehe Curve a, Nr. III). In den Fällen, wo unter dem Einfluss der Vagushemmung sich der umgekehrte Rhythmus am Herzen entwickelt, lässt sich auch nach der Abklemmung der Sinusvorhofgrenze beobachten, dass die Kammer ohne Pause die neue Schlagfolge aufnimmt, dass also nach der ersten Stannius’schen Ligatur das Herz nicht zum Stillstand gebracht werden kann. Dieser für das Digitalinherz bezeichnende Erfolg des Stannius’schen Versuches lässt sich auf der Höhe der Vergiftung auch bei den Herzen nachweisen, bei denen die reflektorische Vagushemmung nicht genügt hatte, um den umgekehrten Rhythmus hervorzurufen. Mit dem Verschwinden der Vergiftungserscheinungen, der gesteigerten Contractilität und der Abstumpfung gegen äussere Reize, ver- schwindet auch die gesteigerte Fähigkeit der Kammervorhof- grenze zur automatischen Reizerzeugung. Das Herz lässt sich nach dem Abklingen der für Digitalin bezeichnenden Erscheinungen noch Tage lang am Leben erhalten (siehe Curve IV), ein Beweis, dass es sich nicht um die Wirkung tödtlicher Dosen gehandelt haben kann, wie auch der regelmässige kräftige Herzschlag und die Abwesenheit der be- zeichnenden Sterbeerscheinungen, der Rhythmushalbirungen, bei denen auf zwei Vorhofschläge ein Kammerschlag gezählt wird, und der krampfartigen halbsystolischen Dauerzustände beweist. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Digitalin durch seine * Eigenthümlichkeit, in mässigen Gaben vorübergehend die auto- matische Fähigkeit am Herzen zu steigern und die Anspruchsfähigkeit des Herzens für künstliche Reize abzustumpfen, Verhältnisse schafft, die dem embryonalen Herzen in besonderem Grade eigen sind. Es lässt sich daher, unter der Zurückhaltung, die ein solcher Vergleich voraussetzt, die Herzwirkung des Digitalin durch die Vorstellung kennzeichnen, dass durch sie das Herz vorübergehend dem embryonalen Zustand angenähert wird. VERSUCHE MIT DIGITALIN AM FROSCHHERZEN. 225 ©. Ueber die klinische Bedeutung der für das Froschherz nachgewiesenen Eigenschaft des Digitalin, die Automatie der Brückenfasern zu steigern und ihre Beziehung zum Pulsus bigeminus des Menschen. Es besteht einige Wahrscheinlichkeit, dass die in dieser Arbeit nach- gewiesene Eigenschaft des Digitalin, auf dem Höhestadium einer mässigen, nicht tödtlichen Vergiftung vorübergehend die Fähigkeit der Vorhofkammer- grenze zur selbstständigen Erzeugung von Bewegungsreizen zu steigern, eine gewisse klinische Bedeutung hat. Diese Wirkungsweise des Digitalin scheint eine Beziehung zu einer Form der Pulsunregelmässigkeit zu haben, die nach Digitalisgebrauch beim Menschen häufiger beobachtet wird. Die Uebertragung der Erscheinung auf das menschliche Herz setzt eine gewisse Gleichheit in den Grundeigenschaften der Herz- muskelsubstanz zwischen Mensch und Frosch voraus, und darf daher nur mit der nöthigen Einschränkung gelten. Die Digitalis bewirkt beim Menschen Aenderungen der Schlag- folge nach zwei Richtungen hin, wie die klinische Beobachtung lehrt. 1. Sie hat die Eigenschaft, in vielen Fällen von unregelmässiger Herzthätigkeit bei Zuständen von Insufficienz des Myokards den Herz- rhythmus zu regularisiren. Wie ich früher auseinandergesetzt habe, scheint die Erklärung für manche Fälle gegeben in einer von mir beim Frosch nachgewiesenen Wirkung des Digitalin, in mässigen, nicht tödtlichen Gaben vorübergehend während 1 bis 2 Tagen den Herzmuskel gegen künst- liche elektrische Reizung abzustumpfen. Zweifellos hat man sich viele Formen von Unregelmässigkeit des Herzschlages dadurch entstanden zu denken, dass krankhafte Reize an den Vorhöfen oder den Kammern in unregelmässiger Weise Extrasystolen auslösen, die zwischen die von den Ursprüngen der grossen Venen her ausgelösten Herzcontractionen fallen, oder dadurch, dass die krankhaften Reize an den automatisch thätigen Theilen der Herzbasis unmittelbar angreifen und die regelmässige Ent- wickelung von Bewegungsreizen an diesen Stellen stören. Als solche Extra- reize lassen sich Zerrungen der Wand durch Stauung des von den Kammern unzureichend entfernten Blutinhaltes, oder die reizende Wirkung von chronisch entzündlichen oder degenerativen Herden in der Muskel- substanz vorstellen. Es dürfte in manchen Fällen die Beseitigung der Stauung in den Vorhöfen durch die gesteigerte Contractilität des Kammermuskels genügen, um die Auslösung der Extrasystolen aufzuheben. In anderen Fällen kann man sich der Annahme nicht verschliessen, dass der Ab- Archiv f. A. u. Ph. 1904, Physiol. Abthle. Suppı. 15 226 Kurt BRANDENBURG: stumpfung des Herzmuskels gegen äussere Reize unter dem Einflusse der Digitalis eine wesentliche Rolle bei der Regularisirung des Herzschlages zugetheilt werden muss. 2. Nicht selten hat man Gelegenheit, nach dem Gebrauch von Digitalis beim Menschen zu beobachten, dass der Pulsschlag, mag er vorher regelmässig oder unregelmässig gewesen sein, eine bezeichnende Form der Arhythmie annimmt. Die Arhythmie äussert sich darin, dass zwischen die regelmässigen Schläge nach bestimmten Zeiten Pausen eingeschaltet werden, die fast genau der Dauer von zwei Herzperioden entsprechen. Zuweilen lässt das Sphygmogramm in der ersten Hälfte des absteigenden Schenkels die leichte Erhebung einer Kammercontraction erkennen. Bisweilen vermag sogar der fühlende Finger innerhalb dieser Pause einen schwachen Pulsschlag zu fühlen, der näher dem vorangehenden als dem folgenden Pulse liegt. Das Bezeichnende ist, dass die Intermission stets nahezu der doppelten Periodendauer eines Einzelpulses ent- spricht. Dieses Bild des Pulsus bigeminus erinnert an die Curve, die von der Kammer des Froschherzens bei dem Einfall einer Extrasystole gezeichnet wird und ist als die Folge einer Extrasystole der Kammer oder Vorkammer mit compensa- torischer Pause gedeutet worden. Ist die Extrasystole zu schwach, um den Verschluss der Aortenklappen zu sprengen, so kommt sie am Arterienpulse nicht zum Ausdruck, und es tritt hier nur ihre Folge, die com- pensatorische Pause in die Erscheinung, wie die mit- getheilte Pulseurve zeigt. Das unter der vollen Wir- kung der Digitalis schlagende Herz ist gegen krankhafte äussere Reize, die Extrasystolen aus- lösen, in hohem Grade abgestumpft und daher ist die Annahme, dass die’ Extrasystole der Kammer bei der Pulsbigeminie nach Digitalis durch einen krankhaften Reiz ausgelöst wird, von vornherein unwahrscheinlich. Dagegen liegt es nahe, sie in Verbindung zu bringen mit der oben als Digitalinwirkung nachgewiesenen gesteigerten Automatie der Vorhofkammergrenze Der Pulsus bigeminus nach Digitalis- gebrauch ist darnach aufzufassen als die Folge einer ge- 8. u & 2 = o > S So S SQ S < VERSUCHE MIT DIGITALIN AM FROSCHHERZEN. DIN steigertenFähigkeitder Brückenfasern, selbstständig Bewegungs- reize zu erzeugen. Die von dem atrioventriculären Grenzgebiete an- geregten Systolen schieben sich zwischen die von der Herzbasis herab- steigenden Contractionen ein, und machen die Kammer vorübergehend für den zur normalen Zeit einfallenden Bewegungsreiz unempfänglich, so dass eine compensatorische Pause am Herzen entsteht. Der Pulsus bigeminus nach Digitalis ist also der Ausdruck des Bestehens zweier automatischer Herde in der Herzwand, die unabhängig von einander Bewegungsreize liefern, einmal des normalen Ursprungsortes an den Mündungen der grossen Herzvenen und zweitens des durch die Digitalis angefachten automatischen Herdes an der Atrioventrieulargrenze. Es scheint für den Eintritt der Erscheinung von Bedeutung zu sein, dass durch die Wirkung der Digitalis gleichzeitig die Erzeugung der Bewegungsreize im Vorhofvenengebiet verzögert wird. Ich möchte eine Bemerkung hinzufügen, die innerhalb gewisser Grenzen einige Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen darf. Es hat den Anschein, als ob die Art, in der eine Arhythmie des Herzens auf die Wir- kung der Digitalis antwortet, einen Schluss auf die Entstehungs- weise der Arhythmie erlaubt. Unregelmässigkeiten der Schlagfolge, die ihre Entstehung unregelmässig einfallenden Extrasystolen verdanken, die durch krankhafte Reize in derHerzwand, ausgelöst sind, werden durch Digitalis günstig beeinflusst werden, da dieses Gift auf der Höhe seiner Wirkung nach meinen Unter- suchungen den Herzmuskel für längere Zeit gegen die erregende Wirkung krankhafter Reize abstumpft. Dagegen wird ein unregelmässiger Herzschlag, der durch die krankhaft gesteigerte Fähigkeit der Atrioventriculargrenze zur selbstständigen Reizerzeugung verursacht wird, durch Digitalis nicht beeinflusst werden. In diese Gruppe dürften gewisse Formen von Puls- bigeminie gehören, wie sie unter Anderem unter der Einwirkung nervöser Einflüsse an Herzen neurasthenischer Kranker hervorgebracht werden. 15* Ueber das Vorkommen von Sehpurpur im Fledermausauge nebst Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Sehpurpur und Netzhautstäbchen. Von Dr. Wilhelm Trendelenburg, Privatdocent und Assistent am Institut. (Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. B.) Bei seinen ersten Untersuchungen des Sehpurpurs der Froschnetzhaut stellte Boll (3) schon fest, dass die Zapfen niemals gefärbt erscheinen, sondern nur die Stäbchen Träger des Sehpurpurs sind. Diese, auch für die menschliche Netzhaut zutreffende Thatsache, ist bekanntlich von grosser Wichtigkeit für die theoretische Auffassung der Erscheinungen des von v. Kries so genannten Dämmerungssehens geworden. Die von Boll und Kühne an einer grossen Reihe verschiedener Wirbelthierformen begonnene vergleichend-physiologische Untersuchung über das Vorkommen des Seh- purpurs muss daher heut zu Tage erneutes Interesse in Anspruch nehmen. Im Allgemeinen ergab sich, dass nur solche Netzhäute Sehpurpur bilden, die Stäbchen enthalten, jedenfalls wurde keine nur zapfenführende Netzhaut bekannt, welche Sehpurpur bildete. Wohl aber berichtet Kühne anderer- seits über vorwiegend oder ausschliesslich stäbchenhaltige Netzhäute, in welchen er den Farbstoff vermisste. Gewiss sind diese Fälle geeignet, der Annahnfe Schwierigkeiten zu bereiten, dass die Reizung der Stäbchen bei Lichteinfall durch die Zersetzung des Sehpurpurs erfolgt, und es sind des- halb weitere Untersuchungen hierüber erwünscht. Als eine wesentliche Erweiterung unserer Kenntnisse ist es zu be- trachten, dass neuerdings Sehpurpur bei Reptilien gefunden wurde, welche ja in der grössten Mehrzahl Zapfenthiere sind. So fehlt ihnen denn auch fast durchgehends der Sehpurpur, wie von Kühne (15) für Tropidonotus natrix, Anguis fragilis, Lacerta, Coronella laevis, von Köttgen und Abels- WILHELM TRENDELENBURG: ÜBER DAS VORKOMMEN U.$s.w. 229 dorff (11) für Emys europaea, von Krause (12) für Testudo graeca und Elaphis quaterradiatus festgestellt wurde, bei Thieren also, denen Stäbchen fehlen (oder doch nur spärlich zukommen, wie Krause für Lacerta agilis angibt). Demgegenüber stehen die Befunde von Abelsdorff (1) und Krause (12) an einigen ausnahmsweise vorwiegend stäbchenführenden Reptilienarten. Während letzterer angiebt, dass in den stäbchenreichen Netzhäuten der Geckonen Hemidactylus verrucolatus und Ascalabotes fasci- cularis Sehpurpur gebildet wird, konnte Abelsdorff (1) beim Alligator den Stoff nachweisen und Bleichung sowie Regeneration ophthalmoskopisch verfolgen. Für die Crocodilier giebt aber Krause (12) an, dass Stäbchen in der Netzhaut reichlich vorhanden sind. Gerade diese Feststellungen, welche die ausnahmsweise stäbchenführenden Reptilien betreffen, sind be- sonders geeignet, die Ansicht zu bestärken, dass thatsächlich ganz allgemein ein gesetzmässiger Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Stäbchen und Sehpurpur besteht. Betrachtet man die Ausnahmen, bei welchen Kühne in stäbchen- haltigen Netzhäuten keinen Sehpurpur fand, so sind zunächst die Fälle auszuschliessen, in welchen der Grund in zu kurzem Dunkelaufenthalt der Thiere liegt. So war bei der Gabelweihe nach halbstündigem Dunkel- aufenthalt der Befund nicht sehr deutlich. Die mannigfach gefärbten Oelkugeln der zahlreichen Zapfen lassen es verständlich erscheinen, dass die „eigenthümlich violettbraune“ Farbe nur in ein „bräunkch bleibendes Chamois“ übereing. Bei Heteroa&tos melanoleucus, der nach nur 10 Minuten währendem Dunkelaufenthalt getödtet und Kühne zugesandt wurde, war kein Sehpurpur zu finden, obwohl die Netzhaut vorwiegend Stäbchen auf- wies. War vorher aller Purpur im Licht zerstört, so ist ein so kurzer Dunkelaufenthalt zur Regeneration nicht genügend. Bei Vögeln bestehen weiter Differenzen über die Netzhaut der Taube, in welcher auch Stäbchen vorhanden sind, und zwar nach Kühne (15) sowohl in den mittleren rothen, wie in peripheren Netzhauttheilen, während nach Krause (13) bei der Taube Stäbehen im rothen Felde fehlen. Während nun Boll (4) im centralen rothen Felde im Licht eine Abnahme der Färbung constatirt zu haben glaubte, konnte Kühne (15) keinen Sehpurpur nach- weisen. Ich selbst habe die Netzhäute von vier längere Zeit im Dunkeln gehaltenen Tauben mittels der Alaunhärtung untersucht, und keinen Unter- schied zwischen belichteter und unbelichteter Netzhaut constatiren können, weder im centralen rothen Feld, noch in den peripheren gelben Theilen. Grosse Beweiskraft kann aber allen Beobachtungen an vorwiegend zapfen- führenden Netzhäuten nicht zukommen. Besonders im rothen Feld der Retina, welches sein Aussehen den lebhaft rothgefärbten Oeltropfen der Zapfen und dem rothen Farbstoff der Zapfeninnenglieder verdankt, kann 230 WILHELM TRENDELENBURG: unmöglich der Purpurgehalt von Stäbehen von wesentlichem Einfluss auf die Gesammtfärbung sein; aber auch in den peripheren, vorwiegend gelb erscheinenden Theilen sind die Verhältnisse zur Beobachtung des Sehpurpurs wegen der gefärbten Zapfenkugeln sehr ungünstige. Auch beim Huhn hat Kühne (15) keinen Purpur gefunden; auch hier sind nach Krause (13) Stäbchen vorhanden. Es bleibt dann zunächst noch ein weiterer von Kühne (21) unter- suchter Fall bei einem Vogel, Caprimulgus europaeus (Nachtschwalbe). Das Thier ward 24 Stunden im Dunkeln gehalten, die reichlich mit Stäb- chen versehenen Retinae wurden bei Natronlicht präparirt, nur die eine löste sich gut ab, während die andere schlecht heraus kam; Sehpurpur wurde nicht gefunden. Da die Untersuchung aber nur an einer einzigen unverletzten Netzhaut ausgeführt wurde, ist einige Vorsicht geboten, ehe weittragende Schlüsse auf eine thatsächlich bestehende Ausnahme gezogen werden können. Eine unter allen Cautelen angestellte Nachuntersuchung dürfte vorher nothwendig sein. Vor Allem ist die Verwendung des Natron- lichtes zu vermeiden und durch rothes Licht zu ersetzen. Spectrallicht im Bereich der Natriumlinie hat keineswegs eine so geringe bleichende Wirkung, dass sie vernachlässigt werden Könnte. Da nach den Angaben von Krause (13) die Entenvögel und im Be- sonderen die Hausente sich durch sehr zahlreiche und lange Stäbchen aus- zeichnen, konnte erwartet werden, dass sich der Sehpurpur in den Augen dieser Thiere werde nachweisen lassen. Diese Erwartung fand ich bei einer Hausente durchaus bestätigt. Die ungebleichte mit Alaun ge- härtete Netzhaut zeigte deutliche Purpurfarbe, die am Licht schnell in Orange überging; nach der völligen Bleichung sah die (von der Scleralseite aus betrachtete Netzhaut) gelb bis gelborange aus. Neben die gebleichte Netzhaut wurde die ungebleichte des anderen Auges gelegt, wobei der Farbenunterschied, welcher sich am Lichte schnell ausglich, sehr deutlich hervortrat. Oertliche Differenzen des Sehpurpurgehaltes waren nicht er- sichtlich. Ein eigentliches rothes Feld fehlt der Entennetzhaut, was der Beobachtung zu Gute kommt. Stäbchen waren in Zupfpräparaten leicht nachweisbar. (Andere Angaben über Sehpurpur im Entenauge habe ich in der Litteratur nicht gefunden.) Was die Säuger angeht, so hat sich mit einer gleich näher zu erörtern- den Ausnahme gezeigt, dass Sehpurpurbildung in keiner stäbchenhaltigen Netzhaut vermisst wird. Es liegt nicht in der Absicht dieser Zeilen, eine vollständige vergleichende Uebersicht über die bis jetzt bekannten Befunde von Sehpurpur unter den Wirbelthieren, besonders der Säuger zu geben. Erwähnen möchte ich nur, dass ich Gelegenheit hatte, die Augen des Igels zu untersuchen, eines vorwiegend nächtlich lebenden Thieres, dessen Retina ÜBER DAS VORKOMMEN VON SEHPURPUR IM FLEDERMAUSAUGE. 231 reichlich Stäbchen besitzt. In der Litteratur habe ich keine Angaben be- trefis Sehpurpur dieses Auges gefunden. Aus bekannten Gründen musste hier ein positiver Befund erwartet werden, der dann auch in der That er- hoben werden konnte. Zur Präparation des im Verhältniss zur Körper- grösse wenig grossen Auges wurde die unten beschriebene Alaunmethode verwendet. Die Purpurfärbung der ungebleichten bei rothem Licht prä- parirten Netzhaut war sehr deutlich, an Färbungsintensität derjenigen der Mäuseretina wohl etwas nachstehend (doch wurde kein directer Vergleich vorgenommen). Oertliche Verschiedenheiten konnten nicht wahrgenommen werden. Bei mässig heller Beleuchtung bleichte die Netzhaut innerhalb 30 Secunden aus; ein gelbes Zwischenstadium fehlte durchaus; nach der Bleichung blieb die Netzhaut in Folge geringer anhaftender Pigmentmengen ein wenig grau, ohne sonstige farbige Beimengung. Die zweite Netzhaut zeigte genau gleiches Verhalten, auch sie blich ohne gelbe Zwischenstufe aus. Es wird also auch im Auge des Igels (Erinaceus europaeus) Sehpurpur gebildet. Von den Säugern nehmen, nach den Angaben Kühne’s (15, 21) die Fledermäuse eine Sonderstellung ein, daihr Auge, obwohl vorwiegend stäbchen- haltig, sehpurpurfrei sein soll.! Sowohl bei Rhinolophus hipposideros als auch bei Vespertilio serotinus hatte die Untersuchung Kühne’s negatives Resultat. Während über letztere Fledermaus nur die kurze Mittheilung (21) vorliegt, dass auch ihr der Sehpurpur fehle, beschreibt Kühne (15) etwas eingehen- der die Untersuchung an der kleinen Hufeisennase (Rhinolophus hippo- sideros). Wegen der Kleinheit des Auges musste Kühne sich damit be- gnügen, „es auf dem Objectträger zu zerschneiden und auseinander zu legen“. Präparirt wurde bei Natronlicht oder in blauem Licht hinter einer Lösung von Kupferoxydammoniak. Die Untersuchungen sind offenbar bei einer Anzahl von Thieren ausgeführt. Die neueren von Kühne angegebenen Methoden zur Darstellung von ! Boll’s Angaben über das Fledermausauge widersprechen sich einigermaassen; in seiner letzten erst nach seinem Tode veröffentlichten Arbeit (6) heisst es in Anm. 2 auf Seite 27: „Bei solchen Säugethieren, deren Augen eine typische Rückbildung er- litten haben (Fledermaus, Maulwurf) scheint in den Stäbehenaussengliedern allein nur noch die Plättchenstructur, aber nicht mehr das Sehroth vorzukommen.“ Hingegen findet sich in der ersten der in diesem Archiv erschienenen Boll’schen Arbeiten (4) bei einer Aufzählung der untersuchten Thierarten (S. 32 Anm. 1) auch die Fledermaus erwähnt. Nach der erwähnten späteren Bemerkung kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass Boll, selbst wenn er auch Fledermäuse untersuchte, seinen Beobach- tungen keine Sicherheit zugeschrieben hat. Auffällig ist, dass die Anführung der Fledermaus in der sonst gleichlautenden Anmerkung der italienischen Abhandlung (5) fehlt, obwohl sie endgültig am gleichen Datum eingereicht wurde, von welchem die gleichlautende deutsche Arbeit datirt ist. j 232 WILHELM TRENDELENBURG: Lösungen schienen mir zunächst die Möglichkeit zu bieten, derart kleine Augen mit mehr Aussicht auf Erfolg zu untersuchen. Ich habe deshalb eine Nachprüfung unternommen, über deren Ergebniss ich berichten möchte. Von vornherein muss ich betonen, dass ich leider nicht die von Kühne untersuchten Fledermausarten erhalten konnte, sondern dass sich meine Feststellungen nur auf Vesperugo noctula und Vesperugo pipistrellus (Speckfledermaus und Zwergfledermaus) erstrecken. Von ersterer Art hatte Herr Dr. Merzbacher die Freundlichkeit, mir eine Anzahl kräftiger Exemplare zur Verfügung zu stellen, wofür ich ihm meinen verbind- lichsten Dank abstatten möchte; von letzterer verschaffte ich mir hier eine grössere Zahl. Den Plan, durch Herstellung von Lösungen den Nachweis von Seh- purpur zu versuchen, gab ich bald auf. Einige an grossem Material an- gestellte Versuche ergaben kein sicheres Resultat, obwohl ein solches, wie sich bald zeigte, zu erwarten war. Bei der Kleinheit der Augen müsste die Masse des Materials zur Herstellung von Lösungen zu gross sein. Es wurde deshalb nach einer möglichst sicheren Methode zur Isolirung der kleinen Netzhäute gesucht, und es lag nahe, die Kühne’sche Alaunhärtung zu verwenden, um das Haftenbleiben der Netzhaut im Bulbus zu ver- meiden. Mit folgender Methode erhielt ich gute und constante Resultate; ich gebe sie etwas ausführlicher wieder, weil sie gelegentlich zur Unter- suchung anderer derartig kleiner Augen von Nutzen sein kann. Die Thiere, welche im Keller oder im Freien in einer Kiste sich im Winterschlaf aufhielten, wurden kurze Zeit in ein warmes Zimmer und darauf in den Thermostaten von 33 bis 35° C. in’s Dunkelzimmer ge- bracht. (Im Thermostaten wurde, den Angaben Merzbacher’s (22) folgend, für hinreichenden Wasserdampf durch Aufstellen flacher, mit Wasser ge- füllter Gefässe gesorgt.) Nach mehrstündigem (meist halbtägigem) Dunkel- aufenthalt im Thermostaten wurden die Augen im Dunkelzimmer bei rothem Licht herausgenommen. Die Operation ist sehr einfach und schnell aus- zuführen, wenn ein Gehülfe das Thier hält und das Auge durch leichten Druck aus der Lidspalte hervordrängt; es kann dann mit einem Scheeren- schnitt ohne weitere Verletzung herausgenommen werden, wobei die Blutung nur ganz- minimal ist. Die herausgeschnittenen Augen kommen nach Ab- spülen in physiologischer Kochsalzlösung uneröffnet in Alaun von 4 Procent, in welchem sie etwa 14 Stunden belassen wurden. Darauf brachte ich sie !/, bis 1 Stunde in Kochsalzlösung von 0-6 Procent!, worauf die Netz- häute präparirt werden konnten. Trotz der Kleinheit der Augen von ! Noch längerer Aufenthalt (bis 24 Stunden) ist nicht schädlich, aber nicht rat- sam. Nach 48 Stunden wurden die morschen Netzhäute ohne Purpurfärbung gefunden. ÜBER DAS VORKOMMEN VON SEHPURPUR IM FLEDERMAUSAUGE. 233 Vesperugo pipistrellus gelingt es bei der nöthigen Uebung die Präparation bei rothem Licht mit .blossem Auge vorzunehmen. Grosse Erleichterung verschafft aber die Benutzung einer binokularen Lupe, mit welcher be- sonders die Orientirung über die Cornealseite des Auges hauptsächlich an der etwas spitzeren Form des Cornealpoles gut gelingt. Brauchbares, genügend helles rothes Licht geben die Glühlampen mit Rubinglasmantel, wie sie zu photographischen Zwecken hergestellt werden. Man durchschneidet nun das Auge quer am Üornealrand, worauf man im hinteren Bulbustheil in Kochsalzlösung als grauen Schimmer Linse und Netzhaut erkennt. Mit Nadeln und feinen Pincetten lässt sich letztere bei einiger Uebung in der Regel ganz unverletzt herausnehmen und zwar pigmentfrei. Die Beobachtung wurde so vorgenommen, dass die Netzhaut in einen sehr kleinen Kochsalz- tropfen in flacher Porzellanschale gebracht wurde, so dass sie auf deren weissem Untergrund am Licht betrachtet werden konnte. Um das Wesent- liche der Präparation herauszuheben, ist zu betonen, dass die auf die Alaun- härtung folgende Anwendung der Kochsalzlösung den Zweck verfolgt, durch Hervorrufen von Diffusionsströmen im Bulbus die Netzhaut zu lockern. Wendet man nur die Alaunhärtung an, so wird man nur selten eine un- versehrte Netzhaut erhalten. Ferner muss, um ein Morschwerden des Häutchens zu vermeiden, die Alaunhärtung und nachfolgende Behandlung mit Kochsalzlösung im ungeheizten Zimmer vorgenommen werden. Ebenso ist es nothwendig, die Augen uneröffnet in Alaun zu legen, weil die Netz- haut sonst nicht genügend vom Pigment gelockert wird, von dem sie ohne besondere Behandlung so schwer zu trennen ist. Offenbar ist schon das verschieden schnelle Eindringen der Alaunlösung vom vorderen und hinteren Pol her die Ursache der Entstehung günstiger Diffusionsströme. Das Resultat der Beobachtungen ist nun von vornherein ein deut- lich positives gewesen, und ich kann als feststehend hinstellen, dass die untersuchten Fledermausarten Vesperugo noctula und Vesperugo pipistrellus Sehpurpur zu bilden vermögen. Gut präparirte Netz- häute zeigten am Tageslicht eine deutliche Purpurfärbung, die in wenigen Secunden verging. Neben die gebleichte Netzhaut wurde bei rothem Licht eine ungebleichte gelegt, worauf nun der Farbenunterschied sehr deutlich demonstrirbar war. In dieser Weise konnte nach und nach eine grössere Anzahl von Netzhäuten von Vesperugo pipistrellus und mehrere von Vesperugo noctula mit positivem Erfolg beobachtet werden. Die Intensität der Färbung lässt sich natürlich schwer schätzungsweise angeben. Zum Vergleich wählte ich Dunkelnetzhäute von weissen Mäusen und fand die Farbe der Fleder- mausnetzhaut weniger intensiv. Ueber die örtliche Vertheilung des Seh- purpurs konnte festgestellt werden, dass in gut präparirten Netzhäuten die Färbung überall gleich intensiv war; nur bei den ersten Präparationen 234 WILHELM TRENDELENBURG: schien es mir einige Male, dass die centralen Partien weniger gefärbt waren; auch fehlte damals gelegentlich in einer scheinbar gut präparirten Netzhaut der Sehpurpur. Ich glaube nachträglich, dass in diesen Fällen die Netzhaut sich etwa zwischen Stäbcheninnen- und -aussengliedern getrennt hatte, so dass letztere mit dem Sehpurpur am Pigment im Bulbus haften blieben; denn nach grösserer Uebung wurde derartiges nicht wieder be- obachtet. Ueber die Schnelligkeit der Bleichung lässt sich angeben, dass wenige Secunden Belichtung mit diffusem Tageslicht bei bewölktem Morgen- himmel genügen, um eine deutliche Veränderung in einen gelblichen Farben- ton hervorzurufen. Der Vergleich mit der ebenso behandelten Mäusenetzhaut ergab keinen merklichen Unterschied in der Bleichungsgeschwindigkeit. Nach vollständiger Bleichung sind die Netzhäute farblos. Nach Beendigung meiner Untersuchungen am Fledermausauge fand ich zwei werthvolle Angaben Krause’s (14) über Sehpurpur im Fledermaus- auge, welche bisher unbeachtet blieben und zeigen, dass Krause zuerst den Sehpurpur bei Fledermäusen fand. Die erste Angabe bezieht sich auf Plecotus auritus und lautet: „Diese Fledermaus — zeigte, ganz frisch untersucht, schönen Sehpurpur.“ Dann heisst es über Vesperugo Kuhlii: „— der Sehpurpur beider Augen blass.“ Leider fehlen nähere Angaben. | Es ist zu hoffen, dass sich Gelegenheit geben wird, auch an den von Kühne untersuchten Fledermausarten die Nachuntersuchung vorzunehmen. Dass sich diese aber bezüglich des Sehpurpurs wesentlich anders verhalten sollten, erscheint sehr zweifelhaft. Wenn in der ganzen Wirbelthierreihe ein gesetzmässiger Zusammenhang zwischen Vorkommen von Netzhaut- stäbehen und Sehpurpurbildung besteht, ja wenn, nach der Mittheilung von Hess (9) sogar den Stäbchen der Cephalopodenretina ein echter Seh- purpur zukommt, so ist kaum annehmbar, dass bei den so nahe verwandten Familien der Vespertilioninen (Plecotus, Vesperugo) und Rhinolophinen ein so wesentlich abweichendes Verhalten bestehen sollte. Ueber Kühne’s Angabe, er habe „Vespertilio serotinus“ untersucht, muss noch Folgendes bemerkt werden. In keinem der mir zur Verfügung stehenden Werke habe ich diese Art gefunden. Speciell ist in Leunis- Ludwig!. unter den in Deutschland vorkommenden Vespertilio-Arten Vespertilis serotinus nicht aufgezählt; es findet sich aber Vesperugo serotinus und es ist anzunehmen, dass sich Kühne’s Angabe auf diese Art bezieht. Damit wäre noch viel wahrscheinlicher, dass auch sie Seh- purpur bildet. Ist doch der Stoff bei drei Vesperugoarten (mit Einschluss der Krause’schen Beobachtung) schon nachgewiesen. 1 Synopsis der Thhierkunde. 1883. Bd.I. 3. Aufl. ÜBER DAS VORKOMMEN VON SEHPURPUR IM FLEDERMAUSAUGE. 235 Von besonderer Bedeutung ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sehpurpur und Netzhautstäbehen beim menschlichen Auge. Hier bilden wieder die Kühne’schen Untersuchungen die Grundlage unserer Kenntnisse. Zwei Punkte dürften vorwiegend noch weiterer Aufklärung bedürfen, das Fehlen des Purpurs nahe der Ora serrata und das Verhalten in der Macula lutea und Fovea. Bei den ersten beiden Netzhäuten, die Kühne (15, 16), beobachtete, fand er die Grenze des Purpurs 3 bis 4m hinter der Ora serrata, er ist aber der Ansicht, dass es erneuter Unter- suchung bedarf, ob dort echte Stäbchen ohne Sehpurpur vorkommen. In einer weiteren Mittheilung sagt Kühne (17): „Bei der geringen allgemeinen Purpurfärbung der beschriebenen Augen war auf deren Unerkennbarkeit im hinteren Umfange der Ora serrata, die mir hier wieder begegnete, kaum Gewicht zu legen —.“ Trotzdem heisst es kurz darauf: „Wenn ich bisher an den menschlichen Augen im allgemeinen eine mehrere Millimeter breite Zone der Ora ganz purpurfrei fand, so kann ich nach den eben genannten Beobachtungen nicht mehr zweifeln, dass dies nicht auf Stäbchenarmuth, sondern auf Mangel an Purpur in den reichlich vor- handenen Stäbchen beruht.“ Angesichts dieser sich wiedersprechenden An- gaben kann auch diese Mittheilung nicht für sehr beweiskräftig angesehen werden, dass an der Ora purpurfreie Stäbchen vorkommen, um so mehr, als das Krankenzimmer nur 10 Minuten vor dem Tode des Patienten ver- dunkelt war, so. dass der Purpurgehalt nur sehr gering gewesen sein kann. In einem weiteren Fall Kühne’s(20) wurde hingegen ein nach zweistündigem Dunkelaufenthalt exstirpirtes Auge untersucht, der purpurfreie Saum war 2 bis Jmm breit, im äusseren Rationatheil etwas breiter, wie im inneren. Ferner liegt eine kurze Angabe von Donders (7) vor, wonach die „braun- gelbe“ Netzhautfarbe 2 bis 5" vor der Ora serrata absetzte.e. Der an- gegebenen Farbe nach zu urtheilen, waren die Netzhäute nicht sehr purpur- reich (s. u.). Schliesslich untersuchte Nettleship (23) einige menschliche Augen auf den Sehpurpurgehalt mittels Alaunhärtung, und giebt an (Fall III und V), dass eine Zone von 2 bis 3" hinter der Ora serrata ungefärbt ist; doch ist auch wenigstens im Fall III keine besondere Verdunkelung des Auges vorangegangen. Ueber das anatomische Verhalten der Stäbchen und Zapfen an der Ora serrata, giebt Krause (14) an, ‚dass die Stäbchen in einer schmalen Zone mit den Zapfen alterniren, also spärlich geworden sind. (Im Haupt- theil der Retina stehen nach Krause 3 Stäbchen zwischen 2 Zapfen). „Die Aussenglieder verlieren ihr Lichtbrechungsvermögen und scheinen zu fehlen.“ Die Zwischensubstanz zwischen Stäbchen und Zapfen ist vermehrt. Die Protoplasmaausläufer der Pigmentzellen nehmen an Masse zu, wodurch Stäbchen und Zapfen weiter auseinanderrücken. Die Veränderungen der 236 WILHELM TRENDELENBURG: Stäbehen- und Zapfenschicht an der Ora serrata würden das Fehlen des Purpurs erklären, wenn sie sich, wie dieses, auf eine Zone von 2 bis 3 wm Breite erstreckten. Dies ist aber nach den Angaben von Greef (8) nicht der Fall; es gehen vielmehr alle für die Ora serrata charakteristischen Veränderungen in einer Zone von nur 0-1“ Breite vor sich. Die cystoiden Altersveränderungen in der Zwischenkörnerschicht können sich hingegen einige Millimeter nach rückwärts von der Ora erstrecken. Das Alter war in den untersuchten Fällen Kühne’s und Nettleship’s aber keineswegs hoch (44 Jahre im letzterwähnten Kühne’schen Fall, 20 Jahre im Fall III Nettleship’s, 14 im Fall V). Auf Grund der besprochenen Beobachtungen erscheint es nach dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse wohl sicher, dass an der Ora serrata die Stäbchen in einer einige Millimeter breiten Zone auch im gut dunkel- adaptirten Auge frei von Sehpurpur sind. Man wird hieraus aber keinen principiellen Einwand dagegen herleiten können, dass die Funetion der Stäbchen durch den Sehpurpur vermittelt wird; die äusserste Netzhaut- peripherie weist ja auch in anderer Beziehung merkwürdige Abweichungen auf, von denen hier nur an die total farbenblinde Zone erinnert sei, die bei Helladaptation die Helligkeitsvertheilung der „Peripheriewerthe“ (v. Kries) aufweist. Diese Eigenthümlichkeit sowohl, wie das Fehlen der Purpurbildung im Bereich der genannten Stäbchenzone der Ora serrata müssen wohl als Rückbildungserscheinungen aufgefasst werden, denen die Netzhautperipherie unterliegt, und die beispielsweise auch in der Verkleinerung der nasalen Gesichtsfeldhälfte ihren Ausdruck findet. Die Ausbildung der erst beim Menschen prominirenden Nase dürfte hier wesentlich in Betracht kommen. Sehr beachtenswerth scheint mir in dieser Hinsicht die Angabe Kühne’s, dass der purpurfreie Saum der Ora serrata im äusseren Retinatheil (also entsprechend dem nasalen Gesichtsfeldtheil) thatsächlich etwas breiter war, wie im inneren. Erwähnt sei an dieser Stelle noch, dass nach Kühne (15) beim Affen (Macacus cynomolgus) der Sehpurpur zwar auch nicht bis an die Ora serrata reicht, die rothe Grenze derselben aber etwas näher und diffuser war, als im Menschenauge. Was den Purpurgehalt der Macula lutea angeht, so ist das Resultat der vorhandenen Untersuchungen noch unsicher. Im ersten der Kühne’- schen Fälle (15) war der gelbe Fleck „sehr deutlich-erkennbar, dem Gelb kein erkennbares Roth beigemischt.“ In der nächsten Mittheilung (16) heisst es: „Am gelben Flecke und in der ausserordentlich deutlichen Fovea war keine Spur von Röthe zu erkennen.“ Kühne selbst sagt aber weiter: „Dagegen wird es erneuerter Untersuchungen bedürfen, um festzustellen, ob in der Macula lutea wenigstens nahe der Fovea nicht ächte Stäbchen ÜBER DAS VORKOMMEN VON SEHPURPUR IM FLEDERMAUSAUGE. 237 ohne Purpur vorkommen — .“! In weiteren Mittheilungen giebt Kühne über das Verhalten der Macula keine näheren Angaben, die hier von wesentlicher Bedeutung wären. Es kommt dann noch der Fall von Donders (7) in Betracht, der auch nicht für sehr beweisend angesehen werden kann, dass wirklich im Umkreis der Fovea purpurfreie Stäbchen vorkommen. Aus der Angabe Donders, dass die Individuen in einem ziemlich dunklen Krankensaal gestorben seien, geht ebenso wie aus der Angabe der braungelben Farbe hervor, dass die Netzhäute nicht sehr purpurreich gewesen sein können.” Im Uebrigen beschränkt sich die Mittheilung Donders über das Verhalten an der Macula lutea auf die Worte: „Wo es [das Sehroth] fehlt, — wie in der Gegend der Macula lutea, wo wir indessen die Farbe weniger scharf abgesetzt fanden, als an der Peripherie —.“ Dass die braungelbe (s. 0.) Färbung der wenigen Stäbchen der Macula lutea sich auf deren gelblichem Grund besonders ab- heben konnte, ist gar nicht zu erwarten. Nettleship (23) fand ebenfalls keine Spur von Roth im gelben Fleck. Wichtig ist besonders sein Fall II, in welchem das Auge vor der Operation einige Zeit verbunden war. Die rothe Farbe hörte nach der Macula zu ziemlich plötzlich auf, aber nicht mit scharfer Linie. Im Ganzen bleibt es überhaupt fraglich, ob sich an vereinzelt stehenden Stäbchen An- oder Abwesenheit des Purpurs auch in maximal purpurhaltigen Netzhäuten wird nachweisen lassen. Sie könnten doch immer nur sehr geringe Abänderungen des allgemeinen Farbentons hervorrufen, die vielleicht auch im günstigsten Fall vom Auge nicht mehr wahrgenommen werden. Ueber die anatomischen Verhältnisse in der Macula scheinen noch weitere Aufklärungen besonders betrefls der individuellen Verschiedenheiten wünschenswerth. Krause (14) giebt an, dass in der Macula die auf- fallendste Eigenthümlichkeit das Fehlen der Stäbchen sei. Dann würde allerdings eine Sehpurpurbildung im Bereich der Macula gar nicht zu er- warten sein! Die gleiche Angabe über das Fehlen der Stäbchen in der ! Tsehermak (24) giebt betreffs der eitirten Kühne’schen Arbeit versehentlich an, dass Kühne die Stäbchen „am Rande des centralen Bezirkes“ purpurfrei ge- funden habe. 2 Donders giebt an, die Farbe sei ziemlich genau die gewesen, „die Boll in seiner letzten Publication (Boll, Anatomia e Fisiologia della Retina. 4°. 1877) als 2b bezeichnet.“ Die Tafel der betreffenden Arbeit ist nun, von der Anordnung ab- gesehen, identisch mit derjenigen, welche Boll’s Abhandlung in diesem Archiv 1817. (S. 4—36) beiliegt. Aus dieser leicht zugänglichen Tafel möge man die Farbe 2b ent- nehmen, Es [sei nur bemerkt, dass der Ton in der italienischen Tafel deutlich etwas dunkler ausgefallen ist, aber ebenfalls keine Spur röthlich erscheint. Selbstverständlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Tafeln mit der Zeit an Farbintensität ein- gebüsst haben. 238 WILHELM TRENDELENBURG: Macula macht Greef (8). Die Ausdehnung ‚der Macula scheint nach den vorliegenden Angaben erheblichen individuellen Schwankungen zu unter- liegen. Das Gleiche gilt für die Ausdehnung des stäbchenfreien Bezirks nach den Untersuchungen Koster’s (10). So können also in Zukunft nur solehe Untersuchungen über den centralen Erstreckungsbereich des Seh- purpurs im menschlichen Auge unsere Kenntnisse fördern, in welchen gleichzeitig am selben Object die Grösse des stäbchenfreien Bezirks fest- gestellt ist. Vielleicht empfiehlt es sich deshalb auch für das menschliche Auge anstatt der Kühne’schen Alaunhärtung nach Abelsdorff (1) und Andogsky (2) Härtung mit Formol anzuwenden, welches nach letzterem Autor auch in 1Oprocentiger Lösung und 24stündiger Einwirkung den Sehpurpur nicht zerstört, ihn sogar weniger Lichtempfindlich macht, woraus der Untersuchung weitere Vortheile erwachsen. Ferner muss eine maximle Dunkeladaptation, etwa mittels Ocelusivverband hergestellt werden, wie es in der ersten Zeit der Sehpurpurforschung gelegentlich vor Enucleationen ge- schah, bei welchen nachher das Hauptaugenmerk auf die Sehpurpurfrage gerichtet war. Ueberblicken wir die vorliegenden Beobachtungen und Erörterungen, so liess sich bei einigen noch nicht oder nicht genügend untersuchten Thier- formen, deren Netzhaut Stäbchen besitzt, der Sehpurpur der Erwartung ent- sprechend nachweisen (Fledermaus, Igel, Ente), und damit ein weiterer Beleg für den gesetzmässigen Zusammenhang zwischen Vorhandensein von Netzhautstäbchen und Sehpurpurbildung liefern. Im menschlichen Auge fehlt nach den Beobachtungen anderer Autoren der Sehpurpur wahrschein- lich den Stäbchen nahe der Ora serrata in einer Breite von 2 bis 3", Doch ist hier an die Rückbildung der Netzhautperipherie zu denken. Dass in oder in der Nähe der Macula lutea purpurfreie Stäbchen vorkommen, ist nicht erwiesen. ÜBER DAS VORKOMMEN VON SEHPURPUR IM FLEDERMAUSAUGE. 239 Litteraturverzeichniss. 1. G. Abelsdorff, Pbysiologische Beobachtungen am Auge der Krokodile. Dies Archiv. 1898. (Physiol. Abthlg.) 8. 155—167. 2. N. Andogsky, Ueber das Verhalten des Sehpurpurs bei der Netzhautablösung. v. Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie. 1897. Bd. XLIV. S. 404—442. Darin 8. 422. 3. F. Boll, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Monatsberichte der Aka- demie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1876. 8. T83—187. 4. Derselbe, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Dies Archiv. 1877. Physiol. Abthlg. S. 4—386. 5. Derselbe, Sull’ Anatomia e Fisiologia della retina. Ati della R. Accademia dei Lincei. Anno CCLXXIV. 1876—77. Serie terza. p. 371—393. (Memoria della celasse di scienze fisiche, matematiche e raturali, Volume 1.) 6. Derselbe, Thesen und Hypothesen zur Licht- und Farbenempfindung. Dies Archiv. 1881. Physiol. Abthlg. S. 1—38. 7. C. Donders, In: Berichte über die X. Versammlung der ophthalmolog. Ges. Heidelberg 1877. Klin. Monatsbl. für Augenheilkunde (Beilage-Heft 3)._ XV. Jahrg. 1877. 8. 155— 156. 8. R. Greef, Mikroskopische Anatomie des Sehnerven und der Netzhaut. Graefe- Saemisch’s Handbuch der gesammtien Augenheilkunde. 1. Theil. Bd. I. Cap. 5. Darin S. 122 ff. 9. C. Hess, Ueber das Vorkommen von Sehpurpur bei Cephalopoden. Central- blatt für Physiologie. 1902. Bd. XVI. 8. 91—92. 10. W. Koster, Untersuchungen zur Lehre vom Farbensinn. v. Graefe’s Arch. für Ophthalmologie. 1895. Bd. XLI. 8. 1—20. 11. E. Köttgen und @. Abelsdorff, Absorption und Zersetzung des Sehpurpurs bei den Wirbelthieren.: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. 1896. Bd. XII. S. 161—184. 12. W. Krause, Die Retina. IV. Die Retina der Reptilien. Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie. 1893. Bd. X. 8. 12 - 31. 33—62. 68—84. 13. Derselbe, Die Retina. V. Die Retina der Vögel. Zbenda. 1894. Bd. XI. 8. 1—66. 69— 122. 14. Derselbe, Die Retina. VI. Die Retina der Säuger. Zbenda. 1895. Bd. XI. S. 46—100. 105—175. Nachträge S. 176— 186. 15. W. Kühne, Ueber den Sehpurpur. Untersuchungen aus dem physiologischen Institut Heidelberg. 1878. Bd. I. S. 15—102. 16. Derselbe, Ueber die Verbreitung des Sehpurpurs im menschlichen Auge. Ebenda. 18718. Bd. I. S. 105-108. 17. Derselbe, Weitere Beobachtungen über den Sehpurpur des Menschen. Ebenda. 1878. Bd. I. 8. 109—113. 240 WILHELM TRENDELENBURG: ÜBER DAS VORKOMMEN U. S. W. 18. W. Kühne, Nachträge zu den Abhandlungen über Sehpurpur. Unter- suchungen aus dem physiologischen Institut Heidelberg. 1878. Bd. 1. 8. 455—469. 19. Derselbe, Notizen zur Anatomie und Physiologie der Netzhaut. Zbenda. 1882. Bd. Il. 8. 378—384. 20. Derselbe, Beobachtungen an der frischen Netzhaut des Menschen. Zbenda. 1882. Bd. Il. 8. 69—80. 21. Derselbe, Beobachtungen zur Anatomie und Physiologie der Retina. Zbenda. 1882. Bd.IV. S. 280—283. 22. L. Merzbacher, Einige Beobachtungen an winterschlafenden Fledermäusen. Centralblatt für Physiologie. 1908. Bd. XVI. 8. 709—712. 23. E. Nettleship, Observations of visual purple in the human eye. Journ. of physiol. 1879—80. Vol.Il. p. 38—41. 24. A. Tschermak, Die Hell-Dunkeladaptation des Auges und die Function der Stäbchen und Zapfen. Ergebnisse der Physiologie. 1902. Bd. Il. 2. S. 695—800. Darin 8. 715. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie, Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text, und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 4; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12% 80 2. Das „Centralblati für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES OENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von - Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches (entralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und) Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin, Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 # direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeit sc hrift Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C, Flügge, Director des Instituts 0.6. Professor und Director für Infectionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheilen‘ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. 2 liex, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Abbildungen in Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte, herausgegeben von W. Waldeyer), sowie auf die physio- logische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th.W. Engel- mann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 #, der Preis der physiologischen ‚Abtheilung 26 #%. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Physiol. Abtheilung. 1904. Supplement-Band,. II. Hälfte. ne | "ARCHIV FÜR ANATOMIB UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN AROHIVES. - HERAUSGEGEBEN voN Dr. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND De. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. en PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG, — SUPPLEMENT-BAND. =—— ZWEITE HÄLFTE. = MIT DREIUNDDREISSIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIER TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COME. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 28. December 1904.) Inhalt. Seite H. ZWAARDEMARER und Ü. D. OuwEHAnD, Die Geschwindigkeit des Athemstromes und das Athemvolum des Menschen ..... a U LoHMANN, Zur Automätie,der Brückenfasern des Hezene. v weite Mittheilung 265 ARTHUR SCHULZ, Das speetrale Verhalten des Hämatoporphyrins. (Hierzu Taf. Su 271° ERNST je Weitere Beiträge zur Lehre vom Gehen. . . . BT: E. M. Kurpınowskı, Physiologische und pharmakologische Versuche an Fa iso- lirten Gebärmutter. (Hierzu Taf VIII u. 1 BE) re A Bar G. Hürner und W.Küsrer, Einige Versuche, das Verhältniss ae Ko zu. bestimmen, in welchem sich das „Hämochroinogen“ mit Kohlenoxyd verbindet 387 G. Hürnre und B. Remsoro, Absorptiometrische Bestimmungen der Menge des Stickoxyds, die von der Gewichtseinheit Methämoglobin gebunden wird . 391 Aucust Lucas, Studie über die Natur und die Wahrnehmung der Geräusche . 396 r Gustav ZIMMERMANN, Nachträgliche Betrachtungen ‘über den Be Werth der Labyrinthienster . . . . 409 A. Durıg und N. Zuntz, Beiträge zur BRlee dvs Diönsohen im Hochgebirge 417 OTTO MARBURG, Die physiologische Function der Kleinhirnseitenstrangbahn . ar a ar dorsalis) nach DE am Hunde. (Hierzu ET RER EHER and . s en SERNT Verhandlungen der uhyeioldeteehen Gesellschaft zu Berlin 19031904 EISTATASE F. Krause, Ueber Hirnrindenreizung beim Menschen mit Projeetionen. — GEORG Fr. NıcoLa1, Ueber angebliche Actionsströme in anorganischen Sub- stanzen..— G. ZIMMERMANN, Der physiologische Werth der Labyrinthfenster. — A. Lucaz, Zur Physiologie des Gehörorgans. — Leo Lanestein, Die Kohle- hydratgruppen der Eiweisskörper. — Pıpar und Aseısporrr, Consensuelle Lichtreaction der Pupille — Bever, Modell des Corti’schen Organs. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 -# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W., Luisenstr. 56, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. u. Ye SET RING BE N on DATA RAT ar F t re u ’ 5 226 Mes Litterarischer Anzeiger. Beilage zu Archiv für Anatomie u. Physiologie Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten Skandinavisches Archiv für Physiologie. 1904. Verlag von Veit & Comp. in Leipzig. Nr. 2. 1 Soeben erschien: ARZNEIBUCH FÜR MEDIZINER. HANDBUCH ZUR BEURTEILUNG UND ZUR SELBSTÄNDIGEN AUFSTELLUNG VON REZEPTEN. IM ANSCHLUSS AN DAS ARZNEIBUCH FÜR DAS DEUTSCHE REICH (IV. AUSGABE) BEARBEITET VON DR. MED. OTTO Von LENGERKEN. gr. 8. geh. 11 .%#, geb. in Ganzleinen 12 .% 50 2. Die in dem Deutschen Arzneibuch aufgeführten Mittel sind in der Weise behandelt, daß bei jedem einzelnen nicht nur die Preise der Arzneitaxe, sondern auch die Preise der Handverkaufstaxe für Berlin, sodann die chemische Formel, die Verordnungsart, die Verwendungsweise und Dosierung aufgeführt werden. Von den nicht offizinellen Arzneimitteln sind die bewährten auf- genommen. Über Vergiftungssymptome und die Behandlung von Vergiftungen, über Bäder, Mineralwasser und Mineralquellen werden möglichst ausführliche Angaben gebracht. Das Buch ist ein vorzügliches Nachschlagebuch beim Anfertigen von Rezepten und wird Studierenden und praktischen Arzten 41 F: Kar .. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. x treffliche Dienste leisten. F L. a l „if ‚ Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Soeben Bachien: Das Radium. | Seine Darstellung und seine Eigenschaften. ' ; Von A ö Jacques Danne, Privatassistenten des Herrn Professor Pierre Curie. Mit einem Vorwort von Charles Lauth, Direktor der Hochschule für angewandte Physik und Uhemie zu Paris. Mit zahlreichen Figuren. Autorisierte Ausgabe. 8. 1904. kart. 2.4 40.2. Verlag. von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien: | Ueber | hi den Schluckmechanısmus. Von Prof. Dr. Julius Schreiber, Mit 22 Figuren und 2 Doppeltafen. 1904. gr. 8. Preis 3 6%. OO er Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Ö O00 Soeben erschien: Die drahtlose Telegraphie. | Auf Grund eigner praktischer Erfahrungen von Dr. Gustav Eichhorn. Mit zahlreichen Figuren. [®) gr. 8. 1904. Geheftet 5 .%#, gebunden in Ganzleinen 6 #. Q_ 9800= ae von n August Hirschwald in Berlin. \S oeben ehr: - Veber Immunität bei Syphilis nebst Bemerkungen üher Diagnostik und Serotherapie der Spinlis von Dr. Franz Nagelschmidt. 1904. gr. 8. Preis 1.% 60 2. BESSELRIERTTIEBET RENTE ERST TTEEIRER, | Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. Soeben erschienen: Bickel, "= Uber die Entwicklung der pathologischen Physiologie Pf Stellung zur klinischen Medizin, Öffentliche Vorlesung gehalten am 20. Mai 1904 in der Aula der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. gr. 8°. 1904. geh. M. 1.—. | Schenck, „.%, Kleines Praktikum der Physiologie Anleitung für Studierende in physiologischen ——-— Kursen. Mit 35 Abbildungen. kl. 8°. 1904. seh. M. 1.60, in Leinw. geb. M. 2.20. se TE RZRETTTNEIETET TEN NET REN TEE TB T TEN] Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien: Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medien. (Fortsetzung von Virchow’s Jahresbericht.) Unter Mitwirkung zahlreicher Gelehrten. Herausgegeben von W, Waldeyer und C. Posner. 38. Jahrgang. Bericht für das Jahr 1903. 2 Bände (6 De Preis des Jahrganges 46 #. 3 Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. mm Soeben erschien: Abhandlungen und Vorträge allgemeinen Inhaltes (1887—1903). von Wilhelm Ostwald. gr. 8. 1904. geh. 8.#, geb. in Ganzleinen 9 #. Die Sammlung enthält 27 Abhandlungen und Vorträge, die nach ihrem Inhalt in fünf Abteilungen geordnet sind: 1) Allgemeine und physikalische Chemie, 2) Elektrochemie, 3) Energetik und Philosophie, 4) Technik und Volkswirtschaft, 5) Biographie. >= Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien: Lehrbuch der Physiologie von L. Hermann. Dreizehnte durchgehends umgearbeitete und vermehrte Auflage. 1905. gr.8. Mit 245 Textfiguren. 16 M. a a a a Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Soeben erschien: ALI IBN ISA. ERINNERUNGSBUCH FÜR AUGENÄRZTE. AUS ARABISCHEN HANDSCHRIFTEN ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT VON J. HIRSCHBERG, uno J. LIPPERT, GEH. MEDICINALRAT, PROFESSOR AM ORIENTALISCHEN PROFESSOR A. D. UNIVERSITÄT BERLIN, SEMINAR IN BERLIN. gr. 8.. 1904. geh. 12 .4. @0889000000200999809C2009000090900909089698 Ay ©OOPOIOIGEOOH9IHG9IOO900HOIEE92E0009008®Ö 4 REN A ee DR rer ah I Sa an 3 ’ Ph PS Pe a RE TS NT RE "Voris von August Hirschwald in Berlin. N) sen en erschien: Untersuchungen über Knochenarterien mittelst höntgenaufnahmen injizierter Knochen und ihre Bedeutung für einzelne pathologische Vorgänge am Knochensysteme. Von Prof. Dr. E. Lexer, Dr. Kuliga und Dr. Türk. gr. 8. Mit 22 stereoskopischen Bildern und 3 Tafeln. 18 Mark. Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart. So Soeben erschien: Jürss, ";m* Beitrag zur Kenntnis der Wirkungen einiger als Volksabortiva benutzten Pflanzen, Tanacetum, Thuja, ıict1 Mit 3 farbigen Tafeln. Nebst einem Vorwort von Myristica. Prof. Dr. Kobert. gr. 8°. 1904. geh. M. 5.—. Kobert, 55. Lehrbuch der Intoxikationen. Zweite durchweg neu bearbeitete Auflage. Zwei Bände. Il. Band. Spezieller Teil. Erste Hälfte. Mit 48 Textabbildungen. gr. 8°. 1904. geh. M. 9.—. - (Die zweite Hälfte des II. Bandes erscheint 1905.) Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien: -ı ‚ eaperimentell Patholie und Therapie, Herausgegeben von L. Brieger (Berlin), H. E. Hering (Prag), F. Kraus (Berlin), R. Paltauf (Wien). Il. BAND. 1 HEFT. gr. 8. Mit 14 Tafeln und Textfiguren. Preis 7 Mark. 5 La, CA A Er vi a A 4} ERS Soeben erschien: ARCHIM EHYSIOLOGER HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1904. —— SUPPLEMENT-BAND. — MIT EINHUNDERTVIERZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZEHN TAFELN. "Lex. 8. geh, Preis 22 #. (Der Supplement-Band gelangte gleichzeitig als Supplement zu Jahrgang 1904 des Archives für Anatomie und Physiologie zur Ausgabe.) Inhalt: KAarL BRAEUNIG, Ueber musculöse Verbindungen zwischen Vorkammer und Kammer bei verschiedenen Wirbelthierherzen. (Hierzu Taf. I.). — W. Bere, R. pu Bois-Reymonn und L. Zuntz, Ueber die Arbeitsleistung beim Radfahren. — S. Kostin, Zur Frage nach Entstehen des normalen Athemrhythmus. (Hierzu Taf. I—IV.) — Rıcharn Hans Kann, Ueber die Erwärmung des Carotidenblutes. — M. SCHATERNIKOFF, Zur Frage über die Abhängigkeit des O,-Verbrauches von dem O,-Gehalte in der einzuathmenden Luft. — Max Wırn, Bemerkungen zu der Ab- handlung der Herren Zwaardemaker und Quix, „Ueber die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres für Töne verschiedener Höhe“. — Jurıus GrünwALD, Plethys- 'mographische Untersuchungen über die Athmung der Vögel. — Gustav ZIMMERMANN, Der physiologische Werth der Labyrinthfenster. — OTFRIED MÜLLER, Ueber eine neue Methode zur Aufzeichnung der Volumschwankungen bei plethysmographischen Unter- ‘ suchungen am Menschen. — Kurr BRANDENBURG, Ueber die Eigenschaft des Digitalin, beim Froschherzen die selbstständige Erzeugung von Bewegungsreizen an der Grenze von Vorhöfen und Kammer anzuregen. (Hierzu Taf. V u. VL.) — WILHELM TRrenx- DELENBURG, Ueber das Vorkommen von Sehpurpur im Fledermausauge nebst Be- merkungen über den Zusammenhang zwischen Sehpurpur und Netzhautstäbchen. — H. ZWAARDEMAKER und C. D. OuwEHAnD, Die Geschwindigkeit des Athemstromes und das Athemvolum des Menschen. — Lonumann, Zur Automatie der Brückenfasern des Herzens. Zweite Mittheilung. — Arruur Schutz, Das spectrale Verhalten des . Hämatoporphyrins. (Hierzu Taf. VII.) — ERnsT JEnDRAssıK, Weitere Beiträge zur Lehre vom Gehen. — E. M. Kurpınowskı, Physiologische und pharmakologische Ver- suche an der isolirten Gebärmutter. (Hierzu Taf. VIII und IX.) — G. Hürner und W. Küster, Einige Versuche, das Verhältnis der Gewichte zu bestimmen, in welchem sich das „Hämochromogen‘“ mit Kohlenoxyd verbindet. — G: Hürser und B. Reın- BOLD, Absorptiometrische Bestimmungen der Menge des Stickoxyds, die von der Gewichtseinheit Methämoglobin gebunden wird. — Ausust Lucaz, Studie über die Natur und die Wahrnehmung der Geräusche. — Gustav ZIMMERMANN, Nachträgliche Betrachtungen über den physiologischen Werth der Labyrinthfenster. — A. Durıq und N. Zuntz, Beiträge zur Physiologie des Menschen im Hochgebirge. — OrTTo MaArBurG, Die physiologische Function der Kleinhirnseitenstrangbahn (Tractus spino- cerebellaris dorsalis) nach Experimenten am Hunde. (Hierzu_Taf. X.) Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1903— 1904. F. Krause, Ueber Hirnrindenreizung beim Menschen mit Projecetionen. — GEORG Fr. Nıcorar, Ueber angebliche Actionsströme in anorganischen Substanzen. — G. ZIMMERMANN, Der physiologische Werth der Labyrinthfenster. — A. Lucae, Zur Physiologie des Gehörorgans. — Leo Lansstei, Die Kohlehydratgruppen der Eiweiss- körper. — PIPER und ABELSDORFF, Consensuelle Lichtreaction der Pupille. — BEYER, Modell des Corti’schen Organs. Verlag von VEIT & OOMP. in Leipzig Te IE x Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. LEHRBUCH DER SYN THETISCHEN . METHODEN DER ORGANISCHEN CHEMIE. Für Studium und Praxis. Von Dr. Theodor Posner, Privatdozenten an der Universität Greifswald. gr. 8. 1903. geb. in Ganzl. 10 #. j BE EEE NER TEL ETET ERTZETE ER EEEENE EEEZET DTNEEREEETEN TG Verlag von VEIT & COMP. in m ‚ Soeben erschien: DIE _ HAFTPFLICHT DES ARZTES, Ein Gutachten . Dr. iur. Ernst Rabel, Professor an der Universität Leipzig. gr. 8. 1904. geh. 2.% 40 2. Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschieu: Imm. Munk’s Lehrbuch der Physiologie | des Menschen und der Säugethiere | für Studierende und Aerzte bearbeitet von Prof. Dr. P. Schultz. Biebente Auflage. gr. 8. Mit 153 Holzschnitten. 1905. 14 Mark. Verlag von VEIT & COMP., in Leipzig. LEHRBUCH DER ALLGEMEINEN UND SPEZIELLEN CHIRURGIE einschließlich der modernen Operations- und Verbandlehre. Von Dr. Hermann Tillmanns, Professor an der Universität Leipzig und Generalarzt & la suite des Königl. Sächs. Sanitätscorps. Zwei Bände In drei Teilen. Mit 1835 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. Roy. 8. 1904. Geheftet 56 # 50 2, gebunden in Halbfranz 64 #. - Von dem ersten Band liegt uunmehr die neunte, von dem zweiten die achte Auflage vor. Das „Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie“ von 'H. Tillmanns ist infolge seiner allgemein anerkannten Vorzüge, der strengen Wissenschaftlichkeit, der klaren Darstellungsweise und der reichen Anzahl er- läuternder Abbildungen, bei Arzten und Studierenden zur Zeit das geschätzteste Werk der modernen Chirurgie. Der erste Band behandelt die allgemeine, der aus zwei Teilen bestehende zweite Band die spezielle Chirurgie. Die?Bände sind auch einzeln käuflich: LEHRBUCH DER ALLGEMEINEN CHIRURGIE. Allgemeine Operations- und Verbandtechnik. Allgemeine Pathologie und Therapie. (Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie. Erster Band.) Neunte, verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 628 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. 1904. Geheftet 18 .4 50 2, gebunden in Halbfranz 21 #. LEHRBUCH DER SPECIELLEN CHIRURGIE. (Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie. : Zweiter Band.) Achte, verbesserte und vermehrte Auflage. Zwei Teile. Mit 1207 zum Teil farbigen Abbildungen im Text. 1904. Geheftet 38 #4, gebunden in Halbfranz 43 M#. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Die Geschwindigkeit des Athemstromes und das Athemvolum des Menschen. Von H. Zwaardemaker und C. D. Ouwehand in Utrecht, $ 1. Princip der Pitot’schen Röhrchen. Im Jahre 1732 überreichte Pitot! der Pariser Academie eine kurze Abhandlung, deren Titel lautet: „Description d’une machine pour mesurer la vitesse des Faux courantes et le sillage des Vaisseaux.“ In dieser kleinen Schrift wurde die bekannte, ebenso einfache wie genaue Methode der neben einander gestellten Röhrchen angegeben. Eins dieser Röhrchen war unten rechtwinklig umgebogen, das andere gerade abgeschnitten. In Folge der dem strömenden Wasser innewohnenden kinetischen Energie sah Pitot das Niveau in dem gegen die Stromrichtung umgebogenen Röhrchen emporsteigen; das zweite, gerade abgeschnittene war nur zur Vergleichung beigegeben. Später wurde diese Methode vervollkommnet, indem man neben dem gegen die Stromesriehtung umgebogenen Röhrchen ein ähnliches, aber stromabwärts gebogenes anbrachte. Die Theorie des kleinen Apparates wird von Pitot in den folgenden, klaren Worten gegeben: „Il n’y a personne qui avec une legere conoissance de la theorie du mouvement des eaux ne concoive sur le champ l’effet de cette Machine; car suivant les premiers prineipes de cette science, ou doit considerer la vitesse des eaux courantes comme une vitesse acquise par leurs chütes d’une certaine hauteur, et que si ’eau se meut de bas en haut avec une vitesse toute acquise, elle montera precisement a la m&me hauteur, ou a une hauteur egale a celle de Ja chüte, d’oü elle aurait dü tomber pour acquerir cette vitesse. 1 Histoire de l’Academie Royale des Sciences. An. 1732. p. 103—106; Mem. pP. 363— 317. Archiv f. A.u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 16 242 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. OQUWEHAND: „De plus la force de l’impulsion de l’eay par sa vitesse est toujours ögale ou poids d’un solide d’eau qui aurait pour base la surface choquee, et pour hauteur celle d’oü l’eau auroit dü tomber pour acquerir cette vitesse. Donc l’eau doit monter dans le Tuyau de notre machine par la force d’un courant, preeisement a la hauteur d’oü elle auroit dü tomber pour former le courant. „Mais les elevations ou ascensions de l’eau dans notre Tube etant Egales aux chütes, il s’ensuit que les vitesses des courants seront en raison sous doublee des elevations de l’eau, et que par consequent les &levations sont en raison doublee, ou comme les quarres des vitesses.“ In neueren Zeiten fand das Princip von Pitot auch in der Physio- logie mannigfache Verwendung und zwar zur Registrirung der Geschwindig- keit des arteriellen Blutstromes. Zu diesem Zweck zog Marey! es heran, in sehr sinnreicher Weise Cybulski? und neuestens O. Frank.? Die Methode hat hier befriedigende Resultate ergeben, denn sie ertheilt uns, wenn man berücksichtigt, dass, nicht zu starke Verengerung des Strom- bettes vorausgesetzt, theoretisch die Ausschläge den Quadraten der Ge- schwindigkeiten proportional sind, einen hübschen Ueberblick über den fortwährenden Wechsel, dem die Geschwindigkeit des Blutstromes un- aufhörlich unterliegt. $ 2. Anwendung des Prineips der Pitot’schen” Röhrchen auf Luftströme. Die Anwendung des Prineips der Pitot’schen Röhrchen auf Luftströme bietet gar keine Schwierigkeit, wenn es nur gelingt, genügend empfindliche Vorrichtungen zur Aufzeichnung des Druckwechsels in den Röhrchen aus- findig zu machen. Die Doppeleapsel Marey’s, welche ohne Flüssigkeits- einschaltung verwendet werden kann, haben wir versucht, aber ungeeignet gefunden. Die Vorrichtung Cybulski’s erfordert eine Flüssigkeitssäule, deren Masse die Treue des Instrumentes in unserem Falle zu sehr benachtheiligen würde Die Aufstellung Frank’s bedarf der Chrono-Photographie Es schien uns darum erwünscht, ein anderes Verfahren auszuarbeiten, welches die gewöhnliche graphische Aufzeichnung erlaubt und wegen der geringen in Bewegung zu setzenden Masse die wahre Geschwindigkeitscurve in nur wenig verstellter Form zur Darstellung bringen würde. Ein Doppelgebläse aus zwei Brodie’schen Pistonrecordern hergestellt, zeigte sich in mancher 1 La methode graphique. p. 236. ? Pflüger’s Archiv. Bd. XXXVII. S. 382. ® Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXVI. S. 1. GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 243 Hinsichten geeignet, noch besser aber ein System von Miniatur-Spirometer- chen, welche, in Ligroin schwimmend, an einem empfindlichen Waagenjoch aufgehängt wurden. R 3. Beschreibung des Apparates (Fig. 1 und 2). Die Zusammensetzung des Apparates ist folgende Das cylindrische Rohr aa’, durch welches geathmet wird, ist 16°® lang und 2m weit. Oben und in der Mitte durchsetzen zwei Seitenröhren 5 die Wand des- selben. Der Abstand zwischen diesen beiden Seitenröhren beträgt 2.6 m Fig. 1. und ihr Lumen stellt ein Quadrat dar von 0-6“ Seite. Es sind diese die Pitot’schen Röhrchen. Sie überragen das Athemrohr um 2.6“ und ihr oberes Ende trägt eine Art Kragen c von achteckiger Form. Jedes Pitot’sche Röhrchen ist, wie aus der Figur 1 ersichtlich, dem ihm nächst gelegenen Ende des Athemrohres zu rechtwinklig umgebogen. Sie ragen dabei in das Lumen des letzteren bloss soviel hinein, dass für den Luft- strom ein Areal übrig bleibt von 2.65 @®m.1 Das Athemrohr aa’ liegt in einer Länge von 11°” in einem Sandbade, aus dem nur seine Enden hervorragen. Das Sandbad d hat die Form eines niederen Oylinders, in dessen oberen Wand sich drei Bohrungen befinden, zwei zum Durchtritt der Pitot’schen Röhrchen und die dritte für ein Thermometer. Die Tempe- ! Die Weite einer erwachsenen menschlichen Trachea wird zu 1-5 bis 2-5 am angegeben. Vierordt, Daten und Tabellen. 1888. S. 62. 16* 244 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. OQUWEHAND: ratur des Sandbades und des von ihm eingeschlossenen Athemrohres kann durch einen elektrischen Erwärmungsapparat geregelt werden. Auf dem Sandbade ist ein kreisrunder Behälter e angebracht von 10 °® innerem Durchmesser, in den Ligroin eingegossen wird. Die Füllung findet immer ‚bis zu einer Höhe von 1-8°® statt; weiteres Steigen der Flüssigkeit wird durch einen Ueberlauf verhindert. Mitten über dem oberen Ende eines jeden Pitot’schen Röhrchens ist eine Gelatinecapsel f aufgehängt. Dieselbe ist nahezu cylindrisch, oben ge- schlossen und unten offen, 2-5°® hoch und 2.4” weit. Ihr unteres Ende taucht in das Ligroin und zwar bei unseren Versuchen 0-85", Diese Capseln sind mittels dünner Stäbchen y von 4-5 m Länge einem Waagen- joch A angehängt. Dieses dreht mit einer kleinen Axe in dem Gehäuse A, En welches längs dem Stabe Z höher oder 7 niedriger gestellt werden kann. An einem Ei Ende trägt das Joch einen leichten Schreib- stift » aus Aluminium, an dem anderen ein kleines Gegengewicht p, um seine horizontale Lage zu sichern. Ein zweites Gegengewicht n, das mit dem unteren Ende des Stäbchens r durch einen Schraubengang verschieblich verbunden ist, ertheilt dem Joch eine feste Gleichgewichts- lage. Endlich ist, um letzteres in seinen Bewegungen zu dämpfen, noch folgende Vorrichtung getroffen: am unteren Ende des Stäbchens r ist ein zweites s befestigt, welches sich jederseits rechtwinklig nach unten umbiegt. Die freien Enden sind breitgeschlagen zu Blättchen von 0.25 = Breite, welche bei der Bewegung des Joches wie ein Paar Ruder durch das Ligroin hin und hergehen. So wird eine Dämpfung erreicht, welche zu reguliren ist, indem man das Joch höher oder niedriger stellt und so die Ruder mehr oder weniger eintauchen lässt. Der ganze Apparat ist auß Kupfer angefertigt; nur ist der Ring e aus Glas; der Stift w aus Aluminiumblech und die Spirometerchen?f wie gesagt aus Gelatine. Das Ende a’ des Athemrohres ist mittels eines 6 = langen und 2 weiten Gummirohres mit einer Maske verbunden, in die geathmet wird. Der Athemstrom geht in dem Rohre aa’ hin und her und bringt in den beiden Spirometerchen Druckschwankungen und somit eine Be- wegung zu Stande. Erstere sind auf zwei Ursachen zurückzuführen: 1. auf das Druckgefäll in dem Athemrohr und 2. dem Prineip der Pitot’schen GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 245 Röhrchen entsprechend, auf die Geschwindigkeit des Stromes. Erstgenannter Factor stellt sich bei Gasen, im Gegensatz zu Flüssigkeiten, als sehr klein heraus. Ersetzt man beide Pitot’sche Röhrchen durch ein Paar einfache Piezometer, so zeigt unser Apparat nur diesen Druckfactor als einen un- bedeutenden Ausschlag, der an der Spitze des Schreibers 2 =” nie übertraf. Es zeigte sich also, dass unser Apparat praktisch nur die Geschwindigkeit zum Ausdruck bringt. Ueber die Grösse und den Wechsel derselben geben die erhaltenen Curven einen guten Ueberblick. Als ein Vortheil ist es zu betrachten, dass sich die zeitlichen Schwankungen in der Athmung leicht verfolgen lassen. $S 4. An den Apparat zu stellende Anforderungen. Der Apparat muss, wenn er gut functioniren soll, einige Bedingungen erfüllen, welche wir jetzt angeben wollen: 1. seien die Spirometerchen so leicht wie möglich; 2. sei die Flüssigkeit, in welcher sie schwimmen, von möglichst geringem specifischem Gewicht; 3. nehme man die Spirometerchen möglichst weit; 4. lasse man sie möglichst wenig über den Flüssigkeitsspiegel hervor- ragen; 5. sei die Tiefe, bis zu welcher sie eingetaucht sind, nicht grösser als nothwendig, mit anderen Worten sind die Cylinderchen möglichst kurz zu wählen. Die erste Anforderung soll man deshalb stellen, weil sonst das Flüssigkeitsniveau heruntergedrückt, statt dass das Spirometerchen ge- hoben wird. Dies soll um jeden Preis vermieden werden, denn hierdurch würde sich ein Fehler in die Methode einschleichen, der sich gar nicht be- rechnen liesse. Nun steht glücklicher Weise ein sehr geeignetes Material zur Verfügung, das ungemein leicht ist und sich bequem handhaben lässt. Wir meinen die Gelatine, von welcher fabrikmässig angefertigte Capseln in allen Grössen im pharmaceutischen Handel vorkommen. Die Gelatine liesse sich zwar durch Formoldämpfe im Wasser un- löslich machen, aber da das Formol allmählich sich verflüchtigt, wäre es doch unbequem Wasser, zur Eintauchflüssigkeit zu wählen. Wir gaben Ligroin, einem höheren dem Petroleum ähnlichen Kohlenwasserstoffgemenge von 0-7 spec. Gewicht den Vorzug. Diese Flüssigkeit greift die Gelatine gar nicht an, die Capseln erhalten sich sogar Monate lang unverändert und dazu ist es bedeutend leichter als Wasser. Letztere Figenschaft schafft noch den weiteren Vortheil, dass die unter dem Einfluss des wechselnden Druckes zu Stande kommende Auf- und Abbewegung des equilibrirten 246 - H. ZwAARDEMAKER UND Ü. D. ÖUWEHAND: Spirometers ausgiebiger wird. Ist die Auf- und Abbewegung doch un- mittelbar abhängig von der Flüssiekeitsverdrängung, welche hergestellt werden soll, um das Gleichgewicht zurückzugewinnen. Es ist klar, dass diese Flüssigkeitsverdrängung für einen bestimmten Druckunterschied um ‚so grösser sein muss, als die Flüssigkeit leichter ist. Die cylinderförmige Spirometerwand wird sich, um das erforderliche Gewicht an Flüssigkeit zu verdrängen, in Ligroin über einen 1-4 längeren Weg zu verschieben haben als in Wasser. Die Auf- und Abbewegung des equilibrirten Spirometerchens, jede für sich betrachtet, wird durch den Wechsel des im Inneren herrschenden Druckes hervorgerufen. Die Excursion dieser Bewegung wird bei derselben Druckschwankung um so grösser ausfallen, je grösser die Grundfläche des Spirometerchens ist, und zwar aus folgendem Grunde. Beim Emportauchen aus der Flüssigkeit wird das Spirometerchen schwerer und es ist dabei seine Gewichtszunahme seinem Radius proportional. Mit dieser Gewichts- zunahme setzt sich die Druckerhöhung im Inneren, insoweit dieselbe gegen eine horizontale Fläche nach oben arbeitet, in’s Gleichgewicht. Die hebende Kraft ist also dem Querschnitt des Spirometerchens, d.h. dem (Quadrate ihres Radius proportional. Deshalb sind die Spirometerchen möglichst weit zu wählen. Ein kleiner Nachtheil, auf welchen wir später zurückkommen, war hiervon leider die Folge. Die Weite des Spirometerchens führte einen grösseren Rauminhalt desselben mit. Der Apparat erhielt in Folge dessen eine gewisse Trägheit, davon herrührend, dass die der augenblicklichen Geschwindigkeit entsprechende Anstauung der Luft im den Pitot’schen Röhrchen und in dem mit ihnen zusammenhängenden System nicht momentan, sondern erst nach einer gewissen, übrigens sehr kurzen Zeit zu Stande kommt. Es ist also erwünscht, den Rauminhalt des Spirometerchens nicht grösser zu machen als gerade nothwendig. Man tauche die Cylinder- chen so tief ein, als die zu erwartenden Ausschläge es erfordern. Die beiden Spirometerchen, deren Eigenschaften wir jetzi kennen ge- lernt haben, sind, wie gesagt, an einer Miniaturwaage aufgehängt, die mit einem Aluminiumzeiger auf die leicht berusste Fläche eines Kymographion schreibt. Diese Waage hat den folgenden Anforderungen zu genügen: 1. das Joch soll so leicht wie möglich sein; 2. die Aufhängpunkte der Spirometerchen sollen sich mit dem Druck- punkte in einer Geraden und in genau gleicher Distanz von dem Drehpunkte befinden (gleicharmige Hebel der ersten Art); 3. der Schwerpunkt des Systems liege nicht niedriger, als eine mässige Stabilität der Gleichgewichtslage es verlangt. GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 247 Eine kurze Erläuterung dieser Bedingungen wird auch hier wieder erwünscht sein. Einem leichten Joch geben wir den Vorzug nicht so sehr, weil wir ein Schleudern des Apparates fürchten — diesem ist durch die beiden Ruderblättehen und durch die dämpfende Wirkung der Adhäsion zwischen Flüssigkeit und Spirometerwand von selbst vorgebeugt —, sondern weil die Inertie des Systems, mit welcher wir doch bereits zu kämpfen haben, nicht noch zu vergrössern ist. Wir vermeiden aus diesem Grunde auch eine zu grosse Länge des Zeigers und fertigen denselben aus Aluminiumblech, damit zur Equilibrirung am anderen Arme des Jochs keine nennenswerthe Kupfermasse aufzutragen ist. Genau unter dem Drehpunkte bringen wir ein dünnes kupfernes Stiftchen mit Schrauben- gang an, auf welches ein kleines Scheibehen in verstellbarer Höhe an- gebracht ist zur Regulirung der Lage des Schwerpunktes und in Folge dessen der Empfindlichkeit unserer Ne und der Stabilität ihrer Gleich- gewichtslage. Die Aufhängepunkte der Spirometerchen in einer geraden Linie mit dem Drehpunkte der Waage anzubringen, zeigte sich nothwendig mit Rücksicht auf die erforderliche Empfindlichkeit; eine Abweichung von diesem Grundsatze rächt sich durch Auf- und Abschwanken des Flüssig- keitsniveaus, was unter keiner Bedingung gestattet werden kann. Auch auf die genau symmetrische Lagerung der Aufhängepunkte darf nicht verzichtet werden, weil die beiden Spirometerchen zusammen. zu arbeiten haben und der Einfluss des einen, jenem des anderen im System genau gleich sein soll. Auf die Stabilität der Gleichgewichtslage soll in unserem Falle be- sonders geachtet werden, denn es finden sich einige Ursachen, welche sie in Gefahr bringen. Eine erste Ursache ist die Reibung des Zeigers im Russ des rotirenden Cylinders. Eine zweite Ursache die Reibung der Spirometerwand in der Flüssigkeit. Beide verzögern die Rückkehr in die Gleichgewichtslage und gerade auf ein rasches Rückkehren in dieselbe wird bei den Versuchen Werth gelegt. Man opfere also lieber etwas von der Empfindlichkeit auf, um eine grössere Stabilität der Gleichgewichtslage zu gewinnen. Hierzu dient die Beschwerung unter dem Drehpunkte Man regele sie genau je nach den Anforderungen des Experiments. Nie jedoch werde die Beweglichkeit des Systems zum Vortheil seiner Stabilität so viel verringert, dass die Flüssigkeitsniveaus in’s Schwanken gerathen, nur die Spirometerchen sollen auf- und abgehen, der Flüssigkeitsspiegel praktisch ge- nommen unbeweglich sein. Wenn Spirometerchen und Waage den oben gestellten Anforderungen genügen und der Apparat bis zu dem bestimmten Niveau gefüllt bereit 248 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. QUWEHAND: steht, hat es seinen Nutzen, ilın noch in endgültiger Form einer Prüfung zu unterziehen. Dabei ist auf Folgendes zu achten: 1. solleineNiveauschwankung im stromabwärts ange- brachten Spirometerchen unter keinen Umständen vorkommen; . soll eine Niveauschwankung im stromaufwärts ange- brachten Spirometerchen auch bei tiefem Respiriren unwesentlich sein. Wenn der Apparat, den wir weiterhin bequemlichkeits- halber Aörodromograph nennen wollen, diese Proben bestanden hat, ist er zu unse- ren Versuchszwecken taug- lich.! Schreiben wir dann mit der für den Sphygmographen üblichen Geschwindigkeit des Kymographions Athemcurven, so bekommt man Bilder wie sie Fieur 3 bis 7 zu sehen geben. DieseCurven sind gezeich- net, indem die Spirometerchen 0.85 m und die Ruder 1.75” in der Flüssigkeit eintauchten, während sich zwischen Athem- rohr und Respirationsmaske ein Gummirohr von 6 ® Länge und 2m Weite befand. Die Form der Curven ist indivi- duell sehr verschieden. Einige Beispiele mögen dies zeigen: I. Form. Der Verlauf der Curve ist für die Inspiration ungefähr der- selbe wie für die Exspiration. Beide Phasen sind in Zeitdauer und Höhe nahezu gleich. Es zeigt sich nicht selten in der letzten Hälfte einer Athem- phase — entweder In- oder Exspiration — eine kleine Abflachung der D ! Wird in- und exspiratorisch die gleiche empirische Constante verlangt, so sollen die Spirometerchen auch noch ohne Aenderung der Ausschlaggrössen umwechselbar sein. (GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 24% Curvenlinie als Ausdruck einer kurzen Constanz des Stromes. Die Gipfel der Curven sind ungemein verschieden, mehr oder weniger spitz oder breit (Fig. 3). Ne ‚eo = ll. Form. Der vorigen ähnlich, aber die exspiratorischen Ausschläge sind weniger ausgiebig; die Höhe der Ordinaten wird jedoch durch die grössere Abseissenlänge einigermaassen ausgeglichen (Fig. 4). 250 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. OUWEHAND: Ill. Form. Es zeigt sich auf der Höhe der Exspiration ein deutliches Plateau (Fig. 5). GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 251 IV. Form. Der exspiratorische Theil der Curve ist sehr flach und breit. Der Durchgang durch die Gleichgewichtslage ist ganz allmählich (Fig. 6). V. Form. Saccadirte Athmungseurve von sehr wechselndem Rhyth- mus; kam zur Beobachtung bei einem nervösen Menschen (Fig. 7). $ 5. Aichung des Apparates. Zu einer quantitativen Benutzung der Curven ist es selbstverständlich nothwendig, die factischen Geschwindigkeiten zu kennen, welche ihrem Auf- und Absteigen entsprechen. Man hat also eine Aichung des Appa- rates vorzunehmen, in dem Zustande, in welchem er zu den Experimenten verwendet wurde. Hierzu diente uns zur ersten Orientirung ein von einem grösseren Waldenburg’schen Apparat gelieferter Luftstrom. Durch das Aufsetzen von Gewichten wurde die Exspiration, durch das Abnehmen der- selben die Inspiration nachgeahmt. Um jedoch die durch das Athmungs- rohr getriebene Luftmenge genauer kennen zu lernen, als es die grobe Ab- lesung der Bewegungen des Apparates erlaubte, kam eine andere Aufstellung zur Verwendung. Das Gebläse eines Orgeltisches wurde verbunden mit einer vorher controlirten Gasuhr und diese wiederum mit dem Aörodroıno- graphen. Ersteres lieferte Luftströme von genügender Constanz. Mittels eines Contactes auf der Axe der Gasuhr wurde jede Umdrehung! derselben durch ein Pfeil’sches Signal angezeigt, auf demselben Kymographion, auf dem der Aörodromograph seinen Ausschlag aufschrieb; ausserdem wurde auf demselben die Zeit verzeichnet. In dieser Weise machten wir eine Reihe von Bestimmungen, woraus für constante Strömung die jedem Aus- schlag entsprechende Geschwindigkeit hergeleitet wurde. Die Mittelwerthe aller dieser Einzelbestimmungen durch graphische Interpolatior ergänzt, sind in der Tabelle I enthalten. Um zu prüfen, in wie weit diese empirisch gewonnenen Zahlen mit der Theorie der Pitot’schen Röhrchen übereinstimmen, sei folgende Gleichung angesetzt: a cha in welcher a den Ausschlag des Aörodromographen, c eine Constante und 5 das Luftguantum bezeichnet, welches pro Secunde bei dem Ausschlag a durch den Apparat streicht. Berechnet man nun das c mit Hülfe der Tabelle I für verschiedene Werthe von a, so kommt folgendes heraus: (s. Tabelle II.) Diese Stichproben mögen genügen, um zu zeigen, dass, wenn man Ein- und Ausathmung für sich betrachtet, das c praktisch als constant und der Ausschlag also, der Theorie gemäss, als dem Quadrate der Geschwindig- keit proportional angesehen werden darf. ! Es entsprach jede Umdrehung 7-14 Liter Luft; eine kleinere Gasuhr sollte jedenfalls zu diesem Zwecke nicht benützt werden. 252 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. OUWEHAND: Tabelle I, Luftvolum in cem, Luftvolum in cem, Ordinate welches pro Sec. durch den] Ordinate welches pro Sec. durch den m ‚, Aörodrowmographen strömt En Aörodromographen strömt Millimetern bei der bei der Millimetern beider | bei der i Inspiration | Exspiration Inspiration Exspiration 0-0 0 0 14 | 474 552 0-25 45 50 15 | 492 572 0-50 80 95 16 | 510 591 0-75 110 120 17 | 527 610 1-0 133 140 18 | 545 628 1-5 165 180 19 | 562 646 2.0 | 190 210 20 578 669 3.0 | 223 260 21 594 682 4-0 | 262 300 22 609 700 5-0 I 293 336 23 623 716 6-0 319 365 24 635 731 a) 343 394 25 643 T4T 8-0 365 421 26 660 163 9.0 335 446 27 671 778 10.0 4035 461) 23 681 | 192 11-0 420 490 29 692 | 805 12-0 438 510 30 703 816 13-0 | 456 531 Rap ell’ersiie c a inspiratorisch | exspiratorisch 1 0-0000565 0-0000510 2 0-0000554 0-0000454 3 0-0000577 0-0000444 4 0-0000583 0-0000444 5 0-0000582 0-0000443 10 00000616 0-0000455 15 0°0000619 00000458 - 20 | 00000599 0-0000452 Sa 0-0000595 | 0-0000448 30 | 00000607 | 0-0000451 Mittelwerth | 00000590 | 0-0000456 Das gilt für constante Luftströme, welche also mit dem A&rodromo- graphen registrirt werden können. Man hat jedoch bei einer fortwährend wechselnden Geschwindigkeit, wie sie der Athemstrom darbietet, a priori nicht die gleichen Ausschläge zu erwarten, wie wenn der Strom constant GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 253 ist oder sehr langsamen Geschwindigkeitsveränderungen unterliegt, und es lag uns deshalb viel daran, zu wissen, in welchem Grade unsere Curven als verzerrt zu betrachten seien. Dazu wurde die nach statischem Prineip ausgeführte Aichung noch auf dynamische Weise controlirt. Zu diesem Zwecke kam, statt des Gebläses mit Stromuhr, ein nach Art des Gad’schen Athemvolumsschreibers gebauter Luftbehälter von etwa 5 Liter Inhalt zur Anwendung. Derselbe wurde durch einen Excenter in eine cyclische Be- wegung versetzt, wobei demselben jedes Mal ein dem Athemvolum ungefähr gleiches Luftguantum ein- und ausströmte. Dasselbe wurde durch den Aerodromographen geleitet, welches dessen Bewegung einem Kymographion aufzeichnete. Zu gleicher Zeit schrieb der Luftbehälter mittels eines kurzen Zeigerss an langem Arme seine Bewegungen vergrössert einem zweiten Kymographion unmittelbar auf. Die Form und Umdrehungsgeschwindig- keit des Excenters wurden empirisch so gewählt, dass der erzeugte cyclische Luftstrom nach Umfang, Geschwindigkeitsverlauf und Rhythmus den Athem- strom wiedergab. Es wurde in dieser Weise eine künstliche Athembewegung auf zwei Weisen graphisch festgelegt und eine Vergleichung beider Curven ermöglichte ein Urtheil darüber, ob der Aörodromograph von der künst- lichen und folglich auch von der wahren Athmung ein zuverlässiges Bild siebtt. Dazu brauchten wir nur auf beiden Kymographien synchrone Punkte aufzuzeichnen. Dies geschah sehr befriedigend in der Weise, dass auf beide die Zeit geschrieben wurde mit demselben Chronoskop durch einen zweiarmigen Lufttransport. Eine kurze, scharfe Unterbrechung dieses Transportes machte sich dann in den beiden Zeiteurven leicht bemerkbar. Bei der Vergleichung der beiden Curven ist zu beachten, dass die- selben verschiedener Art sind. Der Luftbehälter schreibt seinen Inhalt auf, der Aörodromograph die Stromgeschwindigkeit, also das Differential des Inhaltes des Luftbehälters. Jedes Mal, wenn dieser seine Bewegungsrichtung umkehrt, findet sich in der Inhaltscurve ein Gipfel, während in der Ge- schwindigkeitscurve ein Durchgang durch die Gleichgewichtslage zu suchen ist. Gipfel in der einen Curve und Durchgänge in der anderen bilden also vergleichbare Punkte, welchen ein Minimum der Geschwindigkeit entspricht. Vergleicht man nun diese Punkte in ihrer Zeitiolge, so stellt sich heraus, dass die Umkehrung des Stromes, das Geschwindigkeitsminimum also, in der Curve des Aörodromographen um !/, Secunde verspätet zum Ausdruck kommt. Es lag nahe, diese Verspätung auch festzustellen für die Maxima der Geschwindigkeit. Der Aörodromograph zeichnet dieselben in den Gipfeln seiner Curve. In der Inhaltseurve suchten wir diese Maxima graphisch sichtbar zu machen, indem wir die Curve statt mit einem ein- fachen Zeiger mit einem Pfeil’schen Signal aufschrieben, dass zugleich in der Kette ‘des Chronoskops aufgenommen war und Untertheile von Secunden angab. 254 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. OUWEHAND: Fig. 8 bis 11 veranschaulichen diese doppelte Graphik. Die synchronen Punkte sind mit s verzeichnet. Die kleinen Zacken in der Inhaltsceurve (Fig.9a,10a,11a)entsprechen Zehnteln von Secunden. ‘ Sie sind verschieden lang ausgezogen, je nachdem bei ihrer Schreibung der Luft- behälter in schneller oder langsamer Bewegung be- griffen war. Die längste derselben giebt also den Zeittheil an der grössten Inhaltszunahme (bezw. Ab- nahme) des Luftbehälters, folglich das Maximum in der Stromgeschwindigkeit. Dieser Zeitpunkt ist, wie gesagt, mit den Gipfeln der Geschwindigkeitscurve d zu vergleichen und auch hier zeigt der A&rodromo- graph eine Verspätung von !/. Secunde, was auch ohne diese doppelte - Graphik, durch directes Aufnehmen des steilsten Theiles in der Inhaltscurve und zeitlicher Vergleichung derselben mit den Gipfeln der Geschwin- digkeitscurve zu bestätigen war. Weil dieser Fehler der gleiche war für zwei extreme Punkte in der eyelischen - Luftbewegung, wird man keinen Anstand nehmen, dieselbe Verspä- tung für die ganze Curve des Aörodromographen gel- ten zu lassen. Allerdings müssen wir hier eine Re- serve machen. Wenn ein NUNÄAAVAANANAANKAN AAVNKANN MN ATÄÄNANUR LANA MMAIAAAAAN | Fig. 33. GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 255 schneller Luftstrom sich plötzlich verlangsamt, eine sehr kurze Zeit lang- sam bleibt und dann umkehrt, so ist die Verspätung in der Angabe der Umkehrung eine andere als !/, Se- cunde und zwar, wie es scheint, eine wechselnde und in ihrer Grösse abhängig von dem Betrag, um den die Geschwindigkeit plötzlich. fiel. Es macht sich hier die Inertie des Apparates und die sich nicht un- mittelbar ausgleichende Luftstau- ung und -saugung in den Spiro- meterchen störend bemerkbar. Wir müssen daher vorläufig darauf ver- zichten, den Apparat in seiner jetzigen Form zu benutzen, um die Variationen in der Geschwindig- keit des Athemstromes zu messen; um dieselbe abzuschätzen und in ihrem Verlaufzu beurtheilen, geben die erhaltenen Curven jedoch eine genügende Grundlage und es wäre auch möglich, Athemtypen, die von den normaler Weise vorkommen- den abweichen, in dieser Weise zu erkennen.! Die Aichung des Apparates geschah mit Luft von Zimmer- temperatur, die also kälter und trockener war als die Exspirations- luft. Es liesse sich also der Ein- wand erheben, dass beim Durch- strömen durch den Aörodromo- Fe Fig. 8b. \ ! Es hat Einer von uns in den letzten Monaten (Archiv für Laryngo- logie. Bd. XV. Heft 2) zum Zweck der Geschwindigkeitsmessung des Athem- stromes eine in einem Rohre zwischen zwei verticalen Spiralfedern aufgehängte Windfahne?benutzt.; Als“Fahne diente ein Aluminiumscheibchen, zwischen dem und der Wand des Rohres für den Luftstrom ein Areal von 1-21 4 frei blieb. RN S AM oO 256 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. ÜUWEHAND: graphen aus der Athemluft Wasserdampf eandensirt und ihre Temperatur sich erniedrigt, so dass ihr Volum und also auch ihre Geschwindigkeit kleiner gemessen wird als es in Wirklichkeit war. Wir haben aus diesem Grunde die Aichung zum Theil wiederholt mit warmer, feuchter Luft und fanden, dass dabei wirklich eine Volumsreduction im Apparate statt- findet, deren Grösse mit der Ge- schwindigkeit des Stromes wechselt, die aber alles in allem klein ist. Wir schätzen dieselbe für eine Exspiration auf 2 bis 3 Procent; um diesen Betrag wäre also jedes Exspirationsvolum zu vermehren, das aus den Curven des Aörodromo- graphen abgeleitet wird. $ 6. Athemvolum. Die mit dem Aörodromo- graphen gewonnenen Uurven geben in ihrem Areal auch ein Maass für das Athemvolum. Man hat dazu bloss die Ordinaten einer Respiration in genügender Zahl, z. B. für jede !/, Secunde, in ge- eigneter Weise auszumessen, für den Mittelwerth je zwei auf einan- der folgender Ordinate den ent- sprechenden Luftwerth der TabelleI zu entnehmen und diese Portionen zu addiren. So ergiebt sich das Volum der In- und Exspiration gesondert. Bei dieser Berechnung macht man selbstverständlich die gleichen Fehler, welche die Be- stimmung der successiven Ge- Ir 2. ig. schwindigkeiten des Athemstromes unzulässig erscheinen liess; allein es zeigte sich, dass die Fehler in der einen Phase der Respiration diejenigen in der anderen nahezu ausgleichen können. (FESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 257 Die Bewegung, welche der mit einem Excentrik getriebene Luft- behälter vollführte, war eine alternirende; bei der Aufwärtsbewegung strömte genau so viel Luft in denselben hinein als bei der Abwärts- bewegung herausgetrieben wurde. Bei dieser künstlichen Athmung waren Volum der In- und Exspiration noth- wendigser Weise einander gleich. Dieses Volum liess sich nun bestimmen in zweier- lei Weise: ein Mal durch di- recte Messung und zweitens aus dem Areal der Curven des Aörodromographen, unter Zugrundelegung der Aichungs- tabelle I. Bei der Messung auf letztere Weise zeigten sich nun das In-. und Exspirations- volum, welche factisch immer gleich waren, als ungleich in Folge der Asymmetrie der Curven. Nahm man jedoch aus den beiden differenten Werthen eines Pseudo-Athem- zuges das arithmetische Mittel, so ergab sich eine Zahl, welche bei nicht zu hohen Anforde- rungen mit der durch directe Messung gefundenen befriedi- gend übereinstimmte Mit Hülfe verschiedener Excentrike liessen wir den Aörodromo- graphen Athembewegungen nachahmen von verschiedener Dauer und verschiedenem Vo- lum. Die Volumina dieser künstlichen Athmungen direct und indirect gemessen, mit Hülfe des Aörodromographen sind in der Tabelle III zusammengestellt. Die directe Messung fand statt, indem man ein zu bestimmendes Luft- volum durch ein gleiches Quantum Wasser verdrängte. Zu diesem Zwecke Archiv f, A,u. Ph, 1904, Physiol. Abthlg. Suppl. 17 se; S, eg € 5 = = = Z s = 3 < “2 258 H. ZWAARDEMAKER UND (. D. OUWEHAND: Tabelle III. Dislocirtes Luftquantum in ccm WERL: N Differenz | mit dem ı in Procenten direct gemessen ı Aörodromographen ea © gemessen 273 254 | +70 323 329 — 1.3 328 353 | — 17.1 328 350 — 6.3 373 | 370 + 0.8 412 453 | — 9:0 298 7 EB ee Da. 2535 2615 — 3.1 Fig. 10a. wurde der Luftbehälter mit einer grossen Flasche zu einem geschlossenen Ganzen verbunden. In die Flasche liess man ein bekanntes Wasservolum zufliessen aus einem Trichter mit Hahn, welcher der Flasche luftdicht schliessend aufgesetzt war. In dem Maasse als Wasser zufloss und den Luftraum der Flasche verkleinerte, wurde derselbe in dem Luftbehälter durch sorgfältig geregelte Erhebung des beweglichen Theiles desselben ver- grössert. Die Grösse dieser Erhebung entsprach also am Ende dem Volum des zugeflossenen Wassers, also auch der Inhaltszunahme des Luftbehälters und konnte genau abgelesen werden. Dass bei dieser Messung der Druck im Inneren des Luftbehälters vor und nach seiner Erhebung der gleiche war, controlirten wir immer mit einem Mikromanometer nach dem Kretz’- GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 259 schen Princip!, der sehr kleine Druckdifferenzen, bis zu !/,, ©“ Wasser, an- zeigte. In dieser Weise konnte direct gemessen werden, wie viel Luft mit einem bestimmten Excentrik disloeirt wurde und damit stimmt die indirecte Messung mit dem Aörodromographen, wie aus Tabelle III zu ersehen ist, im Ganzen gut überein. Ob nun der Luftstrom, welcher den Aörodromo- graphen in Bewegung bringt, einem mechanisch getriebenen Behälter oder dem menschlichen Thorax entstammt, bleibt sich gleich und man kann also in dieser Weise auch das menschliche Athemvolum bestimmen. Die Bestimmungen des normalen menschlichen Athemvolums war vielfach Gegenstand der Untersuchung und es wurden im Laufe der Zeit Nn__ANAMMAARMANM, NTHN IE N URAN, Ä Fig. 10b. viele Werthe für dasselbe gefunden, die sehr weit auseinander gehen. Zu- sammenstellungen der Resuitate älterer Autoren sind von Vierordt? und Hutchinson? gegeben worden. In späteren Jahren hat allgemein als Norm gegolten 500°®.* Hiervon ziemlich stark abweichende Zahlen er- ! A. Smits, Untersuchungen mit dem Mikromanometer. Inaugural- Dissertation. Utrecht 1896. ? Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Braunschweig 1844. Bd. 11. S. 828. 3 Medico-chirurgical transactions. Juondon 1846. Vol. XXIX. p. 137. * Hermann's Handbueh. Bd. IV. 2. S. 211. nn 260 H. ZWAARDEMAKER UND (Ü. D. VQUWEHAND: hielt jedoch schon Speck.! Er bestimmte bei neun gesunden Personen mehrmals das Athemvolum und erhielt so für jede einen Mittelwerth. Wenn wir von zwei Kindern absehen, so bleiben sieben Erwachsene übrig; unter diesen wurde als grösstes Volum gefunden 1584 m bei einem Manne mit 4-1 Respirationen in der Minute, als kleinstes 385 cm bei einer Frau mit einer Frequenz von 13-2. Als Mittelwerth für alle Erwachsenen zusammen er- giebt sich ein Volam von 961 «m bei einer Frequenz von 9.6. Es würde demnach das normale Athem- volum den hergebrachten Werth von 1/, Liter. weit übersteigen. Auch von Marcet? wurde gegen diese Zahl Einwand erhoben, aber in anderer Richtung ‘als aus den von ’Speck mitgetheilten Werthen hervorgeht. . Nach diesem Autor dürfte etwa 250 °® der \WVahrheit viel P) a | Sun rennt Ss T= Ao Fig. 11b. ! Physiologie des menschlichen Athmens. Leipzig 1892. S. 221. 2 Proceed. Royal soc. London. Vol LVII. p. 95; Vol. L. p. 61; Vol. XLIX. p-. 107. Journal of Physiol. 1897. Vol. XXI. GESCHWINDIGKEIT DES ATHEMSTROMES UND ATHEMVOLUM. 261 näher kommen. Dagegen wurde wieder in neuester Zeit von Eykman! nahezu 500 «= gefunden. Aus dieser kurzen Zusammenfassung, welche keine Vollständigkeit be- ansprucht, geht wohl soviel hervor, dass in dieser elementaren Frage auch jetzt der Widerspruch noch nicht gehoben ist und es kann demnach an- gebracht erscheinen, sich nach der Ursache desselben umzusehen. Diese kann nun einerseits darin gelegen sein, dass das Athemvolum eine so wechselnde Grösse ist, dass auch von grösseren Versuchsreihen stark aus- einander weichende Resultate zu erwarten sind, andererseits kann die Ursache in der Untersuchungsmethode begründet sein. Es scheint uns letzteres der Fall zu sein. Die angewendeten Methoden bestanden im All- gemeinen darin, dass die Exspirationsluft zur Messung einem Spirometer oder einem ähnlich beschaffenen Behälter zugeleitet wurde. Dabei wurde von der Versuchsperson durch die Nase eingeathmet und durch ein Mund- stück nach den Luftrecipienten ausgeathmet (Vierordt?; Marceta.a. O.). Von Speck wurde überdies die Inspirationsluft einem Spirometer entnommen und konnte so für sich gemessen werden. Es wurden dabei In- und Ex- spirationsstrom durch Ventile getrennt. Eykman arbeitete nach der Methode von Geppert und Zuntz, wobei die Exspirationsluft durch eine Gasuhr streichend gemessen wird. Bei allen Anordnungen dieser Art, wobei der Athmung ein abnormer Widerstand entgegengestellt wird, be- stehend in Zuleitungsrohr, Spirometer oder Gasuhr und eventuell Ventilen, ist man in hohem Grade der Gefahr ausgesetzt, dass die Athmung, welche ohnehin so sehr leicht gestört wird, in abnormer Weise stattfindet. Auch wenn man, wie Marcet that, den Spirometer derart belastet, dass er aus sich selbst immer ein wenig ansaugt, erscheint es fraglich, ob dadurch die Athmung sich normal gestalten wird. Dass diese Gefahr nicht eine theo- retisch erdachte ist, geht daraus hervor, dass Vierordt, der sie ausdrück- lich betont, sich aus dem Grunde veranlasst sah, seine zahlreichen Be- stimmungen alle ausschliesslich an eigner Person auszuführen. Auch Speck? macht aufmerksam auf „die Ungeschicklichkeit, mit der die meisten Menschen sich bei allen Dingen, die das Athmen betreffen, benehmen ..., selbst dann, wenn sie vorher belehrt und aufmerksam gemacht wurden“. Merkwürdig erscheint es dabei, dass er regelmässig eine so niedrige Athemfrequenz beobachtete. Dieselbe erreichte bei seinen normalen Ver- suchspersonen als höchsten Werth 14-5, während doch bei Beobachtungen ! Weekblud Nederl. tijdschr. v, geneesk. 1899. Vol. I. p. 18. ” Physiologie des Athmens. Karlsruhe 1845. "A722 00842153 262 H. ZWAARDEMAKER TND (. D. OUwEHAND: an ganz frei atımenden Menschen fast durchgängig eine grössere Frequenz wahrgenommen wurde (Hutchinson!, Quetelet?). | Bei dieser Sachlage erschien es wünschenswerth, das Athemvolum zu bestimmen mit unserem Apparate, der die Athmung gänzlich unbehindert _ lässt. Man hat zwar mancherlei Bedenken gegen den Gebrauch einer Maske erhoben: die Athmung werde dadurch gestört und zwischen Maske und Angesicht der Versuchsperson soll so leicht ein unberechenbares Luft- quantum einströmen bezw. entweichen. Das mag seine Geltung haben, wenn auf der Maske noch ein längeres Rohr und sonstiger Widerstand folgt, nicht aber, wenn derselbe minimal ist, wie in unserem Falle. Aller- dings stellt das Rohr einen schädlichen Raum dar; derselbe ist beim Be- ginn der Inspiration mit Ausathmungsluft gefüllt, welche sich dem In- spirationsvolum jedes Mal beimischt. Eine nennenswerthe Athmungsstörung tritt jedoch nicht auf, wie wir nachher mit Zahlen zu beweisen hoffen. Wie schon oben bemerkt, ist man jedoch nicht berechtigt, aus unseren Curven die Volumina von In- und Exspiration jede für sich zu berechnen; die Methode giebt nur ein gutes Maass für den Mittelwerth dieser Luft- quanta und zwar beide gemessen in der gleichen Temperatur, bei dem gleichen Druck und der gleichen Feuchtigkeit, wobei sie in die Luftwege eintreten, bezw. dieselben verlassen. Nach diesem Verfahren bestimmten ‘wir das Athemvolum bei 13 normalen Personen. Alle waren erwachsene Männer, im physiologischen Laboratorium beschäftigt, die im ruhigen Sitzen untersucht wurden, athmend mit geschlossenem Munde durch die Nase. Von einigen wurde die Athmung 1 bis 2 Minuten, von anderen 10 bis 15 Minuten registrirt. Das Athemvolum, zu Beginn und am Ende dieser längeren . Periode bestimmt, zeigte keinen wesentlichen Unterschied. Die Versuchs- personen kamen unmittelbar von ihrer gewöhnlichen Beschäftigung, es wurden keine besonderen Maassnahmen getroffen, um eine vollkommene körperliche Ruhe zu sichern, noch auch, um die Nachwirkung vorausgegangener Muskel- arbeit auszuschliessen, die allerdings bei keinem der Untersuchten eine sehr intensive gewesen sein kann. Die Temperatur, der Druck und der Sättigungs- grad der Luft betrugen im Untersuchungsraum durchschnittlich je 12° C., 632m M.Hg und 62 Procent.” Aus den von jeder Person registrirten Respirationen kamen ohne Wahl einige in der oben angegebenen Weise zur Messung. So erhielten wir bei jedem für Dauer und Volum einer Respiratiin je eine Mittelzahl, welche in folgender Tabelle IV ver- einigt sind. IN ao PF22E u ® Anthropometrie. 1871. p. 371. ° Gemessen mit einem Lambrecht’scheu Haarhygrometer. (GESCHWINDIGKEIT DES ÄATHEMSTROMES UND ÄTHEMVOLUM. 263 Tabelle IV. mvölain Dauer Zahl der f einer Respiration gemessenen In ec in Secunden Respirationen 409 2.93 | 6 427 3:10 3 464 2-01 6 487 3:09 6 510 3-14 6 519 3:70 3 527 3-60 | 3 529 3-15 | 11 553 2.55 | 12 641 2-87 3 650 3.81 6 710 4.96 U 808 5:66 3 Mittel 556 3:39 Hieraus ergiebt sich eine mittlere Athemfrequenz von 17.7. Diese Zahl liest etwas höher, als sie von den meisten Untersuchern, die das Atbemvolum bestimmten, gefunden wurde. Wir legen Werth darauf, zu betonen, dass unsere Zahl dagegen genau übereinstimmt mit den von Hutchinson und Quetelet! angegebenen Werthen für ganz ungezwungen ohne jeden Apparat athmende Menschen. Das scheint uns eine Garantie dafür, dass unser Athemrohr die natürliche Athmung nicht veränderte. Die für das Athemvolum gefundenen Zahlen sind Rohwerthe, welche durch eine geeignete Reduction eine Gültigkeit erhalten werden. Wie be- kannt, wird die eingeathmete Luft in den Athemwegen wärmer und feuchter, deshalb voluminöser. Sie erfährt weiter einen Verlust an Sauer- stoff, der durch die Anreicherung an Kohlensäure nicht ganz gedeckt wird. Bringen wir diese Factoren in Rechnung, so ergiebt sich ein durchschnitt- liches Inspirationsvolum von 503 °®, trocken bei 0°C. und 760 "m Hg be- rechnet. Das wäre bei einer Frequenz von 17-7 eine Athemgrösse von 8903 «m, etwas mehr also als gewöhnlich für Ruhewerthe gefunden wurde. Es kann jedoch bei unseren Versuchspersonen die Nachwirkung voraus- gegangener Muskelarbeit zur Geltung gekommen sein. Wie aus Katzen- stein’s? Untersuchungen hervorgeht, hat auch schon leichtere Arbeit eine nicht unbedeutende Steigerung der Athemgrösse zur unmittelbaren Folge. IN 2.20! ® Pflüger’s Archiv. Bd. XLIX. S. 330. 264 H.7ZWAARDEMAKER UND (.D. OUWEHAND: GESCHWINDIGKEIT U.S.W. Wir meinen deshalb, in Abweichung von den Zahlen Speck’s und Marcet’s, dass der traditionelle Werth von einem halben Liter für das normale menschliche Athemvolum beizubehalten ist. Derselbe unterliest jedoch, wie aus Tabelle IV zu ersehen ist, bedeutenden, individuellen ‘Schwankungen und auch äussere Umstände haben darauf einen starken Einfluss. Wenn z. B. warme Luft eingeathmet wird, kommt ein grösseres Athemvolum zur Wahrnehmung. Diese Erscheinung steht vielleicht in Zusammenhang mit der von Gevers Leuven! gefundenen Tatsache, dass die oberen Athemwege in feuchtwarmer Luft eine Erweiterung erfahren. ! Bydrage tot de aörodynamica der luchtwegen. Inaug.- Dissertation. Utrecht 1903. Zur Automatie der Brückenfasern des Herzens. Zweite Mittheilung. Von Dr. Lohmann, Privatdocent und Assistent am Institute. (Aus dem physiologischen Institut zu Marburg.) Da die Brückenfasern, wie auch in meiner vorigen Abhandlung! dar- gelegt ist, in hohem Grade die Fähigkeit besitzen, automatisch Reize zu erzeugen, so ist es doch eigentlich sonderbar, dass diese Eigenschaft ver- hältnissmässig sehr selten und nur unter besonderen Umständen zu be- obachten ist. Die Erklärung, die ich dafür geben möchte, ist folgende: Die Automatie der Brückenfasern, von der das Herz unter normalen Ver- hältnissen auch keinen Gebrauch macht, liegt sozusagen für gewöhnlich in tiefem Schlummer. Tritt nun das Bedürfniss ein, sie in Anspruch zu nehmen (z. B. bei Versagen der Reizentwicklung im Sinusgebiet), so gehört schon ein sehr kräftiger Reiz dazu (in unserm speciellen Falle also ein sehr lange dauernder Ausfall der Reize vom Sinusgebiet her), sie aus diesem Schlummer zu wecken; ist dann aber die Automatie einmal erwacht und in die Frscheinung getreten, so entfaltet sie sich schrittweise von Contraction zu Contraction ziemlich schnell zu immer grösserer Höhe, bis sie das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hat, auf dieser bleibt sie dann stehen, bis sie überhaupt nicht mehr in Anspruch genommen wird. Ist die Automatie der Brückenfasern dann vom Venensinus her wieder abgelöst, so verfällt sie all- mählich wieder in den früheren tiefen Schlaf, und zwar wiederum so lang- sam, dass sie, wenn ihre Hülfe in den ersten Stadien des Einschlummerns in Anspruch genommen wird, sehr leicht erwacht und in verhältnissmässig schneller Folge Reize zur Contraction entsendet. ! Dies Archiv. 1904. Physiol. Abtllg. S. 431. 266 LOHMANN: Der teleologische Zweck dieses Steigens.und Sinkens der automatischen Fähigkeit ist vielleicht folgender: Sollen die Brückenfasern, wie wir es annehmen, im Stande sein, bei Ausfall der normalen Reize die Herzihätigkeit zu unterhalten, so müssen sie auch- die Fähigkeit besitzen, eine verhältnissmässig schnelle Folge von Con- tractionen auszulösen, sie müssen also einen hohen Grad automatischer Fähigkeit besitzen. Würden sie diesen in unveränderlicher Weise fort- während haben, so könnten leicht bei schon ganz geringen und ganz kurzen Störungen im Venensinusgebiet Collisionen mit diesem eintreten, die auf die Erhaltung der Circulation, auf die es ja allein ankommt, eher hinderlich wie fördernd wirken könnten. Da ferner ein nur kürzere Zeit dauernder Ausfall der Herzthätigkeit keine weiteren Schädigungen zur Folge hat, so genügt es eben, wenn nur nach einer gewissen Zeit die Herzthätig- keit sicher wieder einsetzt. Bei dann noch länger anhaltenden Störungen der Reizentwickelung oder der Reizzuleitung vom Sinusgebiet her, genügen dann allerdings Contractionen in derartig grossen Intervallen nicht mehr: Die Brückenfasern müssen jetzt ihre Reizentwickelung beschleunigen, um im genügender Weise die Circulation erhalten zu können. Hat dann der Venensinus nach überstandener Störung wieder die Führung der Herzthätig- keit übernommen, so ist es doch sehr wünschenswerth, wenn er sozusagen noch eine Zeit lang von den Brückenfasern überwacht wird, ob er auch wirklich wieder voll im Stande ist, in regelmässiger Folge die Reize zu entwickeln; zu diesem Zwecke legen die Brückenfasern erst allmählich ihre Automatie wieder ab, so dass sie in der ersten Zeit nach Beginn der normalen Herzaction noch voll im Stande sind, sogleich für den Venensinus, falls er wieder versagt, einzutreten. Dabei ist es wieder sehr zweckent- sprechend, dass die Fähigkeit der Brückenfasern, automatisch Reize zu ent- wickeln, um so langsamer abklingt, je öfter sie vorher durch einen Rück- fall des Sinus in Anspruch genommen wurde. Die Versuche wurden sämmtlich an Emys europaea, die mit Aether narkotisirt waren, angestellt. Die ventrale Panzerdecke wurde möglichst ohne Blutverlust entfernt, der rechte Vagus freigelegt, durchschnitten und das.periphere Ende angeschlungen. Darauf wurde der Herzbeutel eröffnet, der Ventrikel und ein Herzohr mit serres-fines gefasst und mit dem Engelmann’schen Doppelhebel in Verbindung gebracht. Es gelang nun leicht, durch andauernde faradische Reizung des Vagus das Herz auf längere Zeit zum Stillstehen zu bringen. In keinem Falle konnte aber ein dauerndes Aufhören des Schlagens beobachtet werden, sondern die Herzen begannen nach einer gewissen Zeit ausnahmslos sich spontan wieder zu contrahiren,. und zwar bei genügender Intensität des Vagusreizes in der in meiner früheren Arbeit ausführlich besprochenen ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN DES HERZENS. 267 Weise, erst / und unmittelbar darauf A, als Zeichen dafür, dass die Con- tractionen von den Brückenfasern ausgegangen waren. Dieser ersten V, A, folgte dann noch eine Reihe weiterer Y,A, bis die Vagusreizung abge- brochen wurde oder von selbst wieder die normalen A,7, eintraten. Dasjenige, worauf wir hierbei unser Augenmerk richten wollen, ist das zeitliche Intervall, in dem sich die einzelnen V, 4, folgen. Es zeigte sich nun regelmässig, dass das Intervall vom Beginn der letzten A, V, bis zum Eintreten der ersten spontanen V,.4, ein sehr beträchtliches war. Die zweite 7, A, trat schon nach viel kürzerer Zeit ein, die dritte nach noch kürzerer Pause u. s.if., bis ein Minimum, mit dem sich die einzelnen Con- tractionen folgten, erreicht war. Dies Minimum wurde nun mit einzelnen ganz geringen Schwankungen beibehalten, bis wieder die normalen 4, V, eintraten. i Diese Erscheinung mit Originaleurren zu belegen ist nicht angängig, da dieselben für eine Reproduetion viel zu grosse Dimensionen bekommen haben. Es musste nämlich, um genau das Intervall zwischen A, und dem zugehörigen V, bezw. zwischen Y, und zugehörigen A, ermessen zu können, ein ziemlich schneller Gang der Kymographiontrommel gewählt werden. Andererseits aber mussten die Versuche wegen der theilweise sehr grossen Pausen zwischen den einzelnen Herzcontractionen über längere Zeit aus- gedehnt werden, so dass die einzelnen Curven zum Teil eine Länge von 6" und darüber bekommen haben. Die Ergebnisse der Curven sollen aber auf andere \Veise graphisch anschaulich gemacht werden. Fie. 1 giebt uns dafür ein Beispiel. 268 LOHMANN: Die Senkrechte giebt die Zeit in Secunden (von O bis 26”) an. Die einzelnen schwarzen Rechtecke, die sich von der Horizontalen erheben, sollen die einzelnen Herzeontractionen darstellen und zwar die schraffirten die normalen A, V,, die ganz schwarz gezeichneten die spontanen 7, A,, “ dabei soll die jedesmalige Höhe des schwarzen Rechtecks die Zeit in Secunden angeben, die bis zum Eintreten der betreffenden Ventrikelcontraction seit dem Beginn der letzten vorhergehenden Ventrikelcontraction verstrichen ist. Der noch unter der horizontalen Nulllinie gezeichnete Strich soll die Dauer der Vagusreizung angeben. Wir haben also in unserem speeiellen Fall zunächst 2 normale 4,7,, die den vorhergehenden nach je 1.7” gefolgt waren. Darauf beginnt die Vagus- reizung (in primären Kreis 3 Daniell; 7) R.4.:7.8°®) Die nächste Herzeon- Basen traction ist noch eine normale A, 7, und folgt wiederum nach 1.7”. Darauf tritt ein langer Stillstand ein, bis erst nach 25-2” die erste spontane 7,4, erfolgt, die nächste beginnt nach weite- ren 11-2” die übernächste nach 8.0”, die dann folgenden Zahlen sind: 7-4 6-2 5.7 5.0 4-8 4.6 4.4 4.2 4.1; | von da sinkt die Länge der Pause zwischen zwei Ventrikelcontractionen noch langsam bis auf 3.9, um sich dann hier constant zu halten. Das allmähliche Wachsen der Auto- matie der Brückenfasern, wie es in der immer schnelleren Folge der 7, A, zum Ausdruck kommt, soll dabei durch das successive Sinken der Höhe der schwarzen Rechtecke veranschaulicht werden. Dieser Abfall tritt auch in der Fig. 2, die in ihren einzelnen Theilen ganz der Fig. 1 entspricht, deutlich zu Tage. (Vagusreizung bei RA:8.) Ein ähnliches Bild giebt Fig. 3. Hier sehen wir ausserdem, dass auch nach Aufhören der Vagusreizung noch zwei spontane X, A, folgen, ehe das Herz wieder in seinem gewöhnlichen Rhythmus 4,7, (schraffirt) zu schlagen anfängt Dass die automatische Erregung, wenn sie erst einmal zur vollen Ent- faltung gekommen ist, die Vagusreizung bedeutend überdauern kann, das zeigt uns besonders anschaulich Fig. 4. N al Bee HE + + Telesis eolee DD < tt ala ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN DES HERZENS. 269 Hier sehen wir, dass die Erregung der Brückenfasern die Vagusreizung so lange überdauert, dass sie nach Aufhören derselben noch sechs V, A, auszulösen vermag. Nachdem dann einige normale V, A, aufgetreten sind, wird von neuem der Vagus gereizt. Die Erregung der Brückenfasern ist aber noch eine so starke, dass sie jetzt schon nach 5-5” Stillstand im Stande ist, eine V, A, auszulösen; auch in diesem Fall überdauert die automatische Erregung die Vagusreizung ganz beträchtlich. Wurde in ähnlichen Fällen die Vagusreizung noch öfter wiederholt, so genügte schliesslich eine ganz kurze Reizung, um sofort eine ganze Serie von V, 4, auszulösen. In einem Falle trat nach \WViedereinsetzen der normalen Erregung von dem Sinus her nach einigen Contractionen von selbst wieder eine + I! DI GETAN IN FIT | IL Verlangsamung der Herzthätigkeit ein, sofort übernahmen wieder die Block- fasern die Führung, sie lösten wieder eine Anzahl Y,A, aus, bis wieder: die Erregung in gleichmässiger Weise vom Sinus her von statten ging. Zu ähnlichen Resultaten führten einige Versuche, bei denen die erste Stannius’sche Ligatur angebracht wurde, bei manchen blieb das Herz. zunächst längere Zeit stehen und begann dann allmählich in schnellerem Tempo im Rhythmus V, A, wieder zu schlagen. Doch trat bei anderen. gar kein Stillstand nach der Ligatur ein. Durch die vorliegenden Versuche sollte gezeigt werden, dass die Brücken- fasern, die unter Umständen in hohem Grade die Fähigkeit besitzen, automatisch Reize zu entwickeln, diesen hohen Grad der Automatie nicht: 270 LoHMANN: ZUR AUTOMATIE DER BRÜCKENFASERN DES HERZENS. immer gleichmässig besitzen, sondern erst allmählich selbst dadurch steigern, dass sie sich eben automatisch bethätigen. Haben sie aber einmal ihre Automatie so gesteigert, so sinkt die Erregung erst langsam wieder auf den geringen Grad des Ruhezustandes zurück. 2 u zz Te | ieie | T _ m 3 1 2 T | m — SE) RT 1 — + | | ZZ mess EEFEI Gelee III Vagusreizung Vaqusreizung “Zum-Schluss sei nochmals hervorgehoben, dass auch F. B. Hofmann! auf Grund einiger Versuche mit Extracontractionen die Vermuthung aus- gesprochen hat, dass vielleicht eine derartige Steigerung der Automatie der Brückenfasern vorhanden sei. I Schmidt’s Jahrbücher. Bd. CCLXXXI. 8.120. Das spectrale Verhalten des Hämatoporphyrins. Von Dr. Arthur Schulz. (Aus der Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde der Universität Berlin. - Director: Prof. Dr. Strassmann.) (Hierzu Taf. VII) Den Anstoss zu vorliegender Arbeit gab mir die Wahrnehmung, dass in Lösungen von reinem Hämatoporphyrin in Ammoniak und verdünnter Schwefelsäure zu den schon vorhandenen Absorptionsstreifen im Laufe der Zeit ein neuer hinzutrat. Ich habe in ihr die in der Litteratur enthaltenen Angaben und die Ergebnisse eigener Untersuchungen über das vielgestaltige Hämatoporphyrinspectrum mit seinem abnormen Verhalten zu gewissen Lösungsmitteln zusammengestellt. Der Gegenstand bietet ja nicht bloss ein theoretisches Interesse, sondern ist auch, so namentlich auf internem und forensischem Gebiete, von praktischer Bedeutung. Eisenfreies Hämatin (Mulder-f45]) oder Hämatoporphyrin (Hoppe- Seyler [8]) entsteht durch Einwirkung concentrirter Schwefelsäure auf Hämatin oder durch Einwirkung ‚einer gesättisten Lösung von Brom- wasserstoff in Eisessig auf Hämin oder durch Reduction saurer alkoholi- scher Hämatinlösungen.. Hämochromogen geht bei Einwirkung selbst schwacher Säuren leicht in Hämatoporphyrin über (Hoppe-Seyler [9]). Das aus Hämatin mit concentrirter Schwefelsäure dargestellte Präparat ist in Alkohol, Aether und verdünnten Säuren fast unlöslich, leicht löslich in Alkalien, das mit Bromwasserstoff erhaltene ist in fixen und kohlensauren Alkalien, aber auch in verdünnten Mineralsäuren und Alkohol leicht lös- lich, nur wenig löslich in Aether, Amylalkohol und Chloroform, fast un- DD u | DD ARTHUR SCHULZ: löslich in Wasser und verdünnter Essigsäure (Nencki und Sieber [17]). Abgesehen hiervon unterscheiden sich die beiden Körper noch in ihrer Zu- sammensetzung. Das mittels Schwefelsäure erhaltene Hämatoporphyrin ist nach den eben genannten Autoren das Anhydrid des mit Bromwasserstoff erhaltenen. Alle Hämatoporphyrine stimmen, soweit bisher bekannt, im speetralen Verhalten überein. Das Material, das ich zu den nachstehenden Untersuchungen ver- wandte — salzsaures Hämatoporphyrin von der Formel C,,H,3N,0,-HCl — wurde nach den Angaben von Nencki und Zaleski (18) in der chemischen Abtheilung des hiesigen physiologischen Institutes dargestellt! Herrn Professor Dr. Thierfelder und Herrn Dr. Spiess bin ich für ihre Unterstützung bei Herstellung des difficlen und, um mit Nenceki und Sieber zu reden, delikaten Körpers zu grossem Danke verpflichtet, den auch an dieser Stelle abzustatten ich nicht unterlassen will. Das salzsaure Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski, durch Einwirkung einer ge- sättigten Lösung von Bromwasserstoff in Eisessig auf Hämin dargestellt, krystallisirtt in braunroten Nadeln; es verhält sich wie eine Amidosäure und geht sowohl mit Säuren wie mit Basen Verbindungen ein. Die Untersuchungen wurden an einem Steinheil’schen mit einer Millimeterscala versehenen Spectralapparat angestellt, dessen Spaltbreite ‚ stets unverändert gelassen wurde. Lichtquelle war ein Auer-Brenner, der in einer Entfernung von 15°® vor dem Spalt aufgestellt wurde. Die für die Lage der Spectralbänder ermittelten Werthe der Millimeterscala wurden mit Hülfe einer für den Apparat construirten Curve auf Wellen- längen übertragen. Die Lage der in Betracht kommenden Fraunhofer’- schen Linien auf der Scala war B6IrNarEDE FI0 TER Alle, un B2> ar ee Die Lösungen wurden in 10”® dicker Schicht untersucht und befanden sich in planparallelen Glaskästchen. Die Intensität der Absorptionsbänder auf der beigegebenen Spectral- tafel ist den natürlichen Verhältnissen möglichst angepasst worden, so dass die Bänder eines einzelnen Spectrums wie auch die verschiedener Spectra mit einander verglichen werden können. Dabei ist allerdings zu berück- sichtigen, (dass dem subjectiven Ermessen bei der Beurtheilung der Inten- sitäten ja immer ein gewisser Spielraum gelassen ist und dass auch äussere Einflüsse, wie wechselnde Helligkeit u. s. w., sich nicht immer ganz aus- schalten liessen. Das Hämatoporphyrin wurde, wenn nichts Besonderes hinzugefügt ist, in 96 procentigem Alkohol zur Lösung gebracht. ! Es wurde zur Erzielung vollkommener Reinheit einmal umkrystallisirt. DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 273 Verhalten in neutraler Lösung. Als günstigste Verdünnung erwies sich das Verhältniss von 0.0015 2" Hämatoporphyrin auf 10°em Alkohol. Hierbei ergab sich das Speetrum, das unter Fig. 1, Taf. VII abgebildet ist. Wir sehen fünf Streifen, von denen der zweite der Intensität nach der schwächste, der fünfte der stärkste ist; derselbe ist nach dem rothen Ende hin scharf, nach dem blauen Ende undeutlich begrenzt. Die Zwischenräume zwischen den ersten drei Streifen — vom rothen Ende aus gerechnet — sind hell, die zwischen den anderen Streifen leicht überschattet. Recht charakteristisch ist der in der Mitte ge- lesene Streifen, der in sich wieder drei Streifen birgt. Auf blassem Grunde liegen hart bei einander etwa in der Mitte die beiden scharf begrenzten annähernd gleich dunklen & und 5, während ein dritter schwächerer Streifen y ihn nach blau hin abschliesst. Hoppe-Seyler (8) sprach einst die Ansicht aus, dass ein Spectrum mit fünf Absorptionsbändern nicht von vielen Farbstoffen hervorgerufen wird; angesichts der Besonderheit des dritten Streifens können wir aber in diesem Falle geradezu von einem siebenstreifigen Spectrum reden. Nencki und Sieber (17) kennen an ihrem mit Bromwasserstoff und Eisessig hergestellten Hämatoporphyrin nur ein fünfstreifiges Spectrum in neutraler alkoholischer Lösung. Einen in Alkohol löslichen Körper mit sleichfalls fünf Streifen in neutraler Lösung — offenbar ebenfalls Hämato- porphyrin — isolirte Le Nobel (21) im dritten Stadium der Einwirkung von Zink oder Zinn auf eine angesäuerte alkoholische Lösung von Hämatin, den er Isohämatoporphyrin nannte. Huppert (Neubauer und Vogel [20]), dem wir eine recht genaue Litteraturzusammenstellung über unseren Gegen- stand verdanken, spricht gleichfalls nur vonjeinem fünfstreifigen Spectrum in neutraler Lösung, das ihm aus dem sauren! und alkalischen Spectrum zusammengesetzt erscheint. Auch bei Neubauer (19), der die Lage der Absorptionsbänder des Hämatoporphyrins in den verschiedenen Lösungen nach Wellenlängen genau angiebt, finden wir keine Andeutung von der Dreitheilung des dritten Streifens.? Es konnte darnach scheinen, als sei ein siebenstreifiges Spectrum des Hämatoporphyrins in neutraler Lösung nicht bekannt. Bei Durchsicht auch der ausländischen Litteratur fand ich es aber von Garrod (4) schon ab- gebildet, wenn auch mit einigen Abweichungen bezüglich der Intensität ! Ich behalte die kurze Bezeichnung ‚„saures“, „alkalisches“, „neutrales“ Spectrum vorläufig bei, komme aber bei Schluss der Arbeit auf diesen Punkt zurück. ? Bemerkenswerth ist, dass nach Neubauer der mittlere Streifen des neutralen Spectrums nur das Intervall zwischen den Wellenlängen 572 und 553 ausfüllt; der ganze nach roth gelegene Theil bis « fehlt. Archiv f. A. u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 18 274 ARTHUR SCHULZ: einzelner Streifen.” Garrod isolirte sein Pigment aus pathologischem Harn. Seine Angaben über die Lage der ‘Streifen decken sich mit den meinigen. Den dritten Streifen beschreibt er wie folgt: „When the solution was concentrated the broad third band had a fluted appearance, being com- ‘ posed of a series of three darker and three fainter portions.‘“ — Wie Alkohol verhält sich auch eine Mischung von Alkohol und Schwefel- kohlenstoff und von Alkohol und essigsaurem Aethyl zu Hämatoporphyrin; in reinem Schwefelkohlenstoff und essigsaurem Aethyl ist es unlöslich. Amyl- alkohol aber zeigt das Spectrum Fig. 2, Taf. VII, also bei neutraler Reaction ein Spectrum wie eine ammoniakalische Lösung von schwach alkalischer Reaction. Auf diese eigenartige Erscheinung, die beim Hämatoporphyrin nicht vereinzelt dasteht, kommen wir noch zurück. Das alkalische Spectrum bei Amylalkohol lässt sich durch allmählichen Zusatz von Schwefelsäure in das neutrale und dann in das saure überführen. Verhalten in alkalischer Lösung. Es sei dieses an dem Beispiel von Ammoniak erläutert. Ich verfolgte hier wie auch in saurer Lösung die allmähliche Entstehung aus dem neu- tralen Spectrum. Damit die Umwandlung, die, wie in saurer Lösung schrittweise erfolgte, nicht in fliessendem Uebergange, sich nicht zu schnell vollzog und wichtige Phasen übersehen wurden, mussten die Zusätze in möglichst starker Verdünnung und kleiner Menge gemacht werden, was mit Hülfe eines Glasstabes geschah. Ich bemerke, dass die Laugen und alkalisch reagirenden Salze im Ganzen sich ebenso verhalten wie Ammoniak; es be- stehen nur gewisse aber unbedeutende Schwankungen hinsichtlich der Schnelliekeit, mit der die Umwandlung sich vollzieht. Wenn wir das Spectrum der ammoniakalischen Lösung, wie wir es in Fig. 3, Taf. VII sehen, mit dem neutralen Spectrum vergleichen, so finden wir die Streifen I, IV und V ziemlich unverändert wieder. Der Streifen II, den wir im alkalischen Spectrum vermissen, verschwindet erst, wenn die Alkalescenz der Lösung einen hohen Grad erreicht hat. Wir sehen ihn in Fig. 2, Taf. VII noch schwach angedeutet; er ist hier um seine eigene Breite nach dem-blauen Ende verschoben, so dass er mit dem rothwärts gelegenen (linken) Rande jetzt dort liest, wo er vorher mit dem rechten Rande lag. Wichtige Aenderungen gehen nur bei Streifen III vor sich. 7 verschwindet, der Zwischenraum zwischen 3 und IV hellt sich vollkommen auf, so dass das ganze Spectrum ein helleres Aussehen bekommt und & und % ver- 1 Garrod zeichnet den 1. und 4. Streifen schwächer als den 2., den 5. bei blau- gelegenen noch schwächer als den 4., «, ö und y im mittleren Streifen gleich stark DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 275 schmelzen. Von ihnen rührt die stärkere Verdunkelung der blauwärts ge- legenen Hälfte des Streifens III her. Das alkalische Spectrum des Hämatoporphyrins kann, wie es Fig. 2 der Taf. VII illustrirt, unter Umständen aus fünf Streifen bestehen. Ein al- kalisches fünfstreifiges Spectrum ist schon mehrfach beobachtet worden. So wurde es nicht nur im hämatoporphyrinhaltigen Harn gesehen (u. A. von Copeman mit Mac Munn — s. Ranking und Pardington (22) — und von Neubauer (19) — Versuch VI, 4. Tag), sondern auch in isolirtem Harnpigment (Garrod [3 und 4] und Nebelthau [16]), ferner bei einem mittels Schwefelsäure hergestellten Hämatoporphyrin (Garrod [4]) und bei dem Nencki und Sieber’schen Hämatoporphyrin (Neubauer [19]). Sehr wahrscheinlich stammte auch das Spectrum, das Hoppe-Seyler (8) durch Reduction einer Lösung von Hämatin mit Zinkstaub in Natronlauge bekam und das er, da ein Spectrum mit fünf Absorptionsbändern nicht von vielen Farbstoffen hervorgerufen würde, für das Product von zwei neben einander existirenden Stoffen hielt, vom alkalischen Hämatoporphyrin her. Wenigstens erhielt ich, als ich altes Blut unter Erhitzen im Wasserbade mit schwacher Kalilauge und Zinkstaub reducirte, ebenfalls ein fünfstreifiges Spectrum, das sich bei Zusatz von Salzsäure bis zu saurer Reaction in das saure Hämato- porphyrinspectrum umwandelte.! Betrachten wir fünfstreifige Spectra, wie sie von einigen der ge- nannten Beobachter beschrieben werden, aber genauer, so ergiebt sich aus der Lage des „fünften“ Bandes doch ein bedeutsamer Unterschied zwischen dem Nencki und Zaleski’schen und den übrigen Hämatoporphyrinen. Bei jenem liest, wie wir aus der umstehenden Tabelle ersehen, dieser Streifen inmitten des übrigen Spectrums, bei den anderen Hämatoporphy- rinen, auch dem von mir erhaltenen Reductionsproduct aus altem Blut, aber ausserhalb im extremen Rot. Bei dem Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski liegt der „fünfte“ Streifen also blauwärts (rechts) vom Streifen I des neutralen Spectrums, bei den übrigen Hämatoporphyrinen links von ihm. Der eben berührte Unterschied ist nicht der einzige In dem Ver- halten der Spectra gegenüber starken Zusätzen von alkalischen Flüssig- ! Kratter (10) hatte für gerichtlich-medicinische Zwecke in Fällen, in denen der Nachweis von Blut wegen Schwerlöslichkeit auf Schwierigkeiten stiess, die Darstellung des sauren Hämatoporphyrinspeetrums mittels Schwefelsäure empfohlen. Ziemke (28) schlug dann unter Hinweis auf das gelegentliche Versagen dieser Methode bei Gegen- wart durch Schwefelsäure leicht verkohlbarer Substanzen die Darstellung des alkalischen Hämatoporphyrinspeetrums vor, zu dem er auf dem Wege über das saure Spectrum gelangte. In der Reduction des Blutes mit Kalilauge und Zinkstaub unter gleich- zeitigem Erhitzen im Wasserbade scheint mir ein neuer directer Weg zur Darstellung des Hämatoporphyrinspectrums gegeben. 18* 276 ARTHUR SCHULZ: Ei Beobach- \ zer a anal (6) Garrod (4) ne ne a Sen ekiiknnd a m (Nencki un produc ( Znleski) (aus Harn isolirt) (aus Harn isolitt) 5; Shen) a al EEE — 647 —6535 652—638 650—639 648— 641 625—614 624—614 624—613 626—616 625—613 599 —595 _ —_ — —_ 584— 565 597—561 597—560 583—561 590—571 543—527 546— 526 540—524 546—530 561—530 518—488 515—493? 511—489 518—494 521—490 | keiten finden wir eine weitere Abweichung. An dem Reductionsproduct aus altem Blut konnte nämlich der „fünfte“ Streifen trotz Zusatzes grosser Mengen von Kalilauge nicht zum Verschwinden gebracht werden. — Es lässt sich dieser Streifen zu dem neutralen Spectrum des Hämatoporphyrins von Nencki und Zaleski vorläufig nicht in Beziehung bringen. Ich will noch mit wenigen Worten auf die Intensität der einzelnen Streifen des alkalischen Hämatoporphyrins eingehen. Huppert (Neubauer und Vogel [20]) giebt an, dass, vom rothen Ende aus gerechnet, die beiden ersten Streifen die blassesten und gleich dunkel sind, dass der dritte dunkler als diese und der vierte am dunkelsten ist. Aehnlich beschrieb und bildete Kratter (10) das Spectrum ab. Bei dem Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski sind der erste Streifen und der blauwärts gelegene Theil des zweiten ebenfalls gleich blass, die beiden anderen in zunehmendem Grade dunkler. Im Gegensatz hierzu werden die Streifen zuweilen alternirend oder, wie von Ziemke und Müller (29), in theilweise umgekehrter Abstufung - gezeichnet. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Gamgee (2) im unsichtbaren Theil des Spectrums in der Region zwischen den Fraunhofer’schen Linien F und @ (4 486-1 — 4 328.6) auf photographischem Wege für das alkali- sche und auch das saure Hämatoporphyrin, was ich hier gleich bemerken will, zwischen 4 und 7 ein weiteres Absorptionsband festgestellt hat. Die Absorption dehnt sich mit zunehmender Concentration über X und weiter hinaus. Die absorbirende Kraft der alkalischen Lösung scheint grösser als die der sauren zu sein. Bei Zusatz von Zinkchlorid verändert sich das Spectrum einer ammoniakalischen Lösung von Hämatoporphyrin in sehr charakteristischer Weise. Wir wollen die Besprechung des neu sich bildenden Spectrums, das man als das „metallische“ bezeichnet hat, hier gleich anschliessen. Zu seiner Darstellung nahm ich wieder 0.001582" Hämatoporphyrin, die DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 277 in 10° m Ammoniak (25 procentig) gelöst wurden. Die Lage der einzelnen Streifen! war zwar nicht ganz die gleiche wie bei Fig. 3, Taf. VII, wo einer alkoholischen Lösung 20 Procent Ammoniak zugesetzt sind, die Ab- weichungen waren aber so gering, dass ich zur Vermeidung von Wieder- holungen auf eine nochmalige Wiedergabe des alkalischen Spectrums ver- zichten konnte. Wir können das Spectrum Fig. 3, Taf. VII als Ausgangs- spectrum betrachten. In die ammoniakalische Lösung brachte ich an der Spitze eines dünnen Glasstabes eine minimale Menge Zinkchloridlösung 1:1. Innerhalb 30 Minuten etwa hatten sich dann, ohne dass ein neuer Zusatz erfolgt war, in fliessendem Uebergange folgende Umwandlungen vollzogen? (vgl. Fig. 4, Taf. VII): Im schwachen nach roth gelegenen Theil des Streifens III bildete sich ein stärker und stärker werdendes über die Grenzen von III hinausreichendes Band. Zwischen ihm und dem dunkleren Theil von III («+ £) trat eine zuerst schmale, dann breiter werdende Aufhellung ein, die jedoch erheb- lichere Grade nicht annahm. «&-+ wurde schmaler und blasser, in dem Zwischenraum zwischen ihm und IV, der im alkalischen Spectrum voll- kommen hell ist, bildete sich eine Verdunkelung, die schliesslich mit der zur Linken von &-+ # befindlichen unter Verschwinden dieses Streifens verschmolz. Während dieses Vorganges war I abgeblasst und ganz ge- schwunden und V bis auf einen geringen Rest ebenfalls abgeblasst. Der Streifen IV, der im alkalischen Spectrum nicht besonders breit ist, hatte pach roth hin eine beträchtliche Zunahme erfahren. Das metallische Spectrum sieht dem Oxyhämoglobin- und Kohlen- oxydhämoglobinspectrum zum Verwechseln ähnlich. Wie das letztere ändert es sich auf Zusatz von Schwefelammonium nicht. Es geht bei Zusatz von Salzsäure bis zur sauren Reaction in das saure über und lässt sich bei weiterem Zufügen von Natronlauge bis zur alkalischen Reaction wieder in das alkali- sche verwandeln. Das soeben beschriebene Spectrum kommt einer eigenartigen Verbindung des Farbstoffs mit Zink zu. Es ist zuerst von Mac Munn (14)?, darauf von Hammarsten (ö)und Garrod (4) beschrieben worden. Garrod bildet es bei seinem Farbstoff in concentrirter Lösung mit einem schwachen Bande zwischen den beiden dunklen Streifen ab, das wir bei dem Hämatoporphyrin vor Nencki und Zaleski während des Ueberganges aus dem alkalischen zum metallischen Spectrum sehen (vgl. Fig. 4b, Taf. VII). — Noch bei anderer Behandlung des Hämatoporphyrins hat man dieses Spectrum erhalten. Riva und Zoja I Sie war 616—608, 578—566—559, 544—530, 516—489. ?® Bei Zusatz grösserer Mengen Zinkchlorid trat die Umwandlung sofort ein. ® Mac Munn’s Farbs+off, der aus Harn isolirt war, war allerdings durch Urobilin verunreinigt. 278 ARTHUR SCHULZ: gewannen es, wie Huppert (20) berichtet, dadurch, dass sie eine Lösung des Farbstoffs in Amylalkohol (einen amylalkoholischen Harnauszug) mit Salzlösungen versetzten; es fielen dann die Metallverbindungen des Hämato- porpbyrins aus. Zoja erhielt so Niederschläge mit Chlorcaleium und Chlor- baryum, Chlorzink, Bleiacetat, Quecksilberchlorid, Zinnchlorür und auch mit Chlorammonium.' Die Lage der Streifen, ihre Breite und Intensität waren aber, wie es schien, je nach Art des Metalles etwas verschieden. Saillet (23) bekam bei anhaltendem Kochen einer ammoniakalischen Hämatoporphyrin- lösung einen Farbstoff, dessen Spectrum dem des Hämochromogens sehr ähnlich war und den er h&mochromogene sans fer nannte. Es handelte sich hier ebenfalls um das metallische Spectrum. Die Absorptionsstreifen dieses „eisenfreien Hämochromogens“ zeichneten sich dadurch aus, dass sie -in neutraler, alkalischer und saurer Lösung beständig waren und nur bei gelindem Erwärmen mit Schwefelsäure oder beim Kochen mit Salzsäure wieder in das saure Spectrum übergingen. Das metallische Spectrum lässt sich regelmässie aus dem alkalischen durch Zusatz von Zinkchlorid erhalten. Da das alkalische, wie wir noch sehen werden, auch in saurer Lösung sich bilden kann, und wir es, wie wir bereits festgestellt haben, auch in neutraler Lösung vorfinden, so zeigt sich das Auftreten des metallischen Speetrums also an eine bestimmte Reaction der Lösung nicht gebunden. Es ist auch im Harn von saurer Reaction (Sulfonalharn) schon beobachtet worden, in welchem es spontan auftrat. Zuweilen erschien es hier zusammen mit dem alkalischen Spectrum; die beiden mittleren Streifen des alkalischen Speetrums zeichneten sich dann durch besondere Dunkelheit aus. In einer alten Lösung in Natronlauge sah ich es ebenfalls, ohne dass ein Zusatz gemacht war. Verhalten in saurer Lösung. Es sei an dem Beispiel der Schwefelsäure besprochen. Auch hier war es nöthig, die Zusätze in möglichst starker Verdünnung und kleiner Menge zu machen. .Dasjenige, was bei der Umwandlung zunächst in die Augen fiel (vgl. Fig. 5 bis S der Spectraltafel VII), war das Abblassen von I und V und die Intensitätszunahme von II und # und yin Ill. I und V verschwanden bald ganz, V etwas später als I. Die wichtigsten Vorgänge spielten sich in dem Raum zwischen II und III und wieder in III selbst ab. In jenem ! Nencki und Sieber (17) stellten eine Natriumverbindung des Hämatoporphy- rins von der Formel C,,H,,NaN;0, + H,O dar (oder (C,,H,sN50;),Na,0?). Aus diesem Salz gewannen sie eine ganze Reihe von Metallverbindungen des Hämatoporphyrins, so das Kalium-, Ammoniak-, Zink-, Silber-, Baryum- und Caleiumsalz. DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 279 entstand, an II angelagert, ein neues Absorptionsband, dessen erste An- deutung wir schon in Fig. 5, Taf. VII sehen. Es gewann mehr und mehr an Breite und Intensität und wurde schliesslich zu dem in roth gelegenen scharf begrenzten schmalen Bande des sauren Endspectrums (a). Inzwischen war II wieder abgeblasst und ganz verschwunden. Bis « erscheint von nun an das Roth vollständig klar. Was die Veränderungen innerhalb des Streifens III betrifft, so sehen wir schon auf Fig. 5, Taf. VII ausser der erwähnten Intensitätszunahme von 5 und y auch ein Dunklerwerden und eine Verschmälerung des zwischen ihnen gelegenen Raumes; es kommt zu einer Verschmelzung von 5 und y und dadurch zur Bildung des zweiten charakteristischen Absorptionsbandes des sauren Spectrums. Durch An- reicherung auf dem nach blau gelegenen Ende gewinnt dieses Band all- mählich noch an Breite Rückten 5 und y zusammen, um sich schliess- lich ganz zu vereinigen, so zeigte im Gegensatz hierzu & das Bestreben, den Zwischenraum zwischen sich und jenen zu vergrössern. Es nimmt an Dunkelheit dabei ab, erscheint aber im Endspectrum (Fig. 8, Taf. VII) noch immer als deutliches, gut gekennzeichnetes Band. — Die Veränderungen im Streifen IV bestehen in rascher Intensitätsabnahme und in einer Theilung; der rothwärts gelegene Theil verschwindet, der andere bleibt. In seiner Nachbarschaft bildet sich nach blau schliesslich noch ein zweites feines Band (d in Fig. 8, Taf. VII), das zu IV oder V ohne Beziehungen ist und in stärkeren Lösungen (0.0048 auf 10m) gedoppelt erscheint. Alle Bänder des Endspectrums sind, wovon man sich bei Betrachtung mit einem Browning’schen Spektroskop leicht überzeugen kann, bei der gewählten Verdünnung durch mehr oder weniger deutliche Schatten verbunden. Ihre Beziehungen zu dem neutralen Spectrum sind aus der Tafel leicht ersicht- lich. Ein gewisses Interesse beansprucht nur der Schatten zwischen & und P-+7y in UI, der einem Antheil des Bandes III von Fig. 1, Taf. VII entspricht. Der ziemlich dunkle Streifen in roth (a) und der tiefschwarze Streifen in grün zwischen D und EZ wurde zuerst von Hoppe-Seyler (8) be- schrieben. Der schwache am weitesten blauwärts gelegene Streifen 5 scheint bisher nicht gekannt zu sein. Der ihm benachbarte blasse Streifen (IV 2) ist schon von Garrod (4) abgebildet. Ein eigenartiges Geschick ist dem Streifen & in III, dem verstärkten Rande des Schattens vor dem breiten Absorptionsbande, zu Theil geworden. Er wurde schon von Mac Munn (13) beschrieben und abgebildet, seine Existenz in der Folge von Stokvis (26), Salkowski (24, Hammarsten (5) und Garrod (4) noch bestätigt und dennoch findet er sich in der neuesten Litteratur viel- fach nicht erwähnt. Soweit ich diese habe einsehen können, wird er als ein besonderes Band, abgesehen von jenen Autoren, — man vgl. auch das Prakticum von Salkowski (25) und das Lehrbuch von Hammarsten(6) — 280 ARTHUR SCHULZ: nur von Saillet (23) und Neubauer (19) angeführt, im Uebrigen aber nicht erwähnt. Allerdings ist dieser Streifen nicht immer deutlich. In frischem Blute z. B., das man in kleiner Menge in concentrirter Schwefelsäure zur Lösung bringt, lassen sich alle Einzelheiten des Speetrums deutlich erkennen, aber nicht mehr bei älterem, eingetrocknetem oder sonstigen Schädigungen aus- gesetzt gewesenem Blute. Durch die platzgreifenden Verunreinigungen des Materials werden die lichtstarken Theile des Spectrums ebenfalls abgedunkelt, und etwaige Feinheiten gehen dann in der allgemeinen Ueberschattung unter, so dass zarte Streifen, wie die beiden im kurzwelligen Theil gelegenen Bänder, aber auch das Band « in III nicht mehr zu erkennen sind. Wir brauchen nur die Lage der Verdunkelungsgrenzen am blauen Ende zu be- trachten, die einen Maassstab für die Beurtheilung der Klarheit unseres Spectrums giebt, um den grossen Einfluss zu erkennen, den die Beschaffen- heit des Materials, ja schon die Art des Lösunesmittels, auf die Durch- sichtigkeit des Spectrums haben. | A des! Verdunkelung 3 ee, | 2 reicht auf der Art des Materiales Lösungs- Farbe der Lösung Aullimeler mittels | scala bis: ee: Hämatoporphyrin 1 u proc. H, 1S0,| ı IE mit Dusuns von vi 18-0 Blau | n » conc. » | roth mit Beimischung von 16-5 | Grün | Frisches Leichenblut 55 18 gesättigtes Roth, in dünner 15-5 | | Schicht grünlich 2 Jahre altes, getrocknetes „, „ | braunroth, in dünner Schicht 13-0 Blut | grün | 1 Jahr altes Blut, 2 Std. lang 65 » , braun, in dünner Schicht 12-5 auf 200° erhitzt | | grün In den beiden letzten Fällen liess sich ausser zwei dunklen Streifen nur noch ein dem breiten Streifen rothwärts angelagerter Schatten er- kennen; die sonstigen Einzelheiten waren ausgelöscht. Die Verdunkelung am blauen.Ende war in directe Nachbarschaft des breiten Streifens gerückt, und in dem schmalen stark überdunkelten Zwischenraum leuchtete das Grün nur noch schwach hindurch. — Das gleiche Verhalten wie Schwefelsäure zeigen Shlzaäuıze und Salpeter- säure. Von ähnlich kräftiger Wirkung bei der Umwandlung des neutralen Specetrums erweist sich die Phosphorsäure. Erheblich schwächer sind Oxal- säure und Weinsäure. Die Essigsäure äussert gegenüber Hämatoporphyrin einen besonders bemerkenswerthen Mangel an sauren Eigenschaften, denn DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 281 sie erzeugt selbst in concentrirter Lösung nur ein dem Endspectrum aller- dings nahestehendes Uebergangsspectrum.! Setzt man sie zu einer neutralen alkoholischen Lösung von Hämatoporphyrin, so geht dementsprechend auch die Umwandlung des Speetrums nur allmählich vor sich. Ein gänzlich ab- weichendes Verhalten zeigt die Borsäure, sie erzeugt — das alkalische Spectrum. Zwei sauer reagirende Salze, das zweifach saure Kalium- und das Natriumphosphat (KH,PO, und NaH,PO,) und schliesslich der Harn thun das Gleiche. Dass ein alkalisches Spectrum nicht nur bei alkalischer Lösung auf- tritt, sondern zuweilen auch bei neutraler, haben wir beim Amylalkohol gesehen. Hier finden wir es nun auch bei saurer Reaction der Lösung. Man ist auf die Thatsache, dass Hämatoporphyrin ein anderes Spectrum zeigen kann als nach der Reaction der Lösung zu erwarten ist, beim Harn aufmerksam geworden. Wenn man sie erst verhältnissmässig spät be- achtet hat, so wird das im Allgemeinen durch die Schwierigkeiten erklärt, die der Feststellung der Identität des Harnhämatoporphyrins mit dem aus Blut künstlich dargestellten entgegenstanden. Wie sehr man da im Un- gewissen war, lehren die verschiedenartigen Benennungen, die man dem Harn- hämatoporphyrin gegeben hat. Mac Munn, der als Erster in einem patho- logischen Urin einen eisenfreien Farbstoff entdeckte, den er künstlich auch durch Einwirkung von Zink und Schwefelsäure auf Hämatin darstellen konnte, nannte den Farbstoff zuerst (11) Urohämatin?, später (12) Urohämatoporphyrin. Harris (7) unterschied nach der Farbe des Harns, ob burgunderroth oder orangefarben ein «- und ein /-Hämatoporphyrin u. s. w. Salkowski (24), der endlich jeden Zweifel an der Identität des Harn- hämatoporphyrins mit dem künstlich erhaltenen beseitigte, nahm zur Er- klärung jener befremdlichen Erscheinung auf eine Bemerkung von Nencki und Sieber (17) Bezug, nach der ihr Hämatoporphyrin in alkoholischer mit Essigsäure angesäuerter Lösung das vierstreifige alkalische Spectrum zeigt. ! Bei wasserfreier Essigsäure (Eisessig), die auch nur ein, dem Endspectrum aber noch näherstehendes Uebergangsspectrum erzeugt, vermisst man das Band « in Streifen III. 2 Ungefähr gleichzeitig mit Mae Munn’s Publication hat Binnendijk (Stok- vis [27]) in einem pathologischen Harn Hämatoporphyrin nachgewiesen, dessen Identität mit dem aus Blut dargestellten Product er schon sicher stellte. Schon vor Mac Munn hatte Baumstark (1) aus einem Harn einen braunen und einen rothen Eisen ent- haltenden Farbstoff isolirt, von denen der rothe — Urorubrohämatin — in saurer Lösung ein hämatoporphyrinähnliches Spectrum zeigte. Es scheint sich hier um ein unreines Hämatoporphyrin gehandelt zu haten. ® Das Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski zeigt in alkoholischer mit Essigsäure angesäuerter Lösung, wie schon erwähnt, das saure Spectrum (Uebergangs- spectrum). 2823 ARTHUR SCHULZ: Garrod (3) glaubte auf Grund von Untersuchungen mit NaH,PO,, dem der Harn ja meist die saure Reaction verdankt, annehmen zu können, dass das Hämatoporphyrin im Harn als Natriumsalz auftritt, in derselben Form wie in alkalischen Lösungen." Zoja (30) führte noch die Abwesen- heit von freien Säuren im Harn zur Erklärung an. Die bisher nicht bekannte Thatsache, dass das alkalische Spectrum auch in Börsäure, wodurch die Auffassung Zoja’s ja direct wiederleet wird, und in Amylalkohol auftritt, giebt der Frage ein wesentlich anderes Aussehen. Wir müssen unsere Theorie jetzt auf breiterer Basis aufbauen. Vorläufig, solange wir die chemische Natur des Hämatoporphyrins nicht besser kennen, werden wir allerdings die Frage wohl nicht lösen. Uebrigens haben andere sauer reagirende Alkalisalze nicht die gleiche Wirkung wie die sauren Alkaliphosphate Saures Kalium- und Natriumsulfat (KHSO, und NaHSO,), ebenso saures oxalsaures Kali (C,HKO,) rufen nämlich bei Zusatz zu einer neutralen alkoholischen Lösung das saure Speetrum hervor, nicht, wie man vielleicht erwarten sollte, das alkalische. Soviel ergiebt sich aber, dass die einfache Bezeichnung der Hämato- porphyrinspectra als „neutral“ oder „sauer“, ungenau ist. Die Unklarheit, die aus dieser Art der Benennung sich ergiebt, können wir dadurch ver- meiden, dass wir gleichzeitig ein bestimmtes Lösungsmittel angeben, aus dem die Art des Speetrums sofort sich ersehen lässt, dass wir also z. B. sagen: neutrales (Alkohol) Spectrum, saures (Schwefelsäure) Spectrum, oder ähnlich. Veränderlichkeit der Lage des Spectrums. Schon Hoppe-Seyler (8) erwähnt, dass die Lage der Strectral- streifen des Hämatoporphyrins sowohl in saurer wie in alkalischer Lösung keine constante ist. Hammarsten (5) hebt diese Thatsache gleichfalls hervor. Garrod (4) und Nebelthau (16) stellen fest, dass der Grad der Säure oder Alkalescenz einen wichtigen Einfluss auf die Lage der Spectra ausübt. Zufügung von Säure verschiebt die Bänder des sauren Spectrums nach roth, Zunahme der Alkalescenz die Bänder des alkalischen nach blau. Auch die Art des Lösungsmittels erwies sich von Einfluss; ! Garrod stellte an einer Hämatoporphyrinlösung in Alkohol und Wasser fest, dass das neutrale Spectrum auf Zusatz von NaH,PO, zunächst in das alkalische sich verwandelte, dass dann bei weiterem Zusatz des Salzes sich wieder das neutrale und schliesslich das saure Spectrum einstellte. Im Gegensatz zu diesem höchst auffälligen Verhalten wurde bei dem Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski stets das al- kalische Spectrum beobachtet, ob nun kleine oder grosse Mengen von NaH,PO, zu- gesetzt wurden. DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 283 der Grad der Verschiebung stand in gewisser Beziehung zum Molecular- gewicht der Lösung, war diesem aber nicht proportional. Je höher beim sauren Spectrum das Moleculargewicht der Lösung war, um so mehr rückten die Streifen nach roth. Zuweilen fand auch beim alkalischen Spectrum ein Auseinanderrücken der Bänder statt, so dass das ganze Spectrum mehr in die Breite gezogen erschien. Das Alter der Lösung war gleichfalls von Einfluss. Meine eigenen Beobachtungen bestätigen diese Veränderlichkeit der Lage. In ammoniakalischen Lösungen, die über ein Jahr alt waren, fand ich die einzelnen Bänder um etwa 4 bis 5 Theilstriche der Millimeterscala nach roth verschoben. Ausser dem Alter der Lösung hat hierzu wohl auch die Abnahme der Alkalesceenz — die Lösungen waren in offenen Reagens- gläsern aufbewahrt — beigetragen. In concentrirter Schwefelsäure waren die Bänder des Spectrums! um die ganze Breite von a nach roth ver- schoben; die D-Linie, auf der in 1 procentiger Schwefelsäure « mit seinem blauwärts gelegenen Rande liegt, fiel jetzt in den rothwärts gelegenen Rand von & in III. In 50 procentiger Schwefelsäure war die Lage der Streifen eine verschiedene, je nachdem Hämatoporphyrin in einer Mischung von gleichen Theilen Wasser und Schwefelsäure gelöst oder zu einer Lösung in concentrirter Schwefelsäure gleiche Theile Wasser zugesetzt wurden. Im ersten Fall lag das Spectrum dicht neben dem in 1procentiger, im zweiten Fall dicht neben dem in concentrirter Schwefelsäure. Hierdurch war eben- falls nachgewiesen, dass mit zunehmender Acidität das Spectrum nach roth sich verschob, dass aber die Verschiebung dem Moleculargewicht der Lösung nicht proportional war. Ich komme auf meine gleich im Eingang der Arbeit gemachte An- gabe zurück, dass ich in Lösungen von reinem Hämatoporphyrin in Am- moniak und verdünnter Schwefelsäure zu den schon vorhandenen einen neuen Absorptionsstreifen im Laufe der Zeit hinzutreten sah. Der neue Streifen der sauren Lösung entsprach in der Lage genau dem Streifen I der neutralen alkoholischen Lösung; der Streifen des alkalischen Spectrums, dessen Bänder übrigens auf dem rothen Ende auseinandergezogen waren, auf dem blauen Ende zusammengerückt, entsprach dem Streifen II der neutralen alkoholischen Lösung; er war nach roth dislocirt. Takayama hat laut mündlicher Mittheilung jenes Spectrum in saurer Lösung schon früher beobachtet, worüber er in den Mittheilungen der Medicinischen Ge- sellschaft zu Tokio 1902 berichtet hat. Er erhielt es durch Erhitzen einer ! Die Lage der Bänder, nach Wellenlängen bestimmt, war folgende: «=615—600, III = 592—448, & = 592—584, 6 + y=574—548, IV # =536—532, b=521—511. 284 ARTHUR SCHULZ: eoncentrirten Hämatoporphyrinlösung, welche durch Auflösen von ge- trocknetem Blut in concentrirter Schwefelsäure hergestellt war, bis zum Auftreten schmutziggrüner Farbe und nachheriges tropfenweise ausgeführtes Eintragen in Wasser oder Alkohol. Resume. Zwischen der Reaction der Lösung und dem Hämatoporphyrin be- stehen nicht immer feste Beziehungen, da das sog. alkalische Spectrum auch in neutraler und saurer Lösung auftreten kann. Die hlosse Be- zeichnung eines Spectrums als „neutral“ oder „sauer“ ist ungenau. Um Unklarheiten zu vermeiden, empfiehlt sich deshalb die gleichzeitige Angabe bestimmter Lösungsmittel, aus denen wir die Art des Spectrums mit Sicher- heit ersehen können. Das metallische Spectrum lässt sich regelmässig aus dem alkalischen (Ammoniak) Spectrum durch gewisse Zusätze (Zinkchlorid) erzeugen. Es kommt also in alkalischer, saurer und neutraler Lösung zu Stande. In Säuren und .Alkalien treten bei entsprechender Concentration in der Regel die Endspectra des Hämatoporphyrins von Nencki und Zaleski ‚auf, zuweilen aber nur wie in Essigsäure ein Uebergangsspectrum. Auch in neutraler Lösung kann es zur Bildung eines Uebergangsspectrums kommen (Amylalkohol). Die Hämatoporphyrine zeigen nicht alle gleiches spectrales Verhalten. Zwischen dem Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski und den übrigen Hämatoporphyrinen sind Unterschiede vorhanden. Der dem breiten dunklen Bande zwischen D und Z rothwärts vor- gelagerte Schatten ist durch einen verstärkten Rand nach roth abgeschlossen. Dieser ist, wie genetisch sich nachweisen lässt, als ein selbständiges Band aufzufassen. | DAS SPECTRALE VERHALTEN DES HÄMATOPORPHYRINS. 285 Litteraturverzeichniss. 1. Baumstark, Zwei pathologische Harnfarbstoffe. Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. IX. p. 568. 2. Gamgee, On the Absorption of the Extreme Violet and Ultraviolet Rays of the Spectrum by Hämoglobin, its Compounds and Certain of its Derivatives. Zeit- schrift für Biologie. 1896. Bd. XXXIV. p. 524. 3. Garrod, Some further observations on urinary Haematoporphyrin. Journul of Fhysiology. 1894. Bd. XV. p. 108. 4. Derselbe, On the occurence and detection of Haematoporphyrin in the urine. Ebenda. 1892. Bd. XIII. p. 598. 5. Hammarsten, Ueber Hämatoporphyrin im Harn. Skandin. Archiv für Physiologie. 1892. Bd. III. p. 319. 6. Derselbe, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 1904. 5. Aufl. p. 180. 7. Harris, On the red ally of Urohämatoporphyrin: a retrospect of twelve cases. British Med. Journal. 1898. p. 361. 8. Hoppe-Seyler, Beiträge zur Kenntniss des Blutes des Menschen und der Wirbelthiere. Med.-chemische Untersuchungen. Berlin 1871. p. 528. 9. Hoppe-Seyler-Thierfelder, Handbuch der physiologisch- und pathologisch- chemischen Analyse. 1903. 7. Aufl. p. 282. g .10. Kratter, Ueber den Werth des Hämatoporphyrinspeetrums für den forensischen Blutnachweis. Vierteljahrschrift für gerichtliche Mediein. 1892. 3. F. Bd. IV. p. 62. 11. Mac Munn, Further Researches into the Colouring-matters of Human Urine etc. Proceedings of the Royal Society of London. 1880/81. Bd. XXXI. p. 211. 12. Derselbe, Observations on some of the Colouring-matters of bile and urine etc. Journal of Physiology. 1885. Bd. VI. p. 36. 13. Derselbe, On the presence of Hämatoporphyrin in the integument of certain invertebrates. Zbenda. 1886. Bd. VII. p. 243 u. 249. 14. Derselbe, On the origin of Urohaematoporphyrin and of normal and patho- logieal urobilin in tbe organism. Zbenda. 1889. Bd.X. p.79 (sp. 12.1) und p. 82 (sp. 20. I). 15. Mulder, Ueber eisenfreies Hämatin. Journal für praktische Chemie. 1844. Bd. XXXIL p. 186. 16. Nebelthau, Beitrag zur Lehre vom Hämatoporphyrin des Harns. Zeitschrift für physiologische Chemie. 1899. Bd. XXVII. p. 324. - 17. Nencki und Sieber, Ueber das Hämatoporphyrin. Sitzungsber. der Kaiserl. Akademie der Wissensch. Wien 1889. Jahrg. 1888. Bd. XCVII. Abthl. IIb. p. 80. — Archiv für experiment. Pathologie und Pharmakologie. 1888. Bd. XXIV. p. 430. 18. Nencki und Zaleski, Untersuchungen über den Blutfarbstoff. Zeitschrift Jür physiologische Chemie. 1900. Bd. XXX. p. 423. 19. Neubauer, Hämatoporphyrin und Sulfonalvergittung. Zeitschrift für exper i- mentelle Pathologie und Pharmakologie. 1900. Bd. XLII. p. 462—464. 286 ARTHUR SCHULZ: DAS SPECTRALE VERHALTEN U. S.W. 20. Neubauer und Vogel, Anleitung zur qualitativen und quantitativen Ana- Iyse des Harns. 1898. In 3. Aufl. bearbeitet von‘Dr. H. Huppert. p. 557. 21. Le Nobel, Ueber die Einwirkung von Reductionsmitteln auf Hämatin and das Vorkommen der Reductionsproducte im pathologischen Harn. Pflüger’s Archiv. 1887. Bd. XL. p. 501. : 22. Ranking und Pardington, Two cases of Haematoporphyrin in the urine. The Lancet. 1890. p. 607. 23. Saillet, De l’urospectrine (ou urohematoporphyrin normale) et de sa trans- formation en h&mochromogene sans fer. Revue de medicine. 1896. T.XVI. p. 542. 24. Salkowski, Ueber Vorkommen und Nachweis des Hämatoporphyrins im Harn. Zeitschrift für physiologische Chemie. 1891. Bd. XV. p. 286. 25. Derselbe, Prakticum der physiologischen und pathologischen Chemie. 1900. 2. Aufl. p. 126. ' 26. Stokvis, Over twee zeldzame kleurstoften in de urine van zieken. Meder!. Tijdschrift voor Geneeskunde. 1889. Vol. II. Citirt nach Salkowski (24). p. 304. 27. Derselbe, Zur Pathogenese der Hämatoporphyrinurie. Zeitschrift für klin. Mediein. 1895. Bd. XXVII p.1. 28. Ziemke, Ueber den Werth des alkalischen Hämatoporphyrins für den forensischen Blutnachweis. Vierteljahrsehrift für gerichtliche Mediein. 1901. 3. F. BAXRN p.7231. 29. Ziemke und Müller, Beiträge zur Spektroskopie des Blutes. Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. Suppi. p. 177. 30. Z0ja, Archiv. italiano di elinica medica. 1893. Vol. XXXI. Citirt nach Garrod (3). p. 114. Erklärung der Abbildungen. (Taf, VIL) Fig. 1. Spectrum des Hämatoporphyrins von Nencki und Zaleski in neu- traler alkoholischer Lösung. Figg. 2 und 3. Entstehung des „alkalischen“ Spectrums aus dem unter Fig. 1 abgebildeten bei allmählichem Zusatz von Ammoniak. Fig. 2 giebt eine Phase des Ueberganges wieder, Fig. 3 ist das Endspectrum, das weitere Veränderungen auf er- neuten Zusatz von Ammoniak nicht eingeht. Fig. 4. Hämatoporphyrin von Nencki und Zaleski in ammoniakalischer Lö- sung. Die-Spectra a, b und c veranschaulichen die in fliessendem Uebergange auf einmaligen Zusatz kleiner Mengen Zinkchlorid erfolgende Umwandlung des „alkalischen“ in das „metallische“ Spectrum (ec). Fig. 5 bis S. Entstehung des „sauren“ Speetrums (Fig. 5) aus dem unter Fig. 1 abgebildeten „neutralen“ bei allmählichem Zusatz von Schwefelsäure. Die Uebergänge erfolgen wie in alkalischer Lösung schrittweise, jedes Uebergangsspeetrum entspricht einem bestimmten Säuregrad der Lösung. Weitere Beiträge zur Lehre vom Gehen. Von Ernst Jendrässik, 0. ö. Prof. in Budapest. Vor einigen Jahren habe ich Untersuchungen über den normalen und pathologischen Gang veröffentlicht!, sie betrafen das Gehen auf horizontaler Gehfläche und wurden mit Hülfe von photographischen Aufnahmen des nackten Körpers ausgeführt, nach welchen Aufnahmen ich die Curven der einzelnen Gelenke reconstruirtee Zu diesen Untersuchungen habe ich eine Methode gewählt, die sich besonders auch für das Studium der patholoeischen Gangarten eignet, die aber auch einige Eigenthümlichkeiten des’ normalen Ganges erkennen half. In vorliegender Mittheilung werde ich über weitere Untersuchungen berichten, welche ich theils über den Gang auf horizontaler Fläche — aber diesmal von der frontalen Ansicht der Versuchsindividuen — vorgenommen habe, theils aber über den Gang auf schief-steigender und fallender Ebene und über das Hinaufsteigen auf eine erhöhte Fläche (Treppensteigen) und Hinabtreten von derselben. Die Untersuchungen auf wagerechter Gehfläche habe ich noch mit dem gewöhnlichen photographischen Apparat ausgeführt, doch habe ich die Einrichtung insofern modifieirt, dass ich mittelst einer speciell construirten Kasette die Weiterschiebung der lichtempfindlichen Platte zwischen den einzelnen Aufnahmen möglich machte Mit dem so aus- gerüsteten Apparat habe ich die Aufnahmen derart gemacht, dass das Ver- suchsindividuum (Gesunde und Kranke) sich der Linse direet näherte oder von derselben sich entfernte. Die Momentaufnahme erfolgte im Augenblick, als das Individuum sich eben im Brennpunkt des Linsensystems befand, ! E. Jendrässik, Klinische Beiträge zum Studium der normalen und patho- logischen Gangarten. Deutsches Archiv für klinische Medicin. Bd. LXX. 288 ERNST JENDRASSIK: natürlich musste auf diese Weise der Gang immer von Neuem begonnen werden und ein einzelner Versuch ermöglichte stets nur eine Aufnahme. Indem ich den Ausgangspunkt des Ganges bei einem jeden erneuerten Versuch um die Distanz eines Viertelschrittes weiter verlegte, erhielt ich vier Phasen eines Schritte. In der Kasette war eine 9Xx18 Platte, auf welche, in sechs, je 3°” breiten Abtheilungen von den Versuchsindividuen ca. 7.5—8°% hohe Bilder fixirt wurden. Die Expositionszeit betrug ca. 0-01—0.03 Secunden. Einige der Aufnahmen sind in dieser Arbeit in Autotypie wiedergegeben. Die Untersuchungen über das Gehen auf schiefer Ebene und das Be- steigen einer Treppenstufe habe ich mittelst eines Lumitre’schen Kine- matographen ausgeführt. Diese Untersuchungen ermöglichte das speciell für unsere Zwecke gebaute Atelier meiner Klinik, in welchem die zu diesen Aufnahmen nöthige Lichtmenge vorhanden ist. Auch habe ich statt dem gewöhnlich gebrauchten Linsensystem den Kinematograph mit dem be- sonders lichtstarken Objectiv Zeiss-Krauss Planar 1:3.6, F. 60 um versehen. Die kinematographischen Aufnahmen sind ziemlich schwierig ausführ- bar, auch unterlaufen bei denselben manche Fehlerquellen, doch konnten dieselben durch specielle Einrichtungen auf ein Minimum redueirt werden. Eine der grössten Schwierigkeiten erwächst aus dem Umstande, dass der Mechanismus des Apparates durch eine Kurbel aus freier Hand in Be- wegung gesetzt und gleichmässig darin erhalten werden muss. Natürlich ist hierbei eine ganz gleichmässige Geschwindigkeit sehr schwer zu er- reichen, trotzdem dass das Trägheitsmoment des Mechanismus des Appa- rates, bei einer noch etwa achtmaligen Vergrösserung der Drehungsgeschwin- digkeit einen gewissen Ausgleich bewirkt. Natürlich wäre ein automatischer Betrieb vorzuziehen, doch war es mir nicht möglich, einen speciellen Apparat für die mechanische Drehung der Kurbel verfertigen zu lassen. Soweit es aber ging, habe ich getrachtet unter der Kontrolle eines in der Nähe auf- gestellten Metronoms die Geschwindigkeit möglichst gleichmässig einzuhalten. Habe ich hierbei — laut der dem Apparat beigegebenen Vorschrift — die Kurbel zweimal in der Secunde gedreht, so erfolgten die einzelnen Auf- nahmen in je 0-062 Secunden, wenn ich aber die Kurbel rascher, dreimal in der Secunde umgedreht habe, was bei den ‚rascher erfolgenden Be- wegungen (Treppensteigen) nöthig war, so reducirte sich die Zeit zwischen je zwei Aufnahmen auf 0.04 Secunde. Von dieser Zeitperiode entfielen ?/, auf die Zwischenpause, in welcher der Momentverschluss des Apparates geschlossen war, und !/, bloss auf die Aufnahme, somit waren die Exposi- tionszeiten 0.015 bei der langsameren, 0.01 Secunden bei der rascheren Bewegung. Selbst bei dieser Schnelligkeit waren einzelne Glieder, die eben WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 289 in viel rascherer Bewegung sich befanden, in ihren Contouren etwas ver- schwommen, doch war trotzdem auch an diesen Gliedern der Mittelpunkt des betreffenden Gelenkes immer genau bestimmbar. Von den so erhaltenen Negativen habe ich mit dem Projectionsapparat etwa vierfach vergrösserte posi- tive Copien gemacht, und dann von diesen nun etwa 80 == hohen Figuren mittels eines entsprechenden Divisionszirkels auf Millimeterpapier die Lagen der Gelenkmittelpunkte der einzelnen Glieder in noch vergrössertem Maasse übertragen. Da die einzelnen Bilder der Reihenfolge nach numerirt waren, so entsprachen die Nummern eigentlich gleichen Zeitabschnitten; auf diese Weise konnte die Bewegungsgeschwindigkeit genau bestimmt werden. Bevor ich auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen übergehe, will ich die Frage aufwerfen: welchen Zweck diese Untersuchungen verfolgen? In erster Reihe betrachten wir als Aufgabe der Untersuchungen über den Gang des Menschen die Bestimmung der physiologischen Verhältnisse bei den verschiedenen Arten der Locomotion; es wäre in dieser Hinsicht noth- wendig, die Kraftlinien und das Ineinandergreifen der einzelnen, die Be- wegung ausführenden Muskeln zu kennen, bis dieses Ziel erreicht wird, trachten wir die Bahn der einzelnen Gelenksmittelpunkte in ihren gegen- seitigen Bewegungen zu erkennen und jene kinetische Energie zu bestimmen, welche in den einzelnen Phasen der Bewegung das Gleichgewicht des sich bewegenden Körpers erhält. Ein Rückschluss aus der Erkenntniss dieser Energie erlaubt die Quelle derselben zu bestimmen, somit Schlüsse auf die beim Gehen activen Muskeln zu ziehen. In zweiter Reihe wollen wir aus den so gewonnenen Daten Aufklärungen erhalten über gewisse pathologische Verhältnisse. Dieses Ziel nöthigt uns auch in der Analyse der physio- logischen Verhältnisse solche Methoden zu benutzen und unter solchen Umständen unsere Untersuchungen anzustellen, in welchen ein Vergleich mit ähnlichen Aufnahmen bei Kranken möglich ist. Dieses Ziel erfordert aber, dass wir verschiedene Schritte verschiedener Individuen analysieren, und dass wir in Betreff der Schrittgrösse und dem Schritttempo innerhalb der Grenzen bleiben, welche wenigstens einem Theil der Kranken noch erreichbar ist. Aus diesem Grunde theilen wir nicht den Standpunkt 0. Fischers!, wenn er die besonders im Interesse der klinischen Forschung von uns bemängelten Umstände seiner sonst hochverdienten Arbeiten noch weiterhin vertheidigt. Es handelt sich in dieser Controverse einestheils um die Schrittgrösse des Versuchsindividuums, welche in den Aufnahmen Fisehers — meiner Ansicht nach — eine zu grosse war, anderntheils aber darum, dass Fischer bloss zwei Schritte eines Individuums (in der dritten Untersuchung war die Person stark belastet) bestimmt hat, somit die individuellen Differenzen unbeachtet bleiben mussten. 10. Fischer, Der Gang des Menschen. \V. Theil. 1903. Archiv f, A.u. Ph. 1904, Physiol. Abthlg. Suppl. 19 290 ERNST JENDRÄSSIK: Die Schrittlänge betreffend beruft sich OÖ. Fischer auf Bestimmungen, welche er in grosser Anzahl ausgeführt hat und welche in Durchschnitts- zahlen für den als „Wanderschritt“ benannten Gang eine, 80" etwas übersteigende Schrittlänge, bei oft kürzerer Zeitdauer als 0.5 Secunde er- gaben. Auch ich habe in dieser Richtung Versuche angestellt, und die- selben noch jüngstens wiederholt, doch finde ich selbst (trotz einer Körper- höhe von 184 =), dass der angegebene „Wanderschritt‘“ sowohl im Tempo als in der Schrittlänge ein gezwungener ist; was jedermann leicht über- prüfen kann. Ich kann hier noch anführen, dass die Gebrüder Weber die Schrittgrösse des gewöhnlichen Ganges zwischen 60— 70 °® fanden, und dass Vierordt für das „natürliche, ungezwungene Gehen“ dieselben Zahlen erhielt, ja als Maximum 737 v= angiebt. Unsere Armee macht 75°” lange Schritte, 115 in der Minute im Truppengang; die Schrittlänge der deutschen Armee ist zwar 80°“ (aber nicht mehr!), im „Parademarsch“ sind jedoch bloss 110—112 Schritte für die Minute berechnet. Der Gang der deutschen Soldaten hat aber, wenigstens in den Augen der Ausländer — gewiss etwas erzwungenes an sich in den ungewohnten, steifen, höchst präcisen Be- wegungen. Aus allem diesen muss ich doch folgern, dass die Soldaten und Universitätshörer, deren Gang Fischer untersucht hat, unter den ob- waltenden Umständen mit ambiciösem Eifer auf ihre Aufgabe losmarschierten und dass die angegebenen Zahlen nicht dem Gang des Wanderers, sondern dem gedrängten Tritte des Eilboten entsprechen. Diese Auffassung wird noch — trotz der gegentheiligen Ansicht Fischers — selbst durch die Aufnahmen Mareys bestätigt. In dem aus Mareys Mittheilung durch Fischer citirten Fall machte das Versuchsindividuum, das noch dazu von kleinerer Körperhöhe war (die Beinlänge betrug ca. 83% nach Fischers Schätzung), Schritte von 87-5“! in 0.5 Secunde; aus der Abbildung ist es aber evident, dass es sich in diesem Versuch nicht um normales Gehen, sondern um eine, dem Laufen sehr nahe stehende Bewegung handelte, was die weite Wellenlinie des Hüftgelenkes, im Gegensatz zu der ziemlich flachen Curve des ruhigen Ganges, klar beweist. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich in der von Fischer nachgebildeten Abbildung Marey’s um die ähnliche Gehweise desselben Individuums, welches in Marey’s Arbeit: La photographie du mouvement 1892 auf Seite 9 unter dem Titel un homme qui marche dargestellt wird, obgleich der Betreffende eher zu tanzen als zu gehen scheint; ja die Geheurve auf Seite 53 ist noch eigenthümlicher, das Knie ist durchwegs gebeugt, die Welienlinie des Hüftgelenkes ist noch weiter, und doch steht auch unter dieser Figur die Aufschrift un pas de marche. Man darf eben nicht ausser Acht lassen, dass Marey in seinen Mittheilungen fast nur die Methoden seiner Unter- suchungen beschreibt; un die auffallendsten Beweise der Leistungsfähigkeit WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 291 der Methode zu zeigen, hat er eben raschere, lebhaftere, übertriebene Be- wegungen wiedergegeben, welche Gangarten nicht als das normale Gehen eines Menschen angesehen werden können, dessen Aufmerksamkeit nicht ausschliesslich auf die Ausführung dieser Bewegung gelenkt ist. Das ruhige Gehen, Laufen, Tanzen, Springen sind alle Locomotionsbewegungen, welche unter dem Gesammtbesriff Gang verhandelt werden können, doch muss man bei der methodischen Analyse der einzelnen Constituenten dieser Be- wegung die verschiedenen Arten des Gehens von einander sondern. Ich theile aber gerne Fischers Ansicht, dass bei seiner rascheren und in grösseren Schritten erfolgenden Gangart die individuellen Differenzen eher verschwinden, obgleich, wie ich dies schon in meiner ersten Mittheilung betont habe, die Gangart der ausgedienten Soldaten und der Handwerker — also diejenige des klinischen Materiales — in manchen Hinsichten verzerrt, eckig ist, wobei sich die zwei Körperhälften oft ungleich verhalten. In unserem klinischen Materiale ist die Gehweise der Weiber viel gleichmässiger — mit Ausnahme vielleicht der Beckenhälfte des gestützten Beines (gestützte Beckenhälfte), welche oft stark nach oben verschoben wird. Alle diese Umstände sind von Wichtigkeit, wenn wir pathologische Fälle beurtheilen wollen, hingegen haben sie wenig Bedeutung, wenn man blos die physikalischen und physiologischen Verhältnisse des Gehens berück- sichtigt, und in dieser Hinsicht die Bewegungseurven der einzelnen Gelenke analysirt. Wenn wir aber den Einfluss der Gehgeschwindigkeit, der doch in der Beurtheilung pathologischer Fälle grosse Bedeutung zukommt, auf die Art der Bewegung prüfen wollen, so ist es nicht zu umgehen, den Gang bei verschiedenem Tempo und an verschiedenen Individuen zu prüfen.! ! Fischer fasst unsere Angaben über den Einfluss der individuellen Differenzen auf diese Studien nicht richtig auf. Seine Behauptung, dass (8.416) es wohl mit wenigen Ausnahmen die Ueberzeugung der Bewegungsphysiologen sein dürfte, dass die verschie- densten Individuen bei der gleichen Gangart im Wesentlichen die gleichen Bewegungs- gesetze befolgen — ist unzweifelhaft richtig, nur kann man den Begriff der „gleichen Gangart“ nicht als einen absoluten Typus auffassen und verallgemeinern. Wer die Muskelactionen und die Bewegungen der Glieder am nackten Körper beobachtet, wird bald zahlreiche Verschiedenheiten, Ungleichheiten, individuelle Eigenthümlichkeiten bemerken, die theilweise kaum auf der photographischen Platte fixirt werden können, So die Bewegungen des Beckens in der horizontalen und senkrechten Ebene, das manch- mal recht heftige Hin- und Herschleudern der dorsalen Wirbelsäule, das rasche, manch- mal auffallend hohe Abheben des Fusses des den Boden verlassenden Beines u. s. w., wenn wir selbst jener kleineren Veränderungen gar nicht gedenken, deren Gesammt- heit uns in den Stand setzt, schon durch die Gehörseindrücke den Nahenden zu er- kennen. Die Gesetze sind die gleichen, doch erfolgen innerhalh dieser Gesetze die Bewegungen so verschiedenartig, dass man eine klarere Einsicht in diese Differenzen nur bei vielfachen Beobachtungen bekommt. Ich bin aber überzeugt, dass selbst die physiologische Untersuchung der Geh- 19% 292 ERNST JENDRÄSSIK: 1. Gehen auf horizontaler Ebene, von vorn und von hinten betrachtet. Betreff dieser Frage habe ich zahlreiche Aufnahmen von Gesunden und Kranken gemacht. Aus diesen Untersuchungen ergiebt sich bei Gesunden, dass wir in der Phase der Unterstützung des Körpers durch beide Beine — mit dem hinteren Fusse nicht nur zur Bewegung in sagittaler Richtung dem Körper die nöthige kinetische Energie übermitteln, sondern dass wir durch denselben Akt gleichzeitig die senkrechte Haltung des Körpers sichern, und zwar auf dieselbe Weise, wie der Radfahrer durch die Bewegung auf seinem Zweirad im Gleichgewicht erhalten wird; bekanntlich fällt das Rad sofort auf die Seite um, wenn der Fahrer anhält. Dieses Verhalten ist klar er- sichtlich auf Fig. 1. Diese Zeichnung reprodueirt die Umrisse der photo- graphischen Momentaufnahmen, und zwar handelt es sich bei « um ein Individuum, das ruhig auf einem Beine steht, bei 5 hingegen um die Phase der einseitigen Unterstützung während des Ganges desselben Indivi- duums. Der Unterschied ist sehr auffallend: wenn wir eine senkrechte Linie durch den Schwerpunkt des Körpers ziehen, (der Schwerpunkt kann in der Mittellinie des Körpers zwischen dem Nabel und der Symphyse angenommen werden), so schneidet diese Linie im ersten Fall die Mitte des Sprunggelenks, im zweiten hingegen, beim gehenden Menschen, fällt diese Linie in die Mitte zwischen beide Füsse. Auf Fig. 1 ist die ver- tikale Richtung vom gestützten Sprunggelenk aus eingezeichnet. An der Abbildung scheint die sich bewegende Gestalt das Gleichgewicht verloren zu haben, da die den Körper im Gleichgewicht erhaltende- kinetische Energie unsichtbar ist. Verlängern wir die verticale Linie des Schwer- bewegungen nicht die Berücksichtigung dieser physiologischen Variationen entbehren kann; die Analyse der rascheren, langsameren, mit kleineren oder grösseren Schritten erfolgenden Gangarten kann werthvolle Bereicherungen zur Kinematik des Gehens liefern. Fischer hat in seiner V. Mittheilung jene Vorstudien beschrieben, welche die Be- wegung des schwingenden Beines bestimmen; seiner Ansicht nach kann nur eine weitere Bearbeitung dieser Versuchsergebnisse eine endgültige Lösung der Frage über die Richtigkeit der von den Brüdern Weber proclamirten reinen Pendelschwingung ergeben. Ich glaube, dass diese unrichtige, nur viel zu oft erwähnte Theorie viel einfacher zu widerlegen ist. Schon der Umstand, dass im Gehen die untere Extremität die Vorwärts- schwingung mit sehr verschiedener Geschwindigkeit, je nach dem Tempo des Gehens, ausführt, schliesst vollkommen die Möglichkeit de,, „reinen Pendelschwingung“ aus; natürlich kann man es andererseits nicht bezweifeln, dass, so lange die Extremität während ihres Vorwärtsschwingens die senkrechte Richtung nicht erreicht hat, sie die Anziehungskraft der Erde ausnützt, ja sie erfährt sogar dabei eine gewisse Beschleuni- gung, doch steht auch dieser Theil der Bewegung unter dem Einflusse der Muskeln und wird durch dieselben geleitet: verlaugsamt oder beschleunigt. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 293 punktes, d. h. die Richtung der Schwerlinie nach oben, so weicht die Richtung dieser Linie am gehenden Menschen nur sehr wenig von der Mitte des Gesichtes ab, bei der stehenden Figur hingegen ist der Kopf so weit nach der Seite der Anstützung geneigt, dass die vertikale Linie das Ohr des Individuums schneidet. Meine Aufnahmen an Gesunden beweisen, dass die Saeittallinie des Scheitels beim Gehen nur sehr wenig nach der Seite des aufgestützten Beines neigt, der Zeitpunkt des Ueberganges auf die andere Seite fälltt etwas vor die Phase, in welcher das schwingende Bein die Erde berührt Fig. la. Fig. 15. a Stehen auf einem Bein, 5 das Moment der einseitigen Unterstützung während des Gehens. und fällt zusammen mit der Mitte der Distanz zwischen beiden, die Erde berührenden Füssen. Diese Versuchsergebnisse stimmen mit jenen Fischers überein. Bei pathologischen Gangarten (Myelitis transversa, Ataxie, spastische Paralyse, Hemiplegie) fand ich insofern abweichende Verhältnisse, als die Seitwärtsbewegung der oberen Körperhälfte eine bedeutendere war. Eigent- lich handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine wesentlich grössere Entfernung des allgemeinen Schwerpunktes des Körpers von der senkrechten Linie, welche in der Mitte zwischen den beiden Füssen hindurchgeht, son- dern blos um die bedeutende Verschiebung des Kopfes von dieser Linie, 294 ERNST JENDRÄSSIK: welche Verschiebung durch Neigung des Beckens im gestützten Hüftgelenk verursacht wird. Schon in physiologischen Verhältnissen zeigt sich eine kleine Seitwärtsneigung des Rumpfes in diesem Gelenk, die zur Verkürzung des schwingenden Beines beiträgt. Fig. 2 stellt den Gang eines gesunden Mädchens, Fig.3 den eines Pa- tienten, der an spastischer Paralyse (Myelitis disseminata), Fig. 4 hingegen den klassischen Gang eines atactischen Kranken (Tabes) dar. Der hier abgebildete Gang der spastischen Paralyse gleicht ziemlich dem Gang eines Gesunden, der die Schritte sehr langsam ausführt, indem die Gesammt- | Fig. 2. Normaler Gang. schwerlinie des Körpers nicht in der Mitte zwischen beiden Füssen bleibt, sondern sich dem eben belasteten Beine nähert, ja in einigen Aufnahmen schnitt sie sogar dieses Fussgelenk. Gerade das Gegentheil von diesem Verhalten sehen wir bei der Ataxie, der Tabiker hält seine Füsse weit nach aussen von der Schwerlinie seines Körpers. Diese Form des spastischen Ganges ist leicht erklärbar, denn die Gehbewegungen erfolgen in diesen Fällen thatsächlich sehr langsam; der Kranke ist auch gezwungen, da er das Knie des schwingenden Beines nicht leicht beugen kann, seine schwingende Beckenhälfte zu heben. Bei dieser Bewegung neigt jedoch der Oberkörper nur soweit nach der Seite des gestützten Beines, wie die WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 295 untere Extremität der anderen Seite nach aussen geführt wird: auf diese Weise halten sich Oberkörper und untere Extremität das Gleichgewicht, ähnlich einem Wagebalken, dessen Axe in diesem Falle im anderen Hüft- gelenk (demjenigen des gestützten Beines) sich befindet. Bei der Ataxie trachtet der Kranke im Interesse der Kompensation der Gehstörung seine Extremitäten wenigstens in einer Richtung sicher zu fixiren, da er eben in Folge der Ataxie, ungeachtet der vollen Muskelkraft, doch unfähig ist, seine Muskelcontractionen dem Grade der Belastung anzupassen. Deshalb streckt er sein Bein im Knie ad maximum in der i IE 4 EB: 0 ı& BR Fig. 3. Spastischer Gang. vorderen Phase des Ganges. Wenn nämlich diese Extremität die Last des Körpers übernimmt, so braucht der Pat. dann die Innervation seiner Streck- muskeln nicht genau abzuwägen, da das Kniegelenk eine weitere Streckung nicht mehr zulässt und somit ein Plus in der Contraction nicht störend wirkt. Die Unsicherheit der Bewegung tritt aber sofort ein, wenn der Patient auf diese oder andere, der Innervation nicht direct unterworfene Weise seine Extremität nicht sicherstellen kann. Desshalb trachtet er auch unbewusst seinen Fuss stark ausserhalb der Gesammtschwerlinie des Kör- pers zu halten, auf diese Art hat er einen genügend grossen Spielraum, in welchem das Schwanken ihm kaum gefährlich wird, da im Falle, dass er 296 ERNST JENDRÄSSIK: nach innen stürzen würde, er sich noch zur rechten Zeit mit dem anderen Fuss stützen könnte, nach aussen kann er aber nicht umfallen, da sein Gesammtschwerpunkt bedeutend nach innen vom gestützten Beine ver- schoben ist. Der Tabiker bedarf eben einer mechanischen Sicherung seiner Bewegung. Die Mithülfe der Arme und andere Details sind an den Ab- bildungen gut sichtbar. Fig. 4. Ataxie. 2. &ehen auf schief ansteigender Ebene. Diese Untersuchungen betreffen nur Gesunde und sind hauptsächlich auf Grund der kinematographischen Aufnahmen ausgeführt worden. Indem ich auf die Copien der einzelnen kinematographischen Negative die Ordi- naten genau eingetragen habe, konnte ich mit grosser Präeision die Lagen der”einzelnen, dem Apparat zugewendeten Gelenke bestimmen. Das Knie- und Fussgelenk der anderen Körperhälfte konnte auch leicht bestimmt werden, über die Lage des Hüftgelenkes dieser Seite konnte die Ausmessung der Drehung des Beckens und der Länge des Oberschenkels Aufschluss geben. Mit der Frage, wie sich die einzelnen Glieder beim Gange auf einer schief ansteigenden Ebene verhalten, hat sich bisher blos P. Richer! be- ! P. Richer, Nouvelle iconographie de la Salpetriere. 1898, und insbesondere in dem grossen Sammelwerk Traite de physique biologique. Paris 1901. Bd. I. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 297 Sn Zt ee AZ, Fig. 5. Curven des Ganges auf ansteigender Ebene. Die obersten Punkte bedeuten den Schwer- punkt des’Kopfes, darunter die Hüft-, Knie- und Sprunggelenkmittelpunkte. Die Zahlen bedeuten die laufende Nummer der Aufnahmen, somit gleiche Zeitabschnitte. 298 ERNST JENDRÄSSIK: fasst, der auf Grund seiner mit Londe ausgeführten photographischen Aufnahmen und seiner wohlbekannten künstlerischen Begabung werthvolle Beiträge zur Kenntniss dieser Bewegung lieferte. Indessen beziehen sich seine Aufnahmen blos auf wenige Phasen des Gehens, da seine Methode der Momentphotographie nur in verhältnissmässig längeren Zeitintervallen erfolgende Aufnahmen ermöglichte; desshalb können diese Untersuchungen nicht zur Construction der Bewegungscurven der einzelnen Gelenksmittel- punkte benützt werden. Richer hat zu seinen Untersuchungen eine, zur Horizontalen in einem ca. 19° betragendem Winkel ansteigende Ebene ge- wählt, in meinen Versuchen hatte die Gehfläche eine ebensolche Steigung. Meine Versuchsergebnisse können an der Fig. 5 abgelesen werden, wo aber, um die Zeichnung durch eine übermässig grosse Anzahl vor Linien nicht undeutlich zu machen, blos jede dritte Aufnahme eingezeichnet ist, die dazwischenliegenden Phasen sind durch Punkte angegeben. Die Curven weisen bedeutende Unterschiede gegen jene beim Gang auf horizontaler Ebene erhaltenen auf; der Rumpf ist stärker nach vorne geneigt, die Wellenlinie des Hüftgelenkes ist stark ausgesprochen. Am wenigsten ver- ändert ist die Curve des Fussgelenkes, am stärksten jene des Kniegelenkes, welche in der Zeitphase, als der andersseitige (hintere) Fuss eben den Boden verlässt, eine Schlinge beschreibt indem das Knie eine Zeit lang, nahezu während der Hälfte der Periode der einseitigen Unterstützung rück- wärts, in der der Rumpfbewegung entgegengesetzten Richtung sich bewegt. In der gleichen Periode bewegt sich das Kniegelenk beim Gehen auf hori- zontaler Ebene etwas langsamer, doch verändert sich seine Bewegungsrich- tung nicht. Beim Steigen auf der schiefen Ebene kommt das Kniegelenk in stark gebeugter Haltung in jene Bewegungsphase, in welcher, am Schluss der Schwingungsphase, der betreffende Fuss den Boden erreicht, beim Gehen auf horizontaler Ebene hingegen befindet sich in der gleichen Gehphase das Kniegelenk in gestreckter Haltung. In Betreff der Zeitperiode der doppelten Unterstützung (d. h. der- jenigen, in welcher beide Füsse den Boden berühren), sind in meiner ersten Arbeit über den Gang des Menschen in Folge eines Versehens leider un- richtige Zahlen angegeben, diese möchte ich hier vor allem richtigstellen. Die Zeitphase der doppelten Unterstützung ist nämlich eine wesentlich kürzere als es dort (S. 991. c.) heisst, es sollen in den dort aufgezählten fünf Fällen statt der angegebenen, folgende Zahlen gesetzt werden: ein. Ball TA ee IHBroCenE BR ER 0 ee skciotch =) A ESESAE TR RD, ae N 30-4 „ » „» von Braune-Fischer 11-1 „, WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 299 diese Zahlen entsprechen dem Verhältniss der Phase der doppelten Unter- stützung zur Dauer des Halbschrittes. Die nicht unwesentlichen Differenzen in den angegebenen Fällen finden ihre Ursache hauptsächlich in der ver- schiedenen Geschwindigkeit des Gehens und in dem nicht gleicbmässigen Verhältniss zwischen Schrittgrösse und Beinlänge. Beim Steigen auf schiefer Ebene ist die Phase der doppelten Unter- stützung wesentlich verlängert: 35.7 Procent des Halbschrittes!. Diese lange Zeitperiode dient dazu, um die dem Körper in diesem Falle nöthige grössere kinetische Energie zu ertheilen, welche ihn über die Phase der verticalen Unterstützung hinüber hilft. Noch auffallender sind die Eigenthümlichkeiten dieser Gangart, wenn wir. die Curve des Hüftgelenkes (welche so ziemlich derjenigen des Ge- sammtschwerpunktes entspricht) in ihrem zeitlichen Verlauf im Verhältniss zur vertikalen Bewegung vergleichen. Aus diesem Grunde habe ich Fig. 6 construirt, an welchem die einzelnen Abschnitte der horizontalen Abscisse gleiche Zeitabschnitte (0-1 Secunde) bedeuten, an der Ordinate hingegen die in verticaler Richtung erfolgenden Bewegungen des Hüftgelenkes (Er- hebung und Sinken) verzeichnet sind. Die obere Curve, A, bezieht sich auf den schräg ansteigenden Gang, die untere, 5, auf den Gang auf hori- zontaler Ebene, a—b, «—b’ ist die Phase der einseitigen Unterstützung, 1 Eigentlich ist diese Periode etwas kürzer, da wir bei diesen Bestimmungen die Bahn des Hüftgelenkes für Zeitabseisse nahmen, diese Bahn stimmt aber nur annähernd mit den wirklichen Zeitphasen, und eben in der Phase der doppelten Unterstützung bewegt sich das Hüftgelenk etwas langsamer. Da unsere kinematographischen Auf- nahmen in gleichen Zeitintervallen erfolgten, konnten die Zeitperioden auch direct be- stimmt werden; auf diese Weise erhielten wir 34-4 Procent für die Phase der doppelten Unterstützung. 300 ERNST JENDRÄSSIK: in a verlässt der hintere Fuss eben den Boden, in 5 erreicht derselbe vorne wieder den Boden. Auch hier ist die kürzere Dauer der Periode der einseitigen Unterstützung bei steigender Bewegung erkenntlich; weiterhin fällt der Unterschied auf, dass die Periode der einseitigen Unterstützung beim Gehen auf horizontaler Ebene schon in dem noch kaum ansteigenden Theil des Wellenthales beginnt, hingegen beginnt dieselbe bei steigender Bewegung in einem schon vorgeschritteneren Abschnitt der Wellenbewegung; wenn wir aber diese Verhältnisse nicht auf die horizontale Abseisse, son- dern auf die mit «—y bezeichnete Richtungsaxe beziehen, so ist der Unter- schied zwar kleiner, immerhin aber noch ziemlich gross, und stammt haupt- sächlich aus dem Umstand, dass das Wellenthal tiefer, der Uebergang in den Wellenberg steiler ist. Das Ende der einseitigen Aufstützung beginnt auch bei solcher Betrachtung wesentlich früher; erst in der Phase der doppelten Aufstützung beginnt die Erhebung des Körpers entsprechend der Steigung der Gehfläche. Die zwei Wellenlinien (Hüftgelenkscurven) sind in gleichem Verhältniss gezeichnet, die verschiedene Weite dieser Curven ist sehr auffallend. Wenn wir diese auf gleiche Zeitabscissen bezogene Erhebungscurven mit der Curve der räumlichen Bewegung vergleichen, so finden wir, dass die erstere einen gleichmässigeren Verlauf hat, an der letzteren ist ' das Wellenthal in die Länge gezogen, etwas ungleichförmig, was durch die wechselnde Beschleunigung der Bewegung verursacht ist. Zeitlich erscheint eine leichte Verlanesamung, als die gestützte Extremität sich in der ver- ticalen Stellung befindet, die grösste Beschleunigung der Erhebung fällt in den Moment, als der hintere Fuss eben die Erde verlässt. Die Bewegungswinkel der Gelenke habe ich in derselben Weise, wie in meiner ersten Arbeit bestimmt; die einzelnen Gelenke bezeichne ich mit folgenden Buchstaben: a bedeutet die Bewegung des Oberschenkels nach hinten von der senkrechten Richtung, d seine Bewegung nach vorne, a-+b somit den ganzen Winkel der Bewegung und Streckung des Oberschenkels, c die grösste Bewegung des Unterschenkels von der verticalen Haltung an nach hinten, d ebenso gemessen die grösste Bewegung nach vorne (wobei die Haltung des Unterschenkels blos im Verhältniss zur Verticalen betrachtet wird), e aber entspricht dem ganzen Bewegungswinkel des Kniegelenkes (also die grösste Beugung im Verhältniss zu der Verlängerungslinie des Oberschenkels), endlich $:B das Verhältniss der Schrittlänge zur Länge der unteren Extremität (Beinlänge). Die Resultate dieser Messungen sind folgende: (Siehe Tabelle S. 301.) Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, dass beim Gehen auf schief an- steigender Ebene der Ober- und Unterschenkel trotz der etwas verkleinerten WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 301 | ] Versuchs-Nummer \ a | ) | a+b| e d e S:B ) | 15° | 47.00 | 62.00 | a0 | go | ao | 1-2 2 | 15 |s8-0 | 53:0 | 38 9 ck) Mittelwerth für Weiber | 5 loan | ee | 14 51 1-3 auf horizontaler Ebene | Schrittgrösse in weiteren Winkeln als beim Gang auf horizontaler Ebene sich bewegen. Bloss der Werth von d ist wesentlich kleiner bei jener Gangweise, da der auf schiefer Ebene steigende seinen Unterschenkel in der vorderen Phase des Schrittes nicht ganz strecken kann, ausser wenn er ganz kleine Schritte machen würde und selbst dann würde ein solches Verhalten die Arbeit vergrössern und dem Gange einen ganz ungewohnten Charakter verleihen. Durch die Streckung des Unterschenkels in der vorderen Schrittphase gewinnt der Körper einen nicht unwesentlichen Zu- wachs an kinetischer Energie beim Gehen auf wagerechtem Boden; das Ausbleiben dieses Theiles der Energie wird einigermaassen durch die stärkere Erhebung des Öberschenkels und durch die damit verbundene Verlagerung des Gesammtschwerpunktes nach vorne ersetzt. Die beiden Fersen berühren, ebenso wie beim Gehen auf horizontaler Ebene, nie gleichzeitig den Boden: im Moment da die Ferse des schwingenden Fusses den Boden berührt, erhebt sich schon diejenige des hinteren Beines. Der Rumpf, ja sogar der Kopf sind auffallend nach vorne geneigt; die Arme haben in unseren Versuchen, trotzdem wir das Versuchsindividuum in dieser Hinsicht nicht beeinflusst haben, keinen Antheil an der Be- wegung, sie verblieben in ruhiger, herabhängender Haltung etwas vor dem Hüftgelenk. Es steht ausser Zweifel, dass bei dieser Gehweise die wesentlichste Kraft der Locomotion ebenfalls jene kinetische Energie ist, welche am Ende der beiderseitigen Aufstützung von dem sich hinten anstützenden Bein geliefert wird. Die Bahncurve und die Geschwindigkeitscurve des’ Körpers beweisen in gleichem Sinne, dass diese kinetische Energie durch sehr gleichmässige Beschleunigung dem Körper ertheilt wird, dass ferner diese Beschleunigung schon stark verlangsamt ist noch bevor der Gesammtschwerpunkt des Körpers die senkrechte Phase erreicht hat, und ihren Höhepunkt in dem Moment erreicht, als das hintere Bein den Boden verlässt und das Vorwärtsschwingen beginnt. ; Um eine klarere Einsicht in die hier obwaltenden Verhältnisse geben zu können, schliesse ich hier die kurze Zusammenfassung der wichtigsten Momente des Ganges des Menschen, sowie sie sich aus meinen Unter- suchungen ergeben, an. An Fig. 7 habe ich jene drei Phasen des Ganges 302 ERNST JENDRÄSSIK: auf horizontalem Boden aufgezeichnet, durch welche der Gehmechanismus erklärt werden kann. Der Ausgangspunkt ist durch 1. bezeichnet, als das Hüftgelenk a (eigentlich sollte hier Gesammtschwerpunkt stehen) eben vertical über dem Fussgelenksmittelpunkt sich befindet, das andere Bein macht eben in dieser Periode seine Schwingung nach vorne. Die zur Weiterbewegung nöthige Kraft besitzt der Körper in diesem Moment als letzten Rest von der kinetischen Energie, welchen er in der dieser Phase Fig. 7. Die drei wichtigsten Phasen des Gehens auf horizontalem Boden: 1. die Phase der senkrechten Stützung‘; in 2. gelangt der vordere (schwingende) Fuss auf den Boden (Beginn der doppelseitigen Stützung); in 3. verlässt das hintere Bein eben den Boden (Beginn der Periode der einseitigen Stützung). . vorangehenden Periode besass, ferner aus jener statischen Energie, welche der Körper dadurch gewinnt, dass die Vorlagerung des schwingenden Beines den Gesammtschwerpunkt nach vorne vorschiebt und so der Anziehungs- kraft der Erde zugänglich macht. (In der eben verticalen Stellung des Schwerpunktes hat die Schwerkraft keinen Einfluss auf die Vorwärtsbewegung). Hat der Gesammtschwerpunkt des Körpers die verticale Ebene passirt, dann wird er auf dem absteigenden Theile der Wellenlinie, welchen er beim Gehen den einzelnen Gehphasen entsprechend beschreibt, und welcher ab- WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 303 steigende Schenkel im Grossen dem Segment eines Kreises, dessen Radius das hinten aufgestützte Bein darstellt, entspricht,! — durch die Schwerkraft mit allmählich sich beschleunigender Geschwindigkeit weiter befördert, bis das schwingende Bein den Boden vorne erreicht und durch sein Aufstützen dem weiteren Sinken ein Ende macht. Der Zeitmoment, in welchem das schwingende Bein auf den Boden aufgesetzt wird, entspricht somit dem Moment der tiefsten Stelle des Wellenthales der Curve des Gesammt- schwerpunktes. Diese Phase ist auf Fig. 7 mit Nr. 2 angegeben. Von dieser Phase an wird der Körper von dem hinten sich aufstützenden Bein vorwärts geschoben, indem dieses Bein durch Streckung im Knie- und be- sonders im Fussgelenk verlängert wird, dabei aber erhält der Körper, der schon von der Beschleunigung der Periode 1 bis 2 her eine gewisse kine- tische Energie hat, in einer verhältnissmässig kurzen Zeitperiode (2 bis 3 in der Figur) von dem hinten aufgestützten Bein noch so viel kinetische Energie, als es dazu bedarf, um von der tiefsten Stelle der Curve des Ge- sammtschwerpunktes hinauf in die nächste verticale Haltung (d) zu gelangen. Während dieser Periode (2 bis 6) kommt dem vorne aufgesetzten Bein nur die Rolle zu, den Körper gegen die Schwerkraft der Erde — welche der Gehende eben in der vorangegangenen Periode (a bis 2) zu seiner Weiter- beförderung ausgenützt hat — zu vertheidigen d. h. den Gesammtschwerpunkt zu unterstützen. In der dritten Schrittperiode (3 bis 5) kommt der Körper (Gesammtschwerpunkt) also bloss durch jene kinetische Energie weiter, welche er zum Theil von der Beschleunigung in der ersten Schrittphase (a bis 2), zum Theil von der Arbeit des hinten aufgestützten Beines in der zweiten Schrittphase (2 bis 3) erhalten hat; die Nutzbarmachung dieses Energievorrathes erlaubt die ausgestreckte, vorne aufgesetzte Extremität nicht einfach in der horizontalen Richtung, sondern bloss nach vorne und oben, entsprechend des Wellenberges der Raumcurve des Schwerpunktes (d. h. im Grossen entsprechend dem Segment eines Kreises, dessen Radius das vorne aufgestützte Bein bildet,. Während der dritten Gehphase (3 bis 2) hat keine andere Kraft einen (vorwärtstreibenden) Einfluss auf den Körper ausser der während der zweiten Gehphase (2 bis 3) gesammelten kinetischen Energie, wir haben keine Muskeln, die in diesem Abschnitt des Halb- schrittes befördernd einwirken könnten. Hat der Gesammtschwerpunkt während der zweiten Phase genügenden Vorrath an Energie erhalten, so gelangt er in die verticale Phase (d), wenn nicht, dann fällt er zurück. Das Minimum der Fortbewegungsgeschwindigkeit in der ersten Phase (1 bis 2) entspricht der von der Schwerkraft abhängigen und somit sich .* Dieser Radius wird während der Bewegung etwas verlängert, indem die Auf- stützung zu Beginn mit der ganzen Fusssohle geschieht, späterhin aber mit den Zehen. 304 ERNST JENDRÄSSIK: beschleunigenden Geschwindigkeit, welcher, ein vertical aufgestellter Stab bei seinem Umfallen unterworfen ist.! Diese Geschwindigkeit kann aber vergrössert werden, wenn der Körper in der vorangehenden, zweiten Phase (2 bis 3) eine so bedeutende kinetische Energie erhalten hat, dass diese nicht nur zur Erlangung der senkrechten Aufstützung genügt, sondern auch noch darüber beiträgt zur Erhöhung der Fallgeschwindigkeit der Phase 2 bis 3; natürlich wird hierdurch diese letztere Phase zeitlich verkürzt. Nach all’ diesem ist es klar, dass der Körper seine ganze Fortbewegungsenergie in der Phase 2 bis 3 bekommt, d. h. in jener Phase, welche von dem Aufsetzen des Beines in der vorderen Schrittphase bis zum Abheben des hinteren Beines vom Boden dauert (Phase der doppelseitigen Aufstützung). Es ist auch evident, dass in dieser Kraftentwickelung die grösste, fast die alleinige Arbeit den Wadenmuskeln (Gastroenemius-Soleus)\ zukommt, die übrigen Muskelactionen dienen bloss der Unterstützung des Körpers und der Ge- staltung der Gangform. Der Halbschritt wird umso grösser, je später das vordere Bein die dritte Phase erreicht, was von der Wirkung der Beuger des Oberschenkels und Strecker des Unterschenkels abhängt. Bei längeren Schritten ist: die Wellencurve des Gesammtschwerpunktes nicht nur länger, sondern auch weiter, indem Wellenthal und Wellenberg grössere Höhen- differenzen aufweisen. Diese Verhältnisse können am klarsten nachgewiesen werden, wenn man bei normaler Schrittlänge (75 bis 80°“) den Schritt äusserst langsam auszuführen versucht. Bei diesem Versuch fällt es sofort auf, dass, wenn man die Gehbewegung ganz normal ausführen will, eine solche Bewegung nicht gleichmässig gemacht werden kann, denn wenn es auch gelingt, den . ersten Theil der Phase der doppelten Aufstützung ganz langsam auszu- führen, so müssen wir doch am Ende dieser Phase eine Beschleunigung eintreten lassen, sonst fällt unser Körper im Moment, wo sich das hintere Bein vom Boden abhebt, zurück; desgleichen ist es uns nicht möglich, die Periode in welcher das schwingende Bein sich in der vorderen Schritthälfte befindet, unter eine gewisse (von der Schwerkraft abhängige) Zeitdauer zu verkürzen. „Diese Daten müssen aber noch nach zwei Richtungen hin ergänzt werden. Der Gesammtschwerpunkt des Körpers erreicht eigentlich noch vor der verticalen Haltung (über dem Fussgelenk) sein statisches Gleich- gewicht, da der Fuss in seiner ganzen Länge als Stützpunkt dienen kann, nicht allein, wie wir dies oben, zur Vereinfachung der Verhältnisse, bloss ‘ Eigentlich kann dieses theoretische Minimum dadurch noch praktisch redueirt werden, dass man die Phase der verticalen Haltung verlängert, indem man die Auf- stützung vom Fussgelenkmittelpunkt auf das distale Ende der metatarsalen Knachen überträgt. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 305 für das Fussgelenk angenommen haben. Der Schwerpunkt des Körpers ist schon im statischen Gleichgewicht bei &, £ (an Fig. 7); ja der Schwer- punkt kann von «& bis «@ verschoben werden, ohne dass der Körper aus dem statischen Gleichgewicht käme. Daraus folgt, dass es zu dem Gelingen der Gehbewegung genügt, wenn die kinetische Energie den Körperschwer- punkt bis zur ersten Grenze (£) des statischen Gleichgewichtes verhilft (also nicht bis 6), von 5 bis 5 kann eine geringe Contraction der Unter- schenkelmusculatur den Schwerpunkt weiter befördern. Als zweite Er- gänzung muss ich anführen, dass die kinetische Energie den Gesammt- schwerpunkt in seinem Wege von 3 bis # nur nach vorne verschiebt, auf- wärts (am Wellenberg) wird der Körper (wie sich dies aus den weiter unten zu besprechenden Versuchen beim Treppensteigen ergiebt) durch die, nach der #-Phase allmählich erfolgende Streckung des Kniegelenkes des vorderen Beines gehoben.! Aus diesen Grundsätzen ist es ersichtlich, dass die zum normalen Gang nöthigen Muskelwirkungen sich zusammensetzen eines Theils aus statischen und anderen Theils aus gewissen locomotorischen Muskel- wirkungen. Diese letztere betreffend muss man unterscheiden die Muskel- thätigkeit, welche das eigentlich active Bein betrifft und jene, die das schwingende Bein bewegt. Das active Bein ist, entgegen der bisherigen Auffassungsweise, jenes, welches in der Phase der doppelseitigen Aufstützung sich hinten befindet, und solange es den Boden berührt, den Körper nach vorne schiebt und gleichzeitig mit der nöthigen kinetischen Energie aus- rüstet, die in der passiven Schrittphase die weitere Fortbewegung ermöglicht. In der Phase der einseitigen Aufstützung schwingt dieselbe Extremität, die vordem activ war, nach vorne, dabei beugt sich zu Beginn das betreffende Knie, streckt sich aber im Laufe der Schwingung und gelangt nahezu ganz gestreckt vorne am Boden an; die Activität dieses Beines bestimmt die Schrittlänge und übt einen gewissen Einfluss auf die Bewegung des Gesammtschwerpunktes aus. Das andere Bein verhält sich während diesen Phasen sehr passiv, trägt zwar die Körperlast, doch übt es keinen Einfluss auf die Fortbewegung aus, ja selbst das Strecken des Oberschenkels (nicht des Kniegelenkes!) erfolgt bloss relativ zur Bahn des Beckens, es ist keine active Arbeit, und kann mit der Bewegung eines Wagens verglichen werden, in welchem Vergleich die Axe des Rades durch den passiven aufgestützten Fuss dargestellt wird, das Bein ist, die Speichel des Rades, welches der Be- wegung des Wagens — hier des Beckens — passiv folgt, ohne eine Wirkung ! Geht man in Schuhen, dann streckt sich das Knie erst nach dem Verticalen ganz, beim barfüssigen Gehen ist das Knie bereits in der verticalen Haltung vollkommen gestreckt. Archiv f, A,u.Ph, 1904. Physiol, Abthlg, Suppl, 20 306 ERNST JENDRÄSSIK: auf dieselbe auszuüben. Die Activität dieses passiven Beines beginnt im Moment da das andere, schwingende Bein ‘vorne auf den Boden aufgesetzt wird, d.h. in der Phase der doppelseitigen Aufstützung. Die Muskelcontractionen des Oberschenkels können nur dann richtig gedeutet werden, wenn man von den, hier neben einander liegenden Muskeln diejenigen, welche eigentlich der Bewegung des Oberschenkels dienen, von denjenigen trennt, deren Aufgabe die Bewegung (und Aufrechterhaltung) des Beckens ist; diese Frage betreffend berufe ich mich auf eine unlängst publieirte Arbeit.! Beim Gang auf schief ansteigender Ebene bewegt sich der Gesammt- schwerpunkt des Körpers so lange in nahezu horizontaler (ja sogar etwas abwärts gerichteter) Richtung, bis das hinten aufgestützte Bein eben den Boden zu verlassen beginnt (also länger als beim Gange auf horizontaler Fläche). In diesem Moment besitzt der Körper jene nöthige kinetische Energie, welche ihn zum Erklimmen des Wellenberges befähigt. Diesem Zweck dient aber auch jener Umstand, dass das Knie des vorderen Beines so lange gebeugt gehalten wird, bis der Gesammtschwerpunkt in das statische Gleichgewicht kommt; erst dann erhebt sich wesentlich der Körper auf den Wellenberg. Die nach vorne gerichtete Bewegung ist bis zu diesem Punkte alleinige Arbeit des hinteren Beines, wobei aber das vorne gestützte Bein — . während der Periode der einseitigen Aufstützung doch schon etwas hebend wirkt, indem seine, in dieser Phase noch schwache Action mit der kine- tischen Energie zusammen aus der reinen Bewegung nach vorne eine nach vorne und etwas hinaufzu gerichtete macht. Es ist eigenthümlich, dass entgegen diesen nicht zu bezweifelnden Daten (welche weiter unten noch bekräftigt werden), nach welchen das Gehen (und besonders das Gehen auf ansteigendem Boden) darin besteht, dass wir mit unserem hinten aufgestützten Beine unseren Schwerpunkt von Schritt zu Schritt durch die verticale Ebene der Schwerlinie (statische Gleichgewichtslage) hinüber schleudern (wobei dem vorne aufgestützten Beine nur die Aufgabe der verticalen Erhebung zukommt): doch in unserer Selbstbeobachtung eine ganz täuschende Empfindung entsteht. Geht man auf steigendem Weg, so bekommt man das Gefühl, als ob man seinen Körper durch das. vorne aufgesetzte und nach hinten gezogene Bein weiterbefördern würde. Diese Urtheilstäuschung rührt grössten Theils daher, dass die einzelnen Componenten des Ganges, ohne besonders darauf achten zu müssen, höchst präcis in einander greifen und dass man durch die relativen Rumpf- und ı E. Jendrässik, Das Princip der Bewegungseinrichtung des Organismus. Beitrag zur allgemeinen und speciellen Muskelphysiologie. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Bd. XXV. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 307 Armbewegungen seinen Schwerpunkt etwas verlegt, wodurch die Anziehungs- kraft der Erde noch besser ausgenützt wird. Wenn man noch die bei der relativen Veränderung unserer Lage in Betreff der äusseren Objecte be- kannten Sinnestäuschungen sich in’s Gedächtniss ruft, so haben wir, glaube ich, eine genügende Erklärung für den angegebenen Fall. 3. Gehen auf schief fallender Ebene. Diese Art der Gehbewegung erfolgt wesentlich verschieden von der vorigen; sie wurde bisher auch bloss von Richer untersucht. Doch können seine Angaben nicht zur Bestimmung von Gelenkeurven benutzt werden, ja man könnte falsche Folgerungen ziehen, wenn man versuchen wollte, aus seinen Skizzen den Verlauf dieser Bewegung in ihren Einzelheiten aufzuklären. Die Wegeurven der einzelnen Körperabschnitte sind auf Fig. 3 abge- bildet; in Anbetracht der Kürze dieses Schrittes ist jede zweite Aufnahme durch Linien wiedergegeben, die dazwischen liegenden Phasen werden durch Punkte angegeben. Die Zeitintervalle sind die nämlichen, wie im vorigen Capitel, d. h. die Differenzen zwischen den laufenden Zahlen entsprechen 0.04 Sec. Die Curve des Hüftgelenkes entspricht im Grossen dem Spiegelbild der- jenigen Curve beim Gehen auf ansteigender Ebene: die Bahn verläuft zu Beginn von dem Moment an, als das vordere schwingende Bein auf die Geh- fläche aufgesetzt wird, nahezu horizontal, dann in gleicher Weise während der einseitigen Aufstützung, bis das andere, nun schwingende Bein sich schon sehr dem Aufstützen nähert, in dieser Periode senkt sich das Hüft- gelenk und mit ihm der Gesammtschwerpunkt des Körpers in einem steilen Bogen, bis der Fuss die Erde berührt. In dieser Hinsicht ist die Aehnlich- keit mit dem Gange auf ansteigender Ebene eine ziemlich grosse, auch dort erfolgt die Steigung bloss während eines verhältnissmässig kurzen Ab- schnittes des Halbschrittes. Doch fällt die Zeitperiode des Steigens im Auf- wärtsgehen nicht mit derjenigen des Sinkens beim Abwärtsschreiten zu- sammen: das Steigen beginnt nämlich zu Beginn der Periode der einseitigen Aufstützung und dauert so lange, bis der Gesammtschwerpunkt die senk- rechte Ebene des Fussgelenkes erreicht. Diese zeitliche Differenz erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass das Steigen, die Erhebung des Körpers gegen die Schwere nur im activesten Theil des Schrittes geschehen kann, während das Sinken durch die Ausnutzung der Anziehungskraft der Erde in der der verticalen Haltung folgenden Periode auch geschehen kann, ja es trägt in dieser Periode noch zu der Bewegung nach vorne bei. Mit anderen Worten: es wiederholt sich beim Gehen auf schiefer Ebene der Mechanismus des Gehens auf horizontaler Gangebene, ist diese 20* 308 ERNST JENDRÄSSIK: nicht wagerecht, so fällt die Steigung in die Periode der steigenden, das : Sinken in den Abschnitt des sinkenden Theiles der Schwerpunktwellenlinie. Weiterhin werden diese Verhältnisse noch klarer de- monstrirt durch jenes Ver- halten, dass beim Gehen auf abwärts gerichteter Ebene im Moment, in welchem der hintere Fuss eben den Boden verlässt, der Ge- sammtschwerpunkt bereits in die Ebene des statischen Gleichgewichtes angelangt ist, d. h. in diesem Fall ist | jene Periode, wo der Körper | bloss durch kinetische Ener- gie weiter befördert wird, sehr kurz, was besonders im Gegensatz zu dem Gange auf ansteigender Ebene stark auffällt. Es hätte thatsächlich keinen Zweck, wenn der Körper in der be- treffenden Gehphase grössere kinetische Energie besitzen würde, da dort die Schwer- kraft dasjenige leistet, was man beim Gehen auf hori- .zontaler Ebene, noch mehr aber beim Gang auf an- steigender Ebene durch Muskelkraft erwirken muss. Dass in Betreff jener Periode, in welcher der Körper die zur Ueberwindung des an- steigenden Bogens der ein- seitigen Aufstützung (2 bis 3, Fig. 8. Die Curven des Gehens auf schief fallender Gehfläche. Die Punkte stellen ebenso die Gelenkmittelpunkte dar, \ IN wie in Fig.5. Bei Nr. 85 gelangt der rechte Fuss auf den Fig. 7) nöthige kinetische Boden, bei Nr. 87 hebt sich der linkeFuss vom Bodenab. Energie sammelt, zwischen WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 309 dem Gange auf horizontaler und steigender Ebene kein grosser Unterschied besteht: erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass man beim Gehen auf horizontaler Ebene auch bei jedem Schritt eine Steigung bekämpfen muss (die Steigung der Wellenlinie 2 bis d, Fig. 7). Unsere Aufnahmen über den Gang auf abwärts führender Ebene be- zeugen, dass bei dem raschen Sinken des Gesammtschwerpunktes in der Periode, bevor das schwingende Bein vorne aufgesetzt wird, eine ziemlich bedeutende Beschleunigung eintritt, welche ihren Höhepunkt mit dem Be- ginn der beiderseitigen Aufstützung erreicht hat. Die Curve des Kniegelenkes weicht zwar nicht sehr von derjenigen beim horizontalen Gange ab, doch ist das Verhalten des Kniegelenkes in- sofern charakteristisch, dass das Knie an der belasteten Extremität auch dann noch gebeugt gehalten wird, wenn diese schon den Moment der Verticalen (der aufgestützten Extremität) passirt hat, ja seine Beugung nimmt noch zu, wo- gegen beim Gehen auf horizontaler oder steigender Ebene in dieser Periode das Knie vollkommen gestreckt wird. Durch dieses Verhalten weicht der Organismus dem zwecklosen Erheben des Gesammtschwerpunktes, welches bei gestreckt gehaltenem Knie in dieser Periode eintreten müsste, aus. Trotz dieser Kniebewegung sinkt in diesem Abschnitt der Körper kaum. Natürlich erwächst aus diesem Verhalten eine bedeutende Arbeit für den M. quadriceps, der so die ganze Last des Körpers tragen muss. Beim Thalwärtsgehen ermüdet, wie bekannt, dieser Muskel, nicht die Waden- musculatur. Die Curve des Fussgelenkes ist in diesem Fall etwas flacher als beim horizontalen Gang. Der Rumpf wird auffallend vertical gehalten, ja im Moment der Verticalen (s. Fig. 7) etwas zurück gebeugt; dabei pendelt der Körper weniger in der sagittalen Ebene, als beim Gehen auf wage- rechter Ebene. Die Periode der beiderseitigen Aufstützung war in meinen untersuchten Fällen bloss 18 Procent des Halbschrittes, somit auffallend kurz, trotzdem dass das Versuchsindividuum beim Gehen auf fallender Ebene wesentlich kleinere Schritte machte (Schrittlänge: Hüftgelenkshöhe = 0.84). Auch diese Verkürzung der Schrittlänge ist charakteristisch für den abwärts ge- richteten Gang. Die Winkelgrade der Maxima der Gelenksexceursionen ergaben folgende Zahlen: Genen aufiajlerder Ebene age ud se la ee SE —2 15 13 46 15 60 0-84 Aus diesen Zahlen ist es ersichtlich, dass der Oberschenkel nicht einmal die verticale Richtung bei seiner Streckung erreicht, ja selbst seine Beugung ist fast nur die Hälfte, die er beim horizontalen, der vierte 310 ERNST JENDRÄSSIK: Theil derjenigen, die er beim steigenden Gang ausführt. Die Bewegungen des Unterschenkels sind nahezu die gleichen, wie beim Gehen auf hori- zontaler Ebene. 4. Hinaufsteigen auf eine erhöhte Gehfläche (Treppensteigen). Zur Untersuchung dieser Gehbewegung besitze ich drei präcise Auf- nahmeserien. In allen dreien sind die Versuchsindividuen auf einen fest- stehenden 47.5°“ hohen Stuhl hinaufgetreten, als Schluss eines ein paar Schritte betragenden Ganges auf horizontaler Gehfläche. Eine der so er- haltenen Curven ist auf Fig. 9 reproducirt, die zwei anderen Aufnahmen haben ganz ähnliche Curven ergeben, höchstens insofern ist ein gewisser Unterschied bemerkbar, dass diese Individuen kürzere Beine hatten und sie deshalb ihr unten aufgestütztes Bein näher zum Stuhl aufsetzten, in Folge dessen die Curven etwas steiler ausfielen. Dieser Unterschied ist an der Hüftgelenkseurve schon sehr gering. Am interessantesten unter diesen Bahneurven ist jene des Hüft- gelenkes, welche wir im Grossen als der Schwerpunktscurve entsprechend ansehen können. Wie es die Fig. 9 zeigt, gelangt diese Curve in einer fast ganz geraden (nur sehr wenig nach oben convexen) Linie an ihr Ziel; in meinen weiteren zwei Aufnahmen ist diese Linie um ein Geringes convexer. Ein gewisser Unterschied kann zwischen den beiden Hüftgelenkscurven aufgefunden werden, was dadurch verursacht ist, dass das Becken sich um seine Längsaxe dreht, man erleichtert den Weg des schwingenden Beines, indem man die betreffende Beckenhälfte nach vorne schiebt. Das Hinauftreten auf diese Anhöhe geschieht in der Weise, dass das unten aufgestützte Bein mittels gleichmässiger Beschleunigung eine solche kinetische Energie dem Gesammtschwerpunkt giebt, dass derselbe, nachdem der hinten aufgestützte Fuss den Boden verlassen hat (zwischen 39 bis 40, doch näher zu 40), sich weiter bewegt und in der gleich zu detaillirenden Weise ans Ziel gelangt. Diese kinetische Energie wird zum Theil durch die entsprechende rasche Bewegung der Arme geliefert. Die Mitwirkung der Arme erleichtert die Arbeit der Wadenmusculatur und findet ihr Ende mit dem Beginn der einseitigen Aufstützung. In diesem ersten Moment des Aufschwingens, wenn eben das hintere Bein sich vom Boden abhebt, ist zwar das Hüftgelenk schon bedeutend über seine tiefste Stelle, doch hat es noch die Höhe, welche es in der vorhergehenden Schrittphase beim Auf- setzen des vorderen Beines innehatte, nicht übertreten. Zwischen diesen beiden Phasen hat sich das Hüftgelenk — durch Bewegung des Knies — gesenkt, was den Zweck hat, die Periode der Beschleunigung (2 bis 3, Fig. 7) zu verlängern. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. ll Fig. 9. Hinaufsteigen auf eine Treppe. A die Bahn des Ohres, C'd des rechten, C's des linken Hüftgelenkes, @d des rechten, Gs des linken Kniegelenkes, Pd des rechten, Ps des linken Fussgelenkes. Die Nummern sind die laufenden Zahlen der Aufnahmen, somit gleiche Zeitintervalle. Der Pfeil giebt jenen Moient an, in welchem der hintere Fuss eben sich vom Boden abhebt; 35 ist der Moment des Aufsetzens des vorderen Beines, in 49 gelangt der Körperschwerpunkt in die senkrechte Ebene des aufgestützten Fusses. 312 ERNST JENDRÄSSIK: Nun befindet sich der Körper von dem Moment an, da der hintere Fuss den Boden verlässt, in einem eigenthümlichen Gleichgewichtszustand. Hätte der Körper in dieser Periode nicht die genügende Quantität von kinetischer Energie, so könnte ihn das oben aufgestützte Bein weder in seiner Lage erhalten, noch ihn auf seiner Bahn weiterbringen, ja diese Extremität würde den Körper sogar zurückwerfen, wenn sie activ eingreifen wollte durch Streckung im Hüft- und Kniegelenk. Die Anziehungskraft der Erde wäre auch in demselben Sinne wirksam. Aus diesen Betrachtungen ist es evident, dass der Körper wenigstens zu Beginn der eben besprochenen Periode (3 bis #, Fig. 7) nach oben und vorne ausschliesslich durch jene kinetische Energie bewegt wird, welche er vom zuletzt hinten aufgestützt gewesenen Beine erhalten hat. In dieser Bewegungsperiode ist also der Körper in derselben Weise der Anziehungskraft der Erde unterworfen, wie ein frei hinaufgeworfener Gegenstand, somit muss seine Bewegung gleich- mässig an Geschwindigkeit abnehmen d. h. eine Parabel beschreiben. Wenn wir aber die Curve des Hüftgelenkes an Fig. 9 ansehen, so finden wir an- statt der Parabel eine fast ganz gerade Wegrichtung, und doch ist es un- zweifelhaft, dass diese Curve fast vollkommen parallel mit derjenigen des: Gesammtschwerpunktes ist, auf welchen sich unsere Erwägungen eigentlich beziehen.“ Der Gesammtschwerpunkt befindet sich etwas über und ein . wenig vor dem Hüftgelenk, er verschiebt sich ein wenig bei der Ver- änderung der Extremitätenhaltung. Die Sachlage klärt sich auf, wenn wir die Zeit als Abscisse nehmen und die in den einzelnen Zeitabschnitten erfolgenden Bewegungen in ver- ticaler Richtung auf diese Abseisse aufzeichnen: so erhalten wir, wie in Fig. 10, 5 (S. 314), eine Linie, welche einer, zwischen Ausgangspunkt und Ende der Hüftgelenkscurve gezeichneten Parabel fast vollkommen identisch verläuft. Die Linie a ist eine wirkliche Parabel, man sieht, wie wenig die numerirten Punkte von derselben abweichen. Die Identität dieser beiden Curven besagt aber nur, dass die Geschwindigkeit des Körpers eine gleich- mässig abnehmende ist. Wir kommen weiterhin auf interessantere Ergebnisse, wenn wir die auf Fig. 9 widergegebenen Curven weiter analysiren. Der Gesammtschwer- punkt des-Körpers erreicht bereits bei Nr. 49 jene verticale Ebene, welche den aufgestützten Fuss schneidet, d. h. der Körper befindet sich von diesem Moment an im statischen Gleichgewicht. Unter diesen Verhältnissen ist es ! Es war mir nicht möglich, ganz präcise Bestimmungen über das Verhalten des Schwerpunktes zu machen, was doch durch Anwendung der von Fischer bestimmten Methoden, sowie auch experimentell möglich wäre. Doch haben meine diesbezüglichen sehr aproximativ-präcisen Berechnungen nur minimale Differenzen ergeben, und selbst diese sprechen für die Richtigkeit der Ausführungen. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 313 klar, dass die Erhebung des Körpers von diesem Moment an durch das oben aufgestützte Bein erfolgt. Dass in dieser Periode der Körper schon ganz auf der angegebenen Extremität lastet, wird erstens dadurch bewiesen, dass in diesem Zeitmoment die Bahn des Kopfes die entgegengesetzte Richtung einschlägt, und der Rumpf um seinen Schwerpunkt sich drehend in die verticale Haltung übergeht; zweitens folgt es aus meinen speciell auf diese Frage hin ausgeführten Aufnahmen, in welchen ich das statische Gleichgewicht an ähnlichen Körperhaltungen studirte, endlich folgt diese Annahme aus dem Vergleich der Stellung des Hüftgelenkes zu jener des Fusses, wie dies in Fig. 9 eingezeichnet ist. Nach all’ diesem ist das letzte Drittel der Steigung ausschliessliche Arbeit des oben aufgestützten Beines, die kinetische Energie hilft dem Körper bloss in den unteren zwei Dritteln des Aufschwunges, also bloss zwischen 40 bis 49. Es ist aber auch unzweifelhaft, dass dem oben auf- gestützten Beine nicht nur die Aufgabe der Erhebung des Körpers im letzten Drittel seines Weges zukommt, sondern dass es seinen Einfluss auch schon früher auf den Körper ausübt, sonst könnte die Hüftgelenks- curve keine gerade Linie sein. Eine sicherere Folgerung auf die relative Theilnahme der beiden unteren Extremitäten in dieser Aufgabe wird er- möglicht, wenn man, wie dies in Fig. 10 ausgeführt ist, neben der Bahn- curve des Hüftgelenkes eine Parabel construirt, deren Anfangsgeschwindig- keit derjenigen des unteren Theiles der Hüftgelenkscurve, vom Moment der einseitigen Aufstützung an, zusammenfällt. Es ist evident, dass wenn der Gesammtschwerpunkt in dieser Phase nur durch die kinetische Energie geführt wäre, so würde er nicht die Bahncurve des Hüftgelenkes beschreiben, sondern eine Parabel. Diese Parabel (d Fig. 10) lässt die relative Theil- nahme der beiden Extremitäten an der Arbeit erkennen. Die zwei Curven verlaufen eine Strecke mit derselben Geschwindigkeit, auf dieser Strecke folgt der Körper der Bahn eines hinaufgeworfenen Gegenstandes, er wird somit ausschliesslich durch die kinetische Energie der vorhergehenden Schrittphase in Bewegung gehalten. Allmählich (von 44 bis 45 an) genügt diese Energie nicht mehr zur Erhebung des Körpers, und um die Bahn des Hüftgelenkes einhalten zu können, bedarf es der Mitwirkung des oben aufgestützten Beines. Von Nr. 49, wie wir dies schon erwähnten, fällt die Schwerlinie des Körpers ($) bereits in die Ebene des Fusses, da kann schon die Erhebung des Körpers ganz vom oberen Bein bewirkt werden, doch erfolgt die Bewegung in der horizontalen Richtung auch in dieser Phase noch durch den Rest der kinetischen Energie, obzwar in dieser Periode eine nach vorne gerichtete Bewegung gewissermaassen auch durch die Unter- schenkelmuseulatur des gestützten Beines dem Körper ertheilt werden kann. Dieser Abschnitt der Bahncurve wäre in unserem Versuch etwas anders 314 ERNST JENDRÄSSIK: ausgefallen, wenn das Versuchsindividuum. die Intention gehabt hätte, auf der erklommenen Höhe nicht still zu stehen, sondern, so wie im Treppen- steigen, sich sofort angeschickt hätte, weitere Stufen zu ersteigen. In diesem Falle wäre am oberen Ende der Bahncurve in der horizontalen Gehrichtung eine Beschleunigung eingetreten. Fig. 10. Linie « ist eine Parabel zwischen Nr. 39 und 61: Beginn der einseitigen Aufstützung und Ankunft des Hüftgelenkes am Bestimmungsort. Linie b ist die kaum abweichende Curve der Steigung des Hüftgelenkes auf die Zeitabseisse bezogen. Linie ce ist die wirkliche Bahn des Hüftgelenkes, d hingegen eine Parabel, welche eine mit der e-Curve gleiche Ausgangsgeschwindigkeit hat. Der Pfeil zeigt den Moment des Abhebens des hinteren Beines, Nr. 49 entspricht den Beginn des statischen Gleichgewichtes des Ge- sammtschwerpunktes; S ist die Lage des Gesammtschwerpunktes in derselben Phase. Die Pfeile im unteren Theile der Figur bezeichnen die Wirkungsrichtungen des oben aufgestützten Beines. Zwischen den Nummern 44—49 steht der Körper also unter dem Einfluss zweier Kräfte. Wie es an Fig. 10 ersichtlich, hört der Einfluss der kinetischen Energie für die senkrechte Bewegung nach oben ungefähr in der Höhe auf, wo der Körper in der statischen Gleichgewichtslage an- gelangt ist (Nr. 49), da die Höhe der Parabel ungefähr in der Höhe des WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 315 Hüftgelenkes von Nr. 49 ihren Scheitel erreicht. Die räumliche Distanz zwischen den Curven e und d wird in der Phase von 44—49 dürch die Arbeit des oben aufgestützten Beines ausgefüllt, indem diese Extremität durch ihre Verlängerung (Streckung im Hüft- und Kniegelenk) den Körper an- statt in der Parabel d sich bewegen zu lassen, ihn in die Richtung der Curve ce drückt. Diese Extremität schiebt zwar den Körper (wie das die an Fig. 10 unten angebrachten und numerirten Pfeile andeuten) nicht nur hinaufzu, sondern auch entgegen seiner Fortbewegungsrichtung; diese beiden Kräfte: kinetische Energie und Druck des oben aufgestützten Beines wirken als Kräftecomponenten auf den Gesammtschwerpunkt und bestimmen so als ihre Resultirende die jeweilige Bewegungsrichtung. Die alleinige Einwir- kung des aufgestützten Beines würde also die intendirte Bewegung nicht nur nicht erhalten können, sondern sie würde den Körper in die entgegen- gesetzte Richtung schleudern. Es ist interessant, wie wenig dieser Theil der Kraftwirkung die Bewegungsgeschwindigkeit des Körpers — trotz seiner Wirkungsrichtung — verlangsamt; die feine Abwägung und Anpassung dieser zwei Kräftewirkungen ist ein schönes Beispiel der Coordination. Wie es die Curve 5 (Fig. 10) zeigt, entsteht eine kleine Verlangsamung in der Erhebung erst nach Nr. 49, als die kinetische Energie schon aufgehört hat zur Erhebung des Körpers beizutragen und diese Aufgabe einzig dem aufgestützten Beine zukommt. Die Componenten der Kräfte erhält man, wenn man die Bahnrichtung des zu bestimmenden Punktes an der Curve c aufzeichnet, dann die jeweilige Kraftrichtung des aufgestützten Beines und die Kraftrichtung der kinetischen Energie aufträgt. Die erstere bestimmt dann bei der Construction des Kräfteparallelogramms die relative Grösse der beiden letzteren. Die Wir- kungsrichtung der kinetischen Energie wird durch die Tangente der ent- sprechenden (horizontal mit der betreffenden Nummer in gleicher Höhe liegenden) Stelle der Parabel d bestimmt. Da die einzelnen Factoren dieser Kräfte bestimmt werden können, so ist es nicht schwer, in allen Lagen die relative Kraftentwickelung der beiden Componenten festzustellen. Die so ausgeführte Zeichnung bezeugt, dass die Arbeit des aufgestützten Beines zu Beginn sehr klein ist, dann stetig zunimmt, bis sie ihre grösste Kraft- entwickelung bei Nr. 49 erreicht. Diese Verhältnisse werden noch durch die in Winkelgraden ausge- messene Veränderung der Hüft- (relativ zum Rumpf) und Kniegelenke er- läutert, wie dies die Tabelle auf S. 316 zeigt. Diese Reihen bezeugen, dass die Bewegungen des Hüft- und Knie- gelenkes sehr gleichzeitig erfolgen und besonders in zwei Perioden eine wesentliche Beschleunigung aufweisen: die erste dieser Beschleunigungen ist augenscheinlich passiv, da sie in der Phase 40-43 eintritt, die zweite 316 ERNST JENDRÄSSIK: a | ee | Diterena | En | Dr 36 70 an 78 u ee 37 71 1 78 0 1 38 72 1 78 0 1 39 74 2 78 0 2 40 76 | 2 78 ) 2 41 | so 4 84 6 10 je | 85 | 5 90 6 il 43 | 90 5 95 5 10 44 96 6 97 2 8 45 101 5 100 3 8 46 105 4 103 3 7 47 109 4 107 4 8 48 112 3 | 110 3 6 49 120 8 123 13 21 50 | 126 6 130 7 13 51 130 5 135 5 10 152 | 136 6 140 5 11 53 | 5 144 4 9 | 143 | 2 146 2 4 hingegen fällt auf die mit Nr. 49 beginnende Periode und zeigt die grösste Activität für diesen Abschnitt an. Wenn wir die hier angegebenen Daten zusammenfassen, so scheint aus dem Vorgetragenen nachweisbar zu sein, dass der Körper im ersten Drittel (39—43) der Periode der einseitigen Aufstützung bloss durch die von der vorherigen Phase mitgebrachten kinetischen Energie hinaufzu und vorwärts getrieben wird, im zweiten Drittel (43—49) bewegt ihn nach vorne noch immer die kinetische Energie, nach oben zum Theil diese, zum Theil das oben aufgesetzte Bein, die beiden gemeinsam, im dritten Drittel des Weges (49—61) nach vorne theilweise die kinetische Energie, theil- weise die Unterschenkelmuskeln, hinaufzu nur die Arbeit des oben aufge- setzten Beines. Diese Bewegung des Hinaufsteigens auf eine erhöhte Geh- fläche kann nicht so aufgefasst werden wie diejenige, wenn man sich auf eine erhöhte Fläche hinaufstellt, indem man seinen Gesammtschwerpunkt früher in das statische Gleichgewicht bringt und das andere Bein erst nachher und ohne jede Beschleunigung vom Boden passiv abhebt. In diesem Falle gelten die Gesetze des sich Erhebens und nicht diejenigen des Gehens. Die gemeinsame Action der beiden unteren Extremitäten gewährt hier einen schönen Einblick in die äusserst präcise und ökonomische Coordination der Arbeit der beiden unteren Extremitäten. Man muss am Ende der WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 317 Phase des beiderseitigen Aufstützens die Beschleunigung genau ausmessen, damit der Vorrat an kinetischer Energie bis zur Grenze der statischen Gleichgewichtsrichtung genügt, dabei noch genau abschätzen, wie viel Kraft von den Widerständen und namentlich von demjenigen des oben aufge- stützten Beines verbraucht wird. Wollen wir die Bewegungen der einzelnen Glieder für sich erkennen, dann müssen wir die obigen Curven umrechnen; von der Bahn des Knie- gelenkes diejenige des Hüftgelenkes abziehen, von derjenigen des Fuss- gelenkes auch die des Kniegelenkes in Abzug bringen. Vereinfacht wird diese Betrachtungsweise, wenn wir die Winkelgrade der Glieder, die sie in ihrem Gelenk mit der verticalen Ebene bilden, in den einzelnen Zeitphasen ausrechnen. Auf diese Weise erhalten wir die folgende Tabelle, in welcher die Zahlen unter A die Aufnahmenummern bedeuten, somit die Zeitphasen, B die Winkelgrade des Rumpfes (Hüftgelenk — Ohr im Verhältniss zur Verticalen), C die Winkelgrade des linken schwingenden Öberschenkels, D des linken Unterschenkels, Z des rechten aufgestützten Oberschenkels, 7 des rechten Unterschenkels: A B C | D | E F 26 — 14° + 9° 60 + 65° — 51° 28 — iR 5 1. = @ 88 9 29 — 18 2 —6 95 — 4 31 — 1 — 12 102 +11 33 — 1% 3 — 23 99 5 34 — jil | 6 — 33 98 3 35 — 11 | 7 om 97 1 37 — il | 0 I en 96 NR 38 — (ß | —R | BY | 94 — 11 40 I 21 en oo 83 Eh 41 — 22.5 —® — a8 | 77 al) 43 — 24 5 Ei Ba 7 En 25 44 95 +1 — 49 59 | — 26 46 — 24 11 — 59 49 — 28 48 — 24 23 60 | 42 — 23 49 — All 24 ENG 33 20 51 — 16 25 ner 2 — 18 93 — 118) 20 | Reto 23 — 54 — 10 | 22 ji Bee | 22 10 57 — 13 — M In dieser Zahlenreihe bedeuten die Winkelgrade des schwingenden Beines (C, D) direct die verrichtete Arbeit, da an diesem Gliede die Be- 318 ERNST JENDRÄSSIK: kämpfung des Gewichtes des Gliedes selbst die eigentliche Arbeit darstellt (natürlich bloss vom Moment an, als dieses Glied das Schwingen beginnt). Zur Beurtheilung der Arbeit der aufgestützten Extremität muss man die Verschiebung des Gesammtschwerpunktes und die Kraftleistung der übrigen Energien mit in Rechnung bringen. Man könnte noch die Theilnahme der beiden unteren Extremitäten je nach den Phasen ihrer Bewegungen noch ausmessen, wenn man unter die Fusssohlen des Versuchsindividuums geeignete Apparate befestigen würde, welche das auf sie drückende Gewicht und die Zeitphase gleichzeitig gra- phisch aufzeichnen würden. Doch erlauben die oben dargestellten Curven eine genügend klare Einsicht in die gegenseitige Rolle der beiden unteren Extremitäten. 5. Heruntersteigen von einer erhöhten Fläche. Hier handelt es sich nicht bloss um Herabtreten von einer höheren Fläche, sondern gleichzeitig auch um ein Weiterschreiten in horizontaler Richtung; das Versuchsindividuum hatte zur Aufgabe, von einem Stuhl herunterzusteigen und gleich weiter zu gehen. Ich benutzte dieselben In- dividuen zu meinen diesbezüglichen Aufnahmen: die beigegebene Fig. 11 stammt von demselben Individuum her, wie Fig. 9. Die einzelnen Curven sind den vorigen ziemlich ähnlich. Die Bahn des herabtretenden Fussgelenkes biegt sich etwas zurück, da der Fuss mit den Zehen am Fussboden anlangt und das Fussgelenk um diesen fixen Punkt seine Bahn im Kreisseement beenden muss. Auffallend ist der grosse Bogen, welchen das oben länger aufgestützte Fussgelenk beschreibt, die Bedeutung dieser Bogen versteht man aber, wenn man die einzelnen Bilder betrachtet, da das Fussgelenk den Bogen in einem Kreissegment, dessen Mittelpunkt das distale Ende des metatarsalen Theiles des Fusses ist, ausführt; der Bogen wird so gross, weil der obere Fuss auffallend lange mit dem Stuhlrande in Berührung bleibt. Der Fuss verlässt die Anhöhe an der höchsten Stelle des Bogens, bei Nr. 104—105; diesem Zeitmoment geht derjenige, in welchem der andere Fuss eben auf den Boden unten aufgesetzt wird, nur kaum bemerkbar vor. Das Hüftgelenk durchläuft seine Bahn in etwas nach oben convexem Bogen, zwischen den Bahnen der beiden Hüftgelenke ‚zeigt sich ein gewisser Unterschied: die dem schwingenden Bein entsprechende Beckenhälfte senkt sich rascher, wie die andere. Prüfen wir diese Curve des Hüftgelenkes in Betreff des zeitlichen Ver- laufes der einzelnen Phasen, so ergiebt diese Untersuchung (durch Auf- tragen der verticalen Bewegungsgrössen auf gleiche Zeitabschnitte) ebenfalls WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 319 Fig. 11. Bahrcurven der Gelenke beim Herabsteigen von einer Treppenstufe. Buchstaben und Zahlen wie in Fig. 9. Der Gesammtschwerpunkt des Körpers verlässt die statische Gleichgewichtsebene bei 94—95, bei Nr. 104—105 hebt sich der obere Fuss von der "Treppenstufe ab; das Aufsetzen des anderen Fusses auf den Fussboden erfolgt ganz kurz vor diesem Moment. 320 ERNST JENDRÄSSIK: eine ziemlich vollkommene Parabel (Fig. 12), an welcher nur gegen das Ende der Curve eine etwas wesentlichere Abweichung bemerkbar ist, ja hier ist es selbst auffallend, dass die Ankunft des Fusses, so lange er die. Bodenfläche bloss mit den Zehen und dem metatarsalen Ende berührt, eigentlich kaum die Geschwindigkeit des Sinkens verändert. Nur nach Fig. 12. Geschwindigkeitscurven beim Herabtreten von einer Treppenstufe: a eine Parabel zwischen den beiden Endpunkten der freien Bewegung der Hüftgelenksbahn; 5 .die auf räumlich gleiche Strecken bezogene Curve des Sinkens des Hüftgelenkes, die Nummern bedeuten die einzelnen Phasen; e die Bahncurve des Hüftgelenkes, der Pfeil ist der Moment des Anlangens; & die äussere Grenze des statischen Gleichgewichtes; d ist eine Parabel, welche die gleiche Anfangsgeschwindigkeit hat, wie das Hüftgelenk bei «. dem Aufsetzen der Ferse stellt sich eine Verlangsamung ein; die Heftig- keit des Anstossens wird aber bekanntlich durch Beugung der Kniee und Ueberführung der senkrechten Bewegung in die horizontale vermindert. Der Beugung des Knies entsprechend kommt das Hüftgelenk auch tiefer herab als beim Gehen auf wagerechter Gehfläche, und es erreicht seine normale Lage erst wieder im nächsten, schon in wagerechter Richtung fortgesetzten Schritt. WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. 321 Aus diesen Verhältnissen, und namentlich aus der der Parabel ent- sprechenden Form der Geschwindigkeitscurve des Sinkens in unserem Ver- such folgt, dass die Fallgeschwindigkeit während der Dauer der einseitigen Belastung ‚eine sehr gleichmässige Beschleunigung erfährt. Wenn wir aber mit dieser Curve jene der Bahneurve des Hüftgelenkes vergleichen, so wird es klar, dass dem oben so lange aufgestützten Bein auch eine wesent- liche Rolle in dieser Bewegungsform zukommt. Wäre nämlich der Körper, wenn er seine statische Gleichgewichtslage verlässt (bei 94) mit der nöthigen kinetischen Energie — für die Fortbewegung in horizontaler Richtung — versehen, so würde er, wie beim Herunterspringen dies geschehen muss, seine Bahn in einer Parabel bis zu seinem Bestimmungsort (104) durch- laufen. Wenn hingegen von dem Zeitmoment 94 an der Körper allein durch die Schwerkraft bewegt wäre, so müsste er (in der Figur 12 von & an) senkrecht herab fallen, oder, wenn wir die kinetische Energie, welche der Körper im Moment des Verlassens des statischen Gleichgewichtes be- sitzt, in Betracht ziehen und zu ihrer Bestimmung jene Parabel construiren, welcher die gleiche Anfangsgeschwindigkeit zukommt, die der Körper bei «& hat: so käme der Körper doch nicht an dem Punkt seiner intendirten Bestimmung an. Aus all’ diesem folgt, dass der Körper von Nr. 94 an. zwar in senkrechter Richtung frei fällt, doch wird er zugleich in wage- rechter Richtung vom oben noch angestützten Bein nach vorne verschoben (die Actionsrichtung dieses Beines ist durch die längeren Pfeile an Fig. 12 angegeben). Im Moment Nr. 105, da dieses obere Bein schwingend wird, hat der Körper noch so viel kinetische Energie in sich, dass er in Folge seines Trägheitsmomentes die Grenze des statischen Gleichgewichtes, welche in diesem Falle sehr nahe liegt (bei Nr. 106), erreicht. Die Arbeitsleistung des oben aufgestützten Beines kann ebenso, wie dies im vorigen Capitel für das Hinauftreten beschrieben war, durch Con- struction des betreffenden Kräfteparallelogramms bestimmt werden. Diese Arbeit ist sehr gering, die wesentliche Aufgabe fällt bei dieser Bewegung dem unten anlangenden Bein zu, das die bedeutende Beschleunigung, die der Körper gewinnt, und die mechanisch schädlich wäre, durch ent- sprechende Muskelaction besiegen muss. Auch diese Kraft kann bestimmt werden, wenn man das Gewicht des Körpers und die Beschleunigung in Rechnung bringt. Das oben aufgestützte Bein hat auf die Geschwindigkeit des Fallens nur insolange einen Einfluss, bis der Körperschwerpunkt die Grenze des statischen Gleichgewichtes nicht überschritten hat. Deshalb kann diese Ex- tremität die Geschwindigkeit des Sinkens vollkommen beeinflussen, wenn man einfach auf einem Fuss stehend sich von einer erhöhten Fläche herab- sinken lässt; in diesem Fall handelt es sich aber um keine Gehbewegung. Archiv f. A.u, Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 21 322 ERNST JENDRASSIK: WEITERE BEITRÄGE ZUR LEHRE VOM GEHEN. Vom Moment an, da der Gesammtschwerpunkt des Körpers die statische Grenze überschritten hat, besitzt das oben Noch aufgesetzte Bein nur einen nach vorne verschiebenden Einfluss, der höchstens zu Beginn etwas den Fall verlangsamen könnte, doch würde sich damit die Fallhöhe und die Endgeschwindigkeit vergrössern, was nicht den ökonomischen Prineipien des Organismus entspräche. Die Winkelgrade der einzelnen Glieder der Beine können von den Figuren abgemessen werden, in diesem Fall kommt ihnen aber keine grössere Wichtigkeit zu. Physiologische und pharmakologische Versuche an der isolirten Gebärmutter.‘ Von Dr. med. E. M. Kurdinowski. (Aus dem pharmakologischen Laboratorium des Hrn. Professor N. P. Krawkoff in St. Petersburg.) (Hierzu Taf. VIII u. IX.) Einleitung. Es giebt kein einziges Lehrbuch der Physiologie, in dem das Capitel über die Geschlechtsorgane auch nur annähernd so vollständig und sorg- fältig dargelegt wäre, wie andere Capitel. Während z. B. die Capitel über Cireulation, Verdauung u.s. w. in ihren vielen Details bearbeitet worden sind, ist der Geschlechtsapparat, insbe- sondere der weibliche, noch sehr wenig studirt worden. Nicht nur, dass das dazu gehörige factische Material nicht im entferntesten ausreichend ist, sondern auch die Mittel selbst, dieses zu erhalten, seine Methodik, sind im Anfangsstadium, Man braucht nur die sorgfältige Methodik anderer Abschnitte der Physiologie mit der der experimentellen Untersuchungen über den Uterus zu vergleichen, um sofort zu sehen, wie wenig entsprechend letztere dem heutigen wissenschaftlichen Niveau der experimentellen Physiologie ist. Und während die ganze Physiologie fortwährend durch neue Arbeiten be- reichert wird, stellt derjenige Theil, der als Physiologie der Vermehrung be- ! Aus Ursachen, die mit dieser Arbeit nichts zu thun haben, war ich gezwungen, das ganze von mir gesammelte litterarische Material über die experimentelle Physio- logie und Pharmakologie des Uterus wegzulassen; ebenfalls lasse ich die Protokolle über 86 Versuche und den Abriss des Zusammenhanges der Physiologie des Uterus mit der der glatten Musculatur überhaupt weg. : 2% 324 E. M. KURDINOWSKIT: zeichnet wird, immer in beträchtlichem Grade nur eine Wiederholung ver- alteter Thatsachen dar. Es wäre falsch gedacht, wenn man glaubte, dass dieser Theil der Physiologie von jenem besonderen Fach der Mediein be- arbeitet worden wäre, zu dem er in unmittelbarer Beziehung steht, nämlich von der Geburtshilfe und der Gynäkologie. Die meisten Arbeiten, die aus den Händen der Geburtshelfer hervor- gehen, sind Fragen von durchaus klinischem Charakter gewidmet, während die Physiologie desjenigen Organes, welches das Objeet der Thätigkeit des Geburtshelfers-Gynäkologen ist, sich auch hier als ein wenig studirter Gegenstand darstellt. So sind z. B. die Fragen betreffs der Contractionen des Uterus, beziehentlich des Einflusses verschiedener Bedingungen auf jene, betreffs der Innervation des Uterus u. a., streng genommen, noch offen. Indess ist die Wichtigkeit ihrer Lösung nicht nur vom theoretischen Stand- punkte aus klar, sondern auch vom rein klinischen, und dies bezieht sich besonders auf die Frage der Innervation. Doch wäre es unrecht zu sagen, dass die Physiologie des Uterus die Physiologen vom Fach, wie auch die Kliniker, wenig interessirte. Die Be- kanntschaft mit der dazu gehörigen Litteratur zeigt eine ziemlich inhalts- reiche Reihe von Untersuchungen, die verschiedenen Fragen aus der Physiologie des Uterus und besonders der Frage über die Contraetionen ' und die Innervation gewidmet sind. Aber schon bei der ganz flüchtigen Bekanntschaft mit dieser Litteratur kann man sich überzeugen, dass sie von Thatsachen überfüllt ist, welche einander ganz widersprechen. Der Grund für diese Widersprüche besteht hauptsächlich darin, dass der Uterus, als experimentelles Object, viele Schwierigkeiten darbietet. Die Sache ist die, dass der Uterus sich nicht im entferntesten durch constante Eigenschaften auszeichnet: bei jedem neuen Versuche, in den Händen verschiedener Experimentatoren, bietet er in sich nicht ein und dasselbe dar, und das hängt von vielen Bedingungen ab, wie z. B. von der Art des Versuchsthieres, von dessen Alter, von der Brunstzeit und vor Allem von der Zeit des Geschlechtslebens. Daraus ist verständlich, dass schon allein in der Abhängigkeit von der“Wahl des Thieres die Resultate des Versuches sehr schwanken können. Ausserdem ein und dasselbe Thier zu verschiedener Jahreszeit ge- nommen (zur Brunstzeit oder ausserhalb dieser), oder.in verschiedenen Sta- dien der geschlechtlichen Entwickelung, bietet in sich bei weitem nicht dasselbe Versuchsobject dar. Experimentirt man mit einem und demselben Weibchen mehrmals im Laufe seines Lebens, aber in verschiedenen Stadien seiner ge- schlechtlichen Entwicklung, wie z. B. im jungfräulichen Stadium, am An- fang der Schwangerschaft, am Ende derselben, während der Entbindung, PHYysıor. UND PHARMAROL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 325 in der ersten Zeit nach derselben, im Alter, — so kann man die wider- . sprechendsten Ergebnisse über die Funetion des Uterus erhalten. In der Abhängigkeit von jedem dieser Momente werden die Resultate, die sich bei ganz identischer Beschaffenheit der Versuche ergaben, sich von einander erheblich unterscheiden: z. B. ein und derselbe Reiz, von derselben Intensität, ruft nicht dieselbe Reaction im schwangeren und nicht- schwangeren oder jungfräulichen Uterus hervor. Dieser Umstand ist ja der Grund für die Widersprüche bei den verschiedenen Beobachtern, welche den Uterus verschiedener Thiere, in verschiedenen Stadien seiner geschlecht- lichen Entwicklung studirten. Mit alledem, was oben erwähnt ist, sind die Schwierigkeiten des Ex- perimentirens mit dem Uterus noch bei weitem nicht erschöpft. Ausserdem äussert der Uterus, im Gegensatz zu anderen musculösen Organen, seine contractile Thätigkeit, wenigstens in für die Beobachtung genügenden Dimensionen, nicht immer und nicht ununterbrochen. Seine Contractionen erscheinen nur periodisch, nicht immer gleich oft und regelmässig; ausser- dem kann es vorkommen, dass sie während der ganzen Zeit, die für die Dauer des Versuches bestimmt ist, überhaupt nicht erscheinen. Es ist klar, wieviel Schwierigkeiten dies dem Forscher verursacht. Nimmt man mehrere Weibchen ein und derselben Gattung, desselben Alters, zur selben Jahreszeit und im selben Stadium ihres Geschlechtslebens, so wird man ceteris paribus bei dem einen Contractionen des Uterus beobachten, beim andern aber nicht; bei dem einen werden sie von dieser Beschaffenheit sein, bei dem anderen von ganz entgegengesetzter. Die Ursache dieser Thatsache kann durch keine Vervollkommnung der Methodik beseitigt werden, da sie viel tiefer liegt und die physiologische Eigenschaft eines Organs bildet, welches nicht ununterbrochen constant arbeitet, sonderen nur in bestimmten Perioden. Ferner stehen die Contractionen des Uterus, wie jedes glatt-musculösen Organs, in inniger Abhängigkeit von verschiedenen Bedingungen, unter die das Organ zur Zeit des Versuches gestellt wird. So ist z. B. der Uterus höchst empfindiich gegen Temperaturschwankungen, gegen Feuchtigkeit, Berührung mit der Luft, gegen verschiedene mechanische Reize u.s.w. Die kleinste Schwankung dieser Bedingungen genügt schon, um die Contractionen des Uterus beträchtlich zu verändern. Das ist der Grund dafür, weshalb die verschiedenen Forscher den Uterus immer bei nicht ganz identischen Bedingungen beobachten, denn ihre Identität zu bewahren ist hier besonders schwierig; daraus folgen natürlich die Widersprüche in den Resultaten. Wenn auch eine vollständige Identität in der Beschaffenheit des Versuches möglich wäre, so würden doch auch dann die Hindernisse, die dem Untersucher des Uterus begegnen, 326 E. M. KURDINOWSKI: dadurch nur theilweise beseitigt. Die Sache ist die, dass dem Uterus so- genannte willkürliche Contractionen eigen sind, oder besser gesagt auto- matische, das sind solche, die ganz unabhängig von irgend welchem Reize entstehen und welche die charakteristische Eigenschaft jedes glatten Muskels bilden. Natürlich müssen diese automatischen Contractionen, welche sich immer zu denjenigen zugesellen, die künstlich hervorgerufen werden, die Resultate beträchtlich verdunkeln. Freilich sind auch alle jene Reflex- erscheinungen, die mit der Verwundung des Thieres, mit seinem psychischen Zustande, mit dem Schmerzgefühl etc. verbunden sind, noch von Einfluss auf die Contractionen des Uterus. Ist aber das Thier narkotisirt, so kommt noch der noch wenig studirte Einfluss der Narkose auf die Thätigkeit des Uterus in Betracht. Zu allem diesem muss man noch hinzufügen, dass die Anwendung der graphischen Methode auf den Uterus, die beim Studium der motorischen Er- scheinungen anderer Organe die Hauptrolle spielt, sehr schwierig ist. In der That, seine seltenen Contractionen mit ihrem peristaltischen Charakter aufzu- fangen und zu registriren ist durchaus nicht so einfach, im technischen Sinne, wie die Registration der regelmässigen, constanten Bewegungen der Lunge oder des Herzens. Deshalb wurden lange Zeit die Beobachtungen über den Uterus mit blossem Auge ausgeführt; dabei haben sich freilich immer die subjectiven Eigenschaften des Beobachters im Versuche gezeigt, zum Nachtheil seiner Objectivität, und waren von Einfluss auf die Abschätzung der Resultate. Bedenkt man noch dabei, dass der Uterus ein sehr eigentümliches Object ist, welches in jedem einzelnen Falle eine ganze Reihe individueller Eigen- schaften zeigt, so wird es sofort klar, dass diese Den einen sehr schwankenden Boden hatten. Und. während in den anderen Abtheilungen der Physiologie die graphische Methode, die den Subjectivismus des Beobachters auszuschalten und die Beobachtung ganz objectiv zu leiten ermöglicht, schon längst vor- theilhaft angewendet wird, die experimentelle Physiologie auf die gegen- wärtige Höhe erhebend, — ist dasselbe Mittel in der experimentellen Methodik des Uterus erst unlängst erschienen. Es ist noch so zu sagen nicht ganz eingeimpft und sehr wenig bearbeitet — nämlich infolge jener Schwierigkeiten, die mit seiner Anwendung verbunden sind. Bei dem Uterus werden dem Experimentirenden also Schwierigkeiten verursacht, einerseits durch alle Eigenschaften des Uterus, als eines im höchsten Grade unconstanten und gleichzeitig für jeden Reiz sehr empfind- lichen Experimentalobjectes, andererseits durch die Unvollkommenheit der Methodik. Diese Unvollkommenheit der Methodik ist aber nur eine direete Folge dessen, dass der Uterus, als Versuchsobjeet, höchst eigenartig PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 327 ist. Sonst wäre es unbegreiflich, weshalb bei der allgemeinen Vervoll- kommnung der experimentellen Physiologie die Methodik der Unter- suchungen über den Uterus so sehr zurückgeblieben ist. Die Physiologie des Uterus ist also kein zufällig unberücksichtigt ge- bliebenes Capitel. Wenn sie, abgesehen von der umfangreichen Reihe der Untersuchungen, fast eine terra incognita ist, so lässt sich dieser Umstand nur durch jene speciellen und vielen Hindernisse erklären, die dem Experi- mentiren auf diesem Gebiete eigen sind. | Die alten Methoden haben sich durchaus unfähig erwiesen, diese Hindernisse zu beseitigen. Dies, verknüpft mit der Anerkennung der Wichtigkeit des Studiums eines Organs von einer so verantwortlichen Rolle (vom Standpunkte des Gattungslebens aus), wie der Uterus, giebt natür- lich Anlass zur Erfindung neuer Wege, neuer Methoden. In dieser un- vermeidlichen Erneuerung der Methodik liegt alle Zukunft der Physiologie der Gebärmutter.‘ Die Bedeutung der Versuche an isolirten Organen im Allgemeinen und an der isolirten Gebärmutter im Einzelnen. Die Idee des Studiums der Functionen eines vom ganzen Organismus getrennten Organes besteht schon lange in der experimentellen Medicin. Ihrem Wesen nach ist diese Idee eines der zahlreichen Beispiele für die Anwendung der inductiven Methode. Sie entstand kurz nachdem der grosse Bacon die wichtige Bedeutung dieser Methode erklärt hatte, und diese Methode wurde zur Basis der zeitgenössischen wissenschaftlichen Kenntnisse im Allgemeinen und der experimentellen Mediein im Einzelnen. Jede Funetion des Organismus ist eine zu complicirte Erscheinung, um sie gründlich in ihrem ganzen Umfange studiren zu können. Deshalb geht die Wissenschaft von jeher vom Theile zum Ganzen, vom Einfachen zum Complieirten. Sie analysirt, zerlegt die complicirten physiologischen Prozesse in ihre einfachsten Bestandtheile; indem sie diese letzteren studirt und sie in ihrer Gesammtheit umfasst, bedient sie sich des entgegengesetzten synthetischen Weges, um zu der Auffassung zu ge- langen, alle Lebensprozesse als ein harmonisches Ganzes zu betrachten. Dies ist der gewöhnliche Gang des wissenschaftlichen Denkens in der experimentellen Mediein und Naturwissenschaft. Von diesem Gesichtspunkte aus scheint die Aufgabe des Physiologen derjenigen des Mechanikers gleich- bedeutend zu sein, welcher zum Verständniss einer complieirten Maschine vorläufig deren sämmtliche losgelöste Einzelheiten gründlich studirt. In Wirklichkeit jedoch ist die Aufgabe des Physiologen bedeutend schwieriger, weil der lebende Organismus unendlich viel complieirter ist, als jede com- plieirte Maschine. 328 E. M. KURDINOWSsKT: Das detaillirteste Studium eines aus dem Organismus herausgetrennten Organes kann allerdings keine vollkommene Vorstellung davon geben, wie das Organ im lebenden Organismus functionirt. Unter welche Bedingungen wir das herausgetrennte Organ auch stellen “ mögen, so lebt es doch, sobald ihm die Verbindung mit dem Ganzen ent- zogen ist, nur einen Theil des früheren Lebens, weil die Quelle seiner Lebensthätigkeit nicht nur in ihm selbst, sondern auch in seinen Wechsel- beziehungen zu den benachbarten und sogar zu den entfernten Organen, vielleicht zu allen Zellen des Organismus liegt. Wenn alle Erscheinungen der Lebensthätigkeit eines jeden ÜOrganes, ausserhalb des Organismus genommen, ausführlich studirt worden wären, so könnte man mit einer Summirung der auf diesem Wege erhaltenen Er- gebnisse sich doch nur zum Theil dem Verständniss des Lebensprozesses als eines Ganzen nähern. Thatsache ist, dass dieses Ganze etwas unvergleichlich Compleirteres ist als die einfache Summe aller seiner einzelnen Theile, es ist die com- plieirteste Wechselwirkung einzelner Functionen, die unauflöslich mit ein- ander verbunden sind. Das Studium des aus dem Organismus getrennten Organes ist unvermeidliah mit einer Aufhebung dieser Lebensverbindung verknüpft und bleibt deshalb natürlich unvollständig. Hieraus wird klar, dass die Methode des Studiums der aus dem Organismus getrennten Organe keinen Anspruch auf eine vollkommen selbstständige Bedeutung erheben kann. Ihre Bedeutung muss auf gewisse bestimmte Grenzen beschränkt werden. Sie kann nur als Ergänzung zu anderen Methoden eine Rolle spielen. Das, was an den losgetrennten Organen beobachtet wird, muss immer den Beobachtungen dieses selben Örganes in vivo vergleichend gegenübergestellt werden. Nur unter diesen Bedingungen kann die Methode des Studiums der herausgelösten Organe, wie jeder inductive Weg, ihre raison d’&tre haben. Indem wir die mangelhaften Seiten dieser Methode erkennen, kommen wir doch gleichzeitig auf den Standpunkt, ihre Unentbehrlichkeit in der experimentellen Medicin zuzugeben. Thatsächlich, wenn es möglich wäre, die Lebenserscheinungen immer unmittelbar, d. h. so wie sie im lebenden Organismus vor sich gehen, zu studiren, so würde selbstredend keine Not- wendigkeit eines solchen Umweges, wie das Studium am Organ ausserhalb des Organismus vorhanden sein. Das Bestehen dieser Methode ist folglich unumgänglich und ergiebt sich logisch aus jenen Schwierigkeiten, mit denen das unmittelbare Studium der Lebensprocesse verbunden ist. Dass diese Methode bei ihren relativen Mängeln dennoch eine wesent- liche Bedeutung hat, geht daraus hervor, dass sie schon lange in der experimentellen Physiologie besteht; — verdanken doch sogar einige Ab- PHySIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 329 schnitte der Physiologie ihre ganze Existenz gerade der Anwendung dieser Methode. So ist zum Beispiel die ganze Nervenmuskelphysiologie auf dem Studium der aus dem Körper herausgeschnittenen Muskeln begründet. Und obwohl es unzweifelhaft ist, dass ein solcher von seinen natürlichen Verbindungen losgelöster Muskel, der ohne Ernährung gelassen, einer künstlichen Be- lastung u. s. w. unterworfen ist, bei weitem nicht unter den Bedingungen steht, die den normalen Bedingungen seines Lebens und seiner Arbeit ent- sprechen — so wird nichtsdestoweniger niemand an der Wichtigkeit der an ihm studirten Erscheinungen zweifeln. Denselben Weg ging man beim Studium der automatischen Inner- vation des Herzens, bei der Erforschung einiger chemischer Processe, die in:der Leber, den Gedärmen und anderen Organen vor sich gehen. Nicht nur die aus dem Organismus herausgelösten Organe selbst haben als Objecte physiologischer Experimente gedient, sondern sogar deren be- sonders genommene Producte ihrer Lebensthätigkeit, so zum Beispiel die Absonderungen der Drüsenorgane, die Verdauungssäfte u. s. w. Wem ist es nicht klar, dass der im Experimentirglase untergebrachte Magen- oder Darmsaft keine vollkommene Vorstellung über den ganzen Umfang seiner chemischen Thätigekeit im lebenden Organismus geben kann? Nichtsdestoweniger ist die physiologische Chemie hauptsächlich auf diesem Prineip aufgebaut, d. h. auf dem Studium künstlich isolirter Secretionen und Excretionen; und dennoch zweifelt niemand an der Glaubwürdigkeit ihrer Ausführungen. Hieraus folgt, dass wenn man dem Studium der Organe ausserhalb des Organismus keine Bedeutung zuerkennen will, so müsste man kraft logischer Folgerichtigkeit auf den Standpunkt kommen, die Bedeutung vieler Ergebnisse der experimentellen Physiologie, die schon als feststehend aner- kannt sind, zu bezweifeln. Es würde nicht schwer halten, aus der Litteratur sehr viele Beispiele für das Studium der verschiedensten, aus dem Organismus getrennten Or- gane anzuführen. Die Autoren, welche die .herausgelösten Organe studirt haben, gingen trotz der Verschiedenheit ihrer Aufgaben zweifellos von ein und derselben Idee aus und verfolgten ein und denselben Zweck, nämlich den, die Er- scheinungen der Lebensthätigkeit dieses oder jenes Organs ausserhalb des Organismus zu studiren, um dadurch dem Verständniss seiner Functionen im ganzen Organismus näher zu kommen. Man kann sagen, dass das Verständniss für die Wichtigkeit dieser Versuche schon lange vorhanden war, sowohl bei den alten, als auch bei den neuen Autoren. Beim Lesen der einen, wie der anderen ist leicht zu 330 E. M. KURDINOwskI: ersehen, dass sie alle von ein und demselben Gedanken durchdrungen sind, nämlich von der Erkenntniss der Unmöglichkeit, die Functionen eines Organs im lebenden Organismus immer unmittelbar zu studiren, und dass deshalb die unumgängliche Nothwendigkeit besteht, sich vorläufig unter einfacheren Bedingungen mit ihnen bekannt zu machen, d. h. ausserhalb des Organismus. Wenn wir jedoch die Aufmerksamkeit jenen äusseren Verhältnissen zuwenden, unter denen die Versuche mit herausgelösten Organen ausgeführt wurden, so muss von diesem Gesichtspunkt aus klar werden, dass ein be- deutender Unterschied zwischen den alten und neuen Arbeiten vorhanden ist, der allerdings von der allgemeinen Erweiterung des wissenschaftlichen Horizontes und der Entwickelung der experimentellen Physiologie abhängig ist. Streng genommen waren diese Versuche doch nur bei einem gewissen Entwickelungsgrade der experimentellen Methodik möglich. Die früheren Autoren stellten sich ihre Aufgabe ganz richtig vor, aber sie verfügten nicht über die Mittel zu deren Ausführung. Richtig gesagt beobachteten sie einfach herausgeschnittene Organe, indem sie diese nicht „isolirten“ in der modernen Bedeutung dieses Wortes. Man muss streng unterscheiden zwischen der Bezeichnung „heraus- geschnittenes“ und „isolirtes“ Organ. Früher beschränkte man sich, nachdem man das Organ heraus- ' geschnitten hatte, auf dessen einfache Beobachtung auf dem Tische, oder im günstigsten Falle that man es in warmes Wasser oder in eine warme physiologische Lösung u. s. w. Es ist begreiflich, dass unter solchen Be- dingungen das Organ — allen Zufälligkeiten der Umgebung unterworfen, der Ernährung beraubt, — nicht lange leben konnte. Wenn es aber, unge- achtet der seiner normalen Existenz vollkommen fremden Bedingungen den- noch lebte, so konnte dies nur zu Gunsten seiner Lebensausdauer sprechen, vermochte aber keine Vorstellung von seinen Functionen im lebenden Or- ganismus zu geben. Die an einem solchen Organe beobachteten Thatsachen waren vielmehr Erscheinungen des allmählichen Absterbens, als Erscheinungen der dem Organ eigenthümlichen physiologischen Thätigkeit. Darum sind die Resultate solcher Versuche verhältnissmässig geringfügig. _ Gegenwärtig begnügt man sich nicht mehr mit dem Herausschneiden des Organs, sondern man bestrebt sich, es unter Bedingungen zu stellen, welche denjenigen seiner physiologischen Existenz im Organismus möglichst nahe kommen. Zu diesem Zwecke schützt man es vor allen Dingen vor schädlichen Einflüssen wie Abkühlung, Austrocknung, unnöthigen Reizen u.s. w. So- dann, und das ist das Wichtigste, bestrebt man sich, die Lebensthätigkeit durch künstliche Bluteirculatiin und künstliche Ernährung zu unter- stützen. PhHYsIioL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 331 Nur unter solchen Bedingungen kann man auf eine etwas länger an- dauernde und der physiologischen Norm näher kommende Existenz des herausgetrennten Organs rechnen. Nur ein solches Organ kann man als „physiologisch isolirt“ im modernen Sinne des Wortes betrachten. | Die physiologische Isolirung, als besondere Methode, ist natürlich nicht plötzlich aufgetreten. Zwischen dem früheren „herausgeschnittenen“ und dem jetzigen „isolirten“ Organ bestanden viele vermittelnde Zwischenglieder. Die heutige Methode entwickelte sich nach und nach, jeder in dieser Richtung arbeitende Autor trug seinerseits etwas mehr oder weniger Be- deutendes zur Ausarbeitung der Methode bei: einer gedachte das Organ in der feuchten Kammer unterzubringen, ein anderer schlug zur künstlichen Ernährung defibrinirtes Blut vor; ein dritter die physiologische oder irgend eine andere Salzlösung, ein vierter die Ernährung durch Sauer- stoff u. s. w. Auf diese Weise wurde die physiologische Isolirungsmethode, wie jede andere, nur durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen einer ganzen Reihe von Autoren herausgebildet. In ihrer gegenwärtigen Gestalt besitzen wir sie erst seit verhältnissmässig kurzer Zeit, wobei es, dank dem successiven Gange ihrer Entwickelung, schwer zu sagen ist, in welcher Zeit sie als selbst- ständiges, mehr oder weniger vollkommen entwickeltes Ganzes erschienen ist; und dies wird noch dadurch erschwert, dass die Autoren lange die Ausdrücke „herausgeschnittenes“ und „isolirtes“ Organ ohne Unterschied gebrauchten, wodurch eine grosse Verwirrung in die Litteratur gebracht worden ist. Die Methode des Studiums isolirter Organe hat eine grosse Bedeutung beim Studium der Gebärmutterphysiologie. Oben ist gezeigt worden, mit welchen zuweilen unüberwindlichen Schwierigkeiten die Experimente an der Gebärmutter des ganzen Thieres verbunden sind. Die Versuche au der isolirten Gebärmutter geben die Möglichkeit, viele ' jener Beschwerlichkeiten zu umgehen, weil hier das Organ unter unver- gleichlich einfacheren Verhältnissen studirt wird als im lebenden Organismus. An der isolirten Gebärmutter lassen sich, wie weiter unten klar werden wird, viele Streitfragen über die Physiologie dieses Organs leichter ent- scheiden, wie z. B. die Frage betreffs der automatischen Zusammenziehungen, betreffs der Abhängigkeit der Zusammenziehungen von verschiedenen Reizen u. 8. w. Die Beobachtungen an der isolirten Gebärmutter geben auch die Mög- lichkeit, die Beziehung dieses Organs zum Centralnervensystem zu beurtheilen und bringen uns folglich der Entscheidung der Streitfrage betreffs ihrer Innervation näher. 332 E. M. KuURDINOwSKI: Wenn man den Sinn der Versuche an isolirten Organen allgemein in jener begrenzten Bedeutung versteht, wie oben gezeigt wurde, so ist es un- zweifelhaft, dass auch die Versuche an der isolirten Gebärmutter ihre raison d’etre haben. Speeielle Methodik der Versuche an der isolirten Gebärmutter mit Anwendung der Locke’schen Flüssigkeit. Vorliegende Arbeit stellt sich, nach methodologischer Seite hin, den Versuch zur Aufgabe bei dem Studium der isolirten Gebärmutter jene selbe Flüssigkeit anzuwenden, welche in letzter Zeit von Locke zum Studium des isolirten Herzens vorgeschlagen wurde. Wie bekannt, haben die Versuche Locke’s am isolirten Herzen und nach ihm die Versuche anderer Autoren eine Reihe von äusserst interessanten Resultaten ergeben. Hieraus ging die von dem hochverehrten Professor N. P. Krawkoff stammende Idee hervor, diese Flüssigkeit auch zum Studium der isolirten Gebärmutter. anzuwenden. Die wichtigste Eigenthümlichkeit dieser Flüssigkeit besteht — im Ver- gleich zu denen, welche man früher beim Studium verschiedener isolirter . Organe angewendet bat — in ihrer Isotonie dem Blutserum (des Kaninchens) gegenüber. Ich gehe zur speciellen Beschreibung der Methodik über, deren ich mich bedient habe. Was die Wahl des Versuchsthieres betrifft, so bin ich, da der grösste Theil der Autoren die Gebärmutter der Kaninchen als am reizbarsten be- _ zeichnen, bei diesem Thiere stehen geblieben und das um so mehr, da die Locke’sche Flüssigkeit gerade beziehentlich des Kaninchenblutes iso- tonisch ist. Vor jedem Versuche stellt man die Lock e’sche Flüssigkeit her, welche folgenden Gehalt hat: CaCl, 0-02 Proe., K010-02 Proc., NaHCO, 0-02 Proc., NaCl 0.9 Proc. und Saccharum uvicum 0-1 Proc. Alle diese Bestandtheile nimmt man in chemisch reinem Zustande, man wiegt sie genau ihren Procentverhältnissen gemäss ab und löst sie in der entsprechenden Menge destillirten Wassers auf. Die Lösung muss sorgfältig filtrirt werden und: vollkommen durch- sichtig sein. Sie verdirbt nicht im Verlauf von ungefähr 24 Stunden, wenn man sie kalt aufbewahrt. Wenn die Locke’sche Flüssigkeit hergestellt ist, geht man zur Ope- ration der Herausschneidung der Gebärmutter über, und zwar auf folgende Weise: PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 333 An einem weiblichen Kaninchen wird unter Aethernarkose Laparotomie ausgeführt. Den Aufschnitt der Bauchdecke an der Linea alba macht man vom Nabel bis zur Symphysis pubis; in die geöffnete Bauchhöhle, auf deren entblösste Innentheile, legt man ein Stückchen Watte, welche während der Zeit der Operation mit warmer (40°C.) Locke’scher Flüssigkeit getränkt wird. In die Aorta, nachdem man sie vorläufig an ihrem Centralende unterbunden hat, führt man in den Theil, welcher unterhalb des Ausgangs- punktes der Nierenarterien liegt, eine Canüle ein, welche unter Beobachtung der üblichen Vorsichtsmaassregeln, die für die Vermeidung von Luftembolien unumgänglich sind, durch einen Gummischlauch mit einem Reservoir ver- bunden wird, welches mit der bis zu 38° C. erwärmten Locke’schen Flüssigkeit angefüllt auf einem Stativ steht. Von dort aus geht die Flüssigkeit unter einem mässigen Drucke durch die Aorta in die Gefässe der Gebärmutter, reinigt diese von Blut und fliesst durch eine Canüle ab, welche in die untere Hohlvene eingeführt ist. Wenn aus der Röhre, welche an diese letzte Canüle angefügt ist, eine vollkommen durchsichtige Flüssigkeit herausfliesst, beginnt man mit .der Herausschneidung der Gebärmutter, welche folgendermaassen ausgeführt wird. Man trennt die Symphysis pubis ab, ihr vorderer Halbring wird vermittelst der Knochenzange vorsichtig gänzlich abgelöst. Dies ist unum- gänglich, damit man sich eine gewisse Freiheit für die weitere Abtrennung der Scheide sichert. Die Lostrennung der Scheide, zusammen mit der Harnblase und dem Mastdarm, wird sehr vorsichtig auf stumpfem Wege ausgeführt in der Richtung nach oben bis dicht an den Theilungspunkt der Aorta in die Art. iliac. comm. Hier unterbindet man diese beiden Arterien und ebenso die anderen Arterienzweige, auf die man unterwegs trifft. Hierauf wird die Gebärmutter mit ihren Adnexen und den zu diesen gehenden Gefässen, mit den breiten und runden Mutterbändern und den ganzen beiliegenden Zellgeweben von allen umliegenden Theilen losgetrennt. Diese Lostrennung muss auch auf stumpfem Wege ausgeführt werden, um die Verwundung der Gefässe zu ver- meiden; dieses letztere ist jedoch bis zu einem gewissen Grade unvermeid- lich. Bei einiger Fertigkeit kann man aber die Anzahl der durchsehnittenen Gefässe auf ein Minimum zurückführen. Jede durchschnittene Arterie giebt sich, solange die Flüssigkeit durch die Gebärmutter geht, durch einen spritzenden Strahl zu erkennen; alle zufällig durchschnittenen Zweige werden hier gleich in situ unterbunden. Hierauf wird die Scheide (sehr leicht) von dem Mastdarm abgetrennt; alsdann hält sich die Gebärmutter nur noch an der Stelle der Aorta und der hohlen Vene fest. Inzwischen setzt man auf die in die Aorta eingesetzte Canüle eine Klemme; man trennt die 334 E. M. KuRDINOwSsKI: Canüle von dem Reservoir, schneidet die Aorta und die Vene durch und die Gebärmutter wird entfernt. Die Operation kann als gelungen betrachtet werden, wenn: 1. alle durchgeschnittenen Gefässe so unterbunden waren, dass am Schluss der Auswaschung keine Verspritzung von Flüssigkeit zu bemerken war, wenn: 2. die Gebärmutter so sorgfältig von Blut gereinigt ist, dass sie sich vollkommen farblos darstellt. Wenn jedoch an irgend einer Stelle noch Blutspuren sichtbar sein sollten, so ist es besser, sich mit der Entfernung des Organs nicht zu übereilen und lieber die Auswaschung fortzusetzen; — andernfalls bilden die geringsten in den Gefässen verbleibenden Blutspuren Gerinnsel, welche für die fernere Circulation der Locke’schen Flüssigkeit ein Hinderniss darstellen. Auf diese Weise erscheint die sorgfältige Aus- waschung der Gefässe als conditio sine qua non; die Nachlässigkeit in dieser Hinsicht ist meistens die Ursache des Misslingens des Versuches. Die sorgfältig ausgewaschene, herausgeschnittene Gebärmutter bringt man dann in einem besonderen Apparat unter, der folgendermaassen construirt ist: Auf einem Gestell, etwa in der Höhe eines Meters werden 2 Flaschen aufgestellt, deren eine 5 Liter fasst, die andere 400 °®; an der Aussenseite . der letzteren ist eine papierne Scala mit Abtheilungen angebracht, von denen jede 25°” entspricht. Die erste Flasche füllt man mit der Locke’- schen Flüssigkeit (indem man sie tropfenweise durch einen Trichter mit Watte filtrirt); die zweite dient zur Aufnahme der einen oder der anderen Giftlösung; diese Flasche ist bei pharmakologischen Versuchen noth- wendig. Beide Flaschen werden durch Gummischläuche mit dünnen Glas- röhren verbunden, welche sich in zwei graduirte Büretten versenken, fast bis zu deren Grunde. Diese Büretten sind ganz gleich, von 50°“ Inhalt und sind vertical an einem Stativ befestigt; in jede von ihnen ist noch eine dünne, auch fast bis zum Grunde gehende Glasröhre eingefügt. Diese letzteren sind durch Gummischläuche mit dem mit Sauerstoff gefüllten Gasometer verbunden und zwar auf fulgende Weise: Auf dem Wege der von dem Gasometer ausgehenden Hauptröhre ist eine gläserne Gabel ange- bracht, welche die Möglichkeit giebt, mittels einer entsprechend angebrachten Klemme den Strom des Sauerstoffes entweder in die mit der normalen Locke’schen Flüssigkeit verbundene Bürette zu leiten, ‚oder in die mit dem Gift verbundene. Die beiden Büretten endigen in Hähne, an denen kurze Gummischläuche angebracht sind. Diese Schläuche vereinigen sich ver- mittelst einer gläsernen Gabel mit einem gläsernen Schlangenrohr, das von einem gläsernen, mit Wasser gefüllten Gefäss umgeben ist; letzteres ist mit den beiden Büretten auf demselben Stativ befestigt. Unter dem Gefäss ist PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 335 eine Asbesttafel angebracht, und das Gefäss wird von unten durch eine Gas- flamme erwärmt. Apparat zur Beobachtung der isolirten Gebärmutter. 1. Flasche mit Locke’scher Flüssigkeit. 2. Glas für das mit Locke’scher Flüssigkeit vermischte Versuchsgift. 3. Gasometer mit Sauerstoff. 4. Schlauch, welcher den Sauer- stoff leitet und in eine Gabel endigt, welche dazu dient, den Sauerstoff in die eine oder die andere Bürette zu leiten. 5. Schlauch zur Leitung der Locke’schen Flüssigkeit. 6. Schlauch zur Leitung der Giftlösung. 7. Bürette mit Locke’scher Flüssigkeit. 8. Bürette mit Gift. 9. Gefäss mit warmem Wasser, das ein Schlangenrohr enthält, durch dessen Windungen die Flüssigkeit aus der einen oder der anderen Bürette geht. 10. Schlauch, vom Schlangenrohr ausgehend. 11. Thermometer. 12. Endgummischlauch, welcher in die feuchte Kammer führt; er leitet entweder die Locke’sche Flüssigkeit oder die Giftlösung und endigt in die Canüle, welche in die Aorta eingeführt ist. 13. Feuchte Kammer mit der darin eingeschlossenen Gebärmutter. 14. Thermometer, welches in den mit Wasser gefüllten Raum zwischen den Wänden der Kammer ver- senkt ist. 15. Thermoregulator. 16. Katheder a double courant. 17. Schlauch, welcher mit einem Zweige des Katheters vereinigt ist und zur Wasserfüllung des Ballons dient, welcher in die Gebärmutter eingeführt ist. 18. Schlauch zur Uebertragung der Gebär- mutterzusammenziehungen, welcher in einen mit Wasser gefüllten Glasballon mündet. 19. Schlauch, welcher den Glasballon mit dem Marey’schen Tambur verbindet. 20. Schreibfeder, welche die Zusammenziehungen der Gebärmutter auf den Papier- streifen des Ludwig’schen Kymographen aufschreibt. 21. Metronom zur Messung der Zeit. 22. Vom Metronom ausgehender Schlauch (Luftübertragung), welcher die Verbindung mit dem zweiten Marey’schen Tambur herstellt. 23. Schreibfeder zur Notirung der Zeit. 336 E. M. KuURDINOWwSKT: Von dem Schlangenrohr geht das System der Glasröhren und Gummi- schläuche aus, welches mit einem Thermometer versehen ist, und läuft in der Richtung nach einer der Oefinungen der feuchten Kammer, welch’ letztere zur Aufnahme der Gebärmutter dient. Diese Kammer stellt sich als ein metallener Kasten dar mit doppelten Wänden, zwischen die Wasser gegossen ist, welches vermittelst eines Quecksilber-Thermoregulators auf ein und derselben Temperatur (39-5° C.) erhalten wird. Oben ist sie mit einem gläsernen Deckel geschlossen, ausserhalb ist sie mit Filzplatten beschlagen, unter ihr befindet sich ein mit dem Thermoresulator verbundenes Flämmchen. Die Kammer kann mittels einer besonderen Einrichtung in einer grösseren oder geringeren Neigung zur horizontalen Fläche aufgestellt werden; ihr Boden fällt nach der Mitte zu ab, wo eine metallene Ableitungsröhre an- gebracht ist, welche zum Abfluss der in der Gebärmutter ceireulirenden Flüssigkeit dient. An den oberen Ecken der Kammer befinden sich runde Oeffnungen, in deren eine das Thermometer hineingesteckt ist, in die andere der Thermoregulator, und die dritte dient dazu, den Raum zwischen den Wänden der Kammer mit Wasser zu füllen; an dieser Oeffnung befindet sich eine Wasserstandröhre, die die Menge des zwischen den Wänden der Kammer eingeschlossenen Wassers anzeigt. Die Gebärmutter wird auf eine mit einer dünnen Schicht Watte be- deckte Glastafel in die Kammer gelest. Die Seitenwände der Kammer sind 2 = über ihrem Boden je von einer runden Oefinung durchbohrt, von denen eine zum Durchgang des Schlauches dient, welcher von dem Schlangenrohr ausgeht und der mit der in die Aorta gesteckten Canüle verbunden ist; alle übrigen Oeffnungen dienen zu Registrations- zwecken. Die Art der Anwendung des Apparates ist sehr einfach. .Man öffnet den Hahn der einen oder der anderen Bürette und leitet den Strom des Sauerstoffes in die Bürette und je nach Bedürfniss geht dann entweder die Locke’sche Flüssigkeit oder die Giftlösung in die entsprechende Bürette. Alsdann durchfliesst die eine oder die andere Flüssigkeit die Windungen des Schlangenrohres, wo sie die Möglichkeit hat, sich bis zu der Temperatur, welche durch das auf dem Wege angebrachte Thermometer angezeigt wird, zu erwärmen (ungefähr bis zu 42°C., da ein Theil der Wärme auf dem langen Laufe der Flüssigkeit durch die Röhre verloren geht), dann geht sie durch das Röhrensystem, durch die Oeffnung in die feuchte Kammer und tritt dann durch die in die Aorta eingeführte Canüle in die Gefässe der Gebärmutter. Die in der Gebärmutter circulirende Flüssigkeit fliesst durch die in die Hohlvene eingeführte Canüle und dann durch die mit dieser Canüle verbundene Röhre ab, die durch dieselbe Oeffnung hindurchführt, durch welche die der Gebärmutter zuströmende Flüssigkeit geht. PHYysIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 337 Durch die der eben erwähnten Oeffnung gegenüberliegende wird ein Katheter & double courant hindurchgeführt, der an seinem Ende mit einem kleinen Ballon verbunden ist, der aus dünnstem Gummi besteht. Der Katheter mit dem Ballon wird in die Scheide eingeführt und wird sehr vorsichtig in den Körper der Gebärmutter hineingeschoben (wobei der Ballon in zusammengerolltem Zustande sein muss). Am entgegengesetzten Ende hat der Katheter auseinandergehende Aeste, welche an der äusseren Wand der feuchten Kammer herausstehen. Einer dieser Aeste ist durch einen Gummischlauch mit einem Trichter ver- bunden, welcher zur Füllung des Ballons (mit Wasser) dient. Der andere Ast vereinigt sich ebenfalls durch einen Gummischlauch mit einem kleinen Glasballon, welcher vertical auf einem Stativ in einer Höhe von 6 bis sm über der Fläche der Glastafel der feuchten Kammer befestigt ist. Der Glasballon geht in ein dünnes, aus ihm herausgezogenes Glasröhrchen über, das nach oben gerichtet ist und durch einen äusserst dünnen Gummischlauch mit einem Marey’schen Tambur vereinigt ist, dessen Zeiger sich dem Papierstreifen eines Ludwig’schen Kymographen nähert. In den mit dem ersten Aste des Katheters verbundenen Trichter giesst man warmes Wasser; dann bewegt man den Trichter einige Mal auf und nieder, um sorgfältig alle Luft aus dem Ballon hinauszutreiben und ihn dann mit Wasser zu füllen. Die Menge der Ballonfüllung ist bei jeder Gebärmutter verschieden; sie hängt natürlich von der Grösse des Organs ab und muss in jedem einzelnen Falle rein empirisch festgestellt werden. Dies erfordert eine gewisse Uebung, denn eine Ueberfüllung des Ballons, welche eine Ausdehnung der Gebärmutter herbeiführt — sowie eine un- senügende Füllung, bei der die Wände der Gebärmutter sich nur wenig an die Wände des Ballons anlegen — hindern gleichmässig die Ueber- tragung ihrer Zusammenziehungen. Wenn der Ballon so weit gefüllt ist,. dass zwischen den Wänden des Ballons und denen der Gebärmutter nur ein kleiner freier Raum bleibt, so verschliesst man den Schlauch, welcher den Trichter mit dem Ballon verbindet, durch eine Klemme und der Glas- ballon, der während der ganzen Zeit der Füllung des Ballons von dem Marey’schen Tambur getrennt war, wird mit diesem vereinigt. Die beschriebene Construction zur Registrirung der Zusammenziehungen der Gebärmutter ist die Erfindung des Professor Jastreboff und wurde von ihm zuerst beim Studium der Zusammenziehungen der Scheide an- gewendet. Die Art der Uebertragung der Zusammenziehungen ist voll- kommen verständlich: jede Zusammenziehung der Gebärmutter drückt auf den in ihr eingeschlossenen mit Wasser gefüllten Ballon, das unter diesem Druck befindliche Wasser strömt durch den Katheter in den kleinen Glas- ballon; dieser Druck macht sich durch eine Erhebung des Zeigers am Tambur Archiv f, A. u. Ph. 1904, Physiol. Abthlg. Suppl. 22 338 E. M. KuRDINOwSKI: bemerkbar, welcher eine Curve auf dem sich bewegenden Bande des Kymo- graphen beschreibt. Zur Zeitmessung ist ein Verdin’sches Metronoman gebracht mit Luftübertragung: die Schläge des Metronoms sind so regulirt, dass jeder einer Secunde entspricht. Die Gebärmutter zeigt sich gewöhnlich im Augenblick ihrer Ueber- führung in den Apparat schlaff; manchmal ist es in dieser Zeit sogar schwer, über ihre Lebensfähigkeit zu urtheilen. Aber schon nach einigen Minuten fängt sie an sich zu beleben, sie bekommt Glanz und die dem lebenden Gewebe eigenthümliche Turgescenz und erwidert die Reize durch Zusammen- ziehungen. Dann erscheinen automatische Zusammenziehungen, die sich nach und nach verstärken und mit periodischer Regelmässigkeit auftreten, vollkommen selbstständig oder doch wenigstens beim Fehlen jedweder wahr- nehmbarer Reize. Die Dauer der Zeit, in welcher die Belebung der Gebärmutter vor sich geht, ist in jedem einzelnen Falle ganz verschieden und hängt sowohl von dem Grade der Reizbarkeit, als auch von dem Erfolge der vorgenommenen Auswaschung und Herausschneidung des Organs ab. Durchschnittlich ver- geht ungefähr eine halbe Stunde, bevor eine mehr oder weniger lebendige Thätigkeit der isolirten Gebärmutter eintritt. Die Einführung des Katheters mit dem Ballon in die Gebärmutter, ' die Füllung des Ballons mit Wasser und überhaupt alle Manipulationen, welche dazu dienen, die Registration in richtigen Gang zu bringen, erfordern eine gewisse Zeit. Zuweilen macht es sich öfters nöthig, bald die Menge des Wassers im Ballon zu vermindern, bald sie zu vermehren, bevor es selingt, die mittlere Grösse der Füllung zu finden, welche für das Gelingen der Registration erforderlich und in jedem einzelnen Falle verschieden ist, da sie allein von der Grösse des Organes abhängt. Alle diese Manipu- .lationen erscheinen oft als Quelle zahlreicher mechanischer Reize, als deren Ergebnisse Zusammenziehungen von einer solchen Intensität und Häufigkeit auftreten können, welche der Norm nicht entsprechen. Deshalb ist die Aufzeichnung der Zusammenziehungen durch die Curve erst dann zu be- einnen, wenn alle diese Reize sich beruhigen und die Gebärmutter in einen ruhigen Zustand übergeht. Hierbei erscheint allerdings die Frage, ob das Vorhandensein des Ballons in der Gebärmutter, als eines Fremdkörpers, nicht die Quelle eines wenngleich minimalen, so doch fortdauernden Reizes sein kann, welcher die Curve beeinflusst. Jastreboff antwortet auf diese Frage verneinend. Er gewann bei seinen Versuchen die Ueberzeugung, dass der Ballon den Charakter der Gebärmutterzusammenziehungen nicht im Geringsten beeinflusst. Auf Grund meiner Versuche schliesse ich mich vollkommen dieser Meinung aus folgenden Gründen an. Oftmals, und besonders wenn ich PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 339 mich von den oben angeführten Erwägungen leiten liess, d. h. wenn ich den reizenden Einfluss des Ballons befürchtete, habe ich mich auch in jenen Fällen, wo die Registration aus irgend einem Grunde nicht gelungen war, auf Beobachtungen durch Anschauung beschränkt und kann mit Ent- schiedenheit behaupten, dass auch in solchem Falle der Charakter der Arbeit der Gebärmutter vollkommen dem gleich war, welcher durch die Ourven aufgezeichnet wurde. Alle die von mir angeführten Beobachtungen be- ziehentlich der Gebärmutterzusammenziehungen ergaben sowohl bei den Beobachtungen durch Anschauung, als auch bei denen am Registrations- apparat dieselben Resultate. Wenn die Gebärmutter am Ende des Versuchs eine bedeutende Thätig- keit zeigte, so hob man sie manchmal zwecks Bestimmung des äussersten Termins ihrer Lebensthätigkeit bis zum folgenden Tage zur ‘Beobachtung auf; dazu verblieb sie (mit einer auf die Aorta aufgesetzten Klemme) bei niedriger Temperatur (3—4° C.) in einem Gefäss mit Locke’scher Flüssig- keit. Dabei ergab sich, dass die Gebärmutter gewöhnlich auch am zweiten und sogar am dritten Tage belebt werden kann und noch so energischer Zusammenziehungen fähig ist, um noch eine Curve geben zu können. In einem soichen Falle lebte die Gebärmutter 49 Stunden 40 Minuten. Es ist unzweifelhaft, dass dieser Zeitpunkt noch bedeutend hinausgeschoben werden kann, wenn man die Gebärmutter nicht durch fortgesetzte Reize ermüdet und ihre Belebung im Apparat nur auf die kürzeste Zeit, einmal am Tage, beschränkt und sie dann wieder 24 Stunden lang bei niedriser Temperatur in Ruhe ver- bleiben lässt, Der Mangel der beschriebenen Methodik liegt in der Art der Regi- stration. Thatsache ist, dass man vermittelst der Jastreboff’schen Methode die zusammenziehende Arbeit der Gebärmutter nicht in ihrem vollen Um- fange übertragen kann. Sie ist hauptsächlich für die Uebertragung der Zusammenziehungen der Scheide und des Gebärmutterkörpers geeignet, während sie für die Uebertragung der Zusammenziehungen der Hörner verhältnissmässig wenig angebracht ist, und die Hörner stellen doch gerade den am meisten thätigen Theil der Gebärmutter dar. Indessen, obwohl der Ballon nur bis zum Ausgangspunkt der Hörner eingeführt und nur mit den Wänden der Scheide und denen des Gebär- mutterkörpers in unmitteibare Berührung kommt, so kann man sich doch nichtsdestoweniger unschwer davon überzeugen, dass die Hörner bei ihren Zusammenziehungen immer das breite Mutterband nach sich ziehen und dieses in eine Bewegung versetzen, welche sich schon dadurch auf den Ballon überträgt, weil das Mutterband den Körper der Gebärmutter von allen Seiten umfasst. Bor 340 E. M. KURDINOWSKIT: Dies ist der Grund, weshalb längst nicht alle Arbeit der Hörner für die Registration verloren geht, ein gewisser Theil wird zweifellos auf den Schreibapparat übertragen. Nicht selten kann man, wenn der Gebärmutter- körper und die Scheide sich in Ruhe befinden, beobachten, dass man trotz- dem an der Curve hohe Wellen erhält; dies geschieht namentlich dank der vermittelnden Rolle des breiten Mutterbandes. Es ist selbstverständlich, dass wenn diese passiven Bewegungen des Mutterbandes sich übertragen lassen, dann diejenigen seiner Zusammenziehungen, welche aktiv in ihm selbst entstehen, um so mehr übertragbar sind. Die Aufrichtigkeit fordert jedoch zu sagen, dass jede auf diese Art erhaltene Curve trotzdem nicht alle Arbeit der Gebärmutter in Vollständigkeit ausdrückt, da das breite Mutterband nur die starken Zusammenziehungen auf den Ballon überträgt; bei den schwachen Zusammenziehungen geht ein Theil dieser Thätigkeit unvermeidlich für die Registration verloren. Dieser Umstand erscheint ohne Zweifel als ein Mangel der Methodik. Um ihn zu umgehen, machte ich einige Versuche, die Registration so umzuändern, dass auch die Bewegungen der Hörner sich unmittelbar dem Schreibapparat mitteilen könnten. Alle diese Versuche führten nicht zu dem gewünschten Ziel, dessenungeachtet möchte ich sie doch erwähnen unter dem Gesichtspunkte, dass auch diese negativen Resultate für jene ' nieht uninteressant sind, die nach mir in dieser Richtung arbeiten werden. Die Beschreibung meines Misserfolges wird vielleicht die späteren Be- obachter schneller auf einen richtigeren Weg führen. Vor Allem erschien der Gedanke natürlich, für die Registration der Arbeit der Hörner dasselbe Prinecip anzuwenden, d. h. in das Horn, der Länge und Grösse seiner Höhlung entsprechend, einen sehr dünnen Gummi- schlauch einzuführen und diesen, nachdem man ihn vorläufig mit dem Katheter a double courant vereinigt hat, mit Wasser zu füllen. Jedoch begegnete dies in der Praxis vielen Schwierigkeiten, namentlich den folgenden: eine Höhlung des Gebärmutterhorns, als solche, existirt fast nicht oder ist in jedem Falle so unbedeutend (im Vergleich zur Höhle der Scheide und des Gebärmutterkörpers), dass in ihr das Vorhandensein eines, wenngleich kleinen, mit Wasser gefüllten Gummischlauches doch unver- meidlich zu einer übermässigen Ausdehnung führt, die sich dann als Quelle eines starken mechanischen Reizes darstellt. Die Einführung eines solchen Schlauches in das Horn ist an und für sich schon sehr mühsam und mit einem Trauma des Organs verbunden und führt durch die Elastieität des Schlauches zu einer Verschiebung des Hornes nach der Seite hin, zu einer Abweichung von der richtigen Lage, zu einer Zusammenpressung und Verschlingung der Gefässe. PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 341 Mit einem Wort, das Horn bekommt mit dem gewaltsam eingeführten Fremdkörper ein Aussehen, das ihm im normalen Zustande nicht eigen ist, so dass 'man jene Bewegungen, welche man nach einer so groben Mani- pulation beobachtet, schwerlich als normal ansehen kann. Es genügt schon das auf solche Weise ausgedehnte Horn anzuschauen, um von weiteren Versuchen unter solch’ unnatürlichen Bedingungen abzusehen. Ich versuchte die dünnsten, elastischen Katheter in das Horn einzu- führen, aber sie entstellten dessen normale Lage noch mehr. Das Horn geht von dem Körper der Gebärmutter fast in einen rechten Winkel aus, der elastische Katheter aber richtet gerade in Folee seiner Elastieität das Horn mit dem Körper der Gebärmutter in eine gerade Linie, was vor Allem schon eine Zusammenpressung der Gefässe hervorruft. Der andere Versuch, die Arbeit der Hörner zu registriren, ist im Folgenden zusammengefasst: In die Oeffnung der Scheide führt man einen Kautschukpfropfen ein, der in der Mitte eine durchgehende Oeifnung hat und im unteren Abschnitt der Scheide dicht fixirt wird; durch diese Oeffnung des Pfropfens geht ein Katheter a double courant hindurch, welcher hermetisch dicht von dem Pfropfen umschlossen wird und durch die Scheide in den Körper der Gebär- mutter übergeht. Der Katheter wird vermittelst eines Trichters mit Lucke’- scher Flüssigkeit gefüllt, welche, indem sie sich über den ganzen Raum der Gebärmutter ausbreitet, auch zum Theil in die Hörner übergeht. Jedoch geschieht dies nicht in jeder Gebärmutter, geschweige denn bei einer jungfräulichen, da schon die Hörner einer geboren habenden Gebär- mutter sich bei weitem nicht immer auf diese Weise mit Flüssigkeit füllen lassen, da eine Höhlung der Hörner im strengen Sinne dieses Wortes nicht vorhanden ist. Darum muss man, um das Horn mit Flüssiekeit zu füllen, deren Menge im Körper der Gebärmutter und in der Scheide so weit erhöhen, dass diesen letzteren die Gefahr des Platzens schon dann droht, wenn die Hörner erst sehr unbedeutend gefüllt sein werden. Nichtsdestoweniger gelingt bei einigen Gebärmüttern, besonders bei solchen, die erst kürzlich geboren haben und wo die Hörner verhältnissmässig gross sind, deren Füllung, und man erhält dann im Innern der Gebärmutter einen mit Wasser gefüllten geschlossenen Raum. Es ist klar, dass bei jeder Zusammen- ziehung des Hornes dieses einen Theil der in ihm eingeschlossenen Flüssig- keit in die Höhle des Gebärmutterkörpers und der Scheide hinaustreiben wird, und während dieser Stoss sich gleichmässig in dem flüssigen Milieu nach allen Richtungen hin verbreitet, muss er sich auf den Schreibapparat übertragen. 342 E. M. KURDINOWSKIT: Um diesen mit Wasser gefüllten Kaum vollständig abzuschliessen, damit die Flüssigkeitsmenge im Innern der Gebärmutterhöhle beständig sei, ist es unumgänglich, vorläufig die Tuben #. wie die Harnleiter zu unterbinden, andernfalls wird ein Theil der Flüssigkeit sich nach und nach verlieren, was natürlich auf die Uebertragung einwirkt. Auf diesem Wege gelang es mir zwei Curven zu erhalten, welche sich jedoch in ihrer demon- strativen Bedeutung nicht gross von den auf dem gewöhnlichen Wege er- haltenen unterschieden. Der Werth dieses Weges liest darin, dass die Wände der Gebärmutter gleichmässig in ihrer ganzen Ausdehnung mit der Flüssigkeit in Berührung kommen, was für die Uebertragung vortheilhafter ist, da sich hierbei alle Lebensenergie, welche bei den Zusammenziehungen entsteht, conservirt. Sein Mangel besteht darin, dass die Gebärmutter bedeutende traumatische Störungen erhält, da ihre Wände durch nichts geschützt sind, weder gegen den metallenen Katheter, noch gegen den Stoss der Flüssigkeit, und that- sächlich trat dabei in einem Falle ein Zerreissen der Gebärmutter ein, was bei der gewöhnlichen Art der Registrirung nie vorgekommen ist. Der dritte Versuch bestand darin, dass bei der isolirten Gebärmutter dieselbe Art der Registration angewendet wurde, wie bei dem isolirten Herzen. In das Horn der Gebärmutter wird ein kleiner Haken hineingesteckt, an dem ein Seidenfaden befestigt ist, welcher, nachdem er durch eine kleine, auf einem Stativ befestigte Rolle hindurch gegangen ist, sich mit dem Zeiger des Marey’schen Tambur vereinigt. Es ist klar, dass jede Zu- sammenziehung des Hornes eine Anspannung des Seidenfadens und eine Bewegung des Zeigers nach sich ziehen muss (an welch’ letzterem eine kleine Last befestigt ist, damit die entgegengesetzte Bewegung des Seiden- fadens bei der Erschlaffung der Gebärmutter erleichtert wird). Thatsächlich gelang es mir auch bei dieser Methode eine Curve zu be- kommen, welche jedoch auch wenig demonstrativ war, und das ist voll- kommen verständlich. | Diese Methode ist durchaus am Platze bei der Registration der Zu- sammenziehungen des Herzens, deren jede eine scharfe, abgegrenzte, nach Zeit und Form abgeschlossene Bewegung darstellt. Doch ist sie für die Registration der Gebärmutterzusammenziehungen wenig geeignet, da diese ihrem Charakter nach peristaltisch sind und sich nicht durch eine solche Regelmässigkeit auszeichnen; in Folge dessen giebt die Curve ein sehr un- klares Bild. Uebrigens, nach der Arbeit Murray’s zu urtheilen, welcher auf diesem Wege erhaltene, ziemlich demonstrative Curven dargestellt hat, ist sie dennoch realisirbar. Auf diese Weise erwiesen sich alle oben beschriebenen Versuche als ungenügend und doch ist man zu dem Entschluss gekommen, sich der PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 343 nicht vollkommen zweckentsprechenden Methode Jastreboff’s zu bedienen. Obwohl die Methode den oben erwähnten Mangel hat, ist es dennoch ge- nügend die Curven zu betrachten, um zu sehen, dass sie ein ziemlich klares Bild von den Zusammenziehungen der Gebärmutter geben, sowohl von den automatischen als auch von denen, die unter dem Einflusse verschiedener Reize entstehen. Indem ich die Erfolglosigkeit meiner Versuche die Methodik zu verbessern, deren ich mich in der ganzen Zeit meiner Arbeit bedient habe, anerkenne, muss ich doch sagen, dass die Eigenthümlichkeiten eines solehen Experimentalobjectes wie die Gebärmutter, nach der Seite der Methodik hin so grosse Schwierigkeiten bedingen, dass ihre Ueberwindung nicht in der Macht einer einzelnen Persönlichkeit steht; darum muss die Ver- besserung der Methodik die Aufgabe für eine Reihe späterer Forscher bilden. Physiologischer Theil. Die automatischen Contractionen des isolirten Uterus. Abgesehen von den individuellen Eigenschaften jedes isolirten Uterus im Einzelnen, sind alle seine Abschnitte — seine Adnexa und sein Band- apparat — auf diese oder andere Weise an seiner allgemeinen contractilen Thätigkeit betheiligt. Ich beginne mit der Beschreibung der Contractionen der Hörner, die zuerst die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Die Hörner bilden den thätigsten und allererregbarsten Theil des Uterus. Ihre Contraction beobachtet man schon beim Ausschneiden des Organs; von Einfluss ist in diesem Augenblick eine Reihe von erregenden Momenten, wie 'z. B. die Abkühlung, die mit der Eröffnung der Peritoneal- höhle verknüpft ist, das Austrocknen, die Druckschwankungen, mechanische Reize u.s. w. Was jetzt an den Hörnern vor allem beachtenswerth ist, sind ihre peristaltischen Bewegungen, die den Bewegungen der Darm- schlingen ganz analog sind. Die Contractionen der Hörner werden be- sonders stärker, oder erscheinen erst, wenn sie vorher nicht vorhanden waren, beim Beginn des Passirens der Locke’schen Flüssigkeit durch den Uterus. Zweifellos ist das ein Resultat des Reizes, welcher dem Organ durch das plötzliche Anämischwerden verursacht wird. Die automatischen Contractionen der Hörner, wie man sie an einem ausgeschnittenen und unter entsprechenden Bedingungen sich befindenden Uterus beobachten kann, äussern sich in folgender Art. — Vor allem sind sie den Bewegungen des Regenwurms auffallend ähnlich. Sie beginnen an den tubaren Enden der Hörner, vollständig symmetrisch und gleichzeitig. Die hier entstandenen Contractionswellen ändern langsam, der Längsaxe der Hörner entlang ihre Stelle, in der Richtung nach dem Corpus 344 E. M. KurdInowskt: uteri hin, wo sie zusammentreffen; damit ist gewöhnlich eine einzelne Contraction vollendet. Manchmal aber, beim Corpus uteri zusammen- treffend, interferiren die Wellen miteinander und verbreiten sich ent- weder in derselben Richtung, d. h. auf das andere Horn übergehend, oder in der entgegengesetzten, antiperistaltischen. Ausser solchen synehronsichen und symmetrischen Contractionen der Hörner können auch einzelne Con- tractionen vorkommen: so kann z. B. das eine Horn sich oft contrahiren, während das andere sich ganz ruhig verhält. Eine solche ungleiche Thätie- keit der Hörner beobachtet man am häufigsten im Stadium der Erschlaffung der Uterusarbeit und fast niemals auf ihrer Höhe. Betrachtet man das sich contrahirende Horn näher, so kann man Folgendes sehen. An irgend einer Stelle des Hornes bilden sich der Reihe nach bald eine Furche, eine Einschnürung (ÜContraetion), bald eine Auf- blähung, eine Vergrösserung des Lumens (Erschlaffung); beide Zustände wechseln unter einander ab und gehen wellenartig ineinander über. Diese Wellen bewegen sich weiter vorwärts und in Folge dessen erinnert das sich contrahirende Horn in der That an die wurmartige Schlangenbewegung. Bisweilen bleibt die Contractionswelle in der Mitte ihres Weges stehen und kehrt zurück. Ausser diesen peristaltischen Bewegungen kann man am Horn noch Folgendes beobachten: 1. An irgend einer Stelle bildet sich eine Furche (Strietur der Autoren), die jedoch nicht weiter fortschreitet, wie bei der peristaltischen Bewegung, sondern sich nur auf die Stelle ihres Erscheinens beschränkt; eine derartige Contraction ist eine rein locale; die Furche, nachdem sie einige Zeit bestehen blieb, verschwindet ganz. 2. Aehnliche Contraetionen erscheinen gleichzeitig an mehreren Stellen in Form un- beweglicher Furchen. Hier hat man es mit einer Art erstarrter, momentan stehen gebliebener peristaltischer Bewegungen zu thun; das Horn sieht dann wie ein Rosenkranz aus. Die contrahirten Hörner fühlen sich derb an. | Contractionen des Corpus uteri lassen sich im Allgemeinen seltener beobachten, als solche der Hörner; bisweilen sind fast während eines ganzen Versuches keine zu sehen. Uebrigens sind sie in der That viel häufiger, da aber das Corpus uteri relativ nicht gross und ausserdem vom Ligamentum latum bedeckt ist, so gehen seine Contractionen teils fürs Auge verloren. Die Contractionen des Corpus uteri äussern sich :gewöhnlich in Form einer Furche, welche es in zu seiner Längsaxe querüber liegender Richtung zusammenzieht. Doch hat hier diese Furche keine solche Neigung zu peristaltischer Ortsveränderung wie an den Hörnern; nachdem sie an einer gewissen Stelle einige Zeit stehen geblieben ist, verschwindet sie. Während der Contraction verwandelt sich das Corpus uteri auf einer mehr oder PHysIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 345 weniger langen Strecke in eine runde, feste Schnur, um sich hierauf wieder abzuflachen. Ausser dieser gewöhnlichen Form von Contractionen werden hier, obwohl viel seltener, genau solche peristaltische Bewegungen beobachtet; wie an den Hörnern; sie pflanzen sich auch auf die Vagina fort. Bei sehr energischen Contractionen verkleinert sich der Uteruskörper mehrfach im Vergleich zu seiner Grösse im Ruhezustande, indem er sich in ein dünnes Streifehen verwandelt, welches hinter dem Ligamentum latum hervor kaum zu sehen ist. Obgleich ich jene regelmässigen, rhythmischen Contractionen der Scheide, von denen Jastreboff spricht, nicht beobachtet habe, so habe ich doch mehr- mals an letzterer Contractionen gesehen, welche denselben peristaltischen Charakter trugen. Bisweilen erscheinen sie hier selbstständig, meist aber dienen sie als Fortsetzung ähnlicher Contractionen des Corpus uteri. Ist der ganze Uterus sehr energisch thätig, so pflanzen sich die peristaltischen Wellen auf die Vagina fort, bis zum Introitus vaginae. Contractionen der Tubae uterinae (Fallopi) kann man nicht selten sehen, wenn man sie aufmerksam beobachtet, was allerdings durch ihre unbedeutende Grösse erschwert wird. Diese Contractionen sind ebenfalls peristaltisch. Ich habe mehrmals beobachtet, wie sie selbstständig erschienen, unabhängig von den Contractionen des Uterus. Während der Contraction umgreifen die Tubae Fallopii von allen Seiten die Eierstöcke. Die Ligg. lata sind an der contractilen Arbeit des Uterus stark be- theilist. Bei der oberflächlichen Beobachtung scheint es, dass sie sich viel- mehr rein passiv bewegen, als selbstständig contrahiren; es scheint, dass sie von den sich activ contrahirenden Hörnern in die Bewegung mit hinein- gezogen werden. Betrachten wir aber die Bewegungen der breiten Mutter- bänder länger und sorgfältiger, so überzeugen wir uns zweifellos, dass ausser diesen passiven Bewegungen die Ligg. lata noch die Fähigkeit zu ganz selbstständigen, activen Contractionen besitzen, welche ganz unabhängig von den Contractionen der Hörner auftreten. In manchen Versuchen habe ich deutlich Contractionen der Ligg. lata gesehen, während die Hörner sich vollständige in Ruhe befanden. In solchen Fällen entsteht an irgend einer, oder gleichzeitig an mehreren Stellen des Ligamentum latum ein Bewegungs- impuls in Form eines eigenartigen Faserspieles, welches darauf das ganze Band rasch umgreift. Die Contractionen der Ligg. lata erleichtern, kraft der anatomischen Lage letzterer, das Auffangen und das Registriren der Contractionen der Hörner. Eine noch viel bedeutendere Thätiekeit äussern die Ligg. lata im schwangeren Uterus, besonders intra partum am isolirten Uterus, wo sie besonders durch ihre Zweckmässigkeit auffallend sind. Ihre Rolle besteht hier darin, dass sie mittels ihrer Contractionen die Austreibung der Frucht 346 E. M. KuUkrDINowsKt: befördern. Dieses kommt auf folgende Weise zu Stande. Nachdem die eine ‘oder die andere Frucht in Folge der Contractionen der Hörner ins Corpus uteri und den oberen Abschnitt der Vagina gedrängt worden ist, beginnen die ganz eigenartigen Contractionen der Ligg. lata, welch’ letztere sich bisher in Ruhe befanden, und zwar in zum Uteruskörper querer Richtung und oberhalb der sich schon im letzteren befindenden Frucht; durch diese Contractionen wird der Frucht eine fortschreitende (in der Richtung zum Ausgange aus dem Geschlechtscanale) Bewegung ertheilt, als ob das Liga- mentum latum, sich contrahirend, die Frucht auspresste und vordrängte. Interessant ist dabei, dass während das Horn die Frucht in den Gebär- mutterkörper vordrängt, sich das Lig. latum ganz ruhig verhält, was als sehr zweckmässig erscheinen muss, denn im entgegengesetzten Falle würde der (eburtsact gehemmt; aber sobald die Frucht aus dem Horne tiefer getreten ist, nämlich in das Bereich der Thätigkeit des Lig. latum, ist letzteres be- strebt mittels seiner activen, pressenden Bewegungen die Frucht noch weiter vorzudrängen. Diese Rolle des Ligamentum latum bietet natürlich ein ge- wisses Interesse vom Gesichtspunkte der Auffassung des Geburtsmecha- nismus. Die Ligg. rotunda sind ebenfalls an den Contractionen des Uterus be- theiligt, besonders an denen des graviden, obwohl nicht so activ, wie die Ligg. lata. Nicht selten kann man beobachten, wie sie während der Contraction die Hörner anziehen und emporheben. Im graviden Uterus, wo die Ligg. rotunda stärker entwickelt sind, können ihre Contractionen von solcher Energie sein, dass sie im Stande sind, !/, bis 1 Minute lang die Hörner „im Gleichgewicht‘ zu halten. Die Hörner auf diese Weise fixirend und ihnen einen Stützpunkt bildend, geben sie ihnen die Möglichkeit, ihre contractile Arbeit besser auszunutzen. Dieser Umstand ist zweifellos von gewisser Bedeutung für den Geburtsmechanismus. Da die Gebärmutter immer zusammen mit der Harnblase ausge- schnitten wird, so ist es natürlich, dass bei der Beobachtung des Uterus auch die Contractionen der Harnblase für den Beobachter nicht verschwinden; sie bieten nichts Specifisches dar und im Grund genommen haben sie den- selben peristaltischen Charakter. Bei den enereischen Contractionen des ganzen Uterus, zusammen mit den Adnexen, wird gewöhnlich auch die Harnblase in die allgemeine Bewegung mit hineingezogen: die Con- tractionswellen, am Uterus beginnend, pflanzen sich ebenfalls auf die Harn- blase fort.. Alle oben beschriebenen Contractionsformen werden nie sämmtlich an ein und demselben Uterus beobachtet: gewöhnlich contrahirt sich ein gewisser Theil desselben, während der andere Theil sich in Ruhe befindet, ’ PHYsSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 947 oder ein und derselbe Theil contrahirt sich ausnahmslos bei jedem Ver- suche, während Contractionen des anderen Theiles sich selten beobachten lassen u. Ss. w. Im Allgemeinen giebt es keine Gleichmässigkeit in den Contractionen verschiedener Abschnitte des Uterus und seiner Adnexa. So z. B. con- trahiren sich die Hörner fast immer, der Uteruskörper aber viel seltener. Dabei hängen die Hörner und der Uteruskörper in ihren Contractionen relativ wenig von einander ab; am häufigsten sind sie sogar nicht synchron; gewöhnlich sieht ıman im Ruhezustand des Uteruskörpers lebhafte Contractionen der Hörner, oder, was seltener vorkommt, umgekehrt: im Ruhezustand der Hörner Contractionen des Corpus uteri. Contrahiren sich aber diese beiden Ab- schnitte zusammen, so sind diese Contractionen jedenfalls nicht von der- selben Kraft, nicht gleich oft; die der Hörner herrschen immer vor. Was die Scheide betrifft, so sind ihre Contractionen noch seltener als die des Uteruskörpers; sie sind selten automatisch und gehen gewöhnlich vom Uteruskörper auf die Scheide über, sich darauf auch auf die Harnblase fortpflanzend. Die Contractionen der Eileiter, der breiten und runden Bänder sind von denen des Uterus unabhängig, sind ihnen jedenfalls oft durchaus nicht synehron. Nicht selten kann man, bei vollständiger Ruhe des Uterus, ein lebhaftes Spiel der Fasern im Lig. latum sehen, oder peristaltische Be- wegungen der Tubae, oder Zuckungen in den Ligg. rotundis. - Mit einem Worte, man sieht zwischen den Contractionen verschiedener Abschnitte des Geschlechtsapparates keine Gleichmässigkeit, keinen engen Zusammenhang; sie entstehen nicht gleich oft, nicht zur selben Zeit, unter- scheiden sich von einander durch den verschiedenen Grad ihrer Intensität und sind von einander wenig abhängig. Bisweilen, bei sehr kräftigen Contractionen, besonders aber unter dem Einflusse irgend eines Reizes, geräth die ganze Gebärmutter in stürmische Bewegung; dann contrahiren sich gleichzeitig und mit derselben Kraft auch alle ihre Abschnitte, ihre Adnexa und Bänder, eine gemeinsame, einige Arbeit zeigend. Dabei tritt manchmal ein echter. Tetanuszustand des Uterus ein. Wenn es auch keine Gleichmässigkeit zwischen den Contractionen ver- schiedener Theile des Uterus giebt, so zeichnen sich dafür die Contractionen jedes einzelnen Theiles desselben durch ihre Regelmässigkeit aus. Besonders regelmässig sind die Contractionen der Hörner; oft kann man beobachten, wie sie nach vollkommen gleichen Pausen entstehen und erinnern in dieser Beziehung an Pendelbewegungen. Ihre Aehnlichkeit mit den Pendelbewegungen wird dabei bisweilen dadurch vergrössert, dass sie ein- ander ununterbrochen, ohne Pausen folgen: sofort nach der einer Con- traction folgenden Erschlaffung entsteht eine neue Contration u, s. w., SO 348 E. M. KuRDINOwsKI: dass im Laufe einer gewissen Zeit der Uterus sich ununterbrochen bewegt, ohne vollständig zur Ruhe zu kommen. Ebensolche reguläre Contractionen kann man auch am Corpus uteri sehen; beobachtet man die Uhr, so kann man wahrnehmen, dass während mehrerer Minuten sich der Uteruskörper ununterbrochen immer genau eben- soviel Mal contrahirt. Als das beste Beispiel für reguläre Bewegungen können die Con- tractionen des Lig. latum im schwangeren Uterus dienen, die sich oft mit einer auffallenden Reeularität vollziehen: bei einem Versuche habe ich während etwa 10 Minuten acht Contractionen in der Minute beobachtet. Die Öontractionen der übrigen Theile des Geschlechtsapparates zeichnen sich durch mindere Regularität aus. Im Allgemeinen contrahirt sich der gravide Uterus regelmässiger als der nicht gravide. Die Regelmässiekeit der Contractionen des Uterus lässt sich mit be- sonderer Schärfe intra partum beobachten. Der Uterus contrahirt sich nie vollkommen gleich während mehrerer Stunden: gewöhnlich geht er nach einer Periode mehr oder weniger leb- hafter Thätigkeit in vollständigen Ruhezustand über. Dieser Uebergang erfolgt allmählich und äussert sich darin, dass die vorher regelmässig ge- wesenen Contractionen ihre Regularitätt nach und nach verlieren, die Pausen zwischen ihnen ungleich werden und allmählich sich vergrössern; jede Contraction wird immer schwächer, bis endlich vollständig Ruhe- zustand eintritt. Im Ruhezustand bewahrt der Uterus seine Erregbarkeit. Auf irgend einen Reiz in diesem Stadium wird er immer durch eine Contraction reagiren, deren Charakter natürlich von der Art und der Kraft des Reizes abhängig ist. Bisweilen äussert sich diese Reaction in einer bis zwei Contractionen; zeichnet sich aber der Uterus durch grosse Erregbarkeit aus, so genügt die geringste Berührung, um den Ruhe- zustand in Arbeit umzuwandeln; so einen Uterus kann man stundenlang arbeiten lassen. Es kommt vor, obwohl sehr selten, dass im Ruhezustand die Erregbar- keit des Uterus ganz erlischt: er liest dann vollständig erschlafft und reagirt auf keinen Reiz; so ein Zustand findet nach langdauernder Arbeit statt und’ besonders nach Ermüdung des Organs durch verschiedene Reize, die sehr oft einander folgten, oder sich durch erhebliche Kraft auszeichneten. In solchen Fällen scheint der Uterus manchmal so lange zu Grunde ge- sangen zu sein, wenn nicht, nach langer Ruhe, seine regelmässige Thätigkeit wieder erfolgt. Gewöhnlich wechseln mehrmals im Laufe eines Versuches Ruhe und Arbeit ab. Selbst in der Abwechselung dieser Perioden lässt sich eben- falls eine gewisse Regularität beobachten, so dass man am Ende des Ver- PHYsIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 349 suches das Beginnen der einen oder der anderen Periode schon annäbernd richtig vöraussagen Kann. Die Kraft und die Häufiskeit der Contractionen des Uterus sind ver- schieden und sind vom Stadium seiner geschlechtlichen Entwickelung ab- hängig, d. h. hier kommt in Betracht, ob er jungfräulich ist oder schon nicht mehr, und ob er Partus durchgemacht hat; ferner, ob er schwanger ist oder nicht; wenn ja, so ist der Schwangerschaftszeitpunkt ebenfalls von Bedeutung. Vor allem muss man als Regel annehmen, dass der Uterus in allen Stadien seiner geschlechtlichen Entwickelung zu automatischen Contractionen fähig. ist. Ferner muss man sich noch Folgendes merken. Ein Uterus, der geschlecht- lich schon gelebt hat, der schon geboren oder abortirt hat, zeichnet sich immer durch grössere Neigung zu -Contractionen aus, als ein jungfräulicher Uterus. Im schwangeren Zustande lassen sich die Contractionen häufiger be- obachten und sind immer von grösserer Kraft und grösserer Regelmässig- keit als im nichtschwangeren Zustande. Von der zweiten Hälfte der Schwangerschaft an sind die Contractionen durch besondere Energie charak- terisirt,; ebenfalls ist in dieser Zeit die Arbeit der Ligg. lata mehr ausgeprägt. den ist einem graviden Uterus eine grössere Briegbatkeit gegen Reize jeder Art eigen, als einem nicht graviden. Zweifellos besitzt ebenfalls der jungfräuliche Uterus die Fähigkeit zu automatischen Contractionen, obwohl in geringerem Grade als der, der schon geboren hat. Bei manchen Versuchen habe ich sogar Contractionen eines noch nicht vollständig ausgebildeten Uterus beobachtet; seine kleinen, fadenförmigen Hörner bewegten sich sehr energisch, sich zu einem Knäuel zusammenrollend, in Form eines Conglomerats von Darmschlingen oder sich bewegender Würmer. Was den puerperalen Uterus anbelangt, so ist er oft träge. Im Allgemeinen kann man doch sagen, dass die Erregbarkeit des Uterus in verschiedenen Stadien seines geschlechtlichen Lebens verschieden ist, während der Charakter der Contractionen immer derselbe bleibt. Alle Beobachtungen des sich contrahirenden isolirten Uterus haben nur dann eine gewisse Bedeutung, wenn das, was man mit dem Auge wahr- nimmt, durch Registrirung der Contractionen in Form von Curven ergänzt wird. Ist die graphische Methode im Allgemeinen wichtig, so ist sie beim Studium der contractilen Thätigkeit des Uterus absolüt unentbehrlich. Das wird vollkommen klar, wenn man bedenkt, dass der Uterus sich nicht ununterbrochen, sondern periodisch contrahirt; man kann also immer annehmen, dass sogar der aufmerksamste Beobachter, bei der ziemlich com- 350 E. M. KURDINOwSsKT: plieirten Beschaffenheit des Experimentes, einen und vielleicht sehr wichtigen Theil der contractilen Arbeit übersehen kann. Ferner bieten die peristaltischen Contractionen des Uterus nichts streng Constantes dar; sie zeichnen sich, ihrer Form nach, durch eine gewisse Unvoll- ständigkeit und Unhestimmtheit aus, welche überhaupt den Bewegungen glatt-musculöser Organe eigenthümlich sind. Deshalb ist hier der Sub- jectivismus des Beobachters besonders möglich und nur ein mechanisches Notiren der Arbeit ist im Stande ihn zu beseitigen. Schliesslich, bei jener Verwickelung, die die Frage über die Contractionen des Uterus auszeichnet, ist nur von der Objectivität der graphischen Methode allein eine Erklärung vieler Widersprüche zu erwarten. Uebrigens wird die wichtige Bedeutung dieser Methode durch rein technische Schwierigkeiten bei ihrer Anwendung am Uterus erheblich para- lysirt. Deshalb scheint es mir jetzt ausserordentlich schwer zu sein, eine Curve mit Sicherheit anzugeben, die im Stande wäre, die normale contractile Arbeit des Uterus vollkommen auszudrücken. Aus den Curven, welche den Arbeiten der letzten Zeit (d. h. von Frommel an) beigelegt sind, ist er- sichtlich, däss jeder Autor eine besondere Curve der normalen Contractionen angiebt. Unabhängig von der Verschiedenheit der Methoden, die von mehreren Autoren benutzt wurden, und den Verschiedenheiten des experimentellen Materiales selbst, werden sogar von einem und demselben Beobachter bei derselben Beschaffenheit des Versuches und an einem und demselben Ob- jecte verschiedene, ungleiche Curven erhalten. Nimmt man eine Curve nach einigen Stunden des Versuches, so merkt man an ihr sofort eine grosse Mannigfaltigkeit der Häufigkeit und des Charakters der einzelnen Con- tractionen. Manchmal ist es sogar zu bewundern, wie ein und derselbe Uterus bei gleichen Bedingungen des Versuches ein so verschiedenes Bild resultiren kann; diese Mannigfaltigkeit des Bildes kann ganz unabhängig sein von verschiedenen Fehlern der Methodik, wie z. B. von irgend welchen Reizen, die den normalen Contractionstypus ändern u.s. w. Zweifellos ist das, dass diese Mannigfaltigkeit des Bildes der Wirklichkeit vollständig ent- spacht, d. h. sie ist von der dem Organ eigenthümlichen Periodieität der Arbeit und von der relativen Verschiedenheit des Charakters der einzelnen Contractionen abhängig. Diese gewisse Unregelmässigkeit der contractilen'Thätigkeit bildet eine Eigenthümlichkeit des Organes und man hätte sich vergebens bemüht, eine ebenso regelmässige Curve der Uteruscontractionen zu erhalten, wie z. B. die Curve der Herzcontractionen. Deshalb ist, wenn wir auch eine ganz genaue Registration annehmen, doch schwierig anzugeben, welche Stelle der Curve in Wirklichkeit der PHYSIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 351 normalen Arbeit der Gebärmutter entspricht. Jeder Autor, welcher eine Curve vorlegt, die er für die normalen Contractionen für besonders charak- teristisch hält, hat im Wesentlichen für das Urtheil darüber kein voll- kommen objectives Kriterium. Man muss sehr viel Curven gesehen haben, um sich einen Begriff über die durchschnittlichen normalen Gebärmutter- contractionen, über ihren Charakter, zu bilden. Was nun die von mir erhaltenen Curven anbelangt, so kann ich sie natürlich -nur mit denjenigen vergleichen, welche, ebenso wie die meinigen, am isolirten Uterus erhalten wurden, denn a priori muss man schon annehmen, dass eine isolirte Gebärmutter nicht im Stande ist, ganz genau so zu arbeiten, wie eine im lebendigen Organismus, In der Litteratur sind Curven, die an einem isolirten Uterus erhalten wurden, nur in den Arbeiten von Helme und Murray angegeben (und bei Jastreboff die Curven einer isolirten Vagina). Unter diesen sind die von Murray erhaltenen Curven nicht zu den beweisenden zu rechnen, da, streng genommen, Murray kein „physiologisch isolirtes“, sondern ein „ausgeschnittenes‘“ Organ studirt hat. Auf diese Weise sind mir nur als einzige an einem physiologisch isolirten Uterus erhaltene Curven die in der Arbeit von Helme angegebenen bekannt. Die Curven, die ich als die durchschnittliche normale contractile Ar- beit des Uterus ausdrückend vorlegen kann, erinnern ziemlich nahe an die analogen Curven von Helme. Die „normale“ Uteruscurve, d.h. die Curve seiner automatischen Con- tractionen, zeichnet sich, nach meinen Versuchen, durch folgende Eigen- schaften aus: die Contractionswellen haben die Form eines an seiner Spitze abgerundeten Kegels; der aufsteigende Ast der Welle ist der Grösse und seinem Charakter nach dem absteigenden gleich; die Höhe der einzelnen Wellen sowie die Pausen zwischen letzteren sind annähernd gleich. Na- türlich ist das nur ein allgemeines Schema, da jeder Uterus eine Curve von verschiedenen individuellen Eigenschaften giebt (s. Taf. VIII, Fig. 1). Der Einfluss versehiedener Reize auf die Contractionen des isolirten Uterus. Bei der Beobachtung eines isolirten Uterus kann man schon bei den ersten Versuchen merken, dass seine Contractionen von der Temperatur innig abhängig sind. Um von der normalen contractilen Thätigkeit des Uterus eine Vorstellung zu bekommen, muss man ihm für die ganze Be- obachtungszeit eine constante Temperatur sichern, die der Körpertemperatur entspricht. Ich habe mich übrigens überzeugt, dass der isolirte Uterus auch bei einer etwas übernormalen Temperatur regelmässig thätig ist. 352 E. M. KuURDINOwSKT: Deshalb habe ich mir, auf rein empirischem Wege, in meinen Versuchen das Temperaturoptimum von 39° C. gewählt. Es ist leicht, sich zu überzeugen, dass auch unbedeutende Abweichungen von dieser Norm, nach dieser oder jener Seite hin schon Aenderungen in den normalen Contractionen in Bezug auf ihre Kraft, Häufigkeit und Regelmässig- keit hervorrufen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Abkühlung die Thätigkeit des Uterus immer herabsetzt, während die Temperaturerhöhung sie gewöhnlich steigert. Doch ist das nur in einem gewissen beschränkten Sinne richtig. Einerseits wirkt eine plötzliche und bedeutende Abkühlung wie ein energischer Reiz, indem sie stürmische Contractionen hervorruft, andererseits ruft nur dann die Temperatursteigerung eine nennenswerthe Verstärkung der Contractionen hervor, wenn sie rasch und besonders nach einer vorausgegangenen Abkühlung erfolgt. Kurz, es können nicht nur absolute Temperaturgrössen dem Uterus als Erreger dienen, sondern hauptsächlich ihre relativen Schwankungen, scharfe Uebergänge von einer Temperatur zur anderen, ohne Unterschied, ob von Kälte zu Wärme oder umgekehrt. Wenn sich der Uterus z. B. bei subnormaler Temperatur befindet und eine schwache Thätigkeit äussert, so kann man letztere in gleichem Maasse steigern, entweder durch rasche Temperaturerhöhung bis zur Norm, oder durch plötzliche, noch intensivere Abkühlung. Der Uterus zeigt sich viel empfindlicher gegen diese scharfen Schwankungen der Temperatur, mögen sie in beliebiger Richtung erfolgen, als gegen ihr allmähliches Steigen oder Sinken. Was den Einfluss der mässigen Temperatursteigerung betrifft (bis 40° bis 40-.5° C.), so macht er sich als eine Beschleunigung und Verstärkung der Contractionen bemerkbar. Diese stimulirende Wirkung der mässig ge- steigerten Temperatur ist so constant, dass es auf diesem Wege immer ge- lingt, den Uterus aus dem Ruhezustande zu bringen und in der Thätig- keitsperiode letztere bedeutend zu steigern, wobei die Contractionen ihren normalen Charakter bewahren. | Von ganz anderem Einfluss auf den Uterus ist die Temperatur, wenn sie weit übernormal ist (bis 42° bis43° C.). Dabei sind die Steigerung und die Beschleunigung der Contractionen nicht so auffallend, wie die scharfe Aenderung ihres normalen Typus — sie werden unregelmässig und von tetanischem Charakter. Wenn ich die Temperatur der feuchten Kammer bis auf 42° C. steigerte, konnte ich immer beobachten, dass die Con- tractionen des Uterus sehr langsam wurden; sie unterschieden sich von den normalen durch lange dauerndes Verharren in der Acme und all- mähliches, unbemerkbar verlaufendes Erschlaffen. Die tetanisirende Wirkung hoher Temperaturen kann man an der Curve anschaulich verfolgen, wenn man, während letztere normale Wellen giebt (wobei die beiden Aeste PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 353 der Welle gleich sind), die Temperatur plötzlich um 2° bis 3°C. erhöht. Man sieht dann zuerst den Uebergang von normalen Wellen zu tetanischen, zu Wellen von gemischtem, unregelmässigem Charakter, die häufiger als normal auftreten, aber die normale Höhe nicht erreichen; darauf entstehen an Stelle dieser andere, typisch-tetanische Wellen, die sich durch einen mehr flachen Gipfel und sehr verlängerten Abfall auszeichnen (s. Taf. VII, Fig. 2). Lässt man jetzt die Temperatur noch höher steigen, so kann man sich leicht überzeugen, sowohl bei aufmerksamem Betrachten, wie auch aus der erhaltenen Curve, dass eine derartige Temperatur die Thätigkeit des Uterus hemmt. Aus einigen Versuchen konnte ich jedoch den Schluss ziehen, dass der Uterus sehr hohe Temperaturen ungestraft vertragen kann, — Temperaturen, die bis zu 50°C. reichen können; der Uterus kann sich darauf vollständig erholen und nach einiger Zeit seine frühere Thätigkeit wieder aufnehmen. Der schwangere Uterus reagirt viel stärker auf erhöhte Temperatur als der nicht schwangere. Die äusserliche Anwendung von Wärme wirkt in gleicher Weise, wie die Temperaturerhöhung der in den Gefässen circulirenden Flüssigkeit, d. h. sie erregt immer die Thätigkeit des Uterus und giebt tetanische Con- tractionen. Uebergiesst man z. B. plötzlich den sich in Ruhe befindenden, besonders aber den abgekühlten Uterus mit heisser (42° bis 43°C.) Locke’- scher Flüssigkeit, so geräth er sofort in stürmische Contractionen; bisweilen richtet er sich sogar dabei von seinem Lager etwas auf (besonders seine Hörner, die dabei eine verticale Lage annehmen), wird sehr consistent, ver- kleinert sich bedeutend in seinen Dimensionen und bewahrt einige Zeit diese Form. Bei der äusseren Anwendung von Kälte — wenn man z. B. den Uterus mit kalter Locke’scher Flüssigkeit (20° bis 10°C. und darunter) übergiesst — kann man einen scharfen Effect beobachten, einen tetanischen Effect, der seiner Kraft nach dem Effecte bei der äusserlichen Anwendung von Wärme nicht nachsteht. Der Uterus kann lange dauerndes und bedeutendes Abkühlen unge- straft vertragen, nur erstarrt er dabei für eine Zeit und unterbricht seine Thätigkeit, um sie unter normalen Bedingungen wieder und mit derselben Kraft zu erneuern. Die Abkühlung, in Folge der mit ihr verknüpften Unterbrechung der Funetionen des Organs und der Herabsetzung des Stoff- verlustes, trägt augenscheinlich dazu bei, die Lebenseigenschaften für eine viel längere Zeit zu erhalten. Deshalb muss man den isolirten Uterus, wenn man ihn länger am Leben erhalten will, in einer kalten Locke’schen Flüssigkeit von 3° bis 4° C. Temperatur aufbewahren, ohne ihn dabei durch häufige und starke Reize zu ermüden; unter solchen Bedingungen kann Archiv f, A.u. Ph. 1904, Physiol, Abthlg. Suppl, 23 354 E. M. KuRDINowsKkI: er mehrere Tage lebensfähig bleiben und dann im Apparate wieder belebt werden. Es ist also anzunehmen, dass die niedrige Temperatur, indem sie die Lebensthätigkeit des isolirten Organes temporär unterbricht, dadurch gleichzeitig zu seiner weiteren Erhaltung beiträgt. Die Erregbarkeit des Uterus gegen jeden mechanischen Reiz ist sehr gross. So sind z. B. seine lebhaften Bewegungen, die man gewöhnlich beim Ausschneiden beobachtet, zum grossen Theil auf mechanische Reize zurück- zuführen. . Als Antwort auf jeden mechanischen Reiz erfolgt entweder eine locale, oder, was noch viel häufiger der Fall ist, eine allgemeine, fortschreitende Contraction. Die Kraft des Reizes entspricht nicht immer dem ausgelösten Effecte: die kleinste Berührung genügt oft, um stürmische Contractionen hervor- zurufen, die weit über die Grenzen der Reizstelle peristaltisch fortschreiten und den ganzen Uterus einnehmen, indem sie sich von hier aus auf seine Adnexa, den Bandapparat und sogar auf benachbarte glatt - musculöse Organe (Blase, Mastdarm) fortpflanzen. Verschiedene Abschnitte des Uterus sind verschieden erregbar. Jene Theile des Uterus, welche schon automatisch eine maximale Thätigkeit ' zeigen, zeichnen sich gleichzeitig durch grösste Erregbarkeit auch gegen mechanische Reize aus; ist der Uterus einmal thätig, so wird z. B. jeder Reiz eines Hornes immer von einer Contraction des letzteren begleitet, während das Corpus uteri bei weitem nicht immer auf einen Reiz reagirt: man braucht dazu manchmal mehrere wiederholte Reize u. s. w. Die mechanische Erregbarkeit schwankt, in bedeutenden Maassen, in der Abhängigkeit von vielen Bedingungen. Vor Allem hängt sie von jenem Stadium des geschlechtlichen Lebens ab, in dem sich der betreffende Uterus befindet. In dieser Abhängigkeit ändert sie sich ebenso, wie die automa- tischen Contractionen. So ist z. B. ein Uterus, der geschlechtlich schon gelebt hat, immer viel erregbarer, als ein jungfräulicher. Ich habe übrigens bei manchen Versuchen beobachtet, wie ein junger, sogar noch nicht voll- ständig ausgebildeter Uterus auf Berührung durch sehr stürmische Con- tractionen reagirt hat. Eine schwangere Gebärmutter zeichnet sich immer durch bedeutend grössere mechanische LReizbarkeit aus, als eine nichtschwangere. Die Meinung mancher Autoren, die Erregbarkeit des Uterus sei am Anfang der Schwangerschaft herabgesetzt und am Ende derselben gesteigert, kann ich auf Grund meiner Versuche nicht annehmen. Die mechanische Erregbarkeit ändert sich ebenfalls in der Abhängigkeit vom Alter des Thieres: der Uterus eines alten, mehrfach geboren habenden PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 355 Weibehens reagirt immer viel träger, als ein Junger Uterus. Ferner ist die Erreg- barkeit des Uterus in verschiedenen Perioden seiner Thätigkeit natürlich auch verschieden. So ist z. B. im Ruhezustand, nach einer lange dauernden und energischen’ Arbeit die Erregbarkeit immer herabgesetzt; zu dieser Zeit giebt unter Umständen auch der stärkste Reiz nur eine schwache Reaction, während am selben Uterus, wenn er aus dem Ruhe- in den Thätigkeits- zustand übergeht, schon der kleinste Reiz einen stürmischen Effeet auslösen kann. Nach der Anwendung von einer Reihe wiederholter Reize kann man eine rasche Erschöpfung des Uterus beobachten. Aber schon ein nicht lange dauernder Ruhezustand reicht aus, um die Erregbarkeit auf die ur- sprüngliche Höhe zu bringen. Man kann also auf diese Weise am isolirten Uterus mit Klarheit jene allgemein-physiologischen Erscheinungen beobachten, die unter dem Namen der „Ermüdungserscheinungen“ bekannt sind. Ein volles Verschwinden der mechanischen Erregbarkeit im Ruhe- zustande kommt selten vor und wird nur nach vollkommenem Aufhören der automatischen Öontractionen beobachtet. Diesem reciprok ist Folgendes: fängt der Uterus auf’s neue seine Thätigkeit an, so beobachtet man vor Allem das Auftreten oder eine Steigerung der mechanischen Erregbarkeit und erst darauf die automatischen Contractionen. Stirbt der Uterus ab, so ist die mechanische Erregbarkeit noch Stunden lang nach dem Aufhören der automatischen Contractionen erhalten, so dass sie im Vergleich mit letzteren überhaupt eine grössere Stabilität besitzt. Der Charakter der mittels mechanischer (sowie auch thermischer) Reize hervorgerufenen Contractionen unterscheidet sich immer scharf vom Charakter der automatischen Contractionen. Dieser Unterschied zeigt sich anschaulich in den Curven. Wird am Uterus, während die Curve, entsprechend den automatischen Contractionen, eine Reihe vollkommen regelmässiger, sym- metrischer Wellen giebt, irgend ein mechanischer Reiz ausgeübt, so be- kommt man auf der Curve sofort Wellen, deren absteigende Aeste, der Erschlaffung entsprechend, die aufsteigenden (der Zeit nach) bedeutend über- treffen. Auf diese Weise bekommen die normalen automatischen Contractionen, unter dem Einfluss mechanischer Reize, einen mehr oder weniger ausge- sprochenen tetanischen Charakter (s. Taf. VIII, Fig. 3). In der Abhängigkeit vom Grade der Erregbarkeit des Uterus ruft ein und derselbe mechanische Reiz, von derselben Kraft, weitaus nicht immer denselben Effect hervor. So können z. B. manchmal mehrere wiederholte Reize unbeantwortet bleiben, aber darauf kann plötzlich eine starke Contraction erfolgen, welche offenbar das Resultat des Summirens aller ausgeübten Reize ist. Diese, unter dem Namen „des Summirens der Reize“ bekannte, Erscheinung bietet Das 356 E. M. KURDINOWSKT: übrigens nichts für den Uterus Charakteristisches dar und ist nur von all- gemein-physiologischer Bedeutung. Manchmal aber, besonders im Falle eines schwangeren Uterus, ist schon ein einmaliger mechanischer Reiz, z. B. eine einfache Berührung des Uterushornes mit dem Finger, ausreichend, um eine sehr stürmische Reac- tion des ganzen Organes hervorzurufen: — die Hörner, nachdem sie sich energisch contrahirt haben, rollen sich in einen Knäuel zusammen; der Uteruskörper verwandelt sich in eine dünne, runde Schnur, die Ligg. ro- tunda heben mittels ihrer kräftigen Contractionen den ganzen Uterus hoch und halten ihn „im Gleichgewicht“ u. s. w. Ein solcher Uterus verkleinert sich in seinen Dimensionen so auffallend, dass er nicht zu erkennen ist; die Contraetion, welche gleichzeitig und mit derselben Kraft alle seine Theile umfasst hat, dauert einige Minuten und hat den Charakter eines typischen Tetanus. Darauf tritt eine Erschlaffung ein, welche sehr lange dauert, so dass der Uterus, für's Auge vollkommen unbemerkbar, allmählich in vollen Ruhezustand übergeht und seine ursprünglichen Dimensionen . annimmt. Der durch mechanische Reize hervorgerufene Tetanus des Uterus unter- scheidet sich gar nicht vom Tetanus, der unter dem Einfluss einer hohen (oder niedrigen) Temperatur eintritt. Was die elektrischen Reize betrifft, so komme ich, auf Grund meiner Versuche, zum Schlusse, dass sie, der Kraft ihrer Wirkung nach, den mechanischen und thermischen Reizen nachstehen und überhaupt weitaus nicht so constant und sicher sind, wie diese letzteren. Reizt man den Uterus mit den Elektroden eines Inductionsapparates von du Bois-Reymond, bei einem Rollenabstande von 7 bis 10°=, so beobachtet man gewöhnlich nur kurze, abgebrochene Contractionen. Nicht selten bleibt sogar ein stärkerer Strom resultatlos. Beim Reizen mit den Elektroden muss man bedenken, dass ein einfaches Berühren mit denselben schon ein mechanischer Reiz ist, gegen den der Uterus sehr empfindlich ist. Auf Grund einiger litterarischer Angaben kann man annehmen, dass der Uterus überhaupt auf elektrische Reize relativ wenig reagirt. - Die elektrische Erregbarkeit des isolirten Uterus verschwindet be- deutend eher, als seine Erregbarkeit gegen andere Reize. Es wurde öfters beobachtet, dass nach einigen Thätigkeitsstunden der Uterus auf den Strom schon nicht mehr reagirte, während mechanische Reize oder Temperatur- schwankungen noch längere Zeit darauf eine deutliche Reaction hervorriefen. Es scheint, dass man in den Lebensbedingungen des isolirten Organes selbst die Ursache suchen muss, die den relativ raschen Verlust der elektrischen Erregbarkeit erklärt (frühzeitiges Absterben der localen Nerven- centren?). PHYSIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 357 Bei der Anwendung des elektrischen Reizes am Uterus ist leicht zu bemerken, dass der Zeitraum zwischen Reiz und Contraction, oder die so- genannte „Latenzperiode“ relativ sehr gross ist. Ihn nur annähernd — durch einfaches Aufzählen der Metronomschläge, bestimmend, — konnte ich mich überzeugen, dass er manchmal einigen Secunden (2 bis 4 Sec.) gleich ist. Wie aus den litterarischen Angaben ersichtlich ist, bildet eine im Ver- gleich mit quergestreiften Muskeln lange „Latenzperiode“ die Eigenthümlich- keit jedes glatten Muskels überhaupt. Der Geburtsact, am isolirten Uterus beobachtet. Unter allen Erscheinungen, die man am isolirten Uterus beobachtet, erscheint der Geburtsact zweifellos als die allerwichtigste und interessanteste. Es gelang mir bei zwei Versuchen am isolirten Uterus, den Geburtsact in allen seinen Details, vom Beginn bis zum Ende, zu beobachten; bei einigen Versuchen sah ich den Beginn des Geburtsactes, einige Abschnitte des Geburtsmechanismus. Fassen wir alle diese Beobachtungen zusammen, so können wir ein allgemeines schematisches Bild des Geburtsactes am isolirten Uterus folgendermaassen darstellen. Die Contractionswellen, an den tubaren Enden der Hörner beginnend, pflanzen sich, entlang letzterer, in der Richtung zum Corpus uteri fort. Als Resultat "dieser Contractionen ist die allmähliche Aufhebung des Zu- sammenhanges zwischen dem Ei und der Wandung des Fruchtbehälters anzusehen; das Ei wird immer beweglicher und schliesslich trennt es sich vollständig von der Wandung des Hornes. Von diesem Augenblicke an findet eine allmähliche und sehr langsame Translocation des Eies durch das Horn statt. Das Resultat jeder einzelnen Contraetion des Hornes ist für das Auge unbemerkbar. Beobachtet man aber diese Contractionen genügend lange, so merkt man, dass keine einzige von ihnen unnütz verloren geht; ihr Effect summirt sich, und das Ei wird ununterbrochen, obwohl langsam durch das Horn translocirt, in der Rich- tung zum Corpus uteri. Da dasselbe gewöhnlich auch im zweiten Horne stattfindet, so tritt ein Moment ein, wo beide Früchte beim Corpus uteri zusammentreffen. In diesem Stadium können die gleichzeitigen und gleichkräftigen Con- tractionen beider Hörner die weitere Fortbewegung der Früchte hemmen dann machen diese Contractionen den Eindruck scheinbarer Zwecklosigkeit [die in vivo vielleicht durch den regulirenden Einfluss seitens des centralen Nervensystems beseitigt wird]. Nach einiger Zeit fängt eines der Hörner an sich kräftiger und öfter zu contrahiren als das andere und schliesslich stösst es seinen Inhalt in das Corpus uteri. Dieses Moment — der Uebergang der Frucht aus dem 358 E. M. KURDINOWSKT: Horne in das Corpus uteri — dauert sehr lange, da, den anatomischen Beziehungen des Hornes zum Corpus uteri entsprechend, sich die Bewe- sungsrichtung der Frucht hier fast unter einem rechten Winkel ändert. Gelangte die Frucht in das Corpus uteri, so beginnen energische Con- tractionen des Ligamentum latum (das sich vorher in Ruhe befand), welche die weitere Fortbewegung der Frucht begünstigen. Da dieses Liga- mentum das Corpus uteri von allen Seiten umgreift, so sind seine Con- tractionen ringförmig; sie vollziehen sich in zum Corpus uteri querer Rich- tung und pressen auf diese Weise seinen Inhalt in die Vagina aus. Interessant ist, dass diese eigenartige „quere“ Arbeit des Ligamentum latum nur von bestimmter Dauer ist: ist die Frucht, die im Corpus uteri war, schon in die Vagina gelangt, so hört diese Arbeit auf. Im Anschluss an diesen Vorgang beginnt die lebhafte Arbeit des zweiten Hornes; sich oft und energisch contrahirend, stösst dieses ebenfalls die in ihm enthaltene Frucht (eine oder mehrere nach einander) in das Corpus uteri, an die Stelle derjenigen, die eben noch dort war und jetzt tiefer nach unten getreten ist. Während der ganzen Zeit des Uebergangs der Frucht aus dem Uterus- horne in den Uteruskörper befindet sich das Ligamentum latum vollständig in Ruhe — genau so, wie während der Zeit des Uebergangs der Frucht aus dem ersten Horne. Dieses rechtzeitige Aufhören der Arbeit des Liga- mentum latum muss als höchst zweckentsprechend angesehen werden: denn, hätte sich das Ligamentum latum auch während der Translocation der Früchte aus den Hörnern contrahirt, so hätte es natürlich ihre fortschreitende Bewegung gehemmt. Sobald das zweite Horn sich von seinem Inhalte be- freit hat, beginnen wieder, kraft eines gewissen unsichtbaren Impulses, die energischen Contractionen des Ligamentum latum, ebenfalls die zweite Frucht, die in das Corpus uteri übergegangen ist, in den oberen Abschnitt der Vagina durchstossend. In dieser Zeit contrahirt sich ebenfalls das Corpus uteri stark; es bilden sich an ihm oberhalb der Frucht tiefe eirculäre Furchen, welche auf diese Weise die Frucht nach der Vagina zu auspressen. Unter dem Drucke dieser „Vis a tergo“ rückt die erste Frucht, die “schon. früher in die Vagina eintrat, jetzt noch tiefer vor, und an ihre Stelle kommt die zweite Frucht u. s. w. Während der ganzen Zeit der Bewegung der, Früchte durch den Uteruskörper und die Scheide kann man an den Ligamenta rotunda eben- falls energische Contractioner beobachten, die für den Geburtsact zweifellos sehr günstig sind. Die Lieg. rotunda, sich contrahirend, heben die Hörner ein wenig und nähern sie der Scheide, ihnen ein Hypomochlion bildend. Indem die Ligg. rotunda den ganzen Uterus fixiren und ihn dem Ausgang PHYsioL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 359 aus dem Genitalcanal nähern, erleichtern sie ad oculos die Fortbewegung der Früchte. Die Vagina ist ebenfalls an der allgemeinen Arbeit durch ihre cir- culären, sich peristaltisch von oben nach unten fortpflanzenden Contractionen betheiligt. _ Diese gemeinsame Arbeit aller Theile des Geschlechtsapparates führt dazu, dass die in der Scheide am allertiefsten liegende Frucht aus der Vagina ganz austritt, geboren wird, den oben liegenden Früchten den Weg freilegend. So ist das Bild des Geburtsactes am isolirten Uterus. Um dies in Vollständigkeit zu sehen, sind einige Stunden geduldiger Beobachtung an einem entsprechenden Object nothwendig. Viele Autoren wollen der jungfräulichen Gebärmutter absolut keine Zusammenziehungsfähigkeit zuerkennen (Cyon, Scherschewski, S. Mayer); andere, welche diese Fähigkeit nicht gänzlich leugnen, be- trachten die jungfräuliche Gebärmutter als sehr wenig reizbar. In Anbetracht der Meinungsverschiedenheiten und ganz entgegenge- setzten Ansichten, welche betrefis dieser Frage in der Litteratur bestehen, halte ich es für nöthig, die von mir beobachtete, zweifellose Thatsache be- sonders hervorzuheben, dass die jungfräuliche Gebärmutter, unabhängig von jedem Reize zu automatischen, vollkommen selbständigen Zusammen- ziehungen fähig ist. Bei einigen Versuchen gelang es mir, Zusammenziehungen an einem Uterus zu beobachten, welcher noch nicht einmal die geschlechtliche Reife erlangt hatte. Die Hörner eines solchen Uterus, welche ein fadenähnliches Aussehen haben, ziehen sich so stark zusammen, dass es vollkommen un- möglich ist, dies als eine Steifung des Gewebes, durch eine reflectorische Contraction der Gefässe hervorgerufen, zu erklären, wie es Cyon thut. Was die Contractionen des breiten Mutterbandes und ihre wichtige Rolle, die sie beim Geburtsaet spielen, anbetrifft, so habe ich in der Litteratur keine diesbezüglichen Hinweise finden können. Da diese Thatsache der automatischen Zusammenziehungsthätigkeit des breiten Mutterbandes von mir vielmals mit vollkommener Deutlichkeit be- obachtet wurde, so halte ich es für nothwendig, auch sie, ebenso wie die Thatsache der Contractionen des junefräulichen Uterus, hervorzuheben. Eine der wichtigen Streitfragen, auf die jeder, der die Physiologie der Uteruscontraetionen studirt, stösst, ist die Frage betrefis der sogenannten willkürlichen Zusammenziehungen. Diesen Ausdruck kann man nicht als gelungen bezeichnen; es wäre besser, ihn in den Terminus „automatische Zusammenziehungen“ umzuändern, indem man darunter solche Contractionen versteht, welche vollkommen selbstständig entstehen, kraft eines im Organ selbst entstehenden Impulses, 360 E. M. KuURDINOWSKT: unabhängig von jedem äusseren Reize. Aus den Litteraturergebnissen habe ich mich überzeugt, dass beziehentlich der automatischen Contractionen die Meinungen der Autoren sehr auseinandergehen. Einige leugnen derartige Contractionen vollständig, indem sie diese immer als Resultate irgend eines äusseren Reizes ansehen. Andere kommen zu der Schlussfolgerung, dass sich der Uterus vollkommen selbstständig zusammenziehen kann, und zwar dank der Thätigkeit von in seinen Wänden liegenden, örtlichen Nerven- centren, deren Vorhandensein, obwohl noch nicht vollkommen bewiesen, doch auf Grund der physiologischen Versuche äusserst wahrscheinlich ist. Die Autoren, welche die Innervation des Uterus studirt haben, inter- essirten sich gleichzeitig besonders für die Frage über die automatischen Zusammenziehungen. Thatsache ist, dass eine der Ursachen jener Wider- sprüche, an denen die Litteratur über die Innervation so reich ist, in der Unmöglichkeit besteht, bei den Versuchen die automatischen Zusammen- ziehungen auszuschliessen, — oder besser gesagt, sie von den künstlich hervorgerufenen zu unterscheiden. Dass die selbstständigen Contractionen das Studium der Gebärmutter- innervation .erschwerten, wird aus sich selbst klar: wenn der Experimentator eine Reihe von Reizen an verschiedenen Theilen des Centralnervensystems angewendet hat, um deren Einfluss auf die Zusammenziehungen der Gebär- mutter zu beobachten und gleichzeitig die Möglichkeit vollkommen selbst- ständiger Zusammenziehungen bestehen liess, so ist es natürlich, dass es in jedem einzelnen Falle schwer zu entscheiden war, ob diese oder jene Contraction als Resultat eines künstlichen Reizes erschien, oder ob sie voll- ständig unabhängig von ihm entstanden ist und nur der Zeit nach mit ihm zusammenfiel. Darum haben alle Autoren, die über die Innervation der Gebärmutter geschrieben haben, auch die mit ihr verbundene Frage über die auto- matischen Contractionen berührt. Dennoch hat diese letzte Frage auch ein vollkommen selbstständiges Interesse. Thatsache ist, dass die automatischen Zusammenziehungen nicht nur dem Uterus eigenthümlich sind, sondern überhaupt jedem glattmuskeligen Organ; gleichzeitig ist nicht nur das Wesen dieser Contractionen noch unbekannt, sondern selbst die Thatsache ihrer Existenz ist noch nicht vollkommen festgestellt. Dies ist die Bedeutung der Frage über die automatischen Contractionen des Uterus. Mir scheint, dass bei ihrer Entscheidung die guten Eigen- schaften der Methodik eine wichtige Rolle spielen, und zwar aus folgenden Gründen. Die Gebärmutter ist bekanntlich allen Reizen gegenüber ausser- ordentlich empfindlich. Darum ist es, wenn man sie unter solchen Be- PHYSIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 361 dingungen beobachtet, wo die Möglichkeit dieser oder jener Reize nicht ausgeschlossen werden kann, sehr schwer über die Selbstständigkeit der Contractionen zu urtheilen. Die Versuche am lebenden Thier sind im All- gemeinen für die Entscheidung dieser Frage wenig geeignet. Narkotisirt man das Thier, so entsteht die Frage, ob die Narkose nicht die auto- matischen Centren des Uterus lähmt und auf diese Weise die Resultate der Beobachtungen verdunkelt. Narkotisirt man das Thier nicht, so schliessen sich in diesem Falle eine ganze Reihe von Erscheinungen reflectorischen Charakters an, welche die Entscheidung der Frage über die selbstständigen Zusammenziehungen bedeutend erschweren. Es ist zweifellos, dass das isolirte Organ, wenn es unter solche Be- dingungen gestellt wird, bei denen alle äusseren Reize ausgeschlossen sind, wenn es von der Verbindung mit dem Üentralnervensystem getrennt ist, sich als geeigneteres Object für die Entscheidung dieser Frage darstellt, da hier die Verhältnisse einfacher sind als im ganzen Organismus. Bei meinen Versuchen befand sich die Gebärmutter namentlich unter solchen Bedingungen; darum glaube ich das Recht zu haben, mich über diese Bedingungen auszusprechen. Die Contractionen des isolirten Uterus dauern bisweilen Stunden lang mit gleicher Stärke fort, indem sie sich nach regelmässigen Zeitabschnitten wiederholen, beim Fehlen irgendwelcher wahrnehmbarer Reize. Von Zeit zu Zeit hören sie auf und erscheinen dann wieder, wobei selbst in der Ab- wechselung der Arbeits- und Ruheperioden eine solche Regelmässigkeit er- sichtlich ist, dass für den Beobachter kein Zweifel mehr an der voll- kommenen Selbstständigkeit der Contractionen bestehen bleiben kann. Das periodische Auftreten dieser Contractionen bei ganz gleichen Be- dingungen des Versuches stellt sich als bester Beweis ihrer Unabhängig- keit von irgendwelchen Reizen, oder überhaupt von ausserhalb des Organes selbst liegenden Ursachen dar. Nimmt man an, dass die vollkommene Identität der Bedingungen, unter denen der isolirte Uterus beobachtet wird, nicht erfüllt ist und dass deshalb immer minimale unbemerkbare Reize möglich sind, welche aus der Einrichtung des Versuches selbst hervorgehen und als Ursache der Contractionen erscheinen, so muss man doch gleichzeitig feststellen, dass diese Reize nur periodisch auftreten, da sonst die periodischen Contraetionen vollkommen unverständlich sind. Was die unbemerkbaren Reize betrifft, so sind sie natürlich möglich; aber die periodische Regelmässigkeit in ihrer Erscheinung als Ursache der periodischen Contractionen, stellt sich schon als unwahrscheinlich dar. Darum erscheint die Erklärung der automatischen Zusammenziehungen durch irgendwelche Reize als nicht stichhaltig. Es genügt, auf die Curve 362 E. M. KURDINOwSKT: zu blicken, welche eine Reihe von symmetrischen Wellen, ganz gleichartigen Charakters mit gleichen Pausen veranschaulicht, um die Möglichkeit von Reizen unabhängiger Contractionen nicht mehr zu bezweifeln, da anzunehmen, dass die dem Auge unwahrnelimbaren reizenden Momente mit einer solch strengen Regelmässigkeit wirken, welche den regelmässigen Wellen der Curve entspräche, schwer ist. Dennoch ist immer der Einwand möglich, dass die Quelle der selbst- ständig scheinenden Contractionen die Vorrichtungen selbst sein können, welche zur Registration dienen, da sie sich mit den Wänden der Gebär- mutter berühren, welche mechanischen Reizen gegenüber äusserst em- pfindlich sind und daher ununterbrochen durch sie gereizt werden. Um diesen Einwand zu vermeiden, beobachtete ich die Gebärmutter oft unmittelbar (durch den Glasdeckel der feuchten Kammer) ohne Regi- stration ihrer Arbeit. Hierbei konnte ich mich auch durch Augenschein davon überzeugen, dass die Uteruscontractionen vollkommen selbstständig entstehen, indem sie sich durch denselben regelmässigen Charakter aus- zeichnen, der sich an der Curve zeigt. Auf Grund der Vergleichang meiner Beobachtungen mit den Ergeb- nissen der Litteratur komme ich zu dem Schluss, dass die Gebärmutter in allen Perioden ihrer geschlechtlichen Entwickelung vollkommen selbst- ständiger Zusammenziehungen fähig ist, welche automatisch, kraft in ihr selbst entstehender Impulse hervorgebracht werden. Der an der. isolirten Gebärmutter beobachtete Geburtsact stellt zweifellos eine sehr wichtige Thatsache dar, und dies um so mehr, da er zu der wichtigen Streitfrage über die Physiologie der Gebärmutter in Beziehung steht, namentlich zur Frage betreffs ihrer Innervation. Man muss zugeben, dass die isolirte Gebärmutter zur Entscheidung dieser Frage ein geeigneteres Object darstellt als das ganze Thier. Allerdings schneidet man dabei die beiliegenden Zellgewebe mit heraus, in welchen sich verschiedene Nervenapparate befinden, aber die Gebärmutter wird doch in jedem Falle vollständig vom Centralnervensystem getrennt und sich selbst überlassen. Wenn nun in einer solchen Gebärmutter der Geburtsact vor sich geht, so kann man hiernach mit aller Bestimmtheit sagen, dass ein gänzlich von den Einflüssen des cerebro-spinalen Nervensystems ge- trennter Uterus der Geburtsfunetion fähig ist. Man braucht nur einmal das Bild des Geburtsactes an der isolirten Gebärmutter zu beobachten, man braucht dabei nur die durch ihre Zweck- mässigkeit in Erstaunen setzende Arbeit aller ihrer einzelnen Theile zu sehen, eine harmonische, wohlgeordnete und schöne Arbeit, um nicht mehr daran zu zweifeln, dass die beobachtete Thatsache nur unter der Bedingung der Lebendigkeit des Organes vor sich gehen kann. PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 369 Die Beobachtungen am isolirten Uterus können natürlich keine That- sachen ergeben, die in unmittelbarer Beziehung zur Innervationsfrage stehen. Andererseits aber haben alle an der isolirten Gebärmutter be- obachtete Thatsachen eine wesentliche Bedeutung für die Aufklärung dieser Frage. Eine unzweifelhafte Schlussfolgerung, zu welcher der die aus dem Organismus herausgelöste Gebärmutter Studirende unvermeidlich gelangt, besteht in der Anerkennung einer verhältnissmässigen Unabhängigkeit ihrer Thätigkeit vom Centralnervensystem. Die Gebärmutter lebt thatsächlich ausserhalb des Organismus noch ganze Tage lang, zieht sich sogar noch vollkommen selbstständig, sowie in Erwiderung jeden Reizes zusammen; befindet sie sich am Ende der Schwangerschaft, so tritt als Folge der Contraktionen der Geburtsact ein. Ausser ‚diesen Erscheinungen, welche ihre Eigenthümlichkeiten als Organ mit speciellen Functionen darstellen, bietet sie noch eine ganze Reihe von Erscheinungen allgemeinphysiologischen Charakters, welche ihr, wie jedem glattmuskeligen Organ eigen sind. Es ist klar, dass alle diese Fragen vom Gesichtspunkte der Inner- vationsfrage aus Interesse haben, da sie alle am vollständig von den Ein- flüssen des Centralnervensystems isolirten Organ beobachtet wurden und folglich zu Gunsten der wichtigen Bedeutung seiner örtlich automatischen Innervation sprechen. - Hierdurch wird natürlich die Bedeutung der centralen Einflüsse, welche, obwohl noch nicht vollkommen studirt, doch zweifellos (schon a priori) von diesen oder jenen Abtheilungen des Centralnervensystems aus- gehen, durchaus nicht beeinträchtigt, da sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, einen regulirenden Einfluss auf die Thätigkeit des Uterus haben. Befindet sich die Gebärmutter unter solchen Bedingungen, bei denen diese oder jene centralen Impulse aus irgend einem Grunde nicht zu ihr gelangen können, so setzt sie trotzdem, dank ihrer eigenen Centren, die ihr eigenthümliche Thätigkeit fort. Zu Gunsten hiervon sprechen sowohl die Thatsachen der Geburten bei Thieren mit durchgeschnittenem Rücken- mark und klinische Geburtsfälle bei verschiedenen Affektionen des Central- .nervensystems und schliesslich die Beobachtungen an der aus dem Organis- mus herausgeschnittenen Gebärmutter und besonders die Beobachtung ihres Geburtsactes. Es ist ausser Zweifel, dass die Beobachtungen am isolirten Uterus überhaupt alle Beweise zu Gunsten der wichtigen Bedeutung ihrer örtlich- automatischen Innervation liefern. Indem ich meine eigenen Versuche den Litteraturergebnissen ver- gleichend gegenüber stelle, komme ich zu dem Schlusse, den Uterus als 364 E. M. KurvInowskt: ein Organ zu bezeichnen, das über eine bedeutende Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von der Thätigkeit des Centralnervensystems verfügt. Die Auseinandersetzung meiner physiologischen Versuche und Be- obachtungen am isolirten Uterus möchte ich mit der Beschreibung einer vollkommen zufälligen Beobachtung abschliessen, welche nicht in directer Beziehung zu meiner Aufgabe steht, aber dennoch ein allgemein-theoretisches Interesse darstellt. Ihrer Beschreibung muss ich unumgänglich einige Vorbemerkungen vorausschicken. Experimentirt man an der Gebärmutter in einer Zeit der Schwangerschaft, in der die Früchte schon lebensfähig sind, so kann man während der Ausspülung des Uterus deren stossartige Bewegungen be- obachten. Allerdings dauern diese Bewegungen nicht lange und nehmen in dem Maasse ab, je mehr die Gebärmutter durck die Locke’sche Flüssigkeit von Blut gereinigt wird; gewöhnlich gehen die Früchte am Ende der Aus- spülung zu Grunde, wenn die Gebärmutter ganz blutleer geworden ist. Bei einem der Versuche aber dauerten diese activen, selbstständigen Bewegungen der lebenden Früchte nicht nur während der Ausspülung fort, sondern auch während der ganzen Zeit der Herausschneidung und sogar noch 35 Minuten nachdem die Gebärmutter herausgeschnitten war und in der feuchten Kammer beobachtet wurde. Da die Herausschneidung der Gebärmutter erst dann begonnen wird, wenn sie vollkommen von Blut gereinigt ist und das Herausschneiden ungefähr !/, Stunde in Anspruch nimmt, so lebten folglich in diesem Falle die Früchte ungefähr 50 Minuten, vom Moment der vollen Entblutung der Gebärmutter an gerechnet. Ihre activen, stossartigen Bewegungen wurden mit voller Deutlichkeit beobachtet, anfänglich waren sie ziemlich häufig, dann verlangsamten sie sich nach und nach. Im Ganzen wurden ihrer in der feuchten Kammer 28 gezählt, Die Ausspülung des Uterus war in diesem Falle eine vollkommene; er war (wie immer) vollständig blutleer und farblos. Am Ende des Versuches wurden die Hörner der Gebärmutter geöffnet; es zeigt sich, dass die Nach- geburten absolut kein Blut enthielten; bei Oeffnung der Früchte fand sich jn ihnen nur Locke’sche Flüssigkeit vor. Auf diese Weise lebten die vollkommen blutleeren Früchte ungefähr 50 Minuten und da- von 35 Minuten ausserhalb des Organismus der Mutter. PHYSsIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 365 Pharmakologischer Theil. Ueber die Bedeutung der pharmakologischen Versuche an isolirten Organen überhaupt. Bevor ich meine pharmakologischen Versuche an der isolirten Gebär- mutter beschreibe, halte ich es nicht für überflüssig, mich sowohl über die Bedeutung dieser Versuche, als auch über einige allgemeine Principien aus- zusprechen, nach denen man sich bei den pharmakologischen Versuchen an isolirten Organen überhaupt, unvermeidlich zu richten hat. Dies ist um so mehr unumgänglich, da diese Versuche in ihrer jetzigen Ausführung ver- hältnissmässig neu erscheinen. Wenn man den Sinn der pharmakologischen Versuche an isolirten Organen in jener beschränkten Bedeutung verstehen will, welche weiter oben für die analogen physiologischen Versuche festgestellt wurde, so ist es. unzweifelhaft, dass sie eine eben so grosse Bedeutung haben wie diese letzteren. Durchsicht der Litteratur fördert eine ausgedehnte Reihe von Bei- spielen zu Tage, wie man die Wirkung dieses oder jenes Arzneimittels am isolirten Organ studirt hat. Die Autoren, welche solche Versuche angestellt haben, legten diesen natürlich keine vollkommen selbstständige Bedeutung bei und verglichen deren Resultate immer mit den Resultaten am lebenden Thier. Es ist zweifellos, dass jedes isolirte Organ, als ein von der Verbindung mit dem Centralnervensystem getrennter Theil, ein geeignetes Object für die Entscheidung vieler Fragen, welche die Aufgabe der pharmakologischen Forschung bilden, darbietet. So ist es zum Beispiel beim Studium der Wirkung des Mittels am isolirten Organ leichter darüber zu urtheilen, ob es nur auf centralem Wege wirkt oder auch peripherisch, örtlich u. s. w. Was nun die pharmakologischen Versuche an der isolirten Gebärmutter betrifft, so haben sie eine besondere Bedeutung. Thatsache ist, dass die Pharmakologie der Gebärmuttermittel sehr wenig ausgearbeitet ist; die Hauptfragen betreffs ihrer Wirkungsarten auf die Gebärmutter sind bei weitem noch nicht entschieden. Dementsprechend ist der praktische Arzt, wenn er dieses oder jenes Gebärmuttermittel anwendet, gezwungen, sich mehr von der rein empirischen Schablone leiten zu lassen, als von den bewussten Erwägungen, welche aus vollkommen festgestellten Thatsachen entspringen. Uebrigens ist es nicht nur vom theoretischen, sondern auch vom kli- nischen Gesichtspunkt aus sehr wichtig, zu wissen, ob z. B. das Mutterkorn 366 E. M. KURDINOwSKIT: } auf centralem Wege oder örtlich, oder auf ‚beide Arten auf die Gebärmutter einwirkt; ferner ist es von Bedeutung zu erfahren, wie es auf die Gefässe wirkt, central oder örtlich u. s. w. Für die Entscheidung dieser Fragen stellt gerade die isolirte Gebär- mutter, als von den Centren getrennt, ein geeigneteres Object dar als das ganze Thier, da hier die Verhältnisse bedeutend einfacher sind als im ganzen Organismus. Geht man diesen Weg, so kann man viele Streit- fragen leichter entscheiden. Eine wesentliche, bedeutende Thatsache, welche jedem mit diesem oder jenem stark wirkenden Mittel an isolirten Organen Experimentirenden in die Augen springt, ist jene, dass schon die kleinsten Mengen genügend sind, um die entsprechende Reaction zu erzielen. Einige Gifte, z. B. Adrenalin, sogar in der Concentration 1: 10.000000 ergeben eine deutliche Wirkung und lähmen manchmal sogar die Thätigkeit des Organs. Für den Erfolg jedes pharmakologischen Versuches am isolirten Organ ist es unumgänglich, die Prüfung des Giftes in den schwächsten Con- centrationen zu beginnen. Die ersten Misserfolge bei diesen Versuchen können davon abhängen, dass man das Gift in einer verhältnissmässig so concentrirten Lösung nimmt, welche gewöhnlich nicht die charakteris- tische Wirkung auf die Gewebe ausübt. Die schwachen Giftconcentrationen, welche an isolirten Organen ange- wendet werden, sind auch deshalb unvermeidlich, da es nur auf diesem Wege möglich ist, eine Grenze zu ziehen zwischen der resorbtiven Wirkung des Mittels und seiner rein örtlichen. Wie bekannt, können ja die Arznei- mittel sowohl auf diesem, als auf jenem Wege wirken. Nimmt man das Gift in einer sehr concentrirten Lösung, so tritt an erster Stelle nicht dessen specifische Wirkung ein, sondern die rein örtliche, welche nicht charakteristisch ist und die gleiche sein kann bei Giften von einer vollkommen verschiedenen specifischen Wirkung. Die specifische Wirkung eines Giftes kann nur bei seiner Anwendung in schwacher Concentration zum Vorschein kommen, wenn der verdunkelnde, verallgemeinernde Einfiuss der örtlichen Wirkung beseitigt ist. Methodik der pharmakologischen Versuche an der isolirten Gebärmutter und an der Gebärmutter des ganzen Thieres. Zu den pharmakologischen Versuchen an der isolirten Gebärmutter dient derselbe Apparat, welcher bei den physiologischen Versuchen ver- wendet wird. Der ganze Unterschied besteht darin, dass bei dem physio- logischen Versuche nur immer die Locke’sche Flüssigkeit durch die Gebär- PHYsIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 367 mutter hindurchgeht, bei dem pharmakologischen Versuche aber lässt man bald die reine Locke’sche Flüssigkeit, bald dieselbe Flüssigkeit mit dem Gifte vermischt hindurchfliessen. Hierbei giebt die Construction des Apparates die Möglichkeit, in einem beliebigen Moment die Circulation der einen Flüssigkeit abzustellen und sie mit der anderen abwechseln zu lassen und umgekehrt. Die Giftlösung wird bei jedem Versuche ex tempore hergestellt; sie muss immer vollkommen rein und sorgfältig durchfitrirt sein. Da an der kleinen Flasche, welche zur Aufnahme des Giftes dient, eine Scala mit 16 Abtheilungen angebracht ist (deren jede 25 = entspricht), so ist es in jedem Moment möglich, genau zu wissen, welche Giftmenge durch den Uterus hindurchgegangen und wieviel nicht verbraucht worden ist. Im Uebrigen ist die Methodik im Allgemeinen ebenso, wie bei den physiologischen Versuchen. Bei der isolirten Gebärmutter gelingt es bei weitem nicht immer einen Venenabfluss herzustellen. Bei ihrer Herausschneidung ist es unvermeidlich, einige mehr oder weniger grosse Gefässzweige zu durchschneiden; wenn die Gebärmutter sich im Apparate befindet, verliert sich die in ihr eirculirende Flüssigkeit nicht durch die Arterien, da die Gebärmutter am Anfang des Versuches sorgfältig untersucht wird, wobei jede durchschnittene Arterie (welche sich immer durch einen spritzenden Strahl anzeigt) leicht unter- bunden werden kann. Die durchschnrittenen Venenzweige aber, welche sich durch nichts zu erkennen geben, bleiben unbemerkt; deshalb verliert sich ein Theil der Flüssigkeit durch diese, indem sie sich an der freien Ober- fläche der Gebärmutter ansammelt. Auf diese Weise fliesst durch die untere Hohlvene nicht alle Flüssigkeit ab, sondern nur ein Theil davon, während die übrige sich auf dem Boden der feuchten Kammer ansammelt. Dieser Umstand stellt sich als ein Mangel des pharmakologischen Versuches dar. In Folge dieses Mangels ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die in der Kammer angesammelte Giftflüssigkeit bis zu einem gewissen Grade auf die Gebärmutter einwirken kann, auch dann, wenn schon die reine Locke’sche Flüssigkeit durch sie hindurchgeht, was natürlich die Werth- schätzung der Resultate erschwert. Uebrigens wird diese Unbequemlichkeit dadurch beseitigt, dass man nach jedem Giftdurchfluss die ganze Kammer mehrere Male mit warmer Locke’scher Flüssigkeit ausgiesst, indem man sie durch die Abflussöffnung ablaufen lässt. Ausserdem ermöglicht der Abfall des Bodens der feuchten Kammer den Abfluss der Flüssigkeit unter der Glastafel, auf der die Gebärmutter liegt, so, dass die Flüssigkeit wenig mit ihr in Berührung kommt. Ferner wirken die Versuchsgifte haupt- sächlich durch die Gefässe und haben wohl schwerlich irgendwelche örtliche Wirkung auf die Gebärmutter. Nichtsdestoweniger wäre ein vollkommener Venenabfluss bei diesen Versuchen äusserst wünschenswerth. Aber auf 368 E. M. KurDInowskt: Grund der zahlreichen eigenen Versuche, denke ich, dass es in Folge der Comiplieirtheit der anatomischen Verhältnisse der Gefässe, welche bei der Herausschneidung der Gebärmutter verletzt wurden, schwer ist, ihn voll- kommen herzustellen. Bei der Prüfung der verschiedenen Gifte an der isolirten Gebärmutter ist es immer wichtig festzustellen, wie sie die Gefässe des Uterus beein- flussen. An dem isolirten, blutleeren Organ ist eine unmittelbare Beobach- tung über den Zustand der Gefässe unmöglich. Darum kann man deren Verengerung oder Erweiterung nur mittels eines Umweges beurtheilen, nämlich nach der Schnelligkeit des Laufes der Flüssigkeit. Es ist klar, dass, wenn die Gefässe einmal verengt sind, sich die Cireulation verlangsamt und umgekehrt. Die Schnelligkeit der Cireulation aber kann man ent- weder durch Abmessung der Flüssigkeitsmenge, welche innerhalb einer ge- gebenen Zeiteinheit durch das Organ hindurchgeht, bestimmen, oder um- gekehrt, durch Feststellung einer Zeit, während deren Verlauf eine gegebene Menge von Flüssigkeit durch das Organ hindurchgeht. Ich urtheilte über die Schnelligkeit der Strömung, indem ich jenen Zeitraum feststellte, während dessen Verlaufe die ganze Menge der in der kleinen Flasche eingeschlossenen Flüssigkeit durch die Gebärmutter hindurchging. Am Anfang eines jeden Versuches liess ich mehrmals je 400°" (Inhalt der kleinen Flasche) Locke’scher Flüssigkeit durch die Gebärmutter hin- durchgehen, indem ich jedes Mal die Zeit ihres Durchganges beobachtete; dann zog ich das arithmetische Mittel und erhielt auf diese Weise eine Vorstellung von der mittleren Schnelligkeit für die in Frage kommende Gebärmutter. Diese Grösse muss bei jedem einzelnen Versuche unbedingt festgestellt werden (und zwar auf alle Fälle vor dem Durchfluss des Giftes), da sie bei Weitem nicht in allen Fällen gleich ist, was vor Allem von der ungleichen Menge und dem ungleichen Kaliber der bei der Entfernung der Gebärmutter durchschnittenen Gefässe, und besonders der Venen, ab- hängen kann. Die Schnelligkeit der Strömung ist bei jeder einzelnen Gebärmutter während des Verlaufs des Versuches ziemlich beständig. Wenn sie genau festgestellt ist, lässt man dieselbe Menge der Locke’schen Flüssigkeit, aber schon mit dem Versuchsgift vermischt, einfliessen, und man bestimmt die Schnelligkeit, mit der sie durch die Gebärmutter hin- durchgeht. Indem man diese Schnelligkeit mit der normalen vergleicht, kann man eine Vorstellung erhalten, wie das Gift die Gefässe beeinflusst, d.h. ob es sie verengert oder erweitert hat. Das Procentverhältniss beider Grössen wird auf diese Weise die verzögerte oder beschleunigte Schnelligkeit der Strömung zum Ausdruck bringen. Um zu erfahren, wie lange sich die durch das Gift hervorgerufene (z. B. die gefässverengende) Wirkung hält, muss man die Zeit feststellen, PHYysioL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 369 in deren Verlauf die Schnelligkeit mit der normalen Grösse wieder gleich wird. Zu diesem Zweck muss die kleine Flasche sorgfältig mit reinem destillirten Wasser ausgespült werden, um die geringsten Spuren des Giftes, daraus zu entfernen, und darauf lässt man, nachdem man sie mehrere Male nacheinander mit Locke’scher Flüssigkeit gefüllt hat, diese durch die Gebärmutter gehen, indem man von neuem die Schnelligkeit der Strömung: feststellt. Nach Beendigung jedes Versuches muss der ganze Apparat sorgfältig mit destillirtem Wasser ausgewaschen werden. Andernfalls können die im Apparat zurückgebliebenen Giftspuren die Reinheit des folgenden Versuches beeinflussen. Ueberhaupt ist für das Gelingen dieser sehr empfindlichen Versuche die sorgfältigste Sauberkeit erforderlich. Zuweilen wird die Vergleichung der Resultate der Giftwirkung (Curven) am isolirten Uterus mit den Wirkungsresultaten am Uterus des ganzen Thieres im hohen Grade wichtig sein. Die Versuche am lebenden Weibchen sind in ihrer Ausführung sehr einfach. In die Scheide des angebundenen Thieres wird ein Katheter a double courant eingeführt, an welchem ein Gummiballon! angebracht ist; der Ballon wird mit Wasser gefüllt und den Katheter verbindet man mit dem Marey’schen Tambur, dessen Zeiger bis an einen rotirenden, geschwärzten Cylinder heranreicht. Das Gift wird entweder durch die Vene (am Ohr) eingeführt oder unter die Haut ge- spritzt. Allerdings darf die Registration der Zusammenziehungen erst dann begonnen werden, wenn das Thier nach den an ihm vorgenommenen Mani- pulationen zur Ruhe gekommen ist. Versuche mit Hydrastis Canadensis-Präparaten an der isolirten Gebärmutter. Ich studirte am isolirten Uterus die Wirkung des reinen Hydrastinin- . präparates und die des flüssigen Extractes — Extr. fluid. Hydrastis Canad. Hydrastinin ergab vollkommen bestimmte Resultate, das Extract dagegen wirkte nicht immer gleichartig; an Reinheit und Deutlichkeit des durch ihn hervorgerufenen Effectes stand er dem Hydrastinin bei weitem nach. Ueberhaupt sind alle Arzneiformen, bei denen die wirkende Substanz mit verschiedenen Zusätzen vermischt ist und die sich daher durch eine Complicirtheit und Unbeständigkeit der Zusammensetzung kennzeichnen, durchaus nicht für Versuche am isolirten Organ geeignet, da sich hier dem Eiffecte der wirkenden Substanz eine Reihe von Nebenwirkungen zu- gesellen, welche die Hauptwirkung verdunkeln. Ein grosser Theil der Versuche wurde mit Hydrastinin ausgeführt ! Siehe Methodik der physiologischen Versuche. Archiv f, A,u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 24 370 E. M. KURDINOWwSKT: (Hydrastininum hydrochlorieum Merck). _Seine chemische Formel ist C,,H,,N0,HCl; es stellt sich als ein gelbliches, krystallinisches Pulver dar, ist bei Zimmertemperatur sehr leicht in Wasser löslich; diese Lösung hat einen ausserordentlich bitteren Geschmack. Nach einigen erfolglosen Versuchen überzeugte ich mich, dass die für die Aufklärung seiner Wirkung auf die isolirte Gebärmutter erforderliche Concentration ungefähr gleich 1:40000 ist; die mittlere 1:20000 bis 1:10000; die stärkeren Concentrationen z. B. 1:5000 ergeben oft ein negatives Resultat, was seinen Grund in der lähmenden Wirkung des Giftes in seinen kräftigen Öoncentrationen hat. Uebrigens bewegt sich die Reactionsfähigkeit der einen oder der anderen Gebärmutter auf Hydrastinin (wie auch auf andere Gifte) in sehr weiten Grenzen. Darum ist es fast unmöglich, jene mittlere Concentration zu bestimmen, welche man als auf jeden Uterus wirksam bezeichnen kann. Mehrere Male habe ich gesehen, dass die Concentration 1:10000 die Gebärmutter lähmt, während bei einem äusserst demonstrativen Versuche, wo dieses Gift in unvergleichlich kräftigeren Concentrationen verwendet wurde (1:6600 bis 1:1500) und dennoch 14mal nacheinander den ihm eigenthümlichen Effeet ergab. Wenn es schon ‘schwierig ist, für das reine Präparat eine mittlere Concentration festzustellen, so gilt dies um so mehr von einem Präparat wie ‘Extr. fluid. Hydrastis Canad. Ich wendete dies in verschiedenen Con- centrationen an (1:20000 bis 1:4000) und hinsichtlich seiner unbeständigen Wirkung ist es für mich schwer, etwas Bestimmtes über seine Dosirung zu sagen, da ich mich überzeugt habe, dass diese Arzneiform überhaupt nicht für Versuche am isolirten Organ geeignet ist. Die Hydrastininlösung wurde von mir folgendermaassen hergestellt: Zuerst bereitet man 1°/, Wasserlösung hydrastinini hydrochloriei, welches sorgfältig durchfiltriert wird, dann fügt man, je nach Bedarf 1° davon zu 400°®® der Locke’schen Flüssigkeit hinzu, hieraus ergiebt sich eine Concentration von 1:40000 u.s. w. Die Reactionsfähigkeit der Gebärmutter auf Hydrastinin hängt vor allem von jener Periode des geschlechtlichen Lebens ab, in der sich der in Frage kommende Uterus befindet. Ein geboren habender Uterus ist im Allgemeinen reizbarer als ein jungfräulicher. Die weitaus grösste Reiz- barkeit zeigt der schwangere Uterus; in der Nachgeburtsperiode ist er schon weniger reizbar. Was die jungfräuliche Gebärmutter betrifft, so zweifle ich auf Grund einiger meiner Versuche sogar daran, ob sie überhaupt irgend- wie auf Hydrastinin reagirt. Auf diese Weise erscheint der schwangere Uterus als das geeignetste Object für die Beobachtung der Hydrastinin- wirkung. Er giebt immer eine positive Reaction, sogar bei sehr schwachen Gifteoncentrationen. Daher bezieht sich, was weiter unten über die PHYsIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 371 Wirkung des Hydrastinin gesagt wird, fast ausschliesslich auf den schwangeren Uterus. Lässt man Hydrastinin (z. B. in der Concentration 1:10000) durch eine schwangere Gebärmutter gehen, welche Zusammenziehungen von normalem Typus zeigt, so kann man Folgendes bemerken: sehr schnell, fast sofort nach dem Beginn der Durchströmung verlieren die Zusammen- ziehungen ‘ihren normalen Charakter. Sogleich nach einer starken Con- traction tritt eine Erschlaffung ein, welche bedeutend länger als der Norm entsprechend andauert, so dass der Uebergang von der Contraetion zur Ruhe sich sehr langsam vollzieht. So nehmen die Zusammenziehungen einen tetanischen Charakter an. Zuweilen tritt sogar wirklicher Tetanus ein: die Gebärmutter bleibt, nachdem sie sich stark zusammengezogen hat, lange Zeit unbeweglich in diesem Zustande; dann fängt sie an nach und nach schlaff zu werden, und zwar sehr langsam und für das Auge unbemerkbar. Es kommt verhältnissmässig selten vor, dass auch das Moment der Zu- sammenziehung sich nicht plötzlich, sondern nach und nach vollzieht. In jedem Falle bildet der mehr oder weniger ausgesprochene tetanische Charakter eine wesentliche Eigenthümlichkeit der unter dem Einflusse von Hydrastinin eintretenden Contractionen. Hierbei steigt deren Kraft, im Ver- gleich zu den normalen Zusammenziehungen. Diesen durch Anschauung beobachteten Veränderungen der Con- tractionen entsprechend, giebt die Curve ein sehr typisches Bild. Sofort nach Beginn -des Giftdurchganges reissen die normalen Wellen, mit ihrem gleichmässigen Verhältniss der beiden Aeste zu einander, mit gleichartigen Unterbrechungen zwischen den einzelnen Wellen, plötzlich ab. Die Curve senkt sich, nachdem sie sich hoch über die Abseisse /erhoben hat, nicht sofort, sondern nur sehr langsam, indem sie eine Reihe kleinerer, secundärer Wellen bildet, welche nach und nach niedriger werden und treppenartig heruntergehen. Auf diese Weise wird der absteigende Ast der Welle gänzlich in die Länge gezogen und nimmt einen tetanischen Charakter an. Wenn das Gift stärker wirkt, giebt die Curve das Bild des typischen Tetanus: nachdem sie sich hoch über die Abscisse erhoben hat, senkt sie sich eine Zeit lang absolut nicht und giebt fast eine gerade Linie und erst dann fängt sie ganz langsam an, sich bis zur Abseisse zu senken (s. Taf. VIII, Fig. 4). Manchmal vollzieht sich auch die Steigung der Curve nicht plötzlich, sondern in einigen Unterbrechungen, nach Art einer auf- steigenden Treppe; da nun hierbei der absteigende Ast der Welle, dank der secundären Wellen auch ein stufenartiges Ansehen hat, so nimmt die ganze Welle das Aussehen einer auseinandergezogenen zweiseitigen Treppe an. Dies sind die schematischen Bilder der „Hydrastinin“-Curven. Sie stellen natürlich in jedem einzelnen Falle diese oder jene Abweichung von 24* au2 E. M. KuURDINOWSKT: dem beschriebenen Typus dar, dessenungeachtet aber bildet der tetanische Charakter ihre wesentliche Eigenthümlichkeit. Hydrastinin wirkt so sicher und beständig, dass es bei dessen vor- sichtiger Anwendung möglich ist, die Gebärmutter einige Stunden nach- einander ohne Unterbrechung arbeiten zu lassen. Es gelingt sogar fast immer, einen durch fortgesetzte Arbeit ermüdeten, schlaffen Uterus und bisweilen einen schon dem Tode nahen Uterus durch Hydrastinin zu reizen und an ihm einige, wenngleich schwache, so doch charakteristische Con- tractionen hervorzurufen. Was den Einfluss des Hydrastinin auf die mechanische Reizbarkeit betrifft, so ist es zweifellos, dass es sie bedeutend erhöht. Wenn z. B. die in Frage kommende Gebärmutter vor der Giftanwendung auf eine Berührung mit 1 bis 2 Zusammenziehungen reagirt, so ergab während der in ihr stattfindenden Gifteireulation ein mechanischer Reiz von derselben Stärke eine unvergleichlich stärkere Reaction; unter diesen Bedingungen tritt sehr leicht Tetanus ein. Was den Einfluss des Hydrastinin auf die Gefässe des Uterus betrifft, so komme ich durch die obenerwähnte Feststeliungsart, nach der Schnellig- keit des Flüssigkeitsstromes, zu dem Ergebniss, dass Hydrastinin auf die Gefässe der isolirten Gebärmutter keinen Einfluss hat. So fassen sich die Resultate, zu denen die Versuche mit Hydrastinin geführt haben, im Folgenden zusammen: a) Hydrastinin wirkt auf den isolirten Uterus, indem es dessen Contractionen verstärkt und indem es diesen einen tetanischen Charakter beilegt; b) auf die Gefässe des isolirten Uterus wirkt es nicht, und deswegen hängt die bewiesene verstärkte Arbeit des Uterus nicht von einer Verengerung der Gefässe ab; c) die mechanische Reizbarkeit wird unter dem Einflusse des Hydrastinin erhöht. Versuche mit Secale cornutum-Präparaten an der isolirten Gebärmutter und an der Gebärmutter des ganzen Thieres. Der Schwerpunkt der pharmakologischen Versuche an der Gebärmutter liegt natürlich in dem verbreitetesten Gebärmuttermittel Secale cornutum. Ein bedeutender Theil meiner Versuche war auch dem Studium der Wirkung dieses Mittels gewidmet, da es vom klinischen Gesichtspunkt aus das weitaus wichtigste ist. Schon von den ersten Versuchen an überzeugte ich mich, dass das Mutterkorn für das Studium seiner Wirkung am isolirten Uterus ungeeignet ist, da man dabei die widersprechendsten, verschiedenartigsten Resultate erhält. Weiter oben wurde gezeigt, wie wichtig es für die Erfolge der pharma- kologischen Versuche an isolirten Organen ist, es mit einem chemisch reinen PHYysIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 8373 Präparate zu thun zu haben. Darum ist es verständlich, dass das Mutter- korn, welches verschiedene Bestandtheile enthält, bei meinen Versuchen kein klares Resultat ergeben konnte. Die Mutterkornpräparate, welche ich zu Versuchen angewendet habe; waren folgende: Infus. secale cornut., Extr. secale eornut. (Bonjean), Extr. secale cornut. (Verniche), Ergotinum (Poel), Ergotinum (Parke-Davis), Cornutin Kobert (Merck) und Acidum sphacelinicum (Merck). Von allen diesen Präparaten ergab fast bei allen Versuchen nur die Sphacelinsäure ein positives Resultat. Manchmal erwies sich auch Infus. secale cornut. als wirksam. Was aber das Ergotin und den Extract Secale betrifft, so ergaben sie fast nie ein bestimmtes Resultat. Die Giftlösungen wurden immer ex tempore hergestellt. So bereitete man z. B. das Infusum am Tage des Versuches aus möglichst frischen Mutterkornhörnchen; die Extracte (aus zuverlässigen Händen genommene, nicht abgestandene, beste Präparate) wurden auch am Tage des Versuches verdünnt; das Ergotin wurde aus verlötheten Ampullen genommen (Poel). Die Sphacelinsäure, das reine, Merck’sche Präparat, wurde am Tage des Versuches in 96 Procent Alkohol aufgelöst. Alle frisch bereiteten Lö- sungen wurden sorgfältig durchfiltrirt. i Die Concentrationen, in denen man die unreinen Mutterkornpräparate auf den Uterus anwendete, wurden in Ermangelung eines streng bestimmten Kriteriums empirisch festgestellt. Am Anfang derVersuche nahm ich eine kräftige Concentration und erhielt dabei durchgängig negative Resultate. Dann fing ich an, unvergleichlich schwächere Concentrationen anzuwenden, doch auch hier erhielt ich nur sehr unbestimmte Ergebnisse. Erst nachdem ich mich mit Bestimmtheit von der vollkommenen Ungeeignetheit der un- reinen Mutterkornpräparate, in was für Concentrationen sie auch sein mochten, für die Versuche am isolirten Uterus überzeugt hatte, ging ich zu den Experimenten mit Sphacelinsäure über, welche schon vom ersten Ver- suche an ein positives Resultat ergab. Durch eine Reihe von Versuchen, bei denen die Sphacelinsäure den ihr eigenthümlichen Effect ergab, überzeugte ich mich, dass die Concentration, welche sich als immer wirksam erweist, ungefähr gleich 1:80000 bis 1:40000 ist. Die concentrirteren Lösungen der Sphacelinsäure rufen gewöhnlich einen lähmenden Fffect hervor. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man, nachdem unter dem Einfluss des Giftes eine Erschlaffung des Uterus eingetreten ist, die reine Locke’sche Flüssigkeit hindurchgehen lässt; alsdann erscheint eine lebhafte Contraction, und der lähmende Effect des Giftes stellt sich augenscheinlich dar. 974 E. M. KuRDINOwsKIT: Was die Versuche mit den unreinen Mutterkornpräparaten am isolirten Uterus betrifft, so haben sie ein mehr negatives Interesse, was ich bis zu einem gewissen Grade a priori voraussah; nur Erwägungen rein klinischen Charakters bewogen mich, anfänglich meine Aufmerksamkeit namentlich auf diese Präparate zu concentriren. Bevor ich zur Beschreibung jener Veränderungen übergehe, welche in den Contractionen des isolirten Uterus unter dem Einflusse des Mutter- kornes eintreten, muss ich vorausschicken, dass alle von mir gezogenen Schlussfolgerungen betrefis der Wirkung des Mutterkornes sich fast aus- schliesslich auf die Sphacelinsäure beziehen, deren Wirkung immer be- ständig und sicher war. Wollte man den Charakter der unter dem Einflusse der Sphacelinsäure eintretenden Zusammenziehungen des Uterus beschreiben, so würde man alles das, was früher beziehentlich der Wirkung des Hydrastinin gesagt wurde, fast wörtlich wiederholen müssen. Und thatsächlich wirken diese beiden Gifte auf die isolirte Gebärmutter so gleichartig, dass ich bei der sorgfältigsten Beobachtung der Wirkung des einen wie des anderen Giftes in einer ganzen Reihe von Versuchen, nicht ein einziges Kennzeichen, nicht einen einzigen Zug wahrnehmen konnte, der eine wesentliche Eigen- thümlichkeit des einen Giftes bildete und nicht im gleichen Maasse dem, anderen eigenthümlich gewesen wäre. Sphacelinsäure sowohl als Hydrastinin wirken stärker auf einen Uterus, der schon ein geschlechtliches Leben führt, als auf einen jungfräulichen. Am reizbarsten ist diesem Gifte gegenüber der schwangere Uterus. Lässt man durch die Gebärmutter Sphacelinsäure in einer Concentration von 1:80000 bis 1:40000 gehen, so kann man leicht bemerken, wie schnell die Zusammenziehungen einen tetanischen Charakter annehmen. Hat man eine schwache Concentration genommen, so werden die Zusammenziehungen im Vergleich zu den normalen nur andauernder. Dementsprechend giebt die Curve eine Reihe von Wellen, die sich von den normalen durch ein etwas erhöhtes Aufsteigen und einen sehr in die Länge gezogenen absteigenden Ast unterscheiden, an dem oft secundäre Wellen anzutreffen sind (Taf. IX, Fig. 5 u. 6). Nimmt man eine concentrirtere Lösung der Sphacelinsäure, so hören die einzelnen Contractionen vollkommen auf und es tritt ein wirklicher Tetanus uteri ein. Nachdem er sich energisch zusammengezogen hat, ver- bleibt er lange unbeweglich in diesem Zustande, wonach dann sehr langsam Erschlaffung eintritt. Dementsprechend erhält man auf der Curve eine Welle mit einem flach in die Länge gezogenen Obertheil (Acme) und einem sehr verlängerten Abstieg. PHysıoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER 37% Der Tonus der Gebärmutter und ihre mechanische Reactionsfähigkeit werden unter dem Einflusse der Sphacelinsäure sichtlich erhöht. Die ge- ringste Berührung des Uterus erzeugt während dieser Zeit eine starke Reaktion. : Seine Hörner nehmen eine fast verticale Stellung an, was durch die tetanischen Contractionen der runden Mutterbänder unterstützt wird; die ganze Gebärmutter verkleinert sich bedeutend im Umfange, wird sehr hart u. s. w. Mit einem Wort, bei Besprechung der Wirkung der Sphacelinsäure kommt man schliesslich zu einer Wiederholung dessen, was über die Hydrastininwirkung gesagt wurde. Im Charakter der Wirkung beider Gifte besteht kein wahrnehmbarer Unterschied. Darum kann alles, was über Hydrastinin gesagt wurde, im vollen Um- fange auch auf die Sphacelinsäure bezogen werden. Die Curven, welche bei der Wirkung des einen und des anderen Giftes erzielt werden, sind so gleichartig, dass es sehr schwer ist, sie von einander zu unterscheiden. Nachdem ich mich bei der Feststellung der Wirkung der Sphacelin- säure am isolirten Uterus der oben beschriebenen Methode bedient hatte, stellte ich einige Versuche mit diesem Gifte an lebenden Weibchen an, zwecks Vergleichung der unter diesen verschiedenen Bedingungen erhaltenen Resultate. Hierbei zeigte sich, dass Sphacelinsäure, durch die Ohrvene des Ka- ninchenweibchens in einer Menge von 0-001 bis 0-005 in’s Blut eingeführt, eine Curve der Zusammenziehungen ergiebt, welche der analogen Curve des isolirten Organs vollkommen entspricht: an ihr sowohl, wie an der Curve des isolirten Uterus kann man sehen, dass die normalen Wellen unter dem Einflusse des Giftes einen mehr oder weniger ausgesprochenen, tetanischen Charakter annehmen. Ueber die Frage der Wirkung des Mutterkornes auf die Gefässe herrscht in der Litteratur vollkommene Meinungsverschiedenheit. Was meine eigenen Versuche betrifft, so habe ich mich bei einer ganzen Reihe von Abmessungen der Strömungsschnelliekeit im isolirten Uterus, während er unter dem Ein- flusse der Sphacelinsäure stand, davon überzeugt, dass dieses Präparat nicht auf die Gefässe der isolirten Gebärmutter einwirkt. So sind die wichtigsten von mir beim Studium der Mutterkornwirkung am Uterus erhaltenen 'Thatsachen folgende: a) Die mehr oder weniger reinen Mutterkornpräparate, wie z. B. die Sphacelinsäure, wirken zweifellos auf die isolirte Gebärmutter, indem sie deren Zusammenziehungen verstärken und diesen einen tetanischen Charakter beilegen und zuweilen einen wirk- lichen Tetanus uteri hervorrufen. b) Auf die Gefässe des isolirten Uterus wirkt Sphacelinsäure nicht. c) Die Sphacelinsäure, auf die Gebärmutter des 376 E. M. KuURDINoOwsKT: ganzen Thieres angewendet, ergiebt die am isolirten Organ erhaltenen analogen Zusammenziehungseurven. Indem ich zur Werthschätzung der von mir erhaltenen Thatsachen übergehe, muss ich vorher darauf hinweisen, dass die Frage über die Wirkung des Mutterkornes auf den Uterus, beziehentlich der in der Litteratur vor- handenen Ergebnisse, bei weitem noch nicht als entschieden angesehen werden kann. Bis jetzt wissen wir noch nieht mit Bestimmtheit, ob das Mutterkorn auf die im cerebralspinalen Nervensystem befindlichen Gebärmuttereentren einwirkt oder auch auf deren örtliche, automatische Centren. Ebenfalls ist nicht aufgeklärt, wie das Mutterkorn auf die Gefässe wirkt, ob auf centralem oder peripherischem Wege. In vielen Arbeiten über das Mutterkorn wird nur über die Resultate der Anwendung dieses oder jenes Präparates gesprochen (z. B. über die fruchtaustreibende oder blut- stilende Wirkung), aber die pharmakologische Analyse dieser Wirkung ist durchaus noch nicht vorhanden. Was die praktische Anwendung des Mutterkornes betrifft, so kann man sagen, dass die Praxis von jeher gezwungen gewesen ist, sich von der rein empirischen Schablone leiten zu lassen, anstatt von Erwägungen, die aus vollkommen festgestellten Thatsachen hervorgehen. Bei einem solchen Stande der Frage nimmt jede in dieser Richtung gewonnene neue Thatsache Anspruch auf Bedeutung an. Wenn die Gebärmutter, vollkommen von der Verbindung mit dem Centralnervensystem getrennt und gänzlich vom Organismus isolirt, trotzdem auf die Sphacelinsäure ebenso wie im lebenden Organismus reagirt, so er- giebt sich hieraus natürlich die Schlussfolgerung, dass dieses Mittel, abge- sehen vom Centralnervensystem, auch peripherisch auf dieGebärmuttereinwirkt. Da hierbei die Gefässe des isolirten Uterus nicht auf das Gift reagiren, so ergeben sich hieraus gleichzeitig zwei Schlussfolgerungen. Erstens, dass die gefässbewegende Wirkung der Sphacelinsäure sich nicht auf peripherischem, sondern auf centralem Wege vollzieht, d. h. durch Erregung des gefässbewegenden Centrums. Zweitens, dass die durch Sphacelinsäure hervorgerufenen Zusammen- ziehungen der isolirten Gebärmutter ganz unabhängig von den Contractionen der Gefässe eintreten, kraft der Wirkung der Sphacelinsäure auf die ört- lichen Nervencentren der Gebärmutter oder auf deren ganzen Nerv- muskelapparat. Die Thatsache der Aehnlichkeit der bei Anwendung der Sphacelinsäure am lebenden Weibchen erhaltenen Ourven mit den am isolirten Organ er- haltenen, spricht auch zu Gunsten der örtlichen Wirkung dieses Mittels auf den Uterus. PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER 377 Lässt man die Frage über die centralen Wege der Wirkung des Mutter- kornes auf die Gebärmutter offen, so zeigen meine Versuche, dass ein solches verhältnissmässig reines Präparat, wie die Sphacelinsäure, Zusammenziehungen der Gebärmutter unabhängig vom Centralnervensystem auf peripherischem Wege hervorruft, die dabei vollkommen unabhängig von den Zusammen- ziehungen der Gefässe sind. Versuche mit Adrenalin an der isolirten Gebärmutter und an der Gebärmutter im lebenden Thiere. Bei meinen Versuchen mit Adrenalin bediente ich mich des reinen Präparates Tacamine (von der amerikanischen Firma Parke und Davis hergestellt). Das Adrenalin kann man auf die isolirte Gebärmutter, wie auf isolirte Organe überhaupt, nur in den schwächsten Concentrationen anwenden. Für den Erfolg der Versuche ist es immer besser, eine frisch hergestellte Lösung des Giftes zu haben; übrigens wirkt 4 Tage altes Adrenalin ebenso energisch wie eintägiges. Die Adrenalinlösung wurde von mir folgendermaassen her- gestellt: 0-005 reines, trockenes Adrenalin wird mit 50.0 destillirten Wassers vermischt; da Adrenalin in kaltem Wasser sehr wenig lösbar ist, so ist es am besten, diese Mischung in einem dünnen, chemischen Gläschen in eine Schale mit heissem Wasser zu stellen: nach einigen Minuten erhält man eine schön rosa aussehende Lösung, deren Concentration gleich 1: 10000 ist. Diese wird noch 10 Mal verdünnt und man erhält eine Concentration von 1:100000. Nimmt man hiervon 2m und fügt sie zu 400 m Locke’- scher Flüssigkeit hinzu (dem Inhalt der kleinen Flasche, welche zur Aufnahme des Giftes dient), so erhält man eine Concentration von 1:20000000 u. s. w. Bei meinen Versuchen wendete ich Adrenalin in folgenden Concentra- tionen an: 1:20000000, 1:15000000, 1:10000000, 1:5000000 und 1:4000000. Hierbei zeigte sich, dass zur Erscheinung der Giftwirkung die Concentrationen 1:20000000 genügend sind. Die Concentrationen 1:10000000 und 1:5000000 ergeben oft einen lähmenden Effect. Durch eine ganze Reihe von Versuchen überzeugte ich mich mit Be- stimmtheit von der ausserordentlichen Empfindlichkeit der isolirten Gebär- mutter gegen die schwächsten Concentrationen des Adrenalin. Was den Einfluss der Periode des Geschlechtslebens, in der sich der Uterus befindet, auf seine Empfindlichkeit diesem Gifte gegenüber betrifit, so ist es mir nicht gelungen zu bemerken, dass irgendwelche Wechsel- beziehungen zwischen beiden bestehen. 378 E. M. KuRDINOwSsKT: Eine ausführliche Auseinandersetzung der Adrenalinwirkung auf die isolirte Gebärmutter ist nach dem, was schon über die Wirkung des Hydrastinin und der Sphacelinsäure gesagt wurde, überflüssig. Bei der Anwendung des Adrenalin überzeugte ich mich, dass der Hauptcharakter der Uteruscontractionen unter dem Einflusse dieses Giftes derselbe ist wie bei der Wirkung der oben beschriebenen Gifte, d. h. tetanisch. Der Unter- schied besteht nur darin, dass Adrenalin stärker wirkt als Hydrastinin und Mutterkorn, und dass es ausserdem eine starke gefässverengende Wirkung hat. Lässt man durch eine isolirte Gebärmutter, an der man Zusammen- ziehungen normalen Charakters beobachtet hat, Adrenalin z. B. in der Con- centration von 1:10000000 gehen, so kann man sofort bemerken, dass sich ihre Contractionen bedeutend verstärken und tetanischen Charakter annehmen. Hierbei hören die einzelnen Contractionen oft auf, und die Ge- bärmutter wird, nachdem sie sich energisch zusammengezogen hat, im Ver- lauf einiger Zeit nicht schlaff und giebt ein Bild des typischen Tetanus uteri. Mit einem Worte, bei der Wirkung des Adrenalin auf den Uterus be- obachtet man im Charakter der Contractionen im Allgemeinen dieselben Veränderungen, welche bei der Wirkung der Präparate Hydrastis und Secale eintreten. Dennoch besitzt die Wirkung des Adrenalin einige Eigenthüm- lichkeiten. Thatsache ist, dass Adrenalin zweifellos stärker auf die Gebärmutter wirkt als alle jene Mittel, die man als specifisch für sie betrachtet und den Ruf geniessen, „Gebärmuttermittel“ zu sein. Sehr oft habe ich bei An- wendung von Adrenalin auf die isolirte Gebärmutter eine so stürmische Reaction tetanischen Charakters beobachtet, wie ich sie niemals unter dem Einflusse des Hydrastinin und der Sphacelinsäure gesehen habe. Diese drei Mittel ergeben einen gleichartigen Effect, aber unter ihnen zeichnet sich Adrenalin durch die Kraft seiner Wirkung aus, die sich so- wohl in der Verstärkung der einzelnen Zusammenziehungen, als auch in deren scharf ausgeprägtem tetanischen Charakter ausspricht. Unter dem Einflusse des Adrenalin beobachtet man am häufigsten den typischen Tetanus der Gebärmutter. Auch die mechanische Reizbarkeit der Gebärmutter wird unter dem Einflusse des Adrenalin bedeutend erhöht. Während der Zeit der Gifteireulation genügt eine leichte Berührung des Uterushornes, um eine momentane Zusammenziehung des ganzen Uterus von ungewöhnlicher Stärke hervorzurufen. Hierbei ziehen- sich alle seine Theile stark zusammen, sogar jene, die gewöhnlich wenig tbätig sind; der ganze Uterus verkleinert sich erstaunlich und fühlt sich ausserordentlich hart an; die Zusammenziehungen ergreifen auch mit gleicher Stärke den Bänderapparat und die Adnexa uteri. Weder PHysIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 379 unter normalen Bedingungen, noch bei den Wirkungen der anderen Gifte habe ich eine solche stürmische Reaction auf einen mechanischen Reiz beobachtet. Der Hauptcharakter der „Adrenalin“. Curve ist derselbe, wie derjenige der Hydrastinin- und Mutterkorneurven, d. h. tetanisch; der Unterschied liegt hier nur in der grösseren Höhe verschiedener, einzelner Wellen und in ihrem ‘scharf ausgesprochenen, tetanischen Charakter; so trifft man z. B. an der Adrenalincurve am häufigsten die vollkommen typischen, te- tanischen Wellen mit völlig flachen Gipfeln. Im Allgemeinen aber sind die Unterschiede mehr quantitativ als qualitativ (s. Taf. IX, Fig. 7 bis 9). Das Adrenalin besitzt eine äusserst wichtige charakteristische Eigen- thümlichkeit, welche es scharf von Hydrastis und Secale unterscheidet. Während diese letzten Gifte auf die Gefässe der isolirten Gebärmutter nicht einwirken, zeichnet sich Adrenalin durch eine ausserordentlich starke, gefässverengende Wirkung aus. Beim ersten Versuche mit Adrenalin fiel mir die Thatsache auf, dass sich die Flüssigkeitsströomung während des Durchganges dieses Giftes be- deutend verlangsamte. Bei der Feststellung der Strömungsschnelligkeit während der im Uterus stattfindenden Adrenalineireulation ergab sich, dass die Strömung sich bis 83, sogar bis 100 Procent im Vergleich zur Norm verlangsamt hatte. Beim folgenden Versuche aber trat beim Durchgang des Adrenalin eine Verlangsamung der Strömungsschnelliskeit ein, die im Vergleich zur normalen Schnelligkeit 4!/,! Mal langsamer war. Diese Thatsache der Ver- langsamung der Strömungsschnelliskeit, bezw. der Verengerung der Gefässe der Gebärmutter unter Einwirkung des Adrenalin, wurde von mir in einer ganzen Reihe von Versuchen festgestellt. Interessant ist es zu beobachten, dass das Adrenalin zuweilen, wenn es die Contractionen des Uterus gar nicht beeinflusst, eine starke Ver- engerung von dessen (efässen hervorruft. Hiernach zu urtheilen, liesse sich feststellen, dass seine Wirkung auf die Gefässe eine beständigere ist, als die auf den eigentlichen Muskel der Gebärmutter. Bei einigen Versuchen konnte man beobachten, das die Verlangsamung der Strömungsschnelligkeit unter dem Einflusse des Adrenalin bis zum voll- ständigen Stillstand gebracht wurde, was natürlich von dem eintretenden, starken Spasma der Gefässe abhängt. Lässt man in dieser Zeit die reine Locke’sche Flüssigkeit durch- fliessen, so kann man sich immer überzeugen, dass die verlangsamte Strö- mungsschnelligkeit sehr schnell wieder der normalen Schnelligkeit ähnlich wird. So war z. B. in jenem selben Versuche, wo das Adrenalin die 380 E. M. KURDINOWSKT: Strömungsschnelligkeit um 4'/,! Mal im Vergleich zur normalen Schnellig- keit verlangsamt hatte, schon 15 Minuten nachdem die Gifteireulation auf- gehört hatte, die Strömungsschnelligkeit schon fast zur Norm zurückgekehrt. Die Versuche mit Adrenalin am lebenden Weibchen wurden ebenso wie die analogen Versuche mit Sphacelinsäure ausgeführt. Das Adrenalin wurde hauptsächlich in die Ohrvene des Thieres eingeführt, in einer Menge von 0-0001 bis 0-001. An den von der Gebärmutter des lebenden Weibchens erhaltenen Curven sieht man im Allgemeinen dasselbe Bild wie an den Curven der isolirten Gebärmutter; auch hier erschienen Wellen mit vollkommen flachem Gipfel, welche den tetanischen Contractionen des Uterus entsprechen; zu- weilen erscheinen auf dem Gipfel der Welle noch kleine, secundäre Wellen; an ihrem absteigenden Aste aber trifft man diese secundären Wellen sehr oft an, so dass der ganze absteigende Ast im Vergleich zum aufsteigenden treppenartig in die Länge gezogen wird; manchmal nehmen die Wellen ein sehr complieirtes, unregelmässiges Aussehen an, aber auch in diesem Falle bildet der tetanische Charakter ihre wesentliche Eigenthümlichkeit. Das Studium .der Adrenalinwirkung auf die Gebärmutter habe ich damit abgeschlossen, dass ich parallele Versuche anstellte, d. h. solche, bei denen ein und derselbe Uterus an einem Tage in vivo studirt wurde, am anderen Tage aber isolirt. Es ist interessant, dass bei diesen parallelen Versuchen ähnliche Resultate erhalten wurden (s. Taf. IX, Fig. 8 u. 9). Bei einem Blick auf die entsprechenden Curven kann man wahrnehmen, dass die bei Adrenalinanwendung am lebenden Weibchen erhaltenen Zu- sammenziehungsceurven und die Adrenalincurve des isolirten Uterus ein und desselben Thieres viel Aehnlichkeit miteinander haben. Narkotische Gifte aus der Fettreihe (Chloralhydrat und Alkohol). Die wesentlichste Thatsache, welche bei den Versuchen mit Chloral- hydrat in die Augen fällt, ist die äusserste Unempfindlichkeit des isolirten Uterus gegen das narkotische Gift. Während es bei den Versuchen mit Giften, welche die zusammenziehende Thätigkeit der Gebärmutter anreizen, genügend war, die schwächste Con- centration des Giftes zu nehmen, um die ihm eigene Wirkung zu be- obachten, so muss man bei den Versuchen mit narkotischen Giften ver- hältnissmässig sehr ceoncentrirte Lösungen anwenden, um die zusammen- ziehende Thätigkeit zu paralysiren und die vollkommene Narkose des Uterus herbeizuführen. PHYsIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 381 Lässt man durch eine sich regelmässig zusammenziehende Gebärmutter Chloralhydrat gehen, z. B. in einer Concentration von 1:40000 bis 1: 8000, so dauern deren Contractionen nicht nur fort, sondern sie werden sogar etwas stärker; erst nach dieser nicht lange dauernden Periode der Thätig- keitsverstärkung tritt manchmal eine unbedeutende Verlangsamung der Thätigkeit ein. Die stärkeren Ooncentrationen z. B. 1:5000 bis 1:4000 ergeben auch zu Anfang eine kurze Periode der Thätiskeitserresung der Gebärmutter; dann werden die Zusammenziehungen unregelmässig, ungleichmässig und ziehen durch ihre Disharmonie die Aufmerksamkeit auf sich; sie nehmen einen partiellen Charakter an, z. B. zieht sich ein Theil des Hornes zu- sammen, während ein angrenzender Theil in Ruhe verbleibt u.s. w.; hierauf tritt ein deutliches Schwachwerden der Contractionen, aber nicht die voll- kommene Ruhe der Gebärmutter ein. Die Concentration 1:2000 bringt die Zusammenziebungen des Uterus sofort zum Stillstand ohne eine vorhergegangene Periode der Erregung und vermindert stark dessen mechanische Reizbarkeit; dennoch erscheinen da- bei noch zuweilen schwache, selbstständige Zusammenziehungen der Gebär- mutter. Die Concentration 1:1000 giebt das Bild der absoluten Ruhe der Gebärmutter, , wobei ihre mechanische Reizbarkeit bedeutend vermindert wird, aber nicht vollkommen verschwindet. Erst bei der Concentration 1:500 (wenn durch die Gefässe des Uterus auf ein Mal 0.8! reinen Chloralhydrats geht) tritt seine vollständige Prostration ein — er liegt vollständig erschlafft und reagirt auf gar keine Reize. | % Daher muss man, um die „vollkommene Narkose“ der Gebärmutter herbeizuführen, das Chloralhydrat in solchen Concentrationen anwenden, bei denen zu gleicher Zeit Decigramme dieses Giftes durch sie hindurch- gehen. Die paralysirende Wirkung des Chloralhydrates verschwindet sehr schnell. Lässt man durch eine mit diesem Mittel vergiftete Gebärmutter die normale Locke’sche Flüssigkeit gehen, so erscheinen die Zusammen- ziehungen sehr schnell wieder. Bei diesem Uebergange der Gebärmutter aus der künstlich hervor- gerufenen Ruhe zu ihrer früheren Thätigkeit lässt sich eine gewisse Ordnung und Gesetzmässigkeit beobachten. Vor allem (wenn man in dieser Zeit mechanische Reize gleicher Stärke in gleichen Zeiträumen herbeiführt) kann man das Erscheinen der mechanischen Reizbarkeit, welche sich sehr schnell wieder ihrer früheren Grösse nähert, beobachten. 332 E. M. KuRDINOwSKT: Dann treten partielle, unregelmässige Contractionen auf, welche selbst- ständig entstehen; und erst hierauf fängt die mehr oder weniger regel- mässige, automatische, zusammenziehende Thätigkeit der Gebärmutter wieder an. Auf diese Weise durchläuft die Gebärmutter, der Entfernung des Giftes gemäss, dieselben Stadien wie bei ihrer Vergiftung, nur in umgekehrter Reihenfolge. Wendet man während der Narkose der Gebärmutter Hydrastinin, Sphacelinsäure oder Adrenalin an, so kann man die für diese Gifte typische Contraction — tetanischen Charakters — beobachten. Zuweilen ist unter diesen Umständen die Reaction weniger stark als die gewöhnlich an einer: frischen, nicht narkotisirten Gebärmutter beobachtete. Häufiger jedoch reagirt die Gebärmutter sogar nach grossen Mengen von Chloralhydrat auf Hydrastinin, Sphacelinsäure und Adrenalin genau ebenso wie eine nicht „unter Narkose‘‘ gewesene und giebt sogar das Bild des Tetanus. So kann man sich bei Anwendung des Chloralhydrates auf den isolirten Uterus leicht davon überzeugen, dass nur die starken Concentrationen dieses Giftes im Stande sind, die zusammenziehende Thätigkeit des Uterus zu paralysiren, dass er eine gewaltige Menge dieses Giftes verträgt und sich leicht von dessen paralysirender Wirkung erholt, und dass man an ihm, so zu sagen in Miniatur, dieselben Erscheinungen wie bei der Narkose des ganzen, lebenden Thieres beobachten kann. Auf die Gefässe des isolirten Uterus wirkt Chloralhydrat dem Anschein nach nicht. Einmal habe ich beobachtet, dass nachdem man sofort nach Chloral- hydrat Adrenalin angewendet hatte, dieses schon die ihm eigene Kraft, die Verengung der Gefässe hervorzurufen, nicht mehr hatte. Genau die- selbe Thatsache wurde auch beziehentlich des Alkohols beobachtet. Auf Grund dieser Thatsachen vorauszusetzen, dass Chloral und Alkohol auf peripherischem Wege die Gefässwände zu lähmen vermögen, wage ich nicht, zumal weil beide narkotische Gifte in solch starken Concentrationen angewendet wurden, bei denen man vielmehr von einer rein örtlichen, als einer specifischen Wirkung sprechen kann. Die Versuche mit Alkohol ergaben genau dieselben Resultate wie die Versuche mit Chloralhydrat; darım beschreibe ich sie nicht extra. Ausser den oben beschriebenen, pharmakologischen :Versuchen an der isolirten Gebärmutter wurden von mir noch Versuche mit Physostygmin, Coffein, Veratrin, Digitalin und Chinin angestellt. Aber da alle diese Ver- suche ein fast negatives Resultat ergaben, halte ich es nicht für nothwendig, sie länger auseinander zu setzen. PHYSIOL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 383 Indem ich das Facit aller von mir erhaltenen Resultate aus 86 Ver- suchen auführe, komme ich zu folgenden Hauptergebnissen: 1. Die isolirte Gebärmutter stellt ein geeignetes Object zur Erklärung vieler Streitfragen über die Physiologie dieses Organes dar, welche bei den Versuchen am ganzen Thier nicht zur Entscheidung gelangen. So kann zum Beispiel die Frage, ob die Gebärmutter zu automatischen Zusammen- ziehungen fähig ist, nur durch Beobachtungen an der isolirten Gebärmutter entschieden werden. 2. Die Gebärmutter ist in allen Perioden ihres geschlechtlichen Lebens einer automatischen, zusammenziehenden Thätigkeit fähig. Die jungfräuliche Gebärmutter stellt in dieser Beziehung keine Ausnahme dar (entgegen der Meinung Cyon’s, Scherschewski’s u. A. m.). 3. Die automatischen Zusammenziehungen kommen in einer Curven- linie von Wellen zum Ausdruck, welche das Aussehen eines an seinem oberen Ende abgerundeten Kegels haben und durch ungefähr gleichmässige Ruhepausen getrennt sind. 4. Die Gebärmutter ist durchaus reactionsfähig auf thermische und mechanische Reize; unter ihrem Einflusse verstärken sich die Zusammen- ziehungen der Gebärmutter und nehmen einen mehr oder weniger aus- gesprochenen, tetanischen Charakter an. Unter diesen Bedingungen tritt oft auch ein wirklicher Tetanus ein. - 5. Kälte und Wärme wirken auf die Gebärmutter gleich energisch. Als Quelle der thermischen Reize erscheint weniger die absolute Höhe der Temperatur, als vielmehr deren relative Schwankungen, unabhängig von ihren Richtungen. 6. Gegen elektrische Reize ist die isolierte Gebärmutter verhältniss- mässig wenig empfindlich. 7. Die sich am Ende der Schwangerschaft befindende, isolirte Gebär- mutter ist zweifellos des Geburtsactes fähig. Bei Beobachtung dieses letzteren ziehen besonders die ganz selbstständigen, und im Sinne des Geburts- mechanismus durchaus zweckentsprechenden Zusammenziehungen des breiten » Mutterbandes die Aufmerksamkeit auf sich; übrigens nehmen auch ausser- halb der Schwangerschaft die breiten (sowie auch die runder) Mutterbänder einen thätigen Antheil an den Contractionen der Gebärmutter. 8. Alles, was man an der isolirten Gebärmutter, und speciell an ihrem Geburtsact beobachtet, nähert uns bis zu einem gewissen Grade der Ent- scheidung der interessantesten Streitfrage über die Physiologie der Gebär- mutter, nämlich der Frage betrefis ihrer Innervation. Dem Anschein nach, wenigstens in ihrer zusammenziehenden Thätigkeit, hängt die Gebär- 334 E. M. KuRDINOwSKIT: mutter wenig von den Einflüssen des Centralnervensystems ab. Die Be- obachtung der isolirten Gebärmutter rückt die wichtige Rolle ihrer localer Innervation in den Vordergrund. 9. Der Vorzug der pharmakologischen Versuche an der isolirten Gebär- mutter vor den Versuchen am ganzen Thiere besteht darin, dass es an dem isolirten, und daher von der Verbindung mit dem Centralnervensystem getrennten Organ leichter ist, die Art und Weise der Wirkung der Gebär- muttermittel zu erklären und besonders eine Grenze zu ziehen zwischen den örtlichen, peripherischen Arten der Wirkung und den centralen. 10. Hydrastinin wirkt auf die Gebärmutter, abgesehen von dem Central- nervensystem, d. h. auf ihren eigentlichen Nervmuskelapparat, indem es ihren Zusammenziehungen einen tetanischen Charakter giebt. 11. Auf die Gefässe der isolirten Gebärmutter wirkt Hydrastinin nicht, hieraus folgt: a) dass die durch dasselbe hervorgerufenen Zusammenziehungen nicht von einer Verengerung der Gefässe abhängen, und b) dass die ihm eigenthümliche, gefässverengende Wirkung nicht auf peripherischem, sondern auf centralem Wege erreicht wird. 12. Sphacelinsäure wirkt auf die Gebärmutter ebenso wie Hydrastinin; auch sie hat keinen Einfluss auf die Gefässe der isolirten Gebärmutter. 13. Sphacelinsäure, auf die Gebärmutter des ganzen Thieres ange- wendet, erzielt eine Curve der Zusammenziehungen, ähnlich der Curve, die man von dem isolirten Organe unter dem Einflusse dieses selben Giftes erhält. In beiden Fällen ist der tetanische Charakter der Zusammen- ziehungen immer ausgesprochen. 14. So klärt sich die verwickelte Frage über die Einwirkung des Mutterkornes auf die Gebärmutter etwas auf, und zwar in dem Sinne, dass das Mutterkorn (wenigstens beziehentlich seines reinen Präparates, der Sphacelinsäure) unter Vermeidung des centralen Weges, auf peripherischem Wege auf die Gebärmutter einwirkt, indem es deren Zusammenziehungen hervorruft, vollständig unabhängig von der Verengerung der Gefässe. 15. Adrenalin, schon in den schwächsten Concentrationen, wirkt energischer auf die Gebärmutter als jene Mittel, welche man als für sie - specifisch ansieht. Es ruft eine stürmische Reaction hervor, indem es die Zusammenziehungen der Gebärmutter bedeutend verstärkt, ihnen einen scharf ausgeprägten, tetanischen Charakter giebt und indem es (mehr als andere Gifte) die Erregbarkeit der Gebärmutter erhöht. 16. Die gleichen Versuche mit Adrenalin an der Gebärmutter eines ganzen Thieres und an dem isolirten Organ desselben Thieres ergaben ähnliche Contractionscurven. PHYysIoL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE AN DER GEBÄRMUTTER. 385 17. Adrenalin verengert ganz energisch die Gefässe der isolirten Gebär- mutter. — 18. Narkotische Gifte aus der Reihe der Fettkörper (Chloralhydrat und Alkohol) beeinflussen die isolirte Gebärmutter verhälnissmässig wenig. 19. Nur die im Vergleich starken Concentrationen dieser Gifte lähmen die zusammenziehende Thätigkeit der Gebärmutter, dabei geben sie ein Bild der Narkose in allen ihren Stadien, analog der Narkose am ganzen Thier. 20. Im Charakter der Zusammenziehungen der Gebärmutter, hervor- gerufen durch verschiedene Reize, sowohl physikalische, als auch chemische, lässt sich eine grosse Einförmigkeit beobachten. Die Curven der durch künstliche Reize erzeugten Zusammenziehungen werden immer durch die Verlängerung des absteigenden Curvenastes, im Vergleich zum aufsteigenden, charakterisirt. 21. Viele an der isolirten Gebärmutter beobachtete Thatsachen sind dieser, sowie allen anderen glattmuskeligen Organen eigenthümlich. Hieraus ergiebt sich der Zusammenhang der Physiologie der Gebärmutter mit der Physiologie der anderen glattmuskeligen Organe überhaupt. Durch den Vergleich meiner eigenen Beobachtungen mit den Er- gebnissen der Litteratur komme ich zu folgenden Schlüssen: 22. Die Zusammenziehungen der glattmuskeligen Gewebe werden im Allgemeinen folgendermaassen charakterisirt: durch verhältnissmässig lange Latenzperioden und eine sehr unbedeutende Geschwindigkeit der Erregungs- leitung; ferner durch ihren peristaltischen Charakter, eine bedeutende Langsamkeit und eine fortwährende Neigung zur wellenförmigen Ver- breitung weit über die Grenzen jenes Ortes, wo die Bewegung entstanden ist. 23. Die glattmuskeligen Gewebe besitzen zweifellos die Fähigkeit zu voll- kommen selbstständigen, automatischen Zusammenziehungen, welche schein- bar ohne jeden äusseren Reiz entstehen. Diese Zusammenziehungen zeichnen sich durch Regelmässigkeit, Rhythmik und ihren zweckentsprechenden Charakter aus. Auf der Curve treten sie als regelmässige Wellen her- vor, mit symmetrischem Verhalten eines jeden auf- und absteigenden Curvenastes. Die automatischen Zusammenziehungen wechseln gewöhnlich mit der Ruheperiode ab, wobei selbst in dem Wechsel der Arbeits- und Ruhe- perioden die bekannte Regelmässigkeit ersichtlich ist. 24. Das glattmuskelige Gewebe ist durchaus reactionsfähig auf thermische, mechanische (und chemische) Reize; die Empfindlichkeit gegen elektrische Reize ist, wenigstens bei dem isolirten Organ, verhältnissmässig Archiv f. A, u. Ph, 1904, Physiol, Abthlg, Suppl. 25 386 E. M. KuRDINowsSKI: PHYsioL. UND PHARMAKOL. VERSUCHE U.S.W. nicht gross. Der glatte Muskel ist besenders empfindlich für schnelle Temperaturschwankungen, von welcher Seite sie auch ausgehen mögen; auf diesem Wege ist es leicht, seinen Tetanus zu erhalten, was übrigens auch bei wiederholtem, mechanischem Reize eintritt. Die Curven der durch künstliche Reize hervorgerufenen Zusammenziehungen werden durch mehr oder weniger ausgesprochenen tetanischen Charakter gekennzeichnet. 25. Dem glattmuskeligen Gewebe, als solchem, muss man, dem An- schein nach, eine selbstständige, automatische Erregbarkeit und eine relative Unabhängigkeit von den nervösen Einflüssen zuerkennen. Erklärung der Figuren auf Tafel VIII und IX im Text. Fig. 1 siehe Seite 351. em! 9204853, a Re =: Ra) Aue ee ee EEE az WEEZE Einige Versuche, das Verhältniss der Gewichte zu bestimmen, in welchem sich das „Hämochromogen“ mit Kohlenoxyd verbindet. Von G. Hüfner und W. Küster. In einer sehr bemerkenswerthen, an interessanten Beobachtungen reichen Abhandlung, die im Jahre 1889 unter dem Titel „Beiträge zur Kenntniss der Eigenschaften der Blutfarbstoffe“ in der Zeitschrift für physiologische Chemie! erschien, theilte Hoppe-Seyler unter Anderem einige Versuche mit, aus denen hervorging, dass das sogenannte Hämochromogen sich mit Kohlenoxyd ebenso vereinigt, wie das Hämoglobin, und dass sogar die Spectren beider Kohlenoxydverbindungen die gleichen sind. Er zeigte aber ferner auch, dass gelöstes Hämochromogen aus einer Kohlenoxydatmosphäre soviel von diesem Gase aufnimmt, dass auf 1 Atom darin enthaltenen Eisens gerade ein Molecül Kohlenoxyd kommt; so dass also hier derselbe Zusammen- hang zwischen dem Eisengehalte der Farbstoffgruppe und deren Kohlen- oxydcapacität besteht, wie beim unzersetzten Hämoglobin. Hoppe-Seyler hat diese Bestimmungen mit sehr geringen Substanz- mengen (0- 18% Hämatin) in einfachen Absorptionsröhren, nach dem Muster einer Kohlensäurebestimmung mit Lauge nach Bunsen, ausgeführt. Das erforderliche Hämochromogen war vorher aus alkalischer Hämatinlösung durch Reduction mit Kaliumsulfhydrat oder auch mit hydroschwefligsaurem Natrium in den Absorptionsröhren selber gewonnen worden. Wie wohl wir an der Richtigkeit der Hoppe-Seyler’schen Angaben durchaus nicht zweifelten, schien es uns doch um der prineipiellen Wichtig- keit des Gegenstandes willen rathsam und sogar geboten, derartige Be- stimmungen noch einmal mit grösseren Substanzmengen und nach einem Verfahren, das weniger einzelne Fehlerquellen (z. B. willkürliche Annahmen ZBIZ RIESE. ’ 25* 338 G. Hürner uno W. Küster: über die Grösse des Absorptionscoöfficienten u. s. w.) in sich schliesst, zu wiederholen. Das zu unseren Versuchen nöthige Hämochromogen gewannen wir in jedem Falle aus Acethämin (Schalfejew). Als Reductionsmittel diente uns Anfangs eine wässerige Lösung von Hydrazinhydrat, später aber, ebenso wie Hoppe-Seyler, eine solche von Kaliumsulfhydrat. Die Reduction selber geschah über Quecksilber in einer reinen Wasserstoffatmosphäre, unter Anwendung desselben weiträumigen Apparates, den der Eine von uns schon früher! zu ähnlichen Versuchen benutzt und ausführlich beschrieben hat. Sollte die Reduetion durch Hydrazinhydrat bewirkt werden, so wurden etwa 1-58 trocknen Acethämin’s, gelöst in 600 «m einer = - Kalilauge, zunächst mit 6° m der käuflichen 50 procentigen Hydrazinhydratlösung ver- setzt, hierauf in verschlossener Kugel öfter mit Wasserstoffgas durch- einander geschüttelt, und zuletzt, durch stundenlanges Auspumpen mit einer kräftigen Wasserstrahlpumpe bis zum Auftreten des Wasserhammers, luft- frei gemacht. Die so gewonnenen Lösungen lieferten indess bei den Absorptions- versuchen niemals zufriedenstellende Resultate; die thatsächlich absorbirten Kohlenoxydgasmengen blieben jeder Zeit hinter den berechneten mehr oder weniger zurück? Wir wandten uns deshalb gleichfalls zum Kalium- sulfhydrat. Wir bereiteten uns eine frische Lösung davon durch Sättigen einer 40 procentigen Kalilauge mit Schwefelwasserstoff. Da das Moleculargewicht des Kaliumhydroxydes 56-1 und dasjenige des Kaliumsulfhydrates 72-1 40 ..72-1 emie 51-4 Procent davon. Anderer- seits lösten wir 1.3607 == trocknes Acethämin in 510 «m Wasser, füsten zu diesem Volumen in der oben erwähnten verschliessbaren Kugel 20 «m der Lösung des Sulfhydrates (entsprechend 10-03 8m fester Substanz), schüttelten das Ganze mit Wasserstoff einige Male tüchtig durch und pumpten es ebenfalls aus bis zum Auftreten des Wasserhammers. Mit dieser Lösung wurden in bekannter Weise® 2 Reihen von Ab- sorptionsversuchen ausgeführt. | Wie bei einer Hämoglobinlösung durfte man annehmen, dass die von einem bestimmten Volumen der Lösung unter gegebenen Bedingungen des Druckes und der Temperatur aufgenommene Gasmenge v aus 2 Componenten zusammengesetzt sein werde: einer vom Drucke, p, unabhängigen, «a, und ist, so enthielt die frische Lösung ! Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 130. ? Die Ursache hiervon bedarf erst noch der Aufklärung. 3 Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 158. VERBINDUNGSGEWICHTE VON HÄMOCHROMOGEN UND KOHLENSTOFF. 389 einer mit diesem wachsenden, dp, so dass in jedem Falle für v die Gleichung gelte v=a-rbp. Eine Reihe mit demselben Flüssigkeitsvolumen bei gleicher Temperatur, aber bei verschiedenen Drucken angestellter Absorptionsversuche musste also Werthe für v liefern, aus denen sich die Constanten a und 5 mit hin- reichender Genauigkeit berechnen lassen, ohne dass man irgend eine will- kürliche Annahme nöthig hätte in Betreff der Grösse des Absorptions- coöfficienten des Gases für die Lösung. Auch über die Höhe der Tension des 'Wasserdampfes war jegliche Unsicherheit bei der Berechnung unserer Versuchsdaten so gut wie aus- geschlossen. Denn da, wie aus dem Angegebenen! leicht ersichtlich, die Lösung in Bezug auf Kaliumsulfhydrat wenig mehr als !/, normal, in Bezug ie 1 auf Acethämin aber sogar nur a50 normal war, so durfte ihre Tension ohne merklichen Fehler gleich der des reinen Wassers gesetzt werden. Das Volumen der Lösung betrug jedesmal 205. 7°", die Gewichtsmenge des darin enthaltenen Acethämins 0-5281s m. Das angewandte Kohlenoxyd war aus ameisensaurem Natrium bereitet. Wir geben in folgenden 2 kleinen Tabellen ohne weiteres die Resultate unserer beiden Versuchsreihen. Darin sind unter p die verschiedenen Drucke in Millimeter Quecksilber und unter v die zugehörigen Volumina, die thatsächlich absorbirt wurden, ausgedrückt in Cubikcentimeter und red. auf 0° und 760m, zusammengestellt. Die 3. Columne, unter v’, enthält die mit Hülfe der Formeln (1) und (2) für die verschiedenen Drucke be- rechneten Volumina. Versuche vom 2. Juli 1903. Versuchstemperatur = 21-1°. p v v 637-7 mm 21-68 21-67 616-5 „ 21:60 21°61 592-6 „ | 21-55 21:54 H74-T „ 21-48 21-48 Doawames | 21-45 21-42 DO2W2Nsn | 31-33 21°35 : . £ B E g 19 1 ! Die Lösung enthielt in 530 = 10-03, im Liter also rund 19 &®= oder DET aR eines Mol’s Kaliumsulfhydrat. Ferner enthielt sie in 530 °® nur 1-3607, im Liter also > LE h 3 2.57 2m, d. i. etwa 250 eines Mol’s (= rund 653) Acethämin. 390 G. Hürner unp W. KÜSTER: VERBINDUNGSGEWICHTE U. $S. W. Die kKechnung ergiebt für « den Werth 19-71 ; N N 0.003087. Wir erhalten demnach für vo’ die Formel: v’ = 19.71 + 0-003087 p (1) Der Absorptionscoöfficient & des Kohlenoxyds für die Lösung, bei der Temperatur 21-1°, ist 0:003087 760 Angewandtes Acethämin . . . .„ 0.5281 8m Darin enthaltenes Eisen . '. . . 0-0453 „ Absorbirtes Kohlenoxydvolumen nach der Formel C,,H,,0,N,ClFe verlangt: gefunden: IS). LAS klagen Versuche vom 3. Juli 1903. Versuchstemperatur = 22.1°. Concentration der Lösung dieselbe wie vorher. p 2) ® Dress Wirte 19-96 636-2 | 1984 19-89 611-8 19-84 19-82 592-1 19-76 19-76 574-1 19-75 19-71 560-1 | 19-61 19-67 a = 13-02 b = 0.002935 v = 18.02 + 0.002935 p | (2) 0-002935.760 = In 0.01085. Absorbirtes Kohlenoxydvolumen z verlangt: gefunden: 18. 12cm 13.022023 Hiermit ist die Behauptung, dass der eisenhaltige Kern des Blutfarb- stoffes auch nach seiner Abspaltung vom Fiweiss sich noch in der Form von sogenanntem Hämochromogen mit Kohlenoxydgas verbinden kann, voll- kommen bewiesen; ebenso aber auch, dass auf 1 Atom Eisen, das darin enthalten ist, genau 1 Molekül dieses Gases kommt. Absorptiometrische Bestimmungen der Menge des Stickoxyds, die von der Gewichtseinheit Methämoglobin gebunden wird. Von G. Hüfner und B. Reinbold. Schon vor einer längeren Reihe von Jahren! hat der eine von uns gemeinsam mit J. Otto aus Christiania die Beobachtung gemacht, dass reines Stickoxyd, mit der braunen wässrigen Lösung von Methämoglobin zusammengebracht, dieselbe sofort prächtig purpurroth färbt. Diese Reaction erschien um so auffallender, als das Methämoglobin sich sowohl gegen Sauerstoff wie gegen Kohlenoxyd vollkommen indifferent verhält. Spätere, in Gemeinschaft mit R. Külz? angestellte Versuche zeigten, dass das Spectrum des so aus Methämoglobin erzeugten Stoffes bei gleicher Concen- tration der Lösungen völlig mit dem Spectrum derjenigen Verbindung übereinstimmt, die man durch Einleiten von Stickoxyd in eine wässrige Lösung von Kohlenoxydhämoglobin erhält. Versuche zur Ermittelung der Gewichtsmengen, in welchen die beiden Stoffe zusammentreten, sind indessen bisher noch nicht angestellt worden. Wir haben im letzten Jahre dergleichen unternommen in der Hoffnung, damit zur Lösung der so wichtigen Frage nach dem chemischen Baue des merkwürdigen Stoffes einen kleinen Beitrag liefern zu können. Das zu den Versuchen verwendete Methämoglobin war zum Theil schon mehrere Monate vorher aus Schweineblutkörperchen dargestellt und 1 Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. VII. 3.65. ” Ebenda. S. 366 ff. 392 G. Hürner unD B. REINBOLD: bis zu weiterer Verarbeitung unter einer „Alkohol-Wassermischung (1: 4) im Eise aufbewahrt worden. Der ausgeschleuderte braune, aus sehr feinen nadelförmigen Krystallen bestehende Brei wurde nunmehr auf Trocken- steine (englische Putzsteine) aufgegossen, die dort nach einigen Tagen zurück- gebliebene lederartige Masse in Wasser gelöst, die Lösung filtrirt, hierauf 2 Tage lang zur Entfernung des Alkohols der Dialyse gegen reines Wasser unterworfen und endlich in demselben Apparate, wie die Lösung des Acethämins in den vorigen Versuchen, erst mit Wasserstoff geschüttelt, dann bis zum Auftreten der Erscheinung des Wasserhammers aus- gepumpt. Später benutzten wir zur Herstellung der Lösungen nur noch Met- hämoglobin aus Pferdeblut. In solches hatte sich nämlich ein grosser Vorrath von Oxyhämoglobinkrystallen aus Pferdeblut während mehr- monatlicher Aufbewahrung in trockenen Gefässen von selber vollständig umgewandelt. Die Bestimmung des Gehaltes der gasfreien wässrigen Lösungen ge- schah nach Beendigung des Absorptionsversuchs jederzeit auf spectrophoto- metrischem Wege. Unser Stickoxyd war nach F. Emich’s Verfahren! gewonnen, wonach ‘ bekanntlich eine mit 2 Gewichtsprocenten Natriumnitrits versetzte concen- trirte Schwefelsäure in einen mit eingeschliffenem Stopfen gut verschlossenen, mit Hahntrichter und Gasentbindungsrohr versehenen, '/, bis 1 Liter fassenden Erlenmeyerkolben bei Berührung mit metallischem Quecksilber, das den Boden des Kolbens bedecken muss, einen ruhigen, lang andauernden Strom sehr reinen Gases liefert. Ein mehrere Liter betragender Vorrath davon wurde in einem grossen Ehrenberg’schen Gasometer über Quecksilber aufgefangen. Die Absorptionsversuche selbst wurden mit den gleichen Apparaten, wie die in der vorangehenden Arbeit mitgetheilten, ausgeführt; auch ge- schah die Berechnung der Versuchsdaten abermals unter Anwendung der Bedingungsgleichung: B v=a+bp. Voran mögen die Ergebnisse eines Versuches stehen, die der Eine von uns allein zunächst zur blossen Orientirung über den Verlauf der Absorption angestellt hat. 1 Wiener Sitzungsberichte. Mathem.-naturw.Classe. Febr. 1892. Bd. CI. Abthlg. Il. b. 8. 88— 92. ÄABSORPTIOMETRISCHE BESTIMMUNGEN. 393 Versuchsreihe vom 5. August 1903. Methämoglobin vom Schwein. Mittlere Versuchstemperatur = 21-8°. p ® v 627. jun 17-66 17.70 605-8 „ 17-62 17-59 579-0 „ 17-51 17-45 549-4 „, 17.20 17-29 532.4 „ 17.24 17.20 Hieraus ergiebt sich für v’ die Formel: v' = 14.375 + 00053077 p. Da nun die Menge des in dieser Versuchsreihe angewandten Methämo- globins im Mittel aus 4 photometrischen Bestimmungen 5.328" betrug, so war die von 15% desselben beschlagnahmte Stickoxydgasmenge 14-375 5 = 2.10 = 2.1.35 Aus diesem vorläufigen Versuche ergab sich demnach zweierlei: 1. dass das scheinbar so indifferente Methämoglobin mit dem Stickoxyd überhaupt noch eine Verbindung in bestimmtem Verhältnisse eingeht, 2. dass das von 18” desselben verbrauchte Stickoxydvolum sehr wahrscheinlich doppelt so gross ist, wie das von 18m Hämoglobin gebundene Sauerstoff- oder Kohlenoxydvolum. Die folgenden Versuchsreihen bestätigten vollkommen das Ergebniss dieser ersten. Allerdings konnte man bemerken, dass, wenn man die Lösung des Farbstoffs, um die Grösse der Beobachtungsfehler gegen das absorbirte Gasvolumen möglichst klein zu machen, concentrirter nahm, dass dann die Aufnahme des Gases — namentlich gegen das Ende je eines Versuches hin — nicht nur langsamer und schwieriger erfolgte, sondern dass auch die Constante d der Bedingungsgleichung, d. h. also der physikalisch absor- birte Gasantheil, wegzufallen schien. Das überhaupt aufgenommene Gas- volumen erschien dann als vom Drucke fast oder völlig unabhängig. Wir führen dafür folgende, am 17. Februar 1904 gleichfalls mit Methämoglobin vom Schwein bei einer Temperatur von 20-6° angestellte Versuchsreihe als Beispiel an. Die angewandte Methämoglobinmenge betrug darin 11.47 sm, 394 (+. Hürner unD B. REINBOLD: S p v 641-1 30-56 622-1 30-62 601-7 30-72 982.9 30.64 566-2 30.60 Hier zeigt die zweite Reihe in der That keine Verminderung des auf- genommenen Gasvolumens mit zunehmendem Drucke. Man darf im Gegentheile aus sämmtlichen Werthen von v» die Zahl 30.63 als vom Drucke unabhängiges Mittel ziehen. Der Quotient n ist aber = 2.67 = 2.1.3535, also wiederum etwa doppelt so gross wie die Zahl 1.34. Um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die unsern Versuchen aus der Anwendung höher concentrirter Lösungen erwuchsen, und doch die ab- sorbirte Gasmenge möglichst hoch zu erhalten, liessen wir uns einen Apparat anfertigen, dessen Flüssigkeitsbehälter ungefähr doppelt so gross wie beim bisherigen war. Bisher betrug das Volumen der dem Versuche unterworfenen Lösung immer nur 205-7 «®; die neue Kugel fasst 409.94 m, Von Lösungen geringerer Concentration war zu erwarten, dass sie beim Schütteln weniger schäumen, dass sich nach der Verbindung des Kugel- apparates mit dem Manometer das Gleichgewicht der Drucke rascher und sicherer einstellen, und dass der physikalisch absorbirte Gasantheil grösser und genauer messbar werden würde. Die beiden folgenden Versuchsreihen, die mit verdünnten Lösungen des oben erwähnten Methämoglobins aus Pferdeblut unter Anwendung der grösseren Flüssigkeitskugel angestellt wurden, haben unsere Erwartung bestätigt. In den folgenden Tabellen bedeutet ? die mittlere Versuchstemperatur und A, die photometrisch bestimmte Methämoglobinmenge in Grammen. Versuchsreihe vom 17. Juni 1904. t = 22.2° z ? hir = 7:5 gm Mittelwerth aus 8 Messunesreihen an 4 verschiedenen Verdünnungen). 8 g p ® v 635-5 30-64 30-65 613-9 30-21 30-29 592-1 30-06 29.92 572-3 29-51 29-59 555.0 29-28 29-29 ÄBSORPTIOMETRISCHE BESTIMMUNGEN. 395 Hiernach ergiebt sich die Formel: v’ = 19.94 ++ 0.016856 p. Der Absorptionscoöfficient des Stickoxyds für die Lösung ist 0.016856 .760 = 0.083124. a — 7409-94 Der Quotient = 7 = 2.66 = 2.1.38. Versuchsreihe vom 23. Mai 1904. t = 20-25° him = 6-45 m (Mittel aus 4 Messungsreihen an 4 Verdünnungen). p | 0) © 62.6 | 27-77 27-84 621-7 97-61 27-50 598-8 27-11 27-17 576-6 26-84 26°77 555-2 26-39 26-43 Die Formel für v lautet: v = 17.51 + 0.016072 p 0016072 . 760 a 17-51 Auf 18m Methämoglobin kommen also im Mittel aus den Resultaten von 4 Versuchsreihen 2-70 + 2-67 + 2.66 + 2-71 1 — 2.685 =2.1-342 m Stickoxyd. Vor der Hand haben wir keinerlei Anhalt, unseren Befund im Sinne irgend einer Vorstellung über den Bau des Methämoglobins mit Sicherheit zu deuten. Das eine aber dürfen wir nicht unterlassen als feststehende Thatsache hervorzuheben, dass das gefundene, auf 1:=% des Farb- stoffs bezügliche Stickoxydvolumen fast absolut genau doppelt so gross wie das Kohlenoxydvolumen ist, das früher für Is m Hämoglobin gefunden wurde. Studie über die Natur und die Wahrnehmung der Geräusche. Von August Lucae. Wie das Nächstliegende so häufig wenig Beachtung findet, so ist es nicht weiter auffallend, dass gerade die Geräusche, welche unser Ohr vom frühen Morgen bis zum späten Abend in Anspruch nehmen, bisher sehr wenig auf ihre akustischen Eigenthümlichkeiten untersucht worden sind. Man hat sich lange damit begnüst, den physikalischen Unterschied zwischen Tönen und Geräuschen darin zu suchen, dass die musikalischen Töne aus periodischen, die Geräusche dagegen aus aperiodischen Schallschwingungen zusammengesetzt sind. Von den unseren Gegenstand berührenden Werken seien hier nur zwei klassische des vorigen Jahrhunderts erwähnt, die „Akustik“ von Chladni (Leipzig 1812), des eigentlichen Vaters der Akustik und die Helmholtz’- sche „Lehre von den Tonempfindungen“. Bei der grundlegenden Bedeutung des Chladni’schen Buches verlohnt es sich wohl, das Wenige, was dasselbe über die Geräusche enthält, hier wörtlich wiederzugeben: „Ein Klang unter- scheidet sich von einem Geräusche durch die Gleichförmigkeit und Bestimm- barkeit der Schwingungen. Es sind nämlich bei einem Klange die Schwingungen des elastischen Körpers oder der Theile, in welche er sich in seiner ganzen Ausdehnung auf eine sehr regelmässige Art eintheilt, gleichförmig und gleichzeitig; an einem Geräusche lässt sich dieses aber nicht behaupten, es scheinen vielmehr dabei die zitternden Bewegungen sowohl in Ansehung ihrer Dauer, als auch in Ansehung ihrer übrigen Be- schaffenheit sehr ungleichartig zu sein. Man kann bei einem Klange die verhältnissmässige Anzahl der Schwingungen oder die Höhe des Tones durch das Gehör beurtheilen und mit anderen Klängen vergleichen, bei einem (seräusche aber nicht. Bei einem Klange lassen sich sowohl die Gestalts- AUGUST LUCAE: STUDIE ÜBER DIE NATUR T.S. w. 397 veränderungen des elastischen Körpers als auch die einer jeden Schwingungs- art zukommenden Tonverhältnisse durch Beobachtungen, und soweit der jetzige Zustand der höheren Mechanik und Analyse es zulässt, auch durch Berechnungen und durch Folgen von Schlüssen bestimmen, aber zu ge- nauerer Bestimmung der Natur eines Geräusches sind noch keine Mittel bekannt.“ Einen wesentlichen Fortschritt finden wir in der Schilderung von Helmholtz: „Um das Wesen des Unterschiedes zwischen Klängen und Geräuschen zu ermitteln, genügt in den meisten Fällen schon eine aufmerk- same Beobachtung des Öhres allein, ohne dass es durch künstliche Hülfs- mittel unterstützt zu werden braucht. Es zeigt sich nämlich im Allgemeinen, dass im Verlauf eines Geräusches ein schneller Wechsel verschiedenartiger Schallempfindungen eintritt. Man denke an das Rasseln eines Wagens auf Steinpflaster, das Plätschern und Brausen eines Wasserfalles oder der Meeres- wogen, das Rauschen der Blätter im Winde. Hier haben wir überall einen raschen und unregelmässigen, aber deutlich erkennbaren Wechsel stossweise aufblitzender verschiedenartiger Laute. Beim Heulen des Windes ist der Wechsel langsam, der Schall zieht sich langsam und allmählich in die Höhe und sinkt dann wieder.“ „Ein musikalischer Klang dagegen erscheint dem Ohre als ein Schall, der vollkommen ruhig, gleichmässig und unveränderlich andauert, solange er eben besteht, in ihm ist kein Wechsel verschieden- artiger Bestandtheile zu unterscheiden. Ihm entspricht also eine einfache und regelmässige Art der Empfindung, während in einem Geräusche viele ver- schiedenartige Klangempfindungen unregelmässig gemischt und durcheinander geworfen sind. In der That kann man Geräusche aus musikalischen Klängen zusammensetzen, wenn man z. B. sämmtliche Tasten eines Klaviers innerhalb der Breite von einer oder zwei Octaven gleichzeitig anschlägt.“ Helmholtz macht ferner darauf aufmerksam, dass sich mit Hülfe seiner Resonatoren einzelne Töne aus den Geräuschen sehr deutlich zur Wahrnehmung bringen lassen. So braucht man nur einen auf einen be- liebigen Ton abgestimmten Resonator in’s Ohr zu stecken, um sofort aus dem Strassenlärm einer belebten Stadt den sehr verstärkten Eigenton des Re- sonators herauszuhören. Dies Experiment ist nur eine weitere Consequenz seines Verfahrens, mittels der Resonatoren sowohl aus einer Summe von Klängen als auch aus einzelnen Klängen bestimmte Töne wahrzunehmen. Mit diesen Beobachtungen ist freilich kaum ein Anfang zur Lösung unserer Aufgabe gemacht; sie zeigen uns mit Sicherheit nur soviel, dass auch die Geräusche wie die Klänge aus Tönen bestehen, nur mit dem grossen Unterschiede, dass die Klänge aus einem festen Grundton und dessen harmonischen Obertönen, die Geräusche dagegen aus lauter un- harmonischen Tönen zusammengesetzt sind. 398 AUGUST LUCAE: Es fragt sich weiter, ob die Geräuschesden Klängen auch darin gleichen, dass sich eine bestimmte Tonhöhe in ihnen erkennen lässt. Diese, wie wir oben sahen, von Chladni verneinte Frage scheint mir der Angelpunkt zu sein, von dem die Untersuchung über die eigentliche Natur der Geräusche auszugehen hat. Im Gegensatz zu Chladni’s Bemerkung vermag bekannt- lich ein musikalisches Ohr im Allgemeinen sehr gut tiefe und hohe Ge- räusche zu unterscheiden; Beispiele für tiefe Geräusche sind z. B. das ferne Rollen des Donners, das Brausen der Meereswogen, das Rollen eines Wagens; für die hohen Geräusche das quietschende mit einem Griffel auf einer Schiefertafel hervorgebrachte Geräusch, das hohe Zirpen der Grille, der scharf geflüsterte Consonant s. Darin hat jedoch Chladni Recht, dass es nicht gelingen will, die absolute Tonhöhe dieser Geräusche festzustellen. Um den Grund dieser Schwierigkeit zu erkennen, ist es am besten, sich zunächstmit denjenigen Geräuschen zu beschäftigen, welche gewissermaassen den Uebergang von den Klängen zu den Geräuschen bilden. Diese Gruppe, welche man musikalische Geräusche nennen kann, zeichnet sich dadurch aus, dass das Ohr sehr leicht eine Reihe von musikalischen Tönen darin unter- scheidet, welche ohne jeden harmonischen Zusammenhang entweder durch- oder nacheinander erklingen. Für den ersten Fall haben wir in dem Helm- holtz’schen Clavierversuch ein vortreffliches Beispiel. Ich habe denselben so wiederholt, dass ich auf die 24 Tasten von c’ bis h? zwei Lineale legte und bei abgehobenem Dämpfer durch gleichmässiges Niederdrücken beider die entsprechenden Töne gleichstark hervorbrachte. Man erhält auf diese Weise einen mittelhohen Missklang, welcher sowohl durch die Dissonanz der angeschlagenen Töne als die ihrer Obertöne entsteht; bei Benutzung des an Obertönen reichen Harmoniums ist die Empfindung im Öhre eine noch unangenehmere. Das von Helmholtz angeführte Heulen des Windes ist ein Beispiel einer anderen Art von musikalischen Geräuschen, in welchen die einzelnen Tonbestandtheile nicht durcheinander sondern aufeinander er- folgen. Hierhin gehört auch das Heulen des Hundes!, der sich durch eine ganze Scala von Tönen hinziehende hohe Pfiff der Lokomotive, das Summen der Telegraphendrähte u. s. w. In allen diesen Beispielen lässt sich der musikalische Charakter der Geräusche unschwer feststellen; bei den Ver- suchen am Clavier und Harmonium haben wir ausserdem den Vortheil, dass wir die einzelnen Töne mit Ohr und Auge sofort sicher bestimmen können. ' ! Johannes Müller pflegte in seiner Vorlesung über die Stimme zu sagen, dass der Hund dasselbe Stimmmaterial besitze wie der Mensch, da er im Stande sei, den Ton mehrere Octaven in die Höhe zu ziehen; er könne jedoch nicht singen, weil ihm der Begriff des Intervalles fehle. STUDIE ÜBER DIE NATUR UND DIE WAHRNEHMUNG DER GERÄUSCHE. 399 Die zweite, der Untersuchung schwerer zugängliche Hauptgruppe um- fasst die specifischen Geräusche, welche sich von den musikalischen Ge- räuschen durch ihre Farblosigkeit auszeichnen. Letztere ist dadurch bedingt, dass ihr Grundton durch das Chaos der ihn begleitenden anderen Töne verdeckt wird; so zwar, dass die einzelnen Componenten des Ge- räusches in gewissen Fällen gleichmässig vertheilt erscheinen, während die- selben in anderen Fällen einen steten Wechsel zeigen, so dass einmal dieser, das andere Mal jener Ton vorherrscht. Die Folge ist, dass sich ihre Ton- höhe nur im Vergleich mit anderen ähnlichen Geräuschen einigermaassen bestimmen lässt. Aus der zahllosen Menge dieser Geräusche seien hier nur folgende Beispiele erwähnt: das tonlose Sausen des Windes über ein freies Feld, das Athemgeräusch, das Rauschen der Wasserfälle, des Meeres, der Flüsse und Bäche, des Regens u. s. w.; endlich alle Arten von Reibungsgeräuschen, denen wir im täglichen Leben fortwährend aus- gesetzt sind. | Gegenüber diesen meist continuierlichen Geräuschen begegnen wir einer Menge intermittirenden klopfenden Geräuschen. Gerade bei diesen zeigt sich sehr gut die charakteristische Erscheinung, dass sich ihre Tonhöhe nur durch Vergleich mit darauf folgenden ähnlichen Geräuschen feststellen lässt. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Holzharmonica, welche eben nur durch die Aufeinanderfolge der einzelnen Anschläge einen musikalischen Eindruck hervorruft. In der Musik wenig gebräuchlich steht sie doch den musika- lischen Geräuschen einiger im Orchester benutzten Instrumente wie der Pauke, den Becken und dem Triangel ziemlich nahe. Am deutlichsten zeigen unsere Sprachlaute den Unterschied zwischen den Klängen und Geräuschen und zwischen den Abarten der letzteren. Als schönste, von keinem anderen musikalischen Instrument übertroffenen Klänge beherrschen die Vocale das ganze Sprachgebiet; und zwar nicht allein durch ihren Woehllaut, sondern auch durch die kraft ihrer charak- teristischen Klangfarbe leichte Perception, welche selbst für hochgradig Schwer- hörige eine Verwechselung der einzelnen Vocale ausschliesst. Wie charak- teristisch schlagen ferner als musikalische Geräusche die beiden hohen Con- sonanten s und sch und das intermittirende, dem Wagengerassel nicht unähnliche tiefe r an unser Ohr und wie farblos und bei undeutlicher Aus- sprache schon von Normalhörenden weniger leicht von einander zu unter- scheiden sind dagegen die Geräusche von A, p, k, 4, db, g, d und f! Nicht selten beobachtet man Uebergänge von den musikalischen zu den specifischen Geräuschen; unter den Consonanten möchte ich hierfür als Beispiele das vordere hohe (in dem Worte Kirche) und hintere tiefe ch (im Worte Bauch) anführen. Die speeifischen Geräusche wären demnach noch dahin genauer zu definiren, dass ein Geräusch desto farbloser erscheint, je 400 AUGUST LUCAE: - weniger Töne sich aus demselben hervordrängen, und je schwieriger es ist, seine Höhe bezw. den Grundton herauszuhören. Es war besonders der letztere Umstand, welcher seit langer Zeit mein volles Interesse herausforderte. Durch zahlreiche Beobachtungen, welche sich mir sowohl in geräuschvollen Städten als namentlich auf meinen all- jährlichen Reisen an das Meer und in die Gebirge unwillkürlich aufdrängten, scheint mir das Charakteristische darin zu liegen, dass der Grundton der Geräusche ein labiler ist und mit der Entfernung der Schall- quelle von unserem Ohre wechselt; so zwar, dass er um so höher erscheint, je mehr wir uns dem Geräusche nähern, um so tiefer, je mehr wir uns von demselben entfernen. Um dies zu constatiren, bietet der Lärm von Berlin vielfache Ge- legenheit. Ein musikalisches Ohr wird leicht erkennen, dass das chaotische, aus den Bewegungen der verschiedensten Medien zusammengesetzte Stadt- geräusch einen tiefen Grundton hat, der durch das Rollen der Fuhrwerke hervorgerufen wird. Entfernt man sich von der Stadt, indem man z.B. vom Brandenburger Thor aus durch den Thiergarten in der Richtung nach Charlottenburg geht, so sinkt allmählich die Tonhöhe des fernen Geräusches und erreicht nach etwa 20 Minuten eine Tiefe, die bei weiterer Entfernung nicht mehr zuzunehmen scheint. Die Höhe dieses zu Grunde liegenden tiefen Geräusches lässt sich nicht genau bestimmen; mir scheint dasselbe etwa in der grossen Octave zu liegen. Das Umgekehrte beobachtet man auf dem Rückwege zur Stadt: Je mehr man sich der Stadt nähert, desto mehr treten die höheren Geräusche hervor. Es ist wichtig, dass man zu diesen Beobachtungen möglichst einsame Wege aufsucht, um störende nahe Geräusche zu vermeiden. In früheren Jahren, als die Strassen Berlins noch mit Steinpflaster und nicht wie jetzt fast durchweg mit Asphalt ver- sehen waren, liess sich diese Erscheinung wegen des viel weiter vernehm- baren Rollens der Wagen leichter feststellen. Man kann die Untersuchung auch so anstellen, dass man in einer abgelegenen, ruhigen mit Steinen ge- pflasterten Strasse das Herankommen eines Lastwagens beobachtet: Zuerst vernimmt man dabei stets das tiefe Rollen aus der Ferne und beim Näher- kommen des Fuhrwerks erst die höheren durch das letztere und die Pferde hervorgebrachten Geräusche, wobei namentlich das hohe helle Huf- getrappel der Pferde auffällt. Leichter lässt sich die Beobachtung machen an Geräuschen, welche durch Bewegungen gleichartiger Medien hervorgebracht werden. Das musikalische Geräusch der wie eine riesige Aeolsharfe durch den Wind in Schwingung gesetzten Telegraphendrähte bietet hierfür ein gutes Beispiel: Das aus der Ferne wahrnehmbare schwache tiefe Summen macht, sobald wir uns den Drähten nähern, einem hohen schrillen Singen Platz. Freilich STUDIE ÜBER DIE NATUR UND DIE WAHRNEHMUNG DER GERÄUSCHE. 401 ist auch hier die Beobachtung auf die Dauer selten eine reine, da der Wind in seiner Intensität häufig wechselt. Weit reiner fallen die Versuche aus, wenn wir uns, fern von jedem störenden Geräusche menschlicher Cultur, zu denselben der Wasserfälle und Gebirgsbäche bedienen, da es sich hier um eine gleichmässige bewegende Kraft handelt. Ganz besonders eignen sich hierzu die noch verhältniss- mässig einsamen norwegischen Wasserfälle, an denen ich wiederholt con- statiren konnte, dass sie aus der Ferne ein donnerartiges tiefes Brausen, in ihrer Nähe dagegen ihre hellen hohen Obertöne besonders hören lassen. Wem wäre ferner nicht bekannt, dass der Donner eines entfernten Ge- witters ein tiefes Grollen zeigt, während dem in der Nähe einschlagenden Blitz ein Donner von hohem, einschneidendem Geräusche folgt? Auch das Meer mit seinem Wellengebrause zeigt dieselbe Schwankung der Tonhöhe je nach der Nähe unseres Standpunktes, wenn auch selten in so regel- mässiger Gestalt, da wir es hier wieder mit der häufig wechselnden Kraft des Windes zu thun haben, und auch selbst bei gleicher Windstärke die Wellenbewegung selten eine gleichartige ist. Worin ist nun diese Erscheinung begründet? Die Erklärung ist eine nicht fern liegende, wenn wir uns an die Analogie der musikalischen Töne und das eigenthümliche Verhältniss zwischen hohen und tiefen Tönen halten. Wenn ein normales Ohr bekanntermaassen ganz besonders für die hohen und höchsten Töne empfänglich ist, so ist dies — wie irrthümlicher Weise noch vielfach angenommen wird — keineswegs so aufzufassen, dass wir die hohen Töne unter allen Umständen stärker wahrnehmen müssen als die tiefen. Hören wir z. B. ein Concert in nächster Nähe des Orchesters, so fallen unseren Ohren zunächst die ganz hohen Stimmen auf, was seinen Grund darin findet, dass in diesem Falle die hohen Töne kraft ihrer physio- logisch stärkeren lebendigen Kraft einen empfindlicheren Eindruck auf unseren Acusticus machen, als dies die tiefen Töne zu thun im Stande sind. Ein einigermaassen musikalisches Ohr wird daneben am leichtesten den Bass heraushören, was aber auch jedem aufmerksamen Beobachter gelingt, so- bald er von dem Orchester weit entfernt ist, weil in diesem Falle die hohen Töne mehr in den Hintergrund treten. Die letztere Erscheinung ist darin begründet, dass die tieferen Töne gegenüber der grösseren physiolo- gischen Energie der hohen eine grössere physikalische Energie besitzen und vermöge ihrer langen Wellen bei ihrer Fortpflanzung durch die Luft den Widerstand derselben leicht überwinden, während die kurzen Wellen der hohen Töne durch Absorption ihre Kraft verlieren. Den Componisten ist dieses Verhältniss zwischen tiefen und hohen Tönen bereits lange bekannt, wie dies z. B. in dem berühmten Bauernwalzer im „Freischütz“ von €. M. Archiv f. A. u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 26 402 Ausust LUcAE: v. Weber musikalisch dahin verwerthet wird, dass bei allmählicher Ent- fernung der Musikanten schliesslich nur noch die Bässe den Zuhörern ver- nehmbar bleiben. Ein anderes in Berlin täglich zu beobachtendes Beispiel bietet die vorüberziehende Militärmusik, welche aus der Ferne regelmässig zuerst den tiefen Schall der grossen Pauke wahrnehmen lässt.! Die genannte Erscheinung ist noch auffallender, wenn den Schallwellen neben dem Widerstand der Luft Hindernisse durch feste Körper entgegen- treten. So habe ich die Beobachtung machen können, dass bei verspäteter Ankunft vor der Berliner Singakademie, nachdem das Concert bei ver- schlossenen Saalthüren bereits begonnen hatte, zunächst nur die tiefen Töne der Bässe und Pauken an mein Ohr schlugen. Fachmusiker, denen ich dies mittheilte, sagten mir, dass sie wiederholt dieselbe Beobachtung gemacht hätten. Aus demselben Grunde hören wir aus weiter Ferne das tiefe Bellen eines Hundes, sowie das tiefe Glockengeläute, den tiefen Donner der Geschütze und des Gewitters bis in unser verschlossenes Zimmer. Diese Erscheinung findet ihre praktische Anwendung in der Benutzung tiefer Töne zur Fernwirkung akustischer Signale (Geschütze, Nebelhorn). Wenn Wien in seiner Dissertation (Ueber die Messung der Tonstärke, Berlin 1888) dagegen gerade hohe Töne für akustische Signale empfiehlt, so ist dies nur für die Nähe richtig. Bekannte Beispiele hierfür sind der hohe Pfiff der Locomotive und der Bootsmannspfeife, deren gellender Ton mitten im Sturmgeheul von den Matrosen noch gut vernommen wird, wenn Commando- worte nicht mehr verstanden werden können. Eine Analogie zeigt hier wieder die Sprache, indem trotz des Lärmes einer belebten Strasse der Zuruf „ps“ von allen in nächster Nähe befindlichen Personen deutlich wahrgenommen wird. Auf diese längst bekannte Thatsache hat der jüngst verstorbene, verdiente Senior der Ohrenärzte A. Magnus bereits vor langer Zeit aufmerksam gemacht.? Es fragt sich nun, worin bei genauer Untersuchung dieser Unterschied in der Wahrnehmung tiefer und hoher Töne auch bei der Analyse der Geräusche schliesslich begründet ist. Was zunächst die grössere physiolo- gische Energie der hohen Töne betrifft, so hat Helmholtz dieselbe be- kanntlich so erklärt, dass der kurze nach innen durch das Trommelfell abgeschlossene äussere Gehörgang als eine gedackte Pfeife aufzufassen sei, ! In meiner Arbeit „über das Verhalten der Schallleitung. durch die Luft zur Leitung durch feste Körper“ (Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. LVlI. S. 8) habe ich diese beiden Beispiele bereits erwähnt. Erst hinterher erfahre ich, dass auch du Bois- Reymond das dem „Freischütz‘“ entnommene Beispiel in seinen Vorträgen zu eitiren pflegte. ? Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge von Virchow und Holtzendorff. VI. Serie. Heft 130. STUDIE ÜBER DIE NATUR UND DIE WAHRNEHMUNG DER GERÄUSCHE. 403 deren Länge der Viertelwellenlänge gewisser in der viergestrichenen Octave gelegenen Töne entspräche. A. Fick nahm dagegen an, dass die grosse Empfindlichkeit gegen die hohen Töne darin läge, dass bei diesen der Acusticus im Gegensatz zu den tiefen Tönen in derselben Zeiteinheit weit öfter eine Reizung erfahre, eine Erklärung, die um so plausibler erscheint, als auch bei dem Hunde, dessen äusserer Gehörgang einen von dem menschlichen sehr verschiedenen Bau zeigt, eine sehr grosse Empfindlich- keit gegen sehr hohe Töne zu beobachten ist.! Neuerdings habe ich in der „Wellenlehre“ der Gebrüder Weber eine bisher nicht beachtete Bemerkung aufgefunden, welche speciell den grossen Unterschied in der Wahrnehmung hoher und tiefer Stimmgabeln physika- lisch dahin erklärt, dass durch die schnellen Bewegungen der hohen Gabeln die angrenzende Luft leichter in Schwingungen gesetzt wird. Die Helmholtz’sche Erklärung, welche also die so empfindlichen Töne der viergestrichenen Octave als Resonanztöne des Öhres auffasst, trifft, wie wir es bei diesem genialen Forscher gewohnt sind, auch hier wieder das Wesentliche der Sache, die jedoch wegen der Complicirtheit der Resonanzverhältnisse des Ohres noch weitere Untersuchung erfordert. Durch Helmholtz angeregt, habe ich mich bereits vor langer Zeit eingehend mit diesem Gegenstande beschäftigt und will hier nur die Hauptresultate aus meinen Untersuchungen wiedergeben.” Zunächst sei daran erinnert, dass nach meinen Versuchen ein dem äusseren Gehörgange zu vergleichender, an dem einen Ende durch eine Membran geschlossener Cylinder hinsichtlich seiner Resonanz gewissermaassen die Mitte hält zwischen einer offenen und gedackten Pfeife. Man wähle z. B einen Lampencylinder, dessen Länge der Viertelwellenlänge des T'ones e’ entspricht und dessen eines Ende durch eine gespannte Gummimembran geschlossen ist, Nähert man das offene Ende der Röhre einer elektrisch schwingenden, auf c’ abgestimmten Stimm- gabel, deren Ton durch untergelegte Gummiröhre an sich kaum ver- nehmbar ist, so wird man eine geringe Zunahme des Tones wahrnehmen; derselbe schwillt jedoch allmählich immer stärker an, sobald man mit dem 1 So besitze ich einen musikliebenden Pudel, der beim Anblasen einer auf den Kammerton a’ abgestimmten Zungenpfeife fröhlich mit dem Schwanze wedelt, jedoch in wüthendes Geheul ausbricht, sobald ich meine auf g* abgestimmte gedackte Pfeife vernehmen lasse. ? Vgl. A. Lucae, Ueber eine neue Methode zur Untersuchung des Gehörorgans zu physiologischen und diagnostischen Zwecken mit Hülfe des Interferenz- Otoscopes. Archiv für Ohrenheilkunde. 1867. Bd. II. S. 188. Ueber die Resonanz der luft- haltigen Räume des Gehörorgans. Verhandlungen der Berliner physiol. Gesellschaft. Sitzung vom 23. Februar 1883; dies Archiv. 1883. Physiol. Abthlg. Physiologisch- diagnostischer Beitrag zur Ohrenheilkunde. Berliner klin. Wochenschr. 1886. Nr. 32. 20 404 Ausust LucAE: Finger die Spannung der Membran nach und nach steigert. Im Gehör- organ liegt die Sache insofern anders, als das Trommelfell mit seiner Innen- fläche an eine aus der Paukenhöhle und den Zellen des Warzenfortsatzes zusammengesetzte Höhle angrenzt. Die winzige Paukenhöhle kommt hierbei kaum in Betracht, und spielt jedenfalls der verhältnissmässig grosse Ge- sammtraum der Warzenzellen mit dem Antrum die Hauptrolle. Das ganze System lässt sich mit einer kubischen Pfeife vergleichen, deren Innenraum wie ein Badeschwamm in unregelmässige Zellen zerfällt und deren enge Mündung mit einem langen Halse, dem äusseren Gehörgang versehen ist. Die Theorie erfordert, dass ein derartiger flaschenförmiger Hohlraum beim Anblasen neben dem tieferen Grundton des Flaschenbauches den hohen des Flaschenhalses angiebt. Auf diese Resonanzverhältnisse wurde ich zuerst aufmerksam gemacht, als ich mich einst auf einer freien dem Winde ausgesetzten Anhöhe befand und durch das Anblasen meines Ohres zunächst ein sehr tiefes Rauschen wahrnahm. Nur bei schärferem Winde und sobald dieser das Ohr seitlich trifft, lassen sich daneben auch höhere Töne wahrnehmen. Dasselbe tiefe Resonanzgeräusch lässt sich ferner subjeetiv dadurch hervorbringen, dass man mit dem Finger den Warzen- fortsatz anklopft. Noch deutlicher erhält man dasselbe Geräusch, wenn man nach dem Vorgange Hensen’s das Ohr mit der Hand oder noch _ besser mit einem Fächer anfächelt. Der breite hierdurch entstehende Luftstrom erzeugt im normalen Ohr regelmässig wie der Wind ein tiefes Geräuschh Wenn Hensen!, der dasselbe für den Eigenton des Trommelfells hält, sagt: „der dabei auftretende Ton ist nicht genau zu be- stimmen, aber er kann gewiss nicht höher sein, als 700 Schwin- gungen“, so kann ich ihm nur darin beipflichten, dass sich wie bei jedem Geräusche eine bestimmte Tonhöhe nicht angeben lässt; jedenfalls liegt dieselbe jedoch in der Tiefe der musikalischen Scala und muss der von ihm angenommenen Tonhöhe ein Druckfehler, ein Irrthum bezw. eine abnorme Spannung seines Trommelfelles zu Grunde liegen. Wie ich a. a. O. nachgewiesen habe, lässt sich nämlich dasselbe tiefe Resonanzgeräusch sowohl subjectiv als auch objectiv durch schwaches Anblasen des äusseren Ge- hörganges vermittelst einer feinen etwa einem halben Centimeter in’s Ohr eingeführten Gummiröhre darstellen. Nur beim schärferen Anblasen hört man daneben auch ein höheres pfeifendes Geräuch, welches durch die hierdurch vermehrte Anspannung des Trommelfells den 'Eigenton des Ge- hörgangs deutlicher hervortreten lässt. Noch schlagender konnte ich diese Compensation zwischen der Resonanz des Mittelohres und des Gehörganges an einern von mir geheilten Patienten feststellen, welcher durch willkür- ! L. Hermann’s Handbuch der Physiologie. 1880. Bd. IlIa. STUDIE ÜBER DIE NATUR UND DIE WAHRNEHMUNG DER GERÄUSCHE. 405 liche Contraction seines Tensor tympani eine deutlich sichtbare Anspannung des Trommelfelles hervorzubringen im Stande war: Sobald nämlich die Anspannung erfolgte, wurde der Klang einer vor der Ohröffnung schwin- genden c*-Gabel sowohl subjeetiv als objectiv bedeutend verstärkt. In dem- selben Falle verwandelte sich das tiefe Anblasegeräusch bei jedesmaligen Contraction des Tensor tympani in ein hohes pfeifendes Geräusch. Letzteres zeigt sich ferner constant in Fällen von starker pathologischer Anspannung oder Verdickung des Trommelfells. — Zur weiteren Analyse dieser Resonanzverhältnisse citire ich hier noch einige von mir am todten Gehörorgane angestellte Versuche: Entfernt man das Trommelfell, so ver- nimmt man beim Anblasen jetzt den tiefen Grundton des Geräusches weit deutlicher, während der Eigenton des Gehörgangs in den Hintergrund tritt. Entfernt man den Gehörgang sammt Trommelfell, so erhält man ein ganz tiefes nur durch die Resonanz des Warzenfortsatzes bedingtes Blasegeräusch; ganz dasselbe Resultat erzielt man, wenn man an einem beliebigen Schädel die Ohröffnung anbläst. ! Bringt man mit diesen Beobachtungen die schöne Hensen’sche Ent- deckung der reflectorischen Zuckung des Tensor tympani in Verbindung, so lassen sich die hohen Resonanztöne des Ohres unschwer dahin erklären, dass durch die jeweilige reactive Anspannung des Trommelfells der Eigenton des äusseren Gehörgangs mehr oder weniger in den Vordergrund tritt. Als Hensen vor vielen Jahren seine Versuche am Hunde bei Gelegenheit der Fischerei-Ausstellung im Berliner physiologischen Institut demonstrirte, konnte ich hierbei constatiren, dass der Tensor tympani bei tieferen Tönen oder Geräuschen gar keine bezw. nur ganz schwache Bewegungen zeigte, bei höheren Tönen deutlich zuckte, beim Anblasen meiner g*-Pfeife dagegen in einen förmlichen Tetanus versetzt wurde. Ganz ähnlich liegen die Ver- hältnisse im menschlichen Gehörorgane. Viele meiner Leser wissen sicher- lich aus eigener Erfahrung, dass beim Anhören sehr hoher Töne aus nächster Nähe nicht bloss eine unangenehme oft schmerzhafte, sondern nicht selten auch eine zuckende Empfindung im Ohre eintritt. Mir und vielen anderen, besonders musikalischen Personen ist diese Erscheinung schon seit langen Jahren bekannt. In neuester Zeit hat Ostmann? darauf aufmerksam gemacht, dass dieselbe auch am Menschen auf eine Contraction des Tensor tympani zurückzuführen sei und ist es ihm nach ı Dasselbe konnte ich durch die Güte des Hrn. Geh.-Rath Waldeyer an einer Reihe Affenschädel beobachten, und fiel das Anblasegeräusch besonders bei dem Ohr des Oranutang sehr tief aus. 2 Ueber die Reflexerregbarkeit des Musculus tensor tympani durch Schallwellen und ihre Bedeutung für den Höract. Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beförde- rung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. 1898. Nr. 1. 406 AUGUST LUCAE: seiner Angabe auch gelungen, mittels Beobachtung von Veränderungen am Lichtkegel des Trommelfells bei 16 Versuchspersonen die reactive An- spannung des Trommelfells auf gewisse Töne nnd Geräusche nachzuweisen. Es liegt nicht im Rahmen dieser Abhandlung, auf seine Theorie über die Funetion des Tensor tympani näher einzugehen. Ich will hier nur hervor- heben, dass weder Ostmann noch alle anderen Forscher, die sich in letzter Zeit mit diesem Gegenstand beschäftigt haben, die Resonanzverhältnisse des Ohres berücksichtigt haben. Was ferner die obengenannte Methode Ostmann’s betrifft, so scheint mir dieselbe auf Grund eigener Erfahrung keineswegs einen eindeutigen Schluss auf die Qualität der Trommelfell- anspannungen zu gewähren. Um zu entscheiden, ob es sich um eine Aussen- oder Innenbewegung des Trommelfells handelt, halte ich die An- wendung eines in das Ohr luftdicht eingesetzten Manometerröhrchens für weit sicherer, wie dies nach dem Vorgang von L. Fick, von A. Politzer und mir schon früher mit Vortheil geschah. Ohne Ostmann gegenüber Prioritätsansprüche zu erheben, will ich im Interesse der Sache hier nur nur noch bemerken, dass ich bereits vor einer langen Reihe von Jahren bei einigen musikalischen Personen mit dieser manometrischen Methode sehr kräftige unzweideutige Contraction des Tensor tympani beobachtet habe und hiervon damals auch den Herren V. Hensen und H. Munk Mittheilung machte. Die Versuchsanordnung fand so statt, dass vor dem freien Ohre eine starke c‘-Gabel durch Anstreichen mit einem Cellobogen in anhaltende Schwingungen versetzt wurde: Es trat hierbei jedes Mal eine auf das mit dem Manometer bewaffnete Ohr übertragene reflectorische Contraction des Tensor tympani ein, welche sich durch eine negative Manometerschwankung von 2 bis 3"= deutlich kennzeichnete Mit dem Aufhören des Tones kehrte der Tropfen im Manometer auf seine Gleich- gewichtslage zurück. Befand sich die Tonquelle vor dem durch den Manometer verschlossenen Öhre, so fielen die Bewegungen der Sperr- flüssigkeit so schwach aus, dass kaum eine negative Schwankung zu sehen war. Auf eine weitere Fortsetzung dieser Versuche musste ich wegen der im eigenen Ohr dabei wahrzunehmenden schmerzhaften Zuckungen verzichten. - Wenn somit die Helmholtz’sche Theorie über die Empfindlichkeit gegen sehr hohe musikalische Töne eine Bestätigung mit der angegebenen wesentlichen Modifikation erhält, so fragt es sich andererseits, ob die eigen- thümliche Wahrnehmung, dass die tiefen Töne gerade in der Entfernung aus den Geräuschen deutlicher hervortreten, neben dem physikalischen nicht auch einen physiologischen Grund hat. Nach meinen letzten Aus- einandersetzungen glaube ich dies als sehr wahrscheinlich annehmen zu können: Je weiter wir uns nämlich von der Schallquelle entfernen, desto weniger wird die Action des Tensor tympani bezw. die Resonanz des STUDIE ÜBER DIE NATUR UND DIE WAHRNEHMUNG DER GERÄUSCHE. 407 äusseren Gehörganges und desto mehr der Grundton des Mittelohres in den Vordergrund treten. Ich sollte eigentlich sagen „Grundgeräusch“, da die eigentliche Tonhöhe besonders bei den tiefen Geräuschen schwer zu be- stimmen ist. Es scheint dieselbe etwa an der Grenze der kleinen und grossen Octave zu liegen.’ Schon die anatomischen Verhältnisse des Mittel- ohres weisen darauf hin, dass wir in demselben gewissermaassen einen Resonator für Geräusche besitzen. Ich verglich oben den Gesammtraum des Mittelohres mit einer cubischen Pfeife, deren Grundton vermöge ihrer schmalen Oeffinung entschieden tief liegt; ein eigentlicher Ton lässt sich jedoch beim Anblasen nicht wahrnehmen, weil der Warzenfortsatz eben aus vielen Zellen von sehr verschiedener Grösse besteht. Diese Zerklüftung in unregelmässige Abtheilungen beginnt bereits am Boden der Paukenhöhle und setzt sich in die Pyramide, nicht selten auch in das Oceiput fort. Die Annahme einer derartigen tiefen Resonanz scheint mir um so mehr gerechtfertigt, als ich neuerdings wiederholt constatieren konnte, dass der tiefe Grundton des diffusen Berliner Lärmes, des Rauschens der Wasserfälle und des Meeres in seiner Höhe dem Resonanzgeräusch entspricht, welches wir beim Anblasen durch den Wind oder beim Anfächeln im ÖOhre wahr- nehmen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass wir diese tiefe Resonanz des Ohres dadurch erheblich erhöhen können, dass wir die Hohlhand, am besten auf beiden Seiten, hinter das Ohr legen, wobei die Ohrmuschel eine trichterförmige Vergrösserung erfährt: Sofort hört man dabei die höheren Geräusche stärker hervortreten, während die tieferen keine wesentliche Ver- änderung erfahren. Es ist dies ja ein bekanntes, von Schwerhörigen häufig zum besseren Verstehen der Sprache angewandtes Mittel. Meines Wissens ist bisher aber noch nicht darauf aufmerksam gemacht worden, dass man sich durch dasselbe die höheren Geräusche näher bringen kann.? Hinsichtlich der „Wahrnehmung“ der Geräusche möchte ich hier nur ganz kurz noch die Frage berühren, welche Theile des Labyrinthes die Perception derselben vermitteln. Es ist ja bekannt, dass in letzterer Zeit die Physiologen besonders nach dem Vorgange Brücke’s der Ansicht zuneigen, dass nach der Theorie, welche sämmtliche Geräusche aus Tönen bestehen ! Möglicher Weise liegt ihr Grundton noch viel tiefer, da die Schwingungen einer starken auf das Contra-G gestimmten Gabel sehr einpfindlich auf das Ohr einwirken. ? Erst beim Abschluss dieser Arbeit wird mir bekannt, dass auch Stumpf (Ton- psychologie. 1. S. 208) die Beobachtung gemacht hat, dass sich tiefere Töne weiter fortpflanzen als höhere. Die umgekehrte von ihm eitirte Behauptung anderer Beobachter erklärt sich für die Geräusche (Strieker) wohl durch irrige Auffassung der Tonhöhe oder durch pathologische Zustände im Ohre, für die Töne (Mach) durch Anhören eines Musikstückes aus der Nähe, in welchem Falle eben die hohen Töne grössere Empfin- dungsstärke zeigen. 408 Ausust LUCAE: STUDIE ÜBER DIE NATUR U. S. w. lässt, .die Schnecke zur Perception der Geräusche allein genüge. Für die musikalischen Geräusche scheint mir dies unzweifelhaft richtig zu sein, während die Perception der von mir als specifisch bezw. farblos be- zeichneten Geräusche, z. B. des Athem- und Regengeräusches wohl ein be- sonderes Organ des Labyrinthes erfordern dürfte. Zu dieser Annahme berechtigt mich die wiederholt an Ohrenkranken gemachte Beobachtung, dass trotz hochgradiger Schwerhörigkeit für Töne und Sprache noch ein recht gutes Gehör für bestimmte, selbst schwache Geräusche bestehen kann. So habe ich u. A. eine derartige Schwerhörige beobachtet, welche von einem Nebenzimmer aus- bei offener Thür das- Athemgeräusch ihres Kindes ganz deutlich hören konnte. Weitere Untersuchungen, besonders von einschlägigen Fällen mit nachfolgender genauer Section werden uns hierüber vielleicht noch Aufschluss geben. Schliesslich noch eine persönliche Bemerkung, zu der mich meine oben angegebene, von Hensen’s Auffassung sehr differente Bestimmung der Tonhöhe des beim Anfächeln des Ohres wahrnehmbaren Geräusches veranlasst. Da es sich hier lediglich um subjective Wahrnehmungen handelt, so schien es mir wichtig, mich nicht allein auf mein Ohr zu ver- lassen, sondern noch andere Beobachter, besonders Fachmusiker hierzu heranzuziehen. Eine solche Unterstützung verdanke ich besonders Herrn Professor J. Joachim, den verstorbenen Professoren G. Engel und Spitta. Die genannten Sachverständigen konnten die von mir hier beschrie- benen Resonanzverhältnisse des Ohres übereinstimmend bestätigen. Nachträgliche Betrachtungen über den physiologischen Werth der Labyrinthfenster. Von Dr. Gustav Zimmermann. In den Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft hat Lucae gegen meine Ausführungen! über „den physiologischen Werth der Labyrinthfenster“ seine Einwände in Gestalt eines eigens nachträglich an- gemeldeten Vortrags zum Abdruck gebracht. Einer Wiedergabe auch meiner Erwiderungen stand der Umstand im Wege, dass satzungsgemäss Diskussionen nicht veröffentlicht werden. Angesichts dieser Umstände mag es gestattet sein, bei der Wichtigkeit der Probleme, an dieser Stelle aus- führlicher zu wiederholen, was sachlich gegen die Lucae’schen Einwände zu sagen ist. Um zunächst vorwegzunehmen, was Lucae überhaupt gegen Experi- mentaluntersuchungen mittels „dem Gehörorgan nachgebildeter Modelle“ ein- zuwenden hat, dass ‚man mit ihnen wichtige physiologische Fragen nicht zu lösen vermöge“, so darf kaum behauptet werden, dass ich dieser Präten- sion mich schuldig gemacht habe. Gerade wer gezwungen gewesen ist, die mannigfachen Wandlungen der Öhrphysiologie mit ihren sich gegenseitig stützenden und widerlegenden experimentellen Beweisführungen durchzu- studiren, wird nicht geneigt sein, solchen Experimenten eine „lösende‘“ Be- weiskraft zuzuschreiben, und wird bescheiden auch in der Beurtheilung neuer eigener Versuche auf diesem Gebiete. So habe ich auch von meinem Ex- perimente nur ausgesagt, dass es „vielleicht‘‘ geeignet sei, eine wichtige 1 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrg. 1903—1904. 8.61 ff. und Dies Archiw. 1904. Physiolg. Abthlg. Suppl. 410 (GUSTAV ZIMMERMANN: Frage entscheiden „zu helfen“. Gelöst werden solche Fragen gerade in der Sinnesphysiologie — wie ich das am Schluss meines Vortrags selber ange- deutet hatte und Lucae beipflichten kaun — durch sorgfältig wiederholte klinische Untersuchungen mit Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie. Doch darf vielleicht gerade Lucae gegenüber dem hinzugefügt werden, dass zu einer befriedigenden Lösung noch gehört, solche Untersuchungen ein- zuordnen unter die grösseren allgemeinen, speciell physikalischen Naturgesetze und dass es deshalb nöthig ist, mit letzteren zuvor sich mehr als nur ober- flächlich beschäftigt zu haben. Lucae skizzirt zunächst ganz richtig meine Theorie dahin, „dass die Schallleitung durch die Knochenplatte des Promontoriums zur Schnecke stattfinde, während die Gehörknöchelchenkette als Accommodationsapparat auf- zufassen sei“. In der Polemik nun gegen diese „neue Lehre“ geht Lucae von der Voraussetzung aus und bezeichnet das als meinen „schwächsten Punkt“, ich nähme an, „dass die durch die verhältnissmässig dünne Platte der Labyrinthkapsel aufgenommenen Schallschwingungen am runden Fenster ausweichen sollten“. Es ist das ein schwer entschuldbarer Irrthum und bestenfalls erklärlich nur durch eine recht flüchtige Lektüre meiner von Lucae selbst citirten Schriften.? Gerade z. B. in der ersteitirten, in meiner „Mechanik des Hörens“ habe ich (S. 69) ausführlich hervorgehoben, dass jeder Schallstrahl, der vom Knochen in’s Labyrinth vordringt, quer durch dessen Inhalt und alle die Fasern hindurchgeht, die auf seinem Wege liegen; und ich hätte hinzufügen können, wenn ich den weiteren Gang des Schallstrahles zu schildern gehabt hätte, dass er weiter quer durch die Schädelbasis bis zur anderen Seite geht, von da auf die Luft und alle etwa noch folgenden Medien mit all’ den Abschwächungen, welche Entfernung und Verschiedenartigkeit der sich an einander reihenden Medien mit sich bringt. Was am runden Fenster ausweichen soll, sind nicht die fortschreitenden Bewegungen des aufgenommenen Schalles, sondern diejenigen Wasser- bewegungen, welche erst durch die secundär ausgelösten stehenden Schwin- gungen der resonirenden Fasern erzeugt werden, wie ich das zur Genüge gerade in meinem letzten Vortrag erläutert habe. - Lucae führt nun im Verfolg seiner Voraussetzung weiter in’s Feld um auch den beiden Fenstern, besonders dem runden Fenster, ihr Recht als Eingangspforten zu wahren, für die Schallwellen bleibe die Thatsache bestehen, „dass der Druck in einer geschlossenen Höhle, wie sie die Trommelhöhle darstelle, auf alle Punkte derselben der gleiche sei“. Ange- nommen, es bestände diese mit grosser Sicherheit und gesperrtem Druck betonte Thatsache zu Recht, so wüsste ich nicht recht, wie man davon aus- ! @. Zimmermann, Die Mechanik des Hörens. Wiesbaden 1900. DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 411 gehend den Weg durch den Knochen direct auf die Fasern von der Hand weisen wollte. Nun ist aber diese sogenannte Thatsache vom gleichen Druck wchl nur eine unstatthafte Deduction aus dem, was nur bei länger an- haltendem Drucke Geltung haben könnte. Der Schall breitet sich be- kanntlich in fortschreitender Bewegung aus und zwar von dem Fr- regungspunkte aus in der Form einer Kugelwelle, so dass streng genommen von dem Vorhandensein gleichen Drucks nur auf den Punkten gleicher Kugelsesmente die Rede sein kann. Das gilt auch dem Wesen nach für jeden geschlossenen Hohlraum. Ist nun ausserdem dieser Hohlraum von durchaus ungleicher Begrenzung und finden sich in den Wänden Ecken und Vorsprünge, so wird hinter diesen Ecken und Vorsprüngen der Schall von durchaus nicht gleicher Wirkung sein, sondern durch mannigfache Re- flexion und Beugung die verschiedensten Intensitätsverluste erfahren. Es lässt sich also theoretisch wohl behaupten, dass an dem von der Gehör- gangsaxe nach hinten abgewendeten runden Fenster der Schall sich nicht ganz so kräftig manifestiren wird als direct am ihm gegenüberliegenden Promontorium. Nimmt man, was mir noch wichtiger scheint, hinzu, dass vom Fenster sich der Schall auf das Schneckenwasser und erst aus dem Wasser wieder auf die Fasern übertragen müsste, so wird man Lucae kaum zustimmen können, wenn er neuerdings so eifrig für das runde Fenster als wirksamsten Eintrittsstelle des Schalls plädirt. | Lucae meint weiterhin ($. 64, Abs. 3), die Luftschallleitung durch die Trommelhöhle müsse einen bemerkenswerthen Einfluss auf die Membran des runden Fensters deswegen ausüben, weil nachweislich die Excursions- fähigkeit der Ringmembran des Steigbügels verschieden von der der runden Fenstermembran und erheblich kleiner als diese sei. Es ist nicht recht ersichtlich, welchen Causalnexus Lucae sich zwischen diesen Dingen con- struirt, die meines Erachtens herzlich wenig mit einander zu thun haben. Die verschiedene Excursionsfähigkeit der beiden Fenster lässt wohl den Schluss zu, dass zwischen ihren Funktionen kein absolutes Correlatverhältniss zu bestehen braucht. Darüber hinaus aber etwas Positives über die Art der Functionen der Fenster, besonders des runden Fensters folgern zu wollen, ist nicht zu billigen. Die grössere Beweglichkeit der Membran des runden Fensters wird ebenso gut und, wie ich das anderweit begründet habe lediglich den Bewegungen zu Gute kommen, die durch die stehenden Schwingungen der Basilarfasern auf seiner Innenseite ausgelöst werden. Sehr merkwürdig sind die Vorstellungen, die Lucae sich über die Vorbedingungen der „neben einander stattfindenden Bewegungen“ der beiden Fenster macht (S. 65, Zeile 10ff). Er nimmt ohne weitere Prüfung für selbst- verständlich, dass da im Ohr gewisse Punkte sein müssten, an welchen die Labyrinthflüssigkeit ausweichen könne, und hat als „höchst wahrschein- 412 GUSTAV ZIMMERMANN: lich“ entdeckt, dass das die Aquäducte seien, der Aquaeductus vestibuli für die Bewegungen des Steigbügels, der Aquaeduetus cochleae für die aus- giebigeren Bewegungen des runden Fensters. Man darf gespannt sein, mit welchen physiologischen oder physikalischen Gesetzen Lucae diese schöne Arbeitstheilung der Aquäducte in seinem in Aussicht gestellten grösseren Werke rechtfertigen will. Ich will hier nur die Frage streifen, warum man überhaupt voraussetzt, dass, wenn schon der Schall in’s Wasser durch das runde Fenster treten soll, dazu erst eine Gegenöffnung vorhanden sein müsse, wo das Wasser ausweichen könne Es liegt dem wohl eine Ueberschätzung der für die Schallfortpflanzung nöthigen molecularen und untermolecularen Verschiebungen zu Grunde. Einer Gegenöffnung d. h. einer nachgiebigeren Stelle der Wand könnte man doch höchstens den Effect zuschreiben, dass an dieser einen Stelle die Reflexionen der fort- schreitenden Wellen und die Interferenzen der reflectirten Wellen in etwas modifieirt und abgeschwächt werden. Für den Eintritt aber der fort- schreitenden Schallwellen ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Gegenöffnung ganz ohne Belang. Und gerade die Aquäducte sind, wie ich schon früher hervorgehoben habe, als Ausweichstellen irgend welcher Art nicht zu betrachten; sie sind nur ein Theil jener Sicherungen, welche einen absolut stationären Zustand der Flüssigkeitsmenge in der Schnecke gewährleisten. An einer anderen Stelle (S. 66, Abs. 3) führt Lucae zu Gunsten des runden Fensters an, dass im normalen Zustand diejenigen Schallwellen, welche nach dem Durchgang durch das gespannte Trommelfell auf das Promontorium abgeschwächt träfen, von diesem als einem von der Luft so differenten Medium grösstentheils reflectirt werden müssten, während nach Joh. Müller’s Untersuchungen gerade die Membran des runden Fensters äusserst geeignet erscheine, die Luftschallwellen an das angrenzende Laby- rinthwasser leicht abzugeben. Ich will dagegen nur bemerken, dass man doch nicht vergessen darf, dass theoretisch auch an der Membran des runden Fensters zuvor eine Reflexion stattfindet, dann eine zweite beim Uebergang in’s Wasser und schliesslich noch eine weitere beim Uebergang auf die Fasern stattfinden müsste, die zusammen wohl eine grössere Abschwächung bedeuten, als die einmalige Reflexion am Knochen des Promontoriums; eine Erwägung die u. A. ja auch in dem vorgetragenen Experiment ihre Stütze findet. Dass Joh. Müller an den Fenstern als Eingängspforten festhielt und die Leitung durch den Knochen kaum in Ansatz brachte, ist nur zu erklärlich bei dem unzureichenden Thatsachenmaterial, das ihm seine Zeit zu Gebote stellen konnte. Fast noch leichter scheinen mir die Argumente zu wiegen, die Lucae in demselben Absatz für seinen Standpunkt aus der Pathologie entnehmen möchte. DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 413 In pathologischen Fällen von Zerstörung der Kette lässt Lucae mit dem Fortfall des Trommelfells mit einem Male auch das Promontorium für die Schallwellen aufnahmefähig werden, und denkt sich nun, dass in der Schnecke diese vom Promontorium kommenden Wellen durch die ihnen vom runden Fenster entgegenkommenden Wellen eine wesentliche Ab- schwächung erfahren und meint, wenn man durch „Auspolsterung des Promontoriums“ dieses ganz ausser Action setze, so würden dadurch, dass nunmehr hauptsächlich die Schallwellen durch das runde Fenster zur Geltung kämen, jene „zauberhaften“ Hörverbesserungen erzielt, die man nach der Einlage des sogenannten Wattekügelchens längst beobachtet habe. Ich möchte die Beweiskraft solcher Speculationen nicht eben hoch anschlagen gegenüber allem dem, was man von dem runden Fenster als wirk- samer Eingangspforte des Schalles zu halten hat. Ich möchte aber nur betonen, dass Lucae seltsamer Weise die bekannte Thatsache unter- drückt, dass solche ‚„zauberhaften“ Wirkungen sich auch in Fällen beob- achten lassen, wo von einer „Auspolsterung des Promontoriums“ nicht die Rede sein kann, wo man das Wattekügelchen z. B. nur in der Gegend des Steigbügelköpfchens angebracht hat. Die Wirkungen habe ich seiner Zeit darauf zurückgeführt, dass durch die Belastung des Steigbügels bei noch vorhandenem stapedius die Möglichkeit einer Art vicariierender Accommodation gegeben ist — ich darf bezüglich der Einzelheiten auf meine „Mechanik des Hörens“ verweisen — und wiederhole, dass wohl zwanglos auch die Lucae’schen Beobachtungen in dem gleichen Mechanismus ihre Erklärung finden; die Wirkung des Wattekügelchens bleibt nicht auf das Promontorium beschränkt, sondern hat auch collaterale Hyperämien und Schwellungen im Gefolge, die auch in der Gegend des Steigbügelköpfehens sich mani- festiren und dann die Ursache der Hörverbesserung abgeben. Wenn Lucae zur Illustration der Bedeutung des runden Fensters in seinem Sinne weiterhin wieder den einen Fall (Seite 67, Abs. 1) heranzieht, wo durch operative Beseitigung von Exostosen eine wesentliche Gehörs- verbesserung erzielt wurde, so ist für die Erkenntniss der Art und Weise der Funetion des runden Fensters damit nicht viel gewonnen. Dass seine Functionen durch knöcherne Verlegung behindert oder aufgehoben werden, habe ich in meinem Buche ebenso gut hervorgehoben, wie die Möglichkeit, durch operative Freilegung sie wieder herzustellen. Der günstige Erfolg lässt nur den Schluss zu, dass ein intactes Fenster eine der Voraussetzungen des feinen Hörens ist, ohne dass Lucae gerade für seine Auffassung das verwerthen könnte. Dass Lucae im vorletzten Abschnitt noch einmal mit seinem auch anatomisch untersuchten Fall zu Felde zieht gegen „meine Theorie, dass die vom Promontorium aufgenommenen Schallwellen am runden Fenster 414 GUSTAY ZIMMERMANN: ausweichen sollten“, enthebt mich weiterer.Widerlegung; ich muss, wie Ein- gangs gesagt, die Autorschaft dieser Theorie ablehnen, die Lucae nur irrthümlicher Weise mir suppeditirt. Das sind im Wesentlichen die Bedenken, die ich gegen die Lucae’schen Ansichten vom runden Fenster in der Reihenfolge, wie sie vorgebracht wurden, zu machen habe. Ich muss nur kurz noch die Ansichten berühren, die daneben Lucae ‘über den Werth des anderen Fensters eingeflochten hat. Man hätte vielleicht erwarten können, dass bei der entschiedenen Hervor- hebung des runden Fensters als wirksamer Eingangspforte nunmehr Lucae das ovale Fenster als Eingangspforte fallen gelassen und sich mir angeschlossen hätte, der ich dem ovalen Fenster eine accommodative Wirk- samkeit zuschreibe. Indess hält hier Lucae es auch mit denen, welche die Schallleitung durch das ovale Fenster zu Stande kommen lassen. Lucae meint, dafür in der vergleichenden Anatomie und der Pathologie Zeugniss gefunden zu haben. Sein erster Zeuge ist der Frosch. „Der Frosch, meint Lucae (S. 65, Zeile 19) lehrt, dass die Schallleitung auch allein durch das Trommelfell mit seiner Columella (Operculum und Pleetrum) zum ovalen Fenster er- folgen könne“, denn seinem (Grehörorgan fehle das runde Fenster. Die Thatsache wird schon von Joh. Müller berichtet, rechtfertigt aber noch nicht die Lucae’sche Schlussfolgerung: weil das runde Fenster fehlt, muss das ovale Fenster die Leitung besorgen. Mir will vorkommen, als ob Lucae da die Beweisführung doch zu leicht sich macht, indem er ein- fach als bewiesen nimmt, was gerade erst noch zu beweisen wäre, dass nur an die Fenster die Möglichkeit wirksamer Schallleitung geknüpft sei. Vielleicht hört auch der Frosch, wenn er hört, durch Schallvermittelung vom Knochen und sein eines Fenster dient der Druckregulirung im Laby- rinth. Gerade für die Gehörknöchelchen könnten — um bei der ver- gleichenden Anatomie zu bleiben — manche Thatsachen die Annahme nahe legen, dass sie nicht um der Schallleitung willen vorhanden sind, sondern zu einem regulatorischen Zwecke anderer Art. Bei einigen Weiss- und Welsfischen finden sich bekanntlich am Labyrinth auch drei beweg- liche Knöchelchen, denen man schon darum nicht die Bedeutung einer Schallleitung wird vindieciren können, weil diesen Thieren mit fehlender Schnecke wohl auch das Gehör versagt ist. Der Umstand nun, dass bei diesen Fischen die „Gehörknöchelchen“ auf der anderen Seite mit einem hydrostatisch wichtigen Organe, mit der Schwimmblase, verbunden sind, könnte daran denken: lassen, dass die Knöchelchen nur unter bestimmten hydrostatischen Bedingungen in Action treten. Vielleicht wird auch auf der höheren Entwickelungsstufe des Frosches etwas Aehnliches präsumirt DER PHYSIOLOGISCHE WERTH DER LABYRINTHFENSTER. 415 werden können. Indess ich muss gestehen, ein besserer Lehrmeister als der Frosch scheint mir noch immerhin der Mensch selber zu sein, um z. B. aus der Pathologie über diese Probleme Aufschluss zu geben. Doch wird man auch hier noch darauf Bedacht nehmen müssen, Trugschlüsse zu vermeiden. An geeigneten Ohrenkranken, nämlich bei Schwerhörigen, bei denen es durch catarrhalischen Verschluss der Tuba Eustachü zur Resorption der Luft in der Trommelhöhle gekommen ist, hat Lucae seine Untersuchungen angestellt (S. 65, Abs. 1). Wenn er dabei die Ursache der Schwerhörig- keit in der Luftleerheit der Pauke und nicht in der abnormen Fixirung der Gehörknöchelchen nachgewiesen haben will, so braucht über diesen „Nachweis“ bei dem Fehlen aller physikalischen Anhaltspunkte nicht dis- cutirt zu werden. Wenn aber Lucae aus denselben Fällen im folgenden Absatz zu dem Schluss gelangt, „dass auch durch die Kette der Gehör- knöchelchen eine Schallleitung stattfinde“, weil die Kranken, wenn nicht taub so doch meistens erheblich schwerhörig gewesen seien, so fordert das zu kurzer Widerlegung heraus. Lucae geht davon aus: unter bestimmten Anwendungsformen der elektrisch betriebenen Luftpumpe finde sich, dass — im Gegensatz zu den normaler Weise lebhaften. Bewegungen — bei katarrhalischem Tubenverschluss keine Bewegung des Trommelfells er- kennbar sei. Das ist richtig und eine gute Bestätigung dessen, was man längst angenommen hatte, dass in solchen Fällen die Kette schwerer be- weglich geworden sei. Wiederholte Beobachtungen lehren auch, dass ein Causalnexus zwischen Schwerbeweglichkeit der Kette und Schwerhörigkeit bestehen wird; sie rechtfertigen aber auf keine Weise den Rückschluss, dass die Kette da als Schallleitung figuriren müsse. Der Rückschluss ist ja gerade ohrenärztlicherseits häufig gemacht und aus der Gewöhnung zu er- klären, mit der man „Kette“ und „Schallleitungsapparat“ bisher promiscue als sich eo ipso deckende Begriffe braucht. Den zu fordernden Beweis in- dessen, dass der Functionsausfall der Kette nothwendig ein Ausfall der Schallzuleitung sein müsse, hat Lucae gar nicht angetreten; man wird bis dahin an meinen Darlegungen festhalten und den Functionsausfall als einen Ausfall der Accommodation erklären dürfen: das erkrankte Ohr ist schwer- höriger, weil es nicht mehr accomodiren und nicht mehr in dem eindringen- den Schallgewirr dessen einzelne Componenten unterscheiden kann. Wenn es nach alledem den Anschein gewinnt, als ob Lucae mit ganz ungenügenden Waffen gegen die neue Lehre Sturm läuft, so könnte hinzugefügt werden, dass er seinen Angriff auch richtet gegen Punkte von nur untergeordneter Bedeutung. Gerade gegen den Kernpunkt der Fragen, z. B. gegen die Thatsachen, welche für die Annahme einer accommodativen 416 Gustav ZIMMERMANN: DER PHYSIOLOGISCHE WERTH UT. S.W. Function der Kette sprechen, hat Lucae-nichts zu sagen und, ich meine, mit blossem Ignoriren wird Lucae seiner Sache nicht zum Siege helfen. In dem Schlussabsatz habe ich mich, wie an einer Stelle vorher, der Billigung Lucae’s zu erfreuen gehabt, doch mit der Einschränkung, dass er dasselbe irgendwo schon früher gesagt hätte. Ich will das nicht unter- suchen und zu meiner Rechtfertigung nur hersetzen, was Helmholtz ge- legentlich über solche Prioritätsansprüche angemerkt hat: „In den Hunderten von Schriften und Schriftchen, die alljährlich erscheinen, sind gewiss schon längst alle zartesten Nuancirungen der möglichen Hypothesen erschöpft und unter diesen müssen nothwendig viele Bruchstücke der richtigen Theorie sein. Wer sie nur zu finden wüsste!“ Beiträge zur Physiologie des Menschen im Hochgebirge. Von A. Durig und N, Zuntz. Zu den interessantesten Ergebnissen der bisherigen Arbeiten über die Einwirkung des Hochgebirges auf den Menschen gehört die Erkenntniss, dass die Oxydationsprocesse im Körper, welche im Allgemeinen, soweit es sich um körperliche Ruhe handelt, sehr constant und von der Ernährungs- weise und anderen Momenten nahezu unabhängig sind, im Hochgebirge in auffallender Weise modificirtt werden. Aber nicht nur der Verbrauch des ruhenden Menschen, sondern auch der Aufwand an chemischer Energie, welcher mit den Arbeitsleistungen verknüpft ist, scheint unter den Be- dingungen des Hochgebirges Veränderungen zu erfahren. Diesen Ein- wirkungen genauer nachzugehen, ist aus verschiedenen Gründen bedeutungs- voll. Einmal weil die Benutzung des Hochgebirgsaufenthaltes zur Erfrischung des Gesunden und zur Heilung mancher Krankheit eine immer ailgemeinere wird. Dann aber, weil die Erforschung der Ursachen, die einen sonst so constanten Vorgang wie die Verbrennungsprocesse im ruhenden Organismus d.h. das Minimalmaass von chemischer Energie, welches zu Unterhaltung des Lebens nothwendig ist, modifieiren, uns neue Aufschlüsse verspricht über den Zusammenhang der Lebensprocesse mit den äusseren physika- lischen Einwirkungen. Dies gilt sowohl von der Beeinflussung des Ruhe- stoffwechsels als auch von der des Verbrauchs bei Arbeitsleistung. Be- sonders der letztere Vorgang gehört zu den sehr schwer zu erforschenden. Es ist nicht leicht unter den besonderen Verhältnissen des Hochgebirges Arbeitsleistungen zu vollführen, an die der Mensch hinreichend gewöhnt und angepasst ist, derart, dass die mechanischen Bedingungen der Arbeit genau die gleichen bleiben. Es kann für genaue Untersuchungen des Stoffverbrauchs für Arbeit nur das Gehen in Betracht kommen, und zwar deshalb, weil die früheren Versuche verschiedener Autoren (Katzenstein, Zuntz und Schumburg, Gruber, Schnyder) gezeigt hatten, dass man Archiv f,A.u. Ph. 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 27 418 A. Durig und N. Zuntz: nur dann auf constante Beziehungen zwischen mechanischer Arbeit und Stoffverbrauch rechnen kann, wenn die Arbeit durch lange Uebung eine geläufige geworden ist. Aus all’ diesen Gründen können die bisher vor- liegenden Untersuchungen über den Gaswechsel im Hochgebirge bei Ruhe und Arbeit nicht als ausreichend zur Lösung der vorliegenden Frage er- scheinen. Auch die umfassenden Messungen, welche der Eine von uns im Verein mit Löwy, Caspari und Müller im Herbst 1901 ausgeführt hat,! und über welche demnächst ausführliche Veröffentlichungen erscheinen werden, genügen zur Lösung der Aufgabe nicht. Es sind in jenen Ver- suchen zwar die Verhältnisse in mittlerer Höhe bis 2300” sehr genau unter- sucht worden. Die Versuche in den höchsten Regionen, 3000 bis 4600", litten aber unter der Ungunst der Witterung und der Kürze der für den Aufenthalt in dieser Höhe zur Verfügung stehenden Zeit derart, dass es unbedingt nöthig erschien, diesen Theil der Untersuchungen nochmals und durch möglichst umfängliche Versuche in Angriff zu nehmen. Eine Dar- legung dieser Verhältnisse an die Königliche Akademie der Wissenschaften hierselbst bewog diese eine Summe von 1200 Mark für die Ausführung einer neuen Versuchsreihe in den Hochalpen zu bewilligen. Eine weitere kleinere Unterstützung wurde dem einen von uns (D.) durch das Oester- _ reichische Ministerium für Cultus und Unterricht zugebilligt. Für diese unseren Arbeiten gewährte Förderung möchten wir auch an dieser Stelle nicht ver- fehlen, unseren wärmsten Dank auszusprechen. Die Expedition begann nach sorgfältiger Vorbereitung in den ersten Tagen des August mit Uebungsmärschen in den heimatlichen Bergen. Am 12. August fuhren wir über den St. Gotthard nach Varallo im Sesiathal, von hier am 13. August nach Alagna, wo wir unsere Apparate und unseren Proviant in Trägerlasten verpackten, und am 14. den Aufstieg von 1100” bis 2900” zu unserer ersten Arbeitsstation, dem Schutzhaus auf dem Olen-Pass zwischen Sesia- und Lysthal anzutreten. Hier verweilten wir bis zum 21. August früh, an welchem Tage der Aufstieg zur Königin Marsherita- Hütte auf dem Gipfel der Punta Gnifetti des Monte Rosa erfolgte. Wir erreichten dieses von Mosso als physiologische Arbeitsstätte schon früher benätzte Gebäude nach 8!/, stündigem Marsch um 2545’ mittags und konnten schon nach 3 Stunden die ersten Messungen unseres respiratorischen Stoffwechsels in der Ruhe vornehmen. — Den Aufenthalt hier dehnten wir über 18 Tage und zwar bis zum 6. September aus, an welchem Tage die Hütte für diese Saison geschlossen wurde. Es war ursprünglich unsere Absicht gewesen, einen jungen Physiker ı Vorläufige Mittheilung im Jahresbericht für 1902 der Section Berlin des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. BEITRÄGE ZUR PHYsioLoGIE DES MENSCHEN IM HocHGEBIRGE. 419 als dritten Theilnehmer der Expedition mitzunehmen, um durch diesen in grösserem Maassstabe meteorologische Beobachtungen, vor allen Dingen aber Messungen ‚des elektrischen Zustandes der Atmosphäre und des Potential- gefälles vornehmen zu lassen. Aus äusseren Gründen war dieser schliesslich verhindert an der Expedition theilzunehmen. In Folge dessen sind diese physikalischen Messungen von uns nur in bescheidenem Umfange, soweit die physiologischen Arbeiten noch Zeit: übrig liessen, ausgeführt worden. Es ist übrigens hieraus unseren Untersuchungen nur ein geringer Schade erwachsen, da sich herausgestellt hat, dass die von uns gemessenen Grössen des respiratorischen Stofiwechsels mit den äusseren Verhältnissen nur wenig wechselten, so dass eine detaillirtte Durchführung der physikalischen Messungen schwerlich wesentlich zur Vervollständigung der physiologischen Ergebnisse beigetragen hätte. Andererseits hatten wir den Vortheil, mit den uns zur Verfügung stehenden geringen Geldmitteln längere Zeit arbeiten zu können. Unsere Untersuchungen zerfallen naturgemäss in die beiden Haupt- gruppen der Ruheversuche und der Arbeitsversuche, deren jede auf den beiden Höhenstationen in grösserer Anzahl ausgeführt wurde. Bei den Ruheversuchen wurde dann noch der Effect verschiedener Variabeln unter- sucht. Hier kam einmal die vorangegangene Thätiekeit des Körpers, namentlich angestrengte Muskelthätigkeit in Betracht, und ferner der Ein- fluss der klimatischen Factoren, der Kälte, des Windes und der Besonnung, sowohl in ihrer unmittelbaren Wirkung als in ihrer Nachwirkung. Die Arbeitsversuche sollten nicht nur den Stofiverbrauch bei bestimmter, genau dosirter Arbeit im Hochgebirge und in der Ebene vergleichen, sondern uns auch Aufschluss darüber geben, wie gross etwa die reelle Anforderung an die Musculatur bei den besonderen Arten der Arbeit ist, wie sie das Wandern im Hochgebirge bedingt, speciell also den Einfluss des Gletschers und der Schneefelder auf den Verbrauch bei Zurücklegung bestimmter Weg- strecken und Ersteigung bestimmter Höhen. Wir wollen nun nach diesen Gesichtspunkten die gewonnenen Resultate ordnen. Vorher seien noch mit wenigen Worten die benutzten Methoden besprochen. Bei den früheren Hochgebirgsexpeditionen von Zuntz und seinen Mit- arbeitern war für die Messung der Athmung eine Methode ausgebildet worden, deren Beschreibung in der Abhandlung von Zuntz und Schum- burg! sich findet. Hier sei nur daran erinnert, dass zur Messung des Volumens der ausgeathmeten Luft ein tornisterartig dem Rücken aufge- schnallter trockener Gasmesser dient, welchem die Exspirationsluft durch eine mit geeigneten Ventilen versehene Rohrleitung von dem zwischen ı Pflüger’s Archiv. Bd. LXIU. S. 461. 27% 420 N Durie und N. Zunsz: Lippen und Zähnen befindlichen Mundstück zugeleitet wird. Die Nase ist bei diesen Versuchen durch eine Klemme verschlossen. Das bedingt ja eine gewisse Störung gegenüber der normalen Athemmechanik, es hat sich aber durch die bisherigen Versuche gezeigt, dass weder die Art der Lungen- ventilation, noch das Wohlbefinden des Experimentirenden hierbei ernstlich gestört werden. Nur insofern besteht eine geringe Behinderung, als maxi- male Arbeitsleistungen das Bedürfniss herbeiführen, beide Athemwege zu benutzen und den Mund bei der Inspiration mehr oder weniger weit zu öffnen. Diese extremsten Anstrengungen sind bei Benutzung des Apparates unmöglich. Bei sehr foreirter Athmung wird auch ein geringer Widerstand der Leitung und des Gasmessers empfunden, während bei mässiger, durch das Behagen geregelter Arbeitsleistung, — und eine solche wurde im Wesentlichen erstrebt, — Störungen durch den Apparat ausgeschlossen er- schienen. Wie bei den früheren Versuchen wurde ein proportionaler Bruch- theil der gesammten ausgeathmeten Luft in einem Glaseylinder über an- gesäuertem Wasser aufgefangen; bei den niederen Temperaturen während der Schneefeldversuche benutzten wir, wie schon bei der früheren Expedition, saure Chlorcaleiumlösung. Die Probenahme erfolgte früher dadurch, dass auf die verlängerte Achse des Gasmessers Röllchen aufgesteckt waren, von welchen sich eine Schnur proportional den Umdrehungen der Axe ab- wickelte. Das Ende dieser Schnur trug eine Auslaufspitze, welche die Flüssigkeit aus dem an dem Gasmesser befestigten Glasceylinder ausfliessen liess und dabei die Gasprobe ansaugte. Diesmal wurde die Einrichtung da- durch verbessert, dass die Röllchen nicht direct auf die Verlängerung der Gasmesseraxe, sondern auf die Axe eines besonderen Zahnrades aufgesteckt ‘ wurden, welches durch einen Hebel mit dem Zahnrad, das die Gasmesser- axe trug, verbunden oder von diesem getrennt werden konnte. Dadurch war es möglich, die Probenahme nach dem Ermessen des Experimentators im geeigneten Momente zu beginnen und zu unterbrechen. Um das lästige Umherpendeln der Auslaufspitze beim Marschiren zu vermeiden, wickelte sich das untere Ende der diese tragenden Schnur auf einem Federhaus auf. Stets wurde bei den Marschversuchen wie bei den Ruheversuchen der Probenahme eine längere Versuchsperiode vorangeschickt, in welcher schon durch den Apparat geathmet wurde, und in welcher, wie beim Versuch selbst, entweder absolute Ruhe beobachtet oder eine Arbeit von bestimmter Grösse geleistet wurde. Bei den Versuchen vom Jahre 1901 hatten wir uns für die Analyse der Gase eines weniger vollkommenen Apparates als er im Laboratorium gebräuchlich ist,! bedient, weil es zu schwierig erschien, die grosse Wasser- " Vgl. die Beschreibung bei Magnus Levy, Pflüger’s Archiv. Bd.LV. 8.1. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 421 wanne, in welcher die Analysenröhren behufs Erzielung constanter Tempe- ratur untergebracht sind, auf den Monte Rosa hinaufzuschleppen. Diesmal stand uns ‚ein sehr compendiöser Messapparat zur Verfügung, in welchem die Analysenröhren und das zur Controle der Temperatur- und Druck- schwankungen dienenden Thermobarometer in einem Wassercylinder unter- gebracht waren. Dieser Apparat ermöglichte dieselbe Genauigkeit, und was für unsere Zwecke nicht minder wichtig war, dieselbe Geschwindiskeit des Arbeitens wie der sonst im Laboratorium benutzte. Als Beweis für die Güte des Analysenapparates geben wir die Daten der auf Col d’Olen und in der Capanna Marsherita ausgeführten Luft- analysen. 100°" im Freien entnommener Luft lieferten: Col d’Olen 14. VII. 0-.04°m CO, 79.08 m N 20.88 m O, 5 S 2.18 NIE OSVB El Cap. a Marebenitar232V 11 2.0.022,22,,227032097,2.,720>89, 5 5 r >. VLIELO-02 1 ,79100.00,0.2088,,5 5 en N 62.185,00, 08.0279: nal 20-8 Die Werthe stimmen unter einander und mit unseren zahlreichen Berliner Luftanalysen derart überein, dass sie auch als Bestätigung der noch nicht sehr zahlreichen Analysen dienen können, welche die Constanz der Zusammensetzung unserer Atmosphäre bis zu Höhen von 4600” darthun. Wir beginnen nunmehr die Darlesung der Versuchsergebnisse mit den Ruheversuchen. 1. Ruheversuche auf Col d’Olen. Bei dem grossen Einfluss, welchen die Nahrungsaufnahme durch die an sie anschliessende „Verdauungsarbeit“ auf die Sauerstoffaufnahme und die Kohlensäureausscheidung hat, erschien es zweckmässig, alle Ruheversuche in nüchternem Zustande auszuführen. Soweit es sich nicht um besondere vorangegangene Einwirkungen. handelt, wurden dieselben morgens im Bett ausgeführt, und zwar meist so, dass an jedem Tage abwechselnd bald der Eine, bald der zweite von uns nach dem Aufwachen im Bette ruhig ver- blieb, während der Andere an ihm die Messungen ausführte. Nach Vollendung derselben nahm dann der Experimentirende wieder die Bettlage ein, ruhte etwa eine halbe Stunde, um jede Nachwirkung der vorangesangenen Arbeit zu eliminiren und diente dann als Versuchsobject. Mit den so ausgeführten Versuchen sind zahlreiche entsprechende, vorher und nachher in Berlin bezw. Wien ausgeführte Versuche zu vergleichen. Als Vergleichsmaterial . verweisen wir ausserdem für Zuntz auf die Zusammenstellung in Pflü- 422 A. Durıs und N. Zuntz: ger’s Archiv,! aus der hervorgeht, dass sich sein Gaswechsel vom Jahre 1895 bis 1902 nicht merklich geändert hat. Im Mittel hatte er in dieser Zeit in der Ebene einen Sauerstoffverbrauch von 218 bis 236m, eine Kohlensäureproduction von 151 bis 195°". Es wurden dann ferner kurz vor Antritt der Expedition im Juli 1903 und in den nächsten Monaten nach der Rückkehr eine Anzahl Versuche gemacht. Wir geben dieselben zusammen mit einigen bereits in der Arbeit von Durig, Ueber Aufnahme und Verbrauch von Sauerstoff u. s. w.,” veröffentlichten, welche ebenfalls in voller Ruhe und Nüchternheit ausgeführt wurden, in folgender Tabelle: Tabelle 1. Ruheversuche an Zuntz in Berlin. A. Im Sommer 1903 vor dem Aufstieg zum Monte Rosa. | Athemgrösse | Pro Minute ccm | Alveolartension Kör- pro Minute Ltr. "Sauer- Kohlen- ( be A En Datum Nr. im | stoff- | säure- | R-Q. | des der ot | beob- 1% ducitlj vera FEpxo- ' Sauer- |Kohlen- | nackt | | achtet brauch duction | stoffs | säure || ge 30. VII. 1903 | 1 4623 | 4159 | 224-0 | 173-0 | 0.772 | 104-9 | 35-6 | 67-6 5 2 || 4-608 | 4-146 | 239-8 | 182-0 | 0-762 | 100-2 | 38-6 | 67-6 x | 3 || 5-033 | 4-5831 || 234-7 | 193-2 || 0-828 || 105-9 | 36-2 || 67-6 Mittel | 4-755 | 4.279 1232-8 1182-7 | 0.786 103-7 | 36-8 I I | I | B. Im Winter 1902 — 1903. (Von Durig in diesem Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 242ff. veröffentlicht.) 9.1. 1903 |8.222| — 4-48 | 216-0 | 175-5 | 0- sis] me 7 N » > = 4:52 [224-1 | 177-9 | 0-794 gie EN A »» „ — | 4.49 | 222-1 | 173-6 || 0782 | —_ = Ber 10.1. 1903 |S.254| — | 4-08 | 212-5 | 167-6 | O-789 | — au 4n a) 3 — | 4.65 | 215-0 | 175-9 | 0818 | — Fi an 5 » | — | 440 | 221.8 | 170-1 | 0.768 | — er u 12.1. 1903 |S8.255| — | 4-85 215-0 | 155-4 || 0-723 | — er EN > % — | 4-46 || 216-2 | 167-3 || 0-73 | — = Eu 15.1. 1903 |S.256| — | 4-17 -| 217-0 | 181-6 | 0-8386 | — = äe: Mittel — | 4-46 Ina |171-7 | 0.7s8| — a | | | ! Bd. XCII. S. 508. ” Dies Archiv. 1903. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 209. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 423 GC. Im Winter 1903 nach der Rückkehr vom Monte Rosa. Athemgrösse | Pro Minute cem Alveolartension | Kör- : in mm Hg per- pro Minute Ltr. | Sauer- 'Kohlen- | ge- Datum Nr. stoff- | säure- | R- @- | des der || wicht beob- | Ana KaNeIz pro- Sauer- [Kohlen- nackt achtet "ducirdy auch |duetion | stoffs | säure 2 24. IX. 1903| 1 | 4-758 | 4-44 | 212-2 | 180-4 | 0-850 | 110-6 | 36-0 | — ”s 2 5.037 | 4-70 || 219-1 | 180-8 |) 0-821 || 113-6 | 32-4 — » 3 4-875 | 4-55 | 213-2 | 170-1 || 0.797 || 113-2 | 31-7 — 7. X. 1903|) 4 5.145 | 4-62 || 232.3 | 192-1 | 0-827 || 107-7 | 33-3 — es 5 5.336 | 4:80 || 245-6 | 194-8 || 0-793 | 108-0 | 31-9 _ 22. XI. 1903| 6 | 4.895 | 4-59 || 236-2 | 199-5 || 0-845 || 106-6 | 36-6 — 23. XI. 1903| 7 "| 4.796 | 4-49 || 238-6 | 200-8 || 0-842 | 104-0 | 38-5 — 3. XH. 1903 | 8 4.7181 | 4-66 || 228-4 | 183-1 | 0-802 |, 103-4 | 36-1 _ 10. XII. 1903 || 9 | 5-370 | 4-91 || 276-3 | 215-0 || 0-778 || 103-4 | 36-3 = Mittel 4:999 4-64 |233-5 |190-7 | 0-817|107-8 | 34-9 | — Für Durig liegen eine Anzahl Ruheversuche vom Winter und Früh- jahr 1902/03 vor, welche in der eben citirten Arbeit veröffentlicht sind. In 9 Versuchen schwankt die Sauerstoffaufnahme zwischen 180 und 238°" pro Minute. — Ausserdem sind nach der Rückkehr vom Monte Rosa die in Tabelle 2 zusammengestellten Versuche in Wien ausgeführt worden. (Versuchsdauer je etwa 20 Minuten, bei absoluter Ruhe und Nüchternheit.) Tabelle 2. Ruheversuche an Durig in Wien. | Athemgrösse || Pro Minute com Alveolartension Körper: | pro Minute Ltr. Co, in mm Hg : Datum Nr. % ausge- | R. Q. Some! | beob- Rn ve | one: des der || nackt achtet I ueirt|'praucht den 0, Co, kg 10.1.1904 | 10. 5.961 | 5-473 | 237-6 | 177-9 |'0-748 | 104 | 31-1 | 58-5 11 || 6-175 | 5-504 | 232-1 | 173-2 | 0.746 | 110 | 30-3 |) 58-5 14.1.1904 | 12 | 6-042 | 5-384 | 223-3 | 175-5 || 0-786 | 110 | 31-0 | 58-5 14 || 5.778 | 5-171 || 231-0 | 176-9 || 0.766 | 113 | 32-6 | 58-5 19.1.1904 || 17 || 6-120 | 5-577 | 228-6 | 176-8 | 0-773 | 113 | 30-4 || 58-5 | 18 || 6-150 | 5-593 || 238-6 | 182-3 | 0-765 | 107 | 31-2 | 58-5 19 || 6.200 | 5.6833 || 241-6 | 177-4 | 0-734 | 109 | 29-9 || 58-5 20.1.1904 | 20 | 6-049 | 5-518 | 236-2 | 180-4 | 0-764 |. 112 | 30-9 | 58-5 | 21 || 6-020 | 5.476 || 227-0 | 176-8 | 0-779 | 1138 | 81-7 || 58-5 26.11.1904 | 34 | 5-682 | 5.199 || 226-5 | 178-3 | 0-806 | 108 | 83-4 || 58-5 | 35 || 5-473 | 4-997 || 223-0 | 175-4 | 0-786 | 107 | 35-0 | 58-5 | 36 || 6-018 | 5-490 || 236-3 | 189-9 || 0-800 | 108 | 33-9 || 58-5 Mittel | 5-972| 5-418 231-8 |178-4 |0-771 | 109 | 31-8 || 58-5 ! Diese Versuche sind in der Wohnung von Zuntz Morgens nach dem Aufwachen 424 A. DURIG unp N. Zuntz: Mit den vorstehenden sind zunächst die auf Col d’Olen bei Bettruhe nüchtern nach gutem Schlaf gewonnenen Werthe zu vergleichen. Hier finden wir bei Zuntz: Tabelle 3. Zuntz, Bettruhe auf Col d’Olen. Alveolartension Aeneon. Pro Minute com | pro Minute Ltr) SE in mm Hg Datum Nr. - 0 cv, R. Q. beob- red. 0°u. Ver: | Br 0: des der || achtet | 760 mm | brauch | duction (6) Co, [ 16.VIIIL.1903,36Stal| 4a || 6-000 | 3-951 || 232-2 | 172-0 | 0-741 | 67-5 | 25-25 nach d. Ankunft | 4p || 5-975 | 3-927 || 223-0 | 165-3 || 0-741 | 69-2 | 24-0 -8| .7 20. VIII. 1903 1br | 6-175 4.096 240-6 | 177 | 0.730 | 69-3 | 24-1 Mittel || 6-050 | 3-995 |231-9 | 171-7 | 0-737 | 68-7 | 24-45 I Beim Vergleich dieser Versuche mit den in Tabelle 1 zusammengestellten ergiebt sich kein merklicher Unterschied im Sauerstoffverbrauch. Wenn wir bei der Berliner. Reihe © den auffallend abweichenden Versuch 9 aus- lassen, stellt sich dort der Sauerstoffverbrauch auf 229.2" pro Minute, . gegen 231-9° m auf Col d’Olen. Ein Mehr an letzterem Orte bis zu Sem würde übrigens auch noch keine Steigerung des Ruhestoffwechsels bedeuten, da die Lungenventilation um etwa 1 Liter grösser ist. Einer Steigerung der Athemarbeit um 1 Liter entspricht aber ein Mehrverbrauch von 4 bis 5m Sauerstoff. Die Kohlensäureausscheidung ist auf Col d’Olen merklich niedriger als in Berlin. Das liest an der Ernährungsweise. Die Kost und namentlich die Abendmahlzeit war erheblich ärmer an Kohlen- hydraten als in Berlin. Es sei auch noch daran erinnert, dass unter diesen Umständen die gleichem Sauerstoffverbrauch entsprechende Wärmebildung etwas geringer ist. Es wurden nun weiter einige Versuche gemacht, um den Einfluss der im Hochgebirge neben der Luftverdünnung wirksamen Factoren zu studiren. Zweimal wurde ein dicht neben dem Col d’Olen sich etwa 120” hoch er- hebender Felshügel, das Gemshorn, bestiegen, und auf dem Gipfel desselben in bequemer Lage auf Decken, unter Ausschluss von unbehaglichen Kälte- empfindungen durch genügendes Zudecken, die Versuche -angestellt. In dieser Weise ergaben sich am 16. August Nachmittags zwischen 2 und im Bette ausgeführt. Alle anderen im Laboratorium, etwa 1'/, bis 2 Stunden nach dem Aufstehen, meist auch in vollkommen nüchternem Zustande. In einigen Fällen war vor 1'/, Stunden 1 Tasse leichten Thee’s genommen worden, was offenbar ohne Einfluss ist. — Für den auffallend hohen Werth von Versuch 9 liegt keine Erklärung vor. Er durfte deshalb nicht ausgeschaltet werden. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOoCHGEBIRGE. 425 3 Uhr bei nüchternem Magen, und nachdem der Aufenthalt auf der Spitze in warmem Sonnenschein unter Ausführung physikalischer Messungen, welche keinerlei Anstrengung bedingten, 1!/, Stunde gedauert hat. Tabelle 4. Zuntz, Ruhe auf dem Gemshorngipfel. Athemgrösse | Pro Minute ccm | Alveolartension | pro Minute Ltr. ı inmm Hg Datum Nr. | O7 00,7, 220%. { | beob- 'red.O°u. Ver- Pro- des | der achtet | 760 ®® | brauch | duction | (0) | 16/07 16. VIII. 1908 | 42 | 6-362 | 3-943 | 242-9 | 172-3 | 0-709 | 65-3 | 24-1 4b 6°037 | 3-705 || 242-0 | 154-2 || 0-637 | 62-6 24-4 Am folgenden Tage wurde derselbe Versuch wiederholt. Diesmal herrschte oben starker Wind und schon bald nach der Ankunft Vormittag 11 Uhr begann es zu schneien. Um 1 Uhr begann der Respirationsversuch liegend hinter einem vor dem Sturm und Schneegestöber einigermaassen schützenden Felsblock. Die Ergebnisse waren: Tabelle 5. Zuntz, Ruhe auf dem Gemshorngipfel. 11 R 5 | R Athemgrösse | Pro Minute ccm Alveolartension pro Minute Ltr. x - inmm Hg Datum Nr. ® co, R. Q. = | beob- |red.0°u. Ver- Pro- des | der | achtet | 760 mm | brauch | duetion 0 | c0, 17. VII. 1908 | 8a | 6-275 | 4-053 | 240-0 | 149-5 | 0-623 | es-ı | 20-0 sb 6°129 | 3-967 || 233-4 | 146-0 || 0-625 || 67-2 20-6 Bei der guten Uebereinstimmung, welche die einzelnen Gruppen der vorstehend mitgetheilten Versuche untereinander zeigen, kann man wohl schliessen, dass der Aufenthalt auf dem Berggipfel sowohl in der Sonne als auch bei Wind und Schnee eine wenn auch geringe Steigerung des Um- satzes bewirkt hat. Es war aber noch zu entscheiden, ob diese Steigerung auf die oben wirkenden klimatischen Factoren zu beziehen sei, oder ob sie als Nachwirkung der vorangegangenen körperlichen Anstrengung des Auf- stieges zu betrachten sei. Aus diesem Gesichtspunkt wurde am 19. August von uns beiden ein grösserer Marsch mit Gepäck etwa 125 ohne die Höhe unseres bisherigen Aufenthaltes zu übersteigen, ausgeführt. Wir gingen zu diesem Behufe Morgens früh nach Einnahme eines ganz leichten Frühstücks in der Richtung nach Alagna etwa um 300“ absoluter Höhe bergab und legten dann den Aufstieg in ziemlich schnellem Tempo zurück. Durig ‚erstieg die 300” in 38 Minuten, Zuntz in 63 Minuten. Letzterer hatte 426 A. DurıieG uno N. ZuNnTZz: 2 Minuten nach der Ankunft sitzend eine Pulsfrequenz von 120, eine Körpertemperatur von 38-25° Nach hinreichendem Ausruhen wurden die Respirationsversuche im Liegen auf dem Bette ausgeführt, — bei Zuntz genau eine Stunde nach der Ankunft, und ergaben: rarbreilillerno: Zuntz, nach Anstieg von 300” im Bett. Athemgrösse || Pro Minute ccm | Alveolartension pro Minute Ltr. n E in mm Hg Datum Nr. 0 co, IRQ: u beob- red. 0°u. Ver- Pro- des | der achtet | 760 "m brauch | duetion ol 008 0 15a | 6.188 | 4-008 || 246-5 | 162-9 ] 0-661 | 67-2 | 23-6 15b || 6.162 | 3-987 || 247-2 | 162-9 || 0-659 | 66-6 23-5 ‘ Die den vorstehenden entsprechenden Versuche an Durig ergaben folgende Resultate: 1. In. absoluter Ruhe Morgens nüchtern: Tabelle 3a. Durig, Bettruhe auf Col d’Olen. | Athemgrösse | Pro Minnte ccm | Alveolartension | pro Minute Ltr. Ä : inmm Hg Datum Nr. na & Se |, Q. | beob- |red.0%u.| Ver- | Pro des der | achtet 760 un brauch duetion (0) Co, 17. VIII. 1903 Ta || 6-006 | 83-966 | 284-4 | 176-5 |.0-753 || 63-5 | 29-2 Tb || 5-773 | 3-809 || 231-3 | 166-1 | 0-718 || 62-1 | 29-0 20. VIH. 1903 18 || 6-686 | 4.426 | 260-7 | 208-4 | 0-798 || 65-4 | 28-5 Mittel || 6-155 | 4-067 |242-1 1183-6 | 0-756, 63-7. | 28-9 2. Bei der Ruhe in der Sonne auf dem Gemshorngipfel wurde gefunden: Tabelle 4a. Athemgrösse | Pro Minute com | Alveolartension pro Minute Ltr. | ea in mm Hg Datum Nr. 0 | CO, | R, Ö. beob- red. 0°. er, Pro- des | der achtet | 160 == | brauch duction| I 250) | co? 16. VII. 1908 || 5a || 7.488 | 4.7591 — | — —_ = = 5b | 7615 | 4.750 || 262-3 | 200-7 | 0-765 | 65-1 | 25-9 Bei diesem letzten Versuch bestand Frösteln und Kälteempfindung in den Beinen, BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 427 3. Im Schnee auf der Gemshornspitze: Tabelle 5a. Athemgrösse | Pro Minute Alveolartension pro Minute Ltr. ' in mm Hg Datum Nie - v Co,- RO. au 2 beob- Ired.0°u. Ver- Pro- des | der achtet | 760 mm brauch duction | o | Co, 17. VIII. 1908 | 9a | 7-800 | 5-069 || sı1-3 | 247-4 |] 0-795 | 63-2 | 28-6 Ib 7-414 | 4-915 || 263-5 | 193-2 || 0-778 || 60-3 30.4 Nach dem schnellen Aufstieg von 300” wurden folgende Zahlen gefunden: Tabelle 7. | Athemgrösse |Pro Minute ccm Alveolartension | pro Minute Ltr. k 3 inmm Hg Datum Nr. | N ol beob- |red.0°u. Ver- Pro- des | der | achtet | 760 mm | brauch | duction [) | co, 19. VII. 1908 || 14a | 7.271 | 4.722 | 269-6 | 200-2 || 0-743 | 66-2 | 25-9 14b 6-957 | 4-514 | 269-6 | 191-8 || 0-712 || 64-7 | 26-3 Der Vergleich der absoluten, Ruhewerthe mit jenen in Wien lässt un- verkennbar eine kleine Steigerung des Gaswechsels wahrnehmen, die durch die minimale Steigerung der Athemarbeit nicht erklärt wird. Der Ueberblick über die Versuchsreihen auf dem Gemshorn im Ver- gleich zu jenen nach dem Aufstieg besagt, dass die Steigerungen im Sauer- stoffverbrauch und der Kohlensäureausscheidung, die wir am Gipfel des Gemshorns beobachteten nach einem Aufstiege von einem tiefer gelegenen Punkte zum Col d’Olen Schutzhaus in demselben Ausmaass auftreten. Als Nachwirkung der vorangegangenen Marschleistung ergeben sich in den Ver- suchen, die nun in Bettruhe angestellt wurden, ganz ähnliche Werthe für den Chemismus des Gaswechsels, wie jene am Gemshorn. Hier erscheint die Annahme berechtigt, es sei in den letztgenannten Beobachtungen nicht eine Wirkung des Aufenthaltes auf der Spitze gewesen, die die Steigerung gegen den normalen Ruhewerth hervorrief, sondern ebenfalls nur ein Effect des vorangegangenen Aufstieges auf die Spitze. Es ist dies eine Steigerung, der wir bei Zuntz anschliessend an den Aufstieg knapp nach der Ankunft in der Margheritahütte wieder begegnen (siehe Tabelle 18 im Vergleich zu Tabelle 8), während sie bei Durig wohl in Folge des sehr langsamen Tempos im letzten Theile des Aufstieges vollkommen fehlt. Im selben Sinne spricht Versuch 7 in Tabelle 15, bei dem die Nachwirkung anders- . artiger gesteigerter Muskelaction, die bis zur Athemnoth geführt hatte, er- 428 A. Durie un N. ZuNTZz: kennbar ist. Bei der Beurtheilung der Art, in der hier die Muskelaction gewirkt hat, haben wir zu bedenken, dass eine Anzahl von Versuchen vor- liegt, die in der Ebene bei Mensch und Pferd ausgeführt wurden und eine Erhöhung des Ruhestoffwechsels als Nachwirkung der Arbeit nicht ergeben haben. Der Gedanke, die Ursache dieses Unterschiedes in den verschiedenen klimatischen Verhältnissen zu suchen, wird hinfällig Angesichts der That- sache, dass stundenlanger Aufenthalt auf dem Dache der Margheritahütte keine constante Steigerung des Ruhestoffwechsels auslöste.e Wir müssen daher auf andere Momente recurriren und denken dabei in erster Linie an eine Mitwirkung der verdünnten Luft beziehungsweise des Sauerstoffmangels. Wenn der Sauerstoffmangel an der constanten und andauernden Steigerung des Stoffwechsels während unseres ganzen Aufenthaltes auf der Margherita- hütte ursächlich betheiligt ist, liegt es nahe, daran zu denken, dass dies Moment nach angestrengter Muskelthätigkeit in stärkerem Maasse und auch in der geringeren Höhe von Col d’Olen, wo es in der Ruhe nicht oder nur sehr schwach wirkt, bereits zum Ausdruck kommt. Man kann vermuthen, dass während der Muskelaetion selbst, bei der erniedrigten Sauerstofftension, Stoffwechselproducte gebildet werden, welche noch Stunden lang nachher ihre erregende Wirkung entfalten. Wieso es zur Anhäufung solcher Stoffwechsel- producte beim foreirten Gehen bereits auf Col d’Olen kommt, scheint sich aus den von uns bestimmten Alveolartensionen des Sauerstoffes ableiten zu lassen. Wir finden bei annähernd ähnlich anstrengendem Marsch in der Ebene — (siehe Tabelle 29) — ein Sinken der alveolaren Sauerstofftension bis zu 95”m oegenüber 105"" bei wenig anstrengendem Horizontalmarsch (Tabelle 21b) und 109"= in der Ruhe. Entsprechend können wir wohl annehmen, dass während anstrengenden Bergaufmarschirens auf Col d’Olen die Tension, welche dort in der Ruhe 64” (beim nicht anstrengenden Horizontalmarsch 66” betrug), um 10 bis 12”"® niedriger lag. Sie war also wohl auf dieselben Werthe gesunken, welche auf der Margheritahütte dauernd schon in der Ruhe bestanden und mit andauernder Steigerung des Stoffwechsels einhergingen. Aus dem Ausgeführten würde sich der Schluss ergeben, dass eine Herabsetzung der Sauerstofftension im Blute unter eine gewisse Grenze, wenn sie längere Zeit einwirkt, den Stoffwechsel zu steigern vermöge und dass diese Steigerung noch fortbesteht auch dann, wenn die Sauerstofftension im Blute wieder gestiegen ist. Diese Vermuthung ist einer weiteren ex- perimentellen Prüfung zugänglich und wir hoffen eine solche in nicht zu ferner Zeit auszuführen. Bekanntlich haben frühere Versuche von A. Loewy im pneumatischen Cabinet keine steigernde Wirkung der Luftverdünnung auf den Stoffwechsel ergeben. Wir möchten dem gegenüber vorläufig nur darauf hinweisen, dass BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOoCHGEBIRGE. 429 in jenen Versuchen der Sauerstoffimangel nur kurze Zeit einwirkte, so dass wir eine Steigerung in der Ruhe wie auf der Capanna Margherita kaum erwarten dürfen; ferner ist zu bemerken, dass eine Untersuchung der Nach- wirkung des Aufenthaltes in der verdünnten Luft nicht ausgeführt wurde. Aus den vorstehend mitgetheilten Ruheversuchen ergiebt sich, dass der Aufenthalt in der verdünnten Luft von 2900” Höhe bei Ausschluss aller sonstigen Reize (Bettaufenthalt, behagliche Wärme) nur bei dem Einen von uns eine merkliche Steigerung des Umsatzes bewirkt hat im Gegensatz zu einem Theil der früheren Erfahrungen speciell bei Gelegenheit der Expe- dition von A. Loewy und seinen Mitarbeitern im Jahre 1896. Ehe wir diese Differenzen weiter besprechen, ist es zweckmässig, die Ruheversuche auf der oberen Station, der Capanna Margherita, zu be- trachten. Wir sondern hier aus der Zahl sämmtlicher Versuche zunächst diejenigen aus, welche in behaglicher Bettruhe Morgens nüchtern aus- geführt worden sind. Wir geben dieselbe für uns Beide in nachfolgenden beiden Tabellen: Tabelle 8. (Zuntz.) Ruheversuche auf der Capanna Margherita. Athemgrösse | Pro Minute cem Alveolartension | Ltr. pro Minute in mm Hg Datum Nr. 07760, 7R7 0. = beob- |red.O0°u.| Ver- Pro- des der achtet | 760 == || brauch |duction %) Co, 22. VII. 1908 || 252 || 6-862 | 3.707 | 251-4 | 167-5 || 0-667 | 53-5 | 21-01 25b | 7-143 | 3-857 | 241-5 | 170-1 | 0.704 | 54-7 | 20-96 23. VIII. 1908 | 27a 7.729 | 4-370 | 275-8 | 193-2 || 0-701 | 56°7 | 21-47 27b || 7-514 | 4-186 | 263-3 | 186-7 | 00-709 | — — 25. VIII. 19068 | 29a | 71-100 | 3-950 | 251-3 | 193.6 | 0-771 || 54-9 | 22-24 29b || 7-671 | 4-210 || 257-3 | 202-1 | 0-786 | 56-0 | 21-69 26. VII. 19068 | 31a | 7-068 | 4.081 | 241-5 | 181-1 || 0-733 | 57-5 | 20-431 | 31b || 7-557 | 4-281 | 243-5 | 187-9 || 0-754 | 58-9 | 20-521 27. VII. 1908 1 71-633 | 4:368 | 267-3 | 203-8 | 0-745 | 56-9 | 25-40 28. VIII. 1903 8 71:646 | 4.333 || 252-2 | 185-0 || 0-734 | 57-2 | 26-10? 30. VII. 1903 142 || 8-154 | 4-680 | 249-0 | 201-3 | 0-808 | 59-7 | 19-66° 14b || 8-517 | 4-881 | 281-6 202-1 | 0-716 | 58-2 | 18-963 31. VIII 1903 18 17-615 | 4-399 | 264-4 204-1 | 0-772 | 57-9 | 20-81 2. IX. 1903 25 17-744 | 4-317 | 264-9 | 190-8 0.7203] _ — 3. IX. 1903 29 71-945 | 4-549 | 270-3 | 202-0 | 0-747 | 58-4 | 19.88# 4. IX. 1903 35 71-867 | 4-467 || 272-9 | 201-8 || 0-7839 || 57-1 | 20-63 Mittel || 7.613 | 4-290 |259-2 |192-7 | 0-738 | 57-0 | 21-41 1 Vorher 1 Stunde ausser Beit und im Freien. ? Gestern Nachmittag Gletscherruhe. 3 Gestern Marsch auf dem Schneefeld. * Gestern 2 Stunden Schneefeld bei Sturm. 430 A. Durıe unD N. Zuntz: Tabelle 9. (Durig.) Ruheversuche auf dem Capanna Margherita. Athemgrösse | Pro Minute ccm Alveolartension Ltr. pro Minut i % ee vi pro Minute 0. 00, | R. 0. in mm Hg | beob- red.0°u.| Ver- Pro- des der achtet | 760” | brauch |duction | De) CO, 22. VII. 1908 | 26a | 7-500 | 4-034 | 260-1 | 194-0 | 0-746 | — = \ 26b | 7-500 | 4-022 | 261-4 | 179-0 | 0-685 | 48-3 | 25-06 23. VIII. 1903 || 28a | 8-133 | 4-455 | 289-1 | 220-5.) 0-763 || 53-3 | 25-75 | 28b | 7.767 | 4-210 || 275-3 | 212-2 || 0-771 | 52-7 | 26-47 25. VII. 1903 | 30a | 7-673 | 4-169 | 263-0 | 206-8 | 0-786 | 53-0 | 23-23 30b | 7-717 | 4-190 | 268-1 | 208-6 || 0-778 | 51-8 | 25-97 27. VIII 1903 2 | 7.700 | 4-384 || 274-4 | 221-4 | 0-807 | 51-9 | 25-44 28. VIII. 1903 9 | 7.983 | 4-496 | 282-4 | 208-2 | 0-737 | 53-8 | 23-46? 30. VIII. 1903 15a | 8-133 | 4-646 | 286-6 | 212-3 | 0-741 | 53-8 | 22.983 15b | 8-133 | 4-689 | 283-4 | 216-6 | 0-764 | 53-6 | 23-64° 31. VIII. 1908 || 19 | 8-017 | 4.598 | 272-1 | 217-6 | 0-799 | 54-6 | 24-21 2. IX. 1903 26 | 8-217 | 4-623 | 285-7 | 203-4 | 0-712 | 55-0 | 21-85° 3. IX. 1903 30 || 8-582 | 4-890 || 298-4 | 219-1 | 0-734 | 54-8 | 22.35* 4. IX. 1903 36 | 8-050 | 4-539 || 267-3 | 204-7 | 0-766 | 55-5 | 22-58 Mittel | 7-970 | 4-421 | 277-5 |210-0 || 0-757|| 53-2 | 24-08 Die Tabellen 8 und 9 zeigen eine sehr befriedigende Gleichmässigkeit des Gaswechsels in der Bettruhe Die Zahlen des ersten Tages nach der Ankunft stehen bei uns Beiden etwas unter dem Durchschnitt der ganzen Reihe. Auffallend niedrige Werthe zeigt Zuntz am 26. August, an welchem Tage die mit uns oben weilende Expedition von Mosso die Hütte “ verlies. Zuntz hatte mit den sich zur Abreise rüstenden Collegen längere Zeit im Freien gestanden und war dadurch stark abgekühlt. Es bestätigte sich hier auf’s Neue eine schon vor Jahren bei Gelegenheit der Untersuchung Loewy’s über die Wärmeregulation des Menschen gemachte Beobachtung, dass mässige Abkühlung, wenn nur reflectorische Muskelbewegungen aus- schlossen werden, den Ruhestoffwechsel herabsetzen. In diesem Sinne ist es auch aufzufassen, dass unter den Berliner Versuchen von Zuntz Nr. 6, 7 und 9 vom December 1903 höhere Werthe aufweisen, als die übrigen. Während sonst die Versuche im Laboratorium ausgeführt wurden, wobei in der kühlen Jahreszeit auf dem Wege in der Strassenbahn eine Ab- kühlung des Körpers erfolgte, wurden jene Versuche in der Wohnung gleich nach dem Erwachen in voller behaglicher Bettwärme ausgeführt. 1 Migräne. ? Gestern Nachmittag Gletscherruhe. 3 Gestern Marsch auf dem Schneefelde. * Gestern 2 Stunden Schneefeld bei Sturm. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HoCHGEBIRGE. 431 Bei den Versuchen in der warmen Jahreszeit (Juli 1905) macht sich dies Moment nicht bemerklich. Ebenso wie auf Col .d’Olen haben wir den Einfluss der neben der Luftverdünnung im Hochgebirge wirksamen Factoren in besonderen Ver- suchsreihen untersucht. Wir lassen zunächst zwei Tabellen folgen, im welchen wir diejenigen in Bettlage und bei behaglicher Wärme ausgeführten ' Versuche mittheilen, welchen ein längerer Aufenthalt im Freien voran- gegangen war. Und zwar handelt es sich dabei theils um ruhigen Aufent- halt im Sonnenschein auf der Plattform der Hütte, theils um längeren Aufenthalt auf dem etwa 150” tiefer gelegenen grossen Gletscherfelde des Monte Rosa, auf welchem wir uns bald, Athemversuche ausführend, ruhig aufgehalten hatten, bald aber auch Marschversuche durchgeführt hatten, die immerhin eine ziemlich erhebliche Anstrengung bedingten. End- lich betreffen die Versuche 39a und b und 40a und b die Einwirkung einer länger dauernden etwas grösseren Anstrengung durch Stufenschlagen im Eis bei einem Aufstieg auf die ganz nahe der Gnifettispitze steil auf- ragende und dieselbe an Höhe um etwa 20” übertreffende Zumsteinspitze. Das Nähere ergiebt sich aus den einzelnen Versuchen beigefügten Be- merkungen. Mit einem kurzen Worte des Hinweises sei nur noch der eigenthümlichen Erscheinung gedacht, die der respiratorische Quotient in jenen Fällen zeigt, in denen durch besondere Anstrengung oder den Einfluss intensiver Besonnung die Wirkung des Aufenthaltes in der verdünnten Luit bis zum persönlichen Unbehagen gesteigert war; wir finden im Gefolge solcher Einwirkungen be- sonders bei Zuntz auffallend niedere, abnorme Quotienten. Es ist dies z. B. bei Durig besonders in Versuch 27 und 39 in Tabelle 11 deutlich geworden, wobei in Versuch 27 die Erklärung dadurch gegeben ist, dass das An- kämpfen gegen den Sturm im Aufstieg über den Eishang unter der Hütte, die äusserste Anstrengung erforderte, indem der Wind in den hoch auf die Gasuhr gepackten Decken einen mächtigen Angrifispunkt fand. Eine weitere Reihe von Versuchen wurde im Freien, theils auf dem Dach der Hütte, theils auf dem Schneefelde ausgeführt. Auf dem Dach suchten wir uns gegen den Wind nach Möglichkeit zu schützen, dagegen setzten wir uns der Besonnung in vollem Maasse aus. Als Beleg für die Stärke dieser Sonnenwirkung sei angeführt, dass während der Respirations- versuche vom 27. August das im Schatten liegende Thermometer zu Be- sinn des Aufenthaltes 3-0°C. zeigte. Das in der Sonne liegende Schwarz- kugelthermometer 45-.0°. Während der letzten Versuche kurz nach Mittag stieg dasselbe bis 50° während das Schattenthermometer in Folge der Er- wärmung der Holztheile der Galerie bis auf 9.5° anstieg. Gegen den Wind waren wir nahezu vollständig geschützt. Aehnlich waren die 432 A. DuURIG unD N. ZuNnTz: Tabelle 10. (Zuntz.) ar enstiche in der Capanna nach einem Aufenthalt im Freien. | Athemgrösse || Pro Minute ccm Alveolartension | Ltr. pro Minute in mm Hg Datum Nr. O- CO... R. Q, Se beob- 'red.0°u. Ver- Pro- des der achtet 760 "= | brauch | duction 0) CO, 26. VIII. 1908 | 332 | 9-050 | 4-889 | 2997 | 217-6 | 0.726 | 57-3 | 19-44: | 33b || 7-967 | 4-303 1 261-4 | 190-9 || 0-731 || 56-8 | 19-97 29. VIII. 1903 13a | 9-091 | 5-096 | 288-5 | 211-5 || 0-733 | 58-6 | 19.032 13b || 9-273 | 5-203 |) 315-8 | 220-1 | 0-697 || 57-6 | 19-012? 2. IX. 1903 | 283 | 8-100 | 4.579 | 212-9 | 194-7 | 0-714 || 58-4 | 19-2° 28b || 7-867 | 4-428 | 279-4 | 184-6 | 0-661 | 58-6 | 19-13 5. IX. 1903 ı 40a || 8-920 | 4-872 || 290-4 | 208-1 || 0-716 || 55-7 | 18.9* | 40b || 8-345 | 4-527 || 269-5 | 187-8 | 0-67 | — — Mittel | 8» 577 | 4-744 ‚284-7 | 201-9 | 0-709|| 57-6 |19-24 Zabelle7117 2 Duric) homenermalhe in der Capanna nach einem Aufenthalt im Freien. Athemgrösse Pro Minnte ccm | N allensfton Ltr. pro Minute | in mm Hg Datum Nr. I 0- | co, |R, Q. es beob- |red.0°u.| Ver- Pro- n es der achtet | 760 == | brauch | duetion 101075 26. VII. 1908 | 32a | 8-013 | 4-351 | 283-7 211-4 | 0-738 | 51-0 | 25-55 32b | 7-480 | 4-050 | 267-7 |.196-5 Bl | 49-9 | 25-38 29. VII. 1903 122 | 8-200 | 4.597 | 294-2 | 216-1 | 0.734 | 54-5 | 23-74® 12b || 7.583 | 4.246 | 272.6 | 198-3 | 0-728 | 50-8 | 24-33° 2. IX. 1903 272 | 7-667 | 4-333 || 269-5 | 182-0 | 0-673 | 53-2 | 21-937 27b | 7-293 | 4-115 || 258-4 | 168-7 | 0-53 | — — 7 5. IX. 1903 39a | 7.967 | 4-358 | 273-3 | 187-0 | 0-684 | 51-4 | 22-348 39b || 7-817 | 4-271 || 270-4 | 185-4 || 0-686 | _ —8 Mittel | 7-753 |4-290 |273-7 1193-4 | 0.704) 51-8 | 23-88 Temperaturverhältnisse bei den folgenden Versuchen. Einige Angaben finden sich in den Fussnoten der Tabellen. ! Vorher 1°/, Stunden auf der Plattform. ®? 6 Stunden nach Rückkehr vom Schneefeld, 5 Stunden nach der Mahlzeit. 3 2 Stunden nach Rückkehr vom Schneefeld. * 1!/), Stunden nach Rückkehr von der Zumsteinspitze. ° Vorher Kältegefühl, nachher kalte Füsse. ° 5 Stunden nach Rückkehr vom Schneefeld, 4 Stunden nach dem Mittagessen. ” Bettruhe nach 2 Stunden Schneefeldaufenthalt im Sturm. ° Etwa 1 Stunde nach Rückkehr von der Zumsteinspitze. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOoCHGEBIRGE. 438 Tabelle 12. (Zuntz.) Ruheversuche auf dem Dache der Oapanna Margherita. | Athemgrösse || Pro Minute ccm Alveolartension Ltr. pro Minute = in mm Hg. Datum Nr. 0- Co;- || R.- Q. = beob- |red.O°u. Ver- Pro- des der achtet | 760 ®= | brauch | duction 10) Co, 27. VIII. 1903 3 | 9-500 | 5-092 | 253-6 | 185-4 | 0-735 | 62-7 | 16-20: 4 10-183 | 5-388 || 263-5 | 195-6 | 0-72 | — 2 4. IX. 1903 374 9:109 | 4756 | 289-2 | 196-9 | 0-681 57:8 18-68 37b 8.760 | 4-685 || 280-7 | 191-1 | 0-685 | 57-8 | 18-85 Te 8.800 | 4-745 || 272-9 | 198-8 |) 0-696 — — Mittel || 9-270 | 4-933 | 272-0 |193-7 |0-708 | 59-4 |17-91 Tabelle 13. (Durieg.) Athemgrösse || Pro Minute cem | Alveolartension Ltr. pro Minute | in mm Hg. Datum Nr. O- C0,- | R.- Q. beob- 'red.O®u.| Ver- | Pro- des der achtet | 760 == | brauch | duetion (0) Co, 27. VI. 1908 | 5a |8-100 | 4-316 | 265-4 | 194-2 || 0.732 | 54-8 | 22-173 5b || 8-067 | 4-317 || 270-3 | 198-2 || 0.733 || 54-3 | 22-5 4. IX. 1903 382 71-538 | 38-999 | 245-5 | 176-3 | 0-718 | 52-8 | 22-35 38b 1.725 | 4-178 || 250-2 | 187-2 || 0:748 — —$ | 38e 71-550 | 4-098 || 246-3 | 183-6 |) 0-745 || 53-2 | 22-8? Mittel | 7-798 | 4-181 | 255-5 ‚187-9 || 0-755|| 53-8 | 22-4 Auf dem Schneefelde, etwa 150” unterhalb der Hütte, also in einer Meereshöhe von etwa 4500”, wurden die Ruheversuche in der Art aus- geführt, dass wir mit Hülfe des Eispickels ein bequemes Lager im Schnee bereiteten und auf diesem der Athmende, durch eine Decke gegen die direete Benässung durch den Schnee geschützt, ebenso bequem wie im Bette ruhte. Es ergiebt sich aus diesen Versuchen, dass zwar unter der directen Einwirkung der Besonnung und des Aufenthaltes im Freien der Gaswechsel ein wenig ansteigt, dass aber diese Steigerung gegenüber der 1 Seit 31/, Stunden auf dem Dache in der Sonne. ? Gleich nach dem vorigen. 3 Seit 2°/, Stunden auf dem Dache. * 25 Minuten später. 5 23), Stunden auf dem Dache gelegen. Schatten + 3° C., Sonne 49-2°C. ° 4!/, Stunden auf dem Dache. ” 5'/, Stunden auf dem Dache. Schatten + 4° C., Sonne 450°. Archiv f, A, u. Ph, 1904, Physiol, Abthlg, Suppl, 28 434 A. Durie uno N. Zuntz: andauernden, welche, wie Tabelle 8 und 9 lehren, während des ganzen Aufenthaltes auf der Monte Rosaspitze beachtet wurde, nur wenig in Be- tracht kommt. Die stärkste beobachtete Steigerung in Versuch 7a und b, Tabelle 15, ist nicht als reine Klimawirkung aufzufassen, da bei Aus- führung dieser Versuche erst 4 Stunden nach dem Mittagessen vergangen waren und demgemäss die Verdauungssteigerung des Stoffwechsels noch nicht ganz abgeklungen war. Dieselbe Erklärung gilt für den hohen Werth von Versuch 6a, Tabelle 14, während der bald nachher ausgeführte Versuch 6b wieder die üblichen Werthe fast übereinstimmend mit den im Bett beobachteten aufweist. Der hohe Werth von Versuch 31a, Tabelle 14, mag auch damit zu erklären sein, dass das Frühstück, welches 2 Stunden vorher eingenommen war, allerdings nur aus 453 Semmel und einer kleinen Menge Cacao und Butter bestehend, noch nicht vollkommen verdaut war. Der folgende Versuch, 31b, eine Stunde später ausgeführt, zeigt schon wieder die üblichen, mit den im Bett beobachteten übereinstimmenden Zahlen. Die Tabellen 14 und 15 enthalten die oben besprochenen Ruheversuche auf dem Gletscher. Tabelle 14. (Zuntz.) | Athemgrösse | | | | |Pro Minute cem | | Alveolartension Ltr. pro Minute Di | in mm Hg Datum Nr. O- CO,- || R.-Q. beob- red.O°u.| Ver- Pro- des der achtet | 760 == || brauch duction Ö CO, 27. VID. 1908 | 6a |11-022| 6-156 || 368-4 | 250-4 | 0-812 | 63-0 | 18-6: 6b || 8-900| 4-991 || 269-5 | 203-7 756 | 61-0 | 18-7? 22b 8-080 | 4.469 | 256-5 | 172-1 -677 || 60-0 | 18-6? 0) 0 31. VIII. 1903 0 31a | 9-560 | 5-454 | 301-5 | 233-4 | 0-777 | 61-3 | 19-5 0 0 0 3. IX. 1908 | | | 31b || 8-673| 4-922 | 277-0 | 196-4 | 0-707 | 60-4 | 18-95 31e | 8400| 4-748 | 267-3 | 181-5 | 0-702 || 60-6 | 18-6° 31d | 8-145| 4-606 | 271-0 | 190-8 || 0-704 || 59-5 | 19-4? Mittel || 8-968| 5-035 |278-6 |204-0 | 0-733|| 60-8 | 18-9 ! 3 Stunden nach dem Mittagessen, etwas Muskelspannung. ® Absolute Ruhe, direct nach dem vorigen. ® Nach 7 Stunden Schneefeld und Marschversuchen; Athemnoth. * 1!/, Stunde nach Verlassen der Hütte. Kein Kältegefühl, tadellos. 5 21), Stunden nach Verlassen der Hütte. Tadelloser Ruhewerth. ° 34, Stunden nach Verlassen der Hütte. Trotz Wind kein Kältegefühl. ” 4!/, Stunden nach Verlassen der Hütte. Etwas Kältegefühl, keine Muskel- spannung. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 435 Tabelle 15. (Durig.) ne | Pro Minute ccm Alveolartension Ltr. pro Minute in mm Hg Datum Nr. 2 0: Co,- ee A), | ne beob- red.O°u.| Ver- Pro- des | der achtet | 760 mm || brauch | duction | (0) Co, 27. VIII. 1903 1a || 8-650 | 4-940 || 321-0 | 243-5 | 0-758 | 52-7 | 25-91 Tb || 8-229 | 4.756 || 316-4 | 233-1 || 0-737 | 54-0 | 24-61 3. IX. 19068 || 32a || 8-018 | 4-559 || 276-8 | 204-3 | 0.738 | 55-5 | 23-1° 32b | 8-673 | 4-929 || 290-6 | 218-4 || 0-752 | 56-7 | 22-93 326 | 8-364 | 4-732 || 276-8 | 213-9 || 0-773 | 56-6 | 28-2 32d || 7-833 | 4.419 || 267-4 | 204-9 | 0-748 | 54-1 | 23-35 Mittel || 8-295 | 4-720 | 291-5 | 219-7 | 0-751| 54-9 | 23-8 Um zu controliren, wie weit bei den Steigerungen, die wir auf dem Schneefelde und auf dem Dach der Hütte beobachtet haben, etwa Ver- dauungsarbeit mit im Spiele sei, haben wir einige Bettversuche ebenso lange nach dem Mittagessen ausgeführt wie jene Versuche. Wir stellen dieselben in Tabelle 16 und 17 zusammen. Man wird aus diesen Tabellen leicht ersehen, dass bei Zuntz in der That 4!/, Stunden nach dem Mittagessen noch ein erhöhter Gaswechsel bestand, und zwar etwa von derselben Ordnung wie in den auf Joun Schnee- felde ausgeführten Versuchen, Tabelle 14, 6a und 3la. Einfluss der vorhergegangenen Mahlzeit auf den Gaswechsel. Tabelle 16. (Zuntz.) | Athemgrösse | Pro Minute cem | | Alveolartension Ltr. pro Minute | inmm Hg Datum Nr. O- CO,- | R.- Q. | ir beob- red.O°u. Ver- Pro- I. des der achtet | 760 mm brauch duetion 10) co, | | | 29. VII. 1903 13a | 9-091 | 5-096 | 288-5 | 211-5 | 0:733 | 58-6 | 19-035 13b | 9-273 | 5-203 || 315-8 | 220-1 || 0-697 | 56-7 | 19-016 30. VII. 1908 || ı8a || 9.360 | 5-256 | — — ne > 16b || 8-820 | 4-955 | 288-9 | 242-3 || 0-839 | 58-4 | 21-58? Mittel || 9-136 | 5-127 | 297-4 | 224-6 | 0-756 | 57-9 | 19-87 ! 4 Stunden nach dem Mittagessen, vor dem Abstieg Schlitten gezimmert. Athem- grösse sinkt während des ersten Versuches. ® 1°), Stunde nach Verlassen der Hütte. ® 23/, Stunden nach Verlassen der Hütte. Solarthermometer = 37°C. 4 5 33/, Stunden nach Verlassen der Hütte. Kältegefühl in den Zehen. 4°], Stunden nach Verlassen der Hütte. Solarthermometer 37-0°C. Tadelloser Ruheversuch. 5 Stunden nach dem Mittagessen. ” 4!/, Stunden nach dem Mittagessen. 28” 436 A. Durıe unp N. Zuntz: = Tabelle 17. (Durig.) | Athemgrösse | Pro Minute cem | Alveolartension || Ltr. pro Minute in mm Hg Datum Nr. | | 0- | €0,- | R.-Q. beob- red.0°u.| Ver- Pro- des der achtet | 760 » brauch | duction 10) Co, 29. VII. 1908 | 12a | 7-892 | 4-597 | 294-2 | 216-1 | 0-734 | 54-5 | 23-71 | 12b | 71-583 | 4-246 | 272-6 | 198-3 || 0-728 | 50-8 | 24-31 30. VIII. 19038 || 172 | 7-900 | 4-433 || 267-6 211-7 0-782 | 54-3 | 24-35? ı 17b || 7.733 | 4-330 || 284-9 205-3 | 0-720 | 51-8 | 23.96? 5. IX. 1903 I | 4-330 | 273-2 | 203-1 || 0-743 || 53-4 | 23-6° Mittel | 7-825 | 4-387 | 278-5 206-9 | 0-741 | 52-9 | 23-98 Als bemerkenswerthes Ergebniss der vorstehend zusammengestellten Versuche ist hervorzuheben, dass während der ganzen Dauer des Aufent- haltes auf dem Gipfel bei beiden Beobachtern der Ruhestoffwechsel um etwa 15 Procent gegenüber den in Col d’Olen fast unverändert gebliebenen normalen Werthen der Tiefebene gesteigert ist. Besonders bemerkenswerth ist jedoch, dass diese Steigerung bis zum letzten Tage des fast 3 wöchigen Aufent- haltes unverändert geblieben ist, dass also in diesem Sinne eine Accommo- dation an den Höhenaufenthalt bezw. eine Gewöhnung an die Reize des- selben nicht stattgefunden hat. Auch die allerersten, wenige Stunden nach der Ankunft, am 21. August ausgeführten Ruheversuche zeigen bei Durig schon dieselben Werthe, so dass also hier, wo von einer besonderen Nach- wirkung der Anstrengung des Aufstieges nicht die Rede ist (vgl. S. 427), der Eifect der Steigerung des Ruhestoffwechsels rein zu Tage tritt. Für Zuntz ist trotz der fast an die Grenzen der Leistungsfähigkeit heran- reichenden Anstrengungen des Aufstieges nur ein etwas höherer Werth als später in den Ruheversuchen im Bett zu beobachten. Man ersieht dies - aus Tabelle 18 und 19. Im Anschluss hieran ist es auffallend, dass die ersten Versuche, welche am 22. August nach ausreichender Nachtruhe auf der Margheritahütte ausgeführt wurden, sowohl bei Durig wie bei Zuntz Werthe des Sauerstoffverbrauchs und der Kohlensäureausscheidung zeigen, welche etwas unter dem Durchschnitt der später in der Capanna Margherita beobachteten Ruhezahlen liegen. Man möchte dabei den Eindruck gewinnen, als ob die volle Wirkung der Höhe auf den Stoffwechsel erst nach etwas längerem Aufenthalt, etwa am zweiten Tage, ausgebildet sei. Bezüglich der Werthe an Durig ist freilich zu bemerken, dass 1 4 Stunden nach dem Mittagessen nach Schneefeldmärschen. ® 8 Uhr Abends, etwa 4!/, Stunden nach dem Mittagessen. ®> 3 Stunden nach dem Mittagessen Bettruhe, vor dem Marschversuche in der Hütte horizontal. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 437 Ruheversuche nach der Ankunft in der Capanna. Tabelle 18. (Zuntz.) Athemgrösse | Pro Minute cem Alveolartension Ltr. pro Minute inmm Hg Datum | Nr. O9 FC0,7 RO) ; | beob- red.O°u.| Ver- Pro- des der | achtet | 760 @= | brauch | duction 10) Co, 21. VIII. 1908 || 23a |10-083| 5-364 | 276-2 | 194-6 |0-705:| 61-2 | 16-1 23b |11-480 | 6-098 || 304-9 | 227-5 \0-746°|| 61-7 16-1 Mittel 110-752 5-731| 290-1 | 211-0 0.725 | 61-5 | 16-1 ı Tabelle 19. (Durig.) Athemgrösse || Pro Minute cem Alveolartension Ltr. pro Minute inmm Hg Datum Nr. | Ö- Co,- 1 AP BE beob- red.0°u. Ver- _ Pro- des der | achtet | 760 ”® || brauch | duction (0) Co, 21. VIII. 1903 24a | 7-917 | 4-209 || 262-4 | 204-4 | 0-772 | 51-0 | 25-5 24b | 8-167 | 4.388 | — | — x et Mittel |) $:042 | 4-278 | 262-4 | 204-4 || 0-772 | 51-0 | 25-5 sie kaum als Normalzahlen angesehen werden dürfen, da er an.heftiger Migräne litt. Die lange Dauer der Stoffwechselsteigerung während des ganzen Höhenaufenthaltes steht in vollem Einklang mit den Resultaten der Expedition von 1901, bei welcher der Aufenthalt auf der Margherita- hütte allerdings nur eine Woche dauerte. Dort war übrigens die absolute Steigerung eine bedeutendere, indem sie bei den einzelnen Beobachtern 35 bis 50 Procent des Normalwerthes erreichte. Eine ausführlichere Besprechung verdient noch die Mechanik der Lungen- ventilation. Diese hat bekanntlich schon Mosso bei seinen ersten Studien im Hochgebirge eingehender gewürdigt und hatte damals bei Besteigung von Höhen bis 3300” an seiner Versuchsperson gefunden, dass die Venti- lation in der Höhe nur sehr wenig gegenüber der Tiefebene erhöht war, so dass das redueirte Gasvolumen oben erheblich gegenüber der Norm in der Ebene zurückblieb. Er hatte aus diesem Befunde die viel besprochene Lehre von der Luxusathmung abgeleitet, indem er behauptete, dass der Mensch für gewöhnlich eine grössere Luftmenge ventilire, als seinem Bedarf ent- spreche, und dass in Folge dessen eine Steigerung der Ventilation im Ge- birge nicht nöthig sei, hier erst die dem wahren Bedürfniss entsprechende Athemgrösse zum Vorschein komme. Diese Befunde von Mosso sind sicher ! 4 Stunden nach Ankunft, nicht ganz nüchtern. 2 5 Stunden nach Ankunft. 438 A. Durie und N. Zuntz: nicht allgemein gültig. Bei uns beiden zeigte sich eine ziemlich vollständige Anpassung der Ventilation an die Luftverdünnung in der Art, dass die direct gemessene Athemgrösse in der Höhe erheblich bedeutender war, so dass das redueirte Athemvolumen den normalen Werthen annähernd gleich kam. Als Beleg hierfür mögen folgende Zahlen dienen: Bei Zuntz betrug die Lungenventilation in drei unmittelbar vor An- tritt der Expedition ausgeführten Versuchen zwischen 4-61 und 5-03 Liter das auf 0° und 760" reducirte Athemvolumen 4-15 bis 4-53 Liter. Ganz entsprechende Werthe wurden in den Monaten September bis December nach der Rückkehr in Berlin beobachtet. Die Ventilation schwankte zwischen 4.76 und 5-37 Liter, das reducirte Atomvolumen zwischen 4-44 und 4-91. Auf Col d’Olen war die direct beobachtete Ventilation, wie aus den vor- stehenden Tabellen Nr. 1 bis 4 hervorgeht, 5-97 bis 6-36 und reducirt 3-99 bis 4-16. Auf dem Monte Rosagipfel war in Bettruhe die Venti- lation 6-86 bis 8-52, der reducirte Werth 3-71 bis 4-88 bei absoluter Ruhe. Für Durig beträgt in der Ruhe das redueirte Minutenvolum in Wien 4.997 bis-5-633 m, bei den Col d’Olenversuchen 3.809 bis 5.069 «m und endlich auf der Capanna Margherita 4-050 bis 4.597 “=; es vermindert sich also das „redueirte Minutenvolum“ bei ihm nur wenig über 17 Proc., wenn wir den Mittelwerth auf der Capanna und in Wien vergleichen, während doch der barometrische Druck um 48 Proc. erniedrigt war. Nach stärkeren, klimatischen Einwirkungen wurden noch höhere Werthe beobachtet. Wir können also sagen, dass die von Mosso gefundene Luxusathmung sich bei uns allenfalls in der Höhe von Col d’Olen in einem geringen Zurückbleiben der Ventilationssteigerung hinter der Abnahme des Luftdrucks ausspricht, während auf dem Monte Rosagipfel die Athemsteigerung die Verminderung des Luftdrucks in den meisten Fällen fast vollständig compensirt, öfter sogar übercompensirt. Mosso hat darauf hingewiesen und in seinem Buche „Der Mensch auf den Hochalpen“ Belege dafür gegeben, dass im Hochgebirge eine Neigung zu periodischer Athmung, die bis zum ausgesprochenen Bilde des Cheyne- Stokes’schen Phänomens sich steigern kann, besteht. Bekanntlich zeigt auch unter ganz normalen Verhältnissen in voller Ruhe die Athmung Wechsel der Frequenz und Tiefe, so dass diese im Hochgebirge auftreten- den Phänomene nur Steigerungen des physiologischen Verhaltens sind.! Sehr erhebliche Unregelmässiekeiten der Athmung beobachteten wir an uns gegenseitig im Schlafe.. Im Respirationsversuche prägten sie sich be- sonders deutlich nach vorangegangenen Muskelanstrengungen und langer Einwirkung von Sonne und Wind aus. Als Beispiel geben wir aus Versuch 40b (Zuntz, Tabelle 10), welcher ! Vgl. Geppert und Zuntz, Pfüger’s Archiv. Bd. XLI. S. 198 f. En Eee Se ea u ee Da a BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 489 bald nach der Rückkehr von der Besteigung der Zumsteinspitze angestellt wurde, folgende hinter einander beobachtete Volumina der einzelnen Athem- zueel in Ditern= 1..0193%50192% 0. 8,1E 001.301. 1481182, 1-30 188, 2.9, 2.2, 1-3, 1-2, 1-1, 2.5, 1-3, 0.3, 2.2, 2.4, 1-5, 2.0, 2.5, 0.5, 1-4, 2-3, 1-8, 1-6. Auch in den Minutenwerthen der Athmung prägt sich das Phänomen sehr deutlich aus, so bei Z. im Versuch 22a und b. Ruhe auf dem Gletscher nach 7stündigem, durch Marschübungen ziemlich anstrengenden Aufent- halt, ergiebt Minutenwerthe der Ventilation zwischen 5-5 und 11-0 Liter; hohe und tiefe Werthe folgen einander regellos. Einen weiteren Anhalt zur Beurtheilung der im Hochgebirge statt- findenden Regulation der Athmung bieten uns die in den letzten Columnen der Tabellen gegebenen Werthe über die alveolare Spannung des Sauerstoffs und der Kohlensäure. Bekanntlich sind Sauerstoffmangel und Kohlensäure- anhäufung im Blute für den ruhenden Organismus die wesentlichsten Regu- latoren der Athembewegung, und zwar in dem Sinne, dass der Sauerstoff- mangel einen nennenswerthen Einfluss auf die Athemmechanik erst gewinnt, wenn der Sauerstoffgehalt erheblich unter die Norm herabgegangen ist. Erst bei einer Minderung des Sauerstoffgehaltes der Athemluft auf 12 Procent oder darunter konnten Dohmen, Speck, Loewy u. A. eine erhebliche Steigerung der Lungenventilation beobachten. Die Kohlensäure "hingegen wirkt gerade innerhalb der Spannungswerthe, welche sie normal im Blute besitzt, sehr stark auf die Athmung ein. Im zahlreichen Versuchen ist nachgewiesen, dass jede, auch die geringste Steigerung des Kohlensäure- gehaltes der Athemluft die Lungenventilation erhöht. Von diesem Gesichts- punkte aus ist in der Abhandlung von Schrötter und Zuntz! die Frage erörtert worden, ob in der Höhe noch besondere, das Athemcentrum reizende Einwirkungen anzunehmen seien. Ebenda ist auch auf S. 510 die Art der Berechnung der Alveolarspannung des Sauerstoffs und der Kohlensäure dar- gelegt. Um zu erkennen, in wie weit die Kohlensäurespannung allein für Aenderung der Athemmechanik verantwortlich zu machen sei, wurde damals das Athemvolumen durch die in Millimetern Quecksilber ausgedrückte Kohlen- säurespannung dividirt und so festgestellt, eine wie grosse Minutenventilation auf je 1m Kohlensäurespannung entfällt. Es ergab sich damals, dass bei Zuntz auf jedes Millimeter Kohlensäurespannung in der Ebene eine Lungen- ventilation von 116.5 °® kommt, während im Ballon diese Zahl in minimo 189° m betrug und in der grössten erreichten Höhe bis auf 453 °” anstieg. Wir hielten es damals für wahrscheinlich, dass an diesem Anstieg weniger der Sauerstoffmangel, der allenfalls in der grössten erreichten Höhe in Be- ! Ergebnisse zweier Ballonfahrten zu physiologischen Zwecken. Pflüger’s Archiv. Bd. XCIH. 8. 479. 440 A. Durie un N. Zuntz: tracht käme, Antheil habe, dass er vielmehr wesentlich durch die physi- kalischen Reize der Höhe, speciell durch die starke Insolation, zum Theil auch durch Kältewirkung zu erklären sei. Insolation und Kältewirkung fallen wenigstens als während des Versuches wirkende Reize bei den auf Col d’Olen und der Capanna Margherita im Bette ausgeführten Versuche weg. Sehen wir, wie sich hier die Ventilation im Verhältniss zur Kohlen- säure gestaltete. Im Mittel der 3 Bettversuche an Z. auf Col d’Olen (Tabelle 1) haben wir auf 24.45 "m Kohlensäuretension 6050 «= Lungen- ventilation. Das macht auf 1” Kohlensäure 248 =, Auf der Gemshorn- spitze bei stärkerer Besonnung ist die entsprechende Alveolarspannung im Mittel der 2 Versuche 24-25", die Ventilation 6200, das ergiebt auf im Kohlensäure 255°", also fast genau denselben Werth. Hier tritt demnach eine Wirkung der Insolation nicht hervor. Bei den Versuchen der Tabelle 3 hatte ein noch längerer Aufenthalt im Freien und zugleich Sturm und Schneegestöber, und nur im Anfang eine mässige Besonnung eingewirkt. Hier haben wir 20.3 "m Kohlensäurespannung und 6202 em Ventilation. Hier beträgt also das auf 1 "= Kohlensäure entfallende Athem- volumen 305 °®, ist daher nicht unerheblich gesteigert. Auf dem Monte Rosagipfel endlich haben wir im Mittel der im Bette Morgens nüchtern an 7. ausgeführten Versuche eine Kohlensäurespannung von 21-41" bei einer mittleren Ventilationsgrösse von 7613 =, Das macht pro Millimeter Kohlen- säure 356 “= Ventilation. Die Zahl ist fast identisch mit der im Luftballon bei gleicher Höhe gefundenen; denn dort ergab sich in Versuch 2 bei einer Meeres- höhe von 4580” eine Ventilation von 387 = pro Millimeter Kohlensäure. Zur Prüfung der Wirkung starker Insolation sind die Versuche der Tabelle 12 geeignet. Wir haben hier eine mittlere Athemgrösse von 9270 ccm bei nur 17.56” Kohlensäurespannung. Es entfällt also jetzt auf jedes Millimeter nicht weniger als 528% Lungenventilation. Die Ruheversuche auf dem Schneefelde führen zu ganz ähnlichem Resultat. Hier haben wir im Mittel der 7 Versuche eine Ventilation von 8968 «=, eine Kohlensäure- spannung von 18.9 "m, also auf 1 == 475m, Auch noch in der den klimati- schen Einwirkungen folgenden Bettruhe spricht sich die Existenz besonderer Erregungen neben der Kohlensäure deutlich aus; denn wir haben im Mittel der Tabelle 10 folgende Zahlen: 8577 «m Ventilation bei 19.222 .C0,- Spannung, also 447 m pro Millimeter. Die Berechnung des auf 1 m Kohlensäurespannung entfallenden Athem- volumens bei Durig ergiebt ganz ähnliche Verhältnisse. Für die Ruhe in Wien haben wir im Durchschnitt bei 31-8" Kohlensäuretension 5972 cm Ventilationsgrösse, also 157.8 em pro Minute auf 1 "m Kohlensäure. Auf Col d’Olen ist bei Bettruhe das auf 1® Kohlensäure entfallende Athemvolumen etwas niedriger als bei Z., im Durchschnitt auf 28.9 m, N a A ah U BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN Im HOCHGEBIRGE. 441 fast wie in Wien 6155 m = 213 em auf 1 "m Kohlensäure gegen 248 «m bei Zuntz. Unter dem Einfluss der Besonnung auf dem Gemshorngipfel erreicht dagegen die relative Stärke der Ventilation denselben Werth wie bei Zuntz, auf 25.9 "m Kohlensäurespannung 7615 m — 294°“ für Im, wobei freilich nicht übersehen werden darf, dass auch nach dem als Control- versuch ausgeführten Aufstieg von einem tiefer als Col d’Olen-Schutzhaus gelegenen Punkte zu diesem in Bettruhe an Durig eine Ventilation von 272 cm bezw. 281 m auf 1 mm Kohlensäuretension gefunden wurde. Dabei wäre zu erwähnen, dass der Aufstieg an einem trüben Morgen bei voll- kommen bedecktem Himmel vorgenommen wurde. Auf der Margherita- hütte ist die Steigerung wiederum fast genau ebenso gross wie bei Zuntz. Dagegen erweisen sich die Nachwirkungen stärkerer Klimareize, wie sie in Tabelle 10 und 11 zusammengestellt sind, bei Durig wesentlich weniger heftig als bei Zuntz. Wir haben bei letzterem auf 19.24» Kohlensäure 8577 cm Ventilation, bei Durig auf 23.88 "m Kohlensäure 7753 «= Venti- lation. Es erweist sich also der jugendliche kräftigere Mensch als weniger beeinflusst durch die Nachwirkung von Besonnung, Kälte und Wind. Auch die direete Wirkung dieser Klimafactoren ist, wie Tabelle 12, 13 ff. erwiesen, bei Zuntz erheblich stärker als bei Durig. Während im Stoffwechsel vom zweiten Tage bis zum Schluss des Aufenthaltes auf dem Gipfel eine Aenderung nicht zu erkennen -ist, tritt bei uns beiden eine allmähliche Erhöhung des Athemvolumens während des Aufenthaltes zu Tage, und entsprechend dieser Erhöhung findet ein Absinken der alveolaren Kohlensäuretension und ein leichtes Anwachsen der Sauerstoff- tension statt. Dieses durch die verstärkte Ventilation bewirkte Anwachsen der Sauerstofftension muss als eine zweckmässige Anpassung an den Höhen- aufenthalt aufgefasst werden; wenn es auch nicht sehr erheblich ist, kommt es immerhin für die Arterialisation des Blutes merklich in Betracht. Wir haben bei Zuntz in den ersten Tagen eine Sauerstofftension zwischen 53.5 und 56°=, in den späteren Tagen zwischen 57 und 59.7 mm, ent- sprechend bei Durig anfangs 48.3 bis 53-3, später 53-6 bis 55-5. Die diesen Alveolartensionen entsprechenden Sättigungsgrade des Hämoglobins mit Sauerstoff lassen sich mit einiger Annäherung aus den vor Kurzem in diesem Archiv! veröffentlichten Untersuchungen von Loewy und Zuntz berechnen. Wenn auch die Gültiekeit der dort auf Grund von Hüfner’s Anschauungen über die Dissociation des Hämoglobins berechneten Formel inzwischen durch die Arbeiten von Bohr? und Henri? zweifelhaft ge- worden ist, dürfen wir doch mit ihrer Hülfe hoffen, annähernd richtige ! Dies Archiv 1904. Phys. Abthlg. 8. 166. °” Centralblatt für Physiologie. 1894. Nr. 23. ® Compt. rend. de l’ Acad. 29. Februar 1904. 442 A. Durıe un N. Zuntz: Werthe für die Sättigung des Hämoglobins zu berechnen, weil die in die Formel eingesetzten Constanten aus Beobachtungen berechnet sind, welche bei den hier in Betracht kommenden Sauerstoffspannungen ausgeführt wurden. Die Hüfner’sche Formel zur Berechnung der mit dem Partial- druck des Sauerstofls abnehmenden Sättigung des Hämoglobins lautet 100 IH kp! Hämoglobin, p® der Partialdruck des Sauerstoffs in Millimeter Quecksilber, und die Constante % ist nach den Versuchen von Loewy und Zuntz = 0.04. Hiernach würde bei dem in unserem Versuche gefundenen Partialdruck des Sauerstofls = 57.0"” bei Zuntz, 53.2 "m bei Durig, bei ersterem ein Gehalt von 30-5 Procent reducirten Hämoglobins, bei letzterem ein solcher von 32-0 Procent sich berechnen. Bei dem niedrigsten, überhaupt von uns beobachteten Sauerstoffdruck in Versuch 26b, Tabelle 9 (Durig) von 48.3 mm würde die Sättigung nur noch 65.9 Procent betragen gegenüber der von Loewy und Zuntz für die normale Athmung in der Ebene bei einer Sauerstoffspannung von 113 "m berechneten Sättigung zu 81.9 Procent und einer Sättigung zu 80-5 Procent bei der Spannung von 103 ®m (vgl. Tabelle 1, Zuntz). Bemerkenswerth ist, dass der niedrigste von uns gefundene Sauerstoffwerth bei Durig mit einer heftigen Migräne zusammen- fällt (vgl. auch S. 436). Dass die hier gemessene Herabsetzung des Sauerstoff- partialdrucks und die damit verbundene unvollkommene Sättigung des Hämo- globins mit Sauerstoff die von uns beiden beobachteten subjectiven Beschwerden des Höhenaufenthaltes bis zu einem 'gewissen Grade bedingte, ist sehr wahr- scheinlich. Wir hatten beide, hamentlich während der ersten Tage des Aufenthaltes, wo ja auch die alveolare Sauerstoffspannung am niedrigsten stand, ein gewisses Gefühl des Lufthungers, das sich sofort erheblich steigerte, wenn wir eine der Athmung weniger günstige Körperhaltung einnahmen. Das Bücken behufs Zuschnürens der Schuhe genügte ze um ein ausgesprochenes Beklemmungsgefühl zu erzeugen. Ebenso geschah dies bei irgend einer, angespannte Aufmerksamkeit erfordernden, mechani- schen Arbeit, wahrscheinlich, weil mit derartiger Anspannung der Auf- merksamkeit unwillkürlich ein kurzes Anhalten des Athems verbunden ist, welches unter gewöhnlichen Umständen unbemerkt vorübergeht, hier aber bei der geringeren Sauerstoffsättigung des Blutes schon zu den Erscheinungen des Sauerstoffmangels führte. Neben diesem leicht auftretenden Gefühl von Athemnoth bestand in solchen Fällen fast immer Schwindel, wohl auch als Ausdruck der ungenügenden Sauerstoffversorgung des Gehirns. In den letzten Tagen des Aufenthaltes waren diese Erscheinungen ganz entschieden gebessert, aber doch nicht ganz geschwunden. Ob die geringe Erhöhung x Hier ist x der Procentgehalt des Blutes an reducirtem des alveolaren Sauerstoffdrucks, welche, wie die Rechnung ergiebt, die BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 443 Sauerstofisättigung des Hämoglobins nur um etwa 1 bis 2 Procent ver- bessern konnte, hierfür eine ausreichende Erklärung giebt, möchten wir dahingestellt sein lassen. Es kann ja auch eine Anpassung des Circulations- apparates durch Beschleunigung des Blutumlaufes in Betracht kommen. Erwähnt sei noch, dass wir beide, Durig mehr als Zuntz, in den ersten Tagen des Aufenthaltes auf der Margheritahütte durch heftiges Herzklopfen geplagt wurden. Zu einem wirklichen Sauerstoffmangel in grösseren Ge- webseruppen des Körpers kam es während unseres Höhenaufenthaltes offenbar nicht. Das geht daraus hervor, dass der respiratorische Quotient, der bei positivem Sauerstoffmangel, wie Loewy’s Versuche gelehrt haben, regelmässig erhöht ist, bei uns niemals abnorme Werthe zeigte. Ent- sprechend dieser, trotz der verminderten Sättigung des Hämoglobins aus- reichenden Sauerstoffversorgung der Gewebe haben wir auch keine weiteren Anomalien in unseren Körperfunctionen, sepeciell keine Störung der Ver- dauung und des Appetits bemerkt, Störungen, welche bekanntlich bei vielen Individuen in solchen Fällen auftreten, und welche auch bei der Expedition von 1901 sich bei fast allen Theilnehmern mehrere Tage bemerkbar ge- macht hatten. Als erklärendes Moment dürfte dienen, dass der Aufstieg damals ohne längere Zwischenstation direct von der Ebene aus erfolgte. Wir wenden uns nunmehr zur Betrachtung des Gaswechsels bei Muskelarbeit. Als solche führten wir auf Col d’Olen nur eine kleinere Anzahl von Horizontalmärschen auf der gut planirten Terrasse vor dem . Schutzhaus aus. Diese Märsche wurden wie alle früheren, ähnlichen Ver- suche in der Art ausgeführt, dass die Gasuhr tornisterähnlich auf dem Rücken getragen wurde, und dass die Ventile, welche In- und Exspirations- luft sonderten, in bequemer Weise am Traggestell der Gasuhr befestigt waren. Ein zwischen Exspirationsventil und Gasuhr eingeschalteter Zweiweg- hahn gestattete die Luft während des Marsches beliebig entweder nach aussen oder durch die Gasuhr strömen zu lassen. Stets ging der eigentlichen Analyse ein hinreichend langer Vormarsch im selben Tempo voran, so dass man darauf rechnen konnte, dass die Athmung und der Gaswechsel eine constante, der Arbeitsgrösse entsprechende Höhe angenommen hatte. Die Resultate der wenigen Marschversuche auf Col d’Olen geben wir in Tabelle 20 und 21. Eine Reihe von Controlversuchen an Durig in Wien die nach der Rück- kehr vom Monte Rosa ausgeführt wurden, ist in Tabelle 21a wiedergegeben. Sie dient auch als Testversuche für den Horizontalmarsch in der Margheritahütte. Von dem in üblicher Weise berechneten und in Columne 7 und 8 der Tabelle 20 und 21 aufgeführten Sauerstoffverbrauch und der Kohlensäure- ausscheidung pro Minute ist der entsprechende Werth bei Bettruhe auf Col d’Olen abgezogen. Hierfür haben wir als Mittelwerth des Ruheverbrauchs bei . Zuntz 232.5 m Sauerstoff, 171-.9°m Kohlensäure, bei Durig 242.4 m A. Durie uno N. Zuntz 444 | | | sFe:0 784-0 67-28 |88-FaL| TEF-9 | 908-6 1669-0 0-094 | F-062 512-0 |8-EP2 S-FEOL| S2-T | 12-9 | CH-CLTS-E2 | 98-C8| MN 684-0 | 189-0 | 2+C0I &-FFL | 862-2, 99-01 eg 9-GTOL| LEL-0| 6-96 |0-84GT | L6-F | CL-9 86-81 08-88 | 2#-C6 | A6L 383-0, #990 OF-SOL| L-OPL | C89-L 88-01 gEL-0 3-18L 9186 | 682-0 10-906 |0-FRaI ZI-G | 86-9 |99-L1 06-93 | 89-76 | w6L 161-0 | 8FF-0 85-99 | 1-96 2 189.0 6.797 9.219 | 80L-0| 2-L79 |0-C16 | L9-F | 09-9 | LB-ET 98-18 06-F6 | ATL 083-0 | OPG-0 93-81 | 3811 | 209-4 | 812-8 | 029-0 ,8-608 |6-66F | #99-0| 9-E6R |E-BPL | GEF | 90-9 | SE-IT | TS-LT | FE-LS | wll ww» wwd | ] =; 7: Ä Earl Er . m DOI BE Dre 7 Sum wol N oo] WE dee 6 0, 0 |" nan-| Taser | ana (0,0) Ve en 20 | io, | Be | Re I ES | | 2:0, ıı BR 9) O0 0 'paa) IN ZaM | = | len ud anurpy oug | ya \aogrp rung oad Sn | 1077, pun wwwısony o1g | FM oN SIT) SOULUSESD änzqy IpeN mann old| -SUOLPBAÄSKTE | O8so.1L3way y! 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(825 'S 2 'qen ISA) oma oad 0) wo F+-SLT Pun O u 6L-18Z PUuND91L3 pur oypemayny sıYy 9-88 | SOL| SITT | 0-08 2780 |234:0) 9-IS |F-aIl) TaL-0 |F-FF2 SE0OT 7836 | 8951 | ST-F |89-E |38-88,68-75 | 9-66 || MIN ce |Z01| erst | 8-08 273-0 I19-0| 6-66 |9-051 || LPL-0 ||6-098 0-PGTT |0-TFOT | G8El | 85-7 | 88-G || 21-88 | 68-55 8-F01 | € 2-88 | 801 || 91T | 6-08 205-0 |687-0| G-08 | T-SOT|| 891-0 |L-EIL G-#86 |9-168 | Y9IT || 80-7 | 98-4 |ET-25 S6-83 6-96 c$ 0-78 | 90T || 86IT | G-028 826-0 934-0 8-98 |8-8IT|| 2921-0 |8-8LL 0.1807 L:966 | ESa1 | 03-7 09-4 ||81-2338 | 99-72 2-86 TE 8-78 | 90T || FEOT | 6-18 608-0 | FL7-0 | 8-GL 16-56 | 8GL-O 111-619 | T-468 19.108 LSTT || 91-7 | 29-4 || 19-08 | LE-68 | 9-16 08 9-78 | TOT, 8601 | 61-08 |C0G-0 | 887-0 | S°CL |0-00T || GEL-O 110-719 G-L1I6 | 7.068 | 6PLL || 08-7 | 88-G | TL-61 | 98-Tg | 8-16 66 »-CE LOL, 9LIT | 2-08 1889-0 87G-0 | 2-48 |9-FIT | 38L-0 |7-862 0-1301 |0-LL6 | 2421 65-7 | 99-5 | 19-88 | 09-73 |S-IIT | 85 7-18 |OIT, 1811 | 8-88 1986-0 944-0 | 8-08 | 9-6LL|i 819-0 |0-68L 0-6ILT| 97-086 | SITEL | 98-5 | 2G-G | LI-F3 | 96-95 0-C0L | 2% 6-T& | 90T | 8661 | 1-08 085-0 | 194-0 | T-LL |9-9IT | 2L9-O |\T-FIL 0-820T, G-268 | OIET || 66-8 | FL-G || LL-58 |6G-F75 6.001 | 95 9-88 L2OL| FLaL | 6-21 238-0 F0G-0| &-LL |9-FIT | 219-0 ||9-089 |0°CO0T |0-6G8 | 9881 | SI-F | L6-C | TL-08 98-38 6-66 ra 8-18 |Z01| 6801 | 3-83 1383-0 OIS-O| L-LL |F-9IT| 029°0 |E-21L |0-S90T | L-868 | 061 | 18-E | 3G-G | 88-83 | 13-02 |6-66 76 0-98 | FOL || TOsT | 2-18 683-0 194-0 | 8-86 |6-8IT|| LEL-O ||0-388 |0-96TT | 0-090L | SSHL || CH-F | 6L-@ | IT-F72|90-98 |L-801 | 83 6-85 FOL | 8811 | 9-06 836-0 LEG-O:| T-8L |G-GIT || LLI-O || 2-89 0.2107 1:798 | PFrol | 80-7 | 88-4 |I8T-TG | 68-56 | 1-66 66 | | 03 | 0 wu ey, San Erfen ww) | wm 0) on ven 0 D01d ser a WERE) a - DER | 9 | ®o wo9 09 |”: |\o span >2d® m "d-y | soqpromoyay I IN Sue L) FEIN sep . u al IT & Eu Ban ZU pm pun wweasolLy 01g Suzqy TOCU | oynurm oag | -suomendsxq Satan Gil || Si -1BJ09A]Y onurpy org 9SSgLFmaUIY "aor UT gosıewpejuozumog (Stang) eIs oTfoqeL 446 A. Durıg und N, Zunnz:. Sauerstoff und 182.8 °® Kohlensäure eingesetzt. Der Werth CO, ist bei Durig etwas niedriger als der Durchschnitt der 3 Ruheversuche angenommen, weil unter letzteren einer (Versuch vom 20. August, Nr. 18) aus der Reihe fiel und als zu hoch angesehen werden muss. Auch bei Zuntz weichen in Folge nachträglicher Correctur einiger minimaler Rechenfehler die Zahlen etwas von dem Mittel der 3 Versuche in Tabelle 1 ab. Durch den Abzug der Ruhewerthe erhalten wir den Antheil des Gaswechsels, welcher durch die mechanische Arbeit bedingt ist und können diesen dann durch Division durch den pro Minute zurückgelesten Weg und durch das bewegte Gewicht, Körpergewicht inclusive Belastung, auf den Verbrauch pro Meter Weg und Kilogramm reduciren. Diese letzteren Werthe endlich sind nach den mehrfach ausführlich von Zuntz ent- wickelten Prineipien! auf ihren Energiewerth, ausgedrückt in Calorien und Meterkilogramm, in den letzten Columnen umgerechnet. Der Calorienwerth drückt die Energiemenge in Grammcalorien aus, welche zur Fortbewegung eines Kiloeramm über 1” Weg erforderlich ist. Diese Zahl mit 0.425 multiplieirt, ergiebt ihr Aequivalent in Meterkilogramm (letzte Columne). Man sieht, dass die einzelnen Versuche sehr erhebliche Abweichungen er- geben. Die Mittel weisen etwas höhere Werthe auf als sie von Schum- burg und Zuntz und von uns selbst (vgl. Tabelle 21a), in der Ebene bei horizontalem Marsch mit mässigem Gepäck gefunden worden sind. Ver- such Nr. 19a und b und 20a und b geben erheblich höhere Werthe als die anderen Versuche, was sich aus der Bodenbeschaffenheit erklärt. Der bei den ersten Versuchen fest gefrorene Boden war inzwischen durch die Sonne aufgethaut, der Schuh klebte am Boden, und es ist die hierdurch bedingte Erschwerung des Marsches, welche die Steigerung des Verbrauchs bedingte. Versuch 11b fällt so weit aus der Reihe der Versuche in der Ebene und auf Col d’Olen, dass der Werth als unwahrscheinlich und wohl durch einen unbekannten Fehler bedingt ausgeschlossen werden muss. Wir haben auf Col d’Olen auch noch eine Reihe von Marschversuchen auf einem, im Winkel von etwa 10 Procent ansteigenden kleinen Schneefelde gemacht. Auch hier weichen einzelne Resultate sehr erheblich von einander ab. “Der Verbrauch ist verglichen mit dem, was man sonst bei Ersteigung eines guten Weges von ähnlicher Neigung findet, abnorm hoch, was sich wiederum durch die mechanischen Bedingungen des Gehens auf dem schlüpfrigen und vielfach unregelmässigen Schnee erklärt. Wir verzichten deshalb auf die Wiedergabe dieser Versuche, da aus ihnen eindeutige Schlüsse nicht zu ziehen sind. ı Pflüger’s Archiv. Bd. LXVIII. S.201ff. Eine die Berechnung erleichternde Hilfstabelle findet sich im Anhang der Studien zur Physiologie des Marsches von Schumburg und Zuntz. Berlin 1901. S. 361. 447 BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. 752.0 «S99.0 | ETOT-0 | 8ETT-0 | 8SS9-0 | 7-19 8806 T7:188 Istt 62:27 | 72.28 | Is-7S | IHM 686-0 189-0 0001-0 09710 889.0 9-199 1196 9128 0851 19-87 76-56 | 64-16 VCH 1640 669-0 0301-0 | 0061-0 819.0 G.899 6°C86 G-818 8951 sh 67-68 IT-16 ger 085.0 819.0 7160-0 ITrI-O 169-0 1.199 0-686 1-18 9081 Gr-sT 10-#8 17-16 ecy 6850 619.0 | 0001-0 IGPT-O 889-0 8869 G:606 5:888 8811 66-21 08-88 87-98 Per 693° 0 889-0 8860-0 g487-0 669-0 0.098 8.808 0-OLL IS0L 99-917 19.08 96.68 957 183-0 119-0 0001-0 | LEFT-O 169-0 »+S19 v-868 »-G8L TOII 09-91 61-08 12-62 487 083-0 649-0 960.0 1171-0 689-0 L-619 8806 L+668 ISII 66-LI 80-88 93-99 vor z = n nn ze — ae © = a = =— = — ek in 9 0 | 00) | 0 | Bm 0 En | ao 1090W , solo MaUnY Vs oynurmt 5 (6) 2 uszuen) u IN sop Inzqy yoru ogrrp oynuıpy oıd o1d FM PP pun wwmeıSolryp 0dg O9 oma org Os: FEIN (Stang) 'sz OTTdqeı 688:0 EPLL:0 0677-0 9791-0 | 864.0 | 8.884 | 6.TIs | G-T8L | VLOL | 60:61 | 70-48 | 98:59 | PHIN 1850 081-0 sLll-O 9997-0 r0L-0 9.619 8.718 8808 Fell G8-61 80.98 19-99 qPF CT8-0 shL-0 6ITL-O | 8891-0 LOL-O »7+686 G-I6L 1.561 TSOL g9-81 89-85 || 69-89 erF 688-0 181.0 STel-0O | SC9T-O F8L.0 1.984 6'861 8-8LL LSOL 67-87 OT -FE 83:19 ger 888-0 961-0 9431-0 | 1891-0 LFL-O 1.769 0-61 8-981 Fsol 18-61 89.48 80-09 wer — ———— — — — en ——_ Dr — — 2 — — 3 2 au 189 09 0 aD = > as 1 er yorgougoaqg TPM | soyonomıy | g our ? (6) UHZUCL) WI IN 3 3 SED SEN U 1997 omuımy o.1d oad IM BP pun WMELSOM Old | wmo9 opmurmy org OSSOASUIUFY Som ('zyunz) "cc 9[194®L OIINyEILIEUSIBN Top ur yostewieguozlıoH 448 A. Durıe un N. Zuntz: Auf dem Gipfel des Monte Rosa führten wir eine grössere Anzahl von Schneefeldmärschen durch, welche sogleich besprochen werden sollen. Zur Beurtheilung der reinen Einwirkung der Berghöhe auf die Grösse des Ver- brauchs beim Marschiren sind die in der Margheritahütte ausgeführten Horizontalmärsche ohne Weiteres brauchbar. Wir geben dieselben in Tabelle 22 und 23. Es ergiebt sich aus diesen Tabellen, dass der Verbrauch pro Kilogramm und Meter in dieser grossen Höhe merklich grösser ist als er sich in ent- sprechenden Versuchen in der Ebene darstellt. Der Unterschied ist bei uns beiden etwa gleich erheblich. Bei Durig ist die besonders grosse Uebung im Marschiren in dem überall geringeren Verbrauch deutlich aus- gedrückt, trotzdem er in schnellerem Tempo marschirt. In verschiedener Hinsicht interessant sind dann noch die Marsch- versuche, welche wir auf dem Schneefelde des Monte Rosa ausgeführt haben. Diese Versuche erfolgten unter den typischen Bedingungen des Gehens im Hochgebirge. Wir suchten uns zwar möglichst gleichmässig ansteigende und möglichst wenig Verwerfungen des Schnees zeigende Partien für die Versuche aus, aber immerhin war das Gehen von dem auf einer normalen Strasse nicht unerheblich verschieden. Dazu kam bei einigen der Versuche ‚sehr heftiger Wind, der die Anstrengungen erhöhte. Um die Versuche möglichst mit den in der Ebene ausgeführten vergleichbar zu machen, ist der in der vorher besprochenen Weise berechnete calorische Werth des auf die Arbeit entfallenden Antheiles des Gaswechsels in einen für die horizontale Fortbewegung des Körpers erforderlichen Antheil und einen zweiten, welcher für die Steigarbeit anzusetzen ist, zerlegt. Für die horizontale Componente ‘wurde das Mittel der in Tabelle 22 und 23 zusammengestellten Horizontal- märsche in der Art benutzt, dass wir für Zuntz einen Verbrauch von 774.5 Grammcal. pro Kilogramm und 1000” annahmen, für Durig einen solehen von 668-5 cal. Der dann übrig bleibende Arbeitsaufwand wurde der Steigarbeit zugerechnet und auf 1”*s reducirt, indem die Zahl durch das Product aus Körpergewicht und pro Minute erstiegener Höhe dividirt wurde. Die Wege wurden stets direct mit der Leine ausgemessen, die Steighöhe mit Hülfe eines einfachen Visirinstrumentes, dessen Fehler wohl 2 bis 3 Procent des gemessenen Werthes nicht überstiegen, ermittelt. Hiernach wird die Zusammenstellung der Versuche in Tabelle 24 und 25 ohne Weiteres verständlich sein. Beim Gehen in der Ebene beträgt der Verbrauch für 1” Steigarbeit bei gut gehenden Menschen meist weniger als 3”k® chemischer Energie. Wenn wir diesen Werth hier bei Durig auf 4-0 bis 4-8, bei Zuntz gar auf 5-3 bis 6.8 "ks steigen sehen, so ist es kaum möglich zu entscheiden, wie viel an dem Resultat auf die erschwerten mechanischen Bedingungen 449 BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN Im HOCHGEBIRGE. 6F-F EE-OT. LFIE | LLES | 9SCE 678-8 85° ST 92-52 |LTZ-O| 9-9SS | ZITL | ISOL SFFT|LTL-0 68-4 | 32-2 |S0-08 IT- LE, MIN 8G-# g9-OT || L188 | ILCa | 8889 | 068-F||8F-Z4 || 8G-8L | 1CL-0|S-TOLL | SFEL | 3221 | C391 |9e8L-0| 97-€ | 66° 1109-68 LF-EH| 376 sl-F Gr-6 | 28608 | 6048 | 109G ||0G8-F \13-IT | 8%-EL |LFL-O | 0-288 8811 G60T | OPT 892-0 | 87-4 | 95-L || IT-0G |FI-85 || 976 83-F 90-OT| 0808 | zera | SLFS ||960-F | 90-08 || 83-81 671-0 0.498 GSTI GLOT | 8EFT | TIGL-0| SH-G | 36-2 98-61 87-28, Pro 64:7 89-01 | 0085 | 8685 | 8644 | 601-7 10-08 | 8G-8L |F1L-0 | 0-TT8 86T | T90L | OLFT |90L-0| 60-4 88-L |C0-05 Gr-88| 975 89.7 30-IL| LIES CCHa 808G |LFI-F | Z1-08|| 82-EL ErL-0 9-TI6 Ida GGlT | FOST |I9FL-0| EH-G | 82-2 |S9-08 | 19-07 | 475 — Ir-7| L&-OL | 0188 | 8885 | S6CG || TGE’F || GL-SF|| 8G-8L || ICL-O | 0-698 LSTT | 6201 | Ferl |6CL-0| 66-9 | 80-L 07-06 78-07 | ua LE-P| 3-01 | 8408 | FEr7G | 8646 | 590-7 |FF-67 | C9-EL || SEL-O | 0-8C8 EITL || SIOL | GEFL |IEFL-0 Ta» | 20-L |04-08 | LE-9E8| P02 39-7 | G6-OT || 88T8E | 1984 | 6744 | 896-8 ||C6-LF | 9-8. |8GL-0 | G-C88 6911 960T | 9FPT |8CL-0| FF-G | ST-L 91-08 | 80-98 || 208 68-F SC- IT| CaIE | 2880 | LeEG |E89-8 |38-C# | G9-EL | 808-0 0-006 sTrl SOTT | 1681 1762-0 | SS-G | 66-9 | 16-61 | FL-CE A406 60:7 84-6 | 8195 | C60G | &L6F |L88-L||90-IF || CG-FL || F8L-O | T-16L 8LOL 1101 | 9G8T || IFL-O | 0O9-G | 65-2 |EL-ST | 87-86 POL 06-7 | SG-IT || LLEE | 9606 | ILEG | III || 80-97 | CC-PL | TEL-O | 8-668 6911 8601 | ELFT 1881-0 FF-G | LE-L 80-08 | 98-78 | ?OL 06-F 8G-IT || 9198 | 1686 | 8L5G |cHF-T 60-97 || CC-PL ||CZL-0 C-848 S81T SI0OT | IYFT | 182-0 | 68-G | LE-L | 26-6T|08-FE doL <0-7 | 89-6 | L195 | 6666 | 6887 1666-0 |79-FF | CC-FL | 831-0 |6-LFL 2607 816 GosT |v8L-0 | 88-T | 93-L | L6-LL|OL-TE, ®oL (Sung) 'cz artoqeL 669 E9-TL) SSTE | EO6T T608 1602-7 99-08) 98-08 |222°0| 2-728 |G-6901 0-2TOT, 6887 292.0, 80-7 | Sa-C 51-88 92-9 PAIN 2 64.€| 2930 161% | 8881 | F897 | 199-2 || 10-68 | 98-08 |06L-0|8-29L |C-C96 ||q-CC6 | cazı |28L-0| F6-8 | F0-< |ez-F2 |C1-9H | 08g A 18-9 | 98-FI TIGE | 8G6L | 6BIG | EEL-3 | FG-IE|| 95-08 1982-0 18-068 |0-G80L|0-FroL | FreL |LLL-0 | ST-# | FE-G |L1-eR | Ir-lr DES TE-C 1G-@1 6118 8861 Z0Lr |891-Z|FI-IE| 93-08 008-0 | 0-F8L 1.626 |1-916 | 8881 1681-0 | 80-7 | 08-9 |GI-88 99-87 | 96% 3 69-9 | FL-CT| 9685 | 6LLL YO1G 989-8 88-87 || 98-08 | LEL-O | S-9I8 | 0-CLOTL | 0-6001 | FEEI | 9GL-O | 90°F | LE-G ||C8-F3 | 98-L# | A83 S 18-9 | CT-91 | 2P98 TS8T | 9844 ||608-8 || 24-08 | 93-08 | 612-0 |8-806 |0-6GTT |0-L60L | SIFT |8LL-0| 82-F | 1H-S 86-78 — | 8ER 2 98-9 GL-FI | SCHE | 661 | FHHG | 168-0 ||66-15 | 98-08 | 22-0 | L>EC8 0-FS11 110-9901 | EIFT | IFL-O | T6-E | 8G-G | 19-98 | 99-64 | pIs 5 c0-9 #3-FL | 9ez8 | 0061 | 9GIG | 638-2 84-08 98-08 292-0 )9-638 | 0°F80L |0-3501 | Frei |192-0 | c8-E | 90-S | * I u yo M ogostropeg Er FM | er LEE DELECH, u Se AnELonerlEzu Bes E (zyunz) ‘7 sIoqeL ‘I19Q98I9][4)-esoy 9JuoW Wwep Jne HAy9nsIaAyoasıemN 450 A. Durie und N. Zuntz: des Gehens auf dem Schnee zu schieben ist, wieviel man der in den früheren Arbeiten von Zuntz-Schumburg, Bürgi u. A. gefundenen Steigerung des Arbeitsverbrauches in der Höhe zuschreiben soll. Den letzteren ist allerdings schon durch den Abzug der in Tabelle 22 und 23 bestimmten grösseren Horizontalceomponente Rechnung getragen. Um in dieser Hinsicht einige weitere Anhaltspunkte zu gewinnen, benutzte Zuntz die Gelegenheit eines stärkeren Schneefalles, um auf einem sanft an- steigenden beschneiten Waldweg in der Nähe von Berlin noch einige Ver- suche zu machen. Den Herren Dr. Caspari und Dr. Müller sei hier für ihre Hülfeleistungen bei diesen Versuchen unser Dank ausgesprochen. Die Ergebnisse zeigt Tabelle 26, zu deren Erklärung nur noch bemerkt sei, dass als Verbrauch für die Horizontalceomponente des Marsches hier nicht der auf der Margheritahütte gefundene Werth, sondern die früheren Ver- suche an Zuntz in der Ebene entnommene niedrigere Zahl 678 Cal. = 288 mks für Horizontalbewegung eines Kilogramm um 1000” eingesetzt wurde. Der für die Steigarbeit restirende Antheil des Verbrauches ist trotzdem immer noch niedriger als bei den Monte Rosa-Versuchen, aber doch sehr erheblich höher als beim Gehen auf unbeschneiten normalen Wegen. Die grossen Differenzen der einzelnen Versuche untereinander, Minimum 3.97 us für 1 ke Steigarbeit, Maximum 6-63 "ks, erklären sich nur zum Theil daraus, dass bei den einzelnen Märschen die Beschaffenheit des all- mählich weicher werdenden Schnees sich veränderte, zum Theil beruhen die grossen Differenzen darauf, dass der Hauptantheil der Arbeit auf die Hori- zontalcomponente fällt, weil die Steigung des Weges nur eine geringe war, zwischen 1-9 und 2-4” pro Minute, wie aus der entsprechenden Kolumne der Tabelle hervorgeht. Es erfordert daher die Steigarbeit immer weniger als die Hälfte, in zwei Versuchen nur ein Drittel des Gesammtverbrauches, und da wir bei der Rechnung die Abweichungen der einzelnen Versuche auf sie allein häufen, so muss natürlich die Differenz eine ziemlich erheb- liche werden. Vielleicht ist es richtiger, diese Versuche in der Art zu be- rechnen, dass man für die Steigarbeit einen anderweitig gefundenen Durch- schnittswerth einsetzt und als im Versuch variabel und durch den Schnee beeinflusst nur die Horizontaleomponente ansieht. Um in der Art zu rechnen, können wir auf Grund vorliegender Versuche den Verbrauch von chemischer Energie für 1”:s Steigarbeit bei Zuntz zu 2-91 we yeran- schlagen. Mit diesem Werth berechnet sich dann der Antheil der Horizontal- bewegung in den 4 Versuchen zu 0.386, 0.363, 0-412, 0.327 ks, Die Abweichungen der einzelnen Versuche erscheinen also erheblich geringer und es tritt sehr deutlich hervor, beispielsweise beim Vergleich mit den Marschversuchen auf Col d’Olen, dass der Schnee die Marscharbeit erheblich im Durchschnitt um 25 bis 30 Procent erhöht. 451 BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN IM HOCHGEBIRGE. “(12 "RL 'S) an 9-95 = TE) T-LaC PYUyp910S opınMm ur Any oyuauodwooe4uozLiomg SIY TEF-E I6T-S| IEEE| OFES | SL98 |T64-8| ez-ES| 888-0) T-ELFL|6-TSZT| TI9T | sIos \rts-o 50-4 81.9 89-68 88-78] MM LPP°5 | G95-8 | sSCG | F6r78 | LF06 1668-8 | 80-18 | 1-91 | 858-0 |O-TLGT 23-7981, F6LI | 9608 | G88-0, 05-S | 829 |C9-EE | 00-98 G gsF7.5 Clo-8 || 8I9E EIFE | 1806 | 786-8 | 08-98 | ST-9L | 698-0 | 8-G8FT | 3-688T |, #99T | ILOS 708-0 66-F | FZ-9 |ZG-EE | LE-CE 2 665-5 881-8 8L0G | TOGE | 6168 |GG1-8 | 61-62 | ST-9L |GTS-O | 8-6658T | 9-LILTL || SLST | 6F6T 118-0 | 20-8 | 98-9 \80-TE | CO-EE & sIr.E 170-8) SOIS | C0sE | LOEB |0F8-8, T8-6L | 81-921 | 888-0 8-IEFT 8-8TLL OIIT | GC6T ||LIS-O F8-F | 98-E ||9Z-EE ZT-CE 6 ı Syu | Sym | Syur u u 3 | »vorg | POlA | yo | yaygoe|| a ea) Sana = do 200 | 0 007, "02 | O eon MER per ano) — _ |pogre)) omog NAVY Mlegnumg | omas 6) | yoqtedtegg | -3109g | -peguoz \uozuwg] O1d a ar | E oynup oıd EN! wueıSofry -LIOH sung Som -gosıe,| num oıd soyyıaM wu» yupsuogeadsxg 1097] | -IORM T ANA | 1op qyram deyosriogeg | "8 -ayny sap Inzqy goen | oynuım org Es ossoadmaugy (Srng) "2,2 otTade] OLSIIUMT 9YISIMAUD aym TCH-G = # 107. C=8 ‘96-8 =8 °IHC-F = 1 :NOAIEZISIS sum T nF oo PIp UAPIOM “IZS sun 3638-0 = EI CFLL-0 = YNaM WaUEpunzo3 SNATENLIOTSTEN] Top Ur UP uassop yes uem uuoy 'OLFIOUM AOUOSIMITO ayın 88Z-0 :9290S9FUl0 „I pun mweısopry 01d Zunsomagpeguozuiof ıny 68-4 | 286 | € 22 .0.....2264, 229, 5 „ horizontaler Marsch 66 „ 27 „ auf d. Monte Rosa Ruhe . . 53 „ 24 „ & horizontaler Marsch . 55 „ 21 „ „ .. ansteigende Marsch . 55 „ 24 „ Dass die Kohlensäuretension für die Regulation der Athmung bei Muskelthätiekeit kaum noch in Betracht kommt, lehren die letzten Stäbe der Tabellen 27 und 28; wir haben hier bei Durig 900 bis 1700 m Minutenventilation auf ein Cubikcentimeter Kohlensäurespannung, bei Zuntz gar 700 bis 2900°". Wir erinnern hier an die Arbeit von Geppert und Zuntz „Ueber die Regulation der Athmung“, in welcher dargethan ist, dass bei Arbeit nicht-gasförmige Stoffwechselproducte als wichtigste Regu- latoren der Athmung in Betracht kommen. Es liest nahe, an gleiche wirk- same Stoffe bei Arbeit und bei Sauerstoffmangel in verdünnter Luft zu denken. Dann könnte man die stärker erregende Wirkung der Arbeit bei Zuntz vielleicht aus der hier thatsächlich vorhandenen geringeren Leistungs- 456 A. Durıe und N. Zuntz: ° BEITRÄGE ZUR PHYSIVvLOGIE U. 8. W. fähigkeit des Kreislaufapparates erklären, welche zur Folge hat, dass sogar bei besserer Ventilation des Blutes in den Lungen die Gewebe und na- mentlich die thätigen Muskeln weniger gut mit Sauerstoff versorgt sind und deshalb mehr intermediäre Abbauproducte in’s Blut liefern. In dem Berichte über die Expedition von 1901 sollen diese Verhältnisse eingehender erörtert werden; dort wird auch die Bedeutung der von Mosso und Loewy discutirten „Akapnie“, wie sie in der Herabsetzung der Kohlensäurespannung zu Tage tritt, ihre Besprechung finden. Von den Beobachtungen über unser Allgemeinbefinden sei noch nach- getragen, dass eine geringe Erhöhung der Morgens und Abends im Bette gemessenen Körpertemperatur sich auf der Margheritahütte bemerkbar machte, eine Erscheinung, welche schon bei der früheren Expedition an fast allen Theilnehmern hervorgetreten war. Die Steigerung betrug allerdings nur wenige Zehntelgrade. Wir haben während unseres Aufenthaltes auf Col d’Olen und auf a Gipfel eine Anzahl Messungen des Potentialgefälles und der Ionisation der Luft ausgeführt. Da diese Versuche aber nicht zahlreich genug sind, um einen Zusammenhang der Ergebnisse mit unserem physiologischen Verhalten erschliessen zu können, verzichten wir hier auf ihre Mittheilung und werden ‘ die Zahlen, soweit sie uns von Interesse scheinen, der späteren Veröffent- lichung der vom Berliner Laboratorium im Jahre 1901 ausgeführten Expedition einreiben. Die physiologische Function der Kleinhirnseitenstrangbahn (Tractus spinocerebellaris dorsalis) nach Experimenten am Hunde. Von Dr. Otto Marburg, ehemaligem Assistenten am neurologischen Institut der Wiener Universität. (Aus dem physiologischen Institut der Thierarzneihochschule in Berlin. Vorstand: Geheimrath Prof. Dr. Munk.) (Hierzu Taf. X.) Einleitung. Seit Flourens die Coordination von Bewegungen als wesentlichste Function des Kleinhirns erschlossen hat, bemüht man sich das Wesen dieser Function zu ergründen. Zumeist geschah dies durch Versuche am Klein- hirn selbst, weniger durch Experimente an den Kleinhirnstielen, obwohl hier die Summe der zu- und abführenden Bahnen in einzelnen Complexen ver- einigt ist, und man so die Componenten des Kleinhirnmarkes relativ isolirt treffen kann. Erst in neuerer Zeit gewannen diese Studien durch klinische Beobach- tungen an Interesse. Man darf heute gewisse choreatisch-athetotische Be- wegungen mit einem Ausfall des Bindearmsystemes in Beziehung bringen (Bonhöffer, Pineles, Halban-Infeld u. A.), während die bei Kleinhirn- herden auftretende gleichseitige Schwäche auf eine Störung im System des Brückenarmes hinweisen soll (Pineles u. A.. Nur die Bedeutung des Corpus restiforme ist experimentell noch nicht sichergestellt, insbesondere deshalb nicht, weil es complexer gebaut ist als die anderen Kleinhirnstiele, und weil seine isolirte Läsion wegen der Nähe des Deiters’schen Kernes schwer möglich ist. Störungen im Gleichgewichte wurden wohl klinisch 458 OTTO MARBURG: und auch experimentell (Bechterew) beschrieben: ob diese aber in directer Abhängigkeit vom Striekkörper stehen, oder indirect durch die bei Ver- letzung des Deiters’schen Kernes auftretenden Schwindelempfindungen be- dingt sind, lässt sich nicht entscheiden. Wenn man den anatomischen Aufbau des Strickkörpers ohne seinen inneren Antheil (nucleo cerebellare Bahnen, vestibulo-spinales System, Deiters’scher Kern) in’s Auge fasst, so erweist er sich im Wesentlichen aus drei verschiedenen Fasergruppen zusammengesetzt: I. Tractus spino- cerebellaris dorsalis (Kleinhirnseitenstrangbahn); II. Tractus olivo-cerebellaris und cerebello-olivaris; III. directe und indirecte d. h. in den Hinterstrangs- kernen unterbrochene Fasern aus den Rückenmarkshintersträngen. Die physiologische Durchforschung des Olivensystemes verdanken wir Keller. Seine Resultate sind negative, indem Olivenläsion keinerlei mani- feste Störungen der Motilität, Sensibilität und des Gleichgewichtes hervor- bringt. Nach Hinterstrangsdurchschneidungen hat erst jüngst Borchert zeigen können, dass die Berührungs- und Lageempfindung im Groben wenigstens intact blieb, und nur im Feineren Störungen aufwies. So feine Störungen aber sind nicht im Stande, einen so groben Functionsausfall wie die Gleichgewichtsstörung zu erklären. Es bliebe also nur der Tractus ‚ spinocerebellaris dorsalis als Hauptträger der Function des hinteren Klein- hirnstieles. Dazu kommt nun noch Folgendes. Während nach Hinterstrangsdurch- schneidung die Motilität fast nicht geschädigt ist, weist sie nach Hinter- wurzeldurchschneidung eine wesentliche Schädigung auf, wie dies insbesondere aus der letzten grundlegenden Arbeit H. Munk’s hervorgeht. Man muss also diese Schädigung auf jene Hinterwurzelfasern beziehen, die ihre Fort- setzung nicht im Hinterstrang, sondern gekreuzt oder ungekreuzt‘ im Seiten- strang des Rückenmarkes finden. Ein wesentlicher Theil dieser aber ist wiederum die Kleinhirnseitenstrangbahn. | Die möglichst isolirte Durchschneidung !dieser Bahn war die Aufgabe, die mir Herr Geheimrath H. Munk stellte, und die ich in seinem Institute durchführtee Für die mir in jeder Beziehung gütigst gewährte Unter- stützung und Förderung meiner Arbeit, für die vielen überaus werthvollen Anregungen bin ich meinem hochverehrten Lehrer zu grösstem Danke ver- pflichtet. Technik der Durchsehneidung. Da beim Hunde, der als Versuchsthier diente, die Clarke’sche Säule bis hoch in’s Cervicalmark reicht (zweites Cervicalsegment, Schacher]), so musste die Durchschneidung möglichst hoch vorgenommen werden, um die Mehrzahl der Fasern dieses Systems zu treffen. Dies wurde auch relativ FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 459 leicht auf folgende Weise erreicht. Der Hautschnitt erstreckte sich von der Oceipitalprotuberanz bis zum vierten Halswirbeldornfortsatz in der Median- linie. Ein: gleicher etwas kürzerer Medianschnitt durchsetzte die Fascien und die Musculatur bis an die Kuppen der Halswirbeldornfortsätze. Die heftige Muskelblutung wurde durch Tamponade mit sterilen Wattebäuschen gestillt, die Muskeln durch Haken auseinander gehalten und nun wurde mit dem Messer die Musculatur bis an die Wirbelbogen abgelöst. Die noch am Knochen haftenden Muskelreste wurden hierauf mit dem Knochen- schaber entfernt, darnach neuerlich tamponirt. Wenige Minuten genügten meist, um die Blutung völlig zu stillen. Das Operationsterrain lag nun frei; die laterale Wand bildete die Museculatur, die mediale der Dornfortsatz des zweiten Halswirbels, den Boden der Bogen dieses letzteren. Das Foramen intervertebrale zwischen erstem und zweitem Wirbel bot einen relativ bequemen Angriffspunkt, um in den Wirbelcanal zu gelangen. Wichtig ist, sich dabei an dorsalen und caudalen Umfang dieser Oeffnung zu halten, da ventral und oral zahlreiche Gefässe liegen, die bei der geringsten Läsion zu kaum stillbarer Blutung führen. Es wird nun der Wirbelbogen in einer Länge von 1 bis 1!/,°®, einer Breite von 4 bis 6wm abgetragen (Kneipzange), die Dura mit dem Duramesserchen vorsichtig nach der Länge und Breite gespalten, worauf meist von selbst eine Retraction der Zipfel erfoist. - Es liegt nun das Rückenmark frei und zwar Hinterstrang- und dorsale Seitenstrangparti.e. Die austretenden hinteren Wurzelbündel zeigen die Grenze dieser beiden Theile an, welche ausserdem durch den seichten Sulcus lateralis dorsalis markirt wird. In diesen Sulcus nun wird mit einem Messerchen eingestochen, das ähnlich dem Graefe’schen Linearmesser eine spitz zulaufende Schneide und einen geraden Rücken besitzt, dabei aber nur !/, so lang ist als dieses. Beim Einstich steht das Messer parallel dem Sulcus mit dem Rücken oral, der Schneide caudal. Es wird ein wenig schräg gegen die Medianlinie etwa 2mm tief eingesenkt, hierauf die Schneide nach aussen gedreht und das Messer unter leichter Senkung nach der Seite hin ausgezogen. Diese Messerführung, die mir Herr Geheimrath Munk empfahl, bietet den Vor- theil möglichst wenig Nebenläsionen zu setzen, insbesondere die Hinter- stränge zu schonen. Bei doppelseitiger Operation wird zuerst das ganze Terrain frei gelegt und dann möglichst in gleicher Höhe durchschnitten. Es kam wiederholt vor, dass einzelne austretende Wurzelbündel das Messer querten und mit durchschnitten wurden, was keinerlei Bedeutung hat. Nach der Durchschneidung wurde das ganze Gebiet, besonders die Hauttaschen, mit feuchten, sterilen Wattebäuschen gründlichst gereinigt, die 460 OTTO MARBURG: Muskeln durch 2—3 Nähte aneinandergeheftet, darüber die Haut vereinigt. Auf diese letztere Vereinigung ist besonderes Gewicht zu legen, die Nähte in ziemlich geringen Abständen zu halten, damit keine Infection von aussen her erfolgt. In der That ist dies bei meinen Thieren nicht vorgekommen. Die Thiere wurden entweder in gemischter Morphium-Aethernarkose oder in reiner Aethernarkose operirt. Erstere am 2. Tage nach der Ope- ration, letztere bereits 1 Stunde nach derselben beobachtet. Erscheinungen nach einseitiger Durchschneidung. Da sämmtliche Thiere nach dieser Operation im Wesentlichen analoge Erscheinungen darboten, genügt es diese an einem Thiere zu schildern. Am in’s Auge fallendsten war zunächst die Stellung des Thieres. Sie schien, das sei vorweg genommen, unabhängig von der Nackenwunde. Denn am 2. Tage nach der Operation (dem ersten Beobachtungstage) waren die Kopfbewegungen fast ungehindert. Das Thier zeigte auch sonst in seinem vorderen Abschnitt kaum eine Abweichung vom Normalen; nur das Vorderbein der operirten Seite war ziemlich stark nach aussen gedreht, was durch Auswärtsstellung der Zehen zum Ausdrucke kam. Anders der hintere Körperabschnitt; das Bein der operirten Seite be- fand sich in maximaler Abduction. Dabei war es gestreckt, stand etwas vor dem Beine der gesunden Seite. Das Becken war gleichfalls etwas nach der operirten Seite hin gedreht; auch schien seine Neigung vermehrt, was allerdings beim Gange auffälliger war. Die Wirbelsäule war in ihrem hinteren Ende ein wenig gekrümmt und zwar mit der Concavität nach der operirten Seite hin. Das constanteste dieser Phänomene war die Abduction des Beines, weniger constant die Beckenhaltung und die Wirbelsäulen- krümmung; letztere insbesondere machte bei der Beobachtung grosse Schwierigkeiten, da jede, auch die geringste Stellungsänderung die Con- cavität verschob oder aufhob. Die Mehrzahl der Beobachtungen aber weist doch die Concavität nach der operirten Seite. Das Thier stand so, dass es sich wesentlich auf die gesunde Seite stützte, d.h. der Körper hing ein wenig nach dieser Seite über; die Beine liessen sich auf der operirten Seite leichter verschieben, als auf der ge- sunden. Schliesslich machte sich insbesondere im Beginn ein leichtes Schwanken zumeist in der Richtung von vorne nach hinten bemerkar. Beim Gang musste man zunächst von den paretischen Erscheinungen der Beine absehen, die durch Mitläsion der Pyramide bedingt waren. Sie kamen durch das bekannte Kratzen des paretischen Beines zum Ausdruck. FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 461 Zunächst waren die Hinterbeine den Vorderbeinen mehr genähert als normal, das Becken also stärker geneigt. Es ereignete sich häufig, dass die Beine der operirten Seite beim Vorwärtsschreiten zu weit addueirt wurden und so die der gesunden Seite kreuzten. Gelang es durch Vor- halten von Fleischstückchen das Thier zu bewegen zwischen zwei fixen Punkten hin und her zu gehen, so konnte man mitunter ein Abweichen von der Geraden erkennen. Dieses erfolgte nach der gesunden Seite hin. Spontan sah man die Hunde oft nach der Seite hin gehen (Flanken- gang), indem sie mit den Beinen der gesunden Seite antraten, die Beine der kranken Seite einfach nachstellten. Doch war dies selten. Sehr ungeschickt zeigten sich die Thiere beim Stiegensteigen. Sie be- gannen auch hier mit dem gesunden Beine, torkelten und stürzten nicht selten. Beim ruhigen Sitzen waren keinerlei abnorme Stellungen bemerkbar. Die weitere Untersuchung ergab, dass nur dort, wo eine merkbare Parese der Beine bestand, sich diese auf das Dorsum umlegen liessen. In solchen Fällen zeigte sich auch der Berührungsreflex herabgesetzt. Ganz erloschen war er nie. Sensible Störungen sind keine vermerkt, indem vor- sichtigste Pinselberührungen sofort ein Spitzen der Ohren zur Folge hatten. Auch Schmerzempfindungen zeigten sich allenthalben gleich gut. - Der Tonus der Musculatur liess keine Aenderung auf beiden Seiten erkennen; die Sehnenreflexe desgleichen. Um zu ergründen, ob eine Parese der Becken bezw. Oberschenkel- museculatur vorliege, wurde das Thier in Seitenlage so auf einen Tisch ge- legt, dass der ganze hintere Körperabschnitt frei, d. h. ohne Unterlage blieb. Es zeigte sich auch hier kein Unterschied auf beiden Seiten, indem die Thiere mit den freien Partien leicht und mit guter Kraft auf den Tisch empor kamen. Es wurde bereits auf die Inconstanz einzelner der eben geschilderten Erscheinungen hingewiesen, die selbst gleich im Beginne der Beobachtung hervortrat. Umsomehr gilt dies für die spätere Zeit nach der Operation. Hier ist von einem gesetzmässigen Ablauf überhaupt nicht die Rede, und es kostete schon nach den ersten zwei Wochen Mühe zu erkennen, auf welcher Seite das Thier operirt war. Am deutlichsten blieb noch immer die Ab- duction der hinteren Extremität der operirten Seite bestehen. Ueberhaupt liegt das Schwergewicht des Unterschiedes eines operirten Thieres der ersten Woche seiner Beobachtung und der dritten oder vierten weniger in der Intensität der Erscheinungen, als in ihrem zeitlichen Auf- treten. Anfangs waren die pathologischen Stellungen fast continuirlich vor- handen, später wechselten sie mit Phasen völlig normaler Haltung, schliess- lich überwogen diese und erstere traten nur temporär hervor. 462 OTTO MARBURG: Erscheinungen nach doppelseitiger Durchschneidung. Liess die einseitige Operation Vieles nur undeutlich erkennen, so dass bezüglich gewisser Erscheinungen berechtigte Zweifel aufkommen konnten, so wurden diese sofort durch die Thiere mit beiderseitiger Operation be- hoben. Zunächst kommen die in Betracht, die, mit Morphiumäther narko- tisirt, erst am 2. Tage untersucht werden konnten. Der Hund steht mit nach aussen gedrehten Vorderfüssen, die Vorder- beine eng an einander geschlossen. Dagegen sind die Hinterbeine in: maxi- malster Abduction. Sie befinden sich beide in einer Ebene, selten steht ein Bein mehr nach vorne, das andere nach hinten. Die Wirbelsäule ist meist gerade, das Becken ein wenig geneigt. Auch hier fällt die stärkere Betheiligung des hinteren Körperabschnittes sofort in’s Auge. Es zeigt sich ferner ein starkes Taumeln des ganzen Thieres beim Stehen. Das Schwanken erfolgt zumeist in der Längsaxe des Thieres, weniger von .rechts nach links. Dieses Taumeln tritt selbst beim Sitzen hervor, das sonst kaum etwas von der Norm Abweichendes zeigt. Doch sucht das Thier mit Vorliebe die ‚sitzende Stellung einzunehmen. Der Gang ist taumelnd, wie der eines Trunkenen. Das Schwanken findet beim Gange eine Verstärkung durch das Ueberkreuzen der Beine. Das Thier ist nicht im Stande in einer Geraden zu gehen; es weicht bald nach rechts, bald nach links ab, je nachdem die linken Beine zu viel nach rechts, oder die rechten zu viel nach links hinübergesetzt werden. Dabei droht es häufig umzufallen, macht ein paar raschere Schritte vorwärts, wie um den Fehler zu corrigiren und bleibt schliesslich plötzlich stehen. So ist das Thier dann kaum mehr in Bewegung zu versetzen, selbst nicht durch vorgehaltene Fleischstückchen. Auch dadurch, dass die Beine zu weit abdueirt wurden, ging die Sicherheit des Ganges verloren; es glitt das abducirte Bein nicht selten ab und brachte so das Thier fast zu Falle. ‚Diese Ungeschicklichkeit fand ihren stärksten Ausdruck bei compli- cirteren Bewegungen, insbesondere beim Stiegensteigen. Die Thiere waren nur mit vieler Mühe zu diesem Versuche zu bewegen, da sie beim ersten Male die Stiegen einfach hinunterfielen. Sie kauerten auf jeder Stufe, liessen, wenn man sie antrieb, zunächst die Vorderbeine auf die nächst niedere Stufe abgleiten, dabei glitt, da sie zumeist schief standen, auch eines der Hinterbeine ab und nun stand das Thier hülflos da, bis es entweder das vierte Bein glücklich nachzog oder umfiel. Beim Drehen im Kreise nach vorgehaltenen Fleischstückchen wurde der Kopf auf beiden Seiten dem Schweife gut genähert, im Allgemeinen aber FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 463 die Drehungen im Anfang wenigstens offenbar wegen der Wunde am Halse vermieden. Parallel diesen eben geschilderten Erscheinungen gingen Symptome, die einer mehr oder minder leichten Parese der Extremitäten entsprachen; sie waren bei den doppelseitig operirten Thieren immer nur einseitig und zwar bald rechts, bald links, so dass man sie sicher auf eine Nebenverletzung beziehen konnte; hier also auf Schädigung der absteigenden motorischen Bahnen. Sie kamen beim Stehen in abnormen Fusshaltungen (Zehenstand) zum Ausdruck — beim Gehen in Kratzen und Schaben am Boden; ein einziges Mal war die Nebenläsion so stark, dass es auch beim Gehen zu abnormen Fusshaltungen (Zehengang, Nachschleifen des umgelegten Beines) kam. Nie aber verdeckten diese Paresen die eingangs geschilderten Symptome. Man geht wohl nicht irre, die gleiche Beurtheilung wie den Paresen auch der Herabsetzung des Berührungsreflexes angedeihen zu lassen; und dies insbesondere deshalb, weil die Herabsetzung völlig parallel ging mit der Stärke der Parese. Ein Gleiches gilt für die gestörte Lageempfindung des Fusses. An dem paretischen Glied konnte man mit Vorsicht den Fuss in Zehenstand bringen, oder ihn auf’s Dorsum umlegen, ohne dass der Hund davon Notiz nahm und diese Stellung corrieirte. Es ist hier be- sonders zu betonen, dass diese letzterwähnte Störung, die sowohl .bei ein- seitig als doppelseitig operirten Thieren auftrat, lediglich an den schwerer paretischen Extremitäten zu finden war, dass sie an den wenig geschwäch- ten und den nicht paretischen nicht hervorgerufen werden konnte. Intact erschien die übrige Sensibilität, die Berührungs-, die algetische Empündung, sowie auch der Tonus der Musculatur. Auch die Sehnen- reflexe zeigten nichts wesentlich von der Norm Abweichendes. Es seien nun noch einige Beobachtungen erwähnt, die in Beziehung zur Erhaltung des Gleichgewichtes stehen. Hob man bei solchen Hunden irgend ein Bein, besonders aber eines der Hinterbeine in die Höhe, so taumelte der Hund viel stärker und fiel meist um. Bei häufigeren Wieder- holungen dieses Versuches gelang es dann nicht mehr, den Hund auf die Beine zu bringen, da er sich jedem Emporheben widersetzte. Hielt man solchen Thieren Fleischstückchen vor und brachte diese immer höher, um die Hunde zu zwingen einen Sprung darnach zu thun, so gelang dieser nicht; der Hund stürzte gewöhnlich zur Seite. Auch Emporklimmen an den Beinen des Untersuchers verursachte anfangs Schwierigkeiten und hatte häufiges Abgleiten zur Folge. Fleischstückchen, die auf einem Stuhle lagen, konnten nicht heruntergeholt werden, da der Hund sich auch bei leichter Unterstützung der Vorderbeine nicht in der Höhe halten konnte. Eine wesentliche Steigerung erfuhren die meisten dieser Erscheinungen, besonders die beim Gehen und Stehen aufgetretenen, wenn man dem Thiere 464 OTTO MARBURG: die Augen verband. Es ist selbstverständlich, dass die Hunde vor der Operation gleichfalls mit verbundenen Augen untersucht wurden, um etwaiges geändertes Verhalten zu registriren. Nicht einmal eine besondere Aengstlichkeit kam dabei zum Ausdruck; einzig der häufig wiederholte Versuch die Binde zu entfernen. Streute man jedoch Fleischstückehen auf den Boden, um das Thier abzulenken, so ging es diesen nach, suchte herum, bis alles gefunden war, benahm sich im Uebrigen so, wie mit unverbun- denen Augen. Anders das zweiseitig operirte Thier. Mit Mühe war es zu bewegen, die sitzende Stellung aufzugeben. Es stand viel unsicherer, als mit offenen Augen. Die Beine waren entweder alle abducirt, oder die Vorderbeine adducirt, so dass sie einander berührten, die Hinterbeine abducirt. Dabei schwankte das Thier hin und her, meist in sagittaler Richtung, weniger nach den Seiten. Beim Gehen hatten alle, die das Thier beobachteten, nur den Vergleich mit einem Trunkenen; so deutlich war das Taumeln, das Ueberkreuzen der Beine beim Gehen, das gelegentliche Abgleiten und Hinsinken. | Noch eine Erscheinung liess sich in diesem Zustande besonders schön zeigen. Man konnte’ alle vier Extremitäten beliebig verstellen; die Hinter- beine in maximalste Abduction bringen, sie einander nähern, oder sie vor ‘ einander stellen; man mochte ein Gleiches mit den Vorderbeinen vornehmen, die allerdings keine solehen Exeursionen gestatten wie die Hinterbeine, das Thier corrigirte diese abnormen Stellungen nicht, sondern hielt sie so lange fest, als diese nicht ein Umstürzen zur Folge hatten; äusserst selten wurde ein Bein, das maximalst abdueirt war, addueirt. Das Umgekehrte war nicht zu beobachten. Dieses Verstellen der Beine war gleich ausgesprochen dort, wo ein Umlegen des Fusses möglich war, wie dort, wo nichts auf eine etwa vorhandene Parese hinwies. Durch dieses eigenthümliche Verhalten der Thiere bei verbundenen Augen aufmerksam gemacht, wurde das „Verstellen der Beine“ auch bei offenen Augen geprüft und zwar mit ähnlicher, wenn auch nicht so vollem Effect. Hier kam es öfters vor, dass ein zu weit abdueirtes Bein addueirt wurde. Dabei wendete das Thier seinen Kopf bald nach der Seite des Beines, bald unterblieb dies. Um beim Zustandekommen dieses Phänomens jede Schwäche in der Becken- und Oberschenkelmusculatur auszuschalten, wurde auch hier der Versuch des Emporkommens dieser Theile auf einen Tisch in Seitenlage des Thieres und zwar mit vollem Erfolg ausgeführt. Aus all dem geht hervor, dass die wesentlichsten durch diese Läsion herbeigeführten Störungen das Gehen und Stehen betreffen und es erschien von grösster Bedeutung zu erweisen, ob nicht auch jene Bewegungen ge- stört sind, welehe nur der Willkür des Thieres unterworfen scheinen. Beim FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 465 Hunde kann man vielleicht die Ausführung eingelernter Bewegungen dahin rechnen z. B. das Pfötchengeben. Dieses wurde von einem dressirten Hunde anstandslos vor, wie nach der Operation ausgeführt, anfangs aus sitzender Stellung, später aus Stand. Höchst bemerkenswerth ist es nun, dass in der Intensität dieser ge- schilderten Symptome schon ein Unterschied auftrat, wenn man das Thier gleich nach der Operation beobachtete oder 48 Stunden nach derselben. Im ersten Falle war alles stürmischer, sprang deutlicher in die Augen als im zweiten Falle. Dies deutete entschieden darauf hin, dass ein rascher Ausgleich der Erscheinungen stattfinde. Was zunächst schwand, war das Schwanken beim Stehen und Gehen. Allmähliche Abnahme bis etwa 8 Tage nach der Operation erscheint hier registrirt. Dagegen blieb die Stellungsanomalie der Beine bis zur Tödtung des Thieres (3 bis 4 Wochen nach der Operation) bestehen. Die Abduetion bezw. Adduction war allerdings im Anfang viel excessiver, blieb jedoch bis an’s Ende der Beobachtung deutlich erkennbar. Herr Geheimrath Munk, der die Güte hatte, drei Thiere, die ich selbst nicht bis zur Tödtung beobachten konnte, zu untersuchen, notirt als erstes: „Steht breitbeinig, entweder vorne oder hinten“. Diese Erscheinung blieb von der ersten Woche aufwärts in unveränderter Weise bestehen. Ebenso ein zweites, die abnorme Adduction beim Gehen, das zeitweise Ueberkreuzen; auch hier ist die Intensität, die Häufigkeit desselben in den ersten acht Tagen sehr bedeutend und bedingt das augenfällige Taumeln. Darnach tritt es nur gelegentlich auf, ist aber bis zur Tödtung deutlich erkennbar. Während der dressirte Hund schon am 4. Tage Fleischstückchen vom Stuhle herunterholt, am 7. Tage bereits vom Tischrande ohne zu stürzen, allerdings nach mehrmaligem Anspringen das Gleiche vermag, dauert die Wiederkehr dieser Bewegungscombinationen bei nicht dressirten Hunden 2 Tage länger. Es ist täglich eine derartige Uebung vorgenommen worden und zwar zu einer Zeit, in der die Thiere noch nüchtern waren, um durch die Lockung mit Fieichstückchen das Thier besser anregen zu können. Der Umstand, dass die Thiere von der zweiten Woche an keine wesent- liche Aenderung mehr aufwiesen, bewog neben anderem sie nur 3 bis 4 Wochen am Leben zu erhalten. Um kurz das Wesentliche dieser Erscheinungen zu resumi- ren, so sei Folgendes nochmals hervorgehoben: Die Verände- rungen betreffen vorwiegend den Beckengürtel, weniger den Schultergürtel. Sie äussern sich beim Gehen und Stehen durch Schwanken, Verstellbarkeit der Beine, abnorme Beinhaltungen im Sinne excessiver Ab- und Adductionen, abnorme Becken- ‚ neigung und Wirbelsäulenkrümmung. — Intact scheinen die Archiv f.A.u. Ph, 1904. Physiol. Abthlg. Suppl. 30 466 OTTO MARBURG: % Willkürbewegungen, der Tonus, die Sensibilität — die tiefe ausgeschlossen — und die grobe Kraft. Imconstant treten Paresen auf, wie sie im Anschluss an Läsionen der motorischen Bahnen. beobachtet wurden. Histologischer Befund. Nach der Obduction, die, wie erwähnt, 3—4 Wochen nach der Ope- ration vorgenommen wurde, kamen Rückenmark und Gehirn in toto in Formalin, nachher in Müller’sche Flüssigkeit. Die Dura um die Operations- stelle wurde geschont. Ein 2 bis 3® langes Rückenmarksstück, das in der Mitte ungefähr die Läsion barg, wurde nach Marchi behandelt und in eine möglichst lückenlose Serie zerlegt. Es sei wieder zunächst ein ein- seitig operirtes Thier beschrieben, das auch das Paradigma für die Dar- stellung der Beobachtung gab. Bei der geübten Technik fiel der Schnitt in die obersten Partien des 3. Cervicalsegmentes, mitunter knapp gegen das caudale Ende des 2. Seg- mentes. Er lief parallel der Axe des Hinterhornes, streift dieses an der Vor- bauchung der Substantia gelatinosa, während er vom Apex ein wenig entfernt ‘ bereits im Gebiete des Seitenstranges liegt. Sein tiefster Punkt ist die Basis des Hinterhornes bezw. das Mittelstück der grauen Substanz, wo eine kleine Blutung eine knopfförmige Endigung bedingt. Die lädirte Fläche (Fig. 1, Taf. X) stellt ein Dreieck (Querschnitt) dar, dessen eine Kathete eben ge- schildert wurde, dessen zweite der Rand des Seitenstranges ist und zwar ‚bis zu einem Punkte, der etwa in einer Ebene mit der Hinterhornbasis liegt. Die Hypotenuse dieses Dreiecks stellt aber keine gerade, sondern eine geknickte Linie dar, indem der centrale Theil nahe der erst geschil- derten Kathete verläuft und erst nahe der Peripherie sich von ihr trennt, um dem Endpunkte der 2. Kathete zuzustreben. Dadurch ist fast das ganze Hinterhorn, selbstverständlich der Hinterstrang geschont und im Seitenstrang wesentlich der periphere Theil des dorsalen Abschnittes lädirt. Es ist also vorwiegend das Areal des directen Üerebellartractes durch- schnitten. - Als Nebenverletzung ist in allen Fällen eine leichte Degeneration einer hinteren Wurzel zu verzeichnen, die in wenigen au beim Durch- ziehen des Messers geschädigt wurde. Im Anschluss an diesen Schnitt degenerirt nach aufwärts (Fig. 2, Taf. X) der Tractus spinocerebellaris dorsalis, d. h. jene Fasermasse, die peripher von dem Pyramidenseitenstrang liegt und ventral je nach der Grösse des Schnittes bis nahe der Ebene des Centralcanales, oder bis in oder über diese Ebene reicht. Einzelne degenerirte Fasern finden sich weiters im Pyramiden- seitenstrang selbst. Vielleicht sind dies jene des Tractus intrapyramidalis; FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 467 vielleicht aber nur versprengte der Kleinhirnbahn. Sie kommen wegen ihrer Geringfügigkeit ebenso wenig in Betracht, wie die 5 his 10 Fasern im contralateralen Vorderstrang. — (Tractus spinovestibularis?) Absteigend degenerirt (Fig. 3, Taf. X) nur ein kleiner, und zwar der dor- sale Abschnitt der Pyramidenseitenstrangbahn. Die seitliche Grenzschicht ist frei von Degeneration, dagegen dürfte lateral eng angeschlossen an das Areal der Pyramidendegeneration ein Theil des rubrospinalen Systems gelitten haben. Dies ist allerdings der günstigste Fall. Bei anderen Thieren ist die Pyramidendegeneration, sowie die des rubrospinalen Systemes stärker. Sonst aber findet sich kein wesentlicher Unterschied. Immer sind die Hinterstränge frei, abgesehen von der leichten Degeneration, der dem Herd entsprechenden hinteren Wurzel, was als bedeutungslos hingestellt werden muss. Erwähnt sei ferner, dass die Herde noch reichlich Körnchenzellen ent- halten, zum Theil aber schon narbig verändert sin«. Die Dura ist fest verklebt; es finden sich sogar schon Einziehungen im Herdgebiete, durch Einsinken der Peripherie bedingt (vgl. Fig. 1, Taf. X). Nirgend entzündliche Reactionen. Nur bei einem Fall ist die Verklebung der Meningen ventral- wärts vorgeschritten und hat durch Compression eines Gefässes einen kleinen keilförmigen Erweichungsherd im Areal des Gowers’schen Systemes. erzeugt. Es schliesst sich die leichte aufsteigende Degeneration in diesem Gebiet fast eng an die der Kleinhirnseitenstrangbahn. Die doppelseitig operirten Thiere boten auf einer Seite ein ähnliches Bild, wie das geschilderte bei einseitiger Operation (Fig. 4, Taf. X). Eine gerade Einstichöffnung, parallel dem Hinterhorn bis an dessen Basis reichend, um- säumt von einer Zone zerfallenden Gewebes. Diese sehr schmale Zone enthält einzelne Körnchenzellen. ÜCerebral von diesem Einstich, !/, == höher, be- einnt die Läsion, die das Herausziehen des Messers setzt, indem es ventral geneigt wird. Hier ist der Herd mehr peripher und bildet ein Dreieck, ähnlich dem oben geschilderten. Es ist also auch hier im Wesentlichen die Kleinhirnseitenstrangbahn, weniger Pyramide und rubrospinales Bündel lädirt. Anders auf der zweiten Seite: Hier dringt der Stich in den Hinter- hornapex nicht höher als dieser und lädirt des weiteren nur die Seiten- strangperipherie, die theilweise erweicht ist. Auch hier nirgends entzünd- liche Reactionen. Als Nebenverletzung sind nur die Wurzelbeschädigungen hervorzuheben. Sie betreffen wieder einzelne Bündelchen der zweiten bezw. dritten hinteren Cervicalwurzel. Sonst sind die Hinterstränge völlig intact. Dadurch, dass beim Ausziehen das Messer bald mehr, bald weniger ventral geneigt wurde, ist die Seitenstrangperipherie bald mehr, bald weniger zerstört. Jedoch reicht die Schädigung hier nie in’s Vorderseiten- stranggebiet. 30* 468 OTTO MARBURG: x Während die aufsteigenden Degenerationen nach diesen Schädigungen gleich denen nach einseitiger Durchschneidung sind (Fig. 5, Taf. X), ist dies bei den absteigenden nur auf der Seite der stärkeren Läsion der Fall (Fig. 6, Taf. X). Auf der Seite der schwächeren Läsion ist nur ein dünner Saum von Fasern degenerirt, der dem Tractus spinocerebellaris medial an- liegt. Auf dieser Seite ist also die Absicht, die Kleinhirnseitenstrangbahn möglichst isolirt zu treffen, erreicht worden, da die geringe Anzahl ab- steigender Fasern der Pyramide bezw. des rubrospinalen o kaum für die Symptomatologie in Frage kommt. Es ist also durch diese Läsionen eine Zeistorng im Hinter- seitenstrang herbeigeführt worden, die immer den Hinterstrang schont, vorwiegend die Kleinhirnseitenstrangbahn schädigt und mehr oder minder geringfügige Nebenverletzungen der absteigenden motorischen Bahnen setzt. Vergleich der Beobachtungen mit dem histologischen Befund. Es fand. sich, wie erinnerlich, bei den doppelseitig operirten Thieren — abgesehen von den sonstigen Erscheinungen — eine deutliche Parese einer Seite, und zwar vorwiegend die hintere Extremität betreffend. Das Bein ‘wurde nachgeschleppt, es liess sich umlegen, der Berührungsreflex liess sich kaum auslösen. Immer, wo diese Erscheinungen auftraten, war eine deutliche absteigende Degeneration des Pyramidenseitenstranges und theil- weise auch des rubrospinalen Bündels entsprechend der paretischen Seite. Dort jedoch, wo nur ein paar Fasern der motorischen Systeme gelitten hatten, war nichts von einer Parese bemerkbar, trotzdem das dorsale spino- ‚cerebellare System völlig degenerirt war. Dies im Zusammenhalt mit den Experimenten an der motorischen Rinde, der Pyramidenbahn und dem Rubersystem, die ja alle ähnlichen Effect zeigten, wie die geschilderte Lähmung, zwingt zur Annahme die Parese auf die Läsion der absteigenden motorischen Bahnen zu beziehen. Das Gleiche gilt für die Lagegefühls- störung. Nur bezüglich des Berührungsreflexes (Munk) sei bemerkt, dass er auf der Seite der ziemlich isolirten Läsion des Tractus spinocerebellaris völlie intact blieb, während er auf der Seite der Schädigungen der moto- rischen Bahnen im Anfang völlig fehlte, nach Tagen, aber wenn auch in geringer Intensität, wiederkehrte.e Das spricht für die Anschauung Roth- mann’s, der als centrifugalen Schenkel des Reflexbogens die beiden moto- rischen Bahnen (Pyramide und Rothekernrückenmarksbahn) bezeichnet. Es hat weiters die Bedeutung, dass die dorsale Kleinhirnbahn bei dem Zustande- kommen dieses Reflexes absolut unmbetheiligt ist. Da nun aber diese Bahn die wesentlichste Verbindung des Rückenmarkes zum Kleinhirn darstellt, und ebenso wenig wie das ventrale Rückenmarkskleinhirnbündel für den Be- FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 469 rührungsreflex in Frage kommt, so hat es wenig Wahrscheinlichkeit, dass dieser Reflex überhaupt eine Beziehung zum Kleinhirn hat. Es kämen hierfür nur die Hinterstrangskleinhirnverbindungen in Betracht; die Hinter- strangsdurehschneidung allein aber führt nach Borchert zu keiner Auf- hebung des Berührungsreflexes, so dass auch auf diesem Wege ein Erreichen des Kleinhirns unwahrscheinlich ist. Damit aber, dass die centripetalen Bahnen des Rückenmarks zum Kleinhirn diesen Reflex nicht leiten, fällt Lewandowski’s Ansicht von einem Einfluss des Kleinhirns auf dieses Phänomen ganz in Uebereinstimmung mit Rothmann, der einen solchen Einfluss neeirt. Somit wären alle übrigen Erscheinungen auf die Klein- hirnseitenstrangbahn zu beziehen, da die geringfügigen anderen Degenera- tionen bedeutuneslos sind. Nur eines käme noch in Frage. Es wäre nämlich möglich, dass durch den operativen Eingriff die umgebenden Rückenmarks- partien wohl nicht direet geschädigt aber doch in einen Reizzustand ver- setzt wurden, auf den dann ein Theil der beobachteten Symptome zu be- ziehen wäre. Dem widerspricht in erster Linie der anatomische Befund, Es fand sich nirgend in der Umgebung Hyperämie oder Infiltration; auch wurde das für Oedem charakteristische Lückenfeld vermisst. Weiters hätten in aller erster Linie die Hinterstränge und die Bahnen für Schmerz und Temperatur im Vorderseitenstrang leiden müssen. Von keinem beider trat jedoch ein Symptom hervor, so dass in der That nur erübrigt, alle Er- scheinungen als durch den Ausfall des Traetus spinocerebellaris bedingt zu betrachten. Dabei werden wieder zwei Gruppen unterschieden werden müssen, die direeten Ausfallserscheinungen, und die compensatorischen Vor- gänge, welche auftreten, um den Ausfall wettzumachen. Deutung der Befunde. Nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln treten, wie dies H. Munk erst im Vorjahre zeigte, besonders zwei Dinge in den Vordergrund. Zu- nächst eine Störung, die mehr oder minder allen Bewegungen zukam und durch eine mangelhafte Regulirung derselben bedingt war. Die Bewegungen hatten etwas „Brüskes, Uebermässiges Ungeschicktes“ an sich, „verfehlten ihr Ziel, blieben andererseits auch wieder an Grösse und Stärke hinter den normalen zurück.“ Die zweite Erscheinung betraf „die willkürlichen Ge- meinschaftsbeweeungen der Extremität beim Gehen, Laufen, Springen“, „die gänzlich fehlen, oder nur so unvollkommen zu Stande kommen, dass sie immer nutzlos bleiben.“ Als Gemeinschaftsbewegungen (H. Munk) sind alle jene aufzufassen, „welche zusammen, in Verbindung oder in der Reihe, mit Bewegungen anderer Körpertheile erfolgen“. Die Gemeinschaftsbewegungen der Extre- A470 OÖTTo MARBURG: mitäten, speciell die beim Gehen, Aufrichten u. s. w. werden als Principal- bewegungen bezeichnet und diese Prineipalbewegungen sind es, die bei Läsion der hinteren Wurzel Schaden leiden; es stehen diese Principal- bewegungen im Gegensatze zu den isolirten, oder individualisirten Be- wegungen, die einzig vom Cortex cerebri beeinflussbar sind. Die ersteren jedoch sind ausser vom Cortex noch von subecorticalen Centren — Prineipal- centren — abhängig. Ueber die Regulirung der Bewegungen durch die hinteren Wurzeln sind wohl alle Autoren, die darüber arbeiteten, einig; und was die Schädigung der Prineipalbewegungen anlangt, so sind die Befunde und die Begründungen H. Munk’s so einwandfrei, dass man sich denselben nicht verschliessen kann. In den hinteren Wurzeln befinden sich nun drei Hauptgruppen von Fasern. Die einen wählen den Hinterstrang, in dem sie centralwärts ge- langen, die anderen den Seitenstrang derselben oder der Gegenseite, in welchem sie allerdings nach Unterbrechung in Zellgruppen centripetal streben, während die dritten sich im Rückenmark selbst vertheilen. Die Durchschneidung der ersten Hauptgruppe, was gleichbedeutend ist mit der des Hinterstranges, hat in neuerer Zeit Borchert vorgenommen. Das Resultat derselben sind nur feinere Störungen in Berührungs- und ‚Lageempfindung ohne besondere Localisation. Es fehlt die Läsion der Principalbewegungen, wie sie die Durchschneidung der hinteren Wurzeln charakterisirt. Aber schon Borchert berichtet über zwei Versuche, wo dies doch zum Theile der Fall war, beide mit deutlicher Läsion des Hinterseitenstranges (Versuch IV und Versuch VII). In beiden Fällen taumelten die Hunde beim Gehen wie trunken; daneben häufiges Abgleiten mit allen vier Extre- mitäten. Die Pfoten liessen sich nicht umlegen, nur dort, wo wie in den Fällen leichte Degeneration der absteigenden motorischen Bahnen vorhanden war, fand sich eine Herabsetzung des Berührungsreflexes. Darnach werden wohl auch die von Bechterew seiner Zeit beschriebenen Störungen beim Gehen, nicht, wie der Autor dies wollte auf den geschädigten Hinterstrang zu beziehen sein, sondern auf den Hinterseitenstrang. Auch hier findet sich starkes Taumeln, breitbeiniges Gehen vermerkt — auch hier schon Zunahme der Störungen bei verbundenen Augen. All’ dies im Vereine mit den eigenen Beobachtungen weist darauf hin, dass die zweite Hauptgruppe der Hinterwurzelfasern mit ihrem grössten Antheil in der Kleinhirnseitenstrangbahn wesentliche Beziehungen zu den Principalbewegungen hat. Aber nicht die gleichen wie die der hinteren Wurzeln, denn das Gehen ist — wenn auch schwer — so doch möglich. Es ist bei den Gangstörungen nach Hinterwurzelläsion offenbar noch die dritte Hauptgruppe der hinteren Wurzelfasern, jene, die sich im Rücken- FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 471 marke selbst vertheilen, im Spiele. Abgesehen von der Uebertragung ein- facher Reflexe, von dem grossen Einfluss des Rückenmarkes auf den Tonus der Musculatur (Frenkel), muss man, wie Exner ausführt, „vermuthen, dass gewisse Öoordinationen und ausser den genannten noch andere Regula- tionen durch die sensorischen Impulse auch beim Menschen im Rückenmark geschehen“. Von diesen Coordinationen nun, sei als eine der am frühesten dahin verlegten die Principalbewegung des Gehens genannt (Jaccoud), wofür nun H. Munk den Beweis erbrachte. Aus all’ dem resultirt, dass: Die Läsion der Kleinhirnseiten- strangbahn im Wesentlichen zu einer schweren Schädigung der Prineipalbewegungen führt, die von denen nach Hinterwurzel- läsion verschieden sind. Wodurch ist diese Schädigung bedingt und welcher Art ist sie? Die „Ab- und Adduction“ der Beine und zwar vorwiegend der Hinter- beine, hatte etwas „Brüskes, Uebermässiges, Ungeschicktes an sich“, sie fiel zu gross oder zu klein aus, sie verfehlte ihr Ziel. Dabei war das Becken nicht immer gleich geneigt, die Wirbelsäule oft gekrümmt. Die abnormen Stellungen der Beine beim ruhigen Stehen kamen vorne nur durch zu starkes Auswärtswenden der Zehen zum Ausdruck, entsprechend einer über- mässigen Aussenrotation des ganzen Vorderbeines.. Hinten war es wieder Ab- und Adduction, die am meisten in’s Auge sprangen. Wesentlich dabei ist das leichte Abgleiten der Beine beim Gehen und die Möglichkeit, diese zu verstellen. Alle diese Schädigungen betreffen die peripheren Glieder der Extremitäten gar nicht oder nur indirect, sie sitzen in den obersten Gliedern, oder um es summarischer auszudrücken im Becken- und im Schultergürtel. Und diese Localisation ist charakteristisch für die Prineipalbewegungen, deren „Centren, wie es sich schon früher für die sensiblen Fasern oder Zellen des Rückenmarkes herausgestellt hat, bloss mit denjenigen Rücken- markscentren der Extremitäten in direeter Verbindung stehen, welche die Bewegungen der obersten Glieder herbeiführen, und erst mittelbar durch diese Centren auch die anderen Centren, welche die Bewegungen der unteren Glieder herbeiführen, in Erregung setzen“ (Munk). Da sich objectiv keinerlei Störung: der Hautsensibilität zeigte, so kann die Haut wohl von vornherein als ätiologisches Moment der Erscheinungen nicht in Frage kommen. Betroffen ist in erster Linie die Musculatur. Der Tonus zeigt keine deutlich merkbare Aenderung. Die Muskeln fühlen sich keineswegs schlaf an. Was hier vorliegt, ist, wenn man die Begriffe Hering’s gelten lässt, eine Störung der Erregung, der Centripetalität im Gegensätze zur Sensibilität als bewusster Empfindung. Der regulatorische Einfluss dieser centripetalen Erresungen für das Maass der Innervation ist für die Musculatur des Becken- und Schultergürtels verloren gegangen; das 472 OTTO MARBURG: erklärt die fehlerhaften Ab- und Adductionen, Rotationen und wenn auch weniger hervortretend, der Flexionen. Das scheint aber auch Ursache der fehler- haften Beckenneigung, der übermässigen Annäherung der beiden Extremi- tätenpaare und der Wirbelsäulenkrümmung. Doch sei bemerkt, dass auch andere Momente eine derartige Krüm- mung besonders bei den einseitig operirten Thieren bewirken können. Ist das Thier links operirt, so steht es gewöhnlich Anfangs so, dass es sich auf die rechte Seite stützt. Es hängt also etwas nach rechts über. Steht nun das linke Hinterbein — die Vorderbeine stünden parallel —- in Adduetionsstellung, so zeigt sich die Concavität der Wirbelsäule entweder aufgehoben oder gar nach rechts. Steht das linke Bein aber abducirt und etwas vor das rechte gestellt, so erscheint das Becken und mit ihm der hinterste Abschnitt der Wirbelsäule nach links gedreht, die Wirbelsäule zeigt eine leichte Concavität nach links, wonach diese Wirbelsäulenstellungen als compensatorische zur Genüge charakterisirt sind. Dagegen darf als Beweis, dass auch die Rückenmuseulatur geschädigt ist, die abnorme Beckenneigung angesehen werden, die zweifellos im Anfang deutlich hervor- trat. Wenn auch demnach einem Theile der Erscheinungen nur eine compensatorische Bedeutung zukommen könnte, die Mehrzahl ist doch in . dem Ausfall regulatorischer Factoren bedingt. — Dass diese Factoren centripetaler also subcorticaler und nicht sensibler, corticaler Natur sind, hat die Intactheit bewusster, willkürlicher Bewegungen zur Voraussetzung. Als solche der Vorderextremitäten ist das Pfötchengeben aufzufassen, das ebenso vor, wie nach der Operation vorhanden war. Hier kommt also ‘nicht der Einwurf zur Geltung, als könnte es sich um eine Secundär- bewegung (H. Munk) handeln, wie sie nach Grosshirnverletzungen auf- treten. Der Umstand allein, dass sie gleich nach der Operation in derselben Weise vorhanden war, wie später, dass sie absolut keine Besserung zeigte, sondern in gleich guter Art zu jeder Zeit ausgeführt wurde, spricht dagegen, Für die Hinterbeine mag als. willkürliche Bewegung, die allerdings vorwiegend die Beckengürtelmuseulatur trifft, das Emporkommen des frei- hängenden Körperabschnittes auf den Tisch bei Seitenlage des Thieres er- wähnt werden. Von Rothmann ist dieses ganz ausgezeichnete Moment wiederholt geprüft worden und dabei hat sich gezeigt, dass es nur bei schweren Paresen fehlt, bedingt durch Leitungsunterbrechung im motorischen System. Man kann also wohl auf Grund dieser beiden Beobachtungen die Intactheit der Willkürbewegungen aussprechen. Neben dem Maass der Innervation der Beckengürtelmusculatur kommen jedoch beim Gange noch eine Reihe anderer Momente in Frage. Es müssen, ohne dass ich hier des Näheren in den complicirten Bewegungsmechanismus FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 4713 des Ganges eingehen will (vgl. R. du Bois Reymond), die Fixation des Standbeines mit der Vorwärtsbewegung des Schwungbeines synchron erfolgen, es muss eine „impulsive Muskelaction, die Synergie der Agonisten und ihre funcetionelle Verknüpfung zu einem Act“ eintreten. Nun setzt das zeitliche Ineinandergreifen der einzelnen Muskelactionen zu einem Act relative Inner- vationsgrössen der angesprochenen Muskeln voraus. Das Plus der einen Innervationsvergrösserung compensirt das Minus der anderen; wenn nun aber die Regulation der Innervationsgrösse überhaupt geschwunden ist, dann gerathen die einzelnen Muskelactionen auch zeitlich durcheinander. Es kommt zur Dissociation impulsiver Actionen (Förster), hier derer des Gehens und Laufens. Es erhebt sich nun aber die Frage, ob die Musculatur das Einzige ist, was gestört erscheint, oder ob auch die Gelenke daran Theil haben. Indirect ist dies gewiss, da wir ja seit Schiff’s grundlegenden Untersuchungen wissen, welche wichtige Rolle die Fixation der Gelenke bei den Bewegungen spielen. Dass diese Fixation in den vorliegenden Fällen wesentlich betroffen ist geht, aus zwei Erscheinungen hervor. Die eine ist das Schwanken, das schon beim Stehen augenfällig wird, wenn absolut kein Grund einer Gleich- gewichtsstörung vorliegt; die zweite die Verstellbarkeit der Beine. Man kann die Abduction ad maximum führen, dabei das Bein rotiren, vorstellen, - also im Hüftgelenk beugen, das Thier ändert, insolange es nicht umfällt, diese Stellung nicht. Und dieser Umstand legt nahe, dass auch die Ge- lenke selbst in ihrer Eigenregulation gestört sind, wodurch die Erscheinungen eine wesentliche Steigerung erfahren. Es ist diese Verstellbarkeit wiederum nur auf Bewegungen im Schulter- bezw. Beckengürtel beschränkt, da ja das einfache Umlegen der Pfote nicht gelingt, insofern nicht eine gleich- zeitige Pyramidenläsion vorliegt. Das Thier macht in dieser Beziehung ganz den Eindruck eines kataleptischen, und zwar eines partiell kataleptischen. Es soll dabei keineswegs die Verstellbarkeit mit der als Katalepsie bezeich- neten Störung bewussten Wollens identifieirt werden; einzig die Aehnlichkeit der beiden Erscheinungen sei dadurch charakterisiert. Aber es kann dieser Verstellbarkeit noch eine andere Ursache zu Grunde liegen, die später noch zur Sprache kommen soll — die Störung in der Erhaltung des Gleichgewichtes. Zuvor sei jedoch noch eine Thatsache hervorgehoben, die nämlich, dass die Erscheinungen an den hinteren Extremitäten weitaus deutlicher waren, als an den vorderen. Dies hat mehrfache Gründe. Zunächst spielen die hinteren Extremitäten bei den Principalbewegungen des Hundes eine weit grössere Rolle als die vorderen. Letztere nähern sich in ihren Verrichtungen vielfach den oberen Extremitäten des Menschen. Dann aber ist die Masse der Beckengürtelmusculatur eine weitaus grössere und leichter in ihren 474 OTTO MARBURG: Functionen controlirbare als die des Schultergürtels. Sie fixirt, was für das Gehen von grösster Bedeutung ist, die Wirbelsäule. Beim Springen und sprungartigen Laufen ist es vorwiegend diese Muskelgruppe, die den Körper vom Boden abwickelt. Ebenso beim Emporkommen und Aufrichten. Dies alles zeigt die Bedeutung des Beckengürtels für die Prineipalbewegungen und stellt ihn für diese weit über den Schultergürtel, bezw. die vorderen Extremitäten, welche mehr geeignet sind, individualisirte Sonderbewegungen auszuführen. Lässt man ein doppelseitig operirtes Thier Stufen hinauf- oder herab- steigen, so tritt das Taumeln und Torkeln noch mehr in den Vordergrund; es geht so weit, dass sich das Thier überstürzt, hinfällt. Ausserdem kann man ein derart operirtes Thier kurz nach der Operation nicht auf drei Beinen stehend erhalten; sofort nach dem Erheben eines Beines stürzt das Thier. Aehnliche Erscheinungen von Gleichgewichtsstörung beschreibt Roth- mann bei Hunden, denen er beide Vorderstränge inclusive die Vorder- seitenstränge durchschnitten hat. Dabei ist das vestibulospinale System, sowohl das des Vorderstranges, als das des Seitenstranges lädirt worden, sowie die im Vorderstrang befindlichen Fasern des hinteren Längsbündels. . Hier liegt die Ursache der Störung in der partiellen Ausschaltung des grossen Systems vom Deiters’schen Kern, das nach den grundlegenden Unter- suchungen A. Spitzer’s der Orientirung im Raume dient. Es sind nicht nur Fasern des motorischen Schenkels dieses Reflexbogens lädirt (hinteres Längsbündel), sondern auch solche der sensiblen Zuleitungen, wie wir sie u. A. im spino-vestibularen System zu suchen haben. Es sind hier die centralen Bahnen der sensiblen Halsnerven, welche die Empfindungsreize von der Haut und den Muskeln des Halses leiten, ebenso gestört, wie die motorischen des hinteren Längsbündels, welche den Muskeln des Kopfes und Halses regulirende Bewegungsimpulse zuführen. Die Gangstörungen könnten also hier — in den Rothmann’schen Fällen von Vorderseitenstrangdurch- schneidung — wahrscheinlich .indirect durch die gestörte Orientirung im Raume bedingt sein, obwohl man sonst allgemein (Bruce u. A.) eine direste reflectorische Beeinflussung des Gleichgewichtes durch dieses System annimmt. Weit anders aber ist dies in den vorliegenden Fällen, wo die Läsionen das Vorder- und Vorderseitenstranggebietes ganz und gar nicht tangirten. Hier muss der Gleichgewichtsstörung eine andere Ursache zu Grunde liegen; und zwar ist dies die mangelhafte Unterstützung des Schwerpunktes bei den Prineipalbewegungen. Nun kommt, wie bereits erwähnt, dem Beckengürtel eine grosse Be- deutung beim Stehen, Gehen und Laufen zu. Die Erhaltung des Gleich- FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 475 gewichtes bei diesen Bewegungen aber ist unter Anderem sehr wesentlich abhängig von der genügenden Unterstützung des Schwerpunktes durch die Beckengürtelmusculatur, die bei jeder Massenverschiebung gewahrt bleibt. Die fehlerhafte Innervation, insbesondere jene maximalen Ab- und Adduc- tionen, vertheilen die unterstützenden Massen aber ungleich und führen zu übermässiger Unterstützung einer, mangelhafter der anderen Seite, wodurch das starke Taumeln, Schwanken una eventuelle Umstürzen bedinst ist. Diese Unsicherheit in der Erhaltung des Gleichgewichtes lässt vielleicht die Verstellbarkeit in einem anderen Lichte erscheinen. Das Thier meidet in den ersten Tagen nach der Operation so viel als möglich das Stehen und Gehen. Meist liegt es oder sitzt mit erhobenem Vorderkörper. Das Thier ist ängstlich, weil es bei den Bewegungen üble Erfahrungen gemacht hat und noch nicht weiss, wie es den Ausfall compensiren soll. Wenn es steht, macht es spontan keine Bewegungen, aus Furcht, das Gleichgewicht zu verlieren. Wenn man ihm nun die Beine verstellt, macht es — noch ängstlicher geworden — erst recht keine Bewegungen, die Stellung zu corrigiren. Es ist also wohl möglich, dass diese passive Verstellbarkeit einzig der Angst des Thieres vor jeder Bewegungsänderung entspricht, die es in Gefahr bringen könnte, umzustürzen. Damit im Zusammenhange steht wohl auch, dass dieses Symptom bei der fortschreitenden Besserung der Veränderungen als eines der ersten schwindet. = Diese Gleichgewichtsstörung nun erfährt einen beträchtlichen Grad von Steigerung, wenn man dem Thiere die Augen verbindet, eine Erschei- nung, die auch schon Bechterew’s Aufmerksamkeit hervorrief, als er sie bei den Thieren nach angeblich isolirter Hinterstrangsaffection auftreten sah. Man könnte hier, wie bei der Verstellbarkeit, das Moment der Angst heranziehen und in dem Schwanken und Taumeln beim Gehen ein ängst- liches Hin- und Hertappen sehen. Die Hunde mühten sich auch mit den Vorderpfoten den lästigen Verband zu entfernen und führten continuirlich Wischbewegungen aus. Da diese keinerlei Abweichung von jenen zeigten, welche die Hunde vor der Operation zu gleichem Zwecke anstellten, so kann man hierin wieder einen Beweis für die Intactheit der Willkür- bewegungen erblicken. Aber nicht nur beim Gehen und Laufen zeigte sich ein Einfluss der Augen, sondern selbst bei einfachem Stehen. Hier kommt die Aengstlich- keit weniger in Betracht und man kann wohl nur an eine directe Beein- Hiussbarkeit der Principalbewegungsregulation durch den wichtigsten aller Sinne, den Gesichtssinn, denken. Dafür sei als altbekannte Thatsache die Steigerung des Schwankens beim Stehen angeführt, wie sie sich bei Tabikern nach Augenschluss findet — Romberg’sches Phänomen. — . Es ist nur auffällig, dass beim Hunde, wo die Erscheinungen doch auch die 476 OTTO MARBURG: / hinteren Extremitäten zumeist und am stärksten betreffen, und diese dem Gesiehtssinne eigentlich am wenigsten unterworfen sind, trotzdem Rom- berg’sches Phänomen auftritt. Es beweist dies nur, wie wichtig der Ge- siehtssinn für die Statik im Allgemeinen ist, nicht nur für jene, die als Functionale der intacten Raumvorstellung aufzufassen ist. Wenn auch dessen Verknüpfung mit den diesbezüglichen Bahnen und Centren keine so sinnfällige ist, wie die mit dem Deiters’schen Kern, da sie nicht im Kleinhirn selbst sich findet, so ist doch, wie später noch ausgeführt werden soll, Gelegenheit genug vorhanden, dass Lichtreize mit den die Prineipal- bewegungen beherrschenden Kleinhirnbahnen in Contact treten. Die Sicherung der Principalbewegungen ist eine überaus weitgehende. Nicht genug, dass ein subcorticales, das Prineipalcentrum Munk’s sie be- herrscht, auch der Cortex cerebri und das Rückenmark haben einen wesent- lichen Antheil daran, wie dies ja bereits angeführt wurde. Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, dass Störungen eines dieser Theile oder gar nur zu- führender Bahnen zu Erscheinungen führen, die sich relativ rasch aus- gleichen können. Ein Defect bleibt wohl immer bestehen, doch fällt er kaum auf, wenn die Correctur der Bewegung, die Compensation des Aus- falles von den noch intacten Theilen besorgt wird. Das zur Erklärung ‘ der raschen Besserung der Symptome nach Durchschneidung der Klein- hirnseitenstrangbahn. Da eine partielle Kreuzung dieser letzteren im Kleinhirnwurm sicher- gestellt ist, kann geschlossen werden, dass eine Bahn auf beide Körper- hälften Einfluss nimmt. Das übrigens schon von Nothnagel betonte Verhalten der innigen Verknüpfung beider Wurmhälften erklärt nun auch, _ warum die einseitige Durchschneidung der Bahn keine so deutlichen Sym- ptome macht, und erst die doppelseitige den vollen Ausfall erkennen lässt. Aus all’ diesem geht nun folgendes hervor: Die Kleinhirnseitenstrangbahn (Tractus spinocerebellaris dorsalis) hat wesentlichen Antheil an der Regulirung der Prin- cipalbewegungen. ; Sie besorgt dies durch Einwirkung auf den Beckengürtel, weniger- auf den Schultergürtel, daersterer beim Stehen, Gehen und Laufen von grösserer Bedeutung ist. Sie wirkt zunächst auf die Musculatur, indem sie die Innervationsgrösse beherrscht; am Beckengürtel also auf die dort zusammentreffenden Muskeln des Wirbelsäulenendes, des Gesässes, der Oberschenkel, die, wie schon Duchenne ausführt, die Principalbewegungen beherrschen. Dies allein genügte, die Dissociation der nothwendigen Synergien herbeizuführen, oder um 'den vieldeutigen, bisher FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 47 vermiedenen Ausdruck anzuwenden, statische und locomoto- rische Ataxie zu erzeugen und schwere Gleichgewichtsstörungen herbeizuführen. Da aber den Principalbewegungen noch andere Theile des Centralnervensystems dienen, findet eine relativ schnelle und weitgehende Compensation der Erscheinungen statt. Uebereinstimmung der Befunde mit den anatomischen Verhältnissen. Es erübriet nun noch diese Resultate mit den anatomischen Verhält- nissen in Einklang zu bringen. Wie aus den Darlegungen Schacherl’s, dem wir eine zusammenfassende Darsteliung der Clarke’schen Säule und ihrer Faserung verdanken, hervorgeht, hat diese beim Hunde ihre stärkste Entwickelung im untersten Dorsal- und obersten Lumbarmark. Die Fibrae afferentes dieser Zellen entspringen zwei bis drei Segmente tiefer, die efferentes dagegen gelangen noch in demselben Segment in das Areal des dorsalen Spinocerebellartractes.. Auch im oberen Cervicalmark — vom 2. Cervicalsegment abwärts — findet sich die Säule, die nur in den unteren Cervicalsegmenten fehlt. Es ist nun sichergestellt, dass die Beckengürtelmusculatur, wie sie oben aufgezählt wurde, ihre sensiblen Fasern aus der Lendenanschwellung bezieht. Nach den Ausführungen Schacherl’s entstammen die Fibrae efferentes der stärksten Entwickelung der Clarke’schen Säule aus Segmenten, die 2 bis 3 Höhen tiefer gelegen sind, also die für unterstes Dorsal- und oberstes Lumbarmark aus den hinteren Wurzeln des mittleren und unteren Lumbarmarkes. Damit ist eine Uebereinstimmung der anatomischen mit den physiologischen Verhältnissen wohl als erwiesen zu betrachten. Auch anatomisch tritt die grössere Bedeutung des Beckengürtels hervor. Ein interessantes Detail sei hier hervorgehoben. Bei jener Thiergruppe, die ihren Beckengürtel funetionell stark in Anspruch nimmt durch zeit- weilige aufrechte Körperhaltung und Fortbewegung in dieser — den Känguruhs — ist die Clarke’sche Säule mächtig entwickelt. Grünwald, der die relativen Grössenverhältnisse der Kleinhirnarme untersuchte, konnte demgemäss auch eine auf Kosten der Kleinhirnseitenstrangbahn erfolgte starke Vergrösserung des Corpus restiforme constatiren. Im Gegensatze hierzu findet sich beim Dasypus, dem Gürtelthier, eine geringe Entwickelung der Clarke’schen Zellen und eine kaum erkennbare Kleinhirnseitenstrang- bahn. Beim Menschen, wo durch die aufrechte Stellung die Erhaltung des Gleichgewichtes auf die vordem geschilderte Weise fast lediglich dem Becken- ‘ gürtel zufällt, ist die Entwickelung der Clarke’schen Säule am stärksten. 478 OTTO MARBURG: | } Noch zwei. Momente müssen jedoch in Betracht gezogen werden. Das erste betrifft eine von verschiedenen Seiten betonte Endigung der Klein- hirnseitenstranghahn im Rückenmark selbst (Hoche, Rothmann, Sherrington). Für den Menschen gelang es mir nicht (Monatsschrift für Psychiatrie 1903), dieselbe nachzuweisen. Jedenfalls ist die Zahl der im Rückenmark endigenden Fasern äusserst geringfügig, so dass ein wesent- licher Einfluss auf die Function des cerebellaren Antheiles unwahrscheinlich ist. Man muss auch daran denken, dass diese Fasern anderer Natur sein könnten, etwa jenen analog, die im Pyramidenareal aufsteigend degeneriren, dass sie demgemäss nichts mit der Function der Kleinhirnbahn zu thun haben; wo hingegen eher Fasern aus dem Areal des Gowers’schen Tractes engere Beziehungen zu denen der Flechsig’schen Bahn besitzen, wenn nicht gar, wofür ihre Endigung im Kleinhirnwurm spricht, gleichbedeutend mit diesen sind. Das zweite Moment ist die von Collier und Buzzard behauptete Endisung von Pyramidenfasern an den Clarke’schen Zellen, eine Be- obachtung, die ich selbst bei ausgedehnten Pyramidenläsionen nicht be- stätigen kann, die auch hier, wo es sich um so ausgesprochen centripetale Störungen handelt, nicht in Frage kommt. Man hat in den letzten Jahren eine Reihe motorischer Bahnen ana- tomisch sowohl als physiologisch näher kennen gelernt. Man hat gezeigt, dass die Pyramidenbahn den feinsten Willküracten, den. individualisirten Sonderbewegungen dient. Die indessen vielfach bestätigten Untersuchungen Spitzer’s haben dargethan, dass das hintere Längsbündel „die zum Aus- _ tasten des Raumes nothwendigen Bewegungsimpulse führt“, dass es der „motorische Schenkel eines zur räumlichen Orientirung dienenden Reflex- bogens ist“, welch’ letzterer „zur Auffassung der räumlichen Beschaffenheit der uns umgebenden Objecte, d. h. zum Aufbau unserer extensiv geordneten Vorstellungswelt“ dient. Es ist also nicht nur, wie Bruce u. A. dies aus- führten, eine reflectorisch bewirkte Störung des Gleichgewichtes, welche nach Läsion im System des Deiters’schen Kernes, dem das Längsbündel als "eflectorische Componente angehört, auftritt, sondern eine Störung der räumlichen Orientierungsempfindung, die das Schwanken hervorruft. Als drittes motorisches System sei nun das rubrospinale angeführt (Monakow’- sches Bündel), dessen physiologische Stellung vorwiegend durch die Arbeiten Rothmann’s erwiesen wurde. Seine Intactheit ermöglicht bei bestehendem Pyramidendefect die Ausführung der Principalbewegungen. Das Vorhanden- sein einer directen Kleinhirn-Rückenmarksbahn, eines vierten motorischen Systems, kann wohl als ausgeschlossen betrachtet werden (vgl. diesbezüglich Breuer-Marburg, Apopl. Bulbärparalyse). FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 479 Die centripetalen Bahnen, welche mit diesen motorischen correspondiren, sind für die Pyramide die mediale Schleife, für das hintere Längsbündel Fasern aus dem Vestibularis, dem Opticus, den hinteren Wurzeln des Nackens und Halses. — Für das rubro-spinale Bündel aber sind solche directe Fasern bisher nicht bekannt. Hier führt der Weg centripetaler Erregungen über das Kleinhirn. Von diesem ist seit langem die Verbindung des Nucleus dentatus zum rothen Kern bekannt und vorwiegend nach Untersuchungen am Menschen festgestellt, dass sie Regulirung von Bewegungen besorgt (vgl. diesbezüglich die Zusammenstellung bei v. Halban-Infeld). Vom Kleinhirn selbst wird ja diese Angabe der Regulirung von Bewegungen gleichfalls seit langem ge- macht, und es sei hier besonders auf Obersteiner hingewiesen, der diese Regulirung etwas genauer specificirt, indem er „durch dieses Centrum den einzelnen Muskelcontractionen die nothwendige, richtig abgemessene Kraft zur Erzielung einer coordinirten Gesammtbewegung“ zuweisen lässt, ein Gedanke, den Förster des Näheren ausführt. Es findet sich in ihm die Ansicht Lussana’s, der auch Lewandowski beipflichtet, dass es vor- wiegend centripetale Erregungen sind, die hier verwerthet werden, jene von Luciani so befehdete Anschauung, das Üerebellum sei ein Organ des Muskelsinnes. Es wird diese Frage bei dem hochentwickelten Kleinhirn der Säuger kaum zu entscheiden sein, und ebenso wenig der Zusammenhang vom Bindearm mit dem Spinocerebellartract. Steigt man aber in der Thierreihe hinab, so hat man nach Edinger bis zu den Selachiern eine constante spinocerebellare Bahn; es sind hier — was für die Vögel von Schacherl bereits bestätigt wurde — Zellen, die der Stilling-Clarke’schen Säule entsprechen dürften. Constant ist ferner der Lobus medianus des Klein- hirns, der spätere Wurm, während die Lobi laterales erst bei den Vögeln als kleine Appendices auftreten. In‘der Tiefe dieses Wurmes nun gelegene Kernmassen stehen mit dem Mittel-Zwischenhirn in Verbindung durch einen Faserzug, der wohl mit dem Bindearm der Säuger zu identificiren ist. Die Kerne in der Tiefe. des Wurmes also sind den Kleinhirnoliven homolog, während der Mittel-Zwischenhirnkern dem Nucleus ruber ent- sprechen dürfte. Es stellt sich also diese phylogenetisch constante Ver- bindung des Rückenmarkes mit dem Nucleus ruber so dar, dass sie im Wurme eine Unterbrechung findet, den sie durch den hinteren Kleinhirn- stiel betritt, durch den vorderen verlässt. Im Nucleus ruber hätten wir auch die Stelle, wo optische Reize auf diesen Reflexbogen Einfluss nehmen können. Dieses System nun, das sich zusammensetzt aus hinterer Wurzel — ‚ Clarke’sche Säule — dorsale spinocerebellar-Bahn — Kleinhirnwurm — 480 OTTO MARBURG: : / Nucleus dentatus — Bindearm — Nucleus ruber — rubrospinales Bündel — ist in seiner Einfachheit bei den Säugern nicht mehr zu finden. Neue Verbindungen benützen gleiche Wege und verdecken die ursprüngliche Function. Insbesondere ist es die Entwickelung des Grosshirns, das für die Bewegungen eine dominirende Rolle spielt, während die subcortiealen Centren ihre Bedeutung verlieren. In dem Maasse, als der Cortex Be- deutung für eine Bewegungsart gewinnt, muss er auch Anschluss finden an die centripetal regulirenden Bahnen dieser Bewegungsart und das lässt sich bei der vorerwähnten Systemgruppirung leicht zeigen, indem eine be- trächtliche Anzahl Bindearmfasern direct, andere indirect den Thalamus und damit Rindenanschluss erreichen. Vieles weist jedoch noch darauf bin, dass auch bei den Säugern der vorerwähnte Reflexbogen vorhanden ist, wenn auch gerade im Kleinhirn sein Zusammenhang kaum mehr erkennbar ist. Ohne in die Controverse bezüglich der Kleinhirnfunction einzugreifen, kann man aus den vorliegenden Untersuchungen schliessen, dass der älteste Kleinhirntheil, der Wurm, dadurch, dass er die Kleinhirnseitenstrang- bahn aufnimmt, Beziehungen zur Muskelsensibilität besitzt. Und zwar zu jenen Muskeln, die für die Principalbewegungen von der grössten Be- deutung sind, jenen des Beckengürteis. Denn schon beim Thiere treten die des Schultergürtels zurück, während beim Menschen für die Inner- vation dieser fast nur der Öortex zur Verfügung steht. Von der analogen Vorstellung ausgehend, dass die motorische Function des Kleinhirns in der Tbierreihe sich immer mehr auf statische und locomotorische Bewegungen beschränkt, glaubte Spitzer (a. a. O. S. 55), dass die geringere Schädigung der Beine bei cerebralen Hemiplegien auf eine doppelte Innervation — Grosshirn- Kleinhirn — zurückzuführen sei; als anatomisches Substrat wäre der vorhin beschriebene Reflexbogen heranzuziehen, dessen motorischer Schenkel — das rubrospinale Bündel — beim Menschen nur mehr eine geringe Entwickelung zeigt. Damit fände auch die schwere Gleichgewichtsstörung, die nach Wurmläsionen von Nothnagel zuerst beim Menschen beschrieben wurde, eine ausreichende Erklärung, zumal hier im Wurm zur spinalen Com- ponente noch eine vestibulare hinzutritt, — und die Gleichgewichtserhaltung beim aufrechten Stehen und Gehen leichter gestört werden kann, als bei den Vierfüsslern. FUNCTION DER KLEINHIRNSEITENSTRANGBAHN. 481 Litteraturverzeichniss. Bechterew, Ueber die Erscheinungen, welche die Durchschneidung der Hinter- stränge des Rückenmarkes bei Thieren herbeiführt. Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. S. 489 ff. Bonhöffer, Ein Beitrag zur Localisation der choreatischen Bewegungen. Monats- schrift für Psychiatrie und Neurologie. 1897. 8.6f. Borchert, Untersuchungen an den Hintersträngen des Rückenmarkes. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthle. S. 384 ff. Braune und Fischer, eitirt nach R. Du Bois-Reymond. Bruce, The Localisation and Symptoms of Disease of the Cerebellum .. British medical Journal. 1899. 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Lewandowski, Ueber die Verrichtungen des Kleinhirns. Zbenda; 1903. Physiol. Abthlg. 8.129. Luciani, Das Kleinhirn. Leipzig 1893. Lussana, Fisiologia e patologia del cerveletto. Verona 1885. Marburg in Breuer-Marburg, Zur Klinik und Pathologie der apopleetiformen Bulbärparalyse. Arbeiten aus dem neurologischen Institut an“der Wiener Universität. IX. Heft. S. 181. Derselbe, Zur Frage des antero-lateral Tractes von Gowers. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 1903. S. 486. Derselbe, Mikroskopisch-topographischer Atlas des menschlichen Centralnerven- systems. Wien, Deuticke 1904. H. Munk, Ueber die Functionen der Grosshirnrinde. 11. Aufl. Berlin 1890. Derselbe, Ueber die Fühlsphären der Grosshirnrinde. Seizungsberichte der kgl. preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. I. Thl. 1892, II. Thl. 1893, II. Thl. 1894, IV. Thl. 1895, V. Thl. 1896. Derselbe, Ueber die Folgen des Sensibilitätsverlustes der Extremität für deren Motilität. Ebenda. 1903. 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Derselbe, Zur Anatomie nnd Physiologie des Vorderstranges. Meurologisches Centralblatt. 1903. S. 744. Derselbe, Ueber die Leitungsbahnen des Berührungsreflexes .... Dies Archiv. 1904: Physiol. Abthlg. S. 256 ff. Schacherl, Ueber Clarke’s „posterior vesicular columns“. Arbeiten aus dem neurologischen Institut an der Wiener Universität. 1902. VIII. Heft. S. 314. Schiff, Lehrbuch der Physiologie. 1858. ; Sherington, Journal of Physiologie. 1903. Spitzer, Ein Fall von Tumor am Boden der Rautengrube. Arbeiten aus dem neurologischen Institut an der Wiener Universität. 1902. VI. Heft. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1903—1904. XIV. Sitzung am 24. Juni 1904. 1. Hr. Professor Dr. F. Krause (a. G.): „Ueber Hirnrindenreizung beim Menschen mit Projectionen.“ Im Allgemeinen finden sich in den Lehrbüchern die einzelnen Foci, von denen aus die verschiedenen Muskelgruppen der gegenüber liegenden Körper- seite faradisch erregt werden können, ziemlich gleichmässig auf die Gehirn- abschnitte vor und hinter der Centralfurche vertheilt. Nur Kocher hat in seiner Darstellung im Nothnagel’schen Handbuch im Wesentlichen die vordere Centralwindung als Sitz der motorischen Centren aufgeführt und eine dementsprechende Abbildung gegeben. Nun haben Sherrington und Grün- baum! durch Experimente an Gorilla, Schimpanse und Orang-Utang mittels einpoliger faradischer Reizung neuerdings festgestellt, dass die sogenannte motorische Region die ganze Länge der vorderen Centralwindung ohne Unterbrechung und an den meisten Stellen auch ihre ganze Breite oder wenigstens deren grösseren Theil für sich beansprucht. Sie breitet sich ferner in die Tiefe des Suleus Rolandi aus, indem sie dessen vordere Wand, an einzelnen Stellen auch den Grund, ja in gewisser Ausdehnung sogar den tiefsten Abschnitt der hinteren Furchenbegrenzung einnimmt. Aber auf die freie Fläche der hinteren Oentralwindung haben Sherrington und Grün- baum niemals das motorische Gebiet sich ausdehnen sehen, und zwar war das Ergebniss an allen untersuchten 19 Hemisphären das Gleiche. Dagegen greift jenes Gebiet auch auf die mediale Fläche der grossen Hemisphäre über, reicht aber nicht bis zum Sulcus calloso-marginalis herab. Die vordere Begrenzung wird grossentheils nicht durch irgend eine Furche gebildet, vielmehr erstreckt sich die motorische Region in den Suleus praecentralis, in dessen oberen und unteren Abschnitt hinein, überschreitet ihn oben sogar. Hierbei scheint nicht sowohl die Ausdehnung der motorischen Region, als vielmehr die Anordnung des Sulcus grossen Verschiedenheiten unterworfen. Die Furchen der Frontalregion sind zu inconstant, als dass sie als Grenzen der functionellen Centren bezeichnet werden könnten. Dazu kommt die Häufigkeit individueller Abweichungen und die Unsymmetrie in beiden Hemisphären. Dem gegenüber ist die Anordnung der physiologisch 1C.8.Sherrington and A.S.F. Grünbaum, Observations on the physiology of the Cerebral Cortex of some of the higher apes. Pr oceedings of the Royal Society. 1901. Vol.LXIX. — Localisation in the motor Cerebral Cortex of the Anthropoid. Trans- actions of the Pathological Society of London. 1902. Vol. LII. Part I. p. 127 ff. 484 VERHANDLUNGEN DER BERLINER $ bestimmten Oentren der motorischen Region recht constant. Als anatomische Anhaltspunkte von wirklichem Werth wurden nur die beiden Kniee der Rolando’schen Furche erkannt. Selbst mit schwachen Strömen konnten die Untersucher von der vorderen Centralwirkung aus stets Muskelzuckungen auslösen, von der hinteren gelang dies in unzeideutiger Weise nicht einmal mit sehr starken Strömen. Dem entsprechend verursachten auch geringe Verletzungen der vorderen Windung ausgesprochene, allerdings bald vorübergehende Lähmnngen und absteigende spinale Degeneration, ähnliche und grössere Verletzungen im Gebiete der hinteren Centralwindung weder das eine noch das andere. Aus historischen Gründen und zur Ehre unserer deutschen Wissenschaft darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass Hitzig bereits 1574 die vordere Centralwindung „als die eigentlich motorische Partie der Hirnrinde des Affen oder vielmehr als denjenigen Theil bezeichnet hat, welcher in sehr ober- lächlicher Lage Zusammenfassungen fast sämmtlicher Körpermuskeln enthält“. Sollte nun etwa das menschliche Gehirn Abweichungen aufweisen? Die Frage ist gewiss vom höchsten Interesse, und daher habe ich’ bei allen Gehirnoperationen seit der Zeit, als ich die neuen Sherrington’schen Untersuchungen aus den Jahren 1901 und 1902 bereits kannte, die faradi- sche Reizung in der von ihm angegebenen Weise ausgeführt. Im Ganzen handelt es sich um: 12 Fälle. Sherrington und Grünbaum verwendeten zu ihren Versuchen die einpolige faradische Reizung; diese Methode ergiebt feinere Localisationen als es mit der gewöhnlich gebrauchten doppelpoligen Faradisation möglich ist. Ich benutze den secundären Strom eines kleinen transportablen In- duetionsapparates mit zwei Leclancheelementen. Da jetzt in den meisten grossen Krankenhäusern die Anschlusstableaux zur Benutzung eines Central- stromes eingeführt sind, möchte ich ausdrücklich erwähnen, dass ich damit für unsere Zwecke keine guten Erfahrungen gemacht habe und den sehr handlichen Hirschmann’schen Apparat durchaus bevorzuge. Beim vollen Herausziehen der secundären Spirale und des Eisenkerns ist der Strom so schwach, . dass er auf meiner Zungenspitze ein leichtes Kribbeln erzeugt; mit dieser Stromstärke beginne ich, um sie nöthigenfalls durch Einselneben des Eisenkerns zu verstärken. Sherrington und Grünbaum fanden, dass die Erregbarkeit der motorischen Region, wie sie durch die geringste eben noch Muskelzusammen- ziehungen erregende Stromstärke gemessen wird, sowohl beim anthropoiden als beim niederen Affen practisch die gleiche ist, obwohl die Region bei jenen in- mancher Beziehung weit complicirter als bei diesen sich gestaltet. Nach meinen Erfahrungen kommt man auch beim menschlichen Hirn im Allgemeinen mit ganz geringen Stromstärken aus, sofern.man folgenden, von Hrn. Sherrington mir brieflich ertheilten Rath beachtet. Ich habe meist, bevor ich die Faradisation der Hirnrinde vornahm, die Arachnoidea an einer abschüssigen Stelle sorgfältig durehtrennt, ohne die Pia zu verletzen. Dann sickert die subarachnoidale Flüssigkeit ab, wie man das besonders deutlich bei ödematöser Arachnoidea beobachten kann. Die Windungen sind nun, namentlich in der Nähe der Sulei, nicht mehr von diesem schlechten elektrischen Leiter bedeckt. Die Reizung der Hirn- rinde liefert dann viel regelmässigere und genauer localisirte Ergebnisse. Die Faradisation wird also bei intacter Pia vorgenommen, auch die Arach- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. KRAUSE. 485 noidea ist von mir in allen Fällen an einer Stelle eröffnet worden, die weit unterhalb der gesuchten Foci gelegen war. Das Abziehen der Pia am lebenden Gehirn würde stets zu erheblichen Verletzungen der obersten Zellschichten führen, ein sicheres Ergebniss also vereiteln. Die von mir verwendete auskochbare Electrode! ist aus Gründen der Asepsis 30 “® lang, damit an ihrem Ende die Leitungsschnur eingeschraubt werden kann, ohne dass die Hand des Operateurs einer unerlaubten Be- rührung ausgesetzt werde. Sie endet vorn in ein feines Platinkügelchen. Ein Handgriff aus kochbarem Guttapercha sichert die exaete Isolirung. Ist die Hand des Öperateurs feucht, so muss der Handgriff noch mit steriler trockener Gaze in mehrfacher Schicht umwickelt werden. Der Strom des anderen Poles wird mittels einer 704% srossen Plattenelektrode, die mit Kochsalzlösung getränkt ist, irgendwo an den Rumpf oder an die nicht be- theiligten Extremitäten herangeführt. Wie die physiologischen Eigenschaften der vorderen und hinteren Centralwirkung verschieden sind, so zeigt auch ihr mikroskopischer Bau ganz wesentliche Structurunterschiede. Ausser Anderen hat K. Brodmann vom neurobiologischen Institut zu Berlin in seinen „Beiträgen zur histo- logischen Localisation der Grosshirnrinde“ ausgedehnte Untersuchungen der menschlichen Hirnrinde veröffentlicht, auf die ich hier nur verweisen kann. Meine bei der faradischen Reizung des menschlischen Gehirns gewonnenen Ergebnisse, welche durch zwei Sectionsbefunde gestützt werden, habe ich in einer Arbeit über „Hirnchirurgie“ in der Leyden’schen Deutschen Klinik niedergelegt; ich werde alle Befunde an Projectionsbildern demonstriren. Die Physiologie der Hirnrinde stellt auch für unser chirurgisches Vor- gehen die Grundlage dar, auf die wir uns stützen müssen, und zur Orien- tirung in der motorischen Region ist die faradische Reizung unentbehrlich. Selbst am freiliegenden Gehirn ist die blosse anatomische Bestimmung un- zureichend. Freilich haben wir sehr gute Methoden, um grobanatomisch die Gegend der Centralfurche und der Sylvi’schen Fissur am uneröffneten Schädel aufzuzeichnen, und wir benützen sie stets, damit die Trepanations- öffnung uns gleich auf den gesuchten Abschnitt der Hirnrinde führe. Wenn wir nun beim Menschen aus bestimmten Gründen Teile der Hirn- rinde im Gebiete der sensomotorischen Region bis in die weisse Substanz hinein exeidirt haben, so. treten sofort Lähmungen ein. Diese aber und die gleicher- maassen erzeugten sensiblen Störungen gehen zurück, ja gleichen sich fast vollkommen aus. Vom Thierexperiment ist dies seit langem bekannt. Bei meinen Operirten habe ich ganz kurz zusammengefasst, Folgendes beobachtet. Die Ausfallserscheinungen — es handelt sich nicht bloss um Lähmungen, obgleich ich mich in allen Fällen aufs Genaueste an die vordere COentral- windung gehalten habe — sind in unmittelbarem Anschluss an die Operation viel stärker, als man erwarten sollte. So zeigten sich in einem Falle nach Excision des Hand- und Vorderarmcentrums eine Stunde nach dem Erwachen aus der Narkose nicht bloss diese Theile, sondern auch sämmtliche Finger, der Oberarm bis zur Schulter und der untere Facialis vollkommen gelähmt, in einem anderen nach etwas höher oben hinaufreichender Exeision aus der vorderen Centralwindung auch noch die Extensoren des Fusses paralytisch. Bereits nach 21 Stunden waren diese ausgebreiteteren Lähmungen zurück- ! Zu beziehen von Hirschmann, Berlin N., Ziegelstrasse. 486 VERHANDLUNGEN DER BERLINER j gegangen und beschränkten sich dann im Wesentlichen auf den Umfang, der etwa der physiologischen Herrschaft des ausgeschnittenen Rindenfeldes entsprach. Offenbar handelte es sich zunächst mit um die durch den operativen Insult hervorgerufenen und weitere Strecken umfassenden Stö- rungen, die Diaschisiswirkungen, wie sie v. Monakow genannt hat. Aehnliche Beobachtungen kann man in Bezug auf alle anderen eintretenden Störungen machen; als solche sind ausser den Paresen Muskelrigidäten, bedeutende Er- höhung der Sehnen-, Periost- und Hautreflexe zu nennen, ferner treten neue nicht vorhanden gewesene Reflexe, wie der Babinski’sche auf, end- lieh Störungen der Sensibilität, und zwar in allen ihren Formen, also der Berührungs- und Schmerzempfindung, des Temperatursinnes zugleich mit verlangsamter Leitung, des Ortssinnes, des Lagegefühls oder Muskel- und Ge- lenksinnes, der stereognostisohen Empfindung. Die Störungen auch in dieser Beziehung sind so grobe, dass von einer unbeabsichtigten Täuschung nicht die Rede sein kann. Als Beispiel will ich erwähnen, dass bei einem Operirten das Lagegefühl der oberen Extremität völlig verloren, bei einem Zweiten derartig gestört war, dass er an den Fingergelenken überhaupt keine Stellungsveränderungen, am Handgelenk solehe kaum wahrnahm, dass er im Ellbogengelenk Bewegungen bis zu 60 Winkelgraden nicht spürte und dergleichen mehr. Eisstücke, auf die Haut gelegt, merkte dieser Kranke erst nach langer Zeit und sagte dann „Nadelknopf oder Spitze“. Alle die erwähnten nervösen Störungen gingen im Verlaufe von Wochen und Monaten zurück, die einen schneller, die anderen langsamer; bis auf einige Ueberreste glichen sich die Abweichungen aus. Die ausführliche Mittheilung der Befunde wird in den Bruns’schen „Beiträgen zur klinischen Chirurgie“ in einiger Zeit erfolgen. XV. Sitzung am 8. Juli 1904. 1. Hr. Geore Fr. NıcozLaı: „Ueber angebliche Aectionsströme in anorganischen Substanzen.“ Bose hat in seinem Buche „The responce in the living and not living“ behauptet, dass auch in anorganischer Materie, vornehmlich in Metallen, die man durch Klopfen, Drehen oder anderswie „reize“, Ströme auftreten, welche den Actionsströmen der lebendigen Substanz analog seien. Die Identifieirung dieser etwaigen Ströme mit wirklichen Actionsströmen ist von vornherein als unbedingt unphysiologisch zurückzuweisen. Einmal ist ein organisches Gebilde eben kein homogener Leiter, wie ein Metall, sondern ein sehr complieirtes Gebilde, und die Ströme, die in beiden auftreten, müssen nothwendiger Weise verschiedenen Ursprungs sein. Dann aber fehlt vor allem bei den Metallen ein wesentliches physiologisches Kriterium des Actions- stromes: eben die Activität. Der Ausdruck Bose’s „molekulare Activirung eines Metalls“ ist falsch, wenigstens dann, wenn man unter dieser Activirung irgend etwas der Thätigkeit organischer Materie Aehnliches verstanden wissen will. Eine andere Frage aber ist es, ob etwa, wie Bose behauptet, ein „ge- reiztes“ (also verändertes) Metall sich dem „ungereizten“ gegenüber elektro- negativ verhält. Dies ist eine physikalische Frage und kann bis jetzt nicht PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GEORG FR. NICOLAT. 487 eindeutig beantwortet werden; auch die Bose’schen Experimente beweisen nichts, weil auch er immer mit Combinationen von Metallen und Flüssig- keiten gearbeitet hat, wobei dann die Möglichkeit einer anderweitigen Ent- stehung von Potentialdifferenzen nicht ausgeschlossen ist. Befremden muss es, dass Bose diese Möglichkeit so gut wie gar nicht erörtert, und an- geblich die Flüssigkeiten nur einführt, um damit die in der Physiologie gebräuchlichen Bedingungen (unpolarisirbare Elektroden!) auch seinerseits zu realisiren. In Wirklichkeit geht es ohne die Flüssigkeit aber gar nicht. Denn würde auch an irgend einer Stelle eines geschlossenen Metallkreises eine höhere „Negativität“ erzeugt, so würde diese Negativität eben nach beiden Seiten hin die positive Elektrieität gleichmässig festhalten, und die Potentialdifferenz wäre nicht nachweisbar. Fügt man nun nothgedrungen einen Leiter zweiter Olasse ein, so wird zwar dadurch, dass die ungleiche Spannung der beiden Metallenden Ionenwanderung bedingt, die Möglichkeit eines nach aussen tretenden Stromes geschaffen, aber wir können nun auch nicht mehr entscheiden, ob der Strom wirklich dadurch zu Stande kommt, dass sich das veränderte Metall elektromotorisch anders verhält als das un- veränderte, oder ob wir es nicht mit den Folgen von Veränderungen in den ÖOberflächenschichten zwischen Metall und Flüssigkeit zu thun haben. - © Die Unmöglichkeit, auf diesem Wege zu exakten Resultaten zu gelangen, dürfte wohl auch der Grund sein, warum der an sich so interessante Gegen- stand bisher so wenig bearbeitet ist. Du Bois-Reymond! giebt beiläufig an, dass „die geringste Erschütterung eines der beiden Drähte den er- schütterten Draht negativ gegen den anderen macht“. Dasselbe giebt Krusehkoll? vom gedehnten Kupferdraht an. Weiter ist ausser gelegent- lichen Aeusserungen Waller’s hierüber nichts bekannt. Denn die Braun’- schen Deformationsströme kommen nur in Eisen und Nickel vor und be- ruhen nachweislich auf einer Beziehung zwischen Magnetismus und Torsion, gehören also nicht hierher, dagegen wäre methodisch all das zu erwähnen, was über Contactelektrieität bekannt ist. Die thatsächlichen Angaben Bose’s konnte ich durchweg bestätigen; leider vor allem auch die, dass Grösse und auch Richtung der Ströme manch- mal wechseln. Wenn aber Bose gerade hierin eine Analogie mit vitalen Processen sieht, so glaube ich dies doch eher auf Fehlerquellen zurück- führen zu dürfen, die wir eben noch nicht genügend heherrschen. Aus diesem Grunde verzichte ich auch auf eine eingehendere Schilderung meiner Resultate. Ich möchte nur bemerken, dass in meinen Versuchen, in denen natürlich jede gröbere Verschiebung des Drahtes in der Flüssigkeit durch geeignete Vorrichtungen nach Möglichkeit vermieden war, Unregelmässig- keiten öfter zu Tage traten, als es die erste Leetüre des Bose’schen Buches vermuthen liess. Sieht man jedoch genauer zu, so hütet sich Bose geflissent- lich, exakte Angaben darüber zu machen, unter welchen Bedingungen jene Abweichungen von der Norm auftreten, die er unter den Namen „Treppe“, „Ermüdung“, „Erholung“, „Anästhesirung“ u. s. w. beschreibt und mit physio- logischen Vorgängen vergleicht. Ich konnte all diese Erscheinungen unter Umständen ebenfalls sehen, aber eben nieht die Umstände, unter denen sie erscheinen — und Bose giebt wenigstens keine Belege dafür, dass es ihm nieht ebenso gegangen. Vorläufig halte ich also statt all dieser schönen Namen ! Muskel- und Nervenphysik. Ges. Abhandlungen 1875, Bd. I. 8. 47. ? Compt. rend. Vol. CIV. p. 1436. 488 VERHANDLUNGEN DER BERLINER j das einfachere und nicht präsumirende Wort „Unregelmässigkeiten“ für an- gebrachter. Als richtig ist allerdings eines zuzugeben. Wenn frisch gereinigtes, frisch seglühtes Metall verwendet wird, das eine kurze Zeit lang zu einem Strom- kreis geschlossen war (wodurch sich die durch ungleiches Bintauchen u. s. w. be- dingten Potentialdifferenzen ausgleichen), so wird das „gereizte‘“ Metall so gut wie stets negativ, und zwar war das bei allen von mir untersuchten Metallen Cu, Zn, Pt, Ag, Fe in Verbindung mit allen möglichen Flüssig- keiten der Fall. Insonderheit auch bei amalgamirtem Zink in gesättigter Zinksulfatlösung. Diese Thatsache konnte ich in der Sitzung der physio- logischen Gesellschaft demonstriren. Die mit den oben genannten Metallen angestellten Versuche gelangen alle. Ebenso konnte ich durch Erwärmen des einen Drahtes demonstriren, dass eine Thermowirkung Ausschläge im entgegengesetzten Sinne giebt, als Fehlerquelle also nicht in Betracht kommt. Die Thatsache, dass jedes Metall in der Flüssigkeit negativ (zinkartig) wird, ist auffällig genug, man darf hierin aber trotzden nicht einen Beweis sehen wollen, dass dies eine Eigenschaft der Metalle sei, die ihnen auch ohne Bezug auf die zwischengeschaltete Flüssigkeit zukäme. Aber für die Com- bination von Leitern erster und zweiter Classe scheint es charakteristisch zu sein. Hier wird thatsächlich durch einen Schlag oder sonstige mechanische Einwirkung ein an sich stromloses System in eine Quelle elektromotorischer Kräfte verwandelt. Die Frage liegt nahe, ob man diese neue physikalische Thatsache etwa ' verwerthen könne, um physiologische Vorgänge anders und besser als bisher zu beurtheilen. Ich glaube, dass man mit demselben Recht, mit dem Her- mann das Kernleitermodell für die Erklärung der Entstehung und Fort- pflanzung des Actionsstroms nach elektrischer Reizung heranzog, auch ver- suchen darf, mit Hülfe der erwähnten Thatsachen die Entstehung eines Actionsstroms nach mechanischer Reizung zu erklären. Denn bisher ‚dürften wir kaum eine klare Vorstellung davon gehabt haben, wie mechani- sche Einwirkungen elektrische Kräfte auszulösen vermögen. Es wäre immer- hin ein Erfolg des Bose’schen Buches, wenn ein weiteres Studium der in Betracht kommenden Erscheinungen diese Lücke unseres Wissens wenigstens zu verkleinern im Stande wäre, wenn der Verfasser selbst auch nicht an solche bescheidene Kleinigkeiten gedacht hat, weil ihm ein höheres — un- erreichbares — Ziel vorschwebte, nämlich die Einheit der organischen und anorganischen Welt zu erweisen. -2. Hr. Dr. G. ZIMMERMAnN aus Dresden (a. G.): „Der physiologische Werth der Labyrinthfenster.“ Vortr. wendet sich gegen die bisherigen Meinungen, dass als Eingangs- pforten des Schalls zum inneren Ohr immer nur die beiden Labyrinth- fenster dienen könnten, und gegen den diesen Meinungen mehr oder - weniger bewusst zu Grunde liegenden Gedanken, dass immer erst aus dem Labyrinthwasser die pereipirenden Fasern erregt werden könnten. Nach seiner Theorie führe der wirksame Zugang von der Luft direet durch den Knochen auf die ihm unmittelbar verbundenen Fasern. Gegen die Helmholtz’sche Theorie, dass die Kette als Ganzes schwingend den Schall zum Vorhofsfenster leite, wird besonders geltend gemacht, dass hier zum Beweise nicht die grossen virtuellen Längen der PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (G. ZIMMERMANN. 489 Schallwellen sondern die kleinen reellen Amplituden der in einer Welle be- wegten Massentheilchen herangezogen werden sollten. Und für diese reellen Amplituden seien durch ältere und neuere Untersuchungen Werthe gefunden, die theilweise noch unterhalb der für die einzelnen Moleküle bisher an- senommenen Grösse blieben. Vollends könne nicht von einem Mitschwingen des Trommelfells im Sinne eines Resonators die Rede sein. Es könne sich demnach nur um eine molekulare Uebertragung des Schalls durch die Kette auf das Vorhofsfenster handeln, im Sinne Joh. Müller’s. Indess sei auch für diesen Modus die Kette so ungünstig als möglich con- struirt. Aus Experimenten von Mader z. B. gehe direct hervor, dass der Schall in der Kette von Glied zu Glied sich abschwäche und die Schall- energie an der Steigbügelplatte geringer sei als an dem benachbarten festen Knochen. Auch die neuerdings wieder von Seechi aufgenommene ältere Meinung, dass der Schall durch das Schneckenfenster auf das Wasser und von da auf die Fasern übergehe, sei schon wegen der ganzen Anlage des Fensters höchst unwahrscheinlich; sie stütze sich zudem auf den noch ganz unbewiesenen Vordersatz, dass immer nur erst aus dem Wasser die Fasern des Endorgans ihre Impulse erhalten könnten. Vortr. hat nun unter Nachahmung der topographischen Verhältnisse im Ohr, einen kleinen Apparat construirt, der zeigt, dass aus einem flüssigen Medium ein fester Körper schlechter den gleichen Schall aufnimmt, als von einem andern schallaufnehmenden festen Körper, mit dem er sich berührt. Da auch die percipirenden Fasern im Ohr runctionell als feste Körper an- zusprechen seien, sei die physiologische Nutzanwendung erlaubt, dass auch sie die Schallübermittelung nicht sowohl dem Wasser, das sie umgäbe, zu danken haben, als vielmehr den festen Wänden, zwischen denen sie aus- gespannt seien. An der Hand des Versuchs wird ausserdem noch die von Bezold an der Helmholtz’schen Theorie angebrachte Correcetur als gänzlich un- begründet zurückgewiesen, dass im Ohr für hohe und tiefe Töne ver- schiedene Leitungen vorhanden sein müssten. Gerade die tiefen Töne be- dürften am wenigsten eines besonderen überleitenden Hebelapparates, weil sie ceteris paribus die grössere lebendige Kraft besässen. Ausführlicher. wird dann besprochen, was der Vortr. schon in seiner „Mechanik des Hörens“ als die wirklich auzumelimende Function der Fenster dargestellt hat. Das Schneckenfenster als .eine membranös ne Lücke in der Knochenwand diene dazu, eine Reaction der Fasern auf leisesten Schall zu begünstigen. Die unnachgiebigen Knochenwände setzten den secundären Umlagerungen der Wassermoleküle gewisse Widerstände entgegen, die dem zu wünschenden allerleichtesten Ansprechen der Fasern nicht eben günstig seien. Sei aber durch Einschaltung einer elastischeren Stelle der Wider- stand verringert, so sei damit auch den subtilsten Schwingungen Spielraum und Schwingungsriehtung gegeben. Das Schneckenfenster sei ao eine Vor- bedingung der Hörfeinheit. Das Vorhofsfenster stelle eine Präeisions- und Dämpfungseinrichtung her, dadurch, dass durch den rein mechanisch oder refleetorisch einwärtsrückenden :Steigbügel der Labyrinthdruck erhöht werden könne. Jeder Druck in einem wassergefüllten Hohlraum mache sich auf die im Inneren ausgespannten 490 VERHANDLUNGEN DER BERLINER $ Gewebe im Sinne einer Dämpfung geltend und um so mehr, je grössere Fläche die Gewebe dem Drucke böten. Erhöht werde die Wirkung bei Vor- handensein einer in der Wand angebrachten Gegenmembran, die dem Drucke nachgebend sich nach aussen buchte. Vortr. erläutert das an dem Modell einer Stempelspritze. Wie werthvoll ein solcher Mechanismus zur Regulirung des An- und Abklingens der Fasern sei und wie nothwendig als Vorbedingung der hohen Unterscheidungsempfindlichkeit des Ohres, wird zum Schlusse ein- gehender besprochen. 3. Hr. A. Lucae: „Zur Physiologie des Gehörorgans.“ Der heutige Vortrag des Herrn Dr. Zimmermann bringt im All- gemeinen dasselbe, was derselbe in seiner Schrift „Die Mechanik des Hörens und ihre Störungen“, Wiesbaden 1900, ferner in einem Artikel in der Münchner medizinischen Wochenschrift Nr. 50, 1902 („Beiträge zur Mechanik des Hörens“) und zu Pfingsten dieses Jahres auf der Berliner Versammlung der deutschen otologischen Gesellschaft vorgetragen hat. Seine neue Lehre besteht im Kurzen darin, dass die Schalleitung durch die Knochenplatte des Promontoriums zur Schnecke stattfindet, während der schalleitende Apparat (Trommelfell und Gehörknöchelehen) nicht als solcher sondern als eine Art Accommodationsapparat von ihm aufgefasst wird. Ich habe bereits früher! auf den schwächsten Punkt der Zimmermann’schen Theorie hingewiesen, dass nämlich die durch die verhältnissmässig dünne Platte der Labyrinth- kapsel aufgenommenen Schallschwingungen am runden Fenster ausweichen sollen — ich sage „Der schwächste Punkt“, weil trotz aller Deduetionen Zimmermann’s, dass der Eingang zum runden Fenster in der Regel von der Axe des äusseren Gehörgangs nach hinten abgewendet liegt, die That- sache bestehen bleibt, dass der Druck in einer geschlossenen Höhle, wie sie die Trommelhöhle darstellt, auf alle Punkte derselben der gleiche ist, dass also die Schallwellen gleichzeitig durch die Schnecken- kapsel und durch die Fenster, besonders — wie ich unten zeigen werde — durch das runde Fenster in die Schnecke eindringen müssen. Bei dem Zeitmangel auf unserm oben erwähnten Oongresse zu Pfingsten habe ich mich darauf beschränken müssen zu betonen, dass man mit dem Gehörorgane nachgebildeten Modellen, wie Zimmermann vorgeht, wichtige physiologische Fragen nicht zu lösen vermag. Für heute muss ich schon ausser der Discussion zu einem besonderen Vortrage das Wort nehmen, um zur Lösung der vorliegenden Frage Ihnen eine Reihe von seit langen Jahren gemachten Beobachtungen an Kranken mit intactem Labyrinthe mitzuteilen. Derartige sorgfältig wiederholte Untersuchungen mit Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie sind nach meiner Ueberzeugung wohl im Stande, uns manchen Aufschluss über die Räthsel der Schallübertragung zum inneren Ohr zu verschaffen. Ich kann mich hier um so kürzer fassen, als ich bereits a. a. O. die Anschauungen Zimmermanns kritisch beleuchtet habe. Nur einige neue von mir gemachte Beobachtungen, welche für die Theorie der Mechanik des Hörens von besonderer Wichtigkeit zu sein scheinen, werde ich noch be- sonders hervorheben und verweise ich im Uebrigen auf eine später besonders " Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte. 73. Ver- sammlung in Hamburg. 2. Theil. 8. 323 und Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. LIV. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. LUucAr. 491 erscheinende Schrift, welche das Historische, die genaue Schilderung der Experi- mente und die betr. Krankengeschichten enthalten wird. Schon lange stehen die Erfahrungen der Otologen mit der heute zu Recht bestehenden physiologischen Eehre in el Punkten in grellem Widerspruch und kann ich Herrn Zimmermann nur beipflichten, wenn er das Bedürfniss fühlt nach einer befriedigenderen mit der Erfahrung an Schwerhörigen mehr im Einklang stehenden neuen Theorie. Meine Unter- suchungen werden u. A. zeigen, dass die von ihm angenommene, den Oto- logen übrigens schon lange bekannte Aufnahme der Schallwellen durch die Schädelknochen, durch meine Versuche erst einen experimentellen Nachweis gefunden haben — freilich keineswegs in dem von Zimmermann be- haupteten Sinne. Bekanntlich rührt die von Helmholtz eingeführte und von den Physiologen durchweg angenommene Lehre der Mechanik des Hörens von Ed. Weber her. Derselbe nimmt an, dass die kleine Luftsäule im äusseren Gehörgang und das Trommelfell mit dem Hebelapparat der Gehörknöchelchen sammt dem Labyrinthwasser zusammen als ganze Masse schwingen und ein Ausweichen dieser Bewegung an der Membran des runden Fensters stattfindet. Nach genauer mathematischer Untersuchung von Helmholtz ist die Aufgabe dieses Apparates, welcher die Schallwellen vom Trommelfell zum Steigbügel leitet, eine Bewegung von grosser Amplitude und geringer Kraft, in eine solche von geringer Amplitude und grösserer Kraft zu verwandeln, welche das Labyrinthwasser trifft. Bekannt ist die von Helmholtz nachgewiesene eigenthümliche Verbindung zwischen Hammer und Amboss, welche nach Art eines sog. Sperrgelenkes (an den früheren Uhr- schlüsseln) bewirkt, dass der Hammer bei einer Innenbewegung des Trommel- fells den Amboss mitnimmt, so zwar, dass beide sich gemeinsam um eine nahezu horizontale Axe nach innen drehen; weniger bekannt ist, dass H. v. Meyer diese Gelenkfunetion bereits viele Jahre vor Helmholtz in seiner physiologischen Anatomie genau beschrieben hat. Die werthvollste Erkenntniss, welche wir der Genialität Helmholtz’s verdanken, ist sein Nachweis, dass derselbe Hebelapparat im Verein mit dem Tensor tympani und dem Labyrinthwasser als eine Dämpfervorrichtung wirkt, ohne welche ein deutliches Hören überhaupt nicht zu denken wäre. Betrachtet man die von Helmholtz vertretene Theorie der Schallleitung durch die Gehörknöchelehen mit unbefangenem Auge, so wird Jeder sofort zugeben müssen, dass das Trommelfell die von der Luft des Gehörgangs empfangenen Schwingungen auch an die angrenzende Luft der Trommel- höhle abgeben muss, zumal die Bewegung der freien Trommelfellläche er- heblich grösser ist ale die auf den Hammer griff übertragene Bewegung. Dass aber diese Luftschallleitung durch die Brenmelhanie einen bemerkenswerthen Einfluss auf die Membran des runden Fensters ausüben muss, geht aus folgen- der Erwägung hervor: Bei gleich grosser Fläche der Steigbügelplatte und der Membran des runden Fensters würde die Theorie des Ausweichens der Steigbügelbewegung am runden Penster zu Recht bestehen, wenn die Be- wegungen beider Theile gleich gross wären. Helmholtz selbst hat be- rechnet, dass die Verschiebung der Ringmembran des Steigbügels eine mini- male ist, und Bezold hat durch manometrische Druckversuche bei eröffnetem ' oberen Bogengang nachgewiesen, dass die Bewegungen der Membran des runden Fensters fünfmal so gross sind als die der Steigbügelplatte, was 492 VERHANDLUNGEN DER BERLINER s ich durchaus bestätigen konnte und zwar an einem Gehörorgan, das von einem notorisch Normalhörenden stammte. DBeiderlei Bewegungen können ungestört neben einander stattfinden, wenn man als sehr wahrscheinlich an- nimmt, dass das Ausweichen der Labyrintflüssigkeit durch die Aquaeducte vor sich geht. Für die minimalen Verschiebungen der Steigbügelplatte genügt hierzu hinreichend der in dem Saccus endolymphaticus blind endenden Ductus endolymphaticeus, während für die ausgiebigeren Bewegungen der Membran des runden Fensters zu demselben Zweck der weitere, direet mit dem Sub- arachnoidal-Raum kommunicirende Aquaeductus cochleae zu Gebote steht, dessen Eintrittsöffnung sich unmittelbar am runden Fenster befindet. Dass ein rundes Fenster für die Verschiebungen des Steigbügels nicht nöthig ist und hierzu der Ductus endolymphaticus ausreicht, zeigt uns u. A. das Ge- hörorgan des Frosches, der bekanntlich nur ein ovales Fenster besitzt und der uns gleichzeitig lehrt, dass die Schallleitung auch allein durch das Trommelfell mit seiner Columella (Öpereulum und Pleetrum) zum ovalen Fenster erfolgen kann. An geeigneten Ohrenkranken lässt sich nun direet beobachten, dass die genannte Luftschallleitung durch die 'Trommelhöhle von der grössten Be- deutung für die Funetion des Ohres ist und zwar an Schwerhörigen, bei denen es durch catarrhalischen Verschluss der Tuba-E. zur Resorption der Luft in der Trommelhöhle kommt. Es lässt sich ferner nachweisen, dass nicht etwa in der bekannten conseeutiven starken Einziehung des Trommel- fells und der von den Otologen angenommenen abnormen Fixirung des Ge- hörknöchelehen, besonders des Steigbügels, sondern in erster Linie in dem luftleeren Raum in der Trommelhöhle in solchen Fällen die Ursache der Schwerhörigkeit. liegt. Hierzu dient die jetzt in der ohrenärztlichen Praxis sehr gebräuchliche sog. „pneumatische Massage“ mit Hülfe einer kleinen elektrisch betriebenen Luftpumpe und eines sog. pneumatischen Siegle’schen Ohrtrichters. Der meinige ist aus Hartgummi angefertigt und am äussern Ende durch ein schräggestelltes Convexglas von 10 Dioptrien geschlossen. An der einen Seite des .Trichters ist eine Oeffnung mit kurzer Röhre angebracht, welche mittels eines Gummischlauches von der Pumpe die Stösse zum Ohre führt; je nach der Wahl des Apparates und Einstellung des am Accumulator be- findlichen Rheostaten lassen sich in einer Minute 400 bis 1000 Stösse hervorbringen, welche in adäquate durch die Linse zu beobachtende Trommel- schwingungen umgesetzt werden. Für den mit dem akustischen Werth der Trommelbefunde nicht Vertrauten sei hier als wichtig hervorgehoben, dass bei Normalhörenden die verschiedensten Anomalien der Farbe und der Wölbung des Trommelfells vorkommen. Trotz dieser Veränderungen beobachtet man bei normalem Gehör lebhafte Bewegungen des Trommelfells und des Hammergriffes, sobald das Ohrende des Trichters, wie ich dies zuerst empfahl, nicht luftdicht in’s Ohr einführt. Anders bei den genannten Fällen von catarrhalischem Tubenverschluss. Hier finden gar keine Bewegungen des Trommelfells statt; höchstens dass bei luftdichtem durch einen Gummi- überzug bewirkten Abschluss des Ohrtrichters ganz leise Erschütterungen des Trommelfells beobachtet werden. Diese Beobachtung lehrt uns anderer- seits, dass auch durch die Kette der Gehörknöchelehen eine Schallleitung stattfindet, da die betr. Ohrenkranken zwar meist erheblich schwerhörig aber keineswegs taub und für den Verkehr unbrauchbar sind. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. LUCAE. 493 Im Gegensatz hierzu ist nun die Thatsache von Interesse, dass in Fällen wo nach lange abgelaufenen Mittelohreatarrhen vollständig normales Gehör wieder eingetreten und trotzdem die starke Einziehung des Trommelfells mit charakteristischer perspectivischer Verkürzung des Hammergriffes zurück- geblieben ist, das Trommelfell und der Hammergriff bei der pneumatischen Untersuchung ganz regelmässige Schwingungen zeigt — wiederum ein Be- weis, dass die Einziehung des Trommelfells bezw. die Spannung der Gehör- knöchelchen an der Schwerhörigkeit bei catarrhalischem Verschluss der Tube E. nicht Schuld trägt und das gute Gehör in den zuletzt genannten Fällen lediglich auf die normalen Luftdruckverhältnisse in der Trommel- höhle zurückzuführen ist. Merkwürdig ist, dass nach meiner Beobachtung sogar Fälle vorkommen, wo die Natur gleichsam selbst die pneumatische Untersuchung übernimmt, so zwar, dass bei vollständig dünnnarbigem Ersatz eines totalen Trommelfell- defeets (infolge von Scharlach-Otitis) ausgiebige Respirationsbewegungen an dieser Narbe stattfinden können, ohne dass der Hammergriff daran Theil zu nehmen scheint und der betr. Kranke trotzdem normal hört. Ich komme jetzt zu der Frage, in wie weit nach der Annahme Zimmer- mann’s die zur Labyrinthwand gelangten Luftschallschwingungen durch die Schneckenkapsel auf das Labyrinthwasser übergeleitet werden. Im normalen Zustande müssen diejenigen Schallwellen, welche nach dem Durchgang durch das gespannte Trommelfell auf das Promontorium abgeschwächt treffen, von diesem als einem von der Luft so differentem Medium grösstentheils refleetirt werden, während nach Joh. Müller’s Untersuchung gerade die Membran des runden Fensters äusserst geeignet erscheint, die Luftschallwellen an das angrenzende Labyrinthwasser leicht abzugeben. Günstiger liegen die Ver- hältnisse zur Aufnahme der Schallwellen durch das Promontorium bei Frei- legung desselben durch Zerstörung des Trommelfells, namentlich bei gleich- zeitigem Verlust von Hammer und Amboss. A.a. 0. habe ich mich indessen zu zeigen bemüht, dass die auf diese Weise in die Schnecke gelangenden Schallwellen durch diejenigen, welche ihnen gleichzeitig vom runden Fenster aus entgegen kommen, eine wesentliche Abschwächung erfahren müssen. In einer Reihe einschlägiger Fälle habe ich nämlich durch jahrelange Be- obachtung eine bis dahin nicht bekannte Wirkungsweise des wegen seiner oft zauberhaften . hörverbessernden Kraft bei Ohreiterungen berühmt ge- wordenen Wattekügelchen kennen gelernt, dass, wenn man dieses ohne jede Berührung der Labyrinthfenster auf das Promontorium aufdrückt, sofort für die Sprache eine wesentliche Hörverbesserung eintritt, welche mit Fortnahme der Wattekügelchen wieder verschwindet. Ich habe diese merkwürdige Er- scheinung dahin erklärt, dass durch Auspolsterung des Promontoriums durch die Watte die Aufnahme der Schallwellen durch die Schneckenkapsel im Wesentlichen fortfällt und nunmehr hauptsächlich diejenige durch das runde Fenster zur Geltung kommt. Da neben der Sprache besonders die hohen musikalischen Töne eine merkbare Verbesserung durch das Wattekügelchen erfahren, war es abgesehen von anderen nahe liegenden Gründen von Wichtigkeit, durch scheibenförmige Abtragung des Promontoriums mittels einer Laubsäge die Dicke der die Schnecke bedeckenden Knochenmasse ge- nauer zu bestimmen. Es fand sich hierbei, dass die Dicke des unteren, die ‘ unterste Schneckenwindung deckenden Theils des Promontoriums mit einem feinen Tasterzirkel gemessen 0,5 bis 1,0 mm betrug, während der obere bis 494 VERHANDLUNGEN DER BERLINER s zur Kuppel der Schnecke reichende Theil über 2,0 mm Dicke zeigte. Es erscheint dies von Wichtigkeit, weil nach der Helmholtz-Hensen’schen Theorie gerade die unterste Schneckenwindung zur Perception der hohen Töne bestimmt ist. Als Ergänzung zu dem Vorstehenden möchte ich zur Illustration der Bedeutung des runden Fensters hier noch über einen a. a. O0. publieirten Fall von Selerose referiren, in welchem ich wegen Starrheit des Trommelfelles die Exeision desselben sammt Hammer und Amboss vornahm, ohne jedoch durch diese Operation irgend eine Besserung der hochgradigen Schwerhörig- keit und der quälendsten subjeetiven Gehörsempfindungen zu erzielen. Es fand sich dabei eine normale Beweglichkeit des Steigbügels bei vollständiger Vermauerung des runden Fensters durch 2 halbkuglige Exostosen. Nach operativer Fortnahme derselben fand nicht nur eine wesentliche Besserung des Gehörs, sondern auch eine vollständige Heilung der starken subjeetiven Gehörsempfindungen statt. Die Besserung hatte sich seitdem mehrere Jahre erhalten. Ausser den oben gemachten Einwendungen gegen die Zimmermann’- sche Theorie, dass die vom Promontorium aufgenommenen Schallwellen am runden Fenster ausweichen sollen, kann ich auch auf anatomischem Wege beweisen, dass diese Annahme unrichtig ist und zwar auf Grund eines bereits im 29. Bd. des Virchow’schen Archiv publieirten sowohl bei Leb- zeiten beobachteten als auch secirten Falles von rechtsseitiger Missbildung ‚des Ohres mit angeborenem Defect der Ohrmuschel und Fehlen des äusseren Gehörganges und der Trommelhöhle nebst Tube E. Von der Trommelhöhle fand sich nur ein schmaler Spalt ohne Labyrinthfenster, vom Labyrinthe waren Acusticus, Schnecke und Bogengänge wohl erhalten. Von grossem Interesse war, dass der Kranke auf der kranken Seite Luftschallwellen gar nicht wahrnahm, dagegen durch die Schädelknochen Töne, namentlich von dem rudimentären Ohrknorpel aus ganz entschieden auf dem rechten Ohr loealisirtee Auf den grundlosen Einwand Zimmermann’s, dass in diesem Falle die Töne per Knochen auf dem gesunden Ohre wahrgenommen sein sollen, werde ich in meiner ausführlichen Arbeit eingehender zurück- kommen. Schliesslich kann ich Hrn. Dr. Zimmmermann nur beistimmen, wenn er der von Bezold fortwährend vorgetragenen Theorie, dass der schall- leitende Apparat nur für die tiefen Töne nothwendig sei, mit Entschieden- heit entgegentritt; und zwar um so mehr, als ich neuerdings schon vor Zimmermann darauf hinwies, dass Bezold den Fehler begangen hat, für die Untersuchung der tiefen Töne Stimmgabeln zu benutzen, welche er- fahrungsgemäss nur unmittelbar in der Nähe des Ohres und weit schwächer vernommen werden als gleichgestimmte Orgelpfeifen. Aber selbst tiefe Gabeln können in manchen Fällen bei vollkommenem Defect von Trommelfell und Gehörknöchelchen noch ziemlich gut gehört werden, während ich niemals — wie Bezold behauptet — die Erfahrung gemacht habe, dass die höchsten musikalischen Töne in solchen Fällen normal pereipirt werden. Im Uebrigen habe ich bereits im Jahre 1874 die Erscheinung beschrieben, dass bei solehen Fällen von Defect im schallleitenden Apparate alle musikalischen Töne schlechter gehört werden, während die ultramusikalischen Töne unter Benutzung der König’schen Klangstäbe in Dur-Accorden von c’—c? nicht wesentlich davon beeinflusst werden. In neuester Zeit habe ich mich in PHYSIOL. GES. — LEO LANGSTEIN. — PIPER UND ABELSDORFF. 495 einem Falle, wo nach einer bis in’s Antrum reichenden Aufmeisselung des proe. mast. eine lange überhäutete nach innen von einer dünnen Narbe (gleich einem Trommelfell) abgeschlossene retroauriculäre Fistel zurückgeblieben war und zwar bei vollständiger Erhaltung von Trommelfell und Gehör- knöchelehen und normalem Gehör, davon überzeugen können, dass sämmt- liche musikalischen Töne stärker vor der normalen Ohröffnung, die ultra- musikalischen Töne dagegen, besonders vom e? aufwärts stärker durch den Fisteleanal gehört wurden, welcher, wie sich an den Bewegungen der narbigen Membran beim Valsalva’schen Versuche erwies, direct mit der Trommelhöhle communieirte. XVL Sitzung am 22. Juli 1904. 1. Hr. Leo Lanesteiın: „Die Kohlehydratgruppen der Eiweiss- körper.“ Der Vortr. zeigt an der Hand der Litteratur, dass die Ausbeuten an reducirendem Zucker, den man bisher aus den verschiedensten Eiweiss- körpern erhalten hat, in weiten Grenzen schwanke. Dasselbe gilt auch für die Mueinstoffe. Unentschieden muss bleiben, ob dafür eine mangelhafte Methodik verantwortlich zu machen ist, oder ob die Menge des im Eiweiss gebundenen Kohlehydrates Schwankungen unterliegt. Durch neue Versuche am Ovalbumin wird die frühere Behauptung, dass sich das Glykosamin an seinem Aufbau betheiligt, gestützt. Durch eine Reihe von Versuchen an mit Hefe vor- behandeltem Blut beweist der Vortr. ferner, dass die aus Blutglobulin ab- spaltbare Glykose nicht mechanisch beigemengt ist. Eine Nachprüfung der Versuche Blumenthal’s bezüglich der Zuckerverarmung des Hungerthieres scheitert daran, dass schon physiologischer Weise grosse Schwankungen im Zuckergehalt der Bluteiweisskörper existiren. Vortr. betont schliesslich, dass die Zuckergruppe zwar für die Bildung von Zucker aus Eiweiss nicht aus- reicht, bei Fütterungsversuchen möglicher Weise aber doch eine Rolle spielt. Wer eine Zuckerbildung aus Fettsäuren zugiebt, muss logischer Weise eine solche aus Aminosäuren concediren, da ja diese durch Desamidirung zu Fettsäuren werden. 2. Hr. Pıper berichtet über Versuche, welche er gemeinsam mit Hrn. ÄBELSDORFF unternahm und welche sich mit einigen Eigenthümlichkeiten der consensuellen Lichtreaction der Pupille beschäftigten. Es galt, mit einwandfreien Methoden eine definitive Antwort auf die Frage zu gewinnen, ob bei ungleicher Belichtung beider Augen die Pupillen sich beiderseits vollkommen gleich oder auf verschiedene Weite einstellen. Die nicht wenigen Autoren, welche sich bisher mit diesem Gegenstand be- schäftigten, haben sämmtlich auf directe Beobachtung, bezw. Messung ge- stützt, ihre Ansicht geäussert; bedenkt man, welchen Schwierigkeiten die nach solcher Methodik unternommene Messung der sehr kleinen Grössen — es handelt sich um Bruchtheile von Millimetern — bei der nothwendiger Weise stark herabgesetzten Beleuchtung begegnen muss, so ist es wohl kein ‘Wunder, dass sich hier Behauptungen gegen Behauptungen gegenüberstehen: es findet sich eben so häufig die Angabe, dass stets bei Differenzen in der 496 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — BEYER. s Belichtung beider Augen auch eine Differenz zwischen beiden Pupillenweiten zu finden sei, wie die, dass die Pupillen beiderseits unter allen Umständen bei normalen Augen vollkommen gleich bleiben. Die Vortragenden haben es aus den erwähnten Gründen vorgezogen, die photographische Methode anzuwenden. Die Versuchsperson nahm einer stereoskopischen Camera gegenüber in einem solchen Abstande Platz, dass ein etwas vergrössertes Bild der Augen auf die Platte entworfen wurde. Eine senk- rechte Scheidewand, welche von der die Objeetive tragenden Vorderwand der Camera (also die Scheidewand im Inneren des stereoskopischen Apparates quasi verlängernd) bis zur Medianlinie des Gesichtes der Versuchsperson ge- führt war, grenzte das Gesichtsfeld des rechten Auges von dem des linken nasal ab. Die Objective des Apparates wurden so eingestellt, dass das eine das rechte, das andere das linke Auge auf der Platte abbildete. In eins von beiden Augen wurde mit Hülfe einer planparallelen Glasplatte Bogen- oder Glühlampen- licht so gespiegelt, dass der Lichtreiz die Fovea traf, wenn die Blickrichtung auf das gegenüberstehende Objectiv der Camera eingestellt war. Das andere Auge wurde dabei, durch die Scheidewand gegen Licht geschützt, von einer vergleichsweise sehr geringen Helligkeit betroffen. Jetzt wurde unter Be- nutzung einer hinter der Camera und auch in geeignetem Abstand hinter der freien ‘Scheidewandkante aufgestellten Blitzlichtlampe eine Moment- aufnahme beider Augen genommen. Die ausserordentlich scharf eingestellten Bilder wurden durch Projeetion auf etwa das 18fache vergrössert und aus- gemessen, was auf etwa !/,,"® genau erfolgen konnte. Es ergab sich, dass bei Belichtungsdifferenzen zwischen beiden Augen in dem hier angewendeten Betrage die Pupillen sich stets auf ungleiche Weise einstellten, derart, dass immer die des gereizten Auges enger, die des dunkel gehaltenen weiter war. Dieser Effect wurde in weiten Grenzen unabhängig von Dauer und Intensität der Belichtung des Reizauges erzielt und zwar betrug die Differenz der Flächeninhalte beider Pupillen bis zu 35 Proc. ‘ Natürlich wurde durch Aufnahme bei gleicher Belichtung beider Augen sowie durch Wechsel des Reizauges controlirt, ob etwa von vornherein eine Diffe- renz der beiden Pupillen bestand. Eine solche wurde bei den untersuchten normalen Individuen niemals gefunden. Das Versuchsergebniss lässt demnach den Schluss zu, dass die durch die nervösen Bahnen und Centren vermittelte Verknüpfung der Functionen beider Pupillen keineswegs eine so feste ist, wie von mancher Seite angenommen wurde, sondern dass jede Pupille bis zu einem gewissen, wenn auch geringen Betrage, Spielraum zu selbständiger Bewegung hat. 3. Hr. BEYER demonstrirt ein für Unterrichtszwecke in Gyps aus- geführtes Modell des Corti’schen Organs, welches in seiner plastischen Form eine leichte Uebersicht und schnelle Orientirung über die räumlichen Verhältnisse des Organs, die Zellenform, Anordnung und Zusammenstellung ermöglicht und bei welchem in der Darstellung der einzelnen Teile den Er- gebnissen neuester Forschung nach Möglichkeit Rechnung getragen ist. beitschriften aus dem Verlage von VBIT & GoMr. in Leipzig. ‚Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 M. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des- Jahrganges (12 Hefte) 12 46; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .% 80 2. Das „Üentralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und ‘ giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. & DERMATOLOGISCHES. ‚CENTRALBLATI INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October da einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 .%. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches (entralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Eueranle des Nervensysiems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E: Mendel in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 % direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeit 86 hrift Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts ; 0. ö. Professor und Director für Infectionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Imfectionskrankheiten‘‘ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- liehen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln ; einzelne Hefte sind nicht käutlich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Antenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archiven, erscheint jährlich in 12 Heften (ira in Doppelheften) mit Ahbildungen. im Text und zahlreichen Tafeln. | 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abtheilung und 6 auf die, Pe gische Abtheilung. N Der Preis des Jahrganges beträgt 54 #. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte, herausgegeben von W. Waldeyer), sowie auf die physio- logische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engel- mann) kann besonders abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der ‚Preis der anatomischen Abtheilung 40 #, der Preis der . BRyealas ee | Abtheilung 26 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- i theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und ‚Auslandes entgegen, ) Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzie, Archir£-Anat.u.Phys.1904. Phys. Abthlg.Suppl, Tar I, Verlag Veit &Comip. Leipzig alas, Er UN: N u #, , N ji { eh 2 ‘ je ee 5 “ N \ Pr ' \ | { E . h \ " e - 2% R:\ » iR ng \ ol ” Au A N Yi ’ mE annanaaiananaa == EI Ill 11 — N BRRRRRFERTEITTTT 11117177 GER u 30 III _..A ll ae ne, un em (mm ee nl v NT tr ua. u ar eh ıristerter I hlinge Kurve b. Tetarüsierung einer Dünndarmschlinge bei Rollenabstand 4cm chz Ve Si-ın As E I JAMUAAVVVVWRHNVUNVVUVVVVVUVVAMYVVVAMANVAAVNMVVWMA UVA ach. 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Hückenlymphsack Versuchbe spiel No Il. 2rund 32 Stunden nach Einspritzung ve Suspension schlägt das Herz langere Zeit in umgekehrten Rythmaus Kurve a.Jn Folge der Zerrung am zumm« hgeschlagenern Brustbein. bei der m +lbergang zum ursprünglichen Rıytlıma.s ed Unter dem Einftuss einer reflektorischen Vagusreizung durch Ietanisierung einer Darmschlinge schlägt das Herz vorübergehend in umgekehrter Schlagfolg | 8 [ NANVONWVAAAANÄNNNVUMANVANANANAAUUVUNANNANHVNANAWNANNN N \ [ ja /\ { B \ es er WRÄANNVUUVUWUVVAVVVVVUVVVUVWWVUVVVWYUVUVUUVUVVUWVUVWVNN AAN UVVVVUVUUVYNV VW VUUUVVUVV ANY VNA VAN RNVAUMW UV VNA UNNA VUN UVA VVUVU UV UV VW VVUN NVA ANA AANUNANVVV AN VON VAN des gegen Reize abgy shhel mit einem starken Induktionsschlac 12) eirasystole. ‚Im Folı estumpften Kammern er starken sensiblen ung an der Kammerspitze wind eine e Vagushemmung am Stus ausgelöst, das Herz schlägt vorübergehend. ın wnge rter Schlagfolge Veit &Comp (Dungy TAU Bizdta] duo) gay Bepan [Li qQıu a I | | 689-698 N — A ’- . / | ” - m 908-818:9 S2C-089:F Al ]Je_gge:» j6E208C:UT 839-009 (05 H%oL) Uozomay 2 HIUNDS YIDIS uoa {0} Bunso7 .oyosyoyooın ° g q Ar 26-088: 2n5-098:dH\ ZecC- 1B0: IT ggc-g6c: ie ae sas-0es: da NEE ZuS-18S:UT 68S-968:0 66C-509:17 T z 3 (os ‘a) „7 UO2ID2Y Epuswuyaeumz = DIT DIS 25- .J um MYPAmD BBr-90s:1 METIESN o-oRg Ar 1SS#BS IT 16SW6S:D 665-809: REIN! 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Eine Curve der automatischen Contractionen des isolirten Uterus. Fig. 2. Der Einfluss der erhöhten Z° auf die Contractionen des isolierten Uterus. Eine der Wellen bei normaler £°. ee Fig. 3. Der Einfluss des mechanischen Reizes auf die Contraetionen Automatische Contractionen. des isolirten Uterus. — Die Wirkung des Hydrastinin. Wellen bis zur Anwendung des Giftes. Fig. 4. Contractionen des isolierten Uterus unter dem Einfluss des Hydrastinin. (In Concentration 1:10000.) Verlag von VEIT & COMP. in l.eipzig. EN, Archiv f. Anat. u. Phys. 1904. Physiolog. Abthlg. Suppl. Taf. IX. Alle Curven !/, natürlicher Grösse. Contractionen unter dem Einfluss von Sphacelinsäure (0-01). Eine der Wellen vor Versuch am lebenden Weibchen. der Giftanwendung. Fig. 7. Gewicht an dem schreibenden Hebel = 25-0. Wirkung des Adrenalin (0.0001), Eine der Wellen Versuch vor der an einem lebenden Weibchen. Giftanwendung. (Gewicht an dem Hebel = 50-0. Die Wirkung der Sphacelinsäure (1:20000). Normale Wellen, vor der Giftanwendung. Fig. 6. Contractionen des isolierten Uterus unter dem Einfluss der Sphacelinsäure (1: 20000). Adrenalin 0.0005. Adrenalin 0-001. Adrenalin 0-001. Normale Wellen, vor der Giftanwendung. Fig. 8. Ein paralleler Versuch. Curve der Contractionen unter dem Einfluss des Adrenalin. Versuch an einem lebenden Weibehen. Gewicht am Hebel = 50.0. Wirkung des Adrenalin (1:4000000). Wellen vor der Giftanwendung. Fig. 9. Ein paralleler Versuch. Adrenalinwirkung auf den isolirten Uterus desselben Weibchens. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Archiy £.Anat. u. Plrys. 1904. Phys. Abthlg. Suppl. Taf-X. : Fig. % Aufsteigende Megepereiiim nach einsaliger Herd bei einseitiger een; Durchschneidung. Absteigende Den nach Dreier Durchschneidung. 77 n Rig.6. _Absteigende Degeneration bei doppelseiiger, Außteigende Degeneration bei doppelseitiger g we ee ‚ppelseiäg, Durehschneidung. I th = Verlag Veit &Comp. Leipzig } | 4 BON 2 4 | \ 1 * f Na R N r N « - 5 5 m » N . v7 „ s